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-The Project Gutenberg eBook of Das Buch vom eisernen Kanzler, by
-Anton Ohorn
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Das Buch vom eisernen Kanzler
- Eine Erzählung für Deutschlands Jugend
-
-Author: Anton Ohorn
-
-Illustrator: Max Wulff
-
-Release Date: October 15, 2022 [eBook #69160]
-Last Updated: July 24, 2023
-
-Language: German
-
-Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH VOM EISERNEN
-KANZLER ***
-
-
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
- ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist
- ~so markiert~.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
-
-[Illustration: Cover]
-
-[Illustration: ~Eis. Kanzler I.~
-
-In Göttingen.]
-
-
-
-
- Das Buch
- vom eisernen Kanzler
-
- Eine Erzählung für Deutschlands Jugend
-
- von
-
- Anton Ohorn
-
- Mit Illustrationen in Farbendruck von _Max Wulff_
-
- [Illustration]
-
- Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H.
- Berlin W 66
-
-
-
-
-Inhalt.
-
-
- Seite
-
- Erstes Kapitel. Sorglose Jugend 5
-
- Zweites Kapitel. Berliner Lernjahre 17
-
- Drittes Kapitel. ~Gaudeamus igitur~ 30
-
- Viertes Kapitel. Am eigenen Herde 46
-
- Fünftes Kapitel. In gärender Zeit 63
-
- Sechstes Kapitel. Der Bundestagsgesandte 80
-
- Siebentes Kapitel. An der Newa und der Seine 99
-
- Achtes Kapitel. Der bestgehaßte Mann 117
-
- Neuntes Kapitel. Im böhmischen Feldzuge 131
-
- Zehntes Kapitel. Mit Blut und Eisen 146
-
- Elftes Kapitel. Des neuen Reiches Kanzler 193
-
- Zwölftes Kapitel. In Ehren und Schmerzen 210
-
- Dreizehntes Kapitel. Im Abendrot 228
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Erstes Kapitel.
-
-Sorglose Jugend.
-
-
-Ein lachender Sommertag! Weiße Wölkchen schwimmen langsam über den
-blauen Grund des Himmels und spiegeln sich in dem glitzernden Teiche.
-Leise rauscht das Röhricht an dessen Ufersaum, und in den Kronen
-der alten Bäume ringsumher im Park flüstert es wie von Geschichten
-vergangener Tage. Und die stattlichen Rüstern und Linden wissen wohl
-viel zu erzählen von lustigen Festen und von ernster Zeit, zumal
-erst sechs bis sieben Jahre entschwunden sind seit den glorreichen
-Befreiungskriegen und der mutigen Erhebung des ganzen deutschen Volkes,
-die ihre Wellen auch ins Pommernland und an die Mauern des freundlichen
-Herrensitzes _Kniephof_, der sich zurzeit im Besitze des Herrn
-_Ferdinand von Bismarck_ befand, getragen hatte.
-
-Heute ist Friede im Lande, und die alten Wunden fangen langsam zu
-vernarben an.
-
-Zwischen den grünen Bäumen sieht das Schlößchen hervor, schlicht,
-mit Holzfachwerk, aber traulich und behaglich. Aus dem Eingang tritt
-ein Knabe, fünfjährig, schlank, mit blondem, leicht gelocktem Haar,
-und schaut mit hellen, blauen Augen in die Welt. In dem frischen
-Gesichte ist Lebenslust und Tatendrang zu lesen. Er sieht hinauf nach
-dem heiteren Himmel, hinüber nach den grünen Bäumen des Parks, steckt
-die Hände in die Taschen und steht nun breitbeinig da, offenbar in
-der Überlegung, woran er im Augenblicke seine junge Kraft am besten
-erproben könne.
-
-Da kam ein Knecht.
-
-»Jochem, wohin?« rief der Kleine.
-
-»Der Fuchs muß ein neues Eisen haben!« sagte der Angeredete in
-behaglichem Platt.
-
-»Da geh’ ich mit!« jauchzte das Bürschlein, offenbar erfreut über
-den Fingerzeig des Schicksals, und nun trabte er lustig neben dem
-Manne her nach dem Wirtschaftshofe und in den Stall. Der Fuchs wurde
-herausgeholt. »Jochem, setz mich drauf!« gebot der Kleine, und der
-Knecht hob ihn auf den breiten Rücken des Tieres, über welchen die
-kurzen Beinchen des Reiters kaum wegreichten. Daß der Mann das Pferd am
-Halfter führte, duldete das Bürschchen nicht, er mußte es frei gehen
-lassen, und der Kleine hielt sich an der Mähne und suchte nun durch
-Zuruf den Ackergaul zu einem rascheren Tritt zu bringen, was ihm aber
-nicht gelang.
-
-Beim Schmied hob ihn der Knecht wieder ab, und nun stellte er sich so,
-daß er die glühende Esse und den Amboß sah. Die jungen Augen blitzten
-vor Lust, wenn unter den Hammerschlägen des Meisters die Funken
-sprühten, und am liebsten hätte er selbst zu dem verrußten Werkzeug
-gegriffen und mitgeholfen, denn er ahmte unwillkürlich die Bewegungen
-des Schmiedes nach. Aber nicht lange hielt er aus, dann schlenderte
-er, die Hände in den Taschen, weiter, hinaus ins Freie. Die Wiesen,
-reif zum Gemähtwerden, standen voll saftigen Grases und im bunten
-Blütenschmuck. An ihnen hinstreifend, pflückte er Blumen, und dazu sang
-er ein Kinderlied.
-
-Die Zampel fließt durch das grüne Gelände; Erlen und Weiden neigen sich
-schattend über das klare Wasser, und zwischen ihnen ragen stattliche
-Ulmen. Dorthin lenkte der Knabe seine Schritte, brach sich einen Zweig
-aus dem Gebüsch, streifte die Blätter ab und köpfte nun die fetten,
-roten Disteln, die so protzig über den Wiesengrund emporragten. Während
-dieser Beschäftigung sah er einen Reiter auf einem Feldwege kommen.
-Hastig lief er ihm entgegen und schrie schon von weitem jauchzend:
-»Papa, Papa!«
-
-Der Angerufene hielt sein Pferd an. Es war ein stattlicher Herr mit
-einem gutmütigen Gesicht, aus dem die Freude lachte über den munteren,
-frischen Jungen.
-
-»Was machst denn du hier, _Otto_?« fragte er.
-
-»O nichts, Papa, ich gehe spazieren und schlage dabei den Disteln die
-dicken Köpfe herunter! Darf ich mit dir?«
-
-Der Reiter beugte sich herab und hob den kleinen Burschen empor,
-welchen er vor sich hinsetzte, und der nun ohne weiteres die Zügel
-nahm. Der Braune schien ähnliches gewohnt zu sein, er schritt munter
-aus und langte bald bei dem Herrenhause an. Ein Knecht nahm das Tier in
-Empfang und hob den Kleinen aus dem Sattel, und dann ging dieser an der
-Hand des Vaters in das Herrenhaus.
-
-»Nun, Otto,« sagte dieser, »nächste Woche kommt Bernd (Bernhard) aus
-Berlin!«
-
-»Ach, das wird hübsch!« jauchzte der Bursche, »weiß das Mama schon und
-Lotte Schmeling?«
-
-Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in das Haus und in das
-Gemach, in welchem er seine Mutter vermutete. Eine hochgewachsene,
-schöne Dame mit klaren, freundlichen Augen trat ihm entgegen.
-
-»Wo steckst du denn, Otto, und so erhitzt?« sagte sie mit gütigem
-Vorwurf und strich mit der weißen Hand über die feuchten, zerzausten
-Locken ihres Lieblings.
-
-»Ach, ich komme mit Papa und bin auf dem Braunen geritten – und nächste
-Woche kommt Bernd. Da wird’s lustig! Er erzählt immer so hübsch von
-Berlin. Darf ich auch nach Berlin, Mama?«
-
-»Ja, ja, mein Junge!«
-
-Er küßte die Hand der Mutter und war hinaus, noch ehe der Vater
-eintrat. Er eilte nach der Küche, wo »Lotte Schmeling« regierte.
-
-»Ach Lotte, gib mir zu essen, ich habe Hunger – und weißt du – nächste
-Woche kommt Bernd!«
-
-Viel Zeit gönnte er sich zur Stillung seines Hungers nicht, denn bald
-darauf war er wieder im Parke. Einen Teil seines Frühstücks trug er
-noch in der Hand, und die kleinen Taschen hatte ihm Lotte Schmeling
-vollgestopft mit Speiseresten, denn er wollte die Karpfen füttern.
-Aber im Parke hielt ihn manches auf. Wenn er einen Vogel locken hörte,
-blieb er stehen, weil er wissen mußte, wen er vor sich habe; wo ihm ein
-Nestchen in den Büschen bekannt war, sah er vorsichtig nach, ob noch
-alles in demselben und um dasselbe in Ordnung sei; wo ein Eichkätzchen
-an einem Stamme hinhuschte, mußte er seinen Weg verfolgen und sich an
-seinem possierlichen Wesen ergötzen.
-
-Endlich stand er an dem Karpfenteiche und trat auf das kleine Podium
-hinaus, um seine Gaben zu spenden. Schon nach dem ersten Wurfe der
-kleinen Hand tauchten die silbergrau schimmernden Rücken auf und kamen
-heran, und gierig schnappten die großen, runden Mäuler. Otto jauchzte,
-wenn sie um einen besonders großen Bissen sich drängten und balgten
-und ihn einander zu entreißen suchten, und er warf seine Gaben bald
-rechts, bald links, um auch den minder Zudringlichen und weniger
-Starken etwas zukommen zu lassen. Ganz im Hintergrunde, nach der Mitte
-zu, waren einige kleinere Fische, die bei jedem Wurfe schnappten,
-aber nicht herankommen konnten. Auch sie sollten ihr Teil erhalten.
-Der Knabe füllte die ganze Hand dicht mit Brocken und holte nun mit
-ganzer Kraft zum Wurfe aus. Dabei aber hatte er sich wohl etwas zu
-weit vorgebeugt, er verlor das Gleichgewicht; klatschend schlug er
-ins Wasser, so daß die Fische erschreckt auseinanderstoben, und nun
-arbeitete und strampelte der kleine Bursche mit Armen und Beinen in
-einer nicht ungefährlichen Lage, denn der Teich war ziemlich tief. Er
-faßte nach dem Schilfe und suchte sich daran festzuhalten, aber das
-schwanke Rohr bot keine Stütze. Doch war es ihm geglückt, näher an das
-Podium heranzukommen; mit aller Anstrengung und durch eine unbewußt
-günstige Bewegung unterstützt, konnte er es ergreifen, beide Hände
-faßten rasch und sicher zu – und gleich darauf hatte sich der kleine
-Mann glücklich herausgearbeitet.
-
-Er sah ganz verdutzt zuerst nach dem Teiche und dann an sich selbst
-hinab. Seine Beine waren schlammbedeckt, und Schilf hing an den
-durchnäßten Kleidern. Er schüttelte sich einmal kräftig, dann trabte er
-fort nach dem Herrenhause.
-
-Er wollte zu Lotte Schmeling, seiner Vertrauten, flüchten, kam aber
-gerade der entsetzten Mama in den Weg.
-
-»Was ist passiert, Otto?« schrie sie erschrocken auf, als sie den
-Kleinen sah, aus dessen Haaren das Naß niederrieselte auf das triefende
-Gewand.
-
-»O nichts, Mama – ich bin nur, wie ich die Karpfen füttern wollte, ein
-bißchen in den Teich gefallen. Es tut nichts – bloß entsetzlich kalt
-ist’s!«
-
-Die Zähnchen schlugen ihm jetzt im Frost zusammen, und unter Beihilfe
-von Lotte Schmeling wurde er rasch zu Bette gebracht und mußte heißen
-Tee trinken.
-
-Am Abend fühlte er sich wieder völlig munter. Der Vater hatte bei ihm
-gesessen und mit ihm geplaudert: er hatte ihm gesagt, daß er schwimmen
-lernen müsse, wie die Karpfen im Teiche, und zwar, sobald er wieder aus
-dem Bette sein werde, und das hatte ihm viel Vergnügen gemacht. Dann aß
-er sein gewohntes Abendsüppchen, und endlich, beim Dunkelwerden, kam
-Mama noch einmal.
-
-»Siehst du, Otto, wie gut es der liebe Gott meint mit kleinen, dummen
-Jungen? Überall schickt er einen Engel mit ihnen, der ihnen hilft, wenn
-sie in Not sind. Du wärst im Karpfenteich ertrunken, wenn er nicht
-bei dir gewesen wäre und dich herübergezogen hätte, so daß du das
-Podium fassen konntest. Dafür mußt du dem lieben Gott heute auch ganz
-besonders danken!«
-
-So sagte die schöne, freundliche Frau, und der Knabe faltete die
-Händchen und sprach sein Abendgebet mit besonderer Herzlichkeit.
-
-»Amen!« sagte die Mutter bewegt, als er damit zu Ende war, dann küßte
-sie ihren Liebling, deckte ihn sorgsam zu und ging. –
-
-Der Unfall hatte für Otto keine weiteren unangenehmen Folgen, und in
-gewohnter vergnüglicher Weise lebte er seine Tage weiter. Als nach
-einiger Zeit Bernd (Bernhard), der um fünf Jahre ältere Bruder, aus
-Berlin ankam, erzählte er ihm beinahe mit einem gewissen Selbstgefühl
-sein Abenteuer, vergaß dabei aber nicht, auch des Schutzengels
-Erwähnung zu tun.
-
-_Bernhard_ war ein frischer, schlanker Junge, dem es besonderes
-Vergnügen machte, nach dem Berliner Aufenthalte frei durch Feld
-und Wald zu schweifen, und Otto war sein beinahe unzertrennlicher
-Begleiter. Die Erzählungen des Älteren von der Haupt- und Residenzstadt
-Preußens und ihren Herrlichkeiten, von den militärischen Schauspielen,
-von dem König und seinem Hofe verfehlten nicht, die Phantasie des
-Jüngeren zu erregen und in ihm eine Sehnsucht nach diesen Wunderdingen
-zu wecken. Dann setzte Bernhard der Begierde des Bruders wohl einen
-kleinen Dämpfer auf, indem er ihm erzählte, wie es in der Plamannschen
-Anstalt, in welcher er untergebracht war, zuging.
-
-»Das ist nicht so wie bei Muttern. Und da kannst du nicht den ganzen
-Tag im Parke herumschlendern und Karpfen füttern, und kannst auch
-nicht, wenn dich hungert, zu Lotte Schmeling laufen. Da heißt’s
-jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen. Dann gibt’s Milch und Brot als
-Frühstück, und von sieben Uhr an mußt du drei Stunden lang auf der
-Schulbank sitzen, dafür erhältst du um zehn Uhr ein Salzbrot, das du
-im Sommer mit einem Apfel oder einer Birne dir schmackhafter machen
-kannst, und nach einer halben Stunde geht’s wieder in die Schulstube.
-Mittags um zwölf Uhr wird gemeinsam in einem großen Saale gegessen,
-und da fragt dich niemand, ob dir’s schmeckt oder nicht. Wenn du dein
-Schüsselchen nicht ausessen kannst, mußt du mit demselben so lange im
-Garten stehen, bis du es geleert hast. Dann wieder von zwei bis vier
-Uhr Unterricht, zum Vesper ein Salzbrot und nun nochmals bis sieben Uhr
-auf die Schulbänke. Du, da ist man froh, wenn’s Abend geworden, und man
-sein Warmbier oder Butterbrot erhält. Nur das Turnen und Fechten, das
-ist hübsch! Ja, mein lieber Otto, auf Kniephof oder Schönhausen ist’s
-schon schöner!«
-
-Der Kleine hat bei solchen Schilderungen die Hände in die Taschen
-gesteckt, bleibt breitbeinig vor dem Bruder stehen und sagt dann ruhig
-und beinahe überlegen:
-
-»Weißt du, Bernd, wenn _du_ es ausgehalten hast, kann ich’s auch!«
-
-Kurze Zeit darauf gab der Vater Ottos, Herr _Ferdinand von Bismarck_,
-ein kleines Fest, wie es der an der Geselligkeit sich freuende Mann ab
-und zu liebte. Offiziere aus dem nahen Naugard und anderen Garnisonen
-hatten sich eingefunden, und die Gastlichkeit des von Bismarckschen
-Hauses, in welchem an des heiteren, lebensfrohen Gatten Seite eine
-ungemein liebenswürdige und in jeder Weise feine und edle Hausfrau
-waltete, kam in aller Herzlichkeit zur Geltung.
-
-Bei der Mittagstafel herrschte ein lebhafter, munterer Ton, und der
-Wein löste die Zungen noch mehr. Bernhard und Otto saßen an einem
-Seitentischchen, und der letztere besonders ließ sich wenig von dem
-Gespräch entgehen, zumal dasselbe bald genug auf ein Gebiet kam, das
-noch immer alle Gemüter lebhaft bewegte! Die Zeit der Schmach und der
-Erhebung Preußens und Deutschlands. Die Männer an dem Tische und in
-den Uniformen hatten fast alle ihren Teil an jenen Tagen und jenen
-Begebenheiten, und mancher wies ein blinkendes Ehrenzeichen, mancher
-auch eine ehrenvolle Wundennarbe auf.
-
-»Sie haben die Befreiungskriege nicht mitgemacht, Herr von Bismarck?«
-fragte einer der jüngeren Offiziere.
-
-»Im eigentlichen Sinne, als Streiter des Heeres, nicht. Ich habe den
-Soldatenrock schon früh ablegen müssen, der Familienverhältnisse
-halber. O, ich bin sehr jung schon Soldat gewesen, habe als Knabe schon
-im Rathenower Leibkarabinierregiment gedient und stramm meinen Dienst
-geübt. Jeden Morgen Schlag 4 Uhr war ich da und habe den Reitern den
-Hafer zumessen lassen. Bei Kaiserslautern hab’ ich unter dem Herzog von
-Braunschweig mitgefochten, aber es war keine Ehre zu holen. Darum hab’
-ich als Rittmeister meinen Abschied genommen.«
-
-»Haben Sie auf Ihrem Gute viel von den Franzosen zu leiden gehabt?«
-fragte einer der Gäste.
-
-»Wir sind damals, als Preußen zusammenbrach, nicht auf Kniephof,
-sondern auf Schönhausen gewesen. 1815 am 1. April ist uns der kleine
-Schlingel, der Otto, geboren worden – mit dem wir hoffentlich nicht
-in den April geschickt werden, – aber es war eine trübe Zeit gewesen
-für das Vaterland. Ob wir sie mitempfunden haben, meine Herren? – Na,
-Minchen« – er wandte sich zu seiner Frau – »ich denke, wir vergessen’s
-all unsere Lebenstage nicht! Zwei Tage nach der Unglücksschlacht von
-Jena und Auerstädt, an einem rauhen Oktobertage des Jahres 1806, kam
-die liebe, gute Königin Luise, flüchtig und geängstigt, und blieb im
-Schlosse Tangermünde, Schönhausen gegenüber am linken Elbufer, über
-Nacht, dann floh sie weiter gegen Ostpreußen, und hinter ihr drein
-zogen die französischen Scharen und die preußische Schande. – Wenige
-Tage später saß im Tangermünder Schlosse der Marschall Soult, und
-seine zügellosen Banden tauchten in der ganzen Gegend auf. Damals habe
-ich mein bißchen Barvermögen in Gold im Parke vergraben und flüchtete
-mit meiner Frau unter Mühen und Gefahren bis nach dem »Trüben«, einer
-sumpfigen, umbüschten Niederung an der Elbe, wohin die Schönhauser
-sich zurückgezogen hatten. Der Aufenthalt in der langen, kalten
-Oktobernacht in dem feuchten Sumpfloche war fürchterlich, zumal wir
-jeden Augenblick davor bangten, daß über unserem Besitztum der rote
-Flammenschein auflodern würde. Endlich, nach entsetzlich langen
-Stunden, graute der Morgen. Einige schlichen nach Schönhausen und
-brachten die Kunde, der Feind sei fort, und so zogen wir heimwärts.
-Aber wie hatten diese Teufelsfranzosen gewirtschaftet! Verwüstung und
-Elend überall in den Kätnerhütten wie im Herrenhause. Im Schlosse war
-alles durcheinandergeworfen, vieles zertrümmert; den Stammbaum der
-Bismarck, der im Bibliothekzimmer hing, hatten sie mit Säbeln zerhauen
-und zerstochen, daß die Fetzen davonhingen – na, ich denke, dem Stamme
-selber soll das nicht geschadet haben.
-
-Als ich nach meinem Gelde im Garten ging, fand ich die Erde aufgewühlt
-… aber ich sah auch bald die Goldstücke blinken. Der Feind hatte sie
-nicht gefunden, und die Erdarbeit mochte das Werk eines spürenden
-Hundes gewesen sein. Später habe ich, um mich und meine Bauern zu
-bewahren, mir von Soult eine Schutzwache erbeten, aber meine Frau habe
-ich doch größerer Sicherheit wegen nach Rathenow gebracht. Ach Gott,
-aber die allgemeine Not war doch noch schlimmer als die des einzelnen,
-und als unser liebes Preußen zerrissen wurde, da grenzte Schönhausen
-hart an das neue Königreich Westfalen, es fehlte nicht viel, so hätten
-wir Jerôme als König bekommen.«
-
-Der brave Rittmeister nahm einen kräftigen Schluck, wie um die
-schlimmen Erinnerungen damit fortzuschwemmen. Einer der Offiziere aber
-fragte: »Und wie war’s in den Befreiungskriegen? Sie hatten ja auch in
-der Altmark Ihren Landsturm?«
-
-»Und ob wir einen solchen hatten! Und er hat redlich die Heimat vor
-Franzosen und Russen behütet. Ich darf’s wohl ohne Ruhmredigkeit
-sagen, daß ich treulich das meine dabei getan habe. Und wir hatten an
-der Elbe gute Helfer gehabt in den braven Lützowern, die im Mai 1813
-nach Schönhausen kamen und mit uns die Übergänge über den deutschen
-Strom bewachten. Das bleibt mir eine unvergeßliche Erinnerung, jener
-Gottesdienst in unserer einfachen, alten Dorfkirche, bei welchem die
-neueingetretenen freiwilligen schwarzen Jäger eingesegnet wurden. Es
-war rührend, wie Männer mit ergrauten Haaren neben frischen Jünglingen
-sich um den braven Major von Lützow scharten, und ich habe damals mit
-Tränen in den Augen manchen Wackeren gesehen, den ich nicht vergesse.
-Da war der junge Theodor Körner, der Freiheitsdichter, mit seinen
-dunklen Feueraugen, der dann bei Gadebusch gefallen ist, der Turner
-Ludwig Jahn mit seinem Löwenkopfe, und sie sangen ein Lied ihres jungen
-Kampfgenossen und leisteten einen heiligen Eidschwur fürs Vaterland,
-und unser Prediger Petri hat ihnen den Segen gegeben, und der Segen hat
-geholfen!«
-
-»Ja, er hat auch mitgeholfen,« sagte jetzt der Major von Schmerling,
-dessen Brust mit dem Eisernen Kreuz geschmückt war, und der noch immer
-den einen Arm in der Binde trug. »Wir haben’s den Franzosen tüchtig
-heimbezahlt bei Großgörschen und Großbeeren, bei Dennewitz und an der
-Katzbach und zuletzt in der Leipziger Schlacht. Und jeder, der dabei
-gewesen ist, darf mit Stolz davon erzählen. Am 16. Oktober haben wir um
-Wachau und Güldengossa gestritten und den Reitersturm des Königs Murat
-zurückgeschlagen, am 17. verübte der alte Marschall Vorwärts seinen
-glücklichen Reiterstreich bei Möckern, wo Ihr Bruder, lieber Bismarck,
-der brave Major Leopold von Bismarck, den Heldentod starb, und am 18.,
-Kinder, da war der große Entscheidungstag. Das war ein Geschützdonner,
-wie ich ihn all mein Lebtag nicht gehört habe; in Probstheide schlugen
-die Kanonenkugeln von allen Seiten ein, als ob irgendwo von oben her
-ein Apfelbaum geschüttelt würde. 1500 Geschütze spien ihr Verderben
-gegeneinander, aber Gott war mit uns, und in der Völkerschlacht haben
-wir den Mann des Jahrhunderts überwunden.«
-
-Mit leuchtenden Augen und vorgebeugt hatte Otto nach dem Sprecher
-hingesehen, und kein Wort verloren, welches aus seinem Munde ging.
-Als der Major jetzt innehielt und das Glas ansetzte, sprang der
-kleine Bursche auf und trat dicht vor ihn hin. Mit dem vorgestreckten
-Zeigefinger deutete er auf das Eiserne Kreuz an seiner Brust und fragte
-mit vollem Ernste:
-
-»Ist Er auch von einer Kanonenkugel geschossen worden?«
-
-Die naive Frage des Knaben löste die ernste Stimmung, welche in dem
-Kreise eingetreten war, alle lachten, der Major aber zog den Kleinen zu
-sich heran und sagte:
-
-»Nein, mein Schelm, dann säße ich heute wohl nicht mehr hier. Na, wie
-ist’s – du willst wohl auch einmal Soldat werden?«
-
-Die Frau des Hauses nahm das Wort:
-
-»Ich glaube, Otto wird einmal Diplomat, Staatsmann, und Bernhard
-Landrat!«
-
-Wieder lachten die fröhlichen Gäste, aber Herr von Bismarck sagte:
-
-»Ja, meine Frau schlägt nicht aus der Art: Da sehen Sie die
-Diplomatentochter, die sich einmal in den Kopf gesetzt hat, daß
-etwas vom Geiste ihres ausgezeichneten Vaters, des wackeren Geheimen
-Kabinettsrats _Menken_, auf unseren Jungen übergegangen ist. Na, wie
-Gott will – er wird es schon richten!«
-
-Heiter ging der Tag zu Ende, der für Otto manche Erregung und Bewegung
-gebracht hatte. Am Abend kam er zu der Mutter, um ihr »Gute Nacht« zu
-sagen.
-
-»Otto, hast du denn auch ordentlich dein Süppchen gegessen?«
-
-Der Knabe stand einen Augenblick verdutzt bei dieser Frage, und anstatt
-eine Antwort zu geben, stürmte er hinaus nach der Küche zu Lotte
-Schmeling.
-
-»Höre, Lotte, habe ich eigentlich schon mein Süppchen gegessen?« fragte
-er hastig.
-
-»Freilich und hat sehr gut geschmeckt, denn es war schnell genug
-verschwunden.«
-
-Wie der Wind sauste der kleine Mann davon und kam zu der erstaunten
-Mama zurück, um dieser nun erst, nachdem er selbst sich authentische
-Sicherheit verschafft, eine wahrheitsgetreue Antwort auf ihre Frage zu
-geben. Und jetzt ging er mit gutem Gewissen zur Ruhe.
-
-Herr und Frau Bismarck saßen noch ein Weilchen beisammen, und letztere
-war es, die das Gespräch auf die Kinder, besonders auf Otto, brachte.
-
-»Es nützt nichts, er muß aus dem Hause. Hier wird er verzogen, von
-mir, von dir, von Lotte und von allen. Und am besten ist’s, er kommt
-zu Plamann, wo er an Bernd eine Stütze hat, daß ihm das Heimweh nicht
-zu schwer wird. Ich halte dafür, eine rationelle Erziehung nach festen
-pädagogischen Grundsätzen kann nicht zeitig genug anfangen.«
-
-Herr von Bismarck wollte einige Einwendungen machen, aber er kam gegen
-die Grundsätze seiner geistvollen, von einem vortrefflichen Vater
-geschulten Frau nicht auf; seufzend gab er nach, und so ward bestimmt,
-daß Otto nächste Ostern nach Berlin kommen sollte.
-
-
-
-
-Zweites Kapitel.
-
-Berliner Lernjahre.
-
-
-An einem Frühlingstage des Jahres 1821 hielt vor dem Hause
-Wilhelmstraße 139 in Berlin ein Wagen, mit zwei kräftigen Braunen davor
-und mit dem Bismarckschen Wappen auf dem Schlage. Der alte Kutscher
-stieg langsam ab und strängte das Handpferd aus, dann hob er aus dem
-Gefährte einen hübschen, schlanken, sechsjährigen Knaben und trug ihn
-beinahe zärtlich auf seinen Armen in das Haus.
-
-Das war die Erziehungsanstalt des Professors _Plamann_, ein im Geiste
-des großen Pädagogen Pestalozzi gegründetes und geleitetes Institut,
-das sich trefflicher Lehrer erfreute, wie unter anderen des Begründers
-des deutschen Turnwesens, Ludwig Jahn.
-
-Als der alte Kutscher mit seinem weiten Mantel in den Mittelflur des
-Hauses trat, tauchten sogleich überall jugendliche Gestalten auf, die
-ihn umringten und nach seiner lebendigen Last blickten. _Otto von
-Bismarck_, – denn er war es, der auf solche Weise seinen Einzug bei
-Plamann hielt, – sah mit eiserner Ruhe und fester Sicherheit auf die
-Gesichter unter ihm nieder, und konnte es wohl auch noch hören, wie es
-hinter ihm herklang:
-
-»Wieder ein kleiner Junker! – Ein Muttersöhnchen! – Wollen ihn schon
-rankriegen!«
-
-Dann nahm ihn der Direktor in Empfang, auch dessen Frau und Nichte,
-und begrüßten ihn mit freundlichem Ernst als neuen Hausgenossen; Bernd
-bewillkommnete gleichfalls den Bruder, ohne die übliche Tagesordnung
-zu unterbrechen. Um die nächste Mittagszeit hatte Otto schon seinen
-Platz an einem Tische im großen Saale, wo Lehrer und Schüler gemeinsam
-speisten, und mühte sich, sein Gericht, das freilich nicht wie daheim
-schmeckte, zu bewältigen, um nicht mit seinem Teller auf die Terrasse
-hinausgestellt zu werden, wo einige, denen das Mahl nicht behagte, sich
-langsam mit demselben abquälten.
-
-Dem kleinen Neuling blieben manche Neckereien und Hänseleien nicht
-erspart, und auch sein Bruder konnte ihn nicht ganz davor schützen.
-Aber des Rates Bernhards, sich nichts gefallen zu lassen, hätte es bei
-Otto nicht bedurft. Der kleine Mann hatte Selbstgefühl genug, um sich
-nichts bieten zu lassen, was ihm unwürdig erschienen war, und wie er
-schon den herkömmlichen »Einweihungsgebräuchen« einen sehr energischen
-Widerstand entgegengesetzt hatte, so zeigte er auch, daß er das in der
-Anstalt beliebte Abhärtungssystem und die damit zusammenhängenden
-körperlichen Unannehmlichkeiten mit festem Gleichmut ertrug.
-
-Gerade das aber reizte manchen seiner Genossen; man sah dies
-ruhige, feste Wesen für junkerlichen Übermut an, und man hatte sich
-vorgenommen, ihn bei Gelegenheit tüchtig zu »ducken«.
-
-An einem der ersten warmen Tage war es, als die Zöglinge zum Baden
-geführt wurden nach dem sogenannten »Schafgraben«, einem nicht
-gerade sehr breiten, aber ziemlich tiefen Wasser. Auch bei solchen
-Gelegenheiten wurden die Neulinge nicht besonders glimpflich behandelt.
-Wer irgend Furcht zeigte, wurde von dem Lehrer kopfüber in das Wasser
-geworfen, und nun von seinen Genossen mit Tauchen und Anspritzen
-weidlich bearbeitet. Auf diese Prozedur hatte man sich bei dem
-»hochnäsigen Junkerchen« schon lange gefreut.
-
-Die Schar hielt am Schafgraben. Rasch waren die Burschen entkleidet
-und sahen nun nach Otto, auf dessen »Wasserscheu« sie sich bereits
-freuten. Der aber hatte seit seinem Bade im Karpfenteiche das Schwimmen
-ganz wacker betrieben. Er trat jetzt an den Rand des Grabens, mit
-einem entschlossenen Sprung war er im Wasser, welches über ihm
-zusammenschlug, und dann war er verschwunden. Die Wellen kräuselten
-sich leicht über der Flut, man spähte, ob nicht der Knabenkopf
-emportauchen würde, und es begann eine beinahe unheimliche Spannung und
-Erregung.
-
-Da kam der Schwimmer, welcher so lange unter Wasser ausgehalten, am
-anderen Ufer in die Höhe und schüttelte sich lachend, den übrigen
-aber entschlüpfte ein Ah der Überraschung. Mit dem kleinen Junker von
-Bismarck war nichts anzufangen, – das war jetzt den Vernünftigeren
-klar, und besser schien es darum, mit ihm gut Freund zu sein.
-
-Und immer mehr brachte er in diesem Kreise sich zur Geltung. Im Turnen
-und Fechten tat er es den anderen ebenso zuvor, wie in manchem
-Wissenszweige, der, wie Geschichte und Geographie, ihm besonders
-behagte, und in die stramme Hausordnung fügte er sich prächtig ein.
-
-Nur manchmal, wenn ein besonders schöner Tag die Knaben hinausbrachte
-ins Freie, nach der Hasenheide, wenn er grüne Bäume, wogende Felder
-und fleißige Knechte darauf sah, wenn die Lerchen neben ihm aufstiegen
-gegen den blauen Himmel, da überkam ihn eine Sehnsucht nach dem stillen
-Kniephof oder dem freundlichen Schönhausen, und manchmal lief ihm wohl
-auch eine Träne über die Wangen, die er nicht mehr zurückdrängen konnte.
-
-Aber er überwand diese Empfindungen, denn er wollte ein starker,
-fester, tapferer Mann werden, wie er solche in der Geschichte kennen
-lernte. Und die Geschichte war sein Steckenpferd. Die alte Griechensage
-vom Kampf um Troja hatte es ihm besonders angetan, und die leuchtenden
-Heldengestalten, die um das hochgetürmte Ilion stritten, lebten in
-seiner Phantasie.
-
-Im Plamannschen Garten, weit hinten, stand eine stattliche alte Linde.
-Auf einem Aste derselben saß er eines schönen Nachmittags, andere
-Genossen waren gleichfalls heraufgeklettert und wiegten sich auf den
-Zweigen um ihn her, und wieder andere lagen im Grase. Heute war ein
-freier Tag, – da wollten die jungen Gemüter ein besonderes Vergnügen
-haben. Otto von Bismarck aber las begeistert und mit weit vernehmlicher
-Stimme von dem Kampfe um die Mauer, welche das Lager der Griechen
-schützen sollte, wo der helmbuschumflatterte Hektor gleich einem Löwen
-die Seinen anfeuerte und mit Polydamas und Äneas, mit Glaukos und
-Sarpedon dem furchtbaren Andrang der Argiver wehrte. Immer heißer wogte
-der männermordende Streit, bis der furchtbare Ajax eingriff.
-
-Und Otto las mit heißen Wangen und glühenden Augen, während die
-anderen beinahe den Atem anhielten vor Erregung:
-
-»Ajax aber brach einen scharfgezackten Marmorstein zuoberst aus
-der Brustwehr und zerknirschte damit dem Epikles, einem Freunde
-des Sarpedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher von dem Turme
-herabschoß. Sarpedon aber klomm aufwärts, durchstach den Alkmaon,
-den Sohn Thestors, mit der Lanze, faßte dann mit aller Gewalt die
-Brustwehr, daß sie von seinem Stoß zusammenstürzte; doch Ajax und
-Teuker begegneten dem Stürmenden. Ajax durchstach ihm den Schild; die
-Lanze durchdrang ihn schmetternd, und einen Augenblick zuckte Sarpedon
-von der Brustwehr hinweg. Doch ermannte er sich und feuerte seine
-Lykier an, die rascher emporstürmten; aber auch die Danaer verdoppelten
-ihren Widerstand. Über die Brustwehr hieben sie wild aufeinander los,
-und rechts und links von den Trümmern rieselte das Blut hinab.« Otto
-ließ das Buch fallen, seine Wangen glühten höher.
-
-»Jungens – das müssen wir spielen!« rief er, und allgemeines
-Beifallsgeschrei folgte. Im Nu waren die Knaben unten von den Ästen,
-und die Parteien teilten sich und wählten ihre Führer. Der junge
-Bismarck war Ajax, der Telamonier.
-
-Im Garten war eine Terrasse, das war die Mauer, und um dieselbe begann
-nun der Kampf, hitzig, wie um das umstürmte Ilion selber, und die
-Griechen blieben Sieger.
-
-Das Kriegsspiel ward nun zur wahren Leidenschaft, und Otto erfaßte die
-Sache mit solchem Ernst, daß er bis ins kleine hinein die Schlachtpläne
-entwarf und über die Wechselfälle des Kampfes besonders Buch führte. So
-ging’s bis in den Winter hinein, und dieser erhöhte noch den Reiz der
-Sache. Die Natur selbst lieferte verschwenderisch das Geschützmaterial,
-und um die Terrasse wurde, auch unter Beteiligung der Lehrer selbst, in
-den Freipausen im heftigen Schneeballgefecht gestritten.
-
-Auch dabei war der junge Bismarck der berufene Anführer der einen
-Schar. So war’s auch an einem prächtigen frischen Wintertage. Die
-Terrasse hielten die Gegner besetzt und empfingen mit den reich
-aufgestapelten Geschossen die Anstürmenden. Aber Otto zeigte sich
-wie ein rechter Feldherr voll Umsicht und persönlicher Tapferkeit.
-Während er von der einen Seite durch ein heftiges Bombardement den
-Feind täuschte und seine volle Aufmerksamkeit anzog, brach er auf
-einer anderen mit einer Handvoll auserwählter Genossen zum Sturme
-vor und erreichte trotz der heißen Gegenwehr der Überraschten die
-Terrasse, wo er nun mit den Seinen festen Fuß faßte, wo es aber auch
-zu einem äußerst erbitterten Handgemenge kam. Für ein Spiel ging es
-schon beinahe zu weit. Die erhitzten und erregten Parteien schlugen
-unbarmherzig aufeinander los, und die jungen Helden hatten sich
-ineinander verbissen, als ob es wirklich für die Ehre des Vaterlandes
-geschähe.
-
-Das Glockenzeichen rief zum Beginn des Unterrichts. Vergebens. Die
-Zurufe der Lehrer und ihr persönliches Eingreifen vermochten den Kampf
-nicht zu beenden, da riß Ajax-Bismarck den Schultornister von seiner
-Schulter, den er wie ein echter Soldat beim Sturme getragen hatte,
-und wo der Knäuel der Streiter am dichtesten war, schleuderte er das
-Geschoß mit solcher Wucht hinein, daß die Kämpfenden auseinanderfuhren
-und außerdem auch seinem gebieterischen Zuruf gehorchten. Nun konnte es
-wieder an den Unterricht gehen.
-
-Als derselbe beendet war, wanderte Otto nach der Behrenstraße Nr. 53.
-Seine Eltern waren in Berlin eingetroffen, um in ihrer Stadtwohnung den
-Sommer zuzubringen und gesellschaftliche Beziehungen zu pflegen.
-
-Der Vater freute sich an dem frischen kleinen Burschen, die Mutter
-fand ihren Liebling ein wenig wild, Otto selbst aber hatte nicht viel
-Behagen in der Behrenstraße. Da war alles so vornehm und steif und
-still, und auch der Papa seufzte manchmal ein wenig.
-
-»Ja, mein Junge, – mir geht’s wie dir,« sagte er einmal, – »in Kniephof
-und auf Schönhausen ist’s hübscher; na warte nur bis zum Sommer! Wenn
-du in die Ferien kommst, dann sollst du ein kleines Pferd haben, und
-wir reiten zusammen, und auch eine Flinte, und dann soll’s lustig durch
-Feld und Wald gehen!« – –
-
-So gingen die nächsten Jahre hin, und der Plamannsche Schüler nahm zu
-an körperlicher Kraft, an Wuchs und Gewandtheit, aber auch an geistigem
-Besitz, und nach der strengen Ordnung der Schulzeit schmeckte die
-herrliche Freiheit in den heimischen Gärten und Wäldern doppelt gut,
-und die alten Bäume im Kniephofer Park schienen dem frischen Junker nur
-um so hübschere Sachen zuzuraunen.
-
-Als er im Sommer 1827 heimkehrte, hielt ihm zu seiner ganz besonderen
-Freude die Mutter ein neugeborenes Schwesterchen, das am 29. Juni
-angekommen war, entgegen, und die kleine _Malwine_ wuchs ihm sehr
-schnell ans Herz, und wenn er später wieder heimkam, freute er sich auf
-sie am meisten.
-
-Er besuchte seit demselben Jahre (1827) das Berliner
-Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, gemeinsam mit seinem Bruder, und sie
-wohnten jetzt beide in der Behrenstraße. Ein Genfer, Monsieur Gallot,
-hatte sie anfangs zu beaufsichtigen, und er redete mit ihnen nur
-französisch. Daß aber auch das Deutsche nicht zu kurz kam, dafür sorgte
-die brave Köchin Trine Neumann aus Schönhausen. Sie liebte ihre beiden
-Junker und suchte ihnen diese Liebe auch zu beweisen, dadurch, daß sie
-ihnen möglichst oft ihre Lieblingsspeise, Eierkuchen, bereitete, wobei
-sie manchmal ihren kleinen Ärger hatte, wenn ihre Pflegebefohlenen zu
-spät heimkamen und »die Kauken afbackt« waren. Dann konnte sie wohl in
-ihrem Unmute sich zu den Worten hinreißen lassen:
-
-»Na Jungens, ut juch wat in’n Leben nix Vernünftigs, – dei Kauken sünd
-all wedder afbackt!«
-
-Im gewohnten Gleichmaß gingen die Tage, nur die Persönlichkeiten
-um Otto von Bismarck her wechselten. An Stelle Monsieur Gallots
-traten der Kammergerichtsreferendar Hagens und Philologe Winkelmann,
-Bruder Bernhard hatte das Gymnasium absolviert und die Uniform
-angezogen, Trine Neumann war in die Heimat zurückgekehrt, und
-Otto war an das Gymnasium zum Grauen Kloster und in Pension zu
-Professor Prevost gekommen, nachdem er Ostern (31. März) 1830
-in der Dreifaltigkeitskirche von dem ausgezeichneten Theologen
-_Schleiermacher_ konfirmiert worden war mit dem Weihespruche: »Was du
-tust, das tue Gott und nicht den Menschen!«
-
-Unter seinen Lehrern hatte es Professor _Bonnell_ ihm am meisten
-angetan, und Lehrer und Schüler schlossen sich gegenseitig ins Herz.
-So kam es, daß Otto in das Haus dieses Mannes übersiedelte und hier
-in einer freundlichen Giebelstube hauste. Da hinauf trug er die
-stattlichen Bände einer Weltgeschichte, die er aus der Bibliothek des
-Professors entlehnte, und abends saß er, zumal im Winter, allein bei
-der Frau Professor und plauderte ihr vor von den Herrlichkeiten auf
-Kniephof und von seiner lieben kleinen »Maldewine«.
-
-Vor den Fenstern sang dann wieder der Frühlingswind und erweckte die
-Sehnsucht hinaus ins Freie und in die jugendgrünende Heimat. Die alte
-gelbe Postkutsche fuhr in der Straße vorüber, und der Postillon blies
-sein Lied, so daß der junge Gymnasiast in stiller Wehmut horchte
-und Semmlers Weltgeschichte eine Weile beiseite schob. Mit dem
-Herannahen des Sommers aber kam (1831) auch ein unbehaglicher Gast nach
-Deutschland – die Cholera. Die Eltern in Kniephof waren in Sorge, und
-eines Tages kam ein Brief von Herrn von Bismarck: Otto solle, sobald
-auch nur _eine_ Erkrankung in Berlin vorkäme, sogleich nach Hause
-kommen. Da gab es außer ihm wohl keinen Menschen in der preußischen
-Hauptstadt, welcher die Cholera so herbeigesehnt hätte, aber sie schien
-ihm zum Trotz nicht kommen zu wollen.
-
-In der Nähe von Berlin sollte sie bereits sein, und davon wollte er
-sich wenigstens überzeugen. In einem Reitstall mietete er sich ein
-Pferd, einen feurigen, dunkelbraunen Wallach, und auf »Nerestan« jagte
-er jetzt beinahe täglich auf der Straße nach Friedrichsfelde hinaus –
-»der Cholera entgegen«.
-
-Da kam er eines Tages an der Neuen Wache vorüber. Eben zogen die
-Soldaten auf unter Trommelschlag und den üblichen Gebräuchen, an einer
-Ansammlung Neugieriger fehlte es dabei nicht. Und diese Bewegung und
-der Lärm machten, daß der Wallach plötzlich scheute, einen Seitensprung
-tat und infolge Ausgleitens niederschlug, wobei der junge Reiter zu
-argem Schaden kam. Er konnte sich nicht erheben, fremde Leute mußten
-behilflich sein, ihn in einen Wagen zu bringen, und mit zerquetschtem
-Fuße trug man ihn hinauf zu Frau Professor Bonnell, die nicht wenig
-erschrocken war.
-
-Da lag er nun wochenlang, und die Sonne lachte durch die Fenster und
-lockte, und das Posthorn klang rufend durch die Gasse, ja, selbst die
-ersehnte Cholera war angekommen, aber er mußte – nicht allzu geduldig –
-warten, bis die Ärzte ihm gestatteten, Berlin zu verlassen. Da saß er
-nun endlich eines Morgens hoch oben auf dem Bock neben dem »Schwager«,
-und hinaus ging’s im langsamen Trott durch die heißen Straßen der
-Residenz, hinein in die lachende Gotteswelt. Es war kein behagliches
-Reisen und ging just auch nicht schnell – denn bis nach Stettin
-brauchte man länger als zwei Tage – aber es bot doch wechselnde
-Bilder, und der Postillon tat, wenn er in ein Städtchen oder in ein
-Dorf einfuhr, sein Bestes auf seinem Horne.
-
-Am dritten Tage sah er den alten, lieben Kniephof wieder und umarmte
-die Eltern und küßte sein Schwesterchen, und dann brach die ganze
-Lust und Frische, die in den letzten Wochen zurückgedämmt war, wieder
-durch. Trotz des jüngsten Unfalls jagte er hoch zu Roß durch Wald und
-Flur, aber er ergötzte sich auch mit stillem Behagen an den lauschigen
-Plätzen seiner Kinderjahre unter den rauschenden Bäumen des Parkes.
-
-Wie vielfach im Sommer, so nahm auch diesmal die Familie Bismarck
-einen kurzen Aufenthalt in Schönhausen, das der wackere Inspektor
-Bellin verwaltete. Es liegt in der Altmark, am rechten Elbufer,
-da, wo die Havel hereinkommt. Ringsum das märkische Flachland mit
-Feldern und Wiesen und mageren Kiefernwäldchen dazwischen hatte wenig
-landschaftliche Reize, aber im Dorfe selbst liegen zwei Herrengüter,
-und ihre Parke beleben mit dichtem Grün die Szenerie. Das Bismarcksche
-Herrenhaus ist einfach gebaut; über dem schlichten Portal ist das
-Kleeblattwappen der Familie, daneben ein anderes – eine Katze mit der
-Maus – und darunter stehen nebst der Jahreszahl 1707 die Namen: August
-von Bismarck und Dorothea Sophie Katten.
-
-Hier war Otto geboren, und darum hatte Schönhausen seinen besonderen
-Reiz für ihn, wenngleich der Park hier kleiner war als in Kniephof.
-Fröhlich durchschweifte er ihn bei seiner Ankunft; er schreitet
-durch die Allee von alten, breitästigen Linden, dann hinein zwischen
-wuchernden Weißbuchenhecken nach dem kleinen Teiche, und nun auf
-der hölzernen Brücke über den Graben hinaus ins Freie. Da lugt ein
-steinernes Bild herüber, eine alte, mythologische, nackte Figur, die
-wenig respektvoll dem Junker ihre Kehrseite zuwendet. Er wirft einen
-Blick hinüber und schreitet weiter mit der Flinte auf dem Rücken,
-hinaus ins Feld. Aber es will sich keine Beute finden. Hoch über
-ihm zieht mit höhnischem Lachen ein Falke seine Kreise, einige Raben
-kreischen auf den Feldern, aber jagdbares Getier ist nicht zu sehen.
-
-Unmutig im heißen Sonnenbrand schlendert er um Mittag heimwärts. Er
-schreitet wieder über das Holzbrückchen und sieht abermals den wenig
-höflichen und anständigen Herkules; die Sonne beleuchtete ihn auffällig
-hell, wie er so dastand und beinahe höhnisch die eine Hand rückwärts
-unterhalb des Rückens legte.
-
-Otto hatte eine Schrotladung in seiner Flinte; heimbringen wollte er
-sie nicht wieder, und, einer raschen Laune folgend, riß er die Waffe
-von der Schulter, legte an, und der Schuß krachte. Von dem Herkules
-splitterte es, und der Leib zeigte eine bedeutend hellere Stelle in
-der Nähe der Hand, der junge Schütze aber ging, wie im Bewußtsein
-einer guten Tat, heimwärts. Am anderen Tage kam er mit seinem Vater an
-derselben Stelle vorüber, und Herr von Bismarck sah den Herkules an,
-was mit ihm geschehen war.
-
-»Das hast du wohl verübt, Otto?«
-
-»Ja, Papa,« antwortete der Gefragte, »aber ich habe nicht gemeint, daß
-er’s spüren wird; er hat jedoch gleich mit der Hand nach hinten gefaßt.«
-
-Der Rittmeister lächelte halb abgewandt, und damit war die Sache
-abgetan.
-
-Im Herbste ging es wieder nach Berlin und ins Gymnasium. Es kam die
-Zeit, in welcher Otto sich auf sein Abiturientenexamen vorzubereiten
-hatte, und er arbeitete mit Eifer und Lust. Ab und zu besuchte er auch
-Bruder Bernhard, welcher als Offizier in Berlin diente und in der
-elterlichen Wohnung in der Behrenstraße wohnte.
-
-Eines Tages kam er mit einer gewissen Aufregung. Er fand Bernhard nicht
-daheim und setzte sich nun auf das Sofa, um das Zimmer, obwohl er
-es lange kannte, einer Musterung zu unterziehen. Da blieb sein Blick
-plötzlich an der Stelle haften, wo neben dem Bücherschrank an der Wand
-zwei lange Reiterpistolen hingen. Im nächsten Augenblicke sprang er
-auf und holte die Schießwerkzeuge herab. Er prüfte die Hähne und fand
-alles in Ordnung. Nun suchte er nach Pulver und Kugeln, und da er
-die Verhältnisse der Wohnung ziemlich genau kannte, fand er beides.
-Frisch ward jetzt geladen und nach einem Ziele geforscht. Er riß den
-Bücherschrank auf und fand unten in demselben eine Scheibe. In wenigen
-Augenblicken war sie an dem Schranke befestigt, und gleich darauf
-krachte der erste Schuß.
-
-Und nun ging es Schlag auf Schlag. Das ganze Haus kam auf die Beine.
-Man wußte nicht, was vorging, und traute sich anfangs nicht in die
-Wohnung, bis die Beherzten eindrangen, und nun mit Entsetzen diese
-Schießübung sahen. Einer hatte den Mut, sie zu verbitten. Otto aber
-sagte, ohne sich stören zu lassen: »Hier hat mir niemand etwas zu
-sagen!« und krachend schlug die nächste Kugel in die Scheibe.
-
-Da kam Bernhard; er eilte erschrocken die Treppe empor, aber als er den
-Vorgang sah, wußte er nicht, sollte er lachen oder schelten. Fürs erste
-aber hörte nun doch zur Beruhigung der Hausbewohner das Schießen auf,
-und Bernhard fragte:
-
-»Aber nun sage mir, Junge, was dir eigentlich eingefallen ist?«
-
-»Na, einmal war das Warten langweilig, und zum anderen habe ich mir
-Luft machen müssen.«
-
-»Na, – was hast’, was kneipt dich denn so sehr?«
-
-»O, diese ewige Schikane mit dem französischen Lehrer ist nachgerade
-unerträglich. Und wenn ich nun denke, daß ich eine Probearbeit bei ihm
-machen soll, da wurmt’s mich, und mir schwillt die Galle. Darum hab’
-ich mir ein bißchen Luft machen müssen.«
-
-»Na, und dazu muß der unschuldige Bücherschrank herhalten?«
-
-»Ja, warum bist du auch nicht zu Hause, wenn man einen teilnehmenden
-Menschen braucht!«
-
-»Rat weiß ich aber auch jetzt keinen. Wenn du nicht französisch
-arbeiten willst, dann mach’s doch englisch – ihr könnt euch ja die
-Sprache wählen, soviel ich weiß!«
-
-»Na, das ist Fopperei, Bernd! Du weißt recht gut, daß ich kein Englisch
-getrieben habe. Aber ich will dir auch was sagen. Ihr sollt sehen,
-was Otto von Bismarck leisten kann. Ich mache keine französische
-Probearbeit! Schön Dank auch für den guten Rat – Adieu!«
-
-Er war hinaus und eilte heimwärts. Bald darauf saß er in seiner
-Giebelstube über der englischen Grammatik, und nun studierte er
-darauflos, als ob davon das Heil der Welt abgehangen hätte. Als es
-zur Probearbeit kam, wählte er zur Verblüffung des französischen
-Lehrers und zum Staunen der anderen die englische Sprache. Und er hat
-sein Examen bestanden, und bestand es auch in den übrigen Fächern in
-ehrenvoller Weise.
-
-Leb wohl, du graues Kloster in Berlin!
-
-So vergnügt ist er noch niemals ins Pommernland heimgefahren wie
-diesmal, da die Gymnasialzeit hinter ihm, dem Siebzehnjährigen, liegt,
-und die Phantasie ihm fröhliche und leuchtende Bilder entrollt von der
-»Burschenherrlichkeit« und von lebensfroher Studentenzeit! Schöner und
-weiter schien ihm die Welt, und der Hornklang seines Postillons hallte
-diesmal wundersam wieder in der freien, zukunftsfrohen Jünglingsseele.
-Ein glückliches Menschenkind traf mit dem erwachenden Lenze des Jahres
-1832 im alten Kniephof wieder ein.
-
-
-
-
-Drittes Kapitel.
-
-~Gaudeamus igitur.~
-
-
-In der »goldenen Krone« zu Göttingen saßen an einem Maiabend des Jahres
-1832 eine Anzahl junger Männer beisammen. Fröhlich klangen die Gläser,
-und durch die geöffneten Fenster hinaus schallten die kraftvollen alten
-Studentenweisen:
-
- Stimmt an mit hellem hohem Klang,
- Stimmt an das Lied der Lieder,
- Des Vaterlandes Hochgesang;
- Das Waldtal hall’ es wider!
-
- Der alten Barden Vaterland,
- Dem Vaterland der Treue,
- Dir freies, unbezwung’nes Land,
- Dir weih’n wir uns aufs Neue!
-
-Das brauste einher mit machtvoller Begeisterung, und die Pokale
-läuteten abermals zusammen. Einer von den Burschen erhob sich an dem
-Tische, eine prächtige Jünglingsgestalt mit blitzenden blauen Augen,
-strotzend in der Fülle jugendlicher Kraft.
-
-»~Silentium!~ Bismarck will reden!«
-
-Still ward es in dem Raume, und aller Blicke wendeten sich nach dem
-Sprecher.
-
-»Kommilitonen! Wir haben in diesen Tagen und erst heute noch auf
-unserer Wanderung ein prächtiges Stück deutschen Landes gesehen, und
-das Herz ist uns aufgegangen in der Schönheit des Harzwaldes, in dem
-die Sage lebt auf der Bergeshöhe, wie im felsigen Talgrund, und wo
-in einem gesunden Geschlechte alte deutsche Kraft und Einfachheit
-der Sitten wohnt. Kommilitonen, ihr seid Mecklenburger, ich bin ein
-Altmärker – ist’s bei uns daheim etwa anders? – Lebt nicht überall
-derselbe gesunde Sinn, der sich freut in der Schönheit der Natur, und
-der an der deutschen Scholle hängt, auf welcher unsere Wiege stand?
-Mag auch ein halb Hundert verschiedenfarbiger Grenzpfähle im deutschen
-Lande stehen – das Auge sieht sie, das deutsche Herz weiß nichts davon,
-wenn es die Ehre der ganzen Nation gilt. Die Freiheitskriege haben es
-bewiesen. Laßt uns nicht schlechter sein als unsere Väter, die bei
-Leipzig und Waterloo geschlagen haben, und laßt uns immer an das Wort
-unseres großen Dichters denken: »Wir wollen sein ein einzig Volk von
-Brüdern!« _Eine_ Muttersprache reden wir alle, und alle haben wir im
-Grunde nur _ein_ Vaterland – und das eine, große, deutsche Vaterland,
-dem wir Blut und Gut weihen, es blühe und gedeihe! Füllt die Gläser:
-dem Vaterlande!«
-
-Jubelnd schallte der Zuruf, stürmisch klang es zusammen, Otto von
-Bismarck aber goß den letzten Rest aus seiner Flasche, und mit dem
-Rufe: »Fort mit allem, was leer und nichtig ist!« schleuderte er die
-letztere durch das offene Fenster hinaus auf die Straße.
-
-Die fröhlich lärmenden Burschen hörten weder den zornigen Aufschrei,
-der von draußen hereinschallte, noch das Klirren des Glasgefäßes auf
-dem Pflaster, immer höher gingen die Wogen der Begeisterung, und
-immer lauter schallten Becherklang und Studentenweisen hinaus in die
-schweigende Frühlingsnacht, bis endlich Bismarck erklärte: »~Satis,
-quod sufficit!~« und mit einem energischen »Prost Kommilitonen!« sich
-entfernte. Unter dem Tische erhob sich gleichzeitig eine mächtige
-englische Dogge, welche zu den Füßen ihres Herrn gelegen hatte, und
-schritt gravitätisch neben ihm hinaus.
-
-Am nächsten Morgen schaute Otto von Bismarck mit Behagen zu seinem
-Fenster in der Roten Straße Nr. 299 hinaus. Seine »Bude« war einfach
-und sah »burschenmäßig« aus. Im Mobiliar war weder ein besonderer
-Überfluß noch hervorragende Eleganz, denn der Hauswirt, Herr
-Schumacher, wußte, wie schnell oft die Bewohner wechselten, und wie
-rasch diese Art eine »gute Stube« abzuwohnen pflegte. Bismarck wünschte
-es auch nicht besser. Über dem alten Sofa hatte er eine Anzahl auf
-Pappe gezogener Schattenrisse seiner Freunde gehängt, an der einen
-Wand prangte eine stattliche Pfeifensammlung, welche den Neid manches
-Kommilitonen schon herausgefordert hatte, und vor dem Sofa lag lang
-ausgestreckt die gewaltige Dogge und blinzelte schläfrig nach ihrem
-Herrn, der, wie erwähnt, im offenen Fenster lehnte, angetan mit einem
-bunten Schlafrock, und die lange Pfeife, welche weit hinaushing, im
-Munde.
-
-Es war ein prächtiger Frühlingstag, und dem jungen Studenten war ganz
-wohlig zumute. Da unten schritten die ehrsamen Bürger hin, rasch
-hinhuschende Mädchen, geschäftige Arbeiter und sorglose Studenten,
-entweder ganz kommentmäßig in Flaus und Kanonen, mit dem Cerevis, oder
-im Schlafrock und Morgenschuhen, den Ziegenhainer in der Faust und
-die dampfende Pfeife im Munde. O, es war auch in Göttingen schön, und
-an der »Königlich Großbrittanisch-Hannoverschen Georgia Augusta« ließ
-sich’s leben!
-
-Er hatte anfangs für Heidelberg geschwärmt, aber die besorgte Mama
-fürchtete den burschikosen Geist, der dort walten sollte, und nachdem
-in einem Familienrate ein Verwandter des Hauses, der geheime Finanzrat
-Kerl, Göttingen als eine Hochschule der vornehmen Welt empfohlen und
-Briefe an die Professoren Hugo und Hausmann mitzugeben versprochen
-hatte, war die Sache entschieden.
-
-Nein, in Göttingen war es gar nicht so übel! Eben als der junge Student
-sich in diesen behaglichen Gedanken versenkte, pochte es an der Tür.
-
-Die Dogge hob den Kopf, und auf das »Herein!« erschien auf der Schwelle
-der Universitätspedell und überreichte mit höflichem Gruße Bismarck
-ein Schreiben. Dieser liest mit einiger Verwunderung, daß er u. z.
-citissime – möglichst bald – vor dem Universitätsrichter zu erscheinen
-habe.
-
-»Dem Manne kann geholfen werden!« zitierte der Studiosus halb
-pathetisch, halb ärgerlich; dann fuhr er langsam in die spiegelblank
-gewichsten Kanonenstiefel, sah sich einen Augenblick nach einer
-geeigneten Kopfbedeckung um, und ergriff endlich einen hohen
-Zylinderhut, den er sich auf das Haupt stülpte, und so, die weißen,
-ledernen Beinkleider umflattert von dem bunten Schlafrock, die lange
-Pfeife im Munde, schritt er, begleitet von der englischen Dogge, durch
-die Gassen der vornehmen Universitätsstadt nach dem Hause des Richters.
-
-Als er bei demselben eintrat, fuhr der alte Herr entsetzt auf vor der
-respektwidrigen Erscheinung, und als ihm der gewaltige Hund, der noch
-vor seinem Herrn sich hereingedrängt hatte, um die Beine schnupperte,
-ward es ihm völlig unbehaglich, und er suchte sich mit vorgestemmtem
-Stuhle zu schützen, wobei er rief:
-
-»Schaffen Sie sogleich den Köter hinaus!« Bismarck rief die Dogge und
-öffnete die Tür. Der Hund ging gehorsam hinaus, und jetzt kam der
-Richter hinter seinem Sitze hervor, noch immer ängstlich und zornig
-zugleich, und fragte:
-
-»Wer sind Sie, und was wollen Sie?«
-
-»Ich bin der Studiosus ~juris~ Otto von Bismarck, und was ich hier
-will, müssen Sie wissen, denn Sie haben mich zitieren lassen!« Er
-entfaltete das Papier, welches er erhalten hatte.
-
-»Richtig – gut! Aber fürs erste habe ich Ihnen mitzuteilen, daß es
-verboten ist, Hunde mitzubringen vor das Universitätsgericht, und daß
-ich Sie darum mit einer Ordnungsstrafe von 5 Talern belege.«
-
-»Hm – auch nicht übel!« brummte der Verurteilte halblaut, der andere
-aber fuhr fort:
-
-»Die Sache, derohalben Sie zitiert worden sind, ist die: Gestern abend
-ist ein Herr, der an der »Goldenen Krone« vorüberging, durch eine
-Flasche am Arme getroffen worden. Die Erörterungen haben ergeben,
-daß die Flasche von Ihnen herrührte. Können Sie sich entsinnen, wie
-dieselbe auf die Straße gelangte?«
-
-»Zweifellos durchs Fenster!«
-
-»Na, ja, allerdings – aber ich meine, eine Wirkung, wie der Wurf einer
-Flasche durch das Fenster, muß doch auch eine Ursache haben!«
-
-»Die war auch vorhanden in der Anspannung meiner Muskeln und der
-Schwungkraft des Armes. Wenn Sie wünschen, Herr Universitätsrichter,
-kann ich die Prozedur Ihnen ~ad oculos~ demonstrieren!«
-
-Bismarck griff nach dem großen Tintenfasse auf dem Tische des Richters
-und hob dasselbe in bedrohlicher Haltung.
-
-»Das genügt, Herr von Bismarck, und da Sie im übrigen das Faktum nicht
-in Abrede stellen, kann ich Sie entlassen. Das weitere wird Ihnen noch
-mitgeteilt werden!«
-
-Die Aussicht auf das »weitere« stimmte den jungen Studenten nicht
-gerade heiter, und einigermaßen ärgerlich ging er mit seiner Dogge
-heimwärts.
-
-Noch ehe er in die Rote Straße kam, begegneten ihm vier Korpsburschen
-von den Hannoveranern. Bismarck ging mit weitausgreifenden Schritten
-daher, mit fliegendem Schlafrock, die Pfeife wie eine Waffe in der
-Hand, und der hohe Zylinderhut, der wunderlich zu dem sonstigen Aufzuge
-paßte, glänzte in der Sonne. Die »Hannoveraner« blieben stehen und
-brachen in ein lautes Gelächter aus.
-
-Bismarck war nicht in der Stimmung, sich etwas bieten zu lassen; er
-trat an den vordersten der Burschen dicht heran und fragte scharf:
-
-»Lachen Sie über mich, Herrens?«
-
-»Natur, das können Sie doch sehen!« lachte es ihm entgegen.
-
-»Dummer Junge!« brauste nun der Geärgerte auf.
-
-»Wen meinen Sie?« riefen die anderen.
-
-»Natur, alle viere!«
-
-Damit wandte er sich und ließ die einigermaßen verblüfften
-»Hannoveraner« stehen. Obwohl er noch ein Neuling war, wußte er doch,
-was nun kommen mußte. Das gab höchstwahrscheinlich vier blutige
-Auseinandersetzungen, aber auch davor ward ihm nicht bange. Da er
-Sekundanten und kommentmäßige Waffen brauchte, begab er sich gleich
-darauf zu dem Senior des Korps der Braunschweiger (Brunsvigia) und
-belegte dort die Schläger. Nun wartete er ruhig das weitere ab, aber
-das kam anders, als er gemeint hatte.
-
-Die vier »Hannoveraner« waren zunächst aufgebracht über den »frechen
-Fuchs«, aber einer von ihnen, ein Hausgenosse Bismarcks, der diesen
-einigermaßen besser kannte, und dem die ganze »forsche« Art und Weise
-desselben gefiel, warf auch den anderen einen Gedanken hin, der diesen
-völlig annehmbar dünkte, und so kam es, daß alle vier noch an demselben
-Tage sich bei Bismarck einfanden.
-
-Der empfing sie mit kühler Höflichkeit.
-
-»Ich weiß, weshalb Sie kommen, meine Herren!«
-
-»Verzeihen Sie, Herr von Bismarck, das dürften Sie nicht wissen.
-Wir kommen, um Sie wegen unseres Gelächters von heute morgen um
-Entschuldigung zu bitten, und hoffen, daß Sie die »dummen Jungen«
-zurücknehmen werden!«
-
-»Unter solchen Umständen mit Vergnügen!«
-
-»Schön. – Und wissen Sie auch, was uns veranlaßt zu solchem Vorgehen?
-– Sie gefallen uns, Herr von Bismarck, und da Sie noch nirgends
-eingesprungen sind, und wir uns auf einen so schneidigen Fuchs etwas
-zugute tun würden, so fragen wir an, ob Sie nicht für unser Korps zu
-haben sind?«
-
-»Abgemacht! – Ihr gefallt mir, – ich bin der eure!«
-
-Ein vierfacher herzlicher Händedruck, und die Sache war in Ordnung.
-
-Aber um sein Duell kam er bei alledem nicht. Die »Brunsvigia« war
-empört, weil er bei ihr die Waffen belegt und nun bei einem anderen
-Korps eingesprungen war. Die Beleidigung konnte man nicht auf sich
-sitzen lassen, und der Konsenior der Brunonen ließ Bismarck seine
-Forderung überbringen.
-
-Man war gespannt darauf, wie der junge Fuchs sich herausbeißen werde;
-der aber ging frohgemut auf die Mensur gegen seinen renommierten
-Gegner. Dieser glaubte anfangs den Neuling so leichthin behandeln
-und mit Leichtigkeit »abführen« zu können, aber Bismarck hatte Kraft
-und Übung; schon nach einigen Paraden ging er zum Angriff über, und
-gleich darauf zog sich ein blutiger Schmiß über das Gesicht des
-»Braunschweigers«. Im Triumph führten die »Hannoveraner« ihren Fuchs
-von dannen, doppelt froh, ihn für sich gewonnen zu haben, und er machte
-dem Korps auch als Paukant alle Ehre, denn aus allen seinen Mensuren
-ist er als Sieger hervorgegangen.
-
-Eines Abends saß er in der Korpskneipe der »Hannoveraner«, im
-»Deutschen Haus«. Als Gast war auch ein junger Engländer, Coffin,
-anwesend, der zu seinem Vergnügen einige Vorlesungen besuchte. Die
-jungen Gemüter waren durch Gesang und Trunk angeregt, lebhafter
-schwirrte die Unterhaltung hin und her und kam endlich auch auf
-politisches Gebiet.
-
-Angehörige verschiedener deutscher »Vaterländer« befanden sich in dem
-Kreise, und das schien den Engländer zu belustigen.
-
-»Sie haben 36 Vaterländer und kein Vaterland, und ihr Schutzpatron,
-der deutsche Michel, hat’s auch gar nicht eilig, eine Eintracht zu
-schaffen. Er zieht behaglich seine Schlafmütze über die Ohren, hüllt
-sich vergnüglich in seinen bunten 36farbigen Schlafrock und – –«
-
-Da stand Bismarck neben dem Fremden. Mit seinen flammenden Augen sah er
-ihn an, hochaufgerichtet und drohend.
-
-»Herr, schwätzen Sie nicht, was Sie nicht verstehen, sonst dürften Sie
-den deutschen Michel ohne Schlafrock kennen lernen! – Umgürte dich mit
-dem ganzen Stolze deines England, ich verachte dich, ein deutscher
-Jüngling!«
-
-Stürmische Bewegung ging durch den ganzen Kreis. Coffin war
-aufgesprungen:
-
-»Das ist eine Beleidigung!«
-
-»Sie haben zuerst beleidigt!«
-
-»Wir werden uns an einem anderen Orte finden!«
-
-»Ich werde nicht fehlen!« – –
-
-Am nächsten Tage wurde die Sache mit den Waffen ausgetragen, und der
-Engländer erkannte, daß der »deutsche Michel« eine gute Klinge schlage.
-Damit war der Ehre Genüge getan und die Geschichte beigelegt. Schon
-wenige Tage später saßen die beiden Gegner wieder im »Deutschen Hause«
-beisammen und sprachen in ernster und ruhiger Weise.
-
-»Und Deutschland wird doch einig werden, und in seiner Einigkeit sich
-wie ein Riese erheben über die Völker Europas,« sagte Bismarck.
-
-Coffin schüttelte energisch mit dem Kopfe:
-
-»Das wird niemals werden; aus so vielen Stücken wird kein Ganzes –
-niemals!«
-
-»Und doch werde ich rechtbehalten; in zwei Jahrzehnten ist das ganze
-deutsche Volk eins geworden, aber es braucht dazu mehr als unsere
-Hieber und die Tinte der Diplomaten!«
-
-»Davon werden Sie mich nicht früher überzeugen, als bis ich es erlebe!«
-
-»Gut, – wetten wir! 25 Flaschen Champagner gibt der Gewinner, der
-Verlierer aber kommt übers Meer, um sie auszutrinken!«
-
-»Das soll gelten, – die Herren sind Zeugen!«
-
-So lebte in der stolzen, starken Jünglingsseele die Ahnung der großen
-kommenden Zeit, die freilich im Jahre 1853 noch nicht anbrechen sollte.
-Bismarck aber hat die Wette nicht vergessen und hätte sie seinerzeit
-auch eingelöst, wenn der Tod nicht vordem schon seinen Partner
-abgerufen hätte.
-
-Ei, wie dem flotten Burschen die Tage dahinflogen im freundlichen
-Göttingen, so daß er beinahe gar nicht dazu kommen konnte, die
-Kollegien zu besuchen, weil er alle Hände voll zu tun hatte, mit
-anderen Dingen! Sein Name galt etwas in Studentenkreisen, und er hatte
-seinen Ruf nicht bloß auf dem Paukboden, sondern auch durch sein
-Geschick, Gegensätze auszugleichen und diplomatisch zu vermitteln,
-erworben.
-
-Es war an einem kalten Januartage des Jahres 1833, als vor Göttingen
-draußen in einem Wäldchen sich einige junge Leute einfanden zu
-einem, wie es schien, recht ernsten Geschäft. Am Abend vorher war
-ein englischer Student, Knight, auf einem Balle von dem jungen Baron
-von Grabow beleidigt worden. Die Sache war an sich nicht von Belang,
-aber die Gegner waren hitzig geworden und hatten sich auf Pistolen
-gefordert. Und nun standen sie an dem klaren, kalten Wintermorgen da,
-um die Sache auszutragen.
-
-Bismarck war mit Knight herausgefahren, um diesem als Dolmetsch
-zur Seite zu stehen. Da es aber an einem Unparteiischen fehlte, war
-er gern bereit, das Amt zu übernehmen. Die Sekundanten hatten die
-Waffen geladen, der Arzt stand seitwärts vor seinem aufgeschlagenen
-Verbandskasten, und auf allen Gesichtern lag schwerer Ernst, denn die
-Duellanten hatten nur drei Schritt Barriere verabredet.
-
-Da sagte Bismarck:
-
-»Meine Herren, Ihre Ausmachung bedeutet nicht mehr ein Duell, sondern
-einen Mord. Dazu gebe ich meine Hand nicht! Die Sache, um deretwillen
-Sie sich hier gegenüberstehen, ist, wie ich nicht zweifle, auf ein
-unseliges Mißverständnis zurückzuführen, und nicht derart, daß darüber
-zwei Menschenleben mit beinahe absoluter Sicherheit aufs Spiel gesetzt
-werden. Ich meine, der Ehre ist auch völlig genügt, wenn Sie zehn
-Schritte Abstand nehmen. Und nur für diesen Fall fungiere ich als
-Unparteiischer.«
-
-Die Duellanten erklärten sich einverstanden.
-
-Bismarck schritt die Entfernung mit weitausgreifenden Schritten ab
-und fügte noch zwei Schritte zu. Dann trat er an den Arzt heran, um
-diesen von der Eigenmächtigkeit zu verständigen – und nun mußten die
-Dinge ihren Lauf nehmen. Bismarck kommandierte, die Schüsse krachten
-gleichzeitig, – eine Sekunde lang stand jedem der Herzschlag still,
-– dann zog sich der bläuliche Rauch verschwimmend in die Morgenluft,
-und die Kugeln saßen irgendwo in zwei Baumstämmen. Blut ist bei jenem
-Zweikampf nicht geflossen.
-
-Ruchbar ward die Sache aber trotzdem, und der Studiosus Bismarck
-erhielt zehn Tage Karzerstrafe, die er mit stoischem Behagen absaß,
-wobei er nicht versäumte, sich in die Präsenzliste einzuzeichnen, indem
-er seinen Namen in die Karzertür schnitt.
-
-Nicht gar lange danach fühlte er eines Morgens ein seltsam Mißbehagen
-in seinen Gliedern. Das war ein Ziehen und Frösteln, so ganz anders
-als nach lustig durchlebter Nacht, und er fand, daß es doch vielleicht
-gut wäre, einen Medikus zu Rate zu ziehen. Der Arzt konstatierte
-Wechselfieber, und so lag er einige Tage zu Bette, verstimmt,
-gelangweilt, appetitlos, und versuchte unmutig ab und zu etwas von dem
-verschriebenen Chinin einzunehmen.
-
-Da kam eines Morgens eine Sendung aus Pommern. Ein köstlicher Duft
-stieg aus der geöffneten Kiste, und der Patient begann mit zunehmendem
-Interesse die Herrlichkeiten auszupacken, welche mütterliche Liebe und
-Sorgfalt ihm hatte zugehen lassen. Neben den berühmten pommerschen
-Gänsebrüsten lachte ein saftiger bräunlicher Schinken, und behagliche
-Würste streckten ihre glänzenden Glieder dazwischen.
-
-Ein Gruß aus der Heimat! Na, ein Stückchen Wurst wird auch bei Fieber
-nicht schaden! Die Mettwurst ist so saftig und würzig, und es ist ganz
-wunderbar, wie einem der Appetit beim Essen kommt. Der Kranke schneidet
-eine Scheibe nach der anderen herunter, und erst, als eines der kleinen
-Ungetüme, die ihre drei bis vier Pfund wiegen mochten, zur Hälfte
-verschwunden war, stellte Bismarck seine Tätigkeit ein. Dabei war ihm
-so wohl, wie seit einigen Tagen nicht, und der Arzt sah, als er kam,
-mit freudiger Verwunderung seinen Patienten.
-
-»Da hat das Chinin wieder einmal sein Wunder getan!« sagte er mit
-Genugtuung; Bismarck aber sprach:
-
-»Ich habe ein Mittel genommen, das mir noch wirksamer scheint.
-~Recipe~: Jede Stunde ein halb Pfund pommersche Mettwurst; ’s ist
-probat, lieber Doktor!«
-
-Der Arzt sah mit verwundert großen Augen die geöffnete pommersche Kiste
-und »was Arbeit unser Held gemacht.«
-
-Zu Michaelis ging’s nach Kniephof. Drei Semester waren verlebt an
-der Georgia Augusta. Da saß er wieder in dem kleinen pommerschen
-Herrenhause und sah hinaus auf die bewegten Wipfel im Parke und
-blies aus der langen Pfeife vergnüglich seine Rauchwolken. Die Frau
-Mama schaute ihn mit Liebe und Sorge zugleich an und schien von
-Göttingen ein wenig enttäuscht. Die kleine Schmarre auf der Wange –
-sie stammte von der abgesprungenen Klinge eines Gegners – die bunten
-Pfeifentroddeln, die Cerevis schienen ihr verwunderliche Geschichten zu
-erzählen, und sie wollte ihren Jüngsten von nun ab etwas mehr in ihrer
-Obhut wissen!
-
-So kam es, daß Otto von Bismarck nicht nach Göttingen zurückging,
-sondern noch drei Semester an der Berliner Hochschule verbrachte.
-Es ging auch hier eine Zeitlang flott und lustig weiter, und das
-»~Gaudeamus!~« klang in der preußischen Residenz nicht minder frisch
-und froh als in Göttingen.
-
-Eines Abends trat er bei seinem Freunde, dem jungen Grafen
-_Kaiserlingk_, ein.
-
-»Wie ist’s – gehst du mit zur Kneipe?« fragte er.
-
-»Heute bin ich nicht in der Stimmung, und denke mich darum in meinen
-vier Pfählen behaglich einzurichten. Bleib da, Bismarck, an »Stoff«
-soll’s auch hier nicht fehlen, und meine Pfeifen stehen dir zur
-Verfügung.«
-
-»Soll gelten – das Wetter ist jetzt verlockend zum Daheimsitzen –
-höre, wie der Wind um die Fenster saust. – Ah, da ist auch _Motley_«
-– unterbrach er sich, als ein junger, blonder Mann eintrat, den die
-beiden anderen herzlich begrüßten – »na, ~tres faciunt collegium~!«
-
-Er streckte sich behaglich auf dem Sofa und bat: »Aber nun mußt du
-unser Konvivium auch stimmungsvoll einleiten, Kaiserlingk!«
-
-Der junge Graf setzte sich an das Instrument, und das sang und klang
-durch den Raum, als webe eine Geisterschar an einem Märchen; bald weich
-und melodisch, bald wild bewegt wie ein aufgeregtes Gemüt – klang es
-aus den Saiten, und der große Beethoven hatte das Wort! Und auf dem
-Sofa saß der wilde, flotte Bursche und hatte sich in die Ecke gelehnt
-und den Kopf in die Hand gestemmt. Als der letzte Ton verklungen, sagte
-er:
-
-»Sehr schön, Kaiserlingk! – das kann böse Geister bannen, und mir ist,
-als verstehe ich jetzt erst die Geschichte von Saul und David. Heute
-taugte ich überhaupt nicht mehr für die Kneipe. Motley, haben Sie nicht
-einen Ihrer geistvollen geschichtlichen Aufsätze bei sich, es wäre
-köstlich, wenn Sie uns was mitteilen wollten.«
-
-»Wenn es gewünscht wird, kann ich etwas holen« – sagte der junge
-Engländer, der in demselben Hause wohnte, und ging. Als er
-zurückkehrte, hatten sich noch zwei junge Gäste eingefunden, und
-nun wurde der Abend in der anregendsten Weise verlebt. Es war spät
-geworden, als Bismarck bat: »Kaiserlingk, nun noch etwas zur guten
-Nacht!«
-
-Und der junge Graf griff noch einmal in die Tasten, und der
-bestrickende Zauber der »Mondscheinsonate« nahm die jungen Gemüter
-gefangen.
-
-»Kinder,« sagte Bismarck, »solch ein Abend gibt einem ordentlich eine
-Sehnsucht nach dem Philistertum; lacht mich aus, wenn ihr wollt – aber
-von morgen an werde ich solide und verlege mich aufs Arbeiten. Und das
-hat mit ihrem Singen die Loreley getan! Gute Nacht!«
-
-Und in der Tat legte er sich ins Zeug, um das in der flotten
-Burschenzeit Versäumte nachzuholen. Um die Osterzeit des Jahres 1835
-kam er eines Tages in das Haus seiner Tante, der Generalin von Kessel,
-und wurde hier, wie immer, von seinen Cousinen heiter und herzlich
-begrüßt.
-
-»Na, heute bitte ich mir etwas Respekt aus! Seht ihr mir nichts an?«
-
-Neugierig und lachend betrachteten ihn die jungen Damen von allen
-Seiten.
-
-»Was soll denn aus dir wohl werden, so über Nacht?«
-
-»Ja, das Raten ist nicht eure starke Seite! Da will ich’s euch sagen.
-Ich habe vorgestern mein Staatsexamen gemacht und bin als Auskultator
-für das Stadtgericht vereidigt worden!«
-
-»Ah! – Gratuliere! – Aber ansehen kann man dir die Würde nicht!« rief
-es durcheinander, doch Fräulein Helene, die als Künstlerin sehr tüchtig
-war, rief:
-
-»Diese Phase seines Lebens muß festgehalten werden! Otto, ich male dich
-als Auskultator!«
-
-»Kann mir nur schmeichelhaft sein! Da weiß man später doch einmal, wie
-man als neugebackener Philister ausgesehen hat.«
-
-Da trat Bernhard von Bismarck ein, der gleichfalls in Berlin als
-Referendar tätig war, und der mit Otto zusammenwohnte.
-
-»Ich habe mir’s gleich gedacht, daß er bei Euch stecken wird« –
-rief er; »jetzt, da er in Amt und Würde ist, sucht er freundliche
-Häuslichkeiten mit heiratsfähigen Töchtern!«
-
-»Aber Bernd« – riefen die Damen entrüstet.
-
-»Freut euch doch, daß die Zeit vorüber ist, in welcher er jungen Damen
-die Fenster einzuwerfen pflegte.«
-
-»Und das hat er wirklich getan?«
-
-»Da sieht man wieder die Übertreibung,« lachte Otto von Bismarck
-– »wobei nicht einmal meine besondere Liebenswürdigkeit erwähnt
-wird. Daß der Göttinger Professor, der durch sein Verhalten gegen
-mich das Fensterattentat provoziert hatte, einige Töchter besaß,
-konnte ihn freilich vor meiner Rache nicht retten, aber ich kann zu
-meiner Entschuldigung sagen, daß ich die Scheiben nicht mit Steinen,
-sondern mit Kandiszucker eingeworfen habe, um den Mädchen wenigstens
-einigermaßen den Schrecken zu versüßen. Übrigens, bitte, stellt mir
-einmal einen dienstbaren Geist zur Verfügung! Ich habe einen Schuster
-in der Kronenstraße, welcher mir bis gestern ein Paar Stiefel liefern
-sollte, und mich, wie bereits in früheren Fällen, im Stiche ließ. Den
-Mann will ich Ordnung lehren. Seit heute früh sechs Uhr schicke ich ihm
-alle zehn Minuten einen Boten mit der Anfrage, ob meine Stiefel noch
-nicht fertig wären. Ich vermute, daß ich sie heute noch erhalte.«
-
-Wenige Tage später saß der junge Auskultator im Berliner Stadtgericht
-und waltete seines Berufes mit Eifer und – je nachdem – auch mit Humor.
-Der Sommer verging und der Herbst, und der Winter brachte mit seinen
-geselligen Vergnügungen manche schöne Abwechslung in die Einförmigkeit
-seines Amtes. Von besonderem Interesse war dabei der erste Hofball,
-welchem er beiwohnte.
-
-Seine äußere Erscheinung auf demselben war in jeder Weise vornehm und
-durch Gestalt und Haltung geradezu auffallend. Üppiges Haar umwallte
-das hochgetragene Haupt, und in dem geistvollen aristokratischen
-Gesichte blitzten frisch, lebhaft und durchdringend klar die Augen.
-Wie er so Arm in Arm mit seinem Kollegen, dem Auskultator von Scherk,
-dahinschritt, folgten alle Blicke den beiden prächtigen Gestalten, die
-der bekannte selige Preußenkönig sich für seine Potsdamer Riesengarde
-nicht gern hätte entgehen lassen. Auch dem Prinzen Wilhelm (dem
-nachmaligen Kaiser Wilhelm I.) fielen die beiden jungen Männer auf, und
-als sie ihm vorgestellt wurden, sagte er mit wohlgefälligem Lächeln:
-
-»Nun, die Justiz legt wohl auch jetzt das Gardemaß an ihre Leute?«
-
-»Königliche Hoheit,« erwiderte Bismarck, indem er klar und voll den
-Prinzen anblickte, »auch wir Juristen ziehen den Soldatenrock an, wenn
-es fürs Vaterland gilt!«
-
-Am nächsten Morgen saß er, noch in Erinnerung an den vorigen Abend
-versunken, am grünen Tische des Stadtgerichts. Vor ihm stand ein
-biederer Berliner, der in einer Bagatellsache zu vernehmen war. Der
-Mann, welcher den kaustischen Humor, aber auch die Zungenfertigkeit des
-hauptstädtischen Proletariers besaß, glaubte, dem jungen Auskultator
-gegenüber sich noch mehr als üblich herausnehmen zu dürfen, und
-perorierte in nicht ganz ruhiger Weise. Bismarck, dem die Sache endlich
-zu arg ward, sprang mit seiner imponierenden Gestalt auf und rief:
-»Wenn Sie sich nicht mäßigen, werfe ich Sie hinaus!«
-
-Der Mann war einigermaßen verdutzt über diesen unerwarteten Ausbruch,
-aber auf Bismarck selbst trat der anwesende Stadtgerichtsrat herzu und
-sagte, indem er ihm die Hand auf den Arm legte:
-
-»Das Hinauswerfen ist _meine_ Sache, Herr Auskultator!«
-
-Bismarck nahm sein Gerichtsverfahren wieder auf, der Berliner
-aber, welcher nun Oberwasser erhalten zu haben meinte, wurde noch
-unangenehmer als zuvor, bis der Auskultator zum zweitenmal aufsprang
-und mit einem sehr bezeichnenden Seitenblick rief: »Herr, wenn Sie
-sich nicht mäßigen, lasse ich Sie durch den Herrn Stadtgerichtsrat
-hinauswerfen!«
-
-Das Stadtgericht wollte Bismarck überhaupt nicht länger behagen;
-er brauchte ein größeres Feld, einen weiteren Gesichtskreis, und
-so verließ er 1836 Berlin und begab sich als Hilfsarbeiter zur
-Königlichen Regierung nach Aachen, wo der Regierungspräsident Graf
-Arnim-Boytzenburg sich freundlich des jungen Referendars annahm und
-auch gesellig in seiner Familie mit ihm verkehrte.
-
-
-
-
-Viertes Kapitel.
-
-Am eigenen Herde.
-
-
-König Friedrich Wilhelm III., der die Not und die herrliche Erhebung
-Preußens gesehen, war gestorben, und sein Sohn, Friedrich Wilhelm
-IV., hatte den Thron bestiegen. Das war im Jahre 1840, und in den
-Oktobertagen desselben fanden sich zahlreiche Vertreter des Volkes und
-des Adels zur Huldigungsfeier in der Hauptstadt ein. Die Sonne des
-15. Oktobers war freundlich aufgegangen über dem Lustgarten, wo die
-tausendköpfige Menge sich um die reichgeschmückten Söller drängte, von
-welchen herab der neue Herrscher zu seinem Volke sprechen wollte.
-
-Nun war er erschienen, ließ seine hellen Augen über die in Ehrfurcht
-schweigende Versammlung schweifen, und dann begann er in der ihm
-eigenen lebhaften und begeisternden Art zu sprechen. Und die Stimme
-klang so klar wie Glockenton hinein in die heftiger pochenden Herzen:
-
-»Ritter, Bürger, Landleute und von den hier unzählig Gescharten alle,
-die meine Stimme vernehmen können, ich frage Sie, wollen Sie mit
-Geist und Herz, mit Wort und Tat und ganzem Streben, in der heiligen
-Treue der Deutschen, in der heiligeren Liebe der Christen mir helfen
-und beistehen, Preußen zu erhalten, wie es ist, wie es bleiben muß,
-wenn es nicht untergehen soll? Wollen Sie mir helfen und beistehen,
-die Eigenschaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen
-mit seinen nur 14 Millionen den Großmächten der Erde beigesellt
-ist, nämlich Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit,
-Vorwärtsschreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmütiger
-Jugendkraft? Wollen Sie in diesem Streben mich nicht verlassen und
-versäumen, sondern treu mit mir ausharren durch gute und böse Tage?
-O, dann antworten Sie mir mit dem schönsten und klarsten Laut der
-Muttersprache, antworten Sie mir ein ehrenhaftes Ja!«
-
-Und mit überwältigender Macht brauste das Wort durch die bewegten
-Lüfte, unten aber in der dichtgedrängten Menschenmenge faßte ein
-junger, stattlicher Mann die Hand des neben ihm Stehenden mit warmem
-Drucke und sagte:
-
-»Das soll gelten, Bernd, für alle Zeiten!«
-
-»Helf uns Gott, Otto!« erwiderte der andere; der alte, stattliche Herr
-aber, welcher bei den beiden stand, wischte sich einmal mit der Hand
-über die Augen.
-
-Die Menge wogte auseinander. Die drei jedoch schritten langsam
-hindurch, der alte Herr in der Mitte, der nun sagte:
-
-»Das war seit langem wieder eine schöne, erhebende Stunde, die wir alle
-nicht vergessen wollen. Schade, daß wir der Mutter nicht mehr davon
-erzählen können.«
-
-Es waren drei hochragende, prächtige Gestalten, welche durch die
-belebten Gassen schritten nach der Behrenstraße zu; ehe sie aber
-dieselbe erreichten, kreuzte ein junger Mann von gleichfalls
-auffälliger Statur ihren Weg. Er zog überrascht den Hut, und der
-Jüngste von den dreien rief lebhaft:
-
-»Schenk! – Du bist hier?«
-
-Eine herzliche Begrüßung der Freunde folgte, und bald gingen sie,
-nachdem sie sich von den beiden anderen verabschiedet hatten, zusammen
-auf den Bürgersteig hin, und betraten endlich ein Weinhaus, wo sie in
-einer abgelegenen Ecke sich niederließen. Der Kellner brachte Wein,
-leise klangen die Gläser zusammen, und Wilhelm von Schenk sagte: »Nun
-weißt du meine Erlebnisse, lieber Bismarck, jetzt laß mich hören, wie
-es dir gegangen ist, seitdem du nach Aachen übergesiedelt warst.« Der
-andere sprach:
-
-»In Aachen habe ich nicht lange ausgehalten. Ich kam beinahe wieder
-in die alte Burschenherrlichkeit hinein, und das wollte mir nicht
-passen. Ich hatte das Bewußtsein, daß mein preußisches Beamtentum mir
-dort mit Grundeis gehe, und das wollt’ ich nicht. Ich hatte mir in
-den Kopf gesetzt, redlich zu arbeiten im Dienste des Vaterlandes, und
-so wurde ich auf mein Ansuchen im Herbste 1837 nach Potsdam versetzt,
-wo der Geheimrat Wilke mir Pünktlichkeit und Strammheit im Dienste
-angewöhnte. Die konnte ich auch ganz gut brauchen, als ich im nächsten
-Frühling des Königs Rock anzog und bei den Potsdamer Gardejägern als
-Einjährig-Freiwilliger die Anfangsgründe der Kriegskunst exerzierte.
-Das habe ich so ein halbes Jahr getrieben. Dann ließ ich mich zum
-2. pommerischen Jägerbataillon in Greifswald versetzen. Da war ich
-Soldat und Student zugleich und hörte in Eldena landwirtschaftliche
-Vorlesungen, denn in dem Hintergrunde der nächsten Zeit lag bereits die
-Aussicht, einen Teil unserer Güter übernehmen und Landwirt werden zu
-müssen. Es gab so manches gutzumachen und in die Höhe zu bringen – na,
-wie das eben so geht. Ostern 1839 war ich denn auch wieder in Kniephof.
-Meine Eltern zogen sich nach Schönhausen zurück, und Bernhard und ich
-übernahmen die pommerischen Güter, so zwar, daß mir Jarchelin und
-Kniephof und meinem Bruder Külz zukam. Es fiel mir aber gleich in den
-Anfang dieser selbständigen Tätigkeit ein trüber Schatten – du weißt
-wohl – –«
-
-»Ich weiß, deine treffliche Mutter ist voriges Jahr gestorben – nimm
-noch die Versicherung meiner herzlichen Teilnahme! Sie war eine
-ausgezeichnete Frau!«
-
-[Illustration: ~Eis. Kanzler II.~
-
-Friedrich Wilhelm IV. und Bismarck.]
-
-»Ja, sie war »Verstand des Hauses«, und uns war sie noch mehr. Nun
-sitzt mein Vater ernst und trüb in Schönhausen, und Malwine sucht ihn
-zu erheitern, so gut das gehen will. Ich aber habe den Diplomaten an
-den Nagel gehängt und baue meinen Kohl!«
-
-»Und wenn das Vaterland ruft, bist du doch da!«
-
-»Das ist selbstverständlich. War das nicht herzerhebend heute, wie alle
-die Tausende dem König die Versicherung ihrer Treue gaben? Mir ist mein
-»Ja« aus vollem Herzen gekommen – laß uns anstoßen: Dem Vaterlande die
-ganze Kraft!«
-
-Die Gläser klangen hell und voll, und die Augen der beiden jungen
-Männer leuchteten. Sie saßen noch eine Weile beisammen und tauschten
-alte Erinnerungen, dann erhob sich Bismarck:
-
-»Mein Aufenthalt in Berlin ist knapp bemessen, so daß wir uns hier kaum
-noch einmal sehen. Aber wenn dich dein Weg ins Pommernland führt, so
-erinnere dich, daß Otto von Bismarck auf Kniephof bei Naugard sitzt und
-seinen Freunden dankbar ist, wenn sie ihm die Gelegenheit geben, sie zu
-bewirten!«
-
-Kurze Zeit darauf saß er wieder in seinem schlichten Herrenhause.
-Mit Scharfblick und Tatkraft erfaßte er die Verhältnisse und suchte
-nach allen Kräften zu bessern. Am frühen Morgen schon war er im
-Sattel und ritt durch die Felder, um nach dem Rechten zu sehen, oder
-bei erfahrenen Nachbarn Rat zu erholen, und daheim machte er sich
-über seine Wirtschaftsbücher und brachte Klarheit und Ordnung in die
-Verwaltung seines Besitztums. Im dämmernden Abendschein schritt er
-durch den Park, begleitet von seiner Dogge, und manchmal kamen ihm
-recht wunderliche Gedanken, und ein stürmischer Tatendrang wollte ihn
-erfassen und in die Welt treiben.
-
-An einem solchen Abend kam er unmutig herein in seine vereinsamten,
-stillen Räume. Die Bücher, welche er sonst in diesen Stunden zur
-Hand nahm, wollten ihm heute nicht gefallen, die Pfeife war ihm
-ausgegangen, und mit weitausgreifenden Schritten ging er durch die
-Wohnräume seines Kniephof. Da blieb er vor einem Bilde stehen. Es war
-ein alter preußischer Reiteroberst, der da aus dem Rahmen auf ihn
-herunterschaute, sein Urgroßvater, Herr Friedrich August von Bismarck,
-dem weiland in der Czaslauer Schlacht eine Kugel zwischen Leib und
-Seele gefahren war. –
-
-»Ein ganzer Mann, dieser alte Herr! Das Leben genießen und dann einen
-fröhlichen Reitertod sterben fürs Vaterland – das muß schön sein! Ich
-glaube, in mir steckt etwas von dem »tollen Bismarck«, und ein lustig
-Reiten, ein fröhlich Zechen tut mir wieder einmal not, wenn ich nicht
-versauern soll. Dabei braucht man nicht zu verderben! Morgen geht’s
-einmal ins Weite!«
-
-So sprach er zu sich selber, und wie er wieder nach seinem Zimmer
-zurückschritt, sah er seine Pistolen an der Wand hängen. Er nahm sie
-herab.
-
-»Ich muß mir Luft schaffen!« rief er, wie einstens in der Behrenstraße
-53 im Zimmer seines Bruders, und gleich darauf krachten die Schüsse und
-schlugen in die Decke, daß Kalk und Mörtel splitterten.
-
-Am anderen Morgen ließ er sein Pferd satteln und brauste fort, »daß
-Kies und Funken stoben«. Er hatte sich erinnert, daß in Kollin bei
-Stargard an diesem Abend eine vergnügte Gesellschaft beisammen sei, und
-wenn es bis dahin auch etwa 14 Meilen waren, er wollte zeigen, was ein
-tüchtiger Reiter und ein gutes Pferd leisten können.
-
-In Wangerin hielt er Mittagsrast. Am Tische neben ihm saß ein junger
-Mann, der sich ihm als Weinreisenden vorstellte und seine Ware anpries.
-Bismarck verlangte, daß er ihm Proben vorführe, und der andere brachte,
-was er bei sich hatte.
-
-Ein Fläschchen um das andere wurde vor den Augen des erstaunten
-Reisenden leer, und Bismarck begehrte immer mehr Proben, bis dem
-anderen der Vorrat ausging. Das war in einem kleinen Stündchen abgetan,
-und nun ging’s wieder zu Roß weiter auf der Stargarder Straße, und
-abends traf der wilde Reiter in Kollin ein und überraschte die heitere
-Gesellschaft. Nun gab es ein fröhlich Zechen, schallendes Gelächter
-bei manchem lustigen Schwank, und dem Besucher, der aus der Einsamkeit
-seines Kniephof kam, erfrischte es Herz und Mut, sich wieder einmal in
-genialer Burschenlust gehen zu lassen.
-
-Er lud seine Freunde ein, ihn auf seinem Schlößlein zu besuchen, und
-sie blieben nicht aus. Der alte Kniephof sah nun manche übermütige
-Stunde. In die Nacht hinaus klangen lärmende Zecherlieder, und oben
-ging das Trinkhorn in die Runde, und aus den großen Pokalen trank
-man Porter und Champagner durcheinander. Dann raste es mitunter
-nächtlicherweile wie die wilde Jagd durch den schweigenden Park,
-krachende Schüsse weckten die Ruhe der Schläfer, von abenteuerlichen
-Streichen, von wunderlichen Wetten gingen die seltsamsten Geschichten
-in der Runde, und bald hieß es: »der tolle Bismarck ist auf Kniephof
-wieder lebendig geworden!«
-
-Manch einer kam, angezogen durch dieses Treiben; er fand ein gastliches
-Haus, einen gefüllten Becher, einen jovialen Wirt, – aber es geschah,
-daß dieser mitten in der übermütig lärmenden Unterhaltung ein Wort
-aufgriff, an das er ernste und geistvolle Erörterungen knüpfte, wie sie
-aus historischen Reminiszenzen und aus seinem eigenen, für die Ehre des
-Vaterlandes begeisterten Herzen kamen. Dann horchte die verwunderte
-Tafelrunde hoch auf, und manch einem kam ein Ahnen, daß in dem jungen
-Gutsherrn mehr stecke, als zur Verwaltung von Kniephof gehöre.
-
-Das Herz hatte er auf dem rechten Flecke, und das hat er, wo es galt,
-bewiesen. Im Sommer 1842 war er als Landwehroffizier in Lippehne.
-Der schneidige Ulanenleutnant war auch hier einem kecken, lustigen
-Streiche nicht abgeneigt, so wenig wie den Freuden des Bechers. Eines
-Nachmittags kam er mit einigen Kameraden an den Wendelsee. Er wollte
-mit seinen Begleitern über die Brücke gehen, die über denselben führt,
-da er aber merkte, daß eben sein Reitknecht ankam, um in dem Wasser
-sein Pferd zu schwemmen, blieb er stehen. Der Bursche ritt zwischen
-der Brücke und der Gotthardtschen Gerberei in den See. Ob nun die
-Anwesenheit der Offiziere ihn verwirrte, oder ob das Pferd den Grund
-verlor, – genug, er zog die Zügel zu straff an, das Tier wurde unruhig,
-bäumte sich, und der Reiter flog herab und verschwand auch sogleich in
-den Wellen.
-
-Bismarck überlegte in diesem Augenblicke nicht; er warf Mütze und
-Säbel fort und sprang, wie er war, in Uniform, über das etwa 15 Fuß
-hohe Brückengeländer kopfüber in den See. Mit starker Hand faßte er
-den Burschen, der halb bewußtlos ihn so umklammerte, daß er selbst in
-freier Bewegung gehindert war. Da riß er denselben mit sich nieder zum
-Grunde, um ihn bewußtlos zu machen. Es waren bange Augenblicke für die,
-welche auf der Brücke standen. Blasen stiegen aus dem Wasser … aber die
-beiden Menschen kamen nicht empor. Endlich tauchte das Haupt Bismarcks
-auf. Er hatte mit fester Hand den Burschen gepackt, ihn auf den Rücken
-geworfen, und zog nun schwimmend ihn hinter sich her, bis er Grund
-fand. Nun schleppte er den Bewußtlosen auf seinen Armen an das Ufer, wo
-er freudig begrüßt wurde.
-
-Eine gewaltige Erregung ging durch die ganze kleine Stadt, und
-als Bismarck, der sich in der Nähe umgekleidet, nach derselben
-zurückkehrte, kam ihm eine Schar von Bürgern mit dem Oberpfarrer Stöhr
-in seiner Amtstracht an der Spitze entgegen, um ihn zu begrüßen und zu
-beglückwünschen.
-
-Bald darauf erhielt er vom König die Rettungsmedaille, welche er
-jederzeit mit Stolz getragen hat.
-
-Der flotte Offizier ging wieder nach Kniephof zurück. Es kam ihm
-doppelt still vor, und manchmal war’s ihm, als dränge es ihn hinaus
-in die Welt, – der gärende Most wollte noch nicht zur Klärung kommen.
-Das Wort, das seine herrliche Mutter einst gesprochen: »Bernhard soll
-Landrat, Otto Diplomat werden!« kam ihm immer wieder in den Sinn. Der
-erste Teil war zur Wahrheit geworden, sein Bruder saß als Landrat in
-Naugard, und der Ausspruch der Mutter erschien ihm bezüglich seiner
-selbst wie eine vorwurfsvolle Mahnung.
-
-So kam es, daß er einen neuen Anlauf nahm und wieder bei der Potsdamer
-Regierung als Referendar eintrat. Ein rechtes Behagen fand er aber
-bei alledem nicht, zumal sein Vorgesetzter, der Regierungspräsident,
-ihn in beinahe geringschätziger Weise behandelte. Da kam ihm der alte
-Bismarcktrotz, und es brauchte nicht viel, um den Becher des Unmuts bei
-ihm überschießen zu lassen.
-
-Eines Tages erhielt er von seinem Bruder das Ersuchen, ihn auf einige
-Zeit zu vertreten. Er begab sich zu seinem Vorgesetzten, um sich einen
-Urlaub zu erbitten. Als er eintrat, stand dieser am Fenster, kehrte
-ihm den Rücken zu und trommelte auf der Scheibe. Bismarck stand einige
-Augenblicke ruhig, dann schritt er an ein anderes Fenster und begann
-nun seinerseits erst leise, dann immer vernehmbarer und lustiger einen
-Marsch mit den Fingerspitzen zu exekutieren.
-
-Jetzt fuhr der Präsident unmutig herum, und während der Referendar noch
-weitertrommelte, fragte er zornig:
-
-»Was wünschen Sie?«
-
-»Eigentlich wollte ich mir einen Urlaub nachsuchen, jetzt bitte ich um
-meinen Abschied.«
-
-Und nun ging er nach Pommern, um für seinen Bruder einzutreten, dann
-aber trieb es ihn hinaus in die Welt, und selbst seine Freunde wußten
-nicht immer, wo sie mit ihrem Gedanken ihn suchen sollten.
-
-Im Herbst 1844 trafen sich zwei derselben im Seebad Norderney. Der eine
-fragte:
-
-»Wissen Sie nichts von Otto von Bismarck?«
-
-»Nach den letzten Nachrichten war er in England – und dieser Tage habe
-ich eine Mitteilung aus Pommern erhalten, nach welcher er von dort nach
-Indien zu gehen beabsichtigt.«
-
-»Sieht ihm ähnlich, dem unruhigen Geiste, – er weiß eben nicht, wohin
-er soll mit seiner Kraft.«
-
-Und während die zwei so redeten, kam er selber mit langsamen Schritten
-über die Dünenhügel her. Die Gestalt schien noch stattlicher geworden;
-aus dem gesunden, bartumrahmten Gesichte blitzten die klaren Augen,
-und kraftvoll und sicher kam er heran, sehr zum Staunen und zur Freude
-seiner Freunde.
-
-Lange hielt er an der See nicht aus. Er mußte heim, es zog ihn nach
-Schönhausen, wo am 30. Oktober ein schönes Familienfest stattfinden
-sollte, die Vermählung seiner Schwester Malwine mit seinem
-Jugendfreunde Oskar von Arnim-Kröchlendorff. Das Herrenhaus in der
-Altmark prangte im Festschmucke, seine »Malwine« strahlte vor Glück,
-und sein Vater war freudig erregt, ihn selbst aber wollte eine leise
-Wehmut fassen bei dem Gedanken, daß sein »sehr Geliebtes« jetzt aus dem
-Elternhause gehe und sein Vater nun ganz allein bleiben sollte.
-
-Als der Hochzeitslärm und die Festlust verrauscht war, blieb er noch
-bei dem alten Herrn zurück. Sie gingen täglich zusammen durch den
-Park und nach der Schäferei, widmeten sich gemeinsam der Beobachtung
-der Thermometer und bemühten sich gleich weiland Karl V. die Uhren
-im Herrenhause in Übereinstimmung zu bringen. Endlich mußte er aber
-doch daran denken, wieder nach Kniephof zu gehen. Beim Abschied von
-Schönhausen band er dem Inspektor Bellin und seiner Frau es dringendst
-auf die Seele, recht gut für den alten Herrn zu sorgen, eine Mahnung,
-welche die kleine, wackere Frau beinahe als Beleidigung hätte ansehen
-dürfen.
-
-Nicht lange danach gab es eine zweite Hochzeitsfeier, auf dem
-pommerschen Herrensitze Triglaff, wo Bismarcks liebster Freund, Moritz
-von Blankenburg, mit der Tochter des Hauses sich vermählte. Es war
-ein vergnügtes Fest, und die Zahl der Gäste eine große. Unter den
-Brautjungfern aber befand sich ein anmutiges Edelfräulein, einfach und
-doch gewinnend in ihrem ganzen Wesen, und als Bismarck ihr vorgestellt
-wurde, hatte er ein eigentümlich wonniges Empfinden. Das Mädchen mit
-den blauen Augen, _Johanna von Puttkamer_, hatte es ihm von der ersten
-Begegnung ab angetan.
-
-»Sie ist die einzige Tochter von Jakob von Puttkamer; seine Frau ist
-eine geborene von Glasenapp, und sie sitzen auf Reinfeld,« hatte
-Blankenburg ihm gesagt, und ein anderer Freund fügte bei:
-
-»Da geht’s anders zu als auf Ihrem Kniephof, lieber Bismarck. Da gibt’s
-keine tollen Wetten, keine wilden Jagden und kein Porter-Sekt-Gemisch
-aus Ochsenhörnern, da ist alles fein ehrsam und sittsam, ruhig und
-fromm. Ihr singt »Freut euch des Lebens«, und auf Reinfeld werden nur
-Choräle gesungen. Also sehen Sie dem Fräulein von Puttkamer nicht zu
-tief in die Augen!«
-
-Aber Bismarck tat, wie es ihm paßte, und als er abends im Garten zu
-Triglaff neben dem anmutigen Mädchen saß und mit ihr plauderte, da
-war ihm das ganze Feuerwerk gleichgültig geworden, welches dem jungen
-Paare zu Ehren losgebrannt wurde. Die Stimmung war bei allen eine
-froherregte: Die spielenden Lichter, die rollenden Feuersonnen,
-die aufzuckenden Strahlengarben, welche in die Abenddämmerung
-hineinglühten, erhöhten dieselbe, und Scherze und heitere Zurufe gingen
-hin und her. –
-
-Da sauste zischend eine Rakete empor, den funkelnden Schweif nach
-sich ziehend, und aller Augen folgten. In demselben Moment erhob sich
-ein stärkerer Windstoß, welcher das Geschoß seitwärts trieb gegen
-den Wirtschaftshof. Dort fiel es auf ein Strohdach nieder, und nach
-wenigen Minuten loderte daraus eine Flamme empor, welche nichts weniger
-als programmgemäß war. Der Wind machte die Sache noch gefährlicher.
-Angstrufe erschollen, Verwirrung kam unter die Gäste, die Dienerschaft
-und die Dorfleute liefen davon, und die glühende Lohe schlug bereits
-hoch empor und schwelte hinüber nach einem Nachbargebäude.
-
-Bismarck verlor keinen Augenblick seine Besonnenheit. Er eilte nach dem
-Stalle, wo er mit der neuvermählten Frau von Blankenburg zusammentraf,
-welche, beseelt von gleicher Energie, ihm half, die Pferde
-herauszuholen und vor einen Wasserwagen zu spannen, und gleich darauf
-jagte der junge Edelmann die Rosse nach der Brandstätte zu und brachte
-hier mit seinem bestimmten Wesen, mit seiner sicheren Klarheit Ordnung
-in die Löschanstalten. Das Feuer aber griff trotzdem rasch um sich, und
-am Morgen beleuchtete die aufgehende Sonne die rauchenden Trümmer auf
-dem Gutshofe wie im Dorfe selbst.
-
-Als Bismarck von Triglaff schied, sagte ihm der alte Herr von Thadden:
-
-»Ich glaube, lieber Freund, es hat gestern zweimal gebrannt auf
-Triglaff, und der zweite Brand wird sich wohl nicht wieder löschen
-lassen. Na, Sie wissen wenigstens, wo die Brandstifterin wohnt und
-können sie auf Reinfeld zur Rechenschaft ziehen. Viel Glück dazu!«
-
-Die Worte sangen und klangen dem jungen Edelmann noch lange in den
-Ohren, und wenn er daran dachte, mußte er still vor sich hinlächeln.
-
-Der Winter ging, und der Frühling kam, und der junge Gutsherr hatte
-alle Hände voll zu tun mit seiner Landwirtschaft, dazwischen brach wohl
-auch einmal die alte, stürmische Lust, in die Welt zu jagen, sich Bahn.
-Das Gefühl einer gewissen Vereinsamung überkam ihn manchmal auf seinem
-Kniephof, und er strich dann freundlicher über den Kopf Odins, seines
-Hundes, der ihm ein treuer Begleiter war.
-
-Das Jahr sollte auch noch trübe genug enden. Im November erhielt
-Bismarck die Nachricht, daß es mit seinem Vater, der von einem
-Schlaganfall sich nicht mehr erholen konnte, recht schlimm stehe, und
-so eilte er nach Schönhausen. Er fand den Teuren sehr schwach, und gab
-sich keinen Hoffnungen hin. Auch der Inspektor Bellin und seine Frau
-waren mutlos und verzagt. Die Frau erzählte:
-
-»Ach, ich hab’s ja schon kommen sehen. Vor einigen Wochen, Sonntags,
-kam der gnädige Herr gar nicht, um sich zur Kirche zu begeben, die er
-doch nie versäumte. Die Glocken hatten schon geläutet, und so nahm ich
-mir den Mut, bei ihm einzutreten und ihn zu erinnern. Da sprach er
-ganz traurig: ›Ach, liebe Bellin, ich muß doch sehr schlecht hören,
-wenn ich die Kirchenglocken überhöre.‹ Und dann ging er eilig nach dem
-Gotteshause.«
-
-Und der Inspektor fügte bei:
-
-»Er hat manchmal so Ahnungen gehabt, und das gefällt mir nicht. Wie
-heuer im Frühjahr uns die Elbe bis in den Park hereinkam und einige von
-unseren schönen, alten Linden wegnahm, da war der gnädige Herr so sehr
-gedrückt. ›Mein lieber Bellin,‹ sagte er, ›die Linden sind eingegangen,
-ich denke, ich gehe nun auch bald ein‹.«
-
-Und am 22. November hielt der treue Sohn die erkaltende Hand des Vaters
-in der seinen und drückte diesem die Augen zu.
-
-Das war ein Trauertag für Schönhausen, als der alte, brave Gutsherr in
-die Gruft gesenkt wurde, und von den Bauern wischte sich manch einer
-die Augen aus, dem der Verewigte mit Rat und Hilfe beigestanden. Ernst
-und trübe sahen die beiden Brüder den Sarg hinabsenken, dann gingen sie
-schweigend nach dem Herrenhause zurück.
-
-»Wie ist’s, Otto,« sagte dort Bernhard, »du übernimmst Schönhausen und
-überläßt mir Jarchelin.«
-
-»Wenn dir’s so recht ist, Bernd – ich bin einverstanden!«
-
-So war die Erbschaftsangelegenheit glatt und einfach geordnet, und das
-alte Schönhausen sah im nächsten Frühling einen freundlicheren Tag.
-Johannistag war’s, das liebliche Sommersonnwendfest. Die alten Linden
-blühten und dufteten, die Sonne blickte hell vom blauen Lenzhimmel,
-und am Portal des Herrenhauses standen der Inspektor und seine Frau,
-Knechte und Mägde, Bauern und Bäuerinnen. Der Eingang war mit grünen
-Reisern umwunden, und Otto von Bismarck hielt seinen Einzug in seinen
-Stammsitz, und nannte sich nun _von Bismarck-Schönhausen_.
-
-Aber einsam war es ihm hier, gar so einsam. Der tolle Jugendübermut
-schien ausgeschäumt zu haben, er hatte wiederholt bereits dem Ernst
-des Lebens in das Auge geschaut, hatte Amt und Würden angenommen als
-Deichhauptmann und als Vertreter der Ritterschaft des Kreises Jerichow
-im Merseburger Provinziallandtag. Aber seine Seele sehnte sich nach
-dem Glücke des Familienlebens, und immer wieder trat das Bildnis jenes
-anmutigen Fräuleins, das es ihm auf Triglaff angetan, vor ihn hin.
-
-In solcher Stimmung traf ihn eine Aufforderung seines Freundes
-Blankenburg zu einer Herbstreise; auch Fräulein von Puttkamer werde
-sich beteiligen. Das war der Wink des Schicksals, ihm mußte Folge
-geleistet werden.
-
-Was war doch das für ein herrliches Wandern durch die malerischen
-Täler, auf die umgrünten Höhen des eigenartigen deutschen Gebirges!
-Blauer Himmel über herrlichen, lachenden Landschaftsbildern,
-Lerchengesang in der Luft und jauchzenden Herzschlag in der Brust.
-Das junge Blankenburgsche Paar störte den in zwei Seelen erwachenden
-Frühling nicht, und unter den leise rauschenden Bäumen des Harzwaldes
-ward der Bund so gut wie geschlossen. Glückselig kehrte Bismarck in
-sein Schönhausen heim und setzte sich nun hin, um an Herrn und Frau von
-Puttkamer auf Reinfeld zu schreiben und sie um die Hand ihrer Tochter
-zu bitten.
-
-Der Brief tat eine wunderliche Wirkung. Der alte Herr, der eben von
-einem Ritt ins Feld heimkam, las ihn und traute seinen Augen kaum. Dann
-eilte er zu seiner Frau.
-
-»Höre, Luitgard, – lese ich denn recht? – Mir ist’s, als hätt’ mir
-einer mit der Axt auf den Kopf geschlagen! – Der wilde Bismarck will
-unsere Johanna zur Frau!«
-
-Frau von Puttkamer schlug die Hände zusammen.
-
-»Unmöglich – unser stilles, frommes Kind und dieser tolle Bismarck. Da
-ist kein Segen drin, dazu gebe ich niemals meine Hand!«
-
-»Ja, er schreibt auch hier, mit Johanna wäre er einig – na, das ist
-eine schöne Bescherung!« Die Frau des Hauses war aufgesprungen, sie
-rief nach ihrer Tochter. Das Fräulein kam mit geröteten Wangen, sie
-schien zu ahnen, um was es sich handle, und daß sie nun den ersten
-Kampf für den Mann ihrer Wahl bestehen müsse. Und sie bestand ihn
-siegreich gegen die Aufregung des Vaters und gegen die Tränen der
-Mutter. Von der Kraft ihrer Herzensneigung erfüllt, trat sie mutvoll
-für den Geliebten ein, und als die Eltern den entschiedenen Willen
-ihrer sonst so sanften Tochter erkannten, wurde der Freier eingeladen,
-nach Reinfeld zu kommen.
-
-Und er kam. Die imponierende Persönlichkeit mit ihrer ritterlichen,
-gewinnenden Vornehmheit gewann die Mutter, der patriotische,
-warmherzige, königstreue Sinn den Vater, und so gab es eine fröhliche
-Verlobung.
-
-Nun ward auf Schönhausen gerüstet zum Empfang der Herrin. Das alte
-Herrenhaus ward neu in Stand gesetzt, aber es kam noch ein Winter und
-ein Frühling, ehe der Bund den Segen der Kirche erhielt.
-
-Der Lenz des Jahres 1847 zog ins Land mit Sturm und Brausen, und der
-Deichhauptmann ritt hinaus, um in Wetter und Graus seinen Pflichten zu
-genügen, und dabei lebte seine Seele in einer freundlichen Zukunft,
-wie schön es sein werde, wenn er nach stürmischem Tage heimkommen und
-Sturmmütze und Regenmantel ablegen und in das wohnliche Heim eintreten
-werde, wo zwei freundliche Augen ihm entgegenleuchten, zarte, liebe
-Lippen ihn begrüßen werden. Was kümmerten ihn die Frühlingsschauer
-und die rauhen Wettertage! Mitunter trieb es ihn auch zu Fuße hinaus
-an den Strand, um zu sehen, ob dem Uferlande keine Gefahr drohe.
-So kam er einmal dahergeschritten, mit seinem forschenden Auge die
-Deiche prüfend. Eine große, tiefe Lache – die Elbe war über ihre Ufer
-getreten – hemmte ihn auf seinem Wege. Er stand einen Augenblick still
-in ruhiger Überlegung, da erblickten ihn zwei Bauern, die mit ihren
-Angelruten am Ufer standen.
-
-Der eine kam eilig herbei:
-
-»Herr Deichhauptmann, ich trage Ihnen auf dem Rücken hinüber.«
-
-Bismarck lachte: »Lieber Pietsch, das sind 182 Pfund!«
-
-»All’ eins, Herr Deichhauptmann, Ihnen tragen wir alle mit Freuden!«
-
-Dem Edelmann schlug das Herz wärmer bei solchen Worten des schlichten
-Mannes aus dem Volke. Das war die ehrliche märkische Art, die Art,
-aus welcher die Liebe auch zu König und Vaterland in Not und Gefahr
-erwuchs. Er dankte dem Manne herzlich, dann trat er mit seinen hohen
-Stiefeln ruhig in die Lache und schritt hindurch. Wenn es der einfache
-Bauer konnte, so mußte es auch der Deichhauptmann können. Die Bauern
-aber sahen ihm noch ein Weilchen nach, dann sagte der eine:
-
-»Ein ganzer Mann mit dem Herzen auf dem rechten Flecke!«
-
-»Gott erhalt’ ihn!« sprach der andere.
-
-Der Sommer kam, und am 20. Juli ward in Reinfeld ein schönes Fest
-gefeiert, das zwei Menschen für ein ganzes reiches Leben verband, wie
-sie besser sich nicht finden konnten: Die Kraft und die Anmut, die
-Energie und die Milde hatten sich vereint – Otto von Bismarck hatte für
-sein Haus »das Herz« gefunden.
-
-Und nun ging es hinein in die lachende Gotteswelt, dem schönen Süden
-entgegen. Die Tiroler Alpen und die Schweizer Firnen sahen nieder auf
-das glückliche Paar, dem die ganze Welt zu gehören schien, und das sein
-Glück widerspiegelte in den dunkeläugigen Bergseen und in der lachenden
-Wonne des italienischen Landes.
-
-In der alten Dogenstadt Venedig hielten sie kurze Rast und fuhren
-über die in ernstem Schweigen ruhenden Lagunen und des Markusplatzes
-historische Pracht, aber das Herz des märkischen Edelmannes schlug
-höher, als er vernahm, daß gleichzeitig auch sein König Friedrich
-Wilhelm IV. in der alten Stadt der Wunder weile, und er konnte es sich
-nicht versagen, ihm seine Ehrerbietung auszudrücken.
-
-Auch der König war erfreut über die Begrüßung, zumal ihm Bismarcks
-Name aus seiner jungen politischen Tätigkeit, die er seit kurzem
-entwickelte, vorteilhaft bekannt war; er unterhielt sich mit ihm in
-seiner lebhaften, geistvollen Art und war sichtlich erfreut über die
-ehrliche, schlichte Weise seines Untertans, so daß er ihn zur Tafel
-lud. Einen hoffähigen Anzug führte Bismarck freilich nicht auf seiner
-Hochzeitsreise mit, und er hatte Not, in Venedig etwas Passendes zu
-erhalten, aber das Herz, das unter dem geliehenen Gewande schlug, war
-und blieb die Hauptsache.
-
-Begeistert für seinen König noch mehr als zuvor, setzte Bismarck mit
-seiner jungen Gattin seine Reise fort, und erst der Herbst lockte ihn
-wieder nach der Heimat, in das trauliche Nest, in dem er sein Vöglein
-betten wollte.
-
-Die Altmark zeigte dem Heimkehrenden kein besonders freundliches
-Gesicht. Die Ernte war längst vorüber; kahl standen die Felder, durch
-die Kiefernbestände fauchte der Herbstwind, und durch den sinkenden
-Abend fuhr das Paar dem alten Herrensitze an der Elbe entgegen.
-
-Sie hofften überraschend zu kommen, aber der Tag ihrer Ankunft war doch
-kein Geheimnis geblieben. Über den alten, rauschenden Linden hin zog
-sich ein grüßender Lichtschimmer, und als der Wagen hielt, da strahlte
-es von hundert Lichtern und Fackeln, und ihr Schein vergoldete das
-alte Bismarckwappen über dem Portal, die grünen Kränze und Girlanden,
-die es reich umschlangen, und die glücklichen Gesichter einer lebendig
-bewegten Volksmenge, welche erschienen war, des Hauses junge Herrin
-festlich zu begrüßen.
-
-Jubelnder Zuruf klang dem Paare entgegen, höher loderten die Fackeln
-und Lichter, so daß ein rötlicher Schimmer über dem ganzen Bilde
-lag und gegen den Himmel stieg. Noch wogte die Lust und Freude, als
-Räderrasseln erklang und eine Spritze aus dem nahen Dorfe angefahren
-kam, deren Bemannung, getäuscht durch den Lichtschein, jetzt erkannte,
-daß es hier nichts Ernstliches zu löschen gab.
-
-Nun konnte der Winter kommen; das freundliche Herrenschloß hatte
-seinen Sonnenschein alle Tage, und der wackere Deichhauptmann fand,
-wenn nach des Tages Mühen Frau Johanna im traulichen Gemache sich
-an den Flügel setzte und den Zauber der Töne mit ihren gewandten
-Fingern heraufbeschwor, daß es kein Glück gebe, dem einer anmutigen
-Häuslichkeit vergleichbar.
-
-
-
-
-Fünftes Kapitel.
-
-In gärender Zeit.
-
-
-Das Sturmjahr 1848 war über Deutschland hingebraust. Die Vertreibung
-des französischen Königs durch sein Volk hatte auch hier die Geister
-entfesselt, und ein ungestümer Freiheitsdrang regte sich überall.
-Volksaufstände fanden da und dort statt, und während die Sehnsucht
-der Besseren nach nationaler Einigung Deutschlands und nach einem
-freieren Verfassungsleben hindrängte, verlangten die ungebildeten
-Bevölkerungsschichten sowie fanatische Hitzköpfe überhaupt den Umsturz
-alles Bestehenden, Republiken und Freiheit und Gleichheit aller Stände.
-
-Alles war aus Rand und Band, und bis in die kleinsten Orte hinein
-zitterte die Aufregung, und feindliche Parteien standen einander
-gegenüber. Die Erbitterung derselben steigerte sich noch mehr, sobald
-es sich um politische Wahlen in den Landtag handelte. Demokratisch und
-königstreu waren die Schlagworte, um welche sich alles drehte.
-
-Das konnte man an einem Frühlingstage des Jahres 1849 auch in
-der märkischen Stadt Rathenow sehen. In den Gassen war eine
-außergewöhnliche Bewegung, mehr noch aber war dies der Fall in einem
-der bekanntesten Gasthäuser des Ortes, in dessen Saale Otto von
-Bismarck in einer von den Königstreuen einberufenen Versammlung seine
-Kandidatenrede halten wollte.
-
-In der Gaststube im Erdgeschoß platzten die Geister bereits lebhaft
-aufeinander.
-
-»Er ist ein Junker, ein Streber, und einen solchen können wir nicht
-in der Kammer brauchen!« rief ein Mann im Schurzfell, und ein anderer
-erwiderte:
-
-»Aber er weiß, was er will, und das wißt ihr Demokraten allesamt nicht!
-Und er ist ein charakterfester Mann, und solche Leute brauchen wir
-heutzutage.«
-
-»Ach was, er schreibt Briefe an den König und läßt sich von ihm
-einladen, sperenzelt um ihn herum in Berlin und Sanssouci.«
-
-»Schämt Euch, Krämer« – schrie jetzt der Schornsteinfegermeister Wolf
-– »daß Ihr die Tatsachen so entstellt. Ihr wißt so gut wie wir, was es
-mit alledem für eine Bewandtnis hat. Den Brief hat er geschrieben, wie
-in Berlin alles aus Rand und Band war, und wie die Umstürzler unseren
-König so schwer beschimpft haben, und er hat darin nichts anderes
-gesagt, als was jeder ehrliche, brave Preuße damals gesagt hat. Daß
-das dem hohen Herrn wohltat und daß er nicht nur den Brief wochenlang
-auf seinem Schreibtische liegen ließ, sondern auch den Schreiber zu
-sich rief und um seinen Rat anging, ist doch nichts, was dem Herrn von
-Bismarck zum Vorwurf gereichen kann.«
-
-»Na, er hat in solchen Unterhaltungen wohl nicht fürs Volk geredet,
-sondern sein Schäflein geschoren!« rief es wieder von einer Seite,
-und unter Beifallsgebrüll nahm ein junger Mensch das Wort, ein
-herumziehender Agitator, von dem eigentlich niemand wußte, wer und was
-er war:
-
-»Wie gut es euer Bismarck mit dem Volke meint, hat er selber klar
-ausgesprochen. Alle großen Städte müßten vom Erdboden vertilgt werden,
-das ist sein Wort, und warum: Weil dort allein das Volk stark genug
-ist, seinen Willen durchzusetzen und seine Freiheit zu erzwingen, wie’s
-in Berlin geschehen ist. Und was er dem König für Ratschläge gegeben
-hat, das wissen wir ganz genau. Friedrich Wilhelm IV. war immer zu
-Nachgiebigkeit geneigt, aber Bismarck war wie der Böse dahinterher
-und suchte ihn zu reizen, durch Gewalt und mit Blut die heilige
-Erhebung des Volkes niederzuschlagen. In Potsdam hat er das sogar in so
-entschiedener Weise getan, daß die Königin hinzutretend gesagt haben
-soll: »Wie können Sie in solchen Ausdrücken mit Ihrem König reden?« –
-Das ist euer Bismarck, dem nichts hart genug ist, wenn dem Volke das
-Fell über die Ohren gezogen werden soll, und der unsere neue Freiheit
-in unserem Blute ersticken will. Fort mit Bismarck!«
-
-Und »Fort mit Bismarck!« scholl es jetzt vielstimmig, nur der
-Schornsteinfeger ließ sich nicht einschüchtern:
-
-»Das ist leeres Geschwätz von einem hergelaufenen Manne. Freiheit von
-eurer Sorte wünschen wir gar nicht, und uns ist Herr von Bismarck
-gerade so recht, wie er ist. Dem wühlenden Demagogentum, das den
-ehrlichen Bürgerstand beunruhigt und ruiniert, müssen die Zähne gezeigt
-werden. Wir wollen auch Freiheit, aber ohne den Umsturz von alledem,
-was uns von unseren Altvorderen heilig gewesen ist.«
-
-Schreien und Johlen unterbrach den Sprecher, um den sich seine
-Parteigenossen drängten, denn die Gemüter wurden immer erhitzter, der
-aber rief mit lauter Stimme:
-
-»Das ist wohl eure Freiheit, daß ihr jeden niederbrüllt, der eine
-andere Meinung hat als ihr? – Gerade so haben sie’s dem Herrn von
-Bismarck gemacht, als er 1847 seine Jungfernrede im Landtage hielt.
-Aber er hatte gezeigt, daß er Mut und Kaltblütigkeit hat. Er las,
-während sie lärmten, seine Zeitung, und als sie aufhörten, nahm er sein
-Wort wieder auf. Das hat mir gefallen, und darum bleibt er mein Mann!«
-
-Der brave Meister war in dem Lärm und Getöse wenig verständlich mehr
-gewesen, nun trank er ruhig seinen Schoppen aus, und forderte seine
-Parteigenossen auf, mit ihm zu gehen. Unter dem lauten Geschrei und
-Hohngelächter der Gegner gingen die Männer hinaus und nach dem Saale,
-welcher schon völlig angefüllt war mit Menschen, die den königstreuen
-Kandidaten sehen und hören wollten.
-
-Otto von Bismarck war eben eingetroffen. Die im Erdgeschoß hatten ihn
-in ihrer Erregung nicht kommen sehen, zumal er nicht, wie man erwartet
-hatte, im Wagen vorfuhr. Er stand bereits auf der Tribüne, als der
-Schornsteinfegermeister mit seinen Gefährten eintrat. Die kraftvolle
-Gestalt war hoch aufgerichtet, aus dem vom Vollbart umrahmten frischen
-und energischen Antlitz blitzten hell und falkenklar die Augen, und die
-Stimme klang hell, vernehmlich, ja mitunter scharf.
-
-Er verurteilte rückhaltlos die Vorgänge, welche in der revolutionären
-Bewegung in Berlin zur Demütigung des Königtums geführt hatten, und
-entwickelte seinen Standpunkt, wie er ihn wiederholt furchtlos und
-entschieden im Abgeordnetenhause betont hatte:
-
-»Der Prinzipienstreit, welcher in diesem Jahre Europa in seinen
-Grundfesten erschüttert hat, ist ein solcher, der sich nicht vermitteln
-läßt. Die Prinzipien beruhen auf entgegengesetzten Grundlagen, die
-von Haus aus einander ausschließen. Das eine zieht seine Rechtsquelle
-angeblich aus dem Volkswillen, in Wahrheit aber aus dem Faustrecht
-der Barrikaden. Das andere gründet sich auf eine von Gott eingesetzte
-Obrigkeit, auf eine Obrigkeit von Gottes Gnaden, und führt seine
-Entwicklung in der organischen Anknüpfung an den verfassungsmäßig
-bestehenden Rechtszustand. Dem einen dieser Prinzipien sind Aufrührer
-jeder Art heldenmütige Vorkämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht,
-dem anderen sind sie Rebellen. Über diese Prinzipien wird nicht durch
-parlamentarische Debatten eine Entscheidung erfolgen können; über kurz
-oder lang muß der Gott, der die Schlachten lenkt, die eisernen Würfel
-der Entscheidung darüber werfen. Ich aber werde leben und sterben für
-den Grundsatz der Treue zu König und Vaterland, und muß es nun Ihnen
-überlassen, ob Sie mich für den rechten Mann halten, Ihre Anschauungen
-zu vertreten.«
-
-Im Saale klang lauter Beifall, der bis auf die Gasse hinausdrang.
-Dort aber fand er keinen Widerhall. Der junge demokratische Agitator
-hatte in der Wirtsstube auch das Eisen in seinem Sinne geschmiedet,
-und die Bewegung war bis auf die Straße hinaus gedrungen. Der
-Schornsteinfegermeister Wolf, der nahe an dem Fenster des Saales stand,
-blickte hinunter und sah die vielköpfige erregte Menge, die mit heißen
-Gesichtern, glühenden Augen und geballten Fäusten sich hier drängte.
-
-Da aber jetzt Bismarck den Saal verlassen wollte, suchte der wackere
-Mann eilig zu ihm heranzukommen und sagte:
-
-»Herr von Bismarck, gehen Sie jetzt nicht hinaus, sie wollen Ihnen an
-den Leib.«
-
-Der Angeredete hob seine mächtige Gestalt höher, ein beinahe
-spöttisches Lächeln umflog den Mund, und die Augen schauten furchtlos
-und ruhig drein, als er erwiderte:
-
-»Ach, glauben Sie doch den Bläffern nicht!«
-
-Ohne weiter sich aufzuhalten, trat er auf den Vorsaal und ging die
-Treppe hinab. Im Hausflur bereits stand eine johlende Menge. Geschrei,
-Zischen, niedrige Schimpfworte flogen ihm entgegen, und einige geballte
-Fäuste hoben sich wider ihn.
-
-»Rebellen hat er uns genannt – totschießen will er uns lassen – fort
-mit dem Junkerregiment!« so schrie es ihm auch von der Gasse entgegen,
-aber mit festem Blick schaute er über die Menge hin, und während
-Meister Wolf und der Stadtschreiber Noack ihn in die Mitte nahmen,
-schritt er hochaufgerichtet, mit ruhiger Sicherheit durch das Volk, das
-ihm eine Gasse machte und dem kühnen Recken nicht den Weg zu verlegen
-wagte.
-
-So kam er nach dem Gasthause, wo sein Wagen stand. Die aufgeregten und
-von dem unreifen Hetzer aufgereizten Leute waren ihm auch bis hierher
-gefolgt und schienen seine Abfahrt hindern zu wollen. Die Lage war
-äußerst unbehaglich, und als er aus dem Hause trat, gelang es ihm nur
-mit Mühe, an das Gefährt heranzukommen und dasselbe zu besteigen.
-
-Wilder und ungestümer aber brach jetzt das Geschrei und Pfeifen los,
-und aus der gedrängten Schar sausten Steine nach dem kühnen Manne.
-Einer derselben traf wuchtig seinen linken Arm und fiel in den Wagen.
-Einen Augenblick übermannte ihn jetzt Zorn und Schmerz: er ergriff den
-Stein und sprang von seinem Sitz empor mit flammenden Augen, und wie
-er so den Arm erhob zum Wurfe, da drängte das feige Gesindel zurück
-vor der imponierenden Erscheinung. Das gab ihm seine Ruhe wieder. Es
-schien ihm unwürdig, hier Gleiches mit Gleichem zu vergelten, mit einer
-verächtlichen Gebärde warf er seinen Angreifern den Stein vor die
-Füße, legte sich in den Sitz zurück, rief dem Kutscher zu: »Vorwärts!«
-und gleich darauf zogen die bereits unruhigen Tiere an, und durch die
-zu beiden Seiten zurückweichende Menge fuhr der Wagen rasch dahin durch
-die Gasse.
-
-Die Rathenower wählten aber doch Bismarck wiederum zu ihrem
-Abgeordneten, und so reiste er, nachdem er zuvor in seiner freundlichen
-Häuslichkeit zu Schönhausen gewesen, neuerdings nach Berlin, um den
-übernommenen Pflichten zu genügen.
-
-Im Eisenbahnkupee saß er mit einem alten Herrn, einem ehemaligen
-Offizier, beisammen und unterhielt sich mit diesem über die politische
-Lage. Da stieg in einer Zwischenstation ein junges Herrchen ein,
-der sein Gepäck – allem Anschein nach einen Musterkoffer – ziemlich
-herausfordernd auf den Sitz legte, sich dann in eine Ecke lehnte und
-nun mit überlegen spöttischem Blicke die beiden Herren betrachtete,
-welche sich in ihrem ruhigen Gespräche nicht stören ließen.
-
-Der alte Offizier hatte eben sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß
-bei den Berliner Straßenunruhen der König das Militär zurückgezogen und
-sich in die Hand des Volkes gegeben hatte, da warf der junge Mann eine
-höhnische Bemerkung dazwischen:
-
-»Ja, die Volkssouveränität paßt manchem nicht in den Kram, glaub’s
-wohl, aber gottlob, mit Säbelrasseln und feudalen Phrasen wird die neue
-Zeit nicht aufgehalten. Es geht ein scharfer Wind für die Junker, und
-er wird manche alten Vorrechte wegblasen. Ja, Freiheit und Gleichheit!
-Freiheit und Gleichheit!«
-
-Bismarck sah den Menschen mit einem durchdringenden Blicke an, ohne ihn
-eines Wortes zu würdigen, jener aber perorierte, unbekümmert um die
-beiden anderen, in seiner geschwätzigen Art weiter. Seine Ansichten
-waren so unreif, daß der alte Offizier, obwohl gerade er sich vielfach
-hätte verletzt fühlen dürfen, es doch nicht der Mühe wert hielt, mit
-dem kecken Angreifer anzubinden, der dadurch nur immer mehr ermutigt zu
-werden schien. Bismarck aber hatte ihn immer wieder einmal mit seinen
-scharfen Augen gemessen und dann sein Gespräch mit seinem Gegenüber
-fortgesetzt, als ob der vorlaute Musterreiter Luft wäre.
-
-Nun hielt der Zug auf dem Bahnhofe in Berlin. Der Reisende war
-ausgestiegen, und nachdem Bismarck sich rasch von dem Offizier
-verabschiedet, verließ auch er das Kupee. Mit einigen weitausgreifenden
-Schritten stand er vor dem jungen Manne, seine mächtige Gestalt hoch
-aufrichtend und die blitzenden Augen ihm in das Gesicht bohrend, so
-daß derselbe beinahe scheu zurückwich. Wiederum machte Bismarck einen
-Schritt auf ihn zu, mit seinen mächtigen Blicken ihn bannend, so daß
-der andere abermals zurücktrat. Der unerbittliche Verfolger aber
-heftete sich an seinen Fuß und drängte ihn so vor sich her, bis der
-geängstigte Reisende beinahe an die Wand gedrückt war.
-
-»Wie heißen Sie denn?« fragte der Verfolger kalt und fest, und der
-andere stotterte in Befangenheit und Ängstlichkeit:
-
-»Ich – ich heiße Nelke!«
-
-»Dann hüten Sie sich, Sie Nelke, wenn Sie nicht von mir gepflückt
-werden wollen!«
-
-Noch einmal sah Bismarck dem zerknirschten Schwätzer in das blasse
-Gesicht, dann wendete er sich langsam ab und schritt ruhig den Perron
-entlang.
-
-Berlin selbst wollte ihm jetzt gar nicht gefallen. Die neue Zeit
-rumorte hier zu sehr in allen Köpfen, und ihre Zeichen machten sich auf
-Schritt und Tritt bemerkbar. Selbst der Drang nach einer nationalen
-Einheit, welcher die besten deutschen Herzen erfüllte, hatte für
-Bismarck etwas beinahe Unheimliches, weil daneben auch jener unklare
-Freiheitsdrang sich breitmachte, der am liebsten Thron und Krone
-hinweggefegt hätte und aus Deutschland eine Republik machen wollte.
-
-Diese Bestrebungen traten deutlich genug hervor bei der seit dem 18.
-Mai 1848 in Frankfurt a. M. tagenden deutschen Nationalversammlung,
-welcher Männer aus ganz Deutschland angehörten, welche den Bundestag
-beseitigte, einen Reichsverweser in der Person des Erzherzogs Johann
-von Österreich wählte und nun die »Grundrechte des deutschen Volkes«
-und eine »Verfassung für Gesamtdeutschland« beriet. Da platzten die
-Geister oft stürmisch aufeinander, und selbst die vielen vortrefflichen
-Männer, die, erfüllt von wahrer Begeisterung für das Wohl des deutschen
-Volkes, ihre beste Kraft und Überzeugung einsetzten, konnten nicht
-immer den revolutionären Demokraten, welchen die Freiheit über die
-Einheit ging, einen Damm setzen, und es kam in Frankfurt selbst unter
-den Augen der Nationalversammlung zu den rohesten Ausschreitungen des
-fanatischen Pöbels.
-
-Endlich war man aber doch einig geworden, daß fortan ein erblicher
-Kaiser an der Spitze Deutschlands stehen solle, und als solcher war am
-28. März 1849 mit geringer Stimmenmehrheit König Friedrich Wilhelm IV.
-von Preußen gewählt worden.
-
-Der zweite April fand Berlin in einer ganz besonderen Erregung.
-Die Abgesandten der Frankfurter Nationalversammlung trafen ein,
-um dem König die Kaiserkrone anzubieten. In den Straßen war ein
-fröhliches Wogen und Treiben, die hochgehende Begeisterung jauchzte
-den einziehenden Abgeordneten zu, und der Traum der deutschen Einheit
-schien sich verwirklichen zu sollen.
-
-Um so größer war die Enttäuschung, als schon am nächsten Tage die
-Nachricht von Mund zu Munde ging, der König habe die Deputation
-im Rittersaale des Schlosses feierlich empfangen, aber sich nicht
-entschließen können, die ihm gebotene Krone aus den Händen des Volkes
-anzunehmen.
-
-Wie ein Mehltau fiel es auf die Hoffnungen und Erwartungen der Besten,
-und als die Kunde nach Frankfurt kam, wirkte sie hier so niederdrückend
-auf alle Gutgesinnten, daß die radikalen Stürmer und Dränger wieder die
-Oberhand gewannen und infolgedessen da und dort wieder revolutionäre
-Erhebungen stattfanden, und daß sich endlich das Parlament auflöste,
-beziehentlich der nach Württemberg übergesiedelte Rest desselben, das
-sogenannte »Rumpfparlament«, gewaltsam aufgelöst wurde.
-
-In Berlin gingen nach der Ablehnung der Kaiserkrone die Wogen der
-Bewegung noch immer hoch, und der Landtag beriet am 20. April über
-die Frankfurter Reichsverfassung und über Schritte, um den König noch
-nachträglich zur Annahme der Kaiserwürde zu bewegen.
-
-Bismarck gehörte zu jenen, welche sich nicht überzeugen konnten, daß
-auf den damaligen Grundlagen eine wirkliche Einigung Deutschlands
-erreicht werden könne, und daß die Eifersucht Österreichs und anderer
-deutscher Staaten an der leitenden Stellung Preußens fortwährend
-rütteln würde, so daß es ihm richtiger schien, daß dieses für
-sich selbst auf starke Füße gestellt werde und nicht seine Kraft
-unfruchtbaren Bestrebungen opfere.
-
-So trat er auch im Abgeordnetenhause unerschrocken für diese
-Überzeugung ein. Am 20. April stand er auf der Tribüne und erklärte:
-
-»Ich habe als Abgeordneter die Ehre, die Kur- und Hauptstadt
-Brandenburg zu vertreten, welche dieser Provinz, der Grundlage und
-Wiege der preußischen Monarchie, den Namen gegeben hat, und ich fühle
-mich deshalb um so stärker verpflichtet, mich der Diskussion eines
-Antrages zu widersetzen, welcher darauf ausgeht, das Staatsgebäude,
-welches Jahrhunderte des Ruhmes und der Vaterlandsliebe errichtet
-haben, welches von Grund aus mit dem Blute unserer Väter gestiftet
-ist, zu untergraben und einstürzen zu lassen. Die Frankfurter Krone
-mag sehr glänzend sein, aber das Gold, welches dem Glanze Wahrheit
-verleiht, soll erst durch das Einschmelzen der preußischen Krone
-gewonnen werden, und ich habe kein Vertrauen, daß der Umguß mit der
-Form dieser Verfassung gelingen werde.«
-
-Noch energischer äußerte er sich in diesem Sinne am sechsten September.
-Inzwischen hatte aber Preußen einen anderen Einigungsversuch gemacht
-und mit Sachsen und Hannover das »Dreikönigbündnis« geschlossen, dem
-sich eine Anzahl anderer deutschen Staaten anschloß. Aber Österreichs
-Einfluß wußte die beiden Königreiche wieder von Preußen zu trennen,
-welches nun mit den übriggebliebenen Bundesstaaten die sogenannte
-»Union« bildete und, um derselben eine einheitliche Verfassung zu
-geben, ein Parlament nach Erfurt einzuberufen beschloß.
-
-In dieser Zeit saß Bismarck eines Abends in seiner Wohnung,
-Dorotheenstraße 37, mit einigen politischen Freunden beisammen.
-Das Heim war schlicht, aber gemütlich; die Lampe warf ihren milden
-Schein über den breiten Tisch und auf die geistvollen Gesichter, um
-die behaglicher, blauer Tabaksdampf sich wölkte, und in den Gläsern
-schäumte der braune Gerstensaft. Der Hausherr saugte an »dem geliebten
-Rohre«, aber dazwischen wetterleuchtete es aus seinen Augen, und seine
-Hand legte sich manchmal geballt auf den Tisch, da er sagte:
-
-»Laßt sie doch uns »Stockpreußen« schelten, ’s ist kein schlechter
-Titel, und ich kann nur wiederholen, was ich in der Kammer gesagt habe:
-Das Stockpreußentum, wie es vor allem in der Armee vorhanden ist, ist
-unsere Stütze. Und so gut unsere Soldaten unter der schwarzweißen Fahne
-bisher sich ehrenhaft geschlagen und wohlbefunden haben, so gelüstet es
-weder sie noch uns, für das erprobte alte Banner ein neues dreifarbiges
-einzutauschen, dessen Dauerhaftigkeit unter den jetzigen Verhältnissen
-sehr zu bezweifeln ist. Wir wollen einmal dem preußischen Adler nicht
-die Flügel stutzen lassen durch die gleichmachende Heckenschere aus
-Frankfurt.«
-
-»Und was versprichst du dir eigentlich von der Union?« fragte einer der
-Gäste.
-
-»So gut wie nichts, sie wird an der Eifersucht Österreichs, dem wir
-zunächst noch nicht die Zähne zu zeigen uns getrauen, zugrunde gehen.
-Das Erfurter Parlament verläuft im Sande, verlaßt euch darauf!«
-
-»So hast du wohl gar keine Neigung, dich hineinwählen zu lassen?«
-
-»Neigung? – Nein! Aber wenn ich gewählt werde, werde ich gehen, um auch
-dort Preußens Rechte zu vertreten. – Aber nun, Freunde – politisch
-Lied, ein garstig Lied! Laßt uns etwas anderes reden. Wißt ihr auch,
-daß ich unter die Poeten gegangen bin?«
-
-Ein allgemeines »Ah!« dann wurde eine Stimme laut, – es war die
-_Savignys_ – welche Proben verlangte.
-
-»Eine Probe soll euch werden, aber ich bitte um nachsichtige
-Beurteilung, damit ich mit meinem ~gradus ad parnassum~ nicht
-eingeschüchtert werde. Zuerst aber sollt ihr sehen, was mich begeistert
-hat, und ich hoffe auf eure Anerkennung.«
-
-Er holte aus einem Schranke eine ziemlich umfangreiche braunfarbige
-Kaffeetasse und stellte sie vor die Freunde hin.
-
-»Na, ist das nicht ein stattliches Objekt für eine Poetenleier?«
-
-»Aber nun auch die Verse dazu!« rief _André_.
-
-»Eins nach dem anderen. Zunächst müßt ihr wissen, daß dieser praktische
-Haushaltungsgegenstand zu einem Geburtstagsgeschenk bestimmt ist für
-unseren hagestolzen alten Freund Kleist-Retzow. Und nun das Poem!«
-
-Er las, behaglich sich in seinem Sitze zurücklehnend, mit komischem
-Pathos:
-
- »Nicht ganz so schwarz wie Ebenholz,
- Doch braun wie Mahagonig,
- Wünsch’ ich dir, aller Pommern Stolz,
- Ein Leben süß wie Honig.
- Wenn Wenzel[1] dich gelangweilt hat,
- Schwerin[1] den Zorn erregt in dir,
- Wenn übel dir vom Beckerrath,[1]
- Dann, Hans, erhole dich bei mir!
-
- Wenn dann der Kaffee dir behagt
- Und du, um streng dich zu kastei’n,
- Die zweite Tasse dir versagt,
- Dann, Hans, laß mich die erste sein!
- Und schein’ ich dir zu groß und weit
- Für ein so kleines Landrätlein,
- So denk: Es ist die höchste Zeit,
- Dir eine Gattin anzufrei’n.
-
- Ihr trinkt aus mir dann alle beide
- Kaffee, Schok’lade oder Thee
- Zu Tante Adelgundens Freude
- Zu Kiekow auf dem Kanapee.
- Geliebter Onkel Schievelbein,
- Schaff’ bald uns eine Tante,
- Dann wirst du alles hocherfreu’n,
- Was jemals Hans dich nannte.«
-
- [1] Namen von Abgeordneten.
-
-Fröhliches Lachen lohnte den Vortrag, und die Geister des Humors
-begannen in dem gemütlichen Raume jetzt ihre Flügel freier zu regen.
-
-Noch im selben Winter kam ein Weihnachtskind in der Dorotheenstraße 37
-an, ein kleiner Junker von Bismarck, der am 28. Dezember erschien und
-am 12. Februar 1850 durch den Prediger Gaßner auf die Namen Nikolaus
-Heinrich Ferdinand _Herbert_ getauft wurde. Die Freude war groß, da es
-jetzt ein mit dem am 21. August 1848 geborenen Töchterchen _Marie_ ein
-prächtiges Pärchen gab, an dessen frischem Gedeihen und munterem Wesen
-die Eltern ihre herzliche Freude hatten.
-
-Bei solchem Familienglück war es Bismarck nicht besonders erfreulich,
-im kommenden Frühjahr nach Erfurt zu gehen, wohin er wirklich in das
-Unions-Parlament gewählt war. Auch hier vertrat er seinen absolut
-preußischen Standpunkt und war froh, als der Reichstag am 29. April
-geschlossen wurde, nachdem allerdings die vorgelegte Verfassung Annahme
-gefunden hatte.
-
-Aber nun erhob sich drohend die österreichische Regierung, verlangte
-entschieden die Herstellung des alten deutschen Bundestags, auf welchem
-sie den ersten Rang einnahm, und lud sämtliche deutsche Fürsten
-zur Beschickung desselben ein. Deutschland stand in zwei starken
-Parteien sich gegenüber, die Erregung stieg auf beiden Seiten so weit,
-daß in Kurhessen, wo das Volk sich gegen den Druck des Ministers
-Hassenpflug auf das entschiedenste wehrte, es zwischen ihnen beinahe
-zu einem blutigen Zusammenstoß gekommen wäre. Friedrich Wilhelm IV.,
-eingeschüchtert durch das Dazwischentreten und die Drohungen des
-russischen Kaisers Nikolaus, fürchtete jedoch einen entscheidenden
-Schritt und gab in der Angelegenheit nach. Es kam der Tag von Olmütz
-(29. November 1850), der in der preußischen Geschichte kein Ruhmesblatt
-bedeutet, an welchem der Minister von Manteuffel dem österreichischen
-Minister Schwarzenberg gegenüber die Auflösung der »Union« und die
-Beteiligung Preußens an dem wiederhergestellten Bundestage zugestand
-nebst einigem anderen, was drum- und dranhing.
-
-Inzwischen hatte Bismarck im Sommer sein liebes, stilles Schönhausen
-aufgesucht und mit Frau Johanna und seinem kleinen munteren
-Pärchen sich der Ruhe und Muße hingegeben, welche ihm nach den
-parlamentarischen Kämpfen ungemein wohltat.
-
-Aber die Idylle fand eine kleine Unterbrechung.
-
-Ein andauerndes Unwohlsein des Töchterchens machte einen Aufenthalt an
-der See notwendig, und so ungern Bismarck sich aus dem Behagen seines
-Landsitzes herausriß, der Rat des Arztes, das zärtliche Drängen seiner
-Gemahlin bewogen ihn zuletzt doch, auf einige Wochen nach Stolpmünde zu
-gehen.
-
-Dann kamen wieder der Berliner Ärger und die Kammerverhandlungen den
-Winter durch bis hinein in das Jahr 1851.
-
-Um die Osterzeit desselben brach er aber auf aus der Residenz, um auf
-einige Wochen zu seinen Schwiegereltern zu gehen nach Reinfeld in
-Pommern. Die behagliche stille Häuslichkeit hier tat ihm wohl. Herr
-von Puttkamer mit dem Samtkäppchen auf dem greisen Haupte waltete hier
-wie ein guter Patriarch in Ehrbarkeit und Frömmigkeit, und von ihm und
-seiner trefflichen Frau ging es wie ein stiller Segen aus durch das
-ganze Haus. Das war ein Ort, so recht zu kurzdauernder Erholung, aber
-Bismarck sollte auch hier nicht finden, was er suchte.
-
-Eines Tages saß er mit seinem Schwiegervater beisammen und sprach von
-der Wirtschaft und den Pferden und Hunden, als die Post gebracht wurde.
-Ein Schreiben mit dem Siegel des Ministerpräsidenten von Manteuffel
-fiel ihm in die Hand, und er betrachtete es einige Sekunden mit beinahe
-bedenklichen Blicken. Dann öffnete er es, las flüchtig, lehnte sich mit
-einem tiefen Atemzuge in seinen Sitz, und seine Hand mit dem Briefe
-sank schwer auf den Tisch.
-
-»Nach Frankfurt soll ich zum Bundestage als preußischer Gesandter, –
-der Minister fragt, ob ich will.«
-
-Herr von Puttkamer neigte sich in Erregung gegen ihn vor.
-
-»Ja, besorgt das nicht der General von Rochow? Was bedeutet das?«
-
-»Rochow soll, wie ich schon früher munkeln hörte, als Gesandter nach
-Petersburg zurückgehen. – Aber das kommt mir so unerwartet, daß mir’s
-doch ein wenig in die Glieder schlägt. Das ist weder ein besonders
-angenehmer, noch besonders leichter Posten.«
-
-»Nein, gewiß nicht,« sagte der alte Herr, »da wird einer gebraucht,
-der diplomatisches Geschick und Festigkeit zugleich hat, um mit den
-Beziehungen zwischen Österreich und Preußen fertig zu werden, ohne daß
-auf der einen Seite gereizt, auf der anderen etwas vergeben wird. Der
-Antrag will recht wohl erwogen sein!«
-
-»Klar genug sehe ich die Verhältnisse,« sprach Bismarck lebhaft,
-– »Österreich hat es darauf abgesehen, Preußen kleinzukriegen und
-womöglich wegzuwischen aus der Reihe der maßgebenden Mächte. Da
-heißt’s die Augen offen und den Nacken steif halten. Die Sache wird
-mir verlockend. Wenn mein König dafür hält, daß ich für den Posten
-brauchbar bin, werde ich ihm meine schwache Kraft nicht versagen.«
-
-»Aber Otto, fehlt dir gerade für diese Stellung – du hast gewiegte
-Staatsmänner dort – nicht die nötige diplomatische Erfahrung?«
-
-»Erfahrungen müssen _gemacht_ werden. Papa – und übertölpeln lasse ich
-mich doch nicht so leicht. Mit Patriotismus und Energie und mit etwas
-natürlicher Klugheit läßt sich schon etwas wagen. Zudem weißt du ja,
-daß schwierige Aufgaben und harte Nüsse meine Spezialität sind. Das
-habe ich auch einmal einem gewissen Herrn von Puttkamer bewiesen, der
-mir seine Tochter nicht zur Frau geben wollte.«
-
-Der alte Herr lächelte:
-
-»Na ja, einen festen Kopf hast du, und er sitzt auch, wie das Herz, auf
-dem rechten Flecke. Tue, was du für recht hältst, und wozu dich dein
-Empfinden als Mann und Untertan treibt.«
-
-Und so schrieb Bismarck an den Minister von Manteuffel, daß er nach
-Potsdam kommen und sich Seiner Majestät allergehorsamst zur Verfügung
-stellen werde.
-
-In dem Lustschlosse des großen Friedrich, dem herrlichen, grünumlaubten
-Sanssouci, stellte er sich dem König vor. Friedrich Wilhelm IV.
-betrachtete mit Wohlgefallen den prächtigen, hochgewachsenen Mann
-mit den hellen, treuen Augen, den er schon lange um seiner ehrlichen
-Geradheit und um seiner altpreußischen Gesinnung hochschätzte, und
-sagte:
-
-»Lieber Bismarck, Sie wissen, um was es sich handelt, und ich höre zu
-meiner Freude von dem Minister von Manteuffel, daß Sie nicht abgeneigt
-sind, Preußen in Frankfurt zu vertreten.«
-
-Einfach und schlicht erwiderte der Angeredete:
-
-»Wenn Eure Majestät es mit mir versuchen wollen, so bin ich bereit
-dazu.«
-
-Wieder sah Friedrich Wilhelm den Mann groß und beinahe mit Verwunderung
-an.
-
-»Aber Frankfurt ist ein schlechter Boden; und es läßt sich nicht
-hehlen, daß gerade Preußen darauf nicht den besten Stand hat; ich
-bewundere eigentlich Ihren Mut.«
-
-Da erwiderte Bismarck:
-
-»Eure Majestät bekunden durch meine Ernennung einen noch größeren Mut.
-Wenn Allerhöchstdieselben mich zu dem Amte zu berufen geruhen, so hoffe
-ich, daß mir Gott die Kraft geben wird, es auszufüllen. Eure Majestät
-können es ja mit mir versuchen; geht es nicht, so ist’s ja leicht, mich
-wieder nach Hause zu rufen.«
-
-Das klang so fest und doch so schlicht und gerade, daß der König
-beinahe ergriffen von der Antwort war und erwiderte:
-
-»Dann versuchen Sie es mit Gott!«
-
-
-
-
-Sechstes Kapitel.
-
-Der Bundestagsgesandte.
-
-
-Im alten Frankfurt a. M. liegt in der Bockenheimer Landstraße eine
-freundliche Villa; inmitten grüner Gartenanlagen erhebt sich der
-geschmackvolle Bau, in welchem auch der Reichsverweser Erzherzog
-Johann von Österreich gewohnt hatte. Im Sommer des Jahres 1851 hatte
-hier der preußische Bundestagsgesandte Otto von Bismarck seinen Sitz
-aufgeschlagen und sein ganzes Familienglück mit hereingebracht in das
-freundliche Haus.
-
-Die Sonne blinkte noch in die Tautropfen im Grase, und eine wohlige
-Kühle wehte von Baum und Strauch her, als er, von einem Morgenritte
-heimgekehrt, durch den Garten schritt, um einen lieben Besuch
-aufzufinden, den ihm das Geschick gestern in sein Haus geweht, und der
-nach Aussage des Dieners auch bereits im Freien war. Auf einem sonnigen
-Plätzchen traf er ihn und grüßte ihn mit Herzlichkeit.
-
-»Guten Morgen, lieber Motley, Sie sind also auch ein Frühaufsteher!«
-
-»Die Sonne und die Vögel locken, und hier läßt sich so gut träumen.«
-
-»Wovon träumen Sie denn, wenn’s erlaubt ist zu fragen?«
-
-Damit setzte sich Bismarck neben den Engländer, und dieser erwiderte
-lächelnd:
-
-»Ich habe die Vergangenheit ein wenig Revue passieren lassen. Da
-tauchten mir die Göttinger Tage wieder auf, die wir zusammen verlebten,
-und ich sah Sie wieder als den flotten Burschen, der in der Kneipe
-und auf dem Paukboden mehr zu finden war als in den Kollegien, und
-dann dachte ich wieder an unsere Berliner Zeit, an die Stunden, da
-Kaiserlingk uns Beethovensche Sonaten spielte, und nun finde ich
-Sie in glücklichster Häuslichkeit und zugleich als hervorragenden
-Diplomaten. Verwunderlich ist mir’s just nicht, denn daß Sie aus dem
-Holze geschnitzt sind, aus welchem man Männer macht, die schlechthin
-alles fertigbringen, was sie wollen, ist mir schon in früherer Zeit
-klargeworden, und Frankfurt ist wohl auch der Boden, wo Sie Gelegenheit
-haben, Kräfte zu zeigen.«
-
-»Sauer gemacht wird einem mitunter das Leben, aber unterkriegen
-sollen sie mich nicht so leicht. Sie wissen ja, wie die Dinge liegen.
-Österreich spielt hier die erste Geige, und die anderen hören in
-stummer Bewunderung zu und klatschen Beifall. Das ist nun meine Sache
-nicht, besonders wenn meine eigene Fiedel auf einen anderen Ton,
-auf den preußischen, gestimmt ist. Sie glauben gar nicht, welche
-Demütigungen man mitunter Preußen zumutet, oft bis ins Kleinliche
-hinein. Aber ich werde dem einen Damm stecken.«
-
-»Woran liegt das aber?«
-
-Bismarck zuckte die Achseln.
-
-»Von Wien weht keine gute Luft her. Der Minister Schwarzenberg hat
-rundheraus erklärt, daß er Preußen erst erniedrigen und dann vernichten
-will. Und der Bundestagspräsident, Graf Thun, im ganzen ein recht
-genießbarer Herr, muß diesen völkerfreundlichen Absichten Rechenschaft
-tragen. Da lobe ich mir noch den alten Fürsten Metternich, den
-ehemaligen berühmten österreichischen Staatslenker, welchen ich jüngst
-auf seinem Schloß Johannisberg am Rhein besuchte, der war doch nicht
-gar so preußenfeindlich.«
-
-»Von diesem Besuche habe ich gehört, und der alte Herr, dem sonst
-nicht jeder paßt, soll ganz entzückt von Ihnen gewesen sein.«
-
-»Ja, das ist einfach zu erklären: Ich habe seine Geschichten ruhig
-angehört und nur manchmal die Glocke angezogen, daß sie weiterklang.
-Das hat dem redseligen alten Herrn gefallen. Na, ich denke auch
-Schwarzenberg mit der Zeit noch einige Achtung abzunötigen. Den
-Anfang habe ich schon mit dem und jenem gemacht. Da hatte Österreich
-einen Ausschuß – natürlich ohne Zuziehung Preußens – eingesetzt, der
-über die Sitzungsprotokolle und deren eventuelle Veröffentlichung
-beraten sollte. Freilich wäre Preußen bei den Publikationen schlecht
-weggekommen. Da bin ich den Herren in die Parade gefahren, und die
-Sache ist seitdem unterblieben. Und solche Geschichten könnte ich Ihnen
-noch manche erzählen; aber nun kommen Sie, meine Frau wird mit dem
-Frühstück warten, und nach demselben müssen Sie mich entschuldigen: Ich
-habe eine Sitzung im Militärausschuß!«
-
-Er faßte den Freund unter dem Arm und führte ihn nach dem Hause, wo
-Frau Johanna anmutig und freundlich wie ein Frühlingsmorgen die Herren
-begrüßte, und wo Bismarck erst noch einmal nach seinen Kindern sah
-und sie fröhlich in die Luft hob, ehe er sich zu Tische setzte. Hier
-war er ganz glücklicher Gatte und Vater, ganz von fröhlichem Humor
-übersprudelnder Gastfreund.
-
-Ernster sah er drein, als er nicht lange danach an dem grünen Tische
-saß im Parterre des Taxisschen Palais. Auch hier winkten die grünen
-Bäume herein zu den Fenstern, aber in dem Raume herrschte eine etwas
-dumpfe Luft, und der Verkehr der anwesenden Herren war ziemlich
-gemessen und formell.
-
-Sie saßen in ihren Sesseln, genau nach der Rangordnung, die Vertreter
-der fünf deutschen Königreiche und des Großherzogtums Hessen. Der
-Präsidialsitz war noch unbesetzt, aber auch Graf Thun ließ nicht
-lange auf sich warten. Er kam mit elastischen Schritten, so daß er
-im ersten Augenblicke wohl für einen lebenslustigen aristokratischen
-Herrn, aber nicht für einen Diplomaten hätte angesehen werden können,
-blies vergnüglich den Rauch seiner Havannazigarre von sich, grüßte
-liebenswürdig herablassend die Herren »Kollegen« und setzte sich dann
-an seinen Platz oben an dem Tische.
-
-Daß Graf Thun rauchte, und zwar _allein_ rauchte, während kein
-anderer der Herren es wagte, dies Präsidialvorrecht ihm streitig
-zu machen, hatte Bismarck bereits früher mit Mißbehagen gesehen.
-Diesmal schien sich der Vorsitzende mit ganz besonderem Vergnügen dem
-Genuß hinzugeben; die bläulichen Wölkchen zogen an dem Gesichte des
-preußischen Gesandten hin, der feine Duft hatte etwas Verlockendes; und
-da diesem nicht einleuchtete, weshalb Preußen hier am grünen Tische
-nicht tun sollte, was Österreich sich erlaubte, zog er mit feinem
-Lächeln sein Zigarrenetui hervor, bat sich von Graf Thun etwas Feuer
-aus, und gleich darauf blies auch er die blauen Ringe in die Luft,
-gleichmütig, behaglich, als ob sich das just so gehörte, während die
-anderen Herren verwundert, ja, beinahe verblüfft schienen über den an
-sich so unbedeutenden Vorgang.
-
-Daheim erzählt Bismarck die Geschichte und fügte lächelnd bei:
-
-»Es soll mich gar nicht wundern, wenn nächstens auch Bayern raucht,
-und da keiner dem anderen etwas vergeben möchte, weil das als eine
-Zurücksetzung seines Staates gelten könnte, wird auch Herr von Nostiz
-(Sachsen) und Herr von Bothmer (Hannover) bald nachfolgen, und selbst
-die Herren von Reinhard (Württemberg) und von Münch-Bellinghausen
-(Hessen) werden ihre Aversion gegen das Rauchen trotz aller
-unbehaglichen Folgen aufgeben. So kommt’s bei allem immer nur auf den
-richtigen Anfang an!«
-
-Die Folgezeit lehrte, daß er bezüglich des Rauchens recht hatte.
-
-Nun widmete er sich wieder seinem lieben Gaste Motley, der in dieser
-prächtigen Häuslichkeit sich einige Tage wohl und wie daheim fühlte.
-Was waren das für den geistvollen Engländer für herrliche Tage und für
-genußreiche Abende!
-
-Das Wetter hatte nicht erlaubt, einen derselben im Garten zuzubringen;
-so war man zuerst im Speisezimmer gewesen, wo man durch die Fenster
-hinaussah auf die Bäume des Gartens, und genoß in vergnügter
-Zwangslosigkeit, was die Gastlichkeit des Hauses, die Liebenswürdigkeit
-der freundlichen Wirte bot.
-
-Dann ging es nach dem anstoßenden freundlichen Saale. Außer Motley
-war noch der treffliche Maler Jakob Becker mit seiner Familie des
-Abends gekommen, und so saß ein Kreis guter, fröhlicher Menschen in
-dem traulichen Raume beisammen. Die Herren rauchten, und der Duft der
-feinen Havannas wirbelte empor, indes der geistvolle Hausherr in seiner
-gemütlichen Weise scherzte:
-
-»Sehen Sie, lieber Motley – das ist doch eine andere Tafelrunde als
-die zwar achtenswerte, aber doch wenig unterhaltende im Taxisschen
-Palais, wo in mir wirklich manchmal im Gefühle gähnender Unschuld die
-Stimmung gänzlicher Wurschtigkeit vorherrschend wird. Ich bemühe mich
-zunächst nur, und, wie es scheint, nicht ganz erfolglos, den Bund zum
-Bewußtsein des durchbohrenden Gefühls seines Nichts zu bringen. Hier
-aber sitze ich ohne jede andere Absicht, als mir Herz und Seele wieder
-zu erfrischen im Umgang mit lieben Freunden. Und in der Hauptsache
-kommen nur solche. Thun sieht in seinem Hause alles, was mit Österreich
-sympathisiert, in den Kreisen des Hochadels – ich liebe mir hier den
-Adel vom Schlage unseres braven Becker. Wie köstlich ist das erst im
-Winter, wenn ich hier am Kamine sitzen und mit der Feuerzange in der
-Glut herumstochern kann, während der Wind vor den Fenstern saust, wenn
-Freund Becker oder sonst einer etwas erzählt von seinen Künstlerfahrten
-und seinem Schaffen, und dann eine kunstfertige Hand in die Tasten
-greift … ach bitte, Fräulein Becker, machen Sie uns die Freude!«
-
-Die Angeredete erhob sich ohne Ziererei und setzte sich an das
-Instrument. Die Töne rollten perlengleich unter den schlanken Fingern
-hervor, und behaglich zurückgelehnt in seinen Sitz lauschte der
-Hausherr, bis sie leise verhallend ausklangen.
-
-»Das sind die guten Geisterchen, die dem geplagten Diplomaten manchmal
-das Gleichgewicht wiedergeben helfen!« sagte er lächelnd.
-
-»Der Himmel schenke Ihnen und Ihrem Hause recht viele gute Geister!«
-erwiderte Motley.
-
-»Na, einige ganz herzige und herrliche liegen da drüben in ihrem
-Bettchen!« sprach der Maler.
-
-»Da mögen Sie recht haben, lieber Becker,« bemerkte der Hausherr; »es
-sind zwar Geisterchen mit Fleisch und Bein, aber die richtige Wirkung
-tun sie doch!«
-
-So ging der Abend hin, und als es ganz still im Hause geworden war, da
-leuchtete der Lampenschimmer aus Bismarcks Arbeitsgemach hinaus in die
-Nacht. Und Stunde um Stunde verging. Lange diktierte er seinem Sekretär
-an den Berichten, die nach Berlin abgehen mußten, und die eine Fülle
-von scharfen Beobachtungen und von klarer Einsicht in die politischen
-Verhältnisse bekundeten. Dann entließ er den Beamten, setzte sich
-selbst an den Tisch und schrieb noch einige wichtige Briefe, und als er
-endlich zum Siegeln gekommen war, tagte bereits der Sommermorgen und
-warf seinen erwachenden Schimmer in den Raum.
-
-Nun erst legte er sich angekleidet auf sein Sofa. Gleich darauf schlief
-er, tief, ruhig, aber kaum zwei bis drei Stunden. Der Sommermorgen
-weckte, und der Sonnenschein lockte hinaus. Wohl waren ihm die Glieder
-steif von dem nicht ganz bequemen Lager, und er fühlte eine Schwere und
-Abspannung, aber er war der Mann der Kraft und der Selbstbeherrschung.
-Er ließ sich sein Pferd satteln, und während die vornehme Welt
-Frankfurts noch im Morgenschlummer träumte, ritt er die Bockenheimer
-Landstraße hinaus, am Zoologischen Garten vorüber und in die lachende
-Landschaft hinein, und da und dort blieben wohl zwei oder drei stehen
-und sahen ihm nach, und einer sagte:
-
-»Das ist der preußische Bundesgesandte – soll ein schneidiger Mann
-sein!«
-
-Motley war wieder abgereist, aber in Bismarcks gastliches Haus kamen
-immer neue Besucher, und alle fühlten sich hier wohl und ungemein
-angeheimelt von dem herzlichen und zwanglosen Ton, welcher hier
-herrschte.
-
-Da ließ sich eines Tages ein besonders erlauchter Gast melden,
-Prinz Wilhelm von Preußen. Er war schon vordem gelegentlich einer
-Truppeninspektion in Frankfurt gewesen und auf dem Bahnhofe bei seiner
-Ankunft war ihm Bismarck vorgestellt worden, der in seiner Uniform als
-Landwehrleutnant mit der Lebensrettungsmedaille auf der Brust dem hohen
-Herrn besonders auffiel, so daß er nochmals dem General von Rochow
-gegenüber seine Bedenken äußerte über die Wahl des Landwehrleutnants
-Bismarck zu einem so wichtigen Posten. Aber im Gespräch mit diesem
-überzeugte er sich selbst bald genug, daß der preußische Diplomat trotz
-seiner verhältnismäßig jungen Jahre ein klarblickender und energischer
-Mann und ein sehr warm fühlender Patriot sei.
-
-Als er nun diesmal nach Frankfurt gekommen war, erbat sich der Baron
-Rothschild eine Audienz und ersuchte, ihm die Ehre zu erweisen und bei
-ihm zu speisen. Der Prinz erwiderte lächelnd, daß er sich bei Bismarck
-bereits eingeladen habe, und als der Baron trotzdem in ihn drang, legte
-er es ihm nahe, sich mit dem Bundesgesandten darüber abzufinden.
-
-Rothschild fuhr in der Bockenheimer Landstraße 40 (jetzt 140) vor. Er
-traf Bismarck daheim und trug ihm sein Anliegen vor, ihm den hohen Gast
-zu überlassen.
-
-»Es tut mir leid, mein verehrter Baron, Ihnen nicht dienen zu können,
-aber abgesehen von der Ehre, welche ich damit meinem Hause entziehen
-würde, ist mir jede Stunde wertvoll, welche ich in der Nähe des Prinzen
-meines Königshauses zubringen kann.«
-
-»Aber Exzellenz würden mich außerordentlich beglücken, wenn Sie
-gleichfalls in meinem Hause und an meinem Tische erscheinen wollten.«
-
-»Besten Dank, mein Herr Baron, aber ich muß schon auf meinem Schein
-bestehen und auf meinem Vorrechte beharren.«
-
-»Dann wollen Exzellenz mir mindestens gestatten, daß meine Speisen auf
-Ihrer Tafel serviert werden, so daß wir uns in die Ehre, den hohen Gast
-zu bewirten, teilen.«
-
-»Ich kann Ihnen leider auch darin nicht entgegenkommen. Es
-würde mindestens sehr verwunderlich sein, wenn der preußische
-Bundestagsgesandte bei Bewirtung eines preußischen Prinzen nichts
-weiter als den Tisch hergeben würde. Außerdem aber bin ich ein Gegner
-jeder Halbheit – also verzeihen Sie, Herr Baron –«. Rothschild
-erkannte, daß er den anderen nicht umstimmen würde, und leistete
-seufzend Verzicht, der Prinz aber speiste an dem gastlichen Tische
-Bismarcks und fand auch hier immer neues Wohlgefallen an dem prächtigen
-Manne.
-
-Dieser aber arbeitete unverdrossen und kraftvoll weiter in der Wahrung
-der Interessen seines Staates. Dabei machte er aber bald genug die
-Wahrnehmung, daß er nicht nur durch die österreichische Botschaft
-sehr beobachtet werde, sondern daß man zweifellos auch Briefe von
-ihm auffange und öffne. Es ging übrigens den anderen Bundesgesandten
-nicht besser. Eines Tages klagte ihm Herr von Bothmer, der Vertreter
-Hannovers, daß er begründeten Verdacht habe, daß auf irgendeinem Wege
-Graf Thun Kenntnis von dem Inhalt seiner Korrespondenz haben müsse.
-Bismarck lächelte und bemerkte, er müsse eben bei Absendung klug zu
-Werke gehen.
-
-»Aber was heißt hier klug?« fragte Bothmer.
-
-»Das will ich Ihnen zeigen, wenn Sie ein halb Stündchen Zeit haben; ich
-habe just eine Sendung zu expedieren.«
-
-So gingen sie zusammen und bogen aus den belebten Straßen in ein
-stilleres Viertel der alten Handelsstadt. In einem engen Gäßchen vor
-einem schlichten Krämerladen blieb Bismarck stehen und zog seine
-Handschuhe an.
-
-»Hier lassen Sie uns eintreten!« sagte er.
-
-Erstaunt folgte der Hannoveraner. In dem engen Laden roch es
-wunderlich, so daß es ganz unmöglich gewesen wäre, diesen Geruch in
-seinen Einzelheiten zu analysieren. Ein jugendlicher Verkäufer begrüßte
-die beiden Herren und fragte nach ihren Wünschen.
-
-»Ich möchte Seife, aber etwas wohlriechende,« sprach Bismarck, und der
-dienstbeflissene Jüngling begann seine Proben vorzulegen. Der Diplomat
-roch an jeder, dann wählte er jene, welche den stärksten Geruch hatte
-und schob sie ohne weiteres in seine Tasche.
-
-»Haben Sie auch Briefkuverts?«
-
-»Sehr wohl!«
-
-Nach kurzer Auswahl nahm Bismarck die schlichteste und einfachste
-Sorte, zog dann ein bereits zusammengefaltetes Papier aus der Tasche,
-schob es in den Umschlag und bat sich nun Tinte und Feder aus, um
-die Adresse zu schreiben. Da jedoch die Handschuhe ihm hinderlich zu
-sein schienen, bat er den Verkäufer, ihm die Mühe abzunehmen, was
-dieser auch beinahe geschmeichelt tat. Behaglich steckte Bismarck nun
-das Schreiben zu der Seife in seiner Tasche, und als er mit seinem
-Begleiter vor der Türe stand, sagte er zu diesem:
-
-»Glauben Sie nun, lieber Kollege, daß man unter diesem Kuvert, das
-nach Käse und Hering, Seife und Wichse duftet, nicht so leicht meine
-Depesche herausschnüffeln wird?«
-
-Manchmal jedoch, wenn es ihm in dem Frankfurter Treiben zu unbehaglich
-und in den Bundestagsverhandlungen zu langweilig und zu ärgerlich
-wurde, setzte er sich auf die Eisenbahn und fuhr hinein in den
-Odenwald, oder besah sich einmal das bunte Leben und Treiben in den
-glänzenden Badeorten Homburg, Wiesbaden, Baden-Baden, oder er erquickte
-sich an der ewigen Schönheit des Rheinstromes und seiner lieblichen
-Ufer. So fuhr er eines Nachmittags nach Rüdesheim. Dort mietete er
-einen Kahn und glitt hinaus auf den Strom. Der Mond warf seinen
-milden, dämmerigen Schein auf die Fluten, die Luft war lau, und ihn
-faßte ein Gelüste an, die Kleider abzuwerfen und sich in die silbernen
-Wellen zu tauchen. Gedacht, getan, und bald schwamm er langsam und
-behaglich dahin. Hinter ihm her, im Abendschimmer verdämmernd, kam
-langsam das Boot, das der schweigende Ferge lenkte, hoch über dem
-Schwimmer wölbte sich blau und klar der Himmel mit seinen vieltausend
-Sternen, und drüben an den Ufern webte der bläuliche Mondenschimmer
-um die dunkelnden Höhen, die bewaldeten Berge, die grünen Weingärten
-und die grauen, schweigenden Ruinen der Vorzeit. Und das Wasser klang
-und rauschte und flüsterte wie von alten Sagen. Von Bingen herüber
-schimmerten einzelne Lichter, und nun hob sich der Mäuseturm düster und
-ernst aus den Wellen. Hier stieg der Schwimmer ans Land, kleidete sich
-an und fuhr nach Bingen hinüber, wo er Nachtrast hielt. Am nächsten
-Morgen aber ging’s über Koblenz nach Frankfurt zurück.
-
-Das erfrischte Leib und Seele.
-
-Auf den 18. Oktober fiel der Geburtstag des Königs. Auf der Villa in
-der Bockenheimer Landstraße wehten die preußischen Fahnen, und im
-Laufe des Vormittags fuhren Bismarck und die Beamten der Gesandtschaft
-in größtem Staat nach dem Kornmarkt, wo in der großen Reformierten
-Kirche der Festgottesdienst abgehalten wurde. Die Mittagstafel aber
-sah zahlreiche und erlesene Gäste, und der Hausherr verstand es, in
-kräftigen, gehaltvollen Worten der Begeisterung Ausdruck zu geben,
-die er selbst für seinen königlichen Herrn fühlte, und die er auch in
-anderen Herzen zu entflammen wußte.
-
-Und als der Abend kam, zog er seine Landwehrleutnants-Uniform an mit
-der Lebensrettungsmedaille und begab sich nach der Kaserne, wo die
-preußischen Soldaten gleichfalls festlich den Geburtstag ihres obersten
-Kriegsherrn begingen. Hier war die Lust in vollem Gange. Rauschende
-Musik klang durch den Saal, und in lauter, aufjauchzender Fröhlichkeit
-drehten sich die Paare im Reigen. Als er eintrat, machten die Soldaten
-am Eingang Honneurs und flüsterten sich, als er vorüber war, zu: »Seine
-Exzellenz, der Herr Leutnant von Bismarck!« Sie kannten ihn alle, den
-prächtigen, stattlichen Mann, der so heiter und herzlich sein konnte,
-und auch diesmal wieder bald da, bald dort auftauchte und sich mit den
-schlichten Kriegern unterhielt.
-
-Der Herbst entblätterte die Bäume in dem Garten, und der Winter spielte
-mit seinen Flocken um die freundliche Villa. Aber wenn auch der
-Sturmwind um die Fenster fegte, drinnen war’s um so behaglicher. Diese
-Winterabende waren köstlich, wenn in dem Salon bei dem flackernden
-Kaminfeuer sich um die liebenswürdigen Wirte prächtige Gestalten
-scharten, von denen jeder fand, was er nur suchen mochte: Schlichtheit,
-Herzlichkeit, vornehme Sitte und frischen Humor. Wie zwanglos verkehrte
-da Prinz Georg von Preußen mit Schriftstellern, in deren Kreis er sich
-zählen durfte, wie gemütvoll und vergnügt plauderte die Großfürstin
-Helene von Rußland (geborene Prinzessin von Württemberg) mit der Frau
-des Malers Becker, und wenn die Gäste in stiller Nacht schieden, nahmen
-sie etwas von dem Behagen dieses Hauses mit sich fort, das noch lange
-in ihnen nachklang.
-
-Der Winter stellte freilich auch gesellschaftliche Anforderungen, denen
-Bismarck um seiner Stellung willen entsprechen mußte. Dabei fühlte
-er sich nicht immer besonders vergnüglich, zumal der österreichische
-»Botschafter« überall eine dominierende Stellung beanspruchte, und er
-seinerseits darüber wachte, daß auch der Würde seines Staates nichts
-vergeben werde.
-
-Der englische Lord Cowley gab ein großes Fest zu Ehren seiner Königin.
-Die Räume waren glänzend geschmückt; Farben und Fähnchen fast aller
-Kulturstaaten woben sich zu einem bunten Bilde zusammen, aus welchem
-sich das transparente englische Wappen abhob, dem gegenüber sich der
-ungekrönte Doppeladler – das Wappen des deutschen Bundes – zeigte. Die
-Gesellschaft war eine sehr vornehme. Graf Thun tänzelte zierlich um die
-Damen, der Lord zeigte sich als vornehmer und lebhafter Wirt, zwischen
-den Gesandten der deutschen Staaten bewegten sich mit graziöser
-Gewandtheit der Vertreter Frankreichs, Tallenay, und der belgische Graf
-Briey, und der Tanz bot bei der Reichhaltigkeit der Toiletten geradezu
-glänzende Bilder. Bismarck lehnte behaglich an einer reichdekorierten
-Säule und sah in das Gewühl. Im bunten Kotillon bewegten sich die
-Paare, darunter viele der älteren Diplomaten, und er machte die
-Bemerkung, wie viele von den Damen schwarzgelbe Seidenschleifen, die
-Farben Österreichs, trugen, während er nach jenen Preußens vergebens
-suchte. Eine junge Prinzessin von Nassau kam eben an ihm vorüber,
-am Arme eines süddeutschen Diplomaten. Sie sah ihn flüchtig an,
-aber es lag in dem Blicke selbst eine unverkennbare Beimischung von
-Geringschätzung. In diesem Augenblicke trat ein anderes Mitglied der
-preußischen Bundestagsgesandtschaft an ihn heran. »Fürchten Exzellenz
-nicht die Ungnade Ihrer Hoheit der Prinzessin von Nassau?«
-
-»Wieso?«
-
-»Wir armen Preußen sind bei ihr schwer diskreditiert; Hoheit geruhte
-mit allen anderen Mächten zu tanzen, nur mit Preußen nicht!«
-
-»Das ist freilich schlimm, aber ich hoffe, daß es mir nicht den Rest
-meiner Nachtruhe verderben wird,« sagte Bismarck lächelnd.
-
-Nicht lange darauf verließ er das Fest.
-
-Weihnachten wurde in freundlicher Weise verlebt, und das Fest brachte
-dem Vielbeschäftigten einige Ruhe und Muße. Dann wieder Arbeit in
-Fülle, zwischendurch aber auch manch ein vergnügter Tag! Wie war das so
-lustig zur Fastnachtszeit, als er seinem Dienstpersonal ein fröhliches
-Fest gab, wie er es daheim in der Altmark seit der Väter Tage gewohnt
-war! Er fehlte nicht unter den »Seinen« und freute sich, wie alle Augen
-lachten vor Fröhlichkeit, und wie vor allem die knusprigen, braunen
-»Pannkauken« schmeckten, die er selber auch kostete. In solchen Stunden
-wuchs er seinen Dienern noch mehr ans Herz, als es schon der Fall war,
-und Frau Johanna nicht minder.
-
-Der Frühling von 1852 kam ins Land. In Österreich war an Stelle des
-Ministers Schwarzenberg der Graf Buol-Schauenstein getreten, und damit
-schärfte sich eine bereits schwebende Angelegenheit zwischen Preußen
-und Österreich noch mehr zu. Es betraf den von dem ersteren begründeten
-deutschen Zollverein, für welchen die bisher noch unbeteiligten
-deutschen Staaten gewonnen werden sollten, während Österreich, das von
-demselben ausgeschlossen war, an der Auflösung desselben arbeitete.
-Bismarck hatte hier seine vollgemessenen Verdienste, und da der neue
-österreichische Ministerpräsident mit aller Macht den preußischen
-Bestrebungen entgegenarbeitete, ging er im Auftrag seines Königs nach
-Wien, um an den Kaiser ein Handschreiben Friedrich Wilhelms IV. zu
-überbringen.
-
-In den ersten Tagen des Juni traf er in der Hauptstadt an der Donau
-ein. Der Minister Buol empfing ihn ziemlich ungnädig und erklärte
-bestimmt, daß Österreich sich von Deutschland nicht als Ausland
-behandeln lassen werde.
-
-Bismarck war zwar verstimmt, aber nichts weniger als entmutigt.
-Er freute sich der Liebenswürdigkeit, mit welcher er fast überall
-aufgenommen ward, lebte in dem freundlichen Schönbrunn den anmutigen
-Erinnerungen an seine Hochzeitsreise, und fuhr endlich am 23. Juni auf
-der Donau hinab nach dem alten Ofen, wo er im kaiserlichen Schlosse
-seine Wohnung erhielt. Hier saß er, hoch über Stadt und Strom, und ließ
-den Blick hinausschweifen über das weite ungarische Flachland, und
-dachte bei all den Schönheiten an den Kreis seiner Lieben in Frankfurt.
-
-Von dem jungen Kaiser wurde er in besonderer Audienz mit
-liebenswürdiger Herablassung empfangen und machte mit dem Hofe einen
-Ausflug ins Gebirge. Stimmungsbilder von satter Farbenglut gingen
-an seinem Auge vorüber. Im Hintergrunde die ungarische Königsstadt
-mit ihrer hochragenden Burg, ringsum grüner Buchenwald, auf freiem
-Rasenplane die kleine Tafel für etwa zwanzig Personen, eine jubelnde
-Volksmenge, die sich ringsum drängte und bis in die Wipfel der Bäume
-kletterte, leise hallender Hörnerklang, und als der Abend kam, das
-ganze Bild übergossen vom bläulichen Mondschimmer und matt erhellt von
-loderndem Fackelglanz – das alles war so fremdseltsam, daß es wie eine
-Phantasie erschien, der die ernste Wirklichkeit bald folgte in Gestalt
-eines Telegramms aus Berlin, welches entschieden die österreichischen
-Zumutungen in der Zollvereinsfrage zurückwies.
-
-Nicht lange darauf saß Bismarck wieder im Kreise der Seinen, der sich
-am 1. August 1852 noch um ein Söhnchen vermehrte, das nach seinem hohen
-Paten _Wilhelm_ genannt wurde.
-
-Im Herbste desselben Jahres mußte er zu seinem großen Bedauern seine
-freundliche Wohnung in der Bockenheimer Landstraße aufgeben, weil ein
-reicher Westfale das Haus gekauft, und nun siedelte er nach der Großen
-Gallusstraße Nr. 19 über; aber der Ruf der hohen Gastlichkeit, der
-vornehmen und dabei gemütvollen Liebenswürdigkeit haftete auch hier an
-dem Heim des Diplomaten.
-
-Die kommenden Jahre gaben Bismarck genug Gelegenheit, seine Umsicht,
-Klugheit und Tatkraft im Interesse seines Staates zu bekunden. Und
-er hat in kleineren wie in gewichtigen Dingen seine Anschauungen zur
-Geltung zu bringen verstanden – und eine Tätigkeit entwickelt, die
-schon ihrem Umfange nach Staunen erregt. Die immerwährenden Reisen, die
-eingehenden klaren Berichte, die unmittelbare Tätigkeit im Bundestage
-selbst hätten einen anderen aufreiben müssen.
-
-Da tat mitunter eine Erholung dringend not.
-
-Im Sommer 1853 erfrischte er sich in den Wellen der Nordsee und reiste
-dann durch Belgien und Holland zurück. Der politische Horizont hatte
-sich umwölkt, der »Krimkrieg« zwischen Rußland und den europäischen
-Westmächten hing in der Luft, und der preußische Staatsmann suchte
-nach seiner besten Überzeugung seinen König in dieser Sache neutral zu
-erhalten, was auch gelang.
-
-Spott, der ihn deshalb traf, wußte er sehr geschickt und scharf
-zurückzuweisen. So war er in diplomatischem Auftrage in München
-gewesen, und als dort zu Ehren eines österreichischen Generals eine
-Militärparade abgehalten wurde, erschien er dabei gleichfalls in
-seiner Landwehruniform. Auf seiner Brust lag schon längst nicht mehr
-die Rettungsmedaille allein, sondern zahlreiche hohe Orden schmückten
-dieselbe. Der General, welcher an ihn herangeritten war, sah mit
-einigermaßen spöttischem Blicke auf die blinkenden Auszeichnungen und
-fragte:
-
-»Schaun’s Exzellenz! Alle vorm Feind erworben?«
-
-»Jawohl, Exzellenz, alle vorm Feinde, alle in Frankfurt a. M.,«
-erwiderte Bismarck mit verbindlichem Lächeln.
-
-Noch schärfer führte er den französischen Gesandten in Berlin, de
-Moustier, ab. Die Franzosen waren über die Neutralität Preußens in
-der orientalischen Frage verstimmt, und als der Gesandte mit Bismarck
-zusammentraf, ließ er sich zu der Äußerung verleiten: »Preußen wird
-seine Haltung noch einmal bedauern; auf diesem Wege kommt es vermutlich
-nach Jena!«
-
-»Und warum nicht nach Leipzig oder Waterloo?« fragte Bismarck dagegen,
-und de Moustier war durch diese Antwort so gekränkt, daß er sich beim
-König – jedoch ohne Erfolg – beschwerte.
-
-Bismarck war einmal nicht der Mann, der seiner Würde, noch weniger aber
-der Würde seines Staates etwas vergab.
-
-Der Krimkrieg war zu Ende, und in Paris fanden sich die Vertreter der
-Mächte ein, um über den Frieden zu verhandeln. Damals reiste auch der
-Minister Graf Buol über Frankfurt dahin und hielt sich kurze Zeit in
-letzterer Stadt auf. Da beeilten sich denn die meisten der deutschen
-Bundesgesandten, ihm einen Beweis ihrer Ergebenheit zu geben, und
-ließen sich durch den Graf Rechberg, welcher indes an Graf Thuns Stelle
-getreten war, anfragen, wann sie ihre offiziellen Besuche machen
-könnten. Aber der Herr Minister, ermüdet von der Reise, lehnte solche
-Besuche ab, bestimmte jedoch eine Stunde, in welcher er für die Herren
-in seiner Wohnung zu einer vertraulichen Besprechung anzutreffen sei.
-Diese Mitteilung war auch Bismarck, trotzdem derselbe nicht angefragt
-hatte, zugegangen. Er ließ dem Grafen Rechberg wissen, daß er durchaus
-gar nicht die Absicht habe, die wertvolle Zeit des Grafen Buol in
-Anspruch zu nehmen, und während die anderen Gesandten im Vorzimmer der
-österreichischen Exzellenz warteten, bis es derselben genehm war, sich
-von ihnen respektvoll begrüßen zu lassen, wartete Bismarck, ob nicht
-Graf Buol zu ihm kommen werde.
-
-Und derselbe kam trotz seiner »Ermüdung«.
-
-Auch die Unterdrückung Schleswig-Holsteins durch die Dänen war eine
-Angelegenheit, welche den Bundestag viel beschäftigte, ohne daß eine
-Einigung zu erzielen war. Preußen hatte den besten Willen, zu helfen,
-aber die Eifersucht Österreichs, die Zwietracht der anderen Mächte
-banden ihm die Hände.
-
-Trotzdem wußte Bismarck auch hier einiges zu erreichen, und vor allem
-zu erlangen, daß Dänemark für den Herzog von Schleswig-Holstein eine
-entsprechende Abfindungssumme entrichte.
-
-In der schleswig-holsteinischen Sache war er übrigens selbst in
-Kopenhagen gewesen. Im August 1857 war er aufgebrochen, seine Familie
-hatte er nach Reinfeld gebracht, wo sie in ländlichem Behagen sich
-freuen und erholen konnte, und in der dänischen Hauptstadt fand er eine
-durchaus höfliche Aufnahme.
-
-[Illustration: ~Eis. Kanzler III~
-
-Napoleon und Bismarck in Biarritz.]
-
-Hier war ihm alles fremd und neu, und so ließ er sich gern veranlassen
-zu Ausflügen, welche den Reiz der nordischen Gegenden vor ihm
-entrollten und überdies eigenartige neue Jagdvergnügen boten. Diese
-Ausflüge erstreckten sich bis nach Schweden, wo er bis Tomsjonäs in
-Smaland vordrang. Fremdseltsam mutete ihn die Gegend an mit ihren
-weiten, wüsten Strecken, wo bald zwischen Sumpf und Moor dichtes
-Gestrüpp und Unterholz wuchert, bald über grauverwittertes Gestein und
-zwischen felsigen Ufern schäumende Bergwasser hinwegrauschen, bald, von
-Waldesgrün umsäumt, große, dunkle Seen im Sonnenscheine träumen – wo
-die Menschheit zu fehlen scheint in der großen Szenerie der Natur, die
-wie im Sonntagsgewande ihrer Schöpfung ruht und mit tiefer Stille den
-Jäger umfängt.
-
-Manch jagdbares Getier verfiel seiner sicheren Büchse, und das Jagen
-war nicht immer gefahrlos. So stand dem Jäger auf einer seiner Fahrten
-plötzlich ein unbehaglicher Gesell gegenüber, ein braunes Ungeheuer,
-das wie aus dem Boden gewachsen schien, ein Bär, der die zornigen Augen
-gegen ihn wandte und nicht freundlich ihn anbrummte. Da galt kein
-langes Überlegen. Auf sechs Schritte Entfernung gab der mutige Schütze
-Feuer, und das Tier brach zusammen. Aber »Meister Petz« war zäh; er
-begann sich noch einmal, jetzt zur Wut entfacht, zu erheben, doch
-Bismarck lud schnell und ohne merkliche Bewegung seine Waffe, und als
-das Tier sich nun erhob, traf es die zweite Kugel und streckte es tot
-nieder.
-
-An Körper und Geist erfrischt, die Seele erfüllt von neuen Bildern, kam
-Bismarck nach Frankfurt zurück, froh, mit seinen Lieben wieder vereint
-zu sein, die er sich manchmal zur Seite gewünscht hatte in einem
-kleinen, stillen, freundlichen Landhause an einem der Nordlandsseen. –
-Da brachte der Herbst wiederum Trübes. König Friedrich Wilhelm IV. war
-infolge eines Schlaganfalles erkrankt und hatte die Stellvertretung in
-der Regierung seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, übertragen. Es war
-eine bange Zeit für die preußischen Herzen, die bei aller Verehrung
-für den Prinzen doch den Schmerz empfanden, der in dem königlichen
-Hause lebte.
-
-So ging wieder ein Jahr vorüber, und der politische Himmel schien
-sich von neuem zu bewölken; zwischen Österreich und Italien begann
-eine Spannung, welche für den Einsichtigen, zumal bei dem Ehrgeiz des
-dritten Napoleon eine Einmischung Frankreichs zu befürchten war, eine
-drohende Kriegsgefahr barg. Im Oktober 1858 übertrug der unheilbar
-kranke König seinem Bruder die Regierung gänzlich, und der Prinzregent
-schien der preußischen Politik eine andere Richtung geben zu wollen,
-indem er ein neues Ministerium berief, auf welches er wie sein Volk
-große Hoffnungen zu setzen geneigt waren.
-
-Auch an Bismarck war anfangs dabei gedacht worden, aber seine Zeit
-war noch nicht gekommen. Er wußte sich, trotz der Verstimmung seiner
-Angehörigen, zu trösten, und tat auch angesichts der augenblicklichen
-Situation das, was ihm das Richtige schien. Der Bundestag war in
-Aufregung, mittel- und süddeutsche Staaten drängten zum Kriege gegen
-Italien und Frankreich und zur Bundesgenossenschaft mit Österreich.
-Eine solche unbedingte Heeresfolge ging dem preußischen Diplomaten
-gegen seine Überzeugung. Dieselbe hatte er schon vorher unumwunden in
-einer Denkschrift an seine Regierung ausgesprochen, in welcher er eine
-selbständige preußische Politik dringendst empfahl und verlangte, daß
-Preußen als der größte deutsche Staat an die ihm gebührende Stelle
-in Deutschland treten müsse, selbst, wenn es darüber zum Bruche mit
-Österreich komme.
-
-Und als jetzt der Krieg sozusagen in der Luft schwebte, sahen die
-übrigen deutschen Gesandten zu ihrem Erstaunen, ja Entsetzen, auf der
-»Zeile« Bismarck Arm in Arm mit dem Gesandten Italiens, dem Grafen
-Barral, einherschreiten.
-
-In Berlin aber war man noch nicht geneigt, mit Österreich geradezu zu
-brechen, und so erhielt der preußische Bundestagsgesandte an einem
-schönen Februartage seine Ernennung zum Gesandten in Petersburg.
-Erfreut war er über die Mitteilung nicht, er hatte die Empfindung,
-daß man ihn »kaltgestellt« habe, aber der Prinzregent selbst gab ihm
-die Versicherung, daß diese Versetzung ein Beweis ganz besonderen
-Vertrauens sei – und der Mann der Pflicht tat seine Schuldigkeit.
-
-
-
-
-Siebentes Kapitel.
-
-An der Newa und der Seine.
-
-
-An einem wenig freundlichen Märztage des Jahres 1859 fuhr frühmorgens
-ein hochbeladener Postwagen, mit acht Pferden bespannt, zu dem Tore von
-Königsberg hinaus. Auf dem Außensitze saß Otto von Bismarck und schaute
-in den dämmerigen Morgen, der ihn aus Deutschland entführte nach den
-Ufern der Newa.
-
-Eine behagliche Fahrt war es eben nicht.
-
-In den Steppen Rußlands lag noch tiefer Schnee, und mühsam arbeiteten
-sich die Pferde fort, so daß der Gesandte es manchmal vorzog, neben dem
-Wagen herzuschreiten, zumal das den frosterstarrten Gliedern guttat.
-Bergab war es am schlimmsten; die Pferde glitten auf den glatten
-Wegen aus und kamen wiederholt zum Stürzen, und in einer Stunde war
-man einmal etwa 20 Schritte vorwärts gekommen. Dazu keine Nachtpost.
-Durch das unbehagliche Dunkel leuchteten nur mit müdem Scheine die
-Wagenlaternen, ein eisiger Wind blies über die Steppen und wehte den
-feinen, beißenden Schneestaub dem Reisenden in das Gesicht, der auf
-seinem freien Sitze auch gar nicht daran denken konnte, zu schlafen.
-Es war eine Wohltat, das letzte Stück des Weges im Eisenbahnwagen
-zurücklegen zu können.
-
-Nach sechs Tagen traf er in Petersburg ein. In den winterlichen weißen
-Hermelin gehüllt, lag die russische Kaiserstadt, und ihre Pulsader,
-die Newa, flutete noch unter der Eisdecke dahin. Durch die prächtigen
-Straßen fuhr Bismarck nach dem Hotel Demidoff, wo er fürs erste sein
-Quartier nahm.
-
-So verlebte er diesmal seinen Geburtstag fern von der deutschen
-Heimat und den lieben Seinen, aber er war doch nicht ohne
-Bedeutung; er überreichte an demselben dem Zaren Alexander II. sein
-Beglaubigungsschreiben. Um die Mittagszeit war das reich vergoldete
-Gefährt mit dem kaiserlichen Wappen vorgefahren, das den Gesandten nach
-dem Winterpalais brachte. Durch die entlaubten Lindenalleen ging es
-pfeilschnell hin, vorüber an dem Prachtbau der Admiralität, von dessen
-Turme sich der herrlichste Blick über die Zarenstadt bietet, über
-den Paradeplatz hinweg und dann hinein durch das Tor in den Hof des
-Palastes.
-
-Der Empfang ließ an Feierlichkeit und würdigem Zeremoniell nichts
-zu wünschen, aber er hatte auch beinahe den Anstrich einer gewissen
-Herzlichkeit. Der Kaiser empfing den preußischen Gesandten herablassend
-liebenswürdig und schien an dessen feinem und offenem Wesen von der
-ersten Stunde an Gefallen zu finden.
-
-Auch sonst hatte Bismarck nicht über Mangel an freundlichem
-Entgegenkommen zu klagen. Wie einst die Großfürstin Helene, die
-geistvolle Witwe des Großfürsten Michael Pawlowitsch, eine geborene
-Prinzessin von Württemberg, sich in seinem gastlichen Hause in
-Frankfurt wohl befunden hatte, so vergalt sie ihm jetzt diese
-Gastfreundschaft in liebenswürdigster Weise in Petersburg. Manch
-schöner Abend wurde bei ihr verlebt, gemeinsam mit bedeutenden und
-angesehenen Persönlichkeiten; besonderes Interesse aber erregte es,
-wenn man mit Bismarck in intimem Gespräche in irgendeiner Fensternische
-einen kleinen, grauhaarigen Herrn mit dem glattrasierten Gesichte und
-den klugen Augen, die hinter glitzernden Brillengläsern hervorsahen,
-erblickte. Das war der russische Kanzler, Fürst Gortschakoff.
-
-Die Freundschaft der beiden war nicht neu, sie datierte schon aus
-Frankfurt, wo der Fürst Gesandter seiner Regierung beim Bundestage
-gewesen war, und sie wurde hier mit einer gewissen Herzlichkeit
-erneuert.
-
-Endlich kam auch für Petersburg der Frühling. Die Kanonenschüsse,
-welche eines Tags von der Festung aus donnerten, verkündeten der
-freudig aufatmenden Residenz, daß die Newa die starre Eisdecke
-zerbrochen habe und ihr glänzender Wasserspiegel mindestens auf eine
-Bootsbreite zutage getreten sei, und jedes Kind in Petersburg wußte
-es, daß zu dieser Stunde der Kommandant der Festung im Paradeanzug,
-und von seinen Offizieren begleitet, in eine reichgeschmückte Gondel
-steige, in einem goldenen Becher Wasser aus dem Strome schöpfe und dann
-hinüberfahre nach dem Winterpalais, um es dem Kaiser zu überbringen.
-Tausende von Menschen strömten zusammen und füllten den Platz, während
-der mächtige Herrscher oben den Becher empfing und auf das Wohl seiner
-Residenz leerte. So war es alter Brauch, und der Kommandant erhielt
-demselben gemäß zweihundert Dukaten.
-
-Nun begann der Lenz auch die Ufer des Flusses zu schmücken, und
-die Straßen der Stadt wurden lebendiger, zumal der glänzende
-Newski-Prospekt. An der Umgebung der Residenz aber fand Bismarck
-kein besonderes Gefallen. Nach Süden zu hatte die Kunst der Natur
-einigermaßen nachgeholfen, nach den übrigen Seiten hin war noch viel
-einförmiger Wald und Wildnis.
-
-Ein Punkt aber hatte für ihn eine freundliche Anziehungskraft; hier
-wehte es ihm entgegen wie der Hauch der Heimat. Das war das Schloß
-_Peterhof_, der überreich geschmückte Sommersitz Peters des Großen, das
-Versailles der russischen Kaiser, zu jener Zeit aber der Aufenthaltsort
-der Kaiserin-Mutter Charlotte, der Tochter der unvergeßlichen Königin
-Luise von Preußen.
-
-An einem herrlichen Lenztage hatte er sie abermals aufgesucht, und
-sie empfing ihn wie eine mütterliche Freundin. Auch heute saßen sie
-auf dem Balkon, die Kaiserin auf der Chaiselongue, er selbst in einem
-Fauteuil, und sahen hinaus auf das Bild zu ihren Füßen: Unmittelbar
-unter ihnen der prächtige Garten mit seinen leise rauschenden Bäumen
-und seinen springenden Kaskaden, dann weiter hinaus der wunderbare
-Blick auf die märchenhafte Landschaft, in der aus grünen Gehegen weiße
-Schlösser hervorlugen, darunter zumal das anmutige Babigon, glitzernde
-Teiche, breite Alleen, dann zur Rechten die große Residenzstadt, zur
-Linken die weißen Mauern der Festung Kronstadt, und im Hintergrunde das
-schimmernde Meer und die im Blauen verdämmernde Küste von Karelien. Die
-alte Dame in dem schwarzen Seidengewande, die mit langen Holzstäben
-an einem Wollschal strickt, läßt die fleißigen Hände einen Augenblick
-sinken und sagt:
-
-»Manchmal habe ich hier an Potsdam gedacht und Sanssouci; hier ist ja
-alles größer und glänzender, daheim aber ist es voll lieber Anmut –«
-
-»Ja, Majestät, die Scholle, auf welcher unsere Wiege stand, bleibt
-immer die schönste,« erwiderte Bismarck, »und sie lieben wir
-unvergessen, und für sie setzen wir unser bestes Blut ein.«
-
-»Das kann der Mann; die Bestimmung der Frau ist anders, zumal die
-der Fürstin. Ihr gibt das Geschick oft eine neue Heimat, die ihr von
-Gottes und Rechts wegen an das Herz wachsen muß, und es kann dann für
-sie nichts herber sein, als wenn ihr Herz in Zwiespalt kommt, mit den
-leidigen Erwägungen der Politik. Ich und der Kaiser nicht minder, wir
-haben uns gefreut, daß Preußen im Krimkriege Neutralität bewahrte, und
-dafür sind wir Ihnen ganz besonders dankbar, lieber Bismarck.«
-
-»Ich habe dabei lediglich das Beste für Preußen im Auge gehabt,
-Majestät, genau so, wie ich es in der gegenwärtigen Verwicklung
-zwischen Österreich und Italien halte.«
-
-»Sie meinen nicht, daß es für Preußen richtig sei, zugunsten
-Österreichs zu intervenieren?«
-
-»Wenn wir hier eingreifen, so wird das für uns gleichbedeutend damit,
-daß wir Österreich den Krieg abnehmen und uns für dasselbe opfern. Mit
-dem ersten Schuß am Rhein wird der _deutsche_ Krieg die Hauptsache,
-weil er Paris bedroht. Österreich bekommt Luft, und wird es seine
-Freiheit benutzen, um uns zu einer glänzenden Rolle zu verhelfen? Wird
-es vielmehr nicht dahin streben, uns das Maß und die Richtung unserer
-Erfolge so zuzuschneiden, wie es dem spezifisch österreichischen
-Interesse entspricht? Und wenn es uns schlecht geht, so werden die
-Bundesstaaten von uns abfallen wie welke Pflaumen im Winde, und
-jeder, dessen Residenz französische Einquartierung bekommt, wird sich
-landesväterlich auf das Floß eines neuen Rheinbundes retten.«
-
-»Sie mögen recht haben, und haben auch den schärferen Blick für die
-Verhältnisse – ich möchte nicht so düster sehen, aber wir Frauen sind
-Gefühlspolitiker. – Doch schauen Sie!«
-
-Die hohe Frau deutete mit der Rechten hinaus auf das Landschaftsbild,
-wo über der See die Sonne unterging. Ein rötlicher Schimmer lag
-über den blinkenden Wasserspiegeln, heller hoben sich die Häuser der
-Residenz, die schweren Gebäudemassen von Kronstadt vom Horizonte ab.
-
-»Es hat doch jedes Land seine wunderbaren, ihm eigentümlichen
-Schönheiten – das Bild ist einzig, Majestät!«
-
-»Dies Bild hat seinen eigentümlichen Reiz. – Gewiß, aber Petersburg
-selbst ist eine moderne Großstadt wie die meisten anderen. Wenn Sie ein
-eigenartiges Stadtbild sehen wollen, müssen Sie nach Moskau fahren.
-Moskau ist Rußland, das alte, starre, halbasiatische Rußland. Den
-Genuß lassen Sie sich nicht entgehen. Und jetzt eben wäre die beste
-Reisezeit; wenn Ihre Geschäfte es gestatten, würde ich Ihnen sehr dazu
-raten, lieber Bismarck.«
-
-Und nun plauderte die Kaiserin so heiter und geistvoll von der alten
-Russenstadt, daß ihr Zuhörer sich ganz in die seltsamen Bilder
-versenkte, welche sich vor seinem Geiste entrollten, und entschlossen
-war, bereits in der nächsten Zeit nach der Stadt aufzubrechen, welche
-einst dem großen Napoleon zu fürchterlichem Verhängnis geworden war.
-
-Es war zu Anfang des Juni, als er seinen Vorsatz ausführte.
-
-Der Sonnenschein lachte in die Fenster des Kupees herein und lag
-draußen über dem grünen Lande, als er abfuhr; die Tage brachten
-eine beinahe unbehagliche Wärme, und da die Gegend anfing einförmig
-zu werden mit ihren weiten, grünen Ebenen, Sumpfgeländen und
-Birkenwäldchen, zwischen welchen keine Stadt, ja, selten ein Dorf das
-Vorhandensein von Menschen bekundete, gab sich der Reisende dem Behagen
-des Schlafes hin.
-
-Als er am nächsten Morgen erwachte – es war hinter der Station Twer –
-und durch das Fenster blickte, glaubte er seinen Augen kaum trauen zu
-dürfen; im Frührot schimmerte weithin auf der Ebene der Schnee!
-
-Und weiter rollte der Zug und hielt endlich im Bahnhofe in Moskau,
-der heiligen Stadt der Russen. Feiner Regen sickerte nieder, als
-er durch die Straßen fuhr, und der Schnee war wieder verschwunden.
-Bismarck stieg im Hotel de France ab, und nachdem er von hier aus
-einen brieflichen Gruß an Frau Johanna geschickt hatte, machte er sich
-daran, die wunderliche Stadt kennen zu lernen, in welcher Europa und
-Asien sich gleichsam die Hand reichen, und die einen seltsamen Zauber
-auf jeden Besucher ausübt. Das Aussehen von Moskau ist seit dem großen
-Brande im Jahre 1812 sehr zu dessen Vorteil verändert, aber auch in
-der Erneuerung ist man dem alten Stil treu geblieben in der Anlage der
-meist gekrümmten Straßen und in der Mischung aller Bauarten der Welt.
-Von freier Höhe sah Bismarck die Stadt unter sich liegen mit ihren
-grünen Dächern, ihren zahllosen grünen Kirchenkuppeln, ihren prunkenden
-Palästen; zwischendurch windet sich das glitzernde Band der Moskwa,
-an deren linkem Ufer das Kapitol der Stadt, der Riesenbau des Kreml
-mit seinen 32 Kirchen und zahlreichen Palästen, sich erhebt, überragt
-von dem achteckigen »Iwan Weliki«, über dessen zwiebelförmiger Kuppel
-das hohe, vergoldete Kreuz weithin leuchtet im Sonnenglanz. Es war ein
-Städtebild von überwältigender Großartigkeit und einem märchenhaften
-Reiz.
-
-Auch die Umgegend der Stadt wurde durchstreift, dem Schlosse Petrowski,
-das nach dem großen Brande Napoleon zum Hauptquartier gedient hatte,
-ein Besuch abgestattet und zwischen Dörfern und Fabriken weit
-hinausgeschweift in die wellenförmige, fruchtbare Ebene, bis sie in die
-weite, wüste Steppe übergeht.
-
-Aber für die mannigfachen Genüsse dieser Reise mußte Bismarck büßen.
-Nach Petersburg zurückgekehrt, erkrankte er an einem rheumatischen
-Leiden, das sich immer mehr steigerte, und so lag er in seinen
-Schmerzen fern von der Heimat und von seinen Lieben, an welche er mit
-Sehnsucht dachte, und ließ sich von den russischen Ärzten Schröpfköpfe
-aufsetzen und mit spanischen Fliegen quälen, bis seine gute Natur
-wenigstens einigermaßen ihn auf die Beine brachte, so daß er imstande
-war, am 28. Juni nach Peterhof hinauszufahren zu der Kaiserin-Mutter,
-welche über sein Aussehen erschrak.
-
-»Aber Sie müssen Urlaub nehmen, lieber Bismarck, und einige Zeit in der
-Heimat zubringen. O, die Luft der Heimat und der Hauch der anmutigen
-Häuslichkeit tun Wunder. Ihre Frau wird recht in Sorge um Sie sein!«
-sagte die gütige Zarin.
-
-Bismarck erwiderte:
-
-»Um den Urlaub habe ich bereits nachgesucht, Majestät, und was Frau
-Johanna betrifft, so hat sie gottlob keine Ahnung, wie man mir hier
-zugesetzt hat – sie weiß nur etwas von meinen üblichen Hexenschüssen.«
-
-»Sie sind ein guter Gatte – aber Frau Johanna verdient einen solchen
-nach allem, was ich von ihr weiß. Grüßen Sie dieselbe herzlich von mir.«
-
-Nach einiger Zeit brach er nach Deutschland auf. Angenehm war das
-Reisen nicht. Bis Dünaburg ging es an, weil im Eisenbahnkupee doch
-noch einigermaßen Bequemlichkeit zu erreichen war. Von dort aus
-nach Königsberg aber ging es zu Wagen weiter, und Bismarck merkte
-schon während der Fahrt, daß das Leiden sich mit erneuter Heftigkeit
-eingestellt hatte.
-
-So kam er in Berlin an, ein kranker Mann, und der Arzt war beinahe der
-erste, welcher ihm seinen Besuch im Hotel d’Angleterre abstattete.
-Zumal mit dem linken Beine sah es schlimm aus. Hier hatte er eine
-Erinnerung an seine schwedischen Jagdfahrten sitzen, wo er sich bei
-einem Falle am Schienbein verletzt hatte – und hier rumorte nun der
-Rheumatismus am heftigsten, so daß die verordnete Jodtinktur nicht nur
-nicht wirkte, sondern, wie es schien, das Übel noch verschlimmerte.
-
-Da blieb denn nichts anderes übrig, als den besten Arzt herbeizurufen.
-Dieser trat denn auch, eben aus Pommern angekommen, in die Krankenstube
-und brachte Sonnenschein und eine heilende Hand mit. Es war Frau
-Johanna. Sie machte dem Gemahl zärtlich besorgte Vorwürfe, daß er nicht
-früher ihr von seinem Zustande Mitteilung gemacht hatte; der aber war
-glücklich, als er sie bei sich hatte, und als sich auch ohne Jodtinktur
-durch ihre sorgsame Pflege, durch ihr klares, heiteres Wesen, durch
-ihre Umsicht und ihr Geschick sein Zustand bald so besserte, daß er
-daran denken konnte, nach dem Bade Nauheim zu gehen.
-
-So kam der September, und der Prinzregent rief ihn nach Berlin, wo er,
-obgleich von der Jodvergiftung noch nicht ganz erholt, doch seine Kraft
-dem Vaterlande zur Verfügung stellte, da es galt, den russischen Kaiser
-in Warschau zu begrüßen und ihn von dort nach Breslau zu begleiten zu
-einer Zusammenkunft mit dem Prinzregenten.
-
-Am 16. Oktober reiste Bismarck von Berlin ab und hatte das Glück,
-unterwegs mit einem alten russischen General zusammenzutreffen, welcher
-ihn auf einer polnischen Station erkannt hatte. Die Wirtschaft hier
-an der russischen Grenze war für gewöhnliche Reisende nicht gerade
-ergötzlich: Die Polizeibehörde verlangte den Paß, die Zollbehörde
-begehrte Einsicht in das Gepäck, – so ein russischer General ist jedoch
-ein Gewaltherr, mächtiger als ein preußischer Gesandter, und Bismarck
-wurde nicht bloß aller Plackerei überhoben, sondern fuhr auch mit
-dem alten Herrn in dessen Extrazug weiter, noch dazu im kaiserlichen
-Salonwagen.
-
-So ward Lagienki erreicht, wo einst Stanislaus August sich einen
-prächtigen Sommersitz erbaut hatte inmitten eines herrlichen, weit
-ausgedehnten Gartens, in welchem noch eine ganze Anzahl kleiner Paläste
-sich um das Schloß des Herrschers gruppieren.
-
-Hier vergingen einige Tage in vergnügter Weise. Ein prächtiges Hoffest,
-bei dem Wald und Wasser märchenhaft schön beleuchtet war und das alte,
-prachtliebende polnische Blut seinen ganzen Glanz und seine volle
-Lebhaftigkeit entfaltete, sowie eine Jagd im Parke von Skierniewice
-hatten für Bismarck besonderes Interesse, und doch war er froh, als er
-über Breslau wieder in Berlin eintraf und von hier nach dem lieben,
-stillen Reinfeld fuhr.
-
-Und wenn es denn nun wieder nach Rußland auf seinen Posten gehen
-sollte, so sollte er diesmal doch nicht allein reisen; seine Familie
-ging mit ihm an die Newa, und nun überkam ihn beinahe eine stille
-Sehnsucht nach dem Winterquartier in Petersburg; mit Frau Johanna
-und seinen Kindern zur Seite gedachte er auch den russischen Winter
-auszuhalten.
-
-Er war mit den Seinen bereits in Elbing eingetroffen; da dachte er
-seines Freundes, des Herrn von Bülow, der nicht gar fern auf seinem
-Gute Hohendorf saß, und diesen suchte er auf. Es war nur ein kurzes
-Wiedersehen geplant, aber das Geschick fügte es anders. Er erkrankte
-hier auf Hohendorf an einer schweren Lungenentzündung, und wieder hatte
-Frau Johanna mit ihrem besorgten Herzen alle Hände voll zu tun, um den
-teuren Mann zu pflegen.
-
-Für diesen Winter war an die Petersburger Reise nicht mehr zu denken.
-Am behaglichen Kamin zu Hohendorf saß der langsam Genesende, stocherte
-nach seiner Gewohnheit in der zuckenden Flamme, freute sich, daß er
-wenigstens die Seinen bei sich haben konnte, und plauderte mit seinem
-Freunde über die politische Lage, die ihm ganz leidlich behagte.
-
-Der österreichisch-italienische Krieg war vorüber, Preußen hatte
-sich dabei nichts vergeben, sondern in würdiger Weise seine Stellung
-gewahrt, ja, es war durch die Verhältnisse in den Stand gesetzt, näher
-an die eigentliche deutsche Frage herantreten und eine Reorganisation
-des deutschen Bundes ins Auge fassen zu können.
-
-Der Rekonvaleszent auf Hohendorf freute sich, daß die Dinge still für
-sich weiterreiften, ohne damals zu ahnen, daß er selbst die letzten
-entscheidenden Worte dabei sprechen und die entscheidenden Taten dafür
-tun sollte.
-
-Es kam wiederum der Frühling; der Mai streute seine Blüten durch das
-deutsche Land, und nun konnte Bismarck erst daran denken, mit seiner
-Familie auf seinen Posten abzureisen.
-
-Am 5. Juni rollte der Wagen durch die russische Residenz, welcher
-den preußischen Gesandten und die Seinen nach dem englischen Kai
-führte, wo er im Hause der Gräfin Stenbock schon im vorigen Jahre
-eine entsprechende Wohnung gemietet hatte. Sie war weit und geräumig,
-und wenn auch die Möbel darin abgenutzt und »ruppig« schienen, bald
-ging auch durch diese Räume wie einst in Frankfurt der Hauch einer
-Gemütlichkeit und eines vornehmen Behagens, wie es hier an der Newa
-vielleicht einzig dastand.
-
-Der Sommer und Herbst vergingen. Besuche und Jagdfahrten unterbrachen
-das Petersburger Leben in angenehmer Weise. Auf Peterhof hatte Bismarck
-zum letztenmal am 1. Juli 1860 die liebenswürdige Kaiserin-Mutter
-besucht – sie starb bald darauf – und er behielt die hohe Frau in
-freundlichstem Gedenken. Auf der Wende von Herbst und Winter aber
-begannen die Jagden. Da gab es noch Bären und Elche in den russischen
-Wäldern, und für den Weidmann war es eine Lust, im dicken, kurzen
-Jagdpelz und mit den hohen Juchtenstiefeln durch Gestrüpp und
-Schneehalden zu waten nach köstlicher Beute.
-
-Der Winter aber rückte einen freundschaftlichen Kreis näher aneinander.
-In den hohen, weiten Räumen flimmerte der Lichtglanz, behagliche
-Wärme durchflutete die Gemächer, und im Speisezimmer saßen liebe
-Gäste: Der gute Graf Kaiserlingk, der einst in Berlin den Studiosus
-Bismarck mit Beethovenschen Sonaten erfreut, und welcher jetzt die
-Würde eines Kurators der Universität Dorpat bekleidete, die preußischen
-Gesandtschaftsmitglieder General von Loën und Legationsrat von
-Schlözer, der russische Hauptmann von Erckert und andere.
-
-»Ja, was wollen Sie, Kaiserlingk,« sagte der liebenswürdige Hausherr,
-»so glänzende Feste wie der französische Gesandte kann ich nicht geben
-bei meinen 25000 Talern Gehalt und 8000 Talern Mietgeld; er hat 300000
-Franken zur Verfügung.«
-
-»Dafür kann auch er keine Feste geben wie Sie, Exzellenz!« erwiderte
-Erckert; »dort ist man immer unter einem unbehaglichen Zwange, hier
-fühlt man sich wie daheim.«
-
-»Na, das freut mich! So ist mir’s auch am liebsten! Doch nun
-erlauben Sie mir, daß ich mich an den Kamin setze, das gibt mir ein
-absonderliches Behagen!«
-
-Zwanglos gruppierten sich die Gäste, und einer von ihnen bemerkte:
-
-»Sie haben doch wenigstens freie Feuerung, Exzellenz, und das will in
-Rußland etwas bedeuten.«
-
-»Gott bewahre, mein Bester, die muß ich auch bezahlen. Das Holz wäre
-übrigens nicht so teuer, wenn die Beamten es nicht so teuer machten.
-Da sah ich einmal schönes Holz auf einem finnischen Boote. Ich fragte
-die Bauern nach dem Preise, und sie nannten mir einen sehr wohlfeilen.
-Als ich’s aber kaufen wollte, fragten sie mich, ob es für den Fiskus
-wäre. Da beging ich die Unvorsichtigkeit, zu antworten: Nicht für den
-kaiserlichen Fiskus, sondern für den königlich preußischen Gesandten.
-Preußen wäre wohl ein Gouvernement des russischen Reiches? Ich sagte,
-das gerade nicht, aber die Gesandtschaft hat mit der kaiserlichen Krone
-zu tun. Das war eben unvorsichtig, undiplomatisch; es befriedigte die
-Bauern offenbar nicht, und es half auch nichts, daß ich ihnen das Geld
-gleich geben wollte. Sie fürchteten ohne Zweifel, daß ihnen dasselbe
-von mir wieder abgedrückt werden würde, und daß man sie obendrein unter
-dem Vorwande, sie hätten das Holz gestohlen, einstecken und ihnen
-Prügel aufzählen würde. Als ich später wiederkam, waren sie alle auf
-und davon. Hätte ich ihnen die Adresse eines Kaufmanns gegeben, mit
-dem ich mich inzwischen verständigen konnte, hätte ich das Holz um den
-dritten Teil dessen gehabt, was ich sonst bezahlte.«
-
-Das Gespräch kam auf die Jagd, zumal sich manche schöne Trophäe
-derselben in der Wohnung Bismarcks befand.
-
-»Sie scheinen ein besonderer Günstling St. Huberts zu sein nach allem,
-was ich sehe und höre,« sagte einer der Anwesenden, und Hauptmann
-Erckert erwiderte:
-
-»Herr von Bismarck schießt eine absolut sichere Kugel. Da erzählte
-mir ein Bekannter, der Oberst M., vor kurzem, er sei mit fünf anderen
-Jagdgefährten und unserem liebenswürdigen Hausherrn auf die Bärenpirsch
-gefahren. Als der erste Bär sich zeigte, schoß Herr von Bismarck, und
-das Tier brach im Feuer zusammen; es kam ein zweiter Bär, der nächste
-Schütze fehlte ihn, Herr von Bismarck aber streckte ihn mit einem
-Prachtschuß nieder. Ein dritter Bär rückte an, der Oberst schoß zweimal
-nach demselben ohne Erfolg, und in demselben Augenblick hatte Herr von
-Bismarck ihn mit tödlicher Sicherheit gefällt. Ein vierter Bär kam
-nicht!«
-
-Das Töchterchen Bismarcks lehnte bei diesen Gesprächen an dem
-Fauteuil der Mutter, die beiden Söhne, der zehnjährige Herbert und
-der achtjährige Bill (Wilhelm), hörten dem Gespräch von einer Ecke
-des Gemaches aus zu. Als die Rede von der Bärenjagd war, flüsterten
-sie einander etwas zu und eilten dann hinaus. Das Gespräch hatte bald
-eine andere Wendung genommen, als sie wiederkehrten, und hinter ihnen
-trabten und kollerten zwei kleine, drollige, braune Tiere herein.
-
-»Ah, da kommt Mischka,« rief lachend Bismarck, einige Damen schrien in
-augenblicklichem Schrecken auf, aber als sie die zwei possierlichen
-Kerle näher ansahen, schwand jede Furcht. Es waren zwei junge Bären,
-die der Hausherr gleichfalls auf der Jagd erbeutet hatte. Die Tiere
-waren offenbar nicht das erstemal in den Gesellschaftsräumen der
-preußischen Gesandtschaft. Sie wälzten sich behaglich auf dem Teppich,
-kletterten sogar auf den Tisch und gingen behutsam darüberhin, und
-als ein Diener erschien und Erfrischungen servierte, schienen sie zu
-glauben, daß ihnen ein Genuß zugedacht sei, und sie hefteten sich an
-die Fersen des Mannes; als er sich nun nicht um sie kümmerte, zwickten
-sie ihn in die Beine, so daß er Mühe hatte, sich der drolligen braunen
-Burschen zu erwehren.
-
-So verfloß der Abend in zwangloser Heiterkeit und liebenswürdigem
-Verkehr.
-
-Auch in Petersburg ließ sich’s leben, und sogar mit einem gewissen
-Behagen. Die Vormittage gab es wenig zu tun, und sie wurden der
-Promenade, dem Frühstück und etwaigen Kurvorschriften gewidmet. Der
-Nachmittag bis fünf Uhr gehörte dem Dienst, der Abend, soweit es
-möglich war, der Familie. Sonnabend abends nahm Bismarck überdies
-eine Repetition vor mit seinen Söhnen, die sich dann mit ihren Heften
-bei ihm einzufinden hatten, und die der Vater in Gegenwart ihres
-Hauslehrers, des Kandidaten Braune, sehr eingehend examinierte.
-
-Drei Jahre gingen in Petersburg hin, vielfach allerdings durch Reisen
-im Dienst unterbrochen. Mancher bedeutsamen Fürstenzusammenkunft hatte
-er mit dem Prinzregenten beizuwohnen, und am 18. Oktober 1861 war er
-in Königsberg Zeuge der erhebenden Feier der Krönung Wilhelms I., der
-seinem am 2. Januar verstorbenen Bruder auf dem Throne folgte. Als
-»Wirklicher Geheimer Rat« kehrte er nach Petersburg zurück, und in
-seiner Seele leuchteten wie ein herrlicher Stern die Worte nach, welche
-der neue königliche Herr gesprochen hatte:
-
-»Meine Pflichten für Preußen fallen mit meinen Pflichten für
-Deutschland zusammen.«
-
-Noch einmal sah er die in Eisesfesseln geschlagene Newa, die
-verschneiten Paläste des Alexander Newski-Prospektes, die glänzenden
-Feste des Zarenhofs, und sein einfach-vornehm-gemütliches Haus war die
-liebliche deutsche Oase im russischen Osten.
-
-Im Mai 1862 war er bereits wieder in Berlin, gewärtig dessen, was sein
-König über ihn verfügen würde. Es war eine Zeit einer unangenehmen
-Spannung, und er war nahe daran, in das neugebildete Ministerium
-berufen zu werden. Aber die Sache blieb in der Schwebe, und Bismarck
-ritt jeden Morgen mit neuer Ungeduld auf seiner Fuchsstute hinaus in
-den Tiergarten, sah den Frühling ringsum sich entfalten und Blüten
-treiben und dachte an seine Lieben, welche indes in dem stillen Pommern
-weilten. So kam er wieder einmal heimgeritten, und das erste, was man
-ihm noch im Sattel entgegenreichte, war ein amtliches Schriftstück
-mit dem bekannten großen Siegel. Er erbrach es und las, daß er zum
-Gesandten in Paris ernannt sei.
-
-So ging es aus dem Osten nach dem Westen Europas, und noch im Mai traf
-er in der glänzenden Weltstadt an der Seine ein, wo Napoleon III. sein
-neues Kaiserreich errichtet hatte und den Plan entwarf, »die Karte von
-Europa in Ordnung zu bringen.«
-
-Ein freundlicher Frühlingstag lachte über Paris, seinen glänzenden
-Boulevards und seinen leichtlebigen Menschen, der 1. Juni war’s, und
-durch die Straßen fuhr die goldglänzende Hofequipage, welche den
-preußischen Gesandten nach den Tuilerien führte und zur Empfangsaudienz
-bei dem Kaiser. Dieser war freundlich und entgegenkommend, und auch die
-Kaiserin zeigte sich von einer liebenswürdigen Seite.
-
-Hier warm zu werden, durfte Bismarck kaum hoffen; er hatte die
-Empfindung, auf einer Durchgangsstation zu sein, die ihn bald entweder
-auf den Ministersitz in Berlin oder in das Stilleben des märkischen
-Landedelmannes führen mußte.
-
-Noch im Juni hatte er sich zur Weltausstellung nach London begeben, und
-dabei die hervorragendsten englischen Staatsmänner kennen gelernt, und
-nachdem ihm ein Urlaub bewilligt worden, verließ er das sommerheiße
-Paris, um den schönen Süden Frankreichs kennen zu lernen.
-
-In dem alten Königsschlosse der Orleans, Chambord, das wie ein
-Märchenbild mit seinen sonnbeglänzten stillen Hallen und Höfen sich
-vor ihm auftat, dachte er der versunkenen Herrlichkeit des alten
-französischen Herrschergeschlechts; vom alten Schlosse von Amboise
-schaute er mit Entzücken hinaus auf das blühende Gelände an der Loire
-mit den weißen Schlössern und Landhäusern, den weiten Maisfeldern, den
-dunklen Kastanienwäldern und den grünen Weinbergen, und durch das Land
-der Reben, wo an sonnigen Hängen von Margaux, Lafitte, St. Julien,
-Latour und Armeillac die dunkelglutigen Trauben reifen, streifte er in
-angenehmer Gesellschaft.
-
-Von Bordeaux fuhr er nach Bayonne durch Fichtenwälder, purpurblühendes
-Heidekraut und gelben Ginster wie auf einem Blumenteppich, und von
-dort durch die herrlichste Landschaft nach San Sebastian. Zur Linken
-erhoben sich die gewaltigen Berge der Pyrenäen, zur Rechten leuchtete
-der Spiegel des Meeres. Im Fuentarabia betrat er den Boden Spaniens,
-»des schönen Lands des Weins und der Gesänge«. Steile, enge Gassen,
-Balkone vor den Fenstern, Schönheit und Schmutz und lustiges Lärmen von
-tanzenden Weibern auf dem Markte – ein fremdes, neues Bild!
-
-Dann saß er in dem berühmten Seebade Biarritz und schaute aus den
-Fenstern des Hotel l’Europe hinaus auf die blaue See, wie sie weiß
-aufschäumte zwischen den Klippen und gegen den Leuchtturm brandete, der
-in ruhiger Majestät über Meer und Land hinblickte. Und am Strande von
-Biarritz konnte man wohl auch an schönen Morgen, wenn der Wind kühl und
-weich zu Lande wehte, ein paar Menschen sehen, denen alle die anderen
-Badegäste nachschauten, und vor denen sich alle Häupter entblößten:
-den breitschultrigen, hochgewachsenen preußischen Gesandten mit dem
-Schlapphut auf dem mächtigen Haupte und ihm zur Rechten den dunkel
-gekleideten kleinen Mann, der trotz seines Zylinderhutes nicht die
-Größe des anderen erreichte – Kaiser Napoleon III.
-
-Zu Anfang September war Bismarck in Luchon und bestieg den Col de
-Venasque. Durch Buchenwälder ging es empor, bis der Schnee begann und
-wunderliche dunkle Seen aus dem weißen Rahmen und zwischen den bizarren
-Klippen hervorschauten. Von einer Höhe von 7500 Fuß schaute er hinab
-ins spanische Land mit seinen Palmen und Kastanien, wie es eingefaßt
-von der Kette des Maladetta dalag. Unter den Beschauern lag es grün
-und sonnig, durchgezogen von dem Silberband seiner Flüsse, und im
-Hintergrunde abgegrenzt von schneestarrenden Gipfeln und bläulichen
-Gletschern, hinter denen das stolze Aragonien sich ausbreitet.
-
-Eine Fülle von einzig schönen, fremden Bildern prägte sich der Seele
-des deutschen Mannes ein, aber immer wieder kam ihm dabei der Vergleich
-mit dem lieben Heimatlande, seinen grünen Bergen und seinem alten,
-schönen Rhein. Und die Freude war nur halb für ihn, da er sie nicht mit
-der lieben Frau teilen konnte, der er oft genug seine Grüße nach dem
-stillen Reinfeld sandte.
-
-Am 15. September traf er in Avignon ein, dem französischen Rom, und
-hier fand er eine telegraphische Nachricht von größter Wichtigkeit:
-Sein König berief ihn als _Minister_ nach der Heimat zurück.
-
-Sinnend schritt der ernste Mann durch die herrlichen Gärten des Südens.
-Seine Seele war voll von den Gedanken an die Zukunft, aber kein Ahnen
-verkündete ihm noch, welchen Weg er eigentlich gehen, und welche Bahnen
-er brechen sollte. Nach Frieden stand seine Seele, und durch blutige
-Kriege sollte er schreiten! Über seinem Haupte rauschten noch die
-Ölbäume Frankreichs, und er griff empor und brach sich einen Zweig ab,
-den er sinnend betrachtete.
-
-Und mit dem Ölzweig, dem Symbol des Friedens, zog er in Berlin ein.
-
-
-
-
-Achtes Kapitel.
-
-Der bestgehaßte Mann.
-
-
-An einem Vormittage zu Anfang des November 1862 schritten zwei
-stattliche Männer durch die Straßen der preußischen Hauptstadt.
-Der eine war im Zivilanzuge mit dem dunklen Schlapphute auf dem
-mächtigen Haupte, der andere trug den Militärpaletot; sein ernstes,
-entschlossenes Gesicht mit dem kräftigen grauen Schnurrbart bekundete
-Festigkeit und Mut.
-
-Die beiden waren sich eben begegnet und hatten sich die Hand
-geschüttelt, dann waren sie nebeneinander hergegangen, und der Offizier
-sagte:
-
-»Nun, wie war’s bei der Abschiedsaudienz in Paris, lieber Bismarck?«
-
-»Das will ich Ihnen kurz berichten, bester _Roon_. Am 1. November fuhr
-ich höchst feierlich in St. Cloud vor und überreichte unter allem
-herkömmlichen Zeremoniell dem Kaiser mein Abberufungsschreiben, wobei
-ich ihm zugleich mitteilte, daß Seine Majestät mich am 8. Oktober zum
-Ministerpräsidenten und Minister der Auswärtigen Angelegenheiten zu
-ernennen geruht haben. Napoleon war sehr liebenswürdig und gutmütig,
-aber einen Einblick in unsere Verhältnisse scheint er ebensowenig
-zu haben wie große wissenschaftliche Kenntnisse; ich glaube, daß er
-bei uns nicht einmal das Referendarexamen bestehen würde. Der Kaiser
-meinte, nachdem wir hier in Preußen erst einmal den Konflikt zwischen
-der Regierung und dem Abgeordnetenhause in der Frage der Heeresreform
-haben, würde es wohl nicht lange dauern, und es würde einen Aufstand
-geben in Berlin und Revolution im ganzen Lande, und bei einer
-Volksabstimmung hätte der König alle gegen sich. Ich sagte ihm, das
-Volk baue bei uns keine Barrikaden, Revolutionen machten in Preußen nur
-die Könige. Wenn der König die Spannung, die freilich vorhanden sei,
-nur drei bis vier Jahre aushalte, so habe er gewonnenes Spiel. Wenn
-er nicht müde würde und mich nicht im Stiche ließe, würde ich nicht
-fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen ließe, so hätte
-er schon jetzt neun Zehnteile für sich. – Der Kaiser soll nach meinem
-Weggange geäußert haben: »~Ce n’est pas un homme serieux~« (das ist
-kein ernsthafter Mensch).«
-
-»Und Sie haben in allem recht: daß wir in der Frage der
-Heeresverstärkung zum Besten Preußens nicht nachgeben dürfen,
-ist für uns selbstverständlich; sollen wir einmal dem Staat des
-großen Friedrich wieder die gebührende Stellung und vor allem seine
-Führerrolle in Deutschland sichern, so brauchen wir ein starkes Heer.
-Und daß wir das Volk auf unserer Seite haben, beweisen die zahlreichen
-Abordnungen aus allen Teilen des Landes, die an den König kommen, um
-gerade jetzt ihn der Treue und der Zustimmung seiner Untertanen zu
-versichern.«
-
-»Gewiß, auch ich beharre fest bei dem, was ich in der Kammer schon
-gesagt, und es ist meine tiefinnerste Überzeugung, daß Preußen nicht,
-wie so oft schon, den günstigen Augenblick für sich verpassen darf
-aus Mangel an Kraft, und daß die großen Fragen der Zeit zuletzt nicht
-durch Reden und Majestätsbeschlüsse entschieden werden, sondern _durch
-Blut und Eisen_. Darin werde ich mich nicht irremachen lassen, und ich
-hoffe, die Zukunft wird mich verstehen.«
-
-Die beiden Männer kamen an dem Schaufenster einer Buchhandlung vorüber,
-und Bismarck blieb stehen:
-
-»Lassen Sie uns sehen, was es Neues gibt!« Da hingen wunderliche
-Bilder, Karikaturen, welche den Ministerpräsidenten in mancherlei
-Situation darstellten, als feudalen Junker, welcher mit dem Besen die
-großen Städte wegfegt, als Hausknecht, der den Saal der Abgeordneten
-reinigt u. a.
-
-Der alte General biß sich auf den grauen Schnurrbart und fand in seinem
-Unmute kein Wort, Bismarck aber lachte:
-
-»Sie sorgen damit besonders liebevoll für meine Popularität, und
-einzelnes ist wirklich gar nicht übel; ärgern kann ich mich über dies
-Zeug beim besten Willen nicht, ändern werden sie damit an mir auch
-nichts.«
-
-Und sie schritten weiter, bis an die Ecke der nächsten großen Straße;
-hier wollte Bismarck sich verabschieden, Roon aber sagte:
-
-»Nein doch, Verehrtester! Wenn Sie ein Stündchen Zeit haben, so nehmen
-Sie mit uns das Frühstück ein; meine Frau wird sich herzlich freuen –
-das wissen Sie!«
-
-»Ich bin ohnehin schon mehr bei Ihnen als daheim in meiner
-Junggesellenwirtschaft – aber Sie wollen’s nicht anders, und ich kann
-mir’s gefallen lassen, solange ich hier noch allein stehe.«
-
-Kurze Frist darauf saß er mit Roon zu Tische, und das Gespräch drehte
-sich nicht mehr um die leidige Politik. Der General äußerte, sich
-behaglich zurücklehnend in seinen Sessel: »Wenn ich mir das hätte
-träumen lassen, lieber Bismarck, als ich in Pommern als blutjunger
-Leutnant mit der Flinte hinauslief in die Felder oder Terrainaufnahmen
-machte und Sie als frischer, prächtiger Junge mich begleiten, daß wir
-einmal nebeneinander am Ministertische sitzen würden, Sie noch dazu –
-mit allem Respekt zu melden – als Präsident –«
-
-»Weiter können wir nun allerdings nicht kommen, und meine gute Mutter,
-die schon auf Kniephof immer einen Diplomaten aus mir machen wollte,
-sollte doch einigermaßen ihre Freude an mir haben.«
-
-»Na, dafür hat jetzt Frau Johanna diese Freude!« bemerkte Frau von Roon.
-
-»Ja, meine gute Johanna! Sie kennt aber nicht bloß die Freuden, sondern
-auch die Leiden des Diplomatenlebens. Ach, wie ich mich danach sehne,
-endlich wieder die Meinen hier um mich zu haben in meinem einsamen
-Hause in der Wilhelmstraße, das glauben Sie kaum. Ich habe meiner Frau
-auch geschrieben, daß ich alle Tage bei den guten Roons esse, und
-wenn sie und meine Fuchsstute nicht wären, ich mir gar zu vereinsamt
-vorkäme. Dabei wie Leporello: Keine Ruh’ bei Tag und Nacht! Da wollte
-ich vor kurzem einige Tage wenigstens mich bei Malwine auf Kröchlendorf
-erholen, arbeitete bis tief in die Nacht hinein, und wie ich fertig
-war, goß ich statt des Streusandes die Tinte über die Geschichte,
-daß sie mir nur so an den Knien hinunterfloß, und die nächsten Tage
-brachten wieder so viel Arbeit, daß ich meinen schönen Gedanken
-aufgeben mußte. Aber alles für König und Vaterland! Unserem guten
-König!«
-
-Er hob sein Glas mit dem funkelnden Wein, und hell klang es durch den
-Raum.
-
-Dann kamen wiederum Tage heftiger Kämpfe. Das Abgeordnetenhaus war am
-14. Januar 1863 wieder zusammengetreten, aber eine Verständigung über
-die von dem König gewünschte, von Bismarck als unbedingt notwendig
-verfochtene Heeresreform wurde zunächst nicht erzielt, ja, die Spannung
-zwischen der Regierung und den Kammern wuchs noch, als in Polen ein
-Aufstand gegen Rußland ausbrach und Preußen nur einen Vertrag mit
-demselben schloß, wonach bewaffnete polnische Banden und revolutionäre
-Flüchtlinge auch über die preußische Grenze verfolgt werden durften.
-Da die polnische Bewegung überall große Sympathien hatte, mußte sich
-Bismarck heftige Angriffe gefallen lassen, sogar auf seine »preußische
-Ehre«, und wohl nur wenige verstanden diesen meisterhaften politischen
-Schachzug des fernblickenden Staatsmannes, der sich für künftige
-Vorkommnisse die Freundschaft des mächtigen östlichen Nachbars sichern
-wollte.
-
-In jenen Tagen war es, daß er in einer Gesellschaft dem englischen
-Gesandten, Sir Andrew Buchenan, begegnete, der ihn wegen des
-geschlossenen Vertrages interpellierte.
-
-Bismarck erklärte rund und bündig:
-
-»Wir können ein unabhängiges Polen an unserer Grenze nicht dulden.«
-
-»Wie aber, wenn der immerhin mögliche Fall eintritt, daß die Russen aus
-Polen hinausgeschlagen werden, was werden Sie dann tun?«
-
-»Dann müßten wir das Königreich selbst besetzen, um das Aufkommen einer
-uns feindlichen Macht zu hindern.«
-
-»Dies wird Europa niemals dulden – nein, dies duldet Europa nicht!«
-
-»Wer ist Europa?«
-
-Der Engländer war über diese Frage einigermaßen verdutzt, dann
-erwiderte er:
-
-»Nun, verschiedene große Nationen.«
-
-»Sind dieselben bereits einig darüber?«
-
-»Nun – die Frage ist ja – noch nicht ventiliert worden, aber Frankreich
-beispielsweise würde niemals eine neue Unterdrückung Polens zulassen.«
-
-»Und für uns ist die Unterdrückung des Aufstandes eine Frage über Leben
-und Tod; übrigens ist es nutzlos, hier nicht vorliegende Möglichkeiten
-weiter zu erörtern.«
-
-Das war am 11. Februar gewesen, und eine Woche später stand der
-Ministerpräsident im Abgeordnetenhause den erregten Volksvertretern in
-derselben Angelegenheit gegenüber, und schwertscharf gingen die Worte
-hin und her, so daß nicht lange darauf von dem König die Entlassung des
-Ministeriums verlangt wurde.
-
-Dieser aber hielt seinen Minister, und der Landtag wurde aufgelöst.
-
-Aber trotz aller Anfeindungen fehlte es für Bismarck auch nicht an
-ehrenvollen und ermunternden Anerkennungen. Besonders freute es ihn,
-als eine Anzahl Patrioten ihm einen Ehrendegen überreicht hatte,
-der auf der einen Seite der Klinge das Wahrwort des alten Ritters
-Frundsberg: »Viel Feind’ viel Ehr’« trug, auf der anderen Seite aber
-unter Bismarcks Wappen das Wort:
-
- Das Wegkraut sollt du stehen lan,
- Hüte dich, Jung, sind Nesseln dran.
-
-Am 17. März 1863 hat er die schöne Waffe zum erstenmal getragen an
-einem schönen Feste. Ein halb Jahrhundert vorher hatte an diesem Tage
-König Friedrich Wilhelm III. den Aufruf an sein Volk erlassen zu dem
-heiligen Kampfe gegen Napoleon, und nach fünfzig Jahren versammelte
-König Wilhelm die Veteranen der Befreiungskriege um sich zu einer
-erhebenden Erinnerungsfeier. Die breite Straße Unter den Linden entlang
-zog die ehrwürdige Schar, geführt von dem Feldmarschall Wrangel, hinaus
-nach dem Lustgarten. Aus allen Fenstern wurden die ersten Blüten des
-Frühlings den greisen Männern zugeworfen, die an den Steinbildern ihrer
-heldenhaften Führer vorbeiparadierten, und an dem Orte Halt machten, wo
-das Standbild Friedrich Wilhelms III. sich erheben sollte. Das alte und
-das neue Preußen reichten sich hier die Hand, und Gottes helle Sonne
-beschien den vom besten Streben für sein Volk beseelten König und den
-stattlichen Recken in Kürassieruniform, der an seiner Seite hielt, den
-streitbaren und festen Ministerpräsidenten.
-
-Der Konflikt mit der Volksvertretung jedoch dauerte fort, und
-Mißstimmung und Spannung gegen Bismarck waren noch im Wachsen. Aber nun
-konnte er sich wenigstens nach den Kämpfen des Tages wieder im Kreise
-seiner Familie erholen, und Frau Johanna hatte ihm in der Wilhelmstraße
-eine freundliche Häuslichkeit geschaffen.
-
-Hier feierte er am 1. April 1864 seinen neunundvierzigsten Geburtstag,
-und er brachte ihm zahlreiche Beweise von Liebe und Anhänglichkeit aus
-Nähe und Ferne. Unter den vielen Schriftstücken lief auch eins ein, das
-wunderlich genug war: Das polnische geheime Nationalkomitee in Warschau
-teilte ihm mit, daß es das Todesurteil über ihn verhängt habe, und daß
-er der Vollstreckung desselben gewärtig sein solle.
-
-Er las das Schreiben noch einmal, dann schritt er langsam dem Kamin zu,
-in welchem das Feuer flackerte, und warf den Drohbrief gleichmütig in
-die Flammen. Es war nicht das erstemal, daß ihm solches begegnete, und
-Frau Johanna sollte sich nicht ängstigen, wenn ihr der Zufall etwa ein
-solches Schreiben in die Hände brächte.
-
-Zu derselben Zeit war übrigens bereits eine neue bedeutsame Aktion im
-Gange. Im Herbste 1863 war der König von Dänemark gestorben, und da
-sein Nachfolger damit umging, die beiden Herzogtümer Schleswig und
-Holstein gegen alles Recht seinem Staate einzuverleiben, nahm sich der
-deutsche Bund der Bedrängten an. Bismarck aber hatte mit weitschauendem
-Blicke erwogen, ob nicht eine Erwerbung dieser deutschen Ländergebiete
-für Preußen möglich sei, und so setzte er durch, daß Österreich und
-Preußen gemeinsam den Krieg gegen Dänemark führten. Und er wurde,
-trotzdem das Abgeordnetenhaus dem Ministerpräsidenten die Mittel
-verweigerte, entschieden und glücklich geführt, und endete damit, daß
-Schleswig-Holstein an Österreich und Preußen abgetreten wurde. Nun
-handelte es sich darum, wie es mit der Verwaltung beziehungsweise
-Regierung in den Herzogtümern werden sollte, und Bismarck war fest
-entschlossen, hier in keiner Weise sich von Österreich übervorteilen zu
-lassen. Noch lag auf Preußen »die Schmach von Olmütz«, und diese mußte
-gesühnt werden.
-
-Es war im Hochsommer des Jahres 1865. Auf einer freundlichen, von
-Tannen umgrünten Höhe in dem herrlichen Badeorte Gastein liegt ein
-im Schweizerstil mit vorspringendem Dach und Holzveranden versehenes
-einfaches Haus, die Villa Hollandia, und hier war es, wo in den
-Augusttagen des genannten Jahres, in einer einfachen Stube, deren
-Fenster hinaussahen auf die grünen Föhren, eine Anzahl Staatsmänner
-in ernsten Verhandlungen sich zusammenfanden. Das Geschick von
-Schleswig-Holstein sollte entschieden werden. Heiß wurde hin und her
-gesprochen, während der Regen draußen tagelang niedersickerte und ab
-und zu den Ausblick verhüllte. Endlich erreichte Bismarcks Festigkeit
-und imponierende Ruhe, daß ein Vertrag vereinbart wurde, wonach
-Österreich über Schleswig, Preußen über Holstein Hoheitsrechte ausüben
-und Preußen gegen eine Abfindungssumme von 2½ Millionen das Herzogtum
-Lauenburg besitzen solle. Dabei gab es noch manche Nebenbestimmungen,
-welche Preußen wichtige Rechte auch für Holstein sicherten.
-
-Am 20. August unterzeichneten in Salzburg die beiden Monarchen den
-Gasteiner Vertrag, und nicht lange danach verlieh Kaiser Franz Josef
-Bismarck den St. Stephanusorden, sein König aber zeichnete ihn
-durch den hohen Orden vom Schwarzen Adler aus und erhob ihn in den
-Grafenstand.
-
-Aber die so geschaffenen Zustände in den Elbherzogtümern waren
-unhaltbar. Österreich begünstigte in Holstein die preußenfeindlichen
-Bemühungen des Herzogs von Augustenburg, Bismarck protestierte dagegen,
-von Wien aus erfolgte eine scharfe, abweisende Antwort, und so spitzte
-sich die Spannung zwischen Österreich und Preußen immer mehr zu. In
-Österreich begann man bereits militärische Maßregeln zu treffen,
-und auch Bismarck blieb nicht müßig. Er sicherte dem Staate einen
-Bundesgenossen in dem Königreiche Italien und wußte sich auch der
-eventuellen Neutralität Napoleons zu versichern, und nun mochte es zum
-Äußersten kommen. Einmal mußte doch die Führerschaft über Deutschland
-mit Blut und Eisen entschieden werden.
-
-Im eigenen Lande aber verstand und würdigte man seine kühnen Pläne
-nicht, schalt ihn einen Friedensstörer und bekämpfte ihn mit gehässigen
-Verleumdungen, so daß zuletzt geradezu der Fanatismus gegen ihn
-entfesselt wurde.
-
-Es war am 7. Mai 1866 um die fünfte Nachmittagsstunde. Bismarck kam
-aus dem königlichen Palais, wo er Vortrag gehalten hatte, und schritt
-sinnend, langsamen Schrittes die Straße »Unter den Linden« entlang. Er
-erwog die eiserne Notwendigkeit der Entscheidung mit den Waffen, zu
-welcher sein friedliebender Monarch sich noch immer nicht entschließen
-mochte, und so hatte er weder ein Auge für den beginnenden Frühling in
-den jungbegrünten Bäumen, noch für die Menschen, welchen er begegnete.
-
-So kam er bis in die Nähe des russischen Botschaftshotels. Da hörte er
-plötzlich rasch nacheinander hinter sich zweimal einen kurzen Knall
-und fühlte beinahe gleichzeitig einen Schmerz in der Seite. Er wandte
-sich schnell um, und siehe, ganz nahe hinter ihm stand ein junger Mann,
-der mit dem Revolver in seiner Rechten gerade nach ihm hinzielte.
-Blitzschnell sprang er zu und faßte nach der Hand des Attentäters sowie
-nach dessen Kehle. Da ging der Schuß los und streifte den Minister an
-der Schulter; ehe es dieser versah, hatte der freche Angreifer auch
-schon die Waffe in die Linke genommen und feuerte noch zweimal aus
-unmittelbarster Nähe auf Bismarck; der eine Schuß fehlte, der andere
-aber traf eine Rippe, und der Getroffene fühlte den erschütternden
-Schlag so gewaltig, daß ihn die Besinnung zu verlassen drohte. Aber er
-bezwang sich mit eiserner Gewalt und hielt den Menschen fest. Das alles
-war wie in einem einzigen Augenblicke geschehen, und jetzt erklangen
-ganz nahe Weisen eines militärischen Marsches. Ein Bataillon des
-zweiten Garderegiments zog mit klingendem Spiele vorüber. Offiziere und
-Soldaten sprangen heran, und wenige Minuten später wurde der Attentäter
-gefangen abgeführt.
-
-Der Minister atmete einigemal tief auf; über ihm lacht der blaue
-Lenzhimmel, um ihn bewegt sich die geschäftige Welt wie vordem, und die
-Klänge des fröhlichen Marsches schlagen noch immer an sein Ohr – und
-doch hat er in Minuten Großes erlebt. Er schritt langsam, aber von dem
-seltsam erhebenden Gefühl des göttlichen Schutzes erfüllt, weiter, und
-in seiner Wohnung in der Wilhelmstraße stieg er bereits völlig ruhig
-die Treppen hinan und begab sich nach seinem Arbeitsgemache, um vor
-allem seinem König die aufregende Meldung von dem Geschehenen zu machen.
-
-Dann wechselte er den Anzug und begab sich in den Salon seiner
-Gemahlin. Er traf hier Gesellschaft, Damen und Herren, und begrüßte sie
-in seiner gewohnten liebenswürdigen Weise, indem er scherzend, zu Frau
-Johanna gewandt, beifügte:
-
-»Warum essen wir denn heute gar nicht?«
-
-Dann schritt er auf eine der Damen zu, um sie zu Tisch zu führen, und
-dabei fand er Gelegenheit, indem er seine Gemahlin leicht auf die
-Stirne küßte, ihr zuzuflüstern:
-
-»Mein Kind, sie haben auf mich geschossen, aber sei ruhig, es ist
-nichts!«
-
-Die Gräfin erbleichte, und ein banger Schauer ließ sie einen Augenblick
-erbeben – da war das Ereignis nicht länger zu verheimlichen. Eine
-gewaltige Erregung bemächtigte sich der Gäste, schreckensvolle
-Fragen, ängstliche Ausrufe klangen durcheinander, aber mit ruhigem,
-verbindlichem Lächeln bat der Minister die Herrschaften, sich zu Tisch
-zu begeben. Nun erzählte er kurz, wie sich alles zugetragen, und dann
-aß er mit solcher Ruhe, als ob er von einem Fremden berichte, während
-seine Gemahlin sowie die Gäste nicht imstande waren, sich um die
-aufgetragenen Speisen zu kümmern.
-
-Man hatte den Arzt rufen lassen, der rasch genug zur Stelle war
-und nach seiner Untersuchung die Erklärung abgeben konnte, daß die
-erhaltenen Verletzungen durchaus leicht und unbedenklich seien.
-
-»Bei fünf Schüssen aus solcher Nähe,« sagte einer der Anwesenden – »das
-ist wunderbar.«
-
-»Gewiß,« erwiderte der Arzt – »hier gibt es eben nur eine Erklärung –
-Gott hat seine Hand dazwischen gehabt.«
-
-Es war wahrlich kein ruhiges Diner, das an jenem Maitag im
-Ministerhotel in der Wilhelmstraße abgehalten wurde. Die Kunde von dem
-Attentat hatte sich mit ungeheurer Schnelligkeit verbreitet, und zu
-Wagen und zu Fuß kamen jetzt die hochgestelltesten Persönlichkeiten der
-Hauptstadt, um ihre Glückwünsche auszusprechen.
-
-Allen voran war König Wilhelm gekommen. Bismarck war dem teuren Herrn
-entgegengeeilt, und in einem stillen, einsamen Gemache standen die
-beiden allein sich gegenüber. Tief ergriffen schaute der Herrscher
-seinem treuesten Diener in die Augen, drückte ihm die Hände und zog ihn
-an sich wie einen lieben Freund, Bismarck aber konnte auf die gütigen
-Worte nur eines erwidern:
-
-»Mein Leben gehört Eurer Majestät zu jeder Stunde, ob ich für Sie
-sterbe auf dem Schlachtfelde oder durch die Hand eines Mörders!«
-
-Prinzen, Minister, Gesandte der fremden Mächte drängten sich in
-den nächsten Stunden herbei, um ihre Teilnahme und ihre Freude
-auszudrücken, und ehe sich noch der Abend niedersenkte in die
-Straßen der Residenz, strömten auch die Scharen des Volkes in der
-Wilhelmstraße zusammen, um ihre Grüße und Wünsche dem wunderbar
-Geretteten darzubringen. Der Haß gegen ihn schien wie hinweggewischt,
-all die Tausende, welche hier durcheinanderwogten, und stürmisch ihn
-zu sehen verlangten, empfanden jetzt vielleicht einen Hauch seines
-patriotischen, opferbereiten Geistes, und als er an das Fenster trat
-und die jubelnden, begeisternden Zurufe der Menge an sein Ohr schlugen,
-da wurde die Seele des gewaltigen Mannes wundersam ergriffen, da hatte
-er noch fester die Überzeugung, daß der Weg, welchen er gehe, der
-rechte sei.
-
-Erst die Nacht brachte Ruhe in die Bewegung; im Ministerpalais in der
-Wilhelmstraße schloß Bismarck sein Tagewerk mit einem stillen Dankgebet
-und mit dem Gedanken, daß der Himmel selbst ihm ein Zeichen gegeben,
-daß er ihn schützen wolle bei allem, was er für des Vaterlandes Ehre
-unternehmen würde … und zur selben Stunde beinahe, in welcher er mit
-dem Frieden eines guten Gewissens sein Lager aufsuchte, hatte sich
-der frevelhafte Attentäter, der fanatische Karl Cohen, mit seinem
-Taschenmesser die Pulsader durchgeschnitten. Er war am anderen Morgen
-eine Leiche.
-
-Jetzt mochten die Würfel weiterrollen, er wollte und mußte die gerechte
-Sache, die er begonnen, fortführen. Und die Ereignisse gingen nun
-schnell genug. Österreich selbst drängte der Katastrophe entgegen. Mit
-Verletzung des Gasteiner Vertrags überwies der Kaiser die Entscheidung
-über Schleswig-Holstein dem deutschen Bund, berief die holsteinsche
-Ständeversammlung, und als Preußen, um sein Mitbesitzrecht zu wahren,
-Truppen in Holstein einrücken ließ, stellte er beim deutschen Bunde den
-Antrag, gegen Preußen das Bundesheer mobil zu machen.
-
-Das geschah am 11. Juni 1866. Und nun kam das Ende der morschen,
-kraftlosen deutschen Bundesversammlung.
-
-Am 12. Juni fand die Abstimmung statt; mit 9 Kurialstimmen gegen 6
-wurde die Bundesexekution gegen Preußen beschlossen, dessen Gesandter
-nunmehr im Namen seiner Regierung den Bund als zerrissen erklärte mit
-dem Beifügen, daß dieselbe auf besseren Grundlagen einen neuen zu
-errichten bemüht sein werde.
-
-Nun mußte die Entscheidung durch die Waffen kommen. Eine fieberhafte
-Erregung ergriff die Gemüter, zumal in der Hauptstadt. Tag und Nacht
-arbeitete Bismarck, der Telegraph spielte ununterbrochen und trug seine
-Botschaften weit hinaus ins Land: Der König rief sein Heer.
-
-In jenen Tagen saß der Minister einst im Vorzimmer des Herrschers.
-Dieser war noch mit seinem kriegerischen Beirat in ernsten
-Verhandlungen begriffen, welche sich außergewöhnlich in die Länge
-zogen. Stille war rings um den Staatsmann, der Tag war heiß, die
-Nacht arbeitsvoll gewesen. Da sank ihm langsam das Haupt auf die
-Brust, die Natur machte auch an dem Gewaltigen ihr Recht geltend – er
-schlummerte ein. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür des königlichen
-Arbeitszimmers, und heraus trat ein Mann in Generalsuniform, eine Mappe
-in der Hand. Er war weder sehr groß noch sehr kräftig, aber aus dem
-bartlosen Gesichte mit den scharfgeschnittenen, geistvollen Zügen sahen
-ein paar klare, kluge Augen, und um den schmalen Mund lag das Gepräge
-unerschütterlicher Ruhe und Festigkeit.
-
-Das war _Moltke_, der große Generalstabschef, die Seele der Schlachten,
-der schweigende Kriegesdenker.
-
-Er sah den Minister etwas wenig zusammengesunken in seinem Stuhle
-sitzen, und es überkam ihn beinahe eine Wehmut. »Er hat so viel gewacht
-für König und Vaterland« – dachte er – »wie gern gönnt’ ich ihm den
-Schlummer – aber es darf nicht sein!«
-
-Leise berührte er Bismarcks Arm, dieser öffnete die Augen, sprang
-empor, und eingedenk der Situation drückte er dem anderen warm die Hand
-und schritt hinein in das Arbeitsgemach des Königs.
-
-In den Junitagen begann der Bruderstreit.
-
-Bei Langensalza wurde das Heer der Hannoveraner samt seinem König
-gefangen, und in Böhmen geschahen die ersten siegreichen Gefechte.
-Eine bange Erwartung lag über den Straßen Berlins, so schwül wie
-das sommerheiße, gewitterbange Wetter. Da brachte der Telegraph die
-ersten Siegeskunden. Am 29. Juni ging ein Wogen und ein Treiben,
-belebter als sonst, durch die Straßen der Hauptstadt. Unter den Linden
-vor dem Palais des Königs staute sich die Menge, begeisterter Zuruf
-klang hinauf zu den Fenstern, und in das stürmische Jauchzen schollen
-die Klänge der Vaterlandsweisen, welche zuletzt übergingen in das
-machtvolle Streit- und Siegeslied Martin Luthers: Ein’ feste Burg ist
-unser Gott!
-
-Es waren Stunden einer gewaltigen Erhebung und Bewegung; aber die Menge
-hatte auch den Hauch jenes Geistes gefühlt, der von der Wilhelmstraße
-herkam, und Bismarck, der »Bestgehaßte«, wurde mit einem Zauberschlage
-der Bewunderte und Gefeierte. Die Volksmenge wälzte sich in dichtem
-Strome nach seiner Wohnung; die breite Straße vermochte sie nicht zu
-fassen alle die Tausende, die nach ihm riefen und ihm ihre Freude und
-Verehrung ausdrücken wollten. Dunkle Wetterwolken schwankten am Himmel,
-glutheiß lag es in der Luft – da trat Bismarck an das Fenster. In den
-Jubelsturm der Menge dröhnte ein langhallender Donner, der einem Blitze
-folgte, welcher mit seinem bläulichen Schein das bewegte Bild erhellt
-hatte – dann wurde es still, und Bismarck redete, kurz und klar,
-ergriffen und ernst, und als er mit einem Hoch schloß auf den König, da
-schien die Straße zu erbeben unter der Gewalt der Begeisterung.
-
-Und wieder am Himmel ein flammender Blitz, ein schweres Rollen des
-Donners, und Bismarck rief:
-
-»Der Himmel schießt Salut zu unseren Siegen!«
-
-Einen Tag später war er mit seinem Könige auf dem Wege ins Böhmerland.
-
-
-
-
-Neuntes Kapitel.
-
-Im böhmischen Feldzuge.
-
-
-Ein trüber Himmel breitete sich über der böhmischen Stadt Gitschin
-aus, und ab und zu sickerte der Regen nieder in die grauen Gassen. Der
-stille Ort sah an jenem 2. Juli hohe Gäste, wenn er sie auch freilich
-nicht willkommen hieß. Der König war mit Bismarck, Moltke, Roon und
-anderen hier eingetroffen, und traf von hier aus die Verfügungen für
-den nächsten Tag – den Tag der Entscheidung. Bismarck wußte, was von
-diesem abhing, und während in schweigender Nacht die Ordonnanzen auf
-allen Wegen hinjagten und der Regen klingend gegen die Fenster schlug,
-fand er lange keinen Schlaf. Er hatte in den Lazaretten an den Betten
-der Verwundeten gestanden und hatte mehr als irgendeiner empfunden, wie
-die Verantwortung für dies vergossene Blut und für diese Schmerzen auf
-ihm ruhe, und er dachte seines Königs, dem er aus treuester Überzeugung
-zu diesem Kampf raten mußte, und endlos lang dehnte sich die trübe
-Sommernacht.
-
-Am frühen Morgen folgte der Aufbruch. Noch immer weinte es aus den
-grauen Wolken nieder, als die offenen Wagen, in deren erstem der König
-mit Moltke, im zweiten Bismarck mit dem Geheimen Legationsrat von
-Keudell saßen, durch Gitschins Straßen hinausrollten gegen _Sadowa_.
-Drei Stunden später – es war 8 Uhr morgens – hielt der König auf
-seiner Rappstute, von seinem Gefolge umgeben, auf der Höhe von Dub und
-sah hinaus in die Ebene von _Königgrätz_, und der begeisterte Zuruf
-der Soldaten mischte sich mit dem Dröhnen der Kanonen … Die schwere,
-entscheidende Schlacht war im Gange.
-
-Unfern von seinem König hielt auf seiner kräftigen Fuchsstute Bismarck.
-Nebel und Pulverdampf wogen auf dem Walfelde durcheinander und
-verhüllen oft die Bewegungen der Truppen, langsam gehen die furchtbaren
-Stunden, und es ist um die Mittagszeit. Das preußische Heer ist in der
-Minderzahl, und seine Führer spähen besorgt gegen Nordwesten aus, von
-woher die Armee des Kronprinzen, die sehnlich erwartete, eintreffen
-sollte.
-
-Der schweigsame Schlachtenlenker Moltke aber sitzt wie aus Erz gegossen
-auf seinem Pferde; sein Gesicht ist ruhig, und klar und sicher schauen
-die hellen Augen auf die wogende Schlacht. Bismarck reitet an ihn
-heran; er zieht sein Zigarrenetui heraus und reicht es geöffnet dem
-großen Strategen hin. Der sieht auf die beiden Zigarren, welche es
-enthält, mit einem prüfenden Blicke, dann greift er langsam nach der
-einen. Über die Züge des Ministers fliegt es wie ein leises Lächeln, er
-reitet zu seinem König zurück und spricht zu diesem:
-
-»Majestät, unsere Sache muß gut stehen, denn Moltke hatte eben noch die
-Kaltblütigkeit, aus meinem Etui die bessere Zigarre auszuwählen.«
-
-Noch immer spähten die Blicke nach Nordosten. Dunkle Streifen traten
-am Horizont hervor, die man bisher nicht bemerkt zu haben meinte.
-»Ackerfurchen!« sagte jemand aus der Umgebung des Königs, Bismarck aber
-schaute scharf aus, und plötzlich rief er:
-
-»Das sind keine Ackerfurchen, die Zwischenräume ändern sich – das sind
-marschierende Kolonnen!« Ein tieferer Atemzug hob die Brust des Königs,
-dankend schaute eine Sekunde lang sein Auge gegen den grauen Himmel …
-Nun kam die Entscheidung. Nicht lange danach donnerten von Chlum her
-die preußischen Kanonen, der Kronprinz griff ein in die Schlacht, und
-der Sieg konnte den Preußen nicht mehr entrissen werden.
-
-Da übermannte den König seine Bewegung. Er sprengte dicht heran an
-seine zujauchzenden Soldaten, die nach seinen Händen, nach seinem
-Mantel faßten und ihre Lippen daraufdrückten.
-
-Die Kugeln sausten und schlugen ringsum ein, eine zerspringende Granate
-zerschmetterte ein Dutzend Reiter vom sechsten Kürassierregiment in
-nächster Nähe des Herrschers, und Rosse und Männer wälzten sich blutig
-übereinander, da ritt Bismarck dicht heran an den König, der mit voller
-Ruhe nur auf die freudig bewegten Truppen achtete, und sagte:
-
-»Als Major habe ich Eurer Majestät keinen Rat zu erteilen, als
-Ministerpräsident aber bin ich verpflichtet, Eure Majestät zu bitten,
-sich nicht auf diese Weise der Gefahr auszusetzen.«
-
-Der König wendete sich lächelnd dem treuen Warner zu:
-
-»Wohin soll ich denn als Kriegsherr reiten, wenn meine Armee im Feuer
-steht?«
-
-Bismarck entgegnete:
-
-»Majestät, wenn Sie auch keine Rücksicht auf Ihre Person nehmen, so
-haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten, von dem Ihr
-getreues Volk seinen König fordern wird; im Namen dieses Volkes bitte
-ich Sie, diese gefährliche Stelle zu verlassen!«
-
-Der König sah gerührt den Treuen an, reichte ihm die Hand und ritt
-langsam weiter, viel zu langsam für den besorgten Begleiter, der seine
-Erregung nicht mehr bezwingen kann und mit seiner Stiefelspitze das
-Pferd des Herrschers in die Flanke stößt, daß es rascher ausgreift.
-
-Die Entscheidungsschlacht war zu Ende – Bismarck sah am Abend auf
-einen der gewaltigsten Tage in der Geschichte Preußens zurück. Der
-Abend senkte sich auf das blutige Gefilde, Verwundete und Sterbende
-stöhnten ringsum, und das Grauen schritt über das furchtbare Feld. Da
-sah Bismarck, wie er so dahinritt, einen Dragoner zur Seite des Weges
-liegen. Beide Beine waren dem Unseligen zerschossen, der regungslos
-dalag und nur mit einem unsäglich bittenden Blick nach dem Reiter
-schaute. Diesem tat der Jammer des Unglücklichen weh, er stieg vom
-Pferde und trat an ihn heran. Gern hätte er ihm eine Linderung oder
-Erquickung angedeihen lassen, er suchte in allen Taschen – aber er
-fand nichts. Da stieß er mit der Hand an sein Zigarrenetui. Noch
-eine Zigarre lag darin, sie sollte ihm selbst ein Labsal sein nach
-den Anstrengungen und Aufregungen des Tages – aber der arme Teufel
-mit seinen zerschossenen Beinen brauchte ein solches mehr, und rasch
-entschlossen zog er seinen Schatz hervor, rauchte das duftende Kraut
-an und steckte es dem Verwundeten zwischen die Zähne. Aus den Augen
-des Soldaten aber leuchtete ein Blick unsäglicher Dankbarkeit, welchen
-Bismarck nicht vergessen konnte, und besser hat ihm, nach seinem
-eigenen Geständnis, keine Zigarre geschmeckt als diese, welche er –
-nicht geraucht hatte.
-
-Vorwärts ging es, hinein in die sinkende Sommernacht, in Verfolgung des
-geschlagenen Gegners, und der Ministerpräsident kam bis hart vor die
-Laufgräben der Festung Königgrätz. Dann ritt er zurück, um sich ein
-Nachtquartier zu suchen. Seinen König hatte er untergebracht, wenn auch
-nicht besonders bequem; auf einem harten Sofa hatte derselbe ein Lager
-gefunden, nun galt es, für sich selbst ein Plätzchen zu finden, wo das
-müde Haupt ruhen konnte.
-
-Die Nacht war dunkel und kühl, der Regen rann noch immer in dünnen
-Strähnen, und in dem Städtchen Horic waren alle Lichter längst
-erloschen, als Graf Bismarck durch die engen und schlechtgepflasterten
-Straßen ging. Er pochte da und dort an den Türen – niemand hörte, nur
-das Bellen verschlafener Hunde klang durch die Stille. Unmutig schlug
-er gegen die Fenster, daß die Scheiben splitterten – alles vergebens,
-das kleine Nest war wie ausgestorben.
-
-Endlich fand er in der Dunkelheit einen Torweg, durch welchen er in
-einen Hofraum hineintappte. Im schmutzigen, weichen Boden sank der Fuß
-tief ein, endlich verlor er fast völlig den Grund und sank nieder auf
-das zwar nicht harte, aber sehr übelriechende Bett eines Düngerhaufens.
-Dreizehn Stunden war er im Sattel gewesen, seine Glieder waren wie
-zerschlagen, aber hier konnte er doch nicht bleiben. So raffte er sich
-aufs neue auf und suchte wieder die dunkle, unheimliche, stille Gasse
-auf und schritt bis auf den Marktplatz. In verschwommenen Umrissen
-standen die grauen Häuser da, dazwischen eine Art offener Halle. Dahin
-wandte sich Bismarck, und ob er auch die Überzeugung gewann, daß
-der Ort eigentlich zum Aufenthalt für Rinder bestimmt war, streckte
-er sich – froh, ein Dach über dem Kopfe und ein altes Wagenkissen
-unter demselben zu haben – auf die harten Fliesen aus und versank in
-Schlummer.
-
-Aber noch einmal sollte er geweckt werden. Der Großherzog Friedrich
-Franz von Mecklenburg fand den Schläfer und beeilte sich, ihm in seinem
-eigenen Zimmer ein wenigstens einigermaßen behaglicheres Lager zu
-verschaffen.
-
-In dem traurigen kleinen Horic befand sich in den nächsten Tagen auch
-das Hauptquartier des Königs, und hier traf in der Nacht zum 5. Juli
-eine Depesche Napoleons III. ein, welcher sich zum Friedensvermittler
-mit Österreich anbot und einen Waffenstillstand in Anregung brachte.
-Der König geriet darüber in heftige Erregung, Bismarck jedoch, der
-Mann der eisernen Selbstbeherrschung, fand auch hier die richtige
-Antwort. Den Frieden wollte er gleichfalls, nur mußte der Preis dafür
-ein entsprechender sein, und so erhielt der französische Kaiser die
-in bestimmter Form gehaltenen preußischen Vorschläge: »Österreich
-erkennt die Auflösung des alten deutschen Bundes an und widersetzt sich
-nicht einer neuen Organisation Deutschlands, an welcher es keinen Teil
-nimmt. Preußen bildet eine Union Norddeutschlands, welche alle Staaten
-nördlich der Mainlinie umfaßt. Die deutschen Staaten südlich vom Main
-haben die Freiheit, unter sich eine süddeutsche Union zu schließen. Die
-zwischen der nördlichen und südlichen Union zu erhaltenden nationalen
-Bande werden durch freies, gemeinsames Einverständnis geregelt. Die
-Elbherzogtümer werden mit Preußen vereinigt. Österreichs Integrität
-außer Venetien wird erhalten.«
-
-Während die Verhandlungen noch schwebten, rückten die preußischen
-Truppen unaufhaltsam vor gegen die Kaiserstadt an der Donau, und wenn
-eine Besetzung derselben verhindert werden sollte, galt es für die
-beteiligten Mächte rasch zu handeln.
-
-In Mähren liegt eine kleine Stadt, _Nikolsburg_ mit Namen, überragt von
-einem stolzen Schlosse, dessen Warte stattlich ins Land hinaussieht;
-es ist Eigentum des Grafen Mensdorff und kam in den Julitagen des
-verhängnisvollen Jahres 1866 zu großer geschichtlicher Bedeutung.
-
-Hier hatte König Wilhelm sein Hauptquartier, und hier fand sich am 18.
-Juli auch Graf Bismarck ein. Sinnend schritt er mit seinem Begleiter,
-dem Geheimen Legationsrat von Keudell, durch den Torbogen in den
-weiten, von stolzen Gebäuden umgebenen Hof, und wie er sein Auge
-darübergleiten ließ, sprach er:
-
-»Mein altes Schönhausen ist doch nichts dagegen, dennoch ist mir’s
-lieber, daß wir hier bei Graf Mensdorff sind, als daß er jetzt bei mir
-wäre.«
-
-In Nikolsburg fanden sich auch die Vertreter Österreichs und Italiens
-ein, und die Friedensverhandlungen begannen. Und hier brauchte es der
-ganzen geistigen Überlegenheit, der rückhaltlosen Tatkraft Bismarcks,
-um zu Ende zu führen, was er begonnen hatte. Friede wollte er haben,
-und er wollte ihn zum Abschluß bringen, trotzdem die Generale des
-siegreichen preußischen Heeres die Waffen noch nicht niederlegen
-wollten. Selbst der König schien jetzt kriegerisch gesinnt, und sein
-Ministerpräsident mußte auch ihm gegenüber seinen Standpunkt verfechten:
-
-»Majestät, wir haben eine Höhe erreicht, von der aus die Wasser von
-selbst abfließen ohne Gewalt. Uns droht der Einfall der Franzosen in
-Süddeutschland, und ein neuer Kampf würde unsäglich viel Blut kosten,
-und die Cholera ist uns auf den Fersen. Ich kann die Verantwortlichkeit
-der Fortsetzung des Krieges nicht auf mich nehmen und müßte
-zurücktreten.«
-
-Das verfehlte seine Wirkung nicht, und Bismarck erreichte bei
-seinem König auch die Zustimmung zu den meisten Einzelheiten seiner
-Friedensvorschläge, und während ein Waffenstillstand die bewehrten
-Gegner auseinanderhielt, ward in Nikolsburg auf den von Bismarck
-entworfenen Grundlagen weiter verhandelt. Am 26. Juli aber konnte der
-Meister der Politik sein Werk als fertig betrachten, und es war eines
-Meisters wert. Preußen sollte eine Vermehrung erfahren um die Gebiete
-von Hannover, Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt a. M.
-und eine ansehnliche Kriegsentschädigung. Dabei war Energie mit kluger
-Rücksichtnahme gepaart worden, der Weg zur Versöhnung mit dem Gegner
-war offen geblieben, das diesem verbündete Sachsen geschont worden, und
-worauf Bismarck sich viel zugute tun durfte – das alles war erreicht
-durch Preußens eigene Kraft, und fremde Einmischung war ferngehalten
-worden.
-
-Wohl hatte Napoleon seinen Abgesandten Benedetti nach
-dem Kriegsschauplatze geschickt und einen Einfluß in die
-Friedensverhandlungen gewinnen wollen, aber es war nicht geglückt.
-Die Friedenspräliminarien waren fertig und brauchten nur noch
-unterzeichnet zu werden, da erschien Benedetti in Nikolsburg. Er ließ
-sich bei Bismarck anmelden, und dieser empfing ihn, obwohl ihn die
-Aufdringlichkeit des Franzosen unangenehm berührte, freundlich.
-
-Der französische Gesandte sprach:
-
-»Ich habe die Ehre, im Auftrage meines Souveräns Ihnen mitzuteilen, daß
-derselbe, wenn er seine Zustimmung zu einer ansehnlichen Vergrößerung
-Preußens geben solle, eine angemessene Entschädigung für Frankreich
-verlangen müsse. Sobald der Kaiser seine Vermittlerrolle in der
-preußisch-österreichischen Sache zu Ende geführt haben wird, wird er
-nicht verfehlen, sich mit der Regierung seiner Majestät des Königs von
-Preußen deshalb auseinanderzusetzen.«
-
-Bismarck wurde von heißem Unmut erfaßt, aber zugleich auch von einem
-Gefühl der Befriedigung darüber, daß der Franzose zu spät kam. Sehr
-höflich, doch mit Festigkeit entgegnete er:
-
-»Ich bedaure, Eurer Exzellenz bemerken zu müssen, daß amtliche
-Mitteilungen solcher Art heute durchaus nicht am Platze sind. Preußen
-hat die Vermittlung Frankreichs nicht gesucht und ist meines Erachtens
-um so weniger zu etwas verpflichtet, als der Friede bereits fertig ist
-ohne Intervention Ihres Souveräns und die Präliminarien noch in dieser
-Stunde unterzeichnet werden.«
-
-Er wandte sich ab mit einer Verneigung gegen den verblüfften
-französischen Staatsmann und ging in sein Gemach. Die verhaltene
-Erregung brach nun bei ihm durch. Die Tränen schossen dem gewaltigen
-Manne aus den Augen, vor die er seine Hände preßte, ein Schluchzen
-erschütterte den starken Recken, der von einem Weinkrampf erfaßt,
-eine Zeitlang vergebens nach Fassung rang. Es war des Großen und
-Erschütternden selbst für ihn zuviel gewesen in jenen Julitagen des
-Jahres 1866.
-
-Nun ging es wieder der Heimat zu. Mit seinem König traf Graf Bismarck
-am 4. August bereits in Berlin ein, begrüßt von einer enthusiastischen
-Volksmenge, die in maßloser Begeisterung dem König und seinem ersten
-Minister entgegenjubelte. Und schon am nächsten Tage klangen im weißen
-Saale des königlichen Schlosses die Friedensworte des Herrschers, mit
-welchen dieser den Landtag eröffnete. Begeisterung in allen Häusern,
-in allen Herzen, ein ganzes Volk, das dem so lange »bestgehaßten«
-Manne zujauchzte! Diesem aber ging die Seele auf bei dem Gedanken,
-wie Gott alles zum Herrlichen gewendet hatte, und in dem Hause in der
-Wilhelmstraße herrschte Glück und Freude.
-
-Am Abend des 7. August war ein kleiner Kreis von Freunden hier
-versammelt. Im Salon saßen sie beisammen um den Teetisch, und die
-anmutige Hausfrau wetteiferte an Liebenswürdigkeit mit dem Gatten, der
-ganz das Behagen seiner wohltuenden Häuslichkeit empfand. Das war der
-gewohnte sonnige Hauch, welcher durch diese Räume wehte, der Hauch der
-vornehmsten und anmutigsten Gastlichkeit, welcher jedem den Aufenthalt
-hier so lieb machte.
-
-Es mochte um die zehnte Stunde sein, da meldete der Diener dem
-Hausherrn, daß der französische Botschafter Benedetti um die Ehre
-einer dringenden Unterredung bitte. Bismarck war gewohnt, sich zu
-beherrschen; er entschuldigte sich in liebenswürdigster Weise bei
-seinen Gästen und ging nach seinem Kabinett. Er wußte wohl, weshalb
-der Franzose gekommen war; es war dieselbe Angelegenheit, welche
-er schon in Nikolsburg berührt hatte, die Frage wegen Abtretung
-deutschen Gebiets an Frankreich; aber Preußens Ministerpräsident war
-entschlossen, diesmal eine ganz unzweideutige Antwort zu geben. Und er
-durfte das; seines Königs Paladine Moltke und Roon hatten die Waffen
-geschliffen und konnten mit ruhiger Sicherheit auf eine schlagbereite
-Armee hinweisen, die stark genug sein würde, es auch mit Frankreich
-aufzunehmen.
-
-Das ging ihm rasch noch einmal durch den Sinn, als er in sein Kabinett
-eintrat und Benedetti ihn mit höflicher Entschuldigung wegen der
-Störung begrüßte.
-
-»Sie vermuten, weshalb ich Sie um einiges von Ihrer Zeit bitte,« begann
-der Franzose.
-
-»Die schriftlichen Mitteilungen Ihrer Regierung, welche mir zugegangen
-sind, lassen mich annehmen, daß es sich um die von Frankreich
-gewünschte deutsche Gebietsabtretung handle.«
-
-Sie hatten sich beide niedergelassen, und Benedetti fuhr fort:
-
-»Frankreich glaubt für seine Haltung in der jüngsten Verwicklung einen
-Tribut der Dankbarkeit verdient zu haben.«
-
-»Und worin sollte dieser Tribut bestehen?«
-
-»Frankreich wünscht seine Grenze vom Jahre 1814 wiederhergestellt zu
-sehen.«
-
-»Das heißt, wir sollen links des Rheines bayrisches, hessisches und
-preußisches Gebiet abtreten –«
-
-»Nebst der Festung Mainz.«
-
-»Und Ihre Regierung meint, daß wir darauf eingehen würden?«
-
-»Sie hofft dies im Interesse Preußens, das noch nicht seinen Frieden
-gemacht hat mit den süddeutschen Staaten und nicht neue Verwicklungen
-wünschen kann.«
-
-»Solche wünschen wir nicht, aber wir fürchten sie auch nicht,
-Exzellenz; darum bitte ich Ihre Vorschläge kurz und bündig zu
-präzisieren!«
-
-»Nun denn: Das linke Rheinufer mit Mainz oder Krieg!«
-
-Bismarcks Falkenauge blitzte hell auf, eine flüchtige Röte huschte über
-sein Gesicht, und er sah den anderen fest und ruhig an, als er sprach:
-
-»Dann also Krieg!«
-
-Der Franzose zuckte zusammen – eine kleine, peinliche Pause trat
-ein, in welcher man nur den Pendelschlag der Uhr vernahm, dann sagte
-Benedetti:
-
-»Herr Ministerpräsident, bedenken Sie die Verantwortung die Sie mit
-solcher Entscheidung auf sich laden …«
-
-»Da gibt es kein Bedenken, und ich weiß mich der Zustimmung meines
-königlichen Herrn sicher. Aber warum wollen Sie uns solche Sprünge
-machen? Sie müssen doch wissen, daß für uns die Abtretung deutscher
-Erde eine Unmöglichkeit ist. Ließen wir uns zu dergleichen herbei, so
-hätte wir trotz aller Triumphe Bankerott gemacht. Vielleicht könnte
-man andere Wege finden, Sie zu befriedigen. Aber wenn Sie auf diesen
-Forderungen bestehen, so gebrauchen wir – täuschen Sie sich darüber
-nicht – alle Mittel: Wir rufen nicht bloß die deutsche Nation in ihrer
-Gesamtheit auf, sondern wir machen auch sofort Frieden mit Österreich
-auf jede Bedingung hin, überlassen ihm ganz Süddeutschland, lassen
-uns selbst den Bundestag wieder gefallen. Aber dann gehen wir auch
-wieder vereinigt mit 800000 Mann über den Rhein und nehmen Frankreich
-Elsaß ab. Unsere beiden Armeen sind mobil, die Ihrige ist es nicht;
-die Konsequenzen denken Sie sich selbst. – Also, wenn Sie nach Paris
-kommen, so verhüten Sie einen Krieg, welcher sehr leicht verhängnisvoll
-werden könnte.«
-
-Benedetti senkte das Haupt, er fühlte das Zutreffende dieser Worte, und
-die Situation begann ihm immer unbehaglicher zu werden. Er erwiderte:
-
-»Ich möchte gern Ihrem Rate folgen, aber mein Gewissen zwingt mich,
-dem Kaiser zu erklären, daß, wenn er nicht auf der Gebietsabtretung
-besteht, er mit seiner Dynastie der Gefahr einer Revolution ausgesetzt
-ist.«
-
-»Machen Sie Ihren Souverän darauf aufmerksam, daß gerade ein aus dieser
-Frage entsprungener Krieg unter Umständen mit revolutionären Schlägen
-geführt werden könnte, daß aber gegenüber einer revolutionären Gefahr
-die deutschen Dynastien sich fester begründet zeigen würden als jene
-des Kaisers Napoleon.«
-
-Die Uhr zeigte Mitternacht, und noch immer endete das inhaltschwere
-Gespräch nicht. Erst in der ersten Morgenstunde kam Bismarck in den
-Salon zu seinen Gästen zurück, heiter und liebenswürdig, denn in
-tiefster Seele wußte er, daß eine neue Gefahr abgeschlagen sei, daß
-Frankreich nach seinen bestimmten Erklärungen jetzt nicht wagen würde,
-das siegreiche Preußen anzugreifen. – – Und er täuschte sich nicht.
-
-Noch der Verlauf des August brachte die Friedensschlüsse mit den
-süddeutschen Staaten, die auf Seite Österreichs gekämpft hatten, und
-mit diesem selbst, und in Preußens Hauptstadt erwartete man freudig
-erregt die Heimkehr der ruhmbedeckten Truppen.
-
-Am 20. September trafen sie ein. Es war ein Festtag für Berlin. Am
-_Brandenburger Tor_ drängte es von Tausenden, um hier bereits der
-Begrüßung des Königs durch die Vertreter der Stadt beizuwohnen. Grüne
-Girlanden schmückten die Säulen, die Fahnen wehten lustig in die Weite,
-und durch das Tor mit seinen stolzen Bogen kamen die Heldenscharen
-herein, umjauchzt von der Begeisterung der Menge. Die Straße Unter den
-Linden war verwandelt in eine herrliche ~via triumphalis~, tausend
-Flaggen flatterten in den Lüften, tausend Kränze und Festons hingen an
-den Häusern und den Bäumen, Blumen regnete es von allen Seiten nieder
-auf die blitzenden Helme, und immer aufs neue brauste der Jubel auf
-in seinen vollsten, unvergleichlichen Akkorden: wie lauter Donner
-dröhnte er fort die breite Straße entlang, wo immer die Heldengestalt
-des greisen Königs erschien und die Gestalten seiner Paladine. Da
-ritten sie ihm vorauf mit leuchtenden Augen, der stattliche Roon, der
-ernste, ruhige Moltke und Graf Bismarck. Hochaufgerichtet saß er im
-Sattel, an der Uniform die Abzeichen als _Generalmajor_, wozu ihn sein
-König vor kurzem ernannt hatte, und das orangefarbige Band des hohen
-Ordens vom Schwarzen Adler über der breiten Brust. Unter dem blinkenden
-Kürassierhelm hervor blickten die hellen, scharfen Augen, und die
-gewaltige Erregung dieser Stunde machte, daß er die schwere Erschöpfung
-und Abspannung niederkämpfte, die den eisernen Mann infolge der letzten
-Zeit ergriffen hatte.
-
-Aber der Erholung bedurfte er dringend, und er suchte und fand sie an
-der See, auf dem grünen Eiland von Rügen, wo er in stillem Behagen
-im Spätherbst jenes ereignisvollen Jahres saß, während in deutschen
-Landen sein Name von Mund zu Mund ging, während der alte Groll, den
-man gegen ihn gehegt, weil man ihn nicht verstanden, immer mehr und
-mehr verschwand. Es galt, zwischen Preußen und den Staaten bis zur
-Mainlinie, einschließlich von Sachsen, einen Verband zu schaffen zu
-Schutz und Trutz, zu gemeinsamer innerer Arbeit, und Bismarck hatte
-die Freude, den konstituierenden _Reichstag des Norddeutschen Bundes_
-am 24. Februar 1867 eröffnet zu sehen, der nun den von seinem Schöpfer
-ausgearbeiteten Verfassungsentwurf beriet. Ihm rief am 11. März der
-unermüdliche Bismarck zu:
-
-»Arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland in den Sattel, reiten wird
-es schon können!«
-
-Am 16. April war die neue Verfassung angenommen, am 1. Juli trat sie
-ins Leben, und am 14. Juli war Bismarck _Kanzler des Norddeutschen
-Bundes_.
-
-[Illustration: ~Eis. Kanzler IV.~
-
-Am Abend der Schlacht von Gravelotte.]
-
-Nun konnte er sich eine kleine Rast gönnen auf seinem neuerworbenen
-Tuskulum _Varzin_. In Hinterpommern bei dem Städtchen Schlawe liegt das
-Gut, welches Bismarck mit dem zugehörigen Besitz von Wussow, Puddiger,
-Misdow, Chomitz und dem Vorwerk Charlottenthal sich ankaufte aus der
-Ehrengabe, die er nach dem Kriege mit Österreich aus Staatsmitteln
-erhalten hatte. Es liegt nicht weit von dem freundlichen Reinfeld, wo
-die Wiege seiner Gattin stand, und hat einen prächtigen Waldbestand,
-der den Weidmann lockte. Im Frühling 1867, als der Park seinen
-Blätterschmuck angelegt hatte, und die Wiesen ringsum grünten, hatte er
-es erworben, und dann war er zum erstenmal hinausgefahren.
-
-Die Eisenbahn führte damals nur bis Schlawe, und hier mußte die Fahrt
-mittels Extrapost fortgesetzt werden. Er kam mit einem Separatzug
-angefahren, früher, als man ihn erwartet hatte, und ließ sich nun
-behaglich auf einer Bank auf dem Perron nieder, brannte sich eine
-Zigarre an und ließ die friedliche Stille ringsum auf sich wirken. Da
-näherte sich ihm mit halb scheuer, halb neugieriger Miene ein Mann,
-seinem Äußeren nach ein biederer, schlichter Handwerker, der ihn grüßte
-und sich dann einigermaßen verlegen an das Ende der Bank setzte. Er
-betrachtete eine kleine Weile den ihm Unbekannten, dann fragte er:
-
-»Sie sind wohl der Herr, welcher mit dem Extrazuge gekommen ist?«
-
-»Jawohl,« erwiderte Bismarck, einigermaßen über die Anfrage verwundert,
-aber gutmütig-jovial fügte er bei: »Wer sind Sie?«
-
-»Ich bin der Schuster N. aus Schlawe – und mit wem habe ich die Ehre?«
-
-»Na, ich bin auch Schuster!«
-
-»I, was Sie da sagen!« sprach beinahe erschrocken der schlichte Mann
-und sah doch einigermaßen ungläubig nach dem stattlichen Fremden – »und
-da fahren Sie mit Extrazug?«
-
-»Warum nicht, lieber Freund? Wir Berliner Schuster können uns das
-bieten.«
-
-Der brave, neugierige Handwerker war eben daran, seine Verwunderung
-auszudrücken, als eine Abteilung Husaren in Paradeuniform heranritt;
-man hörte das Kommando des Rittmeisters: »Eskadron halt! Richt’ euch,
-Augen rechts!« und mit Staunen sah der Schuster, wie der Offizier jetzt
-an den Fremden heranritt und salutierte. Er sprang beinahe entsetzt von
-der Bank auf und starrte seinen Nachbar an, als aber jetzt auch die
-Extrapost heranfuhr mit dem gleichfalls parademäßig herausgeputzten
-Postillon, reichte Bismarck dem vollständig verlegenen Manne die Hand
-und sagte lächelnd:
-
-»Wenn Sie einmal nach Berlin kommen, so besuchen Sie meine Werkstatt!«
-
-Dann fuhr er hinein in den Frühlingstag, während die Husaren ihm
-ihre Honneurs machten, vorbei an Feld und Wiese, durch grünen,
-rauschenden Wald, durch das hübsche, kleine, bucklige Ländchen, wie es
-die Gräfin Bismarck scherzend einst bezeichnete, bis die Landstraße
-hineinführt in das Hof- oder Herrengut. Da liegen ihm zur Linken die
-Wirtschaftsgebäude, zur Rechten das überaus schlichte, einstöckige
-Herrenhaus, aber hinter diesem grüßen und winken die Buchen und Eichen
-des Parkes und rauschen ihm entgegen:
-
-»Willkommen in deinem neuen Heim!«
-
-
-
-
-Zehntes Kapitel.
-
-Mit Blut und Eisen.
-
-
-Ein herrlicher Sommermorgen ist über Varzin und seinem Parke
-aufgegangen, ein Julimorgen des Jahres 1870. Die Sonne spiegelt sich
-in den Fenstern des Herrenhauses, die Rosen blühen und duften in dem
-Garten, und über die Freitreppe schreitet Graf Bismarck herab. Er trägt
-eine einfache graue Joppe, ein leicht geschlungenes Tuch um den Hals,
-auf dem Haupte einen Schlapphut und in der Hand einen kräftigen Stock;
-gemessen folgt seinen Schritten eine schöne Ulmer Dogge, die ab und
-zu mit klugen, großen Augen nach ihm hinschaut. Über den knirschenden
-Kies der Gartenwege schreitet die stattliche Gestalt dahin, vorbei
-an großen Sandsteinfiguren und an einem kleinen Teiche und dann über
-eine Terrasse hinauf in den leise rauschenden Park, durch dessen grüne
-Laubkronen die spielenden Lichter niederhuschen. Jeden Baum sieht
-das klare Auge an, denn er kennt sie alle, die prächtigen Buchen und
-Eichen, und selbst den kleinen Nachwuchs. Wie einst der Knabe auf
-Kniephof, so freut sich jetzt der ernste, gewaltige Mann an jedem
-Nestchen, das zwischen dem Gezweige hervorlugt, an jedem Vogel, der
-über ihm singt, an jedem Stämmchen, das sich kräftig entwickelt.
-
-Auf einer Bank hält er Rast. Das treue Tier liegt zu seinen Füßen und
-blinzelt hinauf nach dem blauen Himmel, sein Herr aber läßt vor seinem
-Geiste eine Reihe von Bildern vorüberziehen in der einsamen Stille, die
-ihm selten genug zuteil wird.
-
-Er denkt der vergangenen Tage und all des Großen, was sie gebracht
-haben, aber er schaut auch aus in eine ernste Zukunft. Der Nachbar
-im Westen, Kaiser Napoleon III., der sich nicht ganz sicher fühlte
-auf seinem Thron, suchte nach irgendeiner Verwicklung, die ihm in den
-Augen der Franzosen Ruhm und Ansehen verleihen sollte. Er war bereits
-bestrebt gewesen, das Großherzogtum Luxemburg zu annektieren, das zum
-ehemaligen deutschen Bunde gehörte, aber Bismarck hatte erreicht, daß
-das Ländchen als neutrales Gebiet erklärt wurde, und Frankreich mußte
-die Finger davon lassen. Immer unbehaglicher wurde für Napoleon das
-wachsende Ansehen Preußens, und immer mehr drängte die Stimmung des
-französischen Volkes zu einer Demütigung desselben.
-
-Da schien sich eine besonders günstige Gelegenheit zu bieten.
-Spanien hatte seinen eben erledigten Thron dem Prinzen Leopold von
-Hohenzollern-Sigmaringen angeboten, der mit Napoleon selbst verwandt
-war. Trotzdem hatte man in Frankreich erklärt, daß die Wahl eines
-Hohenzollern eine Schädigung seiner Interessen, ja, geradezu eine
-Herausforderung bedeuten würde, und hatte an König Wilhelm die
-Forderung gestellt, er solle dem Prinzen von Hohenzollern befehlen,
-sich der Bewerbung um den spanischen Thron zu enthalten. Der König
-hatte Benedetti in Ems erklärt, daß er dem Prinzen nichts zu befehlen
-habe.
-
-So lagen die Dinge augenblicklich, und Bismarck fühlte mit aller
-Bestimmtheit, daß Frankreich immer neue Forderungen stellen und Preußen
-um jeden Preis zum Kriege reizen würde. Seine Beruhigung war jedoch die
-gerechte Sache seines Königs, die schlagfertige Armee und die Hoffnung
-auf das erwachende nationale Gefühl des deutschen Volkes.
-
-Er sah hinein in die sonnige, stille Welt, in seinen grünen, schattigen
-Park und hinüber nach den weißen Mauern seines Herrenhauses, und eine
-Friedenssehnsucht zog ihm durch die Seele. Da kam den Kiesweg heran
-ein älterer Herr mit Zeitungen in der Hand; der Hund hob den Kopf,
-blinzelte mit den klugen Augen und wedelte leicht mit dem Schweife,
-– er begrüßte einen guten Bekannten, den Vorstand des Geheimbureaus
-Bismarcks, den Geheimen Legationsrat Lothar Bucher.
-
-»Gibt’s Neues von Wichtigkeit, lieber Bucher?«
-
-»Bis jetzt nichts von Belang, Exzellenz; die französischen Zeitungen
-aber rasseln sehr energisch mit den Säbeln, hier ist eine äußerst
-bezeichnende Stelle!«
-
-Er hatte sich auf Einladung seines Vorgesetzten neben diesem
-niedergelassen und las:
-
-»Unser Kriegsgeschrei ist bis jetzt ohne Antwort geblieben; die Echos
-des deutschen Rheines sind noch stumm. Hätte Preußen zu _uns_ die
-Sprache gesprochen, welche Frankreich spricht, wir wären schon längst
-unterwegs.«
-
-»Darin mögen sie recht haben,« sagte Bismarck, »es fragt sich nur, wie
-weit sie gekommen wären.«
-
-»Wie ist die Stimmung in den deutschen Blättern, zumal in den
-süddeutschen?«
-
-»Ganz ausgezeichnet, Exzellenz! Man erwartet, daß der König jedes
-freche Ansinnen Frankreichs entschieden zurückweisen werde und ist in
-Verurteilung des französischen Vorgehens von seltener Einstimmigkeit.«
-
-»Na, und wenn es zum Äußersten kommt, wir sind bereit, denn auf
-Moltke und Roon können wir uns verlassen, und wir haben in acht
-Tagen gewaltige Heeresmassen marschfertig. Frankreich rennt in sein
-Verderben, wenn es den Krieg provoziert.«
-
-»Das ist die öffentliche Meinung in Deutschland!« sagte Bucher und las
-aus hervorragenden Blättern einige Aufsätze Bismarck vor, der, die Arme
-auf den Stock gestützt, das Haupt vorgeneigt, ihn ruhig anhörte.
-
-Nach einiger Zeit erhob er sich.
-
-»Nun muß der Gutsherr in sein Recht treten. Auf Wiedersehen in einer
-Stunde. Hoffentlich bringt sie uns nichts Unangenehmes.«
-
-Er ging langsam, gefolgt von der Dogge, nach dem Herrenhause zu,
-durchschritt hier einen langen, schmalen Korridor, und betrat am Ende
-desselben ein kleines Zimmer mit weiß getünchten Wänden und einem
-breiten Fenster, durch welches das volle Licht hereinfiel auf den
-einfachen Tisch und die daneben stehenden hohen Schränke, von welchen
-ausgestopfte Vögel herabschauten. Ein schwarzes Ledersofa, einige
-geschnitzte Stühle, altertümliche Glasgefäße auf dem breiten Kaminsims
-vervollständigen die Einrichtung des Gemachs, in welchem »der Gutsherr
-von Varzin« mit seinen Leuten verkehrt.
-
-Da wartet schon mancher auf den großen Staatsmann, um mit ihm über
-Forstnutzung, Industrieanlagen, Gartenwirtschaft und dergleichen zu
-verhandeln, und eine Stunde ist rasch genug vorüber. Der letzte ist
-gegangen, aufatmend erhebt sich Bismarck und sieht nach der Uhr, – es
-ist Zeit zum Frühstück, und er wird wohl bereits erwartet.
-
-Im Billardzimmer ist der Tisch gedeckt. Der große Raum sieht freundlich
-aus. Die Fenster gehen hinaus in das Grün des Gartens, an den Wänden
-hängen Bilder rheinischer Städte, die Möbel, teils gepolstert, teils
-mit braunem Schnitzwerk, sehen traulich und behaglich aus, die beiden
-Öfen mögen im Winter mit ihrem offenen Feuer die Gemütlichkeit des
-Raumes ganz besonders erhöhen, und das in einer Nische stehende
-Billard sowie der Flügel der Hausfrau lassen erkennen, daß der ernste
-Diplomat gerade hier manche Stunde verbringt, die ihm wohl Erholung und
-Zerstreuung bieten mag.
-
-Hier ist er im Kreise der Seinen. Seine Gemahlin eilt ihm entgegen,
-seine Tochter, Komteß Marie, hängt sich an seinen Arm, seine Söhne
-grüßen ihn mit herzlicher Freundlichkeit, und bald sitzt er in seinem
-Lehnstuhl, aber noch immer ist es keine ungestörte Rast. Lothar Bucher
-hat ihm Briefe und Depeschen überreicht, ehe er sich mit an den Tisch
-setzte, und Bismarck öffnet und überfliegt die letzteren.
-
-Ein Schatten zieht über sein Gesicht.
-
-»Aus Ems. Benedetti sucht um eine neue Audienz nach bei dem König. Er
-wird die unverschämte Forderung seiner Regierung wiederholen; man hat
-die zweifellose Absicht, uns zu brüskieren.«
-
-Da war das Gespräch ganz von selbst wieder bei der brennenden
-Tagesfrage, und Bismarck hatte zu tun, um die erregten Damen zu
-beruhigen. Er selbst nahm dabei das einfache Frühstück ein, das für ihn
-in der Hauptsache aus weichgekochten Eiern mit geröstetem Weißbrot,
-einer Schale Milch und etwas schwarzem Kaffee bestand. Nach Beendigung
-desselben sprach er:
-
-»Aber nun ein halbes Stündchen ohne Politik! Laß uns einen Gang durch
-den Park tun, mein liebes Herz, ich muß dir drei junge Buchen zeigen,
-die aus einem Stamm herauswachsen, und die ich bisher noch gar nicht
-entdeckt hatte. Ich habe dabei unwillkürlich an unseren Wappenspruch
-denken müssen: ~In trinitate robur~ – in der Dreiheit die Stärke, und
-dann habe ich an unsere lieben drei gedacht! Komm, Marie, du mußt die
-Bäume gleichfalls sehen.«
-
-Er reichte den beiden Damen den Arm, die Grafen Herbert und Wilhelm
-gingen hinterdrein. So schritten sie unter den stattlichen Bäumen des
-Parkes hin im lachenden Sommersonnenschein und vergaßen für eine kurze
-Zeit die Wetterwolken, die am westlichen Himmel Europas sich auftürmten.
-
-Aber die kurze Spanne gemütlichen Behagens war bald vorüber, und
-Gattin und Tochter begleiteten Bismarck in sein Arbeitszimmer, in die
-Werkstätte des Diplomaten.
-
-Ein großer, sechseckiger Raum von vornehmer Einfachheit.
-Eichenholzgetäfel in mehr als Manneshöhe zieht sich an den Wänden
-hin, und die Decke ist durch vortretende Eichenbalken in Quadrate und
-Dreiecke geteilt. In einem sechseckigen Erker sind drei schmale Fenster
-angebracht, an der Wand der Tür gegenüber ein breites. Nahe demselben
-steht der Schreibtisch aus Nußbaumholz mit blitzenden Messingbeschlägen
-an Türen und Schubladen. Auf der mit grünem Tuch überzogenen Platte
-befinden sich ein zweiarmiger Leuchter, mehrere verschieden geformte
-Briefbeschwerer, ein Schreibzeug, das aus dem Holze einer bei der
-Düppelstürmung eroberten Lafette geschnitzt ist, Federn und lange,
-dicke Bleistifte. Kleinere Tische, mit Büchern und Schriftstücken
-bedeckt, stehen da und dort, zwei Sofas laden zur Ruhe ein, im Erker
-steht ein kleiner Diwan neben einer Causeuse, und von hier schweift
-der Blick hinaus auf den blinkenden Spiegel eines kleinen Teiches, auf
-einen ferner liegenden Ruheplatz zwischen je einer stattlichen Eiche
-und Buche, und auf die wogenden Saatfelder, welche durch das dunkle
-Grün bewaldeter Hügel begrenzt werden. In einer abgestumpften Ecke aber
-steht das Prachtstück dieses Raumes, ein riesenhafter Kamin von nahezu
-vier Meter Breite und fünf Meter Höhe.
-
-In dem Lehnstuhl am Schreibtische hat sich Bismarck niedergelassen, die
-Gräfin steht neben ihm, legt ihm zärtlich die Hand auf die Schulter und
-sagt mit einem besorgten Blick auf die sich häufenden Schriftstücke:
-
-»Das wird dich wieder viele Anstrengung und Aufregung kosten, und du
-bist von deiner letzten Erkrankung noch nicht erholt!«
-
-Der Kanzler des Norddeutschen Bundes lehnt sich behaglich in den Sitz
-zurück und spricht:
-
-»~Patriae inserviendo consumor!~ Das ist mein Wahlspruch, und du
-weißt, was es heißt: Im Dienste des Vaterlands will ich aufgehen! Und
-so schlimm wird es wohl nicht werden, wir Bismarcks sind aus altem
-märkischen Holze – das hält etwas aus.«
-
-Er faßte nach der lieben Hand, die noch auf seiner Schulter lag, und
-streichelte sie, Gräfin Marie aber eilte herbei und brachte ihm die
-lange Pfeife.
-
-»Danke, mein liebes Kind! Das ist auch ein Sorgenbrecher!«
-
-Er öffnete den Deckel des vor ihm stehenden Tabakskastens, der dem
-Kopfe seines treuen vierfüßigen Begleiters, der prächtigen Dogge,
-die sich auch jetzt zu seinen Füßen gestreckt hat, nachgebildet ist,
-und stopft sich die Pfeife. Die junge, schöne Komteß hat den Fidibus
-angebrannt und hält ihn zurecht, – einige kräftige Züge, der blaue
-Rauch wirbelt um den Lehnstuhl und den, welcher darin sitzt, und nun
-gehen die Damen und überlassen den Staatsmann seinen Sorgen und seiner
-Arbeit.
-
-Bismarck liest, und der mächtige Blaustift in seiner Hand arbeitet
-dabei unablässig. Lothar Bucher kommt, hält Vortrag und macht sich
-seine Notizen, und so arbeitet die Staatsmaschine von dem stillen
-Varzin in Hinterpommern aus unablässig. Die Stunden vergehen, und der
-Erholung darf nicht ganz vergessen werden.
-
-Der Wagen ist vorgefahren, denn Bismarck darf, da er noch
-Rekonvaleszent ist von einem Nervenleiden, nicht reiten, und mit Frau
-und Tochter fährt er hinein in das freundliche, sonnige Land, und wo er
-vorüberkommt, bleiben die schlichten Landleute stehen und grüßen ihn
-und die Seinen mit aufrichtiger Herzlichkeit. Da und dort läßt er wohl
-auch halten und redet einen oder den anderen der Leute an. Ein alter
-Taglöhner stand am Wege und zog ehrerbietig die Mütze; er war krank
-gewesen bis vor kurzem, und Bismarck wußte dies. Er rief dem Alten zu:
-
-»Nu, Krischan, du büst woll wedder ganz op den Tüge?«
-
-»I, ja,« – sagte der Angeredete treuherzig. »Sie sollten man ok hier
-blieven, dann wurden Sie nochmal so frisch!«
-
-Bismarck lachte, und im Weiterfahren sprach er:
-
-»Ja, wer immer in Varzin sein könnte!«
-
-Gegen sechs Uhr wurde das Diner eingenommen. Was auf den Tisch kam,
-stammte beinahe alles von den Besitzungen des Grafen selbst und
-mundete um so besser, als es mit heiterem Tafelgespräch gewürzt ward.
-Die Stunde ging rasch, und noch einmal wanderte der Kanzler mit den
-Seinen in den Park und freute sich des herrlichen Sommerabends, der
-grüngoldenen Lichter, welche auf den Wegen spielten, und der tiefen
-Ruhe. Da und dort ward kurze Rast gehalten; schlanke Rehe kamen aus
-dem nahen Walde und huschten durch den Park bis herein in den Garten,
-und Bismarck freute sich der Zutraulichkeit der schönen Tiere, die
-sich durch die Nähe der Menschen nicht verscheuchen ließen. Es war
-eine liebliche Idylle, in welche die Abendglocken vom Dorfe her
-stimmungsvoll klangen.
-
-Nun ward der Tee eingenommen in der umgrünten Veranda. Die Dämmerung
-legte sich langsam über das Land, vom Blumengarten wehte süßer Duft,
-die Lampe warf ihren traulichen Schimmer über den Tisch, und die Gräfin
-Bismarck kredenzt dem Gatten das Getränk. Dann wird die lange Pfeife
-wieder angebrannt, behagliche Wölkchen ziehen durch den Raum; in seinen
-weiten Sessel zurückgelehnt, sitzt der große Staatsmann schweigend
-und träumend, indes aus den geöffneten Fenstern des Frühstückszimmers
-die Klänge an sein Ohr schlagen, welche Frau Johannas Meisterhand dem
-Flügel entlocken.
-
-Noch eine kurze Stunde, dann neigt sich der Sommertag seinem Ende zu.
-Es ist noch nicht ganz um Mitternacht, als Bismarck sich erhebt, um
-sich zur Ruhe zu begeben … die letzten Lichter in Varzin verlöschen,
-der blaue Nachthimmel spannt sein weites Zelt über Schloß, Park
-und Dorf, und die ewigen Sterne flimmern so friedvoll in ihrer
-unvergänglichen Schönheit, und sie kümmern sich nicht um der Menschen
-und Völker Haß und Hader.
-
-Und drei Tage später leuchteten dieselben Sterne, aber in den stillen
-Frieden von Varzin trägt fast um die Mitternachtstunde der Telegraph
-eine erregende Mitteilung: Der König beruft seinen Ratgeber sogleich
-nach Ems!
-
-Am nächsten Tage war Bismarck bereits in Berlin. Hier fand er gute
-Kunde: Der Prinz von Hohenzollern hatte, um nicht Veranlassung zu einer
-blutigen Verwicklung zu geben, freiwillig auf den Thron von Spanien
-verzichtet. Den Franzosen war der Vorwand zum Kriege genommen, beruhigt
-atmete der Kanzler auf und glaubte nun auch seine Reise nach Ems nicht
-beschleunigen zu müssen.
-
-Da geschah das Unglaubliche. Benedetti trat in Ems vor den König mit
-der Forderung, daß er schriftlich sich verpflichten solle, niemals
-einen Hohenzollern auf dem Throne von Spanien zu dulden. Würdig und
-entschieden lehnte Preußens Herrscher die demütigende Forderung ab,
-einen Tag später reiste Benedetti ab, und abermals einen Tag später,
-am 15. Juli, beschloß die französische Regierung unter dem übermütigen
-Zujauchzen eines fanatisierten Volkes den Krieg.
-
-An eben diesem Tage reiste auch der König Wilhelm nach Berlin, und was
-er auf seinem Weg sah und hörte, durfte ihm wohl die Seele erheben
-und befreien. So weit die deutsche Zunge klingt, bebten die Herzen
-vor Entrüstung über die französische Frechheit und Anmaßung, und in
-Millionen lebte nur ein Gedanke: dieselbe gebührend zurückzuweisen.
-Überall dieselbe Begeisterung, die gleichen Beweise der Liebe und
-Verehrung des einen deutschen Geistes:
-
- Vergessen ist der alte Spahn,
- Das ganze Volk ist eins!
-
-Bismarck war mit dem Kronprinzen sowie mit Roon und Moltke dem König
-bis Brandenburg entgegengefahren. Bewegt reichte der Herrscher seinen
-Treuen die Hand, und weiter ging es der Hauptstadt zu. Durch ihre
-Straßen flutete das Volk in dichtem Gedränge; mit entblößten Häuptern
-stand es da, und während aus allen Fenstern die Tücher wehten zum
-Empfangsgruß, schwollen die begeisterten Zurufe immer lauter an, je
-näher die Wagen dem Schlosse kamen. Bis in die Nacht hinein erklangen
-brausende Vaterlandslieder, stürmische Hochrufe, indes aus dem
-bekannten Eckfenster des schlichten Palais der Lichtschimmer seinen
-freundlichen Gruß hinaussandte. Dort beriet der König mit seinen
-Getreuen, und ein Adjutant ersuchte das Volk im Namen des Herrschers um
-Ruhe. Da ging _ein_ Empfinden durch all die Tausende; tiefstill ward es
-um das Standbild des großen Friedrich her, und lautlos ging die Menge
-auseinander.
-
-In derselben Nacht flogen die Befehle zur Mobilmachung des Heeres durch
-alle Gaue Norddeutschlands.
-
-Es kam der 19. Juli, der Todestag der unvergeßlichen Königsrose
-Luise. Vor 60 Jahren war sie heimgegangen, hinsiechend an der Not des
-Vaterlands, und nun sollte in ihrem Sohne ihr ein herrlicher Rächer
-erstehen. Vormittags fand im Dome ein feierlicher Gottesdienst statt in
-Gegenwart des königlichen Hofes, der Ministerien und der Abgeordneten.
-Unter diesen saß in der letzten Reihe die hagere Gestalt des Generals
-von Moltke so schlicht und bescheiden, als wäre ihm nicht gerade eine
-Hauptrolle bestimmt in dem gewaltigen historischen Drama, für welches
-jetzt der Segen des Himmels erfleht wurde, und von der Empore herab
-schaute Graf Bismarck ehern und ruhig auf die Andächtigen nieder. Nach
-dem Gottesdienst erfolgte die Eröffnung des Reichstags im Weißen Saale
-des Schlosses durch den König. Es waren erhebende, mächtig bewegende
-Worte, und tiefe Ergriffenheit erfaßte die Versammlung, als er schloß:
-
-»Je unzweideutiger es vor aller Augen liegt, daß man uns das Schwert
-in die Hand gezwungen hat, mit um so größerer Zuversicht wenden wir
-uns, gestützt auf den einmütigen Willen der deutschen Regierungen des
-Südens wie des Nordens, an die Vaterlandsliebe und Opferfreudigkeit des
-deutschen Volks mit dem Aufrufe zur Verteidigung seiner Ehre und seiner
-Unabhängigkeit.
-
-Wir werden nach dem Beispiele unserer Väter für unsere Freiheit und für
-unser Recht gegen die Gewalttat fremder Eroberer kämpfen, und in diesem
-Kampfe, in dem wir kein anderes Ziel verfolgen, als den Frieden Europas
-dauernd zu sichern, wird Gott mit uns sein, wie er mit unseren Vätern
-war!«
-
-Kurze Zeit danach fuhr der König hinaus nach Charlottenburg. Dort
-liegt zwischen grünen Parkgehegen ein schlichter Bau, das Mausoleum,
-in welchem Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise ruhen. Zwei
-herrliche Marmorbilder, welche die Verewigten wie friedlich Schlafende
-darstellen, stehen über der Gruft, und bläulicher Lichtschimmer flutet
-mild und freundlich darüberhin. Hier in einsam weihevoller Stille
-betete der König und flehte den Segen seiner Eltern nieder auf den
-Pfad, den er nun gehen mußte für seine und seines Landes Ehre.
-
-Und beinahe zur selben Stunde betrat Graf Bismarck den Sitzungssaal des
-Reichstags. Hochaufgerichtet und mit vor Erregung leuchtenden Augen
-betrat er die Tribüne, und aller Blicke hafteten auf dem herrlichen,
-stattlichen Manne, aller Parteigroll war geschwunden, und die Ahnung
-dessen, was dieser große Augenblick bringen sollte, ging durch jede
-Seele. Deutlich und fest klangen die inhaltschweren Worte des Kanzlers:
-
-»Ich habe dem hohen Hause die Mitteilung zu machen, daß mir der
-französische Geschäftsträger Le Sourd heute die Kriegserklärung
-Frankreichs überreicht hat. Nach den Worten, die Seine Majestät soeben
-an den Reichstag gerichtet hat, füge ich der Mitteilung dieser Tatsache
-weiter nichts zu.«
-
-Aufrecht standen die Vertreter des Volkes, jede Brust dehnte sich
-weiter, jedes Auge blitzte heller, und voll Begeisterung klang es durch
-den Saal: »Es lebe der König!«
-
-Und durch das ganze deutsche Volk zitterte und brauste dieselbe
-Bewegung, und aus allen Gauen zogen die Söhne der _einen_ Mutter
-Germania heran voll heiligen Kampfesmutes, voll Zuversicht auf die
-gerechte Sache und auf ihre Kraft. Bayern und Sachsen standen neben
-Preußen, und wenn Napoleon auf die alte Eifersucht der deutschen Stämme
-gerechnet hatte, so sollte ihm das zum fürchterlichen Verhängnis werden.
-
-Umtost vom Jubel seines Volkes verließ der vierundsiebzigjährige
-König am 31. Juli seine Hauptstadt, und am 2. August übernahm er von
-Mainz aus, wo er mit Moltke, Bismarck und Roon eingetroffen war, den
-Oberbefehl über die deutschen Heere. Das blutige Kriegsspiel begann.
-Das waren heiße Augusttage bei Weißenburg und Wörth und um die trutzige
-Festung Metz, hinter deren Wällen der sieggewohnte französische
-Marschall Bazaine mit eisernen Klammern festgehalten werden mußte.
-
-Am 16. August war das heiße Ringen bei Vionville und Mars la Tour. In
-Pont à Mousson war Bismarck im Hauptquartier des Königs, und dort, von
-woher die Donner der Schlacht brüllten, kämpften seine beiden Söhne in
-der dritten Schwadron der Gardedragoner. Das Vaterherz war voll banger
-Sorge und würde es noch mehr gewesen sein, wenn es gewußt hätte, wie
-das brave Reiterregiment furchtbar geblutet und viele seiner Offiziere,
-darunter seinen tapferen Obersten von Auerswald, verloren hatte. Der
-Abend senkte seine Schleier über das furchtbare Feld, und Bismarck ritt
-hinter seinem König her, um ein Nachtlager für diesen finden zu helfen.
-In allen Häusern und Hütten lagen Verwundete und Sterbende, und nur
-mit Mühe gelang es, ein Stübchen ausfindig zu machen, wo ein Feldbett
-für den hohen Herrn untergebracht wurde. Der aber wollte es nicht
-besser haben als die Seinen. Das Bett sollte für einen Verwundeten
-bleiben, er selbst wollte auf einem Strohlager schlafen, und Bismarck
-und Moltke mußten mit ihm das Zimmer teilen.
-
-Der Kanzler fand wohl wenig Schlaf; er dachte »der Toten, der Toten,«
-er dachte seiner Söhne. Mit dem erwachenden Tage ritt er hinaus in das
-Schlachtfeld nach dem Lagerplatz der Gardedragoner und fragte nach
-seinen Lieben. Sie hatten sich beide brav geschlagen, und Herbert hatte
-für König und Vaterland geblutet, aber das Geschick war ihnen gnädig
-gewesen.
-
-Im Lazarett in Mariaville fand er beide Söhne, und in freudiger
-Ergriffenheit trat er an das Lager Herberts, der durch eine Kugel am
-Oberschenkel verwundet war. Wilhelm hatte sein Pferd verloren, war aber
-sonst unversehrt geblieben.
-
-Es war ein trotz allem schönes Wiedersehen, aber ein von einem leisen
-Wehmutshauch verschleiertes Abschiednehmen. Für den Grafen Herbert
-winkte die Rückkehr in die Heimat, Graf Wilhelm aber zog mit seinem
-Regimente weiter, neuen Gefahren und Siegen entgegen, und Vater und
-Sohn sollten sich erst am 2. September wiedersehen.
-
-Am 18. August brüllten die ehernen Schlünde um _Gravelotte_ und
-_Rezonville_. Am Morgen ritt Bismarck mit seinem König die Höhe bei
-Flavigny hinan und sah hinein in das wogende Kampfgewühl, das bis
-hierher brandete. Mehr als einmal kam er selbst sowie auch König
-Wilhelm in drohende Gefahr. Es war ein furchtbares Ringen, nicht _eine_
-Schlacht, sondern eine Reihe von Schlachten, die hier um das alte Metz
-geschlagen wurden. St. Privat war von den preußischen Garden und den
-braven Sachsen erstürmt worden nach heißem Streit und unter schweren
-Verlusten, und als der Sommertag sich zu neigen begann, sanken auch die
-Sterne des französischen Marschalls.
-
-Noch einmal in der siebenten Abendstunde machte er einen verzweifelten
-Vorstoß über die Talschlucht von Gravelotte hinaus, aber die wackeren
-Pommern, die nach einem beschwerlichen Marsche erst vor kurzem auf dem
-Schlachtfelde eingetroffen, warfen sich ihm entgegen. »Es lebe der
-König!« scholl es in heller Begeisterung, und hinab ging es in den
-Talgrund, Bataillon um Bataillon und jenseits wieder die Höhen hinan.
-
-Der greise Kriegsherr aber hielt auf der Höhe nördlich von Gravelotte
-und sah hinein in die sprühenden Pulverblitze, und um ihn her und
-über ihn hin sausten die todbringenden Geschosse und platzten die
-Granaten. Und wie einst bei Sadowa, so wußte Bismarck auch hier seinen
-königlichen Herrn aus der gefährlichen Stellung fortzubringen. Er blieb
-ihm treu zur Seite und geleitete ihn gegen Rezonville. Hier stieg der
-greise Held, ermüdet von dem furchtbaren Tage, vom Rosse und sah sich
-um nach einem Sitze. Es war nichts zu erblicken; nur ein toter Schimmel
-lag in der Nähe; auf den Leib desselben und auf eine alte Brückenwage
-ward nun eine Leiter gelegt, und hier saß der König, mit dem Rücken an
-eine Gartenmauer gelehnt.
-
-Die Schatten des Abends wurden grauer, unheimlich loderten unfern die
-Flammen aus einem großen brennenden Gebäude gegen den Himmel, dumpf
-rollten fernher noch die letzten Donner der Schlacht, und um ihren
-königlichen Führer her geschart standen in erwartungsvollem Schweigen
-Generale und fürstliche Herren.
-
-Um die neunte Stunde war es, als Moltke heransprengte; aus seinen
-ernsten Augen leuchtete es hell – er brachte die Kunde von dem
-errungenen Siege, von der endgültigen Festnagelung des französischen
-Marschalls hinter den Mauern von Metz.
-
-Ein Telegraphenbeamter brachte eine Meldung; ihm diktierte Bismarck im
-Namen des Königs folgende Depesche an die Königin Augusta:
-
- Biwak bei Rezonville, 18. Aug. 9 Uhr abds.
-
- Die französische Armee in sehr starker Stellung westlich
- von Metz angegriffen, in neunstündiger Schlacht vollständig
- geschlagen, von ihren Verbindungen mit Paris abgeschnitten und
- gegen Metz zurückgeworfen.
-
- _Wilhelm._
-
-Ein Marketender war herbeigerufen worden; er hatte wenig genug zu
-bieten, aber auch der bescheidene Rotwein, mit welchem die Feldflaschen
-gefüllt wurden, mundete, und aus einem zerbrochenen Tulpenglase trank
-der König. Sein Kanzler aber kaute an einer harten Brotrinde, denn
-besseres war augenblicklich nicht zur Stillung des Hungers zu finden.
-
-Die Nacht sank nieder, und die Schwierigkeit, ein Lager zu finden, ließ
-sich kaum verkennen. Der König ritt mit seinen Begleitern hinab nach
-dem Dorfe Rezonville. In allen Häusern Verwundete, endlich in einem
-ärmlichen Hause ein kleines Stübchen! Aus einem Krankentransportwagen
-wurde eine Bahre herbeigeschafft, dazu einige Wagenkissen, und auf
-diesem unbequemen Lager, völlig angekleidet, mit seinem Mantel bedeckt,
-schlief der siegreiche alte Held, nachdem man mit Mühe noch ein
-Abendbrot für ihn aufgetrieben hatte.
-
-Bismarck aber irrte durch die nächtlichen Gassen des kleinen
-französischen Nests, die erhellt waren von dem Feuerschein brennender
-Häuser. Bei dem Wagen des Königs hielt der Erbgroßherzog von
-Mecklenburg Wache, damit nichts abhanden komme, und der Kanzler selbst
-suchte Haus um Haus nach einem Unterkommen. Überall vernahm er, daß
-alles voll Verwundeter liege. Ein dunkles Fenster in einem Hause winkte
-verheißungsvoll, und diesmal ließ er sich auch nicht von dem Hinweise
-auf Verwundete abspeisen. Er stieg die Treppen hinan und fand in der
-Tat ein Stübchen mit drei Betten und hielt hier erquickliche Nachtrast.
-
-Nun galt es, Frankreichs zweites Heer festzulegen und seinen
-berühmtesten Marschall Mac Mahon unschädlich zu machen, und die
-deutschen Heersäulen zogen mit ruhiger Sicherheit die Wege, welche der
-herrliche Schlachtenlenker Moltke ihnen anwies.
-
-Am 23. August war das königliche Hauptquartier in Pont à Mousson. Am
-Abend hatte Bismarck seine Wohnung aufgesucht; bei dem Posten an der
-Tür des Hauses hielt er an:
-
-»Nun, wie geht’s?«
-
-»So gut es sein kann im Kriege, Exzellenz!«
-
-»Wie steht’s mit der Verpflegung?«
-
-»Untertänigst zu danken, Exzellenz – ich habe seit 24 Stunden keinen
-Bissen gegessen!«
-
-Bismarck erschrak beinahe über die Äußerung des Soldaten, und sogleich
-eilte er in das Haus, suchte die Küche und kehrte bald mit einem
-tüchtigen Stück Brot, das er selbst abgeschnitten, zu dem Manne zurück,
-der die Gabe mit lebhaftem Dankgefühl entgegennahm.
-
-Über Bar-le-duc ging es nach Clermont, einem kleinen Gebirgsstädtchen,
-wo das königliche Hauptquartier mit jenem der Maasarmee zusammenkam.
-In dem bescheidenen Schulhause wohnte der König, und in der Stube,
-in welcher sonst der Lehrer arbeitete, war das Gemach des Kanzlers,
-Arbeits- und Schlafzimmer zugleich. Eine Treppe höher in einem Saale
-war das Bureau eingerichtet. Über einem Sägebock und einer Tonne
-liegt eine ausgehobene Tür – das ist der Arbeitstisch, Kisten und
-Koffer bilden die wenig bequemen Sitze, flackernde Kerzen, die in
-leeren Weinflaschen stecken, werfen ein trübes Licht, und das Stroh
-an der Wand auf dem Boden ist die Lagerstelle. – Und in diesem Raume
-welch reges Leben, welch bedeutsame, hochwichtige Maschinerie! Da
-arbeiten die Legationsräte von Keudell, Graf Hatzfeld, Abeken, Graf
-Bismarck-Bohlen, und die Chiffreure, welche die Depeschen besorgen, da
-kommen und gehen die Feldjäger und Ordonnanzen, da läuft vom frühen
-Morgen bis in die Nacht ein Bericht nach dem anderen heraus und
-herein, und zwischen seinen Beamten erscheint ab und zu die Gestalt
-des Ministers im Interimsrocke der Landwehrreiter mit den gelben
-Aufschlägen, die Beine in den hohen Stulpenstiefeln, und gibt kurze und
-klare Anweisungen.
-
-Und in einem nicht behaglicheren Raume des Schulgebäudes arbeitet der
-große Generalstab mit seinem schweigsamen Chef ernst, ruhig, klar und
-sicher weiter an seinem Werke, und von der Straße herauf schallt der
-Trommelschlag und die Marschmusik vorüberziehender Regimenter, und die
-wenigsten, die hier vorbeimarschieren, haben eine Ahnung, daß hinter
-den Fenstern dieses schlichten Hauses das Räderwerk tätig ist, das die
-ganze große Maschine in Bewegung setzt.
-
-Das Vorspiel der großen Tragödie vor Sedan nahm seinen Anfang. Bei
-Beaumont schlug Sachsens ritterlicher Kronprinz die Nachhut Mac Mahons
-und schloß mit der von ihm befehligten Maasarmee den ehernen Gürtel,
-der sich nun um Sedan legte.
-
-Gegen Beaumont ritt auch der Kanzler her im Gefolge seines Königs.
-Der Tag war heiß, schwül lag der Sommer auf dem Lande, und die
-Marschkolonnen zogen langsam ihre Straße. Bismarck ritt an eine
-Abteilung Bayern heran. Die Leute schienen sehr ermüdet und kamen nur
-langsam vorwärts. Ein tiefes Mitgefühl erfaßt den Minister mit den
-Braven, und er ruft dem Nächsten zu:
-
-»Heda, Landsmann, wollen Sie einmal Kognak trinken?«
-
-Der Mann sah, wie befremdet darüber, wie man eine solche Frage erst
-noch tun könne, zu dem hohen Offizier auf und nickte. Da reichte ihm
-der Kanzler seine Feldflasche, und als er die Kameraden des Beglückten
-so sehnsüchtig und neidvoll auf diesen und das gebotene Labsal blicken
-sah, ließ er die Flasche weitergehen, bis sie geleert zu ihm zurückkam.
-Einer seiner Begleiter aber folgte seinem Beispiele, und auch die
-zweite Feldflasche ging von Hand zu Hand. Nun holte Bismarck seine
-Zigarren heraus und fing an auszuteilen, und die vergnügten Gesichter
-der ermüdeten Soldaten waren ihm ein schöner Dank.
-
-Was sich nun ereignete, in jenen ersten Septembertagen des Jahres 1870,
-wird für ewig unvergessen bleiben im deutschen Volke. Das Heer Mac
-Mahons, bei dem sich der Kaiser Napoleon III. selbst befand, war hinter
-Sedan zurückgedrängt, und hier erfolgte die Katastrophe, in welcher der
-französische Thron zerbrach.
-
-Mit dem Morgen des 1. September hob das gewaltige Schauspiel an; noch
-lag der Nebel über den Gefilden, und von Bazailles her, wo die Bayern
-standen, zuckten rote Blitze, und dumpfer Donner grollte ihnen nach.
-
-Rechts vom Dorfe Frénois auf einem Hügel hielt König Wilhelm mit seinem
-Gefolge, und von hier überschaute er den Verlauf des furchtbaren
-Ringens. Um die Mittagszeit war der Calvaire d’Illy, der Schlüssel der
-feindlichen Stellung, genommen, erdrückend lag die deutsche Heeresmacht
-um das bedrängte Sedan und um den verzweifelten Kaiser. Mac Mahon war
-verwundet worden und hatte den Oberbefehl über das französische Heer
-dem General Wimpffen übergeben. Aber auch dieser konnte nicht mehr
-retten, was verloren war.
-
-Die Abenddämmerung legte einen leichten Schleier über die Walstatt.
-Brennende Dörfer leuchteten in der Runde, und die deutschen Batterien
-spien noch immer von allen Seiten Verderben und Vernichtung gegen die
-Festung. Endlich flatterte zwischen Rauch und Qualm auf der vorderen
-Bastion etwas Weißes empor, die Kapitulationsflagge.
-
-Um die siebente Stunde ritt den Hügel von Frénois der französische
-General von Reille heran, tiefen Ernst in dem gebräunten Antlitz. Es
-war eine erschütternde Kunde, die er brachte: Kaiser Napoleon legte
-seinen Degen nieder in die Hand des Königs Wilhelm. In tiefer Bewegung
-las dieser die kurzen, inhaltschweren Zeilen des besiegten Gegners
-seinem Gefolge vor, und in Erschütterung und schweigend standen sie
-alle. Selten wohl hat die sinkende Sonne ein solches Bild beleuchtet:
-den greisen König, umgeben von deutschen Fürsten und Führern, der, auf
-einer umgestürzten Pflugschar sitzend, seine Antwort auf dem Rücken
-seines Adjutanten schrieb, indessen abseits in würdiger Resignation
-der französische Parlamentär harrte, während nicht lange danach der
-mit der wunderbaren Nachricht durch das ganze Heer fortschreitende,
-lawinengleich anwachsende Jubelruf zum Himmel jauchzte, der gerötet
-war von brennenden Ortschaften und von den Freudenfeuern, die weit ins
-fremde Land hineinleuchteten.
-
-Für Bismarck wie für Moltke und manchen anderen brachte die
-kommende Nacht keine Ruhe. Es galt, mit dem General Wimpffen die
-Kapitulationsbedingungen festzusetzen, und auf den Wunsch seines Königs
-wohnte der Kanzler den Verhandlungen bei.
-
-Im Erdgeschoß des Schlößchens von Donchery saßen die ernsten Männer in
-schweigender Nacht beisammen.
-
-»Die französische Armee ist kriegsgefangen einschließlich der
-Offiziere, mit Waffen und Gepäck, doch sollen den Offizieren ihre Degen
-bleiben!«
-
-So lautete Moltkes ruhig-feste Bedingung, und vergebens bemühte sich
-Wimpffen, eine günstigere zu erreichen. Er mahnte daran, wie man
-durch milderes Entgegenkommen sich die Dankbarkeit des französischen
-Volkes gewinnen würde, durch Härte aber dessen unauslöschlichen Haß
-heraufbeschwören müßte.
-
-Im Antlitz Bismarcks zeigte sich Erhebung, er hob das mächtige Haupt
-und sah dem französischen General fest ins Gesicht, als er ihm
-erwiderte:
-
-»An die Dankbarkeit des französischen Volkes vermögen wir nicht zu
-glauben, weil es keine dauerhaften Einrichtungen, keine Verehrung und
-Achtung vor seiner Regierung und seinem Fürsten hat, der fest auf
-seinem Throne sitzt. Auch wäre es Torheit, zu glauben, daß Frankreich
-jemals uns unsere Erfolge verzeihen könnte. Sie sind ein über die
-Maßen eifersüchtiges, reizbares und hochmütiges Volk, das in zwei
-Jahrhunderten uns dreißigmal den Krieg erklärt hat, und das uns den
-Sieg von Sadowa nicht verzeihen kann, gleich als ob das Siegen sein
-alleiniges Vorrecht wäre. Frankreich muß für seinen eroberungslustigen
-und ehrgeizigen Charakter gezüchtigt werden; wir wollen ausruhen, wir
-wollen die Sicherheit unserer Kinder wahren, und dazu ist es nötig, daß
-wir zwischen Frankreich und uns eine Schutzwehr, ein Gebiet, Festungen
-und Grenzen haben, die uns für immer gegen einen Angriff schützen. Das
-Glück der Schlachten hat uns die besten Offiziere der französischen
-Armee überliefert; sie in Freiheit setzen, um sie aufs neue gegen uns
-marschieren zu sehen, wäre Wahnsinn. Es würde den Krieg verlängern
-und dem Interesse beider Völker widersprechen. Nein, General, alle
-Teilnahme, welche uns Ihre persönliche Lage einflößt, alle gute
-Meinung, welche wir von Ihrer Armee hegen – beides darf uns nicht
-bestimmen, von den Bedingungen zurückzutreten, die wir gestellt haben.«
-
-Es waren schwerwiegende, harte Wahrheiten, welche Bismarck hier nach
-seiner ehrlichen, festen Art aussprach, und denen Wimpffen nichts
-entgegensetzen konnte.
-
-Die Mitternacht war vorüber, als der französische General mit seinen
-zwei Begleitern von Donchery hinüberritt nach Sedan; er wollte die
-letzte Entscheidung über die gemachten Bedingungen dem gebrochenen,
-kranken Manne überlassen, der sich noch den Kaiser von Frankreich
-nannte.
-
-Bismarck hatte sich tief ermüdet nach seinem Quartier begeben und trotz
-der gewaltigen Erregung, die dieser Tag gebracht, Schlaf gefunden. Aber
-lange ward er ihm nicht gegönnt. Früh am Morgen wurde er geweckt mit
-der Nachricht, daß Napoleon von Sedan her bereits unterwegs sei und ihn
-zu sprechen wünsche. Er ritt dem Kaiser entgegen durch die dämmernde
-Frühe des kühlen Septembermorgens. Da kam ihm ein zweispänniger
-Wagen entgegen mit zwei galonnierten Dienern auf dem Bocke, und drei
-französische Offiziere ritten zur Seite. Im Fonds des Wagens lehnte
-mit müdem, gelbem Antlitz und mit dem Wesen eines kranken, gebrochenen
-Mannes – Napoleon; drei Generale saßen neben ihm, beziehentlich ihm
-gegenüber. Als Bismarck näherkam, stieg er vom Pferde, trat militärisch
-grüßend an den Wagen und fragte nach den Befehlen des Kaisers.
-
-Dieser hatte die Mütze abgenommen, und seine Begleiter folgten dem
-Beispiel. Als Bismarck das gleiche tat, sagte Napoleon: »Bedecken Sie
-sich doch!«
-
-Sein Wunsch, zu dem König geführt zu werden, ließ sich aus mehreren
-Gründen nicht erfüllen, und da er aus Furcht vor seinen eigenen Leuten
-nicht nach Sedan zurückzukehren wagte, bot ihm der Kanzler sein
-Quartier in Donchery an. Dahin fuhr jetzt der Wagen, dem Bismarck zur
-Seite ritt.
-
-Aber noch ehe das Städtchen erreicht war, wünschte Napoleon zu rasten.
-Unfern der Maasbrücke, rechts von der Straße, deren einförmige
-Pappelreihe gleichmütig zum Himmel ragte, stand ein kleines, gelb
-getünchtes Haus mit vier Fenstern. Einem schlichten Weber gehörte
-es. Hier stieg der Kaiser ab und ging langsam und müde, gefolgt von
-Bismarck, die enge Holztreppe hinauf nach dem ersten Stockwerk. In
-einer kleinen Kammer, die nur von einem Fenster erhellt wurde, standen
-an einem fichtenen Tisch zwei Binsenstühle.
-
-Hier saßen die beiden Männer, der kleine, zusammengebeugte,
-tiefgedemütigte Franzose, der hochragende, stattliche, ernst und
-teilnahmsvoll dreinsehende Deutsche. Eine Stunde beinahe verhandelten
-sie hier miteinander. Der Kaiser beklagte, daß er wider seinen Willen
-durch die öffentliche Stimmung in den unseligen Krieg hineingedrängt
-worden sei und suchte für die Kapitulation von Sedan günstigere
-Bedingungen zu erlangen. Bismarck mußte ihm darauf höflich, aber
-entschieden bemerken, daß er in dieser militärischen Angelegenheit
-inkompetent sei, wohl aber auf eventuelle Friedensverhandlungen
-eingehen wolle. Dazu aber glaubte sich der gefangene Kaiser nicht mehr
-berufen, und so floß das Gespräch ohne ein positives Resultat dahin.
-
-Napoleon schien es zu enge zu werden in dem kleinen, kahlen Raume,
-er erhob sich, und der Kanzler folgte ihm hinaus ins Freie. Vor dem
-schlichten Weberhäuschen schweifte der Blick seitwärts über ein
-blühendes Kartoffelfeld und über Buschwerk hinaus ins Land. Die beiden
-Binsenstühle waren herausgetragen worden, und der Kaiser ließ sich noch
-einmal nieder, Bismarck zu seiner Seite. Unter dem Himmel Frankreichs
-ein wunderlich ergreifendes Bild! Noch einen letzten Versuch machte der
-hohe Gefangene, seiner eingeschlossenen Armee den Abzug auf belgisches
-Gebiet zu sichern, aber auch hier wich der Kanzler dieser Frage aus.
-
-In der Nähe von Frénois liegt ein Schlößchen, Bellevue genannt. Dort
-sollte Napoleon einstweilen Wohnung nehmen, und, begleitet von einer
-Ehreneskorte des Leibkürassierregiments, führte Bismarck ihn dahin.
-Und hier war es, wo um zwei Uhr mittags, nachdem die Kapitulation von
-Sedan in dem von Moltke gewünschten Sinne abgeschlossen war, König
-Wilhelm den unseligen Mann besuchte, dem sein Ehrgeiz verhängnisvoll
-geworden war.
-
-Es war um die zweite Nachmittagsstunde, als der Kaiser, das Haupt
-entblößt, auf der Freitreppe am Eingange des Schlößchens, den
-ehrwürdigen, weißhaarigen König begrüßte. In Napoleons Augen standen
-Tränen, aber auch der siegreiche Monarch war tief bewegt. Eine
-inhaltschwere Viertelstunde verrann, ehe die beiden voneinander
-schieden, der Kaiser, um nach Deutschland zu ziehen, als Gefangener
-nach jenem Schlosse Wilhelmshöhe bei Kassel, auf welchem zu Anfang des
-Jahrhunderts der napoleonische König Jerôme seine lustige Herrschaft
-geführt hatte, König Wilhelm in sein Hauptquartier zu Vendresse.
-
-Der Champagner war selbst in Frankreich ein seltenes Getränk auf der
-Tafel des greisen Heerführers, an jenem 3. September aber fehlte er
-nicht, und bei dem schäumenden, perlenden französischen Weine im Kreise
-seiner besten Paladine sprach der König das schöne Wort:
-
-»Wir müssen heute aus Dankbarkeit auf das Wohl meiner braven Armee
-trinken. Sie, Kriegsminister von Roon, haben unser Schwert geschärft;
-Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf von Bismarck,
-haben seit Jahren durch die Leitung der Politik Preußen auf seinen
-jetzigen Höhepunkt gebracht. Lassen Sie uns also auf das Wohl der
-Armee, der drei von mir Genannten und jedes einzelnen unter den
-Anwesenden trinken, der nach seinen Kräften zu den bisherigen Erfolgen
-beigetragen hat.«
-
-In der Stille des Abends aber saß am selben Tage Bismarck in seinem
-Quartier und schrieb an seine Gemahlin im Drange seines Herzens
-einen schlichten und dabei doch ergreifenden Brief, der freilich
-das Schicksal hatte, von den französischen Freischärlern abgefangen
-zu werden, aber durch seine Veröffentlichung in der Pariser Zeitung
-»Figaro« allgemein bekannt worden ist.
-
-Mit Napoleons Gefangennahme hörte der Krieg nicht auf. Die Franzosen
-gaben ihren Kaiser preis, setzten ihn ab und proklamierten die
-Republik, und die Waffen redeten zunächst ihre ernste, furchtbare
-Sprache noch weiter. Frankreich gedachte neue Armeen aus der Erde
-zu stampfen und Freischarenbanden im Rücken der deutschen Heere
-organisieren zu lassen, um diese zu beunruhigen, und diese unheimlichen
-Gesellen in ihren dunklen Wollenblusen, mit der blauen Schärpe um
-den Leib, lagen allerorten im Hinterhalt, zerstörten Schienenwege
-und Telegraphenleitungen und suchten den deutschen Armeen die Zufuhr
-abzuschneiden. Paris, das Kleinod von Frankreich, wurde stark befestigt
-und eine starke Armee in die Hauptstadt gelegt, aber mit ruhiger
-Sicherheit gingen die deutschen Heere ihre Siegespfade weiter, und
-immer näher heran an die innerlich verkommene »Weltenseele«.
-
-Es war am 19. September, als ein Mitglied der französischen Regierung,
-der Advokat Jules _Favre_, im deutschen Hauptquartier eintraf und mit
-Bismarck zu verhandeln wünschte. Dieser wohnte in der Nähe des Dorfes
-Montry in dem Schlosse La Haute Maison. Langsam fuhr der Wagen des
-Franzosen die bewaldete Anhöhe hinan, die nach dem wenig ansehnlichen
-Hause führte, und sein Auge blieb unwillkürlich an den Zerstörungen
-haften, die sich überall als Folgen von Kämpfen, die sich hier
-abgespielt haben mußten, bemerkbar machten.
-
-Bismarck empfing den Gast mit ritterlicher Höflichkeit und erkundigte
-sich nach seinen Wünschen.
-
-Favre wußte mit großer Gewandtheit und Geschicklichkeit auszuführen,
-wie die französische Regierung dem Frieden nicht abgeneigt wäre, wie
-dieselbe aber, ehe sie einen solchen schließen könne, gesetzlich
-anerkannt sein müsse. Es liegt darum die Notwendigkeit vor, eine
-konstituierende Nationalversammlung einzuberufen, was aber unmöglich
-sei während der Fortdauer des Krieges; seine Bitte gehe darum auf
-Abschluß eines Waffenstillstands.
-
-Ernst und ruhig sah Bismarck dem Franzosen ins Auge, der einigermaßen
-erregt mit den schlanken Fingern sich durch den weißen Bart strich.
-Dann bemerkte er:
-
-»Es wird Ihnen zweifellos klar sein, welche Nachteile für unsere
-siegreich fortschreitenden Heere in einem Waffenstillstande liegen,
-doch kann ich Ihren Standpunkt begreifen und würde geneigt sein, Ihren
-Wunsch zu befürworten, doch werden Sie einsehen, daß wir für dessen
-Gewährung eine entsprechende Entschädigung erhalten müßten.«
-
-»Und worin würde diese wohl zu bestehen haben?«
-
-»Da uns vor allem daran liegen muß, die Verpflegung unserer Heere
-und die damit zusammenhängende Verbindung mit Deutschland gesichert
-zu sehen, würden wir die Übergabe der Festungen Toul und Straßburg
-verlangen müssen.«
-
-Der Franzose fuhr erregt auf:
-
-»Das ist eine Forderung, die doch wohl zu weit geht.«
-
-»Ich bedaure, darauf bestehen zu müssen.«
-
-»Das wird Frankreich und Paris niemals zugestehen, eher wird die
-Hauptstadt in Trümmer sinken und alle seine Söhne opfern.«
-
-Bismarck zuckte bedauernd die Achseln, und so beredt der Franzose auch
-sprechen mochte, er blieb fest. So schied Favre, ohne einen Erfolg
-erreicht zu haben, und der Kanzler geleitete seinen Besucher die Treppe
-hinab. Dieser wies auf die beschädigten Wände und Mauern.
-
-»Die Spuren Ihrer Franctireurs,« bemerkte Bismarck – »die Gegend ist
-hier voll von ihnen, aber wir machen schonungslose Jagd auf sie; wir
-behandeln sie als Raubgesindel, denn sie sind keine Soldaten.«
-
-»Aber bedenken Sie, es sind doch Franzosen, welche ihren Boden, ihren
-Herd und ihr Haus verteidigen. Sie sind doch wohl sicher in ihrem
-Rechte, wenn sie der feindlichen Invasion Widerstand leisten, und
-wenn Sie das Kriegsgesetz auf diese Leute anwenden, so ist das eine
-Verkennung desselben.«
-
-Der Kanzler erwiderte ruhig:
-
-»Wir kennen nur Soldaten, welche einer regelmäßigen Disziplin
-unterworfen sind, die anderen sind außerhalb dieses Gesetzes.«
-
-»Dann gestatten Sie mir jedoch, Sie an das Jahr 1813 zu erinnern und an
-den Aufruf des Königs von Preußen an sein Volk. Was war diese Erhebung
-in Ihrem Lande damals anders als die gegenwärtige der Franctireurs?«
-
-»Richtig,« bemerkte Bismarck, »aber unsere Bäume zeigen noch die Spuren
-derjenigen Landeseinwohner, welche Ihre Generale hängen ließen.« –
-
-Noch einmal machte Favre am nächsten Tage den Versuch, auf Schloß
-Ferrières Bismarck zu günstigeren Waffenstillstandsbedingungen zu
-bewegen – umsonst! »Straßburg ist der Schlüssel zu unserem Hause –
-ihn _müssen_ wir haben!« Das war der bittere Bescheid, welchen der
-französische Abgeordnete mit sich nahm, der von dem Kanzler mit den
-Worten schied:
-
-»Ich bin sehr unglücklich, aber ich hoffe noch immer!«
-
-Drohender zogen sich die Wetterwolken um Paris zusammen. Mit eisernen
-Armen umklammerten die deutschen Heere den Leib der koketten
-Seinestadt, die sich vergebens gegen die Erdrückung wehrte; am 19.
-September war die Einschließung vollendet. Etwa 8 Tage später kam von
-Straßburg her die Kunde, daß die Festung sich ergeben und die alte, gut
-deutsche Stadt von der Mutter Germania wieder heimgeholt worden sei.
-
-Zu Anfang Oktober war das deutsche Hauptquartier in Versailles.
-Auf der Präfektur wohnte der greise preußische Herrscher, in einem
-kleinen Hause aber, in der Rue de Provence, von dessen Balkon die
-schwarz-weiß-rote Fahne lustig in die Straße hineinwehte, hatte
-Bismarck sein Quartier aufgeschlagen, und die Staatsmaschine arbeitete
-von hier aus unaufhörlich und wahrlich auch erfolgreich, denn vergebens
-hatte Frankreich den ruhig besonnenen, redegewandten Staatsmann Thiers
-dahin und dorthin an andere Regierungen gesandt, um eine Einmischung
-zu seinen Gunsten herbeizuführen, es hatte niemand Lust, sich um der
-jungen Republik wegen in Unkosten und Aufregung zu stürzen, und die
-Dinge gingen ihren Gang weiter.
-
-Da kam auch die Kunde, daß Metz (am 29. Oktober) gefallen und die Armee
-Bazaines kriegsgefangen sei. Ein neuer Jubel durchbrauste die deutschen
-Heere, die Kampfesbegeisterung wuchs im Lager vor Paris, und wenn
-Bismarck durch die Straßen von Versailles ritt, die Kraftgestalt in der
-kleidsamen Kürassieruniform stramm aufgerichtet im Sattel, grüßten ihn
-die deutschen Soldaten mit warmer Herzlichkeit, und die Franzosen sahen
-mit einem Gemisch von Ingrimm und Verwunderung dem stattlichen Recken
-nach.
-
-Und hier in Versailles, in dem schlichten Hause der Madame Jessé,
-liefen die Fäden zusammen, welche die starke Hand Bismarcks zu einem
-gewaltigen Ganzen verflocht, zum Bande, das das einige deutsche
-Reich umschlang. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit hatte eine
-Bluttaufe erhalten, welche allen Zwiespalt verwischte, und aus allen
-Gauen des deutschen Südens kamen Wünsche, sich dem norddeutschen
-Bunde anzuschließen. Nach Versailles kamen die Sendboten von Baden
-und Hessen, Württemberg und Bayern, und die wichtigen Verhandlungen
-waren im vollen Gange, während die Kanonen gegen die Außenforts der
-französischen Hauptstadt ihre furchtbaren Grüße sandten.
-
-Als der badische Minister Jolly Bismarck besuchte, brachte er ein
-sinniges Geschenk mit, eine goldene Feder.
-
-»Der Pforzheimer Fabrikant Bissinger hat mich gebeten, Eurer Exzellenz
-diese Gabe zu überbringen und in seinem Namen zu bitten, daß Sie den
-dritten Pariser Frieden damit unterzeichnen möchten.«
-
-Sinnend und mit überwallender Rührung betrachtete Bismarck das
-Geschenk, das ihm aus Deutschlands Süden zuging, wo er vor nicht zu
-langer Zeit noch der bestgehaßte Mann war. Dann sprach er:
-
-»Was soll ich dem gütigen Spender sagen? Wie soll ich ihm danken? In
-einer Zeit, da das Schwert der deutschen Nation so ruhmreiche Taten
-vollbracht hat, tut man der Feder beinahe zu viel Ehre an, wenn man
-sie so kostbar ausstattet. Ich kann nur hoffen, daß der Gebrauch, zu
-welchem diese Feder im Dienste des Vaterlandes bestimmt ist, demselben
-zu dauerndem Gedeihen in glücklichem Frieden gereichen möge, und ich
-darf unter Gottes Beistand versprechen, daß sie in meiner Hand nichts
-unterzeichnen soll, was deutscher Gesinnung oder deutschen Schwertes
-unwert wäre.«
-
-Der Winter war allgemach gekommen und trieb seine Flocken durch
-das französische Land, und in Bismarcks Wohnung knisterte das
-Feuer im Kamin. Es war am 23. November. Der Abend war schon lange
-hereingebrochen, die Teestunde, in welcher der Kanzler mit einigen
-seiner Beamten, so behaglich es angehen mochte, sonst zusammenzusitzen
-pflegte, war gekommen, und in dem kleinen Salon harrten bereits einige
-Herren. Nahe beim Kamin saß Graf Bismarck-Bohlen, unfern davon Graf
-Hatzfeld.
-
-»Will denn die Angelegenheit noch nicht vorwärtsrücken?« sprach der
-eine. »Nun haben wir glücklich Baden und Hessen dem Norddeutschen
-Bunde eingegliedert – aber Bayern und Württemberg machen doch, wie es
-scheint, besondere Schwierigkeiten.«
-
-»Im Prinzip gewiß nicht,« erwiderte der andere, »aber es ist
-begreiflich, daß sie gewisse Rechte sich reservieren wollen.«
-
-»Ja, die Verwaltung von Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen –«
-
-»Und wie ich gehört habe, will Bayern auch die Leitung seines Heeres
-wenigstens zu Friedenszeiten nicht an Preußen abgeben. Hoffentlich
-scheitert nicht auch diesmal das große Einigungswerk an kleinen
-Bedenken.«
-
-»Lassen Sie nur unseren geistvollen großen Chef machen, verehrter
-Freund; er hat Klugheit und Energie zugleich, und versteht zu rechter
-Zeit zu geben und zu nehmen.«
-
-Der Schriftsteller Moritz _Busch_, der als Zeitungsberichterstatter
-sich im Hauptquartier befand, trat herein zu den beiden Herren.
-
-»Seine Exzellenz konferieren wohl noch immer?« fragte er. Graf Hatzfeld
-deutete nach der Türe, welche zum Salon führte.
-
-»Dort ist er mit dem bayrischen Kleeblatt, Graf Bray, Lutz und Prankh,
-und die Herren scheinen zäh zu sein.«
-
-Noch eine Viertelstunde verstrich, da öffnete sich die Flügeltüre, der
-Kopf Bismarcks erschien mit hellen Augen, und das Antlitz in angenehmer
-Erregung. Als er die drei bemerkte, trat er in das Zimmer, einen Becher
-in der Hand. Seine Stimme klang bewegt, als er sprach:
-
-»Nun, meine Herren, der bayrische Vertrag ist jetzt fertig und
-unterzeichnet, die deutsche Einheit ist gemacht und der deutsche Kaiser
-auch.«
-
-Die Herren hatten sich erhoben, sie sahen mit leuchtenden Blicken
-den Sprecher an – einige Sekunden tiefer, ergreifender Stille
-verstrichen, dann erbat sich Dr. Busch die Erlaubnis, die Federn
-holen zu dürfen, mit welchen das bedeutsame Aktenstück unterschrieben
-worden war. Bismarck aber befahl dem Diener, eine Flasche Champagner
-herbeizubringen. Die Gläser mit dem Schaumwein klirrten zusammen, und
-der Kanzler sprach tief atmend:
-
-»Es ist ein Ereignis.«
-
-Dann schwieg er sinnend einige Augenblicke, und nun fuhr er fort:
-
-»Die Zeitungen werden nicht zufrieden sein, und wer einmal in der
-gewöhnlichen Art Geschichte schreibt, kann unser Abkommen tadeln. Er
-kann sagen, der dumme Kerl hätte mehr fordern sollen; er hätte es
-erlangt; sie hätten gemußt; er kann recht haben mit dem Müssen. Mir
-aber lag mehr daran, daß die Leute mit der Sache innerlich zufrieden
-waren. – Was sind Verträge, wenn man muß! – und ich weiß, daß sie
-vergnügt fortgegangen sind. Der Vertrag hat seine Mängel, aber er
-ist so fester. Ich rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir in diesen
-Jahren erreicht haben. – Was den Kaiser betrifft, so habe ich ihnen
-denselben bei den Verhandlungen damit annehmbar gemacht, daß ich ihnen
-vorstellte, es müsse für ihren König doch bequemer und leichter sein,
-gewisse Rechte dem deutschen Kaiser einzuräumen, als dem benachbarten
-König von Preußen.«
-
-Die Erneuerung der deutschen Kaiserkrone! Das war der Wunsch der Besten
-seit Jahrzehnten, das war die immer wieder erwachende Sehnsucht des
-deutschen Volkes, und nun sollte sie im fremden Lande sich erfüllen.
-Und die Erfüllung ward nicht künstlich herbeigeführt, sie wuchs aus den
-gewaltigen geschichtlichen Ereignissen selbst heraus. Die deutschen
-Fürsten und das deutsche Volk waren eins in diesem schönen Ziele.
-
-Am 18. Dezember trafen in Versailles dreißig Mitglieder des
-Norddeutschen Reichstages ein, geführt von ihrem Präsidenten Simson.
-Die vornehme französische Präfektur sah sie durch ihre Prunkhallen
-schreiten, und die Bilder der alten französischen Herrscher schauten
-wohl mit Verwunderung herab auf die deutschen Männer, die hier im
-Namen eines ganzen Volkes kamen, um dem greisen König Wilhelm jenes
-Schreiben zu überreichen, das ihn bat, die deutsche Kaiserkrone
-anzunehmen. Draußen lag der Winter auf den Feldern von Frankreich, aber
-Sonnenschein war’s in allen deutschen Herzen, jener Lenzessonnenschein,
-der die Auferstehung schlafender Herrlichkeit verkündet.
-
-Um den König standen die Edelsten des deutschen Volkes, seine Fürsten
-und Helden, und hervorragend unter diesen die Kraftgestalt des
-Kanzlers, der mit freudigem Bewußtsein daran denken durfte, daß er
-diese Stunde hatte vorbereiten helfen.
-
-Mit bewegter Stimme sprach Dr. Simson:
-
-»Eure Majestät empfangen die Abgeordneten des Reichstags in einer
-Stadt, in welcher mehrmals ein verderblicher Heereszug gegen unser
-Vaterland ersonnen und ins Werk gesetzt worden ist. Und heute darf die
-Nation von eben dieser Stelle her sich der Zuversicht getrösten, daß
-Kaiser und Reich im Geiste einer neuen lebensvollen Gegenwart wieder
-aufgerichtet und ihr, wenn Gott ferner hilft und Segen gibt, in beiden
-die Gewißheit und Macht von Recht und Gesetz, von Freiheit und Frieden
-zuteil werden.«
-
-Das war des deutschen Volkes Weihnachtsgabe. Die Zeit des schlafenden
-Kaisers im Kyffhäuser sollte vorüber sein, der Kaiser Rotbart sollte
-verschwinden vor der Herrlichkeit des Kaiser Weißbart. Der Gedanke
-mußte all die tausend Männerherzen entschädigen, die in Eis und Schnee
-fern von der Heimat und ihren Lieben das schönste Fest, das Christfest,
-verleben mußten.
-
-Im Hause in der Rue de Provence in Versailles dachte Bismarck mit
-verhaltener Wehmut an jenem 24. Dezember der Seinen. Im Kamin flackerte
-das Feuer, und um den Tisch saß ein kleiner Kreis von Männern, der hier
-gleichsam seine Familie repräsentierte, seine treuen Mitarbeiter. Ein
-Christbäumchen fehlte nicht, aber es war ein winzig Dingelchen, doch
-gehörte es in das deutsche Heim, um wenigstens einigermaßen Stimmung
-zu machen. Und unter dem Bäumchen lag eine liebe Gabe, die mit anderen
-von daheim gekommen war, ein Geschenk von Frau Johanna. Sie wußte, daß
-ihr Gemahl eine besondere Vorliebe für schöne Becher habe, und so hatte
-sie ihm in zierlichem Kästchen zwei derselben zugesandt, den einen in
-Tula-Manier, den anderen in geschmackvollem Renaissancestil.
-
-Aber auch sein König hatte ihn nicht vergessen. Er sandte ihm am
-Christabend das Eiserne Kreuz erster Klasse, um die Verdienste
-des Mannes zu ehren, der mit sicherer Hand auch aus der Mitte des
-feindlichen Landes die Fäden der Politik zum Segen Deutschlands und zur
-Ehre seiner Heimat verknüpfte.
-
-Der herrlichste deutsche Festtag aber, welchen das französische
-Königsschloß in jenen Tagen schaute, war der 18. Januar 1871. Vor
-170 Jahre hatte der Brandenburger Kurfürst sich an diesem Tage die
-preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt, und nun ward ein König von
-Preußen deutscher Kaiser. Im Palaste jenes Ludwig XIV., der einst so
-tiefe Schmach und Schädigung über deutsches Land und Volk gebracht,
-feierte unseres Reiches Herrlichkeit seine Auferstehung – ein Walten
-der Weltgeschichte, wie es nicht ergreifender gedacht werden kann.
-
-Vom Herrenschlosse zu Versailles wehte die Fahne der Hohenzollern
-hinaus in die Winterluft. Um die Mittagsstunde standen zu beiden Seiten
-der Straße von der Präfektur her in Reih und Glied die Scharen der
-deutschen Soldaten, mit flammender Begeisterung im Auge, die Brust
-geschwellt von einem maßlosen Hochgefühl. Andere hatten sich um das
-mitten auf dem Schloßplatz sich erhebende gewaltige Reiterstandbild
-Ludwigs XIV. gruppiert und unter den Statuen französischer
-Kriegshelden. Die mächtigen Pforten des glänzenden Palastes, welche
-in goldenen Lettern die prunkende Aufschrift tragen: »~A toutes les
-gloires de la France~« waren weit geöffnet, um die erlauchten deutschen
-Gäste aufzunehmen, welche im glänzenden Zuge herankamen.
-
-Nun nahte die ehrwürdige Gestalt des Königs. Ein Brausen und Jauchzen
-erhob sich, das die Lüfte erschütterte, und das selbst die neugierigen
-Gaffer mächtig ergriff und eine Ahnung treudeutschen Empfindens in ihre
-Seelen trug, und zwischen den jubelnden Soldaten schritt der königliche
-Greis hin, hochaufgerichtet und herrlich. Am Portale begrüßte ihn
-der Kronprinz, in den Vorgemächern empfingen ihn Fürsten, Minister
-und Generale, und so geleiteten sie ihn in die festlich geschmückte
-herrliche Spiegelgalerie des Schlosses. An der Decke des Saales war
-ein Bild, das wunderlich in diese Situation paßte, eine Verherrlichung
-Ludwigs XIV., vor dessen Thron sich die Mächte Europas demütig beugen.
-Am Mittelpfeiler der Gartenseite war ein Altar errichtet, zu dessen
-beiden Seiten die Vertreter des deutschen Heeres, Mannschaften aller
-Truppenteile, standen, und von einer Estrade her winkten die Fahnen der
-deutschen Armeen herab, welche von Unteroffizieren gehalten wurden,
-deren Brust das eiserne Kreuz schmückte.
-
-Eine ergreifende Stille trat ein, als der König, von den Fürsten
-und seinen Recken umgeben, dem Altare zuschritt und demselben
-gegenüber Platz nahm. Mit frommem Aufblick zu Gott ward die feierliche
-Stunde eingeleitet. Wie daheim im Gotteshause erklang die Liturgie.
-»Jauchzet dem Herrn alle Welt!« jubelte der Sängerchor, und dann trat
-Hofprediger Rogge vor, um die Festpredigt zu halten. In die glänzende
-und weihevolle Versammlung rief er das Wort des Psalmisten: »Herr,
-der König freuet sich deiner Kraft, du setzest eine goldene Krone auf
-sein Haupt,« und nun wandte er den Blick empor zu dem übermütigen
-Deckengemälde und pries den Herrn, der den feindlichen Hochmut
-zuschanden gemacht hatte.
-
-Machtvoll und erhebend klang der fromme Choral: »Nun danket alle Gott!«
-von hundert Männerlippen, und jetzt schritt der greise König, von dem
-Kronprinzen und Bismarck gefolgt, auf die Erhöhung, von der die Fahnen
-niederwallten, und verlas das Wort vom wiedererstandenen deutschen
-Reiche. Dann forderte er den Kanzler auf, des neuen Kaisers ersten
-Erlaß, seinen kaiserlichen Gruß, den Fürsten und Vertretern des Volkes
-zu verkündigen.
-
-Stattlicher erhob sich die Gestalt Bismarcks, festen Fußes trat er
-einige Schritte vor, ernst und mit verhaltener Bewegung flog sein Auge
-durch den Saal, auf welchem tiefes, feierliches Schweigen ruhte, und
-dann klangen die Worte so ruhig und klar bis in die fernste Ecke des
-Raumes:
-
-»Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen – nachdem die
-deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtet
-haben, mit Herstellung des deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig
-Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen,
-und nachdem in der Verfassung des deutschen Bundes die entsprechenden
-Bestimmungen vorgesehen sind – bekunden hiermit, daß Wir als eine
-Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem
-Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte Folge zu
-leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäß werden Wir
-und Unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den kaiserlichen
-Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen
-Reiches führen, und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation
-gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das
-Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir übernehmen
-die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher
-Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den
-Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die
-geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der
-Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner
-heißen und opfermutigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der
-Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten
-entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns
-aber und unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen,
-allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen
-Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem
-Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.«
-
-Langsam trat Bismarck an die Seite seines Kaisers zurück, aus dem
-Kreise der deutschen Fürsten aber schritt der Großherzog von Baden bis
-an die Erhöhung heran, hoch in der Rechten schwang er den blitzenden
-Helm, und in wahrer und warmer Begeisterung rief er:
-
-»Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!«
-
-Schmetternd in Jubeltönen fiel die Musik ein, aus der ganzen
-Versammlung brauste es mit erhebender Gewalt empor, das stolze Wort,
-und während die Volkshymne machtvoll einsetzte, pflanzte sich die
-Begeisterung fort, hinaus durch die Hallen und Höfe, die Straßen und
-Plätze. Das war die Weihestunde des neuen Reiches.
-
-Aber der Kampf auf Frankreichs Feldern und um seine Hauptstadt dauerte
-noch immer fort, bis in der letzteren die Not auf das äußerste
-gestiegen war: Übermütiger Trotz konnte hier nicht weiter nützen. Am
-Abend des 23. Januar fuhr durch die Straßen von Versailles ein Wagen,
-der wohl vordem dem kaiserlichen Hofe gehört haben mochte, aber das
-Wappen daran war beseitigt worden. Drei Männer saßen darin, der hagere,
-bleiche Advokat Jules Favre, dessen kleiner, beweglicher Schwiegersohn,
-der Maler Martinez de Rio und Graf d’Hérisson. In der Rue de Provence,
-vor dem Hause der Frau Jessé, hielt das Gefährt, die Insassen stiegen
-aus und gingen langsam die Treppen nach dem ersten Stockwerk hinan. Sie
-wurden von den Ministerialbeamten empfangen und erhielten an Bewirtung,
-was eben aufzutreiben war, dann bat Bismarck Favre und den Grafen
-d’Hérisson, bei ihm in den kleinen Salon einzutreten.
-
-An einem runden Tisch saßen die drei, und Bismarck bot seinen Gästen
-Zigarren an, welche vor ihm standen. Beide lehnten dieselben ab, und
-lächelnd bemerkte der Kanzler:
-
-»Sie tun unrecht daran; wenn man eine Unterredung beginnt, die zu
-heftigen Auseinandersetzungen führen kann, ist es doch besser, beim
-Zwiegespräch zu rauchen. Die Zigarre paralisiert, indem man sie hin und
-her dreht und nicht fallen lassen will, einigermaßen die körperliche
-Erregung und stimmt uns milder, man fühlt sich behaglich und macht sich
-eher Konzessionen.«
-
-Der bleiche, hagere französische Abgeordnete saß etwas zusammengebeugt
-in seinem Stuhle, der Kanzler in seiner Kürassieruniform aufrecht
-und stattlich. Er führte die Verhandlungen in einem ausgezeichneten
-Französisch, welches Graf d’Hérisson geradezu mit Verwunderung anhörte.
-Jules Favre glaubte an die Unterredung von Schloß Ferrières wieder
-anknüpfen zu können, aber Bismarck bemerkte höflich:
-
-»Sie vergessen, daß unsere Lage heute bereits eine andere ist wie
-damals. Wenn Sie an Ihrem Grundsatze festhalten: ›Keinen Zollbreit
-unseres Gebietes, keinen Stein unserer Festungen,‹ so ist es
-überflüssig, weiter darüber zu sprechen. Meine Zeit ist kostbar, die
-Ihrige auch, und ich sehe nicht ein, weshalb wir sie vergeuden sollten.«
-
-Es handelte sich um die Bedingungen des Waffenstillstandes, und der
-redegewandte Franzose bot alles auf, dieselben den Verhältnissen
-gemäß günstig zu gestalten. Aber er fand einen überlegenen, eisernen
-Gegner. Übergabe der Außenforts von Paris, Kriegsgefangenschaft der
-Verteidigungstruppen, Entwaffnung der Nationalgarde und Einmarsch
-deutscher Truppen in Frankreichs Hauptstadt – das waren die
-wesentlichsten Forderungen des Kanzlers.
-
-Jules Favres bleiches Gesicht rötete sich vor innerer Erregung, er
-strich sich die wirren weißen Haare aus der Stirn und begann aufs neue
-mit dem Versuche, eins und das andere abzudingen. Daß deutsche Soldaten
-durch die Straßen von Paris marschieren sollten, war dem Franzosen ein
-besonders unerträglicher Gedanke, und er bestürmte Bismarck, indem
-er an dessen Großmut appellierte und auf die tiefe Verletzung der
-französischen Nationalehre hinwies, darauf zu verzichten. Auch die
-Entwaffnung der Nationalgarde erschien dem Vertreter Frankreichs als
-tief demütigend und kränkend, und er bat dringend, von dieser Forderung
-abzustehen.
-
-Der Kanzler sah ihn ernst an und erwiderte nach einer kleinen Pause:
-
-»Ich will Ihnen in dem letzten Punkte entgegenkommen, aber glauben
-Sie mir, Sie begehen eine Dummheit. Sie werden selbst noch mit den
-Gewehren zu rechnen haben, die Sie den exaltierten Menschen lassen
-wollen.«
-
-»Und Paris soll nicht verschont bleiben vor dem Schmerz einer Invasion
-Ihrer Truppen?«
-
-»Ich würde Ihnen auch hier ein Zugeständnis zu machen bereit sein,«
-sprach der Kanzler, »aber der König und die Generale bestehen darauf.
-Das ist die Belohnung für unsere Armee. Wenn ich nach der Rückkehr in
-die Heimat einem armen Teufel mit einem Stelzfuß begegnen werde, dann
-wird er sagen: Das Bein, das ich vor den Mauern von Paris gelassen
-habe, gab mir das Recht, meine Eroberung zu vervollständigen; dieser
-Diplomat, der im Besitze seiner gesunden Gliedmaßen ist, hat mich daran
-verhindert. – Wir können uns dem nicht aussetzen, in diesem Punkte das
-öffentliche Gefühl zu verletzen. Wir werden in Paris einziehen, aber
-nicht über die Elyséischen Felder hinausgehen, und dort die Ereignisse
-abwarten. Wir werden auch den 60 Bataillonen der Nationalgarde, welche
-zuerst gebildet wurden und Sinn für Ordnung haben, die Waffen belassen.«
-
-»Und wir dürfen wohl annehmen, daß in den abzuschließenden
-Waffenstillstand auch die von Garibaldi zu unserer Unterstützung
-herbeigeführte Armee eingeschlossen werde?«
-
-In das Antlitz Bismarcks stieg eine wärmere Röte, sein ernstes Auge
-blitzte auf.
-
-»Diese Truppen sind für uns keine völkerrechtlich anerkannte
-Heeresmacht; das sind Banden, die unter die Kategorie Ihrer
-Freischärler fallen, mit ihnen werden wir nicht paktieren. Haben wir
-uns auch veranlaßt gesehen, uns mit ihnen zu schlagen, so mag man
-uns doch nicht zumuten, durch ein solches Zugeständnis ihnen eine
-Berechtigung zuzuerkennen, sich in den Streit zweier großen Nationen zu
-mischen.«
-
-Der gewaltige Recke war in heftige und zornige Erregung gekommen,
-und der Graf d’Hérisson, der ein schweigender Zeuge dieser ganzen
-Szene war, gedachte jetzt der Äußerung, welche Bismarck vorher getan.
-Mit einem raschen, kühnen Entschlusse faßte er den auf dem Tisch
-stehenden kleinen Teller mit Zigarren und bot mit einer ehrerbietigen
-Verbeugung dieselben dem Kanzler dar. Einen Augenblick sah ihn Bismarck
-einigermaßen erstaunt an, dann flog ein Schimmer von Verständnis über
-sein Gesicht, wie ein leichtes Lächeln spielte es um seinen Mund, und
-er sagte:
-
-»Sie haben recht, Kapitän, es führt zu nichts, sich zu ereifern … im
-Gegenteil!«
-
-Und als Jules Favre mit erneuter Wärme sich für den Waffenstillstand
-mit Garibaldi verwendete, wurde ihm derselbe auch tatsächlich noch
-zugestanden.
-
-Die Verhandlungen dauerten auch in den nächsten Tagen noch fort. Am
-Abend des 26. Januar aber fuhr der kaiserlich französische Wagen mit
-dem abgekratzten Wappen wieder vor dem Hause in der Rue de Provence
-vor, und in verbindlicher Weise geleitete Bismarck seine Gäste zu
-demselben. Die stattliche, stolze Gestalt in der Kürassieruniform
-sah achtungsgebietend aus neben der etwas zusammengebeugten hageren
-und schlotterigen Erscheinung des Pariser Advokaten, dem der Kanzler
-freundlich die Hand reichte. Ein Mitgefühl erfaßte ihn für den Mann,
-der doch auch im Dienste seines Volkes und seiner Heimat unter den
-mißlichsten Verhältnissen wirkte, und er sprach:
-
-»Ich glaube nicht, daß, nachdem wir so weit gekommen, ein Abbruch der
-Verhandlungen möglich wäre. Wenn Sie derselben Ansicht sind, wollen wir
-heute abend das Feuer einstellen.«
-
-In den Augen des Franzosen leuchtete ein Strahl dankbarer Freude auf,
-als er erwiderte:
-
-»Da ich das Unglück habe, das besiegte Paris zu vertreten, wollte
-ich nicht um eine Gunst bitten, so sehr mir dies am Herzen lag. Ich
-nehme gern Ihr Anerbieten an; es ist der erste Trost, den ich in
-unserem Unglück empfinde. Es war mir ein unerträglicher Gedanke, daß
-unnützes Blut vergossen wird, während wir über die Bedingungen eines
-Waffenstillstandes verhandeln.«
-
-»Nun wohl, so lassen wir beiderseits Befehl ergehen, daß das Feuer um
-Mitternacht schweigt.«
-
-Die Nacht brach ein, da und dort war der Himmel gerötet von Feuersglut,
-die Kanonen donnerten zornig gegeneinander, um die zwölfte Stunde
-aber ward es mit einmal still. Ein letzter dröhnender Schuß von der
-Seinestadt herüber, und kein deutscher Schuß gab die Antwort mehr
-darauf … Tiefe, beinahe ergreifende Ruhe lag über dem nächtlichen Lande.
-
-Die Waffen hörten nun überhaupt auf zu sprechen, und am 21. Februar
-trafen die neugewählten Häupter der jungen französischen Republik im
-deutschen Hauptquartier ein, nachdem sich vorher die Kapitulation
-von Paris vollzogen hatte; es waren _Jules Favre_ und der greise,
-redegewandte und diplomatisch erfahrene _Adolf Thiers_.
-
-So saßen sie abermals um den runden Tisch, der kleine Franzose mit
-dem glatten, geistvollen Gesicht und den klugen Augen, die hinter
-glänzenden Brillengläsern hervorschauten, der hagere, blasse Jules
-Favre und Bismarck in seiner einfachen Uniform mit dem Eisernen Kreuze
-auf der breiten Brust. Daß den Franzosen die Bedingungen, unter welchen
-ihrem Lande der Friede gewährt werden sollte, hart erschienen, ist
-begreiflich, aber der Kanzler wußte, was er notwendig begehren mußte:
-Die Herausgabe von Elsaß-Lothringen mit den Festungen Belfort und Metz
-und eine Kriegsentschädigung von 6 Milliarden Francs.
-
-Wenn Thiers jemals den Ruf eines überaus beredten Mannes gerechtfertigt
-hat, so war es in jenen Stunden, da er alles aufbot, um wenigstens
-einigermaßen glimpflichere Bedingungen zu erhalten. Wenn auch
-Elsaß-Lothringen preisgegeben werden mußte, so suchte er doch Metz und
-Belfort für Frankreich zu retten und die Kontribution zu verringern. Im
-letzteren Punkte gab Bismarck nach und ging von sechs Milliarden Francs
-auf fünf herab, im übrigen aber blieb er fest. Bündig, klar und höflich
-setzte er dies in seinem gewandten Französisch den beiden Gegnern
-auseinander, und angesichts dieser unerschütterlichen Festigkeit geriet
-Thiers in heftigere Erregung, so daß er sich zu der Äußerung hinreißen
-ließ:
-
-»~Ah, c’est une spoliation véritable, c’est une indignité~« (Ach, das
-ist ja ein wahrhafter Raub, eine Schlechtigkeit!).
-
-Bismarck hielt den Vertretern des gedemütigten, schwer getroffenen
-Frankreich viel zugute, aber das ging über das Maß dessen hinaus, was
-er als Vertreter Deutschlands sich bieten lassen durfte. Er erhob sich
-von seinem Sitze, richtete sich hoch auf, sah den kleinen, erregten
-Franzosen durchdringend an und sagte dann kühl und gemessen in
-deutscher Sprache:
-
-»Ich bedaure, aus der mir unverständlichen Äußerung, welche Sie
-soeben getan, entnehmen zu müssen, daß ich des Französischen nicht so
-mächtig bin, als es wünschenswert wäre, um unsere Verhandlungen in
-französischer Sprache fortsetzen zu können. Wir werden uns deshalb der
-deutschen Sprache bedienen müssen, um so mehr, da ich keinen Grund
-erkennen kann, weshalb wir dies nicht von Anfang an getan haben. Ich
-werde mir gestatten, die von uns gestellten Bedingungen des Friedens
-noch einmal zusammenzufassen.«
-
-Während er das letztere tat, saß Thiers zusammengesunken in seinem
-Stuhle, Favre aber war aufgesprungen, mit erregten Händen durch das
-graue Haar gefahren, dann eilte er nach einer Ecke des Gemaches und
-drückte sein Haupt an die Wand.
-
-Endlich faßte sich Thiers. Ein Zug des Unmuts ging über sein Gesicht,
-dann erhob er sich, trat an einen anderen Tisch, ergriff hastig die
-Feder und schrieb einiges nieder auf ein Blatt Papier, welches er nun
-Bismarck reichte.
-
-»Ist es das, was Sie wünschen?« fragte er mit vor Erregung heiserer
-Stimme.
-
-Bismarck warf einen Blick auf das Geschriebene, ein verbindliches
-Lächeln huschte über seine ernsten Züge, und indem er sich langsam in
-seinen Sessel niederließ, sprach er:
-
-»Auf dieser Grundlage können wir die Verhandlungen auch in
-französischer Sprache wieder aufnehmen.«
-
-Aufs neue begann Thiers wegen Belfort zu unterhandeln mit dem Aufgebot
-seines ganzen Patriotismus, mit seiner wärmsten Beredtsamkeit, aber
-der Kanzler blieb auch jetzt voll höflicher Festigkeit, und tiefatmend
-sagte der Franzose:
-
-»Nun denn – Sie wollen, daß wir durch das Joch gehen, und unsere
-ganze Unterhandlung ist leerer Schein. Belfort ist eine rein
-französische Stadt; wollen Sie uns dieselbe nehmen, so heißt das einen
-Vernichtungskrieg gegen Frankreich führen. Nun gut, führen Sie ihn
-– wir aber werden Sie bis zum letzten Atemzug bekämpfen, wir werden
-vielleicht erliegen, aber nicht entehrt sein!«
-
-Das leidenschaftliche Pathos des Franzosen hatte etwas Erschütterndes,
-und selbst Bismarck empfand dies. Er versicherte sich der Genehmigung
-seines Kaisers und Königs, dann ließ er den Abgeordneten Frankreichs
-die Wahl, ob sie Belfort behalten oder sich den Einmarsch deutscher
-Truppen in ihre Hauptstadt, gegen welchen sie gleichfalls
-remonstrierten, gefallen lassen wollten. Sie zogen das letztere vor.
-
-Ein Sonntag war es, der 28. Februar, als der Friedensvertrag in
-Versailles unterzeichnet wurde in Gegenwart der Vertreter Bayerns,
-Württembergs und Badens. Die goldene Feder des Pforzheimer Fabrikanten
-fand die ihr zugedachte Verwendung. Tiefes, ehrfurchtsvolles Schweigen,
-wie es dem Unglück gegenüber geboten war, herrschte in dem Raume, als
-Adolf Thiers sich niederbeugte auf das bedeutsame Dokument. In den
-Augen des greisen französischen Staatsmannes schimmerte es feucht, als
-er wieder aufsah, Bismarck aber war an ihn herangetreten, und indem er
-ihm herzlich die Hand reichte, sprach er:
-
-»Sie sind der letzte, welchem Frankreich diesen Schmerz hätte
-auferlegen sollen, denn Sie unter allen Franzosen haben ihn am
-wenigsten verdient.«
-
-Der 1. März war angebrochen, und um die Mittagszeit dieses Tages hatte
-Paris ein Schauspiel, das seine Bewohner mächtig erregte und ergrimmte.
-
-Durch den ~Arc de Triomphe~, den Siegesbogen, zogen die deutschen
-Truppen in Frankreichs Hauptstadt ein. Ein herrliches, erhebendes
-Bewußtsein erfüllte die Brust der Braven, die hier endlich die
-Genugtuung hatten, daß die Schmach gebüßt sei, die Frankreich zu
-Anfang des Jahrhunderts ihren Vorfahren angetan. Stramm und kraftvoll
-marschierten die Kolonnen, donnerndes Hurrarufen durchbrauste die
-Luft, die Waffen glänzten, die Helme blinkten, und stumm, mit mühsam
-verhaltenem Groll stand das Volk von Frankreich in den Straßen und
-schaute auf die Sieger. Da ritt eine mächtige Gestalt heran in der
-Uniform der Kürassiere, das Eiserne Kreuz auf der Brust. Unter dem
-Stahlhelm blitzten ernst und scharf die Augen umher, und wie aus Erz
-gegossen saß der Recke im Sattel.
-
-Ein Murmeln und Murren ging durch die Neugierigen: »Da ist Bismarck!«
-
-Die rückwärts Stehenden reckten sich höher, die Augen wurden finsterer
-und drohend, der Kanzler aber sah hinein in die wogende Menge, ruhig
-und kühl, wandte dann sein Roß herum und beugte sich herab zu einem
-Manne, der ihn mit feindlicher Gehässigkeit anstarrte.
-
-»Monsieur, darf ich Sie um etwas Feuer für meine Zigarre bitten?«
-sprach er mit Liebenswürdigkeit, und der Angesprochene war so
-verblüfft, daß er mit französischer Gefälligkeit dem Wunsche des
-Reiters entsprach. – –
-
-Nur wenige Tage noch weilte der Kanzler auf dem Boden von Frankreich;
-am 6. März reiste er mit seinem König nach der Heimat zurück, das Herz
-erfüllt von Sehnsucht nach den Seinen. Und als in den Morgenstunden
-des 9. März der Zug in Berlin einfuhr, stand er schon am Fenster des
-Kupees, und schaute hinaus nach den teuren Gesichtern. Und da standen
-sie, die er suchte: die geliebte Frau, die herzige Tochter, und
-zwischen beiden Graf Herbert in der Uniform mit dem Eisernen Kreuz.
-Nach wenigen Sekunden war er bei ihnen.
-
-»Da habt ihr euren Ollen wieder!«
-
-Das war das humorvolle Wort, in dem er die gewaltige freudige Bewegung
-seiner Seele verhüllte, als er seine Lieben umarmte.
-
-Am nächsten Tage war er bereits wieder in Frankfurt a. M. Hier fand die
-große Tragödie des gewaltigen Krieges ihren endgültigen Abschluß durch
-Unterzeichnung des Friedensvertrages. Die alte, stolze Stadt hatte sich
-festlich geschmückt, und durch ihre Straßen wogte eine freudig bewegte
-Menge.
-
-Vor dem Hotel »Zum Schwanen« staute sich die Masse; hier verkehrten die
-Staatsmänner, welche bei diesem Nachspiel agierten, und man wollte sie
-sehen, vor allen den einen, den Kanzler des neuen Deutschen Reichs.
-Interesse hatte man indes für alle. Jetzt kam die hagere Gestalt
-Jules Favres und schritt langsam durch die Menge, und nicht lange
-nach ihm erschien der Erwartete. Die Kraftgestalt Bismarcks trat aus
-dem Tore; das mächtige Haupt auf den breiten Schultern ragte über die
-herandringende Menge, und begeisterte Zurufe schollen ihm entgegen.
-Langsam schritt er durch die Straße, und der Jubel klang ihm nach,
-wohin er ging, bis er plötzlich in eine Gasse abbog und in einem
-kleinen, freundlichen Hause verschwand.
-
-»Wer wohnt hier? Zu wem geht er?« fragte es in der Menge.
-
-»Hier wohnt der Maler Becker! – Ah, das ist hübsch, daß er hierher
-geht!«
-
-Ja, er war gekommen, in Erinnerung an die alten, freundlichen
-Beziehungen die ihm lieben Leute, seine »Sonnenscheinfamilie« zu
-begrüßen. Diesmal brachte er selbst den Sonnenschein mit in das
-anmutige Künstlerheim, und mancher Anklang längst verklungener
-Stunden tauchte wieder auf. Wie war doch alles anders geworden, seit
-er als Bundestagsgesandter hier in Frankfurt gelebt und sich mit
-seinen süddeutschen Kollegen und mit dem österreichischen Präsidenten
-herumgeärgert hatte.
-
-Wenige Tage später erhielt er seine Erhebung in den Fürstenstand, die
-Ehrengabe seines dankbaren Kaisers und Königs, der ihm außerdem einen
-erblichen Grundbesitz im Herzogtum Lauenburg verlieh. Und am 20. März
-sprach in dem neueröffneten ersten deutschen Reichstage Kaiser Wilhelm
-die schönen Worte:
-
-»Wir haben erreicht, was seit der Zeit unserer Väter für Deutschland
-erstrebt wurde: Die Einheit und deren organische Gestaltung, die
-Sicherung unserer Grenze, die Unabhängigkeit unserer nationalen
-Rechtsentwicklung. Möge die Wiederherstellung des deutschen Reiches für
-die deutsche Nation auch nach innen das Wahrzeichen neuer Größe sein;
-möge dem deutschen Reichskriege, den wir so ruhmreich geführt, ein
-nicht minder glorreicher Reichsfriede folgen, und möge die Aufgabe des
-deutschen Volkes fortan darin beschlossen sein, sich in dem Wettkampfe
-um die Güter des Friedens als Sieger zu bewähren. Das walte Gott!«
-
-Wenn irgendeiner in tiefster Seele dies kaiserliche Wort nachempfand,
-so war es der Reichskanzler, der mit dem Bewußtsein, daß er mit seiner
-Kraft redlich das Seine zum bisherigen Gelingen des großen Werkes getan
-habe, das stille Gelöbnis verband, im Dienste seines Vaterlandes und
-seines Kaisers unermüdlich weiterzuarbeiten.
-
-»~Patriae inserviendo consumor!~ Im Dienste des Vaterlands will ich
-aufgehen!«
-
-Am 16. Juni feierte Preußen und des neuen Reiches Hauptstadt die
-Heimkehr der Sieger. Wiederum kamen sie von dem Brandenburger Tor
-herangezogen, und zwischen zujubelnden Menschenmassen zogen sie einher,
-geschmückt mit Kränzen und grünen Reisern, und die breite Straße Unter
-den Linden war überflutet von wehenden Fahnen, geschmückt mit bunten
-Teppichen und Tüchern, mit Laubgewinden und Blüten. Wie schlugen die
-Herzen all der Tausende höher, als vor ihrem greisen Heldenkaiser die
-herrlichen drei, Bismarck, Moltke und Roon, einherritten, und nun der
-alte, weißhaarige Sieger kam und mit seinem milden, freundlichen, von
-tiefer Bewegung leuchtenden Antlitz auf sein Volk herniederschaute, das
-immer neu in endlose Jubelrufe ausbrach, die lawinengleich fortbrausten
-und immer noch anzuschwellen schienen. Hinter dem Kaiser ritten die
-beiden Feldmarschälle, Kronprinz Friedrich und Prinz Friedrich Karl,
-und mit ihnen ein glänzender Zug der deutschen Fürsten. Das war ein
-Festtag, wie er kaum jemals in Berlin erlebt worden war, und selbst
-die hereinbrechende Nacht machte der Begeisterung, dem festlichen
-Wogen kein Ende. In allen Straßen und Gassen leuchtete es auf mit dem
-Beginnen des Abends, aus allen Fenstern strahlte Lichtglanz, und
-auch das fernste, kleinste Haus, auch das schlichte Mansardenstübchen
-wollte heute nicht zurückbleiben.
-
-[Illustration: ~Eis. Kanzler V.~
-
-Wilhelm II. und Bismarck in Friedrichsruh.]
-
-Um das Palais des Kaisers wogte die Menge am dichtesten;
-Vaterlandslieder und stürmische Hochrufe schollen durch diese einzige
-Sommernacht, und wie ein Echo klang es verhallend herüber aus der
-Wilhelmstraße, wo Tausende und Abertausende um das Palais des Kanzlers
-sich zusammenfanden zu stürmischen Huldigungen. Beim strahlenden
-Lichterschein aber flatterte eine mächtige Fahne aus der Wohnung
-Bismarcks, und was auf ihr geschrieben stand, rief immer aufs neue das
-herrliche Dichterwort hinein in die Herzen der begeisterten Menge:
-
- Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,
- In keiner Not uns trennen und Gefahr!
-
-
-
-
-Elftes Kapitel.
-
-Des neuen Reiches Kanzler.
-
-
-Im freundlichen Badeorte Kissingen war die Saison in vollem Gange, und
-der Sommer des Jahres 1874 hatte auch die anmutige bayrische Stadt nach
-gewohnter Weise lieblich und festlich herausgeputzt, und zahlreiche
-Gäste aus allen Weltgegenden suchten hier Genesung und Erholung. Zu
-Anfang des Juli war auch der deutsche Reichskanzler hier eingetroffen
-und bildete beinahe den mächtigsten Anziehungspunkt des schönen
-Kurorts, dessen zweifellos berühmtester Besucher er war. Wo er ging
-und fuhr, blieb man stehen, drängte man sich näher heran, freute man
-sich seines Grußes und war man stolz, wenn man eines Wortes von ihm
-gewürdigt wurde.
-
-An einer Straßenbiegung stand um die Mittagszeit des 13. Juli eine
-größere Anzahl von Damen und Herren. Man wußte, daß der Kanzler um
-diese Zeit hier vorüber nach seiner Wohnung im Hause des Dr. Diruff
-fahren werde. Zwei vornehm aussehende Herren gingen langsam auf und ab
-in lebhaftem Gespräche; der eine sagte:
-
-»Deutschland darf mit Recht stolz sein auf ihn; er ist der größte
-Staatsmann, welchen es vielleicht jemals besessen hat.«
-
-»Wissen Sie, daß eine solche Anerkennung gerade aus Ihrem Munde
-besonderen Wert hat?« sagte der andere.
-
-»Weshalb?«
-
-»Weil Sie Österreicher sind, und dazu noch ein begeisterter
-Österreicher, bei dem es schwer wiegt, wenn er das Jahr 1866 Bismarck
-vergibt und seine Größe so voll anerkennt.«
-
-»Ja, der Schlag von damals hat uns weh getan, und ich habe wie Tausende
-meiner Landsleute ihm gegrollt, aber zuletzt muß ruhige Überlegung und
-vorurteilslose Betrachtung seiner Erfolge ihm die Herzen gewinnen,
-zumal aller, die deutsch reden und empfinden, ob sie im neuen Reiche
-oder in Österreich wohnen. Wie herrlich hat er es verstanden, mit
-den ehemaligen Gegnern an der Donau seinen Frieden zu machen; seinen
-Bemühungen war im Jahre 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser von
-Deutschland, Österreich und Rußland in Berlin zu danken, und was
-dieselbe für den europäischen Frieden bedeutet hat, wissen wir alle.«
-
-»Gewiß, aber nicht minder bewundere ich als Engländer seine Tatkraft
-und Energie der Anmaßung Roms gegenüber. Das Konzil, das die
-Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma gemacht hat, hat viel Unheil
-gebracht und hätte dem protestantischen Kaisertum eine schwere
-Schädigung zufügen können, wenn Bismarck nicht wie der getreue Eckart
-zum Schutze der Rechte der Krone und des deutschen Volkes eingetreten
-wäre. Die Maigesetze (vom 15. Mai 1873) haben der römischen Anmaßung
-einen Damm gesetzt. Die katholischen Priester sollen bei ihrer ganzen
-Ausbildung und die geistlichen Oberhirten bei deren Anstellung
-eingedenk bleiben, daß sie nicht außerhalb der Nation stehen, sondern
-zu dieser sich zu zählen haben. Aber verzeihen Sie – Sie sind selbst
-Katholik –«
-
-»Aber ein solcher, der das Wort: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers
-ist, und Gott, was Gottes ist,‹ verstanden zu haben meint, und dem die
-Äußerung Bismarcks in der Sitzung vom 14. Mai 1872: ›Seien Sie außer
-Sorge, nach Canossa gehn wir nicht!‹ die Seele erfreut und erwärmt hat
-– doch sehen Sie, hier kommt er!«
-
-Die beiden Männer standen still und sahen in der Richtung nach der
-Saline hin, von woher ein offener Wagen heranrollte. Im Fond lehnte der
-Kanzler, mit dem gewohnten breitrandigen Schlapphute auf dem mächtigen
-Haupte, und dankte freundlich den Grüßen, welche von allen Seiten her
-ihm entgegengebracht wurden.
-
-Die zwei Herren zogen ebenfalls ihre Hüte ab, als der Wagen
-vorüberfuhr, dann sahen sie ihm nach und kehrten zu ihrem Gespräche
-zurück. Plötzlich vernahmen sie einen Knall, kurz und scharf, und der
-Engländer rief:
-
-»Das war ein Schuß!«
-
-Gleich darauf eilten beide in der Richtung hin, woher der Schall
-gekommen war, dem Wagen Bismarcks nach. An einer der nächsten
-Straßenecken bereits drängte sich eine dichte Menge Volkes, geballte
-Fäuste hoben sich in die Lüfte, und nun wurde auch ein bleicher,
-aufgeregter junger Mensch dahergeschleppt, gegen welchen sich drohend
-der Unmut und Zorn der Menge wendete.
-
-»Er hat auf Bismarck geschossen – der Hund!« So lief es unheimlich von
-Mund zu Mund – dazwischen klangen Fragen nach dem Kanzler.
-
-»Er ist an der Hand verwundet, die er zum Gruße gehoben hat.«
-
-Der Wagen, in welchem Bismarck gesessen, hatte angehalten, er
-selbst war ausgestiegen, und um ihn drängten sich nun alle. Freudig
-begeisterte Zurufe mischten sich mit lebhaften Kundgebungen der
-Teilnahme und des heiligen Zornes, und immer dichter scharte es sich um
-ihn her, als wollten alle eine Mauer bilden zum Schutze um den teuren
-Mann, und wenig fehlte, so wäre er im Triumphe heimgetragen worden.
-
-Entsetzt und erschreckt vernahm die Gräfin sowie Komtesse Marie, was
-geschehen war, und wie einst in Berlin, so war er selbst auch hier am
-meisten gefaßt und ruhig. Er ließ sich den Attentäter vorführen. Dieser
-war ein Böttchergeselle aus Magdeburg, namens Kullmann, der durch die
-fanatischen Worte seines Pfarrers zu seinem Verbrechen getrieben worden
-war und unumwunden eingestand, daß er Bismarck habe töten wollen wegen
-der von demselben ausgegangenen Kirchengesetze.
-
-Mit einer Mischung von Abscheu und Mitleid betrachtete der Kanzler den
-irregeleiteten Burschen, der auch aus deutschem Blute entsprossen war
-und in seiner Verblendung die Mörderfaust heben konnte gegen einen
-Mann, der in allem, was er tat, nur seines Volkes Ehre und seines
-Vaterlandes Größe im Auge hatte.
-
-Die Aufregung, welche durch das freundliche Kissingen ging, war groß,
-gewaltiger noch jene, welche das ganze deutsche Land durchzitterte. An
-dem Abend des unseligen Tages aber fanden sich Tausende von Menschen
-ein vor dem freundlichen Hause des Dr. Diruff, um ihrem Herzen Luft zu
-machen und ihre Liebe und Begeisterung für Bismarck zum Ausdruck zu
-bringen. Stürmische Hochrufe brausten empor; man wollte den Mann sehen,
-welchen die Huld des Himmels so augenscheinlich behütet hatte, und
-endlich trat er heraus auf den Balkon, tiefbewegt über die Kundgebungen
-treuer Anhänglichkeit und liebender Teilnahme.
-
-Er winkte mit der unverwundeten Hand – man verstand, daß er sprechen
-wolle, und tiefe, feierliche Stille lag ringsum. In diese hinein klang
-die ruhige sonore Stimme, weithin vernehmbar:
-
-»Ich danke Ihnen herzlich für die wohltuende Teilnahme, die Sie mir
-bekunden, und die mich herzlich freut. Es geziemt mir nicht, weiteres
-über den heutigen Vorgang zu reden. Die Sache ist dem Urteil des
-Richters übergeben. Das aber darf ich wohl sagen, daß der Schlag,
-der gegen mich gerichtet war, nicht meiner Person galt, sondern der
-Sache, der ich mein Leben gewidmet habe: der Einheit, Unabhängigkeit
-und Freiheit Deutschlands. Und wenn ich auch für die große Sache hätte
-sterben müssen, was wäre es weiter gewesen, als was Tausende unserer
-Landsleute betroffen hat, die vor drei Jahren ihr Blut und Leben auf
-dem Schlachtfelde ließen! Das große Werk aber, das ich mit meinen
-schwachen Kräften habe beginnen helfen, wird nicht durch solche Mittel
-zugrunde gerichtet werden, wie das ist, wovor Gott mich gnädig bewahrt
-hat. Es wird vollendet werden durch die Kraft des geeinigten Volkes.
-In dieser Hoffnung bitte ich Sie, mit mir ein Hoch zu bringen dem
-geeinigten deutschen Volke und seinen verbündeten Fürsten!«
-
-Begeistert und aus bewegten Herzen stimmte die Menge in den Ruf ein,
-der in allen Gauen Deutschlands frohen Widerhall fand.
-
- * * * * *
-
-Wer in den siebziger Jahren in die Hauptstadt des deutschen Reiches
-kam, konnte wohl erstaunt und erfreut sein über die Rührigkeit, die
-sich auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zeigte, wie über die
-Verschönerungen auf den Plätzen und in den Straßen, durch Gebäude und
-Denkmäler. Am Sedanstage 1873 war das imposante Siegesdenkmal auf
-dem Königsplatze eingeweiht worden, im nächsten Jahre die herrliche
-Nationalgalerie; das Zeughaus hatte durch einen Umbau hervorragend an
-Schönheit und monumentaler Bedeutung gewonnen, Museen und Galerien
-wuchsen aus der Erde empor, und unter den Denkmälern war es besonders
-jenes der unvergeßlichen Königin Luise, welches Auge und Herz gefangen
-nahm.
-
-Und wer nach Berlin kam, verabsäumte auch nicht, nach der Wilhelmstraße
-zu wandern, um das schlichte Palais zu sehen, in welchem der Mann
-wohnte, der »Deutschland in den Sattel gehoben hatte«, und dem es zu
-danken war, daß es im Völkerrate eine hervorragende, ja, die erste
-Rolle spielte. Das konnte zumal einem Besucher klarwerden, der in den
-Junitagen des Jahres 1878 nach der Wilhelmstraße kam und sah, wie in
-den Mittagsstunden ein Wagen nach dem anderen heranrollte, und hörte,
-wer die Besucher des Reichskanzlerpalais waren. Die Staatsmänner
-sämtlicher europäischen Großmächte fanden sich hier zusammen zu
-wichtigen Beratungen, und wenn wir in den vornehmen, doch einfachen
-Sitzungssaal einen Blick werfen, sehen wir den österreichischen Kanzler
-Grafen Andrassy in seiner goldstrotzenden Husarenuniform neben dem
-russischen Kanzler Grafen Gortschakoff, der durch seine glänzenden
-Brillengläser mit seinen klaren, scharfen Augen Umschau hält; ihm zur
-Seite steht Graf Schuwaloff, der russische Botschafter, im Gespräche
-mit dem hageren englischen Ministerpräsidenten Beaconsfield, und dem
-italienischen Gesandten Grafen Corti; der Charakterkopf des Lords Odo
-Russel taucht neben den mit dem Fez bedeckten Häuptern von Mohammed
-Ali Pascha und Karatheodori Pascha auf; mit dem ungarischen Grafen
-Caroly konversieren lebhaft die Gesandten Frankreichs, Waddington und
-Desprez … und unter all diesen bedeutenden Persönlichkeiten steht Graf
-Bismarck, hervorragend durch seine äußere Erscheinung sowie durch seine
-Stellung, welche ihm in diesem Kreise angewiesen ist.
-
-Das ist der _europäische Friedenskongreß_, welcher auf Bismarcks
-Anregung zusammengetreten ist, um nach Beendigung des im Jahr 1877
-geführten Krieges zwischen Rußland und der Türkei weitere feindselige
-Verwicklungen fernzuhalten, und der deutsche Kanzler ist der Präsident
-des Kongresses und leitet die Verhandlungen mit seiner sicheren Ruhe
-und energischen Klarheit. Und Europa durfte ihm Dank dafür wissen. Er
-wollte dabei nicht mehr sein als »der ehrliche Makler«, und das Wort
-hat er redlich eingelöst.
-
-Der Kongreß war aber zu einer Zeit zusammengetreten, da das Herz des
-Kanzlers noch blutete unter dem Nachklang ungeheurer Freveltaten,
-welche das ganze deutsche Volk tief erschüttert hatten.
-
-Schon am 11. Mai nachmittags hatte ein verkommenes Individuum, der
-Klempnergeselle Hödel, ein Attentat verübt gegen den greisen Kaiser
-Wilhelm, aber Gott hatte schützend seine Hand gehalten über dem
-geweihten, vielgeliebten Haupte.
-
-Da geschah das Unglaubliche, Ungeheure zum zweiten Male. Als Kaiser
-Wilhelm am 2. Juni die Straße Unter den Linden dahinfuhr, fielen
-aus dem zweiten Stockwerk des Hauses Nr. 18 rasch nacheinander zwei
-Schüsse. Zahlreiche starke Schrotkörner drangen in Kopf, Arm und Rücken
-des greisen Helden, der blutüberströmt, auf seinen Leibjäger gestützt,
-im offenen Wagen dahinfuhr, während die zornig erregten Zuschauer des
-entsetzlichen Vorgangs in das Haus eindrangen, von welchem aus der
-Attentäter gefeuert hatte. Die Tür seines Zimmers wurde aufgesprengt,
-einige Offiziere, Kriminalschutzleute und andere Personen drangen ein,
-noch zwei Schüsse krachten ihnen entgegen, am Ofen des Gemaches aber
-lehnte mit blutigem Antlitz ein Mensch, der nach seiner Freveltat
-bereits Hand an sich selbst gelegt hatte. Rasch war er überwältigt und
-in Haft gebracht, und es ergab sich, daß er der Landwirt ~Dr. phil.~
-Nobiling war, und ebenso wie Hödel durch die fanatische Verhetzung der
-Sozialdemokratie zu dem furchtbaren Verbrechen veranlaßt worden war.
-
-Wie ein Lauffeuer war die entsetzliche Kunde durch Berlin geflogen, der
-Telegraph hatte sie fortgetragen durch die Welt und hatte sie schnell
-genug auch nach dem stillen Friedrichsruh gebracht, wo der Kanzler an
-der Gürtelrose erkrankt war. Da schreckte er empor, er vergaß seine
-Krankheit und eilte an das Schmerzenslager seines teuren, greisen
-Herrn. Noch sah er die Wunden auf dem geliebten Angesicht, und Schmerz,
-heiliger Zorn und glühende Hingebung erfaßten den gewaltigen Mann. Er
-fühlte, wie es ihm heiß in die Augen stieg, aber er gelobte sich auch
-in dieser Stunde auszuhalten bei seinem Kaiser, solange ihn dieser
-nicht entlassen würde.
-
-Aber auch dem furchtbaren Feinde galt es zu Leibe zu gehen, der das
-Mark des deutschen Volkes zu vergiften sich bemühte, und der durch
-seine verhetzenden Grundsätze deutschgeborenen Männern die Mordwaffe
-gegen ihren Kaiser in die Hand gedrückt hatte – der Sozialdemokratie.
-Und unter dem Eindruck der fluchwürdigen Tat Nobilings stimmte der
-Reichstag dem von dem Kanzler ihm vorgelegten Ausnahmegesetz gegen die
-Sozialdemokratie zu.
-
-Wie ein zorniger Löwe war er eingetreten für dies Gesetz, das dem
-Schutze des friedlichen Bürgers dienen sollte, und ergreifend klangen
-die Worte, welche er im Reichstage sprach, durch alles deutsche Land:
-
-»Wenn die sozialistischen Agitatoren den Leuten, die zwar lesen, aber
-nicht das Gelesene beurteilen können, glänzende Versprechungen machen,
-dabei in Hohn und Spott, in Bild und Wort alles, was ihnen bisher
-heilig gewesen ist, als einen Zopf, als eine Lüge darstellen, alles
-das, was unsere Väter und uns mit dem Motto: »Mit Gott für König und
-Vaterland!« geführt und begeistert hat, als eine hohle Redensart, als
-einen Schwindel hinstellen, ihnen den Glauben an Gott, den Glauben an
-unser Königtum, die Anhänglichkeit an das Vaterland, den Glauben an
-die Familienverhältnisse, an den Besitz, an die Vererbung dessen, was
-sie für ihre Kinder erworben, ihnen alles das nehmen, so ist es doch
-nicht allzu schwer, einen Menschen von geringem Bildungsgrade dahin zu
-führen, daß er schließlich mit Faust spricht: »Fluch sei der Hoffnung,
-Fluch dem Glauben und Fluch vor allem der Geduld!« Ein so geistig
-verarmter und nackt ausgezogener Mensch, was bleibt dann dem übrig,
-als eine wilde Jagd nach sinnlichen Genüssen, die allein ihn noch mit
-diesem Leben versöhnen können! Wenn ich zu dem Unglauben gekommen wäre,
-der diesen Leuten beigebracht ist – ja, meine Herren, ich lebe in einer
-reichen Tätigkeit, in einer wohlhabenden Situation; aber das alles
-könnte mich doch nicht zu dem Wunsche veranlassen, einen Tag länger
-zu leben, wenn ich das, was der Dichter nennt: »an Gott und bessere
-Zukunft glauben«, nicht hätte. – Rauben Sie das dem Armen, dem Sie gar
-keine Entschädigung gewähren können, so bereiten Sie ihn eben zu dem
-Lebensüberdruß vor, der sich in ruchlosen Taten äußert, wie wir sie
-soeben erlebt haben.«
-
-In jenen Tagen tiefgehender Erregung war ihm der Frieden seines Hauses
-und Heims doppelt wertvoll, und die Stunden im Kreise seiner Familie,
-im vertrauten Verkehr mit Freunden und selbst parlamentarischen Gegnern
-an seinem Herde boten manche Anregung und Erholung.
-
-Wilhelmstraße 76! Es ist ein ziemlich einfaches, mäßig großes Gebäude,
-dies Wohnhaus des deutschen Reichskanzlers in Berlin, in dessen erstem
-und einzigem Stockwerk der größte deutsche Mann der Gegenwart sein Heim
-hatte.
-
-Es war Herbst geworden in dem unseligen Jahre 1878, und die Bäume in
-dem Parke hinter dem Palais haben angefangen sich zu verfärben. Unter
-ihnen schreitet der Kanzler hin, und wie einst als Knabe, so freut
-er sich auch jetzt noch der Schönheiten der Natur, wo immer sie ihm
-begegnen. Hier ist für ihn in dem geräuschvollen, lärmenden Berlin eine
-freundliche Oase. Aus den Kronen uralter, stammgewaltiger Buchen und
-Linden singen die Vögel, dichtes, noch immer grünes Buschwerk umsäumt
-die Wege, und in der herrlichen, von stattlichen Rüstern überwölbten
-Allee schreitet der Kanzler hin neben der geliebten Frau, der Gefährtin
-seiner Tage, seinem guten Kameraden.
-
-Die Frau des Hauses ist zwar heute besonders beschäftigt, denn am Abend
-gilt es Gäste zu empfangen zu einer der beliebten parlamentarischen
-Soireen, aber etwas Zeit bleibt für den Gatten, der so manches in ihr
-treues, verschwiegenes Herz niederlegt, ehe er mit anderen darüber
-verhandelt. Ein Stündchen ist zwischen den grünen Gehegen rasch
-genug vergangen, und Bismarck geht nach seinem Arbeitszimmer. Es ist
-nicht besonders groß, einfach, aber geschmackvoll in seiner ganzen
-Ausstattung. Über dem großen Schlafsofa hängen mehrere Porträte,
-darunter vor allem jene des kaiserlichen Herrn im Zivilanzuge, wie in
-Generalsuniform; von einer anderen Wand schaut das Bild König Ludwigs
-II. von Bayern her, es fehlen nicht in breiten goldenen Rahmen die
-lebensgroßen Porträte der beiden gewaltigen Hohenzollern, des Großen
-Kurfürsten und Friedrichs II., aber auch der Gegenwart wird ihr Recht.
-Über dem Mahagonistehpult sehen die freundlichen Augen der Fürstin
-Bismarck herab, und in ovalem Goldrahmen prangt an der Wand das in Öl
-ausgeführte Porträt der Komteß Marie. Auch das Gipsmedaillon des treuen
-Genossen, des Generals Moltke, fehlt nicht.
-
-In der Mitte des Raumes steht der umfangreiche Schreibtisch, davor
-zwei Polsterlehnstühle, in deren einem der Kanzler sich langsam
-niedergelassen hat. Er lehnt sich noch einmal sinnend zurück und läßt
-den Blick über den Tisch hinschweifen, an dem so manches bedeutsame
-Schriftstück die letzte Vollendung erhalten hat. Seine Hand hat einen
-der großen Bleistifte gefaßt und gleitet mit diesem über das rote
-Löschpapier, das auf der grünen Tuchunterlage ruht. Vor ihm stehen
-mancherlei Erinnerungen: Ein Briefbeschwerer aus einer 1866 eroberten
-Kanone, und ein anderer, zu dem ein französisches Geschütz das Material
-geliefert hat, und anderes mehr.
-
-Das Signal »der Fürst ist im Arbeitszimmer« ist durch das Haus
-gegangen, und es währt nicht lange, so erscheint der Geheime
-Legationsrat Lothar Bucher, ein Herr von etwa sechzig Jahren mit einem
-vornehmen Gesichte und klaren, verständigen Augen, der seit 1864 ein
-treuer und gediegener Mitarbeiter Bismarcks geworden ist; er hält
-dem Kanzler Vortrag, und nimmt seine Weisungen entgegen. Und von dem
-kleinen Arbeitszimmer Bismarcks aus laufen all die tausend Fäden, die
-mit der Regierung eines großen Reiches verknüpft sind.
-
-So kommt der Abend, und der Kanzler hat daran zu denken, daß er die
-Pflichten des gastfreundlich liebenswürdigen Wirtes zu üben hat.
-
-Um die neunte Stunde belebten sich die Räume der ersten Etage.
-Abgeordnete von allen Parteischattierungen stiegen die teppichbelegten
-Treppen hinan, vorüber an zahlreichen Dienern in schwarzweißer Livree,
-und betraten das behagliche, freundliche Empfangszimmer, wo der
-Hausherr nebst seiner Gemahlin sie bereits begrüßte und den meisten
-herzlich die Hand drückte. Flüchtig streiften die Augen der Ankommenden
-durch den hellen Raum, und manch einer ließ sie auf dem springenden
-Hasen, der auf dem Büfett stand, haften.
-
-Da es sich just etwas um den Hausherrn lichtete, und die Besucher in
-das Billardzimmer traten, fragte einer derselben flüchtig, was wohl
-dieser »Meister Lampe« für eine besondere Bedeutung habe.
-
-»Ja, sehen Sie, dieser Hase ist brünett,« sagte lächelnd der Kanzler.
-
-»Brünett?«
-
-»Ja, er hat einen dunkelbraunen Kopf und Rücken, während seine
-Verwandtschaft gelb ist. Er war der einzige Brünette unter
-fünfzehnhundert, die wir an dem Tage schossen.«
-
-Durch die offene Tür warfen die Besucher einen Blick in das
-Arbeitszimmer des großen Staatsmannes, ehe sie in die eigentlichen
-Gesellschaftsräume traten und sich in denselben verteilten. Es
-herrschte bald der heiterste und zwangloseste Verkehr, die weißen
-Glacéhandschuhe verschwanden, in den Nischen der Fenster, an den
-kleinen Tischen, überall bildeten sich plaudernde Gruppen, während die
-Diener den Tee herumreichten. Frack und Uniform verkehrten friedlich
-und gemütlich, sowie die Vertreter aller Fraktionen selbst. Da saß der
-kleine, bewegliche Exminister von Hannover, Windthorst, zusammen mit
-dem liberalen Forckenbeck, der Zentrumsführer Reichensperger mit dem
-mitunter boshaften Lasker, und Scherzworte gingen hin und her.
-
-Der Verkehr zog sich mehr nach dem länglich runden Speisesaale mit
-seinen gelben Marmorwänden, von dessen Decke der altertümliche
-Kronleuchter mit Messingreifen und Glasperlen herniederhängt, während
-von der Wand eine Anzahl siebenarmiger Bronzeleuchter ihr Licht
-hinwerfen über das belebte Bild. In diesem Raume war das Büfett
-aufgestellt, das gar manches Verlockende darbot, und bald sah man
-die Gäste da und dort beisammen stehen mit ihrem Teller in der Hand,
-während behaglichere sich zusammensetzten, und die herumgehenden Diener
-aus prächtigen silbernen Humpen das schäumende Bier einschenkten.
-
-Der liebenswürdige Gastgeber aber tauchte mit seiner breiten Gestalt
-bald da, bald dort auf, unter der machtvollen Stirne leuchteten die
-Augen so frei und freundlich, und überall fand er das rechte Wort, um
-die Stimmung zu beleben, und beim Zusammentreffen der Gegensätze jede
-feindselige Spitze abzubrechen. Zuerst hatte das Gespräch noch eine
-vorwiegend politische Färbung gehabt im Anschlusse an die erregten
-Debatten über das Sozialistengesetz.
-
-»Großen Nutzen erwarten wir von dem Gesetze nicht, Ausnahmegesetze sind
-immer bedenklich!« hatte ein oppositioneller Abgeordneter bemerkt, und
-Bismarck, welcher es vernahm, erwiderte:
-
-»Mit der bloßen Abwehr der sozialistischen Umtriebe ist es freilich
-nicht getan, es muß auch an die positive Heilung der sozialistischen
-Schäden gegangen werden. Der Staat muß sich des kleinen Mannes, der
-arbeitenden Klassen annehmen und ihnen helfen!«
-
-»Aber das ist ja Staatssozialismus!« rief eine Stimme.
-
-»Halt, meine Herren, so möchte ich es nicht bezeichnen, es ist vielmehr
-praktisches Christentum, denn meines Erachtens sollte ein Staat, der
-seiner großen Mehrzahl nach aus aufrichtigen Bekennern des christlichen
-Glaubens besteht, auch bemüht sein, den Armen, Schwachen und Alten zu
-helfen.«
-
-Aber schon schweift der Blick des Kanzlers wieder durch den Kreis
-seiner Gäste. Auf einem alten Herrn bleibt er haften, das war ein
-Verbindungsbruder aus der fröhlichen Göttinger Studentenzeit, und
-mit dem Glase in der Hand trat der Fürst an ihn heran: »Auf das alte
-Blau-Rot-Gold der Göttinger Hannovera, Herr Korpsbruder!« und kräftig
-klingen die Gläser zusammen.
-
-Gleich darauf wendete er sich einer Gruppe von Herren zu, deren
-heiteres Lachen ihn an ihren Tisch zog.
-
-»Der vortreffliche Rehrücken verleitet zu Jagdgeschichten, und der Herr
-Kollege X. verübt ein beneidenswertes Jägerlatein!« sagte einer der
-Herren. Bismarck ließ sich bei ihnen nieder.
-
-»Hören Sie, meine Herren, da kann ich mir’s nicht versagen, just
-in Ihrem Kreise – und Sie repräsentieren Frankfurt-Nassau – eine
-Jagdgeschichte zu berichten, die Ihren Landsmann, den »dicken
-Daumer« mitbetrifft. Vielleicht ist einem oder dem anderen unter
-Ihnen erinnerlich, daß derselbe von einer beständigen und gewaltigen
-Todesfurcht gepeinigt wurde und durchaus nicht an das Sterben erinnert
-sein wollte. Eines schönen Herbstmorgens bin ich mit ihm bei Frankfurt
-auf der Jagd gewesen. Als wir hoch im Gebirge Rast hielten, fand ich
-zu meinem Schrecken, daß ich mich nicht mit einem Frühstück versehen
-hatte. Der »dicke Daumer« aber zog mit Behagen eine mächtige Wurst
-hervor, von welcher er mir in großmütiger Weise die Hälfte anbot. Er
-begann zu schmausen, mit einem beneidenswerten, in meiner Situation
-aber sehr bedauerlichen Appetit, denn er war bereits in meine Hälfte
-seiner Wurst hineingeraten. Ich hätte vor Wehmut Frankfurterisch reden
-mögen. Da frage ich ihn denn so von ungefähr:
-
-»Ach, sagen Sie mir, Her Daumer, was is doch des Weiße da unne, was aus
-de Zwetschebaim herausschaut?«
-
-»Gott, Exzellenz, da möchte eim ja der Appetit vergehe – des is der
-Kirchhof.«
-
-»Aber, lieber Daumer, da wollen wir uns doch beizeiten ein Plätzchen
-suchen, da muß sich’s wunderbar friedlich ruhn.«
-
-»Nu, Exzellenz, nu leg’ i awer die Wurscht weg.« Der dicke Daumer blieb
-bei seinem Entschlusse, und ich hatte mein ordentliches Frühstück!«
-
-Unter dem allgemein anhaltenden Lachen war Bismarck aufgestanden und
-bereits zu einer anderen Gruppe getreten. Hier wurde eben erzählt, daß
-ein bekannter Herr mit dem Pferde gestürzt sei, und er bemerkte:
-
-»Ich glaube, daß es nicht reicht, wenn ich sage, daß mir das wohl
-fünfzigmal passiert ist. Vom Pferde fallen ist nichts, aber mit dem
-Pferde, so daß es auf einem liegt, das ist schlimm. Dabei habe ich mir
-in Varzin einmal drei Rippen gebrochen. Das Seltsamste aber, was ich
-in dieser Beziehung erlebte, war das: Ich war mit meinem Bruder auf
-dem Heimwege, und wir ritten, was die Pferde laufen wollten. Da hört
-mein Bruder, der etwas voraus war, auf einmal einen fürchterlichen
-Knall: Es war mein Kopf, der auf die Chaussee aufschlug. Mein Pferd
-war von der Laterne eines entgegenkommenden Wagens gescheut und mit
-mir zusammengefallen, und zwar auch auf den Kopf. Ich verlor zuerst
-die Besinnung, und als ich wieder zu mir kam, hatte ich sie nur halb
-wieder. Das heißt, ein Teil meines Denkvermögens war ganz gut und klar,
-die andere Hälfte war weg. Da mein Sattel zerbrochen war, nahm ich das
-Pferd des Reitknechts und ritt nach Hause. Als mich da die Hunde zur
-Begrüßung anbellten, hielt ich sie für fremde Hunde und schalt auf
-sie. Dann sagte ich, der Reitknecht sei mit dem Pferde gestürzt, man
-solle ihn doch auf einer Bahre holen, und war sehr böse, als sie das
-auf einen Wink meines Bruders nicht tun wollten. Ich wußte nicht, daß
-ich ich war, und daß ich mich zu Hause befand, oder vielmehr, ich war
-ich und auch zugleich der Reitknecht. Ich verlangte nun zu essen, dann
-ging ich zu Bette, und als ich am Morgen ausgeschlafen hatte, war alles
-wieder gut.«
-
-Nun wurden im Saale die Zigarren angebrannt, der Kanzler aber bat sich
-aus, seine Pfeife rauchen zu dürfen; behaglich stiegen die blauen
-Wölkchen gegen die Decke, und die Stimmung der Gäste wurde immer
-lebendiger.
-
-»Eine hocherfreuliche Eintracht zwischen Nord- und Süddeutschland!«
-rief der Fürst lachend an einem Tische, wo Abgeordnete von diesseits
-und jenseits des Mains sich in heiterster Weise unterhielten und
-eben mit den gefüllten Gläsern anstießen. »Lassen Sie mich dieselbe
-mitfeiern!«
-
-»Ihr Verdienst, Durchlaucht!« rief einer der Gäste.
-
-»Na, wie man’s nimmt! Der Himmel hat’s zum Segen gewendet. Aber wissen
-Sie, wäre der Krieg von 1866 uns mißglückt, so hätte ich als Soldat den
-Tod gesucht, denn ich bin überzeugt, daß mich sonst die alten Weiber in
-Berlin mit nassen Handtüchern totgeschlagen hätten.«
-
-»Ihr Empfinden in weltgeschichtlich bedeutenden und entscheidenden
-Momenten muß aber doch jederzeit ein erhebendes und gewaltiges gewesen
-sein, Durchlaucht,« bemerkte ein Abgeordneter, »wie war Ihnen wohl
-zumute, als Sie mit Kaiser Napoleon nach Sedan zusammentrafen?«
-
-»Ja, sehen Sie, meine Herren, das ist nun fast wunderlich. Als ich in
-dem Stübchen des Weberhauses bei Donchery mit ihm zusammensaß, war mir
-so wie als jungem Menschen auf dem Balle, wenn ich ein Mädchen zum
-Kotillon engagiert hatte, mit dem ich kein Wort zu sprechen wußte, und
-das niemand abholen wollte.«
-
-So verrann die Zeit in dem gastfreundlichen, liebenswürdigen Hause,
-und um die elfte Stunde brachen die Besucher allmählich auf. Der Fürst
-reichte jedem freundlich die Hand und vergaß nicht, ein herzliches »Auf
-Wiedersehen« beizufügen.
-
-Der letzte Gast ist gegangen; der Kanzler steht einige Augenblicke
-allein in dem Teezimmer und stützt die Hand auf einen kleinen
-Mahagonitisch, auf welchem eine Metallplatte angebracht ist mit der
-Inschrift: »Auf diesem Tische ist der Präliminarfriede zwischen
-Deutschland und Frankreich am 26. Februar 1871 zu Versailles, Rue de
-Provence Nr. 14, unterzeichnet worden.« Sein Blick fliegt über die
-Ahnenbilder an der Wand, ein leises Lächeln huscht um die Mundwinkel,
-als ob ein angenehmer Gedanke ihm durch die Seele ziehe, dann tritt er
-in das kleine anstoßende Gemach, wo bei traulichem Lampenschimmer seine
-Gemahlin mit einigen verwandten Damen sitzt, und bringt noch einige
-Zeit in anmutigem Geplauder zu.
-
-Hierauf sucht er noch einmal sein Arbeitsgemach auf, aber diesmal
-nur flüchtig, und tritt von hier aus durch eine Tapetentür in sein
-Schlafgemach, wo das von einem rotbekleideten Schirm umgebene Bett
-steht, und wo ein behagliches Sofa mit einigen Polsterlehnsesseln,
-eine kleine Mahagonikommode und ein alter Holzschrein an der Wand die
-einfache Einrichtung vervollständigen.
-
-Der Kanzler tritt noch einmal an das einzige Fenster, schiebt den
-Wollvorhang zurück und sieht hinaus. Leise verhallend klingt der Lärm
-der auch in der Nacht nicht rastenden Großstadt hierher, aber er stört
-nicht, und hoch am Himmel blinken die tausend und abertausend Sterne.
-Der einsame Mann aber betet im frommen Aufblick in tiefster Seele:
-
-»Vater im Himmel, schütze Reich und Kaiser!«
-
-
-
-
-Zwölftes Kapitel.
-
-In Ehren und Schmerzen.
-
-
-Am Abend des 1. März 1885 ging durch Berlin eine freudige Erregung.
-Es war der Vorabend des siebzigsten Geburtstages des Reichskanzlers,
-und die Hauptstadt rüstete sich, denselben festlich zu begehen. Zumal
-Unter den Linden, in der Wilhelmstraße und in allen angrenzenden
-Straßen bis zum Kreuzberg hinauf drängten und fluteten Hunderttausende
-durcheinander, um den großartigen Fackelzug zu sehen, den die Verehrung
-der Vertreter eines ganzen Volkes dem großen Staatsmann darbrachte.
-
-An den verschiedensten Punkten hatten sich die Teilnehmer gesammelt,
-und um die siebente Stunde fanden sich die einzelnen Züge im Lustgarten
-zusammen, und dann strömte es hinein in die breite Straße Unter den
-Linden, um zuerst an dem Königsschlosse vorüberzudefilieren. Um ½8
-kam die Spitze des Zuges bei demselben an, und weithin schallender
-Jubel, begeisterter Gesang der Königshymne verkündete, daß der greise
-Kaiser sich seinem Volke zeigte, freudig bewegt über die Kundgebung der
-Verehrung, die seinem treuesten Diener dargebracht wurde.
-
-Eine Viertelstunde später bog der Zug in die Wilhelmstraße ein. Alle
-Fenster waren dichtbesetzt von Menschen, die Straße selbst lag in
-feierlicher Stille, abgesperrt von jedem Verkehr. Sechs Fanfarenbläser
-in reicher Heroldstracht eröffneten den Zug, dann kamen im Galawagen
-das Zentralkomitee, zahllose Sänger und die Vertreter der deutschen
-Hochschulen mit flatternden Fahnen und wehenden Bannern, auf welche der
-rote Schimmer der Fackeln leuchtete, welche die nebenher Schreitenden
-trugen.
-
-Vor dem Reichskanzlerpalais bogen die Sänger in den Schloßhof ein – am
-Eckfenster erschien die stattliche Gestalt des Fürsten, und während
-aus tausend Kehlen wie ein machtvoller Hymnus das Lied »Deutschland,
-Deutschland über alles« erklang, immer aufs neue übertönt von den
-brausenden Hochrufen, entwickelte sich der glänzende Zug immer mehr.
-
-Nun flutete heller Lichtschimmer durch die Straße. Der Zug der Künstler
-kam. Alles war in Pracht und Glanz getaucht, und märchenhaft schön trat
-aus den wogenden Menschen ein riesenhaftes Schiff hervor, auf welchem
-unter einem prachtvollen Baldachin die imposante Gestalt der Germania
-sich zeigte, den Goldhelm auf dem blonden Gelock, das blanke Schwert
-im Arm, wie sie freundlich niedersah auf ein Bild des Friedens. Ihr zu
-Füßen stehen, in anmutigen Frauengestalten verkörpert, die deutschen
-Stämme um den von Adlern geschirmten Thron, und um sie her bindet der
-Landmann seine Garben, hämmert der fleißige Schmied, regt sich Gärtner
-und Fischer und scharen sich fleißige Schüler um das engumschlungene
-liebliche Schwesternpaar Elsaß-Lothringen. Nach dem Bugspriet zu aber
-halten deutsche Soldaten, um ihre Fahnen gereiht, die Friedenswacht.
-
-Dann kamen, von deutschen Künstlern wirksam dargestellt, die deutschen
-Brüder aus den Kolonien, die Bismarck dem Reiche gewonnen. King Bell
-auf hohem Kamele reitet ihnen voran, und ihm folgen die Würdenträger
-von Kamerun, das wunderliche Volk der fremden Schlangenbändiger und
-Sänger, und die drastischen Gestalten der braunen Landwehrleute, die
-sich vor dem Kanzler platt auf die Erde niederwerfen.
-
-Vorüber! Bei zweihundert Ruderer und Segler bilden die Einleitung zu
-den patriotischen Vereinen der Hauptstadt, es folgen die Innungen mit
-den festlich geschmückten Bannern; rot glänzt der Schein ihrer tausend
-Fackeln, der dunkle Qualm lagert sich breit und wuchtig über dem
-Bilde, und immer aufs neue folgen phantastische Prunkwagen, schimmernde
-Embleme, wunderliche Transparente und noch immer kein Ende!
-
-Anderthalb Stunden waren vergangen. Mit den Seinen stand der Kanzler am
-Fenster, hochaufgerichtet, die Seele erfüllt von glücklichem Stolze,
-von dem freudigsten Bewußtsein der Verehrung des deutschen Volkes, das
-ihn in dieser Stunde entschädigte für manchen herben und bitteren Tag.
-
-Mit einmal begann es heller zu leuchten als je zuvor. Ein Schimmer
-wie von vollem Sonnenlichte flog durch die breite Straße und über
-die vielen Menschen leuchtend in weißem Glanze lagen die Häuser
-da, und einige Augenblicke schlossen sich die schier geblendeten
-Augen. Die Arbeiter der Scheringschen Fabrik waren es, die mit
-Magnesiumleuchten heranzogen, und als der volle magische Lichtglanz die
-Szene überflutete, da traten die Sänger, wohl mehr als zweihundert,
-aus dem Vorhofe des Schlosses und stimmten machtvoll ergreifend ihr
-harmonisches Hoch auf das Geburtstagskind an.
-
-Da winkte der Kanzler mit der Hand – er wollte sprechen. In wenigen
-Augenblicken lag die Stille des Gotteshauses über der menschenvollen
-Straße, und die Stimme Bismarcks klang klar und vernehmlich: »Noch
-_zehn_ Jahre wie heute – –«
-
-Aber schon brauste der Jubel wieder auf bei den ersten Worten.
-
-»Zwanzig Jahre – hundert Jahre für den Fürsten! – Hoch Bismarck! – Hoch
-der Kanzler!«
-
-Und mit geradezu elementarer Gewalt brach sich die Begeisterung Bahn,
-und Luft und Erde schien zu beben unter dem Jubelsturm. Immer aufs
-neue winkte der Gefeierte mit der Hand, beschwichtigend und dankend
-zugleich, und wiederum wurde es still, und seine Stimme klang weithin:
-
-»Ich danke Ihnen allen aus tiefstem Herzen für die großartige Ovation,
-welche Sie mir aus Anlaß meines siebzigsten Geburtstages dargebracht
-haben. Das Verdienst, Deutschland groß und stark zu sehen, gebührt
-unserem greisen Heldenkaiser, dem wir jetzt fünfzehn Jahre des Friedens
-verdanken. Seine Majestät der Kaiser, er lebe hoch!«
-
-Wenn die ungeheure Begeisterung überhaupt noch einer Steigerung
-fähig war, so trat eine solche jetzt ein. Die ganze Liebe einer
-großen, starken, glücklichen Nation drängte sich in diese riesigen,
-nie gehörten Rufe der Begeisterung. Das Fest hatte seinen Höhepunkt
-erreicht – aber während das aufgeregte Berlin noch lange in seinem
-Jubel fortklang und sang, ward es allgemach still in der Wilhelmstraße,
-und die Schleier der Nacht hüllten wieder das Haus ein, das noch vor
-kurzem vom hellsten Lichte umflutet war.
-
-Am Morgen des ersten April schritt der Kanzler langsam durch die breite
-Allee seines Parkes. Noch waren die Rüstern unbelaubt, nur das Moos an
-den gewaltigen Stämmen schimmerte grünlich, an dem Gesträuch ringsum
-aber drängte es bereits hervor von knospendem Frühlingsweben. Vieles
-ging durch die Seele des einsamen Mannes, Erinnerungen an Tage heißen
-Kämpfens, aber auch schöne Erfolge.
-
-Was war nicht durch ihn errungen und geschaffen worden seit der
-Erneuerung des Reiches! Das Fundament desselben schien gesichert gegen
-die Angriffe von innen und außen. Den Rachegelüsten Frankreichs war die
-Spitze abgebrochen worden durch eine meisterhafte politische Aktion,
-welche Deutschland mit Österreich und Italien zu einem Dreibund für
-Schutz und Trutz vereinte. Der Kanzler denkt daran, wie er im September
-1879 von Gastein aus nach Wien gefahren, wie ihn die Hauptstadt
-Österreichs freundlich sympathisch aufgenommen, und Kaiser Franz
-Joseph, der um seinetwillen die Jagd in Steiermark unterbrochen hatte,
-mit herzlicher Liebenswürdigkeit empfing, in Schönbrunn ihm zu Ehren
-ein diplomatisches Diner veranstaltete und ihn dabei an der Schwelle
-des Saales als seinen Gast begrüßte. – Das alles dreizehn Jahre nach
-Sadowa!
-
-Der Fürst denkt auch an die Gefahr, die dem neuen Reiche von der
-Eifersucht Rußlands drohte, und wie sie unter dem Einfluß günstiger
-Umstände und dank seiner klugen diplomatischen Schachzüge beseitigt
-worden war; er erinnert sich mit Freude und Dankgefühl der schönen
-Stunde, da im September 1884 auf dem Schlosse Skierniewice sich die
-Kaiser von Deutschland, Österreich und Rußland in Freundschaft die
-Hände reichten zu einem neuen Dreikaiserbündnis und zu einer Bürgschaft
-des europäischen Friedens.
-
-Und weiter gehen an seinem Geiste vorüber seine Bemühungen, den
-Ruhm und Ruf der deutschen Flagge und des deutschen Namens über
-die Weltmeere zu tragen und in fernen Weltteilen, zumal in Afrika,
-Ländereien und Kolonien zu gewinnen, um dem deutschen Handel neue
-Bahnen zu erschließen und ihn zu fördern und zu heben.
-
-Er denkt aber auch in dieser Stunde der heißen Kämpfe, die er mit
-einzelnen Richtungen der deutschen Volksvertreter im Reichstage
-auszustreiten hatte, und wie er manchmal an das Wort des Altmeisters
-Goethe erinnert wurde: »Ach, ich bin des Treibens müde!« Mehr als
-einmal hat er sein Amt niederlegen wollen in die Hände seines
-Kaisers, der aber hatte auf sein Entlassungsgesuch nur das eine Wort
-geschrieben: »Niemals!«
-
-Dem gewaltigen Recken will es feucht und heiß in die Augen steigen,
-wenn er des vielgeliebten greisen Herrn denkt, und er entsinnt sich
-des Wortes, das er einst vor den Vertretern des deutschen Volkes
-gesprochen: »Nachdem ich im Jahre 1878 meinen Herrn und König nach dem
-Nobilingschen Attentate in seinem Blute habe liegen sehen, da habe ich
-den Eindruck gehabt, daß ich dem Herrn, der seinerseits seiner Stellung
-und Pflicht vor Gott und den Menschen Leib und Leben dargebracht und
-geopfert hat, gegen seinen Willen nicht aus dem Dienste gehen kann. Das
-habe ich mir stillschweigend gelobt.«
-
-Heute ist er siebzig Jahre alt geworden im Kampf, aber auch in Ehren.
-Doch dieser Tag gehört nicht ihm allein, er gehört dem ganzen deutschen
-Volke. – Daran denkt er jetzt, und langsam wendet er seine Schritte dem
-Hause zu.
-
-Schon am vorhergehenden Tage waren Glückwünsche und Geschenke in
-überreicher Zahl von allen Seiten her eingetroffen, heute aber kamen
-deren noch weit mehr.
-
-Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit schenkte ihm zum Angebinde den
-alten Besitz seiner Familie in Schönhausen, Schloß und Gut, das 1835 an
-die Familie von Gärtner gekommen war; die deutschen Papierfabrikanten
-hatten einen gewaltigen Eichenschrank gesendet, der in seinen schier
-zahllosen Fächern und Schubladen aller Arten Papier und Kuverts,
-Stahlfedern und Bleistifte von den kleinsten und dünnsten bis zu den
-mächtigen Parlamentsstiften, kurz, alles Schreibmaterial in solcher
-Menge enthielt, daß Enkel und Urenkel des Kanzlers es kaum aufbrauchen
-werden. Das war ja in den Sälen eine kleine Industrieausstellung.
-Dazu der überreiche Blumenschmuck, und die »Getreuen in Jever«, die
-alljährlich zu diesem Tage aus dem Lande der Friesen 101 Kiebitzeier zu
-senden pflegten, fehlten natürlich auch diesmal nicht, und hatten ihrer
-Gabe das hübsche plattdeutsche Wort beigefügt:
-
- Säbentig Johr lewt,
- Uemmer dütsch strewt,
- Uemmer dütsch dahn:
- Lat wieder so gahn!
-
-Das Schönste und Liebste aber war doch wohl die Gabe seines greisen
-Herrn und Kaisers, jenes prachtvolle, von der Meisterhand Anton
-von Werners gemalte Bild, welches die ewig denkwürdige Szene der
-Kaiserproklamation im Schlosse zu Versailles in überaus lebensvoller
-Weise zur Darstellung brachte.
-
-Tiefgerührt stand der Kanzler vor dem Gemälde, das ihm einen der
-herrlichsten Augenblicke seines Lebens vor die bewegte Seele stellte,
-noch mehr aber ergriff ihn das Handschreiben seines Kaisers, welches
-der Gabe beigefügt war. Er las es, während es sich wie ein leiser
-feuchter Schleier über seine Augen legte. Es lautete:
-
- »_Mein lieber Fürst!_
-
- Wenn sich im deutschen Lande und Volke das warme Verlangen
- zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu
- bestätigen, daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe
- des Vaterlandes getan haben, in so vielen dankbaren Herzen
- lebt, so ist es Mir ein tiefgefühltes Bedürfnis, Ihnen heute
- auszusprechen, wie hoch es Mich erfreut, daß solcher Zug des
- Dankes und der Verehrung für Sie durch die Nation geht. Es
- freut Mich die für Sie wahrlich im höchsten Maße verdiente
- Anerkennung und erwärmt Mir das Herz, daß solche Gesinnungen
- sich in so großer Verbreitung kundgetan, denn es ziert die
- Nation in der Gegenwart, und es stärkt die Hoffnung auf ihre
- Zukunft, wenn sie Erkenntnis für das Wahre und Große zeigt,
- und wenn sie ihre hochverdienten Männer ehrt und feiert. An
- solcher Feier teilzunehmen, ist Mir und Meinem Hause eine
- besondere Freude, und wünschen Wir Ihnen durch beifolgendes
- Bild auszudrücken, mit welchen Empfindungen dankbarer
- Erinnerung wir dies tun; denn dasselbe vergegenwärtigt einen
- der größten Momente der Geschichte des Hohenzollernhauses,
- dessen niemals gedacht werden kann, ohne sich zugleich auch
- Ihrer Verdienste zu erinnern. Sie, mein lieber Fürst, wissen,
- wie in Mir jederzeit das vollste Vertrauen, die aufrichtigste
- Zuneigung und das wärmste Dankesgefühl für Sie leben wird,
- Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was ich Ihnen nicht oft
- genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß dieses Bild noch
- Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen wird, daß Ihr Kaiser
- und König und sein Haus sich dessen wohl bewußt waren, was Wir
- Ihnen zu danken haben. Mit diesen Gesinnungen und Gefühlen
- endige ich diese Zeilen, als über das Grab hinaus dauernd. Ihr
- dankbar treu ergebener Kaiser und König Wilhelm.«
-
-Und unter allen den vielen, den hervorragenden Persönlichkeiten,
-welche an diesem Tage in das Palais nach der Wilhelmstraße kamen, war
-die herrlichste der greise Kaiser selbst. Es war der weihevollste,
-ergreifendste Augenblick dieses Tages, als der Herrscher in tiefer
-Bewegung seinen treuen Kanzler in die Arme schloß, als das Haupt
-Bismarcks sich einige Sekunden an die Schulter des teuren Herrn lehnte,
-dem er sich mit Blut und Leben verpflichtet hatte bis zum letzten
-Atemzuge.
-
-Solche Minuten mußten dem Recken neue Kraft geben zu weiteren
-Kämpfen, die er herrlich und mannhaft durchfocht zur Ehre und zum
-Segen des Deutschen Reiches und Volkes. Immer wieder das rachelustige
-Säbelrasseln von Paris her, und auch in Rußland machte sich eine
-deutschfeindliche Strömung bemerkbar. Da galt es beizeiten zu kräftiger
-Abwehr zu rüsten, und eine Verstärkung des Heeres zu erlangen. Und
-das deutsche Volk widerstrebte der wiederholt vorgetragenen Forderung
-nicht, und Bismarck konnte aller Welt das herrliche Wort zurufen:
-
-»_Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!_«
-
-Das war am 6. Februar 1888 gewesen, und das Wort klang in vieltausend
-deutschen Herzen wieder, denen in jenen Tagen ein solcher Trost
-ungemein not tat. Denn das Unheil hatte sich leise und heimtückisch
-herangeschlichen an das Kraftgeschlecht der Hohenzollern, und des
-Kaisers herrlicher Sohn, der Kronprinz Friedrich, »unser Fritz«,
-siechte fern von der Heimat, in Italien, an einem furchtbaren Leiden
-hin, das aller Kunst der Ärzte spottete. Das griff auch dem greisen
-Herrscher an Seele und Leben.
-
-Er erkrankte in den ersten Tagen des März, und dumpfes, schmerzliches
-Bangen erfaßte alle Gemüter.
-
-Am 8. März hatte der treue Kanzler seinem Herrn noch einmal kurzen
-Vortrag gehalten, und die schwache Hand des kranken Greises, der »keine
-Zeit hatte, um müde zu sein«, hatte mit zitternden Händen noch einmal
-den kaiserlichen Namen unter das Dokument gesetzt, welches den Schluß
-des Reichstags verkünden sollte.
-
-Tieferschüttert, nahezu hoffnungslos war Bismarck fortgegangen. Vor dem
-Palais aber drängten sich Tausende voll Liebe und Besorgnis, und sie
-sahen ihm in das ernste Gesicht, das eisern seine Fassung zu wahren
-bemüht war.
-
-Eine endlos lange, bange Nacht verstrich; die Besorgnis raubte dem
-Kanzler und manchem anderen die Ruhe, angstvoll schaute man dem Morgen
-entgegen, und in dessen Verlaufe geschah das Traurige. Am 9. März um
-½9 Uhr vormittags schied Kaiser Wilhelm aus dem Leben – nicht lange
-danach sank die Kaiserstandarte auf dem Schlosse nieder, und ein ganzes
-Volk weinte um seinen liebsten Helden.
-
-Das waren unvergeßliche Stunden: schmerzerstarrte Männer, schluchzende
-Frauen, weinende Kinder überall! Bei dem edlen Toten aber stand noch
-einmal an jenem Vormittage des Reiches erster Kanzler. Da ruht der
-Greis, dem er sich ganz geweiht hatte, halb sitzend, zurückgelehnt in
-die weißen Kissen, und auf dem Antlitz liegt der Zug seligen Friedens,
-unbeschreiblicher Ruhe und Milde. Da überwältigt es beinahe den
-gewaltigen Mann; ihm stürzen unaufhaltsam die Tränen aus den Augen,
-und er braucht sich ihrer nicht zu schämen, denn wer dem stillen,
-unvergeßlichen Toten nahte, der mußte weinen im Übermaß eines Jammers,
-der das ganze Volk durchzitterte.
-
-Aber den Kanzler ruft seine Pflicht.
-
-Um ½10 Uhr erschien er, fest und stark, aufgerichtet und gefaßt im
-Reichstagssaale. Er erbat sich das Wort, und unter tiefem, heiligem
-Schweigen begann er:
-
-»Mir liegt die traurige Pflicht ob, Ihnen die amtliche Mitteilung von
-dem zu machen, was Sie bereits tatsächlich wissen werden, daß Seine
-Majestät der Kaiser Wilhelm heute vormittag ½9 Uhr zu seinen Vätern
-versammelt worden ist –.«
-
-Hier drohten die Tränen die Stimme des Redners zu ersticken, er rang
-mit seiner Rührung wie ein Held, und fuhr fort:
-
-»Die Folge dieses Ereignisses ist, daß die preußische Krone und damit
-nach Artikel 11 der Reichsverfassung die deutsche Kaiserwürde auf Seine
-Majestät Friedrich III., König von Preußen, übergegangen ist. Nach den
-mir zugegangenen telegraphischen Nachrichten darf ich annehmen, daß
-Seine Majestät, der regierende Kaiser und König, morgen von San Remo
-abreisen und in der gegebenen Zeit hier eintreffen wird.
-
-Ich hatte von dem Höchstseligen Herrn in seinen letzten Tagen« –
-wiederum rannen dem Redner die Tränen über die Wangen – »in Betätigung
-der Arbeitskraft, die ihn erst mit dem Leben verlassen hat, noch
-die Unterschrift erhalten, welche vor mir liegt, und welche mich
-ermächtigt, den Reichstag in der üblichen Zeit nach Abmachung seiner
-Geschäfte, das heißt also etwa heute oder morgen, zu schließen.
-Ich hatte die Bitte an Seine Majestät gerichtet, nur mit dem
-Anfangsbuchstaben des Namens noch zu unterzeichnen, Seine Majestät
-hatten mir darauf erwidert, daß Sie glaubten, noch den vollen Namen
-schreiben zu können. Infolgedessen liegt dieses historische Aktenstück
-hier vor.
-
-Unter den obwaltenden Umständen nahm ich an, daß es den Wünschen der
-Mitglieder des Reichstages ebenso wie denen der verbündeten Regierungen
-entsprechen wird, daß der Reichstag noch nicht auseinander geht,
-sondern zusammen bleibt bis nach dem Eintreffen seiner Majestät des
-Kaisers, und ich mache deshalb von dieser Allerhöchsten Ermächtigung
-weiter keinen Gebrauch, als daß ich dieselbe als historisches Denkmal
-zu den Akten gebe und den Präsidenten bitte, die Entschlüsse, welche
-den Stimmungen und Überzeugungen des Reichstages entsprechen, in
-dieser Sitzung herbeizuführen. Es steht mir nicht zu, meine Herren,
-von dieser amtlichen Stelle aus den persönlichen Gefühlen Ausdruck zu
-geben, mit welchen mich das Hinscheiden meines Herrn erfüllt. Diese
-Gefühle bei dem Ausscheiden des ersten deutschen Kaisers aus unserer
-Mitte, die mich tief bewegen, leben im Herzen eines jeden Deutschen.
-Es ist deshalb nicht nötig, demselben hier Ausdruck zu geben. Aber
-eines glaube ich Ihnen dennoch nicht vorenthalten zu dürfen, nicht von
-meinen Empfindungen, sondern von meinen Erlebnissen, die Tatsache,
-daß inmitten der schweren Schickungen, welche der von uns geschiedene
-Herr in seinem Hause noch erlebt hat, es zwei Tatsachen waren, welche
-ihn mit Befriedigung und Trost erfüllten. Die eine war diejenige,
-daß die Leiden seines einzigen Sohnes und Nachfolgers, unseres jetzt
-regierenden Herrn, in der ganzen Welt Teilnahme erregten. Ich habe
-noch heute ein Telegramm aus Neuyork erhalten, das von Teilnahme
-erfüllt war und das Vertrauen beweist, das sich die Dynastie des
-deutschen Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Das ist ein
-Erbteil, kann ich wohl sagen, was des Kaisers lange Regierung dem
-deutschen Volke hinterläßt. Das Vertrauen, das sich die Dynastie
-erworben hat, wird sich auf die Nation übertragen. Die zweite Richtung,
-in der Seine Majestät einen Trost gefunden hat bei den schweren
-Schickungen, war diejenige, daß der Kaiser auf die Entwicklung
-seiner Hauptlebensaufgabe, der Herstellung und Konsolidierung der
-Nationalität des Volkes, dem er als deutscher Fürst enge angehörte,
-daß der Kaiser auf die Entwicklung, welche die Lösung dieser Aufgabe
-inzwischen genommen hatte, mit einer Befriedigung zurückblickte, die
-den Abend seines Lebens verschönte und erleuchtete. Es trug dazu
-namentlich in den letzten Wochen die Tatsache bei, daß mit seltener
-Einstimmigkeit aller Dynastien, aller verbündeten Regierungen, aller
-Stämme in Deutschland, aller Abteilungen des Reichstags, dasjenige
-beschlossen wurde, was für die Sicherstellung der Zukunft des Deutschen
-Reiches auf jede Gefahr hin, die uns bedrohen könnte, als Bedürfnis
-von den verbündeten Regierungen empfunden wurde. Diese Wahrnehmung
-hat Seine Majestät mit großem Troste erfüllt, und noch in den letzten
-Unterredungen, die ich mit meinem dahingeschiedenen Herrn gehabt
-habe – es war gestern – hat er darauf Bezug genommen, wie ihn dieser
-Beweis der Einheit der gesamten deutschen Nation, wie er durch die
-Volksvertretung hier verkündet worden ist, gestärkt und erfreut hat.
-Ich glaube, meine Herrn, es wird für Sie alle erwünscht sein, das
-Zeugnis, das ich aus eigener Wahrnehmung aus den letzten Äußerungen
-unseres dahingeschiedenen Herrn ablegen kann, mit in Ihre Heimat zu
-nehmen, da jeder einzelne von Ihnen einen Anteil an diesem Verdienste
-hat. Die heldenmütige Tapferkeit, meine Herrn, das nationale Ehrgefühl,
-die treue, arbeitssame Pflichterfüllung und die Liebe zum Vaterlande,
-die in unserem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen sie ein
-unzerstörbares Erbteil unserer Nation sein, das uns der aus unserer
-Mitte geschiedene Kaiser hinterlassen hat. Das hoffe ich zu Gott, daß
-dies Erbteil von allen, die wir an den Geschäften des Vaterlandes
-mitzuwirken haben, im Krieg und Frieden, in Heldenmut und Hingebung,
-Arbeitsamkeit und Pflichttreue bewahrt bleibe.«
-
-Lautlose Stille folgte den Worten, die Abgeordneten, selbst jene der
-sozialdemokratischen Partei, hatten sich von ihren Sitzen erhoben, der
-Reichskanzler aber, der sein Schluchzen kaum mehr verhalten konnte,
-hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und schlug die Hände vor das
-Antlitz. Es war ein erschütternder Anblick, den gewaltigen Mann, den
-eisernen Kanzler, weinen zu sehen um seinen toten Kaiser.
-
-Der Präsident von Wedell-Piesdorf schloß mit wenigen Worten die ewig
-denkwürdige Sitzung, und nun schritt Bismarck von seinem erhöhten
-Platze hinab in das Haus. Sein Blick haftete auf seinem treuen
-Genossen, dem greisen Feldmarschall Moltke, der trotz der Nachtwachen,
-trotz der Anstrengung und Aufregung der letzten Tage seiner Pflicht
-getreu, seinen Sitz im Abgeordnetenhause eingenommen hatte. Er trat dem
-Kanzler entgegen, und die Hände der beiden Männer fanden sich zu einem
-beredten Drucke. Sprechen konnte zunächst keiner von ihnen, die Tränen
-standen beiden in den Augen – es war eine ergreifende historische
-Szene. Endlich faßte sich Bismarck, mit wärmerem Drucke der Hand sprach
-er, und seine Stimme bebte:
-
-»Uns beide hält des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr im Gleise!«
-
-Der Dienst aber rief den Kanzler zur Begleitung und Heimholung des
-neuen Kaisers Friedrich III. Der deutsche Himmel war nicht freundlich,
-als der kranke Dulder heimkam. Es war, als liege Trauer und Schmerz
-ausgebreitet durch das Land und durch die Lüfte. Als Bismarck, der
-seinem neuen Herrn bis Leipzig entgegengefahren war, mit diesem nach
-seinem Lande, in die Mitte seines bange und traurig harrenden Volkes
-eilte, schnob der Ostwind eiskalt durch die Straßen, und der Sturm
-wehte winterliche Flocken wild durcheinander, und in derselben Nacht,
-um die Mitternachtsstunde, in der kein Stern vom Himmel leuchtete, und
-nur die trübe flackernden, schneeverhüllten Gaslaternen und tiefrot
-qualmende Fackeln die erschütternde Szene erhellten, ward die Leiche
-Kaiser Wilhelms nach dem Dome überführt.
-
-Dem Trauergottesdienst selbst vermochte Bismarck in seiner tiefen,
-gramvollen Ergriffenheit nicht beizuwohnen, auch Moltke blieb fern
-– beides auf Wunsch des neuen Kaisers, der ja selbst nicht seinem
-toten Vater das letzte Geleit geben konnte, aber am 16. März, als der
-teure Verblichene hinausgeleitet wurde nach dem stillen Mausoleum in
-Charlottenburg, um dort neben seinen Eltern beigesetzt zu werden, da
-fehlte der Kanzler nicht.
-
-Als der Trauerzug die Schloßterrasse betrat, – es war etwa um ½4 Uhr,
-erschien oben an einem Fenster eine hohe Gestalt in Generalsuniform,
-das Orangeband des Schwarzen Adlerordens über der breiten Brust. Die
-Hand winkte mit dem Taschentuche wehmutsvolle Grüße, und die stattliche
-Erscheinung schien ab und zu wie von gewaltsamem Schluchzen durchbebt
-zu werden. So schied der kranke Kaiser Friedrich von dem toten Kaiser
-Wilhelm, der Sohn von dem heißgeliebten Vater …
-
-Nun folgte die Regierung der 99 Tage, und solchen Heldenmut hat die
-Welt selten geschaut, wie Kaiser Friedrich ihn zeigte. »Lerne leiden,
-ohne zu klagen!« war sein schönes Wort, und treue Pflichterfüllung bis
-in den Tod seine schöne Tat.
-
-In ein freundliches, hohes Gemach des lieblichen, stilltraulichen
-Schlosses Charlottenburg fiel der Schimmer des Frühlings. Vor den
-Fenstern draußen lachten die Blüten von Baum und Strauch, und die Vögel
-jauchzten, der kranke Kaiser aber saß in seinem Sessel zurückgelehnt,
-zusammengebeugt, und wendete das bleiche Gesicht seinem Kanzler zu, der
-vor ihm saß und ihm Vortrag hielt. Über das Antlitz Bismarcks lief ab
-und zu ein leises Zucken, wie von mühsam unterdrücktem Schmerz, und der
-Kaiser fragte:
-
-»Ihnen ist nicht wohl, lieber Fürst?«
-
-»Mein altes Nervenleiden, Majestät – die Neuralgie setzt mir wieder
-einmal zu, aber man muß darüber wegkommen.«
-
-Da erhob sich der Herrscher und zog einen Sessel heran; auf diesen
-legte er die Füße seines treuen Beraters, und, damit noch nicht
-zufrieden, ließ er eine Decke herbeibringen und wickelte dieselben
-darin ein. Ein Gefühl tiefer Rührung erfaßte den Kanzler; der Kaiser,
-kränker als er selbst, sorgte in so gütiger Weise für ihn … Der echte
-Sohn des großen, edlen Hohenzollern, der ihm Herr und Freund zugleich
-gewesen war.
-
-Kaiser Friedrich war nach dem bei Potsdam gelegenen schönen
-Friedrichskron übergesiedelt – – aber nur, um dort zu sterben. Am 14.
-Juni hatte Bismarck den kaiserlichen Herrn noch einmal gesehen und noch
-einmal den warmen Druck seiner Hand gefühlt; zu sprechen vermochte der
-große Dulder beinahe nicht mehr – und einen Tag später starb der edle
-Fürst.
-
-Zum zweiten Male in kurzer Frist stand das deutsche Volk an der Bahre
-seines Kaisers, und unsagbares Weh durchzitterte die Brust des greisen
-Kanzlers. Aber er richtete sich auf in dem Gedanken, daß in dem Enkel
-seines großen Kaisers der Geist desselben fortleben werde, und ihm
-widmete er nun seine Treue und Liebe. – – –
-
-Zum zweiten Male hatte Deutschland die schmerzliche Erinnerung an den
-Tod Kaiser Wilhelms begangen – da fiel in den Nachklang dieser Stimmung
-eine Kunde, welche alle Herzen mächtig bewegte: Im »Reichsanzeiger« vom
-20. März 1890 stand es zu lesen, daß Fürst Bismarck und mit ihm seine
-beiden Söhne aus dem Staatsdienst ausgetreten seien. Die Hand, welche
-so lange das Staatsschiff sicher und fest geleitet, zog sich zurück von
-dem Steuer – was mußte dazu veranlaßt haben?
-
-Seltsame Kunden liefen von Mund zu Mund und durch die Spalten
-der Blätter – absolut Sicheres war nicht festzustellen. Eine
-Meinungsverschiedenheit sei zwischen dem Fürsten und dem jungen Kaiser
-entstanden – das war zuletzt alles, was im Bewußtsein des deutschen
-Volkes deutlich ward und dieses bis in die weitesten Schichten hinein
-schmerzlich berührte.
-
-In hohen Gnaden entließ Kaiser Wilhelm II. den treuesten Ratgeber
-der Hohenzollernkrone – er ernannte ihn zum Herzog von Lauenburg und
-zum Generalobersten, aber die Bitterkeit konnte er nicht bannen aus
-dem Herzen des Mannes, der die Empfindung hatte, als solle er in die
-Verbannung gehen. Aber er hatte den Trost, daß die Liebe mit ihm ging,
-wohin er sich auch wenden mochte.
-
-Noch einmal hatte der Fürst seinen guten alten Kaiser aufgesucht in
-seiner stillen Gruft im Mausoleum in Charlottenburg. Von ihm mußte
-er Abschied nehmen, ehe er Berlin verließ, so wie der treue Soldat,
-der abkommandiert wird von seinem Posten, sich noch einmal bei
-seinem Vorgesetzten meldet. Das freundliche blaue Licht übergoß den
-weihevollen Raum und zitterte weich auf den Marmorbildern, der Kanzler
-aber war an den Sarkophag seines heißgeliebten Herrn herangetreten und
-neigte schwer das Haupt. Kein Menschenauge hat es gesehen, kein Herz
-es nachempfunden, was in jener Stunde durch die Seele des gewaltigen
-Mannes ging … Dann fuhr er nach Berlin zurück, und nun – nachdem der
-heiligsten Pflicht genügt war – hatte er hier nichts mehr zu tun.
-
-Am 29. März verließ er das kleine Palais in der Wilhelmstraße, wovon
-durch so lange Jahre der Hauch seines Geistes bewegend und belebend
-ausgegangen war durch die ganze Welt, und der Abschied sollte ihm nicht
-leicht werden. Nicht die Erinnerungen allein erschwerten dem Fürsten
-denselben, sondern auch die gewaltig an ihn herandringende Liebe des
-Volkes. Was galt aller Parteizwist in einer solchen Stunde!
-
-Die Wilhelmstraße vermochte die Menschenmenge nicht zu fassen, welche
-am Nachmittage jenes 29. März sie durchwogte. Um die fünfte Stunde
-waren die Wagen vorgefahren, und nun erschien der Kanzler mit den
-Seinen, einen letzten, bedeutsamen Blick noch zurückwerfend. Als
-aber die Tausende, die seiner harrten, ihn erblickten, da brach ein
-Brausen und Rufen aus, eine elementare Begeisterung, in welcher
-Liebe, Verehrung und Dankbarkeit ihren Ausdruck suchten. Stürmische
-Hochrufe wiederholten sich immer aufs neue, Blumenspenden wurden von
-hundert Händen herangereicht, und so dicht wogte die Volksmenge, daß
-die Wagen nur langsam zu fahren vermochten. Das war kein Vergessener
-und Verstoßener, es war ein Triumphator, der wegzog von der Stätte
-jahrzehntelangen Wirkens, um die wohlverdiente Ruhe zu suchen.
-
-In allen Straßen dasselbe Bild – die schweigend, in ernster, wehmütiger
-Weise harrende Menge, die, sobald der Wagen Bismarcks herankommt,
-in endlose begeisterte Rufe ausbricht, die trotz der zahlreichen
-Schutzmannschaften durch alle Schranken drängt, um dem geliebten Manne
-den letzten Gruß, die letzte Blumenspende zu bieten.
-
-So war der Wagen am Lehrter Bahnhof angekommen und an den kaiserlichen
-Gemächern vorgefahren. Der Fürst stieg aus, und in der Vorhalle
-blieb er stehen, während die Menge der Nachdrängenden nur mit
-größter Anstrengung so weit zurückgehalten werden konnte, daß
-für den Scheidenden und die Seinen ein Weg freiblieb; er sah mit
-feuchtschimmernden Augen noch einmal zurück und winkte mit der Hand zu
-Gruß und Dank.
-
-Hell und warm lag die Frühlingssonne über dem ergreifenden Bilde; sie
-blitzte auf den blanken Gardekürassieren, deren eine Schwadron dem
-Fürsten das Ehrengeleite gab, auf den Helmen der Schutzleute und in den
-Tränen von Hunderten.
-
-Weiter schritt der Fürst nach den Gemächern, und überall streckten sich
-ihm hier die Hände entgegen zu herzlichem Abschied. Hohe Offiziere,
-Diplomaten, die Gesandten fremder Staaten, der neue Kanzler von Caprivi
-– alle waren sie gekommen, ihm ihre Verehrung und Freundschaft zu
-bekunden, und zarte Frauenhände reichten ihm auch hier immer neuen und
-herrlicheren Blumenschmuck.
-
-Nun schritt er langsam hinab nach dem Perron auf blütenüberstreutem
-Wege. Der Trompetenklang der Kürassiere erschallte, an ihrer
-Front vorüber ging er hochaufgerichtet, selbst in der Uniform der
-Seydlitz-Kürassiere, seinem Wagen zu. Nun aber ließ sich die Menge
-nicht mehr halten. Durch die geöffneten Türen der Wartesäle flutete
-es heraus in breitem Strome und umringte den Wagen des Gefeierten, in
-welchem dieser mit den Seinen in einer Fülle von Blumen Platz gefunden
-hatte. Mit einem beinahe wehmutsvollen Blick streift sein Auge über
-die herrliche Blumenspende, die mit dem schwarz-weiß-roten Bande
-umflochten ist, – der Abschiedsgruß des Kaisers; die Fürstin aber hat
-den prächtigen Korb voll Flieders an sich herangezogen, die Spende der
-Kaiserin, und neigt sich darüber.
-
-Nun trat Bismarck wieder an das Fenster und schaute tiefbewegt hinaus
-auf die Tausende. Da pfiff die Lokomotive. Ein brausender, nicht
-endenwollender Ruf: »Wiederkommen!« durchzitterte die Luft, der Kanzler
-aber legte bedeutsam, beinahe unmutig den Zeigefinger an den Mund. Das
-letzte Glockenzeichen erklang, ein Kommando der Kürassiere erscholl,
-und ehern standen ihre präsentierenden Reihen, während die Musik einen
-Marsch anstimmte. Dazwischen schallte der brausende Gesang der »Wacht
-am Rhein«, die immer erneuten Zurufe: »Wiederkommen!« – »Lebewohl!«
-und das stürmische »Hoch«, das noch immer nicht verhallt, als der Zug
-bereits den Bahnhof verlassen hat und den Kanzler hinwegführt in die
-friedliche Stille des Sachsenwaldes.
-
-
-
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-Dreizehntes Kapitel.
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-Im Abendrot.
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-Wer von Berlin nach Hamburg fährt, passiert den Sachsenwald mit
-seinen einzigen, herrlichen Buchenbeständen, die nur da und dort von
-dem dunkleren Grün des Nadelholzes unterbrochen werden. Etwa eine
-Meile von Hamburg entfernt liegt die Station _Friedrichsruh_, ein
-kleines Örtchen mitten im Buchenwald, an dem munteren Flüßchen Aue
-gelegen. Hier ist die Residenz des »Herzogs von Lauenburg«, des ersten
-deutschen Reichskanzlers. Das Besitztum mit dem reichen Grund und Boden
-ringsumher hat ihm die Huld seines alten kaiserlichen Herrn nach dem
-großen Kriege im Jahre 1871 geschenkt, hier hat er seinen Ruhesitz
-gefunden, nachdem er aus dem Amte und aus Berlin weggegangen war.
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-Sein Schloß, das er eigentlich erst sich erbaut hat, ist nicht
-prunkvoll und stattlich, wohl aber traulich und behaglich. Ringsum
-rauschen die mächtigen Buchen und verhüllen mit ihren dichten grünen
-Kronen das freundliche Haus und lassen beim Näherkommen nur die rote
-Umzäunungsmauer des Parkes schauen. Eine schmale Pforte in derselben
-führt uns in die anmutige Idylle hinein; das gelblich getünchte
-schmucke Wohnhaus lacht uns entgegen, so gastlich und lieb, daß ein
-warmes Behagen davon auszugehen scheint. Auf dem Vorplatze ragt eine
-mächtige Tanne empor, ein Riese der Vorzeit, wie ein Symbol der Kraft
-des Mannes, der sich hier seinen Herd gebaut hat. Die pyramidenartig
-verlaufende Krone hebt sich hoch hinauf nach dem blauen Himmel. Kein
-Vestibül nimmt uns auf, aus dem Korridor geht es sogleich hinein in das
-Wohnzimmer und in die Reihe der Familiengemächer, aus deren Fenstern
-der Blick gern hinausschweift in den grünen Park, auf spiegelnde
-Wasserflächen und prachtvolle Baumgruppen.
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-Hier wohnt der Gewaltige, friedlich und still, im Kreise der Seinen,
-und sieht wie der Adler aus freier Höhe herab auf das Treiben seiner
-Tage und freut sich an der Verehrung und Liebe des deutschen Volkes,
-die ihm auch hierher gefolgt ist. Seine Kinder und Enkel suchen ihm den
-Abend seiner Tage zu verschönen, und oft genug kommen Gäste aus allen
-Teilen Deutschlands nach dem ruhigen Sachsenwalde.
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-Wiederum feierte er seinen Geburtstag. Freundlich war die Sonne
-aufgegangen über dem Sachsenwalde, und wenn auch der Frühling noch
-nicht seinen Einzug zwischen die Baumriesen gehalten hatte, so blaute
-doch der Himmel verheißungsvoll, und an den Waldrändern läuteten die
-Blütenglocken.
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-Der nahezu achtzig Jahre alte Fürst hatte sich zur gewohnten
-Morgenstunde erhoben, frisch und kraftvoll, und hatte mit herzlicher
-Freude und Dank die Glückwünsche seiner Familie entgegengenommen sowie
-jene der bereits eingetroffenen Gäste. Um die elfte Stunde betrat
-er das Empfangszimmer, und hier lag ringsum ausgebreitet die Fülle
-der Gaben, welche die Liebe des deutschen Volkes aus allen Gauen des
-Reiches dem verehrten Manne übersandt hatte. Hunderte von Kisten waren
-schon tags zuvor eingetroffen und ausgepackt worden, und nun stand
-alles wohlgeordnet: Erzeugnisse der Kunst und des Gewerbes, Spenden
-der Wissenschaft und der fleißigen Frauenhand, und dazwischen ein
-Blumenschmuck, als sei in diesem Saale selbst der Frühling voll erblüht.
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-Im tiefsten Herzen ergriffen stand der Reichskanzler inmitten dieser
-Spenden, und dann schritt er an ihnen entlang, jedes einzelne
-beschauend, an allem sich freuend, gleichviel ob es seinen Wert an sich
-hatte oder ihn erst erhielt durch die Liebe des Gebers.
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-Da klangen feierlich und getragen die Klänge eines Chorals in den Saal;
-der Fürst horchte einen Augenblick auf, dann trat er, begleitet von
-den Seinen, hinaus auf die freundliche Terrasse auf der Rückseite des
-Schlosses. Da stand eine Militärkapelle und spielte die ergreifend
-fromme Weise, welche das Morgenständchen einleitete, welches sie dem
-alten Kanzler darbringen wollte.
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-Es war ein schönes Bild: Im Vordergrunde unter den alten Bäumen die
-Musiker in ihren bunten Uniformen, umringt von einem kleinen Kreise
-derer, die Zutritt zu dem Parke erlangt hatten, und jenseits desselben
-auf grünem Wiesengrunde, der von den dunklen Rahmen des Föhrenwaldes
-sich freundlich abhob, und von welchem aus die Schloßterrasse voll zu
-überschauen war, eine bewegte, dichtwogende Menschenmenge, die von nah
-und fern herbeigeeilt war. In dem Saale aber, der nach der Terrasse
-sich öffnete, standen die Festgäste, Herren und Damen, und sahen mit
-freudiger Teilnahme auf den herrlichen Mann, der im Interimsrock der
-Kürassiere, die weiße Mütze auf dem mächtigen Haupt, hochaufgerichtet
-dastand und in den sonnigen Frühlingsmorgen, in die ihm zulachende Welt
-hinausblickte.
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-Von der Wiese herüber aber brausten in die Klänge der Musik die
-lautschallenden, begeisterten Hochrufe der Menge, die ihn heraustreten
-sah, und ihm ihren stürmischen Liebesgruß sandte. Da winkte er mit
-der Hand hinüber zu freundlichem Danke, und lauter noch jauchzte die
-Begeisterung auf.
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-Dann trat er auf den Kapellmeister zu und reichte ihm die Rechte mit
-leutseligen Worten, und aufs neue erklangen die Weisen der Musik,
-jetzt heller und frischer, und ihnen reihten sich Liederklänge an,
-denn ein stattlicher Sängerchor aus Hamburg oder Altona war angekommen
-und brachte seine Grüße und seine Huldigung. Und in dem Parke hallte
-es wider, und die Menge auf der Waldwiese, deren Zahl immer mehr
-anwuchs, stand und lauschte und harrte der Stunde entgegen, da es auch
-ihr vergönnt sein würde, den Gefeierten aus größerer Nähe begrüßen zu
-können.
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-Fast ward es zuviel für den beinahe Achtzigjährigen, und sein treuer
-ärztlicher Hüter, Dr. Schweninger, bat endlich für ihn um ein Stündchen
-Ruhe.
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-So ging der Apriltag hin und kündete dem alten Reichskanzler immer neu
-und beredt die Liebe eines ganzen Volkes, das nicht von ihm lassen
-konnte, und das immer wiederum alles dessen gedenken mußte, was
-Deutschland seinem Bismarck verdankte.
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-Nur ein bitterer Tropfen blieb in seiner Seele, eine Verstimmung, die
-wie ein Schatten zwischen ihm und dem jungen Kaiser lag. Er hatte das
-Empfinden, als hätte ihn derselbe nicht _so_, eben so ziehen lassen
-dürfen. Was galten ihm die äußeren Ehren, die ihm zum Abschied noch
-angetan worden waren, ein Herzenswort und eine Herzenstat hätten ihm
-weit schwerer gewogen.
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-Das deutsche Volk aber fühlte wie einen kältenden Hauch die Entfremdung
-zwischen dem Enkel des großen Kaisers Wilhelm und dem treuesten
-Paladin des letzteren, und hoffte in tiefster Seele, daß auch hier ein
-Frühlingstag kommen möge, der diesen Hauch hinwegfegen werde. Und des
-Volkes Hoffen sollte nicht betrogen werden.
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-Es lebt echtes, hochherziges Hohenzollernblut auch in Kaiser Wilhelm
-II., und so war er es, der dem Alt-Reichskanzler die Hand reichte zum
-freundlichen Bunde. Durch ganz Deutschland flog es wie ein warmer
-Lichtstrahl, als erzählt ward, wie der Herrscher dem Fürsten, der von
-einem heftigen Krankheitsanfall in einem süddeutschen Bade Genesung
-gesucht hatte, eines seiner Schlösser für die Zeit der Rekonvaleszenz
-zum Aufenthalt anbot, und wie er ihm manche Aufmerksamkeit erwies, wie
-nicht der Kaiser seinem Untertan, sondern der Freund dem Freunde sie
-zu erweisen bemüht ist, und noch erfreuter schlug des deutschen Volkes
-Herz, als die Kunde erscholl, daß Fürst Bismarck nach Berlin kommen
-und persönlich dem jungen Herrscher für sein huldvolles Entgegenkommen
-danken werde.
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-Am 26. Januar 1894 war es, als die erwartungsvolle Hauptstadt des
-Reiches der Ankunft des greisen Kanzlers entgegenharrte. Die Sonne war
-herrlich aufgegangen, als wolle sie ihn freundlich mitbegrüßen, und
-die Straßen vom Lehrter Bahnhofe nach dem Königlichen Schlosse waren
-durchwogt von freudig erregten Menschen. Die breite Straße Unter den
-Linden hatte reichen Flaggenschmuck angelegt, vom Zeughaus und dem
-Kommandogebäude wehten die Fahnen, und auf dem Königsschlosse prangte
-die gelbe Kaiser- und die rote Königsstandarte.
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-Immer dichter wurde das Menschengewühl, und lebhafter wurde die
-Bewegung, als im hellen Sonnenglanz eine Abteilung Garde-Kürassiere
-nach dem Bahnhofe ritt, um das Ehrengeleit für den Fürsten zu bilden.
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-Bald nach den glänzenden Reitern – es war um die Mittagszeit – fuhr ein
-offener kaiserlicher Wagen durch die Straße, umbraust von Hoch- und
-Hurrarufen: Des Kaisers Bruder, Prinz Heinrich, fuhr nach dem Lehrter
-Bahnhofe, um den Ankommenden im Namen des Herrschers zu begrüßen.
-Er dankte mit freudigem Gesichte dem jubelnden Volke und den an der
-Moltkebrücke in vollem Wichs aufgestellten studentischen Verbindungen.
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-Auf dem Lehrter Bahnhofe hatten sich eine größere Anzahl hochgestellter
-Persönlichkeiten und Freunde des Fürsten eingefunden. Kurz nach ein
-Uhr fuhr der Zug ein, und Prinz Heinrich trat auf den Salonwagen zu,
-an dessen Fenster sich bereits das markige Antlitz Bismarcks gezeigt
-hatte. Nun stieg dieser aus, und der Prinz bewillkommnete ihn auf das
-herzlichste und bot ihm seinen Arm.
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-Wohl hatte sich die Sonne wieder verhüllt, aber auch das trübere Licht
-vermochte dem ergreifenden Bilde nichts von seiner Wirkung zu nehmen.
-Auf den Arm des Kaisersohnes gestützt, schritt der greise Kanzler in
-seiner Kürassieruniform, langsam, aber aufrecht einher, das ehrwürdige
-Angesicht leuchtend vom Widerschein schöner freudiger Bewegung. Die
-Tausende aber, die vor dem Bahnhofe seiner harrten, brachen bei seinem
-Anblick in endlose Jubelrufe aus, die sich fortsetzten, wo immer der
-kaiserliche Galawagen mit seinen beiden Insassen auftauchte. Die
-Fenster des letzteren waren freilich wegen des kalten winterlichen
-Hauches und mit Rücksicht auf die Gesundheit des Fürsten geschlossen
-worden, aber sein freundliches Gesicht war doch sichtbar hinter den
-Scheiben und begeisterte das Volk, das in musterhafter Ordnung in fünf
-bis sechs Reihen dicht hintereinander stehend den Mittelweg Unter den
-Linden besetzt hielt vom Brandenburger Tor bis an die Brücke.
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-Da tauchten die alten Erinnerungen wieder auf an die glanzvollen
-Tage, welche Deutschland unter Kaiser Wilhelm I. und seinem Kanzler
-geschaut hatte, an den Siegeseinzug von 1866 und nach 1870, und
-sehnsuchtsvoller, dankbarer schlugen die Herzen dem herrlichen Manne
-entgegen, dessen Name mit jener gewaltigen Zeit auf ewig verbunden war.
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-An allen Fenstern drängten sich die Köpfe, ja, von den Kandelabern der
-Straßenlaternen herab schauten neugierig-mutwillige Knabengesichter,
-und die Schutzmannschaft nahm es heute nicht übel, wenn hier und da
-wohl auch einer auf einem Lindenast einen Sitz gefunden hatte.
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-Die Wachtparade war zur gewohnten Zeit, kurz vor ein Uhr, mit
-klingendem Spiele nach dem Schlosse gezogen, und ihre Musikklänge
-erhöhten die freudige Stimmung der Menge. Eine geraume Viertelstunde
-später blinkten vom Brandenburger Tor her die Helme der
-Garde-Kürassiere, und mit ihnen kam ein Brausen und Rufen, das sich
-von Mund zu Mund fortpflanzte, immer anwachsend und immer stürmischer.
-Eine Abteilung berittener Schutzleute jagte im stürmischen Ritt über
-den Reitweg, näher kamen die Kürassiere, und hinterher der kaiserliche
-Wagen.
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-Viel zu schnell für die Begeisterung der Menge, welche noch hinter ihm
-dreinklang, war er vorüber, und die Blicke folgten ihm nach, wie er
-seinen Weg verfolgte nach dem königlichen Schlosse zu.
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-Im Lustgarten standen die Bürgersteige gleichfalls voll dichtgedrängter
-Menschen, die alle nach der Residenz hinüberschauten, vor deren Eingang
-sich das bewegte Leben widerspiegelte, das heute in ihr herrschte.
-Hofequipagen rollten heran und hinweg, Offiziere und Hofbeamte eilten
-hin und her, herrlicher Blütenschmuck mitten im Winter war in reichster
-Fülle herbeigebracht, und alles machte den Eindruck, daß man einen
-lieben, hochzuehrenden Gast erwarte.
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-Die vom zweiten Garderegiment gestellte Ehrenkompagnie rückte
-mit klingendem Spiele an und nahm zwischen den beiden Portalen
-Aufstellung, und um die erste Mittagsstunde erschien der Kaiser. Er
-trug die Kürassieruniform, und, mit begeistertem Morgengruß von seinen
-Grenadieren empfangen, schritt er langsam deren Front entlang und trat
-dann durch das Schloßportal zurück.
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-Unter den schmetternden Klängen der Musik schritt der Fürst neben dem
-Prinzen Heinrich an der Front der präsentierenden Grenadiere hin, und
-nun war kein Halten mehr für die immer stürmischer vordrängende Flut
-des Volkes. Über den freien Platz vor dem Schlosse wogte sie heran,
-schnell und immer schneller, und bald war der Gefeierte umringt von
-den Tausenden, die nach seinen Händen, nach dem Saume seines Paletots
-faßten, um ihm ihre Liebe und Verehrung zu bezeigen.
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-Jetzt betrat er das Schloß, durchschritt in dem ersten der für ihn
-bestimmten Gastgemächer die Reihe des kaiserlichen Hauptquartiers – und
-im zweiten stand er Kaiser Wilhelm II. selbst gegenüber, Auge in Auge,
-Hand in Hand, und niemand war Zeuge dieser Begrüßung, deren Bedeutung
-aber nachempfunden wurde, soweit die deutsche Zunge klingt.
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-Schöner konnten die freundschaftlichen Beziehungen des Herrschers zu
-dem treuen Berater seines Hauses freilich kaum angedeutet werden, als
-bei der Frühstückstafel, welche im allerengsten Kreise eingenommen
-wurde. Zwischen dem Kaiser und der Kaiserin saß der Alt-Reichskanzler,
-und niemand störte die freundliche Weihe dieser Stunde.
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-Dann war Kaiser Wilhelm auch auf die Ruhe seines Gastes bedacht, der
-sich auf seinen Wunsch einige Zeit in seine Gemächer zurückzog. Aber
-nicht für lange, denn ein solcher Tag konnte nicht zur Rast bestimmt
-sein, und der Fürst zeigte, daß er trotz Alters und Unwohlseins noch
-immer »der eiserne« Kanzler war. Um 4 Uhr nachmittags, nachdem ihm
-schon vorher sein Amtsnachfolger General von Caprivi und sämtliche
-Staatssekretäre durch Abgabe ihrer Karten begrüßt hatten, fuhr er bei
-der Witwe Kaiser Friedrichs vor, um ihr seine Ehrerbietung zu beweisen,
-und nach 6 Uhr fand er sich an der kaiserlichen Tafel ein, an welcher
-außer dem kaiserlichen Paare auch König Albert von Sachsen und Graf
-Herbert Bismarck teilnahmen.
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-Aufs neue aber begann sich die Volksmenge Unter den Linden
-zusammenzuscharen, um den Fürsten auch bei seiner Abreise zu begrüßen.
-Heller Lichtglanz flutete aus den Fenstern »Unter den Linden«, als um
-7 Uhr 10 Minuten die Gardereiter durch die breite, prächtige Straße
-ritten und hinter ihnen her der Galawagen rollte, in welchem diesmal
-Kaiser Wilhelm II. selbst seinem Gaste das Geleit gab.
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-Auch der Lehrter Bahnhof war von vollem Lichtglanz erhellt, dessen
-Schein die Gruppen der hohen Offiziere und des kaiserlichen
-Hauptquartiers beleuchtete, das in erwartungsvollem Schweigen auf dem
-Perron stand. Langsam schritt Bismarck zur Seite des Kaisers heran,
-nach dem Salonwagen. Noch einmal fügte sich Hand in Hand, und in
-sichtlicher Bewegung zog der junge Herrscher den greisen Recken näher
-heran zu sich und küßte ihn wiederholt auf die Wangen.
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-Nun bestieg Bismarck den Salonwagen; entblößten Hauptes stand er an dem
-Fenster und sah hinaus auf seinen Kaiser, der noch immer in huldvoller
-Weise redete.
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-Das letzte Glockensignal verklang – – in die weithin schallenden
-Hochrufe mischte sich der brausende Gesang:
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- Deutschland, Deutschland über Alles,
- Über alles in der Welt!
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-Und den Nachhall dieses Liedes in gehobener Seele, fuhr der eiserne
-Kanzler wieder heimwärts nach seinem stillen Sachsenwalde. Der
-darauffolgende Besuch des Kaisers in Friedrichsruh besiegelte die
-Versöhnung. Der letzte Schatten war gewichen aus seiner Brust, der
-volle Friede eines großen, segensreichen, abgeschlossenen Wirkens
-erfüllte ihn und verklärte wie ein mildes Rot den Abend seiner Tage.
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- * * * * *
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-Er sollte seinen lieben, stillen Sachsenwald nicht mehr verlassen. Mit
-der gelassenen Ruhe des großen Mannes schaute er von seiner friedlichen
-Warte den Welthändeln zu, glücklich im Kreise der Seinen, und immer
-aufs neue erfreut durch die mannigfaltigen Kundgebungen der Liebe und
-Verehrung seines deutschen Volkes, die ihn auch in seinem weltfernen
-Asyl aufsuchten.
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-Da traf ihn der herbe Verlust seiner Gemahlin, die wie ein guter,
-treuer Kamerad mit ihm durch das Leben gegangen, und die ihm innig
-an das Herz gewachsen war. Seitdem sah ihn das Dasein mit immer
-trüberen Augen an, und seine eigene Gesundheit kam immer mehr ins
-Wanken. Und auch die treueste, hingebendste Liebe seiner Familie, die
-aufopfernde Pflege seines Leibarztes Dr. Schweninger konnten zuletzt
-das Unaufhaltsame nicht mehr aufhalten.
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-Es war der Sommer des Jahres 1898 gekommen und breitete seinen Schimmer
-über den grünen Sachsenwald. Aber im Herrenhause zu Friedrichsruh
-hegten liebende Herzen bange Besorgnisse. Der greise Fürst rang mit
-immer wiederkehrenden Beschwerden, und wenn seine starke Natur auch
-vorübergehend zu siegen schien, der heimtückische Gegner, mit dem er
-kämpfte, setzte sein furchtbares Werk fort und brachte es jählings zu
-Ende.
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-Am 28. Juli abends hatte der Fürst im Kreise der Seinen bei einem Glase
-Wein gesessen, die geliebte Pfeife geschmaucht und sich lebhaft und
-heiter wie in früheren Tagen unterhalten; am 30. vormittags las er
-seine Zeitungen, frühstückte in gewohnter Weise und klagte scherzend
-über den geringen Zusatz von Wein zu dem ihm gereichten Wasser. An dem
-Nachmittag desselben Tages brach er zusammen, und um die elfte Stunde
-der Nacht trat ihm schon der Tod an das große, treue Herz. Um ihn
-stand seine Familie, ihm zur Seite der treue Leibarzt, der die letzten
-Atembeschwerden ihm zu lindern bemüht gewesen, indes des Fürsten
-edle Tochter, die Gräfin Rantzau, ihm den Todesschweiß von der Stirn
-trocknete. Ihr galt des Sterbenden letztes Liebeswort: »Danke, mein
-Kind!«
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-Dann lag er wie ein Schlafender, mit mildem, friedlichem Antlitz,
-hoheitsvoll und edel. An seinen Sarg trat auch Kaiser Wilhelm II., der
-auf die Trauerkunde, die er auf einer Nordlandsreise in Bergen erhalten
-hatte, sogleich heimkehrte und am 2. August in Begleitung seiner
-erlauchten Gemahlin in Friedrichsruh eingetroffen war. Im Sterbezimmer
-fand die schlichte und doch so erhebende Trauerfeier statt. Das schwarz
-drapierte Gemach war erfüllt von betäubendem Blumenduft, der das
-ganze Schloß durchzog, und der schwarzpolierte Eichensarg verschwand
-unter riesigen Kränzen, von denen Wagenladungen aus allen Teilen
-Deutschlands nach dem stillen Friedrichsruh kamen. Am Fuße des Sarges
-aber lagerte der prachtvolle Kranz von Teerosen auf Lorbeerblättern und
-Eichenlaub, der auf einer weißseidenen Schleife die Anfangsbuchstaben
-des Kaiserpaares trug.
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-Der Kaiser hatte gewünscht, daß »sein großer Toter« im Dome zu Berlin
-beigesetzt werde, aber der eigene letzte Wunsch des Entschlafenen
-stand dem entgegen. In seinem stillen Sachsenwalde wollte Bismarck
-seinen letzten Schlaf schlafen in einem schmucklosen kleinen Hause, und
-die Grabschrift, die er sich selbst verfaßt, sollte lauten:
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-»_Fürst von Bismarck, geboren am 1. April 1815, gestorben am ……, ein
-treuer, deutscher Diener Kaiser Wilhelms des Ersten._«
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-Im Sterbezimmer eingemauert blieb der Sarg mit den irdischen Resten des
-großen Kanzlers, bis das kleine Mausoleum auf dem Waldhügel gegenüber
-dem Parktor vollendet sein würde.
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-Es ist ein friedlich-stilles Plätzchen. Ringsum rauschen die alten
-Eichen, und von dem nahen Hügel, auf welchem die von treuen Anhaltinern
-gestiftete Hirschgruppe steht, grüßen die dunklen Tannen, und der Blick
-schweift über Schloß und Park und über ein schönes, freundliches Stück
-des Sachsenwaldes.
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-Hier wurde er am 16. März 1899 gebettet. Das ganze deutsche Volk war im
-Geiste zugegen, als sein großer Kanzler den letzten Pfad zurücklegte,
-und Hunderttausende haben es beklagt, daß es aus mancherlei Gründen nur
-einer kleinen Zahl Leidtragender vergönnt war, das ganze deutsche Volk
-in jener Weihestunde vertreten zu dürfen. Der deutsche Kaiser hat auch
-diesmal nicht gefehlt.
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-Beim dumpfen Klange des Chopinschen Trauermarsches bewegt sich der
-Zug aus dem Schlosse. Der Regimentskapelle folgt in weitem Abstande
-die Leichenparade, und längs des ganzen Weges flammt das Licht
-vieler tausend Fackeln auf, von deren düsterer Glut bestrahlt der
-Leichenkondukt langsam vorwärtsschreitet. Überall entblößte Häupter –
-Totenstille – auch die Natur hält den Atem an. Nun naht der Sarg der
-Fürstin, die an des Gatten Seite ruhen soll, und schwankt, von Kränzen
-beladen, auf den Schultern der in altspanische Tracht gekleideten
-Träger. Ihm folgt in einigem Abstande der Sarg des Kanzlers. Eine aus
-Lorbeer gewundene Fürstenkrone liegt zu Häupten. An den Seiten der
-Träger gehen im Schmuck der blinkenden Waffen Seydlitzkürassiere.
-Und unmittelbar hinter dem Sarge, an der Seite des Fürsten Herbert
-Bismarck, schreitet in der Uniform der Halberstädter Reiter der Kaiser,
-den blitzenden Stahlhelm auf dem Haupte, das bleiche Angesicht gesenkt.
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-Mit dem zwölften Glockenschlage werden die Särge in der Kapelle des
-Mausoleums vor dem kleinen Altare niedergesetzt, mit gezogenen Säbeln,
-starr wie Bildsäulen, stehen die Kürassiere. Auch der Kaiser läßt sich
-nicht nieder während der Feier. Der Lieblingschoral der verewigten
-Fürstin klingt durch die Halle: »Die wir uns allhier beisammen finden«,
-der Geistliche spricht kurze, erhebende Worte, dann kam wieder Orgelton
-und frommer Gesang des Liedes: »Mach End’, o Herr, mach Ende«! … Drei
-Salven der hinter dem Mausoleum aufgestellten Ehrenkompagnie dröhnten
-dazwischen … dann war alles zu Ende. – Die Gruft schloß sich über dem
-besten und größten Sohne Deutschlands!
-
-Aber von ihm wird ein Singen und Sagen gehen bis in die fernsten
-Zeiten, und solange es ein Deutsches Reich und ein deutsches Volk geben
-wird, wird es zu seinen schönsten und edelsten Pflichten zählen, in
-ehrenvollster Erinnerung zu bewahren die große Zeit der Erneuerung des
-Reiches, den herrlichen Kaiser Weißbart und den Mann, der Deutschland
-in den Sattel gehoben hat, _den eisernen Kanzler_.
-
-[Illustration]
-
-
-Setzmaschinensatz und Druck von A. Seydel & Cie., G. m. b. H.,
-Berlin ~S.W.~
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
-
- Korrekturen:
-
- S. 209: Februir → Februar
- am 26. {Februar} 1871 zu Versailles
-
- S. 216: betätigen → bestätigen
- Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu {bestätigen}
-
- Die unterschiedlichen Schreibweisen Skierniwicze und Skiernewice
- wurden einheitlich zur aktuellen Schreibweise Skierniewice
- korrigiert.
-
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-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH VOM EISERNEN
-KANZLER ***
-
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Binary files differ
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Binary files differ
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@@ -1,9448 +0,0 @@
-<!DOCTYPE html>
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- Das Buch vom eisernen Kanzler | Project Gutenberg
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-<body>
-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Das Buch vom eisernen Kanzler</span>, by Anton Ohorn</p>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
-at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
-are not located in the United States, you will have to check the laws of the
-country where you are located before using this eBook.
-</div>
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Das Buch vom eisernen Kanzler</span></p>
-<p style='display:block; margin-left:2em; text-indent:0; margin-top:0; margin-bottom:1em;'><span lang='de' xml:lang='de'>Eine Erzählung für Deutschlands Jugend</span></p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Anton Ohorn</p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Illustrator: Max Wulff</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: October 15, 2022 [eBook #69160]<br>Last Updated: July 24, 2023</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</p>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DAS BUCH VOM EISERNEN KANZLER</span> ***</div>
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.
-Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich
-am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter illowp60" id="cover">
- <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="Cover">
-</div>
-
-<div class="figcenter illowp60" id="illu-001">
- <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt="">
- <div class="caption">
-<div class="left">
-<em class="antiqua">Eis. Kanzler I.</em>
-</div>
-<div>In Göttingen.</div></div>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h1 class="center">Das Buch<br>
-vom eisernen Kanzler</h1>
-
-<p class="center">Eine Erzählung für Deutschlands Jugend</p>
-
-<p class="center smaller">von</p>
-
-<p class="h2">Anton Ohorn</p>
-
-<p class="center">Mit Illustrationen in Farbendruck von <em class="gesperrt">Max Wulff</em></p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-002">
- <img src="images/illu-002.jpg" alt="Dekoration">
-</div>
-
-<p class="center">Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H.<br>
-Berlin W 66
-</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_3">[3]</span></p>
-<h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt.</h2>
-</div>
-
-<table>
-<tr>
-<td></td><td class="tdr">Seite</td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Erstes Kapitel. Sorglose Jugend</td>
- <td class="tdr"><a href="#Erstes_Kapitel">5</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Zweites Kapitel. Berliner Lernjahre</td>
- <td class="tdr"><a href="#Zweites_Kapitel">17</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Drittes Kapitel. <em class="antiqua">Gaudeamus igitur</em></td>
- <td class="tdr"><a href="#Drittes_Kapitel">30</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Viertes Kapitel. Am eigenen Herde</td>
- <td class="tdr"><a href="#Viertes_Kapitel">46</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Fünftes Kapitel. In gärender Zeit</td>
- <td class="tdr"><a href="#Fuenftes_Kapitel">63</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Sechstes Kapitel. Der Bundestagsgesandte</td>
- <td class="tdr"><a href="#Sechstes_Kapitel">80</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Siebentes Kapitel. An der Newa und der Seine</td>
- <td class="tdr"><a href="#Siebentes_Kapitel">99</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Achtes Kapitel. Der bestgehaßte Mann</td>
- <td class="tdr"><a href="#Achtes_Kapitel">117</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Neuntes Kapitel. Im böhmischen Feldzuge</td>
- <td class="tdr"><a href="#Neuntes_Kapitel">131</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Zehntes Kapitel. Mit Blut und Eisen</td>
- <td class="tdr"><a href="#Zehntes_Kapitel">146</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Elftes Kapitel. Des neuen Reiches Kanzler</td>
- <td class="tdr"><a href="#Elftes_Kapitel">193</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Zwölftes Kapitel. In Ehren und Schmerzen</td>
- <td class="tdr"><a href="#Zwoelftes_Kapitel">210</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Dreizehntes Kapitel. Im Abendrot</td>
- <td class="tdr"><a href="#Dreizehntes_Kapitel">228</a></td>
-</tr>
-</table>
-
-<div class="figcenter" id="illu-004">
- <img src="images/illu-004.jpg" alt="Dekoration">
-</div>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_5">[5]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel"><img src="images/illu-006.jpg" alt="Dekoration"><br>
-<span class="smaller">Erstes Kapitel.</span><br>
-Sorglose Jugend.</h2>
-</div>
-
-<p>Ein lachender Sommertag! Weiße Wölkchen schwimmen
-langsam über den blauen Grund des Himmels und spiegeln sich
-in dem glitzernden Teiche. Leise rauscht das Röhricht an dessen
-Ufersaum, und in den Kronen der alten Bäume ringsumher im
-Park flüstert es wie von Geschichten vergangener Tage. Und die
-stattlichen Rüstern und Linden wissen wohl viel zu erzählen von
-lustigen Festen und von ernster Zeit, zumal erst sechs bis sieben
-Jahre entschwunden sind seit den glorreichen Befreiungskriegen und
-der mutigen Erhebung des ganzen deutschen Volkes, die ihre
-Wellen auch ins Pommernland und an die Mauern des freundlichen
-Herrensitzes <em class="gesperrt">Kniephof</em>, der sich zurzeit im Besitze des
-Herrn <em class="gesperrt">Ferdinand von Bismarck</em> befand, getragen
-hatte.</p>
-
-<p>Heute ist Friede im Lande, und die alten Wunden fangen
-langsam zu vernarben an.</p>
-
-<p>Zwischen den grünen Bäumen sieht das Schlößchen hervor,
-schlicht, mit Holzfachwerk, aber traulich und behaglich. Aus dem
-Eingang tritt ein Knabe, fünfjährig, schlank, mit blondem, leicht
-gelocktem Haar, und schaut mit hellen, blauen Augen in die Welt.<span class="pagenum" id="Seite_6">[6]</span>
-In dem frischen Gesichte ist Lebenslust und Tatendrang zu lesen.
-Er sieht hinauf nach dem heiteren Himmel, hinüber nach den
-grünen Bäumen des Parks, steckt die Hände in die Taschen und
-steht nun breitbeinig da, offenbar in der Überlegung, woran er
-im Augenblicke seine junge Kraft am besten erproben könne.</p>
-
-<p>Da kam ein Knecht.</p>
-
-<p>»Jochem, wohin?« rief der Kleine.</p>
-
-<p>»Der Fuchs muß ein neues Eisen haben!« sagte der Angeredete
-in behaglichem Platt.</p>
-
-<p>»Da geh’ ich mit!« jauchzte das Bürschlein, offenbar erfreut
-über den Fingerzeig des Schicksals, und nun trabte er lustig
-neben dem Manne her nach dem Wirtschaftshofe und in den
-Stall. Der Fuchs wurde herausgeholt. »Jochem, setz mich
-drauf!« gebot der Kleine, und der Knecht hob ihn auf den breiten
-Rücken des Tieres, über welchen die kurzen Beinchen des Reiters
-kaum wegreichten. Daß der Mann das Pferd am Halfter führte,
-duldete das Bürschchen nicht, er mußte es frei gehen lassen, und
-der Kleine hielt sich an der Mähne und suchte nun durch Zuruf
-den Ackergaul zu einem rascheren Tritt zu bringen, was ihm aber
-nicht gelang.</p>
-
-<p>Beim Schmied hob ihn der Knecht wieder ab, und nun
-stellte er sich so, daß er die glühende Esse und den Amboß sah.
-Die jungen Augen blitzten vor Lust, wenn unter den Hammerschlägen
-des Meisters die Funken sprühten, und am liebsten hätte
-er selbst zu dem verrußten Werkzeug gegriffen und mitgeholfen,
-denn er ahmte unwillkürlich die Bewegungen des Schmiedes nach.
-Aber nicht lange hielt er aus, dann schlenderte er, die Hände in
-den Taschen, weiter, hinaus ins Freie. Die Wiesen, reif zum
-Gemähtwerden, standen voll saftigen Grases und im bunten
-Blütenschmuck. An ihnen hinstreifend, pflückte er Blumen, und
-dazu sang er ein Kinderlied.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[7]</span></p>
-
-<p>Die Zampel fließt durch das grüne Gelände; Erlen und
-Weiden neigen sich schattend über das klare Wasser, und zwischen
-ihnen ragen stattliche Ulmen. Dorthin lenkte der Knabe seine
-Schritte, brach sich einen Zweig aus dem Gebüsch, streifte die
-Blätter ab und köpfte nun die fetten, roten Disteln, die so protzig
-über den Wiesengrund emporragten. Während dieser Beschäftigung
-sah er einen Reiter auf einem Feldwege kommen. Hastig
-lief er ihm entgegen und schrie schon von weitem jauchzend:
-»Papa, Papa!«</p>
-
-<p>Der Angerufene hielt sein Pferd an. Es war ein stattlicher
-Herr mit einem gutmütigen Gesicht, aus dem die Freude lachte
-über den munteren, frischen Jungen.</p>
-
-<p>»Was machst denn du hier, <em class="gesperrt">Otto</em>?« fragte er.</p>
-
-<p>»O nichts, Papa, ich gehe spazieren und schlage dabei den
-Disteln die dicken Köpfe herunter! Darf ich mit dir?«</p>
-
-<p>Der Reiter beugte sich herab und hob den kleinen Burschen
-empor, welchen er vor sich hinsetzte, und der nun ohne weiteres
-die Zügel nahm. Der Braune schien ähnliches gewohnt zu sein,
-er schritt munter aus und langte bald bei dem Herrenhause an.
-Ein Knecht nahm das Tier in Empfang und hob den Kleinen
-aus dem Sattel, und dann ging dieser an der Hand des Vaters
-in das Herrenhaus.</p>
-
-<p>»Nun, Otto,« sagte dieser, »nächste Woche kommt Bernd
-(Bernhard) aus Berlin!«</p>
-
-<p>»Ach, das wird hübsch!« jauchzte der Bursche, »weiß das
-Mama schon und Lotte Schmeling?«</p>
-
-<p>Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in das Haus
-und in das Gemach, in welchem er seine Mutter vermutete. Eine
-hochgewachsene, schöne Dame mit klaren, freundlichen Augen trat
-ihm entgegen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_8">[8]</span></p>
-
-<p>»Wo steckst du denn, Otto, und so erhitzt?« sagte sie mit
-gütigem Vorwurf und strich mit der weißen Hand über die feuchten,
-zerzausten Locken ihres Lieblings.</p>
-
-<p>»Ach, ich komme mit Papa und bin auf dem Braunen geritten
-– und nächste Woche kommt Bernd. Da wird’s lustig!
-Er erzählt immer so hübsch von Berlin. Darf ich auch nach
-Berlin, Mama?«</p>
-
-<p>»Ja, ja, mein Junge!«</p>
-
-<p>Er küßte die Hand der Mutter und war hinaus, noch ehe
-der Vater eintrat. Er eilte nach der Küche, wo »Lotte Schmeling«
-regierte.</p>
-
-<p>»Ach Lotte, gib mir zu essen, ich habe Hunger – und weißt
-du – nächste Woche kommt Bernd!«</p>
-
-<p>Viel Zeit gönnte er sich zur Stillung seines Hungers nicht,
-denn bald darauf war er wieder im Parke. Einen Teil seines
-Frühstücks trug er noch in der Hand, und die kleinen Taschen
-hatte ihm Lotte Schmeling vollgestopft mit Speiseresten, denn er
-wollte die Karpfen füttern. Aber im Parke hielt ihn manches
-auf. Wenn er einen Vogel locken hörte, blieb er stehen, weil er
-wissen mußte, wen er vor sich habe; wo ihm ein Nestchen in den
-Büschen bekannt war, sah er vorsichtig nach, ob noch alles in demselben
-und um dasselbe in Ordnung sei; wo ein Eichkätzchen an
-einem Stamme hinhuschte, mußte er seinen Weg verfolgen und
-sich an seinem possierlichen Wesen ergötzen.</p>
-
-<p>Endlich stand er an dem Karpfenteiche und trat auf das
-kleine Podium hinaus, um seine Gaben zu spenden. Schon nach
-dem ersten Wurfe der kleinen Hand tauchten die silbergrau schimmernden
-Rücken auf und kamen heran, und gierig schnappten die
-großen, runden Mäuler. Otto jauchzte, wenn sie um einen besonders
-großen Bissen sich drängten und balgten und ihn einander<span class="pagenum" id="Seite_9">[9]</span>
-zu entreißen suchten, und er warf seine Gaben bald rechts, bald
-links, um auch den minder Zudringlichen und weniger Starken
-etwas zukommen zu lassen. Ganz im Hintergrunde, nach der
-Mitte zu, waren einige kleinere Fische, die bei jedem Wurfe
-schnappten, aber nicht herankommen konnten. Auch sie sollten ihr
-Teil erhalten. Der Knabe füllte die ganze Hand dicht mit Brocken
-und holte nun mit ganzer Kraft zum Wurfe aus. Dabei aber
-hatte er sich wohl etwas zu weit vorgebeugt, er verlor das Gleichgewicht;
-klatschend schlug er ins Wasser, so daß die Fische erschreckt
-auseinanderstoben, und nun arbeitete und strampelte der
-kleine Bursche mit Armen und Beinen in einer nicht ungefährlichen
-Lage, denn der Teich war ziemlich tief. Er faßte nach dem
-Schilfe und suchte sich daran festzuhalten, aber das schwanke Rohr
-bot keine Stütze. Doch war es ihm geglückt, näher an das Podium
-heranzukommen; mit aller Anstrengung und durch eine unbewußt
-günstige Bewegung unterstützt, konnte er es ergreifen, beide
-Hände faßten rasch und sicher zu – und gleich darauf hatte sich
-der kleine Mann glücklich herausgearbeitet.</p>
-
-<p>Er sah ganz verdutzt zuerst nach dem Teiche und dann an
-sich selbst hinab. Seine Beine waren schlammbedeckt, und Schilf
-hing an den durchnäßten Kleidern. Er schüttelte sich einmal
-kräftig, dann trabte er fort nach dem Herrenhause.</p>
-
-<p>Er wollte zu Lotte Schmeling, seiner Vertrauten, flüchten,
-kam aber gerade der entsetzten Mama in den Weg.</p>
-
-<p>»Was ist passiert, Otto?« schrie sie erschrocken auf, als sie
-den Kleinen sah, aus dessen Haaren das Naß niederrieselte auf
-das triefende Gewand.</p>
-
-<p>»O nichts, Mama – ich bin nur, wie ich die Karpfen füttern
-wollte, ein bißchen in den Teich gefallen. Es tut nichts – bloß
-entsetzlich kalt ist’s!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[10]</span></p>
-
-<p>Die Zähnchen schlugen ihm jetzt im Frost zusammen, und
-unter Beihilfe von Lotte Schmeling wurde er rasch zu Bette gebracht
-und mußte heißen Tee trinken.</p>
-
-<p>Am Abend fühlte er sich wieder völlig munter. Der Vater
-hatte bei ihm gesessen und mit ihm geplaudert: er hatte ihm gesagt,
-daß er schwimmen lernen müsse, wie die Karpfen im Teiche,
-und zwar, sobald er wieder aus dem Bette sein werde, und das
-hatte ihm viel Vergnügen gemacht. Dann aß er sein gewohntes
-Abendsüppchen, und endlich, beim Dunkelwerden, kam Mama
-noch einmal.</p>
-
-<p>»Siehst du, Otto, wie gut es der liebe Gott meint mit kleinen,
-dummen Jungen? Überall schickt er einen Engel mit ihnen, der
-ihnen hilft, wenn sie in Not sind. Du wärst im Karpfenteich ertrunken,
-wenn er nicht bei dir gewesen wäre und dich herübergezogen
-hätte, so daß du das Podium fassen konntest. Dafür mußt
-du dem lieben Gott heute auch ganz besonders danken!«</p>
-
-<p>So sagte die schöne, freundliche Frau, und der Knabe
-faltete die Händchen und sprach sein Abendgebet mit besonderer
-Herzlichkeit.</p>
-
-<p>»Amen!« sagte die Mutter bewegt, als er damit zu Ende
-war, dann küßte sie ihren Liebling, deckte ihn sorgsam zu
-und ging. –</p>
-
-<p>Der Unfall hatte für Otto keine weiteren unangenehmen
-Folgen, und in gewohnter vergnüglicher Weise lebte er seine Tage
-weiter. Als nach einiger Zeit Bernd (Bernhard), der um fünf
-Jahre ältere Bruder, aus Berlin ankam, erzählte er ihm beinahe
-mit einem gewissen Selbstgefühl sein Abenteuer, vergaß dabei
-aber nicht, auch des Schutzengels Erwähnung zu tun.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Bernhard</em> war ein frischer, schlanker Junge, dem es besonderes
-Vergnügen machte, nach dem Berliner Aufenthalte frei<span class="pagenum" id="Seite_11">[11]</span>
-durch Feld und Wald zu schweifen, und Otto war sein beinahe
-unzertrennlicher Begleiter. Die Erzählungen des Älteren von
-der Haupt- und Residenzstadt Preußens und ihren Herrlichkeiten,
-von den militärischen Schauspielen, von dem König und seinem
-Hofe verfehlten nicht, die Phantasie des Jüngeren zu erregen und
-in ihm eine Sehnsucht nach diesen Wunderdingen zu wecken. Dann
-setzte Bernhard der Begierde des Bruders wohl einen kleinen
-Dämpfer auf, indem er ihm erzählte, wie es in der Plamannschen
-Anstalt, in welcher er untergebracht war, zuging.</p>
-
-<p>»Das ist nicht so wie bei Muttern. Und da kannst du nicht
-den ganzen Tag im Parke herumschlendern und Karpfen füttern,
-und kannst auch nicht, wenn dich hungert, zu Lotte Schmeling
-laufen. Da heißt’s jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen. Dann
-gibt’s Milch und Brot als Frühstück, und von sieben Uhr an
-mußt du drei Stunden lang auf der Schulbank sitzen, dafür erhältst
-du um zehn Uhr ein Salzbrot, das du im Sommer mit
-einem Apfel oder einer Birne dir schmackhafter machen kannst,
-und nach einer halben Stunde geht’s wieder in die Schulstube.
-Mittags um zwölf Uhr wird gemeinsam in einem großen Saale
-gegessen, und da fragt dich niemand, ob dir’s schmeckt oder nicht.
-Wenn du dein Schüsselchen nicht ausessen kannst, mußt du mit
-demselben so lange im Garten stehen, bis du es geleert hast.
-Dann wieder von zwei bis vier Uhr Unterricht, zum Vesper ein
-Salzbrot und nun nochmals bis sieben Uhr auf die Schulbänke.
-Du, da ist man froh, wenn’s Abend geworden, und man sein
-Warmbier oder Butterbrot erhält. Nur das Turnen und Fechten,
-das ist hübsch! Ja, mein lieber Otto, auf Kniephof oder Schönhausen
-ist’s schon schöner!«</p>
-
-<p>Der Kleine hat bei solchen Schilderungen die Hände in die
-Taschen gesteckt, bleibt breitbeinig vor dem Bruder stehen und
-sagt dann ruhig und beinahe überlegen:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[12]</span></p>
-
-<p>»Weißt du, Bernd, wenn <em class="gesperrt">du</em> es ausgehalten hast, kann
-ich’s auch!«</p>
-
-<p>Kurze Zeit darauf gab der Vater Ottos, Herr <em class="gesperrt">Ferdinand
-von Bismarck</em>, ein kleines Fest, wie es der an der Geselligkeit
-sich freuende Mann ab und zu liebte. Offiziere aus dem nahen
-Naugard und anderen Garnisonen hatten sich eingefunden, und
-die Gastlichkeit des von Bismarckschen Hauses, in welchem an
-des heiteren, lebensfrohen Gatten Seite eine ungemein liebenswürdige
-und in jeder Weise feine und edle Hausfrau waltete,
-kam in aller Herzlichkeit zur Geltung.</p>
-
-<p>Bei der Mittagstafel herrschte ein lebhafter, munterer Ton,
-und der Wein löste die Zungen noch mehr. Bernhard und Otto
-saßen an einem Seitentischchen, und der letztere besonders ließ
-sich wenig von dem Gespräch entgehen, zumal dasselbe bald genug
-auf ein Gebiet kam, das noch immer alle Gemüter lebhaft bewegte!
-Die Zeit der Schmach und der Erhebung Preußens und Deutschlands.
-Die Männer an dem Tische und in den Uniformen hatten
-fast alle ihren Teil an jenen Tagen und jenen Begebenheiten, und
-mancher wies ein blinkendes Ehrenzeichen, mancher auch eine
-ehrenvolle Wundennarbe auf.</p>
-
-<p>»Sie haben die Befreiungskriege nicht mitgemacht, Herr von
-Bismarck?« fragte einer der jüngeren Offiziere.</p>
-
-<p>»Im eigentlichen Sinne, als Streiter des Heeres, nicht. Ich
-habe den Soldatenrock schon früh ablegen müssen, der Familienverhältnisse
-halber. O, ich bin sehr jung schon Soldat gewesen,
-habe als Knabe schon im Rathenower Leibkarabinierregiment
-gedient und stramm meinen Dienst geübt. Jeden Morgen Schlag
-4 Uhr war ich da und habe den Reitern den Hafer zumessen lassen.
-Bei Kaiserslautern hab’ ich unter dem Herzog von Braunschweig
-mitgefochten, aber es war keine Ehre zu holen. Darum hab’ ich
-als Rittmeister meinen Abschied genommen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[13]</span></p>
-
-<p>»Haben Sie auf Ihrem Gute viel von den Franzosen zu
-leiden gehabt?« fragte einer der Gäste.</p>
-
-<p>»Wir sind damals, als Preußen zusammenbrach, nicht auf
-Kniephof, sondern auf Schönhausen gewesen. 1815 am 1. April
-ist uns der kleine Schlingel, der Otto, geboren worden – mit
-dem wir hoffentlich nicht in den April geschickt werden, – aber
-es war eine trübe Zeit gewesen für das Vaterland. Ob wir
-sie mitempfunden haben, meine Herren? – Na, Minchen« – er
-wandte sich zu seiner Frau – »ich denke, wir vergessen’s all
-unsere Lebenstage nicht! Zwei Tage nach der Unglücksschlacht
-von Jena und Auerstädt, an einem rauhen Oktobertage des Jahres
-1806, kam die liebe, gute Königin Luise, flüchtig und geängstigt,
-und blieb im Schlosse Tangermünde, Schönhausen gegenüber am
-linken Elbufer, über Nacht, dann floh sie weiter gegen Ostpreußen,
-und hinter ihr drein zogen die französischen Scharen und die
-preußische Schande. – Wenige Tage später saß im Tangermünder
-Schlosse der Marschall Soult, und seine zügellosen Banden tauchten
-in der ganzen Gegend auf. Damals habe ich mein bißchen
-Barvermögen in Gold im Parke vergraben und flüchtete mit
-meiner Frau unter Mühen und Gefahren bis nach dem »Trüben«,
-einer sumpfigen, umbüschten Niederung an der Elbe, wohin die
-Schönhauser sich zurückgezogen hatten. Der Aufenthalt in der
-langen, kalten Oktobernacht in dem feuchten Sumpfloche war
-fürchterlich, zumal wir jeden Augenblick davor bangten, daß über
-unserem Besitztum der rote Flammenschein auflodern würde. Endlich,
-nach entsetzlich langen Stunden, graute der Morgen. Einige
-schlichen nach Schönhausen und brachten die Kunde, der Feind sei
-fort, und so zogen wir heimwärts. Aber wie hatten diese Teufelsfranzosen
-gewirtschaftet! Verwüstung und Elend überall in den
-Kätnerhütten wie im Herrenhause. Im Schlosse war alles
-durcheinandergeworfen, vieles zertrümmert; den Stammbaum der<span class="pagenum" id="Seite_14">[14]</span>
-Bismarck, der im Bibliothekzimmer hing, hatten sie mit Säbeln
-zerhauen und zerstochen, daß die Fetzen davonhingen – na, ich
-denke, dem Stamme selber soll das nicht geschadet haben.</p>
-
-<p>Als ich nach meinem Gelde im Garten ging, fand ich die
-Erde aufgewühlt … aber ich sah auch bald die Goldstücke
-blinken. Der Feind hatte sie nicht gefunden, und die Erdarbeit
-mochte das Werk eines spürenden Hundes gewesen sein. Später
-habe ich, um mich und meine Bauern zu bewahren, mir von
-Soult eine Schutzwache erbeten, aber meine Frau habe ich doch
-größerer Sicherheit wegen nach Rathenow gebracht. Ach Gott,
-aber die allgemeine Not war doch noch schlimmer als die des
-einzelnen, und als unser liebes Preußen zerrissen wurde, da
-grenzte Schönhausen hart an das neue Königreich Westfalen, es
-fehlte nicht viel, so hätten wir Jerôme als König bekommen.«</p>
-
-<p>Der brave Rittmeister nahm einen kräftigen Schluck, wie um
-die schlimmen Erinnerungen damit fortzuschwemmen. Einer der
-Offiziere aber fragte: »Und wie war’s in den Befreiungskriegen?
-Sie hatten ja auch in der Altmark Ihren Landsturm?«</p>
-
-<p>»Und ob wir einen solchen hatten! Und er hat redlich die
-Heimat vor Franzosen und Russen behütet. Ich darf’s wohl
-ohne Ruhmredigkeit sagen, daß ich treulich das meine dabei getan
-habe. Und wir hatten an der Elbe gute Helfer gehabt in
-den braven Lützowern, die im Mai 1813 nach Schönhausen
-kamen und mit uns die Übergänge über den deutschen Strom
-bewachten. Das bleibt mir eine unvergeßliche Erinnerung, jener
-Gottesdienst in unserer einfachen, alten Dorfkirche, bei welchem
-die neueingetretenen freiwilligen schwarzen Jäger eingesegnet wurden.
-Es war rührend, wie Männer mit ergrauten Haaren neben
-frischen Jünglingen sich um den braven Major von Lützow scharten,
-und ich habe damals mit Tränen in den Augen manchen
-Wackeren gesehen, den ich nicht vergesse. Da war der junge Theodor<span class="pagenum" id="Seite_15">[15]</span>
-Körner, der Freiheitsdichter, mit seinen dunklen Feueraugen, der
-dann bei Gadebusch gefallen ist, der Turner Ludwig Jahn mit
-seinem Löwenkopfe, und sie sangen ein Lied ihres jungen Kampfgenossen
-und leisteten einen heiligen Eidschwur fürs Vaterland,
-und unser Prediger Petri hat ihnen den Segen gegeben, und der
-Segen hat geholfen!«</p>
-
-<p>»Ja, er hat auch mitgeholfen,« sagte jetzt der Major von
-Schmerling, dessen Brust mit dem Eisernen Kreuz geschmückt war,
-und der noch immer den einen Arm in der Binde trug. »Wir
-haben’s den Franzosen tüchtig heimbezahlt bei Großgörschen und
-Großbeeren, bei Dennewitz und an der Katzbach und zuletzt in
-der Leipziger Schlacht. Und jeder, der dabei gewesen ist, darf
-mit Stolz davon erzählen. Am 16. Oktober haben wir um
-Wachau und Güldengossa gestritten und den Reitersturm des
-Königs Murat zurückgeschlagen, am 17. verübte der alte Marschall
-Vorwärts seinen glücklichen Reiterstreich bei Möckern, wo Ihr
-Bruder, lieber Bismarck, der brave Major Leopold von Bismarck,
-den Heldentod starb, und am 18., Kinder, da war der große
-Entscheidungstag. Das war ein Geschützdonner, wie ich ihn all
-mein Lebtag nicht gehört habe; in Probstheide schlugen die Kanonenkugeln
-von allen Seiten ein, als ob irgendwo von oben her ein
-Apfelbaum geschüttelt würde. 1500 Geschütze spien ihr Verderben
-gegeneinander, aber Gott war mit uns, und in der Völkerschlacht
-haben wir den Mann des Jahrhunderts überwunden.«</p>
-
-<p>Mit leuchtenden Augen und vorgebeugt hatte Otto nach dem
-Sprecher hingesehen, und kein Wort verloren, welches aus seinem
-Munde ging. Als der Major jetzt innehielt und das Glas ansetzte,
-sprang der kleine Bursche auf und trat dicht vor ihn hin.
-Mit dem vorgestreckten Zeigefinger deutete er auf das Eiserne
-Kreuz an seiner Brust und fragte mit vollem Ernste:</p>
-
-<p>»Ist Er auch von einer Kanonenkugel geschossen worden?«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_16">[16]</span></p>
-
-<p>Die naive Frage des Knaben löste die ernste Stimmung,
-welche in dem Kreise eingetreten war, alle lachten, der Major aber
-zog den Kleinen zu sich heran und sagte:</p>
-
-<p>»Nein, mein Schelm, dann säße ich heute wohl nicht mehr
-hier. Na, wie ist’s – du willst wohl auch einmal Soldat werden?«</p>
-
-<p>Die Frau des Hauses nahm das Wort:</p>
-
-<p>»Ich glaube, Otto wird einmal Diplomat, Staatsmann, und
-Bernhard Landrat!«</p>
-
-<p>Wieder lachten die fröhlichen Gäste, aber Herr von Bismarck
-sagte:</p>
-
-<p>»Ja, meine Frau schlägt nicht aus der Art: Da sehen Sie
-die Diplomatentochter, die sich einmal in den Kopf gesetzt hat,
-daß etwas vom Geiste ihres ausgezeichneten Vaters, des wackeren
-Geheimen Kabinettsrats <em class="gesperrt">Menken</em>, auf unseren Jungen übergegangen
-ist. Na, wie Gott will – er wird es schon richten!«</p>
-
-<p>Heiter ging der Tag zu Ende, der für Otto manche Erregung
-und Bewegung gebracht hatte. Am Abend kam er zu der Mutter,
-um ihr »Gute Nacht« zu sagen.</p>
-
-<p>»Otto, hast du denn auch ordentlich dein Süppchen gegessen?«</p>
-
-<p>Der Knabe stand einen Augenblick verdutzt bei dieser Frage,
-und anstatt eine Antwort zu geben, stürmte er hinaus nach der
-Küche zu Lotte Schmeling.</p>
-
-<p>»Höre, Lotte, habe ich eigentlich schon mein Süppchen gegessen?«
-fragte er hastig.</p>
-
-<p>»Freilich und hat sehr gut geschmeckt, denn es war schnell
-genug verschwunden.«</p>
-
-<p>Wie der Wind sauste der kleine Mann davon und kam zu der
-erstaunten Mama zurück, um dieser nun erst, nachdem er selbst sich
-authentische Sicherheit verschafft, eine wahrheitsgetreue Antwort
-auf ihre Frage zu geben. Und jetzt ging er mit gutem Gewissen
-zur Ruhe.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_17">[17]</span></p>
-
-<p>Herr und Frau Bismarck saßen noch ein Weilchen beisammen,
-und letztere war es, die das Gespräch auf die Kinder, besonders
-auf Otto, brachte.</p>
-
-<p>»Es nützt nichts, er muß aus dem Hause. Hier wird er verzogen,
-von mir, von dir, von Lotte und von allen. Und am
-besten ist’s, er kommt zu Plamann, wo er an Bernd eine Stütze
-hat, daß ihm das Heimweh nicht zu schwer wird. Ich halte
-dafür, eine rationelle Erziehung nach festen pädagogischen Grundsätzen
-kann nicht zeitig genug anfangen.«</p>
-
-<p>Herr von Bismarck wollte einige Einwendungen machen,
-aber er kam gegen die Grundsätze seiner geistvollen, von einem vortrefflichen
-Vater geschulten Frau nicht auf; seufzend gab er nach,
-und so ward bestimmt, daß Otto nächste Ostern nach Berlin kommen
-sollte.</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<h2 class="nobreak" id="Zweites_Kapitel"><span class="smaller">Zweites Kapitel.</span><br>
-Berliner Lernjahre.</h2>
-</div>
-
-<p>An einem Frühlingstage des Jahres 1821 hielt vor dem
-Hause Wilhelmstraße 139 in Berlin ein Wagen, mit zwei kräftigen
-Braunen davor und mit dem Bismarckschen Wappen auf dem
-Schlage. Der alte Kutscher stieg langsam ab und strängte das Handpferd
-aus, dann hob er aus dem Gefährte einen hübschen, schlanken,
-sechsjährigen Knaben und trug ihn beinahe zärtlich auf seinen
-Armen in das Haus.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[18]</span></p>
-
-<p>Das war die Erziehungsanstalt des Professors <em class="gesperrt">Plamann</em>,
-ein im Geiste des großen Pädagogen Pestalozzi gegründetes und
-geleitetes Institut, das sich trefflicher Lehrer erfreute, wie unter
-anderen des Begründers des deutschen Turnwesens, Ludwig Jahn.</p>
-
-<p>Als der alte Kutscher mit seinem weiten Mantel in den
-Mittelflur des Hauses trat, tauchten sogleich überall jugendliche
-Gestalten auf, die ihn umringten und nach seiner lebendigen Last
-blickten. <em class="gesperrt">Otto von Bismarck</em>, – denn er war es, der auf
-solche Weise seinen Einzug bei Plamann hielt, – sah mit eiserner
-Ruhe und fester Sicherheit auf die Gesichter unter ihm nieder,
-und konnte es wohl auch noch hören, wie es hinter ihm herklang:</p>
-
-<p>»Wieder ein kleiner Junker! – Ein Muttersöhnchen! –
-Wollen ihn schon rankriegen!«</p>
-
-<p>Dann nahm ihn der Direktor in Empfang, auch dessen Frau
-und Nichte, und begrüßten ihn mit freundlichem Ernst als neuen
-Hausgenossen; Bernd bewillkommnete gleichfalls den Bruder, ohne
-die übliche Tagesordnung zu unterbrechen. Um die nächste Mittagszeit
-hatte Otto schon seinen Platz an einem Tische im großen
-Saale, wo Lehrer und Schüler gemeinsam speisten, und mühte
-sich, sein Gericht, das freilich nicht wie daheim schmeckte, zu bewältigen,
-um nicht mit seinem Teller auf die Terrasse hinausgestellt
-zu werden, wo einige, denen das Mahl nicht behagte, sich
-langsam mit demselben abquälten.</p>
-
-<p>Dem kleinen Neuling blieben manche Neckereien und Hänseleien
-nicht erspart, und auch sein Bruder konnte ihn nicht ganz
-davor schützen. Aber des Rates Bernhards, sich nichts gefallen
-zu lassen, hätte es bei Otto nicht bedurft. Der kleine Mann
-hatte Selbstgefühl genug, um sich nichts bieten zu lassen, was ihm
-unwürdig erschienen war, und wie er schon den herkömmlichen
-»Einweihungsgebräuchen« einen sehr energischen Widerstand entgegengesetzt
-hatte, so zeigte er auch, daß er das in der Anstalt<span class="pagenum" id="Seite_19">[19]</span>
-beliebte Abhärtungssystem und die damit zusammenhängenden
-körperlichen Unannehmlichkeiten mit festem Gleichmut ertrug.</p>
-
-<p>Gerade das aber reizte manchen seiner Genossen; man sah
-dies ruhige, feste Wesen für junkerlichen Übermut an, und man
-hatte sich vorgenommen, ihn bei Gelegenheit tüchtig zu »ducken«.</p>
-
-<p>An einem der ersten warmen Tage war es, als die Zöglinge
-zum Baden geführt wurden nach dem sogenannten »Schafgraben«,
-einem nicht gerade sehr breiten, aber ziemlich tiefen
-Wasser. Auch bei solchen Gelegenheiten wurden die Neulinge
-nicht besonders glimpflich behandelt. Wer irgend Furcht zeigte,
-wurde von dem Lehrer kopfüber in das Wasser geworfen, und
-nun von seinen Genossen mit Tauchen und Anspritzen weidlich
-bearbeitet. Auf diese Prozedur hatte man sich bei dem »hochnäsigen
-Junkerchen« schon lange gefreut.</p>
-
-<p>Die Schar hielt am Schafgraben. Rasch waren die Burschen
-entkleidet und sahen nun nach Otto, auf dessen »Wasserscheu«
-sie sich bereits freuten. Der aber hatte seit seinem Bade
-im Karpfenteiche das Schwimmen ganz wacker betrieben. Er trat
-jetzt an den Rand des Grabens, mit einem entschlossenen Sprung
-war er im Wasser, welches über ihm zusammenschlug, und dann
-war er verschwunden. Die Wellen kräuselten sich leicht über der
-Flut, man spähte, ob nicht der Knabenkopf emportauchen würde,
-und es begann eine beinahe unheimliche Spannung und Erregung.</p>
-
-<p>Da kam der Schwimmer, welcher so lange unter Wasser
-ausgehalten, am anderen Ufer in die Höhe und schüttelte sich
-lachend, den übrigen aber entschlüpfte ein Ah der Überraschung.
-Mit dem kleinen Junker von Bismarck war nichts anzufangen,
-– das war jetzt den Vernünftigeren klar, und besser schien es
-darum, mit ihm gut Freund zu sein.</p>
-
-<p>Und immer mehr brachte er in diesem Kreise sich zur Geltung.
-Im Turnen und Fechten tat er es den anderen ebenso<span class="pagenum" id="Seite_20">[20]</span>
-zuvor, wie in manchem Wissenszweige, der, wie Geschichte und
-Geographie, ihm besonders behagte, und in die stramme Hausordnung
-fügte er sich prächtig ein.</p>
-
-<p>Nur manchmal, wenn ein besonders schöner Tag die Knaben
-hinausbrachte ins Freie, nach der Hasenheide, wenn er grüne
-Bäume, wogende Felder und fleißige Knechte darauf sah, wenn
-die Lerchen neben ihm aufstiegen gegen den blauen Himmel, da
-überkam ihn eine Sehnsucht nach dem stillen Kniephof oder dem
-freundlichen Schönhausen, und manchmal lief ihm wohl auch
-eine Träne über die Wangen, die er nicht mehr zurückdrängen
-konnte.</p>
-
-<p>Aber er überwand diese Empfindungen, denn er wollte ein
-starker, fester, tapferer Mann werden, wie er solche in der Geschichte
-kennen lernte. Und die Geschichte war sein Steckenpferd.
-Die alte Griechensage vom Kampf um Troja hatte es ihm besonders
-angetan, und die leuchtenden Heldengestalten, die um
-das hochgetürmte Ilion stritten, lebten in seiner Phantasie.</p>
-
-<p>Im Plamannschen Garten, weit hinten, stand eine stattliche
-alte Linde. Auf einem Aste derselben saß er eines schönen Nachmittags,
-andere Genossen waren gleichfalls heraufgeklettert und
-wiegten sich auf den Zweigen um ihn her, und wieder andere
-lagen im Grase. Heute war ein freier Tag, – da wollten die
-jungen Gemüter ein besonderes Vergnügen haben. Otto von Bismarck
-aber las begeistert und mit weit vernehmlicher Stimme
-von dem Kampfe um die Mauer, welche das Lager der Griechen
-schützen sollte, wo der helmbuschumflatterte Hektor gleich einem
-Löwen die Seinen anfeuerte und mit Polydamas und Äneas,
-mit Glaukos und Sarpedon dem furchtbaren Andrang der Argiver
-wehrte. Immer heißer wogte der männermordende Streit, bis
-der furchtbare Ajax eingriff.</p>
-
-<p>Und Otto las mit heißen Wangen und glühenden Augen,<span class="pagenum" id="Seite_21">[21]</span>
-während die anderen beinahe den Atem anhielten vor Erregung:</p>
-
-<p>»Ajax aber brach einen scharfgezackten Marmorstein zuoberst
-aus der Brustwehr und zerknirschte damit dem Epikles, einem
-Freunde des Sarpedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher
-von dem Turme herabschoß. Sarpedon aber klomm aufwärts,
-durchstach den Alkmaon, den Sohn Thestors, mit der Lanze, faßte
-dann mit aller Gewalt die Brustwehr, daß sie von seinem Stoß
-zusammenstürzte; doch Ajax und Teuker begegneten dem Stürmenden.
-Ajax durchstach ihm den Schild; die Lanze durchdrang ihn
-schmetternd, und einen Augenblick zuckte Sarpedon von der Brustwehr
-hinweg. Doch ermannte er sich und feuerte seine Lykier an,
-die rascher emporstürmten; aber auch die Danaer verdoppelten
-ihren Widerstand. Über die Brustwehr hieben sie wild aufeinander
-los, und rechts und links von den Trümmern rieselte das Blut
-hinab.« Otto ließ das Buch fallen, seine Wangen glühten höher.</p>
-
-<p>»Jungens – das müssen wir spielen!« rief er, und allgemeines
-Beifallsgeschrei folgte. Im Nu waren die Knaben unten
-von den Ästen, und die Parteien teilten sich und wählten ihre
-Führer. Der junge Bismarck war Ajax, der Telamonier.</p>
-
-<p>Im Garten war eine Terrasse, das war die Mauer, und um
-dieselbe begann nun der Kampf, hitzig, wie um das umstürmte
-Ilion selber, und die Griechen blieben Sieger.</p>
-
-<p>Das Kriegsspiel ward nun zur wahren Leidenschaft, und Otto
-erfaßte die Sache mit solchem Ernst, daß er bis ins kleine hinein
-die Schlachtpläne entwarf und über die Wechselfälle des Kampfes
-besonders Buch führte. So ging’s bis in den Winter hinein,
-und dieser erhöhte noch den Reiz der Sache. Die Natur selbst
-lieferte verschwenderisch das Geschützmaterial, und um die Terrasse
-wurde, auch unter Beteiligung der Lehrer selbst, in den Freipausen
-im heftigen Schneeballgefecht gestritten.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[22]</span></p>
-
-<p>Auch dabei war der junge Bismarck der berufene Anführer
-der einen Schar. So war’s auch an einem prächtigen frischen
-Wintertage. Die Terrasse hielten die Gegner besetzt und empfingen
-mit den reich aufgestapelten Geschossen die Anstürmenden. Aber
-Otto zeigte sich wie ein rechter Feldherr voll Umsicht und persönlicher
-Tapferkeit. Während er von der einen Seite durch ein
-heftiges Bombardement den Feind täuschte und seine volle Aufmerksamkeit
-anzog, brach er auf einer anderen mit einer Handvoll
-auserwählter Genossen zum Sturme vor und erreichte trotz der
-heißen Gegenwehr der Überraschten die Terrasse, wo er nun mit
-den Seinen festen Fuß faßte, wo es aber auch zu einem äußerst
-erbitterten Handgemenge kam. Für ein Spiel ging es schon beinahe
-zu weit. Die erhitzten und erregten Parteien schlugen unbarmherzig
-aufeinander los, und die jungen Helden hatten sich
-ineinander verbissen, als ob es wirklich für die Ehre des Vaterlandes
-geschähe.</p>
-
-<p>Das Glockenzeichen rief zum Beginn des Unterrichts. Vergebens.
-Die Zurufe der Lehrer und ihr persönliches Eingreifen
-vermochten den Kampf nicht zu beenden, da riß Ajax-Bismarck
-den Schultornister von seiner Schulter, den er wie ein echter
-Soldat beim Sturme getragen hatte, und wo der Knäuel der
-Streiter am dichtesten war, schleuderte er das Geschoß mit solcher
-Wucht hinein, daß die Kämpfenden auseinanderfuhren und außerdem
-auch seinem gebieterischen Zuruf gehorchten. Nun konnte
-es wieder an den Unterricht gehen.</p>
-
-<p>Als derselbe beendet war, wanderte Otto nach der Behrenstraße
-Nr. 53. Seine Eltern waren in Berlin eingetroffen, um
-in ihrer Stadtwohnung den Sommer zuzubringen und gesellschaftliche
-Beziehungen zu pflegen.</p>
-
-<p>Der Vater freute sich an dem frischen kleinen Burschen, die
-Mutter fand ihren Liebling ein wenig wild, Otto selbst aber<span class="pagenum" id="Seite_23">[23]</span>
-hatte nicht viel Behagen in der Behrenstraße. Da war alles
-so vornehm und steif und still, und auch der Papa seufzte manchmal
-ein wenig.</p>
-
-<p>»Ja, mein Junge, – mir geht’s wie dir,« sagte er einmal,
-– »in Kniephof und auf Schönhausen ist’s hübscher; na warte
-nur bis zum Sommer! Wenn du in die Ferien kommst, dann
-sollst du ein kleines Pferd haben, und wir reiten zusammen, und
-auch eine Flinte, und dann soll’s lustig durch Feld und Wald
-gehen!« – –</p>
-
-<p>So gingen die nächsten Jahre hin, und der Plamannsche
-Schüler nahm zu an körperlicher Kraft, an Wuchs und Gewandtheit,
-aber auch an geistigem Besitz, und nach der strengen Ordnung
-der Schulzeit schmeckte die herrliche Freiheit in den heimischen
-Gärten und Wäldern doppelt gut, und die alten Bäume im
-Kniephofer Park schienen dem frischen Junker nur um so hübschere
-Sachen zuzuraunen.</p>
-
-<p>Als er im Sommer 1827 heimkehrte, hielt ihm zu seiner
-ganz besonderen Freude die Mutter ein neugeborenes Schwesterchen,
-das am 29. Juni angekommen war, entgegen, und die kleine
-<em class="gesperrt">Malwine</em> wuchs ihm sehr schnell ans Herz, und wenn er später
-wieder heimkam, freute er sich auf sie am meisten.</p>
-
-<p>Er besuchte seit demselben Jahre (1827) das Berliner
-Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, gemeinsam mit seinem Bruder,
-und sie wohnten jetzt beide in der Behrenstraße. Ein Genfer,
-Monsieur Gallot, hatte sie anfangs zu beaufsichtigen, und er redete
-mit ihnen nur französisch. Daß aber auch das Deutsche nicht zu
-kurz kam, dafür sorgte die brave Köchin Trine Neumann aus
-Schönhausen. Sie liebte ihre beiden Junker und suchte ihnen
-diese Liebe auch zu beweisen, dadurch, daß sie ihnen möglichst oft
-ihre Lieblingsspeise, Eierkuchen, bereitete, wobei sie manchmal
-ihren kleinen Ärger hatte, wenn ihre Pflegebefohlenen zu spät<span class="pagenum" id="Seite_24">[24]</span>
-heimkamen und »die Kauken afbackt« waren. Dann konnte sie
-wohl in ihrem Unmute sich zu den Worten hinreißen lassen:</p>
-
-<p>»Na Jungens, ut juch wat in’n Leben nix Vernünftigs, –
-dei Kauken sünd all wedder afbackt!«</p>
-
-<p>Im gewohnten Gleichmaß gingen die Tage, nur die Persönlichkeiten
-um Otto von Bismarck her wechselten. An Stelle
-Monsieur Gallots traten der Kammergerichtsreferendar Hagens
-und Philologe Winkelmann, Bruder Bernhard hatte das Gymnasium
-absolviert und die Uniform angezogen, Trine Neumann
-war in die Heimat zurückgekehrt, und Otto war an das Gymnasium
-zum Grauen Kloster und in Pension zu Professor Prevost gekommen,
-nachdem er Ostern (31. März) 1830 in der Dreifaltigkeitskirche
-von dem ausgezeichneten Theologen <em class="gesperrt">Schleiermacher</em>
-konfirmiert worden war mit dem Weihespruche: »Was du tust, das
-tue Gott und nicht den Menschen!«</p>
-
-<p>Unter seinen Lehrern hatte es Professor <em class="gesperrt">Bonnell</em> ihm
-am meisten angetan, und Lehrer und Schüler schlossen sich gegenseitig
-ins Herz. So kam es, daß Otto in das Haus dieses Mannes
-übersiedelte und hier in einer freundlichen Giebelstube hauste. Da
-hinauf trug er die stattlichen Bände einer Weltgeschichte, die er
-aus der Bibliothek des Professors entlehnte, und abends saß er,
-zumal im Winter, allein bei der Frau Professor und plauderte
-ihr vor von den Herrlichkeiten auf Kniephof und von seiner lieben
-kleinen »Maldewine«.</p>
-
-<p>Vor den Fenstern sang dann wieder der Frühlingswind und
-erweckte die Sehnsucht hinaus ins Freie und in die jugendgrünende
-Heimat. Die alte gelbe Postkutsche fuhr in der Straße vorüber,
-und der Postillon blies sein Lied, so daß der junge Gymnasiast
-in stiller Wehmut horchte und Semmlers Weltgeschichte eine
-Weile beiseite schob. Mit dem Herannahen des Sommers aber
-kam (1831) auch ein unbehaglicher Gast nach Deutschland – die<span class="pagenum" id="Seite_25">[25]</span>
-Cholera. Die Eltern in Kniephof waren in Sorge, und eines
-Tages kam ein Brief von Herrn von Bismarck: Otto solle, sobald
-auch nur <em class="gesperrt">eine</em> Erkrankung in Berlin vorkäme, sogleich nach
-Hause kommen. Da gab es außer ihm wohl keinen Menschen in
-der preußischen Hauptstadt, welcher die Cholera so herbeigesehnt
-hätte, aber sie schien ihm zum Trotz nicht kommen zu wollen.</p>
-
-<p>In der Nähe von Berlin sollte sie bereits sein, und davon
-wollte er sich wenigstens überzeugen. In einem Reitstall mietete
-er sich ein Pferd, einen feurigen, dunkelbraunen Wallach, und
-auf »Nerestan« jagte er jetzt beinahe täglich auf der Straße nach
-Friedrichsfelde hinaus – »der Cholera entgegen«.</p>
-
-<p>Da kam er eines Tages an der Neuen Wache vorüber. Eben
-zogen die Soldaten auf unter Trommelschlag und den üblichen
-Gebräuchen, an einer Ansammlung Neugieriger fehlte es dabei
-nicht. Und diese Bewegung und der Lärm machten, daß der
-Wallach plötzlich scheute, einen Seitensprung tat und infolge
-Ausgleitens niederschlug, wobei der junge Reiter zu argem Schaden
-kam. Er konnte sich nicht erheben, fremde Leute mußten behilflich
-sein, ihn in einen Wagen zu bringen, und mit zerquetschtem Fuße
-trug man ihn hinauf zu Frau Professor Bonnell, die nicht wenig
-erschrocken war.</p>
-
-<p>Da lag er nun wochenlang, und die Sonne lachte durch
-die Fenster und lockte, und das Posthorn klang rufend durch die
-Gasse, ja, selbst die ersehnte Cholera war angekommen, aber er
-mußte – nicht allzu geduldig – warten, bis die Ärzte ihm
-gestatteten, Berlin zu verlassen. Da saß er nun endlich eines
-Morgens hoch oben auf dem Bock neben dem »Schwager«, und
-hinaus ging’s im langsamen Trott durch die heißen Straßen der
-Residenz, hinein in die lachende Gotteswelt. Es war kein behagliches
-Reisen und ging just auch nicht schnell – denn bis nach
-Stettin brauchte man länger als zwei Tage – aber es bot doch<span class="pagenum" id="Seite_26">[26]</span>
-wechselnde Bilder, und der Postillon tat, wenn er in ein Städtchen
-oder in ein Dorf einfuhr, sein Bestes auf seinem Horne.</p>
-
-<p>Am dritten Tage sah er den alten, lieben Kniephof wieder
-und umarmte die Eltern und küßte sein Schwesterchen, und dann
-brach die ganze Lust und Frische, die in den letzten Wochen zurückgedämmt
-war, wieder durch. Trotz des jüngsten Unfalls jagte
-er hoch zu Roß durch Wald und Flur, aber er ergötzte sich auch
-mit stillem Behagen an den lauschigen Plätzen seiner Kinderjahre
-unter den rauschenden Bäumen des Parkes.</p>
-
-<p>Wie vielfach im Sommer, so nahm auch diesmal die Familie
-Bismarck einen kurzen Aufenthalt in Schönhausen, das der wackere
-Inspektor Bellin verwaltete. Es liegt in der Altmark, am rechten
-Elbufer, da, wo die Havel hereinkommt. Ringsum das märkische
-Flachland mit Feldern und Wiesen und mageren Kiefernwäldchen
-dazwischen hatte wenig landschaftliche Reize, aber im Dorfe selbst
-liegen zwei Herrengüter, und ihre Parke beleben mit dichtem
-Grün die Szenerie. Das Bismarcksche Herrenhaus ist einfach
-gebaut; über dem schlichten Portal ist das Kleeblattwappen der
-Familie, daneben ein anderes – eine Katze mit der Maus –
-und darunter stehen nebst der Jahreszahl 1707 die Namen:
-August von Bismarck und Dorothea Sophie Katten.</p>
-
-<p>Hier war Otto geboren, und darum hatte Schönhausen seinen
-besonderen Reiz für ihn, wenngleich der Park hier kleiner war
-als in Kniephof. Fröhlich durchschweifte er ihn bei seiner Ankunft;
-er schreitet durch die Allee von alten, breitästigen Linden,
-dann hinein zwischen wuchernden Weißbuchenhecken nach dem kleinen
-Teiche, und nun auf der hölzernen Brücke über den Graben
-hinaus ins Freie. Da lugt ein steinernes Bild herüber, eine alte,
-mythologische, nackte Figur, die wenig respektvoll dem Junker ihre
-Kehrseite zuwendet. Er wirft einen Blick hinüber und schreitet
-weiter mit der Flinte auf dem Rücken, hinaus ins Feld. Aber<span class="pagenum" id="Seite_27">[27]</span>
-es will sich keine Beute finden. Hoch über ihm zieht mit höhnischem
-Lachen ein Falke seine Kreise, einige Raben kreischen auf den
-Feldern, aber jagdbares Getier ist nicht zu sehen.</p>
-
-<p>Unmutig im heißen Sonnenbrand schlendert er um Mittag
-heimwärts. Er schreitet wieder über das Holzbrückchen und sieht
-abermals den wenig höflichen und anständigen Herkules; die
-Sonne beleuchtete ihn auffällig hell, wie er so dastand und beinahe
-höhnisch die eine Hand rückwärts unterhalb des Rückens legte.</p>
-
-<p>Otto hatte eine Schrotladung in seiner Flinte; heimbringen
-wollte er sie nicht wieder, und, einer raschen Laune folgend, riß
-er die Waffe von der Schulter, legte an, und der Schuß krachte.
-Von dem Herkules splitterte es, und der Leib zeigte eine bedeutend
-hellere Stelle in der Nähe der Hand, der junge Schütze aber
-ging, wie im Bewußtsein einer guten Tat, heimwärts. Am
-anderen Tage kam er mit seinem Vater an derselben Stelle vorüber,
-und Herr von Bismarck sah den Herkules an, was mit ihm
-geschehen war.</p>
-
-<p>»Das hast du wohl verübt, Otto?«</p>
-
-<p>»Ja, Papa,« antwortete der Gefragte, »aber ich habe nicht
-gemeint, daß er’s spüren wird; er hat jedoch gleich mit der Hand
-nach hinten gefaßt.«</p>
-
-<p>Der Rittmeister lächelte halb abgewandt, und damit war die
-Sache abgetan.</p>
-
-<p>Im Herbste ging es wieder nach Berlin und ins Gymnasium.
-Es kam die Zeit, in welcher Otto sich auf sein Abiturientenexamen
-vorzubereiten hatte, und er arbeitete mit Eifer und Lust.
-Ab und zu besuchte er auch Bruder Bernhard, welcher als Offizier
-in Berlin diente und in der elterlichen Wohnung in der Behrenstraße
-wohnte.</p>
-
-<p>Eines Tages kam er mit einer gewissen Aufregung. Er fand
-Bernhard nicht daheim und setzte sich nun auf das Sofa, um<span class="pagenum" id="Seite_28">[28]</span>
-das Zimmer, obwohl er es lange kannte, einer Musterung zu
-unterziehen. Da blieb sein Blick plötzlich an der Stelle haften,
-wo neben dem Bücherschrank an der Wand zwei lange Reiterpistolen
-hingen. Im nächsten Augenblicke sprang er auf und
-holte die Schießwerkzeuge herab. Er prüfte die Hähne und fand
-alles in Ordnung. Nun suchte er nach Pulver und Kugeln, und
-da er die Verhältnisse der Wohnung ziemlich genau kannte, fand
-er beides. Frisch ward jetzt geladen und nach einem Ziele geforscht.
-Er riß den Bücherschrank auf und fand unten in demselben eine
-Scheibe. In wenigen Augenblicken war sie an dem Schranke
-befestigt, und gleich darauf krachte der erste Schuß.</p>
-
-<p>Und nun ging es Schlag auf Schlag. Das ganze Haus
-kam auf die Beine. Man wußte nicht, was vorging, und traute
-sich anfangs nicht in die Wohnung, bis die Beherzten eindrangen,
-und nun mit Entsetzen diese Schießübung sahen. Einer hatte den
-Mut, sie zu verbitten. Otto aber sagte, ohne sich stören zu lassen:
-»Hier hat mir niemand etwas zu sagen!« und krachend schlug
-die nächste Kugel in die Scheibe.</p>
-
-<p>Da kam Bernhard; er eilte erschrocken die Treppe empor,
-aber als er den Vorgang sah, wußte er nicht, sollte er lachen
-oder schelten. Fürs erste aber hörte nun doch zur Beruhigung
-der Hausbewohner das Schießen auf, und Bernhard fragte:</p>
-
-<p>»Aber nun sage mir, Junge, was dir eigentlich eingefallen ist?«</p>
-
-<p>»Na, einmal war das Warten langweilig, und zum anderen
-habe ich mir Luft machen müssen.«</p>
-
-<p>»Na, – was hast’, was kneipt dich denn so sehr?«</p>
-
-<p>»O, diese ewige Schikane mit dem französischen Lehrer ist
-nachgerade unerträglich. Und wenn ich nun denke, daß ich eine
-Probearbeit bei ihm machen soll, da wurmt’s mich, und mir
-schwillt die Galle. Darum hab’ ich mir ein bißchen Luft machen
-müssen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[29]</span></p>
-
-<p>»Na, und dazu muß der unschuldige Bücherschrank herhalten?«</p>
-
-<p>»Ja, warum bist du auch nicht zu Hause, wenn man einen
-teilnehmenden Menschen braucht!«</p>
-
-<p>»Rat weiß ich aber auch jetzt keinen. Wenn du nicht französisch
-arbeiten willst, dann mach’s doch englisch – ihr könnt euch
-ja die Sprache wählen, soviel ich weiß!«</p>
-
-<p>»Na, das ist Fopperei, Bernd! Du weißt recht gut, daß
-ich kein Englisch getrieben habe. Aber ich will dir auch was
-sagen. Ihr sollt sehen, was Otto von Bismarck leisten kann. Ich
-mache keine französische Probearbeit! Schön Dank auch für den
-guten Rat – Adieu!«</p>
-
-<p>Er war hinaus und eilte heimwärts. Bald darauf saß er
-in seiner Giebelstube über der englischen Grammatik, und nun
-studierte er darauflos, als ob davon das Heil der Welt abgehangen
-hätte. Als es zur Probearbeit kam, wählte er zur Verblüffung
-des französischen Lehrers und zum Staunen der anderen
-die englische Sprache. Und er hat sein Examen bestanden, und
-bestand es auch in den übrigen Fächern in ehrenvoller Weise.</p>
-
-<p>Leb wohl, du graues Kloster in Berlin!</p>
-
-<p>So vergnügt ist er noch niemals ins Pommernland heimgefahren
-wie diesmal, da die Gymnasialzeit hinter ihm, dem
-Siebzehnjährigen, liegt, und die Phantasie ihm fröhliche und
-leuchtende Bilder entrollt von der »Burschenherrlichkeit« und von
-lebensfroher Studentenzeit! Schöner und weiter schien ihm die
-Welt, und der Hornklang seines Postillons hallte diesmal wundersam
-wieder in der freien, zukunftsfrohen Jünglingsseele. Ein
-glückliches Menschenkind traf mit dem erwachenden Lenze des
-Jahres 1832 im alten Kniephof wieder ein.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_30">[30]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Drittes_Kapitel"><span class="smaller">Drittes Kapitel.</span><br>
-<em class="antiqua">Gaudeamus igitur.</em></h2>
-</div>
-
-<p>In der »goldenen Krone« zu Göttingen saßen an einem
-Maiabend des Jahres 1832 eine Anzahl junger Männer beisammen.
-Fröhlich klangen die Gläser, und durch die geöffneten
-Fenster hinaus schallten die kraftvollen alten Studentenweisen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Stimmt an mit hellem hohem Klang,</div>
- <div class="verse indent0">Stimmt an das Lied der Lieder,</div>
- <div class="verse indent0">Des Vaterlandes Hochgesang;</div>
- <div class="verse indent0">Das Waldtal hall’ es wider!</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Der alten Barden Vaterland,</div>
- <div class="verse indent0">Dem Vaterland der Treue,</div>
- <div class="verse indent0">Dir freies, unbezwung’nes Land,</div>
- <div class="verse indent0">Dir weih’n wir uns aufs Neue!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Das brauste einher mit machtvoller Begeisterung, und die
-Pokale läuteten abermals zusammen. Einer von den Burschen
-erhob sich an dem Tische, eine prächtige Jünglingsgestalt mit
-blitzenden blauen Augen, strotzend in der Fülle jugendlicher Kraft.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Silentium!</em> Bismarck will reden!«</p>
-
-<p>Still ward es in dem Raume, und aller Blicke wendeten sich
-nach dem Sprecher.</p>
-
-<p>»Kommilitonen! Wir haben in diesen Tagen und erst heute
-noch auf unserer Wanderung ein prächtiges Stück deutschen Landes
-gesehen, und das Herz ist uns aufgegangen in der Schönheit des
-Harzwaldes, in dem die Sage lebt auf der Bergeshöhe, wie im
-felsigen Talgrund, und wo in einem gesunden Geschlechte alte
-deutsche Kraft und Einfachheit der Sitten wohnt. Kommilitonen,
-ihr seid Mecklenburger, ich bin ein Altmärker – ist’s bei uns
-daheim etwa anders? – Lebt nicht überall derselbe gesunde Sinn,<span class="pagenum" id="Seite_31">[31]</span>
-der sich freut in der Schönheit der Natur, und der an der deutschen
-Scholle hängt, auf welcher unsere Wiege stand? Mag auch ein
-halb Hundert verschiedenfarbiger Grenzpfähle im deutschen Lande
-stehen – das Auge sieht sie, das deutsche Herz weiß nichts davon,
-wenn es die Ehre der ganzen Nation gilt. Die Freiheitskriege
-haben es bewiesen. Laßt uns nicht schlechter sein als unsere
-Väter, die bei Leipzig und Waterloo geschlagen haben, und laßt
-uns immer an das Wort unseres großen Dichters denken: »Wir
-wollen sein ein einzig Volk von Brüdern!« <em class="gesperrt">Eine</em> Muttersprache
-reden wir alle, und alle haben wir im Grunde nur <em class="gesperrt">ein</em> Vaterland
-– und das eine, große, deutsche Vaterland, dem wir Blut
-und Gut weihen, es blühe und gedeihe! Füllt die Gläser: dem
-Vaterlande!«</p>
-
-<p>Jubelnd schallte der Zuruf, stürmisch klang es zusammen,
-Otto von Bismarck aber goß den letzten Rest aus seiner Flasche,
-und mit dem Rufe: »Fort mit allem, was leer und nichtig ist!«
-schleuderte er die letztere durch das offene Fenster hinaus auf
-die Straße.</p>
-
-<p>Die fröhlich lärmenden Burschen hörten weder den zornigen
-Aufschrei, der von draußen hereinschallte, noch das Klirren des
-Glasgefäßes auf dem Pflaster, immer höher gingen die Wogen
-der Begeisterung, und immer lauter schallten Becherklang und
-Studentenweisen hinaus in die schweigende Frühlingsnacht, bis
-endlich Bismarck erklärte: »<em class="antiqua">Satis, quod sufficit!</em>« und mit einem
-energischen »Prost Kommilitonen!« sich entfernte. Unter dem
-Tische erhob sich gleichzeitig eine mächtige englische Dogge, welche
-zu den Füßen ihres Herrn gelegen hatte, und schritt gravitätisch
-neben ihm hinaus.</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen schaute Otto von Bismarck mit Behagen
-zu seinem Fenster in der Roten Straße Nr. 299 hinaus. Seine
-»Bude« war einfach und sah »burschenmäßig« aus. Im Mobiliar<span class="pagenum" id="Seite_32">[32]</span>
-war weder ein besonderer Überfluß noch hervorragende Eleganz,
-denn der Hauswirt, Herr Schumacher, wußte, wie schnell oft die
-Bewohner wechselten, und wie rasch diese Art eine »gute Stube«
-abzuwohnen pflegte. Bismarck wünschte es auch nicht besser.
-Über dem alten Sofa hatte er eine Anzahl auf Pappe gezogener
-Schattenrisse seiner Freunde gehängt, an der einen Wand prangte
-eine stattliche Pfeifensammlung, welche den Neid manches Kommilitonen
-schon herausgefordert hatte, und vor dem Sofa lag lang
-ausgestreckt die gewaltige Dogge und blinzelte schläfrig nach ihrem
-Herrn, der, wie erwähnt, im offenen Fenster lehnte, angetan mit
-einem bunten Schlafrock, und die lange Pfeife, welche weit hinaushing,
-im Munde.</p>
-
-<p>Es war ein prächtiger Frühlingstag, und dem jungen Studenten
-war ganz wohlig zumute. Da unten schritten die ehrsamen
-Bürger hin, rasch hinhuschende Mädchen, geschäftige Arbeiter und
-sorglose Studenten, entweder ganz kommentmäßig in Flaus und
-Kanonen, mit dem Cerevis, oder im Schlafrock und Morgenschuhen,
-den Ziegenhainer in der Faust und die dampfende Pfeife im
-Munde. O, es war auch in Göttingen schön, und an der »Königlich
-Großbrittanisch-Hannoverschen Georgia Augusta« ließ sich’s
-leben!</p>
-
-<p>Er hatte anfangs für Heidelberg geschwärmt, aber die
-besorgte Mama fürchtete den burschikosen Geist, der dort walten
-sollte, und nachdem in einem Familienrate ein Verwandter des
-Hauses, der geheime Finanzrat Kerl, Göttingen als eine Hochschule
-der vornehmen Welt empfohlen und Briefe an die Professoren
-Hugo und Hausmann mitzugeben versprochen hatte, war die Sache
-entschieden.</p>
-
-<p>Nein, in Göttingen war es gar nicht so übel! Eben als der
-junge Student sich in diesen behaglichen Gedanken versenkte, pochte
-es an der Tür.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_33">[33]</span></p>
-
-<p>Die Dogge hob den Kopf, und auf das »Herein!« erschien
-auf der Schwelle der Universitätspedell und überreichte mit höflichem
-Gruße Bismarck ein Schreiben. Dieser liest mit einiger
-Verwunderung, daß er u. z. citissime – möglichst bald – vor
-dem Universitätsrichter zu erscheinen habe.</p>
-
-<p>»Dem Manne kann geholfen werden!« zitierte der Studiosus
-halb pathetisch, halb ärgerlich; dann fuhr er langsam in die spiegelblank
-gewichsten Kanonenstiefel, sah sich einen Augenblick nach
-einer geeigneten Kopfbedeckung um, und ergriff endlich einen hohen
-Zylinderhut, den er sich auf das Haupt stülpte, und so, die weißen,
-ledernen Beinkleider umflattert von dem bunten Schlafrock, die
-lange Pfeife im Munde, schritt er, begleitet von der englischen
-Dogge, durch die Gassen der vornehmen Universitätsstadt nach dem
-Hause des Richters.</p>
-
-<p>Als er bei demselben eintrat, fuhr der alte Herr entsetzt auf
-vor der respektwidrigen Erscheinung, und als ihm der gewaltige
-Hund, der noch vor seinem Herrn sich hereingedrängt hatte, um
-die Beine schnupperte, ward es ihm völlig unbehaglich, und er
-suchte sich mit vorgestemmtem Stuhle zu schützen, wobei er rief:</p>
-
-<p>»Schaffen Sie sogleich den Köter hinaus!« Bismarck rief
-die Dogge und öffnete die Tür. Der Hund ging gehorsam
-hinaus, und jetzt kam der Richter hinter seinem Sitze hervor,
-noch immer ängstlich und zornig zugleich, und fragte:</p>
-
-<p>»Wer sind Sie, und was wollen Sie?«</p>
-
-<p>»Ich bin der Studiosus <em class="antiqua">juris</em> Otto von Bismarck, und was
-ich hier will, müssen Sie wissen, denn Sie haben mich zitieren
-lassen!« Er entfaltete das Papier, welches er erhalten hatte.</p>
-
-<p>»Richtig – gut! Aber fürs erste habe ich Ihnen mitzuteilen,
-daß es verboten ist, Hunde mitzubringen vor das Universitätsgericht,
-und daß ich Sie darum mit einer Ordnungsstrafe von
-5 Talern belege.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[34]</span></p>
-
-<p>»Hm – auch nicht übel!« brummte der Verurteilte halblaut,
-der andere aber fuhr fort:</p>
-
-<p>»Die Sache, derohalben Sie zitiert worden sind, ist die:
-Gestern abend ist ein Herr, der an der »Goldenen Krone« vorüberging,
-durch eine Flasche am Arme getroffen worden. Die Erörterungen
-haben ergeben, daß die Flasche von Ihnen herrührte.
-Können Sie sich entsinnen, wie dieselbe auf die Straße gelangte?«</p>
-
-<p>»Zweifellos durchs Fenster!«</p>
-
-<p>»Na, ja, allerdings – aber ich meine, eine Wirkung, wie
-der Wurf einer Flasche durch das Fenster, muß doch auch eine
-Ursache haben!«</p>
-
-<p>»Die war auch vorhanden in der Anspannung meiner Muskeln
-und der Schwungkraft des Armes. Wenn Sie wünschen, Herr
-Universitätsrichter, kann ich die Prozedur Ihnen <em class="antiqua">ad oculos</em>
-demonstrieren!«</p>
-
-<p>Bismarck griff nach dem großen Tintenfasse auf dem Tische
-des Richters und hob dasselbe in bedrohlicher Haltung.</p>
-
-<p>»Das genügt, Herr von Bismarck, und da Sie im übrigen
-das Faktum nicht in Abrede stellen, kann ich Sie entlassen. Das
-weitere wird Ihnen noch mitgeteilt werden!«</p>
-
-<p>Die Aussicht auf das »weitere« stimmte den jungen Studenten
-nicht gerade heiter, und einigermaßen ärgerlich ging er mit
-seiner Dogge heimwärts.</p>
-
-<p>Noch ehe er in die Rote Straße kam, begegneten ihm vier
-Korpsburschen von den Hannoveranern. Bismarck ging mit weitausgreifenden
-Schritten daher, mit fliegendem Schlafrock, die
-Pfeife wie eine Waffe in der Hand, und der hohe Zylinderhut,
-der wunderlich zu dem sonstigen Aufzuge paßte, glänzte in der
-Sonne. Die »Hannoveraner« blieben stehen und brachen in ein
-lautes Gelächter aus.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[35]</span></p>
-
-<p>Bismarck war nicht in der Stimmung, sich etwas bieten
-zu lassen; er trat an den vordersten der Burschen dicht heran und
-fragte scharf:</p>
-
-<p>»Lachen Sie über mich, Herrens?«</p>
-
-<p>»Natur, das können Sie doch sehen!« lachte es ihm entgegen.</p>
-
-<p>»Dummer Junge!« brauste nun der Geärgerte auf.</p>
-
-<p>»Wen meinen Sie?« riefen die anderen.</p>
-
-<p>»Natur, alle viere!«</p>
-
-<p>Damit wandte er sich und ließ die einigermaßen verblüfften
-»Hannoveraner« stehen. Obwohl er noch ein Neuling war, wußte
-er doch, was nun kommen mußte. Das gab höchstwahrscheinlich
-vier blutige Auseinandersetzungen, aber auch davor ward ihm
-nicht bange. Da er Sekundanten und kommentmäßige Waffen
-brauchte, begab er sich gleich darauf zu dem Senior des Korps
-der Braunschweiger (Brunsvigia) und belegte dort die Schläger.
-Nun wartete er ruhig das weitere ab, aber das kam anders, als
-er gemeint hatte.</p>
-
-<p>Die vier »Hannoveraner« waren zunächst aufgebracht über
-den »frechen Fuchs«, aber einer von ihnen, ein Hausgenosse
-Bismarcks, der diesen einigermaßen besser kannte, und dem die
-ganze »forsche« Art und Weise desselben gefiel, warf auch den
-anderen einen Gedanken hin, der diesen völlig annehmbar dünkte,
-und so kam es, daß alle vier noch an demselben Tage sich bei
-Bismarck einfanden.</p>
-
-<p>Der empfing sie mit kühler Höflichkeit.</p>
-
-<p>»Ich weiß, weshalb Sie kommen, meine Herren!«</p>
-
-<p>»Verzeihen Sie, Herr von Bismarck, das dürften Sie nicht
-wissen. Wir kommen, um Sie wegen unseres Gelächters von
-heute morgen um Entschuldigung zu bitten, und hoffen, daß Sie
-die »dummen Jungen« zurücknehmen werden!«</p>
-
-<p>»Unter solchen Umständen mit Vergnügen!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_36">[36]</span></p>
-
-<p>»Schön. – Und wissen Sie auch, was uns veranlaßt zu
-solchem Vorgehen? – Sie gefallen uns, Herr von Bismarck,
-und da Sie noch nirgends eingesprungen sind, und wir uns auf
-einen so schneidigen Fuchs etwas zugute tun würden, so fragen
-wir an, ob Sie nicht für unser Korps zu haben sind?«</p>
-
-<p>»Abgemacht! – Ihr gefallt mir, – ich bin der eure!«</p>
-
-<p>Ein vierfacher herzlicher Händedruck, und die Sache war
-in Ordnung.</p>
-
-<p>Aber um sein Duell kam er bei alledem nicht. Die »Brunsvigia«
-war empört, weil er bei ihr die Waffen belegt und nun
-bei einem anderen Korps eingesprungen war. Die Beleidigung
-konnte man nicht auf sich sitzen lassen, und der Konsenior der
-Brunonen ließ Bismarck seine Forderung überbringen.</p>
-
-<p>Man war gespannt darauf, wie der junge Fuchs sich herausbeißen
-werde; der aber ging frohgemut auf die Mensur gegen
-seinen renommierten Gegner. Dieser glaubte anfangs den Neuling
-so leichthin behandeln und mit Leichtigkeit »abführen« zu
-können, aber Bismarck hatte Kraft und Übung; schon nach
-einigen Paraden ging er zum Angriff über, und gleich darauf zog
-sich ein blutiger Schmiß über das Gesicht des »Braunschweigers«.
-Im Triumph führten die »Hannoveraner« ihren Fuchs von dannen,
-doppelt froh, ihn für sich gewonnen zu haben, und er machte
-dem Korps auch als Paukant alle Ehre, denn aus allen seinen
-Mensuren ist er als Sieger hervorgegangen.</p>
-
-<p>Eines Abends saß er in der Korpskneipe der »Hannoveraner«,
-im »Deutschen Haus«. Als Gast war auch ein junger Engländer,
-Coffin, anwesend, der zu seinem Vergnügen einige Vorlesungen
-besuchte. Die jungen Gemüter waren durch Gesang und Trunk
-angeregt, lebhafter schwirrte die Unterhaltung hin und her und
-kam endlich auch auf politisches Gebiet.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_37">[37]</span></p>
-
-<p>Angehörige verschiedener deutscher »Vaterländer« befanden
-sich in dem Kreise, und das schien den Engländer zu belustigen.</p>
-
-<p>»Sie haben 36 Vaterländer und kein Vaterland, und ihr
-Schutzpatron, der deutsche Michel, hat’s auch gar nicht eilig, eine
-Eintracht zu schaffen. Er zieht behaglich seine Schlafmütze über
-die Ohren, hüllt sich vergnüglich in seinen bunten 36farbigen
-Schlafrock und – –«</p>
-
-<p>Da stand Bismarck neben dem Fremden. Mit seinen flammenden
-Augen sah er ihn an, hochaufgerichtet und drohend.</p>
-
-<p>»Herr, schwätzen Sie nicht, was Sie nicht verstehen, sonst
-dürften Sie den deutschen Michel ohne Schlafrock kennen lernen!
-– Umgürte dich mit dem ganzen Stolze deines England, ich verachte
-dich, ein deutscher Jüngling!«</p>
-
-<p>Stürmische Bewegung ging durch den ganzen Kreis. Coffin
-war aufgesprungen:</p>
-
-<p>»Das ist eine Beleidigung!«</p>
-
-<p>»Sie haben zuerst beleidigt!«</p>
-
-<p>»Wir werden uns an einem anderen Orte finden!«</p>
-
-<p>»Ich werde nicht fehlen!« – –</p>
-
-<p>Am nächsten Tage wurde die Sache mit den Waffen ausgetragen,
-und der Engländer erkannte, daß der »deutsche Michel«
-eine gute Klinge schlage. Damit war der Ehre Genüge getan
-und die Geschichte beigelegt. Schon wenige Tage später saßen
-die beiden Gegner wieder im »Deutschen Hause« beisammen und
-sprachen in ernster und ruhiger Weise.</p>
-
-<p>»Und Deutschland wird doch einig werden, und in seiner
-Einigkeit sich wie ein Riese erheben über die Völker Europas,«
-sagte Bismarck.</p>
-
-<p>Coffin schüttelte energisch mit dem Kopfe:</p>
-
-<p>»Das wird niemals werden; aus so vielen Stücken wird
-kein Ganzes – niemals!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_38">[38]</span></p>
-
-<p>»Und doch werde ich rechtbehalten; in zwei Jahrzehnten
-ist das ganze deutsche Volk eins geworden, aber es braucht dazu
-mehr als unsere Hieber und die Tinte der Diplomaten!«</p>
-
-<p>»Davon werden Sie mich nicht früher überzeugen, als bis
-ich es erlebe!«</p>
-
-<p>»Gut, – wetten wir! 25 Flaschen Champagner gibt der Gewinner,
-der Verlierer aber kommt übers Meer, um sie auszutrinken!«</p>
-
-<p>»Das soll gelten, – die Herren sind Zeugen!«</p>
-
-<p>So lebte in der stolzen, starken Jünglingsseele die Ahnung
-der großen kommenden Zeit, die freilich im Jahre 1853 noch
-nicht anbrechen sollte. Bismarck aber hat die Wette nicht vergessen
-und hätte sie seinerzeit auch eingelöst, wenn der Tod nicht
-vordem schon seinen Partner abgerufen hätte.</p>
-
-<p>Ei, wie dem flotten Burschen die Tage dahinflogen im freundlichen
-Göttingen, so daß er beinahe gar nicht dazu kommen konnte,
-die Kollegien zu besuchen, weil er alle Hände voll zu tun hatte,
-mit anderen Dingen! Sein Name galt etwas in Studentenkreisen,
-und er hatte seinen Ruf nicht bloß auf dem Paukboden, sondern
-auch durch sein Geschick, Gegensätze auszugleichen und diplomatisch
-zu vermitteln, erworben.</p>
-
-<p>Es war an einem kalten Januartage des Jahres 1833, als
-vor Göttingen draußen in einem Wäldchen sich einige junge Leute
-einfanden zu einem, wie es schien, recht ernsten Geschäft. Am
-Abend vorher war ein englischer Student, Knight, auf einem
-Balle von dem jungen Baron von Grabow beleidigt worden.
-Die Sache war an sich nicht von Belang, aber die Gegner waren
-hitzig geworden und hatten sich auf Pistolen gefordert. Und
-nun standen sie an dem klaren, kalten Wintermorgen da, um die
-Sache auszutragen.</p>
-
-<p>Bismarck war mit Knight herausgefahren, um diesem als<span class="pagenum" id="Seite_39">[39]</span>
-Dolmetsch zur Seite zu stehen. Da es aber an einem Unparteiischen
-fehlte, war er gern bereit, das Amt zu übernehmen.
-Die Sekundanten hatten die Waffen geladen, der Arzt stand seitwärts
-vor seinem aufgeschlagenen Verbandskasten, und auf allen
-Gesichtern lag schwerer Ernst, denn die Duellanten hatten nur
-drei Schritt Barriere verabredet.</p>
-
-<p>Da sagte Bismarck:</p>
-
-<p>»Meine Herren, Ihre Ausmachung bedeutet nicht mehr ein
-Duell, sondern einen Mord. Dazu gebe ich meine Hand nicht!
-Die Sache, um deretwillen Sie sich hier gegenüberstehen, ist,
-wie ich nicht zweifle, auf ein unseliges Mißverständnis zurückzuführen,
-und nicht derart, daß darüber zwei Menschenleben mit
-beinahe absoluter Sicherheit aufs Spiel gesetzt werden. Ich meine,
-der Ehre ist auch völlig genügt, wenn Sie zehn Schritte Abstand
-nehmen. Und nur für diesen Fall fungiere ich als Unparteiischer.«</p>
-
-<p>Die Duellanten erklärten sich einverstanden.</p>
-
-<p>Bismarck schritt die Entfernung mit weitausgreifenden Schritten
-ab und fügte noch zwei Schritte zu. Dann trat er an den
-Arzt heran, um diesen von der Eigenmächtigkeit zu verständigen –
-und nun mußten die Dinge ihren Lauf nehmen. Bismarck kommandierte,
-die Schüsse krachten gleichzeitig, – eine Sekunde lang
-stand jedem der Herzschlag still, – dann zog sich der bläuliche
-Rauch verschwimmend in die Morgenluft, und die Kugeln saßen
-irgendwo in zwei Baumstämmen. Blut ist bei jenem Zweikampf
-nicht geflossen.</p>
-
-<p>Ruchbar ward die Sache aber trotzdem, und der Studiosus
-Bismarck erhielt zehn Tage Karzerstrafe, die er mit stoischem
-Behagen absaß, wobei er nicht versäumte, sich in die Präsenzliste
-einzuzeichnen, indem er seinen Namen in die Karzertür schnitt.</p>
-
-<p>Nicht gar lange danach fühlte er eines Morgens ein seltsam
-Mißbehagen in seinen Gliedern. Das war ein Ziehen und Frösteln,<span class="pagenum" id="Seite_40">[40]</span>
-so ganz anders als nach lustig durchlebter Nacht, und er fand,
-daß es doch vielleicht gut wäre, einen Medikus zu Rate zu ziehen.
-Der Arzt konstatierte Wechselfieber, und so lag er einige Tage zu
-Bette, verstimmt, gelangweilt, appetitlos, und versuchte unmutig
-ab und zu etwas von dem verschriebenen Chinin einzunehmen.</p>
-
-<p>Da kam eines Morgens eine Sendung aus Pommern. Ein
-köstlicher Duft stieg aus der geöffneten Kiste, und der Patient
-begann mit zunehmendem Interesse die Herrlichkeiten auszupacken,
-welche mütterliche Liebe und Sorgfalt ihm hatte zugehen lassen.
-Neben den berühmten pommerschen Gänsebrüsten lachte ein saftiger
-bräunlicher Schinken, und behagliche Würste streckten ihre glänzenden
-Glieder dazwischen.</p>
-
-<p>Ein Gruß aus der Heimat! Na, ein Stückchen Wurst wird
-auch bei Fieber nicht schaden! Die Mettwurst ist so saftig und
-würzig, und es ist ganz wunderbar, wie einem der Appetit beim
-Essen kommt. Der Kranke schneidet eine Scheibe nach der anderen
-herunter, und erst, als eines der kleinen Ungetüme, die ihre
-drei bis vier Pfund wiegen mochten, zur Hälfte verschwunden
-war, stellte Bismarck seine Tätigkeit ein. Dabei war ihm so wohl,
-wie seit einigen Tagen nicht, und der Arzt sah, als er kam, mit
-freudiger Verwunderung seinen Patienten.</p>
-
-<p>»Da hat das Chinin wieder einmal sein Wunder getan!«
-sagte er mit Genugtuung; Bismarck aber sprach:</p>
-
-<p>»Ich habe ein Mittel genommen, das mir noch wirksamer
-scheint. <em class="antiqua">Recipe</em>: Jede Stunde ein halb Pfund pommersche Mettwurst;
-’s ist probat, lieber Doktor!«</p>
-
-<p>Der Arzt sah mit verwundert großen Augen die geöffnete
-pommersche Kiste und »was Arbeit unser Held gemacht.«</p>
-
-<p>Zu Michaelis ging’s nach Kniephof. Drei Semester waren
-verlebt an der Georgia Augusta. Da saß er wieder in dem
-kleinen pommerschen Herrenhause und sah hinaus auf die bewegten<span class="pagenum" id="Seite_41">[41]</span>
-Wipfel im Parke und blies aus der langen Pfeife vergnüglich
-seine Rauchwolken. Die Frau Mama schaute ihn mit Liebe und
-Sorge zugleich an und schien von Göttingen ein wenig enttäuscht.
-Die kleine Schmarre auf der Wange – sie stammte von der abgesprungenen
-Klinge eines Gegners – die bunten Pfeifentroddeln,
-die Cerevis schienen ihr verwunderliche Geschichten zu erzählen,
-und sie wollte ihren Jüngsten von nun ab etwas mehr in ihrer
-Obhut wissen!</p>
-
-<p>So kam es, daß Otto von Bismarck nicht nach Göttingen zurückging,
-sondern noch drei Semester an der Berliner Hochschule
-verbrachte. Es ging auch hier eine Zeitlang flott und lustig
-weiter, und das »<em class="antiqua">Gaudeamus!</em>« klang in der preußischen Residenz
-nicht minder frisch und froh als in Göttingen.</p>
-
-<p>Eines Abends trat er bei seinem Freunde, dem jungen Grafen
-<em class="gesperrt">Kaiserlingk</em>, ein.</p>
-
-<p>»Wie ist’s – gehst du mit zur Kneipe?« fragte er.</p>
-
-<p>»Heute bin ich nicht in der Stimmung, und denke mich darum
-in meinen vier Pfählen behaglich einzurichten. Bleib da, Bismarck,
-an »Stoff« soll’s auch hier nicht fehlen, und meine Pfeifen stehen
-dir zur Verfügung.«</p>
-
-<p>»Soll gelten – das Wetter ist jetzt verlockend zum Daheimsitzen
-– höre, wie der Wind um die Fenster saust. – Ah, da
-ist auch <em class="gesperrt">Motley</em>« – unterbrach er sich, als ein junger, blonder
-Mann eintrat, den die beiden anderen herzlich begrüßten – »na,
-<em class="antiqua">tres faciunt collegium</em>!«</p>
-
-<p>Er streckte sich behaglich auf dem Sofa und bat: »Aber
-nun mußt du unser Konvivium auch stimmungsvoll einleiten,
-Kaiserlingk!«</p>
-
-<p>Der junge Graf setzte sich an das Instrument, und das sang
-und klang durch den Raum, als webe eine Geisterschar an einem
-Märchen; bald weich und melodisch, bald wild bewegt wie ein<span class="pagenum" id="Seite_42">[42]</span>
-aufgeregtes Gemüt – klang es aus den Saiten, und der große
-Beethoven hatte das Wort! Und auf dem Sofa saß der wilde,
-flotte Bursche und hatte sich in die Ecke gelehnt und den Kopf in
-die Hand gestemmt. Als der letzte Ton verklungen, sagte er:</p>
-
-<p>»Sehr schön, Kaiserlingk! – das kann böse Geister bannen,
-und mir ist, als verstehe ich jetzt erst die Geschichte von Saul und
-David. Heute taugte ich überhaupt nicht mehr für die Kneipe.
-Motley, haben Sie nicht einen Ihrer geistvollen geschichtlichen
-Aufsätze bei sich, es wäre köstlich, wenn Sie uns was mitteilen
-wollten.«</p>
-
-<p>»Wenn es gewünscht wird, kann ich etwas holen« – sagte
-der junge Engländer, der in demselben Hause wohnte, und ging.
-Als er zurückkehrte, hatten sich noch zwei junge Gäste eingefunden,
-und nun wurde der Abend in der anregendsten Weise verlebt.
-Es war spät geworden, als Bismarck bat: »Kaiserlingk, nun noch
-etwas zur guten Nacht!«</p>
-
-<p>Und der junge Graf griff noch einmal in die Tasten, und
-der bestrickende Zauber der »Mondscheinsonate« nahm die jungen
-Gemüter gefangen.</p>
-
-<p>»Kinder,« sagte Bismarck, »solch ein Abend gibt einem
-ordentlich eine Sehnsucht nach dem Philistertum; lacht mich aus,
-wenn ihr wollt – aber von morgen an werde ich solide und
-verlege mich aufs Arbeiten. Und das hat mit ihrem Singen die
-Loreley getan! Gute Nacht!«</p>
-
-<p>Und in der Tat legte er sich ins Zeug, um das in der flotten
-Burschenzeit Versäumte nachzuholen. Um die Osterzeit des Jahres
-1835 kam er eines Tages in das Haus seiner Tante, der Generalin
-von Kessel, und wurde hier, wie immer, von seinen Cousinen heiter
-und herzlich begrüßt.</p>
-
-<p>»Na, heute bitte ich mir etwas Respekt aus! Seht ihr mir
-nichts an?«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_43">[43]</span></p>
-
-<p>Neugierig und lachend betrachteten ihn die jungen Damen
-von allen Seiten.</p>
-
-<p>»Was soll denn aus dir wohl werden, so über Nacht?«</p>
-
-<p>»Ja, das Raten ist nicht eure starke Seite! Da will ich’s
-euch sagen. Ich habe vorgestern mein Staatsexamen gemacht und
-bin als Auskultator für das Stadtgericht vereidigt worden!«</p>
-
-<p>»Ah! – Gratuliere! – Aber ansehen kann man dir die
-Würde nicht!« rief es durcheinander, doch Fräulein Helene, die
-als Künstlerin sehr tüchtig war, rief:</p>
-
-<p>»Diese Phase seines Lebens muß festgehalten werden! Otto,
-ich male dich als Auskultator!«</p>
-
-<p>»Kann mir nur schmeichelhaft sein! Da weiß man später
-doch einmal, wie man als neugebackener Philister ausgesehen hat.«</p>
-
-<p>Da trat Bernhard von Bismarck ein, der gleichfalls in Berlin
-als Referendar tätig war, und der mit Otto zusammenwohnte.</p>
-
-<p>»Ich habe mir’s gleich gedacht, daß er bei Euch stecken wird« –
-rief er; »jetzt, da er in Amt und Würde ist, sucht er freundliche
-Häuslichkeiten mit heiratsfähigen Töchtern!«</p>
-
-<p>»Aber Bernd« – riefen die Damen entrüstet.</p>
-
-<p>»Freut euch doch, daß die Zeit vorüber ist, in welcher er
-jungen Damen die Fenster einzuwerfen pflegte.«</p>
-
-<p>»Und das hat er wirklich getan?«</p>
-
-<p>»Da sieht man wieder die Übertreibung,« lachte Otto von
-Bismarck – »wobei nicht einmal meine besondere Liebenswürdigkeit
-erwähnt wird. Daß der Göttinger Professor, der durch sein
-Verhalten gegen mich das Fensterattentat provoziert hatte, einige
-Töchter besaß, konnte ihn freilich vor meiner Rache nicht retten,
-aber ich kann zu meiner Entschuldigung sagen, daß ich die Scheiben
-nicht mit Steinen, sondern mit Kandiszucker eingeworfen habe,
-um den Mädchen wenigstens einigermaßen den Schrecken zu
-versüßen. Übrigens, bitte, stellt mir einmal einen dienstbaren<span class="pagenum" id="Seite_44">[44]</span>
-Geist zur Verfügung! Ich habe einen Schuster in der Kronenstraße,
-welcher mir bis gestern ein Paar Stiefel liefern sollte,
-und mich, wie bereits in früheren Fällen, im Stiche ließ. Den
-Mann will ich Ordnung lehren. Seit heute früh sechs Uhr
-schicke ich ihm alle zehn Minuten einen Boten mit der Anfrage,
-ob meine Stiefel noch nicht fertig wären. Ich vermute, daß ich
-sie heute noch erhalte.«</p>
-
-<p>Wenige Tage später saß der junge Auskultator im Berliner
-Stadtgericht und waltete seines Berufes mit Eifer und – je
-nachdem – auch mit Humor. Der Sommer verging und der
-Herbst, und der Winter brachte mit seinen geselligen Vergnügungen
-manche schöne Abwechslung in die Einförmigkeit seines
-Amtes. Von besonderem Interesse war dabei der erste Hofball,
-welchem er beiwohnte.</p>
-
-<p>Seine äußere Erscheinung auf demselben war in jeder Weise
-vornehm und durch Gestalt und Haltung geradezu auffallend.
-Üppiges Haar umwallte das hochgetragene Haupt, und in dem
-geistvollen aristokratischen Gesichte blitzten frisch, lebhaft und
-durchdringend klar die Augen. Wie er so Arm in Arm mit
-seinem Kollegen, dem Auskultator von Scherk, dahinschritt, folgten
-alle Blicke den beiden prächtigen Gestalten, die der bekannte
-selige Preußenkönig sich für seine Potsdamer Riesengarde nicht
-gern hätte entgehen lassen. Auch dem Prinzen Wilhelm (dem
-nachmaligen Kaiser Wilhelm I.) fielen die beiden jungen Männer
-auf, und als sie ihm vorgestellt wurden, sagte er mit wohlgefälligem
-Lächeln:</p>
-
-<p>»Nun, die Justiz legt wohl auch jetzt das Gardemaß an ihre
-Leute?«</p>
-
-<p>»Königliche Hoheit,« erwiderte Bismarck, indem er klar und
-voll den Prinzen anblickte, »auch wir Juristen ziehen den Soldatenrock
-an, wenn es fürs Vaterland gilt!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_45">[45]</span></p>
-
-<p>Am nächsten Morgen saß er, noch in Erinnerung an den
-vorigen Abend versunken, am grünen Tische des Stadtgerichts.
-Vor ihm stand ein biederer Berliner, der in einer Bagatellsache
-zu vernehmen war. Der Mann, welcher den kaustischen Humor,
-aber auch die Zungenfertigkeit des hauptstädtischen Proletariers
-besaß, glaubte, dem jungen Auskultator gegenüber sich noch mehr
-als üblich herausnehmen zu dürfen, und perorierte in nicht ganz
-ruhiger Weise. Bismarck, dem die Sache endlich zu arg ward,
-sprang mit seiner imponierenden Gestalt auf und rief: »Wenn
-Sie sich nicht mäßigen, werfe ich Sie hinaus!«</p>
-
-<p>Der Mann war einigermaßen verdutzt über diesen unerwarteten
-Ausbruch, aber auf Bismarck selbst trat der anwesende
-Stadtgerichtsrat herzu und sagte, indem er ihm die Hand auf
-den Arm legte:</p>
-
-<p>»Das Hinauswerfen ist <em class="gesperrt">meine</em> Sache, Herr Auskultator!«</p>
-
-<p>Bismarck nahm sein Gerichtsverfahren wieder auf, der Berliner
-aber, welcher nun Oberwasser erhalten zu haben meinte,
-wurde noch unangenehmer als zuvor, bis der Auskultator
-zum zweitenmal aufsprang und mit einem sehr bezeichnenden
-Seitenblick rief: »Herr, wenn Sie sich nicht mäßigen, lasse ich
-Sie durch den Herrn Stadtgerichtsrat hinauswerfen!«</p>
-
-<p>Das Stadtgericht wollte Bismarck überhaupt nicht länger
-behagen; er brauchte ein größeres Feld, einen weiteren Gesichtskreis,
-und so verließ er 1836 Berlin und begab sich als Hilfsarbeiter
-zur Königlichen Regierung nach Aachen, wo der Regierungspräsident
-Graf Arnim-Boytzenburg sich freundlich des jungen
-Referendars annahm und auch gesellig in seiner Familie mit ihm
-verkehrte.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_46">[46]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Viertes_Kapitel"><span class="smaller">Viertes Kapitel.</span><br>
-Am eigenen Herde.</h2>
-</div>
-
-<p>König Friedrich Wilhelm III., der die Not und die herrliche
-Erhebung Preußens gesehen, war gestorben, und sein Sohn,
-Friedrich Wilhelm IV., hatte den Thron bestiegen. Das war im
-Jahre 1840, und in den Oktobertagen desselben fanden sich zahlreiche
-Vertreter des Volkes und des Adels zur Huldigungsfeier
-in der Hauptstadt ein. Die Sonne des 15. Oktobers war freundlich
-aufgegangen über dem Lustgarten, wo die tausendköpfige
-Menge sich um die reichgeschmückten Söller drängte, von welchen
-herab der neue Herrscher zu seinem Volke sprechen wollte.</p>
-
-<p>Nun war er erschienen, ließ seine hellen Augen über die in
-Ehrfurcht schweigende Versammlung schweifen, und dann begann
-er in der ihm eigenen lebhaften und begeisternden Art zu sprechen.
-Und die Stimme klang so klar wie Glockenton hinein in die
-heftiger pochenden Herzen:</p>
-
-<p>»Ritter, Bürger, Landleute und von den hier unzählig Gescharten
-alle, die meine Stimme vernehmen können, ich frage Sie,
-wollen Sie mit Geist und Herz, mit Wort und Tat und ganzem
-Streben, in der heiligen Treue der Deutschen, in der heiligeren
-Liebe der Christen mir helfen und beistehen, Preußen zu erhalten,
-wie es ist, wie es bleiben muß, wenn es nicht untergehen soll?
-Wollen Sie mir helfen und beistehen, die Eigenschaften immer
-herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen mit seinen nur
-14 Millionen den Großmächten der Erde beigesellt ist, nämlich
-Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärtsschreiten<span class="pagenum" id="Seite_47">[47]</span>
-in Altersweisheit zugleich und heldenmütiger Jugendkraft?
-Wollen Sie in diesem Streben mich nicht verlassen und
-versäumen, sondern treu mit mir ausharren durch gute und
-böse Tage? O, dann antworten Sie mir mit dem schönsten und
-klarsten Laut der Muttersprache, antworten Sie mir ein ehrenhaftes
-Ja!«</p>
-
-<p>Und mit überwältigender Macht brauste das Wort durch
-die bewegten Lüfte, unten aber in der dichtgedrängten Menschenmenge
-faßte ein junger, stattlicher Mann die Hand des neben ihm
-Stehenden mit warmem Drucke und sagte:</p>
-
-<p>»Das soll gelten, Bernd, für alle Zeiten!«</p>
-
-<p>»Helf uns Gott, Otto!« erwiderte der andere; der alte,
-stattliche Herr aber, welcher bei den beiden stand, wischte sich einmal
-mit der Hand über die Augen.</p>
-
-<p>Die Menge wogte auseinander. Die drei jedoch schritten
-langsam hindurch, der alte Herr in der Mitte, der nun sagte:</p>
-
-<p>»Das war seit langem wieder eine schöne, erhebende Stunde,
-die wir alle nicht vergessen wollen. Schade, daß wir der Mutter
-nicht mehr davon erzählen können.«</p>
-
-<p>Es waren drei hochragende, prächtige Gestalten, welche durch
-die belebten Gassen schritten nach der Behrenstraße zu; ehe sie
-aber dieselbe erreichten, kreuzte ein junger Mann von gleichfalls
-auffälliger Statur ihren Weg. Er zog überrascht den Hut, und
-der Jüngste von den dreien rief lebhaft:</p>
-
-<p>»Schenk! – Du bist hier?«</p>
-
-<p>Eine herzliche Begrüßung der Freunde folgte, und bald
-gingen sie, nachdem sie sich von den beiden anderen verabschiedet
-hatten, zusammen auf den Bürgersteig hin, und betraten endlich
-ein Weinhaus, wo sie in einer abgelegenen Ecke sich niederließen.
-Der Kellner brachte Wein, leise klangen die Gläser zusammen,
-und Wilhelm von Schenk sagte: »Nun weißt du meine Erlebnisse,<span class="pagenum" id="Seite_48">[48]</span>
-lieber Bismarck, jetzt laß mich hören, wie es dir gegangen ist,
-seitdem du nach Aachen übergesiedelt warst.« Der andere
-sprach:</p>
-
-<p>»In Aachen habe ich nicht lange ausgehalten. Ich kam
-beinahe wieder in die alte Burschenherrlichkeit hinein, und das
-wollte mir nicht passen. Ich hatte das Bewußtsein, daß mein
-preußisches Beamtentum mir dort mit Grundeis gehe, und das
-wollt’ ich nicht. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, redlich zu
-arbeiten im Dienste des Vaterlandes, und so wurde ich auf mein
-Ansuchen im Herbste 1837 nach Potsdam versetzt, wo der Geheimrat
-Wilke mir Pünktlichkeit und Strammheit im Dienste angewöhnte.
-Die konnte ich auch ganz gut brauchen, als ich im
-nächsten Frühling des Königs Rock anzog und bei den Potsdamer
-Gardejägern als Einjährig-Freiwilliger die Anfangsgründe
-der Kriegskunst exerzierte. Das habe ich so ein halbes Jahr getrieben.
-Dann ließ ich mich zum 2. pommerischen Jägerbataillon
-in Greifswald versetzen. Da war ich Soldat und Student zugleich
-und hörte in Eldena landwirtschaftliche Vorlesungen, denn
-in dem Hintergrunde der nächsten Zeit lag bereits die Aussicht,
-einen Teil unserer Güter übernehmen und Landwirt werden zu
-müssen. Es gab so manches gutzumachen und in die Höhe
-zu bringen – na, wie das eben so geht. Ostern 1839 war ich
-denn auch wieder in Kniephof. Meine Eltern zogen sich nach
-Schönhausen zurück, und Bernhard und ich übernahmen die
-pommerischen Güter, so zwar, daß mir Jarchelin und Kniephof
-und meinem Bruder Külz zukam. Es fiel mir aber gleich in den
-Anfang dieser selbständigen Tätigkeit ein trüber Schatten – du
-weißt wohl – –«</p>
-
-<p>»Ich weiß, deine treffliche Mutter ist voriges Jahr gestorben
-– nimm noch die Versicherung meiner herzlichen Teilnahme!
-Sie war eine ausgezeichnete Frau!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_49">[49]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp60" id="illu-050">
- <img class="w100" src="images/illu-050.jpg" alt="">
- <div class="caption">
-<div class="left">
-<em class="antiqua">Eis. Kanzler II.</em>
-</div>
-<div>Friedrich Wilhelm IV. und Bismarck.</div></div>
-</div>
-
-<p>»Ja, sie war »Verstand des Hauses«, und uns war sie noch
-mehr. Nun sitzt mein Vater ernst und trüb in Schönhausen,
-und Malwine sucht ihn zu erheitern, so gut das gehen will.
-Ich aber habe den Diplomaten an den Nagel gehängt und baue
-meinen Kohl!«</p>
-
-<p>»Und wenn das Vaterland ruft, bist du doch da!«</p>
-
-<p>»Das ist selbstverständlich. War das nicht herzerhebend heute,
-wie alle die Tausende dem König die Versicherung ihrer Treue
-gaben? Mir ist mein »Ja« aus vollem Herzen gekommen – laß
-uns anstoßen: Dem Vaterlande die ganze Kraft!«</p>
-
-<p>Die Gläser klangen hell und voll, und die Augen der beiden
-jungen Männer leuchteten. Sie saßen noch eine Weile beisammen
-und tauschten alte Erinnerungen, dann erhob sich Bismarck:</p>
-
-<p>»Mein Aufenthalt in Berlin ist knapp bemessen, so daß wir
-uns hier kaum noch einmal sehen. Aber wenn dich dein Weg
-ins Pommernland führt, so erinnere dich, daß Otto von Bismarck
-auf Kniephof bei Naugard sitzt und seinen Freunden dankbar ist,
-wenn sie ihm die Gelegenheit geben, sie zu bewirten!«</p>
-
-<p>Kurze Zeit darauf saß er wieder in seinem schlichten Herrenhause.
-Mit Scharfblick und Tatkraft erfaßte er die Verhältnisse
-und suchte nach allen Kräften zu bessern. Am frühen Morgen schon
-war er im Sattel und ritt durch die Felder, um nach dem Rechten
-zu sehen, oder bei erfahrenen Nachbarn Rat zu erholen, und
-daheim machte er sich über seine Wirtschaftsbücher und brachte
-Klarheit und Ordnung in die Verwaltung seines Besitztums. Im
-dämmernden Abendschein schritt er durch den Park, begleitet von
-seiner Dogge, und manchmal kamen ihm recht wunderliche Gedanken,
-und ein stürmischer Tatendrang wollte ihn erfassen und
-in die Welt treiben.</p>
-
-<p>An einem solchen Abend kam er unmutig herein in seine
-vereinsamten, stillen Räume. Die Bücher, welche er sonst in diesen<span class="pagenum" id="Seite_50">[50]</span>
-Stunden zur Hand nahm, wollten ihm heute nicht gefallen, die
-Pfeife war ihm ausgegangen, und mit weitausgreifenden Schritten
-ging er durch die Wohnräume seines Kniephof. Da blieb er vor
-einem Bilde stehen. Es war ein alter preußischer Reiteroberst,
-der da aus dem Rahmen auf ihn herunterschaute, sein Urgroßvater,
-Herr Friedrich August von Bismarck, dem weiland in der
-Czaslauer Schlacht eine Kugel zwischen Leib und Seele gefahren
-war. –</p>
-
-<p>»Ein ganzer Mann, dieser alte Herr! Das Leben genießen
-und dann einen fröhlichen Reitertod sterben fürs Vaterland – das
-muß schön sein! Ich glaube, in mir steckt etwas von dem »tollen
-Bismarck«, und ein lustig Reiten, ein fröhlich Zechen tut mir
-wieder einmal not, wenn ich nicht versauern soll. Dabei braucht
-man nicht zu verderben! Morgen geht’s einmal ins Weite!«</p>
-
-<p>So sprach er zu sich selber, und wie er wieder nach seinem
-Zimmer zurückschritt, sah er seine Pistolen an der Wand hängen.
-Er nahm sie herab.</p>
-
-<p>»Ich muß mir Luft schaffen!« rief er, wie einstens in der
-Behrenstraße 53 im Zimmer seines Bruders, und gleich darauf
-krachten die Schüsse und schlugen in die Decke, daß Kalk und
-Mörtel splitterten.</p>
-
-<p>Am anderen Morgen ließ er sein Pferd satteln und brauste
-fort, »daß Kies und Funken stoben«. Er hatte sich erinnert,
-daß in Kollin bei Stargard an diesem Abend eine vergnügte
-Gesellschaft beisammen sei, und wenn es bis dahin auch etwa
-14 Meilen waren, er wollte zeigen, was ein tüchtiger Reiter und
-ein gutes Pferd leisten können.</p>
-
-<p>In Wangerin hielt er Mittagsrast. Am Tische neben ihm
-saß ein junger Mann, der sich ihm als Weinreisenden vorstellte
-und seine Ware anpries. Bismarck verlangte, daß er ihm Proben
-vorführe, und der andere brachte, was er bei sich hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[51]</span></p>
-
-<p>Ein Fläschchen um das andere wurde vor den Augen des
-erstaunten Reisenden leer, und Bismarck begehrte immer mehr
-Proben, bis dem anderen der Vorrat ausging. Das war in einem
-kleinen Stündchen abgetan, und nun ging’s wieder zu Roß weiter
-auf der Stargarder Straße, und abends traf der wilde Reiter in
-Kollin ein und überraschte die heitere Gesellschaft. Nun gab es
-ein fröhlich Zechen, schallendes Gelächter bei manchem lustigen
-Schwank, und dem Besucher, der aus der Einsamkeit seines
-Kniephof kam, erfrischte es Herz und Mut, sich wieder einmal in
-genialer Burschenlust gehen zu lassen.</p>
-
-<p>Er lud seine Freunde ein, ihn auf seinem Schlößlein zu besuchen,
-und sie blieben nicht aus. Der alte Kniephof sah nun
-manche übermütige Stunde. In die Nacht hinaus klangen lärmende
-Zecherlieder, und oben ging das Trinkhorn in die Runde,
-und aus den großen Pokalen trank man Porter und Champagner
-durcheinander. Dann raste es mitunter nächtlicherweile wie die
-wilde Jagd durch den schweigenden Park, krachende Schüsse
-weckten die Ruhe der Schläfer, von abenteuerlichen Streichen,
-von wunderlichen Wetten gingen die seltsamsten Geschichten in
-der Runde, und bald hieß es: »der tolle Bismarck ist auf Kniephof
-wieder lebendig geworden!«</p>
-
-<p>Manch einer kam, angezogen durch dieses Treiben; er fand ein
-gastliches Haus, einen gefüllten Becher, einen jovialen Wirt, –
-aber es geschah, daß dieser mitten in der übermütig lärmenden
-Unterhaltung ein Wort aufgriff, an das er ernste und geistvolle
-Erörterungen knüpfte, wie sie aus historischen Reminiszenzen und
-aus seinem eigenen, für die Ehre des Vaterlandes begeisterten
-Herzen kamen. Dann horchte die verwunderte Tafelrunde hoch
-auf, und manch einem kam ein Ahnen, daß in dem jungen Gutsherrn
-mehr stecke, als zur Verwaltung von Kniephof gehöre.</p>
-
-<p>Das Herz hatte er auf dem rechten Flecke, und das hat er,<span class="pagenum" id="Seite_52">[52]</span>
-wo es galt, bewiesen. Im Sommer 1842 war er als Landwehroffizier
-in Lippehne. Der schneidige Ulanenleutnant war auch
-hier einem kecken, lustigen Streiche nicht abgeneigt, so wenig wie
-den Freuden des Bechers. Eines Nachmittags kam er mit
-einigen Kameraden an den Wendelsee. Er wollte mit seinen Begleitern
-über die Brücke gehen, die über denselben führt, da er
-aber merkte, daß eben sein Reitknecht ankam, um in dem Wasser
-sein Pferd zu schwemmen, blieb er stehen. Der Bursche ritt
-zwischen der Brücke und der Gotthardtschen Gerberei in den See.
-Ob nun die Anwesenheit der Offiziere ihn verwirrte, oder ob
-das Pferd den Grund verlor, – genug, er zog die Zügel zu
-straff an, das Tier wurde unruhig, bäumte sich, und der Reiter
-flog herab und verschwand auch sogleich in den Wellen.</p>
-
-<p>Bismarck überlegte in diesem Augenblicke nicht; er warf Mütze
-und Säbel fort und sprang, wie er war, in Uniform, über das
-etwa 15 Fuß hohe Brückengeländer kopfüber in den See. Mit
-starker Hand faßte er den Burschen, der halb bewußtlos ihn so umklammerte,
-daß er selbst in freier Bewegung gehindert war. Da
-riß er denselben mit sich nieder zum Grunde, um ihn bewußtlos
-zu machen. Es waren bange Augenblicke für die, welche auf der
-Brücke standen. Blasen stiegen aus dem Wasser … aber die
-beiden Menschen kamen nicht empor. Endlich tauchte das Haupt
-Bismarcks auf. Er hatte mit fester Hand den Burschen gepackt,
-ihn auf den Rücken geworfen, und zog nun schwimmend ihn hinter
-sich her, bis er Grund fand. Nun schleppte er den Bewußtlosen
-auf seinen Armen an das Ufer, wo er freudig begrüßt wurde.</p>
-
-<p>Eine gewaltige Erregung ging durch die ganze kleine Stadt,
-und als Bismarck, der sich in der Nähe umgekleidet, nach derselben
-zurückkehrte, kam ihm eine Schar von Bürgern mit dem
-Oberpfarrer Stöhr in seiner Amtstracht an der Spitze entgegen,
-um ihn zu begrüßen und zu beglückwünschen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[53]</span></p>
-
-<p>Bald darauf erhielt er vom König die Rettungsmedaille,
-welche er jederzeit mit Stolz getragen hat.</p>
-
-<p>Der flotte Offizier ging wieder nach Kniephof zurück. Es
-kam ihm doppelt still vor, und manchmal war’s ihm, als dränge
-es ihn hinaus in die Welt, – der gärende Most wollte noch
-nicht zur Klärung kommen. Das Wort, das seine herrliche Mutter
-einst gesprochen: »Bernhard soll Landrat, Otto Diplomat werden!«
-kam ihm immer wieder in den Sinn. Der erste Teil war zur
-Wahrheit geworden, sein Bruder saß als Landrat in Naugard,
-und der Ausspruch der Mutter erschien ihm bezüglich seiner selbst
-wie eine vorwurfsvolle Mahnung.</p>
-
-<p>So kam es, daß er einen neuen Anlauf nahm und wieder bei
-der Potsdamer Regierung als Referendar eintrat. Ein rechtes Behagen
-fand er aber bei alledem nicht, zumal sein Vorgesetzter, der
-Regierungspräsident, ihn in beinahe geringschätziger Weise behandelte.
-Da kam ihm der alte Bismarcktrotz, und es brauchte
-nicht viel, um den Becher des Unmuts bei ihm überschießen zu
-lassen.</p>
-
-<p>Eines Tages erhielt er von seinem Bruder das Ersuchen,
-ihn auf einige Zeit zu vertreten. Er begab sich zu seinem Vorgesetzten,
-um sich einen Urlaub zu erbitten. Als er eintrat, stand
-dieser am Fenster, kehrte ihm den Rücken zu und trommelte auf
-der Scheibe. Bismarck stand einige Augenblicke ruhig, dann schritt
-er an ein anderes Fenster und begann nun seinerseits erst leise,
-dann immer vernehmbarer und lustiger einen Marsch mit den
-Fingerspitzen zu exekutieren.</p>
-
-<p>Jetzt fuhr der Präsident unmutig herum, und während der
-Referendar noch weitertrommelte, fragte er zornig:</p>
-
-<p>»Was wünschen Sie?«</p>
-
-<p>»Eigentlich wollte ich mir einen Urlaub nachsuchen, jetzt bitte
-ich um meinen Abschied.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[54]</span></p>
-
-<p>Und nun ging er nach Pommern, um für seinen Bruder
-einzutreten, dann aber trieb es ihn hinaus in die Welt, und selbst
-seine Freunde wußten nicht immer, wo sie mit ihrem Gedanken
-ihn suchen sollten.</p>
-
-<p>Im Herbst 1844 trafen sich zwei derselben im Seebad Norderney.
-Der eine fragte:</p>
-
-<p>»Wissen Sie nichts von Otto von Bismarck?«</p>
-
-<p>»Nach den letzten Nachrichten war er in England – und
-dieser Tage habe ich eine Mitteilung aus Pommern erhalten,
-nach welcher er von dort nach Indien zu gehen beabsichtigt.«</p>
-
-<p>»Sieht ihm ähnlich, dem unruhigen Geiste, – er weiß eben
-nicht, wohin er soll mit seiner Kraft.«</p>
-
-<p>Und während die zwei so redeten, kam er selber mit langsamen
-Schritten über die Dünenhügel her. Die Gestalt schien
-noch stattlicher geworden; aus dem gesunden, bartumrahmten Gesichte
-blitzten die klaren Augen, und kraftvoll und sicher kam er
-heran, sehr zum Staunen und zur Freude seiner Freunde.</p>
-
-<p>Lange hielt er an der See nicht aus. Er mußte heim, es zog
-ihn nach Schönhausen, wo am 30. Oktober ein schönes Familienfest
-stattfinden sollte, die Vermählung seiner Schwester Malwine
-mit seinem Jugendfreunde Oskar von Arnim-Kröchlendorff. Das
-Herrenhaus in der Altmark prangte im Festschmucke, seine »Malwine«
-strahlte vor Glück, und sein Vater war freudig erregt, ihn
-selbst aber wollte eine leise Wehmut fassen bei dem Gedanken, daß
-sein »sehr Geliebtes« jetzt aus dem Elternhause gehe und sein
-Vater nun ganz allein bleiben sollte.</p>
-
-<p>Als der Hochzeitslärm und die Festlust verrauscht war, blieb
-er noch bei dem alten Herrn zurück. Sie gingen täglich zusammen
-durch den Park und nach der Schäferei, widmeten sich gemeinsam
-der Beobachtung der Thermometer und bemühten sich gleich
-weiland Karl V. die Uhren im Herrenhause in Übereinstimmung<span class="pagenum" id="Seite_55">[55]</span>
-zu bringen. Endlich mußte er aber doch daran denken, wieder
-nach Kniephof zu gehen. Beim Abschied von Schönhausen band
-er dem Inspektor Bellin und seiner Frau es dringendst auf die
-Seele, recht gut für den alten Herrn zu sorgen, eine Mahnung,
-welche die kleine, wackere Frau beinahe als Beleidigung hätte
-ansehen dürfen.</p>
-
-<p>Nicht lange danach gab es eine zweite Hochzeitsfeier, auf
-dem pommerschen Herrensitze Triglaff, wo Bismarcks liebster
-Freund, Moritz von Blankenburg, mit der Tochter des Hauses
-sich vermählte. Es war ein vergnügtes Fest, und die Zahl der
-Gäste eine große. Unter den Brautjungfern aber befand sich ein
-anmutiges Edelfräulein, einfach und doch gewinnend in ihrem
-ganzen Wesen, und als Bismarck ihr vorgestellt wurde, hatte er
-ein eigentümlich wonniges Empfinden. Das Mädchen mit den
-blauen Augen, <em class="gesperrt">Johanna von Puttkamer</em>, hatte es ihm
-von der ersten Begegnung ab angetan.</p>
-
-<p>»Sie ist die einzige Tochter von Jakob von Puttkamer; seine
-Frau ist eine geborene von Glasenapp, und sie sitzen auf Reinfeld,«
-hatte Blankenburg ihm gesagt, und ein anderer Freund fügte bei:</p>
-
-<p>»Da geht’s anders zu als auf Ihrem Kniephof, lieber Bismarck.
-Da gibt’s keine tollen Wetten, keine wilden Jagden und
-kein Porter-Sekt-Gemisch aus Ochsenhörnern, da ist alles fein
-ehrsam und sittsam, ruhig und fromm. Ihr singt »Freut euch des
-Lebens«, und auf Reinfeld werden nur Choräle gesungen. Also
-sehen Sie dem Fräulein von Puttkamer nicht zu tief in die
-Augen!«</p>
-
-<p>Aber Bismarck tat, wie es ihm paßte, und als er abends
-im Garten zu Triglaff neben dem anmutigen Mädchen saß und
-mit ihr plauderte, da war ihm das ganze Feuerwerk gleichgültig
-geworden, welches dem jungen Paare zu Ehren losgebrannt
-wurde. Die Stimmung war bei allen eine froherregte: Die spielenden<span class="pagenum" id="Seite_56">[56]</span>
-Lichter, die rollenden Feuersonnen, die aufzuckenden
-Strahlengarben, welche in die Abenddämmerung hineinglühten, erhöhten
-dieselbe, und Scherze und heitere Zurufe gingen hin und
-her. –</p>
-
-<p>Da sauste zischend eine Rakete empor, den funkelnden Schweif
-nach sich ziehend, und aller Augen folgten. In demselben Moment
-erhob sich ein stärkerer Windstoß, welcher das Geschoß seitwärts
-trieb gegen den Wirtschaftshof. Dort fiel es auf ein Strohdach
-nieder, und nach wenigen Minuten loderte daraus eine Flamme
-empor, welche nichts weniger als programmgemäß war. Der
-Wind machte die Sache noch gefährlicher. Angstrufe erschollen,
-Verwirrung kam unter die Gäste, die Dienerschaft und die Dorfleute
-liefen davon, und die glühende Lohe schlug bereits hoch
-empor und schwelte hinüber nach einem Nachbargebäude.</p>
-
-<p>Bismarck verlor keinen Augenblick seine Besonnenheit. Er
-eilte nach dem Stalle, wo er mit der neuvermählten Frau
-von Blankenburg zusammentraf, welche, beseelt von gleicher
-Energie, ihm half, die Pferde herauszuholen und vor einen Wasserwagen
-zu spannen, und gleich darauf jagte der junge Edelmann
-die Rosse nach der Brandstätte zu und brachte hier mit seinem
-bestimmten Wesen, mit seiner sicheren Klarheit Ordnung in die
-Löschanstalten. Das Feuer aber griff trotzdem rasch um sich, und
-am Morgen beleuchtete die aufgehende Sonne die rauchenden
-Trümmer auf dem Gutshofe wie im Dorfe selbst.</p>
-
-<p>Als Bismarck von Triglaff schied, sagte ihm der alte Herr
-von Thadden:</p>
-
-<p>»Ich glaube, lieber Freund, es hat gestern zweimal gebrannt
-auf Triglaff, und der zweite Brand wird sich wohl nicht wieder
-löschen lassen. Na, Sie wissen wenigstens, wo die Brandstifterin
-wohnt und können sie auf Reinfeld zur Rechenschaft ziehen. Viel
-Glück dazu!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[57]</span></p>
-
-<p>Die Worte sangen und klangen dem jungen Edelmann noch
-lange in den Ohren, und wenn er daran dachte, mußte er still
-vor sich hinlächeln.</p>
-
-<p>Der Winter ging, und der Frühling kam, und der junge
-Gutsherr hatte alle Hände voll zu tun mit seiner Landwirtschaft,
-dazwischen brach wohl auch einmal die alte, stürmische Lust, in
-die Welt zu jagen, sich Bahn. Das Gefühl einer gewissen Vereinsamung
-überkam ihn manchmal auf seinem Kniephof, und er
-strich dann freundlicher über den Kopf Odins, seines Hundes,
-der ihm ein treuer Begleiter war.</p>
-
-<p>Das Jahr sollte auch noch trübe genug enden. Im November
-erhielt Bismarck die Nachricht, daß es mit seinem Vater, der
-von einem Schlaganfall sich nicht mehr erholen konnte, recht
-schlimm stehe, und so eilte er nach Schönhausen. Er fand den
-Teuren sehr schwach, und gab sich keinen Hoffnungen hin. Auch
-der Inspektor Bellin und seine Frau waren mutlos und verzagt.
-Die Frau erzählte:</p>
-
-<p>»Ach, ich hab’s ja schon kommen sehen. Vor einigen Wochen,
-Sonntags, kam der gnädige Herr gar nicht, um sich zur Kirche
-zu begeben, die er doch nie versäumte. Die Glocken hatten schon
-geläutet, und so nahm ich mir den Mut, bei ihm einzutreten und
-ihn zu erinnern. Da sprach er ganz traurig: ›Ach, liebe Bellin,
-ich muß doch sehr schlecht hören, wenn ich die Kirchenglocken überhöre.‹
-Und dann ging er eilig nach dem Gotteshause.«</p>
-
-<p>Und der Inspektor fügte bei:</p>
-
-<p>»Er hat manchmal so Ahnungen gehabt, und das gefällt
-mir nicht. Wie heuer im Frühjahr uns die Elbe bis in den
-Park hereinkam und einige von unseren schönen, alten Linden
-wegnahm, da war der gnädige Herr so sehr gedrückt. ›Mein
-lieber Bellin,‹ sagte er, ›die Linden sind eingegangen, ich denke, ich
-gehe nun auch bald ein‹.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_58">[58]</span></p>
-
-<p>Und am 22. November hielt der treue Sohn die erkaltende
-Hand des Vaters in der seinen und drückte diesem die Augen zu.</p>
-
-<p>Das war ein Trauertag für Schönhausen, als der alte, brave
-Gutsherr in die Gruft gesenkt wurde, und von den Bauern
-wischte sich manch einer die Augen aus, dem der Verewigte mit
-Rat und Hilfe beigestanden. Ernst und trübe sahen die beiden
-Brüder den Sarg hinabsenken, dann gingen sie schweigend nach
-dem Herrenhause zurück.</p>
-
-<p>»Wie ist’s, Otto,« sagte dort Bernhard, »du übernimmst
-Schönhausen und überläßt mir Jarchelin.«</p>
-
-<p>»Wenn dir’s so recht ist, Bernd – ich bin einverstanden!«</p>
-
-<p>So war die Erbschaftsangelegenheit glatt und einfach geordnet,
-und das alte Schönhausen sah im nächsten Frühling einen
-freundlicheren Tag. Johannistag war’s, das liebliche Sommersonnwendfest.
-Die alten Linden blühten und dufteten, die Sonne
-blickte hell vom blauen Lenzhimmel, und am Portal des Herrenhauses
-standen der Inspektor und seine Frau, Knechte und Mägde,
-Bauern und Bäuerinnen. Der Eingang war mit grünen Reisern
-umwunden, und Otto von Bismarck hielt seinen Einzug in seinen
-Stammsitz, und nannte sich nun <em class="gesperrt">von Bismarck-Schönhausen</em>.</p>
-
-<p>Aber einsam war es ihm hier, gar so einsam. Der tolle
-Jugendübermut schien ausgeschäumt zu haben, er hatte wiederholt
-bereits dem Ernst des Lebens in das Auge geschaut, hatte Amt
-und Würden angenommen als Deichhauptmann und als Vertreter
-der Ritterschaft des Kreises Jerichow im Merseburger Provinziallandtag.
-Aber seine Seele sehnte sich nach dem Glücke des
-Familienlebens, und immer wieder trat das Bildnis jenes anmutigen
-Fräuleins, das es ihm auf Triglaff angetan, vor ihn hin.</p>
-
-<p>In solcher Stimmung traf ihn eine Aufforderung seines
-Freundes Blankenburg zu einer Herbstreise; auch Fräulein von<span class="pagenum" id="Seite_59">[59]</span>
-Puttkamer werde sich beteiligen. Das war der Wink des Schicksals,
-ihm mußte Folge geleistet werden.</p>
-
-<p>Was war doch das für ein herrliches Wandern durch die
-malerischen Täler, auf die umgrünten Höhen des eigenartigen
-deutschen Gebirges! Blauer Himmel über herrlichen, lachenden
-Landschaftsbildern, Lerchengesang in der Luft und jauchzenden
-Herzschlag in der Brust. Das junge Blankenburgsche Paar störte
-den in zwei Seelen erwachenden Frühling nicht, und unter den
-leise rauschenden Bäumen des Harzwaldes ward der Bund so
-gut wie geschlossen. Glückselig kehrte Bismarck in sein Schönhausen
-heim und setzte sich nun hin, um an Herrn und Frau von
-Puttkamer auf Reinfeld zu schreiben und sie um die Hand ihrer
-Tochter zu bitten.</p>
-
-<p>Der Brief tat eine wunderliche Wirkung. Der alte Herr,
-der eben von einem Ritt ins Feld heimkam, las ihn und traute
-seinen Augen kaum. Dann eilte er zu seiner Frau.</p>
-
-<p>»Höre, Luitgard, – lese ich denn recht? – Mir ist’s, als
-hätt’ mir einer mit der Axt auf den Kopf geschlagen! – Der wilde
-Bismarck will unsere Johanna zur Frau!«</p>
-
-<p>Frau von Puttkamer schlug die Hände zusammen.</p>
-
-<p>»Unmöglich – unser stilles, frommes Kind und dieser tolle
-Bismarck. Da ist kein Segen drin, dazu gebe ich niemals meine
-Hand!«</p>
-
-<p>»Ja, er schreibt auch hier, mit Johanna wäre er einig –
-na, das ist eine schöne Bescherung!« Die Frau des Hauses war
-aufgesprungen, sie rief nach ihrer Tochter. Das Fräulein kam
-mit geröteten Wangen, sie schien zu ahnen, um was es sich
-handle, und daß sie nun den ersten Kampf für den Mann ihrer
-Wahl bestehen müsse. Und sie bestand ihn siegreich gegen die
-Aufregung des Vaters und gegen die Tränen der Mutter. Von
-der Kraft ihrer Herzensneigung erfüllt, trat sie mutvoll für den<span class="pagenum" id="Seite_60">[60]</span>
-Geliebten ein, und als die Eltern den entschiedenen Willen ihrer
-sonst so sanften Tochter erkannten, wurde der Freier eingeladen,
-nach Reinfeld zu kommen.</p>
-
-<p>Und er kam. Die imponierende Persönlichkeit mit ihrer
-ritterlichen, gewinnenden Vornehmheit gewann die Mutter, der
-patriotische, warmherzige, königstreue Sinn den Vater, und so
-gab es eine fröhliche Verlobung.</p>
-
-<p>Nun ward auf Schönhausen gerüstet zum Empfang der
-Herrin. Das alte Herrenhaus ward neu in Stand gesetzt, aber
-es kam noch ein Winter und ein Frühling, ehe der Bund den Segen
-der Kirche erhielt.</p>
-
-<p>Der Lenz des Jahres 1847 zog ins Land mit Sturm und
-Brausen, und der Deichhauptmann ritt hinaus, um in Wetter
-und Graus seinen Pflichten zu genügen, und dabei lebte seine
-Seele in einer freundlichen Zukunft, wie schön es sein werde,
-wenn er nach stürmischem Tage heimkommen und Sturmmütze und
-Regenmantel ablegen und in das wohnliche Heim eintreten werde,
-wo zwei freundliche Augen ihm entgegenleuchten, zarte, liebe
-Lippen ihn begrüßen werden. Was kümmerten ihn die Frühlingsschauer
-und die rauhen Wettertage! Mitunter trieb es ihn
-auch zu Fuße hinaus an den Strand, um zu sehen, ob dem Uferlande
-keine Gefahr drohe. So kam er einmal dahergeschritten,
-mit seinem forschenden Auge die Deiche prüfend. Eine große,
-tiefe Lache – die Elbe war über ihre Ufer getreten – hemmte
-ihn auf seinem Wege. Er stand einen Augenblick still in ruhiger
-Überlegung, da erblickten ihn zwei Bauern, die mit ihren Angelruten
-am Ufer standen.</p>
-
-<p>Der eine kam eilig herbei:</p>
-
-<p>»Herr Deichhauptmann, ich trage Ihnen auf dem Rücken
-hinüber.«</p>
-
-<p>Bismarck lachte: »Lieber Pietsch, das sind 182 Pfund!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[61]</span></p>
-
-<p>»All’ eins, Herr Deichhauptmann, Ihnen tragen wir alle
-mit Freuden!«</p>
-
-<p>Dem Edelmann schlug das Herz wärmer bei solchen Worten
-des schlichten Mannes aus dem Volke. Das war die ehrliche
-märkische Art, die Art, aus welcher die Liebe auch zu König
-und Vaterland in Not und Gefahr erwuchs. Er dankte dem
-Manne herzlich, dann trat er mit seinen hohen Stiefeln ruhig
-in die Lache und schritt hindurch. Wenn es der einfache Bauer
-konnte, so mußte es auch der Deichhauptmann können. Die
-Bauern aber sahen ihm noch ein Weilchen nach, dann sagte der
-eine:</p>
-
-<p>»Ein ganzer Mann mit dem Herzen auf dem rechten Flecke!«</p>
-
-<p>»Gott erhalt’ ihn!« sprach der andere.</p>
-
-<p>Der Sommer kam, und am 20. Juli ward in Reinfeld ein
-schönes Fest gefeiert, das zwei Menschen für ein ganzes reiches
-Leben verband, wie sie besser sich nicht finden konnten: Die Kraft
-und die Anmut, die Energie und die Milde hatten sich vereint –
-Otto von Bismarck hatte für sein Haus »das Herz« gefunden.</p>
-
-<p>Und nun ging es hinein in die lachende Gotteswelt, dem
-schönen Süden entgegen. Die Tiroler Alpen und die Schweizer
-Firnen sahen nieder auf das glückliche Paar, dem die ganze
-Welt zu gehören schien, und das sein Glück widerspiegelte in den
-dunkeläugigen Bergseen und in der lachenden Wonne des italienischen
-Landes.</p>
-
-<p>In der alten Dogenstadt Venedig hielten sie kurze Rast und
-fuhren über die in ernstem Schweigen ruhenden Lagunen und
-des Markusplatzes historische Pracht, aber das Herz des märkischen
-Edelmannes schlug höher, als er vernahm, daß gleichzeitig auch
-sein König Friedrich Wilhelm IV. in der alten Stadt der Wunder
-weile, und er konnte es sich nicht versagen, ihm seine Ehrerbietung
-auszudrücken.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_62">[62]</span></p>
-
-<p>Auch der König war erfreut über die Begrüßung, zumal ihm
-Bismarcks Name aus seiner jungen politischen Tätigkeit, die er
-seit kurzem entwickelte, vorteilhaft bekannt war; er unterhielt sich
-mit ihm in seiner lebhaften, geistvollen Art und war sichtlich erfreut
-über die ehrliche, schlichte Weise seines Untertans, so daß
-er ihn zur Tafel lud. Einen hoffähigen Anzug führte Bismarck
-freilich nicht auf seiner Hochzeitsreise mit, und er hatte Not, in
-Venedig etwas Passendes zu erhalten, aber das Herz, das unter
-dem geliehenen Gewande schlug, war und blieb die Hauptsache.</p>
-
-<p>Begeistert für seinen König noch mehr als zuvor, setzte
-Bismarck mit seiner jungen Gattin seine Reise fort, und erst der
-Herbst lockte ihn wieder nach der Heimat, in das trauliche Nest,
-in dem er sein Vöglein betten wollte.</p>
-
-<p>Die Altmark zeigte dem Heimkehrenden kein besonders freundliches
-Gesicht. Die Ernte war längst vorüber; kahl standen die
-Felder, durch die Kiefernbestände fauchte der Herbstwind, und
-durch den sinkenden Abend fuhr das Paar dem alten Herrensitze
-an der Elbe entgegen.</p>
-
-<p>Sie hofften überraschend zu kommen, aber der Tag ihrer
-Ankunft war doch kein Geheimnis geblieben. Über den alten,
-rauschenden Linden hin zog sich ein grüßender Lichtschimmer, und
-als der Wagen hielt, da strahlte es von hundert Lichtern und
-Fackeln, und ihr Schein vergoldete das alte Bismarckwappen
-über dem Portal, die grünen Kränze und Girlanden, die es
-reich umschlangen, und die glücklichen Gesichter einer lebendig
-bewegten Volksmenge, welche erschienen war, des Hauses junge
-Herrin festlich zu begrüßen.</p>
-
-<p>Jubelnder Zuruf klang dem Paare entgegen, höher loderten
-die Fackeln und Lichter, so daß ein rötlicher Schimmer über dem
-ganzen Bilde lag und gegen den Himmel stieg. Noch wogte die
-Lust und Freude, als Räderrasseln erklang und eine Spritze aus<span class="pagenum" id="Seite_63">[63]</span>
-dem nahen Dorfe angefahren kam, deren Bemannung, getäuscht
-durch den Lichtschein, jetzt erkannte, daß es hier nichts Ernstliches
-zu löschen gab.</p>
-
-<p>Nun konnte der Winter kommen; das freundliche Herrenschloß
-hatte seinen Sonnenschein alle Tage, und der wackere Deichhauptmann
-fand, wenn nach des Tages Mühen Frau Johanna
-im traulichen Gemache sich an den Flügel setzte und den Zauber
-der Töne mit ihren gewandten Fingern heraufbeschwor, daß es
-kein Glück gebe, dem einer anmutigen Häuslichkeit vergleichbar.</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<h2 class="nobreak" id="Fuenftes_Kapitel"><span class="smaller">Fünftes Kapitel.</span><br>
-In gärender Zeit.</h2>
-</div>
-
-<p>Das Sturmjahr 1848 war über Deutschland hingebraust.
-Die Vertreibung des französischen Königs durch sein Volk hatte
-auch hier die Geister entfesselt, und ein ungestümer Freiheitsdrang
-regte sich überall. Volksaufstände fanden da und dort statt, und
-während die Sehnsucht der Besseren nach nationaler Einigung
-Deutschlands und nach einem freieren Verfassungsleben hindrängte,
-verlangten die ungebildeten Bevölkerungsschichten sowie
-fanatische Hitzköpfe überhaupt den Umsturz alles Bestehenden, Republiken
-und Freiheit und Gleichheit aller Stände.</p>
-
-<p>Alles war aus Rand und Band, und bis in die kleinsten Orte
-hinein zitterte die Aufregung, und feindliche Parteien standen<span class="pagenum" id="Seite_64">[64]</span>
-einander gegenüber. Die Erbitterung derselben steigerte sich noch
-mehr, sobald es sich um politische Wahlen in den Landtag handelte.
-Demokratisch und königstreu waren die Schlagworte, um
-welche sich alles drehte.</p>
-
-<p>Das konnte man an einem Frühlingstage des Jahres 1849
-auch in der märkischen Stadt Rathenow sehen. In den Gassen
-war eine außergewöhnliche Bewegung, mehr noch aber war dies
-der Fall in einem der bekanntesten Gasthäuser des Ortes, in
-dessen Saale Otto von Bismarck in einer von den Königstreuen
-einberufenen Versammlung seine Kandidatenrede halten wollte.</p>
-
-<p>In der Gaststube im Erdgeschoß platzten die Geister bereits
-lebhaft aufeinander.</p>
-
-<p>»Er ist ein Junker, ein Streber, und einen solchen können
-wir nicht in der Kammer brauchen!« rief ein Mann im Schurzfell,
-und ein anderer erwiderte:</p>
-
-<p>»Aber er weiß, was er will, und das wißt ihr Demokraten
-allesamt nicht! Und er ist ein charakterfester Mann, und solche
-Leute brauchen wir heutzutage.«</p>
-
-<p>»Ach was, er schreibt Briefe an den König und läßt sich von
-ihm einladen, sperenzelt um ihn herum in Berlin und Sanssouci.«</p>
-
-<p>»Schämt Euch, Krämer« – schrie jetzt der Schornsteinfegermeister
-Wolf – »daß Ihr die Tatsachen so entstellt. Ihr wißt
-so gut wie wir, was es mit alledem für eine Bewandtnis hat.
-Den Brief hat er geschrieben, wie in Berlin alles aus Rand und
-Band war, und wie die Umstürzler unseren König so schwer beschimpft
-haben, und er hat darin nichts anderes gesagt, als was
-jeder ehrliche, brave Preuße damals gesagt hat. Daß das dem
-hohen Herrn wohltat und daß er nicht nur den Brief wochenlang
-auf seinem Schreibtische liegen ließ, sondern auch den Schreiber
-zu sich rief und um seinen Rat anging, ist doch nichts, was dem
-Herrn von Bismarck zum Vorwurf gereichen kann.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_65">[65]</span></p>
-
-<p>»Na, er hat in solchen Unterhaltungen wohl nicht fürs Volk
-geredet, sondern sein Schäflein geschoren!« rief es wieder von
-einer Seite, und unter Beifallsgebrüll nahm ein junger Mensch
-das Wort, ein herumziehender Agitator, von dem eigentlich niemand
-wußte, wer und was er war:</p>
-
-<p>»Wie gut es euer Bismarck mit dem Volke meint, hat er
-selber klar ausgesprochen. Alle großen Städte müßten vom Erdboden
-vertilgt werden, das ist sein Wort, und warum: Weil dort
-allein das Volk stark genug ist, seinen Willen durchzusetzen und
-seine Freiheit zu erzwingen, wie’s in Berlin geschehen ist. Und
-was er dem König für Ratschläge gegeben hat, das wissen wir
-ganz genau. Friedrich Wilhelm IV. war immer zu Nachgiebigkeit
-geneigt, aber Bismarck war wie der Böse dahinterher und
-suchte ihn zu reizen, durch Gewalt und mit Blut die heilige Erhebung
-des Volkes niederzuschlagen. In Potsdam hat er das
-sogar in so entschiedener Weise getan, daß die Königin hinzutretend
-gesagt haben soll: »Wie können Sie in solchen Ausdrücken
-mit Ihrem König reden?« – Das ist euer Bismarck, dem nichts
-hart genug ist, wenn dem Volke das Fell über die Ohren gezogen
-werden soll, und der unsere neue Freiheit in unserem Blute
-ersticken will. Fort mit Bismarck!«</p>
-
-<p>Und »Fort mit Bismarck!« scholl es jetzt vielstimmig, nur der
-Schornsteinfeger ließ sich nicht einschüchtern:</p>
-
-<p>»Das ist leeres Geschwätz von einem hergelaufenen Manne.
-Freiheit von eurer Sorte wünschen wir gar nicht, und uns ist
-Herr von Bismarck gerade so recht, wie er ist. Dem wühlenden
-Demagogentum, das den ehrlichen Bürgerstand beunruhigt und
-ruiniert, müssen die Zähne gezeigt werden. Wir wollen auch
-Freiheit, aber ohne den Umsturz von alledem, was uns von unseren
-Altvorderen heilig gewesen ist.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[66]</span></p>
-
-<p>Schreien und Johlen unterbrach den Sprecher, um den sich
-seine Parteigenossen drängten, denn die Gemüter wurden immer
-erhitzter, der aber rief mit lauter Stimme:</p>
-
-<p>»Das ist wohl eure Freiheit, daß ihr jeden niederbrüllt,
-der eine andere Meinung hat als ihr? – Gerade so haben sie’s
-dem Herrn von Bismarck gemacht, als er 1847 seine Jungfernrede
-im Landtage hielt. Aber er hatte gezeigt, daß er Mut und
-Kaltblütigkeit hat. Er las, während sie lärmten, seine Zeitung,
-und als sie aufhörten, nahm er sein Wort wieder auf. Das hat
-mir gefallen, und darum bleibt er mein Mann!«</p>
-
-<p>Der brave Meister war in dem Lärm und Getöse wenig
-verständlich mehr gewesen, nun trank er ruhig seinen Schoppen
-aus, und forderte seine Parteigenossen auf, mit ihm zu gehen.
-Unter dem lauten Geschrei und Hohngelächter der Gegner gingen
-die Männer hinaus und nach dem Saale, welcher schon völlig
-angefüllt war mit Menschen, die den königstreuen Kandidaten
-sehen und hören wollten.</p>
-
-<p>Otto von Bismarck war eben eingetroffen. Die im Erdgeschoß
-hatten ihn in ihrer Erregung nicht kommen sehen, zumal
-er nicht, wie man erwartet hatte, im Wagen vorfuhr. Er stand
-bereits auf der Tribüne, als der Schornsteinfegermeister mit seinen
-Gefährten eintrat. Die kraftvolle Gestalt war hoch aufgerichtet,
-aus dem vom Vollbart umrahmten frischen und energischen
-Antlitz blitzten hell und falkenklar die Augen, und die Stimme klang
-hell, vernehmlich, ja mitunter scharf.</p>
-
-<p>Er verurteilte rückhaltlos die Vorgänge, welche in der
-revolutionären Bewegung in Berlin zur Demütigung des Königtums
-geführt hatten, und entwickelte seinen Standpunkt, wie er
-ihn wiederholt furchtlos und entschieden im Abgeordnetenhause
-betont hatte:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[67]</span></p>
-
-<p>»Der Prinzipienstreit, welcher in diesem Jahre Europa in
-seinen Grundfesten erschüttert hat, ist ein solcher, der sich nicht
-vermitteln läßt. Die Prinzipien beruhen auf entgegengesetzten
-Grundlagen, die von Haus aus einander ausschließen. Das eine
-zieht seine Rechtsquelle angeblich aus dem Volkswillen, in Wahrheit
-aber aus dem Faustrecht der Barrikaden. Das andere gründet
-sich auf eine von Gott eingesetzte Obrigkeit, auf eine Obrigkeit
-von Gottes Gnaden, und führt seine Entwicklung in der organischen
-Anknüpfung an den verfassungsmäßig bestehenden Rechtszustand.
-Dem einen dieser Prinzipien sind Aufrührer jeder Art
-heldenmütige Vorkämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht, dem
-anderen sind sie Rebellen. Über diese Prinzipien wird nicht durch
-parlamentarische Debatten eine Entscheidung erfolgen können; über
-kurz oder lang muß der Gott, der die Schlachten lenkt, die
-eisernen Würfel der Entscheidung darüber werfen. Ich aber werde
-leben und sterben für den Grundsatz der Treue zu König und
-Vaterland, und muß es nun Ihnen überlassen, ob Sie mich für
-den rechten Mann halten, Ihre Anschauungen zu vertreten.«</p>
-
-<p>Im Saale klang lauter Beifall, der bis auf die Gasse hinausdrang.
-Dort aber fand er keinen Widerhall. Der junge demokratische
-Agitator hatte in der Wirtsstube auch das Eisen in
-seinem Sinne geschmiedet, und die Bewegung war bis auf die
-Straße hinaus gedrungen. Der Schornsteinfegermeister Wolf, der
-nahe an dem Fenster des Saales stand, blickte hinunter und sah
-die vielköpfige erregte Menge, die mit heißen Gesichtern, glühenden
-Augen und geballten Fäusten sich hier drängte.</p>
-
-<p>Da aber jetzt Bismarck den Saal verlassen wollte, suchte
-der wackere Mann eilig zu ihm heranzukommen und sagte:</p>
-
-<p>»Herr von Bismarck, gehen Sie jetzt nicht hinaus, sie wollen
-Ihnen an den Leib.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[68]</span></p>
-
-<p>Der Angeredete hob seine mächtige Gestalt höher, ein beinahe
-spöttisches Lächeln umflog den Mund, und die Augen schauten
-furchtlos und ruhig drein, als er erwiderte:</p>
-
-<p>»Ach, glauben Sie doch den Bläffern nicht!«</p>
-
-<p>Ohne weiter sich aufzuhalten, trat er auf den Vorsaal und
-ging die Treppe hinab. Im Hausflur bereits stand eine johlende
-Menge. Geschrei, Zischen, niedrige Schimpfworte flogen ihm
-entgegen, und einige geballte Fäuste hoben sich wider ihn.</p>
-
-<p>»Rebellen hat er uns genannt – totschießen will er uns
-lassen – fort mit dem Junkerregiment!« so schrie es ihm auch
-von der Gasse entgegen, aber mit festem Blick schaute er über
-die Menge hin, und während Meister Wolf und der Stadtschreiber
-Noack ihn in die Mitte nahmen, schritt er hochaufgerichtet,
-mit ruhiger Sicherheit durch das Volk, das ihm eine Gasse machte
-und dem kühnen Recken nicht den Weg zu verlegen wagte.</p>
-
-<p>So kam er nach dem Gasthause, wo sein Wagen stand. Die
-aufgeregten und von dem unreifen Hetzer aufgereizten Leute waren
-ihm auch bis hierher gefolgt und schienen seine Abfahrt hindern
-zu wollen. Die Lage war äußerst unbehaglich, und als er aus
-dem Hause trat, gelang es ihm nur mit Mühe, an das Gefährt
-heranzukommen und dasselbe zu besteigen.</p>
-
-<p>Wilder und ungestümer aber brach jetzt das Geschrei und
-Pfeifen los, und aus der gedrängten Schar sausten Steine nach
-dem kühnen Manne. Einer derselben traf wuchtig seinen linken
-Arm und fiel in den Wagen. Einen Augenblick übermannte ihn
-jetzt Zorn und Schmerz: er ergriff den Stein und sprang von
-seinem Sitz empor mit flammenden Augen, und wie er so den
-Arm erhob zum Wurfe, da drängte das feige Gesindel zurück vor
-der imponierenden Erscheinung. Das gab ihm seine Ruhe wieder.
-Es schien ihm unwürdig, hier Gleiches mit Gleichem zu vergelten,
-mit einer verächtlichen Gebärde warf er seinen Angreifern den<span class="pagenum" id="Seite_69">[69]</span>
-Stein vor die Füße, legte sich in den Sitz zurück, rief dem
-Kutscher zu: »Vorwärts!« und gleich darauf zogen die bereits
-unruhigen Tiere an, und durch die zu beiden Seiten zurückweichende
-Menge fuhr der Wagen rasch dahin durch die Gasse.</p>
-
-<p>Die Rathenower wählten aber doch Bismarck wiederum zu
-ihrem Abgeordneten, und so reiste er, nachdem er zuvor in seiner
-freundlichen Häuslichkeit zu Schönhausen gewesen, neuerdings
-nach Berlin, um den übernommenen Pflichten zu genügen.</p>
-
-<p>Im Eisenbahnkupee saß er mit einem alten Herrn, einem
-ehemaligen Offizier, beisammen und unterhielt sich mit diesem
-über die politische Lage. Da stieg in einer Zwischenstation ein
-junges Herrchen ein, der sein Gepäck – allem Anschein nach
-einen Musterkoffer – ziemlich herausfordernd auf den Sitz legte,
-sich dann in eine Ecke lehnte und nun mit überlegen spöttischem
-Blicke die beiden Herren betrachtete, welche sich in ihrem ruhigen
-Gespräche nicht stören ließen.</p>
-
-<p>Der alte Offizier hatte eben sein Bedauern darüber ausgesprochen,
-daß bei den Berliner Straßenunruhen der König das
-Militär zurückgezogen und sich in die Hand des Volkes gegeben
-hatte, da warf der junge Mann eine höhnische Bemerkung dazwischen:</p>
-
-<p>»Ja, die Volkssouveränität paßt manchem nicht in den Kram,
-glaub’s wohl, aber gottlob, mit Säbelrasseln und feudalen
-Phrasen wird die neue Zeit nicht aufgehalten. Es geht ein
-scharfer Wind für die Junker, und er wird manche alten Vorrechte
-wegblasen. Ja, Freiheit und Gleichheit! Freiheit und
-Gleichheit!«</p>
-
-<p>Bismarck sah den Menschen mit einem durchdringenden Blicke
-an, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, jener aber perorierte,
-unbekümmert um die beiden anderen, in seiner geschwätzigen Art
-weiter. Seine Ansichten waren so unreif, daß der alte Offizier,<span class="pagenum" id="Seite_70">[70]</span>
-obwohl gerade er sich vielfach hätte verletzt fühlen dürfen, es
-doch nicht der Mühe wert hielt, mit dem kecken Angreifer anzubinden,
-der dadurch nur immer mehr ermutigt zu werden schien.
-Bismarck aber hatte ihn immer wieder einmal mit seinen scharfen
-Augen gemessen und dann sein Gespräch mit seinem Gegenüber
-fortgesetzt, als ob der vorlaute Musterreiter Luft wäre.</p>
-
-<p>Nun hielt der Zug auf dem Bahnhofe in Berlin. Der
-Reisende war ausgestiegen, und nachdem Bismarck sich rasch von
-dem Offizier verabschiedet, verließ auch er das Kupee. Mit
-einigen weitausgreifenden Schritten stand er vor dem jungen
-Manne, seine mächtige Gestalt hoch aufrichtend und die blitzenden
-Augen ihm in das Gesicht bohrend, so daß derselbe beinahe scheu
-zurückwich. Wiederum machte Bismarck einen Schritt auf ihn zu,
-mit seinen mächtigen Blicken ihn bannend, so daß der andere abermals
-zurücktrat. Der unerbittliche Verfolger aber heftete sich an
-seinen Fuß und drängte ihn so vor sich her, bis der geängstigte
-Reisende beinahe an die Wand gedrückt war.</p>
-
-<p>»Wie heißen Sie denn?« fragte der Verfolger kalt und fest,
-und der andere stotterte in Befangenheit und Ängstlichkeit:</p>
-
-<p>»Ich – ich heiße Nelke!«</p>
-
-<p>»Dann hüten Sie sich, Sie Nelke, wenn Sie nicht von mir
-gepflückt werden wollen!«</p>
-
-<p>Noch einmal sah Bismarck dem zerknirschten Schwätzer in
-das blasse Gesicht, dann wendete er sich langsam ab und schritt
-ruhig den Perron entlang.</p>
-
-<p>Berlin selbst wollte ihm jetzt gar nicht gefallen. Die neue
-Zeit rumorte hier zu sehr in allen Köpfen, und ihre Zeichen
-machten sich auf Schritt und Tritt bemerkbar. Selbst der Drang
-nach einer nationalen Einheit, welcher die besten deutschen Herzen
-erfüllte, hatte für Bismarck etwas beinahe Unheimliches, weil daneben
-auch jener unklare Freiheitsdrang sich breitmachte, der am<span class="pagenum" id="Seite_71">[71]</span>
-liebsten Thron und Krone hinweggefegt hätte und aus Deutschland
-eine Republik machen wollte.</p>
-
-<p>Diese Bestrebungen traten deutlich genug hervor bei der seit dem
-18. Mai 1848 in Frankfurt a. M. tagenden deutschen Nationalversammlung,
-welcher Männer aus ganz Deutschland angehörten,
-welche den Bundestag beseitigte, einen Reichsverweser in der
-Person des Erzherzogs Johann von Österreich wählte und nun
-die »Grundrechte des deutschen Volkes« und eine »Verfassung für
-Gesamtdeutschland« beriet. Da platzten die Geister oft stürmisch
-aufeinander, und selbst die vielen vortrefflichen Männer, die, erfüllt
-von wahrer Begeisterung für das Wohl des deutschen Volkes,
-ihre beste Kraft und Überzeugung einsetzten, konnten nicht immer
-den revolutionären Demokraten, welchen die Freiheit über die
-Einheit ging, einen Damm setzen, und es kam in Frankfurt selbst
-unter den Augen der Nationalversammlung zu den rohesten Ausschreitungen
-des fanatischen Pöbels.</p>
-
-<p>Endlich war man aber doch einig geworden, daß fortan ein
-erblicher Kaiser an der Spitze Deutschlands stehen solle, und als
-solcher war am 28. März 1849 mit geringer Stimmenmehrheit
-König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gewählt worden.</p>
-
-<p>Der zweite April fand Berlin in einer ganz besonderen Erregung.
-Die Abgesandten der Frankfurter Nationalversammlung
-trafen ein, um dem König die Kaiserkrone anzubieten. In den
-Straßen war ein fröhliches Wogen und Treiben, die hochgehende
-Begeisterung jauchzte den einziehenden Abgeordneten zu, und der
-Traum der deutschen Einheit schien sich verwirklichen zu sollen.</p>
-
-<p>Um so größer war die Enttäuschung, als schon am nächsten
-Tage die Nachricht von Mund zu Munde ging, der König habe
-die Deputation im Rittersaale des Schlosses feierlich empfangen,
-aber sich nicht entschließen können, die ihm gebotene Krone aus
-den Händen des Volkes anzunehmen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_72">[72]</span></p>
-
-<p>Wie ein Mehltau fiel es auf die Hoffnungen und Erwartungen
-der Besten, und als die Kunde nach Frankfurt kam, wirkte sie
-hier so niederdrückend auf alle Gutgesinnten, daß die radikalen
-Stürmer und Dränger wieder die Oberhand gewannen und infolgedessen
-da und dort wieder revolutionäre Erhebungen stattfanden,
-und daß sich endlich das Parlament auflöste, beziehentlich
-der nach Württemberg übergesiedelte Rest desselben, das sogenannte
-»Rumpfparlament«, gewaltsam aufgelöst wurde.</p>
-
-<p>In Berlin gingen nach der Ablehnung der Kaiserkrone die
-Wogen der Bewegung noch immer hoch, und der Landtag beriet
-am 20. April über die Frankfurter Reichsverfassung und über
-Schritte, um den König noch nachträglich zur Annahme der Kaiserwürde
-zu bewegen.</p>
-
-<p>Bismarck gehörte zu jenen, welche sich nicht überzeugen konnten,
-daß auf den damaligen Grundlagen eine wirkliche Einigung
-Deutschlands erreicht werden könne, und daß die Eifersucht Österreichs
-und anderer deutscher Staaten an der leitenden Stellung
-Preußens fortwährend rütteln würde, so daß es ihm richtiger
-schien, daß dieses für sich selbst auf starke Füße gestellt werde und
-nicht seine Kraft unfruchtbaren Bestrebungen opfere.</p>
-
-<p>So trat er auch im Abgeordnetenhause unerschrocken für
-diese Überzeugung ein. Am 20. April stand er auf der Tribüne
-und erklärte:</p>
-
-<p>»Ich habe als Abgeordneter die Ehre, die Kur- und Hauptstadt
-Brandenburg zu vertreten, welche dieser Provinz, der Grundlage
-und Wiege der preußischen Monarchie, den Namen gegeben
-hat, und ich fühle mich deshalb um so stärker verpflichtet, mich
-der Diskussion eines Antrages zu widersetzen, welcher darauf ausgeht,
-das Staatsgebäude, welches Jahrhunderte des Ruhmes und
-der Vaterlandsliebe errichtet haben, welches von Grund aus
-mit dem Blute unserer Väter gestiftet ist, zu untergraben und<span class="pagenum" id="Seite_73">[73]</span>
-einstürzen zu lassen. Die Frankfurter Krone mag sehr glänzend
-sein, aber das Gold, welches dem Glanze Wahrheit verleiht, soll
-erst durch das Einschmelzen der preußischen Krone gewonnen
-werden, und ich habe kein Vertrauen, daß der Umguß mit der
-Form dieser Verfassung gelingen werde.«</p>
-
-<p>Noch energischer äußerte er sich in diesem Sinne am sechsten
-September. Inzwischen hatte aber Preußen einen anderen Einigungsversuch
-gemacht und mit Sachsen und Hannover das »Dreikönigbündnis«
-geschlossen, dem sich eine Anzahl anderer deutschen
-Staaten anschloß. Aber Österreichs Einfluß wußte die beiden
-Königreiche wieder von Preußen zu trennen, welches nun mit den
-übriggebliebenen Bundesstaaten die sogenannte »Union« bildete
-und, um derselben eine einheitliche Verfassung zu geben, ein Parlament
-nach Erfurt einzuberufen beschloß.</p>
-
-<p>In dieser Zeit saß Bismarck eines Abends in seiner Wohnung,
-Dorotheenstraße 37, mit einigen politischen Freunden beisammen.
-Das Heim war schlicht, aber gemütlich; die Lampe warf ihren
-milden Schein über den breiten Tisch und auf die geistvollen Gesichter,
-um die behaglicher, blauer Tabaksdampf sich wölkte, und
-in den Gläsern schäumte der braune Gerstensaft. Der Hausherr
-saugte an »dem geliebten Rohre«, aber dazwischen wetterleuchtete
-es aus seinen Augen, und seine Hand legte sich manchmal geballt
-auf den Tisch, da er sagte:</p>
-
-<p>»Laßt sie doch uns »Stockpreußen« schelten, ’s ist kein
-schlechter Titel, und ich kann nur wiederholen, was ich in der
-Kammer gesagt habe: Das Stockpreußentum, wie es vor allem
-in der Armee vorhanden ist, ist unsere Stütze. Und so gut unsere
-Soldaten unter der schwarzweißen Fahne bisher sich ehrenhaft
-geschlagen und wohlbefunden haben, so gelüstet es weder sie noch
-uns, für das erprobte alte Banner ein neues dreifarbiges einzutauschen,
-dessen Dauerhaftigkeit unter den jetzigen Verhältnissen<span class="pagenum" id="Seite_74">[74]</span>
-sehr zu bezweifeln ist. Wir wollen einmal dem preußischen Adler
-nicht die Flügel stutzen lassen durch die gleichmachende Heckenschere
-aus Frankfurt.«</p>
-
-<p>»Und was versprichst du dir eigentlich von der Union?«
-fragte einer der Gäste.</p>
-
-<p>»So gut wie nichts, sie wird an der Eifersucht Österreichs,
-dem wir zunächst noch nicht die Zähne zu zeigen uns getrauen,
-zugrunde gehen. Das Erfurter Parlament verläuft im Sande,
-verlaßt euch darauf!«</p>
-
-<p>»So hast du wohl gar keine Neigung, dich hineinwählen zu
-lassen?«</p>
-
-<p>»Neigung? – Nein! Aber wenn ich gewählt werde, werde
-ich gehen, um auch dort Preußens Rechte zu vertreten. – Aber
-nun, Freunde – politisch Lied, ein garstig Lied! Laßt uns etwas
-anderes reden. Wißt ihr auch, daß ich unter die Poeten gegangen
-bin?«</p>
-
-<p>Ein allgemeines »Ah!« dann wurde eine Stimme laut, –
-es war die <em class="gesperrt">Savignys</em> – welche Proben verlangte.</p>
-
-<p>»Eine Probe soll euch werden, aber ich bitte um nachsichtige
-Beurteilung, damit ich mit meinem <em class="antiqua">gradus ad parnassum</em> nicht
-eingeschüchtert werde. Zuerst aber sollt ihr sehen, was mich begeistert
-hat, und ich hoffe auf eure Anerkennung.«</p>
-
-<p>Er holte aus einem Schranke eine ziemlich umfangreiche
-braunfarbige Kaffeetasse und stellte sie vor die Freunde hin.</p>
-
-<p>»Na, ist das nicht ein stattliches Objekt für eine Poetenleier?«</p>
-
-<p>»Aber nun auch die Verse dazu!« rief <em class="gesperrt">André</em>.</p>
-
-<p>»Eins nach dem anderen. Zunächst müßt ihr wissen, daß
-dieser praktische Haushaltungsgegenstand zu einem Geburtstagsgeschenk
-bestimmt ist für unseren hagestolzen alten Freund Kleist-Retzow.
-Und nun das Poem!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_75">[75]</span></p>
-
-<p>Er las, behaglich sich in seinem Sitze zurücklehnend, mit
-komischem Pathos:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">»Nicht ganz so schwarz wie Ebenholz,</div>
- <div class="verse indent0">Doch braun wie Mahagonig,</div>
- <div class="verse indent0">Wünsch’ ich dir, aller Pommern Stolz,</div>
- <div class="verse indent0">Ein Leben süß wie Honig.</div>
- <div class="verse indent0">Wenn Wenzel<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> dich gelangweilt hat,</div>
- <div class="verse indent0">Schwerin<a id="FNAnker_1a" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> den Zorn erregt in dir,</div>
- <div class="verse indent0">Wenn übel dir vom Beckerrath,<a id="FNAnker_1b" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a></div>
- <div class="verse indent0">Dann, Hans, erhole dich bei mir!</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Wenn dann der Kaffee dir behagt</div>
- <div class="verse indent0">Und du, um streng dich zu kastei’n,</div>
- <div class="verse indent0">Die zweite Tasse dir versagt,</div>
- <div class="verse indent0">Dann, Hans, laß mich die erste sein!</div>
- <div class="verse indent0">Und schein’ ich dir zu groß und weit</div>
- <div class="verse indent0">Für ein so kleines Landrätlein,</div>
- <div class="verse indent0">So denk: Es ist die höchste Zeit,</div>
- <div class="verse indent0">Dir eine Gattin anzufrei’n.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Ihr trinkt aus mir dann alle beide</div>
- <div class="verse indent0">Kaffee, Schok’lade oder Thee</div>
- <div class="verse indent0">Zu Tante Adelgundens Freude</div>
- <div class="verse indent0">Zu Kiekow auf dem Kanapee.</div>
- <div class="verse indent0">Geliebter Onkel Schievelbein,</div>
- <div class="verse indent0">Schaff’ bald uns eine Tante,</div>
- <div class="verse indent0">Dann wirst du alles hocherfreu’n,</div>
- <div class="verse indent0">Was jemals Hans dich nannte.«</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Namen von Abgeordneten.</p>
-</div>
-</div>
-
-<p>Fröhliches Lachen lohnte den Vortrag, und die Geister des
-Humors begannen in dem gemütlichen Raume jetzt ihre Flügel
-freier zu regen.</p>
-
-<p>Noch im selben Winter kam ein Weihnachtskind in der Dorotheenstraße
-37 an, ein kleiner Junker von Bismarck, der am
-28. Dezember erschien und am 12. Februar 1850 durch den
-Prediger Gaßner auf die Namen Nikolaus Heinrich Ferdinand
-<em class="gesperrt">Herbert</em> getauft wurde. Die Freude war groß, da es jetzt ein
-mit dem am 21. August 1848 geborenen Töchterchen <em class="gesperrt">Marie</em> ein<span class="pagenum" id="Seite_76">[76]</span>
-prächtiges Pärchen gab, an dessen frischem Gedeihen und munterem
-Wesen die Eltern ihre herzliche Freude hatten.</p>
-
-<p>Bei solchem Familienglück war es Bismarck nicht besonders
-erfreulich, im kommenden Frühjahr nach Erfurt zu gehen, wohin
-er wirklich in das Unions-Parlament gewählt war. Auch hier
-vertrat er seinen absolut preußischen Standpunkt und war froh,
-als der Reichstag am 29. April geschlossen wurde, nachdem allerdings
-die vorgelegte Verfassung Annahme gefunden hatte.</p>
-
-<p>Aber nun erhob sich drohend die österreichische Regierung,
-verlangte entschieden die Herstellung des alten deutschen Bundestags,
-auf welchem sie den ersten Rang einnahm, und lud sämtliche
-deutsche Fürsten zur Beschickung desselben ein. Deutschland
-stand in zwei starken Parteien sich gegenüber, die Erregung stieg
-auf beiden Seiten so weit, daß in Kurhessen, wo das Volk sich
-gegen den Druck des Ministers Hassenpflug auf das entschiedenste
-wehrte, es zwischen ihnen beinahe zu einem blutigen Zusammenstoß
-gekommen wäre. Friedrich Wilhelm IV., eingeschüchtert durch
-das Dazwischentreten und die Drohungen des russischen Kaisers
-Nikolaus, fürchtete jedoch einen entscheidenden Schritt und gab in
-der Angelegenheit nach. Es kam der Tag von Olmütz (29. November
-1850), der in der preußischen Geschichte kein Ruhmesblatt bedeutet,
-an welchem der Minister von Manteuffel dem österreichischen
-Minister Schwarzenberg gegenüber die Auflösung der
-»Union« und die Beteiligung Preußens an dem wiederhergestellten
-Bundestage zugestand nebst einigem anderen, was drum- und
-dranhing.</p>
-
-<p>Inzwischen hatte Bismarck im Sommer sein liebes, stilles
-Schönhausen aufgesucht und mit Frau Johanna und seinem kleinen
-munteren Pärchen sich der Ruhe und Muße hingegeben, welche
-ihm nach den parlamentarischen Kämpfen ungemein wohltat.</p>
-
-<p>Aber die Idylle fand eine kleine Unterbrechung.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_77">[77]</span></p>
-
-<p>Ein andauerndes Unwohlsein des Töchterchens machte einen
-Aufenthalt an der See notwendig, und so ungern Bismarck sich
-aus dem Behagen seines Landsitzes herausriß, der Rat des Arztes,
-das zärtliche Drängen seiner Gemahlin bewogen ihn zuletzt doch,
-auf einige Wochen nach Stolpmünde zu gehen.</p>
-
-<p>Dann kamen wieder der Berliner Ärger und die Kammerverhandlungen
-den Winter durch bis hinein in das Jahr 1851.</p>
-
-<p>Um die Osterzeit desselben brach er aber auf aus der Residenz,
-um auf einige Wochen zu seinen Schwiegereltern zu gehen nach
-Reinfeld in Pommern. Die behagliche stille Häuslichkeit hier tat
-ihm wohl. Herr von Puttkamer mit dem Samtkäppchen auf
-dem greisen Haupte waltete hier wie ein guter Patriarch in Ehrbarkeit
-und Frömmigkeit, und von ihm und seiner trefflichen Frau
-ging es wie ein stiller Segen aus durch das ganze Haus. Das war
-ein Ort, so recht zu kurzdauernder Erholung, aber Bismarck sollte
-auch hier nicht finden, was er suchte.</p>
-
-<p>Eines Tages saß er mit seinem Schwiegervater beisammen
-und sprach von der Wirtschaft und den Pferden und Hunden,
-als die Post gebracht wurde. Ein Schreiben mit dem Siegel
-des Ministerpräsidenten von Manteuffel fiel ihm in die Hand,
-und er betrachtete es einige Sekunden mit beinahe bedenklichen
-Blicken. Dann öffnete er es, las flüchtig, lehnte sich mit einem
-tiefen Atemzuge in seinen Sitz, und seine Hand mit dem Briefe
-sank schwer auf den Tisch.</p>
-
-<p>»Nach Frankfurt soll ich zum Bundestage als preußischer
-Gesandter, – der Minister fragt, ob ich will.«</p>
-
-<p>Herr von Puttkamer neigte sich in Erregung gegen ihn vor.</p>
-
-<p>»Ja, besorgt das nicht der General von Rochow? Was bedeutet
-das?«</p>
-
-<p>»Rochow soll, wie ich schon früher munkeln hörte, als Gesandter
-nach Petersburg zurückgehen. – Aber das kommt mir<span class="pagenum" id="Seite_78">[78]</span>
-so unerwartet, daß mir’s doch ein wenig in die Glieder schlägt.
-Das ist weder ein besonders angenehmer, noch besonders leichter
-Posten.«</p>
-
-<p>»Nein, gewiß nicht,« sagte der alte Herr, »da wird einer
-gebraucht, der diplomatisches Geschick und Festigkeit zugleich hat,
-um mit den Beziehungen zwischen Österreich und Preußen fertig
-zu werden, ohne daß auf der einen Seite gereizt, auf der anderen
-etwas vergeben wird. Der Antrag will recht wohl erwogen
-sein!«</p>
-
-<p>»Klar genug sehe ich die Verhältnisse,« sprach Bismarck
-lebhaft, – »Österreich hat es darauf abgesehen, Preußen kleinzukriegen
-und womöglich wegzuwischen aus der Reihe der maßgebenden
-Mächte. Da heißt’s die Augen offen und den Nacken
-steif halten. Die Sache wird mir verlockend. Wenn mein
-König dafür hält, daß ich für den Posten brauchbar bin, werde
-ich ihm meine schwache Kraft nicht versagen.«</p>
-
-<p>»Aber Otto, fehlt dir gerade für diese Stellung – du hast
-gewiegte Staatsmänner dort – nicht die nötige diplomatische
-Erfahrung?«</p>
-
-<p>»Erfahrungen müssen <em class="gesperrt">gemacht</em> werden. Papa – und
-übertölpeln lasse ich mich doch nicht so leicht. Mit Patriotismus
-und Energie und mit etwas natürlicher Klugheit läßt sich schon
-etwas wagen. Zudem weißt du ja, daß schwierige Aufgaben
-und harte Nüsse meine Spezialität sind. Das habe ich auch einmal
-einem gewissen Herrn von Puttkamer bewiesen, der mir seine
-Tochter nicht zur Frau geben wollte.«</p>
-
-<p>Der alte Herr lächelte:</p>
-
-<p>»Na ja, einen festen Kopf hast du, und er sitzt auch, wie
-das Herz, auf dem rechten Flecke. Tue, was du für recht hältst,
-und wozu dich dein Empfinden als Mann und Untertan treibt.«</p>
-
-<p>Und so schrieb Bismarck an den Minister von Manteuffel,<span class="pagenum" id="Seite_79">[79]</span>
-daß er nach Potsdam kommen und sich Seiner Majestät allergehorsamst
-zur Verfügung stellen werde.</p>
-
-<p>In dem Lustschlosse des großen Friedrich, dem herrlichen,
-grünumlaubten Sanssouci, stellte er sich dem König vor. Friedrich
-Wilhelm IV. betrachtete mit Wohlgefallen den prächtigen, hochgewachsenen
-Mann mit den hellen, treuen Augen, den er schon
-lange um seiner ehrlichen Geradheit und um seiner altpreußischen
-Gesinnung hochschätzte, und sagte:</p>
-
-<p>»Lieber Bismarck, Sie wissen, um was es sich handelt, und
-ich höre zu meiner Freude von dem Minister von Manteuffel,
-daß Sie nicht abgeneigt sind, Preußen in Frankfurt zu vertreten.«</p>
-
-<p>Einfach und schlicht erwiderte der Angeredete:</p>
-
-<p>»Wenn Eure Majestät es mit mir versuchen wollen, so bin
-ich bereit dazu.«</p>
-
-<p>Wieder sah Friedrich Wilhelm den Mann groß und beinahe
-mit Verwunderung an.</p>
-
-<p>»Aber Frankfurt ist ein schlechter Boden; und es läßt sich
-nicht hehlen, daß gerade Preußen darauf nicht den besten Stand
-hat; ich bewundere eigentlich Ihren Mut.«</p>
-
-<p>Da erwiderte Bismarck:</p>
-
-<p>»Eure Majestät bekunden durch meine Ernennung einen
-noch größeren Mut. Wenn Allerhöchstdieselben mich zu dem
-Amte zu berufen geruhen, so hoffe ich, daß mir Gott die Kraft
-geben wird, es auszufüllen. Eure Majestät können es ja mit
-mir versuchen; geht es nicht, so ist’s ja leicht, mich wieder nach
-Hause zu rufen.«</p>
-
-<p>Das klang so fest und doch so schlicht und gerade, daß der
-König beinahe ergriffen von der Antwort war und erwiderte:</p>
-
-<p>»Dann versuchen Sie es mit Gott!«</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[80]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Sechstes_Kapitel"><span class="smaller">Sechstes Kapitel.</span><br>
-Der Bundestagsgesandte.</h2>
-</div>
-
-<p>Im alten Frankfurt a. M. liegt in der Bockenheimer Landstraße
-eine freundliche Villa; inmitten grüner Gartenanlagen
-erhebt sich der geschmackvolle Bau, in welchem auch der Reichsverweser
-Erzherzog Johann von Österreich gewohnt hatte. Im
-Sommer des Jahres 1851 hatte hier der preußische Bundestagsgesandte
-Otto von Bismarck seinen Sitz aufgeschlagen und sein
-ganzes Familienglück mit hereingebracht in das freundliche Haus.</p>
-
-<p>Die Sonne blinkte noch in die Tautropfen im Grase, und
-eine wohlige Kühle wehte von Baum und Strauch her, als er,
-von einem Morgenritte heimgekehrt, durch den Garten schritt,
-um einen lieben Besuch aufzufinden, den ihm das Geschick gestern
-in sein Haus geweht, und der nach Aussage des Dieners auch
-bereits im Freien war. Auf einem sonnigen Plätzchen traf er
-ihn und grüßte ihn mit Herzlichkeit.</p>
-
-<p>»Guten Morgen, lieber Motley, Sie sind also auch ein
-Frühaufsteher!«</p>
-
-<p>»Die Sonne und die Vögel locken, und hier läßt sich so gut
-träumen.«</p>
-
-<p>»Wovon träumen Sie denn, wenn’s erlaubt ist zu fragen?«</p>
-
-<p>Damit setzte sich Bismarck neben den Engländer, und dieser
-erwiderte lächelnd:</p>
-
-<p>»Ich habe die Vergangenheit ein wenig Revue passieren
-lassen. Da tauchten mir die Göttinger Tage wieder auf, die
-wir zusammen verlebten, und ich sah Sie wieder als den flotten<span class="pagenum" id="Seite_81">[81]</span>
-Burschen, der in der Kneipe und auf dem Paukboden mehr zu
-finden war als in den Kollegien, und dann dachte ich wieder
-an unsere Berliner Zeit, an die Stunden, da Kaiserlingk uns
-Beethovensche Sonaten spielte, und nun finde ich Sie in glücklichster
-Häuslichkeit und zugleich als hervorragenden Diplomaten.
-Verwunderlich ist mir’s just nicht, denn daß Sie aus dem Holze geschnitzt
-sind, aus welchem man Männer macht, die schlechthin alles
-fertigbringen, was sie wollen, ist mir schon in früherer Zeit klargeworden,
-und Frankfurt ist wohl auch der Boden, wo Sie Gelegenheit
-haben, Kräfte zu zeigen.«</p>
-
-<p>»Sauer gemacht wird einem mitunter das Leben, aber unterkriegen
-sollen sie mich nicht so leicht. Sie wissen ja, wie die Dinge
-liegen. Österreich spielt hier die erste Geige, und die anderen hören
-in stummer Bewunderung zu und klatschen Beifall. Das ist nun
-meine Sache nicht, besonders wenn meine eigene Fiedel auf einen
-anderen Ton, auf den preußischen, gestimmt ist. Sie glauben gar
-nicht, welche Demütigungen man mitunter Preußen zumutet, oft
-bis ins Kleinliche hinein. Aber ich werde dem einen Damm
-stecken.«</p>
-
-<p>»Woran liegt das aber?«</p>
-
-<p>Bismarck zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Von Wien weht keine gute Luft her. Der Minister
-Schwarzenberg hat rundheraus erklärt, daß er Preußen erst erniedrigen
-und dann vernichten will. Und der Bundestagspräsident,
-Graf Thun, im ganzen ein recht genießbarer Herr,
-muß diesen völkerfreundlichen Absichten Rechenschaft tragen. Da
-lobe ich mir noch den alten Fürsten Metternich, den ehemaligen
-berühmten österreichischen Staatslenker, welchen ich jüngst auf
-seinem Schloß Johannisberg am Rhein besuchte, der war doch
-nicht gar so preußenfeindlich.«</p>
-
-<p>»Von diesem Besuche habe ich gehört, und der alte Herr,<span class="pagenum" id="Seite_82">[82]</span>
-dem sonst nicht jeder paßt, soll ganz entzückt von Ihnen gewesen
-sein.«</p>
-
-<p>»Ja, das ist einfach zu erklären: Ich habe seine Geschichten
-ruhig angehört und nur manchmal die Glocke angezogen, daß
-sie weiterklang. Das hat dem redseligen alten Herrn gefallen.
-Na, ich denke auch Schwarzenberg mit der Zeit noch einige
-Achtung abzunötigen. Den Anfang habe ich schon mit dem und
-jenem gemacht. Da hatte Österreich einen Ausschuß – natürlich
-ohne Zuziehung Preußens – eingesetzt, der über die Sitzungsprotokolle
-und deren eventuelle Veröffentlichung beraten sollte.
-Freilich wäre Preußen bei den Publikationen schlecht weggekommen.
-Da bin ich den Herren in die Parade gefahren, und die
-Sache ist seitdem unterblieben. Und solche Geschichten könnte ich
-Ihnen noch manche erzählen; aber nun kommen Sie, meine Frau
-wird mit dem Frühstück warten, und nach demselben müssen Sie
-mich entschuldigen: Ich habe eine Sitzung im Militärausschuß!«</p>
-
-<p>Er faßte den Freund unter dem Arm und führte ihn nach
-dem Hause, wo Frau Johanna anmutig und freundlich wie ein
-Frühlingsmorgen die Herren begrüßte, und wo Bismarck erst
-noch einmal nach seinen Kindern sah und sie fröhlich in die Luft
-hob, ehe er sich zu Tische setzte. Hier war er ganz glücklicher Gatte
-und Vater, ganz von fröhlichem Humor übersprudelnder Gastfreund.</p>
-
-<p>Ernster sah er drein, als er nicht lange danach an dem
-grünen Tische saß im Parterre des Taxisschen Palais. Auch
-hier winkten die grünen Bäume herein zu den Fenstern, aber in
-dem Raume herrschte eine etwas dumpfe Luft, und der Verkehr
-der anwesenden Herren war ziemlich gemessen und formell.</p>
-
-<p>Sie saßen in ihren Sesseln, genau nach der Rangordnung,
-die Vertreter der fünf deutschen Königreiche und des Großherzogtums
-Hessen. Der Präsidialsitz war noch unbesetzt, aber auch<span class="pagenum" id="Seite_83">[83]</span>
-Graf Thun ließ nicht lange auf sich warten. Er kam mit elastischen
-Schritten, so daß er im ersten Augenblicke wohl für einen lebenslustigen
-aristokratischen Herrn, aber nicht für einen Diplomaten
-hätte angesehen werden können, blies vergnüglich den Rauch seiner
-Havannazigarre von sich, grüßte liebenswürdig herablassend die
-Herren »Kollegen« und setzte sich dann an seinen Platz oben an
-dem Tische.</p>
-
-<p>Daß Graf Thun rauchte, und zwar <em class="gesperrt">allein</em> rauchte, während
-kein anderer der Herren es wagte, dies Präsidialvorrecht
-ihm streitig zu machen, hatte Bismarck bereits früher mit Mißbehagen
-gesehen. Diesmal schien sich der Vorsitzende mit ganz besonderem
-Vergnügen dem Genuß hinzugeben; die bläulichen Wölkchen
-zogen an dem Gesichte des preußischen Gesandten hin, der
-feine Duft hatte etwas Verlockendes; und da diesem nicht einleuchtete,
-weshalb Preußen hier am grünen Tische nicht tun sollte,
-was Österreich sich erlaubte, zog er mit feinem Lächeln sein
-Zigarrenetui hervor, bat sich von Graf Thun etwas Feuer aus, und
-gleich darauf blies auch er die blauen Ringe in die Luft, gleichmütig,
-behaglich, als ob sich das just so gehörte, während die anderen
-Herren verwundert, ja, beinahe verblüfft schienen über den an
-sich so unbedeutenden Vorgang.</p>
-
-<p>Daheim erzählt Bismarck die Geschichte und fügte lächelnd bei:</p>
-
-<p>»Es soll mich gar nicht wundern, wenn nächstens auch
-Bayern raucht, und da keiner dem anderen etwas vergeben möchte,
-weil das als eine Zurücksetzung seines Staates gelten könnte, wird
-auch Herr von Nostiz (Sachsen) und Herr von Bothmer (Hannover)
-bald nachfolgen, und selbst die Herren von Reinhard
-(Württemberg) und von Münch-Bellinghausen (Hessen) werden
-ihre Aversion gegen das Rauchen trotz aller unbehaglichen Folgen
-aufgeben. So kommt’s bei allem immer nur auf den richtigen
-Anfang an!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_84">[84]</span></p>
-
-<p>Die Folgezeit lehrte, daß er bezüglich des Rauchens recht hatte.</p>
-
-<p>Nun widmete er sich wieder seinem lieben Gaste Motley, der
-in dieser prächtigen Häuslichkeit sich einige Tage wohl und wie
-daheim fühlte. Was waren das für den geistvollen Engländer
-für herrliche Tage und für genußreiche Abende!</p>
-
-<p>Das Wetter hatte nicht erlaubt, einen derselben im Garten
-zuzubringen; so war man zuerst im Speisezimmer gewesen, wo
-man durch die Fenster hinaussah auf die Bäume des Gartens,
-und genoß in vergnügter Zwangslosigkeit, was die Gastlichkeit des
-Hauses, die Liebenswürdigkeit der freundlichen Wirte bot.</p>
-
-<p>Dann ging es nach dem anstoßenden freundlichen Saale.
-Außer Motley war noch der treffliche Maler Jakob Becker mit
-seiner Familie des Abends gekommen, und so saß ein Kreis guter,
-fröhlicher Menschen in dem traulichen Raume beisammen. Die
-Herren rauchten, und der Duft der feinen Havannas wirbelte empor,
-indes der geistvolle Hausherr in seiner gemütlichen Weise
-scherzte:</p>
-
-<p>»Sehen Sie, lieber Motley – das ist doch eine andere Tafelrunde
-als die zwar achtenswerte, aber doch wenig unterhaltende
-im Taxisschen Palais, wo in mir wirklich manchmal im Gefühle
-gähnender Unschuld die Stimmung gänzlicher Wurschtigkeit
-vorherrschend wird. Ich bemühe mich zunächst nur, und, wie
-es scheint, nicht ganz erfolglos, den Bund zum Bewußtsein
-des durchbohrenden Gefühls seines Nichts zu bringen. Hier aber
-sitze ich ohne jede andere Absicht, als mir Herz und Seele wieder
-zu erfrischen im Umgang mit lieben Freunden. Und in der
-Hauptsache kommen nur solche. Thun sieht in seinem Hause
-alles, was mit Österreich sympathisiert, in den Kreisen des Hochadels
-– ich liebe mir hier den Adel vom Schlage unseres braven
-Becker. Wie köstlich ist das erst im Winter, wenn ich hier am
-Kamine sitzen und mit der Feuerzange in der Glut herumstochern<span class="pagenum" id="Seite_85">[85]</span>
-kann, während der Wind vor den Fenstern saust, wenn Freund
-Becker oder sonst einer etwas erzählt von seinen Künstlerfahrten
-und seinem Schaffen, und dann eine kunstfertige Hand in die
-Tasten greift … ach bitte, Fräulein Becker, machen Sie uns die
-Freude!«</p>
-
-<p>Die Angeredete erhob sich ohne Ziererei und setzte sich an
-das Instrument. Die Töne rollten perlengleich unter den schlanken
-Fingern hervor, und behaglich zurückgelehnt in seinen Sitz
-lauschte der Hausherr, bis sie leise verhallend ausklangen.</p>
-
-<p>»Das sind die guten Geisterchen, die dem geplagten Diplomaten
-manchmal das Gleichgewicht wiedergeben helfen!« sagte er
-lächelnd.</p>
-
-<p>»Der Himmel schenke Ihnen und Ihrem Hause recht viele
-gute Geister!« erwiderte Motley.</p>
-
-<p>»Na, einige ganz herzige und herrliche liegen da drüben in
-ihrem Bettchen!« sprach der Maler.</p>
-
-<p>»Da mögen Sie recht haben, lieber Becker,« bemerkte der
-Hausherr; »es sind zwar Geisterchen mit Fleisch und Bein, aber
-die richtige Wirkung tun sie doch!«</p>
-
-<p>So ging der Abend hin, und als es ganz still im Hause geworden
-war, da leuchtete der Lampenschimmer aus Bismarcks
-Arbeitsgemach hinaus in die Nacht. Und Stunde um Stunde
-verging. Lange diktierte er seinem Sekretär an den Berichten, die
-nach Berlin abgehen mußten, und die eine Fülle von scharfen Beobachtungen
-und von klarer Einsicht in die politischen Verhältnisse
-bekundeten. Dann entließ er den Beamten, setzte sich selbst
-an den Tisch und schrieb noch einige wichtige Briefe, und als er
-endlich zum Siegeln gekommen war, tagte bereits der Sommermorgen
-und warf seinen erwachenden Schimmer in den Raum.</p>
-
-<p>Nun erst legte er sich angekleidet auf sein Sofa. Gleich
-darauf schlief er, tief, ruhig, aber kaum zwei bis drei Stunden.<span class="pagenum" id="Seite_86">[86]</span>
-Der Sommermorgen weckte, und der Sonnenschein lockte hinaus.
-Wohl waren ihm die Glieder steif von dem nicht ganz bequemen
-Lager, und er fühlte eine Schwere und Abspannung, aber er war
-der Mann der Kraft und der Selbstbeherrschung. Er ließ sich
-sein Pferd satteln, und während die vornehme Welt Frankfurts
-noch im Morgenschlummer träumte, ritt er die Bockenheimer
-Landstraße hinaus, am Zoologischen Garten vorüber und in die
-lachende Landschaft hinein, und da und dort blieben wohl zwei
-oder drei stehen und sahen ihm nach, und einer sagte:</p>
-
-<p>»Das ist der preußische Bundesgesandte – soll ein schneidiger
-Mann sein!«</p>
-
-<p>Motley war wieder abgereist, aber in Bismarcks gastliches
-Haus kamen immer neue Besucher, und alle fühlten sich hier wohl
-und ungemein angeheimelt von dem herzlichen und zwanglosen
-Ton, welcher hier herrschte.</p>
-
-<p>Da ließ sich eines Tages ein besonders erlauchter Gast
-melden, Prinz Wilhelm von Preußen. Er war schon vordem
-gelegentlich einer Truppeninspektion in Frankfurt gewesen und
-auf dem Bahnhofe bei seiner Ankunft war ihm Bismarck vorgestellt
-worden, der in seiner Uniform als Landwehrleutnant mit der
-Lebensrettungsmedaille auf der Brust dem hohen Herrn besonders
-auffiel, so daß er nochmals dem General von Rochow gegenüber
-seine Bedenken äußerte über die Wahl des Landwehrleutnants
-Bismarck zu einem so wichtigen Posten. Aber im Gespräch mit
-diesem überzeugte er sich selbst bald genug, daß der preußische
-Diplomat trotz seiner verhältnismäßig jungen Jahre ein klarblickender
-und energischer Mann und ein sehr warm fühlender
-Patriot sei.</p>
-
-<p>Als er nun diesmal nach Frankfurt gekommen war, erbat
-sich der Baron Rothschild eine Audienz und ersuchte, ihm die
-Ehre zu erweisen und bei ihm zu speisen. Der Prinz erwiderte<span class="pagenum" id="Seite_87">[87]</span>
-lächelnd, daß er sich bei Bismarck bereits eingeladen habe, und
-als der Baron trotzdem in ihn drang, legte er es ihm nahe, sich
-mit dem Bundesgesandten darüber abzufinden.</p>
-
-<p>Rothschild fuhr in der Bockenheimer Landstraße 40 (jetzt 140)
-vor. Er traf Bismarck daheim und trug ihm sein Anliegen vor,
-ihm den hohen Gast zu überlassen.</p>
-
-<p>»Es tut mir leid, mein verehrter Baron, Ihnen nicht
-dienen zu können, aber abgesehen von der Ehre, welche ich damit
-meinem Hause entziehen würde, ist mir jede Stunde wertvoll,
-welche ich in der Nähe des Prinzen meines Königshauses zubringen
-kann.«</p>
-
-<p>»Aber Exzellenz würden mich außerordentlich beglücken, wenn
-Sie gleichfalls in meinem Hause und an meinem Tische erscheinen
-wollten.«</p>
-
-<p>»Besten Dank, mein Herr Baron, aber ich muß schon auf
-meinem Schein bestehen und auf meinem Vorrechte beharren.«</p>
-
-<p>»Dann wollen Exzellenz mir mindestens gestatten, daß meine
-Speisen auf Ihrer Tafel serviert werden, so daß wir uns in die
-Ehre, den hohen Gast zu bewirten, teilen.«</p>
-
-<p>»Ich kann Ihnen leider auch darin nicht entgegenkommen.
-Es würde mindestens sehr verwunderlich sein, wenn der preußische
-Bundestagsgesandte bei Bewirtung eines preußischen Prinzen
-nichts weiter als den Tisch hergeben würde. Außerdem aber
-bin ich ein Gegner jeder Halbheit – also verzeihen Sie, Herr
-Baron –«. Rothschild erkannte, daß er den anderen nicht umstimmen
-würde, und leistete seufzend Verzicht, der Prinz aber speiste
-an dem gastlichen Tische Bismarcks und fand auch hier immer
-neues Wohlgefallen an dem prächtigen Manne.</p>
-
-<p>Dieser aber arbeitete unverdrossen und kraftvoll weiter in
-der Wahrung der Interessen seines Staates. Dabei machte er
-aber bald genug die Wahrnehmung, daß er nicht nur durch die<span class="pagenum" id="Seite_88">[88]</span>
-österreichische Botschaft sehr beobachtet werde, sondern daß man
-zweifellos auch Briefe von ihm auffange und öffne. Es ging
-übrigens den anderen Bundesgesandten nicht besser. Eines Tages
-klagte ihm Herr von Bothmer, der Vertreter Hannovers, daß er
-begründeten Verdacht habe, daß auf irgendeinem Wege Graf
-Thun Kenntnis von dem Inhalt seiner Korrespondenz haben
-müsse. Bismarck lächelte und bemerkte, er müsse eben bei Absendung
-klug zu Werke gehen.</p>
-
-<p>»Aber was heißt hier klug?« fragte Bothmer.</p>
-
-<p>»Das will ich Ihnen zeigen, wenn Sie ein halb Stündchen
-Zeit haben; ich habe just eine Sendung zu expedieren.«</p>
-
-<p>So gingen sie zusammen und bogen aus den belebten
-Straßen in ein stilleres Viertel der alten Handelsstadt. In einem
-engen Gäßchen vor einem schlichten Krämerladen blieb Bismarck
-stehen und zog seine Handschuhe an.</p>
-
-<p>»Hier lassen Sie uns eintreten!« sagte er.</p>
-
-<p>Erstaunt folgte der Hannoveraner. In dem engen Laden
-roch es wunderlich, so daß es ganz unmöglich gewesen wäre, diesen
-Geruch in seinen Einzelheiten zu analysieren. Ein jugendlicher
-Verkäufer begrüßte die beiden Herren und fragte nach ihren
-Wünschen.</p>
-
-<p>»Ich möchte Seife, aber etwas wohlriechende,« sprach Bismarck,
-und der dienstbeflissene Jüngling begann seine Proben vorzulegen.
-Der Diplomat roch an jeder, dann wählte er jene, welche
-den stärksten Geruch hatte und schob sie ohne weiteres in
-seine Tasche.</p>
-
-<p>»Haben Sie auch Briefkuverts?«</p>
-
-<p>»Sehr wohl!«</p>
-
-<p>Nach kurzer Auswahl nahm Bismarck die schlichteste und
-einfachste Sorte, zog dann ein bereits zusammengefaltetes Papier
-aus der Tasche, schob es in den Umschlag und bat sich nun Tinte<span class="pagenum" id="Seite_89">[89]</span>
-und Feder aus, um die Adresse zu schreiben. Da jedoch die
-Handschuhe ihm hinderlich zu sein schienen, bat er den Verkäufer,
-ihm die Mühe abzunehmen, was dieser auch beinahe geschmeichelt
-tat. Behaglich steckte Bismarck nun das Schreiben zu der Seife
-in seiner Tasche, und als er mit seinem Begleiter vor der Türe
-stand, sagte er zu diesem:</p>
-
-<p>»Glauben Sie nun, lieber Kollege, daß man unter diesem
-Kuvert, das nach Käse und Hering, Seife und Wichse duftet,
-nicht so leicht meine Depesche herausschnüffeln wird?«</p>
-
-<p>Manchmal jedoch, wenn es ihm in dem Frankfurter Treiben
-zu unbehaglich und in den Bundestagsverhandlungen zu langweilig
-und zu ärgerlich wurde, setzte er sich auf die Eisenbahn und
-fuhr hinein in den Odenwald, oder besah sich einmal das bunte
-Leben und Treiben in den glänzenden Badeorten Homburg, Wiesbaden,
-Baden-Baden, oder er erquickte sich an der ewigen Schönheit
-des Rheinstromes und seiner lieblichen Ufer. So fuhr er eines
-Nachmittags nach Rüdesheim. Dort mietete er einen Kahn und
-glitt hinaus auf den Strom. Der Mond warf seinen milden, dämmerigen
-Schein auf die Fluten, die Luft war lau, und ihn faßte
-ein Gelüste an, die Kleider abzuwerfen und sich in die silbernen
-Wellen zu tauchen. Gedacht, getan, und bald schwamm er langsam
-und behaglich dahin. Hinter ihm her, im Abendschimmer verdämmernd,
-kam langsam das Boot, das der schweigende Ferge
-lenkte, hoch über dem Schwimmer wölbte sich blau und klar der
-Himmel mit seinen vieltausend Sternen, und drüben an den Ufern
-webte der bläuliche Mondenschimmer um die dunkelnden Höhen,
-die bewaldeten Berge, die grünen Weingärten und die grauen,
-schweigenden Ruinen der Vorzeit. Und das Wasser klang und
-rauschte und flüsterte wie von alten Sagen. Von Bingen herüber
-schimmerten einzelne Lichter, und nun hob sich der Mäuseturm
-düster und ernst aus den Wellen. Hier stieg der Schwimmer ans<span class="pagenum" id="Seite_90">[90]</span>
-Land, kleidete sich an und fuhr nach Bingen hinüber, wo er Nachtrast
-hielt. Am nächsten Morgen aber ging’s über Koblenz nach
-Frankfurt zurück.</p>
-
-<p>Das erfrischte Leib und Seele.</p>
-
-<p>Auf den 18. Oktober fiel der Geburtstag des Königs. Auf der
-Villa in der Bockenheimer Landstraße wehten die preußischen
-Fahnen, und im Laufe des Vormittags fuhren Bismarck und die
-Beamten der Gesandtschaft in größtem Staat nach dem Kornmarkt,
-wo in der großen Reformierten Kirche der Festgottesdienst
-abgehalten wurde. Die Mittagstafel aber sah zahlreiche und erlesene
-Gäste, und der Hausherr verstand es, in kräftigen, gehaltvollen
-Worten der Begeisterung Ausdruck zu geben, die er selbst
-für seinen königlichen Herrn fühlte, und die er auch in anderen
-Herzen zu entflammen wußte.</p>
-
-<p>Und als der Abend kam, zog er seine Landwehrleutnants-Uniform
-an mit der Lebensrettungsmedaille und begab sich nach
-der Kaserne, wo die preußischen Soldaten gleichfalls festlich den
-Geburtstag ihres obersten Kriegsherrn begingen. Hier war die
-Lust in vollem Gange. Rauschende Musik klang durch den Saal,
-und in lauter, aufjauchzender Fröhlichkeit drehten sich die Paare
-im Reigen. Als er eintrat, machten die Soldaten am Eingang
-Honneurs und flüsterten sich, als er vorüber war, zu: »Seine
-Exzellenz, der Herr Leutnant von Bismarck!« Sie kannten ihn
-alle, den prächtigen, stattlichen Mann, der so heiter und herzlich
-sein konnte, und auch diesmal wieder bald da, bald dort auftauchte
-und sich mit den schlichten Kriegern unterhielt.</p>
-
-<p>Der Herbst entblätterte die Bäume in dem Garten, und
-der Winter spielte mit seinen Flocken um die freundliche Villa.
-Aber wenn auch der Sturmwind um die Fenster fegte, drinnen
-war’s um so behaglicher. Diese Winterabende waren köstlich,
-wenn in dem Salon bei dem flackernden Kaminfeuer sich um<span class="pagenum" id="Seite_91">[91]</span>
-die liebenswürdigen Wirte prächtige Gestalten scharten, von denen
-jeder fand, was er nur suchen mochte: Schlichtheit, Herzlichkeit,
-vornehme Sitte und frischen Humor. Wie zwanglos verkehrte
-da Prinz Georg von Preußen mit Schriftstellern, in deren
-Kreis er sich zählen durfte, wie gemütvoll und vergnügt plauderte
-die Großfürstin Helene von Rußland (geborene Prinzessin von
-Württemberg) mit der Frau des Malers Becker, und wenn
-die Gäste in stiller Nacht schieden, nahmen sie etwas von dem
-Behagen dieses Hauses mit sich fort, das noch lange in ihnen
-nachklang.</p>
-
-<p>Der Winter stellte freilich auch gesellschaftliche Anforderungen,
-denen Bismarck um seiner Stellung willen entsprechen mußte.
-Dabei fühlte er sich nicht immer besonders vergnüglich, zumal
-der österreichische »Botschafter« überall eine dominierende Stellung
-beanspruchte, und er seinerseits darüber wachte, daß auch der
-Würde seines Staates nichts vergeben werde.</p>
-
-<p>Der englische Lord Cowley gab ein großes Fest zu Ehren
-seiner Königin. Die Räume waren glänzend geschmückt; Farben
-und Fähnchen fast aller Kulturstaaten woben sich zu einem bunten
-Bilde zusammen, aus welchem sich das transparente englische
-Wappen abhob, dem gegenüber sich der ungekrönte Doppeladler
-– das Wappen des deutschen Bundes – zeigte. Die Gesellschaft
-war eine sehr vornehme. Graf Thun tänzelte zierlich um
-die Damen, der Lord zeigte sich als vornehmer und lebhafter
-Wirt, zwischen den Gesandten der deutschen Staaten bewegten sich
-mit graziöser Gewandtheit der Vertreter Frankreichs, Tallenay,
-und der belgische Graf Briey, und der Tanz bot bei der Reichhaltigkeit
-der Toiletten geradezu glänzende Bilder. Bismarck
-lehnte behaglich an einer reichdekorierten Säule und sah in das
-Gewühl. Im bunten Kotillon bewegten sich die Paare, darunter
-viele der älteren Diplomaten, und er machte die Bemerkung,<span class="pagenum" id="Seite_92">[92]</span>
-wie viele von den Damen schwarzgelbe Seidenschleifen, die Farben
-Österreichs, trugen, während er nach jenen Preußens vergebens
-suchte. Eine junge Prinzessin von Nassau kam eben an ihm
-vorüber, am Arme eines süddeutschen Diplomaten. Sie sah ihn
-flüchtig an, aber es lag in dem Blicke selbst eine unverkennbare
-Beimischung von Geringschätzung. In diesem Augenblicke trat
-ein anderes Mitglied der preußischen Bundestagsgesandtschaft an
-ihn heran. »Fürchten Exzellenz nicht die Ungnade Ihrer Hoheit
-der Prinzessin von Nassau?«</p>
-
-<p>»Wieso?«</p>
-
-<p>»Wir armen Preußen sind bei ihr schwer diskreditiert;
-Hoheit geruhte mit allen anderen Mächten zu tanzen, nur mit
-Preußen nicht!«</p>
-
-<p>»Das ist freilich schlimm, aber ich hoffe, daß es mir nicht
-den Rest meiner Nachtruhe verderben wird,« sagte Bismarck
-lächelnd.</p>
-
-<p>Nicht lange darauf verließ er das Fest.</p>
-
-<p>Weihnachten wurde in freundlicher Weise verlebt, und das
-Fest brachte dem Vielbeschäftigten einige Ruhe und Muße. Dann
-wieder Arbeit in Fülle, zwischendurch aber auch manch ein vergnügter
-Tag! Wie war das so lustig zur Fastnachtszeit, als er
-seinem Dienstpersonal ein fröhliches Fest gab, wie er es daheim
-in der Altmark seit der Väter Tage gewohnt war! Er fehlte
-nicht unter den »Seinen« und freute sich, wie alle Augen lachten
-vor Fröhlichkeit, und wie vor allem die knusprigen, braunen
-»Pannkauken« schmeckten, die er selber auch kostete. In solchen
-Stunden wuchs er seinen Dienern noch mehr ans Herz, als es
-schon der Fall war, und Frau Johanna nicht minder.</p>
-
-<p>Der Frühling von 1852 kam ins Land. In Österreich
-war an Stelle des Ministers Schwarzenberg der Graf Buol-Schauenstein
-getreten, und damit schärfte sich eine bereits schwebende<span class="pagenum" id="Seite_93">[93]</span>
-Angelegenheit zwischen Preußen und Österreich noch mehr
-zu. Es betraf den von dem ersteren begründeten deutschen Zollverein,
-für welchen die bisher noch unbeteiligten deutschen Staaten
-gewonnen werden sollten, während Österreich, das von demselben
-ausgeschlossen war, an der Auflösung desselben arbeitete. Bismarck
-hatte hier seine vollgemessenen Verdienste, und da der neue
-österreichische Ministerpräsident mit aller Macht den preußischen
-Bestrebungen entgegenarbeitete, ging er im Auftrag seines Königs
-nach Wien, um an den Kaiser ein Handschreiben Friedrich Wilhelms
-IV. zu überbringen.</p>
-
-<p>In den ersten Tagen des Juni traf er in der Hauptstadt
-an der Donau ein. Der Minister Buol empfing ihn ziemlich
-ungnädig und erklärte bestimmt, daß Österreich sich von Deutschland
-nicht als Ausland behandeln lassen werde.</p>
-
-<p>Bismarck war zwar verstimmt, aber nichts weniger als entmutigt.
-Er freute sich der Liebenswürdigkeit, mit welcher er fast
-überall aufgenommen ward, lebte in dem freundlichen Schönbrunn
-den anmutigen Erinnerungen an seine Hochzeitsreise, und fuhr
-endlich am 23. Juni auf der Donau hinab nach dem alten Ofen,
-wo er im kaiserlichen Schlosse seine Wohnung erhielt. Hier saß
-er, hoch über Stadt und Strom, und ließ den Blick hinausschweifen
-über das weite ungarische Flachland, und dachte bei
-all den Schönheiten an den Kreis seiner Lieben in Frankfurt.</p>
-
-<p>Von dem jungen Kaiser wurde er in besonderer Audienz
-mit liebenswürdiger Herablassung empfangen und machte mit dem
-Hofe einen Ausflug ins Gebirge. Stimmungsbilder von satter
-Farbenglut gingen an seinem Auge vorüber. Im Hintergrunde
-die ungarische Königsstadt mit ihrer hochragenden Burg, ringsum
-grüner Buchenwald, auf freiem Rasenplane die kleine Tafel für
-etwa zwanzig Personen, eine jubelnde Volksmenge, die sich ringsum
-drängte und bis in die Wipfel der Bäume kletterte, leise<span class="pagenum" id="Seite_94">[94]</span>
-hallender Hörnerklang, und als der Abend kam, das ganze Bild
-übergossen vom bläulichen Mondschimmer und matt erhellt von
-loderndem Fackelglanz – das alles war so fremdseltsam, daß
-es wie eine Phantasie erschien, der die ernste Wirklichkeit bald
-folgte in Gestalt eines Telegramms aus Berlin, welches entschieden
-die österreichischen Zumutungen in der Zollvereinsfrage zurückwies.</p>
-
-<p>Nicht lange darauf saß Bismarck wieder im Kreise der
-Seinen, der sich am 1. August 1852 noch um ein Söhnchen
-vermehrte, das nach seinem hohen Paten <em class="gesperrt">Wilhelm</em> genannt
-wurde.</p>
-
-<p>Im Herbste desselben Jahres mußte er zu seinem großen
-Bedauern seine freundliche Wohnung in der Bockenheimer Landstraße
-aufgeben, weil ein reicher Westfale das Haus gekauft, und
-nun siedelte er nach der Großen Gallusstraße Nr. 19 über; aber
-der Ruf der hohen Gastlichkeit, der vornehmen und dabei gemütvollen
-Liebenswürdigkeit haftete auch hier an dem Heim des
-Diplomaten.</p>
-
-<p>Die kommenden Jahre gaben Bismarck genug Gelegenheit,
-seine Umsicht, Klugheit und Tatkraft im Interesse seines Staates
-zu bekunden. Und er hat in kleineren wie in gewichtigen Dingen
-seine Anschauungen zur Geltung zu bringen verstanden – und
-eine Tätigkeit entwickelt, die schon ihrem Umfange nach Staunen
-erregt. Die immerwährenden Reisen, die eingehenden klaren Berichte,
-die unmittelbare Tätigkeit im Bundestage selbst hätten
-einen anderen aufreiben müssen.</p>
-
-<p>Da tat mitunter eine Erholung dringend not.</p>
-
-<p>Im Sommer 1853 erfrischte er sich in den Wellen der
-Nordsee und reiste dann durch Belgien und Holland zurück. Der
-politische Horizont hatte sich umwölkt, der »Krimkrieg« zwischen
-Rußland und den europäischen Westmächten hing in der Luft,<span class="pagenum" id="Seite_95">[95]</span>
-und der preußische Staatsmann suchte nach seiner besten Überzeugung
-seinen König in dieser Sache neutral zu erhalten, was
-auch gelang.</p>
-
-<p>Spott, der ihn deshalb traf, wußte er sehr geschickt und
-scharf zurückzuweisen. So war er in diplomatischem Auftrage in
-München gewesen, und als dort zu Ehren eines österreichischen
-Generals eine Militärparade abgehalten wurde, erschien er dabei
-gleichfalls in seiner Landwehruniform. Auf seiner Brust lag
-schon längst nicht mehr die Rettungsmedaille allein, sondern zahlreiche
-hohe Orden schmückten dieselbe. Der General, welcher an
-ihn herangeritten war, sah mit einigermaßen spöttischem Blicke
-auf die blinkenden Auszeichnungen und fragte:</p>
-
-<p>»Schaun’s Exzellenz! Alle vorm Feind erworben?«</p>
-
-<p>»Jawohl, Exzellenz, alle vorm Feinde, alle in Frankfurt
-a. M.,« erwiderte Bismarck mit verbindlichem Lächeln.</p>
-
-<p>Noch schärfer führte er den französischen Gesandten in Berlin,
-de Moustier, ab. Die Franzosen waren über die Neutralität
-Preußens in der orientalischen Frage verstimmt, und als der
-Gesandte mit Bismarck zusammentraf, ließ er sich zu der Äußerung
-verleiten: »Preußen wird seine Haltung noch einmal bedauern;
-auf diesem Wege kommt es vermutlich nach Jena!«</p>
-
-<p>»Und warum nicht nach Leipzig oder Waterloo?« fragte
-Bismarck dagegen, und de Moustier war durch diese Antwort so
-gekränkt, daß er sich beim König – jedoch ohne Erfolg – beschwerte.</p>
-
-<p>Bismarck war einmal nicht der Mann, der seiner Würde,
-noch weniger aber der Würde seines Staates etwas vergab.</p>
-
-<p>Der Krimkrieg war zu Ende, und in Paris fanden sich die
-Vertreter der Mächte ein, um über den Frieden zu verhandeln.
-Damals reiste auch der Minister Graf Buol über Frankfurt
-dahin und hielt sich kurze Zeit in letzterer Stadt auf. Da beeilten<span class="pagenum" id="Seite_96">[96]</span>
-sich denn die meisten der deutschen Bundesgesandten, ihm
-einen Beweis ihrer Ergebenheit zu geben, und ließen sich durch den
-Graf Rechberg, welcher indes an Graf Thuns Stelle getreten
-war, anfragen, wann sie ihre offiziellen Besuche machen könnten.
-Aber der Herr Minister, ermüdet von der Reise, lehnte solche
-Besuche ab, bestimmte jedoch eine Stunde, in welcher er für die
-Herren in seiner Wohnung zu einer vertraulichen Besprechung
-anzutreffen sei. Diese Mitteilung war auch Bismarck, trotzdem
-derselbe nicht angefragt hatte, zugegangen. Er ließ dem Grafen
-Rechberg wissen, daß er durchaus gar nicht die Absicht habe, die
-wertvolle Zeit des Grafen Buol in Anspruch zu nehmen, und
-während die anderen Gesandten im Vorzimmer der österreichischen
-Exzellenz warteten, bis es derselben genehm war, sich von ihnen
-respektvoll begrüßen zu lassen, wartete Bismarck, ob nicht Graf
-Buol zu ihm kommen werde.</p>
-
-<p>Und derselbe kam trotz seiner »Ermüdung«.</p>
-
-<p>Auch die Unterdrückung Schleswig-Holsteins durch die Dänen
-war eine Angelegenheit, welche den Bundestag viel beschäftigte,
-ohne daß eine Einigung zu erzielen war. Preußen hatte den
-besten Willen, zu helfen, aber die Eifersucht Österreichs, die Zwietracht
-der anderen Mächte banden ihm die Hände.</p>
-
-<p>Trotzdem wußte Bismarck auch hier einiges zu erreichen,
-und vor allem zu erlangen, daß Dänemark für den Herzog von
-Schleswig-Holstein eine entsprechende Abfindungssumme entrichte.</p>
-
-<p>In der schleswig-holsteinischen Sache war er übrigens selbst
-in Kopenhagen gewesen. Im August 1857 war er aufgebrochen,
-seine Familie hatte er nach Reinfeld gebracht, wo sie in ländlichem
-Behagen sich freuen und erholen konnte, und in der dänischen
-Hauptstadt fand er eine durchaus höfliche Aufnahme.</p>
-
-<div class="figcenter illowp60" id="illu-100">
- <img class="w100" src="images/illu-100.jpg" alt="">
- <div class="caption">
-<div class="left">
-<em class="antiqua">Eis. Kanzler III</em>
-</div>
-<div>Napoleon und Bismarck in Biarritz.</div></div>
-</div>
-
-<p>Hier war ihm alles fremd und neu, und so ließ er sich gern
-veranlassen zu Ausflügen, welche den Reiz der nordischen Gegenden
-vor ihm entrollten und überdies eigenartige neue Jagdvergnügen
-boten. Diese Ausflüge erstreckten sich bis nach Schweden, wo er
-bis Tomsjonäs in Smaland vordrang. Fremdseltsam mutete ihn
-die Gegend an mit ihren weiten, wüsten Strecken, wo bald zwischen
-Sumpf und Moor dichtes Gestrüpp und Unterholz wuchert, bald
-über grauverwittertes Gestein und zwischen felsigen Ufern
-schäumende Bergwasser hinwegrauschen, bald, von Waldesgrün
-umsäumt, große, dunkle Seen im Sonnenscheine träumen – wo
-die Menschheit zu fehlen scheint in der großen Szenerie der Natur,
-die wie im Sonntagsgewande ihrer Schöpfung ruht und mit tiefer
-Stille den Jäger umfängt.</p>
-
-<p>Manch jagdbares Getier verfiel seiner sicheren Büchse, und
-das Jagen war nicht immer gefahrlos. So stand dem Jäger
-auf einer seiner Fahrten plötzlich ein unbehaglicher Gesell gegenüber,
-ein braunes Ungeheuer, das wie aus dem Boden gewachsen
-schien, ein Bär, der die zornigen Augen gegen ihn wandte und
-nicht freundlich ihn anbrummte. Da galt kein langes Überlegen.
-Auf sechs Schritte Entfernung gab der mutige Schütze Feuer,
-und das Tier brach zusammen. Aber »Meister Petz« war zäh;
-er begann sich noch einmal, jetzt zur Wut entfacht, zu erheben,
-doch Bismarck lud schnell und ohne merkliche Bewegung seine
-Waffe, und als das Tier sich nun erhob, traf es die zweite Kugel
-und streckte es tot nieder.</p>
-
-<p>An Körper und Geist erfrischt, die Seele erfüllt von neuen
-Bildern, kam Bismarck nach Frankfurt zurück, froh, mit seinen
-Lieben wieder vereint zu sein, die er sich manchmal zur Seite
-gewünscht hatte in einem kleinen, stillen, freundlichen Landhause
-an einem der Nordlandsseen. – Da brachte der Herbst wiederum
-Trübes. König Friedrich Wilhelm IV. war infolge eines Schlaganfalles
-erkrankt und hatte die Stellvertretung in der Regierung
-seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, übertragen. Es war eine<span class="pagenum" id="Seite_98">[98]</span>
-bange Zeit für die preußischen Herzen, die bei aller Verehrung
-für den Prinzen doch den Schmerz empfanden, der in dem
-königlichen Hause lebte.</p>
-
-<p>So ging wieder ein Jahr vorüber, und der politische Himmel
-schien sich von neuem zu bewölken; zwischen Österreich und
-Italien begann eine Spannung, welche für den Einsichtigen, zumal
-bei dem Ehrgeiz des dritten Napoleon eine Einmischung Frankreichs
-zu befürchten war, eine drohende Kriegsgefahr barg. Im
-Oktober 1858 übertrug der unheilbar kranke König seinem Bruder
-die Regierung gänzlich, und der Prinzregent schien der preußischen
-Politik eine andere Richtung geben zu wollen, indem er ein neues
-Ministerium berief, auf welches er wie sein Volk große Hoffnungen
-zu setzen geneigt waren.</p>
-
-<p>Auch an Bismarck war anfangs dabei gedacht worden, aber
-seine Zeit war noch nicht gekommen. Er wußte sich, trotz der
-Verstimmung seiner Angehörigen, zu trösten, und tat auch angesichts
-der augenblicklichen Situation das, was ihm das Richtige
-schien. Der Bundestag war in Aufregung, mittel- und süddeutsche
-Staaten drängten zum Kriege gegen Italien und Frankreich und
-zur Bundesgenossenschaft mit Österreich. Eine solche unbedingte
-Heeresfolge ging dem preußischen Diplomaten gegen seine Überzeugung.
-Dieselbe hatte er schon vorher unumwunden in einer
-Denkschrift an seine Regierung ausgesprochen, in welcher er eine
-selbständige preußische Politik dringendst empfahl und verlangte,
-daß Preußen als der größte deutsche Staat an die ihm gebührende
-Stelle in Deutschland treten müsse, selbst, wenn es darüber zum
-Bruche mit Österreich komme.</p>
-
-<p>Und als jetzt der Krieg sozusagen in der Luft schwebte, sahen
-die übrigen deutschen Gesandten zu ihrem Erstaunen, ja Entsetzen,
-auf der »Zeile« Bismarck Arm in Arm mit dem Gesandten
-Italiens, dem Grafen Barral, einherschreiten.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_99">[99]</span></p>
-
-<p>In Berlin aber war man noch nicht geneigt, mit Österreich
-geradezu zu brechen, und so erhielt der preußische Bundestagsgesandte
-an einem schönen Februartage seine Ernennung zum
-Gesandten in Petersburg. Erfreut war er über die Mitteilung
-nicht, er hatte die Empfindung, daß man ihn »kaltgestellt« habe,
-aber der Prinzregent selbst gab ihm die Versicherung, daß diese
-Versetzung ein Beweis ganz besonderen Vertrauens sei – und
-der Mann der Pflicht tat seine Schuldigkeit.</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<h2 class="nobreak" id="Siebentes_Kapitel"><span class="smaller">Siebentes Kapitel.</span><br>
-An der Newa und der Seine.</h2>
-</div>
-
-<p>An einem wenig freundlichen Märztage des Jahres 1859 fuhr
-frühmorgens ein hochbeladener Postwagen, mit acht Pferden bespannt,
-zu dem Tore von Königsberg hinaus. Auf dem Außensitze
-saß Otto von Bismarck und schaute in den dämmerigen Morgen,
-der ihn aus Deutschland entführte nach den Ufern der Newa.</p>
-
-<p>Eine behagliche Fahrt war es eben nicht.</p>
-
-<p>In den Steppen Rußlands lag noch tiefer Schnee, und mühsam
-arbeiteten sich die Pferde fort, so daß der Gesandte es manchmal
-vorzog, neben dem Wagen herzuschreiten, zumal das den
-frosterstarrten Gliedern guttat. Bergab war es am schlimmsten;
-die Pferde glitten auf den glatten Wegen aus und kamen wiederholt
-zum Stürzen, und in einer Stunde war man einmal etwa<span class="pagenum" id="Seite_100">[100]</span>
-20 Schritte vorwärts gekommen. Dazu keine Nachtpost. Durch
-das unbehagliche Dunkel leuchteten nur mit müdem Scheine die
-Wagenlaternen, ein eisiger Wind blies über die Steppen und
-wehte den feinen, beißenden Schneestaub dem Reisenden in das
-Gesicht, der auf seinem freien Sitze auch gar nicht daran denken
-konnte, zu schlafen. Es war eine Wohltat, das letzte Stück des
-Weges im Eisenbahnwagen zurücklegen zu können.</p>
-
-<p>Nach sechs Tagen traf er in Petersburg ein. In den winterlichen
-weißen Hermelin gehüllt, lag die russische Kaiserstadt, und
-ihre Pulsader, die Newa, flutete noch unter der Eisdecke dahin.
-Durch die prächtigen Straßen fuhr Bismarck nach dem Hotel
-Demidoff, wo er fürs erste sein Quartier nahm.</p>
-
-<p>So verlebte er diesmal seinen Geburtstag fern von der
-deutschen Heimat und den lieben Seinen, aber er war doch nicht
-ohne Bedeutung; er überreichte an demselben dem Zaren
-Alexander II. sein Beglaubigungsschreiben. Um die Mittagszeit
-war das reich vergoldete Gefährt mit dem kaiserlichen Wappen
-vorgefahren, das den Gesandten nach dem Winterpalais brachte.
-Durch die entlaubten Lindenalleen ging es pfeilschnell hin, vorüber
-an dem Prachtbau der Admiralität, von dessen Turme sich der
-herrlichste Blick über die Zarenstadt bietet, über den Paradeplatz
-hinweg und dann hinein durch das Tor in den Hof des Palastes.</p>
-
-<p>Der Empfang ließ an Feierlichkeit und würdigem Zeremoniell
-nichts zu wünschen, aber er hatte auch beinahe den Anstrich einer
-gewissen Herzlichkeit. Der Kaiser empfing den preußischen Gesandten
-herablassend liebenswürdig und schien an dessen feinem
-und offenem Wesen von der ersten Stunde an Gefallen zu finden.</p>
-
-<p>Auch sonst hatte Bismarck nicht über Mangel an freundlichem
-Entgegenkommen zu klagen. Wie einst die Großfürstin Helene,
-die geistvolle Witwe des Großfürsten Michael Pawlowitsch, eine
-geborene Prinzessin von Württemberg, sich in seinem gastlichen<span class="pagenum" id="Seite_101">[101]</span>
-Hause in Frankfurt wohl befunden hatte, so vergalt sie ihm jetzt
-diese Gastfreundschaft in liebenswürdigster Weise in Petersburg.
-Manch schöner Abend wurde bei ihr verlebt, gemeinsam mit bedeutenden
-und angesehenen Persönlichkeiten; besonderes Interesse
-aber erregte es, wenn man mit Bismarck in intimem Gespräche
-in irgendeiner Fensternische einen kleinen, grauhaarigen Herrn
-mit dem glattrasierten Gesichte und den klugen Augen, die hinter
-glitzernden Brillengläsern hervorsahen, erblickte. Das war der
-russische Kanzler, Fürst Gortschakoff.</p>
-
-<p>Die Freundschaft der beiden war nicht neu, sie datierte schon
-aus Frankfurt, wo der Fürst Gesandter seiner Regierung beim
-Bundestage gewesen war, und sie wurde hier mit einer gewissen
-Herzlichkeit erneuert.</p>
-
-<p>Endlich kam auch für Petersburg der Frühling. Die Kanonenschüsse,
-welche eines Tags von der Festung aus donnerten, verkündeten
-der freudig aufatmenden Residenz, daß die Newa die
-starre Eisdecke zerbrochen habe und ihr glänzender Wasserspiegel
-mindestens auf eine Bootsbreite zutage getreten sei, und jedes
-Kind in Petersburg wußte es, daß zu dieser Stunde der Kommandant
-der Festung im Paradeanzug, und von seinen Offizieren
-begleitet, in eine reichgeschmückte Gondel steige, in einem goldenen
-Becher Wasser aus dem Strome schöpfe und dann hinüberfahre
-nach dem Winterpalais, um es dem Kaiser zu überbringen.
-Tausende von Menschen strömten zusammen und füllten den
-Platz, während der mächtige Herrscher oben den Becher empfing
-und auf das Wohl seiner Residenz leerte. So war es alter
-Brauch, und der Kommandant erhielt demselben gemäß zweihundert
-Dukaten.</p>
-
-<p>Nun begann der Lenz auch die Ufer des Flusses zu schmücken,
-und die Straßen der Stadt wurden lebendiger, zumal der glänzende
-Newski-Prospekt. An der Umgebung der Residenz aber<span class="pagenum" id="Seite_102">[102]</span>
-fand Bismarck kein besonderes Gefallen. Nach Süden zu hatte
-die Kunst der Natur einigermaßen nachgeholfen, nach den übrigen
-Seiten hin war noch viel einförmiger Wald und Wildnis.</p>
-
-<p>Ein Punkt aber hatte für ihn eine freundliche Anziehungskraft;
-hier wehte es ihm entgegen wie der Hauch der Heimat.
-Das war das Schloß <em class="gesperrt">Peterhof</em>, der überreich geschmückte
-Sommersitz Peters des Großen, das Versailles der russischen
-Kaiser, zu jener Zeit aber der Aufenthaltsort der Kaiserin-Mutter
-Charlotte, der Tochter der unvergeßlichen Königin Luise von
-Preußen.</p>
-
-<p>An einem herrlichen Lenztage hatte er sie abermals aufgesucht,
-und sie empfing ihn wie eine mütterliche Freundin. Auch
-heute saßen sie auf dem Balkon, die Kaiserin auf der Chaiselongue,
-er selbst in einem Fauteuil, und sahen hinaus auf das Bild zu
-ihren Füßen: Unmittelbar unter ihnen der prächtige Garten mit
-seinen leise rauschenden Bäumen und seinen springenden Kaskaden,
-dann weiter hinaus der wunderbare Blick auf die märchenhafte
-Landschaft, in der aus grünen Gehegen weiße Schlösser hervorlugen,
-darunter zumal das anmutige Babigon, glitzernde Teiche,
-breite Alleen, dann zur Rechten die große Residenzstadt, zur Linken
-die weißen Mauern der Festung Kronstadt, und im Hintergrunde
-das schimmernde Meer und die im Blauen verdämmernde Küste
-von Karelien. Die alte Dame in dem schwarzen Seidengewande,
-die mit langen Holzstäben an einem Wollschal strickt, läßt die
-fleißigen Hände einen Augenblick sinken und sagt:</p>
-
-<p>»Manchmal habe ich hier an Potsdam gedacht und Sanssouci;
-hier ist ja alles größer und glänzender, daheim aber ist es voll
-lieber Anmut –«</p>
-
-<p>»Ja, Majestät, die Scholle, auf welcher unsere Wiege stand,
-bleibt immer die schönste,« erwiderte Bismarck, »und sie lieben
-wir unvergessen, und für sie setzen wir unser bestes Blut ein.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_103">[103]</span></p>
-
-<p>»Das kann der Mann; die Bestimmung der Frau ist anders,
-zumal die der Fürstin. Ihr gibt das Geschick oft eine neue
-Heimat, die ihr von Gottes und Rechts wegen an das Herz
-wachsen muß, und es kann dann für sie nichts herber sein, als
-wenn ihr Herz in Zwiespalt kommt, mit den leidigen Erwägungen
-der Politik. Ich und der Kaiser nicht minder, wir haben uns
-gefreut, daß Preußen im Krimkriege Neutralität bewahrte, und
-dafür sind wir Ihnen ganz besonders dankbar, lieber Bismarck.«</p>
-
-<p>»Ich habe dabei lediglich das Beste für Preußen im Auge
-gehabt, Majestät, genau so, wie ich es in der gegenwärtigen Verwicklung
-zwischen Österreich und Italien halte.«</p>
-
-<p>»Sie meinen nicht, daß es für Preußen richtig sei, zugunsten
-Österreichs zu intervenieren?«</p>
-
-<p>»Wenn wir hier eingreifen, so wird das für uns gleichbedeutend
-damit, daß wir Österreich den Krieg abnehmen und
-uns für dasselbe opfern. Mit dem ersten Schuß am Rhein
-wird der <em class="gesperrt">deutsche</em> Krieg die Hauptsache, weil er Paris bedroht.
-Österreich bekommt Luft, und wird es seine Freiheit benutzen,
-um uns zu einer glänzenden Rolle zu verhelfen? Wird es vielmehr
-nicht dahin streben, uns das Maß und die Richtung unserer
-Erfolge so zuzuschneiden, wie es dem spezifisch österreichischen
-Interesse entspricht? Und wenn es uns schlecht geht, so werden
-die Bundesstaaten von uns abfallen wie welke Pflaumen im
-Winde, und jeder, dessen Residenz französische Einquartierung
-bekommt, wird sich landesväterlich auf das Floß eines neuen
-Rheinbundes retten.«</p>
-
-<p>»Sie mögen recht haben, und haben auch den schärferen
-Blick für die Verhältnisse – ich möchte nicht so düster sehen,
-aber wir Frauen sind Gefühlspolitiker. – Doch schauen Sie!«</p>
-
-<p>Die hohe Frau deutete mit der Rechten hinaus auf das
-Landschaftsbild, wo über der See die Sonne unterging. Ein<span class="pagenum" id="Seite_104">[104]</span>
-rötlicher Schimmer lag über den blinkenden Wasserspiegeln, heller
-hoben sich die Häuser der Residenz, die schweren Gebäudemassen
-von Kronstadt vom Horizonte ab.</p>
-
-<p>»Es hat doch jedes Land seine wunderbaren, ihm eigentümlichen
-Schönheiten – das Bild ist einzig, Majestät!«</p>
-
-<p>»Dies Bild hat seinen eigentümlichen Reiz. – Gewiß, aber
-Petersburg selbst ist eine moderne Großstadt wie die meisten
-anderen. Wenn Sie ein eigenartiges Stadtbild sehen wollen,
-müssen Sie nach Moskau fahren. Moskau ist Rußland, das
-alte, starre, halbasiatische Rußland. Den Genuß lassen Sie sich
-nicht entgehen. Und jetzt eben wäre die beste Reisezeit; wenn
-Ihre Geschäfte es gestatten, würde ich Ihnen sehr dazu raten,
-lieber Bismarck.«</p>
-
-<p>Und nun plauderte die Kaiserin so heiter und geistvoll von
-der alten Russenstadt, daß ihr Zuhörer sich ganz in die seltsamen
-Bilder versenkte, welche sich vor seinem Geiste entrollten, und
-entschlossen war, bereits in der nächsten Zeit nach der Stadt
-aufzubrechen, welche einst dem großen Napoleon zu fürchterlichem
-Verhängnis geworden war.</p>
-
-<p>Es war zu Anfang des Juni, als er seinen Vorsatz ausführte.</p>
-
-<p>Der Sonnenschein lachte in die Fenster des Kupees herein
-und lag draußen über dem grünen Lande, als er abfuhr; die
-Tage brachten eine beinahe unbehagliche Wärme, und da die
-Gegend anfing einförmig zu werden mit ihren weiten, grünen
-Ebenen, Sumpfgeländen und Birkenwäldchen, zwischen welchen
-keine Stadt, ja, selten ein Dorf das Vorhandensein von Menschen
-bekundete, gab sich der Reisende dem Behagen des Schlafes hin.</p>
-
-<p>Als er am nächsten Morgen erwachte – es war hinter der
-Station Twer – und durch das Fenster blickte, glaubte er seinen<span class="pagenum" id="Seite_105">[105]</span>
-Augen kaum trauen zu dürfen; im Frührot schimmerte weithin
-auf der Ebene der Schnee!</p>
-
-<p>Und weiter rollte der Zug und hielt endlich im Bahnhofe
-in Moskau, der heiligen Stadt der Russen. Feiner Regen sickerte
-nieder, als er durch die Straßen fuhr, und der Schnee war
-wieder verschwunden. Bismarck stieg im Hotel de France ab,
-und nachdem er von hier aus einen brieflichen Gruß an Frau
-Johanna geschickt hatte, machte er sich daran, die wunderliche
-Stadt kennen zu lernen, in welcher Europa und Asien sich gleichsam
-die Hand reichen, und die einen seltsamen Zauber auf jeden
-Besucher ausübt. Das Aussehen von Moskau ist seit dem großen
-Brande im Jahre 1812 sehr zu dessen Vorteil verändert, aber
-auch in der Erneuerung ist man dem alten Stil treu geblieben
-in der Anlage der meist gekrümmten Straßen und in der Mischung
-aller Bauarten der Welt. Von freier Höhe sah Bismarck die
-Stadt unter sich liegen mit ihren grünen Dächern, ihren zahllosen
-grünen Kirchenkuppeln, ihren prunkenden Palästen; zwischendurch
-windet sich das glitzernde Band der Moskwa, an deren
-linkem Ufer das Kapitol der Stadt, der Riesenbau des Kreml
-mit seinen 32 Kirchen und zahlreichen Palästen, sich erhebt, überragt
-von dem achteckigen »Iwan Weliki«, über dessen zwiebelförmiger
-Kuppel das hohe, vergoldete Kreuz weithin leuchtet im
-Sonnenglanz. Es war ein Städtebild von überwältigender Großartigkeit
-und einem märchenhaften Reiz.</p>
-
-<p>Auch die Umgegend der Stadt wurde durchstreift, dem
-Schlosse Petrowski, das nach dem großen Brande Napoleon zum
-Hauptquartier gedient hatte, ein Besuch abgestattet und zwischen
-Dörfern und Fabriken weit hinausgeschweift in die wellenförmige,
-fruchtbare Ebene, bis sie in die weite, wüste Steppe übergeht.</p>
-
-<p>Aber für die mannigfachen Genüsse dieser Reise mußte
-Bismarck büßen. Nach Petersburg zurückgekehrt, erkrankte er an<span class="pagenum" id="Seite_106">[106]</span>
-einem rheumatischen Leiden, das sich immer mehr steigerte, und
-so lag er in seinen Schmerzen fern von der Heimat und von
-seinen Lieben, an welche er mit Sehnsucht dachte, und ließ sich
-von den russischen Ärzten Schröpfköpfe aufsetzen und mit spanischen
-Fliegen quälen, bis seine gute Natur wenigstens einigermaßen
-ihn auf die Beine brachte, so daß er imstande war, am 28. Juni
-nach Peterhof hinauszufahren zu der Kaiserin-Mutter, welche
-über sein Aussehen erschrak.</p>
-
-<p>»Aber Sie müssen Urlaub nehmen, lieber Bismarck, und
-einige Zeit in der Heimat zubringen. O, die Luft der Heimat
-und der Hauch der anmutigen Häuslichkeit tun Wunder. Ihre
-Frau wird recht in Sorge um Sie sein!« sagte die gütige Zarin.</p>
-
-<p>Bismarck erwiderte:</p>
-
-<p>»Um den Urlaub habe ich bereits nachgesucht, Majestät, und
-was Frau Johanna betrifft, so hat sie gottlob keine Ahnung,
-wie man mir hier zugesetzt hat – sie weiß nur etwas von meinen
-üblichen Hexenschüssen.«</p>
-
-<p>»Sie sind ein guter Gatte – aber Frau Johanna verdient
-einen solchen nach allem, was ich von ihr weiß. Grüßen Sie
-dieselbe herzlich von mir.«</p>
-
-<p>Nach einiger Zeit brach er nach Deutschland auf. Angenehm
-war das Reisen nicht. Bis Dünaburg ging es an, weil im
-Eisenbahnkupee doch noch einigermaßen Bequemlichkeit zu erreichen
-war. Von dort aus nach Königsberg aber ging es zu Wagen
-weiter, und Bismarck merkte schon während der Fahrt, daß das
-Leiden sich mit erneuter Heftigkeit eingestellt hatte.</p>
-
-<p>So kam er in Berlin an, ein kranker Mann, und der Arzt
-war beinahe der erste, welcher ihm seinen Besuch im Hotel
-d’Angleterre abstattete. Zumal mit dem linken Beine sah es
-schlimm aus. Hier hatte er eine Erinnerung an seine schwedischen
-Jagdfahrten sitzen, wo er sich bei einem Falle am Schienbein<span class="pagenum" id="Seite_107">[107]</span>
-verletzt hatte – und hier rumorte nun der Rheumatismus am
-heftigsten, so daß die verordnete Jodtinktur nicht nur nicht wirkte,
-sondern, wie es schien, das Übel noch verschlimmerte.</p>
-
-<p>Da blieb denn nichts anderes übrig, als den besten Arzt
-herbeizurufen. Dieser trat denn auch, eben aus Pommern angekommen,
-in die Krankenstube und brachte Sonnenschein und
-eine heilende Hand mit. Es war Frau Johanna. Sie machte
-dem Gemahl zärtlich besorgte Vorwürfe, daß er nicht früher ihr
-von seinem Zustande Mitteilung gemacht hatte; der aber war
-glücklich, als er sie bei sich hatte, und als sich auch ohne Jodtinktur
-durch ihre sorgsame Pflege, durch ihr klares, heiteres
-Wesen, durch ihre Umsicht und ihr Geschick sein Zustand bald so
-besserte, daß er daran denken konnte, nach dem Bade Nauheim
-zu gehen.</p>
-
-<p>So kam der September, und der Prinzregent rief ihn nach
-Berlin, wo er, obgleich von der Jodvergiftung noch nicht ganz
-erholt, doch seine Kraft dem Vaterlande zur Verfügung stellte,
-da es galt, den russischen Kaiser in Warschau zu begrüßen und
-ihn von dort nach Breslau zu begleiten zu einer Zusammenkunft
-mit dem Prinzregenten.</p>
-
-<p>Am 16. Oktober reiste Bismarck von Berlin ab und hatte
-das Glück, unterwegs mit einem alten russischen General zusammenzutreffen,
-welcher ihn auf einer polnischen Station erkannt
-hatte. Die Wirtschaft hier an der russischen Grenze war für gewöhnliche
-Reisende nicht gerade ergötzlich: Die Polizeibehörde
-verlangte den Paß, die Zollbehörde begehrte Einsicht in das Gepäck,
-– so ein russischer General ist jedoch ein Gewaltherr,
-mächtiger als ein preußischer Gesandter, und Bismarck wurde
-nicht bloß aller Plackerei überhoben, sondern fuhr auch mit dem
-alten Herrn in dessen Extrazug weiter, noch dazu im kaiserlichen
-Salonwagen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_108">[108]</span></p>
-
-<p>So ward Lagienki erreicht, wo einst Stanislaus August sich
-einen prächtigen Sommersitz erbaut hatte inmitten eines herrlichen,
-weit ausgedehnten Gartens, in welchem noch eine ganze
-Anzahl kleiner Paläste sich um das Schloß des Herrschers
-gruppieren.</p>
-
-<p>Hier vergingen einige Tage in vergnügter Weise. Ein
-prächtiges Hoffest, bei dem Wald und Wasser märchenhaft schön
-beleuchtet war und das alte, prachtliebende polnische Blut seinen
-ganzen Glanz und seine volle Lebhaftigkeit entfaltete, sowie eine
-Jagd im Parke von Skierniewice hatten für Bismarck besonderes
-Interesse, und doch war er froh, als er über Breslau wieder
-in Berlin eintraf und von hier nach dem lieben, stillen Reinfeld
-fuhr.</p>
-
-<p>Und wenn es denn nun wieder nach Rußland auf seinen
-Posten gehen sollte, so sollte er diesmal doch nicht allein reisen;
-seine Familie ging mit ihm an die Newa, und nun überkam ihn
-beinahe eine stille Sehnsucht nach dem Winterquartier in Petersburg;
-mit Frau Johanna und seinen Kindern zur Seite gedachte
-er auch den russischen Winter auszuhalten.</p>
-
-<p>Er war mit den Seinen bereits in Elbing eingetroffen; da
-dachte er seines Freundes, des Herrn von Bülow, der nicht gar
-fern auf seinem Gute Hohendorf saß, und diesen suchte er auf.
-Es war nur ein kurzes Wiedersehen geplant, aber das Geschick
-fügte es anders. Er erkrankte hier auf Hohendorf an einer
-schweren Lungenentzündung, und wieder hatte Frau Johanna mit
-ihrem besorgten Herzen alle Hände voll zu tun, um den teuren
-Mann zu pflegen.</p>
-
-<p>Für diesen Winter war an die Petersburger Reise nicht mehr
-zu denken. Am behaglichen Kamin zu Hohendorf saß der langsam
-Genesende, stocherte nach seiner Gewohnheit in der zuckenden
-Flamme, freute sich, daß er wenigstens die Seinen bei sich haben<span class="pagenum" id="Seite_109">[109]</span>
-konnte, und plauderte mit seinem Freunde über die politische Lage,
-die ihm ganz leidlich behagte.</p>
-
-<p>Der österreichisch-italienische Krieg war vorüber, Preußen
-hatte sich dabei nichts vergeben, sondern in würdiger Weise seine
-Stellung gewahrt, ja, es war durch die Verhältnisse in den Stand
-gesetzt, näher an die eigentliche deutsche Frage herantreten und
-eine Reorganisation des deutschen Bundes ins Auge fassen zu
-können.</p>
-
-<p>Der Rekonvaleszent auf Hohendorf freute sich, daß die Dinge
-still für sich weiterreiften, ohne damals zu ahnen, daß er selbst
-die letzten entscheidenden Worte dabei sprechen und die entscheidenden
-Taten dafür tun sollte.</p>
-
-<p>Es kam wiederum der Frühling; der Mai streute seine Blüten
-durch das deutsche Land, und nun konnte Bismarck erst daran
-denken, mit seiner Familie auf seinen Posten abzureisen.</p>
-
-<p>Am 5. Juni rollte der Wagen durch die russische Residenz,
-welcher den preußischen Gesandten und die Seinen nach dem englischen
-Kai führte, wo er im Hause der Gräfin Stenbock schon im
-vorigen Jahre eine entsprechende Wohnung gemietet hatte. Sie
-war weit und geräumig, und wenn auch die Möbel darin abgenutzt
-und »ruppig« schienen, bald ging auch durch diese Räume wie
-einst in Frankfurt der Hauch einer Gemütlichkeit und eines vornehmen
-Behagens, wie es hier an der Newa vielleicht einzig
-dastand.</p>
-
-<p>Der Sommer und Herbst vergingen. Besuche und Jagdfahrten
-unterbrachen das Petersburger Leben in angenehmer
-Weise. Auf Peterhof hatte Bismarck zum letztenmal am 1. Juli
-1860 die liebenswürdige Kaiserin-Mutter besucht – sie starb bald
-darauf – und er behielt die hohe Frau in freundlichstem Gedenken.
-Auf der Wende von Herbst und Winter aber begannen
-die Jagden. Da gab es noch Bären und Elche in den russischen<span class="pagenum" id="Seite_110">[110]</span>
-Wäldern, und für den Weidmann war es eine Lust, im dicken,
-kurzen Jagdpelz und mit den hohen Juchtenstiefeln durch Gestrüpp
-und Schneehalden zu waten nach köstlicher Beute.</p>
-
-<p>Der Winter aber rückte einen freundschaftlichen Kreis näher
-aneinander. In den hohen, weiten Räumen flimmerte der Lichtglanz,
-behagliche Wärme durchflutete die Gemächer, und im Speisezimmer
-saßen liebe Gäste: Der gute Graf Kaiserlingk, der einst
-in Berlin den Studiosus Bismarck mit Beethovenschen Sonaten
-erfreut, und welcher jetzt die Würde eines Kurators der Universität
-Dorpat bekleidete, die preußischen Gesandtschaftsmitglieder General
-von Loën und Legationsrat von Schlözer, der russische Hauptmann
-von Erckert und andere.</p>
-
-<p>»Ja, was wollen Sie, Kaiserlingk,« sagte der liebenswürdige
-Hausherr, »so glänzende Feste wie der französische Gesandte kann
-ich nicht geben bei meinen 25 000 Talern Gehalt und 8000 Talern
-Mietgeld; er hat 300 000 Franken zur Verfügung.«</p>
-
-<p>»Dafür kann auch er keine Feste geben wie Sie, Exzellenz!«
-erwiderte Erckert; »dort ist man immer unter einem unbehaglichen
-Zwange, hier fühlt man sich wie daheim.«</p>
-
-<p>»Na, das freut mich! So ist mir’s auch am liebsten! Doch
-nun erlauben Sie mir, daß ich mich an den Kamin setze, das
-gibt mir ein absonderliches Behagen!«</p>
-
-<p>Zwanglos gruppierten sich die Gäste, und einer von ihnen
-bemerkte:</p>
-
-<p>»Sie haben doch wenigstens freie Feuerung, Exzellenz, und
-das will in Rußland etwas bedeuten.«</p>
-
-<p>»Gott bewahre, mein Bester, die muß ich auch bezahlen.
-Das Holz wäre übrigens nicht so teuer, wenn die Beamten es
-nicht so teuer machten. Da sah ich einmal schönes Holz auf
-einem finnischen Boote. Ich fragte die Bauern nach dem Preise,
-und sie nannten mir einen sehr wohlfeilen. Als ich’s aber kaufen<span class="pagenum" id="Seite_111">[111]</span>
-wollte, fragten sie mich, ob es für den Fiskus wäre. Da beging
-ich die Unvorsichtigkeit, zu antworten: Nicht für den kaiserlichen
-Fiskus, sondern für den königlich preußischen Gesandten. Preußen
-wäre wohl ein Gouvernement des russischen Reiches? Ich sagte,
-das gerade nicht, aber die Gesandtschaft hat mit der kaiserlichen
-Krone zu tun. Das war eben unvorsichtig, undiplomatisch; es
-befriedigte die Bauern offenbar nicht, und es half auch nichts,
-daß ich ihnen das Geld gleich geben wollte. Sie fürchteten ohne
-Zweifel, daß ihnen dasselbe von mir wieder abgedrückt werden
-würde, und daß man sie obendrein unter dem Vorwande, sie
-hätten das Holz gestohlen, einstecken und ihnen Prügel aufzählen
-würde. Als ich später wiederkam, waren sie alle auf und davon.
-Hätte ich ihnen die Adresse eines Kaufmanns gegeben, mit dem
-ich mich inzwischen verständigen konnte, hätte ich das Holz um
-den dritten Teil dessen gehabt, was ich sonst bezahlte.«</p>
-
-<p>Das Gespräch kam auf die Jagd, zumal sich manche schöne
-Trophäe derselben in der Wohnung Bismarcks befand.</p>
-
-<p>»Sie scheinen ein besonderer Günstling St. Huberts zu sein
-nach allem, was ich sehe und höre,« sagte einer der Anwesenden,
-und Hauptmann Erckert erwiderte:</p>
-
-<p>»Herr von Bismarck schießt eine absolut sichere Kugel. Da
-erzählte mir ein Bekannter, der Oberst M., vor kurzem, er sei
-mit fünf anderen Jagdgefährten und unserem liebenswürdigen
-Hausherrn auf die Bärenpirsch gefahren. Als der erste Bär sich
-zeigte, schoß Herr von Bismarck, und das Tier brach im Feuer zusammen;
-es kam ein zweiter Bär, der nächste Schütze fehlte ihn,
-Herr von Bismarck aber streckte ihn mit einem Prachtschuß nieder.
-Ein dritter Bär rückte an, der Oberst schoß zweimal nach demselben
-ohne Erfolg, und in demselben Augenblick hatte Herr von
-Bismarck ihn mit tödlicher Sicherheit gefällt. Ein vierter Bär
-kam nicht!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_112">[112]</span></p>
-
-<p>Das Töchterchen Bismarcks lehnte bei diesen Gesprächen an
-dem Fauteuil der Mutter, die beiden Söhne, der zehnjährige
-Herbert und der achtjährige Bill (Wilhelm), hörten dem Gespräch
-von einer Ecke des Gemaches aus zu. Als die Rede von der
-Bärenjagd war, flüsterten sie einander etwas zu und eilten dann
-hinaus. Das Gespräch hatte bald eine andere Wendung genommen,
-als sie wiederkehrten, und hinter ihnen trabten und
-kollerten zwei kleine, drollige, braune Tiere herein.</p>
-
-<p>»Ah, da kommt Mischka,« rief lachend Bismarck, einige
-Damen schrien in augenblicklichem Schrecken auf, aber als sie
-die zwei possierlichen Kerle näher ansahen, schwand jede Furcht.
-Es waren zwei junge Bären, die der Hausherr gleichfalls auf
-der Jagd erbeutet hatte. Die Tiere waren offenbar nicht das
-erstemal in den Gesellschaftsräumen der preußischen Gesandtschaft.
-Sie wälzten sich behaglich auf dem Teppich, kletterten
-sogar auf den Tisch und gingen behutsam darüberhin, und als
-ein Diener erschien und Erfrischungen servierte, schienen sie zu
-glauben, daß ihnen ein Genuß zugedacht sei, und sie hefteten
-sich an die Fersen des Mannes; als er sich nun nicht um sie kümmerte,
-zwickten sie ihn in die Beine, so daß er Mühe hatte, sich der
-drolligen braunen Burschen zu erwehren.</p>
-
-<p>So verfloß der Abend in zwangloser Heiterkeit und liebenswürdigem
-Verkehr.</p>
-
-<p>Auch in Petersburg ließ sich’s leben, und sogar mit einem
-gewissen Behagen. Die Vormittage gab es wenig zu tun, und
-sie wurden der Promenade, dem Frühstück und etwaigen Kurvorschriften
-gewidmet. Der Nachmittag bis fünf Uhr gehörte
-dem Dienst, der Abend, soweit es möglich war, der Familie.
-Sonnabend abends nahm Bismarck überdies eine Repetition vor
-mit seinen Söhnen, die sich dann mit ihren Heften bei ihm einzufinden<span class="pagenum" id="Seite_113">[113]</span>
-hatten, und die der Vater in Gegenwart ihres Hauslehrers,
-des Kandidaten Braune, sehr eingehend examinierte.</p>
-
-<p>Drei Jahre gingen in Petersburg hin, vielfach allerdings
-durch Reisen im Dienst unterbrochen. Mancher bedeutsamen
-Fürstenzusammenkunft hatte er mit dem Prinzregenten beizuwohnen,
-und am 18. Oktober 1861 war er in Königsberg Zeuge
-der erhebenden Feier der Krönung Wilhelms I., der seinem am
-2. Januar verstorbenen Bruder auf dem Throne folgte. Als
-»Wirklicher Geheimer Rat« kehrte er nach Petersburg zurück,
-und in seiner Seele leuchteten wie ein herrlicher Stern die Worte
-nach, welche der neue königliche Herr gesprochen hatte:</p>
-
-<p>»Meine Pflichten für Preußen fallen mit meinen Pflichten
-für Deutschland zusammen.«</p>
-
-<p>Noch einmal sah er die in Eisesfesseln geschlagene Newa, die
-verschneiten Paläste des Alexander Newski-Prospektes, die glänzenden
-Feste des Zarenhofs, und sein einfach-vornehm-gemütliches
-Haus war die liebliche deutsche Oase im russischen Osten.</p>
-
-<p>Im Mai 1862 war er bereits wieder in Berlin, gewärtig
-dessen, was sein König über ihn verfügen würde. Es war eine
-Zeit einer unangenehmen Spannung, und er war nahe daran, in
-das neugebildete Ministerium berufen zu werden. Aber die Sache
-blieb in der Schwebe, und Bismarck ritt jeden Morgen mit neuer
-Ungeduld auf seiner Fuchsstute hinaus in den Tiergarten, sah den
-Frühling ringsum sich entfalten und Blüten treiben und dachte
-an seine Lieben, welche indes in dem stillen Pommern weilten.
-So kam er wieder einmal heimgeritten, und das erste, was man
-ihm noch im Sattel entgegenreichte, war ein amtliches Schriftstück
-mit dem bekannten großen Siegel. Er erbrach es und las, daß
-er zum Gesandten in Paris ernannt sei.</p>
-
-<p>So ging es aus dem Osten nach dem Westen Europas, und
-noch im Mai traf er in der glänzenden Weltstadt an der Seine<span class="pagenum" id="Seite_114">[114]</span>
-ein, wo Napoleon III. sein neues Kaiserreich errichtet hatte und
-den Plan entwarf, »die Karte von Europa in Ordnung zu
-bringen.«</p>
-
-<p>Ein freundlicher Frühlingstag lachte über Paris, seinen
-glänzenden Boulevards und seinen leichtlebigen Menschen, der
-1. Juni war’s, und durch die Straßen fuhr die goldglänzende
-Hofequipage, welche den preußischen Gesandten nach den Tuilerien
-führte und zur Empfangsaudienz bei dem Kaiser. Dieser war
-freundlich und entgegenkommend, und auch die Kaiserin zeigte sich
-von einer liebenswürdigen Seite.</p>
-
-<p>Hier warm zu werden, durfte Bismarck kaum hoffen; er
-hatte die Empfindung, auf einer Durchgangsstation zu sein, die
-ihn bald entweder auf den Ministersitz in Berlin oder in das
-Stilleben des märkischen Landedelmannes führen mußte.</p>
-
-<p>Noch im Juni hatte er sich zur Weltausstellung nach London
-begeben, und dabei die hervorragendsten englischen Staatsmänner
-kennen gelernt, und nachdem ihm ein Urlaub bewilligt worden,
-verließ er das sommerheiße Paris, um den schönen Süden Frankreichs
-kennen zu lernen.</p>
-
-<p>In dem alten Königsschlosse der Orleans, Chambord, das
-wie ein Märchenbild mit seinen sonnbeglänzten stillen Hallen und
-Höfen sich vor ihm auftat, dachte er der versunkenen Herrlichkeit
-des alten französischen Herrschergeschlechts; vom alten Schlosse
-von Amboise schaute er mit Entzücken hinaus auf das blühende
-Gelände an der Loire mit den weißen Schlössern und Landhäusern,
-den weiten Maisfeldern, den dunklen Kastanienwäldern
-und den grünen Weinbergen, und durch das Land der Reben,
-wo an sonnigen Hängen von Margaux, Lafitte, St. Julien, Latour
-und Armeillac die dunkelglutigen Trauben reifen, streifte er in
-angenehmer Gesellschaft.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_115">[115]</span></p>
-
-<p>Von Bordeaux fuhr er nach Bayonne durch Fichtenwälder,
-purpurblühendes Heidekraut und gelben Ginster wie auf einem
-Blumenteppich, und von dort durch die herrlichste Landschaft nach
-San Sebastian. Zur Linken erhoben sich die gewaltigen Berge
-der Pyrenäen, zur Rechten leuchtete der Spiegel des Meeres.
-Im Fuentarabia betrat er den Boden Spaniens, »des schönen
-Lands des Weins und der Gesänge«. Steile, enge Gassen, Balkone
-vor den Fenstern, Schönheit und Schmutz und lustiges
-Lärmen von tanzenden Weibern auf dem Markte – ein fremdes,
-neues Bild!</p>
-
-<p>Dann saß er in dem berühmten Seebade Biarritz und
-schaute aus den Fenstern des Hotel l’Europe hinaus auf die
-blaue See, wie sie weiß aufschäumte zwischen den Klippen und
-gegen den Leuchtturm brandete, der in ruhiger Majestät über
-Meer und Land hinblickte. Und am Strande von Biarritz konnte
-man wohl auch an schönen Morgen, wenn der Wind kühl und
-weich zu Lande wehte, ein paar Menschen sehen, denen alle die
-anderen Badegäste nachschauten, und vor denen sich alle Häupter
-entblößten: den breitschultrigen, hochgewachsenen preußischen Gesandten
-mit dem Schlapphut auf dem mächtigen Haupte und ihm
-zur Rechten den dunkel gekleideten kleinen Mann, der trotz seines
-Zylinderhutes nicht die Größe des anderen erreichte – Kaiser
-Napoleon III.</p>
-
-<p>Zu Anfang September war Bismarck in Luchon und bestieg
-den Col de Venasque. Durch Buchenwälder ging es empor, bis
-der Schnee begann und wunderliche dunkle Seen aus dem weißen
-Rahmen und zwischen den bizarren Klippen hervorschauten. Von
-einer Höhe von 7500 Fuß schaute er hinab ins spanische Land
-mit seinen Palmen und Kastanien, wie es eingefaßt von der
-Kette des Maladetta dalag. Unter den Beschauern lag es grün
-und sonnig, durchgezogen von dem Silberband seiner Flüsse, und<span class="pagenum" id="Seite_116">[116]</span>
-im Hintergrunde abgegrenzt von schneestarrenden Gipfeln und
-bläulichen Gletschern, hinter denen das stolze Aragonien sich
-ausbreitet.</p>
-
-<p>Eine Fülle von einzig schönen, fremden Bildern prägte sich
-der Seele des deutschen Mannes ein, aber immer wieder kam
-ihm dabei der Vergleich mit dem lieben Heimatlande, seinen
-grünen Bergen und seinem alten, schönen Rhein. Und die Freude
-war nur halb für ihn, da er sie nicht mit der lieben Frau teilen
-konnte, der er oft genug seine Grüße nach dem stillen Reinfeld
-sandte.</p>
-
-<p>Am 15. September traf er in Avignon ein, dem französischen
-Rom, und hier fand er eine telegraphische Nachricht von größter
-Wichtigkeit: Sein König berief ihn als <em class="gesperrt">Minister</em> nach der
-Heimat zurück.</p>
-
-<p>Sinnend schritt der ernste Mann durch die herrlichen Gärten
-des Südens. Seine Seele war voll von den Gedanken an die
-Zukunft, aber kein Ahnen verkündete ihm noch, welchen Weg er
-eigentlich gehen, und welche Bahnen er brechen sollte. Nach
-Frieden stand seine Seele, und durch blutige Kriege sollte er
-schreiten! Über seinem Haupte rauschten noch die Ölbäume
-Frankreichs, und er griff empor und brach sich einen Zweig ab,
-den er sinnend betrachtete.</p>
-
-<p>Und mit dem Ölzweig, dem Symbol des Friedens, zog er
-in Berlin ein.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[117]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Achtes_Kapitel"><span class="smaller">Achtes Kapitel.</span><br>
-Der bestgehaßte Mann.</h2>
-</div>
-
-<p>An einem Vormittage zu Anfang des November 1862
-schritten zwei stattliche Männer durch die Straßen der preußischen
-Hauptstadt. Der eine war im Zivilanzuge mit dem dunklen
-Schlapphute auf dem mächtigen Haupte, der andere trug den
-Militärpaletot; sein ernstes, entschlossenes Gesicht mit dem kräftigen
-grauen Schnurrbart bekundete Festigkeit und Mut.</p>
-
-<p>Die beiden waren sich eben begegnet und hatten sich die Hand
-geschüttelt, dann waren sie nebeneinander hergegangen, und
-der Offizier sagte:</p>
-
-<p>»Nun, wie war’s bei der Abschiedsaudienz in Paris, lieber
-Bismarck?«</p>
-
-<p>»Das will ich Ihnen kurz berichten, bester <em class="gesperrt">Roon</em>. Am
-1. November fuhr ich höchst feierlich in St. Cloud vor und überreichte
-unter allem herkömmlichen Zeremoniell dem Kaiser mein
-Abberufungsschreiben, wobei ich ihm zugleich mitteilte, daß Seine
-Majestät mich am 8. Oktober zum Ministerpräsidenten und Minister
-der Auswärtigen Angelegenheiten zu ernennen geruht haben.
-Napoleon war sehr liebenswürdig und gutmütig, aber einen Einblick
-in unsere Verhältnisse scheint er ebensowenig zu haben wie
-große wissenschaftliche Kenntnisse; ich glaube, daß er bei uns nicht
-einmal das Referendarexamen bestehen würde. Der Kaiser meinte,
-nachdem wir hier in Preußen erst einmal den Konflikt zwischen
-der Regierung und dem Abgeordnetenhause in der Frage der<span class="pagenum" id="Seite_118">[118]</span>
-Heeresreform haben, würde es wohl nicht lange dauern, und es
-würde einen Aufstand geben in Berlin und Revolution im ganzen
-Lande, und bei einer Volksabstimmung hätte der König alle gegen
-sich. Ich sagte ihm, das Volk baue bei uns keine Barrikaden,
-Revolutionen machten in Preußen nur die Könige. Wenn der
-König die Spannung, die freilich vorhanden sei, nur drei bis
-vier Jahre aushalte, so habe er gewonnenes Spiel. Wenn er
-nicht müde würde und mich nicht im Stiche ließe, würde ich
-nicht fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen
-ließe, so hätte er schon jetzt neun Zehnteile für sich. – Der Kaiser
-soll nach meinem Weggange geäußert haben: »<em class="antiqua">Ce n’est pas un
-homme serieux</em>« (das ist kein ernsthafter Mensch).«</p>
-
-<p>»Und Sie haben in allem recht: daß wir in der Frage der
-Heeresverstärkung zum Besten Preußens nicht nachgeben dürfen,
-ist für uns selbstverständlich; sollen wir einmal dem Staat des
-großen Friedrich wieder die gebührende Stellung und vor allem
-seine Führerrolle in Deutschland sichern, so brauchen wir ein
-starkes Heer. Und daß wir das Volk auf unserer Seite haben, beweisen
-die zahlreichen Abordnungen aus allen Teilen des Landes,
-die an den König kommen, um gerade jetzt ihn der Treue und der
-Zustimmung seiner Untertanen zu versichern.«</p>
-
-<p>»Gewiß, auch ich beharre fest bei dem, was ich in der Kammer
-schon gesagt, und es ist meine tiefinnerste Überzeugung, daß
-Preußen nicht, wie so oft schon, den günstigen Augenblick für sich
-verpassen darf aus Mangel an Kraft, und daß die großen Fragen
-der Zeit zuletzt nicht durch Reden und Majestätsbeschlüsse entschieden
-werden, sondern <em class="gesperrt">durch Blut und Eisen</em>. Darin
-werde ich mich nicht irremachen lassen, und ich hoffe, die Zukunft
-wird mich verstehen.«</p>
-
-<p>Die beiden Männer kamen an dem Schaufenster einer Buchhandlung
-vorüber, und Bismarck blieb stehen:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[119]</span></p>
-
-<p>»Lassen Sie uns sehen, was es Neues gibt!« Da hingen
-wunderliche Bilder, Karikaturen, welche den Ministerpräsidenten
-in mancherlei Situation darstellten, als feudalen Junker, welcher
-mit dem Besen die großen Städte wegfegt, als Hausknecht, der
-den Saal der Abgeordneten reinigt u. a.</p>
-
-<p>Der alte General biß sich auf den grauen Schnurrbart und
-fand in seinem Unmute kein Wort, Bismarck aber lachte:</p>
-
-<p>»Sie sorgen damit besonders liebevoll für meine Popularität,
-und einzelnes ist wirklich gar nicht übel; ärgern kann ich mich
-über dies Zeug beim besten Willen nicht, ändern werden sie damit
-an mir auch nichts.«</p>
-
-<p>Und sie schritten weiter, bis an die Ecke der nächsten großen
-Straße; hier wollte Bismarck sich verabschieden, Roon aber sagte:</p>
-
-<p>»Nein doch, Verehrtester! Wenn Sie ein Stündchen Zeit
-haben, so nehmen Sie mit uns das Frühstück ein; meine Frau
-wird sich herzlich freuen – das wissen Sie!«</p>
-
-<p>»Ich bin ohnehin schon mehr bei Ihnen als daheim in meiner
-Junggesellenwirtschaft – aber Sie wollen’s nicht anders, und ich
-kann mir’s gefallen lassen, solange ich hier noch allein stehe.«</p>
-
-<p>Kurze Frist darauf saß er mit Roon zu Tische, und das
-Gespräch drehte sich nicht mehr um die leidige Politik. Der
-General äußerte, sich behaglich zurücklehnend in seinen Sessel:
-»Wenn ich mir das hätte träumen lassen, lieber Bismarck, als
-ich in Pommern als blutjunger Leutnant mit der Flinte hinauslief
-in die Felder oder Terrainaufnahmen machte und Sie als
-frischer, prächtiger Junge mich begleiten, daß wir einmal nebeneinander
-am Ministertische sitzen würden, Sie noch dazu – mit
-allem Respekt zu melden – als Präsident –«</p>
-
-<p>»Weiter können wir nun allerdings nicht kommen, und meine
-gute Mutter, die schon auf Kniephof immer einen Diplomaten<span class="pagenum" id="Seite_120">[120]</span>
-aus mir machen wollte, sollte doch einigermaßen ihre Freude an
-mir haben.«</p>
-
-<p>»Na, dafür hat jetzt Frau Johanna diese Freude!« bemerkte
-Frau von Roon.</p>
-
-<p>»Ja, meine gute Johanna! Sie kennt aber nicht bloß die
-Freuden, sondern auch die Leiden des Diplomatenlebens. Ach,
-wie ich mich danach sehne, endlich wieder die Meinen hier um
-mich zu haben in meinem einsamen Hause in der Wilhelmstraße,
-das glauben Sie kaum. Ich habe meiner Frau auch geschrieben,
-daß ich alle Tage bei den guten Roons esse, und wenn sie und
-meine Fuchsstute nicht wären, ich mir gar zu vereinsamt vorkäme.
-Dabei wie Leporello: Keine Ruh’ bei Tag und Nacht! Da wollte
-ich vor kurzem einige Tage wenigstens mich bei Malwine auf
-Kröchlendorf erholen, arbeitete bis tief in die Nacht hinein, und
-wie ich fertig war, goß ich statt des Streusandes die Tinte über
-die Geschichte, daß sie mir nur so an den Knien hinunterfloß,
-und die nächsten Tage brachten wieder so viel Arbeit, daß ich
-meinen schönen Gedanken aufgeben mußte. Aber alles für König
-und Vaterland! Unserem guten König!«</p>
-
-<p>Er hob sein Glas mit dem funkelnden Wein, und hell klang
-es durch den Raum.</p>
-
-<p>Dann kamen wiederum Tage heftiger Kämpfe. Das Abgeordnetenhaus
-war am 14. Januar 1863 wieder zusammengetreten,
-aber eine Verständigung über die von dem König gewünschte,
-von Bismarck als unbedingt notwendig verfochtene
-Heeresreform wurde zunächst nicht erzielt, ja, die Spannung zwischen
-der Regierung und den Kammern wuchs noch, als in Polen
-ein Aufstand gegen Rußland ausbrach und Preußen nur einen Vertrag
-mit demselben schloß, wonach bewaffnete polnische Banden
-und revolutionäre Flüchtlinge auch über die preußische Grenze
-verfolgt werden durften. Da die polnische Bewegung überall<span class="pagenum" id="Seite_121">[121]</span>
-große Sympathien hatte, mußte sich Bismarck heftige Angriffe
-gefallen lassen, sogar auf seine »preußische Ehre«, und wohl nur
-wenige verstanden diesen meisterhaften politischen Schachzug des
-fernblickenden Staatsmannes, der sich für künftige Vorkommnisse
-die Freundschaft des mächtigen östlichen Nachbars sichern
-wollte.</p>
-
-<p>In jenen Tagen war es, daß er in einer Gesellschaft dem
-englischen Gesandten, Sir Andrew Buchenan, begegnete, der ihn
-wegen des geschlossenen Vertrages interpellierte.</p>
-
-<p>Bismarck erklärte rund und bündig:</p>
-
-<p>»Wir können ein unabhängiges Polen an unserer Grenze
-nicht dulden.«</p>
-
-<p>»Wie aber, wenn der immerhin mögliche Fall eintritt, daß
-die Russen aus Polen hinausgeschlagen werden, was werden Sie
-dann tun?«</p>
-
-<p>»Dann müßten wir das Königreich selbst besetzen, um das
-Aufkommen einer uns feindlichen Macht zu hindern.«</p>
-
-<p>»Dies wird Europa niemals dulden – nein, dies duldet
-Europa nicht!«</p>
-
-<p>»Wer ist Europa?«</p>
-
-<p>Der Engländer war über diese Frage einigermaßen verdutzt,
-dann erwiderte er:</p>
-
-<p>»Nun, verschiedene große Nationen.«</p>
-
-<p>»Sind dieselben bereits einig darüber?«</p>
-
-<p>»Nun – die Frage ist ja – noch nicht ventiliert worden,
-aber Frankreich beispielsweise würde niemals eine neue Unterdrückung
-Polens zulassen.«</p>
-
-<p>»Und für uns ist die Unterdrückung des Aufstandes eine
-Frage über Leben und Tod; übrigens ist es nutzlos, hier nicht
-vorliegende Möglichkeiten weiter zu erörtern.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_122">[122]</span></p>
-
-<p>Das war am 11. Februar gewesen, und eine Woche später
-stand der Ministerpräsident im Abgeordnetenhause den erregten
-Volksvertretern in derselben Angelegenheit gegenüber, und
-schwertscharf gingen die Worte hin und her, so daß nicht lange
-darauf von dem König die Entlassung des Ministeriums verlangt
-wurde.</p>
-
-<p>Dieser aber hielt seinen Minister, und der Landtag wurde
-aufgelöst.</p>
-
-<p>Aber trotz aller Anfeindungen fehlte es für Bismarck auch
-nicht an ehrenvollen und ermunternden Anerkennungen. Besonders
-freute es ihn, als eine Anzahl Patrioten ihm einen Ehrendegen
-überreicht hatte, der auf der einen Seite der Klinge das Wahrwort
-des alten Ritters Frundsberg: »Viel Feind’ viel Ehr’«
-trug, auf der anderen Seite aber unter Bismarcks Wappen das
-Wort:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Das Wegkraut sollt du stehen lan,</div>
- <div class="verse indent0">Hüte dich, Jung, sind Nesseln dran.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Am 17. März 1863 hat er die schöne Waffe zum erstenmal
-getragen an einem schönen Feste. Ein halb Jahrhundert vorher
-hatte an diesem Tage König Friedrich Wilhelm III. den Aufruf
-an sein Volk erlassen zu dem heiligen Kampfe gegen Napoleon,
-und nach fünfzig Jahren versammelte König Wilhelm die Veteranen
-der Befreiungskriege um sich zu einer erhebenden Erinnerungsfeier.
-Die breite Straße Unter den Linden entlang zog die
-ehrwürdige Schar, geführt von dem Feldmarschall Wrangel, hinaus
-nach dem Lustgarten. Aus allen Fenstern wurden die ersten
-Blüten des Frühlings den greisen Männern zugeworfen, die an
-den Steinbildern ihrer heldenhaften Führer vorbeiparadierten,
-und an dem Orte Halt machten, wo das Standbild Friedrich Wilhelms
-III. sich erheben sollte. Das alte und das neue Preußen
-reichten sich hier die Hand, und Gottes helle Sonne beschien den<span class="pagenum" id="Seite_123">[123]</span>
-vom besten Streben für sein Volk beseelten König und den stattlichen
-Recken in Kürassieruniform, der an seiner Seite hielt, den
-streitbaren und festen Ministerpräsidenten.</p>
-
-<p>Der Konflikt mit der Volksvertretung jedoch dauerte fort,
-und Mißstimmung und Spannung gegen Bismarck waren noch
-im Wachsen. Aber nun konnte er sich wenigstens nach den Kämpfen
-des Tages wieder im Kreise seiner Familie erholen, und Frau
-Johanna hatte ihm in der Wilhelmstraße eine freundliche Häuslichkeit
-geschaffen.</p>
-
-<p>Hier feierte er am 1. April 1864 seinen neunundvierzigsten
-Geburtstag, und er brachte ihm zahlreiche Beweise von Liebe und
-Anhänglichkeit aus Nähe und Ferne. Unter den vielen Schriftstücken
-lief auch eins ein, das wunderlich genug war: Das polnische
-geheime Nationalkomitee in Warschau teilte ihm mit, daß
-es das Todesurteil über ihn verhängt habe, und daß er der Vollstreckung
-desselben gewärtig sein solle.</p>
-
-<p>Er las das Schreiben noch einmal, dann schritt er langsam
-dem Kamin zu, in welchem das Feuer flackerte, und warf den
-Drohbrief gleichmütig in die Flammen. Es war nicht das erstemal,
-daß ihm solches begegnete, und Frau Johanna sollte sich
-nicht ängstigen, wenn ihr der Zufall etwa ein solches Schreiben
-in die Hände brächte.</p>
-
-<p>Zu derselben Zeit war übrigens bereits eine neue bedeutsame
-Aktion im Gange. Im Herbste 1863 war der König von
-Dänemark gestorben, und da sein Nachfolger damit umging, die
-beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein gegen alles Recht
-seinem Staate einzuverleiben, nahm sich der deutsche Bund der
-Bedrängten an. Bismarck aber hatte mit weitschauendem Blicke
-erwogen, ob nicht eine Erwerbung dieser deutschen Ländergebiete
-für Preußen möglich sei, und so setzte er durch, daß Österreich
-und Preußen gemeinsam den Krieg gegen Dänemark führten. Und<span class="pagenum" id="Seite_124">[124]</span>
-er wurde, trotzdem das Abgeordnetenhaus dem Ministerpräsidenten
-die Mittel verweigerte, entschieden und glücklich geführt, und
-endete damit, daß Schleswig-Holstein an Österreich und Preußen
-abgetreten wurde. Nun handelte es sich darum, wie es mit der
-Verwaltung beziehungsweise Regierung in den Herzogtümern
-werden sollte, und Bismarck war fest entschlossen, hier in keiner
-Weise sich von Österreich übervorteilen zu lassen. Noch lag auf
-Preußen »die Schmach von Olmütz«, und diese mußte gesühnt
-werden.</p>
-
-<p>Es war im Hochsommer des Jahres 1865. Auf einer
-freundlichen, von Tannen umgrünten Höhe in dem herrlichen
-Badeorte Gastein liegt ein im Schweizerstil mit vorspringendem
-Dach und Holzveranden versehenes einfaches Haus, die Villa
-Hollandia, und hier war es, wo in den Augusttagen des genannten
-Jahres, in einer einfachen Stube, deren Fenster hinaussahen auf
-die grünen Föhren, eine Anzahl Staatsmänner in ernsten Verhandlungen
-sich zusammenfanden. Das Geschick von Schleswig-Holstein
-sollte entschieden werden. Heiß wurde hin und her gesprochen,
-während der Regen draußen tagelang niedersickerte
-und ab und zu den Ausblick verhüllte. Endlich erreichte Bismarcks
-Festigkeit und imponierende Ruhe, daß ein Vertrag vereinbart
-wurde, wonach Österreich über Schleswig, Preußen über Holstein
-Hoheitsrechte ausüben und Preußen gegen eine Abfindungssumme
-von 2½ Millionen das Herzogtum Lauenburg besitzen solle.
-Dabei gab es noch manche Nebenbestimmungen, welche Preußen
-wichtige Rechte auch für Holstein sicherten.</p>
-
-<p>Am 20. August unterzeichneten in Salzburg die beiden
-Monarchen den Gasteiner Vertrag, und nicht lange danach verlieh
-Kaiser Franz Josef Bismarck den St. Stephanusorden, sein König
-aber zeichnete ihn durch den hohen Orden vom Schwarzen Adler
-aus und erhob ihn in den Grafenstand.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_125">[125]</span></p>
-
-<p>Aber die so geschaffenen Zustände in den Elbherzogtümern
-waren unhaltbar. Österreich begünstigte in Holstein die preußenfeindlichen
-Bemühungen des Herzogs von Augustenburg, Bismarck
-protestierte dagegen, von Wien aus erfolgte eine scharfe, abweisende
-Antwort, und so spitzte sich die Spannung zwischen Österreich
-und Preußen immer mehr zu. In Österreich begann man
-bereits militärische Maßregeln zu treffen, und auch Bismarck
-blieb nicht müßig. Er sicherte dem Staate einen Bundesgenossen
-in dem Königreiche Italien und wußte sich auch der eventuellen
-Neutralität Napoleons zu versichern, und nun mochte es zum
-Äußersten kommen. Einmal mußte doch die Führerschaft über
-Deutschland mit Blut und Eisen entschieden werden.</p>
-
-<p>Im eigenen Lande aber verstand und würdigte man seine
-kühnen Pläne nicht, schalt ihn einen Friedensstörer und bekämpfte
-ihn mit gehässigen Verleumdungen, so daß zuletzt geradezu der
-Fanatismus gegen ihn entfesselt wurde.</p>
-
-<p>Es war am 7. Mai 1866 um die fünfte Nachmittagsstunde.
-Bismarck kam aus dem königlichen Palais, wo er Vortrag gehalten
-hatte, und schritt sinnend, langsamen Schrittes die Straße
-»Unter den Linden« entlang. Er erwog die eiserne Notwendigkeit
-der Entscheidung mit den Waffen, zu welcher sein friedliebender
-Monarch sich noch immer nicht entschließen mochte, und
-so hatte er weder ein Auge für den beginnenden Frühling in
-den jungbegrünten Bäumen, noch für die Menschen, welchen er
-begegnete.</p>
-
-<p>So kam er bis in die Nähe des russischen Botschaftshotels.
-Da hörte er plötzlich rasch nacheinander hinter sich zweimal einen
-kurzen Knall und fühlte beinahe gleichzeitig einen Schmerz in der
-Seite. Er wandte sich schnell um, und siehe, ganz nahe hinter
-ihm stand ein junger Mann, der mit dem Revolver in seiner<span class="pagenum" id="Seite_126">[126]</span>
-Rechten gerade nach ihm hinzielte. Blitzschnell sprang er zu und
-faßte nach der Hand des Attentäters sowie nach dessen Kehle.
-Da ging der Schuß los und streifte den Minister an der Schulter;
-ehe es dieser versah, hatte der freche Angreifer auch schon die
-Waffe in die Linke genommen und feuerte noch zweimal aus
-unmittelbarster Nähe auf Bismarck; der eine Schuß fehlte, der
-andere aber traf eine Rippe, und der Getroffene fühlte den
-erschütternden Schlag so gewaltig, daß ihn die Besinnung zu
-verlassen drohte. Aber er bezwang sich mit eiserner Gewalt und
-hielt den Menschen fest. Das alles war wie in einem einzigen
-Augenblicke geschehen, und jetzt erklangen ganz nahe Weisen eines
-militärischen Marsches. Ein Bataillon des zweiten Garderegiments
-zog mit klingendem Spiele vorüber. Offiziere und Soldaten
-sprangen heran, und wenige Minuten später wurde der Attentäter
-gefangen abgeführt.</p>
-
-<p>Der Minister atmete einigemal tief auf; über ihm lacht
-der blaue Lenzhimmel, um ihn bewegt sich die geschäftige Welt
-wie vordem, und die Klänge des fröhlichen Marsches schlagen
-noch immer an sein Ohr – und doch hat er in Minuten Großes
-erlebt. Er schritt langsam, aber von dem seltsam erhebenden
-Gefühl des göttlichen Schutzes erfüllt, weiter, und in seiner
-Wohnung in der Wilhelmstraße stieg er bereits völlig ruhig die
-Treppen hinan und begab sich nach seinem Arbeitsgemache, um
-vor allem seinem König die aufregende Meldung von dem Geschehenen
-zu machen.</p>
-
-<p>Dann wechselte er den Anzug und begab sich in den Salon
-seiner Gemahlin. Er traf hier Gesellschaft, Damen und Herren,
-und begrüßte sie in seiner gewohnten liebenswürdigen Weise, indem
-er scherzend, zu Frau Johanna gewandt, beifügte:</p>
-
-<p>»Warum essen wir denn heute gar nicht?«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[127]</span></p>
-
-<p>Dann schritt er auf eine der Damen zu, um sie zu Tisch
-zu führen, und dabei fand er Gelegenheit, indem er seine Gemahlin
-leicht auf die Stirne küßte, ihr zuzuflüstern:</p>
-
-<p>»Mein Kind, sie haben auf mich geschossen, aber sei ruhig,
-es ist nichts!«</p>
-
-<p>Die Gräfin erbleichte, und ein banger Schauer ließ sie einen
-Augenblick erbeben – da war das Ereignis nicht länger zu verheimlichen.
-Eine gewaltige Erregung bemächtigte sich der Gäste,
-schreckensvolle Fragen, ängstliche Ausrufe klangen durcheinander,
-aber mit ruhigem, verbindlichem Lächeln bat der Minister die
-Herrschaften, sich zu Tisch zu begeben. Nun erzählte er kurz,
-wie sich alles zugetragen, und dann aß er mit solcher Ruhe, als
-ob er von einem Fremden berichte, während seine Gemahlin sowie
-die Gäste nicht imstande waren, sich um die aufgetragenen Speisen
-zu kümmern.</p>
-
-<p>Man hatte den Arzt rufen lassen, der rasch genug zur Stelle
-war und nach seiner Untersuchung die Erklärung abgeben konnte,
-daß die erhaltenen Verletzungen durchaus leicht und unbedenklich
-seien.</p>
-
-<p>»Bei fünf Schüssen aus solcher Nähe,« sagte einer der Anwesenden
-– »das ist wunderbar.«</p>
-
-<p>»Gewiß,« erwiderte der Arzt – »hier gibt es eben nur eine
-Erklärung – Gott hat seine Hand dazwischen gehabt.«</p>
-
-<p>Es war wahrlich kein ruhiges Diner, das an jenem Maitag
-im Ministerhotel in der Wilhelmstraße abgehalten wurde. Die
-Kunde von dem Attentat hatte sich mit ungeheurer Schnelligkeit
-verbreitet, und zu Wagen und zu Fuß kamen jetzt die hochgestelltesten
-Persönlichkeiten der Hauptstadt, um ihre Glückwünsche
-auszusprechen.</p>
-
-<p>Allen voran war König Wilhelm gekommen. Bismarck war
-dem teuren Herrn entgegengeeilt, und in einem stillen, einsamen<span class="pagenum" id="Seite_128">[128]</span>
-Gemache standen die beiden allein sich gegenüber. Tief ergriffen
-schaute der Herrscher seinem treuesten Diener in die Augen,
-drückte ihm die Hände und zog ihn an sich wie einen lieben Freund,
-Bismarck aber konnte auf die gütigen Worte nur eines erwidern:</p>
-
-<p>»Mein Leben gehört Eurer Majestät zu jeder Stunde, ob
-ich für Sie sterbe auf dem Schlachtfelde oder durch die Hand
-eines Mörders!«</p>
-
-<p>Prinzen, Minister, Gesandte der fremden Mächte drängten
-sich in den nächsten Stunden herbei, um ihre Teilnahme und
-ihre Freude auszudrücken, und ehe sich noch der Abend niedersenkte
-in die Straßen der Residenz, strömten auch die Scharen
-des Volkes in der Wilhelmstraße zusammen, um ihre Grüße und
-Wünsche dem wunderbar Geretteten darzubringen. Der Haß
-gegen ihn schien wie hinweggewischt, all die Tausende, welche
-hier durcheinanderwogten, und stürmisch ihn zu sehen verlangten,
-empfanden jetzt vielleicht einen Hauch seines patriotischen, opferbereiten
-Geistes, und als er an das Fenster trat und die
-jubelnden, begeisternden Zurufe der Menge an sein Ohr schlugen,
-da wurde die Seele des gewaltigen Mannes wundersam ergriffen,
-da hatte er noch fester die Überzeugung, daß der Weg, welchen
-er gehe, der rechte sei.</p>
-
-<p>Erst die Nacht brachte Ruhe in die Bewegung; im Ministerpalais
-in der Wilhelmstraße schloß Bismarck sein Tagewerk mit
-einem stillen Dankgebet und mit dem Gedanken, daß der Himmel
-selbst ihm ein Zeichen gegeben, daß er ihn schützen wolle bei
-allem, was er für des Vaterlandes Ehre unternehmen würde …
-und zur selben Stunde beinahe, in welcher er mit dem Frieden
-eines guten Gewissens sein Lager aufsuchte, hatte sich der frevelhafte
-Attentäter, der fanatische Karl Cohen, mit seinem Taschenmesser
-die Pulsader durchgeschnitten. Er war am anderen Morgen
-eine Leiche.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[129]</span></p>
-
-<p>Jetzt mochten die Würfel weiterrollen, er wollte und mußte
-die gerechte Sache, die er begonnen, fortführen. Und die
-Ereignisse gingen nun schnell genug. Österreich selbst drängte
-der Katastrophe entgegen. Mit Verletzung des Gasteiner Vertrags
-überwies der Kaiser die Entscheidung über Schleswig-Holstein
-dem deutschen Bund, berief die holsteinsche Ständeversammlung,
-und als Preußen, um sein Mitbesitzrecht zu wahren, Truppen
-in Holstein einrücken ließ, stellte er beim deutschen Bunde den
-Antrag, gegen Preußen das Bundesheer mobil zu machen.</p>
-
-<p>Das geschah am 11. Juni 1866. Und nun kam das Ende der
-morschen, kraftlosen deutschen Bundesversammlung.</p>
-
-<p>Am 12. Juni fand die Abstimmung statt; mit 9 Kurialstimmen
-gegen 6 wurde die Bundesexekution gegen Preußen
-beschlossen, dessen Gesandter nunmehr im Namen seiner Regierung
-den Bund als zerrissen erklärte mit dem Beifügen, daß dieselbe
-auf besseren Grundlagen einen neuen zu errichten bemüht sein
-werde.</p>
-
-<p>Nun mußte die Entscheidung durch die Waffen kommen. Eine
-fieberhafte Erregung ergriff die Gemüter, zumal in der Hauptstadt.
-Tag und Nacht arbeitete Bismarck, der Telegraph spielte
-ununterbrochen und trug seine Botschaften weit hinaus ins Land:
-Der König rief sein Heer.</p>
-
-<p>In jenen Tagen saß der Minister einst im Vorzimmer des
-Herrschers. Dieser war noch mit seinem kriegerischen Beirat in
-ernsten Verhandlungen begriffen, welche sich außergewöhnlich in
-die Länge zogen. Stille war rings um den Staatsmann, der
-Tag war heiß, die Nacht arbeitsvoll gewesen. Da sank ihm
-langsam das Haupt auf die Brust, die Natur machte auch an
-dem Gewaltigen ihr Recht geltend – er schlummerte ein. Nach
-einiger Zeit öffnete sich die Tür des königlichen Arbeitszimmers,
-und heraus trat ein Mann in Generalsuniform, eine Mappe in<span class="pagenum" id="Seite_130">[130]</span>
-der Hand. Er war weder sehr groß noch sehr kräftig, aber
-aus dem bartlosen Gesichte mit den scharfgeschnittenen, geistvollen
-Zügen sahen ein paar klare, kluge Augen, und um den schmalen
-Mund lag das Gepräge unerschütterlicher Ruhe und Festigkeit.</p>
-
-<p>Das war <em class="gesperrt">Moltke</em>, der große Generalstabschef, die Seele
-der Schlachten, der schweigende Kriegesdenker.</p>
-
-<p>Er sah den Minister etwas wenig zusammengesunken in
-seinem Stuhle sitzen, und es überkam ihn beinahe eine Wehmut.
-»Er hat so viel gewacht für König und Vaterland« – dachte
-er – »wie gern gönnt’ ich ihm den Schlummer – aber es darf
-nicht sein!«</p>
-
-<p>Leise berührte er Bismarcks Arm, dieser öffnete die Augen,
-sprang empor, und eingedenk der Situation drückte er dem
-anderen warm die Hand und schritt hinein in das Arbeitsgemach
-des Königs.</p>
-
-<p>In den Junitagen begann der Bruderstreit.</p>
-
-<p>Bei Langensalza wurde das Heer der Hannoveraner samt
-seinem König gefangen, und in Böhmen geschahen die ersten siegreichen
-Gefechte. Eine bange Erwartung lag über den Straßen
-Berlins, so schwül wie das sommerheiße, gewitterbange Wetter.
-Da brachte der Telegraph die ersten Siegeskunden. Am 29. Juni
-ging ein Wogen und ein Treiben, belebter als sonst, durch die
-Straßen der Hauptstadt. Unter den Linden vor dem Palais des
-Königs staute sich die Menge, begeisterter Zuruf klang hinauf zu
-den Fenstern, und in das stürmische Jauchzen schollen die Klänge
-der Vaterlandsweisen, welche zuletzt übergingen in das machtvolle
-Streit- und Siegeslied Martin Luthers: Ein’ feste Burg
-ist unser Gott!</p>
-
-<p>Es waren Stunden einer gewaltigen Erhebung und Bewegung;
-aber die Menge hatte auch den Hauch jenes Geistes
-gefühlt, der von der Wilhelmstraße herkam, und Bismarck, der<span class="pagenum" id="Seite_131">[131]</span>
-»Bestgehaßte«, wurde mit einem Zauberschlage der Bewunderte
-und Gefeierte. Die Volksmenge wälzte sich in dichtem Strome
-nach seiner Wohnung; die breite Straße vermochte sie nicht
-zu fassen alle die Tausende, die nach ihm riefen und ihm ihre
-Freude und Verehrung ausdrücken wollten. Dunkle Wetterwolken
-schwankten am Himmel, glutheiß lag es in der Luft – da
-trat Bismarck an das Fenster. In den Jubelsturm der Menge
-dröhnte ein langhallender Donner, der einem Blitze folgte, welcher
-mit seinem bläulichen Schein das bewegte Bild erhellt hatte –
-dann wurde es still, und Bismarck redete, kurz und klar, ergriffen
-und ernst, und als er mit einem Hoch schloß auf den
-König, da schien die Straße zu erbeben unter der Gewalt der
-Begeisterung.</p>
-
-<p>Und wieder am Himmel ein flammender Blitz, ein schweres
-Rollen des Donners, und Bismarck rief:</p>
-
-<p>»Der Himmel schießt Salut zu unseren Siegen!«</p>
-
-<p>Einen Tag später war er mit seinem Könige auf dem Wege
-ins Böhmerland.</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<h2 class="nobreak" id="Neuntes_Kapitel"><span class="smaller">Neuntes Kapitel.</span><br>
-Im böhmischen Feldzuge.</h2>
-</div>
-
-<p>Ein trüber Himmel breitete sich über der böhmischen Stadt
-Gitschin aus, und ab und zu sickerte der Regen nieder in die
-grauen Gassen. Der stille Ort sah an jenem 2. Juli hohe Gäste,
-wenn er sie auch freilich nicht willkommen hieß. Der König war<span class="pagenum" id="Seite_132">[132]</span>
-mit Bismarck, Moltke, Roon und anderen hier eingetroffen, und
-traf von hier aus die Verfügungen für den nächsten Tag – den
-Tag der Entscheidung. Bismarck wußte, was von diesem abhing,
-und während in schweigender Nacht die Ordonnanzen auf allen
-Wegen hinjagten und der Regen klingend gegen die Fenster schlug,
-fand er lange keinen Schlaf. Er hatte in den Lazaretten an den
-Betten der Verwundeten gestanden und hatte mehr als irgendeiner
-empfunden, wie die Verantwortung für dies vergossene Blut und
-für diese Schmerzen auf ihm ruhe, und er dachte seines Königs,
-dem er aus treuester Überzeugung zu diesem Kampf raten mußte,
-und endlos lang dehnte sich die trübe Sommernacht.</p>
-
-<p>Am frühen Morgen folgte der Aufbruch. Noch immer weinte
-es aus den grauen Wolken nieder, als die offenen Wagen, in
-deren erstem der König mit Moltke, im zweiten Bismarck mit
-dem Geheimen Legationsrat von Keudell saßen, durch Gitschins
-Straßen hinausrollten gegen <em class="gesperrt">Sadowa</em>. Drei Stunden später
-– es war 8 Uhr morgens – hielt der König auf seiner Rappstute,
-von seinem Gefolge umgeben, auf der Höhe von Dub und
-sah hinaus in die Ebene von <em class="gesperrt">Königgrätz</em>, und der begeisterte
-Zuruf der Soldaten mischte sich mit dem Dröhnen der Kanonen …
-Die schwere, entscheidende Schlacht war im Gange.</p>
-
-<p>Unfern von seinem König hielt auf seiner kräftigen Fuchsstute
-Bismarck. Nebel und Pulverdampf wogen auf dem Walfelde
-durcheinander und verhüllen oft die Bewegungen der Truppen,
-langsam gehen die furchtbaren Stunden, und es ist um die
-Mittagszeit. Das preußische Heer ist in der Minderzahl, und seine
-Führer spähen besorgt gegen Nordwesten aus, von woher die
-Armee des Kronprinzen, die sehnlich erwartete, eintreffen sollte.</p>
-
-<p>Der schweigsame Schlachtenlenker Moltke aber sitzt wie aus
-Erz gegossen auf seinem Pferde; sein Gesicht ist ruhig, und klar
-und sicher schauen die hellen Augen auf die wogende Schlacht.<span class="pagenum" id="Seite_133">[133]</span>
-Bismarck reitet an ihn heran; er zieht sein Zigarrenetui heraus
-und reicht es geöffnet dem großen Strategen hin. Der sieht auf
-die beiden Zigarren, welche es enthält, mit einem prüfenden
-Blicke, dann greift er langsam nach der einen. Über die Züge des
-Ministers fliegt es wie ein leises Lächeln, er reitet zu seinem
-König zurück und spricht zu diesem:</p>
-
-<p>»Majestät, unsere Sache muß gut stehen, denn Moltke hatte
-eben noch die Kaltblütigkeit, aus meinem Etui die bessere Zigarre
-auszuwählen.«</p>
-
-<p>Noch immer spähten die Blicke nach Nordosten. Dunkle
-Streifen traten am Horizont hervor, die man bisher nicht bemerkt
-zu haben meinte. »Ackerfurchen!« sagte jemand aus der
-Umgebung des Königs, Bismarck aber schaute scharf aus, und
-plötzlich rief er:</p>
-
-<p>»Das sind keine Ackerfurchen, die Zwischenräume ändern
-sich – das sind marschierende Kolonnen!« Ein tieferer Atemzug
-hob die Brust des Königs, dankend schaute eine Sekunde
-lang sein Auge gegen den grauen Himmel … Nun kam die
-Entscheidung. Nicht lange danach donnerten von Chlum her die
-preußischen Kanonen, der Kronprinz griff ein in die Schlacht, und
-der Sieg konnte den Preußen nicht mehr entrissen werden.</p>
-
-<p>Da übermannte den König seine Bewegung. Er sprengte
-dicht heran an seine zujauchzenden Soldaten, die nach seinen
-Händen, nach seinem Mantel faßten und ihre Lippen daraufdrückten.</p>
-
-<p>Die Kugeln sausten und schlugen ringsum ein, eine zerspringende
-Granate zerschmetterte ein Dutzend Reiter vom sechsten
-Kürassierregiment in nächster Nähe des Herrschers, und Rosse und
-Männer wälzten sich blutig übereinander, da ritt Bismarck dicht
-heran an den König, der mit voller Ruhe nur auf die freudig
-bewegten Truppen achtete, und sagte:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_134">[134]</span></p>
-
-<p>»Als Major habe ich Eurer Majestät keinen Rat zu erteilen,
-als Ministerpräsident aber bin ich verpflichtet, Eure Majestät zu
-bitten, sich nicht auf diese Weise der Gefahr auszusetzen.«</p>
-
-<p>Der König wendete sich lächelnd dem treuen Warner zu:</p>
-
-<p>»Wohin soll ich denn als Kriegsherr reiten, wenn meine
-Armee im Feuer steht?«</p>
-
-<p>Bismarck entgegnete:</p>
-
-<p>»Majestät, wenn Sie auch keine Rücksicht auf Ihre Person
-nehmen, so haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten,
-von dem Ihr getreues Volk seinen König fordern
-wird; im Namen dieses Volkes bitte ich Sie, diese gefährliche
-Stelle zu verlassen!«</p>
-
-<p>Der König sah gerührt den Treuen an, reichte ihm die Hand
-und ritt langsam weiter, viel zu langsam für den besorgten Begleiter,
-der seine Erregung nicht mehr bezwingen kann und mit
-seiner Stiefelspitze das Pferd des Herrschers in die Flanke stößt,
-daß es rascher ausgreift.</p>
-
-<p>Die Entscheidungsschlacht war zu Ende – Bismarck sah
-am Abend auf einen der gewaltigsten Tage in der Geschichte
-Preußens zurück. Der Abend senkte sich auf das blutige Gefilde,
-Verwundete und Sterbende stöhnten ringsum, und das Grauen
-schritt über das furchtbare Feld. Da sah Bismarck, wie er so
-dahinritt, einen Dragoner zur Seite des Weges liegen. Beide
-Beine waren dem Unseligen zerschossen, der regungslos dalag
-und nur mit einem unsäglich bittenden Blick nach dem Reiter
-schaute. Diesem tat der Jammer des Unglücklichen weh, er
-stieg vom Pferde und trat an ihn heran. Gern hätte er ihm
-eine Linderung oder Erquickung angedeihen lassen, er suchte in
-allen Taschen – aber er fand nichts. Da stieß er mit der Hand
-an sein Zigarrenetui. Noch eine Zigarre lag darin, sie sollte<span class="pagenum" id="Seite_135">[135]</span>
-ihm selbst ein Labsal sein nach den Anstrengungen und Aufregungen
-des Tages – aber der arme Teufel mit seinen zerschossenen
-Beinen brauchte ein solches mehr, und rasch entschlossen
-zog er seinen Schatz hervor, rauchte das duftende Kraut an und
-steckte es dem Verwundeten zwischen die Zähne. Aus den Augen
-des Soldaten aber leuchtete ein Blick unsäglicher Dankbarkeit,
-welchen Bismarck nicht vergessen konnte, und besser hat ihm, nach
-seinem eigenen Geständnis, keine Zigarre geschmeckt als diese,
-welche er – nicht geraucht hatte.</p>
-
-<p>Vorwärts ging es, hinein in die sinkende Sommernacht, in
-Verfolgung des geschlagenen Gegners, und der Ministerpräsident
-kam bis hart vor die Laufgräben der Festung Königgrätz. Dann
-ritt er zurück, um sich ein Nachtquartier zu suchen. Seinen König
-hatte er untergebracht, wenn auch nicht besonders bequem; auf
-einem harten Sofa hatte derselbe ein Lager gefunden, nun galt es,
-für sich selbst ein Plätzchen zu finden, wo das müde Haupt
-ruhen konnte.</p>
-
-<p>Die Nacht war dunkel und kühl, der Regen rann noch immer
-in dünnen Strähnen, und in dem Städtchen Horic waren alle
-Lichter längst erloschen, als Graf Bismarck durch die engen und
-schlechtgepflasterten Straßen ging. Er pochte da und dort an
-den Türen – niemand hörte, nur das Bellen verschlafener
-Hunde klang durch die Stille. Unmutig schlug er gegen die
-Fenster, daß die Scheiben splitterten – alles vergebens, das
-kleine Nest war wie ausgestorben.</p>
-
-<p>Endlich fand er in der Dunkelheit einen Torweg, durch
-welchen er in einen Hofraum hineintappte. Im schmutzigen,
-weichen Boden sank der Fuß tief ein, endlich verlor er fast völlig
-den Grund und sank nieder auf das zwar nicht harte, aber sehr
-übelriechende Bett eines Düngerhaufens. Dreizehn Stunden war
-er im Sattel gewesen, seine Glieder waren wie zerschlagen, aber<span class="pagenum" id="Seite_136">[136]</span>
-hier konnte er doch nicht bleiben. So raffte er sich aufs neue
-auf und suchte wieder die dunkle, unheimliche, stille Gasse auf
-und schritt bis auf den Marktplatz. In verschwommenen Umrissen
-standen die grauen Häuser da, dazwischen eine Art offener
-Halle. Dahin wandte sich Bismarck, und ob er auch die Überzeugung
-gewann, daß der Ort eigentlich zum Aufenthalt für
-Rinder bestimmt war, streckte er sich – froh, ein Dach über dem
-Kopfe und ein altes Wagenkissen unter demselben zu haben –
-auf die harten Fliesen aus und versank in Schlummer.</p>
-
-<p>Aber noch einmal sollte er geweckt werden. Der Großherzog
-Friedrich Franz von Mecklenburg fand den Schläfer und beeilte
-sich, ihm in seinem eigenen Zimmer ein wenigstens einigermaßen
-behaglicheres Lager zu verschaffen.</p>
-
-<p>In dem traurigen kleinen Horic befand sich in den nächsten
-Tagen auch das Hauptquartier des Königs, und hier traf in der
-Nacht zum 5. Juli eine Depesche Napoleons III. ein, welcher
-sich zum Friedensvermittler mit Österreich anbot und einen
-Waffenstillstand in Anregung brachte. Der König geriet darüber
-in heftige Erregung, Bismarck jedoch, der Mann der eisernen
-Selbstbeherrschung, fand auch hier die richtige Antwort. Den
-Frieden wollte er gleichfalls, nur mußte der Preis dafür ein entsprechender
-sein, und so erhielt der französische Kaiser die in bestimmter
-Form gehaltenen preußischen Vorschläge: »Österreich erkennt
-die Auflösung des alten deutschen Bundes an und widersetzt
-sich nicht einer neuen Organisation Deutschlands, an welcher
-es keinen Teil nimmt. Preußen bildet eine Union Norddeutschlands,
-welche alle Staaten nördlich der Mainlinie umfaßt. Die
-deutschen Staaten südlich vom Main haben die Freiheit, unter
-sich eine süddeutsche Union zu schließen. Die zwischen der nördlichen
-und südlichen Union zu erhaltenden nationalen Bande werden
-durch freies, gemeinsames Einverständnis geregelt. Die Elbherzogtümer<span class="pagenum" id="Seite_137">[137]</span>
-werden mit Preußen vereinigt. Österreichs Integrität
-außer Venetien wird erhalten.«</p>
-
-<p>Während die Verhandlungen noch schwebten, rückten die
-preußischen Truppen unaufhaltsam vor gegen die Kaiserstadt an
-der Donau, und wenn eine Besetzung derselben verhindert werden
-sollte, galt es für die beteiligten Mächte rasch zu handeln.</p>
-
-<p>In Mähren liegt eine kleine Stadt, <em class="gesperrt">Nikolsburg</em> mit
-Namen, überragt von einem stolzen Schlosse, dessen Warte stattlich
-ins Land hinaussieht; es ist Eigentum des Grafen Mensdorff
-und kam in den Julitagen des verhängnisvollen Jahres 1866 zu
-großer geschichtlicher Bedeutung.</p>
-
-<p>Hier hatte König Wilhelm sein Hauptquartier, und hier
-fand sich am 18. Juli auch Graf Bismarck ein. Sinnend schritt
-er mit seinem Begleiter, dem Geheimen Legationsrat von Keudell,
-durch den Torbogen in den weiten, von stolzen Gebäuden umgebenen
-Hof, und wie er sein Auge darübergleiten ließ,
-sprach er:</p>
-
-<p>»Mein altes Schönhausen ist doch nichts dagegen, dennoch
-ist mir’s lieber, daß wir hier bei Graf Mensdorff sind, als daß
-er jetzt bei mir wäre.«</p>
-
-<p>In Nikolsburg fanden sich auch die Vertreter Österreichs und
-Italiens ein, und die Friedensverhandlungen begannen. Und hier
-brauchte es der ganzen geistigen Überlegenheit, der rückhaltlosen
-Tatkraft Bismarcks, um zu Ende zu führen, was er begonnen
-hatte. Friede wollte er haben, und er wollte ihn zum Abschluß
-bringen, trotzdem die Generale des siegreichen preußischen Heeres
-die Waffen noch nicht niederlegen wollten. Selbst der König
-schien jetzt kriegerisch gesinnt, und sein Ministerpräsident mußte
-auch ihm gegenüber seinen Standpunkt verfechten:</p>
-
-<p>»Majestät, wir haben eine Höhe erreicht, von der aus die
-Wasser von selbst abfließen ohne Gewalt. Uns droht der Einfall<span class="pagenum" id="Seite_138">[138]</span>
-der Franzosen in Süddeutschland, und ein neuer Kampf
-würde unsäglich viel Blut kosten, und die Cholera ist uns auf
-den Fersen. Ich kann die Verantwortlichkeit der Fortsetzung des
-Krieges nicht auf mich nehmen und müßte zurücktreten.«</p>
-
-<p>Das verfehlte seine Wirkung nicht, und Bismarck erreichte
-bei seinem König auch die Zustimmung zu den meisten Einzelheiten
-seiner Friedensvorschläge, und während ein Waffenstillstand
-die bewehrten Gegner auseinanderhielt, ward in Nikolsburg auf
-den von Bismarck entworfenen Grundlagen weiter verhandelt.
-Am 26. Juli aber konnte der Meister der Politik sein Werk als
-fertig betrachten, und es war eines Meisters wert. Preußen
-sollte eine Vermehrung erfahren um die Gebiete von Hannover,
-Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt a. M. und
-eine ansehnliche Kriegsentschädigung. Dabei war Energie mit
-kluger Rücksichtnahme gepaart worden, der Weg zur Versöhnung
-mit dem Gegner war offen geblieben, das diesem verbündete
-Sachsen geschont worden, und worauf Bismarck sich viel zugute
-tun durfte – das alles war erreicht durch Preußens eigene
-Kraft, und fremde Einmischung war ferngehalten worden.</p>
-
-<p>Wohl hatte Napoleon seinen Abgesandten Benedetti nach
-dem Kriegsschauplatze geschickt und einen Einfluß in die Friedensverhandlungen
-gewinnen wollen, aber es war nicht geglückt. Die
-Friedenspräliminarien waren fertig und brauchten nur noch unterzeichnet
-zu werden, da erschien Benedetti in Nikolsburg. Er ließ
-sich bei Bismarck anmelden, und dieser empfing ihn, obwohl ihn
-die Aufdringlichkeit des Franzosen unangenehm berührte,
-freundlich.</p>
-
-<p>Der französische Gesandte sprach:</p>
-
-<p>»Ich habe die Ehre, im Auftrage meines Souveräns Ihnen
-mitzuteilen, daß derselbe, wenn er seine Zustimmung zu einer
-ansehnlichen Vergrößerung Preußens geben solle, eine angemessene<span class="pagenum" id="Seite_139">[139]</span>
-Entschädigung für Frankreich verlangen müsse. Sobald der Kaiser
-seine Vermittlerrolle in der preußisch-österreichischen Sache zu
-Ende geführt haben wird, wird er nicht verfehlen, sich mit der
-Regierung seiner Majestät des Königs von Preußen deshalb
-auseinanderzusetzen.«</p>
-
-<p>Bismarck wurde von heißem Unmut erfaßt, aber zugleich
-auch von einem Gefühl der Befriedigung darüber, daß der
-Franzose zu spät kam. Sehr höflich, doch mit Festigkeit entgegnete
-er:</p>
-
-<p>»Ich bedaure, Eurer Exzellenz bemerken zu müssen, daß
-amtliche Mitteilungen solcher Art heute durchaus nicht am
-Platze sind. Preußen hat die Vermittlung Frankreichs nicht
-gesucht und ist meines Erachtens um so weniger zu etwas
-verpflichtet, als der Friede bereits fertig ist ohne Intervention
-Ihres Souveräns und die Präliminarien noch in dieser Stunde
-unterzeichnet werden.«</p>
-
-<p>Er wandte sich ab mit einer Verneigung gegen den verblüfften
-französischen Staatsmann und ging in sein Gemach.
-Die verhaltene Erregung brach nun bei ihm durch. Die Tränen
-schossen dem gewaltigen Manne aus den Augen, vor die er seine
-Hände preßte, ein Schluchzen erschütterte den starken Recken, der
-von einem Weinkrampf erfaßt, eine Zeitlang vergebens nach
-Fassung rang. Es war des Großen und Erschütternden selbst
-für ihn zuviel gewesen in jenen Julitagen des Jahres 1866.</p>
-
-<p>Nun ging es wieder der Heimat zu. Mit seinem König
-traf Graf Bismarck am 4. August bereits in Berlin ein, begrüßt
-von einer enthusiastischen Volksmenge, die in maßloser Begeisterung
-dem König und seinem ersten Minister entgegenjubelte. Und
-schon am nächsten Tage klangen im weißen Saale des königlichen
-Schlosses die Friedensworte des Herrschers, mit welchen dieser
-den Landtag eröffnete. Begeisterung in allen Häusern, in allen<span class="pagenum" id="Seite_140">[140]</span>
-Herzen, ein ganzes Volk, das dem so lange »bestgehaßten« Manne
-zujauchzte! Diesem aber ging die Seele auf bei dem Gedanken,
-wie Gott alles zum Herrlichen gewendet hatte, und in dem Hause
-in der Wilhelmstraße herrschte Glück und Freude.</p>
-
-<p>Am Abend des 7. August war ein kleiner Kreis von Freunden
-hier versammelt. Im Salon saßen sie beisammen um den
-Teetisch, und die anmutige Hausfrau wetteiferte an Liebenswürdigkeit
-mit dem Gatten, der ganz das Behagen seiner wohltuenden
-Häuslichkeit empfand. Das war der gewohnte sonnige
-Hauch, welcher durch diese Räume wehte, der Hauch der vornehmsten
-und anmutigsten Gastlichkeit, welcher jedem den Aufenthalt
-hier so lieb machte.</p>
-
-<p>Es mochte um die zehnte Stunde sein, da meldete der Diener
-dem Hausherrn, daß der französische Botschafter Benedetti um
-die Ehre einer dringenden Unterredung bitte. Bismarck war
-gewohnt, sich zu beherrschen; er entschuldigte sich in liebenswürdigster
-Weise bei seinen Gästen und ging nach seinem Kabinett.
-Er wußte wohl, weshalb der Franzose gekommen war; es war
-dieselbe Angelegenheit, welche er schon in Nikolsburg berührt
-hatte, die Frage wegen Abtretung deutschen Gebiets an Frankreich;
-aber Preußens Ministerpräsident war entschlossen, diesmal
-eine ganz unzweideutige Antwort zu geben. Und er durfte das;
-seines Königs Paladine Moltke und Roon hatten die Waffen
-geschliffen und konnten mit ruhiger Sicherheit auf eine schlagbereite
-Armee hinweisen, die stark genug sein würde, es auch
-mit Frankreich aufzunehmen.</p>
-
-<p>Das ging ihm rasch noch einmal durch den Sinn, als er
-in sein Kabinett eintrat und Benedetti ihn mit höflicher Entschuldigung
-wegen der Störung begrüßte.</p>
-
-<p>»Sie vermuten, weshalb ich Sie um einiges von Ihrer Zeit
-bitte,« begann der Franzose.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_141">[141]</span></p>
-
-<p>»Die schriftlichen Mitteilungen Ihrer Regierung, welche mir
-zugegangen sind, lassen mich annehmen, daß es sich um die von
-Frankreich gewünschte deutsche Gebietsabtretung handle.«</p>
-
-<p>Sie hatten sich beide niedergelassen, und Benedetti fuhr fort:</p>
-
-<p>»Frankreich glaubt für seine Haltung in der jüngsten Verwicklung
-einen Tribut der Dankbarkeit verdient zu haben.«</p>
-
-<p>»Und worin sollte dieser Tribut bestehen?«</p>
-
-<p>»Frankreich wünscht seine Grenze vom Jahre 1814 wiederhergestellt
-zu sehen.«</p>
-
-<p>»Das heißt, wir sollen links des Rheines bayrisches, hessisches
-und preußisches Gebiet abtreten –«</p>
-
-<p>»Nebst der Festung Mainz.«</p>
-
-<p>»Und Ihre Regierung meint, daß wir darauf eingehen
-würden?«</p>
-
-<p>»Sie hofft dies im Interesse Preußens, das noch nicht
-seinen Frieden gemacht hat mit den süddeutschen Staaten und
-nicht neue Verwicklungen wünschen kann.«</p>
-
-<p>»Solche wünschen wir nicht, aber wir fürchten sie auch nicht,
-Exzellenz; darum bitte ich Ihre Vorschläge kurz und bündig zu
-präzisieren!«</p>
-
-<p>»Nun denn: Das linke Rheinufer mit Mainz oder Krieg!«</p>
-
-<p>Bismarcks Falkenauge blitzte hell auf, eine flüchtige Röte
-huschte über sein Gesicht, und er sah den anderen fest und ruhig
-an, als er sprach:</p>
-
-<p>»Dann also Krieg!«</p>
-
-<p>Der Franzose zuckte zusammen – eine kleine, peinliche Pause
-trat ein, in welcher man nur den Pendelschlag der Uhr vernahm,
-dann sagte Benedetti:</p>
-
-<p>»Herr Ministerpräsident, bedenken Sie die Verantwortung
-die Sie mit solcher Entscheidung auf sich laden …«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[142]</span></p>
-
-<p>»Da gibt es kein Bedenken, und ich weiß mich der Zustimmung
-meines königlichen Herrn sicher. Aber warum wollen
-Sie uns solche Sprünge machen? Sie müssen doch wissen, daß
-für uns die Abtretung deutscher Erde eine Unmöglichkeit ist.
-Ließen wir uns zu dergleichen herbei, so hätte wir trotz aller
-Triumphe Bankerott gemacht. Vielleicht könnte man andere
-Wege finden, Sie zu befriedigen. Aber wenn Sie auf diesen
-Forderungen bestehen, so gebrauchen wir – täuschen Sie sich
-darüber nicht – alle Mittel: Wir rufen nicht bloß die deutsche
-Nation in ihrer Gesamtheit auf, sondern wir machen auch sofort
-Frieden mit Österreich auf jede Bedingung hin, überlassen
-ihm ganz Süddeutschland, lassen uns selbst den Bundestag
-wieder gefallen. Aber dann gehen wir auch wieder vereinigt
-mit 800 000 Mann über den Rhein und nehmen Frankreich
-Elsaß ab. Unsere beiden Armeen sind mobil, die Ihrige ist es
-nicht; die Konsequenzen denken Sie sich selbst. – Also, wenn
-Sie nach Paris kommen, so verhüten Sie einen Krieg, welcher
-sehr leicht verhängnisvoll werden könnte.«</p>
-
-<p>Benedetti senkte das Haupt, er fühlte das Zutreffende dieser
-Worte, und die Situation begann ihm immer unbehaglicher zu
-werden. Er erwiderte:</p>
-
-<p>»Ich möchte gern Ihrem Rate folgen, aber mein Gewissen
-zwingt mich, dem Kaiser zu erklären, daß, wenn er nicht auf
-der Gebietsabtretung besteht, er mit seiner Dynastie der Gefahr
-einer Revolution ausgesetzt ist.«</p>
-
-<p>»Machen Sie Ihren Souverän darauf aufmerksam, daß
-gerade ein aus dieser Frage entsprungener Krieg unter Umständen
-mit revolutionären Schlägen geführt werden könnte, daß aber
-gegenüber einer revolutionären Gefahr die deutschen Dynastien
-sich fester begründet zeigen würden als jene des Kaisers Napoleon.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[143]</span></p>
-
-<p>Die Uhr zeigte Mitternacht, und noch immer endete das
-inhaltschwere Gespräch nicht. Erst in der ersten Morgenstunde
-kam Bismarck in den Salon zu seinen Gästen zurück, heiter und
-liebenswürdig, denn in tiefster Seele wußte er, daß eine neue
-Gefahr abgeschlagen sei, daß Frankreich nach seinen bestimmten
-Erklärungen jetzt nicht wagen würde, das siegreiche Preußen anzugreifen.
-– – Und er täuschte sich nicht.</p>
-
-<p>Noch der Verlauf des August brachte die Friedensschlüsse
-mit den süddeutschen Staaten, die auf Seite Österreichs gekämpft
-hatten, und mit diesem selbst, und in Preußens Hauptstadt erwartete
-man freudig erregt die Heimkehr der ruhmbedeckten
-Truppen.</p>
-
-<p>Am 20. September trafen sie ein. Es war ein Festtag
-für Berlin. Am <em class="gesperrt">Brandenburger Tor</em> drängte es von
-Tausenden, um hier bereits der Begrüßung des Königs durch die
-Vertreter der Stadt beizuwohnen. Grüne Girlanden schmückten
-die Säulen, die Fahnen wehten lustig in die Weite, und durch das
-Tor mit seinen stolzen Bogen kamen die Heldenscharen herein,
-umjauchzt von der Begeisterung der Menge. Die Straße Unter
-den Linden war verwandelt in eine herrliche <em class="antiqua">via triumphalis</em>,
-tausend Flaggen flatterten in den Lüften, tausend Kränze und
-Festons hingen an den Häusern und den Bäumen, Blumen
-regnete es von allen Seiten nieder auf die blitzenden Helme,
-und immer aufs neue brauste der Jubel auf in seinen vollsten,
-unvergleichlichen Akkorden: wie lauter Donner dröhnte er fort
-die breite Straße entlang, wo immer die Heldengestalt des
-greisen Königs erschien und die Gestalten seiner Paladine. Da
-ritten sie ihm vorauf mit leuchtenden Augen, der stattliche Roon,
-der ernste, ruhige Moltke und Graf Bismarck. Hochaufgerichtet
-saß er im Sattel, an der Uniform die Abzeichen als <em class="gesperrt">Generalmajor</em>,
-wozu ihn sein König vor kurzem ernannt hatte, und<span class="pagenum" id="Seite_144">[144]</span>
-das orangefarbige Band des hohen Ordens vom Schwarzen Adler
-über der breiten Brust. Unter dem blinkenden Kürassierhelm
-hervor blickten die hellen, scharfen Augen, und die gewaltige
-Erregung dieser Stunde machte, daß er die schwere Erschöpfung
-und Abspannung niederkämpfte, die den eisernen Mann infolge
-der letzten Zeit ergriffen hatte.</p>
-
-<p>Aber der Erholung bedurfte er dringend, und er suchte und
-fand sie an der See, auf dem grünen Eiland von Rügen, wo
-er in stillem Behagen im Spätherbst jenes ereignisvollen Jahres
-saß, während in deutschen Landen sein Name von Mund zu
-Mund ging, während der alte Groll, den man gegen ihn gehegt,
-weil man ihn nicht verstanden, immer mehr und mehr verschwand.
-Es galt, zwischen Preußen und den Staaten bis zur Mainlinie,
-einschließlich von Sachsen, einen Verband zu schaffen zu Schutz
-und Trutz, zu gemeinsamer innerer Arbeit, und Bismarck hatte
-die Freude, den konstituierenden <em class="gesperrt">Reichstag des Norddeutschen
-Bundes</em> am 24. Februar 1867 eröffnet zu sehen,
-der nun den von seinem Schöpfer ausgearbeiteten Verfassungsentwurf
-beriet. Ihm rief am 11. März der unermüdliche Bismarck
-zu:</p>
-
-<p>»Arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland in den Sattel,
-reiten wird es schon können!«</p>
-
-<p>Am 16. April war die neue Verfassung angenommen, am
-1. Juli trat sie ins Leben, und am 14. Juli war Bismarck
-<em class="gesperrt">Kanzler des Norddeutschen Bundes</em>.</p>
-
-<div class="figcenter illowp60" id="illu-150">
- <img class="w100" src="images/illu-150.jpg" alt="">
- <div class="caption">
-<div class="left">
-<em class="antiqua">Eis. Kanzler IV.</em>
-</div>
-<div>Am Abend der Schlacht von Gravelotte.</div></div>
-</div>
-
-<p>Nun konnte er sich eine kleine Rast gönnen auf seinem neuerworbenen
-Tuskulum <em class="gesperrt">Varzin</em>. In Hinterpommern bei dem
-Städtchen Schlawe liegt das Gut, welches Bismarck mit dem
-zugehörigen Besitz von Wussow, Puddiger, Misdow, Chomitz
-und dem Vorwerk Charlottenthal sich ankaufte aus der Ehrengabe,
-die er nach dem Kriege mit Österreich aus Staatsmitteln
-erhalten hatte. Es liegt nicht weit von dem freundlichen Reinfeld,
-wo die Wiege seiner Gattin stand, und hat einen prächtigen
-Waldbestand, der den Weidmann lockte. Im Frühling 1867,
-als der Park seinen Blätterschmuck angelegt hatte, und die Wiesen
-ringsum grünten, hatte er es erworben, und dann war er zum
-erstenmal hinausgefahren.</p>
-
-<p>Die Eisenbahn führte damals nur bis Schlawe, und hier
-mußte die Fahrt mittels Extrapost fortgesetzt werden. Er kam
-mit einem Separatzug angefahren, früher, als man ihn erwartet
-hatte, und ließ sich nun behaglich auf einer Bank auf dem
-Perron nieder, brannte sich eine Zigarre an und ließ die friedliche
-Stille ringsum auf sich wirken. Da näherte sich ihm mit
-halb scheuer, halb neugieriger Miene ein Mann, seinem Äußeren
-nach ein biederer, schlichter Handwerker, der ihn grüßte und sich
-dann einigermaßen verlegen an das Ende der Bank setzte. Er
-betrachtete eine kleine Weile den ihm Unbekannten, dann fragte er:</p>
-
-<p>»Sie sind wohl der Herr, welcher mit dem Extrazuge gekommen
-ist?«</p>
-
-<p>»Jawohl,« erwiderte Bismarck, einigermaßen über die Anfrage
-verwundert, aber gutmütig-jovial fügte er bei: »Wer sind
-Sie?«</p>
-
-<p>»Ich bin der Schuster N. aus Schlawe – und mit wem
-habe ich die Ehre?«</p>
-
-<p>»Na, ich bin auch Schuster!«</p>
-
-<p>»I, was Sie da sagen!« sprach beinahe erschrocken der
-schlichte Mann und sah doch einigermaßen ungläubig nach dem
-stattlichen Fremden – »und da fahren Sie mit Extrazug?«</p>
-
-<p>»Warum nicht, lieber Freund? Wir Berliner Schuster können
-uns das bieten.«</p>
-
-<p>Der brave, neugierige Handwerker war eben daran, seine
-Verwunderung auszudrücken, als eine Abteilung Husaren in<span class="pagenum" id="Seite_146">[146]</span>
-Paradeuniform heranritt; man hörte das Kommando des Rittmeisters:
-»Eskadron halt! Richt’ euch, Augen rechts!« und mit
-Staunen sah der Schuster, wie der Offizier jetzt an den Fremden
-heranritt und salutierte. Er sprang beinahe entsetzt von der Bank
-auf und starrte seinen Nachbar an, als aber jetzt auch die Extrapost
-heranfuhr mit dem gleichfalls parademäßig herausgeputzten
-Postillon, reichte Bismarck dem vollständig verlegenen Manne
-die Hand und sagte lächelnd:</p>
-
-<p>»Wenn Sie einmal nach Berlin kommen, so besuchen Sie
-meine Werkstatt!«</p>
-
-<p>Dann fuhr er hinein in den Frühlingstag, während die
-Husaren ihm ihre Honneurs machten, vorbei an Feld und Wiese,
-durch grünen, rauschenden Wald, durch das hübsche, kleine, bucklige
-Ländchen, wie es die Gräfin Bismarck scherzend einst bezeichnete,
-bis die Landstraße hineinführt in das Hof- oder Herrengut.
-Da liegen ihm zur Linken die Wirtschaftsgebäude, zur
-Rechten das überaus schlichte, einstöckige Herrenhaus, aber hinter
-diesem grüßen und winken die Buchen und Eichen des Parkes
-und rauschen ihm entgegen:</p>
-
-<p>»Willkommen in deinem neuen Heim!«</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<h2 class="nobreak" id="Zehntes_Kapitel"><span class="smaller">Zehntes Kapitel.</span><br>
-Mit Blut und Eisen.</h2>
-</div>
-
-<p>Ein herrlicher Sommermorgen ist über Varzin und seinem
-Parke aufgegangen, ein Julimorgen des Jahres 1870. Die Sonne
-spiegelt sich in den Fenstern des Herrenhauses, die Rosen blühen<span class="pagenum" id="Seite_147">[147]</span>
-und duften in dem Garten, und über die Freitreppe schreitet Graf
-Bismarck herab. Er trägt eine einfache graue Joppe, ein leicht
-geschlungenes Tuch um den Hals, auf dem Haupte einen Schlapphut
-und in der Hand einen kräftigen Stock; gemessen folgt seinen
-Schritten eine schöne Ulmer Dogge, die ab und zu mit klugen,
-großen Augen nach ihm hinschaut. Über den knirschenden Kies
-der Gartenwege schreitet die stattliche Gestalt dahin, vorbei an
-großen Sandsteinfiguren und an einem kleinen Teiche und dann
-über eine Terrasse hinauf in den leise rauschenden Park, durch
-dessen grüne Laubkronen die spielenden Lichter niederhuschen.
-Jeden Baum sieht das klare Auge an, denn er kennt sie alle, die
-prächtigen Buchen und Eichen, und selbst den kleinen Nachwuchs.
-Wie einst der Knabe auf Kniephof, so freut sich jetzt der ernste,
-gewaltige Mann an jedem Nestchen, das zwischen dem Gezweige
-hervorlugt, an jedem Vogel, der über ihm singt, an jedem Stämmchen,
-das sich kräftig entwickelt.</p>
-
-<p>Auf einer Bank hält er Rast. Das treue Tier liegt zu
-seinen Füßen und blinzelt hinauf nach dem blauen Himmel, sein
-Herr aber läßt vor seinem Geiste eine Reihe von Bildern vorüberziehen
-in der einsamen Stille, die ihm selten genug zuteil wird.</p>
-
-<p>Er denkt der vergangenen Tage und all des Großen, was
-sie gebracht haben, aber er schaut auch aus in eine ernste Zukunft.
-Der Nachbar im Westen, Kaiser Napoleon III., der sich nicht
-ganz sicher fühlte auf seinem Thron, suchte nach irgendeiner
-Verwicklung, die ihm in den Augen der Franzosen Ruhm und
-Ansehen verleihen sollte. Er war bereits bestrebt gewesen, das
-Großherzogtum Luxemburg zu annektieren, das zum ehemaligen
-deutschen Bunde gehörte, aber Bismarck hatte erreicht, daß das
-Ländchen als neutrales Gebiet erklärt wurde, und Frankreich
-mußte die Finger davon lassen. Immer unbehaglicher wurde für
-Napoleon das wachsende Ansehen Preußens, und immer mehr<span class="pagenum" id="Seite_148">[148]</span>
-drängte die Stimmung des französischen Volkes zu einer Demütigung
-desselben.</p>
-
-<p>Da schien sich eine besonders günstige Gelegenheit zu bieten.
-Spanien hatte seinen eben erledigten Thron dem Prinzen Leopold
-von Hohenzollern-Sigmaringen angeboten, der mit Napoleon selbst
-verwandt war. Trotzdem hatte man in Frankreich erklärt, daß
-die Wahl eines Hohenzollern eine Schädigung seiner Interessen,
-ja, geradezu eine Herausforderung bedeuten würde, und hatte an
-König Wilhelm die Forderung gestellt, er solle dem Prinzen von
-Hohenzollern befehlen, sich der Bewerbung um den spanischen
-Thron zu enthalten. Der König hatte Benedetti in Ems erklärt,
-daß er dem Prinzen nichts zu befehlen habe.</p>
-
-<p>So lagen die Dinge augenblicklich, und Bismarck fühlte mit
-aller Bestimmtheit, daß Frankreich immer neue Forderungen stellen
-und Preußen um jeden Preis zum Kriege reizen würde. Seine
-Beruhigung war jedoch die gerechte Sache seines Königs, die
-schlagfertige Armee und die Hoffnung auf das erwachende nationale
-Gefühl des deutschen Volkes.</p>
-
-<p>Er sah hinein in die sonnige, stille Welt, in seinen grünen,
-schattigen Park und hinüber nach den weißen Mauern seines
-Herrenhauses, und eine Friedenssehnsucht zog ihm durch die Seele.
-Da kam den Kiesweg heran ein älterer Herr mit Zeitungen in
-der Hand; der Hund hob den Kopf, blinzelte mit den klugen
-Augen und wedelte leicht mit dem Schweife, – er begrüßte einen
-guten Bekannten, den Vorstand des Geheimbureaus Bismarcks,
-den Geheimen Legationsrat Lothar Bucher.</p>
-
-<p>»Gibt’s Neues von Wichtigkeit, lieber Bucher?«</p>
-
-<p>»Bis jetzt nichts von Belang, Exzellenz; die französischen
-Zeitungen aber rasseln sehr energisch mit den Säbeln, hier ist
-eine äußerst bezeichnende Stelle!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_149">[149]</span></p>
-
-<p>Er hatte sich auf Einladung seines Vorgesetzten neben diesem
-niedergelassen und las:</p>
-
-<p>»Unser Kriegsgeschrei ist bis jetzt ohne Antwort geblieben;
-die Echos des deutschen Rheines sind noch stumm. Hätte Preußen
-zu <em class="gesperrt">uns</em> die Sprache gesprochen, welche Frankreich spricht, wir
-wären schon längst unterwegs.«</p>
-
-<p>»Darin mögen sie recht haben,« sagte Bismarck, »es fragt
-sich nur, wie weit sie gekommen wären.«</p>
-
-<p>»Wie ist die Stimmung in den deutschen Blättern, zumal in
-den süddeutschen?«</p>
-
-<p>»Ganz ausgezeichnet, Exzellenz! Man erwartet, daß der
-König jedes freche Ansinnen Frankreichs entschieden zurückweisen
-werde und ist in Verurteilung des französischen Vorgehens von
-seltener Einstimmigkeit.«</p>
-
-<p>»Na, und wenn es zum Äußersten kommt, wir sind bereit,
-denn auf Moltke und Roon können wir uns verlassen, und wir
-haben in acht Tagen gewaltige Heeresmassen marschfertig. Frankreich
-rennt in sein Verderben, wenn es den Krieg provoziert.«</p>
-
-<p>»Das ist die öffentliche Meinung in Deutschland!« sagte
-Bucher und las aus hervorragenden Blättern einige Aufsätze
-Bismarck vor, der, die Arme auf den Stock gestützt, das Haupt
-vorgeneigt, ihn ruhig anhörte.</p>
-
-<p>Nach einiger Zeit erhob er sich.</p>
-
-<p>»Nun muß der Gutsherr in sein Recht treten. Auf Wiedersehen
-in einer Stunde. Hoffentlich bringt sie uns nichts Unangenehmes.«</p>
-
-<p>Er ging langsam, gefolgt von der Dogge, nach dem Herrenhause
-zu, durchschritt hier einen langen, schmalen Korridor, und
-betrat am Ende desselben ein kleines Zimmer mit weiß getünchten
-Wänden und einem breiten Fenster, durch welches das volle Licht
-hereinfiel auf den einfachen Tisch und die daneben stehenden hohen<span class="pagenum" id="Seite_150">[150]</span>
-Schränke, von welchen ausgestopfte Vögel herabschauten. Ein
-schwarzes Ledersofa, einige geschnitzte Stühle, altertümliche Glasgefäße
-auf dem breiten Kaminsims vervollständigen die Einrichtung
-des Gemachs, in welchem »der Gutsherr von Varzin« mit
-seinen Leuten verkehrt.</p>
-
-<p>Da wartet schon mancher auf den großen Staatsmann, um
-mit ihm über Forstnutzung, Industrieanlagen, Gartenwirtschaft
-und dergleichen zu verhandeln, und eine Stunde ist rasch genug
-vorüber. Der letzte ist gegangen, aufatmend erhebt sich Bismarck
-und sieht nach der Uhr, – es ist Zeit zum Frühstück, und
-er wird wohl bereits erwartet.</p>
-
-<p>Im Billardzimmer ist der Tisch gedeckt. Der große Raum
-sieht freundlich aus. Die Fenster gehen hinaus in das Grün des
-Gartens, an den Wänden hängen Bilder rheinischer Städte, die
-Möbel, teils gepolstert, teils mit braunem Schnitzwerk, sehen traulich
-und behaglich aus, die beiden Öfen mögen im Winter mit
-ihrem offenen Feuer die Gemütlichkeit des Raumes ganz besonders
-erhöhen, und das in einer Nische stehende Billard sowie der
-Flügel der Hausfrau lassen erkennen, daß der ernste Diplomat
-gerade hier manche Stunde verbringt, die ihm wohl Erholung und
-Zerstreuung bieten mag.</p>
-
-<p>Hier ist er im Kreise der Seinen. Seine Gemahlin eilt ihm
-entgegen, seine Tochter, Komteß Marie, hängt sich an seinen
-Arm, seine Söhne grüßen ihn mit herzlicher Freundlichkeit, und
-bald sitzt er in seinem Lehnstuhl, aber noch immer ist es keine
-ungestörte Rast. Lothar Bucher hat ihm Briefe und Depeschen
-überreicht, ehe er sich mit an den Tisch setzte, und Bismarck öffnet
-und überfliegt die letzteren.</p>
-
-<p>Ein Schatten zieht über sein Gesicht.</p>
-
-<p>»Aus Ems. Benedetti sucht um eine neue Audienz nach
-bei dem König. Er wird die unverschämte Forderung seiner<span class="pagenum" id="Seite_151">[151]</span>
-Regierung wiederholen; man hat die zweifellose Absicht, uns zu
-brüskieren.«</p>
-
-<p>Da war das Gespräch ganz von selbst wieder bei der brennenden
-Tagesfrage, und Bismarck hatte zu tun, um die erregten
-Damen zu beruhigen. Er selbst nahm dabei das einfache Frühstück
-ein, das für ihn in der Hauptsache aus weichgekochten Eiern
-mit geröstetem Weißbrot, einer Schale Milch und etwas schwarzem
-Kaffee bestand. Nach Beendigung desselben sprach er:</p>
-
-<p>»Aber nun ein halbes Stündchen ohne Politik! Laß uns
-einen Gang durch den Park tun, mein liebes Herz, ich muß dir
-drei junge Buchen zeigen, die aus einem Stamm herauswachsen,
-und die ich bisher noch gar nicht entdeckt hatte. Ich habe dabei
-unwillkürlich an unseren Wappenspruch denken müssen: <em class="antiqua">In trinitate
-robur</em> – in der Dreiheit die Stärke, und dann habe ich an
-unsere lieben drei gedacht! Komm, Marie, du mußt die Bäume
-gleichfalls sehen.«</p>
-
-<p>Er reichte den beiden Damen den Arm, die Grafen Herbert
-und Wilhelm gingen hinterdrein. So schritten sie unter den
-stattlichen Bäumen des Parkes hin im lachenden Sommersonnenschein
-und vergaßen für eine kurze Zeit die Wetterwolken, die
-am westlichen Himmel Europas sich auftürmten.</p>
-
-<p>Aber die kurze Spanne gemütlichen Behagens war bald
-vorüber, und Gattin und Tochter begleiteten Bismarck in sein
-Arbeitszimmer, in die Werkstätte des Diplomaten.</p>
-
-<p>Ein großer, sechseckiger Raum von vornehmer Einfachheit.
-Eichenholzgetäfel in mehr als Manneshöhe zieht sich an den
-Wänden hin, und die Decke ist durch vortretende Eichenbalken
-in Quadrate und Dreiecke geteilt. In einem sechseckigen Erker
-sind drei schmale Fenster angebracht, an der Wand der Tür
-gegenüber ein breites. Nahe demselben steht der Schreibtisch aus
-Nußbaumholz mit blitzenden Messingbeschlägen an Türen und<span class="pagenum" id="Seite_152">[152]</span>
-Schubladen. Auf der mit grünem Tuch überzogenen Platte befinden
-sich ein zweiarmiger Leuchter, mehrere verschieden geformte
-Briefbeschwerer, ein Schreibzeug, das aus dem Holze einer bei
-der Düppelstürmung eroberten Lafette geschnitzt ist, Federn und
-lange, dicke Bleistifte. Kleinere Tische, mit Büchern und Schriftstücken
-bedeckt, stehen da und dort, zwei Sofas laden zur Ruhe
-ein, im Erker steht ein kleiner Diwan neben einer Causeuse, und
-von hier schweift der Blick hinaus auf den blinkenden Spiegel
-eines kleinen Teiches, auf einen ferner liegenden Ruheplatz zwischen
-je einer stattlichen Eiche und Buche, und auf die wogenden Saatfelder,
-welche durch das dunkle Grün bewaldeter Hügel begrenzt
-werden. In einer abgestumpften Ecke aber steht das Prachtstück
-dieses Raumes, ein riesenhafter Kamin von nahezu vier Meter
-Breite und fünf Meter Höhe.</p>
-
-<p>In dem Lehnstuhl am Schreibtische hat sich Bismarck niedergelassen,
-die Gräfin steht neben ihm, legt ihm zärtlich die Hand
-auf die Schulter und sagt mit einem besorgten Blick auf die sich
-häufenden Schriftstücke:</p>
-
-<p>»Das wird dich wieder viele Anstrengung und Aufregung
-kosten, und du bist von deiner letzten Erkrankung noch nicht
-erholt!«</p>
-
-<p>Der Kanzler des Norddeutschen Bundes lehnt sich behaglich
-in den Sitz zurück und spricht:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Patriae inserviendo consumor!</em> Das ist mein Wahlspruch,
-und du weißt, was es heißt: Im Dienste des Vaterlands will
-ich aufgehen! Und so schlimm wird es wohl nicht werden,
-wir Bismarcks sind aus altem märkischen Holze – das hält
-etwas aus.«</p>
-
-<p>Er faßte nach der lieben Hand, die noch auf seiner Schulter
-lag, und streichelte sie, Gräfin Marie aber eilte herbei und brachte
-ihm die lange Pfeife.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[153]</span></p>
-
-<p>»Danke, mein liebes Kind! Das ist auch ein Sorgenbrecher!«</p>
-
-<p>Er öffnete den Deckel des vor ihm stehenden Tabakskastens,
-der dem Kopfe seines treuen vierfüßigen Begleiters, der prächtigen
-Dogge, die sich auch jetzt zu seinen Füßen gestreckt hat,
-nachgebildet ist, und stopft sich die Pfeife. Die junge, schöne
-Komteß hat den Fidibus angebrannt und hält ihn zurecht, –
-einige kräftige Züge, der blaue Rauch wirbelt um den Lehnstuhl
-und den, welcher darin sitzt, und nun gehen die Damen und überlassen
-den Staatsmann seinen Sorgen und seiner Arbeit.</p>
-
-<p>Bismarck liest, und der mächtige Blaustift in seiner Hand
-arbeitet dabei unablässig. Lothar Bucher kommt, hält Vortrag
-und macht sich seine Notizen, und so arbeitet die Staatsmaschine
-von dem stillen Varzin in Hinterpommern aus unablässig. Die
-Stunden vergehen, und der Erholung darf nicht ganz vergessen
-werden.</p>
-
-<p>Der Wagen ist vorgefahren, denn Bismarck darf, da er
-noch Rekonvaleszent ist von einem Nervenleiden, nicht reiten,
-und mit Frau und Tochter fährt er hinein in das freundliche,
-sonnige Land, und wo er vorüberkommt, bleiben die schlichten
-Landleute stehen und grüßen ihn und die Seinen mit aufrichtiger
-Herzlichkeit. Da und dort läßt er wohl auch halten und
-redet einen oder den anderen der Leute an. Ein alter Taglöhner
-stand am Wege und zog ehrerbietig die Mütze; er war
-krank gewesen bis vor kurzem, und Bismarck wußte dies. Er
-rief dem Alten zu:</p>
-
-<p>»Nu, Krischan, du büst woll wedder ganz op den Tüge?«</p>
-
-<p>»I, ja,« – sagte der Angeredete treuherzig. »Sie sollten
-man ok hier blieven, dann wurden Sie nochmal so frisch!«</p>
-
-<p>Bismarck lachte, und im Weiterfahren sprach er:</p>
-
-<p>»Ja, wer immer in Varzin sein könnte!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[154]</span></p>
-
-<p>Gegen sechs Uhr wurde das Diner eingenommen. Was auf
-den Tisch kam, stammte beinahe alles von den Besitzungen des
-Grafen selbst und mundete um so besser, als es mit heiterem
-Tafelgespräch gewürzt ward. Die Stunde ging rasch, und noch
-einmal wanderte der Kanzler mit den Seinen in den Park und
-freute sich des herrlichen Sommerabends, der grüngoldenen Lichter,
-welche auf den Wegen spielten, und der tiefen Ruhe. Da und
-dort ward kurze Rast gehalten; schlanke Rehe kamen aus dem
-nahen Walde und huschten durch den Park bis herein in den
-Garten, und Bismarck freute sich der Zutraulichkeit der schönen
-Tiere, die sich durch die Nähe der Menschen nicht verscheuchen
-ließen. Es war eine liebliche Idylle, in welche die Abendglocken
-vom Dorfe her stimmungsvoll klangen.</p>
-
-<p>Nun ward der Tee eingenommen in der umgrünten Veranda.
-Die Dämmerung legte sich langsam über das Land, vom Blumengarten
-wehte süßer Duft, die Lampe warf ihren traulichen Schimmer
-über den Tisch, und die Gräfin Bismarck kredenzt dem Gatten
-das Getränk. Dann wird die lange Pfeife wieder angebrannt,
-behagliche Wölkchen ziehen durch den Raum; in seinen weiten
-Sessel zurückgelehnt, sitzt der große Staatsmann schweigend und
-träumend, indes aus den geöffneten Fenstern des Frühstückszimmers
-die Klänge an sein Ohr schlagen, welche Frau Johannas
-Meisterhand dem Flügel entlocken.</p>
-
-<p>Noch eine kurze Stunde, dann neigt sich der Sommertag
-seinem Ende zu. Es ist noch nicht ganz um Mitternacht, als
-Bismarck sich erhebt, um sich zur Ruhe zu begeben … die letzten
-Lichter in Varzin verlöschen, der blaue Nachthimmel spannt sein
-weites Zelt über Schloß, Park und Dorf, und die ewigen
-Sterne flimmern so friedvoll in ihrer unvergänglichen Schönheit,
-und sie kümmern sich nicht um der Menschen und Völker Haß
-und Hader.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[155]</span></p>
-
-<p>Und drei Tage später leuchteten dieselben Sterne, aber in
-den stillen Frieden von Varzin trägt fast um die Mitternachtstunde
-der Telegraph eine erregende Mitteilung: Der König beruft
-seinen Ratgeber sogleich nach Ems!</p>
-
-<p>Am nächsten Tage war Bismarck bereits in Berlin. Hier
-fand er gute Kunde: Der Prinz von Hohenzollern hatte, um
-nicht Veranlassung zu einer blutigen Verwicklung zu geben, freiwillig
-auf den Thron von Spanien verzichtet. Den Franzosen
-war der Vorwand zum Kriege genommen, beruhigt atmete der
-Kanzler auf und glaubte nun auch seine Reise nach Ems nicht
-beschleunigen zu müssen.</p>
-
-<p>Da geschah das Unglaubliche. Benedetti trat in Ems vor
-den König mit der Forderung, daß er schriftlich sich verpflichten
-solle, niemals einen Hohenzollern auf dem Throne von Spanien
-zu dulden. Würdig und entschieden lehnte Preußens Herrscher
-die demütigende Forderung ab, einen Tag später reiste Benedetti
-ab, und abermals einen Tag später, am 15. Juli, beschloß die
-französische Regierung unter dem übermütigen Zujauchzen eines
-fanatisierten Volkes den Krieg.</p>
-
-<p>An eben diesem Tage reiste auch der König Wilhelm nach
-Berlin, und was er auf seinem Weg sah und hörte, durfte ihm
-wohl die Seele erheben und befreien. So weit die deutsche Zunge
-klingt, bebten die Herzen vor Entrüstung über die französische
-Frechheit und Anmaßung, und in Millionen lebte nur ein Gedanke:
-dieselbe gebührend zurückzuweisen. Überall dieselbe Begeisterung,
-die gleichen Beweise der Liebe und Verehrung des
-einen deutschen Geistes:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Vergessen ist der alte Spahn,</div>
- <div class="verse indent0">Das ganze Volk ist eins!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Bismarck war mit dem Kronprinzen sowie mit Roon und
-Moltke dem König bis Brandenburg entgegengefahren. Bewegt<span class="pagenum" id="Seite_156">[156]</span>
-reichte der Herrscher seinen Treuen die Hand, und weiter ging
-es der Hauptstadt zu. Durch ihre Straßen flutete das Volk in
-dichtem Gedränge; mit entblößten Häuptern stand es da, und
-während aus allen Fenstern die Tücher wehten zum Empfangsgruß,
-schwollen die begeisterten Zurufe immer lauter an, je näher
-die Wagen dem Schlosse kamen. Bis in die Nacht hinein erklangen
-brausende Vaterlandslieder, stürmische Hochrufe, indes
-aus dem bekannten Eckfenster des schlichten Palais der Lichtschimmer
-seinen freundlichen Gruß hinaussandte. Dort beriet
-der König mit seinen Getreuen, und ein Adjutant ersuchte das
-Volk im Namen des Herrschers um Ruhe. Da ging <em class="gesperrt">ein</em> Empfinden
-durch all die Tausende; tiefstill ward es um das
-Standbild des großen Friedrich her, und lautlos ging die Menge
-auseinander.</p>
-
-<p>In derselben Nacht flogen die Befehle zur Mobilmachung
-des Heeres durch alle Gaue Norddeutschlands.</p>
-
-<p>Es kam der 19. Juli, der Todestag der unvergeßlichen
-Königsrose Luise. Vor 60 Jahren war sie heimgegangen, hinsiechend
-an der Not des Vaterlands, und nun sollte in ihrem
-Sohne ihr ein herrlicher Rächer erstehen. Vormittags fand im
-Dome ein feierlicher Gottesdienst statt in Gegenwart des königlichen
-Hofes, der Ministerien und der Abgeordneten. Unter diesen saß
-in der letzten Reihe die hagere Gestalt des Generals von Moltke
-so schlicht und bescheiden, als wäre ihm nicht gerade eine Hauptrolle
-bestimmt in dem gewaltigen historischen Drama, für welches
-jetzt der Segen des Himmels erfleht wurde, und von der Empore
-herab schaute Graf Bismarck ehern und ruhig auf die Andächtigen
-nieder. Nach dem Gottesdienst erfolgte die Eröffnung des Reichstags
-im Weißen Saale des Schlosses durch den König. Es
-waren erhebende, mächtig bewegende Worte, und tiefe Ergriffenheit
-erfaßte die Versammlung, als er schloß:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_157">[157]</span></p>
-
-<p>»Je unzweideutiger es vor aller Augen liegt, daß man
-uns das Schwert in die Hand gezwungen hat, mit um so größerer
-Zuversicht wenden wir uns, gestützt auf den einmütigen Willen
-der deutschen Regierungen des Südens wie des Nordens, an
-die Vaterlandsliebe und Opferfreudigkeit des deutschen Volks
-mit dem Aufrufe zur Verteidigung seiner Ehre und seiner Unabhängigkeit.</p>
-
-<p>Wir werden nach dem Beispiele unserer Väter für unsere
-Freiheit und für unser Recht gegen die Gewalttat fremder
-Eroberer kämpfen, und in diesem Kampfe, in dem wir kein
-anderes Ziel verfolgen, als den Frieden Europas dauernd zu
-sichern, wird Gott mit uns sein, wie er mit unseren Vätern war!«</p>
-
-<p>Kurze Zeit danach fuhr der König hinaus nach Charlottenburg.
-Dort liegt zwischen grünen Parkgehegen ein schlichter Bau,
-das Mausoleum, in welchem Friedrich Wilhelm III. und Königin
-Luise ruhen. Zwei herrliche Marmorbilder, welche die Verewigten
-wie friedlich Schlafende darstellen, stehen über der Gruft, und
-bläulicher Lichtschimmer flutet mild und freundlich darüberhin.
-Hier in einsam weihevoller Stille betete der König und flehte den
-Segen seiner Eltern nieder auf den Pfad, den er nun gehen
-mußte für seine und seines Landes Ehre.</p>
-
-<p>Und beinahe zur selben Stunde betrat Graf Bismarck den
-Sitzungssaal des Reichstags. Hochaufgerichtet und mit vor Erregung
-leuchtenden Augen betrat er die Tribüne, und aller Blicke
-hafteten auf dem herrlichen, stattlichen Manne, aller Parteigroll
-war geschwunden, und die Ahnung dessen, was dieser große Augenblick
-bringen sollte, ging durch jede Seele. Deutlich und fest klangen
-die inhaltschweren Worte des Kanzlers:</p>
-
-<p>»Ich habe dem hohen Hause die Mitteilung zu machen, daß
-mir der französische Geschäftsträger Le Sourd heute die Kriegserklärung
-Frankreichs überreicht hat. Nach den Worten, die<span class="pagenum" id="Seite_158">[158]</span>
-Seine Majestät soeben an den Reichstag gerichtet hat, füge ich
-der Mitteilung dieser Tatsache weiter nichts zu.«</p>
-
-<p>Aufrecht standen die Vertreter des Volkes, jede Brust dehnte
-sich weiter, jedes Auge blitzte heller, und voll Begeisterung klang
-es durch den Saal: »Es lebe der König!«</p>
-
-<p>Und durch das ganze deutsche Volk zitterte und brauste
-dieselbe Bewegung, und aus allen Gauen zogen die Söhne der
-<em class="gesperrt">einen</em> Mutter Germania heran voll heiligen Kampfesmutes, voll
-Zuversicht auf die gerechte Sache und auf ihre Kraft. Bayern
-und Sachsen standen neben Preußen, und wenn Napoleon auf
-die alte Eifersucht der deutschen Stämme gerechnet hatte, so sollte
-ihm das zum fürchterlichen Verhängnis werden.</p>
-
-<p>Umtost vom Jubel seines Volkes verließ der vierundsiebzigjährige
-König am 31. Juli seine Hauptstadt, und am 2. August
-übernahm er von Mainz aus, wo er mit Moltke, Bismarck und
-Roon eingetroffen war, den Oberbefehl über die deutschen Heere.
-Das blutige Kriegsspiel begann. Das waren heiße Augusttage
-bei Weißenburg und Wörth und um die trutzige Festung Metz,
-hinter deren Wällen der sieggewohnte französische Marschall
-Bazaine mit eisernen Klammern festgehalten werden mußte.</p>
-
-<p>Am 16. August war das heiße Ringen bei Vionville und
-Mars la Tour. In Pont à Mousson war Bismarck im Hauptquartier
-des Königs, und dort, von woher die Donner der Schlacht
-brüllten, kämpften seine beiden Söhne in der dritten Schwadron
-der Gardedragoner. Das Vaterherz war voll banger Sorge und
-würde es noch mehr gewesen sein, wenn es gewußt hätte, wie
-das brave Reiterregiment furchtbar geblutet und viele seiner
-Offiziere, darunter seinen tapferen Obersten von Auerswald, verloren
-hatte. Der Abend senkte seine Schleier über das furchtbare
-Feld, und Bismarck ritt hinter seinem König her, um ein Nachtlager
-für diesen finden zu helfen. In allen Häusern und Hütten<span class="pagenum" id="Seite_159">[159]</span>
-lagen Verwundete und Sterbende, und nur mit Mühe gelang es,
-ein Stübchen ausfindig zu machen, wo ein Feldbett für den hohen
-Herrn untergebracht wurde. Der aber wollte es nicht besser
-haben als die Seinen. Das Bett sollte für einen Verwundeten
-bleiben, er selbst wollte auf einem Strohlager schlafen, und Bismarck
-und Moltke mußten mit ihm das Zimmer teilen.</p>
-
-<p>Der Kanzler fand wohl wenig Schlaf; er dachte »der Toten,
-der Toten,« er dachte seiner Söhne. Mit dem erwachenden Tage
-ritt er hinaus in das Schlachtfeld nach dem Lagerplatz der Gardedragoner
-und fragte nach seinen Lieben. Sie hatten sich beide
-brav geschlagen, und Herbert hatte für König und Vaterland
-geblutet, aber das Geschick war ihnen gnädig gewesen.</p>
-
-<p>Im Lazarett in Mariaville fand er beide Söhne, und in
-freudiger Ergriffenheit trat er an das Lager Herberts, der durch
-eine Kugel am Oberschenkel verwundet war. Wilhelm hatte sein
-Pferd verloren, war aber sonst unversehrt geblieben.</p>
-
-<p>Es war ein trotz allem schönes Wiedersehen, aber ein von
-einem leisen Wehmutshauch verschleiertes Abschiednehmen. Für
-den Grafen Herbert winkte die Rückkehr in die Heimat, Graf
-Wilhelm aber zog mit seinem Regimente weiter, neuen Gefahren
-und Siegen entgegen, und Vater und Sohn sollten sich erst am
-2. September wiedersehen.</p>
-
-<p>Am 18. August brüllten die ehernen Schlünde um <em class="gesperrt">Gravelotte</em>
-und <em class="gesperrt">Rezonville</em>. Am Morgen ritt Bismarck mit seinem
-König die Höhe bei Flavigny hinan und sah hinein in das
-wogende Kampfgewühl, das bis hierher brandete. Mehr als einmal
-kam er selbst sowie auch König Wilhelm in drohende Gefahr.
-Es war ein furchtbares Ringen, nicht <em class="gesperrt">eine</em> Schlacht, sondern
-eine Reihe von Schlachten, die hier um das alte Metz geschlagen
-wurden. St. Privat war von den preußischen Garden und den<span class="pagenum" id="Seite_160">[160]</span>
-braven Sachsen erstürmt worden nach heißem Streit und unter
-schweren Verlusten, und als der Sommertag sich zu neigen begann,
-sanken auch die Sterne des französischen Marschalls.</p>
-
-<p>Noch einmal in der siebenten Abendstunde machte er einen
-verzweifelten Vorstoß über die Talschlucht von Gravelotte hinaus,
-aber die wackeren Pommern, die nach einem beschwerlichen
-Marsche erst vor kurzem auf dem Schlachtfelde eingetroffen, warfen
-sich ihm entgegen. »Es lebe der König!« scholl es in heller Begeisterung,
-und hinab ging es in den Talgrund, Bataillon um
-Bataillon und jenseits wieder die Höhen hinan.</p>
-
-<p>Der greise Kriegsherr aber hielt auf der Höhe nördlich von
-Gravelotte und sah hinein in die sprühenden Pulverblitze, und
-um ihn her und über ihn hin sausten die todbringenden Geschosse
-und platzten die Granaten. Und wie einst bei Sadowa, so wußte
-Bismarck auch hier seinen königlichen Herrn aus der gefährlichen
-Stellung fortzubringen. Er blieb ihm treu zur Seite und
-geleitete ihn gegen Rezonville. Hier stieg der greise Held, ermüdet
-von dem furchtbaren Tage, vom Rosse und sah sich um
-nach einem Sitze. Es war nichts zu erblicken; nur ein toter
-Schimmel lag in der Nähe; auf den Leib desselben und auf
-eine alte Brückenwage ward nun eine Leiter gelegt, und hier saß
-der König, mit dem Rücken an eine Gartenmauer gelehnt.</p>
-
-<p>Die Schatten des Abends wurden grauer, unheimlich loderten
-unfern die Flammen aus einem großen brennenden Gebäude
-gegen den Himmel, dumpf rollten fernher noch die letzten Donner
-der Schlacht, und um ihren königlichen Führer her geschart standen
-in erwartungsvollem Schweigen Generale und fürstliche Herren.</p>
-
-<p>Um die neunte Stunde war es, als Moltke heransprengte;
-aus seinen ernsten Augen leuchtete es hell – er brachte die Kunde
-von dem errungenen Siege, von der endgültigen Festnagelung des
-französischen Marschalls hinter den Mauern von Metz.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_161">[161]</span></p>
-
-<p>Ein Telegraphenbeamter brachte eine Meldung; ihm diktierte
-Bismarck im Namen des Königs folgende Depesche an die Königin
-Augusta:</p>
-
-<div class="blockquot">
-<p class="mright">
-Biwak bei Rezonville, 18. Aug. 9 Uhr abds.
-</p>
-
-<p>Die französische Armee in sehr starker Stellung westlich von
-Metz angegriffen, in neunstündiger Schlacht vollständig geschlagen,
-von ihren Verbindungen mit Paris abgeschnitten und gegen Metz
-zurückgeworfen.</p>
-
-<p class="mright">
-<em class="gesperrt">Wilhelm.</em>
-</p>
-</div>
-
-<p>Ein Marketender war herbeigerufen worden; er hatte wenig
-genug zu bieten, aber auch der bescheidene Rotwein, mit welchem
-die Feldflaschen gefüllt wurden, mundete, und aus einem zerbrochenen
-Tulpenglase trank der König. Sein Kanzler aber kaute
-an einer harten Brotrinde, denn besseres war augenblicklich nicht
-zur Stillung des Hungers zu finden.</p>
-
-<p>Die Nacht sank nieder, und die Schwierigkeit, ein Lager
-zu finden, ließ sich kaum verkennen. Der König ritt mit seinen
-Begleitern hinab nach dem Dorfe Rezonville. In allen Häusern
-Verwundete, endlich in einem ärmlichen Hause ein kleines Stübchen!
-Aus einem Krankentransportwagen wurde eine Bahre herbeigeschafft,
-dazu einige Wagenkissen, und auf diesem unbequemen
-Lager, völlig angekleidet, mit seinem Mantel bedeckt, schlief der
-siegreiche alte Held, nachdem man mit Mühe noch ein Abendbrot
-für ihn aufgetrieben hatte.</p>
-
-<p>Bismarck aber irrte durch die nächtlichen Gassen des kleinen
-französischen Nests, die erhellt waren von dem Feuerschein brennender
-Häuser. Bei dem Wagen des Königs hielt der Erbgroßherzog
-von Mecklenburg Wache, damit nichts abhanden komme,
-und der Kanzler selbst suchte Haus um Haus nach einem Unterkommen.
-Überall vernahm er, daß alles voll Verwundeter liege.
-Ein dunkles Fenster in einem Hause winkte verheißungsvoll, und
-diesmal ließ er sich auch nicht von dem Hinweise auf Verwundete
-abspeisen. Er stieg die Treppen hinan und fand in der Tat<span class="pagenum" id="Seite_162">[162]</span>
-ein Stübchen mit drei Betten und hielt hier erquickliche
-Nachtrast.</p>
-
-<p>Nun galt es, Frankreichs zweites Heer festzulegen und seinen
-berühmtesten Marschall Mac Mahon unschädlich zu machen, und
-die deutschen Heersäulen zogen mit ruhiger Sicherheit die Wege,
-welche der herrliche Schlachtenlenker Moltke ihnen anwies.</p>
-
-<p>Am 23. August war das königliche Hauptquartier in Pont
-à Mousson. Am Abend hatte Bismarck seine Wohnung aufgesucht;
-bei dem Posten an der Tür des Hauses hielt er an:</p>
-
-<p>»Nun, wie geht’s?«</p>
-
-<p>»So gut es sein kann im Kriege, Exzellenz!«</p>
-
-<p>»Wie steht’s mit der Verpflegung?«</p>
-
-<p>»Untertänigst zu danken, Exzellenz – ich habe seit 24 Stunden
-keinen Bissen gegessen!«</p>
-
-<p>Bismarck erschrak beinahe über die Äußerung des Soldaten,
-und sogleich eilte er in das Haus, suchte die Küche und kehrte
-bald mit einem tüchtigen Stück Brot, das er selbst abgeschnitten,
-zu dem Manne zurück, der die Gabe mit lebhaftem Dankgefühl
-entgegennahm.</p>
-
-<p>Über Bar-le-duc ging es nach Clermont, einem kleinen
-Gebirgsstädtchen, wo das königliche Hauptquartier mit jenem
-der Maasarmee zusammenkam. In dem bescheidenen Schulhause
-wohnte der König, und in der Stube, in welcher sonst der Lehrer
-arbeitete, war das Gemach des Kanzlers, Arbeits- und Schlafzimmer
-zugleich. Eine Treppe höher in einem Saale war das
-Bureau eingerichtet. Über einem Sägebock und einer Tonne
-liegt eine ausgehobene Tür – das ist der Arbeitstisch, Kisten
-und Koffer bilden die wenig bequemen Sitze, flackernde Kerzen,
-die in leeren Weinflaschen stecken, werfen ein trübes Licht, und
-das Stroh an der Wand auf dem Boden ist die Lagerstelle. –
-Und in diesem Raume welch reges Leben, welch bedeutsame,<span class="pagenum" id="Seite_163">[163]</span>
-hochwichtige Maschinerie! Da arbeiten die Legationsräte von
-Keudell, Graf Hatzfeld, Abeken, Graf Bismarck-Bohlen, und die
-Chiffreure, welche die Depeschen besorgen, da kommen und gehen
-die Feldjäger und Ordonnanzen, da läuft vom frühen Morgen
-bis in die Nacht ein Bericht nach dem anderen heraus und herein,
-und zwischen seinen Beamten erscheint ab und zu die Gestalt des
-Ministers im Interimsrocke der Landwehrreiter mit den gelben
-Aufschlägen, die Beine in den hohen Stulpenstiefeln, und gibt
-kurze und klare Anweisungen.</p>
-
-<p>Und in einem nicht behaglicheren Raume des Schulgebäudes
-arbeitet der große Generalstab mit seinem schweigsamen Chef
-ernst, ruhig, klar und sicher weiter an seinem Werke, und von
-der Straße herauf schallt der Trommelschlag und die Marschmusik
-vorüberziehender Regimenter, und die wenigsten, die hier
-vorbeimarschieren, haben eine Ahnung, daß hinter den Fenstern
-dieses schlichten Hauses das Räderwerk tätig ist, das die ganze
-große Maschine in Bewegung setzt.</p>
-
-<p>Das Vorspiel der großen Tragödie vor Sedan nahm seinen
-Anfang. Bei Beaumont schlug Sachsens ritterlicher Kronprinz
-die Nachhut Mac Mahons und schloß mit der von ihm befehligten
-Maasarmee den ehernen Gürtel, der sich nun um Sedan legte.</p>
-
-<p>Gegen Beaumont ritt auch der Kanzler her im Gefolge
-seines Königs. Der Tag war heiß, schwül lag der Sommer auf
-dem Lande, und die Marschkolonnen zogen langsam ihre Straße.
-Bismarck ritt an eine Abteilung Bayern heran. Die Leute schienen
-sehr ermüdet und kamen nur langsam vorwärts. Ein tiefes Mitgefühl
-erfaßt den Minister mit den Braven, und er ruft dem
-Nächsten zu:</p>
-
-<p>»Heda, Landsmann, wollen Sie einmal Kognak trinken?«</p>
-
-<p>Der Mann sah, wie befremdet darüber, wie man eine solche
-Frage erst noch tun könne, zu dem hohen Offizier auf und nickte.<span class="pagenum" id="Seite_164">[164]</span>
-Da reichte ihm der Kanzler seine Feldflasche, und als er die
-Kameraden des Beglückten so sehnsüchtig und neidvoll auf diesen
-und das gebotene Labsal blicken sah, ließ er die Flasche weitergehen,
-bis sie geleert zu ihm zurückkam. Einer seiner Begleiter
-aber folgte seinem Beispiele, und auch die zweite Feldflasche ging
-von Hand zu Hand. Nun holte Bismarck seine Zigarren heraus
-und fing an auszuteilen, und die vergnügten Gesichter der ermüdeten
-Soldaten waren ihm ein schöner Dank.</p>
-
-<p>Was sich nun ereignete, in jenen ersten Septembertagen des
-Jahres 1870, wird für ewig unvergessen bleiben im deutschen
-Volke. Das Heer Mac Mahons, bei dem sich der Kaiser
-Napoleon III. selbst befand, war hinter Sedan zurückgedrängt,
-und hier erfolgte die Katastrophe, in welcher der französische Thron
-zerbrach.</p>
-
-<p>Mit dem Morgen des 1. September hob das gewaltige
-Schauspiel an; noch lag der Nebel über den Gefilden, und von
-Bazailles her, wo die Bayern standen, zuckten rote Blitze, und
-dumpfer Donner grollte ihnen nach.</p>
-
-<p>Rechts vom Dorfe Frénois auf einem Hügel hielt König
-Wilhelm mit seinem Gefolge, und von hier überschaute er den
-Verlauf des furchtbaren Ringens. Um die Mittagszeit war der
-Calvaire d’Illy, der Schlüssel der feindlichen Stellung, genommen,
-erdrückend lag die deutsche Heeresmacht um das bedrängte Sedan
-und um den verzweifelten Kaiser. Mac Mahon war verwundet
-worden und hatte den Oberbefehl über das französische Heer dem
-General Wimpffen übergeben. Aber auch dieser konnte nicht
-mehr retten, was verloren war.</p>
-
-<p>Die Abenddämmerung legte einen leichten Schleier über die
-Walstatt. Brennende Dörfer leuchteten in der Runde, und die
-deutschen Batterien spien noch immer von allen Seiten Verderben
-und Vernichtung gegen die Festung. Endlich flatterte zwischen<span class="pagenum" id="Seite_165">[165]</span>
-Rauch und Qualm auf der vorderen Bastion etwas Weißes empor,
-die Kapitulationsflagge.</p>
-
-<p>Um die siebente Stunde ritt den Hügel von Frénois der
-französische General von Reille heran, tiefen Ernst in dem gebräunten
-Antlitz. Es war eine erschütternde Kunde, die er
-brachte: Kaiser Napoleon legte seinen Degen nieder in die Hand
-des Königs Wilhelm. In tiefer Bewegung las dieser die kurzen,
-inhaltschweren Zeilen des besiegten Gegners seinem Gefolge vor,
-und in Erschütterung und schweigend standen sie alle. Selten
-wohl hat die sinkende Sonne ein solches Bild beleuchtet: den
-greisen König, umgeben von deutschen Fürsten und Führern, der,
-auf einer umgestürzten Pflugschar sitzend, seine Antwort auf dem
-Rücken seines Adjutanten schrieb, indessen abseits in würdiger
-Resignation der französische Parlamentär harrte, während nicht
-lange danach der mit der wunderbaren Nachricht durch das
-ganze Heer fortschreitende, lawinengleich anwachsende Jubelruf
-zum Himmel jauchzte, der gerötet war von brennenden Ortschaften
-und von den Freudenfeuern, die weit ins fremde Land hineinleuchteten.</p>
-
-<p>Für Bismarck wie für Moltke und manchen anderen brachte
-die kommende Nacht keine Ruhe. Es galt, mit dem General
-Wimpffen die Kapitulationsbedingungen festzusetzen, und auf den
-Wunsch seines Königs wohnte der Kanzler den Verhandlungen bei.</p>
-
-<p>Im Erdgeschoß des Schlößchens von Donchery saßen die
-ernsten Männer in schweigender Nacht beisammen.</p>
-
-<p>»Die französische Armee ist kriegsgefangen einschließlich der
-Offiziere, mit Waffen und Gepäck, doch sollen den Offizieren ihre
-Degen bleiben!«</p>
-
-<p>So lautete Moltkes ruhig-feste Bedingung, und vergebens
-bemühte sich Wimpffen, eine günstigere zu erreichen. Er mahnte<span class="pagenum" id="Seite_166">[166]</span>
-daran, wie man durch milderes Entgegenkommen sich die Dankbarkeit
-des französischen Volkes gewinnen würde, durch Härte
-aber dessen unauslöschlichen Haß heraufbeschwören müßte.</p>
-
-<p>Im Antlitz Bismarcks zeigte sich Erhebung, er hob das
-mächtige Haupt und sah dem französischen General fest ins Gesicht,
-als er ihm erwiderte:</p>
-
-<p>»An die Dankbarkeit des französischen Volkes vermögen wir
-nicht zu glauben, weil es keine dauerhaften Einrichtungen, keine
-Verehrung und Achtung vor seiner Regierung und seinem Fürsten
-hat, der fest auf seinem Throne sitzt. Auch wäre es Torheit,
-zu glauben, daß Frankreich jemals uns unsere Erfolge verzeihen
-könnte. Sie sind ein über die Maßen eifersüchtiges, reizbares
-und hochmütiges Volk, das in zwei Jahrhunderten uns dreißigmal
-den Krieg erklärt hat, und das uns den Sieg von Sadowa nicht
-verzeihen kann, gleich als ob das Siegen sein alleiniges Vorrecht
-wäre. Frankreich muß für seinen eroberungslustigen und ehrgeizigen
-Charakter gezüchtigt werden; wir wollen ausruhen, wir
-wollen die Sicherheit unserer Kinder wahren, und dazu ist es nötig,
-daß wir zwischen Frankreich und uns eine Schutzwehr, ein Gebiet,
-Festungen und Grenzen haben, die uns für immer gegen einen
-Angriff schützen. Das Glück der Schlachten hat uns die besten
-Offiziere der französischen Armee überliefert; sie in Freiheit setzen,
-um sie aufs neue gegen uns marschieren zu sehen, wäre Wahnsinn.
-Es würde den Krieg verlängern und dem Interesse beider
-Völker widersprechen. Nein, General, alle Teilnahme, welche
-uns Ihre persönliche Lage einflößt, alle gute Meinung, welche
-wir von Ihrer Armee hegen – beides darf uns nicht bestimmen,
-von den Bedingungen zurückzutreten, die wir gestellt haben.«</p>
-
-<p>Es waren schwerwiegende, harte Wahrheiten, welche Bismarck
-hier nach seiner ehrlichen, festen Art aussprach, und denen
-Wimpffen nichts entgegensetzen konnte.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_167">[167]</span></p>
-
-<p>Die Mitternacht war vorüber, als der französische General
-mit seinen zwei Begleitern von Donchery hinüberritt nach Sedan;
-er wollte die letzte Entscheidung über die gemachten Bedingungen
-dem gebrochenen, kranken Manne überlassen, der sich noch den
-Kaiser von Frankreich nannte.</p>
-
-<p>Bismarck hatte sich tief ermüdet nach seinem Quartier begeben
-und trotz der gewaltigen Erregung, die dieser Tag gebracht,
-Schlaf gefunden. Aber lange ward er ihm nicht gegönnt. Früh
-am Morgen wurde er geweckt mit der Nachricht, daß Napoleon
-von Sedan her bereits unterwegs sei und ihn zu sprechen wünsche.
-Er ritt dem Kaiser entgegen durch die dämmernde Frühe des
-kühlen Septembermorgens. Da kam ihm ein zweispänniger Wagen
-entgegen mit zwei galonnierten Dienern auf dem Bocke, und drei
-französische Offiziere ritten zur Seite. Im Fonds des Wagens
-lehnte mit müdem, gelbem Antlitz und mit dem Wesen eines
-kranken, gebrochenen Mannes – Napoleon; drei Generale saßen
-neben ihm, beziehentlich ihm gegenüber. Als Bismarck näherkam,
-stieg er vom Pferde, trat militärisch grüßend an den Wagen
-und fragte nach den Befehlen des Kaisers.</p>
-
-<p>Dieser hatte die Mütze abgenommen, und seine Begleiter
-folgten dem Beispiel. Als Bismarck das gleiche tat, sagte
-Napoleon: »Bedecken Sie sich doch!«</p>
-
-<p>Sein Wunsch, zu dem König geführt zu werden, ließ sich
-aus mehreren Gründen nicht erfüllen, und da er aus Furcht vor
-seinen eigenen Leuten nicht nach Sedan zurückzukehren wagte, bot
-ihm der Kanzler sein Quartier in Donchery an. Dahin fuhr
-jetzt der Wagen, dem Bismarck zur Seite ritt.</p>
-
-<p>Aber noch ehe das Städtchen erreicht war, wünschte Napoleon
-zu rasten. Unfern der Maasbrücke, rechts von der Straße, deren
-einförmige Pappelreihe gleichmütig zum Himmel ragte, stand
-ein kleines, gelb getünchtes Haus mit vier Fenstern. Einem schlichten<span class="pagenum" id="Seite_168">[168]</span>
-Weber gehörte es. Hier stieg der Kaiser ab und ging langsam
-und müde, gefolgt von Bismarck, die enge Holztreppe hinauf
-nach dem ersten Stockwerk. In einer kleinen Kammer, die nur
-von einem Fenster erhellt wurde, standen an einem fichtenen Tisch
-zwei Binsenstühle.</p>
-
-<p>Hier saßen die beiden Männer, der kleine, zusammengebeugte,
-tiefgedemütigte Franzose, der hochragende, stattliche, ernst und
-teilnahmsvoll dreinsehende Deutsche. Eine Stunde beinahe verhandelten
-sie hier miteinander. Der Kaiser beklagte, daß er
-wider seinen Willen durch die öffentliche Stimmung in den
-unseligen Krieg hineingedrängt worden sei und suchte für die
-Kapitulation von Sedan günstigere Bedingungen zu erlangen.
-Bismarck mußte ihm darauf höflich, aber entschieden bemerken,
-daß er in dieser militärischen Angelegenheit inkompetent sei, wohl
-aber auf eventuelle Friedensverhandlungen eingehen wolle. Dazu
-aber glaubte sich der gefangene Kaiser nicht mehr berufen, und
-so floß das Gespräch ohne ein positives Resultat dahin.</p>
-
-<p>Napoleon schien es zu enge zu werden in dem kleinen, kahlen
-Raume, er erhob sich, und der Kanzler folgte ihm hinaus ins
-Freie. Vor dem schlichten Weberhäuschen schweifte der Blick seitwärts
-über ein blühendes Kartoffelfeld und über Buschwerk hinaus
-ins Land. Die beiden Binsenstühle waren herausgetragen worden,
-und der Kaiser ließ sich noch einmal nieder, Bismarck zu seiner
-Seite. Unter dem Himmel Frankreichs ein wunderlich ergreifendes
-Bild! Noch einen letzten Versuch machte der hohe Gefangene,
-seiner eingeschlossenen Armee den Abzug auf belgisches Gebiet zu
-sichern, aber auch hier wich der Kanzler dieser Frage aus.</p>
-
-<p>In der Nähe von Frénois liegt ein Schlößchen, Bellevue
-genannt. Dort sollte Napoleon einstweilen Wohnung nehmen,
-und, begleitet von einer Ehreneskorte des Leibkürassierregiments,
-führte Bismarck ihn dahin. Und hier war es, wo um zwei<span class="pagenum" id="Seite_169">[169]</span>
-Uhr mittags, nachdem die Kapitulation von Sedan in dem von
-Moltke gewünschten Sinne abgeschlossen war, König Wilhelm den
-unseligen Mann besuchte, dem sein Ehrgeiz verhängnisvoll geworden
-war.</p>
-
-<p>Es war um die zweite Nachmittagsstunde, als der Kaiser,
-das Haupt entblößt, auf der Freitreppe am Eingange des Schlößchens,
-den ehrwürdigen, weißhaarigen König begrüßte. In Napoleons
-Augen standen Tränen, aber auch der siegreiche Monarch
-war tief bewegt. Eine inhaltschwere Viertelstunde verrann, ehe
-die beiden voneinander schieden, der Kaiser, um nach Deutschland
-zu ziehen, als Gefangener nach jenem Schlosse Wilhelmshöhe bei
-Kassel, auf welchem zu Anfang des Jahrhunderts der napoleonische
-König Jerôme seine lustige Herrschaft geführt hatte, König Wilhelm
-in sein Hauptquartier zu Vendresse.</p>
-
-<p>Der Champagner war selbst in Frankreich ein seltenes Getränk
-auf der Tafel des greisen Heerführers, an jenem 3. September
-aber fehlte er nicht, und bei dem schäumenden, perlenden französischen
-Weine im Kreise seiner besten Paladine sprach der König
-das schöne Wort:</p>
-
-<p>»Wir müssen heute aus Dankbarkeit auf das Wohl meiner
-braven Armee trinken. Sie, Kriegsminister von Roon, haben
-unser Schwert geschärft; Sie, General von Moltke, haben es geleitet,
-und Sie, Graf von Bismarck, haben seit Jahren durch die
-Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht.
-Lassen Sie uns also auf das Wohl der Armee, der drei
-von mir Genannten und jedes einzelnen unter den Anwesenden
-trinken, der nach seinen Kräften zu den bisherigen Erfolgen beigetragen
-hat.«</p>
-
-<p>In der Stille des Abends aber saß am selben Tage Bismarck
-in seinem Quartier und schrieb an seine Gemahlin im Drange
-seines Herzens einen schlichten und dabei doch ergreifenden Brief,<span class="pagenum" id="Seite_170">[170]</span>
-der freilich das Schicksal hatte, von den französischen Freischärlern
-abgefangen zu werden, aber durch seine Veröffentlichung in der
-Pariser Zeitung »Figaro« allgemein bekannt worden ist.</p>
-
-<p>Mit Napoleons Gefangennahme hörte der Krieg nicht auf.
-Die Franzosen gaben ihren Kaiser preis, setzten ihn ab und
-proklamierten die Republik, und die Waffen redeten zunächst ihre
-ernste, furchtbare Sprache noch weiter. Frankreich gedachte neue
-Armeen aus der Erde zu stampfen und Freischarenbanden im
-Rücken der deutschen Heere organisieren zu lassen, um diese
-zu beunruhigen, und diese unheimlichen Gesellen in ihren dunklen
-Wollenblusen, mit der blauen Schärpe um den Leib, lagen allerorten
-im Hinterhalt, zerstörten Schienenwege und Telegraphenleitungen
-und suchten den deutschen Armeen die Zufuhr abzuschneiden.
-Paris, das Kleinod von Frankreich, wurde stark befestigt und
-eine starke Armee in die Hauptstadt gelegt, aber mit ruhiger Sicherheit
-gingen die deutschen Heere ihre Siegespfade weiter, und
-immer näher heran an die innerlich verkommene »Weltenseele«.</p>
-
-<p>Es war am 19. September, als ein Mitglied der französischen
-Regierung, der Advokat Jules <em class="gesperrt">Favre</em>, im deutschen Hauptquartier
-eintraf und mit Bismarck zu verhandeln wünschte. Dieser
-wohnte in der Nähe des Dorfes Montry in dem Schlosse La
-Haute Maison. Langsam fuhr der Wagen des Franzosen die
-bewaldete Anhöhe hinan, die nach dem wenig ansehnlichen Hause
-führte, und sein Auge blieb unwillkürlich an den Zerstörungen
-haften, die sich überall als Folgen von Kämpfen, die sich hier
-abgespielt haben mußten, bemerkbar machten.</p>
-
-<p>Bismarck empfing den Gast mit ritterlicher Höflichkeit und
-erkundigte sich nach seinen Wünschen.</p>
-
-<p>Favre wußte mit großer Gewandtheit und Geschicklichkeit
-auszuführen, wie die französische Regierung dem Frieden nicht
-abgeneigt wäre, wie dieselbe aber, ehe sie einen solchen schließen<span class="pagenum" id="Seite_171">[171]</span>
-könne, gesetzlich anerkannt sein müsse. Es liegt darum die Notwendigkeit
-vor, eine konstituierende Nationalversammlung einzuberufen,
-was aber unmöglich sei während der Fortdauer des
-Krieges; seine Bitte gehe darum auf Abschluß eines Waffenstillstands.</p>
-
-<p>Ernst und ruhig sah Bismarck dem Franzosen ins Auge,
-der einigermaßen erregt mit den schlanken Fingern sich durch den
-weißen Bart strich. Dann bemerkte er:</p>
-
-<p>»Es wird Ihnen zweifellos klar sein, welche Nachteile für
-unsere siegreich fortschreitenden Heere in einem Waffenstillstande
-liegen, doch kann ich Ihren Standpunkt begreifen und würde
-geneigt sein, Ihren Wunsch zu befürworten, doch werden Sie
-einsehen, daß wir für dessen Gewährung eine entsprechende Entschädigung
-erhalten müßten.«</p>
-
-<p>»Und worin würde diese wohl zu bestehen haben?«</p>
-
-<p>»Da uns vor allem daran liegen muß, die Verpflegung
-unserer Heere und die damit zusammenhängende Verbindung mit
-Deutschland gesichert zu sehen, würden wir die Übergabe der
-Festungen Toul und Straßburg verlangen müssen.«</p>
-
-<p>Der Franzose fuhr erregt auf:</p>
-
-<p>»Das ist eine Forderung, die doch wohl zu weit geht.«</p>
-
-<p>»Ich bedaure, darauf bestehen zu müssen.«</p>
-
-<p>»Das wird Frankreich und Paris niemals zugestehen, eher
-wird die Hauptstadt in Trümmer sinken und alle seine Söhne
-opfern.«</p>
-
-<p>Bismarck zuckte bedauernd die Achseln, und so beredt der
-Franzose auch sprechen mochte, er blieb fest. So schied Favre,
-ohne einen Erfolg erreicht zu haben, und der Kanzler geleitete
-seinen Besucher die Treppe hinab. Dieser wies auf die beschädigten
-Wände und Mauern.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[172]</span></p>
-
-<p>»Die Spuren Ihrer Franctireurs,« bemerkte Bismarck –
-»die Gegend ist hier voll von ihnen, aber wir machen schonungslose
-Jagd auf sie; wir behandeln sie als Raubgesindel, denn sie
-sind keine Soldaten.«</p>
-
-<p>»Aber bedenken Sie, es sind doch Franzosen, welche ihren
-Boden, ihren Herd und ihr Haus verteidigen. Sie sind doch
-wohl sicher in ihrem Rechte, wenn sie der feindlichen Invasion
-Widerstand leisten, und wenn Sie das Kriegsgesetz auf diese Leute
-anwenden, so ist das eine Verkennung desselben.«</p>
-
-<p>Der Kanzler erwiderte ruhig:</p>
-
-<p>»Wir kennen nur Soldaten, welche einer regelmäßigen Disziplin
-unterworfen sind, die anderen sind außerhalb dieses Gesetzes.«</p>
-
-<p>»Dann gestatten Sie mir jedoch, Sie an das Jahr 1813
-zu erinnern und an den Aufruf des Königs von Preußen an sein
-Volk. Was war diese Erhebung in Ihrem Lande damals anders
-als die gegenwärtige der Franctireurs?«</p>
-
-<p>»Richtig,« bemerkte Bismarck, »aber unsere Bäume zeigen
-noch die Spuren derjenigen Landeseinwohner, welche Ihre Generale
-hängen ließen.« –</p>
-
-<p>Noch einmal machte Favre am nächsten Tage den Versuch,
-auf Schloß Ferrières Bismarck zu günstigeren Waffenstillstandsbedingungen
-zu bewegen – umsonst! »Straßburg ist der Schlüssel
-zu unserem Hause – ihn <em class="gesperrt">müssen</em> wir haben!« Das war der
-bittere Bescheid, welchen der französische Abgeordnete mit sich
-nahm, der von dem Kanzler mit den Worten schied:</p>
-
-<p>»Ich bin sehr unglücklich, aber ich hoffe noch immer!«</p>
-
-<p>Drohender zogen sich die Wetterwolken um Paris zusammen.
-Mit eisernen Armen umklammerten die deutschen Heere den Leib
-der koketten Seinestadt, die sich vergebens gegen die Erdrückung
-wehrte; am 19. September war die Einschließung vollendet. Etwa<span class="pagenum" id="Seite_173">[173]</span>
-8 Tage später kam von Straßburg her die Kunde, daß die Festung
-sich ergeben und die alte, gut deutsche Stadt von der Mutter
-Germania wieder heimgeholt worden sei.</p>
-
-<p>Zu Anfang Oktober war das deutsche Hauptquartier in Versailles.
-Auf der Präfektur wohnte der greise preußische Herrscher,
-in einem kleinen Hause aber, in der Rue de Provence, von dessen
-Balkon die schwarz-weiß-rote Fahne lustig in die Straße hineinwehte,
-hatte Bismarck sein Quartier aufgeschlagen, und die Staatsmaschine
-arbeitete von hier aus unaufhörlich und wahrlich auch
-erfolgreich, denn vergebens hatte Frankreich den ruhig besonnenen,
-redegewandten Staatsmann Thiers dahin und dorthin an
-andere Regierungen gesandt, um eine Einmischung zu seinen Gunsten
-herbeizuführen, es hatte niemand Lust, sich um der jungen
-Republik wegen in Unkosten und Aufregung zu stürzen, und die
-Dinge gingen ihren Gang weiter.</p>
-
-<p>Da kam auch die Kunde, daß Metz (am 29. Oktober) gefallen
-und die Armee Bazaines kriegsgefangen sei. Ein neuer
-Jubel durchbrauste die deutschen Heere, die Kampfesbegeisterung
-wuchs im Lager vor Paris, und wenn Bismarck durch die Straßen
-von Versailles ritt, die Kraftgestalt in der kleidsamen Kürassieruniform
-stramm aufgerichtet im Sattel, grüßten ihn die deutschen
-Soldaten mit warmer Herzlichkeit, und die Franzosen sahen mit
-einem Gemisch von Ingrimm und Verwunderung dem stattlichen
-Recken nach.</p>
-
-<p>Und hier in Versailles, in dem schlichten Hause der Madame
-Jessé, liefen die Fäden zusammen, welche die starke Hand
-Bismarcks zu einem gewaltigen Ganzen verflocht, zum Bande, das
-das einige deutsche Reich umschlang. Das deutsche Volk in seiner
-Gesamtheit hatte eine Bluttaufe erhalten, welche allen Zwiespalt
-verwischte, und aus allen Gauen des deutschen Südens kamen
-Wünsche, sich dem norddeutschen Bunde anzuschließen. Nach Versailles<span class="pagenum" id="Seite_174">[174]</span>
-kamen die Sendboten von Baden und Hessen, Württemberg
-und Bayern, und die wichtigen Verhandlungen waren im vollen
-Gange, während die Kanonen gegen die Außenforts der französischen
-Hauptstadt ihre furchtbaren Grüße sandten.</p>
-
-<p>Als der badische Minister Jolly Bismarck besuchte, brachte
-er ein sinniges Geschenk mit, eine goldene Feder.</p>
-
-<p>»Der Pforzheimer Fabrikant Bissinger hat mich gebeten,
-Eurer Exzellenz diese Gabe zu überbringen und in seinem Namen
-zu bitten, daß Sie den dritten Pariser Frieden damit unterzeichnen
-möchten.«</p>
-
-<p>Sinnend und mit überwallender Rührung betrachtete Bismarck
-das Geschenk, das ihm aus Deutschlands Süden zuging, wo
-er vor nicht zu langer Zeit noch der bestgehaßte Mann war. Dann
-sprach er:</p>
-
-<p>»Was soll ich dem gütigen Spender sagen? Wie soll ich
-ihm danken? In einer Zeit, da das Schwert der deutschen Nation
-so ruhmreiche Taten vollbracht hat, tut man der Feder beinahe
-zu viel Ehre an, wenn man sie so kostbar ausstattet. Ich kann
-nur hoffen, daß der Gebrauch, zu welchem diese Feder im Dienste
-des Vaterlandes bestimmt ist, demselben zu dauerndem Gedeihen
-in glücklichem Frieden gereichen möge, und ich darf unter Gottes
-Beistand versprechen, daß sie in meiner Hand nichts unterzeichnen
-soll, was deutscher Gesinnung oder deutschen Schwertes unwert
-wäre.«</p>
-
-<p>Der Winter war allgemach gekommen und trieb seine Flocken
-durch das französische Land, und in Bismarcks Wohnung knisterte
-das Feuer im Kamin. Es war am 23. November. Der Abend
-war schon lange hereingebrochen, die Teestunde, in welcher der
-Kanzler mit einigen seiner Beamten, so behaglich es angehen
-mochte, sonst zusammenzusitzen pflegte, war gekommen, und
-in dem kleinen Salon harrten bereits einige Herren. Nahe<span class="pagenum" id="Seite_175">[175]</span>
-beim Kamin saß Graf Bismarck-Bohlen, unfern davon Graf
-Hatzfeld.</p>
-
-<p>»Will denn die Angelegenheit noch nicht vorwärtsrücken?«
-sprach der eine. »Nun haben wir glücklich Baden und Hessen
-dem Norddeutschen Bunde eingegliedert – aber Bayern und
-Württemberg machen doch, wie es scheint, besondere Schwierigkeiten.«</p>
-
-<p>»Im Prinzip gewiß nicht,« erwiderte der andere, »aber es
-ist begreiflich, daß sie gewisse Rechte sich reservieren wollen.«</p>
-
-<p>»Ja, die Verwaltung von Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen –«</p>
-
-<p>»Und wie ich gehört habe, will Bayern auch die Leitung
-seines Heeres wenigstens zu Friedenszeiten nicht an Preußen
-abgeben. Hoffentlich scheitert nicht auch diesmal das große
-Einigungswerk an kleinen Bedenken.«</p>
-
-<p>»Lassen Sie nur unseren geistvollen großen Chef machen,
-verehrter Freund; er hat Klugheit und Energie zugleich, und
-versteht zu rechter Zeit zu geben und zu nehmen.«</p>
-
-<p>Der Schriftsteller Moritz <em class="gesperrt">Busch</em>, der als Zeitungsberichterstatter
-sich im Hauptquartier befand, trat herein zu den beiden
-Herren.</p>
-
-<p>»Seine Exzellenz konferieren wohl noch immer?« fragte er.
-Graf Hatzfeld deutete nach der Türe, welche zum Salon führte.</p>
-
-<p>»Dort ist er mit dem bayrischen Kleeblatt, Graf Bray,
-Lutz und Prankh, und die Herren scheinen zäh zu sein.«</p>
-
-<p>Noch eine Viertelstunde verstrich, da öffnete sich die Flügeltüre,
-der Kopf Bismarcks erschien mit hellen Augen, und das
-Antlitz in angenehmer Erregung. Als er die drei bemerkte, trat
-er in das Zimmer, einen Becher in der Hand. Seine Stimme
-klang bewegt, als er sprach:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_176">[176]</span></p>
-
-<p>»Nun, meine Herren, der bayrische Vertrag ist jetzt fertig
-und unterzeichnet, die deutsche Einheit ist gemacht und der deutsche
-Kaiser auch.«</p>
-
-<p>Die Herren hatten sich erhoben, sie sahen mit leuchtenden
-Blicken den Sprecher an – einige Sekunden tiefer, ergreifender
-Stille verstrichen, dann erbat sich Dr. Busch die Erlaubnis, die
-Federn holen zu dürfen, mit welchen das bedeutsame Aktenstück
-unterschrieben worden war. Bismarck aber befahl dem Diener,
-eine Flasche Champagner herbeizubringen. Die Gläser mit dem
-Schaumwein klirrten zusammen, und der Kanzler sprach tief
-atmend:</p>
-
-<p>»Es ist ein Ereignis.«</p>
-
-<p>Dann schwieg er sinnend einige Augenblicke, und nun fuhr
-er fort:</p>
-
-<p>»Die Zeitungen werden nicht zufrieden sein, und wer einmal
-in der gewöhnlichen Art Geschichte schreibt, kann unser
-Abkommen tadeln. Er kann sagen, der dumme Kerl hätte mehr
-fordern sollen; er hätte es erlangt; sie hätten gemußt; er kann
-recht haben mit dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß
-die Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren. – Was
-sind Verträge, wenn man muß! – und ich weiß, daß sie vergnügt
-fortgegangen sind. Der Vertrag hat seine Mängel, aber
-er ist so fester. Ich rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir
-in diesen Jahren erreicht haben. – Was den Kaiser betrifft, so
-habe ich ihnen denselben bei den Verhandlungen damit annehmbar
-gemacht, daß ich ihnen vorstellte, es müsse für ihren König doch
-bequemer und leichter sein, gewisse Rechte dem deutschen Kaiser
-einzuräumen, als dem benachbarten König von Preußen.«</p>
-
-<p>Die Erneuerung der deutschen Kaiserkrone! Das war der
-Wunsch der Besten seit Jahrzehnten, das war die immer wieder
-erwachende Sehnsucht des deutschen Volkes, und nun sollte sie im<span class="pagenum" id="Seite_177">[177]</span>
-fremden Lande sich erfüllen. Und die Erfüllung ward nicht
-künstlich herbeigeführt, sie wuchs aus den gewaltigen geschichtlichen
-Ereignissen selbst heraus. Die deutschen Fürsten und das deutsche
-Volk waren eins in diesem schönen Ziele.</p>
-
-<p>Am 18. Dezember trafen in Versailles dreißig Mitglieder
-des Norddeutschen Reichstages ein, geführt von ihrem Präsidenten
-Simson. Die vornehme französische Präfektur sah sie durch ihre
-Prunkhallen schreiten, und die Bilder der alten französischen
-Herrscher schauten wohl mit Verwunderung herab auf die deutschen
-Männer, die hier im Namen eines ganzen Volkes kamen, um
-dem greisen König Wilhelm jenes Schreiben zu überreichen, das
-ihn bat, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen. Draußen lag der
-Winter auf den Feldern von Frankreich, aber Sonnenschein
-war’s in allen deutschen Herzen, jener Lenzessonnenschein, der
-die Auferstehung schlafender Herrlichkeit verkündet.</p>
-
-<p>Um den König standen die Edelsten des deutschen Volkes,
-seine Fürsten und Helden, und hervorragend unter diesen die
-Kraftgestalt des Kanzlers, der mit freudigem Bewußtsein daran
-denken durfte, daß er diese Stunde hatte vorbereiten helfen.</p>
-
-<p>Mit bewegter Stimme sprach Dr. Simson:</p>
-
-<p>»Eure Majestät empfangen die Abgeordneten des Reichstags
-in einer Stadt, in welcher mehrmals ein verderblicher Heereszug
-gegen unser Vaterland ersonnen und ins Werk gesetzt worden ist.
-Und heute darf die Nation von eben dieser Stelle her sich der
-Zuversicht getrösten, daß Kaiser und Reich im Geiste einer neuen
-lebensvollen Gegenwart wieder aufgerichtet und ihr, wenn Gott
-ferner hilft und Segen gibt, in beiden die Gewißheit und Macht
-von Recht und Gesetz, von Freiheit und Frieden zuteil werden.«</p>
-
-<p>Das war des deutschen Volkes Weihnachtsgabe. Die Zeit
-des schlafenden Kaisers im Kyffhäuser sollte vorüber sein, der<span class="pagenum" id="Seite_178">[178]</span>
-Kaiser Rotbart sollte verschwinden vor der Herrlichkeit des Kaiser
-Weißbart. Der Gedanke mußte all die tausend Männerherzen
-entschädigen, die in Eis und Schnee fern von der Heimat und
-ihren Lieben das schönste Fest, das Christfest, verleben mußten.</p>
-
-<p>Im Hause in der Rue de Provence in Versailles dachte
-Bismarck mit verhaltener Wehmut an jenem 24. Dezember der
-Seinen. Im Kamin flackerte das Feuer, und um den Tisch saß
-ein kleiner Kreis von Männern, der hier gleichsam seine Familie
-repräsentierte, seine treuen Mitarbeiter. Ein Christbäumchen
-fehlte nicht, aber es war ein winzig Dingelchen, doch gehörte es
-in das deutsche Heim, um wenigstens einigermaßen Stimmung
-zu machen. Und unter dem Bäumchen lag eine liebe Gabe, die
-mit anderen von daheim gekommen war, ein Geschenk von Frau
-Johanna. Sie wußte, daß ihr Gemahl eine besondere Vorliebe
-für schöne Becher habe, und so hatte sie ihm in zierlichem Kästchen
-zwei derselben zugesandt, den einen in Tula-Manier, den anderen
-in geschmackvollem Renaissancestil.</p>
-
-<p>Aber auch sein König hatte ihn nicht vergessen. Er sandte
-ihm am Christabend das Eiserne Kreuz erster Klasse, um die
-Verdienste des Mannes zu ehren, der mit sicherer Hand auch
-aus der Mitte des feindlichen Landes die Fäden der Politik zum
-Segen Deutschlands und zur Ehre seiner Heimat verknüpfte.</p>
-
-<p>Der herrlichste deutsche Festtag aber, welchen das französische
-Königsschloß in jenen Tagen schaute, war der 18. Januar 1871.
-Vor 170 Jahre hatte der Brandenburger Kurfürst sich an
-diesem Tage die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt, und
-nun ward ein König von Preußen deutscher Kaiser. Im Palaste
-jenes Ludwig XIV., der einst so tiefe Schmach und Schädigung
-über deutsches Land und Volk gebracht, feierte unseres Reiches
-Herrlichkeit seine Auferstehung – ein Walten der Weltgeschichte,
-wie es nicht ergreifender gedacht werden kann.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[179]</span></p>
-
-<p>Vom Herrenschlosse zu Versailles wehte die Fahne der
-Hohenzollern hinaus in die Winterluft. Um die Mittagsstunde
-standen zu beiden Seiten der Straße von der Präfektur her in
-Reih und Glied die Scharen der deutschen Soldaten, mit flammender
-Begeisterung im Auge, die Brust geschwellt von einem
-maßlosen Hochgefühl. Andere hatten sich um das mitten auf dem
-Schloßplatz sich erhebende gewaltige Reiterstandbild Ludwigs XIV.
-gruppiert und unter den Statuen französischer Kriegshelden. Die
-mächtigen Pforten des glänzenden Palastes, welche in goldenen
-Lettern die prunkende Aufschrift tragen: »<em class="antiqua">A toutes les gloires
-de la France</em>« waren weit geöffnet, um die erlauchten deutschen
-Gäste aufzunehmen, welche im glänzenden Zuge herankamen.</p>
-
-<p>Nun nahte die ehrwürdige Gestalt des Königs. Ein Brausen
-und Jauchzen erhob sich, das die Lüfte erschütterte, und das
-selbst die neugierigen Gaffer mächtig ergriff und eine Ahnung
-treudeutschen Empfindens in ihre Seelen trug, und zwischen den
-jubelnden Soldaten schritt der königliche Greis hin, hochaufgerichtet
-und herrlich. Am Portale begrüßte ihn der Kronprinz, in
-den Vorgemächern empfingen ihn Fürsten, Minister und Generale,
-und so geleiteten sie ihn in die festlich geschmückte herrliche
-Spiegelgalerie des Schlosses. An der Decke des Saales war
-ein Bild, das wunderlich in diese Situation paßte, eine Verherrlichung
-Ludwigs XIV., vor dessen Thron sich die Mächte
-Europas demütig beugen. Am Mittelpfeiler der Gartenseite war
-ein Altar errichtet, zu dessen beiden Seiten die Vertreter des
-deutschen Heeres, Mannschaften aller Truppenteile, standen, und
-von einer Estrade her winkten die Fahnen der deutschen Armeen
-herab, welche von Unteroffizieren gehalten wurden, deren Brust
-das eiserne Kreuz schmückte.</p>
-
-<p>Eine ergreifende Stille trat ein, als der König, von den
-Fürsten und seinen Recken umgeben, dem Altare zuschritt und<span class="pagenum" id="Seite_180">[180]</span>
-demselben gegenüber Platz nahm. Mit frommem Aufblick zu
-Gott ward die feierliche Stunde eingeleitet. Wie daheim im
-Gotteshause erklang die Liturgie. »Jauchzet dem Herrn alle
-Welt!« jubelte der Sängerchor, und dann trat Hofprediger Rogge
-vor, um die Festpredigt zu halten. In die glänzende und weihevolle
-Versammlung rief er das Wort des Psalmisten: »Herr,
-der König freuet sich deiner Kraft, du setzest eine goldene Krone
-auf sein Haupt,« und nun wandte er den Blick empor zu dem
-übermütigen Deckengemälde und pries den Herrn, der den feindlichen
-Hochmut zuschanden gemacht hatte.</p>
-
-<p>Machtvoll und erhebend klang der fromme Choral: »Nun
-danket alle Gott!« von hundert Männerlippen, und jetzt schritt
-der greise König, von dem Kronprinzen und Bismarck gefolgt,
-auf die Erhöhung, von der die Fahnen niederwallten, und verlas
-das Wort vom wiedererstandenen deutschen Reiche. Dann forderte
-er den Kanzler auf, des neuen Kaisers ersten Erlaß, seinen
-kaiserlichen Gruß, den Fürsten und Vertretern des Volkes zu
-verkündigen.</p>
-
-<p>Stattlicher erhob sich die Gestalt Bismarcks, festen Fußes
-trat er einige Schritte vor, ernst und mit verhaltener Bewegung
-flog sein Auge durch den Saal, auf welchem tiefes, feierliches
-Schweigen ruhte, und dann klangen die Worte so ruhig und klar
-bis in die fernste Ecke des Raumes:</p>
-
-<p>»Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen
-– nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen
-Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des deutschen
-Reiches die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende deutsche
-Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in
-der Verfassung des deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen
-vorgesehen sind – bekunden hiermit, daß Wir als
-eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben,<span class="pagenum" id="Seite_181">[181]</span>
-diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte
-Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen.
-Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone
-Preußens fortan den kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen
-und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen, und hoffen
-zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter
-dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer
-segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir übernehmen die
-kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher
-Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen,
-den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt
-auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen
-sie an in der Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt sein
-wird, den Lohn seiner heißen und opfermutigen Kämpfe in
-dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen,
-welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung
-gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns aber und
-unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen,
-allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen
-Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens
-auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.«</p>
-
-<p>Langsam trat Bismarck an die Seite seines Kaisers zurück,
-aus dem Kreise der deutschen Fürsten aber schritt der Großherzog
-von Baden bis an die Erhöhung heran, hoch in der Rechten
-schwang er den blitzenden Helm, und in wahrer und warmer Begeisterung
-rief er:</p>
-
-<p>»Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!«</p>
-
-<p>Schmetternd in Jubeltönen fiel die Musik ein, aus der
-ganzen Versammlung brauste es mit erhebender Gewalt empor,
-das stolze Wort, und während die Volkshymne machtvoll einsetzte,
-pflanzte sich die Begeisterung fort, hinaus durch die Hallen und<span class="pagenum" id="Seite_182">[182]</span>
-Höfe, die Straßen und Plätze. Das war die Weihestunde des
-neuen Reiches.</p>
-
-<p>Aber der Kampf auf Frankreichs Feldern und um seine
-Hauptstadt dauerte noch immer fort, bis in der letzteren die
-Not auf das äußerste gestiegen war: Übermütiger Trotz konnte
-hier nicht weiter nützen. Am Abend des 23. Januar fuhr durch
-die Straßen von Versailles ein Wagen, der wohl vordem dem
-kaiserlichen Hofe gehört haben mochte, aber das Wappen daran
-war beseitigt worden. Drei Männer saßen darin, der hagere,
-bleiche Advokat Jules Favre, dessen kleiner, beweglicher Schwiegersohn,
-der Maler Martinez de Rio und Graf d’Hérisson. In
-der Rue de Provence, vor dem Hause der Frau Jessé, hielt das
-Gefährt, die Insassen stiegen aus und gingen langsam die Treppen
-nach dem ersten Stockwerk hinan. Sie wurden von den
-Ministerialbeamten empfangen und erhielten an Bewirtung, was
-eben aufzutreiben war, dann bat Bismarck Favre und den Grafen
-d’Hérisson, bei ihm in den kleinen Salon einzutreten.</p>
-
-<p>An einem runden Tisch saßen die drei, und Bismarck bot
-seinen Gästen Zigarren an, welche vor ihm standen. Beide lehnten
-dieselben ab, und lächelnd bemerkte der Kanzler:</p>
-
-<p>»Sie tun unrecht daran; wenn man eine Unterredung beginnt,
-die zu heftigen Auseinandersetzungen führen kann, ist es
-doch besser, beim Zwiegespräch zu rauchen. Die Zigarre paralisiert,
-indem man sie hin und her dreht und nicht fallen lassen
-will, einigermaßen die körperliche Erregung und stimmt uns
-milder, man fühlt sich behaglich und macht sich eher Konzessionen.«</p>
-
-<p>Der bleiche, hagere französische Abgeordnete saß etwas zusammengebeugt
-in seinem Stuhle, der Kanzler in seiner Kürassieruniform
-aufrecht und stattlich. Er führte die Verhandlungen in
-einem ausgezeichneten Französisch, welches Graf d’Hérisson geradezu
-mit Verwunderung anhörte. Jules Favre glaubte an die Unterredung<span class="pagenum" id="Seite_183">[183]</span>
-von Schloß Ferrières wieder anknüpfen zu können, aber
-Bismarck bemerkte höflich:</p>
-
-<p>»Sie vergessen, daß unsere Lage heute bereits eine andere
-ist wie damals. Wenn Sie an Ihrem Grundsatze festhalten:
-›Keinen Zollbreit unseres Gebietes, keinen Stein unserer Festungen,‹
-so ist es überflüssig, weiter darüber zu sprechen. Meine Zeit
-ist kostbar, die Ihrige auch, und ich sehe nicht ein, weshalb wir sie
-vergeuden sollten.«</p>
-
-<p>Es handelte sich um die Bedingungen des Waffenstillstandes,
-und der redegewandte Franzose bot alles auf, dieselben den Verhältnissen
-gemäß günstig zu gestalten. Aber er fand einen überlegenen,
-eisernen Gegner. Übergabe der Außenforts von Paris,
-Kriegsgefangenschaft der Verteidigungstruppen, Entwaffnung der
-Nationalgarde und Einmarsch deutscher Truppen in Frankreichs
-Hauptstadt – das waren die wesentlichsten Forderungen des
-Kanzlers.</p>
-
-<p>Jules Favres bleiches Gesicht rötete sich vor innerer Erregung,
-er strich sich die wirren weißen Haare aus der Stirn
-und begann aufs neue mit dem Versuche, eins und das andere
-abzudingen. Daß deutsche Soldaten durch die Straßen von Paris
-marschieren sollten, war dem Franzosen ein besonders unerträglicher
-Gedanke, und er bestürmte Bismarck, indem er an dessen
-Großmut appellierte und auf die tiefe Verletzung der französischen
-Nationalehre hinwies, darauf zu verzichten. Auch die Entwaffnung
-der Nationalgarde erschien dem Vertreter Frankreichs als
-tief demütigend und kränkend, und er bat dringend, von dieser
-Forderung abzustehen.</p>
-
-<p>Der Kanzler sah ihn ernst an und erwiderte nach einer
-kleinen Pause:</p>
-
-<p>»Ich will Ihnen in dem letzten Punkte entgegenkommen,
-aber glauben Sie mir, Sie begehen eine Dummheit. Sie werden<span class="pagenum" id="Seite_184">[184]</span>
-selbst noch mit den Gewehren zu rechnen haben, die Sie den
-exaltierten Menschen lassen wollen.«</p>
-
-<p>»Und Paris soll nicht verschont bleiben vor dem Schmerz
-einer Invasion Ihrer Truppen?«</p>
-
-<p>»Ich würde Ihnen auch hier ein Zugeständnis zu machen
-bereit sein,« sprach der Kanzler, »aber der König und die Generale
-bestehen darauf. Das ist die Belohnung für unsere Armee.
-Wenn ich nach der Rückkehr in die Heimat einem armen Teufel
-mit einem Stelzfuß begegnen werde, dann wird er sagen: Das
-Bein, das ich vor den Mauern von Paris gelassen habe, gab
-mir das Recht, meine Eroberung zu vervollständigen; dieser
-Diplomat, der im Besitze seiner gesunden Gliedmaßen ist, hat
-mich daran verhindert. – Wir können uns dem nicht aussetzen,
-in diesem Punkte das öffentliche Gefühl zu verletzen. Wir werden
-in Paris einziehen, aber nicht über die Elyséischen Felder hinausgehen,
-und dort die Ereignisse abwarten. Wir werden auch den
-60 Bataillonen der Nationalgarde, welche zuerst gebildet wurden
-und Sinn für Ordnung haben, die Waffen belassen.«</p>
-
-<p>»Und wir dürfen wohl annehmen, daß in den abzuschließenden
-Waffenstillstand auch die von Garibaldi zu unserer Unterstützung
-herbeigeführte Armee eingeschlossen werde?«</p>
-
-<p>In das Antlitz Bismarcks stieg eine wärmere Röte, sein
-ernstes Auge blitzte auf.</p>
-
-<p>»Diese Truppen sind für uns keine völkerrechtlich anerkannte
-Heeresmacht; das sind Banden, die unter die Kategorie Ihrer
-Freischärler fallen, mit ihnen werden wir nicht paktieren. Haben
-wir uns auch veranlaßt gesehen, uns mit ihnen zu schlagen, so
-mag man uns doch nicht zumuten, durch ein solches Zugeständnis
-ihnen eine Berechtigung zuzuerkennen, sich in den Streit zweier
-großen Nationen zu mischen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_185">[185]</span></p>
-
-<p>Der gewaltige Recke war in heftige und zornige Erregung
-gekommen, und der Graf d’Hérisson, der ein schweigender Zeuge
-dieser ganzen Szene war, gedachte jetzt der Äußerung, welche
-Bismarck vorher getan. Mit einem raschen, kühnen Entschlusse
-faßte er den auf dem Tisch stehenden kleinen Teller mit Zigarren
-und bot mit einer ehrerbietigen Verbeugung dieselben dem Kanzler
-dar. Einen Augenblick sah ihn Bismarck einigermaßen erstaunt
-an, dann flog ein Schimmer von Verständnis über sein Gesicht,
-wie ein leichtes Lächeln spielte es um seinen Mund, und er sagte:</p>
-
-<p>»Sie haben recht, Kapitän, es führt zu nichts, sich zu ereifern
-… im Gegenteil!«</p>
-
-<p>Und als Jules Favre mit erneuter Wärme sich für den
-Waffenstillstand mit Garibaldi verwendete, wurde ihm derselbe
-auch tatsächlich noch zugestanden.</p>
-
-<p>Die Verhandlungen dauerten auch in den nächsten Tagen
-noch fort. Am Abend des 26. Januar aber fuhr der kaiserlich
-französische Wagen mit dem abgekratzten Wappen wieder vor dem
-Hause in der Rue de Provence vor, und in verbindlicher Weise
-geleitete Bismarck seine Gäste zu demselben. Die stattliche, stolze
-Gestalt in der Kürassieruniform sah achtungsgebietend aus neben
-der etwas zusammengebeugten hageren und schlotterigen Erscheinung
-des Pariser Advokaten, dem der Kanzler freundlich die
-Hand reichte. Ein Mitgefühl erfaßte ihn für den Mann, der
-doch auch im Dienste seines Volkes und seiner Heimat unter den
-mißlichsten Verhältnissen wirkte, und er sprach:</p>
-
-<p>»Ich glaube nicht, daß, nachdem wir so weit gekommen, ein
-Abbruch der Verhandlungen möglich wäre. Wenn Sie derselben
-Ansicht sind, wollen wir heute abend das Feuer einstellen.«</p>
-
-<p>In den Augen des Franzosen leuchtete ein Strahl dankbarer
-Freude auf, als er erwiderte:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_186">[186]</span></p>
-
-<p>»Da ich das Unglück habe, das besiegte Paris zu vertreten,
-wollte ich nicht um eine Gunst bitten, so sehr mir dies am Herzen
-lag. Ich nehme gern Ihr Anerbieten an; es ist der erste Trost,
-den ich in unserem Unglück empfinde. Es war mir ein unerträglicher
-Gedanke, daß unnützes Blut vergossen wird, während wir
-über die Bedingungen eines Waffenstillstandes verhandeln.«</p>
-
-<p>»Nun wohl, so lassen wir beiderseits Befehl ergehen, daß
-das Feuer um Mitternacht schweigt.«</p>
-
-<p>Die Nacht brach ein, da und dort war der Himmel gerötet
-von Feuersglut, die Kanonen donnerten zornig gegeneinander,
-um die zwölfte Stunde aber ward es mit einmal still. Ein
-letzter dröhnender Schuß von der Seinestadt herüber, und kein
-deutscher Schuß gab die Antwort mehr darauf … Tiefe, beinahe
-ergreifende Ruhe lag über dem nächtlichen Lande.</p>
-
-<p>Die Waffen hörten nun überhaupt auf zu sprechen, und am
-21. Februar trafen die neugewählten Häupter der jungen französischen
-Republik im deutschen Hauptquartier ein, nachdem sich
-vorher die Kapitulation von Paris vollzogen hatte; es waren
-<em class="gesperrt">Jules Favre</em> und der greise, redegewandte und diplomatisch
-erfahrene <em class="gesperrt">Adolf Thiers</em>.</p>
-
-<p>So saßen sie abermals um den runden Tisch, der kleine
-Franzose mit dem glatten, geistvollen Gesicht und den klugen
-Augen, die hinter glänzenden Brillengläsern hervorschauten, der
-hagere, blasse Jules Favre und Bismarck in seiner einfachen
-Uniform mit dem Eisernen Kreuze auf der breiten Brust. Daß
-den Franzosen die Bedingungen, unter welchen ihrem Lande der
-Friede gewährt werden sollte, hart erschienen, ist begreiflich, aber
-der Kanzler wußte, was er notwendig begehren mußte: Die
-Herausgabe von Elsaß-Lothringen mit den Festungen Belfort und
-Metz und eine Kriegsentschädigung von 6 Milliarden Francs.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[187]</span></p>
-
-<p>Wenn Thiers jemals den Ruf eines überaus beredten Mannes
-gerechtfertigt hat, so war es in jenen Stunden, da er alles
-aufbot, um wenigstens einigermaßen glimpflichere Bedingungen zu
-erhalten. Wenn auch Elsaß-Lothringen preisgegeben werden mußte,
-so suchte er doch Metz und Belfort für Frankreich zu retten und die
-Kontribution zu verringern. Im letzteren Punkte gab Bismarck
-nach und ging von sechs Milliarden Francs auf fünf herab, im
-übrigen aber blieb er fest. Bündig, klar und höflich setzte er
-dies in seinem gewandten Französisch den beiden Gegnern auseinander,
-und angesichts dieser unerschütterlichen Festigkeit geriet
-Thiers in heftigere Erregung, so daß er sich zu der Äußerung
-hinreißen ließ:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Ah, c’est une spoliation véritable, c’est une indignité</em>«
-(Ach, das ist ja ein wahrhafter Raub, eine Schlechtigkeit!).</p>
-
-<p>Bismarck hielt den Vertretern des gedemütigten, schwer getroffenen
-Frankreich viel zugute, aber das ging über das Maß
-dessen hinaus, was er als Vertreter Deutschlands sich bieten
-lassen durfte. Er erhob sich von seinem Sitze, richtete sich hoch
-auf, sah den kleinen, erregten Franzosen durchdringend an und
-sagte dann kühl und gemessen in deutscher Sprache:</p>
-
-<p>»Ich bedaure, aus der mir unverständlichen Äußerung,
-welche Sie soeben getan, entnehmen zu müssen, daß ich des
-Französischen nicht so mächtig bin, als es wünschenswert wäre,
-um unsere Verhandlungen in französischer Sprache fortsetzen zu
-können. Wir werden uns deshalb der deutschen Sprache bedienen
-müssen, um so mehr, da ich keinen Grund erkennen kann, weshalb
-wir dies nicht von Anfang an getan haben. Ich werde
-mir gestatten, die von uns gestellten Bedingungen des Friedens
-noch einmal zusammenzufassen.«</p>
-
-<p>Während er das letztere tat, saß Thiers zusammengesunken
-in seinem Stuhle, Favre aber war aufgesprungen, mit erregten<span class="pagenum" id="Seite_188">[188]</span>
-Händen durch das graue Haar gefahren, dann eilte er nach
-einer Ecke des Gemaches und drückte sein Haupt an die Wand.</p>
-
-<p>Endlich faßte sich Thiers. Ein Zug des Unmuts ging über
-sein Gesicht, dann erhob er sich, trat an einen anderen Tisch, ergriff
-hastig die Feder und schrieb einiges nieder auf ein Blatt
-Papier, welches er nun Bismarck reichte.</p>
-
-<p>»Ist es das, was Sie wünschen?« fragte er mit vor Erregung
-heiserer Stimme.</p>
-
-<p>Bismarck warf einen Blick auf das Geschriebene, ein verbindliches
-Lächeln huschte über seine ernsten Züge, und indem er
-sich langsam in seinen Sessel niederließ, sprach er:</p>
-
-<p>»Auf dieser Grundlage können wir die Verhandlungen auch
-in französischer Sprache wieder aufnehmen.«</p>
-
-<p>Aufs neue begann Thiers wegen Belfort zu unterhandeln
-mit dem Aufgebot seines ganzen Patriotismus, mit seiner wärmsten
-Beredtsamkeit, aber der Kanzler blieb auch jetzt voll höflicher
-Festigkeit, und tiefatmend sagte der Franzose:</p>
-
-<p>»Nun denn – Sie wollen, daß wir durch das Joch gehen,
-und unsere ganze Unterhandlung ist leerer Schein. Belfort ist
-eine rein französische Stadt; wollen Sie uns dieselbe nehmen,
-so heißt das einen Vernichtungskrieg gegen Frankreich führen.
-Nun gut, führen Sie ihn – wir aber werden Sie bis zum
-letzten Atemzug bekämpfen, wir werden vielleicht erliegen, aber
-nicht entehrt sein!«</p>
-
-<p>Das leidenschaftliche Pathos des Franzosen hatte etwas Erschütterndes,
-und selbst Bismarck empfand dies. Er versicherte
-sich der Genehmigung seines Kaisers und Königs, dann ließ er
-den Abgeordneten Frankreichs die Wahl, ob sie Belfort behalten
-oder sich den Einmarsch deutscher Truppen in ihre Hauptstadt,
-gegen welchen sie gleichfalls remonstrierten, gefallen lassen wollten.
-Sie zogen das letztere vor.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_189">[189]</span></p>
-
-<p>Ein Sonntag war es, der 28. Februar, als der Friedensvertrag
-in Versailles unterzeichnet wurde in Gegenwart der Vertreter
-Bayerns, Württembergs und Badens. Die goldene Feder
-des Pforzheimer Fabrikanten fand die ihr zugedachte Verwendung.
-Tiefes, ehrfurchtsvolles Schweigen, wie es dem Unglück gegenüber
-geboten war, herrschte in dem Raume, als Adolf Thiers
-sich niederbeugte auf das bedeutsame Dokument. In den Augen
-des greisen französischen Staatsmannes schimmerte es feucht, als
-er wieder aufsah, Bismarck aber war an ihn herangetreten, und
-indem er ihm herzlich die Hand reichte, sprach er:</p>
-
-<p>»Sie sind der letzte, welchem Frankreich diesen Schmerz hätte
-auferlegen sollen, denn Sie unter allen Franzosen haben ihn am
-wenigsten verdient.«</p>
-
-<p>Der 1. März war angebrochen, und um die Mittagszeit
-dieses Tages hatte Paris ein Schauspiel, das seine Bewohner
-mächtig erregte und ergrimmte.</p>
-
-<p>Durch den <em class="antiqua">Arc de Triomphe</em>, den Siegesbogen, zogen die
-deutschen Truppen in Frankreichs Hauptstadt ein. Ein herrliches,
-erhebendes Bewußtsein erfüllte die Brust der Braven, die hier
-endlich die Genugtuung hatten, daß die Schmach gebüßt sei, die
-Frankreich zu Anfang des Jahrhunderts ihren Vorfahren angetan.
-Stramm und kraftvoll marschierten die Kolonnen, donnerndes
-Hurrarufen durchbrauste die Luft, die Waffen glänzten,
-die Helme blinkten, und stumm, mit mühsam verhaltenem Groll
-stand das Volk von Frankreich in den Straßen und schaute auf
-die Sieger. Da ritt eine mächtige Gestalt heran in der Uniform
-der Kürassiere, das Eiserne Kreuz auf der Brust. Unter dem
-Stahlhelm blitzten ernst und scharf die Augen umher, und wie aus
-Erz gegossen saß der Recke im Sattel.</p>
-
-<p>Ein Murmeln und Murren ging durch die Neugierigen:
-»Da ist Bismarck!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_190">[190]</span></p>
-
-<p>Die rückwärts Stehenden reckten sich höher, die Augen wurden
-finsterer und drohend, der Kanzler aber sah hinein in die wogende
-Menge, ruhig und kühl, wandte dann sein Roß herum und beugte
-sich herab zu einem Manne, der ihn mit feindlicher Gehässigkeit
-anstarrte.</p>
-
-<p>»Monsieur, darf ich Sie um etwas Feuer für meine Zigarre
-bitten?« sprach er mit Liebenswürdigkeit, und der Angesprochene
-war so verblüfft, daß er mit französischer Gefälligkeit dem Wunsche
-des Reiters entsprach. – –</p>
-
-<p>Nur wenige Tage noch weilte der Kanzler auf dem Boden
-von Frankreich; am 6. März reiste er mit seinem König nach
-der Heimat zurück, das Herz erfüllt von Sehnsucht nach den
-Seinen. Und als in den Morgenstunden des 9. März der Zug
-in Berlin einfuhr, stand er schon am Fenster des Kupees, und
-schaute hinaus nach den teuren Gesichtern. Und da standen sie,
-die er suchte: die geliebte Frau, die herzige Tochter, und zwischen
-beiden Graf Herbert in der Uniform mit dem Eisernen Kreuz.
-Nach wenigen Sekunden war er bei ihnen.</p>
-
-<p>»Da habt ihr euren Ollen wieder!«</p>
-
-<p>Das war das humorvolle Wort, in dem er die gewaltige
-freudige Bewegung seiner Seele verhüllte, als er seine Lieben
-umarmte.</p>
-
-<p>Am nächsten Tage war er bereits wieder in Frankfurt a. M.
-Hier fand die große Tragödie des gewaltigen Krieges ihren endgültigen
-Abschluß durch Unterzeichnung des Friedensvertrages.
-Die alte, stolze Stadt hatte sich festlich geschmückt, und durch ihre
-Straßen wogte eine freudig bewegte Menge.</p>
-
-<p>Vor dem Hotel »Zum Schwanen« staute sich die Masse;
-hier verkehrten die Staatsmänner, welche bei diesem Nachspiel
-agierten, und man wollte sie sehen, vor allen den einen, den
-Kanzler des neuen Deutschen Reichs. Interesse hatte man indes<span class="pagenum" id="Seite_191">[191]</span>
-für alle. Jetzt kam die hagere Gestalt Jules Favres und schritt
-langsam durch die Menge, und nicht lange nach ihm erschien der
-Erwartete. Die Kraftgestalt Bismarcks trat aus dem Tore;
-das mächtige Haupt auf den breiten Schultern ragte über die
-herandringende Menge, und begeisterte Zurufe schollen ihm entgegen.
-Langsam schritt er durch die Straße, und der Jubel klang
-ihm nach, wohin er ging, bis er plötzlich in eine Gasse abbog und
-in einem kleinen, freundlichen Hause verschwand.</p>
-
-<p>»Wer wohnt hier? Zu wem geht er?« fragte es in der Menge.</p>
-
-<p>»Hier wohnt der Maler Becker! – Ah, das ist hübsch, daß
-er hierher geht!«</p>
-
-<p>Ja, er war gekommen, in Erinnerung an die alten, freundlichen
-Beziehungen die ihm lieben Leute, seine »Sonnenscheinfamilie«
-zu begrüßen. Diesmal brachte er selbst den Sonnenschein
-mit in das anmutige Künstlerheim, und mancher Anklang
-längst verklungener Stunden tauchte wieder auf. Wie war doch
-alles anders geworden, seit er als Bundestagsgesandter hier in
-Frankfurt gelebt und sich mit seinen süddeutschen Kollegen und
-mit dem österreichischen Präsidenten herumgeärgert hatte.</p>
-
-<p>Wenige Tage später erhielt er seine Erhebung in den Fürstenstand,
-die Ehrengabe seines dankbaren Kaisers und Königs, der
-ihm außerdem einen erblichen Grundbesitz im Herzogtum Lauenburg
-verlieh. Und am 20. März sprach in dem neueröffneten
-ersten deutschen Reichstage Kaiser Wilhelm die schönen Worte:</p>
-
-<p>»Wir haben erreicht, was seit der Zeit unserer Väter für
-Deutschland erstrebt wurde: Die Einheit und deren organische
-Gestaltung, die Sicherung unserer Grenze, die Unabhängigkeit
-unserer nationalen Rechtsentwicklung. Möge die Wiederherstellung
-des deutschen Reiches für die deutsche Nation auch nach innen
-das Wahrzeichen neuer Größe sein; möge dem deutschen Reichskriege,
-den wir so ruhmreich geführt, ein nicht minder glorreicher<span class="pagenum" id="Seite_192">[192]</span>
-Reichsfriede folgen, und möge die Aufgabe des deutschen Volkes
-fortan darin beschlossen sein, sich in dem Wettkampfe um die
-Güter des Friedens als Sieger zu bewähren. Das walte Gott!«</p>
-
-<p>Wenn irgendeiner in tiefster Seele dies kaiserliche Wort
-nachempfand, so war es der Reichskanzler, der mit dem Bewußtsein,
-daß er mit seiner Kraft redlich das Seine zum bisherigen
-Gelingen des großen Werkes getan habe, das stille Gelöbnis
-verband, im Dienste seines Vaterlandes und seines Kaisers unermüdlich
-weiterzuarbeiten.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Patriae inserviendo consumor!</em> Im Dienste des Vaterlands
-will ich aufgehen!«</p>
-
-<p>Am 16. Juni feierte Preußen und des neuen Reiches Hauptstadt
-die Heimkehr der Sieger. Wiederum kamen sie von dem
-Brandenburger Tor herangezogen, und zwischen zujubelnden
-Menschenmassen zogen sie einher, geschmückt mit Kränzen und
-grünen Reisern, und die breite Straße Unter den Linden war
-überflutet von wehenden Fahnen, geschmückt mit bunten Teppichen
-und Tüchern, mit Laubgewinden und Blüten. Wie schlugen die
-Herzen all der Tausende höher, als vor ihrem greisen Heldenkaiser
-die herrlichen drei, Bismarck, Moltke und Roon, einherritten,
-und nun der alte, weißhaarige Sieger kam und mit seinem
-milden, freundlichen, von tiefer Bewegung leuchtenden Antlitz auf
-sein Volk herniederschaute, das immer neu in endlose Jubelrufe
-ausbrach, die lawinengleich fortbrausten und immer noch anzuschwellen
-schienen. Hinter dem Kaiser ritten die beiden Feldmarschälle,
-Kronprinz Friedrich und Prinz Friedrich Karl, und
-mit ihnen ein glänzender Zug der deutschen Fürsten. Das war ein
-Festtag, wie er kaum jemals in Berlin erlebt worden war,
-und selbst die hereinbrechende Nacht machte der Begeisterung, dem
-festlichen Wogen kein Ende. In allen Straßen und Gassen
-leuchtete es auf mit dem Beginnen des Abends, aus allen<span class="pagenum" id="Seite_193">[193]</span>
-Fenstern strahlte Lichtglanz, und auch das fernste, kleinste Haus,
-auch das schlichte Mansardenstübchen wollte heute nicht zurückbleiben.</p>
-
-<div class="figcenter illowp60" id="illu-200">
- <img class="w100" src="images/illu-200.jpg" alt="">
- <div class="caption">
-<div class="left">
-<em class="antiqua">Eis. Kanzler V.</em>
-</div>
-<div>Wilhelm II. und Bismarck in Friedrichsruh.</div></div>
-</div>
-
-<p>Um das Palais des Kaisers wogte die Menge am dichtesten;
-Vaterlandslieder und stürmische Hochrufe schollen durch diese einzige
-Sommernacht, und wie ein Echo klang es verhallend herüber aus
-der Wilhelmstraße, wo Tausende und Abertausende um das Palais
-des Kanzlers sich zusammenfanden zu stürmischen Huldigungen.
-Beim strahlenden Lichterschein aber flatterte eine mächtige Fahne
-aus der Wohnung Bismarcks, und was auf ihr geschrieben stand,
-rief immer aufs neue das herrliche Dichterwort hinein in die
-Herzen der begeisterten Menge:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,</div>
- <div class="verse indent0">In keiner Not uns trennen und Gefahr!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<h2 class="nobreak" id="Elftes_Kapitel"><span class="smaller">Elftes Kapitel.</span><br>
-Des neuen Reiches Kanzler.</h2>
-</div>
-
-<p>Im freundlichen Badeorte Kissingen war die Saison in
-vollem Gange, und der Sommer des Jahres 1874 hatte auch die
-anmutige bayrische Stadt nach gewohnter Weise lieblich und festlich
-herausgeputzt, und zahlreiche Gäste aus allen Weltgegenden
-suchten hier Genesung und Erholung. Zu Anfang des Juli war
-auch der deutsche Reichskanzler hier eingetroffen und bildete beinahe
-den mächtigsten Anziehungspunkt des schönen Kurorts, dessen
-zweifellos berühmtester Besucher er war. Wo er ging und fuhr,
-blieb man stehen, drängte man sich näher heran, freute man sich
-seines Grußes und war man stolz, wenn man eines Wortes von
-ihm gewürdigt wurde.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_194">[194]</span></p>
-
-<p>An einer Straßenbiegung stand um die Mittagszeit des
-13. Juli eine größere Anzahl von Damen und Herren. Man
-wußte, daß der Kanzler um diese Zeit hier vorüber nach seiner
-Wohnung im Hause des Dr. Diruff fahren werde. Zwei vornehm
-aussehende Herren gingen langsam auf und ab in lebhaftem
-Gespräche; der eine sagte:</p>
-
-<p>»Deutschland darf mit Recht stolz sein auf ihn; er ist der
-größte Staatsmann, welchen es vielleicht jemals besessen hat.«</p>
-
-<p>»Wissen Sie, daß eine solche Anerkennung gerade aus Ihrem
-Munde besonderen Wert hat?« sagte der andere.</p>
-
-<p>»Weshalb?«</p>
-
-<p>»Weil Sie Österreicher sind, und dazu noch ein begeisterter
-Österreicher, bei dem es schwer wiegt, wenn er das Jahr 1866
-Bismarck vergibt und seine Größe so voll anerkennt.«</p>
-
-<p>»Ja, der Schlag von damals hat uns weh getan, und ich
-habe wie Tausende meiner Landsleute ihm gegrollt, aber zuletzt
-muß ruhige Überlegung und vorurteilslose Betrachtung seiner
-Erfolge ihm die Herzen gewinnen, zumal aller, die deutsch reden
-und empfinden, ob sie im neuen Reiche oder in Österreich wohnen.
-Wie herrlich hat er es verstanden, mit den ehemaligen Gegnern
-an der Donau seinen Frieden zu machen; seinen Bemühungen
-war im Jahre 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser von
-Deutschland, Österreich und Rußland in Berlin zu danken, und
-was dieselbe für den europäischen Frieden bedeutet hat, wissen
-wir alle.«</p>
-
-<p>»Gewiß, aber nicht minder bewundere ich als Engländer
-seine Tatkraft und Energie der Anmaßung Roms gegenüber.
-Das Konzil, das die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma gemacht
-hat, hat viel Unheil gebracht und hätte dem protestantischen
-Kaisertum eine schwere Schädigung zufügen können, wenn Bismarck
-nicht wie der getreue Eckart zum Schutze der Rechte der<span class="pagenum" id="Seite_195">[195]</span>
-Krone und des deutschen Volkes eingetreten wäre. Die Maigesetze
-(vom 15. Mai 1873) haben der römischen Anmaßung einen
-Damm gesetzt. Die katholischen Priester sollen bei ihrer ganzen
-Ausbildung und die geistlichen Oberhirten bei deren Anstellung
-eingedenk bleiben, daß sie nicht außerhalb der Nation stehen,
-sondern zu dieser sich zu zählen haben. Aber verzeihen Sie –
-Sie sind selbst Katholik –«</p>
-
-<p>»Aber ein solcher, der das Wort: ›Gebt dem Kaiser, was
-des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist,‹ verstanden zu haben
-meint, und dem die Äußerung Bismarcks in der Sitzung vom
-14. Mai 1872: ›Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehn
-wir nicht!‹ die Seele erfreut und erwärmt hat – doch sehen Sie,
-hier kommt er!«</p>
-
-<p>Die beiden Männer standen still und sahen in der Richtung
-nach der Saline hin, von woher ein offener Wagen heranrollte.
-Im Fond lehnte der Kanzler, mit dem gewohnten breitrandigen
-Schlapphute auf dem mächtigen Haupte, und dankte freundlich
-den Grüßen, welche von allen Seiten her ihm entgegengebracht
-wurden.</p>
-
-<p>Die zwei Herren zogen ebenfalls ihre Hüte ab, als der
-Wagen vorüberfuhr, dann sahen sie ihm nach und kehrten zu
-ihrem Gespräche zurück. Plötzlich vernahmen sie einen Knall,
-kurz und scharf, und der Engländer rief:</p>
-
-<p>»Das war ein Schuß!«</p>
-
-<p>Gleich darauf eilten beide in der Richtung hin, woher der
-Schall gekommen war, dem Wagen Bismarcks nach. An einer
-der nächsten Straßenecken bereits drängte sich eine dichte Menge
-Volkes, geballte Fäuste hoben sich in die Lüfte, und nun wurde
-auch ein bleicher, aufgeregter junger Mensch dahergeschleppt,
-gegen welchen sich drohend der Unmut und Zorn der Menge
-wendete.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_196">[196]</span></p>
-
-<p>»Er hat auf Bismarck geschossen – der Hund!« So lief
-es unheimlich von Mund zu Mund – dazwischen klangen Fragen
-nach dem Kanzler.</p>
-
-<p>»Er ist an der Hand verwundet, die er zum Gruße gehoben
-hat.«</p>
-
-<p>Der Wagen, in welchem Bismarck gesessen, hatte angehalten,
-er selbst war ausgestiegen, und um ihn drängten sich nun alle.
-Freudig begeisterte Zurufe mischten sich mit lebhaften Kundgebungen
-der Teilnahme und des heiligen Zornes, und immer
-dichter scharte es sich um ihn her, als wollten alle eine Mauer
-bilden zum Schutze um den teuren Mann, und wenig fehlte, so
-wäre er im Triumphe heimgetragen worden.</p>
-
-<p>Entsetzt und erschreckt vernahm die Gräfin sowie Komtesse
-Marie, was geschehen war, und wie einst in Berlin, so war er
-selbst auch hier am meisten gefaßt und ruhig. Er ließ sich den
-Attentäter vorführen. Dieser war ein Böttchergeselle aus Magdeburg,
-namens Kullmann, der durch die fanatischen Worte seines
-Pfarrers zu seinem Verbrechen getrieben worden war und unumwunden
-eingestand, daß er Bismarck habe töten wollen wegen
-der von demselben ausgegangenen Kirchengesetze.</p>
-
-<p>Mit einer Mischung von Abscheu und Mitleid betrachtete
-der Kanzler den irregeleiteten Burschen, der auch aus deutschem
-Blute entsprossen war und in seiner Verblendung die Mörderfaust
-heben konnte gegen einen Mann, der in allem, was er
-tat, nur seines Volkes Ehre und seines Vaterlandes Größe im
-Auge hatte.</p>
-
-<p>Die Aufregung, welche durch das freundliche Kissingen ging,
-war groß, gewaltiger noch jene, welche das ganze deutsche Land
-durchzitterte. An dem Abend des unseligen Tages aber fanden
-sich Tausende von Menschen ein vor dem freundlichen Hause des
-Dr. Diruff, um ihrem Herzen Luft zu machen und ihre Liebe<span class="pagenum" id="Seite_197">[197]</span>
-und Begeisterung für Bismarck zum Ausdruck zu bringen.
-Stürmische Hochrufe brausten empor; man wollte den Mann
-sehen, welchen die Huld des Himmels so augenscheinlich behütet
-hatte, und endlich trat er heraus auf den Balkon, tiefbewegt
-über die Kundgebungen treuer Anhänglichkeit und liebender
-Teilnahme.</p>
-
-<p>Er winkte mit der unverwundeten Hand – man verstand,
-daß er sprechen wolle, und tiefe, feierliche Stille lag ringsum.
-In diese hinein klang die ruhige sonore Stimme, weithin vernehmbar:</p>
-
-<p>»Ich danke Ihnen herzlich für die wohltuende Teilnahme,
-die Sie mir bekunden, und die mich herzlich freut. Es geziemt
-mir nicht, weiteres über den heutigen Vorgang zu reden. Die
-Sache ist dem Urteil des Richters übergeben. Das aber darf
-ich wohl sagen, daß der Schlag, der gegen mich gerichtet war,
-nicht meiner Person galt, sondern der Sache, der ich mein Leben
-gewidmet habe: der Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands.
-Und wenn ich auch für die große Sache hätte sterben
-müssen, was wäre es weiter gewesen, als was Tausende unserer
-Landsleute betroffen hat, die vor drei Jahren ihr Blut und
-Leben auf dem Schlachtfelde ließen! Das große Werk aber,
-das ich mit meinen schwachen Kräften habe beginnen helfen,
-wird nicht durch solche Mittel zugrunde gerichtet werden, wie
-das ist, wovor Gott mich gnädig bewahrt hat. Es wird vollendet
-werden durch die Kraft des geeinigten Volkes. In dieser Hoffnung
-bitte ich Sie, mit mir ein Hoch zu bringen dem geeinigten
-deutschen Volke und seinen verbündeten Fürsten!«</p>
-
-<p>Begeistert und aus bewegten Herzen stimmte die Menge in
-den Ruf ein, der in allen Gauen Deutschlands frohen Widerhall
-fand.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_198">[198]</span></p>
-
-<hr class="tb">
-
-<p>Wer in den siebziger Jahren in die Hauptstadt des deutschen
-Reiches kam, konnte wohl erstaunt und erfreut sein über die
-Rührigkeit, die sich auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens
-zeigte, wie über die Verschönerungen auf den Plätzen und in den
-Straßen, durch Gebäude und Denkmäler. Am Sedanstage 1873
-war das imposante Siegesdenkmal auf dem Königsplatze eingeweiht
-worden, im nächsten Jahre die herrliche Nationalgalerie; das
-Zeughaus hatte durch einen Umbau hervorragend an Schönheit
-und monumentaler Bedeutung gewonnen, Museen und Galerien
-wuchsen aus der Erde empor, und unter den Denkmälern war es
-besonders jenes der unvergeßlichen Königin Luise, welches Auge
-und Herz gefangen nahm.</p>
-
-<p>Und wer nach Berlin kam, verabsäumte auch nicht, nach
-der Wilhelmstraße zu wandern, um das schlichte Palais zu sehen,
-in welchem der Mann wohnte, der »Deutschland in den Sattel
-gehoben hatte«, und dem es zu danken war, daß es im Völkerrate
-eine hervorragende, ja, die erste Rolle spielte. Das konnte zumal
-einem Besucher klarwerden, der in den Junitagen des Jahres 1878
-nach der Wilhelmstraße kam und sah, wie in den Mittagsstunden
-ein Wagen nach dem anderen heranrollte, und hörte, wer die
-Besucher des Reichskanzlerpalais waren. Die Staatsmänner
-sämtlicher europäischen Großmächte fanden sich hier zusammen zu
-wichtigen Beratungen, und wenn wir in den vornehmen, doch
-einfachen Sitzungssaal einen Blick werfen, sehen wir den österreichischen
-Kanzler Grafen Andrassy in seiner goldstrotzenden
-Husarenuniform neben dem russischen Kanzler Grafen Gortschakoff,
-der durch seine glänzenden Brillengläser mit seinen klaren, scharfen
-Augen Umschau hält; ihm zur Seite steht Graf Schuwaloff, der
-russische Botschafter, im Gespräche mit dem hageren englischen
-Ministerpräsidenten Beaconsfield, und dem italienischen Gesandten
-Grafen Corti; der Charakterkopf des Lords Odo Russel taucht<span class="pagenum" id="Seite_199">[199]</span>
-neben den mit dem Fez bedeckten Häuptern von Mohammed Ali
-Pascha und Karatheodori Pascha auf; mit dem ungarischen
-Grafen Caroly konversieren lebhaft die Gesandten Frankreichs,
-Waddington und Desprez … und unter all diesen bedeutenden
-Persönlichkeiten steht Graf Bismarck, hervorragend durch seine
-äußere Erscheinung sowie durch seine Stellung, welche ihm in
-diesem Kreise angewiesen ist.</p>
-
-<p>Das ist der <em class="gesperrt">europäische Friedenskongreß</em>,
-welcher auf Bismarcks Anregung zusammengetreten ist, um nach
-Beendigung des im Jahr 1877 geführten Krieges zwischen Rußland
-und der Türkei weitere feindselige Verwicklungen fernzuhalten,
-und der deutsche Kanzler ist der Präsident des Kongresses
-und leitet die Verhandlungen mit seiner sicheren Ruhe und
-energischen Klarheit. Und Europa durfte ihm Dank dafür wissen.
-Er wollte dabei nicht mehr sein als »der ehrliche Makler«, und
-das Wort hat er redlich eingelöst.</p>
-
-<p>Der Kongreß war aber zu einer Zeit zusammengetreten, da
-das Herz des Kanzlers noch blutete unter dem Nachklang
-ungeheurer Freveltaten, welche das ganze deutsche Volk tief
-erschüttert hatten.</p>
-
-<p>Schon am 11. Mai nachmittags hatte ein verkommenes
-Individuum, der Klempnergeselle Hödel, ein Attentat verübt gegen
-den greisen Kaiser Wilhelm, aber Gott hatte schützend seine
-Hand gehalten über dem geweihten, vielgeliebten Haupte.</p>
-
-<p>Da geschah das Unglaubliche, Ungeheure zum zweiten Male.
-Als Kaiser Wilhelm am 2. Juni die Straße Unter den Linden
-dahinfuhr, fielen aus dem zweiten Stockwerk des Hauses Nr. 18
-rasch nacheinander zwei Schüsse. Zahlreiche starke Schrotkörner
-drangen in Kopf, Arm und Rücken des greisen Helden, der blutüberströmt,
-auf seinen Leibjäger gestützt, im offenen Wagen dahinfuhr,<span class="pagenum" id="Seite_200">[200]</span>
-während die zornig erregten Zuschauer des entsetzlichen
-Vorgangs in das Haus eindrangen, von welchem aus der Attentäter
-gefeuert hatte. Die Tür seines Zimmers wurde aufgesprengt,
-einige Offiziere, Kriminalschutzleute und andere Personen
-drangen ein, noch zwei Schüsse krachten ihnen entgegen, am Ofen
-des Gemaches aber lehnte mit blutigem Antlitz ein Mensch, der
-nach seiner Freveltat bereits Hand an sich selbst gelegt hatte.
-Rasch war er überwältigt und in Haft gebracht, und es ergab
-sich, daß er der Landwirt <em class="antiqua">Dr. phil.</em> Nobiling war, und ebenso
-wie Hödel durch die fanatische Verhetzung der Sozialdemokratie
-zu dem furchtbaren Verbrechen veranlaßt worden war.</p>
-
-<p>Wie ein Lauffeuer war die entsetzliche Kunde durch Berlin
-geflogen, der Telegraph hatte sie fortgetragen durch die Welt und
-hatte sie schnell genug auch nach dem stillen Friedrichsruh gebracht,
-wo der Kanzler an der Gürtelrose erkrankt war. Da
-schreckte er empor, er vergaß seine Krankheit und eilte an das
-Schmerzenslager seines teuren, greisen Herrn. Noch sah er die
-Wunden auf dem geliebten Angesicht, und Schmerz, heiliger Zorn
-und glühende Hingebung erfaßten den gewaltigen Mann. Er
-fühlte, wie es ihm heiß in die Augen stieg, aber er gelobte sich
-auch in dieser Stunde auszuhalten bei seinem Kaiser, solange
-ihn dieser nicht entlassen würde.</p>
-
-<p>Aber auch dem furchtbaren Feinde galt es zu Leibe zu gehen,
-der das Mark des deutschen Volkes zu vergiften sich bemühte, und
-der durch seine verhetzenden Grundsätze deutschgeborenen Männern
-die Mordwaffe gegen ihren Kaiser in die Hand gedrückt hatte –
-der Sozialdemokratie. Und unter dem Eindruck der fluchwürdigen
-Tat Nobilings stimmte der Reichstag dem von dem Kanzler ihm
-vorgelegten Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie zu.</p>
-
-<p>Wie ein zorniger Löwe war er eingetreten für dies Gesetz,
-das dem Schutze des friedlichen Bürgers dienen sollte, und ergreifend<span class="pagenum" id="Seite_201">[201]</span>
-klangen die Worte, welche er im Reichstage sprach, durch
-alles deutsche Land:</p>
-
-<p>»Wenn die sozialistischen Agitatoren den Leuten, die zwar
-lesen, aber nicht das Gelesene beurteilen können, glänzende Versprechungen
-machen, dabei in Hohn und Spott, in Bild und Wort
-alles, was ihnen bisher heilig gewesen ist, als einen Zopf, als
-eine Lüge darstellen, alles das, was unsere Väter und uns mit
-dem Motto: »Mit Gott für König und Vaterland!« geführt und
-begeistert hat, als eine hohle Redensart, als einen Schwindel hinstellen,
-ihnen den Glauben an Gott, den Glauben an unser Königtum,
-die Anhänglichkeit an das Vaterland, den Glauben an die
-Familienverhältnisse, an den Besitz, an die Vererbung dessen,
-was sie für ihre Kinder erworben, ihnen alles das nehmen, so
-ist es doch nicht allzu schwer, einen Menschen von geringem
-Bildungsgrade dahin zu führen, daß er schließlich mit Faust
-spricht: »Fluch sei der Hoffnung, Fluch dem Glauben und Fluch
-vor allem der Geduld!« Ein so geistig verarmter und nackt
-ausgezogener Mensch, was bleibt dann dem übrig, als eine wilde
-Jagd nach sinnlichen Genüssen, die allein ihn noch mit diesem
-Leben versöhnen können! Wenn ich zu dem Unglauben gekommen
-wäre, der diesen Leuten beigebracht ist – ja, meine Herren, ich
-lebe in einer reichen Tätigkeit, in einer wohlhabenden Situation;
-aber das alles könnte mich doch nicht zu dem Wunsche veranlassen,
-einen Tag länger zu leben, wenn ich das, was der Dichter
-nennt: »an Gott und bessere Zukunft glauben«, nicht hätte. –
-Rauben Sie das dem Armen, dem Sie gar keine Entschädigung
-gewähren können, so bereiten Sie ihn eben zu dem Lebensüberdruß
-vor, der sich in ruchlosen Taten äußert, wie wir sie soeben erlebt
-haben.«</p>
-
-<p>In jenen Tagen tiefgehender Erregung war ihm der Frieden
-seines Hauses und Heims doppelt wertvoll, und die Stunden im<span class="pagenum" id="Seite_202">[202]</span>
-Kreise seiner Familie, im vertrauten Verkehr mit Freunden und
-selbst parlamentarischen Gegnern an seinem Herde boten manche
-Anregung und Erholung.</p>
-
-<p>Wilhelmstraße 76! Es ist ein ziemlich einfaches, mäßig
-großes Gebäude, dies Wohnhaus des deutschen Reichskanzlers
-in Berlin, in dessen erstem und einzigem Stockwerk der größte
-deutsche Mann der Gegenwart sein Heim hatte.</p>
-
-<p>Es war Herbst geworden in dem unseligen Jahre 1878,
-und die Bäume in dem Parke hinter dem Palais haben angefangen
-sich zu verfärben. Unter ihnen schreitet der Kanzler
-hin, und wie einst als Knabe, so freut er sich auch jetzt noch
-der Schönheiten der Natur, wo immer sie ihm begegnen. Hier
-ist für ihn in dem geräuschvollen, lärmenden Berlin eine freundliche
-Oase. Aus den Kronen uralter, stammgewaltiger Buchen
-und Linden singen die Vögel, dichtes, noch immer grünes Buschwerk
-umsäumt die Wege, und in der herrlichen, von stattlichen
-Rüstern überwölbten Allee schreitet der Kanzler hin neben der geliebten
-Frau, der Gefährtin seiner Tage, seinem guten Kameraden.</p>
-
-<p>Die Frau des Hauses ist zwar heute besonders beschäftigt,
-denn am Abend gilt es Gäste zu empfangen zu einer der beliebten
-parlamentarischen Soireen, aber etwas Zeit bleibt für den Gatten,
-der so manches in ihr treues, verschwiegenes Herz niederlegt, ehe
-er mit anderen darüber verhandelt. Ein Stündchen ist zwischen
-den grünen Gehegen rasch genug vergangen, und Bismarck geht
-nach seinem Arbeitszimmer. Es ist nicht besonders groß, einfach,
-aber geschmackvoll in seiner ganzen Ausstattung. Über dem
-großen Schlafsofa hängen mehrere Porträte, darunter vor
-allem jene des kaiserlichen Herrn im Zivilanzuge, wie in Generalsuniform;
-von einer anderen Wand schaut das Bild König
-Ludwigs II. von Bayern her, es fehlen nicht in breiten goldenen
-Rahmen die lebensgroßen Porträte der beiden gewaltigen Hohenzollern,<span class="pagenum" id="Seite_203">[203]</span>
-des Großen Kurfürsten und Friedrichs II., aber auch der
-Gegenwart wird ihr Recht. Über dem Mahagonistehpult sehen
-die freundlichen Augen der Fürstin Bismarck herab, und in
-ovalem Goldrahmen prangt an der Wand das in Öl ausgeführte
-Porträt der Komteß Marie. Auch das Gipsmedaillon des treuen
-Genossen, des Generals Moltke, fehlt nicht.</p>
-
-<p>In der Mitte des Raumes steht der umfangreiche Schreibtisch,
-davor zwei Polsterlehnstühle, in deren einem der Kanzler
-sich langsam niedergelassen hat. Er lehnt sich noch einmal sinnend
-zurück und läßt den Blick über den Tisch hinschweifen, an dem
-so manches bedeutsame Schriftstück die letzte Vollendung erhalten
-hat. Seine Hand hat einen der großen Bleistifte gefaßt und
-gleitet mit diesem über das rote Löschpapier, das auf der grünen
-Tuchunterlage ruht. Vor ihm stehen mancherlei Erinnerungen:
-Ein Briefbeschwerer aus einer 1866 eroberten Kanone, und ein
-anderer, zu dem ein französisches Geschütz das Material geliefert
-hat, und anderes mehr.</p>
-
-<p>Das Signal »der Fürst ist im Arbeitszimmer« ist durch
-das Haus gegangen, und es währt nicht lange, so erscheint der
-Geheime Legationsrat Lothar Bucher, ein Herr von etwa sechzig
-Jahren mit einem vornehmen Gesichte und klaren, verständigen
-Augen, der seit 1864 ein treuer und gediegener Mitarbeiter
-Bismarcks geworden ist; er hält dem Kanzler Vortrag, und
-nimmt seine Weisungen entgegen. Und von dem kleinen Arbeitszimmer
-Bismarcks aus laufen all die tausend Fäden, die mit
-der Regierung eines großen Reiches verknüpft sind.</p>
-
-<p>So kommt der Abend, und der Kanzler hat daran zu denken,
-daß er die Pflichten des gastfreundlich liebenswürdigen Wirtes
-zu üben hat.</p>
-
-<p>Um die neunte Stunde belebten sich die Räume der ersten
-Etage. Abgeordnete von allen Parteischattierungen stiegen die<span class="pagenum" id="Seite_204">[204]</span>
-teppichbelegten Treppen hinan, vorüber an zahlreichen Dienern
-in schwarzweißer Livree, und betraten das behagliche, freundliche
-Empfangszimmer, wo der Hausherr nebst seiner Gemahlin sie bereits
-begrüßte und den meisten herzlich die Hand drückte. Flüchtig
-streiften die Augen der Ankommenden durch den hellen Raum, und
-manch einer ließ sie auf dem springenden Hasen, der auf dem
-Büfett stand, haften.</p>
-
-<p>Da es sich just etwas um den Hausherrn lichtete, und die
-Besucher in das Billardzimmer traten, fragte einer derselben
-flüchtig, was wohl dieser »Meister Lampe« für eine besondere
-Bedeutung habe.</p>
-
-<p>»Ja, sehen Sie, dieser Hase ist brünett,« sagte lächelnd der
-Kanzler.</p>
-
-<p>»Brünett?«</p>
-
-<p>»Ja, er hat einen dunkelbraunen Kopf und Rücken, während
-seine Verwandtschaft gelb ist. Er war der einzige Brünette unter
-fünfzehnhundert, die wir an dem Tage schossen.«</p>
-
-<p>Durch die offene Tür warfen die Besucher einen Blick in
-das Arbeitszimmer des großen Staatsmannes, ehe sie in die
-eigentlichen Gesellschaftsräume traten und sich in denselben verteilten.
-Es herrschte bald der heiterste und zwangloseste Verkehr,
-die weißen Glacéhandschuhe verschwanden, in den Nischen der
-Fenster, an den kleinen Tischen, überall bildeten sich plaudernde
-Gruppen, während die Diener den Tee herumreichten. Frack und
-Uniform verkehrten friedlich und gemütlich, sowie die Vertreter
-aller Fraktionen selbst. Da saß der kleine, bewegliche Exminister
-von Hannover, Windthorst, zusammen mit dem liberalen Forckenbeck,
-der Zentrumsführer Reichensperger mit dem mitunter boshaften
-Lasker, und Scherzworte gingen hin und her.</p>
-
-<p>Der Verkehr zog sich mehr nach dem länglich runden Speisesaale
-mit seinen gelben Marmorwänden, von dessen Decke der<span class="pagenum" id="Seite_205">[205]</span>
-altertümliche Kronleuchter mit Messingreifen und Glasperlen herniederhängt,
-während von der Wand eine Anzahl siebenarmiger
-Bronzeleuchter ihr Licht hinwerfen über das belebte Bild. In
-diesem Raume war das Büfett aufgestellt, das gar manches Verlockende
-darbot, und bald sah man die Gäste da und dort beisammen
-stehen mit ihrem Teller in der Hand, während behaglichere
-sich zusammensetzten, und die herumgehenden Diener aus
-prächtigen silbernen Humpen das schäumende Bier einschenkten.</p>
-
-<p>Der liebenswürdige Gastgeber aber tauchte mit seiner breiten
-Gestalt bald da, bald dort auf, unter der machtvollen Stirne
-leuchteten die Augen so frei und freundlich, und überall fand er
-das rechte Wort, um die Stimmung zu beleben, und beim Zusammentreffen
-der Gegensätze jede feindselige Spitze abzubrechen.
-Zuerst hatte das Gespräch noch eine vorwiegend politische Färbung
-gehabt im Anschlusse an die erregten Debatten über das Sozialistengesetz.</p>
-
-<p>»Großen Nutzen erwarten wir von dem Gesetze nicht, Ausnahmegesetze
-sind immer bedenklich!« hatte ein oppositioneller Abgeordneter
-bemerkt, und Bismarck, welcher es vernahm, erwiderte:</p>
-
-<p>»Mit der bloßen Abwehr der sozialistischen Umtriebe ist es
-freilich nicht getan, es muß auch an die positive Heilung der
-sozialistischen Schäden gegangen werden. Der Staat muß sich
-des kleinen Mannes, der arbeitenden Klassen annehmen und ihnen
-helfen!«</p>
-
-<p>»Aber das ist ja Staatssozialismus!« rief eine Stimme.</p>
-
-<p>»Halt, meine Herren, so möchte ich es nicht bezeichnen, es
-ist vielmehr praktisches Christentum, denn meines Erachtens sollte
-ein Staat, der seiner großen Mehrzahl nach aus aufrichtigen
-Bekennern des christlichen Glaubens besteht, auch bemüht sein,
-den Armen, Schwachen und Alten zu helfen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_206">[206]</span></p>
-
-<p>Aber schon schweift der Blick des Kanzlers wieder durch den
-Kreis seiner Gäste. Auf einem alten Herrn bleibt er haften, das
-war ein Verbindungsbruder aus der fröhlichen Göttinger Studentenzeit,
-und mit dem Glase in der Hand trat der Fürst an ihn
-heran: »Auf das alte Blau-Rot-Gold der Göttinger Hannovera,
-Herr Korpsbruder!« und kräftig klingen die Gläser zusammen.</p>
-
-<p>Gleich darauf wendete er sich einer Gruppe von Herren zu,
-deren heiteres Lachen ihn an ihren Tisch zog.</p>
-
-<p>»Der vortreffliche Rehrücken verleitet zu Jagdgeschichten,
-und der Herr Kollege X. verübt ein beneidenswertes Jägerlatein!«
-sagte einer der Herren. Bismarck ließ sich bei ihnen
-nieder.</p>
-
-<p>»Hören Sie, meine Herren, da kann ich mir’s nicht versagen,
-just in Ihrem Kreise – und Sie repräsentieren Frankfurt-Nassau
-– eine Jagdgeschichte zu berichten, die Ihren Landsmann,
-den »dicken Daumer« mitbetrifft. Vielleicht ist einem oder dem
-anderen unter Ihnen erinnerlich, daß derselbe von einer beständigen
-und gewaltigen Todesfurcht gepeinigt wurde und durchaus nicht an
-das Sterben erinnert sein wollte. Eines schönen Herbstmorgens
-bin ich mit ihm bei Frankfurt auf der Jagd gewesen. Als wir
-hoch im Gebirge Rast hielten, fand ich zu meinem Schrecken,
-daß ich mich nicht mit einem Frühstück versehen hatte. Der
-»dicke Daumer« aber zog mit Behagen eine mächtige Wurst
-hervor, von welcher er mir in großmütiger Weise die Hälfte
-anbot. Er begann zu schmausen, mit einem beneidenswerten, in
-meiner Situation aber sehr bedauerlichen Appetit, denn er war
-bereits in meine Hälfte seiner Wurst hineingeraten. Ich hätte
-vor Wehmut Frankfurterisch reden mögen. Da frage ich ihn
-denn so von ungefähr:</p>
-
-<p>»Ach, sagen Sie mir, Her Daumer, was is doch des Weiße
-da unne, was aus de Zwetschebaim herausschaut?«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[207]</span></p>
-
-<p>»Gott, Exzellenz, da möchte eim ja der Appetit vergehe –
-des is der Kirchhof.«</p>
-
-<p>»Aber, lieber Daumer, da wollen wir uns doch beizeiten
-ein Plätzchen suchen, da muß sich’s wunderbar friedlich ruhn.«</p>
-
-<p>»Nu, Exzellenz, nu leg’ i awer die Wurscht weg.« Der
-dicke Daumer blieb bei seinem Entschlusse, und ich hatte mein
-ordentliches Frühstück!«</p>
-
-<p>Unter dem allgemein anhaltenden Lachen war Bismarck aufgestanden
-und bereits zu einer anderen Gruppe getreten. Hier
-wurde eben erzählt, daß ein bekannter Herr mit dem Pferde gestürzt
-sei, und er bemerkte:</p>
-
-<p>»Ich glaube, daß es nicht reicht, wenn ich sage, daß mir
-das wohl fünfzigmal passiert ist. Vom Pferde fallen ist nichts,
-aber mit dem Pferde, so daß es auf einem liegt, das ist schlimm.
-Dabei habe ich mir in Varzin einmal drei Rippen gebrochen. Das
-Seltsamste aber, was ich in dieser Beziehung erlebte, war das:
-Ich war mit meinem Bruder auf dem Heimwege, und wir ritten,
-was die Pferde laufen wollten. Da hört mein Bruder, der
-etwas voraus war, auf einmal einen fürchterlichen Knall: Es
-war mein Kopf, der auf die Chaussee aufschlug. Mein Pferd
-war von der Laterne eines entgegenkommenden Wagens gescheut
-und mit mir zusammengefallen, und zwar auch auf den Kopf.
-Ich verlor zuerst die Besinnung, und als ich wieder zu mir kam,
-hatte ich sie nur halb wieder. Das heißt, ein Teil meines Denkvermögens
-war ganz gut und klar, die andere Hälfte war weg.
-Da mein Sattel zerbrochen war, nahm ich das Pferd des Reitknechts
-und ritt nach Hause. Als mich da die Hunde zur Begrüßung
-anbellten, hielt ich sie für fremde Hunde und schalt auf
-sie. Dann sagte ich, der Reitknecht sei mit dem Pferde gestürzt,
-man solle ihn doch auf einer Bahre holen, und war sehr böse,
-als sie das auf einen Wink meines Bruders nicht tun wollten.<span class="pagenum" id="Seite_208">[208]</span>
-Ich wußte nicht, daß ich ich war, und daß ich mich zu Hause befand,
-oder vielmehr, ich war ich und auch zugleich der Reitknecht.
-Ich verlangte nun zu essen, dann ging ich zu Bette, und als ich
-am Morgen ausgeschlafen hatte, war alles wieder gut.«</p>
-
-<p>Nun wurden im Saale die Zigarren angebrannt, der Kanzler
-aber bat sich aus, seine Pfeife rauchen zu dürfen; behaglich stiegen
-die blauen Wölkchen gegen die Decke, und die Stimmung der
-Gäste wurde immer lebendiger.</p>
-
-<p>»Eine hocherfreuliche Eintracht zwischen Nord- und Süddeutschland!«
-rief der Fürst lachend an einem Tische, wo Abgeordnete
-von diesseits und jenseits des Mains sich in heiterster
-Weise unterhielten und eben mit den gefüllten Gläsern anstießen.
-»Lassen Sie mich dieselbe mitfeiern!«</p>
-
-<p>»Ihr Verdienst, Durchlaucht!« rief einer der Gäste.</p>
-
-<p>»Na, wie man’s nimmt! Der Himmel hat’s zum Segen
-gewendet. Aber wissen Sie, wäre der Krieg von 1866 uns mißglückt,
-so hätte ich als Soldat den Tod gesucht, denn ich bin
-überzeugt, daß mich sonst die alten Weiber in Berlin mit nassen
-Handtüchern totgeschlagen hätten.«</p>
-
-<p>»Ihr Empfinden in weltgeschichtlich bedeutenden und entscheidenden
-Momenten muß aber doch jederzeit ein erhebendes
-und gewaltiges gewesen sein, Durchlaucht,« bemerkte ein Abgeordneter,
-»wie war Ihnen wohl zumute, als Sie mit Kaiser
-Napoleon nach Sedan zusammentrafen?«</p>
-
-<p>»Ja, sehen Sie, meine Herren, das ist nun fast wunderlich.
-Als ich in dem Stübchen des Weberhauses bei Donchery mit
-ihm zusammensaß, war mir so wie als jungem Menschen auf
-dem Balle, wenn ich ein Mädchen zum Kotillon engagiert hatte,
-mit dem ich kein Wort zu sprechen wußte, und das niemand abholen
-wollte.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_209">[209]</span></p>
-
-<p>So verrann die Zeit in dem gastfreundlichen, liebenswürdigen
-Hause, und um die elfte Stunde brachen die Besucher allmählich
-auf. Der Fürst reichte jedem freundlich die Hand und vergaß
-nicht, ein herzliches »Auf Wiedersehen« beizufügen.</p>
-
-<p>Der letzte Gast ist gegangen; der Kanzler steht einige Augenblicke
-allein in dem Teezimmer und stützt die Hand auf einen
-kleinen Mahagonitisch, auf welchem eine Metallplatte angebracht
-ist mit der Inschrift: »Auf diesem Tische ist der Präliminarfriede
-zwischen Deutschland und Frankreich am 26. <span id="corr209">Februar</span> 1871
-zu Versailles, Rue de Provence Nr. 14, unterzeichnet worden.«
-Sein Blick fliegt über die Ahnenbilder an der Wand, ein leises
-Lächeln huscht um die Mundwinkel, als ob ein angenehmer Gedanke
-ihm durch die Seele ziehe, dann tritt er in das kleine anstoßende
-Gemach, wo bei traulichem Lampenschimmer seine Gemahlin
-mit einigen verwandten Damen sitzt, und bringt noch
-einige Zeit in anmutigem Geplauder zu.</p>
-
-<p>Hierauf sucht er noch einmal sein Arbeitsgemach auf, aber
-diesmal nur flüchtig, und tritt von hier aus durch eine Tapetentür
-in sein Schlafgemach, wo das von einem rotbekleideten Schirm
-umgebene Bett steht, und wo ein behagliches Sofa mit einigen
-Polsterlehnsesseln, eine kleine Mahagonikommode und ein alter
-Holzschrein an der Wand die einfache Einrichtung vervollständigen.</p>
-
-<p>Der Kanzler tritt noch einmal an das einzige Fenster, schiebt
-den Wollvorhang zurück und sieht hinaus. Leise verhallend klingt
-der Lärm der auch in der Nacht nicht rastenden Großstadt hierher,
-aber er stört nicht, und hoch am Himmel blinken die tausend
-und abertausend Sterne. Der einsame Mann aber betet im
-frommen Aufblick in tiefster Seele:</p>
-
-<p>»Vater im Himmel, schütze Reich und Kaiser!«</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_210">[210]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zwoelftes_Kapitel"><span class="smaller">Zwölftes Kapitel.</span><br>
-In Ehren und Schmerzen.</h2>
-</div>
-
-<p>Am Abend des 1. März 1885 ging durch Berlin eine freudige
-Erregung. Es war der Vorabend des siebzigsten Geburtstages
-des Reichskanzlers, und die Hauptstadt rüstete sich, denselben
-festlich zu begehen. Zumal Unter den Linden, in der Wilhelmstraße
-und in allen angrenzenden Straßen bis zum Kreuzberg hinauf
-drängten und fluteten Hunderttausende durcheinander, um den
-großartigen Fackelzug zu sehen, den die Verehrung der Vertreter
-eines ganzen Volkes dem großen Staatsmann darbrachte.</p>
-
-<p>An den verschiedensten Punkten hatten sich die Teilnehmer
-gesammelt, und um die siebente Stunde fanden sich die einzelnen
-Züge im Lustgarten zusammen, und dann strömte es hinein in
-die breite Straße Unter den Linden, um zuerst an dem Königsschlosse
-vorüberzudefilieren. Um ½8 kam die Spitze des Zuges
-bei demselben an, und weithin schallender Jubel, begeisterter Gesang
-der Königshymne verkündete, daß der greise Kaiser sich
-seinem Volke zeigte, freudig bewegt über die Kundgebung der
-Verehrung, die seinem treuesten Diener dargebracht wurde.</p>
-
-<p>Eine Viertelstunde später bog der Zug in die Wilhelmstraße ein.
-Alle Fenster waren dichtbesetzt von Menschen, die Straße selbst lag
-in feierlicher Stille, abgesperrt von jedem Verkehr. Sechs Fanfarenbläser
-in reicher Heroldstracht eröffneten den Zug, dann
-kamen im Galawagen das Zentralkomitee, zahllose Sänger und
-die Vertreter der deutschen Hochschulen mit flatternden Fahnen und
-wehenden Bannern, auf welche der rote Schimmer der Fackeln
-leuchtete, welche die nebenher Schreitenden trugen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_211">[211]</span></p>
-
-<p>Vor dem Reichskanzlerpalais bogen die Sänger in den
-Schloßhof ein – am Eckfenster erschien die stattliche Gestalt des
-Fürsten, und während aus tausend Kehlen wie ein machtvoller
-Hymnus das Lied »Deutschland, Deutschland über alles« erklang,
-immer aufs neue übertönt von den brausenden Hochrufen, entwickelte
-sich der glänzende Zug immer mehr.</p>
-
-<p>Nun flutete heller Lichtschimmer durch die Straße. Der Zug
-der Künstler kam. Alles war in Pracht und Glanz getaucht, und
-märchenhaft schön trat aus den wogenden Menschen ein riesenhaftes
-Schiff hervor, auf welchem unter einem prachtvollen Baldachin
-die imposante Gestalt der Germania sich zeigte, den Goldhelm
-auf dem blonden Gelock, das blanke Schwert im Arm, wie
-sie freundlich niedersah auf ein Bild des Friedens. Ihr zu Füßen
-stehen, in anmutigen Frauengestalten verkörpert, die deutschen
-Stämme um den von Adlern geschirmten Thron, und um sie
-her bindet der Landmann seine Garben, hämmert der fleißige
-Schmied, regt sich Gärtner und Fischer und scharen sich fleißige
-Schüler um das engumschlungene liebliche Schwesternpaar Elsaß-Lothringen.
-Nach dem Bugspriet zu aber halten deutsche Soldaten,
-um ihre Fahnen gereiht, die Friedenswacht.</p>
-
-<p>Dann kamen, von deutschen Künstlern wirksam dargestellt,
-die deutschen Brüder aus den Kolonien, die Bismarck dem Reiche
-gewonnen. King Bell auf hohem Kamele reitet ihnen voran, und
-ihm folgen die Würdenträger von Kamerun, das wunderliche Volk
-der fremden Schlangenbändiger und Sänger, und die drastischen
-Gestalten der braunen Landwehrleute, die sich vor dem Kanzler
-platt auf die Erde niederwerfen.</p>
-
-<p>Vorüber! Bei zweihundert Ruderer und Segler bilden die
-Einleitung zu den patriotischen Vereinen der Hauptstadt, es folgen
-die Innungen mit den festlich geschmückten Bannern; rot glänzt
-der Schein ihrer tausend Fackeln, der dunkle Qualm lagert sich<span class="pagenum" id="Seite_212">[212]</span>
-breit und wuchtig über dem Bilde, und immer aufs neue folgen
-phantastische Prunkwagen, schimmernde Embleme, wunderliche
-Transparente und noch immer kein Ende!</p>
-
-<p>Anderthalb Stunden waren vergangen. Mit den Seinen stand
-der Kanzler am Fenster, hochaufgerichtet, die Seele erfüllt von
-glücklichem Stolze, von dem freudigsten Bewußtsein der Verehrung
-des deutschen Volkes, das ihn in dieser Stunde entschädigte für
-manchen herben und bitteren Tag.</p>
-
-<p>Mit einmal begann es heller zu leuchten als je zuvor. Ein
-Schimmer wie von vollem Sonnenlichte flog durch die breite
-Straße und über die vielen Menschen leuchtend in weißem Glanze
-lagen die Häuser da, und einige Augenblicke schlossen sich die
-schier geblendeten Augen. Die Arbeiter der Scheringschen Fabrik
-waren es, die mit Magnesiumleuchten heranzogen, und als der
-volle magische Lichtglanz die Szene überflutete, da traten die
-Sänger, wohl mehr als zweihundert, aus dem Vorhofe des
-Schlosses und stimmten machtvoll ergreifend ihr harmonisches Hoch
-auf das Geburtstagskind an.</p>
-
-<p>Da winkte der Kanzler mit der Hand – er wollte sprechen.
-In wenigen Augenblicken lag die Stille des Gotteshauses über
-der menschenvollen Straße, und die Stimme Bismarcks klang klar
-und vernehmlich: »Noch <em class="gesperrt">zehn</em> Jahre wie heute – –«</p>
-
-<p>Aber schon brauste der Jubel wieder auf bei den ersten
-Worten.</p>
-
-<p>»Zwanzig Jahre – hundert Jahre für den Fürsten! – Hoch
-Bismarck! – Hoch der Kanzler!«</p>
-
-<p>Und mit geradezu elementarer Gewalt brach sich die Begeisterung
-Bahn, und Luft und Erde schien zu beben unter dem
-Jubelsturm. Immer aufs neue winkte der Gefeierte mit der
-Hand, beschwichtigend und dankend zugleich, und wiederum wurde
-es still, und seine Stimme klang weithin:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_213">[213]</span></p>
-
-<p>»Ich danke Ihnen allen aus tiefstem Herzen für die großartige
-Ovation, welche Sie mir aus Anlaß meines siebzigsten
-Geburtstages dargebracht haben. Das Verdienst, Deutschland
-groß und stark zu sehen, gebührt unserem greisen Heldenkaiser,
-dem wir jetzt fünfzehn Jahre des Friedens verdanken. Seine
-Majestät der Kaiser, er lebe hoch!«</p>
-
-<p>Wenn die ungeheure Begeisterung überhaupt noch einer
-Steigerung fähig war, so trat eine solche jetzt ein. Die ganze
-Liebe einer großen, starken, glücklichen Nation drängte sich in
-diese riesigen, nie gehörten Rufe der Begeisterung. Das Fest
-hatte seinen Höhepunkt erreicht – aber während das aufgeregte
-Berlin noch lange in seinem Jubel fortklang und sang, ward es
-allgemach still in der Wilhelmstraße, und die Schleier der Nacht
-hüllten wieder das Haus ein, das noch vor kurzem vom hellsten
-Lichte umflutet war.</p>
-
-<p>Am Morgen des ersten April schritt der Kanzler langsam
-durch die breite Allee seines Parkes. Noch waren die Rüstern
-unbelaubt, nur das Moos an den gewaltigen Stämmen schimmerte
-grünlich, an dem Gesträuch ringsum aber drängte es bereits
-hervor von knospendem Frühlingsweben. Vieles ging durch
-die Seele des einsamen Mannes, Erinnerungen an Tage heißen
-Kämpfens, aber auch schöne Erfolge.</p>
-
-<p>Was war nicht durch ihn errungen und geschaffen worden
-seit der Erneuerung des Reiches! Das Fundament desselben
-schien gesichert gegen die Angriffe von innen und außen. Den Rachegelüsten
-Frankreichs war die Spitze abgebrochen worden durch
-eine meisterhafte politische Aktion, welche Deutschland mit Österreich
-und Italien zu einem Dreibund für Schutz und Trutz vereinte.
-Der Kanzler denkt daran, wie er im September 1879 von
-Gastein aus nach Wien gefahren, wie ihn die Hauptstadt Österreichs
-freundlich sympathisch aufgenommen, und Kaiser Franz<span class="pagenum" id="Seite_214">[214]</span>
-Joseph, der um seinetwillen die Jagd in Steiermark unterbrochen
-hatte, mit herzlicher Liebenswürdigkeit empfing, in Schönbrunn
-ihm zu Ehren ein diplomatisches Diner veranstaltete und ihn dabei
-an der Schwelle des Saales als seinen Gast begrüßte. – Das
-alles dreizehn Jahre nach Sadowa!</p>
-
-<p>Der Fürst denkt auch an die Gefahr, die dem neuen Reiche
-von der Eifersucht Rußlands drohte, und wie sie unter dem Einfluß
-günstiger Umstände und dank seiner klugen diplomatischen
-Schachzüge beseitigt worden war; er erinnert sich mit Freude
-und Dankgefühl der schönen Stunde, da im September 1884
-auf dem Schlosse Skierniewice sich die Kaiser von Deutschland,
-Österreich und Rußland in Freundschaft die Hände reichten
-zu einem neuen Dreikaiserbündnis und zu einer Bürgschaft des
-europäischen Friedens.</p>
-
-<p>Und weiter gehen an seinem Geiste vorüber seine Bemühungen,
-den Ruhm und Ruf der deutschen Flagge und des deutschen
-Namens über die Weltmeere zu tragen und in fernen Weltteilen,
-zumal in Afrika, Ländereien und Kolonien zu gewinnen, um dem
-deutschen Handel neue Bahnen zu erschließen und ihn zu fördern
-und zu heben.</p>
-
-<p>Er denkt aber auch in dieser Stunde der heißen Kämpfe,
-die er mit einzelnen Richtungen der deutschen Volksvertreter im
-Reichstage auszustreiten hatte, und wie er manchmal an das
-Wort des Altmeisters Goethe erinnert wurde: »Ach, ich bin des
-Treibens müde!« Mehr als einmal hat er sein Amt niederlegen
-wollen in die Hände seines Kaisers, der aber hatte auf sein
-Entlassungsgesuch nur das eine Wort geschrieben: »Niemals!«</p>
-
-<p>Dem gewaltigen Recken will es feucht und heiß in die Augen
-steigen, wenn er des vielgeliebten greisen Herrn denkt, und er
-entsinnt sich des Wortes, das er einst vor den Vertretern des
-deutschen Volkes gesprochen: »Nachdem ich im Jahre 1878 meinen<span class="pagenum" id="Seite_215">[215]</span>
-Herrn und König nach dem Nobilingschen Attentate in seinem
-Blute habe liegen sehen, da habe ich den Eindruck gehabt, daß
-ich dem Herrn, der seinerseits seiner Stellung und Pflicht vor
-Gott und den Menschen Leib und Leben dargebracht und geopfert
-hat, gegen seinen Willen nicht aus dem Dienste gehen kann. Das
-habe ich mir stillschweigend gelobt.«</p>
-
-<p>Heute ist er siebzig Jahre alt geworden im Kampf, aber
-auch in Ehren. Doch dieser Tag gehört nicht ihm allein, er gehört
-dem ganzen deutschen Volke. – Daran denkt er jetzt, und langsam
-wendet er seine Schritte dem Hause zu.</p>
-
-<p>Schon am vorhergehenden Tage waren Glückwünsche und
-Geschenke in überreicher Zahl von allen Seiten her eingetroffen,
-heute aber kamen deren noch weit mehr.</p>
-
-<p>Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit schenkte ihm zum
-Angebinde den alten Besitz seiner Familie in Schönhausen,
-Schloß und Gut, das 1835 an die Familie von Gärtner gekommen
-war; die deutschen Papierfabrikanten hatten einen gewaltigen
-Eichenschrank gesendet, der in seinen schier zahllosen
-Fächern und Schubladen aller Arten Papier und Kuverts, Stahlfedern
-und Bleistifte von den kleinsten und dünnsten bis zu den
-mächtigen Parlamentsstiften, kurz, alles Schreibmaterial in solcher
-Menge enthielt, daß Enkel und Urenkel des Kanzlers es kaum
-aufbrauchen werden. Das war ja in den Sälen eine kleine
-Industrieausstellung. Dazu der überreiche Blumenschmuck, und
-die »Getreuen in Jever«, die alljährlich zu diesem Tage aus dem
-Lande der Friesen 101 Kiebitzeier zu senden pflegten, fehlten
-natürlich auch diesmal nicht, und hatten ihrer Gabe das hübsche
-plattdeutsche Wort beigefügt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Säbentig Johr lewt,</div>
- <div class="verse indent0">Uemmer dütsch strewt,</div>
- <div class="verse indent0">Uemmer dütsch dahn:</div>
- <div class="verse indent0">Lat wieder so gahn!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-<p><span class="pagenum" id="Seite_216">[216]</span></p>
-<p>Das Schönste und Liebste aber war doch wohl die Gabe
-seines greisen Herrn und Kaisers, jenes prachtvolle, von der
-Meisterhand Anton von Werners gemalte Bild, welches die ewig
-denkwürdige Szene der Kaiserproklamation im Schlosse zu Versailles
-in überaus lebensvoller Weise zur Darstellung brachte.</p>
-
-<p>Tiefgerührt stand der Kanzler vor dem Gemälde, das ihm
-einen der herrlichsten Augenblicke seines Lebens vor die bewegte
-Seele stellte, noch mehr aber ergriff ihn das Handschreiben seines
-Kaisers, welches der Gabe beigefügt war. Er las es, während
-es sich wie ein leiser feuchter Schleier über seine Augen legte.
-Es lautete:</p>
-
-<div class="blockquot">
-<p class="center">
-»<em class="gesperrt">Mein lieber Fürst!</em>
-</p>
-
-<p>Wenn sich im deutschen Lande und Volke das warme Verlangen
-zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres siebzigsten Geburtstages
-zu <span id="corr216">bestätigen</span>, daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe
-des Vaterlandes getan haben, in so vielen dankbaren Herzen lebt,
-so ist es Mir ein tiefgefühltes Bedürfnis, Ihnen heute auszusprechen,
-wie hoch es Mich erfreut, daß solcher Zug des Dankes
-und der Verehrung für Sie durch die Nation geht. Es freut Mich
-die für Sie wahrlich im höchsten Maße verdiente Anerkennung
-und erwärmt Mir das Herz, daß solche Gesinnungen sich in so
-großer Verbreitung kundgetan, denn es ziert die Nation in der
-Gegenwart, und es stärkt die Hoffnung auf ihre Zukunft, wenn sie
-Erkenntnis für das Wahre und Große zeigt, und wenn sie ihre
-hochverdienten Männer ehrt und feiert. An solcher Feier teilzunehmen,
-ist Mir und Meinem Hause eine besondere Freude, und
-wünschen Wir Ihnen durch beifolgendes Bild auszudrücken, mit
-welchen Empfindungen dankbarer Erinnerung wir dies tun; denn
-dasselbe vergegenwärtigt einen der größten Momente der Geschichte
-des Hohenzollernhauses, dessen niemals gedacht werden<span class="pagenum" id="Seite_217">[217]</span>
-kann, ohne sich zugleich auch Ihrer Verdienste zu erinnern. Sie,
-mein lieber Fürst, wissen, wie in Mir jederzeit das vollste Vertrauen,
-die aufrichtigste Zuneigung und das wärmste Dankesgefühl
-für Sie leben wird, Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was
-ich Ihnen nicht oft genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß
-dieses Bild noch Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen
-wird, daß Ihr Kaiser und König und sein Haus sich dessen wohl
-bewußt waren, was Wir Ihnen zu danken haben. Mit diesen
-Gesinnungen und Gefühlen endige ich diese Zeilen, als über das
-Grab hinaus dauernd. Ihr dankbar treu ergebener Kaiser und
-König Wilhelm.«</p>
-</div>
-
-<p>Und unter allen den vielen, den hervorragenden Persönlichkeiten,
-welche an diesem Tage in das Palais nach der Wilhelmstraße
-kamen, war die herrlichste der greise Kaiser selbst. Es
-war der weihevollste, ergreifendste Augenblick dieses Tages, als
-der Herrscher in tiefer Bewegung seinen treuen Kanzler in die
-Arme schloß, als das Haupt Bismarcks sich einige Sekunden an
-die Schulter des teuren Herrn lehnte, dem er sich mit Blut und
-Leben verpflichtet hatte bis zum letzten Atemzuge.</p>
-
-<p>Solche Minuten mußten dem Recken neue Kraft geben zu
-weiteren Kämpfen, die er herrlich und mannhaft durchfocht zur
-Ehre und zum Segen des Deutschen Reiches und Volkes. Immer
-wieder das rachelustige Säbelrasseln von Paris her, und auch
-in Rußland machte sich eine deutschfeindliche Strömung bemerkbar.
-Da galt es beizeiten zu kräftiger Abwehr zu rüsten,
-und eine Verstärkung des Heeres zu erlangen. Und das
-deutsche Volk widerstrebte der wiederholt vorgetragenen Forderung
-nicht, und Bismarck konnte aller Welt das herrliche Wort
-zurufen:</p>
-
-<p>»<em class="gesperrt">Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst
-nichts in der Welt!</em>«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_218">[218]</span></p>
-
-<p>Das war am 6. Februar 1888 gewesen, und das Wort
-klang in vieltausend deutschen Herzen wieder, denen in jenen Tagen
-ein solcher Trost ungemein not tat. Denn das Unheil hatte sich
-leise und heimtückisch herangeschlichen an das Kraftgeschlecht der
-Hohenzollern, und des Kaisers herrlicher Sohn, der Kronprinz
-Friedrich, »unser Fritz«, siechte fern von der Heimat, in Italien,
-an einem furchtbaren Leiden hin, das aller Kunst der Ärzte
-spottete. Das griff auch dem greisen Herrscher an Seele und
-Leben.</p>
-
-<p>Er erkrankte in den ersten Tagen des März, und dumpfes,
-schmerzliches Bangen erfaßte alle Gemüter.</p>
-
-<p>Am 8. März hatte der treue Kanzler seinem Herrn noch
-einmal kurzen Vortrag gehalten, und die schwache Hand des
-kranken Greises, der »keine Zeit hatte, um müde zu sein«, hatte
-mit zitternden Händen noch einmal den kaiserlichen Namen unter
-das Dokument gesetzt, welches den Schluß des Reichstags verkünden
-sollte.</p>
-
-<p>Tieferschüttert, nahezu hoffnungslos war Bismarck fortgegangen.
-Vor dem Palais aber drängten sich Tausende voll Liebe
-und Besorgnis, und sie sahen ihm in das ernste Gesicht, das
-eisern seine Fassung zu wahren bemüht war.</p>
-
-<p>Eine endlos lange, bange Nacht verstrich; die Besorgnis
-raubte dem Kanzler und manchem anderen die Ruhe, angstvoll
-schaute man dem Morgen entgegen, und in dessen Verlaufe geschah
-das Traurige. Am 9. März um ½9 Uhr vormittags schied Kaiser
-Wilhelm aus dem Leben – nicht lange danach sank die Kaiserstandarte
-auf dem Schlosse nieder, und ein ganzes Volk weinte
-um seinen liebsten Helden.</p>
-
-<p>Das waren unvergeßliche Stunden: schmerzerstarrte Männer,
-schluchzende Frauen, weinende Kinder überall! Bei dem
-edlen Toten aber stand noch einmal an jenem Vormittage des<span class="pagenum" id="Seite_219">[219]</span>
-Reiches erster Kanzler. Da ruht der Greis, dem er sich ganz geweiht
-hatte, halb sitzend, zurückgelehnt in die weißen Kissen, und
-auf dem Antlitz liegt der Zug seligen Friedens, unbeschreiblicher
-Ruhe und Milde. Da überwältigt es beinahe den gewaltigen
-Mann; ihm stürzen unaufhaltsam die Tränen aus den Augen, und
-er braucht sich ihrer nicht zu schämen, denn wer dem stillen, unvergeßlichen
-Toten nahte, der mußte weinen im Übermaß eines
-Jammers, der das ganze Volk durchzitterte.</p>
-
-<p>Aber den Kanzler ruft seine Pflicht.</p>
-
-<p>Um ½10 Uhr erschien er, fest und stark, aufgerichtet und
-gefaßt im Reichstagssaale. Er erbat sich das Wort, und unter
-tiefem, heiligem Schweigen begann er:</p>
-
-<p>»Mir liegt die traurige Pflicht ob, Ihnen die amtliche Mitteilung
-von dem zu machen, was Sie bereits tatsächlich wissen
-werden, daß Seine Majestät der Kaiser Wilhelm heute vormittag
-½9 Uhr zu seinen Vätern versammelt worden ist –.«</p>
-
-<p>Hier drohten die Tränen die Stimme des Redners zu ersticken,
-er rang mit seiner Rührung wie ein Held, und fuhr fort:</p>
-
-<p>»Die Folge dieses Ereignisses ist, daß die preußische Krone
-und damit nach Artikel 11 der Reichsverfassung die deutsche
-Kaiserwürde auf Seine Majestät Friedrich III., König von Preußen,
-übergegangen ist. Nach den mir zugegangenen telegraphischen
-Nachrichten darf ich annehmen, daß Seine Majestät, der regierende
-Kaiser und König, morgen von San Remo abreisen und in
-der gegebenen Zeit hier eintreffen wird.</p>
-
-<p>Ich hatte von dem Höchstseligen Herrn in seinen letzten
-Tagen« – wiederum rannen dem Redner die Tränen über die
-Wangen – »in Betätigung der Arbeitskraft, die ihn erst mit
-dem Leben verlassen hat, noch die Unterschrift erhalten, welche
-vor mir liegt, und welche mich ermächtigt, den Reichstag in der
-üblichen Zeit nach Abmachung seiner Geschäfte, das heißt also<span class="pagenum" id="Seite_220">[220]</span>
-etwa heute oder morgen, zu schließen. Ich hatte die Bitte an
-Seine Majestät gerichtet, nur mit dem Anfangsbuchstaben des
-Namens noch zu unterzeichnen, Seine Majestät hatten mir darauf
-erwidert, daß Sie glaubten, noch den vollen Namen schreiben
-zu können. Infolgedessen liegt dieses historische Aktenstück hier vor.</p>
-
-<p>Unter den obwaltenden Umständen nahm ich an, daß es
-den Wünschen der Mitglieder des Reichstages ebenso wie denen
-der verbündeten Regierungen entsprechen wird, daß der Reichstag
-noch nicht auseinander geht, sondern zusammen bleibt bis nach
-dem Eintreffen seiner Majestät des Kaisers, und ich mache deshalb
-von dieser Allerhöchsten Ermächtigung weiter keinen Gebrauch,
-als daß ich dieselbe als historisches Denkmal zu den Akten
-gebe und den Präsidenten bitte, die Entschlüsse, welche den Stimmungen
-und Überzeugungen des Reichstages entsprechen, in dieser
-Sitzung herbeizuführen. Es steht mir nicht zu, meine Herren,
-von dieser amtlichen Stelle aus den persönlichen Gefühlen Ausdruck
-zu geben, mit welchen mich das Hinscheiden meines Herrn
-erfüllt. Diese Gefühle bei dem Ausscheiden des ersten deutschen
-Kaisers aus unserer Mitte, die mich tief bewegen, leben im Herzen
-eines jeden Deutschen. Es ist deshalb nicht nötig, demselben hier
-Ausdruck zu geben. Aber eines glaube ich Ihnen dennoch nicht
-vorenthalten zu dürfen, nicht von meinen Empfindungen, sondern
-von meinen Erlebnissen, die Tatsache, daß inmitten der schweren
-Schickungen, welche der von uns geschiedene Herr in seinem
-Hause noch erlebt hat, es zwei Tatsachen waren, welche ihn mit
-Befriedigung und Trost erfüllten. Die eine war diejenige, daß
-die Leiden seines einzigen Sohnes und Nachfolgers, unseres
-jetzt regierenden Herrn, in der ganzen Welt Teilnahme erregten.
-Ich habe noch heute ein Telegramm aus Neuyork
-erhalten, das von Teilnahme erfüllt war und das Vertrauen
-beweist, das sich die Dynastie des deutschen Kaiserhauses bei<span class="pagenum" id="Seite_221">[221]</span>
-allen Nationen erworben hat. Das ist ein Erbteil, kann ich
-wohl sagen, was des Kaisers lange Regierung dem deutschen
-Volke hinterläßt. Das Vertrauen, das sich die Dynastie erworben
-hat, wird sich auf die Nation übertragen. Die zweite Richtung,
-in der Seine Majestät einen Trost gefunden hat bei den schweren
-Schickungen, war diejenige, daß der Kaiser auf die Entwicklung
-seiner Hauptlebensaufgabe, der Herstellung und Konsolidierung
-der Nationalität des Volkes, dem er als deutscher Fürst enge
-angehörte, daß der Kaiser auf die Entwicklung, welche die
-Lösung dieser Aufgabe inzwischen genommen hatte, mit einer
-Befriedigung zurückblickte, die den Abend seines Lebens verschönte
-und erleuchtete. Es trug dazu namentlich in den letzten Wochen
-die Tatsache bei, daß mit seltener Einstimmigkeit aller Dynastien,
-aller verbündeten Regierungen, aller Stämme in Deutschland,
-aller Abteilungen des Reichstags, dasjenige beschlossen wurde,
-was für die Sicherstellung der Zukunft des Deutschen Reiches
-auf jede Gefahr hin, die uns bedrohen könnte, als Bedürfnis
-von den verbündeten Regierungen empfunden wurde. Diese
-Wahrnehmung hat Seine Majestät mit großem Troste erfüllt,
-und noch in den letzten Unterredungen, die ich mit meinem
-dahingeschiedenen Herrn gehabt habe – es war gestern – hat
-er darauf Bezug genommen, wie ihn dieser Beweis der Einheit
-der gesamten deutschen Nation, wie er durch die Volksvertretung
-hier verkündet worden ist, gestärkt und erfreut hat. Ich glaube,
-meine Herrn, es wird für Sie alle erwünscht sein, das Zeugnis,
-das ich aus eigener Wahrnehmung aus den letzten Äußerungen
-unseres dahingeschiedenen Herrn ablegen kann, mit in Ihre
-Heimat zu nehmen, da jeder einzelne von Ihnen einen Anteil
-an diesem Verdienste hat. Die heldenmütige Tapferkeit, meine
-Herrn, das nationale Ehrgefühl, die treue, arbeitssame Pflichterfüllung
-und die Liebe zum Vaterlande, die in unserem dahingeschiedenen<span class="pagenum" id="Seite_222">[222]</span>
-Herrn verkörpert waren, mögen sie ein unzerstörbares
-Erbteil unserer Nation sein, das uns der aus unserer
-Mitte geschiedene Kaiser hinterlassen hat. Das hoffe ich zu Gott,
-daß dies Erbteil von allen, die wir an den Geschäften des
-Vaterlandes mitzuwirken haben, im Krieg und Frieden, in Heldenmut
-und Hingebung, Arbeitsamkeit und Pflichttreue bewahrt
-bleibe.«</p>
-
-<p>Lautlose Stille folgte den Worten, die Abgeordneten, selbst
-jene der sozialdemokratischen Partei, hatten sich von ihren Sitzen
-erhoben, der Reichskanzler aber, der sein Schluchzen kaum mehr
-verhalten konnte, hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und
-schlug die Hände vor das Antlitz. Es war ein erschütternder
-Anblick, den gewaltigen Mann, den eisernen Kanzler, weinen zu
-sehen um seinen toten Kaiser.</p>
-
-<p>Der Präsident von Wedell-Piesdorf schloß mit wenigen
-Worten die ewig denkwürdige Sitzung, und nun schritt Bismarck
-von seinem erhöhten Platze hinab in das Haus. Sein Blick
-haftete auf seinem treuen Genossen, dem greisen Feldmarschall
-Moltke, der trotz der Nachtwachen, trotz der Anstrengung und
-Aufregung der letzten Tage seiner Pflicht getreu, seinen Sitz im
-Abgeordnetenhause eingenommen hatte. Er trat dem Kanzler
-entgegen, und die Hände der beiden Männer fanden sich zu
-einem beredten Drucke. Sprechen konnte zunächst keiner von
-ihnen, die Tränen standen beiden in den Augen – es war eine
-ergreifende historische Szene. Endlich faßte sich Bismarck, mit
-wärmerem Drucke der Hand sprach er, und seine Stimme bebte:</p>
-
-<p>»Uns beide hält des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr im
-Gleise!«</p>
-
-<p>Der Dienst aber rief den Kanzler zur Begleitung und Heimholung
-des neuen Kaisers Friedrich III. Der deutsche Himmel
-war nicht freundlich, als der kranke Dulder heimkam. Es war,<span class="pagenum" id="Seite_223">[223]</span>
-als liege Trauer und Schmerz ausgebreitet durch das Land und
-durch die Lüfte. Als Bismarck, der seinem neuen Herrn bis
-Leipzig entgegengefahren war, mit diesem nach seinem Lande, in
-die Mitte seines bange und traurig harrenden Volkes eilte, schnob
-der Ostwind eiskalt durch die Straßen, und der Sturm wehte
-winterliche Flocken wild durcheinander, und in derselben Nacht,
-um die Mitternachtsstunde, in der kein Stern vom Himmel
-leuchtete, und nur die trübe flackernden, schneeverhüllten Gaslaternen
-und tiefrot qualmende Fackeln die erschütternde Szene
-erhellten, ward die Leiche Kaiser Wilhelms nach dem Dome
-überführt.</p>
-
-<p>Dem Trauergottesdienst selbst vermochte Bismarck in seiner
-tiefen, gramvollen Ergriffenheit nicht beizuwohnen, auch Moltke
-blieb fern – beides auf Wunsch des neuen Kaisers, der ja
-selbst nicht seinem toten Vater das letzte Geleit geben konnte,
-aber am 16. März, als der teure Verblichene hinausgeleitet
-wurde nach dem stillen Mausoleum in Charlottenburg, um dort
-neben seinen Eltern beigesetzt zu werden, da fehlte der Kanzler
-nicht.</p>
-
-<p>Als der Trauerzug die Schloßterrasse betrat, – es war
-etwa um ½4 Uhr, erschien oben an einem Fenster eine hohe
-Gestalt in Generalsuniform, das Orangeband des Schwarzen
-Adlerordens über der breiten Brust. Die Hand winkte mit dem
-Taschentuche wehmutsvolle Grüße, und die stattliche Erscheinung
-schien ab und zu wie von gewaltsamem Schluchzen durchbebt zu
-werden. So schied der kranke Kaiser Friedrich von dem toten
-Kaiser Wilhelm, der Sohn von dem heißgeliebten Vater …</p>
-
-<p>Nun folgte die Regierung der 99 Tage, und solchen Heldenmut
-hat die Welt selten geschaut, wie Kaiser Friedrich ihn zeigte.
-»Lerne leiden, ohne zu klagen!« war sein schönes Wort, und treue
-Pflichterfüllung bis in den Tod seine schöne Tat.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_224">[224]</span></p>
-
-<p>In ein freundliches, hohes Gemach des lieblichen, stilltraulichen
-Schlosses Charlottenburg fiel der Schimmer des Frühlings.
-Vor den Fenstern draußen lachten die Blüten von Baum
-und Strauch, und die Vögel jauchzten, der kranke Kaiser aber
-saß in seinem Sessel zurückgelehnt, zusammengebeugt, und wendete
-das bleiche Gesicht seinem Kanzler zu, der vor ihm saß und ihm
-Vortrag hielt. Über das Antlitz Bismarcks lief ab und zu ein
-leises Zucken, wie von mühsam unterdrücktem Schmerz, und der
-Kaiser fragte:</p>
-
-<p>»Ihnen ist nicht wohl, lieber Fürst?«</p>
-
-<p>»Mein altes Nervenleiden, Majestät – die Neuralgie setzt
-mir wieder einmal zu, aber man muß darüber wegkommen.«</p>
-
-<p>Da erhob sich der Herrscher und zog einen Sessel heran;
-auf diesen legte er die Füße seines treuen Beraters, und, damit
-noch nicht zufrieden, ließ er eine Decke herbeibringen und wickelte
-dieselben darin ein. Ein Gefühl tiefer Rührung erfaßte den
-Kanzler; der Kaiser, kränker als er selbst, sorgte in so gütiger
-Weise für ihn … Der echte Sohn des großen, edlen Hohenzollern,
-der ihm Herr und Freund zugleich gewesen war.</p>
-
-<p>Kaiser Friedrich war nach dem bei Potsdam gelegenen
-schönen Friedrichskron übergesiedelt – – aber nur, um dort zu
-sterben. Am 14. Juni hatte Bismarck den kaiserlichen Herrn
-noch einmal gesehen und noch einmal den warmen Druck
-seiner Hand gefühlt; zu sprechen vermochte der große Dulder beinahe
-nicht mehr – und einen Tag später starb der edle Fürst.</p>
-
-<p>Zum zweiten Male in kurzer Frist stand das deutsche Volk
-an der Bahre seines Kaisers, und unsagbares Weh durchzitterte
-die Brust des greisen Kanzlers. Aber er richtete sich auf in dem
-Gedanken, daß in dem Enkel seines großen Kaisers der Geist
-desselben fortleben werde, und ihm widmete er nun seine Treue
-und Liebe. – – –</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_225">[225]</span></p>
-
-<p>Zum zweiten Male hatte Deutschland die schmerzliche Erinnerung
-an den Tod Kaiser Wilhelms begangen – da fiel in
-den Nachklang dieser Stimmung eine Kunde, welche alle Herzen
-mächtig bewegte: Im »Reichsanzeiger« vom 20. März 1890
-stand es zu lesen, daß Fürst Bismarck und mit ihm seine
-beiden Söhne aus dem Staatsdienst ausgetreten seien. Die
-Hand, welche so lange das Staatsschiff sicher und fest geleitet,
-zog sich zurück von dem Steuer – was mußte dazu veranlaßt
-haben?</p>
-
-<p>Seltsame Kunden liefen von Mund zu Mund und durch die
-Spalten der Blätter – absolut Sicheres war nicht festzustellen.
-Eine Meinungsverschiedenheit sei zwischen dem Fürsten und dem
-jungen Kaiser entstanden – das war zuletzt alles, was im Bewußtsein
-des deutschen Volkes deutlich ward und dieses bis in
-die weitesten Schichten hinein schmerzlich berührte.</p>
-
-<p>In hohen Gnaden entließ Kaiser Wilhelm II. den treuesten
-Ratgeber der Hohenzollernkrone – er ernannte ihn zum Herzog
-von Lauenburg und zum Generalobersten, aber die Bitterkeit
-konnte er nicht bannen aus dem Herzen des Mannes, der die
-Empfindung hatte, als solle er in die Verbannung gehen. Aber
-er hatte den Trost, daß die Liebe mit ihm ging, wohin er sich
-auch wenden mochte.</p>
-
-<p>Noch einmal hatte der Fürst seinen guten alten Kaiser aufgesucht
-in seiner stillen Gruft im Mausoleum in Charlottenburg.
-Von ihm mußte er Abschied nehmen, ehe er Berlin verließ, so wie
-der treue Soldat, der abkommandiert wird von seinem Posten,
-sich noch einmal bei seinem Vorgesetzten meldet. Das freundliche
-blaue Licht übergoß den weihevollen Raum und zitterte weich
-auf den Marmorbildern, der Kanzler aber war an den Sarkophag
-seines heißgeliebten Herrn herangetreten und neigte schwer das
-Haupt. Kein Menschenauge hat es gesehen, kein Herz es nachempfunden,<span class="pagenum" id="Seite_226">[226]</span>
-was in jener Stunde durch die Seele des gewaltigen
-Mannes ging … Dann fuhr er nach Berlin zurück, und nun
-– nachdem der heiligsten Pflicht genügt war – hatte er hier nichts
-mehr zu tun.</p>
-
-<p>Am 29. März verließ er das kleine Palais in der Wilhelmstraße,
-wovon durch so lange Jahre der Hauch seines Geistes
-bewegend und belebend ausgegangen war durch die ganze Welt,
-und der Abschied sollte ihm nicht leicht werden. Nicht die Erinnerungen
-allein erschwerten dem Fürsten denselben, sondern auch
-die gewaltig an ihn herandringende Liebe des Volkes. Was galt
-aller Parteizwist in einer solchen Stunde!</p>
-
-<p>Die Wilhelmstraße vermochte die Menschenmenge nicht zu
-fassen, welche am Nachmittage jenes 29. März sie durchwogte.
-Um die fünfte Stunde waren die Wagen vorgefahren, und nun
-erschien der Kanzler mit den Seinen, einen letzten, bedeutsamen
-Blick noch zurückwerfend. Als aber die Tausende, die seiner
-harrten, ihn erblickten, da brach ein Brausen und Rufen aus,
-eine elementare Begeisterung, in welcher Liebe, Verehrung und
-Dankbarkeit ihren Ausdruck suchten. Stürmische Hochrufe wiederholten
-sich immer aufs neue, Blumenspenden wurden von hundert
-Händen herangereicht, und so dicht wogte die Volksmenge, daß
-die Wagen nur langsam zu fahren vermochten. Das war kein
-Vergessener und Verstoßener, es war ein Triumphator, der wegzog
-von der Stätte jahrzehntelangen Wirkens, um die wohlverdiente
-Ruhe zu suchen.</p>
-
-<p>In allen Straßen dasselbe Bild – die schweigend, in ernster,
-wehmütiger Weise harrende Menge, die, sobald der Wagen Bismarcks
-herankommt, in endlose begeisterte Rufe ausbricht, die trotz
-der zahlreichen Schutzmannschaften durch alle Schranken drängt,
-um dem geliebten Manne den letzten Gruß, die letzte Blumenspende
-zu bieten.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_227">[227]</span></p>
-
-<p>So war der Wagen am Lehrter Bahnhof angekommen und
-an den kaiserlichen Gemächern vorgefahren. Der Fürst stieg aus,
-und in der Vorhalle blieb er stehen, während die Menge der
-Nachdrängenden nur mit größter Anstrengung so weit zurückgehalten
-werden konnte, daß für den Scheidenden und die Seinen ein
-Weg freiblieb; er sah mit feuchtschimmernden Augen noch einmal
-zurück und winkte mit der Hand zu Gruß und Dank.</p>
-
-<p>Hell und warm lag die Frühlingssonne über dem ergreifenden
-Bilde; sie blitzte auf den blanken Gardekürassieren, deren eine
-Schwadron dem Fürsten das Ehrengeleite gab, auf den Helmen
-der Schutzleute und in den Tränen von Hunderten.</p>
-
-<p>Weiter schritt der Fürst nach den Gemächern, und überall
-streckten sich ihm hier die Hände entgegen zu herzlichem Abschied.
-Hohe Offiziere, Diplomaten, die Gesandten fremder Staaten, der
-neue Kanzler von Caprivi – alle waren sie gekommen, ihm ihre
-Verehrung und Freundschaft zu bekunden, und zarte Frauenhände
-reichten ihm auch hier immer neuen und herrlicheren Blumenschmuck.</p>
-
-<p>Nun schritt er langsam hinab nach dem Perron auf blütenüberstreutem
-Wege. Der Trompetenklang der Kürassiere erschallte,
-an ihrer Front vorüber ging er hochaufgerichtet, selbst in der
-Uniform der Seydlitz-Kürassiere, seinem Wagen zu. Nun aber
-ließ sich die Menge nicht mehr halten. Durch die geöffneten
-Türen der Wartesäle flutete es heraus in breitem Strome und
-umringte den Wagen des Gefeierten, in welchem dieser mit den
-Seinen in einer Fülle von Blumen Platz gefunden hatte. Mit
-einem beinahe wehmutsvollen Blick streift sein Auge über die
-herrliche Blumenspende, die mit dem schwarz-weiß-roten Bande
-umflochten ist, – der Abschiedsgruß des Kaisers; die Fürstin aber
-hat den prächtigen Korb voll Flieders an sich herangezogen, die
-Spende der Kaiserin, und neigt sich darüber.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_228">[228]</span></p>
-
-<p>Nun trat Bismarck wieder an das Fenster und schaute tiefbewegt
-hinaus auf die Tausende. Da pfiff die Lokomotive. Ein
-brausender, nicht endenwollender Ruf: »Wiederkommen!« durchzitterte
-die Luft, der Kanzler aber legte bedeutsam, beinahe unmutig
-den Zeigefinger an den Mund. Das letzte Glockenzeichen
-erklang, ein Kommando der Kürassiere erscholl, und ehern
-standen ihre präsentierenden Reihen, während die Musik einen
-Marsch anstimmte. Dazwischen schallte der brausende Gesang der
-»Wacht am Rhein«, die immer erneuten Zurufe: »Wiederkommen!«
-– »Lebewohl!« und das stürmische »Hoch«, das noch immer
-nicht verhallt, als der Zug bereits den Bahnhof verlassen hat und
-den Kanzler hinwegführt in die friedliche Stille des Sachsenwaldes.</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="chapter">
-<h2 class="nobreak" id="Dreizehntes_Kapitel"><span class="smaller">Dreizehntes Kapitel.</span><br>
-Im Abendrot.</h2>
-</div>
-
-<p>Wer von Berlin nach Hamburg fährt, passiert den Sachsenwald
-mit seinen einzigen, herrlichen Buchenbeständen, die nur da
-und dort von dem dunkleren Grün des Nadelholzes unterbrochen
-werden. Etwa eine Meile von Hamburg entfernt liegt die Station
-<em class="gesperrt">Friedrichsruh</em>, ein kleines Örtchen mitten im Buchenwald,
-an dem munteren Flüßchen Aue gelegen. Hier ist die
-Residenz des »Herzogs von Lauenburg«, des ersten deutschen
-Reichskanzlers. Das Besitztum mit dem reichen Grund und Boden
-ringsumher hat ihm die Huld seines alten kaiserlichen Herrn
-nach dem großen Kriege im Jahre 1871 geschenkt, hier hat er
-seinen Ruhesitz gefunden, nachdem er aus dem Amte und aus Berlin
-weggegangen war.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[229]</span></p>
-
-<p>Sein Schloß, das er eigentlich erst sich erbaut hat, ist nicht
-prunkvoll und stattlich, wohl aber traulich und behaglich. Ringsum
-rauschen die mächtigen Buchen und verhüllen mit ihren dichten
-grünen Kronen das freundliche Haus und lassen beim Näherkommen
-nur die rote Umzäunungsmauer des Parkes schauen.
-Eine schmale Pforte in derselben führt uns in die anmutige
-Idylle hinein; das gelblich getünchte schmucke Wohnhaus lacht
-uns entgegen, so gastlich und lieb, daß ein warmes Behagen davon
-auszugehen scheint. Auf dem Vorplatze ragt eine mächtige
-Tanne empor, ein Riese der Vorzeit, wie ein Symbol der Kraft
-des Mannes, der sich hier seinen Herd gebaut hat. Die pyramidenartig
-verlaufende Krone hebt sich hoch hinauf nach dem
-blauen Himmel. Kein Vestibül nimmt uns auf, aus dem Korridor
-geht es sogleich hinein in das Wohnzimmer und in die Reihe
-der Familiengemächer, aus deren Fenstern der Blick gern hinausschweift
-in den grünen Park, auf spiegelnde Wasserflächen und
-prachtvolle Baumgruppen.</p>
-
-<p>Hier wohnt der Gewaltige, friedlich und still, im Kreise der
-Seinen, und sieht wie der Adler aus freier Höhe herab auf das
-Treiben seiner Tage und freut sich an der Verehrung und Liebe
-des deutschen Volkes, die ihm auch hierher gefolgt ist. Seine
-Kinder und Enkel suchen ihm den Abend seiner Tage zu verschönen,
-und oft genug kommen Gäste aus allen Teilen Deutschlands
-nach dem ruhigen Sachsenwalde.</p>
-
-<p>Wiederum feierte er seinen Geburtstag. Freundlich war die
-Sonne aufgegangen über dem Sachsenwalde, und wenn auch der
-Frühling noch nicht seinen Einzug zwischen die Baumriesen gehalten
-hatte, so blaute doch der Himmel verheißungsvoll, und an
-den Waldrändern läuteten die Blütenglocken.</p>
-
-<p>Der nahezu achtzig Jahre alte Fürst hatte sich zur gewohnten
-Morgenstunde erhoben, frisch und kraftvoll, und hatte mit herzlicher<span class="pagenum" id="Seite_230">[230]</span>
-Freude und Dank die Glückwünsche seiner Familie entgegengenommen
-sowie jene der bereits eingetroffenen Gäste. Um
-die elfte Stunde betrat er das Empfangszimmer, und hier lag
-ringsum ausgebreitet die Fülle der Gaben, welche die Liebe des
-deutschen Volkes aus allen Gauen des Reiches dem verehrten
-Manne übersandt hatte. Hunderte von Kisten waren schon tags
-zuvor eingetroffen und ausgepackt worden, und nun stand alles
-wohlgeordnet: Erzeugnisse der Kunst und des Gewerbes, Spenden
-der Wissenschaft und der fleißigen Frauenhand, und dazwischen
-ein Blumenschmuck, als sei in diesem Saale selbst der Frühling
-voll erblüht.</p>
-
-<p>Im tiefsten Herzen ergriffen stand der Reichskanzler inmitten
-dieser Spenden, und dann schritt er an ihnen entlang, jedes
-einzelne beschauend, an allem sich freuend, gleichviel ob es seinen
-Wert an sich hatte oder ihn erst erhielt durch die Liebe des
-Gebers.</p>
-
-<p>Da klangen feierlich und getragen die Klänge eines Chorals
-in den Saal; der Fürst horchte einen Augenblick auf, dann trat
-er, begleitet von den Seinen, hinaus auf die freundliche Terrasse
-auf der Rückseite des Schlosses. Da stand eine Militärkapelle
-und spielte die ergreifend fromme Weise, welche das Morgenständchen
-einleitete, welches sie dem alten Kanzler darbringen
-wollte.</p>
-
-<p>Es war ein schönes Bild: Im Vordergrunde unter den
-alten Bäumen die Musiker in ihren bunten Uniformen, umringt
-von einem kleinen Kreise derer, die Zutritt zu dem Parke erlangt
-hatten, und jenseits desselben auf grünem Wiesengrunde, der von
-den dunklen Rahmen des Föhrenwaldes sich freundlich abhob,
-und von welchem aus die Schloßterrasse voll zu überschauen war,
-eine bewegte, dichtwogende Menschenmenge, die von nah und
-fern herbeigeeilt war. In dem Saale aber, der nach der Terrasse<span class="pagenum" id="Seite_231">[231]</span>
-sich öffnete, standen die Festgäste, Herren und Damen, und sahen
-mit freudiger Teilnahme auf den herrlichen Mann, der im Interimsrock
-der Kürassiere, die weiße Mütze auf dem mächtigen
-Haupt, hochaufgerichtet dastand und in den sonnigen Frühlingsmorgen,
-in die ihm zulachende Welt hinausblickte.</p>
-
-<p>Von der Wiese herüber aber brausten in die Klänge der
-Musik die lautschallenden, begeisterten Hochrufe der Menge, die
-ihn heraustreten sah, und ihm ihren stürmischen Liebesgruß
-sandte. Da winkte er mit der Hand hinüber zu freundlichem
-Danke, und lauter noch jauchzte die Begeisterung auf.</p>
-
-<p>Dann trat er auf den Kapellmeister zu und reichte ihm die
-Rechte mit leutseligen Worten, und aufs neue erklangen die
-Weisen der Musik, jetzt heller und frischer, und ihnen reihten sich
-Liederklänge an, denn ein stattlicher Sängerchor aus Hamburg
-oder Altona war angekommen und brachte seine Grüße und seine
-Huldigung. Und in dem Parke hallte es wider, und die Menge
-auf der Waldwiese, deren Zahl immer mehr anwuchs, stand und
-lauschte und harrte der Stunde entgegen, da es auch ihr vergönnt
-sein würde, den Gefeierten aus größerer Nähe begrüßen zu
-können.</p>
-
-<p>Fast ward es zuviel für den beinahe Achtzigjährigen, und
-sein treuer ärztlicher Hüter, Dr. Schweninger, bat endlich für
-ihn um ein Stündchen Ruhe.</p>
-
-<p>So ging der Apriltag hin und kündete dem alten Reichskanzler
-immer neu und beredt die Liebe eines ganzen Volkes,
-das nicht von ihm lassen konnte, und das immer wiederum alles
-dessen gedenken mußte, was Deutschland seinem Bismarck verdankte.</p>
-
-<p>Nur ein bitterer Tropfen blieb in seiner Seele, eine Verstimmung,
-die wie ein Schatten zwischen ihm und dem jungen
-Kaiser lag. Er hatte das Empfinden, als hätte ihn derselbe
-nicht <em class="gesperrt">so</em>, eben so ziehen lassen dürfen. Was galten ihm die<span class="pagenum" id="Seite_232">[232]</span>
-äußeren Ehren, die ihm zum Abschied noch angetan worden
-waren, ein Herzenswort und eine Herzenstat hätten ihm weit
-schwerer gewogen.</p>
-
-<p>Das deutsche Volk aber fühlte wie einen kältenden Hauch die
-Entfremdung zwischen dem Enkel des großen Kaisers Wilhelm
-und dem treuesten Paladin des letzteren, und hoffte in tiefster
-Seele, daß auch hier ein Frühlingstag kommen möge, der diesen
-Hauch hinwegfegen werde. Und des Volkes Hoffen sollte nicht
-betrogen werden.</p>
-
-<p>Es lebt echtes, hochherziges Hohenzollernblut auch in Kaiser
-Wilhelm II., und so war er es, der dem Alt-Reichskanzler die
-Hand reichte zum freundlichen Bunde. Durch ganz Deutschland
-flog es wie ein warmer Lichtstrahl, als erzählt ward, wie der
-Herrscher dem Fürsten, der von einem heftigen Krankheitsanfall
-in einem süddeutschen Bade Genesung gesucht hatte, eines seiner
-Schlösser für die Zeit der Rekonvaleszenz zum Aufenthalt anbot,
-und wie er ihm manche Aufmerksamkeit erwies, wie nicht der
-Kaiser seinem Untertan, sondern der Freund dem Freunde sie
-zu erweisen bemüht ist, und noch erfreuter schlug des deutschen
-Volkes Herz, als die Kunde erscholl, daß Fürst Bismarck nach
-Berlin kommen und persönlich dem jungen Herrscher für sein
-huldvolles Entgegenkommen danken werde.</p>
-
-<p>Am 26. Januar 1894 war es, als die erwartungsvolle
-Hauptstadt des Reiches der Ankunft des greisen Kanzlers entgegenharrte.
-Die Sonne war herrlich aufgegangen, als wolle
-sie ihn freundlich mitbegrüßen, und die Straßen vom Lehrter
-Bahnhofe nach dem Königlichen Schlosse waren durchwogt von
-freudig erregten Menschen. Die breite Straße Unter den Linden
-hatte reichen Flaggenschmuck angelegt, vom Zeughaus und dem
-Kommandogebäude wehten die Fahnen, und auf dem Königsschlosse
-prangte die gelbe Kaiser- und die rote Königsstandarte.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[233]</span></p>
-
-<p>Immer dichter wurde das Menschengewühl, und lebhafter
-wurde die Bewegung, als im hellen Sonnenglanz eine Abteilung
-Garde-Kürassiere nach dem Bahnhofe ritt, um das Ehrengeleit
-für den Fürsten zu bilden.</p>
-
-<p>Bald nach den glänzenden Reitern – es war um die
-Mittagszeit – fuhr ein offener kaiserlicher Wagen durch die
-Straße, umbraust von Hoch- und Hurrarufen: Des Kaisers
-Bruder, Prinz Heinrich, fuhr nach dem Lehrter Bahnhofe, um
-den Ankommenden im Namen des Herrschers zu begrüßen. Er
-dankte mit freudigem Gesichte dem jubelnden Volke und den an
-der Moltkebrücke in vollem Wichs aufgestellten studentischen Verbindungen.</p>
-
-<p>Auf dem Lehrter Bahnhofe hatten sich eine größere Anzahl
-hochgestellter Persönlichkeiten und Freunde des Fürsten eingefunden.
-Kurz nach ein Uhr fuhr der Zug ein, und Prinz Heinrich
-trat auf den Salonwagen zu, an dessen Fenster sich bereits das
-markige Antlitz Bismarcks gezeigt hatte. Nun stieg dieser aus, und
-der Prinz bewillkommnete ihn auf das herzlichste und bot ihm
-seinen Arm.</p>
-
-<p>Wohl hatte sich die Sonne wieder verhüllt, aber auch das
-trübere Licht vermochte dem ergreifenden Bilde nichts von seiner
-Wirkung zu nehmen. Auf den Arm des Kaisersohnes gestützt,
-schritt der greise Kanzler in seiner Kürassieruniform, langsam,
-aber aufrecht einher, das ehrwürdige Angesicht leuchtend vom
-Widerschein schöner freudiger Bewegung. Die Tausende aber,
-die vor dem Bahnhofe seiner harrten, brachen bei seinem Anblick
-in endlose Jubelrufe aus, die sich fortsetzten, wo immer der
-kaiserliche Galawagen mit seinen beiden Insassen auftauchte. Die
-Fenster des letzteren waren freilich wegen des kalten winterlichen
-Hauches und mit Rücksicht auf die Gesundheit des Fürsten geschlossen
-worden, aber sein freundliches Gesicht war doch sichtbar<span class="pagenum" id="Seite_234">[234]</span>
-hinter den Scheiben und begeisterte das Volk, das in musterhafter
-Ordnung in fünf bis sechs Reihen dicht hintereinander stehend
-den Mittelweg Unter den Linden besetzt hielt vom Brandenburger
-Tor bis an die Brücke.</p>
-
-<p>Da tauchten die alten Erinnerungen wieder auf an die glanzvollen
-Tage, welche Deutschland unter Kaiser Wilhelm I. und
-seinem Kanzler geschaut hatte, an den Siegeseinzug von 1866
-und nach 1870, und sehnsuchtsvoller, dankbarer schlugen die Herzen
-dem herrlichen Manne entgegen, dessen Name mit jener gewaltigen
-Zeit auf ewig verbunden war.</p>
-
-<p>An allen Fenstern drängten sich die Köpfe, ja, von den
-Kandelabern der Straßenlaternen herab schauten neugierig-mutwillige
-Knabengesichter, und die Schutzmannschaft nahm es heute
-nicht übel, wenn hier und da wohl auch einer auf einem Lindenast
-einen Sitz gefunden hatte.</p>
-
-<p>Die Wachtparade war zur gewohnten Zeit, kurz vor ein Uhr,
-mit klingendem Spiele nach dem Schlosse gezogen, und ihre
-Musikklänge erhöhten die freudige Stimmung der Menge. Eine
-geraume Viertelstunde später blinkten vom Brandenburger Tor
-her die Helme der Garde-Kürassiere, und mit ihnen kam ein
-Brausen und Rufen, das sich von Mund zu Mund fortpflanzte,
-immer anwachsend und immer stürmischer. Eine Abteilung berittener
-Schutzleute jagte im stürmischen Ritt über den Reitweg,
-näher kamen die Kürassiere, und hinterher der kaiserliche Wagen.</p>
-
-<p>Viel zu schnell für die Begeisterung der Menge, welche noch
-hinter ihm dreinklang, war er vorüber, und die Blicke folgten ihm
-nach, wie er seinen Weg verfolgte nach dem königlichen Schlosse zu.</p>
-
-<p>Im Lustgarten standen die Bürgersteige gleichfalls voll dichtgedrängter
-Menschen, die alle nach der Residenz hinüberschauten,
-vor deren Eingang sich das bewegte Leben widerspiegelte, das
-heute in ihr herrschte. Hofequipagen rollten heran und hinweg,<span class="pagenum" id="Seite_235">[235]</span>
-Offiziere und Hofbeamte eilten hin und her, herrlicher Blütenschmuck
-mitten im Winter war in reichster Fülle herbeigebracht,
-und alles machte den Eindruck, daß man einen lieben, hochzuehrenden
-Gast erwarte.</p>
-
-<p>Die vom zweiten Garderegiment gestellte Ehrenkompagnie
-rückte mit klingendem Spiele an und nahm zwischen den beiden
-Portalen Aufstellung, und um die erste Mittagsstunde erschien
-der Kaiser. Er trug die Kürassieruniform, und, mit begeistertem
-Morgengruß von seinen Grenadieren empfangen, schritt er langsam
-deren Front entlang und trat dann durch das Schloßportal
-zurück.</p>
-
-<p>Unter den schmetternden Klängen der Musik schritt der Fürst
-neben dem Prinzen Heinrich an der Front der präsentierenden
-Grenadiere hin, und nun war kein Halten mehr für die immer
-stürmischer vordrängende Flut des Volkes. Über den freien Platz
-vor dem Schlosse wogte sie heran, schnell und immer schneller,
-und bald war der Gefeierte umringt von den Tausenden, die nach
-seinen Händen, nach dem Saume seines Paletots faßten, um ihm
-ihre Liebe und Verehrung zu bezeigen.</p>
-
-<p>Jetzt betrat er das Schloß, durchschritt in dem ersten der
-für ihn bestimmten Gastgemächer die Reihe des kaiserlichen Hauptquartiers
-– und im zweiten stand er Kaiser Wilhelm II. selbst
-gegenüber, Auge in Auge, Hand in Hand, und niemand war
-Zeuge dieser Begrüßung, deren Bedeutung aber nachempfunden
-wurde, soweit die deutsche Zunge klingt.</p>
-
-<p>Schöner konnten die freundschaftlichen Beziehungen des Herrschers
-zu dem treuen Berater seines Hauses freilich kaum angedeutet
-werden, als bei der Frühstückstafel, welche im allerengsten
-Kreise eingenommen wurde. Zwischen dem Kaiser und der Kaiserin
-saß der Alt-Reichskanzler, und niemand störte die freundliche
-Weihe dieser Stunde.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_236">[236]</span></p>
-
-<p>Dann war Kaiser Wilhelm auch auf die Ruhe seines Gastes
-bedacht, der sich auf seinen Wunsch einige Zeit in seine Gemächer
-zurückzog. Aber nicht für lange, denn ein solcher Tag konnte
-nicht zur Rast bestimmt sein, und der Fürst zeigte, daß er trotz
-Alters und Unwohlseins noch immer »der eiserne« Kanzler war.
-Um 4 Uhr nachmittags, nachdem ihm schon vorher sein Amtsnachfolger
-General von Caprivi und sämtliche Staatssekretäre
-durch Abgabe ihrer Karten begrüßt hatten, fuhr er bei der Witwe
-Kaiser Friedrichs vor, um ihr seine Ehrerbietung zu beweisen,
-und nach 6 Uhr fand er sich an der kaiserlichen Tafel ein, an
-welcher außer dem kaiserlichen Paare auch König Albert von
-Sachsen und Graf Herbert Bismarck teilnahmen.</p>
-
-<p>Aufs neue aber begann sich die Volksmenge Unter den Linden
-zusammenzuscharen, um den Fürsten auch bei seiner Abreise
-zu begrüßen. Heller Lichtglanz flutete aus den Fenstern »Unter
-den Linden«, als um 7 Uhr 10 Minuten die Gardereiter durch
-die breite, prächtige Straße ritten und hinter ihnen her der Galawagen
-rollte, in welchem diesmal Kaiser Wilhelm II. selbst seinem
-Gaste das Geleit gab.</p>
-
-<p>Auch der Lehrter Bahnhof war von vollem Lichtglanz erhellt,
-dessen Schein die Gruppen der hohen Offiziere und des kaiserlichen
-Hauptquartiers beleuchtete, das in erwartungsvollem
-Schweigen auf dem Perron stand. Langsam schritt Bismarck zur
-Seite des Kaisers heran, nach dem Salonwagen. Noch einmal
-fügte sich Hand in Hand, und in sichtlicher Bewegung zog der
-junge Herrscher den greisen Recken näher heran zu sich und küßte
-ihn wiederholt auf die Wangen.</p>
-
-<p>Nun bestieg Bismarck den Salonwagen; entblößten Hauptes
-stand er an dem Fenster und sah hinaus auf seinen Kaiser, der
-noch immer in huldvoller Weise redete.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_237">[237]</span></p>
-
-<p>Das letzte Glockensignal verklang – – in die weithin
-schallenden Hochrufe mischte sich der brausende Gesang:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Deutschland, Deutschland über Alles,</div>
- <div class="verse indent0">Über alles in der Welt!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Und den Nachhall dieses Liedes in gehobener Seele, fuhr
-der eiserne Kanzler wieder heimwärts nach seinem stillen Sachsenwalde.
-Der darauffolgende Besuch des Kaisers in Friedrichsruh
-besiegelte die Versöhnung. Der letzte Schatten war gewichen aus
-seiner Brust, der volle Friede eines großen, segensreichen, abgeschlossenen
-Wirkens erfüllte ihn und verklärte wie ein mildes
-Rot den Abend seiner Tage.</p>
-
-<hr class="tb">
-
-<p>Er sollte seinen lieben, stillen Sachsenwald nicht mehr verlassen.
-Mit der gelassenen Ruhe des großen Mannes schaute er
-von seiner friedlichen Warte den Welthändeln zu, glücklich im
-Kreise der Seinen, und immer aufs neue erfreut durch die mannigfaltigen
-Kundgebungen der Liebe und Verehrung seines deutschen
-Volkes, die ihn auch in seinem weltfernen Asyl aufsuchten.</p>
-
-<p>Da traf ihn der herbe Verlust seiner Gemahlin, die wie ein
-guter, treuer Kamerad mit ihm durch das Leben gegangen, und
-die ihm innig an das Herz gewachsen war. Seitdem sah ihn das
-Dasein mit immer trüberen Augen an, und seine eigene Gesundheit
-kam immer mehr ins Wanken. Und auch die treueste, hingebendste
-Liebe seiner Familie, die aufopfernde Pflege seines Leibarztes
-Dr. Schweninger konnten zuletzt das Unaufhaltsame nicht
-mehr aufhalten.</p>
-
-<p>Es war der Sommer des Jahres 1898 gekommen und
-breitete seinen Schimmer über den grünen Sachsenwald. Aber
-im Herrenhause zu Friedrichsruh hegten liebende Herzen bange
-Besorgnisse. Der greise Fürst rang mit immer wiederkehrenden
-Beschwerden, und wenn seine starke Natur auch vorübergehend<span class="pagenum" id="Seite_238">[238]</span>
-zu siegen schien, der heimtückische Gegner, mit dem er kämpfte,
-setzte sein furchtbares Werk fort und brachte es jählings zu Ende.</p>
-
-<p>Am 28. Juli abends hatte der Fürst im Kreise der Seinen
-bei einem Glase Wein gesessen, die geliebte Pfeife geschmaucht
-und sich lebhaft und heiter wie in früheren Tagen unterhalten;
-am 30. vormittags las er seine Zeitungen, frühstückte in gewohnter
-Weise und klagte scherzend über den geringen Zusatz von Wein
-zu dem ihm gereichten Wasser. An dem Nachmittag desselben
-Tages brach er zusammen, und um die elfte Stunde der Nacht
-trat ihm schon der Tod an das große, treue Herz. Um ihn stand
-seine Familie, ihm zur Seite der treue Leibarzt, der die letzten
-Atembeschwerden ihm zu lindern bemüht gewesen, indes des Fürsten
-edle Tochter, die Gräfin Rantzau, ihm den Todesschweiß von
-der Stirn trocknete. Ihr galt des Sterbenden letztes Liebeswort:
-»Danke, mein Kind!«</p>
-
-<p>Dann lag er wie ein Schlafender, mit mildem, friedlichem
-Antlitz, hoheitsvoll und edel. An seinen Sarg trat auch Kaiser
-Wilhelm II., der auf die Trauerkunde, die er auf einer Nordlandsreise
-in Bergen erhalten hatte, sogleich heimkehrte und am
-2. August in Begleitung seiner erlauchten Gemahlin in Friedrichsruh
-eingetroffen war. Im Sterbezimmer fand die schlichte und
-doch so erhebende Trauerfeier statt. Das schwarz drapierte Gemach
-war erfüllt von betäubendem Blumenduft, der das ganze
-Schloß durchzog, und der schwarzpolierte Eichensarg verschwand
-unter riesigen Kränzen, von denen Wagenladungen aus allen
-Teilen Deutschlands nach dem stillen Friedrichsruh kamen. Am
-Fuße des Sarges aber lagerte der prachtvolle Kranz von Teerosen
-auf Lorbeerblättern und Eichenlaub, der auf einer weißseidenen
-Schleife die Anfangsbuchstaben des Kaiserpaares trug.</p>
-
-<p>Der Kaiser hatte gewünscht, daß »sein großer Toter« im
-Dome zu Berlin beigesetzt werde, aber der eigene letzte Wunsch<span class="pagenum" id="Seite_239">[239]</span>
-des Entschlafenen stand dem entgegen. In seinem stillen Sachsenwalde
-wollte Bismarck seinen letzten Schlaf schlafen in einem
-schmucklosen kleinen Hause, und die Grabschrift, die er sich selbst
-verfaßt, sollte lauten:</p>
-
-<p>»<em class="gesperrt">Fürst von Bismarck, geboren am 1. April
-1815, gestorben am ……, ein treuer, deutscher
-Diener Kaiser Wilhelms des Ersten.</em>«</p>
-
-<p>Im Sterbezimmer eingemauert blieb der Sarg mit den
-irdischen Resten des großen Kanzlers, bis das kleine Mausoleum
-auf dem Waldhügel gegenüber dem Parktor vollendet sein würde.</p>
-
-<p>Es ist ein friedlich-stilles Plätzchen. Ringsum rauschen die
-alten Eichen, und von dem nahen Hügel, auf welchem die von
-treuen Anhaltinern gestiftete Hirschgruppe steht, grüßen die dunklen
-Tannen, und der Blick schweift über Schloß und Park und über
-ein schönes, freundliches Stück des Sachsenwaldes.</p>
-
-<p>Hier wurde er am 16. März 1899 gebettet. Das ganze
-deutsche Volk war im Geiste zugegen, als sein großer Kanzler
-den letzten Pfad zurücklegte, und Hunderttausende haben es beklagt,
-daß es aus mancherlei Gründen nur einer kleinen Zahl
-Leidtragender vergönnt war, das ganze deutsche Volk in jener
-Weihestunde vertreten zu dürfen. Der deutsche Kaiser hat auch
-diesmal nicht gefehlt.</p>
-
-<p>Beim dumpfen Klange des Chopinschen Trauermarsches bewegt
-sich der Zug aus dem Schlosse. Der Regimentskapelle
-folgt in weitem Abstande die Leichenparade, und längs des
-ganzen Weges flammt das Licht vieler tausend Fackeln auf, von
-deren düsterer Glut bestrahlt der Leichenkondukt langsam vorwärtsschreitet.
-Überall entblößte Häupter – Totenstille – auch die
-Natur hält den Atem an. Nun naht der Sarg der Fürstin,
-die an des Gatten Seite ruhen soll, und schwankt, von Kränzen
-beladen, auf den Schultern der in altspanische Tracht gekleideten<span class="pagenum" id="Seite_240">[240]</span>
-Träger. Ihm folgt in einigem Abstande der Sarg des Kanzlers.
-Eine aus Lorbeer gewundene Fürstenkrone liegt zu Häupten.
-An den Seiten der Träger gehen im Schmuck der blinkenden
-Waffen Seydlitzkürassiere. Und unmittelbar hinter dem Sarge,
-an der Seite des Fürsten Herbert Bismarck, schreitet in der
-Uniform der Halberstädter Reiter der Kaiser, den blitzenden
-Stahlhelm auf dem Haupte, das bleiche Angesicht gesenkt.</p>
-
-<p>Mit dem zwölften Glockenschlage werden die Särge in der
-Kapelle des Mausoleums vor dem kleinen Altare niedergesetzt,
-mit gezogenen Säbeln, starr wie Bildsäulen, stehen die Kürassiere.
-Auch der Kaiser läßt sich nicht nieder während der Feier. Der
-Lieblingschoral der verewigten Fürstin klingt durch die Halle:
-»Die wir uns allhier beisammen finden«, der Geistliche spricht
-kurze, erhebende Worte, dann kam wieder Orgelton und frommer
-Gesang des Liedes: »Mach End’, o Herr, mach Ende«! … Drei
-Salven der hinter dem Mausoleum aufgestellten Ehrenkompagnie
-dröhnten dazwischen … dann war alles zu Ende. – Die Gruft
-schloß sich über dem besten und größten Sohne Deutschlands!</p>
-
-<p>Aber von ihm wird ein Singen und Sagen gehen bis in
-die fernsten Zeiten, und solange es ein Deutsches Reich und ein
-deutsches Volk geben wird, wird es zu seinen schönsten und edelsten
-Pflichten zählen, in ehrenvollster Erinnerung zu bewahren die
-große Zeit der Erneuerung des Reiches, den herrlichen Kaiser
-Weißbart und den Mann, der Deutschland in den Sattel gehoben
-hat, <em class="gesperrt">den eisernen Kanzler</em>.</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-249">
- <img src="images/illu-249.jpg" alt="Dekoration">
-</div>
-
-<p class="center p2 smaller">Setzmaschinensatz und Druck von A. Seydel &amp; Cie., G. m. b. H., Berlin <em class="antiqua">S.W.</em></p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="transnote chapter" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-<div class="corr">
-<p>
-S. 209: Februir → Februar<br>
-am 26. <a href="#corr209">Februar</a> 1871 zu Versailles</p>
-<p>
-S. 216: betätigen → bestätigen<br>
-Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu <a href="#corr216">bestätigen</a></p>
-</div>
-
-<p>Die unterschiedlichen Schreibweisen Skierniwicze und Skiernewice wurden
-einheitlich zur aktuellen Schreibweise Skierniewice korrigiert.</p>
-</div>
-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DAS BUCH VOM EISERNEN KANZLER</span> ***</div>
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-
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-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg&#8482; electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
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-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
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-or any Project Gutenberg&#8482; work, (b) alteration, modification, or
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-Defect you cause.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
-
-</div>
-</div>
-</body>
-</html>
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