diff options
| -rw-r--r-- | .gitattributes | 4 | ||||
| -rw-r--r-- | LICENSE.txt | 11 | ||||
| -rw-r--r-- | README.md | 2 | ||||
| -rw-r--r-- | old/69160-0.txt | 8207 | ||||
| -rw-r--r-- | old/69160-0.zip | bin | 165267 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h.zip | bin | 1787416 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/69160-h.htm | 9448 | ||||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/cover.jpg | bin | 749959 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-001.jpg | bin | 176263 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-002.jpg | bin | 19916 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-004.jpg | bin | 8139 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-006.jpg | bin | 30916 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-050.jpg | bin | 168621 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-100.jpg | bin | 154020 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-150.jpg | bin | 151427 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-200.jpg | bin | 168944 -> 0 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/69160-h/images/illu-249.jpg | bin | 8970 -> 0 bytes |
17 files changed, 17 insertions, 17655 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..a85acff --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #69160 (https://www.gutenberg.org/ebooks/69160) diff --git a/old/69160-0.txt b/old/69160-0.txt deleted file mode 100644 index cbe619f..0000000 --- a/old/69160-0.txt +++ /dev/null @@ -1,8207 +0,0 @@ -The Project Gutenberg eBook of Das Buch vom eisernen Kanzler, by -Anton Ohorn - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and -most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Das Buch vom eisernen Kanzler - Eine Erzählung für Deutschlands Jugend - -Author: Anton Ohorn - -Illustrator: Max Wulff - -Release Date: October 15, 2022 [eBook #69160] -Last Updated: July 24, 2023 - -Language: German - -Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH VOM EISERNEN -KANZLER *** - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text - ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist - ~so markiert~. - - Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des - Buches. - -[Illustration: Cover] - -[Illustration: ~Eis. Kanzler I.~ - -In Göttingen.] - - - - - Das Buch - vom eisernen Kanzler - - Eine Erzählung für Deutschlands Jugend - - von - - Anton Ohorn - - Mit Illustrationen in Farbendruck von _Max Wulff_ - - [Illustration] - - Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H. - Berlin W 66 - - - - -Inhalt. - - - Seite - - Erstes Kapitel. Sorglose Jugend 5 - - Zweites Kapitel. Berliner Lernjahre 17 - - Drittes Kapitel. ~Gaudeamus igitur~ 30 - - Viertes Kapitel. Am eigenen Herde 46 - - Fünftes Kapitel. In gärender Zeit 63 - - Sechstes Kapitel. Der Bundestagsgesandte 80 - - Siebentes Kapitel. An der Newa und der Seine 99 - - Achtes Kapitel. Der bestgehaßte Mann 117 - - Neuntes Kapitel. Im böhmischen Feldzuge 131 - - Zehntes Kapitel. Mit Blut und Eisen 146 - - Elftes Kapitel. Des neuen Reiches Kanzler 193 - - Zwölftes Kapitel. In Ehren und Schmerzen 210 - - Dreizehntes Kapitel. Im Abendrot 228 - -[Illustration] - - - - -[Illustration] - - - - -Erstes Kapitel. - -Sorglose Jugend. - - -Ein lachender Sommertag! Weiße Wölkchen schwimmen langsam über den -blauen Grund des Himmels und spiegeln sich in dem glitzernden Teiche. -Leise rauscht das Röhricht an dessen Ufersaum, und in den Kronen -der alten Bäume ringsumher im Park flüstert es wie von Geschichten -vergangener Tage. Und die stattlichen Rüstern und Linden wissen wohl -viel zu erzählen von lustigen Festen und von ernster Zeit, zumal -erst sechs bis sieben Jahre entschwunden sind seit den glorreichen -Befreiungskriegen und der mutigen Erhebung des ganzen deutschen Volkes, -die ihre Wellen auch ins Pommernland und an die Mauern des freundlichen -Herrensitzes _Kniephof_, der sich zurzeit im Besitze des Herrn -_Ferdinand von Bismarck_ befand, getragen hatte. - -Heute ist Friede im Lande, und die alten Wunden fangen langsam zu -vernarben an. - -Zwischen den grünen Bäumen sieht das Schlößchen hervor, schlicht, -mit Holzfachwerk, aber traulich und behaglich. Aus dem Eingang tritt -ein Knabe, fünfjährig, schlank, mit blondem, leicht gelocktem Haar, -und schaut mit hellen, blauen Augen in die Welt. In dem frischen -Gesichte ist Lebenslust und Tatendrang zu lesen. Er sieht hinauf nach -dem heiteren Himmel, hinüber nach den grünen Bäumen des Parks, steckt -die Hände in die Taschen und steht nun breitbeinig da, offenbar in -der Überlegung, woran er im Augenblicke seine junge Kraft am besten -erproben könne. - -Da kam ein Knecht. - -»Jochem, wohin?« rief der Kleine. - -»Der Fuchs muß ein neues Eisen haben!« sagte der Angeredete in -behaglichem Platt. - -»Da geh’ ich mit!« jauchzte das Bürschlein, offenbar erfreut über -den Fingerzeig des Schicksals, und nun trabte er lustig neben dem -Manne her nach dem Wirtschaftshofe und in den Stall. Der Fuchs wurde -herausgeholt. »Jochem, setz mich drauf!« gebot der Kleine, und der -Knecht hob ihn auf den breiten Rücken des Tieres, über welchen die -kurzen Beinchen des Reiters kaum wegreichten. Daß der Mann das Pferd am -Halfter führte, duldete das Bürschchen nicht, er mußte es frei gehen -lassen, und der Kleine hielt sich an der Mähne und suchte nun durch -Zuruf den Ackergaul zu einem rascheren Tritt zu bringen, was ihm aber -nicht gelang. - -Beim Schmied hob ihn der Knecht wieder ab, und nun stellte er sich so, -daß er die glühende Esse und den Amboß sah. Die jungen Augen blitzten -vor Lust, wenn unter den Hammerschlägen des Meisters die Funken -sprühten, und am liebsten hätte er selbst zu dem verrußten Werkzeug -gegriffen und mitgeholfen, denn er ahmte unwillkürlich die Bewegungen -des Schmiedes nach. Aber nicht lange hielt er aus, dann schlenderte -er, die Hände in den Taschen, weiter, hinaus ins Freie. Die Wiesen, -reif zum Gemähtwerden, standen voll saftigen Grases und im bunten -Blütenschmuck. An ihnen hinstreifend, pflückte er Blumen, und dazu sang -er ein Kinderlied. - -Die Zampel fließt durch das grüne Gelände; Erlen und Weiden neigen sich -schattend über das klare Wasser, und zwischen ihnen ragen stattliche -Ulmen. Dorthin lenkte der Knabe seine Schritte, brach sich einen Zweig -aus dem Gebüsch, streifte die Blätter ab und köpfte nun die fetten, -roten Disteln, die so protzig über den Wiesengrund emporragten. Während -dieser Beschäftigung sah er einen Reiter auf einem Feldwege kommen. -Hastig lief er ihm entgegen und schrie schon von weitem jauchzend: -»Papa, Papa!« - -Der Angerufene hielt sein Pferd an. Es war ein stattlicher Herr mit -einem gutmütigen Gesicht, aus dem die Freude lachte über den munteren, -frischen Jungen. - -»Was machst denn du hier, _Otto_?« fragte er. - -»O nichts, Papa, ich gehe spazieren und schlage dabei den Disteln die -dicken Köpfe herunter! Darf ich mit dir?« - -Der Reiter beugte sich herab und hob den kleinen Burschen empor, -welchen er vor sich hinsetzte, und der nun ohne weiteres die Zügel -nahm. Der Braune schien ähnliches gewohnt zu sein, er schritt munter -aus und langte bald bei dem Herrenhause an. Ein Knecht nahm das Tier in -Empfang und hob den Kleinen aus dem Sattel, und dann ging dieser an der -Hand des Vaters in das Herrenhaus. - -»Nun, Otto,« sagte dieser, »nächste Woche kommt Bernd (Bernhard) aus -Berlin!« - -»Ach, das wird hübsch!« jauchzte der Bursche, »weiß das Mama schon und -Lotte Schmeling?« - -Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in das Haus und in das -Gemach, in welchem er seine Mutter vermutete. Eine hochgewachsene, -schöne Dame mit klaren, freundlichen Augen trat ihm entgegen. - -»Wo steckst du denn, Otto, und so erhitzt?« sagte sie mit gütigem -Vorwurf und strich mit der weißen Hand über die feuchten, zerzausten -Locken ihres Lieblings. - -»Ach, ich komme mit Papa und bin auf dem Braunen geritten – und nächste -Woche kommt Bernd. Da wird’s lustig! Er erzählt immer so hübsch von -Berlin. Darf ich auch nach Berlin, Mama?« - -»Ja, ja, mein Junge!« - -Er küßte die Hand der Mutter und war hinaus, noch ehe der Vater -eintrat. Er eilte nach der Küche, wo »Lotte Schmeling« regierte. - -»Ach Lotte, gib mir zu essen, ich habe Hunger – und weißt du – nächste -Woche kommt Bernd!« - -Viel Zeit gönnte er sich zur Stillung seines Hungers nicht, denn bald -darauf war er wieder im Parke. Einen Teil seines Frühstücks trug er -noch in der Hand, und die kleinen Taschen hatte ihm Lotte Schmeling -vollgestopft mit Speiseresten, denn er wollte die Karpfen füttern. -Aber im Parke hielt ihn manches auf. Wenn er einen Vogel locken hörte, -blieb er stehen, weil er wissen mußte, wen er vor sich habe; wo ihm ein -Nestchen in den Büschen bekannt war, sah er vorsichtig nach, ob noch -alles in demselben und um dasselbe in Ordnung sei; wo ein Eichkätzchen -an einem Stamme hinhuschte, mußte er seinen Weg verfolgen und sich an -seinem possierlichen Wesen ergötzen. - -Endlich stand er an dem Karpfenteiche und trat auf das kleine Podium -hinaus, um seine Gaben zu spenden. Schon nach dem ersten Wurfe der -kleinen Hand tauchten die silbergrau schimmernden Rücken auf und kamen -heran, und gierig schnappten die großen, runden Mäuler. Otto jauchzte, -wenn sie um einen besonders großen Bissen sich drängten und balgten -und ihn einander zu entreißen suchten, und er warf seine Gaben bald -rechts, bald links, um auch den minder Zudringlichen und weniger -Starken etwas zukommen zu lassen. Ganz im Hintergrunde, nach der Mitte -zu, waren einige kleinere Fische, die bei jedem Wurfe schnappten, -aber nicht herankommen konnten. Auch sie sollten ihr Teil erhalten. -Der Knabe füllte die ganze Hand dicht mit Brocken und holte nun mit -ganzer Kraft zum Wurfe aus. Dabei aber hatte er sich wohl etwas zu -weit vorgebeugt, er verlor das Gleichgewicht; klatschend schlug er -ins Wasser, so daß die Fische erschreckt auseinanderstoben, und nun -arbeitete und strampelte der kleine Bursche mit Armen und Beinen in -einer nicht ungefährlichen Lage, denn der Teich war ziemlich tief. Er -faßte nach dem Schilfe und suchte sich daran festzuhalten, aber das -schwanke Rohr bot keine Stütze. Doch war es ihm geglückt, näher an das -Podium heranzukommen; mit aller Anstrengung und durch eine unbewußt -günstige Bewegung unterstützt, konnte er es ergreifen, beide Hände -faßten rasch und sicher zu – und gleich darauf hatte sich der kleine -Mann glücklich herausgearbeitet. - -Er sah ganz verdutzt zuerst nach dem Teiche und dann an sich selbst -hinab. Seine Beine waren schlammbedeckt, und Schilf hing an den -durchnäßten Kleidern. Er schüttelte sich einmal kräftig, dann trabte er -fort nach dem Herrenhause. - -Er wollte zu Lotte Schmeling, seiner Vertrauten, flüchten, kam aber -gerade der entsetzten Mama in den Weg. - -»Was ist passiert, Otto?« schrie sie erschrocken auf, als sie den -Kleinen sah, aus dessen Haaren das Naß niederrieselte auf das triefende -Gewand. - -»O nichts, Mama – ich bin nur, wie ich die Karpfen füttern wollte, ein -bißchen in den Teich gefallen. Es tut nichts – bloß entsetzlich kalt -ist’s!« - -Die Zähnchen schlugen ihm jetzt im Frost zusammen, und unter Beihilfe -von Lotte Schmeling wurde er rasch zu Bette gebracht und mußte heißen -Tee trinken. - -Am Abend fühlte er sich wieder völlig munter. Der Vater hatte bei ihm -gesessen und mit ihm geplaudert: er hatte ihm gesagt, daß er schwimmen -lernen müsse, wie die Karpfen im Teiche, und zwar, sobald er wieder aus -dem Bette sein werde, und das hatte ihm viel Vergnügen gemacht. Dann aß -er sein gewohntes Abendsüppchen, und endlich, beim Dunkelwerden, kam -Mama noch einmal. - -»Siehst du, Otto, wie gut es der liebe Gott meint mit kleinen, dummen -Jungen? Überall schickt er einen Engel mit ihnen, der ihnen hilft, wenn -sie in Not sind. Du wärst im Karpfenteich ertrunken, wenn er nicht -bei dir gewesen wäre und dich herübergezogen hätte, so daß du das -Podium fassen konntest. Dafür mußt du dem lieben Gott heute auch ganz -besonders danken!« - -So sagte die schöne, freundliche Frau, und der Knabe faltete die -Händchen und sprach sein Abendgebet mit besonderer Herzlichkeit. - -»Amen!« sagte die Mutter bewegt, als er damit zu Ende war, dann küßte -sie ihren Liebling, deckte ihn sorgsam zu und ging. – - -Der Unfall hatte für Otto keine weiteren unangenehmen Folgen, und in -gewohnter vergnüglicher Weise lebte er seine Tage weiter. Als nach -einiger Zeit Bernd (Bernhard), der um fünf Jahre ältere Bruder, aus -Berlin ankam, erzählte er ihm beinahe mit einem gewissen Selbstgefühl -sein Abenteuer, vergaß dabei aber nicht, auch des Schutzengels -Erwähnung zu tun. - -_Bernhard_ war ein frischer, schlanker Junge, dem es besonderes -Vergnügen machte, nach dem Berliner Aufenthalte frei durch Feld -und Wald zu schweifen, und Otto war sein beinahe unzertrennlicher -Begleiter. Die Erzählungen des Älteren von der Haupt- und Residenzstadt -Preußens und ihren Herrlichkeiten, von den militärischen Schauspielen, -von dem König und seinem Hofe verfehlten nicht, die Phantasie des -Jüngeren zu erregen und in ihm eine Sehnsucht nach diesen Wunderdingen -zu wecken. Dann setzte Bernhard der Begierde des Bruders wohl einen -kleinen Dämpfer auf, indem er ihm erzählte, wie es in der Plamannschen -Anstalt, in welcher er untergebracht war, zuging. - -»Das ist nicht so wie bei Muttern. Und da kannst du nicht den ganzen -Tag im Parke herumschlendern und Karpfen füttern, und kannst auch -nicht, wenn dich hungert, zu Lotte Schmeling laufen. Da heißt’s -jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen. Dann gibt’s Milch und Brot als -Frühstück, und von sieben Uhr an mußt du drei Stunden lang auf der -Schulbank sitzen, dafür erhältst du um zehn Uhr ein Salzbrot, das du -im Sommer mit einem Apfel oder einer Birne dir schmackhafter machen -kannst, und nach einer halben Stunde geht’s wieder in die Schulstube. -Mittags um zwölf Uhr wird gemeinsam in einem großen Saale gegessen, -und da fragt dich niemand, ob dir’s schmeckt oder nicht. Wenn du dein -Schüsselchen nicht ausessen kannst, mußt du mit demselben so lange im -Garten stehen, bis du es geleert hast. Dann wieder von zwei bis vier -Uhr Unterricht, zum Vesper ein Salzbrot und nun nochmals bis sieben Uhr -auf die Schulbänke. Du, da ist man froh, wenn’s Abend geworden, und man -sein Warmbier oder Butterbrot erhält. Nur das Turnen und Fechten, das -ist hübsch! Ja, mein lieber Otto, auf Kniephof oder Schönhausen ist’s -schon schöner!« - -Der Kleine hat bei solchen Schilderungen die Hände in die Taschen -gesteckt, bleibt breitbeinig vor dem Bruder stehen und sagt dann ruhig -und beinahe überlegen: - -»Weißt du, Bernd, wenn _du_ es ausgehalten hast, kann ich’s auch!« - -Kurze Zeit darauf gab der Vater Ottos, Herr _Ferdinand von Bismarck_, -ein kleines Fest, wie es der an der Geselligkeit sich freuende Mann ab -und zu liebte. Offiziere aus dem nahen Naugard und anderen Garnisonen -hatten sich eingefunden, und die Gastlichkeit des von Bismarckschen -Hauses, in welchem an des heiteren, lebensfrohen Gatten Seite eine -ungemein liebenswürdige und in jeder Weise feine und edle Hausfrau -waltete, kam in aller Herzlichkeit zur Geltung. - -Bei der Mittagstafel herrschte ein lebhafter, munterer Ton, und der -Wein löste die Zungen noch mehr. Bernhard und Otto saßen an einem -Seitentischchen, und der letztere besonders ließ sich wenig von dem -Gespräch entgehen, zumal dasselbe bald genug auf ein Gebiet kam, das -noch immer alle Gemüter lebhaft bewegte! Die Zeit der Schmach und der -Erhebung Preußens und Deutschlands. Die Männer an dem Tische und in -den Uniformen hatten fast alle ihren Teil an jenen Tagen und jenen -Begebenheiten, und mancher wies ein blinkendes Ehrenzeichen, mancher -auch eine ehrenvolle Wundennarbe auf. - -»Sie haben die Befreiungskriege nicht mitgemacht, Herr von Bismarck?« -fragte einer der jüngeren Offiziere. - -»Im eigentlichen Sinne, als Streiter des Heeres, nicht. Ich habe den -Soldatenrock schon früh ablegen müssen, der Familienverhältnisse -halber. O, ich bin sehr jung schon Soldat gewesen, habe als Knabe schon -im Rathenower Leibkarabinierregiment gedient und stramm meinen Dienst -geübt. Jeden Morgen Schlag 4 Uhr war ich da und habe den Reitern den -Hafer zumessen lassen. Bei Kaiserslautern hab’ ich unter dem Herzog von -Braunschweig mitgefochten, aber es war keine Ehre zu holen. Darum hab’ -ich als Rittmeister meinen Abschied genommen.« - -»Haben Sie auf Ihrem Gute viel von den Franzosen zu leiden gehabt?« -fragte einer der Gäste. - -»Wir sind damals, als Preußen zusammenbrach, nicht auf Kniephof, -sondern auf Schönhausen gewesen. 1815 am 1. April ist uns der kleine -Schlingel, der Otto, geboren worden – mit dem wir hoffentlich nicht -in den April geschickt werden, – aber es war eine trübe Zeit gewesen -für das Vaterland. Ob wir sie mitempfunden haben, meine Herren? – Na, -Minchen« – er wandte sich zu seiner Frau – »ich denke, wir vergessen’s -all unsere Lebenstage nicht! Zwei Tage nach der Unglücksschlacht von -Jena und Auerstädt, an einem rauhen Oktobertage des Jahres 1806, kam -die liebe, gute Königin Luise, flüchtig und geängstigt, und blieb im -Schlosse Tangermünde, Schönhausen gegenüber am linken Elbufer, über -Nacht, dann floh sie weiter gegen Ostpreußen, und hinter ihr drein -zogen die französischen Scharen und die preußische Schande. – Wenige -Tage später saß im Tangermünder Schlosse der Marschall Soult, und -seine zügellosen Banden tauchten in der ganzen Gegend auf. Damals habe -ich mein bißchen Barvermögen in Gold im Parke vergraben und flüchtete -mit meiner Frau unter Mühen und Gefahren bis nach dem »Trüben«, einer -sumpfigen, umbüschten Niederung an der Elbe, wohin die Schönhauser -sich zurückgezogen hatten. Der Aufenthalt in der langen, kalten -Oktobernacht in dem feuchten Sumpfloche war fürchterlich, zumal wir -jeden Augenblick davor bangten, daß über unserem Besitztum der rote -Flammenschein auflodern würde. Endlich, nach entsetzlich langen -Stunden, graute der Morgen. Einige schlichen nach Schönhausen und -brachten die Kunde, der Feind sei fort, und so zogen wir heimwärts. -Aber wie hatten diese Teufelsfranzosen gewirtschaftet! Verwüstung und -Elend überall in den Kätnerhütten wie im Herrenhause. Im Schlosse war -alles durcheinandergeworfen, vieles zertrümmert; den Stammbaum der -Bismarck, der im Bibliothekzimmer hing, hatten sie mit Säbeln zerhauen -und zerstochen, daß die Fetzen davonhingen – na, ich denke, dem Stamme -selber soll das nicht geschadet haben. - -Als ich nach meinem Gelde im Garten ging, fand ich die Erde aufgewühlt -… aber ich sah auch bald die Goldstücke blinken. Der Feind hatte sie -nicht gefunden, und die Erdarbeit mochte das Werk eines spürenden -Hundes gewesen sein. Später habe ich, um mich und meine Bauern zu -bewahren, mir von Soult eine Schutzwache erbeten, aber meine Frau habe -ich doch größerer Sicherheit wegen nach Rathenow gebracht. Ach Gott, -aber die allgemeine Not war doch noch schlimmer als die des einzelnen, -und als unser liebes Preußen zerrissen wurde, da grenzte Schönhausen -hart an das neue Königreich Westfalen, es fehlte nicht viel, so hätten -wir Jerôme als König bekommen.« - -Der brave Rittmeister nahm einen kräftigen Schluck, wie um die -schlimmen Erinnerungen damit fortzuschwemmen. Einer der Offiziere aber -fragte: »Und wie war’s in den Befreiungskriegen? Sie hatten ja auch in -der Altmark Ihren Landsturm?« - -»Und ob wir einen solchen hatten! Und er hat redlich die Heimat vor -Franzosen und Russen behütet. Ich darf’s wohl ohne Ruhmredigkeit -sagen, daß ich treulich das meine dabei getan habe. Und wir hatten an -der Elbe gute Helfer gehabt in den braven Lützowern, die im Mai 1813 -nach Schönhausen kamen und mit uns die Übergänge über den deutschen -Strom bewachten. Das bleibt mir eine unvergeßliche Erinnerung, jener -Gottesdienst in unserer einfachen, alten Dorfkirche, bei welchem die -neueingetretenen freiwilligen schwarzen Jäger eingesegnet wurden. Es -war rührend, wie Männer mit ergrauten Haaren neben frischen Jünglingen -sich um den braven Major von Lützow scharten, und ich habe damals mit -Tränen in den Augen manchen Wackeren gesehen, den ich nicht vergesse. -Da war der junge Theodor Körner, der Freiheitsdichter, mit seinen -dunklen Feueraugen, der dann bei Gadebusch gefallen ist, der Turner -Ludwig Jahn mit seinem Löwenkopfe, und sie sangen ein Lied ihres jungen -Kampfgenossen und leisteten einen heiligen Eidschwur fürs Vaterland, -und unser Prediger Petri hat ihnen den Segen gegeben, und der Segen hat -geholfen!« - -»Ja, er hat auch mitgeholfen,« sagte jetzt der Major von Schmerling, -dessen Brust mit dem Eisernen Kreuz geschmückt war, und der noch immer -den einen Arm in der Binde trug. »Wir haben’s den Franzosen tüchtig -heimbezahlt bei Großgörschen und Großbeeren, bei Dennewitz und an der -Katzbach und zuletzt in der Leipziger Schlacht. Und jeder, der dabei -gewesen ist, darf mit Stolz davon erzählen. Am 16. Oktober haben wir um -Wachau und Güldengossa gestritten und den Reitersturm des Königs Murat -zurückgeschlagen, am 17. verübte der alte Marschall Vorwärts seinen -glücklichen Reiterstreich bei Möckern, wo Ihr Bruder, lieber Bismarck, -der brave Major Leopold von Bismarck, den Heldentod starb, und am 18., -Kinder, da war der große Entscheidungstag. Das war ein Geschützdonner, -wie ich ihn all mein Lebtag nicht gehört habe; in Probstheide schlugen -die Kanonenkugeln von allen Seiten ein, als ob irgendwo von oben her -ein Apfelbaum geschüttelt würde. 1500 Geschütze spien ihr Verderben -gegeneinander, aber Gott war mit uns, und in der Völkerschlacht haben -wir den Mann des Jahrhunderts überwunden.« - -Mit leuchtenden Augen und vorgebeugt hatte Otto nach dem Sprecher -hingesehen, und kein Wort verloren, welches aus seinem Munde ging. -Als der Major jetzt innehielt und das Glas ansetzte, sprang der -kleine Bursche auf und trat dicht vor ihn hin. Mit dem vorgestreckten -Zeigefinger deutete er auf das Eiserne Kreuz an seiner Brust und fragte -mit vollem Ernste: - -»Ist Er auch von einer Kanonenkugel geschossen worden?« - -Die naive Frage des Knaben löste die ernste Stimmung, welche in dem -Kreise eingetreten war, alle lachten, der Major aber zog den Kleinen zu -sich heran und sagte: - -»Nein, mein Schelm, dann säße ich heute wohl nicht mehr hier. Na, wie -ist’s – du willst wohl auch einmal Soldat werden?« - -Die Frau des Hauses nahm das Wort: - -»Ich glaube, Otto wird einmal Diplomat, Staatsmann, und Bernhard -Landrat!« - -Wieder lachten die fröhlichen Gäste, aber Herr von Bismarck sagte: - -»Ja, meine Frau schlägt nicht aus der Art: Da sehen Sie die -Diplomatentochter, die sich einmal in den Kopf gesetzt hat, daß -etwas vom Geiste ihres ausgezeichneten Vaters, des wackeren Geheimen -Kabinettsrats _Menken_, auf unseren Jungen übergegangen ist. Na, wie -Gott will – er wird es schon richten!« - -Heiter ging der Tag zu Ende, der für Otto manche Erregung und Bewegung -gebracht hatte. Am Abend kam er zu der Mutter, um ihr »Gute Nacht« zu -sagen. - -»Otto, hast du denn auch ordentlich dein Süppchen gegessen?« - -Der Knabe stand einen Augenblick verdutzt bei dieser Frage, und anstatt -eine Antwort zu geben, stürmte er hinaus nach der Küche zu Lotte -Schmeling. - -»Höre, Lotte, habe ich eigentlich schon mein Süppchen gegessen?« fragte -er hastig. - -»Freilich und hat sehr gut geschmeckt, denn es war schnell genug -verschwunden.« - -Wie der Wind sauste der kleine Mann davon und kam zu der erstaunten -Mama zurück, um dieser nun erst, nachdem er selbst sich authentische -Sicherheit verschafft, eine wahrheitsgetreue Antwort auf ihre Frage zu -geben. Und jetzt ging er mit gutem Gewissen zur Ruhe. - -Herr und Frau Bismarck saßen noch ein Weilchen beisammen, und letztere -war es, die das Gespräch auf die Kinder, besonders auf Otto, brachte. - -»Es nützt nichts, er muß aus dem Hause. Hier wird er verzogen, von -mir, von dir, von Lotte und von allen. Und am besten ist’s, er kommt -zu Plamann, wo er an Bernd eine Stütze hat, daß ihm das Heimweh nicht -zu schwer wird. Ich halte dafür, eine rationelle Erziehung nach festen -pädagogischen Grundsätzen kann nicht zeitig genug anfangen.« - -Herr von Bismarck wollte einige Einwendungen machen, aber er kam gegen -die Grundsätze seiner geistvollen, von einem vortrefflichen Vater -geschulten Frau nicht auf; seufzend gab er nach, und so ward bestimmt, -daß Otto nächste Ostern nach Berlin kommen sollte. - - - - -Zweites Kapitel. - -Berliner Lernjahre. - - -An einem Frühlingstage des Jahres 1821 hielt vor dem Hause -Wilhelmstraße 139 in Berlin ein Wagen, mit zwei kräftigen Braunen davor -und mit dem Bismarckschen Wappen auf dem Schlage. Der alte Kutscher -stieg langsam ab und strängte das Handpferd aus, dann hob er aus dem -Gefährte einen hübschen, schlanken, sechsjährigen Knaben und trug ihn -beinahe zärtlich auf seinen Armen in das Haus. - -Das war die Erziehungsanstalt des Professors _Plamann_, ein im Geiste -des großen Pädagogen Pestalozzi gegründetes und geleitetes Institut, -das sich trefflicher Lehrer erfreute, wie unter anderen des Begründers -des deutschen Turnwesens, Ludwig Jahn. - -Als der alte Kutscher mit seinem weiten Mantel in den Mittelflur des -Hauses trat, tauchten sogleich überall jugendliche Gestalten auf, die -ihn umringten und nach seiner lebendigen Last blickten. _Otto von -Bismarck_, – denn er war es, der auf solche Weise seinen Einzug bei -Plamann hielt, – sah mit eiserner Ruhe und fester Sicherheit auf die -Gesichter unter ihm nieder, und konnte es wohl auch noch hören, wie es -hinter ihm herklang: - -»Wieder ein kleiner Junker! – Ein Muttersöhnchen! – Wollen ihn schon -rankriegen!« - -Dann nahm ihn der Direktor in Empfang, auch dessen Frau und Nichte, -und begrüßten ihn mit freundlichem Ernst als neuen Hausgenossen; Bernd -bewillkommnete gleichfalls den Bruder, ohne die übliche Tagesordnung -zu unterbrechen. Um die nächste Mittagszeit hatte Otto schon seinen -Platz an einem Tische im großen Saale, wo Lehrer und Schüler gemeinsam -speisten, und mühte sich, sein Gericht, das freilich nicht wie daheim -schmeckte, zu bewältigen, um nicht mit seinem Teller auf die Terrasse -hinausgestellt zu werden, wo einige, denen das Mahl nicht behagte, sich -langsam mit demselben abquälten. - -Dem kleinen Neuling blieben manche Neckereien und Hänseleien nicht -erspart, und auch sein Bruder konnte ihn nicht ganz davor schützen. -Aber des Rates Bernhards, sich nichts gefallen zu lassen, hätte es bei -Otto nicht bedurft. Der kleine Mann hatte Selbstgefühl genug, um sich -nichts bieten zu lassen, was ihm unwürdig erschienen war, und wie er -schon den herkömmlichen »Einweihungsgebräuchen« einen sehr energischen -Widerstand entgegengesetzt hatte, so zeigte er auch, daß er das in der -Anstalt beliebte Abhärtungssystem und die damit zusammenhängenden -körperlichen Unannehmlichkeiten mit festem Gleichmut ertrug. - -Gerade das aber reizte manchen seiner Genossen; man sah dies -ruhige, feste Wesen für junkerlichen Übermut an, und man hatte sich -vorgenommen, ihn bei Gelegenheit tüchtig zu »ducken«. - -An einem der ersten warmen Tage war es, als die Zöglinge zum Baden -geführt wurden nach dem sogenannten »Schafgraben«, einem nicht -gerade sehr breiten, aber ziemlich tiefen Wasser. Auch bei solchen -Gelegenheiten wurden die Neulinge nicht besonders glimpflich behandelt. -Wer irgend Furcht zeigte, wurde von dem Lehrer kopfüber in das Wasser -geworfen, und nun von seinen Genossen mit Tauchen und Anspritzen -weidlich bearbeitet. Auf diese Prozedur hatte man sich bei dem -»hochnäsigen Junkerchen« schon lange gefreut. - -Die Schar hielt am Schafgraben. Rasch waren die Burschen entkleidet -und sahen nun nach Otto, auf dessen »Wasserscheu« sie sich bereits -freuten. Der aber hatte seit seinem Bade im Karpfenteiche das Schwimmen -ganz wacker betrieben. Er trat jetzt an den Rand des Grabens, mit -einem entschlossenen Sprung war er im Wasser, welches über ihm -zusammenschlug, und dann war er verschwunden. Die Wellen kräuselten -sich leicht über der Flut, man spähte, ob nicht der Knabenkopf -emportauchen würde, und es begann eine beinahe unheimliche Spannung und -Erregung. - -Da kam der Schwimmer, welcher so lange unter Wasser ausgehalten, am -anderen Ufer in die Höhe und schüttelte sich lachend, den übrigen -aber entschlüpfte ein Ah der Überraschung. Mit dem kleinen Junker von -Bismarck war nichts anzufangen, – das war jetzt den Vernünftigeren -klar, und besser schien es darum, mit ihm gut Freund zu sein. - -Und immer mehr brachte er in diesem Kreise sich zur Geltung. Im Turnen -und Fechten tat er es den anderen ebenso zuvor, wie in manchem -Wissenszweige, der, wie Geschichte und Geographie, ihm besonders -behagte, und in die stramme Hausordnung fügte er sich prächtig ein. - -Nur manchmal, wenn ein besonders schöner Tag die Knaben hinausbrachte -ins Freie, nach der Hasenheide, wenn er grüne Bäume, wogende Felder -und fleißige Knechte darauf sah, wenn die Lerchen neben ihm aufstiegen -gegen den blauen Himmel, da überkam ihn eine Sehnsucht nach dem stillen -Kniephof oder dem freundlichen Schönhausen, und manchmal lief ihm wohl -auch eine Träne über die Wangen, die er nicht mehr zurückdrängen konnte. - -Aber er überwand diese Empfindungen, denn er wollte ein starker, -fester, tapferer Mann werden, wie er solche in der Geschichte kennen -lernte. Und die Geschichte war sein Steckenpferd. Die alte Griechensage -vom Kampf um Troja hatte es ihm besonders angetan, und die leuchtenden -Heldengestalten, die um das hochgetürmte Ilion stritten, lebten in -seiner Phantasie. - -Im Plamannschen Garten, weit hinten, stand eine stattliche alte Linde. -Auf einem Aste derselben saß er eines schönen Nachmittags, andere -Genossen waren gleichfalls heraufgeklettert und wiegten sich auf den -Zweigen um ihn her, und wieder andere lagen im Grase. Heute war ein -freier Tag, – da wollten die jungen Gemüter ein besonderes Vergnügen -haben. Otto von Bismarck aber las begeistert und mit weit vernehmlicher -Stimme von dem Kampfe um die Mauer, welche das Lager der Griechen -schützen sollte, wo der helmbuschumflatterte Hektor gleich einem Löwen -die Seinen anfeuerte und mit Polydamas und Äneas, mit Glaukos und -Sarpedon dem furchtbaren Andrang der Argiver wehrte. Immer heißer wogte -der männermordende Streit, bis der furchtbare Ajax eingriff. - -Und Otto las mit heißen Wangen und glühenden Augen, während die -anderen beinahe den Atem anhielten vor Erregung: - -»Ajax aber brach einen scharfgezackten Marmorstein zuoberst aus -der Brustwehr und zerknirschte damit dem Epikles, einem Freunde -des Sarpedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher von dem Turme -herabschoß. Sarpedon aber klomm aufwärts, durchstach den Alkmaon, -den Sohn Thestors, mit der Lanze, faßte dann mit aller Gewalt die -Brustwehr, daß sie von seinem Stoß zusammenstürzte; doch Ajax und -Teuker begegneten dem Stürmenden. Ajax durchstach ihm den Schild; die -Lanze durchdrang ihn schmetternd, und einen Augenblick zuckte Sarpedon -von der Brustwehr hinweg. Doch ermannte er sich und feuerte seine -Lykier an, die rascher emporstürmten; aber auch die Danaer verdoppelten -ihren Widerstand. Über die Brustwehr hieben sie wild aufeinander los, -und rechts und links von den Trümmern rieselte das Blut hinab.« Otto -ließ das Buch fallen, seine Wangen glühten höher. - -»Jungens – das müssen wir spielen!« rief er, und allgemeines -Beifallsgeschrei folgte. Im Nu waren die Knaben unten von den Ästen, -und die Parteien teilten sich und wählten ihre Führer. Der junge -Bismarck war Ajax, der Telamonier. - -Im Garten war eine Terrasse, das war die Mauer, und um dieselbe begann -nun der Kampf, hitzig, wie um das umstürmte Ilion selber, und die -Griechen blieben Sieger. - -Das Kriegsspiel ward nun zur wahren Leidenschaft, und Otto erfaßte die -Sache mit solchem Ernst, daß er bis ins kleine hinein die Schlachtpläne -entwarf und über die Wechselfälle des Kampfes besonders Buch führte. So -ging’s bis in den Winter hinein, und dieser erhöhte noch den Reiz der -Sache. Die Natur selbst lieferte verschwenderisch das Geschützmaterial, -und um die Terrasse wurde, auch unter Beteiligung der Lehrer selbst, in -den Freipausen im heftigen Schneeballgefecht gestritten. - -Auch dabei war der junge Bismarck der berufene Anführer der einen -Schar. So war’s auch an einem prächtigen frischen Wintertage. Die -Terrasse hielten die Gegner besetzt und empfingen mit den reich -aufgestapelten Geschossen die Anstürmenden. Aber Otto zeigte sich -wie ein rechter Feldherr voll Umsicht und persönlicher Tapferkeit. -Während er von der einen Seite durch ein heftiges Bombardement den -Feind täuschte und seine volle Aufmerksamkeit anzog, brach er auf -einer anderen mit einer Handvoll auserwählter Genossen zum Sturme -vor und erreichte trotz der heißen Gegenwehr der Überraschten die -Terrasse, wo er nun mit den Seinen festen Fuß faßte, wo es aber auch -zu einem äußerst erbitterten Handgemenge kam. Für ein Spiel ging es -schon beinahe zu weit. Die erhitzten und erregten Parteien schlugen -unbarmherzig aufeinander los, und die jungen Helden hatten sich -ineinander verbissen, als ob es wirklich für die Ehre des Vaterlandes -geschähe. - -Das Glockenzeichen rief zum Beginn des Unterrichts. Vergebens. Die -Zurufe der Lehrer und ihr persönliches Eingreifen vermochten den Kampf -nicht zu beenden, da riß Ajax-Bismarck den Schultornister von seiner -Schulter, den er wie ein echter Soldat beim Sturme getragen hatte, -und wo der Knäuel der Streiter am dichtesten war, schleuderte er das -Geschoß mit solcher Wucht hinein, daß die Kämpfenden auseinanderfuhren -und außerdem auch seinem gebieterischen Zuruf gehorchten. Nun konnte es -wieder an den Unterricht gehen. - -Als derselbe beendet war, wanderte Otto nach der Behrenstraße Nr. 53. -Seine Eltern waren in Berlin eingetroffen, um in ihrer Stadtwohnung den -Sommer zuzubringen und gesellschaftliche Beziehungen zu pflegen. - -Der Vater freute sich an dem frischen kleinen Burschen, die Mutter -fand ihren Liebling ein wenig wild, Otto selbst aber hatte nicht viel -Behagen in der Behrenstraße. Da war alles so vornehm und steif und -still, und auch der Papa seufzte manchmal ein wenig. - -»Ja, mein Junge, – mir geht’s wie dir,« sagte er einmal, – »in Kniephof -und auf Schönhausen ist’s hübscher; na warte nur bis zum Sommer! Wenn -du in die Ferien kommst, dann sollst du ein kleines Pferd haben, und -wir reiten zusammen, und auch eine Flinte, und dann soll’s lustig durch -Feld und Wald gehen!« – – - -So gingen die nächsten Jahre hin, und der Plamannsche Schüler nahm zu -an körperlicher Kraft, an Wuchs und Gewandtheit, aber auch an geistigem -Besitz, und nach der strengen Ordnung der Schulzeit schmeckte die -herrliche Freiheit in den heimischen Gärten und Wäldern doppelt gut, -und die alten Bäume im Kniephofer Park schienen dem frischen Junker nur -um so hübschere Sachen zuzuraunen. - -Als er im Sommer 1827 heimkehrte, hielt ihm zu seiner ganz besonderen -Freude die Mutter ein neugeborenes Schwesterchen, das am 29. Juni -angekommen war, entgegen, und die kleine _Malwine_ wuchs ihm sehr -schnell ans Herz, und wenn er später wieder heimkam, freute er sich auf -sie am meisten. - -Er besuchte seit demselben Jahre (1827) das Berliner -Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, gemeinsam mit seinem Bruder, und sie -wohnten jetzt beide in der Behrenstraße. Ein Genfer, Monsieur Gallot, -hatte sie anfangs zu beaufsichtigen, und er redete mit ihnen nur -französisch. Daß aber auch das Deutsche nicht zu kurz kam, dafür sorgte -die brave Köchin Trine Neumann aus Schönhausen. Sie liebte ihre beiden -Junker und suchte ihnen diese Liebe auch zu beweisen, dadurch, daß sie -ihnen möglichst oft ihre Lieblingsspeise, Eierkuchen, bereitete, wobei -sie manchmal ihren kleinen Ärger hatte, wenn ihre Pflegebefohlenen zu -spät heimkamen und »die Kauken afbackt« waren. Dann konnte sie wohl in -ihrem Unmute sich zu den Worten hinreißen lassen: - -»Na Jungens, ut juch wat in’n Leben nix Vernünftigs, – dei Kauken sünd -all wedder afbackt!« - -Im gewohnten Gleichmaß gingen die Tage, nur die Persönlichkeiten -um Otto von Bismarck her wechselten. An Stelle Monsieur Gallots -traten der Kammergerichtsreferendar Hagens und Philologe Winkelmann, -Bruder Bernhard hatte das Gymnasium absolviert und die Uniform -angezogen, Trine Neumann war in die Heimat zurückgekehrt, und -Otto war an das Gymnasium zum Grauen Kloster und in Pension zu -Professor Prevost gekommen, nachdem er Ostern (31. März) 1830 -in der Dreifaltigkeitskirche von dem ausgezeichneten Theologen -_Schleiermacher_ konfirmiert worden war mit dem Weihespruche: »Was du -tust, das tue Gott und nicht den Menschen!« - -Unter seinen Lehrern hatte es Professor _Bonnell_ ihm am meisten -angetan, und Lehrer und Schüler schlossen sich gegenseitig ins Herz. -So kam es, daß Otto in das Haus dieses Mannes übersiedelte und hier -in einer freundlichen Giebelstube hauste. Da hinauf trug er die -stattlichen Bände einer Weltgeschichte, die er aus der Bibliothek des -Professors entlehnte, und abends saß er, zumal im Winter, allein bei -der Frau Professor und plauderte ihr vor von den Herrlichkeiten auf -Kniephof und von seiner lieben kleinen »Maldewine«. - -Vor den Fenstern sang dann wieder der Frühlingswind und erweckte die -Sehnsucht hinaus ins Freie und in die jugendgrünende Heimat. Die alte -gelbe Postkutsche fuhr in der Straße vorüber, und der Postillon blies -sein Lied, so daß der junge Gymnasiast in stiller Wehmut horchte -und Semmlers Weltgeschichte eine Weile beiseite schob. Mit dem -Herannahen des Sommers aber kam (1831) auch ein unbehaglicher Gast nach -Deutschland – die Cholera. Die Eltern in Kniephof waren in Sorge, und -eines Tages kam ein Brief von Herrn von Bismarck: Otto solle, sobald -auch nur _eine_ Erkrankung in Berlin vorkäme, sogleich nach Hause -kommen. Da gab es außer ihm wohl keinen Menschen in der preußischen -Hauptstadt, welcher die Cholera so herbeigesehnt hätte, aber sie schien -ihm zum Trotz nicht kommen zu wollen. - -In der Nähe von Berlin sollte sie bereits sein, und davon wollte er -sich wenigstens überzeugen. In einem Reitstall mietete er sich ein -Pferd, einen feurigen, dunkelbraunen Wallach, und auf »Nerestan« jagte -er jetzt beinahe täglich auf der Straße nach Friedrichsfelde hinaus – -»der Cholera entgegen«. - -Da kam er eines Tages an der Neuen Wache vorüber. Eben zogen die -Soldaten auf unter Trommelschlag und den üblichen Gebräuchen, an einer -Ansammlung Neugieriger fehlte es dabei nicht. Und diese Bewegung und -der Lärm machten, daß der Wallach plötzlich scheute, einen Seitensprung -tat und infolge Ausgleitens niederschlug, wobei der junge Reiter zu -argem Schaden kam. Er konnte sich nicht erheben, fremde Leute mußten -behilflich sein, ihn in einen Wagen zu bringen, und mit zerquetschtem -Fuße trug man ihn hinauf zu Frau Professor Bonnell, die nicht wenig -erschrocken war. - -Da lag er nun wochenlang, und die Sonne lachte durch die Fenster und -lockte, und das Posthorn klang rufend durch die Gasse, ja, selbst die -ersehnte Cholera war angekommen, aber er mußte – nicht allzu geduldig – -warten, bis die Ärzte ihm gestatteten, Berlin zu verlassen. Da saß er -nun endlich eines Morgens hoch oben auf dem Bock neben dem »Schwager«, -und hinaus ging’s im langsamen Trott durch die heißen Straßen der -Residenz, hinein in die lachende Gotteswelt. Es war kein behagliches -Reisen und ging just auch nicht schnell – denn bis nach Stettin -brauchte man länger als zwei Tage – aber es bot doch wechselnde -Bilder, und der Postillon tat, wenn er in ein Städtchen oder in ein -Dorf einfuhr, sein Bestes auf seinem Horne. - -Am dritten Tage sah er den alten, lieben Kniephof wieder und umarmte -die Eltern und küßte sein Schwesterchen, und dann brach die ganze -Lust und Frische, die in den letzten Wochen zurückgedämmt war, wieder -durch. Trotz des jüngsten Unfalls jagte er hoch zu Roß durch Wald und -Flur, aber er ergötzte sich auch mit stillem Behagen an den lauschigen -Plätzen seiner Kinderjahre unter den rauschenden Bäumen des Parkes. - -Wie vielfach im Sommer, so nahm auch diesmal die Familie Bismarck -einen kurzen Aufenthalt in Schönhausen, das der wackere Inspektor -Bellin verwaltete. Es liegt in der Altmark, am rechten Elbufer, -da, wo die Havel hereinkommt. Ringsum das märkische Flachland mit -Feldern und Wiesen und mageren Kiefernwäldchen dazwischen hatte wenig -landschaftliche Reize, aber im Dorfe selbst liegen zwei Herrengüter, -und ihre Parke beleben mit dichtem Grün die Szenerie. Das Bismarcksche -Herrenhaus ist einfach gebaut; über dem schlichten Portal ist das -Kleeblattwappen der Familie, daneben ein anderes – eine Katze mit der -Maus – und darunter stehen nebst der Jahreszahl 1707 die Namen: August -von Bismarck und Dorothea Sophie Katten. - -Hier war Otto geboren, und darum hatte Schönhausen seinen besonderen -Reiz für ihn, wenngleich der Park hier kleiner war als in Kniephof. -Fröhlich durchschweifte er ihn bei seiner Ankunft; er schreitet -durch die Allee von alten, breitästigen Linden, dann hinein zwischen -wuchernden Weißbuchenhecken nach dem kleinen Teiche, und nun auf -der hölzernen Brücke über den Graben hinaus ins Freie. Da lugt ein -steinernes Bild herüber, eine alte, mythologische, nackte Figur, die -wenig respektvoll dem Junker ihre Kehrseite zuwendet. Er wirft einen -Blick hinüber und schreitet weiter mit der Flinte auf dem Rücken, -hinaus ins Feld. Aber es will sich keine Beute finden. Hoch über -ihm zieht mit höhnischem Lachen ein Falke seine Kreise, einige Raben -kreischen auf den Feldern, aber jagdbares Getier ist nicht zu sehen. - -Unmutig im heißen Sonnenbrand schlendert er um Mittag heimwärts. Er -schreitet wieder über das Holzbrückchen und sieht abermals den wenig -höflichen und anständigen Herkules; die Sonne beleuchtete ihn auffällig -hell, wie er so dastand und beinahe höhnisch die eine Hand rückwärts -unterhalb des Rückens legte. - -Otto hatte eine Schrotladung in seiner Flinte; heimbringen wollte er -sie nicht wieder, und, einer raschen Laune folgend, riß er die Waffe -von der Schulter, legte an, und der Schuß krachte. Von dem Herkules -splitterte es, und der Leib zeigte eine bedeutend hellere Stelle in -der Nähe der Hand, der junge Schütze aber ging, wie im Bewußtsein -einer guten Tat, heimwärts. Am anderen Tage kam er mit seinem Vater an -derselben Stelle vorüber, und Herr von Bismarck sah den Herkules an, -was mit ihm geschehen war. - -»Das hast du wohl verübt, Otto?« - -»Ja, Papa,« antwortete der Gefragte, »aber ich habe nicht gemeint, daß -er’s spüren wird; er hat jedoch gleich mit der Hand nach hinten gefaßt.« - -Der Rittmeister lächelte halb abgewandt, und damit war die Sache -abgetan. - -Im Herbste ging es wieder nach Berlin und ins Gymnasium. Es kam die -Zeit, in welcher Otto sich auf sein Abiturientenexamen vorzubereiten -hatte, und er arbeitete mit Eifer und Lust. Ab und zu besuchte er auch -Bruder Bernhard, welcher als Offizier in Berlin diente und in der -elterlichen Wohnung in der Behrenstraße wohnte. - -Eines Tages kam er mit einer gewissen Aufregung. Er fand Bernhard nicht -daheim und setzte sich nun auf das Sofa, um das Zimmer, obwohl er -es lange kannte, einer Musterung zu unterziehen. Da blieb sein Blick -plötzlich an der Stelle haften, wo neben dem Bücherschrank an der Wand -zwei lange Reiterpistolen hingen. Im nächsten Augenblicke sprang er -auf und holte die Schießwerkzeuge herab. Er prüfte die Hähne und fand -alles in Ordnung. Nun suchte er nach Pulver und Kugeln, und da er -die Verhältnisse der Wohnung ziemlich genau kannte, fand er beides. -Frisch ward jetzt geladen und nach einem Ziele geforscht. Er riß den -Bücherschrank auf und fand unten in demselben eine Scheibe. In wenigen -Augenblicken war sie an dem Schranke befestigt, und gleich darauf -krachte der erste Schuß. - -Und nun ging es Schlag auf Schlag. Das ganze Haus kam auf die Beine. -Man wußte nicht, was vorging, und traute sich anfangs nicht in die -Wohnung, bis die Beherzten eindrangen, und nun mit Entsetzen diese -Schießübung sahen. Einer hatte den Mut, sie zu verbitten. Otto aber -sagte, ohne sich stören zu lassen: »Hier hat mir niemand etwas zu -sagen!« und krachend schlug die nächste Kugel in die Scheibe. - -Da kam Bernhard; er eilte erschrocken die Treppe empor, aber als er den -Vorgang sah, wußte er nicht, sollte er lachen oder schelten. Fürs erste -aber hörte nun doch zur Beruhigung der Hausbewohner das Schießen auf, -und Bernhard fragte: - -»Aber nun sage mir, Junge, was dir eigentlich eingefallen ist?« - -»Na, einmal war das Warten langweilig, und zum anderen habe ich mir -Luft machen müssen.« - -»Na, – was hast’, was kneipt dich denn so sehr?« - -»O, diese ewige Schikane mit dem französischen Lehrer ist nachgerade -unerträglich. Und wenn ich nun denke, daß ich eine Probearbeit bei ihm -machen soll, da wurmt’s mich, und mir schwillt die Galle. Darum hab’ -ich mir ein bißchen Luft machen müssen.« - -»Na, und dazu muß der unschuldige Bücherschrank herhalten?« - -»Ja, warum bist du auch nicht zu Hause, wenn man einen teilnehmenden -Menschen braucht!« - -»Rat weiß ich aber auch jetzt keinen. Wenn du nicht französisch -arbeiten willst, dann mach’s doch englisch – ihr könnt euch ja die -Sprache wählen, soviel ich weiß!« - -»Na, das ist Fopperei, Bernd! Du weißt recht gut, daß ich kein Englisch -getrieben habe. Aber ich will dir auch was sagen. Ihr sollt sehen, -was Otto von Bismarck leisten kann. Ich mache keine französische -Probearbeit! Schön Dank auch für den guten Rat – Adieu!« - -Er war hinaus und eilte heimwärts. Bald darauf saß er in seiner -Giebelstube über der englischen Grammatik, und nun studierte er -darauflos, als ob davon das Heil der Welt abgehangen hätte. Als es -zur Probearbeit kam, wählte er zur Verblüffung des französischen -Lehrers und zum Staunen der anderen die englische Sprache. Und er hat -sein Examen bestanden, und bestand es auch in den übrigen Fächern in -ehrenvoller Weise. - -Leb wohl, du graues Kloster in Berlin! - -So vergnügt ist er noch niemals ins Pommernland heimgefahren wie -diesmal, da die Gymnasialzeit hinter ihm, dem Siebzehnjährigen, liegt, -und die Phantasie ihm fröhliche und leuchtende Bilder entrollt von der -»Burschenherrlichkeit« und von lebensfroher Studentenzeit! Schöner und -weiter schien ihm die Welt, und der Hornklang seines Postillons hallte -diesmal wundersam wieder in der freien, zukunftsfrohen Jünglingsseele. -Ein glückliches Menschenkind traf mit dem erwachenden Lenze des Jahres -1832 im alten Kniephof wieder ein. - - - - -Drittes Kapitel. - -~Gaudeamus igitur.~ - - -In der »goldenen Krone« zu Göttingen saßen an einem Maiabend des Jahres -1832 eine Anzahl junger Männer beisammen. Fröhlich klangen die Gläser, -und durch die geöffneten Fenster hinaus schallten die kraftvollen alten -Studentenweisen: - - Stimmt an mit hellem hohem Klang, - Stimmt an das Lied der Lieder, - Des Vaterlandes Hochgesang; - Das Waldtal hall’ es wider! - - Der alten Barden Vaterland, - Dem Vaterland der Treue, - Dir freies, unbezwung’nes Land, - Dir weih’n wir uns aufs Neue! - -Das brauste einher mit machtvoller Begeisterung, und die Pokale -läuteten abermals zusammen. Einer von den Burschen erhob sich an dem -Tische, eine prächtige Jünglingsgestalt mit blitzenden blauen Augen, -strotzend in der Fülle jugendlicher Kraft. - -»~Silentium!~ Bismarck will reden!« - -Still ward es in dem Raume, und aller Blicke wendeten sich nach dem -Sprecher. - -»Kommilitonen! Wir haben in diesen Tagen und erst heute noch auf -unserer Wanderung ein prächtiges Stück deutschen Landes gesehen, und -das Herz ist uns aufgegangen in der Schönheit des Harzwaldes, in dem -die Sage lebt auf der Bergeshöhe, wie im felsigen Talgrund, und wo -in einem gesunden Geschlechte alte deutsche Kraft und Einfachheit -der Sitten wohnt. Kommilitonen, ihr seid Mecklenburger, ich bin ein -Altmärker – ist’s bei uns daheim etwa anders? – Lebt nicht überall -derselbe gesunde Sinn, der sich freut in der Schönheit der Natur, und -der an der deutschen Scholle hängt, auf welcher unsere Wiege stand? -Mag auch ein halb Hundert verschiedenfarbiger Grenzpfähle im deutschen -Lande stehen – das Auge sieht sie, das deutsche Herz weiß nichts davon, -wenn es die Ehre der ganzen Nation gilt. Die Freiheitskriege haben es -bewiesen. Laßt uns nicht schlechter sein als unsere Väter, die bei -Leipzig und Waterloo geschlagen haben, und laßt uns immer an das Wort -unseres großen Dichters denken: »Wir wollen sein ein einzig Volk von -Brüdern!« _Eine_ Muttersprache reden wir alle, und alle haben wir im -Grunde nur _ein_ Vaterland – und das eine, große, deutsche Vaterland, -dem wir Blut und Gut weihen, es blühe und gedeihe! Füllt die Gläser: -dem Vaterlande!« - -Jubelnd schallte der Zuruf, stürmisch klang es zusammen, Otto von -Bismarck aber goß den letzten Rest aus seiner Flasche, und mit dem -Rufe: »Fort mit allem, was leer und nichtig ist!« schleuderte er die -letztere durch das offene Fenster hinaus auf die Straße. - -Die fröhlich lärmenden Burschen hörten weder den zornigen Aufschrei, -der von draußen hereinschallte, noch das Klirren des Glasgefäßes auf -dem Pflaster, immer höher gingen die Wogen der Begeisterung, und -immer lauter schallten Becherklang und Studentenweisen hinaus in die -schweigende Frühlingsnacht, bis endlich Bismarck erklärte: »~Satis, -quod sufficit!~« und mit einem energischen »Prost Kommilitonen!« sich -entfernte. Unter dem Tische erhob sich gleichzeitig eine mächtige -englische Dogge, welche zu den Füßen ihres Herrn gelegen hatte, und -schritt gravitätisch neben ihm hinaus. - -Am nächsten Morgen schaute Otto von Bismarck mit Behagen zu seinem -Fenster in der Roten Straße Nr. 299 hinaus. Seine »Bude« war einfach -und sah »burschenmäßig« aus. Im Mobiliar war weder ein besonderer -Überfluß noch hervorragende Eleganz, denn der Hauswirt, Herr -Schumacher, wußte, wie schnell oft die Bewohner wechselten, und wie -rasch diese Art eine »gute Stube« abzuwohnen pflegte. Bismarck wünschte -es auch nicht besser. Über dem alten Sofa hatte er eine Anzahl auf -Pappe gezogener Schattenrisse seiner Freunde gehängt, an der einen -Wand prangte eine stattliche Pfeifensammlung, welche den Neid manches -Kommilitonen schon herausgefordert hatte, und vor dem Sofa lag lang -ausgestreckt die gewaltige Dogge und blinzelte schläfrig nach ihrem -Herrn, der, wie erwähnt, im offenen Fenster lehnte, angetan mit einem -bunten Schlafrock, und die lange Pfeife, welche weit hinaushing, im -Munde. - -Es war ein prächtiger Frühlingstag, und dem jungen Studenten war ganz -wohlig zumute. Da unten schritten die ehrsamen Bürger hin, rasch -hinhuschende Mädchen, geschäftige Arbeiter und sorglose Studenten, -entweder ganz kommentmäßig in Flaus und Kanonen, mit dem Cerevis, oder -im Schlafrock und Morgenschuhen, den Ziegenhainer in der Faust und -die dampfende Pfeife im Munde. O, es war auch in Göttingen schön, und -an der »Königlich Großbrittanisch-Hannoverschen Georgia Augusta« ließ -sich’s leben! - -Er hatte anfangs für Heidelberg geschwärmt, aber die besorgte Mama -fürchtete den burschikosen Geist, der dort walten sollte, und nachdem -in einem Familienrate ein Verwandter des Hauses, der geheime Finanzrat -Kerl, Göttingen als eine Hochschule der vornehmen Welt empfohlen und -Briefe an die Professoren Hugo und Hausmann mitzugeben versprochen -hatte, war die Sache entschieden. - -Nein, in Göttingen war es gar nicht so übel! Eben als der junge Student -sich in diesen behaglichen Gedanken versenkte, pochte es an der Tür. - -Die Dogge hob den Kopf, und auf das »Herein!« erschien auf der Schwelle -der Universitätspedell und überreichte mit höflichem Gruße Bismarck -ein Schreiben. Dieser liest mit einiger Verwunderung, daß er u. z. -citissime – möglichst bald – vor dem Universitätsrichter zu erscheinen -habe. - -»Dem Manne kann geholfen werden!« zitierte der Studiosus halb -pathetisch, halb ärgerlich; dann fuhr er langsam in die spiegelblank -gewichsten Kanonenstiefel, sah sich einen Augenblick nach einer -geeigneten Kopfbedeckung um, und ergriff endlich einen hohen -Zylinderhut, den er sich auf das Haupt stülpte, und so, die weißen, -ledernen Beinkleider umflattert von dem bunten Schlafrock, die lange -Pfeife im Munde, schritt er, begleitet von der englischen Dogge, durch -die Gassen der vornehmen Universitätsstadt nach dem Hause des Richters. - -Als er bei demselben eintrat, fuhr der alte Herr entsetzt auf vor der -respektwidrigen Erscheinung, und als ihm der gewaltige Hund, der noch -vor seinem Herrn sich hereingedrängt hatte, um die Beine schnupperte, -ward es ihm völlig unbehaglich, und er suchte sich mit vorgestemmtem -Stuhle zu schützen, wobei er rief: - -»Schaffen Sie sogleich den Köter hinaus!« Bismarck rief die Dogge und -öffnete die Tür. Der Hund ging gehorsam hinaus, und jetzt kam der -Richter hinter seinem Sitze hervor, noch immer ängstlich und zornig -zugleich, und fragte: - -»Wer sind Sie, und was wollen Sie?« - -»Ich bin der Studiosus ~juris~ Otto von Bismarck, und was ich hier -will, müssen Sie wissen, denn Sie haben mich zitieren lassen!« Er -entfaltete das Papier, welches er erhalten hatte. - -»Richtig – gut! Aber fürs erste habe ich Ihnen mitzuteilen, daß es -verboten ist, Hunde mitzubringen vor das Universitätsgericht, und daß -ich Sie darum mit einer Ordnungsstrafe von 5 Talern belege.« - -»Hm – auch nicht übel!« brummte der Verurteilte halblaut, der andere -aber fuhr fort: - -»Die Sache, derohalben Sie zitiert worden sind, ist die: Gestern abend -ist ein Herr, der an der »Goldenen Krone« vorüberging, durch eine -Flasche am Arme getroffen worden. Die Erörterungen haben ergeben, -daß die Flasche von Ihnen herrührte. Können Sie sich entsinnen, wie -dieselbe auf die Straße gelangte?« - -»Zweifellos durchs Fenster!« - -»Na, ja, allerdings – aber ich meine, eine Wirkung, wie der Wurf einer -Flasche durch das Fenster, muß doch auch eine Ursache haben!« - -»Die war auch vorhanden in der Anspannung meiner Muskeln und der -Schwungkraft des Armes. Wenn Sie wünschen, Herr Universitätsrichter, -kann ich die Prozedur Ihnen ~ad oculos~ demonstrieren!« - -Bismarck griff nach dem großen Tintenfasse auf dem Tische des Richters -und hob dasselbe in bedrohlicher Haltung. - -»Das genügt, Herr von Bismarck, und da Sie im übrigen das Faktum nicht -in Abrede stellen, kann ich Sie entlassen. Das weitere wird Ihnen noch -mitgeteilt werden!« - -Die Aussicht auf das »weitere« stimmte den jungen Studenten nicht -gerade heiter, und einigermaßen ärgerlich ging er mit seiner Dogge -heimwärts. - -Noch ehe er in die Rote Straße kam, begegneten ihm vier Korpsburschen -von den Hannoveranern. Bismarck ging mit weitausgreifenden Schritten -daher, mit fliegendem Schlafrock, die Pfeife wie eine Waffe in der -Hand, und der hohe Zylinderhut, der wunderlich zu dem sonstigen Aufzuge -paßte, glänzte in der Sonne. Die »Hannoveraner« blieben stehen und -brachen in ein lautes Gelächter aus. - -Bismarck war nicht in der Stimmung, sich etwas bieten zu lassen; er -trat an den vordersten der Burschen dicht heran und fragte scharf: - -»Lachen Sie über mich, Herrens?« - -»Natur, das können Sie doch sehen!« lachte es ihm entgegen. - -»Dummer Junge!« brauste nun der Geärgerte auf. - -»Wen meinen Sie?« riefen die anderen. - -»Natur, alle viere!« - -Damit wandte er sich und ließ die einigermaßen verblüfften -»Hannoveraner« stehen. Obwohl er noch ein Neuling war, wußte er doch, -was nun kommen mußte. Das gab höchstwahrscheinlich vier blutige -Auseinandersetzungen, aber auch davor ward ihm nicht bange. Da er -Sekundanten und kommentmäßige Waffen brauchte, begab er sich gleich -darauf zu dem Senior des Korps der Braunschweiger (Brunsvigia) und -belegte dort die Schläger. Nun wartete er ruhig das weitere ab, aber -das kam anders, als er gemeint hatte. - -Die vier »Hannoveraner« waren zunächst aufgebracht über den »frechen -Fuchs«, aber einer von ihnen, ein Hausgenosse Bismarcks, der diesen -einigermaßen besser kannte, und dem die ganze »forsche« Art und Weise -desselben gefiel, warf auch den anderen einen Gedanken hin, der diesen -völlig annehmbar dünkte, und so kam es, daß alle vier noch an demselben -Tage sich bei Bismarck einfanden. - -Der empfing sie mit kühler Höflichkeit. - -»Ich weiß, weshalb Sie kommen, meine Herren!« - -»Verzeihen Sie, Herr von Bismarck, das dürften Sie nicht wissen. -Wir kommen, um Sie wegen unseres Gelächters von heute morgen um -Entschuldigung zu bitten, und hoffen, daß Sie die »dummen Jungen« -zurücknehmen werden!« - -»Unter solchen Umständen mit Vergnügen!« - -»Schön. – Und wissen Sie auch, was uns veranlaßt zu solchem Vorgehen? -– Sie gefallen uns, Herr von Bismarck, und da Sie noch nirgends -eingesprungen sind, und wir uns auf einen so schneidigen Fuchs etwas -zugute tun würden, so fragen wir an, ob Sie nicht für unser Korps zu -haben sind?« - -»Abgemacht! – Ihr gefallt mir, – ich bin der eure!« - -Ein vierfacher herzlicher Händedruck, und die Sache war in Ordnung. - -Aber um sein Duell kam er bei alledem nicht. Die »Brunsvigia« war -empört, weil er bei ihr die Waffen belegt und nun bei einem anderen -Korps eingesprungen war. Die Beleidigung konnte man nicht auf sich -sitzen lassen, und der Konsenior der Brunonen ließ Bismarck seine -Forderung überbringen. - -Man war gespannt darauf, wie der junge Fuchs sich herausbeißen werde; -der aber ging frohgemut auf die Mensur gegen seinen renommierten -Gegner. Dieser glaubte anfangs den Neuling so leichthin behandeln -und mit Leichtigkeit »abführen« zu können, aber Bismarck hatte Kraft -und Übung; schon nach einigen Paraden ging er zum Angriff über, und -gleich darauf zog sich ein blutiger Schmiß über das Gesicht des -»Braunschweigers«. Im Triumph führten die »Hannoveraner« ihren Fuchs -von dannen, doppelt froh, ihn für sich gewonnen zu haben, und er machte -dem Korps auch als Paukant alle Ehre, denn aus allen seinen Mensuren -ist er als Sieger hervorgegangen. - -Eines Abends saß er in der Korpskneipe der »Hannoveraner«, im -»Deutschen Haus«. Als Gast war auch ein junger Engländer, Coffin, -anwesend, der zu seinem Vergnügen einige Vorlesungen besuchte. Die -jungen Gemüter waren durch Gesang und Trunk angeregt, lebhafter -schwirrte die Unterhaltung hin und her und kam endlich auch auf -politisches Gebiet. - -Angehörige verschiedener deutscher »Vaterländer« befanden sich in dem -Kreise, und das schien den Engländer zu belustigen. - -»Sie haben 36 Vaterländer und kein Vaterland, und ihr Schutzpatron, -der deutsche Michel, hat’s auch gar nicht eilig, eine Eintracht zu -schaffen. Er zieht behaglich seine Schlafmütze über die Ohren, hüllt -sich vergnüglich in seinen bunten 36farbigen Schlafrock und – –« - -Da stand Bismarck neben dem Fremden. Mit seinen flammenden Augen sah er -ihn an, hochaufgerichtet und drohend. - -»Herr, schwätzen Sie nicht, was Sie nicht verstehen, sonst dürften Sie -den deutschen Michel ohne Schlafrock kennen lernen! – Umgürte dich mit -dem ganzen Stolze deines England, ich verachte dich, ein deutscher -Jüngling!« - -Stürmische Bewegung ging durch den ganzen Kreis. Coffin war -aufgesprungen: - -»Das ist eine Beleidigung!« - -»Sie haben zuerst beleidigt!« - -»Wir werden uns an einem anderen Orte finden!« - -»Ich werde nicht fehlen!« – – - -Am nächsten Tage wurde die Sache mit den Waffen ausgetragen, und der -Engländer erkannte, daß der »deutsche Michel« eine gute Klinge schlage. -Damit war der Ehre Genüge getan und die Geschichte beigelegt. Schon -wenige Tage später saßen die beiden Gegner wieder im »Deutschen Hause« -beisammen und sprachen in ernster und ruhiger Weise. - -»Und Deutschland wird doch einig werden, und in seiner Einigkeit sich -wie ein Riese erheben über die Völker Europas,« sagte Bismarck. - -Coffin schüttelte energisch mit dem Kopfe: - -»Das wird niemals werden; aus so vielen Stücken wird kein Ganzes – -niemals!« - -»Und doch werde ich rechtbehalten; in zwei Jahrzehnten ist das ganze -deutsche Volk eins geworden, aber es braucht dazu mehr als unsere -Hieber und die Tinte der Diplomaten!« - -»Davon werden Sie mich nicht früher überzeugen, als bis ich es erlebe!« - -»Gut, – wetten wir! 25 Flaschen Champagner gibt der Gewinner, der -Verlierer aber kommt übers Meer, um sie auszutrinken!« - -»Das soll gelten, – die Herren sind Zeugen!« - -So lebte in der stolzen, starken Jünglingsseele die Ahnung der großen -kommenden Zeit, die freilich im Jahre 1853 noch nicht anbrechen sollte. -Bismarck aber hat die Wette nicht vergessen und hätte sie seinerzeit -auch eingelöst, wenn der Tod nicht vordem schon seinen Partner -abgerufen hätte. - -Ei, wie dem flotten Burschen die Tage dahinflogen im freundlichen -Göttingen, so daß er beinahe gar nicht dazu kommen konnte, die -Kollegien zu besuchen, weil er alle Hände voll zu tun hatte, mit -anderen Dingen! Sein Name galt etwas in Studentenkreisen, und er hatte -seinen Ruf nicht bloß auf dem Paukboden, sondern auch durch sein -Geschick, Gegensätze auszugleichen und diplomatisch zu vermitteln, -erworben. - -Es war an einem kalten Januartage des Jahres 1833, als vor Göttingen -draußen in einem Wäldchen sich einige junge Leute einfanden zu -einem, wie es schien, recht ernsten Geschäft. Am Abend vorher war -ein englischer Student, Knight, auf einem Balle von dem jungen Baron -von Grabow beleidigt worden. Die Sache war an sich nicht von Belang, -aber die Gegner waren hitzig geworden und hatten sich auf Pistolen -gefordert. Und nun standen sie an dem klaren, kalten Wintermorgen da, -um die Sache auszutragen. - -Bismarck war mit Knight herausgefahren, um diesem als Dolmetsch -zur Seite zu stehen. Da es aber an einem Unparteiischen fehlte, war -er gern bereit, das Amt zu übernehmen. Die Sekundanten hatten die -Waffen geladen, der Arzt stand seitwärts vor seinem aufgeschlagenen -Verbandskasten, und auf allen Gesichtern lag schwerer Ernst, denn die -Duellanten hatten nur drei Schritt Barriere verabredet. - -Da sagte Bismarck: - -»Meine Herren, Ihre Ausmachung bedeutet nicht mehr ein Duell, sondern -einen Mord. Dazu gebe ich meine Hand nicht! Die Sache, um deretwillen -Sie sich hier gegenüberstehen, ist, wie ich nicht zweifle, auf ein -unseliges Mißverständnis zurückzuführen, und nicht derart, daß darüber -zwei Menschenleben mit beinahe absoluter Sicherheit aufs Spiel gesetzt -werden. Ich meine, der Ehre ist auch völlig genügt, wenn Sie zehn -Schritte Abstand nehmen. Und nur für diesen Fall fungiere ich als -Unparteiischer.« - -Die Duellanten erklärten sich einverstanden. - -Bismarck schritt die Entfernung mit weitausgreifenden Schritten ab -und fügte noch zwei Schritte zu. Dann trat er an den Arzt heran, um -diesen von der Eigenmächtigkeit zu verständigen – und nun mußten die -Dinge ihren Lauf nehmen. Bismarck kommandierte, die Schüsse krachten -gleichzeitig, – eine Sekunde lang stand jedem der Herzschlag still, -– dann zog sich der bläuliche Rauch verschwimmend in die Morgenluft, -und die Kugeln saßen irgendwo in zwei Baumstämmen. Blut ist bei jenem -Zweikampf nicht geflossen. - -Ruchbar ward die Sache aber trotzdem, und der Studiosus Bismarck -erhielt zehn Tage Karzerstrafe, die er mit stoischem Behagen absaß, -wobei er nicht versäumte, sich in die Präsenzliste einzuzeichnen, indem -er seinen Namen in die Karzertür schnitt. - -Nicht gar lange danach fühlte er eines Morgens ein seltsam Mißbehagen -in seinen Gliedern. Das war ein Ziehen und Frösteln, so ganz anders -als nach lustig durchlebter Nacht, und er fand, daß es doch vielleicht -gut wäre, einen Medikus zu Rate zu ziehen. Der Arzt konstatierte -Wechselfieber, und so lag er einige Tage zu Bette, verstimmt, -gelangweilt, appetitlos, und versuchte unmutig ab und zu etwas von dem -verschriebenen Chinin einzunehmen. - -Da kam eines Morgens eine Sendung aus Pommern. Ein köstlicher Duft -stieg aus der geöffneten Kiste, und der Patient begann mit zunehmendem -Interesse die Herrlichkeiten auszupacken, welche mütterliche Liebe und -Sorgfalt ihm hatte zugehen lassen. Neben den berühmten pommerschen -Gänsebrüsten lachte ein saftiger bräunlicher Schinken, und behagliche -Würste streckten ihre glänzenden Glieder dazwischen. - -Ein Gruß aus der Heimat! Na, ein Stückchen Wurst wird auch bei Fieber -nicht schaden! Die Mettwurst ist so saftig und würzig, und es ist ganz -wunderbar, wie einem der Appetit beim Essen kommt. Der Kranke schneidet -eine Scheibe nach der anderen herunter, und erst, als eines der kleinen -Ungetüme, die ihre drei bis vier Pfund wiegen mochten, zur Hälfte -verschwunden war, stellte Bismarck seine Tätigkeit ein. Dabei war ihm -so wohl, wie seit einigen Tagen nicht, und der Arzt sah, als er kam, -mit freudiger Verwunderung seinen Patienten. - -»Da hat das Chinin wieder einmal sein Wunder getan!« sagte er mit -Genugtuung; Bismarck aber sprach: - -»Ich habe ein Mittel genommen, das mir noch wirksamer scheint. -~Recipe~: Jede Stunde ein halb Pfund pommersche Mettwurst; ’s ist -probat, lieber Doktor!« - -Der Arzt sah mit verwundert großen Augen die geöffnete pommersche Kiste -und »was Arbeit unser Held gemacht.« - -Zu Michaelis ging’s nach Kniephof. Drei Semester waren verlebt an -der Georgia Augusta. Da saß er wieder in dem kleinen pommerschen -Herrenhause und sah hinaus auf die bewegten Wipfel im Parke und -blies aus der langen Pfeife vergnüglich seine Rauchwolken. Die Frau -Mama schaute ihn mit Liebe und Sorge zugleich an und schien von -Göttingen ein wenig enttäuscht. Die kleine Schmarre auf der Wange – -sie stammte von der abgesprungenen Klinge eines Gegners – die bunten -Pfeifentroddeln, die Cerevis schienen ihr verwunderliche Geschichten zu -erzählen, und sie wollte ihren Jüngsten von nun ab etwas mehr in ihrer -Obhut wissen! - -So kam es, daß Otto von Bismarck nicht nach Göttingen zurückging, -sondern noch drei Semester an der Berliner Hochschule verbrachte. -Es ging auch hier eine Zeitlang flott und lustig weiter, und das -»~Gaudeamus!~« klang in der preußischen Residenz nicht minder frisch -und froh als in Göttingen. - -Eines Abends trat er bei seinem Freunde, dem jungen Grafen -_Kaiserlingk_, ein. - -»Wie ist’s – gehst du mit zur Kneipe?« fragte er. - -»Heute bin ich nicht in der Stimmung, und denke mich darum in meinen -vier Pfählen behaglich einzurichten. Bleib da, Bismarck, an »Stoff« -soll’s auch hier nicht fehlen, und meine Pfeifen stehen dir zur -Verfügung.« - -»Soll gelten – das Wetter ist jetzt verlockend zum Daheimsitzen – -höre, wie der Wind um die Fenster saust. – Ah, da ist auch _Motley_« -– unterbrach er sich, als ein junger, blonder Mann eintrat, den die -beiden anderen herzlich begrüßten – »na, ~tres faciunt collegium~!« - -Er streckte sich behaglich auf dem Sofa und bat: »Aber nun mußt du -unser Konvivium auch stimmungsvoll einleiten, Kaiserlingk!« - -Der junge Graf setzte sich an das Instrument, und das sang und klang -durch den Raum, als webe eine Geisterschar an einem Märchen; bald weich -und melodisch, bald wild bewegt wie ein aufgeregtes Gemüt – klang es -aus den Saiten, und der große Beethoven hatte das Wort! Und auf dem -Sofa saß der wilde, flotte Bursche und hatte sich in die Ecke gelehnt -und den Kopf in die Hand gestemmt. Als der letzte Ton verklungen, sagte -er: - -»Sehr schön, Kaiserlingk! – das kann böse Geister bannen, und mir ist, -als verstehe ich jetzt erst die Geschichte von Saul und David. Heute -taugte ich überhaupt nicht mehr für die Kneipe. Motley, haben Sie nicht -einen Ihrer geistvollen geschichtlichen Aufsätze bei sich, es wäre -köstlich, wenn Sie uns was mitteilen wollten.« - -»Wenn es gewünscht wird, kann ich etwas holen« – sagte der junge -Engländer, der in demselben Hause wohnte, und ging. Als er -zurückkehrte, hatten sich noch zwei junge Gäste eingefunden, und -nun wurde der Abend in der anregendsten Weise verlebt. Es war spät -geworden, als Bismarck bat: »Kaiserlingk, nun noch etwas zur guten -Nacht!« - -Und der junge Graf griff noch einmal in die Tasten, und der -bestrickende Zauber der »Mondscheinsonate« nahm die jungen Gemüter -gefangen. - -»Kinder,« sagte Bismarck, »solch ein Abend gibt einem ordentlich eine -Sehnsucht nach dem Philistertum; lacht mich aus, wenn ihr wollt – aber -von morgen an werde ich solide und verlege mich aufs Arbeiten. Und das -hat mit ihrem Singen die Loreley getan! Gute Nacht!« - -Und in der Tat legte er sich ins Zeug, um das in der flotten -Burschenzeit Versäumte nachzuholen. Um die Osterzeit des Jahres 1835 -kam er eines Tages in das Haus seiner Tante, der Generalin von Kessel, -und wurde hier, wie immer, von seinen Cousinen heiter und herzlich -begrüßt. - -»Na, heute bitte ich mir etwas Respekt aus! Seht ihr mir nichts an?« - -Neugierig und lachend betrachteten ihn die jungen Damen von allen -Seiten. - -»Was soll denn aus dir wohl werden, so über Nacht?« - -»Ja, das Raten ist nicht eure starke Seite! Da will ich’s euch sagen. -Ich habe vorgestern mein Staatsexamen gemacht und bin als Auskultator -für das Stadtgericht vereidigt worden!« - -»Ah! – Gratuliere! – Aber ansehen kann man dir die Würde nicht!« rief -es durcheinander, doch Fräulein Helene, die als Künstlerin sehr tüchtig -war, rief: - -»Diese Phase seines Lebens muß festgehalten werden! Otto, ich male dich -als Auskultator!« - -»Kann mir nur schmeichelhaft sein! Da weiß man später doch einmal, wie -man als neugebackener Philister ausgesehen hat.« - -Da trat Bernhard von Bismarck ein, der gleichfalls in Berlin als -Referendar tätig war, und der mit Otto zusammenwohnte. - -»Ich habe mir’s gleich gedacht, daß er bei Euch stecken wird« – -rief er; »jetzt, da er in Amt und Würde ist, sucht er freundliche -Häuslichkeiten mit heiratsfähigen Töchtern!« - -»Aber Bernd« – riefen die Damen entrüstet. - -»Freut euch doch, daß die Zeit vorüber ist, in welcher er jungen Damen -die Fenster einzuwerfen pflegte.« - -»Und das hat er wirklich getan?« - -»Da sieht man wieder die Übertreibung,« lachte Otto von Bismarck -– »wobei nicht einmal meine besondere Liebenswürdigkeit erwähnt -wird. Daß der Göttinger Professor, der durch sein Verhalten gegen -mich das Fensterattentat provoziert hatte, einige Töchter besaß, -konnte ihn freilich vor meiner Rache nicht retten, aber ich kann zu -meiner Entschuldigung sagen, daß ich die Scheiben nicht mit Steinen, -sondern mit Kandiszucker eingeworfen habe, um den Mädchen wenigstens -einigermaßen den Schrecken zu versüßen. Übrigens, bitte, stellt mir -einmal einen dienstbaren Geist zur Verfügung! Ich habe einen Schuster -in der Kronenstraße, welcher mir bis gestern ein Paar Stiefel liefern -sollte, und mich, wie bereits in früheren Fällen, im Stiche ließ. Den -Mann will ich Ordnung lehren. Seit heute früh sechs Uhr schicke ich ihm -alle zehn Minuten einen Boten mit der Anfrage, ob meine Stiefel noch -nicht fertig wären. Ich vermute, daß ich sie heute noch erhalte.« - -Wenige Tage später saß der junge Auskultator im Berliner Stadtgericht -und waltete seines Berufes mit Eifer und – je nachdem – auch mit Humor. -Der Sommer verging und der Herbst, und der Winter brachte mit seinen -geselligen Vergnügungen manche schöne Abwechslung in die Einförmigkeit -seines Amtes. Von besonderem Interesse war dabei der erste Hofball, -welchem er beiwohnte. - -Seine äußere Erscheinung auf demselben war in jeder Weise vornehm und -durch Gestalt und Haltung geradezu auffallend. Üppiges Haar umwallte -das hochgetragene Haupt, und in dem geistvollen aristokratischen -Gesichte blitzten frisch, lebhaft und durchdringend klar die Augen. -Wie er so Arm in Arm mit seinem Kollegen, dem Auskultator von Scherk, -dahinschritt, folgten alle Blicke den beiden prächtigen Gestalten, die -der bekannte selige Preußenkönig sich für seine Potsdamer Riesengarde -nicht gern hätte entgehen lassen. Auch dem Prinzen Wilhelm (dem -nachmaligen Kaiser Wilhelm I.) fielen die beiden jungen Männer auf, und -als sie ihm vorgestellt wurden, sagte er mit wohlgefälligem Lächeln: - -»Nun, die Justiz legt wohl auch jetzt das Gardemaß an ihre Leute?« - -»Königliche Hoheit,« erwiderte Bismarck, indem er klar und voll den -Prinzen anblickte, »auch wir Juristen ziehen den Soldatenrock an, wenn -es fürs Vaterland gilt!« - -Am nächsten Morgen saß er, noch in Erinnerung an den vorigen Abend -versunken, am grünen Tische des Stadtgerichts. Vor ihm stand ein -biederer Berliner, der in einer Bagatellsache zu vernehmen war. Der -Mann, welcher den kaustischen Humor, aber auch die Zungenfertigkeit des -hauptstädtischen Proletariers besaß, glaubte, dem jungen Auskultator -gegenüber sich noch mehr als üblich herausnehmen zu dürfen, und -perorierte in nicht ganz ruhiger Weise. Bismarck, dem die Sache endlich -zu arg ward, sprang mit seiner imponierenden Gestalt auf und rief: -»Wenn Sie sich nicht mäßigen, werfe ich Sie hinaus!« - -Der Mann war einigermaßen verdutzt über diesen unerwarteten Ausbruch, -aber auf Bismarck selbst trat der anwesende Stadtgerichtsrat herzu und -sagte, indem er ihm die Hand auf den Arm legte: - -»Das Hinauswerfen ist _meine_ Sache, Herr Auskultator!« - -Bismarck nahm sein Gerichtsverfahren wieder auf, der Berliner -aber, welcher nun Oberwasser erhalten zu haben meinte, wurde noch -unangenehmer als zuvor, bis der Auskultator zum zweitenmal aufsprang -und mit einem sehr bezeichnenden Seitenblick rief: »Herr, wenn Sie -sich nicht mäßigen, lasse ich Sie durch den Herrn Stadtgerichtsrat -hinauswerfen!« - -Das Stadtgericht wollte Bismarck überhaupt nicht länger behagen; -er brauchte ein größeres Feld, einen weiteren Gesichtskreis, und -so verließ er 1836 Berlin und begab sich als Hilfsarbeiter zur -Königlichen Regierung nach Aachen, wo der Regierungspräsident Graf -Arnim-Boytzenburg sich freundlich des jungen Referendars annahm und -auch gesellig in seiner Familie mit ihm verkehrte. - - - - -Viertes Kapitel. - -Am eigenen Herde. - - -König Friedrich Wilhelm III., der die Not und die herrliche Erhebung -Preußens gesehen, war gestorben, und sein Sohn, Friedrich Wilhelm -IV., hatte den Thron bestiegen. Das war im Jahre 1840, und in den -Oktobertagen desselben fanden sich zahlreiche Vertreter des Volkes und -des Adels zur Huldigungsfeier in der Hauptstadt ein. Die Sonne des -15. Oktobers war freundlich aufgegangen über dem Lustgarten, wo die -tausendköpfige Menge sich um die reichgeschmückten Söller drängte, von -welchen herab der neue Herrscher zu seinem Volke sprechen wollte. - -Nun war er erschienen, ließ seine hellen Augen über die in Ehrfurcht -schweigende Versammlung schweifen, und dann begann er in der ihm -eigenen lebhaften und begeisternden Art zu sprechen. Und die Stimme -klang so klar wie Glockenton hinein in die heftiger pochenden Herzen: - -»Ritter, Bürger, Landleute und von den hier unzählig Gescharten alle, -die meine Stimme vernehmen können, ich frage Sie, wollen Sie mit -Geist und Herz, mit Wort und Tat und ganzem Streben, in der heiligen -Treue der Deutschen, in der heiligeren Liebe der Christen mir helfen -und beistehen, Preußen zu erhalten, wie es ist, wie es bleiben muß, -wenn es nicht untergehen soll? Wollen Sie mir helfen und beistehen, -die Eigenschaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen -mit seinen nur 14 Millionen den Großmächten der Erde beigesellt -ist, nämlich Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, -Vorwärtsschreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmütiger -Jugendkraft? Wollen Sie in diesem Streben mich nicht verlassen und -versäumen, sondern treu mit mir ausharren durch gute und böse Tage? -O, dann antworten Sie mir mit dem schönsten und klarsten Laut der -Muttersprache, antworten Sie mir ein ehrenhaftes Ja!« - -Und mit überwältigender Macht brauste das Wort durch die bewegten -Lüfte, unten aber in der dichtgedrängten Menschenmenge faßte ein -junger, stattlicher Mann die Hand des neben ihm Stehenden mit warmem -Drucke und sagte: - -»Das soll gelten, Bernd, für alle Zeiten!« - -»Helf uns Gott, Otto!« erwiderte der andere; der alte, stattliche Herr -aber, welcher bei den beiden stand, wischte sich einmal mit der Hand -über die Augen. - -Die Menge wogte auseinander. Die drei jedoch schritten langsam -hindurch, der alte Herr in der Mitte, der nun sagte: - -»Das war seit langem wieder eine schöne, erhebende Stunde, die wir alle -nicht vergessen wollen. Schade, daß wir der Mutter nicht mehr davon -erzählen können.« - -Es waren drei hochragende, prächtige Gestalten, welche durch die -belebten Gassen schritten nach der Behrenstraße zu; ehe sie aber -dieselbe erreichten, kreuzte ein junger Mann von gleichfalls -auffälliger Statur ihren Weg. Er zog überrascht den Hut, und der -Jüngste von den dreien rief lebhaft: - -»Schenk! – Du bist hier?« - -Eine herzliche Begrüßung der Freunde folgte, und bald gingen sie, -nachdem sie sich von den beiden anderen verabschiedet hatten, zusammen -auf den Bürgersteig hin, und betraten endlich ein Weinhaus, wo sie in -einer abgelegenen Ecke sich niederließen. Der Kellner brachte Wein, -leise klangen die Gläser zusammen, und Wilhelm von Schenk sagte: »Nun -weißt du meine Erlebnisse, lieber Bismarck, jetzt laß mich hören, wie -es dir gegangen ist, seitdem du nach Aachen übergesiedelt warst.« Der -andere sprach: - -»In Aachen habe ich nicht lange ausgehalten. Ich kam beinahe wieder -in die alte Burschenherrlichkeit hinein, und das wollte mir nicht -passen. Ich hatte das Bewußtsein, daß mein preußisches Beamtentum mir -dort mit Grundeis gehe, und das wollt’ ich nicht. Ich hatte mir in -den Kopf gesetzt, redlich zu arbeiten im Dienste des Vaterlandes, und -so wurde ich auf mein Ansuchen im Herbste 1837 nach Potsdam versetzt, -wo der Geheimrat Wilke mir Pünktlichkeit und Strammheit im Dienste -angewöhnte. Die konnte ich auch ganz gut brauchen, als ich im nächsten -Frühling des Königs Rock anzog und bei den Potsdamer Gardejägern als -Einjährig-Freiwilliger die Anfangsgründe der Kriegskunst exerzierte. -Das habe ich so ein halbes Jahr getrieben. Dann ließ ich mich zum -2. pommerischen Jägerbataillon in Greifswald versetzen. Da war ich -Soldat und Student zugleich und hörte in Eldena landwirtschaftliche -Vorlesungen, denn in dem Hintergrunde der nächsten Zeit lag bereits die -Aussicht, einen Teil unserer Güter übernehmen und Landwirt werden zu -müssen. Es gab so manches gutzumachen und in die Höhe zu bringen – na, -wie das eben so geht. Ostern 1839 war ich denn auch wieder in Kniephof. -Meine Eltern zogen sich nach Schönhausen zurück, und Bernhard und ich -übernahmen die pommerischen Güter, so zwar, daß mir Jarchelin und -Kniephof und meinem Bruder Külz zukam. Es fiel mir aber gleich in den -Anfang dieser selbständigen Tätigkeit ein trüber Schatten – du weißt -wohl – –« - -»Ich weiß, deine treffliche Mutter ist voriges Jahr gestorben – nimm -noch die Versicherung meiner herzlichen Teilnahme! Sie war eine -ausgezeichnete Frau!« - -[Illustration: ~Eis. Kanzler II.~ - -Friedrich Wilhelm IV. und Bismarck.] - -»Ja, sie war »Verstand des Hauses«, und uns war sie noch mehr. Nun -sitzt mein Vater ernst und trüb in Schönhausen, und Malwine sucht ihn -zu erheitern, so gut das gehen will. Ich aber habe den Diplomaten an -den Nagel gehängt und baue meinen Kohl!« - -»Und wenn das Vaterland ruft, bist du doch da!« - -»Das ist selbstverständlich. War das nicht herzerhebend heute, wie alle -die Tausende dem König die Versicherung ihrer Treue gaben? Mir ist mein -»Ja« aus vollem Herzen gekommen – laß uns anstoßen: Dem Vaterlande die -ganze Kraft!« - -Die Gläser klangen hell und voll, und die Augen der beiden jungen -Männer leuchteten. Sie saßen noch eine Weile beisammen und tauschten -alte Erinnerungen, dann erhob sich Bismarck: - -»Mein Aufenthalt in Berlin ist knapp bemessen, so daß wir uns hier kaum -noch einmal sehen. Aber wenn dich dein Weg ins Pommernland führt, so -erinnere dich, daß Otto von Bismarck auf Kniephof bei Naugard sitzt und -seinen Freunden dankbar ist, wenn sie ihm die Gelegenheit geben, sie zu -bewirten!« - -Kurze Zeit darauf saß er wieder in seinem schlichten Herrenhause. -Mit Scharfblick und Tatkraft erfaßte er die Verhältnisse und suchte -nach allen Kräften zu bessern. Am frühen Morgen schon war er im -Sattel und ritt durch die Felder, um nach dem Rechten zu sehen, oder -bei erfahrenen Nachbarn Rat zu erholen, und daheim machte er sich -über seine Wirtschaftsbücher und brachte Klarheit und Ordnung in die -Verwaltung seines Besitztums. Im dämmernden Abendschein schritt er -durch den Park, begleitet von seiner Dogge, und manchmal kamen ihm -recht wunderliche Gedanken, und ein stürmischer Tatendrang wollte ihn -erfassen und in die Welt treiben. - -An einem solchen Abend kam er unmutig herein in seine vereinsamten, -stillen Räume. Die Bücher, welche er sonst in diesen Stunden zur -Hand nahm, wollten ihm heute nicht gefallen, die Pfeife war ihm -ausgegangen, und mit weitausgreifenden Schritten ging er durch die -Wohnräume seines Kniephof. Da blieb er vor einem Bilde stehen. Es war -ein alter preußischer Reiteroberst, der da aus dem Rahmen auf ihn -herunterschaute, sein Urgroßvater, Herr Friedrich August von Bismarck, -dem weiland in der Czaslauer Schlacht eine Kugel zwischen Leib und -Seele gefahren war. – - -»Ein ganzer Mann, dieser alte Herr! Das Leben genießen und dann einen -fröhlichen Reitertod sterben fürs Vaterland – das muß schön sein! Ich -glaube, in mir steckt etwas von dem »tollen Bismarck«, und ein lustig -Reiten, ein fröhlich Zechen tut mir wieder einmal not, wenn ich nicht -versauern soll. Dabei braucht man nicht zu verderben! Morgen geht’s -einmal ins Weite!« - -So sprach er zu sich selber, und wie er wieder nach seinem Zimmer -zurückschritt, sah er seine Pistolen an der Wand hängen. Er nahm sie -herab. - -»Ich muß mir Luft schaffen!« rief er, wie einstens in der Behrenstraße -53 im Zimmer seines Bruders, und gleich darauf krachten die Schüsse und -schlugen in die Decke, daß Kalk und Mörtel splitterten. - -Am anderen Morgen ließ er sein Pferd satteln und brauste fort, »daß -Kies und Funken stoben«. Er hatte sich erinnert, daß in Kollin bei -Stargard an diesem Abend eine vergnügte Gesellschaft beisammen sei, und -wenn es bis dahin auch etwa 14 Meilen waren, er wollte zeigen, was ein -tüchtiger Reiter und ein gutes Pferd leisten können. - -In Wangerin hielt er Mittagsrast. Am Tische neben ihm saß ein junger -Mann, der sich ihm als Weinreisenden vorstellte und seine Ware anpries. -Bismarck verlangte, daß er ihm Proben vorführe, und der andere brachte, -was er bei sich hatte. - -Ein Fläschchen um das andere wurde vor den Augen des erstaunten -Reisenden leer, und Bismarck begehrte immer mehr Proben, bis dem -anderen der Vorrat ausging. Das war in einem kleinen Stündchen abgetan, -und nun ging’s wieder zu Roß weiter auf der Stargarder Straße, und -abends traf der wilde Reiter in Kollin ein und überraschte die heitere -Gesellschaft. Nun gab es ein fröhlich Zechen, schallendes Gelächter -bei manchem lustigen Schwank, und dem Besucher, der aus der Einsamkeit -seines Kniephof kam, erfrischte es Herz und Mut, sich wieder einmal in -genialer Burschenlust gehen zu lassen. - -Er lud seine Freunde ein, ihn auf seinem Schlößlein zu besuchen, und -sie blieben nicht aus. Der alte Kniephof sah nun manche übermütige -Stunde. In die Nacht hinaus klangen lärmende Zecherlieder, und oben -ging das Trinkhorn in die Runde, und aus den großen Pokalen trank -man Porter und Champagner durcheinander. Dann raste es mitunter -nächtlicherweile wie die wilde Jagd durch den schweigenden Park, -krachende Schüsse weckten die Ruhe der Schläfer, von abenteuerlichen -Streichen, von wunderlichen Wetten gingen die seltsamsten Geschichten -in der Runde, und bald hieß es: »der tolle Bismarck ist auf Kniephof -wieder lebendig geworden!« - -Manch einer kam, angezogen durch dieses Treiben; er fand ein gastliches -Haus, einen gefüllten Becher, einen jovialen Wirt, – aber es geschah, -daß dieser mitten in der übermütig lärmenden Unterhaltung ein Wort -aufgriff, an das er ernste und geistvolle Erörterungen knüpfte, wie sie -aus historischen Reminiszenzen und aus seinem eigenen, für die Ehre des -Vaterlandes begeisterten Herzen kamen. Dann horchte die verwunderte -Tafelrunde hoch auf, und manch einem kam ein Ahnen, daß in dem jungen -Gutsherrn mehr stecke, als zur Verwaltung von Kniephof gehöre. - -Das Herz hatte er auf dem rechten Flecke, und das hat er, wo es galt, -bewiesen. Im Sommer 1842 war er als Landwehroffizier in Lippehne. -Der schneidige Ulanenleutnant war auch hier einem kecken, lustigen -Streiche nicht abgeneigt, so wenig wie den Freuden des Bechers. Eines -Nachmittags kam er mit einigen Kameraden an den Wendelsee. Er wollte -mit seinen Begleitern über die Brücke gehen, die über denselben führt, -da er aber merkte, daß eben sein Reitknecht ankam, um in dem Wasser -sein Pferd zu schwemmen, blieb er stehen. Der Bursche ritt zwischen -der Brücke und der Gotthardtschen Gerberei in den See. Ob nun die -Anwesenheit der Offiziere ihn verwirrte, oder ob das Pferd den Grund -verlor, – genug, er zog die Zügel zu straff an, das Tier wurde unruhig, -bäumte sich, und der Reiter flog herab und verschwand auch sogleich in -den Wellen. - -Bismarck überlegte in diesem Augenblicke nicht; er warf Mütze und -Säbel fort und sprang, wie er war, in Uniform, über das etwa 15 Fuß -hohe Brückengeländer kopfüber in den See. Mit starker Hand faßte er -den Burschen, der halb bewußtlos ihn so umklammerte, daß er selbst in -freier Bewegung gehindert war. Da riß er denselben mit sich nieder zum -Grunde, um ihn bewußtlos zu machen. Es waren bange Augenblicke für die, -welche auf der Brücke standen. Blasen stiegen aus dem Wasser … aber die -beiden Menschen kamen nicht empor. Endlich tauchte das Haupt Bismarcks -auf. Er hatte mit fester Hand den Burschen gepackt, ihn auf den Rücken -geworfen, und zog nun schwimmend ihn hinter sich her, bis er Grund -fand. Nun schleppte er den Bewußtlosen auf seinen Armen an das Ufer, wo -er freudig begrüßt wurde. - -Eine gewaltige Erregung ging durch die ganze kleine Stadt, und -als Bismarck, der sich in der Nähe umgekleidet, nach derselben -zurückkehrte, kam ihm eine Schar von Bürgern mit dem Oberpfarrer Stöhr -in seiner Amtstracht an der Spitze entgegen, um ihn zu begrüßen und zu -beglückwünschen. - -Bald darauf erhielt er vom König die Rettungsmedaille, welche er -jederzeit mit Stolz getragen hat. - -Der flotte Offizier ging wieder nach Kniephof zurück. Es kam ihm -doppelt still vor, und manchmal war’s ihm, als dränge es ihn hinaus -in die Welt, – der gärende Most wollte noch nicht zur Klärung kommen. -Das Wort, das seine herrliche Mutter einst gesprochen: »Bernhard soll -Landrat, Otto Diplomat werden!« kam ihm immer wieder in den Sinn. Der -erste Teil war zur Wahrheit geworden, sein Bruder saß als Landrat in -Naugard, und der Ausspruch der Mutter erschien ihm bezüglich seiner -selbst wie eine vorwurfsvolle Mahnung. - -So kam es, daß er einen neuen Anlauf nahm und wieder bei der Potsdamer -Regierung als Referendar eintrat. Ein rechtes Behagen fand er aber -bei alledem nicht, zumal sein Vorgesetzter, der Regierungspräsident, -ihn in beinahe geringschätziger Weise behandelte. Da kam ihm der alte -Bismarcktrotz, und es brauchte nicht viel, um den Becher des Unmuts bei -ihm überschießen zu lassen. - -Eines Tages erhielt er von seinem Bruder das Ersuchen, ihn auf einige -Zeit zu vertreten. Er begab sich zu seinem Vorgesetzten, um sich einen -Urlaub zu erbitten. Als er eintrat, stand dieser am Fenster, kehrte -ihm den Rücken zu und trommelte auf der Scheibe. Bismarck stand einige -Augenblicke ruhig, dann schritt er an ein anderes Fenster und begann -nun seinerseits erst leise, dann immer vernehmbarer und lustiger einen -Marsch mit den Fingerspitzen zu exekutieren. - -Jetzt fuhr der Präsident unmutig herum, und während der Referendar noch -weitertrommelte, fragte er zornig: - -»Was wünschen Sie?« - -»Eigentlich wollte ich mir einen Urlaub nachsuchen, jetzt bitte ich um -meinen Abschied.« - -Und nun ging er nach Pommern, um für seinen Bruder einzutreten, dann -aber trieb es ihn hinaus in die Welt, und selbst seine Freunde wußten -nicht immer, wo sie mit ihrem Gedanken ihn suchen sollten. - -Im Herbst 1844 trafen sich zwei derselben im Seebad Norderney. Der eine -fragte: - -»Wissen Sie nichts von Otto von Bismarck?« - -»Nach den letzten Nachrichten war er in England – und dieser Tage habe -ich eine Mitteilung aus Pommern erhalten, nach welcher er von dort nach -Indien zu gehen beabsichtigt.« - -»Sieht ihm ähnlich, dem unruhigen Geiste, – er weiß eben nicht, wohin -er soll mit seiner Kraft.« - -Und während die zwei so redeten, kam er selber mit langsamen Schritten -über die Dünenhügel her. Die Gestalt schien noch stattlicher geworden; -aus dem gesunden, bartumrahmten Gesichte blitzten die klaren Augen, -und kraftvoll und sicher kam er heran, sehr zum Staunen und zur Freude -seiner Freunde. - -Lange hielt er an der See nicht aus. Er mußte heim, es zog ihn nach -Schönhausen, wo am 30. Oktober ein schönes Familienfest stattfinden -sollte, die Vermählung seiner Schwester Malwine mit seinem -Jugendfreunde Oskar von Arnim-Kröchlendorff. Das Herrenhaus in der -Altmark prangte im Festschmucke, seine »Malwine« strahlte vor Glück, -und sein Vater war freudig erregt, ihn selbst aber wollte eine leise -Wehmut fassen bei dem Gedanken, daß sein »sehr Geliebtes« jetzt aus dem -Elternhause gehe und sein Vater nun ganz allein bleiben sollte. - -Als der Hochzeitslärm und die Festlust verrauscht war, blieb er noch -bei dem alten Herrn zurück. Sie gingen täglich zusammen durch den -Park und nach der Schäferei, widmeten sich gemeinsam der Beobachtung -der Thermometer und bemühten sich gleich weiland Karl V. die Uhren -im Herrenhause in Übereinstimmung zu bringen. Endlich mußte er aber -doch daran denken, wieder nach Kniephof zu gehen. Beim Abschied von -Schönhausen band er dem Inspektor Bellin und seiner Frau es dringendst -auf die Seele, recht gut für den alten Herrn zu sorgen, eine Mahnung, -welche die kleine, wackere Frau beinahe als Beleidigung hätte ansehen -dürfen. - -Nicht lange danach gab es eine zweite Hochzeitsfeier, auf dem -pommerschen Herrensitze Triglaff, wo Bismarcks liebster Freund, Moritz -von Blankenburg, mit der Tochter des Hauses sich vermählte. Es war -ein vergnügtes Fest, und die Zahl der Gäste eine große. Unter den -Brautjungfern aber befand sich ein anmutiges Edelfräulein, einfach und -doch gewinnend in ihrem ganzen Wesen, und als Bismarck ihr vorgestellt -wurde, hatte er ein eigentümlich wonniges Empfinden. Das Mädchen mit -den blauen Augen, _Johanna von Puttkamer_, hatte es ihm von der ersten -Begegnung ab angetan. - -»Sie ist die einzige Tochter von Jakob von Puttkamer; seine Frau ist -eine geborene von Glasenapp, und sie sitzen auf Reinfeld,« hatte -Blankenburg ihm gesagt, und ein anderer Freund fügte bei: - -»Da geht’s anders zu als auf Ihrem Kniephof, lieber Bismarck. Da gibt’s -keine tollen Wetten, keine wilden Jagden und kein Porter-Sekt-Gemisch -aus Ochsenhörnern, da ist alles fein ehrsam und sittsam, ruhig und -fromm. Ihr singt »Freut euch des Lebens«, und auf Reinfeld werden nur -Choräle gesungen. Also sehen Sie dem Fräulein von Puttkamer nicht zu -tief in die Augen!« - -Aber Bismarck tat, wie es ihm paßte, und als er abends im Garten zu -Triglaff neben dem anmutigen Mädchen saß und mit ihr plauderte, da -war ihm das ganze Feuerwerk gleichgültig geworden, welches dem jungen -Paare zu Ehren losgebrannt wurde. Die Stimmung war bei allen eine -froherregte: Die spielenden Lichter, die rollenden Feuersonnen, -die aufzuckenden Strahlengarben, welche in die Abenddämmerung -hineinglühten, erhöhten dieselbe, und Scherze und heitere Zurufe gingen -hin und her. – - -Da sauste zischend eine Rakete empor, den funkelnden Schweif nach -sich ziehend, und aller Augen folgten. In demselben Moment erhob sich -ein stärkerer Windstoß, welcher das Geschoß seitwärts trieb gegen -den Wirtschaftshof. Dort fiel es auf ein Strohdach nieder, und nach -wenigen Minuten loderte daraus eine Flamme empor, welche nichts weniger -als programmgemäß war. Der Wind machte die Sache noch gefährlicher. -Angstrufe erschollen, Verwirrung kam unter die Gäste, die Dienerschaft -und die Dorfleute liefen davon, und die glühende Lohe schlug bereits -hoch empor und schwelte hinüber nach einem Nachbargebäude. - -Bismarck verlor keinen Augenblick seine Besonnenheit. Er eilte nach dem -Stalle, wo er mit der neuvermählten Frau von Blankenburg zusammentraf, -welche, beseelt von gleicher Energie, ihm half, die Pferde -herauszuholen und vor einen Wasserwagen zu spannen, und gleich darauf -jagte der junge Edelmann die Rosse nach der Brandstätte zu und brachte -hier mit seinem bestimmten Wesen, mit seiner sicheren Klarheit Ordnung -in die Löschanstalten. Das Feuer aber griff trotzdem rasch um sich, und -am Morgen beleuchtete die aufgehende Sonne die rauchenden Trümmer auf -dem Gutshofe wie im Dorfe selbst. - -Als Bismarck von Triglaff schied, sagte ihm der alte Herr von Thadden: - -»Ich glaube, lieber Freund, es hat gestern zweimal gebrannt auf -Triglaff, und der zweite Brand wird sich wohl nicht wieder löschen -lassen. Na, Sie wissen wenigstens, wo die Brandstifterin wohnt und -können sie auf Reinfeld zur Rechenschaft ziehen. Viel Glück dazu!« - -Die Worte sangen und klangen dem jungen Edelmann noch lange in den -Ohren, und wenn er daran dachte, mußte er still vor sich hinlächeln. - -Der Winter ging, und der Frühling kam, und der junge Gutsherr hatte -alle Hände voll zu tun mit seiner Landwirtschaft, dazwischen brach wohl -auch einmal die alte, stürmische Lust, in die Welt zu jagen, sich Bahn. -Das Gefühl einer gewissen Vereinsamung überkam ihn manchmal auf seinem -Kniephof, und er strich dann freundlicher über den Kopf Odins, seines -Hundes, der ihm ein treuer Begleiter war. - -Das Jahr sollte auch noch trübe genug enden. Im November erhielt -Bismarck die Nachricht, daß es mit seinem Vater, der von einem -Schlaganfall sich nicht mehr erholen konnte, recht schlimm stehe, und -so eilte er nach Schönhausen. Er fand den Teuren sehr schwach, und gab -sich keinen Hoffnungen hin. Auch der Inspektor Bellin und seine Frau -waren mutlos und verzagt. Die Frau erzählte: - -»Ach, ich hab’s ja schon kommen sehen. Vor einigen Wochen, Sonntags, -kam der gnädige Herr gar nicht, um sich zur Kirche zu begeben, die er -doch nie versäumte. Die Glocken hatten schon geläutet, und so nahm ich -mir den Mut, bei ihm einzutreten und ihn zu erinnern. Da sprach er -ganz traurig: ›Ach, liebe Bellin, ich muß doch sehr schlecht hören, -wenn ich die Kirchenglocken überhöre.‹ Und dann ging er eilig nach dem -Gotteshause.« - -Und der Inspektor fügte bei: - -»Er hat manchmal so Ahnungen gehabt, und das gefällt mir nicht. Wie -heuer im Frühjahr uns die Elbe bis in den Park hereinkam und einige von -unseren schönen, alten Linden wegnahm, da war der gnädige Herr so sehr -gedrückt. ›Mein lieber Bellin,‹ sagte er, ›die Linden sind eingegangen, -ich denke, ich gehe nun auch bald ein‹.« - -Und am 22. November hielt der treue Sohn die erkaltende Hand des Vaters -in der seinen und drückte diesem die Augen zu. - -Das war ein Trauertag für Schönhausen, als der alte, brave Gutsherr in -die Gruft gesenkt wurde, und von den Bauern wischte sich manch einer -die Augen aus, dem der Verewigte mit Rat und Hilfe beigestanden. Ernst -und trübe sahen die beiden Brüder den Sarg hinabsenken, dann gingen sie -schweigend nach dem Herrenhause zurück. - -»Wie ist’s, Otto,« sagte dort Bernhard, »du übernimmst Schönhausen und -überläßt mir Jarchelin.« - -»Wenn dir’s so recht ist, Bernd – ich bin einverstanden!« - -So war die Erbschaftsangelegenheit glatt und einfach geordnet, und das -alte Schönhausen sah im nächsten Frühling einen freundlicheren Tag. -Johannistag war’s, das liebliche Sommersonnwendfest. Die alten Linden -blühten und dufteten, die Sonne blickte hell vom blauen Lenzhimmel, -und am Portal des Herrenhauses standen der Inspektor und seine Frau, -Knechte und Mägde, Bauern und Bäuerinnen. Der Eingang war mit grünen -Reisern umwunden, und Otto von Bismarck hielt seinen Einzug in seinen -Stammsitz, und nannte sich nun _von Bismarck-Schönhausen_. - -Aber einsam war es ihm hier, gar so einsam. Der tolle Jugendübermut -schien ausgeschäumt zu haben, er hatte wiederholt bereits dem Ernst -des Lebens in das Auge geschaut, hatte Amt und Würden angenommen als -Deichhauptmann und als Vertreter der Ritterschaft des Kreises Jerichow -im Merseburger Provinziallandtag. Aber seine Seele sehnte sich nach -dem Glücke des Familienlebens, und immer wieder trat das Bildnis jenes -anmutigen Fräuleins, das es ihm auf Triglaff angetan, vor ihn hin. - -In solcher Stimmung traf ihn eine Aufforderung seines Freundes -Blankenburg zu einer Herbstreise; auch Fräulein von Puttkamer werde -sich beteiligen. Das war der Wink des Schicksals, ihm mußte Folge -geleistet werden. - -Was war doch das für ein herrliches Wandern durch die malerischen -Täler, auf die umgrünten Höhen des eigenartigen deutschen Gebirges! -Blauer Himmel über herrlichen, lachenden Landschaftsbildern, -Lerchengesang in der Luft und jauchzenden Herzschlag in der Brust. -Das junge Blankenburgsche Paar störte den in zwei Seelen erwachenden -Frühling nicht, und unter den leise rauschenden Bäumen des Harzwaldes -ward der Bund so gut wie geschlossen. Glückselig kehrte Bismarck in -sein Schönhausen heim und setzte sich nun hin, um an Herrn und Frau von -Puttkamer auf Reinfeld zu schreiben und sie um die Hand ihrer Tochter -zu bitten. - -Der Brief tat eine wunderliche Wirkung. Der alte Herr, der eben von -einem Ritt ins Feld heimkam, las ihn und traute seinen Augen kaum. Dann -eilte er zu seiner Frau. - -»Höre, Luitgard, – lese ich denn recht? – Mir ist’s, als hätt’ mir -einer mit der Axt auf den Kopf geschlagen! – Der wilde Bismarck will -unsere Johanna zur Frau!« - -Frau von Puttkamer schlug die Hände zusammen. - -»Unmöglich – unser stilles, frommes Kind und dieser tolle Bismarck. Da -ist kein Segen drin, dazu gebe ich niemals meine Hand!« - -»Ja, er schreibt auch hier, mit Johanna wäre er einig – na, das ist -eine schöne Bescherung!« Die Frau des Hauses war aufgesprungen, sie -rief nach ihrer Tochter. Das Fräulein kam mit geröteten Wangen, sie -schien zu ahnen, um was es sich handle, und daß sie nun den ersten -Kampf für den Mann ihrer Wahl bestehen müsse. Und sie bestand ihn -siegreich gegen die Aufregung des Vaters und gegen die Tränen der -Mutter. Von der Kraft ihrer Herzensneigung erfüllt, trat sie mutvoll -für den Geliebten ein, und als die Eltern den entschiedenen Willen -ihrer sonst so sanften Tochter erkannten, wurde der Freier eingeladen, -nach Reinfeld zu kommen. - -Und er kam. Die imponierende Persönlichkeit mit ihrer ritterlichen, -gewinnenden Vornehmheit gewann die Mutter, der patriotische, -warmherzige, königstreue Sinn den Vater, und so gab es eine fröhliche -Verlobung. - -Nun ward auf Schönhausen gerüstet zum Empfang der Herrin. Das alte -Herrenhaus ward neu in Stand gesetzt, aber es kam noch ein Winter und -ein Frühling, ehe der Bund den Segen der Kirche erhielt. - -Der Lenz des Jahres 1847 zog ins Land mit Sturm und Brausen, und der -Deichhauptmann ritt hinaus, um in Wetter und Graus seinen Pflichten zu -genügen, und dabei lebte seine Seele in einer freundlichen Zukunft, -wie schön es sein werde, wenn er nach stürmischem Tage heimkommen und -Sturmmütze und Regenmantel ablegen und in das wohnliche Heim eintreten -werde, wo zwei freundliche Augen ihm entgegenleuchten, zarte, liebe -Lippen ihn begrüßen werden. Was kümmerten ihn die Frühlingsschauer -und die rauhen Wettertage! Mitunter trieb es ihn auch zu Fuße hinaus -an den Strand, um zu sehen, ob dem Uferlande keine Gefahr drohe. -So kam er einmal dahergeschritten, mit seinem forschenden Auge die -Deiche prüfend. Eine große, tiefe Lache – die Elbe war über ihre Ufer -getreten – hemmte ihn auf seinem Wege. Er stand einen Augenblick still -in ruhiger Überlegung, da erblickten ihn zwei Bauern, die mit ihren -Angelruten am Ufer standen. - -Der eine kam eilig herbei: - -»Herr Deichhauptmann, ich trage Ihnen auf dem Rücken hinüber.« - -Bismarck lachte: »Lieber Pietsch, das sind 182 Pfund!« - -»All’ eins, Herr Deichhauptmann, Ihnen tragen wir alle mit Freuden!« - -Dem Edelmann schlug das Herz wärmer bei solchen Worten des schlichten -Mannes aus dem Volke. Das war die ehrliche märkische Art, die Art, -aus welcher die Liebe auch zu König und Vaterland in Not und Gefahr -erwuchs. Er dankte dem Manne herzlich, dann trat er mit seinen hohen -Stiefeln ruhig in die Lache und schritt hindurch. Wenn es der einfache -Bauer konnte, so mußte es auch der Deichhauptmann können. Die Bauern -aber sahen ihm noch ein Weilchen nach, dann sagte der eine: - -»Ein ganzer Mann mit dem Herzen auf dem rechten Flecke!« - -»Gott erhalt’ ihn!« sprach der andere. - -Der Sommer kam, und am 20. Juli ward in Reinfeld ein schönes Fest -gefeiert, das zwei Menschen für ein ganzes reiches Leben verband, wie -sie besser sich nicht finden konnten: Die Kraft und die Anmut, die -Energie und die Milde hatten sich vereint – Otto von Bismarck hatte für -sein Haus »das Herz« gefunden. - -Und nun ging es hinein in die lachende Gotteswelt, dem schönen Süden -entgegen. Die Tiroler Alpen und die Schweizer Firnen sahen nieder auf -das glückliche Paar, dem die ganze Welt zu gehören schien, und das sein -Glück widerspiegelte in den dunkeläugigen Bergseen und in der lachenden -Wonne des italienischen Landes. - -In der alten Dogenstadt Venedig hielten sie kurze Rast und fuhren -über die in ernstem Schweigen ruhenden Lagunen und des Markusplatzes -historische Pracht, aber das Herz des märkischen Edelmannes schlug -höher, als er vernahm, daß gleichzeitig auch sein König Friedrich -Wilhelm IV. in der alten Stadt der Wunder weile, und er konnte es sich -nicht versagen, ihm seine Ehrerbietung auszudrücken. - -Auch der König war erfreut über die Begrüßung, zumal ihm Bismarcks -Name aus seiner jungen politischen Tätigkeit, die er seit kurzem -entwickelte, vorteilhaft bekannt war; er unterhielt sich mit ihm in -seiner lebhaften, geistvollen Art und war sichtlich erfreut über die -ehrliche, schlichte Weise seines Untertans, so daß er ihn zur Tafel -lud. Einen hoffähigen Anzug führte Bismarck freilich nicht auf seiner -Hochzeitsreise mit, und er hatte Not, in Venedig etwas Passendes zu -erhalten, aber das Herz, das unter dem geliehenen Gewande schlug, war -und blieb die Hauptsache. - -Begeistert für seinen König noch mehr als zuvor, setzte Bismarck mit -seiner jungen Gattin seine Reise fort, und erst der Herbst lockte ihn -wieder nach der Heimat, in das trauliche Nest, in dem er sein Vöglein -betten wollte. - -Die Altmark zeigte dem Heimkehrenden kein besonders freundliches -Gesicht. Die Ernte war längst vorüber; kahl standen die Felder, durch -die Kiefernbestände fauchte der Herbstwind, und durch den sinkenden -Abend fuhr das Paar dem alten Herrensitze an der Elbe entgegen. - -Sie hofften überraschend zu kommen, aber der Tag ihrer Ankunft war doch -kein Geheimnis geblieben. Über den alten, rauschenden Linden hin zog -sich ein grüßender Lichtschimmer, und als der Wagen hielt, da strahlte -es von hundert Lichtern und Fackeln, und ihr Schein vergoldete das -alte Bismarckwappen über dem Portal, die grünen Kränze und Girlanden, -die es reich umschlangen, und die glücklichen Gesichter einer lebendig -bewegten Volksmenge, welche erschienen war, des Hauses junge Herrin -festlich zu begrüßen. - -Jubelnder Zuruf klang dem Paare entgegen, höher loderten die Fackeln -und Lichter, so daß ein rötlicher Schimmer über dem ganzen Bilde -lag und gegen den Himmel stieg. Noch wogte die Lust und Freude, als -Räderrasseln erklang und eine Spritze aus dem nahen Dorfe angefahren -kam, deren Bemannung, getäuscht durch den Lichtschein, jetzt erkannte, -daß es hier nichts Ernstliches zu löschen gab. - -Nun konnte der Winter kommen; das freundliche Herrenschloß hatte -seinen Sonnenschein alle Tage, und der wackere Deichhauptmann fand, -wenn nach des Tages Mühen Frau Johanna im traulichen Gemache sich -an den Flügel setzte und den Zauber der Töne mit ihren gewandten -Fingern heraufbeschwor, daß es kein Glück gebe, dem einer anmutigen -Häuslichkeit vergleichbar. - - - - -Fünftes Kapitel. - -In gärender Zeit. - - -Das Sturmjahr 1848 war über Deutschland hingebraust. Die Vertreibung -des französischen Königs durch sein Volk hatte auch hier die Geister -entfesselt, und ein ungestümer Freiheitsdrang regte sich überall. -Volksaufstände fanden da und dort statt, und während die Sehnsucht -der Besseren nach nationaler Einigung Deutschlands und nach einem -freieren Verfassungsleben hindrängte, verlangten die ungebildeten -Bevölkerungsschichten sowie fanatische Hitzköpfe überhaupt den Umsturz -alles Bestehenden, Republiken und Freiheit und Gleichheit aller Stände. - -Alles war aus Rand und Band, und bis in die kleinsten Orte hinein -zitterte die Aufregung, und feindliche Parteien standen einander -gegenüber. Die Erbitterung derselben steigerte sich noch mehr, sobald -es sich um politische Wahlen in den Landtag handelte. Demokratisch und -königstreu waren die Schlagworte, um welche sich alles drehte. - -Das konnte man an einem Frühlingstage des Jahres 1849 auch in -der märkischen Stadt Rathenow sehen. In den Gassen war eine -außergewöhnliche Bewegung, mehr noch aber war dies der Fall in einem -der bekanntesten Gasthäuser des Ortes, in dessen Saale Otto von -Bismarck in einer von den Königstreuen einberufenen Versammlung seine -Kandidatenrede halten wollte. - -In der Gaststube im Erdgeschoß platzten die Geister bereits lebhaft -aufeinander. - -»Er ist ein Junker, ein Streber, und einen solchen können wir nicht -in der Kammer brauchen!« rief ein Mann im Schurzfell, und ein anderer -erwiderte: - -»Aber er weiß, was er will, und das wißt ihr Demokraten allesamt nicht! -Und er ist ein charakterfester Mann, und solche Leute brauchen wir -heutzutage.« - -»Ach was, er schreibt Briefe an den König und läßt sich von ihm -einladen, sperenzelt um ihn herum in Berlin und Sanssouci.« - -»Schämt Euch, Krämer« – schrie jetzt der Schornsteinfegermeister Wolf -– »daß Ihr die Tatsachen so entstellt. Ihr wißt so gut wie wir, was es -mit alledem für eine Bewandtnis hat. Den Brief hat er geschrieben, wie -in Berlin alles aus Rand und Band war, und wie die Umstürzler unseren -König so schwer beschimpft haben, und er hat darin nichts anderes -gesagt, als was jeder ehrliche, brave Preuße damals gesagt hat. Daß -das dem hohen Herrn wohltat und daß er nicht nur den Brief wochenlang -auf seinem Schreibtische liegen ließ, sondern auch den Schreiber zu -sich rief und um seinen Rat anging, ist doch nichts, was dem Herrn von -Bismarck zum Vorwurf gereichen kann.« - -»Na, er hat in solchen Unterhaltungen wohl nicht fürs Volk geredet, -sondern sein Schäflein geschoren!« rief es wieder von einer Seite, -und unter Beifallsgebrüll nahm ein junger Mensch das Wort, ein -herumziehender Agitator, von dem eigentlich niemand wußte, wer und was -er war: - -»Wie gut es euer Bismarck mit dem Volke meint, hat er selber klar -ausgesprochen. Alle großen Städte müßten vom Erdboden vertilgt werden, -das ist sein Wort, und warum: Weil dort allein das Volk stark genug -ist, seinen Willen durchzusetzen und seine Freiheit zu erzwingen, wie’s -in Berlin geschehen ist. Und was er dem König für Ratschläge gegeben -hat, das wissen wir ganz genau. Friedrich Wilhelm IV. war immer zu -Nachgiebigkeit geneigt, aber Bismarck war wie der Böse dahinterher -und suchte ihn zu reizen, durch Gewalt und mit Blut die heilige -Erhebung des Volkes niederzuschlagen. In Potsdam hat er das sogar in so -entschiedener Weise getan, daß die Königin hinzutretend gesagt haben -soll: »Wie können Sie in solchen Ausdrücken mit Ihrem König reden?« – -Das ist euer Bismarck, dem nichts hart genug ist, wenn dem Volke das -Fell über die Ohren gezogen werden soll, und der unsere neue Freiheit -in unserem Blute ersticken will. Fort mit Bismarck!« - -Und »Fort mit Bismarck!« scholl es jetzt vielstimmig, nur der -Schornsteinfeger ließ sich nicht einschüchtern: - -»Das ist leeres Geschwätz von einem hergelaufenen Manne. Freiheit von -eurer Sorte wünschen wir gar nicht, und uns ist Herr von Bismarck -gerade so recht, wie er ist. Dem wühlenden Demagogentum, das den -ehrlichen Bürgerstand beunruhigt und ruiniert, müssen die Zähne gezeigt -werden. Wir wollen auch Freiheit, aber ohne den Umsturz von alledem, -was uns von unseren Altvorderen heilig gewesen ist.« - -Schreien und Johlen unterbrach den Sprecher, um den sich seine -Parteigenossen drängten, denn die Gemüter wurden immer erhitzter, der -aber rief mit lauter Stimme: - -»Das ist wohl eure Freiheit, daß ihr jeden niederbrüllt, der eine -andere Meinung hat als ihr? – Gerade so haben sie’s dem Herrn von -Bismarck gemacht, als er 1847 seine Jungfernrede im Landtage hielt. -Aber er hatte gezeigt, daß er Mut und Kaltblütigkeit hat. Er las, -während sie lärmten, seine Zeitung, und als sie aufhörten, nahm er sein -Wort wieder auf. Das hat mir gefallen, und darum bleibt er mein Mann!« - -Der brave Meister war in dem Lärm und Getöse wenig verständlich mehr -gewesen, nun trank er ruhig seinen Schoppen aus, und forderte seine -Parteigenossen auf, mit ihm zu gehen. Unter dem lauten Geschrei und -Hohngelächter der Gegner gingen die Männer hinaus und nach dem Saale, -welcher schon völlig angefüllt war mit Menschen, die den königstreuen -Kandidaten sehen und hören wollten. - -Otto von Bismarck war eben eingetroffen. Die im Erdgeschoß hatten ihn -in ihrer Erregung nicht kommen sehen, zumal er nicht, wie man erwartet -hatte, im Wagen vorfuhr. Er stand bereits auf der Tribüne, als der -Schornsteinfegermeister mit seinen Gefährten eintrat. Die kraftvolle -Gestalt war hoch aufgerichtet, aus dem vom Vollbart umrahmten frischen -und energischen Antlitz blitzten hell und falkenklar die Augen, und die -Stimme klang hell, vernehmlich, ja mitunter scharf. - -Er verurteilte rückhaltlos die Vorgänge, welche in der revolutionären -Bewegung in Berlin zur Demütigung des Königtums geführt hatten, und -entwickelte seinen Standpunkt, wie er ihn wiederholt furchtlos und -entschieden im Abgeordnetenhause betont hatte: - -»Der Prinzipienstreit, welcher in diesem Jahre Europa in seinen -Grundfesten erschüttert hat, ist ein solcher, der sich nicht vermitteln -läßt. Die Prinzipien beruhen auf entgegengesetzten Grundlagen, die -von Haus aus einander ausschließen. Das eine zieht seine Rechtsquelle -angeblich aus dem Volkswillen, in Wahrheit aber aus dem Faustrecht -der Barrikaden. Das andere gründet sich auf eine von Gott eingesetzte -Obrigkeit, auf eine Obrigkeit von Gottes Gnaden, und führt seine -Entwicklung in der organischen Anknüpfung an den verfassungsmäßig -bestehenden Rechtszustand. Dem einen dieser Prinzipien sind Aufrührer -jeder Art heldenmütige Vorkämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht, -dem anderen sind sie Rebellen. Über diese Prinzipien wird nicht durch -parlamentarische Debatten eine Entscheidung erfolgen können; über kurz -oder lang muß der Gott, der die Schlachten lenkt, die eisernen Würfel -der Entscheidung darüber werfen. Ich aber werde leben und sterben für -den Grundsatz der Treue zu König und Vaterland, und muß es nun Ihnen -überlassen, ob Sie mich für den rechten Mann halten, Ihre Anschauungen -zu vertreten.« - -Im Saale klang lauter Beifall, der bis auf die Gasse hinausdrang. -Dort aber fand er keinen Widerhall. Der junge demokratische Agitator -hatte in der Wirtsstube auch das Eisen in seinem Sinne geschmiedet, -und die Bewegung war bis auf die Straße hinaus gedrungen. Der -Schornsteinfegermeister Wolf, der nahe an dem Fenster des Saales stand, -blickte hinunter und sah die vielköpfige erregte Menge, die mit heißen -Gesichtern, glühenden Augen und geballten Fäusten sich hier drängte. - -Da aber jetzt Bismarck den Saal verlassen wollte, suchte der wackere -Mann eilig zu ihm heranzukommen und sagte: - -»Herr von Bismarck, gehen Sie jetzt nicht hinaus, sie wollen Ihnen an -den Leib.« - -Der Angeredete hob seine mächtige Gestalt höher, ein beinahe -spöttisches Lächeln umflog den Mund, und die Augen schauten furchtlos -und ruhig drein, als er erwiderte: - -»Ach, glauben Sie doch den Bläffern nicht!« - -Ohne weiter sich aufzuhalten, trat er auf den Vorsaal und ging die -Treppe hinab. Im Hausflur bereits stand eine johlende Menge. Geschrei, -Zischen, niedrige Schimpfworte flogen ihm entgegen, und einige geballte -Fäuste hoben sich wider ihn. - -»Rebellen hat er uns genannt – totschießen will er uns lassen – fort -mit dem Junkerregiment!« so schrie es ihm auch von der Gasse entgegen, -aber mit festem Blick schaute er über die Menge hin, und während -Meister Wolf und der Stadtschreiber Noack ihn in die Mitte nahmen, -schritt er hochaufgerichtet, mit ruhiger Sicherheit durch das Volk, das -ihm eine Gasse machte und dem kühnen Recken nicht den Weg zu verlegen -wagte. - -So kam er nach dem Gasthause, wo sein Wagen stand. Die aufgeregten und -von dem unreifen Hetzer aufgereizten Leute waren ihm auch bis hierher -gefolgt und schienen seine Abfahrt hindern zu wollen. Die Lage war -äußerst unbehaglich, und als er aus dem Hause trat, gelang es ihm nur -mit Mühe, an das Gefährt heranzukommen und dasselbe zu besteigen. - -Wilder und ungestümer aber brach jetzt das Geschrei und Pfeifen los, -und aus der gedrängten Schar sausten Steine nach dem kühnen Manne. -Einer derselben traf wuchtig seinen linken Arm und fiel in den Wagen. -Einen Augenblick übermannte ihn jetzt Zorn und Schmerz: er ergriff den -Stein und sprang von seinem Sitz empor mit flammenden Augen, und wie -er so den Arm erhob zum Wurfe, da drängte das feige Gesindel zurück -vor der imponierenden Erscheinung. Das gab ihm seine Ruhe wieder. Es -schien ihm unwürdig, hier Gleiches mit Gleichem zu vergelten, mit einer -verächtlichen Gebärde warf er seinen Angreifern den Stein vor die -Füße, legte sich in den Sitz zurück, rief dem Kutscher zu: »Vorwärts!« -und gleich darauf zogen die bereits unruhigen Tiere an, und durch die -zu beiden Seiten zurückweichende Menge fuhr der Wagen rasch dahin durch -die Gasse. - -Die Rathenower wählten aber doch Bismarck wiederum zu ihrem -Abgeordneten, und so reiste er, nachdem er zuvor in seiner freundlichen -Häuslichkeit zu Schönhausen gewesen, neuerdings nach Berlin, um den -übernommenen Pflichten zu genügen. - -Im Eisenbahnkupee saß er mit einem alten Herrn, einem ehemaligen -Offizier, beisammen und unterhielt sich mit diesem über die politische -Lage. Da stieg in einer Zwischenstation ein junges Herrchen ein, -der sein Gepäck – allem Anschein nach einen Musterkoffer – ziemlich -herausfordernd auf den Sitz legte, sich dann in eine Ecke lehnte und -nun mit überlegen spöttischem Blicke die beiden Herren betrachtete, -welche sich in ihrem ruhigen Gespräche nicht stören ließen. - -Der alte Offizier hatte eben sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß -bei den Berliner Straßenunruhen der König das Militär zurückgezogen und -sich in die Hand des Volkes gegeben hatte, da warf der junge Mann eine -höhnische Bemerkung dazwischen: - -»Ja, die Volkssouveränität paßt manchem nicht in den Kram, glaub’s -wohl, aber gottlob, mit Säbelrasseln und feudalen Phrasen wird die neue -Zeit nicht aufgehalten. Es geht ein scharfer Wind für die Junker, und -er wird manche alten Vorrechte wegblasen. Ja, Freiheit und Gleichheit! -Freiheit und Gleichheit!« - -Bismarck sah den Menschen mit einem durchdringenden Blicke an, ohne ihn -eines Wortes zu würdigen, jener aber perorierte, unbekümmert um die -beiden anderen, in seiner geschwätzigen Art weiter. Seine Ansichten -waren so unreif, daß der alte Offizier, obwohl gerade er sich vielfach -hätte verletzt fühlen dürfen, es doch nicht der Mühe wert hielt, mit -dem kecken Angreifer anzubinden, der dadurch nur immer mehr ermutigt zu -werden schien. Bismarck aber hatte ihn immer wieder einmal mit seinen -scharfen Augen gemessen und dann sein Gespräch mit seinem Gegenüber -fortgesetzt, als ob der vorlaute Musterreiter Luft wäre. - -Nun hielt der Zug auf dem Bahnhofe in Berlin. Der Reisende war -ausgestiegen, und nachdem Bismarck sich rasch von dem Offizier -verabschiedet, verließ auch er das Kupee. Mit einigen weitausgreifenden -Schritten stand er vor dem jungen Manne, seine mächtige Gestalt hoch -aufrichtend und die blitzenden Augen ihm in das Gesicht bohrend, so -daß derselbe beinahe scheu zurückwich. Wiederum machte Bismarck einen -Schritt auf ihn zu, mit seinen mächtigen Blicken ihn bannend, so daß -der andere abermals zurücktrat. Der unerbittliche Verfolger aber -heftete sich an seinen Fuß und drängte ihn so vor sich her, bis der -geängstigte Reisende beinahe an die Wand gedrückt war. - -»Wie heißen Sie denn?« fragte der Verfolger kalt und fest, und der -andere stotterte in Befangenheit und Ängstlichkeit: - -»Ich – ich heiße Nelke!« - -»Dann hüten Sie sich, Sie Nelke, wenn Sie nicht von mir gepflückt -werden wollen!« - -Noch einmal sah Bismarck dem zerknirschten Schwätzer in das blasse -Gesicht, dann wendete er sich langsam ab und schritt ruhig den Perron -entlang. - -Berlin selbst wollte ihm jetzt gar nicht gefallen. Die neue Zeit -rumorte hier zu sehr in allen Köpfen, und ihre Zeichen machten sich auf -Schritt und Tritt bemerkbar. Selbst der Drang nach einer nationalen -Einheit, welcher die besten deutschen Herzen erfüllte, hatte für -Bismarck etwas beinahe Unheimliches, weil daneben auch jener unklare -Freiheitsdrang sich breitmachte, der am liebsten Thron und Krone -hinweggefegt hätte und aus Deutschland eine Republik machen wollte. - -Diese Bestrebungen traten deutlich genug hervor bei der seit dem 18. -Mai 1848 in Frankfurt a. M. tagenden deutschen Nationalversammlung, -welcher Männer aus ganz Deutschland angehörten, welche den Bundestag -beseitigte, einen Reichsverweser in der Person des Erzherzogs Johann -von Österreich wählte und nun die »Grundrechte des deutschen Volkes« -und eine »Verfassung für Gesamtdeutschland« beriet. Da platzten die -Geister oft stürmisch aufeinander, und selbst die vielen vortrefflichen -Männer, die, erfüllt von wahrer Begeisterung für das Wohl des deutschen -Volkes, ihre beste Kraft und Überzeugung einsetzten, konnten nicht -immer den revolutionären Demokraten, welchen die Freiheit über die -Einheit ging, einen Damm setzen, und es kam in Frankfurt selbst unter -den Augen der Nationalversammlung zu den rohesten Ausschreitungen des -fanatischen Pöbels. - -Endlich war man aber doch einig geworden, daß fortan ein erblicher -Kaiser an der Spitze Deutschlands stehen solle, und als solcher war am -28. März 1849 mit geringer Stimmenmehrheit König Friedrich Wilhelm IV. -von Preußen gewählt worden. - -Der zweite April fand Berlin in einer ganz besonderen Erregung. -Die Abgesandten der Frankfurter Nationalversammlung trafen ein, -um dem König die Kaiserkrone anzubieten. In den Straßen war ein -fröhliches Wogen und Treiben, die hochgehende Begeisterung jauchzte -den einziehenden Abgeordneten zu, und der Traum der deutschen Einheit -schien sich verwirklichen zu sollen. - -Um so größer war die Enttäuschung, als schon am nächsten Tage die -Nachricht von Mund zu Munde ging, der König habe die Deputation -im Rittersaale des Schlosses feierlich empfangen, aber sich nicht -entschließen können, die ihm gebotene Krone aus den Händen des Volkes -anzunehmen. - -Wie ein Mehltau fiel es auf die Hoffnungen und Erwartungen der Besten, -und als die Kunde nach Frankfurt kam, wirkte sie hier so niederdrückend -auf alle Gutgesinnten, daß die radikalen Stürmer und Dränger wieder die -Oberhand gewannen und infolgedessen da und dort wieder revolutionäre -Erhebungen stattfanden, und daß sich endlich das Parlament auflöste, -beziehentlich der nach Württemberg übergesiedelte Rest desselben, das -sogenannte »Rumpfparlament«, gewaltsam aufgelöst wurde. - -In Berlin gingen nach der Ablehnung der Kaiserkrone die Wogen der -Bewegung noch immer hoch, und der Landtag beriet am 20. April über -die Frankfurter Reichsverfassung und über Schritte, um den König noch -nachträglich zur Annahme der Kaiserwürde zu bewegen. - -Bismarck gehörte zu jenen, welche sich nicht überzeugen konnten, daß -auf den damaligen Grundlagen eine wirkliche Einigung Deutschlands -erreicht werden könne, und daß die Eifersucht Österreichs und anderer -deutscher Staaten an der leitenden Stellung Preußens fortwährend -rütteln würde, so daß es ihm richtiger schien, daß dieses für -sich selbst auf starke Füße gestellt werde und nicht seine Kraft -unfruchtbaren Bestrebungen opfere. - -So trat er auch im Abgeordnetenhause unerschrocken für diese -Überzeugung ein. Am 20. April stand er auf der Tribüne und erklärte: - -»Ich habe als Abgeordneter die Ehre, die Kur- und Hauptstadt -Brandenburg zu vertreten, welche dieser Provinz, der Grundlage und -Wiege der preußischen Monarchie, den Namen gegeben hat, und ich fühle -mich deshalb um so stärker verpflichtet, mich der Diskussion eines -Antrages zu widersetzen, welcher darauf ausgeht, das Staatsgebäude, -welches Jahrhunderte des Ruhmes und der Vaterlandsliebe errichtet -haben, welches von Grund aus mit dem Blute unserer Väter gestiftet -ist, zu untergraben und einstürzen zu lassen. Die Frankfurter Krone -mag sehr glänzend sein, aber das Gold, welches dem Glanze Wahrheit -verleiht, soll erst durch das Einschmelzen der preußischen Krone -gewonnen werden, und ich habe kein Vertrauen, daß der Umguß mit der -Form dieser Verfassung gelingen werde.« - -Noch energischer äußerte er sich in diesem Sinne am sechsten September. -Inzwischen hatte aber Preußen einen anderen Einigungsversuch gemacht -und mit Sachsen und Hannover das »Dreikönigbündnis« geschlossen, dem -sich eine Anzahl anderer deutschen Staaten anschloß. Aber Österreichs -Einfluß wußte die beiden Königreiche wieder von Preußen zu trennen, -welches nun mit den übriggebliebenen Bundesstaaten die sogenannte -»Union« bildete und, um derselben eine einheitliche Verfassung zu -geben, ein Parlament nach Erfurt einzuberufen beschloß. - -In dieser Zeit saß Bismarck eines Abends in seiner Wohnung, -Dorotheenstraße 37, mit einigen politischen Freunden beisammen. -Das Heim war schlicht, aber gemütlich; die Lampe warf ihren milden -Schein über den breiten Tisch und auf die geistvollen Gesichter, um -die behaglicher, blauer Tabaksdampf sich wölkte, und in den Gläsern -schäumte der braune Gerstensaft. Der Hausherr saugte an »dem geliebten -Rohre«, aber dazwischen wetterleuchtete es aus seinen Augen, und seine -Hand legte sich manchmal geballt auf den Tisch, da er sagte: - -»Laßt sie doch uns »Stockpreußen« schelten, ’s ist kein schlechter -Titel, und ich kann nur wiederholen, was ich in der Kammer gesagt habe: -Das Stockpreußentum, wie es vor allem in der Armee vorhanden ist, ist -unsere Stütze. Und so gut unsere Soldaten unter der schwarzweißen Fahne -bisher sich ehrenhaft geschlagen und wohlbefunden haben, so gelüstet es -weder sie noch uns, für das erprobte alte Banner ein neues dreifarbiges -einzutauschen, dessen Dauerhaftigkeit unter den jetzigen Verhältnissen -sehr zu bezweifeln ist. Wir wollen einmal dem preußischen Adler nicht -die Flügel stutzen lassen durch die gleichmachende Heckenschere aus -Frankfurt.« - -»Und was versprichst du dir eigentlich von der Union?« fragte einer der -Gäste. - -»So gut wie nichts, sie wird an der Eifersucht Österreichs, dem wir -zunächst noch nicht die Zähne zu zeigen uns getrauen, zugrunde gehen. -Das Erfurter Parlament verläuft im Sande, verlaßt euch darauf!« - -»So hast du wohl gar keine Neigung, dich hineinwählen zu lassen?« - -»Neigung? – Nein! Aber wenn ich gewählt werde, werde ich gehen, um auch -dort Preußens Rechte zu vertreten. – Aber nun, Freunde – politisch -Lied, ein garstig Lied! Laßt uns etwas anderes reden. Wißt ihr auch, -daß ich unter die Poeten gegangen bin?« - -Ein allgemeines »Ah!« dann wurde eine Stimme laut, – es war die -_Savignys_ – welche Proben verlangte. - -»Eine Probe soll euch werden, aber ich bitte um nachsichtige -Beurteilung, damit ich mit meinem ~gradus ad parnassum~ nicht -eingeschüchtert werde. Zuerst aber sollt ihr sehen, was mich begeistert -hat, und ich hoffe auf eure Anerkennung.« - -Er holte aus einem Schranke eine ziemlich umfangreiche braunfarbige -Kaffeetasse und stellte sie vor die Freunde hin. - -»Na, ist das nicht ein stattliches Objekt für eine Poetenleier?« - -»Aber nun auch die Verse dazu!« rief _André_. - -»Eins nach dem anderen. Zunächst müßt ihr wissen, daß dieser praktische -Haushaltungsgegenstand zu einem Geburtstagsgeschenk bestimmt ist für -unseren hagestolzen alten Freund Kleist-Retzow. Und nun das Poem!« - -Er las, behaglich sich in seinem Sitze zurücklehnend, mit komischem -Pathos: - - »Nicht ganz so schwarz wie Ebenholz, - Doch braun wie Mahagonig, - Wünsch’ ich dir, aller Pommern Stolz, - Ein Leben süß wie Honig. - Wenn Wenzel[1] dich gelangweilt hat, - Schwerin[1] den Zorn erregt in dir, - Wenn übel dir vom Beckerrath,[1] - Dann, Hans, erhole dich bei mir! - - Wenn dann der Kaffee dir behagt - Und du, um streng dich zu kastei’n, - Die zweite Tasse dir versagt, - Dann, Hans, laß mich die erste sein! - Und schein’ ich dir zu groß und weit - Für ein so kleines Landrätlein, - So denk: Es ist die höchste Zeit, - Dir eine Gattin anzufrei’n. - - Ihr trinkt aus mir dann alle beide - Kaffee, Schok’lade oder Thee - Zu Tante Adelgundens Freude - Zu Kiekow auf dem Kanapee. - Geliebter Onkel Schievelbein, - Schaff’ bald uns eine Tante, - Dann wirst du alles hocherfreu’n, - Was jemals Hans dich nannte.« - - [1] Namen von Abgeordneten. - -Fröhliches Lachen lohnte den Vortrag, und die Geister des Humors -begannen in dem gemütlichen Raume jetzt ihre Flügel freier zu regen. - -Noch im selben Winter kam ein Weihnachtskind in der Dorotheenstraße 37 -an, ein kleiner Junker von Bismarck, der am 28. Dezember erschien und -am 12. Februar 1850 durch den Prediger Gaßner auf die Namen Nikolaus -Heinrich Ferdinand _Herbert_ getauft wurde. Die Freude war groß, da es -jetzt ein mit dem am 21. August 1848 geborenen Töchterchen _Marie_ ein -prächtiges Pärchen gab, an dessen frischem Gedeihen und munterem Wesen -die Eltern ihre herzliche Freude hatten. - -Bei solchem Familienglück war es Bismarck nicht besonders erfreulich, -im kommenden Frühjahr nach Erfurt zu gehen, wohin er wirklich in das -Unions-Parlament gewählt war. Auch hier vertrat er seinen absolut -preußischen Standpunkt und war froh, als der Reichstag am 29. April -geschlossen wurde, nachdem allerdings die vorgelegte Verfassung Annahme -gefunden hatte. - -Aber nun erhob sich drohend die österreichische Regierung, verlangte -entschieden die Herstellung des alten deutschen Bundestags, auf welchem -sie den ersten Rang einnahm, und lud sämtliche deutsche Fürsten -zur Beschickung desselben ein. Deutschland stand in zwei starken -Parteien sich gegenüber, die Erregung stieg auf beiden Seiten so weit, -daß in Kurhessen, wo das Volk sich gegen den Druck des Ministers -Hassenpflug auf das entschiedenste wehrte, es zwischen ihnen beinahe -zu einem blutigen Zusammenstoß gekommen wäre. Friedrich Wilhelm IV., -eingeschüchtert durch das Dazwischentreten und die Drohungen des -russischen Kaisers Nikolaus, fürchtete jedoch einen entscheidenden -Schritt und gab in der Angelegenheit nach. Es kam der Tag von Olmütz -(29. November 1850), der in der preußischen Geschichte kein Ruhmesblatt -bedeutet, an welchem der Minister von Manteuffel dem österreichischen -Minister Schwarzenberg gegenüber die Auflösung der »Union« und die -Beteiligung Preußens an dem wiederhergestellten Bundestage zugestand -nebst einigem anderen, was drum- und dranhing. - -Inzwischen hatte Bismarck im Sommer sein liebes, stilles Schönhausen -aufgesucht und mit Frau Johanna und seinem kleinen munteren -Pärchen sich der Ruhe und Muße hingegeben, welche ihm nach den -parlamentarischen Kämpfen ungemein wohltat. - -Aber die Idylle fand eine kleine Unterbrechung. - -Ein andauerndes Unwohlsein des Töchterchens machte einen Aufenthalt an -der See notwendig, und so ungern Bismarck sich aus dem Behagen seines -Landsitzes herausriß, der Rat des Arztes, das zärtliche Drängen seiner -Gemahlin bewogen ihn zuletzt doch, auf einige Wochen nach Stolpmünde zu -gehen. - -Dann kamen wieder der Berliner Ärger und die Kammerverhandlungen den -Winter durch bis hinein in das Jahr 1851. - -Um die Osterzeit desselben brach er aber auf aus der Residenz, um auf -einige Wochen zu seinen Schwiegereltern zu gehen nach Reinfeld in -Pommern. Die behagliche stille Häuslichkeit hier tat ihm wohl. Herr -von Puttkamer mit dem Samtkäppchen auf dem greisen Haupte waltete hier -wie ein guter Patriarch in Ehrbarkeit und Frömmigkeit, und von ihm und -seiner trefflichen Frau ging es wie ein stiller Segen aus durch das -ganze Haus. Das war ein Ort, so recht zu kurzdauernder Erholung, aber -Bismarck sollte auch hier nicht finden, was er suchte. - -Eines Tages saß er mit seinem Schwiegervater beisammen und sprach von -der Wirtschaft und den Pferden und Hunden, als die Post gebracht wurde. -Ein Schreiben mit dem Siegel des Ministerpräsidenten von Manteuffel -fiel ihm in die Hand, und er betrachtete es einige Sekunden mit beinahe -bedenklichen Blicken. Dann öffnete er es, las flüchtig, lehnte sich mit -einem tiefen Atemzuge in seinen Sitz, und seine Hand mit dem Briefe -sank schwer auf den Tisch. - -»Nach Frankfurt soll ich zum Bundestage als preußischer Gesandter, – -der Minister fragt, ob ich will.« - -Herr von Puttkamer neigte sich in Erregung gegen ihn vor. - -»Ja, besorgt das nicht der General von Rochow? Was bedeutet das?« - -»Rochow soll, wie ich schon früher munkeln hörte, als Gesandter nach -Petersburg zurückgehen. – Aber das kommt mir so unerwartet, daß mir’s -doch ein wenig in die Glieder schlägt. Das ist weder ein besonders -angenehmer, noch besonders leichter Posten.« - -»Nein, gewiß nicht,« sagte der alte Herr, »da wird einer gebraucht, -der diplomatisches Geschick und Festigkeit zugleich hat, um mit den -Beziehungen zwischen Österreich und Preußen fertig zu werden, ohne daß -auf der einen Seite gereizt, auf der anderen etwas vergeben wird. Der -Antrag will recht wohl erwogen sein!« - -»Klar genug sehe ich die Verhältnisse,« sprach Bismarck lebhaft, -– »Österreich hat es darauf abgesehen, Preußen kleinzukriegen und -womöglich wegzuwischen aus der Reihe der maßgebenden Mächte. Da -heißt’s die Augen offen und den Nacken steif halten. Die Sache wird -mir verlockend. Wenn mein König dafür hält, daß ich für den Posten -brauchbar bin, werde ich ihm meine schwache Kraft nicht versagen.« - -»Aber Otto, fehlt dir gerade für diese Stellung – du hast gewiegte -Staatsmänner dort – nicht die nötige diplomatische Erfahrung?« - -»Erfahrungen müssen _gemacht_ werden. Papa – und übertölpeln lasse ich -mich doch nicht so leicht. Mit Patriotismus und Energie und mit etwas -natürlicher Klugheit läßt sich schon etwas wagen. Zudem weißt du ja, -daß schwierige Aufgaben und harte Nüsse meine Spezialität sind. Das -habe ich auch einmal einem gewissen Herrn von Puttkamer bewiesen, der -mir seine Tochter nicht zur Frau geben wollte.« - -Der alte Herr lächelte: - -»Na ja, einen festen Kopf hast du, und er sitzt auch, wie das Herz, auf -dem rechten Flecke. Tue, was du für recht hältst, und wozu dich dein -Empfinden als Mann und Untertan treibt.« - -Und so schrieb Bismarck an den Minister von Manteuffel, daß er nach -Potsdam kommen und sich Seiner Majestät allergehorsamst zur Verfügung -stellen werde. - -In dem Lustschlosse des großen Friedrich, dem herrlichen, grünumlaubten -Sanssouci, stellte er sich dem König vor. Friedrich Wilhelm IV. -betrachtete mit Wohlgefallen den prächtigen, hochgewachsenen Mann -mit den hellen, treuen Augen, den er schon lange um seiner ehrlichen -Geradheit und um seiner altpreußischen Gesinnung hochschätzte, und -sagte: - -»Lieber Bismarck, Sie wissen, um was es sich handelt, und ich höre zu -meiner Freude von dem Minister von Manteuffel, daß Sie nicht abgeneigt -sind, Preußen in Frankfurt zu vertreten.« - -Einfach und schlicht erwiderte der Angeredete: - -»Wenn Eure Majestät es mit mir versuchen wollen, so bin ich bereit -dazu.« - -Wieder sah Friedrich Wilhelm den Mann groß und beinahe mit Verwunderung -an. - -»Aber Frankfurt ist ein schlechter Boden; und es läßt sich nicht -hehlen, daß gerade Preußen darauf nicht den besten Stand hat; ich -bewundere eigentlich Ihren Mut.« - -Da erwiderte Bismarck: - -»Eure Majestät bekunden durch meine Ernennung einen noch größeren Mut. -Wenn Allerhöchstdieselben mich zu dem Amte zu berufen geruhen, so hoffe -ich, daß mir Gott die Kraft geben wird, es auszufüllen. Eure Majestät -können es ja mit mir versuchen; geht es nicht, so ist’s ja leicht, mich -wieder nach Hause zu rufen.« - -Das klang so fest und doch so schlicht und gerade, daß der König -beinahe ergriffen von der Antwort war und erwiderte: - -»Dann versuchen Sie es mit Gott!« - - - - -Sechstes Kapitel. - -Der Bundestagsgesandte. - - -Im alten Frankfurt a. M. liegt in der Bockenheimer Landstraße eine -freundliche Villa; inmitten grüner Gartenanlagen erhebt sich der -geschmackvolle Bau, in welchem auch der Reichsverweser Erzherzog -Johann von Österreich gewohnt hatte. Im Sommer des Jahres 1851 hatte -hier der preußische Bundestagsgesandte Otto von Bismarck seinen Sitz -aufgeschlagen und sein ganzes Familienglück mit hereingebracht in das -freundliche Haus. - -Die Sonne blinkte noch in die Tautropfen im Grase, und eine wohlige -Kühle wehte von Baum und Strauch her, als er, von einem Morgenritte -heimgekehrt, durch den Garten schritt, um einen lieben Besuch -aufzufinden, den ihm das Geschick gestern in sein Haus geweht, und der -nach Aussage des Dieners auch bereits im Freien war. Auf einem sonnigen -Plätzchen traf er ihn und grüßte ihn mit Herzlichkeit. - -»Guten Morgen, lieber Motley, Sie sind also auch ein Frühaufsteher!« - -»Die Sonne und die Vögel locken, und hier läßt sich so gut träumen.« - -»Wovon träumen Sie denn, wenn’s erlaubt ist zu fragen?« - -Damit setzte sich Bismarck neben den Engländer, und dieser erwiderte -lächelnd: - -»Ich habe die Vergangenheit ein wenig Revue passieren lassen. Da -tauchten mir die Göttinger Tage wieder auf, die wir zusammen verlebten, -und ich sah Sie wieder als den flotten Burschen, der in der Kneipe -und auf dem Paukboden mehr zu finden war als in den Kollegien, und -dann dachte ich wieder an unsere Berliner Zeit, an die Stunden, da -Kaiserlingk uns Beethovensche Sonaten spielte, und nun finde ich -Sie in glücklichster Häuslichkeit und zugleich als hervorragenden -Diplomaten. Verwunderlich ist mir’s just nicht, denn daß Sie aus dem -Holze geschnitzt sind, aus welchem man Männer macht, die schlechthin -alles fertigbringen, was sie wollen, ist mir schon in früherer Zeit -klargeworden, und Frankfurt ist wohl auch der Boden, wo Sie Gelegenheit -haben, Kräfte zu zeigen.« - -»Sauer gemacht wird einem mitunter das Leben, aber unterkriegen -sollen sie mich nicht so leicht. Sie wissen ja, wie die Dinge liegen. -Österreich spielt hier die erste Geige, und die anderen hören in -stummer Bewunderung zu und klatschen Beifall. Das ist nun meine Sache -nicht, besonders wenn meine eigene Fiedel auf einen anderen Ton, -auf den preußischen, gestimmt ist. Sie glauben gar nicht, welche -Demütigungen man mitunter Preußen zumutet, oft bis ins Kleinliche -hinein. Aber ich werde dem einen Damm stecken.« - -»Woran liegt das aber?« - -Bismarck zuckte die Achseln. - -»Von Wien weht keine gute Luft her. Der Minister Schwarzenberg hat -rundheraus erklärt, daß er Preußen erst erniedrigen und dann vernichten -will. Und der Bundestagspräsident, Graf Thun, im ganzen ein recht -genießbarer Herr, muß diesen völkerfreundlichen Absichten Rechenschaft -tragen. Da lobe ich mir noch den alten Fürsten Metternich, den -ehemaligen berühmten österreichischen Staatslenker, welchen ich jüngst -auf seinem Schloß Johannisberg am Rhein besuchte, der war doch nicht -gar so preußenfeindlich.« - -»Von diesem Besuche habe ich gehört, und der alte Herr, dem sonst -nicht jeder paßt, soll ganz entzückt von Ihnen gewesen sein.« - -»Ja, das ist einfach zu erklären: Ich habe seine Geschichten ruhig -angehört und nur manchmal die Glocke angezogen, daß sie weiterklang. -Das hat dem redseligen alten Herrn gefallen. Na, ich denke auch -Schwarzenberg mit der Zeit noch einige Achtung abzunötigen. Den -Anfang habe ich schon mit dem und jenem gemacht. Da hatte Österreich -einen Ausschuß – natürlich ohne Zuziehung Preußens – eingesetzt, der -über die Sitzungsprotokolle und deren eventuelle Veröffentlichung -beraten sollte. Freilich wäre Preußen bei den Publikationen schlecht -weggekommen. Da bin ich den Herren in die Parade gefahren, und die -Sache ist seitdem unterblieben. Und solche Geschichten könnte ich Ihnen -noch manche erzählen; aber nun kommen Sie, meine Frau wird mit dem -Frühstück warten, und nach demselben müssen Sie mich entschuldigen: Ich -habe eine Sitzung im Militärausschuß!« - -Er faßte den Freund unter dem Arm und führte ihn nach dem Hause, wo -Frau Johanna anmutig und freundlich wie ein Frühlingsmorgen die Herren -begrüßte, und wo Bismarck erst noch einmal nach seinen Kindern sah -und sie fröhlich in die Luft hob, ehe er sich zu Tische setzte. Hier -war er ganz glücklicher Gatte und Vater, ganz von fröhlichem Humor -übersprudelnder Gastfreund. - -Ernster sah er drein, als er nicht lange danach an dem grünen Tische -saß im Parterre des Taxisschen Palais. Auch hier winkten die grünen -Bäume herein zu den Fenstern, aber in dem Raume herrschte eine etwas -dumpfe Luft, und der Verkehr der anwesenden Herren war ziemlich -gemessen und formell. - -Sie saßen in ihren Sesseln, genau nach der Rangordnung, die Vertreter -der fünf deutschen Königreiche und des Großherzogtums Hessen. Der -Präsidialsitz war noch unbesetzt, aber auch Graf Thun ließ nicht -lange auf sich warten. Er kam mit elastischen Schritten, so daß er -im ersten Augenblicke wohl für einen lebenslustigen aristokratischen -Herrn, aber nicht für einen Diplomaten hätte angesehen werden können, -blies vergnüglich den Rauch seiner Havannazigarre von sich, grüßte -liebenswürdig herablassend die Herren »Kollegen« und setzte sich dann -an seinen Platz oben an dem Tische. - -Daß Graf Thun rauchte, und zwar _allein_ rauchte, während kein -anderer der Herren es wagte, dies Präsidialvorrecht ihm streitig -zu machen, hatte Bismarck bereits früher mit Mißbehagen gesehen. -Diesmal schien sich der Vorsitzende mit ganz besonderem Vergnügen dem -Genuß hinzugeben; die bläulichen Wölkchen zogen an dem Gesichte des -preußischen Gesandten hin, der feine Duft hatte etwas Verlockendes; und -da diesem nicht einleuchtete, weshalb Preußen hier am grünen Tische -nicht tun sollte, was Österreich sich erlaubte, zog er mit feinem -Lächeln sein Zigarrenetui hervor, bat sich von Graf Thun etwas Feuer -aus, und gleich darauf blies auch er die blauen Ringe in die Luft, -gleichmütig, behaglich, als ob sich das just so gehörte, während die -anderen Herren verwundert, ja, beinahe verblüfft schienen über den an -sich so unbedeutenden Vorgang. - -Daheim erzählt Bismarck die Geschichte und fügte lächelnd bei: - -»Es soll mich gar nicht wundern, wenn nächstens auch Bayern raucht, -und da keiner dem anderen etwas vergeben möchte, weil das als eine -Zurücksetzung seines Staates gelten könnte, wird auch Herr von Nostiz -(Sachsen) und Herr von Bothmer (Hannover) bald nachfolgen, und selbst -die Herren von Reinhard (Württemberg) und von Münch-Bellinghausen -(Hessen) werden ihre Aversion gegen das Rauchen trotz aller -unbehaglichen Folgen aufgeben. So kommt’s bei allem immer nur auf den -richtigen Anfang an!« - -Die Folgezeit lehrte, daß er bezüglich des Rauchens recht hatte. - -Nun widmete er sich wieder seinem lieben Gaste Motley, der in dieser -prächtigen Häuslichkeit sich einige Tage wohl und wie daheim fühlte. -Was waren das für den geistvollen Engländer für herrliche Tage und für -genußreiche Abende! - -Das Wetter hatte nicht erlaubt, einen derselben im Garten zuzubringen; -so war man zuerst im Speisezimmer gewesen, wo man durch die Fenster -hinaussah auf die Bäume des Gartens, und genoß in vergnügter -Zwangslosigkeit, was die Gastlichkeit des Hauses, die Liebenswürdigkeit -der freundlichen Wirte bot. - -Dann ging es nach dem anstoßenden freundlichen Saale. Außer Motley -war noch der treffliche Maler Jakob Becker mit seiner Familie des -Abends gekommen, und so saß ein Kreis guter, fröhlicher Menschen in -dem traulichen Raume beisammen. Die Herren rauchten, und der Duft der -feinen Havannas wirbelte empor, indes der geistvolle Hausherr in seiner -gemütlichen Weise scherzte: - -»Sehen Sie, lieber Motley – das ist doch eine andere Tafelrunde als -die zwar achtenswerte, aber doch wenig unterhaltende im Taxisschen -Palais, wo in mir wirklich manchmal im Gefühle gähnender Unschuld die -Stimmung gänzlicher Wurschtigkeit vorherrschend wird. Ich bemühe mich -zunächst nur, und, wie es scheint, nicht ganz erfolglos, den Bund zum -Bewußtsein des durchbohrenden Gefühls seines Nichts zu bringen. Hier -aber sitze ich ohne jede andere Absicht, als mir Herz und Seele wieder -zu erfrischen im Umgang mit lieben Freunden. Und in der Hauptsache -kommen nur solche. Thun sieht in seinem Hause alles, was mit Österreich -sympathisiert, in den Kreisen des Hochadels – ich liebe mir hier den -Adel vom Schlage unseres braven Becker. Wie köstlich ist das erst im -Winter, wenn ich hier am Kamine sitzen und mit der Feuerzange in der -Glut herumstochern kann, während der Wind vor den Fenstern saust, wenn -Freund Becker oder sonst einer etwas erzählt von seinen Künstlerfahrten -und seinem Schaffen, und dann eine kunstfertige Hand in die Tasten -greift … ach bitte, Fräulein Becker, machen Sie uns die Freude!« - -Die Angeredete erhob sich ohne Ziererei und setzte sich an das -Instrument. Die Töne rollten perlengleich unter den schlanken Fingern -hervor, und behaglich zurückgelehnt in seinen Sitz lauschte der -Hausherr, bis sie leise verhallend ausklangen. - -»Das sind die guten Geisterchen, die dem geplagten Diplomaten manchmal -das Gleichgewicht wiedergeben helfen!« sagte er lächelnd. - -»Der Himmel schenke Ihnen und Ihrem Hause recht viele gute Geister!« -erwiderte Motley. - -»Na, einige ganz herzige und herrliche liegen da drüben in ihrem -Bettchen!« sprach der Maler. - -»Da mögen Sie recht haben, lieber Becker,« bemerkte der Hausherr; »es -sind zwar Geisterchen mit Fleisch und Bein, aber die richtige Wirkung -tun sie doch!« - -So ging der Abend hin, und als es ganz still im Hause geworden war, da -leuchtete der Lampenschimmer aus Bismarcks Arbeitsgemach hinaus in die -Nacht. Und Stunde um Stunde verging. Lange diktierte er seinem Sekretär -an den Berichten, die nach Berlin abgehen mußten, und die eine Fülle -von scharfen Beobachtungen und von klarer Einsicht in die politischen -Verhältnisse bekundeten. Dann entließ er den Beamten, setzte sich -selbst an den Tisch und schrieb noch einige wichtige Briefe, und als er -endlich zum Siegeln gekommen war, tagte bereits der Sommermorgen und -warf seinen erwachenden Schimmer in den Raum. - -Nun erst legte er sich angekleidet auf sein Sofa. Gleich darauf schlief -er, tief, ruhig, aber kaum zwei bis drei Stunden. Der Sommermorgen -weckte, und der Sonnenschein lockte hinaus. Wohl waren ihm die Glieder -steif von dem nicht ganz bequemen Lager, und er fühlte eine Schwere und -Abspannung, aber er war der Mann der Kraft und der Selbstbeherrschung. -Er ließ sich sein Pferd satteln, und während die vornehme Welt -Frankfurts noch im Morgenschlummer träumte, ritt er die Bockenheimer -Landstraße hinaus, am Zoologischen Garten vorüber und in die lachende -Landschaft hinein, und da und dort blieben wohl zwei oder drei stehen -und sahen ihm nach, und einer sagte: - -»Das ist der preußische Bundesgesandte – soll ein schneidiger Mann -sein!« - -Motley war wieder abgereist, aber in Bismarcks gastliches Haus kamen -immer neue Besucher, und alle fühlten sich hier wohl und ungemein -angeheimelt von dem herzlichen und zwanglosen Ton, welcher hier -herrschte. - -Da ließ sich eines Tages ein besonders erlauchter Gast melden, -Prinz Wilhelm von Preußen. Er war schon vordem gelegentlich einer -Truppeninspektion in Frankfurt gewesen und auf dem Bahnhofe bei seiner -Ankunft war ihm Bismarck vorgestellt worden, der in seiner Uniform als -Landwehrleutnant mit der Lebensrettungsmedaille auf der Brust dem hohen -Herrn besonders auffiel, so daß er nochmals dem General von Rochow -gegenüber seine Bedenken äußerte über die Wahl des Landwehrleutnants -Bismarck zu einem so wichtigen Posten. Aber im Gespräch mit diesem -überzeugte er sich selbst bald genug, daß der preußische Diplomat trotz -seiner verhältnismäßig jungen Jahre ein klarblickender und energischer -Mann und ein sehr warm fühlender Patriot sei. - -Als er nun diesmal nach Frankfurt gekommen war, erbat sich der Baron -Rothschild eine Audienz und ersuchte, ihm die Ehre zu erweisen und bei -ihm zu speisen. Der Prinz erwiderte lächelnd, daß er sich bei Bismarck -bereits eingeladen habe, und als der Baron trotzdem in ihn drang, legte -er es ihm nahe, sich mit dem Bundesgesandten darüber abzufinden. - -Rothschild fuhr in der Bockenheimer Landstraße 40 (jetzt 140) vor. Er -traf Bismarck daheim und trug ihm sein Anliegen vor, ihm den hohen Gast -zu überlassen. - -»Es tut mir leid, mein verehrter Baron, Ihnen nicht dienen zu können, -aber abgesehen von der Ehre, welche ich damit meinem Hause entziehen -würde, ist mir jede Stunde wertvoll, welche ich in der Nähe des Prinzen -meines Königshauses zubringen kann.« - -»Aber Exzellenz würden mich außerordentlich beglücken, wenn Sie -gleichfalls in meinem Hause und an meinem Tische erscheinen wollten.« - -»Besten Dank, mein Herr Baron, aber ich muß schon auf meinem Schein -bestehen und auf meinem Vorrechte beharren.« - -»Dann wollen Exzellenz mir mindestens gestatten, daß meine Speisen auf -Ihrer Tafel serviert werden, so daß wir uns in die Ehre, den hohen Gast -zu bewirten, teilen.« - -»Ich kann Ihnen leider auch darin nicht entgegenkommen. Es -würde mindestens sehr verwunderlich sein, wenn der preußische -Bundestagsgesandte bei Bewirtung eines preußischen Prinzen nichts -weiter als den Tisch hergeben würde. Außerdem aber bin ich ein Gegner -jeder Halbheit – also verzeihen Sie, Herr Baron –«. Rothschild -erkannte, daß er den anderen nicht umstimmen würde, und leistete -seufzend Verzicht, der Prinz aber speiste an dem gastlichen Tische -Bismarcks und fand auch hier immer neues Wohlgefallen an dem prächtigen -Manne. - -Dieser aber arbeitete unverdrossen und kraftvoll weiter in der Wahrung -der Interessen seines Staates. Dabei machte er aber bald genug die -Wahrnehmung, daß er nicht nur durch die österreichische Botschaft -sehr beobachtet werde, sondern daß man zweifellos auch Briefe von -ihm auffange und öffne. Es ging übrigens den anderen Bundesgesandten -nicht besser. Eines Tages klagte ihm Herr von Bothmer, der Vertreter -Hannovers, daß er begründeten Verdacht habe, daß auf irgendeinem Wege -Graf Thun Kenntnis von dem Inhalt seiner Korrespondenz haben müsse. -Bismarck lächelte und bemerkte, er müsse eben bei Absendung klug zu -Werke gehen. - -»Aber was heißt hier klug?« fragte Bothmer. - -»Das will ich Ihnen zeigen, wenn Sie ein halb Stündchen Zeit haben; ich -habe just eine Sendung zu expedieren.« - -So gingen sie zusammen und bogen aus den belebten Straßen in ein -stilleres Viertel der alten Handelsstadt. In einem engen Gäßchen vor -einem schlichten Krämerladen blieb Bismarck stehen und zog seine -Handschuhe an. - -»Hier lassen Sie uns eintreten!« sagte er. - -Erstaunt folgte der Hannoveraner. In dem engen Laden roch es -wunderlich, so daß es ganz unmöglich gewesen wäre, diesen Geruch in -seinen Einzelheiten zu analysieren. Ein jugendlicher Verkäufer begrüßte -die beiden Herren und fragte nach ihren Wünschen. - -»Ich möchte Seife, aber etwas wohlriechende,« sprach Bismarck, und der -dienstbeflissene Jüngling begann seine Proben vorzulegen. Der Diplomat -roch an jeder, dann wählte er jene, welche den stärksten Geruch hatte -und schob sie ohne weiteres in seine Tasche. - -»Haben Sie auch Briefkuverts?« - -»Sehr wohl!« - -Nach kurzer Auswahl nahm Bismarck die schlichteste und einfachste -Sorte, zog dann ein bereits zusammengefaltetes Papier aus der Tasche, -schob es in den Umschlag und bat sich nun Tinte und Feder aus, um -die Adresse zu schreiben. Da jedoch die Handschuhe ihm hinderlich zu -sein schienen, bat er den Verkäufer, ihm die Mühe abzunehmen, was -dieser auch beinahe geschmeichelt tat. Behaglich steckte Bismarck nun -das Schreiben zu der Seife in seiner Tasche, und als er mit seinem -Begleiter vor der Türe stand, sagte er zu diesem: - -»Glauben Sie nun, lieber Kollege, daß man unter diesem Kuvert, das -nach Käse und Hering, Seife und Wichse duftet, nicht so leicht meine -Depesche herausschnüffeln wird?« - -Manchmal jedoch, wenn es ihm in dem Frankfurter Treiben zu unbehaglich -und in den Bundestagsverhandlungen zu langweilig und zu ärgerlich -wurde, setzte er sich auf die Eisenbahn und fuhr hinein in den -Odenwald, oder besah sich einmal das bunte Leben und Treiben in den -glänzenden Badeorten Homburg, Wiesbaden, Baden-Baden, oder er erquickte -sich an der ewigen Schönheit des Rheinstromes und seiner lieblichen -Ufer. So fuhr er eines Nachmittags nach Rüdesheim. Dort mietete er -einen Kahn und glitt hinaus auf den Strom. Der Mond warf seinen -milden, dämmerigen Schein auf die Fluten, die Luft war lau, und ihn -faßte ein Gelüste an, die Kleider abzuwerfen und sich in die silbernen -Wellen zu tauchen. Gedacht, getan, und bald schwamm er langsam und -behaglich dahin. Hinter ihm her, im Abendschimmer verdämmernd, kam -langsam das Boot, das der schweigende Ferge lenkte, hoch über dem -Schwimmer wölbte sich blau und klar der Himmel mit seinen vieltausend -Sternen, und drüben an den Ufern webte der bläuliche Mondenschimmer -um die dunkelnden Höhen, die bewaldeten Berge, die grünen Weingärten -und die grauen, schweigenden Ruinen der Vorzeit. Und das Wasser klang -und rauschte und flüsterte wie von alten Sagen. Von Bingen herüber -schimmerten einzelne Lichter, und nun hob sich der Mäuseturm düster und -ernst aus den Wellen. Hier stieg der Schwimmer ans Land, kleidete sich -an und fuhr nach Bingen hinüber, wo er Nachtrast hielt. Am nächsten -Morgen aber ging’s über Koblenz nach Frankfurt zurück. - -Das erfrischte Leib und Seele. - -Auf den 18. Oktober fiel der Geburtstag des Königs. Auf der Villa in -der Bockenheimer Landstraße wehten die preußischen Fahnen, und im -Laufe des Vormittags fuhren Bismarck und die Beamten der Gesandtschaft -in größtem Staat nach dem Kornmarkt, wo in der großen Reformierten -Kirche der Festgottesdienst abgehalten wurde. Die Mittagstafel aber -sah zahlreiche und erlesene Gäste, und der Hausherr verstand es, in -kräftigen, gehaltvollen Worten der Begeisterung Ausdruck zu geben, -die er selbst für seinen königlichen Herrn fühlte, und die er auch in -anderen Herzen zu entflammen wußte. - -Und als der Abend kam, zog er seine Landwehrleutnants-Uniform an mit -der Lebensrettungsmedaille und begab sich nach der Kaserne, wo die -preußischen Soldaten gleichfalls festlich den Geburtstag ihres obersten -Kriegsherrn begingen. Hier war die Lust in vollem Gange. Rauschende -Musik klang durch den Saal, und in lauter, aufjauchzender Fröhlichkeit -drehten sich die Paare im Reigen. Als er eintrat, machten die Soldaten -am Eingang Honneurs und flüsterten sich, als er vorüber war, zu: »Seine -Exzellenz, der Herr Leutnant von Bismarck!« Sie kannten ihn alle, den -prächtigen, stattlichen Mann, der so heiter und herzlich sein konnte, -und auch diesmal wieder bald da, bald dort auftauchte und sich mit den -schlichten Kriegern unterhielt. - -Der Herbst entblätterte die Bäume in dem Garten, und der Winter spielte -mit seinen Flocken um die freundliche Villa. Aber wenn auch der -Sturmwind um die Fenster fegte, drinnen war’s um so behaglicher. Diese -Winterabende waren köstlich, wenn in dem Salon bei dem flackernden -Kaminfeuer sich um die liebenswürdigen Wirte prächtige Gestalten -scharten, von denen jeder fand, was er nur suchen mochte: Schlichtheit, -Herzlichkeit, vornehme Sitte und frischen Humor. Wie zwanglos verkehrte -da Prinz Georg von Preußen mit Schriftstellern, in deren Kreis er sich -zählen durfte, wie gemütvoll und vergnügt plauderte die Großfürstin -Helene von Rußland (geborene Prinzessin von Württemberg) mit der Frau -des Malers Becker, und wenn die Gäste in stiller Nacht schieden, nahmen -sie etwas von dem Behagen dieses Hauses mit sich fort, das noch lange -in ihnen nachklang. - -Der Winter stellte freilich auch gesellschaftliche Anforderungen, denen -Bismarck um seiner Stellung willen entsprechen mußte. Dabei fühlte -er sich nicht immer besonders vergnüglich, zumal der österreichische -»Botschafter« überall eine dominierende Stellung beanspruchte, und er -seinerseits darüber wachte, daß auch der Würde seines Staates nichts -vergeben werde. - -Der englische Lord Cowley gab ein großes Fest zu Ehren seiner Königin. -Die Räume waren glänzend geschmückt; Farben und Fähnchen fast aller -Kulturstaaten woben sich zu einem bunten Bilde zusammen, aus welchem -sich das transparente englische Wappen abhob, dem gegenüber sich der -ungekrönte Doppeladler – das Wappen des deutschen Bundes – zeigte. Die -Gesellschaft war eine sehr vornehme. Graf Thun tänzelte zierlich um die -Damen, der Lord zeigte sich als vornehmer und lebhafter Wirt, zwischen -den Gesandten der deutschen Staaten bewegten sich mit graziöser -Gewandtheit der Vertreter Frankreichs, Tallenay, und der belgische Graf -Briey, und der Tanz bot bei der Reichhaltigkeit der Toiletten geradezu -glänzende Bilder. Bismarck lehnte behaglich an einer reichdekorierten -Säule und sah in das Gewühl. Im bunten Kotillon bewegten sich die -Paare, darunter viele der älteren Diplomaten, und er machte die -Bemerkung, wie viele von den Damen schwarzgelbe Seidenschleifen, die -Farben Österreichs, trugen, während er nach jenen Preußens vergebens -suchte. Eine junge Prinzessin von Nassau kam eben an ihm vorüber, -am Arme eines süddeutschen Diplomaten. Sie sah ihn flüchtig an, -aber es lag in dem Blicke selbst eine unverkennbare Beimischung von -Geringschätzung. In diesem Augenblicke trat ein anderes Mitglied der -preußischen Bundestagsgesandtschaft an ihn heran. »Fürchten Exzellenz -nicht die Ungnade Ihrer Hoheit der Prinzessin von Nassau?« - -»Wieso?« - -»Wir armen Preußen sind bei ihr schwer diskreditiert; Hoheit geruhte -mit allen anderen Mächten zu tanzen, nur mit Preußen nicht!« - -»Das ist freilich schlimm, aber ich hoffe, daß es mir nicht den Rest -meiner Nachtruhe verderben wird,« sagte Bismarck lächelnd. - -Nicht lange darauf verließ er das Fest. - -Weihnachten wurde in freundlicher Weise verlebt, und das Fest brachte -dem Vielbeschäftigten einige Ruhe und Muße. Dann wieder Arbeit in -Fülle, zwischendurch aber auch manch ein vergnügter Tag! Wie war das so -lustig zur Fastnachtszeit, als er seinem Dienstpersonal ein fröhliches -Fest gab, wie er es daheim in der Altmark seit der Väter Tage gewohnt -war! Er fehlte nicht unter den »Seinen« und freute sich, wie alle Augen -lachten vor Fröhlichkeit, und wie vor allem die knusprigen, braunen -»Pannkauken« schmeckten, die er selber auch kostete. In solchen Stunden -wuchs er seinen Dienern noch mehr ans Herz, als es schon der Fall war, -und Frau Johanna nicht minder. - -Der Frühling von 1852 kam ins Land. In Österreich war an Stelle des -Ministers Schwarzenberg der Graf Buol-Schauenstein getreten, und damit -schärfte sich eine bereits schwebende Angelegenheit zwischen Preußen -und Österreich noch mehr zu. Es betraf den von dem ersteren begründeten -deutschen Zollverein, für welchen die bisher noch unbeteiligten -deutschen Staaten gewonnen werden sollten, während Österreich, das von -demselben ausgeschlossen war, an der Auflösung desselben arbeitete. -Bismarck hatte hier seine vollgemessenen Verdienste, und da der neue -österreichische Ministerpräsident mit aller Macht den preußischen -Bestrebungen entgegenarbeitete, ging er im Auftrag seines Königs nach -Wien, um an den Kaiser ein Handschreiben Friedrich Wilhelms IV. zu -überbringen. - -In den ersten Tagen des Juni traf er in der Hauptstadt an der Donau -ein. Der Minister Buol empfing ihn ziemlich ungnädig und erklärte -bestimmt, daß Österreich sich von Deutschland nicht als Ausland -behandeln lassen werde. - -Bismarck war zwar verstimmt, aber nichts weniger als entmutigt. -Er freute sich der Liebenswürdigkeit, mit welcher er fast überall -aufgenommen ward, lebte in dem freundlichen Schönbrunn den anmutigen -Erinnerungen an seine Hochzeitsreise, und fuhr endlich am 23. Juni auf -der Donau hinab nach dem alten Ofen, wo er im kaiserlichen Schlosse -seine Wohnung erhielt. Hier saß er, hoch über Stadt und Strom, und ließ -den Blick hinausschweifen über das weite ungarische Flachland, und -dachte bei all den Schönheiten an den Kreis seiner Lieben in Frankfurt. - -Von dem jungen Kaiser wurde er in besonderer Audienz mit -liebenswürdiger Herablassung empfangen und machte mit dem Hofe einen -Ausflug ins Gebirge. Stimmungsbilder von satter Farbenglut gingen -an seinem Auge vorüber. Im Hintergrunde die ungarische Königsstadt -mit ihrer hochragenden Burg, ringsum grüner Buchenwald, auf freiem -Rasenplane die kleine Tafel für etwa zwanzig Personen, eine jubelnde -Volksmenge, die sich ringsum drängte und bis in die Wipfel der Bäume -kletterte, leise hallender Hörnerklang, und als der Abend kam, das -ganze Bild übergossen vom bläulichen Mondschimmer und matt erhellt von -loderndem Fackelglanz – das alles war so fremdseltsam, daß es wie eine -Phantasie erschien, der die ernste Wirklichkeit bald folgte in Gestalt -eines Telegramms aus Berlin, welches entschieden die österreichischen -Zumutungen in der Zollvereinsfrage zurückwies. - -Nicht lange darauf saß Bismarck wieder im Kreise der Seinen, der sich -am 1. August 1852 noch um ein Söhnchen vermehrte, das nach seinem hohen -Paten _Wilhelm_ genannt wurde. - -Im Herbste desselben Jahres mußte er zu seinem großen Bedauern seine -freundliche Wohnung in der Bockenheimer Landstraße aufgeben, weil ein -reicher Westfale das Haus gekauft, und nun siedelte er nach der Großen -Gallusstraße Nr. 19 über; aber der Ruf der hohen Gastlichkeit, der -vornehmen und dabei gemütvollen Liebenswürdigkeit haftete auch hier an -dem Heim des Diplomaten. - -Die kommenden Jahre gaben Bismarck genug Gelegenheit, seine Umsicht, -Klugheit und Tatkraft im Interesse seines Staates zu bekunden. Und -er hat in kleineren wie in gewichtigen Dingen seine Anschauungen zur -Geltung zu bringen verstanden – und eine Tätigkeit entwickelt, die -schon ihrem Umfange nach Staunen erregt. Die immerwährenden Reisen, die -eingehenden klaren Berichte, die unmittelbare Tätigkeit im Bundestage -selbst hätten einen anderen aufreiben müssen. - -Da tat mitunter eine Erholung dringend not. - -Im Sommer 1853 erfrischte er sich in den Wellen der Nordsee und reiste -dann durch Belgien und Holland zurück. Der politische Horizont hatte -sich umwölkt, der »Krimkrieg« zwischen Rußland und den europäischen -Westmächten hing in der Luft, und der preußische Staatsmann suchte -nach seiner besten Überzeugung seinen König in dieser Sache neutral zu -erhalten, was auch gelang. - -Spott, der ihn deshalb traf, wußte er sehr geschickt und scharf -zurückzuweisen. So war er in diplomatischem Auftrage in München -gewesen, und als dort zu Ehren eines österreichischen Generals eine -Militärparade abgehalten wurde, erschien er dabei gleichfalls in -seiner Landwehruniform. Auf seiner Brust lag schon längst nicht mehr -die Rettungsmedaille allein, sondern zahlreiche hohe Orden schmückten -dieselbe. Der General, welcher an ihn herangeritten war, sah mit -einigermaßen spöttischem Blicke auf die blinkenden Auszeichnungen und -fragte: - -»Schaun’s Exzellenz! Alle vorm Feind erworben?« - -»Jawohl, Exzellenz, alle vorm Feinde, alle in Frankfurt a. M.,« -erwiderte Bismarck mit verbindlichem Lächeln. - -Noch schärfer führte er den französischen Gesandten in Berlin, de -Moustier, ab. Die Franzosen waren über die Neutralität Preußens in -der orientalischen Frage verstimmt, und als der Gesandte mit Bismarck -zusammentraf, ließ er sich zu der Äußerung verleiten: »Preußen wird -seine Haltung noch einmal bedauern; auf diesem Wege kommt es vermutlich -nach Jena!« - -»Und warum nicht nach Leipzig oder Waterloo?« fragte Bismarck dagegen, -und de Moustier war durch diese Antwort so gekränkt, daß er sich beim -König – jedoch ohne Erfolg – beschwerte. - -Bismarck war einmal nicht der Mann, der seiner Würde, noch weniger aber -der Würde seines Staates etwas vergab. - -Der Krimkrieg war zu Ende, und in Paris fanden sich die Vertreter der -Mächte ein, um über den Frieden zu verhandeln. Damals reiste auch der -Minister Graf Buol über Frankfurt dahin und hielt sich kurze Zeit in -letzterer Stadt auf. Da beeilten sich denn die meisten der deutschen -Bundesgesandten, ihm einen Beweis ihrer Ergebenheit zu geben, und -ließen sich durch den Graf Rechberg, welcher indes an Graf Thuns Stelle -getreten war, anfragen, wann sie ihre offiziellen Besuche machen -könnten. Aber der Herr Minister, ermüdet von der Reise, lehnte solche -Besuche ab, bestimmte jedoch eine Stunde, in welcher er für die Herren -in seiner Wohnung zu einer vertraulichen Besprechung anzutreffen sei. -Diese Mitteilung war auch Bismarck, trotzdem derselbe nicht angefragt -hatte, zugegangen. Er ließ dem Grafen Rechberg wissen, daß er durchaus -gar nicht die Absicht habe, die wertvolle Zeit des Grafen Buol in -Anspruch zu nehmen, und während die anderen Gesandten im Vorzimmer der -österreichischen Exzellenz warteten, bis es derselben genehm war, sich -von ihnen respektvoll begrüßen zu lassen, wartete Bismarck, ob nicht -Graf Buol zu ihm kommen werde. - -Und derselbe kam trotz seiner »Ermüdung«. - -Auch die Unterdrückung Schleswig-Holsteins durch die Dänen war eine -Angelegenheit, welche den Bundestag viel beschäftigte, ohne daß eine -Einigung zu erzielen war. Preußen hatte den besten Willen, zu helfen, -aber die Eifersucht Österreichs, die Zwietracht der anderen Mächte -banden ihm die Hände. - -Trotzdem wußte Bismarck auch hier einiges zu erreichen, und vor allem -zu erlangen, daß Dänemark für den Herzog von Schleswig-Holstein eine -entsprechende Abfindungssumme entrichte. - -In der schleswig-holsteinischen Sache war er übrigens selbst in -Kopenhagen gewesen. Im August 1857 war er aufgebrochen, seine Familie -hatte er nach Reinfeld gebracht, wo sie in ländlichem Behagen sich -freuen und erholen konnte, und in der dänischen Hauptstadt fand er eine -durchaus höfliche Aufnahme. - -[Illustration: ~Eis. Kanzler III~ - -Napoleon und Bismarck in Biarritz.] - -Hier war ihm alles fremd und neu, und so ließ er sich gern veranlassen -zu Ausflügen, welche den Reiz der nordischen Gegenden vor ihm -entrollten und überdies eigenartige neue Jagdvergnügen boten. Diese -Ausflüge erstreckten sich bis nach Schweden, wo er bis Tomsjonäs in -Smaland vordrang. Fremdseltsam mutete ihn die Gegend an mit ihren -weiten, wüsten Strecken, wo bald zwischen Sumpf und Moor dichtes -Gestrüpp und Unterholz wuchert, bald über grauverwittertes Gestein und -zwischen felsigen Ufern schäumende Bergwasser hinwegrauschen, bald, von -Waldesgrün umsäumt, große, dunkle Seen im Sonnenscheine träumen – wo -die Menschheit zu fehlen scheint in der großen Szenerie der Natur, die -wie im Sonntagsgewande ihrer Schöpfung ruht und mit tiefer Stille den -Jäger umfängt. - -Manch jagdbares Getier verfiel seiner sicheren Büchse, und das Jagen -war nicht immer gefahrlos. So stand dem Jäger auf einer seiner Fahrten -plötzlich ein unbehaglicher Gesell gegenüber, ein braunes Ungeheuer, -das wie aus dem Boden gewachsen schien, ein Bär, der die zornigen Augen -gegen ihn wandte und nicht freundlich ihn anbrummte. Da galt kein -langes Überlegen. Auf sechs Schritte Entfernung gab der mutige Schütze -Feuer, und das Tier brach zusammen. Aber »Meister Petz« war zäh; er -begann sich noch einmal, jetzt zur Wut entfacht, zu erheben, doch -Bismarck lud schnell und ohne merkliche Bewegung seine Waffe, und als -das Tier sich nun erhob, traf es die zweite Kugel und streckte es tot -nieder. - -An Körper und Geist erfrischt, die Seele erfüllt von neuen Bildern, kam -Bismarck nach Frankfurt zurück, froh, mit seinen Lieben wieder vereint -zu sein, die er sich manchmal zur Seite gewünscht hatte in einem -kleinen, stillen, freundlichen Landhause an einem der Nordlandsseen. – -Da brachte der Herbst wiederum Trübes. König Friedrich Wilhelm IV. war -infolge eines Schlaganfalles erkrankt und hatte die Stellvertretung in -der Regierung seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, übertragen. Es war -eine bange Zeit für die preußischen Herzen, die bei aller Verehrung -für den Prinzen doch den Schmerz empfanden, der in dem königlichen -Hause lebte. - -So ging wieder ein Jahr vorüber, und der politische Himmel schien -sich von neuem zu bewölken; zwischen Österreich und Italien begann -eine Spannung, welche für den Einsichtigen, zumal bei dem Ehrgeiz des -dritten Napoleon eine Einmischung Frankreichs zu befürchten war, eine -drohende Kriegsgefahr barg. Im Oktober 1858 übertrug der unheilbar -kranke König seinem Bruder die Regierung gänzlich, und der Prinzregent -schien der preußischen Politik eine andere Richtung geben zu wollen, -indem er ein neues Ministerium berief, auf welches er wie sein Volk -große Hoffnungen zu setzen geneigt waren. - -Auch an Bismarck war anfangs dabei gedacht worden, aber seine Zeit -war noch nicht gekommen. Er wußte sich, trotz der Verstimmung seiner -Angehörigen, zu trösten, und tat auch angesichts der augenblicklichen -Situation das, was ihm das Richtige schien. Der Bundestag war in -Aufregung, mittel- und süddeutsche Staaten drängten zum Kriege gegen -Italien und Frankreich und zur Bundesgenossenschaft mit Österreich. -Eine solche unbedingte Heeresfolge ging dem preußischen Diplomaten -gegen seine Überzeugung. Dieselbe hatte er schon vorher unumwunden in -einer Denkschrift an seine Regierung ausgesprochen, in welcher er eine -selbständige preußische Politik dringendst empfahl und verlangte, daß -Preußen als der größte deutsche Staat an die ihm gebührende Stelle -in Deutschland treten müsse, selbst, wenn es darüber zum Bruche mit -Österreich komme. - -Und als jetzt der Krieg sozusagen in der Luft schwebte, sahen die -übrigen deutschen Gesandten zu ihrem Erstaunen, ja Entsetzen, auf der -»Zeile« Bismarck Arm in Arm mit dem Gesandten Italiens, dem Grafen -Barral, einherschreiten. - -In Berlin aber war man noch nicht geneigt, mit Österreich geradezu zu -brechen, und so erhielt der preußische Bundestagsgesandte an einem -schönen Februartage seine Ernennung zum Gesandten in Petersburg. -Erfreut war er über die Mitteilung nicht, er hatte die Empfindung, -daß man ihn »kaltgestellt« habe, aber der Prinzregent selbst gab ihm -die Versicherung, daß diese Versetzung ein Beweis ganz besonderen -Vertrauens sei – und der Mann der Pflicht tat seine Schuldigkeit. - - - - -Siebentes Kapitel. - -An der Newa und der Seine. - - -An einem wenig freundlichen Märztage des Jahres 1859 fuhr frühmorgens -ein hochbeladener Postwagen, mit acht Pferden bespannt, zu dem Tore von -Königsberg hinaus. Auf dem Außensitze saß Otto von Bismarck und schaute -in den dämmerigen Morgen, der ihn aus Deutschland entführte nach den -Ufern der Newa. - -Eine behagliche Fahrt war es eben nicht. - -In den Steppen Rußlands lag noch tiefer Schnee, und mühsam arbeiteten -sich die Pferde fort, so daß der Gesandte es manchmal vorzog, neben dem -Wagen herzuschreiten, zumal das den frosterstarrten Gliedern guttat. -Bergab war es am schlimmsten; die Pferde glitten auf den glatten -Wegen aus und kamen wiederholt zum Stürzen, und in einer Stunde war -man einmal etwa 20 Schritte vorwärts gekommen. Dazu keine Nachtpost. -Durch das unbehagliche Dunkel leuchteten nur mit müdem Scheine die -Wagenlaternen, ein eisiger Wind blies über die Steppen und wehte den -feinen, beißenden Schneestaub dem Reisenden in das Gesicht, der auf -seinem freien Sitze auch gar nicht daran denken konnte, zu schlafen. -Es war eine Wohltat, das letzte Stück des Weges im Eisenbahnwagen -zurücklegen zu können. - -Nach sechs Tagen traf er in Petersburg ein. In den winterlichen weißen -Hermelin gehüllt, lag die russische Kaiserstadt, und ihre Pulsader, -die Newa, flutete noch unter der Eisdecke dahin. Durch die prächtigen -Straßen fuhr Bismarck nach dem Hotel Demidoff, wo er fürs erste sein -Quartier nahm. - -So verlebte er diesmal seinen Geburtstag fern von der deutschen -Heimat und den lieben Seinen, aber er war doch nicht ohne -Bedeutung; er überreichte an demselben dem Zaren Alexander II. sein -Beglaubigungsschreiben. Um die Mittagszeit war das reich vergoldete -Gefährt mit dem kaiserlichen Wappen vorgefahren, das den Gesandten nach -dem Winterpalais brachte. Durch die entlaubten Lindenalleen ging es -pfeilschnell hin, vorüber an dem Prachtbau der Admiralität, von dessen -Turme sich der herrlichste Blick über die Zarenstadt bietet, über -den Paradeplatz hinweg und dann hinein durch das Tor in den Hof des -Palastes. - -Der Empfang ließ an Feierlichkeit und würdigem Zeremoniell nichts -zu wünschen, aber er hatte auch beinahe den Anstrich einer gewissen -Herzlichkeit. Der Kaiser empfing den preußischen Gesandten herablassend -liebenswürdig und schien an dessen feinem und offenem Wesen von der -ersten Stunde an Gefallen zu finden. - -Auch sonst hatte Bismarck nicht über Mangel an freundlichem -Entgegenkommen zu klagen. Wie einst die Großfürstin Helene, die -geistvolle Witwe des Großfürsten Michael Pawlowitsch, eine geborene -Prinzessin von Württemberg, sich in seinem gastlichen Hause in -Frankfurt wohl befunden hatte, so vergalt sie ihm jetzt diese -Gastfreundschaft in liebenswürdigster Weise in Petersburg. Manch -schöner Abend wurde bei ihr verlebt, gemeinsam mit bedeutenden und -angesehenen Persönlichkeiten; besonderes Interesse aber erregte es, -wenn man mit Bismarck in intimem Gespräche in irgendeiner Fensternische -einen kleinen, grauhaarigen Herrn mit dem glattrasierten Gesichte und -den klugen Augen, die hinter glitzernden Brillengläsern hervorsahen, -erblickte. Das war der russische Kanzler, Fürst Gortschakoff. - -Die Freundschaft der beiden war nicht neu, sie datierte schon aus -Frankfurt, wo der Fürst Gesandter seiner Regierung beim Bundestage -gewesen war, und sie wurde hier mit einer gewissen Herzlichkeit -erneuert. - -Endlich kam auch für Petersburg der Frühling. Die Kanonenschüsse, -welche eines Tags von der Festung aus donnerten, verkündeten der -freudig aufatmenden Residenz, daß die Newa die starre Eisdecke -zerbrochen habe und ihr glänzender Wasserspiegel mindestens auf eine -Bootsbreite zutage getreten sei, und jedes Kind in Petersburg wußte -es, daß zu dieser Stunde der Kommandant der Festung im Paradeanzug, -und von seinen Offizieren begleitet, in eine reichgeschmückte Gondel -steige, in einem goldenen Becher Wasser aus dem Strome schöpfe und dann -hinüberfahre nach dem Winterpalais, um es dem Kaiser zu überbringen. -Tausende von Menschen strömten zusammen und füllten den Platz, während -der mächtige Herrscher oben den Becher empfing und auf das Wohl seiner -Residenz leerte. So war es alter Brauch, und der Kommandant erhielt -demselben gemäß zweihundert Dukaten. - -Nun begann der Lenz auch die Ufer des Flusses zu schmücken, und -die Straßen der Stadt wurden lebendiger, zumal der glänzende -Newski-Prospekt. An der Umgebung der Residenz aber fand Bismarck -kein besonderes Gefallen. Nach Süden zu hatte die Kunst der Natur -einigermaßen nachgeholfen, nach den übrigen Seiten hin war noch viel -einförmiger Wald und Wildnis. - -Ein Punkt aber hatte für ihn eine freundliche Anziehungskraft; hier -wehte es ihm entgegen wie der Hauch der Heimat. Das war das Schloß -_Peterhof_, der überreich geschmückte Sommersitz Peters des Großen, das -Versailles der russischen Kaiser, zu jener Zeit aber der Aufenthaltsort -der Kaiserin-Mutter Charlotte, der Tochter der unvergeßlichen Königin -Luise von Preußen. - -An einem herrlichen Lenztage hatte er sie abermals aufgesucht, und -sie empfing ihn wie eine mütterliche Freundin. Auch heute saßen sie -auf dem Balkon, die Kaiserin auf der Chaiselongue, er selbst in einem -Fauteuil, und sahen hinaus auf das Bild zu ihren Füßen: Unmittelbar -unter ihnen der prächtige Garten mit seinen leise rauschenden Bäumen -und seinen springenden Kaskaden, dann weiter hinaus der wunderbare -Blick auf die märchenhafte Landschaft, in der aus grünen Gehegen weiße -Schlösser hervorlugen, darunter zumal das anmutige Babigon, glitzernde -Teiche, breite Alleen, dann zur Rechten die große Residenzstadt, zur -Linken die weißen Mauern der Festung Kronstadt, und im Hintergrunde das -schimmernde Meer und die im Blauen verdämmernde Küste von Karelien. Die -alte Dame in dem schwarzen Seidengewande, die mit langen Holzstäben -an einem Wollschal strickt, läßt die fleißigen Hände einen Augenblick -sinken und sagt: - -»Manchmal habe ich hier an Potsdam gedacht und Sanssouci; hier ist ja -alles größer und glänzender, daheim aber ist es voll lieber Anmut –« - -»Ja, Majestät, die Scholle, auf welcher unsere Wiege stand, bleibt -immer die schönste,« erwiderte Bismarck, »und sie lieben wir -unvergessen, und für sie setzen wir unser bestes Blut ein.« - -»Das kann der Mann; die Bestimmung der Frau ist anders, zumal die -der Fürstin. Ihr gibt das Geschick oft eine neue Heimat, die ihr von -Gottes und Rechts wegen an das Herz wachsen muß, und es kann dann für -sie nichts herber sein, als wenn ihr Herz in Zwiespalt kommt, mit den -leidigen Erwägungen der Politik. Ich und der Kaiser nicht minder, wir -haben uns gefreut, daß Preußen im Krimkriege Neutralität bewahrte, und -dafür sind wir Ihnen ganz besonders dankbar, lieber Bismarck.« - -»Ich habe dabei lediglich das Beste für Preußen im Auge gehabt, -Majestät, genau so, wie ich es in der gegenwärtigen Verwicklung -zwischen Österreich und Italien halte.« - -»Sie meinen nicht, daß es für Preußen richtig sei, zugunsten -Österreichs zu intervenieren?« - -»Wenn wir hier eingreifen, so wird das für uns gleichbedeutend damit, -daß wir Österreich den Krieg abnehmen und uns für dasselbe opfern. Mit -dem ersten Schuß am Rhein wird der _deutsche_ Krieg die Hauptsache, -weil er Paris bedroht. Österreich bekommt Luft, und wird es seine -Freiheit benutzen, um uns zu einer glänzenden Rolle zu verhelfen? Wird -es vielmehr nicht dahin streben, uns das Maß und die Richtung unserer -Erfolge so zuzuschneiden, wie es dem spezifisch österreichischen -Interesse entspricht? Und wenn es uns schlecht geht, so werden die -Bundesstaaten von uns abfallen wie welke Pflaumen im Winde, und -jeder, dessen Residenz französische Einquartierung bekommt, wird sich -landesväterlich auf das Floß eines neuen Rheinbundes retten.« - -»Sie mögen recht haben, und haben auch den schärferen Blick für die -Verhältnisse – ich möchte nicht so düster sehen, aber wir Frauen sind -Gefühlspolitiker. – Doch schauen Sie!« - -Die hohe Frau deutete mit der Rechten hinaus auf das Landschaftsbild, -wo über der See die Sonne unterging. Ein rötlicher Schimmer lag -über den blinkenden Wasserspiegeln, heller hoben sich die Häuser der -Residenz, die schweren Gebäudemassen von Kronstadt vom Horizonte ab. - -»Es hat doch jedes Land seine wunderbaren, ihm eigentümlichen -Schönheiten – das Bild ist einzig, Majestät!« - -»Dies Bild hat seinen eigentümlichen Reiz. – Gewiß, aber Petersburg -selbst ist eine moderne Großstadt wie die meisten anderen. Wenn Sie ein -eigenartiges Stadtbild sehen wollen, müssen Sie nach Moskau fahren. -Moskau ist Rußland, das alte, starre, halbasiatische Rußland. Den -Genuß lassen Sie sich nicht entgehen. Und jetzt eben wäre die beste -Reisezeit; wenn Ihre Geschäfte es gestatten, würde ich Ihnen sehr dazu -raten, lieber Bismarck.« - -Und nun plauderte die Kaiserin so heiter und geistvoll von der alten -Russenstadt, daß ihr Zuhörer sich ganz in die seltsamen Bilder -versenkte, welche sich vor seinem Geiste entrollten, und entschlossen -war, bereits in der nächsten Zeit nach der Stadt aufzubrechen, welche -einst dem großen Napoleon zu fürchterlichem Verhängnis geworden war. - -Es war zu Anfang des Juni, als er seinen Vorsatz ausführte. - -Der Sonnenschein lachte in die Fenster des Kupees herein und lag -draußen über dem grünen Lande, als er abfuhr; die Tage brachten -eine beinahe unbehagliche Wärme, und da die Gegend anfing einförmig -zu werden mit ihren weiten, grünen Ebenen, Sumpfgeländen und -Birkenwäldchen, zwischen welchen keine Stadt, ja, selten ein Dorf das -Vorhandensein von Menschen bekundete, gab sich der Reisende dem Behagen -des Schlafes hin. - -Als er am nächsten Morgen erwachte – es war hinter der Station Twer – -und durch das Fenster blickte, glaubte er seinen Augen kaum trauen zu -dürfen; im Frührot schimmerte weithin auf der Ebene der Schnee! - -Und weiter rollte der Zug und hielt endlich im Bahnhofe in Moskau, -der heiligen Stadt der Russen. Feiner Regen sickerte nieder, als -er durch die Straßen fuhr, und der Schnee war wieder verschwunden. -Bismarck stieg im Hotel de France ab, und nachdem er von hier aus -einen brieflichen Gruß an Frau Johanna geschickt hatte, machte er sich -daran, die wunderliche Stadt kennen zu lernen, in welcher Europa und -Asien sich gleichsam die Hand reichen, und die einen seltsamen Zauber -auf jeden Besucher ausübt. Das Aussehen von Moskau ist seit dem großen -Brande im Jahre 1812 sehr zu dessen Vorteil verändert, aber auch in -der Erneuerung ist man dem alten Stil treu geblieben in der Anlage der -meist gekrümmten Straßen und in der Mischung aller Bauarten der Welt. -Von freier Höhe sah Bismarck die Stadt unter sich liegen mit ihren -grünen Dächern, ihren zahllosen grünen Kirchenkuppeln, ihren prunkenden -Palästen; zwischendurch windet sich das glitzernde Band der Moskwa, -an deren linkem Ufer das Kapitol der Stadt, der Riesenbau des Kreml -mit seinen 32 Kirchen und zahlreichen Palästen, sich erhebt, überragt -von dem achteckigen »Iwan Weliki«, über dessen zwiebelförmiger Kuppel -das hohe, vergoldete Kreuz weithin leuchtet im Sonnenglanz. Es war ein -Städtebild von überwältigender Großartigkeit und einem märchenhaften -Reiz. - -Auch die Umgegend der Stadt wurde durchstreift, dem Schlosse Petrowski, -das nach dem großen Brande Napoleon zum Hauptquartier gedient hatte, -ein Besuch abgestattet und zwischen Dörfern und Fabriken weit -hinausgeschweift in die wellenförmige, fruchtbare Ebene, bis sie in die -weite, wüste Steppe übergeht. - -Aber für die mannigfachen Genüsse dieser Reise mußte Bismarck büßen. -Nach Petersburg zurückgekehrt, erkrankte er an einem rheumatischen -Leiden, das sich immer mehr steigerte, und so lag er in seinen -Schmerzen fern von der Heimat und von seinen Lieben, an welche er mit -Sehnsucht dachte, und ließ sich von den russischen Ärzten Schröpfköpfe -aufsetzen und mit spanischen Fliegen quälen, bis seine gute Natur -wenigstens einigermaßen ihn auf die Beine brachte, so daß er imstande -war, am 28. Juni nach Peterhof hinauszufahren zu der Kaiserin-Mutter, -welche über sein Aussehen erschrak. - -»Aber Sie müssen Urlaub nehmen, lieber Bismarck, und einige Zeit in der -Heimat zubringen. O, die Luft der Heimat und der Hauch der anmutigen -Häuslichkeit tun Wunder. Ihre Frau wird recht in Sorge um Sie sein!« -sagte die gütige Zarin. - -Bismarck erwiderte: - -»Um den Urlaub habe ich bereits nachgesucht, Majestät, und was Frau -Johanna betrifft, so hat sie gottlob keine Ahnung, wie man mir hier -zugesetzt hat – sie weiß nur etwas von meinen üblichen Hexenschüssen.« - -»Sie sind ein guter Gatte – aber Frau Johanna verdient einen solchen -nach allem, was ich von ihr weiß. Grüßen Sie dieselbe herzlich von mir.« - -Nach einiger Zeit brach er nach Deutschland auf. Angenehm war das -Reisen nicht. Bis Dünaburg ging es an, weil im Eisenbahnkupee doch -noch einigermaßen Bequemlichkeit zu erreichen war. Von dort aus -nach Königsberg aber ging es zu Wagen weiter, und Bismarck merkte -schon während der Fahrt, daß das Leiden sich mit erneuter Heftigkeit -eingestellt hatte. - -So kam er in Berlin an, ein kranker Mann, und der Arzt war beinahe der -erste, welcher ihm seinen Besuch im Hotel d’Angleterre abstattete. -Zumal mit dem linken Beine sah es schlimm aus. Hier hatte er eine -Erinnerung an seine schwedischen Jagdfahrten sitzen, wo er sich bei -einem Falle am Schienbein verletzt hatte – und hier rumorte nun der -Rheumatismus am heftigsten, so daß die verordnete Jodtinktur nicht nur -nicht wirkte, sondern, wie es schien, das Übel noch verschlimmerte. - -Da blieb denn nichts anderes übrig, als den besten Arzt herbeizurufen. -Dieser trat denn auch, eben aus Pommern angekommen, in die Krankenstube -und brachte Sonnenschein und eine heilende Hand mit. Es war Frau -Johanna. Sie machte dem Gemahl zärtlich besorgte Vorwürfe, daß er nicht -früher ihr von seinem Zustande Mitteilung gemacht hatte; der aber war -glücklich, als er sie bei sich hatte, und als sich auch ohne Jodtinktur -durch ihre sorgsame Pflege, durch ihr klares, heiteres Wesen, durch -ihre Umsicht und ihr Geschick sein Zustand bald so besserte, daß er -daran denken konnte, nach dem Bade Nauheim zu gehen. - -So kam der September, und der Prinzregent rief ihn nach Berlin, wo er, -obgleich von der Jodvergiftung noch nicht ganz erholt, doch seine Kraft -dem Vaterlande zur Verfügung stellte, da es galt, den russischen Kaiser -in Warschau zu begrüßen und ihn von dort nach Breslau zu begleiten zu -einer Zusammenkunft mit dem Prinzregenten. - -Am 16. Oktober reiste Bismarck von Berlin ab und hatte das Glück, -unterwegs mit einem alten russischen General zusammenzutreffen, welcher -ihn auf einer polnischen Station erkannt hatte. Die Wirtschaft hier -an der russischen Grenze war für gewöhnliche Reisende nicht gerade -ergötzlich: Die Polizeibehörde verlangte den Paß, die Zollbehörde -begehrte Einsicht in das Gepäck, – so ein russischer General ist jedoch -ein Gewaltherr, mächtiger als ein preußischer Gesandter, und Bismarck -wurde nicht bloß aller Plackerei überhoben, sondern fuhr auch mit -dem alten Herrn in dessen Extrazug weiter, noch dazu im kaiserlichen -Salonwagen. - -So ward Lagienki erreicht, wo einst Stanislaus August sich einen -prächtigen Sommersitz erbaut hatte inmitten eines herrlichen, weit -ausgedehnten Gartens, in welchem noch eine ganze Anzahl kleiner Paläste -sich um das Schloß des Herrschers gruppieren. - -Hier vergingen einige Tage in vergnügter Weise. Ein prächtiges Hoffest, -bei dem Wald und Wasser märchenhaft schön beleuchtet war und das alte, -prachtliebende polnische Blut seinen ganzen Glanz und seine volle -Lebhaftigkeit entfaltete, sowie eine Jagd im Parke von Skierniewice -hatten für Bismarck besonderes Interesse, und doch war er froh, als er -über Breslau wieder in Berlin eintraf und von hier nach dem lieben, -stillen Reinfeld fuhr. - -Und wenn es denn nun wieder nach Rußland auf seinen Posten gehen -sollte, so sollte er diesmal doch nicht allein reisen; seine Familie -ging mit ihm an die Newa, und nun überkam ihn beinahe eine stille -Sehnsucht nach dem Winterquartier in Petersburg; mit Frau Johanna -und seinen Kindern zur Seite gedachte er auch den russischen Winter -auszuhalten. - -Er war mit den Seinen bereits in Elbing eingetroffen; da dachte er -seines Freundes, des Herrn von Bülow, der nicht gar fern auf seinem -Gute Hohendorf saß, und diesen suchte er auf. Es war nur ein kurzes -Wiedersehen geplant, aber das Geschick fügte es anders. Er erkrankte -hier auf Hohendorf an einer schweren Lungenentzündung, und wieder hatte -Frau Johanna mit ihrem besorgten Herzen alle Hände voll zu tun, um den -teuren Mann zu pflegen. - -Für diesen Winter war an die Petersburger Reise nicht mehr zu denken. -Am behaglichen Kamin zu Hohendorf saß der langsam Genesende, stocherte -nach seiner Gewohnheit in der zuckenden Flamme, freute sich, daß er -wenigstens die Seinen bei sich haben konnte, und plauderte mit seinem -Freunde über die politische Lage, die ihm ganz leidlich behagte. - -Der österreichisch-italienische Krieg war vorüber, Preußen hatte -sich dabei nichts vergeben, sondern in würdiger Weise seine Stellung -gewahrt, ja, es war durch die Verhältnisse in den Stand gesetzt, näher -an die eigentliche deutsche Frage herantreten und eine Reorganisation -des deutschen Bundes ins Auge fassen zu können. - -Der Rekonvaleszent auf Hohendorf freute sich, daß die Dinge still für -sich weiterreiften, ohne damals zu ahnen, daß er selbst die letzten -entscheidenden Worte dabei sprechen und die entscheidenden Taten dafür -tun sollte. - -Es kam wiederum der Frühling; der Mai streute seine Blüten durch das -deutsche Land, und nun konnte Bismarck erst daran denken, mit seiner -Familie auf seinen Posten abzureisen. - -Am 5. Juni rollte der Wagen durch die russische Residenz, welcher -den preußischen Gesandten und die Seinen nach dem englischen Kai -führte, wo er im Hause der Gräfin Stenbock schon im vorigen Jahre -eine entsprechende Wohnung gemietet hatte. Sie war weit und geräumig, -und wenn auch die Möbel darin abgenutzt und »ruppig« schienen, bald -ging auch durch diese Räume wie einst in Frankfurt der Hauch einer -Gemütlichkeit und eines vornehmen Behagens, wie es hier an der Newa -vielleicht einzig dastand. - -Der Sommer und Herbst vergingen. Besuche und Jagdfahrten unterbrachen -das Petersburger Leben in angenehmer Weise. Auf Peterhof hatte Bismarck -zum letztenmal am 1. Juli 1860 die liebenswürdige Kaiserin-Mutter -besucht – sie starb bald darauf – und er behielt die hohe Frau in -freundlichstem Gedenken. Auf der Wende von Herbst und Winter aber -begannen die Jagden. Da gab es noch Bären und Elche in den russischen -Wäldern, und für den Weidmann war es eine Lust, im dicken, kurzen -Jagdpelz und mit den hohen Juchtenstiefeln durch Gestrüpp und -Schneehalden zu waten nach köstlicher Beute. - -Der Winter aber rückte einen freundschaftlichen Kreis näher aneinander. -In den hohen, weiten Räumen flimmerte der Lichtglanz, behagliche -Wärme durchflutete die Gemächer, und im Speisezimmer saßen liebe -Gäste: Der gute Graf Kaiserlingk, der einst in Berlin den Studiosus -Bismarck mit Beethovenschen Sonaten erfreut, und welcher jetzt die -Würde eines Kurators der Universität Dorpat bekleidete, die preußischen -Gesandtschaftsmitglieder General von Loën und Legationsrat von -Schlözer, der russische Hauptmann von Erckert und andere. - -»Ja, was wollen Sie, Kaiserlingk,« sagte der liebenswürdige Hausherr, -»so glänzende Feste wie der französische Gesandte kann ich nicht geben -bei meinen 25000 Talern Gehalt und 8000 Talern Mietgeld; er hat 300000 -Franken zur Verfügung.« - -»Dafür kann auch er keine Feste geben wie Sie, Exzellenz!« erwiderte -Erckert; »dort ist man immer unter einem unbehaglichen Zwange, hier -fühlt man sich wie daheim.« - -»Na, das freut mich! So ist mir’s auch am liebsten! Doch nun -erlauben Sie mir, daß ich mich an den Kamin setze, das gibt mir ein -absonderliches Behagen!« - -Zwanglos gruppierten sich die Gäste, und einer von ihnen bemerkte: - -»Sie haben doch wenigstens freie Feuerung, Exzellenz, und das will in -Rußland etwas bedeuten.« - -»Gott bewahre, mein Bester, die muß ich auch bezahlen. Das Holz wäre -übrigens nicht so teuer, wenn die Beamten es nicht so teuer machten. -Da sah ich einmal schönes Holz auf einem finnischen Boote. Ich fragte -die Bauern nach dem Preise, und sie nannten mir einen sehr wohlfeilen. -Als ich’s aber kaufen wollte, fragten sie mich, ob es für den Fiskus -wäre. Da beging ich die Unvorsichtigkeit, zu antworten: Nicht für den -kaiserlichen Fiskus, sondern für den königlich preußischen Gesandten. -Preußen wäre wohl ein Gouvernement des russischen Reiches? Ich sagte, -das gerade nicht, aber die Gesandtschaft hat mit der kaiserlichen Krone -zu tun. Das war eben unvorsichtig, undiplomatisch; es befriedigte die -Bauern offenbar nicht, und es half auch nichts, daß ich ihnen das Geld -gleich geben wollte. Sie fürchteten ohne Zweifel, daß ihnen dasselbe -von mir wieder abgedrückt werden würde, und daß man sie obendrein unter -dem Vorwande, sie hätten das Holz gestohlen, einstecken und ihnen -Prügel aufzählen würde. Als ich später wiederkam, waren sie alle auf -und davon. Hätte ich ihnen die Adresse eines Kaufmanns gegeben, mit -dem ich mich inzwischen verständigen konnte, hätte ich das Holz um den -dritten Teil dessen gehabt, was ich sonst bezahlte.« - -Das Gespräch kam auf die Jagd, zumal sich manche schöne Trophäe -derselben in der Wohnung Bismarcks befand. - -»Sie scheinen ein besonderer Günstling St. Huberts zu sein nach allem, -was ich sehe und höre,« sagte einer der Anwesenden, und Hauptmann -Erckert erwiderte: - -»Herr von Bismarck schießt eine absolut sichere Kugel. Da erzählte -mir ein Bekannter, der Oberst M., vor kurzem, er sei mit fünf anderen -Jagdgefährten und unserem liebenswürdigen Hausherrn auf die Bärenpirsch -gefahren. Als der erste Bär sich zeigte, schoß Herr von Bismarck, und -das Tier brach im Feuer zusammen; es kam ein zweiter Bär, der nächste -Schütze fehlte ihn, Herr von Bismarck aber streckte ihn mit einem -Prachtschuß nieder. Ein dritter Bär rückte an, der Oberst schoß zweimal -nach demselben ohne Erfolg, und in demselben Augenblick hatte Herr von -Bismarck ihn mit tödlicher Sicherheit gefällt. Ein vierter Bär kam -nicht!« - -Das Töchterchen Bismarcks lehnte bei diesen Gesprächen an dem -Fauteuil der Mutter, die beiden Söhne, der zehnjährige Herbert und -der achtjährige Bill (Wilhelm), hörten dem Gespräch von einer Ecke -des Gemaches aus zu. Als die Rede von der Bärenjagd war, flüsterten -sie einander etwas zu und eilten dann hinaus. Das Gespräch hatte bald -eine andere Wendung genommen, als sie wiederkehrten, und hinter ihnen -trabten und kollerten zwei kleine, drollige, braune Tiere herein. - -»Ah, da kommt Mischka,« rief lachend Bismarck, einige Damen schrien in -augenblicklichem Schrecken auf, aber als sie die zwei possierlichen -Kerle näher ansahen, schwand jede Furcht. Es waren zwei junge Bären, -die der Hausherr gleichfalls auf der Jagd erbeutet hatte. Die Tiere -waren offenbar nicht das erstemal in den Gesellschaftsräumen der -preußischen Gesandtschaft. Sie wälzten sich behaglich auf dem Teppich, -kletterten sogar auf den Tisch und gingen behutsam darüberhin, und -als ein Diener erschien und Erfrischungen servierte, schienen sie zu -glauben, daß ihnen ein Genuß zugedacht sei, und sie hefteten sich an -die Fersen des Mannes; als er sich nun nicht um sie kümmerte, zwickten -sie ihn in die Beine, so daß er Mühe hatte, sich der drolligen braunen -Burschen zu erwehren. - -So verfloß der Abend in zwangloser Heiterkeit und liebenswürdigem -Verkehr. - -Auch in Petersburg ließ sich’s leben, und sogar mit einem gewissen -Behagen. Die Vormittage gab es wenig zu tun, und sie wurden der -Promenade, dem Frühstück und etwaigen Kurvorschriften gewidmet. Der -Nachmittag bis fünf Uhr gehörte dem Dienst, der Abend, soweit es -möglich war, der Familie. Sonnabend abends nahm Bismarck überdies -eine Repetition vor mit seinen Söhnen, die sich dann mit ihren Heften -bei ihm einzufinden hatten, und die der Vater in Gegenwart ihres -Hauslehrers, des Kandidaten Braune, sehr eingehend examinierte. - -Drei Jahre gingen in Petersburg hin, vielfach allerdings durch Reisen -im Dienst unterbrochen. Mancher bedeutsamen Fürstenzusammenkunft hatte -er mit dem Prinzregenten beizuwohnen, und am 18. Oktober 1861 war er -in Königsberg Zeuge der erhebenden Feier der Krönung Wilhelms I., der -seinem am 2. Januar verstorbenen Bruder auf dem Throne folgte. Als -»Wirklicher Geheimer Rat« kehrte er nach Petersburg zurück, und in -seiner Seele leuchteten wie ein herrlicher Stern die Worte nach, welche -der neue königliche Herr gesprochen hatte: - -»Meine Pflichten für Preußen fallen mit meinen Pflichten für -Deutschland zusammen.« - -Noch einmal sah er die in Eisesfesseln geschlagene Newa, die -verschneiten Paläste des Alexander Newski-Prospektes, die glänzenden -Feste des Zarenhofs, und sein einfach-vornehm-gemütliches Haus war die -liebliche deutsche Oase im russischen Osten. - -Im Mai 1862 war er bereits wieder in Berlin, gewärtig dessen, was sein -König über ihn verfügen würde. Es war eine Zeit einer unangenehmen -Spannung, und er war nahe daran, in das neugebildete Ministerium -berufen zu werden. Aber die Sache blieb in der Schwebe, und Bismarck -ritt jeden Morgen mit neuer Ungeduld auf seiner Fuchsstute hinaus in -den Tiergarten, sah den Frühling ringsum sich entfalten und Blüten -treiben und dachte an seine Lieben, welche indes in dem stillen Pommern -weilten. So kam er wieder einmal heimgeritten, und das erste, was man -ihm noch im Sattel entgegenreichte, war ein amtliches Schriftstück -mit dem bekannten großen Siegel. Er erbrach es und las, daß er zum -Gesandten in Paris ernannt sei. - -So ging es aus dem Osten nach dem Westen Europas, und noch im Mai traf -er in der glänzenden Weltstadt an der Seine ein, wo Napoleon III. sein -neues Kaiserreich errichtet hatte und den Plan entwarf, »die Karte von -Europa in Ordnung zu bringen.« - -Ein freundlicher Frühlingstag lachte über Paris, seinen glänzenden -Boulevards und seinen leichtlebigen Menschen, der 1. Juni war’s, und -durch die Straßen fuhr die goldglänzende Hofequipage, welche den -preußischen Gesandten nach den Tuilerien führte und zur Empfangsaudienz -bei dem Kaiser. Dieser war freundlich und entgegenkommend, und auch die -Kaiserin zeigte sich von einer liebenswürdigen Seite. - -Hier warm zu werden, durfte Bismarck kaum hoffen; er hatte die -Empfindung, auf einer Durchgangsstation zu sein, die ihn bald entweder -auf den Ministersitz in Berlin oder in das Stilleben des märkischen -Landedelmannes führen mußte. - -Noch im Juni hatte er sich zur Weltausstellung nach London begeben, und -dabei die hervorragendsten englischen Staatsmänner kennen gelernt, und -nachdem ihm ein Urlaub bewilligt worden, verließ er das sommerheiße -Paris, um den schönen Süden Frankreichs kennen zu lernen. - -In dem alten Königsschlosse der Orleans, Chambord, das wie ein -Märchenbild mit seinen sonnbeglänzten stillen Hallen und Höfen sich -vor ihm auftat, dachte er der versunkenen Herrlichkeit des alten -französischen Herrschergeschlechts; vom alten Schlosse von Amboise -schaute er mit Entzücken hinaus auf das blühende Gelände an der Loire -mit den weißen Schlössern und Landhäusern, den weiten Maisfeldern, den -dunklen Kastanienwäldern und den grünen Weinbergen, und durch das Land -der Reben, wo an sonnigen Hängen von Margaux, Lafitte, St. Julien, -Latour und Armeillac die dunkelglutigen Trauben reifen, streifte er in -angenehmer Gesellschaft. - -Von Bordeaux fuhr er nach Bayonne durch Fichtenwälder, purpurblühendes -Heidekraut und gelben Ginster wie auf einem Blumenteppich, und von -dort durch die herrlichste Landschaft nach San Sebastian. Zur Linken -erhoben sich die gewaltigen Berge der Pyrenäen, zur Rechten leuchtete -der Spiegel des Meeres. Im Fuentarabia betrat er den Boden Spaniens, -»des schönen Lands des Weins und der Gesänge«. Steile, enge Gassen, -Balkone vor den Fenstern, Schönheit und Schmutz und lustiges Lärmen von -tanzenden Weibern auf dem Markte – ein fremdes, neues Bild! - -Dann saß er in dem berühmten Seebade Biarritz und schaute aus den -Fenstern des Hotel l’Europe hinaus auf die blaue See, wie sie weiß -aufschäumte zwischen den Klippen und gegen den Leuchtturm brandete, der -in ruhiger Majestät über Meer und Land hinblickte. Und am Strande von -Biarritz konnte man wohl auch an schönen Morgen, wenn der Wind kühl und -weich zu Lande wehte, ein paar Menschen sehen, denen alle die anderen -Badegäste nachschauten, und vor denen sich alle Häupter entblößten: -den breitschultrigen, hochgewachsenen preußischen Gesandten mit dem -Schlapphut auf dem mächtigen Haupte und ihm zur Rechten den dunkel -gekleideten kleinen Mann, der trotz seines Zylinderhutes nicht die -Größe des anderen erreichte – Kaiser Napoleon III. - -Zu Anfang September war Bismarck in Luchon und bestieg den Col de -Venasque. Durch Buchenwälder ging es empor, bis der Schnee begann und -wunderliche dunkle Seen aus dem weißen Rahmen und zwischen den bizarren -Klippen hervorschauten. Von einer Höhe von 7500 Fuß schaute er hinab -ins spanische Land mit seinen Palmen und Kastanien, wie es eingefaßt -von der Kette des Maladetta dalag. Unter den Beschauern lag es grün -und sonnig, durchgezogen von dem Silberband seiner Flüsse, und im -Hintergrunde abgegrenzt von schneestarrenden Gipfeln und bläulichen -Gletschern, hinter denen das stolze Aragonien sich ausbreitet. - -Eine Fülle von einzig schönen, fremden Bildern prägte sich der Seele -des deutschen Mannes ein, aber immer wieder kam ihm dabei der Vergleich -mit dem lieben Heimatlande, seinen grünen Bergen und seinem alten, -schönen Rhein. Und die Freude war nur halb für ihn, da er sie nicht mit -der lieben Frau teilen konnte, der er oft genug seine Grüße nach dem -stillen Reinfeld sandte. - -Am 15. September traf er in Avignon ein, dem französischen Rom, und -hier fand er eine telegraphische Nachricht von größter Wichtigkeit: -Sein König berief ihn als _Minister_ nach der Heimat zurück. - -Sinnend schritt der ernste Mann durch die herrlichen Gärten des Südens. -Seine Seele war voll von den Gedanken an die Zukunft, aber kein Ahnen -verkündete ihm noch, welchen Weg er eigentlich gehen, und welche Bahnen -er brechen sollte. Nach Frieden stand seine Seele, und durch blutige -Kriege sollte er schreiten! Über seinem Haupte rauschten noch die -Ölbäume Frankreichs, und er griff empor und brach sich einen Zweig ab, -den er sinnend betrachtete. - -Und mit dem Ölzweig, dem Symbol des Friedens, zog er in Berlin ein. - - - - -Achtes Kapitel. - -Der bestgehaßte Mann. - - -An einem Vormittage zu Anfang des November 1862 schritten zwei -stattliche Männer durch die Straßen der preußischen Hauptstadt. -Der eine war im Zivilanzuge mit dem dunklen Schlapphute auf dem -mächtigen Haupte, der andere trug den Militärpaletot; sein ernstes, -entschlossenes Gesicht mit dem kräftigen grauen Schnurrbart bekundete -Festigkeit und Mut. - -Die beiden waren sich eben begegnet und hatten sich die Hand -geschüttelt, dann waren sie nebeneinander hergegangen, und der Offizier -sagte: - -»Nun, wie war’s bei der Abschiedsaudienz in Paris, lieber Bismarck?« - -»Das will ich Ihnen kurz berichten, bester _Roon_. Am 1. November fuhr -ich höchst feierlich in St. Cloud vor und überreichte unter allem -herkömmlichen Zeremoniell dem Kaiser mein Abberufungsschreiben, wobei -ich ihm zugleich mitteilte, daß Seine Majestät mich am 8. Oktober zum -Ministerpräsidenten und Minister der Auswärtigen Angelegenheiten zu -ernennen geruht haben. Napoleon war sehr liebenswürdig und gutmütig, -aber einen Einblick in unsere Verhältnisse scheint er ebensowenig -zu haben wie große wissenschaftliche Kenntnisse; ich glaube, daß er -bei uns nicht einmal das Referendarexamen bestehen würde. Der Kaiser -meinte, nachdem wir hier in Preußen erst einmal den Konflikt zwischen -der Regierung und dem Abgeordnetenhause in der Frage der Heeresreform -haben, würde es wohl nicht lange dauern, und es würde einen Aufstand -geben in Berlin und Revolution im ganzen Lande, und bei einer -Volksabstimmung hätte der König alle gegen sich. Ich sagte ihm, das -Volk baue bei uns keine Barrikaden, Revolutionen machten in Preußen nur -die Könige. Wenn der König die Spannung, die freilich vorhanden sei, -nur drei bis vier Jahre aushalte, so habe er gewonnenes Spiel. Wenn -er nicht müde würde und mich nicht im Stiche ließe, würde ich nicht -fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen ließe, so hätte -er schon jetzt neun Zehnteile für sich. – Der Kaiser soll nach meinem -Weggange geäußert haben: »~Ce n’est pas un homme serieux~« (das ist -kein ernsthafter Mensch).« - -»Und Sie haben in allem recht: daß wir in der Frage der -Heeresverstärkung zum Besten Preußens nicht nachgeben dürfen, -ist für uns selbstverständlich; sollen wir einmal dem Staat des -großen Friedrich wieder die gebührende Stellung und vor allem seine -Führerrolle in Deutschland sichern, so brauchen wir ein starkes Heer. -Und daß wir das Volk auf unserer Seite haben, beweisen die zahlreichen -Abordnungen aus allen Teilen des Landes, die an den König kommen, um -gerade jetzt ihn der Treue und der Zustimmung seiner Untertanen zu -versichern.« - -»Gewiß, auch ich beharre fest bei dem, was ich in der Kammer schon -gesagt, und es ist meine tiefinnerste Überzeugung, daß Preußen nicht, -wie so oft schon, den günstigen Augenblick für sich verpassen darf -aus Mangel an Kraft, und daß die großen Fragen der Zeit zuletzt nicht -durch Reden und Majestätsbeschlüsse entschieden werden, sondern _durch -Blut und Eisen_. Darin werde ich mich nicht irremachen lassen, und ich -hoffe, die Zukunft wird mich verstehen.« - -Die beiden Männer kamen an dem Schaufenster einer Buchhandlung vorüber, -und Bismarck blieb stehen: - -»Lassen Sie uns sehen, was es Neues gibt!« Da hingen wunderliche -Bilder, Karikaturen, welche den Ministerpräsidenten in mancherlei -Situation darstellten, als feudalen Junker, welcher mit dem Besen die -großen Städte wegfegt, als Hausknecht, der den Saal der Abgeordneten -reinigt u. a. - -Der alte General biß sich auf den grauen Schnurrbart und fand in seinem -Unmute kein Wort, Bismarck aber lachte: - -»Sie sorgen damit besonders liebevoll für meine Popularität, und -einzelnes ist wirklich gar nicht übel; ärgern kann ich mich über dies -Zeug beim besten Willen nicht, ändern werden sie damit an mir auch -nichts.« - -Und sie schritten weiter, bis an die Ecke der nächsten großen Straße; -hier wollte Bismarck sich verabschieden, Roon aber sagte: - -»Nein doch, Verehrtester! Wenn Sie ein Stündchen Zeit haben, so nehmen -Sie mit uns das Frühstück ein; meine Frau wird sich herzlich freuen – -das wissen Sie!« - -»Ich bin ohnehin schon mehr bei Ihnen als daheim in meiner -Junggesellenwirtschaft – aber Sie wollen’s nicht anders, und ich kann -mir’s gefallen lassen, solange ich hier noch allein stehe.« - -Kurze Frist darauf saß er mit Roon zu Tische, und das Gespräch drehte -sich nicht mehr um die leidige Politik. Der General äußerte, sich -behaglich zurücklehnend in seinen Sessel: »Wenn ich mir das hätte -träumen lassen, lieber Bismarck, als ich in Pommern als blutjunger -Leutnant mit der Flinte hinauslief in die Felder oder Terrainaufnahmen -machte und Sie als frischer, prächtiger Junge mich begleiten, daß wir -einmal nebeneinander am Ministertische sitzen würden, Sie noch dazu – -mit allem Respekt zu melden – als Präsident –« - -»Weiter können wir nun allerdings nicht kommen, und meine gute Mutter, -die schon auf Kniephof immer einen Diplomaten aus mir machen wollte, -sollte doch einigermaßen ihre Freude an mir haben.« - -»Na, dafür hat jetzt Frau Johanna diese Freude!« bemerkte Frau von Roon. - -»Ja, meine gute Johanna! Sie kennt aber nicht bloß die Freuden, sondern -auch die Leiden des Diplomatenlebens. Ach, wie ich mich danach sehne, -endlich wieder die Meinen hier um mich zu haben in meinem einsamen -Hause in der Wilhelmstraße, das glauben Sie kaum. Ich habe meiner Frau -auch geschrieben, daß ich alle Tage bei den guten Roons esse, und -wenn sie und meine Fuchsstute nicht wären, ich mir gar zu vereinsamt -vorkäme. Dabei wie Leporello: Keine Ruh’ bei Tag und Nacht! Da wollte -ich vor kurzem einige Tage wenigstens mich bei Malwine auf Kröchlendorf -erholen, arbeitete bis tief in die Nacht hinein, und wie ich fertig -war, goß ich statt des Streusandes die Tinte über die Geschichte, -daß sie mir nur so an den Knien hinunterfloß, und die nächsten Tage -brachten wieder so viel Arbeit, daß ich meinen schönen Gedanken -aufgeben mußte. Aber alles für König und Vaterland! Unserem guten -König!« - -Er hob sein Glas mit dem funkelnden Wein, und hell klang es durch den -Raum. - -Dann kamen wiederum Tage heftiger Kämpfe. Das Abgeordnetenhaus war am -14. Januar 1863 wieder zusammengetreten, aber eine Verständigung über -die von dem König gewünschte, von Bismarck als unbedingt notwendig -verfochtene Heeresreform wurde zunächst nicht erzielt, ja, die Spannung -zwischen der Regierung und den Kammern wuchs noch, als in Polen ein -Aufstand gegen Rußland ausbrach und Preußen nur einen Vertrag mit -demselben schloß, wonach bewaffnete polnische Banden und revolutionäre -Flüchtlinge auch über die preußische Grenze verfolgt werden durften. -Da die polnische Bewegung überall große Sympathien hatte, mußte sich -Bismarck heftige Angriffe gefallen lassen, sogar auf seine »preußische -Ehre«, und wohl nur wenige verstanden diesen meisterhaften politischen -Schachzug des fernblickenden Staatsmannes, der sich für künftige -Vorkommnisse die Freundschaft des mächtigen östlichen Nachbars sichern -wollte. - -In jenen Tagen war es, daß er in einer Gesellschaft dem englischen -Gesandten, Sir Andrew Buchenan, begegnete, der ihn wegen des -geschlossenen Vertrages interpellierte. - -Bismarck erklärte rund und bündig: - -»Wir können ein unabhängiges Polen an unserer Grenze nicht dulden.« - -»Wie aber, wenn der immerhin mögliche Fall eintritt, daß die Russen aus -Polen hinausgeschlagen werden, was werden Sie dann tun?« - -»Dann müßten wir das Königreich selbst besetzen, um das Aufkommen einer -uns feindlichen Macht zu hindern.« - -»Dies wird Europa niemals dulden – nein, dies duldet Europa nicht!« - -»Wer ist Europa?« - -Der Engländer war über diese Frage einigermaßen verdutzt, dann -erwiderte er: - -»Nun, verschiedene große Nationen.« - -»Sind dieselben bereits einig darüber?« - -»Nun – die Frage ist ja – noch nicht ventiliert worden, aber Frankreich -beispielsweise würde niemals eine neue Unterdrückung Polens zulassen.« - -»Und für uns ist die Unterdrückung des Aufstandes eine Frage über Leben -und Tod; übrigens ist es nutzlos, hier nicht vorliegende Möglichkeiten -weiter zu erörtern.« - -Das war am 11. Februar gewesen, und eine Woche später stand der -Ministerpräsident im Abgeordnetenhause den erregten Volksvertretern in -derselben Angelegenheit gegenüber, und schwertscharf gingen die Worte -hin und her, so daß nicht lange darauf von dem König die Entlassung des -Ministeriums verlangt wurde. - -Dieser aber hielt seinen Minister, und der Landtag wurde aufgelöst. - -Aber trotz aller Anfeindungen fehlte es für Bismarck auch nicht an -ehrenvollen und ermunternden Anerkennungen. Besonders freute es ihn, -als eine Anzahl Patrioten ihm einen Ehrendegen überreicht hatte, -der auf der einen Seite der Klinge das Wahrwort des alten Ritters -Frundsberg: »Viel Feind’ viel Ehr’« trug, auf der anderen Seite aber -unter Bismarcks Wappen das Wort: - - Das Wegkraut sollt du stehen lan, - Hüte dich, Jung, sind Nesseln dran. - -Am 17. März 1863 hat er die schöne Waffe zum erstenmal getragen an -einem schönen Feste. Ein halb Jahrhundert vorher hatte an diesem Tage -König Friedrich Wilhelm III. den Aufruf an sein Volk erlassen zu dem -heiligen Kampfe gegen Napoleon, und nach fünfzig Jahren versammelte -König Wilhelm die Veteranen der Befreiungskriege um sich zu einer -erhebenden Erinnerungsfeier. Die breite Straße Unter den Linden entlang -zog die ehrwürdige Schar, geführt von dem Feldmarschall Wrangel, hinaus -nach dem Lustgarten. Aus allen Fenstern wurden die ersten Blüten des -Frühlings den greisen Männern zugeworfen, die an den Steinbildern ihrer -heldenhaften Führer vorbeiparadierten, und an dem Orte Halt machten, wo -das Standbild Friedrich Wilhelms III. sich erheben sollte. Das alte und -das neue Preußen reichten sich hier die Hand, und Gottes helle Sonne -beschien den vom besten Streben für sein Volk beseelten König und den -stattlichen Recken in Kürassieruniform, der an seiner Seite hielt, den -streitbaren und festen Ministerpräsidenten. - -Der Konflikt mit der Volksvertretung jedoch dauerte fort, und -Mißstimmung und Spannung gegen Bismarck waren noch im Wachsen. Aber nun -konnte er sich wenigstens nach den Kämpfen des Tages wieder im Kreise -seiner Familie erholen, und Frau Johanna hatte ihm in der Wilhelmstraße -eine freundliche Häuslichkeit geschaffen. - -Hier feierte er am 1. April 1864 seinen neunundvierzigsten Geburtstag, -und er brachte ihm zahlreiche Beweise von Liebe und Anhänglichkeit aus -Nähe und Ferne. Unter den vielen Schriftstücken lief auch eins ein, das -wunderlich genug war: Das polnische geheime Nationalkomitee in Warschau -teilte ihm mit, daß es das Todesurteil über ihn verhängt habe, und daß -er der Vollstreckung desselben gewärtig sein solle. - -Er las das Schreiben noch einmal, dann schritt er langsam dem Kamin zu, -in welchem das Feuer flackerte, und warf den Drohbrief gleichmütig in -die Flammen. Es war nicht das erstemal, daß ihm solches begegnete, und -Frau Johanna sollte sich nicht ängstigen, wenn ihr der Zufall etwa ein -solches Schreiben in die Hände brächte. - -Zu derselben Zeit war übrigens bereits eine neue bedeutsame Aktion im -Gange. Im Herbste 1863 war der König von Dänemark gestorben, und da -sein Nachfolger damit umging, die beiden Herzogtümer Schleswig und -Holstein gegen alles Recht seinem Staate einzuverleiben, nahm sich der -deutsche Bund der Bedrängten an. Bismarck aber hatte mit weitschauendem -Blicke erwogen, ob nicht eine Erwerbung dieser deutschen Ländergebiete -für Preußen möglich sei, und so setzte er durch, daß Österreich und -Preußen gemeinsam den Krieg gegen Dänemark führten. Und er wurde, -trotzdem das Abgeordnetenhaus dem Ministerpräsidenten die Mittel -verweigerte, entschieden und glücklich geführt, und endete damit, daß -Schleswig-Holstein an Österreich und Preußen abgetreten wurde. Nun -handelte es sich darum, wie es mit der Verwaltung beziehungsweise -Regierung in den Herzogtümern werden sollte, und Bismarck war fest -entschlossen, hier in keiner Weise sich von Österreich übervorteilen zu -lassen. Noch lag auf Preußen »die Schmach von Olmütz«, und diese mußte -gesühnt werden. - -Es war im Hochsommer des Jahres 1865. Auf einer freundlichen, von -Tannen umgrünten Höhe in dem herrlichen Badeorte Gastein liegt ein -im Schweizerstil mit vorspringendem Dach und Holzveranden versehenes -einfaches Haus, die Villa Hollandia, und hier war es, wo in den -Augusttagen des genannten Jahres, in einer einfachen Stube, deren -Fenster hinaussahen auf die grünen Föhren, eine Anzahl Staatsmänner -in ernsten Verhandlungen sich zusammenfanden. Das Geschick von -Schleswig-Holstein sollte entschieden werden. Heiß wurde hin und her -gesprochen, während der Regen draußen tagelang niedersickerte und ab -und zu den Ausblick verhüllte. Endlich erreichte Bismarcks Festigkeit -und imponierende Ruhe, daß ein Vertrag vereinbart wurde, wonach -Österreich über Schleswig, Preußen über Holstein Hoheitsrechte ausüben -und Preußen gegen eine Abfindungssumme von 2½ Millionen das Herzogtum -Lauenburg besitzen solle. Dabei gab es noch manche Nebenbestimmungen, -welche Preußen wichtige Rechte auch für Holstein sicherten. - -Am 20. August unterzeichneten in Salzburg die beiden Monarchen den -Gasteiner Vertrag, und nicht lange danach verlieh Kaiser Franz Josef -Bismarck den St. Stephanusorden, sein König aber zeichnete ihn -durch den hohen Orden vom Schwarzen Adler aus und erhob ihn in den -Grafenstand. - -Aber die so geschaffenen Zustände in den Elbherzogtümern waren -unhaltbar. Österreich begünstigte in Holstein die preußenfeindlichen -Bemühungen des Herzogs von Augustenburg, Bismarck protestierte dagegen, -von Wien aus erfolgte eine scharfe, abweisende Antwort, und so spitzte -sich die Spannung zwischen Österreich und Preußen immer mehr zu. In -Österreich begann man bereits militärische Maßregeln zu treffen, -und auch Bismarck blieb nicht müßig. Er sicherte dem Staate einen -Bundesgenossen in dem Königreiche Italien und wußte sich auch der -eventuellen Neutralität Napoleons zu versichern, und nun mochte es zum -Äußersten kommen. Einmal mußte doch die Führerschaft über Deutschland -mit Blut und Eisen entschieden werden. - -Im eigenen Lande aber verstand und würdigte man seine kühnen Pläne -nicht, schalt ihn einen Friedensstörer und bekämpfte ihn mit gehässigen -Verleumdungen, so daß zuletzt geradezu der Fanatismus gegen ihn -entfesselt wurde. - -Es war am 7. Mai 1866 um die fünfte Nachmittagsstunde. Bismarck kam -aus dem königlichen Palais, wo er Vortrag gehalten hatte, und schritt -sinnend, langsamen Schrittes die Straße »Unter den Linden« entlang. Er -erwog die eiserne Notwendigkeit der Entscheidung mit den Waffen, zu -welcher sein friedliebender Monarch sich noch immer nicht entschließen -mochte, und so hatte er weder ein Auge für den beginnenden Frühling in -den jungbegrünten Bäumen, noch für die Menschen, welchen er begegnete. - -So kam er bis in die Nähe des russischen Botschaftshotels. Da hörte er -plötzlich rasch nacheinander hinter sich zweimal einen kurzen Knall -und fühlte beinahe gleichzeitig einen Schmerz in der Seite. Er wandte -sich schnell um, und siehe, ganz nahe hinter ihm stand ein junger Mann, -der mit dem Revolver in seiner Rechten gerade nach ihm hinzielte. -Blitzschnell sprang er zu und faßte nach der Hand des Attentäters sowie -nach dessen Kehle. Da ging der Schuß los und streifte den Minister an -der Schulter; ehe es dieser versah, hatte der freche Angreifer auch -schon die Waffe in die Linke genommen und feuerte noch zweimal aus -unmittelbarster Nähe auf Bismarck; der eine Schuß fehlte, der andere -aber traf eine Rippe, und der Getroffene fühlte den erschütternden -Schlag so gewaltig, daß ihn die Besinnung zu verlassen drohte. Aber er -bezwang sich mit eiserner Gewalt und hielt den Menschen fest. Das alles -war wie in einem einzigen Augenblicke geschehen, und jetzt erklangen -ganz nahe Weisen eines militärischen Marsches. Ein Bataillon des -zweiten Garderegiments zog mit klingendem Spiele vorüber. Offiziere und -Soldaten sprangen heran, und wenige Minuten später wurde der Attentäter -gefangen abgeführt. - -Der Minister atmete einigemal tief auf; über ihm lacht der blaue -Lenzhimmel, um ihn bewegt sich die geschäftige Welt wie vordem, und die -Klänge des fröhlichen Marsches schlagen noch immer an sein Ohr – und -doch hat er in Minuten Großes erlebt. Er schritt langsam, aber von dem -seltsam erhebenden Gefühl des göttlichen Schutzes erfüllt, weiter, und -in seiner Wohnung in der Wilhelmstraße stieg er bereits völlig ruhig -die Treppen hinan und begab sich nach seinem Arbeitsgemache, um vor -allem seinem König die aufregende Meldung von dem Geschehenen zu machen. - -Dann wechselte er den Anzug und begab sich in den Salon seiner -Gemahlin. Er traf hier Gesellschaft, Damen und Herren, und begrüßte sie -in seiner gewohnten liebenswürdigen Weise, indem er scherzend, zu Frau -Johanna gewandt, beifügte: - -»Warum essen wir denn heute gar nicht?« - -Dann schritt er auf eine der Damen zu, um sie zu Tisch zu führen, und -dabei fand er Gelegenheit, indem er seine Gemahlin leicht auf die -Stirne küßte, ihr zuzuflüstern: - -»Mein Kind, sie haben auf mich geschossen, aber sei ruhig, es ist -nichts!« - -Die Gräfin erbleichte, und ein banger Schauer ließ sie einen Augenblick -erbeben – da war das Ereignis nicht länger zu verheimlichen. Eine -gewaltige Erregung bemächtigte sich der Gäste, schreckensvolle -Fragen, ängstliche Ausrufe klangen durcheinander, aber mit ruhigem, -verbindlichem Lächeln bat der Minister die Herrschaften, sich zu Tisch -zu begeben. Nun erzählte er kurz, wie sich alles zugetragen, und dann -aß er mit solcher Ruhe, als ob er von einem Fremden berichte, während -seine Gemahlin sowie die Gäste nicht imstande waren, sich um die -aufgetragenen Speisen zu kümmern. - -Man hatte den Arzt rufen lassen, der rasch genug zur Stelle war -und nach seiner Untersuchung die Erklärung abgeben konnte, daß die -erhaltenen Verletzungen durchaus leicht und unbedenklich seien. - -»Bei fünf Schüssen aus solcher Nähe,« sagte einer der Anwesenden – »das -ist wunderbar.« - -»Gewiß,« erwiderte der Arzt – »hier gibt es eben nur eine Erklärung – -Gott hat seine Hand dazwischen gehabt.« - -Es war wahrlich kein ruhiges Diner, das an jenem Maitag im -Ministerhotel in der Wilhelmstraße abgehalten wurde. Die Kunde von dem -Attentat hatte sich mit ungeheurer Schnelligkeit verbreitet, und zu -Wagen und zu Fuß kamen jetzt die hochgestelltesten Persönlichkeiten der -Hauptstadt, um ihre Glückwünsche auszusprechen. - -Allen voran war König Wilhelm gekommen. Bismarck war dem teuren Herrn -entgegengeeilt, und in einem stillen, einsamen Gemache standen die -beiden allein sich gegenüber. Tief ergriffen schaute der Herrscher -seinem treuesten Diener in die Augen, drückte ihm die Hände und zog ihn -an sich wie einen lieben Freund, Bismarck aber konnte auf die gütigen -Worte nur eines erwidern: - -»Mein Leben gehört Eurer Majestät zu jeder Stunde, ob ich für Sie -sterbe auf dem Schlachtfelde oder durch die Hand eines Mörders!« - -Prinzen, Minister, Gesandte der fremden Mächte drängten sich in -den nächsten Stunden herbei, um ihre Teilnahme und ihre Freude -auszudrücken, und ehe sich noch der Abend niedersenkte in die -Straßen der Residenz, strömten auch die Scharen des Volkes in der -Wilhelmstraße zusammen, um ihre Grüße und Wünsche dem wunderbar -Geretteten darzubringen. Der Haß gegen ihn schien wie hinweggewischt, -all die Tausende, welche hier durcheinanderwogten, und stürmisch ihn -zu sehen verlangten, empfanden jetzt vielleicht einen Hauch seines -patriotischen, opferbereiten Geistes, und als er an das Fenster trat -und die jubelnden, begeisternden Zurufe der Menge an sein Ohr schlugen, -da wurde die Seele des gewaltigen Mannes wundersam ergriffen, da hatte -er noch fester die Überzeugung, daß der Weg, welchen er gehe, der -rechte sei. - -Erst die Nacht brachte Ruhe in die Bewegung; im Ministerpalais in der -Wilhelmstraße schloß Bismarck sein Tagewerk mit einem stillen Dankgebet -und mit dem Gedanken, daß der Himmel selbst ihm ein Zeichen gegeben, -daß er ihn schützen wolle bei allem, was er für des Vaterlandes Ehre -unternehmen würde … und zur selben Stunde beinahe, in welcher er mit -dem Frieden eines guten Gewissens sein Lager aufsuchte, hatte sich -der frevelhafte Attentäter, der fanatische Karl Cohen, mit seinem -Taschenmesser die Pulsader durchgeschnitten. Er war am anderen Morgen -eine Leiche. - -Jetzt mochten die Würfel weiterrollen, er wollte und mußte die gerechte -Sache, die er begonnen, fortführen. Und die Ereignisse gingen nun -schnell genug. Österreich selbst drängte der Katastrophe entgegen. Mit -Verletzung des Gasteiner Vertrags überwies der Kaiser die Entscheidung -über Schleswig-Holstein dem deutschen Bund, berief die holsteinsche -Ständeversammlung, und als Preußen, um sein Mitbesitzrecht zu wahren, -Truppen in Holstein einrücken ließ, stellte er beim deutschen Bunde den -Antrag, gegen Preußen das Bundesheer mobil zu machen. - -Das geschah am 11. Juni 1866. Und nun kam das Ende der morschen, -kraftlosen deutschen Bundesversammlung. - -Am 12. Juni fand die Abstimmung statt; mit 9 Kurialstimmen gegen 6 -wurde die Bundesexekution gegen Preußen beschlossen, dessen Gesandter -nunmehr im Namen seiner Regierung den Bund als zerrissen erklärte mit -dem Beifügen, daß dieselbe auf besseren Grundlagen einen neuen zu -errichten bemüht sein werde. - -Nun mußte die Entscheidung durch die Waffen kommen. Eine fieberhafte -Erregung ergriff die Gemüter, zumal in der Hauptstadt. Tag und Nacht -arbeitete Bismarck, der Telegraph spielte ununterbrochen und trug seine -Botschaften weit hinaus ins Land: Der König rief sein Heer. - -In jenen Tagen saß der Minister einst im Vorzimmer des Herrschers. -Dieser war noch mit seinem kriegerischen Beirat in ernsten -Verhandlungen begriffen, welche sich außergewöhnlich in die Länge -zogen. Stille war rings um den Staatsmann, der Tag war heiß, die -Nacht arbeitsvoll gewesen. Da sank ihm langsam das Haupt auf die -Brust, die Natur machte auch an dem Gewaltigen ihr Recht geltend – er -schlummerte ein. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür des königlichen -Arbeitszimmers, und heraus trat ein Mann in Generalsuniform, eine Mappe -in der Hand. Er war weder sehr groß noch sehr kräftig, aber aus dem -bartlosen Gesichte mit den scharfgeschnittenen, geistvollen Zügen sahen -ein paar klare, kluge Augen, und um den schmalen Mund lag das Gepräge -unerschütterlicher Ruhe und Festigkeit. - -Das war _Moltke_, der große Generalstabschef, die Seele der Schlachten, -der schweigende Kriegesdenker. - -Er sah den Minister etwas wenig zusammengesunken in seinem Stuhle -sitzen, und es überkam ihn beinahe eine Wehmut. »Er hat so viel gewacht -für König und Vaterland« – dachte er – »wie gern gönnt’ ich ihm den -Schlummer – aber es darf nicht sein!« - -Leise berührte er Bismarcks Arm, dieser öffnete die Augen, sprang -empor, und eingedenk der Situation drückte er dem anderen warm die Hand -und schritt hinein in das Arbeitsgemach des Königs. - -In den Junitagen begann der Bruderstreit. - -Bei Langensalza wurde das Heer der Hannoveraner samt seinem König -gefangen, und in Böhmen geschahen die ersten siegreichen Gefechte. -Eine bange Erwartung lag über den Straßen Berlins, so schwül wie -das sommerheiße, gewitterbange Wetter. Da brachte der Telegraph die -ersten Siegeskunden. Am 29. Juni ging ein Wogen und ein Treiben, -belebter als sonst, durch die Straßen der Hauptstadt. Unter den Linden -vor dem Palais des Königs staute sich die Menge, begeisterter Zuruf -klang hinauf zu den Fenstern, und in das stürmische Jauchzen schollen -die Klänge der Vaterlandsweisen, welche zuletzt übergingen in das -machtvolle Streit- und Siegeslied Martin Luthers: Ein’ feste Burg ist -unser Gott! - -Es waren Stunden einer gewaltigen Erhebung und Bewegung; aber die Menge -hatte auch den Hauch jenes Geistes gefühlt, der von der Wilhelmstraße -herkam, und Bismarck, der »Bestgehaßte«, wurde mit einem Zauberschlage -der Bewunderte und Gefeierte. Die Volksmenge wälzte sich in dichtem -Strome nach seiner Wohnung; die breite Straße vermochte sie nicht zu -fassen alle die Tausende, die nach ihm riefen und ihm ihre Freude und -Verehrung ausdrücken wollten. Dunkle Wetterwolken schwankten am Himmel, -glutheiß lag es in der Luft – da trat Bismarck an das Fenster. In den -Jubelsturm der Menge dröhnte ein langhallender Donner, der einem Blitze -folgte, welcher mit seinem bläulichen Schein das bewegte Bild erhellt -hatte – dann wurde es still, und Bismarck redete, kurz und klar, -ergriffen und ernst, und als er mit einem Hoch schloß auf den König, da -schien die Straße zu erbeben unter der Gewalt der Begeisterung. - -Und wieder am Himmel ein flammender Blitz, ein schweres Rollen des -Donners, und Bismarck rief: - -»Der Himmel schießt Salut zu unseren Siegen!« - -Einen Tag später war er mit seinem Könige auf dem Wege ins Böhmerland. - - - - -Neuntes Kapitel. - -Im böhmischen Feldzuge. - - -Ein trüber Himmel breitete sich über der böhmischen Stadt Gitschin -aus, und ab und zu sickerte der Regen nieder in die grauen Gassen. Der -stille Ort sah an jenem 2. Juli hohe Gäste, wenn er sie auch freilich -nicht willkommen hieß. Der König war mit Bismarck, Moltke, Roon und -anderen hier eingetroffen, und traf von hier aus die Verfügungen für -den nächsten Tag – den Tag der Entscheidung. Bismarck wußte, was von -diesem abhing, und während in schweigender Nacht die Ordonnanzen auf -allen Wegen hinjagten und der Regen klingend gegen die Fenster schlug, -fand er lange keinen Schlaf. Er hatte in den Lazaretten an den Betten -der Verwundeten gestanden und hatte mehr als irgendeiner empfunden, wie -die Verantwortung für dies vergossene Blut und für diese Schmerzen auf -ihm ruhe, und er dachte seines Königs, dem er aus treuester Überzeugung -zu diesem Kampf raten mußte, und endlos lang dehnte sich die trübe -Sommernacht. - -Am frühen Morgen folgte der Aufbruch. Noch immer weinte es aus den -grauen Wolken nieder, als die offenen Wagen, in deren erstem der König -mit Moltke, im zweiten Bismarck mit dem Geheimen Legationsrat von -Keudell saßen, durch Gitschins Straßen hinausrollten gegen _Sadowa_. -Drei Stunden später – es war 8 Uhr morgens – hielt der König auf -seiner Rappstute, von seinem Gefolge umgeben, auf der Höhe von Dub und -sah hinaus in die Ebene von _Königgrätz_, und der begeisterte Zuruf -der Soldaten mischte sich mit dem Dröhnen der Kanonen … Die schwere, -entscheidende Schlacht war im Gange. - -Unfern von seinem König hielt auf seiner kräftigen Fuchsstute Bismarck. -Nebel und Pulverdampf wogen auf dem Walfelde durcheinander und -verhüllen oft die Bewegungen der Truppen, langsam gehen die furchtbaren -Stunden, und es ist um die Mittagszeit. Das preußische Heer ist in der -Minderzahl, und seine Führer spähen besorgt gegen Nordwesten aus, von -woher die Armee des Kronprinzen, die sehnlich erwartete, eintreffen -sollte. - -Der schweigsame Schlachtenlenker Moltke aber sitzt wie aus Erz gegossen -auf seinem Pferde; sein Gesicht ist ruhig, und klar und sicher schauen -die hellen Augen auf die wogende Schlacht. Bismarck reitet an ihn -heran; er zieht sein Zigarrenetui heraus und reicht es geöffnet dem -großen Strategen hin. Der sieht auf die beiden Zigarren, welche es -enthält, mit einem prüfenden Blicke, dann greift er langsam nach der -einen. Über die Züge des Ministers fliegt es wie ein leises Lächeln, er -reitet zu seinem König zurück und spricht zu diesem: - -»Majestät, unsere Sache muß gut stehen, denn Moltke hatte eben noch die -Kaltblütigkeit, aus meinem Etui die bessere Zigarre auszuwählen.« - -Noch immer spähten die Blicke nach Nordosten. Dunkle Streifen traten -am Horizont hervor, die man bisher nicht bemerkt zu haben meinte. -»Ackerfurchen!« sagte jemand aus der Umgebung des Königs, Bismarck aber -schaute scharf aus, und plötzlich rief er: - -»Das sind keine Ackerfurchen, die Zwischenräume ändern sich – das sind -marschierende Kolonnen!« Ein tieferer Atemzug hob die Brust des Königs, -dankend schaute eine Sekunde lang sein Auge gegen den grauen Himmel … -Nun kam die Entscheidung. Nicht lange danach donnerten von Chlum her -die preußischen Kanonen, der Kronprinz griff ein in die Schlacht, und -der Sieg konnte den Preußen nicht mehr entrissen werden. - -Da übermannte den König seine Bewegung. Er sprengte dicht heran an -seine zujauchzenden Soldaten, die nach seinen Händen, nach seinem -Mantel faßten und ihre Lippen daraufdrückten. - -Die Kugeln sausten und schlugen ringsum ein, eine zerspringende Granate -zerschmetterte ein Dutzend Reiter vom sechsten Kürassierregiment in -nächster Nähe des Herrschers, und Rosse und Männer wälzten sich blutig -übereinander, da ritt Bismarck dicht heran an den König, der mit voller -Ruhe nur auf die freudig bewegten Truppen achtete, und sagte: - -»Als Major habe ich Eurer Majestät keinen Rat zu erteilen, als -Ministerpräsident aber bin ich verpflichtet, Eure Majestät zu bitten, -sich nicht auf diese Weise der Gefahr auszusetzen.« - -Der König wendete sich lächelnd dem treuen Warner zu: - -»Wohin soll ich denn als Kriegsherr reiten, wenn meine Armee im Feuer -steht?« - -Bismarck entgegnete: - -»Majestät, wenn Sie auch keine Rücksicht auf Ihre Person nehmen, so -haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten, von dem Ihr -getreues Volk seinen König fordern wird; im Namen dieses Volkes bitte -ich Sie, diese gefährliche Stelle zu verlassen!« - -Der König sah gerührt den Treuen an, reichte ihm die Hand und ritt -langsam weiter, viel zu langsam für den besorgten Begleiter, der seine -Erregung nicht mehr bezwingen kann und mit seiner Stiefelspitze das -Pferd des Herrschers in die Flanke stößt, daß es rascher ausgreift. - -Die Entscheidungsschlacht war zu Ende – Bismarck sah am Abend auf -einen der gewaltigsten Tage in der Geschichte Preußens zurück. Der -Abend senkte sich auf das blutige Gefilde, Verwundete und Sterbende -stöhnten ringsum, und das Grauen schritt über das furchtbare Feld. Da -sah Bismarck, wie er so dahinritt, einen Dragoner zur Seite des Weges -liegen. Beide Beine waren dem Unseligen zerschossen, der regungslos -dalag und nur mit einem unsäglich bittenden Blick nach dem Reiter -schaute. Diesem tat der Jammer des Unglücklichen weh, er stieg vom -Pferde und trat an ihn heran. Gern hätte er ihm eine Linderung oder -Erquickung angedeihen lassen, er suchte in allen Taschen – aber er -fand nichts. Da stieß er mit der Hand an sein Zigarrenetui. Noch -eine Zigarre lag darin, sie sollte ihm selbst ein Labsal sein nach -den Anstrengungen und Aufregungen des Tages – aber der arme Teufel -mit seinen zerschossenen Beinen brauchte ein solches mehr, und rasch -entschlossen zog er seinen Schatz hervor, rauchte das duftende Kraut -an und steckte es dem Verwundeten zwischen die Zähne. Aus den Augen -des Soldaten aber leuchtete ein Blick unsäglicher Dankbarkeit, welchen -Bismarck nicht vergessen konnte, und besser hat ihm, nach seinem -eigenen Geständnis, keine Zigarre geschmeckt als diese, welche er – -nicht geraucht hatte. - -Vorwärts ging es, hinein in die sinkende Sommernacht, in Verfolgung des -geschlagenen Gegners, und der Ministerpräsident kam bis hart vor die -Laufgräben der Festung Königgrätz. Dann ritt er zurück, um sich ein -Nachtquartier zu suchen. Seinen König hatte er untergebracht, wenn auch -nicht besonders bequem; auf einem harten Sofa hatte derselbe ein Lager -gefunden, nun galt es, für sich selbst ein Plätzchen zu finden, wo das -müde Haupt ruhen konnte. - -Die Nacht war dunkel und kühl, der Regen rann noch immer in dünnen -Strähnen, und in dem Städtchen Horic waren alle Lichter längst -erloschen, als Graf Bismarck durch die engen und schlechtgepflasterten -Straßen ging. Er pochte da und dort an den Türen – niemand hörte, nur -das Bellen verschlafener Hunde klang durch die Stille. Unmutig schlug -er gegen die Fenster, daß die Scheiben splitterten – alles vergebens, -das kleine Nest war wie ausgestorben. - -Endlich fand er in der Dunkelheit einen Torweg, durch welchen er in -einen Hofraum hineintappte. Im schmutzigen, weichen Boden sank der Fuß -tief ein, endlich verlor er fast völlig den Grund und sank nieder auf -das zwar nicht harte, aber sehr übelriechende Bett eines Düngerhaufens. -Dreizehn Stunden war er im Sattel gewesen, seine Glieder waren wie -zerschlagen, aber hier konnte er doch nicht bleiben. So raffte er sich -aufs neue auf und suchte wieder die dunkle, unheimliche, stille Gasse -auf und schritt bis auf den Marktplatz. In verschwommenen Umrissen -standen die grauen Häuser da, dazwischen eine Art offener Halle. Dahin -wandte sich Bismarck, und ob er auch die Überzeugung gewann, daß -der Ort eigentlich zum Aufenthalt für Rinder bestimmt war, streckte -er sich – froh, ein Dach über dem Kopfe und ein altes Wagenkissen -unter demselben zu haben – auf die harten Fliesen aus und versank in -Schlummer. - -Aber noch einmal sollte er geweckt werden. Der Großherzog Friedrich -Franz von Mecklenburg fand den Schläfer und beeilte sich, ihm in seinem -eigenen Zimmer ein wenigstens einigermaßen behaglicheres Lager zu -verschaffen. - -In dem traurigen kleinen Horic befand sich in den nächsten Tagen auch -das Hauptquartier des Königs, und hier traf in der Nacht zum 5. Juli -eine Depesche Napoleons III. ein, welcher sich zum Friedensvermittler -mit Österreich anbot und einen Waffenstillstand in Anregung brachte. -Der König geriet darüber in heftige Erregung, Bismarck jedoch, der -Mann der eisernen Selbstbeherrschung, fand auch hier die richtige -Antwort. Den Frieden wollte er gleichfalls, nur mußte der Preis dafür -ein entsprechender sein, und so erhielt der französische Kaiser die -in bestimmter Form gehaltenen preußischen Vorschläge: »Österreich -erkennt die Auflösung des alten deutschen Bundes an und widersetzt sich -nicht einer neuen Organisation Deutschlands, an welcher es keinen Teil -nimmt. Preußen bildet eine Union Norddeutschlands, welche alle Staaten -nördlich der Mainlinie umfaßt. Die deutschen Staaten südlich vom Main -haben die Freiheit, unter sich eine süddeutsche Union zu schließen. Die -zwischen der nördlichen und südlichen Union zu erhaltenden nationalen -Bande werden durch freies, gemeinsames Einverständnis geregelt. Die -Elbherzogtümer werden mit Preußen vereinigt. Österreichs Integrität -außer Venetien wird erhalten.« - -Während die Verhandlungen noch schwebten, rückten die preußischen -Truppen unaufhaltsam vor gegen die Kaiserstadt an der Donau, und wenn -eine Besetzung derselben verhindert werden sollte, galt es für die -beteiligten Mächte rasch zu handeln. - -In Mähren liegt eine kleine Stadt, _Nikolsburg_ mit Namen, überragt von -einem stolzen Schlosse, dessen Warte stattlich ins Land hinaussieht; -es ist Eigentum des Grafen Mensdorff und kam in den Julitagen des -verhängnisvollen Jahres 1866 zu großer geschichtlicher Bedeutung. - -Hier hatte König Wilhelm sein Hauptquartier, und hier fand sich am 18. -Juli auch Graf Bismarck ein. Sinnend schritt er mit seinem Begleiter, -dem Geheimen Legationsrat von Keudell, durch den Torbogen in den -weiten, von stolzen Gebäuden umgebenen Hof, und wie er sein Auge -darübergleiten ließ, sprach er: - -»Mein altes Schönhausen ist doch nichts dagegen, dennoch ist mir’s -lieber, daß wir hier bei Graf Mensdorff sind, als daß er jetzt bei mir -wäre.« - -In Nikolsburg fanden sich auch die Vertreter Österreichs und Italiens -ein, und die Friedensverhandlungen begannen. Und hier brauchte es der -ganzen geistigen Überlegenheit, der rückhaltlosen Tatkraft Bismarcks, -um zu Ende zu führen, was er begonnen hatte. Friede wollte er haben, -und er wollte ihn zum Abschluß bringen, trotzdem die Generale des -siegreichen preußischen Heeres die Waffen noch nicht niederlegen -wollten. Selbst der König schien jetzt kriegerisch gesinnt, und sein -Ministerpräsident mußte auch ihm gegenüber seinen Standpunkt verfechten: - -»Majestät, wir haben eine Höhe erreicht, von der aus die Wasser von -selbst abfließen ohne Gewalt. Uns droht der Einfall der Franzosen in -Süddeutschland, und ein neuer Kampf würde unsäglich viel Blut kosten, -und die Cholera ist uns auf den Fersen. Ich kann die Verantwortlichkeit -der Fortsetzung des Krieges nicht auf mich nehmen und müßte -zurücktreten.« - -Das verfehlte seine Wirkung nicht, und Bismarck erreichte bei -seinem König auch die Zustimmung zu den meisten Einzelheiten seiner -Friedensvorschläge, und während ein Waffenstillstand die bewehrten -Gegner auseinanderhielt, ward in Nikolsburg auf den von Bismarck -entworfenen Grundlagen weiter verhandelt. Am 26. Juli aber konnte der -Meister der Politik sein Werk als fertig betrachten, und es war eines -Meisters wert. Preußen sollte eine Vermehrung erfahren um die Gebiete -von Hannover, Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt a. M. -und eine ansehnliche Kriegsentschädigung. Dabei war Energie mit kluger -Rücksichtnahme gepaart worden, der Weg zur Versöhnung mit dem Gegner -war offen geblieben, das diesem verbündete Sachsen geschont worden, und -worauf Bismarck sich viel zugute tun durfte – das alles war erreicht -durch Preußens eigene Kraft, und fremde Einmischung war ferngehalten -worden. - -Wohl hatte Napoleon seinen Abgesandten Benedetti nach -dem Kriegsschauplatze geschickt und einen Einfluß in die -Friedensverhandlungen gewinnen wollen, aber es war nicht geglückt. -Die Friedenspräliminarien waren fertig und brauchten nur noch -unterzeichnet zu werden, da erschien Benedetti in Nikolsburg. Er ließ -sich bei Bismarck anmelden, und dieser empfing ihn, obwohl ihn die -Aufdringlichkeit des Franzosen unangenehm berührte, freundlich. - -Der französische Gesandte sprach: - -»Ich habe die Ehre, im Auftrage meines Souveräns Ihnen mitzuteilen, daß -derselbe, wenn er seine Zustimmung zu einer ansehnlichen Vergrößerung -Preußens geben solle, eine angemessene Entschädigung für Frankreich -verlangen müsse. Sobald der Kaiser seine Vermittlerrolle in der -preußisch-österreichischen Sache zu Ende geführt haben wird, wird er -nicht verfehlen, sich mit der Regierung seiner Majestät des Königs von -Preußen deshalb auseinanderzusetzen.« - -Bismarck wurde von heißem Unmut erfaßt, aber zugleich auch von einem -Gefühl der Befriedigung darüber, daß der Franzose zu spät kam. Sehr -höflich, doch mit Festigkeit entgegnete er: - -»Ich bedaure, Eurer Exzellenz bemerken zu müssen, daß amtliche -Mitteilungen solcher Art heute durchaus nicht am Platze sind. Preußen -hat die Vermittlung Frankreichs nicht gesucht und ist meines Erachtens -um so weniger zu etwas verpflichtet, als der Friede bereits fertig ist -ohne Intervention Ihres Souveräns und die Präliminarien noch in dieser -Stunde unterzeichnet werden.« - -Er wandte sich ab mit einer Verneigung gegen den verblüfften -französischen Staatsmann und ging in sein Gemach. Die verhaltene -Erregung brach nun bei ihm durch. Die Tränen schossen dem gewaltigen -Manne aus den Augen, vor die er seine Hände preßte, ein Schluchzen -erschütterte den starken Recken, der von einem Weinkrampf erfaßt, -eine Zeitlang vergebens nach Fassung rang. Es war des Großen und -Erschütternden selbst für ihn zuviel gewesen in jenen Julitagen des -Jahres 1866. - -Nun ging es wieder der Heimat zu. Mit seinem König traf Graf Bismarck -am 4. August bereits in Berlin ein, begrüßt von einer enthusiastischen -Volksmenge, die in maßloser Begeisterung dem König und seinem ersten -Minister entgegenjubelte. Und schon am nächsten Tage klangen im weißen -Saale des königlichen Schlosses die Friedensworte des Herrschers, mit -welchen dieser den Landtag eröffnete. Begeisterung in allen Häusern, -in allen Herzen, ein ganzes Volk, das dem so lange »bestgehaßten« -Manne zujauchzte! Diesem aber ging die Seele auf bei dem Gedanken, -wie Gott alles zum Herrlichen gewendet hatte, und in dem Hause in der -Wilhelmstraße herrschte Glück und Freude. - -Am Abend des 7. August war ein kleiner Kreis von Freunden hier -versammelt. Im Salon saßen sie beisammen um den Teetisch, und die -anmutige Hausfrau wetteiferte an Liebenswürdigkeit mit dem Gatten, der -ganz das Behagen seiner wohltuenden Häuslichkeit empfand. Das war der -gewohnte sonnige Hauch, welcher durch diese Räume wehte, der Hauch der -vornehmsten und anmutigsten Gastlichkeit, welcher jedem den Aufenthalt -hier so lieb machte. - -Es mochte um die zehnte Stunde sein, da meldete der Diener dem -Hausherrn, daß der französische Botschafter Benedetti um die Ehre -einer dringenden Unterredung bitte. Bismarck war gewohnt, sich zu -beherrschen; er entschuldigte sich in liebenswürdigster Weise bei -seinen Gästen und ging nach seinem Kabinett. Er wußte wohl, weshalb -der Franzose gekommen war; es war dieselbe Angelegenheit, welche -er schon in Nikolsburg berührt hatte, die Frage wegen Abtretung -deutschen Gebiets an Frankreich; aber Preußens Ministerpräsident war -entschlossen, diesmal eine ganz unzweideutige Antwort zu geben. Und er -durfte das; seines Königs Paladine Moltke und Roon hatten die Waffen -geschliffen und konnten mit ruhiger Sicherheit auf eine schlagbereite -Armee hinweisen, die stark genug sein würde, es auch mit Frankreich -aufzunehmen. - -Das ging ihm rasch noch einmal durch den Sinn, als er in sein Kabinett -eintrat und Benedetti ihn mit höflicher Entschuldigung wegen der -Störung begrüßte. - -»Sie vermuten, weshalb ich Sie um einiges von Ihrer Zeit bitte,« begann -der Franzose. - -»Die schriftlichen Mitteilungen Ihrer Regierung, welche mir zugegangen -sind, lassen mich annehmen, daß es sich um die von Frankreich -gewünschte deutsche Gebietsabtretung handle.« - -Sie hatten sich beide niedergelassen, und Benedetti fuhr fort: - -»Frankreich glaubt für seine Haltung in der jüngsten Verwicklung einen -Tribut der Dankbarkeit verdient zu haben.« - -»Und worin sollte dieser Tribut bestehen?« - -»Frankreich wünscht seine Grenze vom Jahre 1814 wiederhergestellt zu -sehen.« - -»Das heißt, wir sollen links des Rheines bayrisches, hessisches und -preußisches Gebiet abtreten –« - -»Nebst der Festung Mainz.« - -»Und Ihre Regierung meint, daß wir darauf eingehen würden?« - -»Sie hofft dies im Interesse Preußens, das noch nicht seinen Frieden -gemacht hat mit den süddeutschen Staaten und nicht neue Verwicklungen -wünschen kann.« - -»Solche wünschen wir nicht, aber wir fürchten sie auch nicht, -Exzellenz; darum bitte ich Ihre Vorschläge kurz und bündig zu -präzisieren!« - -»Nun denn: Das linke Rheinufer mit Mainz oder Krieg!« - -Bismarcks Falkenauge blitzte hell auf, eine flüchtige Röte huschte über -sein Gesicht, und er sah den anderen fest und ruhig an, als er sprach: - -»Dann also Krieg!« - -Der Franzose zuckte zusammen – eine kleine, peinliche Pause trat -ein, in welcher man nur den Pendelschlag der Uhr vernahm, dann sagte -Benedetti: - -»Herr Ministerpräsident, bedenken Sie die Verantwortung die Sie mit -solcher Entscheidung auf sich laden …« - -»Da gibt es kein Bedenken, und ich weiß mich der Zustimmung meines -königlichen Herrn sicher. Aber warum wollen Sie uns solche Sprünge -machen? Sie müssen doch wissen, daß für uns die Abtretung deutscher -Erde eine Unmöglichkeit ist. Ließen wir uns zu dergleichen herbei, so -hätte wir trotz aller Triumphe Bankerott gemacht. Vielleicht könnte -man andere Wege finden, Sie zu befriedigen. Aber wenn Sie auf diesen -Forderungen bestehen, so gebrauchen wir – täuschen Sie sich darüber -nicht – alle Mittel: Wir rufen nicht bloß die deutsche Nation in ihrer -Gesamtheit auf, sondern wir machen auch sofort Frieden mit Österreich -auf jede Bedingung hin, überlassen ihm ganz Süddeutschland, lassen -uns selbst den Bundestag wieder gefallen. Aber dann gehen wir auch -wieder vereinigt mit 800000 Mann über den Rhein und nehmen Frankreich -Elsaß ab. Unsere beiden Armeen sind mobil, die Ihrige ist es nicht; -die Konsequenzen denken Sie sich selbst. – Also, wenn Sie nach Paris -kommen, so verhüten Sie einen Krieg, welcher sehr leicht verhängnisvoll -werden könnte.« - -Benedetti senkte das Haupt, er fühlte das Zutreffende dieser Worte, und -die Situation begann ihm immer unbehaglicher zu werden. Er erwiderte: - -»Ich möchte gern Ihrem Rate folgen, aber mein Gewissen zwingt mich, -dem Kaiser zu erklären, daß, wenn er nicht auf der Gebietsabtretung -besteht, er mit seiner Dynastie der Gefahr einer Revolution ausgesetzt -ist.« - -»Machen Sie Ihren Souverän darauf aufmerksam, daß gerade ein aus dieser -Frage entsprungener Krieg unter Umständen mit revolutionären Schlägen -geführt werden könnte, daß aber gegenüber einer revolutionären Gefahr -die deutschen Dynastien sich fester begründet zeigen würden als jene -des Kaisers Napoleon.« - -Die Uhr zeigte Mitternacht, und noch immer endete das inhaltschwere -Gespräch nicht. Erst in der ersten Morgenstunde kam Bismarck in den -Salon zu seinen Gästen zurück, heiter und liebenswürdig, denn in -tiefster Seele wußte er, daß eine neue Gefahr abgeschlagen sei, daß -Frankreich nach seinen bestimmten Erklärungen jetzt nicht wagen würde, -das siegreiche Preußen anzugreifen. – – Und er täuschte sich nicht. - -Noch der Verlauf des August brachte die Friedensschlüsse mit den -süddeutschen Staaten, die auf Seite Österreichs gekämpft hatten, und -mit diesem selbst, und in Preußens Hauptstadt erwartete man freudig -erregt die Heimkehr der ruhmbedeckten Truppen. - -Am 20. September trafen sie ein. Es war ein Festtag für Berlin. Am -_Brandenburger Tor_ drängte es von Tausenden, um hier bereits der -Begrüßung des Königs durch die Vertreter der Stadt beizuwohnen. Grüne -Girlanden schmückten die Säulen, die Fahnen wehten lustig in die Weite, -und durch das Tor mit seinen stolzen Bogen kamen die Heldenscharen -herein, umjauchzt von der Begeisterung der Menge. Die Straße Unter den -Linden war verwandelt in eine herrliche ~via triumphalis~, tausend -Flaggen flatterten in den Lüften, tausend Kränze und Festons hingen an -den Häusern und den Bäumen, Blumen regnete es von allen Seiten nieder -auf die blitzenden Helme, und immer aufs neue brauste der Jubel auf -in seinen vollsten, unvergleichlichen Akkorden: wie lauter Donner -dröhnte er fort die breite Straße entlang, wo immer die Heldengestalt -des greisen Königs erschien und die Gestalten seiner Paladine. Da -ritten sie ihm vorauf mit leuchtenden Augen, der stattliche Roon, der -ernste, ruhige Moltke und Graf Bismarck. Hochaufgerichtet saß er im -Sattel, an der Uniform die Abzeichen als _Generalmajor_, wozu ihn sein -König vor kurzem ernannt hatte, und das orangefarbige Band des hohen -Ordens vom Schwarzen Adler über der breiten Brust. Unter dem blinkenden -Kürassierhelm hervor blickten die hellen, scharfen Augen, und die -gewaltige Erregung dieser Stunde machte, daß er die schwere Erschöpfung -und Abspannung niederkämpfte, die den eisernen Mann infolge der letzten -Zeit ergriffen hatte. - -Aber der Erholung bedurfte er dringend, und er suchte und fand sie an -der See, auf dem grünen Eiland von Rügen, wo er in stillem Behagen -im Spätherbst jenes ereignisvollen Jahres saß, während in deutschen -Landen sein Name von Mund zu Mund ging, während der alte Groll, den -man gegen ihn gehegt, weil man ihn nicht verstanden, immer mehr und -mehr verschwand. Es galt, zwischen Preußen und den Staaten bis zur -Mainlinie, einschließlich von Sachsen, einen Verband zu schaffen zu -Schutz und Trutz, zu gemeinsamer innerer Arbeit, und Bismarck hatte -die Freude, den konstituierenden _Reichstag des Norddeutschen Bundes_ -am 24. Februar 1867 eröffnet zu sehen, der nun den von seinem Schöpfer -ausgearbeiteten Verfassungsentwurf beriet. Ihm rief am 11. März der -unermüdliche Bismarck zu: - -»Arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland in den Sattel, reiten wird -es schon können!« - -Am 16. April war die neue Verfassung angenommen, am 1. Juli trat sie -ins Leben, und am 14. Juli war Bismarck _Kanzler des Norddeutschen -Bundes_. - -[Illustration: ~Eis. Kanzler IV.~ - -Am Abend der Schlacht von Gravelotte.] - -Nun konnte er sich eine kleine Rast gönnen auf seinem neuerworbenen -Tuskulum _Varzin_. In Hinterpommern bei dem Städtchen Schlawe liegt das -Gut, welches Bismarck mit dem zugehörigen Besitz von Wussow, Puddiger, -Misdow, Chomitz und dem Vorwerk Charlottenthal sich ankaufte aus der -Ehrengabe, die er nach dem Kriege mit Österreich aus Staatsmitteln -erhalten hatte. Es liegt nicht weit von dem freundlichen Reinfeld, wo -die Wiege seiner Gattin stand, und hat einen prächtigen Waldbestand, -der den Weidmann lockte. Im Frühling 1867, als der Park seinen -Blätterschmuck angelegt hatte, und die Wiesen ringsum grünten, hatte er -es erworben, und dann war er zum erstenmal hinausgefahren. - -Die Eisenbahn führte damals nur bis Schlawe, und hier mußte die Fahrt -mittels Extrapost fortgesetzt werden. Er kam mit einem Separatzug -angefahren, früher, als man ihn erwartet hatte, und ließ sich nun -behaglich auf einer Bank auf dem Perron nieder, brannte sich eine -Zigarre an und ließ die friedliche Stille ringsum auf sich wirken. Da -näherte sich ihm mit halb scheuer, halb neugieriger Miene ein Mann, -seinem Äußeren nach ein biederer, schlichter Handwerker, der ihn grüßte -und sich dann einigermaßen verlegen an das Ende der Bank setzte. Er -betrachtete eine kleine Weile den ihm Unbekannten, dann fragte er: - -»Sie sind wohl der Herr, welcher mit dem Extrazuge gekommen ist?« - -»Jawohl,« erwiderte Bismarck, einigermaßen über die Anfrage verwundert, -aber gutmütig-jovial fügte er bei: »Wer sind Sie?« - -»Ich bin der Schuster N. aus Schlawe – und mit wem habe ich die Ehre?« - -»Na, ich bin auch Schuster!« - -»I, was Sie da sagen!« sprach beinahe erschrocken der schlichte Mann -und sah doch einigermaßen ungläubig nach dem stattlichen Fremden – »und -da fahren Sie mit Extrazug?« - -»Warum nicht, lieber Freund? Wir Berliner Schuster können uns das -bieten.« - -Der brave, neugierige Handwerker war eben daran, seine Verwunderung -auszudrücken, als eine Abteilung Husaren in Paradeuniform heranritt; -man hörte das Kommando des Rittmeisters: »Eskadron halt! Richt’ euch, -Augen rechts!« und mit Staunen sah der Schuster, wie der Offizier jetzt -an den Fremden heranritt und salutierte. Er sprang beinahe entsetzt von -der Bank auf und starrte seinen Nachbar an, als aber jetzt auch die -Extrapost heranfuhr mit dem gleichfalls parademäßig herausgeputzten -Postillon, reichte Bismarck dem vollständig verlegenen Manne die Hand -und sagte lächelnd: - -»Wenn Sie einmal nach Berlin kommen, so besuchen Sie meine Werkstatt!« - -Dann fuhr er hinein in den Frühlingstag, während die Husaren ihm -ihre Honneurs machten, vorbei an Feld und Wiese, durch grünen, -rauschenden Wald, durch das hübsche, kleine, bucklige Ländchen, wie es -die Gräfin Bismarck scherzend einst bezeichnete, bis die Landstraße -hineinführt in das Hof- oder Herrengut. Da liegen ihm zur Linken die -Wirtschaftsgebäude, zur Rechten das überaus schlichte, einstöckige -Herrenhaus, aber hinter diesem grüßen und winken die Buchen und Eichen -des Parkes und rauschen ihm entgegen: - -»Willkommen in deinem neuen Heim!« - - - - -Zehntes Kapitel. - -Mit Blut und Eisen. - - -Ein herrlicher Sommermorgen ist über Varzin und seinem Parke -aufgegangen, ein Julimorgen des Jahres 1870. Die Sonne spiegelt sich -in den Fenstern des Herrenhauses, die Rosen blühen und duften in dem -Garten, und über die Freitreppe schreitet Graf Bismarck herab. Er trägt -eine einfache graue Joppe, ein leicht geschlungenes Tuch um den Hals, -auf dem Haupte einen Schlapphut und in der Hand einen kräftigen Stock; -gemessen folgt seinen Schritten eine schöne Ulmer Dogge, die ab und -zu mit klugen, großen Augen nach ihm hinschaut. Über den knirschenden -Kies der Gartenwege schreitet die stattliche Gestalt dahin, vorbei -an großen Sandsteinfiguren und an einem kleinen Teiche und dann über -eine Terrasse hinauf in den leise rauschenden Park, durch dessen grüne -Laubkronen die spielenden Lichter niederhuschen. Jeden Baum sieht -das klare Auge an, denn er kennt sie alle, die prächtigen Buchen und -Eichen, und selbst den kleinen Nachwuchs. Wie einst der Knabe auf -Kniephof, so freut sich jetzt der ernste, gewaltige Mann an jedem -Nestchen, das zwischen dem Gezweige hervorlugt, an jedem Vogel, der -über ihm singt, an jedem Stämmchen, das sich kräftig entwickelt. - -Auf einer Bank hält er Rast. Das treue Tier liegt zu seinen Füßen und -blinzelt hinauf nach dem blauen Himmel, sein Herr aber läßt vor seinem -Geiste eine Reihe von Bildern vorüberziehen in der einsamen Stille, die -ihm selten genug zuteil wird. - -Er denkt der vergangenen Tage und all des Großen, was sie gebracht -haben, aber er schaut auch aus in eine ernste Zukunft. Der Nachbar -im Westen, Kaiser Napoleon III., der sich nicht ganz sicher fühlte -auf seinem Thron, suchte nach irgendeiner Verwicklung, die ihm in den -Augen der Franzosen Ruhm und Ansehen verleihen sollte. Er war bereits -bestrebt gewesen, das Großherzogtum Luxemburg zu annektieren, das zum -ehemaligen deutschen Bunde gehörte, aber Bismarck hatte erreicht, daß -das Ländchen als neutrales Gebiet erklärt wurde, und Frankreich mußte -die Finger davon lassen. Immer unbehaglicher wurde für Napoleon das -wachsende Ansehen Preußens, und immer mehr drängte die Stimmung des -französischen Volkes zu einer Demütigung desselben. - -Da schien sich eine besonders günstige Gelegenheit zu bieten. -Spanien hatte seinen eben erledigten Thron dem Prinzen Leopold von -Hohenzollern-Sigmaringen angeboten, der mit Napoleon selbst verwandt -war. Trotzdem hatte man in Frankreich erklärt, daß die Wahl eines -Hohenzollern eine Schädigung seiner Interessen, ja, geradezu eine -Herausforderung bedeuten würde, und hatte an König Wilhelm die -Forderung gestellt, er solle dem Prinzen von Hohenzollern befehlen, -sich der Bewerbung um den spanischen Thron zu enthalten. Der König -hatte Benedetti in Ems erklärt, daß er dem Prinzen nichts zu befehlen -habe. - -So lagen die Dinge augenblicklich, und Bismarck fühlte mit aller -Bestimmtheit, daß Frankreich immer neue Forderungen stellen und Preußen -um jeden Preis zum Kriege reizen würde. Seine Beruhigung war jedoch die -gerechte Sache seines Königs, die schlagfertige Armee und die Hoffnung -auf das erwachende nationale Gefühl des deutschen Volkes. - -Er sah hinein in die sonnige, stille Welt, in seinen grünen, schattigen -Park und hinüber nach den weißen Mauern seines Herrenhauses, und eine -Friedenssehnsucht zog ihm durch die Seele. Da kam den Kiesweg heran -ein älterer Herr mit Zeitungen in der Hand; der Hund hob den Kopf, -blinzelte mit den klugen Augen und wedelte leicht mit dem Schweife, -– er begrüßte einen guten Bekannten, den Vorstand des Geheimbureaus -Bismarcks, den Geheimen Legationsrat Lothar Bucher. - -»Gibt’s Neues von Wichtigkeit, lieber Bucher?« - -»Bis jetzt nichts von Belang, Exzellenz; die französischen Zeitungen -aber rasseln sehr energisch mit den Säbeln, hier ist eine äußerst -bezeichnende Stelle!« - -Er hatte sich auf Einladung seines Vorgesetzten neben diesem -niedergelassen und las: - -»Unser Kriegsgeschrei ist bis jetzt ohne Antwort geblieben; die Echos -des deutschen Rheines sind noch stumm. Hätte Preußen zu _uns_ die -Sprache gesprochen, welche Frankreich spricht, wir wären schon längst -unterwegs.« - -»Darin mögen sie recht haben,« sagte Bismarck, »es fragt sich nur, wie -weit sie gekommen wären.« - -»Wie ist die Stimmung in den deutschen Blättern, zumal in den -süddeutschen?« - -»Ganz ausgezeichnet, Exzellenz! Man erwartet, daß der König jedes -freche Ansinnen Frankreichs entschieden zurückweisen werde und ist in -Verurteilung des französischen Vorgehens von seltener Einstimmigkeit.« - -»Na, und wenn es zum Äußersten kommt, wir sind bereit, denn auf -Moltke und Roon können wir uns verlassen, und wir haben in acht -Tagen gewaltige Heeresmassen marschfertig. Frankreich rennt in sein -Verderben, wenn es den Krieg provoziert.« - -»Das ist die öffentliche Meinung in Deutschland!« sagte Bucher und las -aus hervorragenden Blättern einige Aufsätze Bismarck vor, der, die Arme -auf den Stock gestützt, das Haupt vorgeneigt, ihn ruhig anhörte. - -Nach einiger Zeit erhob er sich. - -»Nun muß der Gutsherr in sein Recht treten. Auf Wiedersehen in einer -Stunde. Hoffentlich bringt sie uns nichts Unangenehmes.« - -Er ging langsam, gefolgt von der Dogge, nach dem Herrenhause zu, -durchschritt hier einen langen, schmalen Korridor, und betrat am Ende -desselben ein kleines Zimmer mit weiß getünchten Wänden und einem -breiten Fenster, durch welches das volle Licht hereinfiel auf den -einfachen Tisch und die daneben stehenden hohen Schränke, von welchen -ausgestopfte Vögel herabschauten. Ein schwarzes Ledersofa, einige -geschnitzte Stühle, altertümliche Glasgefäße auf dem breiten Kaminsims -vervollständigen die Einrichtung des Gemachs, in welchem »der Gutsherr -von Varzin« mit seinen Leuten verkehrt. - -Da wartet schon mancher auf den großen Staatsmann, um mit ihm über -Forstnutzung, Industrieanlagen, Gartenwirtschaft und dergleichen zu -verhandeln, und eine Stunde ist rasch genug vorüber. Der letzte ist -gegangen, aufatmend erhebt sich Bismarck und sieht nach der Uhr, – es -ist Zeit zum Frühstück, und er wird wohl bereits erwartet. - -Im Billardzimmer ist der Tisch gedeckt. Der große Raum sieht freundlich -aus. Die Fenster gehen hinaus in das Grün des Gartens, an den Wänden -hängen Bilder rheinischer Städte, die Möbel, teils gepolstert, teils -mit braunem Schnitzwerk, sehen traulich und behaglich aus, die beiden -Öfen mögen im Winter mit ihrem offenen Feuer die Gemütlichkeit des -Raumes ganz besonders erhöhen, und das in einer Nische stehende -Billard sowie der Flügel der Hausfrau lassen erkennen, daß der ernste -Diplomat gerade hier manche Stunde verbringt, die ihm wohl Erholung und -Zerstreuung bieten mag. - -Hier ist er im Kreise der Seinen. Seine Gemahlin eilt ihm entgegen, -seine Tochter, Komteß Marie, hängt sich an seinen Arm, seine Söhne -grüßen ihn mit herzlicher Freundlichkeit, und bald sitzt er in seinem -Lehnstuhl, aber noch immer ist es keine ungestörte Rast. Lothar Bucher -hat ihm Briefe und Depeschen überreicht, ehe er sich mit an den Tisch -setzte, und Bismarck öffnet und überfliegt die letzteren. - -Ein Schatten zieht über sein Gesicht. - -»Aus Ems. Benedetti sucht um eine neue Audienz nach bei dem König. Er -wird die unverschämte Forderung seiner Regierung wiederholen; man hat -die zweifellose Absicht, uns zu brüskieren.« - -Da war das Gespräch ganz von selbst wieder bei der brennenden -Tagesfrage, und Bismarck hatte zu tun, um die erregten Damen zu -beruhigen. Er selbst nahm dabei das einfache Frühstück ein, das für ihn -in der Hauptsache aus weichgekochten Eiern mit geröstetem Weißbrot, -einer Schale Milch und etwas schwarzem Kaffee bestand. Nach Beendigung -desselben sprach er: - -»Aber nun ein halbes Stündchen ohne Politik! Laß uns einen Gang durch -den Park tun, mein liebes Herz, ich muß dir drei junge Buchen zeigen, -die aus einem Stamm herauswachsen, und die ich bisher noch gar nicht -entdeckt hatte. Ich habe dabei unwillkürlich an unseren Wappenspruch -denken müssen: ~In trinitate robur~ – in der Dreiheit die Stärke, und -dann habe ich an unsere lieben drei gedacht! Komm, Marie, du mußt die -Bäume gleichfalls sehen.« - -Er reichte den beiden Damen den Arm, die Grafen Herbert und Wilhelm -gingen hinterdrein. So schritten sie unter den stattlichen Bäumen des -Parkes hin im lachenden Sommersonnenschein und vergaßen für eine kurze -Zeit die Wetterwolken, die am westlichen Himmel Europas sich auftürmten. - -Aber die kurze Spanne gemütlichen Behagens war bald vorüber, und -Gattin und Tochter begleiteten Bismarck in sein Arbeitszimmer, in die -Werkstätte des Diplomaten. - -Ein großer, sechseckiger Raum von vornehmer Einfachheit. -Eichenholzgetäfel in mehr als Manneshöhe zieht sich an den Wänden -hin, und die Decke ist durch vortretende Eichenbalken in Quadrate und -Dreiecke geteilt. In einem sechseckigen Erker sind drei schmale Fenster -angebracht, an der Wand der Tür gegenüber ein breites. Nahe demselben -steht der Schreibtisch aus Nußbaumholz mit blitzenden Messingbeschlägen -an Türen und Schubladen. Auf der mit grünem Tuch überzogenen Platte -befinden sich ein zweiarmiger Leuchter, mehrere verschieden geformte -Briefbeschwerer, ein Schreibzeug, das aus dem Holze einer bei der -Düppelstürmung eroberten Lafette geschnitzt ist, Federn und lange, -dicke Bleistifte. Kleinere Tische, mit Büchern und Schriftstücken -bedeckt, stehen da und dort, zwei Sofas laden zur Ruhe ein, im Erker -steht ein kleiner Diwan neben einer Causeuse, und von hier schweift -der Blick hinaus auf den blinkenden Spiegel eines kleinen Teiches, auf -einen ferner liegenden Ruheplatz zwischen je einer stattlichen Eiche -und Buche, und auf die wogenden Saatfelder, welche durch das dunkle -Grün bewaldeter Hügel begrenzt werden. In einer abgestumpften Ecke aber -steht das Prachtstück dieses Raumes, ein riesenhafter Kamin von nahezu -vier Meter Breite und fünf Meter Höhe. - -In dem Lehnstuhl am Schreibtische hat sich Bismarck niedergelassen, die -Gräfin steht neben ihm, legt ihm zärtlich die Hand auf die Schulter und -sagt mit einem besorgten Blick auf die sich häufenden Schriftstücke: - -»Das wird dich wieder viele Anstrengung und Aufregung kosten, und du -bist von deiner letzten Erkrankung noch nicht erholt!« - -Der Kanzler des Norddeutschen Bundes lehnt sich behaglich in den Sitz -zurück und spricht: - -»~Patriae inserviendo consumor!~ Das ist mein Wahlspruch, und du -weißt, was es heißt: Im Dienste des Vaterlands will ich aufgehen! Und -so schlimm wird es wohl nicht werden, wir Bismarcks sind aus altem -märkischen Holze – das hält etwas aus.« - -Er faßte nach der lieben Hand, die noch auf seiner Schulter lag, und -streichelte sie, Gräfin Marie aber eilte herbei und brachte ihm die -lange Pfeife. - -»Danke, mein liebes Kind! Das ist auch ein Sorgenbrecher!« - -Er öffnete den Deckel des vor ihm stehenden Tabakskastens, der dem -Kopfe seines treuen vierfüßigen Begleiters, der prächtigen Dogge, -die sich auch jetzt zu seinen Füßen gestreckt hat, nachgebildet ist, -und stopft sich die Pfeife. Die junge, schöne Komteß hat den Fidibus -angebrannt und hält ihn zurecht, – einige kräftige Züge, der blaue -Rauch wirbelt um den Lehnstuhl und den, welcher darin sitzt, und nun -gehen die Damen und überlassen den Staatsmann seinen Sorgen und seiner -Arbeit. - -Bismarck liest, und der mächtige Blaustift in seiner Hand arbeitet -dabei unablässig. Lothar Bucher kommt, hält Vortrag und macht sich -seine Notizen, und so arbeitet die Staatsmaschine von dem stillen -Varzin in Hinterpommern aus unablässig. Die Stunden vergehen, und der -Erholung darf nicht ganz vergessen werden. - -Der Wagen ist vorgefahren, denn Bismarck darf, da er noch -Rekonvaleszent ist von einem Nervenleiden, nicht reiten, und mit Frau -und Tochter fährt er hinein in das freundliche, sonnige Land, und wo er -vorüberkommt, bleiben die schlichten Landleute stehen und grüßen ihn -und die Seinen mit aufrichtiger Herzlichkeit. Da und dort läßt er wohl -auch halten und redet einen oder den anderen der Leute an. Ein alter -Taglöhner stand am Wege und zog ehrerbietig die Mütze; er war krank -gewesen bis vor kurzem, und Bismarck wußte dies. Er rief dem Alten zu: - -»Nu, Krischan, du büst woll wedder ganz op den Tüge?« - -»I, ja,« – sagte der Angeredete treuherzig. »Sie sollten man ok hier -blieven, dann wurden Sie nochmal so frisch!« - -Bismarck lachte, und im Weiterfahren sprach er: - -»Ja, wer immer in Varzin sein könnte!« - -Gegen sechs Uhr wurde das Diner eingenommen. Was auf den Tisch kam, -stammte beinahe alles von den Besitzungen des Grafen selbst und -mundete um so besser, als es mit heiterem Tafelgespräch gewürzt ward. -Die Stunde ging rasch, und noch einmal wanderte der Kanzler mit den -Seinen in den Park und freute sich des herrlichen Sommerabends, der -grüngoldenen Lichter, welche auf den Wegen spielten, und der tiefen -Ruhe. Da und dort ward kurze Rast gehalten; schlanke Rehe kamen aus -dem nahen Walde und huschten durch den Park bis herein in den Garten, -und Bismarck freute sich der Zutraulichkeit der schönen Tiere, die -sich durch die Nähe der Menschen nicht verscheuchen ließen. Es war -eine liebliche Idylle, in welche die Abendglocken vom Dorfe her -stimmungsvoll klangen. - -Nun ward der Tee eingenommen in der umgrünten Veranda. Die Dämmerung -legte sich langsam über das Land, vom Blumengarten wehte süßer Duft, -die Lampe warf ihren traulichen Schimmer über den Tisch, und die Gräfin -Bismarck kredenzt dem Gatten das Getränk. Dann wird die lange Pfeife -wieder angebrannt, behagliche Wölkchen ziehen durch den Raum; in seinen -weiten Sessel zurückgelehnt, sitzt der große Staatsmann schweigend -und träumend, indes aus den geöffneten Fenstern des Frühstückszimmers -die Klänge an sein Ohr schlagen, welche Frau Johannas Meisterhand dem -Flügel entlocken. - -Noch eine kurze Stunde, dann neigt sich der Sommertag seinem Ende zu. -Es ist noch nicht ganz um Mitternacht, als Bismarck sich erhebt, um -sich zur Ruhe zu begeben … die letzten Lichter in Varzin verlöschen, -der blaue Nachthimmel spannt sein weites Zelt über Schloß, Park -und Dorf, und die ewigen Sterne flimmern so friedvoll in ihrer -unvergänglichen Schönheit, und sie kümmern sich nicht um der Menschen -und Völker Haß und Hader. - -Und drei Tage später leuchteten dieselben Sterne, aber in den stillen -Frieden von Varzin trägt fast um die Mitternachtstunde der Telegraph -eine erregende Mitteilung: Der König beruft seinen Ratgeber sogleich -nach Ems! - -Am nächsten Tage war Bismarck bereits in Berlin. Hier fand er gute -Kunde: Der Prinz von Hohenzollern hatte, um nicht Veranlassung zu einer -blutigen Verwicklung zu geben, freiwillig auf den Thron von Spanien -verzichtet. Den Franzosen war der Vorwand zum Kriege genommen, beruhigt -atmete der Kanzler auf und glaubte nun auch seine Reise nach Ems nicht -beschleunigen zu müssen. - -Da geschah das Unglaubliche. Benedetti trat in Ems vor den König mit -der Forderung, daß er schriftlich sich verpflichten solle, niemals -einen Hohenzollern auf dem Throne von Spanien zu dulden. Würdig und -entschieden lehnte Preußens Herrscher die demütigende Forderung ab, -einen Tag später reiste Benedetti ab, und abermals einen Tag später, -am 15. Juli, beschloß die französische Regierung unter dem übermütigen -Zujauchzen eines fanatisierten Volkes den Krieg. - -An eben diesem Tage reiste auch der König Wilhelm nach Berlin, und was -er auf seinem Weg sah und hörte, durfte ihm wohl die Seele erheben -und befreien. So weit die deutsche Zunge klingt, bebten die Herzen -vor Entrüstung über die französische Frechheit und Anmaßung, und in -Millionen lebte nur ein Gedanke: dieselbe gebührend zurückzuweisen. -Überall dieselbe Begeisterung, die gleichen Beweise der Liebe und -Verehrung des einen deutschen Geistes: - - Vergessen ist der alte Spahn, - Das ganze Volk ist eins! - -Bismarck war mit dem Kronprinzen sowie mit Roon und Moltke dem König -bis Brandenburg entgegengefahren. Bewegt reichte der Herrscher seinen -Treuen die Hand, und weiter ging es der Hauptstadt zu. Durch ihre -Straßen flutete das Volk in dichtem Gedränge; mit entblößten Häuptern -stand es da, und während aus allen Fenstern die Tücher wehten zum -Empfangsgruß, schwollen die begeisterten Zurufe immer lauter an, je -näher die Wagen dem Schlosse kamen. Bis in die Nacht hinein erklangen -brausende Vaterlandslieder, stürmische Hochrufe, indes aus dem -bekannten Eckfenster des schlichten Palais der Lichtschimmer seinen -freundlichen Gruß hinaussandte. Dort beriet der König mit seinen -Getreuen, und ein Adjutant ersuchte das Volk im Namen des Herrschers um -Ruhe. Da ging _ein_ Empfinden durch all die Tausende; tiefstill ward es -um das Standbild des großen Friedrich her, und lautlos ging die Menge -auseinander. - -In derselben Nacht flogen die Befehle zur Mobilmachung des Heeres durch -alle Gaue Norddeutschlands. - -Es kam der 19. Juli, der Todestag der unvergeßlichen Königsrose -Luise. Vor 60 Jahren war sie heimgegangen, hinsiechend an der Not des -Vaterlands, und nun sollte in ihrem Sohne ihr ein herrlicher Rächer -erstehen. Vormittags fand im Dome ein feierlicher Gottesdienst statt in -Gegenwart des königlichen Hofes, der Ministerien und der Abgeordneten. -Unter diesen saß in der letzten Reihe die hagere Gestalt des Generals -von Moltke so schlicht und bescheiden, als wäre ihm nicht gerade eine -Hauptrolle bestimmt in dem gewaltigen historischen Drama, für welches -jetzt der Segen des Himmels erfleht wurde, und von der Empore herab -schaute Graf Bismarck ehern und ruhig auf die Andächtigen nieder. Nach -dem Gottesdienst erfolgte die Eröffnung des Reichstags im Weißen Saale -des Schlosses durch den König. Es waren erhebende, mächtig bewegende -Worte, und tiefe Ergriffenheit erfaßte die Versammlung, als er schloß: - -»Je unzweideutiger es vor aller Augen liegt, daß man uns das Schwert -in die Hand gezwungen hat, mit um so größerer Zuversicht wenden wir -uns, gestützt auf den einmütigen Willen der deutschen Regierungen des -Südens wie des Nordens, an die Vaterlandsliebe und Opferfreudigkeit des -deutschen Volks mit dem Aufrufe zur Verteidigung seiner Ehre und seiner -Unabhängigkeit. - -Wir werden nach dem Beispiele unserer Väter für unsere Freiheit und für -unser Recht gegen die Gewalttat fremder Eroberer kämpfen, und in diesem -Kampfe, in dem wir kein anderes Ziel verfolgen, als den Frieden Europas -dauernd zu sichern, wird Gott mit uns sein, wie er mit unseren Vätern -war!« - -Kurze Zeit danach fuhr der König hinaus nach Charlottenburg. Dort -liegt zwischen grünen Parkgehegen ein schlichter Bau, das Mausoleum, -in welchem Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise ruhen. Zwei -herrliche Marmorbilder, welche die Verewigten wie friedlich Schlafende -darstellen, stehen über der Gruft, und bläulicher Lichtschimmer flutet -mild und freundlich darüberhin. Hier in einsam weihevoller Stille -betete der König und flehte den Segen seiner Eltern nieder auf den -Pfad, den er nun gehen mußte für seine und seines Landes Ehre. - -Und beinahe zur selben Stunde betrat Graf Bismarck den Sitzungssaal des -Reichstags. Hochaufgerichtet und mit vor Erregung leuchtenden Augen -betrat er die Tribüne, und aller Blicke hafteten auf dem herrlichen, -stattlichen Manne, aller Parteigroll war geschwunden, und die Ahnung -dessen, was dieser große Augenblick bringen sollte, ging durch jede -Seele. Deutlich und fest klangen die inhaltschweren Worte des Kanzlers: - -»Ich habe dem hohen Hause die Mitteilung zu machen, daß mir der -französische Geschäftsträger Le Sourd heute die Kriegserklärung -Frankreichs überreicht hat. Nach den Worten, die Seine Majestät soeben -an den Reichstag gerichtet hat, füge ich der Mitteilung dieser Tatsache -weiter nichts zu.« - -Aufrecht standen die Vertreter des Volkes, jede Brust dehnte sich -weiter, jedes Auge blitzte heller, und voll Begeisterung klang es durch -den Saal: »Es lebe der König!« - -Und durch das ganze deutsche Volk zitterte und brauste dieselbe -Bewegung, und aus allen Gauen zogen die Söhne der _einen_ Mutter -Germania heran voll heiligen Kampfesmutes, voll Zuversicht auf die -gerechte Sache und auf ihre Kraft. Bayern und Sachsen standen neben -Preußen, und wenn Napoleon auf die alte Eifersucht der deutschen Stämme -gerechnet hatte, so sollte ihm das zum fürchterlichen Verhängnis werden. - -Umtost vom Jubel seines Volkes verließ der vierundsiebzigjährige -König am 31. Juli seine Hauptstadt, und am 2. August übernahm er von -Mainz aus, wo er mit Moltke, Bismarck und Roon eingetroffen war, den -Oberbefehl über die deutschen Heere. Das blutige Kriegsspiel begann. -Das waren heiße Augusttage bei Weißenburg und Wörth und um die trutzige -Festung Metz, hinter deren Wällen der sieggewohnte französische -Marschall Bazaine mit eisernen Klammern festgehalten werden mußte. - -Am 16. August war das heiße Ringen bei Vionville und Mars la Tour. In -Pont à Mousson war Bismarck im Hauptquartier des Königs, und dort, von -woher die Donner der Schlacht brüllten, kämpften seine beiden Söhne in -der dritten Schwadron der Gardedragoner. Das Vaterherz war voll banger -Sorge und würde es noch mehr gewesen sein, wenn es gewußt hätte, wie -das brave Reiterregiment furchtbar geblutet und viele seiner Offiziere, -darunter seinen tapferen Obersten von Auerswald, verloren hatte. Der -Abend senkte seine Schleier über das furchtbare Feld, und Bismarck ritt -hinter seinem König her, um ein Nachtlager für diesen finden zu helfen. -In allen Häusern und Hütten lagen Verwundete und Sterbende, und nur -mit Mühe gelang es, ein Stübchen ausfindig zu machen, wo ein Feldbett -für den hohen Herrn untergebracht wurde. Der aber wollte es nicht -besser haben als die Seinen. Das Bett sollte für einen Verwundeten -bleiben, er selbst wollte auf einem Strohlager schlafen, und Bismarck -und Moltke mußten mit ihm das Zimmer teilen. - -Der Kanzler fand wohl wenig Schlaf; er dachte »der Toten, der Toten,« -er dachte seiner Söhne. Mit dem erwachenden Tage ritt er hinaus in das -Schlachtfeld nach dem Lagerplatz der Gardedragoner und fragte nach -seinen Lieben. Sie hatten sich beide brav geschlagen, und Herbert hatte -für König und Vaterland geblutet, aber das Geschick war ihnen gnädig -gewesen. - -Im Lazarett in Mariaville fand er beide Söhne, und in freudiger -Ergriffenheit trat er an das Lager Herberts, der durch eine Kugel am -Oberschenkel verwundet war. Wilhelm hatte sein Pferd verloren, war aber -sonst unversehrt geblieben. - -Es war ein trotz allem schönes Wiedersehen, aber ein von einem leisen -Wehmutshauch verschleiertes Abschiednehmen. Für den Grafen Herbert -winkte die Rückkehr in die Heimat, Graf Wilhelm aber zog mit seinem -Regimente weiter, neuen Gefahren und Siegen entgegen, und Vater und -Sohn sollten sich erst am 2. September wiedersehen. - -Am 18. August brüllten die ehernen Schlünde um _Gravelotte_ und -_Rezonville_. Am Morgen ritt Bismarck mit seinem König die Höhe bei -Flavigny hinan und sah hinein in das wogende Kampfgewühl, das bis -hierher brandete. Mehr als einmal kam er selbst sowie auch König -Wilhelm in drohende Gefahr. Es war ein furchtbares Ringen, nicht _eine_ -Schlacht, sondern eine Reihe von Schlachten, die hier um das alte Metz -geschlagen wurden. St. Privat war von den preußischen Garden und den -braven Sachsen erstürmt worden nach heißem Streit und unter schweren -Verlusten, und als der Sommertag sich zu neigen begann, sanken auch die -Sterne des französischen Marschalls. - -Noch einmal in der siebenten Abendstunde machte er einen verzweifelten -Vorstoß über die Talschlucht von Gravelotte hinaus, aber die wackeren -Pommern, die nach einem beschwerlichen Marsche erst vor kurzem auf dem -Schlachtfelde eingetroffen, warfen sich ihm entgegen. »Es lebe der -König!« scholl es in heller Begeisterung, und hinab ging es in den -Talgrund, Bataillon um Bataillon und jenseits wieder die Höhen hinan. - -Der greise Kriegsherr aber hielt auf der Höhe nördlich von Gravelotte -und sah hinein in die sprühenden Pulverblitze, und um ihn her und -über ihn hin sausten die todbringenden Geschosse und platzten die -Granaten. Und wie einst bei Sadowa, so wußte Bismarck auch hier seinen -königlichen Herrn aus der gefährlichen Stellung fortzubringen. Er blieb -ihm treu zur Seite und geleitete ihn gegen Rezonville. Hier stieg der -greise Held, ermüdet von dem furchtbaren Tage, vom Rosse und sah sich -um nach einem Sitze. Es war nichts zu erblicken; nur ein toter Schimmel -lag in der Nähe; auf den Leib desselben und auf eine alte Brückenwage -ward nun eine Leiter gelegt, und hier saß der König, mit dem Rücken an -eine Gartenmauer gelehnt. - -Die Schatten des Abends wurden grauer, unheimlich loderten unfern die -Flammen aus einem großen brennenden Gebäude gegen den Himmel, dumpf -rollten fernher noch die letzten Donner der Schlacht, und um ihren -königlichen Führer her geschart standen in erwartungsvollem Schweigen -Generale und fürstliche Herren. - -Um die neunte Stunde war es, als Moltke heransprengte; aus seinen -ernsten Augen leuchtete es hell – er brachte die Kunde von dem -errungenen Siege, von der endgültigen Festnagelung des französischen -Marschalls hinter den Mauern von Metz. - -Ein Telegraphenbeamter brachte eine Meldung; ihm diktierte Bismarck im -Namen des Königs folgende Depesche an die Königin Augusta: - - Biwak bei Rezonville, 18. Aug. 9 Uhr abds. - - Die französische Armee in sehr starker Stellung westlich - von Metz angegriffen, in neunstündiger Schlacht vollständig - geschlagen, von ihren Verbindungen mit Paris abgeschnitten und - gegen Metz zurückgeworfen. - - _Wilhelm._ - -Ein Marketender war herbeigerufen worden; er hatte wenig genug zu -bieten, aber auch der bescheidene Rotwein, mit welchem die Feldflaschen -gefüllt wurden, mundete, und aus einem zerbrochenen Tulpenglase trank -der König. Sein Kanzler aber kaute an einer harten Brotrinde, denn -besseres war augenblicklich nicht zur Stillung des Hungers zu finden. - -Die Nacht sank nieder, und die Schwierigkeit, ein Lager zu finden, ließ -sich kaum verkennen. Der König ritt mit seinen Begleitern hinab nach -dem Dorfe Rezonville. In allen Häusern Verwundete, endlich in einem -ärmlichen Hause ein kleines Stübchen! Aus einem Krankentransportwagen -wurde eine Bahre herbeigeschafft, dazu einige Wagenkissen, und auf -diesem unbequemen Lager, völlig angekleidet, mit seinem Mantel bedeckt, -schlief der siegreiche alte Held, nachdem man mit Mühe noch ein -Abendbrot für ihn aufgetrieben hatte. - -Bismarck aber irrte durch die nächtlichen Gassen des kleinen -französischen Nests, die erhellt waren von dem Feuerschein brennender -Häuser. Bei dem Wagen des Königs hielt der Erbgroßherzog von -Mecklenburg Wache, damit nichts abhanden komme, und der Kanzler selbst -suchte Haus um Haus nach einem Unterkommen. Überall vernahm er, daß -alles voll Verwundeter liege. Ein dunkles Fenster in einem Hause winkte -verheißungsvoll, und diesmal ließ er sich auch nicht von dem Hinweise -auf Verwundete abspeisen. Er stieg die Treppen hinan und fand in der -Tat ein Stübchen mit drei Betten und hielt hier erquickliche Nachtrast. - -Nun galt es, Frankreichs zweites Heer festzulegen und seinen -berühmtesten Marschall Mac Mahon unschädlich zu machen, und die -deutschen Heersäulen zogen mit ruhiger Sicherheit die Wege, welche der -herrliche Schlachtenlenker Moltke ihnen anwies. - -Am 23. August war das königliche Hauptquartier in Pont à Mousson. Am -Abend hatte Bismarck seine Wohnung aufgesucht; bei dem Posten an der -Tür des Hauses hielt er an: - -»Nun, wie geht’s?« - -»So gut es sein kann im Kriege, Exzellenz!« - -»Wie steht’s mit der Verpflegung?« - -»Untertänigst zu danken, Exzellenz – ich habe seit 24 Stunden keinen -Bissen gegessen!« - -Bismarck erschrak beinahe über die Äußerung des Soldaten, und sogleich -eilte er in das Haus, suchte die Küche und kehrte bald mit einem -tüchtigen Stück Brot, das er selbst abgeschnitten, zu dem Manne zurück, -der die Gabe mit lebhaftem Dankgefühl entgegennahm. - -Über Bar-le-duc ging es nach Clermont, einem kleinen Gebirgsstädtchen, -wo das königliche Hauptquartier mit jenem der Maasarmee zusammenkam. -In dem bescheidenen Schulhause wohnte der König, und in der Stube, -in welcher sonst der Lehrer arbeitete, war das Gemach des Kanzlers, -Arbeits- und Schlafzimmer zugleich. Eine Treppe höher in einem Saale -war das Bureau eingerichtet. Über einem Sägebock und einer Tonne -liegt eine ausgehobene Tür – das ist der Arbeitstisch, Kisten und -Koffer bilden die wenig bequemen Sitze, flackernde Kerzen, die in -leeren Weinflaschen stecken, werfen ein trübes Licht, und das Stroh -an der Wand auf dem Boden ist die Lagerstelle. – Und in diesem Raume -welch reges Leben, welch bedeutsame, hochwichtige Maschinerie! Da -arbeiten die Legationsräte von Keudell, Graf Hatzfeld, Abeken, Graf -Bismarck-Bohlen, und die Chiffreure, welche die Depeschen besorgen, da -kommen und gehen die Feldjäger und Ordonnanzen, da läuft vom frühen -Morgen bis in die Nacht ein Bericht nach dem anderen heraus und -herein, und zwischen seinen Beamten erscheint ab und zu die Gestalt -des Ministers im Interimsrocke der Landwehrreiter mit den gelben -Aufschlägen, die Beine in den hohen Stulpenstiefeln, und gibt kurze und -klare Anweisungen. - -Und in einem nicht behaglicheren Raume des Schulgebäudes arbeitet der -große Generalstab mit seinem schweigsamen Chef ernst, ruhig, klar und -sicher weiter an seinem Werke, und von der Straße herauf schallt der -Trommelschlag und die Marschmusik vorüberziehender Regimenter, und die -wenigsten, die hier vorbeimarschieren, haben eine Ahnung, daß hinter -den Fenstern dieses schlichten Hauses das Räderwerk tätig ist, das die -ganze große Maschine in Bewegung setzt. - -Das Vorspiel der großen Tragödie vor Sedan nahm seinen Anfang. Bei -Beaumont schlug Sachsens ritterlicher Kronprinz die Nachhut Mac Mahons -und schloß mit der von ihm befehligten Maasarmee den ehernen Gürtel, -der sich nun um Sedan legte. - -Gegen Beaumont ritt auch der Kanzler her im Gefolge seines Königs. -Der Tag war heiß, schwül lag der Sommer auf dem Lande, und die -Marschkolonnen zogen langsam ihre Straße. Bismarck ritt an eine -Abteilung Bayern heran. Die Leute schienen sehr ermüdet und kamen nur -langsam vorwärts. Ein tiefes Mitgefühl erfaßt den Minister mit den -Braven, und er ruft dem Nächsten zu: - -»Heda, Landsmann, wollen Sie einmal Kognak trinken?« - -Der Mann sah, wie befremdet darüber, wie man eine solche Frage erst -noch tun könne, zu dem hohen Offizier auf und nickte. Da reichte ihm -der Kanzler seine Feldflasche, und als er die Kameraden des Beglückten -so sehnsüchtig und neidvoll auf diesen und das gebotene Labsal blicken -sah, ließ er die Flasche weitergehen, bis sie geleert zu ihm zurückkam. -Einer seiner Begleiter aber folgte seinem Beispiele, und auch die -zweite Feldflasche ging von Hand zu Hand. Nun holte Bismarck seine -Zigarren heraus und fing an auszuteilen, und die vergnügten Gesichter -der ermüdeten Soldaten waren ihm ein schöner Dank. - -Was sich nun ereignete, in jenen ersten Septembertagen des Jahres 1870, -wird für ewig unvergessen bleiben im deutschen Volke. Das Heer Mac -Mahons, bei dem sich der Kaiser Napoleon III. selbst befand, war hinter -Sedan zurückgedrängt, und hier erfolgte die Katastrophe, in welcher der -französische Thron zerbrach. - -Mit dem Morgen des 1. September hob das gewaltige Schauspiel an; noch -lag der Nebel über den Gefilden, und von Bazailles her, wo die Bayern -standen, zuckten rote Blitze, und dumpfer Donner grollte ihnen nach. - -Rechts vom Dorfe Frénois auf einem Hügel hielt König Wilhelm mit seinem -Gefolge, und von hier überschaute er den Verlauf des furchtbaren -Ringens. Um die Mittagszeit war der Calvaire d’Illy, der Schlüssel der -feindlichen Stellung, genommen, erdrückend lag die deutsche Heeresmacht -um das bedrängte Sedan und um den verzweifelten Kaiser. Mac Mahon war -verwundet worden und hatte den Oberbefehl über das französische Heer -dem General Wimpffen übergeben. Aber auch dieser konnte nicht mehr -retten, was verloren war. - -Die Abenddämmerung legte einen leichten Schleier über die Walstatt. -Brennende Dörfer leuchteten in der Runde, und die deutschen Batterien -spien noch immer von allen Seiten Verderben und Vernichtung gegen die -Festung. Endlich flatterte zwischen Rauch und Qualm auf der vorderen -Bastion etwas Weißes empor, die Kapitulationsflagge. - -Um die siebente Stunde ritt den Hügel von Frénois der französische -General von Reille heran, tiefen Ernst in dem gebräunten Antlitz. Es -war eine erschütternde Kunde, die er brachte: Kaiser Napoleon legte -seinen Degen nieder in die Hand des Königs Wilhelm. In tiefer Bewegung -las dieser die kurzen, inhaltschweren Zeilen des besiegten Gegners -seinem Gefolge vor, und in Erschütterung und schweigend standen sie -alle. Selten wohl hat die sinkende Sonne ein solches Bild beleuchtet: -den greisen König, umgeben von deutschen Fürsten und Führern, der, auf -einer umgestürzten Pflugschar sitzend, seine Antwort auf dem Rücken -seines Adjutanten schrieb, indessen abseits in würdiger Resignation -der französische Parlamentär harrte, während nicht lange danach der -mit der wunderbaren Nachricht durch das ganze Heer fortschreitende, -lawinengleich anwachsende Jubelruf zum Himmel jauchzte, der gerötet -war von brennenden Ortschaften und von den Freudenfeuern, die weit ins -fremde Land hineinleuchteten. - -Für Bismarck wie für Moltke und manchen anderen brachte die -kommende Nacht keine Ruhe. Es galt, mit dem General Wimpffen die -Kapitulationsbedingungen festzusetzen, und auf den Wunsch seines Königs -wohnte der Kanzler den Verhandlungen bei. - -Im Erdgeschoß des Schlößchens von Donchery saßen die ernsten Männer in -schweigender Nacht beisammen. - -»Die französische Armee ist kriegsgefangen einschließlich der -Offiziere, mit Waffen und Gepäck, doch sollen den Offizieren ihre Degen -bleiben!« - -So lautete Moltkes ruhig-feste Bedingung, und vergebens bemühte sich -Wimpffen, eine günstigere zu erreichen. Er mahnte daran, wie man -durch milderes Entgegenkommen sich die Dankbarkeit des französischen -Volkes gewinnen würde, durch Härte aber dessen unauslöschlichen Haß -heraufbeschwören müßte. - -Im Antlitz Bismarcks zeigte sich Erhebung, er hob das mächtige Haupt -und sah dem französischen General fest ins Gesicht, als er ihm -erwiderte: - -»An die Dankbarkeit des französischen Volkes vermögen wir nicht zu -glauben, weil es keine dauerhaften Einrichtungen, keine Verehrung und -Achtung vor seiner Regierung und seinem Fürsten hat, der fest auf -seinem Throne sitzt. Auch wäre es Torheit, zu glauben, daß Frankreich -jemals uns unsere Erfolge verzeihen könnte. Sie sind ein über die -Maßen eifersüchtiges, reizbares und hochmütiges Volk, das in zwei -Jahrhunderten uns dreißigmal den Krieg erklärt hat, und das uns den -Sieg von Sadowa nicht verzeihen kann, gleich als ob das Siegen sein -alleiniges Vorrecht wäre. Frankreich muß für seinen eroberungslustigen -und ehrgeizigen Charakter gezüchtigt werden; wir wollen ausruhen, wir -wollen die Sicherheit unserer Kinder wahren, und dazu ist es nötig, daß -wir zwischen Frankreich und uns eine Schutzwehr, ein Gebiet, Festungen -und Grenzen haben, die uns für immer gegen einen Angriff schützen. Das -Glück der Schlachten hat uns die besten Offiziere der französischen -Armee überliefert; sie in Freiheit setzen, um sie aufs neue gegen uns -marschieren zu sehen, wäre Wahnsinn. Es würde den Krieg verlängern -und dem Interesse beider Völker widersprechen. Nein, General, alle -Teilnahme, welche uns Ihre persönliche Lage einflößt, alle gute -Meinung, welche wir von Ihrer Armee hegen – beides darf uns nicht -bestimmen, von den Bedingungen zurückzutreten, die wir gestellt haben.« - -Es waren schwerwiegende, harte Wahrheiten, welche Bismarck hier nach -seiner ehrlichen, festen Art aussprach, und denen Wimpffen nichts -entgegensetzen konnte. - -Die Mitternacht war vorüber, als der französische General mit seinen -zwei Begleitern von Donchery hinüberritt nach Sedan; er wollte die -letzte Entscheidung über die gemachten Bedingungen dem gebrochenen, -kranken Manne überlassen, der sich noch den Kaiser von Frankreich -nannte. - -Bismarck hatte sich tief ermüdet nach seinem Quartier begeben und trotz -der gewaltigen Erregung, die dieser Tag gebracht, Schlaf gefunden. Aber -lange ward er ihm nicht gegönnt. Früh am Morgen wurde er geweckt mit -der Nachricht, daß Napoleon von Sedan her bereits unterwegs sei und ihn -zu sprechen wünsche. Er ritt dem Kaiser entgegen durch die dämmernde -Frühe des kühlen Septembermorgens. Da kam ihm ein zweispänniger -Wagen entgegen mit zwei galonnierten Dienern auf dem Bocke, und drei -französische Offiziere ritten zur Seite. Im Fonds des Wagens lehnte -mit müdem, gelbem Antlitz und mit dem Wesen eines kranken, gebrochenen -Mannes – Napoleon; drei Generale saßen neben ihm, beziehentlich ihm -gegenüber. Als Bismarck näherkam, stieg er vom Pferde, trat militärisch -grüßend an den Wagen und fragte nach den Befehlen des Kaisers. - -Dieser hatte die Mütze abgenommen, und seine Begleiter folgten dem -Beispiel. Als Bismarck das gleiche tat, sagte Napoleon: »Bedecken Sie -sich doch!« - -Sein Wunsch, zu dem König geführt zu werden, ließ sich aus mehreren -Gründen nicht erfüllen, und da er aus Furcht vor seinen eigenen Leuten -nicht nach Sedan zurückzukehren wagte, bot ihm der Kanzler sein -Quartier in Donchery an. Dahin fuhr jetzt der Wagen, dem Bismarck zur -Seite ritt. - -Aber noch ehe das Städtchen erreicht war, wünschte Napoleon zu rasten. -Unfern der Maasbrücke, rechts von der Straße, deren einförmige -Pappelreihe gleichmütig zum Himmel ragte, stand ein kleines, gelb -getünchtes Haus mit vier Fenstern. Einem schlichten Weber gehörte -es. Hier stieg der Kaiser ab und ging langsam und müde, gefolgt von -Bismarck, die enge Holztreppe hinauf nach dem ersten Stockwerk. In -einer kleinen Kammer, die nur von einem Fenster erhellt wurde, standen -an einem fichtenen Tisch zwei Binsenstühle. - -Hier saßen die beiden Männer, der kleine, zusammengebeugte, -tiefgedemütigte Franzose, der hochragende, stattliche, ernst und -teilnahmsvoll dreinsehende Deutsche. Eine Stunde beinahe verhandelten -sie hier miteinander. Der Kaiser beklagte, daß er wider seinen Willen -durch die öffentliche Stimmung in den unseligen Krieg hineingedrängt -worden sei und suchte für die Kapitulation von Sedan günstigere -Bedingungen zu erlangen. Bismarck mußte ihm darauf höflich, aber -entschieden bemerken, daß er in dieser militärischen Angelegenheit -inkompetent sei, wohl aber auf eventuelle Friedensverhandlungen -eingehen wolle. Dazu aber glaubte sich der gefangene Kaiser nicht mehr -berufen, und so floß das Gespräch ohne ein positives Resultat dahin. - -Napoleon schien es zu enge zu werden in dem kleinen, kahlen Raume, -er erhob sich, und der Kanzler folgte ihm hinaus ins Freie. Vor dem -schlichten Weberhäuschen schweifte der Blick seitwärts über ein -blühendes Kartoffelfeld und über Buschwerk hinaus ins Land. Die beiden -Binsenstühle waren herausgetragen worden, und der Kaiser ließ sich noch -einmal nieder, Bismarck zu seiner Seite. Unter dem Himmel Frankreichs -ein wunderlich ergreifendes Bild! Noch einen letzten Versuch machte der -hohe Gefangene, seiner eingeschlossenen Armee den Abzug auf belgisches -Gebiet zu sichern, aber auch hier wich der Kanzler dieser Frage aus. - -In der Nähe von Frénois liegt ein Schlößchen, Bellevue genannt. Dort -sollte Napoleon einstweilen Wohnung nehmen, und, begleitet von einer -Ehreneskorte des Leibkürassierregiments, führte Bismarck ihn dahin. -Und hier war es, wo um zwei Uhr mittags, nachdem die Kapitulation von -Sedan in dem von Moltke gewünschten Sinne abgeschlossen war, König -Wilhelm den unseligen Mann besuchte, dem sein Ehrgeiz verhängnisvoll -geworden war. - -Es war um die zweite Nachmittagsstunde, als der Kaiser, das Haupt -entblößt, auf der Freitreppe am Eingange des Schlößchens, den -ehrwürdigen, weißhaarigen König begrüßte. In Napoleons Augen standen -Tränen, aber auch der siegreiche Monarch war tief bewegt. Eine -inhaltschwere Viertelstunde verrann, ehe die beiden voneinander -schieden, der Kaiser, um nach Deutschland zu ziehen, als Gefangener -nach jenem Schlosse Wilhelmshöhe bei Kassel, auf welchem zu Anfang des -Jahrhunderts der napoleonische König Jerôme seine lustige Herrschaft -geführt hatte, König Wilhelm in sein Hauptquartier zu Vendresse. - -Der Champagner war selbst in Frankreich ein seltenes Getränk auf der -Tafel des greisen Heerführers, an jenem 3. September aber fehlte er -nicht, und bei dem schäumenden, perlenden französischen Weine im Kreise -seiner besten Paladine sprach der König das schöne Wort: - -»Wir müssen heute aus Dankbarkeit auf das Wohl meiner braven Armee -trinken. Sie, Kriegsminister von Roon, haben unser Schwert geschärft; -Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf von Bismarck, -haben seit Jahren durch die Leitung der Politik Preußen auf seinen -jetzigen Höhepunkt gebracht. Lassen Sie uns also auf das Wohl der -Armee, der drei von mir Genannten und jedes einzelnen unter den -Anwesenden trinken, der nach seinen Kräften zu den bisherigen Erfolgen -beigetragen hat.« - -In der Stille des Abends aber saß am selben Tage Bismarck in seinem -Quartier und schrieb an seine Gemahlin im Drange seines Herzens -einen schlichten und dabei doch ergreifenden Brief, der freilich -das Schicksal hatte, von den französischen Freischärlern abgefangen -zu werden, aber durch seine Veröffentlichung in der Pariser Zeitung -»Figaro« allgemein bekannt worden ist. - -Mit Napoleons Gefangennahme hörte der Krieg nicht auf. Die Franzosen -gaben ihren Kaiser preis, setzten ihn ab und proklamierten die -Republik, und die Waffen redeten zunächst ihre ernste, furchtbare -Sprache noch weiter. Frankreich gedachte neue Armeen aus der Erde -zu stampfen und Freischarenbanden im Rücken der deutschen Heere -organisieren zu lassen, um diese zu beunruhigen, und diese unheimlichen -Gesellen in ihren dunklen Wollenblusen, mit der blauen Schärpe um -den Leib, lagen allerorten im Hinterhalt, zerstörten Schienenwege -und Telegraphenleitungen und suchten den deutschen Armeen die Zufuhr -abzuschneiden. Paris, das Kleinod von Frankreich, wurde stark befestigt -und eine starke Armee in die Hauptstadt gelegt, aber mit ruhiger -Sicherheit gingen die deutschen Heere ihre Siegespfade weiter, und -immer näher heran an die innerlich verkommene »Weltenseele«. - -Es war am 19. September, als ein Mitglied der französischen Regierung, -der Advokat Jules _Favre_, im deutschen Hauptquartier eintraf und mit -Bismarck zu verhandeln wünschte. Dieser wohnte in der Nähe des Dorfes -Montry in dem Schlosse La Haute Maison. Langsam fuhr der Wagen des -Franzosen die bewaldete Anhöhe hinan, die nach dem wenig ansehnlichen -Hause führte, und sein Auge blieb unwillkürlich an den Zerstörungen -haften, die sich überall als Folgen von Kämpfen, die sich hier -abgespielt haben mußten, bemerkbar machten. - -Bismarck empfing den Gast mit ritterlicher Höflichkeit und erkundigte -sich nach seinen Wünschen. - -Favre wußte mit großer Gewandtheit und Geschicklichkeit auszuführen, -wie die französische Regierung dem Frieden nicht abgeneigt wäre, wie -dieselbe aber, ehe sie einen solchen schließen könne, gesetzlich -anerkannt sein müsse. Es liegt darum die Notwendigkeit vor, eine -konstituierende Nationalversammlung einzuberufen, was aber unmöglich -sei während der Fortdauer des Krieges; seine Bitte gehe darum auf -Abschluß eines Waffenstillstands. - -Ernst und ruhig sah Bismarck dem Franzosen ins Auge, der einigermaßen -erregt mit den schlanken Fingern sich durch den weißen Bart strich. -Dann bemerkte er: - -»Es wird Ihnen zweifellos klar sein, welche Nachteile für unsere -siegreich fortschreitenden Heere in einem Waffenstillstande liegen, -doch kann ich Ihren Standpunkt begreifen und würde geneigt sein, Ihren -Wunsch zu befürworten, doch werden Sie einsehen, daß wir für dessen -Gewährung eine entsprechende Entschädigung erhalten müßten.« - -»Und worin würde diese wohl zu bestehen haben?« - -»Da uns vor allem daran liegen muß, die Verpflegung unserer Heere -und die damit zusammenhängende Verbindung mit Deutschland gesichert -zu sehen, würden wir die Übergabe der Festungen Toul und Straßburg -verlangen müssen.« - -Der Franzose fuhr erregt auf: - -»Das ist eine Forderung, die doch wohl zu weit geht.« - -»Ich bedaure, darauf bestehen zu müssen.« - -»Das wird Frankreich und Paris niemals zugestehen, eher wird die -Hauptstadt in Trümmer sinken und alle seine Söhne opfern.« - -Bismarck zuckte bedauernd die Achseln, und so beredt der Franzose auch -sprechen mochte, er blieb fest. So schied Favre, ohne einen Erfolg -erreicht zu haben, und der Kanzler geleitete seinen Besucher die Treppe -hinab. Dieser wies auf die beschädigten Wände und Mauern. - -»Die Spuren Ihrer Franctireurs,« bemerkte Bismarck – »die Gegend ist -hier voll von ihnen, aber wir machen schonungslose Jagd auf sie; wir -behandeln sie als Raubgesindel, denn sie sind keine Soldaten.« - -»Aber bedenken Sie, es sind doch Franzosen, welche ihren Boden, ihren -Herd und ihr Haus verteidigen. Sie sind doch wohl sicher in ihrem -Rechte, wenn sie der feindlichen Invasion Widerstand leisten, und -wenn Sie das Kriegsgesetz auf diese Leute anwenden, so ist das eine -Verkennung desselben.« - -Der Kanzler erwiderte ruhig: - -»Wir kennen nur Soldaten, welche einer regelmäßigen Disziplin -unterworfen sind, die anderen sind außerhalb dieses Gesetzes.« - -»Dann gestatten Sie mir jedoch, Sie an das Jahr 1813 zu erinnern und an -den Aufruf des Königs von Preußen an sein Volk. Was war diese Erhebung -in Ihrem Lande damals anders als die gegenwärtige der Franctireurs?« - -»Richtig,« bemerkte Bismarck, »aber unsere Bäume zeigen noch die Spuren -derjenigen Landeseinwohner, welche Ihre Generale hängen ließen.« – - -Noch einmal machte Favre am nächsten Tage den Versuch, auf Schloß -Ferrières Bismarck zu günstigeren Waffenstillstandsbedingungen zu -bewegen – umsonst! »Straßburg ist der Schlüssel zu unserem Hause – -ihn _müssen_ wir haben!« Das war der bittere Bescheid, welchen der -französische Abgeordnete mit sich nahm, der von dem Kanzler mit den -Worten schied: - -»Ich bin sehr unglücklich, aber ich hoffe noch immer!« - -Drohender zogen sich die Wetterwolken um Paris zusammen. Mit eisernen -Armen umklammerten die deutschen Heere den Leib der koketten -Seinestadt, die sich vergebens gegen die Erdrückung wehrte; am 19. -September war die Einschließung vollendet. Etwa 8 Tage später kam von -Straßburg her die Kunde, daß die Festung sich ergeben und die alte, gut -deutsche Stadt von der Mutter Germania wieder heimgeholt worden sei. - -Zu Anfang Oktober war das deutsche Hauptquartier in Versailles. -Auf der Präfektur wohnte der greise preußische Herrscher, in einem -kleinen Hause aber, in der Rue de Provence, von dessen Balkon die -schwarz-weiß-rote Fahne lustig in die Straße hineinwehte, hatte -Bismarck sein Quartier aufgeschlagen, und die Staatsmaschine arbeitete -von hier aus unaufhörlich und wahrlich auch erfolgreich, denn vergebens -hatte Frankreich den ruhig besonnenen, redegewandten Staatsmann Thiers -dahin und dorthin an andere Regierungen gesandt, um eine Einmischung -zu seinen Gunsten herbeizuführen, es hatte niemand Lust, sich um der -jungen Republik wegen in Unkosten und Aufregung zu stürzen, und die -Dinge gingen ihren Gang weiter. - -Da kam auch die Kunde, daß Metz (am 29. Oktober) gefallen und die Armee -Bazaines kriegsgefangen sei. Ein neuer Jubel durchbrauste die deutschen -Heere, die Kampfesbegeisterung wuchs im Lager vor Paris, und wenn -Bismarck durch die Straßen von Versailles ritt, die Kraftgestalt in der -kleidsamen Kürassieruniform stramm aufgerichtet im Sattel, grüßten ihn -die deutschen Soldaten mit warmer Herzlichkeit, und die Franzosen sahen -mit einem Gemisch von Ingrimm und Verwunderung dem stattlichen Recken -nach. - -Und hier in Versailles, in dem schlichten Hause der Madame Jessé, -liefen die Fäden zusammen, welche die starke Hand Bismarcks zu einem -gewaltigen Ganzen verflocht, zum Bande, das das einige deutsche -Reich umschlang. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit hatte eine -Bluttaufe erhalten, welche allen Zwiespalt verwischte, und aus allen -Gauen des deutschen Südens kamen Wünsche, sich dem norddeutschen -Bunde anzuschließen. Nach Versailles kamen die Sendboten von Baden -und Hessen, Württemberg und Bayern, und die wichtigen Verhandlungen -waren im vollen Gange, während die Kanonen gegen die Außenforts der -französischen Hauptstadt ihre furchtbaren Grüße sandten. - -Als der badische Minister Jolly Bismarck besuchte, brachte er ein -sinniges Geschenk mit, eine goldene Feder. - -»Der Pforzheimer Fabrikant Bissinger hat mich gebeten, Eurer Exzellenz -diese Gabe zu überbringen und in seinem Namen zu bitten, daß Sie den -dritten Pariser Frieden damit unterzeichnen möchten.« - -Sinnend und mit überwallender Rührung betrachtete Bismarck das -Geschenk, das ihm aus Deutschlands Süden zuging, wo er vor nicht zu -langer Zeit noch der bestgehaßte Mann war. Dann sprach er: - -»Was soll ich dem gütigen Spender sagen? Wie soll ich ihm danken? In -einer Zeit, da das Schwert der deutschen Nation so ruhmreiche Taten -vollbracht hat, tut man der Feder beinahe zu viel Ehre an, wenn man -sie so kostbar ausstattet. Ich kann nur hoffen, daß der Gebrauch, zu -welchem diese Feder im Dienste des Vaterlandes bestimmt ist, demselben -zu dauerndem Gedeihen in glücklichem Frieden gereichen möge, und ich -darf unter Gottes Beistand versprechen, daß sie in meiner Hand nichts -unterzeichnen soll, was deutscher Gesinnung oder deutschen Schwertes -unwert wäre.« - -Der Winter war allgemach gekommen und trieb seine Flocken durch -das französische Land, und in Bismarcks Wohnung knisterte das -Feuer im Kamin. Es war am 23. November. Der Abend war schon lange -hereingebrochen, die Teestunde, in welcher der Kanzler mit einigen -seiner Beamten, so behaglich es angehen mochte, sonst zusammenzusitzen -pflegte, war gekommen, und in dem kleinen Salon harrten bereits einige -Herren. Nahe beim Kamin saß Graf Bismarck-Bohlen, unfern davon Graf -Hatzfeld. - -»Will denn die Angelegenheit noch nicht vorwärtsrücken?« sprach der -eine. »Nun haben wir glücklich Baden und Hessen dem Norddeutschen -Bunde eingegliedert – aber Bayern und Württemberg machen doch, wie es -scheint, besondere Schwierigkeiten.« - -»Im Prinzip gewiß nicht,« erwiderte der andere, »aber es ist -begreiflich, daß sie gewisse Rechte sich reservieren wollen.« - -»Ja, die Verwaltung von Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen –« - -»Und wie ich gehört habe, will Bayern auch die Leitung seines Heeres -wenigstens zu Friedenszeiten nicht an Preußen abgeben. Hoffentlich -scheitert nicht auch diesmal das große Einigungswerk an kleinen -Bedenken.« - -»Lassen Sie nur unseren geistvollen großen Chef machen, verehrter -Freund; er hat Klugheit und Energie zugleich, und versteht zu rechter -Zeit zu geben und zu nehmen.« - -Der Schriftsteller Moritz _Busch_, der als Zeitungsberichterstatter -sich im Hauptquartier befand, trat herein zu den beiden Herren. - -»Seine Exzellenz konferieren wohl noch immer?« fragte er. Graf Hatzfeld -deutete nach der Türe, welche zum Salon führte. - -»Dort ist er mit dem bayrischen Kleeblatt, Graf Bray, Lutz und Prankh, -und die Herren scheinen zäh zu sein.« - -Noch eine Viertelstunde verstrich, da öffnete sich die Flügeltüre, der -Kopf Bismarcks erschien mit hellen Augen, und das Antlitz in angenehmer -Erregung. Als er die drei bemerkte, trat er in das Zimmer, einen Becher -in der Hand. Seine Stimme klang bewegt, als er sprach: - -»Nun, meine Herren, der bayrische Vertrag ist jetzt fertig und -unterzeichnet, die deutsche Einheit ist gemacht und der deutsche Kaiser -auch.« - -Die Herren hatten sich erhoben, sie sahen mit leuchtenden Blicken -den Sprecher an – einige Sekunden tiefer, ergreifender Stille -verstrichen, dann erbat sich Dr. Busch die Erlaubnis, die Federn -holen zu dürfen, mit welchen das bedeutsame Aktenstück unterschrieben -worden war. Bismarck aber befahl dem Diener, eine Flasche Champagner -herbeizubringen. Die Gläser mit dem Schaumwein klirrten zusammen, und -der Kanzler sprach tief atmend: - -»Es ist ein Ereignis.« - -Dann schwieg er sinnend einige Augenblicke, und nun fuhr er fort: - -»Die Zeitungen werden nicht zufrieden sein, und wer einmal in der -gewöhnlichen Art Geschichte schreibt, kann unser Abkommen tadeln. Er -kann sagen, der dumme Kerl hätte mehr fordern sollen; er hätte es -erlangt; sie hätten gemußt; er kann recht haben mit dem Müssen. Mir -aber lag mehr daran, daß die Leute mit der Sache innerlich zufrieden -waren. – Was sind Verträge, wenn man muß! – und ich weiß, daß sie -vergnügt fortgegangen sind. Der Vertrag hat seine Mängel, aber er -ist so fester. Ich rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir in diesen -Jahren erreicht haben. – Was den Kaiser betrifft, so habe ich ihnen -denselben bei den Verhandlungen damit annehmbar gemacht, daß ich ihnen -vorstellte, es müsse für ihren König doch bequemer und leichter sein, -gewisse Rechte dem deutschen Kaiser einzuräumen, als dem benachbarten -König von Preußen.« - -Die Erneuerung der deutschen Kaiserkrone! Das war der Wunsch der Besten -seit Jahrzehnten, das war die immer wieder erwachende Sehnsucht des -deutschen Volkes, und nun sollte sie im fremden Lande sich erfüllen. -Und die Erfüllung ward nicht künstlich herbeigeführt, sie wuchs aus den -gewaltigen geschichtlichen Ereignissen selbst heraus. Die deutschen -Fürsten und das deutsche Volk waren eins in diesem schönen Ziele. - -Am 18. Dezember trafen in Versailles dreißig Mitglieder des -Norddeutschen Reichstages ein, geführt von ihrem Präsidenten Simson. -Die vornehme französische Präfektur sah sie durch ihre Prunkhallen -schreiten, und die Bilder der alten französischen Herrscher schauten -wohl mit Verwunderung herab auf die deutschen Männer, die hier im -Namen eines ganzen Volkes kamen, um dem greisen König Wilhelm jenes -Schreiben zu überreichen, das ihn bat, die deutsche Kaiserkrone -anzunehmen. Draußen lag der Winter auf den Feldern von Frankreich, aber -Sonnenschein war’s in allen deutschen Herzen, jener Lenzessonnenschein, -der die Auferstehung schlafender Herrlichkeit verkündet. - -Um den König standen die Edelsten des deutschen Volkes, seine Fürsten -und Helden, und hervorragend unter diesen die Kraftgestalt des -Kanzlers, der mit freudigem Bewußtsein daran denken durfte, daß er -diese Stunde hatte vorbereiten helfen. - -Mit bewegter Stimme sprach Dr. Simson: - -»Eure Majestät empfangen die Abgeordneten des Reichstags in einer -Stadt, in welcher mehrmals ein verderblicher Heereszug gegen unser -Vaterland ersonnen und ins Werk gesetzt worden ist. Und heute darf die -Nation von eben dieser Stelle her sich der Zuversicht getrösten, daß -Kaiser und Reich im Geiste einer neuen lebensvollen Gegenwart wieder -aufgerichtet und ihr, wenn Gott ferner hilft und Segen gibt, in beiden -die Gewißheit und Macht von Recht und Gesetz, von Freiheit und Frieden -zuteil werden.« - -Das war des deutschen Volkes Weihnachtsgabe. Die Zeit des schlafenden -Kaisers im Kyffhäuser sollte vorüber sein, der Kaiser Rotbart sollte -verschwinden vor der Herrlichkeit des Kaiser Weißbart. Der Gedanke -mußte all die tausend Männerherzen entschädigen, die in Eis und Schnee -fern von der Heimat und ihren Lieben das schönste Fest, das Christfest, -verleben mußten. - -Im Hause in der Rue de Provence in Versailles dachte Bismarck mit -verhaltener Wehmut an jenem 24. Dezember der Seinen. Im Kamin flackerte -das Feuer, und um den Tisch saß ein kleiner Kreis von Männern, der hier -gleichsam seine Familie repräsentierte, seine treuen Mitarbeiter. Ein -Christbäumchen fehlte nicht, aber es war ein winzig Dingelchen, doch -gehörte es in das deutsche Heim, um wenigstens einigermaßen Stimmung -zu machen. Und unter dem Bäumchen lag eine liebe Gabe, die mit anderen -von daheim gekommen war, ein Geschenk von Frau Johanna. Sie wußte, daß -ihr Gemahl eine besondere Vorliebe für schöne Becher habe, und so hatte -sie ihm in zierlichem Kästchen zwei derselben zugesandt, den einen in -Tula-Manier, den anderen in geschmackvollem Renaissancestil. - -Aber auch sein König hatte ihn nicht vergessen. Er sandte ihm am -Christabend das Eiserne Kreuz erster Klasse, um die Verdienste -des Mannes zu ehren, der mit sicherer Hand auch aus der Mitte des -feindlichen Landes die Fäden der Politik zum Segen Deutschlands und zur -Ehre seiner Heimat verknüpfte. - -Der herrlichste deutsche Festtag aber, welchen das französische -Königsschloß in jenen Tagen schaute, war der 18. Januar 1871. Vor -170 Jahre hatte der Brandenburger Kurfürst sich an diesem Tage die -preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt, und nun ward ein König von -Preußen deutscher Kaiser. Im Palaste jenes Ludwig XIV., der einst so -tiefe Schmach und Schädigung über deutsches Land und Volk gebracht, -feierte unseres Reiches Herrlichkeit seine Auferstehung – ein Walten -der Weltgeschichte, wie es nicht ergreifender gedacht werden kann. - -Vom Herrenschlosse zu Versailles wehte die Fahne der Hohenzollern -hinaus in die Winterluft. Um die Mittagsstunde standen zu beiden Seiten -der Straße von der Präfektur her in Reih und Glied die Scharen der -deutschen Soldaten, mit flammender Begeisterung im Auge, die Brust -geschwellt von einem maßlosen Hochgefühl. Andere hatten sich um das -mitten auf dem Schloßplatz sich erhebende gewaltige Reiterstandbild -Ludwigs XIV. gruppiert und unter den Statuen französischer -Kriegshelden. Die mächtigen Pforten des glänzenden Palastes, welche -in goldenen Lettern die prunkende Aufschrift tragen: »~A toutes les -gloires de la France~« waren weit geöffnet, um die erlauchten deutschen -Gäste aufzunehmen, welche im glänzenden Zuge herankamen. - -Nun nahte die ehrwürdige Gestalt des Königs. Ein Brausen und Jauchzen -erhob sich, das die Lüfte erschütterte, und das selbst die neugierigen -Gaffer mächtig ergriff und eine Ahnung treudeutschen Empfindens in ihre -Seelen trug, und zwischen den jubelnden Soldaten schritt der königliche -Greis hin, hochaufgerichtet und herrlich. Am Portale begrüßte ihn -der Kronprinz, in den Vorgemächern empfingen ihn Fürsten, Minister -und Generale, und so geleiteten sie ihn in die festlich geschmückte -herrliche Spiegelgalerie des Schlosses. An der Decke des Saales war -ein Bild, das wunderlich in diese Situation paßte, eine Verherrlichung -Ludwigs XIV., vor dessen Thron sich die Mächte Europas demütig beugen. -Am Mittelpfeiler der Gartenseite war ein Altar errichtet, zu dessen -beiden Seiten die Vertreter des deutschen Heeres, Mannschaften aller -Truppenteile, standen, und von einer Estrade her winkten die Fahnen der -deutschen Armeen herab, welche von Unteroffizieren gehalten wurden, -deren Brust das eiserne Kreuz schmückte. - -Eine ergreifende Stille trat ein, als der König, von den Fürsten -und seinen Recken umgeben, dem Altare zuschritt und demselben -gegenüber Platz nahm. Mit frommem Aufblick zu Gott ward die feierliche -Stunde eingeleitet. Wie daheim im Gotteshause erklang die Liturgie. -»Jauchzet dem Herrn alle Welt!« jubelte der Sängerchor, und dann trat -Hofprediger Rogge vor, um die Festpredigt zu halten. In die glänzende -und weihevolle Versammlung rief er das Wort des Psalmisten: »Herr, -der König freuet sich deiner Kraft, du setzest eine goldene Krone auf -sein Haupt,« und nun wandte er den Blick empor zu dem übermütigen -Deckengemälde und pries den Herrn, der den feindlichen Hochmut -zuschanden gemacht hatte. - -Machtvoll und erhebend klang der fromme Choral: »Nun danket alle Gott!« -von hundert Männerlippen, und jetzt schritt der greise König, von dem -Kronprinzen und Bismarck gefolgt, auf die Erhöhung, von der die Fahnen -niederwallten, und verlas das Wort vom wiedererstandenen deutschen -Reiche. Dann forderte er den Kanzler auf, des neuen Kaisers ersten -Erlaß, seinen kaiserlichen Gruß, den Fürsten und Vertretern des Volkes -zu verkündigen. - -Stattlicher erhob sich die Gestalt Bismarcks, festen Fußes trat er -einige Schritte vor, ernst und mit verhaltener Bewegung flog sein Auge -durch den Saal, auf welchem tiefes, feierliches Schweigen ruhte, und -dann klangen die Worte so ruhig und klar bis in die fernste Ecke des -Raumes: - -»Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen – nachdem die -deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtet -haben, mit Herstellung des deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig -Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, -und nachdem in der Verfassung des deutschen Bundes die entsprechenden -Bestimmungen vorgesehen sind – bekunden hiermit, daß Wir als eine -Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem -Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte Folge zu -leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäß werden Wir -und Unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den kaiserlichen -Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen -Reiches führen, und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation -gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das -Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir übernehmen -die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher -Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den -Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die -geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der -Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner -heißen und opfermutigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der -Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten -entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns -aber und unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, -allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen -Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem -Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.« - -Langsam trat Bismarck an die Seite seines Kaisers zurück, aus dem -Kreise der deutschen Fürsten aber schritt der Großherzog von Baden bis -an die Erhöhung heran, hoch in der Rechten schwang er den blitzenden -Helm, und in wahrer und warmer Begeisterung rief er: - -»Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!« - -Schmetternd in Jubeltönen fiel die Musik ein, aus der ganzen -Versammlung brauste es mit erhebender Gewalt empor, das stolze Wort, -und während die Volkshymne machtvoll einsetzte, pflanzte sich die -Begeisterung fort, hinaus durch die Hallen und Höfe, die Straßen und -Plätze. Das war die Weihestunde des neuen Reiches. - -Aber der Kampf auf Frankreichs Feldern und um seine Hauptstadt dauerte -noch immer fort, bis in der letzteren die Not auf das äußerste -gestiegen war: Übermütiger Trotz konnte hier nicht weiter nützen. Am -Abend des 23. Januar fuhr durch die Straßen von Versailles ein Wagen, -der wohl vordem dem kaiserlichen Hofe gehört haben mochte, aber das -Wappen daran war beseitigt worden. Drei Männer saßen darin, der hagere, -bleiche Advokat Jules Favre, dessen kleiner, beweglicher Schwiegersohn, -der Maler Martinez de Rio und Graf d’Hérisson. In der Rue de Provence, -vor dem Hause der Frau Jessé, hielt das Gefährt, die Insassen stiegen -aus und gingen langsam die Treppen nach dem ersten Stockwerk hinan. Sie -wurden von den Ministerialbeamten empfangen und erhielten an Bewirtung, -was eben aufzutreiben war, dann bat Bismarck Favre und den Grafen -d’Hérisson, bei ihm in den kleinen Salon einzutreten. - -An einem runden Tisch saßen die drei, und Bismarck bot seinen Gästen -Zigarren an, welche vor ihm standen. Beide lehnten dieselben ab, und -lächelnd bemerkte der Kanzler: - -»Sie tun unrecht daran; wenn man eine Unterredung beginnt, die zu -heftigen Auseinandersetzungen führen kann, ist es doch besser, beim -Zwiegespräch zu rauchen. Die Zigarre paralisiert, indem man sie hin und -her dreht und nicht fallen lassen will, einigermaßen die körperliche -Erregung und stimmt uns milder, man fühlt sich behaglich und macht sich -eher Konzessionen.« - -Der bleiche, hagere französische Abgeordnete saß etwas zusammengebeugt -in seinem Stuhle, der Kanzler in seiner Kürassieruniform aufrecht -und stattlich. Er führte die Verhandlungen in einem ausgezeichneten -Französisch, welches Graf d’Hérisson geradezu mit Verwunderung anhörte. -Jules Favre glaubte an die Unterredung von Schloß Ferrières wieder -anknüpfen zu können, aber Bismarck bemerkte höflich: - -»Sie vergessen, daß unsere Lage heute bereits eine andere ist wie -damals. Wenn Sie an Ihrem Grundsatze festhalten: ›Keinen Zollbreit -unseres Gebietes, keinen Stein unserer Festungen,‹ so ist es -überflüssig, weiter darüber zu sprechen. Meine Zeit ist kostbar, die -Ihrige auch, und ich sehe nicht ein, weshalb wir sie vergeuden sollten.« - -Es handelte sich um die Bedingungen des Waffenstillstandes, und der -redegewandte Franzose bot alles auf, dieselben den Verhältnissen -gemäß günstig zu gestalten. Aber er fand einen überlegenen, eisernen -Gegner. Übergabe der Außenforts von Paris, Kriegsgefangenschaft der -Verteidigungstruppen, Entwaffnung der Nationalgarde und Einmarsch -deutscher Truppen in Frankreichs Hauptstadt – das waren die -wesentlichsten Forderungen des Kanzlers. - -Jules Favres bleiches Gesicht rötete sich vor innerer Erregung, er -strich sich die wirren weißen Haare aus der Stirn und begann aufs neue -mit dem Versuche, eins und das andere abzudingen. Daß deutsche Soldaten -durch die Straßen von Paris marschieren sollten, war dem Franzosen ein -besonders unerträglicher Gedanke, und er bestürmte Bismarck, indem -er an dessen Großmut appellierte und auf die tiefe Verletzung der -französischen Nationalehre hinwies, darauf zu verzichten. Auch die -Entwaffnung der Nationalgarde erschien dem Vertreter Frankreichs als -tief demütigend und kränkend, und er bat dringend, von dieser Forderung -abzustehen. - -Der Kanzler sah ihn ernst an und erwiderte nach einer kleinen Pause: - -»Ich will Ihnen in dem letzten Punkte entgegenkommen, aber glauben -Sie mir, Sie begehen eine Dummheit. Sie werden selbst noch mit den -Gewehren zu rechnen haben, die Sie den exaltierten Menschen lassen -wollen.« - -»Und Paris soll nicht verschont bleiben vor dem Schmerz einer Invasion -Ihrer Truppen?« - -»Ich würde Ihnen auch hier ein Zugeständnis zu machen bereit sein,« -sprach der Kanzler, »aber der König und die Generale bestehen darauf. -Das ist die Belohnung für unsere Armee. Wenn ich nach der Rückkehr in -die Heimat einem armen Teufel mit einem Stelzfuß begegnen werde, dann -wird er sagen: Das Bein, das ich vor den Mauern von Paris gelassen -habe, gab mir das Recht, meine Eroberung zu vervollständigen; dieser -Diplomat, der im Besitze seiner gesunden Gliedmaßen ist, hat mich daran -verhindert. – Wir können uns dem nicht aussetzen, in diesem Punkte das -öffentliche Gefühl zu verletzen. Wir werden in Paris einziehen, aber -nicht über die Elyséischen Felder hinausgehen, und dort die Ereignisse -abwarten. Wir werden auch den 60 Bataillonen der Nationalgarde, welche -zuerst gebildet wurden und Sinn für Ordnung haben, die Waffen belassen.« - -»Und wir dürfen wohl annehmen, daß in den abzuschließenden -Waffenstillstand auch die von Garibaldi zu unserer Unterstützung -herbeigeführte Armee eingeschlossen werde?« - -In das Antlitz Bismarcks stieg eine wärmere Röte, sein ernstes Auge -blitzte auf. - -»Diese Truppen sind für uns keine völkerrechtlich anerkannte -Heeresmacht; das sind Banden, die unter die Kategorie Ihrer -Freischärler fallen, mit ihnen werden wir nicht paktieren. Haben wir -uns auch veranlaßt gesehen, uns mit ihnen zu schlagen, so mag man -uns doch nicht zumuten, durch ein solches Zugeständnis ihnen eine -Berechtigung zuzuerkennen, sich in den Streit zweier großen Nationen zu -mischen.« - -Der gewaltige Recke war in heftige und zornige Erregung gekommen, -und der Graf d’Hérisson, der ein schweigender Zeuge dieser ganzen -Szene war, gedachte jetzt der Äußerung, welche Bismarck vorher getan. -Mit einem raschen, kühnen Entschlusse faßte er den auf dem Tisch -stehenden kleinen Teller mit Zigarren und bot mit einer ehrerbietigen -Verbeugung dieselben dem Kanzler dar. Einen Augenblick sah ihn Bismarck -einigermaßen erstaunt an, dann flog ein Schimmer von Verständnis über -sein Gesicht, wie ein leichtes Lächeln spielte es um seinen Mund, und -er sagte: - -»Sie haben recht, Kapitän, es führt zu nichts, sich zu ereifern … im -Gegenteil!« - -Und als Jules Favre mit erneuter Wärme sich für den Waffenstillstand -mit Garibaldi verwendete, wurde ihm derselbe auch tatsächlich noch -zugestanden. - -Die Verhandlungen dauerten auch in den nächsten Tagen noch fort. Am -Abend des 26. Januar aber fuhr der kaiserlich französische Wagen mit -dem abgekratzten Wappen wieder vor dem Hause in der Rue de Provence -vor, und in verbindlicher Weise geleitete Bismarck seine Gäste zu -demselben. Die stattliche, stolze Gestalt in der Kürassieruniform -sah achtungsgebietend aus neben der etwas zusammengebeugten hageren -und schlotterigen Erscheinung des Pariser Advokaten, dem der Kanzler -freundlich die Hand reichte. Ein Mitgefühl erfaßte ihn für den Mann, -der doch auch im Dienste seines Volkes und seiner Heimat unter den -mißlichsten Verhältnissen wirkte, und er sprach: - -»Ich glaube nicht, daß, nachdem wir so weit gekommen, ein Abbruch der -Verhandlungen möglich wäre. Wenn Sie derselben Ansicht sind, wollen wir -heute abend das Feuer einstellen.« - -In den Augen des Franzosen leuchtete ein Strahl dankbarer Freude auf, -als er erwiderte: - -»Da ich das Unglück habe, das besiegte Paris zu vertreten, wollte -ich nicht um eine Gunst bitten, so sehr mir dies am Herzen lag. Ich -nehme gern Ihr Anerbieten an; es ist der erste Trost, den ich in -unserem Unglück empfinde. Es war mir ein unerträglicher Gedanke, daß -unnützes Blut vergossen wird, während wir über die Bedingungen eines -Waffenstillstandes verhandeln.« - -»Nun wohl, so lassen wir beiderseits Befehl ergehen, daß das Feuer um -Mitternacht schweigt.« - -Die Nacht brach ein, da und dort war der Himmel gerötet von Feuersglut, -die Kanonen donnerten zornig gegeneinander, um die zwölfte Stunde -aber ward es mit einmal still. Ein letzter dröhnender Schuß von der -Seinestadt herüber, und kein deutscher Schuß gab die Antwort mehr -darauf … Tiefe, beinahe ergreifende Ruhe lag über dem nächtlichen Lande. - -Die Waffen hörten nun überhaupt auf zu sprechen, und am 21. Februar -trafen die neugewählten Häupter der jungen französischen Republik im -deutschen Hauptquartier ein, nachdem sich vorher die Kapitulation -von Paris vollzogen hatte; es waren _Jules Favre_ und der greise, -redegewandte und diplomatisch erfahrene _Adolf Thiers_. - -So saßen sie abermals um den runden Tisch, der kleine Franzose mit -dem glatten, geistvollen Gesicht und den klugen Augen, die hinter -glänzenden Brillengläsern hervorschauten, der hagere, blasse Jules -Favre und Bismarck in seiner einfachen Uniform mit dem Eisernen Kreuze -auf der breiten Brust. Daß den Franzosen die Bedingungen, unter welchen -ihrem Lande der Friede gewährt werden sollte, hart erschienen, ist -begreiflich, aber der Kanzler wußte, was er notwendig begehren mußte: -Die Herausgabe von Elsaß-Lothringen mit den Festungen Belfort und Metz -und eine Kriegsentschädigung von 6 Milliarden Francs. - -Wenn Thiers jemals den Ruf eines überaus beredten Mannes gerechtfertigt -hat, so war es in jenen Stunden, da er alles aufbot, um wenigstens -einigermaßen glimpflichere Bedingungen zu erhalten. Wenn auch -Elsaß-Lothringen preisgegeben werden mußte, so suchte er doch Metz und -Belfort für Frankreich zu retten und die Kontribution zu verringern. Im -letzteren Punkte gab Bismarck nach und ging von sechs Milliarden Francs -auf fünf herab, im übrigen aber blieb er fest. Bündig, klar und höflich -setzte er dies in seinem gewandten Französisch den beiden Gegnern -auseinander, und angesichts dieser unerschütterlichen Festigkeit geriet -Thiers in heftigere Erregung, so daß er sich zu der Äußerung hinreißen -ließ: - -»~Ah, c’est une spoliation véritable, c’est une indignité~« (Ach, das -ist ja ein wahrhafter Raub, eine Schlechtigkeit!). - -Bismarck hielt den Vertretern des gedemütigten, schwer getroffenen -Frankreich viel zugute, aber das ging über das Maß dessen hinaus, was -er als Vertreter Deutschlands sich bieten lassen durfte. Er erhob sich -von seinem Sitze, richtete sich hoch auf, sah den kleinen, erregten -Franzosen durchdringend an und sagte dann kühl und gemessen in -deutscher Sprache: - -»Ich bedaure, aus der mir unverständlichen Äußerung, welche Sie -soeben getan, entnehmen zu müssen, daß ich des Französischen nicht so -mächtig bin, als es wünschenswert wäre, um unsere Verhandlungen in -französischer Sprache fortsetzen zu können. Wir werden uns deshalb der -deutschen Sprache bedienen müssen, um so mehr, da ich keinen Grund -erkennen kann, weshalb wir dies nicht von Anfang an getan haben. Ich -werde mir gestatten, die von uns gestellten Bedingungen des Friedens -noch einmal zusammenzufassen.« - -Während er das letztere tat, saß Thiers zusammengesunken in seinem -Stuhle, Favre aber war aufgesprungen, mit erregten Händen durch das -graue Haar gefahren, dann eilte er nach einer Ecke des Gemaches und -drückte sein Haupt an die Wand. - -Endlich faßte sich Thiers. Ein Zug des Unmuts ging über sein Gesicht, -dann erhob er sich, trat an einen anderen Tisch, ergriff hastig die -Feder und schrieb einiges nieder auf ein Blatt Papier, welches er nun -Bismarck reichte. - -»Ist es das, was Sie wünschen?« fragte er mit vor Erregung heiserer -Stimme. - -Bismarck warf einen Blick auf das Geschriebene, ein verbindliches -Lächeln huschte über seine ernsten Züge, und indem er sich langsam in -seinen Sessel niederließ, sprach er: - -»Auf dieser Grundlage können wir die Verhandlungen auch in -französischer Sprache wieder aufnehmen.« - -Aufs neue begann Thiers wegen Belfort zu unterhandeln mit dem Aufgebot -seines ganzen Patriotismus, mit seiner wärmsten Beredtsamkeit, aber -der Kanzler blieb auch jetzt voll höflicher Festigkeit, und tiefatmend -sagte der Franzose: - -»Nun denn – Sie wollen, daß wir durch das Joch gehen, und unsere -ganze Unterhandlung ist leerer Schein. Belfort ist eine rein -französische Stadt; wollen Sie uns dieselbe nehmen, so heißt das einen -Vernichtungskrieg gegen Frankreich führen. Nun gut, führen Sie ihn -– wir aber werden Sie bis zum letzten Atemzug bekämpfen, wir werden -vielleicht erliegen, aber nicht entehrt sein!« - -Das leidenschaftliche Pathos des Franzosen hatte etwas Erschütterndes, -und selbst Bismarck empfand dies. Er versicherte sich der Genehmigung -seines Kaisers und Königs, dann ließ er den Abgeordneten Frankreichs -die Wahl, ob sie Belfort behalten oder sich den Einmarsch deutscher -Truppen in ihre Hauptstadt, gegen welchen sie gleichfalls -remonstrierten, gefallen lassen wollten. Sie zogen das letztere vor. - -Ein Sonntag war es, der 28. Februar, als der Friedensvertrag in -Versailles unterzeichnet wurde in Gegenwart der Vertreter Bayerns, -Württembergs und Badens. Die goldene Feder des Pforzheimer Fabrikanten -fand die ihr zugedachte Verwendung. Tiefes, ehrfurchtsvolles Schweigen, -wie es dem Unglück gegenüber geboten war, herrschte in dem Raume, als -Adolf Thiers sich niederbeugte auf das bedeutsame Dokument. In den -Augen des greisen französischen Staatsmannes schimmerte es feucht, als -er wieder aufsah, Bismarck aber war an ihn herangetreten, und indem er -ihm herzlich die Hand reichte, sprach er: - -»Sie sind der letzte, welchem Frankreich diesen Schmerz hätte -auferlegen sollen, denn Sie unter allen Franzosen haben ihn am -wenigsten verdient.« - -Der 1. März war angebrochen, und um die Mittagszeit dieses Tages hatte -Paris ein Schauspiel, das seine Bewohner mächtig erregte und ergrimmte. - -Durch den ~Arc de Triomphe~, den Siegesbogen, zogen die deutschen -Truppen in Frankreichs Hauptstadt ein. Ein herrliches, erhebendes -Bewußtsein erfüllte die Brust der Braven, die hier endlich die -Genugtuung hatten, daß die Schmach gebüßt sei, die Frankreich zu -Anfang des Jahrhunderts ihren Vorfahren angetan. Stramm und kraftvoll -marschierten die Kolonnen, donnerndes Hurrarufen durchbrauste die -Luft, die Waffen glänzten, die Helme blinkten, und stumm, mit mühsam -verhaltenem Groll stand das Volk von Frankreich in den Straßen und -schaute auf die Sieger. Da ritt eine mächtige Gestalt heran in der -Uniform der Kürassiere, das Eiserne Kreuz auf der Brust. Unter dem -Stahlhelm blitzten ernst und scharf die Augen umher, und wie aus Erz -gegossen saß der Recke im Sattel. - -Ein Murmeln und Murren ging durch die Neugierigen: »Da ist Bismarck!« - -Die rückwärts Stehenden reckten sich höher, die Augen wurden finsterer -und drohend, der Kanzler aber sah hinein in die wogende Menge, ruhig -und kühl, wandte dann sein Roß herum und beugte sich herab zu einem -Manne, der ihn mit feindlicher Gehässigkeit anstarrte. - -»Monsieur, darf ich Sie um etwas Feuer für meine Zigarre bitten?« -sprach er mit Liebenswürdigkeit, und der Angesprochene war so -verblüfft, daß er mit französischer Gefälligkeit dem Wunsche des -Reiters entsprach. – – - -Nur wenige Tage noch weilte der Kanzler auf dem Boden von Frankreich; -am 6. März reiste er mit seinem König nach der Heimat zurück, das Herz -erfüllt von Sehnsucht nach den Seinen. Und als in den Morgenstunden -des 9. März der Zug in Berlin einfuhr, stand er schon am Fenster des -Kupees, und schaute hinaus nach den teuren Gesichtern. Und da standen -sie, die er suchte: die geliebte Frau, die herzige Tochter, und -zwischen beiden Graf Herbert in der Uniform mit dem Eisernen Kreuz. -Nach wenigen Sekunden war er bei ihnen. - -»Da habt ihr euren Ollen wieder!« - -Das war das humorvolle Wort, in dem er die gewaltige freudige Bewegung -seiner Seele verhüllte, als er seine Lieben umarmte. - -Am nächsten Tage war er bereits wieder in Frankfurt a. M. Hier fand die -große Tragödie des gewaltigen Krieges ihren endgültigen Abschluß durch -Unterzeichnung des Friedensvertrages. Die alte, stolze Stadt hatte sich -festlich geschmückt, und durch ihre Straßen wogte eine freudig bewegte -Menge. - -Vor dem Hotel »Zum Schwanen« staute sich die Masse; hier verkehrten die -Staatsmänner, welche bei diesem Nachspiel agierten, und man wollte sie -sehen, vor allen den einen, den Kanzler des neuen Deutschen Reichs. -Interesse hatte man indes für alle. Jetzt kam die hagere Gestalt -Jules Favres und schritt langsam durch die Menge, und nicht lange -nach ihm erschien der Erwartete. Die Kraftgestalt Bismarcks trat aus -dem Tore; das mächtige Haupt auf den breiten Schultern ragte über die -herandringende Menge, und begeisterte Zurufe schollen ihm entgegen. -Langsam schritt er durch die Straße, und der Jubel klang ihm nach, -wohin er ging, bis er plötzlich in eine Gasse abbog und in einem -kleinen, freundlichen Hause verschwand. - -»Wer wohnt hier? Zu wem geht er?« fragte es in der Menge. - -»Hier wohnt der Maler Becker! – Ah, das ist hübsch, daß er hierher -geht!« - -Ja, er war gekommen, in Erinnerung an die alten, freundlichen -Beziehungen die ihm lieben Leute, seine »Sonnenscheinfamilie« zu -begrüßen. Diesmal brachte er selbst den Sonnenschein mit in das -anmutige Künstlerheim, und mancher Anklang längst verklungener -Stunden tauchte wieder auf. Wie war doch alles anders geworden, seit -er als Bundestagsgesandter hier in Frankfurt gelebt und sich mit -seinen süddeutschen Kollegen und mit dem österreichischen Präsidenten -herumgeärgert hatte. - -Wenige Tage später erhielt er seine Erhebung in den Fürstenstand, die -Ehrengabe seines dankbaren Kaisers und Königs, der ihm außerdem einen -erblichen Grundbesitz im Herzogtum Lauenburg verlieh. Und am 20. März -sprach in dem neueröffneten ersten deutschen Reichstage Kaiser Wilhelm -die schönen Worte: - -»Wir haben erreicht, was seit der Zeit unserer Väter für Deutschland -erstrebt wurde: Die Einheit und deren organische Gestaltung, die -Sicherung unserer Grenze, die Unabhängigkeit unserer nationalen -Rechtsentwicklung. Möge die Wiederherstellung des deutschen Reiches für -die deutsche Nation auch nach innen das Wahrzeichen neuer Größe sein; -möge dem deutschen Reichskriege, den wir so ruhmreich geführt, ein -nicht minder glorreicher Reichsfriede folgen, und möge die Aufgabe des -deutschen Volkes fortan darin beschlossen sein, sich in dem Wettkampfe -um die Güter des Friedens als Sieger zu bewähren. Das walte Gott!« - -Wenn irgendeiner in tiefster Seele dies kaiserliche Wort nachempfand, -so war es der Reichskanzler, der mit dem Bewußtsein, daß er mit seiner -Kraft redlich das Seine zum bisherigen Gelingen des großen Werkes getan -habe, das stille Gelöbnis verband, im Dienste seines Vaterlandes und -seines Kaisers unermüdlich weiterzuarbeiten. - -»~Patriae inserviendo consumor!~ Im Dienste des Vaterlands will ich -aufgehen!« - -Am 16. Juni feierte Preußen und des neuen Reiches Hauptstadt die -Heimkehr der Sieger. Wiederum kamen sie von dem Brandenburger Tor -herangezogen, und zwischen zujubelnden Menschenmassen zogen sie einher, -geschmückt mit Kränzen und grünen Reisern, und die breite Straße Unter -den Linden war überflutet von wehenden Fahnen, geschmückt mit bunten -Teppichen und Tüchern, mit Laubgewinden und Blüten. Wie schlugen die -Herzen all der Tausende höher, als vor ihrem greisen Heldenkaiser die -herrlichen drei, Bismarck, Moltke und Roon, einherritten, und nun der -alte, weißhaarige Sieger kam und mit seinem milden, freundlichen, von -tiefer Bewegung leuchtenden Antlitz auf sein Volk herniederschaute, das -immer neu in endlose Jubelrufe ausbrach, die lawinengleich fortbrausten -und immer noch anzuschwellen schienen. Hinter dem Kaiser ritten die -beiden Feldmarschälle, Kronprinz Friedrich und Prinz Friedrich Karl, -und mit ihnen ein glänzender Zug der deutschen Fürsten. Das war ein -Festtag, wie er kaum jemals in Berlin erlebt worden war, und selbst -die hereinbrechende Nacht machte der Begeisterung, dem festlichen -Wogen kein Ende. In allen Straßen und Gassen leuchtete es auf mit dem -Beginnen des Abends, aus allen Fenstern strahlte Lichtglanz, und -auch das fernste, kleinste Haus, auch das schlichte Mansardenstübchen -wollte heute nicht zurückbleiben. - -[Illustration: ~Eis. Kanzler V.~ - -Wilhelm II. und Bismarck in Friedrichsruh.] - -Um das Palais des Kaisers wogte die Menge am dichtesten; -Vaterlandslieder und stürmische Hochrufe schollen durch diese einzige -Sommernacht, und wie ein Echo klang es verhallend herüber aus der -Wilhelmstraße, wo Tausende und Abertausende um das Palais des Kanzlers -sich zusammenfanden zu stürmischen Huldigungen. Beim strahlenden -Lichterschein aber flatterte eine mächtige Fahne aus der Wohnung -Bismarcks, und was auf ihr geschrieben stand, rief immer aufs neue das -herrliche Dichterwort hinein in die Herzen der begeisterten Menge: - - Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, - In keiner Not uns trennen und Gefahr! - - - - -Elftes Kapitel. - -Des neuen Reiches Kanzler. - - -Im freundlichen Badeorte Kissingen war die Saison in vollem Gange, und -der Sommer des Jahres 1874 hatte auch die anmutige bayrische Stadt nach -gewohnter Weise lieblich und festlich herausgeputzt, und zahlreiche -Gäste aus allen Weltgegenden suchten hier Genesung und Erholung. Zu -Anfang des Juli war auch der deutsche Reichskanzler hier eingetroffen -und bildete beinahe den mächtigsten Anziehungspunkt des schönen -Kurorts, dessen zweifellos berühmtester Besucher er war. Wo er ging -und fuhr, blieb man stehen, drängte man sich näher heran, freute man -sich seines Grußes und war man stolz, wenn man eines Wortes von ihm -gewürdigt wurde. - -An einer Straßenbiegung stand um die Mittagszeit des 13. Juli eine -größere Anzahl von Damen und Herren. Man wußte, daß der Kanzler um -diese Zeit hier vorüber nach seiner Wohnung im Hause des Dr. Diruff -fahren werde. Zwei vornehm aussehende Herren gingen langsam auf und ab -in lebhaftem Gespräche; der eine sagte: - -»Deutschland darf mit Recht stolz sein auf ihn; er ist der größte -Staatsmann, welchen es vielleicht jemals besessen hat.« - -»Wissen Sie, daß eine solche Anerkennung gerade aus Ihrem Munde -besonderen Wert hat?« sagte der andere. - -»Weshalb?« - -»Weil Sie Österreicher sind, und dazu noch ein begeisterter -Österreicher, bei dem es schwer wiegt, wenn er das Jahr 1866 Bismarck -vergibt und seine Größe so voll anerkennt.« - -»Ja, der Schlag von damals hat uns weh getan, und ich habe wie Tausende -meiner Landsleute ihm gegrollt, aber zuletzt muß ruhige Überlegung und -vorurteilslose Betrachtung seiner Erfolge ihm die Herzen gewinnen, -zumal aller, die deutsch reden und empfinden, ob sie im neuen Reiche -oder in Österreich wohnen. Wie herrlich hat er es verstanden, mit -den ehemaligen Gegnern an der Donau seinen Frieden zu machen; seinen -Bemühungen war im Jahre 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser von -Deutschland, Österreich und Rußland in Berlin zu danken, und was -dieselbe für den europäischen Frieden bedeutet hat, wissen wir alle.« - -»Gewiß, aber nicht minder bewundere ich als Engländer seine Tatkraft -und Energie der Anmaßung Roms gegenüber. Das Konzil, das die -Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma gemacht hat, hat viel Unheil -gebracht und hätte dem protestantischen Kaisertum eine schwere -Schädigung zufügen können, wenn Bismarck nicht wie der getreue Eckart -zum Schutze der Rechte der Krone und des deutschen Volkes eingetreten -wäre. Die Maigesetze (vom 15. Mai 1873) haben der römischen Anmaßung -einen Damm gesetzt. Die katholischen Priester sollen bei ihrer ganzen -Ausbildung und die geistlichen Oberhirten bei deren Anstellung -eingedenk bleiben, daß sie nicht außerhalb der Nation stehen, sondern -zu dieser sich zu zählen haben. Aber verzeihen Sie – Sie sind selbst -Katholik –« - -»Aber ein solcher, der das Wort: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers -ist, und Gott, was Gottes ist,‹ verstanden zu haben meint, und dem die -Äußerung Bismarcks in der Sitzung vom 14. Mai 1872: ›Seien Sie außer -Sorge, nach Canossa gehn wir nicht!‹ die Seele erfreut und erwärmt hat -– doch sehen Sie, hier kommt er!« - -Die beiden Männer standen still und sahen in der Richtung nach der -Saline hin, von woher ein offener Wagen heranrollte. Im Fond lehnte der -Kanzler, mit dem gewohnten breitrandigen Schlapphute auf dem mächtigen -Haupte, und dankte freundlich den Grüßen, welche von allen Seiten her -ihm entgegengebracht wurden. - -Die zwei Herren zogen ebenfalls ihre Hüte ab, als der Wagen -vorüberfuhr, dann sahen sie ihm nach und kehrten zu ihrem Gespräche -zurück. Plötzlich vernahmen sie einen Knall, kurz und scharf, und der -Engländer rief: - -»Das war ein Schuß!« - -Gleich darauf eilten beide in der Richtung hin, woher der Schall -gekommen war, dem Wagen Bismarcks nach. An einer der nächsten -Straßenecken bereits drängte sich eine dichte Menge Volkes, geballte -Fäuste hoben sich in die Lüfte, und nun wurde auch ein bleicher, -aufgeregter junger Mensch dahergeschleppt, gegen welchen sich drohend -der Unmut und Zorn der Menge wendete. - -»Er hat auf Bismarck geschossen – der Hund!« So lief es unheimlich von -Mund zu Mund – dazwischen klangen Fragen nach dem Kanzler. - -»Er ist an der Hand verwundet, die er zum Gruße gehoben hat.« - -Der Wagen, in welchem Bismarck gesessen, hatte angehalten, er -selbst war ausgestiegen, und um ihn drängten sich nun alle. Freudig -begeisterte Zurufe mischten sich mit lebhaften Kundgebungen der -Teilnahme und des heiligen Zornes, und immer dichter scharte es sich um -ihn her, als wollten alle eine Mauer bilden zum Schutze um den teuren -Mann, und wenig fehlte, so wäre er im Triumphe heimgetragen worden. - -Entsetzt und erschreckt vernahm die Gräfin sowie Komtesse Marie, was -geschehen war, und wie einst in Berlin, so war er selbst auch hier am -meisten gefaßt und ruhig. Er ließ sich den Attentäter vorführen. Dieser -war ein Böttchergeselle aus Magdeburg, namens Kullmann, der durch die -fanatischen Worte seines Pfarrers zu seinem Verbrechen getrieben worden -war und unumwunden eingestand, daß er Bismarck habe töten wollen wegen -der von demselben ausgegangenen Kirchengesetze. - -Mit einer Mischung von Abscheu und Mitleid betrachtete der Kanzler den -irregeleiteten Burschen, der auch aus deutschem Blute entsprossen war -und in seiner Verblendung die Mörderfaust heben konnte gegen einen -Mann, der in allem, was er tat, nur seines Volkes Ehre und seines -Vaterlandes Größe im Auge hatte. - -Die Aufregung, welche durch das freundliche Kissingen ging, war groß, -gewaltiger noch jene, welche das ganze deutsche Land durchzitterte. An -dem Abend des unseligen Tages aber fanden sich Tausende von Menschen -ein vor dem freundlichen Hause des Dr. Diruff, um ihrem Herzen Luft zu -machen und ihre Liebe und Begeisterung für Bismarck zum Ausdruck zu -bringen. Stürmische Hochrufe brausten empor; man wollte den Mann sehen, -welchen die Huld des Himmels so augenscheinlich behütet hatte, und -endlich trat er heraus auf den Balkon, tiefbewegt über die Kundgebungen -treuer Anhänglichkeit und liebender Teilnahme. - -Er winkte mit der unverwundeten Hand – man verstand, daß er sprechen -wolle, und tiefe, feierliche Stille lag ringsum. In diese hinein klang -die ruhige sonore Stimme, weithin vernehmbar: - -»Ich danke Ihnen herzlich für die wohltuende Teilnahme, die Sie mir -bekunden, und die mich herzlich freut. Es geziemt mir nicht, weiteres -über den heutigen Vorgang zu reden. Die Sache ist dem Urteil des -Richters übergeben. Das aber darf ich wohl sagen, daß der Schlag, -der gegen mich gerichtet war, nicht meiner Person galt, sondern der -Sache, der ich mein Leben gewidmet habe: der Einheit, Unabhängigkeit -und Freiheit Deutschlands. Und wenn ich auch für die große Sache hätte -sterben müssen, was wäre es weiter gewesen, als was Tausende unserer -Landsleute betroffen hat, die vor drei Jahren ihr Blut und Leben auf -dem Schlachtfelde ließen! Das große Werk aber, das ich mit meinen -schwachen Kräften habe beginnen helfen, wird nicht durch solche Mittel -zugrunde gerichtet werden, wie das ist, wovor Gott mich gnädig bewahrt -hat. Es wird vollendet werden durch die Kraft des geeinigten Volkes. -In dieser Hoffnung bitte ich Sie, mit mir ein Hoch zu bringen dem -geeinigten deutschen Volke und seinen verbündeten Fürsten!« - -Begeistert und aus bewegten Herzen stimmte die Menge in den Ruf ein, -der in allen Gauen Deutschlands frohen Widerhall fand. - - * * * * * - -Wer in den siebziger Jahren in die Hauptstadt des deutschen Reiches -kam, konnte wohl erstaunt und erfreut sein über die Rührigkeit, die -sich auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zeigte, wie über die -Verschönerungen auf den Plätzen und in den Straßen, durch Gebäude und -Denkmäler. Am Sedanstage 1873 war das imposante Siegesdenkmal auf -dem Königsplatze eingeweiht worden, im nächsten Jahre die herrliche -Nationalgalerie; das Zeughaus hatte durch einen Umbau hervorragend an -Schönheit und monumentaler Bedeutung gewonnen, Museen und Galerien -wuchsen aus der Erde empor, und unter den Denkmälern war es besonders -jenes der unvergeßlichen Königin Luise, welches Auge und Herz gefangen -nahm. - -Und wer nach Berlin kam, verabsäumte auch nicht, nach der Wilhelmstraße -zu wandern, um das schlichte Palais zu sehen, in welchem der Mann -wohnte, der »Deutschland in den Sattel gehoben hatte«, und dem es zu -danken war, daß es im Völkerrate eine hervorragende, ja, die erste -Rolle spielte. Das konnte zumal einem Besucher klarwerden, der in den -Junitagen des Jahres 1878 nach der Wilhelmstraße kam und sah, wie in -den Mittagsstunden ein Wagen nach dem anderen heranrollte, und hörte, -wer die Besucher des Reichskanzlerpalais waren. Die Staatsmänner -sämtlicher europäischen Großmächte fanden sich hier zusammen zu -wichtigen Beratungen, und wenn wir in den vornehmen, doch einfachen -Sitzungssaal einen Blick werfen, sehen wir den österreichischen Kanzler -Grafen Andrassy in seiner goldstrotzenden Husarenuniform neben dem -russischen Kanzler Grafen Gortschakoff, der durch seine glänzenden -Brillengläser mit seinen klaren, scharfen Augen Umschau hält; ihm zur -Seite steht Graf Schuwaloff, der russische Botschafter, im Gespräche -mit dem hageren englischen Ministerpräsidenten Beaconsfield, und dem -italienischen Gesandten Grafen Corti; der Charakterkopf des Lords Odo -Russel taucht neben den mit dem Fez bedeckten Häuptern von Mohammed -Ali Pascha und Karatheodori Pascha auf; mit dem ungarischen Grafen -Caroly konversieren lebhaft die Gesandten Frankreichs, Waddington und -Desprez … und unter all diesen bedeutenden Persönlichkeiten steht Graf -Bismarck, hervorragend durch seine äußere Erscheinung sowie durch seine -Stellung, welche ihm in diesem Kreise angewiesen ist. - -Das ist der _europäische Friedenskongreß_, welcher auf Bismarcks -Anregung zusammengetreten ist, um nach Beendigung des im Jahr 1877 -geführten Krieges zwischen Rußland und der Türkei weitere feindselige -Verwicklungen fernzuhalten, und der deutsche Kanzler ist der Präsident -des Kongresses und leitet die Verhandlungen mit seiner sicheren Ruhe -und energischen Klarheit. Und Europa durfte ihm Dank dafür wissen. Er -wollte dabei nicht mehr sein als »der ehrliche Makler«, und das Wort -hat er redlich eingelöst. - -Der Kongreß war aber zu einer Zeit zusammengetreten, da das Herz des -Kanzlers noch blutete unter dem Nachklang ungeheurer Freveltaten, -welche das ganze deutsche Volk tief erschüttert hatten. - -Schon am 11. Mai nachmittags hatte ein verkommenes Individuum, der -Klempnergeselle Hödel, ein Attentat verübt gegen den greisen Kaiser -Wilhelm, aber Gott hatte schützend seine Hand gehalten über dem -geweihten, vielgeliebten Haupte. - -Da geschah das Unglaubliche, Ungeheure zum zweiten Male. Als Kaiser -Wilhelm am 2. Juni die Straße Unter den Linden dahinfuhr, fielen -aus dem zweiten Stockwerk des Hauses Nr. 18 rasch nacheinander zwei -Schüsse. Zahlreiche starke Schrotkörner drangen in Kopf, Arm und Rücken -des greisen Helden, der blutüberströmt, auf seinen Leibjäger gestützt, -im offenen Wagen dahinfuhr, während die zornig erregten Zuschauer des -entsetzlichen Vorgangs in das Haus eindrangen, von welchem aus der -Attentäter gefeuert hatte. Die Tür seines Zimmers wurde aufgesprengt, -einige Offiziere, Kriminalschutzleute und andere Personen drangen ein, -noch zwei Schüsse krachten ihnen entgegen, am Ofen des Gemaches aber -lehnte mit blutigem Antlitz ein Mensch, der nach seiner Freveltat -bereits Hand an sich selbst gelegt hatte. Rasch war er überwältigt und -in Haft gebracht, und es ergab sich, daß er der Landwirt ~Dr. phil.~ -Nobiling war, und ebenso wie Hödel durch die fanatische Verhetzung der -Sozialdemokratie zu dem furchtbaren Verbrechen veranlaßt worden war. - -Wie ein Lauffeuer war die entsetzliche Kunde durch Berlin geflogen, der -Telegraph hatte sie fortgetragen durch die Welt und hatte sie schnell -genug auch nach dem stillen Friedrichsruh gebracht, wo der Kanzler an -der Gürtelrose erkrankt war. Da schreckte er empor, er vergaß seine -Krankheit und eilte an das Schmerzenslager seines teuren, greisen -Herrn. Noch sah er die Wunden auf dem geliebten Angesicht, und Schmerz, -heiliger Zorn und glühende Hingebung erfaßten den gewaltigen Mann. Er -fühlte, wie es ihm heiß in die Augen stieg, aber er gelobte sich auch -in dieser Stunde auszuhalten bei seinem Kaiser, solange ihn dieser -nicht entlassen würde. - -Aber auch dem furchtbaren Feinde galt es zu Leibe zu gehen, der das -Mark des deutschen Volkes zu vergiften sich bemühte, und der durch -seine verhetzenden Grundsätze deutschgeborenen Männern die Mordwaffe -gegen ihren Kaiser in die Hand gedrückt hatte – der Sozialdemokratie. -Und unter dem Eindruck der fluchwürdigen Tat Nobilings stimmte der -Reichstag dem von dem Kanzler ihm vorgelegten Ausnahmegesetz gegen die -Sozialdemokratie zu. - -Wie ein zorniger Löwe war er eingetreten für dies Gesetz, das dem -Schutze des friedlichen Bürgers dienen sollte, und ergreifend klangen -die Worte, welche er im Reichstage sprach, durch alles deutsche Land: - -»Wenn die sozialistischen Agitatoren den Leuten, die zwar lesen, aber -nicht das Gelesene beurteilen können, glänzende Versprechungen machen, -dabei in Hohn und Spott, in Bild und Wort alles, was ihnen bisher -heilig gewesen ist, als einen Zopf, als eine Lüge darstellen, alles -das, was unsere Väter und uns mit dem Motto: »Mit Gott für König und -Vaterland!« geführt und begeistert hat, als eine hohle Redensart, als -einen Schwindel hinstellen, ihnen den Glauben an Gott, den Glauben an -unser Königtum, die Anhänglichkeit an das Vaterland, den Glauben an -die Familienverhältnisse, an den Besitz, an die Vererbung dessen, was -sie für ihre Kinder erworben, ihnen alles das nehmen, so ist es doch -nicht allzu schwer, einen Menschen von geringem Bildungsgrade dahin zu -führen, daß er schließlich mit Faust spricht: »Fluch sei der Hoffnung, -Fluch dem Glauben und Fluch vor allem der Geduld!« Ein so geistig -verarmter und nackt ausgezogener Mensch, was bleibt dann dem übrig, -als eine wilde Jagd nach sinnlichen Genüssen, die allein ihn noch mit -diesem Leben versöhnen können! Wenn ich zu dem Unglauben gekommen wäre, -der diesen Leuten beigebracht ist – ja, meine Herren, ich lebe in einer -reichen Tätigkeit, in einer wohlhabenden Situation; aber das alles -könnte mich doch nicht zu dem Wunsche veranlassen, einen Tag länger -zu leben, wenn ich das, was der Dichter nennt: »an Gott und bessere -Zukunft glauben«, nicht hätte. – Rauben Sie das dem Armen, dem Sie gar -keine Entschädigung gewähren können, so bereiten Sie ihn eben zu dem -Lebensüberdruß vor, der sich in ruchlosen Taten äußert, wie wir sie -soeben erlebt haben.« - -In jenen Tagen tiefgehender Erregung war ihm der Frieden seines Hauses -und Heims doppelt wertvoll, und die Stunden im Kreise seiner Familie, -im vertrauten Verkehr mit Freunden und selbst parlamentarischen Gegnern -an seinem Herde boten manche Anregung und Erholung. - -Wilhelmstraße 76! Es ist ein ziemlich einfaches, mäßig großes Gebäude, -dies Wohnhaus des deutschen Reichskanzlers in Berlin, in dessen erstem -und einzigem Stockwerk der größte deutsche Mann der Gegenwart sein Heim -hatte. - -Es war Herbst geworden in dem unseligen Jahre 1878, und die Bäume in -dem Parke hinter dem Palais haben angefangen sich zu verfärben. Unter -ihnen schreitet der Kanzler hin, und wie einst als Knabe, so freut -er sich auch jetzt noch der Schönheiten der Natur, wo immer sie ihm -begegnen. Hier ist für ihn in dem geräuschvollen, lärmenden Berlin eine -freundliche Oase. Aus den Kronen uralter, stammgewaltiger Buchen und -Linden singen die Vögel, dichtes, noch immer grünes Buschwerk umsäumt -die Wege, und in der herrlichen, von stattlichen Rüstern überwölbten -Allee schreitet der Kanzler hin neben der geliebten Frau, der Gefährtin -seiner Tage, seinem guten Kameraden. - -Die Frau des Hauses ist zwar heute besonders beschäftigt, denn am Abend -gilt es Gäste zu empfangen zu einer der beliebten parlamentarischen -Soireen, aber etwas Zeit bleibt für den Gatten, der so manches in ihr -treues, verschwiegenes Herz niederlegt, ehe er mit anderen darüber -verhandelt. Ein Stündchen ist zwischen den grünen Gehegen rasch -genug vergangen, und Bismarck geht nach seinem Arbeitszimmer. Es ist -nicht besonders groß, einfach, aber geschmackvoll in seiner ganzen -Ausstattung. Über dem großen Schlafsofa hängen mehrere Porträte, -darunter vor allem jene des kaiserlichen Herrn im Zivilanzuge, wie in -Generalsuniform; von einer anderen Wand schaut das Bild König Ludwigs -II. von Bayern her, es fehlen nicht in breiten goldenen Rahmen die -lebensgroßen Porträte der beiden gewaltigen Hohenzollern, des Großen -Kurfürsten und Friedrichs II., aber auch der Gegenwart wird ihr Recht. -Über dem Mahagonistehpult sehen die freundlichen Augen der Fürstin -Bismarck herab, und in ovalem Goldrahmen prangt an der Wand das in Öl -ausgeführte Porträt der Komteß Marie. Auch das Gipsmedaillon des treuen -Genossen, des Generals Moltke, fehlt nicht. - -In der Mitte des Raumes steht der umfangreiche Schreibtisch, davor -zwei Polsterlehnstühle, in deren einem der Kanzler sich langsam -niedergelassen hat. Er lehnt sich noch einmal sinnend zurück und läßt -den Blick über den Tisch hinschweifen, an dem so manches bedeutsame -Schriftstück die letzte Vollendung erhalten hat. Seine Hand hat einen -der großen Bleistifte gefaßt und gleitet mit diesem über das rote -Löschpapier, das auf der grünen Tuchunterlage ruht. Vor ihm stehen -mancherlei Erinnerungen: Ein Briefbeschwerer aus einer 1866 eroberten -Kanone, und ein anderer, zu dem ein französisches Geschütz das Material -geliefert hat, und anderes mehr. - -Das Signal »der Fürst ist im Arbeitszimmer« ist durch das Haus -gegangen, und es währt nicht lange, so erscheint der Geheime -Legationsrat Lothar Bucher, ein Herr von etwa sechzig Jahren mit einem -vornehmen Gesichte und klaren, verständigen Augen, der seit 1864 ein -treuer und gediegener Mitarbeiter Bismarcks geworden ist; er hält -dem Kanzler Vortrag, und nimmt seine Weisungen entgegen. Und von dem -kleinen Arbeitszimmer Bismarcks aus laufen all die tausend Fäden, die -mit der Regierung eines großen Reiches verknüpft sind. - -So kommt der Abend, und der Kanzler hat daran zu denken, daß er die -Pflichten des gastfreundlich liebenswürdigen Wirtes zu üben hat. - -Um die neunte Stunde belebten sich die Räume der ersten Etage. -Abgeordnete von allen Parteischattierungen stiegen die teppichbelegten -Treppen hinan, vorüber an zahlreichen Dienern in schwarzweißer Livree, -und betraten das behagliche, freundliche Empfangszimmer, wo der -Hausherr nebst seiner Gemahlin sie bereits begrüßte und den meisten -herzlich die Hand drückte. Flüchtig streiften die Augen der Ankommenden -durch den hellen Raum, und manch einer ließ sie auf dem springenden -Hasen, der auf dem Büfett stand, haften. - -Da es sich just etwas um den Hausherrn lichtete, und die Besucher in -das Billardzimmer traten, fragte einer derselben flüchtig, was wohl -dieser »Meister Lampe« für eine besondere Bedeutung habe. - -»Ja, sehen Sie, dieser Hase ist brünett,« sagte lächelnd der Kanzler. - -»Brünett?« - -»Ja, er hat einen dunkelbraunen Kopf und Rücken, während seine -Verwandtschaft gelb ist. Er war der einzige Brünette unter -fünfzehnhundert, die wir an dem Tage schossen.« - -Durch die offene Tür warfen die Besucher einen Blick in das -Arbeitszimmer des großen Staatsmannes, ehe sie in die eigentlichen -Gesellschaftsräume traten und sich in denselben verteilten. Es -herrschte bald der heiterste und zwangloseste Verkehr, die weißen -Glacéhandschuhe verschwanden, in den Nischen der Fenster, an den -kleinen Tischen, überall bildeten sich plaudernde Gruppen, während die -Diener den Tee herumreichten. Frack und Uniform verkehrten friedlich -und gemütlich, sowie die Vertreter aller Fraktionen selbst. Da saß der -kleine, bewegliche Exminister von Hannover, Windthorst, zusammen mit -dem liberalen Forckenbeck, der Zentrumsführer Reichensperger mit dem -mitunter boshaften Lasker, und Scherzworte gingen hin und her. - -Der Verkehr zog sich mehr nach dem länglich runden Speisesaale mit -seinen gelben Marmorwänden, von dessen Decke der altertümliche -Kronleuchter mit Messingreifen und Glasperlen herniederhängt, während -von der Wand eine Anzahl siebenarmiger Bronzeleuchter ihr Licht -hinwerfen über das belebte Bild. In diesem Raume war das Büfett -aufgestellt, das gar manches Verlockende darbot, und bald sah man -die Gäste da und dort beisammen stehen mit ihrem Teller in der Hand, -während behaglichere sich zusammensetzten, und die herumgehenden Diener -aus prächtigen silbernen Humpen das schäumende Bier einschenkten. - -Der liebenswürdige Gastgeber aber tauchte mit seiner breiten Gestalt -bald da, bald dort auf, unter der machtvollen Stirne leuchteten die -Augen so frei und freundlich, und überall fand er das rechte Wort, um -die Stimmung zu beleben, und beim Zusammentreffen der Gegensätze jede -feindselige Spitze abzubrechen. Zuerst hatte das Gespräch noch eine -vorwiegend politische Färbung gehabt im Anschlusse an die erregten -Debatten über das Sozialistengesetz. - -»Großen Nutzen erwarten wir von dem Gesetze nicht, Ausnahmegesetze sind -immer bedenklich!« hatte ein oppositioneller Abgeordneter bemerkt, und -Bismarck, welcher es vernahm, erwiderte: - -»Mit der bloßen Abwehr der sozialistischen Umtriebe ist es freilich -nicht getan, es muß auch an die positive Heilung der sozialistischen -Schäden gegangen werden. Der Staat muß sich des kleinen Mannes, der -arbeitenden Klassen annehmen und ihnen helfen!« - -»Aber das ist ja Staatssozialismus!« rief eine Stimme. - -»Halt, meine Herren, so möchte ich es nicht bezeichnen, es ist vielmehr -praktisches Christentum, denn meines Erachtens sollte ein Staat, der -seiner großen Mehrzahl nach aus aufrichtigen Bekennern des christlichen -Glaubens besteht, auch bemüht sein, den Armen, Schwachen und Alten zu -helfen.« - -Aber schon schweift der Blick des Kanzlers wieder durch den Kreis -seiner Gäste. Auf einem alten Herrn bleibt er haften, das war ein -Verbindungsbruder aus der fröhlichen Göttinger Studentenzeit, und -mit dem Glase in der Hand trat der Fürst an ihn heran: »Auf das alte -Blau-Rot-Gold der Göttinger Hannovera, Herr Korpsbruder!« und kräftig -klingen die Gläser zusammen. - -Gleich darauf wendete er sich einer Gruppe von Herren zu, deren -heiteres Lachen ihn an ihren Tisch zog. - -»Der vortreffliche Rehrücken verleitet zu Jagdgeschichten, und der Herr -Kollege X. verübt ein beneidenswertes Jägerlatein!« sagte einer der -Herren. Bismarck ließ sich bei ihnen nieder. - -»Hören Sie, meine Herren, da kann ich mir’s nicht versagen, just -in Ihrem Kreise – und Sie repräsentieren Frankfurt-Nassau – eine -Jagdgeschichte zu berichten, die Ihren Landsmann, den »dicken -Daumer« mitbetrifft. Vielleicht ist einem oder dem anderen unter -Ihnen erinnerlich, daß derselbe von einer beständigen und gewaltigen -Todesfurcht gepeinigt wurde und durchaus nicht an das Sterben erinnert -sein wollte. Eines schönen Herbstmorgens bin ich mit ihm bei Frankfurt -auf der Jagd gewesen. Als wir hoch im Gebirge Rast hielten, fand ich -zu meinem Schrecken, daß ich mich nicht mit einem Frühstück versehen -hatte. Der »dicke Daumer« aber zog mit Behagen eine mächtige Wurst -hervor, von welcher er mir in großmütiger Weise die Hälfte anbot. Er -begann zu schmausen, mit einem beneidenswerten, in meiner Situation -aber sehr bedauerlichen Appetit, denn er war bereits in meine Hälfte -seiner Wurst hineingeraten. Ich hätte vor Wehmut Frankfurterisch reden -mögen. Da frage ich ihn denn so von ungefähr: - -»Ach, sagen Sie mir, Her Daumer, was is doch des Weiße da unne, was aus -de Zwetschebaim herausschaut?« - -»Gott, Exzellenz, da möchte eim ja der Appetit vergehe – des is der -Kirchhof.« - -»Aber, lieber Daumer, da wollen wir uns doch beizeiten ein Plätzchen -suchen, da muß sich’s wunderbar friedlich ruhn.« - -»Nu, Exzellenz, nu leg’ i awer die Wurscht weg.« Der dicke Daumer blieb -bei seinem Entschlusse, und ich hatte mein ordentliches Frühstück!« - -Unter dem allgemein anhaltenden Lachen war Bismarck aufgestanden und -bereits zu einer anderen Gruppe getreten. Hier wurde eben erzählt, daß -ein bekannter Herr mit dem Pferde gestürzt sei, und er bemerkte: - -»Ich glaube, daß es nicht reicht, wenn ich sage, daß mir das wohl -fünfzigmal passiert ist. Vom Pferde fallen ist nichts, aber mit dem -Pferde, so daß es auf einem liegt, das ist schlimm. Dabei habe ich mir -in Varzin einmal drei Rippen gebrochen. Das Seltsamste aber, was ich -in dieser Beziehung erlebte, war das: Ich war mit meinem Bruder auf -dem Heimwege, und wir ritten, was die Pferde laufen wollten. Da hört -mein Bruder, der etwas voraus war, auf einmal einen fürchterlichen -Knall: Es war mein Kopf, der auf die Chaussee aufschlug. Mein Pferd -war von der Laterne eines entgegenkommenden Wagens gescheut und mit -mir zusammengefallen, und zwar auch auf den Kopf. Ich verlor zuerst -die Besinnung, und als ich wieder zu mir kam, hatte ich sie nur halb -wieder. Das heißt, ein Teil meines Denkvermögens war ganz gut und klar, -die andere Hälfte war weg. Da mein Sattel zerbrochen war, nahm ich das -Pferd des Reitknechts und ritt nach Hause. Als mich da die Hunde zur -Begrüßung anbellten, hielt ich sie für fremde Hunde und schalt auf -sie. Dann sagte ich, der Reitknecht sei mit dem Pferde gestürzt, man -solle ihn doch auf einer Bahre holen, und war sehr böse, als sie das -auf einen Wink meines Bruders nicht tun wollten. Ich wußte nicht, daß -ich ich war, und daß ich mich zu Hause befand, oder vielmehr, ich war -ich und auch zugleich der Reitknecht. Ich verlangte nun zu essen, dann -ging ich zu Bette, und als ich am Morgen ausgeschlafen hatte, war alles -wieder gut.« - -Nun wurden im Saale die Zigarren angebrannt, der Kanzler aber bat sich -aus, seine Pfeife rauchen zu dürfen; behaglich stiegen die blauen -Wölkchen gegen die Decke, und die Stimmung der Gäste wurde immer -lebendiger. - -»Eine hocherfreuliche Eintracht zwischen Nord- und Süddeutschland!« -rief der Fürst lachend an einem Tische, wo Abgeordnete von diesseits -und jenseits des Mains sich in heiterster Weise unterhielten und -eben mit den gefüllten Gläsern anstießen. »Lassen Sie mich dieselbe -mitfeiern!« - -»Ihr Verdienst, Durchlaucht!« rief einer der Gäste. - -»Na, wie man’s nimmt! Der Himmel hat’s zum Segen gewendet. Aber wissen -Sie, wäre der Krieg von 1866 uns mißglückt, so hätte ich als Soldat den -Tod gesucht, denn ich bin überzeugt, daß mich sonst die alten Weiber in -Berlin mit nassen Handtüchern totgeschlagen hätten.« - -»Ihr Empfinden in weltgeschichtlich bedeutenden und entscheidenden -Momenten muß aber doch jederzeit ein erhebendes und gewaltiges gewesen -sein, Durchlaucht,« bemerkte ein Abgeordneter, »wie war Ihnen wohl -zumute, als Sie mit Kaiser Napoleon nach Sedan zusammentrafen?« - -»Ja, sehen Sie, meine Herren, das ist nun fast wunderlich. Als ich in -dem Stübchen des Weberhauses bei Donchery mit ihm zusammensaß, war mir -so wie als jungem Menschen auf dem Balle, wenn ich ein Mädchen zum -Kotillon engagiert hatte, mit dem ich kein Wort zu sprechen wußte, und -das niemand abholen wollte.« - -So verrann die Zeit in dem gastfreundlichen, liebenswürdigen Hause, -und um die elfte Stunde brachen die Besucher allmählich auf. Der Fürst -reichte jedem freundlich die Hand und vergaß nicht, ein herzliches »Auf -Wiedersehen« beizufügen. - -Der letzte Gast ist gegangen; der Kanzler steht einige Augenblicke -allein in dem Teezimmer und stützt die Hand auf einen kleinen -Mahagonitisch, auf welchem eine Metallplatte angebracht ist mit der -Inschrift: »Auf diesem Tische ist der Präliminarfriede zwischen -Deutschland und Frankreich am 26. Februar 1871 zu Versailles, Rue de -Provence Nr. 14, unterzeichnet worden.« Sein Blick fliegt über die -Ahnenbilder an der Wand, ein leises Lächeln huscht um die Mundwinkel, -als ob ein angenehmer Gedanke ihm durch die Seele ziehe, dann tritt er -in das kleine anstoßende Gemach, wo bei traulichem Lampenschimmer seine -Gemahlin mit einigen verwandten Damen sitzt, und bringt noch einige -Zeit in anmutigem Geplauder zu. - -Hierauf sucht er noch einmal sein Arbeitsgemach auf, aber diesmal -nur flüchtig, und tritt von hier aus durch eine Tapetentür in sein -Schlafgemach, wo das von einem rotbekleideten Schirm umgebene Bett -steht, und wo ein behagliches Sofa mit einigen Polsterlehnsesseln, -eine kleine Mahagonikommode und ein alter Holzschrein an der Wand die -einfache Einrichtung vervollständigen. - -Der Kanzler tritt noch einmal an das einzige Fenster, schiebt den -Wollvorhang zurück und sieht hinaus. Leise verhallend klingt der Lärm -der auch in der Nacht nicht rastenden Großstadt hierher, aber er stört -nicht, und hoch am Himmel blinken die tausend und abertausend Sterne. -Der einsame Mann aber betet im frommen Aufblick in tiefster Seele: - -»Vater im Himmel, schütze Reich und Kaiser!« - - - - -Zwölftes Kapitel. - -In Ehren und Schmerzen. - - -Am Abend des 1. März 1885 ging durch Berlin eine freudige Erregung. -Es war der Vorabend des siebzigsten Geburtstages des Reichskanzlers, -und die Hauptstadt rüstete sich, denselben festlich zu begehen. Zumal -Unter den Linden, in der Wilhelmstraße und in allen angrenzenden -Straßen bis zum Kreuzberg hinauf drängten und fluteten Hunderttausende -durcheinander, um den großartigen Fackelzug zu sehen, den die Verehrung -der Vertreter eines ganzen Volkes dem großen Staatsmann darbrachte. - -An den verschiedensten Punkten hatten sich die Teilnehmer gesammelt, -und um die siebente Stunde fanden sich die einzelnen Züge im Lustgarten -zusammen, und dann strömte es hinein in die breite Straße Unter den -Linden, um zuerst an dem Königsschlosse vorüberzudefilieren. Um ½8 -kam die Spitze des Zuges bei demselben an, und weithin schallender -Jubel, begeisterter Gesang der Königshymne verkündete, daß der greise -Kaiser sich seinem Volke zeigte, freudig bewegt über die Kundgebung der -Verehrung, die seinem treuesten Diener dargebracht wurde. - -Eine Viertelstunde später bog der Zug in die Wilhelmstraße ein. Alle -Fenster waren dichtbesetzt von Menschen, die Straße selbst lag in -feierlicher Stille, abgesperrt von jedem Verkehr. Sechs Fanfarenbläser -in reicher Heroldstracht eröffneten den Zug, dann kamen im Galawagen -das Zentralkomitee, zahllose Sänger und die Vertreter der deutschen -Hochschulen mit flatternden Fahnen und wehenden Bannern, auf welche der -rote Schimmer der Fackeln leuchtete, welche die nebenher Schreitenden -trugen. - -Vor dem Reichskanzlerpalais bogen die Sänger in den Schloßhof ein – am -Eckfenster erschien die stattliche Gestalt des Fürsten, und während -aus tausend Kehlen wie ein machtvoller Hymnus das Lied »Deutschland, -Deutschland über alles« erklang, immer aufs neue übertönt von den -brausenden Hochrufen, entwickelte sich der glänzende Zug immer mehr. - -Nun flutete heller Lichtschimmer durch die Straße. Der Zug der Künstler -kam. Alles war in Pracht und Glanz getaucht, und märchenhaft schön trat -aus den wogenden Menschen ein riesenhaftes Schiff hervor, auf welchem -unter einem prachtvollen Baldachin die imposante Gestalt der Germania -sich zeigte, den Goldhelm auf dem blonden Gelock, das blanke Schwert -im Arm, wie sie freundlich niedersah auf ein Bild des Friedens. Ihr zu -Füßen stehen, in anmutigen Frauengestalten verkörpert, die deutschen -Stämme um den von Adlern geschirmten Thron, und um sie her bindet der -Landmann seine Garben, hämmert der fleißige Schmied, regt sich Gärtner -und Fischer und scharen sich fleißige Schüler um das engumschlungene -liebliche Schwesternpaar Elsaß-Lothringen. Nach dem Bugspriet zu aber -halten deutsche Soldaten, um ihre Fahnen gereiht, die Friedenswacht. - -Dann kamen, von deutschen Künstlern wirksam dargestellt, die deutschen -Brüder aus den Kolonien, die Bismarck dem Reiche gewonnen. King Bell -auf hohem Kamele reitet ihnen voran, und ihm folgen die Würdenträger -von Kamerun, das wunderliche Volk der fremden Schlangenbändiger und -Sänger, und die drastischen Gestalten der braunen Landwehrleute, die -sich vor dem Kanzler platt auf die Erde niederwerfen. - -Vorüber! Bei zweihundert Ruderer und Segler bilden die Einleitung zu -den patriotischen Vereinen der Hauptstadt, es folgen die Innungen mit -den festlich geschmückten Bannern; rot glänzt der Schein ihrer tausend -Fackeln, der dunkle Qualm lagert sich breit und wuchtig über dem -Bilde, und immer aufs neue folgen phantastische Prunkwagen, schimmernde -Embleme, wunderliche Transparente und noch immer kein Ende! - -Anderthalb Stunden waren vergangen. Mit den Seinen stand der Kanzler am -Fenster, hochaufgerichtet, die Seele erfüllt von glücklichem Stolze, -von dem freudigsten Bewußtsein der Verehrung des deutschen Volkes, das -ihn in dieser Stunde entschädigte für manchen herben und bitteren Tag. - -Mit einmal begann es heller zu leuchten als je zuvor. Ein Schimmer -wie von vollem Sonnenlichte flog durch die breite Straße und über -die vielen Menschen leuchtend in weißem Glanze lagen die Häuser -da, und einige Augenblicke schlossen sich die schier geblendeten -Augen. Die Arbeiter der Scheringschen Fabrik waren es, die mit -Magnesiumleuchten heranzogen, und als der volle magische Lichtglanz die -Szene überflutete, da traten die Sänger, wohl mehr als zweihundert, -aus dem Vorhofe des Schlosses und stimmten machtvoll ergreifend ihr -harmonisches Hoch auf das Geburtstagskind an. - -Da winkte der Kanzler mit der Hand – er wollte sprechen. In wenigen -Augenblicken lag die Stille des Gotteshauses über der menschenvollen -Straße, und die Stimme Bismarcks klang klar und vernehmlich: »Noch -_zehn_ Jahre wie heute – –« - -Aber schon brauste der Jubel wieder auf bei den ersten Worten. - -»Zwanzig Jahre – hundert Jahre für den Fürsten! – Hoch Bismarck! – Hoch -der Kanzler!« - -Und mit geradezu elementarer Gewalt brach sich die Begeisterung Bahn, -und Luft und Erde schien zu beben unter dem Jubelsturm. Immer aufs -neue winkte der Gefeierte mit der Hand, beschwichtigend und dankend -zugleich, und wiederum wurde es still, und seine Stimme klang weithin: - -»Ich danke Ihnen allen aus tiefstem Herzen für die großartige Ovation, -welche Sie mir aus Anlaß meines siebzigsten Geburtstages dargebracht -haben. Das Verdienst, Deutschland groß und stark zu sehen, gebührt -unserem greisen Heldenkaiser, dem wir jetzt fünfzehn Jahre des Friedens -verdanken. Seine Majestät der Kaiser, er lebe hoch!« - -Wenn die ungeheure Begeisterung überhaupt noch einer Steigerung -fähig war, so trat eine solche jetzt ein. Die ganze Liebe einer -großen, starken, glücklichen Nation drängte sich in diese riesigen, -nie gehörten Rufe der Begeisterung. Das Fest hatte seinen Höhepunkt -erreicht – aber während das aufgeregte Berlin noch lange in seinem -Jubel fortklang und sang, ward es allgemach still in der Wilhelmstraße, -und die Schleier der Nacht hüllten wieder das Haus ein, das noch vor -kurzem vom hellsten Lichte umflutet war. - -Am Morgen des ersten April schritt der Kanzler langsam durch die breite -Allee seines Parkes. Noch waren die Rüstern unbelaubt, nur das Moos an -den gewaltigen Stämmen schimmerte grünlich, an dem Gesträuch ringsum -aber drängte es bereits hervor von knospendem Frühlingsweben. Vieles -ging durch die Seele des einsamen Mannes, Erinnerungen an Tage heißen -Kämpfens, aber auch schöne Erfolge. - -Was war nicht durch ihn errungen und geschaffen worden seit der -Erneuerung des Reiches! Das Fundament desselben schien gesichert gegen -die Angriffe von innen und außen. Den Rachegelüsten Frankreichs war die -Spitze abgebrochen worden durch eine meisterhafte politische Aktion, -welche Deutschland mit Österreich und Italien zu einem Dreibund für -Schutz und Trutz vereinte. Der Kanzler denkt daran, wie er im September -1879 von Gastein aus nach Wien gefahren, wie ihn die Hauptstadt -Österreichs freundlich sympathisch aufgenommen, und Kaiser Franz -Joseph, der um seinetwillen die Jagd in Steiermark unterbrochen hatte, -mit herzlicher Liebenswürdigkeit empfing, in Schönbrunn ihm zu Ehren -ein diplomatisches Diner veranstaltete und ihn dabei an der Schwelle -des Saales als seinen Gast begrüßte. – Das alles dreizehn Jahre nach -Sadowa! - -Der Fürst denkt auch an die Gefahr, die dem neuen Reiche von der -Eifersucht Rußlands drohte, und wie sie unter dem Einfluß günstiger -Umstände und dank seiner klugen diplomatischen Schachzüge beseitigt -worden war; er erinnert sich mit Freude und Dankgefühl der schönen -Stunde, da im September 1884 auf dem Schlosse Skierniewice sich die -Kaiser von Deutschland, Österreich und Rußland in Freundschaft die -Hände reichten zu einem neuen Dreikaiserbündnis und zu einer Bürgschaft -des europäischen Friedens. - -Und weiter gehen an seinem Geiste vorüber seine Bemühungen, den -Ruhm und Ruf der deutschen Flagge und des deutschen Namens über -die Weltmeere zu tragen und in fernen Weltteilen, zumal in Afrika, -Ländereien und Kolonien zu gewinnen, um dem deutschen Handel neue -Bahnen zu erschließen und ihn zu fördern und zu heben. - -Er denkt aber auch in dieser Stunde der heißen Kämpfe, die er mit -einzelnen Richtungen der deutschen Volksvertreter im Reichstage -auszustreiten hatte, und wie er manchmal an das Wort des Altmeisters -Goethe erinnert wurde: »Ach, ich bin des Treibens müde!« Mehr als -einmal hat er sein Amt niederlegen wollen in die Hände seines -Kaisers, der aber hatte auf sein Entlassungsgesuch nur das eine Wort -geschrieben: »Niemals!« - -Dem gewaltigen Recken will es feucht und heiß in die Augen steigen, -wenn er des vielgeliebten greisen Herrn denkt, und er entsinnt sich -des Wortes, das er einst vor den Vertretern des deutschen Volkes -gesprochen: »Nachdem ich im Jahre 1878 meinen Herrn und König nach dem -Nobilingschen Attentate in seinem Blute habe liegen sehen, da habe ich -den Eindruck gehabt, daß ich dem Herrn, der seinerseits seiner Stellung -und Pflicht vor Gott und den Menschen Leib und Leben dargebracht und -geopfert hat, gegen seinen Willen nicht aus dem Dienste gehen kann. Das -habe ich mir stillschweigend gelobt.« - -Heute ist er siebzig Jahre alt geworden im Kampf, aber auch in Ehren. -Doch dieser Tag gehört nicht ihm allein, er gehört dem ganzen deutschen -Volke. – Daran denkt er jetzt, und langsam wendet er seine Schritte dem -Hause zu. - -Schon am vorhergehenden Tage waren Glückwünsche und Geschenke in -überreicher Zahl von allen Seiten her eingetroffen, heute aber kamen -deren noch weit mehr. - -Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit schenkte ihm zum Angebinde den -alten Besitz seiner Familie in Schönhausen, Schloß und Gut, das 1835 an -die Familie von Gärtner gekommen war; die deutschen Papierfabrikanten -hatten einen gewaltigen Eichenschrank gesendet, der in seinen schier -zahllosen Fächern und Schubladen aller Arten Papier und Kuverts, -Stahlfedern und Bleistifte von den kleinsten und dünnsten bis zu den -mächtigen Parlamentsstiften, kurz, alles Schreibmaterial in solcher -Menge enthielt, daß Enkel und Urenkel des Kanzlers es kaum aufbrauchen -werden. Das war ja in den Sälen eine kleine Industrieausstellung. -Dazu der überreiche Blumenschmuck, und die »Getreuen in Jever«, die -alljährlich zu diesem Tage aus dem Lande der Friesen 101 Kiebitzeier zu -senden pflegten, fehlten natürlich auch diesmal nicht, und hatten ihrer -Gabe das hübsche plattdeutsche Wort beigefügt: - - Säbentig Johr lewt, - Uemmer dütsch strewt, - Uemmer dütsch dahn: - Lat wieder so gahn! - -Das Schönste und Liebste aber war doch wohl die Gabe seines greisen -Herrn und Kaisers, jenes prachtvolle, von der Meisterhand Anton -von Werners gemalte Bild, welches die ewig denkwürdige Szene der -Kaiserproklamation im Schlosse zu Versailles in überaus lebensvoller -Weise zur Darstellung brachte. - -Tiefgerührt stand der Kanzler vor dem Gemälde, das ihm einen der -herrlichsten Augenblicke seines Lebens vor die bewegte Seele stellte, -noch mehr aber ergriff ihn das Handschreiben seines Kaisers, welches -der Gabe beigefügt war. Er las es, während es sich wie ein leiser -feuchter Schleier über seine Augen legte. Es lautete: - - »_Mein lieber Fürst!_ - - Wenn sich im deutschen Lande und Volke das warme Verlangen - zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu - bestätigen, daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe - des Vaterlandes getan haben, in so vielen dankbaren Herzen - lebt, so ist es Mir ein tiefgefühltes Bedürfnis, Ihnen heute - auszusprechen, wie hoch es Mich erfreut, daß solcher Zug des - Dankes und der Verehrung für Sie durch die Nation geht. Es - freut Mich die für Sie wahrlich im höchsten Maße verdiente - Anerkennung und erwärmt Mir das Herz, daß solche Gesinnungen - sich in so großer Verbreitung kundgetan, denn es ziert die - Nation in der Gegenwart, und es stärkt die Hoffnung auf ihre - Zukunft, wenn sie Erkenntnis für das Wahre und Große zeigt, - und wenn sie ihre hochverdienten Männer ehrt und feiert. An - solcher Feier teilzunehmen, ist Mir und Meinem Hause eine - besondere Freude, und wünschen Wir Ihnen durch beifolgendes - Bild auszudrücken, mit welchen Empfindungen dankbarer - Erinnerung wir dies tun; denn dasselbe vergegenwärtigt einen - der größten Momente der Geschichte des Hohenzollernhauses, - dessen niemals gedacht werden kann, ohne sich zugleich auch - Ihrer Verdienste zu erinnern. Sie, mein lieber Fürst, wissen, - wie in Mir jederzeit das vollste Vertrauen, die aufrichtigste - Zuneigung und das wärmste Dankesgefühl für Sie leben wird, - Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was ich Ihnen nicht oft - genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß dieses Bild noch - Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen wird, daß Ihr Kaiser - und König und sein Haus sich dessen wohl bewußt waren, was Wir - Ihnen zu danken haben. Mit diesen Gesinnungen und Gefühlen - endige ich diese Zeilen, als über das Grab hinaus dauernd. Ihr - dankbar treu ergebener Kaiser und König Wilhelm.« - -Und unter allen den vielen, den hervorragenden Persönlichkeiten, -welche an diesem Tage in das Palais nach der Wilhelmstraße kamen, war -die herrlichste der greise Kaiser selbst. Es war der weihevollste, -ergreifendste Augenblick dieses Tages, als der Herrscher in tiefer -Bewegung seinen treuen Kanzler in die Arme schloß, als das Haupt -Bismarcks sich einige Sekunden an die Schulter des teuren Herrn lehnte, -dem er sich mit Blut und Leben verpflichtet hatte bis zum letzten -Atemzuge. - -Solche Minuten mußten dem Recken neue Kraft geben zu weiteren -Kämpfen, die er herrlich und mannhaft durchfocht zur Ehre und zum -Segen des Deutschen Reiches und Volkes. Immer wieder das rachelustige -Säbelrasseln von Paris her, und auch in Rußland machte sich eine -deutschfeindliche Strömung bemerkbar. Da galt es beizeiten zu kräftiger -Abwehr zu rüsten, und eine Verstärkung des Heeres zu erlangen. Und -das deutsche Volk widerstrebte der wiederholt vorgetragenen Forderung -nicht, und Bismarck konnte aller Welt das herrliche Wort zurufen: - -»_Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!_« - -Das war am 6. Februar 1888 gewesen, und das Wort klang in vieltausend -deutschen Herzen wieder, denen in jenen Tagen ein solcher Trost -ungemein not tat. Denn das Unheil hatte sich leise und heimtückisch -herangeschlichen an das Kraftgeschlecht der Hohenzollern, und des -Kaisers herrlicher Sohn, der Kronprinz Friedrich, »unser Fritz«, -siechte fern von der Heimat, in Italien, an einem furchtbaren Leiden -hin, das aller Kunst der Ärzte spottete. Das griff auch dem greisen -Herrscher an Seele und Leben. - -Er erkrankte in den ersten Tagen des März, und dumpfes, schmerzliches -Bangen erfaßte alle Gemüter. - -Am 8. März hatte der treue Kanzler seinem Herrn noch einmal kurzen -Vortrag gehalten, und die schwache Hand des kranken Greises, der »keine -Zeit hatte, um müde zu sein«, hatte mit zitternden Händen noch einmal -den kaiserlichen Namen unter das Dokument gesetzt, welches den Schluß -des Reichstags verkünden sollte. - -Tieferschüttert, nahezu hoffnungslos war Bismarck fortgegangen. Vor dem -Palais aber drängten sich Tausende voll Liebe und Besorgnis, und sie -sahen ihm in das ernste Gesicht, das eisern seine Fassung zu wahren -bemüht war. - -Eine endlos lange, bange Nacht verstrich; die Besorgnis raubte dem -Kanzler und manchem anderen die Ruhe, angstvoll schaute man dem Morgen -entgegen, und in dessen Verlaufe geschah das Traurige. Am 9. März um -½9 Uhr vormittags schied Kaiser Wilhelm aus dem Leben – nicht lange -danach sank die Kaiserstandarte auf dem Schlosse nieder, und ein ganzes -Volk weinte um seinen liebsten Helden. - -Das waren unvergeßliche Stunden: schmerzerstarrte Männer, schluchzende -Frauen, weinende Kinder überall! Bei dem edlen Toten aber stand noch -einmal an jenem Vormittage des Reiches erster Kanzler. Da ruht der -Greis, dem er sich ganz geweiht hatte, halb sitzend, zurückgelehnt in -die weißen Kissen, und auf dem Antlitz liegt der Zug seligen Friedens, -unbeschreiblicher Ruhe und Milde. Da überwältigt es beinahe den -gewaltigen Mann; ihm stürzen unaufhaltsam die Tränen aus den Augen, -und er braucht sich ihrer nicht zu schämen, denn wer dem stillen, -unvergeßlichen Toten nahte, der mußte weinen im Übermaß eines Jammers, -der das ganze Volk durchzitterte. - -Aber den Kanzler ruft seine Pflicht. - -Um ½10 Uhr erschien er, fest und stark, aufgerichtet und gefaßt im -Reichstagssaale. Er erbat sich das Wort, und unter tiefem, heiligem -Schweigen begann er: - -»Mir liegt die traurige Pflicht ob, Ihnen die amtliche Mitteilung von -dem zu machen, was Sie bereits tatsächlich wissen werden, daß Seine -Majestät der Kaiser Wilhelm heute vormittag ½9 Uhr zu seinen Vätern -versammelt worden ist –.« - -Hier drohten die Tränen die Stimme des Redners zu ersticken, er rang -mit seiner Rührung wie ein Held, und fuhr fort: - -»Die Folge dieses Ereignisses ist, daß die preußische Krone und damit -nach Artikel 11 der Reichsverfassung die deutsche Kaiserwürde auf Seine -Majestät Friedrich III., König von Preußen, übergegangen ist. Nach den -mir zugegangenen telegraphischen Nachrichten darf ich annehmen, daß -Seine Majestät, der regierende Kaiser und König, morgen von San Remo -abreisen und in der gegebenen Zeit hier eintreffen wird. - -Ich hatte von dem Höchstseligen Herrn in seinen letzten Tagen« – -wiederum rannen dem Redner die Tränen über die Wangen – »in Betätigung -der Arbeitskraft, die ihn erst mit dem Leben verlassen hat, noch -die Unterschrift erhalten, welche vor mir liegt, und welche mich -ermächtigt, den Reichstag in der üblichen Zeit nach Abmachung seiner -Geschäfte, das heißt also etwa heute oder morgen, zu schließen. -Ich hatte die Bitte an Seine Majestät gerichtet, nur mit dem -Anfangsbuchstaben des Namens noch zu unterzeichnen, Seine Majestät -hatten mir darauf erwidert, daß Sie glaubten, noch den vollen Namen -schreiben zu können. Infolgedessen liegt dieses historische Aktenstück -hier vor. - -Unter den obwaltenden Umständen nahm ich an, daß es den Wünschen der -Mitglieder des Reichstages ebenso wie denen der verbündeten Regierungen -entsprechen wird, daß der Reichstag noch nicht auseinander geht, -sondern zusammen bleibt bis nach dem Eintreffen seiner Majestät des -Kaisers, und ich mache deshalb von dieser Allerhöchsten Ermächtigung -weiter keinen Gebrauch, als daß ich dieselbe als historisches Denkmal -zu den Akten gebe und den Präsidenten bitte, die Entschlüsse, welche -den Stimmungen und Überzeugungen des Reichstages entsprechen, in -dieser Sitzung herbeizuführen. Es steht mir nicht zu, meine Herren, -von dieser amtlichen Stelle aus den persönlichen Gefühlen Ausdruck zu -geben, mit welchen mich das Hinscheiden meines Herrn erfüllt. Diese -Gefühle bei dem Ausscheiden des ersten deutschen Kaisers aus unserer -Mitte, die mich tief bewegen, leben im Herzen eines jeden Deutschen. -Es ist deshalb nicht nötig, demselben hier Ausdruck zu geben. Aber -eines glaube ich Ihnen dennoch nicht vorenthalten zu dürfen, nicht von -meinen Empfindungen, sondern von meinen Erlebnissen, die Tatsache, -daß inmitten der schweren Schickungen, welche der von uns geschiedene -Herr in seinem Hause noch erlebt hat, es zwei Tatsachen waren, welche -ihn mit Befriedigung und Trost erfüllten. Die eine war diejenige, -daß die Leiden seines einzigen Sohnes und Nachfolgers, unseres jetzt -regierenden Herrn, in der ganzen Welt Teilnahme erregten. Ich habe -noch heute ein Telegramm aus Neuyork erhalten, das von Teilnahme -erfüllt war und das Vertrauen beweist, das sich die Dynastie des -deutschen Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Das ist ein -Erbteil, kann ich wohl sagen, was des Kaisers lange Regierung dem -deutschen Volke hinterläßt. Das Vertrauen, das sich die Dynastie -erworben hat, wird sich auf die Nation übertragen. Die zweite Richtung, -in der Seine Majestät einen Trost gefunden hat bei den schweren -Schickungen, war diejenige, daß der Kaiser auf die Entwicklung -seiner Hauptlebensaufgabe, der Herstellung und Konsolidierung der -Nationalität des Volkes, dem er als deutscher Fürst enge angehörte, -daß der Kaiser auf die Entwicklung, welche die Lösung dieser Aufgabe -inzwischen genommen hatte, mit einer Befriedigung zurückblickte, die -den Abend seines Lebens verschönte und erleuchtete. Es trug dazu -namentlich in den letzten Wochen die Tatsache bei, daß mit seltener -Einstimmigkeit aller Dynastien, aller verbündeten Regierungen, aller -Stämme in Deutschland, aller Abteilungen des Reichstags, dasjenige -beschlossen wurde, was für die Sicherstellung der Zukunft des Deutschen -Reiches auf jede Gefahr hin, die uns bedrohen könnte, als Bedürfnis -von den verbündeten Regierungen empfunden wurde. Diese Wahrnehmung -hat Seine Majestät mit großem Troste erfüllt, und noch in den letzten -Unterredungen, die ich mit meinem dahingeschiedenen Herrn gehabt -habe – es war gestern – hat er darauf Bezug genommen, wie ihn dieser -Beweis der Einheit der gesamten deutschen Nation, wie er durch die -Volksvertretung hier verkündet worden ist, gestärkt und erfreut hat. -Ich glaube, meine Herrn, es wird für Sie alle erwünscht sein, das -Zeugnis, das ich aus eigener Wahrnehmung aus den letzten Äußerungen -unseres dahingeschiedenen Herrn ablegen kann, mit in Ihre Heimat zu -nehmen, da jeder einzelne von Ihnen einen Anteil an diesem Verdienste -hat. Die heldenmütige Tapferkeit, meine Herrn, das nationale Ehrgefühl, -die treue, arbeitssame Pflichterfüllung und die Liebe zum Vaterlande, -die in unserem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen sie ein -unzerstörbares Erbteil unserer Nation sein, das uns der aus unserer -Mitte geschiedene Kaiser hinterlassen hat. Das hoffe ich zu Gott, daß -dies Erbteil von allen, die wir an den Geschäften des Vaterlandes -mitzuwirken haben, im Krieg und Frieden, in Heldenmut und Hingebung, -Arbeitsamkeit und Pflichttreue bewahrt bleibe.« - -Lautlose Stille folgte den Worten, die Abgeordneten, selbst jene der -sozialdemokratischen Partei, hatten sich von ihren Sitzen erhoben, der -Reichskanzler aber, der sein Schluchzen kaum mehr verhalten konnte, -hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und schlug die Hände vor das -Antlitz. Es war ein erschütternder Anblick, den gewaltigen Mann, den -eisernen Kanzler, weinen zu sehen um seinen toten Kaiser. - -Der Präsident von Wedell-Piesdorf schloß mit wenigen Worten die ewig -denkwürdige Sitzung, und nun schritt Bismarck von seinem erhöhten -Platze hinab in das Haus. Sein Blick haftete auf seinem treuen -Genossen, dem greisen Feldmarschall Moltke, der trotz der Nachtwachen, -trotz der Anstrengung und Aufregung der letzten Tage seiner Pflicht -getreu, seinen Sitz im Abgeordnetenhause eingenommen hatte. Er trat dem -Kanzler entgegen, und die Hände der beiden Männer fanden sich zu einem -beredten Drucke. Sprechen konnte zunächst keiner von ihnen, die Tränen -standen beiden in den Augen – es war eine ergreifende historische -Szene. Endlich faßte sich Bismarck, mit wärmerem Drucke der Hand sprach -er, und seine Stimme bebte: - -»Uns beide hält des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr im Gleise!« - -Der Dienst aber rief den Kanzler zur Begleitung und Heimholung des -neuen Kaisers Friedrich III. Der deutsche Himmel war nicht freundlich, -als der kranke Dulder heimkam. Es war, als liege Trauer und Schmerz -ausgebreitet durch das Land und durch die Lüfte. Als Bismarck, der -seinem neuen Herrn bis Leipzig entgegengefahren war, mit diesem nach -seinem Lande, in die Mitte seines bange und traurig harrenden Volkes -eilte, schnob der Ostwind eiskalt durch die Straßen, und der Sturm -wehte winterliche Flocken wild durcheinander, und in derselben Nacht, -um die Mitternachtsstunde, in der kein Stern vom Himmel leuchtete, und -nur die trübe flackernden, schneeverhüllten Gaslaternen und tiefrot -qualmende Fackeln die erschütternde Szene erhellten, ward die Leiche -Kaiser Wilhelms nach dem Dome überführt. - -Dem Trauergottesdienst selbst vermochte Bismarck in seiner tiefen, -gramvollen Ergriffenheit nicht beizuwohnen, auch Moltke blieb fern -– beides auf Wunsch des neuen Kaisers, der ja selbst nicht seinem -toten Vater das letzte Geleit geben konnte, aber am 16. März, als der -teure Verblichene hinausgeleitet wurde nach dem stillen Mausoleum in -Charlottenburg, um dort neben seinen Eltern beigesetzt zu werden, da -fehlte der Kanzler nicht. - -Als der Trauerzug die Schloßterrasse betrat, – es war etwa um ½4 Uhr, -erschien oben an einem Fenster eine hohe Gestalt in Generalsuniform, -das Orangeband des Schwarzen Adlerordens über der breiten Brust. Die -Hand winkte mit dem Taschentuche wehmutsvolle Grüße, und die stattliche -Erscheinung schien ab und zu wie von gewaltsamem Schluchzen durchbebt -zu werden. So schied der kranke Kaiser Friedrich von dem toten Kaiser -Wilhelm, der Sohn von dem heißgeliebten Vater … - -Nun folgte die Regierung der 99 Tage, und solchen Heldenmut hat die -Welt selten geschaut, wie Kaiser Friedrich ihn zeigte. »Lerne leiden, -ohne zu klagen!« war sein schönes Wort, und treue Pflichterfüllung bis -in den Tod seine schöne Tat. - -In ein freundliches, hohes Gemach des lieblichen, stilltraulichen -Schlosses Charlottenburg fiel der Schimmer des Frühlings. Vor den -Fenstern draußen lachten die Blüten von Baum und Strauch, und die Vögel -jauchzten, der kranke Kaiser aber saß in seinem Sessel zurückgelehnt, -zusammengebeugt, und wendete das bleiche Gesicht seinem Kanzler zu, der -vor ihm saß und ihm Vortrag hielt. Über das Antlitz Bismarcks lief ab -und zu ein leises Zucken, wie von mühsam unterdrücktem Schmerz, und der -Kaiser fragte: - -»Ihnen ist nicht wohl, lieber Fürst?« - -»Mein altes Nervenleiden, Majestät – die Neuralgie setzt mir wieder -einmal zu, aber man muß darüber wegkommen.« - -Da erhob sich der Herrscher und zog einen Sessel heran; auf diesen -legte er die Füße seines treuen Beraters, und, damit noch nicht -zufrieden, ließ er eine Decke herbeibringen und wickelte dieselben -darin ein. Ein Gefühl tiefer Rührung erfaßte den Kanzler; der Kaiser, -kränker als er selbst, sorgte in so gütiger Weise für ihn … Der echte -Sohn des großen, edlen Hohenzollern, der ihm Herr und Freund zugleich -gewesen war. - -Kaiser Friedrich war nach dem bei Potsdam gelegenen schönen -Friedrichskron übergesiedelt – – aber nur, um dort zu sterben. Am 14. -Juni hatte Bismarck den kaiserlichen Herrn noch einmal gesehen und noch -einmal den warmen Druck seiner Hand gefühlt; zu sprechen vermochte der -große Dulder beinahe nicht mehr – und einen Tag später starb der edle -Fürst. - -Zum zweiten Male in kurzer Frist stand das deutsche Volk an der Bahre -seines Kaisers, und unsagbares Weh durchzitterte die Brust des greisen -Kanzlers. Aber er richtete sich auf in dem Gedanken, daß in dem Enkel -seines großen Kaisers der Geist desselben fortleben werde, und ihm -widmete er nun seine Treue und Liebe. – – – - -Zum zweiten Male hatte Deutschland die schmerzliche Erinnerung an den -Tod Kaiser Wilhelms begangen – da fiel in den Nachklang dieser Stimmung -eine Kunde, welche alle Herzen mächtig bewegte: Im »Reichsanzeiger« vom -20. März 1890 stand es zu lesen, daß Fürst Bismarck und mit ihm seine -beiden Söhne aus dem Staatsdienst ausgetreten seien. Die Hand, welche -so lange das Staatsschiff sicher und fest geleitet, zog sich zurück von -dem Steuer – was mußte dazu veranlaßt haben? - -Seltsame Kunden liefen von Mund zu Mund und durch die Spalten -der Blätter – absolut Sicheres war nicht festzustellen. Eine -Meinungsverschiedenheit sei zwischen dem Fürsten und dem jungen Kaiser -entstanden – das war zuletzt alles, was im Bewußtsein des deutschen -Volkes deutlich ward und dieses bis in die weitesten Schichten hinein -schmerzlich berührte. - -In hohen Gnaden entließ Kaiser Wilhelm II. den treuesten Ratgeber -der Hohenzollernkrone – er ernannte ihn zum Herzog von Lauenburg und -zum Generalobersten, aber die Bitterkeit konnte er nicht bannen aus -dem Herzen des Mannes, der die Empfindung hatte, als solle er in die -Verbannung gehen. Aber er hatte den Trost, daß die Liebe mit ihm ging, -wohin er sich auch wenden mochte. - -Noch einmal hatte der Fürst seinen guten alten Kaiser aufgesucht in -seiner stillen Gruft im Mausoleum in Charlottenburg. Von ihm mußte -er Abschied nehmen, ehe er Berlin verließ, so wie der treue Soldat, -der abkommandiert wird von seinem Posten, sich noch einmal bei -seinem Vorgesetzten meldet. Das freundliche blaue Licht übergoß den -weihevollen Raum und zitterte weich auf den Marmorbildern, der Kanzler -aber war an den Sarkophag seines heißgeliebten Herrn herangetreten und -neigte schwer das Haupt. Kein Menschenauge hat es gesehen, kein Herz -es nachempfunden, was in jener Stunde durch die Seele des gewaltigen -Mannes ging … Dann fuhr er nach Berlin zurück, und nun – nachdem der -heiligsten Pflicht genügt war – hatte er hier nichts mehr zu tun. - -Am 29. März verließ er das kleine Palais in der Wilhelmstraße, wovon -durch so lange Jahre der Hauch seines Geistes bewegend und belebend -ausgegangen war durch die ganze Welt, und der Abschied sollte ihm nicht -leicht werden. Nicht die Erinnerungen allein erschwerten dem Fürsten -denselben, sondern auch die gewaltig an ihn herandringende Liebe des -Volkes. Was galt aller Parteizwist in einer solchen Stunde! - -Die Wilhelmstraße vermochte die Menschenmenge nicht zu fassen, welche -am Nachmittage jenes 29. März sie durchwogte. Um die fünfte Stunde -waren die Wagen vorgefahren, und nun erschien der Kanzler mit den -Seinen, einen letzten, bedeutsamen Blick noch zurückwerfend. Als -aber die Tausende, die seiner harrten, ihn erblickten, da brach ein -Brausen und Rufen aus, eine elementare Begeisterung, in welcher -Liebe, Verehrung und Dankbarkeit ihren Ausdruck suchten. Stürmische -Hochrufe wiederholten sich immer aufs neue, Blumenspenden wurden von -hundert Händen herangereicht, und so dicht wogte die Volksmenge, daß -die Wagen nur langsam zu fahren vermochten. Das war kein Vergessener -und Verstoßener, es war ein Triumphator, der wegzog von der Stätte -jahrzehntelangen Wirkens, um die wohlverdiente Ruhe zu suchen. - -In allen Straßen dasselbe Bild – die schweigend, in ernster, wehmütiger -Weise harrende Menge, die, sobald der Wagen Bismarcks herankommt, -in endlose begeisterte Rufe ausbricht, die trotz der zahlreichen -Schutzmannschaften durch alle Schranken drängt, um dem geliebten Manne -den letzten Gruß, die letzte Blumenspende zu bieten. - -So war der Wagen am Lehrter Bahnhof angekommen und an den kaiserlichen -Gemächern vorgefahren. Der Fürst stieg aus, und in der Vorhalle -blieb er stehen, während die Menge der Nachdrängenden nur mit -größter Anstrengung so weit zurückgehalten werden konnte, daß -für den Scheidenden und die Seinen ein Weg freiblieb; er sah mit -feuchtschimmernden Augen noch einmal zurück und winkte mit der Hand zu -Gruß und Dank. - -Hell und warm lag die Frühlingssonne über dem ergreifenden Bilde; sie -blitzte auf den blanken Gardekürassieren, deren eine Schwadron dem -Fürsten das Ehrengeleite gab, auf den Helmen der Schutzleute und in den -Tränen von Hunderten. - -Weiter schritt der Fürst nach den Gemächern, und überall streckten sich -ihm hier die Hände entgegen zu herzlichem Abschied. Hohe Offiziere, -Diplomaten, die Gesandten fremder Staaten, der neue Kanzler von Caprivi -– alle waren sie gekommen, ihm ihre Verehrung und Freundschaft zu -bekunden, und zarte Frauenhände reichten ihm auch hier immer neuen und -herrlicheren Blumenschmuck. - -Nun schritt er langsam hinab nach dem Perron auf blütenüberstreutem -Wege. Der Trompetenklang der Kürassiere erschallte, an ihrer -Front vorüber ging er hochaufgerichtet, selbst in der Uniform der -Seydlitz-Kürassiere, seinem Wagen zu. Nun aber ließ sich die Menge -nicht mehr halten. Durch die geöffneten Türen der Wartesäle flutete -es heraus in breitem Strome und umringte den Wagen des Gefeierten, in -welchem dieser mit den Seinen in einer Fülle von Blumen Platz gefunden -hatte. Mit einem beinahe wehmutsvollen Blick streift sein Auge über -die herrliche Blumenspende, die mit dem schwarz-weiß-roten Bande -umflochten ist, – der Abschiedsgruß des Kaisers; die Fürstin aber hat -den prächtigen Korb voll Flieders an sich herangezogen, die Spende der -Kaiserin, und neigt sich darüber. - -Nun trat Bismarck wieder an das Fenster und schaute tiefbewegt hinaus -auf die Tausende. Da pfiff die Lokomotive. Ein brausender, nicht -endenwollender Ruf: »Wiederkommen!« durchzitterte die Luft, der Kanzler -aber legte bedeutsam, beinahe unmutig den Zeigefinger an den Mund. Das -letzte Glockenzeichen erklang, ein Kommando der Kürassiere erscholl, -und ehern standen ihre präsentierenden Reihen, während die Musik einen -Marsch anstimmte. Dazwischen schallte der brausende Gesang der »Wacht -am Rhein«, die immer erneuten Zurufe: »Wiederkommen!« – »Lebewohl!« -und das stürmische »Hoch«, das noch immer nicht verhallt, als der Zug -bereits den Bahnhof verlassen hat und den Kanzler hinwegführt in die -friedliche Stille des Sachsenwaldes. - - - - -Dreizehntes Kapitel. - -Im Abendrot. - - -Wer von Berlin nach Hamburg fährt, passiert den Sachsenwald mit -seinen einzigen, herrlichen Buchenbeständen, die nur da und dort von -dem dunkleren Grün des Nadelholzes unterbrochen werden. Etwa eine -Meile von Hamburg entfernt liegt die Station _Friedrichsruh_, ein -kleines Örtchen mitten im Buchenwald, an dem munteren Flüßchen Aue -gelegen. Hier ist die Residenz des »Herzogs von Lauenburg«, des ersten -deutschen Reichskanzlers. Das Besitztum mit dem reichen Grund und Boden -ringsumher hat ihm die Huld seines alten kaiserlichen Herrn nach dem -großen Kriege im Jahre 1871 geschenkt, hier hat er seinen Ruhesitz -gefunden, nachdem er aus dem Amte und aus Berlin weggegangen war. - -Sein Schloß, das er eigentlich erst sich erbaut hat, ist nicht -prunkvoll und stattlich, wohl aber traulich und behaglich. Ringsum -rauschen die mächtigen Buchen und verhüllen mit ihren dichten grünen -Kronen das freundliche Haus und lassen beim Näherkommen nur die rote -Umzäunungsmauer des Parkes schauen. Eine schmale Pforte in derselben -führt uns in die anmutige Idylle hinein; das gelblich getünchte -schmucke Wohnhaus lacht uns entgegen, so gastlich und lieb, daß ein -warmes Behagen davon auszugehen scheint. Auf dem Vorplatze ragt eine -mächtige Tanne empor, ein Riese der Vorzeit, wie ein Symbol der Kraft -des Mannes, der sich hier seinen Herd gebaut hat. Die pyramidenartig -verlaufende Krone hebt sich hoch hinauf nach dem blauen Himmel. Kein -Vestibül nimmt uns auf, aus dem Korridor geht es sogleich hinein in das -Wohnzimmer und in die Reihe der Familiengemächer, aus deren Fenstern -der Blick gern hinausschweift in den grünen Park, auf spiegelnde -Wasserflächen und prachtvolle Baumgruppen. - -Hier wohnt der Gewaltige, friedlich und still, im Kreise der Seinen, -und sieht wie der Adler aus freier Höhe herab auf das Treiben seiner -Tage und freut sich an der Verehrung und Liebe des deutschen Volkes, -die ihm auch hierher gefolgt ist. Seine Kinder und Enkel suchen ihm den -Abend seiner Tage zu verschönen, und oft genug kommen Gäste aus allen -Teilen Deutschlands nach dem ruhigen Sachsenwalde. - -Wiederum feierte er seinen Geburtstag. Freundlich war die Sonne -aufgegangen über dem Sachsenwalde, und wenn auch der Frühling noch -nicht seinen Einzug zwischen die Baumriesen gehalten hatte, so blaute -doch der Himmel verheißungsvoll, und an den Waldrändern läuteten die -Blütenglocken. - -Der nahezu achtzig Jahre alte Fürst hatte sich zur gewohnten -Morgenstunde erhoben, frisch und kraftvoll, und hatte mit herzlicher -Freude und Dank die Glückwünsche seiner Familie entgegengenommen sowie -jene der bereits eingetroffenen Gäste. Um die elfte Stunde betrat -er das Empfangszimmer, und hier lag ringsum ausgebreitet die Fülle -der Gaben, welche die Liebe des deutschen Volkes aus allen Gauen des -Reiches dem verehrten Manne übersandt hatte. Hunderte von Kisten waren -schon tags zuvor eingetroffen und ausgepackt worden, und nun stand -alles wohlgeordnet: Erzeugnisse der Kunst und des Gewerbes, Spenden -der Wissenschaft und der fleißigen Frauenhand, und dazwischen ein -Blumenschmuck, als sei in diesem Saale selbst der Frühling voll erblüht. - -Im tiefsten Herzen ergriffen stand der Reichskanzler inmitten dieser -Spenden, und dann schritt er an ihnen entlang, jedes einzelne -beschauend, an allem sich freuend, gleichviel ob es seinen Wert an sich -hatte oder ihn erst erhielt durch die Liebe des Gebers. - -Da klangen feierlich und getragen die Klänge eines Chorals in den Saal; -der Fürst horchte einen Augenblick auf, dann trat er, begleitet von -den Seinen, hinaus auf die freundliche Terrasse auf der Rückseite des -Schlosses. Da stand eine Militärkapelle und spielte die ergreifend -fromme Weise, welche das Morgenständchen einleitete, welches sie dem -alten Kanzler darbringen wollte. - -Es war ein schönes Bild: Im Vordergrunde unter den alten Bäumen die -Musiker in ihren bunten Uniformen, umringt von einem kleinen Kreise -derer, die Zutritt zu dem Parke erlangt hatten, und jenseits desselben -auf grünem Wiesengrunde, der von den dunklen Rahmen des Föhrenwaldes -sich freundlich abhob, und von welchem aus die Schloßterrasse voll zu -überschauen war, eine bewegte, dichtwogende Menschenmenge, die von nah -und fern herbeigeeilt war. In dem Saale aber, der nach der Terrasse -sich öffnete, standen die Festgäste, Herren und Damen, und sahen mit -freudiger Teilnahme auf den herrlichen Mann, der im Interimsrock der -Kürassiere, die weiße Mütze auf dem mächtigen Haupt, hochaufgerichtet -dastand und in den sonnigen Frühlingsmorgen, in die ihm zulachende Welt -hinausblickte. - -Von der Wiese herüber aber brausten in die Klänge der Musik die -lautschallenden, begeisterten Hochrufe der Menge, die ihn heraustreten -sah, und ihm ihren stürmischen Liebesgruß sandte. Da winkte er mit -der Hand hinüber zu freundlichem Danke, und lauter noch jauchzte die -Begeisterung auf. - -Dann trat er auf den Kapellmeister zu und reichte ihm die Rechte mit -leutseligen Worten, und aufs neue erklangen die Weisen der Musik, -jetzt heller und frischer, und ihnen reihten sich Liederklänge an, -denn ein stattlicher Sängerchor aus Hamburg oder Altona war angekommen -und brachte seine Grüße und seine Huldigung. Und in dem Parke hallte -es wider, und die Menge auf der Waldwiese, deren Zahl immer mehr -anwuchs, stand und lauschte und harrte der Stunde entgegen, da es auch -ihr vergönnt sein würde, den Gefeierten aus größerer Nähe begrüßen zu -können. - -Fast ward es zuviel für den beinahe Achtzigjährigen, und sein treuer -ärztlicher Hüter, Dr. Schweninger, bat endlich für ihn um ein Stündchen -Ruhe. - -So ging der Apriltag hin und kündete dem alten Reichskanzler immer neu -und beredt die Liebe eines ganzen Volkes, das nicht von ihm lassen -konnte, und das immer wiederum alles dessen gedenken mußte, was -Deutschland seinem Bismarck verdankte. - -Nur ein bitterer Tropfen blieb in seiner Seele, eine Verstimmung, die -wie ein Schatten zwischen ihm und dem jungen Kaiser lag. Er hatte das -Empfinden, als hätte ihn derselbe nicht _so_, eben so ziehen lassen -dürfen. Was galten ihm die äußeren Ehren, die ihm zum Abschied noch -angetan worden waren, ein Herzenswort und eine Herzenstat hätten ihm -weit schwerer gewogen. - -Das deutsche Volk aber fühlte wie einen kältenden Hauch die Entfremdung -zwischen dem Enkel des großen Kaisers Wilhelm und dem treuesten -Paladin des letzteren, und hoffte in tiefster Seele, daß auch hier ein -Frühlingstag kommen möge, der diesen Hauch hinwegfegen werde. Und des -Volkes Hoffen sollte nicht betrogen werden. - -Es lebt echtes, hochherziges Hohenzollernblut auch in Kaiser Wilhelm -II., und so war er es, der dem Alt-Reichskanzler die Hand reichte zum -freundlichen Bunde. Durch ganz Deutschland flog es wie ein warmer -Lichtstrahl, als erzählt ward, wie der Herrscher dem Fürsten, der von -einem heftigen Krankheitsanfall in einem süddeutschen Bade Genesung -gesucht hatte, eines seiner Schlösser für die Zeit der Rekonvaleszenz -zum Aufenthalt anbot, und wie er ihm manche Aufmerksamkeit erwies, wie -nicht der Kaiser seinem Untertan, sondern der Freund dem Freunde sie -zu erweisen bemüht ist, und noch erfreuter schlug des deutschen Volkes -Herz, als die Kunde erscholl, daß Fürst Bismarck nach Berlin kommen -und persönlich dem jungen Herrscher für sein huldvolles Entgegenkommen -danken werde. - -Am 26. Januar 1894 war es, als die erwartungsvolle Hauptstadt des -Reiches der Ankunft des greisen Kanzlers entgegenharrte. Die Sonne war -herrlich aufgegangen, als wolle sie ihn freundlich mitbegrüßen, und -die Straßen vom Lehrter Bahnhofe nach dem Königlichen Schlosse waren -durchwogt von freudig erregten Menschen. Die breite Straße Unter den -Linden hatte reichen Flaggenschmuck angelegt, vom Zeughaus und dem -Kommandogebäude wehten die Fahnen, und auf dem Königsschlosse prangte -die gelbe Kaiser- und die rote Königsstandarte. - -Immer dichter wurde das Menschengewühl, und lebhafter wurde die -Bewegung, als im hellen Sonnenglanz eine Abteilung Garde-Kürassiere -nach dem Bahnhofe ritt, um das Ehrengeleit für den Fürsten zu bilden. - -Bald nach den glänzenden Reitern – es war um die Mittagszeit – fuhr ein -offener kaiserlicher Wagen durch die Straße, umbraust von Hoch- und -Hurrarufen: Des Kaisers Bruder, Prinz Heinrich, fuhr nach dem Lehrter -Bahnhofe, um den Ankommenden im Namen des Herrschers zu begrüßen. -Er dankte mit freudigem Gesichte dem jubelnden Volke und den an der -Moltkebrücke in vollem Wichs aufgestellten studentischen Verbindungen. - -Auf dem Lehrter Bahnhofe hatten sich eine größere Anzahl hochgestellter -Persönlichkeiten und Freunde des Fürsten eingefunden. Kurz nach ein -Uhr fuhr der Zug ein, und Prinz Heinrich trat auf den Salonwagen zu, -an dessen Fenster sich bereits das markige Antlitz Bismarcks gezeigt -hatte. Nun stieg dieser aus, und der Prinz bewillkommnete ihn auf das -herzlichste und bot ihm seinen Arm. - -Wohl hatte sich die Sonne wieder verhüllt, aber auch das trübere Licht -vermochte dem ergreifenden Bilde nichts von seiner Wirkung zu nehmen. -Auf den Arm des Kaisersohnes gestützt, schritt der greise Kanzler in -seiner Kürassieruniform, langsam, aber aufrecht einher, das ehrwürdige -Angesicht leuchtend vom Widerschein schöner freudiger Bewegung. Die -Tausende aber, die vor dem Bahnhofe seiner harrten, brachen bei seinem -Anblick in endlose Jubelrufe aus, die sich fortsetzten, wo immer der -kaiserliche Galawagen mit seinen beiden Insassen auftauchte. Die -Fenster des letzteren waren freilich wegen des kalten winterlichen -Hauches und mit Rücksicht auf die Gesundheit des Fürsten geschlossen -worden, aber sein freundliches Gesicht war doch sichtbar hinter den -Scheiben und begeisterte das Volk, das in musterhafter Ordnung in fünf -bis sechs Reihen dicht hintereinander stehend den Mittelweg Unter den -Linden besetzt hielt vom Brandenburger Tor bis an die Brücke. - -Da tauchten die alten Erinnerungen wieder auf an die glanzvollen -Tage, welche Deutschland unter Kaiser Wilhelm I. und seinem Kanzler -geschaut hatte, an den Siegeseinzug von 1866 und nach 1870, und -sehnsuchtsvoller, dankbarer schlugen die Herzen dem herrlichen Manne -entgegen, dessen Name mit jener gewaltigen Zeit auf ewig verbunden war. - -An allen Fenstern drängten sich die Köpfe, ja, von den Kandelabern der -Straßenlaternen herab schauten neugierig-mutwillige Knabengesichter, -und die Schutzmannschaft nahm es heute nicht übel, wenn hier und da -wohl auch einer auf einem Lindenast einen Sitz gefunden hatte. - -Die Wachtparade war zur gewohnten Zeit, kurz vor ein Uhr, mit -klingendem Spiele nach dem Schlosse gezogen, und ihre Musikklänge -erhöhten die freudige Stimmung der Menge. Eine geraume Viertelstunde -später blinkten vom Brandenburger Tor her die Helme der -Garde-Kürassiere, und mit ihnen kam ein Brausen und Rufen, das sich -von Mund zu Mund fortpflanzte, immer anwachsend und immer stürmischer. -Eine Abteilung berittener Schutzleute jagte im stürmischen Ritt über -den Reitweg, näher kamen die Kürassiere, und hinterher der kaiserliche -Wagen. - -Viel zu schnell für die Begeisterung der Menge, welche noch hinter ihm -dreinklang, war er vorüber, und die Blicke folgten ihm nach, wie er -seinen Weg verfolgte nach dem königlichen Schlosse zu. - -Im Lustgarten standen die Bürgersteige gleichfalls voll dichtgedrängter -Menschen, die alle nach der Residenz hinüberschauten, vor deren Eingang -sich das bewegte Leben widerspiegelte, das heute in ihr herrschte. -Hofequipagen rollten heran und hinweg, Offiziere und Hofbeamte eilten -hin und her, herrlicher Blütenschmuck mitten im Winter war in reichster -Fülle herbeigebracht, und alles machte den Eindruck, daß man einen -lieben, hochzuehrenden Gast erwarte. - -Die vom zweiten Garderegiment gestellte Ehrenkompagnie rückte -mit klingendem Spiele an und nahm zwischen den beiden Portalen -Aufstellung, und um die erste Mittagsstunde erschien der Kaiser. Er -trug die Kürassieruniform, und, mit begeistertem Morgengruß von seinen -Grenadieren empfangen, schritt er langsam deren Front entlang und trat -dann durch das Schloßportal zurück. - -Unter den schmetternden Klängen der Musik schritt der Fürst neben dem -Prinzen Heinrich an der Front der präsentierenden Grenadiere hin, und -nun war kein Halten mehr für die immer stürmischer vordrängende Flut -des Volkes. Über den freien Platz vor dem Schlosse wogte sie heran, -schnell und immer schneller, und bald war der Gefeierte umringt von -den Tausenden, die nach seinen Händen, nach dem Saume seines Paletots -faßten, um ihm ihre Liebe und Verehrung zu bezeigen. - -Jetzt betrat er das Schloß, durchschritt in dem ersten der für ihn -bestimmten Gastgemächer die Reihe des kaiserlichen Hauptquartiers – und -im zweiten stand er Kaiser Wilhelm II. selbst gegenüber, Auge in Auge, -Hand in Hand, und niemand war Zeuge dieser Begrüßung, deren Bedeutung -aber nachempfunden wurde, soweit die deutsche Zunge klingt. - -Schöner konnten die freundschaftlichen Beziehungen des Herrschers zu -dem treuen Berater seines Hauses freilich kaum angedeutet werden, als -bei der Frühstückstafel, welche im allerengsten Kreise eingenommen -wurde. Zwischen dem Kaiser und der Kaiserin saß der Alt-Reichskanzler, -und niemand störte die freundliche Weihe dieser Stunde. - -Dann war Kaiser Wilhelm auch auf die Ruhe seines Gastes bedacht, der -sich auf seinen Wunsch einige Zeit in seine Gemächer zurückzog. Aber -nicht für lange, denn ein solcher Tag konnte nicht zur Rast bestimmt -sein, und der Fürst zeigte, daß er trotz Alters und Unwohlseins noch -immer »der eiserne« Kanzler war. Um 4 Uhr nachmittags, nachdem ihm -schon vorher sein Amtsnachfolger General von Caprivi und sämtliche -Staatssekretäre durch Abgabe ihrer Karten begrüßt hatten, fuhr er bei -der Witwe Kaiser Friedrichs vor, um ihr seine Ehrerbietung zu beweisen, -und nach 6 Uhr fand er sich an der kaiserlichen Tafel ein, an welcher -außer dem kaiserlichen Paare auch König Albert von Sachsen und Graf -Herbert Bismarck teilnahmen. - -Aufs neue aber begann sich die Volksmenge Unter den Linden -zusammenzuscharen, um den Fürsten auch bei seiner Abreise zu begrüßen. -Heller Lichtglanz flutete aus den Fenstern »Unter den Linden«, als um -7 Uhr 10 Minuten die Gardereiter durch die breite, prächtige Straße -ritten und hinter ihnen her der Galawagen rollte, in welchem diesmal -Kaiser Wilhelm II. selbst seinem Gaste das Geleit gab. - -Auch der Lehrter Bahnhof war von vollem Lichtglanz erhellt, dessen -Schein die Gruppen der hohen Offiziere und des kaiserlichen -Hauptquartiers beleuchtete, das in erwartungsvollem Schweigen auf dem -Perron stand. Langsam schritt Bismarck zur Seite des Kaisers heran, -nach dem Salonwagen. Noch einmal fügte sich Hand in Hand, und in -sichtlicher Bewegung zog der junge Herrscher den greisen Recken näher -heran zu sich und küßte ihn wiederholt auf die Wangen. - -Nun bestieg Bismarck den Salonwagen; entblößten Hauptes stand er an dem -Fenster und sah hinaus auf seinen Kaiser, der noch immer in huldvoller -Weise redete. - -Das letzte Glockensignal verklang – – in die weithin schallenden -Hochrufe mischte sich der brausende Gesang: - - Deutschland, Deutschland über Alles, - Über alles in der Welt! - -Und den Nachhall dieses Liedes in gehobener Seele, fuhr der eiserne -Kanzler wieder heimwärts nach seinem stillen Sachsenwalde. Der -darauffolgende Besuch des Kaisers in Friedrichsruh besiegelte die -Versöhnung. Der letzte Schatten war gewichen aus seiner Brust, der -volle Friede eines großen, segensreichen, abgeschlossenen Wirkens -erfüllte ihn und verklärte wie ein mildes Rot den Abend seiner Tage. - - * * * * * - -Er sollte seinen lieben, stillen Sachsenwald nicht mehr verlassen. Mit -der gelassenen Ruhe des großen Mannes schaute er von seiner friedlichen -Warte den Welthändeln zu, glücklich im Kreise der Seinen, und immer -aufs neue erfreut durch die mannigfaltigen Kundgebungen der Liebe und -Verehrung seines deutschen Volkes, die ihn auch in seinem weltfernen -Asyl aufsuchten. - -Da traf ihn der herbe Verlust seiner Gemahlin, die wie ein guter, -treuer Kamerad mit ihm durch das Leben gegangen, und die ihm innig -an das Herz gewachsen war. Seitdem sah ihn das Dasein mit immer -trüberen Augen an, und seine eigene Gesundheit kam immer mehr ins -Wanken. Und auch die treueste, hingebendste Liebe seiner Familie, die -aufopfernde Pflege seines Leibarztes Dr. Schweninger konnten zuletzt -das Unaufhaltsame nicht mehr aufhalten. - -Es war der Sommer des Jahres 1898 gekommen und breitete seinen Schimmer -über den grünen Sachsenwald. Aber im Herrenhause zu Friedrichsruh -hegten liebende Herzen bange Besorgnisse. Der greise Fürst rang mit -immer wiederkehrenden Beschwerden, und wenn seine starke Natur auch -vorübergehend zu siegen schien, der heimtückische Gegner, mit dem er -kämpfte, setzte sein furchtbares Werk fort und brachte es jählings zu -Ende. - -Am 28. Juli abends hatte der Fürst im Kreise der Seinen bei einem Glase -Wein gesessen, die geliebte Pfeife geschmaucht und sich lebhaft und -heiter wie in früheren Tagen unterhalten; am 30. vormittags las er -seine Zeitungen, frühstückte in gewohnter Weise und klagte scherzend -über den geringen Zusatz von Wein zu dem ihm gereichten Wasser. An dem -Nachmittag desselben Tages brach er zusammen, und um die elfte Stunde -der Nacht trat ihm schon der Tod an das große, treue Herz. Um ihn -stand seine Familie, ihm zur Seite der treue Leibarzt, der die letzten -Atembeschwerden ihm zu lindern bemüht gewesen, indes des Fürsten -edle Tochter, die Gräfin Rantzau, ihm den Todesschweiß von der Stirn -trocknete. Ihr galt des Sterbenden letztes Liebeswort: »Danke, mein -Kind!« - -Dann lag er wie ein Schlafender, mit mildem, friedlichem Antlitz, -hoheitsvoll und edel. An seinen Sarg trat auch Kaiser Wilhelm II., der -auf die Trauerkunde, die er auf einer Nordlandsreise in Bergen erhalten -hatte, sogleich heimkehrte und am 2. August in Begleitung seiner -erlauchten Gemahlin in Friedrichsruh eingetroffen war. Im Sterbezimmer -fand die schlichte und doch so erhebende Trauerfeier statt. Das schwarz -drapierte Gemach war erfüllt von betäubendem Blumenduft, der das -ganze Schloß durchzog, und der schwarzpolierte Eichensarg verschwand -unter riesigen Kränzen, von denen Wagenladungen aus allen Teilen -Deutschlands nach dem stillen Friedrichsruh kamen. Am Fuße des Sarges -aber lagerte der prachtvolle Kranz von Teerosen auf Lorbeerblättern und -Eichenlaub, der auf einer weißseidenen Schleife die Anfangsbuchstaben -des Kaiserpaares trug. - -Der Kaiser hatte gewünscht, daß »sein großer Toter« im Dome zu Berlin -beigesetzt werde, aber der eigene letzte Wunsch des Entschlafenen -stand dem entgegen. In seinem stillen Sachsenwalde wollte Bismarck -seinen letzten Schlaf schlafen in einem schmucklosen kleinen Hause, und -die Grabschrift, die er sich selbst verfaßt, sollte lauten: - -»_Fürst von Bismarck, geboren am 1. April 1815, gestorben am ……, ein -treuer, deutscher Diener Kaiser Wilhelms des Ersten._« - -Im Sterbezimmer eingemauert blieb der Sarg mit den irdischen Resten des -großen Kanzlers, bis das kleine Mausoleum auf dem Waldhügel gegenüber -dem Parktor vollendet sein würde. - -Es ist ein friedlich-stilles Plätzchen. Ringsum rauschen die alten -Eichen, und von dem nahen Hügel, auf welchem die von treuen Anhaltinern -gestiftete Hirschgruppe steht, grüßen die dunklen Tannen, und der Blick -schweift über Schloß und Park und über ein schönes, freundliches Stück -des Sachsenwaldes. - -Hier wurde er am 16. März 1899 gebettet. Das ganze deutsche Volk war im -Geiste zugegen, als sein großer Kanzler den letzten Pfad zurücklegte, -und Hunderttausende haben es beklagt, daß es aus mancherlei Gründen nur -einer kleinen Zahl Leidtragender vergönnt war, das ganze deutsche Volk -in jener Weihestunde vertreten zu dürfen. Der deutsche Kaiser hat auch -diesmal nicht gefehlt. - -Beim dumpfen Klange des Chopinschen Trauermarsches bewegt sich der -Zug aus dem Schlosse. Der Regimentskapelle folgt in weitem Abstande -die Leichenparade, und längs des ganzen Weges flammt das Licht -vieler tausend Fackeln auf, von deren düsterer Glut bestrahlt der -Leichenkondukt langsam vorwärtsschreitet. Überall entblößte Häupter – -Totenstille – auch die Natur hält den Atem an. Nun naht der Sarg der -Fürstin, die an des Gatten Seite ruhen soll, und schwankt, von Kränzen -beladen, auf den Schultern der in altspanische Tracht gekleideten -Träger. Ihm folgt in einigem Abstande der Sarg des Kanzlers. Eine aus -Lorbeer gewundene Fürstenkrone liegt zu Häupten. An den Seiten der -Träger gehen im Schmuck der blinkenden Waffen Seydlitzkürassiere. -Und unmittelbar hinter dem Sarge, an der Seite des Fürsten Herbert -Bismarck, schreitet in der Uniform der Halberstädter Reiter der Kaiser, -den blitzenden Stahlhelm auf dem Haupte, das bleiche Angesicht gesenkt. - -Mit dem zwölften Glockenschlage werden die Särge in der Kapelle des -Mausoleums vor dem kleinen Altare niedergesetzt, mit gezogenen Säbeln, -starr wie Bildsäulen, stehen die Kürassiere. Auch der Kaiser läßt sich -nicht nieder während der Feier. Der Lieblingschoral der verewigten -Fürstin klingt durch die Halle: »Die wir uns allhier beisammen finden«, -der Geistliche spricht kurze, erhebende Worte, dann kam wieder Orgelton -und frommer Gesang des Liedes: »Mach End’, o Herr, mach Ende«! … Drei -Salven der hinter dem Mausoleum aufgestellten Ehrenkompagnie dröhnten -dazwischen … dann war alles zu Ende. – Die Gruft schloß sich über dem -besten und größten Sohne Deutschlands! - -Aber von ihm wird ein Singen und Sagen gehen bis in die fernsten -Zeiten, und solange es ein Deutsches Reich und ein deutsches Volk geben -wird, wird es zu seinen schönsten und edelsten Pflichten zählen, in -ehrenvollster Erinnerung zu bewahren die große Zeit der Erneuerung des -Reiches, den herrlichen Kaiser Weißbart und den Mann, der Deutschland -in den Sattel gehoben hat, _den eisernen Kanzler_. - -[Illustration] - - -Setzmaschinensatz und Druck von A. Seydel & Cie., G. m. b. H., -Berlin ~S.W.~ - - - - - Weitere Anmerkungen zur Transkription - - - Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. - - Korrekturen: - - S. 209: Februir → Februar - am 26. {Februar} 1871 zu Versailles - - S. 216: betätigen → bestätigen - Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu {bestätigen} - - Die unterschiedlichen Schreibweisen Skierniwicze und Skiernewice - wurden einheitlich zur aktuellen Schreibweise Skierniewice - korrigiert. - - - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH VOM EISERNEN -KANZLER *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for an eBook, except by following -the terms of the trademark license, including paying royalties for use -of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for -copies of this eBook, complying with the trademark license is very -easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation -of derivative works, reports, performances and research. Project -Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away--you may -do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected -by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg™ electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the -Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg™ License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no -representations concerning the copyright status of any work in any -country other than the United States. - -1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: - -1.E.1. The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work -on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the -phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you will have to check the laws of the country where - you are located before using this eBook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase “Project -Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg™. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg™ License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format -other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg™ website -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain -Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works -provided that: - -• You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation.” - -• You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ - works. - -• You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -• You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg™ works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of -the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set -forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right -of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ - -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org. - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state’s laws. - -The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, -Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up -to date contact information can be found at the Foundation’s website -and official page at www.gutenberg.org/contact. - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without -widespread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine-readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate. - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. - -Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic -works - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our website which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org. - -This website includes information about Project Gutenberg™, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/old/69160-0.zip b/old/69160-0.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 4d6d176..0000000 --- a/old/69160-0.zip +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h.zip b/old/69160-h.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 0314ca4..0000000 --- a/old/69160-h.zip +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/69160-h.htm b/old/69160-h/69160-h.htm deleted file mode 100644 index 169d915..0000000 --- a/old/69160-h/69160-h.htm +++ /dev/null @@ -1,9448 +0,0 @@ -<!DOCTYPE html> -<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> -<head> - <meta charset="UTF-8"> - <title> - Das Buch vom eisernen Kanzler | Project Gutenberg - </title> - <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> - <style> /* <![CDATA[ */ - -body { - margin-left: 10%; - margin-right: 10%; -} - - h1,h2 { - text-align: center; /* all headings centered */ - clear: both; -} - -p { - margin-top: .51em; - text-align: justify; - margin-bottom: .49em; - text-indent: 1em; -} - -.h2 { - text-align: center; - text-indent: 0; - font-size: x-large; - font-weight: bold; -} - -.p2 {margin-top: 2em;} - -hr { - width: 33%; - margin-top: 2em; - margin-bottom: 2em; - margin-left: 33.5%; - margin-right: 33.5%; - clear: both; -} - -hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;} -hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} -@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } - -div.chapter {page-break-before: always;} -h2.nobreak {page-break-before: avoid;} - -table { - margin-left: auto; - margin-right: auto; -} - -.tdr {text-align: right;} - -.pagenum { - position: absolute; - left: 92%; - font-size: smaller; - text-align: right; - font-style: normal; - font-weight: normal; - font-variant: normal; - text-indent: 0; -} /* page numbers */ - -.blockquot { - margin-left: 5%; - margin-right: 10%; -} - -.center { - text-align: center; - text-indent: 0; -} - -.left { - text-align: left; - text-indent: 0; - margin-left: 0; -} - -.mright { - text-align: right; - margin-right: 2em; -} - -.smaller {font-size: smaller;} - -.gesperrt { - font-style: italic; -} - -.antiqua { - font-family: sans-serif; - font-style: normal; -} - -.caption {font-size: 90%;} - -/* Images */ - -img { - max-width: 100%; - height: auto; -} -img.w100 {width: 100%;} - -.figcenter { - margin: 1ex auto 3ex auto; - text-align: center; - page-break-inside: avoid; - max-width: 100%; -} - -/* Footnotes */ -.footnotes {border: 1px dashed;} - -.footnote {margin-left: 10%; margin-right: 10%; font-size: 0.9em;} - -.footnote p {text-indent: 0;} - -.footnote .label { - position: absolute; - right: 84%; - text-align: right; - font-size: .8em; - vertical-align: top; -} - -.fnanchor { - vertical-align: top; - font-size: .6em; - text-decoration: none; -} - -/* Poetry */ -.poetry-container {text-align: center;} -.poetry {text-align: left; margin-left: 5%; margin-right: 5%;} -/* uncomment the next line for centered poetry in browsers */ -/* .poetry {display: inline-block;} */ -.poetry .stanza {margin: 1em auto;} -.poetry .verse {text-indent: -3em; padding-left: 3em;} -/* large inline blocks don't split well on paged devices */ -@media print { .poetry {display: block;} } -.x-ebookmaker .poetry {display: block;} - -/* Poetry indents */ -.poetry .indent0 {text-indent: -3em;} - -/* Transcriber's notes */ -.transnote {background-color: #E6E6FA; - color: black; - font-size:smaller; - padding:0.5em; - margin-bottom:5em; -} - -.transnote p { - text-indent: 0; -} - -.corr p { - margin-left: 2em; - text-indent: -1em; -} -.illowp60 {width: 60%; margin: auto 20%;} -.x-ebookmaker .illowp60 {width: 80%; margin: auto 10%;} - - /* ]]> */ </style> -</head> -<body> -<div lang='en' xml:lang='en'> -<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Das Buch vom eisernen Kanzler</span>, by Anton Ohorn</p> -<div style='display:block; margin:1em 0'> -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and -most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online -at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you -are not located in the United States, you will have to check the laws of the -country where you are located before using this eBook. -</div> -</div> - -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Das Buch vom eisernen Kanzler</span></p> -<p style='display:block; margin-left:2em; text-indent:0; margin-top:0; margin-bottom:1em;'><span lang='de' xml:lang='de'>Eine Erzählung für Deutschlands Jugend</span></p> -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Anton Ohorn</p> -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Illustrator: Max Wulff</p> -<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: October 15, 2022 [eBook #69160]<br>Last Updated: July 24, 2023</p> -<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p> - <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</p> -<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DAS BUCH VOM EISERNEN KANZLER</span> ***</div> - -<div class="transnote"> -<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt. -Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>. -Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p> - -<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich -am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p> -</div> - -<div class="figcenter illowp60" id="cover"> - <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="Cover"> -</div> - -<div class="figcenter illowp60" id="illu-001"> - <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt=""> - <div class="caption"> -<div class="left"> -<em class="antiqua">Eis. Kanzler I.</em> -</div> -<div>In Göttingen.</div></div> -</div> - -<div class="chapter"> - -<h1 class="center">Das Buch<br> -vom eisernen Kanzler</h1> - -<p class="center">Eine Erzählung für Deutschlands Jugend</p> - -<p class="center smaller">von</p> - -<p class="h2">Anton Ohorn</p> - -<p class="center">Mit Illustrationen in Farbendruck von <em class="gesperrt">Max Wulff</em></p> - -<div class="figcenter" id="illu-002"> - <img src="images/illu-002.jpg" alt="Dekoration"> -</div> - -<p class="center">Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H.<br> -Berlin W 66 -</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_3">[3]</span></p> -<h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt.</h2> -</div> - -<table> -<tr> -<td></td><td class="tdr">Seite</td> -</tr> -<tr> -<td>Erstes Kapitel. Sorglose Jugend</td> - <td class="tdr"><a href="#Erstes_Kapitel">5</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Zweites Kapitel. Berliner Lernjahre</td> - <td class="tdr"><a href="#Zweites_Kapitel">17</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Drittes Kapitel. <em class="antiqua">Gaudeamus igitur</em></td> - <td class="tdr"><a href="#Drittes_Kapitel">30</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Viertes Kapitel. Am eigenen Herde</td> - <td class="tdr"><a href="#Viertes_Kapitel">46</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Fünftes Kapitel. In gärender Zeit</td> - <td class="tdr"><a href="#Fuenftes_Kapitel">63</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Sechstes Kapitel. Der Bundestagsgesandte</td> - <td class="tdr"><a href="#Sechstes_Kapitel">80</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Siebentes Kapitel. An der Newa und der Seine</td> - <td class="tdr"><a href="#Siebentes_Kapitel">99</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Achtes Kapitel. Der bestgehaßte Mann</td> - <td class="tdr"><a href="#Achtes_Kapitel">117</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Neuntes Kapitel. Im böhmischen Feldzuge</td> - <td class="tdr"><a href="#Neuntes_Kapitel">131</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Zehntes Kapitel. Mit Blut und Eisen</td> - <td class="tdr"><a href="#Zehntes_Kapitel">146</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Elftes Kapitel. Des neuen Reiches Kanzler</td> - <td class="tdr"><a href="#Elftes_Kapitel">193</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Zwölftes Kapitel. In Ehren und Schmerzen</td> - <td class="tdr"><a href="#Zwoelftes_Kapitel">210</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Dreizehntes Kapitel. Im Abendrot</td> - <td class="tdr"><a href="#Dreizehntes_Kapitel">228</a></td> -</tr> -</table> - -<div class="figcenter" id="illu-004"> - <img src="images/illu-004.jpg" alt="Dekoration"> -</div> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_5">[5]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel"><img src="images/illu-006.jpg" alt="Dekoration"><br> -<span class="smaller">Erstes Kapitel.</span><br> -Sorglose Jugend.</h2> -</div> - -<p>Ein lachender Sommertag! Weiße Wölkchen schwimmen -langsam über den blauen Grund des Himmels und spiegeln sich -in dem glitzernden Teiche. Leise rauscht das Röhricht an dessen -Ufersaum, und in den Kronen der alten Bäume ringsumher im -Park flüstert es wie von Geschichten vergangener Tage. Und die -stattlichen Rüstern und Linden wissen wohl viel zu erzählen von -lustigen Festen und von ernster Zeit, zumal erst sechs bis sieben -Jahre entschwunden sind seit den glorreichen Befreiungskriegen und -der mutigen Erhebung des ganzen deutschen Volkes, die ihre -Wellen auch ins Pommernland und an die Mauern des freundlichen -Herrensitzes <em class="gesperrt">Kniephof</em>, der sich zurzeit im Besitze des -Herrn <em class="gesperrt">Ferdinand von Bismarck</em> befand, getragen -hatte.</p> - -<p>Heute ist Friede im Lande, und die alten Wunden fangen -langsam zu vernarben an.</p> - -<p>Zwischen den grünen Bäumen sieht das Schlößchen hervor, -schlicht, mit Holzfachwerk, aber traulich und behaglich. Aus dem -Eingang tritt ein Knabe, fünfjährig, schlank, mit blondem, leicht -gelocktem Haar, und schaut mit hellen, blauen Augen in die Welt.<span class="pagenum" id="Seite_6">[6]</span> -In dem frischen Gesichte ist Lebenslust und Tatendrang zu lesen. -Er sieht hinauf nach dem heiteren Himmel, hinüber nach den -grünen Bäumen des Parks, steckt die Hände in die Taschen und -steht nun breitbeinig da, offenbar in der Überlegung, woran er -im Augenblicke seine junge Kraft am besten erproben könne.</p> - -<p>Da kam ein Knecht.</p> - -<p>»Jochem, wohin?« rief der Kleine.</p> - -<p>»Der Fuchs muß ein neues Eisen haben!« sagte der Angeredete -in behaglichem Platt.</p> - -<p>»Da geh’ ich mit!« jauchzte das Bürschlein, offenbar erfreut -über den Fingerzeig des Schicksals, und nun trabte er lustig -neben dem Manne her nach dem Wirtschaftshofe und in den -Stall. Der Fuchs wurde herausgeholt. »Jochem, setz mich -drauf!« gebot der Kleine, und der Knecht hob ihn auf den breiten -Rücken des Tieres, über welchen die kurzen Beinchen des Reiters -kaum wegreichten. Daß der Mann das Pferd am Halfter führte, -duldete das Bürschchen nicht, er mußte es frei gehen lassen, und -der Kleine hielt sich an der Mähne und suchte nun durch Zuruf -den Ackergaul zu einem rascheren Tritt zu bringen, was ihm aber -nicht gelang.</p> - -<p>Beim Schmied hob ihn der Knecht wieder ab, und nun -stellte er sich so, daß er die glühende Esse und den Amboß sah. -Die jungen Augen blitzten vor Lust, wenn unter den Hammerschlägen -des Meisters die Funken sprühten, und am liebsten hätte -er selbst zu dem verrußten Werkzeug gegriffen und mitgeholfen, -denn er ahmte unwillkürlich die Bewegungen des Schmiedes nach. -Aber nicht lange hielt er aus, dann schlenderte er, die Hände in -den Taschen, weiter, hinaus ins Freie. Die Wiesen, reif zum -Gemähtwerden, standen voll saftigen Grases und im bunten -Blütenschmuck. An ihnen hinstreifend, pflückte er Blumen, und -dazu sang er ein Kinderlied.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[7]</span></p> - -<p>Die Zampel fließt durch das grüne Gelände; Erlen und -Weiden neigen sich schattend über das klare Wasser, und zwischen -ihnen ragen stattliche Ulmen. Dorthin lenkte der Knabe seine -Schritte, brach sich einen Zweig aus dem Gebüsch, streifte die -Blätter ab und köpfte nun die fetten, roten Disteln, die so protzig -über den Wiesengrund emporragten. Während dieser Beschäftigung -sah er einen Reiter auf einem Feldwege kommen. Hastig -lief er ihm entgegen und schrie schon von weitem jauchzend: -»Papa, Papa!«</p> - -<p>Der Angerufene hielt sein Pferd an. Es war ein stattlicher -Herr mit einem gutmütigen Gesicht, aus dem die Freude lachte -über den munteren, frischen Jungen.</p> - -<p>»Was machst denn du hier, <em class="gesperrt">Otto</em>?« fragte er.</p> - -<p>»O nichts, Papa, ich gehe spazieren und schlage dabei den -Disteln die dicken Köpfe herunter! Darf ich mit dir?«</p> - -<p>Der Reiter beugte sich herab und hob den kleinen Burschen -empor, welchen er vor sich hinsetzte, und der nun ohne weiteres -die Zügel nahm. Der Braune schien ähnliches gewohnt zu sein, -er schritt munter aus und langte bald bei dem Herrenhause an. -Ein Knecht nahm das Tier in Empfang und hob den Kleinen -aus dem Sattel, und dann ging dieser an der Hand des Vaters -in das Herrenhaus.</p> - -<p>»Nun, Otto,« sagte dieser, »nächste Woche kommt Bernd -(Bernhard) aus Berlin!«</p> - -<p>»Ach, das wird hübsch!« jauchzte der Bursche, »weiß das -Mama schon und Lotte Schmeling?«</p> - -<p>Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in das Haus -und in das Gemach, in welchem er seine Mutter vermutete. Eine -hochgewachsene, schöne Dame mit klaren, freundlichen Augen trat -ihm entgegen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_8">[8]</span></p> - -<p>»Wo steckst du denn, Otto, und so erhitzt?« sagte sie mit -gütigem Vorwurf und strich mit der weißen Hand über die feuchten, -zerzausten Locken ihres Lieblings.</p> - -<p>»Ach, ich komme mit Papa und bin auf dem Braunen geritten -– und nächste Woche kommt Bernd. Da wird’s lustig! -Er erzählt immer so hübsch von Berlin. Darf ich auch nach -Berlin, Mama?«</p> - -<p>»Ja, ja, mein Junge!«</p> - -<p>Er küßte die Hand der Mutter und war hinaus, noch ehe -der Vater eintrat. Er eilte nach der Küche, wo »Lotte Schmeling« -regierte.</p> - -<p>»Ach Lotte, gib mir zu essen, ich habe Hunger – und weißt -du – nächste Woche kommt Bernd!«</p> - -<p>Viel Zeit gönnte er sich zur Stillung seines Hungers nicht, -denn bald darauf war er wieder im Parke. Einen Teil seines -Frühstücks trug er noch in der Hand, und die kleinen Taschen -hatte ihm Lotte Schmeling vollgestopft mit Speiseresten, denn er -wollte die Karpfen füttern. Aber im Parke hielt ihn manches -auf. Wenn er einen Vogel locken hörte, blieb er stehen, weil er -wissen mußte, wen er vor sich habe; wo ihm ein Nestchen in den -Büschen bekannt war, sah er vorsichtig nach, ob noch alles in demselben -und um dasselbe in Ordnung sei; wo ein Eichkätzchen an -einem Stamme hinhuschte, mußte er seinen Weg verfolgen und -sich an seinem possierlichen Wesen ergötzen.</p> - -<p>Endlich stand er an dem Karpfenteiche und trat auf das -kleine Podium hinaus, um seine Gaben zu spenden. Schon nach -dem ersten Wurfe der kleinen Hand tauchten die silbergrau schimmernden -Rücken auf und kamen heran, und gierig schnappten die -großen, runden Mäuler. Otto jauchzte, wenn sie um einen besonders -großen Bissen sich drängten und balgten und ihn einander<span class="pagenum" id="Seite_9">[9]</span> -zu entreißen suchten, und er warf seine Gaben bald rechts, bald -links, um auch den minder Zudringlichen und weniger Starken -etwas zukommen zu lassen. Ganz im Hintergrunde, nach der -Mitte zu, waren einige kleinere Fische, die bei jedem Wurfe -schnappten, aber nicht herankommen konnten. Auch sie sollten ihr -Teil erhalten. Der Knabe füllte die ganze Hand dicht mit Brocken -und holte nun mit ganzer Kraft zum Wurfe aus. Dabei aber -hatte er sich wohl etwas zu weit vorgebeugt, er verlor das Gleichgewicht; -klatschend schlug er ins Wasser, so daß die Fische erschreckt -auseinanderstoben, und nun arbeitete und strampelte der -kleine Bursche mit Armen und Beinen in einer nicht ungefährlichen -Lage, denn der Teich war ziemlich tief. Er faßte nach dem -Schilfe und suchte sich daran festzuhalten, aber das schwanke Rohr -bot keine Stütze. Doch war es ihm geglückt, näher an das Podium -heranzukommen; mit aller Anstrengung und durch eine unbewußt -günstige Bewegung unterstützt, konnte er es ergreifen, beide -Hände faßten rasch und sicher zu – und gleich darauf hatte sich -der kleine Mann glücklich herausgearbeitet.</p> - -<p>Er sah ganz verdutzt zuerst nach dem Teiche und dann an -sich selbst hinab. Seine Beine waren schlammbedeckt, und Schilf -hing an den durchnäßten Kleidern. Er schüttelte sich einmal -kräftig, dann trabte er fort nach dem Herrenhause.</p> - -<p>Er wollte zu Lotte Schmeling, seiner Vertrauten, flüchten, -kam aber gerade der entsetzten Mama in den Weg.</p> - -<p>»Was ist passiert, Otto?« schrie sie erschrocken auf, als sie -den Kleinen sah, aus dessen Haaren das Naß niederrieselte auf -das triefende Gewand.</p> - -<p>»O nichts, Mama – ich bin nur, wie ich die Karpfen füttern -wollte, ein bißchen in den Teich gefallen. Es tut nichts – bloß -entsetzlich kalt ist’s!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[10]</span></p> - -<p>Die Zähnchen schlugen ihm jetzt im Frost zusammen, und -unter Beihilfe von Lotte Schmeling wurde er rasch zu Bette gebracht -und mußte heißen Tee trinken.</p> - -<p>Am Abend fühlte er sich wieder völlig munter. Der Vater -hatte bei ihm gesessen und mit ihm geplaudert: er hatte ihm gesagt, -daß er schwimmen lernen müsse, wie die Karpfen im Teiche, -und zwar, sobald er wieder aus dem Bette sein werde, und das -hatte ihm viel Vergnügen gemacht. Dann aß er sein gewohntes -Abendsüppchen, und endlich, beim Dunkelwerden, kam Mama -noch einmal.</p> - -<p>»Siehst du, Otto, wie gut es der liebe Gott meint mit kleinen, -dummen Jungen? Überall schickt er einen Engel mit ihnen, der -ihnen hilft, wenn sie in Not sind. Du wärst im Karpfenteich ertrunken, -wenn er nicht bei dir gewesen wäre und dich herübergezogen -hätte, so daß du das Podium fassen konntest. Dafür mußt -du dem lieben Gott heute auch ganz besonders danken!«</p> - -<p>So sagte die schöne, freundliche Frau, und der Knabe -faltete die Händchen und sprach sein Abendgebet mit besonderer -Herzlichkeit.</p> - -<p>»Amen!« sagte die Mutter bewegt, als er damit zu Ende -war, dann küßte sie ihren Liebling, deckte ihn sorgsam zu -und ging. –</p> - -<p>Der Unfall hatte für Otto keine weiteren unangenehmen -Folgen, und in gewohnter vergnüglicher Weise lebte er seine Tage -weiter. Als nach einiger Zeit Bernd (Bernhard), der um fünf -Jahre ältere Bruder, aus Berlin ankam, erzählte er ihm beinahe -mit einem gewissen Selbstgefühl sein Abenteuer, vergaß dabei -aber nicht, auch des Schutzengels Erwähnung zu tun.</p> - -<p><em class="gesperrt">Bernhard</em> war ein frischer, schlanker Junge, dem es besonderes -Vergnügen machte, nach dem Berliner Aufenthalte frei<span class="pagenum" id="Seite_11">[11]</span> -durch Feld und Wald zu schweifen, und Otto war sein beinahe -unzertrennlicher Begleiter. Die Erzählungen des Älteren von -der Haupt- und Residenzstadt Preußens und ihren Herrlichkeiten, -von den militärischen Schauspielen, von dem König und seinem -Hofe verfehlten nicht, die Phantasie des Jüngeren zu erregen und -in ihm eine Sehnsucht nach diesen Wunderdingen zu wecken. Dann -setzte Bernhard der Begierde des Bruders wohl einen kleinen -Dämpfer auf, indem er ihm erzählte, wie es in der Plamannschen -Anstalt, in welcher er untergebracht war, zuging.</p> - -<p>»Das ist nicht so wie bei Muttern. Und da kannst du nicht -den ganzen Tag im Parke herumschlendern und Karpfen füttern, -und kannst auch nicht, wenn dich hungert, zu Lotte Schmeling -laufen. Da heißt’s jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen. Dann -gibt’s Milch und Brot als Frühstück, und von sieben Uhr an -mußt du drei Stunden lang auf der Schulbank sitzen, dafür erhältst -du um zehn Uhr ein Salzbrot, das du im Sommer mit -einem Apfel oder einer Birne dir schmackhafter machen kannst, -und nach einer halben Stunde geht’s wieder in die Schulstube. -Mittags um zwölf Uhr wird gemeinsam in einem großen Saale -gegessen, und da fragt dich niemand, ob dir’s schmeckt oder nicht. -Wenn du dein Schüsselchen nicht ausessen kannst, mußt du mit -demselben so lange im Garten stehen, bis du es geleert hast. -Dann wieder von zwei bis vier Uhr Unterricht, zum Vesper ein -Salzbrot und nun nochmals bis sieben Uhr auf die Schulbänke. -Du, da ist man froh, wenn’s Abend geworden, und man sein -Warmbier oder Butterbrot erhält. Nur das Turnen und Fechten, -das ist hübsch! Ja, mein lieber Otto, auf Kniephof oder Schönhausen -ist’s schon schöner!«</p> - -<p>Der Kleine hat bei solchen Schilderungen die Hände in die -Taschen gesteckt, bleibt breitbeinig vor dem Bruder stehen und -sagt dann ruhig und beinahe überlegen:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[12]</span></p> - -<p>»Weißt du, Bernd, wenn <em class="gesperrt">du</em> es ausgehalten hast, kann -ich’s auch!«</p> - -<p>Kurze Zeit darauf gab der Vater Ottos, Herr <em class="gesperrt">Ferdinand -von Bismarck</em>, ein kleines Fest, wie es der an der Geselligkeit -sich freuende Mann ab und zu liebte. Offiziere aus dem nahen -Naugard und anderen Garnisonen hatten sich eingefunden, und -die Gastlichkeit des von Bismarckschen Hauses, in welchem an -des heiteren, lebensfrohen Gatten Seite eine ungemein liebenswürdige -und in jeder Weise feine und edle Hausfrau waltete, -kam in aller Herzlichkeit zur Geltung.</p> - -<p>Bei der Mittagstafel herrschte ein lebhafter, munterer Ton, -und der Wein löste die Zungen noch mehr. Bernhard und Otto -saßen an einem Seitentischchen, und der letztere besonders ließ -sich wenig von dem Gespräch entgehen, zumal dasselbe bald genug -auf ein Gebiet kam, das noch immer alle Gemüter lebhaft bewegte! -Die Zeit der Schmach und der Erhebung Preußens und Deutschlands. -Die Männer an dem Tische und in den Uniformen hatten -fast alle ihren Teil an jenen Tagen und jenen Begebenheiten, und -mancher wies ein blinkendes Ehrenzeichen, mancher auch eine -ehrenvolle Wundennarbe auf.</p> - -<p>»Sie haben die Befreiungskriege nicht mitgemacht, Herr von -Bismarck?« fragte einer der jüngeren Offiziere.</p> - -<p>»Im eigentlichen Sinne, als Streiter des Heeres, nicht. Ich -habe den Soldatenrock schon früh ablegen müssen, der Familienverhältnisse -halber. O, ich bin sehr jung schon Soldat gewesen, -habe als Knabe schon im Rathenower Leibkarabinierregiment -gedient und stramm meinen Dienst geübt. Jeden Morgen Schlag -4 Uhr war ich da und habe den Reitern den Hafer zumessen lassen. -Bei Kaiserslautern hab’ ich unter dem Herzog von Braunschweig -mitgefochten, aber es war keine Ehre zu holen. Darum hab’ ich -als Rittmeister meinen Abschied genommen.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[13]</span></p> - -<p>»Haben Sie auf Ihrem Gute viel von den Franzosen zu -leiden gehabt?« fragte einer der Gäste.</p> - -<p>»Wir sind damals, als Preußen zusammenbrach, nicht auf -Kniephof, sondern auf Schönhausen gewesen. 1815 am 1. April -ist uns der kleine Schlingel, der Otto, geboren worden – mit -dem wir hoffentlich nicht in den April geschickt werden, – aber -es war eine trübe Zeit gewesen für das Vaterland. Ob wir -sie mitempfunden haben, meine Herren? – Na, Minchen« – er -wandte sich zu seiner Frau – »ich denke, wir vergessen’s all -unsere Lebenstage nicht! Zwei Tage nach der Unglücksschlacht -von Jena und Auerstädt, an einem rauhen Oktobertage des Jahres -1806, kam die liebe, gute Königin Luise, flüchtig und geängstigt, -und blieb im Schlosse Tangermünde, Schönhausen gegenüber am -linken Elbufer, über Nacht, dann floh sie weiter gegen Ostpreußen, -und hinter ihr drein zogen die französischen Scharen und die -preußische Schande. – Wenige Tage später saß im Tangermünder -Schlosse der Marschall Soult, und seine zügellosen Banden tauchten -in der ganzen Gegend auf. Damals habe ich mein bißchen -Barvermögen in Gold im Parke vergraben und flüchtete mit -meiner Frau unter Mühen und Gefahren bis nach dem »Trüben«, -einer sumpfigen, umbüschten Niederung an der Elbe, wohin die -Schönhauser sich zurückgezogen hatten. Der Aufenthalt in der -langen, kalten Oktobernacht in dem feuchten Sumpfloche war -fürchterlich, zumal wir jeden Augenblick davor bangten, daß über -unserem Besitztum der rote Flammenschein auflodern würde. Endlich, -nach entsetzlich langen Stunden, graute der Morgen. Einige -schlichen nach Schönhausen und brachten die Kunde, der Feind sei -fort, und so zogen wir heimwärts. Aber wie hatten diese Teufelsfranzosen -gewirtschaftet! Verwüstung und Elend überall in den -Kätnerhütten wie im Herrenhause. Im Schlosse war alles -durcheinandergeworfen, vieles zertrümmert; den Stammbaum der<span class="pagenum" id="Seite_14">[14]</span> -Bismarck, der im Bibliothekzimmer hing, hatten sie mit Säbeln -zerhauen und zerstochen, daß die Fetzen davonhingen – na, ich -denke, dem Stamme selber soll das nicht geschadet haben.</p> - -<p>Als ich nach meinem Gelde im Garten ging, fand ich die -Erde aufgewühlt … aber ich sah auch bald die Goldstücke -blinken. Der Feind hatte sie nicht gefunden, und die Erdarbeit -mochte das Werk eines spürenden Hundes gewesen sein. Später -habe ich, um mich und meine Bauern zu bewahren, mir von -Soult eine Schutzwache erbeten, aber meine Frau habe ich doch -größerer Sicherheit wegen nach Rathenow gebracht. Ach Gott, -aber die allgemeine Not war doch noch schlimmer als die des -einzelnen, und als unser liebes Preußen zerrissen wurde, da -grenzte Schönhausen hart an das neue Königreich Westfalen, es -fehlte nicht viel, so hätten wir Jerôme als König bekommen.«</p> - -<p>Der brave Rittmeister nahm einen kräftigen Schluck, wie um -die schlimmen Erinnerungen damit fortzuschwemmen. Einer der -Offiziere aber fragte: »Und wie war’s in den Befreiungskriegen? -Sie hatten ja auch in der Altmark Ihren Landsturm?«</p> - -<p>»Und ob wir einen solchen hatten! Und er hat redlich die -Heimat vor Franzosen und Russen behütet. Ich darf’s wohl -ohne Ruhmredigkeit sagen, daß ich treulich das meine dabei getan -habe. Und wir hatten an der Elbe gute Helfer gehabt in -den braven Lützowern, die im Mai 1813 nach Schönhausen -kamen und mit uns die Übergänge über den deutschen Strom -bewachten. Das bleibt mir eine unvergeßliche Erinnerung, jener -Gottesdienst in unserer einfachen, alten Dorfkirche, bei welchem -die neueingetretenen freiwilligen schwarzen Jäger eingesegnet wurden. -Es war rührend, wie Männer mit ergrauten Haaren neben -frischen Jünglingen sich um den braven Major von Lützow scharten, -und ich habe damals mit Tränen in den Augen manchen -Wackeren gesehen, den ich nicht vergesse. Da war der junge Theodor<span class="pagenum" id="Seite_15">[15]</span> -Körner, der Freiheitsdichter, mit seinen dunklen Feueraugen, der -dann bei Gadebusch gefallen ist, der Turner Ludwig Jahn mit -seinem Löwenkopfe, und sie sangen ein Lied ihres jungen Kampfgenossen -und leisteten einen heiligen Eidschwur fürs Vaterland, -und unser Prediger Petri hat ihnen den Segen gegeben, und der -Segen hat geholfen!«</p> - -<p>»Ja, er hat auch mitgeholfen,« sagte jetzt der Major von -Schmerling, dessen Brust mit dem Eisernen Kreuz geschmückt war, -und der noch immer den einen Arm in der Binde trug. »Wir -haben’s den Franzosen tüchtig heimbezahlt bei Großgörschen und -Großbeeren, bei Dennewitz und an der Katzbach und zuletzt in -der Leipziger Schlacht. Und jeder, der dabei gewesen ist, darf -mit Stolz davon erzählen. Am 16. Oktober haben wir um -Wachau und Güldengossa gestritten und den Reitersturm des -Königs Murat zurückgeschlagen, am 17. verübte der alte Marschall -Vorwärts seinen glücklichen Reiterstreich bei Möckern, wo Ihr -Bruder, lieber Bismarck, der brave Major Leopold von Bismarck, -den Heldentod starb, und am 18., Kinder, da war der große -Entscheidungstag. Das war ein Geschützdonner, wie ich ihn all -mein Lebtag nicht gehört habe; in Probstheide schlugen die Kanonenkugeln -von allen Seiten ein, als ob irgendwo von oben her ein -Apfelbaum geschüttelt würde. 1500 Geschütze spien ihr Verderben -gegeneinander, aber Gott war mit uns, und in der Völkerschlacht -haben wir den Mann des Jahrhunderts überwunden.«</p> - -<p>Mit leuchtenden Augen und vorgebeugt hatte Otto nach dem -Sprecher hingesehen, und kein Wort verloren, welches aus seinem -Munde ging. Als der Major jetzt innehielt und das Glas ansetzte, -sprang der kleine Bursche auf und trat dicht vor ihn hin. -Mit dem vorgestreckten Zeigefinger deutete er auf das Eiserne -Kreuz an seiner Brust und fragte mit vollem Ernste:</p> - -<p>»Ist Er auch von einer Kanonenkugel geschossen worden?«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_16">[16]</span></p> - -<p>Die naive Frage des Knaben löste die ernste Stimmung, -welche in dem Kreise eingetreten war, alle lachten, der Major aber -zog den Kleinen zu sich heran und sagte:</p> - -<p>»Nein, mein Schelm, dann säße ich heute wohl nicht mehr -hier. Na, wie ist’s – du willst wohl auch einmal Soldat werden?«</p> - -<p>Die Frau des Hauses nahm das Wort:</p> - -<p>»Ich glaube, Otto wird einmal Diplomat, Staatsmann, und -Bernhard Landrat!«</p> - -<p>Wieder lachten die fröhlichen Gäste, aber Herr von Bismarck -sagte:</p> - -<p>»Ja, meine Frau schlägt nicht aus der Art: Da sehen Sie -die Diplomatentochter, die sich einmal in den Kopf gesetzt hat, -daß etwas vom Geiste ihres ausgezeichneten Vaters, des wackeren -Geheimen Kabinettsrats <em class="gesperrt">Menken</em>, auf unseren Jungen übergegangen -ist. Na, wie Gott will – er wird es schon richten!«</p> - -<p>Heiter ging der Tag zu Ende, der für Otto manche Erregung -und Bewegung gebracht hatte. Am Abend kam er zu der Mutter, -um ihr »Gute Nacht« zu sagen.</p> - -<p>»Otto, hast du denn auch ordentlich dein Süppchen gegessen?«</p> - -<p>Der Knabe stand einen Augenblick verdutzt bei dieser Frage, -und anstatt eine Antwort zu geben, stürmte er hinaus nach der -Küche zu Lotte Schmeling.</p> - -<p>»Höre, Lotte, habe ich eigentlich schon mein Süppchen gegessen?« -fragte er hastig.</p> - -<p>»Freilich und hat sehr gut geschmeckt, denn es war schnell -genug verschwunden.«</p> - -<p>Wie der Wind sauste der kleine Mann davon und kam zu der -erstaunten Mama zurück, um dieser nun erst, nachdem er selbst sich -authentische Sicherheit verschafft, eine wahrheitsgetreue Antwort -auf ihre Frage zu geben. Und jetzt ging er mit gutem Gewissen -zur Ruhe.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_17">[17]</span></p> - -<p>Herr und Frau Bismarck saßen noch ein Weilchen beisammen, -und letztere war es, die das Gespräch auf die Kinder, besonders -auf Otto, brachte.</p> - -<p>»Es nützt nichts, er muß aus dem Hause. Hier wird er verzogen, -von mir, von dir, von Lotte und von allen. Und am -besten ist’s, er kommt zu Plamann, wo er an Bernd eine Stütze -hat, daß ihm das Heimweh nicht zu schwer wird. Ich halte -dafür, eine rationelle Erziehung nach festen pädagogischen Grundsätzen -kann nicht zeitig genug anfangen.«</p> - -<p>Herr von Bismarck wollte einige Einwendungen machen, -aber er kam gegen die Grundsätze seiner geistvollen, von einem vortrefflichen -Vater geschulten Frau nicht auf; seufzend gab er nach, -und so ward bestimmt, daß Otto nächste Ostern nach Berlin kommen -sollte.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="Zweites_Kapitel"><span class="smaller">Zweites Kapitel.</span><br> -Berliner Lernjahre.</h2> -</div> - -<p>An einem Frühlingstage des Jahres 1821 hielt vor dem -Hause Wilhelmstraße 139 in Berlin ein Wagen, mit zwei kräftigen -Braunen davor und mit dem Bismarckschen Wappen auf dem -Schlage. Der alte Kutscher stieg langsam ab und strängte das Handpferd -aus, dann hob er aus dem Gefährte einen hübschen, schlanken, -sechsjährigen Knaben und trug ihn beinahe zärtlich auf seinen -Armen in das Haus.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[18]</span></p> - -<p>Das war die Erziehungsanstalt des Professors <em class="gesperrt">Plamann</em>, -ein im Geiste des großen Pädagogen Pestalozzi gegründetes und -geleitetes Institut, das sich trefflicher Lehrer erfreute, wie unter -anderen des Begründers des deutschen Turnwesens, Ludwig Jahn.</p> - -<p>Als der alte Kutscher mit seinem weiten Mantel in den -Mittelflur des Hauses trat, tauchten sogleich überall jugendliche -Gestalten auf, die ihn umringten und nach seiner lebendigen Last -blickten. <em class="gesperrt">Otto von Bismarck</em>, – denn er war es, der auf -solche Weise seinen Einzug bei Plamann hielt, – sah mit eiserner -Ruhe und fester Sicherheit auf die Gesichter unter ihm nieder, -und konnte es wohl auch noch hören, wie es hinter ihm herklang:</p> - -<p>»Wieder ein kleiner Junker! – Ein Muttersöhnchen! – -Wollen ihn schon rankriegen!«</p> - -<p>Dann nahm ihn der Direktor in Empfang, auch dessen Frau -und Nichte, und begrüßten ihn mit freundlichem Ernst als neuen -Hausgenossen; Bernd bewillkommnete gleichfalls den Bruder, ohne -die übliche Tagesordnung zu unterbrechen. Um die nächste Mittagszeit -hatte Otto schon seinen Platz an einem Tische im großen -Saale, wo Lehrer und Schüler gemeinsam speisten, und mühte -sich, sein Gericht, das freilich nicht wie daheim schmeckte, zu bewältigen, -um nicht mit seinem Teller auf die Terrasse hinausgestellt -zu werden, wo einige, denen das Mahl nicht behagte, sich -langsam mit demselben abquälten.</p> - -<p>Dem kleinen Neuling blieben manche Neckereien und Hänseleien -nicht erspart, und auch sein Bruder konnte ihn nicht ganz -davor schützen. Aber des Rates Bernhards, sich nichts gefallen -zu lassen, hätte es bei Otto nicht bedurft. Der kleine Mann -hatte Selbstgefühl genug, um sich nichts bieten zu lassen, was ihm -unwürdig erschienen war, und wie er schon den herkömmlichen -»Einweihungsgebräuchen« einen sehr energischen Widerstand entgegengesetzt -hatte, so zeigte er auch, daß er das in der Anstalt<span class="pagenum" id="Seite_19">[19]</span> -beliebte Abhärtungssystem und die damit zusammenhängenden -körperlichen Unannehmlichkeiten mit festem Gleichmut ertrug.</p> - -<p>Gerade das aber reizte manchen seiner Genossen; man sah -dies ruhige, feste Wesen für junkerlichen Übermut an, und man -hatte sich vorgenommen, ihn bei Gelegenheit tüchtig zu »ducken«.</p> - -<p>An einem der ersten warmen Tage war es, als die Zöglinge -zum Baden geführt wurden nach dem sogenannten »Schafgraben«, -einem nicht gerade sehr breiten, aber ziemlich tiefen -Wasser. Auch bei solchen Gelegenheiten wurden die Neulinge -nicht besonders glimpflich behandelt. Wer irgend Furcht zeigte, -wurde von dem Lehrer kopfüber in das Wasser geworfen, und -nun von seinen Genossen mit Tauchen und Anspritzen weidlich -bearbeitet. Auf diese Prozedur hatte man sich bei dem »hochnäsigen -Junkerchen« schon lange gefreut.</p> - -<p>Die Schar hielt am Schafgraben. Rasch waren die Burschen -entkleidet und sahen nun nach Otto, auf dessen »Wasserscheu« -sie sich bereits freuten. Der aber hatte seit seinem Bade -im Karpfenteiche das Schwimmen ganz wacker betrieben. Er trat -jetzt an den Rand des Grabens, mit einem entschlossenen Sprung -war er im Wasser, welches über ihm zusammenschlug, und dann -war er verschwunden. Die Wellen kräuselten sich leicht über der -Flut, man spähte, ob nicht der Knabenkopf emportauchen würde, -und es begann eine beinahe unheimliche Spannung und Erregung.</p> - -<p>Da kam der Schwimmer, welcher so lange unter Wasser -ausgehalten, am anderen Ufer in die Höhe und schüttelte sich -lachend, den übrigen aber entschlüpfte ein Ah der Überraschung. -Mit dem kleinen Junker von Bismarck war nichts anzufangen, -– das war jetzt den Vernünftigeren klar, und besser schien es -darum, mit ihm gut Freund zu sein.</p> - -<p>Und immer mehr brachte er in diesem Kreise sich zur Geltung. -Im Turnen und Fechten tat er es den anderen ebenso<span class="pagenum" id="Seite_20">[20]</span> -zuvor, wie in manchem Wissenszweige, der, wie Geschichte und -Geographie, ihm besonders behagte, und in die stramme Hausordnung -fügte er sich prächtig ein.</p> - -<p>Nur manchmal, wenn ein besonders schöner Tag die Knaben -hinausbrachte ins Freie, nach der Hasenheide, wenn er grüne -Bäume, wogende Felder und fleißige Knechte darauf sah, wenn -die Lerchen neben ihm aufstiegen gegen den blauen Himmel, da -überkam ihn eine Sehnsucht nach dem stillen Kniephof oder dem -freundlichen Schönhausen, und manchmal lief ihm wohl auch -eine Träne über die Wangen, die er nicht mehr zurückdrängen -konnte.</p> - -<p>Aber er überwand diese Empfindungen, denn er wollte ein -starker, fester, tapferer Mann werden, wie er solche in der Geschichte -kennen lernte. Und die Geschichte war sein Steckenpferd. -Die alte Griechensage vom Kampf um Troja hatte es ihm besonders -angetan, und die leuchtenden Heldengestalten, die um -das hochgetürmte Ilion stritten, lebten in seiner Phantasie.</p> - -<p>Im Plamannschen Garten, weit hinten, stand eine stattliche -alte Linde. Auf einem Aste derselben saß er eines schönen Nachmittags, -andere Genossen waren gleichfalls heraufgeklettert und -wiegten sich auf den Zweigen um ihn her, und wieder andere -lagen im Grase. Heute war ein freier Tag, – da wollten die -jungen Gemüter ein besonderes Vergnügen haben. Otto von Bismarck -aber las begeistert und mit weit vernehmlicher Stimme -von dem Kampfe um die Mauer, welche das Lager der Griechen -schützen sollte, wo der helmbuschumflatterte Hektor gleich einem -Löwen die Seinen anfeuerte und mit Polydamas und Äneas, -mit Glaukos und Sarpedon dem furchtbaren Andrang der Argiver -wehrte. Immer heißer wogte der männermordende Streit, bis -der furchtbare Ajax eingriff.</p> - -<p>Und Otto las mit heißen Wangen und glühenden Augen,<span class="pagenum" id="Seite_21">[21]</span> -während die anderen beinahe den Atem anhielten vor Erregung:</p> - -<p>»Ajax aber brach einen scharfgezackten Marmorstein zuoberst -aus der Brustwehr und zerknirschte damit dem Epikles, einem -Freunde des Sarpedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher -von dem Turme herabschoß. Sarpedon aber klomm aufwärts, -durchstach den Alkmaon, den Sohn Thestors, mit der Lanze, faßte -dann mit aller Gewalt die Brustwehr, daß sie von seinem Stoß -zusammenstürzte; doch Ajax und Teuker begegneten dem Stürmenden. -Ajax durchstach ihm den Schild; die Lanze durchdrang ihn -schmetternd, und einen Augenblick zuckte Sarpedon von der Brustwehr -hinweg. Doch ermannte er sich und feuerte seine Lykier an, -die rascher emporstürmten; aber auch die Danaer verdoppelten -ihren Widerstand. Über die Brustwehr hieben sie wild aufeinander -los, und rechts und links von den Trümmern rieselte das Blut -hinab.« Otto ließ das Buch fallen, seine Wangen glühten höher.</p> - -<p>»Jungens – das müssen wir spielen!« rief er, und allgemeines -Beifallsgeschrei folgte. Im Nu waren die Knaben unten -von den Ästen, und die Parteien teilten sich und wählten ihre -Führer. Der junge Bismarck war Ajax, der Telamonier.</p> - -<p>Im Garten war eine Terrasse, das war die Mauer, und um -dieselbe begann nun der Kampf, hitzig, wie um das umstürmte -Ilion selber, und die Griechen blieben Sieger.</p> - -<p>Das Kriegsspiel ward nun zur wahren Leidenschaft, und Otto -erfaßte die Sache mit solchem Ernst, daß er bis ins kleine hinein -die Schlachtpläne entwarf und über die Wechselfälle des Kampfes -besonders Buch führte. So ging’s bis in den Winter hinein, -und dieser erhöhte noch den Reiz der Sache. Die Natur selbst -lieferte verschwenderisch das Geschützmaterial, und um die Terrasse -wurde, auch unter Beteiligung der Lehrer selbst, in den Freipausen -im heftigen Schneeballgefecht gestritten.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[22]</span></p> - -<p>Auch dabei war der junge Bismarck der berufene Anführer -der einen Schar. So war’s auch an einem prächtigen frischen -Wintertage. Die Terrasse hielten die Gegner besetzt und empfingen -mit den reich aufgestapelten Geschossen die Anstürmenden. Aber -Otto zeigte sich wie ein rechter Feldherr voll Umsicht und persönlicher -Tapferkeit. Während er von der einen Seite durch ein -heftiges Bombardement den Feind täuschte und seine volle Aufmerksamkeit -anzog, brach er auf einer anderen mit einer Handvoll -auserwählter Genossen zum Sturme vor und erreichte trotz der -heißen Gegenwehr der Überraschten die Terrasse, wo er nun mit -den Seinen festen Fuß faßte, wo es aber auch zu einem äußerst -erbitterten Handgemenge kam. Für ein Spiel ging es schon beinahe -zu weit. Die erhitzten und erregten Parteien schlugen unbarmherzig -aufeinander los, und die jungen Helden hatten sich -ineinander verbissen, als ob es wirklich für die Ehre des Vaterlandes -geschähe.</p> - -<p>Das Glockenzeichen rief zum Beginn des Unterrichts. Vergebens. -Die Zurufe der Lehrer und ihr persönliches Eingreifen -vermochten den Kampf nicht zu beenden, da riß Ajax-Bismarck -den Schultornister von seiner Schulter, den er wie ein echter -Soldat beim Sturme getragen hatte, und wo der Knäuel der -Streiter am dichtesten war, schleuderte er das Geschoß mit solcher -Wucht hinein, daß die Kämpfenden auseinanderfuhren und außerdem -auch seinem gebieterischen Zuruf gehorchten. Nun konnte -es wieder an den Unterricht gehen.</p> - -<p>Als derselbe beendet war, wanderte Otto nach der Behrenstraße -Nr. 53. Seine Eltern waren in Berlin eingetroffen, um -in ihrer Stadtwohnung den Sommer zuzubringen und gesellschaftliche -Beziehungen zu pflegen.</p> - -<p>Der Vater freute sich an dem frischen kleinen Burschen, die -Mutter fand ihren Liebling ein wenig wild, Otto selbst aber<span class="pagenum" id="Seite_23">[23]</span> -hatte nicht viel Behagen in der Behrenstraße. Da war alles -so vornehm und steif und still, und auch der Papa seufzte manchmal -ein wenig.</p> - -<p>»Ja, mein Junge, – mir geht’s wie dir,« sagte er einmal, -– »in Kniephof und auf Schönhausen ist’s hübscher; na warte -nur bis zum Sommer! Wenn du in die Ferien kommst, dann -sollst du ein kleines Pferd haben, und wir reiten zusammen, und -auch eine Flinte, und dann soll’s lustig durch Feld und Wald -gehen!« – –</p> - -<p>So gingen die nächsten Jahre hin, und der Plamannsche -Schüler nahm zu an körperlicher Kraft, an Wuchs und Gewandtheit, -aber auch an geistigem Besitz, und nach der strengen Ordnung -der Schulzeit schmeckte die herrliche Freiheit in den heimischen -Gärten und Wäldern doppelt gut, und die alten Bäume im -Kniephofer Park schienen dem frischen Junker nur um so hübschere -Sachen zuzuraunen.</p> - -<p>Als er im Sommer 1827 heimkehrte, hielt ihm zu seiner -ganz besonderen Freude die Mutter ein neugeborenes Schwesterchen, -das am 29. Juni angekommen war, entgegen, und die kleine -<em class="gesperrt">Malwine</em> wuchs ihm sehr schnell ans Herz, und wenn er später -wieder heimkam, freute er sich auf sie am meisten.</p> - -<p>Er besuchte seit demselben Jahre (1827) das Berliner -Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, gemeinsam mit seinem Bruder, -und sie wohnten jetzt beide in der Behrenstraße. Ein Genfer, -Monsieur Gallot, hatte sie anfangs zu beaufsichtigen, und er redete -mit ihnen nur französisch. Daß aber auch das Deutsche nicht zu -kurz kam, dafür sorgte die brave Köchin Trine Neumann aus -Schönhausen. Sie liebte ihre beiden Junker und suchte ihnen -diese Liebe auch zu beweisen, dadurch, daß sie ihnen möglichst oft -ihre Lieblingsspeise, Eierkuchen, bereitete, wobei sie manchmal -ihren kleinen Ärger hatte, wenn ihre Pflegebefohlenen zu spät<span class="pagenum" id="Seite_24">[24]</span> -heimkamen und »die Kauken afbackt« waren. Dann konnte sie -wohl in ihrem Unmute sich zu den Worten hinreißen lassen:</p> - -<p>»Na Jungens, ut juch wat in’n Leben nix Vernünftigs, – -dei Kauken sünd all wedder afbackt!«</p> - -<p>Im gewohnten Gleichmaß gingen die Tage, nur die Persönlichkeiten -um Otto von Bismarck her wechselten. An Stelle -Monsieur Gallots traten der Kammergerichtsreferendar Hagens -und Philologe Winkelmann, Bruder Bernhard hatte das Gymnasium -absolviert und die Uniform angezogen, Trine Neumann -war in die Heimat zurückgekehrt, und Otto war an das Gymnasium -zum Grauen Kloster und in Pension zu Professor Prevost gekommen, -nachdem er Ostern (31. März) 1830 in der Dreifaltigkeitskirche -von dem ausgezeichneten Theologen <em class="gesperrt">Schleiermacher</em> -konfirmiert worden war mit dem Weihespruche: »Was du tust, das -tue Gott und nicht den Menschen!«</p> - -<p>Unter seinen Lehrern hatte es Professor <em class="gesperrt">Bonnell</em> ihm -am meisten angetan, und Lehrer und Schüler schlossen sich gegenseitig -ins Herz. So kam es, daß Otto in das Haus dieses Mannes -übersiedelte und hier in einer freundlichen Giebelstube hauste. Da -hinauf trug er die stattlichen Bände einer Weltgeschichte, die er -aus der Bibliothek des Professors entlehnte, und abends saß er, -zumal im Winter, allein bei der Frau Professor und plauderte -ihr vor von den Herrlichkeiten auf Kniephof und von seiner lieben -kleinen »Maldewine«.</p> - -<p>Vor den Fenstern sang dann wieder der Frühlingswind und -erweckte die Sehnsucht hinaus ins Freie und in die jugendgrünende -Heimat. Die alte gelbe Postkutsche fuhr in der Straße vorüber, -und der Postillon blies sein Lied, so daß der junge Gymnasiast -in stiller Wehmut horchte und Semmlers Weltgeschichte eine -Weile beiseite schob. Mit dem Herannahen des Sommers aber -kam (1831) auch ein unbehaglicher Gast nach Deutschland – die<span class="pagenum" id="Seite_25">[25]</span> -Cholera. Die Eltern in Kniephof waren in Sorge, und eines -Tages kam ein Brief von Herrn von Bismarck: Otto solle, sobald -auch nur <em class="gesperrt">eine</em> Erkrankung in Berlin vorkäme, sogleich nach -Hause kommen. Da gab es außer ihm wohl keinen Menschen in -der preußischen Hauptstadt, welcher die Cholera so herbeigesehnt -hätte, aber sie schien ihm zum Trotz nicht kommen zu wollen.</p> - -<p>In der Nähe von Berlin sollte sie bereits sein, und davon -wollte er sich wenigstens überzeugen. In einem Reitstall mietete -er sich ein Pferd, einen feurigen, dunkelbraunen Wallach, und -auf »Nerestan« jagte er jetzt beinahe täglich auf der Straße nach -Friedrichsfelde hinaus – »der Cholera entgegen«.</p> - -<p>Da kam er eines Tages an der Neuen Wache vorüber. Eben -zogen die Soldaten auf unter Trommelschlag und den üblichen -Gebräuchen, an einer Ansammlung Neugieriger fehlte es dabei -nicht. Und diese Bewegung und der Lärm machten, daß der -Wallach plötzlich scheute, einen Seitensprung tat und infolge -Ausgleitens niederschlug, wobei der junge Reiter zu argem Schaden -kam. Er konnte sich nicht erheben, fremde Leute mußten behilflich -sein, ihn in einen Wagen zu bringen, und mit zerquetschtem Fuße -trug man ihn hinauf zu Frau Professor Bonnell, die nicht wenig -erschrocken war.</p> - -<p>Da lag er nun wochenlang, und die Sonne lachte durch -die Fenster und lockte, und das Posthorn klang rufend durch die -Gasse, ja, selbst die ersehnte Cholera war angekommen, aber er -mußte – nicht allzu geduldig – warten, bis die Ärzte ihm -gestatteten, Berlin zu verlassen. Da saß er nun endlich eines -Morgens hoch oben auf dem Bock neben dem »Schwager«, und -hinaus ging’s im langsamen Trott durch die heißen Straßen der -Residenz, hinein in die lachende Gotteswelt. Es war kein behagliches -Reisen und ging just auch nicht schnell – denn bis nach -Stettin brauchte man länger als zwei Tage – aber es bot doch<span class="pagenum" id="Seite_26">[26]</span> -wechselnde Bilder, und der Postillon tat, wenn er in ein Städtchen -oder in ein Dorf einfuhr, sein Bestes auf seinem Horne.</p> - -<p>Am dritten Tage sah er den alten, lieben Kniephof wieder -und umarmte die Eltern und küßte sein Schwesterchen, und dann -brach die ganze Lust und Frische, die in den letzten Wochen zurückgedämmt -war, wieder durch. Trotz des jüngsten Unfalls jagte -er hoch zu Roß durch Wald und Flur, aber er ergötzte sich auch -mit stillem Behagen an den lauschigen Plätzen seiner Kinderjahre -unter den rauschenden Bäumen des Parkes.</p> - -<p>Wie vielfach im Sommer, so nahm auch diesmal die Familie -Bismarck einen kurzen Aufenthalt in Schönhausen, das der wackere -Inspektor Bellin verwaltete. Es liegt in der Altmark, am rechten -Elbufer, da, wo die Havel hereinkommt. Ringsum das märkische -Flachland mit Feldern und Wiesen und mageren Kiefernwäldchen -dazwischen hatte wenig landschaftliche Reize, aber im Dorfe selbst -liegen zwei Herrengüter, und ihre Parke beleben mit dichtem -Grün die Szenerie. Das Bismarcksche Herrenhaus ist einfach -gebaut; über dem schlichten Portal ist das Kleeblattwappen der -Familie, daneben ein anderes – eine Katze mit der Maus – -und darunter stehen nebst der Jahreszahl 1707 die Namen: -August von Bismarck und Dorothea Sophie Katten.</p> - -<p>Hier war Otto geboren, und darum hatte Schönhausen seinen -besonderen Reiz für ihn, wenngleich der Park hier kleiner war -als in Kniephof. Fröhlich durchschweifte er ihn bei seiner Ankunft; -er schreitet durch die Allee von alten, breitästigen Linden, -dann hinein zwischen wuchernden Weißbuchenhecken nach dem kleinen -Teiche, und nun auf der hölzernen Brücke über den Graben -hinaus ins Freie. Da lugt ein steinernes Bild herüber, eine alte, -mythologische, nackte Figur, die wenig respektvoll dem Junker ihre -Kehrseite zuwendet. Er wirft einen Blick hinüber und schreitet -weiter mit der Flinte auf dem Rücken, hinaus ins Feld. Aber<span class="pagenum" id="Seite_27">[27]</span> -es will sich keine Beute finden. Hoch über ihm zieht mit höhnischem -Lachen ein Falke seine Kreise, einige Raben kreischen auf den -Feldern, aber jagdbares Getier ist nicht zu sehen.</p> - -<p>Unmutig im heißen Sonnenbrand schlendert er um Mittag -heimwärts. Er schreitet wieder über das Holzbrückchen und sieht -abermals den wenig höflichen und anständigen Herkules; die -Sonne beleuchtete ihn auffällig hell, wie er so dastand und beinahe -höhnisch die eine Hand rückwärts unterhalb des Rückens legte.</p> - -<p>Otto hatte eine Schrotladung in seiner Flinte; heimbringen -wollte er sie nicht wieder, und, einer raschen Laune folgend, riß -er die Waffe von der Schulter, legte an, und der Schuß krachte. -Von dem Herkules splitterte es, und der Leib zeigte eine bedeutend -hellere Stelle in der Nähe der Hand, der junge Schütze aber -ging, wie im Bewußtsein einer guten Tat, heimwärts. Am -anderen Tage kam er mit seinem Vater an derselben Stelle vorüber, -und Herr von Bismarck sah den Herkules an, was mit ihm -geschehen war.</p> - -<p>»Das hast du wohl verübt, Otto?«</p> - -<p>»Ja, Papa,« antwortete der Gefragte, »aber ich habe nicht -gemeint, daß er’s spüren wird; er hat jedoch gleich mit der Hand -nach hinten gefaßt.«</p> - -<p>Der Rittmeister lächelte halb abgewandt, und damit war die -Sache abgetan.</p> - -<p>Im Herbste ging es wieder nach Berlin und ins Gymnasium. -Es kam die Zeit, in welcher Otto sich auf sein Abiturientenexamen -vorzubereiten hatte, und er arbeitete mit Eifer und Lust. -Ab und zu besuchte er auch Bruder Bernhard, welcher als Offizier -in Berlin diente und in der elterlichen Wohnung in der Behrenstraße -wohnte.</p> - -<p>Eines Tages kam er mit einer gewissen Aufregung. Er fand -Bernhard nicht daheim und setzte sich nun auf das Sofa, um<span class="pagenum" id="Seite_28">[28]</span> -das Zimmer, obwohl er es lange kannte, einer Musterung zu -unterziehen. Da blieb sein Blick plötzlich an der Stelle haften, -wo neben dem Bücherschrank an der Wand zwei lange Reiterpistolen -hingen. Im nächsten Augenblicke sprang er auf und -holte die Schießwerkzeuge herab. Er prüfte die Hähne und fand -alles in Ordnung. Nun suchte er nach Pulver und Kugeln, und -da er die Verhältnisse der Wohnung ziemlich genau kannte, fand -er beides. Frisch ward jetzt geladen und nach einem Ziele geforscht. -Er riß den Bücherschrank auf und fand unten in demselben eine -Scheibe. In wenigen Augenblicken war sie an dem Schranke -befestigt, und gleich darauf krachte der erste Schuß.</p> - -<p>Und nun ging es Schlag auf Schlag. Das ganze Haus -kam auf die Beine. Man wußte nicht, was vorging, und traute -sich anfangs nicht in die Wohnung, bis die Beherzten eindrangen, -und nun mit Entsetzen diese Schießübung sahen. Einer hatte den -Mut, sie zu verbitten. Otto aber sagte, ohne sich stören zu lassen: -»Hier hat mir niemand etwas zu sagen!« und krachend schlug -die nächste Kugel in die Scheibe.</p> - -<p>Da kam Bernhard; er eilte erschrocken die Treppe empor, -aber als er den Vorgang sah, wußte er nicht, sollte er lachen -oder schelten. Fürs erste aber hörte nun doch zur Beruhigung -der Hausbewohner das Schießen auf, und Bernhard fragte:</p> - -<p>»Aber nun sage mir, Junge, was dir eigentlich eingefallen ist?«</p> - -<p>»Na, einmal war das Warten langweilig, und zum anderen -habe ich mir Luft machen müssen.«</p> - -<p>»Na, – was hast’, was kneipt dich denn so sehr?«</p> - -<p>»O, diese ewige Schikane mit dem französischen Lehrer ist -nachgerade unerträglich. Und wenn ich nun denke, daß ich eine -Probearbeit bei ihm machen soll, da wurmt’s mich, und mir -schwillt die Galle. Darum hab’ ich mir ein bißchen Luft machen -müssen.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[29]</span></p> - -<p>»Na, und dazu muß der unschuldige Bücherschrank herhalten?«</p> - -<p>»Ja, warum bist du auch nicht zu Hause, wenn man einen -teilnehmenden Menschen braucht!«</p> - -<p>»Rat weiß ich aber auch jetzt keinen. Wenn du nicht französisch -arbeiten willst, dann mach’s doch englisch – ihr könnt euch -ja die Sprache wählen, soviel ich weiß!«</p> - -<p>»Na, das ist Fopperei, Bernd! Du weißt recht gut, daß -ich kein Englisch getrieben habe. Aber ich will dir auch was -sagen. Ihr sollt sehen, was Otto von Bismarck leisten kann. Ich -mache keine französische Probearbeit! Schön Dank auch für den -guten Rat – Adieu!«</p> - -<p>Er war hinaus und eilte heimwärts. Bald darauf saß er -in seiner Giebelstube über der englischen Grammatik, und nun -studierte er darauflos, als ob davon das Heil der Welt abgehangen -hätte. Als es zur Probearbeit kam, wählte er zur Verblüffung -des französischen Lehrers und zum Staunen der anderen -die englische Sprache. Und er hat sein Examen bestanden, und -bestand es auch in den übrigen Fächern in ehrenvoller Weise.</p> - -<p>Leb wohl, du graues Kloster in Berlin!</p> - -<p>So vergnügt ist er noch niemals ins Pommernland heimgefahren -wie diesmal, da die Gymnasialzeit hinter ihm, dem -Siebzehnjährigen, liegt, und die Phantasie ihm fröhliche und -leuchtende Bilder entrollt von der »Burschenherrlichkeit« und von -lebensfroher Studentenzeit! Schöner und weiter schien ihm die -Welt, und der Hornklang seines Postillons hallte diesmal wundersam -wieder in der freien, zukunftsfrohen Jünglingsseele. Ein -glückliches Menschenkind traf mit dem erwachenden Lenze des -Jahres 1832 im alten Kniephof wieder ein.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_30">[30]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Drittes_Kapitel"><span class="smaller">Drittes Kapitel.</span><br> -<em class="antiqua">Gaudeamus igitur.</em></h2> -</div> - -<p>In der »goldenen Krone« zu Göttingen saßen an einem -Maiabend des Jahres 1832 eine Anzahl junger Männer beisammen. -Fröhlich klangen die Gläser, und durch die geöffneten -Fenster hinaus schallten die kraftvollen alten Studentenweisen:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Stimmt an mit hellem hohem Klang,</div> - <div class="verse indent0">Stimmt an das Lied der Lieder,</div> - <div class="verse indent0">Des Vaterlandes Hochgesang;</div> - <div class="verse indent0">Das Waldtal hall’ es wider!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Der alten Barden Vaterland,</div> - <div class="verse indent0">Dem Vaterland der Treue,</div> - <div class="verse indent0">Dir freies, unbezwung’nes Land,</div> - <div class="verse indent0">Dir weih’n wir uns aufs Neue!</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Das brauste einher mit machtvoller Begeisterung, und die -Pokale läuteten abermals zusammen. Einer von den Burschen -erhob sich an dem Tische, eine prächtige Jünglingsgestalt mit -blitzenden blauen Augen, strotzend in der Fülle jugendlicher Kraft.</p> - -<p>»<em class="antiqua">Silentium!</em> Bismarck will reden!«</p> - -<p>Still ward es in dem Raume, und aller Blicke wendeten sich -nach dem Sprecher.</p> - -<p>»Kommilitonen! Wir haben in diesen Tagen und erst heute -noch auf unserer Wanderung ein prächtiges Stück deutschen Landes -gesehen, und das Herz ist uns aufgegangen in der Schönheit des -Harzwaldes, in dem die Sage lebt auf der Bergeshöhe, wie im -felsigen Talgrund, und wo in einem gesunden Geschlechte alte -deutsche Kraft und Einfachheit der Sitten wohnt. Kommilitonen, -ihr seid Mecklenburger, ich bin ein Altmärker – ist’s bei uns -daheim etwa anders? – Lebt nicht überall derselbe gesunde Sinn,<span class="pagenum" id="Seite_31">[31]</span> -der sich freut in der Schönheit der Natur, und der an der deutschen -Scholle hängt, auf welcher unsere Wiege stand? Mag auch ein -halb Hundert verschiedenfarbiger Grenzpfähle im deutschen Lande -stehen – das Auge sieht sie, das deutsche Herz weiß nichts davon, -wenn es die Ehre der ganzen Nation gilt. Die Freiheitskriege -haben es bewiesen. Laßt uns nicht schlechter sein als unsere -Väter, die bei Leipzig und Waterloo geschlagen haben, und laßt -uns immer an das Wort unseres großen Dichters denken: »Wir -wollen sein ein einzig Volk von Brüdern!« <em class="gesperrt">Eine</em> Muttersprache -reden wir alle, und alle haben wir im Grunde nur <em class="gesperrt">ein</em> Vaterland -– und das eine, große, deutsche Vaterland, dem wir Blut -und Gut weihen, es blühe und gedeihe! Füllt die Gläser: dem -Vaterlande!«</p> - -<p>Jubelnd schallte der Zuruf, stürmisch klang es zusammen, -Otto von Bismarck aber goß den letzten Rest aus seiner Flasche, -und mit dem Rufe: »Fort mit allem, was leer und nichtig ist!« -schleuderte er die letztere durch das offene Fenster hinaus auf -die Straße.</p> - -<p>Die fröhlich lärmenden Burschen hörten weder den zornigen -Aufschrei, der von draußen hereinschallte, noch das Klirren des -Glasgefäßes auf dem Pflaster, immer höher gingen die Wogen -der Begeisterung, und immer lauter schallten Becherklang und -Studentenweisen hinaus in die schweigende Frühlingsnacht, bis -endlich Bismarck erklärte: »<em class="antiqua">Satis, quod sufficit!</em>« und mit einem -energischen »Prost Kommilitonen!« sich entfernte. Unter dem -Tische erhob sich gleichzeitig eine mächtige englische Dogge, welche -zu den Füßen ihres Herrn gelegen hatte, und schritt gravitätisch -neben ihm hinaus.</p> - -<p>Am nächsten Morgen schaute Otto von Bismarck mit Behagen -zu seinem Fenster in der Roten Straße Nr. 299 hinaus. Seine -»Bude« war einfach und sah »burschenmäßig« aus. Im Mobiliar<span class="pagenum" id="Seite_32">[32]</span> -war weder ein besonderer Überfluß noch hervorragende Eleganz, -denn der Hauswirt, Herr Schumacher, wußte, wie schnell oft die -Bewohner wechselten, und wie rasch diese Art eine »gute Stube« -abzuwohnen pflegte. Bismarck wünschte es auch nicht besser. -Über dem alten Sofa hatte er eine Anzahl auf Pappe gezogener -Schattenrisse seiner Freunde gehängt, an der einen Wand prangte -eine stattliche Pfeifensammlung, welche den Neid manches Kommilitonen -schon herausgefordert hatte, und vor dem Sofa lag lang -ausgestreckt die gewaltige Dogge und blinzelte schläfrig nach ihrem -Herrn, der, wie erwähnt, im offenen Fenster lehnte, angetan mit -einem bunten Schlafrock, und die lange Pfeife, welche weit hinaushing, -im Munde.</p> - -<p>Es war ein prächtiger Frühlingstag, und dem jungen Studenten -war ganz wohlig zumute. Da unten schritten die ehrsamen -Bürger hin, rasch hinhuschende Mädchen, geschäftige Arbeiter und -sorglose Studenten, entweder ganz kommentmäßig in Flaus und -Kanonen, mit dem Cerevis, oder im Schlafrock und Morgenschuhen, -den Ziegenhainer in der Faust und die dampfende Pfeife im -Munde. O, es war auch in Göttingen schön, und an der »Königlich -Großbrittanisch-Hannoverschen Georgia Augusta« ließ sich’s -leben!</p> - -<p>Er hatte anfangs für Heidelberg geschwärmt, aber die -besorgte Mama fürchtete den burschikosen Geist, der dort walten -sollte, und nachdem in einem Familienrate ein Verwandter des -Hauses, der geheime Finanzrat Kerl, Göttingen als eine Hochschule -der vornehmen Welt empfohlen und Briefe an die Professoren -Hugo und Hausmann mitzugeben versprochen hatte, war die Sache -entschieden.</p> - -<p>Nein, in Göttingen war es gar nicht so übel! Eben als der -junge Student sich in diesen behaglichen Gedanken versenkte, pochte -es an der Tür.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_33">[33]</span></p> - -<p>Die Dogge hob den Kopf, und auf das »Herein!« erschien -auf der Schwelle der Universitätspedell und überreichte mit höflichem -Gruße Bismarck ein Schreiben. Dieser liest mit einiger -Verwunderung, daß er u. z. citissime – möglichst bald – vor -dem Universitätsrichter zu erscheinen habe.</p> - -<p>»Dem Manne kann geholfen werden!« zitierte der Studiosus -halb pathetisch, halb ärgerlich; dann fuhr er langsam in die spiegelblank -gewichsten Kanonenstiefel, sah sich einen Augenblick nach -einer geeigneten Kopfbedeckung um, und ergriff endlich einen hohen -Zylinderhut, den er sich auf das Haupt stülpte, und so, die weißen, -ledernen Beinkleider umflattert von dem bunten Schlafrock, die -lange Pfeife im Munde, schritt er, begleitet von der englischen -Dogge, durch die Gassen der vornehmen Universitätsstadt nach dem -Hause des Richters.</p> - -<p>Als er bei demselben eintrat, fuhr der alte Herr entsetzt auf -vor der respektwidrigen Erscheinung, und als ihm der gewaltige -Hund, der noch vor seinem Herrn sich hereingedrängt hatte, um -die Beine schnupperte, ward es ihm völlig unbehaglich, und er -suchte sich mit vorgestemmtem Stuhle zu schützen, wobei er rief:</p> - -<p>»Schaffen Sie sogleich den Köter hinaus!« Bismarck rief -die Dogge und öffnete die Tür. Der Hund ging gehorsam -hinaus, und jetzt kam der Richter hinter seinem Sitze hervor, -noch immer ängstlich und zornig zugleich, und fragte:</p> - -<p>»Wer sind Sie, und was wollen Sie?«</p> - -<p>»Ich bin der Studiosus <em class="antiqua">juris</em> Otto von Bismarck, und was -ich hier will, müssen Sie wissen, denn Sie haben mich zitieren -lassen!« Er entfaltete das Papier, welches er erhalten hatte.</p> - -<p>»Richtig – gut! Aber fürs erste habe ich Ihnen mitzuteilen, -daß es verboten ist, Hunde mitzubringen vor das Universitätsgericht, -und daß ich Sie darum mit einer Ordnungsstrafe von -5 Talern belege.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[34]</span></p> - -<p>»Hm – auch nicht übel!« brummte der Verurteilte halblaut, -der andere aber fuhr fort:</p> - -<p>»Die Sache, derohalben Sie zitiert worden sind, ist die: -Gestern abend ist ein Herr, der an der »Goldenen Krone« vorüberging, -durch eine Flasche am Arme getroffen worden. Die Erörterungen -haben ergeben, daß die Flasche von Ihnen herrührte. -Können Sie sich entsinnen, wie dieselbe auf die Straße gelangte?«</p> - -<p>»Zweifellos durchs Fenster!«</p> - -<p>»Na, ja, allerdings – aber ich meine, eine Wirkung, wie -der Wurf einer Flasche durch das Fenster, muß doch auch eine -Ursache haben!«</p> - -<p>»Die war auch vorhanden in der Anspannung meiner Muskeln -und der Schwungkraft des Armes. Wenn Sie wünschen, Herr -Universitätsrichter, kann ich die Prozedur Ihnen <em class="antiqua">ad oculos</em> -demonstrieren!«</p> - -<p>Bismarck griff nach dem großen Tintenfasse auf dem Tische -des Richters und hob dasselbe in bedrohlicher Haltung.</p> - -<p>»Das genügt, Herr von Bismarck, und da Sie im übrigen -das Faktum nicht in Abrede stellen, kann ich Sie entlassen. Das -weitere wird Ihnen noch mitgeteilt werden!«</p> - -<p>Die Aussicht auf das »weitere« stimmte den jungen Studenten -nicht gerade heiter, und einigermaßen ärgerlich ging er mit -seiner Dogge heimwärts.</p> - -<p>Noch ehe er in die Rote Straße kam, begegneten ihm vier -Korpsburschen von den Hannoveranern. Bismarck ging mit weitausgreifenden -Schritten daher, mit fliegendem Schlafrock, die -Pfeife wie eine Waffe in der Hand, und der hohe Zylinderhut, -der wunderlich zu dem sonstigen Aufzuge paßte, glänzte in der -Sonne. Die »Hannoveraner« blieben stehen und brachen in ein -lautes Gelächter aus.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[35]</span></p> - -<p>Bismarck war nicht in der Stimmung, sich etwas bieten -zu lassen; er trat an den vordersten der Burschen dicht heran und -fragte scharf:</p> - -<p>»Lachen Sie über mich, Herrens?«</p> - -<p>»Natur, das können Sie doch sehen!« lachte es ihm entgegen.</p> - -<p>»Dummer Junge!« brauste nun der Geärgerte auf.</p> - -<p>»Wen meinen Sie?« riefen die anderen.</p> - -<p>»Natur, alle viere!«</p> - -<p>Damit wandte er sich und ließ die einigermaßen verblüfften -»Hannoveraner« stehen. Obwohl er noch ein Neuling war, wußte -er doch, was nun kommen mußte. Das gab höchstwahrscheinlich -vier blutige Auseinandersetzungen, aber auch davor ward ihm -nicht bange. Da er Sekundanten und kommentmäßige Waffen -brauchte, begab er sich gleich darauf zu dem Senior des Korps -der Braunschweiger (Brunsvigia) und belegte dort die Schläger. -Nun wartete er ruhig das weitere ab, aber das kam anders, als -er gemeint hatte.</p> - -<p>Die vier »Hannoveraner« waren zunächst aufgebracht über -den »frechen Fuchs«, aber einer von ihnen, ein Hausgenosse -Bismarcks, der diesen einigermaßen besser kannte, und dem die -ganze »forsche« Art und Weise desselben gefiel, warf auch den -anderen einen Gedanken hin, der diesen völlig annehmbar dünkte, -und so kam es, daß alle vier noch an demselben Tage sich bei -Bismarck einfanden.</p> - -<p>Der empfing sie mit kühler Höflichkeit.</p> - -<p>»Ich weiß, weshalb Sie kommen, meine Herren!«</p> - -<p>»Verzeihen Sie, Herr von Bismarck, das dürften Sie nicht -wissen. Wir kommen, um Sie wegen unseres Gelächters von -heute morgen um Entschuldigung zu bitten, und hoffen, daß Sie -die »dummen Jungen« zurücknehmen werden!«</p> - -<p>»Unter solchen Umständen mit Vergnügen!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_36">[36]</span></p> - -<p>»Schön. – Und wissen Sie auch, was uns veranlaßt zu -solchem Vorgehen? – Sie gefallen uns, Herr von Bismarck, -und da Sie noch nirgends eingesprungen sind, und wir uns auf -einen so schneidigen Fuchs etwas zugute tun würden, so fragen -wir an, ob Sie nicht für unser Korps zu haben sind?«</p> - -<p>»Abgemacht! – Ihr gefallt mir, – ich bin der eure!«</p> - -<p>Ein vierfacher herzlicher Händedruck, und die Sache war -in Ordnung.</p> - -<p>Aber um sein Duell kam er bei alledem nicht. Die »Brunsvigia« -war empört, weil er bei ihr die Waffen belegt und nun -bei einem anderen Korps eingesprungen war. Die Beleidigung -konnte man nicht auf sich sitzen lassen, und der Konsenior der -Brunonen ließ Bismarck seine Forderung überbringen.</p> - -<p>Man war gespannt darauf, wie der junge Fuchs sich herausbeißen -werde; der aber ging frohgemut auf die Mensur gegen -seinen renommierten Gegner. Dieser glaubte anfangs den Neuling -so leichthin behandeln und mit Leichtigkeit »abführen« zu -können, aber Bismarck hatte Kraft und Übung; schon nach -einigen Paraden ging er zum Angriff über, und gleich darauf zog -sich ein blutiger Schmiß über das Gesicht des »Braunschweigers«. -Im Triumph führten die »Hannoveraner« ihren Fuchs von dannen, -doppelt froh, ihn für sich gewonnen zu haben, und er machte -dem Korps auch als Paukant alle Ehre, denn aus allen seinen -Mensuren ist er als Sieger hervorgegangen.</p> - -<p>Eines Abends saß er in der Korpskneipe der »Hannoveraner«, -im »Deutschen Haus«. Als Gast war auch ein junger Engländer, -Coffin, anwesend, der zu seinem Vergnügen einige Vorlesungen -besuchte. Die jungen Gemüter waren durch Gesang und Trunk -angeregt, lebhafter schwirrte die Unterhaltung hin und her und -kam endlich auch auf politisches Gebiet.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_37">[37]</span></p> - -<p>Angehörige verschiedener deutscher »Vaterländer« befanden -sich in dem Kreise, und das schien den Engländer zu belustigen.</p> - -<p>»Sie haben 36 Vaterländer und kein Vaterland, und ihr -Schutzpatron, der deutsche Michel, hat’s auch gar nicht eilig, eine -Eintracht zu schaffen. Er zieht behaglich seine Schlafmütze über -die Ohren, hüllt sich vergnüglich in seinen bunten 36farbigen -Schlafrock und – –«</p> - -<p>Da stand Bismarck neben dem Fremden. Mit seinen flammenden -Augen sah er ihn an, hochaufgerichtet und drohend.</p> - -<p>»Herr, schwätzen Sie nicht, was Sie nicht verstehen, sonst -dürften Sie den deutschen Michel ohne Schlafrock kennen lernen! -– Umgürte dich mit dem ganzen Stolze deines England, ich verachte -dich, ein deutscher Jüngling!«</p> - -<p>Stürmische Bewegung ging durch den ganzen Kreis. Coffin -war aufgesprungen:</p> - -<p>»Das ist eine Beleidigung!«</p> - -<p>»Sie haben zuerst beleidigt!«</p> - -<p>»Wir werden uns an einem anderen Orte finden!«</p> - -<p>»Ich werde nicht fehlen!« – –</p> - -<p>Am nächsten Tage wurde die Sache mit den Waffen ausgetragen, -und der Engländer erkannte, daß der »deutsche Michel« -eine gute Klinge schlage. Damit war der Ehre Genüge getan -und die Geschichte beigelegt. Schon wenige Tage später saßen -die beiden Gegner wieder im »Deutschen Hause« beisammen und -sprachen in ernster und ruhiger Weise.</p> - -<p>»Und Deutschland wird doch einig werden, und in seiner -Einigkeit sich wie ein Riese erheben über die Völker Europas,« -sagte Bismarck.</p> - -<p>Coffin schüttelte energisch mit dem Kopfe:</p> - -<p>»Das wird niemals werden; aus so vielen Stücken wird -kein Ganzes – niemals!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_38">[38]</span></p> - -<p>»Und doch werde ich rechtbehalten; in zwei Jahrzehnten -ist das ganze deutsche Volk eins geworden, aber es braucht dazu -mehr als unsere Hieber und die Tinte der Diplomaten!«</p> - -<p>»Davon werden Sie mich nicht früher überzeugen, als bis -ich es erlebe!«</p> - -<p>»Gut, – wetten wir! 25 Flaschen Champagner gibt der Gewinner, -der Verlierer aber kommt übers Meer, um sie auszutrinken!«</p> - -<p>»Das soll gelten, – die Herren sind Zeugen!«</p> - -<p>So lebte in der stolzen, starken Jünglingsseele die Ahnung -der großen kommenden Zeit, die freilich im Jahre 1853 noch -nicht anbrechen sollte. Bismarck aber hat die Wette nicht vergessen -und hätte sie seinerzeit auch eingelöst, wenn der Tod nicht -vordem schon seinen Partner abgerufen hätte.</p> - -<p>Ei, wie dem flotten Burschen die Tage dahinflogen im freundlichen -Göttingen, so daß er beinahe gar nicht dazu kommen konnte, -die Kollegien zu besuchen, weil er alle Hände voll zu tun hatte, -mit anderen Dingen! Sein Name galt etwas in Studentenkreisen, -und er hatte seinen Ruf nicht bloß auf dem Paukboden, sondern -auch durch sein Geschick, Gegensätze auszugleichen und diplomatisch -zu vermitteln, erworben.</p> - -<p>Es war an einem kalten Januartage des Jahres 1833, als -vor Göttingen draußen in einem Wäldchen sich einige junge Leute -einfanden zu einem, wie es schien, recht ernsten Geschäft. Am -Abend vorher war ein englischer Student, Knight, auf einem -Balle von dem jungen Baron von Grabow beleidigt worden. -Die Sache war an sich nicht von Belang, aber die Gegner waren -hitzig geworden und hatten sich auf Pistolen gefordert. Und -nun standen sie an dem klaren, kalten Wintermorgen da, um die -Sache auszutragen.</p> - -<p>Bismarck war mit Knight herausgefahren, um diesem als<span class="pagenum" id="Seite_39">[39]</span> -Dolmetsch zur Seite zu stehen. Da es aber an einem Unparteiischen -fehlte, war er gern bereit, das Amt zu übernehmen. -Die Sekundanten hatten die Waffen geladen, der Arzt stand seitwärts -vor seinem aufgeschlagenen Verbandskasten, und auf allen -Gesichtern lag schwerer Ernst, denn die Duellanten hatten nur -drei Schritt Barriere verabredet.</p> - -<p>Da sagte Bismarck:</p> - -<p>»Meine Herren, Ihre Ausmachung bedeutet nicht mehr ein -Duell, sondern einen Mord. Dazu gebe ich meine Hand nicht! -Die Sache, um deretwillen Sie sich hier gegenüberstehen, ist, -wie ich nicht zweifle, auf ein unseliges Mißverständnis zurückzuführen, -und nicht derart, daß darüber zwei Menschenleben mit -beinahe absoluter Sicherheit aufs Spiel gesetzt werden. Ich meine, -der Ehre ist auch völlig genügt, wenn Sie zehn Schritte Abstand -nehmen. Und nur für diesen Fall fungiere ich als Unparteiischer.«</p> - -<p>Die Duellanten erklärten sich einverstanden.</p> - -<p>Bismarck schritt die Entfernung mit weitausgreifenden Schritten -ab und fügte noch zwei Schritte zu. Dann trat er an den -Arzt heran, um diesen von der Eigenmächtigkeit zu verständigen – -und nun mußten die Dinge ihren Lauf nehmen. Bismarck kommandierte, -die Schüsse krachten gleichzeitig, – eine Sekunde lang -stand jedem der Herzschlag still, – dann zog sich der bläuliche -Rauch verschwimmend in die Morgenluft, und die Kugeln saßen -irgendwo in zwei Baumstämmen. Blut ist bei jenem Zweikampf -nicht geflossen.</p> - -<p>Ruchbar ward die Sache aber trotzdem, und der Studiosus -Bismarck erhielt zehn Tage Karzerstrafe, die er mit stoischem -Behagen absaß, wobei er nicht versäumte, sich in die Präsenzliste -einzuzeichnen, indem er seinen Namen in die Karzertür schnitt.</p> - -<p>Nicht gar lange danach fühlte er eines Morgens ein seltsam -Mißbehagen in seinen Gliedern. Das war ein Ziehen und Frösteln,<span class="pagenum" id="Seite_40">[40]</span> -so ganz anders als nach lustig durchlebter Nacht, und er fand, -daß es doch vielleicht gut wäre, einen Medikus zu Rate zu ziehen. -Der Arzt konstatierte Wechselfieber, und so lag er einige Tage zu -Bette, verstimmt, gelangweilt, appetitlos, und versuchte unmutig -ab und zu etwas von dem verschriebenen Chinin einzunehmen.</p> - -<p>Da kam eines Morgens eine Sendung aus Pommern. Ein -köstlicher Duft stieg aus der geöffneten Kiste, und der Patient -begann mit zunehmendem Interesse die Herrlichkeiten auszupacken, -welche mütterliche Liebe und Sorgfalt ihm hatte zugehen lassen. -Neben den berühmten pommerschen Gänsebrüsten lachte ein saftiger -bräunlicher Schinken, und behagliche Würste streckten ihre glänzenden -Glieder dazwischen.</p> - -<p>Ein Gruß aus der Heimat! Na, ein Stückchen Wurst wird -auch bei Fieber nicht schaden! Die Mettwurst ist so saftig und -würzig, und es ist ganz wunderbar, wie einem der Appetit beim -Essen kommt. Der Kranke schneidet eine Scheibe nach der anderen -herunter, und erst, als eines der kleinen Ungetüme, die ihre -drei bis vier Pfund wiegen mochten, zur Hälfte verschwunden -war, stellte Bismarck seine Tätigkeit ein. Dabei war ihm so wohl, -wie seit einigen Tagen nicht, und der Arzt sah, als er kam, mit -freudiger Verwunderung seinen Patienten.</p> - -<p>»Da hat das Chinin wieder einmal sein Wunder getan!« -sagte er mit Genugtuung; Bismarck aber sprach:</p> - -<p>»Ich habe ein Mittel genommen, das mir noch wirksamer -scheint. <em class="antiqua">Recipe</em>: Jede Stunde ein halb Pfund pommersche Mettwurst; -’s ist probat, lieber Doktor!«</p> - -<p>Der Arzt sah mit verwundert großen Augen die geöffnete -pommersche Kiste und »was Arbeit unser Held gemacht.«</p> - -<p>Zu Michaelis ging’s nach Kniephof. Drei Semester waren -verlebt an der Georgia Augusta. Da saß er wieder in dem -kleinen pommerschen Herrenhause und sah hinaus auf die bewegten<span class="pagenum" id="Seite_41">[41]</span> -Wipfel im Parke und blies aus der langen Pfeife vergnüglich -seine Rauchwolken. Die Frau Mama schaute ihn mit Liebe und -Sorge zugleich an und schien von Göttingen ein wenig enttäuscht. -Die kleine Schmarre auf der Wange – sie stammte von der abgesprungenen -Klinge eines Gegners – die bunten Pfeifentroddeln, -die Cerevis schienen ihr verwunderliche Geschichten zu erzählen, -und sie wollte ihren Jüngsten von nun ab etwas mehr in ihrer -Obhut wissen!</p> - -<p>So kam es, daß Otto von Bismarck nicht nach Göttingen zurückging, -sondern noch drei Semester an der Berliner Hochschule -verbrachte. Es ging auch hier eine Zeitlang flott und lustig -weiter, und das »<em class="antiqua">Gaudeamus!</em>« klang in der preußischen Residenz -nicht minder frisch und froh als in Göttingen.</p> - -<p>Eines Abends trat er bei seinem Freunde, dem jungen Grafen -<em class="gesperrt">Kaiserlingk</em>, ein.</p> - -<p>»Wie ist’s – gehst du mit zur Kneipe?« fragte er.</p> - -<p>»Heute bin ich nicht in der Stimmung, und denke mich darum -in meinen vier Pfählen behaglich einzurichten. Bleib da, Bismarck, -an »Stoff« soll’s auch hier nicht fehlen, und meine Pfeifen stehen -dir zur Verfügung.«</p> - -<p>»Soll gelten – das Wetter ist jetzt verlockend zum Daheimsitzen -– höre, wie der Wind um die Fenster saust. – Ah, da -ist auch <em class="gesperrt">Motley</em>« – unterbrach er sich, als ein junger, blonder -Mann eintrat, den die beiden anderen herzlich begrüßten – »na, -<em class="antiqua">tres faciunt collegium</em>!«</p> - -<p>Er streckte sich behaglich auf dem Sofa und bat: »Aber -nun mußt du unser Konvivium auch stimmungsvoll einleiten, -Kaiserlingk!«</p> - -<p>Der junge Graf setzte sich an das Instrument, und das sang -und klang durch den Raum, als webe eine Geisterschar an einem -Märchen; bald weich und melodisch, bald wild bewegt wie ein<span class="pagenum" id="Seite_42">[42]</span> -aufgeregtes Gemüt – klang es aus den Saiten, und der große -Beethoven hatte das Wort! Und auf dem Sofa saß der wilde, -flotte Bursche und hatte sich in die Ecke gelehnt und den Kopf in -die Hand gestemmt. Als der letzte Ton verklungen, sagte er:</p> - -<p>»Sehr schön, Kaiserlingk! – das kann böse Geister bannen, -und mir ist, als verstehe ich jetzt erst die Geschichte von Saul und -David. Heute taugte ich überhaupt nicht mehr für die Kneipe. -Motley, haben Sie nicht einen Ihrer geistvollen geschichtlichen -Aufsätze bei sich, es wäre köstlich, wenn Sie uns was mitteilen -wollten.«</p> - -<p>»Wenn es gewünscht wird, kann ich etwas holen« – sagte -der junge Engländer, der in demselben Hause wohnte, und ging. -Als er zurückkehrte, hatten sich noch zwei junge Gäste eingefunden, -und nun wurde der Abend in der anregendsten Weise verlebt. -Es war spät geworden, als Bismarck bat: »Kaiserlingk, nun noch -etwas zur guten Nacht!«</p> - -<p>Und der junge Graf griff noch einmal in die Tasten, und -der bestrickende Zauber der »Mondscheinsonate« nahm die jungen -Gemüter gefangen.</p> - -<p>»Kinder,« sagte Bismarck, »solch ein Abend gibt einem -ordentlich eine Sehnsucht nach dem Philistertum; lacht mich aus, -wenn ihr wollt – aber von morgen an werde ich solide und -verlege mich aufs Arbeiten. Und das hat mit ihrem Singen die -Loreley getan! Gute Nacht!«</p> - -<p>Und in der Tat legte er sich ins Zeug, um das in der flotten -Burschenzeit Versäumte nachzuholen. Um die Osterzeit des Jahres -1835 kam er eines Tages in das Haus seiner Tante, der Generalin -von Kessel, und wurde hier, wie immer, von seinen Cousinen heiter -und herzlich begrüßt.</p> - -<p>»Na, heute bitte ich mir etwas Respekt aus! Seht ihr mir -nichts an?«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_43">[43]</span></p> - -<p>Neugierig und lachend betrachteten ihn die jungen Damen -von allen Seiten.</p> - -<p>»Was soll denn aus dir wohl werden, so über Nacht?«</p> - -<p>»Ja, das Raten ist nicht eure starke Seite! Da will ich’s -euch sagen. Ich habe vorgestern mein Staatsexamen gemacht und -bin als Auskultator für das Stadtgericht vereidigt worden!«</p> - -<p>»Ah! – Gratuliere! – Aber ansehen kann man dir die -Würde nicht!« rief es durcheinander, doch Fräulein Helene, die -als Künstlerin sehr tüchtig war, rief:</p> - -<p>»Diese Phase seines Lebens muß festgehalten werden! Otto, -ich male dich als Auskultator!«</p> - -<p>»Kann mir nur schmeichelhaft sein! Da weiß man später -doch einmal, wie man als neugebackener Philister ausgesehen hat.«</p> - -<p>Da trat Bernhard von Bismarck ein, der gleichfalls in Berlin -als Referendar tätig war, und der mit Otto zusammenwohnte.</p> - -<p>»Ich habe mir’s gleich gedacht, daß er bei Euch stecken wird« – -rief er; »jetzt, da er in Amt und Würde ist, sucht er freundliche -Häuslichkeiten mit heiratsfähigen Töchtern!«</p> - -<p>»Aber Bernd« – riefen die Damen entrüstet.</p> - -<p>»Freut euch doch, daß die Zeit vorüber ist, in welcher er -jungen Damen die Fenster einzuwerfen pflegte.«</p> - -<p>»Und das hat er wirklich getan?«</p> - -<p>»Da sieht man wieder die Übertreibung,« lachte Otto von -Bismarck – »wobei nicht einmal meine besondere Liebenswürdigkeit -erwähnt wird. Daß der Göttinger Professor, der durch sein -Verhalten gegen mich das Fensterattentat provoziert hatte, einige -Töchter besaß, konnte ihn freilich vor meiner Rache nicht retten, -aber ich kann zu meiner Entschuldigung sagen, daß ich die Scheiben -nicht mit Steinen, sondern mit Kandiszucker eingeworfen habe, -um den Mädchen wenigstens einigermaßen den Schrecken zu -versüßen. Übrigens, bitte, stellt mir einmal einen dienstbaren<span class="pagenum" id="Seite_44">[44]</span> -Geist zur Verfügung! Ich habe einen Schuster in der Kronenstraße, -welcher mir bis gestern ein Paar Stiefel liefern sollte, -und mich, wie bereits in früheren Fällen, im Stiche ließ. Den -Mann will ich Ordnung lehren. Seit heute früh sechs Uhr -schicke ich ihm alle zehn Minuten einen Boten mit der Anfrage, -ob meine Stiefel noch nicht fertig wären. Ich vermute, daß ich -sie heute noch erhalte.«</p> - -<p>Wenige Tage später saß der junge Auskultator im Berliner -Stadtgericht und waltete seines Berufes mit Eifer und – je -nachdem – auch mit Humor. Der Sommer verging und der -Herbst, und der Winter brachte mit seinen geselligen Vergnügungen -manche schöne Abwechslung in die Einförmigkeit seines -Amtes. Von besonderem Interesse war dabei der erste Hofball, -welchem er beiwohnte.</p> - -<p>Seine äußere Erscheinung auf demselben war in jeder Weise -vornehm und durch Gestalt und Haltung geradezu auffallend. -Üppiges Haar umwallte das hochgetragene Haupt, und in dem -geistvollen aristokratischen Gesichte blitzten frisch, lebhaft und -durchdringend klar die Augen. Wie er so Arm in Arm mit -seinem Kollegen, dem Auskultator von Scherk, dahinschritt, folgten -alle Blicke den beiden prächtigen Gestalten, die der bekannte -selige Preußenkönig sich für seine Potsdamer Riesengarde nicht -gern hätte entgehen lassen. Auch dem Prinzen Wilhelm (dem -nachmaligen Kaiser Wilhelm I.) fielen die beiden jungen Männer -auf, und als sie ihm vorgestellt wurden, sagte er mit wohlgefälligem -Lächeln:</p> - -<p>»Nun, die Justiz legt wohl auch jetzt das Gardemaß an ihre -Leute?«</p> - -<p>»Königliche Hoheit,« erwiderte Bismarck, indem er klar und -voll den Prinzen anblickte, »auch wir Juristen ziehen den Soldatenrock -an, wenn es fürs Vaterland gilt!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_45">[45]</span></p> - -<p>Am nächsten Morgen saß er, noch in Erinnerung an den -vorigen Abend versunken, am grünen Tische des Stadtgerichts. -Vor ihm stand ein biederer Berliner, der in einer Bagatellsache -zu vernehmen war. Der Mann, welcher den kaustischen Humor, -aber auch die Zungenfertigkeit des hauptstädtischen Proletariers -besaß, glaubte, dem jungen Auskultator gegenüber sich noch mehr -als üblich herausnehmen zu dürfen, und perorierte in nicht ganz -ruhiger Weise. Bismarck, dem die Sache endlich zu arg ward, -sprang mit seiner imponierenden Gestalt auf und rief: »Wenn -Sie sich nicht mäßigen, werfe ich Sie hinaus!«</p> - -<p>Der Mann war einigermaßen verdutzt über diesen unerwarteten -Ausbruch, aber auf Bismarck selbst trat der anwesende -Stadtgerichtsrat herzu und sagte, indem er ihm die Hand auf -den Arm legte:</p> - -<p>»Das Hinauswerfen ist <em class="gesperrt">meine</em> Sache, Herr Auskultator!«</p> - -<p>Bismarck nahm sein Gerichtsverfahren wieder auf, der Berliner -aber, welcher nun Oberwasser erhalten zu haben meinte, -wurde noch unangenehmer als zuvor, bis der Auskultator -zum zweitenmal aufsprang und mit einem sehr bezeichnenden -Seitenblick rief: »Herr, wenn Sie sich nicht mäßigen, lasse ich -Sie durch den Herrn Stadtgerichtsrat hinauswerfen!«</p> - -<p>Das Stadtgericht wollte Bismarck überhaupt nicht länger -behagen; er brauchte ein größeres Feld, einen weiteren Gesichtskreis, -und so verließ er 1836 Berlin und begab sich als Hilfsarbeiter -zur Königlichen Regierung nach Aachen, wo der Regierungspräsident -Graf Arnim-Boytzenburg sich freundlich des jungen -Referendars annahm und auch gesellig in seiner Familie mit ihm -verkehrte.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_46">[46]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Viertes_Kapitel"><span class="smaller">Viertes Kapitel.</span><br> -Am eigenen Herde.</h2> -</div> - -<p>König Friedrich Wilhelm III., der die Not und die herrliche -Erhebung Preußens gesehen, war gestorben, und sein Sohn, -Friedrich Wilhelm IV., hatte den Thron bestiegen. Das war im -Jahre 1840, und in den Oktobertagen desselben fanden sich zahlreiche -Vertreter des Volkes und des Adels zur Huldigungsfeier -in der Hauptstadt ein. Die Sonne des 15. Oktobers war freundlich -aufgegangen über dem Lustgarten, wo die tausendköpfige -Menge sich um die reichgeschmückten Söller drängte, von welchen -herab der neue Herrscher zu seinem Volke sprechen wollte.</p> - -<p>Nun war er erschienen, ließ seine hellen Augen über die in -Ehrfurcht schweigende Versammlung schweifen, und dann begann -er in der ihm eigenen lebhaften und begeisternden Art zu sprechen. -Und die Stimme klang so klar wie Glockenton hinein in die -heftiger pochenden Herzen:</p> - -<p>»Ritter, Bürger, Landleute und von den hier unzählig Gescharten -alle, die meine Stimme vernehmen können, ich frage Sie, -wollen Sie mit Geist und Herz, mit Wort und Tat und ganzem -Streben, in der heiligen Treue der Deutschen, in der heiligeren -Liebe der Christen mir helfen und beistehen, Preußen zu erhalten, -wie es ist, wie es bleiben muß, wenn es nicht untergehen soll? -Wollen Sie mir helfen und beistehen, die Eigenschaften immer -herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen mit seinen nur -14 Millionen den Großmächten der Erde beigesellt ist, nämlich -Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärtsschreiten<span class="pagenum" id="Seite_47">[47]</span> -in Altersweisheit zugleich und heldenmütiger Jugendkraft? -Wollen Sie in diesem Streben mich nicht verlassen und -versäumen, sondern treu mit mir ausharren durch gute und -böse Tage? O, dann antworten Sie mir mit dem schönsten und -klarsten Laut der Muttersprache, antworten Sie mir ein ehrenhaftes -Ja!«</p> - -<p>Und mit überwältigender Macht brauste das Wort durch -die bewegten Lüfte, unten aber in der dichtgedrängten Menschenmenge -faßte ein junger, stattlicher Mann die Hand des neben ihm -Stehenden mit warmem Drucke und sagte:</p> - -<p>»Das soll gelten, Bernd, für alle Zeiten!«</p> - -<p>»Helf uns Gott, Otto!« erwiderte der andere; der alte, -stattliche Herr aber, welcher bei den beiden stand, wischte sich einmal -mit der Hand über die Augen.</p> - -<p>Die Menge wogte auseinander. Die drei jedoch schritten -langsam hindurch, der alte Herr in der Mitte, der nun sagte:</p> - -<p>»Das war seit langem wieder eine schöne, erhebende Stunde, -die wir alle nicht vergessen wollen. Schade, daß wir der Mutter -nicht mehr davon erzählen können.«</p> - -<p>Es waren drei hochragende, prächtige Gestalten, welche durch -die belebten Gassen schritten nach der Behrenstraße zu; ehe sie -aber dieselbe erreichten, kreuzte ein junger Mann von gleichfalls -auffälliger Statur ihren Weg. Er zog überrascht den Hut, und -der Jüngste von den dreien rief lebhaft:</p> - -<p>»Schenk! – Du bist hier?«</p> - -<p>Eine herzliche Begrüßung der Freunde folgte, und bald -gingen sie, nachdem sie sich von den beiden anderen verabschiedet -hatten, zusammen auf den Bürgersteig hin, und betraten endlich -ein Weinhaus, wo sie in einer abgelegenen Ecke sich niederließen. -Der Kellner brachte Wein, leise klangen die Gläser zusammen, -und Wilhelm von Schenk sagte: »Nun weißt du meine Erlebnisse,<span class="pagenum" id="Seite_48">[48]</span> -lieber Bismarck, jetzt laß mich hören, wie es dir gegangen ist, -seitdem du nach Aachen übergesiedelt warst.« Der andere -sprach:</p> - -<p>»In Aachen habe ich nicht lange ausgehalten. Ich kam -beinahe wieder in die alte Burschenherrlichkeit hinein, und das -wollte mir nicht passen. Ich hatte das Bewußtsein, daß mein -preußisches Beamtentum mir dort mit Grundeis gehe, und das -wollt’ ich nicht. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, redlich zu -arbeiten im Dienste des Vaterlandes, und so wurde ich auf mein -Ansuchen im Herbste 1837 nach Potsdam versetzt, wo der Geheimrat -Wilke mir Pünktlichkeit und Strammheit im Dienste angewöhnte. -Die konnte ich auch ganz gut brauchen, als ich im -nächsten Frühling des Königs Rock anzog und bei den Potsdamer -Gardejägern als Einjährig-Freiwilliger die Anfangsgründe -der Kriegskunst exerzierte. Das habe ich so ein halbes Jahr getrieben. -Dann ließ ich mich zum 2. pommerischen Jägerbataillon -in Greifswald versetzen. Da war ich Soldat und Student zugleich -und hörte in Eldena landwirtschaftliche Vorlesungen, denn -in dem Hintergrunde der nächsten Zeit lag bereits die Aussicht, -einen Teil unserer Güter übernehmen und Landwirt werden zu -müssen. Es gab so manches gutzumachen und in die Höhe -zu bringen – na, wie das eben so geht. Ostern 1839 war ich -denn auch wieder in Kniephof. Meine Eltern zogen sich nach -Schönhausen zurück, und Bernhard und ich übernahmen die -pommerischen Güter, so zwar, daß mir Jarchelin und Kniephof -und meinem Bruder Külz zukam. Es fiel mir aber gleich in den -Anfang dieser selbständigen Tätigkeit ein trüber Schatten – du -weißt wohl – –«</p> - -<p>»Ich weiß, deine treffliche Mutter ist voriges Jahr gestorben -– nimm noch die Versicherung meiner herzlichen Teilnahme! -Sie war eine ausgezeichnete Frau!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_49">[49]</span></p> - -<div class="figcenter illowp60" id="illu-050"> - <img class="w100" src="images/illu-050.jpg" alt=""> - <div class="caption"> -<div class="left"> -<em class="antiqua">Eis. Kanzler II.</em> -</div> -<div>Friedrich Wilhelm IV. und Bismarck.</div></div> -</div> - -<p>»Ja, sie war »Verstand des Hauses«, und uns war sie noch -mehr. Nun sitzt mein Vater ernst und trüb in Schönhausen, -und Malwine sucht ihn zu erheitern, so gut das gehen will. -Ich aber habe den Diplomaten an den Nagel gehängt und baue -meinen Kohl!«</p> - -<p>»Und wenn das Vaterland ruft, bist du doch da!«</p> - -<p>»Das ist selbstverständlich. War das nicht herzerhebend heute, -wie alle die Tausende dem König die Versicherung ihrer Treue -gaben? Mir ist mein »Ja« aus vollem Herzen gekommen – laß -uns anstoßen: Dem Vaterlande die ganze Kraft!«</p> - -<p>Die Gläser klangen hell und voll, und die Augen der beiden -jungen Männer leuchteten. Sie saßen noch eine Weile beisammen -und tauschten alte Erinnerungen, dann erhob sich Bismarck:</p> - -<p>»Mein Aufenthalt in Berlin ist knapp bemessen, so daß wir -uns hier kaum noch einmal sehen. Aber wenn dich dein Weg -ins Pommernland führt, so erinnere dich, daß Otto von Bismarck -auf Kniephof bei Naugard sitzt und seinen Freunden dankbar ist, -wenn sie ihm die Gelegenheit geben, sie zu bewirten!«</p> - -<p>Kurze Zeit darauf saß er wieder in seinem schlichten Herrenhause. -Mit Scharfblick und Tatkraft erfaßte er die Verhältnisse -und suchte nach allen Kräften zu bessern. Am frühen Morgen schon -war er im Sattel und ritt durch die Felder, um nach dem Rechten -zu sehen, oder bei erfahrenen Nachbarn Rat zu erholen, und -daheim machte er sich über seine Wirtschaftsbücher und brachte -Klarheit und Ordnung in die Verwaltung seines Besitztums. Im -dämmernden Abendschein schritt er durch den Park, begleitet von -seiner Dogge, und manchmal kamen ihm recht wunderliche Gedanken, -und ein stürmischer Tatendrang wollte ihn erfassen und -in die Welt treiben.</p> - -<p>An einem solchen Abend kam er unmutig herein in seine -vereinsamten, stillen Räume. Die Bücher, welche er sonst in diesen<span class="pagenum" id="Seite_50">[50]</span> -Stunden zur Hand nahm, wollten ihm heute nicht gefallen, die -Pfeife war ihm ausgegangen, und mit weitausgreifenden Schritten -ging er durch die Wohnräume seines Kniephof. Da blieb er vor -einem Bilde stehen. Es war ein alter preußischer Reiteroberst, -der da aus dem Rahmen auf ihn herunterschaute, sein Urgroßvater, -Herr Friedrich August von Bismarck, dem weiland in der -Czaslauer Schlacht eine Kugel zwischen Leib und Seele gefahren -war. –</p> - -<p>»Ein ganzer Mann, dieser alte Herr! Das Leben genießen -und dann einen fröhlichen Reitertod sterben fürs Vaterland – das -muß schön sein! Ich glaube, in mir steckt etwas von dem »tollen -Bismarck«, und ein lustig Reiten, ein fröhlich Zechen tut mir -wieder einmal not, wenn ich nicht versauern soll. Dabei braucht -man nicht zu verderben! Morgen geht’s einmal ins Weite!«</p> - -<p>So sprach er zu sich selber, und wie er wieder nach seinem -Zimmer zurückschritt, sah er seine Pistolen an der Wand hängen. -Er nahm sie herab.</p> - -<p>»Ich muß mir Luft schaffen!« rief er, wie einstens in der -Behrenstraße 53 im Zimmer seines Bruders, und gleich darauf -krachten die Schüsse und schlugen in die Decke, daß Kalk und -Mörtel splitterten.</p> - -<p>Am anderen Morgen ließ er sein Pferd satteln und brauste -fort, »daß Kies und Funken stoben«. Er hatte sich erinnert, -daß in Kollin bei Stargard an diesem Abend eine vergnügte -Gesellschaft beisammen sei, und wenn es bis dahin auch etwa -14 Meilen waren, er wollte zeigen, was ein tüchtiger Reiter und -ein gutes Pferd leisten können.</p> - -<p>In Wangerin hielt er Mittagsrast. Am Tische neben ihm -saß ein junger Mann, der sich ihm als Weinreisenden vorstellte -und seine Ware anpries. Bismarck verlangte, daß er ihm Proben -vorführe, und der andere brachte, was er bei sich hatte.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[51]</span></p> - -<p>Ein Fläschchen um das andere wurde vor den Augen des -erstaunten Reisenden leer, und Bismarck begehrte immer mehr -Proben, bis dem anderen der Vorrat ausging. Das war in einem -kleinen Stündchen abgetan, und nun ging’s wieder zu Roß weiter -auf der Stargarder Straße, und abends traf der wilde Reiter in -Kollin ein und überraschte die heitere Gesellschaft. Nun gab es -ein fröhlich Zechen, schallendes Gelächter bei manchem lustigen -Schwank, und dem Besucher, der aus der Einsamkeit seines -Kniephof kam, erfrischte es Herz und Mut, sich wieder einmal in -genialer Burschenlust gehen zu lassen.</p> - -<p>Er lud seine Freunde ein, ihn auf seinem Schlößlein zu besuchen, -und sie blieben nicht aus. Der alte Kniephof sah nun -manche übermütige Stunde. In die Nacht hinaus klangen lärmende -Zecherlieder, und oben ging das Trinkhorn in die Runde, -und aus den großen Pokalen trank man Porter und Champagner -durcheinander. Dann raste es mitunter nächtlicherweile wie die -wilde Jagd durch den schweigenden Park, krachende Schüsse -weckten die Ruhe der Schläfer, von abenteuerlichen Streichen, -von wunderlichen Wetten gingen die seltsamsten Geschichten in -der Runde, und bald hieß es: »der tolle Bismarck ist auf Kniephof -wieder lebendig geworden!«</p> - -<p>Manch einer kam, angezogen durch dieses Treiben; er fand ein -gastliches Haus, einen gefüllten Becher, einen jovialen Wirt, – -aber es geschah, daß dieser mitten in der übermütig lärmenden -Unterhaltung ein Wort aufgriff, an das er ernste und geistvolle -Erörterungen knüpfte, wie sie aus historischen Reminiszenzen und -aus seinem eigenen, für die Ehre des Vaterlandes begeisterten -Herzen kamen. Dann horchte die verwunderte Tafelrunde hoch -auf, und manch einem kam ein Ahnen, daß in dem jungen Gutsherrn -mehr stecke, als zur Verwaltung von Kniephof gehöre.</p> - -<p>Das Herz hatte er auf dem rechten Flecke, und das hat er,<span class="pagenum" id="Seite_52">[52]</span> -wo es galt, bewiesen. Im Sommer 1842 war er als Landwehroffizier -in Lippehne. Der schneidige Ulanenleutnant war auch -hier einem kecken, lustigen Streiche nicht abgeneigt, so wenig wie -den Freuden des Bechers. Eines Nachmittags kam er mit -einigen Kameraden an den Wendelsee. Er wollte mit seinen Begleitern -über die Brücke gehen, die über denselben führt, da er -aber merkte, daß eben sein Reitknecht ankam, um in dem Wasser -sein Pferd zu schwemmen, blieb er stehen. Der Bursche ritt -zwischen der Brücke und der Gotthardtschen Gerberei in den See. -Ob nun die Anwesenheit der Offiziere ihn verwirrte, oder ob -das Pferd den Grund verlor, – genug, er zog die Zügel zu -straff an, das Tier wurde unruhig, bäumte sich, und der Reiter -flog herab und verschwand auch sogleich in den Wellen.</p> - -<p>Bismarck überlegte in diesem Augenblicke nicht; er warf Mütze -und Säbel fort und sprang, wie er war, in Uniform, über das -etwa 15 Fuß hohe Brückengeländer kopfüber in den See. Mit -starker Hand faßte er den Burschen, der halb bewußtlos ihn so umklammerte, -daß er selbst in freier Bewegung gehindert war. Da -riß er denselben mit sich nieder zum Grunde, um ihn bewußtlos -zu machen. Es waren bange Augenblicke für die, welche auf der -Brücke standen. Blasen stiegen aus dem Wasser … aber die -beiden Menschen kamen nicht empor. Endlich tauchte das Haupt -Bismarcks auf. Er hatte mit fester Hand den Burschen gepackt, -ihn auf den Rücken geworfen, und zog nun schwimmend ihn hinter -sich her, bis er Grund fand. Nun schleppte er den Bewußtlosen -auf seinen Armen an das Ufer, wo er freudig begrüßt wurde.</p> - -<p>Eine gewaltige Erregung ging durch die ganze kleine Stadt, -und als Bismarck, der sich in der Nähe umgekleidet, nach derselben -zurückkehrte, kam ihm eine Schar von Bürgern mit dem -Oberpfarrer Stöhr in seiner Amtstracht an der Spitze entgegen, -um ihn zu begrüßen und zu beglückwünschen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[53]</span></p> - -<p>Bald darauf erhielt er vom König die Rettungsmedaille, -welche er jederzeit mit Stolz getragen hat.</p> - -<p>Der flotte Offizier ging wieder nach Kniephof zurück. Es -kam ihm doppelt still vor, und manchmal war’s ihm, als dränge -es ihn hinaus in die Welt, – der gärende Most wollte noch -nicht zur Klärung kommen. Das Wort, das seine herrliche Mutter -einst gesprochen: »Bernhard soll Landrat, Otto Diplomat werden!« -kam ihm immer wieder in den Sinn. Der erste Teil war zur -Wahrheit geworden, sein Bruder saß als Landrat in Naugard, -und der Ausspruch der Mutter erschien ihm bezüglich seiner selbst -wie eine vorwurfsvolle Mahnung.</p> - -<p>So kam es, daß er einen neuen Anlauf nahm und wieder bei -der Potsdamer Regierung als Referendar eintrat. Ein rechtes Behagen -fand er aber bei alledem nicht, zumal sein Vorgesetzter, der -Regierungspräsident, ihn in beinahe geringschätziger Weise behandelte. -Da kam ihm der alte Bismarcktrotz, und es brauchte -nicht viel, um den Becher des Unmuts bei ihm überschießen zu -lassen.</p> - -<p>Eines Tages erhielt er von seinem Bruder das Ersuchen, -ihn auf einige Zeit zu vertreten. Er begab sich zu seinem Vorgesetzten, -um sich einen Urlaub zu erbitten. Als er eintrat, stand -dieser am Fenster, kehrte ihm den Rücken zu und trommelte auf -der Scheibe. Bismarck stand einige Augenblicke ruhig, dann schritt -er an ein anderes Fenster und begann nun seinerseits erst leise, -dann immer vernehmbarer und lustiger einen Marsch mit den -Fingerspitzen zu exekutieren.</p> - -<p>Jetzt fuhr der Präsident unmutig herum, und während der -Referendar noch weitertrommelte, fragte er zornig:</p> - -<p>»Was wünschen Sie?«</p> - -<p>»Eigentlich wollte ich mir einen Urlaub nachsuchen, jetzt bitte -ich um meinen Abschied.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[54]</span></p> - -<p>Und nun ging er nach Pommern, um für seinen Bruder -einzutreten, dann aber trieb es ihn hinaus in die Welt, und selbst -seine Freunde wußten nicht immer, wo sie mit ihrem Gedanken -ihn suchen sollten.</p> - -<p>Im Herbst 1844 trafen sich zwei derselben im Seebad Norderney. -Der eine fragte:</p> - -<p>»Wissen Sie nichts von Otto von Bismarck?«</p> - -<p>»Nach den letzten Nachrichten war er in England – und -dieser Tage habe ich eine Mitteilung aus Pommern erhalten, -nach welcher er von dort nach Indien zu gehen beabsichtigt.«</p> - -<p>»Sieht ihm ähnlich, dem unruhigen Geiste, – er weiß eben -nicht, wohin er soll mit seiner Kraft.«</p> - -<p>Und während die zwei so redeten, kam er selber mit langsamen -Schritten über die Dünenhügel her. Die Gestalt schien -noch stattlicher geworden; aus dem gesunden, bartumrahmten Gesichte -blitzten die klaren Augen, und kraftvoll und sicher kam er -heran, sehr zum Staunen und zur Freude seiner Freunde.</p> - -<p>Lange hielt er an der See nicht aus. Er mußte heim, es zog -ihn nach Schönhausen, wo am 30. Oktober ein schönes Familienfest -stattfinden sollte, die Vermählung seiner Schwester Malwine -mit seinem Jugendfreunde Oskar von Arnim-Kröchlendorff. Das -Herrenhaus in der Altmark prangte im Festschmucke, seine »Malwine« -strahlte vor Glück, und sein Vater war freudig erregt, ihn -selbst aber wollte eine leise Wehmut fassen bei dem Gedanken, daß -sein »sehr Geliebtes« jetzt aus dem Elternhause gehe und sein -Vater nun ganz allein bleiben sollte.</p> - -<p>Als der Hochzeitslärm und die Festlust verrauscht war, blieb -er noch bei dem alten Herrn zurück. Sie gingen täglich zusammen -durch den Park und nach der Schäferei, widmeten sich gemeinsam -der Beobachtung der Thermometer und bemühten sich gleich -weiland Karl V. die Uhren im Herrenhause in Übereinstimmung<span class="pagenum" id="Seite_55">[55]</span> -zu bringen. Endlich mußte er aber doch daran denken, wieder -nach Kniephof zu gehen. Beim Abschied von Schönhausen band -er dem Inspektor Bellin und seiner Frau es dringendst auf die -Seele, recht gut für den alten Herrn zu sorgen, eine Mahnung, -welche die kleine, wackere Frau beinahe als Beleidigung hätte -ansehen dürfen.</p> - -<p>Nicht lange danach gab es eine zweite Hochzeitsfeier, auf -dem pommerschen Herrensitze Triglaff, wo Bismarcks liebster -Freund, Moritz von Blankenburg, mit der Tochter des Hauses -sich vermählte. Es war ein vergnügtes Fest, und die Zahl der -Gäste eine große. Unter den Brautjungfern aber befand sich ein -anmutiges Edelfräulein, einfach und doch gewinnend in ihrem -ganzen Wesen, und als Bismarck ihr vorgestellt wurde, hatte er -ein eigentümlich wonniges Empfinden. Das Mädchen mit den -blauen Augen, <em class="gesperrt">Johanna von Puttkamer</em>, hatte es ihm -von der ersten Begegnung ab angetan.</p> - -<p>»Sie ist die einzige Tochter von Jakob von Puttkamer; seine -Frau ist eine geborene von Glasenapp, und sie sitzen auf Reinfeld,« -hatte Blankenburg ihm gesagt, und ein anderer Freund fügte bei:</p> - -<p>»Da geht’s anders zu als auf Ihrem Kniephof, lieber Bismarck. -Da gibt’s keine tollen Wetten, keine wilden Jagden und -kein Porter-Sekt-Gemisch aus Ochsenhörnern, da ist alles fein -ehrsam und sittsam, ruhig und fromm. Ihr singt »Freut euch des -Lebens«, und auf Reinfeld werden nur Choräle gesungen. Also -sehen Sie dem Fräulein von Puttkamer nicht zu tief in die -Augen!«</p> - -<p>Aber Bismarck tat, wie es ihm paßte, und als er abends -im Garten zu Triglaff neben dem anmutigen Mädchen saß und -mit ihr plauderte, da war ihm das ganze Feuerwerk gleichgültig -geworden, welches dem jungen Paare zu Ehren losgebrannt -wurde. Die Stimmung war bei allen eine froherregte: Die spielenden<span class="pagenum" id="Seite_56">[56]</span> -Lichter, die rollenden Feuersonnen, die aufzuckenden -Strahlengarben, welche in die Abenddämmerung hineinglühten, erhöhten -dieselbe, und Scherze und heitere Zurufe gingen hin und -her. –</p> - -<p>Da sauste zischend eine Rakete empor, den funkelnden Schweif -nach sich ziehend, und aller Augen folgten. In demselben Moment -erhob sich ein stärkerer Windstoß, welcher das Geschoß seitwärts -trieb gegen den Wirtschaftshof. Dort fiel es auf ein Strohdach -nieder, und nach wenigen Minuten loderte daraus eine Flamme -empor, welche nichts weniger als programmgemäß war. Der -Wind machte die Sache noch gefährlicher. Angstrufe erschollen, -Verwirrung kam unter die Gäste, die Dienerschaft und die Dorfleute -liefen davon, und die glühende Lohe schlug bereits hoch -empor und schwelte hinüber nach einem Nachbargebäude.</p> - -<p>Bismarck verlor keinen Augenblick seine Besonnenheit. Er -eilte nach dem Stalle, wo er mit der neuvermählten Frau -von Blankenburg zusammentraf, welche, beseelt von gleicher -Energie, ihm half, die Pferde herauszuholen und vor einen Wasserwagen -zu spannen, und gleich darauf jagte der junge Edelmann -die Rosse nach der Brandstätte zu und brachte hier mit seinem -bestimmten Wesen, mit seiner sicheren Klarheit Ordnung in die -Löschanstalten. Das Feuer aber griff trotzdem rasch um sich, und -am Morgen beleuchtete die aufgehende Sonne die rauchenden -Trümmer auf dem Gutshofe wie im Dorfe selbst.</p> - -<p>Als Bismarck von Triglaff schied, sagte ihm der alte Herr -von Thadden:</p> - -<p>»Ich glaube, lieber Freund, es hat gestern zweimal gebrannt -auf Triglaff, und der zweite Brand wird sich wohl nicht wieder -löschen lassen. Na, Sie wissen wenigstens, wo die Brandstifterin -wohnt und können sie auf Reinfeld zur Rechenschaft ziehen. Viel -Glück dazu!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[57]</span></p> - -<p>Die Worte sangen und klangen dem jungen Edelmann noch -lange in den Ohren, und wenn er daran dachte, mußte er still -vor sich hinlächeln.</p> - -<p>Der Winter ging, und der Frühling kam, und der junge -Gutsherr hatte alle Hände voll zu tun mit seiner Landwirtschaft, -dazwischen brach wohl auch einmal die alte, stürmische Lust, in -die Welt zu jagen, sich Bahn. Das Gefühl einer gewissen Vereinsamung -überkam ihn manchmal auf seinem Kniephof, und er -strich dann freundlicher über den Kopf Odins, seines Hundes, -der ihm ein treuer Begleiter war.</p> - -<p>Das Jahr sollte auch noch trübe genug enden. Im November -erhielt Bismarck die Nachricht, daß es mit seinem Vater, der -von einem Schlaganfall sich nicht mehr erholen konnte, recht -schlimm stehe, und so eilte er nach Schönhausen. Er fand den -Teuren sehr schwach, und gab sich keinen Hoffnungen hin. Auch -der Inspektor Bellin und seine Frau waren mutlos und verzagt. -Die Frau erzählte:</p> - -<p>»Ach, ich hab’s ja schon kommen sehen. Vor einigen Wochen, -Sonntags, kam der gnädige Herr gar nicht, um sich zur Kirche -zu begeben, die er doch nie versäumte. Die Glocken hatten schon -geläutet, und so nahm ich mir den Mut, bei ihm einzutreten und -ihn zu erinnern. Da sprach er ganz traurig: ›Ach, liebe Bellin, -ich muß doch sehr schlecht hören, wenn ich die Kirchenglocken überhöre.‹ -Und dann ging er eilig nach dem Gotteshause.«</p> - -<p>Und der Inspektor fügte bei:</p> - -<p>»Er hat manchmal so Ahnungen gehabt, und das gefällt -mir nicht. Wie heuer im Frühjahr uns die Elbe bis in den -Park hereinkam und einige von unseren schönen, alten Linden -wegnahm, da war der gnädige Herr so sehr gedrückt. ›Mein -lieber Bellin,‹ sagte er, ›die Linden sind eingegangen, ich denke, ich -gehe nun auch bald ein‹.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_58">[58]</span></p> - -<p>Und am 22. November hielt der treue Sohn die erkaltende -Hand des Vaters in der seinen und drückte diesem die Augen zu.</p> - -<p>Das war ein Trauertag für Schönhausen, als der alte, brave -Gutsherr in die Gruft gesenkt wurde, und von den Bauern -wischte sich manch einer die Augen aus, dem der Verewigte mit -Rat und Hilfe beigestanden. Ernst und trübe sahen die beiden -Brüder den Sarg hinabsenken, dann gingen sie schweigend nach -dem Herrenhause zurück.</p> - -<p>»Wie ist’s, Otto,« sagte dort Bernhard, »du übernimmst -Schönhausen und überläßt mir Jarchelin.«</p> - -<p>»Wenn dir’s so recht ist, Bernd – ich bin einverstanden!«</p> - -<p>So war die Erbschaftsangelegenheit glatt und einfach geordnet, -und das alte Schönhausen sah im nächsten Frühling einen -freundlicheren Tag. Johannistag war’s, das liebliche Sommersonnwendfest. -Die alten Linden blühten und dufteten, die Sonne -blickte hell vom blauen Lenzhimmel, und am Portal des Herrenhauses -standen der Inspektor und seine Frau, Knechte und Mägde, -Bauern und Bäuerinnen. Der Eingang war mit grünen Reisern -umwunden, und Otto von Bismarck hielt seinen Einzug in seinen -Stammsitz, und nannte sich nun <em class="gesperrt">von Bismarck-Schönhausen</em>.</p> - -<p>Aber einsam war es ihm hier, gar so einsam. Der tolle -Jugendübermut schien ausgeschäumt zu haben, er hatte wiederholt -bereits dem Ernst des Lebens in das Auge geschaut, hatte Amt -und Würden angenommen als Deichhauptmann und als Vertreter -der Ritterschaft des Kreises Jerichow im Merseburger Provinziallandtag. -Aber seine Seele sehnte sich nach dem Glücke des -Familienlebens, und immer wieder trat das Bildnis jenes anmutigen -Fräuleins, das es ihm auf Triglaff angetan, vor ihn hin.</p> - -<p>In solcher Stimmung traf ihn eine Aufforderung seines -Freundes Blankenburg zu einer Herbstreise; auch Fräulein von<span class="pagenum" id="Seite_59">[59]</span> -Puttkamer werde sich beteiligen. Das war der Wink des Schicksals, -ihm mußte Folge geleistet werden.</p> - -<p>Was war doch das für ein herrliches Wandern durch die -malerischen Täler, auf die umgrünten Höhen des eigenartigen -deutschen Gebirges! Blauer Himmel über herrlichen, lachenden -Landschaftsbildern, Lerchengesang in der Luft und jauchzenden -Herzschlag in der Brust. Das junge Blankenburgsche Paar störte -den in zwei Seelen erwachenden Frühling nicht, und unter den -leise rauschenden Bäumen des Harzwaldes ward der Bund so -gut wie geschlossen. Glückselig kehrte Bismarck in sein Schönhausen -heim und setzte sich nun hin, um an Herrn und Frau von -Puttkamer auf Reinfeld zu schreiben und sie um die Hand ihrer -Tochter zu bitten.</p> - -<p>Der Brief tat eine wunderliche Wirkung. Der alte Herr, -der eben von einem Ritt ins Feld heimkam, las ihn und traute -seinen Augen kaum. Dann eilte er zu seiner Frau.</p> - -<p>»Höre, Luitgard, – lese ich denn recht? – Mir ist’s, als -hätt’ mir einer mit der Axt auf den Kopf geschlagen! – Der wilde -Bismarck will unsere Johanna zur Frau!«</p> - -<p>Frau von Puttkamer schlug die Hände zusammen.</p> - -<p>»Unmöglich – unser stilles, frommes Kind und dieser tolle -Bismarck. Da ist kein Segen drin, dazu gebe ich niemals meine -Hand!«</p> - -<p>»Ja, er schreibt auch hier, mit Johanna wäre er einig – -na, das ist eine schöne Bescherung!« Die Frau des Hauses war -aufgesprungen, sie rief nach ihrer Tochter. Das Fräulein kam -mit geröteten Wangen, sie schien zu ahnen, um was es sich -handle, und daß sie nun den ersten Kampf für den Mann ihrer -Wahl bestehen müsse. Und sie bestand ihn siegreich gegen die -Aufregung des Vaters und gegen die Tränen der Mutter. Von -der Kraft ihrer Herzensneigung erfüllt, trat sie mutvoll für den<span class="pagenum" id="Seite_60">[60]</span> -Geliebten ein, und als die Eltern den entschiedenen Willen ihrer -sonst so sanften Tochter erkannten, wurde der Freier eingeladen, -nach Reinfeld zu kommen.</p> - -<p>Und er kam. Die imponierende Persönlichkeit mit ihrer -ritterlichen, gewinnenden Vornehmheit gewann die Mutter, der -patriotische, warmherzige, königstreue Sinn den Vater, und so -gab es eine fröhliche Verlobung.</p> - -<p>Nun ward auf Schönhausen gerüstet zum Empfang der -Herrin. Das alte Herrenhaus ward neu in Stand gesetzt, aber -es kam noch ein Winter und ein Frühling, ehe der Bund den Segen -der Kirche erhielt.</p> - -<p>Der Lenz des Jahres 1847 zog ins Land mit Sturm und -Brausen, und der Deichhauptmann ritt hinaus, um in Wetter -und Graus seinen Pflichten zu genügen, und dabei lebte seine -Seele in einer freundlichen Zukunft, wie schön es sein werde, -wenn er nach stürmischem Tage heimkommen und Sturmmütze und -Regenmantel ablegen und in das wohnliche Heim eintreten werde, -wo zwei freundliche Augen ihm entgegenleuchten, zarte, liebe -Lippen ihn begrüßen werden. Was kümmerten ihn die Frühlingsschauer -und die rauhen Wettertage! Mitunter trieb es ihn -auch zu Fuße hinaus an den Strand, um zu sehen, ob dem Uferlande -keine Gefahr drohe. So kam er einmal dahergeschritten, -mit seinem forschenden Auge die Deiche prüfend. Eine große, -tiefe Lache – die Elbe war über ihre Ufer getreten – hemmte -ihn auf seinem Wege. Er stand einen Augenblick still in ruhiger -Überlegung, da erblickten ihn zwei Bauern, die mit ihren Angelruten -am Ufer standen.</p> - -<p>Der eine kam eilig herbei:</p> - -<p>»Herr Deichhauptmann, ich trage Ihnen auf dem Rücken -hinüber.«</p> - -<p>Bismarck lachte: »Lieber Pietsch, das sind 182 Pfund!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[61]</span></p> - -<p>»All’ eins, Herr Deichhauptmann, Ihnen tragen wir alle -mit Freuden!«</p> - -<p>Dem Edelmann schlug das Herz wärmer bei solchen Worten -des schlichten Mannes aus dem Volke. Das war die ehrliche -märkische Art, die Art, aus welcher die Liebe auch zu König -und Vaterland in Not und Gefahr erwuchs. Er dankte dem -Manne herzlich, dann trat er mit seinen hohen Stiefeln ruhig -in die Lache und schritt hindurch. Wenn es der einfache Bauer -konnte, so mußte es auch der Deichhauptmann können. Die -Bauern aber sahen ihm noch ein Weilchen nach, dann sagte der -eine:</p> - -<p>»Ein ganzer Mann mit dem Herzen auf dem rechten Flecke!«</p> - -<p>»Gott erhalt’ ihn!« sprach der andere.</p> - -<p>Der Sommer kam, und am 20. Juli ward in Reinfeld ein -schönes Fest gefeiert, das zwei Menschen für ein ganzes reiches -Leben verband, wie sie besser sich nicht finden konnten: Die Kraft -und die Anmut, die Energie und die Milde hatten sich vereint – -Otto von Bismarck hatte für sein Haus »das Herz« gefunden.</p> - -<p>Und nun ging es hinein in die lachende Gotteswelt, dem -schönen Süden entgegen. Die Tiroler Alpen und die Schweizer -Firnen sahen nieder auf das glückliche Paar, dem die ganze -Welt zu gehören schien, und das sein Glück widerspiegelte in den -dunkeläugigen Bergseen und in der lachenden Wonne des italienischen -Landes.</p> - -<p>In der alten Dogenstadt Venedig hielten sie kurze Rast und -fuhren über die in ernstem Schweigen ruhenden Lagunen und -des Markusplatzes historische Pracht, aber das Herz des märkischen -Edelmannes schlug höher, als er vernahm, daß gleichzeitig auch -sein König Friedrich Wilhelm IV. in der alten Stadt der Wunder -weile, und er konnte es sich nicht versagen, ihm seine Ehrerbietung -auszudrücken.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_62">[62]</span></p> - -<p>Auch der König war erfreut über die Begrüßung, zumal ihm -Bismarcks Name aus seiner jungen politischen Tätigkeit, die er -seit kurzem entwickelte, vorteilhaft bekannt war; er unterhielt sich -mit ihm in seiner lebhaften, geistvollen Art und war sichtlich erfreut -über die ehrliche, schlichte Weise seines Untertans, so daß -er ihn zur Tafel lud. Einen hoffähigen Anzug führte Bismarck -freilich nicht auf seiner Hochzeitsreise mit, und er hatte Not, in -Venedig etwas Passendes zu erhalten, aber das Herz, das unter -dem geliehenen Gewande schlug, war und blieb die Hauptsache.</p> - -<p>Begeistert für seinen König noch mehr als zuvor, setzte -Bismarck mit seiner jungen Gattin seine Reise fort, und erst der -Herbst lockte ihn wieder nach der Heimat, in das trauliche Nest, -in dem er sein Vöglein betten wollte.</p> - -<p>Die Altmark zeigte dem Heimkehrenden kein besonders freundliches -Gesicht. Die Ernte war längst vorüber; kahl standen die -Felder, durch die Kiefernbestände fauchte der Herbstwind, und -durch den sinkenden Abend fuhr das Paar dem alten Herrensitze -an der Elbe entgegen.</p> - -<p>Sie hofften überraschend zu kommen, aber der Tag ihrer -Ankunft war doch kein Geheimnis geblieben. Über den alten, -rauschenden Linden hin zog sich ein grüßender Lichtschimmer, und -als der Wagen hielt, da strahlte es von hundert Lichtern und -Fackeln, und ihr Schein vergoldete das alte Bismarckwappen -über dem Portal, die grünen Kränze und Girlanden, die es -reich umschlangen, und die glücklichen Gesichter einer lebendig -bewegten Volksmenge, welche erschienen war, des Hauses junge -Herrin festlich zu begrüßen.</p> - -<p>Jubelnder Zuruf klang dem Paare entgegen, höher loderten -die Fackeln und Lichter, so daß ein rötlicher Schimmer über dem -ganzen Bilde lag und gegen den Himmel stieg. Noch wogte die -Lust und Freude, als Räderrasseln erklang und eine Spritze aus<span class="pagenum" id="Seite_63">[63]</span> -dem nahen Dorfe angefahren kam, deren Bemannung, getäuscht -durch den Lichtschein, jetzt erkannte, daß es hier nichts Ernstliches -zu löschen gab.</p> - -<p>Nun konnte der Winter kommen; das freundliche Herrenschloß -hatte seinen Sonnenschein alle Tage, und der wackere Deichhauptmann -fand, wenn nach des Tages Mühen Frau Johanna -im traulichen Gemache sich an den Flügel setzte und den Zauber -der Töne mit ihren gewandten Fingern heraufbeschwor, daß es -kein Glück gebe, dem einer anmutigen Häuslichkeit vergleichbar.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="Fuenftes_Kapitel"><span class="smaller">Fünftes Kapitel.</span><br> -In gärender Zeit.</h2> -</div> - -<p>Das Sturmjahr 1848 war über Deutschland hingebraust. -Die Vertreibung des französischen Königs durch sein Volk hatte -auch hier die Geister entfesselt, und ein ungestümer Freiheitsdrang -regte sich überall. Volksaufstände fanden da und dort statt, und -während die Sehnsucht der Besseren nach nationaler Einigung -Deutschlands und nach einem freieren Verfassungsleben hindrängte, -verlangten die ungebildeten Bevölkerungsschichten sowie -fanatische Hitzköpfe überhaupt den Umsturz alles Bestehenden, Republiken -und Freiheit und Gleichheit aller Stände.</p> - -<p>Alles war aus Rand und Band, und bis in die kleinsten Orte -hinein zitterte die Aufregung, und feindliche Parteien standen<span class="pagenum" id="Seite_64">[64]</span> -einander gegenüber. Die Erbitterung derselben steigerte sich noch -mehr, sobald es sich um politische Wahlen in den Landtag handelte. -Demokratisch und königstreu waren die Schlagworte, um -welche sich alles drehte.</p> - -<p>Das konnte man an einem Frühlingstage des Jahres 1849 -auch in der märkischen Stadt Rathenow sehen. In den Gassen -war eine außergewöhnliche Bewegung, mehr noch aber war dies -der Fall in einem der bekanntesten Gasthäuser des Ortes, in -dessen Saale Otto von Bismarck in einer von den Königstreuen -einberufenen Versammlung seine Kandidatenrede halten wollte.</p> - -<p>In der Gaststube im Erdgeschoß platzten die Geister bereits -lebhaft aufeinander.</p> - -<p>»Er ist ein Junker, ein Streber, und einen solchen können -wir nicht in der Kammer brauchen!« rief ein Mann im Schurzfell, -und ein anderer erwiderte:</p> - -<p>»Aber er weiß, was er will, und das wißt ihr Demokraten -allesamt nicht! Und er ist ein charakterfester Mann, und solche -Leute brauchen wir heutzutage.«</p> - -<p>»Ach was, er schreibt Briefe an den König und läßt sich von -ihm einladen, sperenzelt um ihn herum in Berlin und Sanssouci.«</p> - -<p>»Schämt Euch, Krämer« – schrie jetzt der Schornsteinfegermeister -Wolf – »daß Ihr die Tatsachen so entstellt. Ihr wißt -so gut wie wir, was es mit alledem für eine Bewandtnis hat. -Den Brief hat er geschrieben, wie in Berlin alles aus Rand und -Band war, und wie die Umstürzler unseren König so schwer beschimpft -haben, und er hat darin nichts anderes gesagt, als was -jeder ehrliche, brave Preuße damals gesagt hat. Daß das dem -hohen Herrn wohltat und daß er nicht nur den Brief wochenlang -auf seinem Schreibtische liegen ließ, sondern auch den Schreiber -zu sich rief und um seinen Rat anging, ist doch nichts, was dem -Herrn von Bismarck zum Vorwurf gereichen kann.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_65">[65]</span></p> - -<p>»Na, er hat in solchen Unterhaltungen wohl nicht fürs Volk -geredet, sondern sein Schäflein geschoren!« rief es wieder von -einer Seite, und unter Beifallsgebrüll nahm ein junger Mensch -das Wort, ein herumziehender Agitator, von dem eigentlich niemand -wußte, wer und was er war:</p> - -<p>»Wie gut es euer Bismarck mit dem Volke meint, hat er -selber klar ausgesprochen. Alle großen Städte müßten vom Erdboden -vertilgt werden, das ist sein Wort, und warum: Weil dort -allein das Volk stark genug ist, seinen Willen durchzusetzen und -seine Freiheit zu erzwingen, wie’s in Berlin geschehen ist. Und -was er dem König für Ratschläge gegeben hat, das wissen wir -ganz genau. Friedrich Wilhelm IV. war immer zu Nachgiebigkeit -geneigt, aber Bismarck war wie der Böse dahinterher und -suchte ihn zu reizen, durch Gewalt und mit Blut die heilige Erhebung -des Volkes niederzuschlagen. In Potsdam hat er das -sogar in so entschiedener Weise getan, daß die Königin hinzutretend -gesagt haben soll: »Wie können Sie in solchen Ausdrücken -mit Ihrem König reden?« – Das ist euer Bismarck, dem nichts -hart genug ist, wenn dem Volke das Fell über die Ohren gezogen -werden soll, und der unsere neue Freiheit in unserem Blute -ersticken will. Fort mit Bismarck!«</p> - -<p>Und »Fort mit Bismarck!« scholl es jetzt vielstimmig, nur der -Schornsteinfeger ließ sich nicht einschüchtern:</p> - -<p>»Das ist leeres Geschwätz von einem hergelaufenen Manne. -Freiheit von eurer Sorte wünschen wir gar nicht, und uns ist -Herr von Bismarck gerade so recht, wie er ist. Dem wühlenden -Demagogentum, das den ehrlichen Bürgerstand beunruhigt und -ruiniert, müssen die Zähne gezeigt werden. Wir wollen auch -Freiheit, aber ohne den Umsturz von alledem, was uns von unseren -Altvorderen heilig gewesen ist.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[66]</span></p> - -<p>Schreien und Johlen unterbrach den Sprecher, um den sich -seine Parteigenossen drängten, denn die Gemüter wurden immer -erhitzter, der aber rief mit lauter Stimme:</p> - -<p>»Das ist wohl eure Freiheit, daß ihr jeden niederbrüllt, -der eine andere Meinung hat als ihr? – Gerade so haben sie’s -dem Herrn von Bismarck gemacht, als er 1847 seine Jungfernrede -im Landtage hielt. Aber er hatte gezeigt, daß er Mut und -Kaltblütigkeit hat. Er las, während sie lärmten, seine Zeitung, -und als sie aufhörten, nahm er sein Wort wieder auf. Das hat -mir gefallen, und darum bleibt er mein Mann!«</p> - -<p>Der brave Meister war in dem Lärm und Getöse wenig -verständlich mehr gewesen, nun trank er ruhig seinen Schoppen -aus, und forderte seine Parteigenossen auf, mit ihm zu gehen. -Unter dem lauten Geschrei und Hohngelächter der Gegner gingen -die Männer hinaus und nach dem Saale, welcher schon völlig -angefüllt war mit Menschen, die den königstreuen Kandidaten -sehen und hören wollten.</p> - -<p>Otto von Bismarck war eben eingetroffen. Die im Erdgeschoß -hatten ihn in ihrer Erregung nicht kommen sehen, zumal -er nicht, wie man erwartet hatte, im Wagen vorfuhr. Er stand -bereits auf der Tribüne, als der Schornsteinfegermeister mit seinen -Gefährten eintrat. Die kraftvolle Gestalt war hoch aufgerichtet, -aus dem vom Vollbart umrahmten frischen und energischen -Antlitz blitzten hell und falkenklar die Augen, und die Stimme klang -hell, vernehmlich, ja mitunter scharf.</p> - -<p>Er verurteilte rückhaltlos die Vorgänge, welche in der -revolutionären Bewegung in Berlin zur Demütigung des Königtums -geführt hatten, und entwickelte seinen Standpunkt, wie er -ihn wiederholt furchtlos und entschieden im Abgeordnetenhause -betont hatte:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[67]</span></p> - -<p>»Der Prinzipienstreit, welcher in diesem Jahre Europa in -seinen Grundfesten erschüttert hat, ist ein solcher, der sich nicht -vermitteln läßt. Die Prinzipien beruhen auf entgegengesetzten -Grundlagen, die von Haus aus einander ausschließen. Das eine -zieht seine Rechtsquelle angeblich aus dem Volkswillen, in Wahrheit -aber aus dem Faustrecht der Barrikaden. Das andere gründet -sich auf eine von Gott eingesetzte Obrigkeit, auf eine Obrigkeit -von Gottes Gnaden, und führt seine Entwicklung in der organischen -Anknüpfung an den verfassungsmäßig bestehenden Rechtszustand. -Dem einen dieser Prinzipien sind Aufrührer jeder Art -heldenmütige Vorkämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht, dem -anderen sind sie Rebellen. Über diese Prinzipien wird nicht durch -parlamentarische Debatten eine Entscheidung erfolgen können; über -kurz oder lang muß der Gott, der die Schlachten lenkt, die -eisernen Würfel der Entscheidung darüber werfen. Ich aber werde -leben und sterben für den Grundsatz der Treue zu König und -Vaterland, und muß es nun Ihnen überlassen, ob Sie mich für -den rechten Mann halten, Ihre Anschauungen zu vertreten.«</p> - -<p>Im Saale klang lauter Beifall, der bis auf die Gasse hinausdrang. -Dort aber fand er keinen Widerhall. Der junge demokratische -Agitator hatte in der Wirtsstube auch das Eisen in -seinem Sinne geschmiedet, und die Bewegung war bis auf die -Straße hinaus gedrungen. Der Schornsteinfegermeister Wolf, der -nahe an dem Fenster des Saales stand, blickte hinunter und sah -die vielköpfige erregte Menge, die mit heißen Gesichtern, glühenden -Augen und geballten Fäusten sich hier drängte.</p> - -<p>Da aber jetzt Bismarck den Saal verlassen wollte, suchte -der wackere Mann eilig zu ihm heranzukommen und sagte:</p> - -<p>»Herr von Bismarck, gehen Sie jetzt nicht hinaus, sie wollen -Ihnen an den Leib.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[68]</span></p> - -<p>Der Angeredete hob seine mächtige Gestalt höher, ein beinahe -spöttisches Lächeln umflog den Mund, und die Augen schauten -furchtlos und ruhig drein, als er erwiderte:</p> - -<p>»Ach, glauben Sie doch den Bläffern nicht!«</p> - -<p>Ohne weiter sich aufzuhalten, trat er auf den Vorsaal und -ging die Treppe hinab. Im Hausflur bereits stand eine johlende -Menge. Geschrei, Zischen, niedrige Schimpfworte flogen ihm -entgegen, und einige geballte Fäuste hoben sich wider ihn.</p> - -<p>»Rebellen hat er uns genannt – totschießen will er uns -lassen – fort mit dem Junkerregiment!« so schrie es ihm auch -von der Gasse entgegen, aber mit festem Blick schaute er über -die Menge hin, und während Meister Wolf und der Stadtschreiber -Noack ihn in die Mitte nahmen, schritt er hochaufgerichtet, -mit ruhiger Sicherheit durch das Volk, das ihm eine Gasse machte -und dem kühnen Recken nicht den Weg zu verlegen wagte.</p> - -<p>So kam er nach dem Gasthause, wo sein Wagen stand. Die -aufgeregten und von dem unreifen Hetzer aufgereizten Leute waren -ihm auch bis hierher gefolgt und schienen seine Abfahrt hindern -zu wollen. Die Lage war äußerst unbehaglich, und als er aus -dem Hause trat, gelang es ihm nur mit Mühe, an das Gefährt -heranzukommen und dasselbe zu besteigen.</p> - -<p>Wilder und ungestümer aber brach jetzt das Geschrei und -Pfeifen los, und aus der gedrängten Schar sausten Steine nach -dem kühnen Manne. Einer derselben traf wuchtig seinen linken -Arm und fiel in den Wagen. Einen Augenblick übermannte ihn -jetzt Zorn und Schmerz: er ergriff den Stein und sprang von -seinem Sitz empor mit flammenden Augen, und wie er so den -Arm erhob zum Wurfe, da drängte das feige Gesindel zurück vor -der imponierenden Erscheinung. Das gab ihm seine Ruhe wieder. -Es schien ihm unwürdig, hier Gleiches mit Gleichem zu vergelten, -mit einer verächtlichen Gebärde warf er seinen Angreifern den<span class="pagenum" id="Seite_69">[69]</span> -Stein vor die Füße, legte sich in den Sitz zurück, rief dem -Kutscher zu: »Vorwärts!« und gleich darauf zogen die bereits -unruhigen Tiere an, und durch die zu beiden Seiten zurückweichende -Menge fuhr der Wagen rasch dahin durch die Gasse.</p> - -<p>Die Rathenower wählten aber doch Bismarck wiederum zu -ihrem Abgeordneten, und so reiste er, nachdem er zuvor in seiner -freundlichen Häuslichkeit zu Schönhausen gewesen, neuerdings -nach Berlin, um den übernommenen Pflichten zu genügen.</p> - -<p>Im Eisenbahnkupee saß er mit einem alten Herrn, einem -ehemaligen Offizier, beisammen und unterhielt sich mit diesem -über die politische Lage. Da stieg in einer Zwischenstation ein -junges Herrchen ein, der sein Gepäck – allem Anschein nach -einen Musterkoffer – ziemlich herausfordernd auf den Sitz legte, -sich dann in eine Ecke lehnte und nun mit überlegen spöttischem -Blicke die beiden Herren betrachtete, welche sich in ihrem ruhigen -Gespräche nicht stören ließen.</p> - -<p>Der alte Offizier hatte eben sein Bedauern darüber ausgesprochen, -daß bei den Berliner Straßenunruhen der König das -Militär zurückgezogen und sich in die Hand des Volkes gegeben -hatte, da warf der junge Mann eine höhnische Bemerkung dazwischen:</p> - -<p>»Ja, die Volkssouveränität paßt manchem nicht in den Kram, -glaub’s wohl, aber gottlob, mit Säbelrasseln und feudalen -Phrasen wird die neue Zeit nicht aufgehalten. Es geht ein -scharfer Wind für die Junker, und er wird manche alten Vorrechte -wegblasen. Ja, Freiheit und Gleichheit! Freiheit und -Gleichheit!«</p> - -<p>Bismarck sah den Menschen mit einem durchdringenden Blicke -an, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, jener aber perorierte, -unbekümmert um die beiden anderen, in seiner geschwätzigen Art -weiter. Seine Ansichten waren so unreif, daß der alte Offizier,<span class="pagenum" id="Seite_70">[70]</span> -obwohl gerade er sich vielfach hätte verletzt fühlen dürfen, es -doch nicht der Mühe wert hielt, mit dem kecken Angreifer anzubinden, -der dadurch nur immer mehr ermutigt zu werden schien. -Bismarck aber hatte ihn immer wieder einmal mit seinen scharfen -Augen gemessen und dann sein Gespräch mit seinem Gegenüber -fortgesetzt, als ob der vorlaute Musterreiter Luft wäre.</p> - -<p>Nun hielt der Zug auf dem Bahnhofe in Berlin. Der -Reisende war ausgestiegen, und nachdem Bismarck sich rasch von -dem Offizier verabschiedet, verließ auch er das Kupee. Mit -einigen weitausgreifenden Schritten stand er vor dem jungen -Manne, seine mächtige Gestalt hoch aufrichtend und die blitzenden -Augen ihm in das Gesicht bohrend, so daß derselbe beinahe scheu -zurückwich. Wiederum machte Bismarck einen Schritt auf ihn zu, -mit seinen mächtigen Blicken ihn bannend, so daß der andere abermals -zurücktrat. Der unerbittliche Verfolger aber heftete sich an -seinen Fuß und drängte ihn so vor sich her, bis der geängstigte -Reisende beinahe an die Wand gedrückt war.</p> - -<p>»Wie heißen Sie denn?« fragte der Verfolger kalt und fest, -und der andere stotterte in Befangenheit und Ängstlichkeit:</p> - -<p>»Ich – ich heiße Nelke!«</p> - -<p>»Dann hüten Sie sich, Sie Nelke, wenn Sie nicht von mir -gepflückt werden wollen!«</p> - -<p>Noch einmal sah Bismarck dem zerknirschten Schwätzer in -das blasse Gesicht, dann wendete er sich langsam ab und schritt -ruhig den Perron entlang.</p> - -<p>Berlin selbst wollte ihm jetzt gar nicht gefallen. Die neue -Zeit rumorte hier zu sehr in allen Köpfen, und ihre Zeichen -machten sich auf Schritt und Tritt bemerkbar. Selbst der Drang -nach einer nationalen Einheit, welcher die besten deutschen Herzen -erfüllte, hatte für Bismarck etwas beinahe Unheimliches, weil daneben -auch jener unklare Freiheitsdrang sich breitmachte, der am<span class="pagenum" id="Seite_71">[71]</span> -liebsten Thron und Krone hinweggefegt hätte und aus Deutschland -eine Republik machen wollte.</p> - -<p>Diese Bestrebungen traten deutlich genug hervor bei der seit dem -18. Mai 1848 in Frankfurt a. M. tagenden deutschen Nationalversammlung, -welcher Männer aus ganz Deutschland angehörten, -welche den Bundestag beseitigte, einen Reichsverweser in der -Person des Erzherzogs Johann von Österreich wählte und nun -die »Grundrechte des deutschen Volkes« und eine »Verfassung für -Gesamtdeutschland« beriet. Da platzten die Geister oft stürmisch -aufeinander, und selbst die vielen vortrefflichen Männer, die, erfüllt -von wahrer Begeisterung für das Wohl des deutschen Volkes, -ihre beste Kraft und Überzeugung einsetzten, konnten nicht immer -den revolutionären Demokraten, welchen die Freiheit über die -Einheit ging, einen Damm setzen, und es kam in Frankfurt selbst -unter den Augen der Nationalversammlung zu den rohesten Ausschreitungen -des fanatischen Pöbels.</p> - -<p>Endlich war man aber doch einig geworden, daß fortan ein -erblicher Kaiser an der Spitze Deutschlands stehen solle, und als -solcher war am 28. März 1849 mit geringer Stimmenmehrheit -König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gewählt worden.</p> - -<p>Der zweite April fand Berlin in einer ganz besonderen Erregung. -Die Abgesandten der Frankfurter Nationalversammlung -trafen ein, um dem König die Kaiserkrone anzubieten. In den -Straßen war ein fröhliches Wogen und Treiben, die hochgehende -Begeisterung jauchzte den einziehenden Abgeordneten zu, und der -Traum der deutschen Einheit schien sich verwirklichen zu sollen.</p> - -<p>Um so größer war die Enttäuschung, als schon am nächsten -Tage die Nachricht von Mund zu Munde ging, der König habe -die Deputation im Rittersaale des Schlosses feierlich empfangen, -aber sich nicht entschließen können, die ihm gebotene Krone aus -den Händen des Volkes anzunehmen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_72">[72]</span></p> - -<p>Wie ein Mehltau fiel es auf die Hoffnungen und Erwartungen -der Besten, und als die Kunde nach Frankfurt kam, wirkte sie -hier so niederdrückend auf alle Gutgesinnten, daß die radikalen -Stürmer und Dränger wieder die Oberhand gewannen und infolgedessen -da und dort wieder revolutionäre Erhebungen stattfanden, -und daß sich endlich das Parlament auflöste, beziehentlich -der nach Württemberg übergesiedelte Rest desselben, das sogenannte -»Rumpfparlament«, gewaltsam aufgelöst wurde.</p> - -<p>In Berlin gingen nach der Ablehnung der Kaiserkrone die -Wogen der Bewegung noch immer hoch, und der Landtag beriet -am 20. April über die Frankfurter Reichsverfassung und über -Schritte, um den König noch nachträglich zur Annahme der Kaiserwürde -zu bewegen.</p> - -<p>Bismarck gehörte zu jenen, welche sich nicht überzeugen konnten, -daß auf den damaligen Grundlagen eine wirkliche Einigung -Deutschlands erreicht werden könne, und daß die Eifersucht Österreichs -und anderer deutscher Staaten an der leitenden Stellung -Preußens fortwährend rütteln würde, so daß es ihm richtiger -schien, daß dieses für sich selbst auf starke Füße gestellt werde und -nicht seine Kraft unfruchtbaren Bestrebungen opfere.</p> - -<p>So trat er auch im Abgeordnetenhause unerschrocken für -diese Überzeugung ein. Am 20. April stand er auf der Tribüne -und erklärte:</p> - -<p>»Ich habe als Abgeordneter die Ehre, die Kur- und Hauptstadt -Brandenburg zu vertreten, welche dieser Provinz, der Grundlage -und Wiege der preußischen Monarchie, den Namen gegeben -hat, und ich fühle mich deshalb um so stärker verpflichtet, mich -der Diskussion eines Antrages zu widersetzen, welcher darauf ausgeht, -das Staatsgebäude, welches Jahrhunderte des Ruhmes und -der Vaterlandsliebe errichtet haben, welches von Grund aus -mit dem Blute unserer Väter gestiftet ist, zu untergraben und<span class="pagenum" id="Seite_73">[73]</span> -einstürzen zu lassen. Die Frankfurter Krone mag sehr glänzend -sein, aber das Gold, welches dem Glanze Wahrheit verleiht, soll -erst durch das Einschmelzen der preußischen Krone gewonnen -werden, und ich habe kein Vertrauen, daß der Umguß mit der -Form dieser Verfassung gelingen werde.«</p> - -<p>Noch energischer äußerte er sich in diesem Sinne am sechsten -September. Inzwischen hatte aber Preußen einen anderen Einigungsversuch -gemacht und mit Sachsen und Hannover das »Dreikönigbündnis« -geschlossen, dem sich eine Anzahl anderer deutschen -Staaten anschloß. Aber Österreichs Einfluß wußte die beiden -Königreiche wieder von Preußen zu trennen, welches nun mit den -übriggebliebenen Bundesstaaten die sogenannte »Union« bildete -und, um derselben eine einheitliche Verfassung zu geben, ein Parlament -nach Erfurt einzuberufen beschloß.</p> - -<p>In dieser Zeit saß Bismarck eines Abends in seiner Wohnung, -Dorotheenstraße 37, mit einigen politischen Freunden beisammen. -Das Heim war schlicht, aber gemütlich; die Lampe warf ihren -milden Schein über den breiten Tisch und auf die geistvollen Gesichter, -um die behaglicher, blauer Tabaksdampf sich wölkte, und -in den Gläsern schäumte der braune Gerstensaft. Der Hausherr -saugte an »dem geliebten Rohre«, aber dazwischen wetterleuchtete -es aus seinen Augen, und seine Hand legte sich manchmal geballt -auf den Tisch, da er sagte:</p> - -<p>»Laßt sie doch uns »Stockpreußen« schelten, ’s ist kein -schlechter Titel, und ich kann nur wiederholen, was ich in der -Kammer gesagt habe: Das Stockpreußentum, wie es vor allem -in der Armee vorhanden ist, ist unsere Stütze. Und so gut unsere -Soldaten unter der schwarzweißen Fahne bisher sich ehrenhaft -geschlagen und wohlbefunden haben, so gelüstet es weder sie noch -uns, für das erprobte alte Banner ein neues dreifarbiges einzutauschen, -dessen Dauerhaftigkeit unter den jetzigen Verhältnissen<span class="pagenum" id="Seite_74">[74]</span> -sehr zu bezweifeln ist. Wir wollen einmal dem preußischen Adler -nicht die Flügel stutzen lassen durch die gleichmachende Heckenschere -aus Frankfurt.«</p> - -<p>»Und was versprichst du dir eigentlich von der Union?« -fragte einer der Gäste.</p> - -<p>»So gut wie nichts, sie wird an der Eifersucht Österreichs, -dem wir zunächst noch nicht die Zähne zu zeigen uns getrauen, -zugrunde gehen. Das Erfurter Parlament verläuft im Sande, -verlaßt euch darauf!«</p> - -<p>»So hast du wohl gar keine Neigung, dich hineinwählen zu -lassen?«</p> - -<p>»Neigung? – Nein! Aber wenn ich gewählt werde, werde -ich gehen, um auch dort Preußens Rechte zu vertreten. – Aber -nun, Freunde – politisch Lied, ein garstig Lied! Laßt uns etwas -anderes reden. Wißt ihr auch, daß ich unter die Poeten gegangen -bin?«</p> - -<p>Ein allgemeines »Ah!« dann wurde eine Stimme laut, – -es war die <em class="gesperrt">Savignys</em> – welche Proben verlangte.</p> - -<p>»Eine Probe soll euch werden, aber ich bitte um nachsichtige -Beurteilung, damit ich mit meinem <em class="antiqua">gradus ad parnassum</em> nicht -eingeschüchtert werde. Zuerst aber sollt ihr sehen, was mich begeistert -hat, und ich hoffe auf eure Anerkennung.«</p> - -<p>Er holte aus einem Schranke eine ziemlich umfangreiche -braunfarbige Kaffeetasse und stellte sie vor die Freunde hin.</p> - -<p>»Na, ist das nicht ein stattliches Objekt für eine Poetenleier?«</p> - -<p>»Aber nun auch die Verse dazu!« rief <em class="gesperrt">André</em>.</p> - -<p>»Eins nach dem anderen. Zunächst müßt ihr wissen, daß -dieser praktische Haushaltungsgegenstand zu einem Geburtstagsgeschenk -bestimmt ist für unseren hagestolzen alten Freund Kleist-Retzow. -Und nun das Poem!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_75">[75]</span></p> - -<p>Er las, behaglich sich in seinem Sitze zurücklehnend, mit -komischem Pathos:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">»Nicht ganz so schwarz wie Ebenholz,</div> - <div class="verse indent0">Doch braun wie Mahagonig,</div> - <div class="verse indent0">Wünsch’ ich dir, aller Pommern Stolz,</div> - <div class="verse indent0">Ein Leben süß wie Honig.</div> - <div class="verse indent0">Wenn Wenzel<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> dich gelangweilt hat,</div> - <div class="verse indent0">Schwerin<a id="FNAnker_1a" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> den Zorn erregt in dir,</div> - <div class="verse indent0">Wenn übel dir vom Beckerrath,<a id="FNAnker_1b" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a></div> - <div class="verse indent0">Dann, Hans, erhole dich bei mir!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Wenn dann der Kaffee dir behagt</div> - <div class="verse indent0">Und du, um streng dich zu kastei’n,</div> - <div class="verse indent0">Die zweite Tasse dir versagt,</div> - <div class="verse indent0">Dann, Hans, laß mich die erste sein!</div> - <div class="verse indent0">Und schein’ ich dir zu groß und weit</div> - <div class="verse indent0">Für ein so kleines Landrätlein,</div> - <div class="verse indent0">So denk: Es ist die höchste Zeit,</div> - <div class="verse indent0">Dir eine Gattin anzufrei’n.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Ihr trinkt aus mir dann alle beide</div> - <div class="verse indent0">Kaffee, Schok’lade oder Thee</div> - <div class="verse indent0">Zu Tante Adelgundens Freude</div> - <div class="verse indent0">Zu Kiekow auf dem Kanapee.</div> - <div class="verse indent0">Geliebter Onkel Schievelbein,</div> - <div class="verse indent0">Schaff’ bald uns eine Tante,</div> - <div class="verse indent0">Dann wirst du alles hocherfreu’n,</div> - <div class="verse indent0">Was jemals Hans dich nannte.«</div> - </div> -</div> -</div> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Namen von Abgeordneten.</p> -</div> -</div> - -<p>Fröhliches Lachen lohnte den Vortrag, und die Geister des -Humors begannen in dem gemütlichen Raume jetzt ihre Flügel -freier zu regen.</p> - -<p>Noch im selben Winter kam ein Weihnachtskind in der Dorotheenstraße -37 an, ein kleiner Junker von Bismarck, der am -28. Dezember erschien und am 12. Februar 1850 durch den -Prediger Gaßner auf die Namen Nikolaus Heinrich Ferdinand -<em class="gesperrt">Herbert</em> getauft wurde. Die Freude war groß, da es jetzt ein -mit dem am 21. August 1848 geborenen Töchterchen <em class="gesperrt">Marie</em> ein<span class="pagenum" id="Seite_76">[76]</span> -prächtiges Pärchen gab, an dessen frischem Gedeihen und munterem -Wesen die Eltern ihre herzliche Freude hatten.</p> - -<p>Bei solchem Familienglück war es Bismarck nicht besonders -erfreulich, im kommenden Frühjahr nach Erfurt zu gehen, wohin -er wirklich in das Unions-Parlament gewählt war. Auch hier -vertrat er seinen absolut preußischen Standpunkt und war froh, -als der Reichstag am 29. April geschlossen wurde, nachdem allerdings -die vorgelegte Verfassung Annahme gefunden hatte.</p> - -<p>Aber nun erhob sich drohend die österreichische Regierung, -verlangte entschieden die Herstellung des alten deutschen Bundestags, -auf welchem sie den ersten Rang einnahm, und lud sämtliche -deutsche Fürsten zur Beschickung desselben ein. Deutschland -stand in zwei starken Parteien sich gegenüber, die Erregung stieg -auf beiden Seiten so weit, daß in Kurhessen, wo das Volk sich -gegen den Druck des Ministers Hassenpflug auf das entschiedenste -wehrte, es zwischen ihnen beinahe zu einem blutigen Zusammenstoß -gekommen wäre. Friedrich Wilhelm IV., eingeschüchtert durch -das Dazwischentreten und die Drohungen des russischen Kaisers -Nikolaus, fürchtete jedoch einen entscheidenden Schritt und gab in -der Angelegenheit nach. Es kam der Tag von Olmütz (29. November -1850), der in der preußischen Geschichte kein Ruhmesblatt bedeutet, -an welchem der Minister von Manteuffel dem österreichischen -Minister Schwarzenberg gegenüber die Auflösung der -»Union« und die Beteiligung Preußens an dem wiederhergestellten -Bundestage zugestand nebst einigem anderen, was drum- und -dranhing.</p> - -<p>Inzwischen hatte Bismarck im Sommer sein liebes, stilles -Schönhausen aufgesucht und mit Frau Johanna und seinem kleinen -munteren Pärchen sich der Ruhe und Muße hingegeben, welche -ihm nach den parlamentarischen Kämpfen ungemein wohltat.</p> - -<p>Aber die Idylle fand eine kleine Unterbrechung.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_77">[77]</span></p> - -<p>Ein andauerndes Unwohlsein des Töchterchens machte einen -Aufenthalt an der See notwendig, und so ungern Bismarck sich -aus dem Behagen seines Landsitzes herausriß, der Rat des Arztes, -das zärtliche Drängen seiner Gemahlin bewogen ihn zuletzt doch, -auf einige Wochen nach Stolpmünde zu gehen.</p> - -<p>Dann kamen wieder der Berliner Ärger und die Kammerverhandlungen -den Winter durch bis hinein in das Jahr 1851.</p> - -<p>Um die Osterzeit desselben brach er aber auf aus der Residenz, -um auf einige Wochen zu seinen Schwiegereltern zu gehen nach -Reinfeld in Pommern. Die behagliche stille Häuslichkeit hier tat -ihm wohl. Herr von Puttkamer mit dem Samtkäppchen auf -dem greisen Haupte waltete hier wie ein guter Patriarch in Ehrbarkeit -und Frömmigkeit, und von ihm und seiner trefflichen Frau -ging es wie ein stiller Segen aus durch das ganze Haus. Das war -ein Ort, so recht zu kurzdauernder Erholung, aber Bismarck sollte -auch hier nicht finden, was er suchte.</p> - -<p>Eines Tages saß er mit seinem Schwiegervater beisammen -und sprach von der Wirtschaft und den Pferden und Hunden, -als die Post gebracht wurde. Ein Schreiben mit dem Siegel -des Ministerpräsidenten von Manteuffel fiel ihm in die Hand, -und er betrachtete es einige Sekunden mit beinahe bedenklichen -Blicken. Dann öffnete er es, las flüchtig, lehnte sich mit einem -tiefen Atemzuge in seinen Sitz, und seine Hand mit dem Briefe -sank schwer auf den Tisch.</p> - -<p>»Nach Frankfurt soll ich zum Bundestage als preußischer -Gesandter, – der Minister fragt, ob ich will.«</p> - -<p>Herr von Puttkamer neigte sich in Erregung gegen ihn vor.</p> - -<p>»Ja, besorgt das nicht der General von Rochow? Was bedeutet -das?«</p> - -<p>»Rochow soll, wie ich schon früher munkeln hörte, als Gesandter -nach Petersburg zurückgehen. – Aber das kommt mir<span class="pagenum" id="Seite_78">[78]</span> -so unerwartet, daß mir’s doch ein wenig in die Glieder schlägt. -Das ist weder ein besonders angenehmer, noch besonders leichter -Posten.«</p> - -<p>»Nein, gewiß nicht,« sagte der alte Herr, »da wird einer -gebraucht, der diplomatisches Geschick und Festigkeit zugleich hat, -um mit den Beziehungen zwischen Österreich und Preußen fertig -zu werden, ohne daß auf der einen Seite gereizt, auf der anderen -etwas vergeben wird. Der Antrag will recht wohl erwogen -sein!«</p> - -<p>»Klar genug sehe ich die Verhältnisse,« sprach Bismarck -lebhaft, – »Österreich hat es darauf abgesehen, Preußen kleinzukriegen -und womöglich wegzuwischen aus der Reihe der maßgebenden -Mächte. Da heißt’s die Augen offen und den Nacken -steif halten. Die Sache wird mir verlockend. Wenn mein -König dafür hält, daß ich für den Posten brauchbar bin, werde -ich ihm meine schwache Kraft nicht versagen.«</p> - -<p>»Aber Otto, fehlt dir gerade für diese Stellung – du hast -gewiegte Staatsmänner dort – nicht die nötige diplomatische -Erfahrung?«</p> - -<p>»Erfahrungen müssen <em class="gesperrt">gemacht</em> werden. Papa – und -übertölpeln lasse ich mich doch nicht so leicht. Mit Patriotismus -und Energie und mit etwas natürlicher Klugheit läßt sich schon -etwas wagen. Zudem weißt du ja, daß schwierige Aufgaben -und harte Nüsse meine Spezialität sind. Das habe ich auch einmal -einem gewissen Herrn von Puttkamer bewiesen, der mir seine -Tochter nicht zur Frau geben wollte.«</p> - -<p>Der alte Herr lächelte:</p> - -<p>»Na ja, einen festen Kopf hast du, und er sitzt auch, wie -das Herz, auf dem rechten Flecke. Tue, was du für recht hältst, -und wozu dich dein Empfinden als Mann und Untertan treibt.«</p> - -<p>Und so schrieb Bismarck an den Minister von Manteuffel,<span class="pagenum" id="Seite_79">[79]</span> -daß er nach Potsdam kommen und sich Seiner Majestät allergehorsamst -zur Verfügung stellen werde.</p> - -<p>In dem Lustschlosse des großen Friedrich, dem herrlichen, -grünumlaubten Sanssouci, stellte er sich dem König vor. Friedrich -Wilhelm IV. betrachtete mit Wohlgefallen den prächtigen, hochgewachsenen -Mann mit den hellen, treuen Augen, den er schon -lange um seiner ehrlichen Geradheit und um seiner altpreußischen -Gesinnung hochschätzte, und sagte:</p> - -<p>»Lieber Bismarck, Sie wissen, um was es sich handelt, und -ich höre zu meiner Freude von dem Minister von Manteuffel, -daß Sie nicht abgeneigt sind, Preußen in Frankfurt zu vertreten.«</p> - -<p>Einfach und schlicht erwiderte der Angeredete:</p> - -<p>»Wenn Eure Majestät es mit mir versuchen wollen, so bin -ich bereit dazu.«</p> - -<p>Wieder sah Friedrich Wilhelm den Mann groß und beinahe -mit Verwunderung an.</p> - -<p>»Aber Frankfurt ist ein schlechter Boden; und es läßt sich -nicht hehlen, daß gerade Preußen darauf nicht den besten Stand -hat; ich bewundere eigentlich Ihren Mut.«</p> - -<p>Da erwiderte Bismarck:</p> - -<p>»Eure Majestät bekunden durch meine Ernennung einen -noch größeren Mut. Wenn Allerhöchstdieselben mich zu dem -Amte zu berufen geruhen, so hoffe ich, daß mir Gott die Kraft -geben wird, es auszufüllen. Eure Majestät können es ja mit -mir versuchen; geht es nicht, so ist’s ja leicht, mich wieder nach -Hause zu rufen.«</p> - -<p>Das klang so fest und doch so schlicht und gerade, daß der -König beinahe ergriffen von der Antwort war und erwiderte:</p> - -<p>»Dann versuchen Sie es mit Gott!«</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[80]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Sechstes_Kapitel"><span class="smaller">Sechstes Kapitel.</span><br> -Der Bundestagsgesandte.</h2> -</div> - -<p>Im alten Frankfurt a. M. liegt in der Bockenheimer Landstraße -eine freundliche Villa; inmitten grüner Gartenanlagen -erhebt sich der geschmackvolle Bau, in welchem auch der Reichsverweser -Erzherzog Johann von Österreich gewohnt hatte. Im -Sommer des Jahres 1851 hatte hier der preußische Bundestagsgesandte -Otto von Bismarck seinen Sitz aufgeschlagen und sein -ganzes Familienglück mit hereingebracht in das freundliche Haus.</p> - -<p>Die Sonne blinkte noch in die Tautropfen im Grase, und -eine wohlige Kühle wehte von Baum und Strauch her, als er, -von einem Morgenritte heimgekehrt, durch den Garten schritt, -um einen lieben Besuch aufzufinden, den ihm das Geschick gestern -in sein Haus geweht, und der nach Aussage des Dieners auch -bereits im Freien war. Auf einem sonnigen Plätzchen traf er -ihn und grüßte ihn mit Herzlichkeit.</p> - -<p>»Guten Morgen, lieber Motley, Sie sind also auch ein -Frühaufsteher!«</p> - -<p>»Die Sonne und die Vögel locken, und hier läßt sich so gut -träumen.«</p> - -<p>»Wovon träumen Sie denn, wenn’s erlaubt ist zu fragen?«</p> - -<p>Damit setzte sich Bismarck neben den Engländer, und dieser -erwiderte lächelnd:</p> - -<p>»Ich habe die Vergangenheit ein wenig Revue passieren -lassen. Da tauchten mir die Göttinger Tage wieder auf, die -wir zusammen verlebten, und ich sah Sie wieder als den flotten<span class="pagenum" id="Seite_81">[81]</span> -Burschen, der in der Kneipe und auf dem Paukboden mehr zu -finden war als in den Kollegien, und dann dachte ich wieder -an unsere Berliner Zeit, an die Stunden, da Kaiserlingk uns -Beethovensche Sonaten spielte, und nun finde ich Sie in glücklichster -Häuslichkeit und zugleich als hervorragenden Diplomaten. -Verwunderlich ist mir’s just nicht, denn daß Sie aus dem Holze geschnitzt -sind, aus welchem man Männer macht, die schlechthin alles -fertigbringen, was sie wollen, ist mir schon in früherer Zeit klargeworden, -und Frankfurt ist wohl auch der Boden, wo Sie Gelegenheit -haben, Kräfte zu zeigen.«</p> - -<p>»Sauer gemacht wird einem mitunter das Leben, aber unterkriegen -sollen sie mich nicht so leicht. Sie wissen ja, wie die Dinge -liegen. Österreich spielt hier die erste Geige, und die anderen hören -in stummer Bewunderung zu und klatschen Beifall. Das ist nun -meine Sache nicht, besonders wenn meine eigene Fiedel auf einen -anderen Ton, auf den preußischen, gestimmt ist. Sie glauben gar -nicht, welche Demütigungen man mitunter Preußen zumutet, oft -bis ins Kleinliche hinein. Aber ich werde dem einen Damm -stecken.«</p> - -<p>»Woran liegt das aber?«</p> - -<p>Bismarck zuckte die Achseln.</p> - -<p>»Von Wien weht keine gute Luft her. Der Minister -Schwarzenberg hat rundheraus erklärt, daß er Preußen erst erniedrigen -und dann vernichten will. Und der Bundestagspräsident, -Graf Thun, im ganzen ein recht genießbarer Herr, -muß diesen völkerfreundlichen Absichten Rechenschaft tragen. Da -lobe ich mir noch den alten Fürsten Metternich, den ehemaligen -berühmten österreichischen Staatslenker, welchen ich jüngst auf -seinem Schloß Johannisberg am Rhein besuchte, der war doch -nicht gar so preußenfeindlich.«</p> - -<p>»Von diesem Besuche habe ich gehört, und der alte Herr,<span class="pagenum" id="Seite_82">[82]</span> -dem sonst nicht jeder paßt, soll ganz entzückt von Ihnen gewesen -sein.«</p> - -<p>»Ja, das ist einfach zu erklären: Ich habe seine Geschichten -ruhig angehört und nur manchmal die Glocke angezogen, daß -sie weiterklang. Das hat dem redseligen alten Herrn gefallen. -Na, ich denke auch Schwarzenberg mit der Zeit noch einige -Achtung abzunötigen. Den Anfang habe ich schon mit dem und -jenem gemacht. Da hatte Österreich einen Ausschuß – natürlich -ohne Zuziehung Preußens – eingesetzt, der über die Sitzungsprotokolle -und deren eventuelle Veröffentlichung beraten sollte. -Freilich wäre Preußen bei den Publikationen schlecht weggekommen. -Da bin ich den Herren in die Parade gefahren, und die -Sache ist seitdem unterblieben. Und solche Geschichten könnte ich -Ihnen noch manche erzählen; aber nun kommen Sie, meine Frau -wird mit dem Frühstück warten, und nach demselben müssen Sie -mich entschuldigen: Ich habe eine Sitzung im Militärausschuß!«</p> - -<p>Er faßte den Freund unter dem Arm und führte ihn nach -dem Hause, wo Frau Johanna anmutig und freundlich wie ein -Frühlingsmorgen die Herren begrüßte, und wo Bismarck erst -noch einmal nach seinen Kindern sah und sie fröhlich in die Luft -hob, ehe er sich zu Tische setzte. Hier war er ganz glücklicher Gatte -und Vater, ganz von fröhlichem Humor übersprudelnder Gastfreund.</p> - -<p>Ernster sah er drein, als er nicht lange danach an dem -grünen Tische saß im Parterre des Taxisschen Palais. Auch -hier winkten die grünen Bäume herein zu den Fenstern, aber in -dem Raume herrschte eine etwas dumpfe Luft, und der Verkehr -der anwesenden Herren war ziemlich gemessen und formell.</p> - -<p>Sie saßen in ihren Sesseln, genau nach der Rangordnung, -die Vertreter der fünf deutschen Königreiche und des Großherzogtums -Hessen. Der Präsidialsitz war noch unbesetzt, aber auch<span class="pagenum" id="Seite_83">[83]</span> -Graf Thun ließ nicht lange auf sich warten. Er kam mit elastischen -Schritten, so daß er im ersten Augenblicke wohl für einen lebenslustigen -aristokratischen Herrn, aber nicht für einen Diplomaten -hätte angesehen werden können, blies vergnüglich den Rauch seiner -Havannazigarre von sich, grüßte liebenswürdig herablassend die -Herren »Kollegen« und setzte sich dann an seinen Platz oben an -dem Tische.</p> - -<p>Daß Graf Thun rauchte, und zwar <em class="gesperrt">allein</em> rauchte, während -kein anderer der Herren es wagte, dies Präsidialvorrecht -ihm streitig zu machen, hatte Bismarck bereits früher mit Mißbehagen -gesehen. Diesmal schien sich der Vorsitzende mit ganz besonderem -Vergnügen dem Genuß hinzugeben; die bläulichen Wölkchen -zogen an dem Gesichte des preußischen Gesandten hin, der -feine Duft hatte etwas Verlockendes; und da diesem nicht einleuchtete, -weshalb Preußen hier am grünen Tische nicht tun sollte, -was Österreich sich erlaubte, zog er mit feinem Lächeln sein -Zigarrenetui hervor, bat sich von Graf Thun etwas Feuer aus, und -gleich darauf blies auch er die blauen Ringe in die Luft, gleichmütig, -behaglich, als ob sich das just so gehörte, während die anderen -Herren verwundert, ja, beinahe verblüfft schienen über den an -sich so unbedeutenden Vorgang.</p> - -<p>Daheim erzählt Bismarck die Geschichte und fügte lächelnd bei:</p> - -<p>»Es soll mich gar nicht wundern, wenn nächstens auch -Bayern raucht, und da keiner dem anderen etwas vergeben möchte, -weil das als eine Zurücksetzung seines Staates gelten könnte, wird -auch Herr von Nostiz (Sachsen) und Herr von Bothmer (Hannover) -bald nachfolgen, und selbst die Herren von Reinhard -(Württemberg) und von Münch-Bellinghausen (Hessen) werden -ihre Aversion gegen das Rauchen trotz aller unbehaglichen Folgen -aufgeben. So kommt’s bei allem immer nur auf den richtigen -Anfang an!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_84">[84]</span></p> - -<p>Die Folgezeit lehrte, daß er bezüglich des Rauchens recht hatte.</p> - -<p>Nun widmete er sich wieder seinem lieben Gaste Motley, der -in dieser prächtigen Häuslichkeit sich einige Tage wohl und wie -daheim fühlte. Was waren das für den geistvollen Engländer -für herrliche Tage und für genußreiche Abende!</p> - -<p>Das Wetter hatte nicht erlaubt, einen derselben im Garten -zuzubringen; so war man zuerst im Speisezimmer gewesen, wo -man durch die Fenster hinaussah auf die Bäume des Gartens, -und genoß in vergnügter Zwangslosigkeit, was die Gastlichkeit des -Hauses, die Liebenswürdigkeit der freundlichen Wirte bot.</p> - -<p>Dann ging es nach dem anstoßenden freundlichen Saale. -Außer Motley war noch der treffliche Maler Jakob Becker mit -seiner Familie des Abends gekommen, und so saß ein Kreis guter, -fröhlicher Menschen in dem traulichen Raume beisammen. Die -Herren rauchten, und der Duft der feinen Havannas wirbelte empor, -indes der geistvolle Hausherr in seiner gemütlichen Weise -scherzte:</p> - -<p>»Sehen Sie, lieber Motley – das ist doch eine andere Tafelrunde -als die zwar achtenswerte, aber doch wenig unterhaltende -im Taxisschen Palais, wo in mir wirklich manchmal im Gefühle -gähnender Unschuld die Stimmung gänzlicher Wurschtigkeit -vorherrschend wird. Ich bemühe mich zunächst nur, und, wie -es scheint, nicht ganz erfolglos, den Bund zum Bewußtsein -des durchbohrenden Gefühls seines Nichts zu bringen. Hier aber -sitze ich ohne jede andere Absicht, als mir Herz und Seele wieder -zu erfrischen im Umgang mit lieben Freunden. Und in der -Hauptsache kommen nur solche. Thun sieht in seinem Hause -alles, was mit Österreich sympathisiert, in den Kreisen des Hochadels -– ich liebe mir hier den Adel vom Schlage unseres braven -Becker. Wie köstlich ist das erst im Winter, wenn ich hier am -Kamine sitzen und mit der Feuerzange in der Glut herumstochern<span class="pagenum" id="Seite_85">[85]</span> -kann, während der Wind vor den Fenstern saust, wenn Freund -Becker oder sonst einer etwas erzählt von seinen Künstlerfahrten -und seinem Schaffen, und dann eine kunstfertige Hand in die -Tasten greift … ach bitte, Fräulein Becker, machen Sie uns die -Freude!«</p> - -<p>Die Angeredete erhob sich ohne Ziererei und setzte sich an -das Instrument. Die Töne rollten perlengleich unter den schlanken -Fingern hervor, und behaglich zurückgelehnt in seinen Sitz -lauschte der Hausherr, bis sie leise verhallend ausklangen.</p> - -<p>»Das sind die guten Geisterchen, die dem geplagten Diplomaten -manchmal das Gleichgewicht wiedergeben helfen!« sagte er -lächelnd.</p> - -<p>»Der Himmel schenke Ihnen und Ihrem Hause recht viele -gute Geister!« erwiderte Motley.</p> - -<p>»Na, einige ganz herzige und herrliche liegen da drüben in -ihrem Bettchen!« sprach der Maler.</p> - -<p>»Da mögen Sie recht haben, lieber Becker,« bemerkte der -Hausherr; »es sind zwar Geisterchen mit Fleisch und Bein, aber -die richtige Wirkung tun sie doch!«</p> - -<p>So ging der Abend hin, und als es ganz still im Hause geworden -war, da leuchtete der Lampenschimmer aus Bismarcks -Arbeitsgemach hinaus in die Nacht. Und Stunde um Stunde -verging. Lange diktierte er seinem Sekretär an den Berichten, die -nach Berlin abgehen mußten, und die eine Fülle von scharfen Beobachtungen -und von klarer Einsicht in die politischen Verhältnisse -bekundeten. Dann entließ er den Beamten, setzte sich selbst -an den Tisch und schrieb noch einige wichtige Briefe, und als er -endlich zum Siegeln gekommen war, tagte bereits der Sommermorgen -und warf seinen erwachenden Schimmer in den Raum.</p> - -<p>Nun erst legte er sich angekleidet auf sein Sofa. Gleich -darauf schlief er, tief, ruhig, aber kaum zwei bis drei Stunden.<span class="pagenum" id="Seite_86">[86]</span> -Der Sommermorgen weckte, und der Sonnenschein lockte hinaus. -Wohl waren ihm die Glieder steif von dem nicht ganz bequemen -Lager, und er fühlte eine Schwere und Abspannung, aber er war -der Mann der Kraft und der Selbstbeherrschung. Er ließ sich -sein Pferd satteln, und während die vornehme Welt Frankfurts -noch im Morgenschlummer träumte, ritt er die Bockenheimer -Landstraße hinaus, am Zoologischen Garten vorüber und in die -lachende Landschaft hinein, und da und dort blieben wohl zwei -oder drei stehen und sahen ihm nach, und einer sagte:</p> - -<p>»Das ist der preußische Bundesgesandte – soll ein schneidiger -Mann sein!«</p> - -<p>Motley war wieder abgereist, aber in Bismarcks gastliches -Haus kamen immer neue Besucher, und alle fühlten sich hier wohl -und ungemein angeheimelt von dem herzlichen und zwanglosen -Ton, welcher hier herrschte.</p> - -<p>Da ließ sich eines Tages ein besonders erlauchter Gast -melden, Prinz Wilhelm von Preußen. Er war schon vordem -gelegentlich einer Truppeninspektion in Frankfurt gewesen und -auf dem Bahnhofe bei seiner Ankunft war ihm Bismarck vorgestellt -worden, der in seiner Uniform als Landwehrleutnant mit der -Lebensrettungsmedaille auf der Brust dem hohen Herrn besonders -auffiel, so daß er nochmals dem General von Rochow gegenüber -seine Bedenken äußerte über die Wahl des Landwehrleutnants -Bismarck zu einem so wichtigen Posten. Aber im Gespräch mit -diesem überzeugte er sich selbst bald genug, daß der preußische -Diplomat trotz seiner verhältnismäßig jungen Jahre ein klarblickender -und energischer Mann und ein sehr warm fühlender -Patriot sei.</p> - -<p>Als er nun diesmal nach Frankfurt gekommen war, erbat -sich der Baron Rothschild eine Audienz und ersuchte, ihm die -Ehre zu erweisen und bei ihm zu speisen. Der Prinz erwiderte<span class="pagenum" id="Seite_87">[87]</span> -lächelnd, daß er sich bei Bismarck bereits eingeladen habe, und -als der Baron trotzdem in ihn drang, legte er es ihm nahe, sich -mit dem Bundesgesandten darüber abzufinden.</p> - -<p>Rothschild fuhr in der Bockenheimer Landstraße 40 (jetzt 140) -vor. Er traf Bismarck daheim und trug ihm sein Anliegen vor, -ihm den hohen Gast zu überlassen.</p> - -<p>»Es tut mir leid, mein verehrter Baron, Ihnen nicht -dienen zu können, aber abgesehen von der Ehre, welche ich damit -meinem Hause entziehen würde, ist mir jede Stunde wertvoll, -welche ich in der Nähe des Prinzen meines Königshauses zubringen -kann.«</p> - -<p>»Aber Exzellenz würden mich außerordentlich beglücken, wenn -Sie gleichfalls in meinem Hause und an meinem Tische erscheinen -wollten.«</p> - -<p>»Besten Dank, mein Herr Baron, aber ich muß schon auf -meinem Schein bestehen und auf meinem Vorrechte beharren.«</p> - -<p>»Dann wollen Exzellenz mir mindestens gestatten, daß meine -Speisen auf Ihrer Tafel serviert werden, so daß wir uns in die -Ehre, den hohen Gast zu bewirten, teilen.«</p> - -<p>»Ich kann Ihnen leider auch darin nicht entgegenkommen. -Es würde mindestens sehr verwunderlich sein, wenn der preußische -Bundestagsgesandte bei Bewirtung eines preußischen Prinzen -nichts weiter als den Tisch hergeben würde. Außerdem aber -bin ich ein Gegner jeder Halbheit – also verzeihen Sie, Herr -Baron –«. Rothschild erkannte, daß er den anderen nicht umstimmen -würde, und leistete seufzend Verzicht, der Prinz aber speiste -an dem gastlichen Tische Bismarcks und fand auch hier immer -neues Wohlgefallen an dem prächtigen Manne.</p> - -<p>Dieser aber arbeitete unverdrossen und kraftvoll weiter in -der Wahrung der Interessen seines Staates. Dabei machte er -aber bald genug die Wahrnehmung, daß er nicht nur durch die<span class="pagenum" id="Seite_88">[88]</span> -österreichische Botschaft sehr beobachtet werde, sondern daß man -zweifellos auch Briefe von ihm auffange und öffne. Es ging -übrigens den anderen Bundesgesandten nicht besser. Eines Tages -klagte ihm Herr von Bothmer, der Vertreter Hannovers, daß er -begründeten Verdacht habe, daß auf irgendeinem Wege Graf -Thun Kenntnis von dem Inhalt seiner Korrespondenz haben -müsse. Bismarck lächelte und bemerkte, er müsse eben bei Absendung -klug zu Werke gehen.</p> - -<p>»Aber was heißt hier klug?« fragte Bothmer.</p> - -<p>»Das will ich Ihnen zeigen, wenn Sie ein halb Stündchen -Zeit haben; ich habe just eine Sendung zu expedieren.«</p> - -<p>So gingen sie zusammen und bogen aus den belebten -Straßen in ein stilleres Viertel der alten Handelsstadt. In einem -engen Gäßchen vor einem schlichten Krämerladen blieb Bismarck -stehen und zog seine Handschuhe an.</p> - -<p>»Hier lassen Sie uns eintreten!« sagte er.</p> - -<p>Erstaunt folgte der Hannoveraner. In dem engen Laden -roch es wunderlich, so daß es ganz unmöglich gewesen wäre, diesen -Geruch in seinen Einzelheiten zu analysieren. Ein jugendlicher -Verkäufer begrüßte die beiden Herren und fragte nach ihren -Wünschen.</p> - -<p>»Ich möchte Seife, aber etwas wohlriechende,« sprach Bismarck, -und der dienstbeflissene Jüngling begann seine Proben vorzulegen. -Der Diplomat roch an jeder, dann wählte er jene, welche -den stärksten Geruch hatte und schob sie ohne weiteres in -seine Tasche.</p> - -<p>»Haben Sie auch Briefkuverts?«</p> - -<p>»Sehr wohl!«</p> - -<p>Nach kurzer Auswahl nahm Bismarck die schlichteste und -einfachste Sorte, zog dann ein bereits zusammengefaltetes Papier -aus der Tasche, schob es in den Umschlag und bat sich nun Tinte<span class="pagenum" id="Seite_89">[89]</span> -und Feder aus, um die Adresse zu schreiben. Da jedoch die -Handschuhe ihm hinderlich zu sein schienen, bat er den Verkäufer, -ihm die Mühe abzunehmen, was dieser auch beinahe geschmeichelt -tat. Behaglich steckte Bismarck nun das Schreiben zu der Seife -in seiner Tasche, und als er mit seinem Begleiter vor der Türe -stand, sagte er zu diesem:</p> - -<p>»Glauben Sie nun, lieber Kollege, daß man unter diesem -Kuvert, das nach Käse und Hering, Seife und Wichse duftet, -nicht so leicht meine Depesche herausschnüffeln wird?«</p> - -<p>Manchmal jedoch, wenn es ihm in dem Frankfurter Treiben -zu unbehaglich und in den Bundestagsverhandlungen zu langweilig -und zu ärgerlich wurde, setzte er sich auf die Eisenbahn und -fuhr hinein in den Odenwald, oder besah sich einmal das bunte -Leben und Treiben in den glänzenden Badeorten Homburg, Wiesbaden, -Baden-Baden, oder er erquickte sich an der ewigen Schönheit -des Rheinstromes und seiner lieblichen Ufer. So fuhr er eines -Nachmittags nach Rüdesheim. Dort mietete er einen Kahn und -glitt hinaus auf den Strom. Der Mond warf seinen milden, dämmerigen -Schein auf die Fluten, die Luft war lau, und ihn faßte -ein Gelüste an, die Kleider abzuwerfen und sich in die silbernen -Wellen zu tauchen. Gedacht, getan, und bald schwamm er langsam -und behaglich dahin. Hinter ihm her, im Abendschimmer verdämmernd, -kam langsam das Boot, das der schweigende Ferge -lenkte, hoch über dem Schwimmer wölbte sich blau und klar der -Himmel mit seinen vieltausend Sternen, und drüben an den Ufern -webte der bläuliche Mondenschimmer um die dunkelnden Höhen, -die bewaldeten Berge, die grünen Weingärten und die grauen, -schweigenden Ruinen der Vorzeit. Und das Wasser klang und -rauschte und flüsterte wie von alten Sagen. Von Bingen herüber -schimmerten einzelne Lichter, und nun hob sich der Mäuseturm -düster und ernst aus den Wellen. Hier stieg der Schwimmer ans<span class="pagenum" id="Seite_90">[90]</span> -Land, kleidete sich an und fuhr nach Bingen hinüber, wo er Nachtrast -hielt. Am nächsten Morgen aber ging’s über Koblenz nach -Frankfurt zurück.</p> - -<p>Das erfrischte Leib und Seele.</p> - -<p>Auf den 18. Oktober fiel der Geburtstag des Königs. Auf der -Villa in der Bockenheimer Landstraße wehten die preußischen -Fahnen, und im Laufe des Vormittags fuhren Bismarck und die -Beamten der Gesandtschaft in größtem Staat nach dem Kornmarkt, -wo in der großen Reformierten Kirche der Festgottesdienst -abgehalten wurde. Die Mittagstafel aber sah zahlreiche und erlesene -Gäste, und der Hausherr verstand es, in kräftigen, gehaltvollen -Worten der Begeisterung Ausdruck zu geben, die er selbst -für seinen königlichen Herrn fühlte, und die er auch in anderen -Herzen zu entflammen wußte.</p> - -<p>Und als der Abend kam, zog er seine Landwehrleutnants-Uniform -an mit der Lebensrettungsmedaille und begab sich nach -der Kaserne, wo die preußischen Soldaten gleichfalls festlich den -Geburtstag ihres obersten Kriegsherrn begingen. Hier war die -Lust in vollem Gange. Rauschende Musik klang durch den Saal, -und in lauter, aufjauchzender Fröhlichkeit drehten sich die Paare -im Reigen. Als er eintrat, machten die Soldaten am Eingang -Honneurs und flüsterten sich, als er vorüber war, zu: »Seine -Exzellenz, der Herr Leutnant von Bismarck!« Sie kannten ihn -alle, den prächtigen, stattlichen Mann, der so heiter und herzlich -sein konnte, und auch diesmal wieder bald da, bald dort auftauchte -und sich mit den schlichten Kriegern unterhielt.</p> - -<p>Der Herbst entblätterte die Bäume in dem Garten, und -der Winter spielte mit seinen Flocken um die freundliche Villa. -Aber wenn auch der Sturmwind um die Fenster fegte, drinnen -war’s um so behaglicher. Diese Winterabende waren köstlich, -wenn in dem Salon bei dem flackernden Kaminfeuer sich um<span class="pagenum" id="Seite_91">[91]</span> -die liebenswürdigen Wirte prächtige Gestalten scharten, von denen -jeder fand, was er nur suchen mochte: Schlichtheit, Herzlichkeit, -vornehme Sitte und frischen Humor. Wie zwanglos verkehrte -da Prinz Georg von Preußen mit Schriftstellern, in deren -Kreis er sich zählen durfte, wie gemütvoll und vergnügt plauderte -die Großfürstin Helene von Rußland (geborene Prinzessin von -Württemberg) mit der Frau des Malers Becker, und wenn -die Gäste in stiller Nacht schieden, nahmen sie etwas von dem -Behagen dieses Hauses mit sich fort, das noch lange in ihnen -nachklang.</p> - -<p>Der Winter stellte freilich auch gesellschaftliche Anforderungen, -denen Bismarck um seiner Stellung willen entsprechen mußte. -Dabei fühlte er sich nicht immer besonders vergnüglich, zumal -der österreichische »Botschafter« überall eine dominierende Stellung -beanspruchte, und er seinerseits darüber wachte, daß auch der -Würde seines Staates nichts vergeben werde.</p> - -<p>Der englische Lord Cowley gab ein großes Fest zu Ehren -seiner Königin. Die Räume waren glänzend geschmückt; Farben -und Fähnchen fast aller Kulturstaaten woben sich zu einem bunten -Bilde zusammen, aus welchem sich das transparente englische -Wappen abhob, dem gegenüber sich der ungekrönte Doppeladler -– das Wappen des deutschen Bundes – zeigte. Die Gesellschaft -war eine sehr vornehme. Graf Thun tänzelte zierlich um -die Damen, der Lord zeigte sich als vornehmer und lebhafter -Wirt, zwischen den Gesandten der deutschen Staaten bewegten sich -mit graziöser Gewandtheit der Vertreter Frankreichs, Tallenay, -und der belgische Graf Briey, und der Tanz bot bei der Reichhaltigkeit -der Toiletten geradezu glänzende Bilder. Bismarck -lehnte behaglich an einer reichdekorierten Säule und sah in das -Gewühl. Im bunten Kotillon bewegten sich die Paare, darunter -viele der älteren Diplomaten, und er machte die Bemerkung,<span class="pagenum" id="Seite_92">[92]</span> -wie viele von den Damen schwarzgelbe Seidenschleifen, die Farben -Österreichs, trugen, während er nach jenen Preußens vergebens -suchte. Eine junge Prinzessin von Nassau kam eben an ihm -vorüber, am Arme eines süddeutschen Diplomaten. Sie sah ihn -flüchtig an, aber es lag in dem Blicke selbst eine unverkennbare -Beimischung von Geringschätzung. In diesem Augenblicke trat -ein anderes Mitglied der preußischen Bundestagsgesandtschaft an -ihn heran. »Fürchten Exzellenz nicht die Ungnade Ihrer Hoheit -der Prinzessin von Nassau?«</p> - -<p>»Wieso?«</p> - -<p>»Wir armen Preußen sind bei ihr schwer diskreditiert; -Hoheit geruhte mit allen anderen Mächten zu tanzen, nur mit -Preußen nicht!«</p> - -<p>»Das ist freilich schlimm, aber ich hoffe, daß es mir nicht -den Rest meiner Nachtruhe verderben wird,« sagte Bismarck -lächelnd.</p> - -<p>Nicht lange darauf verließ er das Fest.</p> - -<p>Weihnachten wurde in freundlicher Weise verlebt, und das -Fest brachte dem Vielbeschäftigten einige Ruhe und Muße. Dann -wieder Arbeit in Fülle, zwischendurch aber auch manch ein vergnügter -Tag! Wie war das so lustig zur Fastnachtszeit, als er -seinem Dienstpersonal ein fröhliches Fest gab, wie er es daheim -in der Altmark seit der Väter Tage gewohnt war! Er fehlte -nicht unter den »Seinen« und freute sich, wie alle Augen lachten -vor Fröhlichkeit, und wie vor allem die knusprigen, braunen -»Pannkauken« schmeckten, die er selber auch kostete. In solchen -Stunden wuchs er seinen Dienern noch mehr ans Herz, als es -schon der Fall war, und Frau Johanna nicht minder.</p> - -<p>Der Frühling von 1852 kam ins Land. In Österreich -war an Stelle des Ministers Schwarzenberg der Graf Buol-Schauenstein -getreten, und damit schärfte sich eine bereits schwebende<span class="pagenum" id="Seite_93">[93]</span> -Angelegenheit zwischen Preußen und Österreich noch mehr -zu. Es betraf den von dem ersteren begründeten deutschen Zollverein, -für welchen die bisher noch unbeteiligten deutschen Staaten -gewonnen werden sollten, während Österreich, das von demselben -ausgeschlossen war, an der Auflösung desselben arbeitete. Bismarck -hatte hier seine vollgemessenen Verdienste, und da der neue -österreichische Ministerpräsident mit aller Macht den preußischen -Bestrebungen entgegenarbeitete, ging er im Auftrag seines Königs -nach Wien, um an den Kaiser ein Handschreiben Friedrich Wilhelms -IV. zu überbringen.</p> - -<p>In den ersten Tagen des Juni traf er in der Hauptstadt -an der Donau ein. Der Minister Buol empfing ihn ziemlich -ungnädig und erklärte bestimmt, daß Österreich sich von Deutschland -nicht als Ausland behandeln lassen werde.</p> - -<p>Bismarck war zwar verstimmt, aber nichts weniger als entmutigt. -Er freute sich der Liebenswürdigkeit, mit welcher er fast -überall aufgenommen ward, lebte in dem freundlichen Schönbrunn -den anmutigen Erinnerungen an seine Hochzeitsreise, und fuhr -endlich am 23. Juni auf der Donau hinab nach dem alten Ofen, -wo er im kaiserlichen Schlosse seine Wohnung erhielt. Hier saß -er, hoch über Stadt und Strom, und ließ den Blick hinausschweifen -über das weite ungarische Flachland, und dachte bei -all den Schönheiten an den Kreis seiner Lieben in Frankfurt.</p> - -<p>Von dem jungen Kaiser wurde er in besonderer Audienz -mit liebenswürdiger Herablassung empfangen und machte mit dem -Hofe einen Ausflug ins Gebirge. Stimmungsbilder von satter -Farbenglut gingen an seinem Auge vorüber. Im Hintergrunde -die ungarische Königsstadt mit ihrer hochragenden Burg, ringsum -grüner Buchenwald, auf freiem Rasenplane die kleine Tafel für -etwa zwanzig Personen, eine jubelnde Volksmenge, die sich ringsum -drängte und bis in die Wipfel der Bäume kletterte, leise<span class="pagenum" id="Seite_94">[94]</span> -hallender Hörnerklang, und als der Abend kam, das ganze Bild -übergossen vom bläulichen Mondschimmer und matt erhellt von -loderndem Fackelglanz – das alles war so fremdseltsam, daß -es wie eine Phantasie erschien, der die ernste Wirklichkeit bald -folgte in Gestalt eines Telegramms aus Berlin, welches entschieden -die österreichischen Zumutungen in der Zollvereinsfrage zurückwies.</p> - -<p>Nicht lange darauf saß Bismarck wieder im Kreise der -Seinen, der sich am 1. August 1852 noch um ein Söhnchen -vermehrte, das nach seinem hohen Paten <em class="gesperrt">Wilhelm</em> genannt -wurde.</p> - -<p>Im Herbste desselben Jahres mußte er zu seinem großen -Bedauern seine freundliche Wohnung in der Bockenheimer Landstraße -aufgeben, weil ein reicher Westfale das Haus gekauft, und -nun siedelte er nach der Großen Gallusstraße Nr. 19 über; aber -der Ruf der hohen Gastlichkeit, der vornehmen und dabei gemütvollen -Liebenswürdigkeit haftete auch hier an dem Heim des -Diplomaten.</p> - -<p>Die kommenden Jahre gaben Bismarck genug Gelegenheit, -seine Umsicht, Klugheit und Tatkraft im Interesse seines Staates -zu bekunden. Und er hat in kleineren wie in gewichtigen Dingen -seine Anschauungen zur Geltung zu bringen verstanden – und -eine Tätigkeit entwickelt, die schon ihrem Umfange nach Staunen -erregt. Die immerwährenden Reisen, die eingehenden klaren Berichte, -die unmittelbare Tätigkeit im Bundestage selbst hätten -einen anderen aufreiben müssen.</p> - -<p>Da tat mitunter eine Erholung dringend not.</p> - -<p>Im Sommer 1853 erfrischte er sich in den Wellen der -Nordsee und reiste dann durch Belgien und Holland zurück. Der -politische Horizont hatte sich umwölkt, der »Krimkrieg« zwischen -Rußland und den europäischen Westmächten hing in der Luft,<span class="pagenum" id="Seite_95">[95]</span> -und der preußische Staatsmann suchte nach seiner besten Überzeugung -seinen König in dieser Sache neutral zu erhalten, was -auch gelang.</p> - -<p>Spott, der ihn deshalb traf, wußte er sehr geschickt und -scharf zurückzuweisen. So war er in diplomatischem Auftrage in -München gewesen, und als dort zu Ehren eines österreichischen -Generals eine Militärparade abgehalten wurde, erschien er dabei -gleichfalls in seiner Landwehruniform. Auf seiner Brust lag -schon längst nicht mehr die Rettungsmedaille allein, sondern zahlreiche -hohe Orden schmückten dieselbe. Der General, welcher an -ihn herangeritten war, sah mit einigermaßen spöttischem Blicke -auf die blinkenden Auszeichnungen und fragte:</p> - -<p>»Schaun’s Exzellenz! Alle vorm Feind erworben?«</p> - -<p>»Jawohl, Exzellenz, alle vorm Feinde, alle in Frankfurt -a. M.,« erwiderte Bismarck mit verbindlichem Lächeln.</p> - -<p>Noch schärfer führte er den französischen Gesandten in Berlin, -de Moustier, ab. Die Franzosen waren über die Neutralität -Preußens in der orientalischen Frage verstimmt, und als der -Gesandte mit Bismarck zusammentraf, ließ er sich zu der Äußerung -verleiten: »Preußen wird seine Haltung noch einmal bedauern; -auf diesem Wege kommt es vermutlich nach Jena!«</p> - -<p>»Und warum nicht nach Leipzig oder Waterloo?« fragte -Bismarck dagegen, und de Moustier war durch diese Antwort so -gekränkt, daß er sich beim König – jedoch ohne Erfolg – beschwerte.</p> - -<p>Bismarck war einmal nicht der Mann, der seiner Würde, -noch weniger aber der Würde seines Staates etwas vergab.</p> - -<p>Der Krimkrieg war zu Ende, und in Paris fanden sich die -Vertreter der Mächte ein, um über den Frieden zu verhandeln. -Damals reiste auch der Minister Graf Buol über Frankfurt -dahin und hielt sich kurze Zeit in letzterer Stadt auf. Da beeilten<span class="pagenum" id="Seite_96">[96]</span> -sich denn die meisten der deutschen Bundesgesandten, ihm -einen Beweis ihrer Ergebenheit zu geben, und ließen sich durch den -Graf Rechberg, welcher indes an Graf Thuns Stelle getreten -war, anfragen, wann sie ihre offiziellen Besuche machen könnten. -Aber der Herr Minister, ermüdet von der Reise, lehnte solche -Besuche ab, bestimmte jedoch eine Stunde, in welcher er für die -Herren in seiner Wohnung zu einer vertraulichen Besprechung -anzutreffen sei. Diese Mitteilung war auch Bismarck, trotzdem -derselbe nicht angefragt hatte, zugegangen. Er ließ dem Grafen -Rechberg wissen, daß er durchaus gar nicht die Absicht habe, die -wertvolle Zeit des Grafen Buol in Anspruch zu nehmen, und -während die anderen Gesandten im Vorzimmer der österreichischen -Exzellenz warteten, bis es derselben genehm war, sich von ihnen -respektvoll begrüßen zu lassen, wartete Bismarck, ob nicht Graf -Buol zu ihm kommen werde.</p> - -<p>Und derselbe kam trotz seiner »Ermüdung«.</p> - -<p>Auch die Unterdrückung Schleswig-Holsteins durch die Dänen -war eine Angelegenheit, welche den Bundestag viel beschäftigte, -ohne daß eine Einigung zu erzielen war. Preußen hatte den -besten Willen, zu helfen, aber die Eifersucht Österreichs, die Zwietracht -der anderen Mächte banden ihm die Hände.</p> - -<p>Trotzdem wußte Bismarck auch hier einiges zu erreichen, -und vor allem zu erlangen, daß Dänemark für den Herzog von -Schleswig-Holstein eine entsprechende Abfindungssumme entrichte.</p> - -<p>In der schleswig-holsteinischen Sache war er übrigens selbst -in Kopenhagen gewesen. Im August 1857 war er aufgebrochen, -seine Familie hatte er nach Reinfeld gebracht, wo sie in ländlichem -Behagen sich freuen und erholen konnte, und in der dänischen -Hauptstadt fand er eine durchaus höfliche Aufnahme.</p> - -<div class="figcenter illowp60" id="illu-100"> - <img class="w100" src="images/illu-100.jpg" alt=""> - <div class="caption"> -<div class="left"> -<em class="antiqua">Eis. Kanzler III</em> -</div> -<div>Napoleon und Bismarck in Biarritz.</div></div> -</div> - -<p>Hier war ihm alles fremd und neu, und so ließ er sich gern -veranlassen zu Ausflügen, welche den Reiz der nordischen Gegenden -vor ihm entrollten und überdies eigenartige neue Jagdvergnügen -boten. Diese Ausflüge erstreckten sich bis nach Schweden, wo er -bis Tomsjonäs in Smaland vordrang. Fremdseltsam mutete ihn -die Gegend an mit ihren weiten, wüsten Strecken, wo bald zwischen -Sumpf und Moor dichtes Gestrüpp und Unterholz wuchert, bald -über grauverwittertes Gestein und zwischen felsigen Ufern -schäumende Bergwasser hinwegrauschen, bald, von Waldesgrün -umsäumt, große, dunkle Seen im Sonnenscheine träumen – wo -die Menschheit zu fehlen scheint in der großen Szenerie der Natur, -die wie im Sonntagsgewande ihrer Schöpfung ruht und mit tiefer -Stille den Jäger umfängt.</p> - -<p>Manch jagdbares Getier verfiel seiner sicheren Büchse, und -das Jagen war nicht immer gefahrlos. So stand dem Jäger -auf einer seiner Fahrten plötzlich ein unbehaglicher Gesell gegenüber, -ein braunes Ungeheuer, das wie aus dem Boden gewachsen -schien, ein Bär, der die zornigen Augen gegen ihn wandte und -nicht freundlich ihn anbrummte. Da galt kein langes Überlegen. -Auf sechs Schritte Entfernung gab der mutige Schütze Feuer, -und das Tier brach zusammen. Aber »Meister Petz« war zäh; -er begann sich noch einmal, jetzt zur Wut entfacht, zu erheben, -doch Bismarck lud schnell und ohne merkliche Bewegung seine -Waffe, und als das Tier sich nun erhob, traf es die zweite Kugel -und streckte es tot nieder.</p> - -<p>An Körper und Geist erfrischt, die Seele erfüllt von neuen -Bildern, kam Bismarck nach Frankfurt zurück, froh, mit seinen -Lieben wieder vereint zu sein, die er sich manchmal zur Seite -gewünscht hatte in einem kleinen, stillen, freundlichen Landhause -an einem der Nordlandsseen. – Da brachte der Herbst wiederum -Trübes. König Friedrich Wilhelm IV. war infolge eines Schlaganfalles -erkrankt und hatte die Stellvertretung in der Regierung -seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, übertragen. Es war eine<span class="pagenum" id="Seite_98">[98]</span> -bange Zeit für die preußischen Herzen, die bei aller Verehrung -für den Prinzen doch den Schmerz empfanden, der in dem -königlichen Hause lebte.</p> - -<p>So ging wieder ein Jahr vorüber, und der politische Himmel -schien sich von neuem zu bewölken; zwischen Österreich und -Italien begann eine Spannung, welche für den Einsichtigen, zumal -bei dem Ehrgeiz des dritten Napoleon eine Einmischung Frankreichs -zu befürchten war, eine drohende Kriegsgefahr barg. Im -Oktober 1858 übertrug der unheilbar kranke König seinem Bruder -die Regierung gänzlich, und der Prinzregent schien der preußischen -Politik eine andere Richtung geben zu wollen, indem er ein neues -Ministerium berief, auf welches er wie sein Volk große Hoffnungen -zu setzen geneigt waren.</p> - -<p>Auch an Bismarck war anfangs dabei gedacht worden, aber -seine Zeit war noch nicht gekommen. Er wußte sich, trotz der -Verstimmung seiner Angehörigen, zu trösten, und tat auch angesichts -der augenblicklichen Situation das, was ihm das Richtige -schien. Der Bundestag war in Aufregung, mittel- und süddeutsche -Staaten drängten zum Kriege gegen Italien und Frankreich und -zur Bundesgenossenschaft mit Österreich. Eine solche unbedingte -Heeresfolge ging dem preußischen Diplomaten gegen seine Überzeugung. -Dieselbe hatte er schon vorher unumwunden in einer -Denkschrift an seine Regierung ausgesprochen, in welcher er eine -selbständige preußische Politik dringendst empfahl und verlangte, -daß Preußen als der größte deutsche Staat an die ihm gebührende -Stelle in Deutschland treten müsse, selbst, wenn es darüber zum -Bruche mit Österreich komme.</p> - -<p>Und als jetzt der Krieg sozusagen in der Luft schwebte, sahen -die übrigen deutschen Gesandten zu ihrem Erstaunen, ja Entsetzen, -auf der »Zeile« Bismarck Arm in Arm mit dem Gesandten -Italiens, dem Grafen Barral, einherschreiten.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_99">[99]</span></p> - -<p>In Berlin aber war man noch nicht geneigt, mit Österreich -geradezu zu brechen, und so erhielt der preußische Bundestagsgesandte -an einem schönen Februartage seine Ernennung zum -Gesandten in Petersburg. Erfreut war er über die Mitteilung -nicht, er hatte die Empfindung, daß man ihn »kaltgestellt« habe, -aber der Prinzregent selbst gab ihm die Versicherung, daß diese -Versetzung ein Beweis ganz besonderen Vertrauens sei – und -der Mann der Pflicht tat seine Schuldigkeit.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="Siebentes_Kapitel"><span class="smaller">Siebentes Kapitel.</span><br> -An der Newa und der Seine.</h2> -</div> - -<p>An einem wenig freundlichen Märztage des Jahres 1859 fuhr -frühmorgens ein hochbeladener Postwagen, mit acht Pferden bespannt, -zu dem Tore von Königsberg hinaus. Auf dem Außensitze -saß Otto von Bismarck und schaute in den dämmerigen Morgen, -der ihn aus Deutschland entführte nach den Ufern der Newa.</p> - -<p>Eine behagliche Fahrt war es eben nicht.</p> - -<p>In den Steppen Rußlands lag noch tiefer Schnee, und mühsam -arbeiteten sich die Pferde fort, so daß der Gesandte es manchmal -vorzog, neben dem Wagen herzuschreiten, zumal das den -frosterstarrten Gliedern guttat. Bergab war es am schlimmsten; -die Pferde glitten auf den glatten Wegen aus und kamen wiederholt -zum Stürzen, und in einer Stunde war man einmal etwa<span class="pagenum" id="Seite_100">[100]</span> -20 Schritte vorwärts gekommen. Dazu keine Nachtpost. Durch -das unbehagliche Dunkel leuchteten nur mit müdem Scheine die -Wagenlaternen, ein eisiger Wind blies über die Steppen und -wehte den feinen, beißenden Schneestaub dem Reisenden in das -Gesicht, der auf seinem freien Sitze auch gar nicht daran denken -konnte, zu schlafen. Es war eine Wohltat, das letzte Stück des -Weges im Eisenbahnwagen zurücklegen zu können.</p> - -<p>Nach sechs Tagen traf er in Petersburg ein. In den winterlichen -weißen Hermelin gehüllt, lag die russische Kaiserstadt, und -ihre Pulsader, die Newa, flutete noch unter der Eisdecke dahin. -Durch die prächtigen Straßen fuhr Bismarck nach dem Hotel -Demidoff, wo er fürs erste sein Quartier nahm.</p> - -<p>So verlebte er diesmal seinen Geburtstag fern von der -deutschen Heimat und den lieben Seinen, aber er war doch nicht -ohne Bedeutung; er überreichte an demselben dem Zaren -Alexander II. sein Beglaubigungsschreiben. Um die Mittagszeit -war das reich vergoldete Gefährt mit dem kaiserlichen Wappen -vorgefahren, das den Gesandten nach dem Winterpalais brachte. -Durch die entlaubten Lindenalleen ging es pfeilschnell hin, vorüber -an dem Prachtbau der Admiralität, von dessen Turme sich der -herrlichste Blick über die Zarenstadt bietet, über den Paradeplatz -hinweg und dann hinein durch das Tor in den Hof des Palastes.</p> - -<p>Der Empfang ließ an Feierlichkeit und würdigem Zeremoniell -nichts zu wünschen, aber er hatte auch beinahe den Anstrich einer -gewissen Herzlichkeit. Der Kaiser empfing den preußischen Gesandten -herablassend liebenswürdig und schien an dessen feinem -und offenem Wesen von der ersten Stunde an Gefallen zu finden.</p> - -<p>Auch sonst hatte Bismarck nicht über Mangel an freundlichem -Entgegenkommen zu klagen. Wie einst die Großfürstin Helene, -die geistvolle Witwe des Großfürsten Michael Pawlowitsch, eine -geborene Prinzessin von Württemberg, sich in seinem gastlichen<span class="pagenum" id="Seite_101">[101]</span> -Hause in Frankfurt wohl befunden hatte, so vergalt sie ihm jetzt -diese Gastfreundschaft in liebenswürdigster Weise in Petersburg. -Manch schöner Abend wurde bei ihr verlebt, gemeinsam mit bedeutenden -und angesehenen Persönlichkeiten; besonderes Interesse -aber erregte es, wenn man mit Bismarck in intimem Gespräche -in irgendeiner Fensternische einen kleinen, grauhaarigen Herrn -mit dem glattrasierten Gesichte und den klugen Augen, die hinter -glitzernden Brillengläsern hervorsahen, erblickte. Das war der -russische Kanzler, Fürst Gortschakoff.</p> - -<p>Die Freundschaft der beiden war nicht neu, sie datierte schon -aus Frankfurt, wo der Fürst Gesandter seiner Regierung beim -Bundestage gewesen war, und sie wurde hier mit einer gewissen -Herzlichkeit erneuert.</p> - -<p>Endlich kam auch für Petersburg der Frühling. Die Kanonenschüsse, -welche eines Tags von der Festung aus donnerten, verkündeten -der freudig aufatmenden Residenz, daß die Newa die -starre Eisdecke zerbrochen habe und ihr glänzender Wasserspiegel -mindestens auf eine Bootsbreite zutage getreten sei, und jedes -Kind in Petersburg wußte es, daß zu dieser Stunde der Kommandant -der Festung im Paradeanzug, und von seinen Offizieren -begleitet, in eine reichgeschmückte Gondel steige, in einem goldenen -Becher Wasser aus dem Strome schöpfe und dann hinüberfahre -nach dem Winterpalais, um es dem Kaiser zu überbringen. -Tausende von Menschen strömten zusammen und füllten den -Platz, während der mächtige Herrscher oben den Becher empfing -und auf das Wohl seiner Residenz leerte. So war es alter -Brauch, und der Kommandant erhielt demselben gemäß zweihundert -Dukaten.</p> - -<p>Nun begann der Lenz auch die Ufer des Flusses zu schmücken, -und die Straßen der Stadt wurden lebendiger, zumal der glänzende -Newski-Prospekt. An der Umgebung der Residenz aber<span class="pagenum" id="Seite_102">[102]</span> -fand Bismarck kein besonderes Gefallen. Nach Süden zu hatte -die Kunst der Natur einigermaßen nachgeholfen, nach den übrigen -Seiten hin war noch viel einförmiger Wald und Wildnis.</p> - -<p>Ein Punkt aber hatte für ihn eine freundliche Anziehungskraft; -hier wehte es ihm entgegen wie der Hauch der Heimat. -Das war das Schloß <em class="gesperrt">Peterhof</em>, der überreich geschmückte -Sommersitz Peters des Großen, das Versailles der russischen -Kaiser, zu jener Zeit aber der Aufenthaltsort der Kaiserin-Mutter -Charlotte, der Tochter der unvergeßlichen Königin Luise von -Preußen.</p> - -<p>An einem herrlichen Lenztage hatte er sie abermals aufgesucht, -und sie empfing ihn wie eine mütterliche Freundin. Auch -heute saßen sie auf dem Balkon, die Kaiserin auf der Chaiselongue, -er selbst in einem Fauteuil, und sahen hinaus auf das Bild zu -ihren Füßen: Unmittelbar unter ihnen der prächtige Garten mit -seinen leise rauschenden Bäumen und seinen springenden Kaskaden, -dann weiter hinaus der wunderbare Blick auf die märchenhafte -Landschaft, in der aus grünen Gehegen weiße Schlösser hervorlugen, -darunter zumal das anmutige Babigon, glitzernde Teiche, -breite Alleen, dann zur Rechten die große Residenzstadt, zur Linken -die weißen Mauern der Festung Kronstadt, und im Hintergrunde -das schimmernde Meer und die im Blauen verdämmernde Küste -von Karelien. Die alte Dame in dem schwarzen Seidengewande, -die mit langen Holzstäben an einem Wollschal strickt, läßt die -fleißigen Hände einen Augenblick sinken und sagt:</p> - -<p>»Manchmal habe ich hier an Potsdam gedacht und Sanssouci; -hier ist ja alles größer und glänzender, daheim aber ist es voll -lieber Anmut –«</p> - -<p>»Ja, Majestät, die Scholle, auf welcher unsere Wiege stand, -bleibt immer die schönste,« erwiderte Bismarck, »und sie lieben -wir unvergessen, und für sie setzen wir unser bestes Blut ein.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_103">[103]</span></p> - -<p>»Das kann der Mann; die Bestimmung der Frau ist anders, -zumal die der Fürstin. Ihr gibt das Geschick oft eine neue -Heimat, die ihr von Gottes und Rechts wegen an das Herz -wachsen muß, und es kann dann für sie nichts herber sein, als -wenn ihr Herz in Zwiespalt kommt, mit den leidigen Erwägungen -der Politik. Ich und der Kaiser nicht minder, wir haben uns -gefreut, daß Preußen im Krimkriege Neutralität bewahrte, und -dafür sind wir Ihnen ganz besonders dankbar, lieber Bismarck.«</p> - -<p>»Ich habe dabei lediglich das Beste für Preußen im Auge -gehabt, Majestät, genau so, wie ich es in der gegenwärtigen Verwicklung -zwischen Österreich und Italien halte.«</p> - -<p>»Sie meinen nicht, daß es für Preußen richtig sei, zugunsten -Österreichs zu intervenieren?«</p> - -<p>»Wenn wir hier eingreifen, so wird das für uns gleichbedeutend -damit, daß wir Österreich den Krieg abnehmen und -uns für dasselbe opfern. Mit dem ersten Schuß am Rhein -wird der <em class="gesperrt">deutsche</em> Krieg die Hauptsache, weil er Paris bedroht. -Österreich bekommt Luft, und wird es seine Freiheit benutzen, -um uns zu einer glänzenden Rolle zu verhelfen? Wird es vielmehr -nicht dahin streben, uns das Maß und die Richtung unserer -Erfolge so zuzuschneiden, wie es dem spezifisch österreichischen -Interesse entspricht? Und wenn es uns schlecht geht, so werden -die Bundesstaaten von uns abfallen wie welke Pflaumen im -Winde, und jeder, dessen Residenz französische Einquartierung -bekommt, wird sich landesväterlich auf das Floß eines neuen -Rheinbundes retten.«</p> - -<p>»Sie mögen recht haben, und haben auch den schärferen -Blick für die Verhältnisse – ich möchte nicht so düster sehen, -aber wir Frauen sind Gefühlspolitiker. – Doch schauen Sie!«</p> - -<p>Die hohe Frau deutete mit der Rechten hinaus auf das -Landschaftsbild, wo über der See die Sonne unterging. Ein<span class="pagenum" id="Seite_104">[104]</span> -rötlicher Schimmer lag über den blinkenden Wasserspiegeln, heller -hoben sich die Häuser der Residenz, die schweren Gebäudemassen -von Kronstadt vom Horizonte ab.</p> - -<p>»Es hat doch jedes Land seine wunderbaren, ihm eigentümlichen -Schönheiten – das Bild ist einzig, Majestät!«</p> - -<p>»Dies Bild hat seinen eigentümlichen Reiz. – Gewiß, aber -Petersburg selbst ist eine moderne Großstadt wie die meisten -anderen. Wenn Sie ein eigenartiges Stadtbild sehen wollen, -müssen Sie nach Moskau fahren. Moskau ist Rußland, das -alte, starre, halbasiatische Rußland. Den Genuß lassen Sie sich -nicht entgehen. Und jetzt eben wäre die beste Reisezeit; wenn -Ihre Geschäfte es gestatten, würde ich Ihnen sehr dazu raten, -lieber Bismarck.«</p> - -<p>Und nun plauderte die Kaiserin so heiter und geistvoll von -der alten Russenstadt, daß ihr Zuhörer sich ganz in die seltsamen -Bilder versenkte, welche sich vor seinem Geiste entrollten, und -entschlossen war, bereits in der nächsten Zeit nach der Stadt -aufzubrechen, welche einst dem großen Napoleon zu fürchterlichem -Verhängnis geworden war.</p> - -<p>Es war zu Anfang des Juni, als er seinen Vorsatz ausführte.</p> - -<p>Der Sonnenschein lachte in die Fenster des Kupees herein -und lag draußen über dem grünen Lande, als er abfuhr; die -Tage brachten eine beinahe unbehagliche Wärme, und da die -Gegend anfing einförmig zu werden mit ihren weiten, grünen -Ebenen, Sumpfgeländen und Birkenwäldchen, zwischen welchen -keine Stadt, ja, selten ein Dorf das Vorhandensein von Menschen -bekundete, gab sich der Reisende dem Behagen des Schlafes hin.</p> - -<p>Als er am nächsten Morgen erwachte – es war hinter der -Station Twer – und durch das Fenster blickte, glaubte er seinen<span class="pagenum" id="Seite_105">[105]</span> -Augen kaum trauen zu dürfen; im Frührot schimmerte weithin -auf der Ebene der Schnee!</p> - -<p>Und weiter rollte der Zug und hielt endlich im Bahnhofe -in Moskau, der heiligen Stadt der Russen. Feiner Regen sickerte -nieder, als er durch die Straßen fuhr, und der Schnee war -wieder verschwunden. Bismarck stieg im Hotel de France ab, -und nachdem er von hier aus einen brieflichen Gruß an Frau -Johanna geschickt hatte, machte er sich daran, die wunderliche -Stadt kennen zu lernen, in welcher Europa und Asien sich gleichsam -die Hand reichen, und die einen seltsamen Zauber auf jeden -Besucher ausübt. Das Aussehen von Moskau ist seit dem großen -Brande im Jahre 1812 sehr zu dessen Vorteil verändert, aber -auch in der Erneuerung ist man dem alten Stil treu geblieben -in der Anlage der meist gekrümmten Straßen und in der Mischung -aller Bauarten der Welt. Von freier Höhe sah Bismarck die -Stadt unter sich liegen mit ihren grünen Dächern, ihren zahllosen -grünen Kirchenkuppeln, ihren prunkenden Palästen; zwischendurch -windet sich das glitzernde Band der Moskwa, an deren -linkem Ufer das Kapitol der Stadt, der Riesenbau des Kreml -mit seinen 32 Kirchen und zahlreichen Palästen, sich erhebt, überragt -von dem achteckigen »Iwan Weliki«, über dessen zwiebelförmiger -Kuppel das hohe, vergoldete Kreuz weithin leuchtet im -Sonnenglanz. Es war ein Städtebild von überwältigender Großartigkeit -und einem märchenhaften Reiz.</p> - -<p>Auch die Umgegend der Stadt wurde durchstreift, dem -Schlosse Petrowski, das nach dem großen Brande Napoleon zum -Hauptquartier gedient hatte, ein Besuch abgestattet und zwischen -Dörfern und Fabriken weit hinausgeschweift in die wellenförmige, -fruchtbare Ebene, bis sie in die weite, wüste Steppe übergeht.</p> - -<p>Aber für die mannigfachen Genüsse dieser Reise mußte -Bismarck büßen. Nach Petersburg zurückgekehrt, erkrankte er an<span class="pagenum" id="Seite_106">[106]</span> -einem rheumatischen Leiden, das sich immer mehr steigerte, und -so lag er in seinen Schmerzen fern von der Heimat und von -seinen Lieben, an welche er mit Sehnsucht dachte, und ließ sich -von den russischen Ärzten Schröpfköpfe aufsetzen und mit spanischen -Fliegen quälen, bis seine gute Natur wenigstens einigermaßen -ihn auf die Beine brachte, so daß er imstande war, am 28. Juni -nach Peterhof hinauszufahren zu der Kaiserin-Mutter, welche -über sein Aussehen erschrak.</p> - -<p>»Aber Sie müssen Urlaub nehmen, lieber Bismarck, und -einige Zeit in der Heimat zubringen. O, die Luft der Heimat -und der Hauch der anmutigen Häuslichkeit tun Wunder. Ihre -Frau wird recht in Sorge um Sie sein!« sagte die gütige Zarin.</p> - -<p>Bismarck erwiderte:</p> - -<p>»Um den Urlaub habe ich bereits nachgesucht, Majestät, und -was Frau Johanna betrifft, so hat sie gottlob keine Ahnung, -wie man mir hier zugesetzt hat – sie weiß nur etwas von meinen -üblichen Hexenschüssen.«</p> - -<p>»Sie sind ein guter Gatte – aber Frau Johanna verdient -einen solchen nach allem, was ich von ihr weiß. Grüßen Sie -dieselbe herzlich von mir.«</p> - -<p>Nach einiger Zeit brach er nach Deutschland auf. Angenehm -war das Reisen nicht. Bis Dünaburg ging es an, weil im -Eisenbahnkupee doch noch einigermaßen Bequemlichkeit zu erreichen -war. Von dort aus nach Königsberg aber ging es zu Wagen -weiter, und Bismarck merkte schon während der Fahrt, daß das -Leiden sich mit erneuter Heftigkeit eingestellt hatte.</p> - -<p>So kam er in Berlin an, ein kranker Mann, und der Arzt -war beinahe der erste, welcher ihm seinen Besuch im Hotel -d’Angleterre abstattete. Zumal mit dem linken Beine sah es -schlimm aus. Hier hatte er eine Erinnerung an seine schwedischen -Jagdfahrten sitzen, wo er sich bei einem Falle am Schienbein<span class="pagenum" id="Seite_107">[107]</span> -verletzt hatte – und hier rumorte nun der Rheumatismus am -heftigsten, so daß die verordnete Jodtinktur nicht nur nicht wirkte, -sondern, wie es schien, das Übel noch verschlimmerte.</p> - -<p>Da blieb denn nichts anderes übrig, als den besten Arzt -herbeizurufen. Dieser trat denn auch, eben aus Pommern angekommen, -in die Krankenstube und brachte Sonnenschein und -eine heilende Hand mit. Es war Frau Johanna. Sie machte -dem Gemahl zärtlich besorgte Vorwürfe, daß er nicht früher ihr -von seinem Zustande Mitteilung gemacht hatte; der aber war -glücklich, als er sie bei sich hatte, und als sich auch ohne Jodtinktur -durch ihre sorgsame Pflege, durch ihr klares, heiteres -Wesen, durch ihre Umsicht und ihr Geschick sein Zustand bald so -besserte, daß er daran denken konnte, nach dem Bade Nauheim -zu gehen.</p> - -<p>So kam der September, und der Prinzregent rief ihn nach -Berlin, wo er, obgleich von der Jodvergiftung noch nicht ganz -erholt, doch seine Kraft dem Vaterlande zur Verfügung stellte, -da es galt, den russischen Kaiser in Warschau zu begrüßen und -ihn von dort nach Breslau zu begleiten zu einer Zusammenkunft -mit dem Prinzregenten.</p> - -<p>Am 16. Oktober reiste Bismarck von Berlin ab und hatte -das Glück, unterwegs mit einem alten russischen General zusammenzutreffen, -welcher ihn auf einer polnischen Station erkannt -hatte. Die Wirtschaft hier an der russischen Grenze war für gewöhnliche -Reisende nicht gerade ergötzlich: Die Polizeibehörde -verlangte den Paß, die Zollbehörde begehrte Einsicht in das Gepäck, -– so ein russischer General ist jedoch ein Gewaltherr, -mächtiger als ein preußischer Gesandter, und Bismarck wurde -nicht bloß aller Plackerei überhoben, sondern fuhr auch mit dem -alten Herrn in dessen Extrazug weiter, noch dazu im kaiserlichen -Salonwagen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_108">[108]</span></p> - -<p>So ward Lagienki erreicht, wo einst Stanislaus August sich -einen prächtigen Sommersitz erbaut hatte inmitten eines herrlichen, -weit ausgedehnten Gartens, in welchem noch eine ganze -Anzahl kleiner Paläste sich um das Schloß des Herrschers -gruppieren.</p> - -<p>Hier vergingen einige Tage in vergnügter Weise. Ein -prächtiges Hoffest, bei dem Wald und Wasser märchenhaft schön -beleuchtet war und das alte, prachtliebende polnische Blut seinen -ganzen Glanz und seine volle Lebhaftigkeit entfaltete, sowie eine -Jagd im Parke von Skierniewice hatten für Bismarck besonderes -Interesse, und doch war er froh, als er über Breslau wieder -in Berlin eintraf und von hier nach dem lieben, stillen Reinfeld -fuhr.</p> - -<p>Und wenn es denn nun wieder nach Rußland auf seinen -Posten gehen sollte, so sollte er diesmal doch nicht allein reisen; -seine Familie ging mit ihm an die Newa, und nun überkam ihn -beinahe eine stille Sehnsucht nach dem Winterquartier in Petersburg; -mit Frau Johanna und seinen Kindern zur Seite gedachte -er auch den russischen Winter auszuhalten.</p> - -<p>Er war mit den Seinen bereits in Elbing eingetroffen; da -dachte er seines Freundes, des Herrn von Bülow, der nicht gar -fern auf seinem Gute Hohendorf saß, und diesen suchte er auf. -Es war nur ein kurzes Wiedersehen geplant, aber das Geschick -fügte es anders. Er erkrankte hier auf Hohendorf an einer -schweren Lungenentzündung, und wieder hatte Frau Johanna mit -ihrem besorgten Herzen alle Hände voll zu tun, um den teuren -Mann zu pflegen.</p> - -<p>Für diesen Winter war an die Petersburger Reise nicht mehr -zu denken. Am behaglichen Kamin zu Hohendorf saß der langsam -Genesende, stocherte nach seiner Gewohnheit in der zuckenden -Flamme, freute sich, daß er wenigstens die Seinen bei sich haben<span class="pagenum" id="Seite_109">[109]</span> -konnte, und plauderte mit seinem Freunde über die politische Lage, -die ihm ganz leidlich behagte.</p> - -<p>Der österreichisch-italienische Krieg war vorüber, Preußen -hatte sich dabei nichts vergeben, sondern in würdiger Weise seine -Stellung gewahrt, ja, es war durch die Verhältnisse in den Stand -gesetzt, näher an die eigentliche deutsche Frage herantreten und -eine Reorganisation des deutschen Bundes ins Auge fassen zu -können.</p> - -<p>Der Rekonvaleszent auf Hohendorf freute sich, daß die Dinge -still für sich weiterreiften, ohne damals zu ahnen, daß er selbst -die letzten entscheidenden Worte dabei sprechen und die entscheidenden -Taten dafür tun sollte.</p> - -<p>Es kam wiederum der Frühling; der Mai streute seine Blüten -durch das deutsche Land, und nun konnte Bismarck erst daran -denken, mit seiner Familie auf seinen Posten abzureisen.</p> - -<p>Am 5. Juni rollte der Wagen durch die russische Residenz, -welcher den preußischen Gesandten und die Seinen nach dem englischen -Kai führte, wo er im Hause der Gräfin Stenbock schon im -vorigen Jahre eine entsprechende Wohnung gemietet hatte. Sie -war weit und geräumig, und wenn auch die Möbel darin abgenutzt -und »ruppig« schienen, bald ging auch durch diese Räume wie -einst in Frankfurt der Hauch einer Gemütlichkeit und eines vornehmen -Behagens, wie es hier an der Newa vielleicht einzig -dastand.</p> - -<p>Der Sommer und Herbst vergingen. Besuche und Jagdfahrten -unterbrachen das Petersburger Leben in angenehmer -Weise. Auf Peterhof hatte Bismarck zum letztenmal am 1. Juli -1860 die liebenswürdige Kaiserin-Mutter besucht – sie starb bald -darauf – und er behielt die hohe Frau in freundlichstem Gedenken. -Auf der Wende von Herbst und Winter aber begannen -die Jagden. Da gab es noch Bären und Elche in den russischen<span class="pagenum" id="Seite_110">[110]</span> -Wäldern, und für den Weidmann war es eine Lust, im dicken, -kurzen Jagdpelz und mit den hohen Juchtenstiefeln durch Gestrüpp -und Schneehalden zu waten nach köstlicher Beute.</p> - -<p>Der Winter aber rückte einen freundschaftlichen Kreis näher -aneinander. In den hohen, weiten Räumen flimmerte der Lichtglanz, -behagliche Wärme durchflutete die Gemächer, und im Speisezimmer -saßen liebe Gäste: Der gute Graf Kaiserlingk, der einst -in Berlin den Studiosus Bismarck mit Beethovenschen Sonaten -erfreut, und welcher jetzt die Würde eines Kurators der Universität -Dorpat bekleidete, die preußischen Gesandtschaftsmitglieder General -von Loën und Legationsrat von Schlözer, der russische Hauptmann -von Erckert und andere.</p> - -<p>»Ja, was wollen Sie, Kaiserlingk,« sagte der liebenswürdige -Hausherr, »so glänzende Feste wie der französische Gesandte kann -ich nicht geben bei meinen 25 000 Talern Gehalt und 8000 Talern -Mietgeld; er hat 300 000 Franken zur Verfügung.«</p> - -<p>»Dafür kann auch er keine Feste geben wie Sie, Exzellenz!« -erwiderte Erckert; »dort ist man immer unter einem unbehaglichen -Zwange, hier fühlt man sich wie daheim.«</p> - -<p>»Na, das freut mich! So ist mir’s auch am liebsten! Doch -nun erlauben Sie mir, daß ich mich an den Kamin setze, das -gibt mir ein absonderliches Behagen!«</p> - -<p>Zwanglos gruppierten sich die Gäste, und einer von ihnen -bemerkte:</p> - -<p>»Sie haben doch wenigstens freie Feuerung, Exzellenz, und -das will in Rußland etwas bedeuten.«</p> - -<p>»Gott bewahre, mein Bester, die muß ich auch bezahlen. -Das Holz wäre übrigens nicht so teuer, wenn die Beamten es -nicht so teuer machten. Da sah ich einmal schönes Holz auf -einem finnischen Boote. Ich fragte die Bauern nach dem Preise, -und sie nannten mir einen sehr wohlfeilen. Als ich’s aber kaufen<span class="pagenum" id="Seite_111">[111]</span> -wollte, fragten sie mich, ob es für den Fiskus wäre. Da beging -ich die Unvorsichtigkeit, zu antworten: Nicht für den kaiserlichen -Fiskus, sondern für den königlich preußischen Gesandten. Preußen -wäre wohl ein Gouvernement des russischen Reiches? Ich sagte, -das gerade nicht, aber die Gesandtschaft hat mit der kaiserlichen -Krone zu tun. Das war eben unvorsichtig, undiplomatisch; es -befriedigte die Bauern offenbar nicht, und es half auch nichts, -daß ich ihnen das Geld gleich geben wollte. Sie fürchteten ohne -Zweifel, daß ihnen dasselbe von mir wieder abgedrückt werden -würde, und daß man sie obendrein unter dem Vorwande, sie -hätten das Holz gestohlen, einstecken und ihnen Prügel aufzählen -würde. Als ich später wiederkam, waren sie alle auf und davon. -Hätte ich ihnen die Adresse eines Kaufmanns gegeben, mit dem -ich mich inzwischen verständigen konnte, hätte ich das Holz um -den dritten Teil dessen gehabt, was ich sonst bezahlte.«</p> - -<p>Das Gespräch kam auf die Jagd, zumal sich manche schöne -Trophäe derselben in der Wohnung Bismarcks befand.</p> - -<p>»Sie scheinen ein besonderer Günstling St. Huberts zu sein -nach allem, was ich sehe und höre,« sagte einer der Anwesenden, -und Hauptmann Erckert erwiderte:</p> - -<p>»Herr von Bismarck schießt eine absolut sichere Kugel. Da -erzählte mir ein Bekannter, der Oberst M., vor kurzem, er sei -mit fünf anderen Jagdgefährten und unserem liebenswürdigen -Hausherrn auf die Bärenpirsch gefahren. Als der erste Bär sich -zeigte, schoß Herr von Bismarck, und das Tier brach im Feuer zusammen; -es kam ein zweiter Bär, der nächste Schütze fehlte ihn, -Herr von Bismarck aber streckte ihn mit einem Prachtschuß nieder. -Ein dritter Bär rückte an, der Oberst schoß zweimal nach demselben -ohne Erfolg, und in demselben Augenblick hatte Herr von -Bismarck ihn mit tödlicher Sicherheit gefällt. Ein vierter Bär -kam nicht!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_112">[112]</span></p> - -<p>Das Töchterchen Bismarcks lehnte bei diesen Gesprächen an -dem Fauteuil der Mutter, die beiden Söhne, der zehnjährige -Herbert und der achtjährige Bill (Wilhelm), hörten dem Gespräch -von einer Ecke des Gemaches aus zu. Als die Rede von der -Bärenjagd war, flüsterten sie einander etwas zu und eilten dann -hinaus. Das Gespräch hatte bald eine andere Wendung genommen, -als sie wiederkehrten, und hinter ihnen trabten und -kollerten zwei kleine, drollige, braune Tiere herein.</p> - -<p>»Ah, da kommt Mischka,« rief lachend Bismarck, einige -Damen schrien in augenblicklichem Schrecken auf, aber als sie -die zwei possierlichen Kerle näher ansahen, schwand jede Furcht. -Es waren zwei junge Bären, die der Hausherr gleichfalls auf -der Jagd erbeutet hatte. Die Tiere waren offenbar nicht das -erstemal in den Gesellschaftsräumen der preußischen Gesandtschaft. -Sie wälzten sich behaglich auf dem Teppich, kletterten -sogar auf den Tisch und gingen behutsam darüberhin, und als -ein Diener erschien und Erfrischungen servierte, schienen sie zu -glauben, daß ihnen ein Genuß zugedacht sei, und sie hefteten -sich an die Fersen des Mannes; als er sich nun nicht um sie kümmerte, -zwickten sie ihn in die Beine, so daß er Mühe hatte, sich der -drolligen braunen Burschen zu erwehren.</p> - -<p>So verfloß der Abend in zwangloser Heiterkeit und liebenswürdigem -Verkehr.</p> - -<p>Auch in Petersburg ließ sich’s leben, und sogar mit einem -gewissen Behagen. Die Vormittage gab es wenig zu tun, und -sie wurden der Promenade, dem Frühstück und etwaigen Kurvorschriften -gewidmet. Der Nachmittag bis fünf Uhr gehörte -dem Dienst, der Abend, soweit es möglich war, der Familie. -Sonnabend abends nahm Bismarck überdies eine Repetition vor -mit seinen Söhnen, die sich dann mit ihren Heften bei ihm einzufinden<span class="pagenum" id="Seite_113">[113]</span> -hatten, und die der Vater in Gegenwart ihres Hauslehrers, -des Kandidaten Braune, sehr eingehend examinierte.</p> - -<p>Drei Jahre gingen in Petersburg hin, vielfach allerdings -durch Reisen im Dienst unterbrochen. Mancher bedeutsamen -Fürstenzusammenkunft hatte er mit dem Prinzregenten beizuwohnen, -und am 18. Oktober 1861 war er in Königsberg Zeuge -der erhebenden Feier der Krönung Wilhelms I., der seinem am -2. Januar verstorbenen Bruder auf dem Throne folgte. Als -»Wirklicher Geheimer Rat« kehrte er nach Petersburg zurück, -und in seiner Seele leuchteten wie ein herrlicher Stern die Worte -nach, welche der neue königliche Herr gesprochen hatte:</p> - -<p>»Meine Pflichten für Preußen fallen mit meinen Pflichten -für Deutschland zusammen.«</p> - -<p>Noch einmal sah er die in Eisesfesseln geschlagene Newa, die -verschneiten Paläste des Alexander Newski-Prospektes, die glänzenden -Feste des Zarenhofs, und sein einfach-vornehm-gemütliches -Haus war die liebliche deutsche Oase im russischen Osten.</p> - -<p>Im Mai 1862 war er bereits wieder in Berlin, gewärtig -dessen, was sein König über ihn verfügen würde. Es war eine -Zeit einer unangenehmen Spannung, und er war nahe daran, in -das neugebildete Ministerium berufen zu werden. Aber die Sache -blieb in der Schwebe, und Bismarck ritt jeden Morgen mit neuer -Ungeduld auf seiner Fuchsstute hinaus in den Tiergarten, sah den -Frühling ringsum sich entfalten und Blüten treiben und dachte -an seine Lieben, welche indes in dem stillen Pommern weilten. -So kam er wieder einmal heimgeritten, und das erste, was man -ihm noch im Sattel entgegenreichte, war ein amtliches Schriftstück -mit dem bekannten großen Siegel. Er erbrach es und las, daß -er zum Gesandten in Paris ernannt sei.</p> - -<p>So ging es aus dem Osten nach dem Westen Europas, und -noch im Mai traf er in der glänzenden Weltstadt an der Seine<span class="pagenum" id="Seite_114">[114]</span> -ein, wo Napoleon III. sein neues Kaiserreich errichtet hatte und -den Plan entwarf, »die Karte von Europa in Ordnung zu -bringen.«</p> - -<p>Ein freundlicher Frühlingstag lachte über Paris, seinen -glänzenden Boulevards und seinen leichtlebigen Menschen, der -1. Juni war’s, und durch die Straßen fuhr die goldglänzende -Hofequipage, welche den preußischen Gesandten nach den Tuilerien -führte und zur Empfangsaudienz bei dem Kaiser. Dieser war -freundlich und entgegenkommend, und auch die Kaiserin zeigte sich -von einer liebenswürdigen Seite.</p> - -<p>Hier warm zu werden, durfte Bismarck kaum hoffen; er -hatte die Empfindung, auf einer Durchgangsstation zu sein, die -ihn bald entweder auf den Ministersitz in Berlin oder in das -Stilleben des märkischen Landedelmannes führen mußte.</p> - -<p>Noch im Juni hatte er sich zur Weltausstellung nach London -begeben, und dabei die hervorragendsten englischen Staatsmänner -kennen gelernt, und nachdem ihm ein Urlaub bewilligt worden, -verließ er das sommerheiße Paris, um den schönen Süden Frankreichs -kennen zu lernen.</p> - -<p>In dem alten Königsschlosse der Orleans, Chambord, das -wie ein Märchenbild mit seinen sonnbeglänzten stillen Hallen und -Höfen sich vor ihm auftat, dachte er der versunkenen Herrlichkeit -des alten französischen Herrschergeschlechts; vom alten Schlosse -von Amboise schaute er mit Entzücken hinaus auf das blühende -Gelände an der Loire mit den weißen Schlössern und Landhäusern, -den weiten Maisfeldern, den dunklen Kastanienwäldern -und den grünen Weinbergen, und durch das Land der Reben, -wo an sonnigen Hängen von Margaux, Lafitte, St. Julien, Latour -und Armeillac die dunkelglutigen Trauben reifen, streifte er in -angenehmer Gesellschaft.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_115">[115]</span></p> - -<p>Von Bordeaux fuhr er nach Bayonne durch Fichtenwälder, -purpurblühendes Heidekraut und gelben Ginster wie auf einem -Blumenteppich, und von dort durch die herrlichste Landschaft nach -San Sebastian. Zur Linken erhoben sich die gewaltigen Berge -der Pyrenäen, zur Rechten leuchtete der Spiegel des Meeres. -Im Fuentarabia betrat er den Boden Spaniens, »des schönen -Lands des Weins und der Gesänge«. Steile, enge Gassen, Balkone -vor den Fenstern, Schönheit und Schmutz und lustiges -Lärmen von tanzenden Weibern auf dem Markte – ein fremdes, -neues Bild!</p> - -<p>Dann saß er in dem berühmten Seebade Biarritz und -schaute aus den Fenstern des Hotel l’Europe hinaus auf die -blaue See, wie sie weiß aufschäumte zwischen den Klippen und -gegen den Leuchtturm brandete, der in ruhiger Majestät über -Meer und Land hinblickte. Und am Strande von Biarritz konnte -man wohl auch an schönen Morgen, wenn der Wind kühl und -weich zu Lande wehte, ein paar Menschen sehen, denen alle die -anderen Badegäste nachschauten, und vor denen sich alle Häupter -entblößten: den breitschultrigen, hochgewachsenen preußischen Gesandten -mit dem Schlapphut auf dem mächtigen Haupte und ihm -zur Rechten den dunkel gekleideten kleinen Mann, der trotz seines -Zylinderhutes nicht die Größe des anderen erreichte – Kaiser -Napoleon III.</p> - -<p>Zu Anfang September war Bismarck in Luchon und bestieg -den Col de Venasque. Durch Buchenwälder ging es empor, bis -der Schnee begann und wunderliche dunkle Seen aus dem weißen -Rahmen und zwischen den bizarren Klippen hervorschauten. Von -einer Höhe von 7500 Fuß schaute er hinab ins spanische Land -mit seinen Palmen und Kastanien, wie es eingefaßt von der -Kette des Maladetta dalag. Unter den Beschauern lag es grün -und sonnig, durchgezogen von dem Silberband seiner Flüsse, und<span class="pagenum" id="Seite_116">[116]</span> -im Hintergrunde abgegrenzt von schneestarrenden Gipfeln und -bläulichen Gletschern, hinter denen das stolze Aragonien sich -ausbreitet.</p> - -<p>Eine Fülle von einzig schönen, fremden Bildern prägte sich -der Seele des deutschen Mannes ein, aber immer wieder kam -ihm dabei der Vergleich mit dem lieben Heimatlande, seinen -grünen Bergen und seinem alten, schönen Rhein. Und die Freude -war nur halb für ihn, da er sie nicht mit der lieben Frau teilen -konnte, der er oft genug seine Grüße nach dem stillen Reinfeld -sandte.</p> - -<p>Am 15. September traf er in Avignon ein, dem französischen -Rom, und hier fand er eine telegraphische Nachricht von größter -Wichtigkeit: Sein König berief ihn als <em class="gesperrt">Minister</em> nach der -Heimat zurück.</p> - -<p>Sinnend schritt der ernste Mann durch die herrlichen Gärten -des Südens. Seine Seele war voll von den Gedanken an die -Zukunft, aber kein Ahnen verkündete ihm noch, welchen Weg er -eigentlich gehen, und welche Bahnen er brechen sollte. Nach -Frieden stand seine Seele, und durch blutige Kriege sollte er -schreiten! Über seinem Haupte rauschten noch die Ölbäume -Frankreichs, und er griff empor und brach sich einen Zweig ab, -den er sinnend betrachtete.</p> - -<p>Und mit dem Ölzweig, dem Symbol des Friedens, zog er -in Berlin ein.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[117]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Achtes_Kapitel"><span class="smaller">Achtes Kapitel.</span><br> -Der bestgehaßte Mann.</h2> -</div> - -<p>An einem Vormittage zu Anfang des November 1862 -schritten zwei stattliche Männer durch die Straßen der preußischen -Hauptstadt. Der eine war im Zivilanzuge mit dem dunklen -Schlapphute auf dem mächtigen Haupte, der andere trug den -Militärpaletot; sein ernstes, entschlossenes Gesicht mit dem kräftigen -grauen Schnurrbart bekundete Festigkeit und Mut.</p> - -<p>Die beiden waren sich eben begegnet und hatten sich die Hand -geschüttelt, dann waren sie nebeneinander hergegangen, und -der Offizier sagte:</p> - -<p>»Nun, wie war’s bei der Abschiedsaudienz in Paris, lieber -Bismarck?«</p> - -<p>»Das will ich Ihnen kurz berichten, bester <em class="gesperrt">Roon</em>. Am -1. November fuhr ich höchst feierlich in St. Cloud vor und überreichte -unter allem herkömmlichen Zeremoniell dem Kaiser mein -Abberufungsschreiben, wobei ich ihm zugleich mitteilte, daß Seine -Majestät mich am 8. Oktober zum Ministerpräsidenten und Minister -der Auswärtigen Angelegenheiten zu ernennen geruht haben. -Napoleon war sehr liebenswürdig und gutmütig, aber einen Einblick -in unsere Verhältnisse scheint er ebensowenig zu haben wie -große wissenschaftliche Kenntnisse; ich glaube, daß er bei uns nicht -einmal das Referendarexamen bestehen würde. Der Kaiser meinte, -nachdem wir hier in Preußen erst einmal den Konflikt zwischen -der Regierung und dem Abgeordnetenhause in der Frage der<span class="pagenum" id="Seite_118">[118]</span> -Heeresreform haben, würde es wohl nicht lange dauern, und es -würde einen Aufstand geben in Berlin und Revolution im ganzen -Lande, und bei einer Volksabstimmung hätte der König alle gegen -sich. Ich sagte ihm, das Volk baue bei uns keine Barrikaden, -Revolutionen machten in Preußen nur die Könige. Wenn der -König die Spannung, die freilich vorhanden sei, nur drei bis -vier Jahre aushalte, so habe er gewonnenes Spiel. Wenn er -nicht müde würde und mich nicht im Stiche ließe, würde ich -nicht fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen -ließe, so hätte er schon jetzt neun Zehnteile für sich. – Der Kaiser -soll nach meinem Weggange geäußert haben: »<em class="antiqua">Ce n’est pas un -homme serieux</em>« (das ist kein ernsthafter Mensch).«</p> - -<p>»Und Sie haben in allem recht: daß wir in der Frage der -Heeresverstärkung zum Besten Preußens nicht nachgeben dürfen, -ist für uns selbstverständlich; sollen wir einmal dem Staat des -großen Friedrich wieder die gebührende Stellung und vor allem -seine Führerrolle in Deutschland sichern, so brauchen wir ein -starkes Heer. Und daß wir das Volk auf unserer Seite haben, beweisen -die zahlreichen Abordnungen aus allen Teilen des Landes, -die an den König kommen, um gerade jetzt ihn der Treue und der -Zustimmung seiner Untertanen zu versichern.«</p> - -<p>»Gewiß, auch ich beharre fest bei dem, was ich in der Kammer -schon gesagt, und es ist meine tiefinnerste Überzeugung, daß -Preußen nicht, wie so oft schon, den günstigen Augenblick für sich -verpassen darf aus Mangel an Kraft, und daß die großen Fragen -der Zeit zuletzt nicht durch Reden und Majestätsbeschlüsse entschieden -werden, sondern <em class="gesperrt">durch Blut und Eisen</em>. Darin -werde ich mich nicht irremachen lassen, und ich hoffe, die Zukunft -wird mich verstehen.«</p> - -<p>Die beiden Männer kamen an dem Schaufenster einer Buchhandlung -vorüber, und Bismarck blieb stehen:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[119]</span></p> - -<p>»Lassen Sie uns sehen, was es Neues gibt!« Da hingen -wunderliche Bilder, Karikaturen, welche den Ministerpräsidenten -in mancherlei Situation darstellten, als feudalen Junker, welcher -mit dem Besen die großen Städte wegfegt, als Hausknecht, der -den Saal der Abgeordneten reinigt u. a.</p> - -<p>Der alte General biß sich auf den grauen Schnurrbart und -fand in seinem Unmute kein Wort, Bismarck aber lachte:</p> - -<p>»Sie sorgen damit besonders liebevoll für meine Popularität, -und einzelnes ist wirklich gar nicht übel; ärgern kann ich mich -über dies Zeug beim besten Willen nicht, ändern werden sie damit -an mir auch nichts.«</p> - -<p>Und sie schritten weiter, bis an die Ecke der nächsten großen -Straße; hier wollte Bismarck sich verabschieden, Roon aber sagte:</p> - -<p>»Nein doch, Verehrtester! Wenn Sie ein Stündchen Zeit -haben, so nehmen Sie mit uns das Frühstück ein; meine Frau -wird sich herzlich freuen – das wissen Sie!«</p> - -<p>»Ich bin ohnehin schon mehr bei Ihnen als daheim in meiner -Junggesellenwirtschaft – aber Sie wollen’s nicht anders, und ich -kann mir’s gefallen lassen, solange ich hier noch allein stehe.«</p> - -<p>Kurze Frist darauf saß er mit Roon zu Tische, und das -Gespräch drehte sich nicht mehr um die leidige Politik. Der -General äußerte, sich behaglich zurücklehnend in seinen Sessel: -»Wenn ich mir das hätte träumen lassen, lieber Bismarck, als -ich in Pommern als blutjunger Leutnant mit der Flinte hinauslief -in die Felder oder Terrainaufnahmen machte und Sie als -frischer, prächtiger Junge mich begleiten, daß wir einmal nebeneinander -am Ministertische sitzen würden, Sie noch dazu – mit -allem Respekt zu melden – als Präsident –«</p> - -<p>»Weiter können wir nun allerdings nicht kommen, und meine -gute Mutter, die schon auf Kniephof immer einen Diplomaten<span class="pagenum" id="Seite_120">[120]</span> -aus mir machen wollte, sollte doch einigermaßen ihre Freude an -mir haben.«</p> - -<p>»Na, dafür hat jetzt Frau Johanna diese Freude!« bemerkte -Frau von Roon.</p> - -<p>»Ja, meine gute Johanna! Sie kennt aber nicht bloß die -Freuden, sondern auch die Leiden des Diplomatenlebens. Ach, -wie ich mich danach sehne, endlich wieder die Meinen hier um -mich zu haben in meinem einsamen Hause in der Wilhelmstraße, -das glauben Sie kaum. Ich habe meiner Frau auch geschrieben, -daß ich alle Tage bei den guten Roons esse, und wenn sie und -meine Fuchsstute nicht wären, ich mir gar zu vereinsamt vorkäme. -Dabei wie Leporello: Keine Ruh’ bei Tag und Nacht! Da wollte -ich vor kurzem einige Tage wenigstens mich bei Malwine auf -Kröchlendorf erholen, arbeitete bis tief in die Nacht hinein, und -wie ich fertig war, goß ich statt des Streusandes die Tinte über -die Geschichte, daß sie mir nur so an den Knien hinunterfloß, -und die nächsten Tage brachten wieder so viel Arbeit, daß ich -meinen schönen Gedanken aufgeben mußte. Aber alles für König -und Vaterland! Unserem guten König!«</p> - -<p>Er hob sein Glas mit dem funkelnden Wein, und hell klang -es durch den Raum.</p> - -<p>Dann kamen wiederum Tage heftiger Kämpfe. Das Abgeordnetenhaus -war am 14. Januar 1863 wieder zusammengetreten, -aber eine Verständigung über die von dem König gewünschte, -von Bismarck als unbedingt notwendig verfochtene -Heeresreform wurde zunächst nicht erzielt, ja, die Spannung zwischen -der Regierung und den Kammern wuchs noch, als in Polen -ein Aufstand gegen Rußland ausbrach und Preußen nur einen Vertrag -mit demselben schloß, wonach bewaffnete polnische Banden -und revolutionäre Flüchtlinge auch über die preußische Grenze -verfolgt werden durften. Da die polnische Bewegung überall<span class="pagenum" id="Seite_121">[121]</span> -große Sympathien hatte, mußte sich Bismarck heftige Angriffe -gefallen lassen, sogar auf seine »preußische Ehre«, und wohl nur -wenige verstanden diesen meisterhaften politischen Schachzug des -fernblickenden Staatsmannes, der sich für künftige Vorkommnisse -die Freundschaft des mächtigen östlichen Nachbars sichern -wollte.</p> - -<p>In jenen Tagen war es, daß er in einer Gesellschaft dem -englischen Gesandten, Sir Andrew Buchenan, begegnete, der ihn -wegen des geschlossenen Vertrages interpellierte.</p> - -<p>Bismarck erklärte rund und bündig:</p> - -<p>»Wir können ein unabhängiges Polen an unserer Grenze -nicht dulden.«</p> - -<p>»Wie aber, wenn der immerhin mögliche Fall eintritt, daß -die Russen aus Polen hinausgeschlagen werden, was werden Sie -dann tun?«</p> - -<p>»Dann müßten wir das Königreich selbst besetzen, um das -Aufkommen einer uns feindlichen Macht zu hindern.«</p> - -<p>»Dies wird Europa niemals dulden – nein, dies duldet -Europa nicht!«</p> - -<p>»Wer ist Europa?«</p> - -<p>Der Engländer war über diese Frage einigermaßen verdutzt, -dann erwiderte er:</p> - -<p>»Nun, verschiedene große Nationen.«</p> - -<p>»Sind dieselben bereits einig darüber?«</p> - -<p>»Nun – die Frage ist ja – noch nicht ventiliert worden, -aber Frankreich beispielsweise würde niemals eine neue Unterdrückung -Polens zulassen.«</p> - -<p>»Und für uns ist die Unterdrückung des Aufstandes eine -Frage über Leben und Tod; übrigens ist es nutzlos, hier nicht -vorliegende Möglichkeiten weiter zu erörtern.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_122">[122]</span></p> - -<p>Das war am 11. Februar gewesen, und eine Woche später -stand der Ministerpräsident im Abgeordnetenhause den erregten -Volksvertretern in derselben Angelegenheit gegenüber, und -schwertscharf gingen die Worte hin und her, so daß nicht lange -darauf von dem König die Entlassung des Ministeriums verlangt -wurde.</p> - -<p>Dieser aber hielt seinen Minister, und der Landtag wurde -aufgelöst.</p> - -<p>Aber trotz aller Anfeindungen fehlte es für Bismarck auch -nicht an ehrenvollen und ermunternden Anerkennungen. Besonders -freute es ihn, als eine Anzahl Patrioten ihm einen Ehrendegen -überreicht hatte, der auf der einen Seite der Klinge das Wahrwort -des alten Ritters Frundsberg: »Viel Feind’ viel Ehr’« -trug, auf der anderen Seite aber unter Bismarcks Wappen das -Wort:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Das Wegkraut sollt du stehen lan,</div> - <div class="verse indent0">Hüte dich, Jung, sind Nesseln dran.</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Am 17. März 1863 hat er die schöne Waffe zum erstenmal -getragen an einem schönen Feste. Ein halb Jahrhundert vorher -hatte an diesem Tage König Friedrich Wilhelm III. den Aufruf -an sein Volk erlassen zu dem heiligen Kampfe gegen Napoleon, -und nach fünfzig Jahren versammelte König Wilhelm die Veteranen -der Befreiungskriege um sich zu einer erhebenden Erinnerungsfeier. -Die breite Straße Unter den Linden entlang zog die -ehrwürdige Schar, geführt von dem Feldmarschall Wrangel, hinaus -nach dem Lustgarten. Aus allen Fenstern wurden die ersten -Blüten des Frühlings den greisen Männern zugeworfen, die an -den Steinbildern ihrer heldenhaften Führer vorbeiparadierten, -und an dem Orte Halt machten, wo das Standbild Friedrich Wilhelms -III. sich erheben sollte. Das alte und das neue Preußen -reichten sich hier die Hand, und Gottes helle Sonne beschien den<span class="pagenum" id="Seite_123">[123]</span> -vom besten Streben für sein Volk beseelten König und den stattlichen -Recken in Kürassieruniform, der an seiner Seite hielt, den -streitbaren und festen Ministerpräsidenten.</p> - -<p>Der Konflikt mit der Volksvertretung jedoch dauerte fort, -und Mißstimmung und Spannung gegen Bismarck waren noch -im Wachsen. Aber nun konnte er sich wenigstens nach den Kämpfen -des Tages wieder im Kreise seiner Familie erholen, und Frau -Johanna hatte ihm in der Wilhelmstraße eine freundliche Häuslichkeit -geschaffen.</p> - -<p>Hier feierte er am 1. April 1864 seinen neunundvierzigsten -Geburtstag, und er brachte ihm zahlreiche Beweise von Liebe und -Anhänglichkeit aus Nähe und Ferne. Unter den vielen Schriftstücken -lief auch eins ein, das wunderlich genug war: Das polnische -geheime Nationalkomitee in Warschau teilte ihm mit, daß -es das Todesurteil über ihn verhängt habe, und daß er der Vollstreckung -desselben gewärtig sein solle.</p> - -<p>Er las das Schreiben noch einmal, dann schritt er langsam -dem Kamin zu, in welchem das Feuer flackerte, und warf den -Drohbrief gleichmütig in die Flammen. Es war nicht das erstemal, -daß ihm solches begegnete, und Frau Johanna sollte sich -nicht ängstigen, wenn ihr der Zufall etwa ein solches Schreiben -in die Hände brächte.</p> - -<p>Zu derselben Zeit war übrigens bereits eine neue bedeutsame -Aktion im Gange. Im Herbste 1863 war der König von -Dänemark gestorben, und da sein Nachfolger damit umging, die -beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein gegen alles Recht -seinem Staate einzuverleiben, nahm sich der deutsche Bund der -Bedrängten an. Bismarck aber hatte mit weitschauendem Blicke -erwogen, ob nicht eine Erwerbung dieser deutschen Ländergebiete -für Preußen möglich sei, und so setzte er durch, daß Österreich -und Preußen gemeinsam den Krieg gegen Dänemark führten. Und<span class="pagenum" id="Seite_124">[124]</span> -er wurde, trotzdem das Abgeordnetenhaus dem Ministerpräsidenten -die Mittel verweigerte, entschieden und glücklich geführt, und -endete damit, daß Schleswig-Holstein an Österreich und Preußen -abgetreten wurde. Nun handelte es sich darum, wie es mit der -Verwaltung beziehungsweise Regierung in den Herzogtümern -werden sollte, und Bismarck war fest entschlossen, hier in keiner -Weise sich von Österreich übervorteilen zu lassen. Noch lag auf -Preußen »die Schmach von Olmütz«, und diese mußte gesühnt -werden.</p> - -<p>Es war im Hochsommer des Jahres 1865. Auf einer -freundlichen, von Tannen umgrünten Höhe in dem herrlichen -Badeorte Gastein liegt ein im Schweizerstil mit vorspringendem -Dach und Holzveranden versehenes einfaches Haus, die Villa -Hollandia, und hier war es, wo in den Augusttagen des genannten -Jahres, in einer einfachen Stube, deren Fenster hinaussahen auf -die grünen Föhren, eine Anzahl Staatsmänner in ernsten Verhandlungen -sich zusammenfanden. Das Geschick von Schleswig-Holstein -sollte entschieden werden. Heiß wurde hin und her gesprochen, -während der Regen draußen tagelang niedersickerte -und ab und zu den Ausblick verhüllte. Endlich erreichte Bismarcks -Festigkeit und imponierende Ruhe, daß ein Vertrag vereinbart -wurde, wonach Österreich über Schleswig, Preußen über Holstein -Hoheitsrechte ausüben und Preußen gegen eine Abfindungssumme -von 2½ Millionen das Herzogtum Lauenburg besitzen solle. -Dabei gab es noch manche Nebenbestimmungen, welche Preußen -wichtige Rechte auch für Holstein sicherten.</p> - -<p>Am 20. August unterzeichneten in Salzburg die beiden -Monarchen den Gasteiner Vertrag, und nicht lange danach verlieh -Kaiser Franz Josef Bismarck den St. Stephanusorden, sein König -aber zeichnete ihn durch den hohen Orden vom Schwarzen Adler -aus und erhob ihn in den Grafenstand.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_125">[125]</span></p> - -<p>Aber die so geschaffenen Zustände in den Elbherzogtümern -waren unhaltbar. Österreich begünstigte in Holstein die preußenfeindlichen -Bemühungen des Herzogs von Augustenburg, Bismarck -protestierte dagegen, von Wien aus erfolgte eine scharfe, abweisende -Antwort, und so spitzte sich die Spannung zwischen Österreich -und Preußen immer mehr zu. In Österreich begann man -bereits militärische Maßregeln zu treffen, und auch Bismarck -blieb nicht müßig. Er sicherte dem Staate einen Bundesgenossen -in dem Königreiche Italien und wußte sich auch der eventuellen -Neutralität Napoleons zu versichern, und nun mochte es zum -Äußersten kommen. Einmal mußte doch die Führerschaft über -Deutschland mit Blut und Eisen entschieden werden.</p> - -<p>Im eigenen Lande aber verstand und würdigte man seine -kühnen Pläne nicht, schalt ihn einen Friedensstörer und bekämpfte -ihn mit gehässigen Verleumdungen, so daß zuletzt geradezu der -Fanatismus gegen ihn entfesselt wurde.</p> - -<p>Es war am 7. Mai 1866 um die fünfte Nachmittagsstunde. -Bismarck kam aus dem königlichen Palais, wo er Vortrag gehalten -hatte, und schritt sinnend, langsamen Schrittes die Straße -»Unter den Linden« entlang. Er erwog die eiserne Notwendigkeit -der Entscheidung mit den Waffen, zu welcher sein friedliebender -Monarch sich noch immer nicht entschließen mochte, und -so hatte er weder ein Auge für den beginnenden Frühling in -den jungbegrünten Bäumen, noch für die Menschen, welchen er -begegnete.</p> - -<p>So kam er bis in die Nähe des russischen Botschaftshotels. -Da hörte er plötzlich rasch nacheinander hinter sich zweimal einen -kurzen Knall und fühlte beinahe gleichzeitig einen Schmerz in der -Seite. Er wandte sich schnell um, und siehe, ganz nahe hinter -ihm stand ein junger Mann, der mit dem Revolver in seiner<span class="pagenum" id="Seite_126">[126]</span> -Rechten gerade nach ihm hinzielte. Blitzschnell sprang er zu und -faßte nach der Hand des Attentäters sowie nach dessen Kehle. -Da ging der Schuß los und streifte den Minister an der Schulter; -ehe es dieser versah, hatte der freche Angreifer auch schon die -Waffe in die Linke genommen und feuerte noch zweimal aus -unmittelbarster Nähe auf Bismarck; der eine Schuß fehlte, der -andere aber traf eine Rippe, und der Getroffene fühlte den -erschütternden Schlag so gewaltig, daß ihn die Besinnung zu -verlassen drohte. Aber er bezwang sich mit eiserner Gewalt und -hielt den Menschen fest. Das alles war wie in einem einzigen -Augenblicke geschehen, und jetzt erklangen ganz nahe Weisen eines -militärischen Marsches. Ein Bataillon des zweiten Garderegiments -zog mit klingendem Spiele vorüber. Offiziere und Soldaten -sprangen heran, und wenige Minuten später wurde der Attentäter -gefangen abgeführt.</p> - -<p>Der Minister atmete einigemal tief auf; über ihm lacht -der blaue Lenzhimmel, um ihn bewegt sich die geschäftige Welt -wie vordem, und die Klänge des fröhlichen Marsches schlagen -noch immer an sein Ohr – und doch hat er in Minuten Großes -erlebt. Er schritt langsam, aber von dem seltsam erhebenden -Gefühl des göttlichen Schutzes erfüllt, weiter, und in seiner -Wohnung in der Wilhelmstraße stieg er bereits völlig ruhig die -Treppen hinan und begab sich nach seinem Arbeitsgemache, um -vor allem seinem König die aufregende Meldung von dem Geschehenen -zu machen.</p> - -<p>Dann wechselte er den Anzug und begab sich in den Salon -seiner Gemahlin. Er traf hier Gesellschaft, Damen und Herren, -und begrüßte sie in seiner gewohnten liebenswürdigen Weise, indem -er scherzend, zu Frau Johanna gewandt, beifügte:</p> - -<p>»Warum essen wir denn heute gar nicht?«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[127]</span></p> - -<p>Dann schritt er auf eine der Damen zu, um sie zu Tisch -zu führen, und dabei fand er Gelegenheit, indem er seine Gemahlin -leicht auf die Stirne küßte, ihr zuzuflüstern:</p> - -<p>»Mein Kind, sie haben auf mich geschossen, aber sei ruhig, -es ist nichts!«</p> - -<p>Die Gräfin erbleichte, und ein banger Schauer ließ sie einen -Augenblick erbeben – da war das Ereignis nicht länger zu verheimlichen. -Eine gewaltige Erregung bemächtigte sich der Gäste, -schreckensvolle Fragen, ängstliche Ausrufe klangen durcheinander, -aber mit ruhigem, verbindlichem Lächeln bat der Minister die -Herrschaften, sich zu Tisch zu begeben. Nun erzählte er kurz, -wie sich alles zugetragen, und dann aß er mit solcher Ruhe, als -ob er von einem Fremden berichte, während seine Gemahlin sowie -die Gäste nicht imstande waren, sich um die aufgetragenen Speisen -zu kümmern.</p> - -<p>Man hatte den Arzt rufen lassen, der rasch genug zur Stelle -war und nach seiner Untersuchung die Erklärung abgeben konnte, -daß die erhaltenen Verletzungen durchaus leicht und unbedenklich -seien.</p> - -<p>»Bei fünf Schüssen aus solcher Nähe,« sagte einer der Anwesenden -– »das ist wunderbar.«</p> - -<p>»Gewiß,« erwiderte der Arzt – »hier gibt es eben nur eine -Erklärung – Gott hat seine Hand dazwischen gehabt.«</p> - -<p>Es war wahrlich kein ruhiges Diner, das an jenem Maitag -im Ministerhotel in der Wilhelmstraße abgehalten wurde. Die -Kunde von dem Attentat hatte sich mit ungeheurer Schnelligkeit -verbreitet, und zu Wagen und zu Fuß kamen jetzt die hochgestelltesten -Persönlichkeiten der Hauptstadt, um ihre Glückwünsche -auszusprechen.</p> - -<p>Allen voran war König Wilhelm gekommen. Bismarck war -dem teuren Herrn entgegengeeilt, und in einem stillen, einsamen<span class="pagenum" id="Seite_128">[128]</span> -Gemache standen die beiden allein sich gegenüber. Tief ergriffen -schaute der Herrscher seinem treuesten Diener in die Augen, -drückte ihm die Hände und zog ihn an sich wie einen lieben Freund, -Bismarck aber konnte auf die gütigen Worte nur eines erwidern:</p> - -<p>»Mein Leben gehört Eurer Majestät zu jeder Stunde, ob -ich für Sie sterbe auf dem Schlachtfelde oder durch die Hand -eines Mörders!«</p> - -<p>Prinzen, Minister, Gesandte der fremden Mächte drängten -sich in den nächsten Stunden herbei, um ihre Teilnahme und -ihre Freude auszudrücken, und ehe sich noch der Abend niedersenkte -in die Straßen der Residenz, strömten auch die Scharen -des Volkes in der Wilhelmstraße zusammen, um ihre Grüße und -Wünsche dem wunderbar Geretteten darzubringen. Der Haß -gegen ihn schien wie hinweggewischt, all die Tausende, welche -hier durcheinanderwogten, und stürmisch ihn zu sehen verlangten, -empfanden jetzt vielleicht einen Hauch seines patriotischen, opferbereiten -Geistes, und als er an das Fenster trat und die -jubelnden, begeisternden Zurufe der Menge an sein Ohr schlugen, -da wurde die Seele des gewaltigen Mannes wundersam ergriffen, -da hatte er noch fester die Überzeugung, daß der Weg, welchen -er gehe, der rechte sei.</p> - -<p>Erst die Nacht brachte Ruhe in die Bewegung; im Ministerpalais -in der Wilhelmstraße schloß Bismarck sein Tagewerk mit -einem stillen Dankgebet und mit dem Gedanken, daß der Himmel -selbst ihm ein Zeichen gegeben, daß er ihn schützen wolle bei -allem, was er für des Vaterlandes Ehre unternehmen würde … -und zur selben Stunde beinahe, in welcher er mit dem Frieden -eines guten Gewissens sein Lager aufsuchte, hatte sich der frevelhafte -Attentäter, der fanatische Karl Cohen, mit seinem Taschenmesser -die Pulsader durchgeschnitten. Er war am anderen Morgen -eine Leiche.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[129]</span></p> - -<p>Jetzt mochten die Würfel weiterrollen, er wollte und mußte -die gerechte Sache, die er begonnen, fortführen. Und die -Ereignisse gingen nun schnell genug. Österreich selbst drängte -der Katastrophe entgegen. Mit Verletzung des Gasteiner Vertrags -überwies der Kaiser die Entscheidung über Schleswig-Holstein -dem deutschen Bund, berief die holsteinsche Ständeversammlung, -und als Preußen, um sein Mitbesitzrecht zu wahren, Truppen -in Holstein einrücken ließ, stellte er beim deutschen Bunde den -Antrag, gegen Preußen das Bundesheer mobil zu machen.</p> - -<p>Das geschah am 11. Juni 1866. Und nun kam das Ende der -morschen, kraftlosen deutschen Bundesversammlung.</p> - -<p>Am 12. Juni fand die Abstimmung statt; mit 9 Kurialstimmen -gegen 6 wurde die Bundesexekution gegen Preußen -beschlossen, dessen Gesandter nunmehr im Namen seiner Regierung -den Bund als zerrissen erklärte mit dem Beifügen, daß dieselbe -auf besseren Grundlagen einen neuen zu errichten bemüht sein -werde.</p> - -<p>Nun mußte die Entscheidung durch die Waffen kommen. Eine -fieberhafte Erregung ergriff die Gemüter, zumal in der Hauptstadt. -Tag und Nacht arbeitete Bismarck, der Telegraph spielte -ununterbrochen und trug seine Botschaften weit hinaus ins Land: -Der König rief sein Heer.</p> - -<p>In jenen Tagen saß der Minister einst im Vorzimmer des -Herrschers. Dieser war noch mit seinem kriegerischen Beirat in -ernsten Verhandlungen begriffen, welche sich außergewöhnlich in -die Länge zogen. Stille war rings um den Staatsmann, der -Tag war heiß, die Nacht arbeitsvoll gewesen. Da sank ihm -langsam das Haupt auf die Brust, die Natur machte auch an -dem Gewaltigen ihr Recht geltend – er schlummerte ein. Nach -einiger Zeit öffnete sich die Tür des königlichen Arbeitszimmers, -und heraus trat ein Mann in Generalsuniform, eine Mappe in<span class="pagenum" id="Seite_130">[130]</span> -der Hand. Er war weder sehr groß noch sehr kräftig, aber -aus dem bartlosen Gesichte mit den scharfgeschnittenen, geistvollen -Zügen sahen ein paar klare, kluge Augen, und um den schmalen -Mund lag das Gepräge unerschütterlicher Ruhe und Festigkeit.</p> - -<p>Das war <em class="gesperrt">Moltke</em>, der große Generalstabschef, die Seele -der Schlachten, der schweigende Kriegesdenker.</p> - -<p>Er sah den Minister etwas wenig zusammengesunken in -seinem Stuhle sitzen, und es überkam ihn beinahe eine Wehmut. -»Er hat so viel gewacht für König und Vaterland« – dachte -er – »wie gern gönnt’ ich ihm den Schlummer – aber es darf -nicht sein!«</p> - -<p>Leise berührte er Bismarcks Arm, dieser öffnete die Augen, -sprang empor, und eingedenk der Situation drückte er dem -anderen warm die Hand und schritt hinein in das Arbeitsgemach -des Königs.</p> - -<p>In den Junitagen begann der Bruderstreit.</p> - -<p>Bei Langensalza wurde das Heer der Hannoveraner samt -seinem König gefangen, und in Böhmen geschahen die ersten siegreichen -Gefechte. Eine bange Erwartung lag über den Straßen -Berlins, so schwül wie das sommerheiße, gewitterbange Wetter. -Da brachte der Telegraph die ersten Siegeskunden. Am 29. Juni -ging ein Wogen und ein Treiben, belebter als sonst, durch die -Straßen der Hauptstadt. Unter den Linden vor dem Palais des -Königs staute sich die Menge, begeisterter Zuruf klang hinauf zu -den Fenstern, und in das stürmische Jauchzen schollen die Klänge -der Vaterlandsweisen, welche zuletzt übergingen in das machtvolle -Streit- und Siegeslied Martin Luthers: Ein’ feste Burg -ist unser Gott!</p> - -<p>Es waren Stunden einer gewaltigen Erhebung und Bewegung; -aber die Menge hatte auch den Hauch jenes Geistes -gefühlt, der von der Wilhelmstraße herkam, und Bismarck, der<span class="pagenum" id="Seite_131">[131]</span> -»Bestgehaßte«, wurde mit einem Zauberschlage der Bewunderte -und Gefeierte. Die Volksmenge wälzte sich in dichtem Strome -nach seiner Wohnung; die breite Straße vermochte sie nicht -zu fassen alle die Tausende, die nach ihm riefen und ihm ihre -Freude und Verehrung ausdrücken wollten. Dunkle Wetterwolken -schwankten am Himmel, glutheiß lag es in der Luft – da -trat Bismarck an das Fenster. In den Jubelsturm der Menge -dröhnte ein langhallender Donner, der einem Blitze folgte, welcher -mit seinem bläulichen Schein das bewegte Bild erhellt hatte – -dann wurde es still, und Bismarck redete, kurz und klar, ergriffen -und ernst, und als er mit einem Hoch schloß auf den -König, da schien die Straße zu erbeben unter der Gewalt der -Begeisterung.</p> - -<p>Und wieder am Himmel ein flammender Blitz, ein schweres -Rollen des Donners, und Bismarck rief:</p> - -<p>»Der Himmel schießt Salut zu unseren Siegen!«</p> - -<p>Einen Tag später war er mit seinem Könige auf dem Wege -ins Böhmerland.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="Neuntes_Kapitel"><span class="smaller">Neuntes Kapitel.</span><br> -Im böhmischen Feldzuge.</h2> -</div> - -<p>Ein trüber Himmel breitete sich über der böhmischen Stadt -Gitschin aus, und ab und zu sickerte der Regen nieder in die -grauen Gassen. Der stille Ort sah an jenem 2. Juli hohe Gäste, -wenn er sie auch freilich nicht willkommen hieß. Der König war<span class="pagenum" id="Seite_132">[132]</span> -mit Bismarck, Moltke, Roon und anderen hier eingetroffen, und -traf von hier aus die Verfügungen für den nächsten Tag – den -Tag der Entscheidung. Bismarck wußte, was von diesem abhing, -und während in schweigender Nacht die Ordonnanzen auf allen -Wegen hinjagten und der Regen klingend gegen die Fenster schlug, -fand er lange keinen Schlaf. Er hatte in den Lazaretten an den -Betten der Verwundeten gestanden und hatte mehr als irgendeiner -empfunden, wie die Verantwortung für dies vergossene Blut und -für diese Schmerzen auf ihm ruhe, und er dachte seines Königs, -dem er aus treuester Überzeugung zu diesem Kampf raten mußte, -und endlos lang dehnte sich die trübe Sommernacht.</p> - -<p>Am frühen Morgen folgte der Aufbruch. Noch immer weinte -es aus den grauen Wolken nieder, als die offenen Wagen, in -deren erstem der König mit Moltke, im zweiten Bismarck mit -dem Geheimen Legationsrat von Keudell saßen, durch Gitschins -Straßen hinausrollten gegen <em class="gesperrt">Sadowa</em>. Drei Stunden später -– es war 8 Uhr morgens – hielt der König auf seiner Rappstute, -von seinem Gefolge umgeben, auf der Höhe von Dub und -sah hinaus in die Ebene von <em class="gesperrt">Königgrätz</em>, und der begeisterte -Zuruf der Soldaten mischte sich mit dem Dröhnen der Kanonen … -Die schwere, entscheidende Schlacht war im Gange.</p> - -<p>Unfern von seinem König hielt auf seiner kräftigen Fuchsstute -Bismarck. Nebel und Pulverdampf wogen auf dem Walfelde -durcheinander und verhüllen oft die Bewegungen der Truppen, -langsam gehen die furchtbaren Stunden, und es ist um die -Mittagszeit. Das preußische Heer ist in der Minderzahl, und seine -Führer spähen besorgt gegen Nordwesten aus, von woher die -Armee des Kronprinzen, die sehnlich erwartete, eintreffen sollte.</p> - -<p>Der schweigsame Schlachtenlenker Moltke aber sitzt wie aus -Erz gegossen auf seinem Pferde; sein Gesicht ist ruhig, und klar -und sicher schauen die hellen Augen auf die wogende Schlacht.<span class="pagenum" id="Seite_133">[133]</span> -Bismarck reitet an ihn heran; er zieht sein Zigarrenetui heraus -und reicht es geöffnet dem großen Strategen hin. Der sieht auf -die beiden Zigarren, welche es enthält, mit einem prüfenden -Blicke, dann greift er langsam nach der einen. Über die Züge des -Ministers fliegt es wie ein leises Lächeln, er reitet zu seinem -König zurück und spricht zu diesem:</p> - -<p>»Majestät, unsere Sache muß gut stehen, denn Moltke hatte -eben noch die Kaltblütigkeit, aus meinem Etui die bessere Zigarre -auszuwählen.«</p> - -<p>Noch immer spähten die Blicke nach Nordosten. Dunkle -Streifen traten am Horizont hervor, die man bisher nicht bemerkt -zu haben meinte. »Ackerfurchen!« sagte jemand aus der -Umgebung des Königs, Bismarck aber schaute scharf aus, und -plötzlich rief er:</p> - -<p>»Das sind keine Ackerfurchen, die Zwischenräume ändern -sich – das sind marschierende Kolonnen!« Ein tieferer Atemzug -hob die Brust des Königs, dankend schaute eine Sekunde -lang sein Auge gegen den grauen Himmel … Nun kam die -Entscheidung. Nicht lange danach donnerten von Chlum her die -preußischen Kanonen, der Kronprinz griff ein in die Schlacht, und -der Sieg konnte den Preußen nicht mehr entrissen werden.</p> - -<p>Da übermannte den König seine Bewegung. Er sprengte -dicht heran an seine zujauchzenden Soldaten, die nach seinen -Händen, nach seinem Mantel faßten und ihre Lippen daraufdrückten.</p> - -<p>Die Kugeln sausten und schlugen ringsum ein, eine zerspringende -Granate zerschmetterte ein Dutzend Reiter vom sechsten -Kürassierregiment in nächster Nähe des Herrschers, und Rosse und -Männer wälzten sich blutig übereinander, da ritt Bismarck dicht -heran an den König, der mit voller Ruhe nur auf die freudig -bewegten Truppen achtete, und sagte:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_134">[134]</span></p> - -<p>»Als Major habe ich Eurer Majestät keinen Rat zu erteilen, -als Ministerpräsident aber bin ich verpflichtet, Eure Majestät zu -bitten, sich nicht auf diese Weise der Gefahr auszusetzen.«</p> - -<p>Der König wendete sich lächelnd dem treuen Warner zu:</p> - -<p>»Wohin soll ich denn als Kriegsherr reiten, wenn meine -Armee im Feuer steht?«</p> - -<p>Bismarck entgegnete:</p> - -<p>»Majestät, wenn Sie auch keine Rücksicht auf Ihre Person -nehmen, so haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten, -von dem Ihr getreues Volk seinen König fordern -wird; im Namen dieses Volkes bitte ich Sie, diese gefährliche -Stelle zu verlassen!«</p> - -<p>Der König sah gerührt den Treuen an, reichte ihm die Hand -und ritt langsam weiter, viel zu langsam für den besorgten Begleiter, -der seine Erregung nicht mehr bezwingen kann und mit -seiner Stiefelspitze das Pferd des Herrschers in die Flanke stößt, -daß es rascher ausgreift.</p> - -<p>Die Entscheidungsschlacht war zu Ende – Bismarck sah -am Abend auf einen der gewaltigsten Tage in der Geschichte -Preußens zurück. Der Abend senkte sich auf das blutige Gefilde, -Verwundete und Sterbende stöhnten ringsum, und das Grauen -schritt über das furchtbare Feld. Da sah Bismarck, wie er so -dahinritt, einen Dragoner zur Seite des Weges liegen. Beide -Beine waren dem Unseligen zerschossen, der regungslos dalag -und nur mit einem unsäglich bittenden Blick nach dem Reiter -schaute. Diesem tat der Jammer des Unglücklichen weh, er -stieg vom Pferde und trat an ihn heran. Gern hätte er ihm -eine Linderung oder Erquickung angedeihen lassen, er suchte in -allen Taschen – aber er fand nichts. Da stieß er mit der Hand -an sein Zigarrenetui. Noch eine Zigarre lag darin, sie sollte<span class="pagenum" id="Seite_135">[135]</span> -ihm selbst ein Labsal sein nach den Anstrengungen und Aufregungen -des Tages – aber der arme Teufel mit seinen zerschossenen -Beinen brauchte ein solches mehr, und rasch entschlossen -zog er seinen Schatz hervor, rauchte das duftende Kraut an und -steckte es dem Verwundeten zwischen die Zähne. Aus den Augen -des Soldaten aber leuchtete ein Blick unsäglicher Dankbarkeit, -welchen Bismarck nicht vergessen konnte, und besser hat ihm, nach -seinem eigenen Geständnis, keine Zigarre geschmeckt als diese, -welche er – nicht geraucht hatte.</p> - -<p>Vorwärts ging es, hinein in die sinkende Sommernacht, in -Verfolgung des geschlagenen Gegners, und der Ministerpräsident -kam bis hart vor die Laufgräben der Festung Königgrätz. Dann -ritt er zurück, um sich ein Nachtquartier zu suchen. Seinen König -hatte er untergebracht, wenn auch nicht besonders bequem; auf -einem harten Sofa hatte derselbe ein Lager gefunden, nun galt es, -für sich selbst ein Plätzchen zu finden, wo das müde Haupt -ruhen konnte.</p> - -<p>Die Nacht war dunkel und kühl, der Regen rann noch immer -in dünnen Strähnen, und in dem Städtchen Horic waren alle -Lichter längst erloschen, als Graf Bismarck durch die engen und -schlechtgepflasterten Straßen ging. Er pochte da und dort an -den Türen – niemand hörte, nur das Bellen verschlafener -Hunde klang durch die Stille. Unmutig schlug er gegen die -Fenster, daß die Scheiben splitterten – alles vergebens, das -kleine Nest war wie ausgestorben.</p> - -<p>Endlich fand er in der Dunkelheit einen Torweg, durch -welchen er in einen Hofraum hineintappte. Im schmutzigen, -weichen Boden sank der Fuß tief ein, endlich verlor er fast völlig -den Grund und sank nieder auf das zwar nicht harte, aber sehr -übelriechende Bett eines Düngerhaufens. Dreizehn Stunden war -er im Sattel gewesen, seine Glieder waren wie zerschlagen, aber<span class="pagenum" id="Seite_136">[136]</span> -hier konnte er doch nicht bleiben. So raffte er sich aufs neue -auf und suchte wieder die dunkle, unheimliche, stille Gasse auf -und schritt bis auf den Marktplatz. In verschwommenen Umrissen -standen die grauen Häuser da, dazwischen eine Art offener -Halle. Dahin wandte sich Bismarck, und ob er auch die Überzeugung -gewann, daß der Ort eigentlich zum Aufenthalt für -Rinder bestimmt war, streckte er sich – froh, ein Dach über dem -Kopfe und ein altes Wagenkissen unter demselben zu haben – -auf die harten Fliesen aus und versank in Schlummer.</p> - -<p>Aber noch einmal sollte er geweckt werden. Der Großherzog -Friedrich Franz von Mecklenburg fand den Schläfer und beeilte -sich, ihm in seinem eigenen Zimmer ein wenigstens einigermaßen -behaglicheres Lager zu verschaffen.</p> - -<p>In dem traurigen kleinen Horic befand sich in den nächsten -Tagen auch das Hauptquartier des Königs, und hier traf in der -Nacht zum 5. Juli eine Depesche Napoleons III. ein, welcher -sich zum Friedensvermittler mit Österreich anbot und einen -Waffenstillstand in Anregung brachte. Der König geriet darüber -in heftige Erregung, Bismarck jedoch, der Mann der eisernen -Selbstbeherrschung, fand auch hier die richtige Antwort. Den -Frieden wollte er gleichfalls, nur mußte der Preis dafür ein entsprechender -sein, und so erhielt der französische Kaiser die in bestimmter -Form gehaltenen preußischen Vorschläge: »Österreich erkennt -die Auflösung des alten deutschen Bundes an und widersetzt -sich nicht einer neuen Organisation Deutschlands, an welcher -es keinen Teil nimmt. Preußen bildet eine Union Norddeutschlands, -welche alle Staaten nördlich der Mainlinie umfaßt. Die -deutschen Staaten südlich vom Main haben die Freiheit, unter -sich eine süddeutsche Union zu schließen. Die zwischen der nördlichen -und südlichen Union zu erhaltenden nationalen Bande werden -durch freies, gemeinsames Einverständnis geregelt. Die Elbherzogtümer<span class="pagenum" id="Seite_137">[137]</span> -werden mit Preußen vereinigt. Österreichs Integrität -außer Venetien wird erhalten.«</p> - -<p>Während die Verhandlungen noch schwebten, rückten die -preußischen Truppen unaufhaltsam vor gegen die Kaiserstadt an -der Donau, und wenn eine Besetzung derselben verhindert werden -sollte, galt es für die beteiligten Mächte rasch zu handeln.</p> - -<p>In Mähren liegt eine kleine Stadt, <em class="gesperrt">Nikolsburg</em> mit -Namen, überragt von einem stolzen Schlosse, dessen Warte stattlich -ins Land hinaussieht; es ist Eigentum des Grafen Mensdorff -und kam in den Julitagen des verhängnisvollen Jahres 1866 zu -großer geschichtlicher Bedeutung.</p> - -<p>Hier hatte König Wilhelm sein Hauptquartier, und hier -fand sich am 18. Juli auch Graf Bismarck ein. Sinnend schritt -er mit seinem Begleiter, dem Geheimen Legationsrat von Keudell, -durch den Torbogen in den weiten, von stolzen Gebäuden umgebenen -Hof, und wie er sein Auge darübergleiten ließ, -sprach er:</p> - -<p>»Mein altes Schönhausen ist doch nichts dagegen, dennoch -ist mir’s lieber, daß wir hier bei Graf Mensdorff sind, als daß -er jetzt bei mir wäre.«</p> - -<p>In Nikolsburg fanden sich auch die Vertreter Österreichs und -Italiens ein, und die Friedensverhandlungen begannen. Und hier -brauchte es der ganzen geistigen Überlegenheit, der rückhaltlosen -Tatkraft Bismarcks, um zu Ende zu führen, was er begonnen -hatte. Friede wollte er haben, und er wollte ihn zum Abschluß -bringen, trotzdem die Generale des siegreichen preußischen Heeres -die Waffen noch nicht niederlegen wollten. Selbst der König -schien jetzt kriegerisch gesinnt, und sein Ministerpräsident mußte -auch ihm gegenüber seinen Standpunkt verfechten:</p> - -<p>»Majestät, wir haben eine Höhe erreicht, von der aus die -Wasser von selbst abfließen ohne Gewalt. Uns droht der Einfall<span class="pagenum" id="Seite_138">[138]</span> -der Franzosen in Süddeutschland, und ein neuer Kampf -würde unsäglich viel Blut kosten, und die Cholera ist uns auf -den Fersen. Ich kann die Verantwortlichkeit der Fortsetzung des -Krieges nicht auf mich nehmen und müßte zurücktreten.«</p> - -<p>Das verfehlte seine Wirkung nicht, und Bismarck erreichte -bei seinem König auch die Zustimmung zu den meisten Einzelheiten -seiner Friedensvorschläge, und während ein Waffenstillstand -die bewehrten Gegner auseinanderhielt, ward in Nikolsburg auf -den von Bismarck entworfenen Grundlagen weiter verhandelt. -Am 26. Juli aber konnte der Meister der Politik sein Werk als -fertig betrachten, und es war eines Meisters wert. Preußen -sollte eine Vermehrung erfahren um die Gebiete von Hannover, -Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt a. M. und -eine ansehnliche Kriegsentschädigung. Dabei war Energie mit -kluger Rücksichtnahme gepaart worden, der Weg zur Versöhnung -mit dem Gegner war offen geblieben, das diesem verbündete -Sachsen geschont worden, und worauf Bismarck sich viel zugute -tun durfte – das alles war erreicht durch Preußens eigene -Kraft, und fremde Einmischung war ferngehalten worden.</p> - -<p>Wohl hatte Napoleon seinen Abgesandten Benedetti nach -dem Kriegsschauplatze geschickt und einen Einfluß in die Friedensverhandlungen -gewinnen wollen, aber es war nicht geglückt. Die -Friedenspräliminarien waren fertig und brauchten nur noch unterzeichnet -zu werden, da erschien Benedetti in Nikolsburg. Er ließ -sich bei Bismarck anmelden, und dieser empfing ihn, obwohl ihn -die Aufdringlichkeit des Franzosen unangenehm berührte, -freundlich.</p> - -<p>Der französische Gesandte sprach:</p> - -<p>»Ich habe die Ehre, im Auftrage meines Souveräns Ihnen -mitzuteilen, daß derselbe, wenn er seine Zustimmung zu einer -ansehnlichen Vergrößerung Preußens geben solle, eine angemessene<span class="pagenum" id="Seite_139">[139]</span> -Entschädigung für Frankreich verlangen müsse. Sobald der Kaiser -seine Vermittlerrolle in der preußisch-österreichischen Sache zu -Ende geführt haben wird, wird er nicht verfehlen, sich mit der -Regierung seiner Majestät des Königs von Preußen deshalb -auseinanderzusetzen.«</p> - -<p>Bismarck wurde von heißem Unmut erfaßt, aber zugleich -auch von einem Gefühl der Befriedigung darüber, daß der -Franzose zu spät kam. Sehr höflich, doch mit Festigkeit entgegnete -er:</p> - -<p>»Ich bedaure, Eurer Exzellenz bemerken zu müssen, daß -amtliche Mitteilungen solcher Art heute durchaus nicht am -Platze sind. Preußen hat die Vermittlung Frankreichs nicht -gesucht und ist meines Erachtens um so weniger zu etwas -verpflichtet, als der Friede bereits fertig ist ohne Intervention -Ihres Souveräns und die Präliminarien noch in dieser Stunde -unterzeichnet werden.«</p> - -<p>Er wandte sich ab mit einer Verneigung gegen den verblüfften -französischen Staatsmann und ging in sein Gemach. -Die verhaltene Erregung brach nun bei ihm durch. Die Tränen -schossen dem gewaltigen Manne aus den Augen, vor die er seine -Hände preßte, ein Schluchzen erschütterte den starken Recken, der -von einem Weinkrampf erfaßt, eine Zeitlang vergebens nach -Fassung rang. Es war des Großen und Erschütternden selbst -für ihn zuviel gewesen in jenen Julitagen des Jahres 1866.</p> - -<p>Nun ging es wieder der Heimat zu. Mit seinem König -traf Graf Bismarck am 4. August bereits in Berlin ein, begrüßt -von einer enthusiastischen Volksmenge, die in maßloser Begeisterung -dem König und seinem ersten Minister entgegenjubelte. Und -schon am nächsten Tage klangen im weißen Saale des königlichen -Schlosses die Friedensworte des Herrschers, mit welchen dieser -den Landtag eröffnete. Begeisterung in allen Häusern, in allen<span class="pagenum" id="Seite_140">[140]</span> -Herzen, ein ganzes Volk, das dem so lange »bestgehaßten« Manne -zujauchzte! Diesem aber ging die Seele auf bei dem Gedanken, -wie Gott alles zum Herrlichen gewendet hatte, und in dem Hause -in der Wilhelmstraße herrschte Glück und Freude.</p> - -<p>Am Abend des 7. August war ein kleiner Kreis von Freunden -hier versammelt. Im Salon saßen sie beisammen um den -Teetisch, und die anmutige Hausfrau wetteiferte an Liebenswürdigkeit -mit dem Gatten, der ganz das Behagen seiner wohltuenden -Häuslichkeit empfand. Das war der gewohnte sonnige -Hauch, welcher durch diese Räume wehte, der Hauch der vornehmsten -und anmutigsten Gastlichkeit, welcher jedem den Aufenthalt -hier so lieb machte.</p> - -<p>Es mochte um die zehnte Stunde sein, da meldete der Diener -dem Hausherrn, daß der französische Botschafter Benedetti um -die Ehre einer dringenden Unterredung bitte. Bismarck war -gewohnt, sich zu beherrschen; er entschuldigte sich in liebenswürdigster -Weise bei seinen Gästen und ging nach seinem Kabinett. -Er wußte wohl, weshalb der Franzose gekommen war; es war -dieselbe Angelegenheit, welche er schon in Nikolsburg berührt -hatte, die Frage wegen Abtretung deutschen Gebiets an Frankreich; -aber Preußens Ministerpräsident war entschlossen, diesmal -eine ganz unzweideutige Antwort zu geben. Und er durfte das; -seines Königs Paladine Moltke und Roon hatten die Waffen -geschliffen und konnten mit ruhiger Sicherheit auf eine schlagbereite -Armee hinweisen, die stark genug sein würde, es auch -mit Frankreich aufzunehmen.</p> - -<p>Das ging ihm rasch noch einmal durch den Sinn, als er -in sein Kabinett eintrat und Benedetti ihn mit höflicher Entschuldigung -wegen der Störung begrüßte.</p> - -<p>»Sie vermuten, weshalb ich Sie um einiges von Ihrer Zeit -bitte,« begann der Franzose.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_141">[141]</span></p> - -<p>»Die schriftlichen Mitteilungen Ihrer Regierung, welche mir -zugegangen sind, lassen mich annehmen, daß es sich um die von -Frankreich gewünschte deutsche Gebietsabtretung handle.«</p> - -<p>Sie hatten sich beide niedergelassen, und Benedetti fuhr fort:</p> - -<p>»Frankreich glaubt für seine Haltung in der jüngsten Verwicklung -einen Tribut der Dankbarkeit verdient zu haben.«</p> - -<p>»Und worin sollte dieser Tribut bestehen?«</p> - -<p>»Frankreich wünscht seine Grenze vom Jahre 1814 wiederhergestellt -zu sehen.«</p> - -<p>»Das heißt, wir sollen links des Rheines bayrisches, hessisches -und preußisches Gebiet abtreten –«</p> - -<p>»Nebst der Festung Mainz.«</p> - -<p>»Und Ihre Regierung meint, daß wir darauf eingehen -würden?«</p> - -<p>»Sie hofft dies im Interesse Preußens, das noch nicht -seinen Frieden gemacht hat mit den süddeutschen Staaten und -nicht neue Verwicklungen wünschen kann.«</p> - -<p>»Solche wünschen wir nicht, aber wir fürchten sie auch nicht, -Exzellenz; darum bitte ich Ihre Vorschläge kurz und bündig zu -präzisieren!«</p> - -<p>»Nun denn: Das linke Rheinufer mit Mainz oder Krieg!«</p> - -<p>Bismarcks Falkenauge blitzte hell auf, eine flüchtige Röte -huschte über sein Gesicht, und er sah den anderen fest und ruhig -an, als er sprach:</p> - -<p>»Dann also Krieg!«</p> - -<p>Der Franzose zuckte zusammen – eine kleine, peinliche Pause -trat ein, in welcher man nur den Pendelschlag der Uhr vernahm, -dann sagte Benedetti:</p> - -<p>»Herr Ministerpräsident, bedenken Sie die Verantwortung -die Sie mit solcher Entscheidung auf sich laden …«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[142]</span></p> - -<p>»Da gibt es kein Bedenken, und ich weiß mich der Zustimmung -meines königlichen Herrn sicher. Aber warum wollen -Sie uns solche Sprünge machen? Sie müssen doch wissen, daß -für uns die Abtretung deutscher Erde eine Unmöglichkeit ist. -Ließen wir uns zu dergleichen herbei, so hätte wir trotz aller -Triumphe Bankerott gemacht. Vielleicht könnte man andere -Wege finden, Sie zu befriedigen. Aber wenn Sie auf diesen -Forderungen bestehen, so gebrauchen wir – täuschen Sie sich -darüber nicht – alle Mittel: Wir rufen nicht bloß die deutsche -Nation in ihrer Gesamtheit auf, sondern wir machen auch sofort -Frieden mit Österreich auf jede Bedingung hin, überlassen -ihm ganz Süddeutschland, lassen uns selbst den Bundestag -wieder gefallen. Aber dann gehen wir auch wieder vereinigt -mit 800 000 Mann über den Rhein und nehmen Frankreich -Elsaß ab. Unsere beiden Armeen sind mobil, die Ihrige ist es -nicht; die Konsequenzen denken Sie sich selbst. – Also, wenn -Sie nach Paris kommen, so verhüten Sie einen Krieg, welcher -sehr leicht verhängnisvoll werden könnte.«</p> - -<p>Benedetti senkte das Haupt, er fühlte das Zutreffende dieser -Worte, und die Situation begann ihm immer unbehaglicher zu -werden. Er erwiderte:</p> - -<p>»Ich möchte gern Ihrem Rate folgen, aber mein Gewissen -zwingt mich, dem Kaiser zu erklären, daß, wenn er nicht auf -der Gebietsabtretung besteht, er mit seiner Dynastie der Gefahr -einer Revolution ausgesetzt ist.«</p> - -<p>»Machen Sie Ihren Souverän darauf aufmerksam, daß -gerade ein aus dieser Frage entsprungener Krieg unter Umständen -mit revolutionären Schlägen geführt werden könnte, daß aber -gegenüber einer revolutionären Gefahr die deutschen Dynastien -sich fester begründet zeigen würden als jene des Kaisers Napoleon.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[143]</span></p> - -<p>Die Uhr zeigte Mitternacht, und noch immer endete das -inhaltschwere Gespräch nicht. Erst in der ersten Morgenstunde -kam Bismarck in den Salon zu seinen Gästen zurück, heiter und -liebenswürdig, denn in tiefster Seele wußte er, daß eine neue -Gefahr abgeschlagen sei, daß Frankreich nach seinen bestimmten -Erklärungen jetzt nicht wagen würde, das siegreiche Preußen anzugreifen. -– – Und er täuschte sich nicht.</p> - -<p>Noch der Verlauf des August brachte die Friedensschlüsse -mit den süddeutschen Staaten, die auf Seite Österreichs gekämpft -hatten, und mit diesem selbst, und in Preußens Hauptstadt erwartete -man freudig erregt die Heimkehr der ruhmbedeckten -Truppen.</p> - -<p>Am 20. September trafen sie ein. Es war ein Festtag -für Berlin. Am <em class="gesperrt">Brandenburger Tor</em> drängte es von -Tausenden, um hier bereits der Begrüßung des Königs durch die -Vertreter der Stadt beizuwohnen. Grüne Girlanden schmückten -die Säulen, die Fahnen wehten lustig in die Weite, und durch das -Tor mit seinen stolzen Bogen kamen die Heldenscharen herein, -umjauchzt von der Begeisterung der Menge. Die Straße Unter -den Linden war verwandelt in eine herrliche <em class="antiqua">via triumphalis</em>, -tausend Flaggen flatterten in den Lüften, tausend Kränze und -Festons hingen an den Häusern und den Bäumen, Blumen -regnete es von allen Seiten nieder auf die blitzenden Helme, -und immer aufs neue brauste der Jubel auf in seinen vollsten, -unvergleichlichen Akkorden: wie lauter Donner dröhnte er fort -die breite Straße entlang, wo immer die Heldengestalt des -greisen Königs erschien und die Gestalten seiner Paladine. Da -ritten sie ihm vorauf mit leuchtenden Augen, der stattliche Roon, -der ernste, ruhige Moltke und Graf Bismarck. Hochaufgerichtet -saß er im Sattel, an der Uniform die Abzeichen als <em class="gesperrt">Generalmajor</em>, -wozu ihn sein König vor kurzem ernannt hatte, und<span class="pagenum" id="Seite_144">[144]</span> -das orangefarbige Band des hohen Ordens vom Schwarzen Adler -über der breiten Brust. Unter dem blinkenden Kürassierhelm -hervor blickten die hellen, scharfen Augen, und die gewaltige -Erregung dieser Stunde machte, daß er die schwere Erschöpfung -und Abspannung niederkämpfte, die den eisernen Mann infolge -der letzten Zeit ergriffen hatte.</p> - -<p>Aber der Erholung bedurfte er dringend, und er suchte und -fand sie an der See, auf dem grünen Eiland von Rügen, wo -er in stillem Behagen im Spätherbst jenes ereignisvollen Jahres -saß, während in deutschen Landen sein Name von Mund zu -Mund ging, während der alte Groll, den man gegen ihn gehegt, -weil man ihn nicht verstanden, immer mehr und mehr verschwand. -Es galt, zwischen Preußen und den Staaten bis zur Mainlinie, -einschließlich von Sachsen, einen Verband zu schaffen zu Schutz -und Trutz, zu gemeinsamer innerer Arbeit, und Bismarck hatte -die Freude, den konstituierenden <em class="gesperrt">Reichstag des Norddeutschen -Bundes</em> am 24. Februar 1867 eröffnet zu sehen, -der nun den von seinem Schöpfer ausgearbeiteten Verfassungsentwurf -beriet. Ihm rief am 11. März der unermüdliche Bismarck -zu:</p> - -<p>»Arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland in den Sattel, -reiten wird es schon können!«</p> - -<p>Am 16. April war die neue Verfassung angenommen, am -1. Juli trat sie ins Leben, und am 14. Juli war Bismarck -<em class="gesperrt">Kanzler des Norddeutschen Bundes</em>.</p> - -<div class="figcenter illowp60" id="illu-150"> - <img class="w100" src="images/illu-150.jpg" alt=""> - <div class="caption"> -<div class="left"> -<em class="antiqua">Eis. Kanzler IV.</em> -</div> -<div>Am Abend der Schlacht von Gravelotte.</div></div> -</div> - -<p>Nun konnte er sich eine kleine Rast gönnen auf seinem neuerworbenen -Tuskulum <em class="gesperrt">Varzin</em>. In Hinterpommern bei dem -Städtchen Schlawe liegt das Gut, welches Bismarck mit dem -zugehörigen Besitz von Wussow, Puddiger, Misdow, Chomitz -und dem Vorwerk Charlottenthal sich ankaufte aus der Ehrengabe, -die er nach dem Kriege mit Österreich aus Staatsmitteln -erhalten hatte. Es liegt nicht weit von dem freundlichen Reinfeld, -wo die Wiege seiner Gattin stand, und hat einen prächtigen -Waldbestand, der den Weidmann lockte. Im Frühling 1867, -als der Park seinen Blätterschmuck angelegt hatte, und die Wiesen -ringsum grünten, hatte er es erworben, und dann war er zum -erstenmal hinausgefahren.</p> - -<p>Die Eisenbahn führte damals nur bis Schlawe, und hier -mußte die Fahrt mittels Extrapost fortgesetzt werden. Er kam -mit einem Separatzug angefahren, früher, als man ihn erwartet -hatte, und ließ sich nun behaglich auf einer Bank auf dem -Perron nieder, brannte sich eine Zigarre an und ließ die friedliche -Stille ringsum auf sich wirken. Da näherte sich ihm mit -halb scheuer, halb neugieriger Miene ein Mann, seinem Äußeren -nach ein biederer, schlichter Handwerker, der ihn grüßte und sich -dann einigermaßen verlegen an das Ende der Bank setzte. Er -betrachtete eine kleine Weile den ihm Unbekannten, dann fragte er:</p> - -<p>»Sie sind wohl der Herr, welcher mit dem Extrazuge gekommen -ist?«</p> - -<p>»Jawohl,« erwiderte Bismarck, einigermaßen über die Anfrage -verwundert, aber gutmütig-jovial fügte er bei: »Wer sind -Sie?«</p> - -<p>»Ich bin der Schuster N. aus Schlawe – und mit wem -habe ich die Ehre?«</p> - -<p>»Na, ich bin auch Schuster!«</p> - -<p>»I, was Sie da sagen!« sprach beinahe erschrocken der -schlichte Mann und sah doch einigermaßen ungläubig nach dem -stattlichen Fremden – »und da fahren Sie mit Extrazug?«</p> - -<p>»Warum nicht, lieber Freund? Wir Berliner Schuster können -uns das bieten.«</p> - -<p>Der brave, neugierige Handwerker war eben daran, seine -Verwunderung auszudrücken, als eine Abteilung Husaren in<span class="pagenum" id="Seite_146">[146]</span> -Paradeuniform heranritt; man hörte das Kommando des Rittmeisters: -»Eskadron halt! Richt’ euch, Augen rechts!« und mit -Staunen sah der Schuster, wie der Offizier jetzt an den Fremden -heranritt und salutierte. Er sprang beinahe entsetzt von der Bank -auf und starrte seinen Nachbar an, als aber jetzt auch die Extrapost -heranfuhr mit dem gleichfalls parademäßig herausgeputzten -Postillon, reichte Bismarck dem vollständig verlegenen Manne -die Hand und sagte lächelnd:</p> - -<p>»Wenn Sie einmal nach Berlin kommen, so besuchen Sie -meine Werkstatt!«</p> - -<p>Dann fuhr er hinein in den Frühlingstag, während die -Husaren ihm ihre Honneurs machten, vorbei an Feld und Wiese, -durch grünen, rauschenden Wald, durch das hübsche, kleine, bucklige -Ländchen, wie es die Gräfin Bismarck scherzend einst bezeichnete, -bis die Landstraße hineinführt in das Hof- oder Herrengut. -Da liegen ihm zur Linken die Wirtschaftsgebäude, zur -Rechten das überaus schlichte, einstöckige Herrenhaus, aber hinter -diesem grüßen und winken die Buchen und Eichen des Parkes -und rauschen ihm entgegen:</p> - -<p>»Willkommen in deinem neuen Heim!«</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="Zehntes_Kapitel"><span class="smaller">Zehntes Kapitel.</span><br> -Mit Blut und Eisen.</h2> -</div> - -<p>Ein herrlicher Sommermorgen ist über Varzin und seinem -Parke aufgegangen, ein Julimorgen des Jahres 1870. Die Sonne -spiegelt sich in den Fenstern des Herrenhauses, die Rosen blühen<span class="pagenum" id="Seite_147">[147]</span> -und duften in dem Garten, und über die Freitreppe schreitet Graf -Bismarck herab. Er trägt eine einfache graue Joppe, ein leicht -geschlungenes Tuch um den Hals, auf dem Haupte einen Schlapphut -und in der Hand einen kräftigen Stock; gemessen folgt seinen -Schritten eine schöne Ulmer Dogge, die ab und zu mit klugen, -großen Augen nach ihm hinschaut. Über den knirschenden Kies -der Gartenwege schreitet die stattliche Gestalt dahin, vorbei an -großen Sandsteinfiguren und an einem kleinen Teiche und dann -über eine Terrasse hinauf in den leise rauschenden Park, durch -dessen grüne Laubkronen die spielenden Lichter niederhuschen. -Jeden Baum sieht das klare Auge an, denn er kennt sie alle, die -prächtigen Buchen und Eichen, und selbst den kleinen Nachwuchs. -Wie einst der Knabe auf Kniephof, so freut sich jetzt der ernste, -gewaltige Mann an jedem Nestchen, das zwischen dem Gezweige -hervorlugt, an jedem Vogel, der über ihm singt, an jedem Stämmchen, -das sich kräftig entwickelt.</p> - -<p>Auf einer Bank hält er Rast. Das treue Tier liegt zu -seinen Füßen und blinzelt hinauf nach dem blauen Himmel, sein -Herr aber läßt vor seinem Geiste eine Reihe von Bildern vorüberziehen -in der einsamen Stille, die ihm selten genug zuteil wird.</p> - -<p>Er denkt der vergangenen Tage und all des Großen, was -sie gebracht haben, aber er schaut auch aus in eine ernste Zukunft. -Der Nachbar im Westen, Kaiser Napoleon III., der sich nicht -ganz sicher fühlte auf seinem Thron, suchte nach irgendeiner -Verwicklung, die ihm in den Augen der Franzosen Ruhm und -Ansehen verleihen sollte. Er war bereits bestrebt gewesen, das -Großherzogtum Luxemburg zu annektieren, das zum ehemaligen -deutschen Bunde gehörte, aber Bismarck hatte erreicht, daß das -Ländchen als neutrales Gebiet erklärt wurde, und Frankreich -mußte die Finger davon lassen. Immer unbehaglicher wurde für -Napoleon das wachsende Ansehen Preußens, und immer mehr<span class="pagenum" id="Seite_148">[148]</span> -drängte die Stimmung des französischen Volkes zu einer Demütigung -desselben.</p> - -<p>Da schien sich eine besonders günstige Gelegenheit zu bieten. -Spanien hatte seinen eben erledigten Thron dem Prinzen Leopold -von Hohenzollern-Sigmaringen angeboten, der mit Napoleon selbst -verwandt war. Trotzdem hatte man in Frankreich erklärt, daß -die Wahl eines Hohenzollern eine Schädigung seiner Interessen, -ja, geradezu eine Herausforderung bedeuten würde, und hatte an -König Wilhelm die Forderung gestellt, er solle dem Prinzen von -Hohenzollern befehlen, sich der Bewerbung um den spanischen -Thron zu enthalten. Der König hatte Benedetti in Ems erklärt, -daß er dem Prinzen nichts zu befehlen habe.</p> - -<p>So lagen die Dinge augenblicklich, und Bismarck fühlte mit -aller Bestimmtheit, daß Frankreich immer neue Forderungen stellen -und Preußen um jeden Preis zum Kriege reizen würde. Seine -Beruhigung war jedoch die gerechte Sache seines Königs, die -schlagfertige Armee und die Hoffnung auf das erwachende nationale -Gefühl des deutschen Volkes.</p> - -<p>Er sah hinein in die sonnige, stille Welt, in seinen grünen, -schattigen Park und hinüber nach den weißen Mauern seines -Herrenhauses, und eine Friedenssehnsucht zog ihm durch die Seele. -Da kam den Kiesweg heran ein älterer Herr mit Zeitungen in -der Hand; der Hund hob den Kopf, blinzelte mit den klugen -Augen und wedelte leicht mit dem Schweife, – er begrüßte einen -guten Bekannten, den Vorstand des Geheimbureaus Bismarcks, -den Geheimen Legationsrat Lothar Bucher.</p> - -<p>»Gibt’s Neues von Wichtigkeit, lieber Bucher?«</p> - -<p>»Bis jetzt nichts von Belang, Exzellenz; die französischen -Zeitungen aber rasseln sehr energisch mit den Säbeln, hier ist -eine äußerst bezeichnende Stelle!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_149">[149]</span></p> - -<p>Er hatte sich auf Einladung seines Vorgesetzten neben diesem -niedergelassen und las:</p> - -<p>»Unser Kriegsgeschrei ist bis jetzt ohne Antwort geblieben; -die Echos des deutschen Rheines sind noch stumm. Hätte Preußen -zu <em class="gesperrt">uns</em> die Sprache gesprochen, welche Frankreich spricht, wir -wären schon längst unterwegs.«</p> - -<p>»Darin mögen sie recht haben,« sagte Bismarck, »es fragt -sich nur, wie weit sie gekommen wären.«</p> - -<p>»Wie ist die Stimmung in den deutschen Blättern, zumal in -den süddeutschen?«</p> - -<p>»Ganz ausgezeichnet, Exzellenz! Man erwartet, daß der -König jedes freche Ansinnen Frankreichs entschieden zurückweisen -werde und ist in Verurteilung des französischen Vorgehens von -seltener Einstimmigkeit.«</p> - -<p>»Na, und wenn es zum Äußersten kommt, wir sind bereit, -denn auf Moltke und Roon können wir uns verlassen, und wir -haben in acht Tagen gewaltige Heeresmassen marschfertig. Frankreich -rennt in sein Verderben, wenn es den Krieg provoziert.«</p> - -<p>»Das ist die öffentliche Meinung in Deutschland!« sagte -Bucher und las aus hervorragenden Blättern einige Aufsätze -Bismarck vor, der, die Arme auf den Stock gestützt, das Haupt -vorgeneigt, ihn ruhig anhörte.</p> - -<p>Nach einiger Zeit erhob er sich.</p> - -<p>»Nun muß der Gutsherr in sein Recht treten. Auf Wiedersehen -in einer Stunde. Hoffentlich bringt sie uns nichts Unangenehmes.«</p> - -<p>Er ging langsam, gefolgt von der Dogge, nach dem Herrenhause -zu, durchschritt hier einen langen, schmalen Korridor, und -betrat am Ende desselben ein kleines Zimmer mit weiß getünchten -Wänden und einem breiten Fenster, durch welches das volle Licht -hereinfiel auf den einfachen Tisch und die daneben stehenden hohen<span class="pagenum" id="Seite_150">[150]</span> -Schränke, von welchen ausgestopfte Vögel herabschauten. Ein -schwarzes Ledersofa, einige geschnitzte Stühle, altertümliche Glasgefäße -auf dem breiten Kaminsims vervollständigen die Einrichtung -des Gemachs, in welchem »der Gutsherr von Varzin« mit -seinen Leuten verkehrt.</p> - -<p>Da wartet schon mancher auf den großen Staatsmann, um -mit ihm über Forstnutzung, Industrieanlagen, Gartenwirtschaft -und dergleichen zu verhandeln, und eine Stunde ist rasch genug -vorüber. Der letzte ist gegangen, aufatmend erhebt sich Bismarck -und sieht nach der Uhr, – es ist Zeit zum Frühstück, und -er wird wohl bereits erwartet.</p> - -<p>Im Billardzimmer ist der Tisch gedeckt. Der große Raum -sieht freundlich aus. Die Fenster gehen hinaus in das Grün des -Gartens, an den Wänden hängen Bilder rheinischer Städte, die -Möbel, teils gepolstert, teils mit braunem Schnitzwerk, sehen traulich -und behaglich aus, die beiden Öfen mögen im Winter mit -ihrem offenen Feuer die Gemütlichkeit des Raumes ganz besonders -erhöhen, und das in einer Nische stehende Billard sowie der -Flügel der Hausfrau lassen erkennen, daß der ernste Diplomat -gerade hier manche Stunde verbringt, die ihm wohl Erholung und -Zerstreuung bieten mag.</p> - -<p>Hier ist er im Kreise der Seinen. Seine Gemahlin eilt ihm -entgegen, seine Tochter, Komteß Marie, hängt sich an seinen -Arm, seine Söhne grüßen ihn mit herzlicher Freundlichkeit, und -bald sitzt er in seinem Lehnstuhl, aber noch immer ist es keine -ungestörte Rast. Lothar Bucher hat ihm Briefe und Depeschen -überreicht, ehe er sich mit an den Tisch setzte, und Bismarck öffnet -und überfliegt die letzteren.</p> - -<p>Ein Schatten zieht über sein Gesicht.</p> - -<p>»Aus Ems. Benedetti sucht um eine neue Audienz nach -bei dem König. Er wird die unverschämte Forderung seiner<span class="pagenum" id="Seite_151">[151]</span> -Regierung wiederholen; man hat die zweifellose Absicht, uns zu -brüskieren.«</p> - -<p>Da war das Gespräch ganz von selbst wieder bei der brennenden -Tagesfrage, und Bismarck hatte zu tun, um die erregten -Damen zu beruhigen. Er selbst nahm dabei das einfache Frühstück -ein, das für ihn in der Hauptsache aus weichgekochten Eiern -mit geröstetem Weißbrot, einer Schale Milch und etwas schwarzem -Kaffee bestand. Nach Beendigung desselben sprach er:</p> - -<p>»Aber nun ein halbes Stündchen ohne Politik! Laß uns -einen Gang durch den Park tun, mein liebes Herz, ich muß dir -drei junge Buchen zeigen, die aus einem Stamm herauswachsen, -und die ich bisher noch gar nicht entdeckt hatte. Ich habe dabei -unwillkürlich an unseren Wappenspruch denken müssen: <em class="antiqua">In trinitate -robur</em> – in der Dreiheit die Stärke, und dann habe ich an -unsere lieben drei gedacht! Komm, Marie, du mußt die Bäume -gleichfalls sehen.«</p> - -<p>Er reichte den beiden Damen den Arm, die Grafen Herbert -und Wilhelm gingen hinterdrein. So schritten sie unter den -stattlichen Bäumen des Parkes hin im lachenden Sommersonnenschein -und vergaßen für eine kurze Zeit die Wetterwolken, die -am westlichen Himmel Europas sich auftürmten.</p> - -<p>Aber die kurze Spanne gemütlichen Behagens war bald -vorüber, und Gattin und Tochter begleiteten Bismarck in sein -Arbeitszimmer, in die Werkstätte des Diplomaten.</p> - -<p>Ein großer, sechseckiger Raum von vornehmer Einfachheit. -Eichenholzgetäfel in mehr als Manneshöhe zieht sich an den -Wänden hin, und die Decke ist durch vortretende Eichenbalken -in Quadrate und Dreiecke geteilt. In einem sechseckigen Erker -sind drei schmale Fenster angebracht, an der Wand der Tür -gegenüber ein breites. Nahe demselben steht der Schreibtisch aus -Nußbaumholz mit blitzenden Messingbeschlägen an Türen und<span class="pagenum" id="Seite_152">[152]</span> -Schubladen. Auf der mit grünem Tuch überzogenen Platte befinden -sich ein zweiarmiger Leuchter, mehrere verschieden geformte -Briefbeschwerer, ein Schreibzeug, das aus dem Holze einer bei -der Düppelstürmung eroberten Lafette geschnitzt ist, Federn und -lange, dicke Bleistifte. Kleinere Tische, mit Büchern und Schriftstücken -bedeckt, stehen da und dort, zwei Sofas laden zur Ruhe -ein, im Erker steht ein kleiner Diwan neben einer Causeuse, und -von hier schweift der Blick hinaus auf den blinkenden Spiegel -eines kleinen Teiches, auf einen ferner liegenden Ruheplatz zwischen -je einer stattlichen Eiche und Buche, und auf die wogenden Saatfelder, -welche durch das dunkle Grün bewaldeter Hügel begrenzt -werden. In einer abgestumpften Ecke aber steht das Prachtstück -dieses Raumes, ein riesenhafter Kamin von nahezu vier Meter -Breite und fünf Meter Höhe.</p> - -<p>In dem Lehnstuhl am Schreibtische hat sich Bismarck niedergelassen, -die Gräfin steht neben ihm, legt ihm zärtlich die Hand -auf die Schulter und sagt mit einem besorgten Blick auf die sich -häufenden Schriftstücke:</p> - -<p>»Das wird dich wieder viele Anstrengung und Aufregung -kosten, und du bist von deiner letzten Erkrankung noch nicht -erholt!«</p> - -<p>Der Kanzler des Norddeutschen Bundes lehnt sich behaglich -in den Sitz zurück und spricht:</p> - -<p>»<em class="antiqua">Patriae inserviendo consumor!</em> Das ist mein Wahlspruch, -und du weißt, was es heißt: Im Dienste des Vaterlands will -ich aufgehen! Und so schlimm wird es wohl nicht werden, -wir Bismarcks sind aus altem märkischen Holze – das hält -etwas aus.«</p> - -<p>Er faßte nach der lieben Hand, die noch auf seiner Schulter -lag, und streichelte sie, Gräfin Marie aber eilte herbei und brachte -ihm die lange Pfeife.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[153]</span></p> - -<p>»Danke, mein liebes Kind! Das ist auch ein Sorgenbrecher!«</p> - -<p>Er öffnete den Deckel des vor ihm stehenden Tabakskastens, -der dem Kopfe seines treuen vierfüßigen Begleiters, der prächtigen -Dogge, die sich auch jetzt zu seinen Füßen gestreckt hat, -nachgebildet ist, und stopft sich die Pfeife. Die junge, schöne -Komteß hat den Fidibus angebrannt und hält ihn zurecht, – -einige kräftige Züge, der blaue Rauch wirbelt um den Lehnstuhl -und den, welcher darin sitzt, und nun gehen die Damen und überlassen -den Staatsmann seinen Sorgen und seiner Arbeit.</p> - -<p>Bismarck liest, und der mächtige Blaustift in seiner Hand -arbeitet dabei unablässig. Lothar Bucher kommt, hält Vortrag -und macht sich seine Notizen, und so arbeitet die Staatsmaschine -von dem stillen Varzin in Hinterpommern aus unablässig. Die -Stunden vergehen, und der Erholung darf nicht ganz vergessen -werden.</p> - -<p>Der Wagen ist vorgefahren, denn Bismarck darf, da er -noch Rekonvaleszent ist von einem Nervenleiden, nicht reiten, -und mit Frau und Tochter fährt er hinein in das freundliche, -sonnige Land, und wo er vorüberkommt, bleiben die schlichten -Landleute stehen und grüßen ihn und die Seinen mit aufrichtiger -Herzlichkeit. Da und dort läßt er wohl auch halten und -redet einen oder den anderen der Leute an. Ein alter Taglöhner -stand am Wege und zog ehrerbietig die Mütze; er war -krank gewesen bis vor kurzem, und Bismarck wußte dies. Er -rief dem Alten zu:</p> - -<p>»Nu, Krischan, du büst woll wedder ganz op den Tüge?«</p> - -<p>»I, ja,« – sagte der Angeredete treuherzig. »Sie sollten -man ok hier blieven, dann wurden Sie nochmal so frisch!«</p> - -<p>Bismarck lachte, und im Weiterfahren sprach er:</p> - -<p>»Ja, wer immer in Varzin sein könnte!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[154]</span></p> - -<p>Gegen sechs Uhr wurde das Diner eingenommen. Was auf -den Tisch kam, stammte beinahe alles von den Besitzungen des -Grafen selbst und mundete um so besser, als es mit heiterem -Tafelgespräch gewürzt ward. Die Stunde ging rasch, und noch -einmal wanderte der Kanzler mit den Seinen in den Park und -freute sich des herrlichen Sommerabends, der grüngoldenen Lichter, -welche auf den Wegen spielten, und der tiefen Ruhe. Da und -dort ward kurze Rast gehalten; schlanke Rehe kamen aus dem -nahen Walde und huschten durch den Park bis herein in den -Garten, und Bismarck freute sich der Zutraulichkeit der schönen -Tiere, die sich durch die Nähe der Menschen nicht verscheuchen -ließen. Es war eine liebliche Idylle, in welche die Abendglocken -vom Dorfe her stimmungsvoll klangen.</p> - -<p>Nun ward der Tee eingenommen in der umgrünten Veranda. -Die Dämmerung legte sich langsam über das Land, vom Blumengarten -wehte süßer Duft, die Lampe warf ihren traulichen Schimmer -über den Tisch, und die Gräfin Bismarck kredenzt dem Gatten -das Getränk. Dann wird die lange Pfeife wieder angebrannt, -behagliche Wölkchen ziehen durch den Raum; in seinen weiten -Sessel zurückgelehnt, sitzt der große Staatsmann schweigend und -träumend, indes aus den geöffneten Fenstern des Frühstückszimmers -die Klänge an sein Ohr schlagen, welche Frau Johannas -Meisterhand dem Flügel entlocken.</p> - -<p>Noch eine kurze Stunde, dann neigt sich der Sommertag -seinem Ende zu. Es ist noch nicht ganz um Mitternacht, als -Bismarck sich erhebt, um sich zur Ruhe zu begeben … die letzten -Lichter in Varzin verlöschen, der blaue Nachthimmel spannt sein -weites Zelt über Schloß, Park und Dorf, und die ewigen -Sterne flimmern so friedvoll in ihrer unvergänglichen Schönheit, -und sie kümmern sich nicht um der Menschen und Völker Haß -und Hader.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[155]</span></p> - -<p>Und drei Tage später leuchteten dieselben Sterne, aber in -den stillen Frieden von Varzin trägt fast um die Mitternachtstunde -der Telegraph eine erregende Mitteilung: Der König beruft -seinen Ratgeber sogleich nach Ems!</p> - -<p>Am nächsten Tage war Bismarck bereits in Berlin. Hier -fand er gute Kunde: Der Prinz von Hohenzollern hatte, um -nicht Veranlassung zu einer blutigen Verwicklung zu geben, freiwillig -auf den Thron von Spanien verzichtet. Den Franzosen -war der Vorwand zum Kriege genommen, beruhigt atmete der -Kanzler auf und glaubte nun auch seine Reise nach Ems nicht -beschleunigen zu müssen.</p> - -<p>Da geschah das Unglaubliche. Benedetti trat in Ems vor -den König mit der Forderung, daß er schriftlich sich verpflichten -solle, niemals einen Hohenzollern auf dem Throne von Spanien -zu dulden. Würdig und entschieden lehnte Preußens Herrscher -die demütigende Forderung ab, einen Tag später reiste Benedetti -ab, und abermals einen Tag später, am 15. Juli, beschloß die -französische Regierung unter dem übermütigen Zujauchzen eines -fanatisierten Volkes den Krieg.</p> - -<p>An eben diesem Tage reiste auch der König Wilhelm nach -Berlin, und was er auf seinem Weg sah und hörte, durfte ihm -wohl die Seele erheben und befreien. So weit die deutsche Zunge -klingt, bebten die Herzen vor Entrüstung über die französische -Frechheit und Anmaßung, und in Millionen lebte nur ein Gedanke: -dieselbe gebührend zurückzuweisen. Überall dieselbe Begeisterung, -die gleichen Beweise der Liebe und Verehrung des -einen deutschen Geistes:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Vergessen ist der alte Spahn,</div> - <div class="verse indent0">Das ganze Volk ist eins!</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Bismarck war mit dem Kronprinzen sowie mit Roon und -Moltke dem König bis Brandenburg entgegengefahren. Bewegt<span class="pagenum" id="Seite_156">[156]</span> -reichte der Herrscher seinen Treuen die Hand, und weiter ging -es der Hauptstadt zu. Durch ihre Straßen flutete das Volk in -dichtem Gedränge; mit entblößten Häuptern stand es da, und -während aus allen Fenstern die Tücher wehten zum Empfangsgruß, -schwollen die begeisterten Zurufe immer lauter an, je näher -die Wagen dem Schlosse kamen. Bis in die Nacht hinein erklangen -brausende Vaterlandslieder, stürmische Hochrufe, indes -aus dem bekannten Eckfenster des schlichten Palais der Lichtschimmer -seinen freundlichen Gruß hinaussandte. Dort beriet -der König mit seinen Getreuen, und ein Adjutant ersuchte das -Volk im Namen des Herrschers um Ruhe. Da ging <em class="gesperrt">ein</em> Empfinden -durch all die Tausende; tiefstill ward es um das -Standbild des großen Friedrich her, und lautlos ging die Menge -auseinander.</p> - -<p>In derselben Nacht flogen die Befehle zur Mobilmachung -des Heeres durch alle Gaue Norddeutschlands.</p> - -<p>Es kam der 19. Juli, der Todestag der unvergeßlichen -Königsrose Luise. Vor 60 Jahren war sie heimgegangen, hinsiechend -an der Not des Vaterlands, und nun sollte in ihrem -Sohne ihr ein herrlicher Rächer erstehen. Vormittags fand im -Dome ein feierlicher Gottesdienst statt in Gegenwart des königlichen -Hofes, der Ministerien und der Abgeordneten. Unter diesen saß -in der letzten Reihe die hagere Gestalt des Generals von Moltke -so schlicht und bescheiden, als wäre ihm nicht gerade eine Hauptrolle -bestimmt in dem gewaltigen historischen Drama, für welches -jetzt der Segen des Himmels erfleht wurde, und von der Empore -herab schaute Graf Bismarck ehern und ruhig auf die Andächtigen -nieder. Nach dem Gottesdienst erfolgte die Eröffnung des Reichstags -im Weißen Saale des Schlosses durch den König. Es -waren erhebende, mächtig bewegende Worte, und tiefe Ergriffenheit -erfaßte die Versammlung, als er schloß:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_157">[157]</span></p> - -<p>»Je unzweideutiger es vor aller Augen liegt, daß man -uns das Schwert in die Hand gezwungen hat, mit um so größerer -Zuversicht wenden wir uns, gestützt auf den einmütigen Willen -der deutschen Regierungen des Südens wie des Nordens, an -die Vaterlandsliebe und Opferfreudigkeit des deutschen Volks -mit dem Aufrufe zur Verteidigung seiner Ehre und seiner Unabhängigkeit.</p> - -<p>Wir werden nach dem Beispiele unserer Väter für unsere -Freiheit und für unser Recht gegen die Gewalttat fremder -Eroberer kämpfen, und in diesem Kampfe, in dem wir kein -anderes Ziel verfolgen, als den Frieden Europas dauernd zu -sichern, wird Gott mit uns sein, wie er mit unseren Vätern war!«</p> - -<p>Kurze Zeit danach fuhr der König hinaus nach Charlottenburg. -Dort liegt zwischen grünen Parkgehegen ein schlichter Bau, -das Mausoleum, in welchem Friedrich Wilhelm III. und Königin -Luise ruhen. Zwei herrliche Marmorbilder, welche die Verewigten -wie friedlich Schlafende darstellen, stehen über der Gruft, und -bläulicher Lichtschimmer flutet mild und freundlich darüberhin. -Hier in einsam weihevoller Stille betete der König und flehte den -Segen seiner Eltern nieder auf den Pfad, den er nun gehen -mußte für seine und seines Landes Ehre.</p> - -<p>Und beinahe zur selben Stunde betrat Graf Bismarck den -Sitzungssaal des Reichstags. Hochaufgerichtet und mit vor Erregung -leuchtenden Augen betrat er die Tribüne, und aller Blicke -hafteten auf dem herrlichen, stattlichen Manne, aller Parteigroll -war geschwunden, und die Ahnung dessen, was dieser große Augenblick -bringen sollte, ging durch jede Seele. Deutlich und fest klangen -die inhaltschweren Worte des Kanzlers:</p> - -<p>»Ich habe dem hohen Hause die Mitteilung zu machen, daß -mir der französische Geschäftsträger Le Sourd heute die Kriegserklärung -Frankreichs überreicht hat. Nach den Worten, die<span class="pagenum" id="Seite_158">[158]</span> -Seine Majestät soeben an den Reichstag gerichtet hat, füge ich -der Mitteilung dieser Tatsache weiter nichts zu.«</p> - -<p>Aufrecht standen die Vertreter des Volkes, jede Brust dehnte -sich weiter, jedes Auge blitzte heller, und voll Begeisterung klang -es durch den Saal: »Es lebe der König!«</p> - -<p>Und durch das ganze deutsche Volk zitterte und brauste -dieselbe Bewegung, und aus allen Gauen zogen die Söhne der -<em class="gesperrt">einen</em> Mutter Germania heran voll heiligen Kampfesmutes, voll -Zuversicht auf die gerechte Sache und auf ihre Kraft. Bayern -und Sachsen standen neben Preußen, und wenn Napoleon auf -die alte Eifersucht der deutschen Stämme gerechnet hatte, so sollte -ihm das zum fürchterlichen Verhängnis werden.</p> - -<p>Umtost vom Jubel seines Volkes verließ der vierundsiebzigjährige -König am 31. Juli seine Hauptstadt, und am 2. August -übernahm er von Mainz aus, wo er mit Moltke, Bismarck und -Roon eingetroffen war, den Oberbefehl über die deutschen Heere. -Das blutige Kriegsspiel begann. Das waren heiße Augusttage -bei Weißenburg und Wörth und um die trutzige Festung Metz, -hinter deren Wällen der sieggewohnte französische Marschall -Bazaine mit eisernen Klammern festgehalten werden mußte.</p> - -<p>Am 16. August war das heiße Ringen bei Vionville und -Mars la Tour. In Pont à Mousson war Bismarck im Hauptquartier -des Königs, und dort, von woher die Donner der Schlacht -brüllten, kämpften seine beiden Söhne in der dritten Schwadron -der Gardedragoner. Das Vaterherz war voll banger Sorge und -würde es noch mehr gewesen sein, wenn es gewußt hätte, wie -das brave Reiterregiment furchtbar geblutet und viele seiner -Offiziere, darunter seinen tapferen Obersten von Auerswald, verloren -hatte. Der Abend senkte seine Schleier über das furchtbare -Feld, und Bismarck ritt hinter seinem König her, um ein Nachtlager -für diesen finden zu helfen. In allen Häusern und Hütten<span class="pagenum" id="Seite_159">[159]</span> -lagen Verwundete und Sterbende, und nur mit Mühe gelang es, -ein Stübchen ausfindig zu machen, wo ein Feldbett für den hohen -Herrn untergebracht wurde. Der aber wollte es nicht besser -haben als die Seinen. Das Bett sollte für einen Verwundeten -bleiben, er selbst wollte auf einem Strohlager schlafen, und Bismarck -und Moltke mußten mit ihm das Zimmer teilen.</p> - -<p>Der Kanzler fand wohl wenig Schlaf; er dachte »der Toten, -der Toten,« er dachte seiner Söhne. Mit dem erwachenden Tage -ritt er hinaus in das Schlachtfeld nach dem Lagerplatz der Gardedragoner -und fragte nach seinen Lieben. Sie hatten sich beide -brav geschlagen, und Herbert hatte für König und Vaterland -geblutet, aber das Geschick war ihnen gnädig gewesen.</p> - -<p>Im Lazarett in Mariaville fand er beide Söhne, und in -freudiger Ergriffenheit trat er an das Lager Herberts, der durch -eine Kugel am Oberschenkel verwundet war. Wilhelm hatte sein -Pferd verloren, war aber sonst unversehrt geblieben.</p> - -<p>Es war ein trotz allem schönes Wiedersehen, aber ein von -einem leisen Wehmutshauch verschleiertes Abschiednehmen. Für -den Grafen Herbert winkte die Rückkehr in die Heimat, Graf -Wilhelm aber zog mit seinem Regimente weiter, neuen Gefahren -und Siegen entgegen, und Vater und Sohn sollten sich erst am -2. September wiedersehen.</p> - -<p>Am 18. August brüllten die ehernen Schlünde um <em class="gesperrt">Gravelotte</em> -und <em class="gesperrt">Rezonville</em>. Am Morgen ritt Bismarck mit seinem -König die Höhe bei Flavigny hinan und sah hinein in das -wogende Kampfgewühl, das bis hierher brandete. Mehr als einmal -kam er selbst sowie auch König Wilhelm in drohende Gefahr. -Es war ein furchtbares Ringen, nicht <em class="gesperrt">eine</em> Schlacht, sondern -eine Reihe von Schlachten, die hier um das alte Metz geschlagen -wurden. St. Privat war von den preußischen Garden und den<span class="pagenum" id="Seite_160">[160]</span> -braven Sachsen erstürmt worden nach heißem Streit und unter -schweren Verlusten, und als der Sommertag sich zu neigen begann, -sanken auch die Sterne des französischen Marschalls.</p> - -<p>Noch einmal in der siebenten Abendstunde machte er einen -verzweifelten Vorstoß über die Talschlucht von Gravelotte hinaus, -aber die wackeren Pommern, die nach einem beschwerlichen -Marsche erst vor kurzem auf dem Schlachtfelde eingetroffen, warfen -sich ihm entgegen. »Es lebe der König!« scholl es in heller Begeisterung, -und hinab ging es in den Talgrund, Bataillon um -Bataillon und jenseits wieder die Höhen hinan.</p> - -<p>Der greise Kriegsherr aber hielt auf der Höhe nördlich von -Gravelotte und sah hinein in die sprühenden Pulverblitze, und -um ihn her und über ihn hin sausten die todbringenden Geschosse -und platzten die Granaten. Und wie einst bei Sadowa, so wußte -Bismarck auch hier seinen königlichen Herrn aus der gefährlichen -Stellung fortzubringen. Er blieb ihm treu zur Seite und -geleitete ihn gegen Rezonville. Hier stieg der greise Held, ermüdet -von dem furchtbaren Tage, vom Rosse und sah sich um -nach einem Sitze. Es war nichts zu erblicken; nur ein toter -Schimmel lag in der Nähe; auf den Leib desselben und auf -eine alte Brückenwage ward nun eine Leiter gelegt, und hier saß -der König, mit dem Rücken an eine Gartenmauer gelehnt.</p> - -<p>Die Schatten des Abends wurden grauer, unheimlich loderten -unfern die Flammen aus einem großen brennenden Gebäude -gegen den Himmel, dumpf rollten fernher noch die letzten Donner -der Schlacht, und um ihren königlichen Führer her geschart standen -in erwartungsvollem Schweigen Generale und fürstliche Herren.</p> - -<p>Um die neunte Stunde war es, als Moltke heransprengte; -aus seinen ernsten Augen leuchtete es hell – er brachte die Kunde -von dem errungenen Siege, von der endgültigen Festnagelung des -französischen Marschalls hinter den Mauern von Metz.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_161">[161]</span></p> - -<p>Ein Telegraphenbeamter brachte eine Meldung; ihm diktierte -Bismarck im Namen des Königs folgende Depesche an die Königin -Augusta:</p> - -<div class="blockquot"> -<p class="mright"> -Biwak bei Rezonville, 18. Aug. 9 Uhr abds. -</p> - -<p>Die französische Armee in sehr starker Stellung westlich von -Metz angegriffen, in neunstündiger Schlacht vollständig geschlagen, -von ihren Verbindungen mit Paris abgeschnitten und gegen Metz -zurückgeworfen.</p> - -<p class="mright"> -<em class="gesperrt">Wilhelm.</em> -</p> -</div> - -<p>Ein Marketender war herbeigerufen worden; er hatte wenig -genug zu bieten, aber auch der bescheidene Rotwein, mit welchem -die Feldflaschen gefüllt wurden, mundete, und aus einem zerbrochenen -Tulpenglase trank der König. Sein Kanzler aber kaute -an einer harten Brotrinde, denn besseres war augenblicklich nicht -zur Stillung des Hungers zu finden.</p> - -<p>Die Nacht sank nieder, und die Schwierigkeit, ein Lager -zu finden, ließ sich kaum verkennen. Der König ritt mit seinen -Begleitern hinab nach dem Dorfe Rezonville. In allen Häusern -Verwundete, endlich in einem ärmlichen Hause ein kleines Stübchen! -Aus einem Krankentransportwagen wurde eine Bahre herbeigeschafft, -dazu einige Wagenkissen, und auf diesem unbequemen -Lager, völlig angekleidet, mit seinem Mantel bedeckt, schlief der -siegreiche alte Held, nachdem man mit Mühe noch ein Abendbrot -für ihn aufgetrieben hatte.</p> - -<p>Bismarck aber irrte durch die nächtlichen Gassen des kleinen -französischen Nests, die erhellt waren von dem Feuerschein brennender -Häuser. Bei dem Wagen des Königs hielt der Erbgroßherzog -von Mecklenburg Wache, damit nichts abhanden komme, -und der Kanzler selbst suchte Haus um Haus nach einem Unterkommen. -Überall vernahm er, daß alles voll Verwundeter liege. -Ein dunkles Fenster in einem Hause winkte verheißungsvoll, und -diesmal ließ er sich auch nicht von dem Hinweise auf Verwundete -abspeisen. Er stieg die Treppen hinan und fand in der Tat<span class="pagenum" id="Seite_162">[162]</span> -ein Stübchen mit drei Betten und hielt hier erquickliche -Nachtrast.</p> - -<p>Nun galt es, Frankreichs zweites Heer festzulegen und seinen -berühmtesten Marschall Mac Mahon unschädlich zu machen, und -die deutschen Heersäulen zogen mit ruhiger Sicherheit die Wege, -welche der herrliche Schlachtenlenker Moltke ihnen anwies.</p> - -<p>Am 23. August war das königliche Hauptquartier in Pont -à Mousson. Am Abend hatte Bismarck seine Wohnung aufgesucht; -bei dem Posten an der Tür des Hauses hielt er an:</p> - -<p>»Nun, wie geht’s?«</p> - -<p>»So gut es sein kann im Kriege, Exzellenz!«</p> - -<p>»Wie steht’s mit der Verpflegung?«</p> - -<p>»Untertänigst zu danken, Exzellenz – ich habe seit 24 Stunden -keinen Bissen gegessen!«</p> - -<p>Bismarck erschrak beinahe über die Äußerung des Soldaten, -und sogleich eilte er in das Haus, suchte die Küche und kehrte -bald mit einem tüchtigen Stück Brot, das er selbst abgeschnitten, -zu dem Manne zurück, der die Gabe mit lebhaftem Dankgefühl -entgegennahm.</p> - -<p>Über Bar-le-duc ging es nach Clermont, einem kleinen -Gebirgsstädtchen, wo das königliche Hauptquartier mit jenem -der Maasarmee zusammenkam. In dem bescheidenen Schulhause -wohnte der König, und in der Stube, in welcher sonst der Lehrer -arbeitete, war das Gemach des Kanzlers, Arbeits- und Schlafzimmer -zugleich. Eine Treppe höher in einem Saale war das -Bureau eingerichtet. Über einem Sägebock und einer Tonne -liegt eine ausgehobene Tür – das ist der Arbeitstisch, Kisten -und Koffer bilden die wenig bequemen Sitze, flackernde Kerzen, -die in leeren Weinflaschen stecken, werfen ein trübes Licht, und -das Stroh an der Wand auf dem Boden ist die Lagerstelle. – -Und in diesem Raume welch reges Leben, welch bedeutsame,<span class="pagenum" id="Seite_163">[163]</span> -hochwichtige Maschinerie! Da arbeiten die Legationsräte von -Keudell, Graf Hatzfeld, Abeken, Graf Bismarck-Bohlen, und die -Chiffreure, welche die Depeschen besorgen, da kommen und gehen -die Feldjäger und Ordonnanzen, da läuft vom frühen Morgen -bis in die Nacht ein Bericht nach dem anderen heraus und herein, -und zwischen seinen Beamten erscheint ab und zu die Gestalt des -Ministers im Interimsrocke der Landwehrreiter mit den gelben -Aufschlägen, die Beine in den hohen Stulpenstiefeln, und gibt -kurze und klare Anweisungen.</p> - -<p>Und in einem nicht behaglicheren Raume des Schulgebäudes -arbeitet der große Generalstab mit seinem schweigsamen Chef -ernst, ruhig, klar und sicher weiter an seinem Werke, und von -der Straße herauf schallt der Trommelschlag und die Marschmusik -vorüberziehender Regimenter, und die wenigsten, die hier -vorbeimarschieren, haben eine Ahnung, daß hinter den Fenstern -dieses schlichten Hauses das Räderwerk tätig ist, das die ganze -große Maschine in Bewegung setzt.</p> - -<p>Das Vorspiel der großen Tragödie vor Sedan nahm seinen -Anfang. Bei Beaumont schlug Sachsens ritterlicher Kronprinz -die Nachhut Mac Mahons und schloß mit der von ihm befehligten -Maasarmee den ehernen Gürtel, der sich nun um Sedan legte.</p> - -<p>Gegen Beaumont ritt auch der Kanzler her im Gefolge -seines Königs. Der Tag war heiß, schwül lag der Sommer auf -dem Lande, und die Marschkolonnen zogen langsam ihre Straße. -Bismarck ritt an eine Abteilung Bayern heran. Die Leute schienen -sehr ermüdet und kamen nur langsam vorwärts. Ein tiefes Mitgefühl -erfaßt den Minister mit den Braven, und er ruft dem -Nächsten zu:</p> - -<p>»Heda, Landsmann, wollen Sie einmal Kognak trinken?«</p> - -<p>Der Mann sah, wie befremdet darüber, wie man eine solche -Frage erst noch tun könne, zu dem hohen Offizier auf und nickte.<span class="pagenum" id="Seite_164">[164]</span> -Da reichte ihm der Kanzler seine Feldflasche, und als er die -Kameraden des Beglückten so sehnsüchtig und neidvoll auf diesen -und das gebotene Labsal blicken sah, ließ er die Flasche weitergehen, -bis sie geleert zu ihm zurückkam. Einer seiner Begleiter -aber folgte seinem Beispiele, und auch die zweite Feldflasche ging -von Hand zu Hand. Nun holte Bismarck seine Zigarren heraus -und fing an auszuteilen, und die vergnügten Gesichter der ermüdeten -Soldaten waren ihm ein schöner Dank.</p> - -<p>Was sich nun ereignete, in jenen ersten Septembertagen des -Jahres 1870, wird für ewig unvergessen bleiben im deutschen -Volke. Das Heer Mac Mahons, bei dem sich der Kaiser -Napoleon III. selbst befand, war hinter Sedan zurückgedrängt, -und hier erfolgte die Katastrophe, in welcher der französische Thron -zerbrach.</p> - -<p>Mit dem Morgen des 1. September hob das gewaltige -Schauspiel an; noch lag der Nebel über den Gefilden, und von -Bazailles her, wo die Bayern standen, zuckten rote Blitze, und -dumpfer Donner grollte ihnen nach.</p> - -<p>Rechts vom Dorfe Frénois auf einem Hügel hielt König -Wilhelm mit seinem Gefolge, und von hier überschaute er den -Verlauf des furchtbaren Ringens. Um die Mittagszeit war der -Calvaire d’Illy, der Schlüssel der feindlichen Stellung, genommen, -erdrückend lag die deutsche Heeresmacht um das bedrängte Sedan -und um den verzweifelten Kaiser. Mac Mahon war verwundet -worden und hatte den Oberbefehl über das französische Heer dem -General Wimpffen übergeben. Aber auch dieser konnte nicht -mehr retten, was verloren war.</p> - -<p>Die Abenddämmerung legte einen leichten Schleier über die -Walstatt. Brennende Dörfer leuchteten in der Runde, und die -deutschen Batterien spien noch immer von allen Seiten Verderben -und Vernichtung gegen die Festung. Endlich flatterte zwischen<span class="pagenum" id="Seite_165">[165]</span> -Rauch und Qualm auf der vorderen Bastion etwas Weißes empor, -die Kapitulationsflagge.</p> - -<p>Um die siebente Stunde ritt den Hügel von Frénois der -französische General von Reille heran, tiefen Ernst in dem gebräunten -Antlitz. Es war eine erschütternde Kunde, die er -brachte: Kaiser Napoleon legte seinen Degen nieder in die Hand -des Königs Wilhelm. In tiefer Bewegung las dieser die kurzen, -inhaltschweren Zeilen des besiegten Gegners seinem Gefolge vor, -und in Erschütterung und schweigend standen sie alle. Selten -wohl hat die sinkende Sonne ein solches Bild beleuchtet: den -greisen König, umgeben von deutschen Fürsten und Führern, der, -auf einer umgestürzten Pflugschar sitzend, seine Antwort auf dem -Rücken seines Adjutanten schrieb, indessen abseits in würdiger -Resignation der französische Parlamentär harrte, während nicht -lange danach der mit der wunderbaren Nachricht durch das -ganze Heer fortschreitende, lawinengleich anwachsende Jubelruf -zum Himmel jauchzte, der gerötet war von brennenden Ortschaften -und von den Freudenfeuern, die weit ins fremde Land hineinleuchteten.</p> - -<p>Für Bismarck wie für Moltke und manchen anderen brachte -die kommende Nacht keine Ruhe. Es galt, mit dem General -Wimpffen die Kapitulationsbedingungen festzusetzen, und auf den -Wunsch seines Königs wohnte der Kanzler den Verhandlungen bei.</p> - -<p>Im Erdgeschoß des Schlößchens von Donchery saßen die -ernsten Männer in schweigender Nacht beisammen.</p> - -<p>»Die französische Armee ist kriegsgefangen einschließlich der -Offiziere, mit Waffen und Gepäck, doch sollen den Offizieren ihre -Degen bleiben!«</p> - -<p>So lautete Moltkes ruhig-feste Bedingung, und vergebens -bemühte sich Wimpffen, eine günstigere zu erreichen. Er mahnte<span class="pagenum" id="Seite_166">[166]</span> -daran, wie man durch milderes Entgegenkommen sich die Dankbarkeit -des französischen Volkes gewinnen würde, durch Härte -aber dessen unauslöschlichen Haß heraufbeschwören müßte.</p> - -<p>Im Antlitz Bismarcks zeigte sich Erhebung, er hob das -mächtige Haupt und sah dem französischen General fest ins Gesicht, -als er ihm erwiderte:</p> - -<p>»An die Dankbarkeit des französischen Volkes vermögen wir -nicht zu glauben, weil es keine dauerhaften Einrichtungen, keine -Verehrung und Achtung vor seiner Regierung und seinem Fürsten -hat, der fest auf seinem Throne sitzt. Auch wäre es Torheit, -zu glauben, daß Frankreich jemals uns unsere Erfolge verzeihen -könnte. Sie sind ein über die Maßen eifersüchtiges, reizbares -und hochmütiges Volk, das in zwei Jahrhunderten uns dreißigmal -den Krieg erklärt hat, und das uns den Sieg von Sadowa nicht -verzeihen kann, gleich als ob das Siegen sein alleiniges Vorrecht -wäre. Frankreich muß für seinen eroberungslustigen und ehrgeizigen -Charakter gezüchtigt werden; wir wollen ausruhen, wir -wollen die Sicherheit unserer Kinder wahren, und dazu ist es nötig, -daß wir zwischen Frankreich und uns eine Schutzwehr, ein Gebiet, -Festungen und Grenzen haben, die uns für immer gegen einen -Angriff schützen. Das Glück der Schlachten hat uns die besten -Offiziere der französischen Armee überliefert; sie in Freiheit setzen, -um sie aufs neue gegen uns marschieren zu sehen, wäre Wahnsinn. -Es würde den Krieg verlängern und dem Interesse beider -Völker widersprechen. Nein, General, alle Teilnahme, welche -uns Ihre persönliche Lage einflößt, alle gute Meinung, welche -wir von Ihrer Armee hegen – beides darf uns nicht bestimmen, -von den Bedingungen zurückzutreten, die wir gestellt haben.«</p> - -<p>Es waren schwerwiegende, harte Wahrheiten, welche Bismarck -hier nach seiner ehrlichen, festen Art aussprach, und denen -Wimpffen nichts entgegensetzen konnte.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_167">[167]</span></p> - -<p>Die Mitternacht war vorüber, als der französische General -mit seinen zwei Begleitern von Donchery hinüberritt nach Sedan; -er wollte die letzte Entscheidung über die gemachten Bedingungen -dem gebrochenen, kranken Manne überlassen, der sich noch den -Kaiser von Frankreich nannte.</p> - -<p>Bismarck hatte sich tief ermüdet nach seinem Quartier begeben -und trotz der gewaltigen Erregung, die dieser Tag gebracht, -Schlaf gefunden. Aber lange ward er ihm nicht gegönnt. Früh -am Morgen wurde er geweckt mit der Nachricht, daß Napoleon -von Sedan her bereits unterwegs sei und ihn zu sprechen wünsche. -Er ritt dem Kaiser entgegen durch die dämmernde Frühe des -kühlen Septembermorgens. Da kam ihm ein zweispänniger Wagen -entgegen mit zwei galonnierten Dienern auf dem Bocke, und drei -französische Offiziere ritten zur Seite. Im Fonds des Wagens -lehnte mit müdem, gelbem Antlitz und mit dem Wesen eines -kranken, gebrochenen Mannes – Napoleon; drei Generale saßen -neben ihm, beziehentlich ihm gegenüber. Als Bismarck näherkam, -stieg er vom Pferde, trat militärisch grüßend an den Wagen -und fragte nach den Befehlen des Kaisers.</p> - -<p>Dieser hatte die Mütze abgenommen, und seine Begleiter -folgten dem Beispiel. Als Bismarck das gleiche tat, sagte -Napoleon: »Bedecken Sie sich doch!«</p> - -<p>Sein Wunsch, zu dem König geführt zu werden, ließ sich -aus mehreren Gründen nicht erfüllen, und da er aus Furcht vor -seinen eigenen Leuten nicht nach Sedan zurückzukehren wagte, bot -ihm der Kanzler sein Quartier in Donchery an. Dahin fuhr -jetzt der Wagen, dem Bismarck zur Seite ritt.</p> - -<p>Aber noch ehe das Städtchen erreicht war, wünschte Napoleon -zu rasten. Unfern der Maasbrücke, rechts von der Straße, deren -einförmige Pappelreihe gleichmütig zum Himmel ragte, stand -ein kleines, gelb getünchtes Haus mit vier Fenstern. Einem schlichten<span class="pagenum" id="Seite_168">[168]</span> -Weber gehörte es. Hier stieg der Kaiser ab und ging langsam -und müde, gefolgt von Bismarck, die enge Holztreppe hinauf -nach dem ersten Stockwerk. In einer kleinen Kammer, die nur -von einem Fenster erhellt wurde, standen an einem fichtenen Tisch -zwei Binsenstühle.</p> - -<p>Hier saßen die beiden Männer, der kleine, zusammengebeugte, -tiefgedemütigte Franzose, der hochragende, stattliche, ernst und -teilnahmsvoll dreinsehende Deutsche. Eine Stunde beinahe verhandelten -sie hier miteinander. Der Kaiser beklagte, daß er -wider seinen Willen durch die öffentliche Stimmung in den -unseligen Krieg hineingedrängt worden sei und suchte für die -Kapitulation von Sedan günstigere Bedingungen zu erlangen. -Bismarck mußte ihm darauf höflich, aber entschieden bemerken, -daß er in dieser militärischen Angelegenheit inkompetent sei, wohl -aber auf eventuelle Friedensverhandlungen eingehen wolle. Dazu -aber glaubte sich der gefangene Kaiser nicht mehr berufen, und -so floß das Gespräch ohne ein positives Resultat dahin.</p> - -<p>Napoleon schien es zu enge zu werden in dem kleinen, kahlen -Raume, er erhob sich, und der Kanzler folgte ihm hinaus ins -Freie. Vor dem schlichten Weberhäuschen schweifte der Blick seitwärts -über ein blühendes Kartoffelfeld und über Buschwerk hinaus -ins Land. Die beiden Binsenstühle waren herausgetragen worden, -und der Kaiser ließ sich noch einmal nieder, Bismarck zu seiner -Seite. Unter dem Himmel Frankreichs ein wunderlich ergreifendes -Bild! Noch einen letzten Versuch machte der hohe Gefangene, -seiner eingeschlossenen Armee den Abzug auf belgisches Gebiet zu -sichern, aber auch hier wich der Kanzler dieser Frage aus.</p> - -<p>In der Nähe von Frénois liegt ein Schlößchen, Bellevue -genannt. Dort sollte Napoleon einstweilen Wohnung nehmen, -und, begleitet von einer Ehreneskorte des Leibkürassierregiments, -führte Bismarck ihn dahin. Und hier war es, wo um zwei<span class="pagenum" id="Seite_169">[169]</span> -Uhr mittags, nachdem die Kapitulation von Sedan in dem von -Moltke gewünschten Sinne abgeschlossen war, König Wilhelm den -unseligen Mann besuchte, dem sein Ehrgeiz verhängnisvoll geworden -war.</p> - -<p>Es war um die zweite Nachmittagsstunde, als der Kaiser, -das Haupt entblößt, auf der Freitreppe am Eingange des Schlößchens, -den ehrwürdigen, weißhaarigen König begrüßte. In Napoleons -Augen standen Tränen, aber auch der siegreiche Monarch -war tief bewegt. Eine inhaltschwere Viertelstunde verrann, ehe -die beiden voneinander schieden, der Kaiser, um nach Deutschland -zu ziehen, als Gefangener nach jenem Schlosse Wilhelmshöhe bei -Kassel, auf welchem zu Anfang des Jahrhunderts der napoleonische -König Jerôme seine lustige Herrschaft geführt hatte, König Wilhelm -in sein Hauptquartier zu Vendresse.</p> - -<p>Der Champagner war selbst in Frankreich ein seltenes Getränk -auf der Tafel des greisen Heerführers, an jenem 3. September -aber fehlte er nicht, und bei dem schäumenden, perlenden französischen -Weine im Kreise seiner besten Paladine sprach der König -das schöne Wort:</p> - -<p>»Wir müssen heute aus Dankbarkeit auf das Wohl meiner -braven Armee trinken. Sie, Kriegsminister von Roon, haben -unser Schwert geschärft; Sie, General von Moltke, haben es geleitet, -und Sie, Graf von Bismarck, haben seit Jahren durch die -Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht. -Lassen Sie uns also auf das Wohl der Armee, der drei -von mir Genannten und jedes einzelnen unter den Anwesenden -trinken, der nach seinen Kräften zu den bisherigen Erfolgen beigetragen -hat.«</p> - -<p>In der Stille des Abends aber saß am selben Tage Bismarck -in seinem Quartier und schrieb an seine Gemahlin im Drange -seines Herzens einen schlichten und dabei doch ergreifenden Brief,<span class="pagenum" id="Seite_170">[170]</span> -der freilich das Schicksal hatte, von den französischen Freischärlern -abgefangen zu werden, aber durch seine Veröffentlichung in der -Pariser Zeitung »Figaro« allgemein bekannt worden ist.</p> - -<p>Mit Napoleons Gefangennahme hörte der Krieg nicht auf. -Die Franzosen gaben ihren Kaiser preis, setzten ihn ab und -proklamierten die Republik, und die Waffen redeten zunächst ihre -ernste, furchtbare Sprache noch weiter. Frankreich gedachte neue -Armeen aus der Erde zu stampfen und Freischarenbanden im -Rücken der deutschen Heere organisieren zu lassen, um diese -zu beunruhigen, und diese unheimlichen Gesellen in ihren dunklen -Wollenblusen, mit der blauen Schärpe um den Leib, lagen allerorten -im Hinterhalt, zerstörten Schienenwege und Telegraphenleitungen -und suchten den deutschen Armeen die Zufuhr abzuschneiden. -Paris, das Kleinod von Frankreich, wurde stark befestigt und -eine starke Armee in die Hauptstadt gelegt, aber mit ruhiger Sicherheit -gingen die deutschen Heere ihre Siegespfade weiter, und -immer näher heran an die innerlich verkommene »Weltenseele«.</p> - -<p>Es war am 19. September, als ein Mitglied der französischen -Regierung, der Advokat Jules <em class="gesperrt">Favre</em>, im deutschen Hauptquartier -eintraf und mit Bismarck zu verhandeln wünschte. Dieser -wohnte in der Nähe des Dorfes Montry in dem Schlosse La -Haute Maison. Langsam fuhr der Wagen des Franzosen die -bewaldete Anhöhe hinan, die nach dem wenig ansehnlichen Hause -führte, und sein Auge blieb unwillkürlich an den Zerstörungen -haften, die sich überall als Folgen von Kämpfen, die sich hier -abgespielt haben mußten, bemerkbar machten.</p> - -<p>Bismarck empfing den Gast mit ritterlicher Höflichkeit und -erkundigte sich nach seinen Wünschen.</p> - -<p>Favre wußte mit großer Gewandtheit und Geschicklichkeit -auszuführen, wie die französische Regierung dem Frieden nicht -abgeneigt wäre, wie dieselbe aber, ehe sie einen solchen schließen<span class="pagenum" id="Seite_171">[171]</span> -könne, gesetzlich anerkannt sein müsse. Es liegt darum die Notwendigkeit -vor, eine konstituierende Nationalversammlung einzuberufen, -was aber unmöglich sei während der Fortdauer des -Krieges; seine Bitte gehe darum auf Abschluß eines Waffenstillstands.</p> - -<p>Ernst und ruhig sah Bismarck dem Franzosen ins Auge, -der einigermaßen erregt mit den schlanken Fingern sich durch den -weißen Bart strich. Dann bemerkte er:</p> - -<p>»Es wird Ihnen zweifellos klar sein, welche Nachteile für -unsere siegreich fortschreitenden Heere in einem Waffenstillstande -liegen, doch kann ich Ihren Standpunkt begreifen und würde -geneigt sein, Ihren Wunsch zu befürworten, doch werden Sie -einsehen, daß wir für dessen Gewährung eine entsprechende Entschädigung -erhalten müßten.«</p> - -<p>»Und worin würde diese wohl zu bestehen haben?«</p> - -<p>»Da uns vor allem daran liegen muß, die Verpflegung -unserer Heere und die damit zusammenhängende Verbindung mit -Deutschland gesichert zu sehen, würden wir die Übergabe der -Festungen Toul und Straßburg verlangen müssen.«</p> - -<p>Der Franzose fuhr erregt auf:</p> - -<p>»Das ist eine Forderung, die doch wohl zu weit geht.«</p> - -<p>»Ich bedaure, darauf bestehen zu müssen.«</p> - -<p>»Das wird Frankreich und Paris niemals zugestehen, eher -wird die Hauptstadt in Trümmer sinken und alle seine Söhne -opfern.«</p> - -<p>Bismarck zuckte bedauernd die Achseln, und so beredt der -Franzose auch sprechen mochte, er blieb fest. So schied Favre, -ohne einen Erfolg erreicht zu haben, und der Kanzler geleitete -seinen Besucher die Treppe hinab. Dieser wies auf die beschädigten -Wände und Mauern.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[172]</span></p> - -<p>»Die Spuren Ihrer Franctireurs,« bemerkte Bismarck – -»die Gegend ist hier voll von ihnen, aber wir machen schonungslose -Jagd auf sie; wir behandeln sie als Raubgesindel, denn sie -sind keine Soldaten.«</p> - -<p>»Aber bedenken Sie, es sind doch Franzosen, welche ihren -Boden, ihren Herd und ihr Haus verteidigen. Sie sind doch -wohl sicher in ihrem Rechte, wenn sie der feindlichen Invasion -Widerstand leisten, und wenn Sie das Kriegsgesetz auf diese Leute -anwenden, so ist das eine Verkennung desselben.«</p> - -<p>Der Kanzler erwiderte ruhig:</p> - -<p>»Wir kennen nur Soldaten, welche einer regelmäßigen Disziplin -unterworfen sind, die anderen sind außerhalb dieses Gesetzes.«</p> - -<p>»Dann gestatten Sie mir jedoch, Sie an das Jahr 1813 -zu erinnern und an den Aufruf des Königs von Preußen an sein -Volk. Was war diese Erhebung in Ihrem Lande damals anders -als die gegenwärtige der Franctireurs?«</p> - -<p>»Richtig,« bemerkte Bismarck, »aber unsere Bäume zeigen -noch die Spuren derjenigen Landeseinwohner, welche Ihre Generale -hängen ließen.« –</p> - -<p>Noch einmal machte Favre am nächsten Tage den Versuch, -auf Schloß Ferrières Bismarck zu günstigeren Waffenstillstandsbedingungen -zu bewegen – umsonst! »Straßburg ist der Schlüssel -zu unserem Hause – ihn <em class="gesperrt">müssen</em> wir haben!« Das war der -bittere Bescheid, welchen der französische Abgeordnete mit sich -nahm, der von dem Kanzler mit den Worten schied:</p> - -<p>»Ich bin sehr unglücklich, aber ich hoffe noch immer!«</p> - -<p>Drohender zogen sich die Wetterwolken um Paris zusammen. -Mit eisernen Armen umklammerten die deutschen Heere den Leib -der koketten Seinestadt, die sich vergebens gegen die Erdrückung -wehrte; am 19. September war die Einschließung vollendet. Etwa<span class="pagenum" id="Seite_173">[173]</span> -8 Tage später kam von Straßburg her die Kunde, daß die Festung -sich ergeben und die alte, gut deutsche Stadt von der Mutter -Germania wieder heimgeholt worden sei.</p> - -<p>Zu Anfang Oktober war das deutsche Hauptquartier in Versailles. -Auf der Präfektur wohnte der greise preußische Herrscher, -in einem kleinen Hause aber, in der Rue de Provence, von dessen -Balkon die schwarz-weiß-rote Fahne lustig in die Straße hineinwehte, -hatte Bismarck sein Quartier aufgeschlagen, und die Staatsmaschine -arbeitete von hier aus unaufhörlich und wahrlich auch -erfolgreich, denn vergebens hatte Frankreich den ruhig besonnenen, -redegewandten Staatsmann Thiers dahin und dorthin an -andere Regierungen gesandt, um eine Einmischung zu seinen Gunsten -herbeizuführen, es hatte niemand Lust, sich um der jungen -Republik wegen in Unkosten und Aufregung zu stürzen, und die -Dinge gingen ihren Gang weiter.</p> - -<p>Da kam auch die Kunde, daß Metz (am 29. Oktober) gefallen -und die Armee Bazaines kriegsgefangen sei. Ein neuer -Jubel durchbrauste die deutschen Heere, die Kampfesbegeisterung -wuchs im Lager vor Paris, und wenn Bismarck durch die Straßen -von Versailles ritt, die Kraftgestalt in der kleidsamen Kürassieruniform -stramm aufgerichtet im Sattel, grüßten ihn die deutschen -Soldaten mit warmer Herzlichkeit, und die Franzosen sahen mit -einem Gemisch von Ingrimm und Verwunderung dem stattlichen -Recken nach.</p> - -<p>Und hier in Versailles, in dem schlichten Hause der Madame -Jessé, liefen die Fäden zusammen, welche die starke Hand -Bismarcks zu einem gewaltigen Ganzen verflocht, zum Bande, das -das einige deutsche Reich umschlang. Das deutsche Volk in seiner -Gesamtheit hatte eine Bluttaufe erhalten, welche allen Zwiespalt -verwischte, und aus allen Gauen des deutschen Südens kamen -Wünsche, sich dem norddeutschen Bunde anzuschließen. Nach Versailles<span class="pagenum" id="Seite_174">[174]</span> -kamen die Sendboten von Baden und Hessen, Württemberg -und Bayern, und die wichtigen Verhandlungen waren im vollen -Gange, während die Kanonen gegen die Außenforts der französischen -Hauptstadt ihre furchtbaren Grüße sandten.</p> - -<p>Als der badische Minister Jolly Bismarck besuchte, brachte -er ein sinniges Geschenk mit, eine goldene Feder.</p> - -<p>»Der Pforzheimer Fabrikant Bissinger hat mich gebeten, -Eurer Exzellenz diese Gabe zu überbringen und in seinem Namen -zu bitten, daß Sie den dritten Pariser Frieden damit unterzeichnen -möchten.«</p> - -<p>Sinnend und mit überwallender Rührung betrachtete Bismarck -das Geschenk, das ihm aus Deutschlands Süden zuging, wo -er vor nicht zu langer Zeit noch der bestgehaßte Mann war. Dann -sprach er:</p> - -<p>»Was soll ich dem gütigen Spender sagen? Wie soll ich -ihm danken? In einer Zeit, da das Schwert der deutschen Nation -so ruhmreiche Taten vollbracht hat, tut man der Feder beinahe -zu viel Ehre an, wenn man sie so kostbar ausstattet. Ich kann -nur hoffen, daß der Gebrauch, zu welchem diese Feder im Dienste -des Vaterlandes bestimmt ist, demselben zu dauerndem Gedeihen -in glücklichem Frieden gereichen möge, und ich darf unter Gottes -Beistand versprechen, daß sie in meiner Hand nichts unterzeichnen -soll, was deutscher Gesinnung oder deutschen Schwertes unwert -wäre.«</p> - -<p>Der Winter war allgemach gekommen und trieb seine Flocken -durch das französische Land, und in Bismarcks Wohnung knisterte -das Feuer im Kamin. Es war am 23. November. Der Abend -war schon lange hereingebrochen, die Teestunde, in welcher der -Kanzler mit einigen seiner Beamten, so behaglich es angehen -mochte, sonst zusammenzusitzen pflegte, war gekommen, und -in dem kleinen Salon harrten bereits einige Herren. Nahe<span class="pagenum" id="Seite_175">[175]</span> -beim Kamin saß Graf Bismarck-Bohlen, unfern davon Graf -Hatzfeld.</p> - -<p>»Will denn die Angelegenheit noch nicht vorwärtsrücken?« -sprach der eine. »Nun haben wir glücklich Baden und Hessen -dem Norddeutschen Bunde eingegliedert – aber Bayern und -Württemberg machen doch, wie es scheint, besondere Schwierigkeiten.«</p> - -<p>»Im Prinzip gewiß nicht,« erwiderte der andere, »aber es -ist begreiflich, daß sie gewisse Rechte sich reservieren wollen.«</p> - -<p>»Ja, die Verwaltung von Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen –«</p> - -<p>»Und wie ich gehört habe, will Bayern auch die Leitung -seines Heeres wenigstens zu Friedenszeiten nicht an Preußen -abgeben. Hoffentlich scheitert nicht auch diesmal das große -Einigungswerk an kleinen Bedenken.«</p> - -<p>»Lassen Sie nur unseren geistvollen großen Chef machen, -verehrter Freund; er hat Klugheit und Energie zugleich, und -versteht zu rechter Zeit zu geben und zu nehmen.«</p> - -<p>Der Schriftsteller Moritz <em class="gesperrt">Busch</em>, der als Zeitungsberichterstatter -sich im Hauptquartier befand, trat herein zu den beiden -Herren.</p> - -<p>»Seine Exzellenz konferieren wohl noch immer?« fragte er. -Graf Hatzfeld deutete nach der Türe, welche zum Salon führte.</p> - -<p>»Dort ist er mit dem bayrischen Kleeblatt, Graf Bray, -Lutz und Prankh, und die Herren scheinen zäh zu sein.«</p> - -<p>Noch eine Viertelstunde verstrich, da öffnete sich die Flügeltüre, -der Kopf Bismarcks erschien mit hellen Augen, und das -Antlitz in angenehmer Erregung. Als er die drei bemerkte, trat -er in das Zimmer, einen Becher in der Hand. Seine Stimme -klang bewegt, als er sprach:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_176">[176]</span></p> - -<p>»Nun, meine Herren, der bayrische Vertrag ist jetzt fertig -und unterzeichnet, die deutsche Einheit ist gemacht und der deutsche -Kaiser auch.«</p> - -<p>Die Herren hatten sich erhoben, sie sahen mit leuchtenden -Blicken den Sprecher an – einige Sekunden tiefer, ergreifender -Stille verstrichen, dann erbat sich Dr. Busch die Erlaubnis, die -Federn holen zu dürfen, mit welchen das bedeutsame Aktenstück -unterschrieben worden war. Bismarck aber befahl dem Diener, -eine Flasche Champagner herbeizubringen. Die Gläser mit dem -Schaumwein klirrten zusammen, und der Kanzler sprach tief -atmend:</p> - -<p>»Es ist ein Ereignis.«</p> - -<p>Dann schwieg er sinnend einige Augenblicke, und nun fuhr -er fort:</p> - -<p>»Die Zeitungen werden nicht zufrieden sein, und wer einmal -in der gewöhnlichen Art Geschichte schreibt, kann unser -Abkommen tadeln. Er kann sagen, der dumme Kerl hätte mehr -fordern sollen; er hätte es erlangt; sie hätten gemußt; er kann -recht haben mit dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß -die Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren. – Was -sind Verträge, wenn man muß! – und ich weiß, daß sie vergnügt -fortgegangen sind. Der Vertrag hat seine Mängel, aber -er ist so fester. Ich rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir -in diesen Jahren erreicht haben. – Was den Kaiser betrifft, so -habe ich ihnen denselben bei den Verhandlungen damit annehmbar -gemacht, daß ich ihnen vorstellte, es müsse für ihren König doch -bequemer und leichter sein, gewisse Rechte dem deutschen Kaiser -einzuräumen, als dem benachbarten König von Preußen.«</p> - -<p>Die Erneuerung der deutschen Kaiserkrone! Das war der -Wunsch der Besten seit Jahrzehnten, das war die immer wieder -erwachende Sehnsucht des deutschen Volkes, und nun sollte sie im<span class="pagenum" id="Seite_177">[177]</span> -fremden Lande sich erfüllen. Und die Erfüllung ward nicht -künstlich herbeigeführt, sie wuchs aus den gewaltigen geschichtlichen -Ereignissen selbst heraus. Die deutschen Fürsten und das deutsche -Volk waren eins in diesem schönen Ziele.</p> - -<p>Am 18. Dezember trafen in Versailles dreißig Mitglieder -des Norddeutschen Reichstages ein, geführt von ihrem Präsidenten -Simson. Die vornehme französische Präfektur sah sie durch ihre -Prunkhallen schreiten, und die Bilder der alten französischen -Herrscher schauten wohl mit Verwunderung herab auf die deutschen -Männer, die hier im Namen eines ganzen Volkes kamen, um -dem greisen König Wilhelm jenes Schreiben zu überreichen, das -ihn bat, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen. Draußen lag der -Winter auf den Feldern von Frankreich, aber Sonnenschein -war’s in allen deutschen Herzen, jener Lenzessonnenschein, der -die Auferstehung schlafender Herrlichkeit verkündet.</p> - -<p>Um den König standen die Edelsten des deutschen Volkes, -seine Fürsten und Helden, und hervorragend unter diesen die -Kraftgestalt des Kanzlers, der mit freudigem Bewußtsein daran -denken durfte, daß er diese Stunde hatte vorbereiten helfen.</p> - -<p>Mit bewegter Stimme sprach Dr. Simson:</p> - -<p>»Eure Majestät empfangen die Abgeordneten des Reichstags -in einer Stadt, in welcher mehrmals ein verderblicher Heereszug -gegen unser Vaterland ersonnen und ins Werk gesetzt worden ist. -Und heute darf die Nation von eben dieser Stelle her sich der -Zuversicht getrösten, daß Kaiser und Reich im Geiste einer neuen -lebensvollen Gegenwart wieder aufgerichtet und ihr, wenn Gott -ferner hilft und Segen gibt, in beiden die Gewißheit und Macht -von Recht und Gesetz, von Freiheit und Frieden zuteil werden.«</p> - -<p>Das war des deutschen Volkes Weihnachtsgabe. Die Zeit -des schlafenden Kaisers im Kyffhäuser sollte vorüber sein, der<span class="pagenum" id="Seite_178">[178]</span> -Kaiser Rotbart sollte verschwinden vor der Herrlichkeit des Kaiser -Weißbart. Der Gedanke mußte all die tausend Männerherzen -entschädigen, die in Eis und Schnee fern von der Heimat und -ihren Lieben das schönste Fest, das Christfest, verleben mußten.</p> - -<p>Im Hause in der Rue de Provence in Versailles dachte -Bismarck mit verhaltener Wehmut an jenem 24. Dezember der -Seinen. Im Kamin flackerte das Feuer, und um den Tisch saß -ein kleiner Kreis von Männern, der hier gleichsam seine Familie -repräsentierte, seine treuen Mitarbeiter. Ein Christbäumchen -fehlte nicht, aber es war ein winzig Dingelchen, doch gehörte es -in das deutsche Heim, um wenigstens einigermaßen Stimmung -zu machen. Und unter dem Bäumchen lag eine liebe Gabe, die -mit anderen von daheim gekommen war, ein Geschenk von Frau -Johanna. Sie wußte, daß ihr Gemahl eine besondere Vorliebe -für schöne Becher habe, und so hatte sie ihm in zierlichem Kästchen -zwei derselben zugesandt, den einen in Tula-Manier, den anderen -in geschmackvollem Renaissancestil.</p> - -<p>Aber auch sein König hatte ihn nicht vergessen. Er sandte -ihm am Christabend das Eiserne Kreuz erster Klasse, um die -Verdienste des Mannes zu ehren, der mit sicherer Hand auch -aus der Mitte des feindlichen Landes die Fäden der Politik zum -Segen Deutschlands und zur Ehre seiner Heimat verknüpfte.</p> - -<p>Der herrlichste deutsche Festtag aber, welchen das französische -Königsschloß in jenen Tagen schaute, war der 18. Januar 1871. -Vor 170 Jahre hatte der Brandenburger Kurfürst sich an -diesem Tage die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt, und -nun ward ein König von Preußen deutscher Kaiser. Im Palaste -jenes Ludwig XIV., der einst so tiefe Schmach und Schädigung -über deutsches Land und Volk gebracht, feierte unseres Reiches -Herrlichkeit seine Auferstehung – ein Walten der Weltgeschichte, -wie es nicht ergreifender gedacht werden kann.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[179]</span></p> - -<p>Vom Herrenschlosse zu Versailles wehte die Fahne der -Hohenzollern hinaus in die Winterluft. Um die Mittagsstunde -standen zu beiden Seiten der Straße von der Präfektur her in -Reih und Glied die Scharen der deutschen Soldaten, mit flammender -Begeisterung im Auge, die Brust geschwellt von einem -maßlosen Hochgefühl. Andere hatten sich um das mitten auf dem -Schloßplatz sich erhebende gewaltige Reiterstandbild Ludwigs XIV. -gruppiert und unter den Statuen französischer Kriegshelden. Die -mächtigen Pforten des glänzenden Palastes, welche in goldenen -Lettern die prunkende Aufschrift tragen: »<em class="antiqua">A toutes les gloires -de la France</em>« waren weit geöffnet, um die erlauchten deutschen -Gäste aufzunehmen, welche im glänzenden Zuge herankamen.</p> - -<p>Nun nahte die ehrwürdige Gestalt des Königs. Ein Brausen -und Jauchzen erhob sich, das die Lüfte erschütterte, und das -selbst die neugierigen Gaffer mächtig ergriff und eine Ahnung -treudeutschen Empfindens in ihre Seelen trug, und zwischen den -jubelnden Soldaten schritt der königliche Greis hin, hochaufgerichtet -und herrlich. Am Portale begrüßte ihn der Kronprinz, in -den Vorgemächern empfingen ihn Fürsten, Minister und Generale, -und so geleiteten sie ihn in die festlich geschmückte herrliche -Spiegelgalerie des Schlosses. An der Decke des Saales war -ein Bild, das wunderlich in diese Situation paßte, eine Verherrlichung -Ludwigs XIV., vor dessen Thron sich die Mächte -Europas demütig beugen. Am Mittelpfeiler der Gartenseite war -ein Altar errichtet, zu dessen beiden Seiten die Vertreter des -deutschen Heeres, Mannschaften aller Truppenteile, standen, und -von einer Estrade her winkten die Fahnen der deutschen Armeen -herab, welche von Unteroffizieren gehalten wurden, deren Brust -das eiserne Kreuz schmückte.</p> - -<p>Eine ergreifende Stille trat ein, als der König, von den -Fürsten und seinen Recken umgeben, dem Altare zuschritt und<span class="pagenum" id="Seite_180">[180]</span> -demselben gegenüber Platz nahm. Mit frommem Aufblick zu -Gott ward die feierliche Stunde eingeleitet. Wie daheim im -Gotteshause erklang die Liturgie. »Jauchzet dem Herrn alle -Welt!« jubelte der Sängerchor, und dann trat Hofprediger Rogge -vor, um die Festpredigt zu halten. In die glänzende und weihevolle -Versammlung rief er das Wort des Psalmisten: »Herr, -der König freuet sich deiner Kraft, du setzest eine goldene Krone -auf sein Haupt,« und nun wandte er den Blick empor zu dem -übermütigen Deckengemälde und pries den Herrn, der den feindlichen -Hochmut zuschanden gemacht hatte.</p> - -<p>Machtvoll und erhebend klang der fromme Choral: »Nun -danket alle Gott!« von hundert Männerlippen, und jetzt schritt -der greise König, von dem Kronprinzen und Bismarck gefolgt, -auf die Erhöhung, von der die Fahnen niederwallten, und verlas -das Wort vom wiedererstandenen deutschen Reiche. Dann forderte -er den Kanzler auf, des neuen Kaisers ersten Erlaß, seinen -kaiserlichen Gruß, den Fürsten und Vertretern des Volkes zu -verkündigen.</p> - -<p>Stattlicher erhob sich die Gestalt Bismarcks, festen Fußes -trat er einige Schritte vor, ernst und mit verhaltener Bewegung -flog sein Auge durch den Saal, auf welchem tiefes, feierliches -Schweigen ruhte, und dann klangen die Worte so ruhig und klar -bis in die fernste Ecke des Raumes:</p> - -<p>»Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen -– nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen -Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des deutschen -Reiches die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende deutsche -Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in -der Verfassung des deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen -vorgesehen sind – bekunden hiermit, daß Wir als -eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben,<span class="pagenum" id="Seite_181">[181]</span> -diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte -Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. -Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone -Preußens fortan den kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen -und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen, und hoffen -zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter -dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer -segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir übernehmen die -kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher -Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, -den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt -auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen -sie an in der Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt sein -wird, den Lohn seiner heißen und opfermutigen Kämpfe in -dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, -welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung -gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns aber und -unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, -allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen -Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens -auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.«</p> - -<p>Langsam trat Bismarck an die Seite seines Kaisers zurück, -aus dem Kreise der deutschen Fürsten aber schritt der Großherzog -von Baden bis an die Erhöhung heran, hoch in der Rechten -schwang er den blitzenden Helm, und in wahrer und warmer Begeisterung -rief er:</p> - -<p>»Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!«</p> - -<p>Schmetternd in Jubeltönen fiel die Musik ein, aus der -ganzen Versammlung brauste es mit erhebender Gewalt empor, -das stolze Wort, und während die Volkshymne machtvoll einsetzte, -pflanzte sich die Begeisterung fort, hinaus durch die Hallen und<span class="pagenum" id="Seite_182">[182]</span> -Höfe, die Straßen und Plätze. Das war die Weihestunde des -neuen Reiches.</p> - -<p>Aber der Kampf auf Frankreichs Feldern und um seine -Hauptstadt dauerte noch immer fort, bis in der letzteren die -Not auf das äußerste gestiegen war: Übermütiger Trotz konnte -hier nicht weiter nützen. Am Abend des 23. Januar fuhr durch -die Straßen von Versailles ein Wagen, der wohl vordem dem -kaiserlichen Hofe gehört haben mochte, aber das Wappen daran -war beseitigt worden. Drei Männer saßen darin, der hagere, -bleiche Advokat Jules Favre, dessen kleiner, beweglicher Schwiegersohn, -der Maler Martinez de Rio und Graf d’Hérisson. In -der Rue de Provence, vor dem Hause der Frau Jessé, hielt das -Gefährt, die Insassen stiegen aus und gingen langsam die Treppen -nach dem ersten Stockwerk hinan. Sie wurden von den -Ministerialbeamten empfangen und erhielten an Bewirtung, was -eben aufzutreiben war, dann bat Bismarck Favre und den Grafen -d’Hérisson, bei ihm in den kleinen Salon einzutreten.</p> - -<p>An einem runden Tisch saßen die drei, und Bismarck bot -seinen Gästen Zigarren an, welche vor ihm standen. Beide lehnten -dieselben ab, und lächelnd bemerkte der Kanzler:</p> - -<p>»Sie tun unrecht daran; wenn man eine Unterredung beginnt, -die zu heftigen Auseinandersetzungen führen kann, ist es -doch besser, beim Zwiegespräch zu rauchen. Die Zigarre paralisiert, -indem man sie hin und her dreht und nicht fallen lassen -will, einigermaßen die körperliche Erregung und stimmt uns -milder, man fühlt sich behaglich und macht sich eher Konzessionen.«</p> - -<p>Der bleiche, hagere französische Abgeordnete saß etwas zusammengebeugt -in seinem Stuhle, der Kanzler in seiner Kürassieruniform -aufrecht und stattlich. Er führte die Verhandlungen in -einem ausgezeichneten Französisch, welches Graf d’Hérisson geradezu -mit Verwunderung anhörte. Jules Favre glaubte an die Unterredung<span class="pagenum" id="Seite_183">[183]</span> -von Schloß Ferrières wieder anknüpfen zu können, aber -Bismarck bemerkte höflich:</p> - -<p>»Sie vergessen, daß unsere Lage heute bereits eine andere -ist wie damals. Wenn Sie an Ihrem Grundsatze festhalten: -›Keinen Zollbreit unseres Gebietes, keinen Stein unserer Festungen,‹ -so ist es überflüssig, weiter darüber zu sprechen. Meine Zeit -ist kostbar, die Ihrige auch, und ich sehe nicht ein, weshalb wir sie -vergeuden sollten.«</p> - -<p>Es handelte sich um die Bedingungen des Waffenstillstandes, -und der redegewandte Franzose bot alles auf, dieselben den Verhältnissen -gemäß günstig zu gestalten. Aber er fand einen überlegenen, -eisernen Gegner. Übergabe der Außenforts von Paris, -Kriegsgefangenschaft der Verteidigungstruppen, Entwaffnung der -Nationalgarde und Einmarsch deutscher Truppen in Frankreichs -Hauptstadt – das waren die wesentlichsten Forderungen des -Kanzlers.</p> - -<p>Jules Favres bleiches Gesicht rötete sich vor innerer Erregung, -er strich sich die wirren weißen Haare aus der Stirn -und begann aufs neue mit dem Versuche, eins und das andere -abzudingen. Daß deutsche Soldaten durch die Straßen von Paris -marschieren sollten, war dem Franzosen ein besonders unerträglicher -Gedanke, und er bestürmte Bismarck, indem er an dessen -Großmut appellierte und auf die tiefe Verletzung der französischen -Nationalehre hinwies, darauf zu verzichten. Auch die Entwaffnung -der Nationalgarde erschien dem Vertreter Frankreichs als -tief demütigend und kränkend, und er bat dringend, von dieser -Forderung abzustehen.</p> - -<p>Der Kanzler sah ihn ernst an und erwiderte nach einer -kleinen Pause:</p> - -<p>»Ich will Ihnen in dem letzten Punkte entgegenkommen, -aber glauben Sie mir, Sie begehen eine Dummheit. Sie werden<span class="pagenum" id="Seite_184">[184]</span> -selbst noch mit den Gewehren zu rechnen haben, die Sie den -exaltierten Menschen lassen wollen.«</p> - -<p>»Und Paris soll nicht verschont bleiben vor dem Schmerz -einer Invasion Ihrer Truppen?«</p> - -<p>»Ich würde Ihnen auch hier ein Zugeständnis zu machen -bereit sein,« sprach der Kanzler, »aber der König und die Generale -bestehen darauf. Das ist die Belohnung für unsere Armee. -Wenn ich nach der Rückkehr in die Heimat einem armen Teufel -mit einem Stelzfuß begegnen werde, dann wird er sagen: Das -Bein, das ich vor den Mauern von Paris gelassen habe, gab -mir das Recht, meine Eroberung zu vervollständigen; dieser -Diplomat, der im Besitze seiner gesunden Gliedmaßen ist, hat -mich daran verhindert. – Wir können uns dem nicht aussetzen, -in diesem Punkte das öffentliche Gefühl zu verletzen. Wir werden -in Paris einziehen, aber nicht über die Elyséischen Felder hinausgehen, -und dort die Ereignisse abwarten. Wir werden auch den -60 Bataillonen der Nationalgarde, welche zuerst gebildet wurden -und Sinn für Ordnung haben, die Waffen belassen.«</p> - -<p>»Und wir dürfen wohl annehmen, daß in den abzuschließenden -Waffenstillstand auch die von Garibaldi zu unserer Unterstützung -herbeigeführte Armee eingeschlossen werde?«</p> - -<p>In das Antlitz Bismarcks stieg eine wärmere Röte, sein -ernstes Auge blitzte auf.</p> - -<p>»Diese Truppen sind für uns keine völkerrechtlich anerkannte -Heeresmacht; das sind Banden, die unter die Kategorie Ihrer -Freischärler fallen, mit ihnen werden wir nicht paktieren. Haben -wir uns auch veranlaßt gesehen, uns mit ihnen zu schlagen, so -mag man uns doch nicht zumuten, durch ein solches Zugeständnis -ihnen eine Berechtigung zuzuerkennen, sich in den Streit zweier -großen Nationen zu mischen.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_185">[185]</span></p> - -<p>Der gewaltige Recke war in heftige und zornige Erregung -gekommen, und der Graf d’Hérisson, der ein schweigender Zeuge -dieser ganzen Szene war, gedachte jetzt der Äußerung, welche -Bismarck vorher getan. Mit einem raschen, kühnen Entschlusse -faßte er den auf dem Tisch stehenden kleinen Teller mit Zigarren -und bot mit einer ehrerbietigen Verbeugung dieselben dem Kanzler -dar. Einen Augenblick sah ihn Bismarck einigermaßen erstaunt -an, dann flog ein Schimmer von Verständnis über sein Gesicht, -wie ein leichtes Lächeln spielte es um seinen Mund, und er sagte:</p> - -<p>»Sie haben recht, Kapitän, es führt zu nichts, sich zu ereifern -… im Gegenteil!«</p> - -<p>Und als Jules Favre mit erneuter Wärme sich für den -Waffenstillstand mit Garibaldi verwendete, wurde ihm derselbe -auch tatsächlich noch zugestanden.</p> - -<p>Die Verhandlungen dauerten auch in den nächsten Tagen -noch fort. Am Abend des 26. Januar aber fuhr der kaiserlich -französische Wagen mit dem abgekratzten Wappen wieder vor dem -Hause in der Rue de Provence vor, und in verbindlicher Weise -geleitete Bismarck seine Gäste zu demselben. Die stattliche, stolze -Gestalt in der Kürassieruniform sah achtungsgebietend aus neben -der etwas zusammengebeugten hageren und schlotterigen Erscheinung -des Pariser Advokaten, dem der Kanzler freundlich die -Hand reichte. Ein Mitgefühl erfaßte ihn für den Mann, der -doch auch im Dienste seines Volkes und seiner Heimat unter den -mißlichsten Verhältnissen wirkte, und er sprach:</p> - -<p>»Ich glaube nicht, daß, nachdem wir so weit gekommen, ein -Abbruch der Verhandlungen möglich wäre. Wenn Sie derselben -Ansicht sind, wollen wir heute abend das Feuer einstellen.«</p> - -<p>In den Augen des Franzosen leuchtete ein Strahl dankbarer -Freude auf, als er erwiderte:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_186">[186]</span></p> - -<p>»Da ich das Unglück habe, das besiegte Paris zu vertreten, -wollte ich nicht um eine Gunst bitten, so sehr mir dies am Herzen -lag. Ich nehme gern Ihr Anerbieten an; es ist der erste Trost, -den ich in unserem Unglück empfinde. Es war mir ein unerträglicher -Gedanke, daß unnützes Blut vergossen wird, während wir -über die Bedingungen eines Waffenstillstandes verhandeln.«</p> - -<p>»Nun wohl, so lassen wir beiderseits Befehl ergehen, daß -das Feuer um Mitternacht schweigt.«</p> - -<p>Die Nacht brach ein, da und dort war der Himmel gerötet -von Feuersglut, die Kanonen donnerten zornig gegeneinander, -um die zwölfte Stunde aber ward es mit einmal still. Ein -letzter dröhnender Schuß von der Seinestadt herüber, und kein -deutscher Schuß gab die Antwort mehr darauf … Tiefe, beinahe -ergreifende Ruhe lag über dem nächtlichen Lande.</p> - -<p>Die Waffen hörten nun überhaupt auf zu sprechen, und am -21. Februar trafen die neugewählten Häupter der jungen französischen -Republik im deutschen Hauptquartier ein, nachdem sich -vorher die Kapitulation von Paris vollzogen hatte; es waren -<em class="gesperrt">Jules Favre</em> und der greise, redegewandte und diplomatisch -erfahrene <em class="gesperrt">Adolf Thiers</em>.</p> - -<p>So saßen sie abermals um den runden Tisch, der kleine -Franzose mit dem glatten, geistvollen Gesicht und den klugen -Augen, die hinter glänzenden Brillengläsern hervorschauten, der -hagere, blasse Jules Favre und Bismarck in seiner einfachen -Uniform mit dem Eisernen Kreuze auf der breiten Brust. Daß -den Franzosen die Bedingungen, unter welchen ihrem Lande der -Friede gewährt werden sollte, hart erschienen, ist begreiflich, aber -der Kanzler wußte, was er notwendig begehren mußte: Die -Herausgabe von Elsaß-Lothringen mit den Festungen Belfort und -Metz und eine Kriegsentschädigung von 6 Milliarden Francs.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[187]</span></p> - -<p>Wenn Thiers jemals den Ruf eines überaus beredten Mannes -gerechtfertigt hat, so war es in jenen Stunden, da er alles -aufbot, um wenigstens einigermaßen glimpflichere Bedingungen zu -erhalten. Wenn auch Elsaß-Lothringen preisgegeben werden mußte, -so suchte er doch Metz und Belfort für Frankreich zu retten und die -Kontribution zu verringern. Im letzteren Punkte gab Bismarck -nach und ging von sechs Milliarden Francs auf fünf herab, im -übrigen aber blieb er fest. Bündig, klar und höflich setzte er -dies in seinem gewandten Französisch den beiden Gegnern auseinander, -und angesichts dieser unerschütterlichen Festigkeit geriet -Thiers in heftigere Erregung, so daß er sich zu der Äußerung -hinreißen ließ:</p> - -<p>»<em class="antiqua">Ah, c’est une spoliation véritable, c’est une indignité</em>« -(Ach, das ist ja ein wahrhafter Raub, eine Schlechtigkeit!).</p> - -<p>Bismarck hielt den Vertretern des gedemütigten, schwer getroffenen -Frankreich viel zugute, aber das ging über das Maß -dessen hinaus, was er als Vertreter Deutschlands sich bieten -lassen durfte. Er erhob sich von seinem Sitze, richtete sich hoch -auf, sah den kleinen, erregten Franzosen durchdringend an und -sagte dann kühl und gemessen in deutscher Sprache:</p> - -<p>»Ich bedaure, aus der mir unverständlichen Äußerung, -welche Sie soeben getan, entnehmen zu müssen, daß ich des -Französischen nicht so mächtig bin, als es wünschenswert wäre, -um unsere Verhandlungen in französischer Sprache fortsetzen zu -können. Wir werden uns deshalb der deutschen Sprache bedienen -müssen, um so mehr, da ich keinen Grund erkennen kann, weshalb -wir dies nicht von Anfang an getan haben. Ich werde -mir gestatten, die von uns gestellten Bedingungen des Friedens -noch einmal zusammenzufassen.«</p> - -<p>Während er das letztere tat, saß Thiers zusammengesunken -in seinem Stuhle, Favre aber war aufgesprungen, mit erregten<span class="pagenum" id="Seite_188">[188]</span> -Händen durch das graue Haar gefahren, dann eilte er nach -einer Ecke des Gemaches und drückte sein Haupt an die Wand.</p> - -<p>Endlich faßte sich Thiers. Ein Zug des Unmuts ging über -sein Gesicht, dann erhob er sich, trat an einen anderen Tisch, ergriff -hastig die Feder und schrieb einiges nieder auf ein Blatt -Papier, welches er nun Bismarck reichte.</p> - -<p>»Ist es das, was Sie wünschen?« fragte er mit vor Erregung -heiserer Stimme.</p> - -<p>Bismarck warf einen Blick auf das Geschriebene, ein verbindliches -Lächeln huschte über seine ernsten Züge, und indem er -sich langsam in seinen Sessel niederließ, sprach er:</p> - -<p>»Auf dieser Grundlage können wir die Verhandlungen auch -in französischer Sprache wieder aufnehmen.«</p> - -<p>Aufs neue begann Thiers wegen Belfort zu unterhandeln -mit dem Aufgebot seines ganzen Patriotismus, mit seiner wärmsten -Beredtsamkeit, aber der Kanzler blieb auch jetzt voll höflicher -Festigkeit, und tiefatmend sagte der Franzose:</p> - -<p>»Nun denn – Sie wollen, daß wir durch das Joch gehen, -und unsere ganze Unterhandlung ist leerer Schein. Belfort ist -eine rein französische Stadt; wollen Sie uns dieselbe nehmen, -so heißt das einen Vernichtungskrieg gegen Frankreich führen. -Nun gut, führen Sie ihn – wir aber werden Sie bis zum -letzten Atemzug bekämpfen, wir werden vielleicht erliegen, aber -nicht entehrt sein!«</p> - -<p>Das leidenschaftliche Pathos des Franzosen hatte etwas Erschütterndes, -und selbst Bismarck empfand dies. Er versicherte -sich der Genehmigung seines Kaisers und Königs, dann ließ er -den Abgeordneten Frankreichs die Wahl, ob sie Belfort behalten -oder sich den Einmarsch deutscher Truppen in ihre Hauptstadt, -gegen welchen sie gleichfalls remonstrierten, gefallen lassen wollten. -Sie zogen das letztere vor.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_189">[189]</span></p> - -<p>Ein Sonntag war es, der 28. Februar, als der Friedensvertrag -in Versailles unterzeichnet wurde in Gegenwart der Vertreter -Bayerns, Württembergs und Badens. Die goldene Feder -des Pforzheimer Fabrikanten fand die ihr zugedachte Verwendung. -Tiefes, ehrfurchtsvolles Schweigen, wie es dem Unglück gegenüber -geboten war, herrschte in dem Raume, als Adolf Thiers -sich niederbeugte auf das bedeutsame Dokument. In den Augen -des greisen französischen Staatsmannes schimmerte es feucht, als -er wieder aufsah, Bismarck aber war an ihn herangetreten, und -indem er ihm herzlich die Hand reichte, sprach er:</p> - -<p>»Sie sind der letzte, welchem Frankreich diesen Schmerz hätte -auferlegen sollen, denn Sie unter allen Franzosen haben ihn am -wenigsten verdient.«</p> - -<p>Der 1. März war angebrochen, und um die Mittagszeit -dieses Tages hatte Paris ein Schauspiel, das seine Bewohner -mächtig erregte und ergrimmte.</p> - -<p>Durch den <em class="antiqua">Arc de Triomphe</em>, den Siegesbogen, zogen die -deutschen Truppen in Frankreichs Hauptstadt ein. Ein herrliches, -erhebendes Bewußtsein erfüllte die Brust der Braven, die hier -endlich die Genugtuung hatten, daß die Schmach gebüßt sei, die -Frankreich zu Anfang des Jahrhunderts ihren Vorfahren angetan. -Stramm und kraftvoll marschierten die Kolonnen, donnerndes -Hurrarufen durchbrauste die Luft, die Waffen glänzten, -die Helme blinkten, und stumm, mit mühsam verhaltenem Groll -stand das Volk von Frankreich in den Straßen und schaute auf -die Sieger. Da ritt eine mächtige Gestalt heran in der Uniform -der Kürassiere, das Eiserne Kreuz auf der Brust. Unter dem -Stahlhelm blitzten ernst und scharf die Augen umher, und wie aus -Erz gegossen saß der Recke im Sattel.</p> - -<p>Ein Murmeln und Murren ging durch die Neugierigen: -»Da ist Bismarck!«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_190">[190]</span></p> - -<p>Die rückwärts Stehenden reckten sich höher, die Augen wurden -finsterer und drohend, der Kanzler aber sah hinein in die wogende -Menge, ruhig und kühl, wandte dann sein Roß herum und beugte -sich herab zu einem Manne, der ihn mit feindlicher Gehässigkeit -anstarrte.</p> - -<p>»Monsieur, darf ich Sie um etwas Feuer für meine Zigarre -bitten?« sprach er mit Liebenswürdigkeit, und der Angesprochene -war so verblüfft, daß er mit französischer Gefälligkeit dem Wunsche -des Reiters entsprach. – –</p> - -<p>Nur wenige Tage noch weilte der Kanzler auf dem Boden -von Frankreich; am 6. März reiste er mit seinem König nach -der Heimat zurück, das Herz erfüllt von Sehnsucht nach den -Seinen. Und als in den Morgenstunden des 9. März der Zug -in Berlin einfuhr, stand er schon am Fenster des Kupees, und -schaute hinaus nach den teuren Gesichtern. Und da standen sie, -die er suchte: die geliebte Frau, die herzige Tochter, und zwischen -beiden Graf Herbert in der Uniform mit dem Eisernen Kreuz. -Nach wenigen Sekunden war er bei ihnen.</p> - -<p>»Da habt ihr euren Ollen wieder!«</p> - -<p>Das war das humorvolle Wort, in dem er die gewaltige -freudige Bewegung seiner Seele verhüllte, als er seine Lieben -umarmte.</p> - -<p>Am nächsten Tage war er bereits wieder in Frankfurt a. M. -Hier fand die große Tragödie des gewaltigen Krieges ihren endgültigen -Abschluß durch Unterzeichnung des Friedensvertrages. -Die alte, stolze Stadt hatte sich festlich geschmückt, und durch ihre -Straßen wogte eine freudig bewegte Menge.</p> - -<p>Vor dem Hotel »Zum Schwanen« staute sich die Masse; -hier verkehrten die Staatsmänner, welche bei diesem Nachspiel -agierten, und man wollte sie sehen, vor allen den einen, den -Kanzler des neuen Deutschen Reichs. Interesse hatte man indes<span class="pagenum" id="Seite_191">[191]</span> -für alle. Jetzt kam die hagere Gestalt Jules Favres und schritt -langsam durch die Menge, und nicht lange nach ihm erschien der -Erwartete. Die Kraftgestalt Bismarcks trat aus dem Tore; -das mächtige Haupt auf den breiten Schultern ragte über die -herandringende Menge, und begeisterte Zurufe schollen ihm entgegen. -Langsam schritt er durch die Straße, und der Jubel klang -ihm nach, wohin er ging, bis er plötzlich in eine Gasse abbog und -in einem kleinen, freundlichen Hause verschwand.</p> - -<p>»Wer wohnt hier? Zu wem geht er?« fragte es in der Menge.</p> - -<p>»Hier wohnt der Maler Becker! – Ah, das ist hübsch, daß -er hierher geht!«</p> - -<p>Ja, er war gekommen, in Erinnerung an die alten, freundlichen -Beziehungen die ihm lieben Leute, seine »Sonnenscheinfamilie« -zu begrüßen. Diesmal brachte er selbst den Sonnenschein -mit in das anmutige Künstlerheim, und mancher Anklang -längst verklungener Stunden tauchte wieder auf. Wie war doch -alles anders geworden, seit er als Bundestagsgesandter hier in -Frankfurt gelebt und sich mit seinen süddeutschen Kollegen und -mit dem österreichischen Präsidenten herumgeärgert hatte.</p> - -<p>Wenige Tage später erhielt er seine Erhebung in den Fürstenstand, -die Ehrengabe seines dankbaren Kaisers und Königs, der -ihm außerdem einen erblichen Grundbesitz im Herzogtum Lauenburg -verlieh. Und am 20. März sprach in dem neueröffneten -ersten deutschen Reichstage Kaiser Wilhelm die schönen Worte:</p> - -<p>»Wir haben erreicht, was seit der Zeit unserer Väter für -Deutschland erstrebt wurde: Die Einheit und deren organische -Gestaltung, die Sicherung unserer Grenze, die Unabhängigkeit -unserer nationalen Rechtsentwicklung. Möge die Wiederherstellung -des deutschen Reiches für die deutsche Nation auch nach innen -das Wahrzeichen neuer Größe sein; möge dem deutschen Reichskriege, -den wir so ruhmreich geführt, ein nicht minder glorreicher<span class="pagenum" id="Seite_192">[192]</span> -Reichsfriede folgen, und möge die Aufgabe des deutschen Volkes -fortan darin beschlossen sein, sich in dem Wettkampfe um die -Güter des Friedens als Sieger zu bewähren. Das walte Gott!«</p> - -<p>Wenn irgendeiner in tiefster Seele dies kaiserliche Wort -nachempfand, so war es der Reichskanzler, der mit dem Bewußtsein, -daß er mit seiner Kraft redlich das Seine zum bisherigen -Gelingen des großen Werkes getan habe, das stille Gelöbnis -verband, im Dienste seines Vaterlandes und seines Kaisers unermüdlich -weiterzuarbeiten.</p> - -<p>»<em class="antiqua">Patriae inserviendo consumor!</em> Im Dienste des Vaterlands -will ich aufgehen!«</p> - -<p>Am 16. Juni feierte Preußen und des neuen Reiches Hauptstadt -die Heimkehr der Sieger. Wiederum kamen sie von dem -Brandenburger Tor herangezogen, und zwischen zujubelnden -Menschenmassen zogen sie einher, geschmückt mit Kränzen und -grünen Reisern, und die breite Straße Unter den Linden war -überflutet von wehenden Fahnen, geschmückt mit bunten Teppichen -und Tüchern, mit Laubgewinden und Blüten. Wie schlugen die -Herzen all der Tausende höher, als vor ihrem greisen Heldenkaiser -die herrlichen drei, Bismarck, Moltke und Roon, einherritten, -und nun der alte, weißhaarige Sieger kam und mit seinem -milden, freundlichen, von tiefer Bewegung leuchtenden Antlitz auf -sein Volk herniederschaute, das immer neu in endlose Jubelrufe -ausbrach, die lawinengleich fortbrausten und immer noch anzuschwellen -schienen. Hinter dem Kaiser ritten die beiden Feldmarschälle, -Kronprinz Friedrich und Prinz Friedrich Karl, und -mit ihnen ein glänzender Zug der deutschen Fürsten. Das war ein -Festtag, wie er kaum jemals in Berlin erlebt worden war, -und selbst die hereinbrechende Nacht machte der Begeisterung, dem -festlichen Wogen kein Ende. In allen Straßen und Gassen -leuchtete es auf mit dem Beginnen des Abends, aus allen<span class="pagenum" id="Seite_193">[193]</span> -Fenstern strahlte Lichtglanz, und auch das fernste, kleinste Haus, -auch das schlichte Mansardenstübchen wollte heute nicht zurückbleiben.</p> - -<div class="figcenter illowp60" id="illu-200"> - <img class="w100" src="images/illu-200.jpg" alt=""> - <div class="caption"> -<div class="left"> -<em class="antiqua">Eis. Kanzler V.</em> -</div> -<div>Wilhelm II. und Bismarck in Friedrichsruh.</div></div> -</div> - -<p>Um das Palais des Kaisers wogte die Menge am dichtesten; -Vaterlandslieder und stürmische Hochrufe schollen durch diese einzige -Sommernacht, und wie ein Echo klang es verhallend herüber aus -der Wilhelmstraße, wo Tausende und Abertausende um das Palais -des Kanzlers sich zusammenfanden zu stürmischen Huldigungen. -Beim strahlenden Lichterschein aber flatterte eine mächtige Fahne -aus der Wohnung Bismarcks, und was auf ihr geschrieben stand, -rief immer aufs neue das herrliche Dichterwort hinein in die -Herzen der begeisterten Menge:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,</div> - <div class="verse indent0">In keiner Not uns trennen und Gefahr!</div> - </div> -</div> -</div> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="Elftes_Kapitel"><span class="smaller">Elftes Kapitel.</span><br> -Des neuen Reiches Kanzler.</h2> -</div> - -<p>Im freundlichen Badeorte Kissingen war die Saison in -vollem Gange, und der Sommer des Jahres 1874 hatte auch die -anmutige bayrische Stadt nach gewohnter Weise lieblich und festlich -herausgeputzt, und zahlreiche Gäste aus allen Weltgegenden -suchten hier Genesung und Erholung. Zu Anfang des Juli war -auch der deutsche Reichskanzler hier eingetroffen und bildete beinahe -den mächtigsten Anziehungspunkt des schönen Kurorts, dessen -zweifellos berühmtester Besucher er war. Wo er ging und fuhr, -blieb man stehen, drängte man sich näher heran, freute man sich -seines Grußes und war man stolz, wenn man eines Wortes von -ihm gewürdigt wurde.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_194">[194]</span></p> - -<p>An einer Straßenbiegung stand um die Mittagszeit des -13. Juli eine größere Anzahl von Damen und Herren. Man -wußte, daß der Kanzler um diese Zeit hier vorüber nach seiner -Wohnung im Hause des Dr. Diruff fahren werde. Zwei vornehm -aussehende Herren gingen langsam auf und ab in lebhaftem -Gespräche; der eine sagte:</p> - -<p>»Deutschland darf mit Recht stolz sein auf ihn; er ist der -größte Staatsmann, welchen es vielleicht jemals besessen hat.«</p> - -<p>»Wissen Sie, daß eine solche Anerkennung gerade aus Ihrem -Munde besonderen Wert hat?« sagte der andere.</p> - -<p>»Weshalb?«</p> - -<p>»Weil Sie Österreicher sind, und dazu noch ein begeisterter -Österreicher, bei dem es schwer wiegt, wenn er das Jahr 1866 -Bismarck vergibt und seine Größe so voll anerkennt.«</p> - -<p>»Ja, der Schlag von damals hat uns weh getan, und ich -habe wie Tausende meiner Landsleute ihm gegrollt, aber zuletzt -muß ruhige Überlegung und vorurteilslose Betrachtung seiner -Erfolge ihm die Herzen gewinnen, zumal aller, die deutsch reden -und empfinden, ob sie im neuen Reiche oder in Österreich wohnen. -Wie herrlich hat er es verstanden, mit den ehemaligen Gegnern -an der Donau seinen Frieden zu machen; seinen Bemühungen -war im Jahre 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser von -Deutschland, Österreich und Rußland in Berlin zu danken, und -was dieselbe für den europäischen Frieden bedeutet hat, wissen -wir alle.«</p> - -<p>»Gewiß, aber nicht minder bewundere ich als Engländer -seine Tatkraft und Energie der Anmaßung Roms gegenüber. -Das Konzil, das die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma gemacht -hat, hat viel Unheil gebracht und hätte dem protestantischen -Kaisertum eine schwere Schädigung zufügen können, wenn Bismarck -nicht wie der getreue Eckart zum Schutze der Rechte der<span class="pagenum" id="Seite_195">[195]</span> -Krone und des deutschen Volkes eingetreten wäre. Die Maigesetze -(vom 15. Mai 1873) haben der römischen Anmaßung einen -Damm gesetzt. Die katholischen Priester sollen bei ihrer ganzen -Ausbildung und die geistlichen Oberhirten bei deren Anstellung -eingedenk bleiben, daß sie nicht außerhalb der Nation stehen, -sondern zu dieser sich zu zählen haben. Aber verzeihen Sie – -Sie sind selbst Katholik –«</p> - -<p>»Aber ein solcher, der das Wort: ›Gebt dem Kaiser, was -des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist,‹ verstanden zu haben -meint, und dem die Äußerung Bismarcks in der Sitzung vom -14. Mai 1872: ›Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehn -wir nicht!‹ die Seele erfreut und erwärmt hat – doch sehen Sie, -hier kommt er!«</p> - -<p>Die beiden Männer standen still und sahen in der Richtung -nach der Saline hin, von woher ein offener Wagen heranrollte. -Im Fond lehnte der Kanzler, mit dem gewohnten breitrandigen -Schlapphute auf dem mächtigen Haupte, und dankte freundlich -den Grüßen, welche von allen Seiten her ihm entgegengebracht -wurden.</p> - -<p>Die zwei Herren zogen ebenfalls ihre Hüte ab, als der -Wagen vorüberfuhr, dann sahen sie ihm nach und kehrten zu -ihrem Gespräche zurück. Plötzlich vernahmen sie einen Knall, -kurz und scharf, und der Engländer rief:</p> - -<p>»Das war ein Schuß!«</p> - -<p>Gleich darauf eilten beide in der Richtung hin, woher der -Schall gekommen war, dem Wagen Bismarcks nach. An einer -der nächsten Straßenecken bereits drängte sich eine dichte Menge -Volkes, geballte Fäuste hoben sich in die Lüfte, und nun wurde -auch ein bleicher, aufgeregter junger Mensch dahergeschleppt, -gegen welchen sich drohend der Unmut und Zorn der Menge -wendete.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_196">[196]</span></p> - -<p>»Er hat auf Bismarck geschossen – der Hund!« So lief -es unheimlich von Mund zu Mund – dazwischen klangen Fragen -nach dem Kanzler.</p> - -<p>»Er ist an der Hand verwundet, die er zum Gruße gehoben -hat.«</p> - -<p>Der Wagen, in welchem Bismarck gesessen, hatte angehalten, -er selbst war ausgestiegen, und um ihn drängten sich nun alle. -Freudig begeisterte Zurufe mischten sich mit lebhaften Kundgebungen -der Teilnahme und des heiligen Zornes, und immer -dichter scharte es sich um ihn her, als wollten alle eine Mauer -bilden zum Schutze um den teuren Mann, und wenig fehlte, so -wäre er im Triumphe heimgetragen worden.</p> - -<p>Entsetzt und erschreckt vernahm die Gräfin sowie Komtesse -Marie, was geschehen war, und wie einst in Berlin, so war er -selbst auch hier am meisten gefaßt und ruhig. Er ließ sich den -Attentäter vorführen. Dieser war ein Böttchergeselle aus Magdeburg, -namens Kullmann, der durch die fanatischen Worte seines -Pfarrers zu seinem Verbrechen getrieben worden war und unumwunden -eingestand, daß er Bismarck habe töten wollen wegen -der von demselben ausgegangenen Kirchengesetze.</p> - -<p>Mit einer Mischung von Abscheu und Mitleid betrachtete -der Kanzler den irregeleiteten Burschen, der auch aus deutschem -Blute entsprossen war und in seiner Verblendung die Mörderfaust -heben konnte gegen einen Mann, der in allem, was er -tat, nur seines Volkes Ehre und seines Vaterlandes Größe im -Auge hatte.</p> - -<p>Die Aufregung, welche durch das freundliche Kissingen ging, -war groß, gewaltiger noch jene, welche das ganze deutsche Land -durchzitterte. An dem Abend des unseligen Tages aber fanden -sich Tausende von Menschen ein vor dem freundlichen Hause des -Dr. Diruff, um ihrem Herzen Luft zu machen und ihre Liebe<span class="pagenum" id="Seite_197">[197]</span> -und Begeisterung für Bismarck zum Ausdruck zu bringen. -Stürmische Hochrufe brausten empor; man wollte den Mann -sehen, welchen die Huld des Himmels so augenscheinlich behütet -hatte, und endlich trat er heraus auf den Balkon, tiefbewegt -über die Kundgebungen treuer Anhänglichkeit und liebender -Teilnahme.</p> - -<p>Er winkte mit der unverwundeten Hand – man verstand, -daß er sprechen wolle, und tiefe, feierliche Stille lag ringsum. -In diese hinein klang die ruhige sonore Stimme, weithin vernehmbar:</p> - -<p>»Ich danke Ihnen herzlich für die wohltuende Teilnahme, -die Sie mir bekunden, und die mich herzlich freut. Es geziemt -mir nicht, weiteres über den heutigen Vorgang zu reden. Die -Sache ist dem Urteil des Richters übergeben. Das aber darf -ich wohl sagen, daß der Schlag, der gegen mich gerichtet war, -nicht meiner Person galt, sondern der Sache, der ich mein Leben -gewidmet habe: der Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands. -Und wenn ich auch für die große Sache hätte sterben -müssen, was wäre es weiter gewesen, als was Tausende unserer -Landsleute betroffen hat, die vor drei Jahren ihr Blut und -Leben auf dem Schlachtfelde ließen! Das große Werk aber, -das ich mit meinen schwachen Kräften habe beginnen helfen, -wird nicht durch solche Mittel zugrunde gerichtet werden, wie -das ist, wovor Gott mich gnädig bewahrt hat. Es wird vollendet -werden durch die Kraft des geeinigten Volkes. In dieser Hoffnung -bitte ich Sie, mit mir ein Hoch zu bringen dem geeinigten -deutschen Volke und seinen verbündeten Fürsten!«</p> - -<p>Begeistert und aus bewegten Herzen stimmte die Menge in -den Ruf ein, der in allen Gauen Deutschlands frohen Widerhall -fand.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_198">[198]</span></p> - -<hr class="tb"> - -<p>Wer in den siebziger Jahren in die Hauptstadt des deutschen -Reiches kam, konnte wohl erstaunt und erfreut sein über die -Rührigkeit, die sich auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens -zeigte, wie über die Verschönerungen auf den Plätzen und in den -Straßen, durch Gebäude und Denkmäler. Am Sedanstage 1873 -war das imposante Siegesdenkmal auf dem Königsplatze eingeweiht -worden, im nächsten Jahre die herrliche Nationalgalerie; das -Zeughaus hatte durch einen Umbau hervorragend an Schönheit -und monumentaler Bedeutung gewonnen, Museen und Galerien -wuchsen aus der Erde empor, und unter den Denkmälern war es -besonders jenes der unvergeßlichen Königin Luise, welches Auge -und Herz gefangen nahm.</p> - -<p>Und wer nach Berlin kam, verabsäumte auch nicht, nach -der Wilhelmstraße zu wandern, um das schlichte Palais zu sehen, -in welchem der Mann wohnte, der »Deutschland in den Sattel -gehoben hatte«, und dem es zu danken war, daß es im Völkerrate -eine hervorragende, ja, die erste Rolle spielte. Das konnte zumal -einem Besucher klarwerden, der in den Junitagen des Jahres 1878 -nach der Wilhelmstraße kam und sah, wie in den Mittagsstunden -ein Wagen nach dem anderen heranrollte, und hörte, wer die -Besucher des Reichskanzlerpalais waren. Die Staatsmänner -sämtlicher europäischen Großmächte fanden sich hier zusammen zu -wichtigen Beratungen, und wenn wir in den vornehmen, doch -einfachen Sitzungssaal einen Blick werfen, sehen wir den österreichischen -Kanzler Grafen Andrassy in seiner goldstrotzenden -Husarenuniform neben dem russischen Kanzler Grafen Gortschakoff, -der durch seine glänzenden Brillengläser mit seinen klaren, scharfen -Augen Umschau hält; ihm zur Seite steht Graf Schuwaloff, der -russische Botschafter, im Gespräche mit dem hageren englischen -Ministerpräsidenten Beaconsfield, und dem italienischen Gesandten -Grafen Corti; der Charakterkopf des Lords Odo Russel taucht<span class="pagenum" id="Seite_199">[199]</span> -neben den mit dem Fez bedeckten Häuptern von Mohammed Ali -Pascha und Karatheodori Pascha auf; mit dem ungarischen -Grafen Caroly konversieren lebhaft die Gesandten Frankreichs, -Waddington und Desprez … und unter all diesen bedeutenden -Persönlichkeiten steht Graf Bismarck, hervorragend durch seine -äußere Erscheinung sowie durch seine Stellung, welche ihm in -diesem Kreise angewiesen ist.</p> - -<p>Das ist der <em class="gesperrt">europäische Friedenskongreß</em>, -welcher auf Bismarcks Anregung zusammengetreten ist, um nach -Beendigung des im Jahr 1877 geführten Krieges zwischen Rußland -und der Türkei weitere feindselige Verwicklungen fernzuhalten, -und der deutsche Kanzler ist der Präsident des Kongresses -und leitet die Verhandlungen mit seiner sicheren Ruhe und -energischen Klarheit. Und Europa durfte ihm Dank dafür wissen. -Er wollte dabei nicht mehr sein als »der ehrliche Makler«, und -das Wort hat er redlich eingelöst.</p> - -<p>Der Kongreß war aber zu einer Zeit zusammengetreten, da -das Herz des Kanzlers noch blutete unter dem Nachklang -ungeheurer Freveltaten, welche das ganze deutsche Volk tief -erschüttert hatten.</p> - -<p>Schon am 11. Mai nachmittags hatte ein verkommenes -Individuum, der Klempnergeselle Hödel, ein Attentat verübt gegen -den greisen Kaiser Wilhelm, aber Gott hatte schützend seine -Hand gehalten über dem geweihten, vielgeliebten Haupte.</p> - -<p>Da geschah das Unglaubliche, Ungeheure zum zweiten Male. -Als Kaiser Wilhelm am 2. Juni die Straße Unter den Linden -dahinfuhr, fielen aus dem zweiten Stockwerk des Hauses Nr. 18 -rasch nacheinander zwei Schüsse. Zahlreiche starke Schrotkörner -drangen in Kopf, Arm und Rücken des greisen Helden, der blutüberströmt, -auf seinen Leibjäger gestützt, im offenen Wagen dahinfuhr,<span class="pagenum" id="Seite_200">[200]</span> -während die zornig erregten Zuschauer des entsetzlichen -Vorgangs in das Haus eindrangen, von welchem aus der Attentäter -gefeuert hatte. Die Tür seines Zimmers wurde aufgesprengt, -einige Offiziere, Kriminalschutzleute und andere Personen -drangen ein, noch zwei Schüsse krachten ihnen entgegen, am Ofen -des Gemaches aber lehnte mit blutigem Antlitz ein Mensch, der -nach seiner Freveltat bereits Hand an sich selbst gelegt hatte. -Rasch war er überwältigt und in Haft gebracht, und es ergab -sich, daß er der Landwirt <em class="antiqua">Dr. phil.</em> Nobiling war, und ebenso -wie Hödel durch die fanatische Verhetzung der Sozialdemokratie -zu dem furchtbaren Verbrechen veranlaßt worden war.</p> - -<p>Wie ein Lauffeuer war die entsetzliche Kunde durch Berlin -geflogen, der Telegraph hatte sie fortgetragen durch die Welt und -hatte sie schnell genug auch nach dem stillen Friedrichsruh gebracht, -wo der Kanzler an der Gürtelrose erkrankt war. Da -schreckte er empor, er vergaß seine Krankheit und eilte an das -Schmerzenslager seines teuren, greisen Herrn. Noch sah er die -Wunden auf dem geliebten Angesicht, und Schmerz, heiliger Zorn -und glühende Hingebung erfaßten den gewaltigen Mann. Er -fühlte, wie es ihm heiß in die Augen stieg, aber er gelobte sich -auch in dieser Stunde auszuhalten bei seinem Kaiser, solange -ihn dieser nicht entlassen würde.</p> - -<p>Aber auch dem furchtbaren Feinde galt es zu Leibe zu gehen, -der das Mark des deutschen Volkes zu vergiften sich bemühte, und -der durch seine verhetzenden Grundsätze deutschgeborenen Männern -die Mordwaffe gegen ihren Kaiser in die Hand gedrückt hatte – -der Sozialdemokratie. Und unter dem Eindruck der fluchwürdigen -Tat Nobilings stimmte der Reichstag dem von dem Kanzler ihm -vorgelegten Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie zu.</p> - -<p>Wie ein zorniger Löwe war er eingetreten für dies Gesetz, -das dem Schutze des friedlichen Bürgers dienen sollte, und ergreifend<span class="pagenum" id="Seite_201">[201]</span> -klangen die Worte, welche er im Reichstage sprach, durch -alles deutsche Land:</p> - -<p>»Wenn die sozialistischen Agitatoren den Leuten, die zwar -lesen, aber nicht das Gelesene beurteilen können, glänzende Versprechungen -machen, dabei in Hohn und Spott, in Bild und Wort -alles, was ihnen bisher heilig gewesen ist, als einen Zopf, als -eine Lüge darstellen, alles das, was unsere Väter und uns mit -dem Motto: »Mit Gott für König und Vaterland!« geführt und -begeistert hat, als eine hohle Redensart, als einen Schwindel hinstellen, -ihnen den Glauben an Gott, den Glauben an unser Königtum, -die Anhänglichkeit an das Vaterland, den Glauben an die -Familienverhältnisse, an den Besitz, an die Vererbung dessen, -was sie für ihre Kinder erworben, ihnen alles das nehmen, so -ist es doch nicht allzu schwer, einen Menschen von geringem -Bildungsgrade dahin zu führen, daß er schließlich mit Faust -spricht: »Fluch sei der Hoffnung, Fluch dem Glauben und Fluch -vor allem der Geduld!« Ein so geistig verarmter und nackt -ausgezogener Mensch, was bleibt dann dem übrig, als eine wilde -Jagd nach sinnlichen Genüssen, die allein ihn noch mit diesem -Leben versöhnen können! Wenn ich zu dem Unglauben gekommen -wäre, der diesen Leuten beigebracht ist – ja, meine Herren, ich -lebe in einer reichen Tätigkeit, in einer wohlhabenden Situation; -aber das alles könnte mich doch nicht zu dem Wunsche veranlassen, -einen Tag länger zu leben, wenn ich das, was der Dichter -nennt: »an Gott und bessere Zukunft glauben«, nicht hätte. – -Rauben Sie das dem Armen, dem Sie gar keine Entschädigung -gewähren können, so bereiten Sie ihn eben zu dem Lebensüberdruß -vor, der sich in ruchlosen Taten äußert, wie wir sie soeben erlebt -haben.«</p> - -<p>In jenen Tagen tiefgehender Erregung war ihm der Frieden -seines Hauses und Heims doppelt wertvoll, und die Stunden im<span class="pagenum" id="Seite_202">[202]</span> -Kreise seiner Familie, im vertrauten Verkehr mit Freunden und -selbst parlamentarischen Gegnern an seinem Herde boten manche -Anregung und Erholung.</p> - -<p>Wilhelmstraße 76! Es ist ein ziemlich einfaches, mäßig -großes Gebäude, dies Wohnhaus des deutschen Reichskanzlers -in Berlin, in dessen erstem und einzigem Stockwerk der größte -deutsche Mann der Gegenwart sein Heim hatte.</p> - -<p>Es war Herbst geworden in dem unseligen Jahre 1878, -und die Bäume in dem Parke hinter dem Palais haben angefangen -sich zu verfärben. Unter ihnen schreitet der Kanzler -hin, und wie einst als Knabe, so freut er sich auch jetzt noch -der Schönheiten der Natur, wo immer sie ihm begegnen. Hier -ist für ihn in dem geräuschvollen, lärmenden Berlin eine freundliche -Oase. Aus den Kronen uralter, stammgewaltiger Buchen -und Linden singen die Vögel, dichtes, noch immer grünes Buschwerk -umsäumt die Wege, und in der herrlichen, von stattlichen -Rüstern überwölbten Allee schreitet der Kanzler hin neben der geliebten -Frau, der Gefährtin seiner Tage, seinem guten Kameraden.</p> - -<p>Die Frau des Hauses ist zwar heute besonders beschäftigt, -denn am Abend gilt es Gäste zu empfangen zu einer der beliebten -parlamentarischen Soireen, aber etwas Zeit bleibt für den Gatten, -der so manches in ihr treues, verschwiegenes Herz niederlegt, ehe -er mit anderen darüber verhandelt. Ein Stündchen ist zwischen -den grünen Gehegen rasch genug vergangen, und Bismarck geht -nach seinem Arbeitszimmer. Es ist nicht besonders groß, einfach, -aber geschmackvoll in seiner ganzen Ausstattung. Über dem -großen Schlafsofa hängen mehrere Porträte, darunter vor -allem jene des kaiserlichen Herrn im Zivilanzuge, wie in Generalsuniform; -von einer anderen Wand schaut das Bild König -Ludwigs II. von Bayern her, es fehlen nicht in breiten goldenen -Rahmen die lebensgroßen Porträte der beiden gewaltigen Hohenzollern,<span class="pagenum" id="Seite_203">[203]</span> -des Großen Kurfürsten und Friedrichs II., aber auch der -Gegenwart wird ihr Recht. Über dem Mahagonistehpult sehen -die freundlichen Augen der Fürstin Bismarck herab, und in -ovalem Goldrahmen prangt an der Wand das in Öl ausgeführte -Porträt der Komteß Marie. Auch das Gipsmedaillon des treuen -Genossen, des Generals Moltke, fehlt nicht.</p> - -<p>In der Mitte des Raumes steht der umfangreiche Schreibtisch, -davor zwei Polsterlehnstühle, in deren einem der Kanzler -sich langsam niedergelassen hat. Er lehnt sich noch einmal sinnend -zurück und läßt den Blick über den Tisch hinschweifen, an dem -so manches bedeutsame Schriftstück die letzte Vollendung erhalten -hat. Seine Hand hat einen der großen Bleistifte gefaßt und -gleitet mit diesem über das rote Löschpapier, das auf der grünen -Tuchunterlage ruht. Vor ihm stehen mancherlei Erinnerungen: -Ein Briefbeschwerer aus einer 1866 eroberten Kanone, und ein -anderer, zu dem ein französisches Geschütz das Material geliefert -hat, und anderes mehr.</p> - -<p>Das Signal »der Fürst ist im Arbeitszimmer« ist durch -das Haus gegangen, und es währt nicht lange, so erscheint der -Geheime Legationsrat Lothar Bucher, ein Herr von etwa sechzig -Jahren mit einem vornehmen Gesichte und klaren, verständigen -Augen, der seit 1864 ein treuer und gediegener Mitarbeiter -Bismarcks geworden ist; er hält dem Kanzler Vortrag, und -nimmt seine Weisungen entgegen. Und von dem kleinen Arbeitszimmer -Bismarcks aus laufen all die tausend Fäden, die mit -der Regierung eines großen Reiches verknüpft sind.</p> - -<p>So kommt der Abend, und der Kanzler hat daran zu denken, -daß er die Pflichten des gastfreundlich liebenswürdigen Wirtes -zu üben hat.</p> - -<p>Um die neunte Stunde belebten sich die Räume der ersten -Etage. Abgeordnete von allen Parteischattierungen stiegen die<span class="pagenum" id="Seite_204">[204]</span> -teppichbelegten Treppen hinan, vorüber an zahlreichen Dienern -in schwarzweißer Livree, und betraten das behagliche, freundliche -Empfangszimmer, wo der Hausherr nebst seiner Gemahlin sie bereits -begrüßte und den meisten herzlich die Hand drückte. Flüchtig -streiften die Augen der Ankommenden durch den hellen Raum, und -manch einer ließ sie auf dem springenden Hasen, der auf dem -Büfett stand, haften.</p> - -<p>Da es sich just etwas um den Hausherrn lichtete, und die -Besucher in das Billardzimmer traten, fragte einer derselben -flüchtig, was wohl dieser »Meister Lampe« für eine besondere -Bedeutung habe.</p> - -<p>»Ja, sehen Sie, dieser Hase ist brünett,« sagte lächelnd der -Kanzler.</p> - -<p>»Brünett?«</p> - -<p>»Ja, er hat einen dunkelbraunen Kopf und Rücken, während -seine Verwandtschaft gelb ist. Er war der einzige Brünette unter -fünfzehnhundert, die wir an dem Tage schossen.«</p> - -<p>Durch die offene Tür warfen die Besucher einen Blick in -das Arbeitszimmer des großen Staatsmannes, ehe sie in die -eigentlichen Gesellschaftsräume traten und sich in denselben verteilten. -Es herrschte bald der heiterste und zwangloseste Verkehr, -die weißen Glacéhandschuhe verschwanden, in den Nischen der -Fenster, an den kleinen Tischen, überall bildeten sich plaudernde -Gruppen, während die Diener den Tee herumreichten. Frack und -Uniform verkehrten friedlich und gemütlich, sowie die Vertreter -aller Fraktionen selbst. Da saß der kleine, bewegliche Exminister -von Hannover, Windthorst, zusammen mit dem liberalen Forckenbeck, -der Zentrumsführer Reichensperger mit dem mitunter boshaften -Lasker, und Scherzworte gingen hin und her.</p> - -<p>Der Verkehr zog sich mehr nach dem länglich runden Speisesaale -mit seinen gelben Marmorwänden, von dessen Decke der<span class="pagenum" id="Seite_205">[205]</span> -altertümliche Kronleuchter mit Messingreifen und Glasperlen herniederhängt, -während von der Wand eine Anzahl siebenarmiger -Bronzeleuchter ihr Licht hinwerfen über das belebte Bild. In -diesem Raume war das Büfett aufgestellt, das gar manches Verlockende -darbot, und bald sah man die Gäste da und dort beisammen -stehen mit ihrem Teller in der Hand, während behaglichere -sich zusammensetzten, und die herumgehenden Diener aus -prächtigen silbernen Humpen das schäumende Bier einschenkten.</p> - -<p>Der liebenswürdige Gastgeber aber tauchte mit seiner breiten -Gestalt bald da, bald dort auf, unter der machtvollen Stirne -leuchteten die Augen so frei und freundlich, und überall fand er -das rechte Wort, um die Stimmung zu beleben, und beim Zusammentreffen -der Gegensätze jede feindselige Spitze abzubrechen. -Zuerst hatte das Gespräch noch eine vorwiegend politische Färbung -gehabt im Anschlusse an die erregten Debatten über das Sozialistengesetz.</p> - -<p>»Großen Nutzen erwarten wir von dem Gesetze nicht, Ausnahmegesetze -sind immer bedenklich!« hatte ein oppositioneller Abgeordneter -bemerkt, und Bismarck, welcher es vernahm, erwiderte:</p> - -<p>»Mit der bloßen Abwehr der sozialistischen Umtriebe ist es -freilich nicht getan, es muß auch an die positive Heilung der -sozialistischen Schäden gegangen werden. Der Staat muß sich -des kleinen Mannes, der arbeitenden Klassen annehmen und ihnen -helfen!«</p> - -<p>»Aber das ist ja Staatssozialismus!« rief eine Stimme.</p> - -<p>»Halt, meine Herren, so möchte ich es nicht bezeichnen, es -ist vielmehr praktisches Christentum, denn meines Erachtens sollte -ein Staat, der seiner großen Mehrzahl nach aus aufrichtigen -Bekennern des christlichen Glaubens besteht, auch bemüht sein, -den Armen, Schwachen und Alten zu helfen.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_206">[206]</span></p> - -<p>Aber schon schweift der Blick des Kanzlers wieder durch den -Kreis seiner Gäste. Auf einem alten Herrn bleibt er haften, das -war ein Verbindungsbruder aus der fröhlichen Göttinger Studentenzeit, -und mit dem Glase in der Hand trat der Fürst an ihn -heran: »Auf das alte Blau-Rot-Gold der Göttinger Hannovera, -Herr Korpsbruder!« und kräftig klingen die Gläser zusammen.</p> - -<p>Gleich darauf wendete er sich einer Gruppe von Herren zu, -deren heiteres Lachen ihn an ihren Tisch zog.</p> - -<p>»Der vortreffliche Rehrücken verleitet zu Jagdgeschichten, -und der Herr Kollege X. verübt ein beneidenswertes Jägerlatein!« -sagte einer der Herren. Bismarck ließ sich bei ihnen -nieder.</p> - -<p>»Hören Sie, meine Herren, da kann ich mir’s nicht versagen, -just in Ihrem Kreise – und Sie repräsentieren Frankfurt-Nassau -– eine Jagdgeschichte zu berichten, die Ihren Landsmann, -den »dicken Daumer« mitbetrifft. Vielleicht ist einem oder dem -anderen unter Ihnen erinnerlich, daß derselbe von einer beständigen -und gewaltigen Todesfurcht gepeinigt wurde und durchaus nicht an -das Sterben erinnert sein wollte. Eines schönen Herbstmorgens -bin ich mit ihm bei Frankfurt auf der Jagd gewesen. Als wir -hoch im Gebirge Rast hielten, fand ich zu meinem Schrecken, -daß ich mich nicht mit einem Frühstück versehen hatte. Der -»dicke Daumer« aber zog mit Behagen eine mächtige Wurst -hervor, von welcher er mir in großmütiger Weise die Hälfte -anbot. Er begann zu schmausen, mit einem beneidenswerten, in -meiner Situation aber sehr bedauerlichen Appetit, denn er war -bereits in meine Hälfte seiner Wurst hineingeraten. Ich hätte -vor Wehmut Frankfurterisch reden mögen. Da frage ich ihn -denn so von ungefähr:</p> - -<p>»Ach, sagen Sie mir, Her Daumer, was is doch des Weiße -da unne, was aus de Zwetschebaim herausschaut?«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[207]</span></p> - -<p>»Gott, Exzellenz, da möchte eim ja der Appetit vergehe – -des is der Kirchhof.«</p> - -<p>»Aber, lieber Daumer, da wollen wir uns doch beizeiten -ein Plätzchen suchen, da muß sich’s wunderbar friedlich ruhn.«</p> - -<p>»Nu, Exzellenz, nu leg’ i awer die Wurscht weg.« Der -dicke Daumer blieb bei seinem Entschlusse, und ich hatte mein -ordentliches Frühstück!«</p> - -<p>Unter dem allgemein anhaltenden Lachen war Bismarck aufgestanden -und bereits zu einer anderen Gruppe getreten. Hier -wurde eben erzählt, daß ein bekannter Herr mit dem Pferde gestürzt -sei, und er bemerkte:</p> - -<p>»Ich glaube, daß es nicht reicht, wenn ich sage, daß mir -das wohl fünfzigmal passiert ist. Vom Pferde fallen ist nichts, -aber mit dem Pferde, so daß es auf einem liegt, das ist schlimm. -Dabei habe ich mir in Varzin einmal drei Rippen gebrochen. Das -Seltsamste aber, was ich in dieser Beziehung erlebte, war das: -Ich war mit meinem Bruder auf dem Heimwege, und wir ritten, -was die Pferde laufen wollten. Da hört mein Bruder, der -etwas voraus war, auf einmal einen fürchterlichen Knall: Es -war mein Kopf, der auf die Chaussee aufschlug. Mein Pferd -war von der Laterne eines entgegenkommenden Wagens gescheut -und mit mir zusammengefallen, und zwar auch auf den Kopf. -Ich verlor zuerst die Besinnung, und als ich wieder zu mir kam, -hatte ich sie nur halb wieder. Das heißt, ein Teil meines Denkvermögens -war ganz gut und klar, die andere Hälfte war weg. -Da mein Sattel zerbrochen war, nahm ich das Pferd des Reitknechts -und ritt nach Hause. Als mich da die Hunde zur Begrüßung -anbellten, hielt ich sie für fremde Hunde und schalt auf -sie. Dann sagte ich, der Reitknecht sei mit dem Pferde gestürzt, -man solle ihn doch auf einer Bahre holen, und war sehr böse, -als sie das auf einen Wink meines Bruders nicht tun wollten.<span class="pagenum" id="Seite_208">[208]</span> -Ich wußte nicht, daß ich ich war, und daß ich mich zu Hause befand, -oder vielmehr, ich war ich und auch zugleich der Reitknecht. -Ich verlangte nun zu essen, dann ging ich zu Bette, und als ich -am Morgen ausgeschlafen hatte, war alles wieder gut.«</p> - -<p>Nun wurden im Saale die Zigarren angebrannt, der Kanzler -aber bat sich aus, seine Pfeife rauchen zu dürfen; behaglich stiegen -die blauen Wölkchen gegen die Decke, und die Stimmung der -Gäste wurde immer lebendiger.</p> - -<p>»Eine hocherfreuliche Eintracht zwischen Nord- und Süddeutschland!« -rief der Fürst lachend an einem Tische, wo Abgeordnete -von diesseits und jenseits des Mains sich in heiterster -Weise unterhielten und eben mit den gefüllten Gläsern anstießen. -»Lassen Sie mich dieselbe mitfeiern!«</p> - -<p>»Ihr Verdienst, Durchlaucht!« rief einer der Gäste.</p> - -<p>»Na, wie man’s nimmt! Der Himmel hat’s zum Segen -gewendet. Aber wissen Sie, wäre der Krieg von 1866 uns mißglückt, -so hätte ich als Soldat den Tod gesucht, denn ich bin -überzeugt, daß mich sonst die alten Weiber in Berlin mit nassen -Handtüchern totgeschlagen hätten.«</p> - -<p>»Ihr Empfinden in weltgeschichtlich bedeutenden und entscheidenden -Momenten muß aber doch jederzeit ein erhebendes -und gewaltiges gewesen sein, Durchlaucht,« bemerkte ein Abgeordneter, -»wie war Ihnen wohl zumute, als Sie mit Kaiser -Napoleon nach Sedan zusammentrafen?«</p> - -<p>»Ja, sehen Sie, meine Herren, das ist nun fast wunderlich. -Als ich in dem Stübchen des Weberhauses bei Donchery mit -ihm zusammensaß, war mir so wie als jungem Menschen auf -dem Balle, wenn ich ein Mädchen zum Kotillon engagiert hatte, -mit dem ich kein Wort zu sprechen wußte, und das niemand abholen -wollte.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_209">[209]</span></p> - -<p>So verrann die Zeit in dem gastfreundlichen, liebenswürdigen -Hause, und um die elfte Stunde brachen die Besucher allmählich -auf. Der Fürst reichte jedem freundlich die Hand und vergaß -nicht, ein herzliches »Auf Wiedersehen« beizufügen.</p> - -<p>Der letzte Gast ist gegangen; der Kanzler steht einige Augenblicke -allein in dem Teezimmer und stützt die Hand auf einen -kleinen Mahagonitisch, auf welchem eine Metallplatte angebracht -ist mit der Inschrift: »Auf diesem Tische ist der Präliminarfriede -zwischen Deutschland und Frankreich am 26. <span id="corr209">Februar</span> 1871 -zu Versailles, Rue de Provence Nr. 14, unterzeichnet worden.« -Sein Blick fliegt über die Ahnenbilder an der Wand, ein leises -Lächeln huscht um die Mundwinkel, als ob ein angenehmer Gedanke -ihm durch die Seele ziehe, dann tritt er in das kleine anstoßende -Gemach, wo bei traulichem Lampenschimmer seine Gemahlin -mit einigen verwandten Damen sitzt, und bringt noch -einige Zeit in anmutigem Geplauder zu.</p> - -<p>Hierauf sucht er noch einmal sein Arbeitsgemach auf, aber -diesmal nur flüchtig, und tritt von hier aus durch eine Tapetentür -in sein Schlafgemach, wo das von einem rotbekleideten Schirm -umgebene Bett steht, und wo ein behagliches Sofa mit einigen -Polsterlehnsesseln, eine kleine Mahagonikommode und ein alter -Holzschrein an der Wand die einfache Einrichtung vervollständigen.</p> - -<p>Der Kanzler tritt noch einmal an das einzige Fenster, schiebt -den Wollvorhang zurück und sieht hinaus. Leise verhallend klingt -der Lärm der auch in der Nacht nicht rastenden Großstadt hierher, -aber er stört nicht, und hoch am Himmel blinken die tausend -und abertausend Sterne. Der einsame Mann aber betet im -frommen Aufblick in tiefster Seele:</p> - -<p>»Vater im Himmel, schütze Reich und Kaiser!«</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_210">[210]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Zwoelftes_Kapitel"><span class="smaller">Zwölftes Kapitel.</span><br> -In Ehren und Schmerzen.</h2> -</div> - -<p>Am Abend des 1. März 1885 ging durch Berlin eine freudige -Erregung. Es war der Vorabend des siebzigsten Geburtstages -des Reichskanzlers, und die Hauptstadt rüstete sich, denselben -festlich zu begehen. Zumal Unter den Linden, in der Wilhelmstraße -und in allen angrenzenden Straßen bis zum Kreuzberg hinauf -drängten und fluteten Hunderttausende durcheinander, um den -großartigen Fackelzug zu sehen, den die Verehrung der Vertreter -eines ganzen Volkes dem großen Staatsmann darbrachte.</p> - -<p>An den verschiedensten Punkten hatten sich die Teilnehmer -gesammelt, und um die siebente Stunde fanden sich die einzelnen -Züge im Lustgarten zusammen, und dann strömte es hinein in -die breite Straße Unter den Linden, um zuerst an dem Königsschlosse -vorüberzudefilieren. Um ½8 kam die Spitze des Zuges -bei demselben an, und weithin schallender Jubel, begeisterter Gesang -der Königshymne verkündete, daß der greise Kaiser sich -seinem Volke zeigte, freudig bewegt über die Kundgebung der -Verehrung, die seinem treuesten Diener dargebracht wurde.</p> - -<p>Eine Viertelstunde später bog der Zug in die Wilhelmstraße ein. -Alle Fenster waren dichtbesetzt von Menschen, die Straße selbst lag -in feierlicher Stille, abgesperrt von jedem Verkehr. Sechs Fanfarenbläser -in reicher Heroldstracht eröffneten den Zug, dann -kamen im Galawagen das Zentralkomitee, zahllose Sänger und -die Vertreter der deutschen Hochschulen mit flatternden Fahnen und -wehenden Bannern, auf welche der rote Schimmer der Fackeln -leuchtete, welche die nebenher Schreitenden trugen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_211">[211]</span></p> - -<p>Vor dem Reichskanzlerpalais bogen die Sänger in den -Schloßhof ein – am Eckfenster erschien die stattliche Gestalt des -Fürsten, und während aus tausend Kehlen wie ein machtvoller -Hymnus das Lied »Deutschland, Deutschland über alles« erklang, -immer aufs neue übertönt von den brausenden Hochrufen, entwickelte -sich der glänzende Zug immer mehr.</p> - -<p>Nun flutete heller Lichtschimmer durch die Straße. Der Zug -der Künstler kam. Alles war in Pracht und Glanz getaucht, und -märchenhaft schön trat aus den wogenden Menschen ein riesenhaftes -Schiff hervor, auf welchem unter einem prachtvollen Baldachin -die imposante Gestalt der Germania sich zeigte, den Goldhelm -auf dem blonden Gelock, das blanke Schwert im Arm, wie -sie freundlich niedersah auf ein Bild des Friedens. Ihr zu Füßen -stehen, in anmutigen Frauengestalten verkörpert, die deutschen -Stämme um den von Adlern geschirmten Thron, und um sie -her bindet der Landmann seine Garben, hämmert der fleißige -Schmied, regt sich Gärtner und Fischer und scharen sich fleißige -Schüler um das engumschlungene liebliche Schwesternpaar Elsaß-Lothringen. -Nach dem Bugspriet zu aber halten deutsche Soldaten, -um ihre Fahnen gereiht, die Friedenswacht.</p> - -<p>Dann kamen, von deutschen Künstlern wirksam dargestellt, -die deutschen Brüder aus den Kolonien, die Bismarck dem Reiche -gewonnen. King Bell auf hohem Kamele reitet ihnen voran, und -ihm folgen die Würdenträger von Kamerun, das wunderliche Volk -der fremden Schlangenbändiger und Sänger, und die drastischen -Gestalten der braunen Landwehrleute, die sich vor dem Kanzler -platt auf die Erde niederwerfen.</p> - -<p>Vorüber! Bei zweihundert Ruderer und Segler bilden die -Einleitung zu den patriotischen Vereinen der Hauptstadt, es folgen -die Innungen mit den festlich geschmückten Bannern; rot glänzt -der Schein ihrer tausend Fackeln, der dunkle Qualm lagert sich<span class="pagenum" id="Seite_212">[212]</span> -breit und wuchtig über dem Bilde, und immer aufs neue folgen -phantastische Prunkwagen, schimmernde Embleme, wunderliche -Transparente und noch immer kein Ende!</p> - -<p>Anderthalb Stunden waren vergangen. Mit den Seinen stand -der Kanzler am Fenster, hochaufgerichtet, die Seele erfüllt von -glücklichem Stolze, von dem freudigsten Bewußtsein der Verehrung -des deutschen Volkes, das ihn in dieser Stunde entschädigte für -manchen herben und bitteren Tag.</p> - -<p>Mit einmal begann es heller zu leuchten als je zuvor. Ein -Schimmer wie von vollem Sonnenlichte flog durch die breite -Straße und über die vielen Menschen leuchtend in weißem Glanze -lagen die Häuser da, und einige Augenblicke schlossen sich die -schier geblendeten Augen. Die Arbeiter der Scheringschen Fabrik -waren es, die mit Magnesiumleuchten heranzogen, und als der -volle magische Lichtglanz die Szene überflutete, da traten die -Sänger, wohl mehr als zweihundert, aus dem Vorhofe des -Schlosses und stimmten machtvoll ergreifend ihr harmonisches Hoch -auf das Geburtstagskind an.</p> - -<p>Da winkte der Kanzler mit der Hand – er wollte sprechen. -In wenigen Augenblicken lag die Stille des Gotteshauses über -der menschenvollen Straße, und die Stimme Bismarcks klang klar -und vernehmlich: »Noch <em class="gesperrt">zehn</em> Jahre wie heute – –«</p> - -<p>Aber schon brauste der Jubel wieder auf bei den ersten -Worten.</p> - -<p>»Zwanzig Jahre – hundert Jahre für den Fürsten! – Hoch -Bismarck! – Hoch der Kanzler!«</p> - -<p>Und mit geradezu elementarer Gewalt brach sich die Begeisterung -Bahn, und Luft und Erde schien zu beben unter dem -Jubelsturm. Immer aufs neue winkte der Gefeierte mit der -Hand, beschwichtigend und dankend zugleich, und wiederum wurde -es still, und seine Stimme klang weithin:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_213">[213]</span></p> - -<p>»Ich danke Ihnen allen aus tiefstem Herzen für die großartige -Ovation, welche Sie mir aus Anlaß meines siebzigsten -Geburtstages dargebracht haben. Das Verdienst, Deutschland -groß und stark zu sehen, gebührt unserem greisen Heldenkaiser, -dem wir jetzt fünfzehn Jahre des Friedens verdanken. Seine -Majestät der Kaiser, er lebe hoch!«</p> - -<p>Wenn die ungeheure Begeisterung überhaupt noch einer -Steigerung fähig war, so trat eine solche jetzt ein. Die ganze -Liebe einer großen, starken, glücklichen Nation drängte sich in -diese riesigen, nie gehörten Rufe der Begeisterung. Das Fest -hatte seinen Höhepunkt erreicht – aber während das aufgeregte -Berlin noch lange in seinem Jubel fortklang und sang, ward es -allgemach still in der Wilhelmstraße, und die Schleier der Nacht -hüllten wieder das Haus ein, das noch vor kurzem vom hellsten -Lichte umflutet war.</p> - -<p>Am Morgen des ersten April schritt der Kanzler langsam -durch die breite Allee seines Parkes. Noch waren die Rüstern -unbelaubt, nur das Moos an den gewaltigen Stämmen schimmerte -grünlich, an dem Gesträuch ringsum aber drängte es bereits -hervor von knospendem Frühlingsweben. Vieles ging durch -die Seele des einsamen Mannes, Erinnerungen an Tage heißen -Kämpfens, aber auch schöne Erfolge.</p> - -<p>Was war nicht durch ihn errungen und geschaffen worden -seit der Erneuerung des Reiches! Das Fundament desselben -schien gesichert gegen die Angriffe von innen und außen. Den Rachegelüsten -Frankreichs war die Spitze abgebrochen worden durch -eine meisterhafte politische Aktion, welche Deutschland mit Österreich -und Italien zu einem Dreibund für Schutz und Trutz vereinte. -Der Kanzler denkt daran, wie er im September 1879 von -Gastein aus nach Wien gefahren, wie ihn die Hauptstadt Österreichs -freundlich sympathisch aufgenommen, und Kaiser Franz<span class="pagenum" id="Seite_214">[214]</span> -Joseph, der um seinetwillen die Jagd in Steiermark unterbrochen -hatte, mit herzlicher Liebenswürdigkeit empfing, in Schönbrunn -ihm zu Ehren ein diplomatisches Diner veranstaltete und ihn dabei -an der Schwelle des Saales als seinen Gast begrüßte. – Das -alles dreizehn Jahre nach Sadowa!</p> - -<p>Der Fürst denkt auch an die Gefahr, die dem neuen Reiche -von der Eifersucht Rußlands drohte, und wie sie unter dem Einfluß -günstiger Umstände und dank seiner klugen diplomatischen -Schachzüge beseitigt worden war; er erinnert sich mit Freude -und Dankgefühl der schönen Stunde, da im September 1884 -auf dem Schlosse Skierniewice sich die Kaiser von Deutschland, -Österreich und Rußland in Freundschaft die Hände reichten -zu einem neuen Dreikaiserbündnis und zu einer Bürgschaft des -europäischen Friedens.</p> - -<p>Und weiter gehen an seinem Geiste vorüber seine Bemühungen, -den Ruhm und Ruf der deutschen Flagge und des deutschen -Namens über die Weltmeere zu tragen und in fernen Weltteilen, -zumal in Afrika, Ländereien und Kolonien zu gewinnen, um dem -deutschen Handel neue Bahnen zu erschließen und ihn zu fördern -und zu heben.</p> - -<p>Er denkt aber auch in dieser Stunde der heißen Kämpfe, -die er mit einzelnen Richtungen der deutschen Volksvertreter im -Reichstage auszustreiten hatte, und wie er manchmal an das -Wort des Altmeisters Goethe erinnert wurde: »Ach, ich bin des -Treibens müde!« Mehr als einmal hat er sein Amt niederlegen -wollen in die Hände seines Kaisers, der aber hatte auf sein -Entlassungsgesuch nur das eine Wort geschrieben: »Niemals!«</p> - -<p>Dem gewaltigen Recken will es feucht und heiß in die Augen -steigen, wenn er des vielgeliebten greisen Herrn denkt, und er -entsinnt sich des Wortes, das er einst vor den Vertretern des -deutschen Volkes gesprochen: »Nachdem ich im Jahre 1878 meinen<span class="pagenum" id="Seite_215">[215]</span> -Herrn und König nach dem Nobilingschen Attentate in seinem -Blute habe liegen sehen, da habe ich den Eindruck gehabt, daß -ich dem Herrn, der seinerseits seiner Stellung und Pflicht vor -Gott und den Menschen Leib und Leben dargebracht und geopfert -hat, gegen seinen Willen nicht aus dem Dienste gehen kann. Das -habe ich mir stillschweigend gelobt.«</p> - -<p>Heute ist er siebzig Jahre alt geworden im Kampf, aber -auch in Ehren. Doch dieser Tag gehört nicht ihm allein, er gehört -dem ganzen deutschen Volke. – Daran denkt er jetzt, und langsam -wendet er seine Schritte dem Hause zu.</p> - -<p>Schon am vorhergehenden Tage waren Glückwünsche und -Geschenke in überreicher Zahl von allen Seiten her eingetroffen, -heute aber kamen deren noch weit mehr.</p> - -<p>Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit schenkte ihm zum -Angebinde den alten Besitz seiner Familie in Schönhausen, -Schloß und Gut, das 1835 an die Familie von Gärtner gekommen -war; die deutschen Papierfabrikanten hatten einen gewaltigen -Eichenschrank gesendet, der in seinen schier zahllosen -Fächern und Schubladen aller Arten Papier und Kuverts, Stahlfedern -und Bleistifte von den kleinsten und dünnsten bis zu den -mächtigen Parlamentsstiften, kurz, alles Schreibmaterial in solcher -Menge enthielt, daß Enkel und Urenkel des Kanzlers es kaum -aufbrauchen werden. Das war ja in den Sälen eine kleine -Industrieausstellung. Dazu der überreiche Blumenschmuck, und -die »Getreuen in Jever«, die alljährlich zu diesem Tage aus dem -Lande der Friesen 101 Kiebitzeier zu senden pflegten, fehlten -natürlich auch diesmal nicht, und hatten ihrer Gabe das hübsche -plattdeutsche Wort beigefügt:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Säbentig Johr lewt,</div> - <div class="verse indent0">Uemmer dütsch strewt,</div> - <div class="verse indent0">Uemmer dütsch dahn:</div> - <div class="verse indent0">Lat wieder so gahn!</div> - </div> -</div> -</div> -<p><span class="pagenum" id="Seite_216">[216]</span></p> -<p>Das Schönste und Liebste aber war doch wohl die Gabe -seines greisen Herrn und Kaisers, jenes prachtvolle, von der -Meisterhand Anton von Werners gemalte Bild, welches die ewig -denkwürdige Szene der Kaiserproklamation im Schlosse zu Versailles -in überaus lebensvoller Weise zur Darstellung brachte.</p> - -<p>Tiefgerührt stand der Kanzler vor dem Gemälde, das ihm -einen der herrlichsten Augenblicke seines Lebens vor die bewegte -Seele stellte, noch mehr aber ergriff ihn das Handschreiben seines -Kaisers, welches der Gabe beigefügt war. Er las es, während -es sich wie ein leiser feuchter Schleier über seine Augen legte. -Es lautete:</p> - -<div class="blockquot"> -<p class="center"> -»<em class="gesperrt">Mein lieber Fürst!</em> -</p> - -<p>Wenn sich im deutschen Lande und Volke das warme Verlangen -zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres siebzigsten Geburtstages -zu <span id="corr216">bestätigen</span>, daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe -des Vaterlandes getan haben, in so vielen dankbaren Herzen lebt, -so ist es Mir ein tiefgefühltes Bedürfnis, Ihnen heute auszusprechen, -wie hoch es Mich erfreut, daß solcher Zug des Dankes -und der Verehrung für Sie durch die Nation geht. Es freut Mich -die für Sie wahrlich im höchsten Maße verdiente Anerkennung -und erwärmt Mir das Herz, daß solche Gesinnungen sich in so -großer Verbreitung kundgetan, denn es ziert die Nation in der -Gegenwart, und es stärkt die Hoffnung auf ihre Zukunft, wenn sie -Erkenntnis für das Wahre und Große zeigt, und wenn sie ihre -hochverdienten Männer ehrt und feiert. An solcher Feier teilzunehmen, -ist Mir und Meinem Hause eine besondere Freude, und -wünschen Wir Ihnen durch beifolgendes Bild auszudrücken, mit -welchen Empfindungen dankbarer Erinnerung wir dies tun; denn -dasselbe vergegenwärtigt einen der größten Momente der Geschichte -des Hohenzollernhauses, dessen niemals gedacht werden<span class="pagenum" id="Seite_217">[217]</span> -kann, ohne sich zugleich auch Ihrer Verdienste zu erinnern. Sie, -mein lieber Fürst, wissen, wie in Mir jederzeit das vollste Vertrauen, -die aufrichtigste Zuneigung und das wärmste Dankesgefühl -für Sie leben wird, Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was -ich Ihnen nicht oft genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß -dieses Bild noch Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen -wird, daß Ihr Kaiser und König und sein Haus sich dessen wohl -bewußt waren, was Wir Ihnen zu danken haben. Mit diesen -Gesinnungen und Gefühlen endige ich diese Zeilen, als über das -Grab hinaus dauernd. Ihr dankbar treu ergebener Kaiser und -König Wilhelm.«</p> -</div> - -<p>Und unter allen den vielen, den hervorragenden Persönlichkeiten, -welche an diesem Tage in das Palais nach der Wilhelmstraße -kamen, war die herrlichste der greise Kaiser selbst. Es -war der weihevollste, ergreifendste Augenblick dieses Tages, als -der Herrscher in tiefer Bewegung seinen treuen Kanzler in die -Arme schloß, als das Haupt Bismarcks sich einige Sekunden an -die Schulter des teuren Herrn lehnte, dem er sich mit Blut und -Leben verpflichtet hatte bis zum letzten Atemzuge.</p> - -<p>Solche Minuten mußten dem Recken neue Kraft geben zu -weiteren Kämpfen, die er herrlich und mannhaft durchfocht zur -Ehre und zum Segen des Deutschen Reiches und Volkes. Immer -wieder das rachelustige Säbelrasseln von Paris her, und auch -in Rußland machte sich eine deutschfeindliche Strömung bemerkbar. -Da galt es beizeiten zu kräftiger Abwehr zu rüsten, -und eine Verstärkung des Heeres zu erlangen. Und das -deutsche Volk widerstrebte der wiederholt vorgetragenen Forderung -nicht, und Bismarck konnte aller Welt das herrliche Wort -zurufen:</p> - -<p>»<em class="gesperrt">Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst -nichts in der Welt!</em>«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_218">[218]</span></p> - -<p>Das war am 6. Februar 1888 gewesen, und das Wort -klang in vieltausend deutschen Herzen wieder, denen in jenen Tagen -ein solcher Trost ungemein not tat. Denn das Unheil hatte sich -leise und heimtückisch herangeschlichen an das Kraftgeschlecht der -Hohenzollern, und des Kaisers herrlicher Sohn, der Kronprinz -Friedrich, »unser Fritz«, siechte fern von der Heimat, in Italien, -an einem furchtbaren Leiden hin, das aller Kunst der Ärzte -spottete. Das griff auch dem greisen Herrscher an Seele und -Leben.</p> - -<p>Er erkrankte in den ersten Tagen des März, und dumpfes, -schmerzliches Bangen erfaßte alle Gemüter.</p> - -<p>Am 8. März hatte der treue Kanzler seinem Herrn noch -einmal kurzen Vortrag gehalten, und die schwache Hand des -kranken Greises, der »keine Zeit hatte, um müde zu sein«, hatte -mit zitternden Händen noch einmal den kaiserlichen Namen unter -das Dokument gesetzt, welches den Schluß des Reichstags verkünden -sollte.</p> - -<p>Tieferschüttert, nahezu hoffnungslos war Bismarck fortgegangen. -Vor dem Palais aber drängten sich Tausende voll Liebe -und Besorgnis, und sie sahen ihm in das ernste Gesicht, das -eisern seine Fassung zu wahren bemüht war.</p> - -<p>Eine endlos lange, bange Nacht verstrich; die Besorgnis -raubte dem Kanzler und manchem anderen die Ruhe, angstvoll -schaute man dem Morgen entgegen, und in dessen Verlaufe geschah -das Traurige. Am 9. März um ½9 Uhr vormittags schied Kaiser -Wilhelm aus dem Leben – nicht lange danach sank die Kaiserstandarte -auf dem Schlosse nieder, und ein ganzes Volk weinte -um seinen liebsten Helden.</p> - -<p>Das waren unvergeßliche Stunden: schmerzerstarrte Männer, -schluchzende Frauen, weinende Kinder überall! Bei dem -edlen Toten aber stand noch einmal an jenem Vormittage des<span class="pagenum" id="Seite_219">[219]</span> -Reiches erster Kanzler. Da ruht der Greis, dem er sich ganz geweiht -hatte, halb sitzend, zurückgelehnt in die weißen Kissen, und -auf dem Antlitz liegt der Zug seligen Friedens, unbeschreiblicher -Ruhe und Milde. Da überwältigt es beinahe den gewaltigen -Mann; ihm stürzen unaufhaltsam die Tränen aus den Augen, und -er braucht sich ihrer nicht zu schämen, denn wer dem stillen, unvergeßlichen -Toten nahte, der mußte weinen im Übermaß eines -Jammers, der das ganze Volk durchzitterte.</p> - -<p>Aber den Kanzler ruft seine Pflicht.</p> - -<p>Um ½10 Uhr erschien er, fest und stark, aufgerichtet und -gefaßt im Reichstagssaale. Er erbat sich das Wort, und unter -tiefem, heiligem Schweigen begann er:</p> - -<p>»Mir liegt die traurige Pflicht ob, Ihnen die amtliche Mitteilung -von dem zu machen, was Sie bereits tatsächlich wissen -werden, daß Seine Majestät der Kaiser Wilhelm heute vormittag -½9 Uhr zu seinen Vätern versammelt worden ist –.«</p> - -<p>Hier drohten die Tränen die Stimme des Redners zu ersticken, -er rang mit seiner Rührung wie ein Held, und fuhr fort:</p> - -<p>»Die Folge dieses Ereignisses ist, daß die preußische Krone -und damit nach Artikel 11 der Reichsverfassung die deutsche -Kaiserwürde auf Seine Majestät Friedrich III., König von Preußen, -übergegangen ist. Nach den mir zugegangenen telegraphischen -Nachrichten darf ich annehmen, daß Seine Majestät, der regierende -Kaiser und König, morgen von San Remo abreisen und in -der gegebenen Zeit hier eintreffen wird.</p> - -<p>Ich hatte von dem Höchstseligen Herrn in seinen letzten -Tagen« – wiederum rannen dem Redner die Tränen über die -Wangen – »in Betätigung der Arbeitskraft, die ihn erst mit -dem Leben verlassen hat, noch die Unterschrift erhalten, welche -vor mir liegt, und welche mich ermächtigt, den Reichstag in der -üblichen Zeit nach Abmachung seiner Geschäfte, das heißt also<span class="pagenum" id="Seite_220">[220]</span> -etwa heute oder morgen, zu schließen. Ich hatte die Bitte an -Seine Majestät gerichtet, nur mit dem Anfangsbuchstaben des -Namens noch zu unterzeichnen, Seine Majestät hatten mir darauf -erwidert, daß Sie glaubten, noch den vollen Namen schreiben -zu können. Infolgedessen liegt dieses historische Aktenstück hier vor.</p> - -<p>Unter den obwaltenden Umständen nahm ich an, daß es -den Wünschen der Mitglieder des Reichstages ebenso wie denen -der verbündeten Regierungen entsprechen wird, daß der Reichstag -noch nicht auseinander geht, sondern zusammen bleibt bis nach -dem Eintreffen seiner Majestät des Kaisers, und ich mache deshalb -von dieser Allerhöchsten Ermächtigung weiter keinen Gebrauch, -als daß ich dieselbe als historisches Denkmal zu den Akten -gebe und den Präsidenten bitte, die Entschlüsse, welche den Stimmungen -und Überzeugungen des Reichstages entsprechen, in dieser -Sitzung herbeizuführen. Es steht mir nicht zu, meine Herren, -von dieser amtlichen Stelle aus den persönlichen Gefühlen Ausdruck -zu geben, mit welchen mich das Hinscheiden meines Herrn -erfüllt. Diese Gefühle bei dem Ausscheiden des ersten deutschen -Kaisers aus unserer Mitte, die mich tief bewegen, leben im Herzen -eines jeden Deutschen. Es ist deshalb nicht nötig, demselben hier -Ausdruck zu geben. Aber eines glaube ich Ihnen dennoch nicht -vorenthalten zu dürfen, nicht von meinen Empfindungen, sondern -von meinen Erlebnissen, die Tatsache, daß inmitten der schweren -Schickungen, welche der von uns geschiedene Herr in seinem -Hause noch erlebt hat, es zwei Tatsachen waren, welche ihn mit -Befriedigung und Trost erfüllten. Die eine war diejenige, daß -die Leiden seines einzigen Sohnes und Nachfolgers, unseres -jetzt regierenden Herrn, in der ganzen Welt Teilnahme erregten. -Ich habe noch heute ein Telegramm aus Neuyork -erhalten, das von Teilnahme erfüllt war und das Vertrauen -beweist, das sich die Dynastie des deutschen Kaiserhauses bei<span class="pagenum" id="Seite_221">[221]</span> -allen Nationen erworben hat. Das ist ein Erbteil, kann ich -wohl sagen, was des Kaisers lange Regierung dem deutschen -Volke hinterläßt. Das Vertrauen, das sich die Dynastie erworben -hat, wird sich auf die Nation übertragen. Die zweite Richtung, -in der Seine Majestät einen Trost gefunden hat bei den schweren -Schickungen, war diejenige, daß der Kaiser auf die Entwicklung -seiner Hauptlebensaufgabe, der Herstellung und Konsolidierung -der Nationalität des Volkes, dem er als deutscher Fürst enge -angehörte, daß der Kaiser auf die Entwicklung, welche die -Lösung dieser Aufgabe inzwischen genommen hatte, mit einer -Befriedigung zurückblickte, die den Abend seines Lebens verschönte -und erleuchtete. Es trug dazu namentlich in den letzten Wochen -die Tatsache bei, daß mit seltener Einstimmigkeit aller Dynastien, -aller verbündeten Regierungen, aller Stämme in Deutschland, -aller Abteilungen des Reichstags, dasjenige beschlossen wurde, -was für die Sicherstellung der Zukunft des Deutschen Reiches -auf jede Gefahr hin, die uns bedrohen könnte, als Bedürfnis -von den verbündeten Regierungen empfunden wurde. Diese -Wahrnehmung hat Seine Majestät mit großem Troste erfüllt, -und noch in den letzten Unterredungen, die ich mit meinem -dahingeschiedenen Herrn gehabt habe – es war gestern – hat -er darauf Bezug genommen, wie ihn dieser Beweis der Einheit -der gesamten deutschen Nation, wie er durch die Volksvertretung -hier verkündet worden ist, gestärkt und erfreut hat. Ich glaube, -meine Herrn, es wird für Sie alle erwünscht sein, das Zeugnis, -das ich aus eigener Wahrnehmung aus den letzten Äußerungen -unseres dahingeschiedenen Herrn ablegen kann, mit in Ihre -Heimat zu nehmen, da jeder einzelne von Ihnen einen Anteil -an diesem Verdienste hat. Die heldenmütige Tapferkeit, meine -Herrn, das nationale Ehrgefühl, die treue, arbeitssame Pflichterfüllung -und die Liebe zum Vaterlande, die in unserem dahingeschiedenen<span class="pagenum" id="Seite_222">[222]</span> -Herrn verkörpert waren, mögen sie ein unzerstörbares -Erbteil unserer Nation sein, das uns der aus unserer -Mitte geschiedene Kaiser hinterlassen hat. Das hoffe ich zu Gott, -daß dies Erbteil von allen, die wir an den Geschäften des -Vaterlandes mitzuwirken haben, im Krieg und Frieden, in Heldenmut -und Hingebung, Arbeitsamkeit und Pflichttreue bewahrt -bleibe.«</p> - -<p>Lautlose Stille folgte den Worten, die Abgeordneten, selbst -jene der sozialdemokratischen Partei, hatten sich von ihren Sitzen -erhoben, der Reichskanzler aber, der sein Schluchzen kaum mehr -verhalten konnte, hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und -schlug die Hände vor das Antlitz. Es war ein erschütternder -Anblick, den gewaltigen Mann, den eisernen Kanzler, weinen zu -sehen um seinen toten Kaiser.</p> - -<p>Der Präsident von Wedell-Piesdorf schloß mit wenigen -Worten die ewig denkwürdige Sitzung, und nun schritt Bismarck -von seinem erhöhten Platze hinab in das Haus. Sein Blick -haftete auf seinem treuen Genossen, dem greisen Feldmarschall -Moltke, der trotz der Nachtwachen, trotz der Anstrengung und -Aufregung der letzten Tage seiner Pflicht getreu, seinen Sitz im -Abgeordnetenhause eingenommen hatte. Er trat dem Kanzler -entgegen, und die Hände der beiden Männer fanden sich zu -einem beredten Drucke. Sprechen konnte zunächst keiner von -ihnen, die Tränen standen beiden in den Augen – es war eine -ergreifende historische Szene. Endlich faßte sich Bismarck, mit -wärmerem Drucke der Hand sprach er, und seine Stimme bebte:</p> - -<p>»Uns beide hält des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr im -Gleise!«</p> - -<p>Der Dienst aber rief den Kanzler zur Begleitung und Heimholung -des neuen Kaisers Friedrich III. Der deutsche Himmel -war nicht freundlich, als der kranke Dulder heimkam. Es war,<span class="pagenum" id="Seite_223">[223]</span> -als liege Trauer und Schmerz ausgebreitet durch das Land und -durch die Lüfte. Als Bismarck, der seinem neuen Herrn bis -Leipzig entgegengefahren war, mit diesem nach seinem Lande, in -die Mitte seines bange und traurig harrenden Volkes eilte, schnob -der Ostwind eiskalt durch die Straßen, und der Sturm wehte -winterliche Flocken wild durcheinander, und in derselben Nacht, -um die Mitternachtsstunde, in der kein Stern vom Himmel -leuchtete, und nur die trübe flackernden, schneeverhüllten Gaslaternen -und tiefrot qualmende Fackeln die erschütternde Szene -erhellten, ward die Leiche Kaiser Wilhelms nach dem Dome -überführt.</p> - -<p>Dem Trauergottesdienst selbst vermochte Bismarck in seiner -tiefen, gramvollen Ergriffenheit nicht beizuwohnen, auch Moltke -blieb fern – beides auf Wunsch des neuen Kaisers, der ja -selbst nicht seinem toten Vater das letzte Geleit geben konnte, -aber am 16. März, als der teure Verblichene hinausgeleitet -wurde nach dem stillen Mausoleum in Charlottenburg, um dort -neben seinen Eltern beigesetzt zu werden, da fehlte der Kanzler -nicht.</p> - -<p>Als der Trauerzug die Schloßterrasse betrat, – es war -etwa um ½4 Uhr, erschien oben an einem Fenster eine hohe -Gestalt in Generalsuniform, das Orangeband des Schwarzen -Adlerordens über der breiten Brust. Die Hand winkte mit dem -Taschentuche wehmutsvolle Grüße, und die stattliche Erscheinung -schien ab und zu wie von gewaltsamem Schluchzen durchbebt zu -werden. So schied der kranke Kaiser Friedrich von dem toten -Kaiser Wilhelm, der Sohn von dem heißgeliebten Vater …</p> - -<p>Nun folgte die Regierung der 99 Tage, und solchen Heldenmut -hat die Welt selten geschaut, wie Kaiser Friedrich ihn zeigte. -»Lerne leiden, ohne zu klagen!« war sein schönes Wort, und treue -Pflichterfüllung bis in den Tod seine schöne Tat.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_224">[224]</span></p> - -<p>In ein freundliches, hohes Gemach des lieblichen, stilltraulichen -Schlosses Charlottenburg fiel der Schimmer des Frühlings. -Vor den Fenstern draußen lachten die Blüten von Baum -und Strauch, und die Vögel jauchzten, der kranke Kaiser aber -saß in seinem Sessel zurückgelehnt, zusammengebeugt, und wendete -das bleiche Gesicht seinem Kanzler zu, der vor ihm saß und ihm -Vortrag hielt. Über das Antlitz Bismarcks lief ab und zu ein -leises Zucken, wie von mühsam unterdrücktem Schmerz, und der -Kaiser fragte:</p> - -<p>»Ihnen ist nicht wohl, lieber Fürst?«</p> - -<p>»Mein altes Nervenleiden, Majestät – die Neuralgie setzt -mir wieder einmal zu, aber man muß darüber wegkommen.«</p> - -<p>Da erhob sich der Herrscher und zog einen Sessel heran; -auf diesen legte er die Füße seines treuen Beraters, und, damit -noch nicht zufrieden, ließ er eine Decke herbeibringen und wickelte -dieselben darin ein. Ein Gefühl tiefer Rührung erfaßte den -Kanzler; der Kaiser, kränker als er selbst, sorgte in so gütiger -Weise für ihn … Der echte Sohn des großen, edlen Hohenzollern, -der ihm Herr und Freund zugleich gewesen war.</p> - -<p>Kaiser Friedrich war nach dem bei Potsdam gelegenen -schönen Friedrichskron übergesiedelt – – aber nur, um dort zu -sterben. Am 14. Juni hatte Bismarck den kaiserlichen Herrn -noch einmal gesehen und noch einmal den warmen Druck -seiner Hand gefühlt; zu sprechen vermochte der große Dulder beinahe -nicht mehr – und einen Tag später starb der edle Fürst.</p> - -<p>Zum zweiten Male in kurzer Frist stand das deutsche Volk -an der Bahre seines Kaisers, und unsagbares Weh durchzitterte -die Brust des greisen Kanzlers. Aber er richtete sich auf in dem -Gedanken, daß in dem Enkel seines großen Kaisers der Geist -desselben fortleben werde, und ihm widmete er nun seine Treue -und Liebe. – – –</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_225">[225]</span></p> - -<p>Zum zweiten Male hatte Deutschland die schmerzliche Erinnerung -an den Tod Kaiser Wilhelms begangen – da fiel in -den Nachklang dieser Stimmung eine Kunde, welche alle Herzen -mächtig bewegte: Im »Reichsanzeiger« vom 20. März 1890 -stand es zu lesen, daß Fürst Bismarck und mit ihm seine -beiden Söhne aus dem Staatsdienst ausgetreten seien. Die -Hand, welche so lange das Staatsschiff sicher und fest geleitet, -zog sich zurück von dem Steuer – was mußte dazu veranlaßt -haben?</p> - -<p>Seltsame Kunden liefen von Mund zu Mund und durch die -Spalten der Blätter – absolut Sicheres war nicht festzustellen. -Eine Meinungsverschiedenheit sei zwischen dem Fürsten und dem -jungen Kaiser entstanden – das war zuletzt alles, was im Bewußtsein -des deutschen Volkes deutlich ward und dieses bis in -die weitesten Schichten hinein schmerzlich berührte.</p> - -<p>In hohen Gnaden entließ Kaiser Wilhelm II. den treuesten -Ratgeber der Hohenzollernkrone – er ernannte ihn zum Herzog -von Lauenburg und zum Generalobersten, aber die Bitterkeit -konnte er nicht bannen aus dem Herzen des Mannes, der die -Empfindung hatte, als solle er in die Verbannung gehen. Aber -er hatte den Trost, daß die Liebe mit ihm ging, wohin er sich -auch wenden mochte.</p> - -<p>Noch einmal hatte der Fürst seinen guten alten Kaiser aufgesucht -in seiner stillen Gruft im Mausoleum in Charlottenburg. -Von ihm mußte er Abschied nehmen, ehe er Berlin verließ, so wie -der treue Soldat, der abkommandiert wird von seinem Posten, -sich noch einmal bei seinem Vorgesetzten meldet. Das freundliche -blaue Licht übergoß den weihevollen Raum und zitterte weich -auf den Marmorbildern, der Kanzler aber war an den Sarkophag -seines heißgeliebten Herrn herangetreten und neigte schwer das -Haupt. Kein Menschenauge hat es gesehen, kein Herz es nachempfunden,<span class="pagenum" id="Seite_226">[226]</span> -was in jener Stunde durch die Seele des gewaltigen -Mannes ging … Dann fuhr er nach Berlin zurück, und nun -– nachdem der heiligsten Pflicht genügt war – hatte er hier nichts -mehr zu tun.</p> - -<p>Am 29. März verließ er das kleine Palais in der Wilhelmstraße, -wovon durch so lange Jahre der Hauch seines Geistes -bewegend und belebend ausgegangen war durch die ganze Welt, -und der Abschied sollte ihm nicht leicht werden. Nicht die Erinnerungen -allein erschwerten dem Fürsten denselben, sondern auch -die gewaltig an ihn herandringende Liebe des Volkes. Was galt -aller Parteizwist in einer solchen Stunde!</p> - -<p>Die Wilhelmstraße vermochte die Menschenmenge nicht zu -fassen, welche am Nachmittage jenes 29. März sie durchwogte. -Um die fünfte Stunde waren die Wagen vorgefahren, und nun -erschien der Kanzler mit den Seinen, einen letzten, bedeutsamen -Blick noch zurückwerfend. Als aber die Tausende, die seiner -harrten, ihn erblickten, da brach ein Brausen und Rufen aus, -eine elementare Begeisterung, in welcher Liebe, Verehrung und -Dankbarkeit ihren Ausdruck suchten. Stürmische Hochrufe wiederholten -sich immer aufs neue, Blumenspenden wurden von hundert -Händen herangereicht, und so dicht wogte die Volksmenge, daß -die Wagen nur langsam zu fahren vermochten. Das war kein -Vergessener und Verstoßener, es war ein Triumphator, der wegzog -von der Stätte jahrzehntelangen Wirkens, um die wohlverdiente -Ruhe zu suchen.</p> - -<p>In allen Straßen dasselbe Bild – die schweigend, in ernster, -wehmütiger Weise harrende Menge, die, sobald der Wagen Bismarcks -herankommt, in endlose begeisterte Rufe ausbricht, die trotz -der zahlreichen Schutzmannschaften durch alle Schranken drängt, -um dem geliebten Manne den letzten Gruß, die letzte Blumenspende -zu bieten.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_227">[227]</span></p> - -<p>So war der Wagen am Lehrter Bahnhof angekommen und -an den kaiserlichen Gemächern vorgefahren. Der Fürst stieg aus, -und in der Vorhalle blieb er stehen, während die Menge der -Nachdrängenden nur mit größter Anstrengung so weit zurückgehalten -werden konnte, daß für den Scheidenden und die Seinen ein -Weg freiblieb; er sah mit feuchtschimmernden Augen noch einmal -zurück und winkte mit der Hand zu Gruß und Dank.</p> - -<p>Hell und warm lag die Frühlingssonne über dem ergreifenden -Bilde; sie blitzte auf den blanken Gardekürassieren, deren eine -Schwadron dem Fürsten das Ehrengeleite gab, auf den Helmen -der Schutzleute und in den Tränen von Hunderten.</p> - -<p>Weiter schritt der Fürst nach den Gemächern, und überall -streckten sich ihm hier die Hände entgegen zu herzlichem Abschied. -Hohe Offiziere, Diplomaten, die Gesandten fremder Staaten, der -neue Kanzler von Caprivi – alle waren sie gekommen, ihm ihre -Verehrung und Freundschaft zu bekunden, und zarte Frauenhände -reichten ihm auch hier immer neuen und herrlicheren Blumenschmuck.</p> - -<p>Nun schritt er langsam hinab nach dem Perron auf blütenüberstreutem -Wege. Der Trompetenklang der Kürassiere erschallte, -an ihrer Front vorüber ging er hochaufgerichtet, selbst in der -Uniform der Seydlitz-Kürassiere, seinem Wagen zu. Nun aber -ließ sich die Menge nicht mehr halten. Durch die geöffneten -Türen der Wartesäle flutete es heraus in breitem Strome und -umringte den Wagen des Gefeierten, in welchem dieser mit den -Seinen in einer Fülle von Blumen Platz gefunden hatte. Mit -einem beinahe wehmutsvollen Blick streift sein Auge über die -herrliche Blumenspende, die mit dem schwarz-weiß-roten Bande -umflochten ist, – der Abschiedsgruß des Kaisers; die Fürstin aber -hat den prächtigen Korb voll Flieders an sich herangezogen, die -Spende der Kaiserin, und neigt sich darüber.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_228">[228]</span></p> - -<p>Nun trat Bismarck wieder an das Fenster und schaute tiefbewegt -hinaus auf die Tausende. Da pfiff die Lokomotive. Ein -brausender, nicht endenwollender Ruf: »Wiederkommen!« durchzitterte -die Luft, der Kanzler aber legte bedeutsam, beinahe unmutig -den Zeigefinger an den Mund. Das letzte Glockenzeichen -erklang, ein Kommando der Kürassiere erscholl, und ehern -standen ihre präsentierenden Reihen, während die Musik einen -Marsch anstimmte. Dazwischen schallte der brausende Gesang der -»Wacht am Rhein«, die immer erneuten Zurufe: »Wiederkommen!« -– »Lebewohl!« und das stürmische »Hoch«, das noch immer -nicht verhallt, als der Zug bereits den Bahnhof verlassen hat und -den Kanzler hinwegführt in die friedliche Stille des Sachsenwaldes.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="Dreizehntes_Kapitel"><span class="smaller">Dreizehntes Kapitel.</span><br> -Im Abendrot.</h2> -</div> - -<p>Wer von Berlin nach Hamburg fährt, passiert den Sachsenwald -mit seinen einzigen, herrlichen Buchenbeständen, die nur da -und dort von dem dunkleren Grün des Nadelholzes unterbrochen -werden. Etwa eine Meile von Hamburg entfernt liegt die Station -<em class="gesperrt">Friedrichsruh</em>, ein kleines Örtchen mitten im Buchenwald, -an dem munteren Flüßchen Aue gelegen. Hier ist die -Residenz des »Herzogs von Lauenburg«, des ersten deutschen -Reichskanzlers. Das Besitztum mit dem reichen Grund und Boden -ringsumher hat ihm die Huld seines alten kaiserlichen Herrn -nach dem großen Kriege im Jahre 1871 geschenkt, hier hat er -seinen Ruhesitz gefunden, nachdem er aus dem Amte und aus Berlin -weggegangen war.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[229]</span></p> - -<p>Sein Schloß, das er eigentlich erst sich erbaut hat, ist nicht -prunkvoll und stattlich, wohl aber traulich und behaglich. Ringsum -rauschen die mächtigen Buchen und verhüllen mit ihren dichten -grünen Kronen das freundliche Haus und lassen beim Näherkommen -nur die rote Umzäunungsmauer des Parkes schauen. -Eine schmale Pforte in derselben führt uns in die anmutige -Idylle hinein; das gelblich getünchte schmucke Wohnhaus lacht -uns entgegen, so gastlich und lieb, daß ein warmes Behagen davon -auszugehen scheint. Auf dem Vorplatze ragt eine mächtige -Tanne empor, ein Riese der Vorzeit, wie ein Symbol der Kraft -des Mannes, der sich hier seinen Herd gebaut hat. Die pyramidenartig -verlaufende Krone hebt sich hoch hinauf nach dem -blauen Himmel. Kein Vestibül nimmt uns auf, aus dem Korridor -geht es sogleich hinein in das Wohnzimmer und in die Reihe -der Familiengemächer, aus deren Fenstern der Blick gern hinausschweift -in den grünen Park, auf spiegelnde Wasserflächen und -prachtvolle Baumgruppen.</p> - -<p>Hier wohnt der Gewaltige, friedlich und still, im Kreise der -Seinen, und sieht wie der Adler aus freier Höhe herab auf das -Treiben seiner Tage und freut sich an der Verehrung und Liebe -des deutschen Volkes, die ihm auch hierher gefolgt ist. Seine -Kinder und Enkel suchen ihm den Abend seiner Tage zu verschönen, -und oft genug kommen Gäste aus allen Teilen Deutschlands -nach dem ruhigen Sachsenwalde.</p> - -<p>Wiederum feierte er seinen Geburtstag. Freundlich war die -Sonne aufgegangen über dem Sachsenwalde, und wenn auch der -Frühling noch nicht seinen Einzug zwischen die Baumriesen gehalten -hatte, so blaute doch der Himmel verheißungsvoll, und an -den Waldrändern läuteten die Blütenglocken.</p> - -<p>Der nahezu achtzig Jahre alte Fürst hatte sich zur gewohnten -Morgenstunde erhoben, frisch und kraftvoll, und hatte mit herzlicher<span class="pagenum" id="Seite_230">[230]</span> -Freude und Dank die Glückwünsche seiner Familie entgegengenommen -sowie jene der bereits eingetroffenen Gäste. Um -die elfte Stunde betrat er das Empfangszimmer, und hier lag -ringsum ausgebreitet die Fülle der Gaben, welche die Liebe des -deutschen Volkes aus allen Gauen des Reiches dem verehrten -Manne übersandt hatte. Hunderte von Kisten waren schon tags -zuvor eingetroffen und ausgepackt worden, und nun stand alles -wohlgeordnet: Erzeugnisse der Kunst und des Gewerbes, Spenden -der Wissenschaft und der fleißigen Frauenhand, und dazwischen -ein Blumenschmuck, als sei in diesem Saale selbst der Frühling -voll erblüht.</p> - -<p>Im tiefsten Herzen ergriffen stand der Reichskanzler inmitten -dieser Spenden, und dann schritt er an ihnen entlang, jedes -einzelne beschauend, an allem sich freuend, gleichviel ob es seinen -Wert an sich hatte oder ihn erst erhielt durch die Liebe des -Gebers.</p> - -<p>Da klangen feierlich und getragen die Klänge eines Chorals -in den Saal; der Fürst horchte einen Augenblick auf, dann trat -er, begleitet von den Seinen, hinaus auf die freundliche Terrasse -auf der Rückseite des Schlosses. Da stand eine Militärkapelle -und spielte die ergreifend fromme Weise, welche das Morgenständchen -einleitete, welches sie dem alten Kanzler darbringen -wollte.</p> - -<p>Es war ein schönes Bild: Im Vordergrunde unter den -alten Bäumen die Musiker in ihren bunten Uniformen, umringt -von einem kleinen Kreise derer, die Zutritt zu dem Parke erlangt -hatten, und jenseits desselben auf grünem Wiesengrunde, der von -den dunklen Rahmen des Föhrenwaldes sich freundlich abhob, -und von welchem aus die Schloßterrasse voll zu überschauen war, -eine bewegte, dichtwogende Menschenmenge, die von nah und -fern herbeigeeilt war. In dem Saale aber, der nach der Terrasse<span class="pagenum" id="Seite_231">[231]</span> -sich öffnete, standen die Festgäste, Herren und Damen, und sahen -mit freudiger Teilnahme auf den herrlichen Mann, der im Interimsrock -der Kürassiere, die weiße Mütze auf dem mächtigen -Haupt, hochaufgerichtet dastand und in den sonnigen Frühlingsmorgen, -in die ihm zulachende Welt hinausblickte.</p> - -<p>Von der Wiese herüber aber brausten in die Klänge der -Musik die lautschallenden, begeisterten Hochrufe der Menge, die -ihn heraustreten sah, und ihm ihren stürmischen Liebesgruß -sandte. Da winkte er mit der Hand hinüber zu freundlichem -Danke, und lauter noch jauchzte die Begeisterung auf.</p> - -<p>Dann trat er auf den Kapellmeister zu und reichte ihm die -Rechte mit leutseligen Worten, und aufs neue erklangen die -Weisen der Musik, jetzt heller und frischer, und ihnen reihten sich -Liederklänge an, denn ein stattlicher Sängerchor aus Hamburg -oder Altona war angekommen und brachte seine Grüße und seine -Huldigung. Und in dem Parke hallte es wider, und die Menge -auf der Waldwiese, deren Zahl immer mehr anwuchs, stand und -lauschte und harrte der Stunde entgegen, da es auch ihr vergönnt -sein würde, den Gefeierten aus größerer Nähe begrüßen zu -können.</p> - -<p>Fast ward es zuviel für den beinahe Achtzigjährigen, und -sein treuer ärztlicher Hüter, Dr. Schweninger, bat endlich für -ihn um ein Stündchen Ruhe.</p> - -<p>So ging der Apriltag hin und kündete dem alten Reichskanzler -immer neu und beredt die Liebe eines ganzen Volkes, -das nicht von ihm lassen konnte, und das immer wiederum alles -dessen gedenken mußte, was Deutschland seinem Bismarck verdankte.</p> - -<p>Nur ein bitterer Tropfen blieb in seiner Seele, eine Verstimmung, -die wie ein Schatten zwischen ihm und dem jungen -Kaiser lag. Er hatte das Empfinden, als hätte ihn derselbe -nicht <em class="gesperrt">so</em>, eben so ziehen lassen dürfen. Was galten ihm die<span class="pagenum" id="Seite_232">[232]</span> -äußeren Ehren, die ihm zum Abschied noch angetan worden -waren, ein Herzenswort und eine Herzenstat hätten ihm weit -schwerer gewogen.</p> - -<p>Das deutsche Volk aber fühlte wie einen kältenden Hauch die -Entfremdung zwischen dem Enkel des großen Kaisers Wilhelm -und dem treuesten Paladin des letzteren, und hoffte in tiefster -Seele, daß auch hier ein Frühlingstag kommen möge, der diesen -Hauch hinwegfegen werde. Und des Volkes Hoffen sollte nicht -betrogen werden.</p> - -<p>Es lebt echtes, hochherziges Hohenzollernblut auch in Kaiser -Wilhelm II., und so war er es, der dem Alt-Reichskanzler die -Hand reichte zum freundlichen Bunde. Durch ganz Deutschland -flog es wie ein warmer Lichtstrahl, als erzählt ward, wie der -Herrscher dem Fürsten, der von einem heftigen Krankheitsanfall -in einem süddeutschen Bade Genesung gesucht hatte, eines seiner -Schlösser für die Zeit der Rekonvaleszenz zum Aufenthalt anbot, -und wie er ihm manche Aufmerksamkeit erwies, wie nicht der -Kaiser seinem Untertan, sondern der Freund dem Freunde sie -zu erweisen bemüht ist, und noch erfreuter schlug des deutschen -Volkes Herz, als die Kunde erscholl, daß Fürst Bismarck nach -Berlin kommen und persönlich dem jungen Herrscher für sein -huldvolles Entgegenkommen danken werde.</p> - -<p>Am 26. Januar 1894 war es, als die erwartungsvolle -Hauptstadt des Reiches der Ankunft des greisen Kanzlers entgegenharrte. -Die Sonne war herrlich aufgegangen, als wolle -sie ihn freundlich mitbegrüßen, und die Straßen vom Lehrter -Bahnhofe nach dem Königlichen Schlosse waren durchwogt von -freudig erregten Menschen. Die breite Straße Unter den Linden -hatte reichen Flaggenschmuck angelegt, vom Zeughaus und dem -Kommandogebäude wehten die Fahnen, und auf dem Königsschlosse -prangte die gelbe Kaiser- und die rote Königsstandarte.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[233]</span></p> - -<p>Immer dichter wurde das Menschengewühl, und lebhafter -wurde die Bewegung, als im hellen Sonnenglanz eine Abteilung -Garde-Kürassiere nach dem Bahnhofe ritt, um das Ehrengeleit -für den Fürsten zu bilden.</p> - -<p>Bald nach den glänzenden Reitern – es war um die -Mittagszeit – fuhr ein offener kaiserlicher Wagen durch die -Straße, umbraust von Hoch- und Hurrarufen: Des Kaisers -Bruder, Prinz Heinrich, fuhr nach dem Lehrter Bahnhofe, um -den Ankommenden im Namen des Herrschers zu begrüßen. Er -dankte mit freudigem Gesichte dem jubelnden Volke und den an -der Moltkebrücke in vollem Wichs aufgestellten studentischen Verbindungen.</p> - -<p>Auf dem Lehrter Bahnhofe hatten sich eine größere Anzahl -hochgestellter Persönlichkeiten und Freunde des Fürsten eingefunden. -Kurz nach ein Uhr fuhr der Zug ein, und Prinz Heinrich -trat auf den Salonwagen zu, an dessen Fenster sich bereits das -markige Antlitz Bismarcks gezeigt hatte. Nun stieg dieser aus, und -der Prinz bewillkommnete ihn auf das herzlichste und bot ihm -seinen Arm.</p> - -<p>Wohl hatte sich die Sonne wieder verhüllt, aber auch das -trübere Licht vermochte dem ergreifenden Bilde nichts von seiner -Wirkung zu nehmen. Auf den Arm des Kaisersohnes gestützt, -schritt der greise Kanzler in seiner Kürassieruniform, langsam, -aber aufrecht einher, das ehrwürdige Angesicht leuchtend vom -Widerschein schöner freudiger Bewegung. Die Tausende aber, -die vor dem Bahnhofe seiner harrten, brachen bei seinem Anblick -in endlose Jubelrufe aus, die sich fortsetzten, wo immer der -kaiserliche Galawagen mit seinen beiden Insassen auftauchte. Die -Fenster des letzteren waren freilich wegen des kalten winterlichen -Hauches und mit Rücksicht auf die Gesundheit des Fürsten geschlossen -worden, aber sein freundliches Gesicht war doch sichtbar<span class="pagenum" id="Seite_234">[234]</span> -hinter den Scheiben und begeisterte das Volk, das in musterhafter -Ordnung in fünf bis sechs Reihen dicht hintereinander stehend -den Mittelweg Unter den Linden besetzt hielt vom Brandenburger -Tor bis an die Brücke.</p> - -<p>Da tauchten die alten Erinnerungen wieder auf an die glanzvollen -Tage, welche Deutschland unter Kaiser Wilhelm I. und -seinem Kanzler geschaut hatte, an den Siegeseinzug von 1866 -und nach 1870, und sehnsuchtsvoller, dankbarer schlugen die Herzen -dem herrlichen Manne entgegen, dessen Name mit jener gewaltigen -Zeit auf ewig verbunden war.</p> - -<p>An allen Fenstern drängten sich die Köpfe, ja, von den -Kandelabern der Straßenlaternen herab schauten neugierig-mutwillige -Knabengesichter, und die Schutzmannschaft nahm es heute -nicht übel, wenn hier und da wohl auch einer auf einem Lindenast -einen Sitz gefunden hatte.</p> - -<p>Die Wachtparade war zur gewohnten Zeit, kurz vor ein Uhr, -mit klingendem Spiele nach dem Schlosse gezogen, und ihre -Musikklänge erhöhten die freudige Stimmung der Menge. Eine -geraume Viertelstunde später blinkten vom Brandenburger Tor -her die Helme der Garde-Kürassiere, und mit ihnen kam ein -Brausen und Rufen, das sich von Mund zu Mund fortpflanzte, -immer anwachsend und immer stürmischer. Eine Abteilung berittener -Schutzleute jagte im stürmischen Ritt über den Reitweg, -näher kamen die Kürassiere, und hinterher der kaiserliche Wagen.</p> - -<p>Viel zu schnell für die Begeisterung der Menge, welche noch -hinter ihm dreinklang, war er vorüber, und die Blicke folgten ihm -nach, wie er seinen Weg verfolgte nach dem königlichen Schlosse zu.</p> - -<p>Im Lustgarten standen die Bürgersteige gleichfalls voll dichtgedrängter -Menschen, die alle nach der Residenz hinüberschauten, -vor deren Eingang sich das bewegte Leben widerspiegelte, das -heute in ihr herrschte. Hofequipagen rollten heran und hinweg,<span class="pagenum" id="Seite_235">[235]</span> -Offiziere und Hofbeamte eilten hin und her, herrlicher Blütenschmuck -mitten im Winter war in reichster Fülle herbeigebracht, -und alles machte den Eindruck, daß man einen lieben, hochzuehrenden -Gast erwarte.</p> - -<p>Die vom zweiten Garderegiment gestellte Ehrenkompagnie -rückte mit klingendem Spiele an und nahm zwischen den beiden -Portalen Aufstellung, und um die erste Mittagsstunde erschien -der Kaiser. Er trug die Kürassieruniform, und, mit begeistertem -Morgengruß von seinen Grenadieren empfangen, schritt er langsam -deren Front entlang und trat dann durch das Schloßportal -zurück.</p> - -<p>Unter den schmetternden Klängen der Musik schritt der Fürst -neben dem Prinzen Heinrich an der Front der präsentierenden -Grenadiere hin, und nun war kein Halten mehr für die immer -stürmischer vordrängende Flut des Volkes. Über den freien Platz -vor dem Schlosse wogte sie heran, schnell und immer schneller, -und bald war der Gefeierte umringt von den Tausenden, die nach -seinen Händen, nach dem Saume seines Paletots faßten, um ihm -ihre Liebe und Verehrung zu bezeigen.</p> - -<p>Jetzt betrat er das Schloß, durchschritt in dem ersten der -für ihn bestimmten Gastgemächer die Reihe des kaiserlichen Hauptquartiers -– und im zweiten stand er Kaiser Wilhelm II. selbst -gegenüber, Auge in Auge, Hand in Hand, und niemand war -Zeuge dieser Begrüßung, deren Bedeutung aber nachempfunden -wurde, soweit die deutsche Zunge klingt.</p> - -<p>Schöner konnten die freundschaftlichen Beziehungen des Herrschers -zu dem treuen Berater seines Hauses freilich kaum angedeutet -werden, als bei der Frühstückstafel, welche im allerengsten -Kreise eingenommen wurde. Zwischen dem Kaiser und der Kaiserin -saß der Alt-Reichskanzler, und niemand störte die freundliche -Weihe dieser Stunde.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_236">[236]</span></p> - -<p>Dann war Kaiser Wilhelm auch auf die Ruhe seines Gastes -bedacht, der sich auf seinen Wunsch einige Zeit in seine Gemächer -zurückzog. Aber nicht für lange, denn ein solcher Tag konnte -nicht zur Rast bestimmt sein, und der Fürst zeigte, daß er trotz -Alters und Unwohlseins noch immer »der eiserne« Kanzler war. -Um 4 Uhr nachmittags, nachdem ihm schon vorher sein Amtsnachfolger -General von Caprivi und sämtliche Staatssekretäre -durch Abgabe ihrer Karten begrüßt hatten, fuhr er bei der Witwe -Kaiser Friedrichs vor, um ihr seine Ehrerbietung zu beweisen, -und nach 6 Uhr fand er sich an der kaiserlichen Tafel ein, an -welcher außer dem kaiserlichen Paare auch König Albert von -Sachsen und Graf Herbert Bismarck teilnahmen.</p> - -<p>Aufs neue aber begann sich die Volksmenge Unter den Linden -zusammenzuscharen, um den Fürsten auch bei seiner Abreise -zu begrüßen. Heller Lichtglanz flutete aus den Fenstern »Unter -den Linden«, als um 7 Uhr 10 Minuten die Gardereiter durch -die breite, prächtige Straße ritten und hinter ihnen her der Galawagen -rollte, in welchem diesmal Kaiser Wilhelm II. selbst seinem -Gaste das Geleit gab.</p> - -<p>Auch der Lehrter Bahnhof war von vollem Lichtglanz erhellt, -dessen Schein die Gruppen der hohen Offiziere und des kaiserlichen -Hauptquartiers beleuchtete, das in erwartungsvollem -Schweigen auf dem Perron stand. Langsam schritt Bismarck zur -Seite des Kaisers heran, nach dem Salonwagen. Noch einmal -fügte sich Hand in Hand, und in sichtlicher Bewegung zog der -junge Herrscher den greisen Recken näher heran zu sich und küßte -ihn wiederholt auf die Wangen.</p> - -<p>Nun bestieg Bismarck den Salonwagen; entblößten Hauptes -stand er an dem Fenster und sah hinaus auf seinen Kaiser, der -noch immer in huldvoller Weise redete.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_237">[237]</span></p> - -<p>Das letzte Glockensignal verklang – – in die weithin -schallenden Hochrufe mischte sich der brausende Gesang:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent0">Deutschland, Deutschland über Alles,</div> - <div class="verse indent0">Über alles in der Welt!</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Und den Nachhall dieses Liedes in gehobener Seele, fuhr -der eiserne Kanzler wieder heimwärts nach seinem stillen Sachsenwalde. -Der darauffolgende Besuch des Kaisers in Friedrichsruh -besiegelte die Versöhnung. Der letzte Schatten war gewichen aus -seiner Brust, der volle Friede eines großen, segensreichen, abgeschlossenen -Wirkens erfüllte ihn und verklärte wie ein mildes -Rot den Abend seiner Tage.</p> - -<hr class="tb"> - -<p>Er sollte seinen lieben, stillen Sachsenwald nicht mehr verlassen. -Mit der gelassenen Ruhe des großen Mannes schaute er -von seiner friedlichen Warte den Welthändeln zu, glücklich im -Kreise der Seinen, und immer aufs neue erfreut durch die mannigfaltigen -Kundgebungen der Liebe und Verehrung seines deutschen -Volkes, die ihn auch in seinem weltfernen Asyl aufsuchten.</p> - -<p>Da traf ihn der herbe Verlust seiner Gemahlin, die wie ein -guter, treuer Kamerad mit ihm durch das Leben gegangen, und -die ihm innig an das Herz gewachsen war. Seitdem sah ihn das -Dasein mit immer trüberen Augen an, und seine eigene Gesundheit -kam immer mehr ins Wanken. Und auch die treueste, hingebendste -Liebe seiner Familie, die aufopfernde Pflege seines Leibarztes -Dr. Schweninger konnten zuletzt das Unaufhaltsame nicht -mehr aufhalten.</p> - -<p>Es war der Sommer des Jahres 1898 gekommen und -breitete seinen Schimmer über den grünen Sachsenwald. Aber -im Herrenhause zu Friedrichsruh hegten liebende Herzen bange -Besorgnisse. Der greise Fürst rang mit immer wiederkehrenden -Beschwerden, und wenn seine starke Natur auch vorübergehend<span class="pagenum" id="Seite_238">[238]</span> -zu siegen schien, der heimtückische Gegner, mit dem er kämpfte, -setzte sein furchtbares Werk fort und brachte es jählings zu Ende.</p> - -<p>Am 28. Juli abends hatte der Fürst im Kreise der Seinen -bei einem Glase Wein gesessen, die geliebte Pfeife geschmaucht -und sich lebhaft und heiter wie in früheren Tagen unterhalten; -am 30. vormittags las er seine Zeitungen, frühstückte in gewohnter -Weise und klagte scherzend über den geringen Zusatz von Wein -zu dem ihm gereichten Wasser. An dem Nachmittag desselben -Tages brach er zusammen, und um die elfte Stunde der Nacht -trat ihm schon der Tod an das große, treue Herz. Um ihn stand -seine Familie, ihm zur Seite der treue Leibarzt, der die letzten -Atembeschwerden ihm zu lindern bemüht gewesen, indes des Fürsten -edle Tochter, die Gräfin Rantzau, ihm den Todesschweiß von -der Stirn trocknete. Ihr galt des Sterbenden letztes Liebeswort: -»Danke, mein Kind!«</p> - -<p>Dann lag er wie ein Schlafender, mit mildem, friedlichem -Antlitz, hoheitsvoll und edel. An seinen Sarg trat auch Kaiser -Wilhelm II., der auf die Trauerkunde, die er auf einer Nordlandsreise -in Bergen erhalten hatte, sogleich heimkehrte und am -2. August in Begleitung seiner erlauchten Gemahlin in Friedrichsruh -eingetroffen war. Im Sterbezimmer fand die schlichte und -doch so erhebende Trauerfeier statt. Das schwarz drapierte Gemach -war erfüllt von betäubendem Blumenduft, der das ganze -Schloß durchzog, und der schwarzpolierte Eichensarg verschwand -unter riesigen Kränzen, von denen Wagenladungen aus allen -Teilen Deutschlands nach dem stillen Friedrichsruh kamen. Am -Fuße des Sarges aber lagerte der prachtvolle Kranz von Teerosen -auf Lorbeerblättern und Eichenlaub, der auf einer weißseidenen -Schleife die Anfangsbuchstaben des Kaiserpaares trug.</p> - -<p>Der Kaiser hatte gewünscht, daß »sein großer Toter« im -Dome zu Berlin beigesetzt werde, aber der eigene letzte Wunsch<span class="pagenum" id="Seite_239">[239]</span> -des Entschlafenen stand dem entgegen. In seinem stillen Sachsenwalde -wollte Bismarck seinen letzten Schlaf schlafen in einem -schmucklosen kleinen Hause, und die Grabschrift, die er sich selbst -verfaßt, sollte lauten:</p> - -<p>»<em class="gesperrt">Fürst von Bismarck, geboren am 1. April -1815, gestorben am ……, ein treuer, deutscher -Diener Kaiser Wilhelms des Ersten.</em>«</p> - -<p>Im Sterbezimmer eingemauert blieb der Sarg mit den -irdischen Resten des großen Kanzlers, bis das kleine Mausoleum -auf dem Waldhügel gegenüber dem Parktor vollendet sein würde.</p> - -<p>Es ist ein friedlich-stilles Plätzchen. Ringsum rauschen die -alten Eichen, und von dem nahen Hügel, auf welchem die von -treuen Anhaltinern gestiftete Hirschgruppe steht, grüßen die dunklen -Tannen, und der Blick schweift über Schloß und Park und über -ein schönes, freundliches Stück des Sachsenwaldes.</p> - -<p>Hier wurde er am 16. März 1899 gebettet. Das ganze -deutsche Volk war im Geiste zugegen, als sein großer Kanzler -den letzten Pfad zurücklegte, und Hunderttausende haben es beklagt, -daß es aus mancherlei Gründen nur einer kleinen Zahl -Leidtragender vergönnt war, das ganze deutsche Volk in jener -Weihestunde vertreten zu dürfen. Der deutsche Kaiser hat auch -diesmal nicht gefehlt.</p> - -<p>Beim dumpfen Klange des Chopinschen Trauermarsches bewegt -sich der Zug aus dem Schlosse. Der Regimentskapelle -folgt in weitem Abstande die Leichenparade, und längs des -ganzen Weges flammt das Licht vieler tausend Fackeln auf, von -deren düsterer Glut bestrahlt der Leichenkondukt langsam vorwärtsschreitet. -Überall entblößte Häupter – Totenstille – auch die -Natur hält den Atem an. Nun naht der Sarg der Fürstin, -die an des Gatten Seite ruhen soll, und schwankt, von Kränzen -beladen, auf den Schultern der in altspanische Tracht gekleideten<span class="pagenum" id="Seite_240">[240]</span> -Träger. Ihm folgt in einigem Abstande der Sarg des Kanzlers. -Eine aus Lorbeer gewundene Fürstenkrone liegt zu Häupten. -An den Seiten der Träger gehen im Schmuck der blinkenden -Waffen Seydlitzkürassiere. Und unmittelbar hinter dem Sarge, -an der Seite des Fürsten Herbert Bismarck, schreitet in der -Uniform der Halberstädter Reiter der Kaiser, den blitzenden -Stahlhelm auf dem Haupte, das bleiche Angesicht gesenkt.</p> - -<p>Mit dem zwölften Glockenschlage werden die Särge in der -Kapelle des Mausoleums vor dem kleinen Altare niedergesetzt, -mit gezogenen Säbeln, starr wie Bildsäulen, stehen die Kürassiere. -Auch der Kaiser läßt sich nicht nieder während der Feier. Der -Lieblingschoral der verewigten Fürstin klingt durch die Halle: -»Die wir uns allhier beisammen finden«, der Geistliche spricht -kurze, erhebende Worte, dann kam wieder Orgelton und frommer -Gesang des Liedes: »Mach End’, o Herr, mach Ende«! … Drei -Salven der hinter dem Mausoleum aufgestellten Ehrenkompagnie -dröhnten dazwischen … dann war alles zu Ende. – Die Gruft -schloß sich über dem besten und größten Sohne Deutschlands!</p> - -<p>Aber von ihm wird ein Singen und Sagen gehen bis in -die fernsten Zeiten, und solange es ein Deutsches Reich und ein -deutsches Volk geben wird, wird es zu seinen schönsten und edelsten -Pflichten zählen, in ehrenvollster Erinnerung zu bewahren die -große Zeit der Erneuerung des Reiches, den herrlichen Kaiser -Weißbart und den Mann, der Deutschland in den Sattel gehoben -hat, <em class="gesperrt">den eisernen Kanzler</em>.</p> - -<div class="figcenter" id="illu-249"> - <img src="images/illu-249.jpg" alt="Dekoration"> -</div> - -<p class="center p2 smaller">Setzmaschinensatz und Druck von A. Seydel & Cie., G. m. b. H., Berlin <em class="antiqua">S.W.</em></p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> - -<div class="transnote chapter" id="tnextra"> - -<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.</p> - -<p>Korrekturen:</p> -<div class="corr"> -<p> -S. 209: Februir → Februar<br> -am 26. <a href="#corr209">Februar</a> 1871 zu Versailles</p> -<p> -S. 216: betätigen → bestätigen<br> -Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu <a href="#corr216">bestätigen</a></p> -</div> - -<p>Die unterschiedlichen Schreibweisen Skierniwicze und Skiernewice wurden -einheitlich zur aktuellen Schreibweise Skierniewice korrigiert.</p> -</div> -<div lang='en' xml:lang='en'> -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DAS BUCH VOM EISERNEN KANZLER</span> ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for an eBook, except by following -the terms of the trademark license, including paying royalties for use -of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for -copies of this eBook, complying with the trademark license is very -easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation -of derivative works, reports, performances and research. Project -Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may -do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected -by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin-top:1em; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person -or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ -electronic works. See paragraph 1.E below. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the -Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg™ License when -you share it without charge with others. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no -representations concerning the copyright status of any work in any -country other than the United States. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.1. The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work -on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the -phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: -</div> - -<blockquote> - <div style='display:block; margin:1em 0'> - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most - other parts of the world at no cost and with almost no restrictions - whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms - of the Project Gutenberg License included with this eBook or online - at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you - are not located in the United States, you will have to check the laws - of the country where you are located before using this eBook. - </div> -</blockquote> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase “Project -Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg™. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg™ License. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format -other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg™ website -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain -Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works -provided that: -</div> - -<div style='margin-left:0.7em;'> - <div style='text-indent:-0.7em'> - • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation.” - </div> - - <div style='text-indent:-0.7em'> - • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ - works. - </div> - - <div style='text-indent:-0.7em'> - • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - </div> - - <div style='text-indent:-0.7em'> - • You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg™ works. - </div> -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of -the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set -forth in Section 3 below. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right -of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any -Defect you cause. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state’s laws. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, -Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up -to date contact information can be found at the Foundation’s website -and official page at www.gutenberg.org/contact -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread -public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine-readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state -visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Please check the Project Gutenberg web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of -volunteer support. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Most people start at our website which has the main PG search -facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -This website includes information about Project Gutenberg™, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. -</div> - -</div> -</div> -</body> -</html> diff --git a/old/69160-h/images/cover.jpg b/old/69160-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 54e1903..0000000 --- a/old/69160-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-001.jpg b/old/69160-h/images/illu-001.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 3fccfc6..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-001.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-002.jpg b/old/69160-h/images/illu-002.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index c28931b..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-002.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-004.jpg b/old/69160-h/images/illu-004.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index b952d3b..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-004.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-006.jpg b/old/69160-h/images/illu-006.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 86a765a..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-006.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-050.jpg b/old/69160-h/images/illu-050.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index c9303cc..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-050.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-100.jpg b/old/69160-h/images/illu-100.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index f7e8933..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-100.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-150.jpg b/old/69160-h/images/illu-150.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index b8b7642..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-150.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-200.jpg b/old/69160-h/images/illu-200.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index f2aa9c6..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-200.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/69160-h/images/illu-249.jpg b/old/69160-h/images/illu-249.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 7977c5b..0000000 --- a/old/69160-h/images/illu-249.jpg +++ /dev/null |
