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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:29:11 -0700 |
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Kein Ding +geräth, an dem nicht der Übermuth seinen Theil hat. Das Zuviel von +Kraft erst ist der Beweis der Kraft. - Eine Umwerthung aller Werthe, +dies Fragezeichen so schwarz, so ungeheuer, dass es Schatten auf Den +wirft, der es setzt - ein solches Schicksal von Aufgabe zwingt jeden +Augenblick, in die Sonne zu laufen, einen schweren, allzuschwer +gewordnen Ernst von sich zu schütteln. Jedes Mittel ist dazu recht, +jeder "Fall" ein Glücksfall. Vor Allem der Krieg. Der Krieg war immer +die grosse Klugheit aller zu innerlich, zu tief gewordnen Geister; +selbst in der Verwundung liegt noch Heilkraft. Ein Spruch, dessen +Herkunft ich der gelehrten Neugierde vorenthalte, war seit langem mein +Wahlspruch: + +increscunt animi, virescit volnere virtus. + +Eine andere Genesung, unter Umständen mir noch erwünschter, ist Götzen +aushorchen... Es giebt mehr Götzen als Realitäten in der Welt: das ist +mein "böser Blick" für diese Welt, das ist auch mein "böses Ohr"... +Hier einmal mit dem Hammer Fragen stellen und, vielleicht, als Antwort +jenen berühmten hohlen Ton hören, der von geblähten Eingeweiden redet +- welches Entzücken für Einen, der Ohren noch hinter den Ohren hat, - +für mich alten Psychologen und Rattenfänger, vor dem gerade Das, was +still bleiben möchte, laut werden muss... + +Auch diese Schrift - der Titel verräth es - ist vor Allem eine +Erholung, ein Sonnenfleck, ein Seitensprung in den Müssiggang eines +Psychologen. Vielleicht auch ein neuer Krieg? Und werden neue Götzen +ausgehorcht?... Diese kleine Schrift ist eine grosse Kriegserklärung; +und was das Aushorchen von Götzen anbetrifft, so sind es dies Mal +keine Zeitgötzen, sondern ewige Götzen, an die hier mit dem Hammer wie +mit einer Stimmgabel gerührt wird, - es giebt überhaupt keine älteren, +keine überzeugteren, keine aufgeblaseneren Götzen... Auch keine +hohleren... Das hindert nicht, dass sie die geglaubtesten sind; auch +sagt man, zumal im vornehmsten Falle, durchaus nicht Götze... + + Turin, am 30. September 1888, + am Tage, da das Buch der Umwerthung + aller Werthe zu Ende kam. + + FRIEDRICH NIETZSCHE. + + + +Sprüche und Pfeile. + +1. + +Müssiggang ist aller Psychologie Anfang. Wie? wäre Psychologie ein - +Laster? + + +2. + +Auch der Muthigste von uns hat nur selten den Muth zu dem, was er +eigentlich weiss... + + +3. + +Um allein zu leben, muss man ein Thier oder ein Gott sein - +sagt Aristoteles. Fehlt der dritte Fall: man muss Beides sein - +Philosoph... + + +4. + +"Alle Wahrheit ist einfach." - Ist das nicht zwiefach eine Lüge? - + + +5. + +Ich will, ein für alle Mal, Vieles nicht wissen. - Die Weisheit zieht +auch der Erkenntniss Grenzen. + + +6. + +Man erholt sich in seiner wilden Natur am besten von seiner Unnatur, +von seiner Geistigkeit... + + +7. + +Wie? ist der Mensch nur ein Fehlgriff Gottes? Oder Gott nur ein +Fehlgriff des Menschen? - + + +8. + +Aus der Kriegsschule des Lebens. - Was mich nicht umbringt, macht mich +stärker. + + +9. + +Hilf dir selber: dann hilft dir noch Jedermann. Princip der +Nächstenliebe. + + +10. + +Dass man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! dass man +sie nicht hinterdrein im Stiche lässt! - Der Gewissensbiss ist +unanständig. + + +11. + +Kann ein Esel tragisch sein? - Dass man unter einer Last zu Grunde +geht, die man weder tragen, noch abwerfen kann?... Der Fall des +Philosophen. + + +12. + +Hat man sein warum? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem +wie? - Der Mensch strebt nicht nach Glück; nur der Engländer thut das. + + +13. + +Der Mann hat das Weib geschaffen - woraus doch? Aus einer Rippe seines +Gottes, - seines "Ideals"... + + +14. + +Was? du suchst? du möchtest dich verzehnfachen, verhundertfachen? du +suchst Anhänger? - Suche Nullen. + + +15. + +Posthume Menschen - ich zum Beispiel - werden schlechter verstanden +als zeitgemässe, aber besser gehört. Strenger: wir werden nie +verstanden - und daher unsre Autorität... + + +16. + +Unter Frauen. - "Die Wahrheit? Oh Sie kennen die Wahrheit nicht! Ist +sie nicht ein Attentat auf alle unsre pudeurs?" - + + +17. + +Das ist ein Künstler, wie ich Künstler liebe, bescheiden in seinen +Bedürfnissen: er will eigentlich nur Zweierlei, sein Brod und seine +Kunst, - panem et Circen... + + +18. + +Wer seinen Willen nicht in die Dinge zu legen weiss, der legt +wenigstens einen Sinn noch hinein: das heisst, er glaubt, dass ein +Wille bereits darin sei (Princip des "Glaubens"). + + +19. + +Wie? ihr wähltet die Tugend und den gehobenen Busen und seht zugleich +scheel nach den Vortheilen der Unbedenklichen? - Aber mit der Tugend +verzichtet man auf "Vortheile"... (einem Antisemiten an die Hausthür.) + + +20. + +Das vollkommene Weib begeht Litteratur, wie es eine kleine Sünde +begeht: zum Versuch, im Vorübergehn, sich umblickend, ob es Jemand +bemerkt und dass es Jemand bemerkt... + + +21. + +Sich in lauter Lagen begeben, wo man keine Scheintugenden haben darf, +wo man vielmehr, wie der Seiltänzer auf seinem Seile, entweder stürzt +oder steht - oder davon kommt... + + +22. + +"Böse Menschen haben keine Lieder." - Wie kommt es, dass die Russen +Lieder haben? + + +23. + +"Deutscher Geist": seit achtzehn Jahren eine contradictio in adjecto. + + +24. + +Damit, dass man nach den Anfängen sucht, wird man Krebs. Der +Historiker sieht rückwärts; endlich glaubt er auch rückwärts. + + +25. + +Zufriedenheit schützt selbst vor Erkältung. Hat je sich ein Weib, das +sich gut bekleidet wusste, erkältet? - Ich setze den Fall, das es kaum +bekleidet war. + + +26. + +Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der +Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit. + + +27. + +Man hält das Weib für tief - warum? weil man nie bei ihm auf den Grund +kommt. Das Weib ist noch nicht einmal flach. + + +28. + +Wenn das Weib männliche Tugenden hat, so ist es zum Davonlaufen; und +wenn es keine männlichen Tugenden hat, so läuft es selbst davon. + + +29. + +"Wie viel hatte ehemals das Gewissen zu beissen? welche guten Zähne +hatte es? - Und heute? woran fehlt es?" - Frage eines Zahnarztes. + + +30. + +Man begeht selten eine Übereilung allein. In der ersten Übereilung +thut man immer zu viel. Eben darum begeht man gewöhnlich noch eine +zweite - und nunmehr thut man zu wenig... + + +31. + +Der getretene Wurm krümmt sich. So ist es klug. Er verringert damit +die Wahrscheinlichkeit, von Neuem getreten zu werden. In der Sprache +der Moral: Demuth. - + + +32. + +Es giebt einen Hass auf Lüge und Verstellung aus einem reizbaren +Ehrbegriff; es giebt einen ebensolchen Hass aus Feigheit, insofern +die Lüge, durch ein göttliches Gebot, verboten ist. Zu feige, um zu +lügen... + + +33. + +Wie wenig gehört zum Glücke! Der Ton eines Dudelsacks. - Ohne Musik +wäre das Leben ein Irrthum. Der Deutsche denkt sich selbst Gott +liedersingend. + + +34. + +On ne peut penser et écrire qu'assis (G. Flaubert). - Damit habe +ich dich, Nihilist! Das Sitzfleisch ist gerade die Sünde wider den +heiligen Geist. Nur die ergangenen Gedanken haben Werth. + + +35. + +Es giebt Fälle, wo wir wie Pferde sind, wir Psychologen, und in +Unruhe gerathen: wir sehen unsren eignen Schatten vor uns auf und +niederschwanken. Der Psychologe muss von sich absehn, um überhaupt zu +sehn. + + +36. + +Ob wir Immoralisten der Tugend Schaden thun? - Eben so wenig, als +die Anarchisten den Fürsten. Erst seitdem diese angeschossen werden, +sitzen sie wieder fest auf ihrem Thron. Moral: man muss die Moral +anschiessen. + + +37. + +Du läufst voran? - Thust du das als Hirt? oder als Ausnahme? Ein +dritter Fall wäre der Entlaufene... Erste Gewissensfrage. + + +38. + +Bist du echt? oder nur ein Schauspieler? Ein Vertreter? oder das +Vertretene selbst? - Zuletzt bist du gar bloss ein nachgemachter +Schauspieler... Zweite Gewissensfrage. + + +39. + +Der Enttäuschte spricht. - Ich suchte nach grossen Menschen, ich fand +immer nur die Affen ihres Ideals. + + +40. + +Bist du Einer, der zusieht? oder der Hand anlegt? - oder der wegsieht, +bei Seite geht?... Dritte Gewissensfrage. + + +41. + +Willst du mitgehn? oder vorangehn? oder für dich gehn?... Man muss +wissen, was man will und dass man will. Vierte Gewissensfrage. + + +42. + +Das waren Stufen für mich ich bin über sie hinaufgestiegen, - dazu +musste ich über sie hinweg. Aber sie meinten, ich wollte mich auf +ihnen zur Ruhe setzen... + + +43. + +Was liegt daran, das ich Recht behalte! Ich habe zu viel Recht. - Und +wer heute am besten lacht, lacht auch zuletzt. + + +44. + +Formel meines Glücks: ein Ja, ein Nein, eine gerade Linie ein Ziel... + + + +Das Problem des Sokrates. + +1. + +Über das Leben haben zu allen Zeiten die Weisesten gleich geurtheilt: +es taugt nichts... Immer und überall hat man aus ihrem Munde denselben +Klang gehört, - einen Klang voll Zweifel, voll Schwermuth, voll +Müdigkeit am Leben, voll Widerstand gegen das Leben. Selbst Sokrates +sagte, als er starb: "leben - das heisst lange krank sein: ich bin +dem Heilande Asklepios einen Hahn schuldig." Selbst Sokrates hatte es +satt. - Was beweist das? Worauf weist das? - Ehemals hätte man gesagt +(- oh man hat es gesagt und laut genug und unsre Pessimisten voran!): +"Hier muss jedenfalls Etwas wahr sein! Der consensus sapientium +beweist die Wahrheit." - Werden wir heute noch so reden? Dürfen wir +das? "Hier muss jedenfalls Etwas krank sein" - geben wir zur Antwort: +diese Weisesten aller Zeiten, man sollte sie sich erst aus der Nähe +ansehn! Waren sie vielleicht allesammt auf den Beinen nicht mehr fest? +spät? wackelig? décadents? Erschiene die Weisheit vielleicht auf Erden +als Rabe, den ein kleiner Geruch von Aas begeistert?... + + +2. + +Mir selbst ist diese Unehrerbietigkeit, dass die grossen Weisen +Niedergangs-Typen sind, zuerst gerade in einem Falle aufgegangen, wo +ihr am stärksten das gelehrte und ungelehrte Vorurtheil entgegensteht: +ich erkannte Sokrates und Plato als Verfalls-Symptome, als Werkzeuge +der griechischen Auflösung, als pseudogriechisch, als antigriechisch +("Geburt der Tragödie" 1872), jener consensus sapientium - das begriff +ich immer besser - beweist am wenigsten, dass sie Recht mit dem +hatten, worüber sie übereinstimmten: er beweist vielmehr, dass sie +selbst, diese Weisesten, irgend worin physiologisch übereinstimmten, +um auf gleiche Weise negativ zum Leben zu stehn, - stehn zu müssen. +Urtheile, Werthurtheile über das Leben, für oder wider, können zuletzt +niemals wahr sein: sie haben nur Werth als Symptome, sie kommen nur +als Symptome in Betracht, - an sich sind solche Urtheile Dummheiten. +Man muss durchaus seine Finger darnach ausstrecken und den Versuch +machen, diese erstaunliche finesse zu fassen, dass der Werth des +Lebens nicht abgeschätzt werden kann. Von einem Lebenden nicht, weil +ein solcher Partei, ja sogar Streitobjekt ist und nicht Richter; +von einem Todten nicht, aus einem andren Grunde. - Von Seiten eines +Philosophen im Werth des Lebens ein Problem sehn bleibt dergestalt +sogar ein Einwurf gegen ihn, ein Fragezeichen an seiner Weisheit, eine +Unweisheit. - Wie? und alle diese grossen Weisen - sie wären nicht nur +décadents, sie wären nicht einmal weise gewesen? - Aber ich komme auf +das Problem des Sokrates zurück. + + +3. + +Sokrates gehörte, seiner Herkunft nach, zum niedersten Volk: Sokrates +war Pöbel. Man weiss, man sieht es selbst noch, wie hässlich er war. +Aber Hässlichkeit, an sich ein Einwand, ist unter Griechen beinahe +eine Widerlegung. War Sokrates überhaupt ein Grieche? Die Hässlichkeit +ist häufig genug der Ausdruck einer gekreuzten, durch Kreuzung +gehemmten Entwicklung. Im andren Falle erscheint sie als niedergehende +Entwicklung. + +Die Anthropologen unter den Criminalisten sagen uns, dass der typische +Verbrecher hässlich ist: monstrum in fronte, monstrum in animo. +Aber der Verbrecher ist ein décadent. War Sokrates ein typischer +Verbrecher? - Zum Mindesten widerspräche dem jenes berühmte +Physiognomen-Urtheil nicht, das den Freunden des Sokrates so anstössig +klang. Ein Ausländer, der sich auf Gesichter verstand, sagte, als er +durch Athen kam, dem Sokrates in's Gesicht, er sei ein monstrum, - +er berge alle schlimmen Laster und Begierden in sich. Und Sokrates +antwortete bloss: "Sie kennen mich, mein Herr!" - + + +4. + +Auf décadence bei Sokrates deutet nicht nur die zugestandne +Wüstheit und Anarchie in den Instinkten: eben dahin deutet auch die +Superfötation des Logischen und jene Rhachitiker-Bosheit, die ihn +auszeichnet. Vergessen wir auch jene Gehörs-Hallucinationen nicht, +die, als "Dämonion des Sokrates", in's Religiöse interpretirt worden +sind. Alles ist übertrieben, buffo, Karikatur an ihm, Alles ist +zugleich versteckt, hintergedanklich, unterirdisch. - Ich suche zu +begreifen, aus welcher Idiosynkrasie jene sokratische Gleichsetzung +von Vernunft = Tugend = Glück stammt: jene bizarrste Gleichsetzung, +die es giebt und die in Sonderheit alle Instinkte des älteren Hellenen +gegen sich hat. + + +5. + +Mit Sokrates schlägt der griechische Geschmack zu Gunsten der +Dialektik um: was geschieht da eigentlich? Vor Allem wird damit +ein vornehmer Geschmack besiegt; der Pöbel kommt mit der Dialektik +obenauf. Vor Sokrates lehnte man in der guten Gesellschaft die +dialektischen Manieren ab: sie galten als schlechte Manieren, sie +stellten bloss. Man warnte die Jugend vor ihnen. Auch misstraute man +allein solchen Präsentiren seiner Gründe. Honnette Dinge tragen, +wie honnette Menschen, ihre Gründe nicht so in der Hand. Es ist +unanständig, alle fünf Finger zeigen. Was sich erst beweisen lassen +muss, ist wenig werth. Überall, wo noch die Autorität zur guten +Sitte gehört, wo man nicht "begründet", sondern befiehlt, ist der +Dialektiker eine Art Hanswurst: man lacht über ihn, man nimmt ihn +nicht ernst. - Sokrates war der Hanswurst, der sich ernst nehmen +machte: was geschah da eigentlich? - + + +6. + +Man wählt die Dialektik nur, wenn man kein andres Mittel hat. Man +weiss, dass man Misstrauen mit ihr erregt, dass sie wenig überredet. +Nichts ist leichter wegzuwischen als ein Dialektiker-Effekt: die +Erfahrung jeder Versammlung, wo geredet wird, beweist das. Sie kann +nur Nothwehr sein, in den Händen Solcher, die keine andren Waffen mehr +haben. Man muss sein Recht zu erzwingen haben: eher macht man keinen +Gebrauch von ihr. Die Juden waren deshalb Dialektiker; Reinecke Fuchs +war es: wie? und Sokrates war es auch? - + + +7. + +- Ist die Ironie des Sokrates ein Ausdruck von Revolte? von +Pöbel-Ressentiment? geniesst er als Unterdrückter seine eigne +Ferocität in den Messerstichen des Syllogismus? Rächt er sich an +den Vornehmen, die er fascinirt? - Man hat, als Dialektiker, ein +schonungsloses Werkzeug in der Hand; man kann mit ihm den Tyrannen +machen; man stellt bloss, indem man siegt. Der Dialektiker überlässt +seinem Gegner den Nachweis, kein Idiot zu sein: er macht wüthend, er +macht zugleich hülflos. Der Dialektiker depotenzirt den Intellekt +seines Gegners. - Wie? ist Dialektik nur eine Form der Rache bei +Sokrates? + + +8. + +Ich habe zu verstehn gegeben, womit Sokrates abstossen konnte: es +bleibt um so mehr zu erklären, dass er fascinirte. - Dass er eine +neue Art Agon entdeckte, dass er der erste Fechtmeister davon für die +vornehmen Kreise Athen's war, ist das Eine. Er fascinirte, indem er an +den agonalen Trieb der Hellenen rührte, - er brachte eine Variante in +den Ringkampf zwischen jungen Männern und Jünglingen. Sokrates war +auch ein grosser Erotiker. + + +9. + +Aber Sokrates errieth noch mehr. Er sah hinter seine vornehmen +Athener; er begriff, dass sein Fall, seine Idiosynkrasie von Fall +bereits kein Ausnahmefall war. Die gleiche Art von Degenerescenz +bereitete sich überall im Stillen vor: das alte Athen gieng zu Ende. - +Und Sokrates verstand, dass alle Welt ihn nöthig hatte, - sein Mittel, +seine Kur, seinen Personal-Kunstgriff der Selbst-Erhaltung... Überall +waren die Instinkte in Anarchie; überall war man fünf Schritt weit vom +Excess: das monstrum in animo war die allgemeine Gefahr. "Die Triebe +wollen den Tyrannen machen; man muss einen Gegentyrannen erfinden, der +stärker ist"... Als jener Physiognomiker dem Sokrates enthüllt hatte, +wer er war, eine Höhle aller schlimmen Begierden, liess der grosse +Ironiker noch ein Wort verlauten, das den Schlüssel zu ihm giebt. +"Dies ist wahr, sagte er, aber ich wurde über alle Herr." Wie wurde +Sokrates über sich Herr? - Sein Fall war im Grunde nur der extreme +Fall, nur der in die Augen springendste von dem, was damals die +allgemeine Noth zu werden anfieng: dass Niemand mehr über sich Herr +war, dass die Instinkte sich gegen einander wendeten. Er fascinirte +als dieser extreme Fall - seine furchteinflössende Hässlichkeit sprach +ihn für jedes Auge aus: er fascinirte, wie sich von selbst versteht, +noch stärker als Antwort, als Lösung, als Anschein der Kur dieses +Falls. - + + +10. + +Wenn man nöthig hat, aus der Vernunft einen Tyrannen zu machen, wie +Sokrates es that, so muss die Gefahr nicht klein sein, dass etwas +Andres den Tyrannen macht. Die Vernünftigkeit wurde damals errathen +als Retterin, es stand weder Sokrates, noch seinen "Kranken" frei, +vernünftig zu sein, - es war de rigueur, es war ihr letztes Mittel. +Der Fanatismus, mit dem sich das ganze griechische Nachdenken +auf die Vernünftigkeit wirft, verräth eine Nothlage: man war in +Gefahr, man hatte nur Eine Wahl: entweder zu Grunde zu gehn oder +- absurd-vernünftig zu sein... Der Moralismus der griechischen +Philosophen von Plato ab ist pathologisch bedingt; ebenso ihre +Schätzung der Dialektik. Vernunft = Tugend = Glück heisst bloss: man +muss es dem Sokrates nachmachen und gegen die dunklen Begehrungen ein +Tageslicht in Permanenz herstellen - das Tageslicht der Vernunft. Man +muss klug, klar, hell um jeden Preis sein: jedes Nachgeben an die +Instinkte, an's Unbewusste führt hinab... + + +11. + +Ich habe zu verstehn gegeben, womit Sokrates fascinirte: er schien +ein Arzt, ein Heiland zu sein. Ist es nöthig, noch den Irrthum +aufzuzeigen, der in seinem Glauben an die "Vernünftigkeit um jeden +Preis" lag? - Es ist ein Selbstbetrug seitens der Philosophen und +Moralisten, damit schon aus der décadence herauszutreten, dass sie +gegen dieselbe Krieg machen. Das Heraustreten steht ausserhalb ihrer +Kraft: was sie als Mittel, als Rettung wählen, ist selbst nur wieder +ein Ausdruck der décadence - sie verändern deren Ausdruck, sie +schaffen sie selbst nicht weg. Sokrates war ein Missverständniss; +die ganze Besserungs-Moral, auch die christliche, war ein +Missverständniss... Das grellste Tageslicht, die Vernünftigkeit um +jeden Preis, das Leben hell, kalt, vorsichtig, bewusst, ohne Instinkt, +im Widerstand gegen Instinkte war selbst nur eine Krankheit, eine +andre Krankheit - und durchaus kein Rückweg zur "Tugend", zur +"Gesundheit", zum Glück... Die Instinkte bekämpfen müssen - das ist +die Formel für décadence: so lange das Leben aufsteigt, ist Glück +gleich Instinkt. - + + +12. + +- Hat er das selbst noch begriffen, dieser Klügste aller +Selbstüberlister? Sagte er sich das zuletzt, in der Weisheit seines +Muthes zum Tode?... Sokrates wollte sterben: - nicht Athen, er gab +sich den Giftbecher, er zwang Athen zum Giftbecher... Sokrates ist +kein Arzt sprach er leise zu sich: "der Tod allein ist hier Arzt... +Sokrates selbst war nur lange krank..." + + + +Die "Vernunft" in der Philosophie. + +1. + +Sie fragen mich, was Alles Idiosynkrasie bei den Philosophen ist?... +Zum Beispiel ihr Mangel an historischem Sinn, ihr Hass gegen die +Vorstellung selbst des Werdens, ihr Ägypticismus. Sie glauben +einer Sache eine Ehre anzuthun, wenn sie dieselbe enthistorisiren, +sub specie aetemi, - wenn sie aus ihr eine Mumie machen. Alles, +was Philosophen seit Jahrtausenden gehandhabt haben, waren +Begriffs-Mumien; es kam nichts Wirkliches lebendig aus ihren Händen. +Sie tödten, sie stopfen aus, diese Herren Begriffs-Götzendiener, wenn +sie anbeten, - sie werden Allem lebensgefährlich, wenn sie anbeten. +Der Tod, der Wandel, das Alter ebensogut als Zeugung und Wachsthum +sind für sie Einwände, - Widerlegungen sogar. Was ist, wird nicht; was +wird ist nicht... Nun glauben sie Alle, mit Verzweiflung sogar, an's +Seiende. Da sie aber dessen nicht habhaft werden, suchen sie nach +Gründen, weshalb man's ihnen vorenthält. "Es muss ein Schein, eine +Betrügerei dabei sein, dass wir das Seiende nicht wahrnehmen: wo +steckt der Betrüger?" - "Wir haben ihn, schreien sie glückselig, die +Sinnlichkeit ist's! Diese Sinne, die auch sonst so unmoralisch sind, +sie betrügen uns über die wahre Welt. Moral: loskommen von dem +Sinnentrug, vom Werden, von der Historie, von der Lüge, - Historie ist +nichts als Glaube an die Sinne, Glaube an die Lüge. Moral: Neinsagen +zu Allem, was den Sinnen Glauben schenkt, zum ganzen Rest der +Menschheit: das ist Alles `Volk`. Philosoph sein, Mumie sein, den +Monotono-Theismus durch eine Todtengräber-Mimik darstellen! - Und +weg vor Allem mit dem Leibe, dieser erbarmungswürdigen idée fixe der +Sinne! behaftet mit allen Fehlern der Logik, die es giebt, widerlegt, +unmöglich sogar, ob er schon frech genug ist, sich als wirklich zu +gebärden!"... + + +2. + +Ich nehme, mit hoher Ehrerbietung, den Namen Heraklit's bei Seite. +Wenn das andre Philosophen-Volk das Zeugniss der Sinne verwarf, weil +dieselben Vielheit und Veränderung zeigten, verwarf er deren Zeugniss, +weil sie die Dinge zeigten, als ob sie Dauer und Einheit hätten. Auch +Heraklit that den Sinnen Unrecht. Dieselben lügen weder in der Art, +wie die Eleaten es glauben, noch wie er es glaubte, - sie lügen +überhaupt nicht. Was wir aus ihrem Zeugniss machen, das legt erst +die Lüge hinein, zum Beispiel die Lüge der Einheit, die Lüge der +Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer... Die "Vernunft" ist die +Ursache, dass wir das Zeugniss der Sinne fälschen. Sofern die Sinne +das Werden, das Vergehn, den Wechsel zeigen, lügen sie nicht... Aber +damit wird Heraklit ewig Recht behalten, dass das Sein eine leere +Fiktion ist. Die "scheinbare" Welt ist die einzige: die wahre Welt ist +nur hinzugelogen... + + +3. + +- Und was für feine Werkzeuge der Beobachtung haben wir an unsren +Sinnen! Diese Nase zum Beispiel, von der noch kein Philosoph mit +Verehrung und Dankbarkeit gesprochen hat, ist sogar einstweilen das +delikateste Instrument, das uns zu Gebote steht: es vermag noch +Minimaldifferenzen der Bewegung zu constatiren, die selbst das +Spektroskop nicht constatirt. Wir besitzen heute genau so weit +Wissenschaft, als wir uns entschlossen haben, das Zeugniss der Sinne +anzunehmen, - als wir sie noch schärfen, bewaffnen, zu Ende denken +lernten. Der Rest ist Missgeburt und Noch-nicht-Wissenschaft: will +sagen Metaphysik, Theologie, Psychologie, Erkenntnisstheorie. Oder +Formal-Wissenschaft, Zeichenlehre: wie die Logik und jene angewandte +Logik, die Mathematik. In ihnen kommt die Wirklichkeit gar nicht vor, +nicht einmal als Problem; ebensowenig als die Frage, welchen Werth +überhaupt eine solche Zeichen-Convention, wie die Logik ist, hat. - + + +4. + +Die andre Idiosynkrasie der Philosophen ist nicht weniger gefährlich: +sie besteht darin, das Letzte und das Erste zu verwechseln. Sie setzen +Das, was am Ende kommt - leider! denn es sollte gar nicht kommen! - +die "höchsten Begriffe", das heisst die allgemeinsten, die leersten +Begriffe, den letzten Rauch der verdunstenden Realität an den Anfang +als Anfang. Es ist dies wieder nur der Ausdruck ihrer Art zu verehren: +das Höhere darf nicht aus dem Niederen wachsen, darf überhaupt nicht +gewachsen sein... Moral: Alles, was ersten Ranges ist, muss causa +sui sein. Die Herkunft aus etwas Anderem gilt als Einwand, als +Werth-Anzweifelung. Alle obersten Werthe sind ersten Ranges, alle +höchsten Begriffe, das Seiende, das Unbedingte, das Gute, das Wahre, +das Vollkommne - das Alles kann nicht geworden sein, muss folglich +causa sui sein. Das Alles aber kann auch nicht einander ungleich, kann +nicht mit sich im Widerspruch sein... Damit haben sie ihren stupenden +Begriff "Gott"... Das Letzte, Dünnste, Leerste wird als Erstes +gesetzt, als Ursache an sich, als ens realissimum... Dass die +Menschheit die Gehirnleiden kranker Spinneweber hat ernst nehmen +müssen! - Und sie hat theuer dafür gezahlt!... + + +5. + +- Stellen wir endlich dagegen, auf welche verschiedne Art wir (- +ich sage höflicher Weise wir... ) das Problem des Irrthums und der +Scheinbarkeit in's Auge fassen. Ehemals nahm man die Veränderung, +den Wechsel, das Werden überhaupt als Beweis für Scheinbarkeit, als +Zeichen dafür, dass Etwas da sein müsse, das uns irre führe. Heute +umgekehrt sehen wir, genau so weit als das Vernunft-Vorurtheil uns +zwingt, Einheit, Identität, Dauer, Substanz, Ursache, Dinglichkeit, +Sein anzusetzen, uns gewissermaassen verstrickt in den Irrthum, +necessitirt zum Irrthum; so sicher wir auf Grund einer strengen +Nachrechnung bei uns darüber sind, dass hier der Irrthum ist. Es steht +damit nicht anders als mit den Bewegungen des grossen Gestirns: bei +ihnen hat der Irrthum unser Auge, hier hat er unsre Sprache zum +beständigen Anwalt. Die Sprache gehört ihrer Entstehung nach in die +Zeit der rudimentärsten Form von Psychologie: wir kommen in ein +grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der +Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen. +Das sieht überall Thäter und Thun: das glaubt an Willen als Ursache +überhaupt; das glaubt an's "Ich", an's Ich als Sein, an's Ich als +Substanz und projicirt den Glauben an die Ich-Substanz auf alle Dinge +- es schafft erst damit den Begriff "Ding"... Das Sein wird überall +als Ursache hineingedacht, untergeschoben; aus der Conception "Ich" +folgt erst, als abgeleitet, der Begriff "Sein"... Am Anfang steht das +grosse Verhängniss von Irrthum, dass der Wille Etwas ist, das wirkt, +- dass Wille ein Vermögen ist... Heute wissen wir, dass er bloss ein +Wort ist... Sehr viel später, in einer tausendfach aufgeklärteren Welt +kam die Sicherheit, die subjektive Gewissheit in der Handhabung der +Vemunft-Kategorien den Philosophen mit Überraschung zum Bewusstsein: +sie schlossen, dass dieselben nicht aus der Empirie stammen könnten, +- die ganze Empirie stehe ja zu ihnen in Widerspruch. Woher also +stammen sie? - Und in Indien wie in Griechenland hat man den gleichen +Fehlgriff gemacht: "wir müssen schon einmal in einer höheren Welt +heimisch gewesen sein (- statt in einer sehr viel niederen: was die +Wahrheit gewesen wäre!), wir müssen göttlich gewesen sein, denn wir +haben die Vernunft!"... In der That, Nichts hat bisher eine naivere +Überredungskraft gehabt als der Irrthum vom Sein, wie er zum Beispiel +von den Eleaten formulirt wurde: er hat ja jedes Wort für sich, +jeden Satz für sich, den wir sprechen! - Auch die Gegner der Eleaten +unterlagen noch der Verführung ihres Seins-Begriffs: Demokrit unter +Anderen, als er sein Atom erfand... Die "Vernunft" in der Sprache: oh +was für eine alte betrügerische Weibsperson! Ich fürchte, wir werden +Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben... + + +6. + +Man wird mir dankbar sein, wenn ich eine so wesentliche, so neue +Einsicht in vier Thesen zusammendränge: ich erleichtere damit das +Verstehen, ich fordere damit den Widerspruch heraus. + +Erster Satz. Die Gründe, darauf hin "diese" Welt als scheinbar +bezeichnet worden ist, begründen vielmehr deren Realität, - eine andre +Art Realität ist absolut unnachweisbar. + +Zweiter Satz. Die Kennzeichen, welche man dem "wahren Sein" der Dinge +gegeben hat, sind die Kennzeichen des Nicht Seins, des Nichts, - +man hat die "wahre Welt" aus dem Widerspruch zur wirklichen Welt +aufgebaut: eine scheinbare Welt in der That, insofern sie bloss eine +moralisch-optische Täuschung ist. + +Dritter Satz. Von einer "andren" Welt als dieser zu fabeln hat gar +keinen Sinn, vorausgesetzt, dass nicht ein Instinkt der Verleumdung, +Verkleinerung, Verdächtigung des Lebens in uns mächtig ist: im +letzteren Falle rächen wir uns am Leben mit der Phantasmagorie eines +"anderen", eines "besseren" Lebens. + +Vierter Satz. Die Welt scheiden in eine "wahre" und eine "scheinbare", +sei es in der Art des Christenthums, sei es in der Art Kant's (eines +hinterlistigen Christen zu guterletzt) ist nur eine Suggestion der +décadence, - ein Symptom niedergehenden Lebens... Dass der Künstler +den Schein höher schätzt als die Realität, ist kein Einwand gegen +diesen Satz. Denn "der Schein" bedeutet hier die Realität noch einmal, +nur in einer Auswahl, Verstärkung, Correctur... Der tragische Künstler +ist kein Pessimist, - er sagt gerade Ja zu allem Fragwürdigen und +Furchtbaren selbst, er ist dionysisch... + + + +Wie die "wahre Welt" endlich zur Fabel wurde. + +Geschichte eines Irrthums. + +1. Die wahre Welt erreichbar für den Weisen, den Frommen, den +Tugendhaften, - er lebt in ihr, er ist sie. + +(Älteste Form der Idee, relativ klug, simpel, überzeugend. +Umschreibung des Satzes "ich, Plato, bin die Wahrheit".) + +2. Die wahre Welt, unerreichbar für jetzt, aber versprochen für den +Weisen, den Frommen, den Tugendhaften ("für den Sünder, der Busse +thut"). + +(Fortschritt der Idee: sie wird feiner, verfänglicher, unfasslicher, - +sie wird Weib, sie wird christlich... ) + +3. Die wahre Welt, unerreichbar, unbeweisbar, unversprechbar, aber +schon als gedacht ein Trost, eine Verpflichtung, ein Imperativ. + +(Die alte Sonne im Grunde, aber durch Nebel und Skepsis hindurch; die +Idee sublim geworden, bleich, nordisch, königsbergisch.) + +4. Die wahre Welt - unerreichbar? jedenfalls unerreicht. Und als +unerreicht auch unbekannt. Folglich auch nicht tröstend, erlösend, +verpflichtend: wozu könnte uns etwas Unbekanntes verpflichten?... + +(Grauer Morgen. Erstes Gähnen der Vernunft. Hahnenschrei des +Positivismus.) + +5. Die "wahre Welt" - eine Idee, die zu Nichts mehr nütz ist, nicht +einmal mehr verpflichtend, - eine unnütz, eine überflüssig gewordene +Idee, folglich eine widerlegte Idee: schaffen wir sie ab! + +(Heller Tag; Frühstück; Rückkehr des bon sens und der Heiterkeit; +Schamröthe Plato's; Teufelslärm aller freien Geister.) + +6. Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die +scheinbare vielleicht?... Aber nein! mit der wahren Welt haben wir +auch die scheinbare abgeschafft! + +(Mittag; Augenblick des kürzesten Schattens; Ende des längsten +Irrthums; Höhepunkt der Menschheit; INCIPIT ZARATHUSTRA.) + + + +Moral als Widernatur. + +1. + +Alle Passionen haben eine Zeit, wo sie bloss verhängnissvoll sind, wo +sie mit der Schwere der Dummheit ihr Opfer hinunterziehen - und eine +spätere, sehr viel spätere, wo sie sich mit dem Geist verheirathen, +sich "vergeistigen". Ehemals machte man, wegen der Dummheit in der +Passion, der Passion selbst den Krieg: man verschwor sich zu deren +Vernichtung, - alle alten Moral-Unthiere sind einmüthig darüber "il +faut tuer les passions." Die berühmteste Formel dafür steht im neuen +Testament, in jener Bergpredigt, wo, anbei gesagt, die Dinge durchaus +nicht aus der Höhe betrachtet werden. Es wird daselbst zum Beispiel +mit Nutzanwendung auf die Geschlechtlichkeit gesagt "wenn dich dein +Auge ärgert, so reisse es aus": zum Glück handelt kein Christ nach +dieser Vorschrift. Die Leidenschaften und Begierden vernichten, +bloss um ihrer Dummheit und den unangenehmen Folgen ihrer Dummheit +vorzubeugen, erscheint uns heute selbst bloss als eine akute Form der +Dummheit. Wir bewundern die Zahnärzte nicht mehr, welche die Zähne +ausreissen, damit sie nicht mehr weh thun... Mit einiger Billigkeit +werde andrerseits zugestanden, dass auf dem Boden, aus dem das +Christenthum gewachsen ist, der Begriff "Vergeistigung der Passion" +gar nicht concipirt werden konnte. Die erste Kirche kämpfte ja, wie +bekannt, gegen die "Intelligenten" zu Gunsten der "Armen des Geistes": +wie dürfte man von ihr einen intelligenten Krieg gegen die Passion +erwarten? - Die Kirche bekämpft die Leidenschaft mit Ausschneidung in +jedem Sinne: ihre Praktik, ihre "Kur" ist der Castratismus. Sie fragt +nie: "wie vergeistigt, verschönt, vergöttlicht man eine Begierde?" - +sie hat zu allen Zeiten den Nachdruck der Disciplin auf die Ausrottung +(der Sinnlichkeit, des Stolzes, der Herrschsucht, der Habsucht, der +Rachsucht) gelegt. - Aber die Leidenschaften an der Wurzel angreifen +heisst das Leben an der Wurzel angreifen: die Praxis der Kirche ist +lebensfeindlich... + + +2. + +Dasselbe Mittel, Verschneidung, Ausrottung, wird instinktiv im Kampfe +mit einer Begierde von Denen gewählt, welche zu willensschwach, +zu degenerirt sind, um sich ein Maass in ihr auflegen zu können: +von jenen Naturen, die la Trappe nöthig haben, im Gleidiniss +gesprochen (und ohne Gleichniss -), irgend eine endgültige +Feindschafts-Erklärung, eine Kluft zwischen sich und einer Passion. +Die radikalen Mittel sind nur den Degenerirten unentbehrlich; die +Schwäche des Willens, bestinunter geredet, die Unfähigkeit, auf +einen Reiz nicht zu reagiren, ist selbst bloss eine andre Form der +Degenerescenz. Die radikale Feindschaft, die Todfeindschaft gegen +die Sinnlichkeit bleibt ein nachdenkliches Symptom: man ist damit zu +Vermuthungen über den Gesammt-Zustand eines dergestalt Excessiven +berechtigt. - Jene Feindschaft, jener Hass kommt übrigens erst auf +seine Spitze, wenn solche Naturen selbst zur Radikal-Kur, zur Absage +von ihrem "Teufel" nicht mehr Festigkeit genug haben. Man überschaue +die ganze Geschichte der Priester und Philosophen, der Künstler +hinzugenommen: das Giftigste gegen die Sinne ist nicht von den +Impotenten gesagt, auch nicht von den Asketen, sondern von den +unmöglichen Asketen, von Solchen, die es nöthig gehabt hätten, Asketen +zu sein... + + +3. + +Die Vergeistigung der Sinnlichkeit heisst Liebe: sie ist ein +grosser Triumph über das Christenthum. Ein andrer Triumph ist unsre +Vergeistigung der Feindschaft. Sie besteht darin, dass man tief den +Werth begreift, den es hat, Feinde zu haben: kurz, dass man umgekehrt +thut und schliesst als man ehedem that und schloss. Die Kirche wollte +zu allen Zeiten die Vernichtung ihrer Feinde: wir, wir Immoralisten +und Antichristen, sehen unsern Vortheil darin, dass die Kirche +besteht... Auch im Politischen ist die Feindschaft jetzt geistiger +geworden, - viel klüger, viel nachdenklicher, viel schonender. Fast +jede Partei begreift ihr Selbsterhaltungs-Interesse darin, dass die +Gegenpartei nicht von Kräften kommt; dasselbe gilt von der grossen +Politik. Eine neue Schöpfung zumal, etwa das neue Reich, hat Feinde +nöthiger als Freunde: im Gegensatz erst fühlt es sich nothwendig, +im Gegensatz wird es erst nothwendig... Nicht anders verhalten wir +uns gegen den "inneren Feind": auch da haben wir die Feindschaft +vergeistigt, auch da haben wir ihren Werth begriffen. Man ist nur +fruchtbar um den Preis, an Gegensätzen reich zu sein; man bleibt nur +jung unter der Voraussetzung, dass die Seele nicht sich streckt, nicht +nach Frieden begehrt... Nichts ist uns fremder geworden als jene +Wünschbarkeit von Ehedem, die vom "Frieden der Seele", die christliche +Wünschbarkeit; Nichts macht uns weniger Neid als die Moral-Kuh und +das fette Glück des guten Gewissens. Man hat auf das grosse Leben +verzichtet, wenn man auf den Krieg verzichtet... In vielen Fällen +freilich ist der "Frieden der Seele" bloss ein Missverständniss, - +etwas Anderes, das sich nur nicht ehrlicher zu benennen weiss. Ohne +Umschweif und Vorurtheil ein paar Fälle. "Frieden der Seele" kann +zum Beispiel die sanfte Ausstrahlung einer reichen Animalität in's +Moralische (oder Religiöse) sein. Oder der Anfang der Müdigkeit, +der erste Schatten, den der Abend, jede Art Abend wirft. Oder ein +Zeichen davon, dass die Luft feucht ist, dass Südwinde herankommen. +Oder die Dankbarkeit wider Wissen für eine glückliche Verdauung +("Menschenliebe" mitunter genannt). Oder das Stille-werden des +Genesenden, dem alle Dinge neu schmecken und der wartet... Oder +der Zustand, der einer starken Befriedigung unsrer herrschenden +Leidenschaft folgt, das Wohlgefühl einer seltnen Sattheit. Oder die +Altersschwäche unsres Willens, unsrer Begehrungen, unsrer Laster. Oder +die Faulheit, von der Eitelkeit überredet, sich moralisch aufzuputzen. +Oder der Eintritt einer Gewissheit, selbst furchtbaren Gewissheit, +nach einer langen Spannung und Marterung durch die Ungewissheit. Oder +der Ausdruck der Reife und Meisterschaft mitten im Thun, Schaffen, +Wirken, Wollen, das ruhige Athmen, die erreichte "Freiheit des +Willens"... Götzen-Dämmerung: wer weiss? vielleicht auch nur eine Art +"Frieden der Seele"... + + +4. + +- Ich bringe ein Princip in Formel. Jeder Naturalismus in der Moral, +das heisst jede gesunde Moral ist von einem Instinkte des Lebens +beherrscht, - irgend ein Gebot des Lebens wird mit einem bestimmten +Kanon von "Soll" und "Soll nicht" erfüllt, irgend eine Hemmung und +Feindseligkeit auf dem Wege des Lebens wird damit bei Seite geschafft. +Die widernatürliche Moral, das heisst fast jede Moral, die bisher +gelehrt, verehrt und gepredigt worden ist, wendet sich umgekehrt +gerade gegen die Instinkte des Lebens, - sie ist eine bald heimliche, +bald laute und freche Verurtheilung dieser Instinkte. Indem sie sagt +"Gott sieht das Herz an", sagt sie Nein zu den untersten und obersten +Begehrungen des Lebens und nimmt Gott als Feind des Lebens... Der +Heilige, an dem Gott sein Wohlgefallen hat, ist der ideale Castrat... +Das Leben ist zu Ende, wo das "Reich Gottes" anfängt... + + +5. + +Gesetzt, dass man das Frevelhafte einer solchen Auflehnung gegen +das Leben begriffen hat, wie sie in der christlichen Moral beinahe +sakrosankt geworden ist, so hat man damit, zum Glück, auch Etwas +Andres begriffen: das Nutzlose, Scheinbare, Absurde, Lügnerische einer +solchen Auflehnung. Eine Verurtheilung des Lebens von Seiten des +Lebenden bleibt zuletzt doch nur das Symptom einer bestimmten Art von +Leben: die Frage, ob mit Recht, ob mit Unrecht, ist gar nicht damit +aufgeworfen. Man müsste eine Stellung ausserhalb des Lebens haben, und +andrerseits es so gut kennen, wie Einer, wie Viele, wie Alle, die es +gelebt haben, um das Problem vom Werth des Lebens überhaupt anrühren +zu dürfen: Gründe genug, um zu begreifen, dass das Problem ein für +uns unzugängliches Problem ist. Wenn wir von Werthen reden, reden wir +unter der Inspiration, unter der Optik des Lebens: das Leben selbst +zwingt uns Werthe anzusetzen, das Leben selbst werthet durch uns, wenn +wir Werthe ansetzen... Daraus folgt, dass auch jene Widernatur von +Moral, welche Gott als Gegenbegriff und Verurtheilung des Lebens +fasst, nur ein Werthurtheil des Lebens ist - welches Lebens? Welcher +Art von Leben? - Aber ich gab schon die Antwort: des niedergehenden, +des geschwächten, des müden, des verurtheilten Lebens. Moral, wie sie +bisher verstanden worden ist - wie sie zuletzt noch von Schopenhauer +formulirt wurde als "Verneinung des Willens zum Leben" - ist der +décadence-Instinkt selbst, der aus sich einen Imperativ macht: sie +sagt: "geh zu Grunde" sie ist das Urtheil Verurtheilter... + + +6. + +Erwägen wir endlich noch, welche Naivetät es überhaupt ist, zu sagen +"so und so sollte der Mensch sein!" Die Wirklichkeit zeigt uns +einen entzückenden Reichthum der Typen, die Üppigkeit eines +verschwenderischen Formenspiels und -Wechsels: und irgend ein +armseliger Eckensteher von Moralist sagt dazu: "nein! der Mensch +sollte anders sein"?... Er weiss es sogar, wie er sein sollte, dieser +Schlucker und Mucker, er malt sich an die Wand und sagt dazu "ecce +homo!"... Aber selbst wenn der Moralist sich bloss an den Einzelnen +wendet und zu ihm sagt: "so und so solltest du sein!" hört er nicht +auf, sich lächerlich zu machen. Der Einzelne ist ein Stück fatum, von +Vorne und von Hinten, ein Gesetz mehr, eine Nothwendigkeit mehr für +Alles, was kommt und sein wird. Zu ihm sagen "ändere dich" heisst +verlangen, dass Alles sich ändert, sogar rückwärts noch... Und +wirklich, es gab consequente Moralisten, sie wollten den Menschen +anders, nämlich tugendhaft, sie wollten ihn nach ihrem Bilde, nämlich +als Mucker: dazu verneinten sie die Welt! Keine kleine Tollheit! +Keine bescheidne Art der Unbescheidenheit!... Die Moral, insofern sie +verurtheilt, an sich, nicht aus Hinsichten, Rücksichten, Absichten des +Lebens, ist ein spezifischer Irrthum, mit dem man kein Mitleiden haben +soll, eine Degenerirten-Idiosynkrasie, die unsäglich viel Schaden +gestiftet hat!... Wir Anderen, wir Immoralisten, haben umgekehrt unser +Herz weit gemacht für alle Art Verstehn, Begreifen, Gutheissen. Wir +verneinen nicht leicht, wir suchen unsre Ehre darin, Bejahende zu +sein. Immer mehr ist uns das Auge für jene Ökonomie aufgegangen, +welche alles Das noch braucht und auszunützen weiss, was der heilige +Aberwitz des Priesters, der kranken Vernunft im Priester verwirft, für +jene Ökonomie im Gesetz des Lebens, die selbst aus der widerlichen +species des Muckers, des Priesters, des Tugendhaften ihren Vortheil +zieht, - welchen Vortheil? - Aber wir selbst, wir Immoralisten sind +hier die Antwort... - + + + +Die vier grossen Irrthümer. + +1. + +Irrthum der Verwechslung von Ursache und Folge. - Es giebt keinen +gefährlicheren Irrthum als die Folge mit der Ursache zu verwechseln: +ich heisse ihn die eigentliche Verderbniss der Vernunft. Trotzdem +gehört dieser Irrthum zu den ältesten und jüngsten Gewohnheiten der +Menschheit: er ist selbst unter uns geheiligt, er trägt den Namen +"Religion", "Moral". Jeder Satz, den die Religion und die Moral +formulirt, enthält ihn; Priester und Moral-Gesetzgeber sind die +Urheber jener Verderbniss der Vernunft. - Ich nehme ein Beispiel: +Jedermann kennt das Buch des berühmten Cornaro, in dem er seine +schmale Diät als Recept zu einem langen und glücklichen Leben - auch +tugendhaften - anräth. Wenige Bücher sind so viel gelesen worden, noch +jetzt wird es in England jährlich in vielen Tausenden von Exemplaren +gedruckt. Ich zweifle nicht daran, dass kaum ein Buch (die Bibel, wie +billig, ausgenommen) so viel Unheil gestiftet, so viele Leben verkürzt +hat wie dies so wohlgemeinte Curiosum. Grund dafür: die Verwechslung +der Folge mit der Ursache. Der biedere Italiäner sah in seiner Diät +die Ursache seines langen Lebens: während die Vorbedingung zum langen +Leben, die ausserordentliche Langsamkeit des Stoffwechsels, der +geringe Verbrauch, die Ursache seiner schmalen Diät war. Es stand +ihm nicht frei, wenig oder viel zu essen, seine Frugalität war nicht +ein "freier Wille": er wurde krank, wenn er mehr ass. Wer aber kein +Karpfen ist, thut nicht nur gut, sondern hat es nöthig, ordentlich +zu essen. Ein Gelehrter unsrer Tage, mit seinem rapiden Verbrauch an +Nervenkraft, würde sich mit dem régime Cornaro's zu Grunde richten. +Crede experto. - + + +2. + +Die allgemeinste Formel, die jeder Religion und Moral zu Grunde liegt, +heisst: "Thue das und das, lass das und das - so wirst du glücklich! +Im andern Falle..." Jede Moral, jede Religion ist dieser Imperativ, +- ich nenne ihn die grosse Erbsünde der Vernunft, die unsterbliche +Unvernunft. In meinem Munde verwandelt sich jene Formel in ihre +Umkehrung - erstes Beispiel meiner "Umwerthung aller Werthe": ein +wohlgerathener Mensch, ein "Glücklicher", muss gewisse Handlungen +thun und scheut sich instinktiv vor anderen Handlungen, er trägt die +Ordnung, die er physiologisch darstellt, in seine Beziehungen zu +Menschen und Dingen hinein. In Formel: seine Tugend ist die Folge +seines Glücks... Langes Leben, eine reiche Nachkommenschaft ist nicht +der Lohn der Tugend, die Tugend ist vielmehr selbst jene Verlangsamung +des Stoffwechsels, die, unter Anderem, auch ein langes Leben, eine +reiche Nachkommenschaft, kurz den Cornarismus im Gefolge hat. - Die +Kirche und die Moral sagen: "ein Geschlecht, ein Volk wird durch +Laster und Luxus zu Grunde gerichtet." Meine wiederhergestellte +Vernunft sagt: wenn ein Volk zu Grunde geht, physiologisch degenerirt, +so folgen daraus Laster und Luxus (das heisst das Bedürfniss nach +immer stärkeren und häufigeren Reizen, wie sie jede erschöpfte Natur +kennt). Dieser junge Mann wird frühzeitig blass und welk. Seine +Freunde sagen: daran ist die und die Krankheit schuld. Ich sage: dass +er krank wurde, dass er der Krankheit nicht widerstand, war bereits +die Folge eines verarmten Lebens, einer hereditären Erschöpfung. Der +Zeitungsleser sagt: diese Partei richtet sich mit einem solchen Fehler +zu Grunde. Meine höhere Politik sagt: eine Partei, die solche Fehler +macht, ist am Ende - sie hat ihre Instinkt-Sicherheit nicht mehr. +Jeder Fehler in jedem Sinne ist die Folge von Instinkt-Entartung, von +Disgregation des Willens: man definirt beinahe damit das Schlechte. +Alles Gute ist Instinkt - und, folglich, leicht, nothwendig, frei. Die +Mühsal ist ein Einwand, der Gott ist typisch vom Helden unterschieden +(in meiner Sprache: die leichten Füsse das erste Attribut der +Göttlichkeit). + + +3. + +Irrthum einer falschen Ursächlichkeit. - Man hat zu allen Zeiten +geglaubt, zu wissen, was eine Ursache ist: aber woher nahmen wir unser +Wissen, genauer, unsern Glauben, hier zu wissen? Aus dem Bereich +der berühmten "inneren Thatsachen", von denen bisher keine sich als +thatsächlich erwiesen hat. Wir glaubten uns selbst im Akt des Willens +ursächlich; wir meinten da wenigstens die Ursächlichkeit auf der +That zu ertappen. Man zweifelte insgleichen nicht daran, dass alle +antecedentia einer Handlung, ihre Ursachen, im Bewusstsein zu suchen +seien und darin sich wiederfänden, wenn man sie suche - als "Motive": +man wäre ja sonst zu ihr nicht frei, für sie nicht verantwortlich +gewesen. Endlich, wer hätte bestritten, dass ein Gedanke verursacht +wird? dass das Ich den Gedanken verursacht?... Von diesen drei +"inneren Thatsachen", mit denen sich die Ursächlichkeit zu verbürgen +schien, ist die erste und überzeugendste die vom Willen als Ursache; +die Conception eines Bewusstseins ("Geistes") als Ursache und später +noch die des Ich (des "Subjekts") als Ursache sind bloss nachgeboren, +nachdem vom Willen die Ursächlichkeit als gegeben feststand, als +Empirie... Inzwischen haben wir uns besser besonnen. Wir glauben heute +kein Wort mehr von dem Allen. Die "innere Welt" ist voller Trugbilder +und Irrlichter: der Wille ist eins von ihnen. Der Wille bewegt nichts +mehr, erklärt folglich auch nichts mehr - er begleitet bloss Vorgänge, +er kann auch fehlen. Das sogenannte "Motiv": ein andrer Irrthum. Bloss +ein Oberflächenphänomen des Bewusstseins, ein Nebenher der That, +das eher noch die antecedentia einer That verdeckt, als dass es sie +darstellt. Und gar das Ich! Das ist zur Fabel geworden, zur Fiktion, +zum Wortspiel: das hat ganz und gar aufgehört, zu denken, zu fühlen +und zu wollen!... Was folgt daraus? Es giebt gar keine geistigen +Ursachen! Die ganze angebliche Empirie dafür gieng zum Teufel! Das +folgt daraus! - Und wir hatten einen artigen Missbrauch mit jener +"Empirie" getrieben, wir hatten die Welt daraufhin geschaffen als +eine Ursachen-Welt, als eine Willens-Welt, als eine Geister-Welt. Die +älteste und längste Psychologie war hier am Werk, sie hat gar nichts +Anderes gethan: alles Geschehen war ihr ein Thun, alles Thun Folge +eines Willens, die Welt wurde ihr eine Vielheit von Thätern, ein +Thäter (ein "Subjekt") schob sich allem Geschehen unter. Der Mensch +hat seine drei "inneren Thatsachen", Das, woran er am festesten +glaubte, den Willen, den Geist, das Ich, aus sich herausprojicirt, - +er nahm erst den Begriff Sein aus dem Begriff Ich heraus, er hat die +"Dinge" als seiend gesetzt nach seinem Bilde, nach seinem Begriff des +Ichs als Ursache. Was Wunder, dass er später in den Dingen immer nur +wiederfand, was er in sie gesteckt hatte?- Das Ding selbst, nochmals +gesagt, der Begriff Ding, ein Reflex bloss vom Glauben an's Ich als +Ursache... Und selbst noch Ihr Atom, meine Herren Mechanisten und +Physiker, wie viel Irrthum, wie viel rudimentäre Psychologie ist noch +in Ihrem Atom rückständig! - Gar nicht zu reden vom "Ding an sich", +vom horrendum pudendum der Metaphysiker! Der Irrthum vom Geist als +Ursache mit der Realität verwechselt! Und zum Maass der Realität +gemacht! Und Gott genannt! - + + +4. + +Irrthum der imaginären Ursachen. - Vom Traume auszugehn: einer +bestimmten Empfindung, zum Beispiel in Folge eines fernen +Kanonenschusses, wird nachträglich eine Ursache untergeschoben (oft +ein ganzer kleiner Roman, in dem gerade der Träumende die Hauptperson +ist). Die Empfindung dauert inzwischen fort, in einer Art von +Resonanz: sie wartet gleichsam, bis der Ursachentrieb ihr erlaubt, in +den Vordergrund zu treten, - nunmehr nicht mehr als Zufall, sondern +als "Sinn". Der Kanonenschuss tritt in einer causalen Weise auf, in +einer anscheinenden Umkehrung der Zeit. Das Spätere, die Motivirung, +wird zuerst erlebt, oft mit hundert Einzelnheiten, die wie im Blitz +vorübergehn, der Schuss folgt... Was ist geschehen? Die Vorstellungen, +welche ein gewisses Befinden erzeugte, wurden als Ursache desselben +missverstanden. - Thatsächlich machen wir es im Wachen ebenso. +Unsre meisten Allgemeingefühle - jede Art Hemmung, Druck, Spannung, +Explosion im Spiel und Gegenspiel der Organe, wie in Sonderheit der +Zustand des nervus sympathicus - erregen unsern Ursachentrieb: wir +wollen einen Grund haben, uns so und so zu befinden, - uns schlecht zu +befinden oder gut zu befinden. Es genügt uns niemals, einfach bloss +die Thatsache, dass wir uns so und so befinden, festzustellen: wir +lassen diese Thatsache erst zu, - werden ihrer bewusst -, wenn wir ihr +eine Art Motivirung gegeben haben. - Die Erinnerung, die in solchem +Falle, ohne unser Wissen, in Thätigkeit tritt, führt frühere Zustände +gleicher Art und die damit verwachsenen Causal-Interpretationen +herauf, - nicht deren Ursächlichkeit. Der Glaube freilich, dass die +Vorstellungen, die begleitenden Bewusstseins-Vorgänge die Ursachen +gewesen seien, wird durch die Erinnerung auch mit heraufgebracht. So +entsteht eine Gewöhnung an eine bestimmte Ursachen-Interpretation, +die in Wahrheit eine Erforschung der Ursache hemmt und selbst +ausschliesst. + + +5. + +Psychologische Erklärung dazu. - Etwas Unbekanntes auf etwas Bekanntes +zurückführen, erleichtert, beruhigt, befriedigt, giebt ausserdem ein +Gefühl von Macht. Mit dem Unbekannten ist die Gefahr, die Unruhe, +die Sorge gegeben, - der erste Instinkt geht dahin, diese peinlichen +Zustände wegzuschaffen. Erster Grundsatz: irgend eine Erklärung ist +besser als keine. Weil es sich im Grunde nur um ein Loswerdenwollen +drückender Vorstellungen handelt, nimmt man es nicht gerade streng mit +den Mitteln, sie loszuwerden: die erste Vorstellung, mit der sich das +Unbekannte als bekannt erklärt, thut so wohl, dass man sie "für wahr +hält". Beweis der Lust ("der Kraft") als Criterium der Wahrheit. - Der +Ursachen-Trieb ist also bedingt und erregt durch das Furchtgefühl. +Das "Warum?" soll, wenn irgend möglich, nicht sowohl die Ursache um +ihrer selber willen geben, als vielmehr eine Art von Ursache - eine +beruhigende, befreiende, erleichternde Ursache. Dass etwas schon +Bekanntes, Erlebtes, in die Erinnerung Eingeschriebenes als Ursache +angesetzt wird, ist die erste Folge dieses Bedürfnisses. Das Neue, das +Unerlebte, das Fremde wird als Ursache ausgeschlossen. - Es wird also +nicht nur eine Art von Erklärungen als Ursache gesucht, sondern eine +ausgesuchte und bevorzugte Art von Erklärungen, die, bei denen am +schnellsten, am häufigsten das Gefühl des Fremden, Neuen, Unerlebten +weggeschafft worden ist, - die gewöhnlichsten Erklärungen. - Folge: +eine Art von Ursachen-Setzung überwiegt immer mehr, concentrirt sich +zum System und tritt endlich dominirend hervor, das heisst andere +Ursachen und Erklärungen einfach ausschliessend. - Der Banquier denkt +sofort an's "Geschäft", der Christ an die "Sünde", das Mädchen an +seine Liebe. + + +6. + +Der ganze Bereich der Moral und Religion gehört unter diesen +Begriff der imaginären Ursachen. - "Erklärung" der unangenehmen +Allgemeingefühle. Dieselben sind bedingt durch Wesen, die uns +feind sind (böse Geister: berühmtester Fall - Missverständniss der +Hysterischen als Hexen). Dieselben sind bedingt durch Handlungen, die +nicht zu billigen sind (das Gefühl der "Sünde", der "Sündhaftigkeit" +einem physiologischen Missbehagen untergeschoben - man findet immer +Gründe, mit sich unzufrieden zu sein). Dieselben sind bedingt als +Strafen, als eine Abzahlung für Etwas, das wir nicht hätten thun, das +wir nicht hätten sein sollen (in impudenter Form von Schopenhauer zu +einem Satze verallgemeinert, in dem die Moral als Das erscheint, was +sie ist, als eigentliche Giftmischerin und Verleumderin des Lebens: +"jeder grosse Schmerz, sei er leiblich, sei er geistig, sagt aus, was +wir verdienen; denn er könnte nicht an uns kommen, wenn wir ihn nicht +verdienten." Welt als Wille und Vorstellung, 2, 666). Dieselben sind +bedingt als Folgen unbedachter, schlimm auslaufender Handlungen (die +Affekte, die Sinne als Ursache, als "schuld" angesetzt; physiologische +Nothstände mit Hülfe anderer Nothstände als "verdient" ausgelegt). - +"Erklärung" der angenehmen Allgemeingefühle. Dieselben sind bedingt +durch Gottvertrauen. Dieselben sind bedingt durch das Bewusstsein +guter Handlungen (das sogenannte "gute Gewissen", ein physiologischer +Zustand, der mitunter einer glücklichen Verdauung zum Verwechseln +ähnlich sieht). Dieselben sind bedingt durch den glücklichen Ausgang +von Unternehmungen (- naiver Fehlschluss: der glückliche Ausgang einer +Unternehmung schafft einem Hypochonder oder: einem Pascal durchaus +keine angenehmen Allgemeingefühle). Dieselben sind bedingt durch +Glaube, Liebe, Hoffnung - die christlichen Tugenden. - In Wahrheit +sind alle diese vermeintlichen Erklärungen Folgezustände und gleichsam +Übersetzungen von Lust oder Unlust-Gefühlen in einen falschen Dialekt: +man ist im Zustande zu hoffen, weil das physiologische Grundgefühl +wieder stark und reich ist; man vertraut Gott, weil das Gefühl der +Fülle und Stärke Einem Ruhe giebt. - Die Moral und Religion gehört +ganz und gar unter die Psychologie des Irrthums: in jedem einzelnen +Falle wird Ursache und Wirkung verwechselt; oder die Wahrheit mit der +Wirkung des als wahr Geglaubten verwechselt; oder ein Zustand des +Bewusstseins mit der Ursächlichkeit dieses Zustands verwechselt. + + +7. + +Irrthum vom freien Willen. - Wir haben heute kein Mitleid mehr mit +dem Begriff "freier Wille": wir wissen nur zu gut, was er ist - +das anrüchigste Theologen-Kunststück, das es giebt, zum Zweck, die +Menschheit in ihrem Sinne "verantwortlich" zu machen, das heisst sie +von sich abhängig zu machen... Ich gebe hier nur die Psychologie alles +Verantwortlichmachens. - überall, wo Verantwortlichkeiten gesucht +werden, pflegt es der Instinkt des Strafen- und Richten-Wollens zu +sein, der da sucht. Man hat das Werden seiner Unschuld entkleidet, +wenn irgend ein So-und-so Sein auf Wille, auf Absichten, auf Akte +der Verantwortlichkeit zurückgeführt wird: die Lehre vom Willen +ist wesentlich erfunden zum Zweck der Strafe, das heisst des +Schuldig-finden-wollens. Die ganze alte Psychologie, die +Willens-Psychiologie hat ihre Voraussetzung darin, dass deren Urheber, +die Priester an der Spitze alter Gemeinwesen, sich ein Recht schaffen +wollten, Strafen zu verhängen - oder Gott dazu ein Recht schaffen +wollten... Die Menschen wurden "frei" gedacht, um gerichtet, um +gestraft werden zu können, - um schuldig werden zu können: folglich +musste jede Handlung als gewollt, der Ursprung jeder Handlung im +Bewusstsein liegend gedacht werden (- womit die grundsätzlichste +Falschmünzerei in psychologicis zum Princip der Psychologie selbst +gemacht war... ) Heute, wo wir in die umgekehrte Bewegung eingetreten +sind, wo wir Immoralisten zumal mit aller Kraft den Schuldbegriff und +den Strafbegriff aus der Welt wieder herauszunehmen und Psychologie, +Geschichte, Natur, die gesellschaftlichen Institutionen und Sanktionen +von ihnen zu reinigen suchen, giebt es in unsern Augen keine +radikalere Gegnerschaft als die der Theologen, welche fortfahren, mit +dem Begriff der "sittlichen Weltordnung" die Unschuld des Werdens +durch "Strafe" und "Schuld" zu durchseuchen. Das Christenthum ist eine +Metaphysik des Henkers... + + +8. + +Was kann allein unsre Lehre sein? - Dass Niemand dem Menschen seine +Eigenschaften giebt, weder Gott, noch die Gesellschaft, noch seine +Eltern und Vorfahren, noch er selbst (- der Unsinn der hier zuletzt +abgelehnten Vorstellung ist als "intelligible Freiheit" von Kant, +vielleicht auch schon von Plato gelehrt worden). Niemand ist dafür +verantwortlich, dass er überhaupt da ist, dass er so und so beschaffen +ist, dass er unter diesen Umständen, in dieser Umgebung ist. Die +Fatalität seines Wesens ist nicht herauszulösen aus der Fatalität +alles dessen, was war und was sein wird. Er ist nicht die Folge einer +eignen Absicht, eines Willens, eines Zwecks, mit ihm wird nicht der +Versuch gemacht, ein "Ideal von Mensch" oder ein "Ideal von Glück" +oder ein "Ideal von Moralität" zu erreichen, - es ist absurd, sein +Wesen in irgend einen Zweck hin abwälzen zu wollen. Wir haben den +Begriff "Zweck" erfunden: in der Realität fehlt der Zweck... Man ist +nothwendig, man ist ein Stück Verhängniss, man gehört zum Ganzen, man +ist im Ganzen, - es giebt Nichts, was unser Sein richten, messen, +vergleichen, verurtheilen könnte, denn das hiesse das Ganze richten, +messen, vergleichen, verurtheilen... Aber es giebt Nichts ausser dem +Ganzen! - Dass Niemand mehr verantwortlich gemacht wird, dass die Art +des Seins nicht auf eine causa prima zurückgeführt werden darf, dass +die Welt weder als Sensorium, noch als "Geist" eine Einheit ist, dies +erst ist die grosse Befreiung, - damit erst ist die Unschuld des +Werdens wieder hergestellt... Der Begriff "Gott" war bisher der +grösste Einwand gegen das Dasein... Wir leugnen Gott, wir leugnen die +Verantwortlichkeit in Gott: damit erst erlösen wir die Welt. - + + + +Die "Verbesserer" der Menschheit. + +1. + +Man kennt meine Forderung an den Philosophen, sich jenseits von Gut +und Böse zu stellen, - die Illusion des moralischen Urtheils unter +sich zu haben. Diese Forderung folgt aus einer Einsicht, die von mir +zum ersten Male formulirt worden ist: dass es gar keine moralischen +Thatsachen giebt. Das moralische Urtheil hat Das mit dem religiösen +gemein, dass es an Realitäten glaubt, die keine sind. Moral ist +nur eine Ausdeutung gewisser Phänomene, bestimmter geredet, eine +Missdeutung. Das moralische Urtheil gehört, wie das religiöse, einer +Stufe der Unwissenheit zu, auf der selbst der Begriff des Realen, +die Unterscheidung des Realen und Imaginären noch fehlt: so dass +"Wahrheit" auf solcher Stufe lauter Dinge bezeichnet, die wir heute +"Einbildungen" nennen. Das moralische Urtheil ist insofern nie +wörtlich zu nehmen: als solches enthält es immer nur Widersinn. Aber +es bleibt als Semiotik unschätzbar: es offenbart, für den Wissenden +wenigstens, die werthvollsten Realitäten von Culturen und +Innerlichkeiten, die nicht genug wussten, um sich selbst zu +"verstehn". Moral ist bloss Zeichenrede, bloss Symptomatologie: man +muss bereits wissen, worum es sich handelt, um von ihr Nutzen zu +ziehen. + + +2. + +Ein erstes Beispiel und ganz vorläufig. Zu allen Zeiten hat man die +Menschen "verbessern" wollen: dies vor Allem hiess Moral. Aber unter +dem gleichen Wort ist das Allerverschiedenste von Tendenz versteckt. +Sowohl die Zähmung der Bestie Mensch als die Züchtung einer bestimmten +Gattung Mensch ist "Besserung" genannt worden: erst diese zoologischen +termini drücken Realitäten aus - Realitäten freilich, von denen der +typische "Verbesserer", der Priester, Nichts weiss - Nichts wissen +will... Die Zähmung eines Thieres seine "Besserung" nennen ist +in unsren Ohren beinahe ein Scherz. Wer weiss, was in Menagerien +geschieht, zweifelt daran, dass die Bestie daselbst "verbessert" wird. +Sie wird geschwächt, sie wird weniger schädlich gemacht, sie wird +durch den depressiven Affekt der Furcht, durch Schmerz, durch Wunden, +durch Hunger zur krankhaften Bestie. - Nicht anders steht es mit dem +gezähmten Menschen, den der Priester "verbessert" hat. Im frühen +Mittelalter, wo in der That die Kirche vor Allem eine Menagerie war, +machte man allerwärts auf die schönsten Exemplare der "blonden Bestie" +Jagd, - man "verbesserte" zum Beispiel die vornehmen Germanen. +Aber wie sah hinterdrein ein solcher "verbesserter", in's Kloster +verführter Germane aus? Wie eine Caricatur des Menschen, wie eine +Missgeburt: er war zum "Sünder" geworden, er stak im Käfig, man hatte +ihn zwischen lauter schreckliche Begriffe eingesperrt... Da lag er +nun, krank, kümmerlich, gegen sich selbst böswillig; voller Hass gegen +die Antriebe zum Leben, voller Verdacht gegen Alles, was noch stark +und glücklich war. Kurz, ein "Christ"... Physiologisch geredet: im +Kampf mit der Bestie kann Krank machen das einzige Mittel sein, sie +schwach zu machen. Das verstand die Kirche: sie verdarb den Menschen, +sie schwächte ihn, - aber sie nahm in Anspruch, ihn "verbessert" zu +haben... + + +3. + +Nehmen wir den andern Fall der sogenannten Moral, den Fall der +Züchtung einer bestimmten Rasse und Art. Das grossartigste Beispiel +dafür giebt die indische Moral, als "Gesetz des Manu" zur Religion +sanktionirt. Hier ist die Aufgabe gestellt, nicht weniger als vier +Rassen auf einmal zu züchten: eine priesterliche, eine kriegerische, +eine händler- und ackerbauerische, endlich eine Dienstboten-Rasse, die +Sudras. Ersichtlich sind wir hier nicht mehr unter Thierbändigern: +eine hundert Mal mildere und vernünftigere Art Mensch ist die +Voraussetzung, um auch nur den Plan einer solchen Züchtung zu +concipiren. Man athmet auf, aus der christlichen Kranken- und +Kerkerluft in diese gesündere, höhere, weitere Welt einzutreten. Wie +armselig ist das "neue Testament" gegen Manu, wie schlecht riecht +es! - Aber auch diese Organisation hatte nöthig, furchtbar zu +sein, - nicht dies Mal im Kampf mit der Bestie, sondern mit ihrem +Gegensatz-Begriff, dem Nicht-Zucht-Menschen, dem Mischmasch-Menschen, +dem Tschandala. Und wieder hatte sie kein andres Mittel, ihn +ungefährlich, ihn schwach zu machen, als ihn krank zu machen, - es war +der Kampf mit der "grossen Zahl". Vielleicht giebt es nichts unserm +Gefühle Widersprechenderes als diese Schutzmaassregeln der indischen +Moral. Das dritte Edikt zum Beispiel (Avadana-Sastra 1), das "von +den unreinen Gemüsen", ordnet an, dass die einzige Nahrung, die +den Tschandala erlaubt ist, Knoblauch und Zwiebeln sein sollen, in +Anbetracht, dass die heilige Schrift verbietet, ihnen Korn oder +Früchte, die Körner tragen, oder Wasser oder Feuer zu geben. Dasselbe +Edikt setzt fest, dass das Wasser, welches sie nöthig haben, weder +aus den Flüssen, noch aus den Quellen, noch aus den Teichen genommen +werden dürfe, sondern nur aus den Zugängen zu Sümpfen und aus Löchern, +welche durch die Fusstapfen der Thiere entstanden sind. Insgleichen +wird ihnen verboten, ihre Wäsche zu waschen und sich selbst zu +waschen, da das Wasser, das ihnen aus Gnade zugestanden wird, nur +benutzt werden darf, den Durst zu löschen. Endlich ein Verbot an +die Sudra-Frauen, den Tschandala-Frauen bei der Geburt beizustehen, +insgleichen noch eins für die letzteren, einander dabei beizustehen... +- Der Erfolg einer solchen Sanitäts-Polizei blieb nicht aus: +mörderische Seuchen, scheussliche Geschlechtskrankheiten und darauf +hin wieder "das Gesetz des Messers", die Beschneidung für die +männlichen, die Abtragung der kleinen Schamlippen für die weiblichen +Kinder anordnend. - Manu selbst sagt: "die Tschandala sind die Frucht +von Ehebruch, Incest und Verbrechen (- dies die nothwendige Consequenz +des Begriffs Züchtung). Sie sollen zu Kleidern nur die Lumpen von +Leichnamen haben, zum Geschirr zerbrochne Töpfe, zum Schmuck altes +Eisen, zum Gottesdienst nur die bösen Geister; sie sollen ohne Ruhe +von einem Ort zum andern schweifen. Es ist ihnen verboten, von links +nach rechts zu schreiben und sich der rechten Hand zum Schreiben zu +bedienen: der Gebrauch der rechten Hand und des von Links nach Rechts +ist bloss den Tugendhaften vorbehalten, den Leuten von Rasse." - + + +4. + +Diese Verfügungen sind lehrreich genug: in ihnen haben wir einmal die +arische Humanität, ganz rein, ganz ursprünglich, - wir lernen, dass +der Begriff "reines Blut" der Gegensatz eines harmlosen Begriffs +ist. Andrerseits wird klar, in welchem Volk sich der Hass, der +Tschandala-Hass gegen diese "Humanität" verewigt hat, wo er Religion, +wo er Genie geworden ist...Unter diesem Gesichtspunkte sind die +Evangelien eine Urkunde ersten Ranges; noch mehr das Buch Henoch. +- Das Christenthum, aus jüdischer Wurzel und nur verständlich als +Gewächs dieses Bodens, stellt die Gegenbewegung gegen jede Moral der +Züchtung, der Rasse, des Privilegiums dar: - es ist die antiarische +Religion par excellence: das Christenthum die Umwerthung aller +arischen Werthe, der Sieg der Tschandala Werthe, das Evangelium +den Armen, den Niedrigen gepredigt, der Gesammt-Aufstand alles +Niedergetretenen, Elenden, Missrathenen, Schlechtweggekommenen gegen +die "Rasse", - die unsterbliche Tschandala-Rache als Religion der +Liebe... + + +5. + +Die Moral der Züchtung und die Moral der Zähmung sind in den Mitteln, +sich durchzusetzen, vollkommen einander würdig: wir dürfen als +obersten Satz hinstellen, dass, um Moral zu machen, man den +unbedingten Willen zum Gegentheil haben muss. Dies ist das grosse, +das unheimliche Problem, dem ich am längsten nachgegangen bin: die +Psychologie der "Verbesserer" der Menschheit. Eine kleine und im +Grunde bescheidne Thatsache, die der sogenannten pia fraus, gab mir +den ersten Zugang zu diesem Problem: die pia fraus, das Erbgut aller +Philosophen und Priester, die die Menschheit "verbesserten". Weder +Manu, noch Plato, noch Confucius, noch die jüdischen und christlichen +Lehrer haben je an ihrem Recht zur Lüge gezweifelt. Sie haben an ganz +andren Rechten nicht gezweifelt... In Formel ausgedrückt dürfte man +sagen: alle Mittel, wodurch bisher die Menschheit moralisch gemacht +werden sollte, waren von Grund aus unmoralisch. - + + + +Was den Deutschen abgeht. + +1. + +Unter Deutschen ist es heute nicht genug, Geist zu haben: man muss ihn +noch sich nehmen, sich Geist herausnehmen... + +Vielleicht kenne ich die Deutschen, vielleicht darf ich selbst ihnen +ein paar Wahrheiten sagen. Das neue Deutschland stellt ein grosses +Quantum vererbter und angeschulter Tüchtigkeit dar, so dass es den +aufgehäuften Schatz von Kraft eine Zeit lang selbst verschwenderisch +ausgeben darf. Es ist nicht eine hohe Cultur, die mit ihm Herr +geworden, noch weniger ein delikater Geschmack, eine vornehme +"Schönheit" der Instinkte; aber männlichere Tugenden, als sonst ein +Land Europa's aufweisen kann. Viel guther Muth und Achtung vor sich +selber, viel Sicherheit im Verkehr, in der Gegenseitigkeit der +Pflichten, viel Arbeitsamkeit, viel Ausdauer - und eine angeerbte +Mässigung, welche eher des Stachels als des Hemmschuhs bedarf. Ich +füge hinzu, dass hier noch gehorcht wird, ohne dass das Gehorchen +demüthigt... Und Niemand verachtet seinen Gegner... + +Man sieht, es ist mein Wunsch, den Deutschen gerecht zu sein: ich +möchte mir darin nicht untreu werden, - ich muss ihnen also auch +meinen Einwand machen. Es zahlt sich theuer, zur Macht zu kommen: die +Macht verdummt... Die Deutschen - man hiess sie einst das Volk der +Denker: denken sie heute überhaupt noch? - Die Deutschen langweilen +sich jetzt am Geiste, die Deutschen misstrauen jetzt dem Geiste, +die Politik verschlingt allen Ernst für wirklich geistige Dinge - +"Deutschland, Deutschland über Alles", ich fürchte, das war das Ende +der deutschen Philosophie... "Giebt es deutsche Philosophen? giebt +es deutsche Dichter? giebt es gute deutsche Bücher?" fragt man mich +im Ausland. Ich erröthe, aber mit der Tapferkeit, die mir auch in +verzweifelten Fällen zu eigen ist, antworte ich: "Ja, Bismarck!" - +Dürfte ich auch nur eingestehn, welche Bücher man heute liest?... +Vermaledeiter Instinkt der Mittelmässigkeit! - + + +2. + +- Was der deutsche Geist sein könnte, wer hätte nicht schon darüber +seine schwermüthigen Gedanken gehabt! Aber dies Volk hat sich +willkürlich verdummt, seit einem Jahrtausend beinahe: nirgendswo sind +die zwei grossen europäischen Narcotica, Alkohol und Christenthum, +lasterhafter gemissbraucht worden. Neuerdings kam sogar noch +ein drittes hinzu, mit dem allein schon aller feinen und kühnen +Beweglichkeit des Geistes der Garaus gemacht werden kann, die +Musik, unsre verstopfte verstopfende deutsche Musik. - Wie viel +verdriessliche Schwere, Lahmheit, Feuchtigkeit, Schlafrock, wie viel +Bier ist in der deutschen Intelligenz! Wie ist es eigentlich möglich, +dass junge Männer, die den geistigsten Zielen ihr Dasein weihn, nicht +den ersten Instinkt der Geistigkeit, den Selbsterhaltungs-Instinkt des +Geistes in sich fühlen - und Bier trinken?... Der Alkoholismus der +gelehrten Jugend ist vielleicht noch kein Fragezeichen in Absicht +ihrer Gelehrsamkeit - man kann ohne Geist sogar ein grosser Gelehrter +sein -, aber in jedem andren Betracht bleibt er ein Problem. - Wo +fände man sie nicht, die sanfte Entartung, die das Bier im Geiste +hervorbringt! Ich habe einmal in einem beinahe berühmt gewordnen Fall +den Finger auf eine solche Entartung gelegt - die Entartung unsres +ersten deutschen Freigeistes, des klugen David Strauss, zum Verfasser +eines Bierbank-Evangeliums und "neuen Glaubens"... Nicht umsonst hatte +er der "holden Braunen" sein Gelöbniss in Versen gemacht - Treue bis +zum Tod... + + +3. + +- Ich sprach vom deutschen Geiste: dass er gröber wird, dass er sich +verflacht. Ist das genug? - Im Grunde ist es etwas ganz Anderes, das +mich erschreckt: wie es immer mehr mit dem deutschen Ernste, der +deutschen Tiefe, der deutschen Leidenschaft in geistigen Dingen +abwärts geht. Das Pathos hat sich verändert, nicht bloss die +Intellektualität. - Ich berühre hier und da deutsche Universitäten: +was für eine Luft herrscht unter deren Gelehrten, welche öde, +welche genügsam und lau gewordne Geistigkeit! Es wäre ein tiefes +Missverständniss, wenn man mir hier die deutsche Wissenschaft +einwenden wollte - und ausserdem ein Beweis dafür, dass man nicht +ein Wort von mir gelesen hat. Ich bin seit siebzehn Jahren nicht +müde geworden, den entgeistigenden Einfluss unsres jetzigen +Wissenschafts-Betriebs an's Licht zu stellen. Das harte Helotenthum, +zu dem der ungeheure Umfang der Wissenschaften heute jeden Einzelnen +verurtheilt, ist ein Hauptgrund dafür, dass voller, reicher, tiefer +angelegte Naturen keine ihnen gemässe Erziehung und Erzieher mehr +vorfinden. Unsre Cultur leidet an Nichts mehr, als an dem Überfluss +anmaasslicher Eckensteher und Bruchstück-Humanitäten; unsre +Universitäten sind, wider Willen, die eigentlichen Treibhäuser für +diese Art Instinkt-Verkümmerung des Geistes. Und ganz Europa hat +bereits einen Begriff davon - die grosse Politik täuscht Niemanden... +Deutschland gilt immer mehr als Europa's Flachland. - Ich suche noch +nach einem Deutschen, mit dem ich auf meine Weise ernst sein könnte, +- um wie viel mehr nach einem, mit dem ich heiter sein dürfte! +Götzen-Dämmerung: ah wer begriffe es heute, von was für einem Ernste +sich hier ein Einsiedler erholt! - Die Heiterkeit ist an uns das +Unverständlichste... + + +4. + +Man mache einen Überschlag: es liegt nicht nur auf der Hand, dass die +deutsche Cultur niedergeht, es fehlt auch nicht am zureichenden Grund +dafür. Niemand kann zuletzt mehr ausgeben als er hat - das gilt +von Einzelnen, das gilt von Völkern. Giebt man sich für Macht, für +grosse Politik, für Wirthschaft, Weltverkehr, Parlamentarismus, +Militär-Interessen aus, - giebt man das Quantum Verstand, Ernst, +Wille, Selbstüberwindung, das man ist, nach dieser Seite weg, so fehlt +es auf der andern Seite. Die Cultur und der Staat - man betrüge sich +hierüber nicht - sind Antagonisten: "Cultur-Staat" ist bloss eine +moderne Idee. Das Eine lebt vom Andern, das Eine gedeiht auf +Unkosten des Anderen. Alle grossen Zeiten der Cultur sind politische +Niedergangs-Zeiten: was gross ist im Sinn der Cultur war unpolitisch, +selbst antipolitisch. - Goethen gieng das Herz auf bei dem Phänomen +Napoleon, - es gieng ihm zu beiden "Freiheits-Kriegen"... In demselben +Augenblick, wo Deutschland als Grossmacht heraufkommt, gewinnt +Frankreich als Culturmacht eine veränderte Wichtigkeit. Schon heute +ist viel neuer Ernst, viel neue Leidenschaft des Geistes nach Paris +übergesiedelt; die Frage des Pessimismus zum Beispiel, die Frage +Wagner, fast alle psychologischen und artistischen Fragen werden dort +unvergleichlich feiner und gründlicher erwogen als in Deutschland, +- die Deutschen sind selbst unfähig zu dieser Art Ernst. - In der +Geschichte der europäischen Cultur bedeutet die Heraufkunft des +"Reichs" vor allem Eins: eine Verlegung des Schwergewichts. Man weiss +es überall bereits: in der Hauptsache - und das bleibt die Cultur - +kommen die Deutschen nicht mehr in Betracht. Man fragt: habt ihr auch +nur Einen für Europa mitzählenden Geist aufzuweisen? wie euer Goethe, +euer Hegel, euer Heinrich Heine, euer Schopenhauer mitzählte? - Dass +es nicht einen einzigen deutschen Philosophen mehr giebt, darüber ist +des Erstaunens kein Ende. - + + +5. + +Dem ganzen höheren Erziehungswesen in Deutschland ist die Hauptsache +abhanden gekommen: Zweck sowohl als Mittel zum Zweck. Dass Erziehung, +Bildung selbst Zweck ist - und nicht das "Reich" -, dass es zu +diesem Zweck der Erzieherbedarf - und nicht der Gymnasiallehrer und +Universitäts-Gelehrten - man vergass das... Erzieher thun noth, die +selbst erzogen sind, überlegene, vornehme Geister, in jedem Augenblick +bewiesen, durch Wort und Schweigen bewiesen, reife, süss gewordene +Culturen, - nicht die gelehrten Rüpel, welche Gymnasium und +Universität der Jugend heute als "höhere Ammen" entgegenbringt. Die +Erzieherfehlen, die Ausnahmen der Ausnahmen abgerechnet, die erste +Vorbedingung der Erziehung: daher der Niedergang der deutschen Cultur. +- Eine jener allerseltensten Ausnahmen ist mein verehrungswürdiger +Freund Jakob Burckhardt in Basel: ihm zuerst verdankt Basel seinen +Vorrang von Humanität. - Was die "höheren Schulen" Deutschlands +thatsächlich erreichen, das ist eine brutale Abrichtung, um, mit +möglichst geringem Zeitverlust, eine Unzahl junger Männer für den +Staatsdienst nutzbar, ausnutzbar zu machen. "Höhere Erziehung" und +Unzahl - das widerspricht sich von vornherein. Jede höhere Erziehung +gehört nur der Ausnahme: man muss privilegirt sein, um ein Recht auf +ein so hohes Privilegium zu haben. Alle grossen, alle schönen Dinge +können nie Gemeingut sein: pulchrum est paucorum hominum. - Was +bedingt den Niedergang der deutschen Cultur? Dass "höhere Erziehung" +kein Vorrecht mehr ist - der Demokratismus der "allgemeinen", der +gemein gewordnen "Bildung"... Nicht zu vergessen, dass militärische +Privilegien den Zu-Viel-Besuch der höheren Schulen, das heisst ihren +Untergang, förmlich erzwingen. - Es steht Niemandem mehr frei, im +jetzigen Deutschland seinen Kindern eine vornehme Erziehung zu +geben: unsre "höheren" Schulen sind allesammt auf die zweideutigste +Mittelmässigkeit eingerichtet, mit Lehrern, mit Lehrplänen, mit +Lehrzielen. Und überall herrscht eine unanständige Hast, wie als ob +Etwas versäumt wäre, wenn der junge Mann Mit 23 Jahren noch nicht +"fertig" ist, noch nicht Antwort weiss auf die "Hauptfrage": welchen +Beruf? - Eine höhere Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht +"Berufe", genau deshalb, weil sie sich berufen weiss... Sie hat Zeit, +sie nimmt sich Zeit, sie denkt gar nicht daran, "fertig" zu werden, +- mit dreissig Jahren ist man, im Sinne hoher Cultur, ein Anfänger, +ein Kind. - Unsre überfüllten Gymnasien, unsre überhäuften, stupid +gemachten Gymnasiallehrer sind ein Skandal: um diese Zustände in +Schutz zu nehmen, wie es jüngst die Professoren von Heidelberg gethan +haben, dazu hat man vielleicht Ursachen, - Gründe dafür giebt es +nicht. + + +6. + +- Ich stelle, um nicht aus meiner Art zu fallen, die ja-sagend ist und +mit Widerspruch und Kritik nur mittelbar, nur unfreiwillig zu thun +hat, sofort die drei Aufgaben hin, derentwegen man Erzieher braucht. +Man hat sehen zu lernen, man hat denken zu lernen, man hat sprechen +und schreiben zu lernen: das Ziel in allen Dreien ist eine vornehme +Cultur. - Sehen lernen - dem Auge die Ruhe, die Geduld, das +An-sich-herankommen-lassen angewöhnen; das Urtheil hinausschieben, +den Einzelfall von allen Seiten umgehn und umfassen lernen. Das ist +die erste Vorschulung zur Geistigkeit: auf einen Reiz nicht sofort +reagiren, sondern die hemmenden, die abschliessenden Instinkte in die +Hand bekommen. Sehen lernen, so wie ich es verstehe, ist beinahe Das, +was die unphilosophische Sprechweise den starken Willen nennt: das +Wesentliche daran ist gerade, nicht "wollen", die Entscheidung +aussetzen können. Alle Ungeistigkeit, alle Gemeinheit beruht auf dem +Unvermögen, einem Reize Widerstand zu leisten - man muss reagiren, man +folgt jedem Impulse. In vielen Fällen ist ein solches Müssen bereits +Krankhaftigkeit, Niedergang, Symptom der Erschöpfung, - fast Alles, +was die unphilosophische Rohheit mit dem Namen "Laster" bezeichnet, +ist bloss jenes physiologische Unvermögen, nicht zu reagiren. - +Eine Nutzanwendung vom Sehen-gelernt-haben: man wird als Lernender +überhaupt langsam, misstrauisch, widerstrebend geworden sein. Man wird +Fremdes, Neues jeder Art zunächst mit feindseliger Ruhe herankommen +lassen, - man wird seine Hand davor zurückziehn. Das Offenstehn +mit allen Thüren, das unterthänige Auf-dem-Bauch-Liegen vor jeder +kleinen Thatsache, das allzeit sprungbereite Sich-hinein-Setzen, +Sich-hinein-Stürzen in Andere und Anderes, kurz die berühmte +moderne "Objektivität" ist schlechter Geschmack, ist unvornehm par +excellence. - + + +7. + +Denken lernen: man hat auf unsren Schulen keinen Begriff mehr davon. +Selbst auf den Universitäten, sogar unter den eigentlichen Gelehrten +der Philosophie beginnt Logik als Theorie, als Praktik, als Handwerk, +auszusterben. Man lese deutsche Bücher: nicht mehr die entfernteste +Erinnerung daran, dass es zum Denken einer Technik, eines Lehrplans, +eines Willens zur Meisterschaft bedarf, - dass Denken gelernt sein +will, wie Tanzen gelernt sein will, als eine Art Tanzen... Wer kennt +unter Deutschen jenen feinen Schauder aus Erfahrung noch, den die +leichten Füsse im Geistigen in alle Muskeln überströmen! - Die steife +Tölpelei der geistigen Gebärde, die plumpe Hand beim Fassen - das ist +in dem Grade deutsch, dass man es im Auslande mit dem deutschen Wesen +überhaupt verwechselt. Der Deutsche hat keine Finger für nuances... +Dass die Deutschen ihre Philosophen auch nur ausgehalten haben, vor +Allen jenen verwachsensten Begriffs-Krüppel, den es je gegeben hat, +den grossen Kant, giebt keinen kleinen Begriff von der deutschen +Anmuth. - Man kann nämlich das Tanzen in jeder Form nicht von der +vornehmen Erziehung abrechnen, Tanzen können mit den Füssen, mit den +Begriffen, mit den Worten; habe ich noch zu sagen, dass man es auch +mit der Feder können muss, - dass man schreiben lernen muss? - Aber +an dieser Stelle würde ich deutschen Lesern vollkommen zum Räthsel +werden... + + + +Streifzüge eines Unzeitgemässen. + +1. + +Meine Unmöglichen. - Seneca: oder der Toreador der Tugend. - Rousseau: +oder die Rückkehr zur Natur in impuris naturalibus. - Schiller: oder +der Moral-Trompeter von Säckingen. - Dante: oder die Hyäne, die in +Gräbern dichtet. - Kant: oder cant als intelligibler Charakter. +-Victor Hugo: oder der Pharus am Meere des Unsinns. - Liszt: oder die +Schule der Geläufigkeit - nach Weibern. - George Sand: oder lactea +ubertas, auf deutsch: die Milchkuh mit "schönem Stil". - Michelet: +oder die Begeisterung, die den Rock auszieht...Carlyle: oder +Pessimismus als zurückgetretenes Mittagessen. - John Stuart Mill: oder +die beleidigende Klarheit. - Les fréres de Goncourt: oder die beiden +Ajaxe im Kampf mit Homer. Musik von Offenbach. - Zola: oder die Freude +zu stinken. - + + +2. + +Renan. - Theologie, oder die Verderbniss der Vernunft durch die +"Erbsünde" (das Christenthum). Zeugniss Renan, der, sobald er +einmal ein Ja oder Nein allgemeinerer Art risquirt, mit peinlicher +Regelmässigkeit daneben greift. Er möchte zum Beispiel la science und +la noblesse in Eins verknüpfen: aber la science gehört zur Demokratie, +das greift sich doch mit Händen. Er wünscht, mit keinem kleinen +Ehrgeize, einen Aristokratismus des Geistes darzustellen: aber +zugleich liegt er vor dessen Gegenlehre, dem évangile des humbles auf +den Knien und nicht nur auf den Knien... Was hilft alle Freigeisterei, +Modernität, Spötterei und Wendehals-Geschmeidigkeit, wenn man mit +seinen Eingeweiden Christ, Katholik und sogar Priester geblieben ist! +Renan hat seine Erfindsamkeit, ganz wie ein Jesuit und Beichtvater, +in der Verführung; seiner Geistigkeit fehlt das breite +Pfaffen-Geschmunzel nicht, - er wird, wie alle Priester, gefährlich +erst, wenn er liebt. Niemand kommt ihm darin gleich, auf eine +lebensgefährliche Weise anzubeten... Dieser Geist Renan's, ein +Geist, der entnervt, ist ein Verhängniss mehr für das arme, kranke, +willenskranke Frankreich. - + + +3. + +Sainte-Beuve. - Nichts von Mann; voll eines kleinen Ingrimms gegen +alle Mannsgeister. Schweift umher, fein, neugierig, gelangweilt, +aushorcherisch, - eine Weibsperson im Grunde, mit einer +Weibs-Rachsucht und Weibs-Sinnlichkeit. Als Psycholog ein Genie der +médisance; unerschöpflich reich an Mitteln dazu; Niemand versteht +besser, mit einem Lob Gift zu mischen. Plebejisch in den untersten +Instinkten und mit dem ressentiment Rousseau's verwandt: folglich +Romantiker - denn unter allem romantisme grunzt und giert der Instinkt +Rousseau's nach Rache. Revolutionär, aber durch die Furcht leidlich +noch im Zaum gehalten. Ohne Freiheit vor Allem, was Stärke hat +(öffentliche Meinung, Akademie, Hof, selbst Port Royal). Erbittert +gegen alles Grosse an Mensch und Ding, gegen Alles, was an sich +glaubt. Dichter und Halbweib genug, um das Grosse noch als Macht zu +fühlen; gekrümmt beständig, wie jener berühmte Wurm, weil er sich +beständig getreten fühlt. Als Kritiker ohne Maassstab, Halt und +Rückgrat, mit der Zunge des kosmopolitischen libertin für Vielerlei, +aber ohne den Muth selbst zum Eingeständniss der libertinage. Als +Historiker ohne Philosophie, ohne die Macht des philosophischen +Blicks, - deshalb die Aufgabe des Richtens in allen Hauptsachen +ablehnend, die "Objektivität" als Maske vorhaltend. Anders verhält er +sich zu allen Dingen, wo ein feiner, vernutzter Geschmack die höchste +Instanz ist: da hat er wirklich den Muth zu sich, die Lust an sich, - +da ist er Meister. - Nach einigen Seiten eine Vorform Baudelaire's. - + + +4. + +Die imitatio Christi gehört zu den Büchern, die ich nicht ohne einen +physiologischen Widerstand in den Händen halte: sie haucht einen +parfum des Ewig-Weiblichen aus, zu dem man bereits Franzose sein muss +- oder Wagnerianer... Dieser Heilige hat eine Art von der Liebe zu +reden, dass sogar die Pariserinnen neugierig werden. - Man sagt mir, +dass jener klügste Jesuit, A. Comte, der seine Franzosen auf dem +Umweg der Wissenschaft nach Rom führen wollte, sich an diesem Buche +inspirirt habe. Ich glaube es: "die Religion des Herzens"... + + +5. + +G. Eliot. - Sie sind den christlichen Gott los und glauben nun um, +so mehr die christliche Moral festhalten zu müssen: das ist eine +englische Folgerichtigkeit, wir wollen sie den Moral Weiblein á +la Eliot nicht verübeln. In England muss man sich für jede kleine +Emancipation von der Theologie in furchteinflössender Weise als +Moral-Fanatiker wieder zu Ehren bringen. Das ist dort die Busse, die +man zahlt. - Für uns Andre steht es anders. Wenn man den christlichen +Glauben aufgiebt, zieht man sich damit das Recht zur christlichen +Moral unter den Füssen weg. Diese versteht sich schlechterdings nicht +von selbst: man muss diesen Punkt, den englischen Flachköpfen zum +Trotz, immer wieder an's Licht stellen. Das Christenthum ist ein +System, eine zusammengedachte und ganze Ansicht der Dinge. Bricht man +aus ihm einen Hauptbegriff, den Glauben an Gott, heraus, so zerbricht +man damit auch das Ganze: man hat nichts Nothwendiges mehr zwischen +den Fingern. Das Christenthum setzt voraus, dass der Mensch nicht +wisse, nicht wissen könne, was für ihn gut, was böse ist: er glaubt an +Gott, der allein es weiss. Die christliche Moral ist ein Befehl; ihr +Ursprung ist transscendent; sie ist jenseits aller Kritik, alles +Rechts auf Kritik; sie hat nur Wahrheit, falls Gott die Wahrheit ist, +- sie steht und fällt mit dem Glauben an Gott. - Wenn thatsächlich die +Engländer glauben, sie wüssten von sich aus, "intuitiv", was gut und +böse ist, wenn sie folglich vermeinen, das Christenthum als Garantie +der Moral nicht mehr nöthig zu haben, so ist dies selbst bloss die +Folge der Herrschaft des christlichen Werthurtheils und ein Ausdruck +von der Stärke und Tiefe dieser Herrschaft: so dass der Ursprung der +englischen Moral vergessen worden ist, so dass das Sehr-Bedingte ihres +Rechts auf Dasein nicht mehr empfunden wird. Für den Engländer ist die +Moral noch kein Problem... + + +6. + +George Sand. - Ich las die ersten lettres d'un voyageur: wie Alles, +was von Rousseau stammt, falsch, gemacht, Blasebalg, übertrieben. +Ich halte diesen bunten Tapeten-Stil nicht aus; ebensowenig als die +Pöbel-Ambition nach generösen Gefühlen. Das Schlimmste freilich bleibt +die Weibskoketterie mit Männlichkeiten, mit Manieren ungezogener +Jungen. - Wie kalt muss sie bei alledem gewesen sein, diese +unausstehliche Künstlerin! Sie zog sich auf wie eine Uhr - und +schrieb... Kalt, wie Hugo wie Balzac, wie alle Romantiker, sobald sie +dichteten! Und wie selbstgefällig sie dabei dagelegen haben mag, diese +fruchtbare Schreibe-Kuh, die etwas Deutsches im schlimmen Sinne an +sich hatte, gleich Rousseau selbst, ihrem Meister, und jedenfalls erst +beim Niedergang des französischen Geschmacks möglich war! - Aber Renan +verehrt sie... + + +7. + +Moral für Psychologen. - Keine Colportage-Psychologie treiben! Nie +beobachten, um zu beobachten! Das giebt eine falsche Optik, ein +Schielen, etwas Erzwungenes und Übertreibendes. Erleben als +Erleben-Wollen - das geräth nicht. Man darf nicht im Erlebniss nach +sich hinblicken, jeder Blick wird da zum "bösen Blick". Ein geborner +Psycholog hütet sich aus Instinkt, zu sehn, um zu sehn; dasselbe gilt +vom gebornen Maler. Er arbeitet nie "nach der Natur", - er überlässt +seinem Instinkte, seiner camera obscura das Durchsieben und Ausdrücken +des "Falls", der "Natur", des "Erlebten"... Das Allgemeine erst kommt +ihm zum Bewusstsein, der Schluss, das Ergebniss: er kennt jenes +willkürliche Abstrahiren vom einzelnen Falle nicht. - Was wird daraus, +wenn man es anders macht? Zum Beispiel nach Art der Pariser romanciers +gross und klein Colportage-Psychologie treibt? Das lauert gleichsam +der Wirklichkeit auf, das bringt jeden Abend eine Handvoll +Curiositäten mit nach Hause... Aber man sehe nur, was zuletzt +herauskommt - ein Haufen von Klecksen, ein Mosaik besten Falls, in +jedem Falle etwas Zusammen-Addirtes, Unruhiges, Farbenschreiendes. Das +Schlimmste darin erreichen die Goncourt: sie setzen nicht drei Sätze +zusammen, die nicht dem Auge, dem Psychologen-Auge einfach weh thun. - +Die Natur, künstlerisch abgeschätzt, ist kein Modell. Sie übertreibt, +sie verzerrt, sie lässt Lücken. Die Natur ist der Zufall. Das Studium +"nach der Natur" scheint mir ein schlechtes Zeichen: es verräth +Unterwerfung, Schwäche, Fatalismus, - dies Im-Staube-Liegen vor petits +faits ist eines ganzen Künstlers unwürdig. Sehen, was ist - das gehört +einer andern Gattung von Geistern. zu, den antiartistischen, den +Thatsächlichen. Man muss wissen, wer man ist... + + +8. + +Zur Psychologie des Künstlers. - Damit es Kunst giebt, damit es irgend +ein ästhetisches Thun und Schauen giebt, dazu ist eine physiologische +Vorbedingung unumgänglich: der Rausch. Der Rausch muss erst die +Erregbarkeit der ganzen Maschine gesteigert haben: eher kommt es zu +keiner Kunst. Alle noch so verschieden bedingten Arten des Rausches +haben dazu die Kraft: vor Allem der Rausch der Geschlechtserregung, +diese älteste und ursprünglichste Form des Rausches. Insgleichen der +Rausch, der im Gefolge aller grossen Begierden, aller starken Affekte +kommt; der Rausch des Festes, des Wettkampfs, des Bravourstücks, +des Siegs, aller extremen Bewegung; der Rausch der Grausamkeit; der +Rausch in der Zerstörung; der Rausch unter gewissen meteorologischen +Einflüssen, zum Beispiel der Frühlingsrausch; oder unter dem Einfluss +der Narcotica; endlich der Rausch des Willens, der Rausch eines +überhäuften und geschwellten Willens. - Das Wesentliche am Rausch ist +das Gefühl der Kraftsteigerung und Fülle. Aus diesem Gefühle giebt man +an die Dinge ab, man zwingt sie von uns zu nehmen, man vergewaltigt +sie, - man heisst diesen Vorgang Idealisiren. Machen wir uns hier von +einem Vorurtheil los: das Idealisiren besteht nicht, wie gemeinhin +geglaubt wird, in einem Abziehn oder Abrechnen des Kleinen, des +Nebensächlichen. Ein ungeheures Heraustreibender Hauptzüge ist +vielmehr das Entscheidende, so dass die andern darüber verschwinden. + + +9. + +Man bereichert in diesem Zustande Alles aus seiner eignen Fülle: was +man sieht, was man will, man sieht es geschwellt, gedrängt, stark, +überladen mit Kraft. Der Mensch dieses Zustandes verwandelt die +Dinge, bis sie seine Macht wiederspiegeln, - bis sie Reflexe seiner +Vollkommenheit sind. Dies Verwandeln müssen in's Vollkommne ist - +Kunst. Alles selbst, was er nicht ist, wird trotzdem ihm zur Lust an +sich; in der Kunst geniesst sich der Mensch als Vollkommenheit. - Es +wäre erlaubt, sich einen gegensätzlichen Zustand auszudenken, ein +spezifisches Antikünstlerthum des Instinks, - eine Art zu sein, welche +alle Dinge verarmte, verdünnte, schwindsüchtig machte. Und in der +That, die Geschichte ist reich an solchen Anti-Artisten, an solchen +Ausgehungerten des Lebens: welche mit Nothwendigkeit die Dinge noch an +sich nehmen, sie auszehren, sie magerer machen müssen. Dies ist zum +Beispiel der Fall des echten Christen, Pascal's zum Beispiel: ein +Christ, der zugleich Künstler wäre, kommt nicht vor... Man sei nicht +kindlich und wende mir Raffael ein oder irgend welche homöopathische +Christen des neunzehnten Jahrhunderts: Raffael sagte Ja, Raffael +machte Ja, folglich war Raffael kein Christ... + + +10. + +Was bedeutet der von mir in die Ästhetik eingeführte Gegensatz-Begriff +apollinisch und dionysisch, beide als Arten des Rausches begriffen? - +Der apollinische Rausch hält vor Allem das Auge erregt, so dass es die +Kraft der Vision bekommt. Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind +Visionäre par excellence. Im dionysischen Zustande ist dagegen das +gesammte Affekt-System erregt und gesteigert: so dass es alle seine +Mittel des Ausdrucks mit einem Male entladet und die Kraft des +Darstellens, Nachbildens, Transfigurirens, Verwandelns, alle Art Mimik +und Schauspielerei zugleich heraustreibt. Das Wesentliche bleibt die +Leichtigkeit der Metamorphose, die Unfähigkeit, nicht zu reagiren (- +ähnlich wie bei gewissen Hysterischen, die auch auf jeden Wink hin in +je de Rolle eintreten). Es ist dem dionysischen Menschen unmöglich, +irgend eine Suggestion nicht zu verstehn, er übersieht kein Zeichen +des Affekts, er hat den höchsten Grad des verstehenden und errathenden +Instinkts, wie er den höchsten Grad von Mittheilungs-Kunst besitzt. +Er geht in jede Haut, in jeden Affekt ein: er verwandelt sich +beständig. - Musik, wie wir sie heute verstehn, ist gleichfalls eine +Gesammt-Erregung und -Entladung der Affekte, aber dennoch nur das +Überbleibsel von einer viel volleren Ausdrucks-Welt des Affekts, +ein blosses residuum des dionysischen Histrionismus. Man hat, zur +Ermöglichung der Musik als Sonderkunst, eine Anzahl Sinne, vor Allem +den Muskelsinn still gestellt (relativ wenigstens: denn in einem +gewissen Grade redet noch aller Rhythmus zu unsern Muskeln): so dass +der Mensch nicht mehr Alles, was er fühlt, sofort leibhaft nachahmt +und darstellt. Trotzdem ist Das der eigentlich dionysische +Normalzustand, jedenfalls der Urzustand; die Musik ist die langsam +erreichte Spezifikation desselben auf Unkosten der nächstverwandten +Vermögen. + + +11. + +Der Schauspieler, der Mime, der Tänzer, der Musiker, der Lyriker sind +in ihren Instinkten grundverwandt und an sich Eins, aber allmählich +spezialisirt und von einander abgetrennt - bis selbst zum Widerspruch. +Der Lyriker blieb am längsten mit dem Musiker geeint; der Schauspieler +mit dem Tänzer. - Der Architekt stellt weder einen dionysischen, noch +einen apollinischen Zustand dar: hier ist es der grosse Willensakt, +der Wille, der Berge versetzt, der Rausch des grossen Willens, der zur +Kunst verlangt. Die mächtigsten Menschen haben immer die Architekten +inspirirt; der Architekt war stets unter der Suggestion der Macht. Im +Bauwerk soll sich der Stolz, der Sieg über die Schwere, der Wille zur +Macht versichtbaren; Architektur ist eine Art Macht-Beredsamkeit in +Formen, bald überredend, selbst schmeichelnd, bald bloss befehlend. +Das höchste Gefühl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum Ausdruck, +was grossen Stil hat. Die Macht, die keinen Beweis mehr nöthig hat; +die es verschmäht, zu gefallen; die schwer antwortet; die keinen +Zeugen um sich fühlt; die ohne Bewusstsein davon lebt, dass es +Widerspruch gegen sie giebt; die in sich ruht, fatalistisch, ein +Gesetz unter Gesetzen: Das redet als grosser Stil von sich. - + + +12. + +Ich las das Leben Thomas Carlyle's, diese farce wider Wissen und +Willen, diese heroisch-moralische Interpretation dyspeptischer +Zustände. - Carlyle, ein Mann der starken Worte und Attitüden, ein +Rhetor aus Noth, den beständig das Verlangen nach einem starken +Glauben agaçirt und das Gefühl der Unfähigkeit dazu (- darin ein +typischer Romantiker!). Das Verlangen nach einem starken Glauben ist +nicht der Beweis eines starken Glaubens, vielmehr das Gegentheil. Hat +man ihn, so darf man sich den schönen Luxus der Skepsis gestatten: man +ist sicher genug, fest genug, gebunden genug dazu. Carlyle betäubt +Etwas in sich durch das fortissimo seiner Verehrung für Menschen +starken Glaubens und durch seine Wuth gegen die weniger Einfältigen: +er bedarf des Lärms. Eine beständige leidenschaftliche Unredlichkeit +gegen sich - das ist sein proprium, damit ist und bleibt er +interessant. - Freilich, in England wird er gerade wegen seiner +Redlichkeit bewundert... Nun, das ist englisch; und in Anbetracht, +dass die Engländer das Volk des vollkommnen cant sind, sogar billig, +und nicht nur, begreiflich. Im Grunde ist Carlyle ein englischer +Atheist, der seine Ehre darin sucht, es nicht zu sein. + + +13. + +Emerson. - Viel aufgeklärter, schweifender, vielfacher, raffinirter +als Carlyle, vor Allem glücklicher... Ein Solcher, der sich instinktiv +bloss von Ambrosia nährt, der das Unverdauliche in den Dingen +zurücklässt. Gegen Carlyle gehalten ein Mann des Geschmacks. - +Carlyle, der ihn sehr liebte, sagte trotzdem von ihm: "er giebt uns +nicht genug zu beissen": was mit Recht gesagt sein mag, aber nicht +zu Ungunsten Emerson's. - Emerson hat jene gütige und geistreiche +Heiterkeit, welche allen Ernst entmuthigt; er weiss es schlechterdings +nicht, wie alt er schon ist und wie jung er noch sein wird, - er +könnte von sich mit einem Wort Lope de Vega's sagen: "yo me sucedo +a mi mismo". Sein Geist findet immer Gründe, zufrieden und selbst +dankbar zu sein; und bisweilen streift er die heitere Transscendenz +jenes Biedermanns, der von einem verliebten Stelldichein tamquam re +bene gesta zurückkam. "Ut desint vires, sprach er dankbar, tamen est +laudanda voluptas." - + + +14. + +Anti-Darwin. - Was den berühmten Kampf um's Leben betrifft, so scheint +er mir einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Er kommt vor, aber als +Ausnahme; der Gesammt-Aspekt des Lebens ist nicht die Nothlage, die +Hungerlage, vielmehr der Reichthum, die Üppigkeit, selbst die absurde +Verschwendung, - wo gekämpft wird, kämpft man um Macht... Man soll +nicht Malthus mit der Natur verwechseln. - Gesetzt aber, es giebt +diesen Kampf - und in der That, er kommt vor -, so läuft er leider +umgekehrt aus als die Schule Darwin's wünscht, als man vielleicht +mit ihr wünschen dürfte: nämlich zu Ungunsten der Starken, der +Bevorrechtigten, der glücklichen Ausnahmen. Die Gattungen wachsen +nicht in der Vollkommenheit: die Schwachen werden immer wieder über +die Starken Herr, - das macht, sie sind die grosse Zahl, sie sind auch +klüger... Darwin hat den Geist vergessen (- das ist englisch!), die +Schwachen haben mehr Geist... Man muss Geist nöthig haben, um Geist zu +bekommen, - man verliert ihn, wenn man ihn nicht mehr nöthig hat. Wer +die Stärke hat, entschlägt sich des Geistes (- "lass fahren dahin! +denkt man heute in Deutschland - das Reich muss uns doch bleiben"...). +Ich verstehe unter Geist, wie man sieht, die Vorsicht, die Geduld, die +List, die Verstellung, die grosse Selbstbeherrschung und Alles, was +mimicry ist (zu letzterem gehört ein grosser Theil der sogenannten +Tugend). + + +15. + +Psychologen-Casuistik. - Das ist ein Menschenkenner: wozu studirt +er eigentlich die Menschen? Er will kleine Vortheile über sie +erschnappen, oder auch grosse, - er ist ein Politikus!... Jener da +ist auch ein Menschenkenner: und ihr sagt, der wolle Nichts damit +für sich, das sei ein grosser "Unpersönlicher". Seht schärfer zu! +Vielleicht will er sogar noch einen schlimmeren Vortheil: sich den +Menschen überlegen fühlen, auf sie herabsehn dürfen, sich nicht +mehr mit ihnen verwechseln. Dieser "Unpersönliche" ist ein +Menschen-Verächter: und jener Erstere ist die humanere Species, was +auch der Augenschein sagen mag. Er stellt sich wenigstens gleich, er +stellt sich hinein... + + +16. + +Der psychologische Takt der Deutschen scheint mir durch eine ganze +Reihe von Fällen in Frage gestellt, deren Verzeichniss vorzulegen mich +meine Bescheidenheit hindert. In Einem Falle wird es mir nicht an +einem grossen Anlasse fehlen, meine These zu begründen: ich trage +es den Deutschen nach, sich über Kant und seine "Philosophie der +Hinterthüren", wie ich sie nenne, vergriffen zu haben, - das war nicht +der Typus der intellektuellen Rechtschaffenheit. - Das Andre, was ich +nicht hören mag, ist ein berüchtigtes "und": die Deutschen sagen, +"Goethe und Schiller", - ich fürchte, sie sagen "Schiller und +Goethe"... Kennt man noch nicht diesen Schiller? - Es giebt noch +schlimmere "und"; ich habe mit meinen eigenen Ohren, allerdings nur +unter Universitäts-Professoren, gehört "Schopenhauer und Hartmann" + + +17. + +Die geistigsten Menschen, vorausgesetzt, dass sie die muthigsten sind, +erleben auch bei weitem die schmerzhaftesten Tragödien: aber eben +deshalb ehren sie das Leben, weil es ihnen seine grösste Gegnerschaft +entgegenstellt. + + +18. + +Zum "intellektuellen Gewissen". - Nichts scheint mir heute seltner als +die echte Heuchelei. Mein Verdacht ist gross, dass diesem Gewächs die +sanfte Luft unsrer Cultur nicht zuträglich ist. Die Heuchelei gehört +in die Zeitalter des starken Glaubens: wo man selbst nicht bei der +Nöthigung, einen andern Glauben zur Schau zu tragen, von dem Glauben +losliess, den man hatte. Heute lässt man ihn los; oder, was noch +gewöhnlicher, man legt sich noch einen zweiten Glauben zu, - ehrlich +bleibt man in jedem Falle. Ohne Zweifel ist heute eine sehr viel +grössere Anzahl von Überzeugungen möglich als ehemals: möglich, das +heisst erlaubt, das heisst unschädlich. Daraus entsteht die Toleranz +gegen sich selbst. - Die Toleranz gegen sich selbst gestattet mehrere +Überzeugungen: diese selbst leben verträglich beisammen, - sie hüten +sich, wie alle Welt heute, sich zu compromittiren. Womit compromittirt +man sich heute? Wenn man Consequenz hat. Wenn man in gerader Linie +geht. Wenn man weniger als fünfdeutig ist. Wenn man echt ist... Meine +Furcht ist gross, dass der moderne Mensch für einige Laster einfach +zu bequem ist: so dass diese geradezu aussterben. Alles Böse, das vom +starken Willen bedingt ist - und vielleicht giebt es nichts Böses ohne +Willensstärke - entartet, in unsrer lauen Luft, zur Tugend... Die +wenigen Heuchler, die ich kennen lernte, machten die Heuchelei nach: +sie waren, wie heutzutage fast jeder zehnte Mensch, Schauspieler. - + + +19. + +Schön und hässlich. - Nichts ist bedingter, sagen wir beschränkter, +als unser Gefühl des Schönen. Wer es losgelöst von der Lust des +Menschen am Menschen denken wollte, verlöre sofort Grund und Boden +unter den Füssen. Das "Schöne an sich" ist bloss ein Wort, nicht +einmal ein Begriff. Im Schönen setzt sich der Mensch als Maass der +Vollkommenheit; in. ausgesuchten Fällen betet er sich darin an. Eine +Gattung kann gar nicht anders als dergestalt zu sich allein ja sagen. +Ihr unterster Instinkt, der der Selbsterhaltung und Selbsterweiterung, +strahlt noch in solchen Sublimitäten aus. Der Mensch glaubt die Welt +selbst mit Schönheit überhäuft, - er vergisst sich als deren Ursache. +Er allein hat sie mit Schönheit beschenkt, ach! nur mit einer sehr +menschlich-allzumenschlichen Schönheit.... Im Grunde spiegelt sich +der Mensch in den Dingen, er hält Alles für schön, was ihm sein Bild +zurückwirft: das Urtheil "schön" ist seine Gattungs-Eitelkeit.... +Dem Skeptiker nämlich darf ein kleiner Argwohn die Frage in's Ohr +flüstern: ist wirklich damit die Welt verschönt, dass gerade der +Mensch sie für schön nimmt? Er hat sie vermenschlicht: das ist Alles. +Aber Nichts, gar Nichts verbürgt uns, dass gerade der Mensch das +Modell des Schönen abgäbe. Wer weiss, wie er sich in den Augen eines +höheren Geschmacksrichters ausnimmt? Vielleicht gewagt? vielleicht +selbst erheiternd? vielleicht ein wenig arbiträr?... "Oh Dionysos, +Göttlicher, warum ziehst du mich an den Ohren?" fragte Ariadne +einmal bei einem jener berühmten Zwiegespräche auf Naxos ihren +philosophischen Liebhaber. "Ich finde eine Art Humor in deinen Ohren, +Ariadne: warum sind sie nicht noch länger?" + + +20. + +Nichts ist schön, nur der Mensch ist schön: auf dieser Naivetät ruht +alle Ästhetik, sie ist deren erste Wahrheit. Fügen wir sofort noch +deren zweite hinzu: Nichts ist hässlich als der entartende Mensch, +- damit ist das Reich des ästhetischen Urtheils umgrenzt. - +Physiologisch nachgerechnet, schwächt und betrübt alles Hässliche +den Menschen. Es erinnert ihn an Verfall, Gefahr, Ohnmacht; er büsst +thatsächlich dabei Kraft ein. Man kann die Wirkung des Hässlichen mit +dem Dynamometer messen. Wo der Mensch überhaupt niedergedrückt wird, +da wittert er die Nähe von etwas "Hässlichem". Sein Gefühl der Macht, +sein Wille zur Macht, sein Muth, sein Stolz - das fällt mit dem +Hässlichen, das steigt mit dem Schönen... Im einen wie im andern Falle +machen wir einen Schluss: die Prämissen dazu sind in ungeheurer Fülle +im Instinkte aufgehäuft. Das Hässliche wird verstanden als ein Wink +und Symptom der Degenerescenz: was im Entferntesten an Degenerescenz +erinnert, das wirkt in uns das Urtheil "hässlich". Jedes Anzeichen +von Erschöpfung, von Schwere, von Alter, von Müdigkeit, jede Art +Unfreiheit, als Krampf, als Lähmung, vor Allem der Geruch, die Farbe, +die Form der Auflösung, der Verwesung, und sei es auch in der letzten +Verdünnung zum Symbol - das Alles ruft die gleiche Reaktion hervor, +das Werthurtheil "hässlich". Ein Hass springt da hervor: wen hasst da +der Mensch? Aber es ist kein Zweifel: den Niedergang seines Typus. Er +hasst da aus dem tiefsten Instinkte der Gattung heraus; in diesem Hass +ist Schauder, Vorsicht, Tiefe, Fernblick, - es ist der tiefste Hass, +den es giebt. Um seinetwillen ist die Kunst tief... + + +21. + +Schopenhauer. Schopenhauer, der letzte Deutsche, der in Betracht kommt +(der ein europäisches Ereigniss gleich Goethe, gleich Hegel, gleich +Heinrich Heine ist, und nicht bloss ein lokales, ein "nationales"), +ist für einen Psychologen ein Fall ersten Ranges: nämlich als bösartig +genialer Versuch, zu Gunsten einer nihilistischen Gesammt-Abwerthung +des Lebens gerade die Gegen-Instanzen, die grossen Selbstbejahungen +des "Willens zum Leben", die Exuberanz-Formen des Lebens in's Feld zu +führen. Er hat, der Reihe nach, die Kunst, den Heroismus, das Genie, +die Schönheit, das grosse Mitgefühl, die Erkenntniss, den Willen zur +Wahrheit, die Tragödie als Folgeerscheinungen der "Verneinung" oder +der Verneinungs-Bedürftigkeit des "Willens" interpretirt - die grösste +psychologische Falschmünzerei, die es, das Christenthum abgerechnet, +in der Geschichte giebt. Genauer zugesehn ist er darin bloss der Erbe +der christlichen Interpretation: nur dass er auch das vom Christenthum +Abgelehnte, die grossen Cultur-Thatsachen der Menschheit noch in einem +christlichen, das heisst nihilistischen Sinne gut zu heissen wusste +(- nämlich als Wege zur "Erlösung", als Vorformen der "Erlösung", als +Stimulantia des Bedürfnisses nach "Erlösung"... ) + + +22. + +Ich nehme einen einzelnen Fall. Schopenhauer spricht von der Schönheit +mit einer schwermüthigen Gluth, - warum letzten Grundes? Weil er in +ihr eine Brücke sieht, auf der man weiter gelangt, oder Durst bekommt, +weiter zu gelangen... Sie ist ihm die Erlösung vom "Willen" auf +Augenblicke - sie lockt zur Erlösung für immer... Insbesondere +preist er sie als Erlöserin vom "Brennpunkte des Willens", von der +Geschlechtlichkeit, - in der Schönheit sieht er den Zeugetrieb +verneint... Wunderlicher Heiliger! Irgend Jemand widerspricht dir, ich +fürchte, es ist die Natur. Wozu giebt es überhaupt Schönheit in Ton, +Farbe, Duft, rhythmischer Bewegung in der Natur? Was treibt die +Schönheit heraus?- Glücklicherweise widerspricht ihm auch ein +Philosoph. Keine geringere Autorität als die des göttlichen Plato (- +so nennt ihn Schopenhauer selbst) hält einen andern Satz aufrecht: +dass alle Schönheit zur Zeugung reize, - dass dies gerade das proprium +ihrer Wirkung sei, vom Sinnlichsten bis hinauf in's Geistigste... + + +23. + +Plato geht weiter. Er sagt mit einer Unschuld, zu der man Grieche sein +muss und nicht "Christ", dass es gar keine platonische Philosophie +geben würde, wenn es nicht so schöne Jünglinge in Athen gäbe: deren +Anblick sei es erst, was die Seele des Philosophen in einen erotischen +Taumel versetze und ihr keine Ruhe lasse, bis sie den Samen aller +hohen Dinge in ein so schönes Erdreich hinabgesenkt habe. Auch ein +wunderlicher Heiliger! - man traut seinen Ohren nicht, gesetzt +selbst, dass man Plato traut. Zum Mindesten erräth man, dass in Athen +anders philosophirt wurde, vor Allem öffentlich. Nichts ist weniger +griechisch als die Begriffs-Spinneweberei eines Einsiedlers, amor +intellectualis dei nach Art des Spinoza. Philosophie nach Art des +Plato wäre eher als ein erotischer Wettbewerb zu definiren, als eine +Fortbildung und Verinnerlichung der alten agonalen Gymnastik und +deren Voraussetzungen... Was wuchs zuletzt aus dieser philosophischen +Erotik Plato's heraus? Eine neue Kunstform des griechischen Agon, +die Dialektik. - Ich erinnere noch, gegen Schopenhauer und zu Ehren +Plato's, daran, dass auch die ganze höhere Cultur und Litteratur des +klassischen Frankreichs auf dem Boden des geschlechtlichen Interesses +aufgewachsen ist. Man darf überall bei ihr die Galanterie, die Sinne, +den Geschlechts-Wettbewerb, das "Weib" suchen, - man wird nie umsonst +suchen... + + +24. + +L'art pour l'art. - Der Kampf gegen den Zweck in der Kunst ist immer +der Kampf gegen die moralisirende Tendenz in der Kunst, gegen ihre +Unterordnung unter die Moral. L'art pour l'art heisst: "der Teufel +hole die Moral!" - Aber selbst noch diese Feindschaft verräth die +Übergewalt des Vorurtheils. Wenn man den Zweck des Moralpredigens und +Menschen-Verbesserns von der Kunst ausgeschlossen hat, so folgt daraus +noch lange nicht, dass die Kunst überhaupt zwecklos, ziellos, sinnlos, +kurz l'art pour l'art - ein Wurm, der sich in den Schwanz beisst - +ist. "Lieber gar keinen Zweck als einen moralischen Zweck!" - so redet +die blosse Leidenschaft. Ein Psycholog fragt dagegen: was thut alle +Kunst? lobt sie nicht? verherrlicht sie nicht? wählt sie nicht aus? +zieht sie nicht hervor? Mit dem Allen stärkt oder schwächt sie gewisse +Werthschätzungen... Ist dies nur ein Nebenbei? ein Zufall? Etwas, bei +dem der Instinkt des Künstlers gar nicht betheiligt wäre? Oder aber: +ist es nicht die Voraussetzung dazu, dass der Künstler kann...? Geht +dessen unterster Instinkt auf die Kunst oder nicht vielmehr auf den +Sinn der Kunst, das Leben? auf eine Wünschbarkeit von Leben?- Die +Kunst ist das grosse Stimulans zum Leben: wie könnte man sie als +zwecklos, als ziellos, als l'art pour l'art verstehn? - Eine Frage +bleibt zurück: die Kunst bringt auch vieles Hässliche, Harte, +Fragwürdige des Lebens zur Erscheinung, - scheint sie nicht damit vom +Leben zu entleiden? - Und in der That, es gab Philosophen, die ihr +diesen Sinn liehn: "loskommen vom Willen" lehrte Schopenhauer als +Gesammt-Absicht der Kunst, "zur Resignation stimmen" verehrte er als +die grosse Nützlichkeit der Tragödie. - Aber dies - ich gab es schon +zu verstehn - ist Pessimisten-Optik und "böser Blick" -: man muss an +die Künstler selbst appelliren. Was theilt der tragische Künstler +von sich mit? Ist es nicht gerade der Zustand ohne Furcht vor dem +Furchtbaren und Fragwürdigen, das er zeigt? - Dieser Zustand selbst +ist eine hohe Wünschbarkeit; wer ihn kennt, ehrt ihn mit den höchsten +Ehren. Er theilt ihn mit, er muss ihn mittheilen, vorausgesetzt, dass +er ein Künstler ist, ein Genie der Mittheilung. Die Tapferkeit und +Freiheit des Gefühls vor einem mächtigen Feinde, vor einem erhabenen +Ungemach, vor einem Problem, das Grauen erweckt - dieser siegreiche +Zustand ist es, den der tragische Künstler auswählt, den er +verherrlicht. Vor der Tragödie feiert das Kriegerische in unserer +Seele seine Saturnalien; wer Leid gewohnt ist, wer Leid aufsucht, der +heroische Mensch preist mit der Tragödie sein Dasein, - ihm allein +kredenzt der Tragiker den Trunk dieser süssesten Grausamkeit. - + + +25. + +Mit Menschen fürlieb nehmen, mit seinem Herzen offen Haus halten, das +ist liberal, das ist aber bloss liberal. Man erkennt die Herzen, die +der vornehmen Gastfreundschaft fähig sind, an den vielen verhängten +Fenstern und geschlossenen Läden: ihre besten Räume halten sie leer. +Warum doch? - Weil sie Gäste erwarten, mit denen man nicht "fürlieb +nimmt" + + +26. + +Wir schätzen uns nicht genug mehr, wenn wir uns mittheilen. Unsre +eigentlichen Erlebnisse sind ganz und gar nicht geschwätzig. Sie +könnten sich selbst nicht mittheilen, wenn sie wollten. Das macht, es +fehlt ihnen das Wort. Wofür wir Worte haben, darüber sind wir auch +schon hinaus. In allem Reden liegt ein Gran Verachtung. Die Sprache, +scheint es, ist nur für Durchschnittliches, Mittleres, Mittheilsames +erfunden. Mit der Sprache vulgarisirt sich bereits der Sprechende. - +Aus einer Moral für Taubstumme und andere Philosophen. + + +27. + +"Dies Bildniss ist bezaubernd schön!"... Das Litteratur-Weib, +unbefriedigt, aufgeregt, öde in Herz und Eingeweide, mit schmerzhafter +Neugierde jederzeit auf den Imperativ hinhorchend, der aus den +Tiefen seiner Organisation "aut liberi aut libri" flüstert: das +Litteratur-Weib, gebildet genug, die Stimme der Natur zu verstehn, +selbst wenn sie Latein redet und andrerseits eitel und Gans genug, um +im Geheimen auch noch französisch mit sich zu sprechen "je me verrai, +je me lirai, je m'extasierai et je dirai: Possible, que j'aie eu tant +d'esprit?" + + +28. + +Die "Unpersönlichen" kommen zu Wort. - "Nichts fällt uns leichter, als +weise, geduldig, überlegen zu sein. Wir triefen vom Öl der Nachsicht +und des Mitgefühls, wir sind auf eine absurde Weise gerecht, wir +verzeihen Alles. Eben darum sollten wir uns etwas strenger halten; +eben darum sollten wir uns, von Zeit zu Zeit, einen kleinen Affekt, +ein kleines Laster von Affect züchten. Es mag uns sauer angehn; +und unter uns lachen wir vielleicht über den Aspekt, den wir damit +geben. Aber was hilft es! Wir haben keine andre Art mehr übrig von +Selbstüberwindung: dies ist unsre Asketik, unser Büsserthum"... +Persönlich werden - die Tugend des "Unpersönlichen"... + + +29. + +Aus einer Doctor-Promotion. - "Was ist die Aufgabe alles höheren +Schulwesens?" - Aus dem Menschen eine Maschine zu machen. - "Was ist +das Mittel dazu?" - Er muss lernen, sich langweilen. - "Wie erreicht +man das?" - Durch den Begriff der Pflicht. - "Wer ist sein Vorbild +dafür?" - Der Philolog: der lehrt ochsen. - "Wer ist der vollkommene +Mensch?" - Der Staats-Beamte. - "Welche Philosophie giebt die höchste +Formel für den Staats-Beamten?" - Die Kant's: der Staats-Beamte +als Ding an sich zum Richter gesetzt über den Staats-Beamten als +Erscheinung. - + + +30. + +Das Recht auf Dummheit. - Der ermüdete und langsam athmende Arbeiter, +der gutmüthig blickt, der die Dinge gehen lässt, wie sie gehn: diese +typische Figur, der man jetzt, im Zeitalter der Arbeit (und des +"Reichs"! -) in allen Klassen der Gesellschaft begegnet, nimmt heute +gerade die Kunst für sich in Anspruch, eingerechnet das Buch, vor +Allem das Journal, - um wie viel mehr die schöne Natur, Italien... Der +Mensch des Abends, mit den "entschlafenen wilden Trieben", von denen +Faust redet, bedarf der Sommerfrische, des Seebads, der Gletscher, +Bayreuth's... In solchen Zeitaltern hat die Kunst ein Recht auf reine +Thorheit, - als eine Art Ferien für Geist, Witz und Gemüth. Das +verstand Wagner. Die reine Thorheit stellt wieder her... + + +31. + +Noch ein Problem der Diät. - Die Mittel, mit denen Julius Cäsar sich +gegen Kränklichkeiten und Kopfschmerz vertheidigte: ungeheure Märsche, +einfachste Lebensweise, ununterbrochner Aufenthalt im Freien, +beständige Strapazen - das sind, in's Grosse gerechnet, die +Erhaltungs- und Schutz-Maassregeln überhaupt gegen die extreme +Verletzlichkeit jener subtilen und unter höchstem Druck arbeitenden +Maschine, welche Genie heisst. - + + +32. + +Der Immoralist redet. - Einem Philosophen geht Nichts mehr wider +den Geschmack als der Mensch, sofern er wünscht... Sieht er den +Menschen nur in seinem Thun, sieht er dieses tapferste, listigste, +ausdauerndste Thier verirrt selbst in labyrinthische Nothlagen, wie +bewunderungswürdig erscheint ihm der Mensch! Er spricht ihm noch +zu... Aber der Philosoph verachtet den wünschenden Menschen, auch den +"wünschbaren" Menschen - und überhaupt alle Wünschbarkeiten, alle +Ideale des Menschen. Wenn ein Philosoph Nihilist sein könnte, so würde +er es sein, weil er das Nichts hinter allen Idealen des Menschen +findet. Oder noch nicht einmal das Nichts, - sondern nur das +Nichtswürdige, das Absurde, das Kranke, das Feige, das Müde, alle Art +Hefen aus dem ausgetrunkenen Becher seines Lebens... Der Mensch, der +als Realität so verehrungswürdig ist, wie kommt es, dass er keine +Achtung verdient, sofern er wünscht? Muss er es büssen, so tüchtig als +Realität zu sein? Muss er sein Thun, die Kopf- und Willensanspannung +in allem Thun, mit einem Gliederstrecken im Imaginären und Absurden +ausgleichen? - Die Geschichte seiner Wünschbarkeiten war bisher die +partie honteuse des Menschen: man soll sich hüten, zu lange in ihr zu +lesen. Was den Menschen rechtfertigt, ist seine Realität, - sie wird +ihn ewig rechtfertigen. Um wie viel mehr werth ist der wirkliche +Mensch, verglichen mit irgend einem bloss gewünschten, erträumten, +erstunkenen und erlogenen Menschen? mit irgend einem idealen +Menschen?... Und nur der ideale Mensch geht dem Philosophen wider den +Geschmack. + + +33. + +Naturwerth des Egoismus. - Die Selbstsucht ist so viel werth, als Der +physiologisch werth ist, der sie hat: sie kann sehr viel werth sein, +sie kann nichtswürdig und verächtlich sein. Jeder Einzelne darf darauf +hin angesehen werden, ob er die aufsteigende oder die absteigende +Linie des Lebens darstellt. Mit einer Entscheidung darüber hat man +auch einen Kanon dafür, was seine Selbstsucht werth ist. Stellt +er das Aufsteigen der Linie dar, so ist in der That sein Werth +ausserordentlich, - und um des Gesammt-Lebens willen, das mit ihm +einen Schritt weiter thut, darf die Sorge um Erhaltung, um Schaffung +seines optimum von Bedingungen selbst extrem sein. Der Einzelne, das +"Individuum", wie Volk und Philosoph das bisher verstand, ist ja ein +Irrthum: er ist nichts für sich, kein Atom, kein "Ring der Kette", +nichts bloss Vererbtes von Ehedem, - er ist die ganze Eine Linie +Mensch bis zu ihm hin selber noch... Stellt er die absteigende +Entwicklung, den Verfall, die chronische Entartung, Erkrankung dar (- +Krankheiten sind, in's Grosse gerechnet, bereits Folgeerscheinungen +des Verfalls, nicht dessen Ursachen), so kommt ihm wenig Werth zu, und +die erste Billigkeit will, dass er den Wohlgerathenen so wenig als +möglich wegnimmt. Er ist bloss noch deren Parasit... + + +34. + +Christ und Anarchist. - Wenn der Anarchist, als Mundstück +niedergehender Schichten der Gesellschaft, mit einer schönen +Entrüstung "Recht", "Gerechtigkeit", "gleiche Rechte" verlangt, so +steht er damit nur unter dem Drucke seiner Unkultur, welche nicht zu +begreifen weiss, warum er eigentlich leidet, - woran er arm ist, an +Leben... Ein Ursachen-Trieb ist in ihm mächtig: Jemand muss schuld +daran sein, dass er sich schlecht befindet... Auch thut ihm die +"schöne Entrüstung" selber schon wohl, es ist ein Vergnügen für alle +armen Teufel, zu schimpfen, - es giebt einen kleinen Rausch von Macht. +Schon die Klage, das Sich-Beklagen, kann dem Leben einen Reiz geben, +um dessentwillen man es aushält: eine feinere Dosis Rache ist in jeder +Klage, man wirft sein Schlechtbefinden, unter Umständen selbst seine +Schlechtigkeit Denen, die anders sind, wie ein Unrecht, wie ein +unerlaubtes Vorrecht vor. "Bin ich eine canaille, so solltest du +es auch sein": auf diese Logik hin macht man Revolution. - Das +Sich-Beklagen taugt in keinem Falle etwas: es stammt aus der Schwäche. +Ob man sein Schlecht-Befinden Andern oder sich selber zu misst -. +Ersteres thut der Socialist, Letzteres zum Beispiel der Christ -, +macht keinen eigentlichen Unterschied. Das Gemeinsame, sagen wir auch +das Unwürdige daran ist, dass jemand schuld daran sein soll, dass man +leidet - kurz, dass der Leidende sich gegen sein Leiden den Honig +der Rache verordnet. Die Objekte dieses Rach-Bedürfnisses als eines +Lust-Bedürfnisses sind Gelegenheits-Ursachen: der Leidende findet +überall Ursachen, seine kleine Rache zu kühlen, - ist er Christ, +nochmals gesagt, so findet er sie in sich... Der Christ und der +Anarchist - Beide sind décadents. - Aber auch wenn der Christ die +"Welt" verurtheilt, verleumdet, beschmutzt, so thut er es aus +dem gleichen Instinkte, aus dem der socialistische Arbeiter die +Gesellschaft verurtheilt, verleumdet, beschmutzt: das "jüngste +Gericht" selbst ist noch der süsse Trost der Rache - die Revolution, +wie sie auch der socialistische Arbeiter erwartet, nur etwas ferner +gedacht... Das "Jenseits" selbst - wozu ein Jenseits, wenn es nicht +ein Mittel wäre, das Diesseits zu beschmutzen?... + + +35. + +Kritik der Décadence-Moral. Eine "altruistische" Moral, eine Moral, +bei der die Selbstsucht verkümmert -, bleibt unter allen Umständen ein +schlechtes Anzeichen. Dies gilt vom Einzelnen, dies gilt namentlich +von Völkern. Es fehlt am Besten, wenn es an der Selbstsucht zu fehlen +beginnt. Instinktiv das Sich-Schädliche wählen, Gelockt-werden durch +"uninteressirte" Motive giebt beinahe die Formel ab für décadence. +"Nicht seinen Nutzen suchen" - das ist bloss das moralische +Feigenblatt für eine ganz andere, nämlich physiologische +Thatsächlichkeit: "ich weiss meinen Nutzen nicht mehr zu finden" +Disgregation der Instinkte! - Es ist zu Ende mit ihm, wenn der Mensch +altruistisch wird. - Statt naiv zu sagen, "ich bin nichts mehr werth", +sagt die Moral Lüge im Munde des décadent: "Nichts ist etwas werth, - +das Leben ist nichts werth"... Ein solches Urtheil bleibt zuletzt eine +grosse Gefahr, es wirkt ansteckend, - auf dem ganzen morbiden Boden +der Gesellschaft wuchert es bald zu tropischer Begriffs-Vegetation +empor, bald als Religion (Christenthum), bald als Philosophie +(Schopenhauerei). Unter Umständen vergiftet eine solche aus Fäulniss +gewachsene Giftbaum-Vegetation mit ihrem Dunste weithin, auf +Jahrtausende hin das Leben... + + +36. + +Moral für Ärzte. - Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft. In +einem gewissen Zustande ist es unanständig, noch länger zu leben. Das +Fortvegetiren in feiger Abhängigkeit von Ärzten und Praktiken, nachdem +der Sinn vom Leben, das Recht zum Leben verloren gegangen ist, sollte +bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehn. Die Ärzte +wiederum hätten die Vermittler dieser Verachtung zu sein, - nicht +Recepte, sondern jeden Tag eine neue Dosis Ekel vor ihrem Patienten... +Eine neue Verantwortlichkeit schaffen, die des Arztes, für alle Fälle, +wo das höchste Interesse des Lebens, des aufsteigenden Lebens, das +rücksichtsloseste Nieder- und Beiseite-Drängen des entartenden Lebens +verlangt - zum Beispiel für das Recht auf Zeugung, für das Recht, +geboren zu werden, für das Recht, zu leben... Auf eine stolze Art +sterben, wenn es nicht mehr möglich ist, auf eine stolze Art zu leben. +Der Tod, aus freien Stücken gewählt, der Tod zur rechten Zeit, mit +Helle und Freudigkeit, inmitten von Kindern und Zeugen vollzogen: so +dass ein wirkliches Abschiednehmen noch möglich ist, wo Der noch da +ist, der sich verabschiedet, insgleichen ein wirkliches Abschätzen +des Erreichten und Gewollten, eine Summirung des Lebens - Alles im +Gegensatz zu der erbärmlichen und schauderhaften Komödie, die das +Christenthum mit der Sterbestunde getrieben hat. Man soll es dem +Christenthume nie vergessen, dass es die Schwäche des Sterbenden +zu Gewissens-Nothzucht, dass es die Art des Todes selbst zu +Werth-Urtheilen über Mensch und Vergangenheit gemissbraucht hat! - +Hier gilt es, allen Feigheiten des Vorurtheils zum Trotz, vor Allem +die richtige, das heisst physiologische Würdigung des sogenannten +natürlichen Todes herzustellen: der zuletzt auch nur ein +"unnatürlicher", ein Selbstmord ist. Man geht nie durch jemand Anderes +zu Grunde, als durch sich selbst. Nur ist es der Tod unter den +verächtlichsten Bedingungen, ein unfreier Tod, ein Tod zur unrechten +Zeit, ein Feiglings Tod. Man sollte, aus Liebe zum Leben -, den Tod +anders wollen, frei, bewusst, ohne Zufall, ohne Überfall... Endlich +ein Rath für die Herrn Pessimisten und andere décadents. Wir haben es +nicht in der Hand, zu verhindern, geboren zu werden: aber wir können +diesen Fehler - denn bisweilen ist es ein Fehler - wieder gut machen. +Wenn man sich abschafft, thut man die achtungswürdigste Sache, die es +giebt: man verdient beinahe damit, zu leben... Die Gesellschaft, was +sage ich! Das Leben selber hat mehr Vortheil davon, als durch irgend +welches "Leben" in Entsagung, Bleichsucht und andrer Tugend -, man hat +die Andern von seinem Anblick befreit, man hat das Leben von einem +Einwand befreit... Der Pessimismus, pur, vert, beweist sich erst durch +die Selbst-Widerlegung der Herrn Pessimisten: man muss einen Schritt +weiter gehn in seiner Logik, nicht bloss mit "Wille und Vorstellung", +wie Schopenhauer es that, das Leben verneinen -, man muss +Schopenhauern zuerst verneinen... Der Pessimismus, anbei gesagt, so +ansteckend er ist, vermehrt trotzdem nicht die Krankhaftigkeit einer +Zeit, eines Geschlechts im Ganzen: er ist deren Ausdruck. Man verfällt +ihm, wie man der Cholera verfällt: man muss morbid genug dazu schon +angelegt sein. Der Pessimismus selbst macht keinen einzigen décadent +mehr; ich erinnere an das Ergebniss der Statistik, dass die Jahre, in +denen die Cholera wüthet, sich in der Gesammt-Ziffer der Sterbefälle +nicht von andern Jahrgängen unterscheiden. + + +37. + +Ob wir moralischer geworden sind. - Gegen meinen Begriff "jenseits von +Gut und Böse" hat sich, wie zu erwarten stand, die ganze Ferocität der +moralischen Verdummung, die bekanntlich in Deutschland als die Moral +selber gilt -, in's Zeug geworfen: ich hätte artige Geschichten davon +zu erzählen. Vor Allem gab man mir die "unleugbare Überlegenheit" +unsrer Zeit im sittlichen Urtheil zu überdenken, unsern wirklich hier +gemachten Fortschritt: ein Cesare Borgia sei, im Vergleich mit uns, +durchaus nicht als ein "höherer Mensch", als eine Art Übermensch, wie +ich es thue, aufzustellen... Ein Schweizer Redakteur, vom "Bund", +gieng so weit, nicht ohne seine Achtung vor dem Muth zu solchem +Wagniss auszudrücken, den Sinn meines Werks dahin zu "verstehn", +dass ich mit demselben die Abschaffung aller anständigen Gefühle +beantragte. Sehr verbunden! - Ich erlaube mir, als Antwort, die Frage +aufzuwerfen, ob wir wirklich moralischer geworden sind. Dass alle Welt +das glaubt, ist bereits ein Einwand dagegen... Wir modernen Menschen, +sehr zart, sehr verletzlich und hundert Rücksichten gebend und +nehmend, bilden uns in der That ein, diese zärtliche Menschlichkeit, +die wir darstellen, diese erreichte Einmüthigkeit in der Schonung, in +der Hülfsbereitschaft, im gegenseitigen Vertrauen sei ein positiver +Fortschritt, damit seien wir weit über die Menschen der Renaissance +hinaus. Aber so denkt jede Zeit, so muss sie denken. Gewiss ist, dass +wir uns nicht in Renaissance-Zustände hineinstellen dürften, nicht +einmal hineindenken: unsre Nerven hielten jene Wirklichkeit nicht aus, +nicht zu reden von unsern Muskeln. Mit diesem Unvermögen ist aber +kein Fortschritt bewiesen, sondern nur eine andre, eine spätere +Beschaffenheit, eine schwächere, zärtlichere, verletzlichere, aus der +sich nothwendig eine rücksichtenreiche Moral erzeugt. Denken wir unsre +Zartheit und Spätheit, unsre physiologische Alterung weg, so verlöre +auch unsre Moral der "Vermenschlichung" sofort ihren Werth - an sich +hat keine Moral Werth -: sie würde uns selbst Geringschätzung machen. +Zweifeln wir andrerseits nicht daran, dass wir Modernen mit unsrer +dick wattirten Humanität, die durchaus an keinen Stein sich stossen +Will, den Zeitgenossen Cesare Borgia's eine Komödie zum Todtlachen +abgeben würden. In der That, wir sind über die Maassen unfreiwillig +spasshaft, mit unsren modernen "Tugenden"... Die Abnahme der +feindseligen und misstrauenweckenden Instinkte - und das wäre ja unser +"Fortschritt" - stellt nur eine der Folgen in der allgemeinen Abnahme +der Vitalität dar: es kostet hundert Mal mehr Mühe, mehr Vorsicht, +ein so bedingtes, so spätes Dasein durchzusetzen. Da hilft man sich +gegenseitig, da ist Jeder bis zu einem gewissen Grade Kranker und +Jeder Krankenwärter. Das heisst dann "Tugend" -: unter Menschen, +die das Leben noch anders kannten, voller, verschwenderischer, +überströmender, hätte man's anders genannt, "Feigheit" vielleicht, +"Erbärmlichkeit", "Altweiber-Moral"... Unsre Milderung der Sitten - +das ist mein Satz, das ist, wenn man will, meine Neuerung - ist eine +Folge des Niedergangs; die Härte und Schrecklichkeit der Sitte kann +umgekehrt eine Folge des Überschusses von Leben sein: dann nämlich +darf auch Viel gewagt, Viel herausgefordert, Viel auch vergeudet +werden. Was Würze ehedem des Lebens war, für uns wäre es Gift... +Indifferent zu sein - auch das ist eine Form der Stärke - dazu sind +wir gleichfalls zu alt, zu spät: unsre Mitgefühls-Moral, vor der +ich als der Erste gewarnt habe, Das, was man l'impressionisme +morale nennen könnte, ist ein Ausdruck mehr der physiologischen +Überreizbarkeit, die Allem, was décadent ist, eignet. Jene Bewegung, +die mit der Mitleids-Moral Schopenhauer's versucht hat, sich +wissenschaftlich vorzuführen - ein sehr unglücklicher Versuch! - ist +die eigentliche décadence-Bewegung in der Moral, sie ist als solche +tief verwandt mit der christlichen Moral. Die starken Zeiten, die +vornehmen Culturen sehen im Mitleiden, in der "Nächstenliebe", im +Mangel an Selbst und Selbstgefühl etwas Verächtliches. - Die Zeiten +sind zu messen nach ihren positiven Kräften - und dabei ergiebt sich +jene so verschwenderische und verhängnissreiche Zeit der Renaissance +als die letzte grosse Zeit, und wir, wir Modernen mit unsrer +ängstlichen Selbst-Fürsorge und Nächstenliebe, mit unsren Tugenden +der Arbeit, der Anspruchslosigkeit, der Rechtlichkeit, der +Wissenschaftlichkeit - sammelnd, ökonomisch, machinal - als eine +schwache Zeit... Unsre Tugenden sind bedingt, sind herausgefordert +durch unsre Schwäche... Die "Gleichheit", eine gewisse thatsächliche +Anähnlichung, die sich in der Theorie von "gleichen Rechten" nur zum +Ausdruck bringt, gehört wesentlich zum Niedergang: die Kluft zwischen +Mensch und Mensch, Stand und Stand, die Vielheit der Typen, der Wille, +selbst zu sein, sich abzuheben, Das, was ich Pathos der Distanz nenne, +ist jeder starken Zeit zu eigen. Die Spannkraft, die Spannweite +zwischen den Extremen wird heute immer kleiner, - die Extreme selbst +verwischen sich endlich bis zur Ähnlichkeit... Alle unsre politischen +Theorien und Staats-Verfassungen, das "deutsche Reich" durchaus nicht +ausgenommen, sind Folgerungen, Folge-Nothwendigkeiten des Niedergangs; +die unbewusste Wirkung der décadence ist bis in die Ideale einzelner +Wissenschaften hinein Herr geworden. Mein Einwand gegen die ganze +Sociologie in England und Frankreich bleibt, dass sie nur die +Verfalls-Gebilde der Societät aus Erfahrung kennt und vollkommen +unschuldig die eigenen Verfalls-Instinkte als Norm des sociologischen +Werthurteils nimmt. Das niedergehende Leben, die Abnahme aller +organisirenden, das heisst trennenden, Klüfte aufreissenden, unter- +und überordnenden Kraft formulirt sich in der Sociologie von heute +zum Ideal... Unsre Socialisten sind décadents, aber auch Herr Herbert +Spencer ist ein décadent, - er sieht im Sieg des Altruismus etwas +Wünschenswerthes!... + + +38. + +Mein Begriff von Freiheit. - Der Werth einer Sache liegt mitunter +nicht in dem, was man mit ihr erreicht, sondern in dem, was man +für sie bezahlt, - was sie uns kostet. Ich gebe ein Beispiel. Die +liberalen Institutionen hören alsbald auf, liberal zu sein, sobald +sie erreicht sind: es giebt später keine ärgeren und gründlicheren +Schädiger der Freiheit, als liberale Institutionen. Man weiss ja, was +sie zu Wege bringen: sie unterminiren den Willen zur Macht, sie sind +die zur Moral erhobene Nivellirung von Berg und Tal, sie machen +klein, feige und genüsslich, - mit ihnen triumphirt jedesmal das +Heerdenthier. Liberalismus: auf deutsch Heerden-Verthierung... +Dieselben Institutionen bringen, so lange sie noch erkämpft werden, +ganz andere Wirkungen hervor; sie fördern dann in der That die +Freiheit auf eine mächtige Weise. Genauer zugesehn, ist es der Krieg, +der diese Wirkungen hervorbringt, der Krieg um liberale Institutionen, +der als Krieg die illiberalen Instinkte dauern lässt. Und der Krieg +erzieht zur Freiheit. Denn was ist Freiheit! Dass man den Willen zur +Selbstverantwortlichkeit hat. Dass man die Distanz, die uns abtrennt, +festhält. Dass man gegen Mühsal, Härte, Entbehrung, selbst gegen das +Leben gleichgültiger wird. Dass man bereit ist, seiner Sache Menschen +zu opfern, sich selber nicht abgerechnet. Freiheit bedeutet, dass +die männlichen, die kriegs- und siegsfrohen Instinkte die Herrschaft +haben über andre Instinkte, zum Beispiel über die des "Glücks". Der +freigewordne Mensch, um wie viel mehr der freigewordne Geist, tritt +mit Füssen auf die verächtliche Art von Wohlbefinden, von dem Krämer, +Christen, Kühe, Weiber, Engländer und andre Demokraten träumen. Der +freie Mensch ist Krieger. - Wonach misst sich die Freiheit, bei +Einzelnen, wie bei Völkern? Nach dem Widerstand, der überwunden werden +muss, nach der Mühe, die es kostet, oben zu bleiben. Den höchsten +Typus freier Menschen hätte man dort zu suchen, wo beständig der +höchste Widerstand überwunden wird: fünf Schritt weit von der +Tyrannei, dicht an der Schwelle der Gefahr der Knechtschaft. Dies ist +psychologisch wahr, wenn man hier unter den "Tyrannen" unerbittliche +und furchtbare Instinkte begreift, die das Maximum von Autorität und +Zucht gegen sich herausfordern - schönster Typus Julius Caesar -; +dies ist auch politisch wahr, man mache nur seinen Gang durch die +Geschichte. Die Völker, die Etwas werth waren, werth wurden, wurden +dies nie unter liberalen Institutionen: die grosse Gefahr machte +Etwas aus ihnen, das Ehrfurcht verdient, die Gefahr, die uns unsre +Hülfsmittel, unsre Tugenden, unsre Wehr und Waffen, unsern Geist erst +kennen lehrt, - die uns zwingt, stark zu sein... Erster Grundsatz: +man muss es nöthig haben, stark zu sein: sonst wird man's nie. - Jene +grossen Treibhäuser für starke, für die stärkste Art Mensch, die es +bisher gegeben hat, die aristokratischen Gemeinwesen in der Art von +Rom und Venedig verstanden Freiheit genau in dem Sinne, wie ich das +Wort Freiheit verstehe: als Etwas, das man hat und nicht hat, das man +will, das man erobert... + + +39. + +Kritik der Modernität. - Unsre Institutionen taugen nichts mehr: +darüber ist man einmüthig. Aber das liegt nicht an ihnen, sondern an +uns. Nachdem uns alle Instinkte abhanden gekommen sind, aus denen +Institutionen wachsen, kommen uns Institutionen überhaupt abhanden, +weil wir nicht mehr zu ihnen taugen. Demokratismus war jeder Zeit +die Niedergangs-Form der organisirenden Kraft: ich habe schon in +"Menschliches, Allzumenschliches" 1, 318 die moderne Demokratie sammt +ihren Halbheiten, wie "deutsches Reich", als Verfallsform des Staats +gekennzeichnet. Damit es Institutionen giebt, muss es eine Art Wille, +Instinkt, Imperativ geben, antiliberal bis zur Bosheit: den Willen +zur Tradition, zur Autorität, zur Verantwortlichkeit auf Jahrhunderte +hinaus, zur Solidarität von Geschlechter-Ketten vorwärts und rückwärts +in infinitum. Ist dieser Wille da, so gründet sich Etwas wie das +imperium Romanum: oder wie Russland, die einzige Macht, die heute +Dauer im Leibe hat, die warten kann, die Etwas noch versprechen kann, +- Russland der Gegensatz-Begriff zu der erbärmlichen europäischen +Kleinstaaterei und Nervosität, die mit der Gründung des deutschen +Reichs in einen kritischen Zustand eingetreten ist... Der ganze Westen +hat jene Instinkte nicht mehr, aus denen Institutionen wachsen, aus +denen Zukunft wächst: seinem "modernen Geiste" geht vielleicht Nichts +so sehr wider den Strich. Man lebt für heute, man lebt sehr geschwind, +- man lebt sehr unverantwortlich: dies gerade nennt man "Freiheit". +Was aus Institutionen Institutionen macht, wird verachtet, gehasst, +abgelehnt: man glaubt sich in der Gefahr einer neuen Sklaverei, wo das +Wort "Autorität" auch nur laut wird. So weit geht die décadence im +Werth-Instinkte unsrer Politiker, unsrer politischen Parteien: sie +ziehn instinktiv vor, was auflöst, was das Ende beschleunigt... +Zeugniss die moderne Ehe. Aus der modernen Ehe ist ersichtlich alle +Vernunft abhanden gekommen: das giebt aber keinen Einwand gegen die +Ehe ab, sondern gegen die Modernität. Die Vernunft der Ehe - sie lag +in der juristischen Alleinverantwortlichkeit des Mannes: damit hatte +die Ehe Schwergewicht, während sie heute auf beiden Beinen hinkt. Die +Vernunft der Ehe - sie lag in ihrer principiellen Unlösbarkeit: damit +bekam sie einen Accent, der, dem Zufall von Gefühl, Leidenschaft +und Augenblick gegenüber, sich Gehör zu schaffen wusste. Sie lag +insgleichen in der Verantwortlichkeit der Familien für die Auswahl +der Gatten. Man hat mit der wachsenden Indulgenz zu Gunsten der +Liebes-Heirath geradezu die Grundlage der Ehe, Das, was erst aus ihr +eine Institution macht, eliminirt. Man gründet eine Institution nie +und nimmermehr auf eine Idiosynkrasie, man gründet die Ehe nicht, wie +gesagt, auf die "Liebe", - man gründet sie auf den Geschlechtstrieb, +auf den Eigenthumstrieb (Weib und Kind als Eigenthum), auf den +Herrschafts-Trieb, der sich beständig das kleinste Gebilde der +Herrschaft, die Familie, organisirt, der Kinder und Erben braucht, um +ein erreichtes Maass von Macht, Einfluss, Reichthum auch physiologisch +festzuhalten, um lange Aufgaben, um Instinkt-Solidarität zwischen +Jahrhunderten vorzubereiten. Die Ehe als Institution begreift bereits +die Bejahung der grössten, der dauerhaftesten Organisationsform in +sich: wenn die Gesellschaft selbst nicht als Ganzes für sich gutsagen +kann bis in die fernsten Geschlechter hinaus, so hat die Ehe überhaupt +keinen Sinn. - Die moderne Ehe verlor ihren Sinn, - folglich schafft +man sie ab. - + + +40. + +Die Arbeiter-Frage. - Die Dummheit, im Grunde die Instinkt-Entartung, +welche heute die Ursache aller Dummheiten ist, liegt darin, dass es +eine Arbeiter-Frage giebt. Über gewisse Dinge fragt man nicht: erster +Imperativ des Instinktes. - Ich sehe durchaus nicht ab, was man mit +dem europäischen Arbeiter machen will, nachdem man erst eine Frage aus +ihm gemacht hat. Er befindet sich viel zu gut, um nicht Schritt für +Schritt mehr zu fragen, unbescheidner zu fragen. Er hat zuletzt die +grosse Zahl für sich. Die Hoffnung ist vollkommen vorüber, dass hier +sich eine bescheidene und selbstgenügsame Art Mensch, ein Typus +Chinese zum Stande herausbilde: und dies hätte Vernunft gehabt, dies +wäre geradezu eine Nothwendigkeit gewesen. Was hat man gethan? - +Alles, um auch die Voraussetzung dazu im Keime zu vernichten, - man +hat die Instinkte, vermöge deren ein Arbeiter als Stand möglich, sich +selber möglich wird, durch die unverantwortlichste Gedankenlosigkeit +in Grund und Boden zerstört. Man hat den Arbeiter militärtüchtig +gemacht, man hat ihm das Coalitions-Recht, das politische Stimmrecht +gegeben: was Wunder, wenn der Arbeiter seine Existenz heute bereits +als Nothstand (moralisch ausgedrückt als Unrecht -) empfindet? Aber +was will man? nochmals gefragt. Will man einen Zweck, muss man auch +die Mittel wollen: will man Sklaven, so ist man ein Narr, wenn man sie +zu Herrn erzieht. - + + +41. + +"Freiheit, die ich nicht meine..." In solchen Zeiten, wie heute, +seinen Instinkten überlassen sein, ist ein Verhängniss mehr. +Diese Instinkte widersprechen, stören sich, zerstören sich unter +einander; ich definirte das Moderne bereits als den physiologischen +Selbst-Widerspruch. Die Vernunft der Erziehung würde wollen, dass +unter einem eisernen Drucke wenigstens Eins dieser Instinkt-Systeme +paralysirt würde, um einem andren zu erlauben, zu Kräften zu kommen, +stark zu werden, Herr zu werden. Heute müsste man das Individuum erst +möglich machen, indem man dasselbe beschneidet: möglich, das heisst +ganz... Das Umgekehrte geschieht: der Anspruch auf Unabhängigkeit, +auf freie Entwicklung, auf laisser aller wird gerade von Denen am +hitzigsten gemacht, für die kein Zügel zu streng wäre - dies gilt +in politicis, dies gilt in der Kunst. Aber das ist ein Symptom der +décadence: unser moderner Begriff "Freiheit" ist ein Beweis von +Instinkt-Entartung mehr. - + + +42. + +Wo Glaube noth thut. - Nichts ist seltner unter Moralisten und +Heiligen als Rechtschaffenheit; vielleicht sagen sie das Gegentheil, +vielleicht glauben sie es selbst. Wenn nämlich ein Glaube nützlicher, +wirkungsvoller, überzeugender ist, als die bewusste Heuchelei, so +wird, aus Instinkt, die Heuchelei alsbald zur Unschuld: erster Satz +zum Verständniss grosser Heiliger. Auch bei den Philosophen, einer +andren Art von Heiligen, bringt es das ganze Handwerk mit sich, dass +sie nur gewisse Wahrheiten zulassen: nämlich solche, auf die hin ihr +Handwerk die öffentliche Sanktion hat, - Kantisch geredet, Wahrheiten +der praktischen Vernunft. Sie wissen, was sie beweisen müssen, darin +sind sie praktisch, - sie erkennen sich unter einander daran, dass sie +über "die Wahrheiten" übereinstimmen. - "Du sollst nicht lügen" - auf +deutsch: hüten Sie sich, mein Herr Philosoph, die Wahrheit zu sagen... + + +43. + +Den Conservativen in's Ohr gesagt. - Was man früher nicht wusste, was +man heute weiss, wissen könnte -, eine Rückbildung, eine Umkehr in +irgend welchem Sinn und Grade ist gar nicht möglich. Wir Physiologen +wenigstens wissen das. Aber alle Priester und Moralisten haben +daran geglaubt, - sie wollten die Menschheit auf ein früheres +Maass von Tugend zurückbringen, zurückschrauben. Moral war immer +ein Prokrustes-Bett. Selbst die Politiker haben es darin den +Tugendpredigern nachgemacht: es giebt auch heute noch Parteien, die +als Ziel den Krebsgang aller Dinge träumen. Aber es steht Niemandem +frei, Krebs zu sein. Es hilft nichts: man muss vorwärts, will sagen +Schritt für Schritt weiter in der décadence (- dies meine Definition +des modernen "Fortschritts"... ). Man kann diese Entwicklung hemmen +und, durch Hemmung, die Entartung selber stauen, aufsammeln, +vehementer und plötzlicher machen: mehr kann man nicht. - + + +44. + +Mein Begriff vom Genie. - Grosse Männer sind wie grosse Zeiten +Explosiv-Stoffe, in denen eine ungeheure Kraft aufgehäuft ist; ihre +Voraussetzung ist immer, historisch und physiologisch, dass lange auf +sie hin gesammelt, gehäuft, gespart und bewahrt worden ist, - dass +lange keine Explosion stattfand. Ist die Spannung in der Masse zu +gross geworden, so genügt der zufälligste Reiz, das "Genie", die +"That", das grosse Schicksal in die Welt zu rufen. Was liegt dann an +Umgebung, an Zeitalter, an "Zeitgeist", an "öffentlicher Meinung"! +- Man nehme den Fall Napoleon's. Das Frankreich der Revolution, und +noch mehr das der Vorrevolution, würde aus sich den entgegengesetzten +Typus, als der Napoleon's ist, hervorgebracht haben: es hat ihn auch +hervorgebracht. Und weil Napoleon anders war, Erbe einer stärkeren, +längeren, älteren Civilisation als die, welche in Frankreich in Dampf +und Stücke gieng, wurde er hier Herr, war er allein hier Herr. Die +grossen Menschen sind nothwendig, die Zeit, in der sie erscheinen, ist +zufällig; dass sie fast immer über dieselbe Herr werden, liegt nur +darin, dass sie stärker, dass sie älter sind, dass länger auf sie hin +gesammelt worden ist. Zwischen einem Genie und seiner Zeit besteht ein +Verhältniss, wie zwischen stark und schwach, auch wie zwischen alt +und jung: die Zeit ist relativ immer viel jünger, dünner, unmündiger, +unsicherer, kindischer. - Dass man hierüber in Frankreich heute sehr +anders denkt (in Deutschland auch: aber daran liegt nichts), dass dort +die Theorie vom milieu, eine wahre Neurotiker-Theorie, sakrosankt und +beinahe wissenschaftlich geworden ist und bis unter die Physiologen +Glauben findet, das "riecht nicht gut", das macht Einem traurige +Gedanken. - Man versteht es auch in England nicht anders, doch darüber +wird sich kein Mensch betrüben. Dem Engländer stehen nur zwei Wege +offen, sich mit dem Genie und "grossen Manne" abzufinden: entweder +demokratisch in der Art Buckle's oder religiös in der Art Carlyle's. +- Die Gefahr, die in grossen Menschen und Zeiten liegt, ist ausser +ordentlich; die Erschöpfung jeder Art, die Sterilität folgt ihnen +auf dem Fusse. Der grosse Mensch ist ein Ende; die grosse Zeit, die +Renaissance zum Beispiel, ist ein Ende. Das Genie - in Werk, in That +- ist nothwendig ein Verschwender: dass es sich ausgiebt, ist seine +Grösse... Der Instinkt der Selbsterhaltung ist gleichsam ausgehängt; +der übergewaltige Druck der ausströmenden Kräfte verbietet ihm jede +solche Obhut und Vorsicht. Man nennt das "Aufopferung"; man rühmt +seinen "Heroismus" darin, seine Gleichgültigkeit gegen das eigne Wohl, +seine Hingebung für eine Idee, eine grosse Sache, ein Vaterland: Alles +Missverständnisse... Er strömt aus, er strömt über, er verbraucht +sich, er schont sich nicht, - mit Fatalität, verhängnissvoll, +unfreiwillig, wie das Ausbrechen eines Flusses über seine Ufer +unfreiwillig ist. Aber weil man solchen Explosiven viel verdankt, hat +man ihnen auch viel dagegen geschenkt, zum Beispiel eine Art höherer +Moral... Das ist ja die Art der menschlichen Dankbarkeit: sie +missversteht ihre Wohlthäter.- + + +45. + +Der Verbrecher und was ihm verwandt ist. - Der Verbrecher-Typus, das +ist der Typus des starken Menschen unter ungünstigen Bedingungen, ein +krank gemachter starker Mensch. Ihm fehlt die Wildniss, eine gewisse +freiere und gefährlichere Natur und Daseinsform, in der Alles, was +Waffe und Wehr im Instinkt des starken Menschen ist, zu Recht besteht. +Seine Tugenden sind von der Gesellschaft in Bann gethan; seine +lebhaftesten Triebe, die er mitgebracht hat, verwachsen alsbald mit +den niederdrückenden Affekten, mit dem Verdacht, der Furcht, der +Unehre. Aber dies ist beinahe das Recept zur physiologischen +Entartung. Wer Das, was er am besten kann, am liebsten thäte, heimlich +thun muss, mit langer Spannung, Vorsicht, Schlauheit, wird anämisch; +und weil er immer nur Gefahr, Verfolgung, Verhängniss von seinen +Instinkten her erntet, verkehrt sich auch sein Gefühl gegen diese +Instinkte - er fühlt sie fatalistisch. Die Gesellschaft ist es, +unsre zahme, mittelmässige, verschnittene Gesellschaft, in der ein +naturwüchsiger Mensch, der vom Gebirge her oder aus den Abenteuern +des Meeres kommt, nothwendig zum Verbrecher entartet. Oder beinahe +nothwendig: denn es giebt Fälle, wo ein solcher Mensch sich stärker +erweist als die Gesellschaft: der Corse Napoleon ist der berühmteste +Fall. Für das Problem, das hier vorliegt, ist das Zeugniss +Dostoiewsky's von Belang - Dostoiewsky's, des einzigen Psychologen, +anbei gesagt, von dem ich Etwas zu lernen hatte: er gehört zu den +schönsten Glücksfällen meines Lebens, mehr selbst noch als die +Entdeckung Stendhal's. Dieser tiefe Mensch, der zehn Mal Recht hatte, +die oberflächlichen Deutschen gering zu schätzen, hat die sibirischen +Zuchthäusler, in deren Mitte er lange lebte, lauter schwere +Verbrecher, für die es keinen Rückweg zur Gesellschaft mehr gab, +sehr anders empfunden als er selbst erwartete - ungefähr als aus +dem besten, härtesten und werthvollsten Holze geschnitzt, das auf +russischer Erde überhaupt wächst. Verallgemeinern wir den Fall des +Verbrechers: denken wir uns Naturen, denen, aus irgend einem Grunde, +die öffentliche Zustimmung fehlt, die wissen, dass sie nicht als +wohlthätig, als nützlich empfunden werden, - jenes Tschandala-Gefühl, +dass man nicht als gleich gilt, sondern als ausgestossen, unwürdig, +verunreinigend. Alle solche Naturen haben die Farbe des Unterirdischen +auf Gedanken und Handlungen; an ihnen wird Jegliches bleicher als +an Solchen, auf deren Dasein das Tageslicht ruht. Aber fast alle +Existenzformen, die wir heute auszeichnen, haben ehemals unter dieser +halben Grabesluft gelebt: der wissenschaftliche Charakter, der Artist, +das Genie, der freie Geist, der Schauspieler, der Kaufmann, der grosse +Entdecker... So lange der Priester als oberster Typus galt, war jede +werthvolle Art Mensch entwerthet... Die Zeit kommt - ich verspreche +das - wo er als der niedrigste gelten wird, als unser Tschandala, als +die verlogenste, als die unanständigste Art Mensch... Ich richte die +Aufmerksamkeit darauf, wie noch jetzt, unter dem mildesten Regiment +der Sitte, das je auf Erden, zum Mindesten in Europa, geherrscht +hat, jede Abseitigkeit, jedes lange, allzulange Unterhalb, jede +ungewöhnliche, undurchsichtige Daseinsform jenem Typus nahe bringt, +den der Verbrecher vollendet. Alle Neuerer des Geistes haben eine Zeit +das fahle und fatalistische Zeichen des Tschandala auf der Stirn: +nicht, weil sie so empfunden würden, sondern weil sie selbst die +furchtbare Kluft fühlen, die sie von allem Herkömmlichen und in Ehren +Stehenden trennt. Fast jedes Genie kennt als eine seiner Entwicklungen +die "catilinarische Existenz", ein Hass-, Rache- und Aufstands-Gefühl +gegen Alles, was schon ist, was nicht mehr wird... Catilina - die +Präexistenz-Form jedes Caesar. - + + +46. + +Hier ist die Aussicht frei. - Es kann Höhe der Seele sein, wenn ein +Philosoph schweigt; es kann Liebe sein, wenn er sich widerspricht; es +ist eine Höflichkeit des Erkennenden möglich, welche lügt. Man hat +nicht ohne Feinheit gesagt: il est indigne des grands coeurs de +répandre le trouble, qu'ils ressentent: nur muss man hinzufügen, dass +vor dem Unwürdigsten sich nicht zu fürchten ebenfalls Grösse der Seele +sein kann. Ein Weib, das liebt, opfert seine Ehre; ein Erkennender, +welcher "liebt", opfert vielleicht seine Menschlichkeit; ein Gott, +welcher liebte, ward Jude... + + +47. + +Die Schönheit kein Zufall. - Auch die Schönheit einer Rasse oder +Familie, ihre Anmuth und Güte in allen Gebärden wird erarbeitet: sie +ist, gleich dem Genie, das Schlussergebniss der accumulirten Arbeit +von Geschlechtern. Man muss dem guten Geschmacke grosse Opfer gebracht +haben, man muss um seinetwillen Vieles gethan, Vieles gelassen haben +- das siebzehnte Jahrhundert Frankreichs ist bewunderungswürdig in +Beidem -, man muss in ihm ein Princip der Wahl, für Gesellschaft, Ort, +Kleidung, Geschlechtsbefriedigung gehabt haben, man muss Schönheit dem +Vortheil, der Gewohnheit, der Meinung, der Trägheit vorgezogen haben. +Oberste Richtschnur: man muss sich auch vor sich selber nicht "gehen +lassen". - Die guten Dinge sind über die Maassen kostspielig: und +immer gilt das Gesetz, dass wer sie hat, ein Andrer ist, als wer +sie erwirbt. Alles Gute ist Erbschaft: was nicht ererbt ist, ist +unvollkommen, ist Anfang... In Athen waren zur Zeit Cicero's, der +darüber seine Überraschung ausdrückt, die Männer und Jünglinge bei +weitem den Frauen an Schönheit überlegen: aber welche Arbeit und +Anstrengung im Dienste der Schönheit hatte daselbst das männliche +Geschlecht seit Jahrhunderten von sich verlangt! - Man soll sich +nämlich über die Methodik hier nicht vergreifen: eine blosse Zucht +von Gefühlen und Gedanken ist beinahe Null (- hier liegt das grosse +Missverständniss der deutschen Bildung, die ganz illusorisch ist): +man muss den Leib zuerst überreden. Die strenge Aufrechterhaltung +bedeutender und gewählter Gebärden, eine Verbindlichkeit, nur mit +Menschen zu leben, die sich nicht "gehen lassen", genügt vollkommen, +um bedeutend und gewählt zu werden: in zwei, drei Geschlechtern ist +bereits Alles verinnerlicht. Es ist entscheidend über das Loos von +Volk und Menschheit, dass man die Cultur an der rechten Stelle beginnt +- nicht an der "Seele" (wie es der verhängnissvolle Aberglaube der +Priester und Halb-Priester war): die rechte Stelle ist der Leib, die +Gebärde, die Diät, die Physiologie, der Rest folgt daraus... Die +Griechen bleiben deshalb das erste Cultur-Ereigniss der Geschichte - +sie wussten, sie thaten, was Noth that; das Christenthum, das den Leib +verachtete, war bisher das grösste Unglück der Menschheit. - + + +48. + +Fortschritt in meinem Sinne. - Auch ich rede von "Rückkehr zur Natur", +obwohl es eigentlich nicht ein Zurückgehn, sondern ein Hinaufkommen +ist - hinauf in die hohe, freie, selbst furchtbare Natur und +Natürlichkeit, eine solche, die mit grossen Aufgaben spielt, spielen +darf .. Um es im Gleichniss zu sagen: Napoleon war ein Stück "Rückkehr +zur Natur", so wie ich sie verstehe (zum Beispiel in rebus tacticis, +noch mehr, wie die Militärs wissen, im Strategischen). - Aber Rousseau +- wohin wollte der eigentlich zurück? Rousseau, dieser erste moderne +Mensch, Idealist und canaille in Einer Person; der die moralische +"Würde" nöthig hatte, um seinen eignen Aspekt auszuhalten; krank vor +zügelloser Eitelkeit und zügelloser Selbstverachtung. Auch diese +Missgeburt, welche sich an die Schwelle der neuen Zeit gelagert hat, +wollte "Rückkehr zur Natur" - wohin, nochmals gefragt, wollte Rousseau +zurück? - Ich hasse Rousseau noch in der Revolution: sie ist der +welthistorische Ausdruck für diese Doppelheit von Idealist und +canaille. Die blutige farce, mit der sich diese Revolution abspielte, +ihre "Immoralität", geht mich wenig an: was ich hasse, ist ihre +Rousseau'sche Moralität - die sogenannten "Wahrheiten" der Revolution, +mit denen sie immer noch wirkt und alles Flache und Mittelmässige zu +sich überredet. Die Lehre von der Gleichheit!... Aber es giebt gar +kein giftigeres Gift: denn sie scheint von der Gerechtigkeit selbst +gepredigt, während sie das Ende der Gerechtigkeit ist... "Den Gleichen +Gleiches, den Ungleichen Ungleiches - das wäre die wahre Rede der +Gerechtigkeit: und, was daraus folgt, Ungleiches niemals gleich +machen." - Dass es um jene Lehre von der Gleichheit herum so +schauerlich und blutig zu gieng, hat dieser "modernen Idee" par +excellence eine Art Glorie und Feuerschein gegeben, so dass die +Revolution als Schauspiel auch die edelsten Geister verführt hat. Das +ist zuletzt kein Grund, sie mehr zu achten. - Ich sehe nur Einen, der +sie empfand, wie sie empfunden werden muss, mit Ekel - Goethe... + + +49. + +Goethe - kein deutsches Ereigniss, sondern ein europäisches: ein +grossartiger Versuch, das achtzehnte Jahrhundert zu überwinden durch +eine Rückkehr zur Natur, durch ein Hinaufkommen zur Natürlichkeit +der Renaissance, eine Art Selbstüberwindung von Seiten dieses +Jahrhunderts. - Er trug dessen stärkste Instinkte in sich: die +Gefühlsamkeit, die Natur-Idolatrie, das Antihistorische, das +Idealistische, das Unreale und Revolutionäre (- letzteres ist nur +eine Form des Unrealen). Er nahm die Historie, die Naturwissenschaft, +die Antike, insgleichen Spinoza zu Hülfe, vor Allem die praktische +Thätigkeit; er umstellte sich mit lauter geschlossenen Horizonten; er +löste sich nicht vom Leben ab, er stellte sich hinein; er war nicht +verzagt und nahm so viel als möglich auf sich, über sich, in sich. +Was er Wollte, das war Totalität; er bekämpfte das Auseinander +von Vernunft, Sinnlichkeit, Gefühl, Wille (- in abschreckendster +Scholastik durch Kant gepredigt, den Antipoden Goethe's), er +disciplinirte sich zur Ganzheit, er schuf sich... Goethe war, inmitten +eines unreal gesinnten Zeitalters, ein überzeugter Realist: er sagte +ja zu Allem, was ihm hierin verwandt war, - er hatte kein grösseres +Erlebniss als jenes ens realissimum, genannt Napoleon. Goethe +concipirte einen starken, hochgebildeten, in aller Leiblichkeiten +geschickten, sich selbst im Zaume habenden, vor sich selber +ehrfürchtigen Menschen, der sich den ganzen Umfang und Reichthum der +Natürlichkeit zu gönnen wagen darf, der stark genug zu dieser Freiheit +ist; den Menschen der Toleranz, nicht aus Schwäche, sondern aus +Stärke, weil er Das, woran die durchschnittliche Natur zu Grunde gehn +würde, noch zu seinem Vortheile zu brauchen weiss; den Menschen, für +den es nichts Verbotenes mehr giebt, es sei denn die Schwäche, heisse +sie nun Laster oder Tugend... Ein solcher freigewordner Geist steht +mit einem freudigen und vertrauenden Fatalismus mitten im All, im +Glauben, dass nur das Einzelne verwerflich ist, dass im Ganzen sich +Alles erlöst und bejaht - er verneint nicht mehr... Aber ein solcher +Glaube ist der höchste aller möglichen Glauben: ich habe ihn auf den +Namen des Dionysos getauft. - + + +50. + +Man könnte sagen, dass in gewissem Sinne das neunzehnte Jahrhundert +Das alles auch erstrebt hat, was Goethe als Person erstrebte: +eine Universalität im Verstehn, im Gutheissen, ein +Ansich-heran-kommen-lassen von Jedwedem, einen verwegnen Realismus, +eine Ehrfurcht vor allem Thatsächlichen. Wie kommt es, dass +das Gesammt-Ergebniss kein Goethe, sondern ein Chaos ist, ein +nihilistisches Seufzen, ein Nicht-wissen-wo-aus-noch-ein, ein Instinkt +von Ermüdung, der in praxi fortwährend dazu treibt, zum achtzehnten +Jahrhundert zurückzugreifen? (- zum Beispiel als Gefühls-Romantik, als +Altruismus und Hyper-Sentimentalität, als Femininismus im Geschmack, +als Socialismus in der Politik.) Ist nicht das neunzehnte Jahrhundert, +zumal in seinem Ausgange, bloss ein verstärktes verrohtes achtzehntes +Jahrhundert, das heisst ein décadence-Jahrhundert? So dass Goethe +nicht bloss für Deutschland, sondern für ganz Europa bloss ein +Zwischenfall, ein schönes Umsonst gewesen wäre? - Aber man +missversteht grosse Menschen, wenn man sie aus der armseligen +Perspektive eines öffentlichen Nutzens ansieht. Dass man keinen Nutzen +aus ihnen zu ziehn weiss, das gehört selbst vielleicht zur Grösse... + + +51. + +Goethe ist der letzte Deutsche, vor dem ich Ehrfurcht habe: er hätte +drei Dinge empfunden, die ich empfinde, - auch verstehen wir uns über +das "Kreuz"... Man fragt mich öfter, wozu ich eigentlich deutsch +schriebe: nirgendswo würde ich schlechter gelesen, als im Vaterlande. +Aber wer weiss zuletzt, ob ich auch nur wünsche, heute gelesen zu +werden? - Dinge schaffen, an denen umsonst die Zeit ihre Zähne +versucht; der Form nach, der Substanz nach um eine kleine +Unsterblichkeit bemüht sein - ich war noch nie bescheiden genug, +weniger von mir zu verlangen. Der Aphorismus, die Sentenz, in denen +ich als der Erste unter Deutschen Meister bin, sind die Formen der +"Ewigkeit"; mein Ehrgeiz ist, in zehn Sätzen zu sagen, was jeder Andre +in einem Buche sagt, - was jeder Andre in einem Buche nicht sagt... + +Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben, das sie besitzt, +meinen Zarathustra: ich gebe ihr über kurzem das unabhängigste. - + + + +Was ich den Alten verdanke. + +1. + +Zum Schluss ein Wort über jene Welt, zu der ich Zugänge gesucht, zu +der ich vielleicht einen neuen Zugang gefunden habe - die alte Welt. +Mein Geschmack, der der Gegensatz eines duldsamen Geschmacks sein mag, +ist auch hier fern davon, in Bausch und Bogen ja zu sagen: er sagt +überhaupt nicht gern ja, lieber noch Nein, am allerliebsten gar +nichts... Das gilt von ganzen Culturen, das gilt von Büchern, - es +gilt auch von Orten und Landschaften. Im Grunde ist es eine ganz +kleine Anzahl antiker Bücher, die in meinem Leben mitzählen; die +berühmtesten sind nicht darunter. Mein Sinn für Stil, für das Epigramm +als Stil erwachte fast augenblicklich bei der Berührung mit Sallust. +Ich habe das Erstaunen meines verehrten Lehrers Corssen nicht +vergessen, als er seinem schlechtesten Lateiner die allererste Censur +geben musste -, ich war mit Einem Schlage fertig. Gedrängt, streng, +mit so viel Substanz als möglich auf dem Grunde, eine kalte Bosheit +gegen das "schöne Wort", auch das "schöne Gefühl" - daran errieth ich +mich. Man wird, bis in meinen Zarathustra hinein, eine sehr ernsthafte +Ambition nach römischem Stil, nach dem "aere perennius" im Stil bei +mir wiedererkennen. - Nicht anders ergieng es mir bei der ersten +Berührung mit Horaz. Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe +artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine Horazische +Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht +einmal zu wollen. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als +Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine +Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies +damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen - das Alles ist +römisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par excellence. Der +ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres, - eine blosse +Gefühls-Geschwätzigkeit... + + +2. + +Den Griechen verdanke ich durchaus keine verwandt starken Eindrücke; +und, um es geradezu herauszusagen, sie können uns nicht sein, was die +Römer sind. Man lernt nicht von den Griechen - ihre Art ist zu fremd, +sie ist auch zu flüssig, um imperativisch, um "klassisch" zu wirken. +Wer hätte je an einem Griechen schreiben gelernt! Wer hätte es je ohne +die Römer gelernt!... Man wende mir ja nicht Plato ein. Im Verhältniss +zu Plato bin ich ein gründlicher Skeptiker und war stets ausser +Stande, in die Bewunderung des Artisten Plato, die unter Gelehrten +herkömmlich ist, einzustimmen. Zuletzt habe ich hier die +raffinirtesten Geschmacksrichter unter den Alten selbst auf +meiner Seite. Plato wirft, wie mir scheint, alle Formen des Stils +durcheinander, er ist damit ein erster décadent des Stils: er hat +etwas Ähnliches auf dem Gewissen, wie die Cyniker, die die satura +Menippea erfanden. Dass der Platonische Dialog, diese entsetzlich +selbstgefällige und kindliche Art Dialektik, als Reiz wirken könne, +dazu muss man nie gute Franzosen gelesen haben, - Fontenelle zum +Beispiel. Plato ist langweilig. - Zuletzt geht mein Misstrauen +bei Plato in die Tiefe: ich finde ihn so abgeirrt von +allen Grundinstinkten der Hellenen, so vermoralisirt, so +präexistent-christlich - er hat bereits den Begriff "gut" als obersten +Begriff -, dass ich von dem ganzen Phänomen Plato eher das harte Wort +"höherer Schwindel" oder, wenn man's lieber hört, Idealismus - als +irgend ein andres gebrauchen möchte. Man hat theuer dafür bezahlt, +dass dieser Athener bei den Ägyptern in die Schule gieng (- oder bei +den Juden in Agypten?...) Im grossen Verhängniss des Christenthums +ist Plato jene "Ideal" genannte Zweideutigkeit und Fascination, die +den edleren Naturen des Alterthums es möglich machte, sich selbst +misszuverstehn und die Brücke zu betreten, die zum "Kreuz" führte... +Und wie viel Plato ist noch im Begriff "Kirche", in Bau, System, +Praxis der Kirche! - Meine Erholung, meine Vorliebe, meine Kur von +allem Platonismus war zu jeder Zeit Thukydides. Thukydides und, +vielleicht, der principe Machiavell's sind mir selber am meisten +verwandt durch den unbedingten Willen, sich Nichts vorzumachen und +die Vernunft in der Realität zu sehn, - nicht in der "Vernunft", noch +weniger in der "Moral"... Von der jämmerlichen Schönfärberei der +Griechen in's Ideal, die der "klassisch gebildete" Jüngling als Lohn +für seine Gymnasial-Dressur in's Leben davonträgt, kurirt Nichts +so gründlich als Thukydides. Man muss ihn Zeile für Zeile umwenden +und seine Hintergedanken so deutlich ablesen wie seine Worte: es +giebt wenige so hintergedankenreiche Denker. In ihm kommt die +Sophisten-Cultur, will sagen die Realisten-Cultur, zu ihrem +vollendeten Ausdruck: diese unschätzbare Bewegung inmitten des eben +allerwärts losbrechenden Moral- und Ideal-Schwindels der sokratischen +Schulen. Die griechische Philosophie als die décadence des +griechischen Instinkts; Thukydides als die grosse Summe, die letzte +Offenbarung jener starken, strengen, harten Thatsächlichkeit, die +dem älteren Hellenen im Instinkte lag. Der Muth vor der Realität +unterscheidet zuletzt solche Naturen wie Thukydides und Plato: Plato +ist ein Feigling vor der Realität, - folglich flüchtet er in's Ideal; +Thukydides hat sich in der Gewalt, folglich behält er auch die Dinge +in der Gewalt... + + +3. + +In den Griechen "schöne Seelen", "goldene Mitten" und andre +Vollkommenheiten auszuwittern, etwa an ihnen die Ruhe in der Grösse, +die ideale Gesinnung, die hohe Einfalt bewundern - vor dieser "hohen +Einfalt", einer niaiserie allemande zu guterletzt, war ich durch den +Psychologen behütet, den ich in mir trug. Ich sah ihren stärksten +Instinkt, den Willen zur Macht, ich sah sie zittern vor der unbändigen +Gewalt dieses Triebs, - ich sah alle ihre Institutionen wachsen +aus Schutzmaassregeln, um sich vor einander gegen ihren inwendigen +Explosivstoff sicher zu stellen. Die ungeheure Spannung im Innern +entlud sich dann in furchtbarer und rücksichtsloser Feindschaft nach +Aussen: die Stadtgemeinden zerfleischten sich unter einander, damit +die Stadtbürger jeder einzelnen vor sich selber Ruhe fänden. Man hatte +es nöthig, stark zu sein: die Gefahr war in der Nähe -, sie lauerte +überall. Die prachtvoll geschmeidige Leiblichkeit, der verwegene +Realismus und Immoralismus, der dem Hellenen eignet, ist eine Noth, +nicht eine "Natur" gewesen. Er folgte erst, er war nicht von Anfang an +da. Und mit Festen und Künsten wollte man auch nichts Andres als sich +obenauf fühlen, sich obenauf zeigen: es sind Mittel, sich selber +zu verherrlichen, unter Umständen vor sich Furcht zu machen... Die +Griechen auf deutsche Manier nach ihren Philosophen beurtheilen, etwa +die Biedermännerei der sokratischen Schulen zu Aufschlüssen darüber +benutzen, was im Grunde hellenisch sei!... Die Philosophen sind ja die +décadents des Griechenthums, die Gegenbewegung gegen den alten, den +vornehmen Geschmack (- gegen den agonalen Instinkt, gegen die Polis, +gegen den Werth der Rasse, gegen die Autorität des Herkommens). +Die sokratischen Tugenden wurden gepredigt, weil sie den Griechen +abhanden gekommen waren: reizbar, furchtsam, unbeständig, Komödianten +allesammt, hatten sie ein paar Gründe zu viel, sich Moral predigen zu +lassen. Nicht, dass es Etwas geholfen hätte: aber grosse Worte und +Attitüden stehen décadents so gut... + + +4. + +Ich war der erste, der, zum Verständniss des älteren, des noch reichen +und selbst überströmenden hellenischen Instinkts, jenes wundervolle +Phänomen ernst nahm, das den Namen des Dionysos trägt: es ist einzig +erklärbar aus einem Zuviel von Kraft. Wer den Griechen nachgeht, +wie jener tiefste Kenner ihrer Cultur, der heute lebt, wie Jakob +Burckhardt in Basel, der wusste sofort, dass damit Etwas gethan sei: +Burckhardt fügte seiner "Cultur der Griechen" einen eignen Abschnitt +über das genannte Phänomen ein. Will man den Gegensatz, so sehe man +die beinahe erheiternde Instinkt-Armuth der deutschen Philologen, +wenn sie in die Nähe des Dionysischen kommen. Der berühmte Lobeck +zumal, der mit der ehrwürdigen Sicherheit eines zwischen Büchern +ausgetrockneten Wurms in diese Welt geheimnissvoller Zustände +hineinkroch und sich überredete, damit wissenschaftlich zu sein, dass +er bis zum Ekel leichtfertig und kindisch war, - Lobeck hat mit allem +Aufwande von Gelehrsamkeit zu verstehn gegeben, eigentlich habe es mit +allen diesen Curiositäten Nichts auf sich. In der That möchten die +Priester den Theilhabern an solchen Orgien einiges nicht Werthlose +mitgetheilt haben, zum Beispiel, dass der Wein zur Lust anrege, dass +der Mensch unter Umständen von Früchten lebe, dass die Pflanzen im +Frühjahr aufblühn, im Herbst verwelken. Was jenen so befremdlichen +Reichthum an Riten, Symbolen und Mythen orgiastischen Ursprungs +angeht, von dem die antike Welt ganz wörtlich überwuchert ist, so +findet Lobeck an ihm einen Anlass, noch um einen Grad geistreicher zu +werden. "Die Griechen, sagt er Aglaophamus I, 672, hatten sie nichts +Anderes zu thun, so lachten, sprangen, rasten sie umher, oder, da der +Mensch mitunter auch dazu Lust hat, so sassen sie nieder, weinten und +jammerten. Andere kamen dann später hinzu und suchten doch irgend +einen Grund für das auffallende Wesen; und so entstanden zur Erklärung +jener Gebräuche jene zahllosen Festsagen und Mythen. Auf der andren +Seite glaubte man, jenes possirliche Treiben, welches nun einmal an +den Festtagen stattfand, gehöre auch nothwendig zur Festfeier, und +hielt es als einen unentbehrlichen Theil des Gottesdienstes fest." - +Das ist verächtliches Geschwätz, man wird einen Lobeck nicht einen +Augenblick ernst nehmen. Ganz anders berührt es uns, wenn wir den +Begriff "griechisch" prüfen, den Winckelmann und Goethe sich gebildet +haben, und ihn unverträglich mit jenem Elemente finden, aus dem die +dionysische Kunst wächst, - mit dem Orgiasmus. Ich zweifle in der +That nicht daran, dass Goethe etwas Derartiges grundsätzlich aus den +Möglichkeiten der griechischen Seele ausgeschlossen hätte. Folglich +verstand Goethe die Griechen nicht. Denn erst in den dionysischen +Mysterien, in der Psychologie des dionysischen Zustands spricht sich +die Grundthatsache des hellenischen Instinkts aus - sein "Wille zum +Leben". Was verbürgte sich der Hellene mit diesen Mysterien? Das +ewige Leben, die ewige Wiederkehr des Lebens; die Zukunft in der +Vergangenheit verheissen und geweiht; das triumphirende Ja zum Leben +über Tod und Wandel hinaus; das wahre Leben als das Gesammt-Fortleben +durch die Zeugung, durch die Mysterien der Geschlechtlichkeit. Den +Griechen war deshalb das geschlechtliche Symbol das ehrwürdige Symbol +an sich, der eigentliche Tiefsinn innerhalb der ganzen antiken +Frömmigkeit. Alles Einzelne im Akte der Zeugung, der Schwangerschaft, +der Geburt erweckte die höchsten und feierlichsten Gefühle. In der +Mysterienlehre ist der Schmerz heilig gesprochen: die "Wehen der +Gebärerin" heiligen den Schmerz überhaupt, - alles Werden und Wachsen, +alles Zukunft-Verbürgende bedingt den Schmerz... Damit es die Lust des +Schaffens giebt, damit der Wille zum Leben sich ewig selbst bejaht, +muss es auch ewig die "Qual der Gebärerin" geben... Dies Alles +bedeutet das Wort Dionysos: ich kenne keine höhere Symbolik als diese +griechische Symbolik, die der Dionysien. In ihr ist der tiefste +Instinkt des Lebens, der zur Zukunft des Lebens, zur Ewigkeit des +Lebens, religiös empfunden, - der Weg selbst zum Leben, die Zeugung, +als der heilige Weg... Erst das Christenthum, mit seinem Ressentiment +gegen das Leben auf dem Grunde, hat aus der Geschlechtlichkeit etwas +Unreines gemacht: es warf Koth auf den Anfang, auf die Voraussetzung +unseres Lebens... + + +5. + +Die Psychologie des Orgiasmus als eines überströmenden Lebens- und +Kraftgefühls, innerhalb dessen selbst der Schmerz noch als Stimulans +wirkt, gab mir den Schlüssel zum Begriff des tragischen Gefühls, +das sowohl von Aristoteles als in Sonderheit von unsern Pessimisten +missverstanden worden ist. Die Tragödie ist so fern davon, Etwas für +den Pessimismus der Hellenen im Sinne Schopenhauer's zu beweisen, dass +sie vielmehr als dessen entscheidende Ablehnung und Gegen-Instanz zu +gelten hat. Das ja sagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten +und härtesten Problemen; der Wille zum Leben, im Opfer seiner höchsten +Typen der eignen Unerschöpflichkeit frohwerdend - das nannte ich +dionysisch, das errieth ich als die Brücke zur Psychologie des +tragischen Dichters. Nicht um von Schrecken und Mitleiden loszukommen, +nicht um sich von einem gefährlichen Affekt durch dessen vehemente +Entladung zu reinigen - so verstand es Aristoteles -: sondern um, über +Schrecken und Mitleid hinaus, die ewige Lust des Werdens selbst zu +sein, - jene Lust, die auch noch die Lust am Vernichten in sich +schliesst... Und damit berühre ich wieder die Stelle, von der ich +einstmals ausgieng - die "Geburt der Tragödie" war meine erste +Umwerthung aller Werthe: damit stelle ich mich wieder auf den Boden +zurück, aus dem mein Wollen, mein Können wächst - ich, der letzte +Jünger des Philosophen Dionysos, - ich, der Lehrer der ewigen +Wiederkunft... + + + +Der Hammer redet. + +Also sprach Zarathustra - 3, 90. + +"Warum so hart! - sprach zum Diamanten einst die Küchen-Kohle: sind +wir denn nicht Nah-Verwandte?" + +Warum so weich? Oh meine Brüder, also frage ich euch: seid ihr denn +nicht - meine Brüder? + +Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel +Leugnung, Verleugnung in eurem Herzen? so wenig Schicksal in eurem +Blicke? + +Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie könntet ihr +einst mit mir - siegen? + +Und wenn eure Härte nicht blitzen und schneiden und zerschneiden will: +wie könntet ihr einst mit mir - schaffen? + +Alle Schaffenden nämlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dünken, +eure Hand auf Jahrtausende zu drücken wie auf Wachs, - + +- Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf +Erz, - härter als Erz, edler als Erz. Ganz hart allein ist das +Edelste. + +Diese neue Tafel, oh meine Brüder, stelle ich über euch: werdet +hart! - - + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, GOTZEN-DAMMERUNG *** + +This file should be named 7203-8.txt or 7203-8.zip + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext04 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext04 + +Or /etext03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. If your state is not listed and +you would like to know if we have added it since the list you have, +just ask. + +While we cannot solicit donations from people in states where we are +not yet registered, we know of no prohibition against accepting +donations from donors in these states who approach us with an offer to +donate. + +International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about +how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made +deductible, and don't have the staff to handle it even if there are +ways. + +Donations by check or money order may be sent to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation +PMB 113 +1739 University Ave. +Oxford, MS 38655-4109 + +Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment +method other than by check or money order. + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by +the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN +[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are +tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising +requirements for other states are met, additions to this list will be +made and fund-raising will begin in the additional states. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information online at: + +https://www.gutenberg.org/donation.html + + +*** + +If you can't reach Project Gutenberg, +you can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +Prof. Hart will answer or forward your message. + +We would prefer to send you information by email. + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** +Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. +They tell us you might sue us if there is something wrong with +your copy of this eBook, even if you got it for free from +someone other than us, and even if what's wrong is not our +fault. So, among other things, this "Small Print!" statement +disclaims most of our liability to you. It also tells you how +you may distribute copies of this eBook if you want to. + +*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK +By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm +eBook, you indicate that you understand, agree to and accept +this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive +a refund of the money (if any) you paid for this eBook by +sending a request within 30 days of receiving it to the person +you got it from. If you received this eBook on a physical +medium (such as a disk), you must return it with your request. + +ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS +This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, +is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. 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