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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/7226-8.txt b/7226-8.txt new file mode 100644 index 0000000..9cf430f --- /dev/null +++ b/7226-8.txt @@ -0,0 +1,4814 @@ +The Project Gutenberg EBook of Timon von Athen, by William Shakespeare +#37 in our series by William Shakespeare + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Timon von Athen + +Author: William Shakespeare + +Release Date: January, 2005 [EBook #7226] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on March 28, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-Latin-1 + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TIMON VON ATHEN *** + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Timon von Athen. + +William Shakespeare + +Übersetzt von Christoph Martin Wieland + + +Personen. + +Timon, ein edler Athenienser. +Lucius, Lucullus, Sempronius und Ventidius, Schmeichler und falsche +Freunde des Timon. +Alcibiades, ein General der Athenienser. +Apemanthus, ein Cynischer Philosoph. +Flavius, Timons Verwalter. +Flaminius, Lucilius und Servilius, Bediente des Timon. +Caphis, Varro, Philo, Titus, Lucius und Hortensius, Bediente von +den Gläubigern des Timon. +Ein Poet. +Ein Mahler. +Ein Juweelen-Händler. +Ein Galanterien-Krämer. +Ein Kauffmann. +Drey Diebe. +Etliche Senatoren. +Cupido und Masken. +Phrynia und Timandra, Maitressen des Alcibiades. +Verschiedne Bediente, Soldaten, und andre als stumme Personen. +Die Scene, Athen, und ein nicht weit davon gelegner Wald. + + + + +Erster Aufzug. + + + +Erste Scene. +(Eine Halle in Timons Hause.) +(Der Poet, der Mahler, der Juweelen-Händler, der Kauffmann, und + der Galanterie-Krämer treten durch verschiedne Thüren auf.) + + +Poet. +Guten Tag, mein Herr. + +Mahler. +Ich erfreue mich über euer Wohlbefinden. + +Poet. +Ich hab' euch lange nicht gesehen; wie geht's in der Welt? + +Mahler. +So daß es besser seyn könnte, mein Herr. + +Poet. +Nun, das ist etwas bekanntes. Aber was giebt es vor besondere +Seltenheiten?* Was ist so ausserordentlich, wovon wir nicht in den +Urkunden der Welt mehr als ein Beyspiel finden?--Seht, o Zauberey +der Freygebigkeit! Alle diese Geister hat deine Macht +zusammenbeschworen, dir aufzuwarten--Ich kenne den Kauffmann. + +Mahler. +Ich kenne beyde; der andere ist ein Juweelen-Händler. + +Kauffmann. +O! es ist ein würdiger Edelmann! + +Juweelen-Händler. +Das ist ausgemacht. + +Kauffmann. +Ein recht unvergleichlicher Mann, von einer unerschöpflichen und +immerwährenden Gütigkeit beseelt. Er übertrift -- + + +Juweelen-Händler. +Ich habe hier ein Juweel-- + +Kauffmann. +O ich bitte euch, laßt mich's sehen--Für den Lord Timon, mein Herr? + +Juweelen-Händler. +Wenn er es so hoch bezahlt als es geschäzt ist; doch was das +betrift -- + +Poet. +Wenn wir um Lohn den Lasterhaften singen, +So wird auch des Gerechten Lobes Glanz +Dadurch beflekt, das wir der Tugend bringen-- + +Kauffmann + +(indem er das Juweel betrachtet.) + + +Es ist schön geschnitten. + +Juweelen-Händler. +Und reich; was das für ein Wasser ist! Seht ihr? + +Mahler (zum Poeten.) +Mein Herr, ihr seyd, däucht mich, im Enthusiasmus, über irgend +einem Werk, das diesem grossen Mann gewidmet werden soll. + +Poet. +Es ist eine Kleinigkeit, die mir in einer müssigen Stund' entgangen +ist. Unsre Poesie ist wie ein Gummi, das daher entspringt, woher es +genährt wird. Das Feuer in dem Kiesel zeigt sich nicht eher bis es +herausgeschlagen wird; unsre anmuthige Flamme entzündet sich von +selbst, und überströmt wie ein reissendes Wasser jeden Damm, der +sie einzwängen will. Was habt ihr hier? + +Mahler. +Ein Gemählde, mein Herr--Wenn kommt euer Werk ans Licht? + +Poet. +An den Fersen meiner Gegenwart, mein Herr. Laßt mich euer Stük +sehen. + +Mahler. +Es ist ein gutes Stük. + +Poet. +Das ist es; das reicht an vortrefflich. + +Mahler. +Erträglich. + +Poet. +Bewundernswürdig! Was für eine Wahrheit, welch ein Anstand in +dieser Stellung! Was für eine geistige Kraft schießt aus diesem +Auge! Was für eine schwangre Einbildungskraft bewegt sich in diesen +Lippen! Selbst die stumme Gebehrde wird hier zum Ausdruk -- + + +Mahler. +Es ist eine ganz artige Nachäffung der Natur; hier ist ein Strich-- +Was sagt ihr davon? + +Poet. +Ich will nichts sagen, als, er meistert die Natur selbst; eine +künstliche Bewegung lebt in diesen Strichen, die lebhafter ist als +das Leben selbst. (Einige Senatoren zu den Vorigen.) + +Mahler. +Wie viel Aufwart dieser Herr hat! + +Poet. +Die Senatoren von Athen! Glüklicher Mann! + +Mahler. +Seht, noch etliche. + +Poet. +Ihr seht diesen Zusammenfluß, diese grosse Fluth von Besuchern--Ich +habe in diesem rohen Werk einen Mann entworffen, den diese +Unterwelt mit überschwenglicher Hochachtung umfaßt, und in die Arme +schließt. Meine freye Absicht hält keinen besondern Lauf, sondern +bewegt sich selbst in einer weiten See von Wachs; keine gesäurte +Bosheit vergiftet ein einziges Comma in dem Lauf den ich halte: +sondern er fliegt einen Adler-Flug, kühn, in einem fort, und läßt +keine Spur zurük. + +Mahler. +Wie soll ich euch verstehen? + +Poet. +Ich will es euch aufrigeln. Ihr seht wie alle Stände, wie alle +Arten von Leute, sowohl die von glatter und schlüpfriger als die +von spröder und herber Beschaffenheit, ihre Dienste zu den Füssen +des Lord Timon legen: Sein grosser Reichthum, der an seiner +leutseligen und gütigen Gemüthsart hängt, überwältigt alle Arten +von Herzen, und macht sie zu seinen freywilligen Unterthanen; ja, +von dem Spiegelartigen Schmeichler bis zum Apemanthus, der wenige +Dinge so sehr liebt als sich selbst zu verabscheuen; aber auch +dieser gießt sich auf die Knie vor ihm hin, und kehrt vergnügt, und +durch ein Kopfniken des Timons, in seinen Gedanken, höchst glüklich +von ihm zurük. + +Mahler. +Ich sah sie mit einander reden. + +Poet. +Ich dichte also das Glük, auf einem hohen und anmuthigen Hügel +gethront. Der Fuß des Berges ist mit allen Arten von Personen und +Verdiensten dicht umgeben, die sich bestreben sich auf dem Busen +dieser Sphäre festzusezen. Unter allen diesen Wesen, deren Augen +auf diese allgewaltige Beherrscherin geheftet sind, personificire +ich einen in Timons Gestalt, den Fortuna mit ihrer elfenbeinernen +Hand zu sich winkt, und durch diese Gunst in ebendemselben +Augenblik alle seine Nebenbuhler zu seinen Dienern und Sclaven +macht. + +Mahler. +Eine mahlerische Idee! Dieser Thron, diese Fortuna und dieser Hügel, +mit einem Manne, dem aus den übrigen untenstehenden emporgewinkt +wird, und der sein Haupt gegen den schrofen Berg beugt, um zu +seinem Glük hinaufzuklettern, würde, nach unsrer Kunst, wohl +ausgesonnen seyn. + +Poet. +Nein, hört mich nur weiter: Alle diese, die so kürzlich erst seines +gleichen waren, einige besser als er, folgen in diesem Augenblik +seinen Schritten, drängen sich aufwartsam um ihn her, regnen +flüsternde Schmeichlereyen in sein Ohr, machen sogar seine +Schuhriemen zu einem Heiligthum, und trinken die freye Luft durch +ihn. + +Mahler. +Zum Henker, was wollt ihr mit diesen? + +Poet. +Sobald nun Fortuna, in einem Anstoß von Wankelmuth den, der kaum +ihr Liebling war, mit Füssen tritt; so seht ihr, wie alle seine +Verehrer, die mit Knien und Händen sich auf den Gipfel des Berges +hinaufarbeiteten, ihn hinunter schlüpfen lassen, ohne daß nur ein +einziger seinen ausglitschenden Fuß begleiten wollte. + +Mahler. +Das ist gemein; ich kan euch tausend moralische Gemählde zeigen, +die dergleichen plözliche Glüks-Streiche weit lebhafter vorstellen +sollen, als Worte. Doch thut ihr wohl, dem Lord Timon zu zeigen, +daß es schon begegnet ist, daß erniedrigte Augen den Fuß über dem +Kopf gesehen haben. * Unser Autor hat, wie der Augenschein zeigt, +seinen Poeten in diesem Stüke zu einem schlechten Kerl gemacht. +Damit sein Charakter aber nicht der Profeßion selbst nachtheilig +sey, so hat er ihn zu einem eben so schlechten Poeten gemacht, als +er ein schlechter Mann ist. Ein untrügliches Kennzeichen von dem +falschen Geschmak und unreiffen Urtheil, so er ihm beylegt, ist +seine Liebe zu allem was seltsam, erstaunlich und abentheurlich, +und eine Verachtung alles dessen, was gewöhnlich oder der Natur +gemäß ist. Warbürton. + +(Inspicere tanquam in speculum jubeo)-- (Terent.) + + + +Zweyte Scene. +(Trompeten. Timon tritt auf, und wendet sich auf eine leutselige + Art an die verschiednen Personen, die ihm die Aufwartung machen.) + + +Timon (zu einem Boten.) +Er sizt im Gefängniß, sagt ihr? + +Bote. +Ja, gnädiger Herr; Seine Schulden belauffen sich auf fünf Talente, +seine Mittel sind sehr knapp, seine Glaubiger sehr dringend; er +bittet euch, an diejenige, die ihn eingesezt haben, zu seinem Behuf +zu schreiben, und würde ohne allen Trost seyn, wenn ihr ihm diese +Gunst versagen würdet. + +Timon. +Der edle Ventidius! Gut! Ich bin nicht von der Art, meinen Freund +zu verlassen, wenn er meiner am meisten nöthig hat. Ich weiß, er +ist ein Edelmann, der wohl verdient, daß man ihm aushelfe; ich will +es thun, ich will die Schuld bezahlen, und ihn befreyen. + +Bote. +Euer Gnaden verpflichtet sich ihn auf ewig. + +Timon. +Empfehlt mich ihm; ich will ihm seine Ranzion schiken, und ihn, +wenn er wieder frey seyn wird, zu mir einladen. Es ist nicht genug, +dem Schwachen aufzuhelfen, man muß ihm auch den Arm zum Gehen +leyhen. Lebt wohl. + +Bote. +Ich wünsche Euer Gnaden tausend Wohlergehen. + +(Geht ab.) + + +(Ein alter Athenienser tritt auf.) + +Alter Athenienser. +Lord Timon, hört mich reden. + +Timon. +Rede frey, mein guter alter Vater. + +Alter Athenienser. +Du hast einen Diener, namens Lucilius. + +Timon. +So ist's; was soll er dann? + +Alter Athenienser. +Sehr edler Timon, laß diesen Mann sogleich vor dich kommen. + +Timon. +Ist er hier oder nicht?--Lucilius!--(Lucilius tritt auf.) + +Lucilius. +Hier, was befehlen Euer Gnaden? + +Alter Athenienser. +Dieser Bursche hier, Lord Timon, dieser dein Diener besucht des +Nachts mein Haus. Ich bin ein Mann, der von der Jugend an sich Müh +gegeben hat, etwas zu erwerben, und mein Vermögen erheischt einen +gewichtigern Erben, als einen der auf einem hölzernen Teller ißt. + +Timon. +Gut; was weiter? + +Alter Athenienser. +Ich hab' eine einzige Tochter, und sonst keinen Anverwandten, dem +ich vermachen könnte was ich erworben habe. Das Mädchen ist hübsch, +so jung als eine Braut seyn kan, und ich habe keine Kosten gespart, +sie zu den besten Eigenschaften zu erziehen. Dieser dein Diener +bewirbt sich um ihre Liebe; ich bitte dich, edler Lord, vereinige +dich mit mir, ihm ihren Umgang zu untersagen; ich selbst hab' es +fruchtlos gethan. + +Timon. +Der Mann ist ein ehrlicher Mann. + +Alter Athenienser. +So wird er's auch hierinn seyn, Timon. Seine Ehrlichkeit belohnt +ihn durch sich selbst, sie soll ihm nicht meine Tochter kuppeln. + +Timon. +Liebt sie ihn? + +Alter Athenienser. +Sie ist jung und mannbar; unsre eigene ehmalige Leidenschaften +lehren uns, wie leichtsinnig die Jugend ist. + +Timon (zu Lucilius.) +Liebt ihr das Mädchen? + +Lucilius. +Ja, mein Gnädiger Herr, und sie ist es zufrieden. + +Alter Athenienser. +Wenn sie einander ohne meine Einwilligung heurathen, so rufe ich +die Götter zu Zeugen, daß ich meinen Erben aus den Bettlern auf der +Strasse wählen, und ihnen alles entziehen will. + +Timon. +Wieviel soll sie zum Brautschaz haben, wenn sie einen Mann +heurathete, der ihr an Vermögen gleich wäre? + +Alter Athenienser. +Drey Talente fürs Gegenwärtige, und künftig alles. + +Timon. +Dieser wakere Mann hat mir lange gedient; um sein Glük zu machen, +will ich mich ein wenig angreiffen; es ist eine Pflicht der +Menschlichkeit. Gieb ihm deine Tochter; so viel du ihr giebst, will +ich ihm auch geben, um zu machen, daß er so viel wägen soll als sie. + +Alter Athenienser. +Sehr edler Lord, verspreche mir das auf euer Ehrenwort, so soll er +sie haben. + +Timon. +Hier hast du meine Hand, mein Ehrenwort ist mein Versprechen. + +Lucilius. +Ich danke Euer Gnaden demüthigst; nimmer möge mir das Glük gedeyhen, +welches ich nicht eurer Güte schuldig zu seyn erkenne. + +(Lucilius und der Alte Athenienser gehen ab.) + + + +Poet. +Nehmet diese Arbeit so gütig auf, als die Wünsche, die ich für Euer +Gnaden langes Leben thue. + +Timon. +Ich danke euch, ihr sollt gleich mehr von mir hören; geht nicht weg-- +Was habt ihr hier, mein Freund? + +Mahler. +Ein Gemählde, welches ich Euer Gnaden bitte anzunehmen. + +Timon. +Mahlerey ist mir allezeit willkommen. Seitdem die Falschheit mit +der Natur des Menschen ein Gewerbe treibt, ist ein gemahlter Mensch +soviel als ein natürlicher; gemahlte Figuren sind gerade das, wofür +sie sich geben. Euer Werk gefällt mir, und ihr sollt finden, daß es +mir gefällt; wartet, bis ihr wieder von mir hört. + +Mahler. +Die Götter erhalten euch! + +Timon. +Lebt wol, mein Herr; gebt mir eure Hand, wir müssen heute mit +einander zu mittagessen. Mein Herr, euer Juweel hat von +allzugrossem Lob gelitten. + +Juweelen-Händler. +Wie, Milord? Ist es mißfällig? + +Timon. +Es ist mir bis zum Ekel angepriesen worden. Wenn ich es bezahlen +sollte, wie es geschäzt wird, so müßte ich mich zu Grunde richten. + +Juweelen-Händler. +Gnädiger Herr, es ist so geschäzt wie diejenige, die es verkauffen, +es gerne gäben; ihr wißt aber wol, daß Dinge von gleichem Werth, +wenn sie ungleiche Eigenthümer haben, nach ihren Besizern geschäzt +werden; glaubt mir, Gnädiger Herr, das Juweel würde einen noch +grössern Werth erhalten, wenn ihr es trüget. + +Timon. +Ihr scherzet mit mir, mein guter Mann. + +Kauffmann. +Nein, Gnädiger Herr, er redt nur die gemeine Sprache, die alle +Leute mit ihm reden. + +Timon. +Seht, wer hier kommt--Wollt ihr ausgescholten seyn? + + + +Dritte Scene. +(Apemanthus)* (zu den Vorigen.) + +{ed.-* Sehet diesen Character eines Cynikers, sehr fein vom Lucian in +seinem Ausruf der Philosophen gezeichnet, und wie gut Shakespear +ihn copirt hat. Warbürton.} + + +Juweelen-Händler. +Wir wollen's mit Euer Gnaden theilen. + +Kauffmann. +Er wird keinen verschonen. + +Timon. +Guten Morgen, mein angenehmster Apemanthus. + +Apemanthus. +Warte du auf einen Gegengruß, bis ich angenehm werde. + +Poet. +Wenn werden wir das Glük haben, das zu erleben? + +Apemanthus. +Wenn du Timons Hund seyn wirst, und diese Schelmen ehrlich. + +Timon. +Warum nennst du sie Schelme? Du kennst sie nicht. + +Apemanthus. +Sind sie nicht Athenienser? + +Timon. +Ja. + +Apemanthus. +So nehm' ich mein Wort nicht zurük. + +Juweelen-Händler. +Ihr kennt mich, Apemanthus. + +Apemanthus. +Du weißst daß ich dich kenne, ich nannte dich bey deinem Namen. + +Timon. +Du bist stolz, Apemanthus. + +Apemanthus. +Auf nichts so sehr, als das ich dem Timon nicht ähnlich bin. + +Timon. +Wo willt du hin? + +Apemanthus. +Einem ehrlichen Athenienser das Hirn ausschlagen. + +Timon. +Das wär' eine That, wofür du sterben müßtest. + +Apemanthus. +Richtig, wenn das Gesez eine Todesstrafe auf nichts thun sezt. + +Timon. +Wie gefällt dir dieses Gemählde, Apemanthus? + +Apemanthus. +Am besten, weil es nichts böses thut. + +Timon. +Arbeitete der nicht gut, der es mahlte? + +Apemanthus. +Der arbeitete noch besser, der den Mahler machte; und doch ist er +nur ein schlechtes Stük Arbeit. + +Mahler. +Ihr seyd ein Hund. + +Apemanthus. +Deine Mutter ist von meinem Stamme; was war sie, wenn ich ein Hund +bin? + +Timon. +Apemanthus, willt du mit mir zu mittagessen? + +Apemanthus. +Nein, ich esse keine grosse Herren. + +Timon. +Wenn du es thätest, würden die Damen über dich böse werden. + +Apemanthus. +O! die verschlingen gar die grossen Herren, und kriegen dike Bäuche +davon. + +Timon. +Das ist ein unzüchtiger Einfall. + +Apemanthus. +So nimmst du ihn auf; nimm ihn für deine Mühe. + +Timon. +Wie gefällt dir dieses Juweel, Apemanthus? + +Apemanthus. +Nicht so wol wie Aufrichtigkeit, die doch einen keinen Heller +kostet. + +Timon. +Wie viel meynst du, daß es werth sey? + +Apemanthus. +Nicht werth daß ich darauf denke. Wie steht's, Poet? + +Poet. +Wie steht's Philosoph? + +Apemanthus. +Du lügst. + +Poet. +Bist du keiner. + +Apemanthus. +Ja. + +Poet. +So lüg' ich nicht. + +Apemanthus. +Bist du nicht ein Poet? + +Poet. +Ja. + +Apemanthus. +So lügst du also: schau in dein leztes Werk; worinn du dichtest, +daß er ein würdiger Mann sey. + +Poet. +Das ist nicht gedichtet, er ist es. + +Apemanthus. +Ja, er ist deiner würdig, und würdig dich für deine Arbeit zu +bezahlen. Wer sich gerne schmeicheln läßt, ist seines Schmeichlers +würdig. Götter! möcht' ich nur ein grosser Herr seyn! + +Timon. +Was wolltest du denn thun, Apemanthus? + +Apemanthus. +Eben das was Apemanthus izt thut, einen grossen Herrn hassen. + +Timon. +Wie, dich selbst? + +Apemanthus. +Ja. + +Timon. +Warum denn? + +Apemanthus. +Das ich nicht mehr Verstand hätte, als ein grosser Herr zu seyn-- +Bist du nicht ein Kauffmann? + +Kauffmann. +Ja, Apemanthus. + +Apemanthus. +Die Handelschaft verderbe dich, wenn es die Götter nicht thun +wollen! + +Kauffmann. +Wenn es die Handelschaft thut, so thun es die Götter. + +Apemanthus. +Die Handelschaft ist dein Gott, und dein Gott verderbe dich! (Man +hört Trompeten. Ein Bote tritt auf.) + +Timon. +Was für Trompeten sind das? + +Bote. +Es ist Alcibiades mit etlichen zwanzig Reitern, die ihn begleiten. + +Timon. +Ich bitte euch, geht ihnen entgegen, ladet sie zu mir ein--ihr müßt +schlechterdings mit mir zu mittagessen--Geht nicht von hier bis ich +euch gedankt habe, und nach dem Essen, zeigt mir dieses Stük; ich +erfreue mich euch zu sehen. (Alcibiades und seine Begleiter treten +auf.) Sehr willkommen, mein Herr. + +(Sie büken sich, und umarmen einander.) + +Apemanthus. +So, so! daß euch die Gicht lähme und ausdörre, ihr biegsamen +Gelenke! Warum sollten auch diese artigen süssen Schelmen einander +nicht lieb haben! Wahrhaftig das menschliche Geschlecht wird zu +lauter Affen und Meerkazen. + +Alcibiades. +Ich sehnte mich so sehr euch zu sehen, daß ich es nicht satt werden +kan. + +Timon. +Sehr willkommen, mein Herr; ehe wir scheiden, wollen wir einige +Tage mit allerhand Lustbarkeiten zubringen. Ich bitte euch, laßt +uns hinein gehen. + +(Sie gehen ab.) + + + +Vierte Scene. +(Apemanthus bleibt; zu ihm Lucius und Lucullus.) + + +Lucius. +Wie viel ist die Zeit, Apemanthus? + +Apemanthus. +Zeit ehrlich zu seyn. + +Lucius. +Diese Zeit ist immer. + +Apemanthus. +Ein desto schlimmerer Bube bist du, daß du sie immer vorbeylässest. + +Lucullus. +Gehst du zu des Lord Timons Gastmahl? + +Apemanthus. +Ja, um zu sehen, wie Speisen Schelme fällen, und Wein Narren erhizt. + +Lucius. +Lebe wohl, lebe wohl. + +Apemanthus. +Du bist ein Narr, daß du mir zweymal lebe wohl sagst. + +Lucullus. +Warum, Apemanthus? + +Apemanthus. +Du hättest eines für dich selbst behalten sollen, denn von mir +kriegst du keines. + +Lucius. +Häng' dich auf! + +Apemanthus. +Nein, ich will nichts thun, das du mir sagst; mache deine +Fordrungen an deinen Freund. + +Lucius. +Hinweg du unverträglicher Hund, oder--ich stosse dich mit den +Füssen hinaus. + +Apemanthus. +Ich will fliehen, wie ein Hund vor den Hinterfüssen eines Esels. + +Lucius. +Er ist ein Antipode der Menschlichkeit. Kommt, wollen wir +hineingehen, und an Lord Timons Freygebigkeit Antheil nehmen? In +der That er übertrift die Güte selbst. + +Lucullus. +Das thut er. Plutus, der Gott des Reichthums ist nur sein Haus- +Hofmeister: Das kleinste Verdienst, das sich jemand um ihn macht, +bezahlt er siebenfältig über seinen Werth; und das kleinste +Geschenk das er annimmt, zieht dem Geber eine Erstattung zu, die +alle gewöhnliche Erkenntlichkeit übertrift. + +Lucius. +Er hat das edelste Gemüth, das jemals einen Mann regiert hat. + +Lucullus. +Mög' er lang' in diesem glüklichen Stande leben, wollen wir hinein? + +Lucius. +Ich will euch Gesellschaft leisten. + +(Sie gehen ab.) + + + +Fünfte Scene. +(Ein grosser Saal in Timons Hause.) +(Eine Musik mit Hautbois; Es wird ein grosses Banquet aufgetragen; + Timon, Lucius, Lucullus, Sempronius und andre Atheniensische + Senatoren, treten mit Ventidius auf. Wenn alle herein gekommen sind, + schlendert auch Apemanthus, mit mißvergnügtem Gesicht, hinter + ihnen drein.) + + +Ventidius. +Höchstgeehrter Timon! es hat den Göttern gefallen, meinen alten +Vater in seine Ruhe eingehen zu lassen. Er ist glüklich vom +Schauplaz gegangen, und hat mich reich hinterlassen. Ich gebe euch +also, wie die Dankbarkeit gegen euer großmüthiges Herz mich +verpflichtet, diese Talente, durch deren Hülf ich meine Freyheit +wieder erlangt, mit verdoppeltem Dank und Erbietung meiner +Gegendienste zurük. + +Timon. +O, das kan nicht seyn, mein rechtschaffner Ventidius; ihr mißkennet +meine Freundschaft: Ich gab sie mit willigem Herzen hin; und wer +kan mit Wahrheit sagen, daß er gebe, wenn er wieder empfängt? Wenn +höhere als wir sind es thun, so steht es doch uns nicht an. + +Apemanthus. +Ahme ihnen kühnlich nach; nüzliche Laster sind schön. + +Ventidius. +Welch eine edle Denkungsart! + +Timon, + +(indem er sieht, daß seine Gäste viele Complimente und Umstände +machen, eh sie sich sezen.) + + +Ceremonien sind nur erfunden worden, um falschen Thaten, holen +Bewillkommungen, und erzwungner Gutthätigkeit eine Glasur zu geben; +aber, wo wahre Freundschaft ist, bedarf es nichts dergleichen. Ich +bitte euch, nehmet Plaz; ihr seyd mir willkommner zu meinem +Wohlstand, als er mir selbst ist. + +(Sie sezen sich.) + +Lucius. +Wir sind immer davon überzeugt gewesen. + +Apemanthus. +Ho, ho, überzeugt gewesen? Daß ihr gehangen wär't! + +Timon. +Ha, Apemanthus! Ihr seyd willkommen. + +Apemanthus. +Ich will es aber nicht seyn; ich komme nur, daß du mich zur Thüre +hinausstossest. + +Timon. +Pfui, wie grob du bist! Ihr habt da einen Humor angenommen, der +einem Mann nicht gut läßt; es ist gar nicht hübsch. Man sagt sonst, +meine Herren, (ira furor brevis est), aber dieser Mann dort ist +immer entrüstet. + +Apemanthus. +Laß mich auf deine Gefahr da bleiben, Timon; ich komme, +Beobachtungen zu machen, ich will dich gewarnt haben. + +Timon. +Und ich gebe dir keine Acht; du bist ein Athenienser, und also +willkommen; ich möchte für mich selbst kein Vermögen haben--Ich +bitte dich, laß meine Schüsseln dich zum Stillschweigen bringen. + +Apemanthus. +Ich verschmähe deine Schüsseln; ich wollt' eher dran erworgen, eh +ich dir jemals schmeicheln wollte. O ihr Götter, wieviel Leute +essen den Timon, und er sieht sie nicht! Es schmerzt mich, ihrer so +viele zu sehen, die ihren Bissen in eines einzigen Mannes Blut +tauchen; und das unsinnigste ist, daß er sie noch dazu aufmuntert. +Mich wundert nur, daß es Menschen giebt, die sich bey andern +Menschen sicher halten. Sie sollten einander ohne Messer einladen, +es wäre gut für ihre Schüsseln, und sichrer für ihr Leben. An +Beyspielen fehlt es nicht; der Bursche, zum Exempel, der hier zu +nächst an ihm sizt, das Brodt mit ihm theilt, und thut als ob er +auch den Athem mit ihm theilen wollte, ist alle Augenblike +bereitwillig, ihm einen Dolch in das Herz zu stossen. Es sind +Beweise davon da. Wär' ich ein grosser Herr, ich hätte das Herz +nicht zu trinken, aus Furcht, sie möchten ausspähen, wo sie meiner +Luftröhre am besten beykommen könnten; grosse Herren sollten nicht +anders trinken, als mit einem Harnisch um ihre Gurgel. + +Timon (indem er dem Lucullus zutrinkt.) +Milord, von Herzen; laßt die Gesundheit herumgehen. + +Lucullus. +Laßt sie diesen Weg gehen, mein werthester Lord. + +Apemanthus. +Diesen Weg gehen--Ein braver Kerl; er weiß die Zeit wol in Acht zu +nehmen; diese Gesundheiten werden noch machen, daß du und dein +Vermögen die Schwindsucht kriegen werden, Timon. + +(Er langt ein Stük Brodt und einen Krug mit Wasser aus seiner +Tasche.) + +Hier ist etwas, das zu schwach ist, ein Sünder zu seyn, ehrliches +Wasser, das noch niemand in den Schuld-Thurm gebracht hat. Mein +Essen schikt sich zu meinem Trank-- + +(Er stellt sich hin, das Tisch-Gebett zu sprechen.) + +Gastmähler sind zu stolz, den Göttern Dank zu sagen. + +Apemanthus (betet:) +(Ihr Götter, ich spreche euch um keine Reichthümer an, denn ich +achte sie für Quark; ich bitte für niemand, als mich selbst. +Verleihet, daß ich niemals so ein guter Narr werde, einem Mann auf +seinen Eyd zu trauen, oder einer Hure auf ihre Thränen, oder einem +Hund, der zu schlafen scheint, oder meinen Freunden, wenn ich ihrer +nöthig habe; Amen, Amen.) Izt zugegriffen! Reiche Leute sündigen, +und ich esse Wurzeln. + +Timon. +General Alcibiades, mich däucht, euer Herz ist diesen Augenblik im +Felde. + +Alcibiades. +Mein Herz ist allenthalben zu euern Diensten, Milord. + +Timon. +Ihr wäret lieber bey einem Frühstük von Feinden, als bey einem +Mittag-Essen von Freunden gewesen. + +Alcibiades. +Wenn sie so frisch bluten, so ist kein besseres Gericht als sie; +ich wollte meinen Freund zu einem solchen Schmaus wünschen.* + +Apemanthus. +Ich wollte also, daß alle diese Schmarozer deine Feinde wären, +damit du sie umbrächtest, und mich darauf zu Gaste bätest. + +Lucullus. +Möchten wir nur das Glük haben, Milord, daß ihr uns einmal durch +etwas auf die Probe sezen wolltet, wobey wir euch unsre Ergebenheit +in etwas zeigen könnten; es würde uns nichts mehr zu wünschen übrig +bleiben. + +Timon. +O, meine guten Freunde, ich zweifle keinen Augenblik, daß die +Götter für Gelegenheiten gesorgt haben, wo ich eben so viel Hülfe +von euch erhalten werde; wie wäret ihr sonst meine Freunde gewesen? +Warum trüget ihr diesen herzrührenden Namen, vor tausenden, wenn +ihr mein Herz nicht näher angienget? Ich habe über diesen Punct +mehr von euch zu mir selbst gesagt, als ihr mit Bescheidenheit zu +euerm eignen Behuf sagen könntet. Ihr Götter, denke ich, wozu +brauchten wir Freunde zu haben, wenn wir sie niemals nöthig hätten; +sie würden wie liebliche Instrumente seyn, die in Futteralen +aufgehangen sind, und ihre Töne für sich selbst behalten. Mein +Vertrauen zu euch geht so weit, daß ich mich oft ärmer gewünscht +habe, damit ich euch näher kommen möchte; wir sind dazu gebohren, +Gutes zu thun. Und was können wir gewisser und eigentlicher unser +eigen nennen, als die Reichthümer unsrer Freunde? O! was für ein +unschäzbarer Trost ist das, so viele zu haben, die, wie Brüder, +einer über des andern Glük und Vermögen schalten können! O Freude, +die schon eine Freude ist, eh sie gebohren werden kan! Meine Augen +können nicht Wasser halten, däucht mich; ihren Fehler zu verbessern, +trink ich euch zu! + +Apemanthus. +Du weinst nur, um zu machen, daß sie dich trinken. + +Lucullus. +Das Vergnügen ward auf die nemliche Art in unsern Augen empfangen, +und kam in demselben Augenblik wie ein neugebohrnes Kind hervor. + +Apemanthus. +Ho, ho! ich muß lachen, wenn ich denke, daß dieses Kind ein Bastard +ist. + +Ein andrer von den Gästen. +Ich versichre euch, ihr habt mich ausserordentlich gerührt. + +Apemanthus. +Ausserordentlich! + +(Man hört einen Trompeten-Stoß.) + +Timon. +Was will diese Trompete? was giebt's? (Ein Bedienter kommt herein.) + +Bedienter. +Gnädiger Herr, es sind etliche Frauenzimmer draussen, welche gerne +vorgelassen werden möchten. + +Timon. +Frauenzimmer? Was wollen sie? + +Bedienter. +Sie bringen einen Vorredner mit, der das Amt trägt, ihr Gewerb +anzubringen. + +Timon. +Ich bitte, laßt sie hereinkommen. * Diese Scytische Art zu reden, +ist nicht im Character eines Atheniensers, noch des Alcibiades. Der +Alcibiades unsere Autors in diesem Stük gleicht dem Alcibiades, den +Plutarch schildert, wie ein Affe einem Menschen; er ist ein Held in +Ostadens Geschmak gemahlt, oder wie--(Dieu le Pere dans sa gloire +éternelle, peint galamment dans le gout de Wateau.) + + + +Sechste Scene. +(Cupido mit etlichen Weibspersonen, die als Amazonen gekleidet + sind, und ein Balletformiren.) + + +Cupido. +Heil dir, würdiger Timon, und euch allen, die seine Gütigkeiten +schmeken! Die fünf vorzüglichsten Sinnen erkennen dich für ihren +Gutthäter, und kommen, deiner überfliessenden Großmuth Dank zu +erstatten. Das Ohr, der Geschmak, der Geruch und das Gefühl stehen +befriedigt von deiner Tafel auf, diese hier kommen nun, deinen +Augen einen Schmaus zu geben. + +Timon. +Sie sind alle willkommen; laßt ihnen freundlich begegnet werden; +laßt Musik ihren Willkomm machen. + +Lucius. +Ihr sehet, Milord, wie ausserordentlich ihr geliebt werdet. + +Apemanthus. +Heyda! Was für ein Geschweif von Eitelkeit zieht daher! Sie tanzen, +sie sind dem Tollhaus entloffen, glaub' ich.* + +{ed.-* Apemanthus fährt hier im Original in etlichen Zeilen fort, über +die Weltfreuden und die Schmeichler loszuziehen; es ist aber, +ungeachtet der Bemühung des Hrn. Warbürton, so wenig Zusammenhang +in dieser corrupten Rede, daß man sie lieber gar weggelassen; da es +ohnehin weiter nichts als eine ganz alltägliche Capucinade ist, an +der man wenig verliehrt.} + +(Nach geendigtem Tanz stehen die Gäste von der Tafel auf, und +machen dem Timon eine Menge feyrlicher Ehrenbezeugungen: Ein jeder +ließt sich sodann eine Amazonin aus, und so tanzen sie paarweise +einen oder Zween muntre Tänze, und hören auf.) + +Timon. +Meine schönen Damen, ihr habt unserer Lustbarkeit einen Reiz +gegeben, ohne den sie nicht halb so schön und anmuthig war. Eure +Gegenwart hat ihr erst einen Werth und lebhaften Glanz gegeben, und +das Vergnügen vollkommen gemacht, das ich meinen Gästen zu +verschaffen gewünscht habe. Ich bin euch sehr dafür verbunden. + +Lucius. +Milord, ihr nehmt sie uns gerade wie es am besten gegangen wäre. + +Timon. +Mesdames, es ist hier in dem Nebenzimmer eine kleine Tafel für euch +gedekt. Nehmet einige Erfrischungen, wenn es euch beliebt. + +Alle Frauenzimmer. +Mit vielem Dank, Milord. + +(Sie gehen ab.) + +Timon. +Flavius-- + +Flavius. +Gnädiger Herr-- + +Timon. +Bringt mir das kleine Kästchen her. + +Flavius. +Ja, Gnädiger Herr. + +(Bey Seite.) + +Noch mehr Juweelen? Man darf ihm nicht einreden, wenn er in einer +Laune ist, sonst sollt ich ihm sagen--Gut!--In der That ich sollte; +wenn es zu späte seyn wird, wird er selbst wünschen, daß man ihm +eingeredet hätte. Es ist zu bedauren, daß die Freygebigkeit hinten +am Kopf keine Augen hat, damit ein ehrlicher Mann nicht durch ein +allzu gutes Herz unglüklich werden könnte. + +Lucullus. +Wo sind unsre Leute? + +Bedienter. +Hier, Gnädiger Herr. + +Lucullus. +Unsre Pferde! + +Timon. +O meine guten Freunde! + +(zu Lucullus.) + +Ich hab' euch nur ein Wort zu sagen: Sehet hier Mylord; ich bitte +euch, erweißt mir die Ehre, dieses Kleinod anzunehmen und zu tragen, +mein gütiger Lord! + +Lucullus. +Ich bin schon so sehr euer Schuldner-- + +Alle. +Das sind wir alle. + +(Lucius, Lucullus, und die übrigen gehen ab.) + + + +Siebende Scene. +(Ein Bedienter zu Timon.) + + +Bedienter. +Gnädiger Herr, etliche Edelleute, die kürzlich in den Senat +befördert worden, wollen euch ihren Besuch machen. + +Timon. +Sie sind höchstens willkommen. (Flavius kommt wieder zurük.) + +Flavius. +Ich bitte Euer Gnaden, erlaubet mir ein Wort; es geht euch sehr nah +an. + +Timon. Mich? Nun, so will ich dich ein andermal anhören. Ich bitte, +sorge davor, daß wir ihnen mit etwas aufwarten können. + +Flavius (vor sich.) +Ich weiß kaum womit. (Ein andrer Bedienter.) + +2. Bedienter. +Mit Euer Gnaden Erlaubniß, Lord Lucius macht euch aus Freundschaft +und Erkenntlichkeit ein Geschenk von vier milchweissen Pferden, mit +Silber angeschirrt. + +Timon. +Ich werde sie auf eine edle Art annehmen; + +(zu Flavius.) + +Sorget davor, daß ihnen wohl gewartet werde. (Ein dritter +Bedienter.) Was giebt's? was neues? + +3. Bedienter. +Mit Euer Gnaden Erlaubniß, der hochgebohrne Lord Lucullus bittet +sich Euere Gesellschaft morgen auf eine Jagd aus, und hat Euer +Gnaden zwo Kuppeln Windhunde hergeschikt. + +Timon. +Ich will mit ihm jagen; ich will sie annehmen, und nicht vergessen, +ihm einen schönen Ersaz zu thun. + +Flavius (vor sich.) +Wo will das hinkommen? Er befiehlt uns immer Provisionen zu machen, +und macht grosse Präsente, und alles aus einer leeren Kiste. Und +doch will er nicht leiden, daß ich ihm zeige, was für ein Bettler +seine Freygebigkeit ist; seine Versprechungen fliegen soweit über +sein Vermögen hinaus, daß er für alles was er spricht, für jedes +Wort, schuldig werden müßte. Er ist so gut, daß er Intressen +bezahlt, um Andern Freygebigkeiten zu erzeigen. Alle seine Güter +stehen in den Schuldbüchern seiner Gläubiger. Gut! ich wollte ich +würde mit einer guten Art meines Diensts entsezt, eh ich gezwungen +werde ihn zu verlassen. Glüklicher ist wer gar keine Freunde zu +füttern hat, als solche, die noch schlimmer sind als seine +erklärten Feinde selbst. Mein Herz blutet mir vor meinen Herren. + +(Er geht ab.) + +Timon. +Ihr thut euch selbst unrecht, ihr verringert eure Verdienste zu +sehr. Hier, Milord, ein kleines Merkmal unsrer Freundschaft. + +1. Lord. +Ich nehm' es mit höchstem Dank an. + +2. Lord. +Er hat das großmüthigste Herz von der Welt. + +Timon. +Ah, ich erinnere mich erst izt, Milord, daß euch neulich das +Castanien-braune Pferd, worauf ich ritt, wohl zu gefallen schien: +Es ist euer, weil es euch gefällt. + +3. Lord. +O ich bitte euch um Verzeihung, Milord, was das betrift. + +Timon. +Nehmt mein Wort dafür, Milord; ich weiß, niemand kan etwas nach +Verdienst loben, als was er liebt. Ich schäze meines Freundes +Geschmak nach meinem eignen! ich spreche in vollem Ernst--Meine +Herren, ich werde mich bey euch melden lassen. + +Alle Lords. +O! niemand wird uns so willkommen seyn. + +Timon. +Alle Besuche, und besonders die eurigen, sind mir so werth und +angenehm, daß es nicht genug ist, wenn ich euch davor danke; ich +könnte Königreiche unter meine Freunde austheilen, und es nie müde +werden. Alcibiades, du bist ein Soldat, und also selten reich; +deine Einkünfte sind unter den Todten, und deine Ländereyen ligen +in einem Schlachtfeld -- + +Alcibiades. +Es ist noch Land's genug einzunehmen, Milord. + +1. Lord. +Wir sind euch so gänzlich verpflichtet-- + +Timon. +Das bin ich euch. + +2. Lord. +So unendlich verbunden-- + +Timon. +Alles auf meiner Seite. Lichter, mehr Lichter! + +3. Lord. +Wir wünschen euch eine beständige Dauer der vollkommensten +Glükseligkeit, Lord Timon. + +Timon. +Zum Dienst meiner Freunde. + +(Die Lords gehen ab.) + + + +Achte Scene. + + +Apemanthus. +Was das für ein Gelerm ist, für ein Geschnäbel, und für Scharr- +Füsse! Ich zweifle, ob ihre Beine das Geld werth sind, das man für +sie ausgegeben hat. Freundschaft ist voller Hefen; mich däucht, +falsche Herzen sollten niemals gesunde Beine haben. So tauschen +ehrliche Narren ihr Geld an Complimente.* + +{ed.-* Wenn in dieser Rede wenig Sinn und Zusammenhang ist, so muß man +wissen, daß sie im Original in Reimen geschrieben ist, wie viele +andre in diesem Stüke. Die Reime scheinen dem Shakespear viel zu +schaffen gemacht zu haben; sein freyer und feuriger Genie geht +darinn wie ein Läuffer in Courier-Stiefeln.} + +Timon. +Nun, Apemanthus, wenn du nicht mürrisch wärest, so wollt' ich gut +gegen dich seyn. + +Apemanthus. +Nein, ich will nichts; denn wenn ich auch noch bestochen würde, so +bliebe niemand übrig, der dich durch die Hechel ziehen würde, und +denn würdest du noch mehr sündigen. Du verschenkst so lange, Timon, +besorg' ich, daß du in kurzem dich selbst weggeben wirst. Wozu +sollen alle diese Gastmähler, dieser Prunk und dieser eitle Aufwand? + +Timon. +O wenn du anfängst über alle Geselligkeit loszuziehen, so schwör +ich, ich will dir keinen Blik mehr gönnen. Lebe wohl, und komme mit +einer bessern Musik wieder. + +Apemanthus. +So--du willt mich izt nicht hören, du sollst auch nicht! Ich will +dir das einzige Mittel entziehen, was dich noch retten könnte. O, +daß die Ohren der Leute nur für guten Rath taub sind, und nicht für +Schmeicheley. + +(Geht ab.) + + + + +Zweyter Aufzug. + + + +Erste Scene. +(Ein öffentlicher Plaz in der Stadt.) +(Ein Senator tritt auf.) + + +Senator. +Und unlängst, fünf tausend; dem Varro und dem Isidorus ist er +neuntausend schuldig, und dann meine vorhergehende Schuld; das +macht zusammen fünf und zwanzig--Nimmt denn die Wuth der +Verschwendung kein Ende bey ihm? Es kan nicht dauern, es kan nicht. +Wenn ich Geld brauche, so darf ich nur einen Bettler-Hund stehlen, +und ihn dem Timon geben; der Hund münzt mir Geld. Wenn ich gern +mein Pferd verkaufte, um zehen bessere dafür zu kauffen, gut, so +geb ich mein Pferd dem Timon; ich verlange nichts, ich schenk es +ihm, gleich wirft es mir zehen tüchtige Pferde. Er hat keinen +Thürhüter an seiner Pforte, sondern einen Kerl der immer lächelt +und alles einlädt, was vorbey geht. Das kan nicht dauern; es ist +vernünftigerweise unmöglich, daß eine solche Wirthschaft dauern +könnte. Caphis, he! Caphis, sag ich. (Caphis tritt auf.) + +Caphis. +Hier, mein Herr, was habt ihr zu befehlen? + +Senator. +Zieh deinen Rok an, und geh in Eile zu dem Lord Timon; treib ihn +für die Bezahlung der Gelder, die er mir schuldig ist; laß dich +durch keine schlechte Weigerung abweisen, oder durch ein: Mein +Compliment an euern Herrn, zum Schweigen bringen, und dir mit der +Müze in der rechten Hand die Thüre weisen, so--sondern sag ihm, ich +hab es unumgänglich nöthig; der Termin sey verstrichen, und die +Frist die ich ihm gegeben, habe schon meinen Credit geschwächt; Ich +liebe und ehre ihn, aber es sey mir nicht zuzumuthen, daß ich den +Hals breche, um seinen Finger zu heilen; Meine Bedürfnisse seyen +dringend, und können durch Vertröstungen nicht befriediget werden, +sondern erheischen unmittelbare Hülfe. Geh; nimm eine ungestüme +Mine an, mach' ein Anforderungs-Gesicht; denn ich besorge, wenn +jede Feder in ihrem eignen Flügel steken wird, so wird Lord Timon, +der izt wie ein Phönix schimmert, nur eine nakte Möwe übrig bleiben-- +Geh, sag ich. + +Caphis. +Ich gehe, Herr. + +Senator. +Ich gehe, Herr?--Nehmt die Verschreibungen mit euch, und gebt wohl +auf die Datums Acht. + +Caphis. +Ich will, Herr. + +Senator. +Geh. + +(Sie gehen ab.) + + + +Zweyte Scene. +(Verwandelt sich in Timons Halle.) +(Flavius tritt mit verschiednen Obligationen in der Hand auf.) + + +Flavius. +Keine Sorge, kein Maaß noch Ziel! Er bekümmert sich so wenig um +seine Ausgaben, daß er weder darauf denkt wie er sie bestreiten, +noch wie er diesem Strom von Verschwendung Einhalt thun wolle. +Niemals ist so viel Güte mit so viel Thorheit in einem Menschen +beysammen gewesen--Was ist zu thun?--Er wird nicht hören, bis er +fühlt; ich muß freymüthig mit ihm sprechen, wenn er von der Jagd +heimkommt! O! weh! weh! weh! (Caphis, Isidor und Varro treten auf.) + +Caphis. +Guten Abend, Varro; wie, kommt ihr auch um Geld zu fordern? + +Varro. +Das wird vermuthlich euer Geschäft auch seyn? + +Caphis. +Es ist nicht anders, und euers auch, Isidor? + +Isidor. +So ist es. + +Caphis. +Ich wollte, wir wären alle bezahlt. + +Varro. +Mir ist nicht wohl bey der Sache. + +Caphis. +Hier kommt der Lord. (Timon und sein Gefolge treten auf.) + +Timon. +Sobald wir zu Mittag gegessen haben, wollen wir wieder fort. Mein +Alcibiades--Nun, was ist euer Begehren. + +(Sie bieten ihm ihre Handschriften hin.) + +Caphis. +Gnädiger Herr, hier ist eine Rechnung von gewissen Schulden -- + +Timon. +Schulden? Woher seyd ihr? + +Caphis. +Von Athen, hier, Gnädiger Herr. + +Timon. +Geht zu meinem Verwalter. + +Caphis. +Euer Gnaden wollen mir's zu gut halten, er hat mich diesen ganzen +Monat durch von einem Tag auf den andern vertröstet; mein Herr wird +durch eine dringende Veranlassung genöthiget, das Seinige +einzufordern, und bittet demüthig, Euer Gnaden möchte, nach dero +bekannten Großmuth ihm sein Recht angedeyhen lassen. + +Timon. +Mein ehrlicher Freund, komm den nächsten Morgen wieder. + +Caphis. +Nein, Gnädiger Herr-- + +Timon. +Mäßige dich, guter Freund. + +Varro. +Eines gewissen Varro's Bedienter, gnädiger Herr. + +Isidor. +Von Isidor, er bittet um schleunige Bezahlung. + +Caphis. +Wenn Euer Gnaden die Noth wüßte, worinn mein Herr stekt. -- + + +Varro. +Die Verschreibung, gnädiger Herr, ist schon vor sechs Wochen +verfallen -- + + +Isidor. +Euer Haushofmeister weißt mich ab, und ich bin ausdrüklich zu Euer +Gnaden geschikt worden. + +Timon. +Laßt mich nur zu Athem kommen,-- + +(zu seinen Begleitern) + +Ich bitte euch, meine werthesten Herren, gehet hinein, ich werde +euch in einem Augenblik aufwarten-- + +(Die Lords gehen ab.) + +Kommt hieher; + +(zu Flavius) + +Wie geht das zu, daß ich auf eine so schimpfliche Art mit +ungestümen Anfordrungen wegen Schulden, verfallnen Handschriften, +und Vorenthaltung längst richtig zumachender Zahlungen angefallen +werde? + +Flavius. +Mit eurer Erlaubniß, meine Herren; es ist izt keine gelegne Zeit +für euer Geschäfte; wartet bis nach Mittag, damit ich Seiner Gnaden +inzwischen begreiflich machen kan, warum ihr noch nicht bezahlt +seyd. + +Timon. +Thut das, meine Freunde. + +(zu Flavius.) + +Seht, daß ihnen wohl begegnet werde. + +(Timon geht ab.) + +Flavius. +Ich bitte euch, kommt herein. + +(Flavius geht ab.) + + + +Dritte Scene. +(Apemanthus und ein Harlequin zu den Vorigen.) + + +Caphis. +Wartet, wartet, hier kommt der Narr mit Apemanthus, wir wollen ein +wenig Spaß mit ihnen haben. + +Varro. +An den Galgen mit ihm, er wird uns eins anhängen. + +Isidor. +Daß ihn die Pest,--den Hund! + +Varro. +Wie geht's, Narr? + +Apemanthus. +Redst du mit deinem Schatten? + +Varro. +Ich rede nicht mit dir. + +Apemanthus. +Das ist wahr, du redst mit dir selbst. Komm, laß uns gehn. + +(Zum Narren.) + +Isidor. +Der Narr hangt schon an deinem Rüken. + +Apemanthus. +Nein, du stehst einzeln. + +Caphis. +Weil du noch nicht an ihm bist. Wo ist der Narr hingekommen? + +Apemanthus. +Er hat die lezte Frage gethan. Arme Schelme und Wucherers Sclaven! +Kuppler zwischen Geld und Mangel! + +Alle. +Was sind wir, Apemanthus? + +Apemanthus. +Esel. + +Alle. +Was? + +Apemanthus. +Wenn ihr euch selbst kenntet, so brauchtet ihr mich nicht zu fragen. +Rede du mit ihnen, Narr. + +Harlequin. +Was lebt ihr gutes, meine Herren? + +Alle. +Grossen Dank, Narr; was macht eure Frau? + +Narr. +Sie sezt eben Wasser über, um solche Hühnchen abzubrühen, wie ihr +seyd. Ich wünschte wir könnten das Vergnügen haben, euch zu +Corinth* zu sehen. + +{ed.-* Ein unter gewissen Leuten übliches Wort anstatt Bordell, +vermuthlich von der Ausgelassenheit dieser alten Griechischen Stadt +hergenommen; wovon (Alexander ab Alexandro) sagt:(Corinthi super +mille Prostitutae in templo Veneris assiduae degere & +inflammata libidine quaestui meretricio operam dare & velut +Sacrorum ministrae Deae famulari solebant.) Warbürton.} + +Apemanthus. +Grossen Dank für den guten Wunsch! (Ein Page zu den Vorigen.) + +Narr. +Seht, hier kommt meiner Frauen Page. + +Page. +Wie geht's, Capitain, Was macht ihr in dieser weisen Gesellschaft? +Wie befindst du dich, Apemanthus? + +Apemanthus. +Ich wollt', ich hätte eine Ruthe in meinem Maul, um dir eine +heilsame Antwort geben zu können. + +Page. +Ich bitte dich Apemanthus, lies mir die Aufschrift auf diesen +Briefen; ich weiß nicht, wem jeder gehört. + +Apemanthus. +Kanst du nicht lesen? + +Page. +Nein. + +Apemanthus. +Es wird also an dem Tag, da du gehängt werden wirst, nicht viel +Gelehrtheit sterben--Dieser ist an Lord Timon, dieser an Alcibiades. +Geh, du wardst ein Huren-Sohn gebohren, und wirst als ein Huren- +Wirth sterben. + +Page. +Und du wardst als ein Hund geworffen, und wirst verhungern, wie ein +Hund. Antworte mir nicht, ich gehe. + +(Er geht ab.) + +Apemanthus. +Narr, ich will mit euch zum Lord Timon gehn. + +Harlequin. +Wollt ihr mich dort verlassen? + +Apemanthus. +Wenn Timon bey Hause ist--Ihr drey dient bey drey Wucherern? + +Alle. +Ich wollte, sie dienten uns. + +Apemanthus. +Das wollt' ich auch--Ein so feiner Streich, als jemals ein Henker +einem Dieb gespielt hat! + +Harlequin. +Seyd ihr Drey Wucherers-Leute? + +Alle. +Ja, Narr. + +Harlequin. +Ich glaub', es giebt in der ganzen Welt keinen Wucherer, der nicht +einen Narren zum Diener hat. Meine Frau gehört auch in diese Zunft, +und ich bin ihr Narr; wenn die Leute zu euern Herren gehn um Geld +zu borgen, so kommen sie traurig, und gehn lustig fort; aber in +meiner Frauen Haus gehn sie lustig hinein, und traurig wieder fort. +Wißt ihr die Ursach? + +Varro. +Ich könnte wol eine sagen. + +Harlequin. +So thue es dann, damit wir sehen, daß du ein Hurenjäger und ein +Lumpenhund bist; wofür du aber, auch ohne das, nichts desto minder +gehalten werden sollst. + +Varro. +Was ist ein Hurenjäger, Narr? + +Harlequin. +Ein Narr in hübschen Kleidern, und dir in etwas ähnlich. Es ist ein +Geist; zuweilen läßt er sich in Gestalt eines Edelmanns sehen, +zuweilen in Gestalt eines Advocaten, zuweilen in Gestalt eines +Philosophen, mit zwey Steinen, ohne den Stein der Weisen zu rechnen. +Sehr oft nimmt er die Gestalt eines Soldaten an, und überhaupt ist +keine Gestalt, worinn der Mensch von achtzig Jahren bis zu dreyzehn, +nur immer gesehen werden mag, in welcher dieser Geist nicht spüke. + +Varro. +Du bist nicht ganz ein Narr. + +Harlequin. +Und du nicht ganz gescheidt; ich habe gerade so viel Narrheit, als +dir an Gescheidtheit mangelt. + +Apemanthus. +Das ist eine Antwort, deren Apemanthus sich nicht zu schämen hätte. + +Alle. +Auf die Seite, auf die Seite, der Lord Timon kommt. (Timon und +Flavius treten auf.) + +Apemanthus. +Komm mit mir, Narr, komm mit. + +Harlequin. +Einem Liebhaber, einem ältern Bruder, und einem Weibsbild folg' ich +nicht allemal; izt will ich einmal einem Philosophen folgen. + +Flavius + +(zu den Vorigen.) + + +Seyd so gut, und spaziert ein wenig dort, ich will gleich mit euch +reden. + +(Die Gläubiger, Apemanthus und Harlequin, treten ab.) + + + +Vierte Scene. +(Timon. Flavius.) + + +Timon. +Ihr sezt mich in Erstaunen: Warum habt ihr mir denn meine Umstände +nicht eher vollständig vorgelegt, damit ich meine Ausgaben nach dem +Ertrag meiner Mittel hätte einrichten können? + +Flavius. +Ich hab euch in manchen müßigen Stunden daran erinnert, aber ihr +wolltet mich nicht anhören. + +Timon. +Ausflüchte! Ihr habt vielleicht gerade die Augenblike ausgesucht, +da ich nicht bey guter Laune war; und izt bedient ihr euch dessen, +euch selbst auf meine Unkosten zu entschuldigen. + +Flavius. +O! mein gnädiger Herr, ich brachte meine Rechnungen manchmal, und +legte sie euch vor; ihr warfet sie weg, und sagtet, ihr verlasset +euch auf meine Ehrlichkeit. Wenn ihr, für irgend ein nichtswürdiges +Geschenk von euern Freunden, mir so oder so viel dagegen zu geben +befahlet, schüttelt' ich den Kopf und weinte; ja, ich übertrat oft +die Geseze des Wohlstands und bat euch, ein wenig sparsamer im +Austheilen zu seyn: Ich bekam nicht selten und nicht kleine +Verweise, wenn ich Euch die Ebbe euers Vermögens, und die grosse +Fluth eurer Schulden vorstellte. Mein allerliebstes Herr, ob ihr +gleich izt zu spät höret, so ist doch noch izt eine Zeit; die Summe +alles dessen, was ihr habt, mangelt nur eine Helfte, um alle eure +Schulden zu bezahlen. + +Timon. +Laßt alle meine ligende Güter verkauft werden. + +Flavius. +Sie sind meistens versezt, einige gar schon verfallen, oder sonst +veräussert; und der Rest wird kümmerlich zureichen, die +dringendsten Schulden zu verstopfen; die künftige Zeit rükt heran; +wovon sollen wir unterdessen leben, und wie werden wir zulezt mit +unsrer Rechnung bestehen können? + +Timon. +Meine Ländereyen erstrekten sich bis nach Lacedämon. + +Flavius. +Ach, mein Gnädiger Herr, die Welt ist nur ein Wort; wäre sie ganz +euer, so daß ihr sie in einem Athemzug weggeben könntet, wie +schnell würde sie weg seyn! + +Timon. +Ihr habt recht. + +Flavius. +Wofern ihr einigen Verdacht in meine Wirthschaft oder Treue sezet, +so fordert mich vor die schärfesten Richter, und stellt mich auf +die Probe. Die Götter seyen mir gnädig, so wie ich die Wahrheit +sage! Wenn alle eure Vorraths-Kammern von schwelgerischen Prassern +erschöpft wurden; wenn die Gewölbe und Deken in euern Sälen von +Wein träuffelten, der in trunknem Muthwillen versprizt wurde; wenn +jedes Zimmer von Lichtern funkelte, und von Spielleuten zertrappt +wurde; zog ich mich oft in einen dunkeln Winkel unter dem Dach +zurük, um meinen Thränen freyen Lauf zu lassen. + +Timon. +Ich bitte dich, nichts mehr, + +Flavius. +Himmel! rief ich aus! wie gütig dieser Herr ist! Wie manche +verschwenderische Bissen haben in dieser Nacht Sclaven und Bauren +verschlukt! Wer ist izt nicht Timons? Welches Herz, welcher Kopf, +welches Schwerdt, welches Vermögen und Ansehen steht nicht zu +Timons Diensten? des grossen, des edeln, würdigen, königlichen +Timons? Aber wenn die Mittel hin sind, die diese Lobsprüche +erkauften, so ist auch der Athem hin, woraus diese Lobsprüche +gemacht waren--Laßt nur eine einzige Winterwolke schaudern, so +ligen alle diese Fliegen. + +Timon. +Komm, es ist genug geprediget! Mein Herz kan mir doch wegen meiner +Gütigkeit keinen Vorwurf machen. Unweislich, nicht unedel hab' ich +weggegeben; warum weinst du? Kanst du fähig seyn, dir einzubilden, +es werde mir jemals an Freunden fehlen? Beruhige dich! Wenn ich die +Gefässe meiner Liebe anzapfen, und den Inhalt ihrer Herzen durch +Borgen auf die Probe sezen wollte, ich könnte mich ihrer Personen +und ihres Vermögens so frey bedienen, als ich dir befehlen kan zu +reden. + +Flavius. +Die Götter geben daß die Erfahrung eure Hoffnung erfülle! + +Timon. +Und gewisser Maassen leisten mir diese Bedürfnisse einen Dienst, +der sie in meinen Augen zu grossen Vortheilen macht; denn durch sie +werd' ich Freunde bewähren. Ihr werdet sehen, wie sehr ihr euch +über meine Glüks-Umstände betrügt; ich bin an Freunden reich. +Herein, he! Flaminius, Servilius! + + + +Fünfte Scene. +(Flaminius, Servilius, und andre Bediente treten auf.) + + +Servilius. +Gnädiger Herr-- + +Timon. +Ich will euch an verschiedne Orte schiken; Ihr zu Milord Lucius-- +ihr zu Lord Lucullus, mit dem ich heut auf der Jagd war--ihr zu +Sempronius; empfehlt mich ihrer Freundschaft; sagt ihnen, ich sey +stolz darauf, daß ich endlich Gelegenheit finde, ihre Beyhülfe in +einem mir zugestoßnen Geldmangel gebrauchen zu können; begehrt +fünfzig Talente. + +Flaminius. +Nach Euer Gnaden Befehl. + +(Flaminius und Bediente gehen ab.) + +Flavius (bey seite.) +Lord Lucius und Lucullus! Hum! + +Timon. +Ihr, mein Herr, geht zu den Senatoren, von denen ich, mit des +Staats gröstem Vortheil, eine solche Gefälligkeit wohl verdient +habe: Sagt ihnen, sie möchten mir augenbliklich tausend Talente +schiken. + +Flavius. +Ich bin so kühn gewesen, (weil ich wußte, daß dieses der +gewöhnlichste Weg ist) euern Namen und euer Sigel zu einem solchen +Ansuchen bereits zu gebrauchen; allein, sie schüttelten die Köpfe, +und ich kam nicht reicher zurük. + +Timon. +Was sagst du? Ist das wahr? Ist's möglich? + +Flavius. +Sie antworteten alle aus einem Mund und mit einer vereinigten +Stimme, sie seyen eben nicht versehen, sie brauchten Geld, könnten +nicht thun was sie wollten; es sey ihnen leid--Ihr seyt ein Mann +von Verdiensten--Aber doch möchten sie gewünscht haben--Sie wissen +nicht--Es hätte etwas anders seyn mögen--ein edles Naturell könne +sich verschlimmern--Wäre zu wünschen es wär' alles gut--Sey zu +bedauren--Und hiemit geriethen sie über andre ernsthafte Materien, +nachdem sie mich durch unfreundliche Blike und diese harten Brüche, +mit gewissen halben Winken, und einem kaltsinnigen Kopfniken, zu +erstarrendem Stillschweigen gebracht hatten. + +Timon. +Ihr Götter, vergeltet's ihnen!--Ich bitte dich, Mann, sey ruhig! +Die Undankbarkeit ist bey diesen alten Gesellen etwas natürliches. +Ihr Blut ist geronnen, es ist kalt, es fließt selten; der Mangel an +freundlicher Wärme macht sie unfreundlich; die Natur, so wie sie +nach und nach zur Erde herab sinkt, nimmt auch ihre Eigenschaften +an, und wird schwer und unempfindlich. Geh zum Ventidius--Ich bitte +dich, sey nicht traurig, du bist redlich und ohne Falsch; ich +spreche von Herzen: Es ist nichts an dir auszusezen--Ventidius hat +kürzlich seinen Vater begraben, durch dessen Tod er zu einem +grossen Vermögen gekommen ist; wie er arm, im Gefängniß, und von +jedermann verlassen war, half ich ihm mit fünf Talenten aus der +Noth. Grüß' ihn in meinem Namen; sag ihm, irgend ein dringendes +Bedürfniß sey seinem guten Freunde zugestossen, welches ihn nöthige +sich dieser fünf Talente zu erinnern. Wenn du sie hast, so gieb sie +diesen Leuten, die diesen Augenblik ihre Bezahlung fordern. Sage +nur niemals, und denk' es auch nicht, daß Timons Glüksstand mitten +unter seinen Freunden, einsinken könne. + +(Er geht ab.) + + + +Flavius. +Wollte Gott, ich könnt' es nicht denken! Wie geneigt ist ein edles +und gütiges Herz, alle andern auch dafür zu halten. + +(Er geht ab.) + + + + +Dritter Aufzug. + + + +Erste Scene. +(Des Lucullus Haus in Athen.) +(Flaminius wartet auf Antwort, um vorgelassen zu werden; ein + Bedienter kommt zu ihm.) + + +Bedienter. +Ich hab euch bey meinem gnädigen Herrn angemeldt; er kommt eben +selbst herab. + +Flaminius. +Ich danke euch. (Lucullus tritt auf.) + +Bedienter. +Hier ist Milord. + +Lucullus. +Einer von Lord Timons Leuten? ein Präsent, denk' ich; nun, es trift +recht artig zu; ich träumte diese Nacht von einem silbernen +Handbeken und einer Gießkannen. Flaminius, ehrlicher Flaminius, ihr +seyd recht besonders willkommen, mein Herr;--(bringt mir einen +Becher mit Wein)--Und wie befindet sich dann der würdigste, +vollkommenste, großmüthigste Edelmann in ganz Athen, dein sehr +gütiger lieber Herr und Meister? + +Flaminius. +Er ist ganz wohl auf, was seine Gesundheit betrift. + +Lucullus. +Nun das freut mich ja recht, daß er wohl auf ist--und was hast du +hier unter deinem Mantel, mein lieber Flaminius? + +Flaminius. +Mein Treue, nichts als einen leeren Beutel, Gnädiger Herr, Euer +Gnaden zu bitten, daß ihr ihn aus Freundschaft für meinen Herrn +füllen möchtet; der, da ihm eben eine dringende Noth zugestossen, +mich zu Euer Gnaden geschikt hat, mit Bitte, ihm mit fünfzig +Talenten auszuhelfen; nicht zweiflend, daß ihr ihm eure schleunige +Beyhülfe nicht versagen werdet. + +Lucullus. +La, la, la, la,--Nicht zweiflend, sagt ihr? Ach, leider! der gute +Herr, er ist ein wakrer Edelmann, das ist wahr; wenn er nur nicht +eine so kostbare Haushaltung führte. Ich hab' oft und viel mit ihm +zu Mittag gegessen, und es ihm gesagt, und bin wieder zum +Nachtessen zu ihm gekommen, um es zu wiederholen, daß er seine +Ausgaben einschränken sollte: Allein er wollte nie keinen guten +Rath annehmen, und ließ sich meine Besuche nicht zur Warnung dienen. +Jedermann hat seine Fehler, der seinige ist zuviel Ehrlichkeit. +Ich hab' es ihm oft gesagt, aber ich konnte nie was über ihn +erhalten. (Ein Bedienter kommt mit Wein.) + +Bedienter. +Gnädiger Herr, hier ist der Wein. + +Lucullus. +Flaminius, ich habe dich allezeit für einen verständigen jungen +Menschen gehalten;--Auf deine Gesundheit! + +Flaminius. +Ich danke Euer Gnaden. + +Lucullus. +Ich hab immer bemerkt, daß du einen muntern fertigen Kopf hast, und +daß du gescheidt genug bist, dich selbst nicht zu vergessen, und +dich der Zeit zu bedienen, wenn sie dir Gelegenheit dazu giebt. Du +hast hübsche Gaben-- + +(Zu seinem Bedienten) + +Geh deines Weges, Schurke--Komm näher, ehrlicher Flaminius; dein +Herr ist ein gütiger Edelmann, aber du bist verständig, und +begreifst wol, (ob du gleich zu mir gekommen bist,) daß es izt +keine Zeit ist Geld auszuleihen, zumal auf blosse Freundschaft, +ohne Sicherheit. Hier hast du drey Goldgulden, mein guter Junge; +verstehe mich wol, und sage deinem Herrn, du habest mich nicht +gesehen. Lebe wohl. + +Flaminius. +Ist's möglich, daß die Welt sich in so kurzer Zeit so verändert +hat? Weg, verdammte Niederträchtigkeit, + +(er schmeißt das Geld weg) + +geh' zu dem, dessen Abgott du bist. + +Lucullus. +Ha! Nun seh' ich daß du auch ein Narr bist, und wol zu deinem Herrn +taugst. + +(Lucullus geht ab.) + +Flaminius. +Möge geschmolznes Geld deine Strafe in der Hölle seyn, und diese +Goldstüke zu den übrigen kommen, die dir glühend in den Rachen +gegossen werden sollen, du verfluchter Heuchler von einem Freund-- +Hat Freundschaft ein so schwaches milchichtes Herz, das in weniger +als zwo Nächten gerinnt? O ihr Götter, ich fühle den Zorn, worinn +dieses meinen Herrn sezen wird. Dieser Nichtswürdige hat in diesem +Augenblik noch meines Herren Mahlzeit im Leibe! Laßt es, anstatt +ihn zu nähren, sich in Gall und Gift verwandeln! Laßt es nichts als +Krankheiten in ihm zeugen, und wenn er auf den Tod darnieder ligt, +o! so laßt jedes Theilchen von Nahrungssaft, wofür mein Herr +bezahlt hat, aller seiner heilsamen Kraft beraubt, zu nichts anderm +dienen als durch langsame Pein seine lezte Stunde zu verzögern! + +(Geht ab.) + + + +Zweyte Scene. +(Eine öffentliche Strasse.) +(Lucius tritt mit dreyen Fremden auf.) + + +Lucius. +Wer? der Lord Timon? Er ist mein sehr guter Freund, und ein +würdiger Edelmann. + +1. Fremder. +Wir kennen ihn nicht anders, ob wir ihm gleich unbekannt sind. Aber +ich kan euch soviel sagen, Milord, und ich hab' es von dem +allgemeinen Gerüchte, daß Lord Timons glükliche Tage vorbey sind, +und daß er sich in schlimmen Umständen befindet. + +Lucius. +Ey, nein, glaubt das nicht! Es kan ihm nicht an Gelde fehlen. + +2. Fremder. +Seyd versichert, Milord, es ist noch nicht lange, so war einer von +seinen Leuten bey dem Lord Lucullus, und wollte fünfzig Talente von +ihm entlehnen; er betrieb es ungemein, und machte die Noth sehr +dringend, und doch wurd' es ihm abgeschlagen. + +Lucius. +Wie? + +2. Fremder. +Was ich euch sage, abgeschlagen, Milord! + +Lucius. +Das ist ein seltsamer Zufall! Nun, bey den Göttern! ich schäme mich +für den Lucullus. Einem so angesehnen wakern Mann abzuschlagen! Er +hat sehr wenig Ehre davon, wahrhaftig. Was mich betrift so muß ich +bekennen, ich habe einige kleine Höflichkeiten von ihm empfangen, +Geld, Silbergeschirr, Juweelen und dergleichen Kleinigkeiten, die +in der That in keinen Vergleich mit demjenigen kommen, was Lucullus +von ihm hat; aber hätt er ihn vorbeygegangen und zu mir geschikt, +ich wollt ihm gewiß fünfzig Talente nicht abgeschlagen haben, ob +die Summe gleich nicht gering ist. (Servilius zu den Vorigen.) + +Servilius. +Zu gutem Glük, find' ich hier den Lord Lucius; ich sucht' ihn schon +in der ganzen Stadt--Gnädiger Herr! + +Lucius. +Servilius! Es freut mich euch zu sehen. Lebt wohl, empfehlt mich +euerm würdigen, tugendhaften Herrn, meinem sehr werthen Freund. + +Servilius. +Mit Euer Gnaden Erlaubniß, mein Herr schikte-- + +Lucius. +Ha! was schikt er? Ich bin euerm Herrn schon so viel verpflichtet, +er schikt immer: Wie kan ich ihm meine Erkenntlichkeit bezeugen, +meynst du? Und was schikt er mir dann? + +Servilius. +Er schikt Euer Gnaden nur seinen Gruß, mit Bitte, ihm wegen einem +dringenden Anlas der ihm zugestossen, mit fünfzig Talenten +auszuhelfen. + +Lucius. +Ich weiß, daß Se. Gnaden nur Scherz mit mir treibt; es kan ihm +nicht an fünfzigmal fünfhundert Talenten fehlen. + +Servilius. +Indessen fehlt es ihm doch dißmal an einer viel kleinern Summe, +Gnädiger Herr. Wenn er sie nicht so nothwendig brauchte, würd' ich +nicht halb so eifrig mich darum bewerben. + +Lucius. +Sprichst du im Ernst, Servilius? + +Servilius. +Bey meiner Seele, Milord, es ist Ernst. + +Lucius. +Was für ein verwünschtes dummes Thier war ich, daß ich mich auf +eine so gute Gelegenheit so sehr an Geld entblößt habe, wo ich +hätte zeigen können, daß ich ein Mann bin, der auf Ehre hält! Wie +unglüklich es doch zutreffen muß, daß er mich gerad in einer Zeit +auf die Probe sezt, da ich ausser Stand bin--In der That, Servilius, +bey den Göttern, ich bin ausser Stand--(ein desto dummeres Vieh, +sag ich) Ich wollte diesen Augenblik selbst zum Lord Timon schiken, +und ihn um eine Summe Gelds ansprechen, diese Herren können +Zeugschaft geben: Aber izt wollt' ich nicht um alles Geld in Athen, +daß ich es gethan hätte. Empfehlt mich Sr. Gnaden zu geneigtem +Wohlwollen, und ich hoffe, Se. Gnaden werde keine schlimmere +Meynung deßwegen von mir fassen, weil ich nicht im Stande bin, ihm +meine Dienstwilligkeit zu zeigen. Und sagt ihm in meinem Namen, ich +rechne es unter meine grösten Widerwärtigkeiten, daß ich einem so +würdigen Edelmann nicht zu Gefallen seyn könne. Mein guter +Servilius, wollt ihr so viel Freundschaft für mich haben, und ihm +meine eignen Worte hinterbringen? + +Servilius. +Ja, Herr, ich will. + +(Servilius geht ab.) + +Lucius. +Ich will euch eine ziemliche Streke nachsehen, Servilius--Es ist, +wie ihr sagtet; Timon ist hin, in der That; wer kan helfen? Euer +Diener, meine Herren. + +(Er geht ab.) + +1. Fremder. +Merkt ihr das, Hostilius? + +2. Fremder. +Nur gar zu wohl. + +1. Fremder. +Das ist der Lauf der Welt; so denken alle Schmeichler: Wer kan den +seinen Freund nennen, der in Eine Schüssel mit ihm taucht? Denn, +wie mir bekannt ist, war Lord Timon wie ein Vater zu diesem Herrn; +er unterhielt seinen Credit und seine Haushaltung aus seinem Beutel, +und bezahlte sogar seinen Bedienten ihren Lohn. Er trinkt nie, +ohne daß Timons Silber seine Lippen drükt; und dennoch--o! was für +ein Ungeheuer ist der Mensch, wenn er aus einer undankbaren Gestalt +hervorgukt! Er schlägt ihm ab, was gutthätige Leute Bettlern nicht +versagen. + +3. Fremder. +Die Menschlichkeit schauert vor einer solchen Gefühllosigkeit. + +1. Fremder. +Was mich betrift, so hab' ich in meinem Leben niemals die geringste +Gutthat von Timon genossen, die mich vor andern verbände, sein +Freund zu seyn; und doch versichre ich, um seines edeln und +wohlthätigen Gemüths willen, und aus Hochachtung für seine Tugend, +wollt' ich ihm die Helfte meines Vermögens geschenkt haben, wenn er +sich in seinem Bedürfniß an mich gewendet hätte, so sehr lieb' ich +sein Herz; allein, so wie die Welt geht, muß man sein Mitleiden +zurükhalten lernen; denn Klugheit geht über Gewissen. + +(Sie gehen ab.) + + + +Dritte Scene. +(Ein dritter Bedienter des Timon mit Sempronius.) + + +Sempronius. +Mußt' er denn gerade mich damit beunruhigen? Vor allen andern? Er +hätt' es bey Lord Lucius oder Lucullus versuchen können, und nun +ist auch Ventidius reich, den er aus dem Gefängniß erledigt hat; +alle diese drey haben ihm ihr Vermögen zu danken. + +Bedienter. +O Gnädiger Herr, sie sind alle auf die Probe gesezt und falsch +befunden worden; sie haben ihn alle abgewiesen. + +Sempronius. +Wie? Abgewiesen? Ventidius und Lucullus, beyde ihn abgewiesen? Und +nun schikt er zu mir? Drey! hum--Es zeigt wenig Freundschaft oder +Vernunft auf seiner Seite an. Muß ich seine lezte Zuflucht seyn? +Seine Freunde, die gleich Aerzten sich auf seine Unkosten +bereichert haben, geben ihn au? Muß ich nun die Cur übernehmen? er +hat mir eine schlechte Ehre damit angethan; es verdrießt mich, er +hätte wol wissen können, wer ich bin; ich kan keinen Grund erdenken, +warum er nicht zuerst an mich gekommen ist, wenn er jemands Hülfe +nöthig hatte. Auf mein Gewissen, ich war der erste unter allen die +iemals Gutes von ihm genossen haben; und denkt er denn so unbillig +von mir, daß ich der lezte seyn werde, es wett zu machen? Es wird +allen übrigen eine Materie zum Lachen geben, und ich werde der Narr +unter dem Atheniensischen Adel seyn. Ich wollte dreymal so viel als +er von mir verlangt darum geben, er hätte zu mir zuerst geschikt, +wenn es auch nur gewesen wäre, um meiner Gemüthsart Gerechtigkeit +wiederfahren zu lassen; ich wäre so geneigt gewesen ihm Gutes zu +thun. Aber so geh' nur wieder heim, und seze zu den abschlägigen +Antworten der übrigen, in meinem Namen, noch dieses hinzu: Wer +meiner Ehre zu nahe tritt, soll nimmermehr mein Geld zu sehen +kriegen. + +(Er geht ab.) + +Bedienter. +Vortreflich! Euer Gnaden ist ein feiner Spizbube. Der Teufel wußte +gewiß nicht was er that, wie er die Leute politisch machte; er +schadete sich selbst dadurch; und ich kan nichts anders als glauben, +am Ende werden sie ihn selbst mit ihren Schelmenstreichen zum +Narren machen.--Das waren nun diejenigen, auf die mein Herr seine +besten Hoffnungen gesezt hatte; nun sind alle zurükgetreten, und +ausser den Göttern bleibt ihm niemand übrig. Seine Freunde sind +todt. Thüren, die so manches glükliche Jahr her nie mit ihren +Schlössern bekannt worden, müssen nun gebraucht werden, ihren Herrn +vor dem Ungestüm seiner Glaubiger sicher zu stellen. Das ist alles, +was er von seiner Freygebigkeit davon trägt! + +(Er geht ab.) + + + +Vierte Scene. +(Verwandelt sich in Timons Vorhaus.) +(Varro, Titus, Hortensius, Caphis, und andre Bediente von Timons + Gläubigern treten auf, um auf sein Ausgehen zu warten.) + + +Varro. +Treffen wir uns hier an? Guten Morgen, Titus und Hortensius. + +Titus. +Ebenmässig, mein werther Varro. + +Hortensius. +Caphis, sehen wir einander auch hier? + +Caphis. +Ich denke wir haben alle einerley Verrichtung. Die meinige ist, +Geld zu fordern. + +Titus. +Das ist die unsrige auch. (Philo zu den Vorigen.) + +Caphis. +Da kommt auch Herr Philo. + +Philo. +Guten Tag allerseits. + +Caphis. +Willkommen, Bruder. Wie viel, denkt ihr, ist es an der Zeit? + +Philo. +Nicht weit von neun Uhr. + +Caphis. +Schon so viel? + +Philo. +Hat sich Milord noch nicht sehen lassen? + +Caphis. +Noch nicht. + +Philo. +Das wundert mich, er pflegte sonst um sieben Uhr schon zu scheinen. + +Caphis. +Ja, aber die Tage haben bey ihm abgenommen; ihr müßt bedenken, daß +der Lauf eines Verschwenders dem Sonnenlauf gleich ist, aber ich +fürchte mit dem Unterscheid, daß er nicht wieder von vornen anfangt. +Es ist tiefster Winter in Timons Sekel; das ist, es mag einer tief +genug hinunter langen, und doch nicht viel finden. + +Philo. +Das besorg' ich auch. + +Titus. +Ihr könnt bey dieser Gelegenheit eine feine Beobachtung machen: +Euer Herr hat euch geschikt, den Timon um Geld anzufodern. + +Hortensius. +So ist's. + +Titus. +Und er trägt in diesem Augenblik Juweelen, die ihm Timon geschenkt +hat, wofür ich die Bezahlung fordern soll. + +Hortensius. +Ich thue es ungern genug. + +Caphis. +Das ist seltsam, daß Timon mehr bezahlen soll, als er schuldig ist; +und es kommt eben so heraus, als ob euer Herr kostbare Kleinode +trüge, und schikte um Geld dafür. + +Hortensius. +Die Götter sind meine Zeugen, daß mich diese Verrichtung recht +sauer ankommt; ich weiß, mein Herr hat dem Timon geholfen, sein +Vermögen durchzubringen; seine Undankbarkeit macht, daß es izt +ärger ist, als wenn er's ihm gestohlen hätte. + +Varro. +Meine Forderung ist dreytausend Cronen; wie viel ist die eurige? + +Caphis. +Fünftausend. + +Varro. +Das ist viel; aus der Summe sollte man schliessen, euer Herr habe +mehr Confidenz gehabt als der meinige, sonst hätt' dieser gewiß +seine Fordrung eben so groß gemacht.* (Flaminius zu den Vorigen.) + +Titus. +Hier kommt einer von Timons Leuten. + +Caphis. +Flaminius! Herr, ein Wort; ich bitte euch, ist Milord noch nicht +fertig heraus zu kommen? + +Flaminius. +Nein, in der That, er ist nicht. + +Titus. +Wir warten auf Se. Gnaden, seyd so gut und sagt ihm das. + +Flaminius. +Das hab ich nicht nöthig ihm zu sagen, er kennt eure Aufwartsamkeit. +(Flavius, in einen Mantel eingehüllt.) + +Caphis. +Ha! Ist das nicht der Verwalter, der so vermummt ist? Er lauft wie +in einem Sturm davon; ruft ihn, ruft ihn. + +Titus. +Hört ihr, Herr-- + +Varro. +Mit eurer Erlaubniß, Herr. + +Flavius. +Was wollt ihr von mir, mein Freund? + +Titus. +Wir warten hier wegen gewissen Geld-Summen, Herr. + +Flavius. +Wenn euer Geld so gewiß wäre als euer Warten, so wär' es sicher +genug. Warum wieset ihr denn eure Rechnungen und Schuld- +Verschreibungen nicht damals vor, als eure verräthrischen Herren +aus meines Herrn Schüsseln assen? Damals konnten sie seine Schulden +anlächeln, und die Interessen in ihren heißhungrigen Rachen +hinunter schluken. Ihr thut euch nur selbst Schaden, wenn ihr mich +aufreizet; laßt mich in Ruhe meines Wegs gehen. Glaubt mir, Milord +und ich sind fertig; ich habe nichts mehr zu rechnen, und er nichts +mehr auszugeben. + +Caphis. +Schon recht, aber die Antwort dient nicht-- + +Flavius. +Wenn sie nicht dienen mag, so ist sie nicht so niederträchtig als +ihr; denn ihr dient Schelmen. + +(Er geht ab.) + +Varro. +Wie? was brummt seine verwalterische Herrlichkeit? + +Titus. +Laßt es gehen--er ist arm, und das ist Straffe genug. Wer darf sich +breiter machen, als einer der kein Haus hat, wo er seinen Kopf +hinein steken kan? Solche Leute dürfen sich wol über Paläste +aufhalten. (Servilius zu den Vorigen.) + +Titus. +O, hier ist Servilius; nun werden wir doch eine Antwort kriegen. + +Servilius. +Wenn ich euch bitten dürfte, meine Herren, zu einer andern Zeit +wieder zu kommen, so würdet ihr mir einen Gefallen thun. Denn bey +meiner Seele, Milord ist auf eine seltsame Art unmuthig; sein +leutseliges Wesen hat ihn ganz verlassen, er ist gar nicht wohl auf, +er hütet das Zimmer. + +Caphis. +Manche hüten das Zimmer, die nicht krank sind; und wenn es so übel +mit seiner Gesundheit steht, so däucht mich, sollt' er seine +Schulden nur desto eher bezahlen, und sich einen offnen Weg zu den +Göttern machen. + +Servilius. +Ihr gütigen Götter! + +Titus. +Das können wir für keine Antwort nehmen. + +Flaminius (hinter der Bühne.) +Servilius, helft--Milord, Milord! * Ein Wortspiel mit (Confidence), +welches im Englischen Zutrauen und Unverschämtheit heissen kan. + + + +Fünfte Scene. +(Timon lauft in der Wuth heraus.) + + +Timon. +Wie, ist mir nicht mehr erlaubt zu meiner Thür heraus zu gehen? Ich +bin immer frey gewesen, und soll nun mein Haus mein Kerker werden? +Muß mich die eisenherzige Grausamkeit der Menschen bis in den Plaz +verfolgen, wo ich ihnen Bankette gab? + +Caphis. +Bring dein Gewerb' izt an, Titus. + +Titus. +Gnädiger Herr, hier ist meine Obligation. + +Caphis. +Hier ist die meinige. + +Varro. +Und hier die meinige, Milord. + +Philo und die Übrigen. +Und hier die unsrige. + +Timon. +Schlagt mich damit zu Boden--Spaltet mich bis an den Gürtel. + +Caphis. +Aber, Milord-- + +Timon. +Schneid mein Herz in Stüke. + +Titus. +Meine ist fünfzig Talente. + +Timon. +Rechne sie an meinem Blut ab. + +Caphis. +Fünftausend Cronen, Milord. + +Timon. +Fünftausend Tropfen zahlen das. Wie viel ist eure--und eure? + +Varro. +Milord!-- + +Philo. +Milord!-- + +Timon. +Hier nehmt mich, zerreißt mich, und die Götter zerschmettern euch, +und die so euch geschikt haben! + +(Er geht ab.) + +Hortensius. +Bey meiner Treue, ich sehe, unsre Herren können ihre Kappen nach +ihrem Gelde werfen; diese Schulden können wohl verzweifelt genennt +werden, denn der sie bezahlen soll, ist wahnwizig. + +(Sie gehen ab.) + + +(Timon und Flavius kommen zurük.) + +Timon. +Sie haben mich ganz ausser Athem gebracht, die Sclaven! Gläubiger!-- +Teufel! + +Flavius. +Mein theurer Herr-- + +Timon. +Wie, wenn ich es so machte? + +Flavius. +Mein theurer Herr-- + +Timon. +So soll es seyn!--Mein Verwalter! + +Flavius. +Hier, Milord. + +Timon. +Du bist schnell da--Geh, lade alle meine Freunde ein, Lucius, +Lucullus, Sempronius, Alle! Ich will diesen Galgenschwengeln noch +einmal zu schmausen geben. + +Flavius. +Ach, mein gütiger Herr, ihr sprecht in der Zerstreuung euers +Gemüths; es ist nicht einmal so viel übrig, als zu einer mässigen +Mahlzeit nöthig ist. + +Timon. +Bekümmre dich nicht um das; geh' und lade sie alle ein, laß die +Fluth von Schelmen noch einmal herein; mein Koch und ich wollen +schon davor sorgen. + + + +Sechste Scene. +(Verwandelt sich in das Rath-Haus.) +(Die Senatoren und Alcibiades.) + + +1. Senator. +Milord, ihr habt meine Stimme dazu, das Verbrechen ist blutig, er +muß dafür sterben; nichts muntert die Sünden mehr auf als +Barmherzigkeit. + +2. Senator. +Sehr richtig; das Gesez muß sie zerschmettern. + +Alcibiades. +Heil, Ehre und Mitleiden dem Senat! + +1. Senator. +Nun, Feldherr-- + +Alcibiades. +Ich komme, Euern Herrlichkeiten eine demüthige Bitte vorzutragen. +Mitleiden ist der echte Geist der Geseze, und nur Tyrannen machen +einen grausamen Gebrauch davon. Zeit und Unglük verfolgen einen von +meinen Freunden, der in der Hize seines Blutes in das Gesez +gefallen ist, welches für diejenige, die unvorsichtiger Weise +hineinplätschern, eine bodenlose Tieffe zu seyn pflegt. Er ist, +dieses Vergehen bey Seite gesezt, ein Mann von Ehre und Tugend, und +dieses kauft seinen Fehler los. Auch ist seine That mit keiner +Niederträchtigkeit beflekt; sondern mit einer edeln Wuth und einem +ruhmwürdigen Stolz sezt' er sich seinem Feind, der seiner Ehre eine +tödtliche Wunde beygebracht hatte, entgegen; nachdem er lange genug +seinen Zorn zurük gehalten, und sich mit einem so gemässigten Eifer +vertheidigt hatte, als ob er nur einen academischen Saz behauptete. + +1. Senator. +Ihr übernehmt etwas allzu anstößiges, indem ihr euch so viele Mühe +gebt, einer häßlichen That einen schönen Anstrich zu geben; ihr +habt nicht anders gesprochen, als ob ihr im Sinn hättet, den +Menschen-Mord in Schwang zu bringen, und Schlägereyen auf Rechnung +der Dapferkeit zu sezen, die doch bloß von einer unächten +Dapferkeit ihren Ursprung haben, und in die Welt kamen, eh noch +bürgerliche Geseze den neugebohrnen Factionen und Zerrüttungen +Einhalt gethan hatten. Der ist wahrhaftig dapfer, der das ärgste, +was ein Mensch athmen kan, weislich erträgt; und, anstatt +Beleidigungen bis zu seinem Herzen dringen, und es in gefährliches +Feuer sezen zu lassen, sie für Kletten ansieht, die nur an seinen +Kleidern hangen bleiben -- + +Alcibiades. +Milord-- + +1. Senator. +Ihr könnt schwarze Verbrechen nicht weiß waschen; Nicht Rache, +sondern Geduld ist Tapferkeit. + +Alcibiades. +So vergebet mir dann, gnädige Herren, wenn ich wie ein Soldat +spreche. Warum sind denn die Leute so albern und wagen ihr Leben in +einem Treffen? Und warum erdulden sie nicht lieber alle Drohungen +des Feindes, schlaffen ruhig dabey ein, und lassen sich von den +Feinden, ohne Wiederstand, die Hälse abschneiden? Wenn im Erdulden +eine so grosse Tapferkeit ist, was machen wir im Felde? So sind +also unleugbar die Weiber, die zu Hause bleiben, tapfrer als wir; +so ist der Esel dapfrer als der Löwe; ja ein Kerl der eine Last von +Eisen auf dem Rüken trägt, ist weiser dann ein Rathsherr, wenn im +Tragen Weisheit ligt. O, Milords, wie ihr groß seyd, so seyd auch +gütig und mitleidig; wer kan nicht bey kaltem Blut das Vergehen +eines heissen Bluts verdammen? Morden, ich gesteh es, ist das +schwerste Verbrechen; aber zu seiner Vertheidigung--Bey allem was +billig ist, dieses macht es gerecht. Sich seinem Zorn überlassen, +ist Sünde; aber wo ist der Mann, der nicht zornig werden kan? Wägt +das Verbrechen nur nach diesem ab. + +2. Senator. +Du verschwendest deinen Athem umsonst. + +Alcibiades. +Umsonst? Die Dienste, die er zu Byzanz und Lacedämon geleistet, +sollten allein vermögend seyn, seine Begnadigung zu erbitten. + +1. Senator. +Was ist das? + +Alcibiades. +Ich sage, Milords, er hat gute Dienste gethan, und in der Schlacht +manchen von euern Feinden erschlagen. Wie dapfer hielt er sich nur +in dem lezten Treffen, und was für ergiebige Wunden macht' er nicht! + +2. Senator. +Er ist ein vollkommen lüderlicher Mensch; er hat noch eine andre +böse Gewohnheit, die seine Dapferkeit oft in Wein ertränkt; wenn +gleich keine Feinde wären, so wäre das allein genug, ihn zu +übermannen. Man weiß, daß er in dergleichen viehischer Raserey die +grösten Ausschweiffungen begangen, und Tumult angefangen hat. Es +ist uns geklagt worden, seine Tage seyen unnüze, und seine im Trunk +verbrausende Nächte gefährlich. + +1. Senator. +Er muß sterben. + +Alcibiades. +Hartes Schiksal! Er hätt' im Kriege sterben können. Milords, wenn +euch seine eigne Verdienste nicht bewegen können, (obgleich sein +rechter Arm seine Sache gut machen sollte, ohne jemand anderm etwas +schuldig zu werden) so nehmt meine Verdienste zu den seinigen; und +da ich weiß, daß euer ehrwürdiges Alter Sicherheit liebt, will ich +euch meine Siege, meine Ehrenzeichen zum Pfand seiner Besserung +geben. Wenn er dieses Verbrechens halben sein Leben dem Gesez +schuldig ist, so laßt ihn's im Krieg auf eine dapfre Art in Wunden +ausströmen; wenn das Gesez scharf ist, so ist es der Krieg nicht +weniger. + +1. Senator. +Wir sind um des Gesezes willen da, er stirbt, treib es nicht weiter, +bey den strengsten Folgen unsers Mißvergnügens; Freund oder Bruder, +wer eines andern Blut vergießt, macht sich seines eignen verlustig. + +Alcibiades. +Muß es denn seyn? Es muß nicht seyn; Milords, ich bitte euch, +mißkennt mich nicht. + +2. Senator. +Wie? + +Alcibiades. +Erinnert euch meiner! + +3. Senator. +Was?-- + +Alcibiades. +Ich kan nicht anders als denken, euer Alter muß mich vergessen +haben; es wäre sonst unmöglich, daß ich so verächtlich in euern +Augen seyn sollte, um eine so gemeine Gnade zu bitten, und +abgewiesen zu werden. Meine Wunden schmerzen mich um euertwillen. + +1. Senator. +Trozt ihr unserm Zorn--er braucht wenig Worte, aber die Würkung +reicht weit--Wir verbannen dich auf ewig. + +Alcibiades. +Mich verbannen? Verbannt euern Aberwiz, verbannt den Wucher, die +den Senat verachtenswürdig machen! + +1. Senator. +Wenn nach zween Tagen Athen dich noch enthält, so erwart' unser +strengeres Urtheil. Und damit dein unmächtiger Stolz noch mehr +aufschwelle, soll er diesen Augenblik hingerichtet werden. + +(Sie gehen ab.) + +Alcibiades. +Die Götter lassen euch alt genug werden, daß ihr nur noch in +Knochen lebet, und euer Anblik alle Welt verscheuche! Ich bin mehr +als unsinnig; ich habe ihre Feinde von ihnen entfernt gehalten, +indessen daß sie ihr Geld gezählt, und auf Wucher ausgeliehen haben; +Wunden sind mein ganzer Gewinn dabey--Und alles das für diß? Ist +das der Balsam, den der filzichte Senat in eines Feldherrn Wunden +gießt? Ha! Verbannung! Doch es kommt nicht ungelegen; ich bin es +zufrieden, verbannt zu seyn; es ist mir eine gerechte Ursache, +Athen meine Wuth empfinden zu lassen. Ich will meine mißvergnügten +Truppen aufmuntern, und alles aufs Spiel sezen. Es ist Ehre +einzulegen, wenn man es mit einer überlegnen Anzahl aufnimmt. +Soldaten schluken so wenig eine Beleidigung ein, als die Götter. + +(Er geht ab.) + + + +Siebende Scene. +(Verwandelt sich in Timons Haus.) +(Verschiedene Senatoren treten durch verschiedne Thüren auf.) + + +1. Senator. +Guten Tag, mein Herr. + +2. Senator. +Ebenfalls; ich denke dieser würdige Edelmann sezte uns lezthin nur +auf die Probe. + +1. Senator. +Ich dachte nur eben auch daran. Ich hoffe, es steht nicht so +schlimm mit ihm, als er vorgab, wie er seine Freunde auf die Probe +sezte. + +2. Senator. +Es sollte nicht seyn, wenn man von diesem neuen Banket schliessen +darf. + +1. Senator. +Ich kan nicht anders denken; er hat mir eine ernstliche Einladung +zugesandt, die ich wegen vieler nothwendiger Geschäfte gerne +abgelehnt hätte; allein, er hat mich so anhaltend bitten lassen, +daß ich kommen mußte. + +2. Senator. +Ich befand mich in gleichen Umständen, allein er wollte keine +Entschuldigung gelten lassen. Es ist mir leid, daß ich nicht +versehen war, wie er um Geld zu mir schikte. + +1. Senator. +Es verdrießt mich für meinen Theil nicht weniger, da ich nun merke, +wie die Sachen stehen. + +2. Senator. +Es ist keiner hier, dem es nicht eben so ist, wie uns. Wie viel +wollt' er von euch entlehnen? + +1. Senator. +Fünfzig Talente. + +2. Senator. +Fünfzig Talente? + +1. Senator. +Wie viel von euch? + +2. Senator. +Er schikte zu mir--Hier kommt er. (Timon tritt mit seinem Gefolg +auf.) + +Timon. +Von Herzen willkommen, meine Herren beyderseits--und wie steht es? + +1. Senator. +Aufs allerbeste, da wir gute Zeitungen von Eu. Gnaden hören. + +2. Senator. +Die Schwalbe folgt dem Sommer nicht williger, als wir Eu. Gnaden. + +Timon (bey Seite.) +Und verläßt den Winter nicht lieber; solche Sommer-Vögel sind die +Menschen--Meine Herren, unsre Mahlzeit wird nicht werth seyn, daß +wir so lange drauf warten; Tractirt indessen eure Ohren mit der +Musik, wenn Trompeten-Schall nicht eine zu harte Speise für sie ist; +wir werden uns gleich sezen können. + +1. Senator. +Ich hoffe Euer Gnaden werde keinen Unwillen gefaßt haben, daß ich +euch einen leeren Boten zurükgeschikt habe. + +Timon. +O mein Herr, laßt euch das nicht beunruhigen. + +2. Senator. +Mein edler Lord-- + +Timon. +Ah, mein guter Freund, wie gehts? + +(Das Essen wird aufgetragen.) + +2. Senator. +Mein hochgeehrtester Herr, ich bin ganz krank vor Schaam, daß ich +so ein unglüklicher Bettler war, als Euer Gnaden neulich zu mir +schikte. + +Timon. +Denkt nicht an das, mein Herr. + +2. Senator. +Hättet ihr nur zwo Stunden eher geschikt-- + +Timon. +Laßt euch das nicht von angenehmern Erinnerungen abhalten--He, +stellt alles zugleich auf! + +2. Senator (zum Ersten.) +Lauter bedekte Schüsseln? + +1. Senator. +Ein Königliches Tractament, ich steh' euch dafür. + +3. Senator. +Daran ist kein Zweifel, was Geld und die Jahrszeit aufbringen +können. + +1. Senator. +Wie befindet ihr euch? Was giebt's Neues? + +2. Senator. +Alcibiades ist aus der Stadt verwiesen worden. + +1. Senator. +Alcibiades verwiesen? + +3. Senator. +Es ist nichts gewissers. + +1. Senator. +Wie das? wie das? + +2. Senator. +Ich bitte euch, weswegen? + +Timon. +Meine würdigen Freunde, wollt ihr nicht näher kommen? + +3. Senator. +Ich will's euch sogleich sagen--Wir haben ein prächtiges Gastmahl +vor uns. + +2. Senator. +Er ist noch immer der vorige Mann. + +3. Senator. +Wird es dauern? wird es dauern? + +2. Senator. +Es wird, wenn Zeit und Glük will, und so-- + +3. Senator. +Ich versteh euch. + +Timon. +Ein jeder nehme seinen Plaz, so begierig, als ob er an die Lippen +seiner Liebsten wollte; ihr werdet an allen Pläzen gleich gehalten +werden. Macht nicht eine Stadt-Gasterey daraus, und laßt das Essen +kalt werden, eh man einig werden kan, wer zu oberst sizen soll. +Sezt euch, sezt euch! Die Götter fordern unsern Dank: "Ihr grossen +Wohlthäter, besprengt unsre Gesellschaft mit Dankbarkeit. Macht, +daß ihr für eure Gaben gepriesen werdet; aber behaltet immer etwas, +das ihr geben könnt, sonst möchten Eure Gottheiten in Verachtung +gerathen. Leihet einem jeden genug, damit keiner nöthig habe dem +andern zu leihen; denn wenn Eure Gottheiten selbst dazu kämen, daß +sie von Menschen entlehnen müßten, so würden die Menschen Atheisten +seyn. Macht die Mahlzeit beliebter, als den der sie giebt. Laßt +keine Versammlung von fünfzehn ohne eine Mandel Bösewichter seyn. +Wenn zwölf Weiber an einem Tisch sizen, so laßt ein Duzend von +ihnen seyn--was sie sind--den Rest eurer Feinde, o ihr Götter, die +Senatoren von Athen, nebst der Grund-Suppe des übrigen Volks, +zählet, ihr Götter, dem Verderben zu. Was diese meine Freunde +betrift--So, wie sie für mich Nichts sind, so segnet sie auch mit +Nichts, und zu Nichts sind sie mir willkommen." + +(Man dekt auf, und alle Schüsseln sind mit Hunden von verschiedner +Gattung angefüllt.) + +Etliche von den Gästen. +Was meynen Se. Gnaden damit? + +Andre. +Das weiß ich nicht. + +Timon. +Daß ihr nie keine bessere Mahlzeit sehet, ihr Maul-Freunde; Dampf +und laues Wasser ist euer vollkommnes Ebenbild. Das ist Timons Leze. +Lebt lang, und von aller Welt verabscheut, ihr glatten, lächelnden, +verwünschten Schmarozer, ihr liebkosenden Zerstörer, +schmeichlerische Wölfe, zahme Bären, ihr Glüks-Narren, Teller-Leker, +und Fleisch-Fliegen, ihr Kopf- und Kniebeugenden Sclaven, daß alle +ungezählten Krankheiten von Menschen und Vieh euch in diesem +Augenblik überdeken! Wo gehst du hin! Sachte, nimm erst deine +Arzney ein--du auch--und du -- + +(Er wirft die Teller nach ihnen, und jagt sie hinaus.) + +Halt, ich will dir Geld leihen, ich will keines borgen. Wie? Alle +in Bewegung? Von nun an sey kein Gastmahl, wo ein Bösewicht nicht +willkommen sey! Brenn' auf den Grund ab, Haus; sink', Athen; und +Timon hasse von nun an den Menschen, und alles was menschlich ist! + +(Geht ab.) + +(Die Senatoren kommen zurük.) + +1. Senator. +Wie gefällt euch das, Milords? + +2. Senator. +Kennt ihr die Beschaffenheit von Lord Timons Wuth? + +3. Senator. +Zum Henker, habt ihr meine Müze nicht gesehen? + +4. Senator. +Ich habe meinen Oberrok verlohren. + +1. Senator. +Lord Timon ist nichts bessers als ein Narr, er läßt sich lediglich +durch die Laune regieren. Lezthin schenkt' er mir ein Kleinod, und +nun hat er mir's von meiner Müze abgeworfen. Seht ihr mein Kleinod +nicht? + +2. Senator. +Habt ihr meine Müze nicht gesehen? + +3. Senator. +Hier ist sie. + +4. Senator. +Hier ligt mein Rok. + +1. Senator. +Wir wollen uns nicht länger aufhalten. + +2. Senator. +Lord Timon ist verrükt. + +3. Senator. +Das fühl ich an meinen Beinen. + +4. Senator. +Den einen Tag giebt er uns Diamanten, und den andern Steine. + +(Sie gehen ab.) + + + + +Vierter Aufzug. + + + +Erste Scene. +(Ein Plaz ausser den Mauern von Athen.) +(Timon tritt auf.) + + +Timon. +Laßt mich noch einmal nach euch zurüksehen, o ihr Mauern, die diese +Wölfe umzingeln! Versink' in den Erdboden, Athen! ihr vermählten +Frauen, werdet unkeusch! ihr Kinder empört euch wider eure Eltern, +und Sclaven und wahnwizige mögen den ehrwürdigen grauen Senat von +seinen Bänken reissen, und an ihrer Stelle den Staat regieren! Gieb +dich der allgemeinen Unzucht Preiß, unreiffe Jungferschaft, thut es +vor euerer Eltern Augen! haltet fest, ihr Bankerotierer; eh ihr den +Rüken kehret, die Messer heraus, und schneidet euern Gläubigern die +Kehlen ab! Stehlt, ihr Sclaven; euere ehrsamen Herren sind nur +Diebe mit längern Händen, und stehlen unter dem Schuz der Geseze. +In deines Herrn Bette, Mädchen; deine Frau ist im Bordell. +Sechszehnjähriger Sohn, reiß deinem alten hinkenden Vater die Krüke +aus der Hand, und schlag ihm damit das Hirn aus! Furcht und +Mitleiden, Scheu vor den Göttern, Friede, Gerechtigkeit, Wahrheit, +häusliche Zucht, Nacht-Ruhe, Nachbarschaft, Unterricht, Sitten, +Religions-Gebräuche, Unterschied der Stände, Herkommen, +Gewohnheiten und Geseze, artet in euer zerrüttendes Gegentheil aus, +und nichts als die Zerrüttung bestehe!--Ihr Plagen alle, deren der +Mensch fähig ist, häuffet eure gährenden anstekenden Fieber über +Athen zusammen; es ist reif zum Untergang! Du kalte Gicht, mach' +unsre Rathsherren zu Krüppeln, damit ihre Glieder so lahm seyn +mögen als ihre Aufführung! Zaumlose Ueppigkeit und wilde Frechheit +kriech in die Herzen und in das Mark unsrer Jugend, daß sie dem +Strom der Tugend entgegen arbeiten, und sich selbst in +Ruchlosigkeit ertränken! Kräze und Eyterbeulen überdeken jeden +Atheniensischen Busen, und ihr Kropf sey lauter Aussaz; ein Athem +steke den andern an, damit ihre Gesellschaft (wie ihre +Freundschaft) durch und durch vergiftet sey. Nichts will ich aus +dir hinaustragen als Naktheit, du abscheuliche Stadt! Nimm noch, +mit vervielfachten Flüchen, diese Versicherung: Timon will in den +Wald, wo er die wildesten Thiere milder als den Menschen finden +wird. Die Götter verderben (o hört mich, ihr guten Götter alle!) +die Athenienser inner- und ausserhalb ihrer Mauern, und verleihen, +daß mit jedem Tage seines Lebens Timons Haß gegen das ganze +Geschlecht der Menschen wachse! + +(Geht ab.) + + + +Zweyte Scene. +(Verwandelt sich in Timons Haus.) +(Flavius mit zween oder dreyen Bedienten.) + + +1. Bedienter. +Hört ihr, guter Herr Verwalter, wo ist unser Herr? Sind wir +verdorben, ist alles aus, ist nichts übrig? + +Flavius. +Ach, meine lieben Cameraden, was soll ich euch sagen? So wahr als +ich wünsche, daß die wohlthätigen Götter sich meiner erinnern, ich +bin so arm als ihr. + +1. Bedienter. +Daß ein solches Haus gebrochen, ein so edler Herr gefallen seyn +soll! Alles hin! und nicht ein einziger Freund, der ihm in seinem +Unglük unter die Arme greiffe? + +2. Bedienter. +Wie wir uns von einem Bekannten wegwenden, der in sein Grab gesenkt +worden, so schleichen seine Freunde von seinem begrabnen Glüksstand +alle hinweg, hinterlassen ihm ihre treulosen Schwüre und +Versprechungen; und er selbst, ein dem freyen Himmel preißgegebner +Bettler, mit einem Uebel das alle Welt von ihm scheucht, mit +Dürftigkeit behaftet, geht, bleibt, gleich der Verachtung, allein.-- +Noch mehr von unsern Cameraden. (Es treten noch einige Bediente auf.) + +Flavius. +Lauter zerbrochnes Geräthe eines zerstörten Hauses! + +3. Bedienter. +Doch tragen unsre Herzen noch Timons Liverey, das seh' ich in euer +aller Gesicht. Wir sind noch alle Cameraden, die, da sie ihrem +Herrn sonst nichts mehr dienen können, ihre Treu durch ihren Kummer +zeigen. Unsre Barke ist lek, und wir armen Tropfen stehen auf dem +sinkenden Verdek, und hören die Wellen dräuen; wir müssen alle in +dem Meer der weiten Luft, jeder so gut er kan, seine Rettung suchen. + +Flavius. +Meine guten Cameraden, ich will das äusserste meines Vermögens mit +euch theilen. Wo wir uns jemals wieder antreffen, wollen wir, um +Timons willen, immer gute Freunde seyn, unsre Köpfe schütteln, und +sagen: Wir haben bessere Tage gesehen. Jeder nehme seinen Antheil; +nein, streket alle eure Hände aus--Kein Wort mehr -- + +(Er giebt ihnen Geld, sie umarmen einander und scheiden, der eine +diesen, der andre einen andern Weg.) + +Wer wollte sich Reichthum wünschen, wenn Reichthum in Elend und +Verachtung aufhört? Wer wollte (nach diesem Beyspiel,) sich durch +einen Traum von schimmerndem Glük und Freundschaft täuschen lassen? +Durch ein Gepränge von Herrlichkeit und Wohlleben, aber alles nur +gemahlt, wie diese gefirnißten Freunde! Mein armer redlicher Herr! +durch sein eignes gutes Herz so weit herunter gebracht! Durch Güte +zu Grunde gerichtet! Wie seltsam, daß zuviel Güte eines Menschen +gröste Sünde seyn soll! Unbegränzte Güte macht Götter, und verderbt +Menschen--Mein theurester Herr, einst so glüklich um desto elender, +so reich um desto dürftiger zu seyn; dein grosser Wohlstand ist die +Gelegenheit zu deinen grösten Widerwärtigkeiten worden! Ach! der +gütige Herr! Er ist in Wuth aus dem undankbaren Siz unnatürlicher +Freunde geflohen, und hat nichts mit sich genommen, was sein Leben +unterhalten, oder diesen Unterhalt verschaffen kan. Ich will ihm +folgen und ihn aufsuchen; ich will ihm um seines Herzens willen +immer mit bestem Willen dienen, und, so lang ich Gold habe, immer +sein Verwalter bleiben. + +(Er geht ab.) + + + +Dritte Scene. +(Der Wald.) +(Timon tritt auf.) + + +Timon. +O Sonne, Quelle der segensvollesten Einflüsse, ziehe faule Dünste +aus der Erde, und vergifte die Luft unter deiner Schwester Kreis-- +Zwillings-Brüder, zugleich gezeugt, von einer Mutter gebohren und +gesäugt, sind im Glüke getheilt. Der Grössere verschmäht den +Kleinern. Die menschliche Natur selbst, sie, die von so unzählbaren +Uebeln belagert wird, kan zu keinem grossen Glüke kommen, ohne sich +ihrer selbst zu schämen. Erhebt mir diesen Bettler und zieht mir +diesen Lord aus, so wird der Lord so verachtet seyn, als ob er zum +Bettler gebohren worden wäre, und der Bettler geehrt werden, als ob +er kein gebohrner Bettler wäre. Es ist die Weide, die des Widders +Seiten spikt, und der Mangel, der ihn mager macht. Wo ist der, dem +die Aufrichtigkeit seiner eignen unverfälschten Seele den Muth +giebt aufzustehen, und zu sagen: Dieser Mann ist ein Schmeichler? +Wenn einer es ist, sind es alle; denn jede Stuffe des Glüks findt +ihre Schmeichler eine Stuffe niedriger; der gelehrte Kopf bükt sich +vor dem goldnen Narren; alles ist krumm, es ist nichts gerades in +unsrer verfluchten Natur, als unverbesserliche Büberey. So sey dann +alle Gesellschaft und alle Gemeinschaft mit Menschen von mir +verabscheut! Alle von seiner Gattung, ja sich selbst hasset Timon. +Verderben über das ganze Menschen-Geschlecht!--Erde, gieb mir +Wurzeln. + +(Er gräbt die Erde auf.) + +Wer etwas bessers von dir begehrt, dem würze den Rachen mit deinem +würksamsten Gifte!--Was ist hier! Gold! gelbes, blinkendes, feines +Gold? Nein, ihr Götter, das verlangt' ich nicht von euch; Wurzeln, +gütiger Himmel! Nur so viel von diesem hier ist genug, weiß, +schwarz; schön, häßlich; unrecht, recht; niederträchtig, edel; ein +altes Gesicht, jung; und eine feige Memme, tapfer zu machen. Ihr +Götter, wozu das? warum das? Ihr Götter! wie, das kan eure Priester +von eurer Seite loken, und Leute mit frischem Herzen ins Grab +befördern; dieser gelbe Sclave kan geheiligte Bündnisse +zusammenkütten und auflösen; dem Verfluchten Segnungen, und dem +grindigen Aussaz Anbetung zuziehen; Diebe zu Ehrenstellen erheben +und ihnen neben den Senatoren, Titel, Kniebeugungen und Beyfall +geben: Diß ist's, was die bekümmerte Wittwe wieder freyen macht, +und was einer von Geschwüren und Krebsschäden zerfressenen +Candidatin des Siechenhauses, durch seine balsamische Kraft die +frische Anmuth der Jugendblüthe wieder giebt. Komm, du verdammte +Erde, du gemeine Meze des menschlichen Geschlechts, die so viel +Lermens unter der Rotte der Nationen macht-- + +(Man hört von fern einen Marsch.) + +Ha, eine Trummel--Du bist sehr lebendig, aber ich will dich doch +begraben; wenn deine podagrische Besizer nicht mehr stehen, kanst +du noch davon lauffen--Doch nein, bleib noch ein wenig da, ich will +dich für Handgeld gebrauchen. + +(Er stekt eine Anzahl Goldstüke zu sich.) + + + +Vierte Scene. +(Alcibiades zieht auf eine kriegrische Weise mit Trummel und + Pfeiffen auf; und Phrynia und Timandra.) + + +Alcibiades. +Wer bist du hier? Sprich! + +Timon. +Eine Bestie, wie du bist. Daß der Krebs dein Herz dafür durchfresse, +daß du mir wieder ein menschliches Gesicht zu sehen giebst! + +Alcibiades. +Wie ist dein Name? Ist der Mensch dir so verhaßt, und du bist +selbst ein Mensch? + +Timon. +Ich bin Misanthropos, und hasse das menschliche Geschlecht. Was +dich betrift, so wünscht' ich, du wär'st ein Hund, damit ich dich +ein wenig lieben könnte. + +Alcibiades. +Ich kenne dich wol; aber was für Unfälle dir zugestossen seyn +müssen, davon weiß ich nichts. + +Timon. +Ich kenne dich auch, und verlange nicht mehr von dir zu wissen, als +ich weiß; zieh deiner Trummel nach, färbe den Boden mit Menschen- +Blut; roth, roth;--Religions-Gebräuche, bürgerliche Geseze sind +grausam, was soll dann der Krieg seyn? Diese faule Meze hier hat +mit allen ihren Cherubin-Bliken mehr Zerstörung in sich als dein +Schwerdt. + +Phrynia. +Daß dir die Lippen verfaulen! + +Timon. +Das könnte nur begegnen wenn ich dich küßte, und das will ich nicht. + +Alcibiades. +Wie kam der edle Timon zu diesem Wechsel? + +Timon. +Wie der Mond, weil er kein Licht mehr zu geben hatte; aber ich +konnte mich nicht wieder erneuern wie der Mond, denn es waren keine +Sonnen da, von denen ich hätte borgen können. + +Alcibiades. +Edler Timon, was für Freundschaft kan ich dir erweisen? + +Timon. +Keine, als mich in meiner Meynung zu bestärken. + +Alcibiades. +Was ist diese, Timon? + +Timon. +Mir Freundschaft zu versprechen, und keine zu halten. Wenn du mir +keine versprechen willst, so verderben dich die Götter! denn du +bist ein Mensch; und wenn du sie hältst, so sollen sie dich +gleichfalls verderben, denn du bist ein Mensch. + +Alcibiades. +Es sind mir einige verworrne Nachrichten von deinen Unglüksfällen +zu Ohren gekommen. + +Timon. +Du sahst sie, wie ich im Wohlstand saß. + +Alcibiades. +Ich seh sie izt, damals war eine glükliche Zeit. + +Timon. +Wie die deinige izt ist, zwischen einem Paar Mezen. + +Timandra. +Ist das der allgemeine Liebling von Athen, von dem die Welt so viel +rühmliches sagte? + +Timon. +Bist du Timandra? + +Timandra. +Ja. + +Timon. +Bleib immer eine Hure; die lieben dich nicht, die dich gebrauchen; +häng ihnen Krankheiten an, wenn sie ihre Lust mit dir gebüßt haben; +mach einen guten Gebrauch von deinen bittern Stunden, bringe die +Sclaven zu Schwiz-Kästen und Bädern, bring die rosenwangichte +Jugend zur Hunger-Cur*, und zur Diät. + +{ed.-* (Tub-Fast), (Tonne-Fasten) im Englischen. Der Autor zielt auf +die Venerische Seuche und ihre Würkungen. Die Cur derselben wurde +in damaligen Zeiten entweder durch (Guaiacum), oder Mercurialische +Salben gemacht; und in beyden Fällen wurde der Patient sehr warm +und eingesperrt gehalten; das erste, damit der Schweiß befördert +werde; und das andre, damit er sich nicht wieder erkälte, welches +gefährlich war. Das Regimen beym Gebrauch des (Guaiacum), oder +(Lignum Sanctum) (sagt Dr. Friend in seiner Geschichte der Arzney- +Kunst, 2. Theil, S. 380.) war anfangs mit ausserordentlichen +Umständen begleitet, und so strenge, daß der Patient in ein enges +dunkles Loch gesperrt wurde, damit er desto besser schwizen möchte; +und durch diese Veranstaltung wurde, wie sich Fallopius ausdrukt, +der ganze Mensch bis auf die Knochen selbst durchgebeizt. Wisemann +sagt, in England habe man sich zu diesem Zwek, anstatt der +anderwärts üblichen Keller, Bak-Ofen, u. d. gl. einer Tonne bedient. +Was die Unction betrift, so wurde sie zuweilen sieben und dreyßig +Tage fortgesezt, wie er S. 375. bemerkt, und während dieser ganzen +Zeit war eine ausserordentliche Abstinenz nothwendig. Daher dann +das Wort (Tub-Fast.) Warbürton. ** Ein Provinzial-Wort für das +Englische (Slut), für welches dem Uebersezer kein hochdeutsches +Wort bekannt ist.} + +Timandra. +An den Galgen, du Ungeheuer. + +Alcibiades. +Vergieb, meine liebe Timandra, seine Wiederwärtigkeiten haben +seinen Verstand überwältiget. Ich habe nur wenig Geld übrig, wakrer +Timon, und der Mangel daran verursacht täglichen Aufruhr unter +meiner abgemergelten Kriegs-Schaar. Ich hörte mit Bekümmerniß, wie +das verfluchte Athen, deiner Verdienste uneingedenk, und +undankbarlich der Zeit vergessend, da sie ohne dein Schwerdt und +deine Reichthümer, von ihren Nachbarn mit Füssen zertreten worden +wären -- + +Timon. +Ich bitte dich, laß deine Trummel rühren, und geh' deines Wegs. + +Alcibiades. +Ich bin dein Freund, und habe Mitleiden mit dir, mein liebster +Timon. + +Timon. +Wie kanst du Mitleiden mit dem haben, den du beunruhigest; ich +wollte lieber allein seyn. + +Alcibiades. +Nun, so fahr wohl; hier hast du Gold. + +Timon. +Behalt es, ich kan es nicht essen. + +Alcibiades. +Wenn ich das stolze Athen in einen Steinhauffen umgekehrt habe -- + + +Timon. +Ziehst du gegen Athen? + +Alcibiades. +Ja, Timon, und aus einer gerechten Ursache. + +Timon. +Die Götter verderben sie alle durch deine Hand, und wenn du sie +vernichtet hast, dich auch! + +Alcibiades. +Warum mich, Timon? + +Timon. +Weil du gebohren wardst, durch Ermordung von Bösewichtern mein +Vaterland zu Grunde zu richten. Ließ dein Gold wieder auf. Geh +weiter, hier ist noch mehr Gold, geh; sey wie eine Planetarische +Seuche, wenn Jupiter über irgendeine lastervolle Stadt sein Gift in +die sieche Luft aushängt; laß dein Schwerdt nicht einen einzigen +überspringen; schone dem ehrwürdigen Greis nicht um seines weissen +Barts willen, er ist ein Wucherer; schlage die Ehefrau nieder, ihr +Kleid allein ist ehrlich, sie ist eine Kupplerin. Laß nicht die +jungfräuliche Wange dein schneidendes Schwerdt stumpf machen; +schone dieses milchweissen Busens nicht, der unter dem gläsernen +Flor zu den Augen der Männer emporschwillt, er ist ein schändlicher +Verräther. Schone nicht des Säuglings, dessen kindisches Lächeln +Narren zur Erbarmung zwingt; denk es ist ein Bastard, von dem ein +dunkles Orakel vorhergesagt hat, daß er dir die Kehle abschneiden +soll, und zerhak' ihn ohne Bedenklichkeit. Verschwöre dich wider +jeden Gegenstand, der dein Herz erweichen könnte; leg' eine Rüstung +um deine Ohren und deine Augen, deren Stählung weder das Heulen der +Mütter, das Geschrey der Jungfrauen, und das Wimmern der Kinder; +noch der Anblik von Priestern, deren Blut über ihre heiligen +Kleider herab strömt, nur um eine Nadelspize durchdringen möge. +Hier ist Gold, deine Soldaten zu bezahlen. Verbreite Verderben um +dich her, geh', und wenn du deine Wuth ausgelassen hast, so verdirb +selbst! Antworte nicht, geh! + +Alcibiades. +Hast du noch Gold? Ich nehme das Gold an, das du mir giebst, und +lasse dir deinen Rath. + +Timon. +Du folgest ihm oder nicht, so falle der Fluch des Himmels auf dich! + +Timandra, Phrynia. +Gieb uns auch etwas Gold, guter Timon; hast du noch mehr? + +Timon. +Genug, um zu machen daß eine Hure ihr Handwerk verschwöre und eine-- +Kupplerin werde. Hebt auf, ihr Schlütten**, die Schürze auf! Ihr +seyd nicht eydfähig, ob ich gleich weiß, daß ihr schwören würdet; +schwören, daß die unsterblichen Götter die euch hören, vor Entsezen +schaudern müßten. Spart eure Schwüre, ich will euerm blossen +Versprechen glauben. Bleibt immer Huren, und dem, dessen frommer +Zuspruch euch bekehren will, dem macht es dreymal ärger als den +übrigen; ködert ihn an, brennt ihn bis auf die Knochen; laßt nicht +eher von ihm ab, biß euer Feuer über seinem Rauch Meister wird; +doch sollt ihr dafür alle Jahre sechs Monate eine ganz +entgegengesezte Mühe haben. Sezt euch falsche Haare an, und dekt +eure arme dünne Schädel mit Aufsäzen von Todten (wenn schon einige +davon gehangen sind, das hindert nichts); tragt sie, betrügt damit, +und h** immer auf ihren Credit hin; schminkt euch, bis ein Pferd in +euerm Gesicht steken bleiben möchte; der Henker hole die Runzeln! + +Beyde. +Gut, gut, nur mehr Gold; glaubt uns, um Gold thun wir was ihr nur +wollt. + +Timon. +Säet Auszehrung in ihre marklosen Knochen, lähmet ihre dünnen Beine, +und dämpfet den männlichen Trieb. Brecht die Stimme des Advocaten, +daß er untüchtig werde schlimme Sachen zu führen, und Rabulisten- +Streiche durch sein Geschrey gut zu machen; stekt den Priester an, +der wider die Triebe des Fleisches eifert und sich selbst nicht +glaubt; herab mit der Nase, platt ab, nehmt ihm den Nasenknörpel +ohne Verschonen, der, seinen Privat-Nuzen ausser Gefahr zu sezen, +das gemeine Beste aufopfert. Macht krausköpfichte Spizbuben kahl, +und laßt auch die jungen Eisenfresser nicht leer ausgehen, die mit +ihren grossen Thaten pralen, und nur nicht eine Narbe davon +aufzuweisen haben. Verpestet alle Welt, und ruhet nicht, bis ihr +die Quelle der Vermehrung selbst gänzlich verstopft und +ausgetroknet habt.--Hier ist mehr Gold für euch, bringt alle andre +ins Verderben, dann verfaulet selbst und Misthauffen mögen euer +aller Grab seyn. + +Beyde. +Mehr Rath und mehr Geld, guter Timon. + +Timon. +Ihr müßtet es erst besser verdienen; ihr habt nun euer Handgeld. + +Alcibiades. +Rührt die Trummel, und gegen Athen zu. Lebe wohl, Timon, wenn es +mir gelungen seyn wird, will ich dich wieder besuchen. + +Timon. +Wenn mich die Hoffnung nicht betrügt, werd ich dich nicht mehr +sehen. + +Alcibiades. +Ich that dir nie was zu leide. + +Timon. +Ja, du redtest Gutes von mir. + +Alcibiades. +Nennst du das beleidigen? + +Timon. +Die Menschen erfahren es alle Tage. Geh deines Weges, pake dich, +und nimm deine Dachshunde mit. + +Alcibiades. +Wir sind ihm nur beschwerlich; rührt die Trummel! + +(Alcibiades, Timandra und Phrynia gehen ab.) + + + +Fünfte Scene. + + +Timon. +Daß die Natur noch zu eben der Zeit hungern soll, da der Unmuth +über des Menschen Unbarmherzigkeit sie des Lebens überdrüßig macht!-- +Allgemeine Mutter, du deren unermeßliche Schoos und unbegrenzte +Brust alles gebiehrt und säuget; o du, deren nemliche Zeugungs-Hize, +woraus der stolze Mensch aufdunset, die schwarze Kröte zeugt, und +die blaue Schlange, die goldflekichte Eidechs und den blinden +vergifteten Wurm mit allem andern verabscheuten Ungeziefer, das +Hyperions Feuer belebt: Gieb dem der alle deine menschlichen Söhne +hasset, gieb ihm aus deinem unerschöpflichen Busen eine einzige +arme Wurzel. Verstopfe deine fruchtbare gern empfangende Schooß; +laß sie nichts mehr für den undankbaren Menschen hervorbringen. Geh +nur mit Tygern, Drachen, Wölfen und Bären schwanger; schwill von +neuen Ungeheuern auf, die dein emporgerichtetes Antliz dem +umwölbenden Himmel nie gezeigt hat!--O! eine Wurzel--habet Dank, +ihr Götter!--trokne deine lokern Adern auf, und deine vom Pflug +zerrißne Schollen, aus denen der undankbare Mensch diese geistigen +Säfte und diese niedlichen Bissen zieht, die sein reines Gemüth mit +einem Fett umgeben, woran alle Betrachtung abglitscht. + + + +Sechste Scene. + + +Timon (zu Apemanthus.) +Wieder ein Mensch? Pest! Pest! + +Apemanthus. +Ich bin hieher gewiesen worden. Die Leute sagen, du massest dich an, +meine Lebensart nachzuahmen. + +Timon. +So muß es deßwegen seyn, weil du keinen Hund hältst, den ich +nachahmen könnte. Daß du die Schwindsucht kriegtest! + +Apemanthus. +Es ist an dir nur etwas erzwungnes, eine arme unmännliche +Melancholey, die bloß aus dem Wechsel deines Glüks entsprungen ist. +Wozu dieses Grabscheit? Warum in diesem Walde? Warum dieser +sclavenmässige Aufzug? Und diese kummervolle Blike? Deine +Schmeichler tragen indessen Seide, trinken Wein, ligen weich, +schwimmen in lieblichen Gerüchen, und haben vergessen, daß jemals +ein Timon war. Entehre diese Kleidung nicht, die dir das Ansehen +und die Vorrechte eines Censors geben soll. Sey du izt ein +Schmeichler, versuch' es, dich nun durch eben dieses fortzubringen, +was dich zu Grunde gerichtet hat; beuge deine Knie, und laß den +blossen Athem dessen, dem du aufwartest, deine Müze vom Kopf +herabwehen; erhebe seine lasterhaftesten Ausschweiffungen, und +nenne sie vortreflich. So redte man mit dir; und du gabst deine +Ohren dazu her, den Bierwirthen ähnlich, die Schelmen und alles was +zu ihnen kommt willkommen heissen. Es ist höchst billig, daß du ein +Spizbube werdest; hättest du noch Vermögen, so würden Spizbuben es +haben. Affectire keine Gleichheit mit mir, sag ich dir! + +Timon. +Wenn ich dir gleich wäre, ich wollte mich selbst wegwerfen. + +Apemanthus. +Du hast dich selbst weggeworffen, da du dir selbst gleich warst; so +lang' ein Unsinniger, izt ein Narr! Wie? denkst du, die kalte Luft, +dein ungestümer Kammerherr, werde dir ein warmes Hemde reichen? +Meynst du, diese bemooßten Bäume, die den Adler überlebt haben, +werden wie Pagen hinter dir hertreten, und dir auf einen Wink +zulauffen? Wird der kalte, mit Eis candirte Bach dir ein Cordial +zum Frühstük geben, um die Unverdaulichkeit der gestrigen +Nachtmahlzeit zu verbessern? Ruffe den nakten Geschöpfen, die der +rauhen Witterung, und den kämpfenden Elementen ihre unverwahrten +Rümpfe entgegen bieten; befiehl ihnen, dir zu schmeicheln; o, du +wirst finden -- + +Timon. +Daß du ein Narr bist; zieh' ab. + +Apemanthus. +Du bist mir izt lieber als jemals. + +Timon. +Und du mir desto verhaßter. + +Apemanthus. +Warum? + +Timon. +Du schmeichelst der Dürftigkeit. + +Apemanthus. +Ich schmeichle nicht; ich sage nur, daß du ein elender Tropf bist. + +Timon. +Warum suchst du mich auf? + +Apemanthus. +Um dich zu scheeren. + +Timon. +Das ist immer die Verrichtung eines Bösewichts, oder eines Narren. +Däucht sie dir kurzweilig? + +Apemanthus. +Ja. + +Timon. +Was für ein Schurke du bist! + +Apemanthus. +Wenn du diesen schwermüthigen kalten Habit angezogen hättest, +deinen Stolz zu züchtigen, so hättest du wol daran gethan; aber du +thust es aus Noth; du würdest ein Stuzer seyn, wenn du nicht ein +Bettler wärest. Freywillige Armuth überlebt ungewisses Wohlleben; +dieses wird immer gefüllt und doch nie voll, jene erreicht ihren +höchsten Wunsch auf einmal; der glüklichste Stand ist mißvergnügt, +der elendeste zufrieden. (Du) solltest zu sterben wünschen, weil du +in einem so armseligen Zustand bist. + +Timon. +Nicht weil mir's einer sagt, der noch armseliger ist. Du bist ein +Sclave, den das Glük nie mit zärtlichen Armen an ihre Brust drükte; +sondern zu einem Hund gebohren. Wärest du wie wir, von der ersten +Stuffe des Lebens an, durch alle die angenehmen Grade von +Glükseligkeit fortgeschritten, die diese kurze Welt denjenigen +gewährt, die sich nur besinnen dürfen, was sie von allen ihren +Waaren haben wollen: Du hättest dich in dem diksten Schlamm der +Lüderlichkeit herumgewälzt, deine Jugend in den schändlichsten +Ausschweiffungen verschwendet, und nimmermehr die kalten +Vorschriften der Mässigung und des Wohlstands beobachten gelernt, +sondern würdest dem verzükerten Spiel vor dir her blindlings +nachgeloffen seyn. Aber daß ich, für dessen Vergnügen die ganze +Welt arbeitete, der die Zungen, die Augen, die Herzen der Menschen +zu seinem Gebot hatte, mehr als ich ihnen Verrichtungen erdenken +konnte, an dem unzähliche hiengen, wie die Blätter an einer Eiche; +die aber alle, von einem einzigen Winter-Anstoß, von ihren Zweigen +abgefallen sind, und mich entblößt und unbedekt jedem Sturm +ausgesezt gelassen haben: Daß ich, der nie etwas anders als bessers +gekannt hat, diß ertragen soll, ist etwas schwer. Dein Wesen fieng +mit Elend an, und die Zeit hat dich dazu abgehärtet. Warum solltest +du die Menschen hassen? Sie haben dir nie geschmeichelt. Was hast +du ihnen geben können? Wenn du fluchen willt, so muß dein Vater, +der arme Lumpenhund, der Gegenstand seyn, der, in einem Anstoß von +Brunst, irgend eine Bettlerin überfallen, und dich armseligen Erb- +Lumpenhund zusammgeflikt hat--Hinweg, pake dich!--Wärest du nicht +zum untersten unter allen Menschen gebohren, so würdest du ein +Spizbube und Schmeichler gewesen seyn. + +Apemanthus. +Bist du noch stolz? + +Timon. +Ja, daß ich nicht du bin. + +Apemanthus. +Und ich, daß ich kein Verschwender gewesen bin. + +Timon. +Und ich, daß ich izt noch einer bin. Wär' aller Reichthum, den ich +hatte, in dir aufgeschüttet, so wollt' ich dir Erlaubniß geben, ihn +aufzuhängen. Geh deines Weges--O! daß das Leben von ganz Athen in +dieser Wurzel wäre! So wollt' ich es essen. + +(Er ißt eine Wurzel.) + +Apemanthus. +Hier, ich will deine Mahlzeit verbessern. + +Timon. +Verbeßre erst meine Gesellschaft, und pake dich fort! + +Apemanthus. +Was hättest du gern zu Athen-- + +Timon. +Dich, in einem Wirbelwind; wenn du willt, so sag ihnen, ich habe +Gold; siehst du, daß ich habe. + +Apemanthus. +Hier hat es keinen Nuzen. + +Timon. +Den besten und sichersten; denn hier schläft es, und thut keinen +gedungnen Schaden. + +Apemanthus. +Wo ligst du des Nachts, Timon? + +Timon. +Unter dem was über mir ist. Wo futterst du des Tags, Apemanthus? + +Apemanthus. +Wo mein Magen Speise findet, oder vielmehr wo ich sie esse. + +Timon. +Ich wollte, das Gift müßte mir gehorchen, und wüßte meine Gedanken. + +Apemanthus. +Wo wolltest du es hinschiken? + +Timon. +Deine Schüsseln zu würzen. + +Apemanthus. +Das Mittel der Menschlichkeit hast du nie gekannt, sondern nur das +äusserste von beyden Enden. Wie du in deinen vergoldeten Zimmern, +und von ausgesuchten Specereyen umduftet warst, da trieben sie ihr +Gespötte über deine ausschweiffende Zärtlichkeit des Geschmaks; izt +da du in Lumpen bist, hast du gar keine, sondern wirst des +Gegentheils halben verabscheut. Hier ist eine Mespel für dich, iß +sie. + +Timon. +Ich esse von nichts, was ich nicht leiden kan. + +Apemanthus. +Kanst du die Mespeln nicht leiden? + +Timon. +Nein, ob sie schon dir gleich sehen. + +Apemanthus. +Hättest du sie früher nicht leiden können, so würdest du izt besser +mit dir selbst zufrieden seyn. Hast du jemals einen Verschwender +gekannt, den man noch geliebt hat, nachdem er um seine Mittel +gekommen ist? + +Timon. +Wen hast du jemals ohne diese Mittel, wovon du redst, beliebt +gesehen? + +Apemanthus. +Mich selbst. + +Timon. +Ich verstehe dich, du hast einige Mittel, einen Hund zu halten. + +Apemanthus. +Was für Dinge in der Welt findst du deinen Schmeichlern am +ähnlichsten? + +Timon. +Weiber--Was wolltest du mit der Welt thun, Apemanthus, wenn sie in +deiner Gewalt wäre? + +Apemanthus. +Sie den wilden Thieren vorwerfen, damit ich der Menschen los würde. + +Timon. +Wolltest du selbst auch das Schiksal der Menschen haben, oder unter +den wilden Thieren ein wildes Thier werden? + +Apemanthus. +Das lezte, Timon. + +Timon. +Ein bestialischer Wunsch, den die Götter dir gewähren mögen! Wenn +du ein Löwe wärst, so würde dich der Fuchs betrügen; wärst du ein +Lamm, so würde der Fuchs dich fressen; wärst du der Fuchs, so +würdest du dem Löwen verdächtig werden, wenn dich zufallsweis ein +Esel anklagte; wärst du der Esel, so würde dich deine Dummheit +plagen, und du lebtest immer als ein Frühstük für den Wolf. Wärst +du der Wolf, so würde dir deine Gefressigkeit zur Quaal werden, und +du würdest oft dein Leben für dein Mittagessen wagen. Wärst du das +Einhorn, so würde dich Stolz und Grimm verderben, und in Ermanglung +eines andern würdest du die Beute deiner eignen Wuth werden. Wärst +du ein Bär, so würde dich das Roß tödten; wärst du ein Roß, so +würde dich der Leopard ergreiffen; wärst du ein Leopard, so wärst +du des Löwen Vetter, und deine Fleken würden deine eigne Verwandten +gegen dein Leben aufhezen. Alle deine Sicherheit wär' in Entfernung, +und dein Schuz in der Abwesenheit eines Feindes. Was für ein Thier +könntest du seyn, das nicht einem Thier unterworffen wäre? Und was +für ein Stük Vieh bist du izt schon, daß du nicht siehst, wie viel +du bey der Verwandlung verliehren würdest? + +Apemanthus. +Wenn du mir durch irgend ein Gespräch gefallen könntest, so hättest +du es izt getroffen. Das gemeine Wesen von Athen ist ein Wald von +Thieren worden. + +Timon. +Wie ist dann der Esel durch die Mauern gebrochen, daß du ausser der +Stadt bist? + +Apemanthus. +Dort kommt ein Poet und ein Mahler; die Pest der menschlichen +Gesellschaft falle auf dich! Ich besorge, daß sie mich ansteken +möchte, und will mich mit der Flucht retten. Wenn ich sonst nichts +zu thun weiß, will ich dich wieder sehen. + +Timon. +Wenn sonst nichts lebendiges mehr ist als du, sollt du mir +willkommen seyn. + +Apemanthus. +Du bist das Oberhaupt von allen iztlebenden Narren. + +Timon. +Ich wollte, du wärest sauber genug, daß ich auf dich speyen könnte. +Daß du die Kränke hättest! + +Apemanthus. +Du bist ein zu schlechter Kerl, als daß du jemandem fluchen +könntest. + +Timon. +Alle Galgenschwengel werden rein, wenn sie neben dir stehen. + +Apemanthus. +Es ist sonst kein Aussaz, als was du redst. + +Timon. +Wenn ich dich nenne--Prügeln will ich dich; doch, ich würde nur +meine Hände kräzicht machen. + +Apemanthus. +Ich wollte, meine Zunge könnte machen, daß sie abfaulten. + +Timon. +Weg, du Gezücht eines räudigen Hunds. Ich sterbe vor Zorn, daß du +in der Welt bist; ich fall' in Unmacht, wenn ich dich ansehe. + +Apemanthus. +Daß du bersten möchtest? + +Timon. +Hinweg, du verabscheuter Raker; ich fürchte, du treibst mir einen +H*d*n ab. + +Apemanthus. +Vieh! + +Timon. +Sclave! + +Apemanthus. +Kröte! + +Timon. +Lumpenhund, Lumpenhund, etc. + +(Apemanthus zieht sich zurük, als ob er gehe.) + +Ich bin dieser falschen Welt überdrüssig, und will nichts in ihr +lieben, als ihre blossen Nothwendigkeiten. So zögre dann nicht, +Timon, dir dein Grab zu machen, dort, wo der leichte Meerschaum +deinen Grabstein täglich schlagen soll; mache deine Grabschrift, +daß der Tod in mir über andrer Leben lache. + +(Er sieht auf das Gold, das zu seinen Füssen ligt.) + +O du angenehmer Königs-Mörder! du werthe Scheidung zwischen dem +leiblichen Sohn und seinem Vater! du schimmernder Besudler von +Hymens keuschestem Bette! du dapfrer Mars! du immer junger, +frischer, beliebter, und reizender Buhler, dessen Röthe den +geheiligten Schnee, der auf Dianens Schooß ligt, zerschmelzt! Du +sichtbarer Gott, der Unmöglichkeiten zusammenfügt, und einander +küssen macht! der jede Sprache zu jeder Absicht reden kan! O du +Probstein der Herzen; denke, dein Sclave, der Mensch, empöre sich +wider dich, und seze sie durch deine Macht in eine so zerrüttende +Zwietracht, bis die Herrschaft über die Welt den Thieren bleibt. + +Apemanthus. +Ich wollt' es wäre so, aber nicht eher, als bis ich todt bin! Ich +will sagen, du habest Gold; was für einen Zulauff, du augenbliklich +bekommen wirst! + +Timon. +Einen Zulauf? + +Apemanthus. +Ja. + +Timon. +Deinen Rüken, ich bitte dich. + +Apemanthus. +Leb' und liebe dein Elend! + +Timon. +Leb lange so und stirb so! Ich bin quitt. + +Apemanthus. +Schau, mehr Dinge die wie Menschen aussehen--iß, Timon, und +verabscheue sie. + +(Apemanthus geht ab.) + + + +Siebende Scene. +(Die Diebe treten auf.) + + +1. Dieb. +Wo mag er wol sein Geld haben? Es wird irgend ein armseliges +Fragment, irgend ein übriges Bißchen sein, das er noch davon +gebracht hat. Nichts anders, als der Mangel an Geld, und der Undank +seiner Freunde, hat ihn zu dieser Melancholey gebracht. + +2. Dieb. +Das Gerücht geht, er hab' einen Schaz gefunden. + +3. Dieb. +Wir wollen einen Versuch machen; wenn er nichts darnach fragt; wird +er's uns gutwillig geben; aber wenn er so geizig ist, daß er's für +sich allein behalten will, was ist dann zu thun? + +2. Dieb. +Er wird den Schaz nicht bey sich tragen; er wird ihn verstekt haben. + +1. Dieb. +Ist der nicht Timon? + +Alle. +Wo? + +2. Dieb. +Der Beschreibung nach ist er's. + +3. Dieb. +Er ists, ich kenn' ihn. + +Alle. +Grüß dich Gott, Timon. + +Timon. +He, Diebe. + +Alle. +Soldaten, keine Diebe. + +Timon. +Beydes, und von Weibern gebohren. + +Alle. +Diebe sind wir nicht, aber Leute, die sehr viel Bedürfnisse haben. + +Timon. +Euer gröstes Bedürfniß ist, was ihr aller Orten finden könnet: Was +solltet ihr bedürfen? Seht, die Erde hat Wurzeln; innert einer +Meile um uns her entspringen hundert Quellen; die Eichen tragen +Eicheln, die Gesträuche, Hambutten; die gutthätige Hausmutter, +Natur, legt auf jedem Busch ihren ganzen Kram vor euch aus-- +Bedürfnisse? Warum Bedürfnisse? + +1. Dieb. +Wir können nicht von Gras, Beeren und Wasser leben; wie Thiere, +Vögel und Fische. + +Timon. +Auch nicht von den Thieren, Vögeln und Fischen selbst; ihr müßt +Menschen essen. Doch muß ich euch Dank dafür sagen, daß ihr +offenbare Diebe seyd, und euch nicht in heiligere Gestalten +einhüllet; denn es herrscht grenzenlose Dieberey auch in +gesezmässigen Lebensarten. Galgenschwengel, Diebe, hier ist Gold! + +(Er giebt ihnen Geld.) + +Geht, saugt das flüchtige Blut der Traube, bis das hizige Fieber +euer Blut zu Schaum kocht, und entgeht dadurch dem Galgen. Vertraut +euch keinem Arzt, seine Arzneyen sind Gift, er tödtet mehr Menschen +als ihr beraubt, und nimmt ihnen ihr Geld mit samt dem Leben. +Treibt eure Bubenstüke, treibt sie, weil ihr euch dazu bekennt, wie +ein andres Handwerk; ich will euch Beyspiele genug von Dieberey +geben. Die Sonn' ist ein Dieb, und beraubt durch ihre starke +Anziehung das weite Welt-Meer. Der Mond ist ein ausgemachter Dieb, +und maußt sein blasses Licht der Sonne. Das Meer ist ein Dieb, +dessen schmelzende Wellen Dämme in salzichte Thränen auflösen. Die +Erde ist ein Dieb, die uns das Futter, wovon sie lebt, aus dem +Unrath aller Dinge zusammenstiehlt; ein jedes Ding ist ein Dieb. +Die Geseze, die euch binden und mit Ruthen streichen, haben +ungestraften Diebstahl in ihrer rauhen Gewalt. Liebt euch selbst +nicht, hinweg, beraubt einander, hier habt ihr mehr Gold; schneidet +Kehlen ab; alle die euch begegnen sind Diebe: Geht nach Athen, +brecht in offne Buden ein, denn ihr könnt nichts stehlen; das nicht +von Dieben verlohren wird; stehlt nichts desto minder, weil ich +euch Gold gebe, und Gold verderbe euch, Amen! + +(Er geht ab.) + +3. Dieb. +Er hat mir mein Handwerk schier erleidet, indem er mich dazu +aufmunterte. + +1. Dieb. +Das ist die allgemeine Bosheit der Menschen; er giebt uns einen +Rath, in Hoffnung, daß er uns an den Galgen bringen werde. + +2. Dieb. +So will ich ihm glauben wie einem Feind, und meine Profeßion +aufgeben. + +1. Dieb. +Wir wollen erst warten, bis zu Athen Fried' ist. + +2. Dieb. +Es ist kein so schlimmer Zustand, worinn ein Mensch nicht noch gut +werden kan. + +(Sie gehen ab.) + + + + +Fünfter Aufzug. + + + +Erste Scene. +(Der Wald und Timons Höle.) +(Flavius tritt auf.) + + +Flavius. +O ihr Götter, ist jener verworfne, zerstörte Mann mein Herr? So +abgezehrt, so eingefallen! O! ein Denkmal, ein Wunder von +übelangewandten Gutthaten! Was für eine Veränderung hat eine +verzweiflungsvolle Dürftigkeit in seiner Gemüthsart gemacht! Was +für ein schändlicheres Ding ist auf der Erde als Freunde, die das +edelste Gemüth zu einem solchen Verfall bringen können! Wie wohl +schikt sich das Gebott, daß wir unsre Feinde lieben sollen*, für +unsre Zeiten! Wenn es mir auch frey stünde, wollt' ich sie doch +eher lieben als Schmeichler.--Er hat mich wahrgenommen; ich will +ihm meinen redlichen Kummer zeigen, und bis zum lezten Athemzug +sein treuer Diener bleiben. + +{ed.-* Hier vergißt unser Autor, daß seine Personen keine Christen sind, +noch seyn können; kein Wunder, da er durch das ganze Stük +vergessen hat, daß sie Athenienser sind.} + +(Timon kommt aus seiner Höle hervor.) + +Mein theurester Herr. + +Timon. +Weg! Wer bist du? + +Flavius. +Habt ihr mich vergessen, mein Herr? + +Timon. +Wie magst du fragen? Ich habe alle Menschen vergessen; wenn du also +gestehen mußt, das du ein Mensch bist, so hab ich dich vergessen. + +Flavius. +Ein ehrlicher Diener-- + +Timon. +So kenn ich dich nicht: ich habe niemals ehrliche Leute um mich +gehabt; alle die ich hatte waren Spizbuben, um Galgenschwengeln +beym Essen aufzuwarten. + +Flavius. +Die Götter sind Zeugen, daß niemals ein armer Verwalter einen +aufrichtigern Schmerz für seinen zu Grunde gerichteten Herrn +gefühlt hat, als meine Augen für euch. + +(Er weint.) + +Timon. +Wie? weinst du? Komm näher, so will ich dich denn lieben, weil du +ein Weib bist; du kanst aus Mitleiden weinen; das kan das +kieselsteinerne Herz des männlichen Geschlechts nicht; wenn ihre +Augen übergehen, so geschieht es vor Lachen oder böser Lust. + +Flavius. +Ich bitte euch, mein gütiger Herr, mich nicht abzuweisen, und mir +zu verstatten, daß ich euern Kummer theile, und so lange dieser +arme Reichthum daurt, + +(er zeigt ihm einen Beutel mit Geld,) + +euer Verwalter bleibe. + +Timon. +Hatt' ich einen Verwalter, der so getreu, so redlich, und nun so +hülfreich ist? Diß könnte mein verwildertes Gemüth beynahe zahm +machen. Laß mich dein Gesicht sehen; wahrlich, dieser Mann ist von +einem Weibe gebohren. Verzeihet mir mein allgemeines, keine +Ausnahme machendes, zu rasches Urtheil, ihr unsterblichen, weisen +Götter! Ich gestehe nun einen ehrlichen Mann zu; verstehet mich wol, +nur Einen; keinen mehr, ich bitte euch; und der einzige ist ein +Verwalter! Wie gerne wollt' ich das ganze Menschen-Geschlecht +gehasset haben, und du kaufst dich los; doch alle andre, dich +ausgenommen, mögen meine Flüche treffen! Mich däucht, du seyest +mehr ehrlich als klug; denn, wenn du mich betrogen und verrathen +hättest, so hättest du desto bälder eine andre Bedienstung erhalten +können; viele kommen auf diese Art zu ihren zweyten Herren, auf +ihres ersten Herrn Naken. Aber sage mir aufrichtig, (denn ich muß +immer zweifeln, ob ich gleich niemals weniger Ursach dazu hatte;) +ist nicht diese deine Zärtlichkeit listig und eigennüzig, eine +wuchernde Zärtlichkeit, wie reiche Leute Geschenke machen, um +zwanzig mal so viel dafür zurük zu bekommen? + +Flavius. +Nein, mein würdiger Herr, (in dessen Brust Zweifel und Argwohn, ach +leider! zu spät Plaz nehmen;) ihr hättet falsche Freundschafts- +Versicherungen vermuthen sollen, da ihr Bankette gabt. Das was ich +euch zeige, der Himmel weiß es, ist lauter Liebe, Pflicht und +Ergebenheit gegen ein Herz, das seines gleichen nicht hat, Sorge +für euern Unterhalt und euer Leben; und glaubt mir, es ist kein +Vortheil weder gegenwärtig, noch den ich hoffen könnte, den ich +nicht um diesen einzigen Wunsch vertauschen wollte, euch wieder in +Glük und Wohlstand zu sehen. + +Timon. +Gut, ich glaube dir, es ist so; du einzelner ehrlicher Mann, hier, +nimm. + +(Er giebt ihm einen Sak mit Gold.) + +Die Götter haben dir aus meinem Elend einen Schaz zugeschikt. Geh, +lebe reich und glüklich; aber mit dieser Bedingung, daß du von den +Menschen abgesondert wohnen sollst. Haß' alle, verwünsch' alle, +thue keinem Gutes; laß einem Bettler eh sein verhungertes Fleisch +von den Knochen fallen, eh du ihm ein Almosen gäbest. Gieb den +Hunden, was du den Menschen versagst. Daß Gefängnisse sie +verschlingen, daß sie in Schulden verderben, daß die Menschen einem +verdorrten Walde gleich sehen, und verpestete Krankheiten ihr +falsches Blut aufleken! Und hiemit lebe wohl, und gedeyhe! + +Flavius. +O laßt mich bey euch bleiben, mein gütiger Herr, und euch +unterstüzen -- + +Timon. +Wenn du meinem Fluch ausweichen willst, so säume dich nicht, flieh; +flieh, weil du noch gesegnet und frey bist. Sieh du keinen Menschen +mehr, und laß dich nimmer vor mir sehen. + +(Sie gehen auf verschiedne Seiten ab.) + + + +Zweyte Scene. +(Der Poet und der Makler treten auf.) + + +Mahler. +Nach der Erkundigung, die ich von dem Ort eingezogen habe, kan er +nicht weit von hier sich aufhalten. + +Poet. +Was soll man von ihm denken? bestättigt sich das Gerücht, daß er +soviel Gold haben soll? + +Mahler. +Er hat; Alcibiades erzählt es, Phrynia und Timandra haben Gold von +ihm bekommen; er schenkt' auch etlichen armen verlaufenen Soldaten +eine grosse Menge davon. Man sagt, er gab seinem Verwalter eine +starke Summe. + +Poet. +So war folglich diese Bankrutt nur eine Prüfung seiner Freunde. + +Mahler. +Nichts anders; ihr werdet ihn bald in Athen unter den Ersten wieder +glänzen sehen. Es wird also nicht übel gethan seyn, wenn wir ihm in +dem Unglüks-Stand', worinn man ihn versunken glaubt, unsre +Freundschaft bezeugen; es wird uns das Ansehen eines edelmüthigen +Betragens geben; und es ist sehr wahrscheinlich, daß es uns zu +unserm Zwek führen wird, wenn es wahr ist, daß er so reich seyn +soll. + +Poet. +Was habt ihr bey euch, womit ihr ihm aufwarten wollet? + +Mahler. +Nichts für dißmal als meinen Besuch; allein ich will ihm ein +vortrefliches Stük versprechen. + +Poet. +Ich will ihn auf die nemliche Art bedienen. + +Mahler. +So ist's am besten. Versprechen öffnet das Auge der Erwartung, und +macht sich oft für etwas, das niemals gehalten wird, zum voraus +bezahlt. Halten ist allemal der Narr in seinem eignen Spiel; sobald +ein Versprechen gehalten ist, so nüzt es, ausser bey der +einfältigern Art von Leuten, dem Geber nichts mehr. Versprechen ist +hofmännisch, und ein Stük von der feinen Lebensart; Halten ist eine +Art von leztem Willen oder Testament, welches bey dem, der es macht, +eine grosse Krankheit--am Verstand anzeigt. (Timon kommt, ohne daß +ihn die vorigen Personen gewahr werden, aus der Höle hervor.) + +Timon (vor sich.) +Vortreflicher Künstler! du kanst keinen so schlechten Kerl mahlen +als du selbst bist. + +Poet. +Ich besann' mich, was ich sagen will, das ich für ihn in der Arbeit +habe--Es muß eine Vorstellung von ihm selbst seyn; eine Satyre über +die Weichlichkeit, die eine Folge des Wohlstands zu seyn pflegt; +mit einer Entdekung der unendlichen Schmeicheleyen, die das Gefolge +von Jugend und Reichthum sind. + +Timon. +Must du dich dann in deinem eignen Werk als einen Nichtswürdigen +abschildern? Willt du deine eigne Laster auf andrer Leute Rüken +peitschen? Thue es, ich habe Gold für dich. + +Poet. +Wir wollen ihn aufsuchen. + +Wer einen Vortheil einzuholen +Zu spät kommt, hat sich selbst bestohlen. + +Mahler. +Ihr habt recht. + +Poet. +Such', was dir fehlt, bey Tag, der unbezahlt dir scheint; +Die Nacht im schwarzen Flor ist niemands Freund. + +Kommt! + +Timon. +Ich will euch beym Umkehren entgegen kommen--Was für ein Gott ist +Gold, daß er in Tempeln verehrt wird, die verächtlicher sind als +die Oerter, wo Schweine ihre Speise suchen. Du bist es der das +Schiff ausrehdet, und die beschäumten Wellen pflügt; du verschaffst +dem Sclaven Bewundrung und Ehrfurcht; niemals möge dein Dienst +abnehmen, und verderbliche Plagen sollen deine Anbeter umkränzen!-- +Izt ist es Zeit, ihnen entgegen zu kommen. + +Poet. +Heil dir, würdiger Timon. + +Mahler. +Einst unser edler Gebieter. + +Timon. +Wie, erleb' ich es, noch zween ehrliche Männer zu sehen? + +Poet. +Mein Herr, da wir so viel Gutes von euch genossen haben, und +vernehmen mußten, daß ihr euch entfernt, und daß alle eure Freunde +abgefallen, für deren undankbare Gemüther--(oh, +verabscheuungswürdige Seelen!) alle Ruthen des Himmels nicht +hinreichend sind--Was? von euch? dessen Stern-gleiche Großmuth +Leben und Einflüsse ihrem ganzen Wesen gab? Ich komme ganz ausser +mich, und kan keine Worte groß genug finden, die ungeheure Grösse +dieser Undankbarkeit darein zu kleiden. + +Timon. +Laßt sie nakend gehen, so sehen die Leute sie desto besser; ihr, +die ihr ehrliche Männer seyd, macht durch das, was ihr seyd, das +was sie sind am besten sichtbar. + +Mahler. +Er und ich haben in dem grossen Regen eurer Freygebigkeit gereißt, +und ihn auf eine angenehme Art empfunden. + +Timon. +Ja, ihr seyd ehrliche Männer. + +Mahler. +Wir sind hieher gekommen, euch unsre Dienste anzubieten. + +Timon. +Sehr ehrliche Männer! Wie kan ich's euch wett machen? Könnt ihr +Wurzeln essen, und kaltes Wasser trinken? Nein. + +Beyde. +Wir wollen thun, was wir nur immer können, um euch Dienste zu +leisten. + +Timon. +Ihr seyd ehrliche Männer; ihr habt gehört, daß ich Gold habe; ich +bin versichert, ihr habt's gehört; sagt die Wahrheit, ihr seyd +ehrliche Männer. + +Mahler. +So sagt man, mein edler Lord; allein deßwegen kam ich und mein +Freund nicht hieher. + +Timon. +Guter ehrlicher Mann; du mahlst das beste Portrait unter allen +Mahlern in Athen; du bist, in der That, der beste; du mahlst +vortreflich nach dem Leben. + +Mahler. +So, so, Gnädiger Herr. + +Timon. +Eben so, mein Herr, wie ich sagte. + +(Zum Poet.) + +Und was deine Gedichte betrift, deine Verse fliessen so voll und +lieblich, daß du in deiner Kunst eben so natürlich bist. Allein +eben darum, meine ehrlich-gesinnten Freunde, muß ich euch sagen, +ihr habt einen kleinen Fehler; der aber in der That euch nicht sehr +entstellt; auch wünscht' ich nicht, daß ihr euch grosse Mühe gäbet, +ihn zu verbessern. + +Beyde. +Wir bitten Euer Gnaden ihn uns bekannt zu machen. + +Timon. +Ihr möchtet es übel aufnehmen. + +Beyde. +Mit höchstem Dank, Gnädiger Herr. + +Timon. +Ist das euer Ernst? + +Beyde. +Zweifelt nicht daran, Milord. + +Timon. +Es ist niemals einer von euch allein, ohne sich einem Spizbuben +anzuvertrauen, der euch gewaltig hinter's Licht führt. + +Beyde. +Thun wir das, Gnädiger Herr? + +Timon. +Das thut ihr, und ihr hört seine Schmeicheleyen; seht wie er sich +verstellt, kennt seine groben Schelmstüke, und doch liebt ihr ihn, +gebt ihm zu essen, und tragt ihn in euerm Busen; aber seyd +versichert, er ist ein ausgemachter Spizbube. + +Mahler. +Ich kenne keinen solchen, Gnädiger Herr. + +Poet. +Noch ich. + +Timon. +Schaut ihr, ihr seyd mir lieb, ich will euch Gold geben, wenn ihr +mir diese Schelmen aus eurer Gesellschaft ausstossen wollt; hängt +sie oder erstecht sie, gebt ihnen Gift ein, oder schaft sie sonst +auf eine Art aus der Welt, und kommt wieder zu mir, so will ich +euch Gold genug geben. + +Beyde. +Nennet sie, Gnädiger Herr, wir möchten sie kennen. + +Timon. +Geht ihr auf diese Seite, und ihr auf diese--Aber es sollte jeder +allein seyn--wenn jeder von euch ganz allein und einzeln ist, so +hält ihm doch ein Erz-Spizbube Gesellschaft. + +(Zum Mahler.) + +Wenn da wo du bist, nicht zween Spizbuben seyn sollen, so komm ihm +nie zu nah-- + +(Zum Poet.) + +Wenn du nirgends seyn willt, als wo nur ein Spizbube ist, so +verlaß ihn. Fort, pakt euch, hier ist Gold; + +(Er giebt ihnen Schläge.) + +ihr kamet um Gold zu kriegen, ihr Sclaven; ihr habt Arbeit für +mich;--hier ist eure Bezahlung--Fort--Ihr seyd ein Alchymist, macht +Gold aus diesem; fort, ihr Lumpenhunde! + +(Er prügelt sie, und jagt sie fort.) + + + +Dritte Scene. +(Flavius und zween Senatoren treten auf.) + + +Flavius. +Es ist umsonst, wenn ihr den Timon sprechen wollt; denn er ist so +gänzlich auf sich allein eingeschränkt, daß er nichts was einem +Menschen gleich sieht, ausser sich selbst, um sich leiden kan. + +1. Senator. +Führt uns zu seiner Höle; es ist unser Auftrag, und wir haben uns +den Atheniensern dazu verpflichtet, mit Timon zu reden. + +2. Senator. +Die Menschen sind nicht zu allen Zeiten gleich; Umstände und Kummer +haben ihm diesen Humor gegeben; die Zeit, die ihm nun die +Glükseligkeiten seiner ehmaligen Tage wieder anbietet, kan ihn +wieder zu dem vorigen Mann machen; führt uns zu ihm, es mag gehen +wie es will. + +Flavius. +Hier ist seine Höle! Fried' und Zufriedenheit wohne hier, Lord +Timon! Timon, schaue heraus, und rede mit Freunden; die Athenienser +grüssen dich durch zwey Mitglieder ihres höchst ehrwürdigen Senats; +rede mit ihnen, edler Timon. (Timon kommt aus seiner Höle heraus.) + +Timon. +Du Sonne, anstatt zu erquiken, brenne!--Redet, und dann geht an den +Galgen! wenn ihr für jedes wahre Wort eine Blatter kriegtet, und +für jedes falsche bis auf die Wurzel eurer Zunge gebrannt würdet, +so würd' euer Vortrag nicht lange dauern. + +1. Senator. +Würdiger Timon-- + +Timon. +Ja, solcher Leute würdig wie ihr seyd, und ihr des Timons. + +2. Senator. +Die Senatoren von Athen grüssen dich, Timon. + +Timon. +Ich dank' ihnen, und wollt' ihnen die Pest dafür zurük schiken, +wenn ich sie kriegen könnte. + +1. Senator. +O vergiß dessen, an was wir selbst ohne Schaam und Kummer nicht +denken können; die Senatoren ruffen dich mit einhelliger +Freundschaft nach Athen zurük, und sind darauf bedacht, dich mit +den ansehnlichsten Ehrenstellen zu überhäuffen, die für dich +erledigt ligen. + +2. Senator. +Sie bekennen, daß ihre Unachtsamkeit auf deine Verdienste zu +allgemein, zu groß gewesen; die ganze Republik, (die sonst selten +Palinodien zu singen pflegt,) hat durch das Gefühl, wie sehr ihr +Timon mangelt, eine lebhafte Empfindung von dem Unrecht bekommen, +das sie sich selbst angethan, indem sie dem Timon ihren Beystand +entzogen; und sendet uns nun, dir darüber ihre reuvolle Bekümmerniß +zu bezeugen, und dir zugleich einen Ersaz anzubieten, den ihr +Vergehen nicht um eine Drachme überwiegen soll; ja so überhäufte +Summen von Liebe, Ansehn und Reichthum, daß sie jede Spur der +vergangnen Kränkungen in deinem Andenken auslöschen, und die +Figuren ihrer Liebe so tief in dich eindrüken sollen, daß sie auf +ewig unauslöschlich dauern werden. + +Timon. +Ihr bezaubert mich, überrascht mich durch eure Beredsamkeit beynahe +zu Thränen; leiht mir eines Narren Herz, und die Augen eines Weibs, +so will ich über diese tröstlichen Sachen weinen, würdige Senatoren. + +1. Senator. +Laß dir also gefallen mit uns zurük zu kehren, und die Ober- +Befehlhabers-Stelle über unser Athen, dein und unser Athen, +anzunehmen: Du sollt mit allgemeinen Dankbezeugungen eingeholt, und +mit dem völligen Ansehn der höchsten Gewalt bekleidet werden; so +werden wir bald die wilden Anfälle des Alcibiades zurük getrieben +haben, der izt, wie ein ergrimmter Bär, den Frieden seines +Vaterlands aufwühlt, + +2. Senator. +und sein dräuendes Schwerdt gegen die Mauern von Athen gezükt hält. + +1. Senator. +Daher, Timon-- + +Timon. +Gut, mein Herr, ich will; daher will ich, mein Herr; so, nemlich-- +Wenn Alcibiades meine Landsleute umbringt, so laßt den Alcibiades +vom Timon dieses wissen, daß Timon sich nichts darum bekümmert. +Wenn er das schöne Athen zu einem Steinhauffen macht, wenn er eure +wakern alten Männer bey den Bärten zieht, und eure keuschen +Jungfrauen der Beflekung des schaamlosen, viehischen, wüthenden +Kriegs Preiß giebt, so laßt ihn wissen--und sagt ihm, Timon hab' es +gesagt--Aus Mitleiden mit euern Alten und mit eurer Jugend kan ich +nicht anders als ihm sagen lassen, daß ich--nichts darnach frage. +Und laßt es ihn im schlimmsten Sinn nehmen als er will, denn ihre +Messer fragen auch nichts darnach, daß ihr Gurgeln zum Antworten +habt. Was mich selbst betrift, so ist in seinem ganzen zaumlosen +Lager kein so kleines Taschen-Messer, das ich nicht höher schäze +und liebe, als die ehrwürdigste Gurgel in Athen. Und hiemit überlaß +ich euch der Obhut der Götter, wie Diebe ihren Hütern. + +Flavius. +Bleibet nicht länger, es ist alles umsonst. + +Timon. +Wie, ich war eben im Begriff, meine Grabschrift zu schreiben; +morgen wird man sie sehen können. Meine lange Krankheit an +Gesundheit und Leben fängt an sich zu bessern, und Nichts bringt +mir Alles.--Geht, lebt immerhin; Alcibiades sey eure Geissel, ihr +die seinige; und so daurt einander aus, so lang es möglich ist! + +1. Senator. +Alles, was wir reden könnten ist umsonst. + +Timon. +Und doch lieb' ich mein Vaterland noch; und bin keiner, der an dem +allgemeinen Schiffbruch seine Freude hat, wie die Sage von mir geht. + +1. Senator. +Das ist wol gesprochen. + +Timon. +Empfehlt mich meinen werthesten Mitbürgern. + +1. Senator. +Das sind Worte, die euern Lippen wol anstehen! + +2. Senator. +Und in unsre Ohren, wie triumphierende Sieger durch ihre +zujauchzenden Thore, eingehen. + +Timon. +Empfehlt mich ihnen, und sagt ihnen, um ihnen in ihren bekümmerten +Umständen, ihrer Furcht vor feindlichen Streichen, ihren Drangsalen, +ihrem grossen Verlust, ihren Liebes-Aengsten, und andern +dergleichen zufälligen Wehen, die das zerbrechliche Gefäß der +menschlichen Natur in der ungewissen Reise des Lebens auszustehen +hat, einige Linderung zu verschaffen, woll' ich ihnen noch eine +Probe von meiner gütigen Gemüthsart geben, und ihnen ein Mittel +sagen, wodurch sie dem Grimm des Alcibiades zuvorkommen können. + +2. Senator (leise.) +Das geht ganz gut; er wird mit uns zurük kommen. + +Timon. +Ich habe einen Baum, der hier in meinem Einfang wächßt, und den ich +zu meinem eignen Gebrauch nächstens fällen muß. Sagt meinen +Freunden, den Atheniensern, allen ohne Ausnahm, von dem Höchsten +bis zum Niedrigsten; daß ein jeder der Lust habe, allem seinem Leid +ein Ende zu machen, unverzüglich hieher kommen, und eh noch mein +Baum die Axt gefühlt hat, sich daran aufhängen soll--Ich bitte euch, +richtet es wohl aus. + +Flavius. +Beunruhigt ihn nicht länger, ihr werdet ihn nie anders finden. + +Timon. +Kommt nicht wieder zu mir, sondern sagt den Atheniensern: Timon +habe seine immerwährende Wohnung an dem äussersten Strande der +gesalznen Fluth genommen, wo die ungestümen Wellen sie alle Tage +einmal mit ihrem schwellenden Schaum bedeken werden. Dahin kommt, +und laßt meinen Grabstein euer Orakel seyn. Schliesset euch nun, +meine Lippen, und macht euern Verwünschungen ein Ende; Pest und +Verderben vollende, was ihr vergessen habt; Gräber allein seyen der +Menschen Arbeit, und Tod ihr Gewinn! Sonne, verbirg deine Stralen! +Timon hat seinen Lauf vollbracht. + +(Timon geht ab.) + +1. Senator. +Sein Unwille und Gram ist auf eine unzertrennliche Art mit seinem +Wesen zusammengewachsen. + +2. Senator. +Unsre Hoffnung auf ihn ist todt; laßt uns zurük kehren, und sehen, +was für andre Mittel uns in dieser äussersten Gefahr noch übrig +sind. + +1. Senator. +Wir haben keinen Augenblik zu versäumen. + + + +Vierte Scene. +(Die Mauern von Athen.) +(Zween andre Senatoren mit einem Boten treten auf.) + + +1. Senator (zum Bot.) +Du hast grosse Mühe bey deiner Auskundschaftung gehabt; sind denn +seine Linien so voll wie man sagt? + +Bote. +Ich habe die geringste Zahl angegeben; zudem, so macht er Anstalten, +unmittelbar vor die Stadt anzurüken. + +2. Senator. +Wir sind in grosser Gefahr, wenn sie den Timon nicht mit sich +bringen. + +Bote. +Ich begegnete unterwegs einem Courier, einem alten guten Freund von +mir; wir sind zwar von entgegenstehenden Partheyen; allein unsre +alte Liebe hatte doch Stärke genug, zu machen, daß wir wie gute +Freunde mit einander sprachen. Dieser Mann war in Eile von +Alcibiades nach Timons Höle abgeschikt mit Briefen, worinn er ihn +einlud, seine Parthey wider eure Stadt zu verstärken, um so mehr +als das Unrecht, so dem Timon angethan worden, eine von den +Ursachen sey, die ihn in Waffen gesezt habe. (Andre Senatoren zu +den Vorigen.) + +1. Senator. +Hier kommen unsre Brüder. + +3. Senator. +Redet nicht von Timon, erwartet nichts von ihm; man hört schon die +Trummeln der Feinde, und das fürchterliche Stampfen ihrer Tritte +füllt die Luft mit Staub. Hinein, und macht euch gefaßt; ich +besorge, unsre Gegenwehr werde wenig helfen. + +(Sie gehen ab.) + +(Ein Soldat geht in den Wald hinein, und sucht den Timon.) + +Soldat. +Der Beschreibung nach muß dieses der Ort seyn. Wer ist hier? +Antworte! he! Keine Antwort?--was ist diß?--ha! Timon todt +ausgestrekt? Irgend ein wildes Thier muß dieses Grabmal aufgewühlt +haben, denn hier lebt kein Mensch. Er ist todt, so ist's, und diß +ist sein Grab--Was ist auf diesem Stein? Ich kan nicht lesen; aber +ich will die Schrift in Wachs abdruken; unser General versteht +alles, er ist alt an Wissenschaft, obgleich jung an Tagen; anstatt +ihm seinen Freund zu bringen, bring ich ihm seine Grabschrift. + +(Er geht ab.) + + + +Fünfte Scene. +(Vor den Mauern von Athen.) +(Trompeten. Alcibiades zieht mit seinem Heer auf.) + + +Alcibiades. +Verkündigt dieser feigen und von Wollust aufgelösten Stadt unsre +fürchterliche Ankunft. + +(Man hört Schamade schlagen. +Die Senatoren lassen sich auf den Mauern sehen.) + +Bis izt habt ihr ohne Scheu euerm ausschweiffenden Uebermuth den +Zügel gelassen, und eure Willkühr zum Zwek der Geseze gemacht. +Lange genug sind ich und andre, die im Schatten eurer Gewalt +schliefen, mit verkehrten Waffen, wie Nachtwandrer, herumgeirret, +und haben unsre Bedrükung umsonst in Klagen ausgehaucht. Nun ist +die Zeit gekommen, da das überladne Mark unter der übermässigen +Last ausruft: Es ist genug*; nun soll die keuchende Beleidigung +sich in eure grosse Lehnstühle werfen, und ausschnauben; und der +aufgeschwollne Uebermuth vor Angst allen seinen Wind fahren lassen, +und mit emporsträubenden Haaren davon lauffen. + +{ed.-* Das Mark wurde für die Quelle der Stärke gehalten. Das Bild ist +von einem Cameel hergenommen, welches auf den Knien ligt, um seine +Last aufzunehmen; und gleich aufsteht, wenn man ihm mehr auflegen +will, als es tragen kan. Warbürton.} + +1. Senator. +Edler Jüngling, da deine ersten Beschwerden nur noch Gedanken waren, +eh du Macht hattest oder wir Ursache hatten dich zu fürchten; +sandten wir zu dir, deinen Zorn zu besänftigen, und versprachen, +unsre Undankbarkeit mit überschwänglicher Liebe auszulöschen. + +2. Senator. +Wir hielten auch durch eine demüthige Gesandtschaft, und mit +versprochner Besserung, bey dem verwandelten Timon an, unsrer Stadt +seine Liebe wieder zu schenken; wir sind nicht alle undankbar, und +verdienen nicht alle unter dem allgemeinen Streich des Krieges zu +sinken. + +1. Senator. +Diese unsre Mauern sind nicht von den Händen derjenigen aufgeführt +worden, von denen ihr Beleidigungen empfangen habt; und es wäre +nicht billig, daß diese schönen Thürme, diese Tropheen und diese +Schulen, um der Missethat etlicher Privatleute willen fallen +sollten. + +2. Senator. +Diejenigen sind nicht einmal mehr am Leben, deren Bestraffung der +erste Beweggrund euers Auszugs war. Schaam und Verdruß über die +Folgen ihrer Unbesonnenheit hat ihnen das Herz gebrochen. Ziehe nur, +o edler Lord, mit fliegenden Fahnen in unsre Stadt ein; laß, wenn +deine Rache nach einer Nahrung hungert, wovor der Natur grauet, laß +durch das fatale Loos den zehnten Mann sterben, und schone der +übrigen. + +1. Senator. +Nicht alle haben gesündiget; es ist nicht billig, an den +Unschuldigen die Rache zu nehmen, die nur die Schuldigen verdient +haben. Verbrechen werden nicht mit den Gütern geerbt. Führ' also, +theurer Mitbürger, deine Schaaren herein, aber laß deinen Zorn +voraussen; schone deiner Atheniensischen Wiege, und dieser +Geschlechter, die in dem Ungestüm deines Grimms mit denen, so +gesündigt haben, fallen müßten. Komm, gleich einem Schäfer, in die +Hürden, um die angestekten auszusondern, nicht alle zusammen zu +erwürgen. + +2. Senator. +Wozu willst du dein Schwerdt wieder uns ziehen, da du uns durch +dein Lächeln leichter zu allem was du willst, zwingen kanst? + +1. Senator. +Seze nur deinen Fuß gegen unsre verrigelten Thore, und sie sollen +sich öffnen, wenn du dein gütiges Herz vorausschiken willst, uns zu +versichern, daß du als Freund einziehen werdest. + +2. Senator. +Zieh deinen Handschuh, oder gieb uns ein andres Pfand deines +Ehrenworts, daß du deine Macht nur zu deiner eignen +Wiederherstellung, nicht zu unsrer Zerstörung, gebrauchen wollest; +alle deine Kriegsschaaren sollen so lange in unsern Mauern ligen +bleiben, biß deinen Fordrungen völlig genug geschehen seyn wird. + +Alcibiades. +So ist dann hier mein Handschuh. Steigt herab, und öffnet eure +wehrlosen Thore; diese Feinde des Timon und die meinige, deren +Verurtheilung euch selbst übergeben seyn soll, diese allein sollen +fallen; und euch zu zeigen, daß ihr von meinen edlern Gesinnungen +nichts zu besorgen habt, so soll keiner von meinen Leuten sein +angewiesenes Quartier überschreiten, oder den Lauf der bürgerlichen +Ordnung in den Bezirken eurer Stadt stören, ohne von den +öffentlichen Gesezen zur schärfsten Verantwortung gezogen zu werden. + +Beyde. +Diß ist sehr edel gesprochen. + +Alcibiades. +Kommet herab, und haltet euer Wort. (Ein Soldat tritt auf.) + +Soldat. +Mein edler Obrister, Timon ist todt; an dem äussersten Ufer des +Meers ist sein Grab, und auf dem Grabstein diese Aufschrift, die +ich in Wachs mit mir genommen habe, damit dieser Abdruk der +Dolmetscher meiner armen Unwissenheit sey. + +Alcibiades (ließt die Grabschrift:) + +Hier ligt ein unglüklicher Leichnam, von einer +unglüklichen Seele verlassen; sucht meinen Namen nicht! Verderben +über euch Bösewichter alle, die ich hinter mir lasse! Hier ligt +Timon, der alle Menschen hassete; geh' vorbey, und fluch' ihm bis +du genug hast, nur verweile dich nicht hier. Dieses drükt die +lezten Bewegungen deiner Seele wohl aus; ob du gleich unser +menschliches Mitleid verabscheuet, und die Thränen verschmähest, +die der kargen Natur entfallen; so lehrte dich doch ein edler Stolz, +den ungeheuern Neptun für ewig auf dein niedriges Grab weinen zu +lassen--Wohlan--die Fehler sollen vergeben seyn--Der edle Timon ist +todt; und sein Gedächtniß soll eine unsrer Sorgen seyn--Führt mich +in eure Stadt, und ich will mein Schwerdt mit Oelzweigen umwinden!-- +Rührt die Trummeln, und rükt ein-- + +(Sie ziehen ab.) + + +Timon von Athen, von William Shakespeare +(Übersetzt von Christoph Martin Wieland). + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Timon von Athen, by William Shakespeare + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TIMON VON ATHEN *** + +This file should be named 7226-8.txt or 7226-8.zip + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A +preliminary version may often be posted for suggestion, comment +and editing by those who wish to do so. + +Most people start at our Web sites at: +https://gutenberg.org or +http://promo.net/pg + +These Web sites include award-winning information about Project +Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new +eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). + + +Those of you who want to download any eBook before announcement +can get to them as follows, and just download by date. This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03 + +Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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