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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/75532-0.txt b/75532-0.txt new file mode 100644 index 0000000..bb1d38c --- /dev/null +++ b/75532-0.txt @@ -0,0 +1,12736 @@ + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75532 *** + + + +====================================================================== + + Anmerkungen zur Transkription. + +Der Text wurde in Fraktur gesetzt, Schreibweise und Interpunktion des +Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler +sind stillschweigend korrigiert worden. + +Worte in Antiqua sind +so gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~ + +Das Inhaltsverzeichnis ist an den Anfang des Textes verschoben worden. + +======================================================================= + + + + + Sonderlinge + + Von + + Peter Rosegger + + + + + Achtundzwanzigste bis zweiunddreißigste Auflage + + (Der neubearbeiteten Ausgabe elfte bis fünfzehnte Auflage) + + + [Illustration] + + + 1922 + + L. Staackmann Verlag Leipzig + + + + + Alle Rechte vorbehalten + + Druck von C. Grumbach in Leipzig. + + + + + Inhalt. + + + Seite + + Vorwort 5 + + Karl der Große 7 + + Der Fischer im Olymp 18 + + Der Geistbrenner 32 + + Der ordentliche Augustin 42 + + Meister Sani 51 + + Der falsche Himmelträger 59 + + Der unglückliche Kammerdiener 68 + + Die Einsiedler 76 + + Ein Wildling Christi 90 + + Der mißratene Evangelist 109 + + Der alte Adam 121 + + Der Säemann 130 + + Der scheltend' Schuster 136 + + Herr Trotzkopf, der Heiratsbeflissene 142 + + Der Samer-Sim 150 + + Der Zillacher-Anderl 155 + + s' Guderl 162 + + Der Figurlmacher 182 + + Der junge Geigenspieler 192 + + Der singende Schabelwirt 209 + + Das reiche Waldschulmeisterlein 224 + + Der Orgler zu Sankt Thomas 241 + + Der Naturfreund 247 + + Der lange Rauk 258 + + Hans Johanns Hauptsache 269 + + Der Himmelherrgottswirt 279 + + Herr v. Florin 289 + + Der Steinschädel 300 + + Der Feuermann Balthasar 309 + + Herr Meyer, der Belehrende 317 + + Ein Mann, ein Wort 327 + + Hauptmann Alles 339 + + Die Tafelrunde der Berühmten 348 + + Der Mann mit den dreizehn Talern 361 + + Der glücklichste Mann von Graz 401 + + Der Waldteufel 405 + + + + + Vorwort. + + +Wenn man die Menge betrachtet, sind fast alle Leute gleich. Und wenn +man in den Einzelnen schaut, ist fast jeder ein Original. Man soll auf +allen Bäumen der Welt ja nicht zwei Blätter finden, die ganz gleich +sind, und im unermeßlichen Menschenwald ja nicht zwei Gesichter, die +in gar nichts verschieden wären. Jeder Mensch existiert nur in einem +einzigen Exemplar. + +Ganz so sind die Sonderlinge dieses Buches nicht gemeint. Das +sind vielmehr wunderliche Charaktere, durch Naturanlage, äußere +Verhältnisse, besondere Weltanschauungen und Leidenschaften so +gebildet. Bevorzugt habe ich die Harmlosen, Humorvollen, Gut- und +Edelherzigen, besonders die froh verzichtenden Weltabweisenden, die +meine Lieblinge sind. Aber es gibt auch finstere, dämonische Gesellen +darunter; dann solche mit genialer Begabung und solche, die im Volk +»halbe Narren« genannt werden, weil sie ganze Weise sind. Oft auch +Menschen, die ihren Beruf verfehlt haben, oder die so eckig sind, +daß sie sich in keinen einordnen lassen. Solche grollen dann gerne +mit der Welt, führen ein verkümmertes, wunderliches Dasein. Manche +machen sich aus Kleinlichkeit ein absonderliches Leben, manche aus +Weltüberlegenheit. + +Gefunden habe ich derlei Leute nicht, denn ich habe nie nach ihnen +gesucht. Auf langem, reichlich gewundenem Lebensweg und mit einem +Auge für innere Eigenarten begegnet man ihnen auch so. Manche, die +Plaudersamen, sich selbst Ausspielenden machen es einem leicht, sie zu +fassen; nur darf man sich nicht zu sehr foppen lassen. Dann hängt man +ihnen gern einmal ein anekdotisches Mäntlein um. Etliche sind mir bloß +erzählt worden und ein paar sind mir im Traume untergekommen, weniger +aus der Umwelt, als aus mir selbst hervorgegangen. + +Und so ist eine wunderliche, gemischte Gesellschaft zusammengekommen, +die sich gewiß nirgends anders als im duldsamen Buche miteinander +vertragen würde. + + ~Der Verfasser.~ + + + + + Karl der Große. + + +Karl Oberbergbreitebner war so groß, das der Witz seiner Dorfgenossen +zwei aus ihm machen wollte, einen Langen und einen Dicken. Wäre noch +auf einen Dritten etwas übrig geblieben, so hätte ich für einen Klugen +gestimmt. Karls Gehirn war entweder so klein, wie bei einem Huhn, oder +so groß, wie bei einem Büffel. Doch hatte er sein Lebtag nie etwas +Dummes gesagt, denn er sprach nicht viel, hatte nie etwas Albernes +gedacht, denn er dachte nicht, er handelte bloß. Er hätte aber auch das +tollste Zeug schwatzen können, seine Körperstärke war so groß, daß er +kaum viel Widerspruch erfahren haben dürfte. Zwei derbe Arme sind eine +doppelte Beweisführung. + +Karl war der Sohn des Dorfschneidermeisters, hatte das ehrwürdige -- +nein, das ist zu viel -- das ehrsame Handwerk des Vaters gelernt und +ging mit diesem, einem kümmerlich kleinen und hageren Männl, auf der +Ster um, von Hof zu Hof. Seit sein Karl groß geworden war, konnte das +Meisterlein die entlegensten Höfe auch zur Winterszeit bei Schnee und +Sturm besuchen. »Pack mich, Karl!« sagte er, und Karl nahm ihn auf +den Rücken oder unter die Achsel und trug ihn gemächlich bergauf und +talab; doch mußte der kleine Alte dem großen Jungen fortwährend den +Weg zeigen. Karl konnte nicht Kleider anmessen, nicht zuschneiden, +überhaupt selbständig nichts fertig machen. »Das nähe!« sagte sein +Vater, und er nähte es, aber auch um keinen Stich mehr und keinen +weniger. »Das bügle!« sagte sein Vater, und wenn er ihm eine lebendige +Katze hingehalten, so hätte er sie gebügelt. Wozu das Nähen und wozu +das Bügeln? Ich glaube nicht, daß Karl jemals auch nur im Gedanken +danach gefragt hatte. Warum auch? + +Aber die Leute schätzten seinen Wert. Wenn irgendwo ein großer +Holzblock zu schleifen, ein schwerer Stein zu wälzen oder eine +Kohlentracht zu schleppen oder eine andere Last zu bewältigen war, so +schickte man nach dem Schneider. + +Da kam eines Tages eine Stadtherrschaft ins Dorf gefahren, mit der +Absicht, den Hochstandel zu besteigen. Nun war aber der Hochstandel ein +stattlicher Berg und die Dame der Herrschaft eine stattliche Frau, ein +Gleich und Gleich, das sich nicht gerne gesellt. Ein alter, magerer +Herr und die zwei munteren Töchterlein waren mutig, die stattliche Frau +jedoch ließ Umfrage halten nach einem Wagen, um auf den Hochstandel +zu fahren. Wägen leide der Berg nicht, wurde ihr gesagt; Maultiere, +Esel oder dergleichen zum Reiten seien auch nicht vorhanden, hingegen +lebe im Orte ein Schneider, der die Stelle genannter Vierfüßler recht +gern übernehme und die Frau auf den schönen Berg tragen wolle. -- Ein +Schneider! Die vierfältige Herrschaft rümpfte ihre Nasen, ließ aber +doch den Mann holen. Der erschien mit seinem riesigen Kohlenkorbe, +dessen Boden er mit Reisig bedeckt hatte, so daß ein gar einladendes +Nest ward. Als ihm dargetan ward, um was es sich handle, nahm er +zuerst den großen Pack mit Eßwaren, legte ihn hinein, dann nahm er +ohne Umstände die Dame und hob sie in den Korb; nahm hierauf eines der +Fräulein und hob es in den Korb, nahm hernach das andere Fräulein und +hob es in den Korb. »So,« murmelte er, »jetzt tut sich's, jetzt brauch +ich nur noch etwas zum Festkeilen.« Nahm auch den alten Herrn her und +steckte ihn zu seiner werten Familie in den Korb. Dann packte er sich +die ganze Bergpartie auf den Rücken und stieg langsam an. + +Die beiden Stadtfräulein gehörten zur Gattung der Backfische, sie +fürchteten sich daher gleich anfangs vor dem Riesen und hatten Angst +davor, daß er sie unterwegs ermorden würde. Das Ungetüm zeigte sich +jedoch überraschend harmlos, es ging mit dem Rückkorbe sachte den +sonnigen Hang hinan und pflückte Erdbeeren. Ohne mündliche Artigkeiten +warf er zwei Erdbeersträußchen hinter sich in den Korb. Die Fräulein +verstanden das so, als sollte es für sie eine kleine Aufmerksamkeit +sein, sie naschten daher die Beeren von dem Strauß und überlegten jedes +für sich, ob man sich in diesen gewaltigen und doch so netten Mann +nicht verlieben könne? Mittlerweile wimmerte die Frau Mama in ihrer +Einpfropfung und der Herr Papa hielt eine Vorlesung über die +Naturkraft. + +Nach drei Stunden waren sie dort, wo es nach allen Seiten abwärts +geht, und wo man stehen muß, wenn man nachträglich will sagen +können, wir standen zweitausend Meter hoch über dem Meere. -- Karl +Oberbergbreitebner ging immer vorwärts, als ob er ohne Säumen in +die freien Lüfte weiter steigen oder ohne weiteres auf der anderen +Bergseite wieder hinabgehen wollte. Die Bergpartie im Korbe mußte +ihm ein vierfach donnerndes Halt! zurufen, bis er stehen blieb. Also +stellte er den Korb auf das Gestein, die Insassen stiegen mit vieler +Umständlichkeit aus und rieben sich die Beine. Während Karl zurückblieb +beim Korb, suchte die Herrschaft den schönsten Aussichtspunkt, und +das würdige Oberhaupt erklärte die Fernsicht. Sie wäre furchtbar +hübsch, erklärte Frau Mama, während die Fräulein auf Steinblöcken +saßen und auf Ansichtskarten kritzelten, wie das reizend gewesen wäre +auf dem Hochstandel, ein junger schöner Mann habe sie alle zusammen +hinaufgetragen, oben hätten sie dann die Aussicht angesehen und einen +guten, reichlichen Imbiß eingenommen. + +Auch Frau Mama erinnerte sich daran, daß es Zeit wäre zum Imbiß, und +sie riefen den Karl, der hinter einer Felswand gelegen war, daß er mit +dem Korbe herüberkommen solle. Karl kam mit dem Korbe herüber, aber es +war nichts drinnen, als Reisig. + +»Wo ist der Pack mit den Speisen?« fragte die Dame. + +Karl schaute sie mit einigem Befremden an und antwortete: »Der Pack? +Der ist nicht mehr.« + +»Um Gottes willen, er war ja im Korbe!« + +»Ich habe ihn herausgetan,« sagte Karl. + +»So hole ihn!« + +»Er ist halt nicht mehr.« + +»Was ist mit ihm geschehen?« + +»Weiter nichts,« antwortete Karl, »aufgegessen habe ich ihn.« + +»Ungeheuer!« Ein vierfacher Schreckensruf war's, gräßlich genug, daß +Karl der Große vor Grauen umfallen konnte; aber er stand. Ganz ruhig +und schlicht stand er da und blickte so treuherzig drein, als ob nichts +geschehen wäre. + +Die Fräulein fielen den Eltern um den Hals und riefen: »Vater! Mutter! +Wir müssen Hungers sterben auf diesem Berge!« + +Nun war Karl schier verzagt und meinte, er habe nicht gewußt, daß das +Essen für die anderen wäre. Sie sollten aber nur rasch wieder in den +Korb steigen, daß er sie hinabbringen könne, bevor sie verhungerten. + +Na, das war doch klug! Und also ist es auch geschehen. Da die +Herrschaft glücklich in das Dorfwirtshaus zurückgekommen war und der +Papa den Karl nach dem Trägerlohn fragte, bedeutete der Große, es sei +nichts, es zähle sich nicht aus. + +Es waren sehr vornehme Leute aus der Stadt, und so gering waren sie in +ihrem Leben nicht geschätzt worden, als von diesem Schneider. + +Wenn Karl sechs Tage lang bei der Nadel gesessen war, wußte er am +Samstag nicht mehr, wohin mit seiner Kraft. Da fiel es ihm ein, daß +es eine ganz gute Erholung sein müsse, wenn er am Sonntag Steine +auf den hohen Standel tragen würde. Die Steine waren vom Berge ja +herabgekollert, weshalb sollten sie nicht wieder hinaufgetragen werden? +Als er jedoch mit seiner Ladung zu den Almen hinaufgekommen war, brach +der Kohlenkorb, und die Steine kollerten wieder talwärts. Als sie in +hohen Sätzen dahinsausten und bei ihrem Auffallen tief in den Boden +schlugen, daß hier Sand emporsprang, dort Funken aufstoben, erscholl +ein Schrei. Karl blickte hin und sah eine kleine Sennerin, die Gras +schnitt. Das Dirnlein war so niedlich und zart, daß die Arbeit nur mit +Mühe und Anstrengung von statten ging. Nun geschah es, daß Karl zu ihm +hintrat, aber nicht um die Kleine in den Sack zu stecken, sondern um +unter Stottern und Mühen zu fragen, ob sie sein Schatz sein wolle? + +Das Dirnlein antwortete natürlich, daß er ihr für einen zu viel sei, +und daß sie zwei nicht brauche. + +Als sie hernach in die Sennhütte ging, schlich ihr der Große trotzdem +nach. Aber als er zur Tür kam, da plagte es. Diese war nicht allein +viel zu niedrig, sondern auch zu schmal; er wand sich zwar hinein, +aber die Türpfosten ächzten. Drinnen stand er mit gebeugtem Haupte vor +der Kleinen, denn aufrecht stehend hätte sein Kopf durch die morschen +Bodenbretter ein Loch gebohrt hinauf in den Dachraum, wo er nichts zu +tun hatte. Also in demütiger Haltung fragte er sie noch einmal, und sie +antwortete ihm spottweise, ein Schneider sei ihr zu windig. + +Karl setzte sich ruhig auf einen Schemel, da knickte dieser ein, mit +zwei Füßen zugleich, und Karl der Große lag mit gekrümmten Beinen +ungefüg auf der Erde. Die Sennerin war ein gescheites Dirnlein und +dachte: Die schwersten Baumstämme können ihm nichts anhaben, und ein +armseliges Fußschemlein bringt ihn zum Falle. So steht es mit diesen +starken Männern. -- Sie foppte ihn weiter, da meinte er lächelnd, er +würde ihr noch einmal etwas Schlimmes antun, wenn sie so arg gegen ihn +wäre. + +»Hascherlein, was kannst denn du mir antun?« fragte die Kleine den +Großen. + +»Ich?« sagte er, »dieweilen du einmal auf der Wiesen bist, trag' ich +dir deine Hütten davon. Christel, was tust denn nachher, he?!« + +»Ja,« rief sie, »nachher lauf' ich dir mit einer Brennessel nach, bis +du die Hütten fallen laßt!« + +Karl schwieg. Vor Brennesseln hatte er immer Grauen empfunden, und er +beschloß, das Dirnlein nicht mehr zu reizen. + +»Nein, ich tu' dir nichts,« sagte er gutmütig, »mich kränkt es recht, +daß du mich nicht magst, aber tun tu' ich dir deswegen doch nichts.« + +»Da bist du wohl brav,« antwortete sie, »und hat auch der Elefant zur +Mücke gesagt, die lustig in den Lüften summt: Mückerl, fürcht' dich +nit, ich tu' dir nichts. -- Bist wohl brav, Karl!« + +Sie hat gesagt, ich bin brav. So mag sie mich ja. -- Mit diesem +tröstlichen und wirklich logischen Gedankenanflug stieg er vom Berge +herab. + +Als das Gerede umging, der Schneider Karl wolle heiraten, rief sein +Vater, das Meisterlein: »Wie soll denn der heiraten! Kann ja kein Weib +ernähren.« + +»Wer eins ertragen kann, wird auch eins ernähren können,« antwortete +der Pfarrer, der gegen Heiraten, Kindstaufen und Todesfälle selten was +einzuwenden hatte. + +»Er kann nichts als tragen, ziehen und schieben,« gestand der Vater. + +Hierauf ein Nachbar: »Das ist ja genug. Kann mein Ochse auch nit mehr +und baut mir doch den Acker an. Halt geleitet muß er werden.« + +Wie? Der Karl Oberbergbreitebner will sich beweiben? Da wollen wir +den baumstarken Kerl doch besser nutzen. Soldat werden! so sagt +die Militärbehörde. Vaterland verteidigen! sagt sie. In das Feld +marschieren! sagt sie. Der Recke hebt an zu zagen. Im Felde tun sie ja +schießen und stechen! Ist es nicht so? Tun sie im Felde nicht schießen +und stechen? Und wir sind ja in einer viel größeren Gefahr, als jeder +andere, weil wir sehr leicht zu treffen sind. -- Und da sage man noch +einmal, daß Karl nicht tiefsinnig denken könne! + +Drei Wochen war er bei den Soldaten, als endlich der Hauptmann laut +ward: »Mit diesem Lümmel ist nichts anzufangen! Er hat in keiner Montur +Platz und beim Exerzieren! Gott, beim Exerzieren ist er viel zu stabil. +Wo er steht, da steht er, und es bedarf zu vieler Kraft und Taktik, um +ihn in Bewegung zu setzen. Marschiert er, so marschiert er und findet +nicht leicht einen hinreichenden Grund, um nach rechts oder links +kehrtzumachen, oder gar stehenzubleiben. Wenn sich der alte Herkules +einmal pensionieren läßt, so mag der Karl Oberbergbreitebner angestellt +werden zum Weltkugeltragen -- bei den Soldaten können wir ihn nicht +brauchen.« + +Nun kam Karl wieder heim und klagte es seiner kleinen Sennerin: »Sie +sagen, sie könnten mich nicht brauchen.« + +»Das will ich doch sehen!« rief die Kleine, »spute dich zum Pfarrer +und sag', ich wollt' dich heiraten in vierzehn Tagen. Marsch!« + +Die Leute schüttelten den Kopf, und warum sollten sie es nicht, es +war ja der ihrige, und nicht der des kleinen Almdirndels, in welchem +besondere Pläne webten. Wer pachtete jetzt das Straßenhäusel am Fuße +des Sattelberges? Die kleine Christel pachtete. Wer vertröstete den +Eigentümer mit dem Pachte auf das nächste Jahr, bis man sich mit +dem Vorspannfuhrwerk Geld verdient haben würde? Die kleine Christel +vertröstete. Und wer hatte kein Pferd und keinen Ochsen, als er +Vorspann leisten sollte über den Sattelberg? Die kleine Christel +hatte nicht. Wer aber spannte den Kohlen- und Roheisenfuhrwerken +ihren jungen Ehemann vor über den Sattelberg? Die kleine Christel +spannte vor. Jawohl, die kleine Frau Oberbergbreitebner spannte den +Oberbergbreitebner vor, und der zog im Vereine mit Pferden und Ochsen +tapfer an; die Pferde und Ochsen waren höchst verwundert, einen +zweibeinigen Genossen an ihrem Gespann zu sehen, und sie mußten sich +sehr zusammennehmen, um von ihm nicht beschämt zu werden. + +Die Löhnung, welche Klein-Christel für solche Vorspann einzog, +berechnete sie auf zwei Pferdekraft, und sie begegnete damit keinem +Widerspruche. + +Hatte sie den Karl zu Hause, so hegte und pflegte sie ihn mit allem +Notwendigen, damit er gesund und stark bliebe. Er war ihr Kapital, und +Karl fühlte sich sehr gehoben, nun eine seiner Natur entsprechende +Tätigkeit gefunden zu haben. Christel mietete auch einen Acker, und da +konnte man sehen, wie sie hinten am Pfluge dreinging, ihn führte und +das Zuggespann mit Hi und Hott leitete. Das Zuggespann war ihr Karl. + +Also ging es nun in Eintracht und gemeinnütziger Wirksamkeit voran. +Da geschah etwas Unerwartetes. Zwischen dem Heimatsdorfe des Karl +Oberbergbreitebner, das Lehbach hieß, und dem Nachbarsorte Standelegg +war ein Streit ausgebrochen. Es lag nämlich zwischen diesen Orten +die kleine Gemeinde Hüttel, deren Insassen »lebendige Lehbacher +und tote Standelegger« waren. Mit ihren Kirchengängen, Hochzeiten, +Taufen, Geschäften usw. kamen sie nämlich nach Lehbach herüber, +ihre Leichen gehörten jedoch auf den Kirchhof des kleinen und näher +gelegenen Standelegg. Als durch die Gemeinde-Autonomie die Dörfer +zum Gebrauche ihrer Vernunft kamen, sagten die Standelegger: Wenn +die Hüttler lebendigerweise nach Lehbach neigen, so brauchen wir sie +auch toterweise nicht. Mit den Behörden ließ sich nichts anfangen, +die sagten, es habe zu bleiben, wie es bisher gewesen, und so sahen +die beiden Ortschaften, sie müßten die Angelegenheit unter sich +entscheiden. Mit Reden und Schreien ging es nicht, das hatten sie schon +erfahren; also schlug ein kluger Kopf vor, Lehbach und Standelegg +sollten durch Krieg entscheiden, wie Deutschland und Frankreich +entschieden hätten, nämlich tapfer miteinander raufen, und der Stärkere +sei der Sieger. Aber nicht etwa so dumm, wie es die Reiche machen, wo +ganze Völker aneinanderprallen und sich gegenseitig durch Mord und +Brand schreckbar zugrunde richten, sondern vielmehr so, daß jedes +der beiden Dörfer einen Mann auf den Kampfplatz schicke. Die beiden +hätten miteinander ohne Waffe, nur mit ihren natürlichen Gliedern +und körperlichen Fähigkeiten zu ringen, und der zuerst falle, dessen +Gemeinde sei die besiegte. + +Das wurde abgemacht. Also hielt die Dorfgemeinde Lehbach Umschau nach +ihrem stärksten Manne, und natürlich fiel die Wahl auf Karl den Großen. + +»Ja, ja,« sagte der, »ich tu's schon. Will schon raufen.« Tat aber +weiter nichts desgleichen, als ob die Wahl ihn freue oder aufrege, und +ganz gleichmütig trottete er an dem bestimmten Tage auf den Kampfplatz. +Siegte Karl, so gab es in der Zwischengemeinde Hüttel wie bisher +lebendige Lehbacher und tote Standelegger. Siegte der von Standelegg +gesandte Streiter, so sollte Hüttel fürderhin auch bei lebendigem +Leibe, mit seinen Kirchgängen, Hochzeiten, Kindstaufen und Geschäften +den Standeleggern zu eigen sein. Der Standelegger Kämpfer war ein ganz +gefüger, flinker Tischlergeselle, mit dem ein Karl Oberbergbreitebner +Fangball spielt. Aber bevor die hellen Haufen der Zuschauer und Zeugen +sich noch recht versammelt hatten, lag der Karl schon im Sande, der +Tischlergeselle saß festgeklammert auf seiner mächtigen Brust und +zündete sich eine Pfeife an. + +Der Karl blieb ganz ruhig liegen und horchte gelassen dem Geschrei +der Menge, die ihn verlachten und den Gegner bejubelte. Erst als +Klein-Christel kam, ward es anders mit ihm. Totenblaß im Gesichte, +leise flüsternd befahl sie, daß er aufstehe. Also begann er mit +Händen und Füßen Anstalten zu treffen, daß er sich erhebe, und schon +nach drei Minuten war es so weit, daß die Kleine den Großen vor sich +hertreiben konnte gegen das Straßenhäusel. Die lebendigen Hütteler +waren für Lehbach verspielt, alle Schmach entlud sich über das arme +Straßenhäusel, und es schien kein Mittel mehr zu geben, die Ehre des +Großen wieder herzustellen. + +Da kam ein schwerer Winter. Der Schnee lag mannshoch in der Gegend und +alle Wege waren geschlossen. Seitdem die lustigen Hütteler nicht mehr +nach Lehbach kamen, ging es hier recht langweilig zu und man tröstete +sich nur mit dem Gedanken, daß sie bei dem großen Schnee auch nicht +nach Standelegg gehen könnten; sie waren eingemauert in ihrem Dorfe +Hüttel. Es nahten die Faschingstage. Zu dieser Zeit sagte eines Tages +Klein-Christel zu ihrem Großen: »Karl, mach' dich auf und geh' hinüber +nach Hüttel. Geh' heute hinüber und morgen wieder zurück.« + +Karl fragte nicht warum; er verzehrte eine weite Schüssel Heidenbrei, +dann ging er nach Hüttel. Der Schnee reichte ihm bis an die Brust, der +Karl schob sich langsam voran und hinter ihm her war ein Hohlweg. Am +nächsten Tage kam er wieder zurück, und hinter ihm her zog eine lange +Reihe faschingslustiger Hütteler, Männlein und Weiblein, die bei dem +frischgetretenen Pfad nach Lehbach eilten, um im Wirtshause zu tanzen, +zu essen, zu trinken und beim Kaufmann Lebensmittel einzukaufen. + +Nun erst merkten die Leute von Lehbach, was Karl der Große als +Schneepflug bedeutete, und als solchen mieteten sie ihn von +Klein-Christel, so oft im Winter die Pfade verschneit waren zwischen +Lehbach und Hüttel. Also gewöhnten die Hütteler sich neuerdings an +Lehbach, sie waren wieder »lebendige Lehbacher und tote Standelegger.« + +Klein-Christel konnte sich wieder freuen an ihrem Karl; ihr Ansehen und +der Wohlstand ihres Hauses wuchs. Sie wäre in der Lage gewesen, eine +junge Familie zu ernähren, allein diese war nicht da und kam nicht, und +es ist jammerschade, daß weder die kleine, fleißige und kluge Christel, +noch der große Karl fortgepflanzt werden. Die Zukunft könnte beide +brauchen, und zwar zusammen vermählt; mit Klugheit allein, oder mit +Kraft allein läßt sich doch nicht viel machen. + + + + + Der Fischer im Olymp. + + +Dort, wo der Wildgarten des Schlosses an die Landstraße stößt, neben +dem Einfahrtstor, steht eine Steingruppe von Ungehörigkeiten aus der +griechischen Mythologie. Die größten Auswüchse der Phantasie sind schon +wiederholt durch Steinwürfe weggeschlagen worden, allein der Schloßherr +steift sich auf das alte Herkommen und läßt die verwundeten Arme, Beine +und Nasen allemal wieder herstellen. + +Unter dieser alten weltmunteren Sandsteingruppe nun saß ein Bettelmann. +Er saß jahrelang dort, immer nur an sonnigen Tagen, er saß auf dem +Sockel, er saß sogar manchmal der einen Göttin auf dem Schoß und lehnte +sich rückwärts an den schönen Busen, der allerdings nicht ganz so lind +war, als der Künstler ihm mit kundigem Meißel den Anschein gegeben. +Der Bettelmann trug stets ein weites blaues Beinkleid und einen gelben +Pelzmantel, wie man sie bei ungarischen Schafhirten sieht, ferner hatte +er ein grellrotes Tuch um das Haupt gewunden, ähnlich wie die Türken +ihren Turban tragen; die Füße hielt der Mann in braune Lappen gewickelt +und mit grünen Bändern umwunden. Das Gesicht war nicht fahl und nicht +mager, war vielmehr rosig und rundlich und hatte zwei ungleiche Augen. +Das eine gutmütig ausblickend, das andere verwulstet und mit manchmal +zuckenden Wimpern, hinter welchen sich Schelmerei zu verstecken schien. +Zur Zeit, als ich den Mann das erstemal sah, mochte er etwa fünfzig +Jahre jung gewesen sein. Ja, es war eine Jugend und Frische in ihm, die +Straßenbettler, wenn sie tatsächlich ein wenig davon haben, sonst nicht +hervorzukehren, vielmehr zu verstecken pflegen. + +Da er hoch auf dem Sockel der Götter saß, so hatte er an einer langen +Stange ein Binsenkörblein, das er dem Wanderer entgegenhielt, ähnlich +wie der Fischer seinen Angelstab niedersenkt. Gab es nichts, so +zog er seine Angel ruhig wieder ein, lehnte sich an die Götter und +wartete. Witzige Leute nannten ihn den Fischer im Olymp. Ich, der +wöchentlich ein paarmal des Weges zu gehen hatte, warf ihm fast allemal +einen Pfennig in das Körbel, nicht etwa, weil dieser Bettelmann so +erbarmungswürdig aussah, als vielmehr weil er stets ein so heiteres +Gesicht machte. Manchmal aber, wenn das bartlose Rundgesicht gar zu +heiter und aufgeweckt dreinsah, dachte ich: Na, schenk' lieber du +~mir~! und ging zugeknöpft vorüber. + +Man wunderte sich, daß dem Manne die Polizei gelassen zusah, allein +diese hatte diesmal Humor und meinte, fischen sei nicht betteln und es +möge sich erst der beschweren, dem der Fluß gehöre. Der sickernde Fluß +der Wanderer aber gehört Gott dem Herrn, und der läßt alle Fischer und +alle Wilderer gewähren. Auch der Schloßherr fand nichts einzuwenden +gegen eine Gestalt, die den Eingang in seinen Park so wunderlich +schmückte. Er war ein Freund heiterer Gesichter und sagte, ein so +glücklich munteres Antlitz gäbe es in seinem ganzen Schlosse nicht. +Auch er warf dem Fischer manche kleine Münze in das Binsenkörbchen. +Anfangs soll ein hoher Herr mit teilnahmsvoller Gebärde mehrmals einen +Taler hineingelegt, damit aber den Bettelmann erzürnt haben. Er lasse +sich nichts schenken! sagte der Fischer, zerteilte die große Münze in +mehrere kleine und spendete sie den Armen. + +Bei schlechtem Wetter war er nicht vorhanden. Die liebe Sonne genoß er +mit den Olympischen gemeinsam, in Sturm und Regen ließ er sie allein +stehen mit ihren verrenkten nackten Gliedern. Es fragte auch weiter +niemand nach ihm, oder vielmehr, ich horchte nicht danach aus. Mir aber +-- und das ist seltsam genug! Ging ich auch, wenn er oben saß, fast +gleichgültig vorüber, wenn er nicht oben saß, war mir geradezu bang um +ihn. Dem Wege fehlte der Sonnenschein des Bettlerangesichts. Er wird +doch nicht unpaß sein? Wo er nur wohnt? Was ihn doch verhindern mag, +daß er heute nicht fischt? Was mag der Mann nur eigentlich gewesen +sein, ehe er sich in den Olymp versetzte? Man sprach einmal davon, +daß er in der Stadt Häuser besäße; das glaubte ich nicht, denn dann +hätte er die Taler eingesteckt. -- Demnächst war er doch wieder da mit +seinem gelben Schafspelz und seinem roten Turban, und kein Engländer +kann geduldiger am Bache angeln, als da oben der Bettler auf die +kleinen Almosen wartete. Ein paarmal wollte ich ihn ansprechen; in dem +Augenblick, als mein Fuß über den Straßengraben stieg, neigte er sich +seithin, und sein Gesicht nahm einen unguten Ausdruck an. Da ließ ich +ihn einsam sitzen auf seinem Thron und ging den kümmerlichen Geschäften +des Tages nach. + +Nun war es eines Tages, daß vor mir ein barfüßiger Handwerksbursch die +Straße dahinpatschte und unterwegs in der hohlen Hand mißmutig die +Münzen besah, die er an dem Tage erfochten haben mochte. Eine schien +dabei zu sein, die ihm nicht gefiel; war es nun ein schweizerischer +Pfennig, der hierzulande ungültig ist, oder war es ein messingener +Hosenknopf, der ebenfalls ungültig ist, ich weiß es nicht. Ich sah nur, +wie der Handwerksbursch, als er zur Stelle kam, wo an der Steingruppe +der Fischer saß, diesem zwar nichts in das Körbel warf, hingegen +aber die Münze in die Luft schleuderte, dem Bettler zu. Der wollte +die metallene Mücke abfangen, glitschte dabei aus und fiel in den +Straßengraben herab. + +Ich eilte hinzu, um ihn aufzuheben, er wartete aber nicht auf mich, +erhob sich gelassen und murmelte: »Das härteste Bett wäre es nicht« +(denn es war weicher Lehm und langes Gras im Graben). »Und so kurz, wie +die Bauernbetten ist es auch nicht.« (Denn der Straßengraben war viele +Meilen lang.) + +»Warum Ihr nur nicht liegen geblieben seid in dem guten Bett!« sagte +ich laut, um eine Anrede zu haben, und machte dabei mein Gesicht +lachen, daß er sah, es wäre nicht bös gemeint. + +»Warum?« fragte er entgegen, »weil es noch zu früh ist zum +Schlafengehen. Muß ja erst den Gruß und Kuß aufsuchen, den mir der Herr +Vagabund zugeworfen hat.« + +Und er begann auf dem Boden umherzulugen, rechts und links und vorn und +hinten, und das Geldstück war nirgends. Als er wieder hinanstieg zu den +Himmlischen, rief er plötzlich: »Aha, jetzt hebt die auch an!« denn der +schweizerische Pfennig lag auf dem Schoß der sitzenden Aphrodite. Dann +hub er hell an zu lachen: »Der soll nur liegen bleiben drin, das ist +ein Falscher! O Schand und Spott!« + +Ich wollte den angeknüpften Verkehr nicht sogleich wieder abgebrochen +wissen, daher bat ich den Bettelmann, daß er mir den Schweizerischen +schenke. + +»Wenn du ihn selber herausnehmen willst!« antwortete er mit komischer +Miene und drückte fast beide Augen zu. »Ich hab' jetzt nicht Zeit, ich +muß lachen. Ich muß lachen über des Vagabunden guten Witz, ha ha ha!« + +»Wenn ich auch so herzlich lachen könnt'!« war meine Bemerkung, denn +jetzt wollte ich um jeden Preis mit ihm anbinden. + +»Kannst nicht?« sagte er, stieg nieder und hub an, mit seinen kurzen +Fingern unter meinem Kinn herumzukrabbeln, »da muß man dich halt +kitzeln -- lach, lach, lach!« + +Da lachte ich wirklich, sagte aber: »Lasset das. So ein Lachen tut +weh.« Denn ich hatte gerade meinen sauren Tag. + +»Du bist gewiß einer von solchen, denen das Flennen lustiger ist, als +das Lachen!« + +»Wenigstens wäre jenes eher am Platz, als dieses. Wie es zugeht in der +Welt!« + +»Wie geht es denn zu?« fragte er, dieweilen er sich wieder auf seinen +Sitz schwang, die Stange mit dem Binsenkörblein zur Hand nahm und über +die Stange hinausblickte. + +»Ihr seht es doch!« sprach ich, den falschen Pfennig betupfend, »falsch +im kleinen, falsch im großen, alles falsch, alles Betrug.« + +»Mich betrügt keiner,« antwortete er, machte die Augen auf und schaute +so kühl über mich hinweg, als ob ich Luft wäre. + +»Ich wollt Euch um etwas gebeten haben,« so wand ich jetzt ein. + +»Gebeten? Du bitten? Du mich?« Sein Gesicht leuchtete auf wie Werg, an +das man mit dem Zündflämmchen gefahren. + +»Ich wollt Euch gebeten haben um ein Stück Brot.« + +Nun schaute er mich forschend an. Mein Stadtherrengewand, das keinen +Flicken und keinen Riß hatte, wollte ihm nicht recht stimmen zu dieser +Bitte. Daß ich eigentlich nur um ein Stück geistigen Brotes bat, um ein +warmes Menschenwort, um einen Funken seines frohen Wesens, er konnte +das freilich nicht wissen. + +Sein Antlitz war ernst geworden, und völlig gedämpft sagte er: »Wenn +du Hunger hast, dann ist's freilich nicht zum Lachen. Auch nicht zum +Weinen. Dann ist's zum Essen. Schau! daß du so spät daherkommst! Vor +einer Stunde hätte ich noch einen Apfel und eine Traube gehabt. Ich +trage mir des Morgens mein Essen allemal im Körbel mit hierher. Jetzt +müssen wir was anderes suchen gehen. Aber es ist nicht weit.« + +»Wohin denn?« + +»Nach Hause.« + +Um so besser, dachte ich. Meine Obliegenheit war an diesem Tage +vollzogen, ich hatte Zeit, auf Abenteuer auszugehen. Man kennt ja das, +mit diesen Professionsbettlern! In Paris war einer, der dreißig Jahre +lang mit verkrüppeltem Leib und in armseligen Lumpen an der Pforte +von Notre-Dame saß. Abends nach Hause gekommen, zogen ihm täglich +livrierte Diener die Saloneleganz an und dann ging's mit lustigen +Freunden und Freundinnen zur Tafel, bei der man mit Champagner anfing +und aufhörte mit was weiß ich. -- Zu Madrid in Spanien soll es sogar +eine Aktiengesellschaft auf Bettler geben. Die Krüppel, Kretins und +Aussätzigen sind Kapital und Produktion zugleich. Sie werden im Volke +zusammengekauft, entsprechend auf günstige Plätze verteilt, der +Impresario leitet die Geschäfte, nimmt des Abends die Einnahme in +Empfang, und führt sie wohlverbucht in die Hauptkasse ab, während die +Bettler in ihren Pensionen standesgemäß verpflegt werden. + +Derlei ist mir eingefallen, als ich dem Manne folgte, der, in seinem +langen Pelz, über der Achsel die Stange, hastig vor mir hinlief, +dem Dorfe zu. Er war viel kleiner, als er auf seinem Stammsitze +aussah, seine in Lappen gewickelten Füße huschten lautlos dahin. Den +Dorfleuten, die uns, ohne zu grüßen oder gegrüßt zu werden, begegneten, +schien er eine gewohnte Erscheinung zu sein, um so verwunderter +betrachteten sie mich, der hinter dem gelben Pelz dreinlief. Durch +einen großen Bauernhof ging der Weg, hinaus in einen Obstgarten, +dort zwischen Busch und Baum stand die Klause. Ursprünglich mochte +sie als Hüterhaus gedient haben, jetzt war sie die Wohnung meines +Götterlieblings. Im Stübchen ein Tisch, ein Stuhl, ein Kasten, ein +Ofen, ein schmales kurzes Bett, ein Buch und ein Kerzenleuchter. Durch +ein helles Fenster strömte Licht auf diese Herrlichkeiten. + +Sogleich öffnete mein Gastherr den Kasten, begann mit weißen Linnen den +Tisch zu decken, einen kleinen zierlichen Kübel mit Butter, einen Laib +Brot und ein Salzfäßchen herzurichten. + +Ich fiel ihm in den Arm: »Nein, mein Lieber, so ist es nicht gemeint. +Ihr habt, wie ich sehe, hier die Bibel, und da drin steht's, daß der +Mensch nicht allein vom Brote lebt, sondern auch vom Worte. Ihr sollet +mir zuerst hübsch verzeihen, daß ich falsch, wie die Welt schon einmal +ist, mich an Euch gemacht habe und sollet mir dann etwas sagen.« + +»Aber essen wirst du doch etwas!« rief er besorgt. + +»Ich sehe Euch nämlich schon seit Jahr und Tag an der Straße sitzen und +Almosen heischen,« begann ich. + +»Da siehst du ganz richtig,« antwortete er. + +»Und nun möchte ich gerne wissen -- nein, es wird doch nicht gehen. Ihr +werdet böse sein, -- und Euch beleidigen? Nein.« + +»Du mich beleidigen?!« fragte er mit langgezogenem Tone und blickte +mich dabei mitleidig, aber sehr überlegen, mit halbem Auge an. »Du +armer Narr!« + +»Nun gut. Ich möchte nämlich gerne wissen, warum Ihr bettelt.« + +»Warum ich --? Ha ha ha? -- warum ich bettle?« fuhr er lustig drein. +»Sage mir doch, warum du Luft schöpfest! Sage es mir doch!« + +»Ihr seid gesund und stark wie einer. Ihr habet da ein gutes Brot, man +sieht ihm's an, daß es Euch schmeckt. Aber würde es nicht noch besser +schmecken, wenn Ihr es Euch verdient hättet? -- Mit Arbeiten --« + +Jetzt trat er ein paar Schritte zurück, zog über der Brust seinen Pelz +zusammen, legte die Arme darüber, schaute mich mit seinem munteren +Gesicht herzlich mitleidig an und sprach: »Jetzt hast es gesagt. Jetzt +hast es gesagt, das große Wort. Und wenn die sieben Weltweisen sieben +Jahre lang dran studiert hätten -- besser hätten sie es auch nicht +sagen können. -- Arbeiten!« + +»Na, ich meine nur ...« + +»Arbeiten!« rief er aus, und seine Züge verzogen sich wie im Schmerze. +»Aber Freund, arbeiten tut ja weh! Schwitzen! Pfui Teufel! Schau her, +das steht auch in diesem Buche: Im Schweiße deines Angesichtes sollst +du dir dein Brot verdienen, weil du gesündigt hast!« + +»Nun, da habt Ihr es.« + +»Ich ~habe~ aber nicht gesündigt!« rief er frisch und munter aus. +»Ganz unschuldigerweise bin ich auf die Welt gekommen, hab's nicht +betreiben und nicht hindern können. Zuleid' hab' ich auch niemand etwas +getan, außer daß ich meiner Kindsfrau in den Finger gebissen haben +soll, weil sie mir statt der rechtmäßigen Muttermilch Kuhmilch in den +Mund schmuggeln wollte. Denn ich glaube schon mit Zähnen geboren worden +zu sein. Und da soll man kein Naturrecht haben aufs Essen? Da soll +man sich ein solches Recht erst durch allerlei Anstrengungen erwerben +müssen? Tu' mir den Gefallen, Kindskopf, und glaube das nicht.« + +»Ihr zieht es also vor, andere für Euch arbeiten zu lassen.« + +»Jetzt wirst du bitter, mein Freund,« sagte er gutmütig. »Und das +taugt wieder nicht. Ärger ist kein kleineres Unrecht, als Arbeit. Ich +will niemand verleiten, und ich habe all meiner Tage keinem Menschen +befohlen, für mich zu arbeiten. Siehst du es denn nicht? die ganze Welt +ist voller Tiere, alle sind frisch und munter, und kein einziges ist so +dumm wie der Mensch, und arbeitet. Arbeiten die Menschen für sie? Lasse +diese zweibeinigen Herrschaften nur erst aussterben, dann arbeitet +niemand mehr, und die Welt wird doch voll Leben sein.« + +Als ich in das Häuschen getreten, hatte ich nicht gedacht, in wenigen +Minuten hier vor einem hohen Herrn zu stehen. Nun sah ich's, das war +einer. Das war einmal ein anderer, als die gewöhnlichen sind. Um ein +Stück Brot war ich gekommen. Er gab ein großes. Ob es auch nahrhaft +war, das sollte sich zeigen. Im ersten Augenblick fühlte ich mich +schier betäubt. Wie? das Tier arbeitet nicht und lebt doch? Und +glücklicher als der Mensch, gerechter, schuldloser? + +Es ist naturgemäß, nicht zu arbeiten. + +Diesen Gedanken hatte ich noch nie gedacht. + +Während ich noch befangen war, begannen sie heranzukommen. Zuerst +die krabbelnde Ameise: »Es ist nicht wahr! Wir arbeiten.« -- Dann +die summende Biene: »Verleumdung! Wir arbeiten!« Dann der Biber, die +Spinne, die Vögel, die Schlangen und andere in langen Reihen, und alle +riefen pfeifend, piepsend, gröhlend, knurrend, bellend, krähend: »Wir +arbeiten! Wir arbeiten!« + +Ich sagte es dem Bettler. Er lächelte freundlich und sprach: »Mein +viellieber Gast! das weiß ich ja, daß der Maulwurf wühlt. Aber denke +an, zwischen Arbeit und Arbeit ist eine breite Straße. Bin ich ein +Müßiggänger? Nein, ich bin ein Bettler. Ich gehe aus, um zu sammeln. +Ich strecke meinen Stab aus, um Gaben in Empfang zu nehmen, ich +trage sie nach Hause, die Münzen setze ich in Lebensmittel um, die +Lebensmittel bereite ich zu, bewahre sie auf, achte, daß sie nicht +verderben. Ist das Arbeit? Nein, es ist Tätigkeit. So betätigt sich +freilich auch das Tier. -- Aber ich mache keine Arbeit, die anderen +zugute kommt, solchen, die nicht arbeiten, die faulenzend in Prunk und +Hochmut das genießen, was andere erworben. ~So~ arbeite ich nicht.« + +»Das ist eben eine menschliche Erfindung,« sagte ich. + +»Nein, eine teuflische!« rief er. Da war er erregt. + +»Tätigkeit und Arbeit, den Unterschied kennt man,« sagte ich. »Pflügen +und Säen ist Arbeit, ernten ist nur Tätigkeit. Ihr, lieber Bettelmann, +habt Euch für die letztere entschieden.« + +»Und das ist das Richtige!« fiel er ein. »Nicht arbeiten, nur sammeln. +Die Natur, wenn sie gesund ist, produziert mühelos ihre Früchte aus +sich selbst. Arbeit ist Sünde gegen die Natur. Töte mich, wenn's nicht +wahr ist.« + +»Ich töte Euch nicht,« darauf meine Entgegnung, »denn Ihr müsset mir +vorerst noch Antwort geben, Ihr wollet also nicht für andere arbeiten?« + +»Nein.« + +»Aber andere sollen für Euch arbeiten?« + +»Schaf Gottes, wer sagt denn das?« rief er aus. »Ich sammle ja nur +Brosamen. Sie geben mir doch nur das in den Korb, was sie zu viel +haben, was sie verstreuen wollen. Sie tun's nicht aus Barmherzigkeit, +sie tun's, weil ihr Überfluß in ihnen das Bedürfnis gezeitigt +hat, Abfälle zu haben, armen Kreaturen manchmal etliche Brocken +hinzuwerfen. Sie sollen nur geben. Dankbar müssen sie sein, daß sie +geben dürfen.« + +»Wie kann man bei so hartem Urteil über die Menschen ein so heiteres +Auge haben?« fragte ich ihn. + +»Junger Freund,« antwortete er, »das kann man, wenn man fertig ist. -- +Glaubst du: daß meine Mutter mich als Bettler geboren hat? Meine Wiege +war der Reichtum, lieber Mensch! -- Das, was ich heute bin, habe ich +selbst aus mir gemacht!« Im stolzen Tone des Emporkömmlings waren diese +Worte gesprochen. »Aber viel braucht's, bis man es so weit bringt!« +fuhr er fort. »Viele Jahre lang, o meine schönste Lebenszeit, habe ich +mich vom Besitz knechten lassen. Man glaubt sein Leben zu schmücken, +und man belastet es nur. Die tausenderlei Dinge und Dingeln, die an +den Reichen sich kletten, ein abscheulicher Ballast! Man kann nicht +weiter, man kann nicht hinan, man ist ein Sklave und trägt die schwere +Kette nur deshalb mit Gier, weil sie von Gold ist, und ist ein durch +und durch lumpiger Lump. -- Du hast gewiß Bekanntschaft mit reichen +Leuten. Nun also. Ich war auch so einer. Betrachte ihr dummes Leben, +und du hast das meine vor Augen. Aber endlich, als mir übel war aus- +und inwendig, gerade schon auf dem Punkt, wo die Besseren sich zu +töten pflegen, erwachte in mir der Egoismus. Hol's der Teufel! dachte +ich, und schmiß den ganzen Krempel von mir. Es war eine wanstige +Ledertasche.« -- + +Als er nicht weiter sprach, fragte ich: »Was war mit dieser +Ledertasche?« + +»Ins Wasser hab' ich sie geworfen.« + +-- Man spricht auch bildlich so, aber bildlich war's nicht gemeint. +Eine Stunde unterhalb der großen Stadt, in den Auen. Genau hat er den +Platz bezeichnet, wo er seine Papiere, im Werte von mehr als einer +Million Gulden, in die Donau geworfen hat. + +»Ihr seid nicht klug!« + +Er klopfte mir auf die Achsel: »Das muß ich besser wissen.« + +»Das mag ja sehr philosophisch sein, aber gut ist es nicht.« Also mein +überlegener Einwand. »Ein guter Mensch hätte das Vermögen, anstatt ins +Wasser zu werfen, einem Armen geschenkt.« + +»Der wäre davon ja reich geworden, du Tropf!« rief der Bettler. »Ich +habe mir ohnehin nachher Vorwürfe gemacht. Wie leicht konnte die +Ledertasche aufgefangen werden und in Menschenhände kommen. Gift wirft +man nicht ins Wasser.« + +»Ihr hättet das Vermögen ja an ~tausend~ Arme verteilen können.« + +»Du hast leicht reden,« entgegnete er darauf. »Du bist sicherlich nicht +aufgewachsen unter der Torheit der Million. Wäre ich damals weise +gewesen, so hätte mir das Geld nichts angehabt. Ich habe nur gesehen, +daß das Geld mein Unglück ist, so habe ich gemeint, es müßte auch +das Unglück anderer sein. Und ob's nicht denn doch so ist, sage es, +Mensch. Glaubst du nicht auch, daß dir geschenktes Geld zuwider ist? +daß es dich verwüstet? daß dich nur der Besitz freut, den du dir selber +erworben hast?« + +»Und so spricht ein Mann, der an der Straße sitzt und bettelt?« + +Er sprach: »Das verstehst du nicht. Die Pfennige, die ich bekomme, +sind ehrlich erworben. Halte ich doch die Stange hinaus! Sage ich doch +mein Vergeltsgott dafür! Der Taler, wenn er in den Korb fiele, wäre +geschenkt. Ich lebe von Pfennigen, begleiche meinen Wohnungszins, nähre +mich, kleide mich, bin niemandes Herr, niemandes Knecht, und stärker +wie der König.« + +»Das wäre!« + +»Ja, das ist,« fuhr er lustig fort. »Der König hat ein großes Heer und +muß immer noch fürchten, daß ihm der Feind etwas wegnimmt. Mir kann +niemand was wegnehmen.« + +Ich langte wie raubend nach dem Butterkübel. + +»Ha ha ha, sie gehört dem Hausherrn!« lachte er, »sie ist noch nicht +bezahlt. Und deswegen, Freund, muß ich wieder ans Tagwerk.« Er langte +seinen Korbstab vom Winkel. + +Ich hielt ihm die Hand hin: »Hat mich gefreut, endlich einmal die +Bekanntschaft eines Glücklichen gemacht zu haben.« + +Er wendete sich rasch um, als ob der, zu dem ich sprach, hinter ihm +stünde. + +»Ein Glücklicher -- wo?« fragte er wie verblüfft. »Solltest du mich --? +Ja, ja, es geht mir soweit gut, aber glücklich bin ich nicht. Du siehst +es ja.« Er deutete auf seine Lagerstätte. »Viel zu kurz. Ich bin fünf +Schuh lang, und der Trog vier. Was kannst machen? Bei den Bauern findet +man's nicht anders. Man grübelt nicht weiter, klappt sich zusammen und +gut ist's.« + +Ich sah es wohl ein. Auf sechs Schuh langen Erdenraum hat sogar der +Tote Anspruch, und dieser Lebendige besaß ein Drittel weniger. Er hätte +vielleicht nur das Fußbrett ausstoßen müssen .... + +So nahe ist mancher Mensch seinem vollkommenen Glücke. Aber er stößt +das Brett nicht durch. -- + +Als wir selbander die Straße dahingingen, begegnete uns der Schloßherr, +er fuhr vierspännig und grüßte den Bettelmann mit einer Handbewegung. +Dieser dankte »von oben herab«. Dann blieb er stehen, schaute ihm nach, +schüttelte den Kopf und murmelte: »Armer Bruder! Das Kamel hat vier +Beine, und du hast achtzehn. Und kannst nicht gehen. Denn du fahrst +ja.« + +»Sagt Ihr auch zu dem ~du~?« meine Frage. + +»Ha ha ha! das ist der erste gewesen, den ich geduzt. Zu den Eltern +hat man damals Sie gesagt. Welche Narrheit. Aber die Geschwister +untereinander ... immer du.« + +Er war zur Stelle. Ohne weiteres kletterte er mit guter Übung an den +steinernen Statuen empor, setzte sich in den Schoß der Aphrodite und +streckte den Stab mit dem Binsenkörbchen aus -- nach mir. + +Ich reichte dem Bruder des Schloßherrn zwei Pfennige und schritt +nachdenklich meines Weges. + + + + + Der Geistbrenner. + + +Wer einmal fünfzig Jahre lang Zeuge des Weltlaufes gewesen, bei dem +müßte sich, so sollte man meinen, der ganze innere Mensch geändert +haben. Alles ist ja so unerhört anders, als man's in der Jugend +gesehen, geträumt hat. Die lange Reihe von Hoffnungen, Überraschungen +und Enttäuschungen, von Freuden und Qualen, von Entwickelungen und +Verwickelungen und Lösungen, bei denen immer wieder alles erwartet +wird und immer wieder nichts herauskommt: diese Reihe von großartig +aufgedonnerten Nichtigkeiten müßte ein denkendes Wesen doch endlich +gleichgültig machen, in den Zustand jenes Träumenden versetzen, +der bei keiner Feuersbrunst mehr aufschreit, bei keinem Sturz mehr +zusammenzuckt, weil er in seinem Halbschlummer weiß: es ist doch nur +ein Traum. + +Jawohl, wer fünfzig Jahre lang am sausenden Webstuhl der Zeit steht, +der müßte es endlich doch weghaben, wie die Fäden geknüpft, geschlungen +und die Knoten wieder gelöst oder zerhauen werden. Er müßte sehen, +daß jeder, der da mit hineingewoben wird, eigentlich gleich gut daran +ist, ob sein Faden nun geradeaus oder querüber läuft. Ein Kreuz +bildet's immer. Der mitverwobene, mit den übrigen Fäden ringende und +sich verklemmende, auf andere Fäden sich stützende, in andere Fäden +sich bergende und doch für sich ein freier selbstsüchtiger Ichfaden +sein wollende Hascher und Haber leidet ganz verzweifelt. Einer, der +sich als von außen Sehender fühlt, ändert sich im Lauf seines Lebens. +Der Haschende und Habende ändert sich nicht. Der ist lediglich Stoff, +der nach gemeinsamen Naturgesetzen steigt und fällt, sich physisch +ausdehnt, chemisch verbindet und nicht anders als ein Klumpen Erde +mittun muß in dem Kessel, aus dem ewig die Blasen steigen und in +dem der Bodensatz in die Tiefe sinkt. Die Haschenden und Habenden, +sie sind es, die den Kampf ums Dasein mit demselben trostlosen +Stumpfsinn ringen wie der Wurm und die Milbe und die Eintagsfliege. +Die Haschenden und Habenden, sie sind für sich nichts; erst wenn sie +sich mit Gleichartigem, mit der Stoffmasse verbinden, scheinen sie +etwas zu sein, wenigstens so viel, daß sie sich selbst genügen. Sie +schauen nicht, sie denken nicht, sie sind bloß, wie ein Schwammtier +oder ein Weichtier ist. Diese rein materiellen Menschen sind eigentlich +das Unschuldigste, was es geben kann; sie sind ja halb unbewußte +Wesen; sie dämmern so hin im Verdauungsschlummer, als ob sie zu viel +gefressen hätten, oder sie greifen instinktiv immer und immer mit +ihren Fängern aus wie Seetiere, die alles, was sie erhaschen können, +einmal an sich ziehen, wenn sie auch, längst übersättigt, alles wieder +fallen lassen müssen. Die Hascher und Haber, diese Ärmsten! Und diese +Glücklichen! Weil sie ja so kurzsichtig sind und so tief in ihren Tag +hineingebettet, daß sie keine Ahnung haben von den ewigen, glühenden, +göttlichen Dingen, die den Schauenden nimmer zur Ruhe kommen lassen. + +Der reine Stoffmensch ändert sich nicht durch ein Erleben; er ist als +Greis innerlich derselbe, der er als Kind gewesen, wenn auch nicht +immer ein Habender, wohl aber immer ein Haschender. Er denkt nicht weit +genug, um sich zu fragen, wie er die erhaschte Beute nutzen werde; +er denkt kaum daran, welchen Wert sie für ihn hat; er lebt in der +dämmernden Vorstellung dahin: Das gehört mir! Es ist ein Versunkensein +in die Stoffwelt, ein fast friedlicher Schlaf. Aber der Schauende wird +anders bis in seinen späteren Tagen. Er mag in der Jugend von den +Sinnen zum Stoff hingezogen worden sein; aber als ihm das Auge aufging, +trat er ein wenig zurück von dem sausenden Webstuhl, um nicht in das +grobe Tuch der Menge mitverwoben zu werden. + +Was da aufsteht, das wird von der Menge mit Jubel begrüßt, was +hinfällt, mit Schreck und Klage bestattet. Der Schauende jubelt +nicht, erschrickt nicht und klagt nicht. Er weiß: diese Schürzungen +und Lösungen sind selbstverständliche Vorgänge am Webstuhl. Er sieht +den Wandel und Wechsel im kleinen, er empfindet mit, wie die einzelne +Kreatur vergehend aufschreit: Ich sterbe, jetzt ist alles aus! Und +doch ist nichts aus; alles flutet im gleichen mächtigen Lebensstrom +weiter dahin und der Lebensstrom ist und bleibt so urfrisch wie am +ersten Schöpfungstage. -- Dieses Sehen hat den Schauenden verwandelt. +Er war Stoffwesen und ist ein vergeistigter Mensch geworden; er steht +gleichsam außerhalb des Schlagbalkens, der die Fäden aneinanderstößt; +er schaut vergnüglich dem Weber zu. Aber wenn er ihn fragt: »Meister, +wozu das viele Tuch, das du webest und auf die Rolle windest?«, so +bekommt er keine Antwort. + + * * * * * + +Vor etlichen Jahren war ich eines Tages an der Reichsstraße in eine +Hütte eingekehrt. Eine armselige Hütte, in deren Mauerspalten Gras +keimte. An der schiefwinkligen Tür, deren Fugen mit Moos verstopft +waren, klebte ein Blatt Papier, auf dem in ungefüger Handschrift die +Worte standen: »Hotel zum Napoleon«. In der Hütte saß ein alter Mann in +einem Zwilchkittel, aber barfuß. Er hatte einen schönen weißen Bart, +einen Holzblock zwischen den Händen und stampfte im Bottich Vogelbeeren +ein. Meine Anfrage, ob ich während des Gewitterregens in seinem Haus +Unterstand halten dürfe, wurde damit beantwortet, daß der Alte Körbe +und Stiefel von der Wandbank wegräumte, auf daß der Gast sich behaglich +niederlassen könne. Sogar einen Lodenmantel rollte er zusammen zu einem +Hauptkissen, falls ich mich ein bißchen hinlegen wollte. Ich sei, +meinte er, gewiß schon weit gegangen und hingestreckt ruhe sich der +Wandersmann am besten aus. Auch in der ewigen Ruhe verlege sich der +Mensch aufs Liegen. + +»Hab' mir's gleich gedacht, daß das ein vornehmes Hotel ist, das Hotel +Napoleon,« sagte ich spaßend. + +»Das wohl; nobel sind wir schon!« Der Alte lachte und goß aus einer +großen Flasche eine wasserklare Flüssigkeit ins kleine Kelchgläschen, +das er vor mich auf die Tischecke stellte. + +Auf meine nähere Erkundigung nach der Geschichte dieser Firma +antwortete er: »Will der Herr die zwei Dukaten sehen, die der Napoleon +meinem Vater hat auszahlen lassen?« Und mit dem dürren Finger +durchs Fenster zeigend: »Dort, wo jetzt der Brennofen steht, beim +Hollerbuschen, ist die Schmiede gestanden. Von gestern und vorgestern +rede ich nit. Ist ja mein Vater noch ein junger Bursch gewest. +Hufschmied an der Straßen. Ein gutes Geschäft dazumal. Wenn auch nit +gerade jeder fürs Pferdebeschlagen drei Dukaten hat gegeben wie der +Franzosenkaiser, als er vorbei ist geritten gen Graz. Später, als es +mein Vater erfahren, wer der kleine Reiter ist gewesen, hat er freilich +die Dukaten auf den Steinhaufen geschleudert. Und noch später, viel +später, wie es geheißen hat, der große Napoleon sei auf eine Insel im +Weltmeer verstoßen worden, hat's die Leut' umgewendet und mein Vater +hat den Steinhaufen abgetragen. Zwei hat er richtig wiedergefunden von +den Goldstücken; und die sind in der Familie verblieben zum ewigen +Andenken.« + +Es wollte mir nicht übel gefallen, daß dieser Hufschmied, entgegen +dem Weltbrauch, den Mächtigen gehaßt und den Unglücklichen geehrt hat. +Ich nahm einen Schluck von der klaren Flüssigkeit. Das war Feuer, +eines Hotels Napoleon würdig. Es regnete stundenlang, der Weg bis +zum nächsten Bahnhof war nachher immer noch leicht zu machen und so +verlor ich mich mit dem frohen alten Mann in ein anmutiges Gespräch, +während er mit dem Kolben im Bottich seine Vogelbeeren stampfte. Dort, +wo angeknüpft war, erzählte er weiter. Sein Vater habe neben der +Schmiede eine Schänke aufgetan, damit den Fuhrleuten, die etwa in der +Reihe auf das Pferdebeschlagen zu warten hatten, die Zeit nicht lang +werde. Aus der Schänke sei allmählich ein Wirtshaus geworden und aus +diesem ein großer Gasthof, wo alle Fuhrwerke und Herrschaftkutschen +Einkehr gehalten. Um diese Zeit sei er, mein jetzt so weißbärtiger +Mann, ans Licht gekommen, gehegt und erzogen und »von den Leuten +verhunzt wie ein Prinz«. Der einzige Sohn des reichen Napoleonwirtes! +Denn so hat der Gasthof geheißen und die Deutschen sind lieber beim +»Napoleon« eingekehrt als beim »Kaiser Rotbart« auf der nächsten +Poststation, weil beim Napoleon eben der Wein besser gewesen. Dann +kamen die Eisenbahner ins Land. Da gab es Fuhrwerk über die Maßen und +ungeheuer viel Geld. Die Leute hatten nur so gelacht dazu, obwohl +ihnen der Strick schon um dem Halse lag. Aber er war noch locker. +Der Napoleonwirt selbst hatte Tag für Tag vierundzwanzig schwere +Pferde auf der Straße und am Tag der Eisenbahneröffnung saß er an der +Ehrentafel fast ganz oben in der Nähe der hohen Herren und einer von +ihnen feierte ihn durch einen Trinkspruch als den König der Straße. +Das war vielleicht ein unbeabsichtigter Spott; aber ein großer. König +der Straße hieß in diesem Fall König ohne Reich, denn wenige Jahre +später: und auf der Straße konnten sich Schafe satt weiden. Der alte +Napoleonwirt kränkte sich sehr darüber, daß die Eisenbahn, die er so +emsig miterbauen half, so treulos war. Kein Mensch, sagte er, sei noch +so grob betrogen worden wie er, der Napoleonwirt. Der Eisenbahnzug, +der oben am Berghang hinrollte, pfiff auf ihn herab und kein Gesetz +kümmerte sich um die Straße. Ohne gewöhnlich andere Gäste zu haben als +manchmal einen durstigen Nachbar, wirtschaftete er in seiner Weise noch +eine Weile fort; und als er endlich Haus und Hof verkaufte, geschah es +gerade so, daß die Gläubiger keinen Schaden hatten. Da meinte der alte +Napoleonwirt, für ihn sei es nun die höchste Zeit, zu sterben, denn +ein paar Jahr später hätte es nicht einmal mehr für einen Grabstein +gereicht. Ein Leben ohne Nachlaß und ohne Grabstein hätte er für die +überflüssigste Arbeit von der Welt gehalten. + +Und der junge Mensch, der Sohn, stand nun allein auf der Straße. +Manchmal saß er auf der Bank vor der verfallenden Schmiede und +beobachtete die Leute, wie deren doch von Zeit zu Zeit wieder +vorüberkamen. Und wenn er sich so ins Schauen verlor, da war ihm +anfangs, als vermöge er den Insassen des Viergespannes und den +hinkenden Handwerksburschen nicht zu unterscheiden. Es sei denn, +daß dieser einen munteren Marsch pfiff und jener ein gelangweiltes +Gesicht machte. Und dann wieder zu sich kommend, fragte er: »Was +tue ich jetzt? Am vollen Trog habe ich schon gesessen.« Nichts war +davon übrig geblieben als der Nachteil, daß ihn nun der leere doppelt +verdrießen konnte. Doch er verdroß ihn nicht eigentlich. Er war gegen +alle weiteren Unfälle gut versichert bei der Assekuranzgesellschaft +Habenichts & Co. Der Pfarrer seines Ortes hatte einmal gepredigt, der +Christ solle dem Geiste leben. Und weil er das nicht weiter erklärte, +so legte der Zuhörer es sich selber zurecht. Es wird auch am besten +sein. Das braucht kein großes Betriebskapital. Ich will dem Geist +leben. Und gründete eine kleine Branntweinbrennerei. Die Wurzeln, +Beeren und Abfälle, aus denen er den Geist zog, hatte er umsonst; er +brauchte sie nur zu sammeln, manchmal dafür ein »Vergelt's Gott!« zu +sagen und ein »Stamperl Branntwein« zu versprechen. Wenn dann der +Nachbar kam, um ihn zu trinken, griff er doch in den Sack; denn man +hatte den fröhlichen Burschen nicht ungern und vermutete, daß er +auch ein bißchen leben wolle. Er scheint auch in seiner Unterhaltung +Geist geschenkt zu haben und nicht etwa Fusel, wie mancher zünftiger +Ritter vom Geist zu destillieren pflegt. Da das große Einkehrhaus +an der grünen Straße keine rechte Verwendung mehr finden konnte, so +wurde es abgetragen und aus seinen Ziegeln am Bahnhof eine Waggonhalle +erbaut. Nur die alte kleine Schmiede blieb stehen, um dem einzigen +Übriggebliebenen zur Brennerei zu dienen. Das Wohnhaus dazu hatte er +sich aus dem Fachgebälk des abgetragenen Gasthofes selbst gezimmert. +Und hier lebte der Mann nun gelassen dahin, länger als fünfzig Jahre. + +Er war Zeuge, wie sich in dieser Zeit alles mehrmals umstürzte. Die +Menschheit machte Purzelbäume. Stand sie auf den Füßen, so behauptete +sie, die einzig richtige Grundlage für den Fortschritt sei der Kopf; +und stand sie auf dem Kopf, so klagte sie, daß alles in der Welt +verkehrt sei. Der Schauende stand abseits und war ein wenig verblüfft. +Nicht der Wandel befremdete ihn, sondern die Stetigkeit der Kreatur. +Trotz allem unbegreiflichen Wandel blieben die Leute sich gleich. +Bauten diese Leute Häuser, so tranken sie Branntwein, um Kraft zu +gewinnen. Brannten die Häuser nieder, so tranken sie Branntwein, +um sich zu trösten. Die Felder wurden zu Wald: die Leute tranken +Branntwein und wanderten aus. In den Wildnissen streiften Jäger und +tranken Branntwein. Und der Alte machte seinen Branntwein gerade so, +wie man ihn vor so viel hundert Jahren gemacht haben mag. Und auch wo +sie es anders machen, ist's im Grunde dasselbe. Alles kreist um den +Punkt; und dieser Punkt rührt sich nicht vom Fleck. Zur Zeit der Ritter +war es Mode geworden, in Kutschen zu fahren; zur Kutschenzeit ist es +Sitte geworden, auf der Eisenbahn zu reisen; in der Eisenbahnzeit wurde +es nobel, den Motorwagen zu hetzen; zur Zeit des Motorwagens wird es +vornehm sein, im Luftschiff zu fliegen; und zur Zeit des Luftschiffes +werden die Herren plötzlich finden, das Vornehmste, das Stolzeste, das +Ritterlichste sei das Reiten auf dem Pferd. Dann ist man rund herum. +Ein Ringelspiel wie auf Jahrmärkten. An einzelnen Stellen wurde wieder +gerodet, wurde wieder gebaut: und immer tranken sie Branntwein und +haschten nach Habe, nach grobem Genuß und waren stumpfsinnig für alles +andere. So war die Masse immer gewesen und das Erdbeben der jungen Welt +hatte wenig geändert. Die Masse ist Rohstoff, an dem die Wetter der +Zeiten immerwährend formen und zerstören. So streute die Natur ihren +Menschenstaub auch wieder einmal auf die Straße. Eines Tages kam der +närrisch gewordene Scherenschleifer und der sausende Teufel. Der erste +ein Reiter ohne Roß, der zweite ein Roß ohne Reiter. So der wörtliche +Ausdruck des Alten; ich kann mir nur denken, daß damit die Radfahrer +und Autofahrer gemeint sein sollten. -- Und so, fuhr er fort zu sagen, +habe sich seit fünfzig Jahren allerlei hingeändert und zurückgeändert, +im Weltkasten sei alles ganz toll durcheinandergerüttelt. Aber die +Zwetschken, seien sie braun oder blau, süß oder herb, frisch oder faul: +der Kern sei gleich geblieben. Es sei derselbe harte Kern mit etwas +Gift im Innern. Der Mensch turne und bade, »doktere« und schneide +an sich grausam herum, sei aber inwendig der Alte geblieben. Vor +Zeiten habe eines Tages ein armes Weib verschmachtend an der Straße +gelegen und ein vornehmer Vierspänner sei lustig vorübergefahren. Vor +einigen Wochen habe da unten bei der Telephonstange Nummer 321 der +Blitzschlag einen alten Hausierer betäubt und ein Automobiler sei +lustig an ihm vorübergefahren. Einen Menschen aufheben und laben: Das +kann man von so einem nicht verlangen. Muß noch froh sein, wenn er +selber keinen niederrennt. Ja, der Kern ist hart und ein wenig giftig. +Aber abgewöhnen mag man sich's doch nicht, das Zwetschkenessen. Das +Auswendige nascht man und auf den Kern läßt man sich nicht ein. Dann +bleibt man halt abseits stehen und schaut zu. Und brennt Geist. + +Während solcher Reden hatte der alte Schnapsbrenner mir einen +angeschnittenen Laib Weißbrot vorgelegt und mich eingeladen, die +Stiefel auszuziehen, damit sich die Füße besser ausrasten könnten. Ja, +er stellte sich ausgespreitet hin und wollte sie mir von den Beinen +reißen. + +Ich lachte und sagte ihm offen, was mich wunderte. Daß er bei seiner +Weltverachtung noch so gut sein könne. Ich sei in seinen Augen ja auch +nichts anderes als ein Körnchen des Menschenstaubes auf der Straße. Da +fuhr er munter in die Höhe: »Ja, glaubt Ihr denn, Ihr bekommt das alles +geschenkt? O, das Hotel Napoleon ist ein gar teures Hotel!« + +»Ich hoffe, daß Ihr Euch die Sachen bezahlen lassen werdet.« + +»Bezahlen! Geht mir weg mit dem Wort Bezahlen! Allerlei Geist habe ich +Euch vorgesetzt. Guten Geist!« fügte er mit ernsthafter Miene hinzu. +»Und seit wann tut man den Geist mit Ziffern und Zahlen ab, seit wann? +Ich denk', Ihr werdet Euch selber dalassen müssen. Ich denk' wohl.« + +Der Gewitterregen war vorüber, die Straße hatte kalkgraue Tümpel +und die Sonne schien wieder drein. Als ich zu Dank und Abschied dem +Alten die Hand reichen wollte, nahm er sie nicht an. »Bleiben wir nit +beisammen?« sagte er. »Wir bleiben ja beisammen!« + + * * * * * + +Damals dachte ich, er spreche doch Unsinn, manchmal. Heute denke ich +das nicht. Über zwei Jahre sind seitdem dahingegangen, in jene Gegend +kam ich nicht mehr, den Alten habe ich nicht mehr gesehen: und doch +muß ich oft, sehr oft an ihn denken. Ja, so oft ich selbst mich als +Weltbeschauer empfinde, muß ich an jenen Schauenden denken. »Wir +bleiben beisammen!« hatte er gesagt. Es dürfte stimmen. Ich war an +seiner Weisheit hängen geblieben. + +Aber, mein lieber alter Geistbrenner, es wird uns nicht viel helfen. +Wenn wir zwei uns auch außerhalb des sausenden Webstuhles stellen, +einer links und der andere rechts, und dem Weber mit Fadenknüpfen +Handlangerdienste zu leisten vermeinen: wir sind doch mitten im Gewebe; +nur sind wir als Fäden vielleicht widerhaariger als andere und bilden +häßliche Knoten. Alle miteinander machen wir das liederliche Tuch aus. + + + + + Der ordentliche Augustin. + + +Als der Vater Augustin Kernschimmlers sein vierzigjähriges +Geschäftsjubiläum beging, sagte der Festredner unter anderem auch +die großartigen Worte: »Unser teurer Jubilar nährte andere und wurde +selbst fett, machte andere wohlhabend und wurde reich dabei. Sein +Glück gründet auf seinen Tugenden!« Und Sekt darauf. -- Denn der Vater +Augustin Kernschimmlers war Bäcker und Fleischermeister gewesen -- +der einzige in dem Städtlein. Als einziger Fleischer hatte er die +einzige Bäckerin geheiratet, und Augustin war von diesem einzigen +Paar das einzige Kind. Jemand behauptete, der Vater habe das aus +Geschäftsrücksichten so eingerichtet, denn er konnte keine Konkurrenten +leiden und wollte dem lieben Söhnlein auch die Konkurrenz von +Geschwistern ersparen. + +Als nun bei dem oben erwähnten Jubiläum das Wochenblatt einen +Festartikel über die Doppelfirma brachte und sogar die Bildnisse des +verehrten Ehepaares Kernschimmler, da war es plötzlich ausgemacht, daß +der kleine Augustin weder Fleischer noch Bäcker werden dürfe, sondern +ein Doktor oder Professor, womöglich ein sehr berühmter. Zwar sagte +der Vater zu seiner Frau, berühmt werde man ja auch als Fleischer, was +eben der große Festartikel und das mit einem Lorbeerkranz umgebene +Doppelbild des Jubelpaares im Wochenblatte bezeuge. Sie wußte das +freilich besser, sagte es aber nicht, daß ihr die Veranlassung zu +diesem illustrierten Festartikel runde hundert Gulden von ihrem +Nadelgelde gekostet hatte. + +Der Augustin kam in die Stadt, ins Gymnasium, und ward ein sehr +ordentlicher Student. Seine Schulbücher hatten nicht ein einziges +Eselsohr, doch bei den Examinationen ging es manchmal nicht ab ohne +jegliche Erinnerung an das populäre Tier, auch wenn es nicht just +Zoologie gab. Die Mutter schickte dem Söhnlein häufig Geräuchertes, +Milchbrot, Krapfen und Zwieback, vor allem Powidlkuchen, die er so +gerne aß. Einen Teil dieser guten Dinge verzehrte der Junge, der andere +verschimmelte ihm im Nachtkästchen, der seine Vorratskammer war. +Und als der Rest verschimmelt war, verzehrte er ihn auch, schon aus +Ordnungsliebe und weil es ihm leid tat, die mütterlichen Liebesgaben +wegzuwerfen. Seine Schulhefte waren stets wie neu und die Schriften +und Ziffern wie gestochen, nur recht oft unrichtig. Über Fleiß und +Sittlichkeit sangen seine Zeugnisse wahre Lobeshymnen, im übrigen +jedoch gaben sie ihm Anlaß zur Unzufriedenheit mit den Professoren. +So kam der Tag der Reifeprüfung. Die schwarzen Kleider mit dem +Seidenzylinder hatte der junge Kernschimmler sich schon am Vorabend +auf das musterhafteste zurechtgerichtet, also auch im Notizbuche die +Gegenstände, in denen er bereits geprüft war und noch geprüft werden +sollte, mitsamt den erhaltenen und zu erhoffenden Noten sorgfältigst +aufgeschrieben. Als er nun auf der Gasse schon nahe dem Schulgebäude +dahinging, bemerkte er mit Entsetzen, daß seine Stiefel nicht frisch +gewichst waren. Er kehrte in seine Wohnung zurück, fand aber weder die +Quartierfrau vor, sie war auf den Markt gegangen, noch den Schlüssel +zum Schrank, wo das Stiefelputzzeug aufbewahrt lag. Er mußte also zum +Krämer und zum Bürstenbinder, um Wichse und Bürsten zu kaufen und +dann die Beschuhung selbst in einen des Tages würdigen Zustand zu +versetzen. Als er hernach die Stiefel wieder an die Beine zog, riß sich +an einem derselben eine Strupfe los. Man sah zwar den Schaden hinter +der Hose nicht, aber der junge Mann konnte keine Schlamperei leiden, +er ging zu seinem Schuster, der die kleine Angelegenheit auch zur +besten Zufriedenheit schlichtete. Als er hernach an den Lehrsaal kam, +schritten die Kollegen und Professoren gerade zum Tore heraus, die +Abgangsprüfung war vorüber. Augustin hatte nun ein ganzes Jahr Zeit, um +vor seiner Prüfung vielleicht auch noch andere Mängel, als die an den +Kleidern, zu beseitigen. + +Mittlerweile starben rasch hintereinander seine Eltern. Der Schlag +würde für den guten Jungen vernichtend gewesen sein, wenn nicht durch +denselben in Haus und Geschäft eine Welt von Unordnung aufgetaucht +wäre, die in Ordnung gebracht werden mußte. Das zerstreute ihn ein +wenig. Das Ordnungmachen dauerte aber Jahr und Tag, und mich wundert es +nicht, daß darob die Reifeprüfung ganz und gar vergessen worden war. + +Augustin Kernschimmler fand sich plötzlich allein auf der Welt, +aber als Erbe eines großen Fleischergeschäftes und einer Bäckerei, +die sich auch auf Mühle und Kornhandel verzweigte. Die Mühle und +die gewerblichen Rechte verkaufte er, ebenso auch die Grundstücke; +die beiden alten Häuser aber, das Fleischerhaus des Vaters und +das Bäckerhaus der Mutter, behielt er aus Gründen der Pietät, und +seine Lebensaufgabe bestand von nun an darin, diese Häuser und ihre +Einrichtung in Ordnung zu halten. Jahraus, jahrein beschäftigte er +eine Anzahl Dienstboten, um die Möbel abzustauben, die Spinnweben von +den Ecken zu fegen, den Schwamm im Fußboden zu vernichten und alles +Geschirr und Gezier blank und rein zu erhalten. Er konnte sich nicht +entschließen, irgendein Kleidungsstück seiner Eltern wegzugeben, die +Dienstboten rangen für und für einen wahren Verzweiflungskampf mit +den Motten und anderem Insekt, aber mit Kampfer und anderen Mitteln +gelang es immer noch, die Sachen zu erhalten, so daß sie in ihren +Schränken und Kästen genau so liegen und hängen konnten, wie sie zu +Lebzeiten oder beim Tode seiner Eltern gelegen oder gehangen waren. +Die Wohnungen der beiden Häuser waren denn auch stets in dem Zustande, +die ehrenwertesten Besuche zu empfangen, die nicht kamen. Auf der +Fleischbank konnte zu jeder Stunde geschlachtet, im Ofen jeden Tag +gebacken werden, es war alles dazu in bester Bereitschaft. Geschlachtet +und gebacken wurde aber nicht. Doch, so fleißig auch gelüftet wurde, es +war ein Modergeruch vorhanden, und die Schritte des Wandelnden hallten +lauter in den Wänden als anderswo. + +Kernschimmler war ein stattlicher Mann geworden, dem außer Hause seine +wunderliche Art nicht einmal angesehen werden mochte. Er pflegte sich +gut und kleidete sich stets mit peinlicher Genauigkeit, freilich +nicht gerade nach der Mode, aber doch mit gutem Geschmacke und mit +größter Akkuratesse. Wenn an einem Kleidungsstücke ein Knopf verloren +ging, so mußte seine alte Dienerin von Schneider zu Schneider, von +Krämer zu Krämer laufen, um genau den gleichen aufzutreiben, und wenn +das nicht glückte, so wurde das ganze Kleidungsstück dem Trödler +übergeben. Sein Aus- und Eingang war pünktlich, wie eine Uhr, sein +Verkehr mit Bekannten verbindlich, aber gemessen, im Gespräche stets +der gleichen Worte und Redewendungen sich bedienend. Alle Samstage ging +er des Abends in heitere Gesellschaft, lachte aber nur, wenn bei ihm +Lachenszeit war, nämlich der Ordnung halber bloß bei bestimmten, stets +wiederkehrenden Späßen. Neue Witze mochten besser sein, er machte keine +Ausnahme von der Regel. + +Er hätte sich zurzeit -- denn die Weiber garnten um und um -- +sicherlich verliebt, allein das lag nicht in seiner Tagesordnung, und +wie er schon so sehr dem Gesetze der Trägheit unterworfen, so wäre nach +dem einmaligen Verlieben zu befürchten gewesen, er könnte sich der +lieben Ordnung halber jeden Tag wieder verlieben. + +Augustin Kernschimmler war unverheiratet geboren und blieb also +unverheiratet. Er lebte so nach seiner Art behaglich und zufrieden +dahin und eine Entgleisung von dieser Lebensbahn schien ausgeschlossen. +Da -- in seinem sechsundvierzigsten Lebensjahre -- erkrankte er. +Es geschah so allmählich, so sachte, daß er die Ordnungswidrigkeit +nicht einmal inneward. Er wurde ein wenig magenleidend, dann ein +wenig leberleidend, hernach ein wenig halsleidend, endlich ein wenig +brustleidend. Seine große Sorge war, die Erscheinungen, die er an sich +wahrnahm, ordentlich zu verbuchen und vom Arzte die lateinischen oder +griechischen Namen dafür zu erfahren. Damit konnte der Doktor recht +sehr aufwarten. Wenn es aber einmal nicht stimmte, wenn der Doktor +und die medizinischen Werke, die Kernschimmler genau studierte, sich +widersprachen, dann war er gebrochen. Als es sich aber sachte, doch +haarscharf auf eine Lungensucht wies und alle Anzeichen dazu auf das +glänzendste auftraten, da rieb sich der gute Kernschimmler fröstelnd +die Hände, vergnügt darüber, daß doch noch wenigstens bei schweren +Krankheiten eine gute Ordnung obwalte. Sicherheitshalber hatte er +mehrere Ärzte rufen lassen, und alle stimmten darin überein, daß der +rechte Lungenflügel ganz kaput, der linke noch fast zur Hälfte intakt +sei. Eine Frage der Zeit. In der Bestimmung dieser aber widersprachen +sich die Herren, die gutmütigeren gaben ihm Monate, sogar Jahre, die +berühmten gestanden fast derb, daß es sich nur noch um Tage handeln +könne. -- In Gottes Namen! Es liegt ja in der ewigen Ordnung der Natur, +daß der Mensch sterben muß. Wenn's jedoch wirklich schon ernst ist, +dann frägt es sich um die testamentarischen Angelegenheiten. Ein +paar Verwandte, etliche gute Freunde werden ja wohl so gut sein, die +Hinterlassenschaft in Empfang zu nehmen und ordentlich zu verwalten. +Die hohe Erbsteuer ist nicht in Ordnung und ist das überhaupt ein sehr +umständlicher Weg durch Behörden und Advokaten, dessen Ausgang mancher +Erbe gar nicht erlebt. Da wird's vernünftiger sein, die Sachen unter +der Hand zu verschenken. + +Also hat Augustin Kernschimmler am nächsten Tage seine entfernten +Vettern und Muhmen und einige gute Bekannte der Samstagsgesellschaft +zu sich beschieden. Wäre schier zu spät gewesen, er hatte kaum noch +eine vernehmliche Stimme, es versagte ihm schon der Atem. Zur Not +wenigstens das wichtigste: Die Häuser gehören den Verwandten, die +Einrichtungsstücke den Freunden, das vorhandene Papier der Gemeinde +für wohltätige Zwecke. Das alte Gewand in den Schränken soll verbrannt +werden. + +Die Beschenkten weinten vor Rührung, vor freudiger. Wer seine Sachen +mitnehmen konnte, der nahm sie gleich mit. Der Sterbende konnte sich +nun auf die andere Seite legen -- es war in Ordnung. + +Am nächsten Morgen erwachte er später als sonst. Ah, das war ein +erkleckliches Schläfchen gewesen, diesmal. Er fühlte sich nachgerade +erfrischt. -- Nun muß aber der Erzähler sich sputen mit der +Entwicklung, sonst errät es der Leser vorwegs, wo es hinaus will. Also +gut, der Augustin Kernschimmler wurde wieder gesund, stocksteingesund, +so gesund, als er vorher nie gewesen. Und war arm wie eine Kirchenmaus, +wenn der Küster die Wachskrusten von den Leuchtern geschabt hat. Er +hatte ja alles verschenkt und es war in Ordnung. + +So ein Testament ist doch ein gutes, kluges Ding. Man gibt sein +Vermögen so selbstlos, so großmütig hin -- aber erst, wenn man es +selber nicht mehr braucht. Das, was einer im Testament voll Edelsinn +und Barmherzigkeit jemand vermacht, kann er unbedenklich aufbrauchen, +da ist keine Pflicht vorhanden, es über den Tod hinaus zu bewahren, +damit jenem, dem es vermeint gewesen, das auch richtig zukomme. +Testamentarisch vermachte Sachen bleiben Eigentum des ursprünglichen +Besitzers, solange er lebt; nach dem Papier kann man ganze Häuser +vererben, die der Erblasser mittlerweile vertrinkt oder verspielt. + +Wie brutal hingegen ist das Schenken! Was du heute verschenkest, das +ist morgen nicht mehr dein, und selbst wenn dein Leben darauf stünde. +Wolltest du es zurücknehmen, so könnte der Beschenkte dich gerichtlich +belangen, als strecktest du deine Hand nach fremdem Eigentum aus. -- +In diesem Falle war unser armer, stocksteingesunder Kernschimmler. +Aber er fand es in Ordnung. Es fiel ihm durchaus nicht ein, auch nur +auf einen Groschen seines großen verschenkten Vermögens Anspruch zu +machen, oder scheinen zu lassen, daß er etwas bedürfe. Er griff seine +gewohnte Lebensordnung wieder auf und führte sie so lange, bis der +für sein Begräbnis bestimmt gewesene Betrag verbraucht war. Dann ging +er ins Gemeindeamt und ersuchte um eine Versorgung. Er hatte früher +das Wort »reich« nie ausgesprochen, jetzt sprach er das Wort »arm« +nicht aus. Er war jetzt so wenig arm, als er früher reich gewesen. Er +hatte früher den Lebensunterhalt gehabt, und den mußte er jetzt auch +haben. Die Gemeinde hatte über seine Widmung zu wohltätigen Zwecken +bereits verfügt, sie tat nichts desgleichen, als ob der Mann bei ihr +etwas besonders gut haben könne; sie fand nur, daß er für das Spital +zu gesund, für das Armenhaus zu fröhlich und für die Altersversorgung +zu jung war. Sie ließ in sehr vorsichtiger Form bei ihm anfragen, +ob er die zur Zeit offene, sorgenfreie und achtunggebietende Stelle +eines Gemeindedieners würde übernehmen wollen. Wenn ja, so wäre er +der Bevorzugte. Diese einflußreiche Stelle sei weitaus gesicherter, +als die des Bürgermeisters, der von drei zu drei Jahren abgelehnt +werden konnte, während der Gemeindediener ohne ganz besonderen +Anlaß nicht bedankt werde, sondern bestimmt sei, die Tradition des +Bürgermeisteramtes von Geschlecht zu Geschlecht zu übertragen und zu +überwachen. + +Augustin Kernschimmler ward Gemeindediener und als solcher ein wahrhaft +bedeutender Mensch. Er hatte zwar nichts zu tun, als den Willen anderer +auszuführen, aber die Ausführung ist ja schließlich Hauptsache. Er +war ganz glücklich, der Selbstbestimmung enthoben zu sein, denn +er hatte nie etwas mit sich anzufangen gewußt, er fühlte sich als +Werkzeug anderer geborgen und gekräftigt und arbeitete mit wunderbarer +Genauigkeit. Sein Wirkungskreis erstreckte sich nicht etwa über die +Kanzlei, sondern über die ganze Gemeinde bis zum Bezirksgerichte +und zu der Landeshauptmannschaft hinauf. Man soll gerade einmal +nachdenken, was ein Gemeindediener zu tun hat. Kernschimmler besorgte +sein Amt mit so unerhörter Ordnung, daß die Leute sich fragten, wer +denn das Räderwerk eingefettet haben könne, daß es nun so glatt +ginge? Sie wurden sich der Ursache kaum bewußt, merkten nur, daß der +Gemeindediener ein ordentlicher Mensch sei. + +Als er fünfundzwanzig Jahre lang der musterhafte Gemeindediener +gewesen, machte er etwas Dummes. Er ließ sich pensionieren. Als +siebzigjähriger Mann, meinte er, sei es in Ordnung, sich zur Ruhe +zu setzen. Bald sah er aber, daß bei ihm die Ruhe als solche nicht +in Ordnung war. Denn er hatte zu lange in regelmäßiger Tätigkeit +gelebt; jetzt auf einmal nichts zu tun, als spazieren zu gehen, +das war doch die größte Schlamperei. Jeden und jeden Tag dieselbe +Schlamperei. Das war freilich auch Regelmäßigkeit -- aber in diese +neue Ordnung konnte er sich nicht mehr finden. Er erbot sich dem neuen +Gemeindediener freiwillig zu Diensten und wurde des Dieners Diener. +Die schwersten Kränkungen seines Alters bestanden darin, wenn in +der Kanzlei ein Foliant statt im dritten Fach, etwa im vierten lag; +wenn die Empfangsbestätigung für Zustellungen von dem Empfänger mit +Bleistift geschrieben war, anstatt mit Tinte; wenn der Bürgermeister +ihn »~Herr~ Kernschimmler« nannte, da er doch fünfundzwanzig Jahre +lang in treuen Diensten bloß der Kernschimmler gewesen war. + +Seine persönliche Tagesordnung war das Uhrwerk geblieben, das seit +einem halben Jahrhundert kaum ein einziges Mal stillstand -- täglich +dieselbe Sekunde zum Aufstehen, dieselben dreiundzwanzig Minuten zum +Anziehen des immer gleich geformten Gewandes, dieselben neun Minuten +zum Rasieren, und die Haare kämmte er sich mit der gleichen gewohnten +Sorgfalt auch noch zur Zeit, als er längst keine mehr am Kopfe hatte. + +Eines Tages aber ließ Augustin sich eine große Unregelmäßigkeit +zuschulden kommen. Er kämmte sich nicht und rasierte sich nicht, er +kleidete sich nicht einmal an. Lange über die gewohnte Zeit hinaus +blieb er in seinem Bette liegen und war tot. + +Als der Schreiner ihm den Sarg zurechtmachte, sagte er zu einem +Nebenstehenden: »Ich wüßte schon, was zu machen wäre, daß der +Kernschimmler wieder aufstände. -- Man brauchte bloß einige Hobelspäne +auf den Boden zu verstreuen, alsogleich wäre er mit dem Besen da, um +Ordnung zu schaffen.« + +Tue es nicht. Laß ihn rasten mit neunundsiebzig Jahren -- es ist in +Ordnung. + + + + + Meister Sani. + + +Er war Maler, aber ich rede nicht von seinen Bildern. Er war Geizhals +und ich rede von seinem Gelde. Er verdiente sich sehr viel Geld, +buchstäblich mit Gold aufgewogen wurden seine bemalten Leinwandblachen. +Aber ich interessiere mich nicht für Kunstwerke, ich interessiere mich +für Dukaten. Dem Meister mußten ja auch diese lieber gewesen sein als +jene, sonst hätte er seine Gemälde nicht verkauft. Denn er benötigte +es nicht, das viele Geld. Er war aus ganz einfachen Verhältnissen +emporgekommen und bedurfte für sich sehr wenig. Er war Junggeselle, was +schon an sich eine Ursache des Geizes ist; wer für die Familie immer +Geld ausgeben muß, der kann sich keinen Geiz angewöhnen. + +Meister Sani lebte so weit anständig und stets adrett; wie er auf +der Gasse einherging, merkte man ihm das Laster nicht viel an. Auch +hat ihn damals niemand unter seinen Geldsäcken sitzen gesehen oder +wie er etwa mit dürren Fingern im Münzhaufen gewühlt hätte. Er hatte +weder dürre Finger noch Geldsäcke. Seine Ersparnisse waren in mehreren +Sparkassebücheln verbucht, die er in einem eisernen Kästchen unter +seinem Wäschevorrate verwahrte. Jetzt kann man ja alles sagen. Nebst +seiner künstlerischen Tätigkeit hatte der Meister die größte Freude am +Sparen und in der Vorstellung, was er um sein gutes Geld alles haben +könnte. In der ersteren Zeit dachte er, jetzt -- wenn ich wollte -- +könnte ich schon zehn Jahre faulenzen und naturbummeln, zu leben hätte +ich. Bald war so viel da, daß er ans Reisen denken konnte, und er +reiste in Gedanken ein zweitesmal nach Italien, denn ein erstesmal war +er wirklich schon dort gewesen. Diesmal konnte er bis Sizilien gehen +und über Spanien nach Frankreich zurück. Später wäre er schon in der +Lage, sich eine Villa zu bauen, unweit der Stadt, die täglich nach den +Atelierstunden leicht zu erreichen. Wenige Jahre später war er so weit, +daß er sich ein größeres Landgut kaufen könnte mit Garten-, Feld-, +Vieh- und Waldwirtschaft und er ginge umher und sähe, wie die Arbeit +des Gesindes schleunt und die Früchte gedeihen und die Schweine und +Hühner heranwachsen für die Festtafel. Alles das und mancherlei anderes +könnte er haben, wenn er wollte. Er konnte sich gleichsam als den +heimlichen Herrn betrachten über so vieles. Aber es konnte noch besser +kommen und deshalb ließ er das Geld ruhig in der Sparkasse liegen; es +kam immer noch reichlicher Zuzug und üppigeres Wachstum, und eines +Tages war er Schloßherr. Ein großes Schloß mit Lustgärten, Meierhöfen, +Waldungen, Jagden und sonstigen vornehmen Ergötzlichkeiten -- könnte +er haben, wenn er wollte. Und da er es haben könnte, so war es just so +viel, als er hätte es. Diese Gedanken an seine Güter hatten sich in +seinem Kopf festgeflochten wie ein Spinngewebe, in dem Spinnen gaukeln +und Mücken hängen. Er malte noch fleißig, aber er malte nicht mehr so +gut als früher, sein Herz war bei den Gütern. In der Nacht schlief er +unruhig, die Sorge um das Vermögen und daß es sich ja nicht vermindere, +verwüsteten seine Träume, die einst so schön gewesen waren. Immer hatte +er die Wirtschaften, Schlösser und Fabriken zu verwalten, die doch nur +erst festgeplättet -- in den Sparkassebücheln existierten. + +Da sagte Meister Sani zu sich: Das ist nichts, Meister Sani, das ist +nichts. So in die Gefangenschaft zu geraten! Das muß wieder anders +werden. Und befreite sich mit Jugendkraft. Er ging hin, nahm die Gelder +aus der Sparkasse und -- verschenkte sie. Wo er Mangel und Not sah, +da gab er hin, aber ungenannt. Er wollte nicht, daß die Leute wußten, +wie dumm reich er geworden war. Auf einem Spaziergange kam er zu einer +rauchenden Brandstätte. Er wühlte in der Asche, zog eine Blechkapsel +hervor und sagte zu den jammernden Abbrandlern: »Das wird euch gehören, +es war wohl im Hause und ist nicht mitverbrannt.« In der Blechkapsel +war so viel Geld, daß sie ihr Haus wieder aufbauen konnten. -- Ein +anderesmal mischte er sich unter einen Trupp Zigeuner und verlangte von +einem braunen Mädchen, daß es ihm wahrsage. + +Sie las in seiner hohlen Hand und sprach: »Dem edlen Herrn steht viel +Geld bevor.« + +»Da ist es auch schon,« lachte er und ließ aus dem Rockärmel die darin +versteckte Rolle von Silberlingen hervorgleiten. »Da nimm! Du hast es +wahrgesagt, so gehört's auch dir.« + +Einer Schullehrers Familie steckte er nächtig als Nikolo Geld zum +Fenster hinein und lief nachher davon, als ob er etwas gestohlen hätte. + +Von einem Knaben verlangte er einen Krug Wasser; als der Junge es +vom Brunnen geholt und Meister Sani es getrunken, sagte er: »Ein +anderesmal, Junge, mußt du den Krug besser auswaschen; siehe, was er +für einen Bodensatz hat!« Da lag ein Dukaten drinnen. + +In der Zeitung stand, daß eine arme Frau auf dem Wege zum Markte ihr +ganzes Geld verloren hätte. Meister Sani »fand« es und ließ ihr den +gleichen Betrag schicken. Die Frau hatte mittlerweile aber selbst ihr +Geld wieder gefunden und wußte nicht, an wen jener irrtümliche Fund +zurückzuschicken sei. Noch heute brennt ihr das unrechtmäßige Geld auf +der Hand und ich soll nichts verraten. + +So wurde er sein Geld auf die bequemste Weise los. Endlich hatte er +noch hundert Gulden. + +Die gab er nicht weg, die behielt er. Und an diesen hatte er eine +Freude. Dann begann er neuerdings zu sparen und sammelte Gulden. Jetzt +im kleinen machte ihm das Sammeln wieder Vergnügen; in der geringen +Anzahl waren die Dinge so leicht zu übersehen, war so leicht Ordnung +mit ihnen zu halten. Das war alles wieder so einfach, wie zur Zeit, als +er seine Laufbahn begann und ungefähr so viel einnahm, als was er für +sich nötig hatte. Er freute sich wieder an jedem Guldenstücke, an jeder +kleinen Ziffer. Die Träume waren weg und die eingebildeten Sorgen, die +schier so wirklich sind als die wirklichen. Er hatte ein leichtes Herz +bekommen, ganz jugendlich war ihm zumute. Er gab sich mit frischer +Liebe wieder seiner Kunst hin. Sein Lebensbedarf war höchst einfach und +manchmal, wenn es ihm nach etwas gelüstete, dachte er: Nein, 's ist +nicht vonnöten, da mache ich mir lieber einen größeren Genuß und lege +das Geld zu dem anderen. Und in stiller Abendfeierstunde, da holte er +sein Sparkassenbüchel und freute sich des kleinen glatten Besitzes. + +Aber die Idylle sollte nicht immer so dauern. Seine Bilder trugen Geld; +selbst die, so er nicht verkaufte, brachten in den Ausstellungen, in +den Vervielfältigungen Geld ein. Er besaß schon wieder große Summen +und die Berechnungen wurden kompliziert. Die Villen und Schlösser, die +er sich wieder kaufen konnte, machten ihm zwar keine Sorgen, denn er +dachte sie nicht mehr, seine Phantasie hatte den Schwung verloren, er +war älter geworden. Träume wie einst hatte er auch nicht mehr, weil +er wenig schlief. Wachend dachte er an sein Vermögen, ob es wohl auch +gut angelegt sei, ob es nicht mehr Zinsen tragen könnte, als es bisher +getragen? Ob es bei einer großen Krisis nicht verloren gehen könnte? +-- Auch von seiten des Steueramtes war eine Gefahr nicht unmöglich. +Er hatte nämlich in letzterer Zeit gefunden, daß die Steuer horrend +ist, und hatte etwelches verschwiegen. Wenn man draufkäme! Die Angeber +bekommen von der unterschlagenen Steuer ein gutes Teil, da kann sich +leicht einer finden. Und die Strafe ist furchtbar. Das Fünfzigfache! -- +Oder soll er sein Geld verstecken, daß kein Mensch was davon weiß? Dann +finden sie es am Ende auch nach seinem Tode nicht. Wie schade das wäre! +Aber wer soll denn erben? Nur auslachen wird man einen, der so ärmlich +gelebt und so viel Geld gehabt hat. Da könnte man am Ende gar noch +einen Nachruf als Geizhals bekommen. -- Solcherlei Gedanken quälten ihn +die halben Nächte lang. Und einmal, als es schon gegen Morgen ging und +die Geldsorgen ihn immer noch nicht hatten schlafen lassen, sprang er +zornig auf, stürzte zum Schrank, riß die Sparkassebücheln hervor und +wollte sie in die noch glosende Ofenglut schleudern. Aber die Bücheln +wollten nicht aus seiner Hand. Als ob die Finger einen Krampf hätten, +so hielten sie fest und in diesem Augenblicke fiel es ihm ein: So viel +man in den Blättern liest, wird jetzt gesammelt zur Errichtung einer +Heilstätte für brustkranke Frauen. Dorthin mit diesem Ludersgeld. + +Doch am nächsten Morgen bettete er die Urkunden seines Vermögens wieder +sorglich in den Wäschekasten. Waren sie ihm doch liebe Hausfreunde +geworden -- die einzigen, die er hatte. Geselligkeit und Freude +an seinem Künstlerruhm waren ihm völlig abhanden gekommen, seit +er sein Geld gar so lieb gewonnen hatte. Aber -- war es denn sein +~Geld~, das da im Kasten lag? Das waren nichtige Scheine. Nach der +~Persönlichkeit~ des Geldes begann er sich zu sehnen. Er wollte +es bei sich in seiner Wohnung haben, selbst um den Preis der Zinsen. +Nur dem baren Gelde in der Nähe sein! Der Schrank nah' dem Bette, dann +wollte er Ruh' haben. Monatelang mußte er warten, bis die Sparkassen +ihm seine großen Guthaben zurückgeben konnten. Dann aber schloß er sich +oft stundenlang in sein Schlafzimmer ein, betrachtete die Goldmünzen, +die Reichsnoten, die Banknoten und zählte und ordnete sie und legte sie +zärtlich wie liebe kleine Kindlein in die Wiegen der Kistchen. Und war +der Schrank wohlverschlossen, so setzte er sich zu seinem Kassenbuche +und rechnete und rechnete, bis er wieder den Schrank aufschloß, das +Geld herausnahm und prüfte, ob wohl noch alles stimme. Die Tür zur +Wohnung im vierten Stocke hatte er mit Eisenblech beschlagen und mit +Wertheimschlössern versehen lassen. Aber trotzdem wagte er die Wohnung +kaum zu verlassen und in den Nächten fürchtete er sich vor den Räubern +und Mördern. Er magerte ab, er fühlte sich krank und in seinem Atelier, +das zwei Häuser weit von der Wohnung entfernt war, saß er selten und +überhaupt nicht mehr, um schöne Bilder zu malen, sondern um Geld zu +verdienen. Er verzichtete auch auf neue Kleider, weil die alten noch +gut waren; er begnügte sich mit der einfachsten Kost, weil sie am +gesündesten sei. Sein Gemeinsinn war pädagogisch geworden, er gab +kein Almosen mehr, weil das die Bettelei züchte, er verleugnete dem +Steueramt sein Einkommen, weil jeder ein dummer Kerl sei, der das nicht +tut. Er sperrte sich gegen fällige Posten, die von ihm zu zahlen waren, +weil es nobel ist, warten zu lassen. Und überhaupt, was nützt das liebe +Geld, wenn man es wieder ausgeben soll! + +Manchmal aber brach in ihm die Wut los gegen das Ungeheuer, das ihn zum +elendesten Sklaven gemacht hatte. In solcher Verzweiflung nahm er sich +vor, alles wieder zu verschenken; aber das Beest hatte sich so fest an +seine Natur geklammert, mit widerhakigen Zähnen in sein Herz gebissen, +daß er nicht einen Gulden losbrachte. Er konnte sich von dieser Qual +nicht mehr befreien. Er ahnte, daß er daran zugrunde gehen würde, und +doch saß er wieder bei seinen Kistchen und zählte und ordnete. + +Eines Tages ging er auf den Gemüsemarkt, um einzukaufen. Denn er +hatte sich entschlossen, die häuslichen Angelegenheiten persönlich +zu besorgen. Man kann sich auf fremde Leute ja nie verlassen. +Erstens kaufen sie viel zu teuer ein, zweitens betrügen sie noch +obendrein, drittens fordern sie alles mögliche und viertens hat man +überhaupt nicht gern unverläßliche Leute im Hause. Er hatte seinen +Handkorb schon ziemlich gefüllt, denn er pflegte gleich für die ganze +Woche einzukaufen, und feilschte eben noch um zwei Kilo Erdäpfel, +als mit ihren schmetternden Signalen einige Wägen der Feuerwehr +vorbeirasselten. Erst fragte Meister Sani erschrocken, wo es denn wohl +brennen könne? niemand wußte es. Die Stadt ist groß. So ging er ruhig +nach Hause. Je näher er kam, je erregter war heute das Straßenleben, +und als er um die letzte Ecke bog, sah er, wie aus den Fenstern seiner +Wohnung Qualm und Flammen wirbelten und darüber gerade der Dachstuhl +zusammenstürzte. + +»Ist die Einrichtung gerettet?« schrie er dem Feuerwehrhauptmanne zu. + +»I was! Wie soll denn da gerettet sein, wenn alles steinfest versperrt +ist. Aber die Nachbarswohnungen intakt.« + +»Danke schön!« antwortete Meister Sani. Ganz ruhig, fast mit Behagen +sagte er es. + +Nun war er wieder frei. + +Er schaute den Flammen zu, die über seiner dachlos gewordenen Wohnung +aufstiegen. Glühende Sterne und Vöglein flogen empor -- Funken und +losgelöste Fetzchen. Flog da nicht sein Geld gegen Himmel? ... Es war +ordentlich fein zum Ansehen, er hatte seine Freude daran, wie dieses +höllische Geld so schön und fromm geworden war. + +Als endlich das Feuer gedämpft war und Meister Sani gesehen hatte, daß +alles reinlich vertilgt worden, ging er in sein Atelier. Im Korbe hatte +er Schwarzbrot und einige Äpfel, davon aß er. Dann legte er sich auf +die hölzerne Bank und schlief -- wie von einer schweren Last befreit -- +ununterbrochen neun Stunden lang und gut, wie ein leichtsinniger König. + +Nachdem das Geld so mit Gotteshilfe überwunden war, erwachte in dem +Künstler wieder der göttliche Leichtsinn, der von Anfang an in seiner +Natur gelegen. Gerade die herrlich auflodernden Flammen hatten seinen +Schönheitssinn wieder erweckt und das Farbenleuchten übertrug er +auf seine Bilder. Diese stiegen noch einmal im Werte und begannen +neuerdings Geld ins Haus zu bringen. Aber er ging nicht mehr darauf +ein. Zweimal war's ihm gelungen -- ein drittesmal könnte es schief +gehen. Meister Sani gibt alles aus, was er einnimmt, und erst in seinen +alten Tagen, wenn sie überhaupt kommen, will er, seiner alten Passion +fröhnend, wieder anfangen zu sammeln -- auf öffentlichem Platze mit +gezogenem Hute -- kleine Münzen. + +Ob es seine Verehrer zu einer ~solchen~ Münzensammlerei kommen +lassen werden, weiß man noch nicht. Wahrscheinlich. + + + + + Der falsche Himmelträger. + + +Zehn Sekunden lang hatte ich -- um im Volke Ärgernis zu vermeiden +-- mich mit vorgeneigtem Körper auf ein Knie gestützt. Als das +Sanktissimum vorüber war, richtete ich mich rasch auf und sagte zum +Professor, der hinter mir stand: »Na, kurios, wie man das Knien +verlernen kann! Noch zehn Sekunden lang und ich wäre ohnmächtig +geworden auf diesem Sandkorn, das sich so bereitwillig unters Knie +geschoben hat, um mir die Sünden abbüßen zu helfen. Und einst hielt +ich so was stundenlang aus, mit Leichtigkeit. Du weißt ja, die untere +Volksschichte steht sich besser beim Knien als beim Stehen. Merkwürdig +genug, daß gerade kleine Leute sich so sehr bücken müssen, um +durchzukommen.« + +»Ja, lieber Freund,« antwortete der Professor, »davon wüßte ich auch +ein erbauliches Kapitel zu erzählen. Vom Bücken und Knien. Wenn +dem Künstler nicht ohnehin alles erlaubt wäre und er beliebig alle +möglichen Sünden haben könnte, damals hätte ich sie alle bezahlt. Ja, +der liebe Herrgott hätte mir noch was herausgeben müssen.« + +Wir gingen am Fußsteige dem Bache entlang spazieren und er erzählte das +Erlebnis. + +Du weißt, daß ich für das Frauenkloster die Altarstatue geschaffen +habe. Vor Jahren schon. Seither war mein Künstlerherz oft in jener +Klosterkirche bei den reichen Kunstschätzen, bei dem glanzvollen +Kultus und bei den anmutigen Gestalten der Schwestern und Novizinnen. +Die bekam man aber selten zu sehen, da dem profanen Erdenpilger die +heiligen Mysterien eines Frauenklosters möglichst verborgen bleiben +müssen. Nun kam aber der hohe Gedächtnistag der Gründung dieses +Klosters und der sollte durch ein großes Kirchenfest begangen werden. +Aller Glanz sollte aufgeboten werden, alle Schwestern, Jungfrauen in +ihrer Zier sollten im weißen Festgewande unverschleiert den Einzug +halten und in vielen Reihen sich um den Hochaltar gruppieren. Du kannst +dir denken, daß ich diesen Aufzug sehen wollte. So habe ich mich bei +der Oberin angemeldet und ersucht, dem Feste mit beiwohnen zu dürfen. + +»Ja, mein geschätzter Herr,« sagte die Matrone, »das wird wohl nicht +gehen, da nach unseren Regeln kein fremdes männliches Wesen an unseren +Gottesdiensten teilnehmen darf.« + +»Aber ehrwürdige Mutter,« sagte ich, »ich bin ja kein fremdes +männliches Wesen. Ich bin der Künstler, der von Ihrer Gottseligkeit +gewürdigt worden war, die Altarstatue zu verfertigen. Und sollte nicht +die Gnade haben können, bei der hohen Feier, die diesen erhabenen +Gegenstand betrifft, dabei sein zu dürfen?« + +»Aber mein Gott, Herr Professor, wenn Sie so reden! Was machen wir denn +da? Sie sehen doch ein, daß ich eine unserer wichtigsten Ordensregeln +unmöglich übertreten kann.« + +»Haben Euer Ehrwürden in Ihrer sonst so vollkommenen Anstalt kein +Hintertürchen, das zufällig offen bleibt und durch das ein frommes +Christenherz sich ungesehen hineinschleichen könnte?« So sagte ich halb +scherzend, denn die Oberin -- das war mir schon von früher her bekannt +-- versteht auch Spaß. Sie lächelte denn auch zu meinem Vorschlage, +drohte aber mit dem Finger; vor einem, der so redet, müsse man sich +erst recht in acht nehmen. Indes falle ihr ein Ausweg ein, der ihr +ermögliche, den Eintritt zum Festgottesdienst zu gestatten. + +»Und der ist?« + +»Sie müssen dafür etwas leisten.« + +»Herzlich gern. Wie viel denn?« + +»Nein, in Geld nicht,« rief sie fast fröhlich. »Aber an der Feier +mitwirken, wenn Sie das wollten. Können Sie an der Orgel den Blasebalg +treten?« + +»Das Blasebalgtreten, ehrwürdige Mutter, wäre keine Kunst, wenn der +Blasebalg nicht gerade im Winkel hinter der Orgel wäre, wo man nichts +sieht.« + +»Ach ja,« sagte die Äbtissin, »das ist wahr, da sehen Sie nichts.« + +»Natürlich,« glaubte ich sogleich beisetzen zu müssen, »geht es mir +nicht bloß ums Sehen. Wohl auch der Erbauung wegen --.« + +»Na na,« unterbrach sie mich, »das wissen wir uns schon zu reimen. +Die Künstler sind ja alle mehr oder weniger Heiden. Nun -- fällt mir +was ein. Wollen Sie Himmel tragen? Da wären Sie mitten im Einzug und +könnten alles gut sehen.« + +»Himmel tragen? Das wäre schön, Euer Ehrwürden,« stotterte ich, +»allein, da werden gewiß andere sein, Bestimmte, Würdigere.« + +»Es sind ihrer vier. Aber einer ist krank. Eine Stange ist +augenblicklich vakant. Dann hätte es weiter kein Bedenken.« + +»Meinen ehrerbietigen Dank, aber ich muß mir's doch erst überlegen, ob +-- ob ich zu diesem ehrenden Amte nicht etwas zu ungeschickt bin.« + +»So überlegen Sie sich's. Und lassen mir's bis morgen sagen. Der Herr +mit Ihnen.« + +So die Unterredung mit der Oberin. Dann überlegte ich. Eine Stange +des viereckigen Baldachins tragen, unter dem ein wohlgenährter Prälat +einherschreitet. Ob sich das mit dem akademischen Künstler und dem +kaiser-königlichen Professor wohl verträgt? Aber das glänzende +Gepränge. Meiner Hände Bildwerk in einem Meere von Lichtern und Rosen. +Und dann die weißen Jungfrauen. Besonders die eine mit dem länglichen +Angesichte, die großen blauen Augen drin und die Wangengrübchen ... + +Am nächsten Morgen, als ich auf dem Bette saß, während meine Frau mir +einen entsprungenen Knopf an die Weste heftete, begann ich über die +Sache mit ihr zu sprechen. Sie blickte mich befremdet an und sagte +endlich: »Mann, das soll wohl nur ein Witz sein? Mit drei Banausen +Himmel tragen -- du!« + +»Das einzige Mittel, um diesen interessanten Aufzug mit ansehen zu +können.« + +Sie lachte laut, sehr laut und grell -- fast widerwärtig. + +»So ein Künstler hat seine Sachen,« sagte ich. »Man bedarf Anregung.« + +»Die du zu Hause natürlich entbehren mußt!« + +»Und gerade will ich diesen Aufzug sehen.« + +»So tu's eben.« + +»Ist verboten, wie gesagt. Ist nur erlaubt, wenn ich etwas zu der +Begehung leiste. Wir haben beraten, die Oberin und ich; es gibt kein +anderes Mittel, als daß ich eine Stange des Baldachins übernehme.« + +»Im roten Radmantel natürlich!« lachte sie. + +»Was es da nur so dreist zu lachen gibt. Von einem roten Mantel ist +ja keine Rede. Ob man nur so an einem Einzuge teilnimmt oder ob man ++pro forma+ eine rote Stange in der Hand hat. Sind stets nur die +würdigsten Männer dazu ausersehen.« + +»Und das Gerede der Leute, daß Professor Hertner bei den +Marienschwestern Himmelträger geworden ist?« + +»Aber es erfährt's ja kein Mensch. In so einem Kloster, das ist ja eine +geschlossene Gesellschaft.« + +»Ich sage dir, in allen Witzblättern bist du nächstens mit deiner +Himmelstange. Nein, so was könnte einem doch im Traum nicht einfallen! +Herr Jesses, wenn der Zaruzel draufkäme!« + +Sie legte die Weste hin und ging etwas lebhaft ins Nebenzimmer. Ich +mußte sehr den Kopf schütteln. Wie die Frauen gleich alles auf die +Spitze treiben! Wo sie doch sonst so viel Verständnis für meine +künstlerischen Interessen hat! -- Der Zaruzel, meinte sie, dieser +Karikaturenschmierer! In die Witzblätter! Na, das wäre so was! +-- Aber all diese Vorstellungen und Bedenken verblaßten vor den +weißen Jungfrauen, die ich just einmal sehen wollte. Der Oberin wurde +angezeigt, daß ich mich zum Feste rechtzeitig einfinden würde. + +Meiner Frau sagte ich nichts mehr davon und auf ihre Frage, weshalb +ich mich so feierlich schwarz ankleide, schützte ich dreist eine +Aufwartung beim Statthalter vor. Du kannst dir denken, daß ich an +diesem Tage nicht auf geraden Wegen dem Kloster zuging, sondern durch +die Gassen und Gäßchen hinterwärts, wo man durch ein Pförtlein in den +Klostergarten gelangen kann. Das Pförtlein war natürlich versperrt. Auf +mein Läuten erschien der alte Gärtner, der mich auf meine Versicherung, +ein Himmelträger zu sein, mit einiger Säumnis passieren ließ. Im +großen Klosterhof wurde der Festzug zusammengestellt. Meine drei +Berufsgenossen waren alte Männer mit Glatzen und grauen Bärten, die +sich über den fremden vierten, der statt des erkrankten Schusters da +war, ein wenig zu wundern schienen. Wir bekamen scharlachrote Mäntel; +eiskalt ging es mir durchs Gebein, als ich den meinen über die Achsel +legte. Doch für alle Fälle war das eine willkommene Vermummung. Wir +holten aus der Kirche den rotseidenen, goldbefransten Baldachin mit +den vier Tragstangen. Der Hof füllte sich mit ornadierten Priestern, +dunkelgekleideten Nonnen und den weißen Jungfrauen. Nachdem der +Patriarch in golddurchwirktem Meßkleide unter dem Himmel stand, bewegte +sich der Zug um die Kirche und zum Hauptportal hinein. Ich sage dir, +es war eine Pracht! Dieses Lichtgespiel, diese bunte Gestaltenreihe. +Die weißen Jungfrauen, eine lange Reihe, waren geschmückt mit roten und +blauen Schleifen; ihre Locken schwarz und gold und bis zum lichtesten +flachs, wallten über den Nacken; ihre Augen, ganz entweltlicht, +möchte ich sagen, schauten groß und unschuldig gleichsam in die +himmlischen Räume auf; andere senkten die Lider oder schlossen sie +ganz. In den Händen trugen sie brennende Kerzen. Und dieses Singen, +Freund! Man hört manchmal das Wort Engelsgesang und denkt sich nichts +dabei. Ganz himmlische Stimmen sind es gewesen, auf Erden gibt es +keine solchen. Die rote Stange in meiner Hand und der rote Mantel +über mir waren rein vergessen über dieses wunderschöne Bild, über +diesen bezaubernden Gesang. Nun in der Kirche angelangt, stellten die +Jungfrauen sich am Altare auf in Reihen, die rückwärtigen höher als +die vorderen, so daß es ein wunderbares Mosaik aus Engelsgesichtern +ward -- ein unbeschreiblicher Liebreiz. Der Himmel, umdrängt von +andächtigen Frauen, hatte mitten in der Kirche angehalten, der +Prälat stieg zwischen den Jungfrauen zum Altar hinauf. Es begann das +Hochamt. Die Priester knieten nieder, die Nonnen knieten nieder, die +Jungfrauen knieten nieder. Alles kniete in großer Demut nieder auf +beide Knie. Auch meine drei Himmelträgergenossen. Und auch ich. Aber +die Minute, die der erste Segen dauerte, war schmerzlich lang, denn +die feinen Sandkörnchen des Steinbodens bissen durch das Beinkleid +in das verweichlichte Knie, das seit meiner Knabenzeit nicht mehr +geübt worden war. O Freund! Ich ahnte nicht, daß es erst der Anfang +einer qualvollen Stunde sein sollte. Unmittelbar nach dem Segen wollte +ich mich aufrichten, aber -- alles blieb knien. Auch meine Banausen +knieten so fest, als ob sie in den Steinboden hineingewachsen wären. +Ich allein aufstehen und stehen bleiben neben der Stange? Unmöglich. +Abgesehen von dem unsühnbaren Ärgernisse, das damit gegeben worden +wäre, hätte ich mich unberufenen Blicken ausgesetzt -- der akademische +Bildhauer Professor Hertner als Himmelträger hätte alles überragt. +Ich blieb knien, aber frage nicht wie und in welchem Jammer. Es war +eine wahre Folter. Ein weniges geschah mir wohler, daß ich mich fest +an die Stange klammern konnte, erst mit der einen Hand, dann mit +beiden Händen. Aber diese Stütze wurde bald belanglos und die Last des +Körpers lag auf den armen Knien, die auf dem unbarmherzigen Stein laut +geächzt hätten, wenn Knie ächzen könnten. Ich konnte es, durfte es +aber nicht. Mußte in schweigender Frommheit bewegungslos daknien. Die +anderen, so weit ich sie beobachten konnte, knieten ganz behaglich, +dem regen Mundgebete, den weidenden Augen sah man an, daß sie alles +eher als an ihre Knie dachten. Keiner ahnte den Büßer in ihrer Mitte, +der seinen Vorwitz so blutig sühnen mußte. Ich hatte es ja versucht, +mich in die Schönheit des Bildes zu versenken, das gerade vor mir so +lieblich und licht entfaltet war, dem Gesang zu lauschen, dessen Klang +in die Hallen aufstieg, aber ich empfand nichts, als den Schmerz an den +Knien. Das Ovalgesicht suchte ich, das mit den runden Blauaugen und den +Wangengrübchen; dort hinten, zwischen zwei brünetten Lärvchen guckte es +hervor, schier himmlisch verzückt und ein bißchen schalkisch. Allerlei +liebliche Gedanken und Vorstellungen wollte ich anspinnen an dieses +Engelsbild, aber es gelang nichts -- mein Knie, mein Knie! Da gedachte +ich der Warnung meiner Frau, doch es war zu spät. Ich fühlte mich als +Verdammter unter den Seligen. In meinem Leben nie hatte ich mich so +heiß dem Evangelium entgegengesehnt als in dieser Stunde. Du weißt es, +beim Evangelium steht man auf. Es kam endlich, alles erhob sich, ich +mich fast zu früh, und atmete auf. Eine kleine Hoffnung leuchtete, als +würde man von nun ab stehen dürfen, doch als das Evangelium vorüber +war, kniete alles wieder nieder. In Gottesnamen, fest an die Stange +geklammert, kauerte ich da und war entschlossen, knien zu bleiben, bis +sie mich ohnmächtig hinaustragen würden. Aber so weit kam es nicht. Als +die Not wieder sehr groß geworden war, entdeckte ich eine Kunst, die, +auf den Waden zu sitzen. Was die anderen darüber dächten, das kümmerte +mich nicht mehr, in dieser Selbsterniedrigung sahen mich ja auch nur +die nächsten der dichtgedrängten Nachbarn und sie waren mitleidig. Die +Knie waren sanft entlastet, ich saß auf meinen Beinen. Jetzt dachte +ich wieder an das Gesicht mit den Wangengrübchen, aber ich konnte über +die Köpfe nicht mehr hinwegsehen, der breite Buckel meines Vormannes +begrenzte meinen Horizont. Doch nun war leicht standzuhalten und als +es endlich vorüber, kräbelte ich mich mit Hilfe der Himmelstange +krampfhaft und schier ungern empor. + +Gesehen hatte ich's also. Dann den Mantel los, das Beinkleid an den +Knien mit dem Taschentuch entstaubt, durch das Gartenpförtchen wieder +hinaus und mit der unschuldigsten Miene die Gasse entlang. Rief mich +eine bekannte Stimme an: »Professorlein, he! Ich dachte, wer einmal im +Himmel gewesen, der käme nicht wieder zurück.« + +Und war's der kleine Zaruzel, der berüchtigte Karikaturenzeichner für +Witzblätter. + +»Woher des Weges?« fragte ich mit kühn gespielter Harmlosigkeit. + +»Von der Kirche der Marienschwestern, wo es heute so schön gewesen +ist!« antwortete er mit widerlicher Süßlichkeit. »Du kennst ja den +gelbhaarigen Teufelszwerg.« + +»Von der Klosterkirche?« tat ich überrascht, »aber da darf ja kein +Mannsbild hinein.« + +»Doch, doch,« antwortete er. »Entweder es geht hinten durch das +Gartenpförtchen oder es geht durch ein Dachfenster der Sakristei. +Ersteren Weg pflegen die Bildhauer zu wählen; der letztere, +beschwerlichere, bleibt für arme Witzblattzeichner übrig. Ich sage +dir, Freund, köstlich warst du im roten Mantel an der Himmelsstange, +unbezahlbar. An fünf Witzblätter verschicke ich.« + +Hub ich an stark zu leugnen. Da sagte er ganz gütig: »Mühe dich nicht, +es hilft dir nichts,« und zog seinen photographischen Momentapparat aus +der Tasche. + +Der schneidigste Mut kommt allemal, wenn nichts mehr zu verlieren ist. +Ich blieb stehen und sagte leise: »Also Zahn um Zahn. Gut. An dem Tag, +als das Bild im Blatt steht, wirst du umgearbeitet. Ich bin Bildhauer +in Stein und Bein!« -- -- Das hat er verstanden. -- Seitdem sind Jahre +vorüber, es hat niemand etwas erfahren. -- + +So erzählte mir der Professor am Fußsteig entlang. Da wunderte ich mich +laut, daß er es selbst ausplaudere, was ein so tiefes Geheimnis hätte +bleiben sollen. + +»Jetzt ist alles verjährt,« entgegnete er. »Wenn's die Leute nun auch +erfahren, sie glauben es nicht. Und wenn sie es glauben, so macht's mir +nichts mehr. Übrigens geschah es doch nur aus Liebe zur Kunst und das +vorzeitige Eindringen unter den Himmel habe ich an Ort und Stelle ja +gründlich gebüßt.« + + + + + Der unglückliche Kammerdiener. + + +»Glauben Sie ja nicht,« sagte die Königin zur Gesellschaft, die nach +dem Diner im Zerkle sich um sie versammelt hatte, »glauben Sie ja +nicht, meine Herrschaften, daß unsereins so mächtig sei und alles nach +Herzenswunsch schlichten könne. In vielen Fällen können wir das weit +weniger als andere Leute; oft nicht einmal das Selbstverständlichste. +Ach allzuoft war ich schon in heller Verzweiflung darüber, wie uns die +Hände gefesselt sind, und das Herz, und ich sage sogar, auch der Kopf. +Soll ich Ihnen eine Geschichte erzählen? Die Geschichte hat sich vor +etwa einem halben Jahre im Schloß zugetragen und ist sehr tragisch. +-- Wollen die Damen und Herren nicht rauchen? Schön, ich will, wie es +Pflicht der Fürsten ist, mit gutem Beispiele vorangehen.« + +Bei dieser launigen Bemerkung nahm sie aus der Kupferschale eine +Zigarette und der Lakai hielt ihr das Flämmchen vor. Die Königin sog es +mit einem Atemzug in die »Ägypter spezial« und winkte dem Diener mit +einem gütigen Blick, daß er sich entfernen könne. + +Der General strich seinen langen weißen Schnurrbart und horchte +schmunzelnd der tragischen Geschichte entgegen, die im phantastischen +Lockenhaupt Ihrer Majestät sich wieder zugetragen haben mochte. + +»Die Herrschaften erwarten jetzt den Vortrag einer Romanze oder +dergleichen,« lächelte die Königin, weil sie zum schwarzen Kaffee +manchmal eine ihrer neuerstandenen Poesien zum besten zu geben pflegte. +»Diesmal werden Sie irren. Die unerhörtesten Geschichten macht nicht +der Dichter, macht das Leben. Und Sie, mein General, dürften der +Tragödie wohl etwas weniger skeptisch entgegensehen, als es offenbar +der Fall ist. Vielleicht werden die kommenden Dinge sogar Ihr Herz +engagieren!« + +»Mein Herz wird nicht mehr engagiert,« lachte der alte Weißbart, »außer +Majestät geruhen zu gestatten, daß ich mir Kognak einschenke.« + +»Der König,« so begann die Königin zu erzählen, »hatte einen +Kammerdiener aufgenommen. Ein junger Magyar wars, ein hübscher +sympathischer Bursche mit braunen Augen und perlweißen Zähnen. Die +blaue Livree mit den weißen Seidenschnüren stand ganz prächtig zu +seinem frischen, glattrasierten Rundgesicht. Sehr bald wußte er sich +in seine Stellung zu finden, bei seiner ruhigen und flinken Art. Dabei +hatte er einen heimlichen Humor, der sich allerdings nur in den Mienen +ausdrückte, trotzdem aber nicht weniger sprechend war. Anfangs war er +zum Laufburschen aufgenommen worden, allein, nachdem unser alter Onkel +Tom gestorben, machte ihn der König zu seinem Kammerdiener. Obschon der +Bursche einige Jahre Soldat gewesen, hatte er von seiner Einfalt, die +er aus der Pußta mitgebracht, noch den Löwenanteil bei sich behalten. +Es war ein guter braver Junge, der sich selbst die Stiefel putzte, +weil er es für unbegreiflich hielt, daß der Kammerdiener wieder einen +Kammerdiener hätte. Wenn er dann im Vorzimmer nach dem Takte eines +Tschardas drauf losbürstete, oder wenn er schwermütige Pußtalieder +sang, da habe ich manchmal ein wenig an der Türe gehorcht. Das Liebchen +und die Mutter, diese zwei Frauen rangen in den Liedern um sein Herz +-- es war ganz rührend. Der kleine Prinz stand oft bei ihm und hatte +seinen Spaß, wenn Lajosch sang und die Melodie manchmal lustig mit +ein paar hüpfenden Sprüngen mittanzte, in der einen Hand die Bürste, +über die andere den Stiefel gestreift -- es war furchtbar komisch. +Einmal machte er dem Prinzen den Vorschlag, ob sie nicht miteinander +Sprachstudien treiben wollten. Er möchte von dem Prinzen französisch +lernen und würde hingegen diesem das Ungarische beibringen. Der Prinz +ging darauf ein und ich glaube, er hat bei dieser philologischen +Gegenseitigkeit mehr profitiert als der andere. Doch glaubte der +Prinz eine Klage verstanden zu haben, die Lajosch in seiner Sprache +ausdrückte: Nichts sei ihm furchtbarer als die drei Tage in der +Woche! -- Was sind das nur für drei Tage in der Woche? Wir verstanden +es nicht. Wenn durch den Schloßhof die bärtigen Husaren in ihrer +schmucken Uniform ritten, und hinaus ins Weite, da konnte Lajosch +ganz melancholisch werden. Da vergaß er sein Singen und Tanzen, ging +schwermütig umher und versah mürrisch seinen Dienst. Oft, wenn der +König vorüberging, blickte er ihm verstohlen nach und einmal will die +Kammerfrau ihn murmeln gehört haben: Wie beneide ich ihn! Werde ich's +auch einmal erreichen? Da soll ihr schrecklich unheimlich geworden +sein. Mit der übrigen Dienerschaft hat er gar nicht verkehren wollen. +Diese nackten Rundscheiben! Diese Vollmondgesichter! So soll er bei +sich geknirscht haben, und es hätte ihn der Ekel geschüttelt. Dann +hat er die braune Gesichtsfarbe verloren und das Feuer in den Augen +und ist abgemagert und ist immer trauriger geworden. Da fragte ich +ihn eines Tages: Lajosch, hast du noch eine Mutter? Er antwortete auf +ungarisch. Hast du Heimweh? Was ist dir, Lajosch? Er brummte etwas und +wendete sich ab. Gerne hätte ich ihm noch wegen einer unglücklichen +Liebe auf den Zahn gefühlt, denn nach meiner Überzeugung konnte es +nur die Liebe sein. Mein Gott, vielleicht wäre dem Braven zu helfen. +Warum sollte er sein Magyarenmädchen nicht an den Hof bringen? Es ist +gewiß sehr hübsch. Ich liebe Naturkinder und brauche ein Kammermädchen. +Aber es war nichts herauszukriegen vom armen Lajosch. Wieder einmal +hörte man eine Klage über die drei Tage in der Woche. Dann versank +er ganz in eine stumme Schwermut. Der König sagte, er würde den +Lajosch weggeben müssen, der Arme müsse krank sein. Dem Arzt, der ihn +konsultieren wollte, rief er ein ungarisches Fluchwort zu. Dann ging +er auf sein Zimmer und zertrümmerte den Toilettespiegel. Nun dachten +wir allen Ernstes an eine Geisteskrankheit. Der arme junge Mensch! Es +war furchtbar traurig. Dabei war eine so weiche, ich möchte sagen, um +Hilfe flehende Melancholie in ihm, daß uns allen betrübt zu Mute ward +und wir uns entschlossen, doch noch eine Weile mit dem Burschen Geduld +zu haben und recht gütig mit ihm zu sein. Wäre es irgend ein Anliegen +gewesen, gewiß -- hatten wir gedacht -- ließe es sich erfüllen. Aber +eine solche Krankheit -- das ist schrecklich. Auch weinen soll man ihn +einmal gesehen haben, und bei sich jammern, daß es ein Unglück sei, +wenn er einen solchen Posten verlassen müsse. Aber es sei gräßlich, +es sei zu gräßlich, das zu ertragen! Die Kammerfrau glaubte nicht an +Krankheit. Sie meinte, da sei ein Geheimnis dahinter. Mein Himmel, ein +dunkles, wenn nicht gar blutiges Geheimnis! Ich habe ihn gar nicht mehr +sehen können, ohne daß mich Grauen anwandelte. Die Entlassung wird +notwendig werden. Doch habe ich mir vorgenommen, ihn erst noch einmal +ernstlich zur Rede zu stellen. Da findet sich eines Tages unter den +eingelaufenen Bittschriften auch ein Gesuch von unserem Kammerdiener +Lajosch. -- Ich merke, die Herrschaften werden aufmerksam,« unterbrach +sich die Königin. »Sehen Sie, das war ganz mein Fall. Neugierde kann +man es nicht mehr nennen. Ein Taumel höchster Spannung, unter dem ich +die unbehilfliche Schrift entzifferte, die schlechte Behandlung der +Landessprache nicht achtete, um das Geheimnis endlich zu enthüllen. -- +Ich könnte die Herren nun raten lassen. Doch abgesehen davon, daß Sie +es kaum erraten würden, ist es nicht danach. Ich habe ja gesagt, daß es +eine tragische Geschichte ist, vielleicht eine tragisch komische -- ich +finde es geradezu packend und das Herz seiner Exzellenz wird am Ende +doch noch engagiert --« + +Denn der General lehnte nachlässig und ziemlich teilnahmslos in seinem +Fauteuil und drehte seine Schnurrbartspitze. + +»Wir brennen, Majestät!« sagte der Graf. + +»Meine Herren, nur Geduld! Es wird episch erzählt,« entgegnete die +Königin. »Man sollte das Schriftstück ja eigentlich vorlesen. Aber +es ist besser, ich ziehe bloß den Inhalt heraus. Es ist zu rührend. +Lajosch dankt für die Auszeichnung, ins Schloß aufgenommen worden zu +sein. Er sagt, so gut wie jetzt ihm, sei es in seinem Heimatskomitat +noch keinem Menschen ergangen, seit die Welt steht. Nur ein Anliegen +trage er, es sei vielleicht dumm, aber er könne sonst nicht leben. Beim +Militär sei er es so arg gewohnt worden und bei ihm zu Hause sei ein +Mannsbild gar nicht anders denkbar. Gut und Blut wolle er mit Freuden +opfern für den König, nur um die eine Gnade bitte er; wenn er schon +bei Hof bleiben dürfe, so bitte er um einen Schnurrbart. Daß er nicht +wöchentlich dreimal unter das schreckliche Messer kommen müsse, daß er +einen Schnurrbart tragen dürfe, das sei sein untertäniges Bitten.« + +»Einen Schnurrbart?!« Die Gesellschaft brach in ein unbändiges +Gelächter aus. + +Die Königin machte eine Gebärde des Mißmutes: »Ich wußte ja, daß Sie +lachen würden. Mir war nun aber gar nicht ums Lachen. Der arme Bursche +bittet ja um gar nichts anderes, als um seine Persönlichkeit, um das +Selbstbestimmungsrecht über sich selbst. Kann man in unserer Zeit +der Freiheit und der Menschenrechte um weniger bitten? Kann man um +etwas Selbstverständlicheres bitten, als um sich selber? Um seinen +Schnurrbart bittet er, der aus seiner eigenen Haut hervorwächst -- und +siehe, ~ich kann ihm den Schnurrbart nicht bewilligen~. Ich bin +Königin und habe nicht einmal die Macht, zu sagen: Ja, mein Junge, +deinen Schnurrbart sollst du haben. Ist das nicht tragisch? Ist es +nicht lächerlich tragisch? Wir regieren die Völker, und den Sitten +unseres Hauses gegenüber sind wir ohnmächtig. Hofetikette! Die Diener +haben stets in vorgeschriebener Livree und glatt rasiert zu erscheinen +-- punktum. Welche Palastrevolution, wenn der König entschieden hätte: +Lajosch, dir ist gestattet, den Schnurrbart zu tragen! Nach einem +Monat prangten alle Diener in Schnurr-, Backen-, Spitz- und weiß der +Himmel was für Bärten. Was bliebe dem König übrig, als sich den Bart -- +rasieren zu lassen! Es ist ja ein Unding und man kann's nicht ändern, +man kann nicht. Wahrlich, diese Bartgeschichte des armen Lajosch hat +mich sehr demütig gemacht. Wir, die sogenannten Mächtigen, in welchen +Fesseln wir liegen! Spinnengewebe und doch unzerreißbar, so lange wir +der Vorurteile nicht Herr werden können.« + +»Wenn ich mir eine Bemerkung gestatten dürfte,« sagte mit einer +Verneigung der Professor. + +»Die kann ich nicht zulassen!« rief halb ernsthaft, halb humoristisch +erregt die Königin. »Um höfische Torheiten zu schützen, muß ich die +Zensur verhängen. Denn ich weiß, was sie sagen wollen, Professor. Sie +wollen sagen, der König habe gottlob doch noch andere Eigenschaften, um +sich von den Lakaien zu unterscheiden, so daß er für sich wie für jeden +andern die Bartfreiheit unbedenklich gestatten könnte. Dem Könige eines +freien Staates gezieme es, von freien Männern umgeben zu sein, selbst +in seinem eigenen Hause, so daß das Volk sehe: im persönlichen Dienste +des Königs zu stehen sei Rittersart, aber nicht Lakaienart. Das wollten +Sie sagen!« + +»Ei doch nein, Majestät, so weit hätte ich mich nicht erdreistet --« + +»Ich bitte Sie, Professor, Sie sind zufällig glücklicher Besitzer Ihres +Schnurrbartes -- behalten Sie ihn oben und gestehen Sie offen Ihre +Meinung.« + +»Nun allerdings, wenn auch nicht ganz so geradeweg, ungefähr allerdings +hatte ich mir so gedacht. Mir fällt nur noch ein, daß man -- anstatt +den Schnurrbart bis auf das »Es ist erreicht« aufzustrammen -- auch +sagen könnte: Wenn einer, so sollte der König bartlos gehen, weil er +der erste -- Diener des Staates ist.« + +»Das nenne ich Schnurrbart!« lachte die Königin. + +Die Königin-Mutter hatte diesem Gespräche anfangs mit freundlichem +Kopfnicken, nun aber mit einiger Unbehaglichkeit zugehört. Sie war auf +Besuch im Schlosse und der freie Ton, der hier herrschte, war ihr neu +und befremdlich. Sie warf nun die ablenkende Frage ein, ob der arme +Lajosch sich getröstet habe. + +»Nein, teuere Mama,« antwortete die Königin, »der hat sich nicht +getröstet. Wir haben uns trösten müssen. Als er merkte, daß sein +Bittgesuch unberücksichtigt bleibe, hat er kurz und höflich den Dienst +gekündigt. Noch nie habe ich einen Diener so ungern ziehen sehen als +diesen, der seine Existenz dem Schnurrbart opferte.« + +»Dem Manne kann geholfen werden,« sagte nun der General. »Ich +rekrutiere ihn neuerdings zum Heere. Dort muß der Mann -- sozusagen +-- zwar auch manchmal Haare lassen, doch der Schnurrbart bleibt ihm +stehen.« + +»Ich wußte es ja, General, daß Ihr Herz engagiert wird. Und Sie werden +ihn doch gleich wenigstens beim Hauptmann anfangen lassen?« + +»Das allerdings, Majestät, dürfte sich schwer machen lassen. Es rückt +alles nach der Rangordnung.« + +»Auch im Fall, daß einmal Verdienst und Tüchtigkeit --?« + +»Alles stets nach der Rangordnung, Majestät.« -- + +Als der Zerkle aufgehoben war, die Gäste vor der Königin ihre +gebührende Reverenz gemacht hatten und davongegangen waren, trällerte +der Professor, auf der Straße dahinschlendernd: »Trallala, trallala! +Rangordnung! Stehen die Haare vorne, so heißen sie Schnurrbart, stehen +sie hinten, so heißen sie Zopf -- trallala, trallala!« + +Daß nun der General die Allerhöchste Protektion unberücksichtigt ließ, +das hielt er für Schnurrbart, war in diesem Falle aber -- Zopf. + + + + + Die Einsiedler. + + +Vom alten Hofe des Plattenbauer auf der Hohe steigt ein junges +Frauenzimmer talwärts gegen die Grazerstadt. 's ist ihr schon seit +etlichen Jahren vorgegangen, sie müßt' ins Kloster gehen. 's ist +nichts, weltlicher Weise, 's freut sie nichts mehr, so lustig sie +früher einmal ist gewesen. Bauernweis' ist allerweil arbeiten, aber +der Mensch kann nicht genug beten. Immer ist ihr auch nicht so zu Mut +gewesen. Aber -- die lieben Leut' laufen davon oder sterben ab. + +Abgestorben ist ihr Vater vor zwölf Wochen und jetzt hat sich's +herausgestellt, daß sie ihrem Wunsch kann nachgehen. Zweihundert +Gulden und noch was dazu hat sie Erbschaft. Jetzt hindert sie nichts +mehr daran, sie kann in's Kloster gehen. Aber wie fängt man das lauter +nur an? In der Grazerstadt gibt's ja Klöster genug, um den ganzen +Schloßberg herum. Doch sie sagen, der Kaiser wollt' sie abstiften. 's +wird nicht wahr sein, so grob wird er doch nicht sein. Wer schon einmal +drin ist, wird ja sitzen bleiben dürfen. Aber wie hineinkommen? Halt +aufnehmen werden sie niemand mehr wollen. Frauenkloster natürlich! +Einen Bekannten wüßt' sie wohl, der sie könnt' weisen und der's gewiß +auch gerne tät, weil er selber auch ist in die Buß' gegangen. Aber mein +Eid, wo wird dieser Mensch zu finden sein. In einer Schloßberghöhle, +hört man, soll er Einsiedler sein. Aber Schloßberghöhlen gibt's viele +und in etlichen, sagen sie, täten Räuber hausen. Da kann ein schwach +Weibsbild doch nicht gehen suchen. Daheim die Knechte haben eh schon +g'lacht. Daß man's nit tät wissen, ob der Markel ein Einsiedler sei +worden oder ein Räuberhauptmann. 's ist nur G'spött, weiß doch jeder, +daß es dem Markel um den Himmel geht und nit um die Höll. Wenn er die +Höll' hätt' wollen, hätt' er auch in Rinneg verbleiben können und ich +hätt' leicht Ursach' sein können; nein, vor dem hätt' ih mich nit lang +mögen derwehren. Aber jetzo, wenn er in der haarenen Kutten steckt -- +und die Raben werden ihm mit dem täglichen Brot auch nit gar zu ratlich +(reichlich) sein -- da wird er schon frumm Lampel worden sein. Der +kunnt mir freilich raten, der Markel. Wills halt doch probieren, ob ich +ihn find. + +Das waren der Maid trautsame Gedanken, als sie herabstieg von der +Plattenhöhe. Ein gesund Bröckel Weibsbild war's: wie alt, wie schön, +das weiß man nicht genau. Sie hatte einen Stecken bei sich und um die +Faust, in der sie ihn hielt, einen Rosenkranz gewunden, da war sie +doch wehrhaft genug. Im Mariagrünerwald sah sie einen Hasen; er war +vor ihr über den Weg gelaufen -- von links nach rechts. Das hat was zu +bedeuten. Bei den Elisabetherinnen wird sie aufgenommen -- sicherlich. +Lauf' nur, lauf' Has', daß dich der Jäger nit derwischt! Um dich +wär's schad. Oder gar bei den Ursulinerinnen! Wenn sie fromm ist und +zweihundert Gulden mitbringt! Aber sie kennt sich nit aus in der großen +Herrenleutstadt. Ein einzigesmal ist sie drinnen gewest mit Milch. Hat +ihr einer's Geld herausgelogen. Seitdem nimmermehr. Ganz schlechte Leut +und ganz gute Leut sind bei einand in so einer Stadt. Achtgeben muß +man. + +Ein Obersteirer begegnet ihr, oder wer er ist. Just so gewandet mit der +ledernen Kniehose und dem grünen Hut. Der lange schwarze Backenbart +dazu, der steht nit gut. Da tät ehenter ein Schnurrbartel gehören. +-- Wie er vorbei ist, wendet die Maid sich um und schaut ihm nach. +Der, wenn er nit so ein Bauerngewand tät anhaben. Den möcht' eins für +den Mariagrüner Waldbruder halten -- so ähnlich ist er ihm. Den kunnt +sie eigentlich auch aufsuchen, den Waldbruder. Nein, da geht sie doch +lieber zum Markel, mit dem ist sie besser bekannt. Lachen wird er +schon, der, daß sie jetzt auch so was Heiliges will werden. + +Wie sie über den Rücken des Rosenberges hinausgeht, sieht sie schon den +Schloßberg. Der steht mitten auf aus der Eben' -- wie ein Heuschober, +vergleichsweise. Und um und um die Laster von Häusern. Hoch auf dem +Berg steht ein großes Schloß, viel Spitztürme und graue Mauern. Der +steile Berg ist nackend über und über und lauter Steinwänd' und Löcher +hinein. Dort, in einer solchen Höhl' wird er hocken, der Markel, und +bußwirken. Aber nirgends ein Weg hinauf, man sieht keinen. Die Straßen +zum Schloß ist auf der anderen Seiten. Jetzt läutet die Liesel[1] -- 's +ist Mittag, die Maid steht still und betet den Englischen Gruß. + + +Fußnoten: [1] Name der großen Glocke auf dem Grazer Schloßberg. + + +Nachher steigt sie den Steig hin bis zu den Häusern. In einer Krämerei +fragt sie an, ob man nichts wisse von einem Einsiedler Markel; am +Schloßberg soll er seine Höhl' haben! + +»Wird's halt derselbig sein, der Markarius heißt und den Leuten die +Schwindsucht kann abbeten. Schau hinauf einmal, dort zwischen den zwei +Steinwandeln, siehst das schwarze Loch? Dort is er drinnen.« + +Denkt sie sich: Ist eh merkwürdig genug, daß ein Landmensch in die +Stadt geht, um Einsiedler zu werden. Aber da oben, das glaub' ich, +da bleibt er freilich hübsch allein. Möcht' schon wissen, wie ich da +hinaufkomm'! + +Zur selbigen Stund' ist es gewesen, daß der fromme Einsiedler Markarius +seine Lodenkutte sich vom Leibe reißt und heftig in den Winkel +schleudert: »Jetzt soll dich schon der Teufel holen -- hätt' ich bald +gesagt!« + +Lodenhosen hat er noch an, die gehen ihm bis unter die Achseln hinauf. +Hemed keins, mit nackten Armen steht er da, schier glatt und weiß. +Oft scheint die Sonne nicht drauf. Ist's doch das allererstemal, daß +er tagsüber seine Kutte wegschmeißt. Aber das Gesicht voller Haar. +Der Kopf geschoren wie ein Schaf zu Micheli. Die Kapuze hängt an der +weggeschmissenen Kutte. + +Was ist denn das? Über dem Steinwall schaut ein Weiberkopf her. Auf +allen Vieren ist sie emporgeklettert und ist rot im Gesichte und +schnauft: + +»Markel!« + +»Katzl!« + +»G'funden hab' ich dich!« lacht sie auf. »Aber jetzt mußt dein' Rock +anlegen.« + +»Die Kutten meinst. Die leg' ich nimmer an, mein liebes Katzel!« + +»Wir dürfen ja kein Fleisch mehr anschau'n. Denk dir Markel, ich auch. +Ich will ins Kloster!« + +»Du?« sagt er. Dann patscht er mit den flachen Händen auf seine +Schenkel: »Du ins Kloster?!« Und lacht hell heraus. + +»Wenn du ein frommer Einsiedler bist worden!« erinnerte sie vorsichtig. + +»Bins ja nimmer!« rief er und hob ein Papier auf, das im Schutte lag. +»Da les'!« + +»Mein Gott, wie kann denn ich lesen!« + +»Der Kaiser hat mir schreiben lassen. Uns allen, uns Klosterleuten +und Eremiten. Sollten schauen, daß wir weiterkommen, Faulenzer +kunnt er nit brauchen. Alles aufgehoben. Nur die schulhaltenden und +krankenwartenden Klöster hat er ausgenommen. Den Mariagrüner-Bruder +sollen's auch schon abgesetzt haben. Ist aller Einsiedler um Graz +Oberhaupt gewest.« + +»Jesses, ich hab's Haupt ja laufen sehen.« + +»Was für ein Haupt?« + +»Nau, euer Oberhaupt. Ist schon im Steirerg'wand g'west.« + +»Wird mir auch nix anderes übrig bleiben. Wenn ich in drei Tagen nit +weg bin von da, so kommt der Wachter. Les' nur, da steht's.« + +»Was sagst denn, Markel!« schrie sie auf. »Ja, nachher wär's bei mir +auch nix. Schulhalten kann ich nit, krankenwarten mag ich nit.« + +»Und mir gehts auch nit anders. Heut' steig' ih noch auffi, da ins +Gschloß und red mit dem Guferneer!« + +»Red' für mich auch. Wenn ich nu wieder müßt' heimgehen zum +Plattenbauer! Hab'ns dich nit brauchen können! möchtens sagen, und das +G'lachter! -- Na, heim geh' ich nimmer. Ein bissel ein Kloster wird +doch noch wo übrig bleiben für unsereins. Ich zahl' ja mein' Sach' und +mein Beten und Fasten und Frommsein wird doch niemand irren. Geh', +Markel, tu' anfragen. Im Kapuzinergraben wart' ich, bei der Kirchen.« + +So tat der Eremit Markarius seine alte Bauernjoppen wieder an und den +schwarzen Strohhut mit dem breiten Dach und ging hinauf ins Schloß, um +sich zu beschweren. Bis zum »Guferneer« kam er zwar nicht vor, aber der +Schreiber in der Kanzlei hat ihn ins Gebet genommen. »Ja, mein Lieber,« +sagte der, »jetzt ist eine andere Zeit, jetzt heißt's arbeiten. Unser +Kaiser Josef ist der erste Arbeiter im Reich, der kann die Müßiggänger +schon einmal gar nicht leiden, und sollten sie noch so fromm sein.« + +»Herr Amtmann,« antwortete der Bruder Markarius, »wenn unsereiner +einmal nit mehr fromm sein darf, dann wird einer ein schlechter Mensch +und tut Leut' ausrauben!« + +»Und wenn einer Leut' ausrauben tut,« antwortete der Schreiber in +gleichem Ton, »dann lassen wir ihn henken.« + +»Beileib' nit,« sagte der Einsiedler und zog sein bärtiges Gesicht ins +Lachen, »kein schlechter Mensch, das mag ich dennoch wohl nit werden. +'s ist nur so ein G'spaß gewest. Halt anfangen, wenn ich wüßt, was ich +jetzt sollt!« + +Hat der Schreiber mit den Achseln gezuckt: + +»Sollt' ich etwan dem Kaiser nach Wien nachlaufen und fragen, was alle +die Leut', die er aus den Klöstern und Höhlen verjagt hat, jetzt machen +sollen? Arbeiten soll'ns. Gestern hättet Ihr auf der Triesterstraße +ganze Scharen von Klostergeistlichen wandern sehen können, etliche noch +in der Kutte, die andern schon in ihrem weltlichen Gewand und auf dem +Buckel Zegger und Binkel. Die einen taten laut Rosenkranz beten, die +anderen greinen und lachen, und gejuchzet haben ihrer auch ein paar, +daß sie wieder in der lustigen Welt taten sein. So sind sie fort. +Loschament und Arbeit suchen, wo sie sie halt finden. Euch kann ich +auch nichts anders raten. Fleißig arbeiten, vor der Arbeit eins beten, +nach der Arbeit eins juchzen, so wirds dem Kaiser am liebsten sein und +dem Herrgott auch.« + +Mit diesem Bescheid hat der Bruder Markarius wieder gehen können. +Unterwegs in den Kapuzinergraben wollte er bei dem Eck-Kramerstandel +für das Katzerl einen Wecken kaufen. Etliche Pfennige hatte er noch in +der Wilflingjacke gefunden. Aber das Standel war heute geschlossen und +die Kramerin war gestorben am Tag zuvor. Bleibt er stehen, denkt nach +und geht weiter. + +Vor der Kirche steht sie. + +»Bist da, Katzerl?« ruft er ihr zu. »Ist's dir recht, daß ich alleweil +noch Katzerl zu dir sag'?« + +»Wennst schon Katherl ganz und gar nit kannst sagen, muß es mir wohl +recht sein. Magst's Katzerl derleiden, mußt auch 's Kratzerl +derleiden.« + +»Will dich Katherl nennen. Ist eh ein schöner Nam'! Weil wir zwei itzo +allein dastehen und zusamm'halten müssen.« + +»Was hat er denn gesagt, der Guferneer?« fragte die Maid. + +»Nix. Bin nur bei seinem Schreiberknecht gwest.« + +»Und was hat der gesagt?« + +»So viel wie nix. Das hätt' ich selber auch gewußt, daß 's jetzt +arbeiten heißt. Wenn ich ein bissel Geld hätt'! Da enten beim +Wildkästenbaum ist eine Kramerin g'west. Die ist gestorben. Das Standel +möcht' ich gleich, da wollt' ich drauskommen. Kein schlecht's Platzl +beim Kästenbaum, gehen drei Straßen z'samm!« + +Da sagte sie ihm nahe ans Ohr: »Ein bissel Geld hätt' ich.« + +Und ist's also geworden. Sie haben sich das Kramerstandel erworben, +haben gehandelt mit Wecken, Bockshörndln und Feigen, mit heilsamen +Wurzeln und Kräutern und anderlei guten und nützlichen Dingen. Drüben +in Geidorf haben sie sich zwei Wohnungen genommen; denn das stand +fest, hatten sie auch das Geschäft gemeinsam, persönlich wollten sie +Einsiedler sein und verbleiben. Und die zwei Wohnungen sind gleim +nebeneinandergestanden. Die Tür dazwischen war fest zugesperrt. Hat +sich also jedes in seiner Stuben ein Altarl aufgerichtet an dieser +Tür und hielt jedes für sich seine Vesper ab jeden Abend, so daß es +war, als stünden zwei Klöster nebeneinander, ein Mannskloster und ein +Frauenkloster. Und just an der Verbindungstür, damit sie nicht konnte +aufgemacht werden, hatten sie ihr Altarl errichtet, sie herüben, er +drüben. Und wenn sie davor knieten bei der Vesper, so knieten sie +eigentlich voreinander, und ob die Andacht just immer am Altar haften +blieb und nicht bisweilen durchs Türholz ging, das getraue ich mir +nicht zu entscheiden. + +Beträchtlich klostermäßig ging es auch im Kramerstandel her. Das +einemal saß der Markel drin, das anderemal die Kathel; beisammen nie, +hätten auch schwer Platz gehabt. Die Preise waren christlich, maßen sie +sich mit wenigen Pfennigen Gewinn begnügten im Erdentag. Ging ein armes +Weibel vorbei, so erhielt es wohl gar den Wecken umsonst; schnaufte +ein alter Mann daher, so schenkte ihm der Markel eine Gamswurzel, so +für schweren Atem heilsam ist. Das alles sah sich gar erbaulich an +für die Nachbarschaft, und dennoch ist der Spott laut geworden über +das Einsiedlerpaar. Ein Schustergeselle erdreistete sich, das alte +Volksliedel für den Markel umzubiegen: + + »Der Mann auf dem G'wänd + Hat die Kutten verbrennt, + Hat die Beten verschmissen, + Ist dem Dirndl nachgrennt.« + +Ob solcher Kränkung wollte der Markel sich doch einmal gründlich +verteidigen bei der Kathel, und eines Abends begann er das Altarl +wegzuräumen, das an der Verbindungstür stand. Sie aber räumte das +ihre derweil noch nicht weg, versuchte vielmehr den Schlüssel, ob er +wohl sicher umgedreht war. Er war nicht umgedreht, die Tür war nicht +verschlossen, was die Kathel für ein Mirakel hielt, weil sie sich +alle Abend von dem Gegenteil überzeugt hatte. Fest glaubte sie das +erstemal noch nicht dran; aber wenn das Mirakel ein zweites- und gar +ein drittesmal geschehen sollte, dann müßte sie dem Altarl schon einen +andern Platz anweisen. Aber wo ist der »Geistler« dazu? + +Zur Zeit war der Markel viel auswärts und stieg mit Krampen und +Kräunzen auf dem Plawutsch oder auf dem Geierkogel herum, oder gar auf +dem hohen Schöckelberg, um heilsame Wurzeln und Kräuter zu sammeln, +weil er sich bei derlei wohl auskannte. Solche Waren wurden von den +Käufern auch belobt. Aber der Pfarrer vom Kapuzinergraben blieb eines +Tages stehen vor dem Standel und fragte deutsam an, ob da nicht auch +ein Kräutel für den Tod zu haben sei? + +Bisher, antwortete der einfältige Markel, hab' er so eins noch nit +gefunden. + +»Nun also, wenn du weißt, daß du sterben mußt, was lebst denn nachher +mit dem Kebsweib? Kommst ja in die Höll' mit ihr!« + +Der Kramer verstund' die Lehr' nur zu halb und am Abend räumte er das +zweitemal sein Altarl weg, um die Kathel fragen zu gehen, wie die +Ansprach' wohl gemeint sein könne? Aber der Schlüssel war umgedreht. -- +Ihr alter Brauch; ganz nach dem Sprüchel: »Schmecken laßt sie, anbeißen +nit.« + +Und ereignete es sich dann, daß der Markel von seinen Bergwanderungen +einmal mehrere Tage lang nicht zurückkehrte. Zwei Tage war er öfter +schon ausgewesen, aber drei Tage noch nie und jetzt fiel es der Maid +aufs Herz, wie die wahrhaftige Einsiedelei ganz und gar nicht zu +ertragen sei. Am vierten Tage kam er. Die Kräunzen voller Krautwerk +und den Mund voller wundersamer Berichte. -- Er sei weiter hinteri +gegangen, ganz hinteri ins Gebirg. Was es da für Wildnis gibt überall! +Wald soweit das Aug' tragt. Und mitten auf steht er. ~Das~ +ist ein Steinberg! Da ist der Schloßberg wie ein Schotterhäuferl +dagegen. Wundershalber steigt er hinauf, schier einen ganzen Tag. Und +oben Arnika, ganze Wiesen voll zwischen den Steinen. Und Speik und +Gamswurzeln und sonst Wurzelwerch allerhand. Und ist er über einem +schaudervollen Gewänd gewest, wohl wie zwanzig Kirchtürm so hoch, +und kirchturmsteil nieder ins tiefe Tal. Ist aber so ein Gamssteig +zwischen den Wänden niedergangen und denkt er sich: Vielleicht sogar +Edelweiß! und knorzt hinab ins Gewänd soweit er kann, und wo erst der +schauderhaft Abgrund anhebt. Und findet unter der Wand ein eben Platzl +und ein Wasserbründel, und darüber ein Bildnis: Unser' liebe Frau! -- +Fallts ihm ein: Hier ist das recht Ort für einen Einsiedler! In der +Grazerstadt tun's eh alleweil spötteln. Was gilts, er packt z'samm, +nimm sein Katzl und geht hinauf in die Felsenwildnis! Ein Hüttel sei +leicht gebaut, habe sich das Fallholz und die dicken Baumrinden schon +ausgeschaut. Kein Mensch hätt' ein' festere Burg. + +So lang und so viel erzählt er und macht alles so gut, daß die Kathel +zuletzt sagt: Ihr sei's schon bald recht auch. Hätt' man sich das fromm +Leben schon einmal vorgenommen -- dort oben gibts keine spöttelnden +Leut', und dem Kaiser seine Hand wird wohl auch nit so lang sein. -- +Ob sie nit vorher der Geistler sollt' zusammentun allzwei, fällt ihr +ein; und lacht sich auch schon darüber aus: Verheiratete Einsiedler! +Ein bissel ein' Anfechtung macht ja nix. Wo wär' denn das Verdienst, +wenn's kein' Anfechtung nit hätt! -- Geht in ihre Kammer und versucht +den Schlüssel, der ist in Richtigkeit. + +Und eine Woche nachher: Die Waren haben sie teils verkauft, teils +verschenkt und wie das Standel leer ist, rucken sie sich ihre Kräunzen +mit Gewand und Werkzeug auf den Buckel und wandern ab. Einen Tag lang +auf der Straßen der Mur entlang ins Gebirg. Dann rechterhand in eine +Schlucht, und dräuen die Wänd schon himmelhoch herab, daß der Maid ein +Schauder durch den Leib geht. Begegnet ihnen ein Halter, hat statt der +Gert eine Flinten und sagt, sollten sich in acht nehmen vor Wölfen und +Bären. + +»Hat mich keiner g'fressen, frißt mich keiner!« ruft der Markel -- und +nachher halt anwärts, steil, durch Strupp, über Gefäll und Gestein. Mit +ehrfürchtiger Freud sieht es die Kathel, wie in der Wildnis überall +der Tisch ist gedeckt. Erdbeeren, Heidelbeeren, Himbeeren, Pilze und +Tierwerch zu fangen überall, wer geschickt ist. Und überall frisches +Wasser, und ein Brunnen ist, der fällt so dick wie ein Startinfaß viele +Klafter hoch herab und ist's kein Rauschen mehr, ist's ein Krachen, daß +man sein eigen Wort nicht versteht. + +Mit harter Plag sind sie endlich oben auf der wüsten Höh'. Die +Kathel muß sich die Augen verhalten, so packt sie der Schwindel, wie +sie in die Tiefen will schauen. Da ins G'wänd soll sie hinab? Das +Gamssteigel, wo sie nachher nit weiter kunnt und nit mehr zurück! -- +Just einmal probieren! sagt der Markel und führt sie niederwärts in +die schauderlich Felswand, bis zum Platzel, wo das Bildnis ist und das +Brünnel in eine Steinschale tut rinnen. + +Gott wird's mit Willen gemacht haben, daß es zurzeit wochenlang ist +schön geblieben und warm Tag und Nacht. Jedes in einer andern Felskluft +hat geschlafen auf Moos und des Tags haben sie gesammelt und gebaut +an der Klause bei dem Brünnlein. Also, da lehnt die Hütte an der +überhängenden Wand. Eine Rindentür hat sie und zwei Fensterlein und +einen Steinblock zum Tisch und zwei Holzblöcke zum Sitzen und eine +Steingrube für das Herdfeuer und zwei Lager aus Bergheu und Moos. Und +an der Wand zwei Baumäste gequert zu einem Kreuz. Die Vorratskammer +ist draußen in einer Felsspalte, und hätten sie denn alles beisammen, +was der Mensch braucht, um so lang zu leben, bis er selig ist. -- +Seligwerden, das ist beider ernsthaftes Fürnehmen. + +»Sie taten beten und arbeiten,« heißt es von den beiden Menschen in +einer Chronik zu Breitenau. Und ist derselben zu entnehmen, daß sie +allerlei wilde Früchte sammelten, daß sie aus Kraut und Wurzeln und +manchen Beeren einen »Geist« haben gebrannt, mit dem der Markarius +zeitweilig in den umliegenden Tälern hausieren ist gegangen. Auch +sollen sie Wallfahrern, die weit her zum Bildnisse »Unserer lieben +Frau« auf den Berg gekommen, mancherlei Dienste geleistet und +Stärkung gespendet haben. Etliche Zeit der Einsiedler soll bitter +hart gewesen sein. Es ist nicht gemeint die kalte Winterszeit, da sie +monatelang eingemauert waren mit Schnee und den unbändigen Alpenstürmen +preisgegeben. Es ist nicht gemeint der Mangel mancher Lebensmittel +und es ist auch nicht gemeint die Bedrängnis, wenn eins krank war +oder Steinlawinen sie bedrohten. Ein anderes Bedrängnis war's, das +ihnen bisweilen bitterhart hat zugesetzt. Da ist der Markarius wohl +aufgestanden in der Nacht und hinausgegangen zur Quelle, um kaltes +Wasser zu trinken. Und wenn er, von Frost geschüttelt, in die Hütte +zurückgekehrt und auf seinem Lager zur Ruhe gekommen war, stand die +Kathel auf und ging auch hinaus, um zu trinken. Einsiedler sein, meint +besagte Chronik, sei nicht das härtest', aber sotane Zweisiedler sein +und gleichwohl Einsiedler verbleiben wollen, das sei vergleichbar +einem Fegefeuer, wo ein Mensch all' Sündhaftigkeit könnt' löschen. +Und hätten es nicht erzwungen, wenn der heilige Brunn' nicht wär +gewest, also, daß der Gnadenquell sich geoffenbaret. So haben sie das +Klosterleben, als davon sie vertrieben worden, auf hohem Birg streng +geführet, als Zeugnis, was möglich ist an starkem Willen. Sind aber +sonder Rast gewest und ist solchen Anachoreten das Fleisch abgefallen +von den Knochen, und doch ein Augenlicht, brennend und begehrend, +so daß sie angefangen, sich voreinander zu fürchten. Und ist dem +Einsiedler die heilige Jungfrau erschienen und der Einsiedlerin der +heilige Jüngling Aloisius. Und haben die Anachoreten vor Verzückung +einander mit Wacholdergerten gegeißelt bis aufs Blut. + +Einer der Ortskundigen will aber dieser Schrift nicht Glauben +schenken; sie sei aus einer alten Sagung gezogen und zum Spott auf +die Leutlein oben am Schüsserlbrunn angewandt worden. Wahrheit sei +vielmehr solches: Eines Tages seien die zwei herabgekommen zum Kuraten +von Sankt Erhard und hätten lachend erklärt, die Sach' tät ihnen auf +die Läng zu dumm werden. Gar jung seien sie freilich nicht mehr, aber +auszahlen tät sich's vielleicht noch alleweil. Sie hätten einmal +ernsthaftig Einsiedler werden wollen, jedes für sich, seien nachher der +Umstände wegen Zweisiedler worden. Und jetzo möchten sie halt wiederum +Einsiedler werden, ein einziger, aus zweien einer. Aus ihrer zwei eins +machen, wenn er so gut wär'. + +Der Kurat war schon einer von solchen, die man später Josefiner genannt +hat. Er sagte also: »Leutlein, das ist gescheit. Eins in der Gesinnung +und in der Lieb', das ist eine gar heilsame Einsiedelei.« + +Und lacht die Kathel auf: Was sie doch einfältig wär'! Solang' hätt' +sie sich vor dem Geistler gefürchtet und jetzo tät sich das so leicht! +-- Der Wochen zwei und sie sind eins gewesen. + +Aus einem solchen Eins kommt gerne noch Eins. An drei Jahr' später +ist's, an einem Hochsommermorgen, hält der Markari ein blondhaarig +Bübel auf dem Arm. Das Bübel juchzet und schlagt die Ärmelein +auseinand, als wollt' es den Sonnenball auffangen, der dort hinter den +Bergspitzen aufsteigt. Und sagt der Vater: »Kerl, kleiner! Schau sie +nur an. Wo sie aufgeht, dort weit hinterwärts ist die Wienerstadt. Und +dort ist der Kaiser daheim. Und wenn der nit wär g'west, tätest du +jetzt freilich kaum juchezen auf derer Höh'!« + +Zur Zeit ist anstatt der schlechten Klausen schon ein besseres Häuslein +fertig gewesen und daneben ein Ziegenstall und daneben eine Kapelle mit +Turm und Glöckel. Und die Wallfahrer, wenn sie von Schüsserlbrunn heim +sind gekommen, haben erzählt von den guten Leutln, die mit gar Geringem +so glückselig leben da oben auf wildem Birg. Also daß wir ohn' Sorg und +Kümmernis können von ihnen scheiden. + + + + + Ein Wildling Christi. + + +Gregor, der Hirtenhauser auf der Niederalm, hatte nun glücklich +abgewirtschaftet. Das zerlemperte Gütel hatte er seiner Tochter +übergeben, diese ihrem Mann, und der Alte hatte sein Ziel erreicht -- +er war der irdischen Sorgen und Güter frei geworden und konnte sich den +himmlischen Freuden hingeben, mit denen er längst umgegangen, die ihm +das kindliche Gemüt bewahrt, aber ihn um Haus und Vieh gebracht hatten. +Er war ihnen dafür dankbar. Wozu braucht der Christenmensch solche +Sachen! Hat der Apostel Jacobus ein Haus gehabt? Oder der heilige +Joseph ein Vieh? Man liest nichts davon. Dach findet der Mensch, +dessen Hut der Himmel ist, überall. Und wo er um einen Löffel Suppe +zugesprochen, da hatte er stets auch die Brocken dazubekommen. Der +Gregor war ein kluger Mann, doch benutzte er seine Klugheit nicht, um +zu gewinnen, was Sorgen macht, vielmehr um die Sorgen und ihre Ursachen +zu verlieren. Sein Lebtag war's ihm nicht so gut ergangen, denn jetzt +als Bettelmann. Bettelmann? Ein Mann Gottes wollen wir werden, wenn +uns nicht etwa die Demut abhanden kommt. Des Frommen größte Gefahr, er +fürchtete sie, ist heimliche Hoffart. + +Der Halter-Gregl, wie er genannt war, hatte für sein gottseliges Leben +einen besonderen Hinterhalt, an den er sich aber bisher nicht gelehnt. +Sein einziger Bruder war Ordenspriester im Stift Hubertusbrunn. Seit +der Gregl damals brieflich angesucht hatte, als Laienbruder in das +Kloster eintreten zu dürfen und ihm vom Abte die Antwort zurückgekommen +war, er möge nur hübsch bei seinem angestammten Beruf bleiben und +die Arbeit auf Wiese und Feld zur Ehre Gottes verrichten, das wäre +für ihn gescheiter als das Kloster -- seit dieser wunderlichen, ganz +unpriesterlichen Antwort wollte er mit Hubertusbrunn nichts zu tun +haben. Nun war's aber in diesem Stifte anders geworden. Und schon wie +anders! Der alte Abt war gestorben, und Gregors Bruder, der Pater +Dominikus, war zum Prälaten gewählt worden. + +Ob man in der Gegend der Niederalm umherbettelt, wo es doch immer nur +in der Runde geht, oder einen mehr geraden Weg nimmt, den Häusern der +Straße entlang -- für die alten Beine bleibt das gleich. Weiter kommt +man aber auf gerade Art. Und kommt wohl gar bis Hubertusbrunn. Ob die +Herren dort die Klostersuppe einem wildfremden Menschen vorsetzen, oder +dem alten Bruder des Prälaten, das wird für Kloster und Suppe auch +gleich sein. Ihm, dem Gregl, wäre doch damit gedient, daß er endlich in +den Mauern des Gebets, der Betrachtungen und der guten Werke für seine +letzten Lebenstage könnte Unterschlupf finden. + +Also hat der Halter-Gregl seinen Sack genommen und seinen Stecken, und +ist barhäuptig, wie er stets gewesen, straßab und talaus gegangen, +bis er am dritten Tage im weiten fruchtprangenden Talkessel auf einer +Anhöhe stolz und herrlich das Gebäude ragen sah. Es war nicht wie ein +Schloß, es war wie sieben Schlösser neben- und übereinander, mitten +aufragend zwei Türme, eine Kuppel und die Schindeldächer schimmerten +wie Silber. Um die Anhöhe schlang sich in Halbrund ein breiter, +glitzernder Fluß, kleine Ortschaften und große Gärten bestreichend, +die sich hinten in Laubwäldern verloren. Der Gregl saß am Wegrand und +wollte von der einen langen Front die Fenster zählen. Bis achtzig oder +neunzig kam er hinauf, dann vergingen ihm die Augen. + +Und das war Stift Hubertsbrunn. + +Der Erzähler ist in Klostersitten nicht recht bewandert, er muß +sich auf die Berichte verlassen, die ihm zugekommen von den +Berichterstattern zu dieser Geschichte. + +Am nächsten Tage wußte der Hirtenbauer Gregor schon, wie es da zuging. +Aber es gefiel ihm nicht. Über die Aufnahme war so weit keine Klage +gewesen. Der hochwürdige Bruder, Seine Gnaden ward er genannt, hatte +ihn an beiden Händen gehalten, ihn besorgt angeblickt und gesagt: +»Bruder Gregor, du gefällst mir gar nicht. Hast du denn kein besseres +Gewand?« + +Und der Gregor: »Bruder Benedikt, oder wie du heißt, du gefällst mir +auch nit. Was ich zu wenig am Leib han, das hast du zu viel.« + +Denn der Prälat trug einen Talar aus Seiden und Schuhe mit +Silberschnallen und über der Brust eine Kette und ein Kreuz aus +schwerem Golde. Der hochwürdige Herr lachte zum Ausspruch seines +Bruders, tätschelte ihm mit zwei Fingern die rauhbraune Wange und +sprach: + +»Na na, du bist immer noch der Alte. Glaubst du mir's, daß ich so +arm bin, wie du? Dieses Kleid siehe, das deinen Augen Ärgernis gibt, +es gehört nicht meiner Person, es gehört meiner Würde. Und das Stift +gehört dem Orden. So viel erlaubt mir aber meine Armut, daß ich dich +einlade, etliche Tage im Stifte zu bleiben und daß du dir gut sein +lassest.« + +»Du sagst etliche Tage! Und ich wollte als Laienbruder eintreten, die +Kirche ausfegen jeden Tag oder die Glocken läuten, oder wozu ihr mich +verwenden möget, daß ich dem Herrgott ein wohlgefälliger Knecht sein +darf.« + +»Tue dieser paar Tage gerade einmal, was dich freut, Bruder Gregor. +Wie du doch unserem Vater ähnlich siehst, Gott habe ihn selig!« + +Und der Alte antwortete: »Wenn du mägerer wärest, kunnt ich dasselbe +auch von dir sagen. Unser armer Vater, gelt! Wie sich der hat plagen +müssen und sich die Bissen absparen, daß er dich hat können in die +Studie geben.« + +»Laß es gut sein, Gregor, nach den ersten paar Jahren hat mich ja schon +das Stift versorgt, so daß ich den Orden für meinen wahren Nährvater +halten muß.« + +»Immer einmal wirst wohl doch noch eine heilige Messe lesen für unseren +Vater?« + +»Wir beten für alle,« antwortete der Prälat. + +Da deuchte es dem Gregor schier, daß im Stifte auf Blutsverwandtschaft +wenig gegeben würde. Trotzdem genoß er die Gastfreundschaft so gut es +anging. Zufrieden fand er sich nicht, es war ihm alles zu viel, zu gut, +zu weltlich, was es da gab. Des Prälaten abgelegte Hosen und Stiefel, +die er geschenkt bekommen, waren -- von der vornehmen Art abgesehen -- +immer noch weit kostbarer als das schönste Ostersonntagsgewand, das er +je auf der Niederalm getragen hatte. Desgleichen auch die Wäsche, in +der so gar nichts von den härenen Hemden und stacheligen Gürteln zu +spüren war, die nach seiner Heiligenlegende die Mönche gerne am Leibe +gehabt. + +Eine einzige Weltsorge hatte der alte Mann noch an sich, die ihn +manchmal sehr beunruhigte. Als vor Jahren sein Weib gestorben, hatte +sie auf dem Totenbette ihm ein Lederbeutelchen um den Hals gehangen +mit der Bitte, daß er es am bloßen Leib trage und nur in höchster Not +davon Gebrauch machen solle. Der Gregor versprach das, weil er der +Meinung war, es sei ein Amulett darin. Erst später kam er darauf, daß +im Lederbeutelchen fünf Dukaten enthalten waren, die das gute Weib +dem unpraktischen Mann als Notpfennig hinterlassen hatte. Dieses Geld +nun brannte ihn, erstens aus Besorgnis, daß es sündhaft sein könne, +nebst dem beinernen Kreuzlein, das er an der Brust trug, auch Geld +dort verborgen zu halten, und zweitens aus Angst, er könne die Dukaten +-- verlieren. Oft war er daran, diesen Mammon, der ihm so manche +Unruhe machte, von sich zu werfen, aber es war ihm leid drum. Und das +beunruhigte ihn noch mehr, weil es das Zeichen eines geldgierigen +Herzens wäre. + +Nicht ungern ging Gregor mit dem Pater Isidor, dem die Landwirtschaft +anlag, über die Felder. Da standen an Wegen und Rainen Kreuzsäulen und +Heiligenstatuen, vor denen der Gregor zwar nicht den Hut zog, weil er +eben keinen auf seinem weißhaarigen Kopf hatte, wohl aber niederkniete, +um ein paar Vaterunser zu beten. Pater Isidor achtete nicht darauf, +sondern besah sich die herbstlichen Ackerfurchen, ob sie tief genug +wären und Erdschmalz hätten, und wenn der Gregor ein Gespräch über die +Himmelskönigin Maria anheben wollte, wies der Pater ihm froh gestimmt +die weiten Kohlgärten und Rübenfelder. Der Gregor ärgerte sich darüber, +hielt sich aber vor: Du hast kein Recht, es ihm zu verübeln, so lange +du selbst noch am Gelde hängest. + +Ein anderes Mal zog er mit dem Pater Hubert aus, der die Flinte auf +der Achsel trug, auf dem Kopf den Federhut, und der die Forst- und +Jagdangelegenheiten zu besorgen hatte. Als sie ins finstere Gebirge +kamen, wo im tiefen Grund ein schwarzer See lag und zackige Schroffen +in den hellen Himmel emporstanden, legte der Gregor seine Hände +zusammen und sagte die Worte: »Wenn man's betrachtet! Die Allmacht +Gottes!« + +»Pst!« machte der Pater. »Sie müssen still sein. Dort im Lärchschachen +-- sehen Sie? Zwei Rehe! Ein altes und ein junges! Und ein -- Gott +verdamm' mich, hätte ich bald gesagt, wenn das kein Bock ist, dort +hinter dem Fichtenbusch. Ah, sapperment!« Er riß die Flinte von der +Schulter, durfte aber nicht schießen. + +»Sie müssen dableiben bis zur Jagd!« sagte er zum Alten, »da sollen Sie +einmal sehen, wie es purzelt! Da geht's lustig her!« + +»Tun Ihnen die armen Tiere denn nit derbarmen?« + +»Gott hat alle Kreatur erschaffen zur Freude und zum Nutzen des +Menschen.« + +Dachte sich der Gregor: An Gott denkt er halt doch. -- + +Dann suchte er weiter unter den Mönchen des Stiftes. Einen würde +er doch finden, mit dem sich auch was Erbauliches reden ließe. +Freundlich waren ja alle mit ihm, doch wenn er des Rosenkranzbetens +erwähnte, sprachen sie vom Kugelschieben; wenn er der Wallfahrten +gedachte, kamen sie auf Scheibenschießen und Fischfang, und wenn er +über die Notwendigkeit des Bußwirkens sprach, meinten sie, das wäre +brav von ihm, nur solle der Mensch die lieben Gottesgaben auch nicht +verschmähen, und machten sich mit Behagen an den Krug. Freilich sah +er, daß sie zu gewissen Tageszeiten auch beteten und Psalmen sangen, +daß sie die Fasttage strenge einhielten, daß sie Almosen gaben. Ja, +es war sogar ein Pater bestellt, der tat gar nichts anderes, als für +die Armen zu sorgen, wie sie da dreimal in der Woche am Vormittag in +der rückwärtigen Halle zusammenkamen. Da wollte auch der Gregor einmal +sein Lederbeutelchen loslösen und dessen Inhalt den Armen auf die Hand +schütten. Doch fiel ihm ein, so viel würde sie verderben, sie sind nur +Kupferstücke gewohnt. Behielt seine Goldenen am Busen, war bekümmert +sie zu besitzen und war bekümmert sie zu verlieren. + +Eines Tages gegen die Vesperzeit geschah es, daß der Gregor einen +Mönch wandeln sah entlang den Kreuzgang und hinabsteigen eine dunkle +Treppe in unterirdische Räume. Da war am Ende so etwas wie Katakomben, +in denen die ersten Christen ihre Zusammenkünfte und Gottesdienste +gehalten, nachdem sie überirdisch ein scheinbar ganz weltliches +Leben geführt hatten. Gregor schlich dem Mönche nach und kam in die +Weinkeller. Der Mönch lud ihn ein, sich mit einem Krüglein das Herz +zu stärken, was denn auch geschehen ist, so gründlich, daß der alte +Hirte in den feuchten Dämmerungen herzhaft anhub zu jodeln, wie er +es in früheren Zeiten auf der Niederalm getan hatte. Am nächsten +Tage hatte er wieder Durst, und zwar nach Wasser. Er stellte sich im +Garten zu dem rieselnden Brunnen und schaute ihm zu. Er lechzte nach +Wasser, sah es immer an, trank aber nicht, und das war seine Buße für +gestern. Dann geschah es, daß er glaubte, endlich auf dem Wege nach +dem Rechten zu sein. Er hörte von dem großen Büchersaale und wollte +nun auch einmal all die frommen Gebet- und Erbauungsbücher sehen, in +denen die ehrwürdigen Brüder den gottseligen Geist aufbewahrt hätten. +Er hatte nicht gedacht, daß es auf der Welt so viele Bücher gebe; der +große Saal war über und über mit Büchern bestanden, man sah nicht +ein handbreit Stück Wand. Ein paar fremde Herren waren da, denen der +Mönch immer wieder Bücher und Schriften hervorholte und auf den Tisch +legte. Gebetbuch war keins dabei, fast lauter alte weltliche Schriften +und -- wie es dem Gregor vorkam -- sogar heidnische darunter. Einige +vorhandene Bildwerke, die so herumlagen, zeigten geradezu entsetzliche +Sachen in den offenen Tag hinein. Weil dem Alten unheimlich ward, +so ging er hinaus. In einer Wegkapelle, wo das Volk vorüberzog, war +die heilige Jungfrau, darunter die Darstellung der armen Seelen +im Fegefeuer. Hier kniete der Gregor nieder und murmelte seine +altgewohnten Gebete. Er betete um Bekehrung der Heiden; plötzlich kam +ihm das an sich selber ganz abscheulich pharisäerhaft vor und er betete +demütig um Demut. Das erleichterte seine Bange. + +Am unbegreiflichsten war es schon im Speisesaal. Der Bruder des +Prälaten sollte auch an der Tafel sitzen, wenn zwar weiter unten; +allein die silbernen Schüsseln und die kristallenen Becher kamen auch +zu ihm. Es wird halt heut ein Festtag sein, dachte er und ließ sich's +nicht schlecht schmecken. Sein Beisitzer hatte ihm gesagt, daß auch +Christus der Herr gerne Lammbraten gegessen und Wein getrunken habe. -- +Es ging mäßig ruhig und gemütlich dabei her. + +Gerne saß er im kühlen und stillen Münster. Die Kirche war sehr groß +und herrlich anzuschauen -- aber zumeist ganz leer. Er saß in einem der +schöngeschnitzten Chorstühle und betete stundenlang den Rosenkranz ab +und konnte es nicht verstehen, daß die Mönche lieber weltlichen Freuden +nachgingen, als hier im lieben Frieden zu sitzen und sich mit Gott zu +unterhalten. Hatte er sich endlich müde gebetet, so nahm er den Besen +oder den Fächel und fegte die schönen Steinbodentafeln, und staubte die +Stühle ab, die Heiligenstatuen aus weißem Marmelstein, und scharrte das +von den Kerzen abgetropfte Wachs zusammen und bat seinen Gott, er möge +sich den armseligen Dienst gnädig gefallen lassen. In solchen Stunden +war er am glücklichsten. + +Da kam der Sonntag. Alles Volk strömte bei dem Geläute der +Klosterglocken zusammen und füllte die weiten Kirchenräume. Die Mönche, +ihrer dreizehn waren, kamen in kirchlichen Gewändern, der Prälat, eine +wahre Würdegestalt, im Ornat von lauter Seide und Gold. An allen +Kronleuchtern brannten die Kerzen, aus silbernen Rauchfässern qualmten +die Schleier des Weihrauchs am Hochaltare empor bis zu den dunklen +Spitzbogengewölben. Wie ein jubelnder Sturm, so brauste die Orgel, und +der Gesang der Chorknaben klang wie das lieblichste Glockengeläute. Und +als im Hochamte das Sanctus kam, da erhob der Prälat seine Stimme und +sang hell und feierlich das hehre Lied zum Allmächtigen. -- Der Gregor +war außer sich vor Entzücken. Jetzt erst ging's ihm auf, was das heißt: +Klosterleben, Priesterleben! + +Darauf im Refektorium, als Seine Gnaden schon bei Tische saß, kniete +der Gregor nieder und wollte dem hochwürdigen Bruder die Schuhe +küssen. Der Prälat lachte ihn stark aus und sagte: »Vorhin haben +wir Gott gelobt im Gebete und jetzt wollen wir ihn loben in seinen +Gaben. Tue das deine, Gregor!« Was nun alles erschien, das mußte der +beisitzende Mönch dem alten Hirten erklären: Einmal das Gläschen +»Sherry«, das schließt Magen und Herz auf. Die Krebssuppe drauf, die +weckt den Appetit auf. Dann der Hummer, der frißt Sorg' und Kummer. +Dann beim Fleisch vom Rind das Essen eigentlich beginnt. Dann auf +Schweinskopf und gebrat'ne Enten muß man auch noch Andacht verwenden. +Von den Eier- und Mandelkuchen lassen wir uns auch gerne versuchen. +Käse, Obst und Kaffee tut keinem Christenmenschen weh. Und Bier und +Wein laß dir gesegnet sein. Endlich und schließlich ist ein feiner +Rauchstengel alleweil der beste Friedensengel. -- So lebhaft der Mönch +seine Tafelsprüche belachte, so wenig zeigte der alte Hirte dafür +Verständnis. Der hielt sich mehr an das Gemüse, obschon das gar nicht +besungen wurde. Vom Glase hielt er -- Erfahrungen beherzigend -- sich +fern. Nur als der Prälat ein feierliches Prosit ausbrachte auf das +Kirchweihfest, das heute begangen wurde, trank auch der Gregor in +Ehrerbietung seinen Becher aus. Die Festheiterkeit war in sangliche +Tafellustigkeit übergegangen. Dann stand Bruder Isidor auf, klopfte +ans Glas, erhob es, hielt eine frohe Rede von seinen Krautköpfen und +Kartoffeln. Der Bruder Hubertus feierte mit vielem Humor die Rehböcke +und Hirsche, die sich demnächst das Vergnügen machen würden, bei +Seiner Gnaden Tafel die Aufwartung zu machen. Der Bruder Kellermeister +erinnerte bei seiner Ansprache sogar an Luthers Wein, Weib und +Wonnesang, bedauernd, daß die Klosterbuße nicht vollständig sei, weil +von den drei W leider eins fehle. + +Das helle Gelächter, das diese Rede entfesselte, wurde unterbrochen. Am +anderen Ende der Tafel war der alte Hirtenbauer aufgestanden und hatte, +wie es die Redner vor ihm getan, mit dem Messer an sein Glas geschlagen. + +»Hört, hört! der Gregor!« + +»Ja freilich,« sagte dieser in gemütlicher Art, »der alte Gregor will +auch was sagen.« Erst lugte er ein Weilchen vor sich hin und dann +begann er halb grollend und halb schmunzelnd mit einigem Stottern +anfangs, dann immer geläufiger also zu sprechen: »Der alte Halter von +der Alm hat zwar das Predigen nit gelernt, will euch aber doch eine +Predigt halten. Nehmt Ihr's für Spaß, ist's mir recht, nehmt Ihr's für +Ernst, ist's mir noch lieber. Ich will nur sagen: Was die hochwürdige +Geistlichkeit auf dem Stift Hubertusbrunn für ein Leben führt, das +ist ein recht lustiges Leben, ist aber wenig Christentum dabei. Mit +Verlaub, ihr seid viel zu weltliche Herren! Wie wollt ihr denn in +den Himmel kommen, wenn ihr schon drinnen seid? 's Hineinkommen ist +nit mehr möglich, aber 's Hinauskommen ist möglich. Alltag leset ihr +Zeitung, wie viel Jammer und Pein es gibt auf der Welt, und ihr lebt +in Freud, als ob euch allmiteinand nix tät angehen. Und nachher -- +auweh, mich deucht, ihr seid mir schon bös'. Alsdann will ich gleich +aufhören. Amen.« + +Die Wirkung dieses Sermons war fürs Erste überlautes Gelächter. Doch +soll es im Augenblicke einem der Festgenossen eingefallen sein: +Bei diesen zwei Brüdern müsse es eine Verwechslung gegeben haben. +Pater geworden sei der Unrechte! -- Der Prälat, ob der rechte oder +unrechte, hatte ein schier röteres Gesicht bekommen, als es sonst bei +Tafelfreuden der Fall war. Er trommelte mit den Fingern, an deren einem +der große Ring funkelte, auf den Tisch, die andere Hand spielte mit dem +goldenen Kreuz, das ihm über der Brust hing. Dann schüttelte er ein +paarmal den Kopf. In dieser Beklemmnis erhob sich der Pater Franziskus, +der Bibliotheksverwalter war, gab das Zeichen, daß er sprechen wolle +und begann in wohlgesetzten Worten -- er war ja zugleich auch der +Stiftsprediger -- zu sprechen, wie folgt: + +»Teure, ehrwürdige Patres und Fratres! Wir haben eben ein Beispiel +erlebt, wie über einen der Geist kam, bei dem wir es nicht vermeint +hätten. Vielleicht hat sich Gott der Stimme dieses einfachen Mannes +deshalb bedient, um uns Ordenspriestern wieder einmal zu Gehör zu +führen, wie die Welt über uns denkt. Wenn da draußen Leute wären, so +möchte ich ein wenig zum Fenster hinaussprechen. Die draußen haben +nämlich jetzt das Christentum entdeckt. Sie sagen, es sei eine Religion +für die Welt, Christus selbst habe die Lebensfreuden geliebt, nur müsse +man in Vertrauen und Liebe das Reich Gottes im Herzen haben. So sagen +sie, ob sie das letzte tun, weiß ich nicht. Wenn ja, so bin ich damit +einverstanden. Nun höret: Wenn wir ~Priester~ so leben, wie sie +sagen, daß man solle, nämlich in der weltsinnlichen Gottfreudigkeit, +dann heißt es gleich, es wäre unchristlich und ~wir~ sollten in +Armut und Entsagung leben. ~Wenn~ wir's aber wirklich tun, wie ja +gar viele Welt- und Ordenspriester in Armut und Entsagung leben müssen, +hei, da nennen sie uns Mucker, Heuchler und Aszeten. Kurz, wir können +machen was wir wollen, so ist es denen nicht recht. Anders ist es mit +unserem lieben Gregor. Das ist die ehrliche Haut, die bloß zurückruft, +was wir hingerufen haben. Wir, das heißt, viele von uns. Diese haben +Aszese gepredigt, so verlangt der Mann, daß die Priester selbst das +halten, was sie anderen predigen. Das ist ganz in Ordnung. Wir aber -- +und nun wende ich mich an unsern Freund Gregor -- wir Ordenspriester +im Stifte Hubertsbrunn predigen nicht Aszese, sondern Freude in Gott. +Wem sie gegeben wird, der soll sie nehmen. Sie haben selbst gesagt, +lieber Gregor, daß es in der Welt draußen viel Jammer und Pein gibt. +Ist es ein Wunder, wenn mancher ins Kloster flüchtet, wo man im Vereine +mit Gleichgesinnten seiner Seele lebt? Wir persönlich besitzen keine +weltlichen Güter, aber wir verwalten mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit +die Güter des Ordens, die gestiftet worden sind, damit die Brüder +im sorglosen Frieden des Herrn leben können, wie heute, so auch in +Zukunft. Ebenso verwalten wir viele Wissenschaften, die durch Klöster +aus alten Zeiten der Zukunft übermittelt werden. Wir pflegen die +Künste und schmücken damit unser Gotteshaus, unsern Gottesdienst, +erhöhen damit unsere Freude am Göttlichen, unsere Liebe zu Gott. So +sind wir fern dem Unfrieden der Welt, sind eingefriedet ins Bereich, +wo Lebensfreude und Gottseligkeit eins geworden sind. Das findet +man nur im Kloster so, und nirgends anders. Und ich sehe die Zeit, +da viele, des Streites und der Ungerechtigkeit da draußen übersatt +geworden, die Klostermauern suchen werden. Vielleicht wird man ihrem +Klosterleben einen anderen Namen geben, in der Tat wird es dasselbe +sein, denn das Bedürfnis vieler Menschen nach Weltabgeschiedenheit +und Frieden, nach harmlosem Lebensgenuß und nach Gottesfroheit wird +nicht aussterben. Wenn sie, die weltlichen Leute da draußen, die +Freiheit, die persönliche Freiheit so hoch halten, so wird man doch, +wenn man will und kann, auch in das Kloster gehen und ein ruhiges +beschauliches Leben führen dürfen? Unser Herrgott will nicht, daß +der Mensch sich um Geld und Gut, um Lust und Ehre zu Tode hetze, er +will auch nicht, daß einer Not leide, hungere, von anderen zertreten +werde und zugrunde gehe, wie ein Wanderer bei den wilden Tieren in der +Wüste. Denket doch an die übelriechenden Städte mit ihrem törichten +Jagen; denket an die großen Fabriken, überfüllt mit Unzufriedenen und +Mißgünstigen; denket an das kümmerliche, halbvertierte Leben in den +Bauerndörfern -- und betrachtet euch diese friedensvolle Stätte des +heiligen Hubertus, von lachenden Tälern und grünen Bergen umgeben, und +wie wir hier leben in trauter Gemeinschaft mit allen großen Geistern +der Erde und der Himmel. ~So~ zu leben ist Gotteswille, und daß +wir den Himmel schon auf Erden anfangen sollen. Eigentlich gerade das, +was die draußen auch angeblich wollen. Also warum gönnen sie uns nicht +den Klosterfrieden? Und auch unser Freund Gregor hat unrecht, wenn er +meint, der Christenmensch sei auf der Welt zur Selbstqual, anstatt zum +Glücklichsein. Er soll das eine sein lassen und das andere bei uns +versuchen. Fröhlich leben und selig sterben, das muß dem Teufel die +Freud' verderben. Amen.« + +In fröhlichem Tone hatte der Pater also gesprochen, dann war er zum +alten Hirtenbauer hingetreten, hatte ihm die Hand gekneipt, und er +möchte die redlichen Worte nicht übelnehmen. + +»Hau,« sagte der Gregor, »so schön kann ich freilich nit. Da muß ich +schon still sein. 's wird eh wahr sein, was ihr gesagt habt. Für's +Gutleben laßt sich der Mensch gerne überzeugen, ich bin ganz bekehrt. +Jetzt bleib' ich im Kloster, bitt' schön, kleidet mich ein. Und weil +ich schon der Ältere bin, komm' ich vielleicht bei der nächsten +Prälatenwahl dran. Will gleich anheben und Lateinisch lernen, hi, hi.« + +So war alles wieder ins Gemütliche übergegangen und als sie dann zur +Vesper in die Kirche zogen, fand sich der Alte schon drein und während +der Litanei dachte er, es wäre gescheiter gewesen, das Hirtenhaus auf +der Niederalm dem Stifte Hubertsbrunn zu vermachen als dem groben +Schwiegersohn, der sich mit seiner unfreiwilligen Elendigkeit doch +nicht den Himmel, nur die Hölle kauft. + +Von diesem Tage an gefiel es ihm im Stifte besser und er fand, daß +eine solche Vereinigung irdischer Freuden und himmlischer Beseligung +eigentlich recht annehmbar wäre. Beten und Bußwirken könne ja auch +jeder noch ein übriges. Der Klostergehorsam, nächtlicherweile doch +manchmal aus dem warmen Bette aufzustehen zur Gebetstunde, hatte für +ihn einen besonderen Reiz. Leider wurde er nicht geweckt, weil er ja +nicht zum Orden gehörte, sondern nur Gast war. Dafür kniete er, wieder +bange geworden, sonst lange Stunden auf dem kalten Kirchenpflaster und +bat Gott in flehenden Gebeten um den rechten Weg in den Himmel. Sei der +Weg dornig oder blumig, nur gottgefällig sein, das war sein einziges +Verlangen. + +Da kam jene Nacht mit dem glühenden Atem Gottes. In einer Scheune +war Feuer ausgebrochen und ein rasender Novembersturm hatte +die brennenden Latten auf die Schindeldächer des Stiftsgebäudes +gepeitscht. Die Flammen lohten nicht aufwärts, sondern gruben sich, +vom Sturm geschärft, mit tausend Zungen pfeifend ins Gebäude ein, +so daß nach kaum einer halben Stunde alle Fenster des weitläufigen +Stiftes in weißem Lichte standen. Die Mönche huschten, nicht in ihrem +priesterlichen Gewande, nur mit gekrümmten, schlecht verhüllten +Körpern stumm oder angstvoll stöhnend durch die rauchigen, qualmenden +Gänge, durch die Höfe, ins Freie; sie dachten nicht an die Güter, die +verbrannten, sie dachten nicht an Gott -- ihr Einziges und Alles war +die Rettung des nackten Lebens. Am nächsten Morgen war die Stätte +ausgebrannt und aus hundert kahlen, dachlosen Mauern und geschwärzten +Löchern stieg träger Rauch auf. Die Kirche allein war verschont +geblieben und in der waren die Mönche versammelt, klagend, weinend, +fröstelnd und schaudernd. Etliche brüteten stumpf vor sich hin. Andere +verbanden mit feuchten Lappen ihre Brandwunden, wobei ihnen der alte +Gregor beistand. Einer war da, der Pater Hubertus, der schüttelte +fortwährend den Kopf und war sehr nachdenklich. Er hatte sonst manchmal +an die Stunde des Unglücks, an Todesnot gedacht, aber so hatte er +sich's nicht gedacht, daß man dabei ganz an alle Gottheit vergessen +könne! Man rief wohl im Schreck die heiligen Namen, ohne auch nur +flüchtig an die Himmlischen zu denken. Nicht einmal die Todesangst +war eine christliche. Der stumpfe Instinkt des Tieres allein waltet, +jagt dich, rettet dich. Und da fiel es ihm ein: Mensch, in solchen +Stunden bist du just so gottlos und hilflos wie das arme Tier des +Waldes, das du so oft verfolgt hast! -- Die Steinplatten der Kirche +waren kalt und die Mönche hatten keine Decken, keine Kleider. Es kam +der Hunger und sie hatten nichts zu essen. Ein Einziger war gefaßt. +Auch dem Gregor war sein Bündel verbrannt, doch er fror nicht so sehr +in seinem schlechten Nachtgewand, als die anderen, ihm tat der Hunger +nicht so weh, ihn schüttelte die Verzweiflung nicht so arg, denn er +hatte ja eigentlich nicht viel verloren. Er hatte nicht verloren die +großen Vorratskammern, nicht verloren das heimliche Stübchen mit +dem vergoldeten Marienbildnisse, nicht die fürstlichen Säle mit den +Kunstwerken, nicht die Schriften der Weisen und der Dichter aller +Zeiten. Da wollte er sagen zu den händeringenden Vätern und Brüdern: +»Ihr habt ja doch wohl auch nix verloren, denn ihr habt ja nix +besessen!« Aber er sagte es nicht, der Spott schien ihm zu herzlos. +Umso eifriger wusch er die Brandwunden, deckte er die Fiebernden mit +Stroh, machte Botengänge in die nächsten Ortschaften und tat, was er +konnte. Sein Bruder, der Prälat, der auch nichts anderes hatte, als ein +blaues Unterkleid, um sich zu schützen, der klopfte ihm einmal halb +weinend auf die Achsel: »Bruder, jetzt bist du reicher und stärker +als wir. Du bist das gewohnt, wir sind es nicht gewohnt. Und da wir's +verloren und da wir jetzt nichts haben, deucht mich doch, es wäre unser +Eigentum gewesen.« + +»Deucht dich, Bruder?« antwortete der alte Gregor. »Mich deucht auch. +Aber wenn euer Christentum das richtige ist, so müßt ihr auch in +schlechten Zeiten feststehen.« + +»Das werden wir auch, mein guter Gregor. Nur weh tut's, wenn's so +plötzlich trifft. Das große Kreuz wird uns heilsam sein, wir wollen +beten und uns kasteien.« + +Bald merkte es der alte Hirtenbauer, wie das gemeint war mit dem Beten +und Kasteien. Wie Ameisen am zerstörten Haufen, so begannen die Mönche +zu arbeiten, jeder in seiner Art. Was der Brand übrig gelassen, sie +rafften es zusammen und bargen es; mehr war's, als man erwartet. +Bauleute wurden herbeigezogen, anfangs für den Notbau, später für +die Wiederaufrichtung des Stiftes, das allmählich aus seiner Asche +herrlicher erstand. Wie Wunderbrunnen, so flossen die Hilfsquellen +von allen Seiten, besonders von dem in der Welt weit verzweigten +Orden. Die Mönche waren ohne Rast. Sie nahmen fürlieb mit spärlichster +Kost; mancher brachte seinen heimlichen Pfennig herbei und gab ihn +dem entstehenden Vaterhause. Der unermüdlichste und froheste aller +Arbeiter war der alte Gregor. Jetzt konnte er nach Herzenswunsch +»bußwirken«, nämlich Hand anlegen zum Wiederaufbau des Reiches Gottes. +Nicht wie einst handelte es sich um eine melkende Kuh oder um einen +fetten Ochsen, es handelte sich um eine Friedensstatt auf Erden. +Brauchen ließ er sich überall, beim Steinegraben, beim Ziegeltragen, +beim Karrnen und Zimmern und bei viel schlechteren Verrichtungen. +Als sich niemand finden wollte, der auf den Dachgiebel das dreifache +Kreuz trüge, gab er sich dazu her. Er sei in der Jugend auf allen +hohen Bäumen der Niederalm umhergeklettert; fehle ihm jetzt gleichwohl +die Eichhörnchengelenkigkeit, so werde doch der Schutzengel seine +Schuldigkeit tun. An Nahrung und Verpflegung war er ganz anspruchslos. +Lohn nahm er überhaupt keinen, sondern sagte, bei den Bauern sei der +Brauch, daß die Kinder des Hauses umsonst arbeiteten. + +Der Prälat war schon lange wieder wohlgemut geworden, und so sagte er +nun lachend einmal zu seinem Bruder: »Aber Gregor, wenn du immer so +fleißig gewesen wärest, so müßtest du ein reicher Mann sein!« + +»Reich! Reich!« antwortete der Alte. »So ein schlecht Wort sollten +Gnaden Herr Bruder nit im Mund haben!« + +Freilich hatte der Gregor ein heimliches Glück im Herzen, von dem er +niemandem was sagte. Er war seines nagenden Kummers losgeworden. Das +Ledersäckchen war ihm beim Brande abhanden gekommen, die fünf Dukaten +verbrannt. Jetzt brauchte er sich nicht mehr zu fürchten, sie könnten +seiner Seele schaden, sich nicht zu ängstigen, er könnte sie verlieren. +Sie hatten seiner Seele geschadet, nun erst merkte er es recht. Nun +war er frei. Alle Existenzsorgen hatte ihm ja der hochwürdigste Bruder +abgenommen: »Du gehörst unserem Orden, Bruder Gregor, und daß du nicht +Latein kannst, je nun! Du bist halt ein Wildling. Ein Wildling Christi. +Ich meine, man könnte dich trotzdem weihen.« + +»Ich dank' dafür,« antwortete der Alte. »Bin einer Last glücklich los, +will keine andere mehr haben. Wenn mir Gott zur Armut noch die Demut +schenkt, dann bin ich aus dem Gröbsten heraußen.« -- + +Nach fünf Jahren stand das neue Stiftsgebäude fertig und in hohem +Glanze da. Jeder der dreizehn Mönche hatte es erlebt, nicht einmal der +dreizehnte war gestorben. Einer von ihnen gestand, seit dem Unglücke +fühle er sich ein wenig besser und stärker, er habe gelernt, etwas +zu ertragen. Man stimmte ihm bei. Nur den Prälaten hatten die Sorgen +der Wiedererrichtung alt und kränklich gemacht. Er erklärte, seine +Würde und Bürde ablegen zu wollen. Alles war unschlüssig, ratlos +darüber und mancher der Brüder verwahrte sich schon vorwegs gegen +die Möglichkeit, Abt zu werden. Jeder wollte der Unwürdigste sein, +vielleicht heimlich erwägend, daß gerade ~der~ erhöht werde, der +sich selbst erniedrige. Bei der Wahleinleitung für seinen Nachfolger +erzählte der Prälat die Geschichte von der Taube. Einmal bei einer +Papstwahl zu Rom -- bei welcher, das wußte er nicht genau -- hätten die +Kardinäle sich nicht einigen können. Da sei zum Fenster eine weiße +Taube hereingeflogen, sei dreimal über den Köpfen der Versammelten +herumgeflogen und habe sich dann auf das Haupt des Geringsten gesetzt, +des Türhüters an der Pforte. Der sei auf diesen Wink Gottes zum Papste +gewählt worden. »Und meine hochwürdigen Brüder,« so schloß der Prälat, +»wenn heute auf dem Stifte Hubertusbrunn der heilige Geist in Gestalt +einer Taube käme, um uns die Wahl des Oberen anzudeuten, auf wessen +Haupt würde er sich setzen?« + +Die Brüder neigten sich und einer flüsterte dem andern zu: »Vielleicht +gar auf das Haupt Gregors?« + + + + + Der mißratene Evangelist. + + +In einer Tischgesellschaft von ernsten Männern kam eines Abends +das Gespräch auf die Welttauglichkeit des Evangeliums. Mehrere der +Anwesenden behaupteten, die christliche Lehre trage nicht allein die +Bürgschaft der ewigen Seligkeit an sich, sondern auch das Glück der +Erde, den Frieden in der Gesellschaft, das Gedeihen jedes einzelnen. + +Einer war da, der solches bestritt. »Wenn ~jedermann~ nach der +christlichen Lehre lebt,« sagte dieser, »dann vielleicht. Dann gebe +ichs zu, daß sie auch auf Erden zum Glücke führen kann. Anders ist +es, wenn nur einzelne darnach leben. Für diese ist sie dann durchaus +nicht förderlich, der einzelne geht vielmehr zeitlich daran zugrunde. +Vorausgesetzt, daß es möglich ist, die Lehre in ihrer ganzen Strenge zu +befolgen, macht sie den Menschen für die Aufgaben und Bestrebungen der +modernen Gesellschaft ganz und gar unfähig, ja kann -- mißverstanden -- +auf Irrungen und Abwege führen, wovon ich ein Beispiel aus dem Leben zu +erzählen wüßte.« + +Hierauf sagte ein anderer: »Wenn Sie ~ein~ Beispiel wissen, daß +die Befolgung der christlichen Lehre auf Abwege leitet, so weiß ich +hunderte und tausende von Beispielen, daß die ~Nicht~befolgung zum +Verderben führt.« + +Nun, das sei selbstverständlich, meinten mehrere und sei längst +bewiesen. Merkwürdig jedoch dürfte der Ausnahmsfall sein, wenn ihn +jener erzählen wolle. + +Der Aufgeforderte sprach: »Da wohl nicht zu befürchten ist, daß das +Schicksal des Helden meiner Geschichte einen von uns der christlichen +Lehre noch mehr entfremden könnte, als es, wie wir uns kennen, +wahrscheinlich ohnehin schon der Fall ist, und da sich ferner von uns +wohl überhaupt keiner so wörtlich in die Bergpredigt einlassen wird, +als es mein Herr Eberhard getan, so werde ich die Geschichte ohne +jeden Widerspruch erzählen dürfen. Die Lehre, wenn man schon eine +daraus ziehen wollte, könnte ja immerhin die sein: der eine ging an der +Befolgung des Christentums nur deshalb zugrunde, weil es nicht auch die +übrigen befolgten.« + +Und hierauf begann er zu erzählen. + +Im Landstädtchen K. lebte ein junger Buchhandlungsgehilfe namens +Eberhard Roland. Er war aus einem Nachbarsorte eingewandert, nachdem er +dort seine Mutter und seine Schwester begraben hatte. Das waren seine +einzigen Verwandten gewesen, er hatte ihnen wacker leiden geholfen. Die +Rolande waren einst eine geachtete Bürgersfamilie gewesen und dann von +einem unermeßlichen Unglück heimgesucht worden. Ein Roland war nämlich +einer schweren Gewalttat wegen zum Tode verurteilt und dann durch +den Strang hingerichtet worden. Das war der Großvater des Eberhard +gewesen. Von jener Zeit an war es mit der Familie abwärts gegangen, +sie war entehrt, gemieden, verachtet. Das Geschäft stockte, ging zu +Grunde, die Familie verarmte, brachte sich viele Jahre lang zwar +redlich, aber kümmerlich durch. Man hatte nichts einzuwenden gegen die +fleißigen Leute, daß aber jener Roland gehenkt worden war, blieb ihnen +unvergessen und blitzte bei jeder Gelegenheit hervor. Eberhards Vater +war als Leineweber in jungen Jahren gestorben, er selbst hatte die +Buchbinderei gelernt und mit diesem Handwerk Mutter und Schwester recht +und schlecht ernährt, bis beide bei einer Seuche in einer und derselben +Woche verschieden. + +Seither wohnte Eberhard in der Stadt K., wo er vom Buchbinder zum +Buchhändler aufstrebte, nachdem er es vorher mit mehreren anderen +Erwerbsarten vergebens versucht hatte. Er war ein unruhiger Geist und +sprang in Gegensätzen hin und her. Von einigermaßen beschaulicher und +sogar schwärmerischer Naturanlage, trug er sich eine Zeitlang mit dem +Gedanken, in ein Mönchskloster zu gehen, bis er in ein Bankgeschäft +als Briefschreiber eintrat. In kurzer Zeit war er Buchhalter und hatte +sich etliche hundert Taler Vermögen erspart. Da mietete er sich vor +der Stadt einen Heuschoppen und begann mit Holz und Kohlen zu handeln. +Als höchst anständiger Geschäftsmann bald bekannt, begann der Handel +zu blühen, aus dem Schoppen ward ein stattliches Magazin, dem sich +größere Lager anschlossen, aus dem schlichten Buchbinderjungen war +ein geachteter Kaufmann geworden. Bei dem allein blieb es aber nicht. +Von hübscher Gestalt und freundlichem Wesen, gewann er die einzige +Tochter des Bankinhabers, bei dem er in Diensten gestanden und wurde +ein wohlgesetzter Ehemann und Hausvater. Ein Jahr später kam ein +kleines Kind und ein großer Treffer, er hatte in der Staatslotterie das +Hauptlos gezogen. Jetzt war er auf einmal halber Millionär und wußte +eigentlich selbst nicht, wie das zugegangen. + +Nun hatte in ihm aber sachte eine Änderung stattgefunden, die er wohl +selber erst etwas spät bemerkte. Einst in armen Kreisen lebend, war er +sehr mitleidig gewesen und hatte er schon in der Tat nur wenig Gutes +tun können für die Notleidenden, so hatte er für sie doch stets ein +warmes Herz, und das Wort der Teilnahme tröstete manchen Leidenden +mehr, als eine Gabe auf die Hand. In dem Maße aber, als Herr Eberhard +wohlhabend wurde, kühlte sich sein Gemüt ab für die Armen. Er war zwar +wohltätig, gab Almosen, doch weniger aus innerem Drange, denn weil er +sich als reicher Mann dazu verpflichtet fühlte. Die Armut vor sich zu +sehen, war ihm unangenehm, und manchmal erschien sie ihm wie ein Makel, +das etwa dem Leichtsinnigen oder Fahrlässigen anhaftet. Einst hätte er +den hungernden Bettler sättigen mögen, ohne ihn erst seines Hungers +wegen zur Rechenschaft zu ziehen, jetzt fragte Herr Eberhard schon: +»Warum arbeitet Er nicht? Was hat Er getrieben, daß Er so verkommen +ist?« + +Früher hatte er sich zu den wenigen Feierstunden in seinem Stübchen mit +den paar Holzmöbeln und den kleinen Bildern seiner Mutter und Schwester +an der Wand sehr heimlich und behaglich gefühlt. Jetzt in seinen reich +ausgestatteten Gemächern war ihm einmal dieses, einmal jenes nicht +recht und seine Wünsche und Bedürfnisse waren den Tatsachen immer um +eine Spanne voraus. Manchmal empfand er die Last des Reichtums, die +Last der damit verbundenen Pflichten, dann wieder kam es ihm vor, als +nütze er seine Kraft, seinen Kredit, die Verhältnisse zu wenig aus und +als sei es seine Aufgabe, noch reicher zu werden -- so reich als nur +menschenmöglich. Er gönnte sich daher nur wenig Ruhe, rechnete, plante +neue Unternehmungen, und wenn er dann zum Jahresschluß die Bilanz zog, +soweit sie bei den ausgedehnten Besitzungen und Geschäften zu ziehen +war, sah er immer mit freudigem Schreck, wie rasch die Millionen +wachsen. Aber schon allemal in den nächsten Stunden fragte er sich, +warum sie denn eigentlich nicht noch schneller wüchsen und was daran +wohl die Ursache sein könne? + +In einer solchen Stunde, als er über den Teppich seiner Treppe +herabstieg zum bereitstehenden Wagen, um auszufahren zur Sitzung in +einem wohltätigen Verein, kauerte an der Pforte eine verwahrloste +Bettlergestalt, schlotternd, mit eingefallenem, grünem Gesicht und +verglastem Auge. Fast verstellte er dem Herrn den Ausgang, zudringlich +hielt er seine mumienhafte Hand hin und verlangte ein Almosen. + +»Wie?« fragte Herr Eberhard aufgebracht über den vordringlichen +Gesellen, »bin ich dem Kerl was schuldig? Arm? Aus Ihm riecht der +Branntwein, dünkt mich. Warum arbeitet Er nicht? Schämt Er sich nicht, +von anderer Leute Arbeit zu leben? Und frech?! Fort, Er ist mir +zuwider, ich teile nichts!« Damit stieg er rasch in den Wagen, aber +noch bevor der Diener den Schlag zuwarf, stürzte der Bettler zusammen +und ein Blutquell sprang aus seinem Halse. Mit einem spitzen Messerchen +hatte er sich den tödlichen Stich versetzt. + +Von diesem Tage an stieg der Reichtum des Herrn Eberhard nicht mehr. +Nicht etwa, als ob auf dem Hause von nun an ein Fluch lastete, vielmehr +ein Segen. Herr Eberhard hatte sich vorgenommen, mehr den Armen zu +leben. Er verzichtete auf den bisher bezogenen großen Gewinn seiner +Geschäfte und begnügte sich mit geringerem, den er nicht allein an +wohltätige Anstalten, sondern auch an einzelne Arme verteilte. Dadurch +aber wurde sein Geschäftshaus nur noch gesuchter und er konnte kaum +so viel Wohltaten üben, daß der Reichtum nicht doch immer wieder +stieg. Von seinem Katecheten hatte er als Knabe »Die Nachfolge +Christi« zum Geschenk erhalten. Das war sein Lieblingsbuch gewesen in +der leidensreichen Zeit seiner Jugend. Jetzt holte es Herr Eberhard +wieder hervor und anstatt im Kurszettel las er im Erbauungsbuche. -- +Es war ihm ernst. -- Den schweren Prunk hatte er aus seiner Wohnung +entfernt. Mit seiner Familie gab's Kämpfe, als es daranging, einen +Überfluß um den anderen abzuschaffen, er aber sagte: »Meine Lieben, +wir haben uns verirrt in die Wüste des Geldes, wir müssen umkehren und +Menschen werden.« Die jungen Herrschaften mußten sich's wohl oder +übel gefallen lassen, Menschen zu werden -- sie wurden es. Die Söhne +entsagten dem Sporte, die Töchter dem Putze. Das taten sie aber erst, +als Herr Eberhard ihnen eines Tages mitgeteilt hatte, bei einer großen +fehlgeschlagenen Spekulation hätte er beinahe sein ganzes Vermögen +verloren. In Wahrheit war dem nicht genau so, nur daß er selbst täglich +tausende von Talern hinweggab an Armenhäuser, Krankenhäuser, Schulen, +Kirchen und Bettler. Er arbeitete noch einige Stunden des Tages, die +übrige Zeit verbrachte er, um Statistiken zu studieren, Armut und +Elend zu erforschen und da sah er denn freilich, daß Armut und Elend +über alle Maßen unergründlich sei, mit keinem Reichtum der Welt wett +zu machen. Das ließ ihn nicht verzagt werden. Er wollte das Seine tun +und sich ganz den Nebenmenschen opfern. Er las fleißig im Evangelium +Christi: -- Selig sind die Armen im Geiste, ihrer ist das Himmelreich. +Selig sind die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen. Gib +dem, der dich bittet, und wende dich von dem nicht ab, der von dir +borgen will. Deine Linke wisse nicht, was deine Rechte tut und achte, +daß dein Almosen verborgen bleibe. Sammle nicht Schätze auf der Erde, +wo Rost und Motten fressen; sammle Schätze für den Himmel. -- Und wenn +Herr Eberhard sich so versenkte in diese Lehren und sie befolgte, da +atmete er oft wie erleichtert auf. Jener Sterbende an seiner Tür, er +starrte ihn nicht mehr an mit seinem unendlichen Vorwurf, er blickte +fast freundlich auf ihn ... + +An der Pforte des reichen Mannes drängten sich die Armen aller Art. +Herr Eberhard unterschied nicht mehr strenge zwischen verdienter und +unverdienter Armut, er half wo und wie er konnte. Dem einen zahlte +er die Zinsen, dem anderen die Steuern, dem dritten schrieb er sich +als Bürgen auf den Schuldschein. Einem Geldunterschlager, dem die +Entdeckung drohte, gab er Geld zur Ersetzung des Abganges. Und wenn er +von seiner Gemahlin, von seinen Kindern gefragt wurde, was denn die +vielen Leute immer wollten, wenn sein Geschäft so ganz und gar ruiniert +sei, so antwortete er: »Das sind eben die Gläubiger, die ihre Güter +holen kommen, die ich ihnen bisher verwaltet habe.« + +Die Frau schwieg und blickte ahnungsvoll einer schlimmen Zukunft +entgegen. Dabei war ihr aber süß, daß ihre Familie von der Bevölkerung +geradezu vergöttert wurde, daß sie als die Gemahlin des reichen +Wohltäters bei jeder Gelegenheit Ehren genoß, als wäre sie die Fürstin +der Stadt und des Tales. Allerdings wurden im Hintergrunde auch Stimmen +laut: Die Eberhardischen würden wohl wissen, warum sie so viel Gutes +tun; sie könnten wohl noch mehr geben. Wenn so einer, wie der Eberhard +hundert Taler gibt, die er nur aus der Kasse zu nehmen braucht, da +ist's gerade so viel, als wenn der arme Mann einen Kreuzer schenkt. So +einer kann eine Million verschenken und er tut sich nicht so weh, als +wenn ein Armer ein Paar Stiefel versetzen muß. + +Herr Eberhard hörte von solchen Stimmen wenige, denn im Vordergrunde +stand das laute Lob. Er kam sich selbst manchmal vor wie ein Heiliger, +der aus Nächstenliebe die Güter der Erde hingibt. Seinen Kindern sprach +er von der Unsittlichkeit ererbten oder nicht persönlich erworbenen +Reichtums und wies sie an, ihren Lebensunterhalt sich selbst zu +verdienen. Es ward ihm bitter hart, er kämpfte übermenschlich, ehe er +sie verstieß, doch endlich siegte er durch den Ausspruch: Du sollst +deine Familie verlassen und mir nachfolgen! -- Und er fuhr fort, die +Reste seines Vermögens hinzugeben. Seine Gemahlin hätte ihn wohl +rechtzeitig unter gerichtliche Aufsicht stellen lassen, wenn sie von +seiner Darstellung, als wäre längst durch unglückliche Spekulation +alles verloren worden und die seitherigen Weggaben seien nichts als das +Zurückstellen aufbewahrten Geldes, sich nicht hätte irreführen lassen. +Nun fiel sie ihm freilich um den Hals und sprach: »Lieber Mann, wir +werden noch selber betteln gehen müssen.« + +»O kurzsichtiges Menschenkind,« sagte zu ihr Herr Eberhard, »denke +an das Wort des Heilands: Wer zwei Röcke hat, der gebe den einen +davon dem, der keinen hat. Siehe die Blümlein auf dem Felde, sie säen +nicht, sie ernten nicht, und der himmlische Vater ernährt und kleidet +sie doch. Wenn mir ein kleines Dachstübchen bleibt, wie ich es einst +besessen, dann bin ich schon zufrieden.« + +Darauf vergingen noch wenige Jahre, dann war sein Ziel erreicht. Herr +Eberhard wohnte in einem schiefwändigen frostigen Dachstübchen. Und +wenn seine Frau, die auf dem Siechenbette lag, seinen Rock flicken +wollte, so konnte er nicht ausgehen, um Lebensmittel zu sammeln, +denn er hatte nur einen Rock. Seine in der Jugend verweichlichten +Söhne hatten dem harten Existenzkampfe nicht standzuhalten vermocht +und waren verkommen, die Töchter hatten sich einem Gewerbe ergeben, +das ihnen unmöglich machte, noch einmal unter die Augen der Eltern +zu treten. So waren die zwei alternden Leute nun ganz allein. Herr +Eberhard hatte in seinem Dachstübchen aber doch die Beschaulichkeit +und den Herzensfrieden nicht wieder gefunden, den er sich erhofft. +Sein christliches Wohltun -- wie Schuld pochte es nun manchmal an sein +bangendes Herz, besonders wenn er an die verlorenen Kinder dachte. +Dazu ward er täglich beleidigt von der Roheit derer, zu denen er +bittend kam; sie nannten ihn einen Verschwender, dem jetzt ganz recht +geschehe. Von den nachgerade zahllosen Leuten, denen er einst Gutes +getan im großen wie im kleinen, waren nur wenige vorhanden; von diesen +entschuldigte sich der eine mit eigenen Sorgen, der andere reichte +ihm widerwillig eine kleine Gabe und den guten Rat, sich doch selbst +wieder etwas zu verdienen, auch der Hände Arbeit schände nicht. Von +der Verehrung, die er einst genossen in der Gegend, war nichts mehr +übrig geblieben, ja man erinnerte sich nun wieder, daß der Taugenichts +doch im Blute liegen müsse, da ja sein Großvater stranguliert worden +sei. -- Für solche Herzensbitterkeit fand Herr Eberhard in seinem +Evangeliumbuche keinen rechten Spruch. Und bei den schönen Worten von +der Seligkeit der Sanftmütigen, Traurigen und Verachteten war ihm, als +paßten sie nicht auf seine Verhältnisse, als habe der Heiland eine so +ungeheuerliche Undankbarkeit der Welt nicht voraussetzen können. + +Eines Tages kam ein gerichtlicher Auftrag, Herr Eberhard Roland habe +tausendfünfhundert Taler zu zahlen für eine Bürgschaft, die er einst +geleistet. Darauf antwortete er: »Machet, was ihr wollt, ich habe +nichts.« Da erschien nach einem Weilchen ein Gerichtsbeamter mit zwei +Dienern, und mit ihnen der Gläubiger, ein reicher Bäckermeister von +K. Dieser riß seine große, mit Banknoten wohlgefüllte Brieftasche +aus dem Sacke, zog aus derselben aber keine Banknoten, sondern den +Schuldschein, unter dem Herr Eberhard als Bürge stand. Der Bäcker +schimpfte und fluchte eine Weile über den voreinstigen Prasser und +Windbeutel, der jetzt von anderer, von ehrlicher Leute Arbeit leben +wolle und dann wurden die wenigen Möbel und Einrichtungsstücke in +Beschlag genommen und dem Herrn Eberhard die Wohnung gekündigt. + +Am rechten Arm ein Bündel, am linken sein krankes Weib, so wankte +Herr Eberhard hinaus. Bei wohlhabenden Leuten klopfte er an, die +einst seine Nachbarn gewesen, sie hatten Ausflüchte. Eine alte arme +Tabaksverkäuferin, die selber fror in ihrer Bude, lud die armen Leute +ein, bei ihr zu rasten. Dem Herrn Eberhard aber war jetzt nicht +ums Rasten; als er sein Weib in die Obhut der Ständlerin gegeben +hatte, ging er hinaus in die Auen. In ihm war ein unerhörter Sturm. +Er verfluchte nicht die undankbaren Menschen, nein, er wütete in +grenzenloser Bitterkeit gegen das Evangelium, dem er so gläubig und +opferwillig gefolgt war, und das ihn dahin geführt hatte, wo er sich +jetzt befand. + +Dem Mühlbache ging er entlang. Da fiel ihm etwas ein. Er schlug +es rasch von sich, sein Weib konnte er nicht verlassen. Aber was +sonst? Was nun sonst? -- Nach langem Irren kehrte er um gegen die +Stadt, es begann schon das Dunkeln des Abends. Vor sich sah er einen +großen dicken Mann dahinwackeln, sein Stöcklein bei jedem Schritt +gar selbstbewußt auf den steinigen Boden stoßend. Das war der +Bäckermeister, der ihn vorher entheimt hatte. Er war wohl bei seiner +Mühle draußen gewesen. Dem Herrn Eberhard wurde das Blut rasend, als +er in diesem Manne gleichsam verkernt seinen ungeheueren Irrtum, sein +Unglück sah. Der Bäcker war durchaus nicht christlich; er war hart +und rücksichtslos, er zertrat unbedenklich Existenz um Existenz, wenn +er daraus Nutzen ziehen konnte. Und wie ging's ihm gut und wie lief +er sogar nicht Gefahr, einmal zu verarmen, einmal die Achtung der +Mitmenschen zu verlieren. Hatte er diesen Bäcker nicht einst selbst aus +einer großen Geschäftsverlegenheit gerissen? War das Geld seiner heute +gefüllten Brieftasche nicht vielleicht Eberhards Geld? Konnte er es +nicht wieder zurücknehmen jetzt ...? + +Plötzlich bückte sich Herr Eberhard, hob einen scharfkantigen Stein auf +und schleuderte ihn nach dem Kopfe des Bäckers. Dieser stürzte fast +zusammen. + +Herr Eberhard vergaß, weshalb er den Stein geworfen, ließ den +Sterbenden liegen und ging der Stadt zu, um sich dem Gerichte zu +stellen. Da lief ihm jemand nach und flüsterte: »Herr Eberhard! Herr +Eberhard! Sie wollen Ihrem Großvater nach! Das dürfen Sie nicht.« + +Herr Eberhard blieb stehen und fragte den etwas unheimlich aussehenden +Mann, was er wolle. + +»Nein,« wiederholte dieser, »das dürfen Sie nicht. Den Bäcker nehme +ich auf mich. Wissen Sie noch? Der Geldunterschlager auf der Post! Der +Fundler!« + +»Der Johann Fundler sind Sie? Jener Johann Fundler.« + +»Der bin ich. Und wissen Sie, was Sie damals gesagt haben, wie Sie +mir die veruntreute Summe vorgestreckt? Der Herr im Himmel freue +sich über ein verlorenes Schaf, das gerettet werde. Ich bin wieder +ein ordentlicher Mensch geworden damals, ohne daß jemand eine Ahnung +hatte, daß ich ein Lump gewesen. Und habe noch manch glückliches Jahr +genossen.« + +»Wollen Sie mir jetzt etwa das Geld zurückzahlen?« fragte Herr Eberhard. + +»Das kann ich nicht.« + +»Ich brauch's auch nicht.« + +»Ich habe weniger als nichts,« sagte der Postbeamte, »ich habe wieder +gestohlen und die Polizei ist mir schon auf den Fersen, jetzt hilft mir +nichts mehr, und deswegen nehme ich auch gleich den Bäcker auf mich und +Sie sind so gut und streichen mir die Schuld.« + +So hatte der Mensch in hastigen Stößen gesprochen und dann eilte er +dahin. + +Herr Eberhard lehnte sich an den Stamm einer Wildkastanie. -- Also doch +noch Dankbarkeit! + +Spät abends kam er zu seinem Weibe zurück, das in der Kammer jener +Tabakverkäuferin auf einem alten Tuchmantel lag, und zu ihr sagte +er: »Wärest du nur bei mir gewesen auf diesem Spaziergang, so hätten +wir in Zukunft beide ein Quartier, nicht bloß ich allein. Weißt du +etwas Neues? Just haben sie den toten Bäcker vorbeigetragen, der uns +gepfändet hat. In der Au mit einem Stein erschlagen. Der Postbeamte +Fundler will's getan haben. Der Fundler ist ein Lügner. Ich werde es +den Herren schon beweisen, daß der Fundler ein Lump ist. Aber dieser +schlechte Lump ist der bravste Mensch in der ganzen Stadt. -- Er ist +dankbar.« + +Am nächsten Tag wurde das Weib ins Armenhaus gebracht und Herr Eberhard +ins Gefängnis. Er hatte tüchtig zu tun gehabt, seinem dankbaren +Postbeamten den erschlagenen Bäcker zu entwinden; es schien auch so +unglaublich, daß Herr Eberhard einen Mord sollte begangen haben. Er +legte einen freiwilligen Eid drauf ab. Ob's ein Rachemord oder ein +Raubmord hätte sein sollen, das wüßte er selber nicht. -- Und nun +hatte er wieder seine Beschaulichkeit. Nun konnte er nachdenken, warum +er eigentlich dem Heiland bis zum Dachstübchen nachfolgen wollte, +und nicht weiter -- nicht bis zur Kreuzigung? Warum er denn seine +gesellschaftliche Stellung, sein Vermögen, ja selbst seine Familie +hingeopfert hatte, um dem Evangelium gerecht zu werden, wenn er dann +doch auf einmal der menschlichen Natur nachgab? Jetzt sah er, wohin +die Nachfolge Christi führt: Wenn man dem Heiland auf dem ganzen Wege +nachfolgt, so kommt man freilich in den Himmel, wenn man auf halbem +Wege ablenkt, so kommt man in den Kerker. Und das passiert manchem. + +So der Erzähler. Die Gesellschaft schwieg. + + + + + Der alte Adam. + + +Mit vernünftigen Gründen vermag die Weiserin Natur bei uns vernünftigen +Leuten selten was auszurichten, und so steckt sie sich zuweilen hinter +Sonderlinge und Narren; denn nur den Unverständigen belehrt der +Vernünftige, des Weisen Lehrmeister aber ist und bleibt in Ewigkeit der +Narr. + +Allerdings scheint es, als hätten die Strubacher-Leut' vom Lehm-Lamel +nicht viel gelernt; der Lamel war gerade noch um ein halb Köpflein zu +vernünftig für sie. + +In vergangenen Jahren war er eigentlich gar sehr vernünftig und +tüchtig gewesen, der Lamel. Er besaß eine Lehmgrube, die ihm guten +Gewinn und den Namen Lehm-Lamel eintrug; zu Recht aber war er Wegwart +an der Reichsstraße, die damals in weißen staubigen Bändern mit +Wagengeknarre, Rossegewieher, Fuhrmannsgeschrei, Peitschengeknatter +und Handwerksburschengetriller durch die Länder schlängelte. Damals +war noch die Zeit, in der die Dörfer und Flecken groß, die Postmeister +reich, die Wirte dick wurden, die Städte aber, durch steinerne Gürtel +zusammengeschnürt, an Engbrüstigkeit litten. + +Damals sind Wegwarte bedeutende Leute gewesen, ohne sie hätte das +Räderwerk der Straße, des Landes, des Reichsverkehres gestockt, wäre +versunken in Schlamm. Der Lamel hatte seine Pflicht wohl erfüllt, seine +Strecke war stets die bestgeschotterte, auch hatte er an derselben +eine Allee von Obstbäumen gepflanzt, wofür er anfangs gerügt, später +aber, als sie zwar nur wenig Schatten, aber um so mehr Obst gaben, +belobt wurde. Und er freute sich baß, wenn ihm Handwerksburschen Äpfel +und Zwetschken stahlen, weil er wohl wußte, daß verbotene Früchte süß +schmecken. So war er stolz auf sein süßes Obst, das geschenkt oder +selbst gegessen schier ein wenig stark säuerlich schmecken wollte. + +Auch um sein Haus hatte der Lamel einen Garten von Obstbäumen; der war +seine Erquickung, denn die Bäume trugen Äpfel, die ließ er pressen, den +Most wahren und gären, und wenn das Getränke klar und herbe geworden, +so trank er es als echten Wein. Und der Apfelwein -- dem Vater Noah zu +Trutz sei's gesagt -- gab dem Traubenwein nichts nach, hingegen gab +der Lamel dem Apfelwein nach, und zwar nicht selten auf Kosten seiner +Selbständigkeit. + +Auf die kleine Schwäche müssen wir einen großen Vorzug erwähnen. Der +Lamel war schriftgelehrt und ging in den Feierstunden daran, die sieben +Siegel der Bibel zu lösen, wobei ihm der Apfelwein stets behilflich +war, so daß er schließlich die Offenbarungen des heiligen Johannes +leibhaftig um sich herumtanzen sah, mitsamt den vier Ältesten und dem +Lamel. + +Eines Abends sprach ein alter hinkender und schielender +Handwerksbursche im Hause des Wegwarts zu, nahm am Brunnen einen Trunk +und wusch sich hierauf den Staub von den Füßen. Weil der Wegwart nicht +weit davon stand und dem Alten lächelnd zusah, so wurde dieser dreist +und bat um Nachtherberge. Bei Wegwächtern kehrt man sonst nicht zu, +aber der Lamel wollte auch einmal ein Hausvater sein und sagte: »Hat Er +ein Wanderbuch?« + +»Ein Wanderbuch?« fragte der Geselle schielend entgegen, »-- ein Wander +-- -- das heißt -- ja freilich, freilich hab' ich ein Wanderbuch.« + +Der Lamel nahm das blau eingebundene Ding in Empfang, legte es in +seinen Schrank und ließ dem Fremden Nachtmahl und Nachtlager geben. + +Am anderen Morgen, noch ehe die Sonne und der Lamel aufgingen, war +der alte Wanderbursche davon und mit ihm das neue Paar Juchtenstiefel +des Wegwart. -- Fand es eigentlich soweit in Ordnung, der Lamel, denn +gute Stiefel müssen wandern und ein echter Haderlump muß stehlen. Aber +wie ein Mensch so leichtfertig sein kann, sein Wanderbuch im Stiche +zu lassen! -- Das blaue Buch lag noch im Schranke, der Lamel öffnete, +durchblätterte es -- ja, was ist denn das für ein wunderlich Wesen? +Ein Wanderbuch allerdings, aber ein gedrucktes. »Das Buch über die +Seelenwanderung« war es benamset und bei näherer Untersuchung enthielt +es große Abhandlungen in langen Kapiteln mit geheimnisvollem Dunkel und +tiefer Weihe geschrieben. Der Verfasser war nicht genannt -- so konnte +es auch der heilige Geist selber diktiert haben. + +Und als wieder die Feierstunden kamen, da schaffte sich der Lamel einen +Krug Weines ins Stübchen und begann das Buch von der Seelenwanderung +zu lesen. Das erzählte fürs erste die Geschichte des Glaubens an die +Seelenwanderung, wobei natürlich viel von den alten Ägyptern die Rede +war, kam auch später auf das Feld der Spiritisten. Und schließlich +verharrte das Buch gläubig bei folgender Lehre: + +»Jene Engel, die im Himmel sich versündigt hatten, verstieß Gott in +eine Ödnis, so die Erde heißet. Auf der Erde lebten die Verstorbenen +in Leibern aus Lehm und waren anheimgestellt der Drangsal und sollten +ihren Fehltritt sühnen, bevor ihr Leib wieder zu Lehm sich lösete. +Wenigen gelang es, in ihrer irdischen Natur, sozusagen in einer Hülle +von Kot, sich zu reinigen; denen es gelang, die wurden wieder in die +Himmel aufgenommen; denen es nicht gelang, die mußten von neuem in +irdische Leiber zurückkehren, und dies immer wieder und so lange, bis +sie durch Not und Trübsal genugsam rein geworden, etwas Großes hier +gewirkt hätten und endlich dereinst in die Himmel aufgenommen werden. +So ist das Menschengeschlecht entstanden und so muß es fortbestehen, +bis der letzte Engel seinen letzten Fehl, er rühre noch vom himmlischen +Reiche oder von seinem vorhergegangenen Erdenleben her, gesühnt +hat. Zum Beispiel Abraham, Moses, Paulus, Mohammed, Karl der Große, +Kolumbus, Schiller usw. gehören nun zu den Erlöseten, die, wie oft +sie auch früherhin in Erdenleibern gewesen sein mögen, ihre Büßerbahn +erst mit dem Dasein, in dem sie das Große gewirkt, beschlossen haben. +Hingegen, um nur weltberühmte Übeltäter zu nennen, zum Beispiel Pharao, +Herodes, Nero, Alexander V., Napoleon und andere haben mit diesen ihren +Existenzen nicht abgeschlossen, müssen so oft und so lange wieder in +menschliche Leiber zurückkehren, bis nicht allein ihre Verbrechen in +den Himmeln, sondern auch ihre bösen Taten auf Erden gebüßt sind. Wie +oft, Leser -- so schaltete das Buch packend ein --, magst du schon auf +Erden gewesen sein? Wer weiß es denn, ob du nicht der Kain warst, oder +Alexander der Große geheißen, oder Pontius Pilatus, der unsern Herrn +ans Kreuz schlagen ließ, oder Robespierre, der Wüterich von Paris? Der +Urvater Adam selbst kann heute noch auf Erden wandern, etwa in deinem +Gebietiger (so zu lesen), der dich schützt und schlägt, etwa in dem +Bettelmann, der dich um Almosen anfleht, etwa in dir, in deinem Sohne!« +-- + +Fast hätte der Lehm-Lamel über das merkwürdige Buch des Apfelweines +vergessen. ~Das~ war ein Buch. Das leuchtet ein. Ja, jetzt +ist das Rätsel gelöst. Darum die Welt, darum die vielen armseligen +Menschen, darum die wenigen großen Taten und darum das Sprichwort +von einem großen Wohltäter: »So einer kommt nicht wieder!« Und das +Böse wird bestraft und das Gute belohnt und die Erde ist eigentlich +das Fegefeuer. Wie das stimmt! -- Und ein solches Licht für ein paar +Juchtenstiefel! Wer weiß! Der alte Handwerksbursche kann ein guter +Engel gewesen sein; man kann's nicht wissen -- gar nichts kann man +wissen auf der Welt, als was in diesem Buche steht. + +Und wieder und immer wieder las der alte Wegwart in der wunderlichen +Schrift. Oft sann er lange und ernstlich über sich selbst. -- »Jetzt +steht die Welt schon sechstausend Jahr', und du bist noch nicht +fertig, Lehm-Lamel, gefallener Engel, bist noch immer da? An die +neunzig Menschenalter sind seit der Erschaffung der Welt, hast sie +alle durchgemacht und bist erst noch nichts als der dumme Wegwächter, +dem alle Rösser der Welt auf die Arbeit pissen. Was hast denn immer +getrieben, du Haderlump? Viel mag ich nicht wetten, du bist bei den +Zigeunern gewesen ...« + +Er las sich streng die Leviten und trank Apfelwein dabei, und +tatsächlich, es war ihm zumute, als hätte er auch vor mehreren tausend +Jahren schon aus dem Kruge getrunken -- zu Noahs Zeiten -- nur bedünkte +ihm, der Wein wäre damals nicht ganz so sauer gewesen als heute. -- +Der Wein hat auch seinen Geist; seine Seele demnach. Wie wenn auch +diese wanderte? Der Saure, der Gewässerte, der künstlich Gezuckerte und +Durchgeistigte -- nimmer erfüllte er seinen Beruf, er muß noch einmal +in die Kelter. Aber der Apfelwein ist ohne Falsch und vermag -- wenn +man betrachtet, wie der kräftige Lamel zuweilen auf dem Boden liegt -- +Großes zu vollbringen. -- So wird der Apfelwein über kurz den reinen +Geistern beigesellet sein ... + +Der Lamel war bisher Junggeselle geblieben, so war fürs erste niemand +da, der zu seiner seelischen Reinigung beitrug, und der ihn fürs zweite +in seinen Grübeleien zerstreut hätte. Also verbiß er sich immer mehr +in das Buch von der Seelenwanderung, und also wurde er allmählich ein +Narr. Die Idee, ob er nicht etwa doch einer aus dem Alten Testamente +sei -- er las nebenbei auch immer die Bibel -- und ob nicht gar die +Seele des unerlösten Adam in ihm stecke, trug er lange mit sich herum. +Und in seiner Vermutung wurde er bestärkt, als er sich jählings in ein +junges Weib verliebte. Er war noch nicht zweimal zwanzig Jahre alt und +durchaus, vom Fuß bis zum Kopf, ein Wegwart, der sich sehen lassen +durfte. Sie war eine Kalkbrennerin in der Gegend; die schöne Strinerl +geheißen; ihre Haare waren so gelb wie das Korngehalme auf dem Felde +zur Zeit, wenn der Schnitter kommt. Ging der Lamel zur Schnittzeit über +die Felder, so las er nicht ungerne die bauchigen Körnlein aus den +Ähren und zermalmte sie mit seinen urtüchtigen Zähnen. Und dachte dabei +an den Schatz. + +Aber -- Lehm-Lamel-Adam, kannst du dich denn nicht mehr erinnern, das +voreinstmalen die goldhaarige Eva schuld war an deinem Falle, an deiner +Austreibung aus dem Paradiese und an deiner ruhelosen Seelenwanderung +durch die Geschlechter der Menschen? -- Der Apfelbiß in der Bibel! +nichts als Blumensprache, du weißt es recht gut. Lehm-Lamel-Adam! Was +zieht doch täglich für ein Volk die Straße entlang, an dir vorbei? +Ein unselig Volk von Bettlern, Vagabunden, Tagedieben! Dort wankt +ein Blinder, geführt von seinem halbnackten Kinde; dort schleppt ein +kraftloses Maultier einen lahmen Mann; dort geleiten Schergen einen +Übeltäter heran und drüberhin flattern und krächzen die Raben. Hier +sprengt mit Roß und Wagen ein anderer Übeltäter vorüber; dort liegt ein +Waisenknabe im Straßengraben und ächzt. Sechs schwarze Hengste führen +die Leiche eines reichen Selbstmörders ihrer prunkenden Gruft zu. Dort +am Steinhaufen kauern Mann und Weib und Kinder in Lumpen; die Kinder +schreien nach Brot, der Mann verflucht sein Geschick. Und hier wankt +ein Enttäuschter, Vernichteter des Weges zurück, den er vor kurzer Zeit +erst mit fliegenden Plänen und Hoffnungen gezogen. Und so zieht's Tag +für Tag und Jahr für Jahr die breite Straße entlang; ganze Kriegsheere +dazwischen, ausfahrend, um zu morden und zu rauben. Und das -- all das +ist das Menschengeschlecht. Adam, das ist deine Sippe! -- Und wiederum +gehst du auf Freiersfüßen, anstatt anzupacken, daß die ganze mißratene +Brut vertilgt werde! + +So schrie das Gewissen dem Wegwart in die Ohren. + +Es war nur ein alter Eseltreiber, der eines Tages beim Wegwart zusprach. + +»Lehm-Lamel!« rief er durchs Fenster hinein, »weißt du schon, daß +die Strubacher-Leut' nicht mehr sprechen können? Sie heißen dich den +Lahm-Limmel.« + +»Treib' deine Esel in meinen Obstgarten,« sagte der Lamel, »und setz' +dich zu mir, ich muß dir doch etwas aus diesem Buche vorlesen.« Dann +hub er an und teilte dem Treiber die Lehre von der Seelenwanderung mit. +-- »Und für ein Paar Stiefel hat mir ein Landstreicher dieses Werk im +Haus gelassen!« + +»Der hat gewußt, was er getan hat,« rief der Eseltreiber und schlug mit +der flachen Hand aufs Buch, »aber Leder ist hier ~mehr~ drin.« + +Als sie tiefer in das Gespräch kamen und der Lamel mitgeteilt hatte, +daß mutmaßlich die Seele des Adam aus dem Paradiese in ihm stecke, +neigte der Treiber zustimmend den Kopf. Und als sich jener Rates holte, +was er denn eigentlich werde tun müssen, um sich zu erlösen, sagte +dieser: »Luderleben sollst keins führen, das ist die verbotene Frucht. +Selbst meine Esel möchten Heu haben und müssen Stroh fressen. Aber das +Müssen gilt nicht. Wer's freiwillig tut, dem ist's ein Verdienst.« + +»Ich hüte mich wohl,« sagte der Lamel, »da schau meine Obstbäume an, +die schönsten Äpfel, die prächtigsten Äpfel! Du, ich sag' dir, nicht +einen einzigen ess' ich im Jahr. Gott hat schon im Paradiese den Apfel +verboten.« + +»Geh,« lachte der Eseltreiber, »du bist schlau, die Äpfel ißt du nicht, +aber ihren Saft pressest du heraus und damit trinkest du dir die +Räusche!« + +Schier zu Tode erschrak der Lamel über diesen Vorwurf; er sah es +plötzlich ein, der Eselmann hatte recht, im Apfelwein genoß er die +verbotene Frucht. + +Und von dieser Zeit an hatte sich der Wegwart fest vorgenommen, nicht +einen Tropfen des falschen Getränkes mehr zu trinken, als bis er im +Reiche Gottes zur »Rechten« säße. Es gelang ihm eine erkleckliche +Weile, seine argen Gelüste zu zähmen und seinen sündigen Menschen +zu verleugnen, und er hatte schon gegründete Hoffnung, daß Adams +langwierige und langweilige Seelenwanderung in dem schlichten Wegwart +endlich ihren guten Abschluß finden würde. + +Da war einmal ein heißer Sommertag und da kam die schöne Strinerl +die staubige Straße gegangen. Sie sah den Schatten in des Wegwarts +Obstgarten, sie hörte den Brunnen rieseln; so trat sie in den kleinen +Hof, um zu trinken. + +Schon hielt sie die braune, hohle Hand unter den klaren Strahl, als sie +der Lamel vom Fenster aus bemerkte. + +»Närrchen, Närrchen!« rief er, »was wirst Wasser trinken! Ich habe +einen guten Apfelwein im Keller, ich selber brauch' ihn nicht; für wen +hätt' ich ihn, Dirndl, als für dich?« + +Er eilte in den Keller, entspundete ein Fäßchen und steckte einen +Schlauch hinein, um die Gottesgabe in den bereiten Krug herauszuheben. +Doch, als er mit dem Atem hob und als es kühl und feucht wurde unter +seinem lechzenden Gaumen, da kam er ins Saugen und der Wein ging durch +den Schlauch geradewegs in seine Gurgel. Er trank herzhaft drauflos, +vergaß die gelblockige Strinerl, vergaß den Adam, trank und trank die +langentbehrte Labe -- trank und sank endlich auf den kühlen Lehm des +Kellers hin. + +»Lamel!« lallte er schläferig, »war ~das~ ein Durst! Und er ist +noch -- nicht gelöscht. Will ihn gründlich löschen -- den Durst, weil +ich schon dabei bin. -- Strinerl, komm' her! -- 's hilft nichts dafür, +der Mensch ist wie er ist. Er mag sich drehen und spreizen wie er will, +er mag ein Röckel tragen, blau oder rot. Oder gar keins. Er mag sich +die Haut umwenden. Mag auf dem Fuß stehen oder auf dem Kopf. 's ist +alles eins. 's ist und 's bleibt der alte Adam ...« + + + + + Der Säemann. + + +Seit Jahrhunderten gab es im Tale keinen merkwürdigeren Mann als den +Samstag-Christof. Er hätte dreimal Anrecht gehabt auf das Spital, denn +er war übel geboren. Eine Krankheit hatte ihn zugerichtet, er war +stocktaub und einäugig und hatte eine verstümmelte rechte Hand. Aber +seine Linke war gesund und ernährte drei Gemeinden. Der Christof war +arm und wohnte unter dem Strohdach einer Scheune. Als Knabe entsprang +er dem Krankenhause, in das ihn der Vormund nach dem Tode der Eltern +gesteckt hatte; die erste Nacht nach seiner Flucht verschlief er in der +Scheune, und seitdem war diese sein Daheim gewesen, und er hatte in ihr +seinen ersten Bart und seine weißen Haare erwartet. Aus Stroh hatte er +sich ein Stübchen geflochten, das sah aus wie ein mächtiger Korb, und +hielt die Kälte und Hitze ab. Das Stroh beschützte den Mann ja gern, +denn jeder Halm verdankte ihm das Leben und die Ähren ließen gerne ihre +rundesten Körner dem guten Christof zum Brot. Der Mann war eine Gestalt +zum Erbarmen; aber es gab keinen Amtmann weit und breit, der so geehrt +und in sich so glückselig war, als der Samstag-Christof. + +Der Samstag-Christof war wie die Kraft Gottes, des Schöpfers, könnte +man sagen; worüber er seine Hand ausstreckte -- und es war doch nur +die linke -- das wurde gesegnet. Man wußte nicht, woher es kam, es war +eine angeborene Eigenschaft; Christof war der berühmteste Säemann im +ganzen Bergland. Es gab sehr geschickte und erfahrene Bauern im Tal, +sie hatten -- darüber war nicht zu klagen -- fleißige Hände und volle +Speicher, sie verstanden das Ernten -- aber das Säen verstanden sie +lange nicht immer. Einmal ging das Korn zu dicht auf und erstickte +sich, das andere Mal standen die Halme schuhweit auseinander und jede +Ähre hatte ein ganzes Ländchen für sich -- dafür trugen sie auch den +Kopf hoch und waren leer und spießig, statt voll und glatt. Oft waren +mitten in den Äckern leere Gassen, durch die Roß und Wagen hätten +ziehen können, ohne ein Hälmlein zu beschädigen. Ein Sträfling kann +die Gassen, durch die er Spießruten laufen muß, kaum stärker hassen, +als der Bauer solch eine leere Gasse durch sein Kornfeld haßt. Die +Samenkörner mit vollen Händen hinzuwerfen, ist freilich leicht, aber +das Erdreich ist braun und die Körner sind braun, und es ist schwer, +die Gleichmäßigkeit einzuhalten, daß kein Fleckchen leer bleibt oder +keine Handvoll auf die andere fällt. Gute Augen, ein gleicher Schritt +und eine sichere Hand gehören dazu. + +Der Samstag-Christof hatte nur ein einziges Auge, das gewiß nicht über +die Ecke der Nase sah, und er hatte sichelkrumme Füße, und er hatte nur +die »dengge« Hand, und dennoch blieb, wenn er säete, auf dem ganzen +weiten Felde keine Handbreit leer und kein Korn fiel auf das andere. +Wenn auf Christofs Acker der Same aufging, so war das so gleichmäßig +wie eine grünende Wiese, und wenn er reifte, legte ein Halm seine +schwere Ähre auf die Achsel des andern. + +Darum suchten alle den Christof auf in seinem Strohkorbe, darum tat der +Christof im Frühjahre und Herbste zwei Monate nichts als säen, und er +säete auf allen Feldern des ganzen weiten Tales. Da trug er ein großes, +weißes Tuch um die Lenden, und darin hatte er das Samenkorn, ein +strotziges Bündel. So legte er fast mit Grazie seine Linke hinein und +schwang sie dann gefüllt -- nicht auf das gelockerte Feld. -- Die erste +Handvoll warf er auf sandigen Boden oder auf einen Felsen, oder hin +über das Heidekraut des Raines. Warum er's tat, das sagte er nicht und +keiner stellte ihn darob zur Rede. Dann aber ging's über das Feld, von +einem Rain bis zum andern. Wie er die Hand so schwang im Halbkreise, +da zogen von ihr die braungelblichen Strahlen der Körner aus, und sie +verdünnten sich in der weiten Runde und wurden unsichtbar, bis sie zur +Erde fielen. Gleich kamen auch die Vöglein herbeigeflogen von den nahen +Bäumen und von den Büschen. Sonst hüpfen sie gerne auf den Erdschollen +herum und picken die frischgesäeten Körner auf, aber dem alten Christof +flogen sie auf die Achsel oder die Lederhaube, und einmal ließen sie +sich gar wundersam nieder zum Kornsack und schnappten nach Lust die +Dingelchen heraus. Als ob es ihnen gesagt worden wäre, daß das Körnlein +im Sacke geradeso sättigt wie das Körnlein im Erdreiche, obwohl das +erstere nur ein einzig Körnlein bedeutet, das letztere aber eine ganze +schwere Ähre. + +Keine Handlung im formreichen Kultus des Landmanns ist so würdevoll und +heilig wie das Hinlegen des Samenkornes in die Erde. Das ist Glaube +und Hoffnung, das ist ein Begräbnis mit der kindlichsten Zuversicht +an die Auferstehung. Ich habe noch keinen lachenden, singenden oder +plaudernden Säemann gesehen; der tollste, ausgelassenste Bursche +schreitet bei dieser Arbeit still und ernst einher, als sei er zur +selbigen Stunde ein Wundermann, der mit wenigen Broten viele speist. Es +ist, als ob den Säemann bei dieser Handlung eine Ahnung überkäme von +seinem eigenen Hinsinken in das Erdreich und Wiederhervorgehen zu neuem +Leben. + +Freilich wohl liegt über diesem tiefen Meere der Poesie, sowie immer im +Volke, der Schaum des Aberglaubens. Der Säemann soll ein Sonntagskind +sein und die Arbeit nur bei aufnehmendem Monde verrichten. Gesagt ist, +daß der Same besser gedeiht, wenn er früher mit Weihwasser übergossen +wird; das Wasser müßte aber nicht gerade geweiht sein, die Hauptsache +ist nur, daß es befeuchtet. Sonst wird beim Säen die erste und die +letzte Handvoll kreuzweise hingeworfen, damit nicht etwa der böse Feind +Unkraut unter den Weizen menge. Aber der Christof tat das nicht, die +erste legte er auf unfruchtbaren Grund und die letzte -- es war recht +und billig -- behielt er sich zum Eigentum. Hatte er an einem Tage +zehn Äcker besäet, so hatte er sich zehn Hände voll Korn erworben; +so ließ sich in der Säezeit der Lebensunterhalt für das ganze Jahr +zusammenbringen. + +Im Tale lebte ein häßliches Weib, die Brennessel-Gret. Es war eine arme +Witwe, mit drei kleinen Kindern; es war auch ein Säeweib und hatte sich +und anderen durch seine böse Zunge schon viel Unkraut ausgestreut. Die +Gret liebte keinen Unglücklichen, umsomehr haßte sie den Glücklichen. +Der Samstag-Christof, arm und häßlich wie sie, aber geachtet von +allmänniglich und geliebt von jedem Kinde, selbst von den Vöglein der +Lüfte, war ihr ein Dorn im Auge. Im allgemeinen achtete man nicht auf +die Brennessel-Gret, was sie auch sagen und tun mochte. Auf einmal aber +ging ein Gerücht durch aller Leute Mund: Nun, endlich wisse man's, +warum der Samstag-Christof so trefflich säe, er benütze den Bösen +dazu, der müsse ihm jedes Korn auf den genau abgemessenen Platz in die +Erde legen und bekäme dafür die erste Handvoll, die der Christof auf +unfruchtbaren Boden wirft. Der Samstag-Christof sei ein Hexenmeister. + +Man weiß, wie Bauern sind -- im nächsten Jahre säete jeder sein +Kornfeld eigenhändig, und dem alten Christof wich man aus und grüßte +ihn kaum mehr. Dieser lebte verborgen in seiner Scheune, während +draußen der Frühling war. Aber als die Saat aufging, gab es über die +Felder hin viele aschgraue, kahle Streifen und zur Blütezeit wucherte +Nesselkraut und Hederich zwischen den Halmen und in den Erntetagen +lagen die Garben dünn zerstreut auf den Stoppeln. + +Im nächsten Herbste wurde in der Hütte der Brennessel-Gret viel gebetet +und geflucht. Das Weib hatte sein Kornackerl bestellt, aber nun bekam +es, wie sonst alljährlich, keinen Samen von der Nachbarschaft; erstens, +weil solcher in diesem Jahre rarer war als sonst, zweitens, weil sich +das Weib immer mehr verhaßt gemacht hatte. Alles bestellte seine +Wintersaat, aber der Acker der Witwe blieb brach liegen. Christof hatte +in seinem Vorrat einen Kübel Korn; da dachte er bei sich: Streue ich +diese Körner auf ihr Feld, so bin ich wieder der Hexenmeister, und +bleibt ihr Acker leer, so verhungert sie mit ihren Kindern. -- Da war +der alte Mann einmal über eine Nacht nicht in seiner Scheune. + +Der Winter kam und ging vorüber; in der Hütte des Nesselweibes war +Trostlosigkeit; die Grete betete für ihre Kinder und verfluchte alle +übrigen Menschen. Aber im Frühjahre, als alle Felder grünten im weiten +Tale, grünte auch das der Witwe; es ging aus demselben das Korn auf in +saftiger Fülle und schöner Gleichmäßigkeit, erquickender zu sehen, wie +alle Äcker der Großbauern. Der Samstag-Christof hatte hier gesäet, es +ließ sich nicht leugnen. Nächtlicherweile mußte er es getan haben, und +dennoch stand jedes Hälmlein von den anderen wie abgemessen. Das hätte +den Argwohn von dem »Hexenmeister« wohl bestärkt, aber der Pfarrer +sagte: »Er hat Almosen gegeben mit der Linken, ohne daß es die Rechte +wußte; er ist, umgekehrt wie im Evangelium, gegangen auf den Acker des +Feindes um Mitternacht und hat das Unkraut zertreten und guten Samen +gestreut.« + +Ich habe den alten Samstag-Christof noch gekannt. Über seinen Körper +schienen alle Übel kommen zu wollen; in seinen letzten Jahren war +er so buckelig, daß er wie ein Ballen herangewandelt kam. Sein +niedergebeugter Kopf war kaum einen Fuß von der Erde entfernt, seine +hageren Hände, wovon die Rechte fingerlos war, hingen nieder bis zum +Boden; es war, als ob er alle Körner wieder auflesen wollte, die er +in seinem Leben ausgestreut hatte. An einem Samstagabend fand man ihn +mitten auf einem reichen Kornfeld leblos, tief zusammengekauert wie ein +Samenkorn, das, in Verwesung übergehend, keimen will. Man konnte den +Greis nicht mehr gerade legen, der Sarg mußte kurz und breit sein. + +Das Grab des alten Christof wurde bald weit und breit bekannt; es +wuchsen Halme auf ihm und Kornähren daran. Die alte Brennessel-Gret +führte ihre drei Kinder zum Hügel, pflückte jedem eine Ähre und sagte: +»Nehmt und bauet sie an.« + +Zwei dieser Kinder besitzen heute weite Kornfelder, herausgewachsen aus +den zwei Ähren; das dritte aber hat seine Ähre verworfen und zieht hab- +und heimatlos durch die Länder. + + + + + Der scheltend' Schuster. + + +Da stand in den Zeitungen der Bericht von einem Manne in Boston, der +jedesmal, wenn er fluche, ein Geschenk zu kirchlichen Zwecken gebe, auf +diese Art bereits ein Bethaus erbaut habe und nun dabei wäre, einen +Turm auf die Presbyterianerkirche zu fluchen. + +Dieser Bericht erinnerte mich an den Flucher Martin Leitner in +Fischböckgraben, welcher Leitner unter dem Namen: »Der scheltend' +Schuster« weit und breit bekannt war. Um ein guter Flucher zu sein, +braucht man rhetorisches Talent; mit etlichen groben Redensarten allein +ist's da nicht abgetan, die bringt jeder ungehobelte Bauer zuweg, +ja selbst der Stadtherr und die Stadtfrau, was mir eine ganze Welt +von dienstbaren Geistern beweisen helfen kann. Der geborene Flucher +flucht mit Grazie, mit Humor, mit Wärme und Empfindung, mit schönem +Pathos, kurz, mit dichterischem Schwung. Ihm steht eine unerschöpfliche +Mannigfaltigkeit der Form zu Gebote, ein Bilderreichtum gewaltiger +Phantasie, sein Fluch ist als Ausdruck der Empfindung ein poetisches +Werk lyrischer Art. Fluchen und Beten sind scheinbar sich ganz +entgegengesetzte Dinge, in Wahrheit aber gleichartiger Natur: Beides +ist eine Wunschäußerung des Gemütes gegenüber einem übernatürlichen +Geiste. Zum Glücke wird so selten andächtig geflucht als andächtig +gebetet. + +Der Schuhmachermeister Martin und sein Geselle, der fromme Barthel, +leisteten in beiden Fächern ganz Erkleckliches. So oft der Martin +den Mund auftat, zitterten alle tausend Mordelemente im Himmel und +auf Erden; und wenn der alte Barthel während des Drahtziehens seine +frommen Stoßgebetlein ins Pech oder ins Leder murmelte, hatte es +eine Art, daß, wie der Meister sagte, nur gerade das kreuzweis +verschweifelte Donnerwetter dreinpfeifen müßte! Sie eiferten sich +gegenseitig an zu ihren Tugenden; je mehr der eine fluchte, je mehr +betete der andere, und je mehr dieser betete, je mehr fluchte jener. +So gab es denn in der Schusterwerkstatt oftmals einen Geruch wie von +Weihrauch und Schwefel durcheinander. + +Den Meister ärgerte des weiteren das Beten nicht, insofern war er +duldsamer als sein Geselle, dem das Fluchen seines Herrn ein Greuel war. + +Nicht ungern erzählte der Schustergeselle die Geschichte von dem +fluchenden Weber, der so lange in das bei einem ungeduldigen Weber +stets verknüpfte und verworrene Garn hineinfluchte, bis er umgarnt war +und ihn mit Haut und Haar der Böse holte, den er so oft angerufen hatte. + +»Das muß schon ein sternhageldick verzweifelter Narr gewesen sein,« +meinte der Meister, »wer wird denn so fluchen?« + +Der Barthel glotzte ihn ganz dumm an, und eines Tages rückte er den +Dreifuß und sagte: »Der Meister ist sonst kein zuwiderer Mensch nicht, +aber halt das gottlose Schelten und Eitelnennen Gottes! So oft der +Meister tut fluchen, gibt's mir einen Stich ins Herz, als wie wenn eins +mit dem Ahl-Ertel ohne Schmer hinein tät' rennen. Das bin ich gar nicht +gewohnt, und jetzt sag' ich meinen Dienst auf.« + +Wickelte der Meister den Pechdraht um die Hand, rückte auch seinerseits +den Dreifuß und antwortete: »Was heißt das, Barthel? Wer nennt den +Gottesnamen eitel, ich oder du? Schelten! Fluchen! Du tust ja, als +wie wenn ich ein siebendoppelter Heid' tät' sein! So ein blitzblau +vernagelter Unsinn! Ob mich schon wer fluchen gehört hat, möcht' ich +wissen, du gottverdammter Ehrabschneider, du vermaledeiter, daß dich +der Teufel hol--lertee trink' ich gern.« + +Aber fluchen tat er nicht. + +So klagte der Barthel seine Not einmal den Kirchenpröbsten, unter +welchen die Sakristeidiener und Vorbeter verstanden sind, und zu denen +er selber gehörte. Und sie einigten sich darin, daß der Meister Mirtl +(Martin) wirklich der greulichste Flucher sei, der je Menschenfüße in +Ochsenhaut steckte, daß man ihn allerwärts den scheltenden Schuster +heiße, was dem Sprengel, in dem er lebe, keine Ehr' sei, und daß +der Mann stumm gemacht werden müsse. -- Was half's, daß der Geselle +nach jedem Fluch des Meisters ausrief: »Gott verzeih'!« wenn der +andere sofort wieder mit einem: »Gott verdamm'!« dreinfuhr, und es +drauflosging, daß sich ordentlich das bockigste Stierleder unter dem +Knieriemen wand vor Entsetzen. + +Wenn der Meister bei guter Laune war, so hörte man von ihm +fortwährend Gefühlsausbrüche harmloserer Art, als: »Bassama +hint' auf d' Höh'!« oder: »Kruzi-Adaxel-Türkensabel, Ludervieh +und Heugabel!« oder: »Kreuz-divi-domini, daß dich!« oder auch: +»Fixzaunmarter-dürre-Krautstingelbutten!« Wenn er aber in Zorn und Wut +kam, da ging ein ganz anderes, ein schweres Wetter nieder. + +»Geldstrafe!« sagte einer der Kirchenpröbste, »sonst weiß ich +kein Mittel. So oft der Mirtel einen Flucher laßt, zahlt er einen +Kupfersechser. Barthel, du passest auf und verwahrst das Geld, das +nachher der Kirchen gehört.« + +»O, ihr lieben Eselein!« rief der Barthel, »da möcht' ich wohl wissen, +wer ihm das Zahlen wollt' schaffen. Den schilt er maustot.« + +»Das laß gut sein, Schuster,« sagte der andere, »ich werd' mit dem +Kaplan reden.« + +Und nach einiger Zeit, als der Meister Mirtel eines Tages von der +Kirche heimkehrte, war er verzagt und fluchte nicht, so daß der Barthel +glaubte, sein Meister müsse krank sein, und ihn darob befragte. + +»Ja, mein lieber Barthel,« antwortete der Meister traurig, »'s ist +nicht richtig mit mir; bei der Beicht' bin ich gewesen. 's mag wohl +sein, daß meine arme Seel' zum Teufel geht. Weil ich so viel schelten +tät', sagt der geistliche Herr. Glaub's aber nicht, 's müßt mich nur +zeitweilig der Höllsaggra so viel reiten. Sollt' mir's abgewöhnen, sagt +der geistliche Herr. Der hat leicht reden, der hat alleweil die sieben +Sakrament' im Mund und ist fromm dabei; und unsereinem darf nur eins +auf die Zungen kommen, so heißt's, man schilt! Muß aber doch derlogen +sein, daß ich mir das mordsschwerenots Fluchen nicht sollt' können +abgewöhnen. -- Nu, so hat halt der geistliche Herr gesagt, sagt er: so +oftmals ich einen feisten Flucher tät' loslassen, sollt' ich allemal +einen Dreier für den Opferstock geben.« + +»Einen Sechser, Meister, einen Sechser!« rief der Barthel drein. + +»Einen Sechser? Wie kannst denn du das wissen, du neunmal verzweifelte +Judashaut; hast leicht gelost?!« + +»Gar nicht, Meister, gar nicht; hab' nur gemeint, so ein Flucher vom +Meister ist seinen Sechser schon wert.« + +»Hat's auch gesagt, der geistliche Herr, daß ich mich allemal um einen +Sechser sollt' strafen. Meint er 'leicht, ich hätt' nicht Herr über +mich! Justament will ich ihm's zeigen, dem Sakermenter, daß ich das +Schelten kann lassen.« + +»Meister, ich bitt' um den Sechser.« + +»Was hast denn? Es gilt auch: so oft ich was fluch', kriegst du für die +Kirche den Sechser. Daß ich euch weis', was ich kann, und das verdammte +Gered' einmal aufhört: nicht ~einen~ setzt's, oder es soll mich +das Kruzifix-Millionen-Donnerwetter in den Erdboden schlagen!« + +»Meister, ich bitt' um den Sechser.« + +Das Donnerwetter schlug nicht, aber er gab den Sechser: den ersten und +bald noch etliche dran in derselbigen Woche. Jeder »Satan« und jedes +»Mordselement«, jede »Pestilenz«, jeder »pechrabenschwarze Gallteufel«, +sogar jede »Galgenstrick-Latern'« und jedes »Saggramosthosen« wurde mit +einem Sechser belegt. Allerlei Drohungen und Träume, die dem braven +Schuhmachermeister nächtlicher Weil' vorkamen, bewirkten es, daß er die +Strafgelder nicht verweigerte, sondern mehr und mehr seinen Mund in +acht nahm. + +Als die Kirchenpröpste wieder zusammenkamen, brachte der Barthel zwar +ein nettes Häufchen Sechser mit, tat aber gleichzeitig kund, daß die +Kupferquelle allbereits versiegt sei. + +»Das kömmt mir recht verdrießlich,« meinte der Lichtanzünder, »wie ihr +sehen könnt, ist der Weihbrunnkessel an der Kirchentür kaputt geworden, +worauf wir beim heurigen Geldanschlag nicht gezählt haben. So ist mir +der Einfall gekommen, ob uns nicht der Schustermeister einen neuen +Kessel zusammenfluchen wollt'.« + +»Flucht nimmer,« berichtete der Barthel. »Es müßte denn sein, daß man +ihn reizen tät'. Wenn's zum Besten des Kessels ist ...« + +Und was geschah? + +Der Barthel ging heim in die Werkstatt, verknüpfte in Abwesenheit +des Meisters den Draht, tauchte das Pech in kaltes Wasser, verklebte +auch ein wenig den Leisten in den halbfertigen Schuh, brach ein paar +Ahl-Erteln die Spitze ab, versteckte den Knieriemen unter das alte +Lederwerk und bereitete in schöner Dienstfertigkeit noch dies und das +für ein ausgiebig Flucherstündchen. Dann rückte er sich in seine Ecke +und stach und schmierte und nähte mit der harmlosesten Miene von der +Welt an seinem Stiefel. + +Bald darauf trat der Meister lustig pfeifend in die Stube und setzte +sich an die Arbeit. Fürs erste wackelte der Dreifuß; den rückte er +gelassen zurecht. Dann langte er nach dem Garnknäuel, um die Drahtfäden +auf seine Finger und den Ellbogen zu haspeln. Dabei murmelte er etwas +Unverständliches, denn das Garn war ein wenig verworren. Der Geselle +lauerte, aber es kam weiter nichts. Das Pech zeigte sich heute, obwohl +in der Stube geheizt war, ausnehmend spröde, das Schmer hinwiederum +floß schier auseinander. Als der Meister den Leisten aus dem Schuh +ziehen wollte, brach der Zughaken und er schleuderte die Trümmer +zu Boden und starrte stillen Grimmes auf den Gesellen hin, der in +musterhafter Ordnung weiter arbeitete. Der Meister nahm die Ahle zur +Hand, da war die Spitze weg -- wieder ein Blick auf den Barthel. Bebend +vor Wut, aber stumm wie ein Fisch, suchte der Meister den Knieriemen, +schleuderte alle Leisten und Lederfetzen durcheinander, fand ihn +endlich unter der zerfahrenen Beschuhung, stürzte damit auf den +Gesellen und salbte ihm kräftigen Armes mit dem Riemen den Rücken. + +Und fluchte nicht. + +Aber der Weihbrunnkessel ist neu. Man sagt, der Barthel selbst hätte +ihn zusammengescholten an demselbigen Tag. + + + + + Herr Trotzkopf, der Heiratsbeflissene. + + +Bertram Siebener ging auf dieser Erde fünf Jahre lang mit +Heiratsgelüsten um. Es tat ihm die Wahl weh unter den schönen Töchtern +des Landes, und aus lauter Bedenken und Zuwarten passierte es mehrmals, +daß ein anderer ihm die Braut vor der Nase weg heiratete. Denn gern +haben die Frauen des Mannes Herz, aber dessen Hand haben sie noch +lieber. Zudem hatte Bertram Siebener -- ein so prächtiger Mann er sonst +war -- keinen sehr starken Willen, hingegen besaß er einen kräftigen +Widerspruchsgeist. Ein Trotzkopf war er. Bei allem, was er vorhatte, +befragte er seine Freunde um Rat, um hernach gerade das Gegenteil zu +tun von dem, was sie ihm rieten. + +So saß er eines Tages im Extrastübel des Eschenwirtshauses und sagte +zum Wirt: »Julius, was sagst du dazu? Jetzt hab' ich eine aufgestöbert. +Blutjung ist sie und bildsauber. Hast noch keine gesehen, die so schön +wäre. Ganz dumm bin ich dir vor Liebe. Die werde ich nehmen -- was +meinst?« + +Der Wirt zuckte die Achseln: »Wenn du verliebt bist, dann ist dir nicht +mehr zu raten.« + +»Daß man sich's halt etwa noch überlegt.« + +»Das tät' ich auch an deiner Stell', und diesmal schon gar.« + +»Meinst also, daß ich's bleiben lassen soll?« + +»Weißt, Bertram, ein anderer kann da nichts sagen, das kommt auf dich +selber an. Ich red' nur das: geheiratet ist's bald, aber das Hausen +währt lang'. Und just auf die Schönheit allein ginge ich auch nicht. +So lang' das Weibel schön ist, gehört es oftmals nicht dem Ehemann +allein; und ist es nicht mehr schön, nachher magst es leicht auch +selber nicht. So ist die Sach'.« + +Der neidet mir die schöne Braut, dachte Bertram, als ob just ich kein +sauberes Weib haben sollte! -- + +Er ging zu seinem Freunde, dem jungen Tischlermeister, einem sehr +einsichtsvollen Mann, der selber noch ledig war und bei seiner dicken +Stiefmutter lebte. + +»Du, Franzel,« rief Bertram Siebener, »eilends laß dir Tanzschuhe +machen. Ich bin Bräutigam. In die Allerschönste bin ich vernarrt, in +die schöne Traut. Ich denk', ich mach' Ernst! Rate mir, Freund, aber +rate mir nicht ab.« + +»Dazu läge nach meiner Meinung keine Ursache vor,« sagte der Tischler, +»daß sie deinem Auge gefällt, und daß du sie lieb hast, ist die +Hauptsache. Alles andere findet sich.« + +»Nur Vermögen, wenn sie zu ihrer Schönheit hätte, würde ich nicht +verachten,« meinte Bertram. + +»Vermögen, Vermögen,« sagte der Tischler, »dann bist du der Herr im +Hause nimmer. Du bist der Anwalt ihres Geldes und mußt durch das +Kapital deiner Arbeitskraft den täglichen Bedarf schaffen, und dennoch +würde sie dir's bei jeder Gelegenheit zu verstehen geben, daß sie dir +Geld mitgebracht hätte.« + +»Wenn sie nur auch ein gutes Herz hat?« wendete Bertram ein. + +»Pah, ein gutes Herz haben alle, wenn es der Mann verlangt; nur +häßliche Weiber sind auch böse Weiber. Greif' zu, Bertram, greif' zu +mit allen Vieren!« + +Was der nur hat? dachte der Freier bei sich. Gerade auf der Stelle will +er mich verheiraten. Er hat leicht reden; leben müßte ich mit ihr. Spät +gefreit hat niemand gereut. Ich warte noch. -- + +Ein halbes Jahr später saß Bertram Siebener wieder im Eschenwirtshause +und zupfte den Wirt am Ärmel: Er hätte etwas zu reden. + +»Wenn's nur auch was Gescheites ist!« sagte Julius. + +»Das will ich schon meinen. Ich habe wieder eine Braut -- eine mit +Geld!« + +»Das läßt sich hören!« + +»Aber gerade nicht mehr ganz jung -- so in den besten Jahren, eine +Vierzigerin.« + +Der Wirt tat einen lauten Pfiff. -- »Nachher könnte sie ja deine Mutter +sein.« + +»Ist's aber nicht. Ist eine recht angesehene Hausbesitzerin, auch +gesund und heiter. Ich setz' mich in die Wirtschaft und bin ein +gemachter Mann.« + +»Mensch!« rief der Wirt, »ich sage dir, nimm eine ältere! Eine +Achtzigjährige, die wenigstens bald stirbt. Die Vierzigerin überdauert +deine schönsten Jahre; du bist an sie gebunden wie der Kettenhund ans +alte Hoftor. Bertram, ich bitte dich: renn' nicht in dein Unglück!« + +»Du hast ja selber eine Alte.« + +»Eben darum rede ich aus Erfahrung. Junge, nimm eine Häßliche, eine +Dienstmagd, eine Dirne -- nur keine Alte!« + +Bertram ging mißmutig davon. -- Just weil sie glauben Nein, so sage ich +Ja. Möchte doch sehen, wer mit mir schaffen kann! -- + +Er ging zum Tischler. + +»Freund, du wirst Augen machen. Wie du mich da stehen siehst: ich bin +so viel als Großbauer! Ich heirate die Hochschlagerin.« + +»Was?« lachte der Tischler, »o du Schelm du! So bist du's, der den +fetten Vogel abschießt! Ich gratuliere!« + +»Sie ist just nicht alt.« + +»Na freilich nicht,« sagte der Tischler. »Vierzig ist ja noch kein +Alter. Und so gut erhalten!« + +»Just, daß halt ~ich~ ein bissel jung für sie bin.« + +»Ist nicht deine Schuld. Brauchst du nicht eifersüchtig zu sein. +Eifersucht ist ein Elend. Auf die Hochschlagerin kannst dich verlassen +-- bist geborgen. Und sind die zufriedensten Ehen, dergleichen. +Dann keine Brotsorgen, mein Lieber, keine Brotsorgen, das ist die +Hauptsache.« + +»Es ist wahr,« bemerkte Bertram sinnend, »daß man auch -- der +Nachkommenschaft wegen -- Kinder --« + +»Eins kriegst, mehr brauchst du nicht. Denke dir das Kinderkreuz! Den +Kummer! Ich selbst, wenn ich heiraten würde, nähme so eine, wie die +brave Hochschlagerin.« + +»So nimm sie!« + +»Ei, du siehst ja, daß ich mit meiner Stiefmutter ganz zufrieden lebe. +Sie ist eine gutherzige, praktische Frau, besorgt mir die Wirtschaft. +Und so lebt man fröhlich dahin.« + +»Und warum man just mich in den Ehestand jagen will?« + +»Jagen? Das nicht, aber mit gutem Gewissen dazu raten kann man dir. Du +zögerst, aber du wirst heiraten, es ist eine Naturnotwendigkeit für +dich. Du bist vielleicht gar nicht für den Ehestand geboren. Aber du +bildest dir einmal ein, zu heiraten, du wirst keine Ruh' und keine Rast +haben, so lange du nicht verheiratet bist.« + +»Und dann?« + +»~Dann~ gibt es keine Wahl mehr.« + +»Also gezwungen und gebunden leben!« + +»Bertram, du bist eine unentschlossene Natur, jede Wahl peinigt dich. +Immer hin und her. Das Muß tut dir besser, das ist der Stock, an den +gebunden du erstarken wirst.« + +»Franz, du redest in den Tag hinein. Du verstehst mich nicht. Weißt du, +was ich tun werde? Ich bleibe ledig!« -- + +Darauf verging ein Jahr. Die schöne Traut hatte einen schönen Förster, +die reiche Hochschlagerin einen reichen Holzhändler geheiratet. Bertram +Siebener war noch frei. + +Da saß er eines Tages wieder beim Eschenwirt und trank sich ein Herz +an. Es war bei ihm, als ob er den Apfelwein nicht in den Magen, sondern +in das Herz hinabschlürfte; denn mit jedem Humpen schwoll dieses und +wurde voll, und wurde schwer. Und endlich begann er zu schluchzen ob +seiner großen Verlassenheit. + +»Ich glaube gar, du hast Zahnreißen?« sagte der Wirt. + +»Laß mich gehen. Ihr alle miteinander versteht mich nicht -- ich fühle +mich so einsam auf der Welt. -- Ich werde doch noch einmal mit der +Meisterin reden.« + +»Am Ende hast du schon wieder eine Braut?« + +»Ich ~habe~ auch eine, ich verhehle dir's gar nicht, gleichwohl +ich weiß, daß du mir sie wieder abreden wirst wollen.« + +»Abreden? Ich abreden? Was dir nicht einfällt. Im Gegenteile, ich habe +dir immer gesagt, daß du heiraten mußt. Aber eine, die für dich paßt. +Zweimal fragtest du mich schon, und ich will nicht fürchten, daß du es +bereuest, mir gefolgt zu haben.« + +»Ich dir gefolgt, Julius! Nicht im Traume. Wenn ich zwei Weiber bisher +laufen ließ, so waren es andere Gründe.« + +»Die dritte wirst du doch nicht mehr laufen lassen? Sie ist +wahrscheinlich sehr hübsch?« + +»Sie ist nicht hübsch.« + +»Oder wenigstens jung?« + +»Sie ist nicht jung.« + +»So doch reich?« + +»Ist auch nicht reich.« + +»Also häßlich, alt und arm. Bertram, sei versichert, die rede ich dir +nicht ab. Es ist nicht nötig.« + +»Und gerade die werde ich heiraten.« + +»Ich gratuliere!« + +»Du höhnst mich. Ich aber sage dir: Die werde ich heiraten.« -- + +Aufgebracht ging er davon -- ging zu seinem andern Freunde, dem +Tischler. + +»Hast du wieder eine?« rief ihm der entgegen. + +»Eine gutmütige, bescheidene, ältliche Person, arm, aber häuslich und +brav.« + +»Siehst du, ~das~ ist die Rechte.« + +»Eine Witwe ohne Kinder. Nur ein Stiefsohn ist da.« + +»Für einen gescheiten, anspruchslosen Mann gewiß eine passende Partie. +Mache nur diesmal Ernst.« + +»Aber --« + +»Ist sie eine Hiesige!« + +»Freilich, du kennst sie recht gut. Und daß der Sohn um ein paar Jahre +älter sein wird als der Vater, hörst, das macht nichts.« + +»Was sprichst du denn?« + +»Geh', geh', ich laß dich nicht raten. Wir sind auch schon auf gleich. +Hat sie dir wirklich noch nichts gesagt?« + +»Wer?« + +»Deine Frau Stiefmutter.« + +Der Tischler schrak zurück. -- Meine Stiefmutter will er heiraten? +Meine Mutter, von der ich hoffe, daß sie mir in nächster Zeit die +Wirtschaft übergibt, und mich zum Erben ihres Ersparten machen wird? + +»Freund!« sagte er mit dumpfer Stimme und legte seine Hand dem +Heiratsbeflissenen auf die Achsel: »Das wäre ein unglücklicher +Gedanke. Glaube mir, ich würde sehr erfreut sein, dich in unserer +Familie zu wissen. Aber als Freund muß ich dir im Vertrauen mitteilen: +Meine Stiefmutter ist kein Weib für dich. Erstens hat sie das Alter +wirklich etwas sehr häßlich gemacht; die Leute würden ordentlich +zurückschrecken, wenn du sie ihnen als deine Braut aufführtest.« + +»Was geht das die Leute an!« + +»Dich, dich geht's an. Und das eben ist das Schlimme. Ferner glaube ja +nicht, daß diese Frau so überaus gutmütig ist. Ich kenne sie besser!« + +»Du kennst sie als Stiefmutter, da glaub' ich's schon.« + +»Wenn es je eine eitle, geschwätzige, geizige, schmutzige, launenhafte +und mürrische Alte gibt, so ist es meine Stiefmutter.« + +»Du übertreibst, wie hätte denn dein seliger Vater --« + +»Der nahm sie vor einem Vierteljahrhundert. Und wenn es je ein Mann bei +diesem Weibe aushalten könnte, so würde mein Vater noch leben.« + +»Diesmal ist alles dagegen,« murmelte Bertram, »nur mir keine Frau. +Jetzt möchte ich aber doch sehen, wer mir das Heiraten wehren kann. +Justament!« + +O, Tischler Franz, das hast du schlecht gemacht. Warum fielest du ihm +nicht in die Arme und riefst: »Bertram Siebener! ja und tausendmal ja, +werde mein Vater! Meine Stiefmutter ist das schönste, liebenswürdigste +Weib unter der Sonne. In üppigster Reife prangt sie dir entgegen! +Und wie sinnig weiß sie sich zu schmücken, wie anmutig versteht sie +zu plaudern, wie sparsam ist sie im Haushalte, wie anregend ist die +Mannigfaltigkeit ihrer Stimmungen und neckischen Launen, wie reizend +ist ihr erkünsteltes Zürnen und Schmollen. Wie selig war mein +seliger Vater in ihrem Besitze, der, ach, so kurz war. Tritt in seine +Fußstapfen, mein Freund, ich beglückwünsche dich aus voller Brust!« + +So mißrät man einem Bertram Siebener die Partie. Ei geh', Tischler, du +verstehst dich nicht aufs Leimen. Was du zusammenfügen willst, das geht +auseinander, was du trennen möchtest, das kittet sich zusammen. + +Jetzt lauf' zum Schneider, er soll dir flugs ein Hochzeitsjöppel +machen, deine Mutter heiratet dir einen Vater ins Haus, und aufs Jahr +vielleicht -- kommt der Storch! -- + +Die Hochzeit ist lange über ein Jahr schon vorbei. Das Ehepaar lebt +im Frieden. Der erheiratete Sohn wird ganz anständig gehalten, denn +er leitet das Geschäft. Der Storch kam, setzte sich aber auf den +Giebel der Mägdekammer, und wenn man den Bertram Siebener fragt, wie +er ihm denn anschlage, der heilige Eh'stand, so antwortete er: »Dank' +der Nachfrag'!« Und wenn man sagt: Es wäre ja zu erwarten gewesen, +daß er mitten in sein Glück hineinsäße, so entgegnet er: »Na, na!« +Und wenn ihm einer zuflüstert: »Armer Bertram, du bist bei dieser +Tischlermeisterin wohl recht jämmerlich auf den Leim gegangen!« so +ruft er aus: »Auf den Leim? Zum Lachen, so was! Ich bin über und über +zufrieden, ich verlange nichts Besseres.« + +Auch solche Käuze gibt es. + + + + + Der Samer-Sim. + + +Es ist doch recht schmeichelhaft für diese Welt, daß keiner aus ihr +hinaussterben will. »Das Sterben, das spar' ich mir bis zuletzt,« sagt +ein Volkswort, aber wenn dieses »zuletzt« kommt -- es kommt zu früh. +Die Jungen möchten alt werden, die Alten möchten sich am Sonnenlichte +ein Jährchen oder zweie noch erfreuen; der Gesunde möchte leben, der +Kranke gesund werden; der Arme möchte sich erst Schätze erwerben, der +Reiche sie genießen; der Totengräber hängt mit denselben Stricken +am Leben, als die in Weltlust badende Tänzerin auf der Bühne. Der +Familienvater will leben, um der Seinen Glück zu gründen und sich +daran zu laben. Dem Junggesellen ist es schon gar bitter, von der Erde +zu scheiden, denn er weiß, er läßt keine Spur zurück, ist mit seinem +letzten Atemzuge verweht und vertilgt -- wahrhaftig gestorben. + +Denen aber der Tod nicht zu früh kommt, denen kommt er -- zu spät; sie +wollten ja sterben, wenn's nur schon -- geschehen wäre. Es liegt ihnen +am Leben nichts, aber ihnen graut vor dem Todeskampf. + +Zu diesen letzteren gehört auch der Samer-Sim. Dem kann am Leben +freilich nichts liegen, er ist im Dorf der Einleger. Vor Zeiten hat er +mit einem Maulesel Kornsäcke übers Gebirg' gesäumt; den Namen hat der +Sim noch davon, aber sonst nichts. Er weiß, wie der Hunger schmeckt +und wie der Frost bohrt; weiß, wie die Gicht tut und wie böser Leute +Spottreden und geiziger Leute Nachreden klingen. Er weiß auch, daß +nichts Besseres für ihn mehr kommen wird, daß er nichts mehr wünschen +darf, daß er zeitlebens der Schuhhadern des Dorfes sein wird -- aber +nur leben, lange leben, immer leben -- nur nicht sterben. + +Der Samer-Sim meidet den Friedhof, der außer dem Orte liegt, aber auch +den Weg dahin; er tut oft einen halbstundenlangen Umgang, nur um den +Friedhofsweg nicht zu kreuzen. Vor Leichen fürchtet er sich wie vor +der Pest, und es geht ihm wie allen, die selten Leichen sehen und also +glauben, was ihnen die Einbildung vormacht, daß nämlich die Toten so +grauenhaft zu schauen wären. + +Am Ende des Dorfes steht eine Wirtskeusche; diese ist dem Sim der +liebste Ort; nicht als ob er den schlechten Krätzer, den man in +der Keusche haben kann, gerne tränke, sondern weil der Wirt ein +Geschichtenbuch besitzt. In diesem Buche steht die anmutigste +Geschichte, die der Sim je gehört hat, die Geschichte von dem ewigen +Juden -- das ist der Mensch, der nicht stirbt. + +Beim Wirt sitzt zuweilen auch der Bader des Ortes, ein Spaßvogel. »Ja, +mein Lieber,« sagte der eines Tages zum Sim, »letzthin hätt's den Mann +doch bald getroffen -- nu, wie lange mag's sein, Hirschenwirt, daß der +ewige Jude bei dir da vorbeigegangen ist?« + +»Je,« antwortete der Wirt, auf den Scherz eingehend, »das wird sein +höchstens sechs Wochen -- nit länger. Hat bei mir eingekehrt; just da +auf der Ofenbank, wo der Sim sitzt, ist er gesessen.« + +»Ja, schau,« fuhr der Bader zum alten Sim gewendet fort, »und da +hat der Mann unvorsichtigerweis', wie er schon von seinem ewigen +Herumvagabundieren erhitzt ist, ein Glas von Hirschenwirts Vierziger +getrunken. Augenblicklich hat er auch das schauderlichste Bauchgrimmen +gehabt und Krämpfe dabei, wie mir erzählt ist worden -- hat schon +alles gemeint, 's wär' das letzt' End' mit dem ewigen Juden.« + +Der Hirschenwirt stutzte, als er die Spitze des Scherzes nicht gegen +den Sim, sondern gegen sich selber gekehrt sah. -- »Na wart', Bader -- +dachte er -- du kriegst mir auch eins.« + +»Ja, ja,« bekräftigte der Wirt dem Sim gegenüber, »'s ist, wie der Herr +Doktor gesagt hat. -- Leut'! schreit er jählings, der ewige Jud', mir +ist auf einmal nit gut -- lauft's geschwind um einen Doktor! -- Ich +schick' den Halterbuben eilends ins Dorf, aber der Herr Doktor da ist +nit zu Haus gewesen; der arme kranke Mann hat keine Hilf' können haben +und so ist er richtig wieder gesund worden.« + +Der Bader hat einen klanglosen Lacher gemacht und nichts mehr +gesagt. Der Sim aber, die zwei scharfen Nadeln des Gespräches nicht +ahnend, schüttelte verwundert sein Haupt. »Welch' Seite ist er denn +zugegangen?« fragte er angelegentlich. Es fiel ihm ein, dem ewigen +Juden nachzugehen, ihn aufzusuchen und nicht mehr von seiner Seite zu +weichen, auf daß auch er dem Tod entrinne. + +Es sind der kleinen Geschichten und Wunderlichkeiten mehr, die man von +dem Alten erzählt. Vor kurzem wollte er, der Siebzigjährige, mit einem +zwanzigjährigen Mädchen eine Liebschaft anfangen, weil man ihm gesagt +hatte, er müsse, um den Tod zu hintergehen, sich wieder jung stellen. +In vollem Ernste machte er seinen Liebesantrag, und das ganze Dorf +hatte was zu lachen. + +Das Lachen war dumm. Der Samer-Sim ist ein armer schwachsinniger Greis, +der mit Angst die letzten Körner seiner Sanduhr verrinnen sieht. Das +falsche Leben, das ihm vorenthalten, was es anderen in reichem Maße +hingeschüttet, das ihm keinen seiner Wünsche erfüllt hat, das ihn um +seine berechtigtesten Hoffnungen betrog -- dieses falsche Leben will +der alte Mann noch zurückhalten am Mantelsaum, wie man einen fliehenden +Dieb zu halten sucht. Das Gebaren des alten Samer-Sim, die vieljährige +Todesangst des im Sonnenlicht Wandelnden ist seltsam genug -- aber +etwas zum Lachen ist es nicht. + +Als ich dem Manne begegnete und er mir wie so vielen anderen Leuten +seine Todesfurcht bekundete, suchte ich ihn zu trösten. -- »Wenn's +dereinst dazu kommt, guter Sim, so ist es nicht halb so schrecklich, +als es von weitem aussieht. Bei betagten Leuten gar ist es wie ein +ruhiges Einschlummern nach der Lebensmüh' und sie wissen gar nicht, daß +es der Tod ist.« + +»Aber Herr,« rief der Alte, »der Todesstoß, der Todesstoß im Herzen! +Und nachher, wenn sie einen hineinlegen in den Sarg, hinabsenken in die +Erden und es kriechen die Würmer heran!« + +»Mußt denken, Simon, du liegst nicht ~lebendig~ drin, und es ist +ja ein Glück, daß du früher ~gestorben~ bist.« + +»Und erst die arme Seele!« sagte darauf der Alte, »die muß in den +glühenden Ofen des Fegefeuers!« + +»Wer hat dir denn das gesagt, Sim?« + +»Das? -- Ach, ich hab' doch so viele Sünden und keinen Kreuzer Geld für +ein paar heilige Messen!« + +»Lieber Sim,« sagte ich und faßte seine kalte Hand. »Glaubst du nicht, +daß Gott besser ist als die Menschen?« + +»Das glaub' ich wohl.« + +»So siehe, gute Menschen verzeihen ihren Beleidigern, anstatt sich an +ihnen mit Feuer oder anderswie zu rächen.« + +»Ja freilich,« unterbrach mich der Sim, »so hat's Gott gelehrt!« + +»Und wird er's nicht auch selber halten?« + +Alte Menschen lassen sich aber nicht umwenden wie alte Röcke. + +Der Samer-Sim murmelte was und holperte seines Weges. Einige Wochen +später erhielt ich vom Schullehrer jenes Dorfes folgenden Brief: + + »Geschätzter Freund! + + Sie haben sich immer für den alten Samer-Sim interessiert. Den haben + wir heute begraben. Der Mann ist ~lachend~ gestorben. Seit + längerer Zeit schon lag er beim Moosbrunner auf dem Oberboden krank. + Ich habe ihn selber einmal daselbst besucht; er war stets der Alte mit + seiner Todesfurcht und meinte, er wollte gern alles Böse ertragen auf + dieser Welt, wenn er nur wisse, daß er nicht auf dem Todbette liege. + -- Nun, es ist eigentlich komisch, hat ihn eine Maus umgebracht. + Eine solche war unter seine Decke gekommen; vor Zappeln und Lachen + über den Gast fiel der Alte in einen Krampf und nach wenigen Minuten + war's vorbei. Der plötzliche Überreiz der Nerven, sagt der Arzt, habe + ihn getötet. -- Vielleicht vermag Ihre Feder etwas aus der Sache zu + machen« usw. + +So das Schreiben. Ich habe aus der Sache nichts anderes zu machen +versucht, als was sie in Wirklichkeit ist. -- Der Samer-Sim hat seit +vielen Jahren nicht mehr gelacht aus Angst und Furcht vor dem Tode. +Derselbe Samer-Sim ist lachend gestorben. + + + + + Der Zillacher-Anderl. + + +Samstag war's. Der Anderl saß in der Flachsdörrkammer, wo er auch sein +Bett hatte, und tat sich den Bart rasieren. + +Die jungen Stadtherrchen kratzen mit dem Schermesser zumeist just dort +herum, wo sie gerne einen Bart haben möchten. Der Bauernbursch rasiert +sich, wo ein Bart steht. Freilich war der Anderl schon fünfunddreißig +Jahre alt und sein Bart so steif, daß man nach der Bauern Sprichwort +den Dreschflegel daran hätte hängen können. Trotzdem ließ der Anderl +vor dem Scheren die Seife ordentlich in die Borsten trocknen und kramte +mittlerweile seine grauen Backen vollblasend in den Hosentaschen herum. +Da drin hatte er einen alten Taschenveitel, ein Stück Zunder und +einige Kreuzer, die sich aber bei näherer Untersuchung in der Mehrzahl +als Messingknöpfe herausstellten. Der Anderl blies die Backen noch +bauchiger. Messingknöpfe? Für den morgigen Sonntag Messingknöpfe! Mit +derlei hat der Hirschenwirt seine Hosen und Wämser sicherlich versehen. +Heute schon hätte der Anderl Durst. + +Jetzt trat eine alte Magd in die Flachsdörrkammer: Der Anderl möge +eilends in die Stube zum kranken Vater kommen. Und als der Bursche +bei dessen Bette stand, sagte der alte Zillacher: »Anderl, nimm deine +Zipfelmütze ab. Anderl, paß auf, dein Vater macht's Testament. -- Aha! +gelt, jetzt kannst losen! Hast gleichwohl nicht immer so auf mich +hören wollen; soll dir aber geschenkt sein, will dich nicht verkürzen. +Deine Brüder und Schwestern, die haben das Ihrige. Wenn ich die +Augen zugemacht hab', Anderl, so weißt es, die braune Kuh ist deine +Erbschaft.« + +»Vergelt's Gott!« rief der Anderl. + +»Aber sei brav und tu' dir das Trinken ab, und der himmlisch' Vater +soll dich beschützen und bewahren.« + +Der Alte schwieg. »Kann ich jetzt die Zipfelmütze wieder aufsetzen?« +fragte der Anderl. + +»Jetzt kannst du machen, was du willst,« sagte der Zillacher. + +Als nach einigen Tagen der Alte tot und begraben war, führte der Anderl +die braune Kuh aus dem Stall. Er trieb sie die Straße entlang, und +da er so hinter dem Tiere dahertrottete, führte er mit ihm folgendes +Gespräch: »Du alte Kuh, du bist ein zaunmarterdürres Vieh. Ich möcht' +meine Joppe an deinen Hüftknochen hängen.« Und als sie zu einem +Wassertrog kamen und das Rind stehen blieb und trank, sagte der Anderl: +»Ja, meine liebe Kuh, ich hätte auch Durst!« Er trank aber doch nicht. + +Da kam ein Bauer des Weges, der fragte: »Wo treibst du deine Haut +hin?« Der Bursche knirschte die Zähne und schritt fürbaß. Mittlerweile +war das Euter voll geworden, und als sie zu einer Schenke kamen, +unterhandelte der Anderl mit der Wirtin, ob sie nicht seine braune +Kuh melken und ihm dafür ein Krügl Wein geben wolle. Das Geschäft war +abgemacht. Und so trieb der Zillacher-Anderl seine Erbschaft viele +Stunden weit fort, weidete sie an guten Rasenplätzen, tränkte sie +an den Brunnen, und wenn das Euter voll war, so vertauschte er die +Milch gegen Wein. Für die Länge aber blieb das Euter der braunen Kuh +immer kleiner, während der Durst des Burschen größer wurde. Da dachte +der Anderl, das muß anders gemacht werden, und verkaufte das Rind an +einen Wegmacher. Der Wegmacher vermied die Frage, ob die Kuh nicht +etwa gestohlen sei, bot hingegen nur fünfunddreißig Gulden Kaufpreis. +»Meinetwegen!« sagte der Bursche, und als er das Geld in die Tasche +schob: »Hab' ich noch weit zu einem Wirtshaus?« + +Fünfunddreißig Gulden, das ist meine Erbschaft, dachte er dann, mit +dieser will ich recht wirtschaftlich umgehen. Mit dreißig Gulden läßt +sich schon was anfangen; die weiteren fünf Gulden -- damit will ich +jetzt gründlich meinen Durst löschen. Einmal im Leben muß der Mensch +seinen guten Tag haben; -- dann heißt's arbeiten und fleißig sein. + +Als er zum nächsten Wirtshaus kam, suchte er sich den bequemsten +Tischwinkel aus und hub an zu trinken. Die Wirtin setzte sich zu ihm +und schwätzte und sagte, sie hätte frische Butterkrapfen in der Küche, +die seien ihr diesmal vortrefflich geraten; ob er -- der Anderl -- denn +nicht ein paar verkosten wolle. Ihm war's recht, und die umsichtige +Frau Wirtin wußte wohl, daß nach den Butterkrapfen wieder neuer Durst +kommen müsse. Der Wirt jedoch hatte sich seinem Gaste gegenüber so +verhalten: In das erste und das zweite Glas schenkte er reinen Wein; in +das dritte und vierte tat er ein wenig Obstmost dazu; dann tat er zur +Hälfte Wein und zur Hälfte Most in den Becher; später goß er die Hälfte +Obstmost, ein Viertel Wein und ein Viertel Wasser zusammen. Als endlich +dem Anderl auf seiner Bank einmal ordentlich warm geworden, sein Durst +doch immer noch nicht gelöscht war, da schüttete ihm der Wirt im Keller +bloß Obstmost mit ein wenig Zwetschkenbranntwein vermischt in das +Weinglas, hernach nur mehr Most allein, und endlich, wer am dritten +Tage den Wein des Anderl vorurteilslos untersucht hätte, der würde +gefunden haben, daß der Bursche gut gegorenen Apfelmost mit frischem +Wasser trinke. + +Natürlich tat dieses der Rechnung keinen Eintrag, und am dritten Tage +waren fünf Gulden vertrunken. Zu dieser Zeit hatte die Wirtin jedoch +bereits für frischen Durst gesorgt. Da sagte sich der Anderl: im Grunde +ist es eine Narrheit, wenn ich mir jetzt einen Abbruch tue, der leicht +der Gesundheit schaden könnte. Der Fieberdurst muß gelöscht, durch und +durch gelöscht werden. -- Dasselbe sagt auch der Bader daheim. Zwei +Gulden spendier' ich noch. + +Er bleibt wieder ein paar Tage sitzen; dann aber brach er auf, um mit +seinen achtundzwanzig Gulden ein nutzbares Geschäft zu beginnen. Als +jedoch der gute Zillacher-Anderl im heißen Tage auf der staubigen +Straße so wanderte, da kam er mit sich überein, daß er seine Erbschaft +auf ein viertelhundert Gulden abrunden wolle! Blieben ihm drei Gulden +gut, die er in der nächsten Schenke vertrank. + +Da war aber in demselben Jahre ein sehr heißer Sommer; entweder es +war die Hitze oder es waren die heftigen Gewitterregen unerträglich, +in beiden Fällen muß der Mensch ein Dach haben, und dazu hat Gott +die Wirtshäuser erschaffen. Als die Barschaft des jungen Zillacher +auf beiläufig zwanzig Gulden herabgesunken war, da sagte er: »Jetzt, +Anderl, ist's g'nug!« Da er nun die Zeche gezahlt hatte, blieben +ihm bloß neunzehn Gulden und fünfundneunzig Kreuzer in der Tasche. +Ei, dachte er sich, der Gulden ist angezwickt, weg damit! -- Und in +ähnlicher Weise ging's auf fünfzehn, auf zwölf, auf zehn herab. Und +nun sagte der Zillacher-Anderl das denkwürdige Wort: »Mit zehn Gulden +richtet einer heutzutage nicht viel aus. Der Mensch, der auf eine +Erbschaft ansteht, ist eh nix nutz; mit eigener Kraft muß der Mann das +Seine erwerben.« + +Er ging von einem Wirtshaus ins andere, und trank und trank. Und +endlich war nichts mehr in seiner Tasche, als die Messingknöpfe. Da +haben aber die Wirte neben der Wanduhr oder neben der Stubentür so +schwarze Tafeln hängen, auf die mit der Kreide allerhand Buchstaben +geschrieben werden können. Sagte eines Tages der Anderl: »Herr Wirt! +Meines Vaters Sohn trägt einen ehrlichen Namen; tät Euch keine Schand' +machen auf der Tafel.« + +»Das nicht,« antwortete der Wirt, »aber die Tafel könnte leicht dem +ehrlichen Namen was herabzwicken. Traue dieser schwarzen Tafel nicht, +Freund!« + +Der Anderl stutzte und war trübsinnig. Endlich sagte er zu sich: Was +braucht man auch so einen dicken Brustfleck in der heißen Zeit? -- Er +verkaufte seine Tuchweste und vertrank das Geld. Dann vertauschte er +seine Ochsenlederstiefel gegen ein paar leichte Schuhe, sein Lodenwams +gegen ein kühles Leinwandröcklein; das dadurch gewonnene Geld vertrank +er. + +Wohl hatte er sich mittlerweile auch ein paar Groschen Taglohn +erworben; aber das liebe Wirtshaus hatte ihm's angetan, und ehe noch +zwei Monde nach seines Vaters Tod verflossen waren, saß der Anderl +da, arm wie eine Kirchenmaus, bärtig wie ein Waldteufel; auch sein +Schermesser hatte er vertrunken. + +Jetzt war er tief verzagt. -- Wenn einer nichts mehr hinabzugießen +hat, so muß man die Gurgel zubinden, hat einmal einer gesagt -- +das leuchtete dem Zillacher-Anderl ein. Wenn der Fisch nicht mehr +trinken kann, was hat er sonst auf dieser Welt? -- 's ist gar grausam +bitterlich! -- Aber was kannst machen? + +Der Anderl wußte draußen in der Dorfau einen alten Birnbaum. Zu dem +ging er hinaus, an dem kletterte er empor mit harter Mühe bis zum Aste, +von dem aus er das Dorf sehen konnte mit seiner Kirche und mit seinem +Wirtshaus. Hierauf machte er Reue und Leid, nestelte sein Hosenband +los und schlang es um den Hals. + +Zur selben Stunde ging der Pfarrer am Birnbaum vorüber, er erschrak, +als er das Beginnen des Mannes da oben bemerkte. -- Zachäus, steig' +eilends vom Baum herab! heißt's in der Bibel. Jener hörte es nicht. +»Anderl,« rief der Pfarrer, »tu' dir ~das~ nicht an! Aufknüpfen, +na, das wär' doch eine Dummheit, die dich dein Lebtag reuen würde!« +Vergebens, der Anderl wand bereits das Hosenband um den Ast. Der +Pfarrer versuchte auf den Baum zu klettern, um die Tat zu verhindern, +und der Selbstmörder kam mit seinen Vorbereitungen schon zu Rande. +Da fiel dem Priester was ein. »Anderl!« rief er auf den Baum, »du +~mußt~ herabsteigen, ich such' dich schon seit einer Stunde, ich +habe just ein frisches Faß angezapft.« + +»So!« sagte der Anderl, »ja das ist schon wieder ganz was anders,« +und sogleich kletterte er dem Erdboden zu. Sie gingen mitsammen in +den Pfarrhof. Der Pfarrer schoß eine Weile im Hause herum, dann kam +er zurück. »Das ist schon eine verzwickte Sach', Anderl, jetzt haben +wir den Kellerschlüssel vertan. Die Köchin war beim Teich unten, hat +Karpfen ausgeweidet, da ist ihr der Schlüsselbund ins Wasser gefallen. +Was wir nur anfangen?« + +Der Anderl riet den Schlosser an, allein der Pfarrer versicherte, das +Kellerschloß sei so gar heiklich bestellt und ein hiesiger Schlosser +könne es justament nicht aufsperren. -- Die Tür erbrechen, schlug der +Durstige vor; nicht möglich, meinte der Pfarrer, sie sei mit eitel +Eisen beschlagen über und über. Das einzige Mittel: der Schlüssel müsse +aus dem Wasser hervorgeholt werden -- ob der Anderl dazu behilflich +sein wolle? -- Das versteht sich. -- Wurde denn fürs erste der Teich +abgelassen, der da war, um des Pfarrers Kornmühle zu treiben; und als +das Wasser verflossen war, machte sich der Anderl an den Schlamm, hub +ihn schaufelvoll um schaufelvoll an das Ufer, arbeitete bis spät in den +Abend und suchte den Schlüsselbund. + +Und als es finster geworden, rief ihn der Pfarrer ins Haus und sagte: +»So, mein lieber Zillacher-Anderl, jetzt hast du mir ein gut Teil +Schlamm aus dem Teich gefaßt, dafür sollst heut' fünf Groschen haben +und das Nachtmahl und ein Krügel Wein -- der Kellerschlüssel hat sich +vorgefunden.« + +Glotzte der Anderl verwunderlich drein. + +»Und wenn du mir den ganzen Teich ausschaufelst,« fuhr der Pfarrer +fort, »so sollst du für das Tagwerk zwölf Groschen haben und die +Köstigung und dein Krügel Wein.« + +So wurde es abgemacht. Und als der Teich in Ordnung und wieder mit +Wasser gefüllt war, da bekam der Anderl Geschäfte in der Mühle. Nur +immer hübsch beim Wasser, daß der Durst nicht zu stark wird. -- Es ist +gar nicht zu glauben, wie ein Mensch sich ändern kann, wenn er danach +geleitet wird. Der Pfarrer wußte den Zillacher wohl zu behandeln, und +der Anderl wurde der beste Arbeiter, den er je noch gehabt hatte. + +Wenn sie dann abends beim Krügel Wein saßen, das dem braven +Hausgenossen bislang vorenthalten wurde, und es anmutig zu sehen war, +wie glatt und lind die lieben Tropfen ihrer Wege gingen, sagte einmal +der Herr Pfarrer, dem Anderl auf die Achsel klopfend: »Wär' doch +jammerschade um deine Gurgel, wenn du sie dazumal zugeschnürt hättest!« + + + + + 's Guderl. + + +Wenn ich bei dir, mein lieber, himmlischer Vater eine Bitte frei +habe: dem »Guderl« bereite ein recht feines, warmes Plätzchen dort +oben in Deinem Himmel, vielleicht ganz nah' bei der Lieben Frau, sie +wird sich mit dieser Nachbarin aus dem Steirerland nicht zu schämen +brauchen. Aber eilen brauchst nicht, wir mögen die alte Ludmilla recht +gern noch eine Zeitlang bei uns herunten haben und sie -- so arm und +mühselig sie gleichwohl ist -- hat auch noch kein Verlangen, dieses +Jammertal mit der himmlischen Freud' zu vertauschen. Sie fürchtet, +dort oben wird sich niemand von ihr was Gutes tun lassen wollen, weil +es ja ohnehin jedem so göttlich gut gehen soll -- und nachher freut +sie der ganze Himmel nicht. Vielleicht, wenn sie einmal kommt, ist +der heilige Laurentius so gut, seine Brandmale von ihr mit frischem +Leinöl bestreichen zu lassen; oder der heilige Sebastian, sich von ihr +die Pfeile aus den Wunden ziehen zu lassen; oder die blinde heilige +Ottilia, sich von der Ludmilla herumführen zu lassen im Paradies, sich +von ihr die himmlische Pracht erzählen und manchmal eine Butterbirne +reichen zu lassen vom Baume. Ja dann, wenn sie wem einen Gefallen +tun kann, wird es ihr auch selber gefallen im hohen Himmel oben, +einstweilen paßt sie aber für die Erde besser. + +Alt und mühselig ist sie, und das kann ihr niemand nehmen. Seit sie +im Vorbeigehen einmal jene Erklärung vom Schulmeister gehört hat, daß +nach den Aufmerkungen im Lande eine gewisse, sich fast gleichbleibende +Anzahl von Krüppeln vorkomme, seither trägt sie ihre verkümmerten +Beine noch lieber, weil sie denkt: Gut ist's, ich trag' sie für einen +anderen. Sie trägt die Beine, anstatt, wie sonst gebräuchlich, von +ihnen getragen zu werden. Einmal ist auch die Ludmilla jung und gesund +gewesen. Da ist vor Jahren drüben auf der Reisinger-Seiten ein Pferd +scheu geworden, an das Pferd war ein Streuwagen gespannt, und auf dem +Streuwagen hockten zwei Knaben, die sich krampfhaft an die Sprosseln +klammerten und jämmerlich schrien. Der Reisinger reckte seine Arme +zum Himmel und rief Gott und die Heiligen um Beistand an für seine +Söhnlein. Gott und die Heiligen schoben rasch die Ludmilla voran, die +am Feldraine Strauchwerk schnitt: Der alte Narr steht da und kann +nichts als schreien, lauf du, Ludmilla, und pack' das Roß, ehe es zur +Schlucht hinabkommt! -- Die Magd lief hinzu, erfaßte das Pferd am +Kopfriemen. Eine Strecke weit wurde sie mitgeschleppt hinab über den +steinigen Hang, endlich stand das Fuhrwerk still, die Knaben sprangen +unversehrt davon, aber der Leib der Magd war arg zerschunden und +zerrissen, ein Bein gequetscht, das andere gebrochen. + +Der Reisinger sagte hierauf zu seinen Söhnen: »Wenn die Ludl nicht +wär', so wäret ihr jetzt auch nimmer. Wäret auch nimmer, daß ihr es +wißt. Und sie ist jetzt ein elendiger Krüppel, und wenn ich nicht +mehr bin und ihr seid auf dem Hof und sie ist noch am Leben, weil +solche Leut' leider Gottes oft eine zähe Natur haben, so müßt ihr sie +behalten, das ist eure verfluchte Schuldigkeit, daß ihr es wißt!« + +Als die Ludmilla das gehört hatte, packte sie still ihre Sachen +zusammen. Da hatte sie warten wollen im Reisingerhof, bis ihr Sebast +zurückkäme aus dem Strafhaus; in einem Jahr muß er ja endlich kommen +und dann sind zwei arme Leut' mehr in der Gegend. -- Kaum noch zur +Not geheilt, stolperte sie zu vier Füßen, wovon die zwei hölzernen +verläßlicher waren als die zwei beinernen, vom Berg herab nach Bärndorf +und bat um einen Platz im Armenhaus. Das ward ihr natürlich versagt, +denn sie gehörte in die Gemeinde zum »Steinernen Elend« hinauf. Das +Steinerne Elend aber hatte kein Armenhaus und auch kaum ein anderes +mehr. Schier die ganze Gemeinde war abgestiftet worden und Abstifter +war der Staat mit seinen Lasten, und jetzt wußte das Restlein der im +Steinernen Elend Geborenen nicht einmal, wo es daheim war, und die arme +Ludmilla hatte keine Heimgemeinde. Aber das unfreiwillige Gnadenbrot +beim Reisinger wollte sie einmal nicht essen; es wäre ihr zu stark +gesalzen, sagte sie. Dann kam sie doch noch in das Bärndorfer Armenhaus +hinein. + +Als Aushilfswärterin kam sie zuerst nur auf ein paar Tage. Als diese +paar Tage vorbei waren, ersuchte man sie um Verlängerung ihrer +Aushilfstätigkeit und bald war ihr stillgeschäftiges, ratsames, sanftes +und stets munteres Wesen den Kranken und Bresthaften so unentbehrlich +geworden, daß sie im Armenhaus verblieb. »Und da g'freut's mich!« sagte +sie nun oft. Dem Einen bettete sie das Lager bequemer, dem Anderen +teilte sie etwelches von ihrem Brot, dem Dritten stellte sie was Grünes +und Blühendes ans Fenster, dem Vierten besserte sie ein Kleid aus, +sie konnte ja gar schneidern; und wo sie ein Zwirnfädlein liegen sah, +und war es auch nur fingerlang, da tat sie es in ihren Nähkorb, der +jedem, so ein Bändlein oder eine Nadel oder Schere oder ein Knöpfel +brauchte, zur Nutzung stand. Für lange Abendstunden, wann sonst Tratsch +und Mißlaune und Streit sich einzustellen pflegten unter den müßigen, +mürrischen Bewohnern des Armenhauses, erzählte sie Geschichten, sang +Lieder, wobei freilich ihre Lebhaftigkeit im Vortrag, sie half auch mit +den Händen mit, die Stimmittel ersetzen mußte. Die dankbaren Gemüter +behaupteten rundweg, die Ludmilla sei ein Engel, worauf sie allemal +entgegnete: »Ja, wär' schon recht, wenn ich Flügeln hätt', auf den +Füßen will's eh nit gehen.« + +Das Elend der Armut liegt zumeist nicht im Nichtshaben und Nichtssein +allein, es liegt vielmehr noch in der Giftigkeit des Herzens, in der +Scheelsucht des Armen gegen die Mitmenschen, selbst im Mißtrauen +gegen die Wohltäter. So war ein Mann im Armenhause, sie hießen ihn +den Einhandel, weil er nur eine Hand hatte. Der hatte sich in der +Jugend aus Furcht vor dem Soldatenleben mit einer Zimmermannshacke +den Zeigefinger der rechten Hand abgehauen; zur Wunde kam der »Brand« +und mußte ihm die ganze Hand abgenommen werden. Viele Monate war er +im Spitale gelegen und als er endlich geheilt war, kam er seiner +Selbstverstümmelung wegen auf Jahre in das Zuchthaus und dann von +diesem schnurgerade in das Armenhaus. Am meisten beklagte er hier +den Verlust seiner Hand, weil er beim Beten den Rosenkranz nicht +so handhaben konnte wie andere Leute, denn zwei Dinge waren seine +Hauptbeschäftigung: das Beten und das Ehrabschneiden. An jedem und +jeder wußte er was auszusetzen, gegen jedes Gute hatte er sein +Bedenken, und es ging kein braver Mann um im Dorf, der nicht doch ein +»schlechter Kerl« war. Gegen die Ludmilla wußte der Einhandel aber +spottwenig aufzubringen und so ließ er gelegentlich nur durchblicken, +sie würde es schon wissen, warum sie so fromm tue, und trotz ihrer +Demütigkeit würde sie am Ende doch lieber mit neun Teufeln in die Hölle +fahren, als mit einem Engel in den Himmel. + +»Geh, geh, Einhandel,« sagte ihm die Ludmilla einmal, »mach' dich nicht +gar so bös' mit deinem losen Maul, bist ja doch ein guter Lapp.« Und +schnitt ihm das Suppenfleisch klein, denn -- so scharf sein Mund sonst +war -- mit dem Gebiß stand's schlecht. + +Am Armenhaus führte ein Feldweg vorbei, der gewöhnlich durch eine +Torschranke abgesperrt war. Wenn nun die Ludmilla durchs Fenster ein +Fuhrwerk daherkommen sah, torkelte sie allsogleich hinaus, um die +Torschranke zu öffnen, damit der Fuhrmann sitzen bleiben konnte auf +seinem Karren. + +Vor dem Armenhaus war auch ein Brunnen, der aus dem Ständerrohr +armdick und rauschend in den Trog schoß. An diesem Brunnen hatte ich +die Ludmilla das erstemal gesehen. An einem heißen Sommertag war's, +ich kam als unbedachtsamer Student halbverschmachtet vom Gebirge über +die sonnigen Felder her und nun eilends dem Brunnen zu, daß ich mich +erquicke. In demselben Augenblicke, wie ich mein glühendes Gesicht +zum Wasserquell senkte, kam das kleine, runde, wackelnde Weiblein aus +dem Hause und erhob ein Zetergeschrei, daß ich emporfuhr und glaubte, +es schlügen zum Dach die Flammen heraus. »Kruziwetter Paraplie, du +leichtsinnig Volk du!« rief sie, dann nahm sie mich an der Hand und +sagte ganz ruhig und warmherzig wie eine Mutter: »Mußt nicht trinken, +Bübel, der Brunnen ist giftig. Nur ein Vaterunser lang wart', ich bin +geschwind wieder da.« Damit verschwand sie im Hause, kam im nächsten +Augenblick mit einer Schnitte Brot hervor: »So, da im Schatten setzest +dich jetzt nieder und das issest schön langsam und wenn du es gegessen +hast, netzest die Hände mit Wasser und den Nacken mit Wasser, und +nachher kannst ein wenig trinken.« + +Aus dem Hause heraus hörte ich später noch sagen: »In der Hitz' so +hineintrinken! -- Ich weiß zwar nicht, wem er gehört, hat aber gewiß +Vater und Mutter, und so ein Bürschel darf man heut' noch nicht auf die +Bahr legen.« + +Als ich mich hernach im Dorf erkundigte nach der Person, antwortete +man mir: Das »Guderl« wäre es gewesen. Das Guderl, so wäre sie ihres +guten, dienstfertigen und einfältigen Herzens wegen von den Insassen +des Armenhauses getauft worden. Und sie wäre ein ganz merkwürdiges +Geschöpf, hieß es, in der Jugend sei sie gar fein gewesen und man höre +Geschichten, die sich ihretwegen einstmals zugetragen, aber man wisse +nichts Sicheres; in ~der~ Gegend sei sie damals nicht gewesen und +erzählen wollte sie auch nichts davon. + +Das hat mich denn gleich gepackt, und ein nächstesmal -- ich fand sie +auf dem Dorfweg damit beschäftigt, eine Wasserkehre auszukrauen, damit +die Gieß ablaufen konnte -- suchte ich mit ihr anzuknüpfen. Sie wäre +wohl keine hiesige? fragte ich. + +Wie ich ihr das ansehe? fragte sie entgegen und stützte sich ein wenig +auf den Haustiel, weil sie doch recht unsicher stand auf ihren Füßen. + +»Ansehen nicht, aber anhören am Sprechen.« + +»So, haben die Leut' im Steinernen Elend eine andere Sprache, wie die +Bärndorfer dahier?« + +»Also vom Steinernen Elend seid Ihr? Das muß aber eine traurige Gegend +sein.« + +»Das kommt auf die Leut' an, junger Herr,« gab sie zur Antwort, »die +Steine sind überall hart.« + +»So ist es. Und die Leut' sollen auch im Steinernen Elend recht brav +sein. Ich habe gehört, Ihr wisset so schöne Geschichten vom Steinernen +Elend herab.« + +»Das hast du gehört!« rief sie aus, sie nannte mich »Du Herr«. »Aber,« +fuhr sie lachend fort, »was doch die Leut' alles reden. Schöne +Geschichten weiß ich! und etwan rechtschaffen lustige, nit?« + +»Rastet ein wenig, mit dem Weg eilt's nicht; ist ja der Himmel über +und über blau, da ist die Gieß noch weit. Unter den Kirschbaum setzen +wir uns hin und Ihr erzählt mir was.« + +»So närrische Sachen da!« rief sie, »ich weiß nix, ich weiß nix!« Damit +schob sie sich um, daß das Röcklein flog, und kraute mit Hast an der +Wasserkehre. + +Ein zweitesmal erging es mir nicht besser. Halb schmollend und halb +bittend sagte sie, ich solle nicht kindisch sein, ich solle mich an +junge Dirndeln machen, wenn ich was wissen wolle, und nicht an alte. +Die alten hätten lauter Sauerampfergeschichten und möchte sich so ein +flotter Herr leicht daran langweilen und darüber lustig machen. + +»Die Leute sagen, es hätte sich mit Euch etwas Besonderes zugetragen.« + +»Mein lieber Herrgott in der Krüppelkapellen!« lachte sie auf, +»zutragen tut sich mit jedem Menschen was, wenn er sich's aufmerken +will. Und das mag für ihn selber was sein, aber für andere nit. Ich +erzähle nix.« + +Zwei Jahre später kam ich wieder nach Bärndorf, aber +unfreiwilligerweise. Ich hatte mir bei einem kleinen Sturz im Gebirge +die Kniescheibe verletzt, mußte zwei Tage lang in einer Köhlerei liegen +und wurde dann nach Bärndorf hinabgebracht, wo ich beim »Weißen Lamm« +eine Woche lang im Bette lag. Wer war's, der mich pflegte? Das alte, +runde Guderl. Aber es war kaum mehr zu erkennen, über die ganze linke +Seite des Gesichts, von der Stirne bis zum Halse hinab, hatte sie einen +schier zinnoberroten Flecken und das linke Auge war geschwollen und +hatte die Brauen und Wimpern verloren. + +»Gelt, jetzt gefall' ich dir, junger Herr?« sagte sie, als sie mein +Befremden merkte, »jetzt, weil ich so schön rotwangig worden bin!« + +Des Einhandel wegen war sie rotwangig worden, und das ging so zu: +Der Einhandel rauchte starken Tabak und rauchte den ganzen lieben +Tag lang, und wenn er keinen Tabak hatte, dann rauchte er gedörrte +Sauerampferblätter. Saß er zusammengekauert, einen Fuß über dem anderen +und den Ellbogen auf dem Knie, auf der Ofenbank; die beiden Mundwinkel +zog er tief hinab, in einem derselben stak das Pfeifenrohr, aus dem +andern stieß er den Rauch herfür. Wenn die Pfeife nicht brannte, so +machte er Gestank mit dem Ausputzen derselben, beim Anzünden wieder +mit den Schwefelhölzern, die nicht brennen wollten. Und so ging es den +ganzen Tag. Da hatte ihn die Ludmilla einmal in Güte gebeten: »Geh, +Einhandel, sei so gut und tu nit gar so stark nebeln, oder rauch' beim +Fenster hinaus, wenn du's schon eineinmal nit lassen kannst. Mußt halt +betrachten, daß du nit allein im Haus bist. Schau, in der Stuben ist +die alte Sanna, die muß so viel husten, und der Stindl hat Augenweh, +weißt es eh, da tut der kratzend' Rauch halt wohl gar nit gut. Ist +~dir~ was übel, so wird man's auch ändern, wenn's sein kann. Sei +gescheit.« + +Auf so was wurde der Einhandel giftig wie ein welker Schierling. Er +sagte es zwar nicht laut, aber zu seinem Kameraden, dem Marter-Hies, +knurrte er: »Da hast es. Hab' ich nit alleweil gesagt, dieses Weibsbild +ist ein Teufel! Und schon gewiß auch. Mir hat ihre Frommheit und +Gutherzigkeit niemals gefallen, mir nit, mir! Hab's doch gewußt, es +steckt ein höllischer Drach' dahinter. Desweg hinkt sie auch; der +Teufel hinkt allemal. Guderl! ein sauberes Guderl, das! Luderl, ja, das +ist das Richtige. Schau da her! Einem armen Menschen, der eh nix hat +auf der Welt, als das bissel Rauchen, das auch noch nit gunnen mögen! +Aber wart', jetzt erst zu Fleiß rauch' ich ihr recht unter der Nasen +herum und das stinkendste Kraut, das ich auftreib'!« + +Er tat's, und wo die Ludmilla ging und stand und saß im Haus, immer +war der Einhandel da und dampfte, daß man vor lauter Giftnebel die +Stubenwände kaum sah. Sie hüstelte wohl und fuhr sich mit der Schürze +über die brennenden Augen, sagte aber nichts, als einmal: »Wenn's schon +sein muß, ich dertrag's, nur die Kranken tu ein wenig verschonen.« + +Von jetzt an dampfte der Einhandel den Augenleidenden und den +Lungensüchtigen ins Gesicht. Nun beschwerten sie sich beim +Armenhausverweser, dem Fleischhacker Marner, der zumeist auf Viehhandel +aus war und sich daher um das Armenhaus nicht viel kümmern konnte. Es +war auch schon wirtschaftlich so geboten: Das Vieh bringt Geld, die +Armen kosten Geld. Nun, auf die Beschwerde konnte er doch nicht leicht +ausweichen, der Verweser. »Da muß Ordnung gemacht werden!« sagte er +großsprecherisch. Wurde der und die und auch das Guderl befragt, ob +es denn wirklich so arg sei mit dem Rauchen des Einhandel? »Wenn er's +nit just in der Stuben tät,« antwortete die Ludmilla, »draußen auf der +Gartenbank kunnt' er rauchen so viel er wollt'; man sieht's ja ein, daß +er auch was haben muß.« + +Auf das bekam der Einhandel einen Verweis, der noch um einiges stärker +war als sein »Tubak« und der ihm so lange in der Nase rauchte, bis er +eines Tages ein Fläschchen Scheidewasser von der Stelle nahm, wo er es +»zum Putzen des messing'nen Pfeifenbeschlachtes« aufbewahrt hatte, und +es der Ludmilla ins Gesicht goß. + +Es sei aus Zufall geschehen, behauptete nachher der Einhandel, er +habe das Fläschchen zum Putzen hernehmen und den Stoppel herausziehen +wollen, aber mein Gott, mit einer einzigen Hand! es sei halt ein Elend +auf der Welt. Die Ludmilla sah wohl ein, daß sie und der Einhandel nun +nicht mehr unter ~einem~ Dach hausen konnten, und um ihn nicht +unterstandslos zu machen, ging sie selbst davon. Sie ging in den +Häusern um, und gerade in solchen, wo das Elend war, sie brachte sich +mit Krankenwarten durch. Es war ein rechtes Geriß um sie, überall in +der Gegend, wo ein Kranker lag, wollte man das Guderl haben, und als +ich nun mit meinem verletzten Knie beim »Weißen Lamm« darniederlag, +hatte die Wirtin eben auch das alte Dirndl, die hinkende Ludmilla rufen +lassen. Wie sie da geschäftig um mich herumtat! einmal den Eisumschlag, +dann das Auswaschen der Wunde mit Arnikatee, dann jede halbe Stunde ein +frisches Glas Wasser auf den Bettisch, falls ich trinken wolle; hernach +den Fenstervorhang zugezogen, daß mir die Sonne nicht ins Gesicht +scheine, oder das Kissen aufgeschichtet, daß ich hübsch lehnen konnte +im Bett, auch unter den Arm einen Polster zur Stütze gelegt, damit mir +beim Lesen das Halten des Buches die Hand nicht ermüde. In allem wußte +sie mir es besser zu machen als ich es selbst konnte, ja besser, als +ich es ahnte, wie man unermüdlich in liebevollem Sorgen und Erfinden +allerlei kleiner Vorteile und Annehmlichkeiten gar das Kranksein zu +einem Genuß machen könne. Dabei war sie doch so unaufdringlich und war +so still heiter, wußte auch ein fröhliches Sprüchlein, ein anregendes +Geschichtchen zu rechter Zeit. + +Und der rote Brandflecken auf ihrem Gesicht, der mir anfangs so häßlich +erschienen -- ich sah ihn nicht mehr; ihre freundlichen Züge, der +sanfte, gütige Glanz ihres Auges verbreitete eine andere Schönheit über +die kleine verkümmerte Gestalt. + +Als ich endlich wieder laufen konnte, nahm ich die Ludmilla so an den +beiden Händen, wie man seinen Schatz nimmt, wenn man ihm in die Augen +sehen will, und sagte: »Mir tut nur eines leid. Daß ich schon laufen +kann.« + +»Da sollst du froh sein, junger Herr, und unserem Herrgott Dank sagen,« +so war ihre Meinung. Sie riß ihre Hand aus der meinigen, erfaßte den +alten Strumpf, den sie zur Ausbesserung vorgenommen hatte und strickte +emsig. + +Jetzt kam mir der Schalk und da rede ich allemal anders, als es einem +Christenmenschen ansteht. »Heut' die ganze Nacht,« sagte ich, »hab' +ich unserem Herrgott Dank gesagt. Auf das schaut er endlich herfür +aus seinen Wolken und sagt: Geh' zu der Ludmilla. Die laß ich heilig +sprechen, wenn der Papst einverstanden ist. Du hättest sie aber in der +Jugend kennen sollen -- sie ist jetzt noch nicht alt -- aber in ihrer +besten Jungheit, da ist sie ein lustig Dirndl gewesen!« + +»Wer sagt das?« fragte die Ludmilla scharf. + +»Unser Herrgott sagt's. Und wird auch nicht anders sein, brave Leut' +sind immer lustig. Aber Esel müssen sie gewesen sein, die Burschen zu +deiner Zeit!« + +»Warum?« + +»Daß dich keiner geheiratet hat.« + +Der Grund, warum ich so niederträchtig war, ihr ein solches Wort zu +sagen? Weil ich endlich einmal ihre Jugendgeschichte hören wollte, und +richtig, sie ging augenblicklich ins Garn. + +»Das just nit, Herr, daß mich keiner geheiratet hat,« sagte sie mit +leiser Stimme und einem eigentümlichen Nachdruck. »Ich bin neunzehn +Jahre lang verheiratet gewesen.« + +Ich erschrak ordentlich. Die Ludmilla, die man seit Gedenken als +lediges Dirndl und Dienstbot kennt in und um Bärndorf herum, soll eine +alte Witwe sein? + +»Jetzt gleich kannst du ohnehin nit fortlaufen, junger Herr,« sagte sie +nun, »es ist ja der Socken noch nit fertig.« Ich gewahrte, daß es mein +Socken war, an dem sie die durchgetretene Ferse anstrickte. »Haben +noch ein Randl Zeit, wenn so einem Herrn mein Plaudern nit zuwider ist. +Unterhaltsames ist halt nit dabei, da kann ich aber nix dafür. Ja, wenn +sich der Mensch seine Lebensgeschichte kunnt anfrimmen (bestellen), ich +hätt' mir die meinige schon besser eingerichtet. -- Willst den Fuß nit +dieweil noch auf den Polster legen? er wird noch harten Weg genug unter +sich kriegen, bis er heimkommt.« + +Sie wollte das gesunde Bein betreuen, als ob es noch immer das kranke +wäre, und erst als sie sah, daß mein Körper in durchaus behaglicher +Stellung war, setzte sie sich in den dunklen Winkel am Ofen, strickte +und begann die Geschichte ihrer Jugend zu erzählen. + +»Gar gut,« so hub sie an, »ist es mir mein Lebtag nit ergangen, aber +die liebste Zeit ist mir doch im Steinernen Elend gewesen. Mein Vater +ist Bretterschneider gewesen im Steinernen Elend, hat jung sterben +müssen. Wie ich ihm einmal -- just am Mittwoch ist's vor Fronleichnam +-- das Essen in die Brettersäge trag', wundert's mich, daß das Werk +steht, darauf sehe ich auf dem Sägespänhaufen, der unterhalb drin +ist, eine blutige Hand liegen. Der Vater ist oben gelegen neben dem +Bretterblock. Ist mit seiner Hand in die Säge hineingekommen, ist +die Hand abgeschnitten worden, ist der Vater ohne Hilf' verblutet. +Ich bin dazumal ein Dirndl gewesen, mit zehn Jahren; die Leut' haben +mir und der Mutter gesagt: sterben müßten wir alle; das ist halt der +Trost gewesen. Meine Mutter hat mir nachher das Gewandmachen gelehrt +und sind wir zu den Häusern umgegangen und haben genäht. Etliche Jahr +d'rauf ist meine Mutter auch gestorben. Hat sie mir auf einmal die +Hand hergehalten über den Tisch, als wollt sie mir Behütgott geben, +ist an die Wand zurückgesunken und eingeschlafen. -- »Du sollst,« so +unterbrach sie sich, »den Fuß besser ausstrecken, sonst schlaft er dir +ein.« + +»Erzähle nur weiter,« sagte ich. + +»Ja,« fuhr sie fort, »jetzt kommt bald das, was die Leut' so gern +hören. Hast du vom Preishubinger noch nix gehört? Gewiß wohl, das Haus +steht heut' noch und wird schier das letzte sein im Steinernen Elend. +Dazumal, wie die Gemeinde noch größer, ist er ehrengeachtet gewesen, +der Preishubingerhof. Von seinem Wald hat mein Vater die meisten +Bretterblöck' bekommen. Der junge Preishubinger und ich haben uns gern +gesehen. Und wie jetzt sein Vater stirbt und er den Hof muß übernehmen, +will er mich heiraten. Ja gewiß auch noch, vom Fleck weg heiraten! +Aber seine Mutter hat nit wollen. Die ist ein gestrenges Weib gewesen +und hat gesagt: Keine Arme wird nit Preishubingerin, so lang' ich die +Augen offen hab'. Aber sonst war sie gut, die alte Preishubingerin. +Der Donat ist sonst woltern weich gewesen und hat gern bei allem +nachgegeben; aber jetzt hat er sich auf seine zwei Füß' gestellt, und +wenn er vier hätt' gehabt, hätt' er sich auf vier gestellt, und hat +gesagt: ich heirate für mich und nit für die Mutter und ich laß mir +keine aufmessen. Fest hat er sich gehalten. Ist bald alles richtig +gewesen und hat uns der Pfarrer schon von der Kanzel geworfen. Denk' +ich mir, das wird nit gut sein und wird der Donat sein Lebtag d'ran +zu tragen haben, daß er ihren Segen nit hat. Und schon gar, wenn sie +einmal gestorben ist. -- Nein, Donat, sage ich zu ihm noch zwei Tage, +ehvor die Hochzeit hätt' sein sollen; ich sehe ihn noch, er ist an der +Kirchhofplanken gelehnt und ich bin neben ihm gestanden und hab' die +Händ' zusammengehalten. Nein, Donat, ohne ihren Willen tun wir's nit. +Sie ist deine Mutter und meint dir's gut. Sie soll im Bett sein vor +lauter Kränkung. Schieben wir's auf. Ich gehe hin zu ihr und sie soll +mich kennen lernen, wie ich bin, und sie muß sehen, daß ich nicht so +bin, wie sie denkt. Nachher ist's gut, wir haben uns keinen Vorwurf +zu machen und deine Mutter -- schau, sie hat auch niemand mehr auf +der Welt als dich -- soll sich auf ihre alten Tage nit kränken. -- +Der Donat sagt darauf: Wenn wir's jetzt nit fortmachen, was wir haben +angefangen, so bleibt's aus. -- Nein, sage ich, es bleibt deswegen nit +aus, man soll nur nix übereilen. -- Du kennst meine Mutter nit, sagt +er, hat sie uns nur erst all zwei bei sich, so zerstört sie alles. Wir +lassen uns nix zerstören, sage ich, und wenn wir unseren Fleiß haben +angewendet und alles getan haben, wie es Brauch und Pflicht ist, dann +mach' ich mir nix mehr d'raus, dann heiraten wir zusammen, ist's ihr +recht oder nit. Und jetzt komm', hab' ich gesagt, wir gehen zu deiner +Mutter. -- Da hat er nachgegeben. Wie wir in die Stuben eintreten, +wo die alte Preishubingerin im Bett liegt und sie mich sieht, tut +sie einen Schrei, als hätt' ihr einer mit der Hack' auf den Kopf +geschlagen; die Decken zieht sie über ihr Gesicht hinauf und schreit: +Das Unglück ist da! und setzt sich im Bett auf und ruft die Hausleute, +man sollt' mich aus dem Haus jagen, und gibt mir einen Namen, daß ich +gerade genug hab' gehabt. Ich bin fortgegangen, und dem Donat hab' ich +gesagt, er soll' bei seiner Mutter bleiben und sie beruhigen und wenn's +so wär', da wollt' ich auf alles verzichten. -- Nein! sagt der Donat, +du wirst mein Weib, und fallt mir um den Hals.« + +Das Guderl war still und ganz ruhig; ich merkte warum: wenn sie sich +jetzt bewegt und noch ein Wort sagt, so überkommt sie's. Ich wartete, +und da sie nicht mehr anhaben wollte, so sagte ich: »Erzähle doch +weiter, Ludmilla.« + +»Das ist nix zum Erzählen, ich sehe es wohl,« versetzte sie gedämpft. +»Nun, wenn du schon willst, Herr, du kannst dir ja wohl denken, wie +es kommt. -- Die Preishubingerin ist in eine Krankheit gefallen, der +Donat ist bei ihr geblieben. Sie hat viel geweint, hat ihn gehalst und +geherzt und er wäre ihr Einziges auf der Welt, und er sollt' ihr nit +untreu sein. Die Steffen-Tochter wäre ein gutes, braves Dirndl, die +sollt' er nehmen. Mit der Bretterschneider-Dirn' würde er nie glücklich +werden, die schnitte ihm die Bretter zum Sarg.« + +»Du mußt dieses Weib doch einmal beleidigt haben, daß es so gegen dich +sein konnte,« wendete ich jetzt der Erzählerin ein. + +»Ja, ich weiß es wohl,« antwortete sie, »ich bin unbedacht gewesen und +hab's versäumt, ihr den Besuch zu machen wie es schon Zeit gewesen +wäre. Aber weil ich immer gehört, sie wäre eine hitzige Frau, im guten +wie im harten gäh und wild, so habe ich Angst vor ihr gehabt. Hätte ich +mich schicken können zu ihr! Im Grund' soll sie doch eine gute Frau +gewesen sein, sagen die Leute. Nun, Gott tröste ihre Seel'. Das ist +lang vorbei.« + +»Der Donat wird doch fest geblieben sein?« war meine Frage. + +»Wie es ans Sterben ist gegangen bei der Preishubingerin,« sagte die +Ludmilla, »da hat ihr der Donat das Versprechen geben müssen« .... + +»Und hat er's wirklich gegeben?« + +»Er hat nit anders können, er ist ein guter Sohn gewesen,« antwortete +die Ludmilla. »Ich bin ihm nachher ausgewichen. Gottlob, habe ich +gedacht, wir sind einander nix schuldig worden, und es ist das +beste, wenn wir uns nimmer sehen. Er hat nachher die Steffen-Tochter +geheiratet; das ist auch ein braves Weib gewesen, arbeitsam und zu +der Wirtschaft tüchtig und gut auf den Donat. Aber das hat man wohl +gemerkt: Glücklich ist er nit viel mit ihr. Ist mir heiß und kalt +worden, wenn mich auf dem Kirchweg sein Blick hat getroffen. Und +einmal, wie ich -- just am Mariahimmelfahrtstag ist's gewesen, ich weiß +es noch wie von gestern -- auf dem Friedhof bei meinem Elterngrab knie +und der Donat von dem seinigen über die Hügel hergeht! Wie er neben +mir vorbeigeht, da stolpert er, stützt sich noch an einem Holzkreuz, +daß es kracht, und ohne daß er mich anschaut, höre ich, wie er sagt: +Hinfallen? Soll sein, heut' lieber als morgen. -- Ich rühr' mich nit +und tu' als wär' ich im Gebet, und mir ist zum Umsinken so schlecht. -- +Er ist davongewest: Da habe ich mir gedacht: Jetzt muß was geschehen. +Was, das weiß ich selber nit. Er denkt noch auf mich, und das darf +nit sein. -- Und wie sich schon oft was schickt auf der Welt -- ich +will nit sagen, unser Herrgott hat's so haben wollen; ich denk', es +kommt auch auf die Leut' selber an -- auf dem Heimweg gesellt sich der +Vorholzer Sebast zu mir. Der hat mir schon lang' alleweil schön getan. +Und wie wir jetzt zum Lindenhäusel kommen, wo zu derselbigen Zeit Most +und Branntwein ausgeschenkt worden ist, will er mich mit ins Wirtshaus +haben. Das tue ich nit. Gut, sagt der Sebast, wenn du nit magst, mag +ich auch nit -- und geht mit mir weiter. Da denke ich bei mir: Kannst +dir was einbilden d'rauf, wenn der deinetweg das Wirtshaus fahren läßt! +Wie wir durch den Waldschachen gehen, es ist dem Preishubinger sein +Wald, da hat er mich gefragt, der Sebast, ob ich ja sagen wollt', er +hätt' ein Häusel und zwei Gaißen und braucht' ein Weibsbild dazu. -- +Das Häusel ist im Steinwald drinnen; vom Preishubinger-Haus braucht man +länger als zwei Stunden hinein. Das wird doch weit genug sein, denke +ich mir und habe ja gesagt.« + +Nun schwieg sie und zählte die Maschen am Strickstrumpf. + +»So bist dem Vorholzer-Sebast sein Weib geworden?« + +»Ich hätt's nit schlecht getroffen,« fuhr die Ludmilla fort, »der +Sebast ist ein braver, fleißiger Mensch gewesen, aber das Wirtshaus hat +er sich halt nit mögen abgewöhnen, und wenn ihm dann der Branntwein +in den Kopf gestiegen ist! So viel jäh ist er gewesen. -- Mein Gott, +es hat halt jeder Mensch seinen Fehler. Ich werd' wohl auch nit gar +zu fein gewesen sein, wenn er so heimgekommen ist. 's geht eins aufs +andere. -- Aufkommt auch alles auf der Welt und alles wird viel stärker +gemacht, und soll jetzt der Preishubinger gehört haben, mein Mann tät +mich schlagen. Und da hat ihm halt einmal, wie er meinen Mann betrunken +hat heimgehen sehen, der böse Feind den Einfall gegeben: geh ihm nach +und schau', was Wahres ist am Gered'. -- Wie der Sebast heimkommt, laß +ich ihn an: Es wäre doch Sünd' und Schad' ums Geld; sich im Wirtshaus +Kopfweh trinken und daheim treibt der Holzknecht Thomas die Gaiß weg -- +weil wir ihm Geld schuldig gewesen sind. Da kommt meinem Mann der Zorn +und er fahrt über mich her. Jetzt ist auf einmal der Preishubinger da +und schleudert meinen Mann an die Wand. Und darauf --« Die Erzählerin +wendet sich ab und murmelt gegen die Ofenmauer hin: »Darauf ist das +Unglück geschehen.« + +»Was ist geschehen?« fragte ich und stand auf. + +»Mein Mann hat die Holzhacke von der Wand gerissen und den Donat +niedergeschlagen.« + +Weich und leise hatte sie das gesagt, dann legte sie das Strickzeug auf +die Ofenbank und ging still zur Tür hinaus. + +-- Niedergeschlagen! Erst später erfuhr ich den Rest. Der Donat hatte +sich nach dem Schlage auf den Sebast gestürzt, war dann zu Boden +gesunken und hatte den Geist aufgegeben. Der Vorholzer Sebast schrie +noch der Ludmilla zu: »Du bist ~sein~ Unglück und bist ~mein~ +Unglück!« Dann ergriff er die Flucht. In der Niederau drüben, unter +einem Heuschober hatten ihn die Gendarmen gefunden und gefangen. +Zwanzig Jahre Kerker! + +Die Ludmilla hatte hernach wieder ihr Gewerbe, die Nähterei ergriffen, +arbeitete und darbte und wartete auf den Sebast. »Wenn ich's nur +erlebe,« sagte sie oft, »krank und mit weißen Haaren wird er mir +zurückkommen, aber ich will ihm die alten Tage so gut machen, als es +sein kann. Wenn ich's nur erlebe.« + +Von dem Donat sagte sie kein Wort mehr. Aber auf seinem Grabe -- +trotzdem die Witwe der großen Wirtschaft und vielem Sorgen wegen nicht +Zeit hatte, es zu zieren -- fand sich immer ein grünender Strauch, ein +helles Blümel. -- Als die Leute im Steinernen Elend durch Holzhändler +verarmt, durch die Steuern abgestiftet waren und auswandern mußten, +fand auch die Ludmilla keinen Erwerb mehr in ihrer Heimat. So kam sie +herüber in die Bärndorfer Gegend und suchte ihr Brot als Dienstmagd, wo +nachher das mit dem Pferde geschehen ist. Immer zählte sie die Jahre, +bis ihr Mann zurückkehren sollte vom Strafhaus. Schon im voraus suchte +sie die Leute für ihn zu gewinnen, erzählte von seinen Vorzügen, von +seiner Bravheit. Man wartete schon mit einer gewissen Neugierde auf den +Sebast und mehrere Bauern in Bärndorf stellten ihm der Ludmilla wegen, +die sie überall gerne hatten, Dienstplätze in Aussicht. So hielt sie +ihr Haupt aufrecht und ebnete -- wo sie konnte -- die Wege für ihren +Mann. Da starb der Sebast ein Jahr vor Ablauf seiner Strafzeit! + +Nun wußte ich alles. Als ich dann den frisch beguteten Socken am Fuß +hatte und den Wanderstab in der linken Hand, und ihre Hand in der +rechten -- es war unter dem Tore des Wirtshauses -- da sagte ich zu +ihr: »Ja, die Leute haben recht, du bist das Guderl. Aber wie es schon +schlecht eingerichtet ist auf der Welt, dir ist das Gute schier noch +allemal zum Schlimmen ausgefallen.« + +»Wie sie ihn festhält bei der Hand!« rief jetzt im Hofraum eine der +Stallmägde der anderen zu. »Wie sie ihn festhält! Hat sie ihm ein +Pflaster auf die Füß' bunden, daß er nit fort kann! Jetzt ist er doch +auf der Höh'.« Und dann zur Ludmilla: »Nur nit auslassen, Luderl! So +ein feiner Stadtherr kommt dir nimmer.« + +Erschrocken ließ ich ihre Hand los. + +»Hast du's gehört, Herr?« lachte die Ludmilla. »Es wird mir auch +~das~ schlimm ausfallen. Aber das macht nix. Wenn sie ihre Mäuler +schon alle Tage füttern müssen, so wollen sie sie halt auch brauchen. +Das schadet mir nimmer, gleichwohl ich manchmal über und über möcht' +rot werden im Gesicht, wenn mich nicht schon der Einhandel so schön +gefärbt hätt'. -- Daß ich aber nicht vergess', ein Töpfel hätt' ich da, +es ist ganz klein, du bringst es leicht ins Rocktaschel und macht nicht +einmal einen Kropf.« Damit schob sie mir was Rundes in den Rocksack: +»Arnikasalben ist drinnen, und ein Leinwandfleckel dabei. 's ist nur +für den Fall, wenn der Fuß wieder sollt' anheben weh zu tun, oder sonst +-- ei geh nein! Mußt halt sauber achtgeben, junger Herr, daß nit wieder +was passiert. Behüt' Gott schön!« + +Sie rieselte davon, ich sah sie nimmer. + +Seither sind fünfzehn Jahre vergangen. Das Guderl lebt noch immer +als Krankenwärterin in Bärndorf. Vor einigen Jahren habe ich ihr, +eingedenk der Wohltaten, die sie mir erwiesen, einen kleinen Geldbetrag +geschickt. Den soll sie zur Hälfte verschenkt haben, zur anderen +Hälfte ist er ihr von einem ihrer Pfleglinge gestohlen worden. Später +sandte ich ihr ein silbernes Kreuzlein; das ist ihr -- auch abhanden +gekommen. Nun habe ich ihr vor einigen Monaten, als ich sie in Bärndorf +wieder aufsuchte, zum Andenken ein aus Holz geschnitztes Kreuz +gebracht. Das hat sie heute noch und das wird ihr bleiben. + +Jetzt, da ich fertig bin mit meiner Geschichte, höre ich meinen Leser +entrüstet ausrufen: Elende, gottverlassene Welt, in der die Güte und +die Treue so undankbar vergolten wird! + +Darauf antworte ich: Glückselige, gottbegnadete Welt, in der trotz +alles Undankes die Güte und Treue nicht ausstirbt. + + + + + Der Figurlmacher. + + +Es mag nun an die dreißig Jahre her sein seit jener Fahrt durchs +Pustertal. Aber ich vergesse sie bis an mein Lebensende nicht. Nie vor- +und nie seither hatte ich einem weltfremden Menschen so rasch und so +tief in seinen Mittelpunkt geschaut, als diesem schlanken Knaben. + +Es war ein Sonntagsnachmittag. Über den Dolomiten war ein Gewitter +gestanden, das nach einigen scharfen Tropfen, die es an mein +Waggonfenster geschleudert, sich sachte verzogen hatte. Abendlicher +Sonnenschein brach hervor und beleuchtete die Berge und die Kirchtürme +und die frohen Menschen, die auf dem Bahnhofe versammelt waren, in +den der Zug eben einfuhr. Aus der Gruppe von Männern und Burschen +sprang jetzt ein junger, schmucker Mann mit Stock und Handbündel, +verabschiedete sich rasch, schwang seinen Spitzhut, stieß einen +grellen Juchschrei aus und stieg in mein Abteil, wo ich bisher allein +gesessen war. Voll überlauter Lust rief er jedem einzelnen noch +neckende Grußworte zu, und die Zurückbleibenden schrien: »Figurlmacher, +behüt dich Gott, laß dir's schmecken, das Herrenleben!« Er sang einen +schalkhaften Vierzeiler, jauchzte wieder, und der Zug fuhr ab. Ohne +mich zu beachten, warf mein Reisegefährte den kurzen Kranabetstock und +das rote Handbündel neben sich auf die Bank, setzte sich hin, trommelte +mit der Fußspitze und pfiff ein heiteres Liedel. Vielleicht, so dachte +ich, ist er darum so lustig, weil er seine ganze Sach' in einem +Sacktuche mit sich tragen kann. Nicht jeder ist so glücklich, ich zum +Beispiel war schon der Sklave meines Reisekoffers. + +Der Bursche war so, daß er den Weibern hätte gefallen müssen: schlank, +stramm, und trug ein keckes falbes Schnurrbärtel; nur das Auge war +zu zahm; das war mattblau und hatte einen feuchten Glanz wie bei +einem Weibe, in dem die sittsam bezähmte und doch begehrende Liebe +ist. -- Endlich war er ruhig geworden, stemmte seine Ellbogen auf die +ausgespreizten Knie, und den Kopf auf die Hände gestützt, starrte er +in den Boden hinein. Manchmal schaute er zum Fenster hinaus in die +abendlich dämmernde Landschaft, dann hob sich seine Brust, als sollte +wieder ein Jauchzen herauskommen, aber es kam keines, und mit einem +leisen Seufzer sank sie wieder ein. + +Der Zug rollte fort und fort, an der Decke brannte zuckend die +Lampe; schon lange mochte sie keine so stillverschlossenen Insassen +gesehen haben, als an diesem Abende. An drei Stunden mochten wir so +gefahren sein, als der Bursche ganz plötzlich an meine Brust sank +und schluchzte. Ich war fast zu Tode erschrocken und tat mehrmals +nacheinander die Frage, was das bedeute, was ihm geschehen wäre? + +»Ich kann's nit tragen!« stieß er hervor, »ich kann's allein nit +tragen. Es ist zu hart.« + +Ich sprach ihm freundliche Worte zu. Wenn er ein Anliegen habe, so möge +er es mir vertrauen, der Mensch dem Menschen. Bei Kummer und Leid, +da gebe es kein Fremdsein. -- Denn ich kann niemanden weinen sehen; +Frauentränen wird man zur Not gewohnt, aber ein solches Schluchzen aus +der Mannesbrust ist erschütternd wie der Ausbruch eines Vulkans. Ich +legte die Hand auf sein Haupt, das an meinem Busen lag, und sagte noch +einmal: »Freund, Freund, was ist dir?« + +»Es ist so hart,« sagte er und sein Körper bebte. + +»Du bist ja erst so lustig gewesen?« + +Da lachte er krampfhaft auf: »Lustig! -- Mein Elend habe ich +totschreien wollen.« + +»Ist dir ein lieber Mensch gestorben?« + +»Wie sie meinen Vater ins Grab gelegt haben,« entgegnete er, »und ich +allein dasteh auf der weiten Welt -- es ist auch ein Schmerz gewesen. +Aber so! So wie jetzt! -- Ich kann's nicht aushalten, ich muß es wem +erzählen. Meine Kameraden daheim wissen nichts und wollten mich nur +auslachen. Mit Spott will ich nit fort.« + +»Wenn ich recht verstehe, es ist gewiß ein Weibsbild im Spiele!« sagte +ich. + +»Ja freilich,« antwortete er. + +»Ich habe mir's gedacht. Ein rechter Mann weint nur dreimal in seinem +Leben: Wenn ihm Vater und Mutter gestorben sind, wenn ihm seine Ehre +vernichtet wird und wenn er unglücklich in der Liebe ist. Zweimal +habe ich auch schon geweint, mein Lieber, du kannst mir schon etwas +vertrauen.« + +Es dauerte eine Weile, bis er so weit mit sich zurechtkam, daß er +ruhiger sprechen konnte. Dann begann er zu erzählen: + +»Meine Eltern, die sind kleine Häusler gewesen, kümmerliche Leut'. Ich +hab' mir mit Heiligenschnitzen die Groschen verdient und es werden nit +viel Kirchen und Kapellen sein in der Gegend, wo nit von mir ein Figurl +steht. Ich hätt' eine Freud' zum Schnitzen, aber mir fehlt's halt noch. +Die Leut' loben mich überall und zahlen oft mehr, als ich verlang'. +Nur eine --.« Da brach er ein wenig ab, fuhr sich mit der flachen Hand +über die Stirn, machte dann eine Bewegung mit ihr, als wollte er etwas +von sich scheuchen. »Es ist eine Torheit,« fuhr er nachher fort, »daß +sich der Mensch so was zu Herzen nimmt. Aber halt gefreut hätt's mich, +wenn sie mir ein einzigmal 'kommen wär' mit einem guten Wort über meine +Figurln. Ja, den krummen Fuß oder die schiefe Nasen, oder wie schon +was fehlschlagen kann, das hat sie gleich gesehen und hat mit ihrer Red +den Fuß noch verkrüppelter und die Nasen noch birniger gemacht. Und +ist mir was geraten, daß die Leut' gesagt haben: Schau' das kann er! +-- da ist sie still gewesen und nit ein gutes Wörtel! Hab ich ihr's +hingehalten: Was sagst zu diesem Herrgottel? Nit übel, gelt? Hernach +ihre Antwort: Ist gut, wenn es dir gefällt, Figurlmacher. -- Jetzt, sie +heißt Kathrin, und da hab ich ihr eine heilige Katharina geschnitzt, +auch mit dem Rad, und sauber gemalt, daß solches Figurl ganz nett +ausgesehen hat. Sie tut nit viel um und nimmt's und ich denk, gefreuen +wird sie's, wenn sie es auch nit so scheinen laßt. Bei ihr ist alles +inwendig, und in Ehren halten wird sie das Bild wohl dennoch, ich wette +drauf, sie stellt's über ihr Bett aufs Wandkastel. -- Hernach nächstens +wie ich wieder einmal zu ihr komm, ist mein erster Blick an ihr Bett +hin auf die Wand. Was ich nit seh, das ist mein Figurl. Herentgegen +hängt am Nagel ein mit Silber beschlagenes Gamsfüßel, wie solche Sachen +der Knopfdrachsler, der Marx Zeindler, so hübsch herrichten kann. Mir +fallt aber nichts ein und wie wir miteinand ein bissel heimgarten, frag +ich so nebenhin, wo sie das Figürl hätt? -- Ja richtig, sagt sie, das +muß ich wo vergessen haben, jetzt fallt's mir ein, das steht gewiß bei +der Ahndl oder wo. -- Laß es stehen, sag ich, und bald nachher richt +ich mich zum Fortgehen, weil mich die Sach ein klein bissel verdrossen +hat. Jetzt, wie ich aber nit bei ihr gewesen bin, hab ich doch alleweil +an sie denken müssen. Kein Mensch glaubt's. Ich kenne Schönere, als wie +sie, und solche, die mich lieber hätten, aber es ist just, als ob mir +die ins Herz gebrannt wär'.« + +Da der Bursche einhielt, so sprach ich: »Mein Lieber, das geht nicht +dir allein so. Die Leute haben das Wort Liebe dafür erfunden, ist aber +nicht das rechte. Verhext, wahnwitzig, das würde besser stimmen. Ein +schwarzes Weiberauge und eine Tollkirsche haben auf uns Männer manchmal +die gleiche Wirkung. Gegen Tollkirschengift ist frische Kuhmilch das +beste Mittel, gegen das schwarze Auge hat es mancher mit dem Wein +versucht.« + +»Trinken!« rief der Bursche, »hab mir's auch schon gedacht, aber wenn +ich ein Anliegen hab, da schmeckt mir kein Wein, und es schmeckt mir +keiner. Ich brauch wen, den ich ~gern~ hab und der mich wieder +gern hat, und der meine Figurln mag -- wenn das ist, nachher bin ich zu +allem aufgelegt. Aber so --« + +Er ließ den Kopf hängen. + +»Du bist auch so einer, der auf der Welt schon den Himmel haben +möchte,« sagte ich. »Schau um, ob es ~einer~ so gut hat! Denke, +du bist auf der Welt und halt dich an die Arbeit. Das Figurnschnitzeln +wird dir dein Lebtag mehr Freude machen, als alle Weiber zusammen.« + +Jetzt begann er ganz unvermittelt vom Blitz zu erzählen: »In der +Siebenbrunnkirche hat der Blitz eingeschlagen. Beim Turm ist er herab, +hat die Orgel zerrissen, nachher zur Kanzel, zum Altar, zertrümmert die +Mutter Gottes, und beim Taufstein wieder hinaus. Jetzt sind sie kommen +und ich hab müssen ein Muttergottesbild schnitzen. Ist auch alles +zufrieden gewest damit, nur der Marx Zeindler hat gesagt: Zu dieser +Sternguckerin ging er nit beten, da ginge er schon lieber zu einer, die +ihm keck ins Gesicht schaut und die Händ zum Halsen auseinander tät. -- +Weil ich meiner Mutter Gottes die Augen gegen Himmel hab richten lassen +und die Händ' zusammenhalten, auf ein Gleichnis, als wollt' sie für +die Siebenbrunner Pfarr fürbitten. Nun, so hat er gespottet, der Marx, +und ich hab mir weiter nichts draus gemacht; er ist auch sonst so +viel roh, wie soll er just bei mir fein sein. Es gibt ja allerhand so +Leut auf der Welt. Sollt bei seiner Arbeit bleiben, Knöpfe drachseln, +Hirschzähne einfassen, wie man sie so an den Sackuhren baumeln hat, +Gamsbart und Schildhahnstöße binden für die Jäger, und so Sachen, +das kann er, aber vom Figurlschnitzeln versteht er nichts. Hab ihm's +gesagt. -- Jetzt hab ich mich aber doch gefreut auf die Kathrin. Das +Muttergottesfigurl wird ihr wohl recht sein, und wenn sie sieht, wie +die Leut zusammenlaufen und davor beten und ihm die Füß küssen -- und +hat's der ihrige gemacht. Und einmal nach der Kirche, da frag ich sie: +Du, was sagst denn eigentlich zu meinem Bildnis? -- Geh laß mich aus, +dalkerter Figurlmacher, ist ihre Antwort, eine solche Sternguckerin +da! -- Hab ich einmal gestutzt. Wie ist das? Jetzt haben die zwei, die +Kathrin und der Marx, gleiche Gedanken! -- Und von dieser Stund ist +meine Pein angegangen. Die zwei halten zusammen, hab ich gedacht, wo +ich geh und steh. Sonst alles überhört, vergessen, ganz dumm im Kopf, +nur alleweil denken: die zwei halten zusammen! Sie lachen die Figurln +aus und den Schnitzler, und was sich der immer sittsam hat aufgespart +für den Ehestand, an dem prassen sie allbeid, und ich bin der Gefoppte. +-- Nit essen und nit schlafen hab ich können, zugrund gehen, hab ich +gemeint, muß ich vor lauter Kränken; hab mir aber nichts merken lassen. +Bin ich mit ihr zusammenkommen, so tut sie nit süß und nit sauer, +spricht aber ein paarmal vom Heiraten, denn es ist schon ausgemacht +gewesen zwischen uns, und einmal hat sie noch im Spaß gesagt: den +Figurlmacher mag sonst keine, so will ich ihn aus Barmherzigkeit +nehmen. -- Tut mannigmal weh, so was, aber laß mir's gefallen. Jetzt +aber wird's mir ungleich und hab ich's versuchen wollen, ob's denn +nicht möglich wär, sie zu meiden und mit einer anderen was anzuheben, +weil ihrer genug sind gewest, die mir nachgeschaut haben. Aber je +weniger ich an die Kathrin denken hab wollen, je fester ist sie mir +im Sinn gelegen, und je höllischer ich sie hassen hab wollen, je +höllischer hat's mich zu ihr gezogen, und wenn ich mir gar vorstell, +daß sie mit ihm beisammen ist -- deutlich hab ich alles gesehen im +Geist -- da hätt ich rasend werden mögen vor lauter Wut und Lieb. -- +Herr, wenn sie einen Mörder henken, ich werf keinen Stein auf ihn! Gott +hüt uns, kein Mensch weiß es, wie nah er am Abgrund steht.« + +»Also weißt es, was noch schlimmer ist, denn so eine dumme Liebe!« +bemerkte ich. + +»Am vorigen Samstag ist's gewesen,« fuhr der junge Mann fort. »Ich geh +ins Breit-Viertel hinüber, Lindenholz kaufen. Wie ich im Wald bin, +seh ich einen Knaben, der sich einen Peitschenstecken brechen will, +das Lärchbäumerl ist aber zäh, läßt sich winden und drehen und will +nit los. Halt, denk ich, nimm mein Messer, schneid's ab, äst's auch +aus und richt's gerad, -- hat das Bübel eine Freud gehabt. Wie ich in +den Graben hinab komm, wird's schon dunkel. Auf der Wiese ist Heu und +mitten drin sitzt der Marx-Zeindler. Mit seinem braunen Schnurrbart und +Funkelaugen und wie die Haarfetzen über die Stirn herabfahren -- ein +schöner Mensch. Jetzt, wie ich noch ein paar Schritt weiter geh, sehe +ich neben seiner die Kathrin. Reden tun sie nichts miteinand, schauen +sich aber fest in die Augen, also daß man meinen kunnt, ihr Blick wäre +ein eiserner Nagel, der die zwei Köpf zusammenheftet. Ich hab's meiner +Hand nit befohlen, sie greift von selber um's Messer. Sucht im Sack +und in allen Säcken und findet es nit; hab das Zeug unversehens liegen +lassen oben im Lärchenwald. So schön! denke ich, einen Schutzengel +haben die auch noch! Jetzt, was soll ich machen? Ich geh langsam rund +herum; bin ich herüben, so hab ich sein Gesicht, bin ich drüben, so +hab ich ihres. Eine so verdammte Unterhaltung hab ich mein Lebtag nit +gehabt! -- Wenn die Liebe nit blind machen tät, sie hätten mich sehen +müssen. Auf einmal, wie ich wieder hinschau, kommen sie mir allzwei +häßlich vor, so häßlich, daß mir übel wird. -- Jetzt weißt es, sage +ich zu mir, jetzt, was willst anfangen? Willst Lärm schlagen zu deiner +Schand? Willst ihn erwürgen und sie heiraten? Nein. Da gibt's nichts, +als still davongehen. -- Schon lang mein Wunsch nach Innsbruck in die +Schnitzerschul. Eine ganze Nacht hat's gearbeitet in meinem Kopf: +Sollst gehen? Sollst bleiben? Und je länger ich sinnier, je enger wird +mir die Siebenbrunner Gegend und je breiter die Straßen nach Innsbruck. +Wie die Sonn aufgeht, steht's fest. Und heut -- heut geh ich halt.« + +»Ich gratulier!« Mit diesem Wort wollte ich seine Hand fassen, er zog +sie rasch zurück. + +»Denke dir, lieber Mensch,« sagte ich, »sie hätte sich dir angesüßelt +und du kommst erst nach der Hochzeit zum Heu auf der Wiese!« + +»Mich däucht,« knirschte er und holte die Faust wie zum Stoß aus. + +»Das ist nichts,« unterbrach ich ihn, »du mußt dich weit furchtbarer +rächen. Laß sie zusammen heiraten, er mit der Roheit, sie mit +der Untreue, das geht weit über's Schnitzmesser! Und das bedenk: +ein gleichgültiges oder absprechendes Wesen paßt nicht für einen +Figurlschnitzler. Das würde dich mutloser machen, als alle +absprechenden Urteile neidischer Kollegen, und deine Kraft lähmen. Die +Mitfreude des geliebten Weibes an seinem Werke bedarf der Künstler, wie +die Blume den Sonnenschein. Kein Mensch glaubt's, welch ein Segen für +den Künstler das rechte Weib ist. Bedenk's und danke Gott.« + +»Aber --« entgegnete er, und die Stimme brach sich im Halse, »ich -- +hab sie lieb.« + +Es ist ewig dieselbe Geschichte. Da hatte er aus Trotz gejauchzt, aus +Wut sich zum Auswandern entschlossen, aus Rache nach dem Messer gelangt +und muß sie lieben, als wäre sie ihm ins Herz gebrannt. + +Wir waren in Franzensfeste, wo unsere Straßen sich trennten, die meine +ging nach dem Süden, die seine über den Brenner nach der Hauptstadt. +Vor dem Scheiden hatten wir gegenseitig unsere Namen genannt. Er hatte +mich noch um Verzeihung gebeten, daß er mir sein Anliegen so vor die +Füße geworfen, und gedankt, daß ich gut mit ihm gewesen. Jetzt sei ihm +schon leichter. Dann gab ich ihm noch den Rat, er solle aufhören, sie +zu hassen, dann würde er auch aufhören, sie zu lieben, und falls uns +der Lebensweg noch einmal zusammenführe, würde er wirklich so lustig +sein, als er es heut ~scheinen~ wollte. -- + +Acht Jahre später brachte ich folgendes in Erfahrung. Die Katharina +Zeindlerin machte eine Wallfahrt nach Maria im Anger. Die Kirche ragte +in einer Waldgegend, in der manch freundliches Dörfchen und manch +schmuckes Landhaus stand. Aber die Katharina schleppte eine Last von +Kummer daher. Ihre Kinder waren teils blöde, teils ungeraten; ihr +Mann war ein Wüterich, der sie mit seiner Eifersucht zu Tode quälte, +während er selbst unlauteren Schlichen frönte, und so frech, daß die +betrogene Gattin von seinen Zuhälterinnen noch verhöhnt wurde. -- Nun +trat das arme, vor Schmerz gebeugte Weib in die Kirche. Auf den Knien +rutschte sie bis zum Hochaltar, auf dem die Mutter des Heilandes stand. +Das Angesicht von himmlischem Frieden verklärt, die Hände über der +Brust gekreuzt, die Augen zur Höhe gehoben voll heiliger Inbrunst, so +stand die hehre Gestalt da; und Katharina, als sie emporblickte zu +ihr, mußte weinen. Vielleicht gedachte sie einer vergangenen Zeit, +in der sie ein Bildnis mit gen Himmel gehobenem Blick spottweise die +Sternguckerin genannt; heute war sie selber eine solche Sternguckerin, +und es tat ihr wohl, daß das Auge der Gottesmutter ihrem trostlosen +Herzen ein Wegweiser war empor zu himmlischer Erhebung. + +Und als das so hohen Fluges ungewohnte trübe Auge des Weibes wieder +erdwärts sank, blieb es haften an dem Sockel der Bildsäule, in dem der +Name des Schöpfers derselben eingegraben war. Ihr Herz hub zu pochen +an, sie kannte den Namen. + +Aus der Kirche tretend, fragte sie den Beschließer, ob denn vielleicht +der Künstler noch lebe, der das schöne Gnadenbildnis gemeißelt habe? + +Der Beschließer streckte seine Hand aus, nach einem stattlichen +Landhause weisend, das auf einer sachten Höhung stand und von schönen +Bäumen umgeben war: »Das dort ist sein Haus, und da wohnt er drinnen.« + +Also schlich nun in der Abenddämmerung das Weib zu dem bezeichneten +Hause hin, und zwischen den Planken lugte sie hinein in den Garten. +Da hörte und sah sie eine Schar hübscher, munterer Kinder, da sah sie +eine schöne, freundlichschauende Frau, und mitten unter diesen Menschen +sah sie ihn. In seinem Wesen lag eine Ruhe, aus seinen Augen strahlte +lauteres Glück. + +Der Figurlmacher! -- Das Weib taumelte wegshin. Sie sah jetzt den +Unterschied, der da ist, wenn man den Blick zur Höhe richtet, wo +freudige, himmeldurchfliegende Gläubigkeit herrscht, oder der +schmutzigen Erde zu, wo solche krauchen, die nichts können, als Knöpfe +drachseln, Gamsfüßeln beschlagen und auf dem Heu liegen. + + + + + Der junge Geigenspieler. + + +Eines Tages sah der junge Ministrant Giedel bei seinem Pfarrer in +Schwandau ein Holzkistchen. Er betrachtete es über und über; es war +von länglicher Form, inwendig leer, und hatte sehr dünne Wände. Als +der Herr Pfarrer dem Knaben den Ministrantenanteil von der Messe -- +zwei Kreuzer -- ausbezahlte, sagte der Giedel bescheidentlich: Auf +Bargeld gehe er schon weniger, aber wenn der hochwürdige Herr ihm das +Holzkistel schenken wollte, so würde er dafür gerne den Winter über +umsonst ministrieren. + +»Kind!« rief der Pfarrer, »wozu willst denn das Ding? Es ist ja ganz +leer!« + +»Just deswegen,« antwortete der Kleine, »ich kann bloß die leeren +Sachen brauchen.« + +»Du bist nicht klug, Giedel. Das Zigarrenkistel kannst mitnehmen, und +für die Meß kriegst täglich deine Kreuzer, wie sonst. Bist ja ein +braver Bub du! Gott behüte dich!« + +Voller Freude lief der Knabe mit seinem hohlen Schatze heim in des +Vaters Hütte. Dort hub er an zu schaffen. Er bohrte durch das Kistchen +Löcher, zog einen Balken durch, so daß dieser an beiden Seiten +hervorstand. Dann erbettelte er von der Mutter mit List einige Fäden +Hanfgarn, glättete sie mit Harz und spannte sie über das Kistchen, +ähnlich wie man auf eine Geige die Saiten spannt. Und als er mit den +Fingern die Fäden zupfte, wohl, wohl, da gab's einen Ton, der im +Kistchen eine Weile nachklang. Der Giedel hatte auf dem Kirchenchor +Pfeifen- und Saitenspiel gehört, er war dabei bis in den dritten Himmel +verzückt gewesen, aber jetzt war er's bis in den siebenten, denn der +Klang war von ihm selbst erfunden und erzeugt, und je nachdem er mit +dem Finger den Faden strammer oder loser spannte, gab es einen höheren +oder tieferen Ton. Als das so weit war, wagte der kleine Giedel einen +schweren Gang. Der Pferdeknecht des Nachbars war sein Feind, denn er +war ein roher Geselle, und die Töne, die der rote Rupert durch Fluchen, +Peitschenknallen und andere Mittel hervorbrachte, waren dem Giedel +verabscheuenswert. Und gerade dieser Mensch konnte ihm jetzt helfen. + +»Guter Roßknecht Rupert!« redete ihn der Kleine an. »Hast du keinen +Roßschweif?« + +»Ich nicht, Narr, aber mein Pferd.« + +»Verkauf mir davon ein Strähnl?« + +»Was zahlst?« + +»Das Ministrantengeld bis Weihnachten.« + +Der rote Knecht glotzte mit seinen unterlaufenen Augen den hübschen, +treuherzig blickenden Knaben ein Weilchen an, dann sagte er: +»Pferdeschweifhaare willst. Sollst ihrer haben. Dein Ministrantengeld? +den Bettel behalt' selber, aber zu mir herüber in den Stall kannst +du manchmal kommen, wenn du Zeit hast. Weißt, wenn ich am Feierabend +meinen Tabak rauch', da hab' ich's gern, wenn mir wer das Haar kraut. +Bin's von Kindes her so gewohnt. 's tut mir halt wohl. Wenn du manchmal +herüberkommst krauen, so kannst Pferdeschweif haben, so viel du willst.« + +Dem Knaben ging es ganz kalt über den Rücken. Diesem Menschen das Haar +krauen! »Die Mutter laßt mich halt nicht,« sagte er dann verzagt, »aber +das Ministrantengeld bis Heiligdreikönig!« + +»So wart' ein wenig,« sprach der Pferdeknecht, und der Giedel bekam +einen silbergrauen Strähn vom alten Schimmel. Jetzt war's gewonnen. + +Er schnitt einen Weidenzweig, spannte daran die Haare, und der +Fiedelbogen war fertig. Dann hub er an auf seiner Geige zu fiedeln. Es +war außerordentlich! Es war darum außerordentlich, weil das ganz anders +stimmte, als andere Geigen, wenn auch nicht schöner, aber durchaus +anders. Tagelang spielte der kleine Musikant auf seinem Instrumente, +anfangs mit großer Selbstbefriedigung und Hoffnung, daß sich das Zeug +vervollkommnen lassen werde, allmählich aber mit weniger Zuversicht, +und als gar sein Vater, der Weber Franz, ein Donnerwetter losließ über +das schauderhafte Gekrächze, das da sein Bub hervorbringe, war es +geschehen. Der Giedel legte seine Geige auf den Holzblock, ging hinaus +unter den Apfelbaum und war betrübt. Musizieren, geigen! Er schnitt +sonst Pfeifen und blies hinein, er machte Pauken und trommelte darauf. +Alles ging leidlich, nur die Geige nicht. Wenn er dann am Sonntage den +Schulmeister das Meßlied geigen hörte, da vergaß er seine lateinischen +Sprüche und horchte versunken dem Spiel. Minutenlang konnte der Pfarrer +seinen Kelch hinhalten, der Knabe hielt die Wein- und Wassergefäßchen +in den Händen und goß nichts hinein. Er horchte auf das Geigen. Der +Pfarrer schalt ihn nicht, es wurden ihm die Augen feucht. In diesem +Kinde der glühende Drang nach dem Schönen, und es kann sich nicht +helfen? Wie reich ist die Welt an Herrlichkeit und Kunst! Wie üppig +blüht in den Städten und Höfen der Großen die göttliche Musik auf! Die +Harfe, die in einem Dorfe zu Gottes Lob ertönt, ist nur ein Stammeln +dagegen! Und selbst dieses Stammeln ist dem Knaben unerreichbar ... + +Ging der Pfarrer zum Weber Franz und bettelte ihm mit vieler Mühe den +Giedel ab für eine tägliche Musikstunde. + +»Du lieber Gott!« sagte der Weber: »Eine Stunde des Tages haben ihn +Hochwürden ohnehin bei der Messe; jetzt soll ich ihn noch eine zweite +Stunde herlassen? Muß ihn ja doch für mich abrichten, und er soll +arbeiten lernen. Wir sind halt arme Leute. Aber wenn er um eine Stunde +früher aufsteht, -- der Junge liegt mir jetzt alle Tage bis sechse in +der Früh'! -- so kann er meinetwegen seine Musikstunde haben.« + +Nun, da hätten wir ihn ledig. Jetzt ging der Pfarrer zum Schulmeister +und sagte: »Unser Giedel. Mir tut er ins Herz hinein weh. Probieren Sie +es alle Tage ein Stündel mit ihm. Zahlen kann sein Vater nichts, aber +ich meine, es ist so viel als Kirchenmusik zum Lobe Gottes, wenn Sie +diesem musikbegeisterten Kinde das Saitenspiel lehren?« + +Der Schulmeister reichte dem Pfarrer schweigend die Hand, da war es +abgemacht. + +Also geschah es nun, daß der Giedel täglich in das Schulhaus kam und +auf einer alten Geige, die der Schulmeister ihm lieh, nach mühesam +eingelernten Noten die Saiten strich. Es war ein Glück, und es war ein +Fleiß, und es war eine Plage. Nach etwa einem halben Jahre waren sie +soweit, daß der Schulmeister zum Pfarrer sagte: »Mit dem Knaben ist es +ein Elend. Ich bringe ihm keine Noten und keine Regeln in den Kopf. Wo +er nach der Vorschrift sich üben soll, ist es gar nichts; er vergreift +sich, und man kann ihm auf die Finger klopfen wie man will. Wenn er +aber für sich phantasieren kann, da ist es manchmal erstaunlich, +geradezu erstaunlich! Das hilft alles nichts, wenn er das Theoretische +nicht inne kriegt, so ist alle Mühe verloren.« + +Doch taten sie eine Weile so fort. Allmählich aber änderten sich die +Zeiten. Der gute alte Pfarrer zu Schwandau ging zum Altenruhsitz in +ein Kloster. Der Schulmeister wurde versetzt, der Weber Franz starb, +und der Giedel mußte als Majoratsherr in der armen Hütte die Ernährung +der Familie über sich nehmen. Die Geige, schon mit Abgang des +Schulmeisters ihm aus der Hand gesunken, mußte er sich nun auch aus dem +Kopfe schlagen. Es kamen die Jahre, in welchen dem Menschen der Himmel +voller Geigen zu hängen pflegt; an Giedels Himmel hing nichts als eine +große Flöte, auf der er Trübsal blasen konnte, wenn er das Blasen +überhaupt gelernt hätte. + +Eine halbe Wegstunde von Schwandau in einem Seitengraben stand damals +ein kleiner Eisenhammer. Heute ist er ganz verfallen, nur der blockige +Schornstein steht noch da, und rings um ihn wuchert Holundergesträuche +und Nesselwerk. Der voreinstige Besitzer ist hinausgezogen in das weite +Tal, hat dort ein großes Sensenwerk gegründet, hat Ländereien und Wald +dazugekauft, und als der Besitz recht groß und die Werkschaft recht +angesehen war, hat er alles an eine Aktiengesellschaft abgetreten und +sich selber in die Stadt gezogen, wo er sein Geld in vornehmer Weise +und sorgenlos genießen konnte. Zu jener Zeit, von der hier die Rede +ist, pochte das emsige Eisenhämmerlein in der Waldschlucht Tag für +Tag, und dem Weber Giedel pochte fast noch heftiger das Herz, wenn er +es hörte. Denn im Hammerhause war Eine! Jung und gut und lieb! Das war +ihm schon recht, wenn sie nur nicht so schön gewesen wäre! Wie kann +ein armer Weberbursche sich an eine Hammerschmiedstochter wagen, wenn +sie so gottlos schön ist! Er kriegt sie nicht. Hundert andere sind, +reiche, vornehme, kecke! So gern kann sie freilich keiner haben, als +der Giedel, aber sie weiß es nicht, und er kann es ihr nicht sagen, und +so wird der Jüngste Tag kommen und die Paula Radhuberin wird es immer +noch nicht wissen, daß sie auf Erden einer so über alle Beschreibung +gern gehabt hat. Denn wie kann er es sagen und schreiben, wenn es +unsagbar und unbeschreiblich ist! -- Einmal an einem Sonntage hatte er +sie von der Kirche aus begleitet bis zur Brücke, über die der Weg zum +Eisenhammer hinanführt. Garnkaufen müsse er gehen, hatte der Giedel +gelogen, um eine Weile neben ihr herschreiten zu dürfen. Sie plauderten +und es war von sehr wichtigen Sachen die Rede: Daß doch die Straße +einmal geschottert werden sollte! Daß es wieder gar so viel regne in +diesem Sommer! Daß Korn und Obst verderbe! Nur das Heu würde geraten! +Und beim Heu hielten sie sich so lange auf, bis die Brücke kam. Dann +wünschte sie ihm einen guten Garnhandel, und er sagte: »Dank' schön!« +und also stand er wieder allein. Hinter einer Fichte stand er und +guckte ihr nach, solange der rote Punkt, denn sie hatte ein kirschrotes +Kittlein an, im Hohlweg zu sehen war. + +Nach diesem Spaziergange verschloß sich der junge Weber in seine Stube +und verfaßte ein Schreiben an die ehr- und liebsame Jungfrau Paula +Radhuberin. Als er das Schreiben durchlas, war es trocken wie ein +dürrer Ast. Kein grünes Blatt und keine rote Blüte war daran und doch +wucherte in seinem Herzen ein so üppiger Rosengarten, daß der arme +Junge fast erstickte. Den Brief zerknitterte er und warf ihn in die +Asche des Ofens. + +Leute, die vielleicht noch Hemden am Leibe tragen aus jener Zeit und +von jener Leinwand, die der verliebte Weberbursche Giedel gewoben, +müßten es eigentlich heute noch spüren, das trostlose Herzweh, das +er in die Fäden hineingewebert. Damals hat's kein Mensch geahnt, wo +es fehlte; weil er so blaß und traurig war, der Giedel, so meinten +etliche, er hätte es auf der Brust. Sie hatten recht, aber anders, als +sie meinten. Seine alte Mutter riet ihm oft, er solle nicht immer am +Webstuhl sitzen, er solle sich besser zerstreuen. -- Wieso denn? Lieben +darf ich nicht, und geigen kann ich nicht. -- Denn er hatte gar keine +Geige, und es war noch nie möglich gewesen, sich eine anzuschaffen. Da +kam eines Tages eine große Aufregung. + +In Schwandau lebte seit kurzer Zeit ein ausgedienter Major, der eine +große Geigensammlung besaß. Wie es schon allerhand Sammler gibt auf +der Welt: Käfersammler, Tabakspfeifensammler, Hosenknöpfesammler, +Spielkartensammler, Spazierstöckesammler, Uhrschlüsselsammler und +immer so fort, so kam es dem Major, als er in seinem Ruhestande +nichts zu tun hatte auf der Welt, plötzlich in den Sinn, er müsse +eine Geigensammlung haben. Da er, wie gesagt, selbst nicht geigte und +sein Museum auch selten einem neugierigen Auge aufschloß, so hatten +die guten Leute zu Schwandau kaum eine Ahnung von all den Walzern, +Ländlern und anderen Weisen, die ungeweckt in ihren Mauern schliefen. +Da kam jener Sonntagnachmittag, an dem der Weber am Waldhange die +zwei Ziegen weidete. Sein Schwesterl, das sonst den Hirtendienst zu +besorgen hatte, war in den nächsten Kirchort zur Firmung gegangen. +Wie er im Moose so dalag und ganz gedankenlos in das offene Fenster +eines gegenüberstehenden Hauses blickte, ging es sachte und traumhaft +in ihm auf wie eine übernatürliche Erscheinung. Dort drin an der Wand +hing eine Geige, ihr zur Rechten hing auch eine solche, ihr zur Linken +hingen deren zwei kleine, ihr zu Füßen war eine Riesengeige -- aus dem +Stubenschatten immer deutlicher hervortretend Geigen und Geigen. + +Dem Burschen begann fast zu schwindeln, die Wangen, die Stirne waren +ihm heiß, das Herz wurde ungeberdig, die leidenschaftliche Gier zur +Geige war wieder da. Als er am Abend nach Hause kam, und die Mutter +nach den Ziegen fragte, war er verwundert, weshalb just er von den +Ziegen etwas wissen sollte. Zum Glück kamen sie selbst heim und +meckerten ihre Ankunft. In der darauffolgenden Nacht schritt der +Giedel den Weg hin und wieder von Schwandau bis zum Eisenhammer. Als +er das erste Mal vor ihr Fenster kam, war noch Licht darin, das zweite +Mal war schon alles finster. Unterwegs begegneten ihm Nachbarsburschen, +die zu den Fenstern ihrer Liebsten gingen, dort allerlei Ständchen +brachten und getröstet heimkehren konnten. Der eine spielte unterwegs +eine Mundharmonika, der andere eine Maultrommel, der dritte jodelte und +der vierte pfiff vergnüglich vor sich hin. Und jener, der ganz still +war, atmete die Harmonie inneren Glückes. Also ist die Liebe stets +musikalisch. Nur der arme Giedel empfand keinen Wohlklang in seinem +Wesen. Er kam sich dumm und häßlich vor, ihm mangelte jener Wohlklang +des Herzens, der zu rechter Zeit mutig macht, ein Glück zu erringen. Im +Dorfe stand der Giedel vor dem Hause, in dem der Major mit den Geigen +wohnte. -- Daß es so herzzerdrückend still sein kann auf dieser Welt! +Da haben die Leute einen Mund und eine Sprache, und Geigen, und sind +doch stumm. + +Lange nach Mitternacht ging er zu Bette, erst gegen Morgen schlief er +ein und geigte und geigte. + +Noch ganz verschlafen war er, als übertags zwei Frauenzimmer ins Haus +kamen mit Körben Garn; das eine war die Magd vom Eisenhammer, das +andere war die Paula. Diese blickte den schlanken, blondhaarigen, +sanftdreinschauenden Burschen frisch an und sagte: »In vier Wochen +müssen wir Leinwand haben. Sie ist zur Ausstattung!« + +»Will wohl trachten,« antwortete der Giedel, hatte aber nicht den Mut +zu fragen, wer denn heirate? Man atmet ja gern noch ein wenig in der +süßen Ungewißheit. ~Dann~ ist ohnehin alles aus. + +Auf dem Heimweg sagte die Magd zur Hammerschmiedstochter: »Etwas +antappert ist der Weber.« + +»Ich denk', der ist ein bissel gescheiter wie du!« entgegnete strafend +die Paula. Weiteres wurde nicht gesprochen. + +Der Giedel wußte wohl, daß er als einzige Stütze seiner Familie +wehrfrei war. Dennoch ging er eines Tages zum Major, um Rat zu bitten, +wie er dem Soldatenleben entkommen könne. + +Der Major, eine schlanke, hagere Gestalt, deren einzige Lebensaufgabe +es noch war, den dummen, krummen, plumpen Dorfleuten militärische +Haltung zu zeigen, strich heftig seinen Bart und ließ den Burschen die +Oberkleider ausziehen. + +»Bravo!« schnarrte der alte Offizier, »das ist wieder einmal ein +Brustkorb!« Mit der Faust hieb er darauf, daß es dröhnte. »Hören Sie! +Das ist Grundton. Nein, nein, lieber Junge, Sie brauchen sich gar nicht +zu grämen, Sie sind tauglich. Gerad' halten!« + +Giedels Blicke waren mittlerweile wirr im Zimmer umhergeflogen, aber +nicht so sehr aus Angst vor dem Militär, als vielmehr aus Hoffnung, +durch irgendeine halbgeöffnete Tür ins Geigenzimmer lugen zu können. +Da er aber nichts dergleichen entdeckte, da er wieder vollkommen +angekleidet zum Fortgehen bereit war und seine ganze Falschheit umsonst +zu sein schien, hob er mit einem tiefen Atemzug sein Herz aus der Brust +und fragte: »Haben der Herr nicht eine Geigensammlung?« + +»Wissen Sie mir ein interessantes Instrument?« fragte der Major rasch +entgegen. + +»Das nicht, aber,« stotterte der Giedel, »ein wenig anschauen, wenn ich +sie dürfte!« + +Allsogleich war die Tür offen in das Nebenzimmer. Ehrfurchtsvoll wie in +ein Heiligtum trat der Bursche ein, so daß er vor lauter Andacht über +die Schwelle stolperte und »oha!« rief. Er war ganz rot im Gesicht, +teils wegen seiner Ungeschicklichkeit, teils vor innerer Erregung. Die +Wände des Zimmers waren mit grauem Tuche überzogen, und daran hingen +sie nun in allen Größen, Arten und Formen. Wie schön geflammt war das +Ahornholz dieser Instrumente, wie fein geschwungen und gewölbt war der +Bau, wie reizend waren die langen Hälse mit ihren köstlich gewundenen +Schnecken! Und die Fiedelbögen: schlanke und kurze, breite und schmale, +gerade und gebogene in allen Farben! Der Major, sich darüber freuend, +daß einmal eine menschliche Seele Anteil nahm an seinen Schätzen, +begann zu erklären, von wem diese und jene stamme, welche Seltenheit an +dieser und jener wäre, er hatte da Geigen von Amati, von Montana, von +Guarneri, von Bergonzi, von Jakob Stainer usw. »Und hier!« flüsterte +er, eine sehr flachgebaute Violine mit fast hellrotem Anstrich +feierlich von der Wand nehmend, »hier, die ist von Stradivarius! -- +Eine Cremoneser! -- Geradhalten, saperment!« + +Unserem Giedel waren nun zwar die fremden Namen ziemlich gleichgültig, +doch hörte er sie mit Ehrerbietung nennen. Als der Major an der +Cremoneser mit dem Finger die Saiten berührte, um den herrlichen Ton zu +zeigen, sagte der Bursche: »Bitte, geigen Sie eins!« + +»Ich spiele nie,« antwortete der Major, hing das Instrument mit größter +Sorgfalt wieder an seinen Platz und schob den Burschen sachte zur Tür +hinaus. + +Seit diesem Tag war's schier vorbei mit dem Giedel. Er dachte Geigen, +er weberte Geigen, er träumte Geigen, und wenn er Zeit hatte, ging +er hinaus und schaute auf das Haus hin, in dem der Major die Geigen +hatte. Eines Tages hörte er vom Schulmeister sagen, der Major sei ein +Fex. Hoffentlich habe er einst den Säbel besser zu handhaben gewußt, +als jetzt den Fiedelbogen, denn er könne gar nicht Violin spielen +und habe die Sammlung nur so aus Rappelköpfigkeit zusammengekauft und +erbettelt. Es sei an dem ganzen Quark nichts, eine einzige ausgenommen. +-- Schulmeister! dachte sich der Giedel, wie du nur so sprechen kannst! +Ich wollte, ich hätte die geringste dieser geringen! Aber, daß er nicht +soll geigen können? So viele Geigen haben und nicht geigen können! -- +Nur auf ein paar Stunden möchte ich eine haben! + +Nicht lange hernach, und es ergab sich eine zufällige Gelegenheit, daß +der Weber den Major fragen konnte, ob er ihm nicht eine Geige borgen +wollte für einen Tag, nur für einen einzigen! Und nur jene, an der ihm, +dem Herrn Major, etwa am wenigsten gelegen wäre! Er, der Giedel, setze +eine Ziege dafür zum Pfand. + +Ein plumpes Lachen stieß er aus, der Herr Major, ein schreckbar +hochmütiges Lachen, dann wandte er sich ab. Und das war der Bescheid +gewesen. -- + +Ein stiller, warmer Herbstsonntag. Die Dorfleute ergingen sich draußen +auf Feldrainen oder saßen im Wirtshause. Der Major war mit einem +Steirerwägel in den nächsten Ort gefahren zu einem alten Kameraden, der +ihm -- so viel verlautete -- geschrieben, daß er irgendwo eine uralte +Violine entdeckt habe. Sie stamme noch aus den Zeiten der Minnesänger +und ein Zigeuner gehe damit um, der darauf ohrenzerreißend spiele und +von dem Werte des Instrumentes gewiß keine Ahnung habe. Hau, das mußte +unser Major näher erfahren, und er fuhr hinüber. -- In der Wohnung des +Majors waren ein paar Fenster offen geblieben. Der Giedel kauerte am +Berghang und schaute hinein zu den Geigen. Die Haushälterin des Majors +war auch fortgegangen, nachdem sie das Haustor mit großem Gerassel +verschlossen hatte. Der Giedel blickte hinein zum offenen Fenster. +»Der hat so viele, und ich hab' gar keine!« murmelte er. Plötzlich +schlug er mit dem Daumen ein Kreuz über sein Gesicht und lief davon. +Er ging den Weg hinein bis zur Brücke, er schritt hinan bis zum +Hammerhaus. Auf dem Fenster, hinter dem sie wohnte, standen schöne +Blumen, sonst sah er nichts. Das Wasser rauschte und der Berg legte +schon seinen dunkelblauen Schatten über das Haus. Ein paar junge Männer +gingen im Garten umher mit spitzen Schnurrbärten und unternehmenden +Mienen. Dann traten sie ins Haus. Ob das Verwandte sind von ihr, oder +Eisenhändler? + +Der arme Giedel ging wieder gegen das Dorf zurück. -- Am Werktage, +dachte er bei sich, da ist die Arbeit, da geht's zur Not; aber am +Sonntag, wenn einer in der Müßigkeit so umherstreicht, da ist's schier +nicht auszuhalten. ~Der~ Druck in der Brust, der grausame Druck! +Mit dem Taschenmesser ein Loch aufmachen hinein, daß dieses wilde Blut +heraus könnt' springen .... + +Als er zum Hause des Majors kam, dunkelte es schon ein wenig, und im +Tale dem Bache entlang war ein bläulicher Dunsthauch. Kein Vogel, kein +Heimchen, kein Mühlrad -- nichts. Daß es doch so still sein kann auf +der Welt! ... + +Um das Haus war es öde, und nichts rührte sich. Die Fenster standen +offen. Der Giedel kletterte an einem Mauervorsprung empor und stieg zum +Fenster hinein. An der Wand huschte er hin, nahm die Cremoneser Geige +mit dem Fiedelbogen von der Wand, barg sie unter seinen Rock, sprang +rasch zum Fenster hinaus und eilte davon gegen den Wald hin. + +In der darauffolgenden Nacht war's. Über den Wipfeln des Bergwaldes +stand der Mond. Der Eisenhammer stand still, das Wasser rieselte leise +über das hinterseitige Floß. Wer das Rauschen und Pochen gewohnt +ist, dem wird's unheimlich. Paula lag in ihrem Bette, konnte aber +vor lauter Ruhe, die sie umgab, nicht schlafen. -- Sie dachte an +ihre Mutter, die seit langem schon auf dem Kirchhof lag. Sie dachte +seufzend, wie das jetzt werden würde, wenn der Vater wieder heiratet. +Die reiche Sensenschmied-Witwe von Tiefwasser. Dann will er den kleinen +Eisenhammer hier verkaufen und hinüberziehen und in Tiefwasser eine +Gewerkschaft bauen. Was das noch werden wird? ... + +Als das Mädchen im einsamen Stübchen so sann und dabei recht traurig +ward, hörte es draußen einen klingenden Ton. Es war anfangs wie eine +leise vor sich hin singende menschliche Stimme. Sie wurde lebhafter, +es klang wie ein süßes Locken und dann wieder wie ein betrübtes +Klagen. Es war wie ein allmähliches Aufschwingen, wie ein Anklopfen +und treues Bekennen und endlich wie das Freiwerden und Übersprudeln +eines warmen, leidvollen Menschenherzens. -- Nie in ihrem Leben noch +hatte Paula so singen, so weinen gehört. Sie war selbst einmal in einer +Singschule gewesen, aber dieser unendlich rührende Tonhauch, den sie +jetzt vernahm, er hatte keine Ähnlichkeit mit anderen Kehlenklängen, +und doch war er das unmittelbare Aufquellen eines Geheimnisses. -- Sie +konnte sich das nicht so denken, aber ein Gefühl war in ihr wach, als +ob sie in diesem Augenblicke sterben müßte, und als ob sie im nächsten +Augenblicke eingehen würde zur himmlischen Seligkeit. -- + +Nach einer Weile richtete sie sich auf und blickte hinaus zum Fenster. +Da unten auf weißem Kieswege stand eine dunkle Gestalt. Sie erkannte +den Weber Giedel und sah jetzt, wie er eine Geige spielte. Sie verhielt +sich ganz ruhig, sah hinab und horchte. Sie horchte so lange, bis ihr +die Tropfen von den Augen rannen. So über alle Maßen lieb hatte sie +diesen Menschen. So viel Mitleid hatte sie empfunden, seit sie ihn +kannte, weil er so sanft, so freundlich und still, so brav und so +verlassen war. Als sie einst, ein kleines Mädchen, das erste Mal in die +Kirche mitgenommen wurde, war am Altar neben dem Priester ein schöner +blonder Knabe gestanden, und so oft sie an Engel dachte, von Engeln +hörte, kam ihr dieser Knabe zu Sinn. Allmählich, ganz allmählich wuchs +dieser Engel heran zu einem Menschen ... + +Paula öffnete das Fenster, da hörte der Bursche unten auf, zu geigen. + +»Giedel,« sagte sie mit vor Innigkeit zitternder Stimme, »Giedel, geh' +jetzt heim. Die Nacht ist kühl.« + +Da trat er ein paar Schritte gegen das Fenster und flüsterte herauf: +»Paula, ich hab' dich lieb!« + +»Nimm ihn hopp!« rief plötzlich eine Männerstimme. Da sprangen aus dem +Schatten zwei Gesellen mit Waffen und glänzendem Riemzeug herbei und +rissen den Burschen nach rückwärts zu Boden. Noch hielt der Giedel +trotz des Schrecks die Geige hoch in die Luft, daß ihr nichts geschehe, +weiter wehrte er sich nicht, biß die Zähne zusammen und ließ sich +fesseln. + +Mittlerweile war es im Hammerhause lebendig geworden, die Leute eilten +auf die Gasse: was da geschehen wäre, was das bedeute? + +»Den Dieb haben wir,« berichtete einer der Gendarmen. »Dem Herrn Major +Stramper ist er in die Wohnung gestiegen. Eine Violine gestohlen.« + +»Der Weber Giedel!« schrien nun die Schmiede und das Gesinde. »Das ist +nicht übel!« + +Auch der Schmiedmeister war, flüchtig in seine Bettdecke gehüllt, +hervorgekrochen. »Ein Dieb? Ein Eisendieb?« + +»Ein Bettelgeiger.« + +»Der Strolch!« knurrte der Schmiedmeister, »was hat er denn vor meinem +Hause gesucht, bei der Nacht?« + +»Das Töchterl hat er angegeigt!« lachten sie. + +»Ein anderes Mal stiehl Butterbrot! Das frißt man ungehört,« höhnte ein +Knecht. »Geigen krächzen zu viel, kommst allemal auf.« + +»Was kostet der Bettel?« rief jetzt Paula, die sich schneidig in den +Handel mischte. + +»Jungfer!« antwortete der Gendarm, »es handelt sich nicht um die Geige, +es handelt sich um den Diebstahl.« + +»Sag' etwas!« forderte das Mädchen den Giedel auf. »Verteidige dich!« + +»Das hilft nichts,« antwortete der Bursche ganz ruhig. »Sie glauben es +mir nicht. Morgen hätt' ich sie dem Herrn ja wieder zurückgebracht. Sie +glauben es mir nicht. Aber macht nichts, jetzt ist mir ganz leicht. +Sei nur so gut, Paula, und stell' sie ihm zurück. Und daß ihr nichts +geschieht. So leicht ist mir schon lang' nicht mehr gewesen, wie jetzt. +Vergiß nur nicht ganz auf mich, Paula, wenn ich gestorben bin.« + +Das Mädchen wollte darauf etwas sagen, konnte aber vor Bewegung nicht +mehr sprechen, und also führten sie den armen Jungen davon in der +stillen Mondnacht, führten ihn hinaus in das Dorf und taten ihn in den +Gemeindekotter. + +Am nächsten Morgen war ganz Schwandau außer Rand und Band. Das +Unglaubliche! Manche meinten, der Giedel sei irrsinnig geworden. +Etliche fluchten über die Hexe, die ihm's angetan. Nur wenige gaben +sich stiller Schadenfreude hin. Im Gemeindehause kamen um die +Mittagsstunde mehrere Männer zusammen, der Dorfrichter, der Pfarrer, +der Hammerschmiedmeister und auch der Major Stramper. + +»Ist es Ihr Ernst, daß Sie klagbar werden wollen?« fragte der Richter +den Major. + +»Bare achtzig Gulden hat sie mich gekostet, die Cremoneser!« antwortete +der Major. + +»Aber sie ist ja doch wieder in Ihrem Besitze,« sprach nun der Pfarrer, +»und gänzlich unversehrt. Den Burschen haben wir alle gern, er ist +fleißig, gutmütig, keiner weiß sonst etwas Ungutes von ihm. Auch wir +haben Torenstreiche gemacht in der Jugend. Lassen Sie es gut sein, Herr +Major!« + +»Von mir soll niemand sagen, daß ich sein Unglück gewesen bin,« +antwortete der alte Soldat. »So vernarrt zu sein! Na ja, auch wir +einmal! -- Gerad'halten soll er sich! Es ist gut.« + +»Wenn's gut ist,« sprach jetzt der Hammerschmiedmeister, »so möchte ich +auch noch ein paar Worte sagen. Mein Mädel ist wie verrückt. Ich habe +keine Ahnung gehabt. Wenn es so steht mit den zwei jungen Leuten, und +daß sie toll werden, wenn sie einander nicht kriegen -- ich sag': in +Gottesnamen.« + +Denn er hatte sich's überlegt, daß es besser ist, wenn er die +erwachsene Tochter an den Mann bringt, ehe er selbst noch einmal +zugreift drüben in Tiefwasser. Es bleiben auf solche Weise allerhand +Unannehmlichkeiten aus. Das Mädel hat seine mütterliche Sach', damit +kann es dem Weber aufhelfen und die Wirtschaft herrichten. Also ist's +recht, und der Vater und die Tochter sollen an einem Tage Hochzeit +halten. + +Als der Giedel aus dem Kotter trat, wartete schon die Paula, fiel ihm +lachend und schluchzend um den Hals: »Wir haben uns!« + +Am Tage der Hochzeit kam der Major mit der Geige. Die Cremoneser war's. + +»Mir steht ein Duplikat in Aussicht,« sagte er einleitend. »Auch +dem Zigeuner mit der alten Fiedel bin ich auf der Spur. Diese da +-- ein sehr seltenes Stück! -- sie gehört dem Bräutigam. Er hat +damit der Seinigen das Ständchen gebracht, er wird sie noch öfter +brauchen können. Ist die Geige verstimmt, so soll er küssen, und ist +das Weibchen verstimmt, so soll er geigen. Und jetzt einen kecken +Steirischen aufgefiedelt! Gerad'halten, Junge!« + + + + + Der singende Schabelwirt. + + +Der dicke Schabelwirt in Rusterholz hatte zwei Stimmen, eine im +Gemeinderat und die andere auf dem Kirchenchor. Die erstere war so +gewichtig, daß sie mit Leichtigkeit ein halb Dutzend Häuslerstimmen in +die Luft schnellte; die zweite war so mächtig, daß in der Kirche die +Leute sich umwendeten, um diese Stimme nicht bloß zu hören, sondern +auch zu sehen. Sie mußte wie ein Strick von Bärenhaar aus dem viereckig +aufgespreizten Munde des Schabelwirtes hervorgewirbelt kommen. Die +Stimme dieses Chorsängers weckte Skalen in der Menschenbrust; wer sie +das erstemal hörte, dem war zum Lachen, wer sie oft hörte, dem war zum +Weinen. + +Selbst dem Chormeister war zum Weinen. Allein ohne Schabelwirtsgesang +in der Kirche gab's keinen Kaffee zum Frühstück. Mehrmals hatte er +es versucht und nur solche Messen auf die Pulte gelegt, die ohne +Männerstimme gegeben werden konnten. Allsogleich jammerte der Wirt +seinen Gästen vor über den Niedergang der Musik und daß der Chormeister +Sägespäne im Kopf haben müsse! Ob die menschliche Stimme nicht +der Höhepunkt aller Musik wäre -- besonders eine schöne kräftige +Männerstimme! Wenn dieser Herr töricht werde, so müsse man ihm die +Zitzen höher halten! -- Und dem Chormeister blieb die Milch aus. Des +Wirtes Kuhmädel kam des Morgens nicht mehr mit der Zinnkanne, wie +sonst, und da fand der Chormeister endlich doch allemal wieder, daß +zur würdigen Kirchenmusik auch eine kräftige Männerstimme gehöre. Der +Schabelwirt »mußte« wieder singen, und das Mädel erschien mit der +Zinnkanne. + +Kamen Fremde nach Rusterholz, so eiferte sie der Wirt an, doch auch +die Kirche zu besuchen, womöglich beim Gottesdienst, es wäre sehr +feierlich, besonders mit der Musik wären sie gut bestellt. Der +Chormeister hingegen, der sonst auch nicht unchristlich dachte, riet +den Fremden lieber einen Ausflug auf den Schirmberg, oder auf den +Rotkofel an, als den Gottesdienst in Rusterholz. Die einheimischen +Kirchenbesucher opferten ihre Ohrenpein für die armen Seelen im +Fegefeuer auf und so oblag der Schabelwirt ungestört seinem Gesang. +Ein halbberauschter Zecher wagte eines Tages den Zweifel laut werden +zu lassen, ob der Wirt wohl auch alle Noten kenne! Der kam an! Prügel +bekam er nach Noten! Da hatte er's blau auf weiß! Aber ungarische +Schweinetreiber, die eines Tages während der Messe ihre Herde +vorbeiführten, machten doch halt vor der Kirche und der eine lugte zum +Tore hinein, ob nicht Hilfe nottäte. Er schien sich nicht sicher, ob es +Gesang oder Notschrei wäre. -- Sollten sich nur beruhigen, die Herren +Sauhändler -- es ist Gesang! + +Auch in dem Jungen steckte es, in Schabelwirts Sohn, dem Damian. +Stimme hatte der keine zum Singen, sie gixte. Eine Weile meinte der +Chormeister, sie mutiere; wenn das vorüber, würde die Stimme des +Burschen alle anderen Sänger der Erde gründlich ausstechen. Nun war +der Junge mannbar geworden, allein die Stimme gixte noch immer, der +Chormeister hatte Todesangst. Wenn ihm der auch noch auf den Chor kommt! + +»Dem Damian seine Stimme muß geschont werden,« sagte er vorbeugend, +»wenn sie jetzt einige Jahre lang auf das Sorgfältigste geschont wird, +dann können wir einmal etwas Phänomenales erleben!« Einstweilen schlug +er dem Burschen vor, geigen zu lernen. Das Geigen aber gefiel dem +Alten nicht. »Die Geige ist ein Konkurrent der menschlichen Stimme, +aber ein ganz unfähiger! Trompetenblasen, ~das~ ist das richtige. +Blech, ~das~ gibt Musik!« + +Indessen -- ein großes Dorfwirtshaus hat noch andere Aufgaben, als +Singen und Trompetenblasen. Man weiß ja doch nicht, ~wann~ er +einmal dazukommt, der Blitzstrahl, und das neuerrichtete Thörlwirtshaus +da drüben in den Boden zündet! »Der Thörlwirt ist ein hautfalsches +Luder! Sein Süßtun mit den Gästen -- alles nur ums Geld! das kennt man. +An Süßtun bist ihm nicht gewachsen, Damian!« So der Schabelwirt, und +dann kamen Lehren und Ratschläge. + +»Es ist möglich, mein Sohn, daß ich mich einmal vom Geschäfte +zurückziehe, um ganz der Musik zu leben. Da mußt du wissen, wie man +es mit den Gästen macht, daß sie sitzen bleiben. Unser Herrgott, mußt +bedenken, schickt einem Gastwirt allerhand Kostgänger ins Haus. Wie +viel Geld sie dalassen, das ist deine Sache. Daß du die Tanzpfeifen +hernimmst, wenn junge Leut' kommen, so gescheit wirst wohl selber +sein. Daß du sie wegschmeißt, wenn Viehhändler und Hausierer vom +Geschäfte reden wollen, na, das wirst auch noch einsehen. Selber +mußt dich ausspielen, mein Lieber! Tut einer bei seinem Glas Trübsal +blasen, so mußt dich zu ihm hinsetzen und ihm allerhand vorreden, bis +du draufkommst, was ihm ist. Nachher, wenn er mit seinem Anliegen +ausrückt, hör' ihm aufmerksam zu, nicke bisweilen mit dem Kopf und +schlag' mit der Hand immer einmal vor Überraschung oder Entrüstung, +woran es halt ist, auf den Tisch, damit er sieht, daß du Anteil nimmst +und er sein Glas nachfüllen läßt. Überhaupt, bei Gästen, die gern +schwatzen, die mußt schwatzen lassen und dich aufs Zuhören verlegen -- +denken kannst dabei, was der will. Merk' dir nur das: hast ein gutes +Benehmen, so brauchst keinen guten Wein. Unterhalten sie sich mit dir, +ist auch das wohlfeile Gesüff gut. Wird manchmal ein besoffener Patron +ungut, so mußt du ihn der andern wegen hinauswerfen, aber ja nicht +so, daß er's merkt. Ich hab' zu so einem halt allemal gesagt: Geh, +sei gescheit, Michel, laß die dummen Leut' dort sitzen, die verstehen +keinen Spaß. Geh' einmal bissel in die frische Luft hinaus. Halt, +ich führ' dich, daß du nicht stolperst! -- und derweil hab' ich ihn +hinausgeschoben. So einer hält dich für seinen besten Freund und kommt +dir allemal wieder, wenn er Geld hat. Gibt dir aber auch Bockige. Der +Riffel-Toni, das ist noch der harbste! Wenn der anhebt zu schimpfen, so +muß man alle Stalltüren zusperren, sonst laufen die Vieher davon. Am +besten ist's, man schimpft mit. Wenn man ihm hilft, da wird er ehzeit +fertig, wenn man ihn löschen will, da zündet er sich erst rechtschaffen +an und schlagt drein. Und so wie du beim Riffel-Toni mitschimpfen +mußt, so mußt beim Krautruben-Barthel mitröhren! Weißt eh, daß der +Alte allemal zum flennen anhebt, wenn er einen Rausch hat. Lachst ihn +aus, so vertreibst ihn. Wär' ein Unsinn! Der Krautruben-Barthel zahlt +allemal fleißig die Zech'! So Leut' muß man estimieren! Ist eh ein +Kreuz. Wer heut' im Dusel nicht zahlt, zahlt morgen beim Kopfweh noch +weniger. Daß man die Tafel mit den Angekreideten an die Wand hängt, +wo sie jeder vor der Nase hat, brauch' ich dir wohl nicht zu sagen. +Überhaupt wirst du mit der Zeit selber drauf kommen, wie die Leut' +behandelt, gefoppt, gerupft sein wollen. -- Ich hab' in den ersten +Jahren mit dem Singen die Leut' vertrieben. Und das hab' ich dumm +gemacht. Wer ein so Mordsochs war und über den Gesang geschimpft hat, +den hab' ich hinausgeschmissen, aber anders, als ich es grad' vorher +auseinandergesetzt hab'. Den hab' ich das letztemal gesehen gehabt. +Den anderen, den mehr Gebildeten, die eine Musikfreud' gehabt und mir +zugehört haben, ist immer einmal eine Maß vom Bessern aufgetischt +worden, geschenkterweis'. Wie ich aber seh', daß trotzdem einer um den +andern bei der Tür hinausschlupft, hab' ich mir gedacht: Die Pölli +verstehen nix. Was sollst deine Perlen den Säuen vorschmeißen! und hab' +im Wirtshaus das Singen sein lassen. Jawohl, mein Sohn, ein Wirt muß +sich aufopfern können für seine Gäst' -- wenn er ein Geschäft machen +will.« -- + +Man wird nun wohl überzeugt sein von dem großen Takt des Schabelwirts. +In der Kirche, allerdings, wollte er seine Perlen nicht zurückbehalten; +er sei sein Talent dem Herrgott schuldig! war sein Bescheid, wenn er +manchmal teilnehmend befragt wurde, warum er sich auf dem Chor so +abmühe für nichts und wieder nichts, und hätte doch nur Undank dafür. +»Undank ist Künstlerlos!« Diesen Spruch hatte er sich aus einem alten +Volkskalender herausgeschrieben, zitierte ihn aber nicht oft, weil er +überzeugt war, daß seine Stimme wohl von allen Verständigen gewürdigt +werde. Nun, und die Unverständigen? Auf die pfeift die Katz, damit sie +auch was Musikalisches haben. + +Beim Schabelwirt hielt sich zeitweise ein hinkender Mann auf, der hatte +ebenfalls was Musikalisches. Nämlich einen redenden und singenden +Kasten. Hielt man sich daran zwei Schläuche an die Ohren, so hörten +sich die Stimmen berühmter Redner und Sängerinnen und ganze Musikchöre +heraus, wie sie einst in großen Städten und anderswo hineingesprochen, +gesungen und gepfiffen worden waren. Diesen Kasten verehrte der Wirt +als den größten Künstler der Neuzeit, der -- wie er liebenswürdig +scherzend sagte -- deshalb auch in den Grafenstand erhoben worden sei. +Denn es war der Phonograf. Für das Horchen zog der Hinkende Geld ein, +nur der Wirt zahlte nichts, leistete dafür jedoch dem Eigentümer freie +Kost und Verpflegung; bloß das Getränk mußte bezahlt werden. Als der +Mann den Schabelwirt einlud, einmal mit seiner phänomenalen Stimme +etwas in den Kasten hineinzusingen, gab der Wirt das Lied »In diesen +heiligen Hallen« ab. Der Hinkende jedoch tat geheimnisvoll und ließ ihn +das gesungene Produkt nicht zurückhören, denn er fürchtete für seinen +Kasten ... + +Eines Tages kehrten zwei Herren aus Murstadt beim Schabelwirt ein. Er +war sehr artig, ließ vom »Besseren« auftragen, in der Absicht, ihnen +nachher etwas vorzusingen. Denn das waren offenbar gebildete Leute. Die +Fremden hinwiederum luden ihn ein, mitzutrinken, in der Absicht, ihm +dann eine Angelegenheit vorzutragen. Und als sie beiderseits lustig +waren, meinte einer der Fremden, so ein wackerer Gastgeber, wie der +Schabelwirt in Rusterholz, verdiene, daß er ein Geschäft mache. Sie +wollten an einem der nächsten Sonntage seinen großen Tanzboden mit +Gästen anfüllen. Sie möchten bei ihm nämlich eine Volksversammlung +veranstalten und Reden über den Fortschritt und über die Freiheit +halten. + +»Ah, meine Herren, seid ihr die Aufklärung?« fragte der Wirt, »hab' +schon gehört davon. Tut einer eine Red' reden? Schön, brav! Tu' meinen +Tanzboden schon hergeben dazu. Nachher zum Schluß können wir auch was +singen -- daß es recht lustig wird.« + +So wurde ein Freidenkertag beschlossen. Waren die Rusterholzer auch +nicht gerade fortschrittlich gesinnt, so waren sie doch neugierig. +Und waren durstig. Je mehr ihrer zusammenkamen in die warme Stube, je +durstiger waren sie allemal. Das sollte sich wieder einmal machen. + +Nun sandte der Schabelwirt seinen Laufburschen aus: »Geh' im ganzen +Gai um, von Haus zu Haus, und die Leute sollen nächst' Sonntag zum +Schabelwirt und Gemeinderat kommen, nachmittags nach dem Segen wäre +dort Freidenkerversammlung!« + +Der Knabe lief mit dieser Freudenbotschaft, so schnell er konnte und +überall schrie er es gleich zur Tür hinein: »Nächst' Sonntag nach dem +Segen ist beim Schabelwirt Freitrinkerversammlung. Alle sollt's kommen!« + +»Donnerwetter noch einmal, der dicke Wirt! Will er bei der nächsten +Wahl wieder in die Gemeinde?« Die Klügeren rieten: Ansingen wird er uns +wieder einmal wollen, und da gibt er halt einen Labetrunk. -- Nun, sie +wollten dabei sein bei dieser Freitrinkergesellschaft. »Müssen ihn in +der Kirche umsonst anhören; dasmal kriegen wir dafür was zu trinken. +Nett von ihm, daß er was lohnt.« + +Der Pfarrer von Rusterholz jedoch hatte ein feineres Ohr, oder eine +bessere Nase. Kam er kurz nachher ganz langsam ins Wirtshaus getreten, +ging aber nicht in das Extrastübel, wo der Tisch mit einem rot und +weiß quadrierten Tuch bedeckt war, sondern stand in der großen Stube +ein wenig so herum, lehnte endlich seinen Stock an den Uhrkasten, den +Hut behielt er heute auf und so setzte er sich zum Leutetisch. Als +auch diesen der geschäftige Schabelwirt rasch mit einem roten Tuch +überziehen wollte, tat der Pfarrer mit der Hand einen Deuter: »Lassen +Sie's, lassen Sie's. Es ist auch so gut.« + +Aber feierlich war heute der alte Herr und es wollte keine Ansprache +recht verfangen. Von dem Achtel Wein, das er sich bestellt, hatte er +kaum erst genippt. + +»Es wird ein anderes Wetter kommen,« meinte der Wirt. + +»Ich muß Sie doch fragen,« sagte nun der Pfarrer, »sollte es wahr +sein, daß Sie in Ihrem Hause eine Freidenkerversammlung abhalten +wollen?« + +»Ah na, ich nicht,« antwortete der Wirt. »Ein paar Herren aus Murstadt +sind dagewesen und haben sich angefragt. Wenn sie wollen, hab' ich +gesagt. Muß eh froh sein, wenn man wieder einmal was hört. Über das +elektrische Licht, oder so was, werden sie sprechen.« + +»Das sehe ich wohl nicht gern, lieber Nachbar. Schauen Sie, unsere +Leut' sind alle gut christlich. Die verstehen solche Sachen ja gar +nicht und wozu sie beunruhigen?« + +»Bei unserer Wasserkraft, sagen sie, könnten wir soviel Elektrizität +haben, daß die Mühlen und Dreschmaschinen davon gehen könnten und extra +noch für Licht genug übrig bliebe.« + +Unterbrach der Pfarrer den Wirt: »Gehn's, gehn's! Für die Elektrizität +wird man Freidenkerversammlungen machen! Da ist was anderes dahinter. +Sie lesen doch von der Übertrittsbewegung. Die Lutheraner kommen, und +weil Sie ein alter Liberaler sind, so will man Sie mit der Freidenkerei +fangen. Ist übrigens eins wies andere. Tun Sie mir den Gefallen, +Nachbar, und sagen Sie ab.« + +Der Wirt hatte eine dicke Zigarre angeraucht, es war eine mit der +Bauchbinde. + +»Will mir's noch überlegen,« sagte er dann. + +Das überlegen fiel aber zu ungunsten des Pfarrers aus. -- Wesweg soll +just in Rusterholz keine Versammlung abgehalten werden? Von überall +hört man. Wenn der Wirt einmal ein volles Haus haben will, wen geht's +was an? Und eine Unterhaltung. Ist ohnehin so selten Gelegenheit zum +Singen. Weil sie von Musik nichts verstehen, diese Bauerngogel. Und +wenn sich einmal ein Schüberl gebildete Leut' ansagen -- gleich das +Geschrei: die Lutherischen! Freidenker, was schadet's denn? Wird eh +jeder denken, was er will. Und wer anders denkt als er spricht, ist eh +ein Lump! Abhalten tun wir die Freidenkerversammlung! + +Und am Vortage derselben schrieb der Pfarrer an den Schabelwirt solchen +Brief: + + »Euer Wohlgeboren! + + Indem Sie sich trotz wohlmeinender Abratung doch für eine + Freidenkerversammlung bestimmt gefunden haben und hiemit offenbar + gegen die Absichten der Kirche verstoßen, so muß ich zu meinem + Bedauern für die Zukunft Ihre musikalische Mitwirkung auf unserem + Kirchenchore ablehnen, denn Gott kann unmöglich Gefallen finden an + dem Gesange eines Freidenkers, der die christliche Gemeinde in Gefahr + bringt. + + Mit gebührender Achtung + + N. N., Pfarrer.« + +So! -- -- So! -- -- + +Der Schabelwirt war empört. Hat der Mann das Recht, mir den Kirchenchor +zu verbieten? -- Aber an demselben Tage bedeutete ihm auch der +Chormeister, daß er mitsamt allen Musikern leider unter Botmäßigkeit +des Pfarramtes stehe. Es tue ihm aufrichtig leid! -- Um was es ihm leid +tat, hat er weiter nicht dargetan. Aber bitter ist es schon, anstatt +des gewohnten Frühstückkaffees sich mit Einbrennsuppe abfinden zu +müssen. + +Gut. -- Auch Kaiser Heinrich ist nach Kanossa gegangen, was liegt +dran. Das will der brave Schabelwirt dem Herrgott nicht antun, daß +er an Sonntagen seines Gesanges entbehren müsse. Auch die Mehrzahl +der Andächtigen wird sich eine ungesungene Messe nicht gefallen +lassen wollen. Und dann trägt auch der Gesang zur Herzensbildung bei. +Vielleicht mehr, als ein Freidenkertag. Den Freidenkern aus Murstadt +wird schleunig und heimlich abgewinkt. Den Leuten braucht man nichts +kundzutun, sie sollen nur zusammenkommen. Statt so einer gespreizten +Freidenkerrede wird gesungen, da unterhalten sie sich weit besser und +ist nach keiner Seite hin Verdruß. + +Also am folgenden Sonntag nach dem Segen kamen sie zusammen, die Bauern +und Häusler und Handwerker von Rusterholz beim Schabelwirt zum -- +Freitrinken. Der Tanzboden wurde viel zu eng, die Gaststube und das +Extrazimmer waren so gesteckt voll, wie bei einem Viehmarkt. Mehr als +vier Bierkrügeln in jeder Hand kann die Kellnerin auf einmal nicht +befördern. Der Sohn Damian schoß auch herum, goß aber den größten Teil +seiner Bierkrüge über die Achseln der Gäste aus, weil das nicht geht, +Getränk auftragen und dabei mit jungen Weibsleuten schäkern. Der Wirt +selber machte es sich mit dem Wein leichter, er schleppte Tonplutzer +aus dem Keller und ließ daraus ununterbrochen in die Gläser rinnen. So +nagelt man sie fest auf ihren Bänken und dann wird gesungen. + +Als sie nun aber merkten, daß der Wirt mit dem blauen Sacktuch seine +Augengläser putzte -- denn ohne Augengläser konnte er nicht singen -- +da schlichen sich etliche sachte ins Vorhaus und von dort ins Freie. +Auch der Steinbrecher Einsel wollte es so machen, den hielt jedoch +der Wirt an und fragte, ob er in der Stube nichts vergessen habe? Der +Einsel tastete nach dem Haupte -- der Kopf war da, der Hut saß auch +drauf; den roten Regenschirm hatte er in der Hand. Nein, vergessen +hätte er nichts. -- Ob er doch wohl das Geldtaschel in den Sack +gesteckt habe, als er die Zeche beglich? + +Bei dieser Erinnerung machte der Einsel große Augen. + +»Zech? Zech' sagst, Wirt? Wer wird denn heut' Zech' zahlen, wenn +Freitrinkertag ist!« -- Dem Schabelwirt gab's einen Stoß in der Brust. +Wenn es ein Mißverständnis wäre? Er hatte sich ohnehin gewundert, daß +die Rusterholzer so plötzlich bildungsdurstig geworden und so zahlreich +erschienen waren! Wenn's ein verhängnisvoller Irrtum wäre? -- Sogleich +stieg er auf eine Bank und machte laut, daß heute bei ihm nicht eine +~Freitrinker~-, sondern eine ~Freidenker~versammlung hätte +stattfinden sollen, daß aber die Herren aus Murstadt nicht gekommen +seien. + +Himmel Hagelstern, wurden jetzt die Gesichter unschön! Die einen +krebsrot, die anderen käseblaß -- in die Länge zogen sich alle. + +»Du Wirt!« begehrte ein alter Pechbrenner auf, »wenn du wieder einmal +einen Boten schickst, so schau erst, ob er auch reden kann. Alle +ehrenwerten Manner, die da sind, werden meine Zeugen sein, daß dein +Schickbub ~Freitrinker~versammlung hat gesagt!« + +Des stimmten ihm alle bei. Der Wirt zuckte die Achseln. Das sei ihm +wohl höchst unlieb. Darum, das undeutliche Reden hätt' er eh auf dem +Zug! Da käme gewiß allemal ein Balawatsch heraus. Übrigens werde es +ja kein Unglück sein, am Sonntag nach dem Segen einmal ins Wirtshaus +zu gehen, besonders, wenn gesungen würde. Er wolle sie für die +ausgebliebenen Freidenker entschädigen und ihnen jetzt eins vorsingen. + +»Für die Freidenker brauchen wir keine Entschädigung,« sagte der +Pechbrennen, »aber zahlen tun wir heut' nix!« + +Sie stimmten alle bei, schrecklich stimmten sie bei. Ein Gelächter +war entstanden. Allein der Bauer kann »Krowaten zerreißen und lachen +dabei«, ein Sprichwort, das dem Wirt nicht unbekannt war. + +»Alles, was recht ist,« sagte der Wirt und stellte sich mit +Geistesgegenwart auf einen Dreifuß. In der Hand hielt er ein +Notenblatt, aber -- wie ein Nebenstehender wissen wollte -- verkehrt. +Wie sein Singen zu hören war, das soll ein anderer sagen, ich kann +bloß beschreiben, wie es zu sehen gewesen ist. Mit ausgespreizten +Beinen, über deren eines noch die weiße Schürze niederhing, stand +er da, den Bauch weit hervorgewölbt, den Oberkörper nach rückwärts +gebogen. Das Doppelkinn quoll vorne und der wulstige Nacken hinten über +den Rockkragen hinaus. Das rote Gesicht breit gepolstert, den Mund +aufgesperrt und ausgeböscht, daß er schier viereckig wurde -- so kam es +nun hervor aus dem mächtigen Brustkorb und das Blatt wurde von einem +zarten Sprühregen befeuchtet. + +Nach dem ersten Liede »Im tiefen Keller« -- erschollen einige Rufe. Das +»Bravo« ist in Rusterholz nicht der Brauch, aber nach Vergeltung riefen +sie und frisch Bier und Wein wollten sie haben. Auf der Ofenbank, in +den Wolken des Tabakqualms verschleiert, stand ein Mensch und der rief, +sie sollten einmal auf ihn hören, er wisse auch was. Das war der Riffel +Toni. + +»So red', Toni!« sagte der Wirt. Es war zwar der harbe Kampel, doch man +kann vorbauen. »Willst noch ein Glas Wein haben?« Denn er dachte, der +Mensch wolle ihm vielleicht doch eine Gesundheit ausbringen. + +»Wein ist mir allemal recht,« hub der Riffel Toni knurrig an. »Erst +will ich dich aber einmal fragen, Schabelwirt, was wir heut' sind, da +in der Stuben -- Freitrinker oder Freidenker?« + +»Freidenker, schon gewiß!« beschied der Wirt. + +»Das glaub' ich auch,« rief der Toni. »Und dazu brauchen wir nicht +einmal die feinen Herren aus Murstadt. Und derohalben wollen wir reden, +was wir uns denken.« + +Dann riß er mit den Fingerspitzen der beiden Hände den wüsten Bart +auseinander, daß die freie Rede auch freien Ausweg habe durch den Mund, +aus dem ein paar scharfe Oberzähne hervorstanden, wie bei einem Eber. + +»Schabelwirt!« begann er, »willst du wissen, wie du singst? Sollst es +hören. -- Wenn ein kropfeter Hahn in einen alten Kochhäfen hineinkräht, +wenn der Altweibersommer-Wind ein rostiges Stadltor auf und zu wirft +und dem Elmbauern sein Moidel mit dem Nussensack reixelt, so meinen die +Rusterholzer allmiteinand, es singt unser Schabelwirt!« + +»Hau!« lachten die Bauern, »hau saxen, das lei schon ah!« + +»Du bist ein Lästermaul!« rief der Wirt, doch sein Gelächter, das er +dazu ausstieß, ging ihm nicht vom Herzen. Allein, wenn er nicht gute +Miene macht, so gehen sie mit der Zeche durch und zum Thörlwirt hinüber. + +Der Riffel Toni hielt einen alten Hut hin, als wolle er Geld sammeln. +»Zusammenschießen, Leut', daß uns der Maurer und der Schmied-Franzl +in der Kirchen die Heiligen festmacht, die wackelig sind worden +an der Wand vom Schabelwirt seinem Singen! Und wegen was soll der +Krämer-Bastel just mit der Baumwoll ein so gutes Geschäft machen? +Stecken wir uns Lärchenzapfen in die Ohrwaschel, die tun's auch und +halten besser. Den Engeln über dem Altarl binden wir mit den blauen +Fastentüchern die Köpfe ein -- nachher soll er halt wieder singen, der +Schabelwirt.« + +Stürmisches Gelächter und etliche warfen Kreuzer in den Hut, um gegen +den bedrohlichen Gesang Vorkehrungen treffen zu können. + +»Wie du das nur anstellst, Schabelwirt,« setzte der schreckliche +Mensch auf der Ofenbank seine Auslassungen fort, »daß du selber nichts +hörst von deinem Singen. Sonst wär' es weiger nicht möglich, daß du so +gesund und wohlgenährt könntest ausschaun. Oder nimmst Gegengift ein?« + +Der Wirt rief heiser nach dem Hausknecht. Die Versammelten jedoch +erinnerten ihn an den Freidenkertag, wo man wohl frei denken und reden +werde können. Und riefen weiter durcheinander: »Laß das Singen sein, +wir lassen das Frozeln sein und tun dich nächstmal wieder in den Rat, +daß du deine Stimm' besser kannst brauchen. -- Erkennst es denn nicht +selber, daß du ganz schandmäßig singst? Narr, daß du's nicht besser +kannst, ist kein Gespött, aber daß du's nicht sein laßt, ist dumm. Wir +lachen dich ja all aus, ha, ha, ha, ha, ha!« + +Der Wirt hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und schoß von +einem Winkel zum andern. -- Wenn ich sie jetzt hinausschmeißen lasse, +dachte er, so ist die Zeche verloren und sie laufen zum Luderskerl +hinüber. Ach, Künstlertum! Künstlertum! In der Stadt sind es die +Zeitungsschreiber, hier sind es die Bauernmäuler. -- Aber ich werde +singen, justament, und sie werden ihr Trinken bezahlen. Das möcht' ich +schon sehen, ob man kein Recht mehr hat, in seinem eigenen Haus! + +Dieweilen war jener hinkende Mann zur Tür hereingetorkelt, der Besitzer +des in den Grafenstand erhobenen »großen Künstlers der Neuzeit«. Heute +fand er sich gedeckt und so lud er den wütenden Schabelwirt wohlwollend +ein, die Schimpfer schimpfen zu lassen und in das hehre Bereich der +Kunst zu flüchten. Er habe im Kasten einen großartigen Sänger. + +Der Wirt beruhigte sich gutmütig, ging in die Vorlauben, wo das Zeug +stand, steckte die Gummischläuche in die Ohren und horchte, während +der Hinkende das Werk spielen ließ. + +»Abscheulich!« schrie der Wirt zurückfahrend, »das kräht ja wie ein +altes Kamel!« + +Drinnen schnarrte und pfauchte und röchelte und gixte das Lied: »In +diesen heiligen Hallen, da herrscht die Rache nicht!« + +Der Wirt rannte umher nach einer Axt, um den Kasten zu zertrümmern. Der +Hinkende jedoch sagte besänftigend: »Herr Vater, der Phonograf kann +nichts dafür. Der singt halt heraus, wie hinein gesungen worden ist --« + +»Ja Teuxel, welches Ungeheuer hat denn hineingeplärrt?« + +Der Hinkende grinste niederträchtig und verneigte sich vor dem Wirt. -- +-- + +Dieser befahl seinem Sohn, seiner Kellnerin und seinem Hausknecht, +strenge achtzugeben, daß niemand ungebüßt entkomme. Er selber zog sich +zurück in seinen tiefsten Keller. + +Von solcher Zeit an hatte der Schabelwirt zu Rusterholz keinen +Freidenkertag mehr veranstaltet und keinen Sang mehr getan. Seine +Wirtschaft gedieh, seine Person gewann an Vertrauen -- denn man fühlte +sich endlich in seiner Nähe sicher. Und im Gemeinderat wurde seine +Stimme geachtet. + + + + + Das reiche Waldschulmeisterlein. + + +Über den schwarzen Waldbergen lag schon der Goldgrundhimmel des Abends, +als im Wiesentale ein Dörfchen dalag vor dem müden Gebirgswanderer. +Eine verwitterte Wegtafel hatte gerade noch so viele leserliche +Buchstaben, um dem hinkenden Fremden zu sagen, das Dorf heiße »In der +Krumpa«. + +Auf meine Frage an einen heimwärts treibenden Ziegenhirten, welches +in der Krumpa wohl das beste Wirtshaus sei, blickte mich der Junge +verblüfft an -- Wirtshaus? Ist keins. + +»Aber mein Gott! Mindestens ein halbes Dutzend Häuser, und kein +Wirtshaus darunter! Und das will ein deutsches Dorf sein?« + +Zu essen bekäme man manchmal im Forsthause etwas -- das große steinerne +Haus, dort bei der Linde. + +Ein Forsthaus, um so besser. Das läßt sich romantisch, besonders wenn, +so Gott will, auch noch eine Försterstochter dazukommt. Also ins +Forsthaus. + +In der großen Stube gab es wohl Hirschgeweihe und Tabakrauch, aber +keine Försterstochter. Ein kleiner, hagerer, spießiger Alter, die +Knie nackt, hingegen das Gesicht verdeckt mit einem wildwuchernden +Schnauzbart. -- Das war der Förster und Jagdheger. Er brachte in einem +Kruge Wein, sagte mir Nachtquartier zu, setzte sich dann mit seinem +Dampftiegel zu mir an den Tisch und fragte gleich, ob ich unterwegs +nichts gesehen hätte. Ich zählte Berge auf, Felswände, Wasserfälle, +hohe Brücken, Wegkreuze und Martertafeln, wie sie im Laufe des Tages +dem Wanderer vorgekommen waren. Darüber tat der Alte verwundert +und murmelte etwas. Endlich merkte ich doch, was er wissen wollte, +nämlich, ob mir Wildspuren, Rehe, Hirsche, Waldhühner und dergleichen +aufgestoßen wären. + +Meine Antwort: darauf hätte ich gar nicht geachtet, derlei läge +mir ferne, und ich verstünde nichts davon. Es mochte wohl etwas +geringschätzig gesagt sein. Der Alte blies ein paar starke Rauchwolken +von sich, stand auf und ging hinaus. Er verachtete mich. + +Nach einer Weile, als es schon finster und in der Stube kein Licht +angezündet worden war, fragte ich nach meinem Abendbrot. Da kreischte +der Alte aus der Küche her: »Wenn man das Wild nicht will, wird 'leicht +auch der Hirschbraten nicht genehm sein!« + +Jetzt schlich ich im Dunkeln zu ihm hin und sagte schon ein wenig +gereizt: »Mir scheint, da ist jemand beleidigt, weil ich von der +Jägerei nichts verstehe. Allerdings, ich halte nicht viel darauf. Ein +guter Bekannter von mir sitzt im Kotter, weil er einen Hirschen schoß, +der ihm den Kohl gefressen hat.« + +Der Forstjäger reckte sein Köpflein vor, der Schnauzer borstete sich +auf: »Han mir's denkt. Von der Gattung ist er einer! Oder gar -- oder +gar --!« Mit einem Streichholz fuhr er sich über den Hinterteil der +Lederhose, leuchtete mir ins Gesicht: -- »Groß werd' ich mich nicht +irren. Der Teufel hol's, er ist es. Der Jagerfresser, ah, da schaut's +her, der Jagerfresser! Na, Korrschamerdiener! Und will im Jagerhaus +essen und trinken und schlafen. Aus ist's!« + +Ein argloser Mensch würde diese Rufe für das gewohnheitsmäßige Poltern +alter Leute genommen haben, mein böses Gewissen erkannte es sofort als +das, was es war -- als einen wohlgezimmerten Abschied. Der Mann hatte +den Verfasser »Jakob des Letzten« erkannt. Eines Buches, das jeder +Jäger naturgemäß tödlich hassen muß. + +Nun stand ich in dunkler Nacht auf der Gasse und sann, was zu machen +war. »Ins Schulhaus gehe!« flüsterte mir der Schutzengel zu. Denn die +zwei beleuchteten Fenster dort waren just wie zwei Augen, die mir +winkten. Der Lehrer, ein noch jugendlicher Mann mit schwarzem Vollbart, +war nicht abgeneigt, einen obdachlosen Wanderer aufzunehmen. Er hieß +mich ins Zimmer und zum Tische treten, wo von einem munteren Frauchen +just Rauchfleisch mit Sauerkraut aufgetragen wurde. Er wollte mich dazu +einladen, da blieb ihm das Wort im Munde stecken. + +»Ich glaube, den Herrn sogar zu kennen,« sagte er, mir starr ins +Gesicht blickend. »Es möchte mich aber doch wundernehmen, daß der Herr +Dichter bei einem linkischen Dorfschulmeister zuspricht, oder wohl gar +bei einem athletischen Lehrer, der seine ganze geistige Kraft in den +Armen hat!« + +Jessas! denke ich, der spielt an auf Bemerkungen in meinen Büchern. Im +»Ewigen Licht« ist der athletische Lehrer mit den geistreichen Fäusten, +im »Erdsegen« geht ein linkischer Dorfschulmeister umher. Ich wußte +schon, daß einige Lehrer an den besagten Bemerkungen mehr herausfanden, +als ich hineingelegt hatte, nämlich eine Beleidigung ihres Standes; +es war mir daher klar, was ich hier zu tun hatte, nämlich Hut und +Stock wieder in die Hand zu nehmen und allseitig eine ruhsame Nacht zu +wünschen. Mit tragischem Ernste begleitete der Schwarzbart mich zur +Tür, die er sofort auch dienstbereit öffnete. + +Wieder im Freien, hatte ich Muße, die Sternbilder des Himmels zu +betrachten; es mangelte mir für diese Erhabenheit aber einigermaßen +die Stimmung. Eine Magd, die vom Brunnen Wasser geholt hatte, trat +ich höflich an, wo man doch in diesem Orte ein Obdach haben könne über +die Nacht? Sie blieb stehen und beratschlagte mit mir. Das Försterhaus +war auch ihr eingefallen, ich bekannte, dem Forstjäger zu wenig wildes +Tier gewesen zu sein. So verfiel sie auf ihren Dienstgeber, das sei ein +herzensguter Herr und hätte in der Apotheke ein feines Fremdenbett. + +Nun klopfte ich beim Arzt an. Eine alte runzelige Frau kam hervor, mit +langem, schmalem Schleppkleid. Die erklärte barsch, jetzt wäre keine +Ordinationsstunde. + +»Ich bin auch kein Kranker!« meine Versicherung. + +»Ah so, dann ist's was anderes. -- Jonathan! Ein Herr will bei dir die +Aufwartung machen.« + +Der Herr Doktor Jonathan kam nun selbst an die Tür, forschend, ob +endlich vielleicht einmal ein richtiger Tarockspieler da wäre für die +langen Herbstabende. Seine Augengläser rückte er von der Stirn herab +und besichtigte mich. Und murmelte was und besichtigte mich eingehender +und kraute seinen Weißkopf. + +»Nun, Herr Doktor!« rief ich lustig, »wo fehlt's bei mir?« + +Er ging drauf ein, tippte mit dem Finger an meine Stirn und sagte +bedächtig: »Bei Ihnen fehlt's ~da~!« + +»Was tausend! Mir fehlt's ja nur an einem Nachtquartier!« + +Er blieb mit dem Kerzenlicht in der Hand an der Tür stehen und fuhr +fort, mit behaglicher Langsamkeit zu sprechen: »Ich habe von Wien aus +das Vergnügen, den Herrn Volksdichter zu kennen. Von einer steirischen +Vorlesung her; und aus den Büchern, wo er sich so infam über uns Ärzte +lustig macht. Als würden wir nur gerufen, um den Leuten leichter +sterben zu helfen, oder so was. Und hätten für alle Krankheiten nur +ein Mittel, das Hasenöl, das aber nichts anderes, als ein verdorbenes +Schweinefett wäre. So ein alter Dorfbader hat ein gutes Gedächtnis, +nicht wahr?« + +Mittlerweile hatte er sich in den Zorn geredet und nun kam's: »Jawohl, +solche Torheiten oder Bosheiten merkt man sich. Wo im Volke ohnehin +schon bald alles Vertrauen beim Teufel ist! Ja, mein lieber Herr, wenn +man sich so in Dinge mischt, die man nicht versteht, da kann dies nur +mit Dummheit entschuldigt werden. Beim Esel im Stall, wenn Sie schlafen +wollen!« + +Und klapps, schlug die Tür ins Schloß. + +Noch kam die alte Frau, entschuldigte ihren Mann, der halt über seinen +Beruf keinen Spott kommen lasse und schon oft gesagt habe: Wenn er +ihn einmal derwischen täte, denselbigen -- gut ginge es ihm nicht! +Übrigens, er sei so arg nervös, aber fressen täte er keinen, und sie +wolle mich heimlich auf den Oberboden führen, auf einen Strohschaub aus +Barmherzigkeit. Verderben dürfe der Mensch ja doch auch seinen Feind +nicht lassen. + +Offen gesagt, diese Alte mit ihrem barmherzigen Strohschaub war mir +noch zuwiderer wie der wütende Doktor, dessen Beruf halt schon so ernst +ist, daß er keinen Spaß verträgt. Ich ging wieder einmal hinaus unter +Gottes freien Himmel und hatte Zeit, mich über die große Popularität +zu freuen. Nur hatte ich sie mir teilweise anders gedacht, diese +Popularität. + +Da stand er, der Missetäter, der ausgestoßene. Da hatte er immer +gemeint, die guten armen Menschen erheitern und erheben zu wollen, +während er sie der Reihe nach tödlich beleidigte. Mitten im »treuen +Alpenvolke« stand er nun einsam in eitler Nacht, fremd und fröstelnd, +erschöpft von weiter Wanderschaft. Hinter mir bellte ein Hund, dem +gesellten sich mehrere, groß und klein -- die Hundeschaft des ganzen +Dorfes -- und brachten mir ein vielstimmiges Ständchen. + +Es schnitt die Bergluft. Der Tau des Grases gedachte kalter Reif zu +werden über Nacht. + +Dort auf dem Hügel stand ein fahles Gemäuer. Es war die Kirche, +deren Turmuhr die neunte Stunde schlug. Wie lang ist eine solche +Septembernacht! -- Aber neben der Kirche pflegt ein Pfarrhof zu stehen, +und im Pfarrhofe ein christlicher Mann zu wohnen. Man hatte mir so oft +geschmeichelt, in meinen Schriften stecke doch ein bißchen Religion. +Nun, dann dürfte vielleicht ein Versuch im Pfarrhof nicht fehlgehen. + +Dort an der Tür mußte ich aber lange ziehen am Glockendraht. + +Endlich klirrte hoch an der Wand ein Fenster auf, und eine kräftige +Männerstimme fragte herab, was es gebe? + +»Ein obdachloser Reisender! er bäte um Unterstand über Nacht, sei es im +Stalle, sei es in der Scheune, wo immer!« + +»Es gibt wohl doch noch andere Häuser in der Krumpa.« + +»Ich habe keine Geneigtheit gefunden!« + +»Dann wird man schon der Richtige sein. Wer sind Sie denn?« + +»Feuergefährliches, oder so was, habe ich nicht bei mir!« + +»Wer Sie sind, will ich wissen?« + +Auf diese unentwegte Frage nannte ich meinen Namen. + +Da beugte sich der Pfarrer aus dem Fenster weiter hervor, fragte noch +einmal und sagte dann: »Ich verstehe immer: Rosegger!« + +»Es ist richtig, Herr Pfarrer!« + +»Wohl doch nicht der Poet?« + +»Er ist es, Herr Pfarrer. Aber zur Zeit ohne Poesie, nur stark +schläfrig!« + +Der Herr oben begann zu lachen. + +»Sie verzeihen schon, Herr Rosegger,« entschuldigte er sich, »ich +lachte über den Zahltag. Daß Sie heute um Unterkunft bitten müssen +an der Pforte jenes Standes, den Sie so oft dem Hohne der Menge +preisgegeben haben. Erinnern Sie sich an den Stiefelknecht? An des +Pfarrers Fiederl? Schaun's wie es geht. Wenn man die Kirche einreißt, +dann sitzt man schutzlos auf der Welt. Übrigens sind wir Priester +besser, als der Ruf, den Sie mit verbreiten halfen. Die Haushälterin +wird bald aufschließen.« + +Die Haushälterin hatte mich nicht mehr an der Tür gefunden. Doch vor +dem Erfrieren war keine Gefahr mehr, erstens, weil mir dieser Leute +Gastfreundschaft heiß gemacht hatte in der Brust, zweitens, weil ich +einen Heustadl fand. Der stand auf der Wiese neben dem rauschenden +Bach. Ich vergrub mich ins duftende Heu. Nur schade, dachte ich mir zu, +daß nicht eine Fabrik, oder ein Grafenschloß dasteht, man würde dich +auch an solchen Toren abweisen. Hernach die Gelehrten, die Studenten +und derlei Kasten mehr. Oder die Parteien: die Antisemiten, die Juden! +Allen hast du gelegentlich eine Schelle angehängt. Und wenn du bei dir +selber anklopfest, keinen bayrischen Pfennig wette ich, du schreist dir +zu: Kerl, auch über mich hast du dich schon lustig gemacht, marsch! -- +In Gottesnamen, bist halt ein Bösewicht. -- Damit legte ich mich aufs +andere Ohr. + +Aber gerade, als es zum Einschlafen kommen wollte, war draußen eine +rufende Stimme zu vernehmen. Sie kam näher, sie entfernte sich, sie kam +wieder näher, und endlich war es deutlich, man rief meinen Namen. + +Ich hob den Kopf: »Was Teuxel ist denn los?« + +»Hau!« rief es draußen, »im Heuschupfen ist er!« Dann kam der Rufer +auch schon an die Wand und sagte: »Wenn er drinnen ist, so muß er +heraus. Das wollen wir Schullehrer uns nicht ankreiden lassen, daß +unser Waldschulmeister-Dichter in dem Heuschupfen schlafen soll! Ich +bin ja auch so ein Waldschulmeister, aber nicht der in der Krumpa. Wir +gehen zusammen jetzt nach Sankt Marten hinauf, ein Stündel. Dort gibt's +ein gutes Bett!« + +Als er das gesagt hatte, war meine wohlgesetzte Antwort: »Ich danke +Euch, Waldschulmeister von Sankt Marten. Aber aufstehen tu' ich jetzt +nicht. Wie ich just lieg', so gut liegt der Kaiser von China nicht +auf seinen chinesischen Seidenkissen. Sollte ich aber morgen an Sankt +Marten vorüberkommen, dann melde ich mich bei Euch, und itzo seid so +gut und laßt mich in Frieden.« -- + +Am nächsten Morgen stieg ein göttlicher Sonntag auf. Ich ging aus +meinem Heugrabe wie neugeboren hervor, und das Dörfchen Krumpa lag +im feuchten Walddufte so lieblich da, als wären alle Rächer meiner +literarischen Missetaten ausgezogen über Nacht. Die Wiese hatte +einen silberweißen Reif, die Ahorne waren schon rot, und die Lärchen +gelb, und hoch auf den Berggipfeln lag goldgrünlicher Sonnenschein, +so daß es im blumigen Mai nicht farbenleuchtender sein kann, als +an diesem stillen Herbstmorgen. Und vor meinem Heustadl stand ein +ältliches Herrchen. Es stand durchaus nicht ruhig, es zappelte mit +den Füßen, es schlenkerte die Arme hin und her, einmal über die +Brust, einmal über den Rücken, der einen weidlichen Höcker hatte. +Nach dem Gewandschnitte hätte es wohl ein notiges Bäuerlein sein +mögen, allein der Hut, der rabenschwarze hochgebaute Filzhut mit der +funkelnden Bandschnalle zeigte einen vornehmen Herrn an. Solche Hüte +trugen die Gerichtsverweser und Doktoris vor achtzig Jahren. Und +diesen letzten, nur wenig entarteten seines Geschlechtes, trägt mein +Waldschulmeisterlein von Sankt Marten. + +Das war in aller Herrgottsfrühe herabgekommen, hatte vor der Heuscheune +auf meine Urständ gewartet und sich dabei fast Zehen und Finger +verfroren. An der weichen, breiten Stimme erkannte ich den nächtlichen +Schreier. + +Und er im ersten Schreck: »Jesses, der ist es ja nicht!« + +»Wer soll es denn sein?« fragte ich und streifte mir die Halme von den +Kleidern. + +Er zog ein Bildchen aus der kleinen Ledertasche, betrachtete es, +verglich es: »Der da -- auf dem Bildel -- hat den Bart unter dem Kinn, +und der vor mir steht, hat ihn unter der Nase!« + +»Wenn der Mensch alt wird, so muß er sich jung machen,« meinte ich. +»Ihr habt Euch ja noch jünger gemacht und den Bart ganz weggeschabt, +daß Ihr wohl kaum mehr davon habet, als Eure ABC-Schützen!« + +»Wahr ist's!« rief er lustig aus. »Und wenn Ihr's seid, so grüß Euch +Gott!« + +Dann gingen wir miteinander. Ich wollte an demselben Tage ja über das +Martenjoch, da hatten wir durch den Sulzergraben den gleichen Weg. Und +er erzählte mir den Schick. War nämlich dieser Lehrer von Sankt Marten +gestern spät abends bei seinem jüngern Amtsbruder in der Krumpa gewesen +und hatte von ihm gehört, daß eben vorhin der »Lehrerspöttler« von +ihm abgeschafft worden wäre. Zuerst hatte der von Sankt Marten nicht +gewußt, wer da gemeint sei, dann näher unterrichtet, habe er gesagt: +»Kollege, hast du die Schriften des Waldschulmeisters gelesen?« + +Nein, für derlei habe er keine Zeit. + +»Du bist halt erst aus der Stadt gekommen und noch zu wenig lang im +Walde, um für derlei Sinn zu haben. Ich gehe ihn jetzt suchen, falls er +noch keine Herberge hätte.« + +So war der Alte an die Heuscheune gekommen, um das »Versehen seines +Amtsbruders« gutzumachen. Und auf solche Weise habe ich dieses rührende +Schulmeisterlein kennen gelernt. + +Durch den langen Graben holte uns ein laufendes Weib ein, eine +Holzknechtin. Sie war schon in der Krumpa gewesen beim Arzt. + +»Ist das Kindel noch nicht besser?« fragte sie mein Waldschulmeister. + +»Weiger nein, es wird alleweil schlechter!« gab sie weinerlich zur +Antwort, »der Bader sagt gar, die Dipfterie!« + +»Die Dipfterie sagt er! so schlimm wird's wohl nicht sein. Eine starke +Halsentzündung, wie sie vor kurzem die Kohlnatzel-Kinder gehabt haben. +Für arme Leute ist die auch gut genug, braucht's keine herrische +Diphtheritis zu sein. Mein Weib wird dir Rotholleröl schicken. Den Hals +recht schmieren damit und ein paar Tropfen eingeben!« + +»Kommt mir eh ganz herab, das Bübel,« klagte das Weib, »nichts als Haut +und Knochen.« + +»Wenn du Geld brauchst, so komm halt noch einmal zu mir.« + +»Bitt' hundertmal!« sagte sie und eilte voran, der Waldwildnis und +ihrem kranken Kinde zu. + +»Es geht Euch wohl gut auf Eurem Posten?« fragte ich nun den Alten, +der, so klein er war, mit weiten Schritten gar würdig neben meiner +einherstapfte. + +»Besser schon, wie dem in der Krumpa,« antwortete er. »Aber Gehalt +hat mein Kollege da draußen einen höheren, und Naturalien hat er +auch mehr. Die Sache ist die, er ist ganz und gar nicht zufrieden in +der Krumpa, er schaut alleweil aufwärts, anstatt abwärts, und das ist +gefehlt!« + +»Hohe Ideale muß sich freilich auch ein Schullehrer stellen.« + +»So meine ich's nicht. Der Lehrer in der Krumpa schaut alleweil +hinauf zum Oberlehrer in Schwarzbach, einen so großen Gehalt möchte +er haben. Der zu Schwarzbach denkt sich wieder: Ei, was hat's der +Schuldirektor in Elmstadt gut! Und der Schuldirektor in Elmstadt kann +nicht begreifen, weshalb er nicht schon Landesschulinspektor ist. Na, +na, wenn der Mensch alleweil ins Licht blickt, wird er blind. Da muß +man die Holzlieserl anschauen, die uns vorhin wegfür gegangen ist, eine +Stube voll kränklicher Kinder und einen schnapssaufenden Mann dazu. +Oder unsere Kohlenbrennerleute, die sich zeitweise rein von der guten +Luft und dem bißchen Wildobst nähren müssen. Oder immer ein Bäuerlein, +das mehr Schulden als Schuhnägel hat, weil ihm das Weib heimlich Mehl +und Butter austrägt und an ihre Lotter vertut. Freilich wohl, mein +lieber Herr, mit solchen Leuten verglichen, ist unsereiner ein reicher +Mann. So war das vom Auf- und Abwärtsschauen gemeint.« + +Am Ende der Schlucht war eine Holzbrücke, diesseits derselben standen +ein paar Hütten, und jenseits an der Felswand war die Kapelle mit einem +hölzernen Dachreitertürmchen. + +»So,« sagte mein Begleiter, »das wäre der Dom zu Sankt Marten. Und hier +beim Bach die Universität.« + +Ein hölzernes Schulhaus mit geräumigem Unterrichtszimmer und der +niedlichen Lehrerswohnung. + +»Ich habe ihn schon!« lachte mein Lehrer einer kleinen, weißlockigen +Frau zu, die im Sonntagsstaat, aber mit einer breiten Küchenschürze um +die Mitte, vor mir den Knicks machte: + +»Wenn man ein einfaches Nachtmahl gehabt hat und in der frischen +Gottesfrühe schon eine Stunde marschiert ist, da wird ein Tröpfel +Kaffee wohl schmecken. Ich bitt' schön!« + +Im sonnigen Stübchen, auf weißgedecktem Tische gab es dampfenden +Kaffee, Weißbrot, Butter, Honig und einen Strauß frischer Blumen, +wie sie im Herbst auf den Feldern wachsen. Alles in feinen +Porzellantassen und daneben in einer Stahlschale zwei Zigarren. An der +blankgescheuerten Wand Hausgeräte, Heiligenbilder und eine auffallend +große Photographie in kunstvoll durchbrochener Metallrahme. Das Bild +stimmte so eigentlich gar nicht zur Umgebung, und es war das Porträt +des berühmten Chirurgen Professor Doktor Rottacher in Wien. + +»Seid Ihr mit diesem Herrn bekannt?« + +»Na, ich glaub's, daß wir mit ihm bekannt sind!« sagte das weißlockige +Frauchen und legte die Hände über der Brust zusammen. + +Dann kamen schon die Sonntagsleute, die so eine Weile vor den Hütten +umherstanden. + +Es war heimlich im Schulhause, und ich blieb den ganzen Tag dort. +Vormittags versammelten sich im Kirchlein an dreißig Menschen, +der Lehrer setzte sich in eine Bank und las laut und langsam das +Sonntagsevangelium und ein Kapitel aus Thomas von Kempis' »Nachfolge +Christi«. Seit einigen Jahren haben die zu Sankt Marten keinen Pfarrer, +und so tut's halt der Schulmeister. Dann setzte er sich ans Harmonium +und spielte ein Kirchenlied, bei dem einige Weiber mitsangen. Hernach +sagten sie gemeinsam »Vergelt's Gott«, und der Gottesdienst war aus. + +Jetzt ging's aber beim Schulhause an. Ein Häuslersweib kam und bat die +Frau Lehrerin, daß sie im Obstgarten das Gras abmähen dürfe für die +Ziege, der Jäger wolle das Tier auf freier Weide nicht mehr dulden. Die +Lehrerin gestattete es. Das Gras wird auch so zertreten, sagte sie dann +zu ihrem Mann. Ein anderes armes Weib fragte demütig an, ob sie die von +den Bäumen gefallenen Äpfel zusammenklauben dürfe, um sie zu dörren für +die Kinder. Die Lehrerin gestattete es und begründete ihrem Manne: die +Äpfel wären ohnehin wurmstichig. An der Hausecke lehnte ein besonders +ärmlich gekleideter Mann und hielt sich den Hut vors Gesicht, als +schäme er sich. Der Lehrer ging zu ihm: »Deine Kinder haben wohl schon +wieder einmal Magenweh, Sebastian!« + +»Freilich, freilich, Herr Lehrer, schon seit gestern mittags!« + +»Hast du die Flasche bei dir?« + +»Wohl, wohl, Herr Lehrer!« + +»Geh' nur in die Kammer zur Frau!« + +Und die Frau Lehrerin füllte ihm die Flasche mit Milch und gab noch ein +Stück Brot dazu. + +Später kam ein hinkendes Weiblein dahergehumpelt und fragte an, ob die +Frau Schulmeisterin denn gar nichts für sie zu stricken hätte. + +Die Frau bestellte zwei Paar Socken, die Alte blieb aber noch stehen +und sie hätte halt frei keinen Kreuzer Geld. + +So ging das fort, dem Lehrerpaare schien alles ganz in Ordnung zu sein. +Sie gaben und gestatteten, und wo das nicht ging, vertrösteten sie +leutselig auf später. + +»Zu wem sollen diese armen Leute sonst gehen!« meinte der Lehrer: »sie +haben halt auch ihre Anliegen, und den Weg zum Schulhaus finden sie +seit kindesher.« + +Beim Mittagsmahl saßen wir unser drei beisammen, ich zwischen den +alten Leuten, wie eine Art von Sohn. Da gab es gekochte Milchsahne, +blaugesottene Forellen, Eiersalat und Zwetschkenklöße. Die Fürsten +können solches nicht besser haben und es koste, wie die Frau +versichert, fast gar nichts. »Die Sahne ist von unserer Kuh, die Eier +sind von unseren Hühnern, die Zwetschken wachsen auf unseren Bäumen, +und die Forellen angelt mein Mann von seinem Fenster aus dem Bache.« + +Der Förster, der auch das Fischwasser hütet, habe deswegen zwar einmal +Umstände gemacht, doch der Bezirksrichter habe entschieden, das wäre +schon seit altersher so, daß mit der Hand gefangene und aus der eigenen +Wohnung geangelte Fische Freigut sind. + +Sie hätten es seit jeher so gehalten, wären ja schon zweiundvierzig +Jahre in diesem Bergwinkel. Die ersten Jahre hätte es wohl geplagt. +Acht Tage nach dem Herzug habe die junge Frau bei den Waldhäuslerinnen +um Brot und Kartoffeln betteln müssen. Dazu eine verfallene Hütte als +Schulhaus, das wäre dann aber vom Waldherrn neu gebaut worden. Später +sei das Gehalt erhöht worden und die Frau hätte eine Erbschaft gemacht, +so daß sie jährlich schier über sechshundert Gulden aufzubrauchen +hätten. »Wir sind aber auch schier die einzigen Steuerzahler in Sankt +Marten!« -- + +Das wurde mir mit Stolz erzählt, obschon der Alte gleich beisetzte: +»Man soll sich freilich nicht prahlen, sondern Gott danken. Und das +tut man alleweil am besten zu armen Leuten. Fünfhundert Gulden Gehalt, +hundertzehn Gulden Renten! Zu Tod müßt' sich einer schämen mit so einem +Vermögen, wenn man damit nicht ein bissel Vorsehung spielen wollte.« + +»Und erst, seit uns der Julius so viel Sachen schickt!« rief die Frau +drein, »aber der meinige will ja nichts nehmen!« + +»Der Julius, wer ist denn das?« + +»Das ist der da!« sagte der Lehrer und tippte mit dem Finger auf die +Photographie an der Wand. + +»Professor Rottacher! Ein guter Freund von Euch?« + +»Aber ich bitt' Euch, das ist ja unser Julius!« rief die Lehrersfrau, +»unser Herr Sohn!« + +»Unser Bub'!« verbesserte der Alte. + +Da habe ich erst einmal aufgehorcht. + +»Ist halt ein bisserl auf Abwege geraten, unser Sohn,« fuhr der Lehrer +gesprächig fort -- wir saßen ja bei einem Kruge Apfelwein -- »hätt' +auch Lehrer werden sollen nach meinem Wunsch, weil wir derer ohnehin +nicht allzuviel taugliche haben. Aber der gute Julius war halt auch +kein tauglicher, und so hat er ein Handwerk lernen müssen.« + +»Ihr meint doch den Chirurgen Julius Rottacher!« + +»Chirurgie ist mehr Handwerk als Wissenschaft, lieber Herr +Volksdichter. Hat auch einen goldenen Boden. Aber tauschen täten wir +nicht mit ihm, gelt Mutter! Sind einmal bei ihm in Wien gewesen --« + +»Das prächtig schöne Haus, das er hat!« rief die Frau dazwischen, »wie +ein Graf. Und Diener mit Silberknöpfen!« + +»Ein Holzarbeiter da drinn im hinteren Martenwald, hat's besser,« +darauf wieder der Alte, »der hat wenigstens bei der Nacht eine Ruh'. +Beim Doktor, wenn's nicht klingelt, so beißt die Sorge, wie es mit den +Kranken steht, ob die Operation geglückt ist. Heut' ist er noch im +Ungewissen, morgen nicht mehr. Der Operierte? -- Nein, da danke ich +für den silberknöpfigen Lakaien und alles miteinander. Nie, Julius, +hab' ich ihm gesagt, nie wieder komme ich zu dir, müßte krank werden +vor lauter Angst um deine Patienten. Dem Schullehrer schlägt bei +seinen Kindern ja auch nicht alles zum Guten an, aber da gibt's nicht +leicht den Vorwurf, daß man die Krankheit mißkannt, daß man sich im +Mittel vergriffen hat, man behandelt die Kinder mit Güte und heilsamer +Strenge, alles andere muß man Gott überlassen.« + +»Und so wird's der Julius auch mit seinen Kranken machen,« sagte die +Frau, »Fritz, du willst mir halt immer die Freud' verderben an ihm.« + +»Ärgern tu' ich mich!« rief der Alte hitzig, »weil er mir erbarmt, +der arme Mensch, mitten in seinen Ehren und Reichtümern. Keine Ruhe +und keine Sammlung und kein Besinnen auf sich selber. Nein, das ist +kein Leben. Und was hat er aufzuweisen? Recht selten eine Arbeit, +wo nichts zurückbleibt, so gut er's auch meint. So ein Metzgern da! +Seit zehn Jahren, denkt Euch, war er einmal bei uns in Sankt Marten, +ein einzigesmal auf drei Tage. Glaubt Ihr, er hätt' was Lustiges +mitgemacht oder wäre im Wald umhergegangen? Nichts, als immer studiert, +spintisiert, an Hasen und Hühnern herumprobiert, daß es oft schon gar +nicht mehr schön war, hernach Briefe geschrieben und Zeitung gelesen, +bis er -- hast es nicht gesehen -- wieder fort ist.« + +»Dafür verdient er sich zehnmal leichter den Himmel, als unsereins im +sorglosen Leben!« das sagte die Frau, schüttelte den weißbelockten Kopf +und forschte nach dem Eindruck, den ihr Ausspruch bei uns gemacht. + +Dieser Eindruck war nicht bedeutend. + +»Nicht einmal zum Heiraten hat er Zeit!« rief der alte Lehrer. »Und da +möchte ich wissen, wie man ohne Hauskreuz soll in den Himmel kommen +können!« + +Sofort hatte er für die heitere Bosheit seinen kleinen Klaps auf der +Wange, der Ernst des Gespräches war abgebrochen. + +Auf Einladung der Leutchen bin ich über die nächste Nacht im Schulhause +geblieben. In dem wohlverschalten Dachgelaß wurde mir ein Bett +angewiesen; grobe, weißgebleichte Bauernleinwand und mitten über das +mit Haferrispenspreu gefüllte Kopfkissen ein gestickter hellroter +Streifen. Der Lehrer war noch eine Weile an meinem Bette gesessen, um +zu plaudern. Endlich war's ihm darum zu sagen, ich möchte in diesem +Bette besser schlafen als sein Julius geschlafen habe, der die ganze +Nacht Patienten klingeln hörte. »Und ich,« schloß mein Gastgeber +schalkhaft, »muß jetzt noch ins Schulzimmer, um ~meine~ Schriften +des Waldschulmeisters zu schreiben!« + +Am nächsten Morgen vor dem Antritte meiner Wanderung habe ich Einsicht +genommen in diese Schriften des Waldschulmeisters: Auf der schwarzen +Schultafel mit Kreide geschrieben standen Buchstaben des ABC für die +Anfänger. -- Und damit leistete er sicherlich mehr, als unsereiner mit +den Fabeleien. + + + + + Der Orgler zu Sankt Thomas. + + +An einem taufrischen Sommer-Sonntagsmorgen kamen drei Touristen aus +Wien in das Alpendorf, genannt Sankt Thomas in der Klausen. Auf dem +Hügel stand das Häuschen Gottes, dessen zwei Glocken durch das enge +Tal klangen, um die auf allen Höckern und in allen Falten des Gebirges +zerstreute Gemeinde zusammenzurufen. Die Touristen stiegen zum Kirchl +hinan. Aus Frömmigkeit geschah es nicht. Sie wollten nur einmal sehen, +wie es in so einer Dorfkirche zugeht. Da gab es nun was Besonderes zu +hören auf dem Chore. Dort saß ein Knabe und spielte die Orgel in einer +verwunderlichen Weise. Er spielte ein Kirchenlied so rührend, schlicht +und fromm -- man meinte gar, die Orgelpfeifen wären lebendig und +lobten aus eigenem Herzen den Herrn. Unsere Städter hatten wohl schon +die größte Kunstfertigkeit auf ähnlichen Instrumenten zu bewundern +Gelegenheit gehabt, aber eine solche Innigkeit, ja Heiligkeit im +Orgelspiel war ihnen was Neues. Zudem war der spielende Bauernknabe +schön wie ein Engel. Sein Haupt mit den lichten Locken war etwas +vorgebeugt, auf den Wangen blühte die Freude über die Klänge, seine +schattigen Augenlider waren geschlossen. Seine Lippen bewegten sich +leicht, als begleite er die Orgel mit leisem Gesang. Als sich das Spiel +in höhere Töne hob, hob auch der Spielende sein Haupt, schlug die +Augenlider auf und -- in diesen Augen leuchteten keine Sterne. + +Der Knabe war blind. + +Hier will ich die kleine Geschichte des blinden Musikanten erzählen, +wie sie den Touristen erzählt worden ist. + +Mit dem Rocken-Hans hebt sie an. Der war vor fünfzehn Jahren noch +Wildschütze gewesen -- teils aus Hunger -- weil Notwehr erlaubt ist +-- und teils aus Neigung -- weil das Wildern verboten ist. -- Arme +Wildschützen sollte man nicht zu Verbrechern machen -- sondern zu +Jägern. Das sind die findigsten, wachsamsten Kerle, die verläßlichsten +Hüter und, gilt es, die schärfsten Schützen. Auch den Rocken-Hans hatte +man zum Jäger gemacht, aber aus der Klausen in eine andere Gegend +versetzt, wo er an die zehn Jahre verblieb, sich ein Weib beilegte +und fast zufrieden war. Vollauf zufrieden darf selbst ein Jäger im +grünen Walde nicht sein. So scharfe Augen der Vater hatte, das Kind +war blind. So schön das Mutterantlitz ist, wenn es zum Kinde lächelt, +der Knabe sah es nicht. Nur ihre Wiegenlieder hörte er. Dann, als die +Mutter stumm geworden war, und fortgetragen, saß der Knabe auf dem +Bankl vor dem Jägerhause und hörte den Finken und den Drosseln zu und +allem Gevögel, das da sang und zirpte im Waldland. Am Abende waren die +Grillen und Frösche zu hören und das Rieseln des Baches und das Säuseln +der Wipfel im Abendhauch. Im Winter aber -- wenn alles still war -- +schlafend die Vöglein, hartgefroren der Bach, verhüllt die Bäume -- saß +der Jäger neben dem kleinen Sohne und machte ihm vor, wie die Gemse +pfeift, das Reh bellt, der Auerhahn balzt und der Rabe kräht. Das war +alle Musik in weitem Bergrund', und der blinde Knabe dürstete nach dem +Lichte der Töne. + +Sagte der Jäger eines Tages zu seinem Sohne: »Jetzt bist du schon +stark, Heinrich, und morgen ist Lichtmeß; du gehst mit mir nach Thomas +in die Klausen -- bin selber schon eine gute Weil' nicht mehr dort +gewesen -- und da wirst du auf dem Kirchenchor was hören, was du +deiner Tage noch nicht hast gehört. Mußt dich jetzt schlafen legen, wir +stehen um eins in der Nacht auf.« + +Der Weg vom Jägerhause bis in die Klausen ist im Sommer fünf Stunden +lang, im Winter zieht er sich auf sechs und unter kurzen Beinen ist er +noch länger. Der Knabe ging zu Bette, aber schlafen konnte er nicht. +In Trauer schläft sich's leicht ein, in Freude schwer. Heinrich dachte +an des Vaters Worte vom Kirchenchor -- was das sein sollte, wußte er +freilich nicht, was Besonderes gewiß. Endlich, als er einschlummern +wollte, kam der Jäger, ihn zu wecken. Und sorgfältig kleidete der Mann +den Knaben an, gab ihm heiße Ziegenmilch zu trinken und schnallte ihn +auf die hölzerne Rückentrage, wie solche im Gebirge gebräuchlich sind. +Und nahm die Trage auf den Rücken, verschloß das Haus und ging in +sternheller Winternacht davon. + +Nach einer halben Stunde fragte der Knabe: »Kommen wir schon in die +Klausen, wo die Kirche steht?« + +»Jetzt noch nicht, Heinrich. Bist du müde, so schlafe.« + +In zwei Fuchshäute gewickelt, schlief der Knabe ein und der Vater +ging und ging und freute sich insgeheim auf die Kirchenmusik in Sankt +Thomas, die immer so prächtig war gewesen, freute sich auf die Freude +seines Kindes. + +Und dann, als hoch an den starren Felsen die Morgensonne leuchtete, +ging er durch die Schlucht der Klausen. Und als die Glocken vom Sankt +Thomas-Kirchlein läuteten, wachte der kleine Heinrich auf und sagte: +»Vater, hörst du's auch, wie der Vogel schön singt?« + +Der Jäger tat den Kleinen von der Rückentrage und nun gingen beide den +Hügel hinan und ins Kirchl hinein. + +Am Altare stand der Priester, die Gemeinde lallte Vaterunser auf +Vaterunser -- und nichts als das. + +Heinrich horchte andächtig und meinte, das wäre jenes Seltsame am Chor, +wovon der Vater gesprochen. Der Jäger aber wendete sich flüsternd an +einen alten Bauer: »Was ist's denn, haben 'leicht die Thomasler keine +Musik?« + +»Freilich nicht, freilich haben wir keine,« gab jener zur Antwort, +»die Orgel und die Pfeifen und Geigen sind wohl noch oben, aber kein +Musikant ist dabei. Die alten sind weggestorben und junge werden keine +mehr abgerichtet. 's schaut kein Geld dabei heraus und umsonst wollen +die Leut' heutzutag' nicht einmal für den Herrgott was tun. Der Herr +Pfarrer kann wohl orgeln -- aber wer liest hernach die Mess'? Unser +Lehrer bläst nur eine Pfeife, seine meerschaumene. -- Gottsredlich +wahr, jetzt hat eins in der Kirche auch keine Freud' mehr.« + +Der Mann hätte sicherlich noch eine Zeitlang fortgeflüstert, da stieß +ihn ein Beisitzer mit dem Ellbogen: »Willst schwatzen, Michel, so geh' +hinaus.« + +Der Alte war still, der Rocken-Hans führte sein Söhnlein wieder aus der +Kirche, daß der Kleine doch zum wenigsten die Spatzen und die Gimpel +höre, die auf den Dächern zwitscherten. + +Gingen hierauf zum Bäckerwirt und der Vater rückte dem Knaben das +Suppenschallerl unter das Kinn und das Weinglas in die Hand. + +»Vater, wann ist das auf dem Kirchenchor, was ich mein Lebtag noch +nicht habe gehört?« + +Am Nebentische saß, eben vom Gottesdienste zurückgekommen, der Pfarrer. +Er nahm das Frühstück ein, hörte die Worte und rief zum Jäger herüber: +»Der Rocken-Hans? Auch wieder mal bei uns herüben? Brav, brav! -- Sohn +das? Recht brav. Ein sauberes Bübel! Nicht Handküssen. Wie heißest +denn, Kleiner, he? Heinrich? Brav. Mein Gott, das Kind hat ja -- +schlechte Augen?« + +»Halt ja, halt ja, Hochwürden,« sagte der Jäger, »und desweg', weil er +nicht sehen tut, so wollt' ich ihn was hören lassen.« Und erzählte nun, +daß sie gekommen wären, um die Orgel zu hören in der Kirche zu Sankt +Thomas. Allsogleich rannen dem Pfarrer die Tränen über die Wangen; das +blaue Sacktuch kam schon zu spät. + +»Ah na,« sagte er hernach, »umsonst sollt ihr den Weg nicht gemacht +haben. Ist dir warm, Bübel? Dann wollen wir miteinander in die Kirche +gehen.« + +Sie gingen in die Kirche, es war kein Mensch mehr drin. Die Leute +hatten sich satt gebetet und dabei Appetit für ein Mittagessen +bekommen. Die drei stiegen auf das Chor. Der Pfarrer setzte den Knaben +in die Orgelbank, legte dessen Fingerchen auf die Tasten. »So, Kleiner, +jetzt halte still, gerade so, wie die Finger liegen. Brav. Und wenn ich +sag': Druck' nieder, verstehst, so druck' nieder und halte aus -- halte +aus, so lang's dich freut.« + +Zog hierauf die Riemen des Blasebalges und rief sein: »Druck' nieder!« +Der Knabe tat's und erschrak vor dem, was jetzt war: ein klingendes +Band, ein tönender Stab -- und doch unvergleichbar mit allem, ganz +einzig zu hören, wie ein Gedanke, der schallt, wie eine Freude, die +klingt. + +Unbeweglich saß der Knabe da -- sein Antlitz blaß wie ein Steinbild, +so horchte er der Musik. Die Hände preßte er auf die Tasten, bis die +Finger vor Wonne zu zittern begannen. Und siehe, da zitterte auch der +tönende Stab und nun wurde er es inne, der Knabe aus dem Wald, daß man +seine Seele kann ausrufen in solcher Weise. + +Dann spielte der Pfarrer und der Knabe hat gemeint, er sei im Himmel. +-- Er sah mit den Ohren. + +So war der Anfang gewesen. + +Und von diesem Tage an verblieb Heinrich, der kleine Junge, in Sankt +Thomas und lernte von dem Pfarrer das Orgelspielen. Traurig und +glücklich im Vaterherzen kehrte der Rocken-Hans allein zurück in sein +Revier. Zu jedem Sonntag aber kam er in die Klausen und nach einem und +einem halben Jahre -- am hohen Frauentage im August -- als er wieder +in die kleine Kirche trat, summte nicht mehr der eintönige Psalter an +sein Ohr, da der Pfarrer am Altare stand. Die Orgel klang, und der alte +Waldmensch fühlte in jenen Tönen das liebe, junge, weiche Herz seines +Kindes. + +So ist die Gemeinde von Sankt Thomas wieder zur Kirchenmusik gekommen. +-- + +Einer von unseren Touristen war nach solcher Kunde zum Pfarrer des +Alpendörfchens gegangen, um ihm die Hand zu drücken. + + + + + Der Naturfreund. + + +Das war auch wieder einmal eine Kindesseele, die sich in einen +Stadtmenschen verirrt hatte, und solches ist so häufig ein Unglück. + +Ich sehe ihn sehr lebhaft vor mir, obzwar er sich vor einiger Zeit +wieder aus dem Staube gemacht hat. Seine Gestalt war komisch, und sein +Herz war rührend. Man hätte ihn geliebt, wenn man ihn nicht immer hätte +auslachen müssen. Er war ein kleiner untersetzter Mann, dessen Frohmut +es erlaubte, daß das Bäuchlein wuchs. Die Beine schienen der Last, auf +die sie ursprünglich nicht berechnet gewesen, auch nicht ganz gewachsen +zu sein, sie ließen sich etwas weich und unsicher, so daß bei jedem +Schritte der Körper stark hin und her neigte. Auch mit den stets etwas +krummgebogenen Armen tat er mit, gleichsam, als wollte er den schwachen +Füßen durch Schwimmen in der Luft nachhelfen. (Für das Schwimmen in +der Luft hatte er überhaupt Vorliebe, wie sich's später zeigen wird.) +Zumeist trug er lichtgraue, wenn nicht gar weiße Blusen und Beinkleider +und auf dem Haupt einen Zylinder mit stark geschweifter Krempe und von +lichtgrauer Farbe. Der Hemdkragen war selbstverständlich fast immer +blank, und an der Brust wehte ein flottgeschwungenes buntes Halstuch. +Das wirkliche Merkmal aber war das Haupt, das Gesicht. Zu Salzburg, wo +er sich seinerzeit in den Tagen der Kaiserzusammenkunft aufhielt, wurde +er von den Tor- und Stadtwachen mit den höchsten Ehren begrüßt, die +einem Potentaten zustehen, denn man hielt ihn für Napoleon III. Auch +als er einst eine Weile in Paris bei seinem Freunde, dem Luftschiffer +Godard, lebte, stürzten die Leute, wenn er harmlos lustwandelte, auf +die Gasse und hielten ihn für den Kaiser. Einmal trieb ein Gendarm den +Pöbel zurück und rief, wenn es Seiner Majestät beliebe, im Inkognito +spazieren zu gehen, so habe Paris ruhig zu bleiben und den Kaiser nicht +zu sehen. + +Die Ähnlichkeit unseres Mannes mit dem letzten Franzosenkaiser war +in der Tat merkwürdig! Dieselben scharfen, grauen, lebhaften Augen, +dieselbe derb gewachsene und »feinausgearbeitete« Napoleonnase, +derselbe aufgehörndelte Schnurrbart, derselbe graudurchwirkte kühne +Knebelbart, dasselbe meist kurzgeschnittene Haar, das die Glatze bloß +zur hohen Stirne machte, dieselben feinen Runzeln des fahlen Gesichtes, +und vollends die französisch lebhaften, nervösen Gebärden in allen +Bewegungen, in der Sprache, die, weiß Gott woher, welschen Akzent hatte +und sich gerne sprudelnd und munter in krausen Hyperbeln erging. + +Ja, das war der gute, harmlose Peter Berner, geborener Steiermärker und +Handelsreisender mehrerer solider Firmen in Wien, Brünn und Triest. + +In unserer Stadt kannte ihn jedes Kind, es war ja keiner unter +den hunderttausend Einwohnern so wie er. Er hatte es gerade nicht +ungern, wenn man ihn mit Napoleon verglich und er wußte den Mann zu +repräsentieren, von außen. Die Natur mußte in einer köstlichen Laune +gewesen sein, als sie es unternahm, diesem gutherzigen, harmlosen, +poetisch angelegten Gemüte die Maske des Erzschelmes an der Seine zu +geben. + +»Die Natur!« Da habe ich ein Wort ausgesprochen, welches mit seinem +unermessenen Inhalte das Leben Peter Berners mit Schmerzen und +Wonne ausfüllte, ja demselben geradezu verhängnisvoll wurde. Er +verstand unter der »Natur« die Landschaft mit ihren Wiesen, Feldern +und Wäldern, die Bergwelt mit ihren Felsen, Gletschern und Seen, +und das einfache Leben des Landvolkes mitten drinnen. Es ist ein +wunderliches Merkmal unserer Zeit, daß sich der Kulturmensch so sehr +sehnt nach der stillen Größe des ländlichen Lebens. In Peter Berner, +dem Handelsagenten, hatte diese Sehnsucht die dreisteste Verkörperung +gefunden. Streckte und reckte denn auf seinen Handelsreisen »Napoleon +der Dritte« ununterbrochen den Kopf zum Wagenfenster hinaus und tat +fortwährend Ausrufe der Freude, der Überraschung, der Begeisterung, so +oft ein hübsches Landschaftsbild -- und er mochte es schon hundertmal +gesehen haben -- vorbeiglitt. Mußte er in der Stadt weilen, so +besuchte er Gasthäuser, wo sich irgendeine Tischgesellschaft fand, +die ihm zuhörte, beistimmte, wenn er von der »herrlichen Natur« und +einzelnen Gegenständen derselben in unbeschreiblicher Lebhaftigkeit und +Begeisterung schwärmte. Fand er nicht das gewünschte Verständnis an +seinen Tischgenossen, so verfiel er bald in schweigsame Schwermut und +war über kurz aus der Gesellschaft verschwunden. + +Es gab Zeiten, wo er besonders Ursache hatte, den Hang der Städter +nach Prunk, Flitter und falschem Schein und die tölpelhafte Stumpfheit +gegen Sonnenauf- und Untergang, gegen Waldeszauber, Vogeljubel und +Bergesherrlichkeit zu beklagen. Wissenschaftliche Dinge liebte er +nicht, weil derlei -- wie er sagte -- die Schönheit von den Wesen +reißt; Musik, bildende Kunst und Theater waren ihm leidig, weil er das +Echte daran nicht sehen konnte, und wenn der Karneval kam, da verlor er +kein Wort, sondern floh aus der Stadt. Verehelicht war er nicht, und so +vergaß er leicht alle Bande, die ihn mit der »in Unsinn rasenden Welt« +zusammenhielt, vergaß seine Freunde, seine Geschäfte, verlor sich auf +Wochen lang und niemand wußte, wohin er geraten. + +Kehrte er endlich wieder zurück, so war es stets etwas zerfahren +bestellt mit seiner Gewandung, mit seinen geschäftlichen Verbindungen, +mit seinem Haushalte überhaupt, aber sein Auge war hell und sein Mund +sprudelte unerschöpflichen Preis »den paradiesischen Gefilden der +Bergwelt«. + +Weil Peter Berner ein geschickter Agent war, so kam er rasch in gute +Verhältnisse; und weil Peter Berner ein so unbändiger Naturschwärmer +war, so kam er auch allemal rasch wieder in die kümmerlichen Umstände +zurück. + +Einst sollte seine Sehnsucht nach den Höhen, nach dem Ausblick ins +weite, liebliche Land, sein Drang, aus dem Bereiche des städtischen +Staubes, »des anmaßenden und hohlen Pöbels aller Stände« zu kommen, +eine seltsame Erfüllung finden. + +Der französische Luftschiffer Godard kam in unsere Stadt. Sofort bot +Peter Berner dem Manne alle seine Dienste an, wenn ihm dagegen die +freie Mitfahrt in die Lüfte gestattet werde. Seine Tätigkeit für +diese Sache war erstaunlich; er schlichtete alles Nötige bei den +Behörden, besorgte den Platz der Auffahrt, die Ausbesserung des durch +frühere mißlungene Fahrt und die Reise geschädigten riesigen Ballons, +besorgte die Füllungsarbeiten, hatte den ganzen tausendgestaltigen +Reklameapparat der Stadt in die klapperndste Bewegung gesetzt -- und +daß die weite Wiese die herbeiströmende Menschenmenge kaum zu fassen +vermochte, es war sein Werk. + +Man hatte den guten Peter noch niemals so in seinem Elemente gesehen. +Er schleppte Holz zur Feuerstelle, wo die Luft erwärmt wurde, er +spannte die Stricke an, er machte den Korb zurecht, und zwar mit einer +Fertigkeit, die den Luftschiffer selbst zur Bewunderung hinriß, so +daß er in seinem gebrochenen Deutsch ihn sogleich für seine Reisen +als Helfer warb. -- Nun gab es aber unter den Zuschauern Leute, die +ihr Geld nicht dafür gezahlt haben wollten, daß sie den Peter Berner +glückselig gen Himmel fahren sehen könnten, sondern dafür, daß sie das +Napoleongesicht mit einer noch längeren Nase erblicken sollten. Wie es +zuwege kam, konnte nicht erhärtet werden, aber auf einmal wehte von +einer Seite des schier völlig gefüllten Ballons ein lustiger gelber +Rauch auf, und im selben Augenblick sank das bauchige Ungeheuer in sich +zusammen. + +Zuerst schlug Peter Berner die Hände zusammen und rief alle Heiligen +an. Dann, als es sich herausstellte, daß der Ballon an seinen +Brandwunden verloren sei, begann er zu rasen. Mit geballten Fäusten +rannte er umher, warf Holzstücke, warf Steine in das Feuer, hastete +suchend nach dem Missetäter, fiel dann wieder Monsieur Godard um den +Hals und weinte laut. Die Zuschauer unterhielten sich köstlich. + +Als Peter wieder zur Besinnung kam, rief er in die Menge hinein, die +Vorstellung sei noch nicht aus; wenn sie ihn steigen lassen wollten, +so sollten sie es nur tun! Hierauf nahm er seinen weißen Zylinder +in die Hand, und mit feuchten Augen ging er Geld sammeln für das +verunglückte Luftschiff. Da flogen die Papierfetzen nur so in den Hut, +denn im Grunde tut die Welt einer guten Seele doch mehr zulieb', als +sie sich selber gestehen mag. Die Sammlung wurde in den nächsten Tagen +fortgesetzt durch einen öffentlichen Aufruf, in dem Berner an die +»~edlen~ Menschenherzen« klopfte, seinen ~teuren~ Freund, den +so schwer geschädigten Luftfahrer, der »zur Ehre Gottes und zum Heile +der Menschen die ~unbeschreiblichen~ Wunder der ~großartigen~ +Natur erforschen wollte«, nicht zu verlassen. + +In wenigen Wochen nachher war Godard instand gesetzt, einen neuen +Ballon zu bauen, mit welchem er endlich an der Seite seines Gönners und +Freundes Peter Berner eine glückliche Fahrt tat. + +Berners Beschreibung dieser Fahrt ist in Druck gelegt worden, sie +spricht in stets gesperrten fetten Lettern von der »~unbeschreiblich +herrlichen~ Pracht, der über ~alle Maßen großartigen~ +Aussicht und dem ~furchtbaren~ Schwindel, der einen auf dieser +~unendlichen~ Höhe erfaßt.« + +An Kaufmann Steinbacher in unserer Stadt hatte Peter einen Freund, +der nicht, wie andere, mit ihm sein Spiel trieb, der das goldene Herz +mit Kennerblicken wog und schätzte. Dieser Mann wußte den Naturfreund +von seinen aeronautischen Plänen abzubringen und vermittelte ihm eine +Agentschaft für steierischen Bauernloden, die ihm den Verkehr mit den +Landleuten und der Natur von neuem erschloß. + +Der Luftschiffer zog nach stürmischen Umarmungen und heißen Küssen +seitens Berners von dannen, und Berner zog ins Gebirge. + +Von Zeit zu Zeit las man im Inseratenteile unserer Blätter Aufrufe, wie +folgenden: + + »~Aufruf!~ + + Anläßlich der bevorstehenden ~Feiertage~ sehe ich es als + meine ~heiligste Pflicht~ an, alle ~Naturfreunde~, + ~Bergbesteiger~, wie nicht minder alle ~Ausflügler~ auf die + ~herrliche~ prächtige ~Perle~ unseres Heimatlandes, auf das + ~Paradies Steiermarks~, (z. B.) auf ~Deutsch-Landsberg~, als + das ~würdigste Ziel~ eines Touristen, aufmerksam zu machen und + sie aufzufordern, diesem ~wahrhaft gelobten Lande~ zuzuwallen. + Dort, umgeben von den ~herrlichsten Bergen~, fühlt man sich frei + und dankt dem + + Schöpfer, der all das ~Herrliche~ geschaffen. Drum auf, nach + Deutsch-Landsberg, wo nicht nur für die ~Seele~, sondern auch für + den ~Leib~ gesorgt ist durch die vortreffliche ~Küche~ und + den ausgezeichneten ~Keller~ im Brauhause. + + ~Peter Berner~, Tourist.« + +Selten und seltener wurde der Mann, der nun -- wie er in der +Beschreibung seiner Luftreise dartat -- schon mehr als »~fünfzig~ +Lebensjahre sein eigen nannte«, in der Stadt gesehen, immer +unregelmäßiger besorgte er die Handelsinteressen seiner Firmen, und +endlich blieb er ganz aus. Sonst war Peter seiner absonderlichen +Wesenheit wegen allemal unschwer auffindbar gewesen, diesmal aber +vergingen Monate, ohne daß eine Spur von ihm zu entdecken war. In den +Blättern blieben die Aufrufe aus; der Hausherr, bei dem Peter sich +die Kammer gemietet hatte, warf die bescheidenen Armseligkeiten ins +Versatzamt, oder sonstwohin, und man mußte annehmen, daß der »Tourist« +auf einer seiner Hochtouren verunglückt sei. Da ging im Spätsommer +desselben Jahres in der Stadt das Gerede um, draußen hoch in den +Bergen, im Dorfe des heiligen Oswald, sei ein Bauernknecht gesehen +worden, der zwar nicht an Gewandung, wohl aber im Angesichte und allem +Gebaren dem verschollenen Peter Berner aufs Haar ähnlich sehe. + +Kaufmann Steinbacher machte sich auf den Weg in das entlegene +Bauerndorf, dort fand er nach vielem Suchen seinen Mann hoch oben an +einer Feldlehne, wo dieser hinter einem Ochsenfuhrwerk vermittelst +einer Eisenkrampe mit nervöser Hast vom Karren Stalldung auf die Erde +kraute. Sein Anzug bestand aus arg zerfahrenen Bauernkleidern, wovon +die Hose zu schlotternd, die Joppe zu knapp war. An den Füßen trug er +nichts als »Schuh von Menschenhaut«, wie er die Barfüße nannte, auf +seinem Haupte aber saß -- von braunen Stallfliegen umsummt -- der weiße +Zylinder. + +»Peter!« rief der Kaufmann, »Peter, aber was treibst du da?« + +»Grüß' dich!« knurrte Peter, ohne von seiner Arbeit abzulassen, befahl +dann den Ochsen, daß sie ein paar Schritte weitergehen sollten und er +ein neues Häuflein vom Karren krauen könne. + +»Bist du endlich toll geworden, mein lieber Freund!« rief der Kaufmann. +Da warf Peter die Krampe weg, schlug die Arme aus. »Toll geworden! Toll +geworden!« sprudelte er in seiner schnarrenden Weise, »weil ich aus dem +übelriechenden Steinhaufen geflohen bin, den ihr Stadt nennt, ihr armen +Teufel! Weil ich eure Windbeuteleien verlache, die ihr Kulturleben +heißt, ihr armen Teufel! Weil ich in der schönen Natur leben will, +in der frischen Luft, unter dem freien Himmel Gottes, den ihr nicht +ertragen könnt, ihr armen Teufel! Da er die blendende Sonne hat, die +gewaltigen Stürme hat, darum, sagt ihr, toll geworden?! O, du armer, +armer Knabe, komm an meine Brust, laß dich küssen!« + +Damit stürzte er dem Freunde ans Herz. Der Kaufmann schämte sich +unbändig, aber es war nicht anders, denn Peter weinte wie ein Kind. + +So hatte dieser wunderliche Mann, dessen Existenz nach allgemeiner +Schätzung eine sorglose, behagliche gewesen, solche von sich geworfen; +so hatte er sich als Bauernknecht verdingt aus Liebe zur Natur. Willig +hatte er die schwersten Arbeiten, denen sein Körper nicht gewachsen +war, verrichtet, die ungewohnte Nahrung, das schlechte Nachtlager +ertragen und die Roheiten der Dorfleute, die ihn freilich nicht so +anwiderten, weil sie ja »Natur« waren gegenüber den giftigen Bosheiten +und süßelnden Falschheiten der Städter. + +»Stadtdodel!« schrie ein Junge vom Hof herüber und meinte Peter. »Ja,« +sagte dieser, zum Kaufmann gewendet, »das muß ich mir gefallen lassen, +weil ich's einmal gewesen bin, weil ich heute noch städtische Unarten +an mir habe. Stadtdodel! Hast schon recht, Franz! Mordsbub!« + +Es bedurfte viel, den Mann, den sie auf dem Dorfe geradezu verhöhnten +dafür, daß er ihnen seine Kraft weihte, sein Herz gebracht hatte! -- es +bedurfte viel, um ihn von den Fluren des heiligen Oswald loszubringen +und wieder zu einem halbwegs zivilisierten Menschen zu machen. Es +bedurfte vielen Zuredens, vieler List und besonders vieler Seife. + +Aber endlich sah man den Napoleon doch wieder durch die Stadt haspeln, +hörte im Gasthause wieder seinen scharfen Laut, wie er in rasch +herausgestoßenen Worten unermüdlich das ländliche Leben beschrieb, bis +ihm vor Begeisterung und Rührung die Stimme brach. + +Und nun zu dieser Zeit, da seine Schwärmerei für Idylle und Einfachheit +den höchsten Grad erreicht hatte, tat er etwas, was er tun mußte, weil +es im Schicksalsbuche solcher Menschen steht, mit heiligem Schwunge +stets das Ungereimteste zu vollbringen. Peter Berner ging nach Paris. +Freilich nicht die Weltstadt lockte ihn, aber der Freund rief ihn, +Godard der Luftschiffer telegraphierte aus Paris, er möge so bald als +möglich zu ihm kommen. + +»Der Mann ist in Not!« rief Peter aus, »ich muß ihm zu Hilfe kommen!« +Mit einem Ruck waren alle kommerziellen Fäden, die ihn bereits wieder +umgarnt hatten, zerrissen, er reiste nach Paris. + +Dort fand er seinen Freund in einem Zustand, von dem er bis ins +Innerste erschrak. Godard war reich geworden. Mit den Luftballon, den +ihm Peter einst erbettelt, hatte er sich ein Vermögen erworben, den +Ballon dann in die Rumpelkammer geworfen und sich in das Weltleben +gestürzt, an dem er nun mit allen Fasern eines lustigen Franzosen hing +und sog. + +»Was willst du mich? Was soll ich da?« schrie ihn der empörte Berner +an, als ihn jener in die prunkenden Gemächer seines Hotels führte. + +»O, Freund! Freund!« rief der Franzose, »ik dich aben lassen holl, ++pour remercier+, ik dir danken, +ma fortune+, +ma prospérité+, mein +Sukunft! Ik dir wollen erweisen +la joie+, +l'honneur+, +l'amitié+! Oh, +Freund, +pardon+, daß ik sprecke +en ma+ Muttersprak, es jauchzen mein +'erz zu können dich umarm! Ik grüßen, ik grüßen dich!« + +Godard gab hierauf zu Ehren der Anwesenheit seines Freundes ein +glänzendes Fest, überhäufte ihn mit Ehren. Der Mann, der ein paar +Monate früher in einem steierischen Gebirgsdorfe Stalldung vom +Karren gekraut hatte, war jetzt Mittelpunkt einer der feinsten, +geistsprühendsten Gesellschaften der Seinestadt. Die französische +Liebenswürdigkeit, mit der ihm das Fest in großem Stile geboten +wurde, berückte sein leicht erregbares Gemüt; das Weltleben, das er +bisher verachtet hatte, umgarnte ihn plötzlich mit allen Zaubern +und Reizen einer schönen, koketten Frau, die ihn »zu einer nie +dagewesenen Begeisterung« hinrissen. Nach seiner Rückkehr aus Paris +erzählte er uns strahlenden Angesichtes, daß er bei jenem Feste »mit +~tiefbewegter~ Stimme eine ~brillante~, von ~tosendem~ +Beifall oft unterbrochene Rede« gehalten habe, in der er für die +»~höchst ehrende~, eines Königs würdige Auszeichnung« dankte. + +Der Aufenthalt in Paris schien für einige Zeit der Mittelpunkt seines +Lebens geworden zu sein. Wohl pries er die Natur wie vor und eh, aber +er stand nicht mehr mit jener weltüberlegenen Lust auf dem hohen Berge, +sah nicht mehr durch die glückselige Kindesträne den Aufgang der Sonne. +Es beunruhigte ihn -- Paris. Es war ein Zwiespalt in ihn gekommen, +dessen er sich selbst kaum bewußt ward, der aber tückisch an seinem +Gemüte nagte. -- Das Gedächtnis seines Freundes hielt er fort und fort +über alles hoch in Ehren und das großmütige Geschenk, eine goldene, +auf seinen Namen geprägte Erinnerungsmedaille, mit dem der dankbare +Franzose sein Fest gekrönt hatte, war und blieb sein Stolz und seine +Freude bis an sein Ende. + + + + + Der lange Rauk. + + +Von meinem Fenster aus gegen Osten hin sehe ich eine Hochebene, auf +der lauter Wald steht. Junger, gemischter, stundenlanger Nadelwald. +An klaren Tagen werden im fernsten Hintergrunde blasse Berge +sichtbar, sonst aber scheint sich mein Wald ins Blaue und Unendliche +zu verlaufen. Hie und da stehen über das jüngere Baumgeschlecht +breitkronige oder spitzige Stämme aus den vorigen Jahrhunderten empor +wie Kuppeln oder Kirchtürme in einer Stadt. + +Besonders ist es ein Baum, der weit draußen im blauenden Meere des +Waldes steht, von unten hinauf buschig ist, sich aber allmählich in +eine schlanke, scharfe Nadel aufspitzt -- nicht anders zu sehen als der +Stefansturm, wenn man von einer Anhöhe der Umgebung hineinblickt auf +Wien. Wenn ich dann noch ein Übriges tue, nämlich den Kopf niederbeuge +und zwischen die Beine durchblicke hin auf den Wald, da hat mein +solcher Stellung ungewohntes Auge das schönste Schattenbild von Wien, +wie es mit seinen Zinnen und Türmen daliegt. Nur daß die Einzelheiten +dort der Stadtdunst verhüllt und hier der Höhenrauch. Aus Wien ist es +mir noch nie gelungen, einen Wald zu schaffen, aber aus diesem Walde +baue ich Euch dergestalt ein Wien, so oft ihr wollt. Und wenn ich meine +beschauliche Stunde habe, so setze ich mich in einen Winkel meiner +Stube, so daß mir das Waldmeer mit dem Stefansturme im Fenster liegt, +und denke: das ist das ausgestorbene Wien; man hört keinen Laut, sieht +kein Rauchwölklein aufsteigen aus seinen Giebeln. Und was war das einst +für Lust und Leben in diesem Wien! Aber die Lust ist erstickt in der +Begier, das Leben ist versunken in seinen Sünden. Nur die Formen der +Stadt ragen noch starr und düster. + +Ein frevelhaftes Träumen! Wie kann man den reinen, friedensvollen, +tausendfältig lebenden, in hundert klaren Quellen sprudelnden, in allen +Wipfeln säuselnden und von Vogelsang erklingenden Wald -- wie kann und +darf man ihn vergleichen mit einer großen Stadt! -- Aber wenn ihr nur +erst kommt und seht, besonders diesen Baum: es ist der leibhafte Turm +von Sankt Stefan. + +Des ward ich mir endlich klar, eine uralte Fichte muß es sein, an der +Sturm und Blitz Wipfel und Astwerk zerrissen, den Stamm von oben herab +kahl gehauen, und der in seinem Schaft und in seinen tieferen Kronen +doch zu gewaltig ist, als daß ihn Sturm und Blitz vernichten konnten. +So steht er da, ein vielhundertjähriger Geierhorst, und die ältesten +Leute der Gegend sagen mir, ihres Erinnerns habe der Baum nie anders +ausgesehen als heute. + +In früheren Jahren, da ich den Wald durchstreifte, habe ich mich +bemüht, den Baum aufzufinden und an seinen Fuß zu gelangen. Es war +mir aber nie gelungen. Entweder ich verlor die Richtung oder kam in +Dickicht, Gefällholz, Struppwerk, auf grundlosen Moorboden, so daß ich +umkehren mußte. Es gibt Gründe darin, auf die jahraus jahrein kein +Sonnenstrahl fällt, aber ich weiß es wohl, daß der Eigentümer schon +sehnsüchtig die Jahre zählt, bis er »stocken« wird. Manchem prächtigen +Tier begegnet man im Wald, aber auch manchem stattlichen Jäger. Mit +dem Zauber des Urwaldes wäre es also nicht sehr weit her, und doch +war es wie verhext, daß -- so sehr mir außerhalb des Waldes stehend +die Richtung klar war -- ich in ihm wandelnd meinen Stefansturm nicht +finden konnte. Es ist aber auch in der wirklichen steinernen Stadt +Wien Etlichen nicht anders ergangen. Ich fand manchen mächtigen Baum, +der hoch über die andern hinausstand, der wild und zerrissen war und +von dem ich mir einbildete, er sei's. Bei näherer Prüfung war er's +allemal nicht. Ich hatte mich auch schon mehrmals im Walde verirrt, +so daß mir einfiel, was die Leute sagen, es wären Irrwurzeln drin, +und wer auf eine solche trete, der finde gar nicht mehr aus dem Walde +hervor, sondern müsse immer im Kreise herumgehen, so lange bis ihm +ein Sonntagskind begegne. Die Erfahrung lehrt aber, daß man sich mit +Sonntagskindern auch verirren kann, besonders wenn sie hübsch sind. +-- Dabei hatte mir das Suchen einen solchen Reiz, daß ich mich nie +entschließen konnte, einen Führer zu nehmen. Und so sind elf Sommer +vergangen, an denen ich oftmals nach Sankt Stefan im Walde pilgerte, +ohne ans Ziel zu gelangen. + +Im heurigen Frühsommer, als auf den freien Matten die Hitze zu groß +ward, als auf den Wiesen die klaren Bächlein im Sande versickerten und +das kurze Federgras zu gelbem Heu welkte noch auf den Wurzeln, als +fortwährend die trockenwarmen Winde hinfegten über das fahle Erdreich +und die Wolken des Himmels aufsogen, als in meiner Nachbarschaft sogar +ein Brunnenständer samt Trog niederbrannte -- da war keine Freude mehr +auf freien Weiten, da hielt ich mich die längste Zeit im Walde auf. Man +konnte viele Stunden im Moose liegen und bekam keinen Schnupfen; die +Mückenschwärme mit dem prickelnden Gifte existierten fast nicht, dafür +drückte die heiße Sonne, die über dem Walde lag, allen Wohlduft der +Harze zu Boden und das fliegende und kletternde Getier kam auch herab +gegen den kühleren Erdengrund und trieb sein munteres Wesen vor meinen +Augen. So war es ein wonniges Sein. + +Manchmal begegnete ich einem Waldbruder, nicht viel seltener einer +Waldschwester -- Früchtesammler, auch arme Leute, denen draußen, »weil +des Gesindels schon allzuviel ist«, die Tür vor der Nase zugeworfen +wurde, und die gekommen waren, um in unseres Herrgotts schattigem +Speisesaal zu essen. Am merkwürdigsten von all diesen wunderlichen +Leuten war mir der lange Rauk. Ich kenne ihn schon seit ein paar +Jahren, er bringt bisweilen Beeren ins Dorf. Ein hochschlanker, +blatternarbiger Geselle ist's, mit einem schwarzen Bart und einem +langen braunen Lodenmantel, den er um den Leib zu werfen weiß, daß er +darin schier nicht anders aussieht, wie der heilige Apostel Jakobus. +Den hat nicht der heiße Sommer dürr gemacht, sondern die Faulheit, er +will nicht arbeiten. Die Leute sagen, er wäre so häßlich, der lange +Rauk; ich sage, er wäre das Entzücken der Maler. + +Als ich denn auf meinen diesjährigen Waldgängen öfter mit dem Rauk +zusammentraf, gab ich ihm den Rat, er möchte sein Geschäft aufgeben. + +»Welches Geschäft?« fragte er. + +»Das Hungerleiden.« Möchte es aufgeben, möchte in Malerschulen gehen +und sich abmalen lassen. + +»So!« antwortete er und ich merkte, wie er innerlich empört war. »So!« +sagte er. + +»Dort braucht Ihr nichts, als dazusitzen,« belehrte ich, »oder auch an +der Wand zu lehnen, wie eben die Herren wollen; es sind unterhaltsame +Burschen, diese Maler; mancher auch sagt gar nichts und ist ganz +Pinsel. Ein Pfeifel Tabak spendieren sie mitunter und zahlen auch noch +das Tagwerk, achtzig Kreuzer, die Verschwender gar einen Gulden und +mehr.« + +»So!« antwortete er tief gedämpft, »so!« sagte er. Und fuhr dann fort: +»Ein Kerl, dem's schon übel genug ist, daß er auf seinem heustanglangen +Geripp' ein anschieches G'friß (häßliches Gesicht) herumtragen muß +auf der Welt! Wenn ich mich noch ducken kunnt! verstecken kunnt und in +der Kirchen nit so höllisch lang hinausstehen tät' über die anderen +Köpf, just wie die Rauberfeichten im Ziselwald! Zum Hasenschrecker +möchten sie mich gern brauchen auf ihren Krautäckern, wenn sie mich in +die Erden stecken kunnten, wie einen Krautscheuchstecken und nit Angst +hätten, daß ich ihnen selber die Gebel tät' fressen. Und so ein Kerl +soll sich noch abmalen lassen? Sollen ein paar Jahrl warten, bis von +meinen Knochen Haut und Haar weg ist, nachher bin ich so schön wie die +anderen im Beinhaus!« + +Es stellte sich heraus, daß der lange Rauk sich nur darum von den +Leuten und ihren Arbeiten zurückgezogen hatte, weil sie ihn seiner +Häßlichkeit wegen verhöhnten. + +»Ich ertrag's nit!« sagte er, »ich hab' Weiberhoffart in mir, die +hab' ich von meiner Mutter geerbt. Faulheit! sagt vor etlichen Tagen +der Herr Meigel aus dem Flecken zu mir. Bei sich selber nennt er's +Ruhestand. Ich weiß recht gut, daß man Gott den Herrn kniend verehrt +und den Teufel liegend. Oh, ich fürcht' mich allzusehr vorm Stinken, +als daß ich nichts tun möcht'. Mach's freilich nit so wie die andern +Leut', die nur desweg arbeiten, damit sie Mittel kriegen zum Faulenzen.« + +»Aber ein Krügel Wein bisweilen will doch verdient sein!« + +»Was hilft mir der Wein, wenn ich ihn im Wirtshaus nit mit Frieden +trinken kann! Allerweil: Der lange Rauk! Der schieche Rauk! Der dürre +Rauk! Und -- der dumme Rauk! Das sag' ich mir selber, der dumme +Rauk, der sich unter die Leut' setzt und seines Vaters einzigen Sohn +ausspotten laßt!« + +Was die Wirtshausgesellen sagen, meinte ich hierauf, das könne ihm +ziemlich gleichgültig sein; wichtiger sei es, was die Weibsleute von +ihm dächten. + +»O Jeß, die Weibsleute!« rief er aus. »Ihrer zehn oder zwölf Jahr' lang +hab' ich mich foppen lassen, alsdann hab' ich genug gehabt.« + +Das sei nichts, meinte ich, die schönsten und tüchtigsten Männer würden +ihr Lebtag lang gefoppt. + +»Das schon,« sagte der Rauk, »und die schönsten und tüchtigsten Männer +foppen wieder. Von einem Kerl wie unsereiner ~laßt~ sich aber +keine foppen, und das verdrießt mich.« + +Ob er ein Hiesiger wäre? + +»Vaters halber ist's schon möglich,« antwortete er, »der Pfarrer sagt, +er weiß nichts davon -- heißt das, im Kirchenbuch. Mit den Musikanten +bin ich umgegangen, aber wie mir die Zähne ausgefallen sind, hat das +Blasen ein End' gehabt. Hab' ich mich halt im Ziselwald eingenistet, +und muß alle Tag' ein bissel achtgeben, daß ich nit verhunger'.« + +Wo er seine Wohnung habe? + +»Gleich können Sie ihn sehen, den Turm von meinem Gschloß!« rief er, +und in der Tat, als wir noch einige hundert Schritte zwischen jungem +Fichtenwald hingestrichen waren, stand uns über dem Gewipfel her das +Bild entgegen. Fast schon in der Nähe ragte aus dem Schober eines +wildmassigen finsteren Astwerks die knorzige Nadel empor. Es war mein +Stefansturm. + +»Das freut mich,« sagte ich, »daß wir auf einmal bei diesem Baume sind.« + +»Wir sind noch nit bei ihm,« entgegnete der Rauk. Und wahrlich, +wir hatten noch eine halbe Stunde oder länger zu tun, bis wir ihn +erreichten. Die Bäume standen sehr dünn, waren verkrüppelt und hatten +Flechtenbärte, der Boden hatte eine blaßgrüne Moosdecke, auf der +gruppenweise Binsen mit ihren weißwolligen Federbüschen standen, und +Sauerklee, Seidelbast und Wildfarnkraut. Der Waldsteig, den mein +Begleiter früher einzuhalten wußte, obwohl er streckenweise kaum zu +erkennen war, hatte sich ganz verloren, und mit jedem Schritte sanken +wir bis über die Knöchel in den schwarzen, moorigen Ungrund. Der Rauk +schleppte einen Zipfel seines Mantels hinter sich nach wie ein König, +doch sank er nicht so tief ein als ich, weil er breiteres Schuhwerk +hatte und das Gehen auf solchem Boden besser verstand. + +»Sich fein gering machen!« rief er mir immer zu. Wenn ich nur auch +gewußt hätte, wie man das anstellt. Leicht und vorsichtig auftreten, +das kann man, doch der Rauk behauptete, man könne mehr. Man könne sich +mit gutem Willen um etliche Pfunde leichter machen; der feste Willen +hebe einen hoch, wie der Suppendampf den Hafendeckel. Er habe schon +Wetten gewonnen, indem er sich in derselben Minute mehrmals wiegen +gelassen auf der Fleischhauerwage, und ganz verschiedenes Gewicht +gegeben. »Gebt acht, jetzt mach' ich mich schwer!« sagte er, und sank +auf der Stelle tiefer ein. + +Ich hätte ihm seine Kunst aufgelöst, wenn Zeit und Stimmung dazu +gewesen wäre. Einstweilen mußte ich trachten, einen so starken Willen +zu entwickeln, daß er mich zur Höhe hob, »wie der Suppendampf den +Hafendeckel«, und wir weiter kamen. + +Endlich blieben wir aber doch stecken. Bis zu den Knien im Morast, so +rasteten wir uns aus, und der lange Rauk lachte. + +Er hatte leichter lachen als ich, denn bis er von unten bis oben +versank, das brauchte länger, als bei mir Durchschnittsmenschen. + +Ich war etliche Schritte hinter ihm steckengeblieben, wir konnten uns +nicht mit den Stecken, geschweige mit den Armen erreichen. + +»Der größte Spaß wäre,« rief er, »wenn jetzt die Geier kämen!« + +»Welche Geier?« + +»Die auf der Rauberfeichten ihre Nester haben und erst im vorigen Jahr +einem Hirschen, der hier steckengeblieben ist, das Fleisch aus dem Leib +gehackt haben.« + +»Vergelt's Gott für Euren schönen Zuspruch!« sagte ich. + +»Oder die Hornussen, die gar nit weit von da ihre Bruten haben und von +den Mardern gern wild gemacht werden. Nachher stechen sie, die Vieher; +ihrer sieben erstechen ein Roß. Grausam stechen sie!« + +Da ich wirklich das Schwirren eines solchen Tierchens bemerkt zu haben +glaubte, so hatte ich Gelegenheit zu erfahren, was ein fester Wille +vermag. Ich arbeitete mich mit Macht heraus, um dann wie ein Krokodil +auf dem Bauche zu kriechen. + +»Aha, Sie haben es!« lachte der Rauk schnaufend und knetete an +sich herum; »ja, für den Notfall macht man's so. Passiert mir aber +wunderselten, daß ich just an die Stelle komm'. Die hoffärtigen Engel +aus dem Himmel sind durch das große Loch, das hier gewesen, in die +Höll' gefahren. Später hat's der Teufel mit Morast zugestopft.« + +Mittlerweile war auch er herausgekommen. Wir gelangten allmählich auf +festeres Erdreich -- und nach wenigen Minuten standen wir am gewaltigen +Baum. + +Ringsum ist eine Art von Anger mit Sumpf, in welchen die Arme der +Wurzeln ausgreifen, teils unter der Moosdecke verborgen, teils über +derselben in hundert Knien und Verzweigungen ausklammernd, teils morsch +und rindig, teils hart und weiß wie Elfenbein. -- Die anderen Bäume +halten sich in respektvoller Ferne, die stattlichsten von ihnen reichen +dem Koloß bis zum untersten Astwerk empor. Der Stamm ist zerklüftet, +teilweise entrindet und fast wie ein Strick gedreht. Ich glaube, daß +ihn vier Männer nicht zu umspannen vermögen. Viele Arme des Geästes +sind für sich schon Baumstämme; einzelnes Geknorre ist kahl und fahl +wie Knochen, anderes ist so dicht in ein dunkelgrünes Reisiggefilze +eingewoben, daß es der Blick nicht durchdringt und man über sich nur +eine dunkle Masse sieht, in der die korbartigen Horste der Raubvögel +sind und aus der mancher Strunk seine abenteuerlich geformten Glieder +in die Weite reckt. + +Ich wunderte mich, daß dieser Baum, der ein ganzes Dorf über den Winter +mit Brennholz versehen könnte, noch nicht gefällt worden sei. »Sie +getrauen sich nicht über ihn,« sagte der Rauk, »der fällt nicht wie +andere!« + +Zur Stunde fächelte und rauschte der Wald in einem lebhaften Winde. + +An der Riesenfichte regte sich nichts, alles starr, nur ein dumpfes +Sausen war zu hören hoch im Astwerk. Über demselben ragt der kahle +Schaft, vielfach zerrissen und dennoch urkräftig in die Einsamkeit der +Lüfte auf. Die Gestalt ist wuchtig und viel gegliedert, aber der spitze +Schaft über dem Kronenwerk schien mir hier kaum hoch genug, um für die +Ferne die schlanke Nadel des Stefansturmes vorzustellen. + +Fast schade, daß der Name: »Rauberfichte« so harmlosen Ursprungs ist. +Zusammenkünfte von Räubern an diesem Platze, Räubergelage im Schatten +des Baumes, wilde Mordgesellen ihre Beute teilend und wie der Rauch vom +Feuer des üppigen Mahles langsam ins Astwerk aufsteigt und der Gegend +weitum die Schrecken verkündet, oder ein paar Erzräuber baumelnd an den +Ästen -- und wäre es auch nur in Sage und Märchen -- würde mir den +Baum recht aufputzen. Dergleichen ist nicht. + +Draußen im Tale stehen zwei Bauernhäuser mit dem Vulgärnamen: Die +Rauber. Die Gründe des »oberen Raubers« erstreckten sich einst weit in +den Wald bis zur Stelle, wo die alte Fichte als Grenzbaum steht, die +daher die Benennung: »Rauberfichte« erhalten hatte. + +Der Rauk war langsam um den Baum gegangen und jetzt auf einmal +verschwunden. Durch eine Höhlung zwischen dem Gewurzel war er ins +Innere geschlüpft. Ich guckte ihm nach. + +Im hohlen Raum war ein Lager von Binsenstroh, eine Holzaxt und ein +Sack, halbgefüllt mit Harzrinden. Die Wände der Höhlung waren teils +verkohlt, als würde auf diesem häuslichen Herd auch bisweilen Feuer +unterhalten. + +Die Höhlung ging hoch in den Baum empor, und wenn man mit dem Stock +hinauffuhr, so erreichte man keine Decke, und an den Wänden rieselte +Moder nieder und Käfergezücht. + +So sieht es mit dem Innern dieses Baumes aus. Aber die Haut und Hülse +ist noch dicker, als mancher fünfzigjährige Stamm, und vermittelt Mark +und Saft der Fichtenkrone, die hoch auf solchem Holze wuchert. + +»Das ist das Haus des langen Rauk,« sagte der lange Rauk. »Wir haben +auch beide Platz herinnen, wenn Sie Ihre Füße rein machen wollen. Wir +machen Feuer, daß die Strümpfe trocknen mögen.« + +»Ist Euer Haus gegen Feuer assekuriert?« fragte ich. + +»Lebendige Häuser brennen nicht nieder,« war die Antwort. + +»Von außen gesehen wäre es das stolzeste Wohnhaus im ganzen Land.« + +»Ist aber nur meine Werktagsresidenz,« berichtete er, »und nur wenn +ich am Abend diesem Baume näher bin, als einer Köhlerhütte, übernachte +ich in ihm. Weiter ist's nichts.« + +So hat sich die ganze Sache mit dem Stefansturm, mit der Rauberfichte, +mit dem Rauk und seiner Abenteuerlichkeit als etwas hohl erwiesen. Der +Schlupfwinkel eines Pechschabers. + +Ich kehrte an jenem Tage spät und müde vom Walde heim. + +Und wenn ich nun wieder sitze in der kühlen Stubenecke, und im Fenster +liegt das sonnenblaue Meer des Waldes mit seiner spitzen Nadel im +Horizont, da will meiner Phantasie die alte Herrlichkeit nicht mehr +so ganz gelingen. Aber leid täte es mir doch, wenn eines Tages ein +Rauchqualm aufstiege oder eine Feuersäule emporlohte in stiller Nacht +-- und mein schlanker Turm in sich zusammenbräche. + +»Das nit!« sagt der lange Rauk, »der Baum steht noch länger als wir +zwei zusammen.« + + + + + Hans Johanns Hauptsache. + + +Wenn ich sage es war ein einzig guter rührender Mensch, so legt +jeder das Buch hin und läuft davon. So sage ich lieber, er war ein +Taugenichts. + +Und das war er auch. + +In den Schulen, wo er stets vorgeschriebene Marschroute hatte, da ging +es noch an. Aber als er selbst der leitende Teil ward, als Lehrer +in der Dorfschule, da ging es nicht mehr an. Die unterschiedlichen +Kinder machten ihm viel zu große Sorgen, als daß er sich ihrem +Unterrichte widmen konnte. Ob sie in der Fibel lesen konnten oder +auf der Schiefertafel die Ziffern zusammenzählen und in einer sehr +verläßlichen Ordnung hinschreiben, das war Nebensache. Hauptsache +war die Gesundheit. Und so kümmerte er sich, ob das kleine Volk +auch warme Joppen hätte und Schuhe an den Füßen, ob die Kinder wohl +gewaschen und gekämmt wären -- und wo es mangelte, da griff er flink +zu und trachtete, beim Bäcker, beim Müller, beim Fleischer, als den +Großen des Dorfes, für die armen Wald- und Gebirgskinder altes Gewand +zu bekommen; er nahm auch Eßwaren und ließ durchblicken, daß solche +Wohltaten an ihren eigenen Kindern würden vergolten werden. Die +großmütigen Spender verstanden das so, daß -- wie die Kinder der Armen +Not an Hemden und Strümpfen hätten -- die Kinder der Reichen zumeist +Not an guten Schulnoten haben, und daß der Herr Lehrer dann wohl den +richtigen Ausgleich treffen würde. Hans Johann sah auch wirklich +nicht ein, weshalb er die Spenden für mittellose Kinder nicht mit +hübschen Fleißzetteln und ausgiebigen Fortgangsklassen der reichen +Bürgerskinder schlichten sollte. Hauptsache war die Gesundheit. Und +so setzte er sich auch gerne zu den Kindern auf eine Bank und gab +ihnen Verhaltungsmaßregeln, wie sie gesund bleiben, ihren Körper +stärken und zur Arbeit tüchtig werden könnten. Solches Bestreben war +nicht fruchtlos und nach einem Jahre schon waren alle Kinder reinlich +gehalten, soweit ordentlich gekleidet und von frischerem Aussehen. Der +Bezirksschulinspektor aber konnte bei der Schulschlußprüfung nichts +als den Kopf schütteln und die Hände ringen, und als die Kinder nach +überstandener Plage lustig davontrollten, stellte er sich vor den +Lehrer hin, rang wieder die Hände und rief: »Aber um Gottes willen! +Herr Johann!« + +Sonst sagte er nichts. War auch nicht nötig. + +»Seh's eh ein,« sprach der Lehrer ganz gemütsruhig, »daß ich nicht +recht tauge zu einem Lehrer.« + +»Wenn Sie irgendwo eine Stelle als Kindsmagd bekommen können, +greifen Sie sofort zu.« Mit diesem wohlwollenden Rate ging der +Bezirksschulinspektor seines Weges. + +Und der Johann des seinen. Denn er war erledigt. Aber nicht auf lange. +In demselben Orte hatte er unschwer die Briefträgerstelle bekommen. Er +hatte täglich über Berg und Tal zu gehen und den zerstreuten Vierteln +die Post zu vermitteln. Das tat er auf das gewissenhafteste, und wenn +ihm ein Bauer eine Post auftrug, für ihn im Dorf Einkäufe zu besorgen, +oder eine Bäuerin irgend was Wichtiges zur Nachbarin zu befördern +hatte, so tat er's bereitwillig, vergaß aber dabei manchmal, den +Brief abzugeben. Es war zuwider, aber Besonderes daran konnte Johann +nun nicht finden. Was pflegen sich die Leute denn zu schreiben? Daß +sie, Gott sei Dank, soweit gesund sind, daß der oder die geheiratet +hat oder gestorben ist, daß es sonst nichts Neues gibt und daß sie +schön grüßen lassen. Ob die Bauern das wissen oder nicht, Hauptsache +ist, daß man ihnen mitunter eine Gefälligkeit erweisen kann. Das ging +ein Jährchen so herum. Dann kam die Geschichte mit dem Geldbrief. +An den Obergamshofer in Spittelberg hatte Johann einen Geldbrief zu +bestellen. Aber der Weg dahin ist ziemlich weit, unterwegs hatte er ein +mühseliges Bettelweib getroffen. Dem war die Fußkrücke entzweigegangen +und so konnte es nicht recht vorwärts. Johann ging ins Wegmacherhaus +um Werkzeug und zimmerte der Alten eine neue Krücke. Denn es war just +des Obergamshofers Weidknecht des Weges gekommen, dem konnte er den +Geldbrief mitgeben. »Ja richtig, Mathes,« sagte er noch, »das Blattel +da mußt unterschreiben. Nicht können tust schreiben? Nachher mach halt +drei Kreuzeln. Bin froh, daß du mir den Weg ersparst. Hauptsach' ist, +daß das Mutterl da wieder auf die Füße kommt. Bleib' schön gesund, +Mathes.« + +Einige Wochen später kam's zutage, daß der Obergamshofer keinen +Geldbrief erhalten hatte, daß ihm aber sein Weidknecht durchgebrannt +war. Dieses Ereignis kostete dem Briefträger allerhand und auch den +Dienst. + +Jetzt hatte er Zeit, sich den Hauptsachen zu widmen, und merkwürdig +-- jetzt verlangte niemand danach. Ja, es kam allmählich ungefähr so +heraus, als ob für den Hans Johann nun die Hauptsache wäre, einstweilen +nicht zu verhungern. Er bewarb sich also wieder um einen Dienst. Das +Steueramt im nächsten Bezirksorte suchte einen Amtsboten. Aber den +Johann nahm man nicht an, aus Besorgnis, er würde aus Erbarmen mit den +Parteien die Steueraufträge unterschlagen. Das Landesgericht hatte für +einen Gerichtsarrest die Profosenstelle ausgeschrieben; der Bewerber +Hans Johann wurde rundweg abgelehnt; der hätte keinem Arrestanten die +Türe verschlossen gehalten nach dem Grundsatz, Hauptsache bei den +Menschen sei die Freiheit. Soweit war unser Johann schon in Verruf +gekommen. Dann verscholl er auf einige Zeit, um später in einem +Haushaltungsbureau aufzutauchen. + +Hier war er fleißig und gewissenhaft und füllte seine Stelle völlig +aus. Aber es war das Haushaltungsbureau eines Siechenhauses. Seine +Erholungsstunden brachte er bei den Siechenden und Krüppeln zu, um +ihnen die Zeit zu vertreiben und sie aufzumuntern. Er ließ sich von +ihnen ihre Anliegen erzählen; sie, auf die sonst niemand mehr hören +wollte, an denen jeder gleichgültig vorüberging, waren seiner Teilnahme +so froh. Er besorgte den Ofen, wenn sie fröstelten, holte ihnen ein +frisches Glas Wasser, wenn sie dürsteten, schrieb ihnen Briefe an +Angehörige. Dann blieb er noch länger und las ihnen erbauliche oder +lustige Geschichten vor oder trieb Schwänke und Späße in eigner Person. +So daß die Armen getröstet und munter wurden. Wenn er darob bisweilen +seinen Bureaudienst versäumte, so dachte er, ob die Reisballen, die +Strohsäcke und Bettdecken und Medizinen aufgeschrieben werden oder +nicht, wenn sie nur da sind. Hauptsache sind die armen Leutle und daß +sie immer einmal ein bissel Zerstreuung haben. + +Da war in der Anstalt ein alter Holzhändler, so vergichtet und +mühselig, daß er in der dunkeln Stube bleiben mußte, wenn draußen die +warme Sonne schien, weil niemand war, der ihn ins Freie führte. Als +nun der Schreiber Johann erschien, der tat es gerne. Er blieb auch +sitzen unter dem Kastanienbaum neben dem alten Manne und hörte geduldig +seinen Klagen zu. Und eines Abends, als die übrigen Spazierhumpler und +Sitzer sich verzogen hatten, weil es kühl geworden, und auch Johann +seinen Schützling ins Haus führen wollte, blieb der Alte sitzen, langte +mit der dürren, fiebernden Hand hinter seine Brustjacke und zog ein +verknülltes, vergriffenes Paket heraus. + +»Herr Johann!« sagte er leise und hastig, »das gehört Ihnen. Es ist +mein Geld, sie wissen nichts davon. Ich mag nit, daß es in den großen +Sack kommt, da spürt kein Mensch was davon. Sie sind der Mensch, der's +recht anwendet. Es gehört Ihnen. Da, da -- nur geschwind einstecken!« + +Johann nahm das Paket in die Hand. »Sie meinen, daß ich's Ihnen +aufheben soll.« + +»Ich brauch's nimmer. Will nur, daß wer was hat davon. Erspart ist's +redlich. Aber dumm dürfen Sie nit sein und es ausplauschen. Tun's es +gut einschieben.« + +Es schien ihm nicht weh zu tun, dem Alten, wie er nun seinen +Sparpfennig hingab, an dem er wohl viele Jahre lang gesammelt hatte und +an dem sein Herz gehangen war. Aber angelegentlich verfolgte sein Auge +den Vorgang, wie Johann das Paket in seine Brusttasche steckte. »Schön +fleißig zuknöpfeln!« murmelte der Alte und knöpfte mit krampfigen +Fingern über Johanns Tasche den Knopf ein. Bald hernach wankte er am +Arm des Schreibers ins Haus. + +An demselben Abend war's, daß der Direktor der Anstalt dem Hans Johann +eröffnete, daß er entlassen sei. Grund gab er keinen an, war auch +überflüssig. Johann wußte recht gut, daß er nicht aufgenommen worden, +um die Pfleglinge zu unterhalten, sondern um die Rechnungen und +Wirtschaftskorrespondenzen zu besorgen. Da er letztere vernachlässigt +hatte, so fand er seine Abdankung völlig in Ordnung. + +Stärker überrascht war er nachher auf seinem Zimmerchen, und zwar von +der Menge Geldes, die er im Paket fand. Dafür kann man ja ein Schloß +kaufen und den alten Holzhändler in der Kalesche hineinführen! Und dann +kann der Hans Johann sein Kammerdiener werden -- so ist allen geholfen. + +An einem der nächsten Tage, als er mit solch neuem Lebenslaufe beginnen +will, ist der alte Gichtkrüppel richtig schon seit frühmorgens tot. +Der Johann steht wie zerschlagen da. »Was tu' ich jetzt!« Auf die +Leiche verwendete er nicht viel, denn davon hat niemand was und der +Hans Johann ist ein praktischer Mann. Auch Almosen teilte er nur +spärlich aus; Almosen, sagte er, mache Bettler; den Leuten müsse man +viel gründlicher helfen. Von seinen großen Mitteln ließ er noch nichts +verlauten, nur daß er ein Weilchen später im vorderen Labachtal, +dort wo es windgeschützt und sonnig ist, ein Grundstück kaufte und +große Erdarbeiten beginnen ließ. Eine Anstalt für Gichtleidende und +Unheilbare soll errichtet werden, wo die armen Kranken besonders gut +gehalten werden müssen und wo er mitten unter ihnen leben will, um zu +helfen, zu trösten, wie es nötig sein wird. + +Während die weitläufigen Grundfesten zu diesem Gebäude gegraben und +gebaut wurden und stellenweise schon ein Mauerwerk emporzustreben +begann, half der Johann einem notigen Kleinhäusler das Heu und das +reife Korn unter Dach bringen, denn das -- meinte er -- sei für den +Bauern die Hauptsache. Inzwischen, zu den kleinen Ruhepausen, trachtete +er im Heu oder auf den Garben dem Söhnlein des Kleinhäuslers das +Abc beizubringen; derlei Buchstaben, sagte er, seien zwar nicht die +Hauptsache, auch die Lesekunst nicht und auch die Gelehrtheit nicht, +aber daß man mit solchen Wissenschaften in der lieben Welt weiterkomme +und ein tüchtiger Mann werde, das sei die Hauptsache. + +»Wann d' schon alleweil von der Hauptsach' redest, da hast eine!« +Mit diesen Worten versetzte ihm der Kleinhäusler eine klatschende +Ohrfeige. »Garbentragen heißt's jetzt und nit schulfuchsen!« + +Der Johann griff sich an sein also bedachtes Haupt und schwieg. Nichtig +ist's eh, dachte er, wenn sie im Winter was zu essen haben wollen, +muß man jetzt ernten. Daß er für sich nur Undank erntete, das war +er schon gewohnt und fand es auch für selbstverständlich. So viel +Tiefblick hatte er wohl, um zu wissen, daß es am besten sei, einem, +dem man was Gutes getan hat, nachher in weitem Bogen auszuweichen; +denn die Begegnung mit dem Wohltäter, den sie nicht mehr brauchen, +ist den Leuten zuwider und der ganze Mensch wird ihnen zuwider, +sie wollen am liebsten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Außer sie +brauchen ihn wieder plötzlich einmal, dann halten sie es auch für +selbstverständlich, daß er ihnen neuerdings hilft, und wenn er das +zufällig einmal nicht kann, so werden sie ihm weit feindseliger als +einem anderen, der ihnen nie was Gutes getan hat. Das alles hatte +Johann erfahren und er dachte weiter nicht darüber nach. Er war jedem +dankbar, der sich von ihm etwas Gutes tun ließ und blieb ihm dankbar +und betrachtete ihn als einen Gönner, dieser mochte oft noch so roh +und erkennungslos sein. Nun, so hat den Johann auch die Ohrfeige nicht +im mindesten beirrt, er half emsig Garben tragen, und abends, als +der Häusler ihm fast freundlich eine gute Nacht zurief, schlich der +Johann gerührt in seine Behausung und dankte Gott für die vielen guten +Menschen, die er erschaffen hat. + +Wenn Johann dann wieder hinausging, um die Fortschritte seines Baues zu +beschauen und wie emsig hier brave Leute arbeiteten, um armen Kranken +ein Heim zu schaffen, da freute ihn die ganze Welt. Jedoch aber! Als +die dritte Auszahlung war und der Baumeister darauf drang, endlich +doch auch einen Kostenüberschlag zu bestimmen, da kam für unsern +Idealisten einmal eine wirkliche Überraschung. Er hatte gemeint, mit +seinen zweieinhalbtausend Gulden, dem Nachlasse des alten Holzhändlers, +ein stattliches Krankenhaus mit den hierzu erforderlichen Stiftungen +bestreiten zu können, und nun zeigte es sich, daß das Geld schon +verbraucht war, während das Mauerwerk kaum noch mannshoch aus der Erde +hervorstand. Da haben wir's jetzt. Der Johann griff sich an den Kopf +und rief: »Deuxl, Deuxl noch einmal, daß so was so saumäßig teuer mag +sein!« Nun mußte der Bau eingestellt werden und mit dem Gelde, das +zu so hohen Dingen bestimmt gewesen, war nichts geschaffen als ein +durchwühlter Boden mit Schutt und Steinen. Hans Johann wollte sich +jetzt den Kopf wegreißen. Nicht ob der Leute Gelächter und Spott, denn +hierin hatten sie ja recht, und er lachte und spottete mit ihnen -- +ach wie bitter bitterlich ist es, sich selbst auslachen zu müssen. +Daß er aber ein so grundschlechter Verwalter des Nachlasses gewesen +und kein einziger Notleidender davon auch nur um eines Hellers Wert +Erleichterung hatte, das wollte ihm nicht gestatten, einen solchen Kopf +noch länger auf dem Rumpfe stehen zu lassen. Jetzt wußte er endlich +auch, was bei ihm die Hauptsache war. Eine grenzenlose Dummheit. + +Fast schien es, als hätte er nun auch allen Kredit verloren. Wenn +er jemand auf der Straße das Bündel wollte tragen helfen, oder wenn +er am geländerlosen Labachsteg schwindelige Leute hinüberführen +wollte, da sagten sie dreist: »Schau du auf dich selber!« Und das war +tatsächlich ein guter Rat, denn er begann leiblich zu verkommen und +zu verderben. Auf der Baustelle, zwischen den Mauern und Sandhaufen, +baute er Erdäpfel an, aber diese wußten, daß der stolze Grund nicht +ihnen vermeint gewesen, fühlten darob ihre Ehre verletzt und wollten +nicht recht wachsen. Als sie im Spätherbste endlich doch so weit waren, +daß sie den Spaten lohnten, dachten die Nachbarsleute: der Johann +verschenkt sie ja doch! und stahlen ihm die Erdäpfel in der Mondnacht. + +So ist die praktische Seite von Johanns Tätigkeit stets unpraktisch +ausgefallen, während über die ideale Rechnung im Himmel gewacht +wird, wir einstweilen also keinen Einblick haben. Zu jener Zeit +aber behauptete ein tiefsinniger Mann, der Hans Johann würde seinen +Mitmenschen noch einmal tüchtig imponieren und er hätte das Zeug zu +einer großen Heldentat. Man hörte aber nichts weiter, als daß Johann in +einem Eisenwerke ein Weilchen Schichtenschreiber war. Später soll er in +einem Meierhofe des Unterlandes als Taglöhner gesehen worden sein. Und +dann hörte man gar nichts mehr von ihm. Er war verschollen und auf der +verlassenen Baustelle, wo das große Krankenhaus hätte stehen sollen, +wucherten Nesseln und Disteln. + +Um so merkwürdiger ist es, daß viele Jahre später von Leuten, die darum +wußten, bei Mostar in der Herzegowina auf einem Friedhof ein halb +verwitterter Grabstein gefunden wurde, der die Inschrift trug: Hans +Johann, Soldat aus dem steierischen Infanterieregiment 27. Und darunter +einige Worte in türkischer Sprache. Die darauf angestellten Forschungen +ergaben folgendes: Hans Johann soll unter außergewöhnlichen Umständen +für einen jungen Rekruten, der sehr an Heimweh litt, eingestanden sein, +sei aber ein spottschlechter Soldat gewesen. Bei dem Einmarsche der +Österreicher in die Herzegowina habe sich auf einem Bergpasse zwischen +den Österreichern und den Türken ein Gefecht entsponnen. Johann sollte +schießen, da sah er in demselben Augenblick, von einer anderen Kugel +getroffen, einen türkischen Soldaten fallen. Das Gewehr warf er weg und +eilte hin, um dem Schwerverwundeten beizustehen. Während er ihm aus +seiner Feldflasche Labung einzuflößen suchte und ihn aus dem Bereich +des Kampfes schleppen wollte, sank er selbst nieder, von einer Kugel +getroffen. Der türkische Soldat, der mit dem Leben davongekommen, +habe den barmherzigen Österreicher mit Ehren begraben lassen und +den Denkstein mit der Inschrift gestiftet. Die türkischen Worte auf +demselben heißen zu deutsch: Aller Hauptsachen Hauptsache ist die +Liebe. + + + + + Der Himmelherrgottswirt. + + +Eins sagt man den Tirolern nach. Sie hätten nämlich -- sagt man -- +ihre Straßen darum so krummlinig angelegt, damit die Fremden um so +länger durchs Land zu reisen und dabei um so mehr Geld im Lande zu +lassen hätten. Indeß vermute ich, daß die krummen Linien weniger vom +geradsinnigen Tiroler, als vielmehr von seinen höckerigen Bergen +herrühren. Wohl wahr, die Straßen, die dort und auch anderswo im +Zickzack die Täler durchziehen, wie eine mit schwerfälliger Hand +gezogene Schrift, könnten streckenweise nachdenklich machen, wenn +nicht schon die Eisenbahn da wäre, die, keinen Berg und keine Schlucht +respektierend, die alte Schrift mit geraderen Linien durchstreicht. + +Ich bin kein Ehrabschneider, aber dem Himmelherrgottswirt zu St. Peter +beweise ich's, daß er viele Jahre lang jene Absicht hatte, die man den +Tirolern ungerechtfertigterweise zuschreibt. + +Man sieht's ihm sonst nicht an, er ist ein Bauer wie jeder andere, +und trägt auch gerade kein Gesicht um, dem man so viel Bösartigkeit +zutrauen könnte! Aber er hat ein Wirtshaus und treibt Handel, und so +Leute, die ihren Vorteil bei anderen Leuten suchen müssen, werden es +allmählich gewohnt, andere zu übervorteilen. »Geschäft« heißen sie es. +Ja, wenn jedes unschöne Ding einen so schönen Namen hätte, es gäbe +keine Betrüger und Gauner und Galgenstricke auf der Welt. + +Weiter sagt man dem Himmelherrgottswirt nichts Unrechtes nach. Daß ich +nur erzähle. + +Das Dörflein St. Peter mit der Kirche und dem Wirtshaus steht auf +einem Hügel. Die belebte Straße, die durch das Tal geht, steigt diesen +Hügel hinan und drüben wieder hinunter in dasselbe Tal. Auf der +Höhe, just vor dem Kirchhofstore, auf einer weißen Tafel steht mit +schwarzen Lettern der schöne Spruch: »Radschuh bei Strafe von zwei +Gulden!« Was sind an diesen beiden Steigungen nicht für höllische +Wetter zusammengeflucht worden von blaukitteligen Fuhrleuten! Ruckweise +gehetzt und geflucht, dann wieder geschoben und geflucht, dann wieder +stecken geblieben und geflucht, und nachher die wilde Jagd von einer +Wasserkehre zur andern und geflucht. + +So ging's Tag und Nacht und selbst am Festtage war keine Stunde frei +von solchem Lärm. Was sind die Rösser seit Urzeiten nicht geprügelt +worden auf diesem Wege zum heiligen Peter hinan! Aber oben -- fast +schon oben nah' der Kirche -- stand das Wirtshaus, da gossen die +Fuhrleute Wein auf ihre Galle. Und hinunter ging's lustiger, da gab's +nur zu fluchen, wenn bei Nichtanwendung des Radschuhes der Wagen einmal +ein paar Pferde niederstieß und darauf der Zöllner die zwei Gulden +Strafe einhob. + +Ähnlich ging's Jahrzehnte lang zu. Da kam den Leuten vor wenigen Jahren +eine merkwürdige Idee, die weiß Gott wie lange schon in der Luft +gehangen sein mochte oder unten auf dem Erdboden gelegen neben dem +Bach, ohne daß sie ein Mensch gefunden hätte. + +»Warum,« sagten die Leute auf einmal, »muß die Straße den vertrakten +Berg hinansteigen? Warum soll sie nicht unten im ebenen Tal neben dem +Bach hinlaufen wie die vielen Meilen her?« + +Warum? Ja, es wußte keiner warum. Nur der Kirchenwirt zu St. Peter gab +Antwort. + +»Warum?« sagte er und machte die Augen zu, wie er immer tat, wenn er +etwas Gescheites sagte, »das ist desweg', weil im Tal beim Bach meine +Wiese ist, über die ich nicht fahren lasse.« + +»Du laßt nicht fahren!« + +»Laß nicht fahren.« + +»Kirchenwirt,« sprach ein anderer, »du weißt recht wohl, daß dir deine +Wiese gut bezahlt werden wird.« + +»Weiß es wohl.« + +»Aber du weißt es auch, daß dein Wirtshaus auf dem Berg von der Straße +leben muß. ~So~ steht die Sach'!« + +»Und so wird sie auch stehen bleiben!« Damit schnitt der Wirt das +Gespräch ab. + +Seitdem war's wieder beim Alten. Aber doch nicht ganz. Früher fluchten +die Fuhrleute, aber sie wußten nicht, auf wen; die steile Straße +war unschuldig, sie wäre am liebsten gar keine Straße und möchte +grünes Gras auf sich wachsen lassen; die schweren Eisenflossen waren +unschuldig, sie wären am liebsten für alle Ewigkeit im Erzberg ruhen +geblieben. Und die Weinfässer, Salzladungen und Kornsäcke konnten +nichts dafür, daß sie so schwer wogen -- und den Pferden konnte im +Grunde nichts Überpferdliches zugemutet werden. Und wenn manchmal +eine Kutsche mit Leuten bepackt heranächzte, so waren es gerade diese +Lasten, die am wenigsten ein Scheltwort annehmen wollten. Die schönsten +Flüche verpufften in der Luft. So früher. Aber jetzt! Jetzt wußten +sie, wer Ursache war des blutigen Marterweges zu diesem Dorfe hinan, +wo schließlich keiner was zu tun hatte, was nicht auch im Tale getan +werden konnte. Die Flüche nannten von nun an den Kirchenwirt, schossen +dem Kirchenwirt zu, diesem »kreuzvermarideiten Himmelherrgottswirt!« +Wer wüßte es nicht, wie einzig so ein blaukitteliger Fuhrknecht in +seiner Wut schelten kann. Und so bekam der Kirchenwirt den an und für +sich sehr schönen, aber seiner Ursache wegen nicht schmeichelhaften +Titel: »Himmelherrgottswirt«. Man muß es nur hören, wie das klingt, +wenn es zwischen knirschenden Zähnen herausgeknurrt wird. + +Aber der Himmelherrgottswirt machte sich nichts draus. Eher, als +er die Straße unten im Tale über seine Wiese gehen ließe -- an St. +Peter vorüber, ohne nach St. Peter zu kommen, und die Fuhrleute und +die Reisenden etwa gar unten beim Mosthansel einkehrten -- eher läßt +er sich kohlschwarz anfluchen über und über; dem Geldbeutel tut das +ja nicht weh. -- Dem Geldbeutel, meint ihr, das Fluchen nicht weh? +Ja, seht, das Heranfluchen freilich nicht, aber das Vorbeifluchen +doch! Die schwersten Fuhrwerke ächzten an dem Wirtshause vorüber und +kehrten im Tale beim Mosthansel ein. Das war sonst eine recht kleine, +schlichte Wirtschaft gewesen, beim Hansel, denn der Kirchenwirt hatte +sie nie emporkommen lassen. Aber jetzt schaffte sich der Hansel mehrere +Gattungen Weine an -- alte und junge, weiße und rote, süße und saure +-- fast so verschiedenerlei, als der Gäste waren; legte sich auch Heu, +Hafer und Mais zu, den Zugtieren zu Nutz; und Tierfleisch für solche, +die Heu und Hafer verschmähten und sich doch sättigen und stärken +wollten zum Fluchen über den Hügel, oder sich davon zu erholen hatten. +Der Hansel selbst war ein junger, umsichtiger und unterhaltsamer +Mann, der mit einer alten Muhme, die recht schwätzen konnte, die nun +aufblühende Wirtschaft betrieb. Und wenn der Sonntag kam, so kamen +sogar die Bauern der Umgegend zum Hansel zusammen, weil dort jetzt +immer Gesellschaft war, und auch weil es freier herging, als wie beim +Kirchenwirt, wo der Pfarrhof und der Friedhof so nahe waren. Da fanden +sich auch Musikanten ein, und es tat sich zur Sommerszeit oft ein +ganzes Volksfest zusammen vor dem Mosthanselhaus. + +Zu solcher Zeit schien es fast, als käme die Reihe zum Fluchen an den +Himmelherrgottswirt. Tat's aber nur im Gedanken; auswendig schnitt er +ein lustiges Gesicht. + +»Das wär' schon zum Lachen, wenn unsereiner auf so ein paar läppische +Roßknecht' anstünd'. Man hat eh' von diesen Leuten mehr Schaden gehabt +als Nutzen. Den Hof voll Mist, ja, das machen sie einem, und schuldig +bleiben, das können sie wie's Schmenten (Fluchen) und das Schmenten +können sie weit besser wie Vaterunser beten. Fuhrleut' Geld haben! Ja, +wer's glaubt, wird selig; auf meiner schwarzen Tafel steht ein ganz +anderes Evangeli zu lesen. Und die Herren Kavaliere, die vorbeifahren +-- hört mir auf, denen ist das beste zu schlecht und das wohlfeilste +zu teuer. Mag mich gar nimmer scheren mit so Leuten -- mag nicht, sag' +ich!« + +»Da hast einmal in Grund und Boden recht, Wirt,« entgegnete ihm darauf +eines Tages der Tabakkrämer. »Desweg' ist's am gescheitesten, wir +bringen die Straße zum Dorf herauf ganz ab. Lassen es gar nicht mehr +herauffahren, das Bettelvolk -- soll unten bleiben am Bach und Kroißen +(Krebsen) fangen.« + +»So redest ~du~!« rief der Wirt, »du, der morgen schon Hunger +leidet, wenn heut' kein Fuhrknecht mit der Blader vorspricht! Oder +willst du ihn dir mit Essig und Öl machen lassen, deinen Tabak?« + +Der Andere schupfte die Achseln: »Was kann ich machen! Die Landstraß' +haben sie nicht gebaut, daß ich meinen Tabak anbring'. Verlegen +sie den Weg, so muß ich mir halt helfen, wie ich kann. Daß ich ein +Narr wär' und gegen die Vielheit streiten wollt'! -- Schnupf eins, +Himmelherrgottswirt!« + +Der Wirt schlug ihm die Dose aus der Hand. + +»Geschieht mir recht,« murmelte der Tabakkrämer, »wenn man den heiligen +Namen auf ~den~ hängt, das ist Gotteslästerung.« + + * * * * * + +Aber der Bau der Straße im Tal verzögerte sich von Jahr zu Jahr, denn +gutwillig gab der Wirt die Wiese nicht und Gewalt wollte man nicht +brauchen. + +Da ging einmal ein alter Wurzelgräber durch das Dorf; der hörte das +Schelten und Gotteslästern der Fuhrleute, die dem Kirchenwirt alle +schwere Not und den Teufel ins Haus wünschten. An der hinteren Tür des +Wirtshauses standen die Kinder des Wirtes, denen rief der alte Mann +zu: »Euer Vater führt ein gutes Leben. Wenn aber die Flüche all' an +~euch~ ausgehen sollen! Es heißt ja doch, der Eltern Sünden müssen +die Kinder büßen. 's ist schauderlich! Behüt' euch Gott, Kinder, ich +tu' euch nichts.« + +Und ging von Hundegekläff begleitet vorüber. + +Da stund es an noch etliche Jahre, und es kamen die Weihnachten 1876. +Der Heilige Abend ist doch sonst gewiß kein Unglückstag, gleichwohl +er der Jahrestag ist, an welchem Adam und Eva erschaffen worden sein +sollen. Aber beim Kirchenwirt zu St. Peter trug sich an diesem Tage was +Trauriges zu. + +Bisher, so lange von steifen Trotzköpfen und bösem Fluchen die Rede +gewesen war, wollte ich das Dasein eines schönen Kirchenwirtstöchterls +nicht verraten. »Sie war wie eine Blume,« man kann's besser nicht +sagen. Sie war nun siebzehn Jahre alt und das Einzige, welches dem +Wirte von seinen Kindern übrig geblieben. Ihretwegen war die letzte +Zeit her mancher junge Fuhrknecht, der zu Trotz hier nicht mehr +einkehren wollte, weit schwerer auf dem ebenen Boden vor dem Wirtshause +vorübergefahren, als den Berg heran. Dieses Wirtstöchterl war bei so +manchem der triftigste Grund, daß die Straße an beiden Seiten den +steilen Hügel zum Dorfe hinanstieg. Ob Julchen für oder gegen die +Verlegung der Straße war, das getraue ich mir nicht zu entscheiden, +denn junge Leute gehen ihre eigenen Wege. + +Und einen solchen, ganz absonderlichen, ging sie an jenem Heiligen +Abend. + +Man kennt ja die Weiber -- aus lauter Warmherzigkeit und +Lebenssehnsucht und Ahnen und Bangen abergläubisch über alle Maßen! +Schon die jungen! -- Da ist der rote Holler. Am Christabende während +des Ave-Läutens gepflückt und dann in einen Blumentopf gesteckt, kann +er im nächsten Fasching grünen. Tut er's, so kommt in demselbigen +Jahre der Bräutigam. Ein Dirndl von siebzehn Jahren -- da kann der +Hollerzweig doch wohl schon treiben ... Man probiert's, nützt es nicht, +so schadet es auch nicht. + +An der rückwärtigen Kirchhofsmauer zu St. Peter wächst roter Holler. +Mit einigem Zagen, aber vielem Mute läuft Julchen, während auf dem +Turme die Ave-Glocke klingt, im Dunkel über den Kirchhof. Sie schaut +sich nicht viel um, erhascht einen Zweig, eilt rasch wieder zurück und +stürzt aus Hast in ein offenes Grab. Das war für einen alten, müden +Pilger bereitet worden, der just am heiligen Christtag in die ewige +Ruh' gehen wollte, oder -- wie man's nimmt -- in die Krippe aus Erden. +-- Wie der Küster das Tor schließt, hört er den Schrei -- läuft hin und +zerrt das vor Schreck ohnmächtige Mädchen aus dem Grabe hervor; es ist +bewegungslos wie eine Leiche, und so wird sie nach Hause getragen. + +Der Wirt ist dem Zusammenbrechen nahe, er meint, das Kind sei tot. Die +Leute rennen auf der Gasse um und der böse Leumund, der immer nur auf +einen Anlaß -- am liebsten ein Unglück -- wartet, bricht los wie ein +zischend Heer in der Luft, das man nicht sieht und nicht fassen kann, +und das in jedes Ohr bläst Spott und Hohn, und Schadenfreude weckt +in dem Menschenherzen, auf welches reuig zu schlagen wohl jeder eine +Ursache hätte. + +»Da seht, da seht,« riefen die Leute, »das hat er jetzt! Umsonst ist +da nicht so oft geflucht worden. Jetzt geht die Frucht auf. Fällt ihm +sein Kind lebendig ins Grab! Ist das nicht augenscheinlich eine Strafe +Gottes?« + +Kann ein abgerissener Zweig wieder grünen, so kann auch ein junges, dem +Grabe entrissenes Menschenkind wieder leben. Meint ihr nicht, Leute? +Tretet ins Haus und seht, Julchen sitzt aufrecht, es fehlt ihr nichts. +Ohnmachten bei jungen Leuten ziehen vorüber wie eine Frühlingswolke an +der Sonne. Ihr Vater ist noch blaß vor Schreck, mit zitternder Hand +streicht er ihr die Friedhofserde von ihrem braunlockigen Haar. + + * * * * * + +Und in der Nacht, als das Mädchen geruhsam im Bette schlief und auf +dem Turme des Himmels Engel schon die Glocken läuteten, auf daß die +zerstreute Gemeinde zusammenkomme zum strahlenden Altare -- da schritt +auch der Wirt in die Kirche. Er wankte wie ein Greis, der Schreck stak +ihm noch in den Gliedern, noch bebte ihm das aufgerüttelte Herz. Daß +sie an dem bedeutungsvollen Tage in das Grab fiel, das konnte kein +gutes Zeichen sein ... Ihm war hart und bang. + +So wollte denn in dieser Nacht, in welcher der Christ mit seiner Gnade +herabgestiegen ist zur Erde -- der Kirchenwirt vor der Krippe knien +und Beruhigung erflehen. -- Und als die zwölfte Stunde schlug, als das +Christamt begann und das Lied: »Dies ist der Tag, von Gott gemacht!« +erklang, da wurde dem Manne leichter ums Herz. + +Zur Wandlung verstummte die Orgel. Die Gemeinde lag auf den Knien +und jeder betete in dieser feierlichen Stunde für das liebste seines +Herzens. -- Mit gefalteten Händen betete der Wirt vor der Krippe +für sein Kind. -- Still war's. -- Da rasselten draußen auf dem +hartgefrorenen Boden schwere Wagenräder, Pferde stampften und wieherten +unter pfeifenden Peitschenhieben, und von den Lippen des Fuhrmannes +gellte ein grober Fluch. Und das war auf des Kirchenwirts Gebet die +Antwort gewesen. -- + +Was bei diesem Zwischenfalle der Kirchenwirt empfunden hatte, das zeigt +am besten sein Gang in die Sakristei, als kaum der Gottesdienst zu Ende +war. + +»Ein Wort mit dem Herrn Pfarrer,« stotterte er, »vielleicht wäre auch +der Gemeindevorstand zuwege. Ein Stück Papier und Schreibzeug!« + +Mit bebender Hand schrieb er's hin: + + »Die Wiese am Bach für ewige Zeiten zur Straße. + + Anton Egghofer, + Kirchenwirt zu St. Peter.« + +Heute ist die Straße fertig. Sie geht, wie die Leute sagen, »handeben« +im Tale hin. Das Fluchen kann man den Fuhrleuten nicht nehmen, sie +haben sonst auch nicht viel Unterhaltliches auf der Welt, aber auf +ebener Straße hört sich das ganz anders, als auf bergigem Grund. + +Zu beschreiben wäre noch die Dankbarkeit der Pferde -- doch, wir wollen +die Wagen aller Art mit Gott und gutem Gespann ihrer Wege ziehen +lassen. + +Wer nach St. Peter hinauf ~will~, die alte Straße ist und bleibt +noch fahrbar. Im Herbst des nächsten Jahres war's, als etliche sehr +schwere Wagen vom Dorfe zu Tale ächzten. »Radschuh bei Strafe von zwei +Gulden!« + +Ja, freilich, bei ~solchen~ Brautfuhren, da heißt's einschleifen. +-- + +Gekommen war's so: Im Fasching hatte der Hollerzweig gegrünt, im Mai +hatte er geblüht, im Juni war der Mosthansel zum Julchen gegangen. Und +jetzt Hochzeit. + + + + + Herr v. Florin. + + +Er hätte Künstler werden können, er hätte Professor werden können, +er hätte Bürgermeister werden können -- Landtagsabgeordneter, +Herrenhausmitglied -- dann Baron oder Präsident, so oder so. Baron, +wenn der Staat eine Monarchie verblieben, Präsident, wenn er eine +Republik geworden. -- Und ist nichts, als ein windiger Rasierer. + +Ein Bartscherer, ein Haarkräusler und Geckenaufputzer, ein +Perückenflechter und Haarzopfsträhner. Man verlangt, daß er Späße +mache, und da er sie nicht macht, so macht man sich welche mit +ihm. Man nennt ihn Doktor, er protestiert nicht dagegen, der Titel +gebührt ihm; er ist belesen, er nennt alle hohen Berge der Welt beim +Namen und weiß, wie hoch sie sind, weiß es in Fuß und Metern, kennt +die Tiefen des Meeres und berechnet nach einem alten Atlas, wo die +größten Tiefen sind. Er gibt dem Landmann, während er ihm den Bart +abschabt, Fingerzeige über die Witterung der nächsten Monate, belehrt +ihn, wie er den Dung streuen, woher er den Samen beziehen müsse. +Er hat Agentschaften, und zwar deren so viele, daß er vor lauter +Schildertafeln die Tünche seines Häuschens erspart. Er versichert dem +Bauer das Haus, das Vieh, die Feldfrüchte, das Leben. -- Wenn mir +dieser »Lebensversicherer«, denkt sich der Bauer, »nur jetzt die Gurgel +nicht abschneidet! Anstellt er sich g'rad so. Kratzen tut der Saggra +schon, daß man die Engel singen hört! Schneidet denn das Messer nit?« +-- Allerdings, das Messer rostet schon, denn Herr Florin hängt das +Geschäft an den Nagel und rasiert den Mann nur aus Gefälligkeit. Er +will ihm auch aus Gefälligkeit den Prozeß führen helfen, den der Bauer +mit einem Nachbar hat. Meister Florin weiß sich gut aus im Gesetzbuch +und wird dem findigsten Doktor zu gescheit. Er führt verschiedenerlei +Schreibergeschäfte, hat hier einen Strauß mit dem Steueramt, dort einen +Handel mit dem Bezirksgericht, da ein Renkontre mit dem Notar oder mit +einem Gläubiger, mit dem oder jenen -- und gewinnt, gewinnt alles. + +Daher will er das Rasiergeschäft aufgeben, es sind schlechte +Zeiten. Ja, früher, in seines seligen Vaters Jahren, wo jeder brave +Staatsbürger fortweg sein glattes Gesicht haben mußte, da war's +leicht, Rasierer zu sein. Aber jetzt, wo die Leute ihren Patriotismus +und ihre Weisheit und ihr politisches Bekenntnis in den Barthaaren +herauswachsen lassen, jetzt wird der Rasierer -- und er mag der klügste +und fleißigste Mann sein -- ein fallider Fallot. + +Überhaupt -- und das Wörtlein hat Meister Florin immer auf der Zunge +-- überhaupt, das fliegt so über alles hin, da steckt alles d'rin, was +der Sprecher meint, aber nicht weiß, oder wenn er gar nichts meint +und nichts weiß, als nur, daß hier ein Wort gut stehe, so sagt er: +überhaupt, und hat damit sehr viel und sehr vernünftig gesprochen. Also +-- »überhaupt«, sagt der Meister Florin, »es ist nicht mehr so wie +früher, die Welt ist ganz anders geworden, heute siegt nur das Geld und +der Protze, der Brutale, der Aufdringliche, überhaupt der Windbeutel. +Ich könnte heut' auch anders dastehen, aber ich bin immer zu ehrlich +und bescheiden gewesen. Den ersten Prügel hat mir mein Vater unter +die Füße geworfen, weil er mich nicht studieren ließ, sondern mich +zu seinem Handwerk zwang, zu dem ich niemals Lust und Schick gehabt +habe. Ich bitt' euch, ein strebsamer, intelligenter, für alles Schöne +begeisterter junger Mann, Friseur! Aber ich habe mich herausgearbeitet. +Wenn ich heute das Geld hätte, das mir die Kerzen gekostet haben, +bei denen ich die ganzen Nächte hindurch studiert habe! In den +einundzwanzig Jahrgängen der Theaterzeitung und in den Jahrbüchern +des Gothaer Almanach und im Selbstadvokat gibt's kein Blatt, das ich +nicht in mich aufgenommen hätte. Ich habe meine Freude dran gehabt, +überhaupt, ich habe immer Sinn für was Besseres gehabt. Und ich hab's +mitgemacht, wie wir die Eisenbahn bekommen haben und den Telegraph. Bei +meinem Aufwachsen hat noch keiner in unserer Gegend eine Baumwolljoppe +getragen, und das Einjährig-Freiwilligen-Institut jetzt, die +Hinterlader, überhaupt das ganze Kriegswesen. Das ist ein Fortschritt! +Ich bin fortweg bei den Fortschrittsmännern und Aufgeklärten gestanden +und überhaupt, früher ist die Welt in zweihundert Jahren nicht um das +weitergekommen, als wie zu meiner Zeit. Es ist besser geworden und +es wäre ganz gut geworden, wenn nicht die Anmaßung das große Wort +führte. Der ehrliche Mann verarmt. Es ist ja zum Rasendwerden, wenn man +betrachtet, wer heute das Heft in der Hand hat.« So seine Betrachtungen. + +Er war im Stadtschulrat, aber sie haben ihn nicht zum Obmann +gemacht, er ist in den Gemeinderat gewählt worden, aber bei der +Bürgermeisterwahl, da --! Er hätte wenigstens zwei Drittel der Stimmen +gehabt, aber die Kabale! Die Kabale, ihr Herren! -- Sie haben es ganz +gut gewußt, was sie tun; denn wenn er, der Meister Florin, obenauf +gekommen wäre, da hätt's anders gehen müssen. Er wüßte schon, was zu +machen wäre! Eine Mustergemeinde hätte er geschaffen, an der sich +selbst der Staat ein Muster genommen haben würde. Man hätte »oben« +gefragt: wer ist der treffliche Mann? Gehörte er nicht vielmehr +hierher an's Ruder, als daß er seine Kraft in dem engen Wirkungskreise +vergeude? + +Vor einer solchen Aussicht wird jeder Geschäftsmann -- er braucht nicht +erst Friseur zu sein -- die Lust an seinem Berufe verlieren. Meister +Florin macht bekannt: er rasiert nicht mehr. Jetzt kommen Fremde ins +Städtchen, Touristen, sie suchen einen Friseur. Ist keiner da. Sie +suchen auch einen Führer. Allsogleich tritt Meister Florin hervor und +macht seine höfliche Aufwartung, er kennt die Gegend, wie sonst gar +keiner mehr, er ist gerne bereit. -- Schön, was er begehre? -- Bitte, +es macht ihm ein Vergnügen, er ist mit von der Partie. Sie suchten +einen Führer und finden einen Kavalier. Um so besser. Den Träger für +Mäntel und Mundvorrat bestellt der Herr Florin; sie laden ihn ein, aus +ihrem Vorrate zu essen, mitzutrinken; er will nicht ablehnen, er tut +den Schinken und Flaschen sehr viel Ehre an; er ist stets delikat, aber +das ist zufällig seine Leibspeise, sein Tropfen -- hoch sollen sie +leben! + +Er weiß unterwegs stets zu erzählen und spricht ganz im Geiste der +Zeit, heißt das, wenn er merkt, die Fremden hätten keinen. Er erzählt +gern von sich und was ihm eben so am geläufigsten ist; die Fremden +heucheln Interesse, so lange sie's vermögen, endlich aber danken sie +für seine freundliche Begleitung und gehen ihrer Wege. + +Trotzdem, oder -- überhaupt, die Fremdenführerschaft trägt mehr, als +das Friseur- und Rasiergeschäft, sie trägt wenigstens die Kost und +man ist in der frischen Luft und Naturfreund ist man auch. Ist's und +wird's von Tour zu Tour mehr, denn überall erinnert man sich, was einen +früheren Touristen entzückt hat und das entzückt einen nun auch und so +bringt man im Laufe der Jahre eine Unzahl von »romantischen« Wegen, +entzückenden Punkten und Aussichten zusammen. + +Endlich nimmt er wahr, daß er ein so gewaltiger Naturfreund und +Tourist geworden ist, daß er davon leben kann. Er läßt sich als Führer +immer noch nicht lohnen, aber die Präsente, die der Kavalier dem +Kavalier verehrt, die darf er nicht abweisen. Er hat davon schon eine +respektable Sammlung, er verkauft sie nicht, es sind werte Andenken +von hohen Bekanntschaften und lieben Freunden -- und versetzen, nur +wenn's sein muß. Auch die Touristenvereine sind ihm erkenntlich, und +wie die Assekuranzen -- die er längst vernachlässigt und verloren +hat -- einst das Äußere seines Hauses mit Agenturtafeln dekoriert +haben, so dekorieren die Touristenvereine es von innen mit Diplomen, +Gebirgskarten und Edelweißorden. Er übt wieder Gegenerkenntlichkeiten +und wirbt Mitglieder für die Vereine. So wird er bekannt und gesucht +und jeder Fremde, der am Bahnhof dem Zug entsteigt, frägt als sein +erstes nach dem Herrn Florin. Der steht schon da, stets nett beisammen, +in Nationaltracht, stets höflich, lüftet seinen Touristenhut, ist dem +Herrn zuvorkommend zur Hand beim Aussteigen, beim Gepäcktragen, bei der +Suche nach einem Hotel, und dem Fremden bleibt nichts anderes übrig, +als sich gefangen zu geben. + +Der Gasthofbesitzer weiß meinen Florin wohl zu würdigen, und wenn +dieser für genossene Speis und Trank um die Rechnung ersucht, so +vertröstet ihn der Wirt von Tag zu Tag, bis Herr Florin endlich nicht +mehr ersucht und sich die Gasthauskost von Tag zu Tag so trefflich +munden läßt, als ob's auf der weiten Welt kein Stücklein Kreide gäbe. +Es geht. Sehr gut geht's, und Meister Florin sagt es selber: es ginge +ihm sehr gut! und er muß es am besten wissen. Daß er einmal Rasierer +gewesen, hört er nicht gern, es war auch nur ein Spaß von ihm gewesen, +ein schlechter Spaß. Er wohnt auch gar nicht mehr im Friseurhäuschen, +das ist der Habgier eines Gläubigers zum Opfer gefallen, gegen den +der Meister den langjährig geführten Prozeß ganz unstreitig gewonnen +hätte, wenn nicht Bestechung und Hinterlist von Seite des Gläubigers +stattgefunden hätte. Überhaupt sind die Leute heutzutage von einem +greulichen Eigennutz besessen, nur der Wirt nicht, nein, der ist ein +braver Mann. Jetzt wohnt er auch bei ihm. + +So verkehrt Meister -- was Meister! Herr von Florin nur mehr mit +vornehmeren Leuten, und wenn man dem Gespräche zuhört, das er und ein +zugereister Universitäts-Professor führen, so ist kein Zweifel, wer +der Gescheitere ist -- nämlich der Herr von Florin. Man kann aber +ordentlich erschrecken, wenn Florin plötzlich behauptet, das deutsche +Kaiserreich tauge nichts und er mit wenigen diktatorischen Aussprüchen +mir nichts dir nichts die Republik einführt und der Fürst Bismarck +wie ein armer Schlucker dasteht, noch um ein paar Stündlein Leben +bittend. Der Professor ist gar nicht imstande, der Tragweite dieser +unerhörten Reformen zu folgen, daher schweigt er, und das imponiert +den umsitzenden Zuhörern. -- »Ja, wie Florin gesprochen, da hat der +gelehrte Herr nachher kein Wort mehr zu sagen gewußt.« + +Wie steht er jetzt da, der Herr von Florin! Von altersher -- und zwar +seit etlichen vierzig Jahren -- heißt er Franz Viktor Florin; jetzt, +der Name ist ihm zu lang, er ist selber nicht über fünf Schuh lang, er +braucht keinen so langen Namen, er kürzt ihn, setzt anstatt des Wortes +Viktor bescheiden nur ein kleines v. und jetzt lautet die Visitkarte: +Franz v. Florin. Das steht! sehr gut steht's, und somit wäre er nun +eigentlich oben. + +Aber da sehe man den Neid des Schicksals! Überhaupt, wer zum Unglück +geboren ist usw. Auf einmal legt sich der Wirt hin und stirbt und macht +den Herrn v. Florin brotlos und dachlos. Denn der junge Wirt ist ein +Zopf und sagt, Florin solle arbeiten, er sei noch stark genug dazu. +-- So! Also das ist der Lohn, daß er die Fremden herbeigezogen und +die Gegend bekannt gemacht hat! Das ist der Lohn für die Dienste, die +er dem Hause und der Gemeinde und jedermann geleistet hat! Die Kinder +werden einst als alte Leute erzählen von Herrn von Florin, wie schlicht +er war und jovial und welche Reden er der Jugend oft gehalten hat und +wie er für den Fortschritt gewesen und was ihm das Städtchen verdankt. +Manche alte Schrift von seiner Hand wird verblaßt und vergilbt noch +Zeugnis ablegen von dem strebsamen, vielseitigen Manne, der seiner Zeit +voraus gewesen. Aber heute! Heute läßt man ihn darben. Zwar findet +er immer noch gute Seelen, die seinen Nahrungsbedürfnissen Rechnung +tragen, mein Gott, er ist ja leicht zufrieden! Aber der Rock will +verblassen und die fremden Herren, wenn sie kommen, wollen mit dem +fadenscheinigen Rock nicht gerne an einem Tische sitzen. Er ist immer +noch geistesfrisch, ja lustiger als früher und weiß allerlei Schnurren, +auch singt er und macht Musik dazu auf der Zither oder der Gitarre. +Er weiß possierliche Lieder, Sprüche und schalkhafte Anekdoten. Man +lacht darüber, man wartet ihm mit einer Zigarre auf oder läßt ihm ein +Glas Wein vorsetzen und so ist es immer noch unterhaltsam. Es gibt +Leute, die sagen ihm, er solle sich nicht so an die Fersen der Fremden +heften und sich nicht zum Spaßmacher hergeben, er solle lieber wieder +seinen Rasierladen aufmachen. Das sind die Kurzsichtigen. Sie wissen +nicht, was er will und worauf er es abgesehen hat. Er wird noch eine +einflußreiche Stellung gewinnen und dann seine weltbeglückenden Pläne +durchführen. + +Einstweilen verkommt er immer mehr. Mancher Fremde, der im Städtchen +absteigt, er mag Tourist sein oder Agent oder Vereinsmeier, nützt ihn +aus, so viel noch auszunützen ist. Er ist eine allbekannte Figur und +viel armseliger und niedriger denkende Subjekte, als er ist, machen ihn +zur Zielscheibe ihres Spottes. + +Endlich glaubt er's, daß er nichts erreichen wird; er klagt über ein +verfehltes Leben, setzt die Hoffnung aber auf seine Kinder. + +Er hat einen Sohn; der ist geistig sehr begabt, hat ganz den Kopf von +seinem Vater. Der soll studieren. Es ist kein Geld da, es ist keine +Protektion da, oder hat ein oder der andere seiner guten Bekannten doch +etwas zugesagt? Gewerbsmeister des Städtchens wollen den aufgeweckten +Jungen ins Geschäft nehmen, ihm ein Handwerk lehren. Ha, das wäre +wieder die alte Leier; dieses florinische Blut ist für was besseres rot +geworden; der Bursche muß in die Hauptstadt. Er soll sich dort selber +fortbringen, Freunde suchen und sich aus eigener Kraft aufschwingen. +Das macht den Mann. Der Vater hält ihm noch eine schwunghafte +Standrede, wie sie wortprächtiger in keinem Buche zu finden ist, und +der Junge geht in die Stadt. Er schreibt verzagte Episteln heim, der +Vater schickt ihm Briefe voll begeisternder Phrasen, aber sonst ohne +Inhalt. Da schreibt der Sohn in immer längeren Zwischenräumen immer +kürzere Briefe, endlich bleiben die Briefe ganz aus und das ist dem +Herrn Florin ein Zeichen, daß die Taube ein Gestade gefunden hat. + +Nun hat Florin -- sein Weib ist ganz Nebensache, das ist da oder es +ist nicht da, einerlei; ist es da, so wird es wohl irgendwo eine +Dachkammer haben, wo es sich mit Nähen oder Stricken fortbringt -- +trotzdem hat Herr Florin auch eine Tochter. Mit der läßt er sich nicht +ungern auf der Gasse blicken, denn sie ist schon bald kein Kind mehr +und wächst sich recht sauber aus. Sie als Küchenmädchen zum Wirt geben, +oder gar zu einem Bauer in die Arbeit? Nein. Das Mädchen hat bessere +Aussichten. Ein Baron war da, ein Tourist, der sagte, das Kind müsse +in die Stadt, da könne es sein Glück machen. Da erinnert sich der +umsichtige Vater sofort an gelesene oder gehörte Fälle, wo arme aber +hübsche Mädchen auch in der Stadt ihr Glück -- bisweilen sogar ein +unglaublich großes Glück gemacht haben. Der Herr Baron erklärt sich +bereit, für das Kind eine Stellung ausfindig zu machen, einstweilen +könne es in seinem eigenen Hause wohnen. -- Also doch gute Leute, und +Herr v. Florin sagt, Glück habe er niemalen viel gehabt, aber gute +Menschen habe er immer gefunden, überhaupt habe es den Anschein, daß +sich sein Glück erst bei seinen Kindern einstellen werde. + +Er läßt das Mädchen fort und nun -- sind die Kinder versorgt. Sie +sind's zwar nicht, aber Florin ist gewohnt, alles so auszulegen, wie es +am schönsten klingt. Sein Stolz ist, wenn er erzählen kann: Der Sohn +studiert auf einen Doktor, die Tochter ist beim Herrn Baron. + +Florin beginnt zu altern, aber er hat noch einen Plan, das ist der +einzige, den er in seinem Leben durchgeführt hätte, ~wenn~ er ihn +durchgeführt hätte. Er kann singen, versteht sich auf Saitenspiel, hat +die Gabe, zu unterhalten; er will fahrender Musiker werden. Das ist +gar nicht dumm, das ist der erste Schritt zum Mitgliede eines größeren +Kunstinstitutes. + +Das Mißgeschick ließ es aber nicht dazu kommen. Überhaupt, das +Mißgeschick! Nun sitzt er viel in den Schänken herum und setzt sich zu +dem, der just da ist und hebt einen flotten Diskurs an und läßt Possen +los und will fortgehen. Die Leute sind warm, da darf der Herr von +Florin nicht fortgehen, sie lassen ihm Wein bringen. Das Wasser, das er +zum Wein gießt, hält ihn noch aufrecht. Aber beim Branntwein, da .... + +Der Branntwein tut das seine und es gibt einflußreiche Leute in der +Gemeinde, die behaupten, für den alten Florin wäre es am besten, wenn +man ihn ins Armenhaus täte. + +Der ~alte~ Florin? + +Ja, es ist wahr, er ist grau, er sieht verfallen aus. Wenn er sich nur +öfters ein Stück Fleisch gönnen könnte! Warum sollen denn seine Kinder, +denen es in der Stadt gut geht, nichts für den Vater tun? Keines läßt +was von sich hören. + +Nun wird in die Stadt geschrieben. Es kommt eine Antwort; sie ist +von fremder Hand und berichtet, daß der Sohn vor längerer Zeit wegen +Bauernfängerei eingezogen, später wieder freigelassen und seitdem +verschollen sei. + +Herr v. Florin erschrickt zuerst, dann aber lächelt er, denn er glaubt +es nicht. + +Aufgefordert, schreibt auch die Tochter, sie sei nicht beim Herrn +Baron, aber sie wolle ihren Eltern nicht mehr unter die Augen treten. + +Herr Florin schüttelt den Kopf -- er kann es nicht verstehen. + +Und so rinnt die Zeit hin, von Tag zu Tag mit steigender +Geschwindigkeit -- wie es im Alter schon geht. Der Florin sitzt auf +der Gartenbank des Armenhauses und schaut den Bienen zu. Einer, der +vorbeigeht, denkt sich: Ja, alter Florin, du hättest den Bienen früher +zuschauen und dir an ihnen ein Beispiel nehmen sollen. Du hast dich +deines ehrlichen Gewerbes geschämt, hast es verlassen und verleugnet. +Hast hingeflunkert, hast hergeflunkert, dein spitzfindiges Spintisieren +und deine hohle Schlauheit hat dich auf die Holzbank vor dem Armenhaus +gebracht. Und wenn jetzt von den fremden Herren, denen du gefällig +warst, von den hochgestellten Freunden, die dir geschmeichelt haben, +einer hier vorbeigeht, so wird er dich nicht kennen, und kennt er +dich, vielleicht sein Haupt wegwenden und in sich hineinmurmeln: Ei, +das ist ja dieser Schwätzer, dieser Fex, dieser -- er hat allerlei +Namen zur Auswahl. Er ist bald vorüber. Ich aber bin der, welcher dir +einst vielleicht den Rat gegeben hat: bleibe deinem Gewerbe treu und +arbeite! Ich gehe nicht an dir vorbei, ich frage dich: »Wie geht es +dir, alter Florin?« + +Er schrickt auf. »Danke, danke,« sagt er, »so weit gut, recht gut. Dank +der Nachfrage!« + +Eine solche Zufriedenheit auf dieser Bank verdient doch einen Zehner. +»Da, Alter, kannst damit nichts mehr verderben -- gönne dir ein Glas +auf mein Wohl!« + +O, im Glase, das er nun trinkt, ist mehr d'rin, als der Spender +ahnt, der Florin -- der Herr Franz von Florin ist Bürgermeister, +Touristenvater, Abgeordneter, Regierungsrat, Schöpfer und Ordner aller +politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des +Landes. + +Um einen Silberzehner! In der Tat, billiger kann man das Glück nicht +haben. -- Und überhaupt das Glück .... + + + + + Der Steinschädel. + + +Es war ein so prächtiges Bauerngut gewesen. Voreh'! Voreh'! + +Dann wurde es anders. Der Hinterberger zahlte keine Steuern. Und +doch war er der Besitzer und Nutznießer aller Grundstücke, die den +Hinterberg einhüllten und die sich fast herab ins Tal der Lansa +erstreckten. + +Der Hinterberger war nichts weniger als glaubselig. Was in den Büchern +stand, von dem meinte er, das Papier wäre geduldig und man könne +d'rauf drucken, was man wolle. Was auf der Kanzel gepredigt wurde, +von dem hatte er eine nicht viel bessere Meinung: reden ließe sich +alles, was man reden wolle, und man wolle gerade das reden, was zu +eigenem Vorteile wäre. Gegen die Meinungen der Nachbarn und den Rat der +Verwandten war er nicht minder verstockt -- der Steinschädel wurde er +geheißen. + +Da kam im Jahre 1848 einer jener Wanderprediger, wovon manche +vernünftig, viele aber Narren gewesen sind. Und dieser Mann predigte, +daß der Bauer von nun an freier Herr seines Grund und Bodens wäre und +also keine Steuern und Abgaben mehr zu entrichten brauche. + +Keine Steuern und Abgaben mehr! Das glaubte der Hinterberger aufs Wort. +Das leuchtete ihm ein; denn was mein ist, davon bin ich keinem Menschen +was schuldig. Zudem stand's ja auch in den »Herrschaftsbriefen«, er +bekam ein- für allemal die Papiere über die Grundablösung -- und nun +war er ein freier Mann im freien Staate. + +Er zahlte keine Steuern mehr, blieb aber trotz aller Behörden Besitzer +und Nutznießer des ganzen Hinterberges. Die Behörden zwangen ihn auch +nicht -- sie ließen ihm bloß das Vieh aus dem Stalle und das Getreide +von der Scheune führen und deckten damit die Steuern und die Unkosten, +die aus solchem Gebaren erwuchsen. + +Da schrie der Hinterberger freilich auf, man täte ihm kreuzunrecht, und +der Staat, der verpflichtet sei, Hab' und Gut seiner Bürger gegen Raub +zu schützen, sei selber der Schelm ... + +Zu den Advokaten ging er und suchte Gerechtigkeit, wie er sie dachte. + +»Ja, Bauer, das ist nicht so!« sagten die Advokaten. + +»Warum ist das nicht so?« + +»Ihr sagt ja selbst, daß Ihr den Schutz des Staates erwartet -- wollt +Ihr den umsonst haben?« + +»Ich? Den Schutz des Staates? Wozu? Können mir meine Felder gestohlen +werden? Kann mir mein Wald von Räubern umgehauen werden über Nacht? He?« + +»Aber in Eure Wohnung kann man einbrechen, mißhandeln kann man Euch und +das Haus über dem Kopf anzünden.« + +»Freilich,« rief der Hinterberger, »wer's will und stark genug ist, der +tut's, bricht in meine Wohnung, schlagt mich tot, zündet mir das Haus +an. Bis Eure Polizei hinaufkommt auf den Hinterberg, ist alles vorbei. +Wenn ich selber kein Gewehr im Haus hab', so bin ich hin. Jetzt möcht' +ich wissen, wofür ich Steuern zahlen soll!« + +»So wollt Ihr dem Staate entsagen, Hinterberger? Glaubt Ihr, daß Ihr +allein bestehen könnt? Habt Ihr alles auf Eurem Grund, was Ihr zum +Lebensunterhalte braucht? Seid Ihr nicht angewiesen, die überschüssigen +Früchte Eurer Felder zu vertauschen, zu verkaufen, um anderen Bedarf, +der bei Euch auf dem Hinterberge nicht wächst, einzulösen?« + +»Ich?« fragte der Bauer, »nein. Wir Hinterberger Bauern sind auf +ein solches Austauschen nicht angewiesen, aber Ihr Herrenleut' seid +es. Ihr sollt froh sein, wenn wir Euch das Korn und das Rindfleisch +~verkaufen~. Freilich kommt Ihr billiger dazu, wenn Ihr mir's mit +Gewalt wegnehmt.« + +Das war die Logik des Hinterbergers. Und die Advokaten, die sonst jeden +Prozeß der Klienten mit Zuversicht auf sich zu nehmen pflegen, ließen +ihn im Stich -- alle. Der Bauer fand's ja erklärlich -- sie halten all' +zusammen. + +Die Nachbarn sagten ihm: »Sei gescheit, Hinterberger!« + +Er antwortete: »Oh, ich bin gescheit genug, aber ihr seid dumm. Tätet +ihr mit mir halten, durchsetzen wollten wir's! Aber einer allein? ... +Und doch geb' ich nicht auf, was mein ist, davon zahl' ich nichts weg!« + +So ging es fort. Alljährlich war dasselbe. Zuerst kam der Bote mit +der Aufforderung zum Steuerzahlen, dann kam die Drohung, dann kam die +Pfändung. + +Und hierauf saß der Mann traurig vor seiner Haustür und murmelte: +»Jetzt sind wieder die Schelme dagewesen.« + +Er hatte Weib und Kinder. Die Kinder verwahrlosten, das Weib verkam. +Dem weinenden Weibe drückte der Gerichtsmann gutmütig die Hand und +bat um Verzeihung, daß er seine Pflicht tun müsse. -- Als die Knaben +heranwuchsen, kannten sie nur eine Ungerechtigkeit auf der Welt: das +Gesetz, und nur einen Feind: den Steuerbeamten. + +Der Gerichtsbote weigerte sich, in den Hinterbergerhof hinaufzugehen; +die Knaben empfingen ihn mit Steinwürfen, der Bauer tat sein altes +Schußgewehr zurecht. »Jeden Schelm, der in mein Haus kommt, schieß' ich +nieder.« + +Da mußte er's erfahren, daß das Gesetz noch ungerechter sein konnte, +als bloß Hab' und Gut wegzunehmen, daß es auch die persönliche +Freiheit vernichten konnte. Zwei Standarn (Gendarmen) kamen und +reckten zur Tür die Gewehrläufe mit den Bajonetten hinein. Das Weib +des Hinterbergers kreischte auf -- ~solche~ Räuber waren noch nie +dagewesen. Der Mann sagte gleichgültig: »Ein dummer Kerl müßt' ich +sein, wenn ich mich jetzt wehren wollt'. Da habt's mich, schleppt's +mich mit, bringt's mich um!« + +Er saß wochenlang im Arrest. Er machte dort Bekanntschaft mit anderen, +die mit dem Gesetze ebenfalls im Kriege lebten. Der »Steinschädel« war +sonst ein Feind des Lernens, weil er ja ohnehin alles wußte und weil +Fremdes seiner Überzeugung stets entgegen war. Aber im Arrest -- das +gestand er sich -- war manches zu profitieren. Die Genossen waren reich +an Erfahrungen und hatten neue Ideen. -- Entweder der Mensch hat sein +Eigentum für seine Person, dann muß der Mensch dieses Eigentum fest +zusammenhalten, und keiner hat das Recht, davon zu nehmen. Oder der +Mensch hat kein Eigentum, alles ist gemeinschaftlich, gut, nachher muß +aber der Reichtum so verteilt sein, daß jeder gleich viel hat. Nachher +hat jeder Sachen genug, nachher gibt es keinen Armen mehr. + +Der Hinterberger hatte sein Lebtag noch keinen Menschen so gescheit +sprechen gehört als den arretierten Tischlergehilfen, der obiges +erörterte. Entweder so oder so! -- Aber Steuerzahlen, das ist nicht so +und nicht so und hat keinen Sinn. + +Als der Hinterberger endlich vom Gefängnisse entlassen nach Hause +kam, fand er das Elend noch größer. Die letzte Kuh war aus dem Stall +gepfändet; das Weib lag krank auf dem Stroh und die Kinder balgten sich +um die letzte Brotkrume. Zu den Nachbarn war sein Weg, daß sie ihm +hülfen. Sie lachten ihn aus: »Du Narr, du bist selber schuld. Hättest +nur etliche Bäume aus deinem Wald verkauft und die Steuerschulden wären +gedeckt gewesen.« + +»Die Steuer-~Schulden~? Wieso Schulden?« + +»Ja glaubst denn, Nachbar, du kommst auf, gegen die Weltordnung?« + +»Ich weiß es, daß ich zugrunde gehe, aber ich weiß es auch, daß ich +recht habe, und das ist ein ganz anderes Recht als jenes, so in euern +Gesetzbüchern steht. Und es wird kommen, daß kein Mensch mehr Steuern +zahlt, als etwa der Pächter. Ja, da möcht' ich leben.« + +Es kam die Zeit heran, da der älteste Sohn des Hinterbergers +militärpflichtig wurde. Das wird wieder einen Sturm geben mit dem +Alten, meinten die Leute. Aber siehe, der Bauer hatte kein Wort dagegen +und ermahnte noch den Burschen, seinen Vorgesetzten zu gehorchen und +ein tapferer Beschützer des Vaterlandes zu sein. + +Die Behörde hatte mit ihm so viel Nachsicht als möglich. Der Pfarrer +besuchte ihn einmal und suchte ihn mit Vernunftgründen zu bekehren. +»Hochwürden« sprach der Bauer rundweg, »wenn Er vom Himmel und Hölle +predigt, da hört man Ihm gern zu; wenn er anstatt Saufen und Raufen +das Beten und Almosengeben aufbringen will, so hat's auch noch seinen +Schick, aber vom Steuerzahlen -- mit Verlaub -- versteht Er gar nichts.« + +Da stieg der Oberamtmann selber einmal hinauf gegen den Hinterberg mit +der Absicht und der festen Überzeugung, den närrischen Kauz mit Güte +zu bekehren. Er kam eher zurück, als er sich gedacht hatte, kam sehr +aufgeregt zurück und gab Befehl, gegen diesen wilden Menschen auf dem +Berge nicht die geringste Rücksicht mehr walten zu lassen. Was ihm +passiert war, ist nicht offenbar worden. + +Nun pfändeten sie dem Hinterberger den schwanken Tisch und den +wurmstichigen Kasten, so daß die wenigen Habseligkeiten hingeworfen +lagen auf dem morschen Fußboden. Elend sah es aus im Hause, und die +erwachsenen Jungen lungerten arbeits- und zuchtlos draußen in den +Weiten herum und aßen ihr Brot, wo und wie sie es fanden. Eines Tages +wurden zwei davon als Wildschützen eingefangen. + +»Ist nicht in Ordnung das!« meinte der Alte, »nur abstrafen, ist schon +recht, nur abstrafen!« + +»Dann muß man auch dich mitabstrafen,« rief ein Nachbar, »wie du +deine Kinder hast gebogen, so sind sie erzogen. Darf man ein Gesetz +überschreiten, warum nicht auch zwei, warum nicht auch das dritte, +wenn's gelegen ist, warum nicht alle?« + +Mit der armen Hinterbergerin hatte es endlich ein Ende. Ihr letztes +Wort im Sterben war gewesen: »Gott Lob und Dank!« + +Die Leichenkosten bezahlte er willig und bar. Aber als die +Verlassenschaftsgebühren zu erlegen waren, fluchte er: »Der Tod auch +besteuert? Auch mit ~dem~ machen sie noch ein Geschäft? Verdammt!« + +Eines Montagmorgens war die ganze Gegend in Aufregung. In der Lansa +war ein junger Bursche erschlagen gefunden worden. Ein Raufhandel war +in der Nacht gewesen. Am nächsten Tage kehrte der jüngste Sohn des +Hinterbergers nicht ins Haus zurück. Dafür kam die Botschaft, der +Hinterberger möge mit dem Mittagessen nicht auf sein Bürschl warten, +dasselbe käme heute nicht heim, käme vielleicht auch morgen nicht, +käme vielleicht viele Jahre lang nicht -- die Standarm hätten ihn mit +sich genommen, weil er einen blutigen Rockärmling gehabt habe. Und +einen blutigen Ärmling habe er gehabt, weil er den Sager-Urb umgebracht +hätte. + +»Was hätte er?« fragte der Hinterberger. + +»Den Sager-Urb hat er umgebracht.« + +»Wer?« + +»Dein Bürschl -- dein Hans.« + +Da legte der Alte die Hand ans Ohr, daß sie die Schallwellen +hineinleite und sagte leise: »Jetzt muß ich noch einmal fragen, wie +du's meinst!« + +Und der Bote antwortete eben noch einmal. + +Jetzt nannte der Alte den Boten eine Bestie. + +Aber solcher Bestien waren mehr. Keiner hat es zwar gesehen, daß +der Hinterberger-Hans den Sager-Urb erschlagen und in die Lansa +geworfen hatte, doch jeder war davon überzeugt. Beim Lindenwirt +waren sie des Abends zusammen gewesen, es wurde getrunken, gesungen, +gezankt und gerauft. Der Metzger Pankraz hetzte, der Urb gab dem +Hans einen Schlag auf die Wange und nannte ihn einen Strolchen von +der Hinterberger-Höhlen, von der seit Jahren schon kein braver +Mensch mehr herausgegangen sei, weil keiner hineingehe. Auch eine +Wilderergeschichte war dabei und einer Liebschaft wegen ging es her. +Der Hans war so wütend, daß er das Ofengeländer zerriß, um mit der +Holzlatte den Urban niederzuschlagen, hätten ihn nicht mehrere Männer +davon abgehalten. Nun ging er in die Nacht hinaus und kam nicht mehr +zurück. Um Mitternacht steckte der Urb seine große Brieftasche ein und +verließ das Wirtshaus; eine halbe Stunde später war an der Lansa ein +Schrei. + +Und am nächsten Morgen begegneten zwei in die Arbeit gehende Männer dem +Hinterberger-Hans, der just am Hollerbrunnen Blut von seinem Ärmling +wusch. Ein paar Stunden später fand man unten an der Hammerwehr den +toten Sager-Urb, der mehrere Stiche am Halse und an der Brust hatte. + +Der Hans wurde als Verbrecher zu Gericht geführt. Er leugnete die Tat, +die Leute lachten ihm ins Gesicht: Was das Leugnen helfe, wenn alles +sonnenklar liegt! + +»Daß ich beim Nachhausegehen in der Nacht Nasenbluten gehabt, das wird +mich doch nicht unglücklich machen!« + +Man befahl ihm, daß er schweige. -- + +Der Hinterberger lief zum Gericht: »Den Buben laßt mir aus! Ich +verpfänd' Haus und Hof für meinen Hans! Er hat nichts getan.« + +»Geht, Alter, Haus und Hof habt Ihr nicht mehr zu verpfänden!« + +Der Hinterberger schwankte heim zu, da fand er die Türe seines Hauses +versperrt und versiegelt. -- Seit so vielen Jahren die Steuern +verweigert, da hat man ihm endlich den Prozeß gemacht. + +So lag nun unter dem Schatten der Esche ein Bettelmann. Nein. Er wollte +nicht betteln, er wollte da liegen bleiben und sterben als ein vom +Staate Zugrundegerichteter. Aber zwei mitleidige Bauern schleppten ihn +mit sich. Er blieb dabei, der Hans wäre an dem Morde unschuldig; und +die Leute blieben dabei: kein anderer hätte den Sager-Urb erschlagen +als der Hinterberger-Bursch'. Die einen gaben ihm lebenslänglichen +Kerker, die anderen ließen ihn hängen. + +Im Gerichtssaale ging es heiß zu. Und das Urteil wurde gesprochen. -- +Der Hans kehrte aus dem Kriminal zurück und war frei. + +Der Alte hatte es nicht glauben können, daß er schuldig sei und konnte +es jetzt nicht glauben, daß er frei war. + +»So hat dich doch der heilige Johannes von Nepomuk gerettet?« Der von +Nepomuk ist nämlich ein Patron, den man anruft, um eine verlorene Ehre +wieder zu finden. + +»Glaub' nicht, daß er's gewesen ist,« berichtete der Hans, »er hat +einen schwarzen Frack angehabt. Ein Doktor ist's gewesen, und der hat +alles genau untersuchen lassen und hat alle Zeugen überwiesen und hat +nicht eher Ruh' gegeben, bis es ist herausgekommen, daß ich unschuldig +bin, nachdem sie derweil den richtigen Mörder erwischt haben. Der +Pankrazl, der Schelm! Wegen Geld. -- So haben sie mich freilassen +müssen.« + +»Und hast nichts Gewisses erfahren, wer der brave Mensch ist gewesen?« + +»Nichts Gewisses nicht; den Verteidiger haben sie ihn geheißen und +haben gesagt, das Gesetz tät' vorschreiben, daß jeder Angeklagte einen +Verteidiger müßt' haben.« + +»Das Gesetz tät's vorschreiben?« fragte der Alte. + +War schon der Gemeindevorsteher da und sagte: »Wenn du auch ein Feind +bist gewesen gegen den Staat und das Gesetz, so hat dich der Staat und +das Gesetz doch nit verlassen.« + +Von dieser Stunde ging der Hinterberger in der Einsamkeit um. Dann ging +er zur Behörde und fiel nieder auf die Knie: »Meine Herren, tun's mir +verzeihen!« + + + + + Der Feuermann Balthasar. + + +Das Jahr ist alt geworden. Und der Knabe ist noch so jung. Er steht +unter dem Birnbaum und schaut zu zu den Zweigen, an welchen die +Eiszähnchen des Rauhreifes wuchern. Er schaut hinaus über die Heide und +sieht eine kleine Strecke hin die braunen Birnbaumblätter liegen, und +hie und da einen Stein oder einen gebrochenen Rispenhalm; dann geht +alles in den grauen Nebel hinein. Und der Knabe schaut vor sich auf den +Boden hin und vergräbt seine Füßchen in das froststarre Laub, das vor +kurzen Monden noch hier oben grünte. + +Und dann zieht er mit seinen kleinen hageren Händen das Linnenwämschen +zurecht, daß es überall langen und wärmen solle, und dann steht er +unbeweglich und blickt in den Nebel hinaus. + +Und sieh, dort im Nebel ist ein kleiner dunkler Punkt, und der wird +schärfer und größer und löset sich endlich ganz ab von dem Grauen, und +es ist ein Mensch, der hastig des Weges kommt; ein sorgsam eingemummtes +Mädchen, wohl ein wenig erwachsener als der Knabe, aber doch lang' +nicht tausend Wochen alt. + +Das Mädchen hält an und sieht auf den Knaben hin: + +»Was stehst denn du da?« + +»Ich weiß es nicht,« war die zaghafte Antwort. + +»Wer bist du denn?« + +»Ich bin der Bübi.« + +»Wartest du auf wen?« + +»Auf den Tati.« + +»Du armer Narr, du frierst ja in den Nebel hinein. Mußt du noch lange +warten?« + +Der Kleine sah mit seinen braunen Augen auf. Diese Augen taten dieselbe +Frage: »Muß ich noch lange warten?« + +»So will ich dir ein Feuer machen, daß du dich wärmen kannst, bis der +Tati kommt.« + +Sie zog ihre Hände aus der Schürze und hub an, Reisig zusammenzutragen +auf einen Haufen, dann tat sie ein Streichhölzchengefäß hervor und dann +brannte das Holz. + +»So, und jetzt stelle dich daran und wärme dich und versenge dein +Gewand nicht und warte.« + +Das Mädchen ging weiter, ging wieder in den Nebel hinein, bis es in +ihm verschwand. Der Knabe hatte dem Mädchen unverwandt zugeschaut, +und als es nun nicht mehr zu sehen war, wendete er sein Auge auf den +Reisighaufen. Da drin knisterte es und die Flämmchen mehrten sich und +hüpften von einem Ästchen zum andern und strebten empor. Hastig stieg +der dünne, blaue Rauch auf und verschwamm in dem Nebel. Der Knabe +blickte in die Flammen. Ganz nahe stand er am Feuer, rührte kein Glied, +bewegte keine Miene, starrte gleichweg in die Flammen. + +Das Feuer prasselte, schlug hoch empor; das Reisig brach ein, die +Flammen schrumpften zusammen, die Kohlen knisterten milder, glühten +still, bröckelten und sanken zur Asche in den Boden. + +Stunden waren vergangen, und der Knabe blickte mit geröteten Wangen in +das versterbende Feuer. Er hatte kein abseits gefallenes Ästlein in die +Glut geschoben, er hatte keine Kohle geschürt; wie das Feuer strebte +und verging, so ließ er es streben und vergehen. Die letzten Kohlen +glühten heller und tiefer, denn es hub an zu dunkeln, und der Nebel lag +dichter und finsterer auf der Heide. + +Seit dem Mädchen war kein Mensch mehr gekommen und gegangen; der Knabe +hatte nach keinem ausgeblickt. Es war, als wollte er so stehen bleiben +durch den Abend, durch die lange Nacht und immer. + +Als es schon sehr dunkelte, kam von jener Seite, in die das Mädchen +hingegangen, ein Knarren und Ächzen heran. Es war ein Fuhrwerk; zwei +Rinder zogen einen Wagen, auf dem ein Mann saß, der Tabak rauchte. Als +er den Knaben sah, rief er: »Ho, oha!« Da blieben die Ochsen stehen und +nun fragte der Fuhrmann, wie vor Stunden das Mädchen gefragt hatte: +»Was stehst denn du da? Wer bist? Auf wen wartest du so spät in der +Weite?« + +»Auf den Tati.« + +»Auf deinen Vater? Wo ist er denn hingegangen?« + +»Der ist auf die Kirmes gegangen.« + +»Sprich die Wahrheit, Kleiner! Heute gibt es weit und breit herum keine +Kirmes.« + +»Auf der Kirmes hat er Musik gemacht bis in die späte Nacht, und +jetzunder ist er noch nicht zurückgekommen.« + +»Alle Heiligen!« ruft der Mann, »das war ja der Musikant, den es vor +drei Tagen in Ottenkirch auf der Kirchweih getroffen hat! Kleiner, das +Warten ist nichts. Komm' zu mir auf den Wagen.« + +Jetzt wurde der Knabe verwirrt, aber er kletterte mit Hilfe des Mannes +auf den Karren und setzte sich auf das Stroh. Hierauf taten sie eine +härene Decke über ihre Glieder und der Mann rief »Hie jetzt!« und der +Wagen hub an zu knarren. Sie fuhren durch Nacht und Nebel über die +Heide. Der Knabe antwortete kaum auf die Fragen seines Schirmers, +sondern starrte fast unverwandt in das Glimmen der Pfeife, aus der +jener den Rauch sog. -- -- + +Seit diesem Tage waren ungezählte Tage vergangen. Der Knabe von +der Heide war erwachsen und ein wohlgebildeter Jüngling geworden. +Jener Fuhrmann war ein Schmiedmeister gewesen und hatte den kleinen +Balthasar in seinem Handwerke erziehen wollen. Aber das ging nicht, der +sonst so fleißige Bursche starrte fortweg in die sprühende Esse oder +blickte träumerisch das glühende Eisen an, statt auf dasselbe frisch +loszuhämmern. »Junger Mann, das Eisen muß man schmieden, solange es +warm ist!« sagte hierauf der Meister eines Tages und riet dann dem +Burschen, er möge es einmal anderswo versuchen. + +Balthasar kam in einen Pachthof. Das war ein flinkes Arbeiten auf +dem Felde und im Obstgarten; aber des Abends, wenn andere im Freien +herumstreiften, scherzten und mit den Weibsleuten schäkerten, saß der +Balthasar am Herd und sah den Flammen zu. + +»Balthasar,« sagte nun der Pächter einmal, »was schaust du so drein und +bist nicht lustig wie die andern?« + +Da blickte der Bursche auf: »Ich? Warum sollt' ich denn nicht lustig +sein? mir geht es gut.« Sein Auge sank wieder der Glut des Herdes zu +und das Antlitz des Jünglings sah nicht betrübt. + +»Wenn ich nur wüßte,« rief der Pächter, »was um des Himmelswillen da in +der Aschengrube drin zu sehen ist.« + +Jetzt hob der Balthasar wieder sein Haupt und sagte die Worte: »Ich +weiß auf der Welt nichts Schöneres.« + +Der Pächter schwieg eine Weile und starrte auch in die Flamme, aber +nur im Sinnen, was er auf die Worte entgegnen sollte. Und endlich +entgegnete er: »Wärst du sonst nicht so bündig und findig, man müßte +hell meinen, du bist ein Narr!« + +Und der Pächter ging davon. Der Balthasar aber blieb sitzen am Herde +und murmelte in die Glut hinein: »Allmiteinander wissen sie es nicht, +wer das Feuer hat angezündet. Mädchen, dich will ich nicht verraten, +aber du bist so schön und so gut wie das Licht.« + +Balthasar konnte gar flink und heiter sein; viel öfter aber verlor +er sich in stilles Sinnen und Träumen. -- Ich weiß nicht woher, aber +sie ist gekommen und hat mir das Feuer gemacht auf der Heide, daß ich +Waisenkind nicht bin erfroren. Und sie ist wieder gegangen, ich weiß +nicht wohin. Mir schwant, ich soll sie nimmermehr sehen. Aber in den +Flammen, da ist sie bei mir. + +Sie haben es nicht geahnt, welche Art von Frömmigkeit es war, wenn +Balthasar am Sonntag in der Kirche sein Auge vom Altar nicht abwendete, +bis die letzte Kerze verloschen. + +Eines Tages brannte das Armenhaus; ein Kind war in Lebensgefahr. +Balthasar brach lustig durch die Flammen und befreite das Kind. + +»Der ist der Prophet Daniel oder der Teufel,« sagten die Leute. + +»Ei, das ist ja der Narr, der die schönsten Weiber übersieht und mit +der Herdglut liebäugelt; dem tut kein Funke was, das ist der Feuermann!« + +Der Feuermann! Dieser Name ist dem Burschen geblieben, und in diesem +Namen war es ihm, als sei er mit dem Feuer, dem Sinnbilde seines +Glückes, getraut und vermählt. + +Stiller und verschlossener wurde der Balthasar; teils schwermütige, +teils heitere Schwärmerei webte in ihm; er lebte in vergangenen Zeiten. +Seine Vergangenheit, sonst so arm und dunkel und frostigkalt, hatte +einen leuchtenden Stern. Die Mitmenschen spotteten seiner, da wendete +er sich noch mehr von ihnen ab und noch mehr der Flamme zu. Fast +unheimlich war es, wie er an Feuerstätten des Herdes oder des Waldes +saß, und dem wunderbaren ewigen Rätsel des Flammenlebens zusah und +darüber alles andere vergaß. Zuletzt wurde Balthasars Auge so geübt, +daß er selbst in die Sonne hineinblicken konnte, wenn er auf dem Felde +lag. Hingegen zogen sich nach und nach alle anderen Gegenstände von +seinem Auge ab und verschwammen zitternd und unsicher in Dämmerung. +Endlich hatte die Flamme wahrhaftig gesiegt. Eines Tages war Balthasar +erblindet. + +Jetzt waren genug Leute da, die behaupteten, so hätten sie es +vorausgesehen, und so hätte es kommen müssen. Und früher war kein +einziger gewesen, der dem seelenkranken Burschen das zehrende Feuer zu +mildern gesucht hätte durch die Wärme eines verstehenden Herzens. + +Balthasar aber saß nun stets auf der Bank vor dem neugebauten +Armenhause und wendete das Antlitz ruhig hinaus gegen das Weite. Er +war's zufrieden. Von allen lichtlosen Dingen der Erde verlangte ihm +nichts zu sehen, und die Flamme hatte er, schaute er noch immer mit +seinem Auge. »Wie schön hell sie leuchtet!« lispelte er zuweilen vor +sich hin; und ein anderesmal wieder war er betrübt und murmelte: »Weh', +heut' ist sie matt. Wenn sie verlischt! Balthasar, wenn du erblindest!« +Er wußte es kaum, daß er längst erblindet war, daß er keine Blume und +keines Menschen Angesicht und in Wahrheit keinen einzigen Lichtfunken +mehr sah. Sein Sehnerv träumte nur noch von dem Flammenreiche, in dem +er seit Kindestagen gewandelt war. + +Manches lange, einsame Jahr hatte die Sonne seitdem erweckt und +versenkt. Da kam wieder einmal die Kirchweih in Ottenkirch. + +»Balthasar,« sagte der Ortsrichter zu dem Blinden, der auf der Bank +des Armenhauses saß, »dein Vater hat auf der Ottenkircher Kirmes +musiziert, so magst du wohl auch auf diese Kirmes gehen, auf daß du +kleine Gaben für dich sammelst.« + +»Wohl, wohl,« sagte Balthasar. + +Und am Morgen der Kirchweih lächelte Balthasar vergnügt bei sich. -- +Er wird Glück haben bei seinem Gabensammeln, die Flamme, die er stetig +sieht, brennt heute hell. -- Ein Knabe führte ihn nach Ottenkirch und +dort, wo am Beginne des Dorfes das Kreuz steht, ließ er den Blinden +hinsitzen auf den reiftauigen Rasen und ging davon. Balthasar fühlte +den Frost und den Nebel wie einst auf der Heide, aber er hörte die +Kirchenglocken und die Schritte und das Plaudern und das Lachen der +Leute, die vorübergingen. Die Leute sahen den Blinden nicht, oder +gedachten auf dem Rückweg ihm das Almosen zu reichen. -- Auch Musik +hörte Balthasar von den Häusern her; ihm war, als ob sein Vater geigte. +Die Flamme flackerte vor seinem Auge, als ob ein Sturmwind ginge. + +Zwei übermütige junge Herren in feinen Tuchröcken und Seidenhüten kamen +des Weges. + +»Ei, schau,« sagte der eine, »da sitzt ein armer Blinder, dem müssen +wir ein Almosen reichen!« und warf ein schweres Stück in den Hut. + +»Vergelt's euch Gott!« rief Balthasar, und tastete nach der Gabe; +»Herr,« sagte er dann, »das ist ein Kieselstein. Und man kann daraus +Funken schlagen. Vergelt's Euch Gott!« + +Die jungen Herren gingen lachend weiter, gingen in das Dorf. Sie riefen +jedem Krämer einen scharfen Spott zu. Vor der bekränzten Kirchentür saß +ein Weib und bot Obst feil. Das Weib war nicht alt, aber auffallend +häßlich geartet im Antlitze, bis auf die großen schönen Augen. + +»Ei,« rief einer der beiden jungen Herren und hob einen Apfel aus dem +Korb; »sind diese Äpfel aus jenem Urwalde, in welchem deine Eltern auf +den Bäumen herumgeklettert?« + +Die Obstverkäuferin erschrak. Wohl mochte sie gewohnt sein, ihrer +Häßlichkeit wegen manchen Spott zu verwinden, aber diesmal ging's ihre +Eltern an -- das grub wild. + +Die Obstverkäuferin war im Herzen verletzt, sie nahm den Korb und ging +davon, ehe das Fest noch recht anhub. + +Als sie vor das Dorf hinauskam, sah sie den Bettler. Sie blieb stehen +und blickte eine Weile auf die Züge des Mannes, der noch fast jung +war und ein solches Schicksal hatte. Der ist zu gut, um vor der rohen +Menge zu betteln, dachte sie, und dann, indem sie ein Geldstück aus der +Tasche zog, sagte sie: »Armer Mann, was willst denn du da?« + +Kaum den Ton der Worte vernehmend, springt Balthasar auf, tastet mit +den bebenden Händen und stöhnt: »Mädchen, Mädchen, du -- du bist es, +die mir das Feuer hat angezündet! -- O, ich kenne dich, ich sehe dich, +du schöner, du guter Engel! Bleib' nur ein wenig, bleib' bei mir!« + +Das Mädchen setzte den Korb ab und suchte den erregten Mann zu +beruhigen. »Weißt du's nimmer!« rief Balthasar mit freudeglühenden +Wangen, »es ist Herbst gewesen; der Waisenknabe ist gestanden auf der +Heide, zum Erfrieren. Dann bist du gekommen und hast das Feuer gemacht. +Du mußt es wissen, das Feuer brennt ja noch.« + +Die Obstverkäuferin hat dem blinden Manne das bereitete Geldstück nicht +gegeben; sie hat den armen Balthasar mitgenommen, am Arm geführt und +zuletzt auf einem Wagen heimgebracht in den Wohlstand und den Frieden +ihres Hauses. + +Er wußte seine Blindheit nicht, er sah das Herrlichste, was man sehen +kann, die Schönheit einer guten Seele. + + + + + Herr Meyer, der Belehrende. + + +Michel war von väterlicher Seite ein geborener Meyer, von mütterlicher +Seite ein geborener Sonderling. Sein Vater war Landwirt im oberen +Ennstale; seine Mutter war die Landwirtin dazu. Sie waren vom Haus aus +lutherische Leut', und die Frau trug -- so ging die böse Mär -- unter +ihrem letzten innersten Brustfleck ein Amulett, ein kleines Bild des +großen Tintenkleckses, welchen Luther erzeugte, als er sein Tintenfaß +dem Teufel an den Schädel geschleudert hatte. Der Meyerin liebster +Wandel war, daß sie umherging, um die Nachbarn zur reinen christlichen +Lehre zu bekehren. Das gelang ihr nur bei einigen von denen, die +ihr Geld oder Butter schuldig waren, die andern blieben verstockte +Katholiken. Da wurde der Meyerin eines Tages gesagt: »Du scher' dich +nicht um fremder Leut' Glauben und schau einmal, wie's dein Michel +treibt, der glaubt nichts Katholisches und nichts Lutherisches; Heid +ist er keiner, Jud ist er keiner. Dein Michel ist gar nichts.« + +Ihr Michel, der war seit seiner Kindheit in der Stadt und hätte die +Gottesgelehrtheit studieren sollen. Aber weil er alles wissen wollte, +so studierte er auch andere Gelehrtheiten. Und als ihrer solche immer +mehr wurden und im Gehirne des Jünglings kräftig aufwuchsen, so fielen +sie über die arme Gottesgelehrtheit her und fraßen sie auf. Und der +Michel Meyer war auf einmal ein Weltgelehrter; er blickte in das Wesen +der Dinge ein, aber von Muttern blieben die Gelder aus -- denn die +Gelder waren lutherisch. + +Hingegen hatte der Vater, der alte Meyer, etwas Konfessionsloses in +seinem Kasten, und das half dem Studiosus recht christlich über Zeiten +hinaus, die sonst schwer gewesen sein würden. + +Der Michel aber war kein regelmäßiger Studiosus, der nach regelmäßigen +Rigorosen und Kommersen ein regelmäßiger Professor wird. Ihm war die +Wissenschaft mehr als ein Handwerk, das sonst mit allen Vorurteilen +einer alten Zunft ausgeübt wird. Und doch steckte in dem Michel dickes +Schulmeisterblut. Die Wissenschaften, die er eingesogen, die in ihm +großgewachsen waren, wollten ihn nun fast zersprengen, und schier, wo +er stand und ging, explodierte sein Gehirn. Das heißt, wo er stand +und ging, dozierte er; ja noch mehr, schon des Morgens, wenn er noch +im Bette lag und die alte Haushälterin mit dem Frühstück in die Stube +trat, tat er derselben dar, wieso es eigentlich komme, daß das Glas +schwitzt, wenn es mit frischem Wasser vom Brunnen kommt, und wie das +mit dem Wetter zusammenhänge, so daß an einem schwitzenden Glase die +Beständigkeit der schönen Witterung vorausgesagt werden könne. Auch +machte er die Alte oftmals darauf aufmerksam, daß der Kaffee in der +Schale ein vorzüglicher Barometer sei. »Wenn sich in der Schale jetzt +der Zucker, den ich hineingeworfen habe, aufgelöst, so werden Sie +sehen, daß auf der Oberfläche ein Schaum entsteht; steht dieser Schaum +in der Mitte, so hält das schöne Wetter an, legt er sich aber an den +Rand, so haben wir bald Regen. Sehen Sie, er steht in der Mitte! -- +Das ist merkwürdig, nicht wahr? Nun hören Sie, jetzt will ich Ihnen +erklären, wie das kommt.« + +Die Haushälterin machte sich stets beizeiten aus dem Staube, der noch +nicht aufgewischt war; sie bewunderte die Weisheit ihres Zimmerherrn, +aber sie verstand nichts von dem, was er erklärte. Sie glaube es schon +auch ohne Erläuterung, meinte sie, und sie sei halt so viel eine +einfache Person. + +Der Herr Meyer aber benützte fleißig das schöne Wetter, das ihm +von seinem Kaffee vorausgesagt worden war, und ging hinaus in die +freie Natur zu den schlichten Landleuten, um sie zu unterweisen und +aufzuklären. Denn »in der Dorfschule lernen sie nichts und auf die +Universität gehen sie nicht; aber eines jeden Gebildeten Pflicht ist +es, sie aus der ägyptischen Finsternis herauszuführen«. -- So der +Grundsatz des braven Michel, der zudem auch Schick hatte, die Dinge +einfach und gemeinverständlich darzutun. Er sprach daher mit dem Bauer +von der rationellsten Bewirtschaftung der Felder, erklärte, was der +Humus eigentlich ist, was der Dünger tut, und daß der Regen nicht +unmittelbar als Wasser auf den Boden wirkt, sondern als Lösungsmittel, +welches die Salze in der Erde auflöst und den Pflanzen also zugänglich +macht. + +Kam er zu einem Hirten auf die Au, so setzte der Michel bei diesem das +größte Interesse für die Blumen und Kräuter voraus und hielt ihm auf +der Stelle einen botanischen Vortrag. Und wenn der Hirt davonlief, +so schüttelte der Michel über einen solch krassen Indifferentismus +schwermütig den Kopf. + +Hingegen war er glücklich, wenn er unterwegs irgendwo einen jener +grübelnden Handwerksleute traf, die über alles sinnieren, nach allem +fragen oder im Notfalle auch alles selbst zu erklären wissen. Weiß der +eine: Ja, so ein winziges Sternl am Himmel ist viel größer, als es uns +scheint; nur die Entfernung macht es uns so klein, in Wirklichkeit +ist es gewiß so groß wie ein Eimerfassel. -- Oder aber: Das Erdbeben! +Da ist halt ein großer Drache in der Erden d'rin, und so oft sich der +bewegt, schüttelt sich der Boden und das ist das Erdbeben. -- Wieder +ein anderer berichtet: Ja, jetzt kriegen wir Krieg. Unser Kaiser hat +seinen Alleröbersten, der nach ihm halt der Höchste ist, zum Türken +in die Türkei hineingeschickt, und daß er -- der Türk' -- halt sollt' +Fried' geben und nicht Krieg führen. Und jetzt, da ist der Türk' +hergegangen und hat dem Kaiser seinen Freund, halt, der nach ihm der +Alleröberste ist, abschlachten und braten lassen, und hat ihn gebraten +unserem Kaiser in einer Kisten zurückgeschickt. Deswegen wird jetzt ein +schauderlicher Krieg anheben. -- Oder: Unsere liebe Frau ist ja wieder +einem Hirtenmädchen erschienen und hat ihr's vertraut: daß, wenn sich +die Menschen nicht bekehren, eine solche Hungersnot kommen wird, daß +die Leut' Brot von gemahlenem Haberstroh essen, und das nicht einmal +genug haben werden. + +Da gab's denn für Herrn Michel Meyer in Hülle und Fülle zu tun. Derlei +Ansichten und Reden machten ihm das Blut heiß, und mit Eifer suchte er +sie zu widerlegen und die Wahrheit, wissenschaftlich bewiesen, dafür +hinzustellen. Nur in einem hätte er selbst belehrt werden sollen, +nämlich, daß die Seele des Volkes am liebsten von der Phantasie lebt. + +Aber der Michel predigte drauflos. Dem erklärte er das Wachstum +der Bäume; einem anderen bewies er, daß die Erde rund ist wie ein +Ball; einen Dritten belehrte er über die Natur der Staatsschuld, +ihre Ursache und Rückwirkung und ihre Notwendigkeit; einem Vierten +zeigte er mit Kerzenlicht und einem Apfel das Wesen der Sonnen- und +Mondesfinsternisse; einem weiteren legte er die Eigenarten gewisser +Steine dar, erläuterte die Anziehungskraft großer Körper oder eine +andere der physischen Kräfte: den Magnetismus, die Elektrizität. + +Häufig fand der Wanderdozent ein geneigtes Ohr, bisweilen sogar ein +gelehriges -- und da kam eine tiefe Befriedigung in sein Wesen, und +er sagte sich: Also, endlich geht es doch vorwärts -- ~muß~ es +vorwärts gehen. Die nächste Generation wird vernünftig sein; vielleicht +richte ich schon in dieser was aus. + +Eines Tages begegnete Herr Meyer einem kropfigen, schnaufenden, +grinsenden Kretin. Den faßte er liebevoll an der Hand, zog ihn zu +sich auf eine Bank und sprach vom Kretinismus. Er sagte, daß er -- +der Kretin -- nicht selbst schuld sei an seinem Unglücke, daß die +Ursache oftmals in den geologischen Verhältnissen, in der Feuchtigkeit +der Gegend und der Luft, im Trinkwasser und leider auch oft in der +Erziehung liege. + +Der Kretin starrte ihn an, streckte seine langen, dürren Finger nach +einem Härchen aus, das dem Michel gerade auf der Nasenspitze wuchs und +grinste. Allein, der Herr Meyer ließ sich nicht irre machen, gab seinem +Bankgenossen Verhaltungsmaßregeln, was die Lebensweise anlangt: viel +Bewegung machen, sich von Fleischspeisen nähren, stets auf gesunde +Luft und Reinlichkeit sehen; dadurch entwickle sich der Körper und die +Entwickelung des Körpers hätte jene des Geistes zur Folge. + +Der Kretin brach in ein röchelndes Lachen aus; denn es hatte sich das +Härchen auf der Nase bewegt. + +Und ein andermal, da sah der Michel auf der Wiese vor einem Haus ein +Mädchen. Das sang ein schelmisches Liebeslied und begoß einen langen +Leinwandstreifen, der auf der Wiese zum Bleichen ausgebreitet lag. Der +Herr Michel sah dem hübschen Wesen eine Weile zu, und aus der Gießkanne +regnete es hin auf das von der Sonne beschienene Leinwandfach, welches +ohnehin schon weiß genug schien, um von einer anmutigen Hausfrau +geglättet und in den Schrank gelegt zu werden. + +Eine anmutige Hausfrau! In Ermangelung eines anderen Hörers hatte es +sich der Herr Michel selbst einmal auf Grundlage seines Charakters und +Alters sehr folgerichtig bewiesen, daß er eine Hausfrau haben müsse. +Und als er nun das Mädchen sah, welches das schelmische Liebeslied +sang und ihn dabei so holdselig anblickte, drängte sich ihm sonder +jeglichen Beweises die Überzeugung auf: das ist die zukünftige ehr- und +tugendsame Hausfrau des Herrn Michel Meyer. Er trat daher ganz zu ihr +hin und sagte: »Tust du Leinwand spritzen, Dirn?« + +»Ja, ich tu' Leinwand spritzen, Bub'.« + +Das trauliche Bub' machte dem Michel das Herz lebendig. + +»Und weißt du wohl, wie das ist, daß die Leinwand durch das Bespritzen +weiß wird?« fragte er. + +»Freilich, weil sie gewaschen wird.« + +»Daß sie gewaschen wird,« sagte er, »würde nicht genügen, es muß noch +die wohltätige Einwirkung der Sonne dazukommen.« Und hierauf erklärte +er den Einfluß des Lichtes auf die Farbe; und wie die Leinwand noch auf +anderem, dem chemischen Wege weiß gemacht werden könne. + +Das Mädchen hielt die leere Kanne in der Hand, hörte zu und wendete +kein Auge von dem jungen Manne, der so schön sprach, daß sie nachgerade +noch weniger davon verstand, als bei der Viehausstellung, wenn der Herr +Doktor eine Rede hielt, die doch auch immer sehr schön ausfiel. + +Und als er seinen Vortrag geendet hatte, sagte sie: »Laß es wohl +gelten.« + +Und er dachte jubelnd bei sich: Das ist ein intelligentes Mädchen! +Meinem nicht ganz unschwierigen Gedankengang hat sie zu folgen +vermocht. Sie liebt mich, und die Liebe hebt naturgemäß das Weib zum +Manne empor -- auch in geistiger Beziehung. + +Mit einem sehr höflichen Gruß verließ er die Leinwandbleichende und +nahm sich vor, am nächsten Tage um dieselbe Zeit wieder an der Stelle +zu erscheinen. Allein am nächsten Tage war ein anderer da, der das +Geschäft der Sprenge besorgte -- ein schöner, frischer Landregen. Doch +wie schon echte Weisheit jedes Hindernis zur Fördernis zu machen weiß, +so kehrte der Herr Michel heute im Hause ein -- bittend um Obdach. Das +Mädchen war allein daheim; Vater und Mutter waren auf die Hochzeit +eines Verwandten gegangen. + +»Zum Glücke bist du nicht gegangen,« sagte der Michel, »du wärest doch +gewiß viel hochzeitlicher wie Vater und Mutter.« + +»Ich mag nicht früher auf die Hochzeit gehen, als bis ich selber dabei +die Braut sein kann,« war die Antwort. + +»Da hast du schon recht. Ich mag ebenfalls bei keiner dabei sein, außer +ich wäre der Bräutigam.« + +»Da hat der Herr auch recht.« + +»Du Mädel,« versetzte der Michel fast zärtlicher, als es einem Manne +der Wissenschaft ansteht, »gestern hast du mich ~Bub'~ geheißen. +Der möchte ich auch heute wieder sein.« + +»Man ist nicht alle Tag' zu so Dummheiten aufgelegt. Heut' ist +Regenwetter, und ich hab' nicht gut ausgeschlafen.« + +»Hat dich etwa gar deine Hochzeit nicht mehr schlafen lassen?« + +»Die Trud hat mich gedrückt.« + +»Der Alp?« + +»Ist auf mir gelegen -- ein schauderhaftes Getier, und gemeint hab' +ich, ich müßt' ersticken.« + +»Das ist ja kein Getier gewesen,« lachte der Herr Michel, und dann +fuhr er ernsthaft fort: »Der Alp oder die Trud, wie Ihr sagt -- auch +Nachtmahr wird die Erscheinung genannt -- ist weder ein Körper noch +ein Gespenst, sondern das Produkt einer Atemnot. Das Alpdrücken wird +erzeugt, wenn auf Mund oder den Nasenöffnungen die Bettdecke, das +Kissen oder dergleichen zu liegen kommt. Diesen Beschwerden gesellen +sich sofort beängstigende Träume bei, welche so lange währen, bis +es dem Schlafenden gelingt, durch eine unwillkürliche Bewegung die +Respirationsöffnungen wieder zu befreien.« + +»Der Herr kann gewiß ein Trudenkreuz machen?« fragte das Mädchen, »aber +sieben Ecken muß es haben. Mit fünf Ecken kann's der Peter auch, die +helfen nichts.« + +Sie gab ihm ein Stück Kreide in die Hand und führte ihn in die Kammer +zu ihrem Bette. Es war fein und hoch geschwellt, hatte eine lichtblaue +Decke mit schneeweißem Linnenüberschlag und ein rosenrotes Kissen. + +»Da sollt's halt herkommen, da,« sagte sie und deutete mit der Hand auf +das Kopfbrett. + +»Liebes Kind,« sagte er, »das kann ich nicht tun, weil es den +Aberglauben befördert, oder wenn du mir lohnst, so zeichne ich dir +etwas anderes auf die Bettstatt. Doch -- ich muß einen Kuß dafür +kriegen.« + +»Aber na!« lachte sie, »Er ist doch recht ein verliebter Ding!« + +»Ich gestehe es dir, Mädchen, ich liebe dich. Ich trete in kurzer Zeit +eine Professur an und heirate dich, Mädchen, wie du mir schon gestern +gefallen hast; ich will dich aus der Unwissenheit des Volkes reißen und +eine rechte, gebildete Frau aus dir machen. -- Wie heißest du?« + +»Gusta,« flüsterte das Mädchen errötend und schlug die Augen zu Boden. + +»Also, Augusta, willst du mein sein?« + +Sie hielt ihr Köpfchen tief gesenkt und schwieg. + +»Ich begreife es wohl,« sagte er, »daß du mit deiner Antwort zögerst, +so lange dir das Wesen der Liebe in seiner Definition noch unbekannt +ist. -- Die Liebe, Augusta, in welche beide wir nun einzugehen +gedenken, haben in ihrer Totalität die größten Männer aller Zeiten +bisher nicht vollständig zu erklären vermocht. Doch vom modern +wissenschaftlichen Standpunkte aus ist sie eine elektromagnetische +Kraft, welche zwei Personen beiderlei Geschlechts zusammenführt, aber +stets nur in solcher Wahl, daß die physischen Eigenschaften, sowie auch +die psychische Bildung der beiden Personen sich gegenseitig ersetzen +und vervollständigen. Um hiervon den Beweis zu erbringen, wird es +allerdings nötig sein, eine mathematische Formel aufzustellen, und zwar +--« + +Er begann mit der Kreide auf die Bettstatt zu schreiben. + +»+Plus A+ und +minus B+ können, um mich populär auszudrücken, +nicht mitsammen harmonieren; noch weniger werden sich +plus A+ +und +plus B+ mitsammen vertragen, ein Verhältnis, das sich mit ++minus A+ und +minus B+ wiederholt. Demnach ist im gegebenen +Beispiele nur eine Komposition möglich, nämlich +plus A+ und ++minus A+, oder auch +plus B+ und +minus B+ -- eben so +viel, als zwei gleichgeartete, aber nicht gleichartige Wesen, die sich +gegenseitig ersetzen und den Unterschied in ihrer Vereinigung aufheben +-- was zu beweisen war.« + +Gusta sagte, sie höre das Ferkel so arg grunzen und müsse nachsehen, ob +es sich etwa nicht wieder, wie letzthin, den Fuß zwischen den Barren +verklemmt habe. Sie ging hinaus und ließ den Herrn Michel stehen in der +Kammer. + +An einem der nächsten Tage suchte er das Mädchen wieder auf und sagte, +wenn es ihn von nun an definitiv liebe, so würde er sich vielleicht +gelegentlich doch noch entschließen, das Opfer zu bringen, gegen seine +Prinzipien zu verstoßen und ihr zu Liebe das Trudenkreuz an ihre +Bettstatt zu malen. + +»Je!« rief Gusta, »da ist der Herr schon zu spat dran. Just gestern +hat mir der Peter das Trudenkreuz gemacht -- ein siebeneckig's ist's +worden, und heut' in der Nacht hab' ich gut geschlafen.« + +Freilich hat sie ihm verschwiegen, daß sie gestern noch +Atembeschwerden gehabt, weil ihr der Peter einige Augenblicke lang die +Respirationsöffnung durch einen Kuß verschloß. + +Aber der Herr Michel ahnte etwas dergleichen und zog fürbaß. Und als er +sich auf seinen Wanderungen vielfach überzeugt hatte, daß die besten +seiner verkündeten Theorien im Volke schon längst praktisch geübt +werden und es eben diese Theorien waren, die ihm selbst nicht Zeit +ließen, praktisch zu sein, beschloß er, seine Fahrten aufzugeben. + +Wir finden ihn heute in Wien als Dozenten; jede Lehrstunde, die er +gibt, läßt er sich vergüten. + +Und recht hat er. Das Gold des Wissens schleudert man nicht in +Hellerchen unter die Leute, die es in den Staub treten. Selbst die +feingebildete Hausfrau des Herrn Professors, die er in der Stadt +gefunden, verzichtet gerne auf den mathematischen Beweis seiner Liebe. + + + + + Ein Mann, ein Wort. + + +In einer kleinen Männergesellschaft war davon die Rede, daß in dem +Spruch: »Ein Mann, ein Wort« eigentlich der Hauptgrund des bürgerlichen +Rechtes, sowie des Völkerrechtes, folglich die Basis aller Zivilisation +liege. + +Obwohl diese Behauptung Stoff zu einer schönen Gegenrede gegeben hätte, +widersprach ihr kein einziger -- bis auf den Major Schläger. + +»Ein Mann, ein Wort!« sagte er ablehnend, »ich bin auch ein Mann, aber +ich kann dieses Wort nicht hören.« + +Das machte Aufsehen, denn just den Major kannte man als einen höchst +wahrhaftigen, pflichttreuen Charakter. + +»Ja,« sprach der Major mit einem Ernste, der für diesen Abend sonst die +Gesellschaft nicht beherrschte, »der Spruch ist mein Schild geworden, +ihm lebe ich, aber hören kann ich ihn nicht mehr, er ist hart, manchmal +zu hart für den Menschen. Mit dem Prinzip von der Gerechtigkeit ist's +nicht immer getan, wir alle bedürfen Rücksicht, Nachlaß, Liebe. Die +Liebe ist schöpferisch, die Gerechtigkeit ist im besten Falle nur +erhaltend. Man kann aus Gerechtigkeitsliebe manchmal ungerecht werden. +Wenn ich von mir verlange, mein Versprechen zu halten, so ist das +recht; wenn ich das unerbittlich von anderen begehre, so kann das unter +Umständen sehr unrecht sein. Ein gegebenes Wort läßt sich nicht mehr +biegen, aber ein Mensch kann sich biegen, wenn er daran denkt, daß +höher als Gerechtigkeit die Liebe steht.« + +Da sich die Gesellschaft über eine solche Weichheit des sonst +trotzigen, auch physisch soldatenhaft strammen Mannes verwunderte, so +begann der Major ein Erlebnis zu erzählen, durch das seine Aussprüche +tiefere Begründung erlangten. + +»In der Touristensaison des vorigen Jahres« -- so erzählte der Major +-- »beschloß ich, die Schwabenkette in Steiermark zu durchwandern. Ich +begab mich nach Aflenz, um von dort aus den Hochschwab zu besteigen +und jenseits des Bergstockes den Abstieg nach Weichselboden oder +Wildalpen zu machen. Ich hatte mich schon am Vortage in Aflenz eines +Führers versichert, eines kräftigen Älplers, der -- da in der Gegend +die Holzarbeiten eingestellt waren -- keinen Erwerb hatte, wohl aber +ein zurzeit arbeitsunfähiges Weib und eine Hütte voll von Kindern. Der +Schütter-Franz war mir als ein sehr verläßlicher und gutmütiger Führer +geschildert worden, und so war ich für meine nicht unbeschwerliche Tour +der Hauptsorge enthoben. + +Am nächsten Morgen -- es war ein prächtiger Tag zum Wandern -- sprach +ich verabredetermaßen in der Hütte meines Führers, die am Wege in die +Fölz lag, vor, um den Franz abzuholen. Durch die Hüttentür eilten +mehrere Weiber aus und ein, und im Innern hörte ich ein gewisses zartes +Geschrei, so daß ich zum Franz, der an der Schwelle stand und nicht +recht wußte, was er hier zu tun habe, die Bemerkung machte: + +»Ich glaube, daß du heute nicht auf den Hochschwab steigen wirst.« + +»Warum denn nicht?« fragte der Mann befremdet. + +»Wenn das, was ich da drinnen in der Stube bemerke, deine Familie +angeht.« + +Er zog mich ein wenig zur Seite und vertraute mir, sein Weib hätte eben +einen kleinen Buben kriegt, weiter wäre es nichts. + +Ich beglückwünschte ihn und erkundigte mich, ob er mir einen anderen +Führer anraten oder verschaffen könne. + +»Will der Herr denn mich nicht haben?« rief er erschrocken. + +»Wie sie, so bist auch du entbunden -- von deiner Zusage, das ist +selbstverständlich.« + +»Des kleinen Buben wegen soll ich daheimbleiben? O du blutiger Heiland, +wenn ich allemal daheim bleiben hätt' wollen, so oft ich einen kleinen +Buben kriegt hab', da hätte ich mein Lebtag viele Tagewerke versäumt!« + +»Nein, nein,« sagte ich, »das geht nicht.«. + +Hierauf zog er mich mit in die Stube, und insofern es ihm gelang, dort +den Jüngsten zu überschreien, verklagte er mich bei seinem Weibe, daß +nun doch wieder nichts aus dem Verdienst würde, weil ich, unserer +Verabredung entgegen, ihn nicht mitnehmen wolle. + +Die Wöchnerin, die wohl ein recht blasses Gesicht mit den Dulderzügen +der Armut hatte, bat mich mit leiser Stimme, unsere Vereinbarung +doch gelten zu lassen; es sei alles in guter Ordnung, was auch die +anwesenden Nachbarinnen bestätigen könnten. Sie wüßten ja gar nicht, +was jetzt anfangen, wenn kein Kreuzer Geld im Hause. + +Der Führerlohn war auf vier Gulden festgesetzt, wovon ich allsogleich +den vierten Teil dem jungen Weltbürger zum Angebinde auf das +Fensterbrett legte und den Franz, der mir als gemütvoller Mensch +geschildert worden, nochmals aufforderte, in dieser Zeit bei Weib und +Kind zu verbleiben. Die Partie würde an drei Tage in Anspruch nehmen, +ich könnte es nicht verantworten, ihn so lange von seinem Hause +abzuziehen. + +Ob es nur das wäre oder ob ich etwa sonst einen Widerwillen gegen ihn +gefaßt hätte, daß ich seiner auf einmal los sein wolle? So seine +Frage. Ich versicherte ihn, daß es einzig nur aus Rücksicht auf das +eingetretene Ereignis seines Hauses geschehe, wenn ich ihn ablehne. + +Er ließe sich aber nicht ablehnen, meinte der Franz. + +»Du gingest mit und würdest unterwegs unruhig sein, in steter Furcht +und Angst: wie mag's daheim zugehen? Würdest mürrisch werden, die +Partie abkürzen wollen und kein Ohr und Auge haben für das, was ich +will. Einen solchen Führer und Gesellschafter kann ich nicht brauchen. +Mein Begleiter ißt und trinkt und raucht mit mir, soll mich aufmerksam +machen auf dies und das, soll mich unterhalten, ein munteres Gesicht +haben und so sorglos sein, als ich es bin. Guter Franz, dazu bist du +dieser Tage nun einmal nicht der Mann.« + +Ich sah es, wie er mit leichtem Kopfnicken beistimmte, aber als er +sein bekümmertes Weib anschaute, das Kind, welches sie in arme Fetzen +wickelten, die größeren, die sich um die Rinde des Morgenbrotes +balgten, da war er doch wieder entschlossen, er ginge mit mir. Die +Weiber versicherten einstimmig, es sei um und um gar kein Bedenken da +und sollte sich etwas ändern, so könne der Mann am wenigsten dabei was +ausrichten, so Leute stünden bei derlei Dingen eher zum Hindernis im +Wege, als daß sie sich nützlich machen könnten. Der Franz versprach +mir, unterwegs recht lustig zu sein und mein treuer Diener, so lange +ich ihn brauche. + +»Bedenke es wohl!« stellte ich ihm noch einmal vor, »bis wir Mittag +zur Fölzerhütte kommen, wird dir schon bange werden, durch die Dulwitz +wirst du nichts mehr anderes reden, mindestens denken, als: wie wird +dem Weib sein? dem Kind? Es ist leicht was geschehen. Am Abend, wenn +wir in der Dulwitzhütte schlafen sollen, wirst du nach Hause wollen und +vielleicht morgens wieder kommen, abgehetzt und schläfrig. Ich aber +sage dir, Franz, ich werde keine Rücksicht haben, ich werde dich nicht +von mir lassen. Du wirst mich übergeben wollen an einen andern Führer, +wenn uns einer begegnet, daß du nach Hause eilen kannst. Ich aber werde +dich halten fest, wie der Herr den Sklaven; ich bin nicht gewohnt, mich +in fremder Gegend an fremde Leute hintauschen zu lassen, ich behalte +den, dessen Dienste ich mir gekauft habe, so lange, bis der Vertrag +abgelaufen ist. Ich werde unerbittlich sein, darum rate ich dir noch +einmal: Bleibe zu Hause, ich werde einen andern finden, dich aber für +ein andermal vormerken und bei Gelegenheit empfehlen. Wir scheiden als +gute Freunde.« + +»Ich gehe mit!« rief er entschlossen, »ich werde meinen Mann stellen, +wie es der Herr wünscht.« + +»Also denn!« sagte ich, »wenn du durchaus nicht anders willst. Du wirst +drei Tage lang mit mir sein.« + +»Ich werde den Herrn nicht verlassen.« + +»Ein Mann, ein Wort!« + +Er schlug in meine Rechte. + +Der Wöchnerin schien ordentlich leichter zu sein, da sie das Geschäft +abgemacht sah. Sie lächelte, als sie ihre kühle Hand in die meine legte +und dann in die ihres Mannes: Wir sollten nur recht gutes Wetter haben, +und der Franz sollte ihretwegen ganz und gar unbesorgt sein. Sie sagten +sich: »Behüt' dich Gott!« und das Weib ermahnte ihn noch, wenn er schon +was tun wolle, so solle er dem Bübl ein Kreuz über das Gesicht machen, +es würde dann zur Taufe getragen. + +Er tat's, lud die bereiteten Sachen auf, und wir gingen davon. Der +Weg durch die Fölz ist schön. In der stundenlangen Schlucht lagen +noch die Schatten, die Alpenrosensträucher am Wege feucht vom Tau +und dem Wasserstaube der rauschenden Fölz. Voll Harz- und Tannen- +und Speikduft war die kühle reine Luft. Hoch an den Felsen lag der +Sonnenschein. Frisch und flink, wie wir wanderten, war freilich das +Herz heiter und die Seele klingend. + +»Franz,« sagte ich unterwegs, »nachdem wir beide uns unserer +Pflichten und Rechte wohl bewußt sind, wollen wir als Kameraden +miteinander wandern. Ich bin aus der großen Stadt gekommen, um mir als +Unterbrechung meines Berufes einige frohe Tage zu machen. Ich wünsche, +daß du sie mit mir teilst und, so wie ich, das herbe Leben vergessest.« + +Er ließ einen Juchschrei los als Antwort, wie sehr er mit meinem +Vorschlage einverstanden sei, und er suchte mich durch Munterkeit und +mancherlei Schwänke, die er vorbrachte, zu überzeugen, daß er den guten +Humor nicht zu Hause gelassen hätte. + +Dann kamen die Anstiege, es kam die heiße Sonne, es kam der Durst. Wir +rasteten im Schatten und labten uns aus unserem reichlichen Vorrat. Der +Tag war lang, wir erfreuten uns an den Almen mit ihrer Flora und ihren +Herden, an den wildschründigen Felsen des Fölzstein, der Mitteralpe, +der Dulwitz, wir ergötzten uns an Steinfalken und Stoßgeiern, die +den blauen Himmel belebten, an den Schroffen und Überhängen des +»Ochsensteiges«, an dem eisigen Kristall des »goldenen Brünnleins«, an +den Gemsen, die in ganzen Rudeln über Kare und Schuttriesen setzten +oder von den Zinnen auf uns niederlauerten. Mein Franz tat manche +treffende Bemerkung mit klarem Hausverstand, der stets anspruchslos +auftrat, nicht so wie bei manchen Bergführern, deren Urwüchsigkeit +ausgeklügelt und gemacht ist. Ich erinnere mich noch, daß ich ihn +fragte, weshalb er bei seiner Mittellosigkeit geheiratet hätte, worauf +er zur Antwort gab: als er nicht hätte heiraten wollen, habe ihm sein +Vater gesagt: »Willst ein rechter Mann sein, so mußt auch Weib und +Kind haben!« So hätte er freilich heiraten müssen. -- Ich bin, wie ihr +wißt, Junggeselle und habe dieses Gespräch nicht fortgesetzt. Indeß +gab's mancherlei Stoff. Doch der Tag ist lang, das Wandern macht müde, +auch wenn man noch so oft rastet; die Ergötzung spannt ab. Das würde +ein Älpler leicht verwinden, wenn die Ermüdung und Abspannung nur die +Schatten nicht aufkommen ließe, die im Herzen schlummern mögen! -- Es +kam, wie ich gesagt hatte, es kam genau so. + +Franz sagte kein Wort von daheim, aber er war kleinlaut geworden. + +Ich begann von seinem Weibe zu sprechen, daß er vielleicht sein +Herz ausschütten wollte, er lenkte ab und schwieg. In der oberen +Dulwitzhütte, die leer stand, machten wir Feuer, bereiteten uns ein +Abendbrot und Nachtlager. Er ging zwar nicht davon, aber ich merkte, +daß er auf seinem Reisig nicht schlief, ich hörte die Seufzer, die er +zu unterdrücken suchte. Ich sagte nichts, freute mich fast, daß der +Mann nun erfahren mußte, wie ich, der Fremde aus der Stadt, ihn besser +kenne, als er sich selbst. + +Am andern Tage stiegen wir an bis zur höchsten Spitze des Gebirges. +Mein Genosse sprach unterwegs sehr wenig und ich nicht viel mehr, +denn dieser Aufstieg, die steilen Hänge und Wände beschäftigten die +Lunge andererseits zur Genüge. Auf der Höhe, wo kein Strauch und +kein Halm mehr wächst, peitschten kalte Winde, flogen Nebelfetzen, +zwischen denen wir nur zeit- und stellenweise die Aussicht in die weite +Alpenwelt genießen konnten. Mein Führer war stets hinter mir her, gab +meinen Bemerkungen und Fragen kurze und verkehrte Antworten und schien +gleichgültig sowohl gegen mich, als auch gegen die Schönheiten des +Gebirges. + +Auf der Spitze des Berges begegneten wir einigen Touristen, die von +Weichselboden heraufgestiegen waren und just ihren Führer entließen, +da sie den Abstieg durch die Dulwitz nach der Fölz allein zu machen +gedachten. Aus dem kleinen Gespräche, das ich mit ihnen führte, +erinnere ich mich nur, daß sie zum Teil aus Graz, zum Teil aus Leoben +waren. + +Wir hielten gemeinsamen Ausblick mit freiem Auge, wie mit Fernrohren, +wir tranken uns gegenseitig Wein zu, steckten dann in die leeren +Flaschen unsere Visitkarten und friedeten sie mit Steinen ein, damit +die Nachkömmlinge von uns auf solcher Höhe ein Denkmal fänden, und +taten, was Bergbesteiger an ihrem Ziele eben zu tun pflegen. Ich hätte +es vorgezogen, mit meinem Franz allein auf der Spitze dieses Berges zu +stehen, vorausgesetzt, daß wir beide bei Humor gewesen wären. + +Als ich mich wieder nach meinem Genossen umsah, stand der abseits +hinter einem Felsblock und führte mit dem Führer aus Weichselboden ein +Gespräch. Mir kam das gleich verdächtig vor. + +Nicht lange währte es, so kam -- während sich Franz hinter dem Felsen +mit seinen Bergschuhen zu schaffen machte -- der fremde Führer zu mir +heran und sagte: »'s ist schade, daß die Aussicht nicht ganz rein ist, +gnädiger Herr, aber es wird heute noch heiter. Der Barometer steigt. +Sehen Sie, dieser Kamelrücken dort, das ist die hohe Veitsch.« + +»Ich weiß es,« war kurz meine Antwort und wendete mich nach der anderen +Seite. + +»Aha, der gnädige Herr schauen sich die Ennstaleralpen an,« schwatzte +er weiter, »der Dachstein hat leider Gottes eine Haube auf. Der hohe +Berg, der dort wie ein Heuschober steht, das ist der Grimming.« + +»Ich weiß es!« schnauzte ich ihn an, »Franz, wo steckst du denn?« + +Der Führer aus Weichselboden ließ sich nicht verblüffen. »Der Herr +sind von Aflenz heraufgekommen,« sagte er, »und wollen gewiß zur Salza +hinabsteigen. Das ist auch mein Weg und könnten wir leicht miteinander +gehen. Mit Verlaub!« Er suchte mir diensteifrig den Plaid umzuhüllen, +den mir der Wind von der Achsel gerissen hatte. Ich ging gegen den +Felsen und sah, wie dort Franz kauerte und in die Gegend von Aflenz +hinabschaute. Der Weichselbodner Führer kam mir nach und sagte: + +»Ganz im Ernst auch noch, gnädiger Herr, wir haben den gleichen Weg +hinab und ich will den gnädigen Herrn für ein kleines Trinkgeld recht +gern weisen.« + +Nun merkte ich wohl schon, daß ich verraten und verkauft war, doch +stieß ich derb heraus, man möge mich in Ruhe lassen, ich hätte ohnehin +meinen Führer. + +»Das schon,« meinte der Weichselbodner, »aber der sagt mir, daß ihm +schlecht geworden ist.« + +Da kam schon der Franz auf mich zu mit gefalteten Händen und bat: +»Herr, ich kann's nicht mehr aushalten, ich muß heim. Ich bitte +tausendmal, daß mich der Herr gehen läßt. Der Mathias dort, der ist aus +Weichselboden, ich kenne ihn gut, er übernimmt meinen Dienst gerne und +kennt den Weg besser als ich. Ich kann nicht mehr, -- -- wenn ich auf +heim denk'.« + +So sprach er. Ich habe ihn an der Hand genommen und in aller Ruhe +folgendes zu ihm gesagt: »Franz, du wirst nicht gehen, du wirst bei +mir bleiben, so lange ich dich brauche. Ich habe dir früh genug alles +vorgestellt, du hast es so haben wollen, du hast mir dein Wort gegeben. +Ich bin ein alter Soldat und lasse mit einem Ehrenwort nicht spaßen. +Ich lasse mich nicht nach Laune und Stimmung verschachern, ich habe +dich gekauft, du bist mein und du bleibst bei mir, bis die drei Tage um +sind.« + +»Wenn daheim ein Unglück geschieht!« stotterte er. + +»So geschieht's!« rief ich zornig, »und wenn dein Weib stirbt, deine +Kinder umkommen, deine Hütte niederbrennt, du hast dein Wort gegeben, +daß du bei mir bleibst und das fällt nicht. Du bleibst!« + +Darauf war der Franz still und sagte kein Wort mehr -- und blieb bei +mir. + +Wir begannen den Abstieg, passierten das Gschöderkar, und auf +dem Edelboden, wo uns wieder die ganze Milde eines heiteren +Sommernachmittags umfloß und die Würze der Alpenkräuter uns erquickte, +hielten wir Rast. Franz war immer noch still, aber aufmerksam für alle +meine Wünsche und gutmütig. Ich war sehr mit mir zufrieden, daß ich +meine Sache so gut durchgesetzt hatte. Wohin käme auch die Welt, wenn +das Verhältnis zwischen Herrn und Diener so lax würde und willkürlich! +Die ganze gesellschaftliche Ordnung ginge aus den Fugen und der Teufel +möchte da noch Herr sein. Es tat mir leid, aber mein Franz, der mußte +nun parieren, und als wir spät abends im Wirtshause zu Weichselboden +anlangten, wollte ich ihn und mich für die Mühen entschädigen mit +allem, was das Haus bieten konnte. Doch mein Franz suchte bald das +Bett. Wie er geschlafen, das weiß ich nicht. + +Am nächsten Morgen mochte er, so lange ich schlief, mäuschenstill +gewesen sein, aber als ich die Augen auftat, machte er Lärm. »Es gibt +nichts Schöneres auf dieser Welt, als den heutigen Tag!« so rief er +aus. Ich fand den Tag nicht just besonders, der Himmel war mit Wolken +bedeckt, die stellenweise an den Wänden niederhingen. Als wir später +durch das großartig wilde Engtal gingen, das der Ring heißt, und dann +in der Steinwüste, der »Höll«, dem Karstriegel zuwanderten, schnitt uns +von den Höhen nieder eine frostige Luft entgegen; dort und da rieselte +es in den Schuttmulden oben, dann krächzte irgendwo ein Rabe. In den +schwarzen Wassertümpeln, an denen wir vorbeikamen, spiegelte sich das +Gebirgsbild in seiner Düsternis. -- Aber nichts Schöneres als dieser +Tag! hatte mein Begleiter ausgerufen; es war eben der dritte unserer +Partie, der letzte, an dessen Abend er frei sein und die Seinigen sehen +sollte! -- Den Ausläufer des Schwab, die Aflenzerstarritze, wußte +er auf schlechten Steigen zu umgehen, so daß wir am Mittag schon in +Seewiesen waren. + +Im Wirtshause zu Seewiesen lag ein schwerkranker Maria-Zeller +Wallfahrer, der schon früh nach Aflenz um Arzt und Priester geschickt +hatte und immer noch vergebens auf sie wartete. Franz machte ihm die +Zusage: wenn sie uns auf dem Wege begegnen sollten, so würde er zur +Eile ermahnen. + +Wir waren eine Stunde gegangen, da begegneten sie uns. Der Priester, +vom Boten mit dem Versehglöcklein und dem heiligen Licht in der Laterne +begleitet, war im Chorrock und trug das Allerheiligste. Wir beugten die +Knie, er segnete uns und warf dabei einen Blick auf meinen Begleiter, +den der aber nicht bemerkte, weil er das Haupt gesenkt hielt. -- Ein +paar hundert Schritte weiter hin begegnete uns der Arzt. + +»Ihr sollt nur eilen!« rief ihm der Franz zu, »sonst kommt ihr zu spät.« + +»Wer wird uns aufgehalten haben!« sagte der Arzt im eiligen +Vorübergehen, »du kommst halt auch zu spät, mein lieber Franz!« + +Ich weiß kaum, wie wir nach Aflenz kamen, ich weiß nicht, wie mir +zumute war, ich erinnere mich auch nicht, ob Franz ein einziges Wort +des Vorwurfes, der Klage sprach, oder ganz stumm war. + +Sein Weib fand er auf der Bahre. + +Er trug den Schmerz, wie man den herbsten trägt -- tränenlos. + +Ich bat ihn um Verzeihung, daß er meines Starrsinns wegen sein Weib +nicht mehr lebendig sehen konnte, ich bot ihm alles an, was ich bei mir +trug. Er lehnte es ab und sagte nur, ich sei im Recht gewesen. + +Im ~Recht~! Seitdem ist mir das Wort verdächtig. Der Franz +hatte wie ein Mensch gehandelt. Ich wie der Dämon eines Prinzips. +Daß er mit mir gegangen, aus Pflichtgefühl war es geschehen, er +hatte seiner Familie Brot zu schaffen. Aus Sorge und Angst um seine +Familie war's, als er mich auf dem Berge verlassen wollte. Ich dachte +und fühlte nichts, als daß ich im Rechte sei, ich war ein blutloser +Gesetzparagraph -- und das ist ein Ungeheuer. Ein Mann, ein Wort! +Vielleicht wäre diesmal die Erinnerung: Ein Mann, ein Weib! besser +gewesen.« + +So hatte der Major erzählt, und die Gesellschaft blieb nachdenklich, +bis sie auseinanderging. + + + + + Hauptmann Alles. + + +Ja, diesen Weihnachtsmorgen vergesse ich nicht. Eben trete ich hinaus +in die kalte Morgenröte und schaue hin über die feuchten Schneefelder +und denke: Heute ist Christtag, da muß man Gutes tun, und so will ich +mir einen guten Tag antun. + +Da kommt mein alter Knecht Martin von der Frühmesse daher -- er hat +heute seinen hochgespitzten Hut mit dem weißen Federbusch auf und sein +vergnügtes Feiertagsgesicht an und eine große Zigarre d'rin stecken. +Er raucht sonst Pfeifen, aber zu den hohen Festtagen, wenn der Meßner +frische Kerzen in die Altarleuchter tut, da steckt sich der Martin zur +größeren Ehre Gottes eine Zigarre in den Mund. Kann's aber nicht recht, +zieht zu oft an, nebelt zu stark, nimmt sie dann nach jedem zweiten Zug +aus dem Mund und spuckt die Tabakblättchen aus, die ihm an den Lippen +kleben geblieben sind. »Guten Morgen,« sagt er jetzt zu mir, »aber in +der Stadt geht's heut' zu!« + +»Aha, sind die Wirtshäuser schon voll?« war meine Frage. + +»Wäre schon recht,« antwortete mein Martin, »die Wirtsstuben sind +leer und alle Türen haben sie offen gelassen. Die Leute umstehen +das Kranzbäckenhaus. Im Kranzbäckenhaus hat sich in der Nacht was +zugetragen.« + +Auf diese Worte tat der Schalk, als wollte er weitergehen. Ich hielt +ihn nicht zurück, und da er das merkte, blieb er von selbst wieder +stehen und sagte: + +»Der Herr soll mit ihm gestern spät in die Nacht hinein ja Karten +gespielt haben?« + +»Mit wem?« frage ich nun. + +»Mit dem Hauptmann.« + +»Was ist's mit dem Hauptmann?« + +»Das erfährt man nicht. Ich bin während der ganzen Frühmesse vor dem +Haus gestanden und habe gesehen, wie die Weiber ein- und auslaufen und +hinter sich allemal das Tor verriegeln. Eine hat gesagt, wir Leute +sollten auseinandergehen und zusehen, daß uns selber die Gnad' Gottes +nicht verlasse. Sonst erfährt man nichts.« + +»Was muß das sein, wenn's den Weibern die Stimme verschlagen hat!« + +»Im ganzen Kranzbäckenhaus,« fuhr mein Martin fort, »soll man noch die +Schießbaumwolle riechen, sagen die Leute. Ich bin gegenüber auf das +Wagenschuppendach gestiegen, aber man sieht nicht hinein; im Zimmer, wo +der Hauptmann gewohnt hat, sind die Fenstervorhänge herabgelassen.« + +Das war mir just genug. Ich eilte sogleich ins Städtchen. -- Sollte +er's denn wirklich vollbracht haben? Wir hatten am Abend zuvor das Wort +für einen derben Scherz gehalten; in der Nacht, da ich schlaflos auf +meinem Bette lag und die Christglocken klingen hörte, fiel es mir aber +plötzlich ein: Dieser Mensch ist alles imstande. + +Unter den Sonderlingen des Städtchens war mein Hauptmann das +Prachtexemplar. Mit seiner Jugend soll es ganz regelmäßig zugegangen +sein. Er war ein Soldatenkind, wurde selbst Soldat und war demnach +auf jener festen Bahn, auf der man nie entgleisen kann, in seinem +neunundzwanzigsten Jahre Hauptmann. In seinem dreißigsten hatte er +das Mißgeschick, eine unvorhergesehene, sehr namhafte Erbschaft zu +machen. ~Vor~ dieser Erbschaft -- das versteht sich -- war das +Soldatenleben ein Glück für jeden, den es traf; es kräftigte Körper +und Charakter; Pünktlichkeit, Gehorsam, Mut, Ritterlichkeit, und +was weiß ich, lernte man nur beim Militär. Nach der Erbschaft war es +plötzlich ein Knechteleben, ein Hundeleben -- jeder ein Narr, der +weggehen kann und es nicht tut. Hauptmann Alles wurde ein freier +Mann und wandte sich den schönsten Seiten der Welt zu. Manche freie +Stunde hatte er sonst mit Zeichnen, Farbenstudien, Musik oder anderen +Künsten verbracht, jetzt wurde er Maler. Er wurde es so plötzlich, als +man Staffelei, Leinwand, Farben kaufen und bereiten kann. Die braune +Sammetjoppe war auch da, nur das Wachsen des Knebelbartes konnte mit +der Vollendung des Meisters nicht gleichen Schritt halten. Und als die +Freunde kamen und schauten, war es eine blendende Farbenpracht, und +in den Blättern war die Rede von der edlen Komposition, von der Wärme +des Tones, von dem harmonischen Zusammenstimmen, als handle es sich um +eine Symphonie, und es war Meisters Ahles' Gemälde gemeint. Da dachte +Ahles, wenn das schon auf der Leinwand so fein komponiert, so warm im +Tone, so harmonisch zusammenklingend ist, um wie viel besser noch läßt +sich das in einem Musikstück machen. Und er komponierte eine Oper. Von +dieser sagten seine Freunde, sie wäre bei der Unvollkommenheit unserer +Opernbühne, bei dem Mangel an bedeutenden Sängern heutigestags absolut +nicht aufführbar. Während nun der Meister auf einen fürstlichen Mäcen +wartete, der ihm die Aufführung ermöglichen sollte, vertrieb er sich +die Zeit mit Poesie. Er schrieb ein großes Werk um das sich allsogleich +zahlreiche Verleger bewarben -- der Autor bezahlte nämlich im voraus +bar den Druck. + +Trotz alledem war dem Meister nicht wohl zumute. Anfangs hatte er +keinen Tadel zu ertragen vermocht, allein das vorlaute, unbedingteste +Lob, mit dem sie jetzt alles ohne Ausnahme, was von ihm kam, +überschütteten, war ihm auf die Länge schier noch unangenehmer, ja +nachgerade verdächtig. Eines Tages sagte ihm sein rücksichtslosester +Freund: »Mir tut's weh, lieber Moritz, dich fortweg hänseln zu sehen. +Laß das mit dem Malen, Komponieren und Dichten, du bist der Mann für +etwas anderes.« Eine Weile nach diesem undankbaren Freundschaftsdienste +führte der Hauptmann seine Liebhabereien noch fort, und zwar dem +Freunde zum Trotz mit großtuerischem Wesen. Plötzlich jedoch +verschleuderte und verschenkte er all seine Requisiten und Instrumente +und kaufte sich in entlegener Gegend ein großes Landgut. Er verschrieb +sich eine Anzahl landwirtschaftlicher Werke und fing an, genau nach +solchen Lehren seine Wirtschaft zu betreiben. Er war glücklich über +die Entdeckung, daß er ein genialer Landwirt sei. Die Kleinbauern um +ihn her wagten es anfangs, seine neuen Methoden zu bezweifeln, indem +sie sagten, daß eine Kappe nicht für alle Köpfe passe, und daß man die +Gegend, das Klima und den Boden kennen und berücksichtigen, wenn man +die Wirtschaft ertragsfähig machen wolle. Der Hauptmann ignorierte den +verrosteten Sinn der fortschrittfeindlichen Nachbarn und arbeitete +nach den allgemeinen Anleitungen der Fachgelehrten. Sonst aber gefiel +der Mann den Bauern, er hielt mit ihnen, war stets nachbarschaftlich +und uneigennützig, erleichterte ihnen den nötigen Verkehr mit der +Außenwelt, indem er Roß und Wagen auf den Straßen hielt und Personen, +auch oft kleine Warenladungen unentgeltlich beförderte. Auch nahm er +sich in Steuerangelegenheiten ihrer an, bemühte sich, ihre Söhne dem +Soldatenleben zu entziehen, und er sagte, wenn das Volk einmal die +Soldaten verweigere, dann höre auch die Steuerplage auf. -- Das war ihr +Mann. Bei einer nächsten Wahl machten sie Herrn Ahles zum Abgeordneten. + +Bei der ersten Sitzung verhielt sich der Gutsbesitzer im Parlamente +ganz ruhig; es handelte sich um einen Zollvertrag. Er hörte die +Vorschläge, ohne dafür oder dagegen zu stimmen, zum Schlusse aber +bat er ums Wort. Er stellte folgenden Antrag: Es sei ein Zirkular an +alle Fürsten der Welt zu erlassen, in dem sie gebeten würden, sich +gegenseitig zu vereinigen, sich friedlich miteinander zu vertragen und +ihre stehenden Heere zu entlassen. Er, der Antragsteller, glaube, daß +sich keiner der hohen Herren weigern werde, diesen zu Gunsten eines +jeden aufgestellten Vertrag eigenhändig zu unterschreiben. + +Die Versammlung stutzte über diesen Spaß, den sich nach ihrer Meinung +das neue Parlamentsmitglied an so ernster Stelle erlaubte. Als sie +aber den ganzen Ernst des Redners sah, da gab's Gelächter. Während die +Glocke des Präsidenten zur Ruhe klingelte, trat Herr Ahles zornig von +seinem Sitze ab und wurde im Hause nicht mehr gesehen. + +Nach dieser Zeit verlegte er sich mit großer Passion auf die +Zuckerrübenkultur und erbaute auch eine Tuchfabrik, zu deren Zweck er +eine große Schäferei anlegte von friesischen und englischen Schafen, +die eine recht lange Wolle hatten. + +Mittlerweile war seine Feldwirtschaft glücklich so tief herabgekommen, +daß Ahles, dem man wegen seiner Allseitigkeit den Spitznamen »Alles« +gab, daran die Freude verlor. Er suchte sich nun für seine Sorgen +und Mühen zu zerstreuen, indem er in den Städten umherfuhr und das +Leben genoß. Endlich kam er in unser kleines Landstädtchen, das nicht +allzuweit von seinen Besitzungen entfernt lag, und in dem er sich beim +Kranzbäcken ein Zimmer mietete. Er hatte das Bedürfnis, jemand zu sein. +Er hatte allerlei Erfahrungen, hatte noch immer Geld, so wollte er +noch einmal widerhallen. Das Städtchen war just klein und groß genug +dazu, daß ein Mensch, wie der Hauptmann, darin seine überlegene Rolle +spielen konnte. Er förderte Gesellschaften, die sich von ihm begasten +und unterhalten ließen; er gründete Vereine, die ihn zum Präses +machten, er veranlaßte öffentliche Wohltätigkeiten, und es erschien +keine Nummer des Wochenblattes, die nicht preisend seinen Namen +nannte. Daneben fand der noch immer als Garçon lebende Mann auch noch +Zeit, den Frauen ein feiner Ritter zu sein. Er war der aufmerksamste +Kavalier und versäumte keine Gelegenheit, den Damen gefällig zu sein, +ihnen etwas Verbindliches zu sagen, sie zu verteidigen, wo es einen +lustigen Strauß gab, ihnen Blumen zu pflücken, von denen er auch immer +selbst im Knopfloche trug. Es fiel im Städtchen von schöner Hand kein +Batisttüchlein zu Boden, das der Hauptmann nicht auf die galanteste +Weise aufhob. Dazu war er ein schöner Mann, der sich den in seinen +diplomatischen Tagen gegründeten Backenbart wieder wegschnitt, den +Schnurrbart spitzte, sich wieder gerne Hauptmann nennen ließ, und der +sich mit seiner Landwirtschaft nur insofern abgab, als er monatlich +ein gut Stück Geld in sie hineinsteckte und täglich herzhaft auf sie +losschimpfte. + +Aber auch in diesem harmlosen Städtchen gab es Leute, die eine so +schöne segensreiche Existenz allmählich zu untergraben suchten. +Es erwuchsen gesellschaftliche Zirkel, die ohne Hauptmannsspäße +bestanden, Vereine, in denen der Hauptmann nicht Präses war, +Wohltätigkeitsvorstellungen, die der Hauptmann nicht anordnete, +Wochenblattnummern, die den Namen des Hauptmanns nicht oder leise +spottend nannten, und es gab Frauen, die seinen Aufmerksamkeiten in +sehr kühler Weise dankten und sie hinter seinem Rücken in sehr warmer +Weise belächelten. Nur eines mußten ihm auch seine Feinde nachsagen, +nämlich, daß er ein Mann sei in den besten Jahren. Aber sie setzten +dazu, daß es traurig sei, wenn ein Mann in den besten Jahren soweit +fertig ist, daß er die Zeit in Wirtsstuben mit Knasterrauchen und +Kartenspiel zubringt. + +Und fürwahr, es war soweit gekommen; der Hauptmann Alles saß mit +verlotterten Spießgesellen in den rußigen Schenken, und so verbrachten +wir die Winterabende mit Trinken, Rauchen, Knurren und Karteln. +Seine Laune war nicht die beste, und außer daß er bisweilen einen +warmherzigen Fluch ausstieß, wenn ihm ein sehr schlechtes oder ein sehr +gutes Blatt zufiel, war er wortkarg. Er trank dabei alten Wein, lud uns +aber selten mehr zu seinem Trinken, wie er es früher gewohnt war. Gegen +die Weiber war er etwas süßsauer geworden, und als uns am Christabende +die stets heitere Wirtin einen Teller mit Früchtenbrot auftischte, das +sie eigenhändig gebacken hatte, schob er den Teller unwirsch zurück +und brummte, es möge jeder die Früchte seiner Taten selber genießen. +Um so mehr sprach er dem Weine zu; wir anderen ließen uns auch den +Lieblingstropfen holen, und so war der Abend recht leidlich vergangen. +Auf einmal legte der schweigsame Hauptmann seine Karten auf den Tisch +und sagte: »Es wird das Ersprießlichste sein, wenn ich jetzt nach Hause +gehe und mich totschieße.« + +Wir taten einen freundschaftlichen Lacher, obwohl jeder von uns denken +mochte, daß ein so schaler Spaß eines so prächtigen Lachers eigentlich +nicht wert sei. Wir spielten nicht weiter, denn wir hörten die draußen +im Schnee knarrenden Tritte der nächtigen Kirchengänger. Wir standen +auf und gingen auseinander. -- + +Während ich mir nun die ganze Geschichte so ins Gedächtnis gerufen +hatte, kam ich ins Städtchen und vor das Haus des Kranzbäcken. Die +Leute hatten sich verlaufen, ich ging den geradesten Weg in die Wohnung +meines Zech- und Spielgenossen. An der halbangelehnten Tür derselben +stand eine alte Frau. Dieses Anzeichen war schlecht; aber die alte +Frau machte eine wichtige, nicht gerade trübselige Miene und dieses +Anzeichen war gut. Sie deutete mit der Hand, welche ein Milchtöpfchen +hielt, gegen die Türe und flüsterte, ich möge nur eintreten, aber nicht +allzuviel kalte Luft mit durchlassen. Ich tat's; das Zimmer war dunkel +und still -- meine Augen suchten den Hauptmann. Endlich fanden sie ihn, +er saß unweit des Ofens in einem geborgenen Winkel, rauchte die lange +Hauspfeife und schaute auf ein Ding hin, das in seinem Bette lag, sehr +sorgfältig verwahrt, und das bei näherer Besichtigung auf der weiten +Welt nichts anderes war als ein neugeborenes Knäblein. + +»Hauptmann!« rief ich. + +»Halte dein Maul!« pfauchte er. + +Allerdings, das Christkind schlummerte. Und das Angesicht des alten +Kerls mit dem Schnurrbart schmunzelte. Mein Seel', das war ein +redliches Schmunzeln -- der Mann kam mir noch niemals so schön und gut +vor als jetzt mit diesem Angesichte, das der Rauch umwölkte und in dem +die zwei Augen leuchteten wie Sterne der Christnacht. + +Jetzt trat die alte Frau zu ihm, fragte bescheidentlich, ob er bei +Troste sei, und nahm ihm die Pfeife vom Munde weg. Nun hatte aber +dieser Hauptmann die gottlose Gewohnheit, immer etwas vor den Lippen +haben zu müssen; als ihm das Pfeifenrohr weggenommen wurde, neigte er +sich hin und küßte das Kindl. + +»Der Bursch' ist mein!« rief er dann, und hat es mir begründet. + +Hat hernach auch das weitere erzählt. Er war in der Nacht nach Hause +gegangen mit dem festen Vorsatze, einmal in seinem Leben eine wirkliche +Tat zu üben, nämlich zu sterben, bevor er noch weiteren Unsinn begehe. +Da fand er in seinem Zimmer die alte Frau, sie legte ihm etwas in die +Arme und sagte: »Da bringe ich dem Herrn ein Christkindel.« Der Kleine +wolle sich an den Vater halten, dem gehe es besser als der Mutter; die +Mutter käme auf Wunsch auch nach. + +Was ließ sich dazu sagen, was ließ sich machen? + +Alsbald verbreitete sich das Gerücht, daß in der Stube des Hauptmannes +etwas Absonderliches, Geheimnisvolles sei, und am Morgen versammelten +sich vor dem Hause die Leute, zu denen die alte Frau dann sagte, sie +sollen auseinandergehen und sich selber vorsehen. Nach wenigen Wochen +kam auch die Mutter -- ein armes, aber schönes blasses Weib, und nun +war zum Totschießen keine Zeit und kein Verlangen mehr. Der Hauptmann +zog mit Weib und Kind auf sein Landgut. Die Häuslichkeit mit ihrer +Liebe und ihren Sorgen hat seinem zerfahrenen Leben endlich Inhalt und +Wert verliehen. + +Seit jener Zeit ist das fünfte Weihnachten vorbei. Hauptmann Alles hat +der Welt nicht mehr Anlaß gegeben, seiner zu spotten. + + + + + Die Tafelrunde der Berühmten. + + +Nach einem glanzvollen, aber kurzen Empfangsabend bei Hof saßen in +einer Weinkneipe etliche berühmte Männer beisammen. Sie hatten sich +heute ganz zufällig zusammengetan, aber große Seelen finden sich leicht +und berühmte Menschen haben stets etwas Weltbürgerliches, vertrautsam +Brüderliches an sich; in der Sphäre, in die sie emporragen, weht eine +frischere, freiere Luft, in der sich die Elektrizität der Geister rasch +sammeln und entladen kann. + +Die Unterhaltung war munter genug, und jetzt machte einer -- man weiß +nicht aus welchem Anlaß, wahrscheinlich infolge eines Gespräches über +die Berühmtheiten des Empfangsabends -- den Vorschlag, jeder in der +kleinen Gesellschaft solle nun erzählen, wie er berühmt geworden sei. + +Wie er berühmt geworden? In der Tat, das war etwas. Ja! und +eh +bien!+ und wohlan! riefen sie durcheinander, und jeder war darauf +gespannt, von jedem die persönliche Geschichte zu hören. + +»Ganz merkwürdig, meine Herren, ist das bei ~mir~ zugegangen,« +ergriff der Romanzier Paulo sofort das Wort. + +»Ich bitte!« rief der Schauspieler Werner, »es muß systematisch +vorgegangen werden; etwa nach der Popularität des Faches, in dem sich +jeder bewegt.« + +»Nach dem Alter die Reihe!« schlug der Chemiker Iseling vor, dessen +Berühmtheit von der Erfindung des spanischen Brustmalzes im Jahre 1818 +nach Christus herrührte. + +»Nach dem Alphabet!« rief der Major Abacitz. + +»Jetzt ist nur noch der akademische Maler Rakutti, der sich nicht +gemeldet hat,« sagte Doktor Sauermann. + +»Und Sauermann, Doktor der gesamten Heilkunde,« entgegnete der Maler. +»Die Gesundheit ist die Hauptsache, der Doktor soll beginnen.« + +»Nun, wenn ihr durchaus wollt!« sagte Doktor Sauermann, denn er war der +Bescheidene. Die Gesellschaft dämpfte ihre Stimmen. So begann er seine +Geschichte. + +Sie ist einfach genug. Sie ist schlicht, wie der Doktor selbst war. Auf +einer Gebirgspartie verunglückte der reiche Baron Schuß von Überschuß. +Der Chirurg des Alpendorfes, in welchem der Verletzte liegen bleiben +mußte, behandelte ihn und telegraphierte täglich das Bulletin in die +Welt hinaus: »In dem Befinden des Herrn Barons Schuß von Überschuß +keine bedenklichen Symptome. Dr. Eras Sauermann.« -- »Der Zustand +des Herrn Barons nimmt seinen normalen Verlauf. Dr. Eras Sauermann.« +-- »In dem Befinden des Herrn Barons ist eine kleine Verschlimmerung +eingetreten. Dr. Eras Sauermann.« -- »Das Wundfieber des Patienten hat +sich in besorgniserregender Weise gesteigert. Die Kräfte schwinden. +Dr. Eras Sauermann.« -- »In dem Befinden des Herrn Barons Schuß ist +eine leichte Besserung eingetreten. Dr. Eras Sauermann.« -- »Der +hochgeborne Herr Baron Schuß von Überschuß, k. Oberkämmerer, der Krone +geheimer Rat, Ordensritter des goldenen Kreuzes, Besitzer vom Orden +des heiligen Ludwig usw., ist heute morgens drei Uhr gestorben. Dr. +Eras Sauermann.« -- Bei dem Leichenbegängnisse folgt unweit hinter +dem Galawagen in offener Kalesche ein interessanter blasser Mann in +tiefer Trauer. -- Wer ist das? -- Der Arzt, der ihn behandelt hatte. +-- Also ein Leibarzt. -- Doktor Eras Sauermann. -- Bald hernach +zieht er in die Stadt und ist der renommierteste Arzt der Geld- und +Geburtsaristokratie. »Ich kann wohl sagen,« schloß der Herr Doktor, +»ich bin auf ganz normalem Wege emporgekommen. Von Reklame war ich +stets ein geschworener Feind, das einzige, was ich mir in dieser +Beziehung gestatte, ist, daß ich meinen Patienten möglichst das letzte +Geleite gebe.« + +»Nun, es ist ja gewiß keine Schande, heutzutage durch Reklame etwas +zu erreichen,« sagte der akademische Maler Rakutti. »Neun Trommler +und vierundzwanzig Trompeter müssen siebenmal sieben Wochen jeden Tag +lärmend durch die Stadt ziehen, bis endlich jemand frägt, was der +Teufel denn eigentlich los sei? -- Meine Herrschaften, seht ihr dort +den verkommenen Menschen?« -- Jawohl, was soll der? -- »Der soll viel, +ihr schönen Frauen und ihr noblen Herren, denn er kann alles. Es ist +das ~Genie~! -- Ah!« + +»Sehr gut, sehr wahr!« rief die Tischgesellschaft. + +»Eine eigenartige Illustration für oder, wenn Sie wollen, gegen +das Gesagte ist meine Geschichte,« fuhr der Maler fort. »Ich habe +Kunstwerke geschaffen, ich bin kein Freund von vielen Worten, ich sage +bloß: Kunstwerke. Dieselben hingen in den Ausstellungen oder sie wurden +durch Mißgunst der Akademie-Direktoren, von welchen die meisten leider +auch selbst malen, dem Publikum vorenthalten. Die Kritik verschwieg, +oder was noch schlimmer, lobte mich mit jenen tückischen Phrasen, die +dem Publikum nichts sagen als: Der Mann ist sehr arm, denn seht, wir +geben ihm Almosen. -- Kurz, als ich das dreiundzwanzigste Bild schuf, +war das erste noch nicht verkauft. -- Vierundzwanzig macht majorenn, +dachte ich, und das vierundzwanzigste Bild soll etwas Besonderes +werden. Es wurde auch! Das ewig Weibliche, Frauen in unverhüllter +Schönheit sind immer willkommen! Als ich eine Reihe solcher Gestalten +gemalt hatte, ohne eigentlich dabei an etwas anderes zu denken, als +an die Wirkung der Farben (denn die Farben sind bei einem Gemälde +doch die Hauptsache) nannte ich sie: die Genien der Freude. -- Sie +gelangten mühelos in die Kunstausstellung, denn das Echte siegt +endlich doch. Aber am dritten Tage nach der Eröffnung verlangten die +Journale die Entfernung des Bildes -- aus Sittlichkeitsrücksichten. +Noch an demselben Tage strömte das Publikum massenweise in die Galerie, +um sich an den Genien der Freude weidlich zu entrüsten. Allein, wo +das Bild gehangen, gähnte nur mehr die leere schmutzigrote Wand mit +dem Zettel: Nr. 52 zurückgezogen. Aber die Genien blieben in ihrer +Zurückgezogenheit nicht allein. Durch besondere Schliche war es +immerhin möglich, das Bild in seinem Gewahrsam zu sehen, und weil +jeder mit starkem Kopfschütteln aus der Kammer trat, so wollten immer +noch mehr Besucher hinein. Es war ein Skandal, von dem die halbe Stadt +sprach. Der Skandal lag jedoch nur im Skandal, nicht im Bilde. Und was +geschah? Ich erhielt eine Zuschrift: Euer Wohlgeboren, da ich kaum +voraussetzen darf, daß Sie als Verfertiger -- Verfertiger schrieb der +Gauch! -- und Eigentümer Ihres geradezu skandalösen Bildes: Die Genien +der Freude, dasselbe vernichten werden, so fühle ich mich im Namen +des guten Anstandes veranlaßt, es ein- für allemal vor unberufenen +Augen unsichtbar zu machen. Ich biete Ihnen dafür dreitausend Mark. -- +Unterschrift der Name eines bekannten Börsenjobbers.« + +»Selbstverständlich waren Sie entrüstet über das unwürdige Angebot und +verlangten sechstausend Mark!« lachte der Major. + +»Nein,« sagte der Maler, »ich sandte dem Herrn ein höfliches +billet +de correspondance+, in dem ich sehr bedauerte, das Bild unter +zehntausend Talern nicht abtreten zu können. -- Am nächsten Tage +hatte ich die dafür lautende Kassa-Anweisung in der Hand. -- Die +Genien wurden allsogleich abgeholt, sollen aber bis heute noch nicht +vernichtet sein. -- Ich malte nun Bild für Bild ähnlichen Genres, +keines kam in die Ausstellung, jedes wurde von den Reporters, die sich +in den Ateliers herumtreiben, und auch von neugierigen Kunstmäcen mit +Interesse beblinzelt, mit Würde verdammt und fast noch vor seiner +Vollendung von Privaten angekauft. -- Jetzt erst verstand ich das +Wohlwollen der Presse und ich wollte den Rezensenten zu Ehren ein Fest +geben. Sie lehnten es in Mehrzahl höflich ab. Ich aber bin seither der +berühmte Mann und gedenke es auch noch ein Weilchen zu bleiben.« + +Nun war die Reihe -- es ging um den Tisch wie ein Rundgesang -- an dem +Major Abacitz. Der war jedoch zur Tür hinausgegangen. + +»Er soll sich ja im letzten Kriege ausgezeichnet haben,« sagte der +Chemiker Iseling. + +»Meines Wissens,« antwortete der Doktor, »hat er bloß das Gefecht von +Otterlitz verloren.« + +»Darüber ließe sich zur Tagesordnung gehen, und so hätte wohl Herr +Werner das Wort.« + +»Meine Geschichte ist groß!« versetzte der Schauspieler hohlen Tones, +als begänne er den Franz Moor des Lewinsky zu deklamieren, »sie ist +sehr groß. Ich will den Schauspieler nicht mit anderen Künstlern +vergleichen. Was ist der Maler? Er hat als Material die Leinwand, die +Farbe; der Bildhauer hat den Marmor, der Dichter das Wort, der Musiker +den Ton. Der Schauspieler allein ist sein eigenes Material, seine +eigene Leinwand und Farbe, sein eigener Marmor, sein eigenes Klavier. +Der Schauspieler ist der einzige Künstler, der aus sich selbst schafft.« + +»Also aus nichts --« warf der Maler ein. + +»Was sagen Sie?« + +»Ich meine, aus nichts, wie Gott die Welt erschuf.« + +»In der Tat, ja. Doch davon zu sprechen gebührt mir nicht,« sagte der +Schauspieler, »ich komme zu meiner Geschichte. -- In wenigen Monden +gehen sieben Jahre um, seitdem ich nicht mehr am Leben wäre, wenn mich +damals auf dem Theaterplatz in -- doch, wozu Ortsnamen! -- die Polizei +nicht geschützt hätte. Was sagt ihr? -- Ich frage euch: ist ein Applaus +im Auditorium ein Applaus? Ist das Klatschen und Strampfen und Johlen +und Namenrufen ein Applaus? Nein, meine Herren, das ist kein Applaus. +Sind Lorbeerkränze mit roten Seidenschleifen und Goldbuchstaben: »Dem +großen Mimen Fridolin Werner« ein Applaus? Sind hundert verhimmelnde +Notizen in den Tagesblättern über unvergleichliche Darstellungskraft, +über Wiedergabe der Rolle, wie wir sie nachgerade noch nie erlebt, über +fingierte Engagements in großen Hoftheatern und dem unersetzlichen +Verlust, der unserer Bühne droht; sind glorifizierende Feuilletons +mit Biographie und schwungvoller Aufzählung aller Triumphe in +glühenden Superlativen ein Beifall? Wenn dich Studenten von der +Bühne zur Garderobe auf den Achseln tragen -- nennt ihr das Erfolg? +-- Es tut mir leid, dann seid ihr schlecht berichtet. -- Wenn du +aber in »Kabale und Liebe« den Wurm spielst, und das Publikum gerät +über den elenden Bösewicht derart außer sich, daß es dich nach der +Vorstellung auf deinem Wege in den Klub abpaßt und aus wütend empörtem +Gerechtigkeitsgefühl totschlagen will: ~Das~ ist Applaus, Beifall, +Erfolg!« + +Werner ließ sich auf die Lehne seines Sitzes zurücksinken und +sagte weiter kein Wort. Es war auch keines mehr nötig. Das war die +Geschichte, wie er berühmt wurde; der Vorfall stand damals in allen +Blättern, und auch seither, so oft Herr Werner auf irgend einer Bühne +Gastrollen gab, vollends wenn er den Wurm brachte, ließ er's »auf dem +Platze« abdrucken, wieso ihm der Erfolg dieser Rolle schier einmal +an's Leben gegangen sei. + +Jetzt war's am Chemiker Iseling. + +»Ihr sprecht da von Erfolgen,« sagte dieser, »die mir nicht imponieren +können. Ich möchte sie Zufallserfolge nennen. Eine mit männlicher +Entschlossenheit durch allerlei Hindernisse mit schweren Opfern +zielbewußt selbstgeschaffene Existenz weise mir einer auf, wie die +meine! Eine Berühmtheit, die über den Großen und Stillen Ozean ebenso +mächtig hinklingt, wie über unsere Donaugelände, weise mir einer auf, +die der meinen gleichkommt! Iseling's spanisches Brustmalz! Depots in +Paris, London, Kalkutta, San Franzisko, Melbourne --« + +»Fischamend, Benslau --« spottete der Maler. + +»Nicht zu verachten, meine Herren! In kleinere Orte ist es schwerer zu +dringen, als in die großen. Wen der Kleinbürger und der Bauer kennt, +~der~ darf sich auf seine Berühmtheit eins gönnen!« + +Er trank scharf sein Glas Rheinwein aus. »Es hat mich ein gut Stück +Geld gekostet,« fuhr er fort, mit der hohlen Hand seinen Bart +trocknend. »In ein paar Jahren hoffe ich das Jubiläum der Million +feiern zu können.« + +»Die Sie mit dem spanischen Brustmalz gewonnen haben?« + +»Ach Gott, dieses Jubiläum ist längst gefeiert. Die Million, die ich +für Inserate und andere Reklame ausgegeben habe!« + +»Ich kann mich aber in der Tat kaum erinnern, je einmal ein Inserat +über das spanische Brustmalz in den Zeitungen gelesen zu haben,« +bemerkte der Maler. + +»Lieber Freund,« belehrte Iseling, »mit dem gewöhnlichen Annoncieren +und Anpreisen, mit dem Abdruckenlassen der Dankschreiben durch das +Brustmalz geretteter Personen und was dergleichen Schwindel mehr ist, +befasse ich mich nicht. Da täte mir wahrhaftig meine Ware leid. Wir +verfügen über andere Mittel.« + +»Zum Beispiel?« + +»Zum Beispiel wollen wir einmal den Kalender von der Wand nehmen. +Da haben wir gleich -- Zeitrechnung auf das Jahr 1883. Sie sehen! +Seit der Erschaffung der Welt 5832 Jahre. -- Seit der Einführung des +Gregorianischen Kalenders 304 Jahre. Seit der Erfindung des spanischen +Brustmalzes 35 Jahre ....« + +Lachend stießen sie mit ihm die Gläser an, nur Paulo, der Romanzier, +starrte finster auf die Tischplatte, und als er wegen seiner schweren +Schweigsamkeit zur Rede gestellt wurde, murmelte er: »Das ist mir zu +frivol.« + +»Nun müssen ja Sie mit Ihrem Latein vorrücken.« + +»Ich schweige,« antwortete Paulo und schüttelte seine lange schwarze +Mähne, die das blasse Gesicht wie bei einem Magier umrahmte. Dazu hatte +er eine Art Schlangenbändigeraugen und um den Mund die Furchen des +Weltschmerzes und die Klammern des Spottes. »Ich schweige,« antwortete +er, »denn an einer Tafelrunde, wo Erfolg und Ruhm in ~solcher~ +Weise charakterisiert worden sind, könnte die Erzählung eines sich +aus schwerer Not und mit sittlicher Kraft zur Anerkennung der Nation +emporgerungenen Mannes wohl kaum jemals Verständnis finden.« + +»So könnten wir jetzt vielleicht ein Kartenspielchen arrangieren,« +meinte sehr boshafterweise der Schauspieler Werner. + +»Ja und tausendmal ja!« rief Paulo, wirklich erbost darüber, daß just +er nicht zum Erzählen kommen sollte. »Spielet, spielet! Das ist ja +die Art der guten Deutschen, zechen und kartenspielen, anstatt sich +an dem geistigen Schatze der Nation zu belehren und aufzurichten und +ihre Schriftsteller vom Untergange zu retten. -- Mich haben, das kann +ich wohl sagen, lediglich die Gelegenheitsgedichte zu Hochzeitsfesten, +Kindstaufen und Jubiläen vor dem Hungertode gerettet. Meine +Jugendgedichte! -- außer Schiller und Heine schriebe sie mir keiner +nach! -- Und wenn ich Ihnen sage, daß ich die Druckkosten derselben +mit der kleinen Erbschaft meiner Tante als meinem einzigen Vermögen +bestreiten mußte! In Deutschland, wo jährlich Tausende für Zeitungs- +und Kolportagegeschmiere ausgegeben werden! Ich wollte hierauf eine +große Dichtung schreiben als Seitenstück zum »Faust«. Doch nein, Paulo, +sagte ich mir, die Deutschen sind derlei nicht wert; sie hätten auch +den Geheimrat Goethe verhungern lassen, wenn Geheimräte zu solcher +Todesart überhaupt inklinierten. Hingegen schrieb ich nach manch +kleineren Arbeiten, die mir viel Lob eintrugen, aber kein Geld, einen +großen Roman unter dem Titel: Die Auster von Tergestum. Daß diese +Dichtung mein Glück machen werde -- ich wußte es im voraus. Ich trug +das Manuskript zu meinem Verleger. -- Gucken Sie nicht so sauer drein, +lieber Mann, sage ich, heute habe ich einmal etwas für Sie. Sie wollen +doch Millionär sein? -- Ich hätte nichts dagegen, meinte er. Gut, +ich verkaufe Ihnen das ein- für allemal, für alle Auflagen, für die +Übersetzungen in allen Sprachen. -- Aber, mein Teurer, es tut mir leid! +sagte der Verleger, und solche Leute, wenn sie höflich werden, sind +unausstehlich. Teuerster! sagt er, heutzutage einen dreibändigen Roman, +und von einem unbekannten Namen! Wo denken Sie hin! -- Herr, der Roman +ist gut! rufe ich. -- Ach, das ist Nebensache, der Name muß gut sein! +sagte der Verleger. Schreiben Sie ein schlechtes Buch, so schlecht Sie +wollen, aber setzen Sie auf's Titelblatt einen berühmten Namen, zum +Beispiel: Max Freihag, und ich drucke es und zahle dreißig Taler für +den Druckbogen. -- Tun Sie das? frage ich. -- Jawohl. -- Gut. -- Ich +nehme mein Manuskript unter den Arm und gehe geradewegs zu Freihag. -- +Der Romanschriftsteller Freihag wohnte nämlich in derselben Stadt in +-- doch wozu Ortsnamen! rufe ich mit Freund Werner. -- Freihag, ich +wußte aus mancherlei Anlässen, daß er mir wohlgestimmt war und ein +gutes Herz hatte. -- Ich traf ihn zu Hause. Oh, lieber Freund! rief er +mir schon an der Türe entgegen, heute ist's nicht! -- Was ist nichts? +frage ich. -- Sie wollen ja doch wieder Geld von mir! -- Ach nein, +Herr Doktor, sage ich. -- Das ist gut, meinte er, denn heute habe ich +selbst keines. -- Das macht gar nichts, sage ich, denn heute müssen +Sie mir mit etwas anderm helfen. Sie müssen mich glücklich machen für +mein ganzes Leben! Ich will nämlich heiraten -- und ich wollte in +der Tat, ich war gerade in ein reizendes Ballettmädchen verliebt und +in dem rechten Moment fiel es mir nun bei: wahrhaftig, das könntest +du als Motiv anführen, und sie hernach wirklich heiraten. -- Da soll +ich Ihnen wohl gar den Brautwerber abgeben? lachte der Doktor. -- Das +nicht, sage ich, oder ja, wenn Sie's so nehmen wollen. Sie müssen mir +nämlich meine materielle Existenz gründen. -- Aber, lieber Freund, wie +vermöchte ich das? -- Doktor, Sie vermögen es, Sie können es und Sie +werden es tun. Hier habe ich einen Roman geschrieben und Sie werden +meinen Verleger vermögen, daß er mir dafür Honorar zahlt. -- Wie soll +ich das anfangen? fragt er; ach, 's ist ein liebenswürdiger Mann. -- +Das ist sehr leicht, berichte ich, es wird Ihnen im Leben selten etwas +so wenig Mühe gemacht haben, als das, und Sie werden nicht leicht +wieder einen finden, der sich mit so geringem Opfer namenlos glücklich +machen läßt, als ich. Denken Sie: eine schöne, herrliche Braut, in +die ich sterblich verliebt bin. Es wäre mir unmöglich, auch nur einen +Tag noch zu leben, ohne die Gewißheit, sie heiraten zu können. -- Ja, +es scheint, daß Ihnen die Liebe wirklich schlimm mitspielt, sagt der +Doktor nicht ohne Zweideutigkeit; wenn es jedoch in dem Bereiche der +Möglichkeit liegen sollte, Ihnen zu dienen --! Gut, sage ich, so wäre +das abgemacht. Ich danke Ihnen. -- Nun, was wollen Sie denn eigentlich? +ruft er aus. -- Ach ja so. Sehen Sie, sage ich, das ist der neue Roman: +Die Auster von Tergestum, von Emil Paulo und Max Freihag. Oder wollen +Sie voranstehen? -- Ich soll als Autor des Romanes? -- Ja, Doktor, +Sie werden als Mitverfasser Ihren Namen auf das Titelblatt drucken +lassen. -- Als Mitverfasser! ruft er, ich als Mitarbeiter an Ihrem +Roman, ohne eine Zeile daran geschrieben zu haben?! -- Das können Sie +nachholen, wenn Ihnen daran gelegen ist. -- So müßte ich das Werk doch +zum mindesten durchlesen, denn Sie werden begreifen, daß --. Nein, +unterbrach ich ihn, Doktor, das begreife ich nicht. Haben Sie Lust, +den Roman heute zu lesen, so wird's mich freuen, aber was gewinnen Sie +dabei? Entweder Sie finden, daß Sie ihn verantworten können, dann war's +unnützer Zeitverlust; oder Sie werden durch die Lektüre veranlaßt, Ihr +Versprechen zurückzunehmen, dann bin ich verloren. Und daran, Herr, +daran zweifle ich keinen Augenblick, wenn Sie mit einem Namenszug +einen Menschen retten, ja deren zwei glücklich machen können, so +schreiben Sie Ihren Namen, wenn es sein muß, selbst auf ein ägyptisches +Traumbuch. Die Revisionsbogen werden Ihnen ja Gelegenheit geben, den +Roman kennen zu lernen, respektive zu bearbeiten. Die Hauptsache ist +jetzt Ihr Name; mein Verleger schließt in einer halben Stunde das +Kontor. -- Das war mein Begehr, und nicht einmal die Pistole brauchte +man dazu in der Hand zu haben. -- -- Er hat's getan. Ich wußte recht +gut: nach einer Stunde tut er's nicht mehr; sobald ihm wieder der +Herzschlag langsamer geht, sobald er nachzudenken beginnt, tut er's +nicht mehr. Nun, es gelang und er hat's getan. + +Atemlos hatte die Gesellschaft dem Romanzier zugehört. + +»Und wie verlief die Sache?« fragte der Schauspieler, der früher der +Gleichgültigste geschienen und jetzt der Aufmerksamste war. + +»Sie verlief gar nicht,« antwortete Paulo, »sie ist noch heute, und +ganz vortrefflich. Ich kam mit dem Roman zum Verleger zurück, der sah +auf demselben freudestrahlend den berühmten Namen, den er für seinen +Verlag schon seit langem vergeblich zu gewinnen gesucht, und zahlte mir +fünfzehnhundert Taler als die erste Hälfte des Honorars auf die Hand. +-- Außer einigen Streichungen fand der Doktor an dem Roman nicht viel +zu modifizieren, das Buch ging reißend ab und hat bis heute sieben +Auflagen erlebt. Selbstverständlich schrieb ich nun munter voran und +für den Kompagnon Max Freihag's taten die Verleger allerorts ihre Arme +und Börsen auf, obwohl die folgenden meiner Bücher nur mehr unter +meiner Firma allein erschienen.« + +»Und hat der Streich dem Renommee Freihag's doch nicht etwa --?« +Iseling sprach's, hatte aber nicht den Mut, den Satz zu Ende zu bringen. + +»Geschadet, meinen Sie!« fuhr Paulo empört auf. »Herr, seit der +Erfindung des spanischen Brustmalzes mag es allerdings erst +fünfunddreißig Jahre her sein, aber seit der Entdeckung des gesunden +Menschenverstandes ist es doch etwas länger. Und der Menschenverstand +sagt sonnenklar: Zwei ist mehr als eins. Freihag kann froh sein, ein +höchst bedeutendes Werk unter seinem Schilde zu führen, zu dem er kaum +die Feder angesetzt hat.« + +»Und Ihre Braut haben Sie geheiratet?« fragte der Maler. + +Ohne darauf zu antworten, nahm Paulo seinen Überrock und sagte: »Gute +Nacht, meine Herren!« + + + + + Der Mann mit den dreizehn Talern. + + +Der Mann, dessen Geschichte ich in schaulustigen Jugendtagen +aufgeschrieben, war eine sehr wunderliche Erscheinung. Auswendig und +noch mehr inwendig. Er war nicht groß, aber stark untersetzt und +unter der rechten Achsel auffallend ausgewachsen, so daß an derselben +Seite der kurze graue Wollspenser zwischen sich und der Hose das Hemd +hervorlugen ließ. Das bleiche Gesicht sah recht offenherzig aus, war +rund und hatte für das Dorf astronomische Bedeutsamkeit. Wenn dieses +Gesicht neu und glatt rasiert war, so konnte man überzeugt sein, daß +der Mond im ersten Viertel stand. + +Die Welt sah er nur halb, das heißt immer bloß mit dem einen, rechten +Auge an, das linke hielt er stets zugedrückt. Und doch war er nicht +einäugig, denn einmal hatte es sich ereignet, daß beide Augen hellicht +offen standen. Die Leute meinten, der Alte verschließe das linke, +weil er alles ~recht~ sehen wollte; andere behaupteten, er tue +es aus Sparsamkeit, damit, wenn sich im Greisenalter die gewöhnliche +Sehkraft erschöpfe, er noch ein neues, frisches Auge habe, und wieder +andere vermuteten, der Alte tue es aus Nachsicht, daß er immer ein Auge +zudrücke. + +Einen Zweck mußte es wohl haben, denn alles, was der Alte tat oder +ließ, hatte einen Zweck. Oder weshalb ließ er seine nun bereits weißen +Haare so lang wachsen, daß er sie wie einen Turban um die Stirne +drehen konnte, als daß er dadurch die Kopfbedeckung von fremden +Haaren ersparte? Und weshalb kaute er immer und immer wieder an einem +Strohhalm, als zum Ersatz für das Rauchen, das er sich in seiner +Jugend einmal angewöhnt hatte? Und weshalb hatte er in seinem Stübchen +eine beflügelte Windmühle, die mehr als den halben Raum einnahm? -- Ja, +die Geschichte von der Windmühle ist nicht einfach! Die Maschine stand +aber auch nur im Winter in der Wohnung des Mannes, im Sommer ruhte +sie in einer Rumpelkammer, die gleich daneben, und zu der die Stube +des Mannes eigentlich das Vorzimmer war. Ob über diese Räume der alte +Mann oder die Mäuse Hausherr waren, das ist nie recht klar geworden; +bestimmt ist nur anzunehmen, daß beide Parteien in den Dachstuhlräumen +des alten Pfarrhofes wohnten. + +So bedenklich die Holzleiter aussah, die zu diesen Räumen emporführte, +so wohnlich waren sie eingerichtet. Eine Matratze, die am Boden lag, +ein dreibeiniger Sessel, der daneben lehnte, ein wurmstichiger Schrank, +der an der Wand stand und ein kleiner eiserner Ofen, der im Winkel +kauerte -- das war außer der Windmühle die Einrichtung der Wohnung +des Malchus Zacharias Rosenkranz. Das Fenster, das in der schiefen, +reichlich mit Lehm überworfenen Dachwand in einer Nische stand, war +wie der alte Malchus einäugig, da der andere Flügel mit blauem Papier +verklebt gewesen. Indeß war der Ausblick durch die eine Glasscheibe +um so erfreulicher, sie ging in den Hof zu den lieben Haustieren. Dem +Fenster des Malchus gegenüber stand das Wirtschaftsgebäude und auf +dem First desselben saß zu allen Stunden des Tages ein Spatz oder die +Katz'! Und über dieses Bild wölbte sich am Tag der blaue Himmel, zur +Nacht das Sternenzelt und zu trüben Zeiten der Nebel. + +Gelänge es mir, nun euren Blick von diesem Bilde ab- und nochmals auf +das Innere der Behausung des Malchus zu lenken, so möchte ich auf den +schwärzlichen Hafentopf aufmerksam machen, der am eisernen Ofen steht. +Dieser birgt das Mittags- und Abendmahl des Mannes, sowohl für alle +gewöhnlichen Tage, als auch für alle Feste des Jahres berechnet -- ein +nahrhaftes Erbsengericht. Lohnend dürfte es sein, auch einen Blick in +den Schrank zu tun. Da uns die zahlreichen Wurmstichlöcher aber doch +immer keinen Einblick in das Innere zu gewähren vermögen, ist Malchus +Zacharias Rosenkranz bereit, die Decke zu öffnen. Die hier verwahrten +Holzschuhe und falbledernen Beinkleider, sowie der Sack Erbsenvorrat +sind von minderem Belange; um so auffälliger aber ist uns die viele +Schafwolle, die auf Spulen und Knäuel gewickelt ist, und das sorgsam +gehaltene Strickzeug. Wir haben hier die Stätte der Arbeit vor uns; +Malchus beschäftigt sich jahraus jahrein mit Stricken und versorgt alle +Bauern, Hirten und Holzhauer der Umgebung mit Fäustlingen und Socken. + +Im untersten Winkel des Schrankes befindet sich aber ein Wollbeutel, +der einen feinen, zarten Metallklang gibt, sobald ihn der Mann berührt; +Malchus schichtet alle vorrätige Wolle über den Beutel und blinzelt +dabei ganz merkwürdig mit dem rechten Auge. Dann blickt er unstet um +sich, aber das linke Auge bleibt zu, nur der Strohhalm, an dem Malchus +kaut, macht ein paar Schwingungen auf und nieder, was wohl gar eine +Drohung bedeuten mag. + +Ein Geizhals, meint Ihr? -- Recht gut, so hat es einen Zweck, daß ich +euch die Geschichte des Mannes erzähle. + + * * * * * + +Malchus Zacharias Rosenkranz lebte schon seit einigen fünfzig Jahren in +dem Dachstübchen des Pfarrhofes, und ihm sind auch die Tage bekannt, +die er noch hier verleben wird. Er weiß den Tag seines Todes. Wie +sie ihn über die hinfällige Leiter hinabbringen werden, das ist ihre +Sache -- gewiß nur ist, daß sie nach Verlauf der bestimmten Zeit den +alten Malchus hinaustragen werden auf den Kirchhof. Der Alte verzehrt +trotzdem heute sein Erbsengericht so ruhig als vor dreißig Jahren. Er +betet und hofft nur, daß bishin kein Unglück mehr komme. + +Eine Tagereise von unserem Dorfe, in einer schönen Gebirgsgegend, liegt +der rote See. Dieser ist an vielen Stellen grundlos tief, birgt sogar +Forellen in sich und hat seinen Namen von den roten Felswänden, die an +seinen Ufern aufragen und sich in dem klaren Wasser spiegeln. + +Am Ufer dieses Sees stand vor vielen Jahren eine Fischerhütte. Sie war +aus rohen Waldstämmen gezimmert und mit Lehm und Moos gegen Wind und +Wetter wohlverwahrt. In der Hütte wohnten ein Mann und ein Weib und +ein Kind. Der Mann war kühn und trieb sich die meiste Zeit auf dem See +herum, bis er zu Abend mit beladenem Kahne gegen die Hütte ruderte. Das +Weib war arbeitsam und pflegte den Gemüsegarten und die Ziegen, und in +der Winterszeit höhlte es Holzschuhe aus zum Verkaufen. Das Kind war +ein freudvoller Knabe, in welchem Jugendlust sprudelte und ein reiches, +kraftvolles Leben zu schlummern schien. + +Das Fischerpaar liebte sein Kind unsäglich, aber es lag eine Betrübnis +in seiner Doppelseele, so oft es den heiteren Knaben ansah. An jenem +Tage nämlich, als dem Fischer das Kind geboren wurde, fing er in seinem +Netze eine große Seespinne, wie er noch nie eine gesehen hatte, weil +sie im roten See nicht vorzukommen pflegten. Er schleuderte das Tier +wohl wieder zurück in die Wellen, aber nach seinem Sinn sollte der Fang +für die Zukunft seines Neugebornen von böser Bedeutung sein. Er teilte +dies auch seinem Weibe mit, welches zwar den Wahn des Gatten überlaut +zu widerlegen suchte, im Innern aber bangte, des unglücklichen Lebens +gedenkend, das vielleicht ihrem Kinde bevorstehe. + +Trotzdem wuchs der Knabe auf zum schönen Jüngling, der da lachte, als +ihm die Eltern die Geschichte von der Seespinne mitteilten. + +Der Jüngling kam selten zu fremden Menschen; er sah dann und wann nur +einen Holzhauer, einen Jägersmann, und wenn er auch bisweilen hinauskam +in die Gegend, wo das Dorf und die Kirche standen und wo die Leute auf +dem Felde oder auf der Wiese arbeiteten, so fühlte er sich dort nicht +behaglich. Die ganze Liebe seines Herzens wendete er den Eltern zu. + +Zur Liebe kam auch der Segen. Jener Wahn des alternden Paares begann in +diesem ruhigen und heiteren Fortleben zu schwinden. + +In einem Winkel oben unter dem Dache wohlverwahrt stand ein Kästlein +aus hartem Buchenholz voll blanker Silbermünzen. Durch die vielen Jahre +der Arbeit und des Fleißes hatte sich die kleine Familie ein Vermögen +erworben, welches in dem alten Fischer keinen geringeren Plan wachrief, +als den, die baufällige Hütte niederzureißen und sich am Ufer des Sees +ein größeres Wohnhaus zu bauen. In seiner Seele mochte vielleicht das +Bild einer lieben Tochter zu dämmern beginnen, die der Junge früher +oder später bei den vielen Menschen draußen finden und nach Hause +bringen werde. + +So zog der Jüngling eines schönen Julimorgens aus, um einen Baumeister +und Arbeiter zu dingen. Wenn er an großen, stolzen Bauernhöfen +vorüberkam, so studierte er die Bauart und den Geschmack, und er freute +sich auf das Leben im neuen Hause, das sich in der Einsamkeit zwischen +dem See und den roten Wänden doppelt schön ausnehmen werde, und er +freute sich auf das Lieben und Pflegen der alten Eltern. + +Als er hierauf nach gewissenhaft vollführter Sendung in das +Felsengebirge zum roten See zurückkehrte, da war alles aus. Wo die +Hütte gestanden hatte, knisterte ein Gluthaufen und von demselben +rieselte über die breiten Steine ein schmales Silberbächlein gegen +den See, gleichsam als fordere dieser die unzähligen Silbermünzen, +die er durch seine Fische erwerben half, geschmolzen wieder zurück. +Und in dem Aschenhaufen lagen die verkohlten Leichname. -- -- Schöner +Fischerjunge! Dort am Ufer steht noch der Kahn, dein Erbe. Geh' hinab, +mache ihn los, springe hinein und fahre hinaus bis in die Mitte des +Sees. Dort stürze dich kopfüber hinab -- zur Seespinne. -- + +Er sprang nicht in die Glut, er sprang nicht in den See; er brach nicht +zusammen; es trat ihm keine Träne ins Auge. Einen kurzen, gellenden +Schrei stieß er aus -- -- dann drückte er sein linkes Auge zu und +blinzelte mit dem rechten. + +Später wühlte er in den Kohlen und Bränden. Die Leichen seines Vaters +und seiner Mutter ließ er liegen, wie sie lagen, bis nach vielen +Stunden Leute kamen, die das Unglück sahen, das Fischerpaar begruben +und den Jüngling mit hinaus nahmen ins Dorf. + +Aber seine Jugend war zu Ende. -- Das plötzliche unfaßbare Unglück, das +mit einem einzigen Schlage alles geraubt hatte, was er besaß, was er +liebte und an dem er hing mit seinem ganzen Wesen, hatte sein Gehirn +erschüttert, sein Lebensmark geschmolzen -- ein blödsinniger Greis von +siebzehn Jahren -- drückte stets das linke Auge zu und kaute an einem +Strohhalm. + +Die Brandstätte seiner Heimatshütte lag öde da; Fischlein im See +reckten oft ihre Köpfe empor, ob denn der Alte nicht wieder einmal +käme mit seinem hinterlistigen Garnsack, und da er nicht kam, so +veranstalteten sie lustige Spiele und feierten das Fest durch Tänze +und Wettrennen nach Mücken und Würmchen. Doch endlich kam wieder ein +starker Mann, der mit riesigen Garnbeuteln den roten See neuerdings +unsicher machte. + +Für das geschmolzene Silber, welches von der Hütte über die breiten +Steine gegen den See geflossen und unterwegs gestockt war, bekam der +arme Malchus dreizehn Taler. + +Bisher hatte er eine Wollmütze am Kopfe getragen, die nahm er nun ab +und wickelte das Geld hinein und sagte zu sich: »Das ist gerade genug, +daß sie die Glocken läuten und daß der Pfarrer mitlauft, wenn mich +die sechs Träger hinaustragen. Sechs? Ei, ich dächte, für den Malchus +tätens auch bloß zwei.« + +Ein alter Pechbrenner, in dessen Hütte Malchus seit dem Unglücke +wohnte, ließ sich die dreizehn Taler zeigen, legte dann den Finger auf +den Mund und flüsterte: »Malchus, das ist ein Kapital, geh' damit ein +Geschäft an! Schau, ich habe vor fünfunddreißig Jahren, als ich in +den Wald ging, nur zwei Sechser gehabt, kaum, daß ich mir davon den +Pechhafen hab' kaufen können, und heute schau dir einmal meine Pecherei +an! Probier's auch du. Kannst es so weit bringen wie ich!« + +Auf diese Worte legte der junge Mann einen Grashalm auf die Zunge; +indem er an demselben zu kauen begann, sagte er langsam: »Meinst? Wart, +Domini, wart, mit fünfunddreißig Jahren hab' ich's weiter gebracht als +du. Bin ja ein Glückspilz, ich!« + +»Wie du ein Kerl bist, sollst du ja die Welt auf die Achseln nehmen wie +einen alten Heukorb! Fikra sikra Haferstern! Wenn ich der Malchus wär', +ein Schloß von Elfenbein müßt' ich haben und das schönst' Weible drin +und ein goldenes Bettstattl mit Roßhaar! -- tät's nicht billiger!« + +Malchus lächelte, aber sagte nichts drauf; er wickelte seine dreizehn +Taler wieder langsam in die Wollmütze. + +»Und was willst du nachher mit deinen dreizehn Aposteln da? Geh, ist ja +der Judas noch dabei! Du, Malchus, den mußt weg, er verrät dir sonst +die andern all. Oder der dreizehnte stirbt und steckt dir die anderen +an. Mußt ihn weg, Malchus!« + +»Mag wohl wahr sein,« meinte der Bursche, faltete seine Mütze wieder +auseinander und hielt dem Pecher eine Münze hin. + +»Junge, da tust du gescheit,« sagte der andere schnell und steckte den +Taler in die Tasche, »bei mir hat er's gut, wenn du ihn brauchst, so +komm und hol ihn.« + +Ein andersmal, als Malchus tagelang zwecklos im Walde herumgelaufen +war, sagte der Pechbrenner zu ihm: »Ja, was willst denn, Malchus, du +bist ein ganzer Narr!« + +»Das hab' ich mir auch schon gedacht,« entgegnete der Bursche. Dann +warf er sich schluchzend an die Brust des alten Mannes und sagte: +»Domini, lieber Domini, ich weiß mir keinen Rat. Du, ich sag' dir's, +wenn sie mich nicht gleich auf die Bahr' legen, so kommt noch früher +ein großes Glück über mich!« + +»Ein großes Glück, meinst? Tät' dir schon recht geschehen und ich +wollt' dir's wünschen.« + +»Weh!« rief Malchus aus und wollte dem Pechbrenner den Mund verhalten. +Und nachher sagte er: »Ja, ja, Glück wär schon recht! Aber da kommt +dir auf einmal eine Stunde, und das Glück, fleißig aufgebaut in vielen +Jahren, wird in einer Nacht zum Unglück. Domini, ich sag' dir's, wenn +unten beim roten See jetzt eine Fischerhütte stünde, und es lebte ein +guter Mann drin, der mein Vater, und eine gute Frau, die meine Mutter +wäre -- ich ginge nicht hinab zu dieser Hütte; nein, alter Domini, und +wenn ich nur mit den Tieren des Waldes leben müßte, ich ginge nicht +hinab -- 's möcht vielleicht schön sein unten -- schau mich an, Domini +-- schön sein unten; es möchten Tage sein wie die himmlischen Freuden +-- da kommt das Unglück und alles ist hin. Nein, nein, ich ertrags +nicht mehr, das Glück, das falsche, und du wirst wohl recht haben, +Domini, ich bin ein ganzer Narr.« + +Dem alten, lustigen Domini war diesmal zur Entgegnung kein Scherz +eingefallen. Er schwieg und dachte daran, wie das plötzliche Unheil auf +den Burschen einen solchen Eindruck gemacht hatte, daß er das Glück nur +als Ursache des Unglückes betrachtete und es fürchtete, wie das Unglück +selbst. + +»'s wird alles wegen der Seespinne geschehen sein,« sagte Malchus, »und +ich weiß nun schon, ich darf nichts anfangen in der Welt, 's tät' mit +allem schlecht ausgehen. Ich will keine Freude mehr haben, die Trauer +nachher ist zu bitterlich; mag auch kein Geld und Gut, tät's doch +wieder verlieren. Mag gar nichts, bin einmal zum Unglück geboren. -- +Ich will das Elend schon ertragen, Domini, den Hunger fürcht ich nicht, +die Kälte nicht. -- Ich ertrag' die Not, nur jäh darf sie nicht kommen. +Domini, ich kann stricken; ich find' schon wo ein Platzel für die paar +Jahre, und da stricke ich und erwerbe mir für jeden Tag eine Brotsuppe, +oder, wenn das Geschäft gut geht, von Erbsen was. Die Lederhose da, +schau einmal, Domini, sie ist von Hirschleder, die hält mir's reichlich +aus, und dann soll das Unglück nur kommen, wo wills denn aufsitzen? +-- Bleibt mir mein Geld nicht, ist recht, nur fort, liegt mir wenig +daran; und bleibt es mir, so ist's gut. Die dreizehn Taler sind für +mein Begräbnis.« + +»Hast nur zwölf mehr,« warf der Pechbrenner ein. + +»Zwölf?« sagte Malchus befremdet, »wo hätt' ich hernach den +dreizehnten?« + +»Hast ihn ja mir gegeben, von wegen dem, weil er der Judas war,« lachte +der Alte, »aber, wenn du ihn wieder haben willst ...« + +»Nein, behalt' ihn nur,« sagte Malchus, »du hast mir jetzt lange +Zeit hier in deinem Hause Dach und zu essen gegeben. Ich dank' dir's +tausendmal, Domini, aber jetzt werde ich dich verlassen, ich gehe ins +Stricken aus; bet' dann und wann ein Vaterunser für mich; schau der +Malchus ist eigentlich doch ein armer Teufel.« + +Das waren die Abschiedsworte. Seine Wollmütze im Sack, einen Stock +in der Hand und einen langen Halm zwischen den Zähnen -- so wandelte +Malchus langsam durch den Wald und hinab zum See, wo am Ufer eine +kleine rötliche Mauer stand. Der Herd ist noch geblieben, als ob das +Schicksal höhnen möchte: Ei, sieh' da, Malchus Zacharias Rosenkranz hat +doch auch einen eigenen Herd! -- + +Der blödsinnige Bursche wühlte -- weil er just vorüberging -- ein wenig +in dem Aschenboden, ob etwa nicht irgendwo noch ein Eisennagel läge. +Einen rostigen Pfeifendeckel aus Stahl fand er -- -- den hatte der alte +Fischer einst auf- und zugedrückt, als er behaglich schmauchend am +Tischchen gesessen war und zu seinem Weib und zu seinem Sohne gesagt +hatte: »Nu, was meint ihr, werden uns halt ein Häuslein bauen müssen, +das ein wenig größer und bequemer ist. Junge, zuletzt wirst du auch +noch zwei Stuben haben wollen!« + + * * * * * + +Als sich der Bursche in einem entfernteren Tale nach Strickarbeiten +umsah, lachten ihn die Leute aus. -- So jung und ein Altweibergeschäft! + +Aber weil's gar zu sonderbar war, so gaben sie ihm doch eine Arbeit. + +Malchus half auch auf dem Felde, aber da war er sehr unbeholfen. Einmal +zur Erntezeit sagte man ihm: »Nur fleißig Korn tragen, Malchus.« Und +setzten das Sprichwort dazu: »Die Kornträger werden reich.« Auf diese +Worte wollte der Bursche keine Garbe mehr anrühren. + +»Warum gehst du denn immer barhaupt?« fragte ihn einmal eine junge +Magd, und wickelte sich seine wirren Locken um den Finger. + +»Das weiß ich nicht,« antwortete Malchus und blickte seitwärts. + +Wenn er mit andern zu Tische war, so aß er immer nur Brotsuppe und +Gemüse, und wenn sie ihn zum Fleischgericht oder zu fetten Mehlspeisen +einluden, sagte er: »Vergelt's euch Gott, nach so was ist's so viel +schwer, sich was Einfacheres anzugewöhnen.« + +Einmal sagte der Bauer, bei dem er arbeitete: »Malchus, ich schenk' dir +eine Pfeife, daß du nicht immer an einem Strohhalm zu saugen brauchst.« + +Darauf der Bursche: »Wenn du auch den Tabak dazu gibst?« + +»Wie hast dir denn dein linkes Aug' abgebrochen, Malchus?« fragte +ihn die schalkhafte Bäuerin eines Mittags, als sie dem Burschen eine +Erbsensuppe vorsetzte. + +Dieser aß die Erbsensuppe, antwortete jedoch nicht auf die Frage. -- + +Endlich sah man ein, daß der Malchus ein Hascher sei, und man +behelligte ihn nicht mehr mit Witzen und Zumutungen, denen er +nicht entsprechen konnte; man gab ihm Wolle und ließ ihn bei seinen +Stricknadeln, und Malchus strickte und schien zufrieden. + +Er war ruhig, gutmütig und anhänglich, man ließ dem armen, heimatlosen +Burschen auf dem Dachboden des alten Pfarrhofes ein Stübchen. + +Malchus, der seit dem Unglücke bisher im Tale in verschiedenen +Bauernhöfen gelebt und gearbeitet hatte, war anfangs kaum zu +bewegen, seine neue Wohnung zu beziehen. »Auf einmal wird mein Haus +niederbrennen.« + +Gegen die Stiege, die man ihm zu seiner Dachkammer bauen wollte, +verwahrte er sich auch. »Gebt mir nur eine Leiter, die man allzeit +wegziehen kann; dem Unglück darf man nicht auch noch die Wege machen.« + +So begann nun Malchus in seinem neuen Hause zu leben. Bei trübem Wetter +saß er auf der Matratze und strickte oder sah sich dann und wann auch +seine zwölf Taler an, die er im alten Holzschranke verwahrt hielt. Die +sind halt für's Läuten und für's Hinaustragen und für den Segen in die +Grube. Ja, wo war denn der dreizehnte? Den hatte er zuletzt gar dem +alten Domini geschenkt? Ei, ei! + +An heiteren Tagen aber kletterte er über die Leiter herab, ging durch +das Dorf, über Feldwege und redete einige Worte mit den Leuten, die ihm +begegneten, und strickte. + +Mit seinem lockigen Barhaupte und dem zwinkernden Auge und den +unvermeidlichen Halm zwischen den Lippen sah er aus wie ein +stillheiteres Gemüt. + +Die Arbeit holte er sich von seinen Kunden selbst, wer hätte es auch +wagen mögen, über die gebrechliche Leiter in sein Stübchen zu steigen! + +So saß er denn allein und strickte oder sah am kleinen Ofen nach, +was die Erbsen machten; zu Zeiten, wenn eine lebhafte Flamme war, +wurden sie gar lebendig und stiegen heraus, und Malchus mußte sie mit +kaltem Wasser wieder zurück hineinjagen, die Flüchtlinge, die er doch +verzehren wollte. -- + +An einem Sonntag Vormittag. Die Leute waren alle in der Kirche, +auch Malchus saß in einem Winkel hinter dem Taufstein und betete +seinen Rosenkranz ab und murmelte zu der braunen Korallenkette: »Du +bist ein Rosenkranz und ich bin auch einer; du hast ein Kreuz und +einen »Glauben« und zweiundsiebzig Perlen; ich hab' auch ein Kreuz +und einen Glauben, aber ob ich mein Lebtag zweiundsiebzig Tugenden +zusammenbring', d'rauf wollt' ich nicht wetten. Bin doch oft recht +untugendsam, wenn ich gar so übermäßig über mein Unglück trauere und +das Leben und meine Jugend verachte, als ob just auf mich alles Elend +kommen wollte. Zuletzt werde ich so glücklich sein wie alle anderen, +und mein Klagen und Zittern ist ein Frevel. Deswegen, du tugendsamer +Rosenkranz, tu' nur ein wenig beten für den untugendsamen!« + +Da kam plötzlich der Kirchendiener aus der Sakristei und sagte dem +Pfarrer am Altare etwas ins Ohr. Der Pfarrer kehrte sich gegen die +Gemeinde und rief laut: »Feuer ist im Dorf, geht löschen!« Am Turm +schlugen schon die Glocken an. + +»Aha, ist schon da!« murmelte Malchus und erhob sich von seinem Stein. + +»Wo brennt's denn?« fragten sich die Leute und stürmten in das Freie. + +»Wo wird's brennen, ihr Kindischen,« sagte Malchus ruhig, »im Pfarrhof +brennt's; oben in meiner Stube brennt's; 's wird wieder meinen Vater +und meine Mutter haben wollen oder mich, und jetzt bin ich gar nicht zu +Hause.« + +Er steckte seinen Rosenkranz in die Tasche und ging hinaus. + +Am unteren Ende des Dorfes qualmte dichter, rötlich-brauner Rauch +auf. »Das ist der große Heustadl!« hieß es, und die Leute eilten mit +Eimern und Kübeln und Leitern und Haken gegen den Brand, und weil +keine Feuerspritze im Orte war, so trugen sie aus dem Ziehbrunnen, der +auf dem Platze stand und aus dem Bächlein, das weiter unten hinfloß, +Wasser auf die Dächer. Der Stadl war nicht mehr zu retten, da pfiffen +die Flammen schon aus allen Fugen und Löchern; jetzt brachen sie +gewaltig aus; glühendes Stroh, brennende Schindeln flogen hoch. Auf +den Nachbargebäuden kletterten Männer herum, warfen die Dachbretter +herab, begossen die Firste und Dachstühle, vermauerten die Fenster. Sie +riefen sich zu, aber im Knattern der Bretter und im Brüllen des Feuers +hörten sie sich kaum. Die Weiber jammerten in den Gassen und schleppten +Hausgeräte aus ihren Wohnungen; alte Kästen und Bettstätten zerrten +sie hervor und vergaßen den Sparpfennig. Auf dem Turme schrillten +stoßweise, in ungleichen Zwischenräumen die Glocken, daß von den +Nachbargemeinden Hilfe kommen möge. + +Über all das lag der klare Sommertag und Sonnenschein, wenn auch die +Schatten des Rauches über Dorf und Kirche hinflogen. + +Malchus half nicht im Löschen, nur daß er in der Nähe des Feuers beim +Ausbringen von Hab und Gut tätig war. + +Zuletzt ging er gar davon, setzte sich auf einer Anhöhe nieder und sah +dem Feuer zu. »Wie ihr auch löschen und wahren mögt,« sagte er, »das +ganze Dorf brennt nieder. Das Feuer ist dort unten und mein Pfarrhof +ist da oben am andern Ende. Du rothaariges Unglück, du hast es doch nur +auf mich abgesehen, und jetzt hüpfest du über alle Hausdächer bis zu +meiner Wohnung. Und ich bring' so viel Unheil über alles; es wär' doch +das beste, ich tät der ganzen Welt aus dem Weg gehen -- ganz, ganz aus +dem Weg -- die Seespinne wird keine Ruh' geben.« + +In einer Stunde später war der Heustadl eingestürzt und die Flammen +leckten nur mehr an den Wandbäumen, die am Boden lagen. Die nächst +angrenzenden Gebäude standen unversehrt da, nur daß bei einigen das +rötlichgraue Dachstuhlgerippe nackt aufragte, weil es die Leute +abgedeckt hatten. + +Die Kirchenglocken waren zur Ruhe gekommen, das Schreien war verstummt, +die Weiber trugen ihre Geräte wieder in die Häuser und sie lachten, +wenn sie gleich noch vor Aufregung zitterten. + +Malchus stieg vom Hügel, schüttelte wiederholt den Kopf: »Jetzt hat die +rothaarige Bestie sicher gemeint, ich wohne im Heustadl!« + +Als er über seine Leiter steigen wollte, lag diese in Trümmern auf dem +Boden, und neben ihr, ächzend und sich in Schmerzen windend, lag der +Schuhflicker Fritz. + +Malchus kannte ihn gleich, der Mann flickte ihm ja seine +Kuhlederschuhe. Er rief also: »Ja, Schuster, was ist denn dir +geschehen?« + +Dieser wimmerte: »Wie das Feuer auskommen ist, hab' ich dem Malchus +wollen sein Hab und Gut retten und bin über die Leiter gestürzt -- Fuß +und Hand hab' ich mir gebrochen.« + +Während er dies sagte, wälzte er sich um und suchte einen grauen +Wollbeutel zu verdecken, der neben ihm lag. Aber Malchus hatte diesen +bemerkt und sagte: »Fritz, es schaut so aus, als ob du mir mein Geld +gestohlen hättest!« + +»Malchus, nur retten hab' ich dir's wollen -- oh weh!« + +»Das kann sein, und es kann auch nicht sein -- gib nur her, Fritz.« + +»Zu tausendmal gern; aber sag niemandem was davon. Malchus, schau, +bin ein armer Mann und hab' Weib und Kind. Hab' sonst noch keinem was +gestohlen, mein Lebtag nicht. Sag nichts davon, Malchus; muß ja eh bald +sterben!« + +So jammerte der Schuhflicker, und Malchus beruhigte ihn: »Ist dir +vergessen; und zuletzt hätt' doch nur ich da herabstürzen sollen; das +Unglück ist heut' schon das zweitemal zum Unrechten gekommen. Magst +dich auf meine Achsel helfen, Fritz, ich trag' dich heim in dein +Häusel.« + +Und er trug den Fritz heim in sein Häusel. »Frau Schusterin,« sagte +er, »tut Euch nicht erschrecken; beim Löschen ist er auf den Erdboden +gefallen«. + +Dann ging Malchus wieder seiner Wohnung zu, band die Leiter zusammen +und stieg zu seiner Stube hinauf. Die Türe war offen, der Schrank +ebenfalls. Malchus barg seine zwölf Taler wieder an ihrer Stelle. + +Leute, die den jungen Mann während des Brandes auf dem Hügel hatten +sitzen sehen, sagten lieblose Worte. Andere, die ihn mit dem Schuster +Fritz begegneten, erzählten Gutes von dem blödsinnigen Stricker. + + * * * * * + +Es war im Spätherbste desselben Jahres, als eines Abends durch das +Dorf der lustig polternde, pudelnärrische Brechelzug ging. Die Leute +kehrten eben von der »Haarstube« zurück, wo sie gemeinsam ihren Flachs +gebrechelt hatten; gingen jetzt zu einem reichlichen Mahle, welchem +Tanz und anderes Freudige folgen sollte. Die Pfeifen und Geigen waren +schon da und die Bläser und Streicher auch dazu, und die Füße des +jungen Völkleins waren bereits voll Räder und Federn, besonders die der +Dirndeln. + + »Wia liab daß so a Diandl, + Wan's bleedan tuat, is!« + +Dem Zug voran gingen zwei Burschen, die mit Besen die Gasse auskehrten, +und hinter her zog eine Magd und streute Agen auf den Weg, damit der +Lust und der Freude, die hier im Triumph einherzog, die Kümmernis nicht +folgen konnte. + +Als sie über den Platz am tiefen Dorfbrunnen vorüberkamen, standen +einige plötzlich still und legten die Finger an den Mund; »ein +Gespenst!« Andere blieben ebenfalls stehen und horchten. -- »Du +Kreuzsappermost, was ist denn das da unten?« + +Aus der Tiefe des Brunnens hörte man Laute -- wie ein Wimmern und +Weinen, dann wieder wie ein Lachen. Das war ja wieder dieselbe +Stimme, wie man sie vor dreißig Jahren gehört hatte, als darauf eine +Überschwemmung kam; und das war auch dieselbe Stimme, die vor achtzehn +Jahren im Brunnen rief, als dann die große »Sterb« in der Gemeinde +ausgebrochen. + +Die Pfeifen waren in schrillen Tönen ausgelaufen und schwiegen; die +Leute flohen. + +Nur Malchus floh nicht. Er stand am niederen Brunnengeländer, starrte +in die Tiefe und rief hinab: »Na heut' geraten wir zusamm', verdammte +Seespinne du!« Dann verlangte er einen Strick, sie sollten ihn +hinablassen. + +Die Leute wußten nicht was, aber sie brachten einen Strick und ließen +Malchus in den Brunnen. + +Der Arme -- noch einen Blick gegen die Abendröte, gegen die Waldberge, +gegen die weiße Dorfkirche, gegen die Menschen -- dann hatte er den +Eimerbaum seitwärts gestoßen und es ging hinab -- von dem Lichte zur +Dämmerung, zur Dunkelheit, zur Finsternis, den schauerlichen Tönen +näher. + +Der Strick war lang und ging tief und tiefer hinab. + +Endlich schien die Last auf dem Wasser zu sein, der Strick war locker. + +Man horchte, man hörte kaum mehr die Laute von früher. Das halbe Dorf +hatte sich um den Brunnen versammelt. + +Die Mauern und weißen Schindeldächer der Häuser waren gefärbt von der +Abendröte; Fensterscheiben leuchteten, als ob alle inneren Räume in +Flammen ständen -- so herrlich scheidet der Tag, so unheimlich naht die +Nacht, und dem Manne im Abgrund -- wie wird's ihm ergehen? + +Endlich tönte aus dem Brunnen ein hohles, langgezogenes: »Auf!« + +Man spannte den Strick, man zog und zog; die Last war schwer, das Seil +lag schon am Boden in unzähligen Ringen und Schlingungen wie eine +endlose Schlange, und endlich -- + +Malchus kam herauf und in seinen Armen hatte er, bedeckt von Schlamm -- + +»Martha, meine Martha!« erscholl in dem Augenblicke eine Stimme, und +ein Weib stürzte zum Brunnengeländer, auf das sich Malchus erschöpft +mit seiner Beute gesetzt hatte. Nun erst sah er recht, was er trug: ein +bleiches, schönes Mädchen, dessen feuchte Locken weit über seinen Arm +hinabhingen. + +Malchus riß die Augen auf, auch das linke, und diesmal war es, daß der +Mann die Welt zweifach anschaute. + +Das eine sank aber sogleich wieder zu, als das Weib, eine Näherin, mit +ihrem Kinde laut weinend in das nächste Haus ging. + +Aber Malchus ging nach in das Haus und blieb so lange bei dem Mädchen, +bis es die Augen aufschlug -- die blauen Augen, und bis es die Mutter +küßte auf seinen zarten Mund und sagte: »Martha, du mein Leben, was +hätte ich getan, wenn du dahin gewesen wärest!« + +Martha war neun Jahre alt und der Häuslerin einziges Kind. Zum Krämer +war sie heute gegangen, auf daß sie Zwirn hole; spielend mit der +kleinen Geldnote dahin über den Dorfplatz. Das Lüftchen spielte in +ihren losen Haaren, aber dasselbe Lüftchen entführte ihr die Geldnote +und trug das Papier hin und hin über das Geländer des Dorfbrunnens. +Und wie nur zu viele Menschen dem Gelde nachjagen und in den Abgrund +stürzen, so erging es auch der kleinen Martha; am Geländer blieb das +Blättchen nicht liegen, es schwebte, das Mädchen langte über -- und so +kam's. + +Unten unmittelbar in dem Wasser stand ein Balken in die Quere, daran +klammerte sie sich, da kam Malchus hinab. + +Wie ihm das arme Weib dankte, wie ihn Martha anblickte, da war's doch, +wie noch nie, wie noch gar nie in allen seinen Lebenstagen. + +»Und jetzt geh' ich dem Brechlerhause zu, heut' möcht' ich tanzen.« + + * * * * * + +So vergingen wieder einige Jahre und das erwartete Unglück kam nicht. + +Malchus war um ein gut Stück heiterer geworden, aber er lebte immer in +seinem Dachstübchen und strickte oder tat andere Kleinigkeiten. Zur +Weihnachtszeit erhielt er immer ein Paket Wäsche, er wußte nicht von +wem; der Pfarrer sagte: »Ich weiß wohl, wer dir das schickt, darf es +aber nicht sagen.« + +Malchus fragte auch nicht mehr, sondern fühlte sich behaglich in den +weichen Linnen und war zufrieden. + +Zweimal des Jahres war ein Fest in seiner Stube, da schickte ihm +Martha, die indeß zu einer lieben Jungfrau geworden war, einen +Strauß schneeweißer Röslein, wie sie im kleinen Garten der Näherin +am Hagebuttengesträuche wuchsen. Der eine Strauß kam immer zu seinem +Namenstag, der andere an einem Tag im Herbst -- der Empfänger wußte es +kaum, warum. + +Martha hätte ihm die Rosen selbst gebracht, aber Malchus sagte einmal +zu ihr: »Martha, die Leiter zu meiner Stube ist gebrechlich.« + +Du guter Bursche, dein Herz war gebrechlich. Du bist fünfundzwanzig +Jahre alt. + +Wohl dachte der Jüngling daran. Aber er will keine Nahrung sammeln für +die Seespinne. + +Und die gab doch keine Ruh', er sollte nicht glücklich werden. + +Marthas Mutter, die Näherin, war dürftig. Da kam eines Tages Malchus +mit seinem Wollbeutel, öffnete ihn und legte die zwölf Taler auf den +Tisch, dann suchte er noch eine Weile im leeren Beutel herum und +murmelte: »Weiß nicht, aber ich hab' doch dreizehn gehabt!« + +»Was machst denn da, Malchus?« fragte die Näherin. + +»Mutter,« sagte der Bursche und blinzelte stark, »ich hab' ein +Anliegen. Schenkt mir so viel Liebe und nehmt die paar Groschen!« + +Da sagte das Weib: »Eher ins Grab, Malchus, eh' ich einen Groschen von +dir nehmen tät; wir sind dir viel tausend Gottesdank schuldig!« + +Malchus mußte sein Geld wieder in seine Wohnung tragen. Sein Leben +hatte er aber so eingerichtet, daß er nicht notwendig hatte, etwas von +den zwölf Talern anzubrauchen, so wie er von seinem kleinen Erwerbe +auch nichts dazu tat, sondern damit seine Bedürfnisse bestritt. Auf +diese Art besaß er durch alle die Jahre zwölf Taler und nicht mehr und +nicht weniger. + +Ein erzählender Hausierer in der Schenke eines Bergdorfes ist den +Leuten Zeitung, Romanliteratur, Anekdotenschatz, Theater und Erbauung. +Aber die Gurgel muß so einem Mann feucht sein, sonst ist kein glattes +Wort hervorzubringen. Der Wirt hat ein Fäßchen, da ist ein treffliches +Gurgelöl darin, davon werden alle Gedanken los und ledig und kommen +herauf in merkwürdigen Worten, und da schlüpft freilich auch manches +Geheimnis mit. + +Kommt so ein gesprächiger unterhaltsamer Hausierer ins Haus, so +schmiert der Wirt gerne und unentgeltlich mit diesem Öle, denn er weiß, +alle Gäste bleiben um zwei, drei Gläser länger sitzen als sonst, um den +Geschichten und Neuigkeiten zu horchen. + +Ein solcher Hausierer kam auch in unser Dorf. + +Und heute wußte der Hausierer eine ganz besondere Neuigkeit, wie sie +nicht alle zehn Jahre zu hören ist im Dorfe. + +»Ja, Leutchen,« erzählte er in seiner stets ruhigen Weise, aber jedem +Worte Gewicht gebend, »da draußen im Land soll jetzt ein reicher Graf +gehenkt werden, der den König hat ermorden wollen. Wißt ihr's, daß +Raben und große Herren sich einander die Augen nicht auskratzen? Nu, +wenn ihr's wisset, nachher trinken wir einmal.« + +Er hob den Humpen und neigte ihn so gegen seinen Mund hin, daß er +wacker rinnen lassen konnte; die ihm zuhörten, taten es nach. + +»Wär's ein kleiner Spitzbub gewesen,« fuhr der Erzähler fort, »man +hätt' einen neunundneunzig Klafter hohen Galgen gebaut, daß sie den +kleinen Spitzbuben hätten baumeln sehen im ganzen Land. Weil's aber ein +großer Herr, nu, so ist's erlaubt worden, einen anderen für ihn zu +hängen.« + +»Was?« riefen die Gäste und ein paar sprangen von ihren Sitzen auf. + +»Je nu,« sagte der Erzähler, »freilich einen andern, der sich eben dazu +hergibt. Der sich einschreiben läßt. Wisset, wie ich hab' vernommen, +soll die Sache so sein: der Graf ist begünstigt und darf zwanzig Lose +ausgeben und muß jedes derselben aus seinem Reichtum mit zwanzigtausend +Gulden ausstatten. Eines von den zwanzig Losen aber ist schwarz -- +schwarz wie der Teufel -- und wer das zieht, der muß sich für ihn +henken lassen. D'rin in der Stadt beim Kreisgericht sind die Lose zu +haben. Eh' ich mir das meine hol', trink' ich den Wein aus.« + +Und er trank. + +»Du liebe Welt mit Sauerkraut!« sagten einige, »so Lose werden doch +noch anzubringen sein. Die Unwahrscheinlichkeit, daß man den Fehlgriff +tue, ist neunzehnmal da und die Wahrscheinlichkeit einmal; eine +kleinere Ziffer kann sie kaum mehr haben. Dem einen wird bigott wohl +auszuweichen sein, und das Glück ist gemacht, und sein Lebtag braucht +einer nicht ein Tüpfel mehr zu arbeiten, kann liegen im Gras und die +Zwanzigtausend vergurgeln. Ich nehm' gleich ein Los.« + +»Ei ja, so denkt jeder von den Zwanzigen,« sprach ein alter +Strohdecker, »den's aber erwischt, der ärgert sich und denkt: Donner, +warum denn just mich? Jetzt muß ich mich henken lassen und weiß nicht +warum. 's mag richtig sein; neunzehn Stück taugen der Gurgel von innen, +aber das zwanzigste greift sie auswendig an.« + +»Wenn einer seine zwanzigtausend Gulden wenigstens früher verjuxen +könnt',« sagte ein Schneidergeselle. + +»Drei Tag' hast Galgenfrist,« belehrte der Hausierer. + +»Drei Tag'! schau, das ginge noch an; da tät' ich gleich einen lustigen +Handwerkertanz geben und drei Mädel foppen.« + +»Und ich tät' mir gleich den Freiherrntitel kaufen!« rief der Krämer. + +»Du den Freiherrntitel?« lachte der Schmied, »ja, bist du nicht unser +Erzdemokrat, der die Adeligen nicht leiden kann?« + +»Just desweg',« sagte der Krämer, »so ließe ich den Baron statt des +Bürgers henken.« + +So redeten sie in Spaß und Übermut, und es gab über den Gegenstand viel +zu lachen. + +Und in den nächstfolgenden Tagen sagte so mancher, wenn ihm etwas nicht +recht zusammenging: »Seh's schon, werd' wohl müssen auf das Kreisamt +gehen um ein Los.« + +»Ja, wenn ich gewiß wissen tät', ich erwischte das schwarze nicht, ich +tät mir gleich eins holen,« sagte mancher, und ein anderer entgegnete +darauf: »Narr, wenn ich das wissen tät', alle neunzehn müßt' ich haben.« + +Es ging aber doch keiner. + +Es sollte aber doch einer gehen. Malchus hatte sich die Geschichte +dreimal erzählen lassen, dann hatte er noch einmal nachgefragt: »Und +das schwarze Los hat die zwanzigtausend Gulden auch?« + +Dann war er stundenlang auf seiner Matratze gesessen und hatte mit sehr +großem Nachdruck seinen Strohhalm zerkaut. + +»Werde ich gehenkt oder lassen sie mich laufen,« murmelte er endlich, +»das Geld bekommt Martha. Zwar, es wird kein Zweifel sein, die +Seespinne wird mich abtun, aber schon recht, dann ist sie mit mir +fertig und ich bringe auf diese Weise mein Leben noch am anständigsten +weg, weiß so nichts damit anzufangen. Ja, so wird's sein.« + +Dann stand er auf, aß seine Erbsen, nahm einen Knotenstock, versperrte +alles wohl und verließ den Pfarrhof und das Dorf. + +Als er am Häuschen der Näherin vorüberkam, klopfte er an die +Fensterscheibe und sang das Liedel: + + »Zwei Roß und ein Wäglein, + Und auf dem Wäglein ein Mägdlein, + Und neben dem Mägdlein ein Bräutigam, + Und der hat ein gold'nes Kleidlein an!« + +Dann schritt er fürbaß auf der Straße gegen das Kreisgericht. + +Als Malchus in das Städtl kam, begegnete ihm der alte Domini, welcher +eben eine Harztrage auf den Markt gebracht hatte. + +»Hast du auch ein Los geholt?« war das erste Wort, welches Malchus dem +Alten entgegenbrachte. + +Der wußte von allem kein Wort und der Bursche mußte ihm erzählen. + +Domini hörte auch ruhig zu, dann aber sagte er: »Malchus, ich will dir +was sagen, du wirst kein Los bekommen. Schau, die Sache ist so: Leute, +die keinen Kopf haben, die kann man nicht henken.« + +Schier wollte dem Malchus bei diesen Worten auch das linke Auge +aufgehen. + +Aber Domini fuhr fort: »Hör' mich einmal, Junge, und wenn's auch wahr +wäre, wer wollt' sich gleich aufknüpfen lassen! Das tät' ich nicht, und +nicht um ein Gschloß! Aber sag' mir, hast denn gar nichts zu beißen, +weil du auf solche Gedanken kommst?« + +»Ich schon,« sagte der Bursche, »aber, es gibt noch andere Leut' auf +der Welt. Domini, ich weiß mir völlig nicht zu helfen, dir sag' ich's. +Daheim in unserem Dorf kenn' ich was, und das wird mich nach und nach +umbringen. Ich möchte sie oft gern ansehen, aber ich kann nicht. Es ist +noch wie ein Kind, aber ich tu' so schwer mit ihm reden, wie mit einem +König. Dann, wenn ich so dasteh', mein' ich, es ist nicht anders und es +trifft mich der Schlag. Ich fürcht' nur, es ist mir was antan worden, +Domini!« + +Der alte Pechbrenner sagte: »Ja, Malchus, du mußt heiraten?« + +Nach einer Weile entgegnete Malchus: »Das Zeug ist mir auch schon +eingefallen. Aber ich darf doch andere Leut' nicht mit mir ins Unglück +bringen.« + +Domini sah den Burschen mitleidig an. Er hatte über die armselige +Denkweise des jungen Mannes unwirsch werden wollen, es war ihm schon +ein herbes Wort auf der Zunge gelegen, aber er schluckte es wieder +hinab -- der Arme kann ja nicht dafür, und kein Mensch auf der Welt +kann ihn mehr anders machen. Domini sagte zuletzt nur: »Malchus, mach' +was du willst und magst, ich, der alte Domini, der es immer gut mit dir +gemeint hat, sag' dir nur das, tu' nicht sinnen und grübeln, sondern +immer nur arbeiten und arbeiten. Kannst du singen? Lerne Lieder und +singe; Malchus, das ist das allerbeste Mittel gegen die Seespinne. Mußt +das nicht vergessen, Malchus, tu' fleißig singen. Geh' jetzt heim.« + +So gingen sie auseinander und Malchus zog sein blaues Sacktuch heraus +und machte einen Knoten daran, daß er sich erinnere, was ihm der +Pechbrenner gesagt hatte. + +Und der Knoten blieb lange im Sacktuch. + +Malchus wollte singen und er sang: + + »Magst zählen die Sternlein am Himmel, + Die Halmlein im weiten Land. + Magst zählen die Tropfen der Wasser, + Magst zählen die Körnlein im Sand. + + Doch nimmer magst du zählen, + Zu kurz ist die ewige Zeit, + Die Schmerzen in meinem Herzen, + Und meine Traurigkeit!« + +So hatte es der Pechbrenner aber nicht gemeint. + +Auf der Heide weidete eine junge Hirtin Ziegen. + +Malchus war einigemal strickend hingegangen, um im Walde abgefallenes +Brennholz zu sammeln, das er in den Korb tat, den er auf dem Rücken +trug. + +Immer, wenn er an der jungen Hirtin vorüberkam, sagte er: »Tust +gaißhalten, Martha?« + +Und darauf antwortete stets das Mädchen: »Ja, ich tu' gaißhalten, +Malchus.« + +Einmal sagte sie aber auch noch etwas anderes: »Gib deinen Hut her!« + +»Geh, Martha,« sprach er, »was tätest denn mit meinem Hut, ist schon +ganz zerrissen.« + +Er gab ihr ihn aber und sie steckte ein Sträußchen Heideblumen darauf. +Und es war doch nicht sein Namenstag, und es war auch nicht der +Gedenktag im Herbst. Es war ein Sommertag. + +Dem Burschen war's wieder so, wie er es dem alten Pechbrenner erzählt +hatte. Er drückte schier beide Augen zu; nicht einmal den Strauß sah +er recht an, schnell tat er den Hut auf die wirren Haare, und schnell +eilte er dem Walde zu. + +Am andern Tag ging Malchus mit einem kleinen Holzkübel taleinwärts dem +Bach entlang. Oft unterwegs zog er seine Wolljacke aus, streifte die +Hemdärmel zurück, legte sich am Ufer des Wassers hin und langte, wo es +tief war, unter den Rasen. Wo ihm eine Forelle nur einmal in die Hand +kam, entschlüpfen konnte sie ihm nicht mehr. + +Heute hatte der Bursche einen besonderen Vorsatz. Am Abend, wenn er +die Fische hintrage, wollte er Martha sagen, daß er sie lieb habe und +er wolle nicht mehr stricken, er sei an die dreißig, er wolle zu den +Holzschlägern gehen und im Walde arbeiten und Geld verdienen. + +»Wart du verblitzter Fischdieb!« rief es plötzlich neben dem +hingestreckten Burschen. + +Malchus sprang auf. Ein großer Mann mit einer langen Stange über der +Achsel stand da, es war der Fischer. + +»Ei schau, der Malchus ist's. Na hörst, wie kommst denn du unter die +Pharisäer?« + +Der Bursche war wie vernichtet, jetzt erst fiel es ihm ein, daß hier +das Fischen verboten sei. + +Nun war er ein Dieb, und der Mann treibt ihn vor das Gericht. -- Die +Seespinne! + +»Lass' es gut sein, Malchus, und geh' jetzt heim, die Forellen, die +du da gefangen hast, die schenk' ich dir, lass' sie dir backen und +schmecken.« + +»Will sie nicht!« brummte Malchus, seinen Strohhalm zerkauend, und +stürzte den Kübel samt Wasser und Forellen in den Bach. + +Als er zu dem Pfarrhofe zurückkam, trat eben die alte Nähterin aus dem +Hause, sie hatte es dem Seelsorger angezeigt, daß ihre Tochter heute +aus der Gemeinde fortgezogen sei, um sich in der Fremde einen Erwerb +zu suchen. Bei einem Verwandten, der in der Kreisstadt ein Haus habe, +werde sie Dienst finden -- es sei so das beste. + +Malchus hörte es, stieg über seine Leiter und als er im Stübchen saß, +murmelte er: »Ja, ja, es ist so das beste!« + +Dann fuhr er sich mit dem Sacktuch über die Augen. Was doch das für ein +Knoten war im Sacktuch? + +Der Mann wußte es nicht mehr. + +Singen sollst! + +Aber der arme Malchus sagte zu sich: »Jetzt wär's schon bald Zeit, daß +die Geschichte zu Ende ging' -- jetzt hab' ich kein' Freud' und kein +Leid mehr auf der Welt.« + +Aber es kam der Herbst und der Winter und der Frühling und jeder hatte +Freuden und Leiden, und es ging nicht zu Ende. + +Da war's an einem Maimorgen. Malchus saß in der Kammer am offenen +Fenster, strickte und sah hinaus auf die Bretterdächer des +Wirtschaftsgebäudes, aus welchen die Sonne noch den Tau sog. Die Luft +war frisch und rein und der Himmel blau. Über das Dach ragte der +Wimpfel einer junggrünenden Esche empor und auf diesem saß heute schon +seit früher Morgenstunde ein Kuckuck. Er schrie in einem fort seinen +hellen Ruf. + +Da warf Malchus sein Strickzeug weg, lehnte sich an die Fensterbrüstung +und sagte: »Jetzt muß es gelten! Sag' mir, du Vogel, wie lange werde +ich noch leben? Nenne mir die Jahre!« + +Der Kuckuck schwieg. + +»Kein Jahr mehr?« murmelte er dann, »nicht ein einzig Jahr mehr! Schau +mich genau an, Vogel, ich bin noch jung!« + +Und es war wirklich, als ob sich der Kuckuck gegen ihn wendete. Dann +begann er zu schreien. Er schrie zweiundvierzigmal. + +Dem Burschen ging schier das linke Auge auf. »Also zweiundvierzig +Jahre! -- Oder willst noch weiter schreien?« + +Der Vogel flog ab. Aber eine Stimme hörte er irgendwo: »Nach +zweiundvierzig Jahren am Urbanitag!« -- Ei der Kuckuck? + +Malchus wendete seinen Blick in die Stube zurück; sein Auge war +geblendet, es war fast finster. Das Strickzeug ließ er eine Weile auf +dem Boden liegen, nun war ja noch so viele, so viele Zeit zum Stricken. + +Zweiundvierzig Jahre, Malchus! Hast du Pläne? Wie wirst du diese Zeit +ausfüllen? -- + +Der Mann zog seinen Rosenkranz hervor, zählte zweiundvierzig Perlen ab, +machte nach diesen einen Knoten in das Schnürchen. Die noch übrigen +Kügelchen entfernte er, und nun bedeutete ihm der Rosenkranz die Zeit, +die ihm noch beschieden war auf Erden. + +Seine zwölf Taler suchte er von nun an zu verwahren, seine Zeit und +Lebensweise noch regelmäßiger einzuteilen und sein Leben so ruhig und +einfach als möglich einzurichten, damit das Unglück nirgends eine +Nahrung habe. + +So kamen und gingen nun Jahre und Jahre. + +Malchus Zacharias Rosenkranz lebte einsam in dem Dachkämmerlein des +alten Pfarrhofes. An seinem Fenster blühte nie mehr ein Strauß von +weißen Rosen. + +Nur die Mäuse, die kleinen, behenden, uralten, grauen Mäuse kamen von +der nachbarlichen Rumpelkammer öfters zu ihm herüber auf Besuch und +guckten ihn helläugig an und wisperten ihm auch oft was vor. Es freute +ihn nicht, wußte er doch, daß der Besuch seinem Erbsentopfe galt. + +Mit den Menschen verkehrte Malchus nur wenig; sie hatten nichts für ihn +als Wolle, und sie verlangten nichts von ihm als Strümpfe. Er strickte +aber auch Handschuhe, Hauben und Unterjacken. + +Im Sommer ging er die stillsten Wege, die es im Tale gab, am liebsten +aufwärts gegen die Heide, wo Martha einst die Ziegen gehütet. + +Vom Walde trug er weniges Brennholz heim; zur Erwärmung im Winter +brauchte er nicht zu heizen, denn dafür hatte er eine Erfindung +gemacht. Er hörte einmal, daß schnelle Bewegung der Körper Wärme +erzeuge; sofort bat er den Pfarrer, daß dieser ihm die alte Windmühle +borge, die schon lange Zeit unbenützt in der Scheune stand, weil sie +keinen Rieselboden mehr hatte. Diese Windmühle nun stellte der Mann zur +Winterszeit in sein Stüblein, und wenn ihn frieren wollte, begann er an +der Handhabe zu treiben, daß es sauste und klapperte, und bald war ihm +ganz leidlich warm und er konnte wieder stricken. + +Wohl schienen die Mäuse über ihren polternden Nachbar ungehalten zu +sein, denn sie entzogen ihm nach dergleichen stets auf längere Zeit +ihre Besuche. + +Seit mehreren Jahren hatte sich Malchus auch einen anderen, neuen +Hausrat anzuschaffen bemüßigt gefunden -- ein Rasiermesser, mit dem er +sich nach jedem Neumond regelmäßig seinen braunen Bart schnitt. + +Die Kopfhaare begann er stehen zu lassen, und er wand dieselben nun, da +der alte Filzhut schon längst den Weg alles Irdischen gegangen war, wie +einen Turban um das Haupt. + +Aus praktischen Gründen hatte Malchus auch die bereits grau gewordenen +Lederschuhe gegen Holzschuhe vertauscht, eine Änderung, mit der die +Nachbarschaft ebenfalls nicht einverstanden war. Zum Weihnachts- und +Osterfeste war er immer beim Herrn Pfarrer zu Tische geladen, weil er +im Laufe des Jahres dann und wann kleine Kirchendienste tat, aber +Malchus fand sich bei der Tafel nicht behaglich. Der Braten, ei ja, +der täte schon schmecken, das Glas Wein auch, aber wie leicht ist die +böse Angewohnheit da! Zu Weihnachten bekam er immer das Paket Wäsche. +In der Neujahrsnacht langte Malchus stets seinen Rosenkranz aus dem +Schranke hervor, tat eine Koralle weg, warf sie aus dem Fenster und +ließ sie hinabrollen über die Schneerinde des Daches, so wie das Jahr +hinabgerollt war in die Ewigkeit. + +Schon viele Kügelchen hatte der Rosenkranz auf diese Weise verloren, +und Malchus war durch sein Sitzen auf der Matratze buckelig und +mühselig geworden. + +Auch sein Turban war nicht mehr dunkel, sondern lichtgrau. + +Im Dorfe und im Tale waren Menschen geboren worden und aufgewachsen. +Sie hatten Hochzeiten und Kindstaufen und Begräbnisse gehabt, hatten +sich endlich selbst auf das Brett gelegt, und Malchus Zacharias +Rosenkranz hatte für sie gestrickt. Auch die alte Nähterin hatten sie +auf den Kirchhof getragen. Ein fremder Wagen mit zwei Pferden war zum +Begräbnis gekommen -- ein Mann und eine Frau saßen darin. + +Malchus bekam an demselben Tag vom Pfarrer einen neuen Anzug aus grauem +Loden und ein silbernes Kreuz, das er um den Hals hing. + +Es waren große Ereignisse in der Gemeinde vorgegangen, noch größere +draußen in der Welt. Für Malchus war es das größte gewesen, daß während +der vielen Jahre zweimal am Dache des Pfarrhofes gedeckt werden mußte, +wobei gräßlich gehämmert wurde, und daß auf dem gegenüberliegenden +Dach des Wirtschaftsgebäudes einmal drei Kater rauften, und so wütend +rauften, daß einer davon halb zu Tode gebissen über die Bretter +kollerte. + +Auch war im Laufe der Zeit, wie er meinte, jenem Stern, der in +den Sommernächten gerade über dem Stallfirst stand, einmal ein so +ungeheurer Schweif gewachsen, daß alle anderen Sterne der Nachbarschaft +weit auseinander gehen mußten, um dem wüsten Ungeheuer eine Gasse zu +machen. + + * * * * * + +So lebte der arme, alte Mann fort; er wußte schier nicht mehr, +wie er in das Dachkämmerlein gekommen war. Er hatte vergessen den +Schreckenstag in seiner Jugend, auch den alten Pechbrenner Domini, und +wie dieser gesagt hatte, daß er singen solle. Aber der alte Mann hatte +endlich ja auch die Seespinne vergessen, die als unheilvolles Erbe des +elterlichen Aberglaubens durch die schönsten Jahre der Jugend hin sich +an sein weiches Herz geklammert hatte. + +Nur das war dem armen Malchus noch: es habe ihm einmal geträumt von +einem lieben Mädchen, das auf der Heide die Ziegen gehütet und ihm +Blumen gegeben hatte. + +Wie einem doch so wunderlich träumen kann, nicht wahr, Malchus? -- Aber +sag einmal, wie viel hast denn noch Korallen an deinem Rosenkranz? + +Der Alte mag selbst daran denken, der Grashalm wackelt ihm unsicher im +Munde -- er hat ja schier keinen Zahn mehr. + +Draußen blüht und leuchtet der Maitag. + +An der Kirchentür wird ein großer Kranz aus Tannenreisern geflochten, +es werden auch Rosen hineingewoben, rote und weiße -- es ist das Fest +des Kirchenpatrones Urbanus nahe. + +Unten im Hofe bei den Schweinen ist großer Schrecken, wie er immer war, +wenn ein großer Tag herannahte, und der Pfarrer für den Festbraten +sorgte. + +Der alte Malchus befand sich ganz wohl. Aber er weiß, es naht der +Tag ... Schon vor Wochen hatte er die Windmühle in die Rumpelkammer +geschoben, wofür er von der Nachbarschaft eine sehr trauliche Gegen- +und Dankvisite erhielt. + +Malchus holperte noch einmal durch das Tal; er konnte im Gehen nicht +mehr arbeiten, er mußte schon den Stock recht fest halten. Heute wollte +er sich die Welt noch einmal ansehen, diese Erde noch einmal, den +Himmel noch einmal. Ist gut beisammen, alles. Und die Luft trägt den +Duft der Blumen herum, und sie trägt den Gesang der Vögel herum. Der +Kuckuck schreit auch; das wird derselbe nicht sein, von der Esche. -- +Malchus, das ist ein wunderlicher Morgengang! Und alles ist so mild +gegen dich und weiß nichts davon, daß du -- schon in zwei Tagen. + +Malchus bückte sich und riß einen jungen Halm ab, und begann an ihm zu +saugen. + +Zur Heide stieg er auch hinauf. Ein Bauer, der ihm begegnete, sagte: +»Hab' dir's ein für allemal gesagt, Malchus, magst sie schon nehmen die +herabgebrochenen Äste zum Heizen, brauchst nicht zu fragen.« + +Am nächsten Tage kamen die Krämer mit ihren Tragekästen, schlugen auf +dem Dorfplatz Stöcke in die Erde, banden Stangen daran und richteten +ihre Stände auf. Kinder standen dabei und sahen zu. + +In den Häusern wird gebacken und geschmort, ins Wirtshaus kommen schon +vier Männer mit Pfeifen und Geigen; hinten geht eine ungeheure Baßgeige +nach. + +Der alte Malchus Rosenkranz humpelte gebeugt am Stabe durch das Dorf. +Er kam jetzt von der Kirche, wo er eine Beichte abgelegt und die +Kommunion empfangen hatte. Vor dem alten Brunnen, der schon lange +verfallen war, und auf dem roter Holunder wuchs, blieb er einmal +stehen und sah blinzelnd das frischgrüne Gebüsch an. Dann ging er +weiter hinab bis ans Ende der Häuser, wo einmal ein alter Heustadl +niedergebrannt war, und er ging weiter den Weg entlang bis zu einem +Häuschen, in dem einst die alte Nähterin gelebt hatte. Dort kehrte er +wieder um und ging durch die hintere Dorfgasse dem Pfarrhofe zu. Vor +einer Schreinerwerkstatt blieb er stehen und sah durch das offene Tor +den Gesellen zu. + +Sie hobelten an Läden, die Späne schoben sich durch die Eisenscharte +und flogen lustig davon. Dann nahmen sie den Zollstab und maßen, und +schnitten in die Quer. + +»Mit Verlaub zu fragen, was wird denn da gemacht?« fragte Malchus. + +»Ja, mein lieber Malchus!« sagte der Obergeselle bedeutungsvoll. + +»Ich verstehe,« murmelte Malchus, »werde auch bald so was brauchen.« + +»Gratulier'!« sagte der Geselle. + +Die Schreiner zimmerten eine Wiege. + +Der alte Mann schritt langsam seiner Wohnung zu. Mühsam kletterte er +über die alte, halbmorsche Leiter. Dann kochte er sich einen Topf +Erbsen. + +Am Abende desselben Tages saß er lange am Fenster und strickte. +Er hatte für die alte Einleger-Ploni noch ein Paar Strümpfe +fertigzubringen; 's ist schon gezahlt dafür, und 's wär' doch eine +Schand, wenn er jetzt, ohne die Arbeit zu vollenden, durchginge. + +Auf das gegenüberliegende Bretterdach fiel das bleiche Licht des +aufgehenden Mondes. -- Wenn er über das Haus herüberkommt und nach +Mitternacht zum Fenster hereinlugt, vielleicht bist du dann schon +fertig. + +Auf dem Rosenkranz des Alten war keine Perle mehr, nur noch der Knoten +-- der letzte Knoten. + +Auf dem Eschenwipfel, der über dem Dachfirst emporragte, meldete sich +ein Vogel. War's wieder ein Kuckuck, wie vor einigen vierzig Jahren? +Wollte er noch ein paar Jährchen draufgeben? + +Der Vogel krächzte -- es war eine Eule. + +Der Alte hörte dem Gekrächze eine Weile ruhig zu, endlich begann er zu +brummen: »Ja, ja, ja, ist das eine ewige Kräherei! Weiß es ohnehin -- +hab' gemeint, die Arbeit da brächt' ich noch fertig, aber 's wird nicht +sein mögen!« + +Und er strickte und strickte. + +Gegen Mitternacht zog er die letzte Nadel aus der letzten Masche und +der Strumpf war fertig. Der Alte machte ein Kreuz über Stirne, Mund und +Brust und legte sich auf die Matratze. Seine Glieder waren müde, sein +Sinnen war umflort -- er schlief bald ein. + +Der Mond war über das Haus gekommen, blickte durch das Fenster und auf +dem Fußboden lag seine weiße Tafel. + +Auf der weißen Tafel saß eine Maus und guckte mit hellen Äuglein den +Mond an. + +Am andern Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen auf den Dachfirst +fielen, läuteten alle Glocken. Malchus erwachte und schlug für einen +Moment die beiden Augen auf. Es war das Fest des Kirchenpatrons Urbanus +-- jener Tag, der ihm vorausgesagt worden war. Ei, der Kuckuck, dachte +sich der Alte, ich steh' jetzt auf und geh' in die Kirche; bist schon +wieder beim Erbsensack, du vertrackte Maus? Nu, nu, nur nicht gleich so +betreten, nag' zu, beiß' zu! Und wenn er kommt, so sag' ihm, er möge +warten, ich sei bei der Messe. + +Dem Alten war wunderlich um das Herz -- nicht so, als ob er sterben +sollte. Klar war sein Denken nicht, statt der stumpfen Ergebung war +eine Berauschung eingetreten. Mit seltener Sorgfalt ordnete er seinen +Anzug und wand seine Locken um das Haupt. + +So kletterte er über die Leiter und ging in die Kirche. + +Da standen die Leute auf dem Dorfplatz, Kopf an Kopf, mit grünen, +schwarzen, grauen und anderen Hüten; Weiber und Kinder drunter, mit +bunten Hauben und Kopftüchern; alles schmuck, sogar Blumensträuße +hatten sie bei sich auf den Hüten, im Knopfloch oder am rotseidenen +Busentuch. Und sie waren fröhlich und plauderten miteinander und sahen +die Marktsachen an, die in den Buden und Ständen ausgestellt waren, und +sie feilschten mit den Krämern -- und das war ein Summen und Brummen +über den Kirchplatz hin, und darüber lag die Morgensonne, und auf dem +Turme klangen die Glocken und riefen zur Frühmesse. Da drängte sich das +Volk der Kirchentüre zu -- viele blieben auch im Freien stehen oder +gingen ins Wirtshaus. + +Trotzdem war die Kirche voll. Die Orgel war laut und hell -- +der Schulmeister hatte alle vier Register aufgezogen, sowie der +Kirchendiener alle Kerzen, die in der Kirche waren, angezündet hatte. +Der heilige Papst Urbanus, der in seinem goldenen Ornate über dem +Altare stand und »der den Wein wachsen läßt«, hatte zwölf Kerzen und +war in nicht geringer Feuersgefahr, was aber wenig zu sagen hatte, da +der heilige Florian mit dem gefüllten Wasserbehälter daneben stand. + +Endlich war der Festgottesdienst vorüber und alles drängte sich in das +Freie. Unser alter Malchus suchte sich auch durch die Menge zu winden. +Man warf ihm Kreuzer zu, die er aber nicht auflas und für die er nicht +dankte. + +Eine Bäuerin bat ihn, daß er ihrem Töchterlein ein Wollenjöpplein +stricke, er sagte nicht zu. Er ging ein wenig durch das offene Tor in +den kleinen Kirchhof. Da war alles grün und frisch. Es war aber keine +rechte Stimmung. Malchus humpelte weiter. + +Als er in sein Dachstübchen zurückkam, blieb er einen Augenblick an der +Türe stehen. Es war ein fremder Mann da. Er war dem Fenster zugekehrt, +stützte sich auf die Brüstung und sah in den blauen Himmel hinaus. + +Er war sehr gebückt, hatte einen grauen Pelz an, und die wenigen Haare, +die von seinem kahlen Kopfe über das Genick hinabhingen, waren weiß. +Der Mann war uralt. + +Aha, da ist er schon! dachte Malchus, ging dann auf den Fremden zu. + +Der Alte kehrte sich langsam um. »Dennoch wohl, dennoch wohl!« sprach +er nun, als er den Malchus erblickte. »Du, Junge, jetzt schau, ich +bin keck gewesen, gelt? Nun, daß ich halt so heraufgekommen bin da in +deine Stuben. Hab' wohl gewußt, daß du in der Mess' bist; hätt' auch +können hineingehen, aber weißt, Junge, mag nicht recht, red' mit meinem +Herrgott lieber, wenn ich mit ihm allein bin. Du schaust so! Kennen +wirst mich doch wohl noch? -- Bin ja der alte Domini, ich, gelt?« + +Malchus glaubte, er träume. -- Das wird doch nicht der Pechbrenner +Domini sein, den er vorzeiten als alten Mann gekannt hatte! + +»Siehst du, Malchus,« sagte der Domini, »dort auf dem Eschenwipfel +sitzt ein kohlenschwarzer Rabe. Der ist ein Steinrabe, von dem gesagt +wird, daß er zweihundert Jahre alt wird. Hab's noch nicht so weit +gebracht, bin erst ein wenig über hundert, aber wir zwei werden es +schon noch so weit bringen, Junge.« + +»Ei, versteht sich,« entgegnete Malchus, »'s ist nur schade, daß vor +einigen vierzig Jahren ein anderer Vogel auf dem Wipfel dort gesessen +ist. Wenn du aber der Domini bist und aus deinem Grab kommst -- sei +nur so gut und mach' nicht viel Umstände, ich weiß es ja --« + +»Red' nicht so kindisch; pack' lieber deine sieben Sachen zusammen; +wirst heut' mit mir gehen müssen. Mit dem Pfarrer hab' ich schon +gesprochen, wirst kaum mehr zurückkommen in dieses Dorf!« + +Was hatte der alte Malchus Zacharias Rosenkranz zusammenzupacken? +Seinen Wollenbeutel nahm er und seinen Stock, dann war er fertig. Er +stieg voran über die Sprossen hinab; als Domini nachkletterte, brach +die Leiter, der Greis erhielt sich noch glücklicherweise an einem Haken. + +Zur selben Stunde schritten die zwei alten Männer aufeinander gestützt +durch die Dorfgasse. Viele Leute blickten ihnen nach. Mehrere folgten +sogar, und aus dem Wirtshause klang die Tanzmusik. + +Wohl blieb Malchus noch einmal stehen und sah zurück, aber er dachte +kaum an das, was kommen sollte, sein Geist war wieder in Stumpfheit +versunken. + +Am Ende des Dorfes, wo das Häuschen der Nähterin stand, war Roß und +Wagen. Der Fuhrmann, der dabei war, half den beiden Greisen in den +Wagen, und dann rollte das Gefährte davon. + +Malchus fuhr sich mit dem Ärmling zweimal über die Augen, er öffnete +auch das linke zuzeiten und sah in die Gegend hinaus und sah seinen +wunderlichen Gefährten an. War's denn doch wohl der alte Domini? -- +Malchus fühlte sich nicht behaglich; er hatte vergessen, einen Halm +aufzulesen, und jetzt wußte er nicht, woran er kauen sollte. Einmal +öffnete er seinen Wollenbeutel, zählte die Taler und murmelte dann +vor sich hin: »Wo hab' ich denn doch den andern gelassen? Es müssen +dreizehn gewesen sein!« + +Gegen Abend, als im Tale schon die Schatten lagen, ließ der alte +Domini vor einem Wirtshaus halten; nach einem Imbiß ging das Fuhrwerk +weiter. Der hatte sogar geschmeckt. Es kam die Nacht, sie fuhren über +Auen und durch Wälder. Malchus saß in sich versunken da. + +Als die Sonne aufging, stand Roß und Wagen still, und da war ein See +und an beiden Seiten standen rote Felswände und spiegelten sich im +dunklen Grunde. Am Ufer des Sees stand ein neues Haus und ein heiteres +Gärtlein. + +Domini führte den Malchus gegen das Haus und sagte »Wir zwei sind wohl +ein wenig alt, aber da ist alles wieder jung geworden, seh' ich. Mich +deucht, Malchus, du hast dem Pechbrenner Domini vor fünfzig Jahren +einen Taler geschenkt, weil dieser Taler der Judas war, und mich +deucht, der Pechbrenner Domini hätte mit demselben Taler zu hausen und +wirtschaften angefangen, und er hätte dann dieses Haus bauen lassen, +daß du eine Ruhestatt hättest für deine alten Tage. Jetzt, Malchus, +schau ein wenig nach, ob's wohl so ist!« + +Und als sie in das Haus gingen, da stand ein Weib vor der Tür, und das +reichte dem Malchus die Hand, und der Malchus hat sie erkannt. + +Und dann gingen sie in die Stube, in die freundliche Stube mit den +großen Fenstern, durch welche die Fülle des Sonnenlichtes auf den +gedeckten Tisch und auf das weiße Ruhebett strömte. + +Das ist nun dein, Malchus, glücklicher Malchus, für den der Freund +gesorgt, den die Liebste nicht vergessen. -- Martha hatte einen Mann +gehabt, hatte viele Jahre glücklich mit ihm gelebt. Als er starb, da +war sie wieder allein, wie ehdem. Nur ihr Lebensretter war noch in der +Welt, verlassen, vergessen. Nein, vergessen nicht, sie dachte ja an +ihn und sie wollte dem alten pflegebedürftigen Mann ihre noch übrigen +Lebenstage weihen. + +Malchus ging hinab zum See, dann hörte er dem Kuckuck zu, der fort und +fort schrie; dann ging er wieder ins Haus, kletterte auf den Dachboden, +schlang sich den Turban seiner Haare wieder um das Haupt und setzte +sich auf einen Holzstrunk. Dort saß er Stunden und Stunden und drückte +das linke Auge zu und kaute an einem Halm. -- + +Und jetzt ist das Gesicht zu Ende. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. + + + + + Der glücklichste Mann von Graz. + + +»Wollen Sie, lieber Freund, nicht einmal mit mir gehen? Ich möchte Sie +gerne zum glücklichsten Manne von Graz führen.« Mit diesen Worten lud +mich ein Nachbar in genannter Stadt zu einem Spaziergange ein. + +»Zum glücklichsten Mann von Graz?« entgegnete ich, »erlauben Sie, der +bin ich ja selber.« + +Mein Nachbar stutzte, blickte mich an vom Haupt bis zum Fuße und +schüttelte seinen Kopf. »Wirklich?« sagte er endlich, »um so besser, so +werden Sie meinen Mann auch recht verstehen können.« + +Nicht lange danach, so stieg ich eines Nachmittags die südliche Lehne +des Rosenberges hinan. Und auf sanfter Lehne, mit dem Ausblick auf die +Wälder der Hilm und auf die schimmernde Kirche von Mariatrost habe ich +den Mann gefunden. Ihr erkennt das Heim des Glücklichen an dem einen +Merkmal: es ist mit einem Dornenkranze umgeben. Über Rosenzäune hüpft +so gerne der Weltunfrieden; über eine Dornenhecke vermag Habsucht, +Ehrgeiz und Neid schwer zu dringen. Wer aber an der kleinen Pforte +zwischen den Dornen die Klingelschnur zu finden weiß, dem wird aufgetan. + +Unser Mann ist Grundbesitzer. Sein Erdboden mit Haus und Hof, +mit Obst-, Gemüse- und Weingarten beträgt nicht weniger als 53 +Geviertklaftern. Auf diesem Grunde hat sich der Mann drei Häuser +gebaut. Eines dieser Gebäude, ein hölzernes Bauernhaus, stand vor nicht +langer Zeit in der Stadt. Viele Jahre wohnte und wirkte der Eigentümer +in ihm und war's zufrieden. Aber das Haus stand auf keinem guten +Boden; ein Sumpf- oder Moorgrund war es nicht, ein Zinsgrund war's. +Und gleichwohl kein Fleckchen Erde in ganz Graz von den Mietern so +gewissenhaft und haushälterisch verwertet wurde, als diese paar Klafter +in der Lechgasse, so wucherte doch daraus das Unkraut der Mietzinse +derart hervor, daß es das Häuschen und den Wohlstand darin gefährdete. +Deß war nun unser Mann einmal nicht zufrieden. Rollte er denn vier +Räder unter das Gebäude, spannte zwei Pferde daran und führte sein Haus +davon. Er führte es am Hilmteiche vorbei und die Mariatrosterstraße +kreuzend, den schönen Rosenberg hinan. Dort oben hatte er sich von dem +Ersparten Grund und Boden zu eigen erworben und auf den stellte er das +hölzerne Haus, so aus Graz ausgewandert war, und baute auch noch ein +größeres dazu für Weib und Kind und gründete daneben ein Hüttchen, das +»Industriegebäude« für den Erwerb. Und nun war er zu einem Gutsbesitze +gekommen, wie es im Lande keinen seltsameren gibt. Da lächelt denn +der Gute still in sich hinein, und wenn er von seinen Feld- und +Gartenarbeiten spricht, so tut er's mit Selbstbewußtsein und mit +Schalkheit zugleich. Nun gehört er mit zu den Besitzenden, und seinen +Besitz und seine Welt hat er sich selbst erworben und geschaffen. Das +ist eine Freude! + +Während das Weib Haus- und Landwirtschaft versorgt, sind der Mann und +die Tochter in der Werkstatt tätig, und das Rauschen der Sägen und +das Klopfen der Hämmerchen ist wohl weit und breit zu hören. Und was +wird denn erzeugt? Je nun, vielleicht hängt in deiner Stube ein hübsch +geschnitzter Vogelkäfig, vielleicht spielt dein Söhnchen gerne mit +einem »Spatzenschießer«; vielleicht besitzt meine Leserin einen feinen, +wohlriechenden Wacholderfächer -- hervorgegangen aus der kunstreichen +Hand meines glücklichen Mannes. + +Ich will aber nicht Reklame machen für seine Vogelhäuser, sondern für +sein Glück. Es ist bei ihm zu haben; seine heitere Gemütlichkeit, +seine Zufriedenheit ist für den Besucher ansteckend, wenigstens so +lange sich der im kleinen Bereiche des Dornenkranzes befindet. Fest +steht der Steinbau, in dem des Schnitzers Familie wohnt; aber er, der +alte Patriarch, lebt in seinem hölzernen Häuschen. Dieses ist das +gelungenste Abbild eines steierischen Bauernhauses und hätte auf einer +Weltausstellung den Preis erhalten. So freundlich und behäbig steht +es da, das kleinwinzige Haus mit seinem Dachgiebel, seinem Söller, +der zur Herbstzeit mit Kukuruzzapfen behangen ist, mit seinen glatten +Fensterbalken und allem, was dran und drum dazu gehört. In der Stube, +die etwa 5-7 Fuß lang und breit und hoch ist, steht der Wandkasten und +der Gesindetisch und der Hausaltar und das Bett des Hausvaters und +der Kachelofen. Aber das Bett ist zu kurz für eine Manneslänge und so +muß für die Fußstelle der gute Kachelofen sein Inneres erschließen. +Seit Menschengedenken ist in dem Hause noch nicht geheizt worden, +weder zur Sommers-, noch zur Winterszeit; das ist ~ja~ auch eine +Eigentümlichkeit des Mannes, daß er die Kälte nicht kennt. Wie viel +Grad Wärme muß ein Herz haben, das in seinen Bretterwänden bei der +ruhigen Schnitzarbeit im Jänner den Ofen erspart! Nichtsdestoweniger +ragt ein Rauchfang über das Schindeldach; in diesem Rauchfang dreht +sich eine Windmühle, die unten in der Stube ein Glockenspiel treibt. +Tag und Nacht läßt solches Spiel, meist gemächlich langsam, zuweilen +aber auch rasch und lebhaft, seine Musik erklingen. Und so hat sich's +dieser Mann eingerichtet, daß, je stürmischer die Stunden, je lustiger +sein Glockenspiel ertönt. In einer ganz windstillen, tonlosen Nacht +kann der Mann gar nicht schlafen, und in einer Zeit, wo alles nach +Wunsch ihm geht, kann er nicht recht ruhig sein; denn, sagt er, da +kommt jählings was, das einen in die Haut zwickt. In der Stube hängt +auch ein Vogelbauer; aber das Tor dieses Vogelbauers geht durch die +Holzwand in das Freie, und da können die Vögelein aus- und einfliegen +nach Belieben, und sie finden zu jeder Stunde Unterkunft und Nahrung in +dem gastlichen Hause. + +»Der Mensch muß nicht alles in seiner Faust haben wollen,« sagt unser +Schnitzer; »was gerne daherfliegt, dem mach' ich Tür und Tor auf, und +will es wieder davon, so laß ich's fliegen.« + +Fragt ihn einmal, ob er zufrieden ist in seiner Lage, und seht dann +sein Gesicht an. Er ist über die sechzig Jahre alt, und fragt ihr ihn, +was ihm in seinem Leben schon Übles widerfahren ist, so antwortet er, +er sei sein Lebtag nicht viel krank gewesen, und zu essen hab' er auch +allweg gehabt. Und fragt ihr ihn, wie er mit der Welt stehe, so sagt er +euch, an Geldeswert sei er niemand was schuldig und er kenne gute brave +Leute die Menge. Und fragt ihr ihn endlich, was er von der Zukunft +erwarte, so wird er entgegnen, er freue sich auf die Zeit, in der seine +jungen Obstbäume Früchte trügen, und sollte er bis dahin nicht mehr +sein, so würde wohl ein anderer die Nutznießung haben. + +Mehr will ich nicht verraten. Und sollte doch jemand in der +freundlichen Stadt Graz leben, der die Überschrift meines Kapitels zu +anmaßend findet und selbst auf sie Anspruch machen zu können glaubt, +der möge sich deß ja nicht laut melden, der möge es halten wie der +Schnitzer vom Rosenberge und eine Dornenhecke ziehen um die stille +Stätte seines Glückes. + + + + + Der Waldteufel. + + +In der Stadt Graz geht zeitweilig ein wunderlicher Mann um. Ein Mann +mit klobigem, braunem Gesichte und einem großen roten Vollbart. Sein +Lodenwams hat manchen Flicken, bisweilen sogar klaffende Nahte. Eine +stattliche Ledertasche an der Seite, oder ein Bündel von Wurzeln und +Kräutern. Über dem Bauch baumelt ein großes Bockshorn, mitunter auch +manch andere seltsame Zier, deren Vorhandensein den Leuten nicht +einleuchten will. Wozu an der Hüfte das Skelett eines Schafskopfes? +Schafsköpfe trägt man doch sonst nur über dem Schlüsselbein. Das +Merkwürdigste an dem Manne ist ein Riesenhut mit hohem Spitz, in +der Art der alten Tiroler »Sternstecher«, nur noch viel größer; die +breiten Krempen beherbergen den ganzen breitschulterigen Kumpan auf +das beste. Dieser Hut ist zumeist mit wilden Blumen geschmückt, +besonders aber mit Hahnen- oder Geierfedern, die hoch und keck in den +Himmel hineinstechen. Sehr langsam schleift er dahin, immer wieder +stehenbleibend, um mit singendem Rufe sich bemerkbar zu machen. Ich +habe manchmal bemerkt, wie der Mann nicht ganz sicher durch die Straßen +schritt; das ging nicht immer gerade aus, so wie es wohl sein Wille +gewesen wäre. Gerne singt er ein dreistes Liedel oder läßt gar einen +»Juchezer« fahren. Bisweilen aber grollt und flucht er -- und hat +Grund dazu. Die Gassenjugend, die »liebe«, tut ihn nämlich manchmal +gern ein wenig »aushetzen«, weshalb die Polizei ihn immer abschaffen +will, anstatt die Gassenbuben abzuschaffen. Sie meint wohl, er solle +nicht Ärgernis geben, und die gibt er auch nicht, so viel ich weiß. +Es gibt viel ärgerlichere Dinge auf der Welt, als die absonderliche +Tracht dieses lustigen Sonderlings, und werden doch nicht abgeschafft. +Den Namen »Waldteufel« hat man ihm geschenkt, er hat ihn freundlich +angenommen, erstens, weil er am Geierkogel eine alte Waldhütte +bewohnt, zweitens, weil er im Walde Beeren, Pilze, Heilkräuter und +Wacholderstauden sammelt, um sie den Stadtleuten zu verkaufen, und +drittens, weil ja der Titel zu seiner Erscheinung nicht übel paßt. +Wie andere Geschäftsleute ihre Orden und Ehrentitel, so benützt er +den seinen zur Reklame und man kann manche Hauswirtin eilig über die +Treppen herablaufen sehen, wenn sie nach dem Geschrei vernommen, daß +der Waldteufel in der Nähe sei. Da lacht er dann gemütlich, bietet +seine Wacholderstauden aus und meint, er möchte die »Kranabeten« gern +in »Kranabetenen« umsetzen. Dieses Teufels einziges Höllenfeuer dürfte +das Feuer des Wacholderbranntweins sein. + +Wo der Mann sich zeigt, mit jemandem spricht, oder auch mit sich +selber, oder mit einer Straßenlaterne, oder mit einer Statue, da +sammelt sich um ihn bald ein Kreis von Zuhörern, die teils mit +Neugierde, teils mit spöttischer oder mißtrauischer Geberde die Gestalt +anstaunen, bis dann plötzlich irgend so ein Range hervorspringt, an +seinen Kleidern zerrt oder ihn mit Staub bewirft. + +Eines schönen Maimorgens sah ich den »Waldteufel« -- umringt wieder +von Neugierigen -- vor dem neuen Hamerlingdenkmal stehen. Er schien +gerade vertieft zu sein in ein Gespräch mit dem Dichter. »Du bist +ein gescheiter Mensch gewesen,« hörte ich ihn noch sagen mit seiner +rindenrauhen Stimme, »hast ihnen schon immer einmal was gesagt, denen, +was sie nit ins Hutbandel stecken. Ein gescheiter Mensch! So wie auch +ich einer bin!« Dabei verzerrte er sein klobiges Antlitz zu einer +Fratze, als ob er seiner eigenen Gescheitheit ein Gesicht schneiden +wollte. Der steinerne Dichter hat ihm nicht geantwortet; der lebendige +Hamerling hätte für diesen Mann gewiß ein gutes Wort gehabt, obschon er +solche Leute gerne mir überließ. »Die Waldteufel gehören Ihnen,« sagte +er einmal, »mit diesen wissen Sie besser umzugehen als unsereiner, dem +die Stadtteufel so viel zu schaffen machen.« Übrigens glaube ich, daß +er das Wort »Stadtteufel« gar nicht ausgesprochen hat; man verstand +auch, wenn er in halben Sätzen redete. Nun aber mit diesem »Waldteufel« +wußte auch ich nichts anzufangen. So vor Leuten zu ihm hintreten und +fragen: »Wie geht's euch! Wie lebt ihr? Was ist euch schon alles +passiert? Was denkt ihr? Erzählt mir etwas!« -- das mag ich nicht, +würde bei solchen Menschen auch nicht anschlagen. Oder man wird tüchtig +gefoppt. Da heißt's möglichst gleichgültig dreinschauen und warten, bis +so einer selber anfängt. Und mein Waldteufel fing an. + +Diesmal hatte er einen besonders merkwürdigen Hut auf. Auch der hatte +die Form der Sternstecher, nur dünkt mich, er wäre noch wuchtiger +und riesiger als seine sonstige Kopfbedeckung. Manchmal war solcher +Hut beklebt mit illustrierten Zeitungsannoncen, weiß aber nicht, +ob zur selbstgewählten Zier oder ob schlaue Geschäftsleute sie ihm +angeschwätzt hatten, so daß er für sie eine wandelnde Annoncensäule +abgab. Ich vermute den Mann des Lesens unkundig und immereinmal ein +Opfer fremden Vorwitzes. Diesmal war der Hut aus Baumrinden gemacht, +in doppelter Schichte, daß er besser halten sollte; die sehr breiten +Krempen waren zierlich gezackt. Aber diese Krempen hatten ein paar +Löcher. Der Hagel hatte ihn geschlagen. Er pflege -- sagte der Mann +in langsamer, gemütlicher Tonart -- bei Ungewittern nie unter einen +Baum zu gehen, er bleibe auf freiem Felde stehen und warte, bis es +vorüber sei. Das sei sonst schier am sichersten, aber diesmal habe +ihm der Hagel die Löcher geschlagen. Nun, es sei ja recht. Sonst hätte +er doch auch nichts, was ihm der Hagel schlagen könne. Außer diesem +Hut hätte er wohl einmal ein Haus gehabt, aber das sei ihm abgebrannt. +Sei ihm immer noch leid um dieses Haus, seien ihm viel Altertümer +mitverbrannt. Er meinte damit wahrscheinlich alte Kleider, besonders +aber den weitbekannten Filzhut, den er sich vor vierzig Jahren selbst +gebaut hatte. Um seine Angabe zu bezeugen, zog er ein Zeitungsblatt +aus dem Sack; als er das abgegriffene Papier mit ungeschickten Fingern +entfaltete, wollte es gleich auseinanderfallen, als ob auch diese +letzte Erinnerung an seine Hütte zunichte werden sollte. Da stand +denn in einer Notiz beiläufig erwähnt, daß am Geierkogel eine Hütte +abgebrannt sei, in welcher der sogenannte Waldteufel sich manchmal +aufgehalten habe. -- So weit war auch dieser Naturmensch schon von der +Kultur beleckt, daß er sich etwas Besonderes dünkte, »weil er in der +Zeitung stand«. -- Ja, Alter, das hat man davon, wenn man in die Stadt +geht, Pilze und Kranabetstauden zu verkaufen. In die Zeitung kommt +man, gedruckt wird man, gerade so wie der Dichter, der dort in Stein +auf dem Sockel sitzt. -- Da sagte er auf einmal: »Ihr Herren! Wenn ich +alle Steine, die mir in Graz die Gassenbuben schon nachgeworfen haben, +zusammengetragen hätte auf einen Haufen, es wäre auch ein Denkmal. Wäre +~auch~ eins! Wie mich die Kinder aushetzen.« + +Es gibt ja böse Buben, hier wie dort. Der Unterschied, daß die +Landkinder sich vor dem Waldteufel fürchten, während die Stadtjugend +mit ihm ihren Spaß hat. Wie die löbliche Polizei sagt, Ursache daran +wird doch wohl er selber sein mit seiner auffallenden Tracht. Ob er +sich aus Eitelkeit so trägt? Oder ob er damit die Aufmerksamkeit der +Leute aus praktischen Gründen auf sich lenken will? Vielleicht beides. +Leicht ist sein Geschick sicherlich nicht. Wenigstens nicht in unseren +Augen. Er selbst -- wenn man ihn so sprechen hört -- wüßte allerdings +nicht, was ihm fehlt. Es müßten nur die »Altertümer« sein, die ihm +verbrannt sind. + +Als Beweis für die Schlauheit des Waldteufels wird ein Stückl erzählt. +Wandern da einige bergfrohe Herren aus der Stadt auf den Geierkogel. +Der Weg ist weit und die Sonne brennt heiß. Nirgends im Kalkboden eine +Quelle, nirgends ein Labsal! Endlich ein Haus, vor dem einige Knechte +stehen, darunter der wilde Waldteufel. Freundlich bitten die Ausflügler +um einen Trunk Wasser, der ihnen aus einer Lagel gern und ohne Anspruch +auf Bezahlung gewährt wird. Mit einem herzlichen »Gelt's Gott!« wollen +sich die Städter wieder entfernen, da fängt der Waldteufel zu munkeln +an: »Ich muß das Wasser weit hertragen und ihr schenkt es den reichen +Städtern. Holt euch von morgen ab selber das Wasser herauf!« Natürlich +griffen die Herren sofort in die Tasche und legten Nickel auf Nickel +in die nun demütig dargebotene Hand des Waldteufels. Kaum waren die +Ausflügler außer Hörweite, da zeigte der Fechtbruder seine Kollekte den +Knechten mit den Worten: »Da, zwei Gulden fünfzig, und merkt's euch, +wie leicht man bei den Städtern Geld verdienen kann!« Es braucht nur +noch erwähnt zu werden, daß sich der Waldteufel nie mit Wassertragen +abgegeben hat. + +So ist es ihm sein Lebtag gut gegangen. Sein Vater, ein Tiroler, hat +seine Mutter, eine Kärntnerin geheiratet. Und das Kind nachher ist +ein Steirer geworden. Also drei Heimländer. Wer hat mehr? Er ist sein +Lebtag viel gereist. Nicht bloß in den drei Heimatländern, wohl auch +in Italien, im Küstenland und weiter um. Sein Vater war »Künstler«, +Holzschnitzler, und ist dann mit seinen Waren: Holzschüsseln, +Kornschaufeln, Kochlöffeln und dergleichen hausieren gegangen. Der Sohn +ist überall mit ihm gewesen. Nicht jede Nacht haben sie ihr Quartier +gefunden. + +Nun, im Freien ist's auch bequemer, da hat man weit genug, hat frische +Luft und wird nicht geniert. Das Gras auf der Wiese ist auch ein +Federbett, ein ganz frisches, und kein Königskind hat ein süßeres +Schlaflied, als das die Grillen singen. Aber noch lieber ist der +»Franz« auf Steinhaufen gelegen, da kann man sich mit den Ellbogen das +Bett graben wie man's gern hat. »San die Gliederlan wohl immer a bissel +steif worden; muß einer nachher halt wieder brav laufen, alsdann werden +sie schon wieder gelenkig.« + +»Und hat's Euch nicht geschadet, bei Nacht und Wetter so im Freien +schlafen?« + +»Bis jetzt nit. Gesund, Gott sei Dank, bin ich alleweil gewest.« + +»Wie alt seid Ihr denn?« + +»Im Achtunddreißigerjahr geboren.« + +»Was? Und nicht ein graues Gran im Bart!« + +»Aber da, lieber Herr!« + +Er hob seinen Hut vom Kopf, da hatte er noch eine schwarze Haube auf, +wohl zum Schutz vor dem drückenden Baumrindendach. Das verschwitzte +Haar hatte graue Fäden. + +»Seht Ihr, und so einen würdigen Herrn will die Polizei abschaffen!« Er +sagte es munter gegen einen Sicherheitswachmann hin, der den Waldteufel +schon lange beobachtet hatte, ohne ein Arg an ihm zu finden. Dann hob +er mit beiden Händen den Hut langsam und bedächtig wieder auf den +Kopf. Einer, der diesen Hut vorwitzigerweise versucht, behauptete, +er wiege wenigstens fünf Pfund. Dem Manne schien die Gefahr des +Abgeschafftwerdens nicht aus dem Kopfe zu gehen. Es schien ihm schon +oft passiert zu sein, obwohl die Behörden nie recht wußten, wohin mit +ihm. Von den drei schönen Alpenländern wollte jedes das bescheidenste +sein und auf den drolligen Vagabunden verzichten. Er wäre ja doch in +keinem geblieben. »Ich tu' halt so viel gern reisen, so viel gern +reisen! Und abgeschafft werden wir alle einmal!« lachte er laut, gegen +den Wachmann hin. »Bis wir alt sind, werden wir alle abgeschafft. Aber +ich bin decht noch jung.« + +»Ja, bloß sechsundsechzig Jahre!« redete ich drein. + +»Was ist das, sechsundsechzig Jahr! Meine Mutter ist hundertvier Jahr +alt geworden. Mein Vater ist hundertvierzehn Jahr alt geworden, weil er +brav Schnaps getrunken hat. Heut' kunnten sie noch leben, wenn --«. Er +hielt ein mit irgend einer Anklage und setzte schmunzelnd bei: »Wenn +sie nit gestorben wären.« + +»So habt auch Ihr Aussicht, alt zu werden?« + +»Ich werde zweiundachtzig Jahre alt,« antwortete er ruhig. »Damit wir +zusammen dreihundert Jahr ausmachen, alle drei. Dreihundert ist kein +Spott mehr. Mein Vater hat allemal gesagt, er möcht's gern derleben, +daß die Leut' gescheiter werden. Hundertvierzehn Jahr ist er alt worden +und hat's doch nit derwarten mögen. So lang mag ich nit leben, so lang +nit. Nur das möcht' ich noch sehen, wie's ausschauen wird auf der Welt, +bis die Leut' ~noch~ dümmer geworden sind.« + +Da hatten wir gleich seine Meinung über den Stand unserer Welt. +Er brauchte keine langen anarchistischen Reden zu halten, keine +pessimistischen Bücher zu schreiben -- das eine Wort sagte alles. +Er, der keinen anderen Rock hat, als das in allen Nahten klaffende +Lodenwams, kein anderes Dach, als den Rindenhut -- von der Art seiner +Nahrung war überhaupt nicht die Rede -- er fühlte sich erhöht über die +Millionen der Durchschnittsmenschen, die ihn erst dann interessieren +werden, bis sie noch dümmer geworden sind. + +Wie war nun dem stolzen armen Manne beizukommen? »Waren« hatte er +diesmal nicht bei sich, die ihm etwa abzukaufen gewesen wären. War man +sicher, daß der hohe Herr, der bedürfnislose, freie König des Waldes, +eine bescheidene Gabe nicht zurückweisen würde? + +»Wie würdet Ihr es halten?« fragte ich ihn tückisch, »wenn ein armer, +braver und ganz zufriedener Mensch dastände und jemand gäbe ihm ein +Silberstück in die Hand. Wäre das gescheit oder dumm?« + +»Das wäre gescheit, das wäre gescheit!« rief er aus. + +»Und was glaubet Ihr, daß der arme, brave und ganz zufriedene Mensch +mit dem Silberstück anfangen würde?« + +»Schnaps kaufen!« + +So weit ging sein Freiheitsstolz -- und nicht weiter. Alle Bande +hatte er abgestreift oder gesprengt, aber der Schnaps war sein Herr +und Gebieter geblieben. Doch ich sah ihn keinen trinken. Ehe wir +auseinandergingen, vertraute er mir noch ein Geheimnis an. Er sei +gesonnen, sich demnächst zu veräußern. Er stehe in Unterhandlung +mit der medizinischen Fakultät, er wolle ihr seinen heiligen Leib +verkaufen. Bei dem Worte heilig schnitt er eine ganz abenteuerliche +Grimasse. Er glaube, mit fünfhundert Gulden sei der Waldteufel nicht +überzahlt, aber man spare immer am unrechten Orte und wolle ihm nur +dreihundert geben. So viel aber sei die Haut allein wert, wenn sie +ausgestopft werde. Was habe er dann für die Knochen? Daß diese auch +hübsch was nutz seien, beweise er jedem, der es bewiesen haben wolle. +Er hob den Arm mit der geballten Faust. Indes hätte ihm ein Wachmann +geraten, sich nicht voreilig zu verkaufen, er lebe dann keine drei +Wochen mehr! Die Studenten seien so viel gierige Leut', die würden +seinen Tod nicht abwarten wollen, sondern recht bald mit »einem +Stupferl von hinten« nachhelfen, daß sie zu ihrem Kadaver kämen. +Überhaupt würde er am Arm gezeichnet werden und dürfe auch nicht nach +Amerika, oder sonst übers große Wasser. Als Mann der Freiheit vertrage +er das nicht. Es sei also eine Lebensfrage, ob er sich derweil nicht +doch noch behalten solle. Es werde am besten sein, er gehe fleißig +betteln. -- Und machte sich auch gleich ans Tagewerk. + +Weiter weiß ich nichts von ihm. Jedenfalls erreicht der Mann ein hohes +Alter, besonders, wenn er nach dem Grundsatz seines Vaters so lange +leben will, bis die Leute gescheiter geworden sind. + + + + + Von + Peter Rosegger + erschien zuletzt im gleichen Verlage: + + + Frohe Vergangenheiten + Launige Geschichten + + + Mit einem Vorwort von + ~Hans Ludwig Rosegger~ + + 15. Tausend + + + + +»Der Titel trifft auf die Erzählungen, die, ernst und heiter vermischt, +~das schalkhafte Gesicht des Waldschulmeisters fleckenlos spiegeln~, +absolut zu. ~Es ist echtester Rosegger~: Waldweisheit, die allerhand +reizvolle Patina angesetzt hat und dennoch nicht nur ehrwürdig, sondern +lebendig wie jedes Wort ist, das Rosegger je geschrieben hat. -- +~Ganz ungewöhnlich lesenswert aber und als menschliches Dokument so +ziemlich alles, was in den letzten Jahren auf dem Büchermarkt erschien, +überragend, ist die dem Bande voran gesetzte »Lebns-Beschreibung«.~ +Die Orthographie ist die des fünfzehnjährigen Bauernbuben, aber das, +was der »Autor« mit früherwachter Selbstkritik, »keine interesande +Geschichte« nennt, ist nicht literarische Kuriosität, sondern in seiner +Wahrhaftigkeit und in der Hilflosigkeit des von allen ersehnten Quellen +des Wissens ausgesperrten Bauernbuben ~rührend und erschütternd. +Alle Schulorthographie ist, gegen dieses erste Stammeln eines großen +Menschen gehalten, Makulatur.~« + + Karl Marilaun im »Neuen Wiener Journal«. + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75532 *** diff --git a/75532-h/75532-h.htm b/75532-h/75532-h.htm new file mode 100644 index 0000000..1bae23d --- /dev/null +++ b/75532-h/75532-h.htm @@ -0,0 +1,13207 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Sonderlinge | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; +} + + h1,h2 { + text-align: center; + clear: both;} + +h1 { font-size: 220%} +h2, .s2 { font-size: 175%} +.s3 { font-size: 125%} +.s4 { font-size: 110%} +.s5 { font-size: 90%} + + +p { text-indent: 1em; + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em;} + +.p0 {text-indent: 0em;} +.p2 {margin-top: 2em;} + +hr { + width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: 33.5%; + margin-right: 33.5%; + clear: both;} + +hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;} +hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} +@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } + +div.chapter {page-break-before: always;} +h2.nobreak {page-break-before: avoid;} + +table { + margin-left: auto; + margin-right: auto; +} +table.autotable { border-collapse: collapse; + width: 25em; } +table.autotable td, +table.autotable { padding: 0.25em; } + +.tdl {text-align: left;} +.tdr {text-align: right;} + +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + /* visibility: hidden; */ + position: absolute; + left: 92%; + font-size: small; + text-align: right; + font-style: normal; + font-weight: normal; + font-variant: normal; + text-indent: 0;} +/* page numbers */ + +.blockquot { + margin-left: 5%; + margin-right: 10%;} + +.center {text-align: center;} + +.right {text-align: right;} + + .mright5 { text-align: right; + margin-right: 5em;} + +.gesperrt { letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em;} + +em.gesperrt { font-style: normal;} + +.antiqua { font-style: italic; } + +.padtop5 {padding-top: 5em;} +.padbot5 {padding-bottom: 5em;} + +/* Images */ + +img { + max-width: 100%; + height: auto;} + +img.w100 {width: 100%;} + +.figcenter { + margin: auto; + text-align: center; + page-break-inside: avoid; + max-width: 100%;} + +/* Footnotes */ +.footnote {border: 1px dashed;} + +.footnote {margin-left: 10%; margin-right: 10%; font-size: 0.9em;} + +.footnote .label {position: absolute; right: 84%; text-align: right;} + +.fnanchor { + vertical-align: super; + font-size: .8em; + text-decoration: + none;} + +/* Poetry */ +/* uncomment the next line for centered poetry */ +/* .poetry-container {display: flex; justify-content: center;} */ +.poetry-container {text-align: center;} +.poetry {text-align: left; margin-left: 5%; margin-right: 5%;} +.poetry .stanza {margin: 1em auto;} +.poetry .verse {text-indent: -3em; padding-left: 3em;} +.poetry .indent0 {text-indent: -3em;} + +/* Transcriber's notes */ +.transnote {background-color: #E6E6FA; + color: black; + font-size:small; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif; +} + +/* Illustration classes */ + +.illowe6 {width: 6em;} +.illowp49 {width: 49%;} + +.x-ebookmaker .illowe6 {width: 12%; margin: auto 44%;} + +.x-ebookmaker .illowp49 {width: 100%;} + + </style> +</head> +<body> +<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75532 ***</div> + +<div class="transnote"> +<p class="s4 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> +<p class="p0">Der Text wurde in Fraktur gesetzt, Schreibweise und Interpunktion +des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler +sind stillschweigend korrigiert worden. Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" +dargestellt.<br> +<p class="p0">Das Inhaltverzeichnis ist an den Anfang des Textes verschoben worden.</p> +</div> + +<figure class="figcenter illowp49" id="cover" style="max-width: 90.1875em;"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt=""> +</figure> + +<h1 class="p2">Sonderlinge</h1> +<p class="center">Von</p><br> + +<p class="s2 center"><b>Peter Rosegger</b></p><br> + +<p class="p2 center">Achtundzwanzigste bis zweiunddreißigste Auflage</p> +<p class="center">(Der neubearbeiteten Ausgabe elfte bis fünfzehnte Auflage)</p><br> + +<div class="chapter"> + +<figure class="figcenter illowe6 padtop5 padbot5" id="signet"> + <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="signet"> +</figure> + +<p class="p2 center">1922</p> +<p class="center">L. Staackmann Verlag Leipzig</p><br> + +<p class="center">Alle Rechte vorbehalten</p> +<p class="center">Druck von C. Grumbach in Leipzig.</p><br> +</div> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p class="s2 center"><b>Inhalt.</b></p> + +<table class="autotable"> +<tr> +<td class="tdl"></td> +<td class="tdr">Seite</td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Vorwort</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_5">5</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Karl der Große</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_7">7</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der Fischer im Olymp</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_18">18</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der Geistbrenner</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_32">32</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der ordentliche Augustin</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_42">42</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Meister Sani</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_51">51</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der falsche Himmelträger</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_59">59</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der unglückliche Kammerdiener</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_68">68</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Die Einsiedler</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_76">76</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Ein Wildling Christi</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_90">90</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der mißratene Evangelist</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_109">109</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der alte Adam</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_121">121</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der Säemann</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_130">130</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der scheltend' Schuster</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_136">136</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Herr Trotzkopf, der Heiratsbeflissene</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_142">142</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der Samer-Sim</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_150">150</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der Zillacher-Anderl</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_155">155</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">s' Guderl</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_162">162</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der Figurlmacher</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_182">182</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der junge Geigenspieler</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_192">192</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der singende Schabelwirt</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_209">209</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Das reiche Waldschulmeisterlein</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_224">224</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der Orgler zu Sankt Thomas</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_241">241</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der Naturfreund</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_247">247</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der lange Rauk</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_258">258</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Hans Johanns Hauptsache</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_269">269</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der Himmelherrgottswirt</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_279">279</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Herr v. Florin</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_289">289</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der Steinschädel</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_300">300</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der Feuermann Balthasar</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_309">309</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Herr Meyer, der Belehrende</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_317">317</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Ein Mann, ein Wort</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_327">327</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Hauptmann Alles</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_339">339</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Die Tafelrunde der Berühmten</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_348">348</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der Mann mit den dreizehn Talern</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_361">361</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der glücklichste Mann von Graz</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_401">401</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"> Der Waldteufel</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_405">405</a></td> +</tr> +</table> +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span></p> +<div class="chapter"> +<h2 class="nobreak" id="Vorwort">Vorwort.</h2> +</div> + +<p>Wenn man die Menge betrachtet, sind fast alle Leute gleich. Und wenn +man in den Einzelnen schaut, ist fast jeder ein Original. Man soll auf +allen Bäumen der Welt ja nicht zwei Blätter finden, die ganz gleich +sind, und im unermeßlichen Menschenwald ja nicht zwei Gesichter, die +in gar nichts verschieden wären. Jeder Mensch existiert nur in einem +einzigen Exemplar.</p> + +<p>Ganz so sind die Sonderlinge dieses Buches nicht gemeint. Das +sind vielmehr wunderliche Charaktere, durch Naturanlage, äußere +Verhältnisse, besondere Weltanschauungen und Leidenschaften so +gebildet. Bevorzugt habe ich die Harmlosen, Humorvollen, Gut- und +Edelherzigen, besonders die froh verzichtenden Weltabweisenden, die +meine Lieblinge sind. Aber es gibt auch finstere, dämonische Gesellen +darunter; dann solche mit genialer Begabung und solche, die im Volk +»halbe Narren« genannt werden, weil sie ganze Weise sind. Oft auch +Menschen, die ihren Beruf verfehlt haben, oder die so eckig sind, +daß sie sich in keinen einordnen lassen. Solche grollen dann gerne +mit der Welt, führen ein verkümmertes, wunderliches Dasein. Manche +machen sich aus Kleinlichkeit ein absonderliches Leben, manche aus +Weltüberlegenheit.</p> + +<p>Gefunden habe ich derlei Leute nicht, denn ich habe nie nach ihnen +gesucht. Auf langem, reichlich gewundenem Lebensweg und mit einem +Auge für innere Eigenarten begegnet man ihnen auch so. Manche, die +Plaudersamen, sich selbst Ausspielenden machen es einem leicht, sie zu +fassen; nur darf man sich nicht zu sehr foppen lassen. Dann hängt<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> man +ihnen gern einmal ein anekdotisches Mäntlein um. Etliche sind mir bloß +erzählt worden und ein paar sind mir im Traume untergekommen, weniger +aus der Umwelt, als aus mir selbst hervorgegangen.</p> + +<p>Und so ist eine wunderliche, gemischte Gesellschaft zusammengekommen, +die sich gewiß nirgends anders als im duldsamen Buche miteinander +vertragen würde.</p> + +<p class="mright5"><em class="gesperrt">Der Verfasser.</em></p><br> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Karl_der_Gro_e">Karl der Große.</h2> +</div> + +<p>Karl Oberbergbreitebner war so groß, das der Witz seiner Dorfgenossen +zwei aus ihm machen wollte, einen Langen und einen Dicken. Wäre noch +auf einen Dritten etwas übrig geblieben, so hätte ich für einen Klugen +gestimmt. Karls Gehirn war entweder so klein, wie bei einem Huhn, oder +so groß, wie bei einem Büffel. Doch hatte er sein Lebtag nie etwas +Dummes gesagt, denn er sprach nicht viel, hatte nie etwas Albernes +gedacht, denn er dachte nicht, er handelte bloß. Er hätte aber auch das +tollste Zeug schwatzen können, seine Körperstärke war so groß, daß er +kaum viel Widerspruch erfahren haben dürfte. Zwei derbe Arme sind eine +doppelte Beweisführung.</p> + +<p>Karl war der Sohn des Dorfschneidermeisters, hatte das ehrwürdige — +nein, das ist zu viel — das ehrsame Handwerk des Vaters gelernt und +ging mit diesem, einem kümmerlich kleinen und hageren Männl, auf der +Ster um, von Hof zu Hof. Seit sein Karl groß geworden war, konnte das +Meisterlein die entlegensten Höfe auch zur Winterszeit bei Schnee und +Sturm besuchen. »Pack mich, Karl!« sagte er, und Karl nahm ihn auf +den Rücken oder unter die Achsel und trug ihn gemächlich bergauf und +talab; doch mußte der kleine Alte dem großen Jungen fortwährend den +Weg zeigen. Karl konnte nicht Kleider anmessen, nicht zuschneiden, +überhaupt selbständig nichts fertig machen. »Das nähe!« sagte sein +Vater, und er nähte es, aber auch um keinen Stich mehr und keinen +weniger. »Das bügle!« sagte sein Vater, und wenn er ihm eine lebendige +Katze hingehalten, so hätte er sie gebügelt. Wozu das Nähen und wozu +das Bügeln?<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> Ich glaube nicht, daß Karl jemals auch nur im Gedanken +danach gefragt hatte. Warum auch?</p> + +<p>Aber die Leute schätzten seinen Wert. Wenn irgendwo ein großer +Holzblock zu schleifen, ein schwerer Stein zu wälzen oder eine +Kohlentracht zu schleppen oder eine andere Last zu bewältigen war, so +schickte man nach dem Schneider.</p> + +<p>Da kam eines Tages eine Stadtherrschaft ins Dorf gefahren, mit der +Absicht, den Hochstandel zu besteigen. Nun war aber der Hochstandel ein +stattlicher Berg und die Dame der Herrschaft eine stattliche Frau, ein +Gleich und Gleich, das sich nicht gerne gesellt. Ein alter, magerer +Herr und die zwei munteren Töchterlein waren mutig, die stattliche Frau +jedoch ließ Umfrage halten nach einem Wagen, um auf den Hochstandel +zu fahren. Wägen leide der Berg nicht, wurde ihr gesagt; Maultiere, +Esel oder dergleichen zum Reiten seien auch nicht vorhanden, hingegen +lebe im Orte ein Schneider, der die Stelle genannter Vierfüßler recht +gern übernehme und die Frau auf den schönen Berg tragen wolle. — Ein +Schneider! Die vierfältige Herrschaft rümpfte ihre Nasen, ließ aber +doch den Mann holen. Der erschien mit seinem riesigen Kohlenkorbe, +dessen Boden er mit Reisig bedeckt hatte, so daß ein gar einladendes +Nest ward. Als ihm dargetan ward, um was es sich handle, nahm er +zuerst den großen Pack mit Eßwaren, legte ihn hinein, dann nahm er +ohne Umstände die Dame und hob sie in den Korb; nahm hierauf eines der +Fräulein und hob es in den Korb, nahm hernach das andere Fräulein und +hob es in den Korb. »So,« murmelte er, »jetzt tut sich's, jetzt brauch +ich nur noch etwas zum Festkeilen.« Nahm auch den alten Herrn her und +steckte ihn zu seiner werten Familie in den Korb. Dann packte er sich +die ganze Bergpartie auf den Rücken und stieg langsam an.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span></p> + +<p>Die beiden Stadtfräulein gehörten zur Gattung der Backfische, sie +fürchteten sich daher gleich anfangs vor dem Riesen und hatten Angst +davor, daß er sie unterwegs ermorden würde. Das Ungetüm zeigte sich +jedoch überraschend harmlos, es ging mit dem Rückkorbe sachte den +sonnigen Hang hinan und pflückte Erdbeeren. Ohne mündliche Artigkeiten +warf er zwei Erdbeersträußchen hinter sich in den Korb. Die Fräulein +verstanden das so, als sollte es für sie eine kleine Aufmerksamkeit +sein, sie naschten daher die Beeren von dem Strauß und überlegten jedes +für sich, ob man sich in diesen gewaltigen und doch so netten Mann +nicht verlieben könne? Mittlerweile wimmerte die Frau Mama in ihrer +Einpfropfung und der Herr Papa hielt eine Vorlesung über die Naturkraft.</p> + +<p>Nach drei Stunden waren sie dort, wo es nach allen Seiten abwärts +geht, und wo man stehen muß, wenn man nachträglich will sagen +können, wir standen zweitausend Meter hoch über dem Meere. — Karl +Oberbergbreitebner ging immer vorwärts, als ob er ohne Säumen in +die freien Lüfte weiter steigen oder ohne weiteres auf der anderen +Bergseite wieder hinabgehen wollte. Die Bergpartie im Korbe mußte +ihm ein vierfach donnerndes Halt! zurufen, bis er stehen blieb. Also +stellte er den Korb auf das Gestein, die Insassen stiegen mit vieler +Umständlichkeit aus und rieben sich die Beine. Während Karl zurückblieb +beim Korb, suchte die Herrschaft den schönsten Aussichtspunkt, und +das würdige Oberhaupt erklärte die Fernsicht. Sie wäre furchtbar +hübsch, erklärte Frau Mama, während die Fräulein auf Steinblöcken +saßen und auf Ansichtskarten kritzelten, wie das reizend gewesen wäre +auf dem Hochstandel, ein junger schöner Mann habe sie alle zusammen +hinaufgetragen, oben hätten sie dann die Aussicht angesehen und einen +guten, reichlichen Imbiß eingenommen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span></p> + +<p>Auch Frau Mama erinnerte sich daran, daß es Zeit wäre zum Imbiß, und +sie riefen den Karl, der hinter einer Felswand gelegen war, daß er mit +dem Korbe herüberkommen solle. Karl kam mit dem Korbe herüber, aber es +war nichts drinnen, als Reisig.</p> + +<p>»Wo ist der Pack mit den Speisen?« fragte die Dame.</p> + +<p>Karl schaute sie mit einigem Befremden an und antwortete: »Der Pack? +Der ist nicht mehr.«</p> + +<p>»Um Gottes willen, er war ja im Korbe!«</p> + +<p>»Ich habe ihn herausgetan,« sagte Karl.</p> + +<p>»So hole ihn!«</p> + +<p>»Er ist halt nicht mehr.«</p> + +<p>»Was ist mit ihm geschehen?«</p> + +<p>»Weiter nichts,« antwortete Karl, »aufgegessen habe ich ihn.«</p> + +<p>»Ungeheuer!« Ein vierfacher Schreckensruf war's, gräßlich genug, daß +Karl der Große vor Grauen umfallen konnte; aber er stand. Ganz ruhig +und schlicht stand er da und blickte so treuherzig drein, als ob nichts +geschehen wäre.</p> + +<p>Die Fräulein fielen den Eltern um den Hals und riefen: »Vater! Mutter! +Wir müssen Hungers sterben auf diesem Berge!«</p> + +<p>Nun war Karl schier verzagt und meinte, er habe nicht gewußt, daß das +Essen für die anderen wäre. Sie sollten aber nur rasch wieder in den +Korb steigen, daß er sie hinabbringen könne, bevor sie verhungerten.</p> + +<p>Na, das war doch klug! Und also ist es auch geschehen. Da die +Herrschaft glücklich in das Dorfwirtshaus zurückgekommen war und der +Papa den Karl nach dem Trägerlohn fragte, bedeutete der Große, es sei +nichts, es zähle sich nicht aus.</p> + +<p>Es waren sehr vornehme Leute aus der Stadt, und so<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> gering waren sie in +ihrem Leben nicht geschätzt worden, als von diesem Schneider.</p> + +<p>Wenn Karl sechs Tage lang bei der Nadel gesessen war, wußte er am +Samstag nicht mehr, wohin mit seiner Kraft. Da fiel es ihm ein, daß +es eine ganz gute Erholung sein müsse, wenn er am Sonntag Steine +auf den hohen Standel tragen würde. Die Steine waren vom Berge ja +herabgekollert, weshalb sollten sie nicht wieder hinaufgetragen werden? +Als er jedoch mit seiner Ladung zu den Almen hinaufgekommen war, brach +der Kohlenkorb, und die Steine kollerten wieder talwärts. Als sie in +hohen Sätzen dahinsausten und bei ihrem Auffallen tief in den Boden +schlugen, daß hier Sand emporsprang, dort Funken aufstoben, erscholl +ein Schrei. Karl blickte hin und sah eine kleine Sennerin, die Gras +schnitt. Das Dirnlein war so niedlich und zart, daß die Arbeit nur mit +Mühe und Anstrengung von statten ging. Nun geschah es, daß Karl zu ihm +hintrat, aber nicht um die Kleine in den Sack zu stecken, sondern um +unter Stottern und Mühen zu fragen, ob sie sein Schatz sein wolle?</p> + +<p>Das Dirnlein antwortete natürlich, daß er ihr für einen zu viel sei, +und daß sie zwei nicht brauche.</p> + +<p>Als sie hernach in die Sennhütte ging, schlich ihr der Große trotzdem +nach. Aber als er zur Tür kam, da plagte es. Diese war nicht allein +viel zu niedrig, sondern auch zu schmal; er wand sich zwar hinein, +aber die Türpfosten ächzten. Drinnen stand er mit gebeugtem Haupte vor +der Kleinen, denn aufrecht stehend hätte sein Kopf durch die morschen +Bodenbretter ein Loch gebohrt hinauf in den Dachraum, wo er nichts zu +tun hatte. Also in demütiger Haltung fragte er sie noch einmal, und sie +antwortete ihm spottweise, ein Schneider sei ihr zu windig.</p> + +<p>Karl setzte sich ruhig auf einen Schemel, da knickte dieser<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> ein, mit +zwei Füßen zugleich, und Karl der Große lag mit gekrümmten Beinen +ungefüg auf der Erde. Die Sennerin war ein gescheites Dirnlein und +dachte: Die schwersten Baumstämme können ihm nichts anhaben, und ein +armseliges Fußschemlein bringt ihn zum Falle. So steht es mit diesen +starken Männern. — Sie foppte ihn weiter, da meinte er lächelnd, er +würde ihr noch einmal etwas Schlimmes antun, wenn sie so arg gegen ihn +wäre.</p> + +<p>»Hascherlein, was kannst denn du mir antun?« fragte die Kleine den +Großen.</p> + +<p>»Ich?« sagte er, »dieweilen du einmal auf der Wiesen bist, trag' ich +dir deine Hütten davon. Christel, was tust denn nachher, he?!«</p> + +<p>»Ja,« rief sie, »nachher lauf' ich dir mit einer Brennessel nach, bis +du die Hütten fallen laßt!«</p> + +<p>Karl schwieg. Vor Brennesseln hatte er immer Grauen empfunden, und er +beschloß, das Dirnlein nicht mehr zu reizen.</p> + +<p>»Nein, ich tu' dir nichts,« sagte er gutmütig, »mich kränkt es recht, +daß du mich nicht magst, aber tun tu' ich dir deswegen doch nichts.«</p> + +<p>»Da bist du wohl brav,« antwortete sie, »und hat auch der Elefant zur +Mücke gesagt, die lustig in den Lüften summt: Mückerl, fürcht' dich +nit, ich tu' dir nichts. — Bist wohl brav, Karl!«</p> + +<p>Sie hat gesagt, ich bin brav. So mag sie mich ja. — Mit diesem +tröstlichen und wirklich logischen Gedankenanflug stieg er vom Berge +herab.</p> + +<p>Als das Gerede umging, der Schneider Karl wolle heiraten, rief sein +Vater, das Meisterlein: »Wie soll denn der heiraten! Kann ja kein Weib +ernähren.«</p> + +<p>»Wer eins ertragen kann, wird auch eins ernähren<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> können,« antwortete +der Pfarrer, der gegen Heiraten, Kindstaufen und Todesfälle selten was +einzuwenden hatte.</p> + +<p>»Er kann nichts als tragen, ziehen und schieben,« gestand der Vater.</p> + +<p>Hierauf ein Nachbar: »Das ist ja genug. Kann mein Ochse auch nit mehr +und baut mir doch den Acker an. Halt geleitet muß er werden.«</p> + +<p>Wie? Der Karl Oberbergbreitebner will sich beweiben? Da wollen wir +den baumstarken Kerl doch besser nutzen. Soldat werden! so sagt +die Militärbehörde. Vaterland verteidigen! sagt sie. In das Feld +marschieren! sagt sie. Der Recke hebt an zu zagen. Im Felde tun sie ja +schießen und stechen! Ist es nicht so? Tun sie im Felde nicht schießen +und stechen? Und wir sind ja in einer viel größeren Gefahr, als jeder +andere, weil wir sehr leicht zu treffen sind. — Und da sage man noch +einmal, daß Karl nicht tiefsinnig denken könne!</p> + +<p>Drei Wochen war er bei den Soldaten, als endlich der Hauptmann laut +ward: »Mit diesem Lümmel ist nichts anzufangen! Er hat in keiner Montur +Platz und beim Exerzieren! Gott, beim Exerzieren ist er viel zu stabil. +Wo er steht, da steht er, und es bedarf zu vieler Kraft und Taktik, um +ihn in Bewegung zu setzen. Marschiert er, so marschiert er und findet +nicht leicht einen hinreichenden Grund, um nach rechts oder links +kehrtzumachen, oder gar stehenzubleiben. Wenn sich der alte Herkules +einmal pensionieren läßt, so mag der Karl Oberbergbreitebner angestellt +werden zum Weltkugeltragen — bei den Soldaten können wir ihn nicht +brauchen.«</p> + +<p>Nun kam Karl wieder heim und klagte es seiner kleinen Sennerin: »Sie +sagen, sie könnten mich nicht brauchen.«</p> + +<p>»Das will ich doch sehen!« rief die Kleine, »spute dich<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> zum Pfarrer +und sag', ich wollt' dich heiraten in vierzehn Tagen. Marsch!«</p> + +<p>Die Leute schüttelten den Kopf, und warum sollten sie es nicht, es +war ja der ihrige, und nicht der des kleinen Almdirndels, in welchem +besondere Pläne webten. Wer pachtete jetzt das Straßenhäusel am Fuße +des Sattelberges? Die kleine Christel pachtete. Wer vertröstete den +Eigentümer mit dem Pachte auf das nächste Jahr, bis man sich mit +dem Vorspannfuhrwerk Geld verdient haben würde? Die kleine Christel +vertröstete. Und wer hatte kein Pferd und keinen Ochsen, als er +Vorspann leisten sollte über den Sattelberg? Die kleine Christel +hatte nicht. Wer aber spannte den Kohlen- und Roheisenfuhrwerken +ihren jungen Ehemann vor über den Sattelberg? Die kleine Christel +spannte vor. Jawohl, die kleine Frau Oberbergbreitebner spannte den +Oberbergbreitebner vor, und der zog im Vereine mit Pferden und Ochsen +tapfer an; die Pferde und Ochsen waren höchst verwundert, einen +zweibeinigen Genossen an ihrem Gespann zu sehen, und sie mußten sich +sehr zusammennehmen, um von ihm nicht beschämt zu werden.</p> + +<p>Die Löhnung, welche Klein-Christel für solche Vorspann einzog, +berechnete sie auf zwei Pferdekraft, und sie begegnete damit keinem +Widerspruche.</p> + +<p>Hatte sie den Karl zu Hause, so hegte und pflegte sie ihn mit allem +Notwendigen, damit er gesund und stark bliebe. Er war ihr Kapital, und +Karl fühlte sich sehr gehoben, nun eine seiner Natur entsprechende +Tätigkeit gefunden zu haben. Christel mietete auch einen Acker, und da +konnte man sehen, wie sie hinten am Pfluge dreinging, ihn führte und +das Zuggespann mit Hi und Hott leitete. Das Zuggespann war ihr Karl.</p> + +<p>Also ging es nun in Eintracht und gemeinnütziger Wirksamkeit<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> voran. +Da geschah etwas Unerwartetes. Zwischen dem Heimatsdorfe des Karl +Oberbergbreitebner, das Lehbach hieß, und dem Nachbarsorte Standelegg +war ein Streit ausgebrochen. Es lag nämlich zwischen diesen Orten +die kleine Gemeinde Hüttel, deren Insassen »lebendige Lehbacher +und tote Standelegger« waren. Mit ihren Kirchengängen, Hochzeiten, +Taufen, Geschäften usw. kamen sie nämlich nach Lehbach herüber, +ihre Leichen gehörten jedoch auf den Kirchhof des kleinen und näher +gelegenen Standelegg. Als durch die Gemeinde-Autonomie die Dörfer +zum Gebrauche ihrer Vernunft kamen, sagten die Standelegger: Wenn +die Hüttler lebendigerweise nach Lehbach neigen, so brauchen wir sie +auch toterweise nicht. Mit den Behörden ließ sich nichts anfangen, +die sagten, es habe zu bleiben, wie es bisher gewesen, und so sahen +die beiden Ortschaften, sie müßten die Angelegenheit unter sich +entscheiden. Mit Reden und Schreien ging es nicht, das hatten sie schon +erfahren; also schlug ein kluger Kopf vor, Lehbach und Standelegg +sollten durch Krieg entscheiden, wie Deutschland und Frankreich +entschieden hätten, nämlich tapfer miteinander raufen, und der Stärkere +sei der Sieger. Aber nicht etwa so dumm, wie es die Reiche machen, wo +ganze Völker aneinanderprallen und sich gegenseitig durch Mord und +Brand schreckbar zugrunde richten, sondern vielmehr so, daß jedes +der beiden Dörfer einen Mann auf den Kampfplatz schicke. Die beiden +hätten miteinander ohne Waffe, nur mit ihren natürlichen Gliedern +und körperlichen Fähigkeiten zu ringen, und der zuerst falle, dessen +Gemeinde sei die besiegte.</p> + +<p>Das wurde abgemacht. Also hielt die Dorfgemeinde Lehbach Umschau nach +ihrem stärksten Manne, und natürlich fiel die Wahl auf Karl den Großen.</p> + +<p>»Ja, ja,« sagte der, »ich tu's schon. Will schon raufen.«<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> Tat aber +weiter nichts desgleichen, als ob die Wahl ihn freue oder aufrege, und +ganz gleichmütig trottete er an dem bestimmten Tage auf den Kampfplatz. +Siegte Karl, so gab es in der Zwischengemeinde Hüttel wie bisher +lebendige Lehbacher und tote Standelegger. Siegte der von Standelegg +gesandte Streiter, so sollte Hüttel fürderhin auch bei lebendigem +Leibe, mit seinen Kirchgängen, Hochzeiten, Kindstaufen und Geschäften +den Standeleggern zu eigen sein. Der Standelegger Kämpfer war ein ganz +gefüger, flinker Tischlergeselle, mit dem ein Karl Oberbergbreitebner +Fangball spielt. Aber bevor die hellen Haufen der Zuschauer und Zeugen +sich noch recht versammelt hatten, lag der Karl schon im Sande, der +Tischlergeselle saß festgeklammert auf seiner mächtigen Brust und +zündete sich eine Pfeife an.</p> + +<p>Der Karl blieb ganz ruhig liegen und horchte gelassen dem Geschrei +der Menge, die ihn verlachten und den Gegner bejubelte. Erst als +Klein-Christel kam, ward es anders mit ihm. Totenblaß im Gesichte, +leise flüsternd befahl sie, daß er aufstehe. Also begann er mit +Händen und Füßen Anstalten zu treffen, daß er sich erhebe, und schon +nach drei Minuten war es so weit, daß die Kleine den Großen vor sich +hertreiben konnte gegen das Straßenhäusel. Die lebendigen Hütteler +waren für Lehbach verspielt, alle Schmach entlud sich über das arme +Straßenhäusel, und es schien kein Mittel mehr zu geben, die Ehre des +Großen wieder herzustellen.</p> + +<p>Da kam ein schwerer Winter. Der Schnee lag mannshoch in der Gegend und +alle Wege waren geschlossen. Seitdem die lustigen Hütteler nicht mehr +nach Lehbach kamen, ging es hier recht langweilig zu und man tröstete +sich nur mit dem Gedanken, daß sie bei dem großen Schnee auch nicht +nach Standelegg gehen könnten; sie waren eingemauert in ihrem Dorfe +Hüttel. Es nahten die Faschingstage. Zu dieser<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> Zeit sagte eines Tages +Klein-Christel zu ihrem Großen: »Karl, mach' dich auf und geh' hinüber +nach Hüttel. Geh' heute hinüber und morgen wieder zurück.«</p> + +<p>Karl fragte nicht warum; er verzehrte eine weite Schüssel Heidenbrei, +dann ging er nach Hüttel. Der Schnee reichte ihm bis an die Brust, der +Karl schob sich langsam voran und hinter ihm her war ein Hohlweg. Am +nächsten Tage kam er wieder zurück, und hinter ihm her zog eine lange +Reihe faschingslustiger Hütteler, Männlein und Weiblein, die bei dem +frischgetretenen Pfad nach Lehbach eilten, um im Wirtshause zu tanzen, +zu essen, zu trinken und beim Kaufmann Lebensmittel einzukaufen.</p> + +<p>Nun erst merkten die Leute von Lehbach, was Karl der Große als +Schneepflug bedeutete, und als solchen mieteten sie ihn von +Klein-Christel, so oft im Winter die Pfade verschneit waren zwischen +Lehbach und Hüttel. Also gewöhnten die Hütteler sich neuerdings an +Lehbach, sie waren wieder »lebendige Lehbacher und tote Standelegger.«</p> + +<p>Klein-Christel konnte sich wieder freuen an ihrem Karl; ihr Ansehen und +der Wohlstand ihres Hauses wuchs. Sie wäre in der Lage gewesen, eine +junge Familie zu ernähren, allein diese war nicht da und kam nicht, und +es ist jammerschade, daß weder die kleine, fleißige und kluge Christel, +noch der große Karl fortgepflanzt werden. Die Zukunft könnte beide +brauchen, und zwar zusammen vermählt; mit Klugheit allein, oder mit +Kraft allein läßt sich doch nicht viel machen.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Fischer_im_Olymp">Der Fischer im Olymp.</h2> +</div> + + +<p>Dort, wo der Wildgarten des Schlosses an die Landstraße stößt, neben +dem Einfahrtstor, steht eine Steingruppe von Ungehörigkeiten aus der +griechischen Mythologie. Die größten Auswüchse der Phantasie sind schon +wiederholt durch Steinwürfe weggeschlagen worden, allein der Schloßherr +steift sich auf das alte Herkommen und läßt die verwundeten Arme, Beine +und Nasen allemal wieder herstellen.</p> + +<p>Unter dieser alten weltmunteren Sandsteingruppe nun saß ein Bettelmann. +Er saß jahrelang dort, immer nur an sonnigen Tagen, er saß auf dem +Sockel, er saß sogar manchmal der einen Göttin auf dem Schoß und lehnte +sich rückwärts an den schönen Busen, der allerdings nicht ganz so lind +war, als der Künstler ihm mit kundigem Meißel den Anschein gegeben. +Der Bettelmann trug stets ein weites blaues Beinkleid und einen gelben +Pelzmantel, wie man sie bei ungarischen Schafhirten sieht, ferner hatte +er ein grellrotes Tuch um das Haupt gewunden, ähnlich wie die Türken +ihren Turban tragen; die Füße hielt der Mann in braune Lappen gewickelt +und mit grünen Bändern umwunden. Das Gesicht war nicht fahl und nicht +mager, war vielmehr rosig und rundlich und hatte zwei ungleiche Augen. +Das eine gutmütig ausblickend, das andere verwulstet und mit manchmal +zuckenden Wimpern, hinter welchen sich Schelmerei zu verstecken schien. +Zur Zeit, als ich den Mann das erstemal sah, mochte er etwa fünfzig +Jahre jung gewesen sein. Ja, es war eine Jugend und Frische in ihm, die +Straßenbettler, wenn sie tatsächlich ein wenig davon haben, sonst nicht +hervorzukehren, vielmehr zu verstecken pflegen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span></p> + +<p>Da er hoch auf dem Sockel der Götter saß, so hatte er an einer langen +Stange ein Binsenkörblein, das er dem Wanderer entgegenhielt, ähnlich +wie der Fischer seinen Angelstab niedersenkt. Gab es nichts, so +zog er seine Angel ruhig wieder ein, lehnte sich an die Götter und +wartete. Witzige Leute nannten ihn den Fischer im Olymp. Ich, der +wöchentlich ein paarmal des Weges zu gehen hatte, warf ihm fast allemal +einen Pfennig in das Körbel, nicht etwa, weil dieser Bettelmann so +erbarmungswürdig aussah, als vielmehr weil er stets ein so heiteres +Gesicht machte. Manchmal aber, wenn das bartlose Rundgesicht gar zu +heiter und aufgeweckt dreinsah, dachte ich: Na, schenk' lieber du +<em class="gesperrt">mir</em>! und ging zugeknöpft vorüber.</p> + +<p>Man wunderte sich, daß dem Manne die Polizei gelassen zusah, allein +diese hatte diesmal Humor und meinte, fischen sei nicht betteln und es +möge sich erst der beschweren, dem der Fluß gehöre. Der sickernde Fluß +der Wanderer aber gehört Gott dem Herrn, und der läßt alle Fischer und +alle Wilderer gewähren. Auch der Schloßherr fand nichts einzuwenden +gegen eine Gestalt, die den Eingang in seinen Park so wunderlich +schmückte. Er war ein Freund heiterer Gesichter und sagte, ein so +glücklich munteres Antlitz gäbe es in seinem ganzen Schlosse nicht. +Auch er warf dem Fischer manche kleine Münze in das Binsenkörbchen. +Anfangs soll ein hoher Herr mit teilnahmsvoller Gebärde mehrmals einen +Taler hineingelegt, damit aber den Bettelmann erzürnt haben. Er lasse +sich nichts schenken! sagte der Fischer, zerteilte die große Münze in +mehrere kleine und spendete sie den Armen.</p> + +<p>Bei schlechtem Wetter war er nicht vorhanden. Die liebe Sonne genoß er +mit den Olympischen gemeinsam, in Sturm und Regen ließ er sie allein +stehen mit ihren verrenkten<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> nackten Gliedern. Es fragte auch weiter +niemand nach ihm, oder vielmehr, ich horchte nicht danach aus. Mir aber +— und das ist seltsam genug! Ging ich auch, wenn er oben saß, fast +gleichgültig vorüber, wenn er nicht oben saß, war mir geradezu bang um +ihn. Dem Wege fehlte der Sonnenschein des Bettlerangesichts. Er wird +doch nicht unpaß sein? Wo er nur wohnt? Was ihn doch verhindern mag, +daß er heute nicht fischt? Was mag der Mann nur eigentlich gewesen +sein, ehe er sich in den Olymp versetzte? Man sprach einmal davon, +daß er in der Stadt Häuser besäße; das glaubte ich nicht, denn dann +hätte er die Taler eingesteckt. — Demnächst war er doch wieder da mit +seinem gelben Schafspelz und seinem roten Turban, und kein Engländer +kann geduldiger am Bache angeln, als da oben der Bettler auf die +kleinen Almosen wartete. Ein paarmal wollte ich ihn ansprechen; in dem +Augenblick, als mein Fuß über den Straßengraben stieg, neigte er sich +seithin, und sein Gesicht nahm einen unguten Ausdruck an. Da ließ ich +ihn einsam sitzen auf seinem Thron und ging den kümmerlichen Geschäften +des Tages nach.</p> + +<p>Nun war es eines Tages, daß vor mir ein barfüßiger Handwerksbursch die +Straße dahinpatschte und unterwegs in der hohlen Hand mißmutig die +Münzen besah, die er an dem Tage erfochten haben mochte. Eine schien +dabei zu sein, die ihm nicht gefiel; war es nun ein schweizerischer +Pfennig, der hierzulande ungültig ist, oder war es ein messingener +Hosenknopf, der ebenfalls ungültig ist, ich weiß es nicht. Ich sah nur, +wie der Handwerksbursch, als er zur Stelle kam, wo an der Steingruppe +der Fischer saß, diesem zwar nichts in das Körbel warf, hingegen +aber die Münze in die Luft schleuderte, dem Bettler zu. Der wollte +die metallene Mücke abfangen, glitschte dabei aus und fiel in den +Straßengraben herab.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span></p> + +<p>Ich eilte hinzu, um ihn aufzuheben, er wartete aber nicht auf mich, +erhob sich gelassen und murmelte: »Das härteste Bett wäre es nicht« +(denn es war weicher Lehm und langes Gras im Graben). »Und so kurz, wie +die Bauernbetten ist es auch nicht.« (Denn der Straßengraben war viele +Meilen lang.)</p> + +<p>»Warum Ihr nur nicht liegen geblieben seid in dem guten Bett!« sagte +ich laut, um eine Anrede zu haben, und machte dabei mein Gesicht +lachen, daß er sah, es wäre nicht bös gemeint.</p> + +<p>»Warum?« fragte er entgegen, »weil es noch zu früh ist zum +Schlafengehen. Muß ja erst den Gruß und Kuß aufsuchen, den mir der Herr +Vagabund zugeworfen hat.«</p> + +<p>Und er begann auf dem Boden umherzulugen, rechts und links und vorn und +hinten, und das Geldstück war nirgends. Als er wieder hinanstieg zu den +Himmlischen, rief er plötzlich: »Aha, jetzt hebt die auch an!« denn der +schweizerische Pfennig lag auf dem Schoß der sitzenden Aphrodite. Dann +hub er hell an zu lachen: »Der soll nur liegen bleiben drin, das ist +ein Falscher! O Schand und Spott!«</p> + +<p>Ich wollte den angeknüpften Verkehr nicht sogleich wieder abgebrochen +wissen, daher bat ich den Bettelmann, daß er mir den Schweizerischen +schenke.</p> + +<p>»Wenn du ihn selber herausnehmen willst!« antwortete er mit komischer +Miene und drückte fast beide Augen zu. »Ich hab' jetzt nicht Zeit, ich +muß lachen. Ich muß lachen über des Vagabunden guten Witz, ha ha ha!«</p> + +<p>»Wenn ich auch so herzlich lachen könnt'!« war meine Bemerkung, denn +jetzt wollte ich um jeden Preis mit ihm anbinden.</p> + +<p>»Kannst nicht?« sagte er, stieg nieder und hub an, mit<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> seinen kurzen +Fingern unter meinem Kinn herumzukrabbeln, »da muß man dich halt +kitzeln — lach, lach, lach!«</p> + +<p>Da lachte ich wirklich, sagte aber: »Lasset das. So ein Lachen tut +weh.« Denn ich hatte gerade meinen sauren Tag.</p> + +<p>»Du bist gewiß einer von solchen, denen das Flennen lustiger ist, als +das Lachen!«</p> + +<p>»Wenigstens wäre jenes eher am Platz, als dieses. Wie es zugeht in der +Welt!«</p> + +<p>»Wie geht es denn zu?« fragte er, dieweilen er sich wieder auf seinen +Sitz schwang, die Stange mit dem Binsenkörblein zur Hand nahm und über +die Stange hinausblickte.</p> + +<p>»Ihr seht es doch!« sprach ich, den falschen Pfennig betupfend, »falsch +im kleinen, falsch im großen, alles falsch, alles Betrug.«</p> + +<p>»Mich betrügt keiner,« antwortete er, machte die Augen auf und schaute +so kühl über mich hinweg, als ob ich Luft wäre.</p> + +<p>»Ich wollt Euch um etwas gebeten haben,« so wand ich jetzt ein.</p> + +<p>»Gebeten? Du bitten? Du mich?« Sein Gesicht leuchtete auf wie Werg, an +das man mit dem Zündflämmchen gefahren.</p> + +<p>»Ich wollt Euch gebeten haben um ein Stück Brot.«</p> + +<p>Nun schaute er mich forschend an. Mein Stadtherrengewand, das keinen +Flicken und keinen Riß hatte, wollte ihm nicht recht stimmen zu dieser +Bitte. Daß ich eigentlich nur um ein Stück geistigen Brotes bat, um ein +warmes Menschenwort, um einen Funken seines frohen Wesens, er konnte +das freilich nicht wissen.</p> + +<p>Sein Antlitz war ernst geworden, und völlig gedämpft sagte er: »Wenn +du Hunger hast, dann ist's freilich nicht zum Lachen. Auch nicht zum +Weinen. Dann ist's zum<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> Essen. Schau! daß du so spät daherkommst! Vor +einer Stunde hätte ich noch einen Apfel und eine Traube gehabt. Ich +trage mir des Morgens mein Essen allemal im Körbel mit hierher. Jetzt +müssen wir was anderes suchen gehen. Aber es ist nicht weit.«</p> + +<p>»Wohin denn?«</p> + +<p>»Nach Hause.«</p> + +<p>Um so besser, dachte ich. Meine Obliegenheit war an diesem Tage +vollzogen, ich hatte Zeit, auf Abenteuer auszugehen. Man kennt ja das, +mit diesen Professionsbettlern! In Paris war einer, der dreißig Jahre +lang mit verkrüppeltem Leib und in armseligen Lumpen an der Pforte +von Notre-Dame saß. Abends nach Hause gekommen, zogen ihm täglich +livrierte Diener die Saloneleganz an und dann ging's mit lustigen +Freunden und Freundinnen zur Tafel, bei der man mit Champagner anfing +und aufhörte mit was weiß ich. — Zu Madrid in Spanien soll es sogar +eine Aktiengesellschaft auf Bettler geben. Die Krüppel, Kretins und +Aussätzigen sind Kapital und Produktion zugleich. Sie werden im Volke +zusammengekauft, entsprechend auf günstige Plätze verteilt, der +Impresario leitet die Geschäfte, nimmt des Abends die Einnahme in +Empfang, und führt sie wohlverbucht in die Hauptkasse ab, während die +Bettler in ihren Pensionen standesgemäß verpflegt werden.</p> + +<p>Derlei ist mir eingefallen, als ich dem Manne folgte, der, in seinem +langen Pelz, über der Achsel die Stange, hastig vor mir hinlief, +dem Dorfe zu. Er war viel kleiner, als er auf seinem Stammsitze +aussah, seine in Lappen gewickelten Füße huschten lautlos dahin. Den +Dorfleuten, die uns, ohne zu grüßen oder gegrüßt zu werden, begegneten, +schien er eine gewohnte Erscheinung zu sein, um so verwunderter +betrachteten sie mich, der hinter dem gelben Pelz<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> dreinlief. Durch +einen großen Bauernhof ging der Weg, hinaus in einen Obstgarten, +dort zwischen Busch und Baum stand die Klause. Ursprünglich mochte +sie als Hüterhaus gedient haben, jetzt war sie die Wohnung meines +Götterlieblings. Im Stübchen ein Tisch, ein Stuhl, ein Kasten, ein +Ofen, ein schmales kurzes Bett, ein Buch und ein Kerzenleuchter. Durch +ein helles Fenster strömte Licht auf diese Herrlichkeiten.</p> + +<p>Sogleich öffnete mein Gastherr den Kasten, begann mit weißen Linnen den +Tisch zu decken, einen kleinen zierlichen Kübel mit Butter, einen Laib +Brot und ein Salzfäßchen herzurichten.</p> + +<p>Ich fiel ihm in den Arm: »Nein, mein Lieber, so ist es nicht gemeint. +Ihr habt, wie ich sehe, hier die Bibel, und da drin steht's, daß der +Mensch nicht allein vom Brote lebt, sondern auch vom Worte. Ihr sollet +mir zuerst hübsch verzeihen, daß ich falsch, wie die Welt schon einmal +ist, mich an Euch gemacht habe und sollet mir dann etwas sagen.«</p> + +<p>»Aber essen wirst du doch etwas!« rief er besorgt.</p> + +<p>»Ich sehe Euch nämlich schon seit Jahr und Tag an der Straße sitzen und +Almosen heischen,« begann ich.</p> + +<p>»Da siehst du ganz richtig,« antwortete er.</p> + +<p>»Und nun möchte ich gerne wissen — nein, es wird doch nicht gehen. Ihr +werdet böse sein, — und Euch beleidigen? Nein.«</p> + +<p>»Du mich beleidigen?!« fragte er mit langgezogenem Tone und blickte +mich dabei mitleidig, aber sehr überlegen, mit halbem Auge an. »Du +armer Narr!«</p> + +<p>»Nun gut. Ich möchte nämlich gerne wissen, warum Ihr bettelt.«</p> + +<p>»Warum ich —? Ha ha ha? — warum ich bettle?«<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> fuhr er lustig drein. +»Sage mir doch, warum du Luft schöpfest! Sage es mir doch!«</p> + +<p>»Ihr seid gesund und stark wie einer. Ihr habet da ein gutes Brot, man +sieht ihm's an, daß es Euch schmeckt. Aber würde es nicht noch besser +schmecken, wenn Ihr es Euch verdient hättet? — Mit Arbeiten —«</p> + +<p>Jetzt trat er ein paar Schritte zurück, zog über der Brust seinen Pelz +zusammen, legte die Arme darüber, schaute mich mit seinem munteren +Gesicht herzlich mitleidig an und sprach: »Jetzt hast es gesagt. Jetzt +hast es gesagt, das große Wort. Und wenn die sieben Weltweisen sieben +Jahre lang dran studiert hätten — besser hätten sie es auch nicht +sagen können. — Arbeiten!«</p> + +<p>»Na, ich meine nur ...«</p> + +<p>»Arbeiten!« rief er aus, und seine Züge verzogen sich wie im Schmerze. +»Aber Freund, arbeiten tut ja weh! Schwitzen! Pfui Teufel! Schau her, +das steht auch in diesem Buche: Im Schweiße deines Angesichtes sollst +du dir dein Brot verdienen, weil du gesündigt hast!«</p> + +<p>»Nun, da habt Ihr es.«</p> + +<p>»Ich <em class="gesperrt">habe</em> aber nicht gesündigt!« rief er frisch und munter aus. +»Ganz unschuldigerweise bin ich auf die Welt gekommen, hab's nicht +betreiben und nicht hindern können. Zuleid' hab' ich auch niemand etwas +getan, außer daß ich meiner Kindsfrau in den Finger gebissen haben +soll, weil sie mir statt der rechtmäßigen Muttermilch Kuhmilch in den +Mund schmuggeln wollte. Denn ich glaube schon mit Zähnen geboren worden +zu sein. Und da soll man kein Naturrecht haben aufs Essen? Da soll +man sich ein solches Recht erst durch allerlei Anstrengungen erwerben +müssen? Tu' mir den Gefallen, Kindskopf, und glaube das nicht.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span></p> + +<p>»Ihr zieht es also vor, andere für Euch arbeiten zu lassen.«</p> + +<p>»Jetzt wirst du bitter, mein Freund,« sagte er gutmütig. »Und das +taugt wieder nicht. Ärger ist kein kleineres Unrecht, als Arbeit. Ich +will niemand verleiten, und ich habe all meiner Tage keinem Menschen +befohlen, für mich zu arbeiten. Siehst du es denn nicht? die ganze Welt +ist voller Tiere, alle sind frisch und munter, und kein einziges ist so +dumm wie der Mensch, und arbeitet. Arbeiten die Menschen für sie? Lasse +diese zweibeinigen Herrschaften nur erst aussterben, dann arbeitet +niemand mehr, und die Welt wird doch voll Leben sein.«</p> + +<p>Als ich in das Häuschen getreten, hatte ich nicht gedacht, in wenigen +Minuten hier vor einem hohen Herrn zu stehen. Nun sah ich's, das war +einer. Das war einmal ein anderer, als die gewöhnlichen sind. Um ein +Stück Brot war ich gekommen. Er gab ein großes. Ob es auch nahrhaft +war, das sollte sich zeigen. Im ersten Augenblick fühlte ich mich +schier betäubt. Wie? das Tier arbeitet nicht und lebt doch? Und +glücklicher als der Mensch, gerechter, schuldloser?</p> + +<p>Es ist naturgemäß, nicht zu arbeiten.</p> + +<p>Diesen Gedanken hatte ich noch nie gedacht.</p> + +<p>Während ich noch befangen war, begannen sie heranzukommen. Zuerst +die krabbelnde Ameise: »Es ist nicht wahr! Wir arbeiten.« — Dann +die summende Biene: »Verleumdung! Wir arbeiten!« Dann der Biber, die +Spinne, die Vögel, die Schlangen und andere in langen Reihen, und alle +riefen pfeifend, piepsend, gröhlend, knurrend, bellend, krähend: »Wir +arbeiten! Wir arbeiten!«</p> + +<p>Ich sagte es dem Bettler. Er lächelte freundlich und sprach: »Mein +viellieber Gast! das weiß ich ja, daß der Maulwurf wühlt. Aber denke +an, zwischen Arbeit und<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> Arbeit ist eine breite Straße. Bin ich ein +Müßiggänger? Nein, ich bin ein Bettler. Ich gehe aus, um zu sammeln. +Ich strecke meinen Stab aus, um Gaben in Empfang zu nehmen, ich +trage sie nach Hause, die Münzen setze ich in Lebensmittel um, die +Lebensmittel bereite ich zu, bewahre sie auf, achte, daß sie nicht +verderben. Ist das Arbeit? Nein, es ist Tätigkeit. So betätigt sich +freilich auch das Tier. — Aber ich mache keine Arbeit, die anderen +zugute kommt, solchen, die nicht arbeiten, die faulenzend in Prunk und +Hochmut das genießen, was andere erworben. <em class="gesperrt">So</em> arbeite ich nicht.«</p> + +<p>»Das ist eben eine menschliche Erfindung,« sagte ich.</p> + +<p>»Nein, eine teuflische!« rief er. Da war er erregt.</p> + +<p>»Tätigkeit und Arbeit, den Unterschied kennt man,« sagte ich. »Pflügen +und Säen ist Arbeit, ernten ist nur Tätigkeit. Ihr, lieber Bettelmann, +habt Euch für die letztere entschieden.«</p> + +<p>»Und das ist das Richtige!« fiel er ein. »Nicht arbeiten, nur sammeln. +Die Natur, wenn sie gesund ist, produziert mühelos ihre Früchte aus +sich selbst. Arbeit ist Sünde gegen die Natur. Töte mich, wenn's nicht +wahr ist.«</p> + +<p>»Ich töte Euch nicht,« darauf meine Entgegnung, »denn Ihr müsset mir +vorerst noch Antwort geben, Ihr wollet also nicht für andere arbeiten?«</p> + +<p>»Nein.«</p> + +<p>»Aber andere sollen für Euch arbeiten?«</p> + +<p>»Schaf Gottes, wer sagt denn das?« rief er aus. »Ich sammle ja nur +Brosamen. Sie geben mir doch nur das in den Korb, was sie zu viel +haben, was sie verstreuen wollen. Sie tun's nicht aus Barmherzigkeit, +sie tun's, weil ihr Überfluß in ihnen das Bedürfnis gezeitigt +hat, Abfälle zu haben,<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> armen Kreaturen manchmal etliche Brocken +hinzuwerfen. Sie sollen nur geben. Dankbar müssen sie sein, daß sie +geben dürfen.«</p> + +<p>»Wie kann man bei so hartem Urteil über die Menschen ein so heiteres +Auge haben?« fragte ich ihn.</p> + +<p>»Junger Freund,« antwortete er, »das kann man, wenn man fertig ist. — +Glaubst du: daß meine Mutter mich als Bettler geboren hat? Meine Wiege +war der Reichtum, lieber Mensch! — Das, was ich heute bin, habe ich +selbst aus mir gemacht!« Im stolzen Tone des Emporkömmlings waren diese +Worte gesprochen. »Aber viel braucht's, bis man es so weit bringt!« +fuhr er fort. »Viele Jahre lang, o meine schönste Lebenszeit, habe ich +mich vom Besitz knechten lassen. Man glaubt sein Leben zu schmücken, +und man belastet es nur. Die tausenderlei Dinge und Dingeln, die an +den Reichen sich kletten, ein abscheulicher Ballast! Man kann nicht +weiter, man kann nicht hinan, man ist ein Sklave und trägt die schwere +Kette nur deshalb mit Gier, weil sie von Gold ist, und ist ein durch +und durch lumpiger Lump. — Du hast gewiß Bekanntschaft mit reichen +Leuten. Nun also. Ich war auch so einer. Betrachte ihr dummes Leben, +und du hast das meine vor Augen. Aber endlich, als mir übel war aus- +und inwendig, gerade schon auf dem Punkt, wo die Besseren sich zu +töten pflegen, erwachte in mir der Egoismus. Hol's der Teufel! dachte +ich, und schmiß den ganzen Krempel von mir. Es war eine wanstige +Ledertasche.« —</p> + +<p>Als er nicht weiter sprach, fragte ich: »Was war mit dieser +Ledertasche?«</p> + +<p>»Ins Wasser hab' ich sie geworfen.«</p> + +<p>— Man spricht auch bildlich so, aber bildlich war's nicht gemeint. +Eine Stunde unterhalb der großen Stadt, in den Auen. Genau hat er den +Platz bezeichnet, wo er seine<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> Papiere, im Werte von mehr als einer +Million Gulden, in die Donau geworfen hat.</p> + +<p>»Ihr seid nicht klug!«</p> + +<p>Er klopfte mir auf die Achsel: »Das muß ich besser wissen.«</p> + +<p>»Das mag ja sehr philosophisch sein, aber gut ist es nicht.« Also mein +überlegener Einwand. »Ein guter Mensch hätte das Vermögen, anstatt ins +Wasser zu werfen, einem Armen geschenkt.«</p> + +<p>»Der wäre davon ja reich geworden, du Tropf!« rief der Bettler. »Ich +habe mir ohnehin nachher Vorwürfe gemacht. Wie leicht konnte die +Ledertasche aufgefangen werden und in Menschenhände kommen. Gift wirft +man nicht ins Wasser.«</p> + +<p>»Ihr hättet das Vermögen ja an <em class="gesperrt">tausend</em> Arme verteilen können.«</p> + +<p>»Du hast leicht reden,« entgegnete er darauf. »Du bist sicherlich nicht +aufgewachsen unter der Torheit der Million. Wäre ich damals weise +gewesen, so hätte mir das Geld nichts angehabt. Ich habe nur gesehen, +daß das Geld mein Unglück ist, so habe ich gemeint, es müßte auch +das Unglück anderer sein. Und ob's nicht denn doch so ist, sage es, +Mensch. Glaubst du nicht auch, daß dir geschenktes Geld zuwider ist? +daß es dich verwüstet? daß dich nur der Besitz freut, den du dir selber +erworben hast?«</p> + +<p>»Und so spricht ein Mann, der an der Straße sitzt und bettelt?«</p> + +<p>Er sprach: »Das verstehst du nicht. Die Pfennige, die ich bekomme, +sind ehrlich erworben. Halte ich doch die Stange hinaus! Sage ich doch +mein Vergeltsgott dafür! Der Taler, wenn er in den Korb fiele, wäre +geschenkt. Ich lebe von Pfennigen, begleiche meinen Wohnungszins, nähre +mich, kleide mich, bin niemandes Herr, niemandes Knecht, und stärker +wie der König.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span></p> + +<p>»Das wäre!«</p> + +<p>»Ja, das ist,« fuhr er lustig fort. »Der König hat ein großes Heer und +muß immer noch fürchten, daß ihm der Feind etwas wegnimmt. Mir kann +niemand was wegnehmen.«</p> + +<p>Ich langte wie raubend nach dem Butterkübel.</p> + +<p>»Ha ha ha, sie gehört dem Hausherrn!« lachte er, »sie ist noch nicht +bezahlt. Und deswegen, Freund, muß ich wieder ans Tagwerk.« Er langte +seinen Korbstab vom Winkel.</p> + +<p>Ich hielt ihm die Hand hin: »Hat mich gefreut, endlich einmal die +Bekanntschaft eines Glücklichen gemacht zu haben.«</p> + +<p>Er wendete sich rasch um, als ob der, zu dem ich sprach, hinter ihm +stünde.</p> + +<p>»Ein Glücklicher — wo?« fragte er wie verblüfft. »Solltest du mich —? +Ja, ja, es geht mir soweit gut, aber glücklich bin ich nicht. Du siehst +es ja.« Er deutete auf seine Lagerstätte. »Viel zu kurz. Ich bin fünf +Schuh lang, und der Trog vier. Was kannst machen? Bei den Bauern findet +man's nicht anders. Man grübelt nicht weiter, klappt sich zusammen und +gut ist's.«</p> + +<p>Ich sah es wohl ein. Auf sechs Schuh langen Erdenraum hat sogar der +Tote Anspruch, und dieser Lebendige besaß ein Drittel weniger. Er hätte +vielleicht nur das Fußbrett ausstoßen müssen ....</p> + +<p>So nahe ist mancher Mensch seinem vollkommenen Glücke. Aber er stößt +das Brett nicht durch. —</p> + +<p>Als wir selbander die Straße dahingingen, begegnete uns der Schloßherr, +er fuhr vierspännig und grüßte den Bettelmann mit einer Handbewegung. +Dieser dankte »von oben herab«. Dann blieb er stehen, schaute ihm nach, +schüttelte den Kopf und murmelte: »Armer Bruder! Das Kamel<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> hat vier +Beine, und du hast achtzehn. Und kannst nicht gehen. Denn du fahrst ja.«</p> + +<p>»Sagt Ihr auch zu dem <em class="gesperrt">du</em>?« meine Frage.</p> + +<p>»Ha ha ha! das ist der erste gewesen, den ich geduzt. Zu den Eltern +hat man damals Sie gesagt. Welche Narrheit. Aber die Geschwister +untereinander ... immer du.«</p> + +<p>Er war zur Stelle. Ohne weiteres kletterte er mit guter Übung an den +steinernen Statuen empor, setzte sich in den Schoß der Aphrodite und +streckte den Stab mit dem Binsenkörbchen aus — nach mir.</p> + +<p>Ich reichte dem Bruder des Schloßherrn zwei Pfennige und schritt +nachdenklich meines Weges.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Geistbrenner">Der Geistbrenner.</h2> +</div> + + +<p>Wer einmal fünfzig Jahre lang Zeuge des Weltlaufes gewesen, bei dem +müßte sich, so sollte man meinen, der ganze innere Mensch geändert +haben. Alles ist ja so unerhört anders, als man's in der Jugend +gesehen, geträumt hat. Die lange Reihe von Hoffnungen, Überraschungen +und Enttäuschungen, von Freuden und Qualen, von Entwickelungen und +Verwickelungen und Lösungen, bei denen immer wieder alles erwartet +wird und immer wieder nichts herauskommt: diese Reihe von großartig +aufgedonnerten Nichtigkeiten müßte ein denkendes Wesen doch endlich +gleichgültig machen, in den Zustand jenes Träumenden versetzen, +der bei keiner Feuersbrunst mehr aufschreit, bei keinem Sturz mehr +zusammenzuckt, weil er in seinem Halbschlummer weiß: es ist doch nur +ein Traum.</p> + +<p>Jawohl, wer fünfzig Jahre lang am sausenden Webstuhl der Zeit steht, +der müßte es endlich doch weghaben, wie die Fäden geknüpft, geschlungen +und die Knoten wieder gelöst oder zerhauen werden. Er müßte sehen, +daß jeder, der da mit hineingewoben wird, eigentlich gleich gut daran +ist, ob sein Faden nun geradeaus oder querüber läuft. Ein Kreuz +bildet's immer. Der mitverwobene, mit den übrigen Fäden ringende und +sich verklemmende, auf andere Fäden sich stützende, in andere Fäden +sich bergende und doch für sich ein freier selbstsüchtiger Ichfaden +sein wollende Hascher und Haber leidet ganz verzweifelt. Einer, der +sich als von außen Sehender fühlt, ändert sich im Lauf seines Lebens. +Der Haschende und Habende ändert sich nicht. Der ist lediglich Stoff, +der nach gemeinsamen Naturgesetzen steigt und fällt,<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> sich physisch +ausdehnt, chemisch verbindet und nicht anders als ein Klumpen Erde +mittun muß in dem Kessel, aus dem ewig die Blasen steigen und in +dem der Bodensatz in die Tiefe sinkt. Die Haschenden und Habenden, +sie sind es, die den Kampf ums Dasein mit demselben trostlosen +Stumpfsinn ringen wie der Wurm und die Milbe und die Eintagsfliege. +Die Haschenden und Habenden, sie sind für sich nichts; erst wenn sie +sich mit Gleichartigem, mit der Stoffmasse verbinden, scheinen sie +etwas zu sein, wenigstens so viel, daß sie sich selbst genügen. Sie +schauen nicht, sie denken nicht, sie sind bloß, wie ein Schwammtier +oder ein Weichtier ist. Diese rein materiellen Menschen sind eigentlich +das Unschuldigste, was es geben kann; sie sind ja halb unbewußte +Wesen; sie dämmern so hin im Verdauungsschlummer, als ob sie zu viel +gefressen hätten, oder sie greifen instinktiv immer und immer mit +ihren Fängern aus wie Seetiere, die alles, was sie erhaschen können, +einmal an sich ziehen, wenn sie auch, längst übersättigt, alles wieder +fallen lassen müssen. Die Hascher und Haber, diese Ärmsten! Und diese +Glücklichen! Weil sie ja so kurzsichtig sind und so tief in ihren Tag +hineingebettet, daß sie keine Ahnung haben von den ewigen, glühenden, +göttlichen Dingen, die den Schauenden nimmer zur Ruhe kommen lassen.</p> + +<p>Der reine Stoffmensch ändert sich nicht durch ein Erleben; er ist als +Greis innerlich derselbe, der er als Kind gewesen, wenn auch nicht +immer ein Habender, wohl aber immer ein Haschender. Er denkt nicht weit +genug, um sich zu fragen, wie er die erhaschte Beute nutzen werde; +er denkt kaum daran, welchen Wert sie für ihn hat; er lebt in der +dämmernden Vorstellung dahin: Das gehört mir! Es ist ein Versunkensein +in die Stoffwelt, ein fast friedlicher Schlaf. Aber der Schauende wird +anders bis in seinen späteren<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> Tagen. Er mag in der Jugend von den +Sinnen zum Stoff hingezogen worden sein; aber als ihm das Auge aufging, +trat er ein wenig zurück von dem sausenden Webstuhl, um nicht in das +grobe Tuch der Menge mitverwoben zu werden.</p> + +<p>Was da aufsteht, das wird von der Menge mit Jubel begrüßt, was +hinfällt, mit Schreck und Klage bestattet. Der Schauende jubelt +nicht, erschrickt nicht und klagt nicht. Er weiß: diese Schürzungen +und Lösungen sind selbstverständliche Vorgänge am Webstuhl. Er sieht +den Wandel und Wechsel im kleinen, er empfindet mit, wie die einzelne +Kreatur vergehend aufschreit: Ich sterbe, jetzt ist alles aus! Und +doch ist nichts aus; alles flutet im gleichen mächtigen Lebensstrom +weiter dahin und der Lebensstrom ist und bleibt so urfrisch wie am +ersten Schöpfungstage. — Dieses Sehen hat den Schauenden verwandelt. +Er war Stoffwesen und ist ein vergeistigter Mensch geworden; er steht +gleichsam außerhalb des Schlagbalkens, der die Fäden aneinanderstößt; +er schaut vergnüglich dem Weber zu. Aber wenn er ihn fragt: »Meister, +wozu das viele Tuch, das du webest und auf die Rolle windest?«, so +bekommt er keine Antwort.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Vor etlichen Jahren war ich eines Tages an der Reichsstraße in eine +Hütte eingekehrt. Eine armselige Hütte, in deren Mauerspalten Gras +keimte. An der schiefwinkligen Tür, deren Fugen mit Moos verstopft +waren, klebte ein Blatt Papier, auf dem in ungefüger Handschrift die +Worte standen: »Hotel zum Napoleon«. In der Hütte saß ein alter Mann in +einem Zwilchkittel, aber barfuß. Er hatte einen schönen weißen Bart, +einen Holzblock zwischen den Händen und stampfte im Bottich Vogelbeeren +ein. Meine Anfrage, ob ich während des Gewitterregens in seinem Haus +Unterstand halten dürfe, wurde damit beantwortet, daß der Alte Körbe<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> +und Stiefel von der Wandbank wegräumte, auf daß der Gast sich behaglich +niederlassen könne. Sogar einen Lodenmantel rollte er zusammen zu einem +Hauptkissen, falls ich mich ein bißchen hinlegen wollte. Ich sei, +meinte er, gewiß schon weit gegangen und hingestreckt ruhe sich der +Wandersmann am besten aus. Auch in der ewigen Ruhe verlege sich der +Mensch aufs Liegen.</p> + +<p>»Hab' mir's gleich gedacht, daß das ein vornehmes Hotel ist, das Hotel +Napoleon,« sagte ich spaßend.</p> + +<p>»Das wohl; nobel sind wir schon!« Der Alte lachte und goß aus einer +großen Flasche eine wasserklare Flüssigkeit ins kleine Kelchgläschen, +das er vor mich auf die Tischecke stellte.</p> + +<p>Auf meine nähere Erkundigung nach der Geschichte dieser Firma +antwortete er: »Will der Herr die zwei Dukaten sehen, die der Napoleon +meinem Vater hat auszahlen lassen?« Und mit dem dürren Finger +durchs Fenster zeigend: »Dort, wo jetzt der Brennofen steht, beim +Hollerbuschen, ist die Schmiede gestanden. Von gestern und vorgestern +rede ich nit. Ist ja mein Vater noch ein junger Bursch gewest. +Hufschmied an der Straßen. Ein gutes Geschäft dazumal. Wenn auch nit +gerade jeder fürs Pferdebeschlagen drei Dukaten hat gegeben wie der +Franzosenkaiser, als er vorbei ist geritten gen Graz. Später, als es +mein Vater erfahren, wer der kleine Reiter ist gewesen, hat er freilich +die Dukaten auf den Steinhaufen geschleudert. Und noch später, viel +später, wie es geheißen hat, der große Napoleon sei auf eine Insel im +Weltmeer verstoßen worden, hat's die Leut' umgewendet und mein Vater +hat den Steinhaufen abgetragen. Zwei hat er richtig wiedergefunden von +den Goldstücken; und die sind in der Familie verblieben zum ewigen +Andenken.«</p> + +<p>Es wollte mir nicht übel gefallen, daß dieser Hufschmied,<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> entgegen +dem Weltbrauch, den Mächtigen gehaßt und den Unglücklichen geehrt hat. +Ich nahm einen Schluck von der klaren Flüssigkeit. Das war Feuer, +eines Hotels Napoleon würdig. Es regnete stundenlang, der Weg bis +zum nächsten Bahnhof war nachher immer noch leicht zu machen und so +verlor ich mich mit dem frohen alten Mann in ein anmutiges Gespräch, +während er mit dem Kolben im Bottich seine Vogelbeeren stampfte. Dort, +wo angeknüpft war, erzählte er weiter. Sein Vater habe neben der +Schmiede eine Schänke aufgetan, damit den Fuhrleuten, die etwa in der +Reihe auf das Pferdebeschlagen zu warten hatten, die Zeit nicht lang +werde. Aus der Schänke sei allmählich ein Wirtshaus geworden und aus +diesem ein großer Gasthof, wo alle Fuhrwerke und Herrschaftkutschen +Einkehr gehalten. Um diese Zeit sei er, mein jetzt so weißbärtiger +Mann, ans Licht gekommen, gehegt und erzogen und »von den Leuten +verhunzt wie ein Prinz«. Der einzige Sohn des reichen Napoleonwirtes! +Denn so hat der Gasthof geheißen und die Deutschen sind lieber beim +»Napoleon« eingekehrt als beim »Kaiser Rotbart« auf der nächsten +Poststation, weil beim Napoleon eben der Wein besser gewesen. Dann +kamen die Eisenbahner ins Land. Da gab es Fuhrwerk über die Maßen und +ungeheuer viel Geld. Die Leute hatten nur so gelacht dazu, obwohl +ihnen der Strick schon um dem Halse lag. Aber er war noch locker. +Der Napoleonwirt selbst hatte Tag für Tag vierundzwanzig schwere +Pferde auf der Straße und am Tag der Eisenbahneröffnung saß er an der +Ehrentafel fast ganz oben in der Nähe der hohen Herren und einer von +ihnen feierte ihn durch einen Trinkspruch als den König der Straße. +Das war vielleicht ein unbeabsichtigter Spott; aber ein großer. König +der Straße hieß in diesem Fall König ohne Reich, denn wenige Jahre +später: und auf der Straße konnten sich<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> Schafe satt weiden. Der alte +Napoleonwirt kränkte sich sehr darüber, daß die Eisenbahn, die er so +emsig miterbauen half, so treulos war. Kein Mensch, sagte er, sei noch +so grob betrogen worden wie er, der Napoleonwirt. Der Eisenbahnzug, +der oben am Berghang hinrollte, pfiff auf ihn herab und kein Gesetz +kümmerte sich um die Straße. Ohne gewöhnlich andere Gäste zu haben als +manchmal einen durstigen Nachbar, wirtschaftete er in seiner Weise noch +eine Weile fort; und als er endlich Haus und Hof verkaufte, geschah es +gerade so, daß die Gläubiger keinen Schaden hatten. Da meinte der alte +Napoleonwirt, für ihn sei es nun die höchste Zeit, zu sterben, denn +ein paar Jahr später hätte es nicht einmal mehr für einen Grabstein +gereicht. Ein Leben ohne Nachlaß und ohne Grabstein hätte er für die +überflüssigste Arbeit von der Welt gehalten.</p> + +<p>Und der junge Mensch, der Sohn, stand nun allein auf der Straße. +Manchmal saß er auf der Bank vor der verfallenden Schmiede und +beobachtete die Leute, wie deren doch von Zeit zu Zeit wieder +vorüberkamen. Und wenn er sich so ins Schauen verlor, da war ihm +anfangs, als vermöge er den Insassen des Viergespannes und den +hinkenden Handwerksburschen nicht zu unterscheiden. Es sei denn, +daß dieser einen munteren Marsch pfiff und jener ein gelangweiltes +Gesicht machte. Und dann wieder zu sich kommend, fragte er: »Was +tue ich jetzt? Am vollen Trog habe ich schon gesessen.« Nichts war +davon übrig geblieben als der Nachteil, daß ihn nun der leere doppelt +verdrießen konnte. Doch er verdroß ihn nicht eigentlich. Er war gegen +alle weiteren Unfälle gut versichert bei der Assekuranzgesellschaft +Habenichts & Co. Der Pfarrer seines Ortes hatte einmal gepredigt, der +Christ solle dem Geiste leben. Und weil er das nicht weiter erklärte, +so legte der Zuhörer es sich selber zurecht.<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> Es wird auch am besten +sein. Das braucht kein großes Betriebskapital. Ich will dem Geist +leben. Und gründete eine kleine Branntweinbrennerei. Die Wurzeln, +Beeren und Abfälle, aus denen er den Geist zog, hatte er umsonst; er +brauchte sie nur zu sammeln, manchmal dafür ein »Vergelt's Gott!« zu +sagen und ein »Stamperl Branntwein« zu versprechen. Wenn dann der +Nachbar kam, um ihn zu trinken, griff er doch in den Sack; denn man +hatte den fröhlichen Burschen nicht ungern und vermutete, daß er +auch ein bißchen leben wolle. Er scheint auch in seiner Unterhaltung +Geist geschenkt zu haben und nicht etwa Fusel, wie mancher zünftiger +Ritter vom Geist zu destillieren pflegt. Da das große Einkehrhaus +an der grünen Straße keine rechte Verwendung mehr finden konnte, so +wurde es abgetragen und aus seinen Ziegeln am Bahnhof eine Waggonhalle +erbaut. Nur die alte kleine Schmiede blieb stehen, um dem einzigen +Übriggebliebenen zur Brennerei zu dienen. Das Wohnhaus dazu hatte er +sich aus dem Fachgebälk des abgetragenen Gasthofes selbst gezimmert. +Und hier lebte der Mann nun gelassen dahin, länger als fünfzig Jahre.</p> + +<p>Er war Zeuge, wie sich in dieser Zeit alles mehrmals umstürzte. Die +Menschheit machte Purzelbäume. Stand sie auf den Füßen, so behauptete +sie, die einzig richtige Grundlage für den Fortschritt sei der Kopf; +und stand sie auf dem Kopf, so klagte sie, daß alles in der Welt +verkehrt sei. Der Schauende stand abseits und war ein wenig verblüfft. +Nicht der Wandel befremdete ihn, sondern die Stetigkeit der Kreatur. +Trotz allem unbegreiflichen Wandel blieben die Leute sich gleich. +Bauten diese Leute Häuser, so tranken sie Branntwein, um Kraft zu +gewinnen. Brannten die Häuser nieder, so tranken sie Branntwein, +um sich zu trösten. Die Felder wurden zu Wald: die Leute tranken +Branntwein und wanderten<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> aus. In den Wildnissen streiften Jäger und +tranken Branntwein. Und der Alte machte seinen Branntwein gerade so, +wie man ihn vor so viel hundert Jahren gemacht haben mag. Und auch wo +sie es anders machen, ist's im Grunde dasselbe. Alles kreist um den +Punkt; und dieser Punkt rührt sich nicht vom Fleck. Zur Zeit der Ritter +war es Mode geworden, in Kutschen zu fahren; zur Kutschenzeit ist es +Sitte geworden, auf der Eisenbahn zu reisen; in der Eisenbahnzeit wurde +es nobel, den Motorwagen zu hetzen; zur Zeit des Motorwagens wird es +vornehm sein, im Luftschiff zu fliegen; und zur Zeit des Luftschiffes +werden die Herren plötzlich finden, das Vornehmste, das Stolzeste, das +Ritterlichste sei das Reiten auf dem Pferd. Dann ist man rund herum. +Ein Ringelspiel wie auf Jahrmärkten. An einzelnen Stellen wurde wieder +gerodet, wurde wieder gebaut: und immer tranken sie Branntwein und +haschten nach Habe, nach grobem Genuß und waren stumpfsinnig für alles +andere. So war die Masse immer gewesen und das Erdbeben der jungen Welt +hatte wenig geändert. Die Masse ist Rohstoff, an dem die Wetter der +Zeiten immerwährend formen und zerstören. So streute die Natur ihren +Menschenstaub auch wieder einmal auf die Straße. Eines Tages kam der +närrisch gewordene Scherenschleifer und der sausende Teufel. Der erste +ein Reiter ohne Roß, der zweite ein Roß ohne Reiter. So der wörtliche +Ausdruck des Alten; ich kann mir nur denken, daß damit die Radfahrer +und Autofahrer gemeint sein sollten. — Und so, fuhr er fort zu sagen, +habe sich seit fünfzig Jahren allerlei hingeändert und zurückgeändert, +im Weltkasten sei alles ganz toll durcheinandergerüttelt. Aber die +Zwetschken, seien sie braun oder blau, süß oder herb, frisch oder faul: +der Kern sei gleich geblieben. Es sei derselbe harte Kern mit etwas +Gift im Innern. Der Mensch turne und bade,<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> »doktere« und schneide +an sich grausam herum, sei aber inwendig der Alte geblieben. Vor +Zeiten habe eines Tages ein armes Weib verschmachtend an der Straße +gelegen und ein vornehmer Vierspänner sei lustig vorübergefahren. Vor +einigen Wochen habe da unten bei der Telephonstange Nummer 321 der +Blitzschlag einen alten Hausierer betäubt und ein Automobiler sei +lustig an ihm vorübergefahren. Einen Menschen aufheben und laben: Das +kann man von so einem nicht verlangen. Muß noch froh sein, wenn er +selber keinen niederrennt. Ja, der Kern ist hart und ein wenig giftig. +Aber abgewöhnen mag man sich's doch nicht, das Zwetschkenessen. Das +Auswendige nascht man und auf den Kern läßt man sich nicht ein. Dann +bleibt man halt abseits stehen und schaut zu. Und brennt Geist.</p> + +<p>Während solcher Reden hatte der alte Schnapsbrenner mir einen +angeschnittenen Laib Weißbrot vorgelegt und mich eingeladen, die +Stiefel auszuziehen, damit sich die Füße besser ausrasten könnten. Ja, +er stellte sich ausgespreitet hin und wollte sie mir von den Beinen +reißen.</p> + +<p>Ich lachte und sagte ihm offen, was mich wunderte. Daß er bei seiner +Weltverachtung noch so gut sein könne. Ich sei in seinen Augen ja auch +nichts anderes als ein Körnchen des Menschenstaubes auf der Straße. Da +fuhr er munter in die Höhe: »Ja, glaubt Ihr denn, Ihr bekommt das alles +geschenkt? O, das Hotel Napoleon ist ein gar teures Hotel!«</p> + +<p>»Ich hoffe, daß Ihr Euch die Sachen bezahlen lassen werdet.«</p> + +<p>»Bezahlen! Geht mir weg mit dem Wort Bezahlen! Allerlei Geist habe ich +Euch vorgesetzt. Guten Geist!« fügte er mit ernsthafter Miene hinzu. +»Und seit wann tut man den Geist mit Ziffern und Zahlen ab, seit wann? +Ich denk', Ihr werdet Euch selber dalassen müssen. Ich denk' wohl.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p> + +<p>Der Gewitterregen war vorüber, die Straße hatte kalkgraue Tümpel +und die Sonne schien wieder drein. Als ich zu Dank und Abschied dem +Alten die Hand reichen wollte, nahm er sie nicht an. »Bleiben wir nit +beisammen?« sagte er. »Wir bleiben ja beisammen!«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Damals dachte ich, er spreche doch Unsinn, manchmal. Heute denke ich +das nicht. Über zwei Jahre sind seitdem dahingegangen, in jene Gegend +kam ich nicht mehr, den Alten habe ich nicht mehr gesehen: und doch +muß ich oft, sehr oft an ihn denken. Ja, so oft ich selbst mich als +Weltbeschauer empfinde, muß ich an jenen Schauenden denken. »Wir +bleiben beisammen!« hatte er gesagt. Es dürfte stimmen. Ich war an +seiner Weisheit hängen geblieben.</p> + +<p>Aber, mein lieber alter Geistbrenner, es wird uns nicht viel helfen. +Wenn wir zwei uns auch außerhalb des sausenden Webstuhles stellen, +einer links und der andere rechts, und dem Weber mit Fadenknüpfen +Handlangerdienste zu leisten vermeinen: wir sind doch mitten im Gewebe; +nur sind wir als Fäden vielleicht widerhaariger als andere und bilden +häßliche Knoten. Alle miteinander machen wir das liederliche Tuch aus.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_ordentliche_Augustin">Der ordentliche Augustin.</h2> +</div> + + +<p>Als der Vater Augustin Kernschimmlers sein vierzigjähriges +Geschäftsjubiläum beging, sagte der Festredner unter anderem auch +die großartigen Worte: »Unser teurer Jubilar nährte andere und wurde +selbst fett, machte andere wohlhabend und wurde reich dabei. Sein +Glück gründet auf seinen Tugenden!« Und Sekt darauf. — Denn der Vater +Augustin Kernschimmlers war Bäcker und Fleischermeister gewesen — +der einzige in dem Städtlein. Als einziger Fleischer hatte er die +einzige Bäckerin geheiratet, und Augustin war von diesem einzigen +Paar das einzige Kind. Jemand behauptete, der Vater habe das aus +Geschäftsrücksichten so eingerichtet, denn er konnte keine Konkurrenten +leiden und wollte dem lieben Söhnlein auch die Konkurrenz von +Geschwistern ersparen.</p> + +<p>Als nun bei dem oben erwähnten Jubiläum das Wochenblatt einen +Festartikel über die Doppelfirma brachte und sogar die Bildnisse des +verehrten Ehepaares Kernschimmler, da war es plötzlich ausgemacht, daß +der kleine Augustin weder Fleischer noch Bäcker werden dürfe, sondern +ein Doktor oder Professor, womöglich ein sehr berühmter. Zwar sagte +der Vater zu seiner Frau, berühmt werde man ja auch als Fleischer, was +eben der große Festartikel und das mit einem Lorbeerkranz umgebene +Doppelbild des Jubelpaares im Wochenblatte bezeuge. Sie wußte das +freilich besser, sagte es aber nicht, daß ihr die Veranlassung zu +diesem illustrierten Festartikel runde hundert Gulden von ihrem +Nadelgelde gekostet hatte.</p> + +<p>Der Augustin kam in die Stadt, ins Gymnasium, und ward ein sehr +ordentlicher Student. Seine Schulbücher hatten nicht ein einziges +Eselsohr, doch bei den Examinationen<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> ging es manchmal nicht ab ohne +jegliche Erinnerung an das populäre Tier, auch wenn es nicht just +Zoologie gab. Die Mutter schickte dem Söhnlein häufig Geräuchertes, +Milchbrot, Krapfen und Zwieback, vor allem Powidlkuchen, die er so +gerne aß. Einen Teil dieser guten Dinge verzehrte der Junge, der andere +verschimmelte ihm im Nachtkästchen, der seine Vorratskammer war. +Und als der Rest verschimmelt war, verzehrte er ihn auch, schon aus +Ordnungsliebe und weil es ihm leid tat, die mütterlichen Liebesgaben +wegzuwerfen. Seine Schulhefte waren stets wie neu und die Schriften +und Ziffern wie gestochen, nur recht oft unrichtig. Über Fleiß und +Sittlichkeit sangen seine Zeugnisse wahre Lobeshymnen, im übrigen +jedoch gaben sie ihm Anlaß zur Unzufriedenheit mit den Professoren. +So kam der Tag der Reifeprüfung. Die schwarzen Kleider mit dem +Seidenzylinder hatte der junge Kernschimmler sich schon am Vorabend +auf das musterhafteste zurechtgerichtet, also auch im Notizbuche die +Gegenstände, in denen er bereits geprüft war und noch geprüft werden +sollte, mitsamt den erhaltenen und zu erhoffenden Noten sorgfältigst +aufgeschrieben. Als er nun auf der Gasse schon nahe dem Schulgebäude +dahinging, bemerkte er mit Entsetzen, daß seine Stiefel nicht frisch +gewichst waren. Er kehrte in seine Wohnung zurück, fand aber weder die +Quartierfrau vor, sie war auf den Markt gegangen, noch den Schlüssel +zum Schrank, wo das Stiefelputzzeug aufbewahrt lag. Er mußte also zum +Krämer und zum Bürstenbinder, um Wichse und Bürsten zu kaufen und +dann die Beschuhung selbst in einen des Tages würdigen Zustand zu +versetzen. Als er hernach die Stiefel wieder an die Beine zog, riß sich +an einem derselben eine Strupfe los. Man sah zwar den Schaden hinter +der Hose nicht, aber der junge Mann konnte keine Schlamperei leiden, +er ging zu<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> seinem Schuster, der die kleine Angelegenheit auch zur +besten Zufriedenheit schlichtete. Als er hernach an den Lehrsaal kam, +schritten die Kollegen und Professoren gerade zum Tore heraus, die +Abgangsprüfung war vorüber. Augustin hatte nun ein ganzes Jahr Zeit, um +vor seiner Prüfung vielleicht auch noch andere Mängel, als die an den +Kleidern, zu beseitigen.</p> + +<p>Mittlerweile starben rasch hintereinander seine Eltern. Der Schlag +würde für den guten Jungen vernichtend gewesen sein, wenn nicht durch +denselben in Haus und Geschäft eine Welt von Unordnung aufgetaucht +wäre, die in Ordnung gebracht werden mußte. Das zerstreute ihn ein +wenig. Das Ordnungmachen dauerte aber Jahr und Tag, und mich wundert es +nicht, daß darob die Reifeprüfung ganz und gar vergessen worden war.</p> + +<p>Augustin Kernschimmler fand sich plötzlich allein auf der Welt, +aber als Erbe eines großen Fleischergeschäftes und einer Bäckerei, +die sich auch auf Mühle und Kornhandel verzweigte. Die Mühle und +die gewerblichen Rechte verkaufte er, ebenso auch die Grundstücke; +die beiden alten Häuser aber, das Fleischerhaus des Vaters und +das Bäckerhaus der Mutter, behielt er aus Gründen der Pietät, und +seine Lebensaufgabe bestand von nun an darin, diese Häuser und ihre +Einrichtung in Ordnung zu halten. Jahraus, jahrein beschäftigte er +eine Anzahl Dienstboten, um die Möbel abzustauben, die Spinnweben von +den Ecken zu fegen, den Schwamm im Fußboden zu vernichten und alles +Geschirr und Gezier blank und rein zu erhalten. Er konnte sich nicht +entschließen, irgendein Kleidungsstück seiner Eltern wegzugeben, die +Dienstboten rangen für und für einen wahren Verzweiflungskampf mit +den Motten und anderem Insekt, aber mit Kampfer und anderen Mitteln +gelang es immer noch, die Sachen zu erhalten, so daß sie in ihren +Schränken und Kästen<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> genau so liegen und hängen konnten, wie sie zu +Lebzeiten oder beim Tode seiner Eltern gelegen oder gehangen waren. +Die Wohnungen der beiden Häuser waren denn auch stets in dem Zustande, +die ehrenwertesten Besuche zu empfangen, die nicht kamen. Auf der +Fleischbank konnte zu jeder Stunde geschlachtet, im Ofen jeden Tag +gebacken werden, es war alles dazu in bester Bereitschaft. Geschlachtet +und gebacken wurde aber nicht. Doch, so fleißig auch gelüftet wurde, es +war ein Modergeruch vorhanden, und die Schritte des Wandelnden hallten +lauter in den Wänden als anderswo.</p> + +<p>Kernschimmler war ein stattlicher Mann geworden, dem außer Hause seine +wunderliche Art nicht einmal angesehen werden mochte. Er pflegte sich +gut und kleidete sich stets mit peinlicher Genauigkeit, freilich +nicht gerade nach der Mode, aber doch mit gutem Geschmacke und mit +größter Akkuratesse. Wenn an einem Kleidungsstücke ein Knopf verloren +ging, so mußte seine alte Dienerin von Schneider zu Schneider, von +Krämer zu Krämer laufen, um genau den gleichen aufzutreiben, und wenn +das nicht glückte, so wurde das ganze Kleidungsstück dem Trödler +übergeben. Sein Aus- und Eingang war pünktlich, wie eine Uhr, sein +Verkehr mit Bekannten verbindlich, aber gemessen, im Gespräche stets +der gleichen Worte und Redewendungen sich bedienend. Alle Samstage ging +er des Abends in heitere Gesellschaft, lachte aber nur, wenn bei ihm +Lachenszeit war, nämlich der Ordnung halber bloß bei bestimmten, stets +wiederkehrenden Späßen. Neue Witze mochten besser sein, er machte keine +Ausnahme von der Regel.</p> + +<p>Er hätte sich zurzeit — denn die Weiber garnten um und um — +sicherlich verliebt, allein das lag nicht in seiner Tagesordnung, und +wie er schon so sehr dem Gesetze der Trägheit unterworfen, so wäre nach +dem einmaligen Verlieben<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> zu befürchten gewesen, er könnte sich der +lieben Ordnung halber jeden Tag wieder verlieben.</p> + +<p>Augustin Kernschimmler war unverheiratet geboren und blieb also +unverheiratet. Er lebte so nach seiner Art behaglich und zufrieden +dahin und eine Entgleisung von dieser Lebensbahn schien ausgeschlossen. +Da — in seinem sechsundvierzigsten Lebensjahre — erkrankte er. +Es geschah so allmählich, so sachte, daß er die Ordnungswidrigkeit +nicht einmal inneward. Er wurde ein wenig magenleidend, dann ein +wenig leberleidend, hernach ein wenig halsleidend, endlich ein wenig +brustleidend. Seine große Sorge war, die Erscheinungen, die er an sich +wahrnahm, ordentlich zu verbuchen und vom Arzte die lateinischen oder +griechischen Namen dafür zu erfahren. Damit konnte der Doktor recht +sehr aufwarten. Wenn es aber einmal nicht stimmte, wenn der Doktor +und die medizinischen Werke, die Kernschimmler genau studierte, sich +widersprachen, dann war er gebrochen. Als es sich aber sachte, doch +haarscharf auf eine Lungensucht wies und alle Anzeichen dazu auf das +glänzendste auftraten, da rieb sich der gute Kernschimmler fröstelnd +die Hände, vergnügt darüber, daß doch noch wenigstens bei schweren +Krankheiten eine gute Ordnung obwalte. Sicherheitshalber hatte er +mehrere Ärzte rufen lassen, und alle stimmten darin überein, daß der +rechte Lungenflügel ganz kaput, der linke noch fast zur Hälfte intakt +sei. Eine Frage der Zeit. In der Bestimmung dieser aber widersprachen +sich die Herren, die gutmütigeren gaben ihm Monate, sogar Jahre, die +berühmten gestanden fast derb, daß es sich nur noch um Tage handeln +könne. — In Gottes Namen! Es liegt ja in der ewigen Ordnung der Natur, +daß der Mensch sterben muß. Wenn's jedoch wirklich schon ernst ist, +dann frägt es sich um die testamentarischen Angelegenheiten. Ein<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> +paar Verwandte, etliche gute Freunde werden ja wohl so gut sein, die +Hinterlassenschaft in Empfang zu nehmen und ordentlich zu verwalten. +Die hohe Erbsteuer ist nicht in Ordnung und ist das überhaupt ein sehr +umständlicher Weg durch Behörden und Advokaten, dessen Ausgang mancher +Erbe gar nicht erlebt. Da wird's vernünftiger sein, die Sachen unter +der Hand zu verschenken.</p> + +<p>Also hat Augustin Kernschimmler am nächsten Tage seine entfernten +Vettern und Muhmen und einige gute Bekannte der Samstagsgesellschaft +zu sich beschieden. Wäre schier zu spät gewesen, er hatte kaum noch +eine vernehmliche Stimme, es versagte ihm schon der Atem. Zur Not +wenigstens das wichtigste: Die Häuser gehören den Verwandten, die +Einrichtungsstücke den Freunden, das vorhandene Papier der Gemeinde +für wohltätige Zwecke. Das alte Gewand in den Schränken soll verbrannt +werden.</p> + +<p>Die Beschenkten weinten vor Rührung, vor freudiger. Wer seine Sachen +mitnehmen konnte, der nahm sie gleich mit. Der Sterbende konnte sich +nun auf die andere Seite legen — es war in Ordnung.</p> + +<p>Am nächsten Morgen erwachte er später als sonst. Ah, das war ein +erkleckliches Schläfchen gewesen, diesmal. Er fühlte sich nachgerade +erfrischt. — Nun muß aber der Erzähler sich sputen mit der +Entwicklung, sonst errät es der Leser vorwegs, wo es hinaus will. Also +gut, der Augustin Kernschimmler wurde wieder gesund, stocksteingesund, +so gesund, als er vorher nie gewesen. Und war arm wie eine Kirchenmaus, +wenn der Küster die Wachskrusten von den Leuchtern geschabt hat. Er +hatte ja alles verschenkt und es war in Ordnung.</p> + +<p>So ein Testament ist doch ein gutes, kluges Ding. Man gibt sein +Vermögen so selbstlos, so großmütig hin — aber erst, wenn man es +selber nicht mehr braucht. Das, was einer<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> im Testament voll Edelsinn +und Barmherzigkeit jemand vermacht, kann er unbedenklich aufbrauchen, +da ist keine Pflicht vorhanden, es über den Tod hinaus zu bewahren, +damit jenem, dem es vermeint gewesen, das auch richtig zukomme. +Testamentarisch vermachte Sachen bleiben Eigentum des ursprünglichen +Besitzers, solange er lebt; nach dem Papier kann man ganze Häuser +vererben, die der Erblasser mittlerweile vertrinkt oder verspielt.</p> + +<p>Wie brutal hingegen ist das Schenken! Was du heute verschenkest, das +ist morgen nicht mehr dein, und selbst wenn dein Leben darauf stünde. +Wolltest du es zurücknehmen, so könnte der Beschenkte dich gerichtlich +belangen, als strecktest du deine Hand nach fremdem Eigentum aus. — +In diesem Falle war unser armer, stocksteingesunder Kernschimmler. +Aber er fand es in Ordnung. Es fiel ihm durchaus nicht ein, auch nur +auf einen Groschen seines großen verschenkten Vermögens Anspruch zu +machen, oder scheinen zu lassen, daß er etwas bedürfe. Er griff seine +gewohnte Lebensordnung wieder auf und führte sie so lange, bis der +für sein Begräbnis bestimmt gewesene Betrag verbraucht war. Dann ging +er ins Gemeindeamt und ersuchte um eine Versorgung. Er hatte früher +das Wort »reich« nie ausgesprochen, jetzt sprach er das Wort »arm« +nicht aus. Er war jetzt so wenig arm, als er früher reich gewesen. Er +hatte früher den Lebensunterhalt gehabt, und den mußte er jetzt auch +haben. Die Gemeinde hatte über seine Widmung zu wohltätigen Zwecken +bereits verfügt, sie tat nichts desgleichen, als ob der Mann bei ihr +etwas besonders gut haben könne; sie fand nur, daß er für das Spital +zu gesund, für das Armenhaus zu fröhlich und für die Altersversorgung +zu jung war. Sie ließ in sehr vorsichtiger Form bei ihm anfragen, +ob er die zur Zeit offene, sorgenfreie und achtunggebietende Stelle +eines Gemeindedieners<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> würde übernehmen wollen. Wenn ja, so wäre er +der Bevorzugte. Diese einflußreiche Stelle sei weitaus gesicherter, +als die des Bürgermeisters, der von drei zu drei Jahren abgelehnt +werden konnte, während der Gemeindediener ohne ganz besonderen +Anlaß nicht bedankt werde, sondern bestimmt sei, die Tradition des +Bürgermeisteramtes von Geschlecht zu Geschlecht zu übertragen und zu +überwachen.</p> + +<p>Augustin Kernschimmler ward Gemeindediener und als solcher ein wahrhaft +bedeutender Mensch. Er hatte zwar nichts zu tun, als den Willen anderer +auszuführen, aber die Ausführung ist ja schließlich Hauptsache. Er +war ganz glücklich, der Selbstbestimmung enthoben zu sein, denn +er hatte nie etwas mit sich anzufangen gewußt, er fühlte sich als +Werkzeug anderer geborgen und gekräftigt und arbeitete mit wunderbarer +Genauigkeit. Sein Wirkungskreis erstreckte sich nicht etwa über die +Kanzlei, sondern über die ganze Gemeinde bis zum Bezirksgerichte +und zu der Landeshauptmannschaft hinauf. Man soll gerade einmal +nachdenken, was ein Gemeindediener zu tun hat. Kernschimmler besorgte +sein Amt mit so unerhörter Ordnung, daß die Leute sich fragten, wer +denn das Räderwerk eingefettet haben könne, daß es nun so glatt +ginge? Sie wurden sich der Ursache kaum bewußt, merkten nur, daß der +Gemeindediener ein ordentlicher Mensch sei.</p> + +<p>Als er fünfundzwanzig Jahre lang der musterhafte Gemeindediener +gewesen, machte er etwas Dummes. Er ließ sich pensionieren. Als +siebzigjähriger Mann, meinte er, sei es in Ordnung, sich zur Ruhe +zu setzen. Bald sah er aber, daß bei ihm die Ruhe als solche nicht +in Ordnung war. Denn er hatte zu lange in regelmäßiger Tätigkeit +gelebt; jetzt auf einmal nichts zu tun, als spazieren zu gehen, +das war doch die größte Schlamperei. Jeden und jeden Tag dieselbe<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> +Schlamperei. Das war freilich auch Regelmäßigkeit — aber in diese +neue Ordnung konnte er sich nicht mehr finden. Er erbot sich dem neuen +Gemeindediener freiwillig zu Diensten und wurde des Dieners Diener. +Die schwersten Kränkungen seines Alters bestanden darin, wenn in +der Kanzlei ein Foliant statt im dritten Fach, etwa im vierten lag; +wenn die Empfangsbestätigung für Zustellungen von dem Empfänger mit +Bleistift geschrieben war, anstatt mit Tinte; wenn der Bürgermeister +ihn »<em class="gesperrt">Herr</em> Kernschimmler« nannte, da er doch fünfundzwanzig Jahre +lang in treuen Diensten bloß der Kernschimmler gewesen war.</p> + +<p>Seine persönliche Tagesordnung war das Uhrwerk geblieben, das seit +einem halben Jahrhundert kaum ein einziges Mal stillstand — täglich +dieselbe Sekunde zum Aufstehen, dieselben dreiundzwanzig Minuten zum +Anziehen des immer gleich geformten Gewandes, dieselben neun Minuten +zum Rasieren, und die Haare kämmte er sich mit der gleichen gewohnten +Sorgfalt auch noch zur Zeit, als er längst keine mehr am Kopfe hatte.</p> + +<p>Eines Tages aber ließ Augustin sich eine große Unregelmäßigkeit +zuschulden kommen. Er kämmte sich nicht und rasierte sich nicht, er +kleidete sich nicht einmal an. Lange über die gewohnte Zeit hinaus +blieb er in seinem Bette liegen und war tot.</p> + +<p>Als der Schreiner ihm den Sarg zurechtmachte, sagte er zu einem +Nebenstehenden: »Ich wüßte schon, was zu machen wäre, daß der +Kernschimmler wieder aufstände. — Man brauchte bloß einige Hobelspäne +auf den Boden zu verstreuen, alsogleich wäre er mit dem Besen da, um +Ordnung zu schaffen.«</p> + +<p>Tue es nicht. Laß ihn rasten mit neunundsiebzig Jahren — es ist in +Ordnung.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Meister_Sani">Meister Sani.</h2> +</div> + + +<p>Er war Maler, aber ich rede nicht von seinen Bildern. Er war Geizhals +und ich rede von seinem Gelde. Er verdiente sich sehr viel Geld, +buchstäblich mit Gold aufgewogen wurden seine bemalten Leinwandblachen. +Aber ich interessiere mich nicht für Kunstwerke, ich interessiere mich +für Dukaten. Dem Meister mußten ja auch diese lieber gewesen sein als +jene, sonst hätte er seine Gemälde nicht verkauft. Denn er benötigte +es nicht, das viele Geld. Er war aus ganz einfachen Verhältnissen +emporgekommen und bedurfte für sich sehr wenig. Er war Junggeselle, was +schon an sich eine Ursache des Geizes ist; wer für die Familie immer +Geld ausgeben muß, der kann sich keinen Geiz angewöhnen.</p> + +<p>Meister Sani lebte so weit anständig und stets adrett; wie er auf +der Gasse einherging, merkte man ihm das Laster nicht viel an. Auch +hat ihn damals niemand unter seinen Geldsäcken sitzen gesehen oder +wie er etwa mit dürren Fingern im Münzhaufen gewühlt hätte. Er hatte +weder dürre Finger noch Geldsäcke. Seine Ersparnisse waren in mehreren +Sparkassebücheln verbucht, die er in einem eisernen Kästchen unter +seinem Wäschevorrate verwahrte. Jetzt kann man ja alles sagen. Nebst +seiner künstlerischen Tätigkeit hatte der Meister die größte Freude am +Sparen und in der Vorstellung, was er um sein gutes Geld alles haben +könnte. In der ersteren Zeit dachte er, jetzt — wenn ich wollte — +könnte ich schon zehn Jahre faulenzen und naturbummeln, zu leben hätte +ich. Bald war so viel da, daß er ans Reisen denken konnte, und er +reiste in Gedanken ein zweitesmal nach Italien, denn ein erstesmal war +er wirklich schon dort gewesen. Diesmal<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> konnte er bis Sizilien gehen +und über Spanien nach Frankreich zurück. Später wäre er schon in der +Lage, sich eine Villa zu bauen, unweit der Stadt, die täglich nach den +Atelierstunden leicht zu erreichen. Wenige Jahre später war er so weit, +daß er sich ein größeres Landgut kaufen könnte mit Garten-, Feld-, +Vieh- und Waldwirtschaft und er ginge umher und sähe, wie die Arbeit +des Gesindes schleunt und die Früchte gedeihen und die Schweine und +Hühner heranwachsen für die Festtafel. Alles das und mancherlei anderes +könnte er haben, wenn er wollte. Er konnte sich gleichsam als den +heimlichen Herrn betrachten über so vieles. Aber es konnte noch besser +kommen und deshalb ließ er das Geld ruhig in der Sparkasse liegen; es +kam immer noch reichlicher Zuzug und üppigeres Wachstum, und eines +Tages war er Schloßherr. Ein großes Schloß mit Lustgärten, Meierhöfen, +Waldungen, Jagden und sonstigen vornehmen Ergötzlichkeiten — könnte +er haben, wenn er wollte. Und da er es haben könnte, so war es just so +viel, als er hätte es. Diese Gedanken an seine Güter hatten sich in +seinem Kopf festgeflochten wie ein Spinngewebe, in dem Spinnen gaukeln +und Mücken hängen. Er malte noch fleißig, aber er malte nicht mehr so +gut als früher, sein Herz war bei den Gütern. In der Nacht schlief er +unruhig, die Sorge um das Vermögen und daß es sich ja nicht vermindere, +verwüsteten seine Träume, die einst so schön gewesen waren. Immer hatte +er die Wirtschaften, Schlösser und Fabriken zu verwalten, die doch nur +erst festgeplättet — in den Sparkassebücheln existierten.</p> + +<p>Da sagte Meister Sani zu sich: Das ist nichts, Meister Sani, das ist +nichts. So in die Gefangenschaft zu geraten! Das muß wieder anders +werden. Und befreite sich mit Jugendkraft. Er ging hin, nahm die Gelder +aus der Sparkasse<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> und — verschenkte sie. Wo er Mangel und Not sah, +da gab er hin, aber ungenannt. Er wollte nicht, daß die Leute wußten, +wie dumm reich er geworden war. Auf einem Spaziergange kam er zu einer +rauchenden Brandstätte. Er wühlte in der Asche, zog eine Blechkapsel +hervor und sagte zu den jammernden Abbrandlern: »Das wird euch gehören, +es war wohl im Hause und ist nicht mitverbrannt.« In der Blechkapsel +war so viel Geld, daß sie ihr Haus wieder aufbauen konnten. — Ein +anderesmal mischte er sich unter einen Trupp Zigeuner und verlangte von +einem braunen Mädchen, daß es ihm wahrsage.</p> + +<p>Sie las in seiner hohlen Hand und sprach: »Dem edlen Herrn steht viel +Geld bevor.«</p> + +<p>»Da ist es auch schon,« lachte er und ließ aus dem Rockärmel die darin +versteckte Rolle von Silberlingen hervorgleiten. »Da nimm! Du hast es +wahrgesagt, so gehört's auch dir.«</p> + +<p>Einer Schullehrers Familie steckte er nächtig als Nikolo Geld zum +Fenster hinein und lief nachher davon, als ob er etwas gestohlen hätte.</p> + +<p>Von einem Knaben verlangte er einen Krug Wasser; als der Junge es +vom Brunnen geholt und Meister Sani es getrunken, sagte er: »Ein +anderesmal, Junge, mußt du den Krug besser auswaschen; siehe, was er +für einen Bodensatz hat!« Da lag ein Dukaten drinnen.</p> + +<p>In der Zeitung stand, daß eine arme Frau auf dem Wege zum Markte ihr +ganzes Geld verloren hätte. Meister Sani »fand« es und ließ ihr den +gleichen Betrag schicken. Die Frau hatte mittlerweile aber selbst ihr +Geld wieder gefunden und wußte nicht, an wen jener irrtümliche Fund +zurückzuschicken sei. Noch heute brennt ihr das unrechtmäßige Geld auf +der Hand und ich soll nichts verraten.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span></p> + +<p>So wurde er sein Geld auf die bequemste Weise los. Endlich hatte er +noch hundert Gulden.</p> + +<p>Die gab er nicht weg, die behielt er. Und an diesen hatte er eine +Freude. Dann begann er neuerdings zu sparen und sammelte Gulden. Jetzt +im kleinen machte ihm das Sammeln wieder Vergnügen; in der geringen +Anzahl waren die Dinge so leicht zu übersehen, war so leicht Ordnung +mit ihnen zu halten. Das war alles wieder so einfach, wie zur Zeit, als +er seine Laufbahn begann und ungefähr so viel einnahm, als was er für +sich nötig hatte. Er freute sich wieder an jedem Guldenstücke, an jeder +kleinen Ziffer. Die Träume waren weg und die eingebildeten Sorgen, die +schier so wirklich sind als die wirklichen. Er hatte ein leichtes Herz +bekommen, ganz jugendlich war ihm zumute. Er gab sich mit frischer +Liebe wieder seiner Kunst hin. Sein Lebensbedarf war höchst einfach und +manchmal, wenn es ihm nach etwas gelüstete, dachte er: Nein, 's ist +nicht vonnöten, da mache ich mir lieber einen größeren Genuß und lege +das Geld zu dem anderen. Und in stiller Abendfeierstunde, da holte er +sein Sparkassenbüchel und freute sich des kleinen glatten Besitzes.</p> + +<p>Aber die Idylle sollte nicht immer so dauern. Seine Bilder trugen Geld; +selbst die, so er nicht verkaufte, brachten in den Ausstellungen, in +den Vervielfältigungen Geld ein. Er besaß schon wieder große Summen +und die Berechnungen wurden kompliziert. Die Villen und Schlösser, die +er sich wieder kaufen konnte, machten ihm zwar keine Sorgen, denn er +dachte sie nicht mehr, seine Phantasie hatte den Schwung verloren, er +war älter geworden. Träume wie einst hatte er auch nicht mehr, weil +er wenig schlief. Wachend dachte er an sein Vermögen, ob es wohl auch +gut angelegt sei, ob es nicht mehr Zinsen tragen könnte, als es bisher +getragen?<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> Ob es bei einer großen Krisis nicht verloren gehen könnte? +— Auch von seiten des Steueramtes war eine Gefahr nicht unmöglich. +Er hatte nämlich in letzterer Zeit gefunden, daß die Steuer horrend +ist, und hatte etwelches verschwiegen. Wenn man draufkäme! Die Angeber +bekommen von der unterschlagenen Steuer ein gutes Teil, da kann sich +leicht einer finden. Und die Strafe ist furchtbar. Das Fünfzigfache! — +Oder soll er sein Geld verstecken, daß kein Mensch was davon weiß? Dann +finden sie es am Ende auch nach seinem Tode nicht. Wie schade das wäre! +Aber wer soll denn erben? Nur auslachen wird man einen, der so ärmlich +gelebt und so viel Geld gehabt hat. Da könnte man am Ende gar noch +einen Nachruf als Geizhals bekommen. — Solcherlei Gedanken quälten ihn +die halben Nächte lang. Und einmal, als es schon gegen Morgen ging und +die Geldsorgen ihn immer noch nicht hatten schlafen lassen, sprang er +zornig auf, stürzte zum Schrank, riß die Sparkassebücheln hervor und +wollte sie in die noch glosende Ofenglut schleudern. Aber die Bücheln +wollten nicht aus seiner Hand. Als ob die Finger einen Krampf hätten, +so hielten sie fest und in diesem Augenblicke fiel es ihm ein: So viel +man in den Blättern liest, wird jetzt gesammelt zur Errichtung einer +Heilstätte für brustkranke Frauen. Dorthin mit diesem Ludersgeld.</p> + +<p>Doch am nächsten Morgen bettete er die Urkunden seines Vermögens wieder +sorglich in den Wäschekasten. Waren sie ihm doch liebe Hausfreunde +geworden — die einzigen, die er hatte. Geselligkeit und Freude +an seinem Künstlerruhm waren ihm völlig abhanden gekommen, seit +er sein Geld gar so lieb gewonnen hatte. Aber — war es denn sein +<em class="gesperrt">Geld</em>, das da im Kasten lag? Das waren nichtige Scheine. Nach der +<em class="gesperrt">Persönlichkeit</em> des Geldes begann er sich zu sehnen.<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> Er wollte +es bei sich in seiner Wohnung haben, selbst um den Preis der Zinsen. +Nur dem baren Gelde in der Nähe sein! Der Schrank nah' dem Bette, dann +wollte er Ruh' haben. Monatelang mußte er warten, bis die Sparkassen +ihm seine großen Guthaben zurückgeben konnten. Dann aber schloß er sich +oft stundenlang in sein Schlafzimmer ein, betrachtete die Goldmünzen, +die Reichsnoten, die Banknoten und zählte und ordnete sie und legte sie +zärtlich wie liebe kleine Kindlein in die Wiegen der Kistchen. Und war +der Schrank wohlverschlossen, so setzte er sich zu seinem Kassenbuche +und rechnete und rechnete, bis er wieder den Schrank aufschloß, das +Geld herausnahm und prüfte, ob wohl noch alles stimme. Die Tür zur +Wohnung im vierten Stocke hatte er mit Eisenblech beschlagen und mit +Wertheimschlössern versehen lassen. Aber trotzdem wagte er die Wohnung +kaum zu verlassen und in den Nächten fürchtete er sich vor den Räubern +und Mördern. Er magerte ab, er fühlte sich krank und in seinem Atelier, +das zwei Häuser weit von der Wohnung entfernt war, saß er selten und +überhaupt nicht mehr, um schöne Bilder zu malen, sondern um Geld zu +verdienen. Er verzichtete auch auf neue Kleider, weil die alten noch +gut waren; er begnügte sich mit der einfachsten Kost, weil sie am +gesündesten sei. Sein Gemeinsinn war pädagogisch geworden, er gab +kein Almosen mehr, weil das die Bettelei züchte, er verleugnete dem +Steueramt sein Einkommen, weil jeder ein dummer Kerl sei, der das nicht +tut. Er sperrte sich gegen fällige Posten, die von ihm zu zahlen waren, +weil es nobel ist, warten zu lassen. Und überhaupt, was nützt das liebe +Geld, wenn man es wieder ausgeben soll!</p> + +<p>Manchmal aber brach in ihm die Wut los gegen das Ungeheuer, das ihn zum +elendesten Sklaven gemacht hatte. In solcher Verzweiflung nahm er sich +vor, alles wieder zu<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> verschenken; aber das Beest hatte sich so fest an +seine Natur geklammert, mit widerhakigen Zähnen in sein Herz gebissen, +daß er nicht einen Gulden losbrachte. Er konnte sich von dieser Qual +nicht mehr befreien. Er ahnte, daß er daran zugrunde gehen würde, und +doch saß er wieder bei seinen Kistchen und zählte und ordnete.</p> + +<p>Eines Tages ging er auf den Gemüsemarkt, um einzukaufen. Denn er +hatte sich entschlossen, die häuslichen Angelegenheiten persönlich +zu besorgen. Man kann sich auf fremde Leute ja nie verlassen. +Erstens kaufen sie viel zu teuer ein, zweitens betrügen sie noch +obendrein, drittens fordern sie alles mögliche und viertens hat man +überhaupt nicht gern unverläßliche Leute im Hause. Er hatte seinen +Handkorb schon ziemlich gefüllt, denn er pflegte gleich für die ganze +Woche einzukaufen, und feilschte eben noch um zwei Kilo Erdäpfel, +als mit ihren schmetternden Signalen einige Wägen der Feuerwehr +vorbeirasselten. Erst fragte Meister Sani erschrocken, wo es denn wohl +brennen könne? niemand wußte es. Die Stadt ist groß. So ging er ruhig +nach Hause. Je näher er kam, je erregter war heute das Straßenleben, +und als er um die letzte Ecke bog, sah er, wie aus den Fenstern seiner +Wohnung Qualm und Flammen wirbelten und darüber gerade der Dachstuhl +zusammenstürzte.</p> + +<p>»Ist die Einrichtung gerettet?« schrie er dem Feuerwehrhauptmanne zu.</p> + +<p>»I was! Wie soll denn da gerettet sein, wenn alles steinfest versperrt +ist. Aber die Nachbarswohnungen intakt.«</p> + +<p>»Danke schön!« antwortete Meister Sani. Ganz ruhig, fast mit Behagen +sagte er es.</p> + +<p>Nun war er wieder frei.</p> + +<p>Er schaute den Flammen zu, die über seiner dachlos gewordenen Wohnung +aufstiegen. Glühende Sterne und<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> Vöglein flogen empor — Funken und +losgelöste Fetzchen. Flog da nicht sein Geld gegen Himmel? ... Es war +ordentlich fein zum Ansehen, er hatte seine Freude daran, wie dieses +höllische Geld so schön und fromm geworden war.</p> + +<p>Als endlich das Feuer gedämpft war und Meister Sani gesehen hatte, daß +alles reinlich vertilgt worden, ging er in sein Atelier. Im Korbe hatte +er Schwarzbrot und einige Äpfel, davon aß er. Dann legte er sich auf +die hölzerne Bank und schlief — wie von einer schweren Last befreit — +ununterbrochen neun Stunden lang und gut, wie ein leichtsinniger König.</p> + +<p>Nachdem das Geld so mit Gotteshilfe überwunden war, erwachte in dem +Künstler wieder der göttliche Leichtsinn, der von Anfang an in seiner +Natur gelegen. Gerade die herrlich auflodernden Flammen hatten seinen +Schönheitssinn wieder erweckt und das Farbenleuchten übertrug er +auf seine Bilder. Diese stiegen noch einmal im Werte und begannen +neuerdings Geld ins Haus zu bringen. Aber er ging nicht mehr darauf +ein. Zweimal war's ihm gelungen — ein drittesmal könnte es schief +gehen. Meister Sani gibt alles aus, was er einnimmt, und erst in seinen +alten Tagen, wenn sie überhaupt kommen, will er, seiner alten Passion +fröhnend, wieder anfangen zu sammeln — auf öffentlichem Platze mit +gezogenem Hute — kleine Münzen.</p> + +<p>Ob es seine Verehrer zu einer <em class="gesperrt">solchen</em> Münzensammlerei kommen +lassen werden, weiß man noch nicht. Wahrscheinlich.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_falsche_Himmeltraeger">Der falsche Himmelträger.</h2> +</div> + + +<p>Zehn Sekunden lang hatte ich — um im Volke Ärgernis zu vermeiden +— mich mit vorgeneigtem Körper auf ein Knie gestützt. Als das +Sanktissimum vorüber war, richtete ich mich rasch auf und sagte zum +Professor, der hinter mir stand: »Na, kurios, wie man das Knien +verlernen kann! Noch zehn Sekunden lang und ich wäre ohnmächtig +geworden auf diesem Sandkorn, das sich so bereitwillig unters Knie +geschoben hat, um mir die Sünden abbüßen zu helfen. Und einst hielt +ich so was stundenlang aus, mit Leichtigkeit. Du weißt ja, die untere +Volksschichte steht sich besser beim Knien als beim Stehen. Merkwürdig +genug, daß gerade kleine Leute sich so sehr bücken müssen, um +durchzukommen.«</p> + +<p>»Ja, lieber Freund,« antwortete der Professor, »davon wüßte ich auch +ein erbauliches Kapitel zu erzählen. Vom Bücken und Knien. Wenn +dem Künstler nicht ohnehin alles erlaubt wäre und er beliebig alle +möglichen Sünden haben könnte, damals hätte ich sie alle bezahlt. Ja, +der liebe Herrgott hätte mir noch was herausgeben müssen.«</p> + +<p>Wir gingen am Fußsteige dem Bache entlang spazieren und er erzählte das +Erlebnis.</p> + +<p>Du weißt, daß ich für das Frauenkloster die Altarstatue geschaffen +habe. Vor Jahren schon. Seither war mein Künstlerherz oft in jener +Klosterkirche bei den reichen Kunstschätzen, bei dem glanzvollen +Kultus und bei den anmutigen Gestalten der Schwestern und Novizinnen. +Die bekam man aber selten zu sehen, da dem profanen Erdenpilger die +heiligen Mysterien eines Frauenklosters möglichst verborgen bleiben +müssen. Nun kam aber der hohe Gedächtnistag der<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> Gründung dieses +Klosters und der sollte durch ein großes Kirchenfest begangen werden. +Aller Glanz sollte aufgeboten werden, alle Schwestern, Jungfrauen in +ihrer Zier sollten im weißen Festgewande unverschleiert den Einzug +halten und in vielen Reihen sich um den Hochaltar gruppieren. Du kannst +dir denken, daß ich diesen Aufzug sehen wollte. So habe ich mich bei +der Oberin angemeldet und ersucht, dem Feste mit beiwohnen zu dürfen.</p> + +<p>»Ja, mein geschätzter Herr,« sagte die Matrone, »das wird wohl nicht +gehen, da nach unseren Regeln kein fremdes männliches Wesen an unseren +Gottesdiensten teilnehmen darf.«</p> + +<p>»Aber ehrwürdige Mutter,« sagte ich, »ich bin ja kein fremdes +männliches Wesen. Ich bin der Künstler, der von Ihrer Gottseligkeit +gewürdigt worden war, die Altarstatue zu verfertigen. Und sollte nicht +die Gnade haben können, bei der hohen Feier, die diesen erhabenen +Gegenstand betrifft, dabei sein zu dürfen?«</p> + +<p>»Aber mein Gott, Herr Professor, wenn Sie so reden! Was machen wir denn +da? Sie sehen doch ein, daß ich eine unserer wichtigsten Ordensregeln +unmöglich übertreten kann.«</p> + +<p>»Haben Euer Ehrwürden in Ihrer sonst so vollkommenen Anstalt kein +Hintertürchen, das zufällig offen bleibt und durch das ein frommes +Christenherz sich ungesehen hineinschleichen könnte?« So sagte ich halb +scherzend, denn die Oberin — das war mir schon von früher her bekannt +— versteht auch Spaß. Sie lächelte denn auch zu meinem Vorschlage, +drohte aber mit dem Finger; vor einem, der so redet, müsse man sich +erst recht in acht nehmen. Indes falle ihr ein Ausweg ein, der ihr +ermögliche, den Eintritt zum Festgottesdienst zu gestatten.</p> + +<p>»Und der ist?«</p> + +<p>»Sie müssen dafür etwas leisten.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p> + +<p>»Herzlich gern. Wie viel denn?«</p> + +<p>»Nein, in Geld nicht,« rief sie fast fröhlich. »Aber an der Feier +mitwirken, wenn Sie das wollten. Können Sie an der Orgel den Blasebalg +treten?«</p> + +<p>»Das Blasebalgtreten, ehrwürdige Mutter, wäre keine Kunst, wenn der +Blasebalg nicht gerade im Winkel hinter der Orgel wäre, wo man nichts +sieht.«</p> + +<p>»Ach ja,« sagte die Äbtissin, »das ist wahr, da sehen Sie nichts.«</p> + +<p>»Natürlich,« glaubte ich sogleich beisetzen zu müssen, »geht es mir +nicht bloß ums Sehen. Wohl auch der Erbauung wegen —.«</p> + +<p>»Na na,« unterbrach sie mich, »das wissen wir uns schon zu reimen. +Die Künstler sind ja alle mehr oder weniger Heiden. Nun — fällt mir +was ein. Wollen Sie Himmel tragen? Da wären Sie mitten im Einzug und +könnten alles gut sehen.«</p> + +<p>»Himmel tragen? Das wäre schön, Euer Ehrwürden,« stotterte ich, +»allein, da werden gewiß andere sein, Bestimmte, Würdigere.«</p> + +<p>»Es sind ihrer vier. Aber einer ist krank. Eine Stange ist +augenblicklich vakant. Dann hätte es weiter kein Bedenken.«</p> + +<p>»Meinen ehrerbietigen Dank, aber ich muß mir's doch erst überlegen, ob +— ob ich zu diesem ehrenden Amte nicht etwas zu ungeschickt bin.«</p> + +<p>»So überlegen Sie sich's. Und lassen mir's bis morgen sagen. Der Herr +mit Ihnen.«</p> + +<p>So die Unterredung mit der Oberin. Dann überlegte ich. Eine Stange +des viereckigen Baldachins tragen, unter dem ein wohlgenährter Prälat +einherschreitet. Ob sich das mit dem akademischen Künstler und dem +kaiser-königlichen Professor wohl verträgt? Aber das glänzende +Gepränge.<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> Meiner Hände Bildwerk in einem Meere von Lichtern und Rosen. +Und dann die weißen Jungfrauen. Besonders die eine mit dem länglichen +Angesichte, die großen blauen Augen drin und die Wangengrübchen ...</p> + +<p>Am nächsten Morgen, als ich auf dem Bette saß, während meine Frau mir +einen entsprungenen Knopf an die Weste heftete, begann ich über die +Sache mit ihr zu sprechen. Sie blickte mich befremdet an und sagte +endlich: »Mann, das soll wohl nur ein Witz sein? Mit drei Banausen +Himmel tragen — du!«</p> + +<p>»Das einzige Mittel, um diesen interessanten Aufzug mit ansehen zu +können.«</p> + +<p>Sie lachte laut, sehr laut und grell — fast widerwärtig.</p> + +<p>»So ein Künstler hat seine Sachen,« sagte ich. »Man bedarf Anregung.«</p> + +<p>»Die du zu Hause natürlich entbehren mußt!«</p> + +<p>»Und gerade will ich diesen Aufzug sehen.«</p> + +<p>»So tu's eben.«</p> + +<p>»Ist verboten, wie gesagt. Ist nur erlaubt, wenn ich etwas zu der +Begehung leiste. Wir haben beraten, die Oberin und ich; es gibt kein +anderes Mittel, als daß ich eine Stange des Baldachins übernehme.«</p> + +<p>»Im roten Radmantel natürlich!« lachte sie.</p> + +<p>»Was es da nur so dreist zu lachen gibt. Von einem roten Mantel ist +ja keine Rede. Ob man nur so an einem Einzuge teilnimmt oder ob man +<em class="antiqua">pro forma</em> eine rote Stange in der Hand hat. Sind stets nur die +würdigsten Männer dazu ausersehen.«</p> + +<p>»Und das Gerede der Leute, daß Professor Hertner bei den +Marienschwestern Himmelträger geworden ist?«</p> + +<p>»Aber es erfährt's ja kein Mensch. In so einem Kloster, das ist ja eine +geschlossene Gesellschaft.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span></p> + +<p>»Ich sage dir, in allen Witzblättern bist du nächstens mit deiner +Himmelstange. Nein, so was könnte einem doch im Traum nicht einfallen! +Herr Jesses, wenn der Zaruzel draufkäme!«</p> + +<p>Sie legte die Weste hin und ging etwas lebhaft ins Nebenzimmer. Ich +mußte sehr den Kopf schütteln. Wie die Frauen gleich alles auf die +Spitze treiben! Wo sie doch sonst so viel Verständnis für meine +künstlerischen Interessen hat! — Der Zaruzel, meinte sie, dieser +Karikaturenschmierer! In die Witzblätter! Na, das wäre so was! +— Aber all diese Vorstellungen und Bedenken verblaßten vor den +weißen Jungfrauen, die ich just einmal sehen wollte. Der Oberin wurde +angezeigt, daß ich mich zum Feste rechtzeitig einfinden würde.</p> + +<p>Meiner Frau sagte ich nichts mehr davon und auf ihre Frage, weshalb +ich mich so feierlich schwarz ankleide, schützte ich dreist eine +Aufwartung beim Statthalter vor. Du kannst dir denken, daß ich an +diesem Tage nicht auf geraden Wegen dem Kloster zuging, sondern durch +die Gassen und Gäßchen hinterwärts, wo man durch ein Pförtlein in den +Klostergarten gelangen kann. Das Pförtlein war natürlich versperrt. Auf +mein Läuten erschien der alte Gärtner, der mich auf meine Versicherung, +ein Himmelträger zu sein, mit einiger Säumnis passieren ließ. Im +großen Klosterhof wurde der Festzug zusammengestellt. Meine drei +Berufsgenossen waren alte Männer mit Glatzen und grauen Bärten, die +sich über den fremden vierten, der statt des erkrankten Schusters da +war, ein wenig zu wundern schienen. Wir bekamen scharlachrote Mäntel; +eiskalt ging es mir durchs Gebein, als ich den meinen über die Achsel +legte. Doch für alle Fälle war das eine willkommene Vermummung. Wir +holten aus der Kirche den rotseidenen, goldbefransten Baldachin<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> mit +den vier Tragstangen. Der Hof füllte sich mit ornadierten Priestern, +dunkelgekleideten Nonnen und den weißen Jungfrauen. Nachdem der +Patriarch in golddurchwirktem Meßkleide unter dem Himmel stand, bewegte +sich der Zug um die Kirche und zum Hauptportal hinein. Ich sage dir, +es war eine Pracht! Dieses Lichtgespiel, diese bunte Gestaltenreihe. +Die weißen Jungfrauen, eine lange Reihe, waren geschmückt mit roten und +blauen Schleifen; ihre Locken schwarz und gold und bis zum lichtesten +flachs, wallten über den Nacken; ihre Augen, ganz entweltlicht, +möchte ich sagen, schauten groß und unschuldig gleichsam in die +himmlischen Räume auf; andere senkten die Lider oder schlossen sie +ganz. In den Händen trugen sie brennende Kerzen. Und dieses Singen, +Freund! Man hört manchmal das Wort Engelsgesang und denkt sich nichts +dabei. Ganz himmlische Stimmen sind es gewesen, auf Erden gibt es +keine solchen. Die rote Stange in meiner Hand und der rote Mantel +über mir waren rein vergessen über dieses wunderschöne Bild, über +diesen bezaubernden Gesang. Nun in der Kirche angelangt, stellten die +Jungfrauen sich am Altare auf in Reihen, die rückwärtigen höher als +die vorderen, so daß es ein wunderbares Mosaik aus Engelsgesichtern +ward — ein unbeschreiblicher Liebreiz. Der Himmel, umdrängt von +andächtigen Frauen, hatte mitten in der Kirche angehalten, der +Prälat stieg zwischen den Jungfrauen zum Altar hinauf. Es begann das +Hochamt. Die Priester knieten nieder, die Nonnen knieten nieder, die +Jungfrauen knieten nieder. Alles kniete in großer Demut nieder auf +beide Knie. Auch meine drei Himmelträgergenossen. Und auch ich. Aber +die Minute, die der erste Segen dauerte, war schmerzlich lang, denn +die feinen Sandkörnchen des Steinbodens bissen durch das Beinkleid +in das verweichlichte Knie, das seit meiner Knabenzeit<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> nicht mehr +geübt worden war. O Freund! Ich ahnte nicht, daß es erst der Anfang +einer qualvollen Stunde sein sollte. Unmittelbar nach dem Segen wollte +ich mich aufrichten, aber — alles blieb knien. Auch meine Banausen +knieten so fest, als ob sie in den Steinboden hineingewachsen wären. +Ich allein aufstehen und stehen bleiben neben der Stange? Unmöglich. +Abgesehen von dem unsühnbaren Ärgernisse, das damit gegeben worden +wäre, hätte ich mich unberufenen Blicken ausgesetzt — der akademische +Bildhauer Professor Hertner als Himmelträger hätte alles überragt. +Ich blieb knien, aber frage nicht wie und in welchem Jammer. Es war +eine wahre Folter. Ein weniges geschah mir wohler, daß ich mich fest +an die Stange klammern konnte, erst mit der einen Hand, dann mit +beiden Händen. Aber diese Stütze wurde bald belanglos und die Last des +Körpers lag auf den armen Knien, die auf dem unbarmherzigen Stein laut +geächzt hätten, wenn Knie ächzen könnten. Ich konnte es, durfte es +aber nicht. Mußte in schweigender Frommheit bewegungslos daknien. Die +anderen, so weit ich sie beobachten konnte, knieten ganz behaglich, +dem regen Mundgebete, den weidenden Augen sah man an, daß sie alles +eher als an ihre Knie dachten. Keiner ahnte den Büßer in ihrer Mitte, +der seinen Vorwitz so blutig sühnen mußte. Ich hatte es ja versucht, +mich in die Schönheit des Bildes zu versenken, das gerade vor mir so +lieblich und licht entfaltet war, dem Gesang zu lauschen, dessen Klang +in die Hallen aufstieg, aber ich empfand nichts, als den Schmerz an den +Knien. Das Ovalgesicht suchte ich, das mit den runden Blauaugen und den +Wangengrübchen; dort hinten, zwischen zwei brünetten Lärvchen guckte es +hervor, schier himmlisch verzückt und ein bißchen schalkisch. Allerlei +liebliche Gedanken und Vorstellungen wollte ich anspinnen an dieses<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> +Engelsbild, aber es gelang nichts — mein Knie, mein Knie! Da gedachte +ich der Warnung meiner Frau, doch es war zu spät. Ich fühlte mich als +Verdammter unter den Seligen. In meinem Leben nie hatte ich mich so +heiß dem Evangelium entgegengesehnt als in dieser Stunde. Du weißt es, +beim Evangelium steht man auf. Es kam endlich, alles erhob sich, ich +mich fast zu früh, und atmete auf. Eine kleine Hoffnung leuchtete, als +würde man von nun ab stehen dürfen, doch als das Evangelium vorüber +war, kniete alles wieder nieder. In Gottesnamen, fest an die Stange +geklammert, kauerte ich da und war entschlossen, knien zu bleiben, bis +sie mich ohnmächtig hinaustragen würden. Aber so weit kam es nicht. Als +die Not wieder sehr groß geworden war, entdeckte ich eine Kunst, die, +auf den Waden zu sitzen. Was die anderen darüber dächten, das kümmerte +mich nicht mehr, in dieser Selbsterniedrigung sahen mich ja auch nur +die nächsten der dichtgedrängten Nachbarn und sie waren mitleidig. Die +Knie waren sanft entlastet, ich saß auf meinen Beinen. Jetzt dachte +ich wieder an das Gesicht mit den Wangengrübchen, aber ich konnte über +die Köpfe nicht mehr hinwegsehen, der breite Buckel meines Vormannes +begrenzte meinen Horizont. Doch nun war leicht standzuhalten und als +es endlich vorüber, kräbelte ich mich mit Hilfe der Himmelstange +krampfhaft und schier ungern empor.</p> + +<p>Gesehen hatte ich's also. Dann den Mantel los, das Beinkleid an den +Knien mit dem Taschentuch entstaubt, durch das Gartenpförtchen wieder +hinaus und mit der unschuldigsten Miene die Gasse entlang. Rief mich +eine bekannte Stimme an: »Professorlein, he! Ich dachte, wer einmal im +Himmel gewesen, der käme nicht wieder zurück.«</p> + +<p>Und war's der kleine Zaruzel, der berüchtigte Karikaturenzeichner für +Witzblätter.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p> + +<p>»Woher des Weges?« fragte ich mit kühn gespielter Harmlosigkeit.</p> + +<p>»Von der Kirche der Marienschwestern, wo es heute so schön gewesen +ist!« antwortete er mit widerlicher Süßlichkeit. »Du kennst ja den +gelbhaarigen Teufelszwerg.«</p> + +<p>»Von der Klosterkirche?« tat ich überrascht, »aber da darf ja kein +Mannsbild hinein.«</p> + +<p>»Doch, doch,« antwortete er. »Entweder es geht hinten durch das +Gartenpförtchen oder es geht durch ein Dachfenster der Sakristei. +Ersteren Weg pflegen die Bildhauer zu wählen; der letztere, +beschwerlichere, bleibt für arme Witzblattzeichner übrig. Ich sage +dir, Freund, köstlich warst du im roten Mantel an der Himmelsstange, +unbezahlbar. An fünf Witzblätter verschicke ich.«</p> + +<p>Hub ich an stark zu leugnen. Da sagte er ganz gütig: »Mühe dich nicht, +es hilft dir nichts,« und zog seinen photographischen Momentapparat aus +der Tasche.</p> + +<p>Der schneidigste Mut kommt allemal, wenn nichts mehr zu verlieren ist. +Ich blieb stehen und sagte leise: »Also Zahn um Zahn. Gut. An dem Tag, +als das Bild im Blatt steht, wirst du umgearbeitet. Ich bin Bildhauer +in Stein und Bein!« — — Das hat er verstanden. — Seitdem sind Jahre +vorüber, es hat niemand etwas erfahren. —</p> + +<p>So erzählte mir der Professor am Fußsteig entlang. Da wunderte ich mich +laut, daß er es selbst ausplaudere, was ein so tiefes Geheimnis hätte +bleiben sollen.</p> + +<p>»Jetzt ist alles verjährt,« entgegnete er. »Wenn's die Leute nun auch +erfahren, sie glauben es nicht. Und wenn sie es glauben, so macht's mir +nichts mehr. Übrigens geschah es doch nur aus Liebe zur Kunst und das +vorzeitige Eindringen unter den Himmel habe ich an Ort und Stelle ja +gründlich gebüßt.«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_unglueckliche_Kammerdiener">Der unglückliche Kammerdiener.</h2> +</div> + + +<p>»Glauben Sie ja nicht,« sagte die Königin zur Gesellschaft, die nach +dem Diner im Zerkle sich um sie versammelt hatte, »glauben Sie ja +nicht, meine Herrschaften, daß unsereins so mächtig sei und alles nach +Herzenswunsch schlichten könne. In vielen Fällen können wir das weit +weniger als andere Leute; oft nicht einmal das Selbstverständlichste. +Ach allzuoft war ich schon in heller Verzweiflung darüber, wie uns die +Hände gefesselt sind, und das Herz, und ich sage sogar, auch der Kopf. +Soll ich Ihnen eine Geschichte erzählen? Die Geschichte hat sich vor +etwa einem halben Jahre im Schloß zugetragen und ist sehr tragisch. +— Wollen die Damen und Herren nicht rauchen? Schön, ich will, wie es +Pflicht der Fürsten ist, mit gutem Beispiele vorangehen.«</p> + +<p>Bei dieser launigen Bemerkung nahm sie aus der Kupferschale eine +Zigarette und der Lakai hielt ihr das Flämmchen vor. Die Königin sog es +mit einem Atemzug in die »Ägypter spezial« und winkte dem Diener mit +einem gütigen Blick, daß er sich entfernen könne.</p> + +<p>Der General strich seinen langen weißen Schnurrbart und horchte +schmunzelnd der tragischen Geschichte entgegen, die im phantastischen +Lockenhaupt Ihrer Majestät sich wieder zugetragen haben mochte.</p> + +<p>»Die Herrschaften erwarten jetzt den Vortrag einer Romanze oder +dergleichen,« lächelte die Königin, weil sie zum schwarzen Kaffee +manchmal eine ihrer neuerstandenen Poesien zum besten zu geben pflegte. +»Diesmal werden Sie irren. Die unerhörtesten Geschichten macht nicht +der Dichter, macht<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> das Leben. Und Sie, mein General, dürften der +Tragödie wohl etwas weniger skeptisch entgegensehen, als es offenbar +der Fall ist. Vielleicht werden die kommenden Dinge sogar Ihr Herz +engagieren!«</p> + +<p>»Mein Herz wird nicht mehr engagiert,« lachte der alte Weißbart, »außer +Majestät geruhen zu gestatten, daß ich mir Kognak einschenke.«</p> + +<p>»Der König,« so begann die Königin zu erzählen, »hatte einen +Kammerdiener aufgenommen. Ein junger Magyar wars, ein hübscher +sympathischer Bursche mit braunen Augen und perlweißen Zähnen. Die +blaue Livree mit den weißen Seidenschnüren stand ganz prächtig zu +seinem frischen, glattrasierten Rundgesicht. Sehr bald wußte er sich +in seine Stellung zu finden, bei seiner ruhigen und flinken Art. Dabei +hatte er einen heimlichen Humor, der sich allerdings nur in den Mienen +ausdrückte, trotzdem aber nicht weniger sprechend war. Anfangs war er +zum Laufburschen aufgenommen worden, allein, nachdem unser alter Onkel +Tom gestorben, machte ihn der König zu seinem Kammerdiener. Obschon der +Bursche einige Jahre Soldat gewesen, hatte er von seiner Einfalt, die +er aus der Pußta mitgebracht, noch den Löwenanteil bei sich behalten. +Es war ein guter braver Junge, der sich selbst die Stiefel putzte, +weil er es für unbegreiflich hielt, daß der Kammerdiener wieder einen +Kammerdiener hätte. Wenn er dann im Vorzimmer nach dem Takte eines +Tschardas drauf losbürstete, oder wenn er schwermütige Pußtalieder +sang, da habe ich manchmal ein wenig an der Türe gehorcht. Das Liebchen +und die Mutter, diese zwei Frauen rangen in den Liedern um sein Herz +— es war ganz rührend. Der kleine Prinz stand oft bei ihm und hatte +seinen Spaß, wenn Lajosch sang und die Melodie manchmal lustig mit +ein paar hüpfenden Sprüngen mittanzte,<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> in der einen Hand die Bürste, +über die andere den Stiefel gestreift — es war furchtbar komisch. +Einmal machte er dem Prinzen den Vorschlag, ob sie nicht miteinander +Sprachstudien treiben wollten. Er möchte von dem Prinzen französisch +lernen und würde hingegen diesem das Ungarische beibringen. Der Prinz +ging darauf ein und ich glaube, er hat bei dieser philologischen +Gegenseitigkeit mehr profitiert als der andere. Doch glaubte der +Prinz eine Klage verstanden zu haben, die Lajosch in seiner Sprache +ausdrückte: Nichts sei ihm furchtbarer als die drei Tage in der +Woche! — Was sind das nur für drei Tage in der Woche? Wir verstanden +es nicht. Wenn durch den Schloßhof die bärtigen Husaren in ihrer +schmucken Uniform ritten, und hinaus ins Weite, da konnte Lajosch +ganz melancholisch werden. Da vergaß er sein Singen und Tanzen, ging +schwermütig umher und versah mürrisch seinen Dienst. Oft, wenn der +König vorüberging, blickte er ihm verstohlen nach und einmal will die +Kammerfrau ihn murmeln gehört haben: Wie beneide ich ihn! Werde ich's +auch einmal erreichen? Da soll ihr schrecklich unheimlich geworden +sein. Mit der übrigen Dienerschaft hat er gar nicht verkehren wollen. +Diese nackten Rundscheiben! Diese Vollmondgesichter! So soll er bei +sich geknirscht haben, und es hätte ihn der Ekel geschüttelt. Dann +hat er die braune Gesichtsfarbe verloren und das Feuer in den Augen +und ist abgemagert und ist immer trauriger geworden. Da fragte ich +ihn eines Tages: Lajosch, hast du noch eine Mutter? Er antwortete auf +ungarisch. Hast du Heimweh? Was ist dir, Lajosch? Er brummte etwas und +wendete sich ab. Gerne hätte ich ihm noch wegen einer unglücklichen +Liebe auf den Zahn gefühlt, denn nach meiner Überzeugung konnte es +nur die Liebe sein. Mein Gott, vielleicht wäre dem Braven zu helfen. +Warum sollte<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> er sein Magyarenmädchen nicht an den Hof bringen? Es ist +gewiß sehr hübsch. Ich liebe Naturkinder und brauche ein Kammermädchen. +Aber es war nichts herauszukriegen vom armen Lajosch. Wieder einmal +hörte man eine Klage über die drei Tage in der Woche. Dann versank +er ganz in eine stumme Schwermut. Der König sagte, er würde den +Lajosch weggeben müssen, der Arme müsse krank sein. Dem Arzt, der ihn +konsultieren wollte, rief er ein ungarisches Fluchwort zu. Dann ging +er auf sein Zimmer und zertrümmerte den Toilettespiegel. Nun dachten +wir allen Ernstes an eine Geisteskrankheit. Der arme junge Mensch! Es +war furchtbar traurig. Dabei war eine so weiche, ich möchte sagen, um +Hilfe flehende Melancholie in ihm, daß uns allen betrübt zu Mute ward +und wir uns entschlossen, doch noch eine Weile mit dem Burschen Geduld +zu haben und recht gütig mit ihm zu sein. Wäre es irgend ein Anliegen +gewesen, gewiß — hatten wir gedacht — ließe es sich erfüllen. Aber +eine solche Krankheit — das ist schrecklich. Auch weinen soll man ihn +einmal gesehen haben, und bei sich jammern, daß es ein Unglück sei, +wenn er einen solchen Posten verlassen müsse. Aber es sei gräßlich, +es sei zu gräßlich, das zu ertragen! Die Kammerfrau glaubte nicht an +Krankheit. Sie meinte, da sei ein Geheimnis dahinter. Mein Himmel, ein +dunkles, wenn nicht gar blutiges Geheimnis! Ich habe ihn gar nicht mehr +sehen können, ohne daß mich Grauen anwandelte. Die Entlassung wird +notwendig werden. Doch habe ich mir vorgenommen, ihn erst noch einmal +ernstlich zur Rede zu stellen. Da findet sich eines Tages unter den +eingelaufenen Bittschriften auch ein Gesuch von unserem Kammerdiener +Lajosch. — Ich merke, die Herrschaften werden aufmerksam,« unterbrach +sich die Königin. »Sehen Sie, das war ganz mein Fall. Neugierde<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> kann +man es nicht mehr nennen. Ein Taumel höchster Spannung, unter dem ich +die unbehilfliche Schrift entzifferte, die schlechte Behandlung der +Landessprache nicht achtete, um das Geheimnis endlich zu enthüllen. — +Ich könnte die Herren nun raten lassen. Doch abgesehen davon, daß Sie +es kaum erraten würden, ist es nicht danach. Ich habe ja gesagt, daß es +eine tragische Geschichte ist, vielleicht eine tragisch komische — ich +finde es geradezu packend und das Herz seiner Exzellenz wird am Ende +doch noch engagiert —«</p> + +<p>Denn der General lehnte nachlässig und ziemlich teilnahmslos in seinem +Fauteuil und drehte seine Schnurrbartspitze.</p> + +<p>»Wir brennen, Majestät!« sagte der Graf.</p> + +<p>»Meine Herren, nur Geduld! Es wird episch erzählt,« entgegnete die +Königin. »Man sollte das Schriftstück ja eigentlich vorlesen. Aber +es ist besser, ich ziehe bloß den Inhalt heraus. Es ist zu rührend. +Lajosch dankt für die Auszeichnung, ins Schloß aufgenommen worden zu +sein. Er sagt, so gut wie jetzt ihm, sei es in seinem Heimatskomitat +noch keinem Menschen ergangen, seit die Welt steht. Nur ein Anliegen +trage er, es sei vielleicht dumm, aber er könne sonst nicht leben. Beim +Militär sei er es so arg gewohnt worden und bei ihm zu Hause sei ein +Mannsbild gar nicht anders denkbar. Gut und Blut wolle er mit Freuden +opfern für den König, nur um die eine Gnade bitte er; wenn er schon +bei Hof bleiben dürfe, so bitte er um einen Schnurrbart. Daß er nicht +wöchentlich dreimal unter das schreckliche Messer kommen müsse, daß er +einen Schnurrbart tragen dürfe, das sei sein untertäniges Bitten.«</p> + +<p>»Einen Schnurrbart?!« Die Gesellschaft brach in ein unbändiges +Gelächter aus.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p> + +<p>Die Königin machte eine Gebärde des Mißmutes: »Ich wußte ja, daß Sie +lachen würden. Mir war nun aber gar nicht ums Lachen. Der arme Bursche +bittet ja um gar nichts anderes, als um seine Persönlichkeit, um das +Selbstbestimmungsrecht über sich selbst. Kann man in unserer Zeit +der Freiheit und der Menschenrechte um weniger bitten? Kann man um +etwas Selbstverständlicheres bitten, als um sich selber? Um seinen +Schnurrbart bittet er, der aus seiner eigenen Haut hervorwächst — und +siehe, <em class="gesperrt">ich kann ihm den Schnurrbart nicht bewilligen</em>. Ich bin +Königin und habe nicht einmal die Macht, zu sagen: Ja, mein Junge, +deinen Schnurrbart sollst du haben. Ist das nicht tragisch? Ist es +nicht lächerlich tragisch? Wir regieren die Völker, und den Sitten +unseres Hauses gegenüber sind wir ohnmächtig. Hofetikette! Die Diener +haben stets in vorgeschriebener Livree und glatt rasiert zu erscheinen +— punktum. Welche Palastrevolution, wenn der König entschieden hätte: +Lajosch, dir ist gestattet, den Schnurrbart zu tragen! Nach einem +Monat prangten alle Diener in Schnurr-, Backen-, Spitz- und weiß der +Himmel was für Bärten. Was bliebe dem König übrig, als sich den Bart — +rasieren zu lassen! Es ist ja ein Unding und man kann's nicht ändern, +man kann nicht. Wahrlich, diese Bartgeschichte des armen Lajosch hat +mich sehr demütig gemacht. Wir, die sogenannten Mächtigen, in welchen +Fesseln wir liegen! Spinnengewebe und doch unzerreißbar, so lange wir +der Vorurteile nicht Herr werden können.«</p> + +<p>»Wenn ich mir eine Bemerkung gestatten dürfte,« sagte mit einer +Verneigung der Professor.</p> + +<p>»Die kann ich nicht zulassen!« rief halb ernsthaft, halb humoristisch +erregt die Königin. »Um höfische Torheiten zu schützen, muß ich die +Zensur verhängen. Denn ich weiß,<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> was sie sagen wollen, Professor. Sie +wollen sagen, der König habe gottlob doch noch andere Eigenschaften, um +sich von den Lakaien zu unterscheiden, so daß er für sich wie für jeden +andern die Bartfreiheit unbedenklich gestatten könnte. Dem Könige eines +freien Staates gezieme es, von freien Männern umgeben zu sein, selbst +in seinem eigenen Hause, so daß das Volk sehe: im persönlichen Dienste +des Königs zu stehen sei Rittersart, aber nicht Lakaienart. Das wollten +Sie sagen!«</p> + +<p>»Ei doch nein, Majestät, so weit hätte ich mich nicht erdreistet —«</p> + +<p>»Ich bitte Sie, Professor, Sie sind zufällig glücklicher Besitzer Ihres +Schnurrbartes — behalten Sie ihn oben und gestehen Sie offen Ihre +Meinung.«</p> + +<p>»Nun allerdings, wenn auch nicht ganz so geradeweg, ungefähr allerdings +hatte ich mir so gedacht. Mir fällt nur noch ein, daß man — anstatt +den Schnurrbart bis auf das »Es ist erreicht« aufzustrammen — auch +sagen könnte: Wenn einer, so sollte der König bartlos gehen, weil er +der erste — Diener des Staates ist.«</p> + +<p>»Das nenne ich Schnurrbart!« lachte die Königin.</p> + +<p>Die Königin-Mutter hatte diesem Gespräche anfangs mit freundlichem +Kopfnicken, nun aber mit einiger Unbehaglichkeit zugehört. Sie war auf +Besuch im Schlosse und der freie Ton, der hier herrschte, war ihr neu +und befremdlich. Sie warf nun die ablenkende Frage ein, ob der arme +Lajosch sich getröstet habe.</p> + +<p>»Nein, teuere Mama,« antwortete die Königin, »der hat sich nicht +getröstet. Wir haben uns trösten müssen. Als er merkte, daß sein +Bittgesuch unberücksichtigt bleibe, hat er kurz und höflich den Dienst +gekündigt. Noch nie habe ich<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> einen Diener so ungern ziehen sehen als +diesen, der seine Existenz dem Schnurrbart opferte.«</p> + +<p>»Dem Manne kann geholfen werden,« sagte nun der General. »Ich +rekrutiere ihn neuerdings zum Heere. Dort muß der Mann — sozusagen +— zwar auch manchmal Haare lassen, doch der Schnurrbart bleibt ihm +stehen.«</p> + +<p>»Ich wußte es ja, General, daß Ihr Herz engagiert wird. Und Sie werden +ihn doch gleich wenigstens beim Hauptmann anfangen lassen?«</p> + +<p>»Das allerdings, Majestät, dürfte sich schwer machen lassen. Es rückt +alles nach der Rangordnung.«</p> + +<p>»Auch im Fall, daß einmal Verdienst und Tüchtigkeit —?«</p> + +<p>»Alles stets nach der Rangordnung, Majestät.« —</p> + +<p>Als der Zerkle aufgehoben war, die Gäste vor der Königin ihre +gebührende Reverenz gemacht hatten und davongegangen waren, trällerte +der Professor, auf der Straße dahinschlendernd: »Trallala, trallala! +Rangordnung! Stehen die Haare vorne, so heißen sie Schnurrbart, stehen +sie hinten, so heißen sie Zopf — trallala, trallala!«</p> + +<p>Daß nun der General die Allerhöchste Protektion unberücksichtigt ließ, +das hielt er für Schnurrbart, war in diesem Falle aber — Zopf.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Die_Einsiedler">Die Einsiedler.</h2> +</div> + + +<p>Vom alten Hofe des Plattenbauer auf der Hohe steigt ein junges +Frauenzimmer talwärts gegen die Grazerstadt. 's ist ihr schon seit +etlichen Jahren vorgegangen, sie müßt' ins Kloster gehen. 's ist +nichts, weltlicher Weise, 's freut sie nichts mehr, so lustig sie +früher einmal ist gewesen. Bauernweis' ist allerweil arbeiten, aber +der Mensch kann nicht genug beten. Immer ist ihr auch nicht so zu Mut +gewesen. Aber — die lieben Leut' laufen davon oder sterben ab.</p> + +<p>Abgestorben ist ihr Vater vor zwölf Wochen und jetzt hat sich's +herausgestellt, daß sie ihrem Wunsch kann nachgehen. Zweihundert +Gulden und noch was dazu hat sie Erbschaft. Jetzt hindert sie nichts +mehr daran, sie kann in's Kloster gehen. Aber wie fängt man das lauter +nur an? In der Grazerstadt gibt's ja Klöster genug, um den ganzen +Schloßberg herum. Doch sie sagen, der Kaiser wollt' sie abstiften. 's +wird nicht wahr sein, so grob wird er doch nicht sein. Wer schon einmal +drin ist, wird ja sitzen bleiben dürfen. Aber wie hineinkommen? Halt +aufnehmen werden sie niemand mehr wollen. Frauenkloster natürlich! +Einen Bekannten wüßt' sie wohl, der sie könnt' weisen und der's gewiß +auch gerne tät, weil er selber auch ist in die Buß' gegangen. Aber mein +Eid, wo wird dieser Mensch zu finden sein. In einer Schloßberghöhle, +hört man, soll er Einsiedler sein. Aber Schloßberghöhlen gibt's viele +und in etlichen, sagen sie, täten Räuber hausen. Da kann ein schwach +Weibsbild doch nicht gehen suchen. Daheim die Knechte haben eh schon +g'lacht. Daß man's nit tät wissen, ob der<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Markel ein Einsiedler sei +worden oder ein Räuberhauptmann. 's ist nur G'spött, weiß doch jeder, +daß es dem Markel um den Himmel geht und nit um die Höll. Wenn er die +Höll' hätt' wollen, hätt' er auch in Rinneg verbleiben können und ich +hätt' leicht Ursach' sein können; nein, vor dem hätt' ih mich nit lang +mögen derwehren. Aber jetzo, wenn er in der haarenen Kutten steckt — +und die Raben werden ihm mit dem täglichen Brot auch nit gar zu ratlich +(reichlich) sein — da wird er schon frumm Lampel worden sein. Der +kunnt mir freilich raten, der Markel. Wills halt doch probieren, ob ich +ihn find.</p> + +<p>Das waren der Maid trautsame Gedanken, als sie herabstieg von der +Plattenhöhe. Ein gesund Bröckel Weibsbild war's: wie alt, wie schön, +das weiß man nicht genau. Sie hatte einen Stecken bei sich und um die +Faust, in der sie ihn hielt, einen Rosenkranz gewunden, da war sie +doch wehrhaft genug. Im Mariagrünerwald sah sie einen Hasen; er war +vor ihr über den Weg gelaufen — von links nach rechts. Das hat was zu +bedeuten. Bei den Elisabetherinnen wird sie aufgenommen — sicherlich. +Lauf' nur, lauf' Has', daß dich der Jäger nit derwischt! Um dich +wär's schad. Oder gar bei den Ursulinerinnen! Wenn sie fromm ist und +zweihundert Gulden mitbringt! Aber sie kennt sich nit aus in der großen +Herrenleutstadt. Ein einzigesmal ist sie drinnen gewest mit Milch. Hat +ihr einer's Geld herausgelogen. Seitdem nimmermehr. Ganz schlechte Leut +und ganz gute Leut sind bei einand in so einer Stadt. Achtgeben muß man.</p> + +<p>Ein Obersteirer begegnet ihr, oder wer er ist. Just so gewandet mit der +ledernen Kniehose und dem grünen Hut. Der lange schwarze Backenbart +dazu, der steht nit gut. Da tät ehenter ein Schnurrbartel gehören. +— Wie er vorbei<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> ist, wendet die Maid sich um und schaut ihm nach. +Der, wenn er nit so ein Bauerngewand tät anhaben. Den möcht' eins für +den Mariagrüner Waldbruder halten — so ähnlich ist er ihm. Den kunnt +sie eigentlich auch aufsuchen, den Waldbruder. Nein, da geht sie doch +lieber zum Markel, mit dem ist sie besser bekannt. Lachen wird er +schon, der, daß sie jetzt auch so was Heiliges will werden.</p> + +<p>Wie sie über den Rücken des Rosenberges hinausgeht, sieht sie schon den +Schloßberg. Der steht mitten auf aus der Eben' — wie ein Heuschober, +vergleichsweise. Und um und um die Laster von Häusern. Hoch auf dem +Berg steht ein großes Schloß, viel Spitztürme und graue Mauern. Der +steile Berg ist nackend über und über und lauter Steinwänd' und Löcher +hinein. Dort, in einer solchen Höhl' wird er hocken, der Markel, und +bußwirken. Aber nirgends ein Weg hinauf, man sieht keinen. Die Straßen +zum Schloß ist auf der anderen Seiten. Jetzt läutet die Liesel<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> — 's +ist Mittag, die Maid steht still und betet den Englischen Gruß.</p> + + +Fußnoten: <div class="footnote"> + +<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Name der großen Glocke auf dem Grazer +Schloßberg.</p> + +</div> + + +<p>Nachher steigt sie den Steig hin bis zu den Häusern. In einer Krämerei +fragt sie an, ob man nichts wisse von einem Einsiedler Markel; am +Schloßberg soll er seine Höhl' haben!</p> + +<p>»Wird's halt derselbig sein, der Markarius heißt und den Leuten die +Schwindsucht kann abbeten. Schau hinauf einmal, dort zwischen den zwei +Steinwandeln, siehst das schwarze Loch? Dort is er drinnen.«</p> + +<p>Denkt sie sich: Ist eh merkwürdig genug, daß ein Landmensch in die +Stadt geht, um Einsiedler zu werden. Aber da oben, das glaub' ich, +da bleibt er freilich hübsch allein. Möcht' schon wissen, wie ich da +hinaufkomm'!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span></p> + +<p>Zur selbigen Stund' ist es gewesen, daß der fromme Einsiedler Markarius +seine Lodenkutte sich vom Leibe reißt und heftig in den Winkel +schleudert: »Jetzt soll dich schon der Teufel holen — hätt' ich bald +gesagt!«</p> + +<p>Lodenhosen hat er noch an, die gehen ihm bis unter die Achseln hinauf. +Hemed keins, mit nackten Armen steht er da, schier glatt und weiß. +Oft scheint die Sonne nicht drauf. Ist's doch das allererstemal, daß +er tagsüber seine Kutte wegschmeißt. Aber das Gesicht voller Haar. +Der Kopf geschoren wie ein Schaf zu Micheli. Die Kapuze hängt an der +weggeschmissenen Kutte.</p> + +<p>Was ist denn das? Über dem Steinwall schaut ein Weiberkopf her. Auf +allen Vieren ist sie emporgeklettert und ist rot im Gesichte und +schnauft:</p> + +<p>»Markel!«</p> + +<p>»Katzl!«</p> + +<p>»G'funden hab' ich dich!« lacht sie auf. »Aber jetzt mußt dein' Rock +anlegen.«</p> + +<p>»Die Kutten meinst. Die leg' ich nimmer an, mein liebes Katzel!«</p> + +<p>»Wir dürfen ja kein Fleisch mehr anschau'n. Denk dir Markel, ich auch. +Ich will ins Kloster!«</p> + +<p>»Du?« sagt er. Dann patscht er mit den flachen Händen auf seine +Schenkel: »Du ins Kloster?!« Und lacht hell heraus.</p> + +<p>»Wenn du ein frommer Einsiedler bist worden!« erinnerte sie vorsichtig.</p> + +<p>»Bins ja nimmer!« rief er und hob ein Papier auf, das im Schutte lag. +»Da les'!«</p> + +<p>»Mein Gott, wie kann denn ich lesen!«</p> + +<p>»Der Kaiser hat mir schreiben lassen. Uns allen, uns Klosterleuten +und Eremiten. Sollten schauen, daß wir<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> weiterkommen, Faulenzer +kunnt er nit brauchen. Alles aufgehoben. Nur die schulhaltenden und +krankenwartenden Klöster hat er ausgenommen. Den Mariagrüner-Bruder +sollen's auch schon abgesetzt haben. Ist aller Einsiedler um Graz +Oberhaupt gewest.«</p> + +<p>»Jesses, ich hab's Haupt ja laufen sehen.«</p> + +<p>»Was für ein Haupt?«</p> + +<p>»Nau, euer Oberhaupt. Ist schon im Steirerg'wand g'west.«</p> + +<p>»Wird mir auch nix anderes übrig bleiben. Wenn ich in drei Tagen nit +weg bin von da, so kommt der Wachter. Les' nur, da steht's.«</p> + +<p>»Was sagst denn, Markel!« schrie sie auf. »Ja, nachher wär's bei mir +auch nix. Schulhalten kann ich nit, krankenwarten mag ich nit.«</p> + +<p>»Und mir gehts auch nit anders. Heut' steig' ih noch auffi, da ins +Gschloß und red mit dem Guferneer!«</p> + +<p>»Red' für mich auch. Wenn ich nu wieder müßt' heimgehen zum +Plattenbauer! Hab'ns dich nit brauchen können! möchtens sagen, und das +G'lachter! — Na, heim geh' ich nimmer. Ein bissel ein Kloster wird +doch noch wo übrig bleiben für unsereins. Ich zahl' ja mein' Sach' und +mein Beten und Fasten und Frommsein wird doch niemand irren. Geh', +Markel, tu' anfragen. Im Kapuzinergraben wart' ich, bei der Kirchen.«</p> + +<p>So tat der Eremit Markarius seine alte Bauernjoppen wieder an und den +schwarzen Strohhut mit dem breiten Dach und ging hinauf ins Schloß, um +sich zu beschweren. Bis zum »Guferneer« kam er zwar nicht vor, aber der +Schreiber in der Kanzlei hat ihn ins Gebet genommen. »Ja, mein Lieber,« +sagte der, »jetzt ist eine andere Zeit, jetzt heißt's arbeiten. Unser +Kaiser Josef ist der erste Arbeiter<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> im Reich, der kann die Müßiggänger +schon einmal gar nicht leiden, und sollten sie noch so fromm sein.«</p> + +<p>»Herr Amtmann,« antwortete der Bruder Markarius, »wenn unsereiner +einmal nit mehr fromm sein darf, dann wird einer ein schlechter Mensch +und tut Leut' ausrauben!«</p> + +<p>»Und wenn einer Leut' ausrauben tut,« antwortete der Schreiber in +gleichem Ton, »dann lassen wir ihn henken.«</p> + +<p>»Beileib' nit,« sagte der Einsiedler und zog sein bärtiges Gesicht ins +Lachen, »kein schlechter Mensch, das mag ich dennoch wohl nit werden. +'s ist nur so ein G'spaß gewest. Halt anfangen, wenn ich wüßt, was ich +jetzt sollt!«</p> + +<p>Hat der Schreiber mit den Achseln gezuckt:</p> + +<p>»Sollt' ich etwan dem Kaiser nach Wien nachlaufen und fragen, was alle +die Leut', die er aus den Klöstern und Höhlen verjagt hat, jetzt machen +sollen? Arbeiten soll'ns. Gestern hättet Ihr auf der Triesterstraße +ganze Scharen von Klostergeistlichen wandern sehen können, etliche noch +in der Kutte, die andern schon in ihrem weltlichen Gewand und auf dem +Buckel Zegger und Binkel. Die einen taten laut Rosenkranz beten, die +anderen greinen und lachen, und gejuchzet haben ihrer auch ein paar, +daß sie wieder in der lustigen Welt taten sein. So sind sie fort. +Loschament und Arbeit suchen, wo sie sie halt finden. Euch kann ich +auch nichts anders raten. Fleißig arbeiten, vor der Arbeit eins beten, +nach der Arbeit eins juchzen, so wirds dem Kaiser am liebsten sein und +dem Herrgott auch.«</p> + +<p>Mit diesem Bescheid hat der Bruder Markarius wieder gehen können. +Unterwegs in den Kapuzinergraben wollte er bei dem Eck-Kramerstandel +für das Katzerl einen Wecken kaufen. Etliche Pfennige hatte er noch in +der Wilflingjacke gefunden. Aber das Standel war heute geschlossen und +die<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> Kramerin war gestorben am Tag zuvor. Bleibt er stehen, denkt nach +und geht weiter.</p> + +<p>Vor der Kirche steht sie.</p> + +<p>»Bist da, Katzerl?« ruft er ihr zu. »Ist's dir recht, daß ich alleweil +noch Katzerl zu dir sag'?«</p> + +<p>»Wennst schon Katherl ganz und gar nit kannst sagen, muß es mir wohl +recht sein. Magst's Katzerl derleiden, mußt auch 's Kratzerl derleiden.«</p> + +<p>»Will dich Katherl nennen. Ist eh ein schöner Nam'! Weil wir zwei itzo +allein dastehen und zusamm'halten müssen.«</p> + +<p>»Was hat er denn gesagt, der Guferneer?« fragte die Maid.</p> + +<p>»Nix. Bin nur bei seinem Schreiberknecht gwest.«</p> + +<p>»Und was hat der gesagt?«</p> + +<p>»So viel wie nix. Das hätt' ich selber auch gewußt, daß 's jetzt +arbeiten heißt. Wenn ich ein bissel Geld hätt'! Da enten beim +Wildkästenbaum ist eine Kramerin g'west. Die ist gestorben. Das Standel +möcht' ich gleich, da wollt' ich drauskommen. Kein schlecht's Platzl +beim Kästenbaum, gehen drei Straßen z'samm!«</p> + +<p>Da sagte sie ihm nahe ans Ohr: »Ein bissel Geld hätt' ich.«</p> + +<p>Und ist's also geworden. Sie haben sich das Kramerstandel erworben, +haben gehandelt mit Wecken, Bockshörndln und Feigen, mit heilsamen +Wurzeln und Kräutern und anderlei guten und nützlichen Dingen. Drüben +in Geidorf haben sie sich zwei Wohnungen genommen; denn das stand +fest, hatten sie auch das Geschäft gemeinsam, persönlich wollten sie +Einsiedler sein und verbleiben. Und die zwei Wohnungen sind gleim +nebeneinandergestanden. Die Tür dazwischen war fest zugesperrt. Hat +sich also jedes in seiner<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> Stuben ein Altarl aufgerichtet an dieser +Tür und hielt jedes für sich seine Vesper ab jeden Abend, so daß es +war, als stünden zwei Klöster nebeneinander, ein Mannskloster und ein +Frauenkloster. Und just an der Verbindungstür, damit sie nicht konnte +aufgemacht werden, hatten sie ihr Altarl errichtet, sie herüben, er +drüben. Und wenn sie davor knieten bei der Vesper, so knieten sie +eigentlich voreinander, und ob die Andacht just immer am Altar haften +blieb und nicht bisweilen durchs Türholz ging, das getraue ich mir +nicht zu entscheiden.</p> + +<p>Beträchtlich klostermäßig ging es auch im Kramerstandel her. Das +einemal saß der Markel drin, das anderemal die Kathel; beisammen nie, +hätten auch schwer Platz gehabt. Die Preise waren christlich, maßen sie +sich mit wenigen Pfennigen Gewinn begnügten im Erdentag. Ging ein armes +Weibel vorbei, so erhielt es wohl gar den Wecken umsonst; schnaufte +ein alter Mann daher, so schenkte ihm der Markel eine Gamswurzel, so +für schweren Atem heilsam ist. Das alles sah sich gar erbaulich an +für die Nachbarschaft, und dennoch ist der Spott laut geworden über +das Einsiedlerpaar. Ein Schustergeselle erdreistete sich, das alte +Volksliedel für den Markel umzubiegen:</p> + + +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Der Mann auf dem G'wänd</div> + <div class="verse indent0">Hat die Kutten verbrennt,</div> + <div class="verse indent0">Hat die Beten verschmissen,</div> + <div class="verse indent0">Ist dem Dirndl nachgrennt.«</div> + </div> +</div> +</div> + + +<p>Ob solcher Kränkung wollte der Markel sich doch einmal gründlich +verteidigen bei der Kathel, und eines Abends begann er das Altarl +wegzuräumen, das an der Verbindungstür stand. Sie aber räumte das +ihre derweil noch nicht weg, versuchte vielmehr den Schlüssel, ob er +wohl sicher umgedreht war. Er war nicht umgedreht, die Tür war nicht +verschlossen,<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> was die Kathel für ein Mirakel hielt, weil sie sich +alle Abend von dem Gegenteil überzeugt hatte. Fest glaubte sie das +erstemal noch nicht dran; aber wenn das Mirakel ein zweites- und gar +ein drittesmal geschehen sollte, dann müßte sie dem Altarl schon einen +andern Platz anweisen. Aber wo ist der »Geistler« dazu?</p> + +<p>Zur Zeit war der Markel viel auswärts und stieg mit Krampen und +Kräunzen auf dem Plawutsch oder auf dem Geierkogel herum, oder gar auf +dem hohen Schöckelberg, um heilsame Wurzeln und Kräuter zu sammeln, +weil er sich bei derlei wohl auskannte. Solche Waren wurden von den +Käufern auch belobt. Aber der Pfarrer vom Kapuzinergraben blieb eines +Tages stehen vor dem Standel und fragte deutsam an, ob da nicht auch +ein Kräutel für den Tod zu haben sei?</p> + +<p>Bisher, antwortete der einfältige Markel, hab' er so eins noch nit +gefunden.</p> + +<p>»Nun also, wenn du weißt, daß du sterben mußt, was lebst denn nachher +mit dem Kebsweib? Kommst ja in die Höll' mit ihr!«</p> + +<p>Der Kramer verstund' die Lehr' nur zu halb und am Abend räumte er das +zweitemal sein Altarl weg, um die Kathel fragen zu gehen, wie die +Ansprach' wohl gemeint sein könne? Aber der Schlüssel war umgedreht. — +Ihr alter Brauch; ganz nach dem Sprüchel: »Schmecken laßt sie, anbeißen +nit.«</p> + +<p>Und ereignete es sich dann, daß der Markel von seinen Bergwanderungen +einmal mehrere Tage lang nicht zurückkehrte. Zwei Tage war er öfter +schon ausgewesen, aber drei Tage noch nie und jetzt fiel es der Maid +aufs Herz, wie die wahrhaftige Einsiedelei ganz und gar nicht zu +ertragen sei. Am vierten Tage kam er. Die Kräunzen voller Krautwerk<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> +und den Mund voller wundersamer Berichte. — Er sei weiter hinteri +gegangen, ganz hinteri ins Gebirg. Was es da für Wildnis gibt überall! +Wald soweit das Aug' tragt. Und mitten auf steht er. <em class="gesperrt">Das</em> +ist ein Steinberg! Da ist der Schloßberg wie ein Schotterhäuferl +dagegen. Wundershalber steigt er hinauf, schier einen ganzen Tag. Und +oben Arnika, ganze Wiesen voll zwischen den Steinen. Und Speik und +Gamswurzeln und sonst Wurzelwerch allerhand. Und ist er über einem +schaudervollen Gewänd gewest, wohl wie zwanzig Kirchtürm so hoch, +und kirchturmsteil nieder ins tiefe Tal. Ist aber so ein Gamssteig +zwischen den Wänden niedergangen und denkt er sich: Vielleicht sogar +Edelweiß! und knorzt hinab ins Gewänd soweit er kann, und wo erst der +schauderhaft Abgrund anhebt. Und findet unter der Wand ein eben Platzl +und ein Wasserbründel, und darüber ein Bildnis: Unser' liebe Frau! — +Fallts ihm ein: Hier ist das recht Ort für einen Einsiedler! In der +Grazerstadt tun's eh alleweil spötteln. Was gilts, er packt z'samm, +nimm sein Katzl und geht hinauf in die Felsenwildnis! Ein Hüttel sei +leicht gebaut, habe sich das Fallholz und die dicken Baumrinden schon +ausgeschaut. Kein Mensch hätt' ein' festere Burg.</p> + +<p>So lang und so viel erzählt er und macht alles so gut, daß die Kathel +zuletzt sagt: Ihr sei's schon bald recht auch. Hätt' man sich das fromm +Leben schon einmal vorgenommen — dort oben gibts keine spöttelnden +Leut', und dem Kaiser seine Hand wird wohl auch nit so lang sein. — +Ob sie nit vorher der Geistler sollt' zusammentun allzwei, fällt ihr +ein; und lacht sich auch schon darüber aus: Verheiratete Einsiedler! +Ein bissel ein' Anfechtung macht ja nix. Wo wär' denn das Verdienst, +wenn's kein' Anfechtung nit hätt! — Geht in ihre Kammer und versucht +den Schlüssel, der ist in Richtigkeit.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span></p> + +<p>Und eine Woche nachher: Die Waren haben sie teils verkauft, teils +verschenkt und wie das Standel leer ist, rucken sie sich ihre Kräunzen +mit Gewand und Werkzeug auf den Buckel und wandern ab. Einen Tag lang +auf der Straßen der Mur entlang ins Gebirg. Dann rechterhand in eine +Schlucht, und dräuen die Wänd schon himmelhoch herab, daß der Maid ein +Schauder durch den Leib geht. Begegnet ihnen ein Halter, hat statt der +Gert eine Flinten und sagt, sollten sich in acht nehmen vor Wölfen und +Bären.</p> + +<p>»Hat mich keiner g'fressen, frißt mich keiner!« ruft der Markel — und +nachher halt anwärts, steil, durch Strupp, über Gefäll und Gestein. Mit +ehrfürchtiger Freud sieht es die Kathel, wie in der Wildnis überall +der Tisch ist gedeckt. Erdbeeren, Heidelbeeren, Himbeeren, Pilze und +Tierwerch zu fangen überall, wer geschickt ist. Und überall frisches +Wasser, und ein Brunnen ist, der fällt so dick wie ein Startinfaß viele +Klafter hoch herab und ist's kein Rauschen mehr, ist's ein Krachen, daß +man sein eigen Wort nicht versteht.</p> + +<p>Mit harter Plag sind sie endlich oben auf der wüsten Höh'. Die +Kathel muß sich die Augen verhalten, so packt sie der Schwindel, wie +sie in die Tiefen will schauen. Da ins G'wänd soll sie hinab? Das +Gamssteigel, wo sie nachher nit weiter kunnt und nit mehr zurück! — +Just einmal probieren! sagt der Markel und führt sie niederwärts in +die schauderlich Felswand, bis zum Platzel, wo das Bildnis ist und das +Brünnel in eine Steinschale tut rinnen.</p> + +<p>Gott wird's mit Willen gemacht haben, daß es zurzeit wochenlang ist +schön geblieben und warm Tag und Nacht. Jedes in einer andern Felskluft +hat geschlafen auf Moos und des Tags haben sie gesammelt und gebaut +an der Klause bei dem Brünnlein. Also, da lehnt die Hütte an der +überhängenden<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> Wand. Eine Rindentür hat sie und zwei Fensterlein und +einen Steinblock zum Tisch und zwei Holzblöcke zum Sitzen und eine +Steingrube für das Herdfeuer und zwei Lager aus Bergheu und Moos. Und +an der Wand zwei Baumäste gequert zu einem Kreuz. Die Vorratskammer +ist draußen in einer Felsspalte, und hätten sie denn alles beisammen, +was der Mensch braucht, um so lang zu leben, bis er selig ist. — +Seligwerden, das ist beider ernsthaftes Fürnehmen.</p> + +<p>»Sie taten beten und arbeiten,« heißt es von den beiden Menschen in +einer Chronik zu Breitenau. Und ist derselben zu entnehmen, daß sie +allerlei wilde Früchte sammelten, daß sie aus Kraut und Wurzeln und +manchen Beeren einen »Geist« haben gebrannt, mit dem der Markarius +zeitweilig in den umliegenden Tälern hausieren ist gegangen. Auch +sollen sie Wallfahrern, die weit her zum Bildnisse »Unserer lieben +Frau« auf den Berg gekommen, mancherlei Dienste geleistet und +Stärkung gespendet haben. Etliche Zeit der Einsiedler soll bitter +hart gewesen sein. Es ist nicht gemeint die kalte Winterszeit, da sie +monatelang eingemauert waren mit Schnee und den unbändigen Alpenstürmen +preisgegeben. Es ist nicht gemeint der Mangel mancher Lebensmittel +und es ist auch nicht gemeint die Bedrängnis, wenn eins krank war +oder Steinlawinen sie bedrohten. Ein anderes Bedrängnis war's, das +ihnen bisweilen bitterhart hat zugesetzt. Da ist der Markarius wohl +aufgestanden in der Nacht und hinausgegangen zur Quelle, um kaltes +Wasser zu trinken. Und wenn er, von Frost geschüttelt, in die Hütte +zurückgekehrt und auf seinem Lager zur Ruhe gekommen war, stand die +Kathel auf und ging auch hinaus, um zu trinken. Einsiedler sein, meint +besagte Chronik, sei nicht das härtest', aber sotane Zweisiedler sein +und gleichwohl Einsiedler verbleiben<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> wollen, das sei vergleichbar +einem Fegefeuer, wo ein Mensch all' Sündhaftigkeit könnt' löschen. +Und hätten es nicht erzwungen, wenn der heilige Brunn' nicht wär +gewest, also, daß der Gnadenquell sich geoffenbaret. So haben sie das +Klosterleben, als davon sie vertrieben worden, auf hohem Birg streng +geführet, als Zeugnis, was möglich ist an starkem Willen. Sind aber +sonder Rast gewest und ist solchen Anachoreten das Fleisch abgefallen +von den Knochen, und doch ein Augenlicht, brennend und begehrend, +so daß sie angefangen, sich voreinander zu fürchten. Und ist dem +Einsiedler die heilige Jungfrau erschienen und der Einsiedlerin der +heilige Jüngling Aloisius. Und haben die Anachoreten vor Verzückung +einander mit Wacholdergerten gegeißelt bis aufs Blut.</p> + +<p>Einer der Ortskundigen will aber dieser Schrift nicht Glauben +schenken; sie sei aus einer alten Sagung gezogen und zum Spott auf +die Leutlein oben am Schüsserlbrunn angewandt worden. Wahrheit sei +vielmehr solches: Eines Tages seien die zwei herabgekommen zum Kuraten +von Sankt Erhard und hätten lachend erklärt, die Sach' tät ihnen auf +die Läng zu dumm werden. Gar jung seien sie freilich nicht mehr, aber +auszahlen tät sich's vielleicht noch alleweil. Sie hätten einmal +ernsthaftig Einsiedler werden wollen, jedes für sich, seien nachher der +Umstände wegen Zweisiedler worden. Und jetzo möchten sie halt wiederum +Einsiedler werden, ein einziger, aus zweien einer. Aus ihrer zwei eins +machen, wenn er so gut wär'.</p> + +<p>Der Kurat war schon einer von solchen, die man später Josefiner genannt +hat. Er sagte also: »Leutlein, das ist gescheit. Eins in der Gesinnung +und in der Lieb', das ist eine gar heilsame Einsiedelei.«</p> + +<p>Und lacht die Kathel auf: Was sie doch einfältig wär'!<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> Solang' hätt' +sie sich vor dem Geistler gefürchtet und jetzo tät sich das so leicht! +— Der Wochen zwei und sie sind eins gewesen.</p> + +<p>Aus einem solchen Eins kommt gerne noch Eins. An drei Jahr' später +ist's, an einem Hochsommermorgen, hält der Markari ein blondhaarig +Bübel auf dem Arm. Das Bübel juchzet und schlagt die Ärmelein +auseinand, als wollt' es den Sonnenball auffangen, der dort hinter den +Bergspitzen aufsteigt. Und sagt der Vater: »Kerl, kleiner! Schau sie +nur an. Wo sie aufgeht, dort weit hinterwärts ist die Wienerstadt. Und +dort ist der Kaiser daheim. Und wenn der nit wär g'west, tätest du +jetzt freilich kaum juchezen auf derer Höh'!«</p> + +<p>Zur Zeit ist anstatt der schlechten Klausen schon ein besseres Häuslein +fertig gewesen und daneben ein Ziegenstall und daneben eine Kapelle mit +Turm und Glöckel. Und die Wallfahrer, wenn sie von Schüsserlbrunn heim +sind gekommen, haben erzählt von den guten Leutln, die mit gar Geringem +so glückselig leben da oben auf wildem Birg. Also daß wir ohn' Sorg und +Kümmernis können von ihnen scheiden.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Ein_Wildling_Christi">Ein Wildling Christi.</h2> +</div> + + +<p>Gregor, der Hirtenhauser auf der Niederalm, hatte nun glücklich +abgewirtschaftet. Das zerlemperte Gütel hatte er seiner Tochter +übergeben, diese ihrem Mann, und der Alte hatte sein Ziel erreicht — +er war der irdischen Sorgen und Güter frei geworden und konnte sich den +himmlischen Freuden hingeben, mit denen er längst umgegangen, die ihm +das kindliche Gemüt bewahrt, aber ihn um Haus und Vieh gebracht hatten. +Er war ihnen dafür dankbar. Wozu braucht der Christenmensch solche +Sachen! Hat der Apostel Jacobus ein Haus gehabt? Oder der heilige +Joseph ein Vieh? Man liest nichts davon. Dach findet der Mensch, +dessen Hut der Himmel ist, überall. Und wo er um einen Löffel Suppe +zugesprochen, da hatte er stets auch die Brocken dazubekommen. Der +Gregor war ein kluger Mann, doch benutzte er seine Klugheit nicht, um +zu gewinnen, was Sorgen macht, vielmehr um die Sorgen und ihre Ursachen +zu verlieren. Sein Lebtag war's ihm nicht so gut ergangen, denn jetzt +als Bettelmann. Bettelmann? Ein Mann Gottes wollen wir werden, wenn +uns nicht etwa die Demut abhanden kommt. Des Frommen größte Gefahr, er +fürchtete sie, ist heimliche Hoffart.</p> + +<p>Der Halter-Gregl, wie er genannt war, hatte für sein gottseliges Leben +einen besonderen Hinterhalt, an den er sich aber bisher nicht gelehnt. +Sein einziger Bruder war Ordenspriester im Stift Hubertusbrunn. Seit +der Gregl damals brieflich angesucht hatte, als Laienbruder in das +Kloster eintreten zu dürfen und ihm vom Abte die Antwort zurückgekommen +war, er möge nur hübsch bei seinem angestammten<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> Beruf bleiben und +die Arbeit auf Wiese und Feld zur Ehre Gottes verrichten, das wäre +für ihn gescheiter als das Kloster — seit dieser wunderlichen, ganz +unpriesterlichen Antwort wollte er mit Hubertusbrunn nichts zu tun +haben. Nun war's aber in diesem Stifte anders geworden. Und schon wie +anders! Der alte Abt war gestorben, und Gregors Bruder, der Pater +Dominikus, war zum Prälaten gewählt worden.</p> + +<p>Ob man in der Gegend der Niederalm umherbettelt, wo es doch immer nur +in der Runde geht, oder einen mehr geraden Weg nimmt, den Häusern der +Straße entlang — für die alten Beine bleibt das gleich. Weiter kommt +man aber auf gerade Art. Und kommt wohl gar bis Hubertusbrunn. Ob die +Herren dort die Klostersuppe einem wildfremden Menschen vorsetzen, oder +dem alten Bruder des Prälaten, das wird für Kloster und Suppe auch +gleich sein. Ihm, dem Gregl, wäre doch damit gedient, daß er endlich in +den Mauern des Gebets, der Betrachtungen und der guten Werke für seine +letzten Lebenstage könnte Unterschlupf finden.</p> + +<p>Also hat der Halter-Gregl seinen Sack genommen und seinen Stecken, und +ist barhäuptig, wie er stets gewesen, straßab und talaus gegangen, +bis er am dritten Tage im weiten fruchtprangenden Talkessel auf einer +Anhöhe stolz und herrlich das Gebäude ragen sah. Es war nicht wie ein +Schloß, es war wie sieben Schlösser neben- und übereinander, mitten +aufragend zwei Türme, eine Kuppel und die Schindeldächer schimmerten +wie Silber. Um die Anhöhe schlang sich in Halbrund ein breiter, +glitzernder Fluß, kleine Ortschaften und große Gärten bestreichend, +die sich hinten in Laubwäldern verloren. Der Gregl saß am Wegrand und +wollte von der einen langen Front die Fenster zählen. Bis achtzig oder +neunzig kam er hinauf, dann vergingen ihm die Augen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span></p> + +<p>Und das war Stift Hubertsbrunn.</p> + +<p>Der Erzähler ist in Klostersitten nicht recht bewandert, er muß +sich auf die Berichte verlassen, die ihm zugekommen von den +Berichterstattern zu dieser Geschichte.</p> + +<p>Am nächsten Tage wußte der Hirtenbauer Gregor schon, wie es da zuging. +Aber es gefiel ihm nicht. Über die Aufnahme war so weit keine Klage +gewesen. Der hochwürdige Bruder, Seine Gnaden ward er genannt, hatte +ihn an beiden Händen gehalten, ihn besorgt angeblickt und gesagt: +»Bruder Gregor, du gefällst mir gar nicht. Hast du denn kein besseres +Gewand?«</p> + +<p>Und der Gregor: »Bruder Benedikt, oder wie du heißt, du gefällst mir +auch nit. Was ich zu wenig am Leib han, das hast du zu viel.«</p> + +<p>Denn der Prälat trug einen Talar aus Seiden und Schuhe mit +Silberschnallen und über der Brust eine Kette und ein Kreuz aus +schwerem Golde. Der hochwürdige Herr lachte zum Ausspruch seines +Bruders, tätschelte ihm mit zwei Fingern die rauhbraune Wange und +sprach:</p> + +<p>»Na na, du bist immer noch der Alte. Glaubst du mir's, daß ich so +arm bin, wie du? Dieses Kleid siehe, das deinen Augen Ärgernis gibt, +es gehört nicht meiner Person, es gehört meiner Würde. Und das Stift +gehört dem Orden. So viel erlaubt mir aber meine Armut, daß ich dich +einlade, etliche Tage im Stifte zu bleiben und daß du dir gut sein +lassest.«</p> + +<p>»Du sagst etliche Tage! Und ich wollte als Laienbruder eintreten, die +Kirche ausfegen jeden Tag oder die Glocken läuten, oder wozu ihr mich +verwenden möget, daß ich dem Herrgott ein wohlgefälliger Knecht sein +darf.«</p> + +<p>»Tue dieser paar Tage gerade einmal, was dich freut,<span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span> Bruder Gregor. +Wie du doch unserem Vater ähnlich siehst, Gott habe ihn selig!«</p> + +<p>Und der Alte antwortete: »Wenn du mägerer wärest, kunnt ich dasselbe +auch von dir sagen. Unser armer Vater, gelt! Wie sich der hat plagen +müssen und sich die Bissen absparen, daß er dich hat können in die +Studie geben.«</p> + +<p>»Laß es gut sein, Gregor, nach den ersten paar Jahren hat mich ja schon +das Stift versorgt, so daß ich den Orden für meinen wahren Nährvater +halten muß.«</p> + +<p>»Immer einmal wirst wohl doch noch eine heilige Messe lesen für unseren +Vater?«</p> + +<p>»Wir beten für alle,« antwortete der Prälat.</p> + +<p>Da deuchte es dem Gregor schier, daß im Stifte auf Blutsverwandtschaft +wenig gegeben würde. Trotzdem genoß er die Gastfreundschaft so gut es +anging. Zufrieden fand er sich nicht, es war ihm alles zu viel, zu gut, +zu weltlich, was es da gab. Des Prälaten abgelegte Hosen und Stiefel, +die er geschenkt bekommen, waren — von der vornehmen Art abgesehen — +immer noch weit kostbarer als das schönste Ostersonntagsgewand, das er +je auf der Niederalm getragen hatte. Desgleichen auch die Wäsche, in +der so gar nichts von den härenen Hemden und stacheligen Gürteln zu +spüren war, die nach seiner Heiligenlegende die Mönche gerne am Leibe +gehabt.</p> + +<p>Eine einzige Weltsorge hatte der alte Mann noch an sich, die ihn +manchmal sehr beunruhigte. Als vor Jahren sein Weib gestorben, hatte +sie auf dem Totenbette ihm ein Lederbeutelchen um den Hals gehangen +mit der Bitte, daß er es am bloßen Leib trage und nur in höchster Not +davon Gebrauch machen solle. Der Gregor versprach das, weil er der +Meinung war, es sei ein Amulett darin. Erst später kam er darauf, daß +im Lederbeutelchen fünf Dukaten enthalten<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> waren, die das gute Weib +dem unpraktischen Mann als Notpfennig hinterlassen hatte. Dieses Geld +nun brannte ihn, erstens aus Besorgnis, daß es sündhaft sein könne, +nebst dem beinernen Kreuzlein, das er an der Brust trug, auch Geld +dort verborgen zu halten, und zweitens aus Angst, er könne die Dukaten +— verlieren. Oft war er daran, diesen Mammon, der ihm so manche +Unruhe machte, von sich zu werfen, aber es war ihm leid drum. Und das +beunruhigte ihn noch mehr, weil es das Zeichen eines geldgierigen +Herzens wäre.</p> + +<p>Nicht ungern ging Gregor mit dem Pater Isidor, dem die Landwirtschaft +anlag, über die Felder. Da standen an Wegen und Rainen Kreuzsäulen und +Heiligenstatuen, vor denen der Gregor zwar nicht den Hut zog, weil er +eben keinen auf seinem weißhaarigen Kopf hatte, wohl aber niederkniete, +um ein paar Vaterunser zu beten. Pater Isidor achtete nicht darauf, +sondern besah sich die herbstlichen Ackerfurchen, ob sie tief genug +wären und Erdschmalz hätten, und wenn der Gregor ein Gespräch über die +Himmelskönigin Maria anheben wollte, wies der Pater ihm froh gestimmt +die weiten Kohlgärten und Rübenfelder. Der Gregor ärgerte sich darüber, +hielt sich aber vor: Du hast kein Recht, es ihm zu verübeln, so lange +du selbst noch am Gelde hängest.</p> + +<p>Ein anderes Mal zog er mit dem Pater Hubert aus, der die Flinte auf +der Achsel trug, auf dem Kopf den Federhut, und der die Forst- und +Jagdangelegenheiten zu besorgen hatte. Als sie ins finstere Gebirge +kamen, wo im tiefen Grund ein schwarzer See lag und zackige Schroffen +in den hellen Himmel emporstanden, legte der Gregor seine Hände +zusammen und sagte die Worte: »Wenn man's betrachtet! Die Allmacht +Gottes!«</p> + +<p>»Pst!« machte der Pater. »Sie müssen still sein. Dort<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> im Lärchschachen +— sehen Sie? Zwei Rehe! Ein altes und ein junges! Und ein — Gott +verdamm' mich, hätte ich bald gesagt, wenn das kein Bock ist, dort +hinter dem Fichtenbusch. Ah, sapperment!« Er riß die Flinte von der +Schulter, durfte aber nicht schießen.</p> + +<p>»Sie müssen dableiben bis zur Jagd!« sagte er zum Alten, »da sollen Sie +einmal sehen, wie es purzelt! Da geht's lustig her!«</p> + +<p>»Tun Ihnen die armen Tiere denn nit derbarmen?«</p> + +<p>»Gott hat alle Kreatur erschaffen zur Freude und zum Nutzen des +Menschen.«</p> + +<p>Dachte sich der Gregor: An Gott denkt er halt doch. —</p> + +<p>Dann suchte er weiter unter den Mönchen des Stiftes. Einen würde +er doch finden, mit dem sich auch was Erbauliches reden ließe. +Freundlich waren ja alle mit ihm, doch wenn er des Rosenkranzbetens +erwähnte, sprachen sie vom Kugelschieben; wenn er der Wallfahrten +gedachte, kamen sie auf Scheibenschießen und Fischfang, und wenn er +über die Notwendigkeit des Bußwirkens sprach, meinten sie, das wäre +brav von ihm, nur solle der Mensch die lieben Gottesgaben auch nicht +verschmähen, und machten sich mit Behagen an den Krug. Freilich sah +er, daß sie zu gewissen Tageszeiten auch beteten und Psalmen sangen, +daß sie die Fasttage strenge einhielten, daß sie Almosen gaben. Ja, +es war sogar ein Pater bestellt, der tat gar nichts anderes, als für +die Armen zu sorgen, wie sie da dreimal in der Woche am Vormittag in +der rückwärtigen Halle zusammenkamen. Da wollte auch der Gregor einmal +sein Lederbeutelchen loslösen und dessen Inhalt den Armen auf die Hand +schütten. Doch fiel ihm ein, so viel würde sie verderben, sie sind nur +Kupferstücke gewohnt. Behielt seine Goldenen am Busen, war bekümmert +sie zu besitzen und war bekümmert sie zu verlieren.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span></p> + +<p>Eines Tages gegen die Vesperzeit geschah es, daß der Gregor einen +Mönch wandeln sah entlang den Kreuzgang und hinabsteigen eine dunkle +Treppe in unterirdische Räume. Da war am Ende so etwas wie Katakomben, +in denen die ersten Christen ihre Zusammenkünfte und Gottesdienste +gehalten, nachdem sie überirdisch ein scheinbar ganz weltliches +Leben geführt hatten. Gregor schlich dem Mönche nach und kam in die +Weinkeller. Der Mönch lud ihn ein, sich mit einem Krüglein das Herz +zu stärken, was denn auch geschehen ist, so gründlich, daß der alte +Hirte in den feuchten Dämmerungen herzhaft anhub zu jodeln, wie er +es in früheren Zeiten auf der Niederalm getan hatte. Am nächsten +Tage hatte er wieder Durst, und zwar nach Wasser. Er stellte sich im +Garten zu dem rieselnden Brunnen und schaute ihm zu. Er lechzte nach +Wasser, sah es immer an, trank aber nicht, und das war seine Buße für +gestern. Dann geschah es, daß er glaubte, endlich auf dem Wege nach +dem Rechten zu sein. Er hörte von dem großen Büchersaale und wollte +nun auch einmal all die frommen Gebet- und Erbauungsbücher sehen, in +denen die ehrwürdigen Brüder den gottseligen Geist aufbewahrt hätten. +Er hatte nicht gedacht, daß es auf der Welt so viele Bücher gebe; der +große Saal war über und über mit Büchern bestanden, man sah nicht +ein handbreit Stück Wand. Ein paar fremde Herren waren da, denen der +Mönch immer wieder Bücher und Schriften hervorholte und auf den Tisch +legte. Gebetbuch war keins dabei, fast lauter alte weltliche Schriften +und — wie es dem Gregor vorkam — sogar heidnische darunter. Einige +vorhandene Bildwerke, die so herumlagen, zeigten geradezu entsetzliche +Sachen in den offenen Tag hinein. Weil dem Alten unheimlich ward, +so ging er hinaus. In einer Wegkapelle, wo das Volk vorüberzog, war +die heilige Jungfrau,<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> darunter die Darstellung der armen Seelen +im Fegefeuer. Hier kniete der Gregor nieder und murmelte seine +altgewohnten Gebete. Er betete um Bekehrung der Heiden; plötzlich kam +ihm das an sich selber ganz abscheulich pharisäerhaft vor und er betete +demütig um Demut. Das erleichterte seine Bange.</p> + +<p>Am unbegreiflichsten war es schon im Speisesaal. Der Bruder des +Prälaten sollte auch an der Tafel sitzen, wenn zwar weiter unten; +allein die silbernen Schüsseln und die kristallenen Becher kamen auch +zu ihm. Es wird halt heut ein Festtag sein, dachte er und ließ sich's +nicht schlecht schmecken. Sein Beisitzer hatte ihm gesagt, daß auch +Christus der Herr gerne Lammbraten gegessen und Wein getrunken habe. — +Es ging mäßig ruhig und gemütlich dabei her.</p> + +<p>Gerne saß er im kühlen und stillen Münster. Die Kirche war sehr groß +und herrlich anzuschauen — aber zumeist ganz leer. Er saß in einem der +schöngeschnitzten Chorstühle und betete stundenlang den Rosenkranz ab +und konnte es nicht verstehen, daß die Mönche lieber weltlichen Freuden +nachgingen, als hier im lieben Frieden zu sitzen und sich mit Gott zu +unterhalten. Hatte er sich endlich müde gebetet, so nahm er den Besen +oder den Fächel und fegte die schönen Steinbodentafeln, und staubte die +Stühle ab, die Heiligenstatuen aus weißem Marmelstein, und scharrte das +von den Kerzen abgetropfte Wachs zusammen und bat seinen Gott, er möge +sich den armseligen Dienst gnädig gefallen lassen. In solchen Stunden +war er am glücklichsten.</p> + +<p>Da kam der Sonntag. Alles Volk strömte bei dem Geläute der +Klosterglocken zusammen und füllte die weiten Kirchenräume. Die Mönche, +ihrer dreizehn waren, kamen in kirchlichen Gewändern, der Prälat, eine +wahre Würdegestalt,<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> im Ornat von lauter Seide und Gold. An allen +Kronleuchtern brannten die Kerzen, aus silbernen Rauchfässern qualmten +die Schleier des Weihrauchs am Hochaltare empor bis zu den dunklen +Spitzbogengewölben. Wie ein jubelnder Sturm, so brauste die Orgel, und +der Gesang der Chorknaben klang wie das lieblichste Glockengeläute. Und +als im Hochamte das Sanctus kam, da erhob der Prälat seine Stimme und +sang hell und feierlich das hehre Lied zum Allmächtigen. — Der Gregor +war außer sich vor Entzücken. Jetzt erst ging's ihm auf, was das heißt: +Klosterleben, Priesterleben!</p> + +<p>Darauf im Refektorium, als Seine Gnaden schon bei Tische saß, kniete +der Gregor nieder und wollte dem hochwürdigen Bruder die Schuhe +küssen. Der Prälat lachte ihn stark aus und sagte: »Vorhin haben +wir Gott gelobt im Gebete und jetzt wollen wir ihn loben in seinen +Gaben. Tue das deine, Gregor!« Was nun alles erschien, das mußte der +beisitzende Mönch dem alten Hirten erklären: Einmal das Gläschen +»Sherry«, das schließt Magen und Herz auf. Die Krebssuppe drauf, die +weckt den Appetit auf. Dann der Hummer, der frißt Sorg' und Kummer. +Dann beim Fleisch vom Rind das Essen eigentlich beginnt. Dann auf +Schweinskopf und gebrat'ne Enten muß man auch noch Andacht verwenden. +Von den Eier- und Mandelkuchen lassen wir uns auch gerne versuchen. +Käse, Obst und Kaffee tut keinem Christenmenschen weh. Und Bier und +Wein laß dir gesegnet sein. Endlich und schließlich ist ein feiner +Rauchstengel alleweil der beste Friedensengel. — So lebhaft der Mönch +seine Tafelsprüche belachte, so wenig zeigte der alte Hirte dafür +Verständnis. Der hielt sich mehr an das Gemüse, obschon das gar nicht +besungen wurde. Vom Glase hielt er — Erfahrungen beherzigend — sich +fern. Nur als der Prälat<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> ein feierliches Prosit ausbrachte auf das +Kirchweihfest, das heute begangen wurde, trank auch der Gregor in +Ehrerbietung seinen Becher aus. Die Festheiterkeit war in sangliche +Tafellustigkeit übergegangen. Dann stand Bruder Isidor auf, klopfte +ans Glas, erhob es, hielt eine frohe Rede von seinen Krautköpfen und +Kartoffeln. Der Bruder Hubertus feierte mit vielem Humor die Rehböcke +und Hirsche, die sich demnächst das Vergnügen machen würden, bei +Seiner Gnaden Tafel die Aufwartung zu machen. Der Bruder Kellermeister +erinnerte bei seiner Ansprache sogar an Luthers Wein, Weib und +Wonnesang, bedauernd, daß die Klosterbuße nicht vollständig sei, weil +von den drei W leider eins fehle.</p> + +<p>Das helle Gelächter, das diese Rede entfesselte, wurde unterbrochen. Am +anderen Ende der Tafel war der alte Hirtenbauer aufgestanden und hatte, +wie es die Redner vor ihm getan, mit dem Messer an sein Glas geschlagen.</p> + +<p>»Hört, hört! der Gregor!«</p> + +<p>»Ja freilich,« sagte dieser in gemütlicher Art, »der alte Gregor will +auch was sagen.« Erst lugte er ein Weilchen vor sich hin und dann +begann er halb grollend und halb schmunzelnd mit einigem Stottern +anfangs, dann immer geläufiger also zu sprechen: »Der alte Halter von +der Alm hat zwar das Predigen nit gelernt, will euch aber doch eine +Predigt halten. Nehmt Ihr's für Spaß, ist's mir recht, nehmt Ihr's für +Ernst, ist's mir noch lieber. Ich will nur sagen: Was die hochwürdige +Geistlichkeit auf dem Stift Hubertusbrunn für ein Leben führt, das +ist ein recht lustiges Leben, ist aber wenig Christentum dabei. Mit +Verlaub, ihr seid viel zu weltliche Herren! Wie wollt ihr denn in +den Himmel kommen, wenn ihr schon drinnen seid? 's Hineinkommen ist +nit mehr möglich, aber 's Hinauskommen ist möglich. Alltag leset ihr +Zeitung, wie viel Jammer<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> und Pein es gibt auf der Welt, und ihr lebt +in Freud, als ob euch allmiteinand nix tät angehen. Und nachher — +auweh, mich deucht, ihr seid mir schon bös'. Alsdann will ich gleich +aufhören. Amen.«</p> + +<p>Die Wirkung dieses Sermons war fürs Erste überlautes Gelächter. Doch +soll es im Augenblicke einem der Festgenossen eingefallen sein: +Bei diesen zwei Brüdern müsse es eine Verwechslung gegeben haben. +Pater geworden sei der Unrechte! — Der Prälat, ob der rechte oder +unrechte, hatte ein schier röteres Gesicht bekommen, als es sonst bei +Tafelfreuden der Fall war. Er trommelte mit den Fingern, an deren einem +der große Ring funkelte, auf den Tisch, die andere Hand spielte mit dem +goldenen Kreuz, das ihm über der Brust hing. Dann schüttelte er ein +paarmal den Kopf. In dieser Beklemmnis erhob sich der Pater Franziskus, +der Bibliotheksverwalter war, gab das Zeichen, daß er sprechen wolle +und begann in wohlgesetzten Worten — er war ja zugleich auch der +Stiftsprediger — zu sprechen, wie folgt:</p> + +<p>»Teure, ehrwürdige Patres und Fratres! Wir haben eben ein Beispiel +erlebt, wie über einen der Geist kam, bei dem wir es nicht vermeint +hätten. Vielleicht hat sich Gott der Stimme dieses einfachen Mannes +deshalb bedient, um uns Ordenspriestern wieder einmal zu Gehör zu +führen, wie die Welt über uns denkt. Wenn da draußen Leute wären, so +möchte ich ein wenig zum Fenster hinaussprechen. Die draußen haben +nämlich jetzt das Christentum entdeckt. Sie sagen, es sei eine Religion +für die Welt, Christus selbst habe die Lebensfreuden geliebt, nur müsse +man in Vertrauen und Liebe das Reich Gottes im Herzen haben. So sagen +sie, ob sie das letzte tun, weiß ich nicht. Wenn ja, so bin ich damit +einverstanden. Nun höret: Wenn wir <em class="gesperrt">Priester</em> so leben, wie sie +sagen, daß man solle, nämlich in der weltsinnlichen<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> Gottfreudigkeit, +dann heißt es gleich, es wäre unchristlich und <em class="gesperrt">wir</em> sollten in +Armut und Entsagung leben. <em class="gesperrt">Wenn</em> wir's aber wirklich tun, wie ja +gar viele Welt- und Ordenspriester in Armut und Entsagung leben müssen, +hei, da nennen sie uns Mucker, Heuchler und Aszeten. Kurz, wir können +machen was wir wollen, so ist es denen nicht recht. Anders ist es mit +unserem lieben Gregor. Das ist die ehrliche Haut, die bloß zurückruft, +was wir hingerufen haben. Wir, das heißt, viele von uns. Diese haben +Aszese gepredigt, so verlangt der Mann, daß die Priester selbst das +halten, was sie anderen predigen. Das ist ganz in Ordnung. Wir aber — +und nun wende ich mich an unsern Freund Gregor — wir Ordenspriester +im Stifte Hubertsbrunn predigen nicht Aszese, sondern Freude in Gott. +Wem sie gegeben wird, der soll sie nehmen. Sie haben selbst gesagt, +lieber Gregor, daß es in der Welt draußen viel Jammer und Pein gibt. +Ist es ein Wunder, wenn mancher ins Kloster flüchtet, wo man im Vereine +mit Gleichgesinnten seiner Seele lebt? Wir persönlich besitzen keine +weltlichen Güter, aber wir verwalten mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit +die Güter des Ordens, die gestiftet worden sind, damit die Brüder +im sorglosen Frieden des Herrn leben können, wie heute, so auch in +Zukunft. Ebenso verwalten wir viele Wissenschaften, die durch Klöster +aus alten Zeiten der Zukunft übermittelt werden. Wir pflegen die +Künste und schmücken damit unser Gotteshaus, unsern Gottesdienst, +erhöhen damit unsere Freude am Göttlichen, unsere Liebe zu Gott. So +sind wir fern dem Unfrieden der Welt, sind eingefriedet ins Bereich, +wo Lebensfreude und Gottseligkeit eins geworden sind. Das findet +man nur im Kloster so, und nirgends anders. Und ich sehe die Zeit, +da viele, des Streites und der Ungerechtigkeit da draußen übersatt +geworden,<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> die Klostermauern suchen werden. Vielleicht wird man ihrem +Klosterleben einen anderen Namen geben, in der Tat wird es dasselbe +sein, denn das Bedürfnis vieler Menschen nach Weltabgeschiedenheit +und Frieden, nach harmlosem Lebensgenuß und nach Gottesfroheit wird +nicht aussterben. Wenn sie, die weltlichen Leute da draußen, die +Freiheit, die persönliche Freiheit so hoch halten, so wird man doch, +wenn man will und kann, auch in das Kloster gehen und ein ruhiges +beschauliches Leben führen dürfen? Unser Herrgott will nicht, daß +der Mensch sich um Geld und Gut, um Lust und Ehre zu Tode hetze, er +will auch nicht, daß einer Not leide, hungere, von anderen zertreten +werde und zugrunde gehe, wie ein Wanderer bei den wilden Tieren in der +Wüste. Denket doch an die übelriechenden Städte mit ihrem törichten +Jagen; denket an die großen Fabriken, überfüllt mit Unzufriedenen und +Mißgünstigen; denket an das kümmerliche, halbvertierte Leben in den +Bauerndörfern — und betrachtet euch diese friedensvolle Stätte des +heiligen Hubertus, von lachenden Tälern und grünen Bergen umgeben, und +wie wir hier leben in trauter Gemeinschaft mit allen großen Geistern +der Erde und der Himmel. <em class="gesperrt">So</em> zu leben ist Gotteswille, und daß +wir den Himmel schon auf Erden anfangen sollen. Eigentlich gerade das, +was die draußen auch angeblich wollen. Also warum gönnen sie uns nicht +den Klosterfrieden? Und auch unser Freund Gregor hat unrecht, wenn er +meint, der Christenmensch sei auf der Welt zur Selbstqual, anstatt zum +Glücklichsein. Er soll das eine sein lassen und das andere bei uns +versuchen. Fröhlich leben und selig sterben, das muß dem Teufel die +Freud' verderben. Amen.«</p> + +<p>In fröhlichem Tone hatte der Pater also gesprochen, dann war er zum +alten Hirtenbauer hingetreten, hatte ihm<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> die Hand gekneipt, und er +möchte die redlichen Worte nicht übelnehmen.</p> + +<p>»Hau,« sagte der Gregor, »so schön kann ich freilich nit. Da muß ich +schon still sein. 's wird eh wahr sein, was ihr gesagt habt. Für's +Gutleben laßt sich der Mensch gerne überzeugen, ich bin ganz bekehrt. +Jetzt bleib' ich im Kloster, bitt' schön, kleidet mich ein. Und weil +ich schon der Ältere bin, komm' ich vielleicht bei der nächsten +Prälatenwahl dran. Will gleich anheben und Lateinisch lernen, hi, hi.«</p> + +<p>So war alles wieder ins Gemütliche übergegangen und als sie dann zur +Vesper in die Kirche zogen, fand sich der Alte schon drein und während +der Litanei dachte er, es wäre gescheiter gewesen, das Hirtenhaus auf +der Niederalm dem Stifte Hubertsbrunn zu vermachen als dem groben +Schwiegersohn, der sich mit seiner unfreiwilligen Elendigkeit doch +nicht den Himmel, nur die Hölle kauft.</p> + +<p>Von diesem Tage an gefiel es ihm im Stifte besser und er fand, daß +eine solche Vereinigung irdischer Freuden und himmlischer Beseligung +eigentlich recht annehmbar wäre. Beten und Bußwirken könne ja auch +jeder noch ein übriges. Der Klostergehorsam, nächtlicherweile doch +manchmal aus dem warmen Bette aufzustehen zur Gebetstunde, hatte für +ihn einen besonderen Reiz. Leider wurde er nicht geweckt, weil er ja +nicht zum Orden gehörte, sondern nur Gast war. Dafür kniete er, wieder +bange geworden, sonst lange Stunden auf dem kalten Kirchenpflaster und +bat Gott in flehenden Gebeten um den rechten Weg in den Himmel. Sei der +Weg dornig oder blumig, nur gottgefällig sein, das war sein einziges +Verlangen.</p> + +<p>Da kam jene Nacht mit dem glühenden Atem Gottes. In einer Scheune +war Feuer ausgebrochen und ein rasender<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> Novembersturm hatte +die brennenden Latten auf die Schindeldächer des Stiftsgebäudes +gepeitscht. Die Flammen lohten nicht aufwärts, sondern gruben sich, +vom Sturm geschärft, mit tausend Zungen pfeifend ins Gebäude ein, +so daß nach kaum einer halben Stunde alle Fenster des weitläufigen +Stiftes in weißem Lichte standen. Die Mönche huschten, nicht in ihrem +priesterlichen Gewande, nur mit gekrümmten, schlecht verhüllten +Körpern stumm oder angstvoll stöhnend durch die rauchigen, qualmenden +Gänge, durch die Höfe, ins Freie; sie dachten nicht an die Güter, die +verbrannten, sie dachten nicht an Gott — ihr Einziges und Alles war +die Rettung des nackten Lebens. Am nächsten Morgen war die Stätte +ausgebrannt und aus hundert kahlen, dachlosen Mauern und geschwärzten +Löchern stieg träger Rauch auf. Die Kirche allein war verschont +geblieben und in der waren die Mönche versammelt, klagend, weinend, +fröstelnd und schaudernd. Etliche brüteten stumpf vor sich hin. Andere +verbanden mit feuchten Lappen ihre Brandwunden, wobei ihnen der alte +Gregor beistand. Einer war da, der Pater Hubertus, der schüttelte +fortwährend den Kopf und war sehr nachdenklich. Er hatte sonst manchmal +an die Stunde des Unglücks, an Todesnot gedacht, aber so hatte er +sich's nicht gedacht, daß man dabei ganz an alle Gottheit vergessen +könne! Man rief wohl im Schreck die heiligen Namen, ohne auch nur +flüchtig an die Himmlischen zu denken. Nicht einmal die Todesangst +war eine christliche. Der stumpfe Instinkt des Tieres allein waltet, +jagt dich, rettet dich. Und da fiel es ihm ein: Mensch, in solchen +Stunden bist du just so gottlos und hilflos wie das arme Tier des +Waldes, das du so oft verfolgt hast! — Die Steinplatten der Kirche +waren kalt und die Mönche hatten keine Decken, keine Kleider. Es kam +der Hunger und sie hatten<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> nichts zu essen. Ein Einziger war gefaßt. +Auch dem Gregor war sein Bündel verbrannt, doch er fror nicht so sehr +in seinem schlechten Nachtgewand, als die anderen, ihm tat der Hunger +nicht so weh, ihn schüttelte die Verzweiflung nicht so arg, denn er +hatte ja eigentlich nicht viel verloren. Er hatte nicht verloren die +großen Vorratskammern, nicht verloren das heimliche Stübchen mit +dem vergoldeten Marienbildnisse, nicht die fürstlichen Säle mit den +Kunstwerken, nicht die Schriften der Weisen und der Dichter aller +Zeiten. Da wollte er sagen zu den händeringenden Vätern und Brüdern: +»Ihr habt ja doch wohl auch nix verloren, denn ihr habt ja nix +besessen!« Aber er sagte es nicht, der Spott schien ihm zu herzlos. +Umso eifriger wusch er die Brandwunden, deckte er die Fiebernden mit +Stroh, machte Botengänge in die nächsten Ortschaften und tat, was er +konnte. Sein Bruder, der Prälat, der auch nichts anderes hatte, als ein +blaues Unterkleid, um sich zu schützen, der klopfte ihm einmal halb +weinend auf die Achsel: »Bruder, jetzt bist du reicher und stärker +als wir. Du bist das gewohnt, wir sind es nicht gewohnt. Und da wir's +verloren und da wir jetzt nichts haben, deucht mich doch, es wäre unser +Eigentum gewesen.«</p> + +<p>»Deucht dich, Bruder?« antwortete der alte Gregor. »Mich deucht auch. +Aber wenn euer Christentum das richtige ist, so müßt ihr auch in +schlechten Zeiten feststehen.«</p> + +<p>»Das werden wir auch, mein guter Gregor. Nur weh tut's, wenn's so +plötzlich trifft. Das große Kreuz wird uns heilsam sein, wir wollen +beten und uns kasteien.«</p> + +<p>Bald merkte es der alte Hirtenbauer, wie das gemeint war mit dem Beten +und Kasteien. Wie Ameisen am zerstörten Haufen, so begannen die Mönche +zu arbeiten, jeder in seiner Art. Was der Brand übrig gelassen, sie +rafften<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> es zusammen und bargen es; mehr war's, als man erwartet. +Bauleute wurden herbeigezogen, anfangs für den Notbau, später für +die Wiederaufrichtung des Stiftes, das allmählich aus seiner Asche +herrlicher erstand. Wie Wunderbrunnen, so flossen die Hilfsquellen +von allen Seiten, besonders von dem in der Welt weit verzweigten +Orden. Die Mönche waren ohne Rast. Sie nahmen fürlieb mit spärlichster +Kost; mancher brachte seinen heimlichen Pfennig herbei und gab ihn +dem entstehenden Vaterhause. Der unermüdlichste und froheste aller +Arbeiter war der alte Gregor. Jetzt konnte er nach Herzenswunsch +»bußwirken«, nämlich Hand anlegen zum Wiederaufbau des Reiches Gottes. +Nicht wie einst handelte es sich um eine melkende Kuh oder um einen +fetten Ochsen, es handelte sich um eine Friedensstatt auf Erden. +Brauchen ließ er sich überall, beim Steinegraben, beim Ziegeltragen, +beim Karrnen und Zimmern und bei viel schlechteren Verrichtungen. +Als sich niemand finden wollte, der auf den Dachgiebel das dreifache +Kreuz trüge, gab er sich dazu her. Er sei in der Jugend auf allen +hohen Bäumen der Niederalm umhergeklettert; fehle ihm jetzt gleichwohl +die Eichhörnchengelenkigkeit, so werde doch der Schutzengel seine +Schuldigkeit tun. An Nahrung und Verpflegung war er ganz anspruchslos. +Lohn nahm er überhaupt keinen, sondern sagte, bei den Bauern sei der +Brauch, daß die Kinder des Hauses umsonst arbeiteten.</p> + +<p>Der Prälat war schon lange wieder wohlgemut geworden, und so sagte er +nun lachend einmal zu seinem Bruder: »Aber Gregor, wenn du immer so +fleißig gewesen wärest, so müßtest du ein reicher Mann sein!«</p> + +<p>»Reich! Reich!« antwortete der Alte. »So ein schlecht Wort sollten +Gnaden Herr Bruder nit im Mund haben!«</p> + +<p>Freilich hatte der Gregor ein heimliches Glück im<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> Herzen, von dem er +niemandem was sagte. Er war seines nagenden Kummers losgeworden. Das +Ledersäckchen war ihm beim Brande abhanden gekommen, die fünf Dukaten +verbrannt. Jetzt brauchte er sich nicht mehr zu fürchten, sie könnten +seiner Seele schaden, sich nicht zu ängstigen, er könnte sie verlieren. +Sie hatten seiner Seele geschadet, nun erst merkte er es recht. Nun +war er frei. Alle Existenzsorgen hatte ihm ja der hochwürdigste Bruder +abgenommen: »Du gehörst unserem Orden, Bruder Gregor, und daß du nicht +Latein kannst, je nun! Du bist halt ein Wildling. Ein Wildling Christi. +Ich meine, man könnte dich trotzdem weihen.«</p> + +<p>»Ich dank' dafür,« antwortete der Alte. »Bin einer Last glücklich los, +will keine andere mehr haben. Wenn mir Gott zur Armut noch die Demut +schenkt, dann bin ich aus dem Gröbsten heraußen.« —</p> + +<p>Nach fünf Jahren stand das neue Stiftsgebäude fertig und in hohem +Glanze da. Jeder der dreizehn Mönche hatte es erlebt, nicht einmal der +dreizehnte war gestorben. Einer von ihnen gestand, seit dem Unglücke +fühle er sich ein wenig besser und stärker, er habe gelernt, etwas +zu ertragen. Man stimmte ihm bei. Nur den Prälaten hatten die Sorgen +der Wiedererrichtung alt und kränklich gemacht. Er erklärte, seine +Würde und Bürde ablegen zu wollen. Alles war unschlüssig, ratlos +darüber und mancher der Brüder verwahrte sich schon vorwegs gegen +die Möglichkeit, Abt zu werden. Jeder wollte der Unwürdigste sein, +vielleicht heimlich erwägend, daß gerade <em class="gesperrt">der</em> erhöht werde, der +sich selbst erniedrige. Bei der Wahleinleitung für seinen Nachfolger +erzählte der Prälat die Geschichte von der Taube. Einmal bei einer +Papstwahl zu Rom — bei welcher, das wußte er nicht genau — hätten die +Kardinäle sich nicht einigen können.<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> Da sei zum Fenster eine weiße +Taube hereingeflogen, sei dreimal über den Köpfen der Versammelten +herumgeflogen und habe sich dann auf das Haupt des Geringsten gesetzt, +des Türhüters an der Pforte. Der sei auf diesen Wink Gottes zum Papste +gewählt worden. »Und meine hochwürdigen Brüder,« so schloß der Prälat, +»wenn heute auf dem Stifte Hubertusbrunn der heilige Geist in Gestalt +einer Taube käme, um uns die Wahl des Oberen anzudeuten, auf wessen +Haupt würde er sich setzen?«</p> + +<p>Die Brüder neigten sich und einer flüsterte dem andern zu: »Vielleicht +gar auf das Haupt Gregors?«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_mi_ratene_Evangelist">Der mißratene Evangelist.</h2> +</div> + + +<p>In einer Tischgesellschaft von ernsten Männern kam eines Abends +das Gespräch auf die Welttauglichkeit des Evangeliums. Mehrere der +Anwesenden behaupteten, die christliche Lehre trage nicht allein die +Bürgschaft der ewigen Seligkeit an sich, sondern auch das Glück der +Erde, den Frieden in der Gesellschaft, das Gedeihen jedes einzelnen.</p> + +<p>Einer war da, der solches bestritt. »Wenn <em class="gesperrt">jedermann</em> nach der +christlichen Lehre lebt,« sagte dieser, »dann vielleicht. Dann gebe +ichs zu, daß sie auch auf Erden zum Glücke führen kann. Anders ist +es, wenn nur einzelne darnach leben. Für diese ist sie dann durchaus +nicht förderlich, der einzelne geht vielmehr zeitlich daran zugrunde. +Vorausgesetzt, daß es möglich ist, die Lehre in ihrer ganzen Strenge zu +befolgen, macht sie den Menschen für die Aufgaben und Bestrebungen der +modernen Gesellschaft ganz und gar unfähig, ja kann — mißverstanden — +auf Irrungen und Abwege führen, wovon ich ein Beispiel aus dem Leben zu +erzählen wüßte.«</p> + +<p>Hierauf sagte ein anderer: »Wenn Sie <em class="gesperrt">ein</em> Beispiel wissen, daß +die Befolgung der christlichen Lehre auf Abwege leitet, so weiß ich +hunderte und tausende von Beispielen, daß die <em class="gesperrt">Nicht</em>befolgung zum +Verderben führt.«</p> + +<p>Nun, das sei selbstverständlich, meinten mehrere und sei längst +bewiesen. Merkwürdig jedoch dürfte der Ausnahmsfall sein, wenn ihn +jener erzählen wolle.</p> + +<p>Der Aufgeforderte sprach: »Da wohl nicht zu befürchten ist, daß das +Schicksal des Helden meiner Geschichte einen von uns der christlichen +Lehre noch mehr entfremden könnte,<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> als es, wie wir uns kennen, +wahrscheinlich ohnehin schon der Fall ist, und da sich ferner von uns +wohl überhaupt keiner so wörtlich in die Bergpredigt einlassen wird, +als es mein Herr Eberhard getan, so werde ich die Geschichte ohne +jeden Widerspruch erzählen dürfen. Die Lehre, wenn man schon eine +daraus ziehen wollte, könnte ja immerhin die sein: der eine ging an der +Befolgung des Christentums nur deshalb zugrunde, weil es nicht auch die +übrigen befolgten.«</p> + +<p>Und hierauf begann er zu erzählen.</p> + +<p>Im Landstädtchen K. lebte ein junger Buchhandlungsgehilfe namens +Eberhard Roland. Er war aus einem Nachbarsorte eingewandert, nachdem er +dort seine Mutter und seine Schwester begraben hatte. Das waren seine +einzigen Verwandten gewesen, er hatte ihnen wacker leiden geholfen. Die +Rolande waren einst eine geachtete Bürgersfamilie gewesen und dann von +einem unermeßlichen Unglück heimgesucht worden. Ein Roland war nämlich +einer schweren Gewalttat wegen zum Tode verurteilt und dann durch +den Strang hingerichtet worden. Das war der Großvater des Eberhard +gewesen. Von jener Zeit an war es mit der Familie abwärts gegangen, +sie war entehrt, gemieden, verachtet. Das Geschäft stockte, ging zu +Grunde, die Familie verarmte, brachte sich viele Jahre lang zwar +redlich, aber kümmerlich durch. Man hatte nichts einzuwenden gegen die +fleißigen Leute, daß aber jener Roland gehenkt worden war, blieb ihnen +unvergessen und blitzte bei jeder Gelegenheit hervor. Eberhards Vater +war als Leineweber in jungen Jahren gestorben, er selbst hatte die +Buchbinderei gelernt und mit diesem Handwerk Mutter und Schwester recht +und schlecht ernährt, bis beide bei einer Seuche in einer und derselben +Woche verschieden.</p> + +<p>Seither wohnte Eberhard in der Stadt K., wo er vom<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> Buchbinder zum +Buchhändler aufstrebte, nachdem er es vorher mit mehreren anderen +Erwerbsarten vergebens versucht hatte. Er war ein unruhiger Geist und +sprang in Gegensätzen hin und her. Von einigermaßen beschaulicher und +sogar schwärmerischer Naturanlage, trug er sich eine Zeitlang mit dem +Gedanken, in ein Mönchskloster zu gehen, bis er in ein Bankgeschäft +als Briefschreiber eintrat. In kurzer Zeit war er Buchhalter und hatte +sich etliche hundert Taler Vermögen erspart. Da mietete er sich vor +der Stadt einen Heuschoppen und begann mit Holz und Kohlen zu handeln. +Als höchst anständiger Geschäftsmann bald bekannt, begann der Handel +zu blühen, aus dem Schoppen ward ein stattliches Magazin, dem sich +größere Lager anschlossen, aus dem schlichten Buchbinderjungen war +ein geachteter Kaufmann geworden. Bei dem allein blieb es aber nicht. +Von hübscher Gestalt und freundlichem Wesen, gewann er die einzige +Tochter des Bankinhabers, bei dem er in Diensten gestanden und wurde +ein wohlgesetzter Ehemann und Hausvater. Ein Jahr später kam ein +kleines Kind und ein großer Treffer, er hatte in der Staatslotterie das +Hauptlos gezogen. Jetzt war er auf einmal halber Millionär und wußte +eigentlich selbst nicht, wie das zugegangen.</p> + +<p>Nun hatte in ihm aber sachte eine Änderung stattgefunden, die er wohl +selber erst etwas spät bemerkte. Einst in armen Kreisen lebend, war er +sehr mitleidig gewesen und hatte er schon in der Tat nur wenig Gutes +tun können für die Notleidenden, so hatte er für sie doch stets ein +warmes Herz, und das Wort der Teilnahme tröstete manchen Leidenden +mehr, als eine Gabe auf die Hand. In dem Maße aber, als Herr Eberhard +wohlhabend wurde, kühlte sich sein Gemüt ab für die Armen. Er war zwar +wohltätig, gab Almosen, doch weniger aus innerem Drange, denn weil er +sich<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> als reicher Mann dazu verpflichtet fühlte. Die Armut vor sich zu +sehen, war ihm unangenehm, und manchmal erschien sie ihm wie ein Makel, +das etwa dem Leichtsinnigen oder Fahrlässigen anhaftet. Einst hätte er +den hungernden Bettler sättigen mögen, ohne ihn erst seines Hungers +wegen zur Rechenschaft zu ziehen, jetzt fragte Herr Eberhard schon: +»Warum arbeitet Er nicht? Was hat Er getrieben, daß Er so verkommen +ist?«</p> + +<p>Früher hatte er sich zu den wenigen Feierstunden in seinem Stübchen mit +den paar Holzmöbeln und den kleinen Bildern seiner Mutter und Schwester +an der Wand sehr heimlich und behaglich gefühlt. Jetzt in seinen reich +ausgestatteten Gemächern war ihm einmal dieses, einmal jenes nicht +recht und seine Wünsche und Bedürfnisse waren den Tatsachen immer um +eine Spanne voraus. Manchmal empfand er die Last des Reichtums, die +Last der damit verbundenen Pflichten, dann wieder kam es ihm vor, als +nütze er seine Kraft, seinen Kredit, die Verhältnisse zu wenig aus und +als sei es seine Aufgabe, noch reicher zu werden — so reich als nur +menschenmöglich. Er gönnte sich daher nur wenig Ruhe, rechnete, plante +neue Unternehmungen, und wenn er dann zum Jahresschluß die Bilanz zog, +soweit sie bei den ausgedehnten Besitzungen und Geschäften zu ziehen +war, sah er immer mit freudigem Schreck, wie rasch die Millionen +wachsen. Aber schon allemal in den nächsten Stunden fragte er sich, +warum sie denn eigentlich nicht noch schneller wüchsen und was daran +wohl die Ursache sein könne?</p> + +<p>In einer solchen Stunde, als er über den Teppich seiner Treppe +herabstieg zum bereitstehenden Wagen, um auszufahren zur Sitzung in +einem wohltätigen Verein, kauerte an der Pforte eine verwahrloste +Bettlergestalt, schlotternd, mit eingefallenem, grünem Gesicht und +verglastem Auge. Fast<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> verstellte er dem Herrn den Ausgang, zudringlich +hielt er seine mumienhafte Hand hin und verlangte ein Almosen.</p> + +<p>»Wie?« fragte Herr Eberhard aufgebracht über den vordringlichen +Gesellen, »bin ich dem Kerl was schuldig? Arm? Aus Ihm riecht der +Branntwein, dünkt mich. Warum arbeitet Er nicht? Schämt Er sich nicht, +von anderer Leute Arbeit zu leben? Und frech?! Fort, Er ist mir +zuwider, ich teile nichts!« Damit stieg er rasch in den Wagen, aber +noch bevor der Diener den Schlag zuwarf, stürzte der Bettler zusammen +und ein Blutquell sprang aus seinem Halse. Mit einem spitzen Messerchen +hatte er sich den tödlichen Stich versetzt.</p> + +<p>Von diesem Tage an stieg der Reichtum des Herrn Eberhard nicht mehr. +Nicht etwa, als ob auf dem Hause von nun an ein Fluch lastete, vielmehr +ein Segen. Herr Eberhard hatte sich vorgenommen, mehr den Armen zu +leben. Er verzichtete auf den bisher bezogenen großen Gewinn seiner +Geschäfte und begnügte sich mit geringerem, den er nicht allein an +wohltätige Anstalten, sondern auch an einzelne Arme verteilte. Dadurch +aber wurde sein Geschäftshaus nur noch gesuchter und er konnte kaum +so viel Wohltaten üben, daß der Reichtum nicht doch immer wieder +stieg. Von seinem Katecheten hatte er als Knabe »Die Nachfolge +Christi« zum Geschenk erhalten. Das war sein Lieblingsbuch gewesen in +der leidensreichen Zeit seiner Jugend. Jetzt holte es Herr Eberhard +wieder hervor und anstatt im Kurszettel las er im Erbauungsbuche. — +Es war ihm ernst. — Den schweren Prunk hatte er aus seiner Wohnung +entfernt. Mit seiner Familie gab's Kämpfe, als es daranging, einen +Überfluß um den anderen abzuschaffen, er aber sagte: »Meine Lieben, +wir haben uns verirrt in die Wüste des Geldes, wir müssen umkehren und +Menschen werden.« Die jungen Herrschaften<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> mußten sich's wohl oder +übel gefallen lassen, Menschen zu werden — sie wurden es. Die Söhne +entsagten dem Sporte, die Töchter dem Putze. Das taten sie aber erst, +als Herr Eberhard ihnen eines Tages mitgeteilt hatte, bei einer großen +fehlgeschlagenen Spekulation hätte er beinahe sein ganzes Vermögen +verloren. In Wahrheit war dem nicht genau so, nur daß er selbst täglich +tausende von Talern hinweggab an Armenhäuser, Krankenhäuser, Schulen, +Kirchen und Bettler. Er arbeitete noch einige Stunden des Tages, die +übrige Zeit verbrachte er, um Statistiken zu studieren, Armut und +Elend zu erforschen und da sah er denn freilich, daß Armut und Elend +über alle Maßen unergründlich sei, mit keinem Reichtum der Welt wett +zu machen. Das ließ ihn nicht verzagt werden. Er wollte das Seine tun +und sich ganz den Nebenmenschen opfern. Er las fleißig im Evangelium +Christi: — Selig sind die Armen im Geiste, ihrer ist das Himmelreich. +Selig sind die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen. Gib +dem, der dich bittet, und wende dich von dem nicht ab, der von dir +borgen will. Deine Linke wisse nicht, was deine Rechte tut und achte, +daß dein Almosen verborgen bleibe. Sammle nicht Schätze auf der Erde, +wo Rost und Motten fressen; sammle Schätze für den Himmel. — Und wenn +Herr Eberhard sich so versenkte in diese Lehren und sie befolgte, da +atmete er oft wie erleichtert auf. Jener Sterbende an seiner Tür, er +starrte ihn nicht mehr an mit seinem unendlichen Vorwurf, er blickte +fast freundlich auf ihn ...</p> + +<p>An der Pforte des reichen Mannes drängten sich die Armen aller Art. +Herr Eberhard unterschied nicht mehr strenge zwischen verdienter und +unverdienter Armut, er half wo und wie er konnte. Dem einen zahlte +er die Zinsen, dem anderen die Steuern, dem dritten schrieb er sich +als Bürgen<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> auf den Schuldschein. Einem Geldunterschlager, dem die +Entdeckung drohte, gab er Geld zur Ersetzung des Abganges. Und wenn er +von seiner Gemahlin, von seinen Kindern gefragt wurde, was denn die +vielen Leute immer wollten, wenn sein Geschäft so ganz und gar ruiniert +sei, so antwortete er: »Das sind eben die Gläubiger, die ihre Güter +holen kommen, die ich ihnen bisher verwaltet habe.«</p> + +<p>Die Frau schwieg und blickte ahnungsvoll einer schlimmen Zukunft +entgegen. Dabei war ihr aber süß, daß ihre Familie von der Bevölkerung +geradezu vergöttert wurde, daß sie als die Gemahlin des reichen +Wohltäters bei jeder Gelegenheit Ehren genoß, als wäre sie die Fürstin +der Stadt und des Tales. Allerdings wurden im Hintergrunde auch Stimmen +laut: Die Eberhardischen würden wohl wissen, warum sie so viel Gutes +tun; sie könnten wohl noch mehr geben. Wenn so einer, wie der Eberhard +hundert Taler gibt, die er nur aus der Kasse zu nehmen braucht, da +ist's gerade so viel, als wenn der arme Mann einen Kreuzer schenkt. So +einer kann eine Million verschenken und er tut sich nicht so weh, als +wenn ein Armer ein Paar Stiefel versetzen muß.</p> + +<p>Herr Eberhard hörte von solchen Stimmen wenige, denn im Vordergrunde +stand das laute Lob. Er kam sich selbst manchmal vor wie ein Heiliger, +der aus Nächstenliebe die Güter der Erde hingibt. Seinen Kindern sprach +er von der Unsittlichkeit ererbten oder nicht persönlich erworbenen +Reichtums und wies sie an, ihren Lebensunterhalt sich selbst zu +verdienen. Es ward ihm bitter hart, er kämpfte übermenschlich, ehe er +sie verstieß, doch endlich siegte er durch den Ausspruch: Du sollst +deine Familie verlassen und mir nachfolgen! — Und er fuhr fort, die +Reste seines Vermögens hinzugeben. Seine Gemahlin hätte ihn wohl +rechtzeitig unter gerichtliche Aufsicht stellen lassen, wenn sie von +seiner<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> Darstellung, als wäre längst durch unglückliche Spekulation +alles verloren worden und die seitherigen Weggaben seien nichts als das +Zurückstellen aufbewahrten Geldes, sich nicht hätte irreführen lassen. +Nun fiel sie ihm freilich um den Hals und sprach: »Lieber Mann, wir +werden noch selber betteln gehen müssen.«</p> + +<p>»O kurzsichtiges Menschenkind,« sagte zu ihr Herr Eberhard, »denke +an das Wort des Heilands: Wer zwei Röcke hat, der gebe den einen +davon dem, der keinen hat. Siehe die Blümlein auf dem Felde, sie säen +nicht, sie ernten nicht, und der himmlische Vater ernährt und kleidet +sie doch. Wenn mir ein kleines Dachstübchen bleibt, wie ich es einst +besessen, dann bin ich schon zufrieden.«</p> + +<p>Darauf vergingen noch wenige Jahre, dann war sein Ziel erreicht. Herr +Eberhard wohnte in einem schiefwändigen frostigen Dachstübchen. Und +wenn seine Frau, die auf dem Siechenbette lag, seinen Rock flicken +wollte, so konnte er nicht ausgehen, um Lebensmittel zu sammeln, +denn er hatte nur einen Rock. Seine in der Jugend verweichlichten +Söhne hatten dem harten Existenzkampfe nicht standzuhalten vermocht +und waren verkommen, die Töchter hatten sich einem Gewerbe ergeben, +das ihnen unmöglich machte, noch einmal unter die Augen der Eltern +zu treten. So waren die zwei alternden Leute nun ganz allein. Herr +Eberhard hatte in seinem Dachstübchen aber doch die Beschaulichkeit +und den Herzensfrieden nicht wieder gefunden, den er sich erhofft. +Sein christliches Wohltun — wie Schuld pochte es nun manchmal an sein +bangendes Herz, besonders wenn er an die verlorenen Kinder dachte. +Dazu ward er täglich beleidigt von der Roheit derer, zu denen er +bittend kam; sie nannten ihn einen Verschwender, dem jetzt ganz recht +geschehe. Von den nachgerade zahllosen Leuten, denen er einst Gutes +getan im<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> großen wie im kleinen, waren nur wenige vorhanden; von diesen +entschuldigte sich der eine mit eigenen Sorgen, der andere reichte +ihm widerwillig eine kleine Gabe und den guten Rat, sich doch selbst +wieder etwas zu verdienen, auch der Hände Arbeit schände nicht. Von +der Verehrung, die er einst genossen in der Gegend, war nichts mehr +übrig geblieben, ja man erinnerte sich nun wieder, daß der Taugenichts +doch im Blute liegen müsse, da ja sein Großvater stranguliert worden +sei. — Für solche Herzensbitterkeit fand Herr Eberhard in seinem +Evangeliumbuche keinen rechten Spruch. Und bei den schönen Worten von +der Seligkeit der Sanftmütigen, Traurigen und Verachteten war ihm, als +paßten sie nicht auf seine Verhältnisse, als habe der Heiland eine so +ungeheuerliche Undankbarkeit der Welt nicht voraussetzen können.</p> + +<p>Eines Tages kam ein gerichtlicher Auftrag, Herr Eberhard Roland habe +tausendfünfhundert Taler zu zahlen für eine Bürgschaft, die er einst +geleistet. Darauf antwortete er: »Machet, was ihr wollt, ich habe +nichts.« Da erschien nach einem Weilchen ein Gerichtsbeamter mit zwei +Dienern, und mit ihnen der Gläubiger, ein reicher Bäckermeister von +K. Dieser riß seine große, mit Banknoten wohlgefüllte Brieftasche +aus dem Sacke, zog aus derselben aber keine Banknoten, sondern den +Schuldschein, unter dem Herr Eberhard als Bürge stand. Der Bäcker +schimpfte und fluchte eine Weile über den voreinstigen Prasser und +Windbeutel, der jetzt von anderer, von ehrlicher Leute Arbeit leben +wolle und dann wurden die wenigen Möbel und Einrichtungsstücke in +Beschlag genommen und dem Herrn Eberhard die Wohnung gekündigt.</p> + +<p>Am rechten Arm ein Bündel, am linken sein krankes Weib, so wankte +Herr Eberhard hinaus. Bei wohlhabenden Leuten klopfte er an, die +einst seine Nachbarn gewesen, sie<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> hatten Ausflüchte. Eine alte arme +Tabaksverkäuferin, die selber fror in ihrer Bude, lud die armen Leute +ein, bei ihr zu rasten. Dem Herrn Eberhard aber war jetzt nicht +ums Rasten; als er sein Weib in die Obhut der Ständlerin gegeben +hatte, ging er hinaus in die Auen. In ihm war ein unerhörter Sturm. +Er verfluchte nicht die undankbaren Menschen, nein, er wütete in +grenzenloser Bitterkeit gegen das Evangelium, dem er so gläubig und +opferwillig gefolgt war, und das ihn dahin geführt hatte, wo er sich +jetzt befand.</p> + +<p>Dem Mühlbache ging er entlang. Da fiel ihm etwas ein. Er schlug +es rasch von sich, sein Weib konnte er nicht verlassen. Aber was +sonst? Was nun sonst? — Nach langem Irren kehrte er um gegen die +Stadt, es begann schon das Dunkeln des Abends. Vor sich sah er einen +großen dicken Mann dahinwackeln, sein Stöcklein bei jedem Schritt +gar selbstbewußt auf den steinigen Boden stoßend. Das war der +Bäckermeister, der ihn vorher entheimt hatte. Er war wohl bei seiner +Mühle draußen gewesen. Dem Herrn Eberhard wurde das Blut rasend, als +er in diesem Manne gleichsam verkernt seinen ungeheueren Irrtum, sein +Unglück sah. Der Bäcker war durchaus nicht christlich; er war hart +und rücksichtslos, er zertrat unbedenklich Existenz um Existenz, wenn +er daraus Nutzen ziehen konnte. Und wie ging's ihm gut und wie lief +er sogar nicht Gefahr, einmal zu verarmen, einmal die Achtung der +Mitmenschen zu verlieren. Hatte er diesen Bäcker nicht einst selbst aus +einer großen Geschäftsverlegenheit gerissen? War das Geld seiner heute +gefüllten Brieftasche nicht vielleicht Eberhards Geld? Konnte er es +nicht wieder zurücknehmen jetzt ...?</p> + +<p>Plötzlich bückte sich Herr Eberhard, hob einen scharfkantigen Stein auf +und schleuderte ihn nach dem Kopfe des Bäckers. Dieser stürzte fast +zusammen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span></p> + +<p>Herr Eberhard vergaß, weshalb er den Stein geworfen, ließ den +Sterbenden liegen und ging der Stadt zu, um sich dem Gerichte zu +stellen. Da lief ihm jemand nach und flüsterte: »Herr Eberhard! Herr +Eberhard! Sie wollen Ihrem Großvater nach! Das dürfen Sie nicht.«</p> + +<p>Herr Eberhard blieb stehen und fragte den etwas unheimlich aussehenden +Mann, was er wolle.</p> + +<p>»Nein,« wiederholte dieser, »das dürfen Sie nicht. Den Bäcker nehme +ich auf mich. Wissen Sie noch? Der Geldunterschlager auf der Post! Der +Fundler!«</p> + +<p>»Der Johann Fundler sind Sie? Jener Johann Fundler.«</p> + +<p>»Der bin ich. Und wissen Sie, was Sie damals gesagt haben, wie Sie +mir die veruntreute Summe vorgestreckt? Der Herr im Himmel freue +sich über ein verlorenes Schaf, das gerettet werde. Ich bin wieder +ein ordentlicher Mensch geworden damals, ohne daß jemand eine Ahnung +hatte, daß ich ein Lump gewesen. Und habe noch manch glückliches Jahr +genossen.«</p> + +<p>»Wollen Sie mir jetzt etwa das Geld zurückzahlen?« fragte Herr Eberhard.</p> + +<p>»Das kann ich nicht.«</p> + +<p>»Ich brauch's auch nicht.«</p> + +<p>»Ich habe weniger als nichts,« sagte der Postbeamte, »ich habe wieder +gestohlen und die Polizei ist mir schon auf den Fersen, jetzt hilft mir +nichts mehr, und deswegen nehme ich auch gleich den Bäcker auf mich und +Sie sind so gut und streichen mir die Schuld.«</p> + +<p>So hatte der Mensch in hastigen Stößen gesprochen und dann eilte er +dahin.</p> + +<p>Herr Eberhard lehnte sich an den Stamm einer Wildkastanie. — Also doch +noch Dankbarkeit!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span></p> + +<p>Spät abends kam er zu seinem Weibe zurück, das in der Kammer jener +Tabakverkäuferin auf einem alten Tuchmantel lag, und zu ihr sagte +er: »Wärest du nur bei mir gewesen auf diesem Spaziergang, so hätten +wir in Zukunft beide ein Quartier, nicht bloß ich allein. Weißt du +etwas Neues? Just haben sie den toten Bäcker vorbeigetragen, der uns +gepfändet hat. In der Au mit einem Stein erschlagen. Der Postbeamte +Fundler will's getan haben. Der Fundler ist ein Lügner. Ich werde es +den Herren schon beweisen, daß der Fundler ein Lump ist. Aber dieser +schlechte Lump ist der bravste Mensch in der ganzen Stadt. — Er ist +dankbar.«</p> + +<p>Am nächsten Tag wurde das Weib ins Armenhaus gebracht und Herr Eberhard +ins Gefängnis. Er hatte tüchtig zu tun gehabt, seinem dankbaren +Postbeamten den erschlagenen Bäcker zu entwinden; es schien auch so +unglaublich, daß Herr Eberhard einen Mord sollte begangen haben. Er +legte einen freiwilligen Eid drauf ab. Ob's ein Rachemord oder ein +Raubmord hätte sein sollen, das wüßte er selber nicht. — Und nun +hatte er wieder seine Beschaulichkeit. Nun konnte er nachdenken, warum +er eigentlich dem Heiland bis zum Dachstübchen nachfolgen wollte, +und nicht weiter — nicht bis zur Kreuzigung? Warum er denn seine +gesellschaftliche Stellung, sein Vermögen, ja selbst seine Familie +hingeopfert hatte, um dem Evangelium gerecht zu werden, wenn er dann +doch auf einmal der menschlichen Natur nachgab? Jetzt sah er, wohin +die Nachfolge Christi führt: Wenn man dem Heiland auf dem ganzen Wege +nachfolgt, so kommt man freilich in den Himmel, wenn man auf halbem +Wege ablenkt, so kommt man in den Kerker. Und das passiert manchem.</p> + +<p>So der Erzähler. Die Gesellschaft schwieg.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_alte_Adam">Der alte Adam.</h2> +</div> + + +<p>Mit vernünftigen Gründen vermag die Weiserin Natur bei uns vernünftigen +Leuten selten was auszurichten, und so steckt sie sich zuweilen hinter +Sonderlinge und Narren; denn nur den Unverständigen belehrt der +Vernünftige, des Weisen Lehrmeister aber ist und bleibt in Ewigkeit der +Narr.</p> + +<p>Allerdings scheint es, als hätten die Strubacher-Leut' vom Lehm-Lamel +nicht viel gelernt; der Lamel war gerade noch um ein halb Köpflein zu +vernünftig für sie.</p> + +<p>In vergangenen Jahren war er eigentlich gar sehr vernünftig und +tüchtig gewesen, der Lamel. Er besaß eine Lehmgrube, die ihm guten +Gewinn und den Namen Lehm-Lamel eintrug; zu Recht aber war er Wegwart +an der Reichsstraße, die damals in weißen staubigen Bändern mit +Wagengeknarre, Rossegewieher, Fuhrmannsgeschrei, Peitschengeknatter +und Handwerksburschengetriller durch die Länder schlängelte. Damals +war noch die Zeit, in der die Dörfer und Flecken groß, die Postmeister +reich, die Wirte dick wurden, die Städte aber, durch steinerne Gürtel +zusammengeschnürt, an Engbrüstigkeit litten.</p> + +<p>Damals sind Wegwarte bedeutende Leute gewesen, ohne sie hätte das +Räderwerk der Straße, des Landes, des Reichsverkehres gestockt, wäre +versunken in Schlamm. Der Lamel hatte seine Pflicht wohl erfüllt, seine +Strecke war stets die bestgeschotterte, auch hatte er an derselben +eine Allee von Obstbäumen gepflanzt, wofür er anfangs gerügt, später +aber, als sie zwar nur wenig Schatten, aber um so mehr Obst<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> gaben, +belobt wurde. Und er freute sich baß, wenn ihm Handwerksburschen Äpfel +und Zwetschken stahlen, weil er wohl wußte, daß verbotene Früchte süß +schmecken. So war er stolz auf sein süßes Obst, das geschenkt oder +selbst gegessen schier ein wenig stark säuerlich schmecken wollte.</p> + +<p>Auch um sein Haus hatte der Lamel einen Garten von Obstbäumen; der war +seine Erquickung, denn die Bäume trugen Äpfel, die ließ er pressen, den +Most wahren und gären, und wenn das Getränke klar und herbe geworden, +so trank er es als echten Wein. Und der Apfelwein — dem Vater Noah zu +Trutz sei's gesagt — gab dem Traubenwein nichts nach, hingegen gab +der Lamel dem Apfelwein nach, und zwar nicht selten auf Kosten seiner +Selbständigkeit.</p> + +<p>Auf die kleine Schwäche müssen wir einen großen Vorzug erwähnen. Der +Lamel war schriftgelehrt und ging in den Feierstunden daran, die sieben +Siegel der Bibel zu lösen, wobei ihm der Apfelwein stets behilflich +war, so daß er schließlich die Offenbarungen des heiligen Johannes +leibhaftig um sich herumtanzen sah, mitsamt den vier Ältesten und dem +Lamel.</p> + +<p>Eines Abends sprach ein alter hinkender und schielender +Handwerksbursche im Hause des Wegwarts zu, nahm am Brunnen einen Trunk +und wusch sich hierauf den Staub von den Füßen. Weil der Wegwart nicht +weit davon stand und dem Alten lächelnd zusah, so wurde dieser dreist +und bat um Nachtherberge. Bei Wegwächtern kehrt man sonst nicht zu, +aber der Lamel wollte auch einmal ein Hausvater sein und sagte: »Hat Er +ein Wanderbuch?«</p> + +<p>»Ein Wanderbuch?« fragte der Geselle schielend entgegen, »— ein Wander +— — das heißt — ja freilich, freilich hab' ich ein Wanderbuch.«</p> + +<p>Der Lamel nahm das blau eingebundene Ding in Empfang,<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> legte es in +seinen Schrank und ließ dem Fremden Nachtmahl und Nachtlager geben.</p> + +<p>Am anderen Morgen, noch ehe die Sonne und der Lamel aufgingen, war +der alte Wanderbursche davon und mit ihm das neue Paar Juchtenstiefel +des Wegwart. — Fand es eigentlich soweit in Ordnung, der Lamel, denn +gute Stiefel müssen wandern und ein echter Haderlump muß stehlen. Aber +wie ein Mensch so leichtfertig sein kann, sein Wanderbuch im Stiche +zu lassen! — Das blaue Buch lag noch im Schranke, der Lamel öffnete, +durchblätterte es — ja, was ist denn das für ein wunderlich Wesen? +Ein Wanderbuch allerdings, aber ein gedrucktes. »Das Buch über die +Seelenwanderung« war es benamset und bei näherer Untersuchung enthielt +es große Abhandlungen in langen Kapiteln mit geheimnisvollem Dunkel und +tiefer Weihe geschrieben. Der Verfasser war nicht genannt — so konnte +es auch der heilige Geist selber diktiert haben.</p> + +<p>Und als wieder die Feierstunden kamen, da schaffte sich der Lamel einen +Krug Weines ins Stübchen und begann das Buch von der Seelenwanderung +zu lesen. Das erzählte fürs erste die Geschichte des Glaubens an die +Seelenwanderung, wobei natürlich viel von den alten Ägyptern die Rede +war, kam auch später auf das Feld der Spiritisten. Und schließlich +verharrte das Buch gläubig bei folgender Lehre:</p> + +<p>»Jene Engel, die im Himmel sich versündigt hatten, verstieß Gott in +eine Ödnis, so die Erde heißet. Auf der Erde lebten die Verstorbenen +in Leibern aus Lehm und waren anheimgestellt der Drangsal und sollten +ihren Fehltritt sühnen, bevor ihr Leib wieder zu Lehm sich lösete. +Wenigen gelang es, in ihrer irdischen Natur, sozusagen in einer Hülle +von Kot, sich zu reinigen; denen es gelang, die wurden wieder in die +Himmel aufgenommen; denen es nicht<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> gelang, die mußten von neuem in +irdische Leiber zurückkehren, und dies immer wieder und so lange, bis +sie durch Not und Trübsal genugsam rein geworden, etwas Großes hier +gewirkt hätten und endlich dereinst in die Himmel aufgenommen werden. +So ist das Menschengeschlecht entstanden und so muß es fortbestehen, +bis der letzte Engel seinen letzten Fehl, er rühre noch vom himmlischen +Reiche oder von seinem vorhergegangenen Erdenleben her, gesühnt +hat. Zum Beispiel Abraham, Moses, Paulus, Mohammed, Karl der Große, +Kolumbus, Schiller usw. gehören nun zu den Erlöseten, die, wie oft +sie auch früherhin in Erdenleibern gewesen sein mögen, ihre Büßerbahn +erst mit dem Dasein, in dem sie das Große gewirkt, beschlossen haben. +Hingegen, um nur weltberühmte Übeltäter zu nennen, zum Beispiel Pharao, +Herodes, Nero, Alexander V., Napoleon und andere haben mit diesen ihren +Existenzen nicht abgeschlossen, müssen so oft und so lange wieder in +menschliche Leiber zurückkehren, bis nicht allein ihre Verbrechen in +den Himmeln, sondern auch ihre bösen Taten auf Erden gebüßt sind. Wie +oft, Leser — so schaltete das Buch packend ein —, magst du schon auf +Erden gewesen sein? Wer weiß es denn, ob du nicht der Kain warst, oder +Alexander der Große geheißen, oder Pontius Pilatus, der unsern Herrn +ans Kreuz schlagen ließ, oder Robespierre, der Wüterich von Paris? Der +Urvater Adam selbst kann heute noch auf Erden wandern, etwa in deinem +Gebietiger (so zu lesen), der dich schützt und schlägt, etwa in dem +Bettelmann, der dich um Almosen anfleht, etwa in dir, in deinem Sohne!« +—</p> + +<p>Fast hätte der Lehm-Lamel über das merkwürdige Buch des Apfelweines +vergessen. <em class="gesperrt">Das</em> war ein Buch. Das leuchtet ein. Ja, jetzt +ist das Rätsel gelöst. Darum die Welt, darum die vielen armseligen +Menschen, darum die wenigen<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> großen Taten und darum das Sprichwort +von einem großen Wohltäter: »So einer kommt nicht wieder!« Und das +Böse wird bestraft und das Gute belohnt und die Erde ist eigentlich +das Fegefeuer. Wie das stimmt! — Und ein solches Licht für ein paar +Juchtenstiefel! Wer weiß! Der alte Handwerksbursche kann ein guter +Engel gewesen sein; man kann's nicht wissen — gar nichts kann man +wissen auf der Welt, als was in diesem Buche steht.</p> + +<p>Und wieder und immer wieder las der alte Wegwart in der wunderlichen +Schrift. Oft sann er lange und ernstlich über sich selbst. — »Jetzt +steht die Welt schon sechstausend Jahr', und du bist noch nicht +fertig, Lehm-Lamel, gefallener Engel, bist noch immer da? An die +neunzig Menschenalter sind seit der Erschaffung der Welt, hast sie +alle durchgemacht und bist erst noch nichts als der dumme Wegwächter, +dem alle Rösser der Welt auf die Arbeit pissen. Was hast denn immer +getrieben, du Haderlump? Viel mag ich nicht wetten, du bist bei den +Zigeunern gewesen ...«</p> + +<p>Er las sich streng die Leviten und trank Apfelwein dabei, und +tatsächlich, es war ihm zumute, als hätte er auch vor mehreren tausend +Jahren schon aus dem Kruge getrunken — zu Noahs Zeiten — nur bedünkte +ihm, der Wein wäre damals nicht ganz so sauer gewesen als heute. — +Der Wein hat auch seinen Geist; seine Seele demnach. Wie wenn auch +diese wanderte? Der Saure, der Gewässerte, der künstlich Gezuckerte und +Durchgeistigte — nimmer erfüllte er seinen Beruf, er muß noch einmal +in die Kelter. Aber der Apfelwein ist ohne Falsch und vermag — wenn +man betrachtet, wie der kräftige Lamel zuweilen auf dem Boden liegt — +Großes zu vollbringen. — So wird der Apfelwein über kurz den reinen +Geistern beigesellet sein ...</p> + +<p>Der Lamel war bisher Junggeselle geblieben, so war<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> fürs erste niemand +da, der zu seiner seelischen Reinigung beitrug, und der ihn fürs zweite +in seinen Grübeleien zerstreut hätte. Also verbiß er sich immer mehr +in das Buch von der Seelenwanderung, und also wurde er allmählich ein +Narr. Die Idee, ob er nicht etwa doch einer aus dem Alten Testamente +sei — er las nebenbei auch immer die Bibel — und ob nicht gar die +Seele des unerlösten Adam in ihm stecke, trug er lange mit sich herum. +Und in seiner Vermutung wurde er bestärkt, als er sich jählings in ein +junges Weib verliebte. Er war noch nicht zweimal zwanzig Jahre alt und +durchaus, vom Fuß bis zum Kopf, ein Wegwart, der sich sehen lassen +durfte. Sie war eine Kalkbrennerin in der Gegend; die schöne Strinerl +geheißen; ihre Haare waren so gelb wie das Korngehalme auf dem Felde +zur Zeit, wenn der Schnitter kommt. Ging der Lamel zur Schnittzeit über +die Felder, so las er nicht ungerne die bauchigen Körnlein aus den +Ähren und zermalmte sie mit seinen urtüchtigen Zähnen. Und dachte dabei +an den Schatz.</p> + +<p>Aber — Lehm-Lamel-Adam, kannst du dich denn nicht mehr erinnern, das +voreinstmalen die goldhaarige Eva schuld war an deinem Falle, an deiner +Austreibung aus dem Paradiese und an deiner ruhelosen Seelenwanderung +durch die Geschlechter der Menschen? — Der Apfelbiß in der Bibel! +nichts als Blumensprache, du weißt es recht gut. Lehm-Lamel-Adam! Was +zieht doch täglich für ein Volk die Straße entlang, an dir vorbei? +Ein unselig Volk von Bettlern, Vagabunden, Tagedieben! Dort wankt +ein Blinder, geführt von seinem halbnackten Kinde; dort schleppt ein +kraftloses Maultier einen lahmen Mann; dort geleiten Schergen einen +Übeltäter heran und drüberhin flattern und krächzen die Raben. Hier +sprengt mit Roß und Wagen ein anderer Übeltäter vorüber; dort liegt ein +Waisenknabe im<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> Straßengraben und ächzt. Sechs schwarze Hengste führen +die Leiche eines reichen Selbstmörders ihrer prunkenden Gruft zu. Dort +am Steinhaufen kauern Mann und Weib und Kinder in Lumpen; die Kinder +schreien nach Brot, der Mann verflucht sein Geschick. Und hier wankt +ein Enttäuschter, Vernichteter des Weges zurück, den er vor kurzer Zeit +erst mit fliegenden Plänen und Hoffnungen gezogen. Und so zieht's Tag +für Tag und Jahr für Jahr die breite Straße entlang; ganze Kriegsheere +dazwischen, ausfahrend, um zu morden und zu rauben. Und das — all das +ist das Menschengeschlecht. Adam, das ist deine Sippe! — Und wiederum +gehst du auf Freiersfüßen, anstatt anzupacken, daß die ganze mißratene +Brut vertilgt werde!</p> + +<p>So schrie das Gewissen dem Wegwart in die Ohren.</p> + +<p>Es war nur ein alter Eseltreiber, der eines Tages beim Wegwart zusprach.</p> + +<p>»Lehm-Lamel!« rief er durchs Fenster hinein, »weißt du schon, daß +die Strubacher-Leut' nicht mehr sprechen können? Sie heißen dich den +Lahm-Limmel.«</p> + +<p>»Treib' deine Esel in meinen Obstgarten,« sagte der Lamel, »und setz' +dich zu mir, ich muß dir doch etwas aus diesem Buche vorlesen.« Dann +hub er an und teilte dem Treiber die Lehre von der Seelenwanderung mit. +— »Und für ein Paar Stiefel hat mir ein Landstreicher dieses Werk im +Haus gelassen!«</p> + +<p>»Der hat gewußt, was er getan hat,« rief der Eseltreiber und schlug mit +der flachen Hand aufs Buch, »aber Leder ist hier <em class="gesperrt">mehr</em> drin.«</p> + +<p>Als sie tiefer in das Gespräch kamen und der Lamel mitgeteilt hatte, +daß mutmaßlich die Seele des Adam aus dem Paradiese in ihm stecke, +neigte der Treiber zustimmend den Kopf. Und als sich jener Rates holte, +was er denn eigentlich<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> werde tun müssen, um sich zu erlösen, sagte +dieser: »Luderleben sollst keins führen, das ist die verbotene Frucht. +Selbst meine Esel möchten Heu haben und müssen Stroh fressen. Aber das +Müssen gilt nicht. Wer's freiwillig tut, dem ist's ein Verdienst.«</p> + +<p>»Ich hüte mich wohl,« sagte der Lamel, »da schau meine Obstbäume an, +die schönsten Äpfel, die prächtigsten Äpfel! Du, ich sag' dir, nicht +einen einzigen ess' ich im Jahr. Gott hat schon im Paradiese den Apfel +verboten.«</p> + +<p>»Geh,« lachte der Eseltreiber, »du bist schlau, die Äpfel ißt du nicht, +aber ihren Saft pressest du heraus und damit trinkest du dir die +Räusche!«</p> + +<p>Schier zu Tode erschrak der Lamel über diesen Vorwurf; er sah es +plötzlich ein, der Eselmann hatte recht, im Apfelwein genoß er die +verbotene Frucht.</p> + +<p>Und von dieser Zeit an hatte sich der Wegwart fest vorgenommen, nicht +einen Tropfen des falschen Getränkes mehr zu trinken, als bis er im +Reiche Gottes zur »Rechten« säße. Es gelang ihm eine erkleckliche +Weile, seine argen Gelüste zu zähmen und seinen sündigen Menschen +zu verleugnen, und er hatte schon gegründete Hoffnung, daß Adams +langwierige und langweilige Seelenwanderung in dem schlichten Wegwart +endlich ihren guten Abschluß finden würde.</p> + +<p>Da war einmal ein heißer Sommertag und da kam die schöne Strinerl +die staubige Straße gegangen. Sie sah den Schatten in des Wegwarts +Obstgarten, sie hörte den Brunnen rieseln; so trat sie in den kleinen +Hof, um zu trinken.</p> + +<p>Schon hielt sie die braune, hohle Hand unter den klaren Strahl, als sie +der Lamel vom Fenster aus bemerkte.</p> + +<p>»Närrchen, Närrchen!« rief er, »was wirst Wasser trinken! Ich habe +einen guten Apfelwein im Keller, ich selber brauch' ihn nicht; für wen +hätt' ich ihn, Dirndl, als für dich?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span></p> + +<p>Er eilte in den Keller, entspundete ein Fäßchen und steckte einen +Schlauch hinein, um die Gottesgabe in den bereiten Krug herauszuheben. +Doch, als er mit dem Atem hob und als es kühl und feucht wurde unter +seinem lechzenden Gaumen, da kam er ins Saugen und der Wein ging durch +den Schlauch geradewegs in seine Gurgel. Er trank herzhaft drauflos, +vergaß die gelblockige Strinerl, vergaß den Adam, trank und trank die +langentbehrte Labe — trank und sank endlich auf den kühlen Lehm des +Kellers hin.</p> + +<p>»Lamel!« lallte er schläferig, »war <em class="gesperrt">das</em> ein Durst! Und er ist +noch — nicht gelöscht. Will ihn gründlich löschen — den Durst, weil +ich schon dabei bin. — Strinerl, komm' her! — 's hilft nichts dafür, +der Mensch ist wie er ist. Er mag sich drehen und spreizen wie er will, +er mag ein Röckel tragen, blau oder rot. Oder gar keins. Er mag sich +die Haut umwenden. Mag auf dem Fuß stehen oder auf dem Kopf. 's ist +alles eins. 's ist und 's bleibt der alte Adam ...«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Saeemann">Der Säemann.</h2> +</div> + + +<p>Seit Jahrhunderten gab es im Tale keinen merkwürdigeren Mann als den +Samstag-Christof. Er hätte dreimal Anrecht gehabt auf das Spital, denn +er war übel geboren. Eine Krankheit hatte ihn zugerichtet, er war +stocktaub und einäugig und hatte eine verstümmelte rechte Hand. Aber +seine Linke war gesund und ernährte drei Gemeinden. Der Christof war +arm und wohnte unter dem Strohdach einer Scheune. Als Knabe entsprang +er dem Krankenhause, in das ihn der Vormund nach dem Tode der Eltern +gesteckt hatte; die erste Nacht nach seiner Flucht verschlief er in der +Scheune, und seitdem war diese sein Daheim gewesen, und er hatte in ihr +seinen ersten Bart und seine weißen Haare erwartet. Aus Stroh hatte er +sich ein Stübchen geflochten, das sah aus wie ein mächtiger Korb, und +hielt die Kälte und Hitze ab. Das Stroh beschützte den Mann ja gern, +denn jeder Halm verdankte ihm das Leben und die Ähren ließen gerne ihre +rundesten Körner dem guten Christof zum Brot. Der Mann war eine Gestalt +zum Erbarmen; aber es gab keinen Amtmann weit und breit, der so geehrt +und in sich so glückselig war, als der Samstag-Christof.</p> + +<p>Der Samstag-Christof war wie die Kraft Gottes, des Schöpfers, könnte +man sagen; worüber er seine Hand ausstreckte — und es war doch nur +die linke — das wurde gesegnet. Man wußte nicht, woher es kam, es war +eine angeborene Eigenschaft; Christof war der berühmteste Säemann im +ganzen Bergland. Es gab sehr geschickte und erfahrene Bauern im Tal, +sie hatten — darüber war nicht zu klagen — fleißige Hände und volle +Speicher, sie verstanden das<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> Ernten — aber das Säen verstanden sie +lange nicht immer. Einmal ging das Korn zu dicht auf und erstickte +sich, das andere Mal standen die Halme schuhweit auseinander und jede +Ähre hatte ein ganzes Ländchen für sich — dafür trugen sie auch den +Kopf hoch und waren leer und spießig, statt voll und glatt. Oft waren +mitten in den Äckern leere Gassen, durch die Roß und Wagen hätten +ziehen können, ohne ein Hälmlein zu beschädigen. Ein Sträfling kann +die Gassen, durch die er Spießruten laufen muß, kaum stärker hassen, +als der Bauer solch eine leere Gasse durch sein Kornfeld haßt. Die +Samenkörner mit vollen Händen hinzuwerfen, ist freilich leicht, aber +das Erdreich ist braun und die Körner sind braun, und es ist schwer, +die Gleichmäßigkeit einzuhalten, daß kein Fleckchen leer bleibt oder +keine Handvoll auf die andere fällt. Gute Augen, ein gleicher Schritt +und eine sichere Hand gehören dazu.</p> + +<p>Der Samstag-Christof hatte nur ein einziges Auge, das gewiß nicht über +die Ecke der Nase sah, und er hatte sichelkrumme Füße, und er hatte nur +die »dengge« Hand, und dennoch blieb, wenn er säete, auf dem ganzen +weiten Felde keine Handbreit leer und kein Korn fiel auf das andere. +Wenn auf Christofs Acker der Same aufging, so war das so gleichmäßig +wie eine grünende Wiese, und wenn er reifte, legte ein Halm seine +schwere Ähre auf die Achsel des andern.</p> + +<p>Darum suchten alle den Christof auf in seinem Strohkorbe, darum tat der +Christof im Frühjahre und Herbste zwei Monate nichts als säen, und er +säete auf allen Feldern des ganzen weiten Tales. Da trug er ein großes, +weißes Tuch um die Lenden, und darin hatte er das Samenkorn, ein +strotziges Bündel. So legte er fast mit Grazie seine Linke hinein und +schwang sie dann gefüllt — nicht auf das gelockerte Feld. — Die erste +Handvoll warf er auf<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> sandigen Boden oder auf einen Felsen, oder hin +über das Heidekraut des Raines. Warum er's tat, das sagte er nicht und +keiner stellte ihn darob zur Rede. Dann aber ging's über das Feld, von +einem Rain bis zum andern. Wie er die Hand so schwang im Halbkreise, +da zogen von ihr die braungelblichen Strahlen der Körner aus, und sie +verdünnten sich in der weiten Runde und wurden unsichtbar, bis sie zur +Erde fielen. Gleich kamen auch die Vöglein herbeigeflogen von den nahen +Bäumen und von den Büschen. Sonst hüpfen sie gerne auf den Erdschollen +herum und picken die frischgesäeten Körner auf, aber dem alten Christof +flogen sie auf die Achsel oder die Lederhaube, und einmal ließen sie +sich gar wundersam nieder zum Kornsack und schnappten nach Lust die +Dingelchen heraus. Als ob es ihnen gesagt worden wäre, daß das Körnlein +im Sacke geradeso sättigt wie das Körnlein im Erdreiche, obwohl das +erstere nur ein einzig Körnlein bedeutet, das letztere aber eine ganze +schwere Ähre.</p> + +<p>Keine Handlung im formreichen Kultus des Landmanns ist so würdevoll und +heilig wie das Hinlegen des Samenkornes in die Erde. Das ist Glaube +und Hoffnung, das ist ein Begräbnis mit der kindlichsten Zuversicht +an die Auferstehung. Ich habe noch keinen lachenden, singenden oder +plaudernden Säemann gesehen; der tollste, ausgelassenste Bursche +schreitet bei dieser Arbeit still und ernst einher, als sei er zur +selbigen Stunde ein Wundermann, der mit wenigen Broten viele speist. Es +ist, als ob den Säemann bei dieser Handlung eine Ahnung überkäme von +seinem eigenen Hinsinken in das Erdreich und Wiederhervorgehen zu neuem +Leben.</p> + +<p>Freilich wohl liegt über diesem tiefen Meere der Poesie, sowie immer im +Volke, der Schaum des Aberglaubens. Der Säemann soll ein Sonntagskind +sein und die Arbeit nur bei<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> aufnehmendem Monde verrichten. Gesagt ist, +daß der Same besser gedeiht, wenn er früher mit Weihwasser übergossen +wird; das Wasser müßte aber nicht gerade geweiht sein, die Hauptsache +ist nur, daß es befeuchtet. Sonst wird beim Säen die erste und die +letzte Handvoll kreuzweise hingeworfen, damit nicht etwa der böse Feind +Unkraut unter den Weizen menge. Aber der Christof tat das nicht, die +erste legte er auf unfruchtbaren Grund und die letzte — es war recht +und billig — behielt er sich zum Eigentum. Hatte er an einem Tage +zehn Äcker besäet, so hatte er sich zehn Hände voll Korn erworben; +so ließ sich in der Säezeit der Lebensunterhalt für das ganze Jahr +zusammenbringen.</p> + +<p>Im Tale lebte ein häßliches Weib, die Brennessel-Gret. Es war eine arme +Witwe, mit drei kleinen Kindern; es war auch ein Säeweib und hatte sich +und anderen durch seine böse Zunge schon viel Unkraut ausgestreut. Die +Gret liebte keinen Unglücklichen, umsomehr haßte sie den Glücklichen. +Der Samstag-Christof, arm und häßlich wie sie, aber geachtet von +allmänniglich und geliebt von jedem Kinde, selbst von den Vöglein der +Lüfte, war ihr ein Dorn im Auge. Im allgemeinen achtete man nicht auf +die Brennessel-Gret, was sie auch sagen und tun mochte. Auf einmal aber +ging ein Gerücht durch aller Leute Mund: Nun, endlich wisse man's, +warum der Samstag-Christof so trefflich säe, er benütze den Bösen +dazu, der müsse ihm jedes Korn auf den genau abgemessenen Platz in die +Erde legen und bekäme dafür die erste Handvoll, die der Christof auf +unfruchtbaren Boden wirft. Der Samstag-Christof sei ein Hexenmeister.</p> + +<p>Man weiß, wie Bauern sind — im nächsten Jahre säete jeder sein +Kornfeld eigenhändig, und dem alten Christof wich man aus und grüßte +ihn kaum mehr. Dieser lebte verborgen in seiner Scheune, während +draußen der Frühling<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> war. Aber als die Saat aufging, gab es über die +Felder hin viele aschgraue, kahle Streifen und zur Blütezeit wucherte +Nesselkraut und Hederich zwischen den Halmen und in den Erntetagen +lagen die Garben dünn zerstreut auf den Stoppeln.</p> + +<p>Im nächsten Herbste wurde in der Hütte der Brennessel-Gret viel gebetet +und geflucht. Das Weib hatte sein Kornackerl bestellt, aber nun bekam +es, wie sonst alljährlich, keinen Samen von der Nachbarschaft; erstens, +weil solcher in diesem Jahre rarer war als sonst, zweitens, weil sich +das Weib immer mehr verhaßt gemacht hatte. Alles bestellte seine +Wintersaat, aber der Acker der Witwe blieb brach liegen. Christof hatte +in seinem Vorrat einen Kübel Korn; da dachte er bei sich: Streue ich +diese Körner auf ihr Feld, so bin ich wieder der Hexenmeister, und +bleibt ihr Acker leer, so verhungert sie mit ihren Kindern. — Da war +der alte Mann einmal über eine Nacht nicht in seiner Scheune.</p> + +<p>Der Winter kam und ging vorüber; in der Hütte des Nesselweibes war +Trostlosigkeit; die Grete betete für ihre Kinder und verfluchte alle +übrigen Menschen. Aber im Frühjahre, als alle Felder grünten im weiten +Tale, grünte auch das der Witwe; es ging aus demselben das Korn auf in +saftiger Fülle und schöner Gleichmäßigkeit, erquickender zu sehen, wie +alle Äcker der Großbauern. Der Samstag-Christof hatte hier gesäet, es +ließ sich nicht leugnen. Nächtlicherweile mußte er es getan haben, und +dennoch stand jedes Hälmlein von den anderen wie abgemessen. Das hätte +den Argwohn von dem »Hexenmeister« wohl bestärkt, aber der Pfarrer +sagte: »Er hat Almosen gegeben mit der Linken, ohne daß es die Rechte +wußte; er ist, umgekehrt wie im Evangelium, gegangen auf den Acker des +Feindes um Mitternacht und hat das Unkraut zertreten und guten Samen +gestreut.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span></p> + +<p>Ich habe den alten Samstag-Christof noch gekannt. Über seinen Körper +schienen alle Übel kommen zu wollen; in seinen letzten Jahren war +er so buckelig, daß er wie ein Ballen herangewandelt kam. Sein +niedergebeugter Kopf war kaum einen Fuß von der Erde entfernt, seine +hageren Hände, wovon die Rechte fingerlos war, hingen nieder bis zum +Boden; es war, als ob er alle Körner wieder auflesen wollte, die er +in seinem Leben ausgestreut hatte. An einem Samstagabend fand man ihn +mitten auf einem reichen Kornfeld leblos, tief zusammengekauert wie ein +Samenkorn, das, in Verwesung übergehend, keimen will. Man konnte den +Greis nicht mehr gerade legen, der Sarg mußte kurz und breit sein.</p> + +<p>Das Grab des alten Christof wurde bald weit und breit bekannt; es +wuchsen Halme auf ihm und Kornähren daran. Die alte Brennessel-Gret +führte ihre drei Kinder zum Hügel, pflückte jedem eine Ähre und sagte: +»Nehmt und bauet sie an.«</p> + +<p>Zwei dieser Kinder besitzen heute weite Kornfelder, herausgewachsen aus +den zwei Ähren; das dritte aber hat seine Ähre verworfen und zieht hab- +und heimatlos durch die Länder.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_scheltend_Schuster">Der scheltend' Schuster.</h2> +</div> + + +<p>Da stand in den Zeitungen der Bericht von einem Manne in Boston, der +jedesmal, wenn er fluche, ein Geschenk zu kirchlichen Zwecken gebe, auf +diese Art bereits ein Bethaus erbaut habe und nun dabei wäre, einen +Turm auf die Presbyterianerkirche zu fluchen.</p> + +<p>Dieser Bericht erinnerte mich an den Flucher Martin Leitner in +Fischböckgraben, welcher Leitner unter dem Namen: »Der scheltend' +Schuster« weit und breit bekannt war. Um ein guter Flucher zu sein, +braucht man rhetorisches Talent; mit etlichen groben Redensarten allein +ist's da nicht abgetan, die bringt jeder ungehobelte Bauer zuweg, +ja selbst der Stadtherr und die Stadtfrau, was mir eine ganze Welt +von dienstbaren Geistern beweisen helfen kann. Der geborene Flucher +flucht mit Grazie, mit Humor, mit Wärme und Empfindung, mit schönem +Pathos, kurz, mit dichterischem Schwung. Ihm steht eine unerschöpfliche +Mannigfaltigkeit der Form zu Gebote, ein Bilderreichtum gewaltiger +Phantasie, sein Fluch ist als Ausdruck der Empfindung ein poetisches +Werk lyrischer Art. Fluchen und Beten sind scheinbar sich ganz +entgegengesetzte Dinge, in Wahrheit aber gleichartiger Natur: Beides +ist eine Wunschäußerung des Gemütes gegenüber einem übernatürlichen +Geiste. Zum Glücke wird so selten andächtig geflucht als andächtig +gebetet.</p> + +<p>Der Schuhmachermeister Martin und sein Geselle, der fromme Barthel, +leisteten in beiden Fächern ganz Erkleckliches. So oft der Martin +den Mund auftat, zitterten alle tausend Mordelemente im Himmel und +auf Erden; und wenn der alte Barthel während des Drahtziehens seine +frommen<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> Stoßgebetlein ins Pech oder ins Leder murmelte, hatte es +eine Art, daß, wie der Meister sagte, nur gerade das kreuzweis +verschweifelte Donnerwetter dreinpfeifen müßte! Sie eiferten sich +gegenseitig an zu ihren Tugenden; je mehr der eine fluchte, je mehr +betete der andere, und je mehr dieser betete, je mehr fluchte jener. +So gab es denn in der Schusterwerkstatt oftmals einen Geruch wie von +Weihrauch und Schwefel durcheinander.</p> + +<p>Den Meister ärgerte des weiteren das Beten nicht, insofern war er +duldsamer als sein Geselle, dem das Fluchen seines Herrn ein Greuel war.</p> + +<p>Nicht ungern erzählte der Schustergeselle die Geschichte von dem +fluchenden Weber, der so lange in das bei einem ungeduldigen Weber +stets verknüpfte und verworrene Garn hineinfluchte, bis er umgarnt war +und ihn mit Haut und Haar der Böse holte, den er so oft angerufen hatte.</p> + +<p>»Das muß schon ein sternhageldick verzweifelter Narr gewesen sein,« +meinte der Meister, »wer wird denn so fluchen?«</p> + +<p>Der Barthel glotzte ihn ganz dumm an, und eines Tages rückte er den +Dreifuß und sagte: »Der Meister ist sonst kein zuwiderer Mensch nicht, +aber halt das gottlose Schelten und Eitelnennen Gottes! So oft der +Meister tut fluchen, gibt's mir einen Stich ins Herz, als wie wenn eins +mit dem Ahl-Ertel ohne Schmer hinein tät' rennen. Das bin ich gar nicht +gewohnt, und jetzt sag' ich meinen Dienst auf.«</p> + +<p>Wickelte der Meister den Pechdraht um die Hand, rückte auch seinerseits +den Dreifuß und antwortete: »Was heißt das, Barthel? Wer nennt den +Gottesnamen eitel, ich oder du? Schelten! Fluchen! Du tust ja, als +wie wenn ich ein siebendoppelter Heid' tät' sein! So ein blitzblau +vernagelter Unsinn! Ob mich schon wer fluchen gehört hat, möcht' ich<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> +wissen, du gottverdammter Ehrabschneider, du vermaledeiter, daß dich +der Teufel hol—lertee trink' ich gern.«</p> + +<p>Aber fluchen tat er nicht.</p> + +<p>So klagte der Barthel seine Not einmal den Kirchenpröbsten, unter +welchen die Sakristeidiener und Vorbeter verstanden sind, und zu denen +er selber gehörte. Und sie einigten sich darin, daß der Meister Mirtl +(Martin) wirklich der greulichste Flucher sei, der je Menschenfüße in +Ochsenhaut steckte, daß man ihn allerwärts den scheltenden Schuster +heiße, was dem Sprengel, in dem er lebe, keine Ehr' sei, und daß +der Mann stumm gemacht werden müsse. — Was half's, daß der Geselle +nach jedem Fluch des Meisters ausrief: »Gott verzeih'!« wenn der +andere sofort wieder mit einem: »Gott verdamm'!« dreinfuhr, und es +drauflosging, daß sich ordentlich das bockigste Stierleder unter dem +Knieriemen wand vor Entsetzen.</p> + +<p>Wenn der Meister bei guter Laune war, so hörte man von ihm +fortwährend Gefühlsausbrüche harmloserer Art, als: »Bassama +hint' auf d' Höh'!« oder: »Kruzi-Adaxel-Türkensabel, Ludervieh +und Heugabel!« oder: »Kreuz-divi-domini, daß dich!« oder auch: +»Fixzaunmarter-dürre-Krautstingelbutten!« Wenn er aber in Zorn und Wut +kam, da ging ein ganz anderes, ein schweres Wetter nieder.</p> + +<p>»Geldstrafe!« sagte einer der Kirchenpröbste, »sonst weiß ich +kein Mittel. So oft der Mirtel einen Flucher laßt, zahlt er einen +Kupfersechser. Barthel, du passest auf und verwahrst das Geld, das +nachher der Kirchen gehört.«</p> + +<p>»O, ihr lieben Eselein!« rief der Barthel, »da möcht' ich wohl wissen, +wer ihm das Zahlen wollt' schaffen. Den schilt er maustot.«</p> + +<p>»Das laß gut sein, Schuster,« sagte der andere, »ich werd' mit dem +Kaplan reden.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span></p> + +<p>Und nach einiger Zeit, als der Meister Mirtel eines Tages von der +Kirche heimkehrte, war er verzagt und fluchte nicht, so daß der Barthel +glaubte, sein Meister müsse krank sein, und ihn darob befragte.</p> + +<p>»Ja, mein lieber Barthel,« antwortete der Meister traurig, »'s ist +nicht richtig mit mir; bei der Beicht' bin ich gewesen. 's mag wohl +sein, daß meine arme Seel' zum Teufel geht. Weil ich so viel schelten +tät', sagt der geistliche Herr. Glaub's aber nicht, 's müßt mich nur +zeitweilig der Höllsaggra so viel reiten. Sollt' mir's abgewöhnen, sagt +der geistliche Herr. Der hat leicht reden, der hat alleweil die sieben +Sakrament' im Mund und ist fromm dabei; und unsereinem darf nur eins +auf die Zungen kommen, so heißt's, man schilt! Muß aber doch derlogen +sein, daß ich mir das mordsschwerenots Fluchen nicht sollt' können +abgewöhnen. — Nu, so hat halt der geistliche Herr gesagt, sagt er: so +oftmals ich einen feisten Flucher tät' loslassen, sollt' ich allemal +einen Dreier für den Opferstock geben.«</p> + +<p>»Einen Sechser, Meister, einen Sechser!« rief der Barthel drein.</p> + +<p>»Einen Sechser? Wie kannst denn du das wissen, du neunmal verzweifelte +Judashaut; hast leicht gelost?!«</p> + +<p>»Gar nicht, Meister, gar nicht; hab' nur gemeint, so ein Flucher vom +Meister ist seinen Sechser schon wert.«</p> + +<p>»Hat's auch gesagt, der geistliche Herr, daß ich mich allemal um einen +Sechser sollt' strafen. Meint er 'leicht, ich hätt' nicht Herr über +mich! Justament will ich ihm's zeigen, dem Sakermenter, daß ich das +Schelten kann lassen.«</p> + +<p>»Meister, ich bitt' um den Sechser.«</p> + +<p>»Was hast denn? Es gilt auch: so oft ich was fluch', kriegst du für die +Kirche den Sechser. Daß ich euch weis', was ich kann, und das verdammte +Gered' einmal aufhört:<span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span> nicht <em class="gesperrt">einen</em> setzt's, oder es soll mich +das Kruzifix-Millionen-Donnerwetter in den Erdboden schlagen!«</p> + +<p>»Meister, ich bitt' um den Sechser.«</p> + +<p>Das Donnerwetter schlug nicht, aber er gab den Sechser: den ersten und +bald noch etliche dran in derselbigen Woche. Jeder »Satan« und jedes +»Mordselement«, jede »Pestilenz«, jeder »pechrabenschwarze Gallteufel«, +sogar jede »Galgenstrick-Latern'« und jedes »Saggramosthosen« wurde mit +einem Sechser belegt. Allerlei Drohungen und Träume, die dem braven +Schuhmachermeister nächtlicher Weil' vorkamen, bewirkten es, daß er die +Strafgelder nicht verweigerte, sondern mehr und mehr seinen Mund in +acht nahm.</p> + +<p>Als die Kirchenpröpste wieder zusammenkamen, brachte der Barthel zwar +ein nettes Häufchen Sechser mit, tat aber gleichzeitig kund, daß die +Kupferquelle allbereits versiegt sei.</p> + +<p>»Das kömmt mir recht verdrießlich,« meinte der Lichtanzünder, »wie ihr +sehen könnt, ist der Weihbrunnkessel an der Kirchentür kaputt geworden, +worauf wir beim heurigen Geldanschlag nicht gezählt haben. So ist mir +der Einfall gekommen, ob uns nicht der Schustermeister einen neuen +Kessel zusammenfluchen wollt'.«</p> + +<p>»Flucht nimmer,« berichtete der Barthel. »Es müßte denn sein, daß man +ihn reizen tät'. Wenn's zum Besten des Kessels ist ...«</p> + +<p>Und was geschah?</p> + +<p>Der Barthel ging heim in die Werkstatt, verknüpfte in Abwesenheit +des Meisters den Draht, tauchte das Pech in kaltes Wasser, verklebte +auch ein wenig den Leisten in den halbfertigen Schuh, brach ein paar +Ahl-Erteln die Spitze ab, versteckte den Knieriemen unter das alte +Lederwerk und bereitete in schöner Dienstfertigkeit noch dies und das +für ein ausgiebig Flucherstündchen. Dann rückte er sich in seine<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> Ecke +und stach und schmierte und nähte mit der harmlosesten Miene von der +Welt an seinem Stiefel.</p> + +<p>Bald darauf trat der Meister lustig pfeifend in die Stube und setzte +sich an die Arbeit. Fürs erste wackelte der Dreifuß; den rückte er +gelassen zurecht. Dann langte er nach dem Garnknäuel, um die Drahtfäden +auf seine Finger und den Ellbogen zu haspeln. Dabei murmelte er etwas +Unverständliches, denn das Garn war ein wenig verworren. Der Geselle +lauerte, aber es kam weiter nichts. Das Pech zeigte sich heute, obwohl +in der Stube geheizt war, ausnehmend spröde, das Schmer hinwiederum +floß schier auseinander. Als der Meister den Leisten aus dem Schuh +ziehen wollte, brach der Zughaken und er schleuderte die Trümmer +zu Boden und starrte stillen Grimmes auf den Gesellen hin, der in +musterhafter Ordnung weiter arbeitete. Der Meister nahm die Ahle zur +Hand, da war die Spitze weg — wieder ein Blick auf den Barthel. Bebend +vor Wut, aber stumm wie ein Fisch, suchte der Meister den Knieriemen, +schleuderte alle Leisten und Lederfetzen durcheinander, fand ihn +endlich unter der zerfahrenen Beschuhung, stürzte damit auf den +Gesellen und salbte ihm kräftigen Armes mit dem Riemen den Rücken.</p> + +<p>Und fluchte nicht.</p> + +<p>Aber der Weihbrunnkessel ist neu. Man sagt, der Barthel selbst hätte +ihn zusammengescholten an demselbigen Tag.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Herr_Trotzkopf_der_Heiratsbeflissene">Herr Trotzkopf, der Heiratsbeflissene.</h2> +</div> + + +<p>Bertram Siebener ging auf dieser Erde fünf Jahre lang mit +Heiratsgelüsten um. Es tat ihm die Wahl weh unter den schönen Töchtern +des Landes, und aus lauter Bedenken und Zuwarten passierte es mehrmals, +daß ein anderer ihm die Braut vor der Nase weg heiratete. Denn gern +haben die Frauen des Mannes Herz, aber dessen Hand haben sie noch +lieber. Zudem hatte Bertram Siebener — ein so prächtiger Mann er sonst +war — keinen sehr starken Willen, hingegen besaß er einen kräftigen +Widerspruchsgeist. Ein Trotzkopf war er. Bei allem, was er vorhatte, +befragte er seine Freunde um Rat, um hernach gerade das Gegenteil zu +tun von dem, was sie ihm rieten.</p> + +<p>So saß er eines Tages im Extrastübel des Eschenwirtshauses und sagte +zum Wirt: »Julius, was sagst du dazu? Jetzt hab' ich eine aufgestöbert. +Blutjung ist sie und bildsauber. Hast noch keine gesehen, die so schön +wäre. Ganz dumm bin ich dir vor Liebe. Die werde ich nehmen — was +meinst?«</p> + +<p>Der Wirt zuckte die Achseln: »Wenn du verliebt bist, dann ist dir nicht +mehr zu raten.«</p> + +<p>»Daß man sich's halt etwa noch überlegt.«</p> + +<p>»Das tät' ich auch an deiner Stell', und diesmal schon gar.«</p> + +<p>»Meinst also, daß ich's bleiben lassen soll?«</p> + +<p>»Weißt, Bertram, ein anderer kann da nichts sagen, das kommt auf dich +selber an. Ich red' nur das: geheiratet ist's bald, aber das Hausen +währt lang'. Und just auf die Schönheit allein ginge ich auch nicht. +So lang' das Weibel<span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span> schön ist, gehört es oftmals nicht dem Ehemann +allein; und ist es nicht mehr schön, nachher magst es leicht auch +selber nicht. So ist die Sach'.«</p> + +<p>Der neidet mir die schöne Braut, dachte Bertram, als ob just ich kein +sauberes Weib haben sollte! —</p> + +<p>Er ging zu seinem Freunde, dem jungen Tischlermeister, einem sehr +einsichtsvollen Mann, der selber noch ledig war und bei seiner dicken +Stiefmutter lebte.</p> + +<p>»Du, Franzel,« rief Bertram Siebener, »eilends laß dir Tanzschuhe +machen. Ich bin Bräutigam. In die Allerschönste bin ich vernarrt, in +die schöne Traut. Ich denk', ich mach' Ernst! Rate mir, Freund, aber +rate mir nicht ab.«</p> + +<p>»Dazu läge nach meiner Meinung keine Ursache vor,« sagte der Tischler, +»daß sie deinem Auge gefällt, und daß du sie lieb hast, ist die +Hauptsache. Alles andere findet sich.«</p> + +<p>»Nur Vermögen, wenn sie zu ihrer Schönheit hätte, würde ich nicht +verachten,« meinte Bertram.</p> + +<p>»Vermögen, Vermögen,« sagte der Tischler, »dann bist du der Herr im +Hause nimmer. Du bist der Anwalt ihres Geldes und mußt durch das +Kapital deiner Arbeitskraft den täglichen Bedarf schaffen, und dennoch +würde sie dir's bei jeder Gelegenheit zu verstehen geben, daß sie dir +Geld mitgebracht hätte.«</p> + +<p>»Wenn sie nur auch ein gutes Herz hat?« wendete Bertram ein.</p> + +<p>»Pah, ein gutes Herz haben alle, wenn es der Mann verlangt; nur +häßliche Weiber sind auch böse Weiber. Greif' zu, Bertram, greif' zu +mit allen Vieren!«</p> + +<p>Was der nur hat? dachte der Freier bei sich. Gerade auf der Stelle will +er mich verheiraten. Er hat leicht reden; leben müßte ich mit ihr. Spät +gefreit hat niemand gereut. Ich warte noch. —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span></p> + +<p>Ein halbes Jahr später saß Bertram Siebener wieder im Eschenwirtshause +und zupfte den Wirt am Ärmel: Er hätte etwas zu reden.</p> + +<p>»Wenn's nur auch was Gescheites ist!« sagte Julius.</p> + +<p>»Das will ich schon meinen. Ich habe wieder eine Braut — eine mit +Geld!«</p> + +<p>»Das läßt sich hören!«</p> + +<p>»Aber gerade nicht mehr ganz jung — so in den besten Jahren, eine +Vierzigerin.«</p> + +<p>Der Wirt tat einen lauten Pfiff. — »Nachher könnte sie ja deine Mutter +sein.«</p> + +<p>»Ist's aber nicht. Ist eine recht angesehene Hausbesitzerin, auch +gesund und heiter. Ich setz' mich in die Wirtschaft und bin ein +gemachter Mann.«</p> + +<p>»Mensch!« rief der Wirt, »ich sage dir, nimm eine ältere! Eine +Achtzigjährige, die wenigstens bald stirbt. Die Vierzigerin überdauert +deine schönsten Jahre; du bist an sie gebunden wie der Kettenhund ans +alte Hoftor. Bertram, ich bitte dich: renn' nicht in dein Unglück!«</p> + +<p>»Du hast ja selber eine Alte.«</p> + +<p>»Eben darum rede ich aus Erfahrung. Junge, nimm eine Häßliche, eine +Dienstmagd, eine Dirne — nur keine Alte!«</p> + +<p>Bertram ging mißmutig davon. — Just weil sie glauben Nein, so sage ich +Ja. Möchte doch sehen, wer mit mir schaffen kann! —</p> + +<p>Er ging zum Tischler.</p> + +<p>»Freund, du wirst Augen machen. Wie du mich da stehen siehst: ich bin +so viel als Großbauer! Ich heirate die Hochschlagerin.«</p> + +<p>»Was?« lachte der Tischler, »o du Schelm du! So bist du's, der den +fetten Vogel abschießt! Ich gratuliere!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span></p> + +<p>»Sie ist just nicht alt.«</p> + +<p>»Na freilich nicht,« sagte der Tischler. »Vierzig ist ja noch kein +Alter. Und so gut erhalten!«</p> + +<p>»Just, daß halt <em class="gesperrt">ich</em> ein bissel jung für sie bin.«</p> + +<p>»Ist nicht deine Schuld. Brauchst du nicht eifersüchtig zu sein. +Eifersucht ist ein Elend. Auf die Hochschlagerin kannst dich verlassen +— bist geborgen. Und sind die zufriedensten Ehen, dergleichen. +Dann keine Brotsorgen, mein Lieber, keine Brotsorgen, das ist die +Hauptsache.«</p> + +<p>»Es ist wahr,« bemerkte Bertram sinnend, »daß man auch — der +Nachkommenschaft wegen — Kinder —«</p> + +<p>»Eins kriegst, mehr brauchst du nicht. Denke dir das Kinderkreuz! Den +Kummer! Ich selbst, wenn ich heiraten würde, nähme so eine, wie die +brave Hochschlagerin.«</p> + +<p>»So nimm sie!«</p> + +<p>»Ei, du siehst ja, daß ich mit meiner Stiefmutter ganz zufrieden lebe. +Sie ist eine gutherzige, praktische Frau, besorgt mir die Wirtschaft. +Und so lebt man fröhlich dahin.«</p> + +<p>»Und warum man just mich in den Ehestand jagen will?«</p> + +<p>»Jagen? Das nicht, aber mit gutem Gewissen dazu raten kann man dir. Du +zögerst, aber du wirst heiraten, es ist eine Naturnotwendigkeit für +dich. Du bist vielleicht gar nicht für den Ehestand geboren. Aber du +bildest dir einmal ein, zu heiraten, du wirst keine Ruh' und keine Rast +haben, so lange du nicht verheiratet bist.«</p> + +<p>»Und dann?«</p> + +<p>»<em class="gesperrt">Dann</em> gibt es keine Wahl mehr.«</p> + +<p>»Also gezwungen und gebunden leben!«</p> + +<p>»Bertram, du bist eine unentschlossene Natur, jede Wahl peinigt dich. +Immer hin und her. Das Muß tut dir besser, das ist der Stock, an den +gebunden du erstarken wirst.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span></p> + +<p>»Franz, du redest in den Tag hinein. Du verstehst mich nicht. Weißt du, +was ich tun werde? Ich bleibe ledig!« —</p> + +<p>Darauf verging ein Jahr. Die schöne Traut hatte einen schönen Förster, +die reiche Hochschlagerin einen reichen Holzhändler geheiratet. Bertram +Siebener war noch frei.</p> + +<p>Da saß er eines Tages wieder beim Eschenwirt und trank sich ein Herz +an. Es war bei ihm, als ob er den Apfelwein nicht in den Magen, sondern +in das Herz hinabschlürfte; denn mit jedem Humpen schwoll dieses und +wurde voll, und wurde schwer. Und endlich begann er zu schluchzen ob +seiner großen Verlassenheit.</p> + +<p>»Ich glaube gar, du hast Zahnreißen?« sagte der Wirt.</p> + +<p>»Laß mich gehen. Ihr alle miteinander versteht mich nicht — ich fühle +mich so einsam auf der Welt. — Ich werde doch noch einmal mit der +Meisterin reden.«</p> + +<p>»Am Ende hast du schon wieder eine Braut?«</p> + +<p>»Ich <em class="gesperrt">habe</em> auch eine, ich verhehle dir's gar nicht, gleichwohl +ich weiß, daß du mir sie wieder abreden wirst wollen.«</p> + +<p>»Abreden? Ich abreden? Was dir nicht einfällt. Im Gegenteile, ich habe +dir immer gesagt, daß du heiraten mußt. Aber eine, die für dich paßt. +Zweimal fragtest du mich schon, und ich will nicht fürchten, daß du es +bereuest, mir gefolgt zu haben.«</p> + +<p>»Ich dir gefolgt, Julius! Nicht im Traume. Wenn ich zwei Weiber bisher +laufen ließ, so waren es andere Gründe.«</p> + +<p>»Die dritte wirst du doch nicht mehr laufen lassen? Sie ist +wahrscheinlich sehr hübsch?«</p> + +<p>»Sie ist nicht hübsch.«</p> + +<p>»Oder wenigstens jung?«</p> + +<p>»Sie ist nicht jung.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p> + +<p>»So doch reich?«</p> + +<p>»Ist auch nicht reich.«</p> + +<p>»Also häßlich, alt und arm. Bertram, sei versichert, die rede ich dir +nicht ab. Es ist nicht nötig.«</p> + +<p>»Und gerade die werde ich heiraten.«</p> + +<p>»Ich gratuliere!«</p> + +<p>»Du höhnst mich. Ich aber sage dir: Die werde ich heiraten.« —</p> + +<p>Aufgebracht ging er davon — ging zu seinem andern Freunde, dem +Tischler.</p> + +<p>»Hast du wieder eine?« rief ihm der entgegen.</p> + +<p>»Eine gutmütige, bescheidene, ältliche Person, arm, aber häuslich und +brav.«</p> + +<p>»Siehst du, <em class="gesperrt">das</em> ist die Rechte.«</p> + +<p>»Eine Witwe ohne Kinder. Nur ein Stiefsohn ist da.«</p> + +<p>»Für einen gescheiten, anspruchslosen Mann gewiß eine passende Partie. +Mache nur diesmal Ernst.«</p> + +<p>»Aber —«</p> + +<p>»Ist sie eine Hiesige!«</p> + +<p>»Freilich, du kennst sie recht gut. Und daß der Sohn um ein paar Jahre +älter sein wird als der Vater, hörst, das macht nichts.«</p> + +<p>»Was sprichst du denn?«</p> + +<p>»Geh', geh', ich laß dich nicht raten. Wir sind auch schon auf gleich. +Hat sie dir wirklich noch nichts gesagt?«</p> + +<p>»Wer?«</p> + +<p>»Deine Frau Stiefmutter.«</p> + +<p>Der Tischler schrak zurück. — Meine Stiefmutter will er heiraten? +Meine Mutter, von der ich hoffe, daß sie mir in nächster Zeit die +Wirtschaft übergibt, und mich zum Erben ihres Ersparten machen wird?</p> + +<p>»Freund!« sagte er mit dumpfer Stimme und legte seine<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> Hand dem +Heiratsbeflissenen auf die Achsel: »Das wäre ein unglücklicher +Gedanke. Glaube mir, ich würde sehr erfreut sein, dich in unserer +Familie zu wissen. Aber als Freund muß ich dir im Vertrauen mitteilen: +Meine Stiefmutter ist kein Weib für dich. Erstens hat sie das Alter +wirklich etwas sehr häßlich gemacht; die Leute würden ordentlich +zurückschrecken, wenn du sie ihnen als deine Braut aufführtest.«</p> + +<p>»Was geht das die Leute an!«</p> + +<p>»Dich, dich geht's an. Und das eben ist das Schlimme. Ferner glaube ja +nicht, daß diese Frau so überaus gutmütig ist. Ich kenne sie besser!«</p> + +<p>»Du kennst sie als Stiefmutter, da glaub' ich's schon.«</p> + +<p>»Wenn es je eine eitle, geschwätzige, geizige, schmutzige, launenhafte +und mürrische Alte gibt, so ist es meine Stiefmutter.«</p> + +<p>»Du übertreibst, wie hätte denn dein seliger Vater —«</p> + +<p>»Der nahm sie vor einem Vierteljahrhundert. Und wenn es je ein Mann bei +diesem Weibe aushalten könnte, so würde mein Vater noch leben.«</p> + +<p>»Diesmal ist alles dagegen,« murmelte Bertram, »nur mir keine Frau. +Jetzt möchte ich aber doch sehen, wer mir das Heiraten wehren kann. +Justament!«</p> + +<p>O, Tischler Franz, das hast du schlecht gemacht. Warum fielest du ihm +nicht in die Arme und riefst: »Bertram Siebener! ja und tausendmal ja, +werde mein Vater! Meine Stiefmutter ist das schönste, liebenswürdigste +Weib unter der Sonne. In üppigster Reife prangt sie dir entgegen! +Und wie sinnig weiß sie sich zu schmücken, wie anmutig versteht sie +zu plaudern, wie sparsam ist sie im Haushalte, wie anregend ist die +Mannigfaltigkeit ihrer Stimmungen und neckischen Launen, wie reizend +ist ihr erkünsteltes Zürnen<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> und Schmollen. Wie selig war mein +seliger Vater in ihrem Besitze, der, ach, so kurz war. Tritt in seine +Fußstapfen, mein Freund, ich beglückwünsche dich aus voller Brust!«</p> + +<p>So mißrät man einem Bertram Siebener die Partie. Ei geh', Tischler, du +verstehst dich nicht aufs Leimen. Was du zusammenfügen willst, das geht +auseinander, was du trennen möchtest, das kittet sich zusammen.</p> + +<p>Jetzt lauf' zum Schneider, er soll dir flugs ein Hochzeitsjöppel +machen, deine Mutter heiratet dir einen Vater ins Haus, und aufs Jahr +vielleicht — kommt der Storch! —</p> + +<p>Die Hochzeit ist lange über ein Jahr schon vorbei. Das Ehepaar lebt +im Frieden. Der erheiratete Sohn wird ganz anständig gehalten, denn +er leitet das Geschäft. Der Storch kam, setzte sich aber auf den +Giebel der Mägdekammer, und wenn man den Bertram Siebener fragt, wie +er ihm denn anschlage, der heilige Eh'stand, so antwortete er: »Dank' +der Nachfrag'!« Und wenn man sagt: Es wäre ja zu erwarten gewesen, +daß er mitten in sein Glück hineinsäße, so entgegnet er: »Na, na!« +Und wenn ihm einer zuflüstert: »Armer Bertram, du bist bei dieser +Tischlermeisterin wohl recht jämmerlich auf den Leim gegangen!« so +ruft er aus: »Auf den Leim? Zum Lachen, so was! Ich bin über und über +zufrieden, ich verlange nichts Besseres.«</p> + +<p>Auch solche Käuze gibt es.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Samer-Sim">Der Samer-Sim.</h2> +</div> + + +<p>Es ist doch recht schmeichelhaft für diese Welt, daß keiner aus ihr +hinaussterben will. »Das Sterben, das spar' ich mir bis zuletzt,« sagt +ein Volkswort, aber wenn dieses »zuletzt« kommt — es kommt zu früh. +Die Jungen möchten alt werden, die Alten möchten sich am Sonnenlichte +ein Jährchen oder zweie noch erfreuen; der Gesunde möchte leben, der +Kranke gesund werden; der Arme möchte sich erst Schätze erwerben, der +Reiche sie genießen; der Totengräber hängt mit denselben Stricken +am Leben, als die in Weltlust badende Tänzerin auf der Bühne. Der +Familienvater will leben, um der Seinen Glück zu gründen und sich +daran zu laben. Dem Junggesellen ist es schon gar bitter, von der Erde +zu scheiden, denn er weiß, er läßt keine Spur zurück, ist mit seinem +letzten Atemzuge verweht und vertilgt — wahrhaftig gestorben.</p> + +<p>Denen aber der Tod nicht zu früh kommt, denen kommt er — zu spät; sie +wollten ja sterben, wenn's nur schon — geschehen wäre. Es liegt ihnen +am Leben nichts, aber ihnen graut vor dem Todeskampf.</p> + +<p>Zu diesen letzteren gehört auch der Samer-Sim. Dem kann am Leben +freilich nichts liegen, er ist im Dorf der Einleger. Vor Zeiten hat er +mit einem Maulesel Kornsäcke übers Gebirg' gesäumt; den Namen hat der +Sim noch davon, aber sonst nichts. Er weiß, wie der Hunger schmeckt +und wie der Frost bohrt; weiß, wie die Gicht tut und wie böser Leute +Spottreden und geiziger Leute Nachreden klingen. Er weiß auch, daß +nichts Besseres für ihn mehr kommen<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> wird, daß er nichts mehr wünschen +darf, daß er zeitlebens der Schuhhadern des Dorfes sein wird — aber +nur leben, lange leben, immer leben — nur nicht sterben.</p> + +<p>Der Samer-Sim meidet den Friedhof, der außer dem Orte liegt, aber auch +den Weg dahin; er tut oft einen halbstundenlangen Umgang, nur um den +Friedhofsweg nicht zu kreuzen. Vor Leichen fürchtet er sich wie vor +der Pest, und es geht ihm wie allen, die selten Leichen sehen und also +glauben, was ihnen die Einbildung vormacht, daß nämlich die Toten so +grauenhaft zu schauen wären.</p> + +<p>Am Ende des Dorfes steht eine Wirtskeusche; diese ist dem Sim der +liebste Ort; nicht als ob er den schlechten Krätzer, den man in +der Keusche haben kann, gerne tränke, sondern weil der Wirt ein +Geschichtenbuch besitzt. In diesem Buche steht die anmutigste +Geschichte, die der Sim je gehört hat, die Geschichte von dem ewigen +Juden — das ist der Mensch, der nicht stirbt.</p> + +<p>Beim Wirt sitzt zuweilen auch der Bader des Ortes, ein Spaßvogel. »Ja, +mein Lieber,« sagte der eines Tages zum Sim, »letzthin hätt's den Mann +doch bald getroffen — nu, wie lange mag's sein, Hirschenwirt, daß der +ewige Jude bei dir da vorbeigegangen ist?«</p> + +<p>»Je,« antwortete der Wirt, auf den Scherz eingehend, »das wird sein +höchstens sechs Wochen — nit länger. Hat bei mir eingekehrt; just da +auf der Ofenbank, wo der Sim sitzt, ist er gesessen.«</p> + +<p>»Ja, schau,« fuhr der Bader zum alten Sim gewendet fort, »und da +hat der Mann unvorsichtigerweis', wie er schon von seinem ewigen +Herumvagabundieren erhitzt ist, ein Glas von Hirschenwirts Vierziger +getrunken. Augenblicklich hat er auch das schauderlichste Bauchgrimmen +gehabt und Krämpfe dabei, wie mir erzählt ist worden — hat<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> schon +alles gemeint, 's wär' das letzt' End' mit dem ewigen Juden.«</p> + +<p>Der Hirschenwirt stutzte, als er die Spitze des Scherzes nicht gegen +den Sim, sondern gegen sich selber gekehrt sah. — »Na wart', Bader — +dachte er — du kriegst mir auch eins.«</p> + +<p>»Ja, ja,« bekräftigte der Wirt dem Sim gegenüber, »'s ist, wie der Herr +Doktor gesagt hat. — Leut'! schreit er jählings, der ewige Jud', mir +ist auf einmal nit gut — lauft's geschwind um einen Doktor! — Ich +schick' den Halterbuben eilends ins Dorf, aber der Herr Doktor da ist +nit zu Haus gewesen; der arme kranke Mann hat keine Hilf' können haben +und so ist er richtig wieder gesund worden.«</p> + +<p>Der Bader hat einen klanglosen Lacher gemacht und nichts mehr +gesagt. Der Sim aber, die zwei scharfen Nadeln des Gespräches nicht +ahnend, schüttelte verwundert sein Haupt. »Welch' Seite ist er denn +zugegangen?« fragte er angelegentlich. Es fiel ihm ein, dem ewigen +Juden nachzugehen, ihn aufzusuchen und nicht mehr von seiner Seite zu +weichen, auf daß auch er dem Tod entrinne.</p> + +<p>Es sind der kleinen Geschichten und Wunderlichkeiten mehr, die man von +dem Alten erzählt. Vor kurzem wollte er, der Siebzigjährige, mit einem +zwanzigjährigen Mädchen eine Liebschaft anfangen, weil man ihm gesagt +hatte, er müsse, um den Tod zu hintergehen, sich wieder jung stellen. +In vollem Ernste machte er seinen Liebesantrag, und das ganze Dorf +hatte was zu lachen.</p> + +<p>Das Lachen war dumm. Der Samer-Sim ist ein armer schwachsinniger Greis, +der mit Angst die letzten Körner seiner Sanduhr verrinnen sieht. Das +falsche Leben, das ihm vorenthalten, was es anderen in reichem Maße +hingeschüttet, das ihm keinen seiner Wünsche erfüllt hat, das ihn um +seine berechtigtesten Hoffnungen betrog — dieses<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> falsche Leben will +der alte Mann noch zurückhalten am Mantelsaum, wie man einen fliehenden +Dieb zu halten sucht. Das Gebaren des alten Samer-Sim, die vieljährige +Todesangst des im Sonnenlicht Wandelnden ist seltsam genug — aber +etwas zum Lachen ist es nicht.</p> + +<p>Als ich dem Manne begegnete und er mir wie so vielen anderen Leuten +seine Todesfurcht bekundete, suchte ich ihn zu trösten. — »Wenn's +dereinst dazu kommt, guter Sim, so ist es nicht halb so schrecklich, +als es von weitem aussieht. Bei betagten Leuten gar ist es wie ein +ruhiges Einschlummern nach der Lebensmüh' und sie wissen gar nicht, daß +es der Tod ist.«</p> + +<p>»Aber Herr,« rief der Alte, »der Todesstoß, der Todesstoß im Herzen! +Und nachher, wenn sie einen hineinlegen in den Sarg, hinabsenken in die +Erden und es kriechen die Würmer heran!«</p> + +<p>»Mußt denken, Simon, du liegst nicht <em class="gesperrt">lebendig</em> drin, und es ist +ja ein Glück, daß du früher <em class="gesperrt">gestorben</em> bist.«</p> + +<p>»Und erst die arme Seele!« sagte darauf der Alte, »die muß in den +glühenden Ofen des Fegefeuers!«</p> + +<p>»Wer hat dir denn das gesagt, Sim?«</p> + +<p>»Das? — Ach, ich hab' doch so viele Sünden und keinen Kreuzer Geld für +ein paar heilige Messen!«</p> + +<p>»Lieber Sim,« sagte ich und faßte seine kalte Hand. »Glaubst du nicht, +daß Gott besser ist als die Menschen?«</p> + +<p>»Das glaub' ich wohl.«</p> + +<p>»So siehe, gute Menschen verzeihen ihren Beleidigern, anstatt sich an +ihnen mit Feuer oder anderswie zu rächen.«</p> + +<p>»Ja freilich,« unterbrach mich der Sim, »so hat's Gott gelehrt!«</p> + +<p>»Und wird er's nicht auch selber halten?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span></p> + +<p>Alte Menschen lassen sich aber nicht umwenden wie alte Röcke.</p> + +<p>Der Samer-Sim murmelte was und holperte seines Weges. Einige Wochen +später erhielt ich vom Schullehrer jenes Dorfes folgenden Brief:</p> + +<div class="blockquot"> +<p> +»Geschätzter Freund!<br> +</p> + +<p>Sie haben sich immer für den alten Samer-Sim interessiert. Den haben +wir heute begraben. Der Mann ist <em class="gesperrt">lachend</em> gestorben. Seit +längerer Zeit schon lag er beim Moosbrunner auf dem Oberboden krank. +Ich habe ihn selber einmal daselbst besucht; er war stets der Alte mit +seiner Todesfurcht und meinte, er wollte gern alles Böse ertragen auf +dieser Welt, wenn er nur wisse, daß er nicht auf dem Todbette liege. +— Nun, es ist eigentlich komisch, hat ihn eine Maus umgebracht. +Eine solche war unter seine Decke gekommen; vor Zappeln und Lachen +über den Gast fiel der Alte in einen Krampf und nach wenigen Minuten +war's vorbei. Der plötzliche Überreiz der Nerven, sagt der Arzt, habe +ihn getötet. — Vielleicht vermag Ihre Feder etwas aus der Sache zu +machen« usw.</p> +</div> + +<p>So das Schreiben. Ich habe aus der Sache nichts anderes zu machen +versucht, als was sie in Wirklichkeit ist. — Der Samer-Sim hat seit +vielen Jahren nicht mehr gelacht aus Angst und Furcht vor dem Tode. +Derselbe Samer-Sim ist lachend gestorben.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Zillacher-Anderl">Der Zillacher-Anderl.</h2> +</div> + + +<p>Samstag war's. Der Anderl saß in der Flachsdörrkammer, wo er auch sein +Bett hatte, und tat sich den Bart rasieren.</p> + +<p>Die jungen Stadtherrchen kratzen mit dem Schermesser zumeist just dort +herum, wo sie gerne einen Bart haben möchten. Der Bauernbursch rasiert +sich, wo ein Bart steht. Freilich war der Anderl schon fünfunddreißig +Jahre alt und sein Bart so steif, daß man nach der Bauern Sprichwort +den Dreschflegel daran hätte hängen können. Trotzdem ließ der Anderl +vor dem Scheren die Seife ordentlich in die Borsten trocknen und kramte +mittlerweile seine grauen Backen vollblasend in den Hosentaschen herum. +Da drin hatte er einen alten Taschenveitel, ein Stück Zunder und +einige Kreuzer, die sich aber bei näherer Untersuchung in der Mehrzahl +als Messingknöpfe herausstellten. Der Anderl blies die Backen noch +bauchiger. Messingknöpfe? Für den morgigen Sonntag Messingknöpfe! Mit +derlei hat der Hirschenwirt seine Hosen und Wämser sicherlich versehen. +Heute schon hätte der Anderl Durst.</p> + +<p>Jetzt trat eine alte Magd in die Flachsdörrkammer: Der Anderl möge +eilends in die Stube zum kranken Vater kommen. Und als der Bursche +bei dessen Bette stand, sagte der alte Zillacher: »Anderl, nimm deine +Zipfelmütze ab. Anderl, paß auf, dein Vater macht's Testament. — Aha! +gelt, jetzt kannst losen! Hast gleichwohl nicht immer so auf mich +hören wollen; soll dir aber geschenkt sein, will dich nicht verkürzen. +Deine Brüder und Schwestern, die haben<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> das Ihrige. Wenn ich die +Augen zugemacht hab', Anderl, so weißt es, die braune Kuh ist deine +Erbschaft.«</p> + +<p>»Vergelt's Gott!« rief der Anderl.</p> + +<p>»Aber sei brav und tu' dir das Trinken ab, und der himmlisch' Vater +soll dich beschützen und bewahren.«</p> + +<p>Der Alte schwieg. »Kann ich jetzt die Zipfelmütze wieder aufsetzen?« +fragte der Anderl.</p> + +<p>»Jetzt kannst du machen, was du willst,« sagte der Zillacher.</p> + +<p>Als nach einigen Tagen der Alte tot und begraben war, führte der Anderl +die braune Kuh aus dem Stall. Er trieb sie die Straße entlang, und +da er so hinter dem Tiere dahertrottete, führte er mit ihm folgendes +Gespräch: »Du alte Kuh, du bist ein zaunmarterdürres Vieh. Ich möcht' +meine Joppe an deinen Hüftknochen hängen.« Und als sie zu einem +Wassertrog kamen und das Rind stehen blieb und trank, sagte der Anderl: +»Ja, meine liebe Kuh, ich hätte auch Durst!« Er trank aber doch nicht.</p> + +<p>Da kam ein Bauer des Weges, der fragte: »Wo treibst du deine Haut +hin?« Der Bursche knirschte die Zähne und schritt fürbaß. Mittlerweile +war das Euter voll geworden, und als sie zu einer Schenke kamen, +unterhandelte der Anderl mit der Wirtin, ob sie nicht seine braune +Kuh melken und ihm dafür ein Krügl Wein geben wolle. Das Geschäft war +abgemacht. Und so trieb der Zillacher-Anderl seine Erbschaft viele +Stunden weit fort, weidete sie an guten Rasenplätzen, tränkte sie +an den Brunnen, und wenn das Euter voll war, so vertauschte er die +Milch gegen Wein. Für die Länge aber blieb das Euter der braunen Kuh +immer kleiner, während der Durst des Burschen größer wurde. Da dachte +der Anderl, das muß anders gemacht werden, und verkaufte das Rind an +einen Wegmacher. Der Wegmacher<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> vermied die Frage, ob die Kuh nicht +etwa gestohlen sei, bot hingegen nur fünfunddreißig Gulden Kaufpreis. +»Meinetwegen!« sagte der Bursche, und als er das Geld in die Tasche +schob: »Hab' ich noch weit zu einem Wirtshaus?«</p> + +<p>Fünfunddreißig Gulden, das ist meine Erbschaft, dachte er dann, mit +dieser will ich recht wirtschaftlich umgehen. Mit dreißig Gulden läßt +sich schon was anfangen; die weiteren fünf Gulden — damit will ich +jetzt gründlich meinen Durst löschen. Einmal im Leben muß der Mensch +seinen guten Tag haben; — dann heißt's arbeiten und fleißig sein.</p> + +<p>Als er zum nächsten Wirtshaus kam, suchte er sich den bequemsten +Tischwinkel aus und hub an zu trinken. Die Wirtin setzte sich zu ihm +und schwätzte und sagte, sie hätte frische Butterkrapfen in der Küche, +die seien ihr diesmal vortrefflich geraten; ob er — der Anderl — denn +nicht ein paar verkosten wolle. Ihm war's recht, und die umsichtige +Frau Wirtin wußte wohl, daß nach den Butterkrapfen wieder neuer Durst +kommen müsse. Der Wirt jedoch hatte sich seinem Gaste gegenüber so +verhalten: In das erste und das zweite Glas schenkte er reinen Wein; in +das dritte und vierte tat er ein wenig Obstmost dazu; dann tat er zur +Hälfte Wein und zur Hälfte Most in den Becher; später goß er die Hälfte +Obstmost, ein Viertel Wein und ein Viertel Wasser zusammen. Als endlich +dem Anderl auf seiner Bank einmal ordentlich warm geworden, sein Durst +doch immer noch nicht gelöscht war, da schüttete ihm der Wirt im Keller +bloß Obstmost mit ein wenig Zwetschkenbranntwein vermischt in das +Weinglas, hernach nur mehr Most allein, und endlich, wer am dritten +Tage den Wein des Anderl vorurteilslos untersucht hätte, der würde +gefunden haben, daß der Bursche gut gegorenen Apfelmost mit frischem +Wasser trinke.</p> + +<p>Natürlich tat dieses der Rechnung keinen Eintrag, und<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> am dritten Tage +waren fünf Gulden vertrunken. Zu dieser Zeit hatte die Wirtin jedoch +bereits für frischen Durst gesorgt. Da sagte sich der Anderl: im Grunde +ist es eine Narrheit, wenn ich mir jetzt einen Abbruch tue, der leicht +der Gesundheit schaden könnte. Der Fieberdurst muß gelöscht, durch und +durch gelöscht werden. — Dasselbe sagt auch der Bader daheim. Zwei +Gulden spendier' ich noch.</p> + +<p>Er bleibt wieder ein paar Tage sitzen; dann aber brach er auf, um mit +seinen achtundzwanzig Gulden ein nutzbares Geschäft zu beginnen. Als +jedoch der gute Zillacher-Anderl im heißen Tage auf der staubigen +Straße so wanderte, da kam er mit sich überein, daß er seine Erbschaft +auf ein viertelhundert Gulden abrunden wolle! Blieben ihm drei Gulden +gut, die er in der nächsten Schenke vertrank.</p> + +<p>Da war aber in demselben Jahre ein sehr heißer Sommer; entweder es +war die Hitze oder es waren die heftigen Gewitterregen unerträglich, +in beiden Fällen muß der Mensch ein Dach haben, und dazu hat Gott +die Wirtshäuser erschaffen. Als die Barschaft des jungen Zillacher +auf beiläufig zwanzig Gulden herabgesunken war, da sagte er: »Jetzt, +Anderl, ist's g'nug!« Da er nun die Zeche gezahlt hatte, blieben +ihm bloß neunzehn Gulden und fünfundneunzig Kreuzer in der Tasche. +Ei, dachte er sich, der Gulden ist angezwickt, weg damit! — Und in +ähnlicher Weise ging's auf fünfzehn, auf zwölf, auf zehn herab. Und +nun sagte der Zillacher-Anderl das denkwürdige Wort: »Mit zehn Gulden +richtet einer heutzutage nicht viel aus. Der Mensch, der auf eine +Erbschaft ansteht, ist eh nix nutz; mit eigener Kraft muß der Mann das +Seine erwerben.«</p> + +<p>Er ging von einem Wirtshaus ins andere, und trank und trank. Und +endlich war nichts mehr in seiner Tasche,<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> als die Messingknöpfe. Da +haben aber die Wirte neben der Wanduhr oder neben der Stubentür so +schwarze Tafeln hängen, auf die mit der Kreide allerhand Buchstaben +geschrieben werden können. Sagte eines Tages der Anderl: »Herr Wirt! +Meines Vaters Sohn trägt einen ehrlichen Namen; tät Euch keine Schand' +machen auf der Tafel.«</p> + +<p>»Das nicht,« antwortete der Wirt, »aber die Tafel könnte leicht dem +ehrlichen Namen was herabzwicken. Traue dieser schwarzen Tafel nicht, +Freund!«</p> + +<p>Der Anderl stutzte und war trübsinnig. Endlich sagte er zu sich: Was +braucht man auch so einen dicken Brustfleck in der heißen Zeit? — Er +verkaufte seine Tuchweste und vertrank das Geld. Dann vertauschte er +seine Ochsenlederstiefel gegen ein paar leichte Schuhe, sein Lodenwams +gegen ein kühles Leinwandröcklein; das dadurch gewonnene Geld vertrank +er.</p> + +<p>Wohl hatte er sich mittlerweile auch ein paar Groschen Taglohn +erworben; aber das liebe Wirtshaus hatte ihm's angetan, und ehe noch +zwei Monde nach seines Vaters Tod verflossen waren, saß der Anderl +da, arm wie eine Kirchenmaus, bärtig wie ein Waldteufel; auch sein +Schermesser hatte er vertrunken.</p> + +<p>Jetzt war er tief verzagt. — Wenn einer nichts mehr hinabzugießen +hat, so muß man die Gurgel zubinden, hat einmal einer gesagt — +das leuchtete dem Zillacher-Anderl ein. Wenn der Fisch nicht mehr +trinken kann, was hat er sonst auf dieser Welt? — 's ist gar grausam +bitterlich! — Aber was kannst machen?</p> + +<p>Der Anderl wußte draußen in der Dorfau einen alten Birnbaum. Zu dem +ging er hinaus, an dem kletterte er empor mit harter Mühe bis zum Aste, +von dem aus er das Dorf sehen konnte mit seiner Kirche und mit seinem +Wirtshaus.<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> Hierauf machte er Reue und Leid, nestelte sein Hosenband +los und schlang es um den Hals.</p> + +<p>Zur selben Stunde ging der Pfarrer am Birnbaum vorüber, er erschrak, +als er das Beginnen des Mannes da oben bemerkte. — Zachäus, steig' +eilends vom Baum herab! heißt's in der Bibel. Jener hörte es nicht. +»Anderl,« rief der Pfarrer, »tu' dir <em class="gesperrt">das</em> nicht an! Aufknüpfen, +na, das wär' doch eine Dummheit, die dich dein Lebtag reuen würde!« +Vergebens, der Anderl wand bereits das Hosenband um den Ast. Der +Pfarrer versuchte auf den Baum zu klettern, um die Tat zu verhindern, +und der Selbstmörder kam mit seinen Vorbereitungen schon zu Rande. +Da fiel dem Priester was ein. »Anderl!« rief er auf den Baum, »du +<em class="gesperrt">mußt</em> herabsteigen, ich such' dich schon seit einer Stunde, ich +habe just ein frisches Faß angezapft.«</p> + +<p>»So!« sagte der Anderl, »ja das ist schon wieder ganz was anders,« +und sogleich kletterte er dem Erdboden zu. Sie gingen mitsammen in +den Pfarrhof. Der Pfarrer schoß eine Weile im Hause herum, dann kam +er zurück. »Das ist schon eine verzwickte Sach', Anderl, jetzt haben +wir den Kellerschlüssel vertan. Die Köchin war beim Teich unten, hat +Karpfen ausgeweidet, da ist ihr der Schlüsselbund ins Wasser gefallen. +Was wir nur anfangen?«</p> + +<p>Der Anderl riet den Schlosser an, allein der Pfarrer versicherte, das +Kellerschloß sei so gar heiklich bestellt und ein hiesiger Schlosser +könne es justament nicht aufsperren. — Die Tür erbrechen, schlug der +Durstige vor; nicht möglich, meinte der Pfarrer, sie sei mit eitel +Eisen beschlagen über und über. Das einzige Mittel: der Schlüssel müsse +aus dem Wasser hervorgeholt werden — ob der Anderl dazu behilflich +sein wolle? — Das versteht sich. — Wurde denn fürs erste der Teich +abgelassen, der da war, um des Pfarrers<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> Kornmühle zu treiben; und als +das Wasser verflossen war, machte sich der Anderl an den Schlamm, hub +ihn schaufelvoll um schaufelvoll an das Ufer, arbeitete bis spät in den +Abend und suchte den Schlüsselbund.</p> + +<p>Und als es finster geworden, rief ihn der Pfarrer ins Haus und sagte: +»So, mein lieber Zillacher-Anderl, jetzt hast du mir ein gut Teil +Schlamm aus dem Teich gefaßt, dafür sollst heut' fünf Groschen haben +und das Nachtmahl und ein Krügel Wein — der Kellerschlüssel hat sich +vorgefunden.«</p> + +<p>Glotzte der Anderl verwunderlich drein.</p> + +<p>»Und wenn du mir den ganzen Teich ausschaufelst,« fuhr der Pfarrer +fort, »so sollst du für das Tagwerk zwölf Groschen haben und die +Köstigung und dein Krügel Wein.«</p> + +<p>So wurde es abgemacht. Und als der Teich in Ordnung und wieder mit +Wasser gefüllt war, da bekam der Anderl Geschäfte in der Mühle. Nur +immer hübsch beim Wasser, daß der Durst nicht zu stark wird. — Es ist +gar nicht zu glauben, wie ein Mensch sich ändern kann, wenn er danach +geleitet wird. Der Pfarrer wußte den Zillacher wohl zu behandeln, und +der Anderl wurde der beste Arbeiter, den er je noch gehabt hatte.</p> + +<p>Wenn sie dann abends beim Krügel Wein saßen, das dem braven +Hausgenossen bislang vorenthalten wurde, und es anmutig zu sehen war, +wie glatt und lind die lieben Tropfen ihrer Wege gingen, sagte einmal +der Herr Pfarrer, dem Anderl auf die Achsel klopfend: »Wär' doch +jammerschade um deine Gurgel, wenn du sie dazumal zugeschnürt hättest!«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="s_Guderl">'s Guderl.</h2> +</div> + + +<p>Wenn ich bei dir, mein lieber, himmlischer Vater eine Bitte frei +habe: dem »Guderl« bereite ein recht feines, warmes Plätzchen dort +oben in Deinem Himmel, vielleicht ganz nah' bei der Lieben Frau, sie +wird sich mit dieser Nachbarin aus dem Steirerland nicht zu schämen +brauchen. Aber eilen brauchst nicht, wir mögen die alte Ludmilla recht +gern noch eine Zeitlang bei uns herunten haben und sie — so arm und +mühselig sie gleichwohl ist — hat auch noch kein Verlangen, dieses +Jammertal mit der himmlischen Freud' zu vertauschen. Sie fürchtet, +dort oben wird sich niemand von ihr was Gutes tun lassen wollen, weil +es ja ohnehin jedem so göttlich gut gehen soll — und nachher freut +sie der ganze Himmel nicht. Vielleicht, wenn sie einmal kommt, ist +der heilige Laurentius so gut, seine Brandmale von ihr mit frischem +Leinöl bestreichen zu lassen; oder der heilige Sebastian, sich von ihr +die Pfeile aus den Wunden ziehen zu lassen; oder die blinde heilige +Ottilia, sich von der Ludmilla herumführen zu lassen im Paradies, sich +von ihr die himmlische Pracht erzählen und manchmal eine Butterbirne +reichen zu lassen vom Baume. Ja dann, wenn sie wem einen Gefallen +tun kann, wird es ihr auch selber gefallen im hohen Himmel oben, +einstweilen paßt sie aber für die Erde besser.</p> + +<p>Alt und mühselig ist sie, und das kann ihr niemand nehmen. Seit sie +im Vorbeigehen einmal jene Erklärung vom Schulmeister gehört hat, daß +nach den Aufmerkungen im Lande eine gewisse, sich fast gleichbleibende +Anzahl von<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> Krüppeln vorkomme, seither trägt sie ihre verkümmerten +Beine noch lieber, weil sie denkt: Gut ist's, ich trag' sie für einen +anderen. Sie trägt die Beine, anstatt, wie sonst gebräuchlich, von +ihnen getragen zu werden. Einmal ist auch die Ludmilla jung und gesund +gewesen. Da ist vor Jahren drüben auf der Reisinger-Seiten ein Pferd +scheu geworden, an das Pferd war ein Streuwagen gespannt, und auf dem +Streuwagen hockten zwei Knaben, die sich krampfhaft an die Sprosseln +klammerten und jämmerlich schrien. Der Reisinger reckte seine Arme +zum Himmel und rief Gott und die Heiligen um Beistand an für seine +Söhnlein. Gott und die Heiligen schoben rasch die Ludmilla voran, die +am Feldraine Strauchwerk schnitt: Der alte Narr steht da und kann +nichts als schreien, lauf du, Ludmilla, und pack' das Roß, ehe es zur +Schlucht hinabkommt! — Die Magd lief hinzu, erfaßte das Pferd am +Kopfriemen. Eine Strecke weit wurde sie mitgeschleppt hinab über den +steinigen Hang, endlich stand das Fuhrwerk still, die Knaben sprangen +unversehrt davon, aber der Leib der Magd war arg zerschunden und +zerrissen, ein Bein gequetscht, das andere gebrochen.</p> + +<p>Der Reisinger sagte hierauf zu seinen Söhnen: »Wenn die Ludl nicht +wär', so wäret ihr jetzt auch nimmer. Wäret auch nimmer, daß ihr es +wißt. Und sie ist jetzt ein elendiger Krüppel, und wenn ich nicht +mehr bin und ihr seid auf dem Hof und sie ist noch am Leben, weil +solche Leut' leider Gottes oft eine zähe Natur haben, so müßt ihr sie +behalten, das ist eure verfluchte Schuldigkeit, daß ihr es wißt!«</p> + +<p>Als die Ludmilla das gehört hatte, packte sie still ihre Sachen +zusammen. Da hatte sie warten wollen im Reisingerhof, bis ihr Sebast +zurückkäme aus dem Strafhaus; in einem Jahr muß er ja endlich kommen +und dann sind zwei arme Leut' mehr in der Gegend. — Kaum noch zur +Not geheilt,<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> stolperte sie zu vier Füßen, wovon die zwei hölzernen +verläßlicher waren als die zwei beinernen, vom Berg herab nach Bärndorf +und bat um einen Platz im Armenhaus. Das ward ihr natürlich versagt, +denn sie gehörte in die Gemeinde zum »Steinernen Elend« hinauf. Das +Steinerne Elend aber hatte kein Armenhaus und auch kaum ein anderes +mehr. Schier die ganze Gemeinde war abgestiftet worden und Abstifter +war der Staat mit seinen Lasten, und jetzt wußte das Restlein der im +Steinernen Elend Geborenen nicht einmal, wo es daheim war, und die arme +Ludmilla hatte keine Heimgemeinde. Aber das unfreiwillige Gnadenbrot +beim Reisinger wollte sie einmal nicht essen; es wäre ihr zu stark +gesalzen, sagte sie. Dann kam sie doch noch in das Bärndorfer Armenhaus +hinein.</p> + +<p>Als Aushilfswärterin kam sie zuerst nur auf ein paar Tage. Als diese +paar Tage vorbei waren, ersuchte man sie um Verlängerung ihrer +Aushilfstätigkeit und bald war ihr stillgeschäftiges, ratsames, sanftes +und stets munteres Wesen den Kranken und Bresthaften so unentbehrlich +geworden, daß sie im Armenhaus verblieb. »Und da g'freut's mich!« sagte +sie nun oft. Dem Einen bettete sie das Lager bequemer, dem Anderen +teilte sie etwelches von ihrem Brot, dem Dritten stellte sie was Grünes +und Blühendes ans Fenster, dem Vierten besserte sie ein Kleid aus, +sie konnte ja gar schneidern; und wo sie ein Zwirnfädlein liegen sah, +und war es auch nur fingerlang, da tat sie es in ihren Nähkorb, der +jedem, so ein Bändlein oder eine Nadel oder Schere oder ein Knöpfel +brauchte, zur Nutzung stand. Für lange Abendstunden, wann sonst Tratsch +und Mißlaune und Streit sich einzustellen pflegten unter den müßigen, +mürrischen Bewohnern des Armenhauses, erzählte sie Geschichten, sang +Lieder, wobei freilich ihre Lebhaftigkeit im Vortrag, sie half auch mit +den Händen<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> mit, die Stimmittel ersetzen mußte. Die dankbaren Gemüter +behaupteten rundweg, die Ludmilla sei ein Engel, worauf sie allemal +entgegnete: »Ja, wär' schon recht, wenn ich Flügeln hätt', auf den +Füßen will's eh nit gehen.«</p> + +<p>Das Elend der Armut liegt zumeist nicht im Nichtshaben und Nichtssein +allein, es liegt vielmehr noch in der Giftigkeit des Herzens, in der +Scheelsucht des Armen gegen die Mitmenschen, selbst im Mißtrauen +gegen die Wohltäter. So war ein Mann im Armenhause, sie hießen ihn +den Einhandel, weil er nur eine Hand hatte. Der hatte sich in der +Jugend aus Furcht vor dem Soldatenleben mit einer Zimmermannshacke +den Zeigefinger der rechten Hand abgehauen; zur Wunde kam der »Brand« +und mußte ihm die ganze Hand abgenommen werden. Viele Monate war er +im Spitale gelegen und als er endlich geheilt war, kam er seiner +Selbstverstümmelung wegen auf Jahre in das Zuchthaus und dann von +diesem schnurgerade in das Armenhaus. Am meisten beklagte er hier +den Verlust seiner Hand, weil er beim Beten den Rosenkranz nicht +so handhaben konnte wie andere Leute, denn zwei Dinge waren seine +Hauptbeschäftigung: das Beten und das Ehrabschneiden. An jedem und +jeder wußte er was auszusetzen, gegen jedes Gute hatte er sein +Bedenken, und es ging kein braver Mann um im Dorf, der nicht doch ein +»schlechter Kerl« war. Gegen die Ludmilla wußte der Einhandel aber +spottwenig aufzubringen und so ließ er gelegentlich nur durchblicken, +sie würde es schon wissen, warum sie so fromm tue, und trotz ihrer +Demütigkeit würde sie am Ende doch lieber mit neun Teufeln in die Hölle +fahren, als mit einem Engel in den Himmel.</p> + +<p>»Geh, geh, Einhandel,« sagte ihm die Ludmilla einmal, »mach' dich nicht +gar so bös' mit deinem losen Maul, bist ja doch ein guter Lapp.« Und +schnitt ihm das Suppenfleisch<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> klein, denn — so scharf sein Mund sonst +war — mit dem Gebiß stand's schlecht.</p> + +<p>Am Armenhaus führte ein Feldweg vorbei, der gewöhnlich durch eine +Torschranke abgesperrt war. Wenn nun die Ludmilla durchs Fenster ein +Fuhrwerk daherkommen sah, torkelte sie allsogleich hinaus, um die +Torschranke zu öffnen, damit der Fuhrmann sitzen bleiben konnte auf +seinem Karren.</p> + +<p>Vor dem Armenhaus war auch ein Brunnen, der aus dem Ständerrohr +armdick und rauschend in den Trog schoß. An diesem Brunnen hatte ich +die Ludmilla das erstemal gesehen. An einem heißen Sommertag war's, +ich kam als unbedachtsamer Student halbverschmachtet vom Gebirge über +die sonnigen Felder her und nun eilends dem Brunnen zu, daß ich mich +erquicke. In demselben Augenblicke, wie ich mein glühendes Gesicht +zum Wasserquell senkte, kam das kleine, runde, wackelnde Weiblein aus +dem Hause und erhob ein Zetergeschrei, daß ich emporfuhr und glaubte, +es schlügen zum Dach die Flammen heraus. »Kruziwetter Paraplie, du +leichtsinnig Volk du!« rief sie, dann nahm sie mich an der Hand und +sagte ganz ruhig und warmherzig wie eine Mutter: »Mußt nicht trinken, +Bübel, der Brunnen ist giftig. Nur ein Vaterunser lang wart', ich bin +geschwind wieder da.« Damit verschwand sie im Hause, kam im nächsten +Augenblick mit einer Schnitte Brot hervor: »So, da im Schatten setzest +dich jetzt nieder und das issest schön langsam und wenn du es gegessen +hast, netzest die Hände mit Wasser und den Nacken mit Wasser, und +nachher kannst ein wenig trinken.«</p> + +<p>Aus dem Hause heraus hörte ich später noch sagen: »In der Hitz' so +hineintrinken! — Ich weiß zwar nicht, wem er gehört, hat aber gewiß +Vater und Mutter, und so ein Bürschel darf man heut' noch nicht auf die +Bahr legen.«</p> + +<p>Als ich mich hernach im Dorf erkundigte nach der Person,<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> antwortete +man mir: Das »Guderl« wäre es gewesen. Das Guderl, so wäre sie ihres +guten, dienstfertigen und einfältigen Herzens wegen von den Insassen +des Armenhauses getauft worden. Und sie wäre ein ganz merkwürdiges +Geschöpf, hieß es, in der Jugend sei sie gar fein gewesen und man höre +Geschichten, die sich ihretwegen einstmals zugetragen, aber man wisse +nichts Sicheres; in <em class="gesperrt">der</em> Gegend sei sie damals nicht gewesen und +erzählen wollte sie auch nichts davon.</p> + +<p>Das hat mich denn gleich gepackt, und ein nächstesmal — ich fand sie +auf dem Dorfweg damit beschäftigt, eine Wasserkehre auszukrauen, damit +die Gieß ablaufen konnte — suchte ich mit ihr anzuknüpfen. Sie wäre +wohl keine hiesige? fragte ich.</p> + +<p>Wie ich ihr das ansehe? fragte sie entgegen und stützte sich ein wenig +auf den Haustiel, weil sie doch recht unsicher stand auf ihren Füßen.</p> + +<p>»Ansehen nicht, aber anhören am Sprechen.«</p> + +<p>»So, haben die Leut' im Steinernen Elend eine andere Sprache, wie die +Bärndorfer dahier?«</p> + +<p>»Also vom Steinernen Elend seid Ihr? Das muß aber eine traurige Gegend +sein.«</p> + +<p>»Das kommt auf die Leut' an, junger Herr,« gab sie zur Antwort, »die +Steine sind überall hart.«</p> + +<p>»So ist es. Und die Leut' sollen auch im Steinernen Elend recht brav +sein. Ich habe gehört, Ihr wisset so schöne Geschichten vom Steinernen +Elend herab.«</p> + +<p>»Das hast du gehört!« rief sie aus, sie nannte mich »Du Herr«. »Aber,« +fuhr sie lachend fort, »was doch die Leut' alles reden. Schöne +Geschichten weiß ich! und etwan rechtschaffen lustige, nit?«</p> + +<p>»Rastet ein wenig, mit dem Weg eilt's nicht; ist ja der<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> Himmel über +und über blau, da ist die Gieß noch weit. Unter den Kirschbaum setzen +wir uns hin und Ihr erzählt mir was.«</p> + +<p>»So närrische Sachen da!« rief sie, »ich weiß nix, ich weiß nix!« Damit +schob sie sich um, daß das Röcklein flog, und kraute mit Hast an der +Wasserkehre.</p> + +<p>Ein zweitesmal erging es mir nicht besser. Halb schmollend und halb +bittend sagte sie, ich solle nicht kindisch sein, ich solle mich an +junge Dirndeln machen, wenn ich was wissen wolle, und nicht an alte. +Die alten hätten lauter Sauerampfergeschichten und möchte sich so ein +flotter Herr leicht daran langweilen und darüber lustig machen.</p> + +<p>»Die Leute sagen, es hätte sich mit Euch etwas Besonderes zugetragen.«</p> + +<p>»Mein lieber Herrgott in der Krüppelkapellen!« lachte sie auf, +»zutragen tut sich mit jedem Menschen was, wenn er sich's aufmerken +will. Und das mag für ihn selber was sein, aber für andere nit. Ich +erzähle nix.«</p> + +<p>Zwei Jahre später kam ich wieder nach Bärndorf, aber +unfreiwilligerweise. Ich hatte mir bei einem kleinen Sturz im Gebirge +die Kniescheibe verletzt, mußte zwei Tage lang in einer Köhlerei liegen +und wurde dann nach Bärndorf hinabgebracht, wo ich beim »Weißen Lamm« +eine Woche lang im Bette lag. Wer war's, der mich pflegte? Das alte, +runde Guderl. Aber es war kaum mehr zu erkennen, über die ganze linke +Seite des Gesichts, von der Stirne bis zum Halse hinab, hatte sie einen +schier zinnoberroten Flecken und das linke Auge war geschwollen und +hatte die Brauen und Wimpern verloren.</p> + +<p>»Gelt, jetzt gefall' ich dir, junger Herr?« sagte sie, als sie mein +Befremden merkte, »jetzt, weil ich so schön rotwangig worden bin!«</p> + +<p>Des Einhandel wegen war sie rotwangig worden, und<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> das ging so zu: +Der Einhandel rauchte starken Tabak und rauchte den ganzen lieben +Tag lang, und wenn er keinen Tabak hatte, dann rauchte er gedörrte +Sauerampferblätter. Saß er zusammengekauert, einen Fuß über dem anderen +und den Ellbogen auf dem Knie, auf der Ofenbank; die beiden Mundwinkel +zog er tief hinab, in einem derselben stak das Pfeifenrohr, aus dem +andern stieß er den Rauch herfür. Wenn die Pfeife nicht brannte, so +machte er Gestank mit dem Ausputzen derselben, beim Anzünden wieder +mit den Schwefelhölzern, die nicht brennen wollten. Und so ging es den +ganzen Tag. Da hatte ihn die Ludmilla einmal in Güte gebeten: »Geh, +Einhandel, sei so gut und tu nit gar so stark nebeln, oder rauch' beim +Fenster hinaus, wenn du's schon eineinmal nit lassen kannst. Mußt halt +betrachten, daß du nit allein im Haus bist. Schau, in der Stuben ist +die alte Sanna, die muß so viel husten, und der Stindl hat Augenweh, +weißt es eh, da tut der kratzend' Rauch halt wohl gar nit gut. Ist +<em class="gesperrt">dir</em> was übel, so wird man's auch ändern, wenn's sein kann. Sei +gescheit.«</p> + +<p>Auf so was wurde der Einhandel giftig wie ein welker Schierling. Er +sagte es zwar nicht laut, aber zu seinem Kameraden, dem Marter-Hies, +knurrte er: »Da hast es. Hab' ich nit alleweil gesagt, dieses Weibsbild +ist ein Teufel! Und schon gewiß auch. Mir hat ihre Frommheit und +Gutherzigkeit niemals gefallen, mir nit, mir! Hab's doch gewußt, es +steckt ein höllischer Drach' dahinter. Desweg hinkt sie auch; der +Teufel hinkt allemal. Guderl! ein sauberes Guderl, das! Luderl, ja, das +ist das Richtige. Schau da her! Einem armen Menschen, der eh nix hat +auf der Welt, als das bissel Rauchen, das auch noch nit gunnen mögen! +Aber wart', jetzt erst zu Fleiß rauch' ich ihr recht unter der Nasen +herum und das stinkendste Kraut, das ich auftreib'!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span></p> + +<p>Er tat's, und wo die Ludmilla ging und stand und saß im Haus, immer +war der Einhandel da und dampfte, daß man vor lauter Giftnebel die +Stubenwände kaum sah. Sie hüstelte wohl und fuhr sich mit der Schürze +über die brennenden Augen, sagte aber nichts, als einmal: »Wenn's schon +sein muß, ich dertrag's, nur die Kranken tu ein wenig verschonen.«</p> + +<p>Von jetzt an dampfte der Einhandel den Augenleidenden und den +Lungensüchtigen ins Gesicht. Nun beschwerten sie sich beim +Armenhausverweser, dem Fleischhacker Marner, der zumeist auf Viehhandel +aus war und sich daher um das Armenhaus nicht viel kümmern konnte. Es +war auch schon wirtschaftlich so geboten: Das Vieh bringt Geld, die +Armen kosten Geld. Nun, auf die Beschwerde konnte er doch nicht leicht +ausweichen, der Verweser. »Da muß Ordnung gemacht werden!« sagte er +großsprecherisch. Wurde der und die und auch das Guderl befragt, ob +es denn wirklich so arg sei mit dem Rauchen des Einhandel? »Wenn er's +nit just in der Stuben tät,« antwortete die Ludmilla, »draußen auf der +Gartenbank kunnt' er rauchen so viel er wollt'; man sieht's ja ein, daß +er auch was haben muß.«</p> + +<p>Auf das bekam der Einhandel einen Verweis, der noch um einiges stärker +war als sein »Tubak« und der ihm so lange in der Nase rauchte, bis er +eines Tages ein Fläschchen Scheidewasser von der Stelle nahm, wo er es +»zum Putzen des messing'nen Pfeifenbeschlachtes« aufbewahrt hatte, und +es der Ludmilla ins Gesicht goß.</p> + +<p>Es sei aus Zufall geschehen, behauptete nachher der Einhandel, er +habe das Fläschchen zum Putzen hernehmen und den Stoppel herausziehen +wollen, aber mein Gott, mit einer einzigen Hand! es sei halt ein Elend +auf der Welt. Die Ludmilla sah wohl ein, daß sie und der Einhandel nun +nicht mehr unter <em class="gesperrt">einem</em> Dach hausen konnten, und um ihn nicht<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> +unterstandslos zu machen, ging sie selbst davon. Sie ging in den +Häusern um, und gerade in solchen, wo das Elend war, sie brachte sich +mit Krankenwarten durch. Es war ein rechtes Geriß um sie, überall in +der Gegend, wo ein Kranker lag, wollte man das Guderl haben, und als +ich nun mit meinem verletzten Knie beim »Weißen Lamm« darniederlag, +hatte die Wirtin eben auch das alte Dirndl, die hinkende Ludmilla rufen +lassen. Wie sie da geschäftig um mich herumtat! einmal den Eisumschlag, +dann das Auswaschen der Wunde mit Arnikatee, dann jede halbe Stunde ein +frisches Glas Wasser auf den Bettisch, falls ich trinken wolle; hernach +den Fenstervorhang zugezogen, daß mir die Sonne nicht ins Gesicht +scheine, oder das Kissen aufgeschichtet, daß ich hübsch lehnen konnte +im Bett, auch unter den Arm einen Polster zur Stütze gelegt, damit mir +beim Lesen das Halten des Buches die Hand nicht ermüde. In allem wußte +sie mir es besser zu machen als ich es selbst konnte, ja besser, als +ich es ahnte, wie man unermüdlich in liebevollem Sorgen und Erfinden +allerlei kleiner Vorteile und Annehmlichkeiten gar das Kranksein zu +einem Genuß machen könne. Dabei war sie doch so unaufdringlich und war +so still heiter, wußte auch ein fröhliches Sprüchlein, ein anregendes +Geschichtchen zu rechter Zeit.</p> + +<p>Und der rote Brandflecken auf ihrem Gesicht, der mir anfangs so häßlich +erschienen — ich sah ihn nicht mehr; ihre freundlichen Züge, der +sanfte, gütige Glanz ihres Auges verbreitete eine andere Schönheit über +die kleine verkümmerte Gestalt.</p> + +<p>Als ich endlich wieder laufen konnte, nahm ich die Ludmilla so an den +beiden Händen, wie man seinen Schatz nimmt, wenn man ihm in die Augen +sehen will, und sagte: »Mir tut nur eines leid. Daß ich schon laufen +kann.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span></p> + +<p>»Da sollst du froh sein, junger Herr, und unserem Herrgott Dank sagen,« +so war ihre Meinung. Sie riß ihre Hand aus der meinigen, erfaßte den +alten Strumpf, den sie zur Ausbesserung vorgenommen hatte und strickte +emsig.</p> + +<p>Jetzt kam mir der Schalk und da rede ich allemal anders, als es einem +Christenmenschen ansteht. »Heut' die ganze Nacht,« sagte ich, »hab' +ich unserem Herrgott Dank gesagt. Auf das schaut er endlich herfür +aus seinen Wolken und sagt: Geh' zu der Ludmilla. Die laß ich heilig +sprechen, wenn der Papst einverstanden ist. Du hättest sie aber in der +Jugend kennen sollen — sie ist jetzt noch nicht alt — aber in ihrer +besten Jungheit, da ist sie ein lustig Dirndl gewesen!«</p> + +<p>»Wer sagt das?« fragte die Ludmilla scharf.</p> + +<p>»Unser Herrgott sagt's. Und wird auch nicht anders sein, brave Leut' +sind immer lustig. Aber Esel müssen sie gewesen sein, die Burschen zu +deiner Zeit!«</p> + +<p>»Warum?«</p> + +<p>»Daß dich keiner geheiratet hat.«</p> + +<p>Der Grund, warum ich so niederträchtig war, ihr ein solches Wort zu +sagen? Weil ich endlich einmal ihre Jugendgeschichte hören wollte, und +richtig, sie ging augenblicklich ins Garn.</p> + +<p>»Das just nit, Herr, daß mich keiner geheiratet hat,« sagte sie mit +leiser Stimme und einem eigentümlichen Nachdruck. »Ich bin neunzehn +Jahre lang verheiratet gewesen.«</p> + +<p>Ich erschrak ordentlich. Die Ludmilla, die man seit Gedenken als +lediges Dirndl und Dienstbot kennt in und um Bärndorf herum, soll eine +alte Witwe sein?</p> + +<p>»Jetzt gleich kannst du ohnehin nit fortlaufen, junger Herr,« sagte sie +nun, »es ist ja der Socken noch nit fertig.« Ich gewahrte, daß es mein +Socken war, an dem sie die durchgetretene<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> Ferse anstrickte. »Haben +noch ein Randl Zeit, wenn so einem Herrn mein Plaudern nit zuwider ist. +Unterhaltsames ist halt nit dabei, da kann ich aber nix dafür. Ja, wenn +sich der Mensch seine Lebensgeschichte kunnt anfrimmen (bestellen), ich +hätt' mir die meinige schon besser eingerichtet. — Willst den Fuß nit +dieweil noch auf den Polster legen? er wird noch harten Weg genug unter +sich kriegen, bis er heimkommt.«</p> + +<p>Sie wollte das gesunde Bein betreuen, als ob es noch immer das kranke +wäre, und erst als sie sah, daß mein Körper in durchaus behaglicher +Stellung war, setzte sie sich in den dunklen Winkel am Ofen, strickte +und begann die Geschichte ihrer Jugend zu erzählen.</p> + +<p>»Gar gut,« so hub sie an, »ist es mir mein Lebtag nit ergangen, aber +die liebste Zeit ist mir doch im Steinernen Elend gewesen. Mein Vater +ist Bretterschneider gewesen im Steinernen Elend, hat jung sterben +müssen. Wie ich ihm einmal — just am Mittwoch ist's vor Fronleichnam +— das Essen in die Brettersäge trag', wundert's mich, daß das Werk +steht, darauf sehe ich auf dem Sägespänhaufen, der unterhalb drin +ist, eine blutige Hand liegen. Der Vater ist oben gelegen neben dem +Bretterblock. Ist mit seiner Hand in die Säge hineingekommen, ist +die Hand abgeschnitten worden, ist der Vater ohne Hilf' verblutet. +Ich bin dazumal ein Dirndl gewesen, mit zehn Jahren; die Leut' haben +mir und der Mutter gesagt: sterben müßten wir alle; das ist halt der +Trost gewesen. Meine Mutter hat mir nachher das Gewandmachen gelehrt +und sind wir zu den Häusern umgegangen und haben genäht. Etliche Jahr +d'rauf ist meine Mutter auch gestorben. Hat sie mir auf einmal die +Hand hergehalten über den Tisch, als wollt sie mir Behütgott geben, +ist an die Wand zurückgesunken und eingeschlafen. —<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> »Du sollst,« so +unterbrach sie sich, »den Fuß besser ausstrecken, sonst schlaft er dir +ein.«</p> + +<p>»Erzähle nur weiter,« sagte ich.</p> + +<p>»Ja,« fuhr sie fort, »jetzt kommt bald das, was die Leut' so gern +hören. Hast du vom Preishubinger noch nix gehört? Gewiß wohl, das Haus +steht heut' noch und wird schier das letzte sein im Steinernen Elend. +Dazumal, wie die Gemeinde noch größer, ist er ehrengeachtet gewesen, +der Preishubingerhof. Von seinem Wald hat mein Vater die meisten +Bretterblöck' bekommen. Der junge Preishubinger und ich haben uns gern +gesehen. Und wie jetzt sein Vater stirbt und er den Hof muß übernehmen, +will er mich heiraten. Ja gewiß auch noch, vom Fleck weg heiraten! +Aber seine Mutter hat nit wollen. Die ist ein gestrenges Weib gewesen +und hat gesagt: Keine Arme wird nit Preishubingerin, so lang' ich die +Augen offen hab'. Aber sonst war sie gut, die alte Preishubingerin. +Der Donat ist sonst woltern weich gewesen und hat gern bei allem +nachgegeben; aber jetzt hat er sich auf seine zwei Füß' gestellt, und +wenn er vier hätt' gehabt, hätt' er sich auf vier gestellt, und hat +gesagt: ich heirate für mich und nit für die Mutter und ich laß mir +keine aufmessen. Fest hat er sich gehalten. Ist bald alles richtig +gewesen und hat uns der Pfarrer schon von der Kanzel geworfen. Denk' +ich mir, das wird nit gut sein und wird der Donat sein Lebtag d'ran +zu tragen haben, daß er ihren Segen nit hat. Und schon gar, wenn sie +einmal gestorben ist. — Nein, Donat, sage ich zu ihm noch zwei Tage, +ehvor die Hochzeit hätt' sein sollen; ich sehe ihn noch, er ist an der +Kirchhofplanken gelehnt und ich bin neben ihm gestanden und hab' die +Händ' zusammengehalten. Nein, Donat, ohne ihren Willen tun wir's nit. +Sie ist deine Mutter und meint dir's gut. Sie soll im Bett sein vor +lauter Kränkung. Schieben wir's auf. Ich gehe<span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span> hin zu ihr und sie soll +mich kennen lernen, wie ich bin, und sie muß sehen, daß ich nicht so +bin, wie sie denkt. Nachher ist's gut, wir haben uns keinen Vorwurf +zu machen und deine Mutter — schau, sie hat auch niemand mehr auf +der Welt als dich — soll sich auf ihre alten Tage nit kränken. — +Der Donat sagt darauf: Wenn wir's jetzt nit fortmachen, was wir haben +angefangen, so bleibt's aus. — Nein, sage ich, es bleibt deswegen nit +aus, man soll nur nix übereilen. — Du kennst meine Mutter nit, sagt +er, hat sie uns nur erst all zwei bei sich, so zerstört sie alles. Wir +lassen uns nix zerstören, sage ich, und wenn wir unseren Fleiß haben +angewendet und alles getan haben, wie es Brauch und Pflicht ist, dann +mach' ich mir nix mehr d'raus, dann heiraten wir zusammen, ist's ihr +recht oder nit. Und jetzt komm', hab' ich gesagt, wir gehen zu deiner +Mutter. — Da hat er nachgegeben. Wie wir in die Stuben eintreten, +wo die alte Preishubingerin im Bett liegt und sie mich sieht, tut +sie einen Schrei, als hätt' ihr einer mit der Hack' auf den Kopf +geschlagen; die Decken zieht sie über ihr Gesicht hinauf und schreit: +Das Unglück ist da! und setzt sich im Bett auf und ruft die Hausleute, +man sollt' mich aus dem Haus jagen, und gibt mir einen Namen, daß ich +gerade genug hab' gehabt. Ich bin fortgegangen, und dem Donat hab' ich +gesagt, er soll' bei seiner Mutter bleiben und sie beruhigen und wenn's +so wär', da wollt' ich auf alles verzichten. — Nein! sagt der Donat, +du wirst mein Weib, und fallt mir um den Hals.«</p> + +<p>Das Guderl war still und ganz ruhig; ich merkte warum: wenn sie sich +jetzt bewegt und noch ein Wort sagt, so überkommt sie's. Ich wartete, +und da sie nicht mehr anhaben wollte, so sagte ich: »Erzähle doch +weiter, Ludmilla.«</p> + +<p>»Das ist nix zum Erzählen, ich sehe es wohl,« versetzte<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> sie gedämpft. +»Nun, wenn du schon willst, Herr, du kannst dir ja wohl denken, wie +es kommt. — Die Preishubingerin ist in eine Krankheit gefallen, der +Donat ist bei ihr geblieben. Sie hat viel geweint, hat ihn gehalst und +geherzt und er wäre ihr Einziges auf der Welt, und er sollt' ihr nit +untreu sein. Die Steffen-Tochter wäre ein gutes, braves Dirndl, die +sollt' er nehmen. Mit der Bretterschneider-Dirn' würde er nie glücklich +werden, die schnitte ihm die Bretter zum Sarg.«</p> + +<p>»Du mußt dieses Weib doch einmal beleidigt haben, daß es so gegen dich +sein konnte,« wendete ich jetzt der Erzählerin ein.</p> + +<p>»Ja, ich weiß es wohl,« antwortete sie, »ich bin unbedacht gewesen und +hab's versäumt, ihr den Besuch zu machen wie es schon Zeit gewesen +wäre. Aber weil ich immer gehört, sie wäre eine hitzige Frau, im guten +wie im harten gäh und wild, so habe ich Angst vor ihr gehabt. Hätte ich +mich schicken können zu ihr! Im Grund' soll sie doch eine gute Frau +gewesen sein, sagen die Leute. Nun, Gott tröste ihre Seel'. Das ist +lang vorbei.«</p> + +<p>»Der Donat wird doch fest geblieben sein?« war meine Frage.</p> + +<p>»Wie es ans Sterben ist gegangen bei der Preishubingerin,« sagte die +Ludmilla, »da hat ihr der Donat das Versprechen geben müssen« ....</p> + +<p>»Und hat er's wirklich gegeben?«</p> + +<p>»Er hat nit anders können, er ist ein guter Sohn gewesen,« antwortete +die Ludmilla. »Ich bin ihm nachher ausgewichen. Gottlob, habe ich +gedacht, wir sind einander nix schuldig worden, und es ist das +beste, wenn wir uns nimmer sehen. Er hat nachher die Steffen-Tochter +geheiratet; das ist auch ein braves Weib gewesen, arbeitsam und<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> zu +der Wirtschaft tüchtig und gut auf den Donat. Aber das hat man wohl +gemerkt: Glücklich ist er nit viel mit ihr. Ist mir heiß und kalt +worden, wenn mich auf dem Kirchweg sein Blick hat getroffen. Und +einmal, wie ich — just am Mariahimmelfahrtstag ist's gewesen, ich weiß +es noch wie von gestern — auf dem Friedhof bei meinem Elterngrab knie +und der Donat von dem seinigen über die Hügel hergeht! Wie er neben +mir vorbeigeht, da stolpert er, stützt sich noch an einem Holzkreuz, +daß es kracht, und ohne daß er mich anschaut, höre ich, wie er sagt: +Hinfallen? Soll sein, heut' lieber als morgen. — Ich rühr' mich nit +und tu' als wär' ich im Gebet, und mir ist zum Umsinken so schlecht. — +Er ist davongewest: Da habe ich mir gedacht: Jetzt muß was geschehen. +Was, das weiß ich selber nit. Er denkt noch auf mich, und das darf +nit sein. — Und wie sich schon oft was schickt auf der Welt — ich +will nit sagen, unser Herrgott hat's so haben wollen; ich denk', es +kommt auch auf die Leut' selber an — auf dem Heimweg gesellt sich der +Vorholzer Sebast zu mir. Der hat mir schon lang' alleweil schön getan. +Und wie wir jetzt zum Lindenhäusel kommen, wo zu derselbigen Zeit Most +und Branntwein ausgeschenkt worden ist, will er mich mit ins Wirtshaus +haben. Das tue ich nit. Gut, sagt der Sebast, wenn du nit magst, mag +ich auch nit — und geht mit mir weiter. Da denke ich bei mir: Kannst +dir was einbilden d'rauf, wenn der deinetweg das Wirtshaus fahren läßt! +Wie wir durch den Waldschachen gehen, es ist dem Preishubinger sein +Wald, da hat er mich gefragt, der Sebast, ob ich ja sagen wollt', er +hätt' ein Häusel und zwei Gaißen und braucht' ein Weibsbild dazu. — +Das Häusel ist im Steinwald drinnen; vom Preishubinger-Haus braucht man +länger als zwei Stunden hinein. Das wird doch weit genug sein, denke +ich mir und habe ja gesagt.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span></p> + +<p>Nun schwieg sie und zählte die Maschen am Strickstrumpf.</p> + +<p>»So bist dem Vorholzer-Sebast sein Weib geworden?«</p> + +<p>»Ich hätt's nit schlecht getroffen,« fuhr die Ludmilla fort, »der +Sebast ist ein braver, fleißiger Mensch gewesen, aber das Wirtshaus hat +er sich halt nit mögen abgewöhnen, und wenn ihm dann der Branntwein +in den Kopf gestiegen ist! So viel jäh ist er gewesen. — Mein Gott, +es hat halt jeder Mensch seinen Fehler. Ich werd' wohl auch nit gar +zu fein gewesen sein, wenn er so heimgekommen ist. 's geht eins aufs +andere. — Aufkommt auch alles auf der Welt und alles wird viel stärker +gemacht, und soll jetzt der Preishubinger gehört haben, mein Mann tät +mich schlagen. Und da hat ihm halt einmal, wie er meinen Mann betrunken +hat heimgehen sehen, der böse Feind den Einfall gegeben: geh ihm nach +und schau', was Wahres ist am Gered'. — Wie der Sebast heimkommt, laß +ich ihn an: Es wäre doch Sünd' und Schad' ums Geld; sich im Wirtshaus +Kopfweh trinken und daheim treibt der Holzknecht Thomas die Gaiß weg — +weil wir ihm Geld schuldig gewesen sind. Da kommt meinem Mann der Zorn +und er fahrt über mich her. Jetzt ist auf einmal der Preishubinger da +und schleudert meinen Mann an die Wand. Und darauf —« Die Erzählerin +wendet sich ab und murmelt gegen die Ofenmauer hin: »Darauf ist das +Unglück geschehen.«</p> + +<p>»Was ist geschehen?« fragte ich und stand auf.</p> + +<p>»Mein Mann hat die Holzhacke von der Wand gerissen und den Donat +niedergeschlagen.«</p> + +<p>Weich und leise hatte sie das gesagt, dann legte sie das Strickzeug auf +die Ofenbank und ging still zur Tür hinaus.</p> + +<p>— Niedergeschlagen! Erst später erfuhr ich den Rest. Der Donat hatte +sich nach dem Schlage auf den Sebast gestürzt,<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span> war dann zu Boden +gesunken und hatte den Geist aufgegeben. Der Vorholzer Sebast schrie +noch der Ludmilla zu: »Du bist <em class="gesperrt">sein</em> Unglück und bist <em class="gesperrt">mein</em> +Unglück!« Dann ergriff er die Flucht. In der Niederau drüben, unter +einem Heuschober hatten ihn die Gendarmen gefunden und gefangen. +Zwanzig Jahre Kerker!</p> + +<p>Die Ludmilla hatte hernach wieder ihr Gewerbe, die Nähterei ergriffen, +arbeitete und darbte und wartete auf den Sebast. »Wenn ich's nur +erlebe,« sagte sie oft, »krank und mit weißen Haaren wird er mir +zurückkommen, aber ich will ihm die alten Tage so gut machen, als es +sein kann. Wenn ich's nur erlebe.«</p> + +<p>Von dem Donat sagte sie kein Wort mehr. Aber auf seinem Grabe — +trotzdem die Witwe der großen Wirtschaft und vielem Sorgen wegen nicht +Zeit hatte, es zu zieren — fand sich immer ein grünender Strauch, ein +helles Blümel. — Als die Leute im Steinernen Elend durch Holzhändler +verarmt, durch die Steuern abgestiftet waren und auswandern mußten, +fand auch die Ludmilla keinen Erwerb mehr in ihrer Heimat. So kam sie +herüber in die Bärndorfer Gegend und suchte ihr Brot als Dienstmagd, wo +nachher das mit dem Pferde geschehen ist. Immer zählte sie die Jahre, +bis ihr Mann zurückkehren sollte vom Strafhaus. Schon im voraus suchte +sie die Leute für ihn zu gewinnen, erzählte von seinen Vorzügen, von +seiner Bravheit. Man wartete schon mit einer gewissen Neugierde auf den +Sebast und mehrere Bauern in Bärndorf stellten ihm der Ludmilla wegen, +die sie überall gerne hatten, Dienstplätze in Aussicht. So hielt sie +ihr Haupt aufrecht und ebnete — wo sie konnte — die Wege für ihren +Mann. Da starb der Sebast ein Jahr vor Ablauf seiner Strafzeit!</p> + +<p>Nun wußte ich alles. Als ich dann den frisch beguteten<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> Socken am Fuß +hatte und den Wanderstab in der linken Hand, und ihre Hand in der +rechten — es war unter dem Tore des Wirtshauses — da sagte ich zu +ihr: »Ja, die Leute haben recht, du bist das Guderl. Aber wie es schon +schlecht eingerichtet ist auf der Welt, dir ist das Gute schier noch +allemal zum Schlimmen ausgefallen.«</p> + +<p>»Wie sie ihn festhält bei der Hand!« rief jetzt im Hofraum eine der +Stallmägde der anderen zu. »Wie sie ihn festhält! Hat sie ihm ein +Pflaster auf die Füß' bunden, daß er nit fort kann! Jetzt ist er doch +auf der Höh'.« Und dann zur Ludmilla: »Nur nit auslassen, Luderl! So +ein feiner Stadtherr kommt dir nimmer.«</p> + +<p>Erschrocken ließ ich ihre Hand los.</p> + +<p>»Hast du's gehört, Herr?« lachte die Ludmilla. »Es wird mir auch +<em class="gesperrt">das</em> schlimm ausfallen. Aber das macht nix. Wenn sie ihre Mäuler +schon alle Tage füttern müssen, so wollen sie sie halt auch brauchen. +Das schadet mir nimmer, gleichwohl ich manchmal über und über möcht' +rot werden im Gesicht, wenn mich nicht schon der Einhandel so schön +gefärbt hätt'. — Daß ich aber nicht vergess', ein Töpfel hätt' ich da, +es ist ganz klein, du bringst es leicht ins Rocktaschel und macht nicht +einmal einen Kropf.« Damit schob sie mir was Rundes in den Rocksack: +»Arnikasalben ist drinnen, und ein Leinwandfleckel dabei. 's ist nur +für den Fall, wenn der Fuß wieder sollt' anheben weh zu tun, oder sonst +— ei geh nein! Mußt halt sauber achtgeben, junger Herr, daß nit wieder +was passiert. Behüt' Gott schön!«</p> + +<p>Sie rieselte davon, ich sah sie nimmer.</p> + +<p>Seither sind fünfzehn Jahre vergangen. Das Guderl lebt noch immer +als Krankenwärterin in Bärndorf. Vor einigen Jahren habe ich ihr, +eingedenk der Wohltaten, die sie mir erwiesen, einen kleinen Geldbetrag +geschickt. Den soll<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> sie zur Hälfte verschenkt haben, zur anderen +Hälfte ist er ihr von einem ihrer Pfleglinge gestohlen worden. Später +sandte ich ihr ein silbernes Kreuzlein; das ist ihr — auch abhanden +gekommen. Nun habe ich ihr vor einigen Monaten, als ich sie in Bärndorf +wieder aufsuchte, zum Andenken ein aus Holz geschnitztes Kreuz +gebracht. Das hat sie heute noch und das wird ihr bleiben.</p> + +<p>Jetzt, da ich fertig bin mit meiner Geschichte, höre ich meinen Leser +entrüstet ausrufen: Elende, gottverlassene Welt, in der die Güte und +die Treue so undankbar vergolten wird!</p> + +<p>Darauf antworte ich: Glückselige, gottbegnadete Welt, in der trotz +alles Undankes die Güte und Treue nicht ausstirbt.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Figurlmacher">Der Figurlmacher.</h2> +</div> + + +<p>Es mag nun an die dreißig Jahre her sein seit jener Fahrt durchs +Pustertal. Aber ich vergesse sie bis an mein Lebensende nicht. Nie vor- +und nie seither hatte ich einem weltfremden Menschen so rasch und so +tief in seinen Mittelpunkt geschaut, als diesem schlanken Knaben.</p> + +<p>Es war ein Sonntagsnachmittag. Über den Dolomiten war ein Gewitter +gestanden, das nach einigen scharfen Tropfen, die es an mein +Waggonfenster geschleudert, sich sachte verzogen hatte. Abendlicher +Sonnenschein brach hervor und beleuchtete die Berge und die Kirchtürme +und die frohen Menschen, die auf dem Bahnhofe versammelt waren, in +den der Zug eben einfuhr. Aus der Gruppe von Männern und Burschen +sprang jetzt ein junger, schmucker Mann mit Stock und Handbündel, +verabschiedete sich rasch, schwang seinen Spitzhut, stieß einen +grellen Juchschrei aus und stieg in mein Abteil, wo ich bisher allein +gesessen war. Voll überlauter Lust rief er jedem einzelnen noch +neckende Grußworte zu, und die Zurückbleibenden schrien: »Figurlmacher, +behüt dich Gott, laß dir's schmecken, das Herrenleben!« Er sang einen +schalkhaften Vierzeiler, jauchzte wieder, und der Zug fuhr ab. Ohne +mich zu beachten, warf mein Reisegefährte den kurzen Kranabetstock und +das rote Handbündel neben sich auf die Bank, setzte sich hin, trommelte +mit der Fußspitze und pfiff ein heiteres Liedel. Vielleicht, so dachte +ich, ist er darum so lustig, weil er seine ganze Sach' in einem +Sacktuche mit sich tragen kann. Nicht jeder ist so glücklich, ich zum +Beispiel war schon der Sklave meines Reisekoffers.</p> + +<p>Der Bursche war so, daß er den Weibern hätte gefallen<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> müssen: schlank, +stramm, und trug ein keckes falbes Schnurrbärtel; nur das Auge war +zu zahm; das war mattblau und hatte einen feuchten Glanz wie bei +einem Weibe, in dem die sittsam bezähmte und doch begehrende Liebe +ist. — Endlich war er ruhig geworden, stemmte seine Ellbogen auf die +ausgespreizten Knie, und den Kopf auf die Hände gestützt, starrte er +in den Boden hinein. Manchmal schaute er zum Fenster hinaus in die +abendlich dämmernde Landschaft, dann hob sich seine Brust, als sollte +wieder ein Jauchzen herauskommen, aber es kam keines, und mit einem +leisen Seufzer sank sie wieder ein.</p> + +<p>Der Zug rollte fort und fort, an der Decke brannte zuckend die +Lampe; schon lange mochte sie keine so stillverschlossenen Insassen +gesehen haben, als an diesem Abende. An drei Stunden mochten wir so +gefahren sein, als der Bursche ganz plötzlich an meine Brust sank +und schluchzte. Ich war fast zu Tode erschrocken und tat mehrmals +nacheinander die Frage, was das bedeute, was ihm geschehen wäre?</p> + +<p>»Ich kann's nit tragen!« stieß er hervor, »ich kann's allein nit +tragen. Es ist zu hart.«</p> + +<p>Ich sprach ihm freundliche Worte zu. Wenn er ein Anliegen habe, so möge +er es mir vertrauen, der Mensch dem Menschen. Bei Kummer und Leid, +da gebe es kein Fremdsein. — Denn ich kann niemanden weinen sehen; +Frauentränen wird man zur Not gewohnt, aber ein solches Schluchzen aus +der Mannesbrust ist erschütternd wie der Ausbruch eines Vulkans. Ich +legte die Hand auf sein Haupt, das an meinem Busen lag, und sagte noch +einmal: »Freund, Freund, was ist dir?«</p> + +<p>»Es ist so hart,« sagte er und sein Körper bebte.</p> + +<p>»Du bist ja erst so lustig gewesen?«</p> + +<p>Da lachte er krampfhaft auf: »Lustig! — Mein Elend habe ich +totschreien wollen.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span></p> + +<p>»Ist dir ein lieber Mensch gestorben?«</p> + +<p>»Wie sie meinen Vater ins Grab gelegt haben,« entgegnete er, »und ich +allein dasteh auf der weiten Welt — es ist auch ein Schmerz gewesen. +Aber so! So wie jetzt! — Ich kann's nicht aushalten, ich muß es wem +erzählen. Meine Kameraden daheim wissen nichts und wollten mich nur +auslachen. Mit Spott will ich nit fort.«</p> + +<p>»Wenn ich recht verstehe, es ist gewiß ein Weibsbild im Spiele!« sagte +ich.</p> + +<p>»Ja freilich,« antwortete er.</p> + +<p>»Ich habe mir's gedacht. Ein rechter Mann weint nur dreimal in seinem +Leben: Wenn ihm Vater und Mutter gestorben sind, wenn ihm seine Ehre +vernichtet wird und wenn er unglücklich in der Liebe ist. Zweimal +habe ich auch schon geweint, mein Lieber, du kannst mir schon etwas +vertrauen.«</p> + +<p>Es dauerte eine Weile, bis er so weit mit sich zurechtkam, daß er +ruhiger sprechen konnte. Dann begann er zu erzählen:</p> + +<p>»Meine Eltern, die sind kleine Häusler gewesen, kümmerliche Leut'. Ich +hab' mir mit Heiligenschnitzen die Groschen verdient und es werden nit +viel Kirchen und Kapellen sein in der Gegend, wo nit von mir ein Figurl +steht. Ich hätt' eine Freud' zum Schnitzen, aber mir fehlt's halt noch. +Die Leut' loben mich überall und zahlen oft mehr, als ich verlang'. +Nur eine —.« Da brach er ein wenig ab, fuhr sich mit der flachen Hand +über die Stirn, machte dann eine Bewegung mit ihr, als wollte er etwas +von sich scheuchen. »Es ist eine Torheit,« fuhr er nachher fort, »daß +sich der Mensch so was zu Herzen nimmt. Aber halt gefreut hätt's mich, +wenn sie mir ein einzigmal 'kommen wär' mit einem guten Wort über meine +Figurln. Ja, den krummen Fuß<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> oder die schiefe Nasen, oder wie schon +was fehlschlagen kann, das hat sie gleich gesehen und hat mit ihrer Red +den Fuß noch verkrüppelter und die Nasen noch birniger gemacht. Und +ist mir was geraten, daß die Leut' gesagt haben: Schau' das kann er! +— da ist sie still gewesen und nit ein gutes Wörtel! Hab ich ihr's +hingehalten: Was sagst zu diesem Herrgottel? Nit übel, gelt? Hernach +ihre Antwort: Ist gut, wenn es dir gefällt, Figurlmacher. — Jetzt, sie +heißt Kathrin, und da hab ich ihr eine heilige Katharina geschnitzt, +auch mit dem Rad, und sauber gemalt, daß solches Figurl ganz nett +ausgesehen hat. Sie tut nit viel um und nimmt's und ich denk, gefreuen +wird sie's, wenn sie es auch nit so scheinen laßt. Bei ihr ist alles +inwendig, und in Ehren halten wird sie das Bild wohl dennoch, ich wette +drauf, sie stellt's über ihr Bett aufs Wandkastel. — Hernach nächstens +wie ich wieder einmal zu ihr komm, ist mein erster Blick an ihr Bett +hin auf die Wand. Was ich nit seh, das ist mein Figurl. Herentgegen +hängt am Nagel ein mit Silber beschlagenes Gamsfüßel, wie solche Sachen +der Knopfdrachsler, der Marx Zeindler, so hübsch herrichten kann. Mir +fallt aber nichts ein und wie wir miteinand ein bissel heimgarten, frag +ich so nebenhin, wo sie das Figürl hätt? — Ja richtig, sagt sie, das +muß ich wo vergessen haben, jetzt fallt's mir ein, das steht gewiß bei +der Ahndl oder wo. — Laß es stehen, sag ich, und bald nachher richt +ich mich zum Fortgehen, weil mich die Sach ein klein bissel verdrossen +hat. Jetzt, wie ich aber nit bei ihr gewesen bin, hab ich doch alleweil +an sie denken müssen. Kein Mensch glaubt's. Ich kenne Schönere, als wie +sie, und solche, die mich lieber hätten, aber es ist just, als ob mir +die ins Herz gebrannt wär'.«</p> + +<p>Da der Bursche einhielt, so sprach ich: »Mein Lieber, das geht nicht +dir allein so. Die Leute haben das Wort Liebe<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> dafür erfunden, ist aber +nicht das rechte. Verhext, wahnwitzig, das würde besser stimmen. Ein +schwarzes Weiberauge und eine Tollkirsche haben auf uns Männer manchmal +die gleiche Wirkung. Gegen Tollkirschengift ist frische Kuhmilch das +beste Mittel, gegen das schwarze Auge hat es mancher mit dem Wein +versucht.«</p> + +<p>»Trinken!« rief der Bursche, »hab mir's auch schon gedacht, aber wenn +ich ein Anliegen hab, da schmeckt mir kein Wein, und es schmeckt mir +keiner. Ich brauch wen, den ich <em class="gesperrt">gern</em> hab und der mich wieder +gern hat, und der meine Figurln mag — wenn das ist, nachher bin ich zu +allem aufgelegt. Aber so —«</p> + +<p>Er ließ den Kopf hängen.</p> + +<p>»Du bist auch so einer, der auf der Welt schon den Himmel haben +möchte,« sagte ich. »Schau um, ob es <em class="gesperrt">einer</em> so gut hat! Denke, +du bist auf der Welt und halt dich an die Arbeit. Das Figurnschnitzeln +wird dir dein Lebtag mehr Freude machen, als alle Weiber zusammen.«</p> + +<p>Jetzt begann er ganz unvermittelt vom Blitz zu erzählen: »In der +Siebenbrunnkirche hat der Blitz eingeschlagen. Beim Turm ist er herab, +hat die Orgel zerrissen, nachher zur Kanzel, zum Altar, zertrümmert die +Mutter Gottes, und beim Taufstein wieder hinaus. Jetzt sind sie kommen +und ich hab müssen ein Muttergottesbild schnitzen. Ist auch alles +zufrieden gewest damit, nur der Marx Zeindler hat gesagt: Zu dieser +Sternguckerin ging er nit beten, da ginge er schon lieber zu einer, die +ihm keck ins Gesicht schaut und die Händ zum Halsen auseinander tät. — +Weil ich meiner Mutter Gottes die Augen gegen Himmel hab richten lassen +und die Händ' zusammenhalten, auf ein Gleichnis, als wollt' sie für +die Siebenbrunner Pfarr fürbitten. Nun, so hat er gespottet, der Marx, +und ich hab mir weiter nichts draus gemacht; er ist auch sonst<span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span> so +viel roh, wie soll er just bei mir fein sein. Es gibt ja allerhand so +Leut auf der Welt. Sollt bei seiner Arbeit bleiben, Knöpfe drachseln, +Hirschzähne einfassen, wie man sie so an den Sackuhren baumeln hat, +Gamsbart und Schildhahnstöße binden für die Jäger, und so Sachen, +das kann er, aber vom Figurlschnitzeln versteht er nichts. Hab ihm's +gesagt. — Jetzt hab ich mich aber doch gefreut auf die Kathrin. Das +Muttergottesfigurl wird ihr wohl recht sein, und wenn sie sieht, wie +die Leut zusammenlaufen und davor beten und ihm die Füß küssen — und +hat's der ihrige gemacht. Und einmal nach der Kirche, da frag ich sie: +Du, was sagst denn eigentlich zu meinem Bildnis? — Geh laß mich aus, +dalkerter Figurlmacher, ist ihre Antwort, eine solche Sternguckerin +da! — Hab ich einmal gestutzt. Wie ist das? Jetzt haben die zwei, die +Kathrin und der Marx, gleiche Gedanken! — Und von dieser Stund ist +meine Pein angegangen. Die zwei halten zusammen, hab ich gedacht, wo +ich geh und steh. Sonst alles überhört, vergessen, ganz dumm im Kopf, +nur alleweil denken: die zwei halten zusammen! Sie lachen die Figurln +aus und den Schnitzler, und was sich der immer sittsam hat aufgespart +für den Ehestand, an dem prassen sie allbeid, und ich bin der Gefoppte. +— Nit essen und nit schlafen hab ich können, zugrund gehen, hab ich +gemeint, muß ich vor lauter Kränken; hab mir aber nichts merken lassen. +Bin ich mit ihr zusammenkommen, so tut sie nit süß und nit sauer, +spricht aber ein paarmal vom Heiraten, denn es ist schon ausgemacht +gewesen zwischen uns, und einmal hat sie noch im Spaß gesagt: den +Figurlmacher mag sonst keine, so will ich ihn aus Barmherzigkeit +nehmen. — Tut mannigmal weh, so was, aber laß mir's gefallen. Jetzt +aber wird's mir ungleich und hab ich's versuchen wollen, ob's denn +nicht möglich wär, sie zu meiden und mit einer anderen was anzuheben,<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> +weil ihrer genug sind gewest, die mir nachgeschaut haben. Aber je +weniger ich an die Kathrin denken hab wollen, je fester ist sie mir +im Sinn gelegen, und je höllischer ich sie hassen hab wollen, je +höllischer hat's mich zu ihr gezogen, und wenn ich mir gar vorstell, +daß sie mit ihm beisammen ist — deutlich hab ich alles gesehen im +Geist — da hätt ich rasend werden mögen vor lauter Wut und Lieb. — +Herr, wenn sie einen Mörder henken, ich werf keinen Stein auf ihn! Gott +hüt uns, kein Mensch weiß es, wie nah er am Abgrund steht.«</p> + +<p>»Also weißt es, was noch schlimmer ist, denn so eine dumme Liebe!« +bemerkte ich.</p> + +<p>»Am vorigen Samstag ist's gewesen,« fuhr der junge Mann fort. »Ich geh +ins Breit-Viertel hinüber, Lindenholz kaufen. Wie ich im Wald bin, +seh ich einen Knaben, der sich einen Peitschenstecken brechen will, +das Lärchbäumerl ist aber zäh, läßt sich winden und drehen und will +nit los. Halt, denk ich, nimm mein Messer, schneid's ab, äst's auch +aus und richt's gerad, — hat das Bübel eine Freud gehabt. Wie ich in +den Graben hinab komm, wird's schon dunkel. Auf der Wiese ist Heu und +mitten drin sitzt der Marx-Zeindler. Mit seinem braunen Schnurrbart und +Funkelaugen und wie die Haarfetzen über die Stirn herabfahren — ein +schöner Mensch. Jetzt, wie ich noch ein paar Schritt weiter geh, sehe +ich neben seiner die Kathrin. Reden tun sie nichts miteinand, schauen +sich aber fest in die Augen, also daß man meinen kunnt, ihr Blick wäre +ein eiserner Nagel, der die zwei Köpf zusammenheftet. Ich hab's meiner +Hand nit befohlen, sie greift von selber um's Messer. Sucht im Sack +und in allen Säcken und findet es nit; hab das Zeug unversehens liegen +lassen oben im Lärchenwald. So schön! denke ich, einen Schutzengel +haben die auch noch! Jetzt, was soll ich machen? Ich geh langsam rund +herum; bin ich herüben,<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> so hab ich sein Gesicht, bin ich drüben, so +hab ich ihres. Eine so verdammte Unterhaltung hab ich mein Lebtag nit +gehabt! — Wenn die Liebe nit blind machen tät, sie hätten mich sehen +müssen. Auf einmal, wie ich wieder hinschau, kommen sie mir allzwei +häßlich vor, so häßlich, daß mir übel wird. — Jetzt weißt es, sage +ich zu mir, jetzt, was willst anfangen? Willst Lärm schlagen zu deiner +Schand? Willst ihn erwürgen und sie heiraten? Nein. Da gibt's nichts, +als still davongehen. — Schon lang mein Wunsch nach Innsbruck in die +Schnitzerschul. Eine ganze Nacht hat's gearbeitet in meinem Kopf: +Sollst gehen? Sollst bleiben? Und je länger ich sinnier, je enger wird +mir die Siebenbrunner Gegend und je breiter die Straßen nach Innsbruck. +Wie die Sonn aufgeht, steht's fest. Und heut — heut geh ich halt.«</p> + +<p>»Ich gratulier!« Mit diesem Wort wollte ich seine Hand fassen, er zog +sie rasch zurück.</p> + +<p>»Denke dir, lieber Mensch,« sagte ich, »sie hätte sich dir angesüßelt +und du kommst erst nach der Hochzeit zum Heu auf der Wiese!«</p> + +<p>»Mich däucht,« knirschte er und holte die Faust wie zum Stoß aus.</p> + +<p>»Das ist nichts,« unterbrach ich ihn, »du mußt dich weit furchtbarer +rächen. Laß sie zusammen heiraten, er mit der Roheit, sie mit +der Untreue, das geht weit über's Schnitzmesser! Und das bedenk: +ein gleichgültiges oder absprechendes Wesen paßt nicht für einen +Figurlschnitzler. Das würde dich mutloser machen, als alle +absprechenden Urteile neidischer Kollegen, und deine Kraft lähmen. Die +Mitfreude des geliebten Weibes an seinem Werke bedarf der Künstler, wie +die Blume den Sonnenschein. Kein Mensch glaubt's, welch ein Segen für +den Künstler das rechte Weib ist. Bedenk's und danke Gott.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span></p> + +<p>»Aber —« entgegnete er, und die Stimme brach sich im Halse, »ich — +hab sie lieb.«</p> + +<p>Es ist ewig dieselbe Geschichte. Da hatte er aus Trotz gejauchzt, aus +Wut sich zum Auswandern entschlossen, aus Rache nach dem Messer gelangt +und muß sie lieben, als wäre sie ihm ins Herz gebrannt.</p> + +<p>Wir waren in Franzensfeste, wo unsere Straßen sich trennten, die meine +ging nach dem Süden, die seine über den Brenner nach der Hauptstadt. +Vor dem Scheiden hatten wir gegenseitig unsere Namen genannt. Er hatte +mich noch um Verzeihung gebeten, daß er mir sein Anliegen so vor die +Füße geworfen, und gedankt, daß ich gut mit ihm gewesen. Jetzt sei ihm +schon leichter. Dann gab ich ihm noch den Rat, er solle aufhören, sie +zu hassen, dann würde er auch aufhören, sie zu lieben, und falls uns +der Lebensweg noch einmal zusammenführe, würde er wirklich so lustig +sein, als er es heut <em class="gesperrt">scheinen</em> wollte. —</p> + +<p>Acht Jahre später brachte ich folgendes in Erfahrung. Die Katharina +Zeindlerin machte eine Wallfahrt nach Maria im Anger. Die Kirche ragte +in einer Waldgegend, in der manch freundliches Dörfchen und manch +schmuckes Landhaus stand. Aber die Katharina schleppte eine Last von +Kummer daher. Ihre Kinder waren teils blöde, teils ungeraten; ihr +Mann war ein Wüterich, der sie mit seiner Eifersucht zu Tode quälte, +während er selbst unlauteren Schlichen frönte, und so frech, daß die +betrogene Gattin von seinen Zuhälterinnen noch verhöhnt wurde. — Nun +trat das arme, vor Schmerz gebeugte Weib in die Kirche. Auf den Knien +rutschte sie bis zum Hochaltar, auf dem die Mutter des Heilandes stand. +Das Angesicht von himmlischem Frieden verklärt, die Hände über der +Brust gekreuzt, die Augen zur Höhe gehoben voll heiliger Inbrunst, so +stand die hehre Gestalt da; und Katharina,<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> als sie emporblickte zu +ihr, mußte weinen. Vielleicht gedachte sie einer vergangenen Zeit, +in der sie ein Bildnis mit gen Himmel gehobenem Blick spottweise die +Sternguckerin genannt; heute war sie selber eine solche Sternguckerin, +und es tat ihr wohl, daß das Auge der Gottesmutter ihrem trostlosen +Herzen ein Wegweiser war empor zu himmlischer Erhebung.</p> + +<p>Und als das so hohen Fluges ungewohnte trübe Auge des Weibes wieder +erdwärts sank, blieb es haften an dem Sockel der Bildsäule, in dem der +Name des Schöpfers derselben eingegraben war. Ihr Herz hub zu pochen +an, sie kannte den Namen.</p> + +<p>Aus der Kirche tretend, fragte sie den Beschließer, ob denn vielleicht +der Künstler noch lebe, der das schöne Gnadenbildnis gemeißelt habe?</p> + +<p>Der Beschließer streckte seine Hand aus, nach einem stattlichen +Landhause weisend, das auf einer sachten Höhung stand und von schönen +Bäumen umgeben war: »Das dort ist sein Haus, und da wohnt er drinnen.«</p> + +<p>Also schlich nun in der Abenddämmerung das Weib zu dem bezeichneten +Hause hin, und zwischen den Planken lugte sie hinein in den Garten. +Da hörte und sah sie eine Schar hübscher, munterer Kinder, da sah sie +eine schöne, freundlichschauende Frau, und mitten unter diesen Menschen +sah sie ihn. In seinem Wesen lag eine Ruhe, aus seinen Augen strahlte +lauteres Glück.</p> + +<p>Der Figurlmacher! — Das Weib taumelte wegshin. Sie sah jetzt den +Unterschied, der da ist, wenn man den Blick zur Höhe richtet, wo +freudige, himmeldurchfliegende Gläubigkeit herrscht, oder der +schmutzigen Erde zu, wo solche krauchen, die nichts können, als Knöpfe +drachseln, Gamsfüßeln beschlagen und auf dem Heu liegen.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_junge_Geigenspieler">Der junge Geigenspieler.</h2> +</div> + + +<p>Eines Tages sah der junge Ministrant Giedel bei seinem Pfarrer in +Schwandau ein Holzkistchen. Er betrachtete es über und über; es war +von länglicher Form, inwendig leer, und hatte sehr dünne Wände. Als +der Herr Pfarrer dem Knaben den Ministrantenanteil von der Messe — +zwei Kreuzer — ausbezahlte, sagte der Giedel bescheidentlich: Auf +Bargeld gehe er schon weniger, aber wenn der hochwürdige Herr ihm das +Holzkistel schenken wollte, so würde er dafür gerne den Winter über +umsonst ministrieren.</p> + +<p>»Kind!« rief der Pfarrer, »wozu willst denn das Ding? Es ist ja ganz +leer!«</p> + +<p>»Just deswegen,« antwortete der Kleine, »ich kann bloß die leeren +Sachen brauchen.«</p> + +<p>»Du bist nicht klug, Giedel. Das Zigarrenkistel kannst mitnehmen, und +für die Meß kriegst täglich deine Kreuzer, wie sonst. Bist ja ein +braver Bub du! Gott behüte dich!«</p> + +<p>Voller Freude lief der Knabe mit seinem hohlen Schatze heim in des +Vaters Hütte. Dort hub er an zu schaffen. Er bohrte durch das Kistchen +Löcher, zog einen Balken durch, so daß dieser an beiden Seiten +hervorstand. Dann erbettelte er von der Mutter mit List einige Fäden +Hanfgarn, glättete sie mit Harz und spannte sie über das Kistchen, +ähnlich wie man auf eine Geige die Saiten spannt. Und als er mit den +Fingern die Fäden zupfte, wohl, wohl, da gab's einen Ton, der im +Kistchen eine Weile nachklang. Der Giedel hatte auf dem Kirchenchor +Pfeifen- und Saitenspiel gehört, er war dabei bis in den dritten Himmel +verzückt gewesen, aber jetzt war er's bis in den siebenten, denn der +Klang war von ihm selbst<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> erfunden und erzeugt, und je nachdem er mit +dem Finger den Faden strammer oder loser spannte, gab es einen höheren +oder tieferen Ton. Als das so weit war, wagte der kleine Giedel einen +schweren Gang. Der Pferdeknecht des Nachbars war sein Feind, denn er +war ein roher Geselle, und die Töne, die der rote Rupert durch Fluchen, +Peitschenknallen und andere Mittel hervorbrachte, waren dem Giedel +verabscheuenswert. Und gerade dieser Mensch konnte ihm jetzt helfen.</p> + +<p>»Guter Roßknecht Rupert!« redete ihn der Kleine an. »Hast du keinen +Roßschweif?«</p> + +<p>»Ich nicht, Narr, aber mein Pferd.«</p> + +<p>»Verkauf mir davon ein Strähnl?«</p> + +<p>»Was zahlst?«</p> + +<p>»Das Ministrantengeld bis Weihnachten.«</p> + +<p>Der rote Knecht glotzte mit seinen unterlaufenen Augen den hübschen, +treuherzig blickenden Knaben ein Weilchen an, dann sagte er: +»Pferdeschweifhaare willst. Sollst ihrer haben. Dein Ministrantengeld? +den Bettel behalt' selber, aber zu mir herüber in den Stall kannst +du manchmal kommen, wenn du Zeit hast. Weißt, wenn ich am Feierabend +meinen Tabak rauch', da hab' ich's gern, wenn mir wer das Haar kraut. +Bin's von Kindes her so gewohnt. 's tut mir halt wohl. Wenn du manchmal +herüberkommst krauen, so kannst Pferdeschweif haben, so viel du willst.«</p> + +<p>Dem Knaben ging es ganz kalt über den Rücken. Diesem Menschen das Haar +krauen! »Die Mutter laßt mich halt nicht,« sagte er dann verzagt, »aber +das Ministrantengeld bis Heiligdreikönig!«</p> + +<p>»So wart' ein wenig,« sprach der Pferdeknecht, und der Giedel bekam +einen silbergrauen Strähn vom alten Schimmel. Jetzt war's gewonnen.</p> + +<p>Er schnitt einen Weidenzweig, spannte daran die Haare,<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> und der +Fiedelbogen war fertig. Dann hub er an auf seiner Geige zu fiedeln. Es +war außerordentlich! Es war darum außerordentlich, weil das ganz anders +stimmte, als andere Geigen, wenn auch nicht schöner, aber durchaus +anders. Tagelang spielte der kleine Musikant auf seinem Instrumente, +anfangs mit großer Selbstbefriedigung und Hoffnung, daß sich das Zeug +vervollkommnen lassen werde, allmählich aber mit weniger Zuversicht, +und als gar sein Vater, der Weber Franz, ein Donnerwetter losließ über +das schauderhafte Gekrächze, das da sein Bub hervorbringe, war es +geschehen. Der Giedel legte seine Geige auf den Holzblock, ging hinaus +unter den Apfelbaum und war betrübt. Musizieren, geigen! Er schnitt +sonst Pfeifen und blies hinein, er machte Pauken und trommelte darauf. +Alles ging leidlich, nur die Geige nicht. Wenn er dann am Sonntage den +Schulmeister das Meßlied geigen hörte, da vergaß er seine lateinischen +Sprüche und horchte versunken dem Spiel. Minutenlang konnte der Pfarrer +seinen Kelch hinhalten, der Knabe hielt die Wein- und Wassergefäßchen +in den Händen und goß nichts hinein. Er horchte auf das Geigen. Der +Pfarrer schalt ihn nicht, es wurden ihm die Augen feucht. In diesem +Kinde der glühende Drang nach dem Schönen, und es kann sich nicht +helfen? Wie reich ist die Welt an Herrlichkeit und Kunst! Wie üppig +blüht in den Städten und Höfen der Großen die göttliche Musik auf! Die +Harfe, die in einem Dorfe zu Gottes Lob ertönt, ist nur ein Stammeln +dagegen! Und selbst dieses Stammeln ist dem Knaben unerreichbar ...</p> + +<p>Ging der Pfarrer zum Weber Franz und bettelte ihm mit vieler Mühe den +Giedel ab für eine tägliche Musikstunde.</p> + +<p>»Du lieber Gott!« sagte der Weber: »Eine Stunde des Tages haben ihn +Hochwürden ohnehin bei der Messe; jetzt soll ich ihn noch eine zweite +Stunde herlassen? Muß ihn ja<span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span> doch für mich abrichten, und er soll +arbeiten lernen. Wir sind halt arme Leute. Aber wenn er um eine Stunde +früher aufsteht, — der Junge liegt mir jetzt alle Tage bis sechse in +der Früh'! — so kann er meinetwegen seine Musikstunde haben.«</p> + +<p>Nun, da hätten wir ihn ledig. Jetzt ging der Pfarrer zum Schulmeister +und sagte: »Unser Giedel. Mir tut er ins Herz hinein weh. Probieren Sie +es alle Tage ein Stündel mit ihm. Zahlen kann sein Vater nichts, aber +ich meine, es ist so viel als Kirchenmusik zum Lobe Gottes, wenn Sie +diesem musikbegeisterten Kinde das Saitenspiel lehren?«</p> + +<p>Der Schulmeister reichte dem Pfarrer schweigend die Hand, da war es +abgemacht.</p> + +<p>Also geschah es nun, daß der Giedel täglich in das Schulhaus kam und +auf einer alten Geige, die der Schulmeister ihm lieh, nach mühesam +eingelernten Noten die Saiten strich. Es war ein Glück, und es war ein +Fleiß, und es war eine Plage. Nach etwa einem halben Jahre waren sie +soweit, daß der Schulmeister zum Pfarrer sagte: »Mit dem Knaben ist es +ein Elend. Ich bringe ihm keine Noten und keine Regeln in den Kopf. Wo +er nach der Vorschrift sich üben soll, ist es gar nichts; er vergreift +sich, und man kann ihm auf die Finger klopfen wie man will. Wenn er +aber für sich phantasieren kann, da ist es manchmal erstaunlich, +geradezu erstaunlich! Das hilft alles nichts, wenn er das Theoretische +nicht inne kriegt, so ist alle Mühe verloren.«</p> + +<p>Doch taten sie eine Weile so fort. Allmählich aber änderten sich die +Zeiten. Der gute alte Pfarrer zu Schwandau ging zum Altenruhsitz in +ein Kloster. Der Schulmeister wurde versetzt, der Weber Franz starb, +und der Giedel mußte als Majoratsherr in der armen Hütte die Ernährung +der Familie über sich nehmen. Die Geige, schon mit<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span> Abgang des +Schulmeisters ihm aus der Hand gesunken, mußte er sich nun auch aus dem +Kopfe schlagen. Es kamen die Jahre, in welchen dem Menschen der Himmel +voller Geigen zu hängen pflegt; an Giedels Himmel hing nichts als eine +große Flöte, auf der er Trübsal blasen konnte, wenn er das Blasen +überhaupt gelernt hätte.</p> + +<p>Eine halbe Wegstunde von Schwandau in einem Seitengraben stand damals +ein kleiner Eisenhammer. Heute ist er ganz verfallen, nur der blockige +Schornstein steht noch da, und rings um ihn wuchert Holundergesträuche +und Nesselwerk. Der voreinstige Besitzer ist hinausgezogen in das weite +Tal, hat dort ein großes Sensenwerk gegründet, hat Ländereien und Wald +dazugekauft, und als der Besitz recht groß und die Werkschaft recht +angesehen war, hat er alles an eine Aktiengesellschaft abgetreten und +sich selber in die Stadt gezogen, wo er sein Geld in vornehmer Weise +und sorgenlos genießen konnte. Zu jener Zeit, von der hier die Rede +ist, pochte das emsige Eisenhämmerlein in der Waldschlucht Tag für +Tag, und dem Weber Giedel pochte fast noch heftiger das Herz, wenn er +es hörte. Denn im Hammerhause war Eine! Jung und gut und lieb! Das war +ihm schon recht, wenn sie nur nicht so schön gewesen wäre! Wie kann +ein armer Weberbursche sich an eine Hammerschmiedstochter wagen, wenn +sie so gottlos schön ist! Er kriegt sie nicht. Hundert andere sind, +reiche, vornehme, kecke! So gern kann sie freilich keiner haben, als +der Giedel, aber sie weiß es nicht, und er kann es ihr nicht sagen, und +so wird der Jüngste Tag kommen und die Paula Radhuberin wird es immer +noch nicht wissen, daß sie auf Erden einer so über alle Beschreibung +gern gehabt hat. Denn wie kann er es sagen und schreiben, wenn es +unsagbar und unbeschreiblich ist! — Einmal an einem Sonntage hatte er +sie von der Kirche aus begleitet<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> bis zur Brücke, über die der Weg zum +Eisenhammer hinanführt. Garnkaufen müsse er gehen, hatte der Giedel +gelogen, um eine Weile neben ihr herschreiten zu dürfen. Sie plauderten +und es war von sehr wichtigen Sachen die Rede: Daß doch die Straße +einmal geschottert werden sollte! Daß es wieder gar so viel regne in +diesem Sommer! Daß Korn und Obst verderbe! Nur das Heu würde geraten! +Und beim Heu hielten sie sich so lange auf, bis die Brücke kam. Dann +wünschte sie ihm einen guten Garnhandel, und er sagte: »Dank' schön!« +und also stand er wieder allein. Hinter einer Fichte stand er und +guckte ihr nach, solange der rote Punkt, denn sie hatte ein kirschrotes +Kittlein an, im Hohlweg zu sehen war.</p> + +<p>Nach diesem Spaziergange verschloß sich der junge Weber in seine Stube +und verfaßte ein Schreiben an die ehr- und liebsame Jungfrau Paula +Radhuberin. Als er das Schreiben durchlas, war es trocken wie ein +dürrer Ast. Kein grünes Blatt und keine rote Blüte war daran und doch +wucherte in seinem Herzen ein so üppiger Rosengarten, daß der arme +Junge fast erstickte. Den Brief zerknitterte er und warf ihn in die +Asche des Ofens.</p> + +<p>Leute, die vielleicht noch Hemden am Leibe tragen aus jener Zeit und +von jener Leinwand, die der verliebte Weberbursche Giedel gewoben, +müßten es eigentlich heute noch spüren, das trostlose Herzweh, das +er in die Fäden hineingewebert. Damals hat's kein Mensch geahnt, wo +es fehlte; weil er so blaß und traurig war, der Giedel, so meinten +etliche, er hätte es auf der Brust. Sie hatten recht, aber anders, als +sie meinten. Seine alte Mutter riet ihm oft, er solle nicht immer am +Webstuhl sitzen, er solle sich besser zerstreuen. — Wieso denn? Lieben +darf ich nicht, und geigen kann ich nicht. — Denn er hatte gar keine +Geige, und es<span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span> war noch nie möglich gewesen, sich eine anzuschaffen. Da +kam eines Tages eine große Aufregung.</p> + +<p>In Schwandau lebte seit kurzer Zeit ein ausgedienter Major, der eine +große Geigensammlung besaß. Wie es schon allerhand Sammler gibt auf +der Welt: Käfersammler, Tabakspfeifensammler, Hosenknöpfesammler, +Spielkartensammler, Spazierstöckesammler, Uhrschlüsselsammler und +immer so fort, so kam es dem Major, als er in seinem Ruhestande +nichts zu tun hatte auf der Welt, plötzlich in den Sinn, er müsse +eine Geigensammlung haben. Da er, wie gesagt, selbst nicht geigte und +sein Museum auch selten einem neugierigen Auge aufschloß, so hatten +die guten Leute zu Schwandau kaum eine Ahnung von all den Walzern, +Ländlern und anderen Weisen, die ungeweckt in ihren Mauern schliefen. +Da kam jener Sonntagnachmittag, an dem der Weber am Waldhange die +zwei Ziegen weidete. Sein Schwesterl, das sonst den Hirtendienst zu +besorgen hatte, war in den nächsten Kirchort zur Firmung gegangen. +Wie er im Moose so dalag und ganz gedankenlos in das offene Fenster +eines gegenüberstehenden Hauses blickte, ging es sachte und traumhaft +in ihm auf wie eine übernatürliche Erscheinung. Dort drin an der Wand +hing eine Geige, ihr zur Rechten hing auch eine solche, ihr zur Linken +hingen deren zwei kleine, ihr zu Füßen war eine Riesengeige — aus dem +Stubenschatten immer deutlicher hervortretend Geigen und Geigen.</p> + +<p>Dem Burschen begann fast zu schwindeln, die Wangen, die Stirne waren +ihm heiß, das Herz wurde ungeberdig, die leidenschaftliche Gier zur +Geige war wieder da. Als er am Abend nach Hause kam, und die Mutter +nach den Ziegen fragte, war er verwundert, weshalb just er von den +Ziegen etwas wissen sollte. Zum Glück kamen sie selbst heim und +meckerten ihre Ankunft. In der darauffolgenden Nacht schritt<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> der +Giedel den Weg hin und wieder von Schwandau bis zum Eisenhammer. Als +er das erste Mal vor ihr Fenster kam, war noch Licht darin, das zweite +Mal war schon alles finster. Unterwegs begegneten ihm Nachbarsburschen, +die zu den Fenstern ihrer Liebsten gingen, dort allerlei Ständchen +brachten und getröstet heimkehren konnten. Der eine spielte unterwegs +eine Mundharmonika, der andere eine Maultrommel, der dritte jodelte und +der vierte pfiff vergnüglich vor sich hin. Und jener, der ganz still +war, atmete die Harmonie inneren Glückes. Also ist die Liebe stets +musikalisch. Nur der arme Giedel empfand keinen Wohlklang in seinem +Wesen. Er kam sich dumm und häßlich vor, ihm mangelte jener Wohlklang +des Herzens, der zu rechter Zeit mutig macht, ein Glück zu erringen. Im +Dorfe stand der Giedel vor dem Hause, in dem der Major mit den Geigen +wohnte. — Daß es so herzzerdrückend still sein kann auf dieser Welt! +Da haben die Leute einen Mund und eine Sprache, und Geigen, und sind +doch stumm.</p> + +<p>Lange nach Mitternacht ging er zu Bette, erst gegen Morgen schlief er +ein und geigte und geigte.</p> + +<p>Noch ganz verschlafen war er, als übertags zwei Frauenzimmer ins Haus +kamen mit Körben Garn; das eine war die Magd vom Eisenhammer, das +andere war die Paula. Diese blickte den schlanken, blondhaarigen, +sanftdreinschauenden Burschen frisch an und sagte: »In vier Wochen +müssen wir Leinwand haben. Sie ist zur Ausstattung!«</p> + +<p>»Will wohl trachten,« antwortete der Giedel, hatte aber nicht den Mut +zu fragen, wer denn heirate? Man atmet ja gern noch ein wenig in der +süßen Ungewißheit. <em class="gesperrt">Dann</em> ist ohnehin alles aus.</p> + +<p>Auf dem Heimweg sagte die Magd zur Hammerschmiedstochter: »Etwas +antappert ist der Weber.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span></p> + +<p>»Ich denk', der ist ein bissel gescheiter wie du!« entgegnete strafend +die Paula. Weiteres wurde nicht gesprochen.</p> + +<p>Der Giedel wußte wohl, daß er als einzige Stütze seiner Familie +wehrfrei war. Dennoch ging er eines Tages zum Major, um Rat zu bitten, +wie er dem Soldatenleben entkommen könne.</p> + +<p>Der Major, eine schlanke, hagere Gestalt, deren einzige Lebensaufgabe +es noch war, den dummen, krummen, plumpen Dorfleuten militärische +Haltung zu zeigen, strich heftig seinen Bart und ließ den Burschen die +Oberkleider ausziehen.</p> + +<p>»Bravo!« schnarrte der alte Offizier, »das ist wieder einmal ein +Brustkorb!« Mit der Faust hieb er darauf, daß es dröhnte. »Hören Sie! +Das ist Grundton. Nein, nein, lieber Junge, Sie brauchen sich gar nicht +zu grämen, Sie sind tauglich. Gerad' halten!«</p> + +<p>Giedels Blicke waren mittlerweile wirr im Zimmer umhergeflogen, aber +nicht so sehr aus Angst vor dem Militär, als vielmehr aus Hoffnung, +durch irgendeine halbgeöffnete Tür ins Geigenzimmer lugen zu können. +Da er aber nichts dergleichen entdeckte, da er wieder vollkommen +angekleidet zum Fortgehen bereit war und seine ganze Falschheit umsonst +zu sein schien, hob er mit einem tiefen Atemzug sein Herz aus der Brust +und fragte: »Haben der Herr nicht eine Geigensammlung?«</p> + +<p>»Wissen Sie mir ein interessantes Instrument?« fragte der Major rasch +entgegen.</p> + +<p>»Das nicht, aber,« stotterte der Giedel, »ein wenig anschauen, wenn ich +sie dürfte!«</p> + +<p>Allsogleich war die Tür offen in das Nebenzimmer. Ehrfurchtsvoll wie in +ein Heiligtum trat der Bursche ein, so daß er vor lauter Andacht über +die Schwelle stolperte und »oha!« rief. Er war ganz rot im Gesicht, +teils wegen<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> seiner Ungeschicklichkeit, teils vor innerer Erregung. Die +Wände des Zimmers waren mit grauem Tuche überzogen, und daran hingen +sie nun in allen Größen, Arten und Formen. Wie schön geflammt war das +Ahornholz dieser Instrumente, wie fein geschwungen und gewölbt war der +Bau, wie reizend waren die langen Hälse mit ihren köstlich gewundenen +Schnecken! Und die Fiedelbögen: schlanke und kurze, breite und schmale, +gerade und gebogene in allen Farben! Der Major, sich darüber freuend, +daß einmal eine menschliche Seele Anteil nahm an seinen Schätzen, +begann zu erklären, von wem diese und jene stamme, welche Seltenheit an +dieser und jener wäre, er hatte da Geigen von Amati, von Montana, von +Guarneri, von Bergonzi, von Jakob Stainer usw. »Und hier!« flüsterte +er, eine sehr flachgebaute Violine mit fast hellrotem Anstrich +feierlich von der Wand nehmend, »hier, die ist von Stradivarius! — +Eine Cremoneser! — Geradhalten, saperment!«</p> + +<p>Unserem Giedel waren nun zwar die fremden Namen ziemlich gleichgültig, +doch hörte er sie mit Ehrerbietung nennen. Als der Major an der +Cremoneser mit dem Finger die Saiten berührte, um den herrlichen Ton zu +zeigen, sagte der Bursche: »Bitte, geigen Sie eins!«</p> + +<p>»Ich spiele nie,« antwortete der Major, hing das Instrument mit größter +Sorgfalt wieder an seinen Platz und schob den Burschen sachte zur Tür +hinaus.</p> + +<p>Seit diesem Tag war's schier vorbei mit dem Giedel. Er dachte Geigen, +er weberte Geigen, er träumte Geigen, und wenn er Zeit hatte, ging +er hinaus und schaute auf das Haus hin, in dem der Major die Geigen +hatte. Eines Tages hörte er vom Schulmeister sagen, der Major sei ein +Fex. Hoffentlich habe er einst den Säbel besser zu handhaben gewußt, +als jetzt den Fiedelbogen, denn er könne gar nicht<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span> Violin spielen +und habe die Sammlung nur so aus Rappelköpfigkeit zusammengekauft und +erbettelt. Es sei an dem ganzen Quark nichts, eine einzige ausgenommen. +— Schulmeister! dachte sich der Giedel, wie du nur so sprechen kannst! +Ich wollte, ich hätte die geringste dieser geringen! Aber, daß er nicht +soll geigen können? So viele Geigen haben und nicht geigen können! — +Nur auf ein paar Stunden möchte ich eine haben!</p> + +<p>Nicht lange hernach, und es ergab sich eine zufällige Gelegenheit, daß +der Weber den Major fragen konnte, ob er ihm nicht eine Geige borgen +wollte für einen Tag, nur für einen einzigen! Und nur jene, an der ihm, +dem Herrn Major, etwa am wenigsten gelegen wäre! Er, der Giedel, setze +eine Ziege dafür zum Pfand.</p> + +<p>Ein plumpes Lachen stieß er aus, der Herr Major, ein schreckbar +hochmütiges Lachen, dann wandte er sich ab. Und das war der Bescheid +gewesen. —</p> + +<p>Ein stiller, warmer Herbstsonntag. Die Dorfleute ergingen sich draußen +auf Feldrainen oder saßen im Wirtshause. Der Major war mit einem +Steirerwägel in den nächsten Ort gefahren zu einem alten Kameraden, der +ihm — so viel verlautete — geschrieben, daß er irgendwo eine uralte +Violine entdeckt habe. Sie stamme noch aus den Zeiten der Minnesänger +und ein Zigeuner gehe damit um, der darauf ohrenzerreißend spiele und +von dem Werte des Instrumentes gewiß keine Ahnung habe. Hau, das mußte +unser Major näher erfahren, und er fuhr hinüber. — In der Wohnung des +Majors waren ein paar Fenster offen geblieben. Der Giedel kauerte am +Berghang und schaute hinein zu den Geigen. Die Haushälterin des Majors +war auch fortgegangen, nachdem sie das Haustor mit großem Gerassel +verschlossen hatte. Der Giedel blickte hinein zum offenen<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span> Fenster. +»Der hat so viele, und ich hab' gar keine!« murmelte er. Plötzlich +schlug er mit dem Daumen ein Kreuz über sein Gesicht und lief davon. +Er ging den Weg hinein bis zur Brücke, er schritt hinan bis zum +Hammerhaus. Auf dem Fenster, hinter dem sie wohnte, standen schöne +Blumen, sonst sah er nichts. Das Wasser rauschte und der Berg legte +schon seinen dunkelblauen Schatten über das Haus. Ein paar junge Männer +gingen im Garten umher mit spitzen Schnurrbärten und unternehmenden +Mienen. Dann traten sie ins Haus. Ob das Verwandte sind von ihr, oder +Eisenhändler?</p> + +<p>Der arme Giedel ging wieder gegen das Dorf zurück. — Am Werktage, +dachte er bei sich, da ist die Arbeit, da geht's zur Not; aber am +Sonntag, wenn einer in der Müßigkeit so umherstreicht, da ist's schier +nicht auszuhalten. <em class="gesperrt">Der</em> Druck in der Brust, der grausame Druck! +Mit dem Taschenmesser ein Loch aufmachen hinein, daß dieses wilde Blut +heraus könnt' springen ....</p> + +<p>Als er zum Hause des Majors kam, dunkelte es schon ein wenig, und im +Tale dem Bache entlang war ein bläulicher Dunsthauch. Kein Vogel, kein +Heimchen, kein Mühlrad — nichts. Daß es doch so still sein kann auf +der Welt! ...</p> + +<p>Um das Haus war es öde, und nichts rührte sich. Die Fenster standen +offen. Der Giedel kletterte an einem Mauervorsprung empor und stieg zum +Fenster hinein. An der Wand huschte er hin, nahm die Cremoneser Geige +mit dem Fiedelbogen von der Wand, barg sie unter seinen Rock, sprang +rasch zum Fenster hinaus und eilte davon gegen den Wald hin.</p> + +<p>In der darauffolgenden Nacht war's. Über den Wipfeln des Bergwaldes +stand der Mond. Der Eisenhammer stand still, das Wasser rieselte leise +über das hinterseitige Floß. Wer das Rauschen und Pochen gewohnt +ist, dem wird's unheimlich. Paula lag in ihrem Bette, konnte aber +vor lauter<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> Ruhe, die sie umgab, nicht schlafen. — Sie dachte an +ihre Mutter, die seit langem schon auf dem Kirchhof lag. Sie dachte +seufzend, wie das jetzt werden würde, wenn der Vater wieder heiratet. +Die reiche Sensenschmied-Witwe von Tiefwasser. Dann will er den kleinen +Eisenhammer hier verkaufen und hinüberziehen und in Tiefwasser eine +Gewerkschaft bauen. Was das noch werden wird? ...</p> + +<p>Als das Mädchen im einsamen Stübchen so sann und dabei recht traurig +ward, hörte es draußen einen klingenden Ton. Es war anfangs wie eine +leise vor sich hin singende menschliche Stimme. Sie wurde lebhafter, +es klang wie ein süßes Locken und dann wieder wie ein betrübtes +Klagen. Es war wie ein allmähliches Aufschwingen, wie ein Anklopfen +und treues Bekennen und endlich wie das Freiwerden und Übersprudeln +eines warmen, leidvollen Menschenherzens. — Nie in ihrem Leben noch +hatte Paula so singen, so weinen gehört. Sie war selbst einmal in einer +Singschule gewesen, aber dieser unendlich rührende Tonhauch, den sie +jetzt vernahm, er hatte keine Ähnlichkeit mit anderen Kehlenklängen, +und doch war er das unmittelbare Aufquellen eines Geheimnisses. — Sie +konnte sich das nicht so denken, aber ein Gefühl war in ihr wach, als +ob sie in diesem Augenblicke sterben müßte, und als ob sie im nächsten +Augenblicke eingehen würde zur himmlischen Seligkeit. —</p> + +<p>Nach einer Weile richtete sie sich auf und blickte hinaus zum Fenster. +Da unten auf weißem Kieswege stand eine dunkle Gestalt. Sie erkannte +den Weber Giedel und sah jetzt, wie er eine Geige spielte. Sie verhielt +sich ganz ruhig, sah hinab und horchte. Sie horchte so lange, bis ihr +die Tropfen von den Augen rannen. So über alle Maßen lieb hatte sie +diesen Menschen. So viel Mitleid hatte sie empfunden, seit sie ihn +kannte, weil er so sanft, so freundlich und still, so<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> brav und so +verlassen war. Als sie einst, ein kleines Mädchen, das erste Mal in die +Kirche mitgenommen wurde, war am Altar neben dem Priester ein schöner +blonder Knabe gestanden, und so oft sie an Engel dachte, von Engeln +hörte, kam ihr dieser Knabe zu Sinn. Allmählich, ganz allmählich wuchs +dieser Engel heran zu einem Menschen ...</p> + +<p>Paula öffnete das Fenster, da hörte der Bursche unten auf, zu geigen.</p> + +<p>»Giedel,« sagte sie mit vor Innigkeit zitternder Stimme, »Giedel, geh' +jetzt heim. Die Nacht ist kühl.«</p> + +<p>Da trat er ein paar Schritte gegen das Fenster und flüsterte herauf: +»Paula, ich hab' dich lieb!«</p> + +<p>»Nimm ihn hopp!« rief plötzlich eine Männerstimme. Da sprangen aus dem +Schatten zwei Gesellen mit Waffen und glänzendem Riemzeug herbei und +rissen den Burschen nach rückwärts zu Boden. Noch hielt der Giedel +trotz des Schrecks die Geige hoch in die Luft, daß ihr nichts geschehe, +weiter wehrte er sich nicht, biß die Zähne zusammen und ließ sich +fesseln.</p> + +<p>Mittlerweile war es im Hammerhause lebendig geworden, die Leute eilten +auf die Gasse: was da geschehen wäre, was das bedeute?</p> + +<p>»Den Dieb haben wir,« berichtete einer der Gendarmen. »Dem Herrn Major +Stramper ist er in die Wohnung gestiegen. Eine Violine gestohlen.«</p> + +<p>»Der Weber Giedel!« schrien nun die Schmiede und das Gesinde. »Das ist +nicht übel!«</p> + +<p>Auch der Schmiedmeister war, flüchtig in seine Bettdecke gehüllt, +hervorgekrochen. »Ein Dieb? Ein Eisendieb?«</p> + +<p>»Ein Bettelgeiger.«</p> + +<p>»Der Strolch!« knurrte der Schmiedmeister, »was hat er denn vor meinem +Hause gesucht, bei der Nacht?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span></p> + +<p>»Das Töchterl hat er angegeigt!« lachten sie.</p> + +<p>»Ein anderes Mal stiehl Butterbrot! Das frißt man ungehört,« höhnte ein +Knecht. »Geigen krächzen zu viel, kommst allemal auf.«</p> + +<p>»Was kostet der Bettel?« rief jetzt Paula, die sich schneidig in den +Handel mischte.</p> + +<p>»Jungfer!« antwortete der Gendarm, »es handelt sich nicht um die Geige, +es handelt sich um den Diebstahl.«</p> + +<p>»Sag' etwas!« forderte das Mädchen den Giedel auf. »Verteidige dich!«</p> + +<p>»Das hilft nichts,« antwortete der Bursche ganz ruhig. »Sie glauben es +mir nicht. Morgen hätt' ich sie dem Herrn ja wieder zurückgebracht. Sie +glauben es mir nicht. Aber macht nichts, jetzt ist mir ganz leicht. +Sei nur so gut, Paula, und stell' sie ihm zurück. Und daß ihr nichts +geschieht. So leicht ist mir schon lang' nicht mehr gewesen, wie jetzt. +Vergiß nur nicht ganz auf mich, Paula, wenn ich gestorben bin.«</p> + +<p>Das Mädchen wollte darauf etwas sagen, konnte aber vor Bewegung nicht +mehr sprechen, und also führten sie den armen Jungen davon in der +stillen Mondnacht, führten ihn hinaus in das Dorf und taten ihn in den +Gemeindekotter.</p> + +<p>Am nächsten Morgen war ganz Schwandau außer Rand und Band. Das +Unglaubliche! Manche meinten, der Giedel sei irrsinnig geworden. +Etliche fluchten über die Hexe, die ihm's angetan. Nur wenige gaben +sich stiller Schadenfreude hin. Im Gemeindehause kamen um die +Mittagsstunde mehrere Männer zusammen, der Dorfrichter, der Pfarrer, +der Hammerschmiedmeister und auch der Major Stramper.</p> + +<p>»Ist es Ihr Ernst, daß Sie klagbar werden wollen?« fragte der Richter +den Major.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span></p> + +<p>»Bare achtzig Gulden hat sie mich gekostet, die Cremoneser!« antwortete +der Major.</p> + +<p>»Aber sie ist ja doch wieder in Ihrem Besitze,« sprach nun der Pfarrer, +»und gänzlich unversehrt. Den Burschen haben wir alle gern, er ist +fleißig, gutmütig, keiner weiß sonst etwas Ungutes von ihm. Auch wir +haben Torenstreiche gemacht in der Jugend. Lassen Sie es gut sein, Herr +Major!«</p> + +<p>»Von mir soll niemand sagen, daß ich sein Unglück gewesen bin,« +antwortete der alte Soldat. »So vernarrt zu sein! Na ja, auch wir +einmal! — Gerad'halten soll er sich! Es ist gut.«</p> + +<p>»Wenn's gut ist,« sprach jetzt der Hammerschmiedmeister, »so möchte ich +auch noch ein paar Worte sagen. Mein Mädel ist wie verrückt. Ich habe +keine Ahnung gehabt. Wenn es so steht mit den zwei jungen Leuten, und +daß sie toll werden, wenn sie einander nicht kriegen — ich sag': in +Gottesnamen.«</p> + +<p>Denn er hatte sich's überlegt, daß es besser ist, wenn er die +erwachsene Tochter an den Mann bringt, ehe er selbst noch einmal +zugreift drüben in Tiefwasser. Es bleiben auf solche Weise allerhand +Unannehmlichkeiten aus. Das Mädel hat seine mütterliche Sach', damit +kann es dem Weber aufhelfen und die Wirtschaft herrichten. Also ist's +recht, und der Vater und die Tochter sollen an einem Tage Hochzeit +halten.</p> + +<p>Als der Giedel aus dem Kotter trat, wartete schon die Paula, fiel ihm +lachend und schluchzend um den Hals: »Wir haben uns!«</p> + +<p>Am Tage der Hochzeit kam der Major mit der Geige. Die Cremoneser war's.</p> + +<p>»Mir steht ein Duplikat in Aussicht,« sagte er einleitend.<span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span> »Auch +dem Zigeuner mit der alten Fiedel bin ich auf der Spur. Diese da +— ein sehr seltenes Stück! — sie gehört dem Bräutigam. Er hat +damit der Seinigen das Ständchen gebracht, er wird sie noch öfter +brauchen können. Ist die Geige verstimmt, so soll er küssen, und ist +das Weibchen verstimmt, so soll er geigen. Und jetzt einen kecken +Steirischen aufgefiedelt! Gerad'halten, Junge!«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_singende_Schabelwirt">Der singende Schabelwirt.</h2> +</div> + + +<p>Der dicke Schabelwirt in Rusterholz hatte zwei Stimmen, eine im +Gemeinderat und die andere auf dem Kirchenchor. Die erstere war so +gewichtig, daß sie mit Leichtigkeit ein halb Dutzend Häuslerstimmen in +die Luft schnellte; die zweite war so mächtig, daß in der Kirche die +Leute sich umwendeten, um diese Stimme nicht bloß zu hören, sondern +auch zu sehen. Sie mußte wie ein Strick von Bärenhaar aus dem viereckig +aufgespreizten Munde des Schabelwirtes hervorgewirbelt kommen. Die +Stimme dieses Chorsängers weckte Skalen in der Menschenbrust; wer sie +das erstemal hörte, dem war zum Lachen, wer sie oft hörte, dem war zum +Weinen.</p> + +<p>Selbst dem Chormeister war zum Weinen. Allein ohne Schabelwirtsgesang +in der Kirche gab's keinen Kaffee zum Frühstück. Mehrmals hatte er +es versucht und nur solche Messen auf die Pulte gelegt, die ohne +Männerstimme gegeben werden konnten. Allsogleich jammerte der Wirt +seinen Gästen vor über den Niedergang der Musik und daß der Chormeister +Sägespäne im Kopf haben müsse! Ob die menschliche Stimme nicht +der Höhepunkt aller Musik wäre — besonders eine schöne kräftige +Männerstimme! Wenn dieser Herr töricht werde, so müsse man ihm die +Zitzen höher halten! — Und dem Chormeister blieb die Milch aus. Des +Wirtes Kuhmädel kam des Morgens nicht mehr mit der Zinnkanne, wie +sonst, und da fand der Chormeister endlich doch allemal wieder, daß +zur würdigen Kirchenmusik auch eine kräftige Männerstimme gehöre. Der +Schabelwirt<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> »mußte« wieder singen, und das Mädel erschien mit der +Zinnkanne.</p> + +<p>Kamen Fremde nach Rusterholz, so eiferte sie der Wirt an, doch auch +die Kirche zu besuchen, womöglich beim Gottesdienst, es wäre sehr +feierlich, besonders mit der Musik wären sie gut bestellt. Der +Chormeister hingegen, der sonst auch nicht unchristlich dachte, riet +den Fremden lieber einen Ausflug auf den Schirmberg, oder auf den +Rotkofel an, als den Gottesdienst in Rusterholz. Die einheimischen +Kirchenbesucher opferten ihre Ohrenpein für die armen Seelen im +Fegefeuer auf und so oblag der Schabelwirt ungestört seinem Gesang. +Ein halbberauschter Zecher wagte eines Tages den Zweifel laut werden +zu lassen, ob der Wirt wohl auch alle Noten kenne! Der kam an! Prügel +bekam er nach Noten! Da hatte er's blau auf weiß! Aber ungarische +Schweinetreiber, die eines Tages während der Messe ihre Herde +vorbeiführten, machten doch halt vor der Kirche und der eine lugte zum +Tore hinein, ob nicht Hilfe nottäte. Er schien sich nicht sicher, ob es +Gesang oder Notschrei wäre. — Sollten sich nur beruhigen, die Herren +Sauhändler — es ist Gesang!</p> + +<p>Auch in dem Jungen steckte es, in Schabelwirts Sohn, dem Damian. +Stimme hatte der keine zum Singen, sie gixte. Eine Weile meinte der +Chormeister, sie mutiere; wenn das vorüber, würde die Stimme des +Burschen alle anderen Sänger der Erde gründlich ausstechen. Nun war +der Junge mannbar geworden, allein die Stimme gixte noch immer, der +Chormeister hatte Todesangst. Wenn ihm der auch noch auf den Chor kommt!</p> + +<p>»Dem Damian seine Stimme muß geschont werden,« sagte er vorbeugend, +»wenn sie jetzt einige Jahre lang auf das Sorgfältigste geschont wird, +dann können wir einmal etwas Phänomenales erleben!« Einstweilen schlug +er dem<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> Burschen vor, geigen zu lernen. Das Geigen aber gefiel dem +Alten nicht. »Die Geige ist ein Konkurrent der menschlichen Stimme, +aber ein ganz unfähiger! Trompetenblasen, <em class="gesperrt">das</em> ist das richtige. +Blech, <em class="gesperrt">das</em> gibt Musik!«</p> + +<p>Indessen — ein großes Dorfwirtshaus hat noch andere Aufgaben, als +Singen und Trompetenblasen. Man weiß ja doch nicht, <em class="gesperrt">wann</em> er +einmal dazukommt, der Blitzstrahl, und das neuerrichtete Thörlwirtshaus +da drüben in den Boden zündet! »Der Thörlwirt ist ein hautfalsches +Luder! Sein Süßtun mit den Gästen — alles nur ums Geld! das kennt man. +An Süßtun bist ihm nicht gewachsen, Damian!« So der Schabelwirt, und +dann kamen Lehren und Ratschläge.</p> + +<p>»Es ist möglich, mein Sohn, daß ich mich einmal vom Geschäfte +zurückziehe, um ganz der Musik zu leben. Da mußt du wissen, wie man +es mit den Gästen macht, daß sie sitzen bleiben. Unser Herrgott, mußt +bedenken, schickt einem Gastwirt allerhand Kostgänger ins Haus. Wie +viel Geld sie dalassen, das ist deine Sache. Daß du die Tanzpfeifen +hernimmst, wenn junge Leut' kommen, so gescheit wirst wohl selber +sein. Daß du sie wegschmeißt, wenn Viehhändler und Hausierer vom +Geschäfte reden wollen, na, das wirst auch noch einsehen. Selber +mußt dich ausspielen, mein Lieber! Tut einer bei seinem Glas Trübsal +blasen, so mußt dich zu ihm hinsetzen und ihm allerhand vorreden, bis +du draufkommst, was ihm ist. Nachher, wenn er mit seinem Anliegen +ausrückt, hör' ihm aufmerksam zu, nicke bisweilen mit dem Kopf und +schlag' mit der Hand immer einmal vor Überraschung oder Entrüstung, +woran es halt ist, auf den Tisch, damit er sieht, daß du Anteil nimmst +und er sein Glas nachfüllen läßt. Überhaupt, bei Gästen, die gern +schwatzen, die mußt schwatzen lassen und dich aufs Zuhören verlegen — +denken kannst dabei, was der will. Merk'<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> dir nur das: hast ein gutes +Benehmen, so brauchst keinen guten Wein. Unterhalten sie sich mit dir, +ist auch das wohlfeile Gesüff gut. Wird manchmal ein besoffener Patron +ungut, so mußt du ihn der andern wegen hinauswerfen, aber ja nicht +so, daß er's merkt. Ich hab' zu so einem halt allemal gesagt: Geh, +sei gescheit, Michel, laß die dummen Leut' dort sitzen, die verstehen +keinen Spaß. Geh' einmal bissel in die frische Luft hinaus. Halt, +ich führ' dich, daß du nicht stolperst! — und derweil hab' ich ihn +hinausgeschoben. So einer hält dich für seinen besten Freund und kommt +dir allemal wieder, wenn er Geld hat. Gibt dir aber auch Bockige. Der +Riffel-Toni, das ist noch der harbste! Wenn der anhebt zu schimpfen, so +muß man alle Stalltüren zusperren, sonst laufen die Vieher davon. Am +besten ist's, man schimpft mit. Wenn man ihm hilft, da wird er ehzeit +fertig, wenn man ihn löschen will, da zündet er sich erst rechtschaffen +an und schlagt drein. Und so wie du beim Riffel-Toni mitschimpfen +mußt, so mußt beim Krautruben-Barthel mitröhren! Weißt eh, daß der +Alte allemal zum flennen anhebt, wenn er einen Rausch hat. Lachst ihn +aus, so vertreibst ihn. Wär' ein Unsinn! Der Krautruben-Barthel zahlt +allemal fleißig die Zech'! So Leut' muß man estimieren! Ist eh ein +Kreuz. Wer heut' im Dusel nicht zahlt, zahlt morgen beim Kopfweh noch +weniger. Daß man die Tafel mit den Angekreideten an die Wand hängt, +wo sie jeder vor der Nase hat, brauch' ich dir wohl nicht zu sagen. +Überhaupt wirst du mit der Zeit selber drauf kommen, wie die Leut' +behandelt, gefoppt, gerupft sein wollen. — Ich hab' in den ersten +Jahren mit dem Singen die Leut' vertrieben. Und das hab' ich dumm +gemacht. Wer ein so Mordsochs war und über den Gesang geschimpft hat, +den hab' ich hinausgeschmissen, aber anders, als ich es grad' vorher +auseinandergesetzt hab'. Den hab'<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> ich das letztemal gesehen gehabt. +Den anderen, den mehr Gebildeten, die eine Musikfreud' gehabt und mir +zugehört haben, ist immer einmal eine Maß vom Bessern aufgetischt +worden, geschenkterweis'. Wie ich aber seh', daß trotzdem einer um den +andern bei der Tür hinausschlupft, hab' ich mir gedacht: Die Pölli +verstehen nix. Was sollst deine Perlen den Säuen vorschmeißen! und hab' +im Wirtshaus das Singen sein lassen. Jawohl, mein Sohn, ein Wirt muß +sich aufopfern können für seine Gäst' — wenn er ein Geschäft machen +will.« —</p> + +<p>Man wird nun wohl überzeugt sein von dem großen Takt des Schabelwirts. +In der Kirche, allerdings, wollte er seine Perlen nicht zurückbehalten; +er sei sein Talent dem Herrgott schuldig! war sein Bescheid, wenn er +manchmal teilnehmend befragt wurde, warum er sich auf dem Chor so +abmühe für nichts und wieder nichts, und hätte doch nur Undank dafür. +»Undank ist Künstlerlos!« Diesen Spruch hatte er sich aus einem alten +Volkskalender herausgeschrieben, zitierte ihn aber nicht oft, weil er +überzeugt war, daß seine Stimme wohl von allen Verständigen gewürdigt +werde. Nun, und die Unverständigen? Auf die pfeift die Katz, damit sie +auch was Musikalisches haben.</p> + +<p>Beim Schabelwirt hielt sich zeitweise ein hinkender Mann auf, der hatte +ebenfalls was Musikalisches. Nämlich einen redenden und singenden +Kasten. Hielt man sich daran zwei Schläuche an die Ohren, so hörten +sich die Stimmen berühmter Redner und Sängerinnen und ganze Musikchöre +heraus, wie sie einst in großen Städten und anderswo hineingesprochen, +gesungen und gepfiffen worden waren. Diesen Kasten verehrte der Wirt +als den größten Künstler der Neuzeit, der — wie er liebenswürdig +scherzend sagte — deshalb auch in den Grafenstand erhoben worden sei. +Denn es<span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span> war der Phonograf. Für das Horchen zog der Hinkende Geld ein, +nur der Wirt zahlte nichts, leistete dafür jedoch dem Eigentümer freie +Kost und Verpflegung; bloß das Getränk mußte bezahlt werden. Als der +Mann den Schabelwirt einlud, einmal mit seiner phänomenalen Stimme +etwas in den Kasten hineinzusingen, gab der Wirt das Lied »In diesen +heiligen Hallen« ab. Der Hinkende jedoch tat geheimnisvoll und ließ ihn +das gesungene Produkt nicht zurückhören, denn er fürchtete für seinen +Kasten ...</p> + +<p>Eines Tages kehrten zwei Herren aus Murstadt beim Schabelwirt ein. Er +war sehr artig, ließ vom »Besseren« auftragen, in der Absicht, ihnen +nachher etwas vorzusingen. Denn das waren offenbar gebildete Leute. Die +Fremden hinwiederum luden ihn ein, mitzutrinken, in der Absicht, ihm +dann eine Angelegenheit vorzutragen. Und als sie beiderseits lustig +waren, meinte einer der Fremden, so ein wackerer Gastgeber, wie der +Schabelwirt in Rusterholz, verdiene, daß er ein Geschäft mache. Sie +wollten an einem der nächsten Sonntage seinen großen Tanzboden mit +Gästen anfüllen. Sie möchten bei ihm nämlich eine Volksversammlung +veranstalten und Reden über den Fortschritt und über die Freiheit +halten.</p> + +<p>»Ah, meine Herren, seid ihr die Aufklärung?« fragte der Wirt, »hab' +schon gehört davon. Tut einer eine Red' reden? Schön, brav! Tu' meinen +Tanzboden schon hergeben dazu. Nachher zum Schluß können wir auch was +singen — daß es recht lustig wird.«</p> + +<p>So wurde ein Freidenkertag beschlossen. Waren die Rusterholzer auch +nicht gerade fortschrittlich gesinnt, so waren sie doch neugierig. +Und waren durstig. Je mehr ihrer zusammenkamen in die warme Stube, je +durstiger waren sie allemal. Das sollte sich wieder einmal machen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span></p> + +<p>Nun sandte der Schabelwirt seinen Laufburschen aus: »Geh' im ganzen +Gai um, von Haus zu Haus, und die Leute sollen nächst' Sonntag zum +Schabelwirt und Gemeinderat kommen, nachmittags nach dem Segen wäre +dort Freidenkerversammlung!«</p> + +<p>Der Knabe lief mit dieser Freudenbotschaft, so schnell er konnte und +überall schrie er es gleich zur Tür hinein: »Nächst' Sonntag nach dem +Segen ist beim Schabelwirt Freitrinkerversammlung. Alle sollt's kommen!«</p> + +<p>»Donnerwetter noch einmal, der dicke Wirt! Will er bei der nächsten +Wahl wieder in die Gemeinde?« Die Klügeren rieten: Ansingen wird er uns +wieder einmal wollen, und da gibt er halt einen Labetrunk. — Nun, sie +wollten dabei sein bei dieser Freitrinkergesellschaft. »Müssen ihn in +der Kirche umsonst anhören; dasmal kriegen wir dafür was zu trinken. +Nett von ihm, daß er was lohnt.«</p> + +<p>Der Pfarrer von Rusterholz jedoch hatte ein feineres Ohr, oder eine +bessere Nase. Kam er kurz nachher ganz langsam ins Wirtshaus getreten, +ging aber nicht in das Extrastübel, wo der Tisch mit einem rot und +weiß quadrierten Tuch bedeckt war, sondern stand in der großen Stube +ein wenig so herum, lehnte endlich seinen Stock an den Uhrkasten, den +Hut behielt er heute auf und so setzte er sich zum Leutetisch. Als +auch diesen der geschäftige Schabelwirt rasch mit einem roten Tuch +überziehen wollte, tat der Pfarrer mit der Hand einen Deuter: »Lassen +Sie's, lassen Sie's. Es ist auch so gut.«</p> + +<p>Aber feierlich war heute der alte Herr und es wollte keine Ansprache +recht verfangen. Von dem Achtel Wein, das er sich bestellt, hatte er +kaum erst genippt.</p> + +<p>»Es wird ein anderes Wetter kommen,« meinte der Wirt.</p> + +<p>»Ich muß Sie doch fragen,« sagte nun der Pfarrer,<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> »sollte es wahr +sein, daß Sie in Ihrem Hause eine Freidenkerversammlung abhalten +wollen?«</p> + +<p>»Ah na, ich nicht,« antwortete der Wirt. »Ein paar Herren aus Murstadt +sind dagewesen und haben sich angefragt. Wenn sie wollen, hab' ich +gesagt. Muß eh froh sein, wenn man wieder einmal was hört. Über das +elektrische Licht, oder so was, werden sie sprechen.«</p> + +<p>»Das sehe ich wohl nicht gern, lieber Nachbar. Schauen Sie, unsere +Leut' sind alle gut christlich. Die verstehen solche Sachen ja gar +nicht und wozu sie beunruhigen?«</p> + +<p>»Bei unserer Wasserkraft, sagen sie, könnten wir soviel Elektrizität +haben, daß die Mühlen und Dreschmaschinen davon gehen könnten und extra +noch für Licht genug übrig bliebe.«</p> + +<p>Unterbrach der Pfarrer den Wirt: »Gehn's, gehn's! Für die Elektrizität +wird man Freidenkerversammlungen machen! Da ist was anderes dahinter. +Sie lesen doch von der Übertrittsbewegung. Die Lutheraner kommen, und +weil Sie ein alter Liberaler sind, so will man Sie mit der Freidenkerei +fangen. Ist übrigens eins wies andere. Tun Sie mir den Gefallen, +Nachbar, und sagen Sie ab.«</p> + +<p>Der Wirt hatte eine dicke Zigarre angeraucht, es war eine mit der +Bauchbinde.</p> + +<p>»Will mir's noch überlegen,« sagte er dann.</p> + +<p>Das überlegen fiel aber zu ungunsten des Pfarrers aus. — Wesweg soll +just in Rusterholz keine Versammlung abgehalten werden? Von überall +hört man. Wenn der Wirt einmal ein volles Haus haben will, wen geht's +was an? Und eine Unterhaltung. Ist ohnehin so selten Gelegenheit zum +Singen. Weil sie von Musik nichts verstehen, diese Bauerngogel. Und +wenn sich einmal ein Schüberl gebildete Leut' ansagen — gleich das +Geschrei: die Lutherischen!<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> Freidenker, was schadet's denn? Wird eh +jeder denken, was er will. Und wer anders denkt als er spricht, ist eh +ein Lump! Abhalten tun wir die Freidenkerversammlung!</p> + +<p>Und am Vortage derselben schrieb der Pfarrer an den Schabelwirt solchen +Brief:</p><br> + +<div class="blockquot"> +<p> +»Euer Wohlgeboren!<br> +</p> + +<p>Indem Sie sich trotz wohlmeinender Abratung doch für eine +Freidenkerversammlung bestimmt gefunden haben und hiemit offenbar +gegen die Absichten der Kirche verstoßen, so muß ich zu meinem +Bedauern für die Zukunft Ihre musikalische Mitwirkung auf unserem +Kirchenchore ablehnen, denn Gott kann unmöglich Gefallen finden an +dem Gesange eines Freidenkers, der die christliche Gemeinde in Gefahr +bringt.</p> +</div> + +<p class="center">Mit gebührender Achtung</p> + +<p class="mright5">N. N., Pfarrer.«</p><br> + +<p>So! — — So! — —</p> + +<p>Der Schabelwirt war empört. Hat der Mann das Recht, mir den Kirchenchor +zu verbieten? — Aber an demselben Tage bedeutete ihm auch der +Chormeister, daß er mitsamt allen Musikern leider unter Botmäßigkeit +des Pfarramtes stehe. Es tue ihm aufrichtig leid! — Um was es ihm leid +tat, hat er weiter nicht dargetan. Aber bitter ist es schon, anstatt +des gewohnten Frühstückkaffees sich mit Einbrennsuppe abfinden zu +müssen.</p> + +<p>Gut. — Auch Kaiser Heinrich ist nach Kanossa gegangen, was liegt +dran. Das will der brave Schabelwirt dem Herrgott nicht antun, daß +er an Sonntagen seines Gesanges entbehren müsse. Auch die Mehrzahl +der Andächtigen wird sich eine ungesungene Messe nicht gefallen +lassen wollen. Und dann trägt auch der Gesang zur Herzensbildung bei. +Vielleicht mehr, als ein Freidenkertag. Den Freidenkern<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> aus Murstadt +wird schleunig und heimlich abgewinkt. Den Leuten braucht man nichts +kundzutun, sie sollen nur zusammenkommen. Statt so einer gespreizten +Freidenkerrede wird gesungen, da unterhalten sie sich weit besser und +ist nach keiner Seite hin Verdruß.</p> + +<p>Also am folgenden Sonntag nach dem Segen kamen sie zusammen, die Bauern +und Häusler und Handwerker von Rusterholz beim Schabelwirt zum — +Freitrinken. Der Tanzboden wurde viel zu eng, die Gaststube und das +Extrazimmer waren so gesteckt voll, wie bei einem Viehmarkt. Mehr als +vier Bierkrügeln in jeder Hand kann die Kellnerin auf einmal nicht +befördern. Der Sohn Damian schoß auch herum, goß aber den größten Teil +seiner Bierkrüge über die Achseln der Gäste aus, weil das nicht geht, +Getränk auftragen und dabei mit jungen Weibsleuten schäkern. Der Wirt +selber machte es sich mit dem Wein leichter, er schleppte Tonplutzer +aus dem Keller und ließ daraus ununterbrochen in die Gläser rinnen. So +nagelt man sie fest auf ihren Bänken und dann wird gesungen.</p> + +<p>Als sie nun aber merkten, daß der Wirt mit dem blauen Sacktuch seine +Augengläser putzte — denn ohne Augengläser konnte er nicht singen — +da schlichen sich etliche sachte ins Vorhaus und von dort ins Freie. +Auch der Steinbrecher Einsel wollte es so machen, den hielt jedoch +der Wirt an und fragte, ob er in der Stube nichts vergessen habe? Der +Einsel tastete nach dem Haupte — der Kopf war da, der Hut saß auch +drauf; den roten Regenschirm hatte er in der Hand. Nein, vergessen +hätte er nichts. — Ob er doch wohl das Geldtaschel in den Sack +gesteckt habe, als er die Zeche beglich?</p> + +<p>Bei dieser Erinnerung machte der Einsel große Augen.</p> + +<p>»Zech? Zech' sagst, Wirt? Wer wird denn heut' Zech'<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> zahlen, wenn +Freitrinkertag ist!« — Dem Schabelwirt gab's einen Stoß in der Brust. +Wenn es ein Mißverständnis wäre? Er hatte sich ohnehin gewundert, daß +die Rusterholzer so plötzlich bildungsdurstig geworden und so zahlreich +erschienen waren! Wenn's ein verhängnisvoller Irrtum wäre? — Sogleich +stieg er auf eine Bank und machte laut, daß heute bei ihm nicht eine +<em class="gesperrt">Freitrinker</em>-, sondern eine <em class="gesperrt">Freidenker</em>versammlung hätte +stattfinden sollen, daß aber die Herren aus Murstadt nicht gekommen +seien.</p> + +<p>Himmel Hagelstern, wurden jetzt die Gesichter unschön! Die einen +krebsrot, die anderen käseblaß — in die Länge zogen sich alle.</p> + +<p>»Du Wirt!« begehrte ein alter Pechbrenner auf, »wenn du wieder einmal +einen Boten schickst, so schau erst, ob er auch reden kann. Alle +ehrenwerten Manner, die da sind, werden meine Zeugen sein, daß dein +Schickbub <em class="gesperrt">Freitrinker</em>versammlung hat gesagt!«</p> + +<p>Des stimmten ihm alle bei. Der Wirt zuckte die Achseln. Das sei ihm +wohl höchst unlieb. Darum, das undeutliche Reden hätt' er eh auf dem +Zug! Da käme gewiß allemal ein Balawatsch heraus. Übrigens werde es +ja kein Unglück sein, am Sonntag nach dem Segen einmal ins Wirtshaus +zu gehen, besonders, wenn gesungen würde. Er wolle sie für die +ausgebliebenen Freidenker entschädigen und ihnen jetzt eins vorsingen.</p> + +<p>»Für die Freidenker brauchen wir keine Entschädigung,« sagte der +Pechbrennen, »aber zahlen tun wir heut' nix!«</p> + +<p>Sie stimmten alle bei, schrecklich stimmten sie bei. Ein Gelächter +war entstanden. Allein der Bauer kann »Krowaten zerreißen und lachen +dabei«, ein Sprichwort, das dem Wirt nicht unbekannt war.</p> + +<p>»Alles, was recht ist,« sagte der Wirt und stellte sich<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> mit +Geistesgegenwart auf einen Dreifuß. In der Hand hielt er ein +Notenblatt, aber — wie ein Nebenstehender wissen wollte — verkehrt. +Wie sein Singen zu hören war, das soll ein anderer sagen, ich kann +bloß beschreiben, wie es zu sehen gewesen ist. Mit ausgespreizten +Beinen, über deren eines noch die weiße Schürze niederhing, stand +er da, den Bauch weit hervorgewölbt, den Oberkörper nach rückwärts +gebogen. Das Doppelkinn quoll vorne und der wulstige Nacken hinten über +den Rockkragen hinaus. Das rote Gesicht breit gepolstert, den Mund +aufgesperrt und ausgeböscht, daß er schier viereckig wurde — so kam es +nun hervor aus dem mächtigen Brustkorb und das Blatt wurde von einem +zarten Sprühregen befeuchtet.</p> + +<p>Nach dem ersten Liede »Im tiefen Keller« — erschollen einige Rufe. Das +»Bravo« ist in Rusterholz nicht der Brauch, aber nach Vergeltung riefen +sie und frisch Bier und Wein wollten sie haben. Auf der Ofenbank, in +den Wolken des Tabakqualms verschleiert, stand ein Mensch und der rief, +sie sollten einmal auf ihn hören, er wisse auch was. Das war der Riffel +Toni.</p> + +<p>»So red', Toni!« sagte der Wirt. Es war zwar der harbe Kampel, doch man +kann vorbauen. »Willst noch ein Glas Wein haben?« Denn er dachte, der +Mensch wolle ihm vielleicht doch eine Gesundheit ausbringen.</p> + +<p>»Wein ist mir allemal recht,« hub der Riffel Toni knurrig an. »Erst +will ich dich aber einmal fragen, Schabelwirt, was wir heut' sind, da +in der Stuben — Freitrinker oder Freidenker?«</p> + +<p>»Freidenker, schon gewiß!« beschied der Wirt.</p> + +<p>»Das glaub' ich auch,« rief der Toni. »Und dazu brauchen wir nicht +einmal die feinen Herren aus Murstadt. Und derohalben wollen wir reden, +was wir uns denken.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span></p> + +<p>Dann riß er mit den Fingerspitzen der beiden Hände den wüsten Bart +auseinander, daß die freie Rede auch freien Ausweg habe durch den Mund, +aus dem ein paar scharfe Oberzähne hervorstanden, wie bei einem Eber.</p> + +<p>»Schabelwirt!« begann er, »willst du wissen, wie du singst? Sollst es +hören. — Wenn ein kropfeter Hahn in einen alten Kochhäfen hineinkräht, +wenn der Altweibersommer-Wind ein rostiges Stadltor auf und zu wirft +und dem Elmbauern sein Moidel mit dem Nussensack reixelt, so meinen die +Rusterholzer allmiteinand, es singt unser Schabelwirt!«</p> + +<p>»Hau!« lachten die Bauern, »hau saxen, das lei schon ah!«</p> + +<p>»Du bist ein Lästermaul!« rief der Wirt, doch sein Gelächter, das er +dazu ausstieß, ging ihm nicht vom Herzen. Allein, wenn er nicht gute +Miene macht, so gehen sie mit der Zeche durch und zum Thörlwirt hinüber.</p> + +<p>Der Riffel Toni hielt einen alten Hut hin, als wolle er Geld sammeln. +»Zusammenschießen, Leut', daß uns der Maurer und der Schmied-Franzl +in der Kirchen die Heiligen festmacht, die wackelig sind worden +an der Wand vom Schabelwirt seinem Singen! Und wegen was soll der +Krämer-Bastel just mit der Baumwoll ein so gutes Geschäft machen? +Stecken wir uns Lärchenzapfen in die Ohrwaschel, die tun's auch und +halten besser. Den Engeln über dem Altarl binden wir mit den blauen +Fastentüchern die Köpfe ein — nachher soll er halt wieder singen, der +Schabelwirt.«</p> + +<p>Stürmisches Gelächter und etliche warfen Kreuzer in den Hut, um gegen +den bedrohlichen Gesang Vorkehrungen treffen zu können.</p> + +<p>»Wie du das nur anstellst, Schabelwirt,« setzte der<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> schreckliche +Mensch auf der Ofenbank seine Auslassungen fort, »daß du selber nichts +hörst von deinem Singen. Sonst wär' es weiger nicht möglich, daß du so +gesund und wohlgenährt könntest ausschaun. Oder nimmst Gegengift ein?«</p> + +<p>Der Wirt rief heiser nach dem Hausknecht. Die Versammelten jedoch +erinnerten ihn an den Freidenkertag, wo man wohl frei denken und reden +werde können. Und riefen weiter durcheinander: »Laß das Singen sein, +wir lassen das Frozeln sein und tun dich nächstmal wieder in den Rat, +daß du deine Stimm' besser kannst brauchen. — Erkennst es denn nicht +selber, daß du ganz schandmäßig singst? Narr, daß du's nicht besser +kannst, ist kein Gespött, aber daß du's nicht sein laßt, ist dumm. Wir +lachen dich ja all aus, ha, ha, ha, ha, ha!«</p> + +<p>Der Wirt hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und schoß von +einem Winkel zum andern. — Wenn ich sie jetzt hinausschmeißen lasse, +dachte er, so ist die Zeche verloren und sie laufen zum Luderskerl +hinüber. Ach, Künstlertum! Künstlertum! In der Stadt sind es die +Zeitungsschreiber, hier sind es die Bauernmäuler. — Aber ich werde +singen, justament, und sie werden ihr Trinken bezahlen. Das möcht' ich +schon sehen, ob man kein Recht mehr hat, in seinem eigenen Haus!</p> + +<p>Dieweilen war jener hinkende Mann zur Tür hereingetorkelt, der Besitzer +des in den Grafenstand erhobenen »großen Künstlers der Neuzeit«. Heute +fand er sich gedeckt und so lud er den wütenden Schabelwirt wohlwollend +ein, die Schimpfer schimpfen zu lassen und in das hehre Bereich der +Kunst zu flüchten. Er habe im Kasten einen großartigen Sänger.</p> + +<p>Der Wirt beruhigte sich gutmütig, ging in die Vorlauben, wo das Zeug +stand, steckte die Gummischläuche in<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> die Ohren und horchte, während +der Hinkende das Werk spielen ließ.</p> + +<p>»Abscheulich!« schrie der Wirt zurückfahrend, »das kräht ja wie ein +altes Kamel!«</p> + +<p>Drinnen schnarrte und pfauchte und röchelte und gixte das Lied: »In +diesen heiligen Hallen, da herrscht die Rache nicht!«</p> + +<p>Der Wirt rannte umher nach einer Axt, um den Kasten zu zertrümmern. Der +Hinkende jedoch sagte besänftigend: »Herr Vater, der Phonograf kann +nichts dafür. Der singt halt heraus, wie hinein gesungen worden ist —«</p> + +<p>»Ja Teuxel, welches Ungeheuer hat denn hineingeplärrt?«</p> + +<p>Der Hinkende grinste niederträchtig und verneigte sich vor dem Wirt. — +—</p> + +<p>Dieser befahl seinem Sohn, seiner Kellnerin und seinem Hausknecht, +strenge achtzugeben, daß niemand ungebüßt entkomme. Er selber zog sich +zurück in seinen tiefsten Keller.</p> + +<p>Von solcher Zeit an hatte der Schabelwirt zu Rusterholz keinen +Freidenkertag mehr veranstaltet und keinen Sang mehr getan. Seine +Wirtschaft gedieh, seine Person gewann an Vertrauen — denn man fühlte +sich endlich in seiner Nähe sicher. Und im Gemeinderat wurde seine +Stimme geachtet.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Das_reiche_Waldschulmeisterlein">Das reiche Waldschulmeisterlein.</h2> +</div> + + +<p>Über den schwarzen Waldbergen lag schon der Goldgrundhimmel des Abends, +als im Wiesentale ein Dörfchen dalag vor dem müden Gebirgswanderer. +Eine verwitterte Wegtafel hatte gerade noch so viele leserliche +Buchstaben, um dem hinkenden Fremden zu sagen, das Dorf heiße »In der +Krumpa«.</p> + +<p>Auf meine Frage an einen heimwärts treibenden Ziegenhirten, welches +in der Krumpa wohl das beste Wirtshaus sei, blickte mich der Junge +verblüfft an — Wirtshaus? Ist keins.</p> + +<p>»Aber mein Gott! Mindestens ein halbes Dutzend Häuser, und kein +Wirtshaus darunter! Und das will ein deutsches Dorf sein?«</p> + +<p>Zu essen bekäme man manchmal im Forsthause etwas — das große steinerne +Haus, dort bei der Linde.</p> + +<p>Ein Forsthaus, um so besser. Das läßt sich romantisch, besonders wenn, +so Gott will, auch noch eine Försterstochter dazukommt. Also ins +Forsthaus.</p> + +<p>In der großen Stube gab es wohl Hirschgeweihe und Tabakrauch, aber +keine Försterstochter. Ein kleiner, hagerer, spießiger Alter, die +Knie nackt, hingegen das Gesicht verdeckt mit einem wildwuchernden +Schnauzbart. — Das war der Förster und Jagdheger. Er brachte in einem +Kruge Wein, sagte mir Nachtquartier zu, setzte sich dann mit seinem +Dampftiegel zu mir an den Tisch und fragte gleich, ob ich unterwegs +nichts gesehen hätte. Ich zählte Berge auf, Felswände, Wasserfälle, +hohe Brücken, Wegkreuze und Martertafeln, wie sie im Laufe des Tages +dem Wanderer<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span> vorgekommen waren. Darüber tat der Alte verwundert +und murmelte etwas. Endlich merkte ich doch, was er wissen wollte, +nämlich, ob mir Wildspuren, Rehe, Hirsche, Waldhühner und dergleichen +aufgestoßen wären.</p> + +<p>Meine Antwort: darauf hätte ich gar nicht geachtet, derlei läge +mir ferne, und ich verstünde nichts davon. Es mochte wohl etwas +geringschätzig gesagt sein. Der Alte blies ein paar starke Rauchwolken +von sich, stand auf und ging hinaus. Er verachtete mich.</p> + +<p>Nach einer Weile, als es schon finster und in der Stube kein Licht +angezündet worden war, fragte ich nach meinem Abendbrot. Da kreischte +der Alte aus der Küche her: »Wenn man das Wild nicht will, wird 'leicht +auch der Hirschbraten nicht genehm sein!«</p> + +<p>Jetzt schlich ich im Dunkeln zu ihm hin und sagte schon ein wenig +gereizt: »Mir scheint, da ist jemand beleidigt, weil ich von der +Jägerei nichts verstehe. Allerdings, ich halte nicht viel darauf. Ein +guter Bekannter von mir sitzt im Kotter, weil er einen Hirschen schoß, +der ihm den Kohl gefressen hat.«</p> + +<p>Der Forstjäger reckte sein Köpflein vor, der Schnauzer borstete sich +auf: »Han mir's denkt. Von der Gattung ist er einer! Oder gar — oder +gar —!« Mit einem Streichholz fuhr er sich über den Hinterteil der +Lederhose, leuchtete mir ins Gesicht: — »Groß werd' ich mich nicht +irren. Der Teufel hol's, er ist es. Der Jagerfresser, ah, da schaut's +her, der Jagerfresser! Na, Korrschamerdiener! Und will im Jagerhaus +essen und trinken und schlafen. Aus ist's!«</p> + +<p>Ein argloser Mensch würde diese Rufe für das gewohnheitsmäßige Poltern +alter Leute genommen haben, mein böses Gewissen erkannte es sofort als +das, was es war — als einen wohlgezimmerten Abschied. Der Mann hatte +den<span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span> Verfasser »Jakob des Letzten« erkannt. Eines Buches, das jeder +Jäger naturgemäß tödlich hassen muß.</p> + +<p>Nun stand ich in dunkler Nacht auf der Gasse und sann, was zu machen +war. »Ins Schulhaus gehe!« flüsterte mir der Schutzengel zu. Denn die +zwei beleuchteten Fenster dort waren just wie zwei Augen, die mir +winkten. Der Lehrer, ein noch jugendlicher Mann mit schwarzem Vollbart, +war nicht abgeneigt, einen obdachlosen Wanderer aufzunehmen. Er hieß +mich ins Zimmer und zum Tische treten, wo von einem munteren Frauchen +just Rauchfleisch mit Sauerkraut aufgetragen wurde. Er wollte mich dazu +einladen, da blieb ihm das Wort im Munde stecken.</p> + +<p>»Ich glaube, den Herrn sogar zu kennen,« sagte er, mir starr ins +Gesicht blickend. »Es möchte mich aber doch wundernehmen, daß der Herr +Dichter bei einem linkischen Dorfschulmeister zuspricht, oder wohl gar +bei einem athletischen Lehrer, der seine ganze geistige Kraft in den +Armen hat!«</p> + +<p>Jessas! denke ich, der spielt an auf Bemerkungen in meinen Büchern. Im +»Ewigen Licht« ist der athletische Lehrer mit den geistreichen Fäusten, +im »Erdsegen« geht ein linkischer Dorfschulmeister umher. Ich wußte +schon, daß einige Lehrer an den besagten Bemerkungen mehr herausfanden, +als ich hineingelegt hatte, nämlich eine Beleidigung ihres Standes; +es war mir daher klar, was ich hier zu tun hatte, nämlich Hut und +Stock wieder in die Hand zu nehmen und allseitig eine ruhsame Nacht zu +wünschen. Mit tragischem Ernste begleitete der Schwarzbart mich zur +Tür, die er sofort auch dienstbereit öffnete.</p> + +<p>Wieder im Freien, hatte ich Muße, die Sternbilder des Himmels zu +betrachten; es mangelte mir für diese Erhabenheit aber einigermaßen +die Stimmung. Eine Magd, die<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> vom Brunnen Wasser geholt hatte, trat +ich höflich an, wo man doch in diesem Orte ein Obdach haben könne über +die Nacht? Sie blieb stehen und beratschlagte mit mir. Das Försterhaus +war auch ihr eingefallen, ich bekannte, dem Forstjäger zu wenig wildes +Tier gewesen zu sein. So verfiel sie auf ihren Dienstgeber, das sei ein +herzensguter Herr und hätte in der Apotheke ein feines Fremdenbett.</p> + +<p>Nun klopfte ich beim Arzt an. Eine alte runzelige Frau kam hervor, mit +langem, schmalem Schleppkleid. Die erklärte barsch, jetzt wäre keine +Ordinationsstunde.</p> + +<p>»Ich bin auch kein Kranker!« meine Versicherung.</p> + +<p>»Ah so, dann ist's was anderes. — Jonathan! Ein Herr will bei dir die +Aufwartung machen.«</p> + +<p>Der Herr Doktor Jonathan kam nun selbst an die Tür, forschend, ob +endlich vielleicht einmal ein richtiger Tarockspieler da wäre für die +langen Herbstabende. Seine Augengläser rückte er von der Stirn herab +und besichtigte mich. Und murmelte was und besichtigte mich eingehender +und kraute seinen Weißkopf.</p> + +<p>»Nun, Herr Doktor!« rief ich lustig, »wo fehlt's bei mir?«</p> + +<p>Er ging drauf ein, tippte mit dem Finger an meine Stirn und sagte +bedächtig: »Bei Ihnen fehlt's <em class="gesperrt">da</em>!«</p> + +<p>»Was tausend! Mir fehlt's ja nur an einem Nachtquartier!«</p> + +<p>Er blieb mit dem Kerzenlicht in der Hand an der Tür stehen und fuhr +fort, mit behaglicher Langsamkeit zu sprechen: »Ich habe von Wien aus +das Vergnügen, den Herrn Volksdichter zu kennen. Von einer steirischen +Vorlesung her; und aus den Büchern, wo er sich so infam über uns Ärzte +lustig macht. Als würden wir nur gerufen, um den Leuten leichter +sterben zu helfen, oder so was. Und hätten für<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> alle Krankheiten nur +ein Mittel, das Hasenöl, das aber nichts anderes, als ein verdorbenes +Schweinefett wäre. So ein alter Dorfbader hat ein gutes Gedächtnis, +nicht wahr?«</p> + +<p>Mittlerweile hatte er sich in den Zorn geredet und nun kam's: »Jawohl, +solche Torheiten oder Bosheiten merkt man sich. Wo im Volke ohnehin +schon bald alles Vertrauen beim Teufel ist! Ja, mein lieber Herr, wenn +man sich so in Dinge mischt, die man nicht versteht, da kann dies nur +mit Dummheit entschuldigt werden. Beim Esel im Stall, wenn Sie schlafen +wollen!«</p> + +<p>Und klapps, schlug die Tür ins Schloß.</p> + +<p>Noch kam die alte Frau, entschuldigte ihren Mann, der halt über seinen +Beruf keinen Spott kommen lasse und schon oft gesagt habe: Wenn er +ihn einmal derwischen täte, denselbigen — gut ginge es ihm nicht! +Übrigens, er sei so arg nervös, aber fressen täte er keinen, und sie +wolle mich heimlich auf den Oberboden führen, auf einen Strohschaub aus +Barmherzigkeit. Verderben dürfe der Mensch ja doch auch seinen Feind +nicht lassen.</p> + +<p>Offen gesagt, diese Alte mit ihrem barmherzigen Strohschaub war mir +noch zuwiderer wie der wütende Doktor, dessen Beruf halt schon so ernst +ist, daß er keinen Spaß verträgt. Ich ging wieder einmal hinaus unter +Gottes freien Himmel und hatte Zeit, mich über die große Popularität +zu freuen. Nur hatte ich sie mir teilweise anders gedacht, diese +Popularität.</p> + +<p>Da stand er, der Missetäter, der ausgestoßene. Da hatte er immer +gemeint, die guten armen Menschen erheitern und erheben zu wollen, +während er sie der Reihe nach tödlich beleidigte. Mitten im »treuen +Alpenvolke« stand er nun einsam in eitler Nacht, fremd und fröstelnd, +erschöpft von weiter Wanderschaft. Hinter mir bellte ein<span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span> Hund, dem +gesellten sich mehrere, groß und klein — die Hundeschaft des ganzen +Dorfes — und brachten mir ein vielstimmiges Ständchen.</p> + +<p>Es schnitt die Bergluft. Der Tau des Grases gedachte kalter Reif zu +werden über Nacht.</p> + +<p>Dort auf dem Hügel stand ein fahles Gemäuer. Es war die Kirche, +deren Turmuhr die neunte Stunde schlug. Wie lang ist eine solche +Septembernacht! — Aber neben der Kirche pflegt ein Pfarrhof zu stehen, +und im Pfarrhofe ein christlicher Mann zu wohnen. Man hatte mir so oft +geschmeichelt, in meinen Schriften stecke doch ein bißchen Religion. +Nun, dann dürfte vielleicht ein Versuch im Pfarrhof nicht fehlgehen.</p> + +<p>Dort an der Tür mußte ich aber lange ziehen am Glockendraht.</p> + +<p>Endlich klirrte hoch an der Wand ein Fenster auf, und eine kräftige +Männerstimme fragte herab, was es gebe?</p> + +<p>»Ein obdachloser Reisender! er bäte um Unterstand über Nacht, sei es im +Stalle, sei es in der Scheune, wo immer!«</p> + +<p>»Es gibt wohl doch noch andere Häuser in der Krumpa.«</p> + +<p>»Ich habe keine Geneigtheit gefunden!«</p> + +<p>»Dann wird man schon der Richtige sein. Wer sind Sie denn?«</p> + +<p>»Feuergefährliches, oder so was, habe ich nicht bei mir!«</p> + +<p>»Wer Sie sind, will ich wissen?«</p> + +<p>Auf diese unentwegte Frage nannte ich meinen Namen.</p> + +<p>Da beugte sich der Pfarrer aus dem Fenster weiter hervor, fragte noch +einmal und sagte dann: »Ich verstehe immer: Rosegger!«</p> + +<p>»Es ist richtig, Herr Pfarrer!«</p> + +<p>»Wohl doch nicht der Poet?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span></p> + +<p>»Er ist es, Herr Pfarrer. Aber zur Zeit ohne Poesie, nur stark +schläfrig!«</p> + +<p>Der Herr oben begann zu lachen.</p> + +<p>»Sie verzeihen schon, Herr Rosegger,« entschuldigte er sich, »ich +lachte über den Zahltag. Daß Sie heute um Unterkunft bitten müssen +an der Pforte jenes Standes, den Sie so oft dem Hohne der Menge +preisgegeben haben. Erinnern Sie sich an den Stiefelknecht? An des +Pfarrers Fiederl? Schaun's wie es geht. Wenn man die Kirche einreißt, +dann sitzt man schutzlos auf der Welt. Übrigens sind wir Priester +besser, als der Ruf, den Sie mit verbreiten halfen. Die Haushälterin +wird bald aufschließen.«</p> + +<p>Die Haushälterin hatte mich nicht mehr an der Tür gefunden. Doch vor +dem Erfrieren war keine Gefahr mehr, erstens, weil mir dieser Leute +Gastfreundschaft heiß gemacht hatte in der Brust, zweitens, weil ich +einen Heustadl fand. Der stand auf der Wiese neben dem rauschenden +Bach. Ich vergrub mich ins duftende Heu. Nur schade, dachte ich mir zu, +daß nicht eine Fabrik, oder ein Grafenschloß dasteht, man würde dich +auch an solchen Toren abweisen. Hernach die Gelehrten, die Studenten +und derlei Kasten mehr. Oder die Parteien: die Antisemiten, die Juden! +Allen hast du gelegentlich eine Schelle angehängt. Und wenn du bei dir +selber anklopfest, keinen bayrischen Pfennig wette ich, du schreist dir +zu: Kerl, auch über mich hast du dich schon lustig gemacht, marsch! — +In Gottesnamen, bist halt ein Bösewicht. — Damit legte ich mich aufs +andere Ohr.</p> + +<p>Aber gerade, als es zum Einschlafen kommen wollte, war draußen eine +rufende Stimme zu vernehmen. Sie kam näher, sie entfernte sich, sie kam +wieder näher, und endlich war es deutlich, man rief meinen Namen.</p> + +<p>Ich hob den Kopf: »Was Teuxel ist denn los?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span></p> + +<p>»Hau!« rief es draußen, »im Heuschupfen ist er!« Dann kam der Rufer +auch schon an die Wand und sagte: »Wenn er drinnen ist, so muß er +heraus. Das wollen wir Schullehrer uns nicht ankreiden lassen, daß +unser Waldschulmeister-Dichter in dem Heuschupfen schlafen soll! Ich +bin ja auch so ein Waldschulmeister, aber nicht der in der Krumpa. Wir +gehen zusammen jetzt nach Sankt Marten hinauf, ein Stündel. Dort gibt's +ein gutes Bett!«</p> + +<p>Als er das gesagt hatte, war meine wohlgesetzte Antwort: »Ich danke +Euch, Waldschulmeister von Sankt Marten. Aber aufstehen tu' ich jetzt +nicht. Wie ich just lieg', so gut liegt der Kaiser von China nicht +auf seinen chinesischen Seidenkissen. Sollte ich aber morgen an Sankt +Marten vorüberkommen, dann melde ich mich bei Euch, und itzo seid so +gut und laßt mich in Frieden.« —</p> + +<p>Am nächsten Morgen stieg ein göttlicher Sonntag auf. Ich ging aus +meinem Heugrabe wie neugeboren hervor, und das Dörfchen Krumpa lag +im feuchten Walddufte so lieblich da, als wären alle Rächer meiner +literarischen Missetaten ausgezogen über Nacht. Die Wiese hatte +einen silberweißen Reif, die Ahorne waren schon rot, und die Lärchen +gelb, und hoch auf den Berggipfeln lag goldgrünlicher Sonnenschein, +so daß es im blumigen Mai nicht farbenleuchtender sein kann, als +an diesem stillen Herbstmorgen. Und vor meinem Heustadl stand ein +ältliches Herrchen. Es stand durchaus nicht ruhig, es zappelte mit +den Füßen, es schlenkerte die Arme hin und her, einmal über die +Brust, einmal über den Rücken, der einen weidlichen Höcker hatte. +Nach dem Gewandschnitte hätte es wohl ein notiges Bäuerlein sein +mögen, allein der Hut, der rabenschwarze hochgebaute Filzhut mit der +funkelnden Bandschnalle zeigte einen vornehmen Herrn an. Solche Hüte<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> +trugen die Gerichtsverweser und Doktoris vor achtzig Jahren. Und +diesen letzten, nur wenig entarteten seines Geschlechtes, trägt mein +Waldschulmeisterlein von Sankt Marten.</p> + +<p>Das war in aller Herrgottsfrühe herabgekommen, hatte vor der Heuscheune +auf meine Urständ gewartet und sich dabei fast Zehen und Finger +verfroren. An der weichen, breiten Stimme erkannte ich den nächtlichen +Schreier.</p> + +<p>Und er im ersten Schreck: »Jesses, der ist es ja nicht!«</p> + +<p>»Wer soll es denn sein?« fragte ich und streifte mir die Halme von den +Kleidern.</p> + +<p>Er zog ein Bildchen aus der kleinen Ledertasche, betrachtete es, +verglich es: »Der da — auf dem Bildel — hat den Bart unter dem Kinn, +und der vor mir steht, hat ihn unter der Nase!«</p> + +<p>»Wenn der Mensch alt wird, so muß er sich jung machen,« meinte ich. +»Ihr habt Euch ja noch jünger gemacht und den Bart ganz weggeschabt, +daß Ihr wohl kaum mehr davon habet, als Eure ABC-Schützen!«</p> + +<p>»Wahr ist's!« rief er lustig aus. »Und wenn Ihr's seid, so grüß Euch +Gott!«</p> + +<p>Dann gingen wir miteinander. Ich wollte an demselben Tage ja über das +Martenjoch, da hatten wir durch den Sulzergraben den gleichen Weg. Und +er erzählte mir den Schick. War nämlich dieser Lehrer von Sankt Marten +gestern spät abends bei seinem jüngern Amtsbruder in der Krumpa gewesen +und hatte von ihm gehört, daß eben vorhin der »Lehrerspöttler« von +ihm abgeschafft worden wäre. Zuerst hatte der von Sankt Marten nicht +gewußt, wer da gemeint sei, dann näher unterrichtet, habe er gesagt: +»Kollege, hast du die Schriften des Waldschulmeisters gelesen?«</p> + +<p>Nein, für derlei habe er keine Zeit.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span></p> + +<p>»Du bist halt erst aus der Stadt gekommen und noch zu wenig lang im +Walde, um für derlei Sinn zu haben. Ich gehe ihn jetzt suchen, falls er +noch keine Herberge hätte.«</p> + +<p>So war der Alte an die Heuscheune gekommen, um das »Versehen seines +Amtsbruders« gutzumachen. Und auf solche Weise habe ich dieses rührende +Schulmeisterlein kennen gelernt.</p> + +<p>Durch den langen Graben holte uns ein laufendes Weib ein, eine +Holzknechtin. Sie war schon in der Krumpa gewesen beim Arzt.</p> + +<p>»Ist das Kindel noch nicht besser?« fragte sie mein Waldschulmeister.</p> + +<p>»Weiger nein, es wird alleweil schlechter!« gab sie weinerlich zur +Antwort, »der Bader sagt gar, die Dipfterie!«</p> + +<p>»Die Dipfterie sagt er! so schlimm wird's wohl nicht sein. Eine starke +Halsentzündung, wie sie vor kurzem die Kohlnatzel-Kinder gehabt haben. +Für arme Leute ist die auch gut genug, braucht's keine herrische +Diphtheritis zu sein. Mein Weib wird dir Rotholleröl schicken. Den Hals +recht schmieren damit und ein paar Tropfen eingeben!«</p> + +<p>»Kommt mir eh ganz herab, das Bübel,« klagte das Weib, »nichts als Haut +und Knochen.«</p> + +<p>»Wenn du Geld brauchst, so komm halt noch einmal zu mir.«</p> + +<p>»Bitt' hundertmal!« sagte sie und eilte voran, der Waldwildnis und +ihrem kranken Kinde zu.</p> + +<p>»Es geht Euch wohl gut auf Eurem Posten?« fragte ich nun den Alten, +der, so klein er war, mit weiten Schritten gar würdig neben meiner +einherstapfte.</p> + +<p>»Besser schon, wie dem in der Krumpa,« antwortete er. »Aber Gehalt +hat mein Kollege da draußen einen höheren,<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> und Naturalien hat er +auch mehr. Die Sache ist die, er ist ganz und gar nicht zufrieden in +der Krumpa, er schaut alleweil aufwärts, anstatt abwärts, und das ist +gefehlt!«</p> + +<p>»Hohe Ideale muß sich freilich auch ein Schullehrer stellen.«</p> + +<p>»So meine ich's nicht. Der Lehrer in der Krumpa schaut alleweil +hinauf zum Oberlehrer in Schwarzbach, einen so großen Gehalt möchte +er haben. Der zu Schwarzbach denkt sich wieder: Ei, was hat's der +Schuldirektor in Elmstadt gut! Und der Schuldirektor in Elmstadt kann +nicht begreifen, weshalb er nicht schon Landesschulinspektor ist. Na, +na, wenn der Mensch alleweil ins Licht blickt, wird er blind. Da muß +man die Holzlieserl anschauen, die uns vorhin wegfür gegangen ist, eine +Stube voll kränklicher Kinder und einen schnapssaufenden Mann dazu. +Oder unsere Kohlenbrennerleute, die sich zeitweise rein von der guten +Luft und dem bißchen Wildobst nähren müssen. Oder immer ein Bäuerlein, +das mehr Schulden als Schuhnägel hat, weil ihm das Weib heimlich Mehl +und Butter austrägt und an ihre Lotter vertut. Freilich wohl, mein +lieber Herr, mit solchen Leuten verglichen, ist unsereiner ein reicher +Mann. So war das vom Auf- und Abwärtsschauen gemeint.«</p> + +<p>Am Ende der Schlucht war eine Holzbrücke, diesseits derselben standen +ein paar Hütten, und jenseits an der Felswand war die Kapelle mit einem +hölzernen Dachreitertürmchen.</p> + +<p>»So,« sagte mein Begleiter, »das wäre der Dom zu Sankt Marten. Und hier +beim Bach die Universität.«</p> + +<p>Ein hölzernes Schulhaus mit geräumigem Unterrichtszimmer und der +niedlichen Lehrerswohnung.</p> + +<p>»Ich habe ihn schon!« lachte mein Lehrer einer kleinen, weißlockigen +Frau zu, die im Sonntagsstaat, aber mit einer<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> breiten Küchenschürze um +die Mitte, vor mir den Knicks machte:</p> + +<p>»Wenn man ein einfaches Nachtmahl gehabt hat und in der frischen +Gottesfrühe schon eine Stunde marschiert ist, da wird ein Tröpfel +Kaffee wohl schmecken. Ich bitt' schön!«</p> + +<p>Im sonnigen Stübchen, auf weißgedecktem Tische gab es dampfenden +Kaffee, Weißbrot, Butter, Honig und einen Strauß frischer Blumen, +wie sie im Herbst auf den Feldern wachsen. Alles in feinen +Porzellantassen und daneben in einer Stahlschale zwei Zigarren. An der +blankgescheuerten Wand Hausgeräte, Heiligenbilder und eine auffallend +große Photographie in kunstvoll durchbrochener Metallrahme. Das Bild +stimmte so eigentlich gar nicht zur Umgebung, und es war das Porträt +des berühmten Chirurgen Professor Doktor Rottacher in Wien.</p> + +<p>»Seid Ihr mit diesem Herrn bekannt?«</p> + +<p>»Na, ich glaub's, daß wir mit ihm bekannt sind!« sagte das weißlockige +Frauchen und legte die Hände über der Brust zusammen.</p> + +<p>Dann kamen schon die Sonntagsleute, die so eine Weile vor den Hütten +umherstanden.</p> + +<p>Es war heimlich im Schulhause, und ich blieb den ganzen Tag dort. +Vormittags versammelten sich im Kirchlein an dreißig Menschen, +der Lehrer setzte sich in eine Bank und las laut und langsam das +Sonntagsevangelium und ein Kapitel aus Thomas von Kempis' »Nachfolge +Christi«. Seit einigen Jahren haben die zu Sankt Marten keinen Pfarrer, +und so tut's halt der Schulmeister. Dann setzte er sich ans Harmonium +und spielte ein Kirchenlied, bei dem einige Weiber mitsangen. Hernach +sagten sie gemeinsam »Vergelt's Gott«, und der Gottesdienst war aus.</p> + +<p>Jetzt ging's aber beim Schulhause an. Ein Häuslersweib<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> kam und bat die +Frau Lehrerin, daß sie im Obstgarten das Gras abmähen dürfe für die +Ziege, der Jäger wolle das Tier auf freier Weide nicht mehr dulden. Die +Lehrerin gestattete es. Das Gras wird auch so zertreten, sagte sie dann +zu ihrem Mann. Ein anderes armes Weib fragte demütig an, ob sie die von +den Bäumen gefallenen Äpfel zusammenklauben dürfe, um sie zu dörren für +die Kinder. Die Lehrerin gestattete es und begründete ihrem Manne: die +Äpfel wären ohnehin wurmstichig. An der Hausecke lehnte ein besonders +ärmlich gekleideter Mann und hielt sich den Hut vors Gesicht, als +schäme er sich. Der Lehrer ging zu ihm: »Deine Kinder haben wohl schon +wieder einmal Magenweh, Sebastian!«</p> + +<p>»Freilich, freilich, Herr Lehrer, schon seit gestern mittags!«</p> + +<p>»Hast du die Flasche bei dir?«</p> + +<p>»Wohl, wohl, Herr Lehrer!«</p> + +<p>»Geh' nur in die Kammer zur Frau!«</p> + +<p>Und die Frau Lehrerin füllte ihm die Flasche mit Milch und gab noch ein +Stück Brot dazu.</p> + +<p>Später kam ein hinkendes Weiblein dahergehumpelt und fragte an, ob die +Frau Schulmeisterin denn gar nichts für sie zu stricken hätte.</p> + +<p>Die Frau bestellte zwei Paar Socken, die Alte blieb aber noch stehen +und sie hätte halt frei keinen Kreuzer Geld.</p> + +<p>So ging das fort, dem Lehrerpaare schien alles ganz in Ordnung zu sein. +Sie gaben und gestatteten, und wo das nicht ging, vertrösteten sie +leutselig auf später.</p> + +<p>»Zu wem sollen diese armen Leute sonst gehen!« meinte der Lehrer: »sie +haben halt auch ihre Anliegen, und den Weg zum Schulhaus finden sie +seit kindesher.«</p> + +<p>Beim Mittagsmahl saßen wir unser drei beisammen,<span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span> ich zwischen den +alten Leuten, wie eine Art von Sohn. Da gab es gekochte Milchsahne, +blaugesottene Forellen, Eiersalat und Zwetschkenklöße. Die Fürsten +können solches nicht besser haben und es koste, wie die Frau +versichert, fast gar nichts. »Die Sahne ist von unserer Kuh, die Eier +sind von unseren Hühnern, die Zwetschken wachsen auf unseren Bäumen, +und die Forellen angelt mein Mann von seinem Fenster aus dem Bache.«</p> + +<p>Der Förster, der auch das Fischwasser hütet, habe deswegen zwar einmal +Umstände gemacht, doch der Bezirksrichter habe entschieden, das wäre +schon seit altersher so, daß mit der Hand gefangene und aus der eigenen +Wohnung geangelte Fische Freigut sind.</p> + +<p>Sie hätten es seit jeher so gehalten, wären ja schon zweiundvierzig +Jahre in diesem Bergwinkel. Die ersten Jahre hätte es wohl geplagt. +Acht Tage nach dem Herzug habe die junge Frau bei den Waldhäuslerinnen +um Brot und Kartoffeln betteln müssen. Dazu eine verfallene Hütte als +Schulhaus, das wäre dann aber vom Waldherrn neu gebaut worden. Später +sei das Gehalt erhöht worden und die Frau hätte eine Erbschaft gemacht, +so daß sie jährlich schier über sechshundert Gulden aufzubrauchen +hätten. »Wir sind aber auch schier die einzigen Steuerzahler in Sankt +Marten!« —</p> + +<p>Das wurde mir mit Stolz erzählt, obschon der Alte gleich beisetzte: +»Man soll sich freilich nicht prahlen, sondern Gott danken. Und das +tut man alleweil am besten zu armen Leuten. Fünfhundert Gulden Gehalt, +hundertzehn Gulden Renten! Zu Tod müßt' sich einer schämen mit so einem +Vermögen, wenn man damit nicht ein bissel Vorsehung spielen wollte.«</p> + +<p>»Und erst, seit uns der Julius so viel Sachen schickt!«<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> rief die Frau +drein, »aber der meinige will ja nichts nehmen!«</p> + +<p>»Der Julius, wer ist denn das?«</p> + +<p>»Das ist der da!« sagte der Lehrer und tippte mit dem Finger auf die +Photographie an der Wand.</p> + +<p>»Professor Rottacher! Ein guter Freund von Euch?«</p> + +<p>»Aber ich bitt' Euch, das ist ja unser Julius!« rief die Lehrersfrau, +»unser Herr Sohn!«</p> + +<p>»Unser Bub'!« verbesserte der Alte.</p> + +<p>Da habe ich erst einmal aufgehorcht.</p> + +<p>»Ist halt ein bisserl auf Abwege geraten, unser Sohn,« fuhr der Lehrer +gesprächig fort — wir saßen ja bei einem Kruge Apfelwein — »hätt' +auch Lehrer werden sollen nach meinem Wunsch, weil wir derer ohnehin +nicht allzuviel taugliche haben. Aber der gute Julius war halt auch +kein tauglicher, und so hat er ein Handwerk lernen müssen.«</p> + +<p>»Ihr meint doch den Chirurgen Julius Rottacher!«</p> + +<p>»Chirurgie ist mehr Handwerk als Wissenschaft, lieber Herr +Volksdichter. Hat auch einen goldenen Boden. Aber tauschen täten wir +nicht mit ihm, gelt Mutter! Sind einmal bei ihm in Wien gewesen —«</p> + +<p>»Das prächtig schöne Haus, das er hat!« rief die Frau dazwischen, »wie +ein Graf. Und Diener mit Silberknöpfen!«</p> + +<p>»Ein Holzarbeiter da drinn im hinteren Martenwald, hat's besser,« +darauf wieder der Alte, »der hat wenigstens bei der Nacht eine Ruh'. +Beim Doktor, wenn's nicht klingelt, so beißt die Sorge, wie es mit den +Kranken steht, ob die Operation geglückt ist. Heut' ist er noch im +Ungewissen, morgen nicht mehr. Der Operierte? — Nein, da danke ich +für den silberknöpfigen Lakaien und alles miteinander. Nie, Julius, +hab' ich ihm gesagt, nie wieder komme ich zu dir, müßte krank werden +vor lauter Angst<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> um deine Patienten. Dem Schullehrer schlägt bei +seinen Kindern ja auch nicht alles zum Guten an, aber da gibt's nicht +leicht den Vorwurf, daß man die Krankheit mißkannt, daß man sich im +Mittel vergriffen hat, man behandelt die Kinder mit Güte und heilsamer +Strenge, alles andere muß man Gott überlassen.«</p> + +<p>»Und so wird's der Julius auch mit seinen Kranken machen,« sagte die +Frau, »Fritz, du willst mir halt immer die Freud' verderben an ihm.«</p> + +<p>»Ärgern tu' ich mich!« rief der Alte hitzig, »weil er mir erbarmt, +der arme Mensch, mitten in seinen Ehren und Reichtümern. Keine Ruhe +und keine Sammlung und kein Besinnen auf sich selber. Nein, das ist +kein Leben. Und was hat er aufzuweisen? Recht selten eine Arbeit, +wo nichts zurückbleibt, so gut er's auch meint. So ein Metzgern da! +Seit zehn Jahren, denkt Euch, war er einmal bei uns in Sankt Marten, +ein einzigesmal auf drei Tage. Glaubt Ihr, er hätt' was Lustiges +mitgemacht oder wäre im Wald umhergegangen? Nichts, als immer studiert, +spintisiert, an Hasen und Hühnern herumprobiert, daß es oft schon gar +nicht mehr schön war, hernach Briefe geschrieben und Zeitung gelesen, +bis er — hast es nicht gesehen — wieder fort ist.«</p> + +<p>»Dafür verdient er sich zehnmal leichter den Himmel, als unsereins im +sorglosen Leben!« das sagte die Frau, schüttelte den weißbelockten Kopf +und forschte nach dem Eindruck, den ihr Ausspruch bei uns gemacht.</p> + +<p>Dieser Eindruck war nicht bedeutend.</p> + +<p>»Nicht einmal zum Heiraten hat er Zeit!« rief der alte Lehrer. »Und da +möchte ich wissen, wie man ohne Hauskreuz soll in den Himmel kommen +können!«</p> + +<p>Sofort hatte er für die heitere Bosheit seinen kleinen<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> Klaps auf der +Wange, der Ernst des Gespräches war abgebrochen.</p> + +<p>Auf Einladung der Leutchen bin ich über die nächste Nacht im Schulhause +geblieben. In dem wohlverschalten Dachgelaß wurde mir ein Bett +angewiesen; grobe, weißgebleichte Bauernleinwand und mitten über das +mit Haferrispenspreu gefüllte Kopfkissen ein gestickter hellroter +Streifen. Der Lehrer war noch eine Weile an meinem Bette gesessen, um +zu plaudern. Endlich war's ihm darum zu sagen, ich möchte in diesem +Bette besser schlafen als sein Julius geschlafen habe, der die ganze +Nacht Patienten klingeln hörte. »Und ich,« schloß mein Gastgeber +schalkhaft, »muß jetzt noch ins Schulzimmer, um <em class="gesperrt">meine</em> Schriften +des Waldschulmeisters zu schreiben!«</p> + +<p>Am nächsten Morgen vor dem Antritte meiner Wanderung habe ich Einsicht +genommen in diese Schriften des Waldschulmeisters: Auf der schwarzen +Schultafel mit Kreide geschrieben standen Buchstaben des ABC für die +Anfänger. — Und damit leistete er sicherlich mehr, als unsereiner mit +den Fabeleien.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Orgler_zu_Sankt_Thomas">Der Orgler zu Sankt Thomas.</h2> +</div> + + +<p>An einem taufrischen Sommer-Sonntagsmorgen kamen drei Touristen aus +Wien in das Alpendorf, genannt Sankt Thomas in der Klausen. Auf dem +Hügel stand das Häuschen Gottes, dessen zwei Glocken durch das enge +Tal klangen, um die auf allen Höckern und in allen Falten des Gebirges +zerstreute Gemeinde zusammenzurufen. Die Touristen stiegen zum Kirchl +hinan. Aus Frömmigkeit geschah es nicht. Sie wollten nur einmal sehen, +wie es in so einer Dorfkirche zugeht. Da gab es nun was Besonderes zu +hören auf dem Chore. Dort saß ein Knabe und spielte die Orgel in einer +verwunderlichen Weise. Er spielte ein Kirchenlied so rührend, schlicht +und fromm — man meinte gar, die Orgelpfeifen wären lebendig und +lobten aus eigenem Herzen den Herrn. Unsere Städter hatten wohl schon +die größte Kunstfertigkeit auf ähnlichen Instrumenten zu bewundern +Gelegenheit gehabt, aber eine solche Innigkeit, ja Heiligkeit im +Orgelspiel war ihnen was Neues. Zudem war der spielende Bauernknabe +schön wie ein Engel. Sein Haupt mit den lichten Locken war etwas +vorgebeugt, auf den Wangen blühte die Freude über die Klänge, seine +schattigen Augenlider waren geschlossen. Seine Lippen bewegten sich +leicht, als begleite er die Orgel mit leisem Gesang. Als sich das Spiel +in höhere Töne hob, hob auch der Spielende sein Haupt, schlug die +Augenlider auf und — in diesen Augen leuchteten keine Sterne.</p> + +<p>Der Knabe war blind.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span></p> + +<p>Hier will ich die kleine Geschichte des blinden Musikanten erzählen, +wie sie den Touristen erzählt worden ist.</p> + +<p>Mit dem Rocken-Hans hebt sie an. Der war vor fünfzehn Jahren noch +Wildschütze gewesen — teils aus Hunger — weil Notwehr erlaubt ist +— und teils aus Neigung — weil das Wildern verboten ist. — Arme +Wildschützen sollte man nicht zu Verbrechern machen — sondern zu +Jägern. Das sind die findigsten, wachsamsten Kerle, die verläßlichsten +Hüter und, gilt es, die schärfsten Schützen. Auch den Rocken-Hans hatte +man zum Jäger gemacht, aber aus der Klausen in eine andere Gegend +versetzt, wo er an die zehn Jahre verblieb, sich ein Weib beilegte +und fast zufrieden war. Vollauf zufrieden darf selbst ein Jäger im +grünen Walde nicht sein. So scharfe Augen der Vater hatte, das Kind +war blind. So schön das Mutterantlitz ist, wenn es zum Kinde lächelt, +der Knabe sah es nicht. Nur ihre Wiegenlieder hörte er. Dann, als die +Mutter stumm geworden war, und fortgetragen, saß der Knabe auf dem +Bankl vor dem Jägerhause und hörte den Finken und den Drosseln zu und +allem Gevögel, das da sang und zirpte im Waldland. Am Abende waren die +Grillen und Frösche zu hören und das Rieseln des Baches und das Säuseln +der Wipfel im Abendhauch. Im Winter aber — wenn alles still war — +schlafend die Vöglein, hartgefroren der Bach, verhüllt die Bäume — saß +der Jäger neben dem kleinen Sohne und machte ihm vor, wie die Gemse +pfeift, das Reh bellt, der Auerhahn balzt und der Rabe kräht. Das war +alle Musik in weitem Bergrund', und der blinde Knabe dürstete nach dem +Lichte der Töne.</p> + +<p>Sagte der Jäger eines Tages zu seinem Sohne: »Jetzt bist du schon +stark, Heinrich, und morgen ist Lichtmeß; du gehst mit mir nach Thomas +in die Klausen — bin selber schon eine gute Weil' nicht mehr dort +gewesen — und da<span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span> wirst du auf dem Kirchenchor was hören, was du +deiner Tage noch nicht hast gehört. Mußt dich jetzt schlafen legen, wir +stehen um eins in der Nacht auf.«</p> + +<p>Der Weg vom Jägerhause bis in die Klausen ist im Sommer fünf Stunden +lang, im Winter zieht er sich auf sechs und unter kurzen Beinen ist er +noch länger. Der Knabe ging zu Bette, aber schlafen konnte er nicht. +In Trauer schläft sich's leicht ein, in Freude schwer. Heinrich dachte +an des Vaters Worte vom Kirchenchor — was das sein sollte, wußte er +freilich nicht, was Besonderes gewiß. Endlich, als er einschlummern +wollte, kam der Jäger, ihn zu wecken. Und sorgfältig kleidete der Mann +den Knaben an, gab ihm heiße Ziegenmilch zu trinken und schnallte ihn +auf die hölzerne Rückentrage, wie solche im Gebirge gebräuchlich sind. +Und nahm die Trage auf den Rücken, verschloß das Haus und ging in +sternheller Winternacht davon.</p> + +<p>Nach einer halben Stunde fragte der Knabe: »Kommen wir schon in die +Klausen, wo die Kirche steht?«</p> + +<p>»Jetzt noch nicht, Heinrich. Bist du müde, so schlafe.«</p> + +<p>In zwei Fuchshäute gewickelt, schlief der Knabe ein und der Vater +ging und ging und freute sich insgeheim auf die Kirchenmusik in Sankt +Thomas, die immer so prächtig war gewesen, freute sich auf die Freude +seines Kindes.</p> + +<p>Und dann, als hoch an den starren Felsen die Morgensonne leuchtete, +ging er durch die Schlucht der Klausen. Und als die Glocken vom Sankt +Thomas-Kirchlein läuteten, wachte der kleine Heinrich auf und sagte: +»Vater, hörst du's auch, wie der Vogel schön singt?«</p> + +<p>Der Jäger tat den Kleinen von der Rückentrage und nun gingen beide den +Hügel hinan und ins Kirchl hinein.</p> + +<p>Am Altare stand der Priester, die Gemeinde lallte Vaterunser auf +Vaterunser — und nichts als das.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span></p> + +<p>Heinrich horchte andächtig und meinte, das wäre jenes Seltsame am Chor, +wovon der Vater gesprochen. Der Jäger aber wendete sich flüsternd an +einen alten Bauer: »Was ist's denn, haben 'leicht die Thomasler keine +Musik?«</p> + +<p>»Freilich nicht, freilich haben wir keine,« gab jener zur Antwort, +»die Orgel und die Pfeifen und Geigen sind wohl noch oben, aber kein +Musikant ist dabei. Die alten sind weggestorben und junge werden keine +mehr abgerichtet. 's schaut kein Geld dabei heraus und umsonst wollen +die Leut' heutzutag' nicht einmal für den Herrgott was tun. Der Herr +Pfarrer kann wohl orgeln — aber wer liest hernach die Mess'? Unser +Lehrer bläst nur eine Pfeife, seine meerschaumene. — Gottsredlich +wahr, jetzt hat eins in der Kirche auch keine Freud' mehr.«</p> + +<p>Der Mann hätte sicherlich noch eine Zeitlang fortgeflüstert, da stieß +ihn ein Beisitzer mit dem Ellbogen: »Willst schwatzen, Michel, so geh' +hinaus.«</p> + +<p>Der Alte war still, der Rocken-Hans führte sein Söhnlein wieder aus der +Kirche, daß der Kleine doch zum wenigsten die Spatzen und die Gimpel +höre, die auf den Dächern zwitscherten.</p> + +<p>Gingen hierauf zum Bäckerwirt und der Vater rückte dem Knaben das +Suppenschallerl unter das Kinn und das Weinglas in die Hand.</p> + +<p>»Vater, wann ist das auf dem Kirchenchor, was ich mein Lebtag noch +nicht habe gehört?«</p> + +<p>Am Nebentische saß, eben vom Gottesdienste zurückgekommen, der Pfarrer. +Er nahm das Frühstück ein, hörte die Worte und rief zum Jäger herüber: +»Der Rocken-Hans? Auch wieder mal bei uns herüben? Brav, brav! — Sohn +das? Recht brav. Ein sauberes Bübel! Nicht Handküssen.<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> Wie heißest +denn, Kleiner, he? Heinrich? Brav. Mein Gott, das Kind hat ja — +schlechte Augen?«</p> + +<p>»Halt ja, halt ja, Hochwürden,« sagte der Jäger, »und desweg', weil er +nicht sehen tut, so wollt' ich ihn was hören lassen.« Und erzählte nun, +daß sie gekommen wären, um die Orgel zu hören in der Kirche zu Sankt +Thomas. Allsogleich rannen dem Pfarrer die Tränen über die Wangen; das +blaue Sacktuch kam schon zu spät.</p> + +<p>»Ah na,« sagte er hernach, »umsonst sollt ihr den Weg nicht gemacht +haben. Ist dir warm, Bübel? Dann wollen wir miteinander in die Kirche +gehen.«</p> + +<p>Sie gingen in die Kirche, es war kein Mensch mehr drin. Die Leute +hatten sich satt gebetet und dabei Appetit für ein Mittagessen +bekommen. Die drei stiegen auf das Chor. Der Pfarrer setzte den Knaben +in die Orgelbank, legte dessen Fingerchen auf die Tasten. »So, Kleiner, +jetzt halte still, gerade so, wie die Finger liegen. Brav. Und wenn ich +sag': Druck' nieder, verstehst, so druck' nieder und halte aus — halte +aus, so lang's dich freut.«</p> + +<p>Zog hierauf die Riemen des Blasebalges und rief sein: »Druck' nieder!« +Der Knabe tat's und erschrak vor dem, was jetzt war: ein klingendes +Band, ein tönender Stab — und doch unvergleichbar mit allem, ganz +einzig zu hören, wie ein Gedanke, der schallt, wie eine Freude, die +klingt.</p> + +<p>Unbeweglich saß der Knabe da — sein Antlitz blaß wie ein Steinbild, +so horchte er der Musik. Die Hände preßte er auf die Tasten, bis die +Finger vor Wonne zu zittern begannen. Und siehe, da zitterte auch der +tönende Stab und nun wurde er es inne, der Knabe aus dem Wald, daß man +seine Seele kann ausrufen in solcher Weise.</p> + +<p>Dann spielte der Pfarrer und der Knabe hat gemeint, er sei im Himmel. +— Er sah mit den Ohren.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span></p> + +<p>So war der Anfang gewesen.</p> + +<p>Und von diesem Tage an verblieb Heinrich, der kleine Junge, in Sankt +Thomas und lernte von dem Pfarrer das Orgelspielen. Traurig und +glücklich im Vaterherzen kehrte der Rocken-Hans allein zurück in sein +Revier. Zu jedem Sonntag aber kam er in die Klausen und nach einem und +einem halben Jahre — am hohen Frauentage im August — als er wieder +in die kleine Kirche trat, summte nicht mehr der eintönige Psalter an +sein Ohr, da der Pfarrer am Altare stand. Die Orgel klang, und der alte +Waldmensch fühlte in jenen Tönen das liebe, junge, weiche Herz seines +Kindes.</p> + +<p>So ist die Gemeinde von Sankt Thomas wieder zur Kirchenmusik gekommen. +—</p> + +<p>Einer von unseren Touristen war nach solcher Kunde zum Pfarrer des +Alpendörfchens gegangen, um ihm die Hand zu drücken.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Naturfreund">Der Naturfreund.</h2> +</div> + + +<p>Das war auch wieder einmal eine Kindesseele, die sich in einen +Stadtmenschen verirrt hatte, und solches ist so häufig ein Unglück.</p> + +<p>Ich sehe ihn sehr lebhaft vor mir, obzwar er sich vor einiger Zeit +wieder aus dem Staube gemacht hat. Seine Gestalt war komisch, und sein +Herz war rührend. Man hätte ihn geliebt, wenn man ihn nicht immer hätte +auslachen müssen. Er war ein kleiner untersetzter Mann, dessen Frohmut +es erlaubte, daß das Bäuchlein wuchs. Die Beine schienen der Last, auf +die sie ursprünglich nicht berechnet gewesen, auch nicht ganz gewachsen +zu sein, sie ließen sich etwas weich und unsicher, so daß bei jedem +Schritte der Körper stark hin und her neigte. Auch mit den stets etwas +krummgebogenen Armen tat er mit, gleichsam, als wollte er den schwachen +Füßen durch Schwimmen in der Luft nachhelfen. (Für das Schwimmen in +der Luft hatte er überhaupt Vorliebe, wie sich's später zeigen wird.) +Zumeist trug er lichtgraue, wenn nicht gar weiße Blusen und Beinkleider +und auf dem Haupt einen Zylinder mit stark geschweifter Krempe und von +lichtgrauer Farbe. Der Hemdkragen war selbstverständlich fast immer +blank, und an der Brust wehte ein flottgeschwungenes buntes Halstuch. +Das wirkliche Merkmal aber war das Haupt, das Gesicht. Zu Salzburg, wo +er sich seinerzeit in den Tagen der Kaiserzusammenkunft aufhielt, wurde +er von den Tor- und Stadtwachen mit den höchsten Ehren begrüßt, die +einem Potentaten zustehen, denn man hielt ihn für Napoleon III. Auch +als er einst eine Weile in Paris bei seinem Freunde, dem Luftschiffer +Godard, lebte,<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> stürzten die Leute, wenn er harmlos lustwandelte, auf +die Gasse und hielten ihn für den Kaiser. Einmal trieb ein Gendarm den +Pöbel zurück und rief, wenn es Seiner Majestät beliebe, im Inkognito +spazieren zu gehen, so habe Paris ruhig zu bleiben und den Kaiser nicht +zu sehen.</p> + +<p>Die Ähnlichkeit unseres Mannes mit dem letzten Franzosenkaiser war +in der Tat merkwürdig! Dieselben scharfen, grauen, lebhaften Augen, +dieselbe derb gewachsene und »feinausgearbeitete« Napoleonnase, +derselbe aufgehörndelte Schnurrbart, derselbe graudurchwirkte kühne +Knebelbart, dasselbe meist kurzgeschnittene Haar, das die Glatze bloß +zur hohen Stirne machte, dieselben feinen Runzeln des fahlen Gesichtes, +und vollends die französisch lebhaften, nervösen Gebärden in allen +Bewegungen, in der Sprache, die, weiß Gott woher, welschen Akzent hatte +und sich gerne sprudelnd und munter in krausen Hyperbeln erging.</p> + +<p>Ja, das war der gute, harmlose Peter Berner, geborener Steiermärker und +Handelsreisender mehrerer solider Firmen in Wien, Brünn und Triest.</p> + +<p>In unserer Stadt kannte ihn jedes Kind, es war ja keiner unter +den hunderttausend Einwohnern so wie er. Er hatte es gerade nicht +ungern, wenn man ihn mit Napoleon verglich und er wußte den Mann zu +repräsentieren, von außen. Die Natur mußte in einer köstlichen Laune +gewesen sein, als sie es unternahm, diesem gutherzigen, harmlosen, +poetisch angelegten Gemüte die Maske des Erzschelmes an der Seine zu +geben.</p> + +<p>»Die Natur!« Da habe ich ein Wort ausgesprochen, welches mit seinem +unermessenen Inhalte das Leben Peter Berners mit Schmerzen und +Wonne ausfüllte, ja demselben geradezu verhängnisvoll wurde. Er +verstand unter der »Natur« die Landschaft mit ihren Wiesen, Feldern +und<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> Wäldern, die Bergwelt mit ihren Felsen, Gletschern und Seen, +und das einfache Leben des Landvolkes mitten drinnen. Es ist ein +wunderliches Merkmal unserer Zeit, daß sich der Kulturmensch so sehr +sehnt nach der stillen Größe des ländlichen Lebens. In Peter Berner, +dem Handelsagenten, hatte diese Sehnsucht die dreisteste Verkörperung +gefunden. Streckte und reckte denn auf seinen Handelsreisen »Napoleon +der Dritte« ununterbrochen den Kopf zum Wagenfenster hinaus und tat +fortwährend Ausrufe der Freude, der Überraschung, der Begeisterung, so +oft ein hübsches Landschaftsbild — und er mochte es schon hundertmal +gesehen haben — vorbeiglitt. Mußte er in der Stadt weilen, so +besuchte er Gasthäuser, wo sich irgendeine Tischgesellschaft fand, +die ihm zuhörte, beistimmte, wenn er von der »herrlichen Natur« und +einzelnen Gegenständen derselben in unbeschreiblicher Lebhaftigkeit und +Begeisterung schwärmte. Fand er nicht das gewünschte Verständnis an +seinen Tischgenossen, so verfiel er bald in schweigsame Schwermut und +war über kurz aus der Gesellschaft verschwunden.</p> + +<p>Es gab Zeiten, wo er besonders Ursache hatte, den Hang der Städter +nach Prunk, Flitter und falschem Schein und die tölpelhafte Stumpfheit +gegen Sonnenauf- und Untergang, gegen Waldeszauber, Vogeljubel und +Bergesherrlichkeit zu beklagen. Wissenschaftliche Dinge liebte er +nicht, weil derlei — wie er sagte — die Schönheit von den Wesen +reißt; Musik, bildende Kunst und Theater waren ihm leidig, weil er das +Echte daran nicht sehen konnte, und wenn der Karneval kam, da verlor er +kein Wort, sondern floh aus der Stadt. Verehelicht war er nicht, und so +vergaß er leicht alle Bande, die ihn mit der »in Unsinn rasenden Welt« +zusammenhielt, vergaß seine Freunde, seine Geschäfte, verlor sich auf +Wochen lang und niemand wußte, wohin er geraten.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span></p> + +<p>Kehrte er endlich wieder zurück, so war es stets etwas zerfahren +bestellt mit seiner Gewandung, mit seinen geschäftlichen Verbindungen, +mit seinem Haushalte überhaupt, aber sein Auge war hell und sein Mund +sprudelte unerschöpflichen Preis »den paradiesischen Gefilden der +Bergwelt«.</p> + +<p>Weil Peter Berner ein geschickter Agent war, so kam er rasch in gute +Verhältnisse; und weil Peter Berner ein so unbändiger Naturschwärmer +war, so kam er auch allemal rasch wieder in die kümmerlichen Umstände +zurück.</p> + +<p>Einst sollte seine Sehnsucht nach den Höhen, nach dem Ausblick ins +weite, liebliche Land, sein Drang, aus dem Bereiche des städtischen +Staubes, »des anmaßenden und hohlen Pöbels aller Stände« zu kommen, +eine seltsame Erfüllung finden.</p> + +<p>Der französische Luftschiffer Godard kam in unsere Stadt. Sofort bot +Peter Berner dem Manne alle seine Dienste an, wenn ihm dagegen die +freie Mitfahrt in die Lüfte gestattet werde. Seine Tätigkeit für +diese Sache war erstaunlich; er schlichtete alles Nötige bei den +Behörden, besorgte den Platz der Auffahrt, die Ausbesserung des durch +frühere mißlungene Fahrt und die Reise geschädigten riesigen Ballons, +besorgte die Füllungsarbeiten, hatte den ganzen tausendgestaltigen +Reklameapparat der Stadt in die klapperndste Bewegung gesetzt — und +daß die weite Wiese die herbeiströmende Menschenmenge kaum zu fassen +vermochte, es war sein Werk.</p> + +<p>Man hatte den guten Peter noch niemals so in seinem Elemente gesehen. +Er schleppte Holz zur Feuerstelle, wo die Luft erwärmt wurde, er +spannte die Stricke an, er machte den Korb zurecht, und zwar mit einer +Fertigkeit, die den Luftschiffer selbst zur Bewunderung hinriß, so +daß er in seinem gebrochenen Deutsch ihn sogleich für seine Reisen<span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span> +als Helfer warb. — Nun gab es aber unter den Zuschauern Leute, die +ihr Geld nicht dafür gezahlt haben wollten, daß sie den Peter Berner +glückselig gen Himmel fahren sehen könnten, sondern dafür, daß sie das +Napoleongesicht mit einer noch längeren Nase erblicken sollten. Wie es +zuwege kam, konnte nicht erhärtet werden, aber auf einmal wehte von +einer Seite des schier völlig gefüllten Ballons ein lustiger gelber +Rauch auf, und im selben Augenblick sank das bauchige Ungeheuer in sich +zusammen.</p> + +<p>Zuerst schlug Peter Berner die Hände zusammen und rief alle Heiligen +an. Dann, als es sich herausstellte, daß der Ballon an seinen +Brandwunden verloren sei, begann er zu rasen. Mit geballten Fäusten +rannte er umher, warf Holzstücke, warf Steine in das Feuer, hastete +suchend nach dem Missetäter, fiel dann wieder Monsieur Godard um den +Hals und weinte laut. Die Zuschauer unterhielten sich köstlich.</p> + +<p>Als Peter wieder zur Besinnung kam, rief er in die Menge hinein, die +Vorstellung sei noch nicht aus; wenn sie ihn steigen lassen wollten, +so sollten sie es nur tun! Hierauf nahm er seinen weißen Zylinder +in die Hand, und mit feuchten Augen ging er Geld sammeln für das +verunglückte Luftschiff. Da flogen die Papierfetzen nur so in den Hut, +denn im Grunde tut die Welt einer guten Seele doch mehr zulieb', als +sie sich selber gestehen mag. Die Sammlung wurde in den nächsten Tagen +fortgesetzt durch einen öffentlichen Aufruf, in dem Berner an die +»<em class="gesperrt">edlen</em> Menschenherzen« klopfte, seinen <em class="gesperrt">teuren</em> Freund, den +so schwer geschädigten Luftfahrer, der »zur Ehre Gottes und zum Heile +der Menschen die <em class="gesperrt">unbeschreiblichen</em> Wunder der <em class="gesperrt">großartigen</em> +Natur erforschen wollte«, nicht zu verlassen.</p> + +<p>In wenigen Wochen nachher war Godard instand gesetzt,<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> einen neuen +Ballon zu bauen, mit welchem er endlich an der Seite seines Gönners und +Freundes Peter Berner eine glückliche Fahrt tat.</p> + +<p>Berners Beschreibung dieser Fahrt ist in Druck gelegt worden, sie +spricht in stets gesperrten fetten Lettern von der »<em class="gesperrt">unbeschreiblich +herrlichen</em> Pracht, der über <em class="gesperrt">alle Maßen großartigen</em> +Aussicht und dem <em class="gesperrt">furchtbaren</em> Schwindel, der einen auf dieser +<em class="gesperrt">unendlichen</em> Höhe erfaßt.«</p> + +<p>An Kaufmann Steinbacher in unserer Stadt hatte Peter einen Freund, +der nicht, wie andere, mit ihm sein Spiel trieb, der das goldene Herz +mit Kennerblicken wog und schätzte. Dieser Mann wußte den Naturfreund +von seinen aeronautischen Plänen abzubringen und vermittelte ihm eine +Agentschaft für steierischen Bauernloden, die ihm den Verkehr mit den +Landleuten und der Natur von neuem erschloß.</p> + +<p>Der Luftschiffer zog nach stürmischen Umarmungen und heißen Küssen +seitens Berners von dannen, und Berner zog ins Gebirge.</p> + +<p>Von Zeit zu Zeit las man im Inseratenteile unserer Blätter Aufrufe, wie +folgenden:</p> + +<div class="blockquot"> + +»<p class="center"><em class="gesperrt">Aufruf!</em></p><br> + +<p>Anläßlich der bevorstehenden <em class="gesperrt">Feiertage</em> sehe ich es als +meine <em class="gesperrt">heiligste Pflicht</em> an, alle <em class="gesperrt">Naturfreunde</em>, +<em class="gesperrt">Bergbesteiger</em>, wie nicht minder alle <em class="gesperrt">Ausflügler</em> auf die +<em class="gesperrt">herrliche</em> prächtige <em class="gesperrt">Perle</em> unseres Heimatlandes, auf das +<em class="gesperrt">Paradies Steiermarks</em>, (z. B.) auf <em class="gesperrt">Deutsch-Landsberg</em>, als +das <em class="gesperrt">würdigste Ziel</em> eines Touristen, aufmerksam zu machen und +sie aufzufordern, diesem <em class="gesperrt">wahrhaft gelobten Lande</em> zuzuwallen. +Dort, umgeben von den <em class="gesperrt">herrlichsten Bergen</em>, fühlt man sich frei +und dankt dem</p> +</div> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span></p> + +<div class="blockquot"> +<p>Schöpfer, der all das <em class="gesperrt">Herrliche</em> geschaffen. Drum auf, nach +Deutsch-Landsberg, wo nicht nur für die <em class="gesperrt">Seele</em>, sondern auch für +den <em class="gesperrt">Leib</em> gesorgt ist durch die vortreffliche <em class="gesperrt">Küche</em> und +den ausgezeichneten <em class="gesperrt">Keller</em> im Brauhause.</p> + +<p class="mright5"><em class="gesperrt">Peter Berner</em>, Tourist.«</p><br> +</div> + +<p>Selten und seltener wurde der Mann, der nun — wie er in der +Beschreibung seiner Luftreise dartat — schon mehr als »<em class="gesperrt">fünfzig</em> +Lebensjahre sein eigen nannte«, in der Stadt gesehen, immer +unregelmäßiger besorgte er die Handelsinteressen seiner Firmen, und +endlich blieb er ganz aus. Sonst war Peter seiner absonderlichen +Wesenheit wegen allemal unschwer auffindbar gewesen, diesmal aber +vergingen Monate, ohne daß eine Spur von ihm zu entdecken war. In den +Blättern blieben die Aufrufe aus; der Hausherr, bei dem Peter sich +die Kammer gemietet hatte, warf die bescheidenen Armseligkeiten ins +Versatzamt, oder sonstwohin, und man mußte annehmen, daß der »Tourist« +auf einer seiner Hochtouren verunglückt sei. Da ging im Spätsommer +desselben Jahres in der Stadt das Gerede um, draußen hoch in den +Bergen, im Dorfe des heiligen Oswald, sei ein Bauernknecht gesehen +worden, der zwar nicht an Gewandung, wohl aber im Angesichte und allem +Gebaren dem verschollenen Peter Berner aufs Haar ähnlich sehe.</p> + +<p>Kaufmann Steinbacher machte sich auf den Weg in das entlegene +Bauerndorf, dort fand er nach vielem Suchen seinen Mann hoch oben an +einer Feldlehne, wo dieser hinter einem Ochsenfuhrwerk vermittelst +einer Eisenkrampe mit nervöser Hast vom Karren Stalldung auf die Erde +kraute. Sein Anzug bestand aus arg zerfahrenen Bauernkleidern, wovon +die Hose zu schlotternd, die Joppe zu knapp war. An den Füßen trug er +nichts als »Schuh von Menschenhaut«,<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> wie er die Barfüße nannte, auf +seinem Haupte aber saß — von braunen Stallfliegen umsummt — der weiße +Zylinder.</p> + +<p>»Peter!« rief der Kaufmann, »Peter, aber was treibst du da?«</p> + +<p>»Grüß' dich!« knurrte Peter, ohne von seiner Arbeit abzulassen, befahl +dann den Ochsen, daß sie ein paar Schritte weitergehen sollten und er +ein neues Häuflein vom Karren krauen könne.</p> + +<p>»Bist du endlich toll geworden, mein lieber Freund!« rief der Kaufmann. +Da warf Peter die Krampe weg, schlug die Arme aus. »Toll geworden! Toll +geworden!« sprudelte er in seiner schnarrenden Weise, »weil ich aus dem +übelriechenden Steinhaufen geflohen bin, den ihr Stadt nennt, ihr armen +Teufel! Weil ich eure Windbeuteleien verlache, die ihr Kulturleben +heißt, ihr armen Teufel! Weil ich in der schönen Natur leben will, +in der frischen Luft, unter dem freien Himmel Gottes, den ihr nicht +ertragen könnt, ihr armen Teufel! Da er die blendende Sonne hat, die +gewaltigen Stürme hat, darum, sagt ihr, toll geworden?! O, du armer, +armer Knabe, komm an meine Brust, laß dich küssen!«</p> + +<p>Damit stürzte er dem Freunde ans Herz. Der Kaufmann schämte sich +unbändig, aber es war nicht anders, denn Peter weinte wie ein Kind.</p> + +<p>So hatte dieser wunderliche Mann, dessen Existenz nach allgemeiner +Schätzung eine sorglose, behagliche gewesen, solche von sich geworfen; +so hatte er sich als Bauernknecht verdingt aus Liebe zur Natur. Willig +hatte er die schwersten Arbeiten, denen sein Körper nicht gewachsen +war, verrichtet, die ungewohnte Nahrung, das schlechte Nachtlager +ertragen und die Roheiten der Dorfleute, die ihn freilich nicht so +anwiderten, weil sie ja »Natur« waren gegenüber<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> den giftigen Bosheiten +und süßelnden Falschheiten der Städter.</p> + +<p>»Stadtdodel!« schrie ein Junge vom Hof herüber und meinte Peter. »Ja,« +sagte dieser, zum Kaufmann gewendet, »das muß ich mir gefallen lassen, +weil ich's einmal gewesen bin, weil ich heute noch städtische Unarten +an mir habe. Stadtdodel! Hast schon recht, Franz! Mordsbub!«</p> + +<p>Es bedurfte viel, den Mann, den sie auf dem Dorfe geradezu verhöhnten +dafür, daß er ihnen seine Kraft weihte, sein Herz gebracht hatte! — es +bedurfte viel, um ihn von den Fluren des heiligen Oswald loszubringen +und wieder zu einem halbwegs zivilisierten Menschen zu machen. Es +bedurfte vielen Zuredens, vieler List und besonders vieler Seife.</p> + +<p>Aber endlich sah man den Napoleon doch wieder durch die Stadt haspeln, +hörte im Gasthause wieder seinen scharfen Laut, wie er in rasch +herausgestoßenen Worten unermüdlich das ländliche Leben beschrieb, bis +ihm vor Begeisterung und Rührung die Stimme brach.</p> + +<p>Und nun zu dieser Zeit, da seine Schwärmerei für Idylle und Einfachheit +den höchsten Grad erreicht hatte, tat er etwas, was er tun mußte, weil +es im Schicksalsbuche solcher Menschen steht, mit heiligem Schwunge +stets das Ungereimteste zu vollbringen. Peter Berner ging nach Paris. +Freilich nicht die Weltstadt lockte ihn, aber der Freund rief ihn, +Godard der Luftschiffer telegraphierte aus Paris, er möge so bald als +möglich zu ihm kommen.</p> + +<p>»Der Mann ist in Not!« rief Peter aus, »ich muß ihm zu Hilfe kommen!« +Mit einem Ruck waren alle kommerziellen Fäden, die ihn bereits wieder +umgarnt hatten, zerrissen, er reiste nach Paris.</p> + +<p>Dort fand er seinen Freund in einem Zustand, von<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span> dem er bis ins +Innerste erschrak. Godard war reich geworden. Mit den Luftballon, den +ihm Peter einst erbettelt, hatte er sich ein Vermögen erworben, den +Ballon dann in die Rumpelkammer geworfen und sich in das Weltleben +gestürzt, an dem er nun mit allen Fasern eines lustigen Franzosen hing +und sog.</p> + +<p>»Was willst du mich? Was soll ich da?« schrie ihn der empörte Berner +an, als ihn jener in die prunkenden Gemächer seines Hotels führte.</p> + +<p>»O, Freund! Freund!« rief der Franzose, »ik dich aben lassen holl, +<em class="antiqua">pour remercier</em>, ik dir danken, <em class="antiqua">ma fortune</em>, <em class="antiqua">ma +prospérité</em>, mein Sukunft! Ik dir wollen erweisen <em class="antiqua">la joie</em>, +<em class="antiqua">l'honneur</em>, <em class="antiqua">l'amitié</em>! Oh, Freund, <em class="antiqua">pardon</em>, daß ik +sprecke <em class="antiqua">en ma</em> Muttersprak, es jauchzen mein 'erz zu können dich +umarm! Ik grüßen, ik grüßen dich!«</p> + +<p>Godard gab hierauf zu Ehren der Anwesenheit seines Freundes ein +glänzendes Fest, überhäufte ihn mit Ehren. Der Mann, der ein paar +Monate früher in einem steierischen Gebirgsdorfe Stalldung vom +Karren gekraut hatte, war jetzt Mittelpunkt einer der feinsten, +geistsprühendsten Gesellschaften der Seinestadt. Die französische +Liebenswürdigkeit, mit der ihm das Fest in großem Stile geboten +wurde, berückte sein leicht erregbares Gemüt; das Weltleben, das er +bisher verachtet hatte, umgarnte ihn plötzlich mit allen Zaubern +und Reizen einer schönen, koketten Frau, die ihn »zu einer nie +dagewesenen Begeisterung« hinrissen. Nach seiner Rückkehr aus Paris +erzählte er uns strahlenden Angesichtes, daß er bei jenem Feste »mit +<em class="gesperrt">tiefbewegter</em> Stimme eine <em class="gesperrt">brillante</em>, von <em class="gesperrt">tosendem</em> +Beifall oft unterbrochene Rede« gehalten habe, in der er für die +»<em class="gesperrt">höchst ehrende</em>, eines Königs würdige Auszeichnung« dankte.</p> + +<p>Der Aufenthalt in Paris schien für einige Zeit der<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> Mittelpunkt seines +Lebens geworden zu sein. Wohl pries er die Natur wie vor und eh, aber +er stand nicht mehr mit jener weltüberlegenen Lust auf dem hohen Berge, +sah nicht mehr durch die glückselige Kindesträne den Aufgang der Sonne. +Es beunruhigte ihn — Paris. Es war ein Zwiespalt in ihn gekommen, +dessen er sich selbst kaum bewußt ward, der aber tückisch an seinem +Gemüte nagte. — Das Gedächtnis seines Freundes hielt er fort und fort +über alles hoch in Ehren und das großmütige Geschenk, eine goldene, +auf seinen Namen geprägte Erinnerungsmedaille, mit dem der dankbare +Franzose sein Fest gekrönt hatte, war und blieb sein Stolz und seine +Freude bis an sein Ende.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_lange_Rauk">Der lange Rauk.</h2> +</div> + + +<p>Von meinem Fenster aus gegen Osten hin sehe ich eine Hochebene, auf +der lauter Wald steht. Junger, gemischter, stundenlanger Nadelwald. +An klaren Tagen werden im fernsten Hintergrunde blasse Berge +sichtbar, sonst aber scheint sich mein Wald ins Blaue und Unendliche +zu verlaufen. Hie und da stehen über das jüngere Baumgeschlecht +breitkronige oder spitzige Stämme aus den vorigen Jahrhunderten empor +wie Kuppeln oder Kirchtürme in einer Stadt.</p> + +<p>Besonders ist es ein Baum, der weit draußen im blauenden Meere des +Waldes steht, von unten hinauf buschig ist, sich aber allmählich in +eine schlanke, scharfe Nadel aufspitzt — nicht anders zu sehen als der +Stefansturm, wenn man von einer Anhöhe der Umgebung hineinblickt auf +Wien. Wenn ich dann noch ein Übriges tue, nämlich den Kopf niederbeuge +und zwischen die Beine durchblicke hin auf den Wald, da hat mein +solcher Stellung ungewohntes Auge das schönste Schattenbild von Wien, +wie es mit seinen Zinnen und Türmen daliegt. Nur daß die Einzelheiten +dort der Stadtdunst verhüllt und hier der Höhenrauch. Aus Wien ist es +mir noch nie gelungen, einen Wald zu schaffen, aber aus diesem Walde +baue ich Euch dergestalt ein Wien, so oft ihr wollt. Und wenn ich meine +beschauliche Stunde habe, so setze ich mich in einen Winkel meiner +Stube, so daß mir das Waldmeer mit dem Stefansturme im Fenster liegt, +und denke: das ist das ausgestorbene Wien; man hört keinen Laut, sieht +kein Rauchwölklein aufsteigen aus seinen Giebeln. Und was war das einst +für Lust und Leben in diesem Wien! Aber die Lust ist erstickt in der +Begier, das<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> Leben ist versunken in seinen Sünden. Nur die Formen der +Stadt ragen noch starr und düster.</p> + +<p>Ein frevelhaftes Träumen! Wie kann man den reinen, friedensvollen, +tausendfältig lebenden, in hundert klaren Quellen sprudelnden, in allen +Wipfeln säuselnden und von Vogelsang erklingenden Wald — wie kann und +darf man ihn vergleichen mit einer großen Stadt! — Aber wenn ihr nur +erst kommt und seht, besonders diesen Baum: es ist der leibhafte Turm +von Sankt Stefan.</p> + +<p>Des ward ich mir endlich klar, eine uralte Fichte muß es sein, an der +Sturm und Blitz Wipfel und Astwerk zerrissen, den Stamm von oben herab +kahl gehauen, und der in seinem Schaft und in seinen tieferen Kronen +doch zu gewaltig ist, als daß ihn Sturm und Blitz vernichten konnten. +So steht er da, ein vielhundertjähriger Geierhorst, und die ältesten +Leute der Gegend sagen mir, ihres Erinnerns habe der Baum nie anders +ausgesehen als heute.</p> + +<p>In früheren Jahren, da ich den Wald durchstreifte, habe ich mich +bemüht, den Baum aufzufinden und an seinen Fuß zu gelangen. Es war +mir aber nie gelungen. Entweder ich verlor die Richtung oder kam in +Dickicht, Gefällholz, Struppwerk, auf grundlosen Moorboden, so daß ich +umkehren mußte. Es gibt Gründe darin, auf die jahraus jahrein kein +Sonnenstrahl fällt, aber ich weiß es wohl, daß der Eigentümer schon +sehnsüchtig die Jahre zählt, bis er »stocken« wird. Manchem prächtigen +Tier begegnet man im Wald, aber auch manchem stattlichen Jäger. Mit +dem Zauber des Urwaldes wäre es also nicht sehr weit her, und doch +war es wie verhext, daß — so sehr mir außerhalb des Waldes stehend +die Richtung klar war — ich in ihm wandelnd meinen Stefansturm nicht +finden konnte. Es ist aber auch in der wirklichen steinernen Stadt +Wien Etlichen nicht<span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span> anders ergangen. Ich fand manchen mächtigen Baum, +der hoch über die andern hinausstand, der wild und zerrissen war und +von dem ich mir einbildete, er sei's. Bei näherer Prüfung war er's +allemal nicht. Ich hatte mich auch schon mehrmals im Walde verirrt, +so daß mir einfiel, was die Leute sagen, es wären Irrwurzeln drin, +und wer auf eine solche trete, der finde gar nicht mehr aus dem Walde +hervor, sondern müsse immer im Kreise herumgehen, so lange bis ihm +ein Sonntagskind begegne. Die Erfahrung lehrt aber, daß man sich mit +Sonntagskindern auch verirren kann, besonders wenn sie hübsch sind. +— Dabei hatte mir das Suchen einen solchen Reiz, daß ich mich nie +entschließen konnte, einen Führer zu nehmen. Und so sind elf Sommer +vergangen, an denen ich oftmals nach Sankt Stefan im Walde pilgerte, +ohne ans Ziel zu gelangen.</p> + +<p>Im heurigen Frühsommer, als auf den freien Matten die Hitze zu groß +ward, als auf den Wiesen die klaren Bächlein im Sande versickerten und +das kurze Federgras zu gelbem Heu welkte noch auf den Wurzeln, als +fortwährend die trockenwarmen Winde hinfegten über das fahle Erdreich +und die Wolken des Himmels aufsogen, als in meiner Nachbarschaft sogar +ein Brunnenständer samt Trog niederbrannte — da war keine Freude mehr +auf freien Weiten, da hielt ich mich die längste Zeit im Walde auf. Man +konnte viele Stunden im Moose liegen und bekam keinen Schnupfen; die +Mückenschwärme mit dem prickelnden Gifte existierten fast nicht, dafür +drückte die heiße Sonne, die über dem Walde lag, allen Wohlduft der +Harze zu Boden und das fliegende und kletternde Getier kam auch herab +gegen den kühleren Erdengrund und trieb sein munteres Wesen vor meinen +Augen. So war es ein wonniges Sein.</p> + +<p>Manchmal begegnete ich einem Waldbruder, nicht viel<span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span> seltener einer +Waldschwester — Früchtesammler, auch arme Leute, denen draußen, »weil +des Gesindels schon allzuviel ist«, die Tür vor der Nase zugeworfen +wurde, und die gekommen waren, um in unseres Herrgotts schattigem +Speisesaal zu essen. Am merkwürdigsten von all diesen wunderlichen +Leuten war mir der lange Rauk. Ich kenne ihn schon seit ein paar +Jahren, er bringt bisweilen Beeren ins Dorf. Ein hochschlanker, +blatternarbiger Geselle ist's, mit einem schwarzen Bart und einem +langen braunen Lodenmantel, den er um den Leib zu werfen weiß, daß er +darin schier nicht anders aussieht, wie der heilige Apostel Jakobus. +Den hat nicht der heiße Sommer dürr gemacht, sondern die Faulheit, er +will nicht arbeiten. Die Leute sagen, er wäre so häßlich, der lange +Rauk; ich sage, er wäre das Entzücken der Maler.</p> + +<p>Als ich denn auf meinen diesjährigen Waldgängen öfter mit dem Rauk +zusammentraf, gab ich ihm den Rat, er möchte sein Geschäft aufgeben.</p> + +<p>»Welches Geschäft?« fragte er.</p> + +<p>»Das Hungerleiden.« Möchte es aufgeben, möchte in Malerschulen gehen +und sich abmalen lassen.</p> + +<p>»So!« antwortete er und ich merkte, wie er innerlich empört war. »So!« +sagte er.</p> + +<p>»Dort braucht Ihr nichts, als dazusitzen,« belehrte ich, »oder auch an +der Wand zu lehnen, wie eben die Herren wollen; es sind unterhaltsame +Burschen, diese Maler; mancher auch sagt gar nichts und ist ganz +Pinsel. Ein Pfeifel Tabak spendieren sie mitunter und zahlen auch noch +das Tagwerk, achtzig Kreuzer, die Verschwender gar einen Gulden und +mehr.«</p> + +<p>»So!« antwortete er tief gedämpft, »so!« sagte er. Und fuhr dann fort: +»Ein Kerl, dem's schon übel genug ist, daß er auf seinem heustanglangen +Geripp' ein anschieches G'friß<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span> (häßliches Gesicht) herumtragen muß +auf der Welt! Wenn ich mich noch ducken kunnt! verstecken kunnt und in +der Kirchen nit so höllisch lang hinausstehen tät' über die anderen +Köpf, just wie die Rauberfeichten im Ziselwald! Zum Hasenschrecker +möchten sie mich gern brauchen auf ihren Krautäckern, wenn sie mich in +die Erden stecken kunnten, wie einen Krautscheuchstecken und nit Angst +hätten, daß ich ihnen selber die Gebel tät' fressen. Und so ein Kerl +soll sich noch abmalen lassen? Sollen ein paar Jahrl warten, bis von +meinen Knochen Haut und Haar weg ist, nachher bin ich so schön wie die +anderen im Beinhaus!«</p> + +<p>Es stellte sich heraus, daß der lange Rauk sich nur darum von den +Leuten und ihren Arbeiten zurückgezogen hatte, weil sie ihn seiner +Häßlichkeit wegen verhöhnten.</p> + +<p>»Ich ertrag's nit!« sagte er, »ich hab' Weiberhoffart in mir, die +hab' ich von meiner Mutter geerbt. Faulheit! sagt vor etlichen Tagen +der Herr Meigel aus dem Flecken zu mir. Bei sich selber nennt er's +Ruhestand. Ich weiß recht gut, daß man Gott den Herrn kniend verehrt +und den Teufel liegend. Oh, ich fürcht' mich allzusehr vorm Stinken, +als daß ich nichts tun möcht'. Mach's freilich nit so wie die andern +Leut', die nur desweg arbeiten, damit sie Mittel kriegen zum Faulenzen.«</p> + +<p>»Aber ein Krügel Wein bisweilen will doch verdient sein!«</p> + +<p>»Was hilft mir der Wein, wenn ich ihn im Wirtshaus nit mit Frieden +trinken kann! Allerweil: Der lange Rauk! Der schieche Rauk! Der dürre +Rauk! Und — der dumme Rauk! Das sag' ich mir selber, der dumme +Rauk, der sich unter die Leut' setzt und seines Vaters einzigen Sohn +ausspotten laßt!«</p> + +<p>Was die Wirtshausgesellen sagen, meinte ich hierauf,<span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span> das könne ihm +ziemlich gleichgültig sein; wichtiger sei es, was die Weibsleute von +ihm dächten.</p> + +<p>»O Jeß, die Weibsleute!« rief er aus. »Ihrer zehn oder zwölf Jahr' lang +hab' ich mich foppen lassen, alsdann hab' ich genug gehabt.«</p> + +<p>Das sei nichts, meinte ich, die schönsten und tüchtigsten Männer würden +ihr Lebtag lang gefoppt.</p> + +<p>»Das schon,« sagte der Rauk, »und die schönsten und tüchtigsten Männer +foppen wieder. Von einem Kerl wie unsereiner <em class="gesperrt">laßt</em> sich aber +keine foppen, und das verdrießt mich.«</p> + +<p>Ob er ein Hiesiger wäre?</p> + +<p>»Vaters halber ist's schon möglich,« antwortete er, »der Pfarrer sagt, +er weiß nichts davon — heißt das, im Kirchenbuch. Mit den Musikanten +bin ich umgegangen, aber wie mir die Zähne ausgefallen sind, hat das +Blasen ein End' gehabt. Hab' ich mich halt im Ziselwald eingenistet, +und muß alle Tag' ein bissel achtgeben, daß ich nit verhunger'.«</p> + +<p>Wo er seine Wohnung habe?</p> + +<p>»Gleich können Sie ihn sehen, den Turm von meinem Gschloß!« rief er, +und in der Tat, als wir noch einige hundert Schritte zwischen jungem +Fichtenwald hingestrichen waren, stand uns über dem Gewipfel her das +Bild entgegen. Fast schon in der Nähe ragte aus dem Schober eines +wildmassigen finsteren Astwerks die knorzige Nadel empor. Es war mein +Stefansturm.</p> + +<p>»Das freut mich,« sagte ich, »daß wir auf einmal bei diesem Baume sind.«</p> + +<p>»Wir sind noch nit bei ihm,« entgegnete der Rauk. Und wahrlich, +wir hatten noch eine halbe Stunde oder länger zu tun, bis wir ihn +erreichten. Die Bäume standen sehr dünn, waren verkrüppelt und hatten +Flechtenbärte, der Boden<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> hatte eine blaßgrüne Moosdecke, auf der +gruppenweise Binsen mit ihren weißwolligen Federbüschen standen, und +Sauerklee, Seidelbast und Wildfarnkraut. Der Waldsteig, den mein +Begleiter früher einzuhalten wußte, obwohl er streckenweise kaum zu +erkennen war, hatte sich ganz verloren, und mit jedem Schritte sanken +wir bis über die Knöchel in den schwarzen, moorigen Ungrund. Der Rauk +schleppte einen Zipfel seines Mantels hinter sich nach wie ein König, +doch sank er nicht so tief ein als ich, weil er breiteres Schuhwerk +hatte und das Gehen auf solchem Boden besser verstand.</p> + +<p>»Sich fein gering machen!« rief er mir immer zu. Wenn ich nur auch +gewußt hätte, wie man das anstellt. Leicht und vorsichtig auftreten, +das kann man, doch der Rauk behauptete, man könne mehr. Man könne sich +mit gutem Willen um etliche Pfunde leichter machen; der feste Willen +hebe einen hoch, wie der Suppendampf den Hafendeckel. Er habe schon +Wetten gewonnen, indem er sich in derselben Minute mehrmals wiegen +gelassen auf der Fleischhauerwage, und ganz verschiedenes Gewicht +gegeben. »Gebt acht, jetzt mach' ich mich schwer!« sagte er, und sank +auf der Stelle tiefer ein.</p> + +<p>Ich hätte ihm seine Kunst aufgelöst, wenn Zeit und Stimmung dazu +gewesen wäre. Einstweilen mußte ich trachten, einen so starken Willen +zu entwickeln, daß er mich zur Höhe hob, »wie der Suppendampf den +Hafendeckel«, und wir weiter kamen.</p> + +<p>Endlich blieben wir aber doch stecken. Bis zu den Knien im Morast, so +rasteten wir uns aus, und der lange Rauk lachte.</p> + +<p>Er hatte leichter lachen als ich, denn bis er von unten bis oben +versank, das brauchte länger, als bei mir Durchschnittsmenschen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span></p> + +<p>Ich war etliche Schritte hinter ihm steckengeblieben, wir konnten uns +nicht mit den Stecken, geschweige mit den Armen erreichen.</p> + +<p>»Der größte Spaß wäre,« rief er, »wenn jetzt die Geier kämen!«</p> + +<p>»Welche Geier?«</p> + +<p>»Die auf der Rauberfeichten ihre Nester haben und erst im vorigen Jahr +einem Hirschen, der hier steckengeblieben ist, das Fleisch aus dem Leib +gehackt haben.«</p> + +<p>»Vergelt's Gott für Euren schönen Zuspruch!« sagte ich.</p> + +<p>»Oder die Hornussen, die gar nit weit von da ihre Bruten haben und von +den Mardern gern wild gemacht werden. Nachher stechen sie, die Vieher; +ihrer sieben erstechen ein Roß. Grausam stechen sie!«</p> + +<p>Da ich wirklich das Schwirren eines solchen Tierchens bemerkt zu haben +glaubte, so hatte ich Gelegenheit zu erfahren, was ein fester Wille +vermag. Ich arbeitete mich mit Macht heraus, um dann wie ein Krokodil +auf dem Bauche zu kriechen.</p> + +<p>»Aha, Sie haben es!« lachte der Rauk schnaufend und knetete an +sich herum; »ja, für den Notfall macht man's so. Passiert mir aber +wunderselten, daß ich just an die Stelle komm'. Die hoffärtigen Engel +aus dem Himmel sind durch das große Loch, das hier gewesen, in die +Höll' gefahren. Später hat's der Teufel mit Morast zugestopft.«</p> + +<p>Mittlerweile war auch er herausgekommen. Wir gelangten allmählich auf +festeres Erdreich — und nach wenigen Minuten standen wir am gewaltigen +Baum.</p> + +<p>Ringsum ist eine Art von Anger mit Sumpf, in welchen die Arme der +Wurzeln ausgreifen, teils unter der Moosdecke verborgen, teils über +derselben in hundert Knien und Verzweigungen ausklammernd, teils morsch +und rindig, teils hart<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> und weiß wie Elfenbein. — Die anderen Bäume +halten sich in respektvoller Ferne, die stattlichsten von ihnen reichen +dem Koloß bis zum untersten Astwerk empor. Der Stamm ist zerklüftet, +teilweise entrindet und fast wie ein Strick gedreht. Ich glaube, daß +ihn vier Männer nicht zu umspannen vermögen. Viele Arme des Geästes +sind für sich schon Baumstämme; einzelnes Geknorre ist kahl und fahl +wie Knochen, anderes ist so dicht in ein dunkelgrünes Reisiggefilze +eingewoben, daß es der Blick nicht durchdringt und man über sich nur +eine dunkle Masse sieht, in der die korbartigen Horste der Raubvögel +sind und aus der mancher Strunk seine abenteuerlich geformten Glieder +in die Weite reckt.</p> + +<p>Ich wunderte mich, daß dieser Baum, der ein ganzes Dorf über den Winter +mit Brennholz versehen könnte, noch nicht gefällt worden sei. »Sie +getrauen sich nicht über ihn,« sagte der Rauk, »der fällt nicht wie +andere!«</p> + +<p>Zur Stunde fächelte und rauschte der Wald in einem lebhaften Winde.</p> + +<p>An der Riesenfichte regte sich nichts, alles starr, nur ein dumpfes +Sausen war zu hören hoch im Astwerk. Über demselben ragt der kahle +Schaft, vielfach zerrissen und dennoch urkräftig in die Einsamkeit der +Lüfte auf. Die Gestalt ist wuchtig und viel gegliedert, aber der spitze +Schaft über dem Kronenwerk schien mir hier kaum hoch genug, um für die +Ferne die schlanke Nadel des Stefansturmes vorzustellen.</p> + +<p>Fast schade, daß der Name: »Rauberfichte« so harmlosen Ursprungs ist. +Zusammenkünfte von Räubern an diesem Platze, Räubergelage im Schatten +des Baumes, wilde Mordgesellen ihre Beute teilend und wie der Rauch vom +Feuer des üppigen Mahles langsam ins Astwerk aufsteigt und der Gegend +weitum die Schrecken verkündet, oder ein paar Erzräuber baumelnd an den +Ästen — und wäre es auch<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> nur in Sage und Märchen — würde mir den +Baum recht aufputzen. Dergleichen ist nicht.</p> + +<p>Draußen im Tale stehen zwei Bauernhäuser mit dem Vulgärnamen: Die +Rauber. Die Gründe des »oberen Raubers« erstreckten sich einst weit in +den Wald bis zur Stelle, wo die alte Fichte als Grenzbaum steht, die +daher die Benennung: »Rauberfichte« erhalten hatte.</p> + +<p>Der Rauk war langsam um den Baum gegangen und jetzt auf einmal +verschwunden. Durch eine Höhlung zwischen dem Gewurzel war er ins +Innere geschlüpft. Ich guckte ihm nach.</p> + +<p>Im hohlen Raum war ein Lager von Binsenstroh, eine Holzaxt und ein +Sack, halbgefüllt mit Harzrinden. Die Wände der Höhlung waren teils +verkohlt, als würde auf diesem häuslichen Herd auch bisweilen Feuer +unterhalten.</p> + +<p>Die Höhlung ging hoch in den Baum empor, und wenn man mit dem Stock +hinauffuhr, so erreichte man keine Decke, und an den Wänden rieselte +Moder nieder und Käfergezücht.</p> + +<p>So sieht es mit dem Innern dieses Baumes aus. Aber die Haut und Hülse +ist noch dicker, als mancher fünfzigjährige Stamm, und vermittelt Mark +und Saft der Fichtenkrone, die hoch auf solchem Holze wuchert.</p> + +<p>»Das ist das Haus des langen Rauk,« sagte der lange Rauk. »Wir haben +auch beide Platz herinnen, wenn Sie Ihre Füße rein machen wollen. Wir +machen Feuer, daß die Strümpfe trocknen mögen.«</p> + +<p>»Ist Euer Haus gegen Feuer assekuriert?« fragte ich.</p> + +<p>»Lebendige Häuser brennen nicht nieder,« war die Antwort.</p> + +<p>»Von außen gesehen wäre es das stolzeste Wohnhaus im ganzen Land.«</p> + +<p>»Ist aber nur meine Werktagsresidenz,« berichtete er,<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> »und nur wenn +ich am Abend diesem Baume näher bin, als einer Köhlerhütte, übernachte +ich in ihm. Weiter ist's nichts.«</p> + +<p>So hat sich die ganze Sache mit dem Stefansturm, mit der Rauberfichte, +mit dem Rauk und seiner Abenteuerlichkeit als etwas hohl erwiesen. Der +Schlupfwinkel eines Pechschabers.</p> + +<p>Ich kehrte an jenem Tage spät und müde vom Walde heim.</p> + +<p>Und wenn ich nun wieder sitze in der kühlen Stubenecke, und im Fenster +liegt das sonnenblaue Meer des Waldes mit seiner spitzen Nadel im +Horizont, da will meiner Phantasie die alte Herrlichkeit nicht mehr +so ganz gelingen. Aber leid täte es mir doch, wenn eines Tages ein +Rauchqualm aufstiege oder eine Feuersäule emporlohte in stiller Nacht +— und mein schlanker Turm in sich zusammenbräche.</p> + +<p>»Das nit!« sagt der lange Rauk, »der Baum steht noch länger als wir +zwei zusammen.«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Hans_Johanns_Hauptsache">Hans Johanns Hauptsache.</h2> +</div> + + +<p>Wenn ich sage es war ein einzig guter rührender Mensch, so legt +jeder das Buch hin und läuft davon. So sage ich lieber, er war ein +Taugenichts.</p> + +<p>Und das war er auch.</p> + +<p>In den Schulen, wo er stets vorgeschriebene Marschroute hatte, da ging +es noch an. Aber als er selbst der leitende Teil ward, als Lehrer +in der Dorfschule, da ging es nicht mehr an. Die unterschiedlichen +Kinder machten ihm viel zu große Sorgen, als daß er sich ihrem +Unterrichte widmen konnte. Ob sie in der Fibel lesen konnten oder +auf der Schiefertafel die Ziffern zusammenzählen und in einer sehr +verläßlichen Ordnung hinschreiben, das war Nebensache. Hauptsache +war die Gesundheit. Und so kümmerte er sich, ob das kleine Volk +auch warme Joppen hätte und Schuhe an den Füßen, ob die Kinder wohl +gewaschen und gekämmt wären — und wo es mangelte, da griff er flink +zu und trachtete, beim Bäcker, beim Müller, beim Fleischer, als den +Großen des Dorfes, für die armen Wald- und Gebirgskinder altes Gewand +zu bekommen; er nahm auch Eßwaren und ließ durchblicken, daß solche +Wohltaten an ihren eigenen Kindern würden vergolten werden. Die +großmütigen Spender verstanden das so, daß — wie die Kinder der Armen +Not an Hemden und Strümpfen hätten — die Kinder der Reichen zumeist +Not an guten Schulnoten haben, und daß der Herr Lehrer dann wohl den +richtigen Ausgleich treffen würde. Hans Johann sah auch wirklich +nicht ein, weshalb er die Spenden für mittellose Kinder nicht mit +hübschen Fleißzetteln und ausgiebigen Fortgangsklassen der<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> reichen +Bürgerskinder schlichten sollte. Hauptsache war die Gesundheit. Und +so setzte er sich auch gerne zu den Kindern auf eine Bank und gab +ihnen Verhaltungsmaßregeln, wie sie gesund bleiben, ihren Körper +stärken und zur Arbeit tüchtig werden könnten. Solches Bestreben war +nicht fruchtlos und nach einem Jahre schon waren alle Kinder reinlich +gehalten, soweit ordentlich gekleidet und von frischerem Aussehen. Der +Bezirksschulinspektor aber konnte bei der Schulschlußprüfung nichts +als den Kopf schütteln und die Hände ringen, und als die Kinder nach +überstandener Plage lustig davontrollten, stellte er sich vor den +Lehrer hin, rang wieder die Hände und rief: »Aber um Gottes willen! +Herr Johann!«</p> + +<p>Sonst sagte er nichts. War auch nicht nötig.</p> + +<p>»Seh's eh ein,« sprach der Lehrer ganz gemütsruhig, »daß ich nicht +recht tauge zu einem Lehrer.«</p> + +<p>»Wenn Sie irgendwo eine Stelle als Kindsmagd bekommen können, +greifen Sie sofort zu.« Mit diesem wohlwollenden Rate ging der +Bezirksschulinspektor seines Weges.</p> + +<p>Und der Johann des seinen. Denn er war erledigt. Aber nicht auf lange. +In demselben Orte hatte er unschwer die Briefträgerstelle bekommen. Er +hatte täglich über Berg und Tal zu gehen und den zerstreuten Vierteln +die Post zu vermitteln. Das tat er auf das gewissenhafteste, und wenn +ihm ein Bauer eine Post auftrug, für ihn im Dorf Einkäufe zu besorgen, +oder eine Bäuerin irgend was Wichtiges zur Nachbarin zu befördern +hatte, so tat er's bereitwillig, vergaß aber dabei manchmal, den +Brief abzugeben. Es war zuwider, aber Besonderes daran konnte Johann +nun nicht finden. Was pflegen sich die Leute denn zu schreiben? Daß +sie, Gott sei Dank, soweit gesund sind, daß der oder die geheiratet +hat oder gestorben ist, daß es sonst nichts Neues gibt und daß sie +schön grüßen lassen. Ob die Bauern das wissen<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> oder nicht, Hauptsache +ist, daß man ihnen mitunter eine Gefälligkeit erweisen kann. Das ging +ein Jährchen so herum. Dann kam die Geschichte mit dem Geldbrief. +An den Obergamshofer in Spittelberg hatte Johann einen Geldbrief zu +bestellen. Aber der Weg dahin ist ziemlich weit, unterwegs hatte er ein +mühseliges Bettelweib getroffen. Dem war die Fußkrücke entzweigegangen +und so konnte es nicht recht vorwärts. Johann ging ins Wegmacherhaus +um Werkzeug und zimmerte der Alten eine neue Krücke. Denn es war just +des Obergamshofers Weidknecht des Weges gekommen, dem konnte er den +Geldbrief mitgeben. »Ja richtig, Mathes,« sagte er noch, »das Blattel +da mußt unterschreiben. Nicht können tust schreiben? Nachher mach halt +drei Kreuzeln. Bin froh, daß du mir den Weg ersparst. Hauptsach' ist, +daß das Mutterl da wieder auf die Füße kommt. Bleib' schön gesund, +Mathes.«</p> + +<p>Einige Wochen später kam's zutage, daß der Obergamshofer keinen +Geldbrief erhalten hatte, daß ihm aber sein Weidknecht durchgebrannt +war. Dieses Ereignis kostete dem Briefträger allerhand und auch den +Dienst.</p> + +<p>Jetzt hatte er Zeit, sich den Hauptsachen zu widmen, und merkwürdig +— jetzt verlangte niemand danach. Ja, es kam allmählich ungefähr so +heraus, als ob für den Hans Johann nun die Hauptsache wäre, einstweilen +nicht zu verhungern. Er bewarb sich also wieder um einen Dienst. Das +Steueramt im nächsten Bezirksorte suchte einen Amtsboten. Aber den +Johann nahm man nicht an, aus Besorgnis, er würde aus Erbarmen mit den +Parteien die Steueraufträge unterschlagen. Das Landesgericht hatte für +einen Gerichtsarrest die Profosenstelle ausgeschrieben; der Bewerber +Hans Johann wurde rundweg abgelehnt; der hätte keinem Arrestanten die +Türe verschlossen gehalten nach dem Grundsatz,<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> Hauptsache bei den +Menschen sei die Freiheit. Soweit war unser Johann schon in Verruf +gekommen. Dann verscholl er auf einige Zeit, um später in einem +Haushaltungsbureau aufzutauchen.</p> + +<p>Hier war er fleißig und gewissenhaft und füllte seine Stelle völlig +aus. Aber es war das Haushaltungsbureau eines Siechenhauses. Seine +Erholungsstunden brachte er bei den Siechenden und Krüppeln zu, um +ihnen die Zeit zu vertreiben und sie aufzumuntern. Er ließ sich von +ihnen ihre Anliegen erzählen; sie, auf die sonst niemand mehr hören +wollte, an denen jeder gleichgültig vorüberging, waren seiner Teilnahme +so froh. Er besorgte den Ofen, wenn sie fröstelten, holte ihnen ein +frisches Glas Wasser, wenn sie dürsteten, schrieb ihnen Briefe an +Angehörige. Dann blieb er noch länger und las ihnen erbauliche oder +lustige Geschichten vor oder trieb Schwänke und Späße in eigner Person. +So daß die Armen getröstet und munter wurden. Wenn er darob bisweilen +seinen Bureaudienst versäumte, so dachte er, ob die Reisballen, die +Strohsäcke und Bettdecken und Medizinen aufgeschrieben werden oder +nicht, wenn sie nur da sind. Hauptsache sind die armen Leutle und daß +sie immer einmal ein bissel Zerstreuung haben.</p> + +<p>Da war in der Anstalt ein alter Holzhändler, so vergichtet und +mühselig, daß er in der dunkeln Stube bleiben mußte, wenn draußen die +warme Sonne schien, weil niemand war, der ihn ins Freie führte. Als +nun der Schreiber Johann erschien, der tat es gerne. Er blieb auch +sitzen unter dem Kastanienbaum neben dem alten Manne und hörte geduldig +seinen Klagen zu. Und eines Abends, als die übrigen Spazierhumpler und +Sitzer sich verzogen hatten, weil es kühl geworden, und auch Johann +seinen Schützling ins Haus führen wollte, blieb der Alte sitzen, langte +mit<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> der dürren, fiebernden Hand hinter seine Brustjacke und zog ein +verknülltes, vergriffenes Paket heraus.</p> + +<p>»Herr Johann!« sagte er leise und hastig, »das gehört Ihnen. Es ist +mein Geld, sie wissen nichts davon. Ich mag nit, daß es in den großen +Sack kommt, da spürt kein Mensch was davon. Sie sind der Mensch, der's +recht anwendet. Es gehört Ihnen. Da, da — nur geschwind einstecken!«</p> + +<p>Johann nahm das Paket in die Hand. »Sie meinen, daß ich's Ihnen +aufheben soll.«</p> + +<p>»Ich brauch's nimmer. Will nur, daß wer was hat davon. Erspart ist's +redlich. Aber dumm dürfen Sie nit sein und es ausplauschen. Tun's es +gut einschieben.«</p> + +<p>Es schien ihm nicht weh zu tun, dem Alten, wie er nun seinen +Sparpfennig hingab, an dem er wohl viele Jahre lang gesammelt hatte und +an dem sein Herz gehangen war. Aber angelegentlich verfolgte sein Auge +den Vorgang, wie Johann das Paket in seine Brusttasche steckte. »Schön +fleißig zuknöpfeln!« murmelte der Alte und knöpfte mit krampfigen +Fingern über Johanns Tasche den Knopf ein. Bald hernach wankte er am +Arm des Schreibers ins Haus.</p> + +<p>An demselben Abend war's, daß der Direktor der Anstalt dem Hans Johann +eröffnete, daß er entlassen sei. Grund gab er keinen an, war auch +überflüssig. Johann wußte recht gut, daß er nicht aufgenommen worden, +um die Pfleglinge zu unterhalten, sondern um die Rechnungen und +Wirtschaftskorrespondenzen zu besorgen. Da er letztere vernachlässigt +hatte, so fand er seine Abdankung völlig in Ordnung.</p> + +<p>Stärker überrascht war er nachher auf seinem Zimmerchen, und zwar von +der Menge Geldes, die er im Paket fand. Dafür kann man ja ein Schloß +kaufen und den alten Holzhändler in der Kalesche hineinführen! Und dann +kann<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> der Hans Johann sein Kammerdiener werden — so ist allen geholfen.</p> + +<p>An einem der nächsten Tage, als er mit solch neuem Lebenslaufe beginnen +will, ist der alte Gichtkrüppel richtig schon seit frühmorgens tot. +Der Johann steht wie zerschlagen da. »Was tu' ich jetzt!« Auf die +Leiche verwendete er nicht viel, denn davon hat niemand was und der +Hans Johann ist ein praktischer Mann. Auch Almosen teilte er nur +spärlich aus; Almosen, sagte er, mache Bettler; den Leuten müsse man +viel gründlicher helfen. Von seinen großen Mitteln ließ er noch nichts +verlauten, nur daß er ein Weilchen später im vorderen Labachtal, +dort wo es windgeschützt und sonnig ist, ein Grundstück kaufte und +große Erdarbeiten beginnen ließ. Eine Anstalt für Gichtleidende und +Unheilbare soll errichtet werden, wo die armen Kranken besonders gut +gehalten werden müssen und wo er mitten unter ihnen leben will, um zu +helfen, zu trösten, wie es nötig sein wird.</p> + +<p>Während die weitläufigen Grundfesten zu diesem Gebäude gegraben und +gebaut wurden und stellenweise schon ein Mauerwerk emporzustreben +begann, half der Johann einem notigen Kleinhäusler das Heu und das +reife Korn unter Dach bringen, denn das — meinte er — sei für den +Bauern die Hauptsache. Inzwischen, zu den kleinen Ruhepausen, trachtete +er im Heu oder auf den Garben dem Söhnlein des Kleinhäuslers das +Abc beizubringen; derlei Buchstaben, sagte er, seien zwar nicht die +Hauptsache, auch die Lesekunst nicht und auch die Gelehrtheit nicht, +aber daß man mit solchen Wissenschaften in der lieben Welt weiterkomme +und ein tüchtiger Mann werde, das sei die Hauptsache.</p> + +<p>»Wann d' schon alleweil von der Hauptsach' redest, da hast eine!« +Mit diesen Worten versetzte ihm der Kleinhäusler<span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span> eine klatschende +Ohrfeige. »Garbentragen heißt's jetzt und nit schulfuchsen!«</p> + +<p>Der Johann griff sich an sein also bedachtes Haupt und schwieg. Nichtig +ist's eh, dachte er, wenn sie im Winter was zu essen haben wollen, +muß man jetzt ernten. Daß er für sich nur Undank erntete, das war +er schon gewohnt und fand es auch für selbstverständlich. So viel +Tiefblick hatte er wohl, um zu wissen, daß es am besten sei, einem, +dem man was Gutes getan hat, nachher in weitem Bogen auszuweichen; +denn die Begegnung mit dem Wohltäter, den sie nicht mehr brauchen, +ist den Leuten zuwider und der ganze Mensch wird ihnen zuwider, +sie wollen am liebsten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Außer sie +brauchen ihn wieder plötzlich einmal, dann halten sie es auch für +selbstverständlich, daß er ihnen neuerdings hilft, und wenn er das +zufällig einmal nicht kann, so werden sie ihm weit feindseliger als +einem anderen, der ihnen nie was Gutes getan hat. Das alles hatte +Johann erfahren und er dachte weiter nicht darüber nach. Er war jedem +dankbar, der sich von ihm etwas Gutes tun ließ und blieb ihm dankbar +und betrachtete ihn als einen Gönner, dieser mochte oft noch so roh +und erkennungslos sein. Nun, so hat den Johann auch die Ohrfeige nicht +im mindesten beirrt, er half emsig Garben tragen, und abends, als +der Häusler ihm fast freundlich eine gute Nacht zurief, schlich der +Johann gerührt in seine Behausung und dankte Gott für die vielen guten +Menschen, die er erschaffen hat.</p> + +<p>Wenn Johann dann wieder hinausging, um die Fortschritte seines Baues zu +beschauen und wie emsig hier brave Leute arbeiteten, um armen Kranken +ein Heim zu schaffen, da freute ihn die ganze Welt. Jedoch aber! Als +die dritte Auszahlung war und der Baumeister darauf drang, endlich<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> +doch auch einen Kostenüberschlag zu bestimmen, da kam für unsern +Idealisten einmal eine wirkliche Überraschung. Er hatte gemeint, mit +seinen zweieinhalbtausend Gulden, dem Nachlasse des alten Holzhändlers, +ein stattliches Krankenhaus mit den hierzu erforderlichen Stiftungen +bestreiten zu können, und nun zeigte es sich, daß das Geld schon +verbraucht war, während das Mauerwerk kaum noch mannshoch aus der Erde +hervorstand. Da haben wir's jetzt. Der Johann griff sich an den Kopf +und rief: »Deuxl, Deuxl noch einmal, daß so was so saumäßig teuer mag +sein!« Nun mußte der Bau eingestellt werden und mit dem Gelde, das +zu so hohen Dingen bestimmt gewesen, war nichts geschaffen als ein +durchwühlter Boden mit Schutt und Steinen. Hans Johann wollte sich +jetzt den Kopf wegreißen. Nicht ob der Leute Gelächter und Spott, denn +hierin hatten sie ja recht, und er lachte und spottete mit ihnen — +ach wie bitter bitterlich ist es, sich selbst auslachen zu müssen. +Daß er aber ein so grundschlechter Verwalter des Nachlasses gewesen +und kein einziger Notleidender davon auch nur um eines Hellers Wert +Erleichterung hatte, das wollte ihm nicht gestatten, einen solchen Kopf +noch länger auf dem Rumpfe stehen zu lassen. Jetzt wußte er endlich +auch, was bei ihm die Hauptsache war. Eine grenzenlose Dummheit.</p> + +<p>Fast schien es, als hätte er nun auch allen Kredit verloren. Wenn +er jemand auf der Straße das Bündel wollte tragen helfen, oder wenn +er am geländerlosen Labachsteg schwindelige Leute hinüberführen +wollte, da sagten sie dreist: »Schau du auf dich selber!« Und das war +tatsächlich ein guter Rat, denn er begann leiblich zu verkommen und +zu verderben. Auf der Baustelle, zwischen den Mauern und Sandhaufen, +baute er Erdäpfel an, aber diese wußten, daß der stolze Grund nicht +ihnen vermeint gewesen, fühlten darob<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> ihre Ehre verletzt und wollten +nicht recht wachsen. Als sie im Spätherbste endlich doch so weit waren, +daß sie den Spaten lohnten, dachten die Nachbarsleute: der Johann +verschenkt sie ja doch! und stahlen ihm die Erdäpfel in der Mondnacht.</p> + +<p>So ist die praktische Seite von Johanns Tätigkeit stets unpraktisch +ausgefallen, während über die ideale Rechnung im Himmel gewacht +wird, wir einstweilen also keinen Einblick haben. Zu jener Zeit +aber behauptete ein tiefsinniger Mann, der Hans Johann würde seinen +Mitmenschen noch einmal tüchtig imponieren und er hätte das Zeug zu +einer großen Heldentat. Man hörte aber nichts weiter, als daß Johann in +einem Eisenwerke ein Weilchen Schichtenschreiber war. Später soll er in +einem Meierhofe des Unterlandes als Taglöhner gesehen worden sein. Und +dann hörte man gar nichts mehr von ihm. Er war verschollen und auf der +verlassenen Baustelle, wo das große Krankenhaus hätte stehen sollen, +wucherten Nesseln und Disteln.</p> + +<p>Um so merkwürdiger ist es, daß viele Jahre später von Leuten, die darum +wußten, bei Mostar in der Herzegowina auf einem Friedhof ein halb +verwitterter Grabstein gefunden wurde, der die Inschrift trug: Hans +Johann, Soldat aus dem steierischen Infanterieregiment 27. Und darunter +einige Worte in türkischer Sprache. Die darauf angestellten Forschungen +ergaben folgendes: Hans Johann soll unter außergewöhnlichen Umständen +für einen jungen Rekruten, der sehr an Heimweh litt, eingestanden sein, +sei aber ein spottschlechter Soldat gewesen. Bei dem Einmarsche der +Österreicher in die Herzegowina habe sich auf einem Bergpasse zwischen +den Österreichern und den Türken ein Gefecht entsponnen. Johann sollte +schießen, da sah er in demselben Augenblick, von einer anderen Kugel +getroffen, einen türkischen Soldaten fallen. Das Gewehr warf er weg und +eilte<span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span> hin, um dem Schwerverwundeten beizustehen. Während er ihm aus +seiner Feldflasche Labung einzuflößen suchte und ihn aus dem Bereich +des Kampfes schleppen wollte, sank er selbst nieder, von einer Kugel +getroffen. Der türkische Soldat, der mit dem Leben davongekommen, +habe den barmherzigen Österreicher mit Ehren begraben lassen und +den Denkstein mit der Inschrift gestiftet. Die türkischen Worte auf +demselben heißen zu deutsch: Aller Hauptsachen Hauptsache ist die +Liebe.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Himmelherrgottswirt">Der Himmelherrgottswirt.</h2> +</div> + + +<p>Eins sagt man den Tirolern nach. Sie hätten nämlich — sagt man — +ihre Straßen darum so krummlinig angelegt, damit die Fremden um so +länger durchs Land zu reisen und dabei um so mehr Geld im Lande zu +lassen hätten. Indeß vermute ich, daß die krummen Linien weniger vom +geradsinnigen Tiroler, als vielmehr von seinen höckerigen Bergen +herrühren. Wohl wahr, die Straßen, die dort und auch anderswo im +Zickzack die Täler durchziehen, wie eine mit schwerfälliger Hand +gezogene Schrift, könnten streckenweise nachdenklich machen, wenn +nicht schon die Eisenbahn da wäre, die, keinen Berg und keine Schlucht +respektierend, die alte Schrift mit geraderen Linien durchstreicht.</p> + +<p>Ich bin kein Ehrabschneider, aber dem Himmelherrgottswirt zu St. Peter +beweise ich's, daß er viele Jahre lang jene Absicht hatte, die man den +Tirolern ungerechtfertigterweise zuschreibt.</p> + +<p>Man sieht's ihm sonst nicht an, er ist ein Bauer wie jeder andere, +und trägt auch gerade kein Gesicht um, dem man so viel Bösartigkeit +zutrauen könnte! Aber er hat ein Wirtshaus und treibt Handel, und so +Leute, die ihren Vorteil bei anderen Leuten suchen müssen, werden es +allmählich gewohnt, andere zu übervorteilen. »Geschäft« heißen sie es. +Ja, wenn jedes unschöne Ding einen so schönen Namen hätte, es gäbe +keine Betrüger und Gauner und Galgenstricke auf der Welt.</p> + +<p>Weiter sagt man dem Himmelherrgottswirt nichts Unrechtes nach. Daß ich +nur erzähle.</p> + +<p>Das Dörflein St. Peter mit der Kirche und dem Wirtshaus<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> steht auf +einem Hügel. Die belebte Straße, die durch das Tal geht, steigt diesen +Hügel hinan und drüben wieder hinunter in dasselbe Tal. Auf der +Höhe, just vor dem Kirchhofstore, auf einer weißen Tafel steht mit +schwarzen Lettern der schöne Spruch: »Radschuh bei Strafe von zwei +Gulden!« Was sind an diesen beiden Steigungen nicht für höllische +Wetter zusammengeflucht worden von blaukitteligen Fuhrleuten! Ruckweise +gehetzt und geflucht, dann wieder geschoben und geflucht, dann wieder +stecken geblieben und geflucht, und nachher die wilde Jagd von einer +Wasserkehre zur andern und geflucht.</p> + +<p>So ging's Tag und Nacht und selbst am Festtage war keine Stunde frei +von solchem Lärm. Was sind die Rösser seit Urzeiten nicht geprügelt +worden auf diesem Wege zum heiligen Peter hinan! Aber oben — fast +schon oben nah' der Kirche — stand das Wirtshaus, da gossen die +Fuhrleute Wein auf ihre Galle. Und hinunter ging's lustiger, da gab's +nur zu fluchen, wenn bei Nichtanwendung des Radschuhes der Wagen einmal +ein paar Pferde niederstieß und darauf der Zöllner die zwei Gulden +Strafe einhob.</p> + +<p>Ähnlich ging's Jahrzehnte lang zu. Da kam den Leuten vor wenigen Jahren +eine merkwürdige Idee, die weiß Gott wie lange schon in der Luft +gehangen sein mochte oder unten auf dem Erdboden gelegen neben dem +Bach, ohne daß sie ein Mensch gefunden hätte.</p> + +<p>»Warum,« sagten die Leute auf einmal, »muß die Straße den vertrakten +Berg hinansteigen? Warum soll sie nicht unten im ebenen Tal neben dem +Bach hinlaufen wie die vielen Meilen her?«</p> + +<p>Warum? Ja, es wußte keiner warum. Nur der Kirchenwirt zu St. Peter gab +Antwort.</p> + +<p>»Warum?« sagte er und machte die Augen zu, wie er<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> immer tat, wenn er +etwas Gescheites sagte, »das ist desweg', weil im Tal beim Bach meine +Wiese ist, über die ich nicht fahren lasse.«</p> + +<p>»Du laßt nicht fahren!«</p> + +<p>»Laß nicht fahren.«</p> + +<p>»Kirchenwirt,« sprach ein anderer, »du weißt recht wohl, daß dir deine +Wiese gut bezahlt werden wird.«</p> + +<p>»Weiß es wohl.«</p> + +<p>»Aber du weißt es auch, daß dein Wirtshaus auf dem Berg von der Straße +leben muß. <em class="gesperrt">So</em> steht die Sach'!«</p> + +<p>»Und so wird sie auch stehen bleiben!« Damit schnitt der Wirt das +Gespräch ab.</p> + +<p>Seitdem war's wieder beim Alten. Aber doch nicht ganz. Früher fluchten +die Fuhrleute, aber sie wußten nicht, auf wen; die steile Straße +war unschuldig, sie wäre am liebsten gar keine Straße und möchte +grünes Gras auf sich wachsen lassen; die schweren Eisenflossen waren +unschuldig, sie wären am liebsten für alle Ewigkeit im Erzberg ruhen +geblieben. Und die Weinfässer, Salzladungen und Kornsäcke konnten +nichts dafür, daß sie so schwer wogen — und den Pferden konnte im +Grunde nichts Überpferdliches zugemutet werden. Und wenn manchmal +eine Kutsche mit Leuten bepackt heranächzte, so waren es gerade diese +Lasten, die am wenigsten ein Scheltwort annehmen wollten. Die schönsten +Flüche verpufften in der Luft. So früher. Aber jetzt! Jetzt wußten +sie, wer Ursache war des blutigen Marterweges zu diesem Dorfe hinan, +wo schließlich keiner was zu tun hatte, was nicht auch im Tale getan +werden konnte. Die Flüche nannten von nun an den Kirchenwirt, schossen +dem Kirchenwirt zu, diesem »kreuzvermarideiten Himmelherrgottswirt!« +Wer wüßte es nicht, wie einzig so ein blaukitteliger Fuhrknecht<span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span> in +seiner Wut schelten kann. Und so bekam der Kirchenwirt den an und für +sich sehr schönen, aber seiner Ursache wegen nicht schmeichelhaften +Titel: »Himmelherrgottswirt«. Man muß es nur hören, wie das klingt, +wenn es zwischen knirschenden Zähnen herausgeknurrt wird.</p> + +<p>Aber der Himmelherrgottswirt machte sich nichts draus. Eher, als +er die Straße unten im Tale über seine Wiese gehen ließe — an St. +Peter vorüber, ohne nach St. Peter zu kommen, und die Fuhrleute und +die Reisenden etwa gar unten beim Mosthansel einkehrten — eher läßt +er sich kohlschwarz anfluchen über und über; dem Geldbeutel tut das +ja nicht weh. — Dem Geldbeutel, meint ihr, das Fluchen nicht weh? +Ja, seht, das Heranfluchen freilich nicht, aber das Vorbeifluchen +doch! Die schwersten Fuhrwerke ächzten an dem Wirtshause vorüber und +kehrten im Tale beim Mosthansel ein. Das war sonst eine recht kleine, +schlichte Wirtschaft gewesen, beim Hansel, denn der Kirchenwirt hatte +sie nie emporkommen lassen. Aber jetzt schaffte sich der Hansel mehrere +Gattungen Weine an — alte und junge, weiße und rote, süße und saure +— fast so verschiedenerlei, als der Gäste waren; legte sich auch Heu, +Hafer und Mais zu, den Zugtieren zu Nutz; und Tierfleisch für solche, +die Heu und Hafer verschmähten und sich doch sättigen und stärken +wollten zum Fluchen über den Hügel, oder sich davon zu erholen hatten. +Der Hansel selbst war ein junger, umsichtiger und unterhaltsamer +Mann, der mit einer alten Muhme, die recht schwätzen konnte, die nun +aufblühende Wirtschaft betrieb. Und wenn der Sonntag kam, so kamen +sogar die Bauern der Umgegend zum Hansel zusammen, weil dort jetzt +immer Gesellschaft war, und auch weil es freier herging, als wie beim +Kirchenwirt, wo der Pfarrhof und der Friedhof so nahe waren. Da fanden +sich auch Musikanten ein, und es tat sich<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> zur Sommerszeit oft ein +ganzes Volksfest zusammen vor dem Mosthanselhaus.</p> + +<p>Zu solcher Zeit schien es fast, als käme die Reihe zum Fluchen an den +Himmelherrgottswirt. Tat's aber nur im Gedanken; auswendig schnitt er +ein lustiges Gesicht.</p> + +<p>»Das wär' schon zum Lachen, wenn unsereiner auf so ein paar läppische +Roßknecht' anstünd'. Man hat eh' von diesen Leuten mehr Schaden gehabt +als Nutzen. Den Hof voll Mist, ja, das machen sie einem, und schuldig +bleiben, das können sie wie's Schmenten (Fluchen) und das Schmenten +können sie weit besser wie Vaterunser beten. Fuhrleut' Geld haben! Ja, +wer's glaubt, wird selig; auf meiner schwarzen Tafel steht ein ganz +anderes Evangeli zu lesen. Und die Herren Kavaliere, die vorbeifahren +— hört mir auf, denen ist das beste zu schlecht und das wohlfeilste +zu teuer. Mag mich gar nimmer scheren mit so Leuten — mag nicht, sag' +ich!«</p> + +<p>»Da hast einmal in Grund und Boden recht, Wirt,« entgegnete ihm darauf +eines Tages der Tabakkrämer. »Desweg' ist's am gescheitesten, wir +bringen die Straße zum Dorf herauf ganz ab. Lassen es gar nicht mehr +herauffahren, das Bettelvolk — soll unten bleiben am Bach und Kroißen +(Krebsen) fangen.«</p> + +<p>»So redest <em class="gesperrt">du</em>!« rief der Wirt, »du, der morgen schon Hunger +leidet, wenn heut' kein Fuhrknecht mit der Blader vorspricht! Oder +willst du ihn dir mit Essig und Öl machen lassen, deinen Tabak?«</p> + +<p>Der Andere schupfte die Achseln: »Was kann ich machen! Die Landstraß' +haben sie nicht gebaut, daß ich meinen Tabak anbring'. Verlegen +sie den Weg, so muß ich mir halt helfen, wie ich kann. Daß ich ein +Narr wär' und gegen die Vielheit streiten wollt'! — Schnupf eins, +Himmelherrgottswirt!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span></p> + +<p>Der Wirt schlug ihm die Dose aus der Hand.</p> + +<p>»Geschieht mir recht,« murmelte der Tabakkrämer, »wenn man den heiligen +Namen auf <em class="gesperrt">den</em> hängt, das ist Gotteslästerung.«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Aber der Bau der Straße im Tal verzögerte sich von Jahr zu Jahr, denn +gutwillig gab der Wirt die Wiese nicht und Gewalt wollte man nicht +brauchen.</p> + +<p>Da ging einmal ein alter Wurzelgräber durch das Dorf; der hörte das +Schelten und Gotteslästern der Fuhrleute, die dem Kirchenwirt alle +schwere Not und den Teufel ins Haus wünschten. An der hinteren Tür des +Wirtshauses standen die Kinder des Wirtes, denen rief der alte Mann +zu: »Euer Vater führt ein gutes Leben. Wenn aber die Flüche all' an +<em class="gesperrt">euch</em> ausgehen sollen! Es heißt ja doch, der Eltern Sünden müssen +die Kinder büßen. 's ist schauderlich! Behüt' euch Gott, Kinder, ich +tu' euch nichts.«</p> + +<p>Und ging von Hundegekläff begleitet vorüber.</p> + +<p>Da stund es an noch etliche Jahre, und es kamen die Weihnachten 1876. +Der Heilige Abend ist doch sonst gewiß kein Unglückstag, gleichwohl +er der Jahrestag ist, an welchem Adam und Eva erschaffen worden sein +sollen. Aber beim Kirchenwirt zu St. Peter trug sich an diesem Tage was +Trauriges zu.</p> + +<p>Bisher, so lange von steifen Trotzköpfen und bösem Fluchen die Rede +gewesen war, wollte ich das Dasein eines schönen Kirchenwirtstöchterls +nicht verraten. »Sie war wie eine Blume,« man kann's besser nicht +sagen. Sie war nun siebzehn Jahre alt und das Einzige, welches dem +Wirte von seinen Kindern übrig geblieben. Ihretwegen war die letzte +Zeit her mancher junge Fuhrknecht, der zu Trotz hier nicht<span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span> mehr +einkehren wollte, weit schwerer auf dem ebenen Boden vor dem Wirtshause +vorübergefahren, als den Berg heran. Dieses Wirtstöchterl war bei so +manchem der triftigste Grund, daß die Straße an beiden Seiten den +steilen Hügel zum Dorfe hinanstieg. Ob Julchen für oder gegen die +Verlegung der Straße war, das getraue ich mir nicht zu entscheiden, +denn junge Leute gehen ihre eigenen Wege.</p> + +<p>Und einen solchen, ganz absonderlichen, ging sie an jenem Heiligen +Abend.</p> + +<p>Man kennt ja die Weiber — aus lauter Warmherzigkeit und +Lebenssehnsucht und Ahnen und Bangen abergläubisch über alle Maßen! +Schon die jungen! — Da ist der rote Holler. Am Christabende während +des Ave-Läutens gepflückt und dann in einen Blumentopf gesteckt, kann +er im nächsten Fasching grünen. Tut er's, so kommt in demselbigen +Jahre der Bräutigam. Ein Dirndl von siebzehn Jahren — da kann der +Hollerzweig doch wohl schon treiben ... Man probiert's, nützt es nicht, +so schadet es auch nicht.</p> + +<p>An der rückwärtigen Kirchhofsmauer zu St. Peter wächst roter Holler. +Mit einigem Zagen, aber vielem Mute läuft Julchen, während auf dem +Turme die Ave-Glocke klingt, im Dunkel über den Kirchhof. Sie schaut +sich nicht viel um, erhascht einen Zweig, eilt rasch wieder zurück und +stürzt aus Hast in ein offenes Grab. Das war für einen alten, müden +Pilger bereitet worden, der just am heiligen Christtag in die ewige +Ruh' gehen wollte, oder — wie man's nimmt — in die Krippe aus Erden. +— Wie der Küster das Tor schließt, hört er den Schrei — läuft hin und +zerrt das vor Schreck ohnmächtige Mädchen aus dem Grabe hervor; es ist +bewegungslos wie eine Leiche, und so wird sie nach Hause getragen.</p> + +<p>Der Wirt ist dem Zusammenbrechen nahe, er meint,<span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span> das Kind sei tot. Die +Leute rennen auf der Gasse um und der böse Leumund, der immer nur auf +einen Anlaß — am liebsten ein Unglück — wartet, bricht los wie ein +zischend Heer in der Luft, das man nicht sieht und nicht fassen kann, +und das in jedes Ohr bläst Spott und Hohn, und Schadenfreude weckt +in dem Menschenherzen, auf welches reuig zu schlagen wohl jeder eine +Ursache hätte.</p> + +<p>»Da seht, da seht,« riefen die Leute, »das hat er jetzt! Umsonst ist +da nicht so oft geflucht worden. Jetzt geht die Frucht auf. Fällt ihm +sein Kind lebendig ins Grab! Ist das nicht augenscheinlich eine Strafe +Gottes?«</p> + +<p>Kann ein abgerissener Zweig wieder grünen, so kann auch ein junges, dem +Grabe entrissenes Menschenkind wieder leben. Meint ihr nicht, Leute? +Tretet ins Haus und seht, Julchen sitzt aufrecht, es fehlt ihr nichts. +Ohnmachten bei jungen Leuten ziehen vorüber wie eine Frühlingswolke an +der Sonne. Ihr Vater ist noch blaß vor Schreck, mit zitternder Hand +streicht er ihr die Friedhofserde von ihrem braunlockigen Haar.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Und in der Nacht, als das Mädchen geruhsam im Bette schlief und auf +dem Turme des Himmels Engel schon die Glocken läuteten, auf daß die +zerstreute Gemeinde zusammenkomme zum strahlenden Altare — da schritt +auch der Wirt in die Kirche. Er wankte wie ein Greis, der Schreck stak +ihm noch in den Gliedern, noch bebte ihm das aufgerüttelte Herz. Daß +sie an dem bedeutungsvollen Tage in das Grab fiel, das konnte kein +gutes Zeichen sein ... Ihm war hart und bang.</p> + +<p>So wollte denn in dieser Nacht, in welcher der Christ mit seiner Gnade +herabgestiegen ist zur Erde — der Kirchenwirt<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span> vor der Krippe knien +und Beruhigung erflehen. — Und als die zwölfte Stunde schlug, als das +Christamt begann und das Lied: »Dies ist der Tag, von Gott gemacht!« +erklang, da wurde dem Manne leichter ums Herz.</p> + +<p>Zur Wandlung verstummte die Orgel. Die Gemeinde lag auf den Knien +und jeder betete in dieser feierlichen Stunde für das liebste seines +Herzens. — Mit gefalteten Händen betete der Wirt vor der Krippe +für sein Kind. — Still war's. — Da rasselten draußen auf dem +hartgefrorenen Boden schwere Wagenräder, Pferde stampften und wieherten +unter pfeifenden Peitschenhieben, und von den Lippen des Fuhrmannes +gellte ein grober Fluch. Und das war auf des Kirchenwirts Gebet die +Antwort gewesen. —</p> + +<p>Was bei diesem Zwischenfalle der Kirchenwirt empfunden hatte, das zeigt +am besten sein Gang in die Sakristei, als kaum der Gottesdienst zu Ende +war.</p> + +<p>»Ein Wort mit dem Herrn Pfarrer,« stotterte er, »vielleicht wäre auch +der Gemeindevorstand zuwege. Ein Stück Papier und Schreibzeug!«</p> + +<p>Mit bebender Hand schrieb er's hin:</p> + +<div class="blockquot"> + +<p>»Die Wiese am Bach für ewige Zeiten zur Straße.</p> + +<p> +Anton Egghofer,<br> +Kirchenwirt zu St. Peter.«<br> +</p> +</div> + +<p>Heute ist die Straße fertig. Sie geht, wie die Leute sagen, »handeben« +im Tale hin. Das Fluchen kann man den Fuhrleuten nicht nehmen, sie +haben sonst auch nicht viel Unterhaltliches auf der Welt, aber auf +ebener Straße hört sich das ganz anders, als auf bergigem Grund.</p> + +<p>Zu beschreiben wäre noch die Dankbarkeit der Pferde — doch, wir wollen +die Wagen aller Art mit Gott und gutem Gespann ihrer Wege ziehen +lassen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span></p> + +<p>Wer nach St. Peter hinauf <em class="gesperrt">will</em>, die alte Straße ist und bleibt +noch fahrbar. Im Herbst des nächsten Jahres war's, als etliche sehr +schwere Wagen vom Dorfe zu Tale ächzten. »Radschuh bei Strafe von zwei +Gulden!«</p> + +<p>Ja, freilich, bei <em class="gesperrt">solchen</em> Brautfuhren, da heißt's einschleifen. +—</p> + +<p>Gekommen war's so: Im Fasching hatte der Hollerzweig gegrünt, im Mai +hatte er geblüht, im Juni war der Mosthansel zum Julchen gegangen. Und +jetzt Hochzeit.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Herr_v_Florin">Herr v. Florin.</h2> +</div> + + +<p>Er hätte Künstler werden können, er hätte Professor werden können, +er hätte Bürgermeister werden können — Landtagsabgeordneter, +Herrenhausmitglied — dann Baron oder Präsident, so oder so. Baron, +wenn der Staat eine Monarchie verblieben, Präsident, wenn er eine +Republik geworden. — Und ist nichts, als ein windiger Rasierer.</p> + +<p>Ein Bartscherer, ein Haarkräusler und Geckenaufputzer, ein +Perückenflechter und Haarzopfsträhner. Man verlangt, daß er Späße +mache, und da er sie nicht macht, so macht man sich welche mit +ihm. Man nennt ihn Doktor, er protestiert nicht dagegen, der Titel +gebührt ihm; er ist belesen, er nennt alle hohen Berge der Welt beim +Namen und weiß, wie hoch sie sind, weiß es in Fuß und Metern, kennt +die Tiefen des Meeres und berechnet nach einem alten Atlas, wo die +größten Tiefen sind. Er gibt dem Landmann, während er ihm den Bart +abschabt, Fingerzeige über die Witterung der nächsten Monate, belehrt +ihn, wie er den Dung streuen, woher er den Samen beziehen müsse. +Er hat Agentschaften, und zwar deren so viele, daß er vor lauter +Schildertafeln die Tünche seines Häuschens erspart. Er versichert dem +Bauer das Haus, das Vieh, die Feldfrüchte, das Leben. — Wenn mir +dieser »Lebensversicherer«, denkt sich der Bauer, »nur jetzt die Gurgel +nicht abschneidet! Anstellt er sich g'rad so. Kratzen tut der Saggra +schon, daß man die Engel singen hört! Schneidet denn das Messer nit?« +— Allerdings, das Messer rostet schon, denn Herr Florin hängt das +Geschäft an den Nagel und rasiert den Mann nur aus Gefälligkeit. Er +will ihm auch aus Gefälligkeit den Prozeß führen helfen,<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> den der Bauer +mit einem Nachbar hat. Meister Florin weiß sich gut aus im Gesetzbuch +und wird dem findigsten Doktor zu gescheit. Er führt verschiedenerlei +Schreibergeschäfte, hat hier einen Strauß mit dem Steueramt, dort einen +Handel mit dem Bezirksgericht, da ein Renkontre mit dem Notar oder mit +einem Gläubiger, mit dem oder jenen — und gewinnt, gewinnt alles.</p> + +<p>Daher will er das Rasiergeschäft aufgeben, es sind schlechte +Zeiten. Ja, früher, in seines seligen Vaters Jahren, wo jeder brave +Staatsbürger fortweg sein glattes Gesicht haben mußte, da war's +leicht, Rasierer zu sein. Aber jetzt, wo die Leute ihren Patriotismus +und ihre Weisheit und ihr politisches Bekenntnis in den Barthaaren +herauswachsen lassen, jetzt wird der Rasierer — und er mag der klügste +und fleißigste Mann sein — ein fallider Fallot.</p> + +<p>Überhaupt — und das Wörtlein hat Meister Florin immer auf der Zunge +— überhaupt, das fliegt so über alles hin, da steckt alles d'rin, was +der Sprecher meint, aber nicht weiß, oder wenn er gar nichts meint +und nichts weiß, als nur, daß hier ein Wort gut stehe, so sagt er: +überhaupt, und hat damit sehr viel und sehr vernünftig gesprochen. Also +— »überhaupt«, sagt der Meister Florin, »es ist nicht mehr so wie +früher, die Welt ist ganz anders geworden, heute siegt nur das Geld und +der Protze, der Brutale, der Aufdringliche, überhaupt der Windbeutel. +Ich könnte heut' auch anders dastehen, aber ich bin immer zu ehrlich +und bescheiden gewesen. Den ersten Prügel hat mir mein Vater unter +die Füße geworfen, weil er mich nicht studieren ließ, sondern mich +zu seinem Handwerk zwang, zu dem ich niemals Lust und Schick gehabt +habe. Ich bitt' euch, ein strebsamer, intelligenter, für alles Schöne +begeisterter junger Mann, Friseur! Aber ich habe mich herausgearbeitet. +Wenn ich heute<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> das Geld hätte, das mir die Kerzen gekostet haben, +bei denen ich die ganzen Nächte hindurch studiert habe! In den +einundzwanzig Jahrgängen der Theaterzeitung und in den Jahrbüchern +des Gothaer Almanach und im Selbstadvokat gibt's kein Blatt, das ich +nicht in mich aufgenommen hätte. Ich habe meine Freude dran gehabt, +überhaupt, ich habe immer Sinn für was Besseres gehabt. Und ich hab's +mitgemacht, wie wir die Eisenbahn bekommen haben und den Telegraph. Bei +meinem Aufwachsen hat noch keiner in unserer Gegend eine Baumwolljoppe +getragen, und das Einjährig-Freiwilligen-Institut jetzt, die +Hinterlader, überhaupt das ganze Kriegswesen. Das ist ein Fortschritt! +Ich bin fortweg bei den Fortschrittsmännern und Aufgeklärten gestanden +und überhaupt, früher ist die Welt in zweihundert Jahren nicht um das +weitergekommen, als wie zu meiner Zeit. Es ist besser geworden und +es wäre ganz gut geworden, wenn nicht die Anmaßung das große Wort +führte. Der ehrliche Mann verarmt. Es ist ja zum Rasendwerden, wenn man +betrachtet, wer heute das Heft in der Hand hat.« So seine Betrachtungen.</p> + +<p>Er war im Stadtschulrat, aber sie haben ihn nicht zum Obmann +gemacht, er ist in den Gemeinderat gewählt worden, aber bei der +Bürgermeisterwahl, da —! Er hätte wenigstens zwei Drittel der Stimmen +gehabt, aber die Kabale! Die Kabale, ihr Herren! — Sie haben es ganz +gut gewußt, was sie tun; denn wenn er, der Meister Florin, obenauf +gekommen wäre, da hätt's anders gehen müssen. Er wüßte schon, was zu +machen wäre! Eine Mustergemeinde hätte er geschaffen, an der sich +selbst der Staat ein Muster genommen haben würde. Man hätte »oben« +gefragt: wer ist der treffliche Mann? Gehörte er nicht vielmehr +hierher an's Ruder, als daß er seine Kraft in dem engen Wirkungskreise +vergeude?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span></p> + +<p>Vor einer solchen Aussicht wird jeder Geschäftsmann — er braucht nicht +erst Friseur zu sein — die Lust an seinem Berufe verlieren. Meister +Florin macht bekannt: er rasiert nicht mehr. Jetzt kommen Fremde ins +Städtchen, Touristen, sie suchen einen Friseur. Ist keiner da. Sie +suchen auch einen Führer. Allsogleich tritt Meister Florin hervor und +macht seine höfliche Aufwartung, er kennt die Gegend, wie sonst gar +keiner mehr, er ist gerne bereit. — Schön, was er begehre? — Bitte, +es macht ihm ein Vergnügen, er ist mit von der Partie. Sie suchten +einen Führer und finden einen Kavalier. Um so besser. Den Träger für +Mäntel und Mundvorrat bestellt der Herr Florin; sie laden ihn ein, aus +ihrem Vorrate zu essen, mitzutrinken; er will nicht ablehnen, er tut +den Schinken und Flaschen sehr viel Ehre an; er ist stets delikat, aber +das ist zufällig seine Leibspeise, sein Tropfen — hoch sollen sie +leben!</p> + +<p>Er weiß unterwegs stets zu erzählen und spricht ganz im Geiste der +Zeit, heißt das, wenn er merkt, die Fremden hätten keinen. Er erzählt +gern von sich und was ihm eben so am geläufigsten ist; die Fremden +heucheln Interesse, so lange sie's vermögen, endlich aber danken sie +für seine freundliche Begleitung und gehen ihrer Wege.</p> + +<p>Trotzdem, oder — überhaupt, die Fremdenführerschaft trägt mehr, als +das Friseur- und Rasiergeschäft, sie trägt wenigstens die Kost und +man ist in der frischen Luft und Naturfreund ist man auch. Ist's und +wird's von Tour zu Tour mehr, denn überall erinnert man sich, was einen +früheren Touristen entzückt hat und das entzückt einen nun auch und so +bringt man im Laufe der Jahre eine Unzahl von »romantischen« Wegen, +entzückenden Punkten und Aussichten zusammen.</p> + +<p>Endlich nimmt er wahr, daß er ein so gewaltiger Naturfreund<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> und +Tourist geworden ist, daß er davon leben kann. Er läßt sich als Führer +immer noch nicht lohnen, aber die Präsente, die der Kavalier dem +Kavalier verehrt, die darf er nicht abweisen. Er hat davon schon eine +respektable Sammlung, er verkauft sie nicht, es sind werte Andenken +von hohen Bekanntschaften und lieben Freunden — und versetzen, nur +wenn's sein muß. Auch die Touristenvereine sind ihm erkenntlich, und +wie die Assekuranzen — die er längst vernachlässigt und verloren +hat — einst das Äußere seines Hauses mit Agenturtafeln dekoriert +haben, so dekorieren die Touristenvereine es von innen mit Diplomen, +Gebirgskarten und Edelweißorden. Er übt wieder Gegenerkenntlichkeiten +und wirbt Mitglieder für die Vereine. So wird er bekannt und gesucht +und jeder Fremde, der am Bahnhof dem Zug entsteigt, frägt als sein +erstes nach dem Herrn Florin. Der steht schon da, stets nett beisammen, +in Nationaltracht, stets höflich, lüftet seinen Touristenhut, ist dem +Herrn zuvorkommend zur Hand beim Aussteigen, beim Gepäcktragen, bei der +Suche nach einem Hotel, und dem Fremden bleibt nichts anderes übrig, +als sich gefangen zu geben.</p> + +<p>Der Gasthofbesitzer weiß meinen Florin wohl zu würdigen, und wenn +dieser für genossene Speis und Trank um die Rechnung ersucht, so +vertröstet ihn der Wirt von Tag zu Tag, bis Herr Florin endlich nicht +mehr ersucht und sich die Gasthauskost von Tag zu Tag so trefflich +munden läßt, als ob's auf der weiten Welt kein Stücklein Kreide gäbe. +Es geht. Sehr gut geht's, und Meister Florin sagt es selber: es ginge +ihm sehr gut! und er muß es am besten wissen. Daß er einmal Rasierer +gewesen, hört er nicht gern, es war auch nur ein Spaß von ihm gewesen, +ein schlechter Spaß. Er wohnt auch gar nicht mehr im Friseurhäuschen, +das ist der Habgier eines Gläubigers zum Opfer gefallen, gegen den<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> +der Meister den langjährig geführten Prozeß ganz unstreitig gewonnen +hätte, wenn nicht Bestechung und Hinterlist von Seite des Gläubigers +stattgefunden hätte. Überhaupt sind die Leute heutzutage von einem +greulichen Eigennutz besessen, nur der Wirt nicht, nein, der ist ein +braver Mann. Jetzt wohnt er auch bei ihm.</p> + +<p>So verkehrt Meister — was Meister! Herr von Florin nur mehr mit +vornehmeren Leuten, und wenn man dem Gespräche zuhört, das er und ein +zugereister Universitäts-Professor führen, so ist kein Zweifel, wer +der Gescheitere ist — nämlich der Herr von Florin. Man kann aber +ordentlich erschrecken, wenn Florin plötzlich behauptet, das deutsche +Kaiserreich tauge nichts und er mit wenigen diktatorischen Aussprüchen +mir nichts dir nichts die Republik einführt und der Fürst Bismarck +wie ein armer Schlucker dasteht, noch um ein paar Stündlein Leben +bittend. Der Professor ist gar nicht imstande, der Tragweite dieser +unerhörten Reformen zu folgen, daher schweigt er, und das imponiert +den umsitzenden Zuhörern. — »Ja, wie Florin gesprochen, da hat der +gelehrte Herr nachher kein Wort mehr zu sagen gewußt.«</p> + +<p>Wie steht er jetzt da, der Herr von Florin! Von altersher — und zwar +seit etlichen vierzig Jahren — heißt er Franz Viktor Florin; jetzt, +der Name ist ihm zu lang, er ist selber nicht über fünf Schuh lang, er +braucht keinen so langen Namen, er kürzt ihn, setzt anstatt des Wortes +Viktor bescheiden nur ein kleines v. und jetzt lautet die Visitkarte: +Franz v. Florin. Das steht! sehr gut steht's, und somit wäre er nun +eigentlich oben.</p> + +<p>Aber da sehe man den Neid des Schicksals! Überhaupt, wer zum Unglück +geboren ist usw. Auf einmal legt sich der Wirt hin und stirbt und macht +den Herrn v. Florin brotlos und dachlos. Denn der junge Wirt ist ein +Zopf und sagt,<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span> Florin solle arbeiten, er sei noch stark genug dazu. +— So! Also das ist der Lohn, daß er die Fremden herbeigezogen und +die Gegend bekannt gemacht hat! Das ist der Lohn für die Dienste, die +er dem Hause und der Gemeinde und jedermann geleistet hat! Die Kinder +werden einst als alte Leute erzählen von Herrn von Florin, wie schlicht +er war und jovial und welche Reden er der Jugend oft gehalten hat und +wie er für den Fortschritt gewesen und was ihm das Städtchen verdankt. +Manche alte Schrift von seiner Hand wird verblaßt und vergilbt noch +Zeugnis ablegen von dem strebsamen, vielseitigen Manne, der seiner Zeit +voraus gewesen. Aber heute! Heute läßt man ihn darben. Zwar findet +er immer noch gute Seelen, die seinen Nahrungsbedürfnissen Rechnung +tragen, mein Gott, er ist ja leicht zufrieden! Aber der Rock will +verblassen und die fremden Herren, wenn sie kommen, wollen mit dem +fadenscheinigen Rock nicht gerne an einem Tische sitzen. Er ist immer +noch geistesfrisch, ja lustiger als früher und weiß allerlei Schnurren, +auch singt er und macht Musik dazu auf der Zither oder der Gitarre. +Er weiß possierliche Lieder, Sprüche und schalkhafte Anekdoten. Man +lacht darüber, man wartet ihm mit einer Zigarre auf oder läßt ihm ein +Glas Wein vorsetzen und so ist es immer noch unterhaltsam. Es gibt +Leute, die sagen ihm, er solle sich nicht so an die Fersen der Fremden +heften und sich nicht zum Spaßmacher hergeben, er solle lieber wieder +seinen Rasierladen aufmachen. Das sind die Kurzsichtigen. Sie wissen +nicht, was er will und worauf er es abgesehen hat. Er wird noch eine +einflußreiche Stellung gewinnen und dann seine weltbeglückenden Pläne +durchführen.</p> + +<p>Einstweilen verkommt er immer mehr. Mancher Fremde, der im Städtchen +absteigt, er mag Tourist sein oder Agent oder Vereinsmeier, nützt ihn +aus, so viel noch auszunützen<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span> ist. Er ist eine allbekannte Figur und +viel armseliger und niedriger denkende Subjekte, als er ist, machen ihn +zur Zielscheibe ihres Spottes.</p> + +<p>Endlich glaubt er's, daß er nichts erreichen wird; er klagt über ein +verfehltes Leben, setzt die Hoffnung aber auf seine Kinder.</p> + +<p>Er hat einen Sohn; der ist geistig sehr begabt, hat ganz den Kopf von +seinem Vater. Der soll studieren. Es ist kein Geld da, es ist keine +Protektion da, oder hat ein oder der andere seiner guten Bekannten doch +etwas zugesagt? Gewerbsmeister des Städtchens wollen den aufgeweckten +Jungen ins Geschäft nehmen, ihm ein Handwerk lehren. Ha, das wäre +wieder die alte Leier; dieses florinische Blut ist für was besseres rot +geworden; der Bursche muß in die Hauptstadt. Er soll sich dort selber +fortbringen, Freunde suchen und sich aus eigener Kraft aufschwingen. +Das macht den Mann. Der Vater hält ihm noch eine schwunghafte +Standrede, wie sie wortprächtiger in keinem Buche zu finden ist, und +der Junge geht in die Stadt. Er schreibt verzagte Episteln heim, der +Vater schickt ihm Briefe voll begeisternder Phrasen, aber sonst ohne +Inhalt. Da schreibt der Sohn in immer längeren Zwischenräumen immer +kürzere Briefe, endlich bleiben die Briefe ganz aus und das ist dem +Herrn Florin ein Zeichen, daß die Taube ein Gestade gefunden hat.</p> + +<p>Nun hat Florin — sein Weib ist ganz Nebensache, das ist da oder es +ist nicht da, einerlei; ist es da, so wird es wohl irgendwo eine +Dachkammer haben, wo es sich mit Nähen oder Stricken fortbringt — +trotzdem hat Herr Florin auch eine Tochter. Mit der läßt er sich nicht +ungern auf der Gasse blicken, denn sie ist schon bald kein Kind mehr +und wächst sich recht sauber aus. Sie als Küchenmädchen zum Wirt geben, +oder gar zu einem Bauer in die Arbeit? Nein. Das<span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span> Mädchen hat bessere +Aussichten. Ein Baron war da, ein Tourist, der sagte, das Kind müsse +in die Stadt, da könne es sein Glück machen. Da erinnert sich der +umsichtige Vater sofort an gelesene oder gehörte Fälle, wo arme aber +hübsche Mädchen auch in der Stadt ihr Glück — bisweilen sogar ein +unglaublich großes Glück gemacht haben. Der Herr Baron erklärt sich +bereit, für das Kind eine Stellung ausfindig zu machen, einstweilen +könne es in seinem eigenen Hause wohnen. — Also doch gute Leute, und +Herr v. Florin sagt, Glück habe er niemalen viel gehabt, aber gute +Menschen habe er immer gefunden, überhaupt habe es den Anschein, daß +sich sein Glück erst bei seinen Kindern einstellen werde.</p> + +<p>Er läßt das Mädchen fort und nun — sind die Kinder versorgt. Sie +sind's zwar nicht, aber Florin ist gewohnt, alles so auszulegen, wie es +am schönsten klingt. Sein Stolz ist, wenn er erzählen kann: Der Sohn +studiert auf einen Doktor, die Tochter ist beim Herrn Baron.</p> + +<p>Florin beginnt zu altern, aber er hat noch einen Plan, das ist der +einzige, den er in seinem Leben durchgeführt hätte, <em class="gesperrt">wenn</em> er ihn +durchgeführt hätte. Er kann singen, versteht sich auf Saitenspiel, hat +die Gabe, zu unterhalten; er will fahrender Musiker werden. Das ist +gar nicht dumm, das ist der erste Schritt zum Mitgliede eines größeren +Kunstinstitutes.</p> + +<p>Das Mißgeschick ließ es aber nicht dazu kommen. Überhaupt, das +Mißgeschick! Nun sitzt er viel in den Schänken herum und setzt sich zu +dem, der just da ist und hebt einen flotten Diskurs an und läßt Possen +los und will fortgehen. Die Leute sind warm, da darf der Herr von +Florin nicht fortgehen, sie lassen ihm Wein bringen. Das Wasser, das er +zum Wein gießt, hält ihn noch aufrecht. Aber beim Branntwein, da ....</p> + +<p>Der Branntwein tut das seine und es gibt einflußreiche<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> Leute in der +Gemeinde, die behaupten, für den alten Florin wäre es am besten, wenn +man ihn ins Armenhaus täte.</p> + +<p>Der <em class="gesperrt">alte</em> Florin?</p> + +<p>Ja, es ist wahr, er ist grau, er sieht verfallen aus. Wenn er sich nur +öfters ein Stück Fleisch gönnen könnte! Warum sollen denn seine Kinder, +denen es in der Stadt gut geht, nichts für den Vater tun? Keines läßt +was von sich hören.</p> + +<p>Nun wird in die Stadt geschrieben. Es kommt eine Antwort; sie ist +von fremder Hand und berichtet, daß der Sohn vor längerer Zeit wegen +Bauernfängerei eingezogen, später wieder freigelassen und seitdem +verschollen sei.</p> + +<p>Herr v. Florin erschrickt zuerst, dann aber lächelt er, denn er glaubt +es nicht.</p> + +<p>Aufgefordert, schreibt auch die Tochter, sie sei nicht beim Herrn +Baron, aber sie wolle ihren Eltern nicht mehr unter die Augen treten.</p> + +<p>Herr Florin schüttelt den Kopf — er kann es nicht verstehen.</p> + +<p>Und so rinnt die Zeit hin, von Tag zu Tag mit steigender +Geschwindigkeit — wie es im Alter schon geht. Der Florin sitzt auf +der Gartenbank des Armenhauses und schaut den Bienen zu. Einer, der +vorbeigeht, denkt sich: Ja, alter Florin, du hättest den Bienen früher +zuschauen und dir an ihnen ein Beispiel nehmen sollen. Du hast dich +deines ehrlichen Gewerbes geschämt, hast es verlassen und verleugnet. +Hast hingeflunkert, hast hergeflunkert, dein spitzfindiges Spintisieren +und deine hohle Schlauheit hat dich auf die Holzbank vor dem Armenhaus +gebracht. Und wenn jetzt von den fremden Herren, denen du gefällig +warst, von den hochgestellten Freunden, die dir geschmeichelt haben, +einer hier vorbeigeht, so wird er dich nicht kennen, und kennt er +dich,<span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span> vielleicht sein Haupt wegwenden und in sich hineinmurmeln: Ei, +das ist ja dieser Schwätzer, dieser Fex, dieser — er hat allerlei +Namen zur Auswahl. Er ist bald vorüber. Ich aber bin der, welcher dir +einst vielleicht den Rat gegeben hat: bleibe deinem Gewerbe treu und +arbeite! Ich gehe nicht an dir vorbei, ich frage dich: »Wie geht es +dir, alter Florin?«</p> + +<p>Er schrickt auf. »Danke, danke,« sagt er, »so weit gut, recht gut. Dank +der Nachfrage!«</p> + +<p>Eine solche Zufriedenheit auf dieser Bank verdient doch einen Zehner. +»Da, Alter, kannst damit nichts mehr verderben — gönne dir ein Glas +auf mein Wohl!«</p> + +<p>O, im Glase, das er nun trinkt, ist mehr d'rin, als der Spender +ahnt, der Florin — der Herr Franz von Florin ist Bürgermeister, +Touristenvater, Abgeordneter, Regierungsrat, Schöpfer und Ordner aller +politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des +Landes.</p> + +<p>Um einen Silberzehner! In der Tat, billiger kann man das Glück nicht +haben. — Und überhaupt das Glück ....</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Steinschaedel">Der Steinschädel.</h2> +</div> + + +<p>Es war ein so prächtiges Bauerngut gewesen. Voreh'! Voreh'!</p> + +<p>Dann wurde es anders. Der Hinterberger zahlte keine Steuern. Und +doch war er der Besitzer und Nutznießer aller Grundstücke, die den +Hinterberg einhüllten und die sich fast herab ins Tal der Lansa +erstreckten.</p> + +<p>Der Hinterberger war nichts weniger als glaubselig. Was in den Büchern +stand, von dem meinte er, das Papier wäre geduldig und man könne +d'rauf drucken, was man wolle. Was auf der Kanzel gepredigt wurde, +von dem hatte er eine nicht viel bessere Meinung: reden ließe sich +alles, was man reden wolle, und man wolle gerade das reden, was zu +eigenem Vorteile wäre. Gegen die Meinungen der Nachbarn und den Rat der +Verwandten war er nicht minder verstockt — der Steinschädel wurde er +geheißen.</p> + +<p>Da kam im Jahre 1848 einer jener Wanderprediger, wovon manche +vernünftig, viele aber Narren gewesen sind. Und dieser Mann predigte, +daß der Bauer von nun an freier Herr seines Grund und Bodens wäre und +also keine Steuern und Abgaben mehr zu entrichten brauche.</p> + +<p>Keine Steuern und Abgaben mehr! Das glaubte der Hinterberger aufs Wort. +Das leuchtete ihm ein; denn was mein ist, davon bin ich keinem Menschen +was schuldig. Zudem stand's ja auch in den »Herrschaftsbriefen«, er +bekam ein- für allemal die Papiere über die Grundablösung — und nun +war er ein freier Mann im freien Staate.</p> + +<p>Er zahlte keine Steuern mehr, blieb aber trotz aller Behörden Besitzer +und Nutznießer des ganzen Hinterberges.<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> Die Behörden zwangen ihn auch +nicht — sie ließen ihm bloß das Vieh aus dem Stalle und das Getreide +von der Scheune führen und deckten damit die Steuern und die Unkosten, +die aus solchem Gebaren erwuchsen.</p> + +<p>Da schrie der Hinterberger freilich auf, man täte ihm kreuzunrecht, und +der Staat, der verpflichtet sei, Hab' und Gut seiner Bürger gegen Raub +zu schützen, sei selber der Schelm ...</p> + +<p>Zu den Advokaten ging er und suchte Gerechtigkeit, wie er sie dachte.</p> + +<p>»Ja, Bauer, das ist nicht so!« sagten die Advokaten.</p> + +<p>»Warum ist das nicht so?«</p> + +<p>»Ihr sagt ja selbst, daß Ihr den Schutz des Staates erwartet — wollt +Ihr den umsonst haben?«</p> + +<p>»Ich? Den Schutz des Staates? Wozu? Können mir meine Felder gestohlen +werden? Kann mir mein Wald von Räubern umgehauen werden über Nacht? He?«</p> + +<p>»Aber in Eure Wohnung kann man einbrechen, mißhandeln kann man Euch und +das Haus über dem Kopf anzünden.«</p> + +<p>»Freilich,« rief der Hinterberger, »wer's will und stark genug ist, der +tut's, bricht in meine Wohnung, schlagt mich tot, zündet mir das Haus +an. Bis Eure Polizei hinaufkommt auf den Hinterberg, ist alles vorbei. +Wenn ich selber kein Gewehr im Haus hab', so bin ich hin. Jetzt möcht' +ich wissen, wofür ich Steuern zahlen soll!«</p> + +<p>»So wollt Ihr dem Staate entsagen, Hinterberger? Glaubt Ihr, daß Ihr +allein bestehen könnt? Habt Ihr alles auf Eurem Grund, was Ihr zum +Lebensunterhalte braucht? Seid Ihr nicht angewiesen, die überschüssigen +Früchte Eurer Felder zu vertauschen, zu verkaufen, um anderen Bedarf, +der bei Euch auf dem Hinterberge nicht wächst, einzulösen?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span></p> + +<p>»Ich?« fragte der Bauer, »nein. Wir Hinterberger Bauern sind auf +ein solches Austauschen nicht angewiesen, aber Ihr Herrenleut' seid +es. Ihr sollt froh sein, wenn wir Euch das Korn und das Rindfleisch +<em class="gesperrt">verkaufen</em>. Freilich kommt Ihr billiger dazu, wenn Ihr mir's mit +Gewalt wegnehmt.«</p> + +<p>Das war die Logik des Hinterbergers. Und die Advokaten, die sonst jeden +Prozeß der Klienten mit Zuversicht auf sich zu nehmen pflegen, ließen +ihn im Stich — alle. Der Bauer fand's ja erklärlich — sie halten all' +zusammen.</p> + +<p>Die Nachbarn sagten ihm: »Sei gescheit, Hinterberger!«</p> + +<p>Er antwortete: »Oh, ich bin gescheit genug, aber ihr seid dumm. Tätet +ihr mit mir halten, durchsetzen wollten wir's! Aber einer allein? ... +Und doch geb' ich nicht auf, was mein ist, davon zahl' ich nichts weg!«</p> + +<p>So ging es fort. Alljährlich war dasselbe. Zuerst kam der Bote mit +der Aufforderung zum Steuerzahlen, dann kam die Drohung, dann kam die +Pfändung.</p> + +<p>Und hierauf saß der Mann traurig vor seiner Haustür und murmelte: +»Jetzt sind wieder die Schelme dagewesen.«</p> + +<p>Er hatte Weib und Kinder. Die Kinder verwahrlosten, das Weib verkam. +Dem weinenden Weibe drückte der Gerichtsmann gutmütig die Hand und +bat um Verzeihung, daß er seine Pflicht tun müsse. — Als die Knaben +heranwuchsen, kannten sie nur eine Ungerechtigkeit auf der Welt: das +Gesetz, und nur einen Feind: den Steuerbeamten.</p> + +<p>Der Gerichtsbote weigerte sich, in den Hinterbergerhof hinaufzugehen; +die Knaben empfingen ihn mit Steinwürfen, der Bauer tat sein altes +Schußgewehr zurecht. »Jeden Schelm, der in mein Haus kommt, schieß' ich +nieder.«</p> + +<p>Da mußte er's erfahren, daß das Gesetz noch ungerechter sein konnte, +als bloß Hab' und Gut wegzunehmen, daß es<span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span> auch die persönliche +Freiheit vernichten konnte. Zwei Standarn (Gendarmen) kamen und +reckten zur Tür die Gewehrläufe mit den Bajonetten hinein. Das Weib +des Hinterbergers kreischte auf — <em class="gesperrt">solche</em> Räuber waren noch nie +dagewesen. Der Mann sagte gleichgültig: »Ein dummer Kerl müßt' ich +sein, wenn ich mich jetzt wehren wollt'. Da habt's mich, schleppt's +mich mit, bringt's mich um!«</p> + +<p>Er saß wochenlang im Arrest. Er machte dort Bekanntschaft mit anderen, +die mit dem Gesetze ebenfalls im Kriege lebten. Der »Steinschädel« war +sonst ein Feind des Lernens, weil er ja ohnehin alles wußte und weil +Fremdes seiner Überzeugung stets entgegen war. Aber im Arrest — das +gestand er sich — war manches zu profitieren. Die Genossen waren reich +an Erfahrungen und hatten neue Ideen. — Entweder der Mensch hat sein +Eigentum für seine Person, dann muß der Mensch dieses Eigentum fest +zusammenhalten, und keiner hat das Recht, davon zu nehmen. Oder der +Mensch hat kein Eigentum, alles ist gemeinschaftlich, gut, nachher muß +aber der Reichtum so verteilt sein, daß jeder gleich viel hat. Nachher +hat jeder Sachen genug, nachher gibt es keinen Armen mehr.</p> + +<p>Der Hinterberger hatte sein Lebtag noch keinen Menschen so gescheit +sprechen gehört als den arretierten Tischlergehilfen, der obiges +erörterte. Entweder so oder so! — Aber Steuerzahlen, das ist nicht so +und nicht so und hat keinen Sinn.</p> + +<p>Als der Hinterberger endlich vom Gefängnisse entlassen nach Hause +kam, fand er das Elend noch größer. Die letzte Kuh war aus dem Stall +gepfändet; das Weib lag krank auf dem Stroh und die Kinder balgten sich +um die letzte Brotkrume. Zu den Nachbarn war sein Weg, daß sie ihm +hülfen. Sie lachten ihn aus: »Du Narr, du bist selber schuld. Hättest<span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span> +nur etliche Bäume aus deinem Wald verkauft und die Steuerschulden wären +gedeckt gewesen.«</p> + +<p>»Die Steuer-<em class="gesperrt">Schulden</em>? Wieso Schulden?«</p> + +<p>»Ja glaubst denn, Nachbar, du kommst auf, gegen die Weltordnung?«</p> + +<p>»Ich weiß es, daß ich zugrunde gehe, aber ich weiß es auch, daß ich +recht habe, und das ist ein ganz anderes Recht als jenes, so in euern +Gesetzbüchern steht. Und es wird kommen, daß kein Mensch mehr Steuern +zahlt, als etwa der Pächter. Ja, da möcht' ich leben.«</p> + +<p>Es kam die Zeit heran, da der älteste Sohn des Hinterbergers +militärpflichtig wurde. Das wird wieder einen Sturm geben mit dem +Alten, meinten die Leute. Aber siehe, der Bauer hatte kein Wort dagegen +und ermahnte noch den Burschen, seinen Vorgesetzten zu gehorchen und +ein tapferer Beschützer des Vaterlandes zu sein.</p> + +<p>Die Behörde hatte mit ihm so viel Nachsicht als möglich. Der Pfarrer +besuchte ihn einmal und suchte ihn mit Vernunftgründen zu bekehren. +»Hochwürden« sprach der Bauer rundweg, »wenn Er vom Himmel und Hölle +predigt, da hört man Ihm gern zu; wenn er anstatt Saufen und Raufen +das Beten und Almosengeben aufbringen will, so hat's auch noch seinen +Schick, aber vom Steuerzahlen — mit Verlaub — versteht Er gar nichts.«</p> + +<p>Da stieg der Oberamtmann selber einmal hinauf gegen den Hinterberg mit +der Absicht und der festen Überzeugung, den närrischen Kauz mit Güte +zu bekehren. Er kam eher zurück, als er sich gedacht hatte, kam sehr +aufgeregt zurück und gab Befehl, gegen diesen wilden Menschen auf dem +Berge nicht die geringste Rücksicht mehr walten zu lassen. Was ihm +passiert war, ist nicht offenbar worden.</p> + +<p>Nun pfändeten sie dem Hinterberger den schwanken<span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span> Tisch und den +wurmstichigen Kasten, so daß die wenigen Habseligkeiten hingeworfen +lagen auf dem morschen Fußboden. Elend sah es aus im Hause, und die +erwachsenen Jungen lungerten arbeits- und zuchtlos draußen in den +Weiten herum und aßen ihr Brot, wo und wie sie es fanden. Eines Tages +wurden zwei davon als Wildschützen eingefangen.</p> + +<p>»Ist nicht in Ordnung das!« meinte der Alte, »nur abstrafen, ist schon +recht, nur abstrafen!«</p> + +<p>»Dann muß man auch dich mitabstrafen,« rief ein Nachbar, »wie du +deine Kinder hast gebogen, so sind sie erzogen. Darf man ein Gesetz +überschreiten, warum nicht auch zwei, warum nicht auch das dritte, +wenn's gelegen ist, warum nicht alle?«</p> + +<p>Mit der armen Hinterbergerin hatte es endlich ein Ende. Ihr letztes +Wort im Sterben war gewesen: »Gott Lob und Dank!«</p> + +<p>Die Leichenkosten bezahlte er willig und bar. Aber als die +Verlassenschaftsgebühren zu erlegen waren, fluchte er: »Der Tod auch +besteuert? Auch mit <em class="gesperrt">dem</em> machen sie noch ein Geschäft? Verdammt!«</p> + +<p>Eines Montagmorgens war die ganze Gegend in Aufregung. In der Lansa +war ein junger Bursche erschlagen gefunden worden. Ein Raufhandel war +in der Nacht gewesen. Am nächsten Tage kehrte der jüngste Sohn des +Hinterbergers nicht ins Haus zurück. Dafür kam die Botschaft, der +Hinterberger möge mit dem Mittagessen nicht auf sein Bürschl warten, +dasselbe käme heute nicht heim, käme vielleicht auch morgen nicht, +käme vielleicht viele Jahre lang nicht — die Standarm hätten ihn mit +sich genommen, weil er einen blutigen Rockärmling gehabt habe. Und +einen blutigen Ärmling habe er gehabt, weil er den Sager-Urb umgebracht +hätte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span></p> + +<p>»Was hätte er?« fragte der Hinterberger.</p> + +<p>»Den Sager-Urb hat er umgebracht.«</p> + +<p>»Wer?«</p> + +<p>»Dein Bürschl — dein Hans.«</p> + +<p>Da legte der Alte die Hand ans Ohr, daß sie die Schallwellen +hineinleite und sagte leise: »Jetzt muß ich noch einmal fragen, wie +du's meinst!«</p> + +<p>Und der Bote antwortete eben noch einmal.</p> + +<p>Jetzt nannte der Alte den Boten eine Bestie.</p> + +<p>Aber solcher Bestien waren mehr. Keiner hat es zwar gesehen, daß +der Hinterberger-Hans den Sager-Urb erschlagen und in die Lansa +geworfen hatte, doch jeder war davon überzeugt. Beim Lindenwirt +waren sie des Abends zusammen gewesen, es wurde getrunken, gesungen, +gezankt und gerauft. Der Metzger Pankraz hetzte, der Urb gab dem +Hans einen Schlag auf die Wange und nannte ihn einen Strolchen von +der Hinterberger-Höhlen, von der seit Jahren schon kein braver +Mensch mehr herausgegangen sei, weil keiner hineingehe. Auch eine +Wilderergeschichte war dabei und einer Liebschaft wegen ging es her. +Der Hans war so wütend, daß er das Ofengeländer zerriß, um mit der +Holzlatte den Urban niederzuschlagen, hätten ihn nicht mehrere Männer +davon abgehalten. Nun ging er in die Nacht hinaus und kam nicht mehr +zurück. Um Mitternacht steckte der Urb seine große Brieftasche ein und +verließ das Wirtshaus; eine halbe Stunde später war an der Lansa ein +Schrei.</p> + +<p>Und am nächsten Morgen begegneten zwei in die Arbeit gehende Männer dem +Hinterberger-Hans, der just am Hollerbrunnen Blut von seinem Ärmling +wusch. Ein paar Stunden später fand man unten an der Hammerwehr den +toten Sager-Urb, der mehrere Stiche am Halse und an der Brust hatte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span></p> + +<p>Der Hans wurde als Verbrecher zu Gericht geführt. Er leugnete die Tat, +die Leute lachten ihm ins Gesicht: Was das Leugnen helfe, wenn alles +sonnenklar liegt!</p> + +<p>»Daß ich beim Nachhausegehen in der Nacht Nasenbluten gehabt, das wird +mich doch nicht unglücklich machen!«</p> + +<p>Man befahl ihm, daß er schweige. —</p> + +<p>Der Hinterberger lief zum Gericht: »Den Buben laßt mir aus! Ich +verpfänd' Haus und Hof für meinen Hans! Er hat nichts getan.«</p> + +<p>»Geht, Alter, Haus und Hof habt Ihr nicht mehr zu verpfänden!«</p> + +<p>Der Hinterberger schwankte heim zu, da fand er die Türe seines Hauses +versperrt und versiegelt. — Seit so vielen Jahren die Steuern +verweigert, da hat man ihm endlich den Prozeß gemacht.</p> + +<p>So lag nun unter dem Schatten der Esche ein Bettelmann. Nein. Er wollte +nicht betteln, er wollte da liegen bleiben und sterben als ein vom +Staate Zugrundegerichteter. Aber zwei mitleidige Bauern schleppten ihn +mit sich. Er blieb dabei, der Hans wäre an dem Morde unschuldig; und +die Leute blieben dabei: kein anderer hätte den Sager-Urb erschlagen +als der Hinterberger-Bursch'. Die einen gaben ihm lebenslänglichen +Kerker, die anderen ließen ihn hängen.</p> + +<p>Im Gerichtssaale ging es heiß zu. Und das Urteil wurde gesprochen. — +Der Hans kehrte aus dem Kriminal zurück und war frei.</p> + +<p>Der Alte hatte es nicht glauben können, daß er schuldig sei und konnte +es jetzt nicht glauben, daß er frei war.</p> + +<p>»So hat dich doch der heilige Johannes von Nepomuk gerettet?« Der von +Nepomuk ist nämlich ein Patron, den man anruft, um eine verlorene Ehre +wieder zu finden.</p> + +<p>»Glaub' nicht, daß er's gewesen ist,« berichtete der Hans,<span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span> »er hat +einen schwarzen Frack angehabt. Ein Doktor ist's gewesen, und der hat +alles genau untersuchen lassen und hat alle Zeugen überwiesen und hat +nicht eher Ruh' gegeben, bis es ist herausgekommen, daß ich unschuldig +bin, nachdem sie derweil den richtigen Mörder erwischt haben. Der +Pankrazl, der Schelm! Wegen Geld. — So haben sie mich freilassen +müssen.«</p> + +<p>»Und hast nichts Gewisses erfahren, wer der brave Mensch ist gewesen?«</p> + +<p>»Nichts Gewisses nicht; den Verteidiger haben sie ihn geheißen und +haben gesagt, das Gesetz tät' vorschreiben, daß jeder Angeklagte einen +Verteidiger müßt' haben.«</p> + +<p>»Das Gesetz tät's vorschreiben?« fragte der Alte.</p> + +<p>War schon der Gemeindevorsteher da und sagte: »Wenn du auch ein Feind +bist gewesen gegen den Staat und das Gesetz, so hat dich der Staat und +das Gesetz doch nit verlassen.«</p> + +<p>Von dieser Stunde ging der Hinterberger in der Einsamkeit um. Dann ging +er zur Behörde und fiel nieder auf die Knie: »Meine Herren, tun's mir +verzeihen!«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Feuermann_Balthasar">Der Feuermann Balthasar.</h2> +</div> + + +<p>Das Jahr ist alt geworden. Und der Knabe ist noch so jung. Er steht +unter dem Birnbaum und schaut zu zu den Zweigen, an welchen die +Eiszähnchen des Rauhreifes wuchern. Er schaut hinaus über die Heide und +sieht eine kleine Strecke hin die braunen Birnbaumblätter liegen, und +hie und da einen Stein oder einen gebrochenen Rispenhalm; dann geht +alles in den grauen Nebel hinein. Und der Knabe schaut vor sich auf den +Boden hin und vergräbt seine Füßchen in das froststarre Laub, das vor +kurzen Monden noch hier oben grünte.</p> + +<p>Und dann zieht er mit seinen kleinen hageren Händen das Linnenwämschen +zurecht, daß es überall langen und wärmen solle, und dann steht er +unbeweglich und blickt in den Nebel hinaus.</p> + +<p>Und sieh, dort im Nebel ist ein kleiner dunkler Punkt, und der wird +schärfer und größer und löset sich endlich ganz ab von dem Grauen, und +es ist ein Mensch, der hastig des Weges kommt; ein sorgsam eingemummtes +Mädchen, wohl ein wenig erwachsener als der Knabe, aber doch lang' +nicht tausend Wochen alt.</p> + +<p>Das Mädchen hält an und sieht auf den Knaben hin:</p> + +<p>»Was stehst denn du da?«</p> + +<p>»Ich weiß es nicht,« war die zaghafte Antwort.</p> + +<p>»Wer bist du denn?«</p> + +<p>»Ich bin der Bübi.«</p> + +<p>»Wartest du auf wen?«</p> + +<p>»Auf den Tati.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span></p> + +<p>»Du armer Narr, du frierst ja in den Nebel hinein. Mußt du noch lange +warten?«</p> + +<p>Der Kleine sah mit seinen braunen Augen auf. Diese Augen taten dieselbe +Frage: »Muß ich noch lange warten?«</p> + +<p>»So will ich dir ein Feuer machen, daß du dich wärmen kannst, bis der +Tati kommt.«</p> + +<p>Sie zog ihre Hände aus der Schürze und hub an, Reisig zusammenzutragen +auf einen Haufen, dann tat sie ein Streichhölzchengefäß hervor und dann +brannte das Holz.</p> + +<p>»So, und jetzt stelle dich daran und wärme dich und versenge dein +Gewand nicht und warte.«</p> + +<p>Das Mädchen ging weiter, ging wieder in den Nebel hinein, bis es in +ihm verschwand. Der Knabe hatte dem Mädchen unverwandt zugeschaut, +und als es nun nicht mehr zu sehen war, wendete er sein Auge auf den +Reisighaufen. Da drin knisterte es und die Flämmchen mehrten sich und +hüpften von einem Ästchen zum andern und strebten empor. Hastig stieg +der dünne, blaue Rauch auf und verschwamm in dem Nebel. Der Knabe +blickte in die Flammen. Ganz nahe stand er am Feuer, rührte kein Glied, +bewegte keine Miene, starrte gleichweg in die Flammen.</p> + +<p>Das Feuer prasselte, schlug hoch empor; das Reisig brach ein, die +Flammen schrumpften zusammen, die Kohlen knisterten milder, glühten +still, bröckelten und sanken zur Asche in den Boden.</p> + +<p>Stunden waren vergangen, und der Knabe blickte mit geröteten Wangen in +das versterbende Feuer. Er hatte kein abseits gefallenes Ästlein in die +Glut geschoben, er hatte keine Kohle geschürt; wie das Feuer strebte +und verging, so ließ er es streben und vergehen. Die letzten Kohlen +glühten heller und tiefer, denn es hub an zu dunkeln, und der Nebel lag +dichter und finsterer auf der Heide.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span></p> + +<p>Seit dem Mädchen war kein Mensch mehr gekommen und gegangen; der Knabe +hatte nach keinem ausgeblickt. Es war, als wollte er so stehen bleiben +durch den Abend, durch die lange Nacht und immer.</p> + +<p>Als es schon sehr dunkelte, kam von jener Seite, in die das Mädchen +hingegangen, ein Knarren und Ächzen heran. Es war ein Fuhrwerk; zwei +Rinder zogen einen Wagen, auf dem ein Mann saß, der Tabak rauchte. Als +er den Knaben sah, rief er: »Ho, oha!« Da blieben die Ochsen stehen und +nun fragte der Fuhrmann, wie vor Stunden das Mädchen gefragt hatte: +»Was stehst denn du da? Wer bist? Auf wen wartest du so spät in der +Weite?«</p> + +<p>»Auf den Tati.«</p> + +<p>»Auf deinen Vater? Wo ist er denn hingegangen?«</p> + +<p>»Der ist auf die Kirmes gegangen.«</p> + +<p>»Sprich die Wahrheit, Kleiner! Heute gibt es weit und breit herum keine +Kirmes.«</p> + +<p>»Auf der Kirmes hat er Musik gemacht bis in die späte Nacht, und +jetzunder ist er noch nicht zurückgekommen.«</p> + +<p>»Alle Heiligen!« ruft der Mann, »das war ja der Musikant, den es vor +drei Tagen in Ottenkirch auf der Kirchweih getroffen hat! Kleiner, das +Warten ist nichts. Komm' zu mir auf den Wagen.«</p> + +<p>Jetzt wurde der Knabe verwirrt, aber er kletterte mit Hilfe des Mannes +auf den Karren und setzte sich auf das Stroh. Hierauf taten sie eine +härene Decke über ihre Glieder und der Mann rief »Hie jetzt!« und der +Wagen hub an zu knarren. Sie fuhren durch Nacht und Nebel über die +Heide. Der Knabe antwortete kaum auf die Fragen seines Schirmers, +sondern starrte fast unverwandt in das Glimmen der Pfeife, aus der +jener den Rauch sog. — —</p> + +<p>Seit diesem Tage waren ungezählte Tage vergangen.<span class="pagenum" id="Seite_312">[S. 312]</span> Der Knabe von +der Heide war erwachsen und ein wohlgebildeter Jüngling geworden. +Jener Fuhrmann war ein Schmiedmeister gewesen und hatte den kleinen +Balthasar in seinem Handwerke erziehen wollen. Aber das ging nicht, der +sonst so fleißige Bursche starrte fortweg in die sprühende Esse oder +blickte träumerisch das glühende Eisen an, statt auf dasselbe frisch +loszuhämmern. »Junger Mann, das Eisen muß man schmieden, solange es +warm ist!« sagte hierauf der Meister eines Tages und riet dann dem +Burschen, er möge es einmal anderswo versuchen.</p> + +<p>Balthasar kam in einen Pachthof. Das war ein flinkes Arbeiten auf +dem Felde und im Obstgarten; aber des Abends, wenn andere im Freien +herumstreiften, scherzten und mit den Weibsleuten schäkerten, saß der +Balthasar am Herd und sah den Flammen zu.</p> + +<p>»Balthasar,« sagte nun der Pächter einmal, »was schaust du so drein und +bist nicht lustig wie die andern?«</p> + +<p>Da blickte der Bursche auf: »Ich? Warum sollt' ich denn nicht lustig +sein? mir geht es gut.« Sein Auge sank wieder der Glut des Herdes zu +und das Antlitz des Jünglings sah nicht betrübt.</p> + +<p>»Wenn ich nur wüßte,« rief der Pächter, »was um des Himmelswillen da in +der Aschengrube drin zu sehen ist.«</p> + +<p>Jetzt hob der Balthasar wieder sein Haupt und sagte die Worte: »Ich +weiß auf der Welt nichts Schöneres.«</p> + +<p>Der Pächter schwieg eine Weile und starrte auch in die Flamme, aber +nur im Sinnen, was er auf die Worte entgegnen sollte. Und endlich +entgegnete er: »Wärst du sonst nicht so bündig und findig, man müßte +hell meinen, du bist ein Narr!«</p> + +<p>Und der Pächter ging davon. Der Balthasar aber blieb sitzen am Herde +und murmelte in die Glut hinein: »Allmiteinander<span class="pagenum" id="Seite_313">[S. 313]</span> wissen sie es nicht, +wer das Feuer hat angezündet. Mädchen, dich will ich nicht verraten, +aber du bist so schön und so gut wie das Licht.«</p> + +<p>Balthasar konnte gar flink und heiter sein; viel öfter aber verlor +er sich in stilles Sinnen und Träumen. — Ich weiß nicht woher, aber +sie ist gekommen und hat mir das Feuer gemacht auf der Heide, daß ich +Waisenkind nicht bin erfroren. Und sie ist wieder gegangen, ich weiß +nicht wohin. Mir schwant, ich soll sie nimmermehr sehen. Aber in den +Flammen, da ist sie bei mir.</p> + +<p>Sie haben es nicht geahnt, welche Art von Frömmigkeit es war, wenn +Balthasar am Sonntag in der Kirche sein Auge vom Altar nicht abwendete, +bis die letzte Kerze verloschen.</p> + +<p>Eines Tages brannte das Armenhaus; ein Kind war in Lebensgefahr. +Balthasar brach lustig durch die Flammen und befreite das Kind.</p> + +<p>»Der ist der Prophet Daniel oder der Teufel,« sagten die Leute.</p> + +<p>»Ei, das ist ja der Narr, der die schönsten Weiber übersieht und mit +der Herdglut liebäugelt; dem tut kein Funke was, das ist der Feuermann!«</p> + +<p>Der Feuermann! Dieser Name ist dem Burschen geblieben, und in diesem +Namen war es ihm, als sei er mit dem Feuer, dem Sinnbilde seines +Glückes, getraut und vermählt.</p> + +<p>Stiller und verschlossener wurde der Balthasar; teils schwermütige, +teils heitere Schwärmerei webte in ihm; er lebte in vergangenen Zeiten. +Seine Vergangenheit, sonst so arm und dunkel und frostigkalt, hatte +einen leuchtenden Stern. Die Mitmenschen spotteten seiner, da wendete +er sich noch mehr von ihnen ab und noch mehr der Flamme zu. Fast<span class="pagenum" id="Seite_314">[S. 314]</span> +unheimlich war es, wie er an Feuerstätten des Herdes oder des Waldes +saß, und dem wunderbaren ewigen Rätsel des Flammenlebens zusah und +darüber alles andere vergaß. Zuletzt wurde Balthasars Auge so geübt, +daß er selbst in die Sonne hineinblicken konnte, wenn er auf dem Felde +lag. Hingegen zogen sich nach und nach alle anderen Gegenstände von +seinem Auge ab und verschwammen zitternd und unsicher in Dämmerung. +Endlich hatte die Flamme wahrhaftig gesiegt. Eines Tages war Balthasar +erblindet.</p> + +<p>Jetzt waren genug Leute da, die behaupteten, so hätten sie es +vorausgesehen, und so hätte es kommen müssen. Und früher war kein +einziger gewesen, der dem seelenkranken Burschen das zehrende Feuer zu +mildern gesucht hätte durch die Wärme eines verstehenden Herzens.</p> + +<p>Balthasar aber saß nun stets auf der Bank vor dem neugebauten +Armenhause und wendete das Antlitz ruhig hinaus gegen das Weite. Er +war's zufrieden. Von allen lichtlosen Dingen der Erde verlangte ihm +nichts zu sehen, und die Flamme hatte er, schaute er noch immer mit +seinem Auge. »Wie schön hell sie leuchtet!« lispelte er zuweilen vor +sich hin; und ein anderesmal wieder war er betrübt und murmelte: »Weh', +heut' ist sie matt. Wenn sie verlischt! Balthasar, wenn du erblindest!« +Er wußte es kaum, daß er längst erblindet war, daß er keine Blume und +keines Menschen Angesicht und in Wahrheit keinen einzigen Lichtfunken +mehr sah. Sein Sehnerv träumte nur noch von dem Flammenreiche, in dem +er seit Kindestagen gewandelt war.</p> + +<p>Manches lange, einsame Jahr hatte die Sonne seitdem erweckt und +versenkt. Da kam wieder einmal die Kirchweih in Ottenkirch.</p> + +<p>»Balthasar,« sagte der Ortsrichter zu dem Blinden, der auf der Bank +des Armenhauses saß, »dein Vater hat auf der<span class="pagenum" id="Seite_315">[S. 315]</span> Ottenkircher Kirmes +musiziert, so magst du wohl auch auf diese Kirmes gehen, auf daß du +kleine Gaben für dich sammelst.«</p> + +<p>»Wohl, wohl,« sagte Balthasar.</p> + +<p>Und am Morgen der Kirchweih lächelte Balthasar vergnügt bei sich. — +Er wird Glück haben bei seinem Gabensammeln, die Flamme, die er stetig +sieht, brennt heute hell. — Ein Knabe führte ihn nach Ottenkirch und +dort, wo am Beginne des Dorfes das Kreuz steht, ließ er den Blinden +hinsitzen auf den reiftauigen Rasen und ging davon. Balthasar fühlte +den Frost und den Nebel wie einst auf der Heide, aber er hörte die +Kirchenglocken und die Schritte und das Plaudern und das Lachen der +Leute, die vorübergingen. Die Leute sahen den Blinden nicht, oder +gedachten auf dem Rückweg ihm das Almosen zu reichen. — Auch Musik +hörte Balthasar von den Häusern her; ihm war, als ob sein Vater geigte. +Die Flamme flackerte vor seinem Auge, als ob ein Sturmwind ginge.</p> + +<p>Zwei übermütige junge Herren in feinen Tuchröcken und Seidenhüten kamen +des Weges.</p> + +<p>»Ei, schau,« sagte der eine, »da sitzt ein armer Blinder, dem müssen +wir ein Almosen reichen!« und warf ein schweres Stück in den Hut.</p> + +<p>»Vergelt's euch Gott!« rief Balthasar, und tastete nach der Gabe; +»Herr,« sagte er dann, »das ist ein Kieselstein. Und man kann daraus +Funken schlagen. Vergelt's Euch Gott!«</p> + +<p>Die jungen Herren gingen lachend weiter, gingen in das Dorf. Sie riefen +jedem Krämer einen scharfen Spott zu. Vor der bekränzten Kirchentür saß +ein Weib und bot Obst feil. Das Weib war nicht alt, aber auffallend +häßlich geartet im Antlitze, bis auf die großen schönen Augen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_316">[S. 316]</span></p> + +<p>»Ei,« rief einer der beiden jungen Herren und hob einen Apfel aus dem +Korb; »sind diese Äpfel aus jenem Urwalde, in welchem deine Eltern auf +den Bäumen herumgeklettert?«</p> + +<p>Die Obstverkäuferin erschrak. Wohl mochte sie gewohnt sein, ihrer +Häßlichkeit wegen manchen Spott zu verwinden, aber diesmal ging's ihre +Eltern an — das grub wild.</p> + +<p>Die Obstverkäuferin war im Herzen verletzt, sie nahm den Korb und ging +davon, ehe das Fest noch recht anhub.</p> + +<p>Als sie vor das Dorf hinauskam, sah sie den Bettler. Sie blieb stehen +und blickte eine Weile auf die Züge des Mannes, der noch fast jung +war und ein solches Schicksal hatte. Der ist zu gut, um vor der rohen +Menge zu betteln, dachte sie, und dann, indem sie ein Geldstück aus der +Tasche zog, sagte sie: »Armer Mann, was willst denn du da?«</p> + +<p>Kaum den Ton der Worte vernehmend, springt Balthasar auf, tastet mit +den bebenden Händen und stöhnt: »Mädchen, Mädchen, du — du bist es, +die mir das Feuer hat angezündet! — O, ich kenne dich, ich sehe dich, +du schöner, du guter Engel! Bleib' nur ein wenig, bleib' bei mir!«</p> + +<p>Das Mädchen setzte den Korb ab und suchte den erregten Mann zu +beruhigen. »Weißt du's nimmer!« rief Balthasar mit freudeglühenden +Wangen, »es ist Herbst gewesen; der Waisenknabe ist gestanden auf der +Heide, zum Erfrieren. Dann bist du gekommen und hast das Feuer gemacht. +Du mußt es wissen, das Feuer brennt ja noch.«</p> + +<p>Die Obstverkäuferin hat dem blinden Manne das bereitete Geldstück nicht +gegeben; sie hat den armen Balthasar mitgenommen, am Arm geführt und +zuletzt auf einem Wagen heimgebracht in den Wohlstand und den Frieden +ihres Hauses.</p> + +<p>Er wußte seine Blindheit nicht, er sah das Herrlichste, was man sehen +kann, die Schönheit einer guten Seele.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_317">[S. 317]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Herr_Meyer_der_Belehrende">Herr Meyer, der Belehrende.</h2> +</div> + + +<p>Michel war von väterlicher Seite ein geborener Meyer, von mütterlicher +Seite ein geborener Sonderling. Sein Vater war Landwirt im oberen +Ennstale; seine Mutter war die Landwirtin dazu. Sie waren vom Haus aus +lutherische Leut', und die Frau trug — so ging die böse Mär — unter +ihrem letzten innersten Brustfleck ein Amulett, ein kleines Bild des +großen Tintenkleckses, welchen Luther erzeugte, als er sein Tintenfaß +dem Teufel an den Schädel geschleudert hatte. Der Meyerin liebster +Wandel war, daß sie umherging, um die Nachbarn zur reinen christlichen +Lehre zu bekehren. Das gelang ihr nur bei einigen von denen, die +ihr Geld oder Butter schuldig waren, die andern blieben verstockte +Katholiken. Da wurde der Meyerin eines Tages gesagt: »Du scher' dich +nicht um fremder Leut' Glauben und schau einmal, wie's dein Michel +treibt, der glaubt nichts Katholisches und nichts Lutherisches; Heid +ist er keiner, Jud ist er keiner. Dein Michel ist gar nichts.«</p> + +<p>Ihr Michel, der war seit seiner Kindheit in der Stadt und hätte die +Gottesgelehrtheit studieren sollen. Aber weil er alles wissen wollte, +so studierte er auch andere Gelehrtheiten. Und als ihrer solche immer +mehr wurden und im Gehirne des Jünglings kräftig aufwuchsen, so fielen +sie über die arme Gottesgelehrtheit her und fraßen sie auf. Und der +Michel Meyer war auf einmal ein Weltgelehrter; er blickte in das Wesen +der Dinge ein, aber von Muttern blieben die Gelder aus — denn die +Gelder waren lutherisch.</p> + +<p>Hingegen hatte der Vater, der alte Meyer, etwas Konfessionsloses<span class="pagenum" id="Seite_318">[S. 318]</span> in +seinem Kasten, und das half dem Studiosus recht christlich über Zeiten +hinaus, die sonst schwer gewesen sein würden.</p> + +<p>Der Michel aber war kein regelmäßiger Studiosus, der nach regelmäßigen +Rigorosen und Kommersen ein regelmäßiger Professor wird. Ihm war die +Wissenschaft mehr als ein Handwerk, das sonst mit allen Vorurteilen +einer alten Zunft ausgeübt wird. Und doch steckte in dem Michel dickes +Schulmeisterblut. Die Wissenschaften, die er eingesogen, die in ihm +großgewachsen waren, wollten ihn nun fast zersprengen, und schier, wo +er stand und ging, explodierte sein Gehirn. Das heißt, wo er stand +und ging, dozierte er; ja noch mehr, schon des Morgens, wenn er noch +im Bette lag und die alte Haushälterin mit dem Frühstück in die Stube +trat, tat er derselben dar, wieso es eigentlich komme, daß das Glas +schwitzt, wenn es mit frischem Wasser vom Brunnen kommt, und wie das +mit dem Wetter zusammenhänge, so daß an einem schwitzenden Glase die +Beständigkeit der schönen Witterung vorausgesagt werden könne. Auch +machte er die Alte oftmals darauf aufmerksam, daß der Kaffee in der +Schale ein vorzüglicher Barometer sei. »Wenn sich in der Schale jetzt +der Zucker, den ich hineingeworfen habe, aufgelöst, so werden Sie +sehen, daß auf der Oberfläche ein Schaum entsteht; steht dieser Schaum +in der Mitte, so hält das schöne Wetter an, legt er sich aber an den +Rand, so haben wir bald Regen. Sehen Sie, er steht in der Mitte! — +Das ist merkwürdig, nicht wahr? Nun hören Sie, jetzt will ich Ihnen +erklären, wie das kommt.«</p> + +<p>Die Haushälterin machte sich stets beizeiten aus dem Staube, der noch +nicht aufgewischt war; sie bewunderte die Weisheit ihres Zimmerherrn, +aber sie verstand nichts von dem, was er erklärte. Sie glaube es schon +auch ohne Erläuterung,<span class="pagenum" id="Seite_319">[S. 319]</span> meinte sie, und sie sei halt so viel eine +einfache Person.</p> + +<p>Der Herr Meyer aber benützte fleißig das schöne Wetter, das ihm +von seinem Kaffee vorausgesagt worden war, und ging hinaus in die +freie Natur zu den schlichten Landleuten, um sie zu unterweisen und +aufzuklären. Denn »in der Dorfschule lernen sie nichts und auf die +Universität gehen sie nicht; aber eines jeden Gebildeten Pflicht ist +es, sie aus der ägyptischen Finsternis herauszuführen«. — So der +Grundsatz des braven Michel, der zudem auch Schick hatte, die Dinge +einfach und gemeinverständlich darzutun. Er sprach daher mit dem Bauer +von der rationellsten Bewirtschaftung der Felder, erklärte, was der +Humus eigentlich ist, was der Dünger tut, und daß der Regen nicht +unmittelbar als Wasser auf den Boden wirkt, sondern als Lösungsmittel, +welches die Salze in der Erde auflöst und den Pflanzen also zugänglich +macht.</p> + +<p>Kam er zu einem Hirten auf die Au, so setzte der Michel bei diesem das +größte Interesse für die Blumen und Kräuter voraus und hielt ihm auf +der Stelle einen botanischen Vortrag. Und wenn der Hirt davonlief, +so schüttelte der Michel über einen solch krassen Indifferentismus +schwermütig den Kopf.</p> + +<p>Hingegen war er glücklich, wenn er unterwegs irgendwo einen jener +grübelnden Handwerksleute traf, die über alles sinnieren, nach allem +fragen oder im Notfalle auch alles selbst zu erklären wissen. Weiß der +eine: Ja, so ein winziges Sternl am Himmel ist viel größer, als es uns +scheint; nur die Entfernung macht es uns so klein, in Wirklichkeit +ist es gewiß so groß wie ein Eimerfassel. — Oder aber: Das Erdbeben! +Da ist halt ein großer Drache in der Erden d'rin, und so oft sich der +bewegt, schüttelt sich der Boden und das<span class="pagenum" id="Seite_320">[S. 320]</span> ist das Erdbeben. — Wieder +ein anderer berichtet: Ja, jetzt kriegen wir Krieg. Unser Kaiser hat +seinen Alleröbersten, der nach ihm halt der Höchste ist, zum Türken +in die Türkei hineingeschickt, und daß er — der Türk' — halt sollt' +Fried' geben und nicht Krieg führen. Und jetzt, da ist der Türk' +hergegangen und hat dem Kaiser seinen Freund, halt, der nach ihm der +Alleröberste ist, abschlachten und braten lassen, und hat ihn gebraten +unserem Kaiser in einer Kisten zurückgeschickt. Deswegen wird jetzt ein +schauderlicher Krieg anheben. — Oder: Unsere liebe Frau ist ja wieder +einem Hirtenmädchen erschienen und hat ihr's vertraut: daß, wenn sich +die Menschen nicht bekehren, eine solche Hungersnot kommen wird, daß +die Leut' Brot von gemahlenem Haberstroh essen, und das nicht einmal +genug haben werden.</p> + +<p>Da gab's denn für Herrn Michel Meyer in Hülle und Fülle zu tun. Derlei +Ansichten und Reden machten ihm das Blut heiß, und mit Eifer suchte er +sie zu widerlegen und die Wahrheit, wissenschaftlich bewiesen, dafür +hinzustellen. Nur in einem hätte er selbst belehrt werden sollen, +nämlich, daß die Seele des Volkes am liebsten von der Phantasie lebt.</p> + +<p>Aber der Michel predigte drauflos. Dem erklärte er das Wachstum +der Bäume; einem anderen bewies er, daß die Erde rund ist wie ein +Ball; einen Dritten belehrte er über die Natur der Staatsschuld, +ihre Ursache und Rückwirkung und ihre Notwendigkeit; einem Vierten +zeigte er mit Kerzenlicht und einem Apfel das Wesen der Sonnen- und +Mondesfinsternisse; einem weiteren legte er die Eigenarten gewisser +Steine dar, erläuterte die Anziehungskraft großer Körper oder eine +andere der physischen Kräfte: den Magnetismus, die Elektrizität.</p> + +<p>Häufig fand der Wanderdozent ein geneigtes Ohr, bisweilen sogar ein +gelehriges — und da kam eine tiefe Befriedigung<span class="pagenum" id="Seite_321">[S. 321]</span> in sein Wesen, und +er sagte sich: Also, endlich geht es doch vorwärts — <em class="gesperrt">muß</em> es +vorwärts gehen. Die nächste Generation wird vernünftig sein; vielleicht +richte ich schon in dieser was aus.</p> + +<p>Eines Tages begegnete Herr Meyer einem kropfigen, schnaufenden, +grinsenden Kretin. Den faßte er liebevoll an der Hand, zog ihn zu +sich auf eine Bank und sprach vom Kretinismus. Er sagte, daß er — +der Kretin — nicht selbst schuld sei an seinem Unglücke, daß die +Ursache oftmals in den geologischen Verhältnissen, in der Feuchtigkeit +der Gegend und der Luft, im Trinkwasser und leider auch oft in der +Erziehung liege.</p> + +<p>Der Kretin starrte ihn an, streckte seine langen, dürren Finger nach +einem Härchen aus, das dem Michel gerade auf der Nasenspitze wuchs und +grinste. Allein, der Herr Meyer ließ sich nicht irre machen, gab seinem +Bankgenossen Verhaltungsmaßregeln, was die Lebensweise anlangt: viel +Bewegung machen, sich von Fleischspeisen nähren, stets auf gesunde +Luft und Reinlichkeit sehen; dadurch entwickle sich der Körper und die +Entwickelung des Körpers hätte jene des Geistes zur Folge.</p> + +<p>Der Kretin brach in ein röchelndes Lachen aus; denn es hatte sich das +Härchen auf der Nase bewegt.</p> + +<p>Und ein andermal, da sah der Michel auf der Wiese vor einem Haus ein +Mädchen. Das sang ein schelmisches Liebeslied und begoß einen langen +Leinwandstreifen, der auf der Wiese zum Bleichen ausgebreitet lag. Der +Herr Michel sah dem hübschen Wesen eine Weile zu, und aus der Gießkanne +regnete es hin auf das von der Sonne beschienene Leinwandfach, welches +ohnehin schon weiß genug schien, um von einer anmutigen Hausfrau +geglättet und in den Schrank gelegt zu werden.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_322">[S. 322]</span></p> + +<p>Eine anmutige Hausfrau! In Ermangelung eines anderen Hörers hatte es +sich der Herr Michel selbst einmal auf Grundlage seines Charakters und +Alters sehr folgerichtig bewiesen, daß er eine Hausfrau haben müsse. +Und als er nun das Mädchen sah, welches das schelmische Liebeslied +sang und ihn dabei so holdselig anblickte, drängte sich ihm sonder +jeglichen Beweises die Überzeugung auf: das ist die zukünftige ehr- und +tugendsame Hausfrau des Herrn Michel Meyer. Er trat daher ganz zu ihr +hin und sagte: »Tust du Leinwand spritzen, Dirn?«</p> + +<p>»Ja, ich tu' Leinwand spritzen, Bub'.«</p> + +<p>Das trauliche Bub' machte dem Michel das Herz lebendig.</p> + +<p>»Und weißt du wohl, wie das ist, daß die Leinwand durch das Bespritzen +weiß wird?« fragte er.</p> + +<p>»Freilich, weil sie gewaschen wird.«</p> + +<p>»Daß sie gewaschen wird,« sagte er, »würde nicht genügen, es muß noch +die wohltätige Einwirkung der Sonne dazukommen.« Und hierauf erklärte +er den Einfluß des Lichtes auf die Farbe; und wie die Leinwand noch auf +anderem, dem chemischen Wege weiß gemacht werden könne.</p> + +<p>Das Mädchen hielt die leere Kanne in der Hand, hörte zu und wendete +kein Auge von dem jungen Manne, der so schön sprach, daß sie nachgerade +noch weniger davon verstand, als bei der Viehausstellung, wenn der Herr +Doktor eine Rede hielt, die doch auch immer sehr schön ausfiel.</p> + +<p>Und als er seinen Vortrag geendet hatte, sagte sie: »Laß es wohl +gelten.«</p> + +<p>Und er dachte jubelnd bei sich: Das ist ein intelligentes Mädchen! +Meinem nicht ganz unschwierigen Gedankengang hat sie zu folgen +vermocht. Sie liebt mich, und die Liebe<span class="pagenum" id="Seite_323">[S. 323]</span> hebt naturgemäß das Weib zum +Manne empor — auch in geistiger Beziehung.</p> + +<p>Mit einem sehr höflichen Gruß verließ er die Leinwandbleichende und +nahm sich vor, am nächsten Tage um dieselbe Zeit wieder an der Stelle +zu erscheinen. Allein am nächsten Tage war ein anderer da, der das +Geschäft der Sprenge besorgte — ein schöner, frischer Landregen. Doch +wie schon echte Weisheit jedes Hindernis zur Fördernis zu machen weiß, +so kehrte der Herr Michel heute im Hause ein — bittend um Obdach. Das +Mädchen war allein daheim; Vater und Mutter waren auf die Hochzeit +eines Verwandten gegangen.</p> + +<p>»Zum Glücke bist du nicht gegangen,« sagte der Michel, »du wärest doch +gewiß viel hochzeitlicher wie Vater und Mutter.«</p> + +<p>»Ich mag nicht früher auf die Hochzeit gehen, als bis ich selber dabei +die Braut sein kann,« war die Antwort.</p> + +<p>»Da hast du schon recht. Ich mag ebenfalls bei keiner dabei sein, außer +ich wäre der Bräutigam.«</p> + +<p>»Da hat der Herr auch recht.«</p> + +<p>»Du Mädel,« versetzte der Michel fast zärtlicher, als es einem Manne +der Wissenschaft ansteht, »gestern hast du mich <em class="gesperrt">Bub'</em> geheißen. +Der möchte ich auch heute wieder sein.«</p> + +<p>»Man ist nicht alle Tag' zu so Dummheiten aufgelegt. Heut' ist +Regenwetter, und ich hab' nicht gut ausgeschlafen.«</p> + +<p>»Hat dich etwa gar deine Hochzeit nicht mehr schlafen lassen?«</p> + +<p>»Die Trud hat mich gedrückt.«</p> + +<p>»Der Alp?«</p> + +<p>»Ist auf mir gelegen — ein schauderhaftes Getier, und gemeint hab' +ich, ich müßt' ersticken.«</p> + +<p>»Das ist ja kein Getier gewesen,« lachte der Herr Michel, und dann +fuhr er ernsthaft fort: »Der Alp oder die Trud,<span class="pagenum" id="Seite_324">[S. 324]</span> wie Ihr sagt — auch +Nachtmahr wird die Erscheinung genannt — ist weder ein Körper noch +ein Gespenst, sondern das Produkt einer Atemnot. Das Alpdrücken wird +erzeugt, wenn auf Mund oder den Nasenöffnungen die Bettdecke, das +Kissen oder dergleichen zu liegen kommt. Diesen Beschwerden gesellen +sich sofort beängstigende Träume bei, welche so lange währen, bis +es dem Schlafenden gelingt, durch eine unwillkürliche Bewegung die +Respirationsöffnungen wieder zu befreien.«</p> + +<p>»Der Herr kann gewiß ein Trudenkreuz machen?« fragte das Mädchen, »aber +sieben Ecken muß es haben. Mit fünf Ecken kann's der Peter auch, die +helfen nichts.«</p> + +<p>Sie gab ihm ein Stück Kreide in die Hand und führte ihn in die Kammer +zu ihrem Bette. Es war fein und hoch geschwellt, hatte eine lichtblaue +Decke mit schneeweißem Linnenüberschlag und ein rosenrotes Kissen.</p> + +<p>»Da sollt's halt herkommen, da,« sagte sie und deutete mit der Hand auf +das Kopfbrett.</p> + +<p>»Liebes Kind,« sagte er, »das kann ich nicht tun, weil es den +Aberglauben befördert, oder wenn du mir lohnst, so zeichne ich dir +etwas anderes auf die Bettstatt. Doch — ich muß einen Kuß dafür +kriegen.«</p> + +<p>»Aber na!« lachte sie, »Er ist doch recht ein verliebter Ding!«</p> + +<p>»Ich gestehe es dir, Mädchen, ich liebe dich. Ich trete in kurzer Zeit +eine Professur an und heirate dich, Mädchen, wie du mir schon gestern +gefallen hast; ich will dich aus der Unwissenheit des Volkes reißen und +eine rechte, gebildete Frau aus dir machen. — Wie heißest du?«</p> + +<p>»Gusta,« flüsterte das Mädchen errötend und schlug die Augen zu Boden.</p> + +<p>»Also, Augusta, willst du mein sein?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_325">[S. 325]</span></p> + +<p>Sie hielt ihr Köpfchen tief gesenkt und schwieg.</p> + +<p>»Ich begreife es wohl,« sagte er, »daß du mit deiner Antwort zögerst, +so lange dir das Wesen der Liebe in seiner Definition noch unbekannt +ist. — Die Liebe, Augusta, in welche beide wir nun einzugehen +gedenken, haben in ihrer Totalität die größten Männer aller Zeiten +bisher nicht vollständig zu erklären vermocht. Doch vom modern +wissenschaftlichen Standpunkte aus ist sie eine elektromagnetische +Kraft, welche zwei Personen beiderlei Geschlechts zusammenführt, aber +stets nur in solcher Wahl, daß die physischen Eigenschaften, sowie auch +die psychische Bildung der beiden Personen sich gegenseitig ersetzen +und vervollständigen. Um hiervon den Beweis zu erbringen, wird es +allerdings nötig sein, eine mathematische Formel aufzustellen, und zwar +—«</p> + +<p>Er begann mit der Kreide auf die Bettstatt zu schreiben.</p> + +<p>»<em class="antiqua">Plus A</em> und <em class="antiqua">minus B</em> können, um mich populär auszudrücken, +nicht mitsammen harmonieren; noch weniger werden sich <em class="antiqua">plus A</em> +und <em class="antiqua">plus B</em> mitsammen vertragen, ein Verhältnis, das sich mit +<em class="antiqua">minus A</em> und <em class="antiqua">minus B</em> wiederholt. Demnach ist im gegebenen +Beispiele nur eine Komposition möglich, nämlich <em class="antiqua">plus A</em> und +<em class="antiqua">minus A</em>, oder auch <em class="antiqua">plus B</em> und <em class="antiqua">minus B</em> — eben so +viel, als zwei gleichgeartete, aber nicht gleichartige Wesen, die sich +gegenseitig ersetzen und den Unterschied in ihrer Vereinigung aufheben +— was zu beweisen war.«</p> + +<p>Gusta sagte, sie höre das Ferkel so arg grunzen und müsse nachsehen, ob +es sich etwa nicht wieder, wie letzthin, den Fuß zwischen den Barren +verklemmt habe. Sie ging hinaus und ließ den Herrn Michel stehen in der +Kammer.</p> + +<p>An einem der nächsten Tage suchte er das Mädchen wieder auf und sagte, +wenn es ihn von nun an definitiv liebe, so würde er sich vielleicht +gelegentlich doch noch entschließen, das Opfer zu bringen, gegen seine +Prinzipien zu<span class="pagenum" id="Seite_326">[S. 326]</span> verstoßen und ihr zu Liebe das Trudenkreuz an ihre +Bettstatt zu malen.</p> + +<p>»Je!« rief Gusta, »da ist der Herr schon zu spat dran. Just gestern +hat mir der Peter das Trudenkreuz gemacht — ein siebeneckig's ist's +worden, und heut' in der Nacht hab' ich gut geschlafen.«</p> + +<p>Freilich hat sie ihm verschwiegen, daß sie gestern noch +Atembeschwerden gehabt, weil ihr der Peter einige Augenblicke lang die +Respirationsöffnung durch einen Kuß verschloß.</p> + +<p>Aber der Herr Michel ahnte etwas dergleichen und zog fürbaß. Und als er +sich auf seinen Wanderungen vielfach überzeugt hatte, daß die besten +seiner verkündeten Theorien im Volke schon längst praktisch geübt +werden und es eben diese Theorien waren, die ihm selbst nicht Zeit +ließen, praktisch zu sein, beschloß er, seine Fahrten aufzugeben.</p> + +<p>Wir finden ihn heute in Wien als Dozenten; jede Lehrstunde, die er +gibt, läßt er sich vergüten.</p> + +<p>Und recht hat er. Das Gold des Wissens schleudert man nicht in +Hellerchen unter die Leute, die es in den Staub treten. Selbst die +feingebildete Hausfrau des Herrn Professors, die er in der Stadt +gefunden, verzichtet gerne auf den mathematischen Beweis seiner Liebe.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_327">[S. 327]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Ein_Mann_ein_Wort">Ein Mann, ein Wort.</h2> +</div> + + +<p>In einer kleinen Männergesellschaft war davon die Rede, daß in dem +Spruch: »Ein Mann, ein Wort« eigentlich der Hauptgrund des bürgerlichen +Rechtes, sowie des Völkerrechtes, folglich die Basis aller Zivilisation +liege.</p> + +<p>Obwohl diese Behauptung Stoff zu einer schönen Gegenrede gegeben hätte, +widersprach ihr kein einziger — bis auf den Major Schläger.</p> + +<p>»Ein Mann, ein Wort!« sagte er ablehnend, »ich bin auch ein Mann, aber +ich kann dieses Wort nicht hören.«</p> + +<p>Das machte Aufsehen, denn just den Major kannte man als einen höchst +wahrhaftigen, pflichttreuen Charakter.</p> + +<p>»Ja,« sprach der Major mit einem Ernste, der für diesen Abend sonst die +Gesellschaft nicht beherrschte, »der Spruch ist mein Schild geworden, +ihm lebe ich, aber hören kann ich ihn nicht mehr, er ist hart, manchmal +zu hart für den Menschen. Mit dem Prinzip von der Gerechtigkeit ist's +nicht immer getan, wir alle bedürfen Rücksicht, Nachlaß, Liebe. Die +Liebe ist schöpferisch, die Gerechtigkeit ist im besten Falle nur +erhaltend. Man kann aus Gerechtigkeitsliebe manchmal ungerecht werden. +Wenn ich von mir verlange, mein Versprechen zu halten, so ist das +recht; wenn ich das unerbittlich von anderen begehre, so kann das unter +Umständen sehr unrecht sein. Ein gegebenes Wort läßt sich nicht mehr +biegen, aber ein Mensch kann sich biegen, wenn er daran denkt, daß +höher als Gerechtigkeit die Liebe steht.«</p> + +<p>Da sich die Gesellschaft über eine solche Weichheit des sonst +trotzigen, auch physisch soldatenhaft strammen Mannes<span class="pagenum" id="Seite_328">[S. 328]</span> verwunderte, so +begann der Major ein Erlebnis zu erzählen, durch das seine Aussprüche +tiefere Begründung erlangten.</p> + +<p>»In der Touristensaison des vorigen Jahres« — so erzählte der Major +— »beschloß ich, die Schwabenkette in Steiermark zu durchwandern. Ich +begab mich nach Aflenz, um von dort aus den Hochschwab zu besteigen +und jenseits des Bergstockes den Abstieg nach Weichselboden oder +Wildalpen zu machen. Ich hatte mich schon am Vortage in Aflenz eines +Führers versichert, eines kräftigen Älplers, der — da in der Gegend +die Holzarbeiten eingestellt waren — keinen Erwerb hatte, wohl aber +ein zurzeit arbeitsunfähiges Weib und eine Hütte voll von Kindern. Der +Schütter-Franz war mir als ein sehr verläßlicher und gutmütiger Führer +geschildert worden, und so war ich für meine nicht unbeschwerliche Tour +der Hauptsorge enthoben.</p> + +<p>Am nächsten Morgen — es war ein prächtiger Tag zum Wandern — sprach +ich verabredetermaßen in der Hütte meines Führers, die am Wege in die +Fölz lag, vor, um den Franz abzuholen. Durch die Hüttentür eilten +mehrere Weiber aus und ein, und im Innern hörte ich ein gewisses zartes +Geschrei, so daß ich zum Franz, der an der Schwelle stand und nicht +recht wußte, was er hier zu tun habe, die Bemerkung machte:</p> + +<p>»Ich glaube, daß du heute nicht auf den Hochschwab steigen wirst.«</p> + +<p>»Warum denn nicht?« fragte der Mann befremdet.</p> + +<p>»Wenn das, was ich da drinnen in der Stube bemerke, deine Familie +angeht.«</p> + +<p>Er zog mich ein wenig zur Seite und vertraute mir, sein Weib hätte eben +einen kleinen Buben kriegt, weiter wäre es nichts.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_329">[S. 329]</span></p> + +<p>Ich beglückwünschte ihn und erkundigte mich, ob er mir einen anderen +Führer anraten oder verschaffen könne.</p> + +<p>»Will der Herr denn mich nicht haben?« rief er erschrocken.</p> + +<p>»Wie sie, so bist auch du entbunden — von deiner Zusage, das ist +selbstverständlich.«</p> + +<p>»Des kleinen Buben wegen soll ich daheimbleiben? O du blutiger Heiland, +wenn ich allemal daheim bleiben hätt' wollen, so oft ich einen kleinen +Buben kriegt hab', da hätte ich mein Lebtag viele Tagewerke versäumt!«</p> + +<p>»Nein, nein,« sagte ich, »das geht nicht.«.</p> + +<p>Hierauf zog er mich mit in die Stube, und insofern es ihm gelang, dort +den Jüngsten zu überschreien, verklagte er mich bei seinem Weibe, daß +nun doch wieder nichts aus dem Verdienst würde, weil ich, unserer +Verabredung entgegen, ihn nicht mitnehmen wolle.</p> + +<p>Die Wöchnerin, die wohl ein recht blasses Gesicht mit den Dulderzügen +der Armut hatte, bat mich mit leiser Stimme, unsere Vereinbarung +doch gelten zu lassen; es sei alles in guter Ordnung, was auch die +anwesenden Nachbarinnen bestätigen könnten. Sie wüßten ja gar nicht, +was jetzt anfangen, wenn kein Kreuzer Geld im Hause.</p> + +<p>Der Führerlohn war auf vier Gulden festgesetzt, wovon ich allsogleich +den vierten Teil dem jungen Weltbürger zum Angebinde auf das +Fensterbrett legte und den Franz, der mir als gemütvoller Mensch +geschildert worden, nochmals aufforderte, in dieser Zeit bei Weib und +Kind zu verbleiben. Die Partie würde an drei Tage in Anspruch nehmen, +ich könnte es nicht verantworten, ihn so lange von seinem Hause +abzuziehen.</p> + +<p>Ob es nur das wäre oder ob ich etwa sonst einen Widerwillen gegen ihn +gefaßt hätte, daß ich seiner auf einmal<span class="pagenum" id="Seite_330">[S. 330]</span> los sein wolle? So seine +Frage. Ich versicherte ihn, daß es einzig nur aus Rücksicht auf das +eingetretene Ereignis seines Hauses geschehe, wenn ich ihn ablehne.</p> + +<p>Er ließe sich aber nicht ablehnen, meinte der Franz.</p> + +<p>»Du gingest mit und würdest unterwegs unruhig sein, in steter Furcht +und Angst: wie mag's daheim zugehen? Würdest mürrisch werden, die +Partie abkürzen wollen und kein Ohr und Auge haben für das, was ich +will. Einen solchen Führer und Gesellschafter kann ich nicht brauchen. +Mein Begleiter ißt und trinkt und raucht mit mir, soll mich aufmerksam +machen auf dies und das, soll mich unterhalten, ein munteres Gesicht +haben und so sorglos sein, als ich es bin. Guter Franz, dazu bist du +dieser Tage nun einmal nicht der Mann.«</p> + +<p>Ich sah es, wie er mit leichtem Kopfnicken beistimmte, aber als er +sein bekümmertes Weib anschaute, das Kind, welches sie in arme Fetzen +wickelten, die größeren, die sich um die Rinde des Morgenbrotes +balgten, da war er doch wieder entschlossen, er ginge mit mir. Die +Weiber versicherten einstimmig, es sei um und um gar kein Bedenken da +und sollte sich etwas ändern, so könne der Mann am wenigsten dabei was +ausrichten, so Leute stünden bei derlei Dingen eher zum Hindernis im +Wege, als daß sie sich nützlich machen könnten. Der Franz versprach +mir, unterwegs recht lustig zu sein und mein treuer Diener, so lange +ich ihn brauche.</p> + +<p>»Bedenke es wohl!« stellte ich ihm noch einmal vor, »bis wir Mittag +zur Fölzerhütte kommen, wird dir schon bange werden, durch die Dulwitz +wirst du nichts mehr anderes reden, mindestens denken, als: wie wird +dem Weib sein? dem Kind? Es ist leicht was geschehen. Am Abend, wenn +wir in der Dulwitzhütte schlafen sollen, wirst du nach Hause wollen und +vielleicht morgens wieder kommen, abgehetzt und<span class="pagenum" id="Seite_331">[S. 331]</span> schläfrig. Ich aber +sage dir, Franz, ich werde keine Rücksicht haben, ich werde dich nicht +von mir lassen. Du wirst mich übergeben wollen an einen andern Führer, +wenn uns einer begegnet, daß du nach Hause eilen kannst. Ich aber werde +dich halten fest, wie der Herr den Sklaven; ich bin nicht gewohnt, mich +in fremder Gegend an fremde Leute hintauschen zu lassen, ich behalte +den, dessen Dienste ich mir gekauft habe, so lange, bis der Vertrag +abgelaufen ist. Ich werde unerbittlich sein, darum rate ich dir noch +einmal: Bleibe zu Hause, ich werde einen andern finden, dich aber für +ein andermal vormerken und bei Gelegenheit empfehlen. Wir scheiden als +gute Freunde.«</p> + +<p>»Ich gehe mit!« rief er entschlossen, »ich werde meinen Mann stellen, +wie es der Herr wünscht.«</p> + +<p>»Also denn!« sagte ich, »wenn du durchaus nicht anders willst. Du wirst +drei Tage lang mit mir sein.«</p> + +<p>»Ich werde den Herrn nicht verlassen.«</p> + +<p>»Ein Mann, ein Wort!«</p> + +<p>Er schlug in meine Rechte.</p> + +<p>Der Wöchnerin schien ordentlich leichter zu sein, da sie das Geschäft +abgemacht sah. Sie lächelte, als sie ihre kühle Hand in die meine legte +und dann in die ihres Mannes: Wir sollten nur recht gutes Wetter haben, +und der Franz sollte ihretwegen ganz und gar unbesorgt sein. Sie sagten +sich: »Behüt' dich Gott!« und das Weib ermahnte ihn noch, wenn er schon +was tun wolle, so solle er dem Bübl ein Kreuz über das Gesicht machen, +es würde dann zur Taufe getragen.</p> + +<p>Er tat's, lud die bereiteten Sachen auf, und wir gingen davon. Der +Weg durch die Fölz ist schön. In der stundenlangen Schlucht lagen +noch die Schatten, die Alpenrosensträucher am Wege feucht vom Tau +und dem Wasserstaube der rauschenden Fölz. Voll Harz- und Tannen- +und Speikduft<span class="pagenum" id="Seite_332">[S. 332]</span> war die kühle reine Luft. Hoch an den Felsen lag der +Sonnenschein. Frisch und flink, wie wir wanderten, war freilich das +Herz heiter und die Seele klingend.</p> + +<p>»Franz,« sagte ich unterwegs, »nachdem wir beide uns unserer +Pflichten und Rechte wohl bewußt sind, wollen wir als Kameraden +miteinander wandern. Ich bin aus der großen Stadt gekommen, um mir als +Unterbrechung meines Berufes einige frohe Tage zu machen. Ich wünsche, +daß du sie mit mir teilst und, so wie ich, das herbe Leben vergessest.«</p> + +<p>Er ließ einen Juchschrei los als Antwort, wie sehr er mit meinem +Vorschlage einverstanden sei, und er suchte mich durch Munterkeit und +mancherlei Schwänke, die er vorbrachte, zu überzeugen, daß er den guten +Humor nicht zu Hause gelassen hätte.</p> + +<p>Dann kamen die Anstiege, es kam die heiße Sonne, es kam der Durst. Wir +rasteten im Schatten und labten uns aus unserem reichlichen Vorrat. Der +Tag war lang, wir erfreuten uns an den Almen mit ihrer Flora und ihren +Herden, an den wildschründigen Felsen des Fölzstein, der Mitteralpe, +der Dulwitz, wir ergötzten uns an Steinfalken und Stoßgeiern, die +den blauen Himmel belebten, an den Schroffen und Überhängen des +»Ochsensteiges«, an dem eisigen Kristall des »goldenen Brünnleins«, an +den Gemsen, die in ganzen Rudeln über Kare und Schuttriesen setzten +oder von den Zinnen auf uns niederlauerten. Mein Franz tat manche +treffende Bemerkung mit klarem Hausverstand, der stets anspruchslos +auftrat, nicht so wie bei manchen Bergführern, deren Urwüchsigkeit +ausgeklügelt und gemacht ist. Ich erinnere mich noch, daß ich ihn +fragte, weshalb er bei seiner Mittellosigkeit geheiratet hätte, worauf +er zur Antwort gab: als er nicht hätte heiraten wollen, habe ihm sein +Vater gesagt: »Willst ein rechter Mann sein, so mußt auch Weib<span class="pagenum" id="Seite_333">[S. 333]</span> und +Kind haben!« So hätte er freilich heiraten müssen. — Ich bin, wie ihr +wißt, Junggeselle und habe dieses Gespräch nicht fortgesetzt. Indeß +gab's mancherlei Stoff. Doch der Tag ist lang, das Wandern macht müde, +auch wenn man noch so oft rastet; die Ergötzung spannt ab. Das würde +ein Älpler leicht verwinden, wenn die Ermüdung und Abspannung nur die +Schatten nicht aufkommen ließe, die im Herzen schlummern mögen! — Es +kam, wie ich gesagt hatte, es kam genau so.</p> + +<p>Franz sagte kein Wort von daheim, aber er war kleinlaut geworden.</p> + +<p>Ich begann von seinem Weibe zu sprechen, daß er vielleicht sein +Herz ausschütten wollte, er lenkte ab und schwieg. In der oberen +Dulwitzhütte, die leer stand, machten wir Feuer, bereiteten uns ein +Abendbrot und Nachtlager. Er ging zwar nicht davon, aber ich merkte, +daß er auf seinem Reisig nicht schlief, ich hörte die Seufzer, die er +zu unterdrücken suchte. Ich sagte nichts, freute mich fast, daß der +Mann nun erfahren mußte, wie ich, der Fremde aus der Stadt, ihn besser +kenne, als er sich selbst.</p> + +<p>Am andern Tage stiegen wir an bis zur höchsten Spitze des Gebirges. +Mein Genosse sprach unterwegs sehr wenig und ich nicht viel mehr, +denn dieser Aufstieg, die steilen Hänge und Wände beschäftigten die +Lunge andererseits zur Genüge. Auf der Höhe, wo kein Strauch und +kein Halm mehr wächst, peitschten kalte Winde, flogen Nebelfetzen, +zwischen denen wir nur zeit- und stellenweise die Aussicht in die weite +Alpenwelt genießen konnten. Mein Führer war stets hinter mir her, gab +meinen Bemerkungen und Fragen kurze und verkehrte Antworten und schien +gleichgültig sowohl gegen mich, als auch gegen die Schönheiten des +Gebirges.</p> + +<p>Auf der Spitze des Berges begegneten wir einigen Touristen,<span class="pagenum" id="Seite_334">[S. 334]</span> die von +Weichselboden heraufgestiegen waren und just ihren Führer entließen, +da sie den Abstieg durch die Dulwitz nach der Fölz allein zu machen +gedachten. Aus dem kleinen Gespräche, das ich mit ihnen führte, +erinnere ich mich nur, daß sie zum Teil aus Graz, zum Teil aus Leoben +waren.</p> + +<p>Wir hielten gemeinsamen Ausblick mit freiem Auge, wie mit Fernrohren, +wir tranken uns gegenseitig Wein zu, steckten dann in die leeren +Flaschen unsere Visitkarten und friedeten sie mit Steinen ein, damit +die Nachkömmlinge von uns auf solcher Höhe ein Denkmal fänden, und +taten, was Bergbesteiger an ihrem Ziele eben zu tun pflegen. Ich hätte +es vorgezogen, mit meinem Franz allein auf der Spitze dieses Berges zu +stehen, vorausgesetzt, daß wir beide bei Humor gewesen wären.</p> + +<p>Als ich mich wieder nach meinem Genossen umsah, stand der abseits +hinter einem Felsblock und führte mit dem Führer aus Weichselboden ein +Gespräch. Mir kam das gleich verdächtig vor.</p> + +<p>Nicht lange währte es, so kam — während sich Franz hinter dem Felsen +mit seinen Bergschuhen zu schaffen machte — der fremde Führer zu mir +heran und sagte: »'s ist schade, daß die Aussicht nicht ganz rein ist, +gnädiger Herr, aber es wird heute noch heiter. Der Barometer steigt. +Sehen Sie, dieser Kamelrücken dort, das ist die hohe Veitsch.«</p> + +<p>»Ich weiß es,« war kurz meine Antwort und wendete mich nach der anderen +Seite.</p> + +<p>»Aha, der gnädige Herr schauen sich die Ennstaleralpen an,« schwatzte +er weiter, »der Dachstein hat leider Gottes eine Haube auf. Der hohe +Berg, der dort wie ein Heuschober steht, das ist der Grimming.«</p> + +<p>»Ich weiß es!« schnauzte ich ihn an, »Franz, wo steckst du denn?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_335">[S. 335]</span></p> + +<p>Der Führer aus Weichselboden ließ sich nicht verblüffen. »Der Herr +sind von Aflenz heraufgekommen,« sagte er, »und wollen gewiß zur Salza +hinabsteigen. Das ist auch mein Weg und könnten wir leicht miteinander +gehen. Mit Verlaub!« Er suchte mir diensteifrig den Plaid umzuhüllen, +den mir der Wind von der Achsel gerissen hatte. Ich ging gegen den +Felsen und sah, wie dort Franz kauerte und in die Gegend von Aflenz +hinabschaute. Der Weichselbodner Führer kam mir nach und sagte:</p> + +<p>»Ganz im Ernst auch noch, gnädiger Herr, wir haben den gleichen Weg +hinab und ich will den gnädigen Herrn für ein kleines Trinkgeld recht +gern weisen.«</p> + +<p>Nun merkte ich wohl schon, daß ich verraten und verkauft war, doch +stieß ich derb heraus, man möge mich in Ruhe lassen, ich hätte ohnehin +meinen Führer.</p> + +<p>»Das schon,« meinte der Weichselbodner, »aber der sagt mir, daß ihm +schlecht geworden ist.«</p> + +<p>Da kam schon der Franz auf mich zu mit gefalteten Händen und bat: +»Herr, ich kann's nicht mehr aushalten, ich muß heim. Ich bitte +tausendmal, daß mich der Herr gehen läßt. Der Mathias dort, der ist aus +Weichselboden, ich kenne ihn gut, er übernimmt meinen Dienst gerne und +kennt den Weg besser als ich. Ich kann nicht mehr, — — wenn ich auf +heim denk'.«</p> + +<p>So sprach er. Ich habe ihn an der Hand genommen und in aller Ruhe +folgendes zu ihm gesagt: »Franz, du wirst nicht gehen, du wirst bei +mir bleiben, so lange ich dich brauche. Ich habe dir früh genug alles +vorgestellt, du hast es so haben wollen, du hast mir dein Wort gegeben. +Ich bin ein alter Soldat und lasse mit einem Ehrenwort nicht spaßen. +Ich lasse mich nicht nach Laune und Stimmung verschachern,<span class="pagenum" id="Seite_336">[S. 336]</span> ich habe +dich gekauft, du bist mein und du bleibst bei mir, bis die drei Tage um +sind.«</p> + +<p>»Wenn daheim ein Unglück geschieht!« stotterte er.</p> + +<p>»So geschieht's!« rief ich zornig, »und wenn dein Weib stirbt, deine +Kinder umkommen, deine Hütte niederbrennt, du hast dein Wort gegeben, +daß du bei mir bleibst und das fällt nicht. Du bleibst!«</p> + +<p>Darauf war der Franz still und sagte kein Wort mehr — und blieb bei +mir.</p> + +<p>Wir begannen den Abstieg, passierten das Gschöderkar, und auf +dem Edelboden, wo uns wieder die ganze Milde eines heiteren +Sommernachmittags umfloß und die Würze der Alpenkräuter uns erquickte, +hielten wir Rast. Franz war immer noch still, aber aufmerksam für alle +meine Wünsche und gutmütig. Ich war sehr mit mir zufrieden, daß ich +meine Sache so gut durchgesetzt hatte. Wohin käme auch die Welt, wenn +das Verhältnis zwischen Herrn und Diener so lax würde und willkürlich! +Die ganze gesellschaftliche Ordnung ginge aus den Fugen und der Teufel +möchte da noch Herr sein. Es tat mir leid, aber mein Franz, der mußte +nun parieren, und als wir spät abends im Wirtshause zu Weichselboden +anlangten, wollte ich ihn und mich für die Mühen entschädigen mit +allem, was das Haus bieten konnte. Doch mein Franz suchte bald das +Bett. Wie er geschlafen, das weiß ich nicht.</p> + +<p>Am nächsten Morgen mochte er, so lange ich schlief, mäuschenstill +gewesen sein, aber als ich die Augen auftat, machte er Lärm. »Es gibt +nichts Schöneres auf dieser Welt, als den heutigen Tag!« so rief er +aus. Ich fand den Tag nicht just besonders, der Himmel war mit Wolken +bedeckt, die stellenweise an den Wänden niederhingen. Als wir später +durch das großartig wilde Engtal gingen, das der Ring heißt,<span class="pagenum" id="Seite_337">[S. 337]</span> und dann +in der Steinwüste, der »Höll«, dem Karstriegel zuwanderten, schnitt uns +von den Höhen nieder eine frostige Luft entgegen; dort und da rieselte +es in den Schuttmulden oben, dann krächzte irgendwo ein Rabe. In den +schwarzen Wassertümpeln, an denen wir vorbeikamen, spiegelte sich das +Gebirgsbild in seiner Düsternis. — Aber nichts Schöneres als dieser +Tag! hatte mein Begleiter ausgerufen; es war eben der dritte unserer +Partie, der letzte, an dessen Abend er frei sein und die Seinigen sehen +sollte! — Den Ausläufer des Schwab, die Aflenzerstarritze, wußte +er auf schlechten Steigen zu umgehen, so daß wir am Mittag schon in +Seewiesen waren.</p> + +<p>Im Wirtshause zu Seewiesen lag ein schwerkranker Maria-Zeller +Wallfahrer, der schon früh nach Aflenz um Arzt und Priester geschickt +hatte und immer noch vergebens auf sie wartete. Franz machte ihm die +Zusage: wenn sie uns auf dem Wege begegnen sollten, so würde er zur +Eile ermahnen.</p> + +<p>Wir waren eine Stunde gegangen, da begegneten sie uns. Der Priester, +vom Boten mit dem Versehglöcklein und dem heiligen Licht in der Laterne +begleitet, war im Chorrock und trug das Allerheiligste. Wir beugten die +Knie, er segnete uns und warf dabei einen Blick auf meinen Begleiter, +den der aber nicht bemerkte, weil er das Haupt gesenkt hielt. — Ein +paar hundert Schritte weiter hin begegnete uns der Arzt.</p> + +<p>»Ihr sollt nur eilen!« rief ihm der Franz zu, »sonst kommt ihr zu spät.«</p> + +<p>»Wer wird uns aufgehalten haben!« sagte der Arzt im eiligen +Vorübergehen, »du kommst halt auch zu spät, mein lieber Franz!«</p> + +<p>Ich weiß kaum, wie wir nach Aflenz kamen, ich weiß nicht, wie mir +zumute war, ich erinnere mich auch nicht,<span class="pagenum" id="Seite_338">[S. 338]</span> ob Franz ein einziges Wort +des Vorwurfes, der Klage sprach, oder ganz stumm war.</p> + +<p>Sein Weib fand er auf der Bahre.</p> + +<p>Er trug den Schmerz, wie man den herbsten trägt — tränenlos.</p> + +<p>Ich bat ihn um Verzeihung, daß er meines Starrsinns wegen sein Weib +nicht mehr lebendig sehen konnte, ich bot ihm alles an, was ich bei mir +trug. Er lehnte es ab und sagte nur, ich sei im Recht gewesen.</p> + +<p>Im <em class="gesperrt">Recht</em>! Seitdem ist mir das Wort verdächtig. Der Franz +hatte wie ein Mensch gehandelt. Ich wie der Dämon eines Prinzips. +Daß er mit mir gegangen, aus Pflichtgefühl war es geschehen, er +hatte seiner Familie Brot zu schaffen. Aus Sorge und Angst um seine +Familie war's, als er mich auf dem Berge verlassen wollte. Ich dachte +und fühlte nichts, als daß ich im Rechte sei, ich war ein blutloser +Gesetzparagraph — und das ist ein Ungeheuer. Ein Mann, ein Wort! +Vielleicht wäre diesmal die Erinnerung: Ein Mann, ein Weib! besser +gewesen.«</p> + +<p>So hatte der Major erzählt, und die Gesellschaft blieb nachdenklich, +bis sie auseinanderging.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_339">[S. 339]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Hauptmann_Alles">Hauptmann Alles.</h2> +</div> + + +<p>Ja, diesen Weihnachtsmorgen vergesse ich nicht. Eben trete ich hinaus +in die kalte Morgenröte und schaue hin über die feuchten Schneefelder +und denke: Heute ist Christtag, da muß man Gutes tun, und so will ich +mir einen guten Tag antun.</p> + +<p>Da kommt mein alter Knecht Martin von der Frühmesse daher — er hat +heute seinen hochgespitzten Hut mit dem weißen Federbusch auf und sein +vergnügtes Feiertagsgesicht an und eine große Zigarre d'rin stecken. +Er raucht sonst Pfeifen, aber zu den hohen Festtagen, wenn der Meßner +frische Kerzen in die Altarleuchter tut, da steckt sich der Martin zur +größeren Ehre Gottes eine Zigarre in den Mund. Kann's aber nicht recht, +zieht zu oft an, nebelt zu stark, nimmt sie dann nach jedem zweiten Zug +aus dem Mund und spuckt die Tabakblättchen aus, die ihm an den Lippen +kleben geblieben sind. »Guten Morgen,« sagt er jetzt zu mir, »aber in +der Stadt geht's heut' zu!«</p> + +<p>»Aha, sind die Wirtshäuser schon voll?« war meine Frage.</p> + +<p>»Wäre schon recht,« antwortete mein Martin, »die Wirtsstuben sind +leer und alle Türen haben sie offen gelassen. Die Leute umstehen +das Kranzbäckenhaus. Im Kranzbäckenhaus hat sich in der Nacht was +zugetragen.«</p> + +<p>Auf diese Worte tat der Schalk, als wollte er weitergehen. Ich hielt +ihn nicht zurück, und da er das merkte, blieb er von selbst wieder +stehen und sagte:</p> + +<p>»Der Herr soll mit ihm gestern spät in die Nacht hinein ja Karten +gespielt haben?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_340">[S. 340]</span></p> + +<p>»Mit wem?« frage ich nun.</p> + +<p>»Mit dem Hauptmann.«</p> + +<p>»Was ist's mit dem Hauptmann?«</p> + +<p>»Das erfährt man nicht. Ich bin während der ganzen Frühmesse vor dem +Haus gestanden und habe gesehen, wie die Weiber ein- und auslaufen und +hinter sich allemal das Tor verriegeln. Eine hat gesagt, wir Leute +sollten auseinandergehen und zusehen, daß uns selber die Gnad' Gottes +nicht verlasse. Sonst erfährt man nichts.«</p> + +<p>»Was muß das sein, wenn's den Weibern die Stimme verschlagen hat!«</p> + +<p>»Im ganzen Kranzbäckenhaus,« fuhr mein Martin fort, »soll man noch die +Schießbaumwolle riechen, sagen die Leute. Ich bin gegenüber auf das +Wagenschuppendach gestiegen, aber man sieht nicht hinein; im Zimmer, wo +der Hauptmann gewohnt hat, sind die Fenstervorhänge herabgelassen.«</p> + +<p>Das war mir just genug. Ich eilte sogleich ins Städtchen. — Sollte +er's denn wirklich vollbracht haben? Wir hatten am Abend zuvor das Wort +für einen derben Scherz gehalten; in der Nacht, da ich schlaflos auf +meinem Bette lag und die Christglocken klingen hörte, fiel es mir aber +plötzlich ein: Dieser Mensch ist alles imstande.</p> + +<p>Unter den Sonderlingen des Städtchens war mein Hauptmann das +Prachtexemplar. Mit seiner Jugend soll es ganz regelmäßig zugegangen +sein. Er war ein Soldatenkind, wurde selbst Soldat und war demnach +auf jener festen Bahn, auf der man nie entgleisen kann, in seinem +neunundzwanzigsten Jahre Hauptmann. In seinem dreißigsten hatte er +das Mißgeschick, eine unvorhergesehene, sehr namhafte Erbschaft zu +machen. <em class="gesperrt">Vor</em> dieser Erbschaft — das versteht sich — war das +Soldatenleben ein Glück für jeden, den es traf; es kräftigte Körper +und Charakter; Pünktlichkeit,<span class="pagenum" id="Seite_341">[S. 341]</span> Gehorsam, Mut, Ritterlichkeit, und +was weiß ich, lernte man nur beim Militär. Nach der Erbschaft war es +plötzlich ein Knechteleben, ein Hundeleben — jeder ein Narr, der +weggehen kann und es nicht tut. Hauptmann Alles wurde ein freier +Mann und wandte sich den schönsten Seiten der Welt zu. Manche freie +Stunde hatte er sonst mit Zeichnen, Farbenstudien, Musik oder anderen +Künsten verbracht, jetzt wurde er Maler. Er wurde es so plötzlich, als +man Staffelei, Leinwand, Farben kaufen und bereiten kann. Die braune +Sammetjoppe war auch da, nur das Wachsen des Knebelbartes konnte mit +der Vollendung des Meisters nicht gleichen Schritt halten. Und als die +Freunde kamen und schauten, war es eine blendende Farbenpracht, und +in den Blättern war die Rede von der edlen Komposition, von der Wärme +des Tones, von dem harmonischen Zusammenstimmen, als handle es sich um +eine Symphonie, und es war Meisters Ahles' Gemälde gemeint. Da dachte +Ahles, wenn das schon auf der Leinwand so fein komponiert, so warm im +Tone, so harmonisch zusammenklingend ist, um wie viel besser noch läßt +sich das in einem Musikstück machen. Und er komponierte eine Oper. Von +dieser sagten seine Freunde, sie wäre bei der Unvollkommenheit unserer +Opernbühne, bei dem Mangel an bedeutenden Sängern heutigestags absolut +nicht aufführbar. Während nun der Meister auf einen fürstlichen Mäcen +wartete, der ihm die Aufführung ermöglichen sollte, vertrieb er sich +die Zeit mit Poesie. Er schrieb ein großes Werk um das sich allsogleich +zahlreiche Verleger bewarben — der Autor bezahlte nämlich im voraus +bar den Druck.</p> + +<p>Trotz alledem war dem Meister nicht wohl zumute. Anfangs hatte er +keinen Tadel zu ertragen vermocht, allein das vorlaute, unbedingteste +Lob, mit dem sie jetzt alles ohne Ausnahme, was von ihm kam, +überschütteten, war ihm auf<span class="pagenum" id="Seite_342">[S. 342]</span> die Länge schier noch unangenehmer, ja +nachgerade verdächtig. Eines Tages sagte ihm sein rücksichtslosester +Freund: »Mir tut's weh, lieber Moritz, dich fortweg hänseln zu sehen. +Laß das mit dem Malen, Komponieren und Dichten, du bist der Mann für +etwas anderes.« Eine Weile nach diesem undankbaren Freundschaftsdienste +führte der Hauptmann seine Liebhabereien noch fort, und zwar dem +Freunde zum Trotz mit großtuerischem Wesen. Plötzlich jedoch +verschleuderte und verschenkte er all seine Requisiten und Instrumente +und kaufte sich in entlegener Gegend ein großes Landgut. Er verschrieb +sich eine Anzahl landwirtschaftlicher Werke und fing an, genau nach +solchen Lehren seine Wirtschaft zu betreiben. Er war glücklich über +die Entdeckung, daß er ein genialer Landwirt sei. Die Kleinbauern um +ihn her wagten es anfangs, seine neuen Methoden zu bezweifeln, indem +sie sagten, daß eine Kappe nicht für alle Köpfe passe, und daß man die +Gegend, das Klima und den Boden kennen und berücksichtigen, wenn man +die Wirtschaft ertragsfähig machen wolle. Der Hauptmann ignorierte den +verrosteten Sinn der fortschrittfeindlichen Nachbarn und arbeitete +nach den allgemeinen Anleitungen der Fachgelehrten. Sonst aber gefiel +der Mann den Bauern, er hielt mit ihnen, war stets nachbarschaftlich +und uneigennützig, erleichterte ihnen den nötigen Verkehr mit der +Außenwelt, indem er Roß und Wagen auf den Straßen hielt und Personen, +auch oft kleine Warenladungen unentgeltlich beförderte. Auch nahm er +sich in Steuerangelegenheiten ihrer an, bemühte sich, ihre Söhne dem +Soldatenleben zu entziehen, und er sagte, wenn das Volk einmal die +Soldaten verweigere, dann höre auch die Steuerplage auf. — Das war ihr +Mann. Bei einer nächsten Wahl machten sie Herrn Ahles zum Abgeordneten.</p> + +<p>Bei der ersten Sitzung verhielt sich der Gutsbesitzer im<span class="pagenum" id="Seite_343">[S. 343]</span> Parlamente +ganz ruhig; es handelte sich um einen Zollvertrag. Er hörte die +Vorschläge, ohne dafür oder dagegen zu stimmen, zum Schlusse aber +bat er ums Wort. Er stellte folgenden Antrag: Es sei ein Zirkular an +alle Fürsten der Welt zu erlassen, in dem sie gebeten würden, sich +gegenseitig zu vereinigen, sich friedlich miteinander zu vertragen und +ihre stehenden Heere zu entlassen. Er, der Antragsteller, glaube, daß +sich keiner der hohen Herren weigern werde, diesen zu Gunsten eines +jeden aufgestellten Vertrag eigenhändig zu unterschreiben.</p> + +<p>Die Versammlung stutzte über diesen Spaß, den sich nach ihrer Meinung +das neue Parlamentsmitglied an so ernster Stelle erlaubte. Als sie +aber den ganzen Ernst des Redners sah, da gab's Gelächter. Während die +Glocke des Präsidenten zur Ruhe klingelte, trat Herr Ahles zornig von +seinem Sitze ab und wurde im Hause nicht mehr gesehen.</p> + +<p>Nach dieser Zeit verlegte er sich mit großer Passion auf die +Zuckerrübenkultur und erbaute auch eine Tuchfabrik, zu deren Zweck er +eine große Schäferei anlegte von friesischen und englischen Schafen, +die eine recht lange Wolle hatten.</p> + +<p>Mittlerweile war seine Feldwirtschaft glücklich so tief herabgekommen, +daß Ahles, dem man wegen seiner Allseitigkeit den Spitznamen »Alles« +gab, daran die Freude verlor. Er suchte sich nun für seine Sorgen +und Mühen zu zerstreuen, indem er in den Städten umherfuhr und das +Leben genoß. Endlich kam er in unser kleines Landstädtchen, das nicht +allzuweit von seinen Besitzungen entfernt lag, und in dem er sich beim +Kranzbäcken ein Zimmer mietete. Er hatte das Bedürfnis, jemand zu sein. +Er hatte allerlei Erfahrungen, hatte noch immer Geld, so wollte er +noch einmal widerhallen. Das Städtchen war just klein und groß genug +dazu, daß ein Mensch, wie der Hauptmann, darin seine überlegene<span class="pagenum" id="Seite_344">[S. 344]</span> Rolle +spielen konnte. Er förderte Gesellschaften, die sich von ihm begasten +und unterhalten ließen; er gründete Vereine, die ihn zum Präses +machten, er veranlaßte öffentliche Wohltätigkeiten, und es erschien +keine Nummer des Wochenblattes, die nicht preisend seinen Namen +nannte. Daneben fand der noch immer als Garçon lebende Mann auch noch +Zeit, den Frauen ein feiner Ritter zu sein. Er war der aufmerksamste +Kavalier und versäumte keine Gelegenheit, den Damen gefällig zu sein, +ihnen etwas Verbindliches zu sagen, sie zu verteidigen, wo es einen +lustigen Strauß gab, ihnen Blumen zu pflücken, von denen er auch immer +selbst im Knopfloche trug. Es fiel im Städtchen von schöner Hand kein +Batisttüchlein zu Boden, das der Hauptmann nicht auf die galanteste +Weise aufhob. Dazu war er ein schöner Mann, der sich den in seinen +diplomatischen Tagen gegründeten Backenbart wieder wegschnitt, den +Schnurrbart spitzte, sich wieder gerne Hauptmann nennen ließ, und der +sich mit seiner Landwirtschaft nur insofern abgab, als er monatlich +ein gut Stück Geld in sie hineinsteckte und täglich herzhaft auf sie +losschimpfte.</p> + +<p>Aber auch in diesem harmlosen Städtchen gab es Leute, die eine so +schöne segensreiche Existenz allmählich zu untergraben suchten. +Es erwuchsen gesellschaftliche Zirkel, die ohne Hauptmannsspäße +bestanden, Vereine, in denen der Hauptmann nicht Präses war, +Wohltätigkeitsvorstellungen, die der Hauptmann nicht anordnete, +Wochenblattnummern, die den Namen des Hauptmanns nicht oder leise +spottend nannten, und es gab Frauen, die seinen Aufmerksamkeiten in +sehr kühler Weise dankten und sie hinter seinem Rücken in sehr warmer +Weise belächelten. Nur eines mußten ihm auch seine Feinde nachsagen, +nämlich, daß er ein Mann sei in den besten Jahren. Aber sie setzten +dazu, daß es traurig sei,<span class="pagenum" id="Seite_345">[S. 345]</span> wenn ein Mann in den besten Jahren soweit +fertig ist, daß er die Zeit in Wirtsstuben mit Knasterrauchen und +Kartenspiel zubringt.</p> + +<p>Und fürwahr, es war soweit gekommen; der Hauptmann Alles saß mit +verlotterten Spießgesellen in den rußigen Schenken, und so verbrachten +wir die Winterabende mit Trinken, Rauchen, Knurren und Karteln. +Seine Laune war nicht die beste, und außer daß er bisweilen einen +warmherzigen Fluch ausstieß, wenn ihm ein sehr schlechtes oder ein sehr +gutes Blatt zufiel, war er wortkarg. Er trank dabei alten Wein, lud uns +aber selten mehr zu seinem Trinken, wie er es früher gewohnt war. Gegen +die Weiber war er etwas süßsauer geworden, und als uns am Christabende +die stets heitere Wirtin einen Teller mit Früchtenbrot auftischte, das +sie eigenhändig gebacken hatte, schob er den Teller unwirsch zurück +und brummte, es möge jeder die Früchte seiner Taten selber genießen. +Um so mehr sprach er dem Weine zu; wir anderen ließen uns auch den +Lieblingstropfen holen, und so war der Abend recht leidlich vergangen. +Auf einmal legte der schweigsame Hauptmann seine Karten auf den Tisch +und sagte: »Es wird das Ersprießlichste sein, wenn ich jetzt nach Hause +gehe und mich totschieße.«</p> + +<p>Wir taten einen freundschaftlichen Lacher, obwohl jeder von uns denken +mochte, daß ein so schaler Spaß eines so prächtigen Lachers eigentlich +nicht wert sei. Wir spielten nicht weiter, denn wir hörten die draußen +im Schnee knarrenden Tritte der nächtigen Kirchengänger. Wir standen +auf und gingen auseinander. —</p> + +<p>Während ich mir nun die ganze Geschichte so ins Gedächtnis gerufen +hatte, kam ich ins Städtchen und vor das Haus des Kranzbäcken. Die +Leute hatten sich verlaufen, ich ging den geradesten Weg in die Wohnung +meines Zech-<span class="pagenum" id="Seite_346">[S. 346]</span> und Spielgenossen. An der halbangelehnten Tür derselben +stand eine alte Frau. Dieses Anzeichen war schlecht; aber die alte +Frau machte eine wichtige, nicht gerade trübselige Miene und dieses +Anzeichen war gut. Sie deutete mit der Hand, welche ein Milchtöpfchen +hielt, gegen die Türe und flüsterte, ich möge nur eintreten, aber nicht +allzuviel kalte Luft mit durchlassen. Ich tat's; das Zimmer war dunkel +und still — meine Augen suchten den Hauptmann. Endlich fanden sie ihn, +er saß unweit des Ofens in einem geborgenen Winkel, rauchte die lange +Hauspfeife und schaute auf ein Ding hin, das in seinem Bette lag, sehr +sorgfältig verwahrt, und das bei näherer Besichtigung auf der weiten +Welt nichts anderes war als ein neugeborenes Knäblein.</p> + +<p>»Hauptmann!« rief ich.</p> + +<p>»Halte dein Maul!« pfauchte er.</p> + +<p>Allerdings, das Christkind schlummerte. Und das Angesicht des alten +Kerls mit dem Schnurrbart schmunzelte. Mein Seel', das war ein +redliches Schmunzeln — der Mann kam mir noch niemals so schön und gut +vor als jetzt mit diesem Angesichte, das der Rauch umwölkte und in dem +die zwei Augen leuchteten wie Sterne der Christnacht.</p> + +<p>Jetzt trat die alte Frau zu ihm, fragte bescheidentlich, ob er bei +Troste sei, und nahm ihm die Pfeife vom Munde weg. Nun hatte aber +dieser Hauptmann die gottlose Gewohnheit, immer etwas vor den Lippen +haben zu müssen; als ihm das Pfeifenrohr weggenommen wurde, neigte er +sich hin und küßte das Kindl.</p> + +<p>»Der Bursch' ist mein!« rief er dann, und hat es mir begründet.</p> + +<p>Hat hernach auch das weitere erzählt. Er war in der Nacht nach Hause +gegangen mit dem festen Vorsatze, einmal in seinem Leben eine wirkliche +Tat zu üben, nämlich zu<span class="pagenum" id="Seite_347">[S. 347]</span> sterben, bevor er noch weiteren Unsinn begehe. +Da fand er in seinem Zimmer die alte Frau, sie legte ihm etwas in die +Arme und sagte: »Da bringe ich dem Herrn ein Christkindel.« Der Kleine +wolle sich an den Vater halten, dem gehe es besser als der Mutter; die +Mutter käme auf Wunsch auch nach.</p> + +<p>Was ließ sich dazu sagen, was ließ sich machen?</p> + +<p>Alsbald verbreitete sich das Gerücht, daß in der Stube des Hauptmannes +etwas Absonderliches, Geheimnisvolles sei, und am Morgen versammelten +sich vor dem Hause die Leute, zu denen die alte Frau dann sagte, sie +sollen auseinandergehen und sich selber vorsehen. Nach wenigen Wochen +kam auch die Mutter — ein armes, aber schönes blasses Weib, und nun +war zum Totschießen keine Zeit und kein Verlangen mehr. Der Hauptmann +zog mit Weib und Kind auf sein Landgut. Die Häuslichkeit mit ihrer +Liebe und ihren Sorgen hat seinem zerfahrenen Leben endlich Inhalt und +Wert verliehen.</p> + +<p>Seit jener Zeit ist das fünfte Weihnachten vorbei. Hauptmann Alles hat +der Welt nicht mehr Anlaß gegeben, seiner zu spotten.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_348">[S. 348]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Die_Tafelrunde_der_Beruehmten">Die Tafelrunde der Berühmten.</h2> +</div> + + +<p>Nach einem glanzvollen, aber kurzen Empfangsabend bei Hof saßen in +einer Weinkneipe etliche berühmte Männer beisammen. Sie hatten sich +heute ganz zufällig zusammengetan, aber große Seelen finden sich leicht +und berühmte Menschen haben stets etwas Weltbürgerliches, vertrautsam +Brüderliches an sich; in der Sphäre, in die sie emporragen, weht eine +frischere, freiere Luft, in der sich die Elektrizität der Geister rasch +sammeln und entladen kann.</p> + +<p>Die Unterhaltung war munter genug, und jetzt machte einer — man weiß +nicht aus welchem Anlaß, wahrscheinlich infolge eines Gespräches über +die Berühmtheiten des Empfangsabends — den Vorschlag, jeder in der +kleinen Gesellschaft solle nun erzählen, wie er berühmt geworden sei.</p> + +<p>Wie er berühmt geworden? In der Tat, das war etwas. Ja! und <em class="antiqua">eh +bien!</em> und wohlan! riefen sie durcheinander, und jeder war darauf +gespannt, von jedem die persönliche Geschichte zu hören.</p> + +<p>»Ganz merkwürdig, meine Herren, ist das bei <em class="gesperrt">mir</em> zugegangen,« +ergriff der Romanzier Paulo sofort das Wort.</p> + +<p>»Ich bitte!« rief der Schauspieler Werner, »es muß systematisch +vorgegangen werden; etwa nach der Popularität des Faches, in dem sich +jeder bewegt.«</p> + +<p>»Nach dem Alter die Reihe!« schlug der Chemiker Iseling vor, dessen +Berühmtheit von der Erfindung des spanischen Brustmalzes im Jahre 1818 +nach Christus herrührte.</p> + +<p>»Nach dem Alphabet!« rief der Major Abacitz.</p> + +<p>»Jetzt ist nur noch der akademische Maler Rakutti, der sich nicht +gemeldet hat,« sagte Doktor Sauermann.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_349">[S. 349]</span></p> + +<p>»Und Sauermann, Doktor der gesamten Heilkunde,« entgegnete der Maler. +»Die Gesundheit ist die Hauptsache, der Doktor soll beginnen.«</p> + +<p>»Nun, wenn ihr durchaus wollt!« sagte Doktor Sauermann, denn er war der +Bescheidene. Die Gesellschaft dämpfte ihre Stimmen. So begann er seine +Geschichte.</p> + +<p>Sie ist einfach genug. Sie ist schlicht, wie der Doktor selbst war. Auf +einer Gebirgspartie verunglückte der reiche Baron Schuß von Überschuß. +Der Chirurg des Alpendorfes, in welchem der Verletzte liegen bleiben +mußte, behandelte ihn und telegraphierte täglich das Bulletin in die +Welt hinaus: »In dem Befinden des Herrn Barons Schuß von Überschuß +keine bedenklichen Symptome. Dr. Eras Sauermann.« — »Der Zustand +des Herrn Barons nimmt seinen normalen Verlauf. Dr. Eras Sauermann.« +— »In dem Befinden des Herrn Barons ist eine kleine Verschlimmerung +eingetreten. Dr. Eras Sauermann.« — »Das Wundfieber des Patienten hat +sich in besorgniserregender Weise gesteigert. Die Kräfte schwinden. +Dr. Eras Sauermann.« — »In dem Befinden des Herrn Barons Schuß ist +eine leichte Besserung eingetreten. Dr. Eras Sauermann.« — »Der +hochgeborne Herr Baron Schuß von Überschuß, k. Oberkämmerer, der Krone +geheimer Rat, Ordensritter des goldenen Kreuzes, Besitzer vom Orden +des heiligen Ludwig usw., ist heute morgens drei Uhr gestorben. Dr. +Eras Sauermann.« — Bei dem Leichenbegängnisse folgt unweit hinter +dem Galawagen in offener Kalesche ein interessanter blasser Mann in +tiefer Trauer. — Wer ist das? — Der Arzt, der ihn behandelt hatte. +— Also ein Leibarzt. — Doktor Eras Sauermann. — Bald hernach +zieht er in die Stadt und ist der renommierteste Arzt der Geld- und +Geburtsaristokratie. »Ich kann wohl sagen,« schloß der Herr Doktor, +»ich bin auf ganz normalem Wege<span class="pagenum" id="Seite_350">[S. 350]</span> emporgekommen. Von Reklame war ich +stets ein geschworener Feind, das einzige, was ich mir in dieser +Beziehung gestatte, ist, daß ich meinen Patienten möglichst das letzte +Geleite gebe.«</p> + +<p>»Nun, es ist ja gewiß keine Schande, heutzutage durch Reklame etwas +zu erreichen,« sagte der akademische Maler Rakutti. »Neun Trommler +und vierundzwanzig Trompeter müssen siebenmal sieben Wochen jeden Tag +lärmend durch die Stadt ziehen, bis endlich jemand frägt, was der +Teufel denn eigentlich los sei? — Meine Herrschaften, seht ihr dort +den verkommenen Menschen?« — Jawohl, was soll der? — »Der soll viel, +ihr schönen Frauen und ihr noblen Herren, denn er kann alles. Es ist +das <em class="gesperrt">Genie</em>! — Ah!«</p> + +<p>»Sehr gut, sehr wahr!« rief die Tischgesellschaft.</p> + +<p>»Eine eigenartige Illustration für oder, wenn Sie wollen, gegen +das Gesagte ist meine Geschichte,« fuhr der Maler fort. »Ich habe +Kunstwerke geschaffen, ich bin kein Freund von vielen Worten, ich sage +bloß: Kunstwerke. Dieselben hingen in den Ausstellungen oder sie wurden +durch Mißgunst der Akademie-Direktoren, von welchen die meisten leider +auch selbst malen, dem Publikum vorenthalten. Die Kritik verschwieg, +oder was noch schlimmer, lobte mich mit jenen tückischen Phrasen, die +dem Publikum nichts sagen als: Der Mann ist sehr arm, denn seht, wir +geben ihm Almosen. — Kurz, als ich das dreiundzwanzigste Bild schuf, +war das erste noch nicht verkauft. — Vierundzwanzig macht majorenn, +dachte ich, und das vierundzwanzigste Bild soll etwas Besonderes +werden. Es wurde auch! Das ewig Weibliche, Frauen in unverhüllter +Schönheit sind immer willkommen! Als ich eine Reihe solcher Gestalten +gemalt hatte, ohne eigentlich dabei an etwas anderes zu denken, als +an die Wirkung der Farben (denn die Farben sind bei einem Gemälde +doch die Hauptsache) nannte ich sie: die Genien der Freude. — Sie<span class="pagenum" id="Seite_351">[S. 351]</span> +gelangten mühelos in die Kunstausstellung, denn das Echte siegt +endlich doch. Aber am dritten Tage nach der Eröffnung verlangten die +Journale die Entfernung des Bildes — aus Sittlichkeitsrücksichten. +Noch an demselben Tage strömte das Publikum massenweise in die Galerie, +um sich an den Genien der Freude weidlich zu entrüsten. Allein, wo +das Bild gehangen, gähnte nur mehr die leere schmutzigrote Wand mit +dem Zettel: Nr. 52 zurückgezogen. Aber die Genien blieben in ihrer +Zurückgezogenheit nicht allein. Durch besondere Schliche war es +immerhin möglich, das Bild in seinem Gewahrsam zu sehen, und weil +jeder mit starkem Kopfschütteln aus der Kammer trat, so wollten immer +noch mehr Besucher hinein. Es war ein Skandal, von dem die halbe Stadt +sprach. Der Skandal lag jedoch nur im Skandal, nicht im Bilde. Und was +geschah? Ich erhielt eine Zuschrift: Euer Wohlgeboren, da ich kaum +voraussetzen darf, daß Sie als Verfertiger — Verfertiger schrieb der +Gauch! — und Eigentümer Ihres geradezu skandalösen Bildes: Die Genien +der Freude, dasselbe vernichten werden, so fühle ich mich im Namen +des guten Anstandes veranlaßt, es ein- für allemal vor unberufenen +Augen unsichtbar zu machen. Ich biete Ihnen dafür dreitausend Mark. — +Unterschrift der Name eines bekannten Börsenjobbers.«</p> + +<p>»Selbstverständlich waren Sie entrüstet über das unwürdige Angebot und +verlangten sechstausend Mark!« lachte der Major.</p> + +<p>»Nein,« sagte der Maler, »ich sandte dem Herrn ein höfliches <em class="antiqua">billet +de correspondance</em>, in dem ich sehr bedauerte, das Bild unter +zehntausend Talern nicht abtreten zu können. — Am nächsten Tage +hatte ich die dafür lautende Kassa-Anweisung in der Hand. — Die +Genien wurden allsogleich abgeholt, sollen aber bis heute noch nicht +vernichtet sein.<span class="pagenum" id="Seite_352">[S. 352]</span> — Ich malte nun Bild für Bild ähnlichen Genres, +keines kam in die Ausstellung, jedes wurde von den Reporters, die sich +in den Ateliers herumtreiben, und auch von neugierigen Kunstmäcen mit +Interesse beblinzelt, mit Würde verdammt und fast noch vor seiner +Vollendung von Privaten angekauft. — Jetzt erst verstand ich das +Wohlwollen der Presse und ich wollte den Rezensenten zu Ehren ein Fest +geben. Sie lehnten es in Mehrzahl höflich ab. Ich aber bin seither der +berühmte Mann und gedenke es auch noch ein Weilchen zu bleiben.«</p> + +<p>Nun war die Reihe — es ging um den Tisch wie ein Rundgesang — an dem +Major Abacitz. Der war jedoch zur Tür hinausgegangen.</p> + +<p>»Er soll sich ja im letzten Kriege ausgezeichnet haben,« sagte der +Chemiker Iseling.</p> + +<p>»Meines Wissens,« antwortete der Doktor, »hat er bloß das Gefecht von +Otterlitz verloren.«</p> + +<p>»Darüber ließe sich zur Tagesordnung gehen, und so hätte wohl Herr +Werner das Wort.«</p> + +<p>»Meine Geschichte ist groß!« versetzte der Schauspieler hohlen Tones, +als begänne er den Franz Moor des Lewinsky zu deklamieren, »sie ist +sehr groß. Ich will den Schauspieler nicht mit anderen Künstlern +vergleichen. Was ist der Maler? Er hat als Material die Leinwand, die +Farbe; der Bildhauer hat den Marmor, der Dichter das Wort, der Musiker +den Ton. Der Schauspieler allein ist sein eigenes Material, seine +eigene Leinwand und Farbe, sein eigener Marmor, sein eigenes Klavier. +Der Schauspieler ist der einzige Künstler, der aus sich selbst schafft.«</p> + +<p>»Also aus nichts —« warf der Maler ein.</p> + +<p>»Was sagen Sie?«</p> + +<p>»Ich meine, aus nichts, wie Gott die Welt erschuf.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_353">[S. 353]</span></p> + +<p>»In der Tat, ja. Doch davon zu sprechen gebührt mir nicht,« sagte der +Schauspieler, »ich komme zu meiner Geschichte. — In wenigen Monden +gehen sieben Jahre um, seitdem ich nicht mehr am Leben wäre, wenn mich +damals auf dem Theaterplatz in — doch, wozu Ortsnamen! — die Polizei +nicht geschützt hätte. Was sagt ihr? — Ich frage euch: ist ein Applaus +im Auditorium ein Applaus? Ist das Klatschen und Strampfen und Johlen +und Namenrufen ein Applaus? Nein, meine Herren, das ist kein Applaus. +Sind Lorbeerkränze mit roten Seidenschleifen und Goldbuchstaben: »Dem +großen Mimen Fridolin Werner« ein Applaus? Sind hundert verhimmelnde +Notizen in den Tagesblättern über unvergleichliche Darstellungskraft, +über Wiedergabe der Rolle, wie wir sie nachgerade noch nie erlebt, über +fingierte Engagements in großen Hoftheatern und dem unersetzlichen +Verlust, der unserer Bühne droht; sind glorifizierende Feuilletons +mit Biographie und schwungvoller Aufzählung aller Triumphe in +glühenden Superlativen ein Beifall? Wenn dich Studenten von der +Bühne zur Garderobe auf den Achseln tragen — nennt ihr das Erfolg? +— Es tut mir leid, dann seid ihr schlecht berichtet. — Wenn du +aber in »Kabale und Liebe« den Wurm spielst, und das Publikum gerät +über den elenden Bösewicht derart außer sich, daß es dich nach der +Vorstellung auf deinem Wege in den Klub abpaßt und aus wütend empörtem +Gerechtigkeitsgefühl totschlagen will: <em class="gesperrt">Das</em> ist Applaus, Beifall, +Erfolg!«</p> + +<p>Werner ließ sich auf die Lehne seines Sitzes zurücksinken und +sagte weiter kein Wort. Es war auch keines mehr nötig. Das war die +Geschichte, wie er berühmt wurde; der Vorfall stand damals in allen +Blättern, und auch seither, so oft Herr Werner auf irgend einer Bühne +Gastrollen gab, vollends wenn er den Wurm brachte, ließ er's »auf dem +Platze« abdrucken,<span class="pagenum" id="Seite_354">[S. 354]</span> wieso ihm der Erfolg dieser Rolle schier einmal +an's Leben gegangen sei.</p> + +<p>Jetzt war's am Chemiker Iseling.</p> + +<p>»Ihr sprecht da von Erfolgen,« sagte dieser, »die mir nicht imponieren +können. Ich möchte sie Zufallserfolge nennen. Eine mit männlicher +Entschlossenheit durch allerlei Hindernisse mit schweren Opfern +zielbewußt selbstgeschaffene Existenz weise mir einer auf, wie die +meine! Eine Berühmtheit, die über den Großen und Stillen Ozean ebenso +mächtig hinklingt, wie über unsere Donaugelände, weise mir einer auf, +die der meinen gleichkommt! Iseling's spanisches Brustmalz! Depots in +Paris, London, Kalkutta, San Franzisko, Melbourne —«</p> + +<p>»Fischamend, Benslau —« spottete der Maler.</p> + +<p>»Nicht zu verachten, meine Herren! In kleinere Orte ist es schwerer zu +dringen, als in die großen. Wen der Kleinbürger und der Bauer kennt, +<em class="gesperrt">der</em> darf sich auf seine Berühmtheit eins gönnen!«</p> + +<p>Er trank scharf sein Glas Rheinwein aus. »Es hat mich ein gut Stück +Geld gekostet,« fuhr er fort, mit der hohlen Hand seinen Bart +trocknend. »In ein paar Jahren hoffe ich das Jubiläum der Million +feiern zu können.«</p> + +<p>»Die Sie mit dem spanischen Brustmalz gewonnen haben?«</p> + +<p>»Ach Gott, dieses Jubiläum ist längst gefeiert. Die Million, die ich +für Inserate und andere Reklame ausgegeben habe!«</p> + +<p>»Ich kann mich aber in der Tat kaum erinnern, je einmal ein Inserat +über das spanische Brustmalz in den Zeitungen gelesen zu haben,« +bemerkte der Maler.</p> + +<p>»Lieber Freund,« belehrte Iseling, »mit dem gewöhnlichen Annoncieren +und Anpreisen, mit dem Abdruckenlassen<span class="pagenum" id="Seite_355">[S. 355]</span> der Dankschreiben durch das +Brustmalz geretteter Personen und was dergleichen Schwindel mehr ist, +befasse ich mich nicht. Da täte mir wahrhaftig meine Ware leid. Wir +verfügen über andere Mittel.«</p> + +<p>»Zum Beispiel?«</p> + +<p>»Zum Beispiel wollen wir einmal den Kalender von der Wand nehmen. +Da haben wir gleich — Zeitrechnung auf das Jahr 1883. Sie sehen! +Seit der Erschaffung der Welt 5832 Jahre. — Seit der Einführung des +Gregorianischen Kalenders 304 Jahre. Seit der Erfindung des spanischen +Brustmalzes 35 Jahre ....«</p> + +<p>Lachend stießen sie mit ihm die Gläser an, nur Paulo, der Romanzier, +starrte finster auf die Tischplatte, und als er wegen seiner schweren +Schweigsamkeit zur Rede gestellt wurde, murmelte er: »Das ist mir zu +frivol.«</p> + +<p>»Nun müssen ja Sie mit Ihrem Latein vorrücken.«</p> + +<p>»Ich schweige,« antwortete Paulo und schüttelte seine lange schwarze +Mähne, die das blasse Gesicht wie bei einem Magier umrahmte. Dazu hatte +er eine Art Schlangenbändigeraugen und um den Mund die Furchen des +Weltschmerzes und die Klammern des Spottes. »Ich schweige,« antwortete +er, »denn an einer Tafelrunde, wo Erfolg und Ruhm in <em class="gesperrt">solcher</em> +Weise charakterisiert worden sind, könnte die Erzählung eines sich +aus schwerer Not und mit sittlicher Kraft zur Anerkennung der Nation +emporgerungenen Mannes wohl kaum jemals Verständnis finden.«</p> + +<p>»So könnten wir jetzt vielleicht ein Kartenspielchen arrangieren,« +meinte sehr boshafterweise der Schauspieler Werner.</p> + +<p>»Ja und tausendmal ja!« rief Paulo, wirklich erbost darüber, daß just +er nicht zum Erzählen kommen sollte. »Spielet, spielet! Das ist ja +die Art der guten Deutschen,<span class="pagenum" id="Seite_356">[S. 356]</span> zechen und kartenspielen, anstatt sich +an dem geistigen Schatze der Nation zu belehren und aufzurichten und +ihre Schriftsteller vom Untergange zu retten. — Mich haben, das kann +ich wohl sagen, lediglich die Gelegenheitsgedichte zu Hochzeitsfesten, +Kindstaufen und Jubiläen vor dem Hungertode gerettet. Meine +Jugendgedichte! — außer Schiller und Heine schriebe sie mir keiner +nach! — Und wenn ich Ihnen sage, daß ich die Druckkosten derselben +mit der kleinen Erbschaft meiner Tante als meinem einzigen Vermögen +bestreiten mußte! In Deutschland, wo jährlich Tausende für Zeitungs- +und Kolportagegeschmiere ausgegeben werden! Ich wollte hierauf eine +große Dichtung schreiben als Seitenstück zum »Faust«. Doch nein, Paulo, +sagte ich mir, die Deutschen sind derlei nicht wert; sie hätten auch +den Geheimrat Goethe verhungern lassen, wenn Geheimräte zu solcher +Todesart überhaupt inklinierten. Hingegen schrieb ich nach manch +kleineren Arbeiten, die mir viel Lob eintrugen, aber kein Geld, einen +großen Roman unter dem Titel: Die Auster von Tergestum. Daß diese +Dichtung mein Glück machen werde — ich wußte es im voraus. Ich trug +das Manuskript zu meinem Verleger. — Gucken Sie nicht so sauer drein, +lieber Mann, sage ich, heute habe ich einmal etwas für Sie. Sie wollen +doch Millionär sein? — Ich hätte nichts dagegen, meinte er. Gut, +ich verkaufe Ihnen das ein- für allemal, für alle Auflagen, für die +Übersetzungen in allen Sprachen. — Aber, mein Teurer, es tut mir leid! +sagte der Verleger, und solche Leute, wenn sie höflich werden, sind +unausstehlich. Teuerster! sagt er, heutzutage einen dreibändigen Roman, +und von einem unbekannten Namen! Wo denken Sie hin! — Herr, der Roman +ist gut! rufe ich. — Ach, das ist Nebensache, der Name muß gut sein! +sagte der Verleger. Schreiben Sie ein schlechtes Buch, so schlecht Sie +wollen,<span class="pagenum" id="Seite_357">[S. 357]</span> aber setzen Sie auf's Titelblatt einen berühmten Namen, zum +Beispiel: Max Freihag, und ich drucke es und zahle dreißig Taler für +den Druckbogen. — Tun Sie das? frage ich. — Jawohl. — Gut. — Ich +nehme mein Manuskript unter den Arm und gehe geradewegs zu Freihag. — +Der Romanschriftsteller Freihag wohnte nämlich in derselben Stadt in +— doch wozu Ortsnamen! rufe ich mit Freund Werner. — Freihag, ich +wußte aus mancherlei Anlässen, daß er mir wohlgestimmt war und ein +gutes Herz hatte. — Ich traf ihn zu Hause. Oh, lieber Freund! rief er +mir schon an der Türe entgegen, heute ist's nicht! — Was ist nichts? +frage ich. — Sie wollen ja doch wieder Geld von mir! — Ach nein, +Herr Doktor, sage ich. — Das ist gut, meinte er, denn heute habe ich +selbst keines. — Das macht gar nichts, sage ich, denn heute müssen +Sie mir mit etwas anderm helfen. Sie müssen mich glücklich machen für +mein ganzes Leben! Ich will nämlich heiraten — und ich wollte in +der Tat, ich war gerade in ein reizendes Ballettmädchen verliebt und +in dem rechten Moment fiel es mir nun bei: wahrhaftig, das könntest +du als Motiv anführen, und sie hernach wirklich heiraten. — Da soll +ich Ihnen wohl gar den Brautwerber abgeben? lachte der Doktor. — Das +nicht, sage ich, oder ja, wenn Sie's so nehmen wollen. Sie müssen mir +nämlich meine materielle Existenz gründen. — Aber, lieber Freund, wie +vermöchte ich das? — Doktor, Sie vermögen es, Sie können es und Sie +werden es tun. Hier habe ich einen Roman geschrieben und Sie werden +meinen Verleger vermögen, daß er mir dafür Honorar zahlt. — Wie soll +ich das anfangen? fragt er; ach, 's ist ein liebenswürdiger Mann. — +Das ist sehr leicht, berichte ich, es wird Ihnen im Leben selten etwas +so wenig Mühe gemacht haben, als das, und Sie werden nicht leicht +wieder einen finden, der sich mit so<span class="pagenum" id="Seite_358">[S. 358]</span> geringem Opfer namenlos glücklich +machen läßt, als ich. Denken Sie: eine schöne, herrliche Braut, in +die ich sterblich verliebt bin. Es wäre mir unmöglich, auch nur einen +Tag noch zu leben, ohne die Gewißheit, sie heiraten zu können. — Ja, +es scheint, daß Ihnen die Liebe wirklich schlimm mitspielt, sagt der +Doktor nicht ohne Zweideutigkeit; wenn es jedoch in dem Bereiche der +Möglichkeit liegen sollte, Ihnen zu dienen —! Gut, sage ich, so wäre +das abgemacht. Ich danke Ihnen. — Nun, was wollen Sie denn eigentlich? +ruft er aus. — Ach ja so. Sehen Sie, sage ich, das ist der neue Roman: +Die Auster von Tergestum, von Emil Paulo und Max Freihag. Oder wollen +Sie voranstehen? — Ich soll als Autor des Romanes? — Ja, Doktor, +Sie werden als Mitverfasser Ihren Namen auf das Titelblatt drucken +lassen. — Als Mitverfasser! ruft er, ich als Mitarbeiter an Ihrem +Roman, ohne eine Zeile daran geschrieben zu haben?! — Das können Sie +nachholen, wenn Ihnen daran gelegen ist. — So müßte ich das Werk doch +zum mindesten durchlesen, denn Sie werden begreifen, daß —. Nein, +unterbrach ich ihn, Doktor, das begreife ich nicht. Haben Sie Lust, +den Roman heute zu lesen, so wird's mich freuen, aber was gewinnen Sie +dabei? Entweder Sie finden, daß Sie ihn verantworten können, dann war's +unnützer Zeitverlust; oder Sie werden durch die Lektüre veranlaßt, Ihr +Versprechen zurückzunehmen, dann bin ich verloren. Und daran, Herr, +daran zweifle ich keinen Augenblick, wenn Sie mit einem Namenszug +einen Menschen retten, ja deren zwei glücklich machen können, so +schreiben Sie Ihren Namen, wenn es sein muß, selbst auf ein ägyptisches +Traumbuch. Die Revisionsbogen werden Ihnen ja Gelegenheit geben, den +Roman kennen zu lernen, respektive zu bearbeiten. Die Hauptsache ist +jetzt Ihr Name; mein Verleger schließt in einer halben<span class="pagenum" id="Seite_359">[S. 359]</span> Stunde das +Kontor. — Das war mein Begehr, und nicht einmal die Pistole brauchte +man dazu in der Hand zu haben. — — Er hat's getan. Ich wußte recht +gut: nach einer Stunde tut er's nicht mehr; sobald ihm wieder der +Herzschlag langsamer geht, sobald er nachzudenken beginnt, tut er's +nicht mehr. Nun, es gelang und er hat's getan.</p> + +<p>Atemlos hatte die Gesellschaft dem Romanzier zugehört.</p> + +<p>»Und wie verlief die Sache?« fragte der Schauspieler, der früher der +Gleichgültigste geschienen und jetzt der Aufmerksamste war.</p> + +<p>»Sie verlief gar nicht,« antwortete Paulo, »sie ist noch heute, und +ganz vortrefflich. Ich kam mit dem Roman zum Verleger zurück, der sah +auf demselben freudestrahlend den berühmten Namen, den er für seinen +Verlag schon seit langem vergeblich zu gewinnen gesucht, und zahlte mir +fünfzehnhundert Taler als die erste Hälfte des Honorars auf die Hand. +— Außer einigen Streichungen fand der Doktor an dem Roman nicht viel +zu modifizieren, das Buch ging reißend ab und hat bis heute sieben +Auflagen erlebt. Selbstverständlich schrieb ich nun munter voran und +für den Kompagnon Max Freihag's taten die Verleger allerorts ihre Arme +und Börsen auf, obwohl die folgenden meiner Bücher nur mehr unter +meiner Firma allein erschienen.«</p> + +<p>»Und hat der Streich dem Renommee Freihag's doch nicht etwa —?« +Iseling sprach's, hatte aber nicht den Mut, den Satz zu Ende zu bringen.</p> + +<p>»Geschadet, meinen Sie!« fuhr Paulo empört auf. »Herr, seit der +Erfindung des spanischen Brustmalzes mag es allerdings erst +fünfunddreißig Jahre her sein, aber seit der Entdeckung des gesunden +Menschenverstandes ist es doch etwas länger. Und der Menschenverstand +sagt sonnenklar:<span class="pagenum" id="Seite_360">[S. 360]</span> Zwei ist mehr als eins. Freihag kann froh sein, ein +höchst bedeutendes Werk unter seinem Schilde zu führen, zu dem er kaum +die Feder angesetzt hat.«</p> + +<p>»Und Ihre Braut haben Sie geheiratet?« fragte der Maler.</p> + +<p>Ohne darauf zu antworten, nahm Paulo seinen Überrock und sagte: »Gute +Nacht, meine Herren!«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_361">[S. 361]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Mann_mit_den_dreizehn_Talern">Der Mann mit den dreizehn Talern.</h2> +</div> + + +<p>Der Mann, dessen Geschichte ich in schaulustigen Jugendtagen +aufgeschrieben, war eine sehr wunderliche Erscheinung. Auswendig und +noch mehr inwendig. Er war nicht groß, aber stark untersetzt und +unter der rechten Achsel auffallend ausgewachsen, so daß an derselben +Seite der kurze graue Wollspenser zwischen sich und der Hose das Hemd +hervorlugen ließ. Das bleiche Gesicht sah recht offenherzig aus, war +rund und hatte für das Dorf astronomische Bedeutsamkeit. Wenn dieses +Gesicht neu und glatt rasiert war, so konnte man überzeugt sein, daß +der Mond im ersten Viertel stand.</p> + +<p>Die Welt sah er nur halb, das heißt immer bloß mit dem einen, rechten +Auge an, das linke hielt er stets zugedrückt. Und doch war er nicht +einäugig, denn einmal hatte es sich ereignet, daß beide Augen hellicht +offen standen. Die Leute meinten, der Alte verschließe das linke, +weil er alles <em class="gesperrt">recht</em> sehen wollte; andere behaupteten, er tue +es aus Sparsamkeit, damit, wenn sich im Greisenalter die gewöhnliche +Sehkraft erschöpfe, er noch ein neues, frisches Auge habe, und wieder +andere vermuteten, der Alte tue es aus Nachsicht, daß er immer ein Auge +zudrücke.</p> + +<p>Einen Zweck mußte es wohl haben, denn alles, was der Alte tat oder +ließ, hatte einen Zweck. Oder weshalb ließ er seine nun bereits weißen +Haare so lang wachsen, daß er sie wie einen Turban um die Stirne +drehen konnte, als daß er dadurch die Kopfbedeckung von fremden +Haaren ersparte? Und weshalb kaute er immer und immer wieder an einem +Strohhalm, als zum Ersatz für das Rauchen, das er sich in<span class="pagenum" id="Seite_362">[S. 362]</span> seiner +Jugend einmal angewöhnt hatte? Und weshalb hatte er in seinem Stübchen +eine beflügelte Windmühle, die mehr als den halben Raum einnahm? — Ja, +die Geschichte von der Windmühle ist nicht einfach! Die Maschine stand +aber auch nur im Winter in der Wohnung des Mannes, im Sommer ruhte +sie in einer Rumpelkammer, die gleich daneben, und zu der die Stube +des Mannes eigentlich das Vorzimmer war. Ob über diese Räume der alte +Mann oder die Mäuse Hausherr waren, das ist nie recht klar geworden; +bestimmt ist nur anzunehmen, daß beide Parteien in den Dachstuhlräumen +des alten Pfarrhofes wohnten.</p> + +<p>So bedenklich die Holzleiter aussah, die zu diesen Räumen emporführte, +so wohnlich waren sie eingerichtet. Eine Matratze, die am Boden lag, +ein dreibeiniger Sessel, der daneben lehnte, ein wurmstichiger Schrank, +der an der Wand stand und ein kleiner eiserner Ofen, der im Winkel +kauerte — das war außer der Windmühle die Einrichtung der Wohnung +des Malchus Zacharias Rosenkranz. Das Fenster, das in der schiefen, +reichlich mit Lehm überworfenen Dachwand in einer Nische stand, war +wie der alte Malchus einäugig, da der andere Flügel mit blauem Papier +verklebt gewesen. Indeß war der Ausblick durch die eine Glasscheibe +um so erfreulicher, sie ging in den Hof zu den lieben Haustieren. Dem +Fenster des Malchus gegenüber stand das Wirtschaftsgebäude und auf +dem First desselben saß zu allen Stunden des Tages ein Spatz oder die +Katz'! Und über dieses Bild wölbte sich am Tag der blaue Himmel, zur +Nacht das Sternenzelt und zu trüben Zeiten der Nebel.</p> + +<p>Gelänge es mir, nun euren Blick von diesem Bilde ab- und nochmals auf +das Innere der Behausung des Malchus zu lenken, so möchte ich auf den +schwärzlichen Hafentopf aufmerksam machen, der am eisernen Ofen steht. +Dieser birgt<span class="pagenum" id="Seite_363">[S. 363]</span> das Mittags- und Abendmahl des Mannes, sowohl für alle +gewöhnlichen Tage, als auch für alle Feste des Jahres berechnet — ein +nahrhaftes Erbsengericht. Lohnend dürfte es sein, auch einen Blick in +den Schrank zu tun. Da uns die zahlreichen Wurmstichlöcher aber doch +immer keinen Einblick in das Innere zu gewähren vermögen, ist Malchus +Zacharias Rosenkranz bereit, die Decke zu öffnen. Die hier verwahrten +Holzschuhe und falbledernen Beinkleider, sowie der Sack Erbsenvorrat +sind von minderem Belange; um so auffälliger aber ist uns die viele +Schafwolle, die auf Spulen und Knäuel gewickelt ist, und das sorgsam +gehaltene Strickzeug. Wir haben hier die Stätte der Arbeit vor uns; +Malchus beschäftigt sich jahraus jahrein mit Stricken und versorgt alle +Bauern, Hirten und Holzhauer der Umgebung mit Fäustlingen und Socken.</p> + +<p>Im untersten Winkel des Schrankes befindet sich aber ein Wollbeutel, +der einen feinen, zarten Metallklang gibt, sobald ihn der Mann berührt; +Malchus schichtet alle vorrätige Wolle über den Beutel und blinzelt +dabei ganz merkwürdig mit dem rechten Auge. Dann blickt er unstet um +sich, aber das linke Auge bleibt zu, nur der Strohhalm, an dem Malchus +kaut, macht ein paar Schwingungen auf und nieder, was wohl gar eine +Drohung bedeuten mag.</p> + +<p>Ein Geizhals, meint Ihr? — Recht gut, so hat es einen Zweck, daß ich +euch die Geschichte des Mannes erzähle.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Malchus Zacharias Rosenkranz lebte schon seit einigen fünfzig Jahren in +dem Dachstübchen des Pfarrhofes, und ihm sind auch die Tage bekannt, +die er noch hier verleben wird. Er weiß den Tag seines Todes. Wie +sie ihn über die hinfällige Leiter hinabbringen werden, das ist ihre +Sache — gewiß nur ist, daß sie nach Verlauf der bestimmten Zeit<span class="pagenum" id="Seite_364">[S. 364]</span> den +alten Malchus hinaustragen werden auf den Kirchhof. Der Alte verzehrt +trotzdem heute sein Erbsengericht so ruhig als vor dreißig Jahren. Er +betet und hofft nur, daß bishin kein Unglück mehr komme.</p> + +<p>Eine Tagereise von unserem Dorfe, in einer schönen Gebirgsgegend, liegt +der rote See. Dieser ist an vielen Stellen grundlos tief, birgt sogar +Forellen in sich und hat seinen Namen von den roten Felswänden, die an +seinen Ufern aufragen und sich in dem klaren Wasser spiegeln.</p> + +<p>Am Ufer dieses Sees stand vor vielen Jahren eine Fischerhütte. Sie war +aus rohen Waldstämmen gezimmert und mit Lehm und Moos gegen Wind und +Wetter wohlverwahrt. In der Hütte wohnten ein Mann und ein Weib und +ein Kind. Der Mann war kühn und trieb sich die meiste Zeit auf dem See +herum, bis er zu Abend mit beladenem Kahne gegen die Hütte ruderte. Das +Weib war arbeitsam und pflegte den Gemüsegarten und die Ziegen, und in +der Winterszeit höhlte es Holzschuhe aus zum Verkaufen. Das Kind war +ein freudvoller Knabe, in welchem Jugendlust sprudelte und ein reiches, +kraftvolles Leben zu schlummern schien.</p> + +<p>Das Fischerpaar liebte sein Kind unsäglich, aber es lag eine Betrübnis +in seiner Doppelseele, so oft es den heiteren Knaben ansah. An jenem +Tage nämlich, als dem Fischer das Kind geboren wurde, fing er in seinem +Netze eine große Seespinne, wie er noch nie eine gesehen hatte, weil +sie im roten See nicht vorzukommen pflegten. Er schleuderte das Tier +wohl wieder zurück in die Wellen, aber nach seinem Sinn sollte der Fang +für die Zukunft seines Neugebornen von böser Bedeutung sein. Er teilte +dies auch seinem Weibe mit, welches zwar den Wahn des Gatten überlaut +zu widerlegen suchte, im Innern aber bangte, des unglücklichen Lebens +gedenkend, das vielleicht ihrem Kinde bevorstehe.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_365">[S. 365]</span></p> + +<p>Trotzdem wuchs der Knabe auf zum schönen Jüngling, der da lachte, als +ihm die Eltern die Geschichte von der Seespinne mitteilten.</p> + +<p>Der Jüngling kam selten zu fremden Menschen; er sah dann und wann nur +einen Holzhauer, einen Jägersmann, und wenn er auch bisweilen hinauskam +in die Gegend, wo das Dorf und die Kirche standen und wo die Leute auf +dem Felde oder auf der Wiese arbeiteten, so fühlte er sich dort nicht +behaglich. Die ganze Liebe seines Herzens wendete er den Eltern zu.</p> + +<p>Zur Liebe kam auch der Segen. Jener Wahn des alternden Paares begann in +diesem ruhigen und heiteren Fortleben zu schwinden.</p> + +<p>In einem Winkel oben unter dem Dache wohlverwahrt stand ein Kästlein +aus hartem Buchenholz voll blanker Silbermünzen. Durch die vielen Jahre +der Arbeit und des Fleißes hatte sich die kleine Familie ein Vermögen +erworben, welches in dem alten Fischer keinen geringeren Plan wachrief, +als den, die baufällige Hütte niederzureißen und sich am Ufer des Sees +ein größeres Wohnhaus zu bauen. In seiner Seele mochte vielleicht das +Bild einer lieben Tochter zu dämmern beginnen, die der Junge früher +oder später bei den vielen Menschen draußen finden und nach Hause +bringen werde.</p> + +<p>So zog der Jüngling eines schönen Julimorgens aus, um einen Baumeister +und Arbeiter zu dingen. Wenn er an großen, stolzen Bauernhöfen +vorüberkam, so studierte er die Bauart und den Geschmack, und er freute +sich auf das Leben im neuen Hause, das sich in der Einsamkeit zwischen +dem See und den roten Wänden doppelt schön ausnehmen werde, und er +freute sich auf das Lieben und Pflegen der alten Eltern.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_366">[S. 366]</span></p> + +<p>Als er hierauf nach gewissenhaft vollführter Sendung in das +Felsengebirge zum roten See zurückkehrte, da war alles aus. Wo die +Hütte gestanden hatte, knisterte ein Gluthaufen und von demselben +rieselte über die breiten Steine ein schmales Silberbächlein gegen +den See, gleichsam als fordere dieser die unzähligen Silbermünzen, +die er durch seine Fische erwerben half, geschmolzen wieder zurück. +Und in dem Aschenhaufen lagen die verkohlten Leichname. — — Schöner +Fischerjunge! Dort am Ufer steht noch der Kahn, dein Erbe. Geh' hinab, +mache ihn los, springe hinein und fahre hinaus bis in die Mitte des +Sees. Dort stürze dich kopfüber hinab — zur Seespinne. —</p> + +<p>Er sprang nicht in die Glut, er sprang nicht in den See; er brach nicht +zusammen; es trat ihm keine Träne ins Auge. Einen kurzen, gellenden +Schrei stieß er aus — — dann drückte er sein linkes Auge zu und +blinzelte mit dem rechten.</p> + +<p>Später wühlte er in den Kohlen und Bränden. Die Leichen seines Vaters +und seiner Mutter ließ er liegen, wie sie lagen, bis nach vielen +Stunden Leute kamen, die das Unglück sahen, das Fischerpaar begruben +und den Jüngling mit hinaus nahmen ins Dorf.</p> + +<p>Aber seine Jugend war zu Ende. — Das plötzliche unfaßbare Unglück, das +mit einem einzigen Schlage alles geraubt hatte, was er besaß, was er +liebte und an dem er hing mit seinem ganzen Wesen, hatte sein Gehirn +erschüttert, sein Lebensmark geschmolzen — ein blödsinniger Greis von +siebzehn Jahren — drückte stets das linke Auge zu und kaute an einem +Strohhalm.</p> + +<p>Die Brandstätte seiner Heimatshütte lag öde da; Fischlein im See +reckten oft ihre Köpfe empor, ob denn der Alte nicht wieder einmal +käme mit seinem hinterlistigen Garnsack,<span class="pagenum" id="Seite_367">[S. 367]</span> und da er nicht kam, so +veranstalteten sie lustige Spiele und feierten das Fest durch Tänze +und Wettrennen nach Mücken und Würmchen. Doch endlich kam wieder ein +starker Mann, der mit riesigen Garnbeuteln den roten See neuerdings +unsicher machte.</p> + +<p>Für das geschmolzene Silber, welches von der Hütte über die breiten +Steine gegen den See geflossen und unterwegs gestockt war, bekam der +arme Malchus dreizehn Taler.</p> + +<p>Bisher hatte er eine Wollmütze am Kopfe getragen, die nahm er nun ab +und wickelte das Geld hinein und sagte zu sich: »Das ist gerade genug, +daß sie die Glocken läuten und daß der Pfarrer mitlauft, wenn mich +die sechs Träger hinaustragen. Sechs? Ei, ich dächte, für den Malchus +tätens auch bloß zwei.«</p> + +<p>Ein alter Pechbrenner, in dessen Hütte Malchus seit dem Unglücke +wohnte, ließ sich die dreizehn Taler zeigen, legte dann den Finger auf +den Mund und flüsterte: »Malchus, das ist ein Kapital, geh' damit ein +Geschäft an! Schau, ich habe vor fünfunddreißig Jahren, als ich in +den Wald ging, nur zwei Sechser gehabt, kaum, daß ich mir davon den +Pechhafen hab' kaufen können, und heute schau dir einmal meine Pecherei +an! Probier's auch du. Kannst es so weit bringen wie ich!«</p> + +<p>Auf diese Worte legte der junge Mann einen Grashalm auf die Zunge; +indem er an demselben zu kauen begann, sagte er langsam: »Meinst? Wart, +Domini, wart, mit fünfunddreißig Jahren hab' ich's weiter gebracht als +du. Bin ja ein Glückspilz, ich!«</p> + +<p>»Wie du ein Kerl bist, sollst du ja die Welt auf die Achseln nehmen wie +einen alten Heukorb! Fikra sikra Haferstern! Wenn ich der Malchus wär', +ein Schloß von Elfenbein<span class="pagenum" id="Seite_368">[S. 368]</span> müßt' ich haben und das schönst' Weible drin +und ein goldenes Bettstattl mit Roßhaar! — tät's nicht billiger!«</p> + +<p>Malchus lächelte, aber sagte nichts drauf; er wickelte seine dreizehn +Taler wieder langsam in die Wollmütze.</p> + +<p>»Und was willst du nachher mit deinen dreizehn Aposteln da? Geh, ist ja +der Judas noch dabei! Du, Malchus, den mußt weg, er verrät dir sonst +die andern all. Oder der dreizehnte stirbt und steckt dir die anderen +an. Mußt ihn weg, Malchus!«</p> + +<p>»Mag wohl wahr sein,« meinte der Bursche, faltete seine Mütze wieder +auseinander und hielt dem Pecher eine Münze hin.</p> + +<p>»Junge, da tust du gescheit,« sagte der andere schnell und steckte den +Taler in die Tasche, »bei mir hat er's gut, wenn du ihn brauchst, so +komm und hol ihn.«</p> + +<p>Ein andersmal, als Malchus tagelang zwecklos im Walde herumgelaufen +war, sagte der Pechbrenner zu ihm: »Ja, was willst denn, Malchus, du +bist ein ganzer Narr!«</p> + +<p>»Das hab' ich mir auch schon gedacht,« entgegnete der Bursche. Dann +warf er sich schluchzend an die Brust des alten Mannes und sagte: +»Domini, lieber Domini, ich weiß mir keinen Rat. Du, ich sag' dir's, +wenn sie mich nicht gleich auf die Bahr' legen, so kommt noch früher +ein großes Glück über mich!«</p> + +<p>»Ein großes Glück, meinst? Tät' dir schon recht geschehen und ich +wollt' dir's wünschen.«</p> + +<p>»Weh!« rief Malchus aus und wollte dem Pechbrenner den Mund verhalten. +Und nachher sagte er: »Ja, ja, Glück wär schon recht! Aber da kommt +dir auf einmal eine Stunde, und das Glück, fleißig aufgebaut in vielen +Jahren, wird in einer Nacht zum Unglück. Domini, ich sag' dir's, wenn +unten beim roten See jetzt eine Fischerhütte stünde, und<span class="pagenum" id="Seite_369">[S. 369]</span> es lebte ein +guter Mann drin, der mein Vater, und eine gute Frau, die meine Mutter +wäre — ich ginge nicht hinab zu dieser Hütte; nein, alter Domini, und +wenn ich nur mit den Tieren des Waldes leben müßte, ich ginge nicht +hinab — 's möcht vielleicht schön sein unten — schau mich an, Domini +— schön sein unten; es möchten Tage sein wie die himmlischen Freuden +— da kommt das Unglück und alles ist hin. Nein, nein, ich ertrags +nicht mehr, das Glück, das falsche, und du wirst wohl recht haben, +Domini, ich bin ein ganzer Narr.«</p> + +<p>Dem alten, lustigen Domini war diesmal zur Entgegnung kein Scherz +eingefallen. Er schwieg und dachte daran, wie das plötzliche Unheil auf +den Burschen einen solchen Eindruck gemacht hatte, daß er das Glück nur +als Ursache des Unglückes betrachtete und es fürchtete, wie das Unglück +selbst.</p> + +<p>»'s wird alles wegen der Seespinne geschehen sein,« sagte Malchus, »und +ich weiß nun schon, ich darf nichts anfangen in der Welt, 's tät' mit +allem schlecht ausgehen. Ich will keine Freude mehr haben, die Trauer +nachher ist zu bitterlich; mag auch kein Geld und Gut, tät's doch +wieder verlieren. Mag gar nichts, bin einmal zum Unglück geboren. — +Ich will das Elend schon ertragen, Domini, den Hunger fürcht ich nicht, +die Kälte nicht. — Ich ertrag' die Not, nur jäh darf sie nicht kommen. +Domini, ich kann stricken; ich find' schon wo ein Platzel für die paar +Jahre, und da stricke ich und erwerbe mir für jeden Tag eine Brotsuppe, +oder, wenn das Geschäft gut geht, von Erbsen was. Die Lederhose da, +schau einmal, Domini, sie ist von Hirschleder, die hält mir's reichlich +aus, und dann soll das Unglück nur kommen, wo wills denn aufsitzen? +— Bleibt mir mein Geld nicht, ist recht, nur fort, liegt mir wenig +daran;<span class="pagenum" id="Seite_370">[S. 370]</span> und bleibt es mir, so ist's gut. Die dreizehn Taler sind für +mein Begräbnis.«</p> + +<p>»Hast nur zwölf mehr,« warf der Pechbrenner ein.</p> + +<p>»Zwölf?« sagte Malchus befremdet, »wo hätt' ich hernach den +dreizehnten?«</p> + +<p>»Hast ihn ja mir gegeben, von wegen dem, weil er der Judas war,« lachte +der Alte, »aber, wenn du ihn wieder haben willst ...«</p> + +<p>»Nein, behalt' ihn nur,« sagte Malchus, »du hast mir jetzt lange +Zeit hier in deinem Hause Dach und zu essen gegeben. Ich dank' dir's +tausendmal, Domini, aber jetzt werde ich dich verlassen, ich gehe ins +Stricken aus; bet' dann und wann ein Vaterunser für mich; schau der +Malchus ist eigentlich doch ein armer Teufel.«</p> + +<p>Das waren die Abschiedsworte. Seine Wollmütze im Sack, einen Stock +in der Hand und einen langen Halm zwischen den Zähnen — so wandelte +Malchus langsam durch den Wald und hinab zum See, wo am Ufer eine +kleine rötliche Mauer stand. Der Herd ist noch geblieben, als ob das +Schicksal höhnen möchte: Ei, sieh' da, Malchus Zacharias Rosenkranz hat +doch auch einen eigenen Herd! —</p> + +<p>Der blödsinnige Bursche wühlte — weil er just vorüberging — ein wenig +in dem Aschenboden, ob etwa nicht irgendwo noch ein Eisennagel läge. +Einen rostigen Pfeifendeckel aus Stahl fand er — — den hatte der alte +Fischer einst auf- und zugedrückt, als er behaglich schmauchend am +Tischchen gesessen war und zu seinem Weib und zu seinem Sohne gesagt +hatte: »Nu, was meint ihr, werden uns halt ein Häuslein bauen müssen, +das ein wenig größer und bequemer ist. Junge, zuletzt wirst du auch +noch zwei Stuben haben wollen!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_371">[S. 371]</span></p> + +<hr class="tb"> + +<p>Als sich der Bursche in einem entfernteren Tale nach Strickarbeiten +umsah, lachten ihn die Leute aus. — So jung und ein Altweibergeschäft!</p> + +<p>Aber weil's gar zu sonderbar war, so gaben sie ihm doch eine Arbeit.</p> + +<p>Malchus half auch auf dem Felde, aber da war er sehr unbeholfen. Einmal +zur Erntezeit sagte man ihm: »Nur fleißig Korn tragen, Malchus.« Und +setzten das Sprichwort dazu: »Die Kornträger werden reich.« Auf diese +Worte wollte der Bursche keine Garbe mehr anrühren.</p> + +<p>»Warum gehst du denn immer barhaupt?« fragte ihn einmal eine junge +Magd, und wickelte sich seine wirren Locken um den Finger.</p> + +<p>»Das weiß ich nicht,« antwortete Malchus und blickte seitwärts.</p> + +<p>Wenn er mit andern zu Tische war, so aß er immer nur Brotsuppe und +Gemüse, und wenn sie ihn zum Fleischgericht oder zu fetten Mehlspeisen +einluden, sagte er: »Vergelt's euch Gott, nach so was ist's so viel +schwer, sich was Einfacheres anzugewöhnen.«</p> + +<p>Einmal sagte der Bauer, bei dem er arbeitete: »Malchus, ich schenk' dir +eine Pfeife, daß du nicht immer an einem Strohhalm zu saugen brauchst.«</p> + +<p>Darauf der Bursche: »Wenn du auch den Tabak dazu gibst?«</p> + +<p>»Wie hast dir denn dein linkes Aug' abgebrochen, Malchus?« fragte +ihn die schalkhafte Bäuerin eines Mittags, als sie dem Burschen eine +Erbsensuppe vorsetzte.</p> + +<p>Dieser aß die Erbsensuppe, antwortete jedoch nicht auf die Frage. —</p> + +<p>Endlich sah man ein, daß der Malchus ein Hascher sei, und man +behelligte ihn nicht mehr mit Witzen und Zumutungen,<span class="pagenum" id="Seite_372">[S. 372]</span> denen er +nicht entsprechen konnte; man gab ihm Wolle und ließ ihn bei seinen +Stricknadeln, und Malchus strickte und schien zufrieden.</p> + +<p>Er war ruhig, gutmütig und anhänglich, man ließ dem armen, heimatlosen +Burschen auf dem Dachboden des alten Pfarrhofes ein Stübchen.</p> + +<p>Malchus, der seit dem Unglücke bisher im Tale in verschiedenen +Bauernhöfen gelebt und gearbeitet hatte, war anfangs kaum zu +bewegen, seine neue Wohnung zu beziehen. »Auf einmal wird mein Haus +niederbrennen.«</p> + +<p>Gegen die Stiege, die man ihm zu seiner Dachkammer bauen wollte, +verwahrte er sich auch. »Gebt mir nur eine Leiter, die man allzeit +wegziehen kann; dem Unglück darf man nicht auch noch die Wege machen.«</p> + +<p>So begann nun Malchus in seinem neuen Hause zu leben. Bei trübem Wetter +saß er auf der Matratze und strickte oder sah sich dann und wann auch +seine zwölf Taler an, die er im alten Holzschranke verwahrt hielt. Die +sind halt für's Läuten und für's Hinaustragen und für den Segen in die +Grube. Ja, wo war denn der dreizehnte? Den hatte er zuletzt gar dem +alten Domini geschenkt? Ei, ei!</p> + +<p>An heiteren Tagen aber kletterte er über die Leiter herab, ging durch +das Dorf, über Feldwege und redete einige Worte mit den Leuten, die ihm +begegneten, und strickte.</p> + +<p>Mit seinem lockigen Barhaupte und dem zwinkernden Auge und den +unvermeidlichen Halm zwischen den Lippen sah er aus wie ein +stillheiteres Gemüt.</p> + +<p>Die Arbeit holte er sich von seinen Kunden selbst, wer hätte es auch +wagen mögen, über die gebrechliche Leiter in sein Stübchen zu steigen!</p> + +<p>So saß er denn allein und strickte oder sah am kleinen Ofen nach, +was die Erbsen machten; zu Zeiten, wenn eine<span class="pagenum" id="Seite_373">[S. 373]</span> lebhafte Flamme war, +wurden sie gar lebendig und stiegen heraus, und Malchus mußte sie mit +kaltem Wasser wieder zurück hineinjagen, die Flüchtlinge, die er doch +verzehren wollte. —</p> + +<p>An einem Sonntag Vormittag. Die Leute waren alle in der Kirche, +auch Malchus saß in einem Winkel hinter dem Taufstein und betete +seinen Rosenkranz ab und murmelte zu der braunen Korallenkette: »Du +bist ein Rosenkranz und ich bin auch einer; du hast ein Kreuz und +einen »Glauben« und zweiundsiebzig Perlen; ich hab' auch ein Kreuz +und einen Glauben, aber ob ich mein Lebtag zweiundsiebzig Tugenden +zusammenbring', d'rauf wollt' ich nicht wetten. Bin doch oft recht +untugendsam, wenn ich gar so übermäßig über mein Unglück trauere und +das Leben und meine Jugend verachte, als ob just auf mich alles Elend +kommen wollte. Zuletzt werde ich so glücklich sein wie alle anderen, +und mein Klagen und Zittern ist ein Frevel. Deswegen, du tugendsamer +Rosenkranz, tu' nur ein wenig beten für den untugendsamen!«</p> + +<p>Da kam plötzlich der Kirchendiener aus der Sakristei und sagte dem +Pfarrer am Altare etwas ins Ohr. Der Pfarrer kehrte sich gegen die +Gemeinde und rief laut: »Feuer ist im Dorf, geht löschen!« Am Turm +schlugen schon die Glocken an.</p> + +<p>»Aha, ist schon da!« murmelte Malchus und erhob sich von seinem Stein.</p> + +<p>»Wo brennt's denn?« fragten sich die Leute und stürmten in das Freie.</p> + +<p>»Wo wird's brennen, ihr Kindischen,« sagte Malchus ruhig, »im Pfarrhof +brennt's; oben in meiner Stube brennt's; 's wird wieder meinen Vater +und meine Mutter haben wollen oder mich, und jetzt bin ich gar nicht zu +Hause.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_374">[S. 374]</span></p> + +<p>Er steckte seinen Rosenkranz in die Tasche und ging hinaus.</p> + +<p>Am unteren Ende des Dorfes qualmte dichter, rötlich-brauner Rauch +auf. »Das ist der große Heustadl!« hieß es, und die Leute eilten mit +Eimern und Kübeln und Leitern und Haken gegen den Brand, und weil +keine Feuerspritze im Orte war, so trugen sie aus dem Ziehbrunnen, der +auf dem Platze stand und aus dem Bächlein, das weiter unten hinfloß, +Wasser auf die Dächer. Der Stadl war nicht mehr zu retten, da pfiffen +die Flammen schon aus allen Fugen und Löchern; jetzt brachen sie +gewaltig aus; glühendes Stroh, brennende Schindeln flogen hoch. Auf +den Nachbargebäuden kletterten Männer herum, warfen die Dachbretter +herab, begossen die Firste und Dachstühle, vermauerten die Fenster. Sie +riefen sich zu, aber im Knattern der Bretter und im Brüllen des Feuers +hörten sie sich kaum. Die Weiber jammerten in den Gassen und schleppten +Hausgeräte aus ihren Wohnungen; alte Kästen und Bettstätten zerrten +sie hervor und vergaßen den Sparpfennig. Auf dem Turme schrillten +stoßweise, in ungleichen Zwischenräumen die Glocken, daß von den +Nachbargemeinden Hilfe kommen möge.</p> + +<p>Über all das lag der klare Sommertag und Sonnenschein, wenn auch die +Schatten des Rauches über Dorf und Kirche hinflogen.</p> + +<p>Malchus half nicht im Löschen, nur daß er in der Nähe des Feuers beim +Ausbringen von Hab und Gut tätig war.</p> + +<p>Zuletzt ging er gar davon, setzte sich auf einer Anhöhe nieder und sah +dem Feuer zu. »Wie ihr auch löschen und wahren mögt,« sagte er, »das +ganze Dorf brennt nieder. Das Feuer ist dort unten und mein Pfarrhof +ist da oben am andern Ende. Du rothaariges Unglück, du hast es doch nur +auf mich abgesehen, und jetzt hüpfest du über alle Hausdächer<span class="pagenum" id="Seite_375">[S. 375]</span> bis zu +meiner Wohnung. Und ich bring' so viel Unheil über alles; es wär' doch +das beste, ich tät der ganzen Welt aus dem Weg gehen — ganz, ganz aus +dem Weg — die Seespinne wird keine Ruh' geben.«</p> + +<p>In einer Stunde später war der Heustadl eingestürzt und die Flammen +leckten nur mehr an den Wandbäumen, die am Boden lagen. Die nächst +angrenzenden Gebäude standen unversehrt da, nur daß bei einigen das +rötlichgraue Dachstuhlgerippe nackt aufragte, weil es die Leute +abgedeckt hatten.</p> + +<p>Die Kirchenglocken waren zur Ruhe gekommen, das Schreien war verstummt, +die Weiber trugen ihre Geräte wieder in die Häuser und sie lachten, +wenn sie gleich noch vor Aufregung zitterten.</p> + +<p>Malchus stieg vom Hügel, schüttelte wiederholt den Kopf: »Jetzt hat die +rothaarige Bestie sicher gemeint, ich wohne im Heustadl!«</p> + +<p>Als er über seine Leiter steigen wollte, lag diese in Trümmern auf dem +Boden, und neben ihr, ächzend und sich in Schmerzen windend, lag der +Schuhflicker Fritz.</p> + +<p>Malchus kannte ihn gleich, der Mann flickte ihm ja seine +Kuhlederschuhe. Er rief also: »Ja, Schuster, was ist denn dir +geschehen?«</p> + +<p>Dieser wimmerte: »Wie das Feuer auskommen ist, hab' ich dem Malchus +wollen sein Hab und Gut retten und bin über die Leiter gestürzt — Fuß +und Hand hab' ich mir gebrochen.«</p> + +<p>Während er dies sagte, wälzte er sich um und suchte einen grauen +Wollbeutel zu verdecken, der neben ihm lag. Aber Malchus hatte diesen +bemerkt und sagte: »Fritz, es schaut so aus, als ob du mir mein Geld +gestohlen hättest!«</p> + +<p>»Malchus, nur retten hab' ich dir's wollen — oh weh!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_376">[S. 376]</span></p> + +<p>»Das kann sein, und es kann auch nicht sein — gib nur her, Fritz.«</p> + +<p>»Zu tausendmal gern; aber sag niemandem was davon. Malchus, schau, +bin ein armer Mann und hab' Weib und Kind. Hab' sonst noch keinem was +gestohlen, mein Lebtag nicht. Sag nichts davon, Malchus; muß ja eh bald +sterben!«</p> + +<p>So jammerte der Schuhflicker, und Malchus beruhigte ihn: »Ist dir +vergessen; und zuletzt hätt' doch nur ich da herabstürzen sollen; das +Unglück ist heut' schon das zweitemal zum Unrechten gekommen. Magst +dich auf meine Achsel helfen, Fritz, ich trag' dich heim in dein +Häusel.«</p> + +<p>Und er trug den Fritz heim in sein Häusel. »Frau Schusterin,« sagte +er, »tut Euch nicht erschrecken; beim Löschen ist er auf den Erdboden +gefallen«.</p> + +<p>Dann ging Malchus wieder seiner Wohnung zu, band die Leiter zusammen +und stieg zu seiner Stube hinauf. Die Türe war offen, der Schrank +ebenfalls. Malchus barg seine zwölf Taler wieder an ihrer Stelle.</p> + +<p>Leute, die den jungen Mann während des Brandes auf dem Hügel hatten +sitzen sehen, sagten lieblose Worte. Andere, die ihn mit dem Schuster +Fritz begegneten, erzählten Gutes von dem blödsinnigen Stricker.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Es war im Spätherbste desselben Jahres, als eines Abends durch das +Dorf der lustig polternde, pudelnärrische Brechelzug ging. Die Leute +kehrten eben von der »Haarstube« zurück, wo sie gemeinsam ihren Flachs +gebrechelt hatten; gingen jetzt zu einem reichlichen Mahle, welchem +Tanz und anderes Freudige folgen sollte. Die Pfeifen und Geigen waren +schon da und die Bläser und Streicher auch dazu, und die Füße des +jungen Völkleins waren bereits voll Räder und Federn, besonders die der +Dirndeln.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_377">[S. 377]</span></p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;">»Wia liab daß so a Diandl,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Wan's bleedan tuat, is!«</span><br> +</p> + +<p>Dem Zug voran gingen zwei Burschen, die mit Besen die Gasse auskehrten, +und hinter her zog eine Magd und streute Agen auf den Weg, damit der +Lust und der Freude, die hier im Triumph einherzog, die Kümmernis nicht +folgen konnte.</p> + +<p>Als sie über den Platz am tiefen Dorfbrunnen vorüberkamen, standen +einige plötzlich still und legten die Finger an den Mund; »ein +Gespenst!« Andere blieben ebenfalls stehen und horchten. — »Du +Kreuzsappermost, was ist denn das da unten?«</p> + +<p>Aus der Tiefe des Brunnens hörte man Laute — wie ein Wimmern und +Weinen, dann wieder wie ein Lachen. Das war ja wieder dieselbe +Stimme, wie man sie vor dreißig Jahren gehört hatte, als darauf eine +Überschwemmung kam; und das war auch dieselbe Stimme, die vor achtzehn +Jahren im Brunnen rief, als dann die große »Sterb« in der Gemeinde +ausgebrochen.</p> + +<p>Die Pfeifen waren in schrillen Tönen ausgelaufen und schwiegen; die +Leute flohen.</p> + +<p>Nur Malchus floh nicht. Er stand am niederen Brunnengeländer, starrte +in die Tiefe und rief hinab: »Na heut' geraten wir zusamm', verdammte +Seespinne du!« Dann verlangte er einen Strick, sie sollten ihn +hinablassen.</p> + +<p>Die Leute wußten nicht was, aber sie brachten einen Strick und ließen +Malchus in den Brunnen.</p> + +<p>Der Arme — noch einen Blick gegen die Abendröte, gegen die Waldberge, +gegen die weiße Dorfkirche, gegen die Menschen — dann hatte er den +Eimerbaum seitwärts gestoßen und es ging hinab — von dem Lichte zur +Dämmerung,<span class="pagenum" id="Seite_378">[S. 378]</span> zur Dunkelheit, zur Finsternis, den schauerlichen Tönen +näher.</p> + +<p>Der Strick war lang und ging tief und tiefer hinab.</p> + +<p>Endlich schien die Last auf dem Wasser zu sein, der Strick war locker.</p> + +<p>Man horchte, man hörte kaum mehr die Laute von früher. Das halbe Dorf +hatte sich um den Brunnen versammelt.</p> + +<p>Die Mauern und weißen Schindeldächer der Häuser waren gefärbt von der +Abendröte; Fensterscheiben leuchteten, als ob alle inneren Räume in +Flammen ständen — so herrlich scheidet der Tag, so unheimlich naht die +Nacht, und dem Manne im Abgrund — wie wird's ihm ergehen?</p> + +<p>Endlich tönte aus dem Brunnen ein hohles, langgezogenes: »Auf!«</p> + +<p>Man spannte den Strick, man zog und zog; die Last war schwer, das Seil +lag schon am Boden in unzähligen Ringen und Schlingungen wie eine +endlose Schlange, und endlich —</p> + +<p>Malchus kam herauf und in seinen Armen hatte er, bedeckt von Schlamm —</p> + +<p>»Martha, meine Martha!« erscholl in dem Augenblicke eine Stimme, und +ein Weib stürzte zum Brunnengeländer, auf das sich Malchus erschöpft +mit seiner Beute gesetzt hatte. Nun erst sah er recht, was er trug: ein +bleiches, schönes Mädchen, dessen feuchte Locken weit über seinen Arm +hinabhingen.</p> + +<p>Malchus riß die Augen auf, auch das linke, und diesmal war es, daß der +Mann die Welt zweifach anschaute.</p> + +<p>Das eine sank aber sogleich wieder zu, als das Weib, eine Näherin, mit +ihrem Kinde laut weinend in das nächste Haus ging.</p> + +<p>Aber Malchus ging nach in das Haus und blieb so lange<span class="pagenum" id="Seite_379">[S. 379]</span> bei dem Mädchen, +bis es die Augen aufschlug — die blauen Augen, und bis es die Mutter +küßte auf seinen zarten Mund und sagte: »Martha, du mein Leben, was +hätte ich getan, wenn du dahin gewesen wärest!«</p> + +<p>Martha war neun Jahre alt und der Häuslerin einziges Kind. Zum Krämer +war sie heute gegangen, auf daß sie Zwirn hole; spielend mit der +kleinen Geldnote dahin über den Dorfplatz. Das Lüftchen spielte in +ihren losen Haaren, aber dasselbe Lüftchen entführte ihr die Geldnote +und trug das Papier hin und hin über das Geländer des Dorfbrunnens. +Und wie nur zu viele Menschen dem Gelde nachjagen und in den Abgrund +stürzen, so erging es auch der kleinen Martha; am Geländer blieb das +Blättchen nicht liegen, es schwebte, das Mädchen langte über — und so +kam's.</p> + +<p>Unten unmittelbar in dem Wasser stand ein Balken in die Quere, daran +klammerte sie sich, da kam Malchus hinab.</p> + +<p>Wie ihm das arme Weib dankte, wie ihn Martha anblickte, da war's doch, +wie noch nie, wie noch gar nie in allen seinen Lebenstagen.</p> + +<p>»Und jetzt geh' ich dem Brechlerhause zu, heut' möcht' ich tanzen.«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>So vergingen wieder einige Jahre und das erwartete Unglück kam nicht.</p> + +<p>Malchus war um ein gut Stück heiterer geworden, aber er lebte immer in +seinem Dachstübchen und strickte oder tat andere Kleinigkeiten. Zur +Weihnachtszeit erhielt er immer ein Paket Wäsche, er wußte nicht von +wem; der Pfarrer sagte: »Ich weiß wohl, wer dir das schickt, darf es +aber nicht sagen.«</p> + +<p>Malchus fragte auch nicht mehr, sondern fühlte sich behaglich in den +weichen Linnen und war zufrieden.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_380">[S. 380]</span></p> + +<p>Zweimal des Jahres war ein Fest in seiner Stube, da schickte ihm +Martha, die indeß zu einer lieben Jungfrau geworden war, einen +Strauß schneeweißer Röslein, wie sie im kleinen Garten der Näherin +am Hagebuttengesträuche wuchsen. Der eine Strauß kam immer zu seinem +Namenstag, der andere an einem Tag im Herbst — der Empfänger wußte es +kaum, warum.</p> + +<p>Martha hätte ihm die Rosen selbst gebracht, aber Malchus sagte einmal +zu ihr: »Martha, die Leiter zu meiner Stube ist gebrechlich.«</p> + +<p>Du guter Bursche, dein Herz war gebrechlich. Du bist fünfundzwanzig +Jahre alt.</p> + +<p>Wohl dachte der Jüngling daran. Aber er will keine Nahrung sammeln für +die Seespinne.</p> + +<p>Und die gab doch keine Ruh', er sollte nicht glücklich werden.</p> + +<p>Marthas Mutter, die Näherin, war dürftig. Da kam eines Tages Malchus +mit seinem Wollbeutel, öffnete ihn und legte die zwölf Taler auf den +Tisch, dann suchte er noch eine Weile im leeren Beutel herum und +murmelte: »Weiß nicht, aber ich hab' doch dreizehn gehabt!«</p> + +<p>»Was machst denn da, Malchus?« fragte die Näherin.</p> + +<p>»Mutter,« sagte der Bursche und blinzelte stark, »ich hab' ein +Anliegen. Schenkt mir so viel Liebe und nehmt die paar Groschen!«</p> + +<p>Da sagte das Weib: »Eher ins Grab, Malchus, eh' ich einen Groschen von +dir nehmen tät; wir sind dir viel tausend Gottesdank schuldig!«</p> + +<p>Malchus mußte sein Geld wieder in seine Wohnung tragen. Sein Leben +hatte er aber so eingerichtet, daß er nicht notwendig hatte, etwas von +den zwölf Talern anzubrauchen, so wie er von seinem kleinen Erwerbe +auch nichts<span class="pagenum" id="Seite_381">[S. 381]</span> dazu tat, sondern damit seine Bedürfnisse bestritt. Auf +diese Art besaß er durch alle die Jahre zwölf Taler und nicht mehr und +nicht weniger.</p> + +<p>Ein erzählender Hausierer in der Schenke eines Bergdorfes ist den +Leuten Zeitung, Romanliteratur, Anekdotenschatz, Theater und Erbauung. +Aber die Gurgel muß so einem Mann feucht sein, sonst ist kein glattes +Wort hervorzubringen. Der Wirt hat ein Fäßchen, da ist ein treffliches +Gurgelöl darin, davon werden alle Gedanken los und ledig und kommen +herauf in merkwürdigen Worten, und da schlüpft freilich auch manches +Geheimnis mit.</p> + +<p>Kommt so ein gesprächiger unterhaltsamer Hausierer ins Haus, so +schmiert der Wirt gerne und unentgeltlich mit diesem Öle, denn er weiß, +alle Gäste bleiben um zwei, drei Gläser länger sitzen als sonst, um den +Geschichten und Neuigkeiten zu horchen.</p> + +<p>Ein solcher Hausierer kam auch in unser Dorf.</p> + +<p>Und heute wußte der Hausierer eine ganz besondere Neuigkeit, wie sie +nicht alle zehn Jahre zu hören ist im Dorfe.</p> + +<p>»Ja, Leutchen,« erzählte er in seiner stets ruhigen Weise, aber jedem +Worte Gewicht gebend, »da draußen im Land soll jetzt ein reicher Graf +gehenkt werden, der den König hat ermorden wollen. Wißt ihr's, daß +Raben und große Herren sich einander die Augen nicht auskratzen? Nu, +wenn ihr's wisset, nachher trinken wir einmal.«</p> + +<p>Er hob den Humpen und neigte ihn so gegen seinen Mund hin, daß er +wacker rinnen lassen konnte; die ihm zuhörten, taten es nach.</p> + +<p>»Wär's ein kleiner Spitzbub gewesen,« fuhr der Erzähler fort, »man +hätt' einen neunundneunzig Klafter hohen Galgen gebaut, daß sie den +kleinen Spitzbuben hätten baumeln sehen im ganzen Land. Weil's aber ein +großer Herr,<span class="pagenum" id="Seite_382">[S. 382]</span> nu, so ist's erlaubt worden, einen anderen für ihn zu +hängen.«</p> + +<p>»Was?« riefen die Gäste und ein paar sprangen von ihren Sitzen auf.</p> + +<p>»Je nu,« sagte der Erzähler, »freilich einen andern, der sich eben dazu +hergibt. Der sich einschreiben läßt. Wisset, wie ich hab' vernommen, +soll die Sache so sein: der Graf ist begünstigt und darf zwanzig Lose +ausgeben und muß jedes derselben aus seinem Reichtum mit zwanzigtausend +Gulden ausstatten. Eines von den zwanzig Losen aber ist schwarz — +schwarz wie der Teufel — und wer das zieht, der muß sich für ihn +henken lassen. D'rin in der Stadt beim Kreisgericht sind die Lose zu +haben. Eh' ich mir das meine hol', trink' ich den Wein aus.«</p> + +<p>Und er trank.</p> + +<p>»Du liebe Welt mit Sauerkraut!« sagten einige, »so Lose werden doch +noch anzubringen sein. Die Unwahrscheinlichkeit, daß man den Fehlgriff +tue, ist neunzehnmal da und die Wahrscheinlichkeit einmal; eine +kleinere Ziffer kann sie kaum mehr haben. Dem einen wird bigott wohl +auszuweichen sein, und das Glück ist gemacht, und sein Lebtag braucht +einer nicht ein Tüpfel mehr zu arbeiten, kann liegen im Gras und die +Zwanzigtausend vergurgeln. Ich nehm' gleich ein Los.«</p> + +<p>»Ei ja, so denkt jeder von den Zwanzigen,« sprach ein alter +Strohdecker, »den's aber erwischt, der ärgert sich und denkt: Donner, +warum denn just mich? Jetzt muß ich mich henken lassen und weiß nicht +warum. 's mag richtig sein; neunzehn Stück taugen der Gurgel von innen, +aber das zwanzigste greift sie auswendig an.«</p> + +<p>»Wenn einer seine zwanzigtausend Gulden wenigstens früher verjuxen +könnt',« sagte ein Schneidergeselle.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_383">[S. 383]</span></p> + +<p>»Drei Tag' hast Galgenfrist,« belehrte der Hausierer.</p> + +<p>»Drei Tag'! schau, das ginge noch an; da tät' ich gleich einen lustigen +Handwerkertanz geben und drei Mädel foppen.«</p> + +<p>»Und ich tät' mir gleich den Freiherrntitel kaufen!« rief der Krämer.</p> + +<p>»Du den Freiherrntitel?« lachte der Schmied, »ja, bist du nicht unser +Erzdemokrat, der die Adeligen nicht leiden kann?«</p> + +<p>»Just desweg',« sagte der Krämer, »so ließe ich den Baron statt des +Bürgers henken.«</p> + +<p>So redeten sie in Spaß und Übermut, und es gab über den Gegenstand viel +zu lachen.</p> + +<p>Und in den nächstfolgenden Tagen sagte so mancher, wenn ihm etwas nicht +recht zusammenging: »Seh's schon, werd' wohl müssen auf das Kreisamt +gehen um ein Los.«</p> + +<p>»Ja, wenn ich gewiß wissen tät', ich erwischte das schwarze nicht, ich +tät mir gleich eins holen,« sagte mancher, und ein anderer entgegnete +darauf: »Narr, wenn ich das wissen tät', alle neunzehn müßt' ich haben.«</p> + +<p>Es ging aber doch keiner.</p> + +<p>Es sollte aber doch einer gehen. Malchus hatte sich die Geschichte +dreimal erzählen lassen, dann hatte er noch einmal nachgefragt: »Und +das schwarze Los hat die zwanzigtausend Gulden auch?«</p> + +<p>Dann war er stundenlang auf seiner Matratze gesessen und hatte mit sehr +großem Nachdruck seinen Strohhalm zerkaut.</p> + +<p>»Werde ich gehenkt oder lassen sie mich laufen,« murmelte er endlich, +»das Geld bekommt Martha. Zwar, es wird kein Zweifel sein, die +Seespinne wird mich abtun, aber schon recht, dann ist sie mit mir +fertig und ich bringe auf<span class="pagenum" id="Seite_384">[S. 384]</span> diese Weise mein Leben noch am anständigsten +weg, weiß so nichts damit anzufangen. Ja, so wird's sein.«</p> + +<p>Dann stand er auf, aß seine Erbsen, nahm einen Knotenstock, versperrte +alles wohl und verließ den Pfarrhof und das Dorf.</p> + +<p>Als er am Häuschen der Näherin vorüberkam, klopfte er an die +Fensterscheibe und sang das Liedel:</p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;">»Zwei Roß und ein Wäglein,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Und auf dem Wäglein ein Mägdlein,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Und neben dem Mägdlein ein Bräutigam,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Und der hat ein gold'nes Kleidlein an!«</span><br> +</p> + +<p>Dann schritt er fürbaß auf der Straße gegen das Kreisgericht.</p> + +<p>Als Malchus in das Städtl kam, begegnete ihm der alte Domini, welcher +eben eine Harztrage auf den Markt gebracht hatte.</p> + +<p>»Hast du auch ein Los geholt?« war das erste Wort, welches Malchus dem +Alten entgegenbrachte.</p> + +<p>Der wußte von allem kein Wort und der Bursche mußte ihm erzählen.</p> + +<p>Domini hörte auch ruhig zu, dann aber sagte er: »Malchus, ich will dir +was sagen, du wirst kein Los bekommen. Schau, die Sache ist so: Leute, +die keinen Kopf haben, die kann man nicht henken.«</p> + +<p>Schier wollte dem Malchus bei diesen Worten auch das linke Auge +aufgehen.</p> + +<p>Aber Domini fuhr fort: »Hör' mich einmal, Junge, und wenn's auch wahr +wäre, wer wollt' sich gleich aufknüpfen lassen! Das tät' ich nicht, und +nicht um ein Gschloß! Aber sag' mir, hast denn gar nichts zu beißen, +weil du auf solche Gedanken kommst?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_385">[S. 385]</span></p> + +<p>»Ich schon,« sagte der Bursche, »aber, es gibt noch andere Leut' auf +der Welt. Domini, ich weiß mir völlig nicht zu helfen, dir sag' ich's. +Daheim in unserem Dorf kenn' ich was, und das wird mich nach und nach +umbringen. Ich möchte sie oft gern ansehen, aber ich kann nicht. Es ist +noch wie ein Kind, aber ich tu' so schwer mit ihm reden, wie mit einem +König. Dann, wenn ich so dasteh', mein' ich, es ist nicht anders und es +trifft mich der Schlag. Ich fürcht' nur, es ist mir was antan worden, +Domini!«</p> + +<p>Der alte Pechbrenner sagte: »Ja, Malchus, du mußt heiraten?«</p> + +<p>Nach einer Weile entgegnete Malchus: »Das Zeug ist mir auch schon +eingefallen. Aber ich darf doch andere Leut' nicht mit mir ins Unglück +bringen.«</p> + +<p>Domini sah den Burschen mitleidig an. Er hatte über die armselige +Denkweise des jungen Mannes unwirsch werden wollen, es war ihm schon +ein herbes Wort auf der Zunge gelegen, aber er schluckte es wieder +hinab — der Arme kann ja nicht dafür, und kein Mensch auf der Welt +kann ihn mehr anders machen. Domini sagte zuletzt nur: »Malchus, mach' +was du willst und magst, ich, der alte Domini, der es immer gut mit dir +gemeint hat, sag' dir nur das, tu' nicht sinnen und grübeln, sondern +immer nur arbeiten und arbeiten. Kannst du singen? Lerne Lieder und +singe; Malchus, das ist das allerbeste Mittel gegen die Seespinne. Mußt +das nicht vergessen, Malchus, tu' fleißig singen. Geh' jetzt heim.«</p> + +<p>So gingen sie auseinander und Malchus zog sein blaues Sacktuch heraus +und machte einen Knoten daran, daß er sich erinnere, was ihm der +Pechbrenner gesagt hatte.</p> + +<p>Und der Knoten blieb lange im Sacktuch.</p> + +<p>Malchus wollte singen und er sang:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_386">[S. 386]</span></p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;">»Magst zählen die Sternlein am Himmel,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Die Halmlein im weiten Land.</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Magst zählen die Tropfen der Wasser,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Magst zählen die Körnlein im Sand.</span><br> +<br> +<span style="margin-left: 1em;">Doch nimmer magst du zählen,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Zu kurz ist die ewige Zeit,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Die Schmerzen in meinem Herzen,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Und meine Traurigkeit!«</span><br> +</p> + +<p>So hatte es der Pechbrenner aber nicht gemeint.</p> + +<p>Auf der Heide weidete eine junge Hirtin Ziegen.</p> + +<p>Malchus war einigemal strickend hingegangen, um im Walde abgefallenes +Brennholz zu sammeln, das er in den Korb tat, den er auf dem Rücken +trug.</p> + +<p>Immer, wenn er an der jungen Hirtin vorüberkam, sagte er: »Tust +gaißhalten, Martha?«</p> + +<p>Und darauf antwortete stets das Mädchen: »Ja, ich tu' gaißhalten, +Malchus.«</p> + +<p>Einmal sagte sie aber auch noch etwas anderes: »Gib deinen Hut her!«</p> + +<p>»Geh, Martha,« sprach er, »was tätest denn mit meinem Hut, ist schon +ganz zerrissen.«</p> + +<p>Er gab ihr ihn aber und sie steckte ein Sträußchen Heideblumen darauf. +Und es war doch nicht sein Namenstag, und es war auch nicht der +Gedenktag im Herbst. Es war ein Sommertag.</p> + +<p>Dem Burschen war's wieder so, wie er es dem alten Pechbrenner erzählt +hatte. Er drückte schier beide Augen zu; nicht einmal den Strauß sah +er recht an, schnell tat er den Hut auf die wirren Haare, und schnell +eilte er dem Walde zu.</p> + +<p>Am andern Tag ging Malchus mit einem kleinen Holzkübel taleinwärts dem +Bach entlang. Oft unterwegs zog<span class="pagenum" id="Seite_387">[S. 387]</span> er seine Wolljacke aus, streifte die +Hemdärmel zurück, legte sich am Ufer des Wassers hin und langte, wo es +tief war, unter den Rasen. Wo ihm eine Forelle nur einmal in die Hand +kam, entschlüpfen konnte sie ihm nicht mehr.</p> + +<p>Heute hatte der Bursche einen besonderen Vorsatz. Am Abend, wenn er +die Fische hintrage, wollte er Martha sagen, daß er sie lieb habe und +er wolle nicht mehr stricken, er sei an die dreißig, er wolle zu den +Holzschlägern gehen und im Walde arbeiten und Geld verdienen.</p> + +<p>»Wart du verblitzter Fischdieb!« rief es plötzlich neben dem +hingestreckten Burschen.</p> + +<p>Malchus sprang auf. Ein großer Mann mit einer langen Stange über der +Achsel stand da, es war der Fischer.</p> + +<p>»Ei schau, der Malchus ist's. Na hörst, wie kommst denn du unter die +Pharisäer?«</p> + +<p>Der Bursche war wie vernichtet, jetzt erst fiel es ihm ein, daß hier +das Fischen verboten sei.</p> + +<p>Nun war er ein Dieb, und der Mann treibt ihn vor das Gericht. — Die +Seespinne!</p> + +<p>»Lass' es gut sein, Malchus, und geh' jetzt heim, die Forellen, die +du da gefangen hast, die schenk' ich dir, lass' sie dir backen und +schmecken.«</p> + +<p>»Will sie nicht!« brummte Malchus, seinen Strohhalm zerkauend, und +stürzte den Kübel samt Wasser und Forellen in den Bach.</p> + +<p>Als er zu dem Pfarrhofe zurückkam, trat eben die alte Nähterin aus dem +Hause, sie hatte es dem Seelsorger angezeigt, daß ihre Tochter heute +aus der Gemeinde fortgezogen sei, um sich in der Fremde einen Erwerb +zu suchen. Bei einem Verwandten, der in der Kreisstadt ein Haus habe, +werde sie Dienst finden — es sei so das beste.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_388">[S. 388]</span></p> + +<p>Malchus hörte es, stieg über seine Leiter und als er im Stübchen saß, +murmelte er: »Ja, ja, es ist so das beste!«</p> + +<p>Dann fuhr er sich mit dem Sacktuch über die Augen. Was doch das für ein +Knoten war im Sacktuch?</p> + +<p>Der Mann wußte es nicht mehr.</p> + +<p>Singen sollst!</p> + +<p>Aber der arme Malchus sagte zu sich: »Jetzt wär's schon bald Zeit, daß +die Geschichte zu Ende ging' — jetzt hab' ich kein' Freud' und kein +Leid mehr auf der Welt.«</p> + +<p>Aber es kam der Herbst und der Winter und der Frühling und jeder hatte +Freuden und Leiden, und es ging nicht zu Ende.</p> + +<p>Da war's an einem Maimorgen. Malchus saß in der Kammer am offenen +Fenster, strickte und sah hinaus auf die Bretterdächer des +Wirtschaftsgebäudes, aus welchen die Sonne noch den Tau sog. Die Luft +war frisch und rein und der Himmel blau. Über das Dach ragte der +Wimpfel einer junggrünenden Esche empor und auf diesem saß heute schon +seit früher Morgenstunde ein Kuckuck. Er schrie in einem fort seinen +hellen Ruf.</p> + +<p>Da warf Malchus sein Strickzeug weg, lehnte sich an die Fensterbrüstung +und sagte: »Jetzt muß es gelten! Sag' mir, du Vogel, wie lange werde +ich noch leben? Nenne mir die Jahre!«</p> + +<p>Der Kuckuck schwieg.</p> + +<p>»Kein Jahr mehr?« murmelte er dann, »nicht ein einzig Jahr mehr! Schau +mich genau an, Vogel, ich bin noch jung!«</p> + +<p>Und es war wirklich, als ob sich der Kuckuck gegen ihn wendete. Dann +begann er zu schreien. Er schrie zweiundvierzigmal.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_389">[S. 389]</span></p> + +<p>Dem Burschen ging schier das linke Auge auf. »Also zweiundvierzig +Jahre! — Oder willst noch weiter schreien?«</p> + +<p>Der Vogel flog ab. Aber eine Stimme hörte er irgendwo: »Nach +zweiundvierzig Jahren am Urbanitag!« — Ei der Kuckuck?</p> + +<p>Malchus wendete seinen Blick in die Stube zurück; sein Auge war +geblendet, es war fast finster. Das Strickzeug ließ er eine Weile auf +dem Boden liegen, nun war ja noch so viele, so viele Zeit zum Stricken.</p> + +<p>Zweiundvierzig Jahre, Malchus! Hast du Pläne? Wie wirst du diese Zeit +ausfüllen? —</p> + +<p>Der Mann zog seinen Rosenkranz hervor, zählte zweiundvierzig Perlen ab, +machte nach diesen einen Knoten in das Schnürchen. Die noch übrigen +Kügelchen entfernte er, und nun bedeutete ihm der Rosenkranz die Zeit, +die ihm noch beschieden war auf Erden.</p> + +<p>Seine zwölf Taler suchte er von nun an zu verwahren, seine Zeit und +Lebensweise noch regelmäßiger einzuteilen und sein Leben so ruhig und +einfach als möglich einzurichten, damit das Unglück nirgends eine +Nahrung habe.</p> + +<p>So kamen und gingen nun Jahre und Jahre.</p> + +<p>Malchus Zacharias Rosenkranz lebte einsam in dem Dachkämmerlein des +alten Pfarrhofes. An seinem Fenster blühte nie mehr ein Strauß von +weißen Rosen.</p> + +<p>Nur die Mäuse, die kleinen, behenden, uralten, grauen Mäuse kamen von +der nachbarlichen Rumpelkammer öfters zu ihm herüber auf Besuch und +guckten ihn helläugig an und wisperten ihm auch oft was vor. Es freute +ihn nicht, wußte er doch, daß der Besuch seinem Erbsentopfe galt.</p> + +<p>Mit den Menschen verkehrte Malchus nur wenig; sie hatten nichts für ihn +als Wolle, und sie verlangten nichts<span class="pagenum" id="Seite_390">[S. 390]</span> von ihm als Strümpfe. Er strickte +aber auch Handschuhe, Hauben und Unterjacken.</p> + +<p>Im Sommer ging er die stillsten Wege, die es im Tale gab, am liebsten +aufwärts gegen die Heide, wo Martha einst die Ziegen gehütet.</p> + +<p>Vom Walde trug er weniges Brennholz heim; zur Erwärmung im Winter +brauchte er nicht zu heizen, denn dafür hatte er eine Erfindung +gemacht. Er hörte einmal, daß schnelle Bewegung der Körper Wärme +erzeuge; sofort bat er den Pfarrer, daß dieser ihm die alte Windmühle +borge, die schon lange Zeit unbenützt in der Scheune stand, weil sie +keinen Rieselboden mehr hatte. Diese Windmühle nun stellte der Mann zur +Winterszeit in sein Stüblein, und wenn ihn frieren wollte, begann er an +der Handhabe zu treiben, daß es sauste und klapperte, und bald war ihm +ganz leidlich warm und er konnte wieder stricken.</p> + +<p>Wohl schienen die Mäuse über ihren polternden Nachbar ungehalten zu +sein, denn sie entzogen ihm nach dergleichen stets auf längere Zeit +ihre Besuche.</p> + +<p>Seit mehreren Jahren hatte sich Malchus auch einen anderen, neuen +Hausrat anzuschaffen bemüßigt gefunden — ein Rasiermesser, mit dem er +sich nach jedem Neumond regelmäßig seinen braunen Bart schnitt.</p> + +<p>Die Kopfhaare begann er stehen zu lassen, und er wand dieselben nun, da +der alte Filzhut schon längst den Weg alles Irdischen gegangen war, wie +einen Turban um das Haupt.</p> + +<p>Aus praktischen Gründen hatte Malchus auch die bereits grau gewordenen +Lederschuhe gegen Holzschuhe vertauscht, eine Änderung, mit der die +Nachbarschaft ebenfalls nicht einverstanden war. Zum Weihnachts- und +Osterfeste war er immer beim Herrn Pfarrer zu Tische geladen, weil er +im Laufe des Jahres dann und wann kleine Kirchendienste<span class="pagenum" id="Seite_391">[S. 391]</span> tat, aber +Malchus fand sich bei der Tafel nicht behaglich. Der Braten, ei ja, +der täte schon schmecken, das Glas Wein auch, aber wie leicht ist die +böse Angewohnheit da! Zu Weihnachten bekam er immer das Paket Wäsche. +In der Neujahrsnacht langte Malchus stets seinen Rosenkranz aus dem +Schranke hervor, tat eine Koralle weg, warf sie aus dem Fenster und +ließ sie hinabrollen über die Schneerinde des Daches, so wie das Jahr +hinabgerollt war in die Ewigkeit.</p> + +<p>Schon viele Kügelchen hatte der Rosenkranz auf diese Weise verloren, +und Malchus war durch sein Sitzen auf der Matratze buckelig und +mühselig geworden.</p> + +<p>Auch sein Turban war nicht mehr dunkel, sondern lichtgrau.</p> + +<p>Im Dorfe und im Tale waren Menschen geboren worden und aufgewachsen. +Sie hatten Hochzeiten und Kindstaufen und Begräbnisse gehabt, hatten +sich endlich selbst auf das Brett gelegt, und Malchus Zacharias +Rosenkranz hatte für sie gestrickt. Auch die alte Nähterin hatten sie +auf den Kirchhof getragen. Ein fremder Wagen mit zwei Pferden war zum +Begräbnis gekommen — ein Mann und eine Frau saßen darin.</p> + +<p>Malchus bekam an demselben Tag vom Pfarrer einen neuen Anzug aus grauem +Loden und ein silbernes Kreuz, das er um den Hals hing.</p> + +<p>Es waren große Ereignisse in der Gemeinde vorgegangen, noch größere +draußen in der Welt. Für Malchus war es das größte gewesen, daß während +der vielen Jahre zweimal am Dache des Pfarrhofes gedeckt werden mußte, +wobei gräßlich gehämmert wurde, und daß auf dem gegenüberliegenden +Dach des Wirtschaftsgebäudes einmal drei Kater rauften, und so wütend +rauften, daß einer davon halb zu Tode gebissen über die Bretter +kollerte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_392">[S. 392]</span></p> + +<p>Auch war im Laufe der Zeit, wie er meinte, jenem Stern, der in +den Sommernächten gerade über dem Stallfirst stand, einmal ein so +ungeheurer Schweif gewachsen, daß alle anderen Sterne der Nachbarschaft +weit auseinander gehen mußten, um dem wüsten Ungeheuer eine Gasse zu +machen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>So lebte der arme, alte Mann fort; er wußte schier nicht mehr, +wie er in das Dachkämmerlein gekommen war. Er hatte vergessen den +Schreckenstag in seiner Jugend, auch den alten Pechbrenner Domini, und +wie dieser gesagt hatte, daß er singen solle. Aber der alte Mann hatte +endlich ja auch die Seespinne vergessen, die als unheilvolles Erbe des +elterlichen Aberglaubens durch die schönsten Jahre der Jugend hin sich +an sein weiches Herz geklammert hatte.</p> + +<p>Nur das war dem armen Malchus noch: es habe ihm einmal geträumt von +einem lieben Mädchen, das auf der Heide die Ziegen gehütet und ihm +Blumen gegeben hatte.</p> + +<p>Wie einem doch so wunderlich träumen kann, nicht wahr, Malchus? — Aber +sag einmal, wie viel hast denn noch Korallen an deinem Rosenkranz?</p> + +<p>Der Alte mag selbst daran denken, der Grashalm wackelt ihm unsicher im +Munde — er hat ja schier keinen Zahn mehr.</p> + +<p>Draußen blüht und leuchtet der Maitag.</p> + +<p>An der Kirchentür wird ein großer Kranz aus Tannenreisern geflochten, +es werden auch Rosen hineingewoben, rote und weiße — es ist das Fest +des Kirchenpatrones Urbanus nahe.</p> + +<p>Unten im Hofe bei den Schweinen ist großer Schrecken, wie er immer war, +wenn ein großer Tag herannahte, und der Pfarrer für den Festbraten +sorgte.</p> + +<p>Der alte Malchus befand sich ganz wohl. Aber er weiß, es naht der +Tag ... Schon vor Wochen hatte er die Windmühle<span class="pagenum" id="Seite_393">[S. 393]</span> in die Rumpelkammer +geschoben, wofür er von der Nachbarschaft eine sehr trauliche Gegen- +und Dankvisite erhielt.</p> + +<p>Malchus holperte noch einmal durch das Tal; er konnte im Gehen nicht +mehr arbeiten, er mußte schon den Stock recht fest halten. Heute wollte +er sich die Welt noch einmal ansehen, diese Erde noch einmal, den +Himmel noch einmal. Ist gut beisammen, alles. Und die Luft trägt den +Duft der Blumen herum, und sie trägt den Gesang der Vögel herum. Der +Kuckuck schreit auch; das wird derselbe nicht sein, von der Esche. — +Malchus, das ist ein wunderlicher Morgengang! Und alles ist so mild +gegen dich und weiß nichts davon, daß du — schon in zwei Tagen.</p> + +<p>Malchus bückte sich und riß einen jungen Halm ab, und begann an ihm zu +saugen.</p> + +<p>Zur Heide stieg er auch hinauf. Ein Bauer, der ihm begegnete, sagte: +»Hab' dir's ein für allemal gesagt, Malchus, magst sie schon nehmen die +herabgebrochenen Äste zum Heizen, brauchst nicht zu fragen.«</p> + +<p>Am nächsten Tage kamen die Krämer mit ihren Tragekästen, schlugen auf +dem Dorfplatz Stöcke in die Erde, banden Stangen daran und richteten +ihre Stände auf. Kinder standen dabei und sahen zu.</p> + +<p>In den Häusern wird gebacken und geschmort, ins Wirtshaus kommen schon +vier Männer mit Pfeifen und Geigen; hinten geht eine ungeheure Baßgeige +nach.</p> + +<p>Der alte Malchus Rosenkranz humpelte gebeugt am Stabe durch das Dorf. +Er kam jetzt von der Kirche, wo er eine Beichte abgelegt und die +Kommunion empfangen hatte. Vor dem alten Brunnen, der schon lange +verfallen war, und auf dem roter Holunder wuchs, blieb er einmal +stehen und sah blinzelnd das frischgrüne Gebüsch an. Dann ging<span class="pagenum" id="Seite_394">[S. 394]</span> er +weiter hinab bis ans Ende der Häuser, wo einmal ein alter Heustadl +niedergebrannt war, und er ging weiter den Weg entlang bis zu einem +Häuschen, in dem einst die alte Nähterin gelebt hatte. Dort kehrte er +wieder um und ging durch die hintere Dorfgasse dem Pfarrhofe zu. Vor +einer Schreinerwerkstatt blieb er stehen und sah durch das offene Tor +den Gesellen zu.</p> + +<p>Sie hobelten an Läden, die Späne schoben sich durch die Eisenscharte +und flogen lustig davon. Dann nahmen sie den Zollstab und maßen, und +schnitten in die Quer.</p> + +<p>»Mit Verlaub zu fragen, was wird denn da gemacht?« fragte Malchus.</p> + +<p>»Ja, mein lieber Malchus!« sagte der Obergeselle bedeutungsvoll.</p> + +<p>»Ich verstehe,« murmelte Malchus, »werde auch bald so was brauchen.«</p> + +<p>»Gratulier'!« sagte der Geselle.</p> + +<p>Die Schreiner zimmerten eine Wiege.</p> + +<p>Der alte Mann schritt langsam seiner Wohnung zu. Mühsam kletterte er +über die alte, halbmorsche Leiter. Dann kochte er sich einen Topf +Erbsen.</p> + +<p>Am Abende desselben Tages saß er lange am Fenster und strickte. +Er hatte für die alte Einleger-Ploni noch ein Paar Strümpfe +fertigzubringen; 's ist schon gezahlt dafür, und 's wär' doch eine +Schand, wenn er jetzt, ohne die Arbeit zu vollenden, durchginge.</p> + +<p>Auf das gegenüberliegende Bretterdach fiel das bleiche Licht des +aufgehenden Mondes. — Wenn er über das Haus herüberkommt und nach +Mitternacht zum Fenster hereinlugt, vielleicht bist du dann schon +fertig.</p> + +<p>Auf dem Rosenkranz des Alten war keine Perle mehr, nur noch der Knoten +— der letzte Knoten.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_395">[S. 395]</span></p> + +<p>Auf dem Eschenwipfel, der über dem Dachfirst emporragte, meldete sich +ein Vogel. War's wieder ein Kuckuck, wie vor einigen vierzig Jahren? +Wollte er noch ein paar Jährchen draufgeben?</p> + +<p>Der Vogel krächzte — es war eine Eule.</p> + +<p>Der Alte hörte dem Gekrächze eine Weile ruhig zu, endlich begann er zu +brummen: »Ja, ja, ja, ist das eine ewige Kräherei! Weiß es ohnehin — +hab' gemeint, die Arbeit da brächt' ich noch fertig, aber 's wird nicht +sein mögen!«</p> + +<p>Und er strickte und strickte.</p> + +<p>Gegen Mitternacht zog er die letzte Nadel aus der letzten Masche und +der Strumpf war fertig. Der Alte machte ein Kreuz über Stirne, Mund und +Brust und legte sich auf die Matratze. Seine Glieder waren müde, sein +Sinnen war umflort — er schlief bald ein.</p> + +<p>Der Mond war über das Haus gekommen, blickte durch das Fenster und auf +dem Fußboden lag seine weiße Tafel.</p> + +<p>Auf der weißen Tafel saß eine Maus und guckte mit hellen Äuglein den +Mond an.</p> + +<p>Am andern Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen auf den Dachfirst +fielen, läuteten alle Glocken. Malchus erwachte und schlug für einen +Moment die beiden Augen auf. Es war das Fest des Kirchenpatrons Urbanus +— jener Tag, der ihm vorausgesagt worden war. Ei, der Kuckuck, dachte +sich der Alte, ich steh' jetzt auf und geh' in die Kirche; bist schon +wieder beim Erbsensack, du vertrackte Maus? Nu, nu, nur nicht gleich so +betreten, nag' zu, beiß' zu! Und wenn er kommt, so sag' ihm, er möge +warten, ich sei bei der Messe.</p> + +<p>Dem Alten war wunderlich um das Herz — nicht so, als ob er sterben +sollte. Klar war sein Denken nicht, statt der stumpfen Ergebung war +eine Berauschung eingetreten.<span class="pagenum" id="Seite_396">[S. 396]</span> Mit seltener Sorgfalt ordnete er seinen +Anzug und wand seine Locken um das Haupt.</p> + +<p>So kletterte er über die Leiter und ging in die Kirche.</p> + +<p>Da standen die Leute auf dem Dorfplatz, Kopf an Kopf, mit grünen, +schwarzen, grauen und anderen Hüten; Weiber und Kinder drunter, mit +bunten Hauben und Kopftüchern; alles schmuck, sogar Blumensträuße +hatten sie bei sich auf den Hüten, im Knopfloch oder am rotseidenen +Busentuch. Und sie waren fröhlich und plauderten miteinander und sahen +die Marktsachen an, die in den Buden und Ständen ausgestellt waren, und +sie feilschten mit den Krämern — und das war ein Summen und Brummen +über den Kirchplatz hin, und darüber lag die Morgensonne, und auf dem +Turme klangen die Glocken und riefen zur Frühmesse. Da drängte sich das +Volk der Kirchentüre zu — viele blieben auch im Freien stehen oder +gingen ins Wirtshaus.</p> + +<p>Trotzdem war die Kirche voll. Die Orgel war laut und hell — +der Schulmeister hatte alle vier Register aufgezogen, sowie der +Kirchendiener alle Kerzen, die in der Kirche waren, angezündet hatte. +Der heilige Papst Urbanus, der in seinem goldenen Ornate über dem +Altare stand und »der den Wein wachsen läßt«, hatte zwölf Kerzen und +war in nicht geringer Feuersgefahr, was aber wenig zu sagen hatte, da +der heilige Florian mit dem gefüllten Wasserbehälter daneben stand.</p> + +<p>Endlich war der Festgottesdienst vorüber und alles drängte sich in das +Freie. Unser alter Malchus suchte sich auch durch die Menge zu winden. +Man warf ihm Kreuzer zu, die er aber nicht auflas und für die er nicht +dankte.</p> + +<p>Eine Bäuerin bat ihn, daß er ihrem Töchterlein ein Wollenjöpplein +stricke, er sagte nicht zu. Er ging ein wenig durch das offene Tor in +den kleinen Kirchhof. Da war alles<span class="pagenum" id="Seite_397">[S. 397]</span> grün und frisch. Es war aber keine +rechte Stimmung. Malchus humpelte weiter.</p> + +<p>Als er in sein Dachstübchen zurückkam, blieb er einen Augenblick an der +Türe stehen. Es war ein fremder Mann da. Er war dem Fenster zugekehrt, +stützte sich auf die Brüstung und sah in den blauen Himmel hinaus.</p> + +<p>Er war sehr gebückt, hatte einen grauen Pelz an, und die wenigen Haare, +die von seinem kahlen Kopfe über das Genick hinabhingen, waren weiß. +Der Mann war uralt.</p> + +<p>Aha, da ist er schon! dachte Malchus, ging dann auf den Fremden zu.</p> + +<p>Der Alte kehrte sich langsam um. »Dennoch wohl, dennoch wohl!« sprach +er nun, als er den Malchus erblickte. »Du, Junge, jetzt schau, ich +bin keck gewesen, gelt? Nun, daß ich halt so heraufgekommen bin da in +deine Stuben. Hab' wohl gewußt, daß du in der Mess' bist; hätt' auch +können hineingehen, aber weißt, Junge, mag nicht recht, red' mit meinem +Herrgott lieber, wenn ich mit ihm allein bin. Du schaust so! Kennen +wirst mich doch wohl noch? — Bin ja der alte Domini, ich, gelt?«</p> + +<p>Malchus glaubte, er träume. — Das wird doch nicht der Pechbrenner +Domini sein, den er vorzeiten als alten Mann gekannt hatte!</p> + +<p>»Siehst du, Malchus,« sagte der Domini, »dort auf dem Eschenwipfel +sitzt ein kohlenschwarzer Rabe. Der ist ein Steinrabe, von dem gesagt +wird, daß er zweihundert Jahre alt wird. Hab's noch nicht so weit +gebracht, bin erst ein wenig über hundert, aber wir zwei werden es +schon noch so weit bringen, Junge.«</p> + +<p>»Ei, versteht sich,« entgegnete Malchus, »'s ist nur schade, daß vor +einigen vierzig Jahren ein anderer Vogel auf dem Wipfel dort gesessen +ist. Wenn du aber der Domini<span class="pagenum" id="Seite_398">[S. 398]</span> bist und aus deinem Grab kommst — sei +nur so gut und mach' nicht viel Umstände, ich weiß es ja —«</p> + +<p>»Red' nicht so kindisch; pack' lieber deine sieben Sachen zusammen; +wirst heut' mit mir gehen müssen. Mit dem Pfarrer hab' ich schon +gesprochen, wirst kaum mehr zurückkommen in dieses Dorf!«</p> + +<p>Was hatte der alte Malchus Zacharias Rosenkranz zusammenzupacken? +Seinen Wollenbeutel nahm er und seinen Stock, dann war er fertig. Er +stieg voran über die Sprossen hinab; als Domini nachkletterte, brach +die Leiter, der Greis erhielt sich noch glücklicherweise an einem Haken.</p> + +<p>Zur selben Stunde schritten die zwei alten Männer aufeinander gestützt +durch die Dorfgasse. Viele Leute blickten ihnen nach. Mehrere folgten +sogar, und aus dem Wirtshause klang die Tanzmusik.</p> + +<p>Wohl blieb Malchus noch einmal stehen und sah zurück, aber er dachte +kaum an das, was kommen sollte, sein Geist war wieder in Stumpfheit +versunken.</p> + +<p>Am Ende des Dorfes, wo das Häuschen der Nähterin stand, war Roß und +Wagen. Der Fuhrmann, der dabei war, half den beiden Greisen in den +Wagen, und dann rollte das Gefährte davon.</p> + +<p>Malchus fuhr sich mit dem Ärmling zweimal über die Augen, er öffnete +auch das linke zuzeiten und sah in die Gegend hinaus und sah seinen +wunderlichen Gefährten an. War's denn doch wohl der alte Domini? — +Malchus fühlte sich nicht behaglich; er hatte vergessen, einen Halm +aufzulesen, und jetzt wußte er nicht, woran er kauen sollte. Einmal +öffnete er seinen Wollenbeutel, zählte die Taler und murmelte dann +vor sich hin: »Wo hab' ich denn doch den andern gelassen? Es müssen +dreizehn gewesen sein!«</p> + +<p>Gegen Abend, als im Tale schon die Schatten lagen,<span class="pagenum" id="Seite_399">[S. 399]</span> ließ der alte +Domini vor einem Wirtshaus halten; nach einem Imbiß ging das Fuhrwerk +weiter. Der hatte sogar geschmeckt. Es kam die Nacht, sie fuhren über +Auen und durch Wälder. Malchus saß in sich versunken da.</p> + +<p>Als die Sonne aufging, stand Roß und Wagen still, und da war ein See +und an beiden Seiten standen rote Felswände und spiegelten sich im +dunklen Grunde. Am Ufer des Sees stand ein neues Haus und ein heiteres +Gärtlein.</p> + +<p>Domini führte den Malchus gegen das Haus und sagte »Wir zwei sind wohl +ein wenig alt, aber da ist alles wieder jung geworden, seh' ich. Mich +deucht, Malchus, du hast dem Pechbrenner Domini vor fünfzig Jahren +einen Taler geschenkt, weil dieser Taler der Judas war, und mich +deucht, der Pechbrenner Domini hätte mit demselben Taler zu hausen und +wirtschaften angefangen, und er hätte dann dieses Haus bauen lassen, +daß du eine Ruhestatt hättest für deine alten Tage. Jetzt, Malchus, +schau ein wenig nach, ob's wohl so ist!«</p> + +<p>Und als sie in das Haus gingen, da stand ein Weib vor der Tür, und das +reichte dem Malchus die Hand, und der Malchus hat sie erkannt.</p> + +<p>Und dann gingen sie in die Stube, in die freundliche Stube mit den +großen Fenstern, durch welche die Fülle des Sonnenlichtes auf den +gedeckten Tisch und auf das weiße Ruhebett strömte.</p> + +<p>Das ist nun dein, Malchus, glücklicher Malchus, für den der Freund +gesorgt, den die Liebste nicht vergessen. — Martha hatte einen Mann +gehabt, hatte viele Jahre glücklich mit ihm gelebt. Als er starb, da +war sie wieder allein, wie ehdem. Nur ihr Lebensretter war noch in der +Welt, verlassen, vergessen. Nein, vergessen nicht, sie dachte ja an<span class="pagenum" id="Seite_400">[S. 400]</span> +ihn und sie wollte dem alten pflegebedürftigen Mann ihre noch übrigen +Lebenstage weihen.</p> + +<p>Malchus ging hinab zum See, dann hörte er dem Kuckuck zu, der fort und +fort schrie; dann ging er wieder ins Haus, kletterte auf den Dachboden, +schlang sich den Turban seiner Haare wieder um das Haupt und setzte +sich auf einen Holzstrunk. Dort saß er Stunden und Stunden und drückte +das linke Auge zu und kaute an einem Halm. —</p> + +<p>Und jetzt ist das Gesicht zu Ende. Ich weiß nicht, wie es weitergeht.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_401">[S. 401]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_gluecklichste_Mann_von_Graz">Der glücklichste Mann von Graz.</h2> +</div> + + +<p>»Wollen Sie, lieber Freund, nicht einmal mit mir gehen? Ich möchte Sie +gerne zum glücklichsten Manne von Graz führen.« Mit diesen Worten lud +mich ein Nachbar in genannter Stadt zu einem Spaziergange ein.</p> + +<p>»Zum glücklichsten Mann von Graz?« entgegnete ich, »erlauben Sie, der +bin ich ja selber.«</p> + +<p>Mein Nachbar stutzte, blickte mich an vom Haupt bis zum Fuße und +schüttelte seinen Kopf. »Wirklich?« sagte er endlich, »um so besser, so +werden Sie meinen Mann auch recht verstehen können.«</p> + +<p>Nicht lange danach, so stieg ich eines Nachmittags die südliche Lehne +des Rosenberges hinan. Und auf sanfter Lehne, mit dem Ausblick auf die +Wälder der Hilm und auf die schimmernde Kirche von Mariatrost habe ich +den Mann gefunden. Ihr erkennt das Heim des Glücklichen an dem einen +Merkmal: es ist mit einem Dornenkranze umgeben. Über Rosenzäune hüpft +so gerne der Weltunfrieden; über eine Dornenhecke vermag Habsucht, +Ehrgeiz und Neid schwer zu dringen. Wer aber an der kleinen Pforte +zwischen den Dornen die Klingelschnur zu finden weiß, dem wird aufgetan.</p> + +<p>Unser Mann ist Grundbesitzer. Sein Erdboden mit Haus und Hof, +mit Obst-, Gemüse- und Weingarten beträgt nicht weniger als 53 +Geviertklaftern. Auf diesem Grunde hat sich der Mann drei Häuser +gebaut. Eines dieser Gebäude, ein hölzernes Bauernhaus, stand vor nicht +langer Zeit in der Stadt. Viele Jahre wohnte und wirkte der Eigentümer +in ihm und war's zufrieden. Aber das Haus stand auf keinem guten +Boden; ein Sumpf- oder Moorgrund<span class="pagenum" id="Seite_402">[S. 402]</span> war es nicht, ein Zinsgrund war's. +Und gleichwohl kein Fleckchen Erde in ganz Graz von den Mietern so +gewissenhaft und haushälterisch verwertet wurde, als diese paar Klafter +in der Lechgasse, so wucherte doch daraus das Unkraut der Mietzinse +derart hervor, daß es das Häuschen und den Wohlstand darin gefährdete. +Deß war nun unser Mann einmal nicht zufrieden. Rollte er denn vier +Räder unter das Gebäude, spannte zwei Pferde daran und führte sein Haus +davon. Er führte es am Hilmteiche vorbei und die Mariatrosterstraße +kreuzend, den schönen Rosenberg hinan. Dort oben hatte er sich von dem +Ersparten Grund und Boden zu eigen erworben und auf den stellte er das +hölzerne Haus, so aus Graz ausgewandert war, und baute auch noch ein +größeres dazu für Weib und Kind und gründete daneben ein Hüttchen, das +»Industriegebäude« für den Erwerb. Und nun war er zu einem Gutsbesitze +gekommen, wie es im Lande keinen seltsameren gibt. Da lächelt denn +der Gute still in sich hinein, und wenn er von seinen Feld- und +Gartenarbeiten spricht, so tut er's mit Selbstbewußtsein und mit +Schalkheit zugleich. Nun gehört er mit zu den Besitzenden, und seinen +Besitz und seine Welt hat er sich selbst erworben und geschaffen. Das +ist eine Freude!</p> + +<p>Während das Weib Haus- und Landwirtschaft versorgt, sind der Mann und +die Tochter in der Werkstatt tätig, und das Rauschen der Sägen und +das Klopfen der Hämmerchen ist wohl weit und breit zu hören. Und was +wird denn erzeugt? Je nun, vielleicht hängt in deiner Stube ein hübsch +geschnitzter Vogelkäfig, vielleicht spielt dein Söhnchen gerne mit +einem »Spatzenschießer«; vielleicht besitzt meine Leserin einen feinen, +wohlriechenden Wacholderfächer — hervorgegangen aus der kunstreichen +Hand meines glücklichen Mannes.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_403">[S. 403]</span></p> + +<p>Ich will aber nicht Reklame machen für seine Vogelhäuser, sondern für +sein Glück. Es ist bei ihm zu haben; seine heitere Gemütlichkeit, +seine Zufriedenheit ist für den Besucher ansteckend, wenigstens so +lange sich der im kleinen Bereiche des Dornenkranzes befindet. Fest +steht der Steinbau, in dem des Schnitzers Familie wohnt; aber er, der +alte Patriarch, lebt in seinem hölzernen Häuschen. Dieses ist das +gelungenste Abbild eines steierischen Bauernhauses und hätte auf einer +Weltausstellung den Preis erhalten. So freundlich und behäbig steht +es da, das kleinwinzige Haus mit seinem Dachgiebel, seinem Söller, +der zur Herbstzeit mit Kukuruzzapfen behangen ist, mit seinen glatten +Fensterbalken und allem, was dran und drum dazu gehört. In der Stube, +die etwa 5-7 Fuß lang und breit und hoch ist, steht der Wandkasten und +der Gesindetisch und der Hausaltar und das Bett des Hausvaters und +der Kachelofen. Aber das Bett ist zu kurz für eine Manneslänge und so +muß für die Fußstelle der gute Kachelofen sein Inneres erschließen. +Seit Menschengedenken ist in dem Hause noch nicht geheizt worden, +weder zur Sommers-, noch zur Winterszeit; das ist <em class="gesperrt">ja</em> auch eine +Eigentümlichkeit des Mannes, daß er die Kälte nicht kennt. Wie viel +Grad Wärme muß ein Herz haben, das in seinen Bretterwänden bei der +ruhigen Schnitzarbeit im Jänner den Ofen erspart! Nichtsdestoweniger +ragt ein Rauchfang über das Schindeldach; in diesem Rauchfang dreht +sich eine Windmühle, die unten in der Stube ein Glockenspiel treibt. +Tag und Nacht läßt solches Spiel, meist gemächlich langsam, zuweilen +aber auch rasch und lebhaft, seine Musik erklingen. Und so hat sich's +dieser Mann eingerichtet, daß, je stürmischer die Stunden, je lustiger +sein Glockenspiel ertönt. In einer ganz windstillen, tonlosen Nacht +kann der Mann gar nicht schlafen, und in einer Zeit, wo alles nach +Wunsch ihm geht,<span class="pagenum" id="Seite_404">[S. 404]</span> kann er nicht recht ruhig sein; denn, sagt er, da +kommt jählings was, das einen in die Haut zwickt. In der Stube hängt +auch ein Vogelbauer; aber das Tor dieses Vogelbauers geht durch die +Holzwand in das Freie, und da können die Vögelein aus- und einfliegen +nach Belieben, und sie finden zu jeder Stunde Unterkunft und Nahrung in +dem gastlichen Hause.</p> + +<p>»Der Mensch muß nicht alles in seiner Faust haben wollen,« sagt unser +Schnitzer; »was gerne daherfliegt, dem mach' ich Tür und Tor auf, und +will es wieder davon, so laß ich's fliegen.«</p> + +<p>Fragt ihn einmal, ob er zufrieden ist in seiner Lage, und seht dann +sein Gesicht an. Er ist über die sechzig Jahre alt, und fragt ihr ihn, +was ihm in seinem Leben schon Übles widerfahren ist, so antwortet er, +er sei sein Lebtag nicht viel krank gewesen, und zu essen hab' er auch +allweg gehabt. Und fragt ihr ihn, wie er mit der Welt stehe, so sagt er +euch, an Geldeswert sei er niemand was schuldig und er kenne gute brave +Leute die Menge. Und fragt ihr ihn endlich, was er von der Zukunft +erwarte, so wird er entgegnen, er freue sich auf die Zeit, in der seine +jungen Obstbäume Früchte trügen, und sollte er bis dahin nicht mehr +sein, so würde wohl ein anderer die Nutznießung haben.</p> + +<p>Mehr will ich nicht verraten. Und sollte doch jemand in der +freundlichen Stadt Graz leben, der die Überschrift meines Kapitels zu +anmaßend findet und selbst auf sie Anspruch machen zu können glaubt, +der möge sich deß ja nicht laut melden, der möge es halten wie der +Schnitzer vom Rosenberge und eine Dornenhecke ziehen um die stille +Stätte seines Glückes.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_405">[S. 405]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Waldteufel">Der Waldteufel.</h2> +</div> + + +<p>In der Stadt Graz geht zeitweilig ein wunderlicher Mann um. Ein Mann +mit klobigem, braunem Gesichte und einem großen roten Vollbart. Sein +Lodenwams hat manchen Flicken, bisweilen sogar klaffende Nahte. Eine +stattliche Ledertasche an der Seite, oder ein Bündel von Wurzeln und +Kräutern. Über dem Bauch baumelt ein großes Bockshorn, mitunter auch +manch andere seltsame Zier, deren Vorhandensein den Leuten nicht +einleuchten will. Wozu an der Hüfte das Skelett eines Schafskopfes? +Schafsköpfe trägt man doch sonst nur über dem Schlüsselbein. Das +Merkwürdigste an dem Manne ist ein Riesenhut mit hohem Spitz, in +der Art der alten Tiroler »Sternstecher«, nur noch viel größer; die +breiten Krempen beherbergen den ganzen breitschulterigen Kumpan auf +das beste. Dieser Hut ist zumeist mit wilden Blumen geschmückt, +besonders aber mit Hahnen- oder Geierfedern, die hoch und keck in den +Himmel hineinstechen. Sehr langsam schleift er dahin, immer wieder +stehenbleibend, um mit singendem Rufe sich bemerkbar zu machen. Ich +habe manchmal bemerkt, wie der Mann nicht ganz sicher durch die Straßen +schritt; das ging nicht immer gerade aus, so wie es wohl sein Wille +gewesen wäre. Gerne singt er ein dreistes Liedel oder läßt gar einen +»Juchezer« fahren. Bisweilen aber grollt und flucht er — und hat +Grund dazu. Die Gassenjugend, die »liebe«, tut ihn nämlich manchmal +gern ein wenig »aushetzen«, weshalb die Polizei ihn immer abschaffen +will, anstatt die Gassenbuben abzuschaffen. Sie meint wohl, er solle +nicht Ärgernis geben, und die gibt er auch nicht, so viel ich weiß. +Es gibt viel<span class="pagenum" id="Seite_406">[S. 406]</span> ärgerlichere Dinge auf der Welt, als die absonderliche +Tracht dieses lustigen Sonderlings, und werden doch nicht abgeschafft. +Den Namen »Waldteufel« hat man ihm geschenkt, er hat ihn freundlich +angenommen, erstens, weil er am Geierkogel eine alte Waldhütte +bewohnt, zweitens, weil er im Walde Beeren, Pilze, Heilkräuter und +Wacholderstauden sammelt, um sie den Stadtleuten zu verkaufen, und +drittens, weil ja der Titel zu seiner Erscheinung nicht übel paßt. +Wie andere Geschäftsleute ihre Orden und Ehrentitel, so benützt er +den seinen zur Reklame und man kann manche Hauswirtin eilig über die +Treppen herablaufen sehen, wenn sie nach dem Geschrei vernommen, daß +der Waldteufel in der Nähe sei. Da lacht er dann gemütlich, bietet +seine Wacholderstauden aus und meint, er möchte die »Kranabeten« gern +in »Kranabetenen« umsetzen. Dieses Teufels einziges Höllenfeuer dürfte +das Feuer des Wacholderbranntweins sein.</p> + +<p>Wo der Mann sich zeigt, mit jemandem spricht, oder auch mit sich +selber, oder mit einer Straßenlaterne, oder mit einer Statue, da +sammelt sich um ihn bald ein Kreis von Zuhörern, die teils mit +Neugierde, teils mit spöttischer oder mißtrauischer Geberde die Gestalt +anstaunen, bis dann plötzlich irgend so ein Range hervorspringt, an +seinen Kleidern zerrt oder ihn mit Staub bewirft.</p> + +<p>Eines schönen Maimorgens sah ich den »Waldteufel« — umringt wieder +von Neugierigen — vor dem neuen Hamerlingdenkmal stehen. Er schien +gerade vertieft zu sein in ein Gespräch mit dem Dichter. »Du bist +ein gescheiter Mensch gewesen,« hörte ich ihn noch sagen mit seiner +rindenrauhen Stimme, »hast ihnen schon immer einmal was gesagt, denen, +was sie nit ins Hutbandel stecken. Ein gescheiter Mensch! So wie auch +ich einer bin!« Dabei verzerrte er sein klobiges Antlitz zu einer +Fratze, als ob er seiner eigenen Gescheitheit<span class="pagenum" id="Seite_407">[S. 407]</span> ein Gesicht schneiden +wollte. Der steinerne Dichter hat ihm nicht geantwortet; der lebendige +Hamerling hätte für diesen Mann gewiß ein gutes Wort gehabt, obschon er +solche Leute gerne mir überließ. »Die Waldteufel gehören Ihnen,« sagte +er einmal, »mit diesen wissen Sie besser umzugehen als unsereiner, dem +die Stadtteufel so viel zu schaffen machen.« Übrigens glaube ich, daß +er das Wort »Stadtteufel« gar nicht ausgesprochen hat; man verstand +auch, wenn er in halben Sätzen redete. Nun aber mit diesem »Waldteufel« +wußte auch ich nichts anzufangen. So vor Leuten zu ihm hintreten und +fragen: »Wie geht's euch! Wie lebt ihr? Was ist euch schon alles +passiert? Was denkt ihr? Erzählt mir etwas!« — das mag ich nicht, +würde bei solchen Menschen auch nicht anschlagen. Oder man wird tüchtig +gefoppt. Da heißt's möglichst gleichgültig dreinschauen und warten, bis +so einer selber anfängt. Und mein Waldteufel fing an.</p> + +<p>Diesmal hatte er einen besonders merkwürdigen Hut auf. Auch der hatte +die Form der Sternstecher, nur dünkt mich, er wäre noch wuchtiger +und riesiger als seine sonstige Kopfbedeckung. Manchmal war solcher +Hut beklebt mit illustrierten Zeitungsannoncen, weiß aber nicht, +ob zur selbstgewählten Zier oder ob schlaue Geschäftsleute sie ihm +angeschwätzt hatten, so daß er für sie eine wandelnde Annoncensäule +abgab. Ich vermute den Mann des Lesens unkundig und immereinmal ein +Opfer fremden Vorwitzes. Diesmal war der Hut aus Baumrinden gemacht, +in doppelter Schichte, daß er besser halten sollte; die sehr breiten +Krempen waren zierlich gezackt. Aber diese Krempen hatten ein paar +Löcher. Der Hagel hatte ihn geschlagen. Er pflege — sagte der Mann +in langsamer, gemütlicher Tonart — bei Ungewittern nie unter einen +Baum zu gehen, er bleibe auf freiem Felde stehen und warte, bis es +vorüber sei. Das sei sonst schier am sichersten,<span class="pagenum" id="Seite_408">[S. 408]</span> aber diesmal habe +ihm der Hagel die Löcher geschlagen. Nun, es sei ja recht. Sonst hätte +er doch auch nichts, was ihm der Hagel schlagen könne. Außer diesem +Hut hätte er wohl einmal ein Haus gehabt, aber das sei ihm abgebrannt. +Sei ihm immer noch leid um dieses Haus, seien ihm viel Altertümer +mitverbrannt. Er meinte damit wahrscheinlich alte Kleider, besonders +aber den weitbekannten Filzhut, den er sich vor vierzig Jahren selbst +gebaut hatte. Um seine Angabe zu bezeugen, zog er ein Zeitungsblatt +aus dem Sack; als er das abgegriffene Papier mit ungeschickten Fingern +entfaltete, wollte es gleich auseinanderfallen, als ob auch diese +letzte Erinnerung an seine Hütte zunichte werden sollte. Da stand +denn in einer Notiz beiläufig erwähnt, daß am Geierkogel eine Hütte +abgebrannt sei, in welcher der sogenannte Waldteufel sich manchmal +aufgehalten habe. — So weit war auch dieser Naturmensch schon von der +Kultur beleckt, daß er sich etwas Besonderes dünkte, »weil er in der +Zeitung stand«. — Ja, Alter, das hat man davon, wenn man in die Stadt +geht, Pilze und Kranabetstauden zu verkaufen. In die Zeitung kommt +man, gedruckt wird man, gerade so wie der Dichter, der dort in Stein +auf dem Sockel sitzt. — Da sagte er auf einmal: »Ihr Herren! Wenn ich +alle Steine, die mir in Graz die Gassenbuben schon nachgeworfen haben, +zusammengetragen hätte auf einen Haufen, es wäre auch ein Denkmal. Wäre +<em class="gesperrt">auch</em> eins! Wie mich die Kinder aushetzen.«</p> + +<p>Es gibt ja böse Buben, hier wie dort. Der Unterschied, daß die +Landkinder sich vor dem Waldteufel fürchten, während die Stadtjugend +mit ihm ihren Spaß hat. Wie die löbliche Polizei sagt, Ursache daran +wird doch wohl er selber sein mit seiner auffallenden Tracht. Ob er +sich aus Eitelkeit so trägt? Oder ob er damit die Aufmerksamkeit der<span class="pagenum" id="Seite_409">[S. 409]</span> +Leute aus praktischen Gründen auf sich lenken will? Vielleicht beides. +Leicht ist sein Geschick sicherlich nicht. Wenigstens nicht in unseren +Augen. Er selbst — wenn man ihn so sprechen hört — wüßte allerdings +nicht, was ihm fehlt. Es müßten nur die »Altertümer« sein, die ihm +verbrannt sind.</p> + +<p>Als Beweis für die Schlauheit des Waldteufels wird ein Stückl erzählt. +Wandern da einige bergfrohe Herren aus der Stadt auf den Geierkogel. +Der Weg ist weit und die Sonne brennt heiß. Nirgends im Kalkboden eine +Quelle, nirgends ein Labsal! Endlich ein Haus, vor dem einige Knechte +stehen, darunter der wilde Waldteufel. Freundlich bitten die Ausflügler +um einen Trunk Wasser, der ihnen aus einer Lagel gern und ohne Anspruch +auf Bezahlung gewährt wird. Mit einem herzlichen »Gelt's Gott!« wollen +sich die Städter wieder entfernen, da fängt der Waldteufel zu munkeln +an: »Ich muß das Wasser weit hertragen und ihr schenkt es den reichen +Städtern. Holt euch von morgen ab selber das Wasser herauf!« Natürlich +griffen die Herren sofort in die Tasche und legten Nickel auf Nickel +in die nun demütig dargebotene Hand des Waldteufels. Kaum waren die +Ausflügler außer Hörweite, da zeigte der Fechtbruder seine Kollekte den +Knechten mit den Worten: »Da, zwei Gulden fünfzig, und merkt's euch, +wie leicht man bei den Städtern Geld verdienen kann!« Es braucht nur +noch erwähnt zu werden, daß sich der Waldteufel nie mit Wassertragen +abgegeben hat.</p> + +<p>So ist es ihm sein Lebtag gut gegangen. Sein Vater, ein Tiroler, hat +seine Mutter, eine Kärntnerin geheiratet. Und das Kind nachher ist +ein Steirer geworden. Also drei Heimländer. Wer hat mehr? Er ist sein +Lebtag viel gereist. Nicht bloß in den drei Heimatländern, wohl auch +in Italien, im Küstenland und weiter um. Sein Vater war »Künstler«, +Holzschnitzler, und ist dann mit seinen Waren:<span class="pagenum" id="Seite_410">[S. 410]</span> Holzschüsseln, +Kornschaufeln, Kochlöffeln und dergleichen hausieren gegangen. Der Sohn +ist überall mit ihm gewesen. Nicht jede Nacht haben sie ihr Quartier +gefunden.</p> + +<p>Nun, im Freien ist's auch bequemer, da hat man weit genug, hat frische +Luft und wird nicht geniert. Das Gras auf der Wiese ist auch ein +Federbett, ein ganz frisches, und kein Königskind hat ein süßeres +Schlaflied, als das die Grillen singen. Aber noch lieber ist der +»Franz« auf Steinhaufen gelegen, da kann man sich mit den Ellbogen das +Bett graben wie man's gern hat. »San die Gliederlan wohl immer a bissel +steif worden; muß einer nachher halt wieder brav laufen, alsdann werden +sie schon wieder gelenkig.«</p> + +<p>»Und hat's Euch nicht geschadet, bei Nacht und Wetter so im Freien +schlafen?«</p> + +<p>»Bis jetzt nit. Gesund, Gott sei Dank, bin ich alleweil gewest.«</p> + +<p>»Wie alt seid Ihr denn?«</p> + +<p>»Im Achtunddreißigerjahr geboren.«</p> + +<p>»Was? Und nicht ein graues Gran im Bart!«</p> + +<p>»Aber da, lieber Herr!«</p> + +<p>Er hob seinen Hut vom Kopf, da hatte er noch eine schwarze Haube auf, +wohl zum Schutz vor dem drückenden Baumrindendach. Das verschwitzte +Haar hatte graue Fäden.</p> + +<p>»Seht Ihr, und so einen würdigen Herrn will die Polizei abschaffen!« Er +sagte es munter gegen einen Sicherheitswachmann hin, der den Waldteufel +schon lange beobachtet hatte, ohne ein Arg an ihm zu finden. Dann hob +er mit beiden Händen den Hut langsam und bedächtig wieder auf den +Kopf. Einer, der diesen Hut vorwitzigerweise versucht, behauptete, +er wiege wenigstens fünf Pfund. Dem Manne schien die Gefahr des +Abgeschafftwerdens nicht aus dem Kopfe zu gehen.<span class="pagenum" id="Seite_411">[S. 411]</span> Es schien ihm schon +oft passiert zu sein, obwohl die Behörden nie recht wußten, wohin mit +ihm. Von den drei schönen Alpenländern wollte jedes das bescheidenste +sein und auf den drolligen Vagabunden verzichten. Er wäre ja doch in +keinem geblieben. »Ich tu' halt so viel gern reisen, so viel gern +reisen! Und abgeschafft werden wir alle einmal!« lachte er laut, gegen +den Wachmann hin. »Bis wir alt sind, werden wir alle abgeschafft. Aber +ich bin decht noch jung.«</p> + +<p>»Ja, bloß sechsundsechzig Jahre!« redete ich drein.</p> + +<p>»Was ist das, sechsundsechzig Jahr! Meine Mutter ist hundertvier Jahr +alt geworden. Mein Vater ist hundertvierzehn Jahr alt geworden, weil er +brav Schnaps getrunken hat. Heut' kunnten sie noch leben, wenn —«. Er +hielt ein mit irgend einer Anklage und setzte schmunzelnd bei: »Wenn +sie nit gestorben wären.«</p> + +<p>»So habt auch Ihr Aussicht, alt zu werden?«</p> + +<p>»Ich werde zweiundachtzig Jahre alt,« antwortete er ruhig. »Damit wir +zusammen dreihundert Jahr ausmachen, alle drei. Dreihundert ist kein +Spott mehr. Mein Vater hat allemal gesagt, er möcht's gern derleben, +daß die Leut' gescheiter werden. Hundertvierzehn Jahr ist er alt worden +und hat's doch nit derwarten mögen. So lang mag ich nit leben, so lang +nit. Nur das möcht' ich noch sehen, wie's ausschauen wird auf der Welt, +bis die Leut' <em class="gesperrt">noch</em> dümmer geworden sind.«</p> + +<p>Da hatten wir gleich seine Meinung über den Stand unserer Welt. +Er brauchte keine langen anarchistischen Reden zu halten, keine +pessimistischen Bücher zu schreiben — das eine Wort sagte alles. +Er, der keinen anderen Rock hat, als das in allen Nahten klaffende +Lodenwams, kein anderes Dach, als den Rindenhut — von der Art seiner +Nahrung war überhaupt nicht die Rede — er fühlte sich erhöht über die<span class="pagenum" id="Seite_412">[S. 412]</span> +Millionen der Durchschnittsmenschen, die ihn erst dann interessieren +werden, bis sie noch dümmer geworden sind.</p> + +<p>Wie war nun dem stolzen armen Manne beizukommen? »Waren« hatte er +diesmal nicht bei sich, die ihm etwa abzukaufen gewesen wären. War man +sicher, daß der hohe Herr, der bedürfnislose, freie König des Waldes, +eine bescheidene Gabe nicht zurückweisen würde?</p> + +<p>»Wie würdet Ihr es halten?« fragte ich ihn tückisch, »wenn ein armer, +braver und ganz zufriedener Mensch dastände und jemand gäbe ihm ein +Silberstück in die Hand. Wäre das gescheit oder dumm?«</p> + +<p>»Das wäre gescheit, das wäre gescheit!« rief er aus.</p> + +<p>»Und was glaubet Ihr, daß der arme, brave und ganz zufriedene Mensch +mit dem Silberstück anfangen würde?«</p> + +<p>»Schnaps kaufen!«</p> + +<p>So weit ging sein Freiheitsstolz — und nicht weiter. Alle Bande +hatte er abgestreift oder gesprengt, aber der Schnaps war sein Herr +und Gebieter geblieben. Doch ich sah ihn keinen trinken. Ehe wir +auseinandergingen, vertraute er mir noch ein Geheimnis an. Er sei +gesonnen, sich demnächst zu veräußern. Er stehe in Unterhandlung +mit der medizinischen Fakultät, er wolle ihr seinen heiligen Leib +verkaufen. Bei dem Worte heilig schnitt er eine ganz abenteuerliche +Grimasse. Er glaube, mit fünfhundert Gulden sei der Waldteufel nicht +überzahlt, aber man spare immer am unrechten Orte und wolle ihm nur +dreihundert geben. So viel aber sei die Haut allein wert, wenn sie +ausgestopft werde. Was habe er dann für die Knochen? Daß diese auch +hübsch was nutz seien, beweise er jedem, der es bewiesen haben wolle. +Er hob den Arm mit der geballten Faust. Indes hätte ihm ein Wachmann +geraten, sich nicht voreilig zu verkaufen, er lebe dann keine drei +Wochen mehr! Die Studenten seien so<span class="pagenum" id="Seite_413">[S. 413]</span> viel gierige Leut', die würden +seinen Tod nicht abwarten wollen, sondern recht bald mit »einem +Stupferl von hinten« nachhelfen, daß sie zu ihrem Kadaver kämen. +Überhaupt würde er am Arm gezeichnet werden und dürfe auch nicht nach +Amerika, oder sonst übers große Wasser. Als Mann der Freiheit vertrage +er das nicht. Es sei also eine Lebensfrage, ob er sich derweil nicht +doch noch behalten solle. Es werde am besten sein, er gehe fleißig +betteln. — Und machte sich auch gleich ans Tagewerk.</p> + +<p>Weiter weiß ich nichts von ihm. Jedenfalls erreicht der Mann ein hohes +Alter, besonders, wenn er nach dem Grundsatz seines Vaters so lange +leben will, bis die Leute gescheiter geworden sind.</p> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p class="center">Von</p> +<p class="s3 center"><b>Peter Rosegger</b></p> +<p class="center">erschien zuletzt im gleichen Verlage:</p><br> + +<p class="s2 center">Frohe Vergangenheiten</p> +<p class="s4 center">Launige Geschichten</p><br> +<p class="s5 center">Mit einem Vorwort von</p> +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Hans Ludwig Rosegger</em></p> +<p class="center">15. Tausend</p> +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p>»Der Titel trifft auf die Erzählungen, die, ernst und heiter +vermischt, <em class="gesperrt">das schalkhafte Gesicht des Waldschulmeisters fleckenlos +spiegeln</em>, absolut zu. <em class="gesperrt">Es ist echtester Rosegger</em>: +Waldweisheit, die allerhand reizvolle Patina angesetzt hat und dennoch +nicht nur ehrwürdig, sondern lebendig wie jedes Wort ist, das Rosegger +je geschrieben hat. — <em class="gesperrt">Ganz ungewöhnlich lesenswert aber und als +menschliches Dokument so ziemlich alles, was in den letzten Jahren auf +dem Büchermarkt erschien, überragend, ist die dem Bande voran gesetzte +»Lebns-Beschreibung«.</em> Die Orthographie ist die des fünfzehnjährigen +Bauernbuben, aber das, was der »Autor« mit früherwachter Selbstkritik, +»keine interesande Geschichte« nennt, ist nicht literarische +Kuriosität, sondern in seiner Wahrhaftigkeit und in der Hilflosigkeit +des von allen ersehnten Quellen des Wissens ausgesperrten Bauernbuben +<em class="gesperrt">rührend und erschütternd. Alle Schulorthographie ist, gegen dieses +erste Stammeln eines großen Menschen gehalten, Makulatur.</em>«</p> +<p class="right">Karl Marilaun im »Neuen Wiener Journal«.</p><br> +</div> + +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75532 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/75532-h/images/cover.jpg b/75532-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..64200ae --- /dev/null +++ b/75532-h/images/cover.jpg diff --git a/75532-h/images/signet.jpg b/75532-h/images/signet.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a0379fe --- /dev/null +++ b/75532-h/images/signet.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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