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+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75688 ***
+
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+=======================================================================
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+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
+sind stillschweigend korrigiert worden.
+
+Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~.
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+ Erzählungen aus dem Ries.
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+ Von
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+ Melchior Meyr.
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+ [Illustration]
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+
+
+ Berlin, 1856.
+
+ Verlag von Julius Springer.
+
+
+
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+ Inhalt.
+
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+ Seite
+ Ludwig und Annemarie 1
+
+ Die Lehrersbraut 109
+
+ Ende gut, Alles gut 277
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+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vorwort.
+
+
+Die erste der drei Erzählungen dieses Bandes wurde 1852 im
+~Morgenblatt~ veröffentlicht. Der Beifall, den sie erhielt, und
+die freundliche Aufforderung von Seiten der Redaction veranlaßten mich,
+im letzten Winter die zweite zu liefern. Die dritte, im laufenden Jahr
+geschrieben, erscheint hier zum erstenmal.
+
+In der Einleitung zur ersten habe ich über das ~Ries~ die nöthigen
+Aufklärungen gegeben und meine Ansicht über das Genre ausgesprochen,
+das ebenfalls zu cultiviren ich mich berufen fühlte. Zur Unterstützung
+des dort Gesagten nur wenige Bemerkungen.
+
+Das, was man unter dem Namen »Dorfgeschichte« begreift, ist in
+Bezug auf idyllische Darstellung im weiteren Verstande des Worts
+ein Fortschritt, in sofern darin von erträumten Zuständen und
+schablonenmäßiger Behandlung zur Auffassung der Natur und des
+wirklichen Lebens übergegangen ist. Man gewann neue, frische
+Gegenstände und eine neue Behandlung; und das Publikum überzeugte sich,
+daß die Personen in den gelungensten dieser Erzählungen darum, daß
+sie lebenswahr und individuell im Bilde stehen, an Reiz und Interesse
+keineswegs verloren haben. Der Beifall, den diese Erzeugnisse fanden,
+mag mit daran Schuld sein, daß man Anklagen gegen sie erhoben hat,
+die nur ihre schwachen Nachahmungen treffen. Die Dorfgeschichte soll
+freilich das getreue Bild eines wirklich vorhandenen Landlebens
+aufstellen; allein ist der Erzähler dichterisch begabt, so verhindert
+ihn nichts, dieses Leben poetisch zu verklären. Er kann das Material,
+das ihm die Wirklichkeit bietet, zu einem Organismus ausprägen, der auf
+den Leser alle Eindrücke eines künstlerischen hervorbringt. Er kann es
+-- wenn er der Mann dazu ist.
+
+Von Seiten derer, die in Fragen der Poesie nicht zu entscheiden
+berechtigt sind, weil sie ihre Begriffe nur von einzelnen Erscheinungen
+derselben abgezogen haben und das Werdende und das Seinsollende --
+das Ideal nicht in Anschlag bringen können -- von Seiten dieser
+in Deutschland nicht seltenen Urtheiler ist die Würde und die
+Bedeutung des Gegenstandes angestritten worden, auf den sich der
+Dorfgeschichten-Erzähler gewiesen sieht. Allerdings bewegt sich das
+Leben des Landvolks -- und nun gar das eines bestimmten Landvolks!
+-- in genau begränzter Sphäre. Allein innerhalb derselben findet
+sich gleichwohl alles Menschliche -- alle Tugenden und Schwächen
+des Menschen und eine reiche Bethätigung derselben -- wenn auch in
+eigenthümlichen, nach gewisser Seite hin beschränkenden Formen. Wer das
+Alles nun klar zu sehen -- wer die Tugenden und Fehler in Aufdeckung
+ihrer Quellen treu zu schildern und in das Licht wahrer poetischer
+Gerechtigkeit zu erheben, wer dem vorgeführten Conflict in Handhabung
+dieser Gerechtigkeit einen befriedigenden Schluß zu geben vermag --
+wie sollte der abgehalten sein, in Darstellung solchen Lebens ein
+poetisches Werk hervorzubringen?
+
+Von dem Erzähler, der auf diesem Gebiete dem Ideal sich nähern soll,
+ist freilich außer der poetischen Begabung noch Eines unabweislich
+gefordert: er muß unter dem Volke, das er zu schildern unternimmt,
+gelebt und Leid und Freud mit ihm getheilt haben. Er muß im Innern der
+Familien heimisch sein und seine Leute in Situationen gesehen haben,
+die ihre derbere Natur und ihr einfacheres Wesen auch wirklich in
+Bewegung zu setzen und zu antheilerweckenden Aeußerungen aufzuregen
+vermochten. Dem flüchtigen Beobachter wird das Landvolk im Guten und
+im Schlimmen sich nicht offenbaren, und weder im Wirthshaus noch in
+der Amtsstube kann man den ganzen Bauer kennen lernen, weil hier wie
+dort nur einzelne Seiten zum Vorschein kommen, und zwar keineswegs die
+besten. Mit der Kenntniß des Gesammtlebens, wie sie nur der Mitlebende
+sich erwirbt, muß der Autor zugleich jene Liebe zum Volke verbinden,
+ohne die es unmöglich ist, das Schöne und Gute in ihm zu sehen und
+herzgewinnend hervorzubilden. Allein die wahre Kenntniß und die Liebe
+gehen immer Hand in Hand; denn nur die Liebe ist im Stande, wahre
+Kenntniß zu erlangen.
+
+Der Dorfgeschichten-Erzähler, in welchem die erforderlichen
+Eigenschaften vereinigt sind, hat von seinem Gegenstand, der ihn auf
+der einen Seite beschränkt, auch wieder ganz eigenthümliche Vortheile.
+Er schildert Menschen, die entschieden ausgeprägt sind, und doch in
+einer Sphäre der Naivität sich bewegen, die ihren Aeußerungen den Reiz
+des Kindlichen verleiht und auch bei den ergreifenden uns ein Lächeln
+entlocken kann. Rührung und Erheiterung -- wie dies namentlich auch die
+Werke Jeremias Gotthelfs beweisen -- gehen in seiner Darstellung eng
+verbunden zusammen. Das unmittelbare Sinnen- und Gemüthsleben, das in
+der Sphäre unverdorbener Landleute herrschend ist, giebt auch der hier
+bewußtesten Persönlichkeit und den von ihm entferntesten Eigenschaften
+noch etwas von seinem Gepräge. Die ~Natur~ in ihrer Kraft, in
+ihrem quellend frischen Leben, das uns umfließt, wie das Wasser des
+lebendigen Stromes die Glieder des Badenden, sie, die nährende Trägerin
+alles Lebens ist es, die ihr Füllhorn ausgießt, wenn der Darsteller nur
+den Geist hat, dem sie liebend und mittheilend entgegen kommt! --
+
+Ist die Möglichkeit einer wesentlich poetisch gehaltenen Dorfgeschichte
+bewiesen, dann wird es Erzählungen, die in der That poetisch wirken,
+nicht zum Vorwurf gemacht werden können, daß durch sie zugleich noch
+andere Zwecke erreicht werden. Wenn sie, von ästhetischer Ergötzung
+abgesehen, zur Kenntniß des Volkes, seiner Denkweise und Sitten
+beitragen; wenn sie auf die Frage der Volkserziehung beachtenswerthe
+Lichter werfen; wenn sie die geistige Scheidewand niederreißen helfen,
+die zwischen den gebildeten Klassen und den Landleuten noch besteht,
+und die einseitigen Begriffe, die sich jene von diesen machen,
+berichtigen -- wenn sie den Beweis liefern, daß man sich des deutschen
+Bauers gerade nicht zu schämen hat, und die gebildeten Classen zu
+dem Gedanken erheben, daß sie mit dem richtig erkannten und richtig
+behandelten Bauer Ein Volk zu bilden haben -- dann wird dies an solchen
+Erzählungen kein Mangel, sondern nur eine Tugend mehr sein.
+
+Wie weit ich mich in den folgenden Erzählungen dem Ziele, das ich mir
+hiernach stecken mußte, genähert habe, das mögen berufene Kritiker und
+freundliche Leser entscheiden. Kenntniß des Volks, das ich schildere,
+und Liebe zu ihm wird mir nicht abzusprechen -- und das Streben, aus
+dem ächten Material Kunstwerke zu bilden, wird nicht ganz ohne Frucht
+geblieben sein. Die Gedanken, die der ersten und der zweiten Erzählung
+zu Grund liegen und durch sie zur Anschauung gebracht werden sollen,
+treten dem Urtheilenden so klar entgegen, daß ich über sie nichts
+weiter zu sagen habe. Auch der dritten, in der ich den ungedämpften
+Realismus des Riesers in die Sphäre des Humors zu erheben trachtete,
+wird man vielleicht die Bedeutung eines Gleichnisses zugestehen. Die
+Aufgabe, die ich mir hier gestellt, bedingte in den Gesprächen die
+durchgängige Anwendung des Dialekts, worin die geführten Reden allein
+die erforderliche Natürlichkeit und humoristische Kraft haben. Allein
+der Rieser Dialekt ist leicht zu verstehen, und einzelne schwierige
+oder in der Schriftsprache nicht gebräuchliche Ausdrücke sind in
+Parenthesen erklärt. Bei gewissen Gegenständen ist die Mundart für
+den geistigen Menschen, was die Landestracht für den leiblichen; und
+wenn die schönwissenschaftlichen Arbeiten nebenbei die Kenntniß der
+deutschen Dialekte fördern, so wird das wohl ebenfalls eine löbliche
+und nicht unzeitgemäße Eigenheit sein.
+
+Zur richtigen Lesung und zum Verständniß jener Gespräche werden
+folgende Nachweisungen dienen.
+
+Im Rieser Dialekt, ähnlich wie in andern, wird vielfach das n nicht
+ausgesprochen, aber der Nasenton des ihm vorhergehenden Vokals oder
+Diphthongen beibehalten. Die »Bahn« wird zur »Bah'«, aber das a darin
+ebenso durch die Nase wie in dem hochdeutschen »Bahn« -- also wie das
+französische +ban+ ausgesprochen. »Es scheint« wird »es schei't«;
+der Diphthong behält den Nasenton des »scheint« und das Wort darf
+keineswegs wie Scheit (Holz) gelesen werden. -- Ich habe diesen Ton
+durch den Apostroph hinter dem betreffenden Vokal oder Diphthongen
+bezeichnet.
+
+Der Rieser legt bei gewissen Worten nach dem Vocal ein kurz und
+gleichfalls durch die Nase zu sprechendes a oder e ein. Er sagt statt
+»gut,« guat oder guet, statt »gern« geara'. Guet läßt etwas feiner als
+guat.
+
+In »ab«, »herab«, läßt der Rieser das b unausgesprochen; er sagt »ah«,
+»rah«. Abfallen wird Ahfalla'.
+
+Das au verwandelt man im Ries vielfach in o oder oh, das ei in oe, das
+a in o, das i in e. Es heißt z. B. statt rauchen rohchen, statt klein
+kloe, statt Mahl Mohl, statt finden fenden. Weiß man dies, so wird aus
+dem Zusammenhang der Rede das entsprechende hochdeutsche Wort leicht zu
+erkennen sein. Das oe habe ich, damit es nicht ö gelesen wird, in den
+ersten Erzählungen mit trennenden Punkten versehen.
+
+Wie in andern Gegenden Deutschlands, so wird auch im Ries häufig d
+gesprochen, wo die Schriftsprache t -- b, wo sie p hat. Man sagt danza'
+statt tanzen, doa' statt thun, Bost statt Post etc.
+
+Für »wir« hat der Rieser »o's« (uns) -- aber nur da, wo der Nachdruck
+auf diesem Worte liegt. Er sagt: »O's Rieser« = wir Rieser. »Send o's
+net so guet, wie ander Leut?« = Sind wir nicht so gut wie andre Leute?
+-- Hat »wir« dagegen nicht den Accent, so wird es zu mer (m'r) oder wer
+(w'r). »Mer hont scho' gmuag« = wir haben schon genug. »Reißa' mer's
+raus« = reißen wir's heraus.
+
+Die Betonung hat auch sonst Einfluß auf die Fassung der Worte. »Ich«
+lautet, wenn es mit Nachdruck gesprochen wird, »ih«. Bei geringerer
+Betonung wird es zu i, bei der geringsten zu e. Es heißt: »Ih solls do'
+haba'?« = ~ich~ soll's gethan haben? »Soll i's oh doa'? = soll
+ich's auch thun? »Des hab' e do'«, = Das hab' ich gethan. »Dir« lautet
+»Dir«, wen es den Accent hat; wo nicht, so wird es zu »Der«, »D'r«. Z.
+B. »I hab ~dir's~ gsakt (gesagt). I hab d'r's ~gsakt~.«
+
+Die Rieser Mundart braucht einzelne Worte in anderm Geschlecht als die
+Schriftsprache. »Ich habe keine Lust dazu« heißt: i hab koen (keinen)
+Luhft derzua'. »Luft« existirt weiblich und männlich. Die Luft ist
+ruhige Luft; der Luft, active Luft, Wind. Man sagt z. B. »'s got (geht)
+a starker Luhft!«
+
+In Bezug auf Deklination ist zu bemerken, daß der Rieser statt des
+hochdeutschen Genitivs ein »von« anwendet; z. B. die Größe meines
+Sohnes = die Gröaß von mei'm Soh'; -- oder nach dem Genitiv ein Fürwort
+setzt: z. B. des Bauern Haus = d's Baura' sei' (sein) Haus.
+
+In der Conjugation weicht er von der Schriftsprache vielfach ab. Er
+conjugirt: I hab (ich habe), du host, er hot; o's hont, uir hont, sie
+hont. I wear (ich werde), du wurscht, er wurd; o's wearet, uir wearet,
+sie wearet. I sig (ich sehe), du sikst, er sikt; o's sehet (seha't),
+uir sehet, sie sehet. »Sie wearet« heißt auch, sie weara', und so
+bei andern Zeitwörtern. Vom Imperfectum braucht der Rieser nicht den
+Indicativ, wohl aber den Conjunctiv. Statt »ich ging« sagt er: i ben
+ganga'. Für »ich ginge wohl« hat er aber: i geang wohl. Wenn er das
+Imperfectum »war« anwendet, so bedeutet es entweder »wäre« oder »ist«.
+Eigenthümliche Zusammenziehungen sind: Gommer = gehen wir; hommer =
+haben wir; lommer = lassen wir.
+
+Der Hiatus wird im Dialekt möglichst vermieden. A' = ein wird vor einem
+Wort, das mit einem Vokal anfängt, zu a'n. Es heißt: a Fueß (Fuß); aber
+nicht: a' Aug, sondern a'n Aug. --
+
+Das dürfte genügen. Andere Abweichungen, Auslassungen von Buchstaben
+und Zusammenziehungen, Dehnungen (die mit Einlegung eines h bezeichnet
+sind) bieten für den Leser keine Schwierigkeit.
+
+Schließlich haben wir nur noch zu bemerken, daß der Schriftsteller in
+Gesprächen die mehr oder minder gebildeten Landleute durch minder oder
+mehr entschiedenen Dialekt charakterisiren muß. Wenn man also auch
+in unsern Erzählungen Variationen antrifft, so wolle man darin keine
+Nachlässigkeit oder Willkür, sondern vielmehr das Bestreben erkennen,
+den Modificationen zu folgen, die im Leben selber vorkommen.
+
+ ~Ebermergen~ bei Harburg im Ries.
+
+ Der Verfasser.
+
+
+
+
+ Ludwig und Annemarie.
+
+
+Das Ries ist ein Gau im Schwabenlande, einige Stunden nordwärts von der
+Donau. Der größte Theil gehört zu Bayern, der nordwestliche Strich zu
+Württemberg. Man braucht in diesem Gau nicht geboren zu sein, sondern
+nur in guter Jahreszeit darin verweilt zu haben, um ihn für einen der
+anmuthigsten und gesegnetsten in unserem Vaterlande zu halten. Wer an
+einem schönen Juni-Abend auf einer der westlichen Anhöhen steht und die
+von bewaldeten Hügeln umschlossene Ebene erblickt in dem glänzenden
+Reichthum ihrer Feldfrüchte, die alte Reichsstadt Nördlingen mit ihrem
+hohen Thurm, die fürstliche Residenz Wallerstein mit dem grauen Felsen,
+der früher die Burg der Grafen von Wallerstein trug, hier und da ein
+wohlerhaltenes Schloß oder ehemaliges Klostergebäude und die Menge
+schmucker Dörfer, den wird ein freudiges Gefühl überkommen: er hat
+nicht nur eine schöne, fröhliche Landschaft vor sich, sondern er fühlt
+zugleich, daß ihre Bewohner begünstigte Menschen waren und sind.
+
+Das Ries ist eine kleine Welt und birgt eine nicht unbedeutende
+Mannigfaltigkeit von Lebenserscheiuungen in sich. Daß es theils
+bayrisch, theils württembergisch ist, scheint zu seinem Wesen zu
+gehören. Die Bewohner zerfallen in Protestanten und Katholiken,
+die zerstreut durcheinander wohnen. Im protestantischen Theile und
+namentlich unter den Geistlichen fanden sich vor einigen Jahrzehnten
+die Extreme der frommgläubigen und rationalistischaufgeklärten
+Anschauung vertreten, von denen die erstere eine sehr rege Thätigkeit
+entwickelte. Auch Juden fehlen nicht in dem wohlhäbigen Landstrich.
+Sie sitzen an einzelnen Orten, hauptsächlich in Wallerstein, in
+verschiedenen Abstufungen des Vermögens und Ansehens, vom reichen
+Kaufmann und Geldverleiher an bis herab zum Schmuser, der sich auf
+Märkten durch leidenschaftliche Verständigungsversuche seinen Bedarf
+erkämpft. Der Dialekt ist schwäbisch in besonderer Ausbildung, an
+einzelnen Punkten von Alters her eigenthümlich modificirt. Nördlingen
+und Wallerstein liegen kaum eine Stunde auseinander, und doch ist
+der ächte Nördlinger von dem ächten Wallersteiner an Mundart und
+Betonung sogleich zu unterscheiden. In Oettingen, wie überhaupt
+an der nordöstlichen Grenze, herrscht der fränkische Dialekt. Der
+Menschenschlag ist arbeitsam, gewerbthätig und von gemüthlichem,
+vergnügtem Wesen, sehr geneigt zu Scherz und Neckerei. Man findet
+darunter noch viele Exemplare von jenem angenehm drolligen und
+komischen Gepräge, das der verständigen Ernsthaftigkeit unserer
+Zeit immer mehr weichen zu wollen scheint. Das schöne Geschlecht
+macht seinem Namen alle Ehre; auf den Dörfern begegnet man nicht nur
+stattlichen und tüchtigen, sondern auch gar feinen und zierlichen
+Gestalten. Die Landestracht ist kleidsam, wenn sie mit Geschmack
+behandelt und von den Frauen in der Zahl der Röcke ein gewisses Maaß
+eingehalten wird. Uebrigens greift auch hier die französische Tracht um
+sich, und in dem Anzug der Frauen und Töchter wohlhabender Landleute
+findet sich Einzelnes derselben mehr oder minder glücklich mit der
+Landestracht verbunden.
+
+Der Verfasser hängt an diesem Gau mit begreiflicher Liebe. Er ist darin
+geboren und hat in ihm die schöne Jugendzeit verlebt. Als Gymnasiast
+und Student verbrachte er hier die glücklichsten Ferientage. In dem
+Alter, wo man um so reicher an poetischer Empfindung und Anschauung
+ist, je weniger man sie noch kunstmäßig auszudrücken vermag, lebte er
+das fröhliche Rieserleben mit und nahm mit nie versiegender Freude
+seine Eigenthümlichkeiten in sich auf. Die Landschaft, von dem Duft
+seiner Jugendgefühle übergossen, hat für ihn einen poetischen Reiz wie
+keine andere.
+
+Schon einmal im dem ländlichen Gedicht: »Wilhelm und Rosine,« das 1835
+erschien und eine Dorfgeschichte in Hexametern genannt werden kann,
+hat Schreiber dieses seiner Heimath in Schilderung ihres Dorflebens
+seinen poetischen Dank abgetragen. Er versucht es zum zweitenmal in
+einer Erzählung. Nach den ächten Darstellungen von von Immermann und
+Berthold Auerbach ist das Genre der Dorfgeschichten durch Nachahmungen
+bei uns in die Mode und wieder aus der Mode gekommen. Aber das kann
+eine getreue Schilderung wirklicher Lebensverhältnisse nicht berühren.
+Im deutschen Volke sind noch Schätze zu heben von eigenthümlicher
+Art und Sitte, von eigenthümlichen Freuden und Leiden, von besondern
+Verbindungen der überlieferten Stammesbildung mit der neuen
+Zeitbildung. Wer von einem so bestimmten Leben ein dichterisch treues
+Abbild zu geben weiß, der wird empfänglichen Menschen immer Freude und
+Nutzen gewähren können. Das Aechte wie das Ewige hat immer seine Zeit;
+und auch Annäherungen an das höchste Ziel, wie sie dem frischen Streben
+gelingen, werden nicht unwillkommen sein.
+
+Nun zu unserer Geschichte. Sie hat sich vor einer Reihe von Jahren
+zugetragen, wo durch die Ebene noch nicht der Dampfwagen brauste und
+das Leben überhaupt noch ein idyllisches Gepräge trug, wie es jetzt
+nicht mehr so ganz der Fall sein mag.
+
+ * * * * *
+
+Der Geistliche eines Dorfes in der Nähe von Nördlingen wandelte
+an einem schönen Sommermorgen in seinem Garten, der hinter dem
+wohlgebauten, zweistockigen Pfarrhause lag. Er hatte schon eine
+Zeitlang gearbeitet und wollte nun einen Gang in freier Luft machen
+und nach den Fortschritten der Gewächse sehen. Da dieser Mann in den
+spätern Verlauf unserer Geschichte bedeutend eingreift, so wollen
+wir den Leser schon jetzt näher mit ihm bekannt machen. Er war ein
+Sechziger, bei mittlerer Größe von stattlichem Ansehen und offenbar im
+Besitz einer stetigen Gesundheit. Aus den regelmäßigen Gesichtszügen
+sprach Erfahrung, Verstand und eine heitere Freiheit des Geistes. Er
+hatte auf der Universität neben den theologischen allgemein bildende
+Studien getrieben, als Hofmeister in vornehmen Cirkeln und auf Reisen
+die Welt kennen gelernt und die Laufbahn eines Geistlichen von unten
+auf gemacht, bis er die einträgliche Stelle erhielt, wo er nun seit
+zehn Jahren ein ruhig glückliches Leben führte. Der Glaube an die
+Grundlehren der evangelischen Kirche war bei ihm ein Trieb und eine
+Forderung des Herzens, aber sein Christenthum war liebevoller,
+freundlicher Art. Die Natur mit Feuer und Schwert austreiben zu wollen,
+aus einer Mücke einen Elephanten zu machen und die Gemüther durch
+übertriebene Forderungen zu verwirren, war nicht seinem Charakter
+gemäß. Er rügte streng, wo es ihm klare Einsicht gebot, aber lieber
+schilderte er das höhere Leben in einer Weise, daß es durch seine
+eigene Schönheit die empfänglichen Herzen gewann. Er war milde,
+weil er zu unterscheiden wußte und das Gute in der Natur und in dem
+Gehaben des Volks erkannte. Als Seelsorger und im sonstigen Verkehr
+mit den Gliedern seiner Gemeinde freute er sich, jene brave Klugheit
+anzuwenden, welche die Menschen mit leichten Mitteln zu lenken
+versteht. Er war dem Scherz nicht abhold, und aus dem anmuthigen
+Ausdruck seines Mundes konnte man schließen, das er freundschaftliches
+Gespräch selber damit zu würzen verstand.
+
+Die Sonne schien heiß vom wolkenlosen Himmel. Dieß hielt den Pfarrer
+nicht ab, den Schatten der Kastanienbäume am Hause zu verlassen und
+geschützt durch sei schwarzes Käppchen, unter dem rechts und links ein
+silbergrauer Haarbüschel hervordrang, erst die Blumenbeete, dann auf
+dem grasigen Platz die reifenden Kirschen zu betrachten. Aus einem
+Gesicht, dessen bräunliches Roth sich von dem anderer Landbewohner
+durch einen feineren, geistigeren Ton unterschied, sah eine innere
+Freudigkeit, die mit der Schönheit des Sommertags ganz in Harmonie war.
+
+Als er sich eben anschickte, unter die Kastanienbäume zurückzukehren,
+wurde die Thüre, die vom Pfarrhaus in den Garten führte, rasch
+aufgemacht und ein schlanker, blonder junger Mensch von etwa sechzehn
+Jahren ging eilig auf ihn zu. Es war sein Enkel, der Sohn seiner
+Tochter, die ihren Theodor dem Großvater zur Vorbildung für die letzte
+Klasse des Gymnasiums zugeschickt hatte. Das sonst gleichmäßig blasse,
+durch die Sonne nur wenig gebräunte Gesicht war jetzt erhitzt und
+geröthet, und man sah aus allem, daß er etwas für ihn sehr Bedeutendes
+zu berichten hatte.
+
+»Großvater,« rief er dem alten Herrn zu, »es ist gut, daß ich dich
+treffe! Drunten im Dorf -- nein, es ist zu arg!« Er hielt inne, um
+zu verschnaufen. -- Der Alte kannte seinen Mann. Er wußte, daß der
+junge Kopf seine eigenen Ansichten vom Leben hatte, und daß manches,
+was damit in Widerspruch trat, ihn oft in unverhältnißmäßige Aufregung
+versetzen konnte. Er war daher nicht erschreckt, sondern fragte ruhig:
+»Nun, was ist denn schon wieder?« -- »Drunten im Dorf,« erwiederte
+Theodor, »beim Angerbauer gibts Händel, Händel zwischen Vater und
+Sohn. Ich hab's selber gesehen.« -- Der Alte wurde ernsthaft und eine
+Bewegung seines Kopfes verrieth, daß ihm die Nachricht nicht ganz
+unerwartet kam. Er sagte: »Erzähle mir, was du gesehen hast, aber in
+der Ordnung.«
+
+»Ich wollte in's Dorf hinunter, um hinter den Hecken mein Pensum zu
+lernen. Da sah ich vor dem Hause des Angerbauers einen Haufen Leute
+stehen, und wie ich hingehe, hör' ich wüthendes Geschrei aus der
+Stube. Der Alte schmähte den Sohn und schrie wie rasend. Gott, welche
+Schimpfworte und Flüche! Wie ist es möglich, daß die Menschen so roh
+sein können!« -- »Es ist manches möglich, was du noch nicht begreifst,
+mein Kind,« sagte der Pfarrer. -- »Und dieser Angerbauer,« fuhr der
+junge Moralist fort, »der immer so gescheidt sprach und sich ein so
+würdiges Ansehen zu geben wußte -- von dem hätt' ich's am wenigsten
+geglaubt.« -- »Der Angerbauer,« bemerkte der Alte mit nachdrücklicherem
+Ton, »ist ein ehrenwerther Mann und der Sohn deßgleichen. Das wirst du
+noch einsehen. Aber nun erzähle weiter. Was hat der Bauer seinem Sohn
+vorgeworfen? Oder hast du das im Eifer vielleicht überhört?« -- »Nein,
+das kann ich dir genau sagen. Ludwig will die Annemarie beim Bäcker
+heirathen, und der Angerbauer will's nicht zugeben.« -- »Ich dacht'
+es mir,« sagte der Geistliche. -- »Wie ging der Streit aus? denn du
+hast doch wohl das Ende abgewartet?« -- »Wie der Alte gerast, der Sohn
+trutzig geantwortet und die Bäurin umsonst sich Mühe gegeben hatte, sie
+zu begütigen, hörte man ein Knacken, wie von einem zerbrochenen Stuhl,
+und der Vater schrie: »Fort! Geh aus meinem Haus und komm mir nie mehr
+unter die Augen!« worauf Ludwig sagte: »Hab' keine Sorg, du wirst mich
+nie wieder sehen,« und aus der Stube ging. Dann wurd's stille und ich
+lief fort, um dir's zu erzählen.«
+
+Der Geistliche schüttelte den Kopf, schien aber von diesem Ausgang
+doch weniger beunruhigt zu sein, als sein Enkel erwartete. Er sah eine
+Zeitlang vor sich hin und nickte dann, als ob er einen Entschluß gefaßt
+hätte. Der junge Mensch sah ihn an und fragte: »Wirst du hingehen und
+Frieden stiften?« -- Der Geistliche erwiederte mit leisem Lächeln über
+diesen Eifer: »Der Streit ist ja aus, wie du mir sagst.« -- »Wenn aber
+Ludwig auf und davon geht?« -- »Daran werd' ich ihn nicht verhindern
+können.« -- »Aber, lieber Großvater« -- »Wirst du einem alten Pfarrer
+lehren, was er zu thun hat, Junge? Komm jetzt zur Großmutter.« Er nahm
+ihn wohlwollend bei der Hand und führte ihn in's Haus zurück.
+
+ * * * * *
+
+Der Angerbauer war nach ländlichen Begriffen ein reicher Mann. Er
+hatte seiner Tochter, die im Dorfe verheirathet war, sechstausend
+Gulden mitgegeben, und mehr als das Doppelte hatte er noch am Zins.
+Sein Sohn Ludwig sollte eben so viel und das jüngste Kind Andres nach
+der bäuerlichen Erbfolgeordnung den Hof erhalten. Die Familie lebte
+wohl und glücklich zusammen. Der Vater, ein hochgebauter, stattlicher
+Mann mit schwarzen Augen und Haaren und gelblichbraunem Gesicht, hielt
+gute Zucht im Hause, ohne jedoch seinen Kindern den herkömmlichen
+Lebensgenuß zu verkümmern. Er war ein kluger Oekonom und sein Stolz
+war, die bestbestellten Aecker im Dorfe zu haben. Seine Wohlhabenheit
+und sein Ansehen in der ganzen Umgegend gaben ihm ein bedeutendes
+Selbstgefühl, das sich auch in seiner würdigen Haltung ausdrückte.
+Er sprach wenig, aber bestimmt, und wie gesetzt er in der Regel war,
+so sah man doch, daß er, einmal in Leidenschaft gebracht, gewaltig
+losbrechen konnte. -- Die Mutter war in ihrer Jugend sehr hübsch
+gewesen, und noch immer machte die schlanke Gestalt einen angenehmen
+Eindruck. Sie hielt mehr auf zierliche Reinlichkeit im Hause, als es
+sonst in Bauerfamilien der Fall zu sein pflegt; in ihren Stuben und
+Kammern mußte alles wie geleckt sein, und überdies alles am rechten
+Platze stehen. Sonst zeichnete sie sich in der Kunst aus, Backwerk zu
+verfertigen und namentlich »Küchle« zu liefern, die von den jeweiligen
+Gästen mit entzückten Lobpreisungen verspeist wurden. Fröhlicher und
+gutmüthiger als der Vater, hatte sie doch auch ihre Portion Stolz und
+hielt sehr auf das, was sich ihrer Meinung nach für eine reiche Familie
+geziemte. -- Ludwig schlug der Mutter nach, während der neun Jahre
+jüngere Andres ein gemildertes Abbild des Vaters zu werden verhieß.
+
+Die Hauptperson unserer Erzählung -- man sieht, daß dies Ludwig ist --
+war einer der schönsten und angesehensten Bauernsöhne im ganzen Ries.
+Tänzer und Sänger, wie es nur einen gab, dazu ein lustiger Bursche voll
+guter Einfälle, hatte er schon in verschiedenen Dörfern Herzen erobert,
+wenn er bei Verwandten auf Besuch war oder als Gast eine Hochzeit
+mitmachte. Es war einer von den Menschen, denen alles wohl ansteht, die
+Arbeit wie das Vergnügen. Wenn er Sonntags in dunkelgrüner sammtner
+Juppe (Jacke) mit silbernen Knöpfen, schwarzen, knapp anliegenden Hosen
+vom schönsten Hirschleder und hohen, über die Knie gezogenen Stiefeln,
+die Kappe von Fischotter mit grünseidener Troddel auf's rechte Ohr
+gesetzt und den silberbeschlagenen Ulmer Pfeifenkopf im Munde nach
+der Stadt, d. h. nach Nördlingen, wanderte, so hätte er einem ruhigen
+Beobachter wohl gefallen, den Mädchen aber, die ihm begegneten und
+die er freundlich grüßte, war sein Anblick ein wahres Labsal, und sie
+konnten sich selten enthalten, sich umzuwenden und ihm nachzusehen.
+Dann sagte wohl eine in heiterer Anerkennung: »Des Angerbauers Ludwig
+ist eben doch der schönste,« und die andern stimmten ihr bei, vergnügt
+oder erröthend, je nachdem.
+
+Auf welches Mädchen durfte ein so Begünstigter nicht Anspruch machen?
+Welche Schönheit wäre fähig gewesen, ihn auszuschlagen? Indessen jede
+Lebensstellung hat ihre Pflichten, und Ludwig durfte nicht unter den
+Schönheiten des Rieses überhaupt, sondern nur unter denen wählen,
+die eben so viel mitbekamen als er. Dieser Pflicht kommen die jungen
+Bursche meist instinktmäßig nach. Der Bauer, am überlieferten Brauche
+haltend, verliebt sich in der Regel nur standes- oder wenigstens
+vermögensgemäß. Zu dem Ganzen, das ihn an einem Mädchen bezaubern
+soll, gehört auch die reiche Ausstattung, die Ehre, die begüterte
+Verwandtschaft. Das Mädchen muß aus einer Familie sein, die eben so
+ästimirt ist wie die seinige, sonst entbehrt ihre Schönheit des rechten
+Nimbus oder erweckt höchstens eine gönnerhafte Empfindung in ihm.
+Für unsern Burschen war die Wahl einer Lebensgefährtin noch besonders
+eingeschränkt. Da das Stammgut an Andres überging, so mußte er sich
+einen passenden Hof kaufen, was seine Schwierigkeiten hat. Das Beste
+war daher, eine einzige Tochter, eine Hoferbin, zu heirathen und in
+eine schon bereitete Stätte als Herr einzuziehen.
+
+Es war keine geringe Vermehrung der Zufriedenheit, welche der
+Angerbauer und sein Weib ohnehin empfanden, daß sie für ihren Ludwig
+solch einen »Anstand« wußten. In der That war dessen Künftige schon
+gefunden in der einzigen Tochter eines entfernten Verwandten, der im
+nächsten Dorf einen der stattlichsten Höfe besaß. Die Aeltern hatten
+darüber gesprochen; die Angerbäuerin hatte zur gehörigen Zeit merken
+lassen, daß die junge Base Eva eine rechte Frau für ihren Ludwig wäre,
+und im Vorbeigehen die Summe namhaft gemacht, die sie ihrem Sohn
+mitgeben könnten, worauf man sich verständigte. Ludwig hatte nichts
+gegen den Plan. Für einen Geschmack, der auf dem Lande viele Vertreter
+zählt, war Eva eine Art von Schönheit, nämlich eine große, tüchtige
+Person mit nicht allzukleiner, etwas gebogener Nase und runden rothen
+Backen, so eine, die der feinere Mann einen »Dragoner,« die solide
+Anschauung der Mehrzahl aber »a rechts Mädle« zu nennen pflegt. Ludwig
+fand in dem Aussehen seines Bäschens keinen Grund, sich in sie zu
+verlieben, aber auch keinen, sich der Heirath zu widersetzen. Ihr Hof
+leuchtete ihm ein und warf ein verschönerndes und verfeinerndes Licht
+auf die Erbin. Er spielte bei Gelegenheit mit Anstand die Rolle eines
+Verehrers, und die Heirath wäre ohne weiteres vor sich gegangen, wenn
+der Vater Eva's sich hätte entschließen können, seinen Hof so früh zu
+übergeben. Allein die erste Person im Hause zu sein, gefiel ihm noch
+zu sehr, und er wollte wenigstens warten, bis seine Tochter in die
+Zwanziger getreten wäre. Warum sollte er sich beeilen? Von allen Seiten
+war man ja einverstanden, und ob früher oder später, sein reicher
+junger Vetter wurde sein Schwiegersohn.
+
+Kein Projekt der Menschen ist indessen so gesichert, daß nicht noch
+etwas dazwischen treten könnte. Wenn man ein gewünschtes Gut schon in
+der Hand zu halten glaubt, kann es noch entschlüpfen, um den Menschen
+erkennen zu lassen, daß es bei den Dingen dieser Erde noch auf etwas
+anderes ankommt als auf sein Wollen und Meinen. Als Eva neunzehn,
+Ludwig dreiundzwanzig Jahre alt war, ereignete sich etwas, das die
+Fäden, die von den zwei Familien gesponnen waren, zerriß und den Stoff
+zu unserer Geschichte lieferte.
+
+Dies war der plötzliche Tod eines braven Zimmermanns im nächsten
+württembergischen Orte. Die einzige Tochter desselben, ein ungewöhnlich
+schönes Mädchen, wurde dadurch eine Waise. Da sie erst siebzehn Jahre
+zählte und auf ihr Erbe nicht heirathen wollte, so machte ihr Vormund,
+der Bäcker unseres Dorfs, das Haus und die paar Morgen Ackerland zu
+Geld, legte dieses gut an und nahm das Mädchen zu sich.
+
+Die Ankunft Annemarie's brachte die Jugend des Dorfs in großen Allarm.
+Wenn der Bauer in Bezug auf die Wahl einer Ehehälfte praktisch denkt,
+so ist er doch keinesweges unempfindlich für Schönheit; ein sehr
+schönes Mädchen wird auf dem Lande ausgezeichnet wie ein reiches, nur
+auf andere Weise. Das Dorf, das eine solche Blume hegt, thut sich was
+darauf zu gute, und es sagt wohl einer mit einem gewissen Triumphgefühl
+zu einem Freund aus dem nächsten Dorfe: »So eine habt ihr doch nicht!«
+Die jungen Leute, bei denen es irgend angeht, sind eifrig, sich bei
+ihr »wohl dran zu machen;« denn einen schönen Schatz zu haben, ist,
+abgesehen von der Freude, auch eine Ehre, und es ist höchst angenehm,
+ihn von andern loben zu hören und sich darum beneidet zu sehen.
+Annemarie fand außer einer guten Anzahl von Bewunderern und Neiderinnen
+rasch auch mehrere entschiedene Anbeter; aber sie hatte eine eigene
+ruhige Art, die Andringlinge zurückzuhalten oder ablaufen zu lassen.
+Bald hieß es unter den Mißvergnügten: das sei eine Curiose, die sich
+sehr viel auf ihre Schönheit einzubilden scheine; und doch sei's gar so
+arg auch nicht damit.
+
+Wie soll ich aber von dieser Schönheit einen Begriff geben? -- Mir
+ist es manchmal so vorgekommen, als ob man eine kindliche, eine
+jungfräuliche und eine mütterliche oder frauliche Art der Schönheit
+unterscheiden könnte. Ein Mädchen von der ersten Art wird auch als
+Frau und Mutter noch ein kindliches Wesen behalten, während die von
+der dritten schon in der Zeit des jungfräulichen Aufblühens einen
+mütterlichen Charakter gewinnt. Annemarie gehörte zu der dritten
+Gattung. Ihr Aeußeres ist kurz beschrieben. Sie hatte etwas mehr als
+mittlere Größe und eine natürlich schöne Gestalt. Nichts war dürftig
+an ihr, alles reich, doch würde auch der strenge Kenner nichts
+hinweggewünscht haben. Die Farbe ihres Gesichts war nußbräunlich,
+mit mildem, aber entschiedenem Roth; Haare und Augen dunkelbraun. --
+Allein die wahre Schönheit liegt in der Seele. Wie diese schon im
+Mutterschooße auf die Formen des Leibes bildend einwirkt, so veredelt
+und verfeinert sie ihn fortwährend. Der eigenthümliche Reiz, den
+Annemarie ausübte, kam von der Güte, die aus ihrem Gesichte sprach.
+Wenn eine Empfindung der Freude oder des Dankes ihr Herz erfüllte,
+dann ging ein Glanz über ihre Züge und das schöne innere Leben gab ihr
+eine Anmuth, daß auch der Stumpfe fühlen mußte, hier sei mehr als ein
+gewöhnlich hübsches Mädchen.
+
+Als Annemarie zu ihrem Vetter übersiedelte, war Ludwig abwesend; er
+hatte Getreide nach Augsburg gefahren, wo dermalen der Preis höher
+stand als auf der berühmten Schranne zu Nördlingen. Nach seiner
+Rückkehr machte ihn das Lob, welches dem Mädchen von seinen Kameraden
+gesungen wurde, neugierig, und er beschloß sogleich, sie zu sehen,
+was auf dem Dorfe bekanntlich keine Schwierigkeiten hat. Mit der
+Leichtigkeit, wie sie etwa ein junger Baron zeigt, wenn er sich
+herabläßt, der hübschen Tochter eines Bürgers den Hof zu machen,
+begrüßte er Annemarie, sprach seine Freude aus, daß ein so schönes
+Mädchen in's Dorf gekommen sei, und sagte ihr mehrere Schmeicheleien
+in der direkten Art, die für ein feineres Gefühl nichts Angenehmes
+hat. Annemarie wurde ernsthaft und gab ihm kurze Antworten. Da Ludwig
+gutmüthig war, so ahnte er, worin er gefehlt hatte. Er griff es das
+nächstemal besser an, zeigte mehr Achtung vor dem Mädchen und sprach
+sein Wohlgefallen nicht in Worten, sondern in bescheiden zärtlichen
+Blicken aus. Dies wirkte. Die Wohlgestalt des jungen Bauers trat nun in
+ihr Recht ein; dem guten Mädchen ging bei seiner Huldigung das Herz auf
+und die Freude blickte aus ihrem Gesicht.
+
+Ludwig mußte sich sagen, daß ihm eine solche Schönheit noch nicht
+vorgekommen sei. Er wiederholte seine Besuche. Bald fing er an Unruhe
+zu spüren, redete hie und da »aus dem Weg naus« und ließ seine
+Geschicklichkeit in der Ansprache sehr vermissen, was ihm aber bei
+Annemarie gar nicht schadete. Die jungen Leute waren glücklich sich zu
+sehen und zu fühlen, daß eines bei dem andern etwas gelte.
+
+Die erste Zeit einer entstehenden Liebe hat das Schöne, daß man noch
+nicht fragt, was daraus werden soll. Man hat sich noch kein Ziel
+gesetzt, darum sieht man auch noch keine Gefahren und Hindernisse.
+Ein Wohlgefallen an einander haben darf man ja, man läßt daher seine
+Empfindung gewähren und freut sich und macht Freude. Diese erste
+Neigung wird auch noch von andern begünstigt. Die Leute lächeln,
+wenn sie sehen, wie die beiden sich mit den Augen suchen und wieder
+zusammenzukommen trachten; sie gefallen sich, darin sie gemüthlich zu
+plagen und eines mit dem andern aufzuziehen. Und da es noch nicht zur
+Erklärung gekommen ist, so kann das Mädchen einem solchen Plagenden
+mit Wahrheit erwiedern, er irre sich, oder er sei nicht gescheidt. --
+Aber in solchem Spiel webt sich aus dem ersten Wohlgefallen nach und
+nach ein Band, durch das man sich gefesselt fühlt. Es sammelt sich ein
+Schatz von Gefühlen und mehrt sich täglich, und weß das Herz voll ist,
+deß muß der Mund übergehen.
+
+ * * * * *
+
+Die Gelegenheit zur Erklärung gab eine Hochzeit, die nach Dorfsitte
+mit Essen und Trinken, Spiel und Tanz im Wirthshause gefeiert wurde.
+Nach überliefertem Brauche gehört der Tanzboden von Mittag bis Abend
+den Hochzeitgästen. Hat aber nach der Abendmahlzeit und nach Abgabe der
+Hochzeitgeschenke der Schullehrer eine Dankrede in Versen gehalten und
+mit seinen Zöglingen ein geistliches Lied gesungen, dann kündigt ein
+weltliches Lied, das ein kecker Bursche sich anzustimmen erlaubt, die
+Herrschaft der jungen Leute des Dorfes an. Die Hochzeitgäste, zumal die
+aus andern Dörfern, verlieren sich nach und nach, das Brautpaar wird
+von einem Theil der Musikanten nach Hause begleitet: der zweite Theil
+der Lustbarkeit, der »Ansing,« hat begonnen und die Jugend des Dorfs
+nimmt den verlassenen Raum ein.
+
+Ludwig hatte der Hochzeit als Gast beigewohnt, aber wenig getanzt
+und überhaupt ein nachdenkliches Wesen gezeigt. Als er einmal allein
+dasaß, kam ein munteres Mädchen auf ihn zu und sagte: »Warum tanz'st du
+nicht, Ludwig?« Er wußte nichts Gescheidteres zu erwiedern, als, daß
+es ihm nicht recht gut sei. Das Mädchen sah ihn lächelnd an und sagte:
+»Die rechte Tänzerin ist nicht da. Aber hab' nur Geduld, sie wird
+heute Abend schon kommen.« Ludwigs Gesicht erheiterte sich; er wußte
+allerdings, daß er sie erwarten durfte. -- Nach dem Abendessen ging er
+nach Hause, vertauschte den Hochzeitrock mit der Sammtjacke, kehrte
+in's Wirthshaus zurück und setzte sich zu einem Burschen, der Regine,
+die Tochter des Bäckers, zum Schatz hatte, und mit dem er daher in der
+letzten Zeit vertrauter geworden war. Bald erhielten die beiden einen
+Wink; sie gingen hinaus, und Hans führte Regine, Ludwig Annemarie unter
+die Tanzenden.
+
+Wer sich den Moment vergegenwärtigt, wo er zum erstenmal die, welche
+er liebt, in den Arm fassen durfte, um nach dem fröhlichen Takt
+eines Walzers durch den Saal zu fliegen, der begreift das Glück des
+jungen Paares. Geflogen wurde hier freilich nicht; der Bauer bleibt
+beim Tanz mit seinen Füßen mehr auf dem Boden, als der Städter, und
+kommt langsamer vorwärts; aber die Wirkung ist dieselbe. Es war eine
+Freude, den beiden zuzusehen. Sie waren ohne Vergleich das schönste
+Paar und tanzten auch am schönsten. Dabei war Ludwig so vergnügt, daß
+er, wie man zu sagen pflegt, den Mund nicht zusammenbringen konnte,
+und Annemarie lächelte selig in sich hinein. Jene Muntere, die mit
+ihrem Liebhaber wieder zum Tanz gekommen war, trat einmal zu ihm und
+sagte: »Ist dir jetzt wieder gut, Ludwig?« Und dieser hatte den Muth zu
+erwiedern: »Ja wohl, in meinem Leben wünsch' ich mir's nicht besser!«
+
+Auf dem Dorfe tanzt man nicht Touren, sondern ~Reihen~, und zwar
+deren so viel, als man wünscht und aushalten kann. Ein Bursche singt
+ein Lied vor -- in Altbayern »Schnaderhüpfel,« im Ries »Schelmenliedle«
+genannt -- und die Musikanten spielen es zum Tanz. Ist der Reihen aus,
+so führt der Bursche sein Mädchen gehend an der Hand, während ein neues
+Lied einen neuen Tanz einleitet. Diese Sitte verursacht manchmal Streit
+und die Spielleute kommen in große Noth, wenn zwei tüchtige Bursche
+verschiedene Lieder singen und jeder verlangt, daß seines aufgespielt
+werde. In der Regel läßt indeß einer dem andern schon beim Singen den
+Vorrang und wird auch wohl beim Streite noch zum Nachgeben beredet. --
+Während man herumging, erklärte Ludwig der Geliebten die Frage jenes
+Mädchens und seine Antwort; und die Glückliche, die so deutlich sah,
+wie viel er auf sie hielt und wie ernst es ihm war, konnte sich nicht
+enthalten, ihm dankbar die Hand zu drücken.
+
+Nachdem sie sich so ziemlich müde getanzt, führten die beiden Kameraden
+ihre Tänzerinnen in die Stube und boten ihnen zu trinken, worauf die
+Mädchen, um mit Goldsmith zu reden, »den Rand des Kruges küßten.« Man
+setzte sich zusammen, um zu plaudern. Ludwig hatte nicht bemerkt,
+daß während des Tanzes sein Vater auf der Stiege gestanden, ihn mit
+Annemarie gesehen und sehr verfinsterten Angesichts das Wirthshaus
+verlassen hatte. Ein boshafter Nachbar hatte ihm gesagt, sein Ludwig
+tanze heute so schön, und der Alte, dem es ganz recht war, daß sein
+Sohn auch darin sich auszeichnete, wollte sich das Vergnügen machen,
+ihn zu sehen. War es ihm nun schon sehr fatal, ihn mit Annemarie tanzen
+zu sehen, von der man ihm gesagt, daß sein Ludwig ein Aug' auf sie
+habe, so ärgerten ihn noch mehr die zärtlich glücklichen Mienen des
+Paars. Er ging sehr verstimmt nach Hause, um zunächst der Ehehälfte
+seinen Verdruß mitzutheilen, am nächsten Morgen aber mit dem Burschen
+selbst ein Wörtchen zu reden. -- Von alledem ahnte Ludwig nichts,
+seine Freude blieb daher ungestört. Nach einer Weile kam ein junger
+Bursche und forderte Annemarie zum Tanz auf. Ludwig sah ihn groß an
+und hatte gute Lust, ihm zu sagen, er solle sich fortscheeren und eine
+andere suchen. Allein er besann sich, daß er dazu kein Recht habe, und
+ließ sie ziehen. Er sah dem Tanzen zu und freute sich an der sittigen
+Haltung Annemarie's und an der Art, wie sie den etwas unbeholfenen
+jungen Menschen leitete. Als dieser, der sich gewaltig abgearbeitet
+hatte, den Schweiß von der Stirne wischte, trat Ludwig zu ihm und
+sagte: »Du bist müde, ich will dich ablösen.« Ohne Weiteres nahm er das
+lächelnde Mädchen bei der Hand und mischte sich unter die Paare.
+
+Den ganzen Abend tanzte er nur einmal mit einer andern, nämlich mit
+jener Muntern, weil er sicher war, daß sie ihn mit der Geliebten
+aufziehen und von ihr reden würde. Er kam Annemarie beinahe gar nicht
+von der Seite, und sie hatte dabei ein Ansehen, als ob's nie anders
+gewesen wäre. Beide waren in jener Stimmung, wo man ganz in dem Lichte
+seliger Empfindungen lebt und das trunkene Auge in den Menschen umher
+nur Schattengestalten erblickt, die wie in einer andern Welt ihr
+Wesen treiben. Sie sahen nicht, wie man um sie her sich in die Ohren
+zischelte und den Kopf schüttelte; sie bemerkten nicht, wie die zwei
+langgewachsenen Töchter eines reichen Bauern, vor deren Augen Ludwig
+ebenfalls Gnade gefunden hatte und die mit Bruder und Vetter da waren,
+regelmäßig, so oft sie an dem glücklichen Paar vorübergingen, den
+häßlichen Mund verzogen, wodurch er keineswegs schöner wurde.
+
+Endlich kam Mitternacht heran und die gesammte Jugend begab sich in
+die große Stube, um sich zum Schmause zu setzen. Ludwig blieb auf dem
+Tanzboden mit Annemarie zurück; die Talglichter waren herabgebrannt
+und der Raum beinahe dunkel. Er nahm die Geliebte bei der Hand und
+führte sie zu einem offenen Fenster, und beide blickten in die laue,
+trübe Mainacht hinaus. Nachdem sie eine kurze Zeit schweigend vor sich
+hingesehen, sagte Ludwig: »Was ist das für ein schöner Ansing! In
+meinem Leben bin ich nicht so vergnügt gewesen, wie heut. Aber du,«
+setzte er herzlich hinzu, »bist auch die schönste und liebste Tänzerin,
+die man finden kann.« -- »Mach mich nicht roth,« erwiederte sie und
+wurde roth vor Freude, »du thust mir zu viel Ehr' an.« -- »Dir kann man
+gar nicht zu viel Ehr' anthun,« rief Ludwig, um sein volles Herz durch
+Lobpreisung zu erleichtern, »du bist das erste Mädchen im ganzen Ries!«
+
+Annemarie schwieg. Mit einem leisen Seufzer und als ob sie die letzten
+Worte nicht gehört hätte, sagte sie endlich: »Wenn ich deines Gleichen
+wäre!« -- Sie wollte sagen: wenn ich die Tochter eines reichen
+Bauern wäre! -- Ludwig, den Unterschied ohne Weiteres zugebend,
+erwiederte: »Das ist mir einerlei, du bist mir die liebste, lieber
+als alle Bauerntöchter miteinander. In meinem Leben wünsch' ich mir
+keine Bessere wie dich!« -- Und er bekräftigte diese Betheurung mit
+einem zärtlichen Händedruck. -- Das war zu viel für das gute Mädchen.
+Sie erhob sich und sah ihn an. »Ach, Ludwig,« sagte sie mit einer
+Stimme, die vor Freude zitterte, und mit einem Ton, als ob sie ihre
+Worte keineswegs für ganz richtig hielte, »ach, Ludwig, ich bin dich
+nicht werth!« -- Statt aller Antwort faßte Ludwig sie um den Hals und
+drückte einen herzlichen Schmatz auf die schönen Lippen, die nicht in
+der Stimmung waren, sich zu weigern, sondern vielmehr gleich darauf
+das schöne Geschenk dankbar mit Zinsen zurückgaben. Niemand war Zeuge
+dieses Vorgangs. Es war ganz dunkel geworden. Nur die feuchten Augen
+der Glücklichen leuchteten gegen einander.
+
+Regine trat aus der Stube, sie zu suchen; Annemarie eilte zu ihr und
+ging mit ihr zurück. Ludwig kam später nach, strahlend vor Vergnügen.
+Er ließ in der Freude seines Herzens eine Flasche Wein kommen und
+auftragen, was gut und theuer war. Die beiden Langgewachsenen wurden
+gelb vor Neid und Aergerniß.
+
+Nachdem in der ganzen Stube die Messer und Gabeln bei Seite gelegt
+waren, begannen die Spielleute »auf den Tisch hinein zu machen,«
+nämlich Musik. An jedem Tisch pflegt der Bursche, der's versteht,
+ein längeres Lied vorzusingen; die Musikanten setzen einen zinnernen
+Teller auf den Tisch und spielen das Lied nach. Wenn dies ein paarmal
+geschehen, so wirft jeder Bursche mit Art ein Geldstück auf den Teller
+-- größer oder kleiner, je nachdem es die Ehre und der Beutel leidet --
+und die Musikanten treten zu einem andern Tisch, um eine neue Ernte zu
+halten. Der Meister der jungen Leute ist hier derjenige, der mit einem
+~neuen~ Lied auftreten kann. Denn auch auf dem Lande will man
+nicht immer dasselbe, sondern was Frisches hören und seine Kenntnisse
+bereichern. Gewisse alte Volkslieder, die jetzt in gebildeten Kreisen
+Glück machen, sind bei solchen Gelegenheiten geradezu verpönt; und als
+diesmal der junge Mensch, der mit Annemarie getanzt hatte, sich ein
+Ansehen gab und begann:
+
+ Es steht ein Wirthshaus an dem Rhein --
+
+brach ein allgemeines Gelächter aus. »Das hast du wohl von dei'm Aehle
+(Aehnlein, Großvater) gelernt!« rief ihm Einer zu, und eine runde Dirne
+an seinem Tisch sagte mit mütterlichem Ausdruck: »Besinn dich auf ein
+anderes, Jakob; so ein junger Bursch darf kein so altes Lied singen!«
+Dem verdutzten Jungen fiel jedoch nichts ein, so sehr er auch in die
+Luft hinstarrte, als ob es dort abzulesen wäre. Er mußte es einem
+andern überlassen, die Ehre des Tisches zu retten.
+
+Die Zeit nach dem Essen ist überhaupt die, wo verschiedene Späße
+losgelassen werden. Ein anderes Bürschchen, das zum erstenmal bei
+einer solchen Gelegenheit war, sang ein bekanntes Lied in herzbrechend
+falschen Tönen; ein geschickter junger Clarinettist copierte ihn Ton
+für Ton, was große Heiterkeit verursachte und dem Musikanten von den
+»Ausgelernten« großes Lob zuzog. Der junge Bursche kam zum erstenmal
+über seinen Gesang zur Erkenntniß und wurde roth. Ein alter Musikus
+mit gemüthlicher Kupfernase, der das Horn blies, sagte schmunzelnd:
+»Laß dich nicht irre machen, Mathes, und halt's nur immer recht
+mit den Musikanten, dann erleb ich's noch, daß du die andern alle
+herunterstichst.« Das Bürschchen, das nicht dumm war, verstand den
+Wink; um sich wenigstens auf eine Art auszuzeichnen, nahm er aus
+seinem nagelneuen ledernen Beutelchen das Doppelte heraus, was er erst
+hatte geben wollen, nämlich zwei Sechsbätzner, und warf sie in den
+Teller, daß es klang. »Siehst du,« sagte der geriebene alte Hornbläser,
+»~der~ Ton ist schon besser!«
+
+Zuletzt kamen die Musici an den kleinen Tisch, wo Ludwig mit Annemarie,
+Hans und Regine saß, und spielten eine kleine Einleitung. Ueber das
+Gesicht des jungen Bauers verbreitete sich ein wohlgefälliges Lächeln.
+Er hatte von Augsburg ein Lied mitgebracht, das wenigstens für die
+anwesende Gesellschaft vollkommen neu war, und wollte sich nun gehörig
+damit zeigen. Als die Musik zu Ende war, setzte er sich in Positur und
+hub an:
+
+ Wir winden dir den Jungfernkranz
+ Mit veilchenblauer Seide u. s. w.
+
+Allgemeinste Aufmerksamkeit! Die Musikanten, der Clarinettist voran,
+fanden sich bald in die einfache Weise und nach einigen Mißtönen
+ging's. Der Erfolg war außerordentlich. Als unter vollkommener Stille
+das letzte »G'setz« gesungen war, riefen einige Mädchen: »Ah, das ist
+aber schön!« und sahen mit einer Art von Andacht auf Ludwig. Mehrere
+Bursche kamen herbei und sagten, das müßten sie auch lernen. Der Sänger
+wurde der Mittelpunkt der Gesellschaft. Er mußte auf allgemeines
+Verlangen sein Lied wiederholen und erntete noch größeres Lob. Seine
+schöne Nachbarin erröthete auf's neue bei den bedeutungsvollen Worten
+»Jungfernkranz« und »Freiersmann« und zeigte die liebenswürdigste
+Freude über den Sieg ihres Tänzers. Dieser wollte nach einem solchen
+Triumph im Singen keinen neuen Versuch mehr machen. Aber noch blieb
+etwas übrig, was seinen Effekt nicht verfehlen konnte. Er griff ruhig
+in die Tasche und legte, als wär' es ihm nichts, einen Kronenthaler
+auf den Teller. Der Kamerad mußte nun ein Uebriges thun und legte
+wenigstens einen halben dazu. Die Gesichter der Musikanten leuchteten.
+Sie setzten mit Leidenschaft einen Marsch darauf, der wie ein Tusch
+klang, und der Hornist blies, daß ihm beinahe die Backen platzten.
+Als das Stückchen zu Ende war, strich er das Geld ein und sagte mit
+schelmischem Schmunzeln: »Bleibt gesund, bis ihr's wieder kriegt!«
+
+Es war ein Uhr geworden und die meisten jungen Leute fingen wieder an
+zu tanzen. Auch Hans zeigte Lust dazu, aber Regine erklärte, sie und
+Annemarie müßten nach Hause. Die Mädchen nahmen Abschied und Annemarie
+dankte Ludwig gar schön für die Ehre, die er ihr angethan habe. Sehr
+gern hätten die Verliebten ihre Mädchen nach Hause geführt, aber die
+Bäckerstochter bestand darauf, daß sie hier bleiben sollten. Sie
+durften ihnen nur auf der Treppe noch die Hand geben und gute Nacht
+sagen.
+
+Ludwig ging in die Stube zurück, um das letzte Glas Wein
+auszuschlürfen. Er war aber heute zu glücklich gewesen, als daß nicht
+ein Dämon sich gereizt fühlen sollte, in den Honigtrank einige Tropfen
+Galle zu mischen; und so trat denn ein solcher in der Gestalt des
+Vetters der beiden Langgewachsenen zu ihm und sagte: »Du hast dich ja
+heut recht lustig gemacht, Ludwig. Allen Respekt vor deinem Tanzen
+und Singen! Dein Vater hat dich mit der schönen Annemarie auch einmal
+tanzen sehen, aber dem scheints nicht gefallen zu haben, denn er ist
+gleich wieder fortgegangen.« Diese boshaften Worte gaben Ludwig einen
+Stich in's Herz und jagten ihm das Blut in's Gesicht. »Meinetwegen!«
+erwiederte er trotzig; der andere, der seinen Zweck erreicht hatte,
+ging vergnügt auf den Tanzboden. Alles, was mit seinem Glück in
+Widerspruch trat, stellte sich dem armen Burschen gespenstisch vor
+die Seele und eine große Unruhe befiel ihn. Allein für heute war der
+Strom der Freude in ihm noch zu mächtig und die Sorge wurde von ihm
+hinweggespült. Eine halbe Stunde später ging er nach Hause, glücklich
+im Nachgefühl des Erlebten. -- --
+
+Nach einem unruhigen Schlaf erwachte Ludwig zur gewöhnlichen Zeit:
+Sein Bruder, der in derselben Kammer schlief, schnarchte noch, obwohl
+er gestern schon bald nach Verzehrung des Bratens, den Ludwig vom
+abendlichen Hochzeitsmahl nach Hause gebracht hatte, zu Bette gegangen
+war. Als unser Freund überdachte, was gestern geschehen war, fing sein
+Herz an zu klopfen. Freude und Angst erhoben sich und wechselten in
+seinem Herzen, bis die Angst zuletzt die Oberhand gewann. Eine Zeit
+lang ließ er sich ruhig von ihr quälen; dann faßte er einen Entschluß,
+kleidete sich an und ging mit festem Schritt, dem man aber doch das
+Absichtliche ansah, in die Stube hinunter. Die Morgensonne schien durch
+die Fensterscheiben und die friedliche Scene bildete einen eigenen
+Contrast zu der Verwirrung in seinem Herzen. Er ging in »das Kanzlei,«
+das in den Bauernhäusern gewöhnliche Nebenstübchen zum besondern
+Gebrauch der Familie, von der Stube durch eine hölzerne, mit brauner
+Oelfarbe bestrichene Wand getrennt, welche mit der einen Seite des
+Ofens zusammenzulaufen pflegt. Der Vater saß an dem Wandtisch mit
+tiefernstem Gesicht und die Mutter brachte eben den Kaffee. Ludwig bot
+ihnen mit etwas unsicherer Stimme guten Morgen und setzte sich zum
+Frühstück. Zu gleicher Zeit kamen die »Ehehalten« (Knechte und Mägde)
+in die Stube, um die Morgensuppe zu verzehren. Der Oberknecht und die
+Magd waren auf dem Ansing gewesen; sie blinzelten sich nun zu und sahen
+auf das Kanzlei mit jenem Vergnügen, welches die schwache menschliche
+Seele zu empfinden pflegt, wenn unter Höherstehenden ein scandalöser
+Streit zu erwarten ist. Allein der Angerbauer war nicht der Mann, sich
+und seine Familie preiszugeben, wenn der Zorn über seinen Verstand
+nicht Herr wurde. Er wartete mit der Anrede, die er Ludwig zudachte,
+und erst als der letzte der Ehehalten die Stube verlassen hatte, begann
+ein Dialog, den wir, um den Lesern eine kleine Probe davon zu bieten,
+in dem Rieser Dialekt wiedergeben wollen.
+
+Der Alte sagte mit bitterem Spott: »No, du host de ja gestert recht
+aufg'führt! Machst mer a rechta'n Ehr, des muß i saga'; Aufm A'seng,
+wo Baura'töchter send, tanzst du da' ganza'n Obed mit'r Magd! Und net
+gnuag damit, setzst sie oh no' neba' de he' und regalirst sie!« --
+Ludwig, der sah, daß dem Vater schon geplaudert worden war, und die
+Thatsache nicht leugnen konnte, hing sich an ein Wort und sagte: »No, a
+Magd ist sie grad net!«
+
+Der Angerbauer fuhr auf und blickte ihn mit drohenden Augen an.
+»Schweig, sag i d'r! Mag sie sei', was sie will, sie ist net dei's
+Gleicha', und es ist a Schimpf und a Schand, daß du di so mit'r ahgeba'
+host! Wann du d's Nuibaurs Bäbe (die Reichste im Dorfe) so tractirt
+hättst, so wärs o'schickleng gwesa'! Was wird die Ev' saga' und ihr
+Vater? Die weara' se recht fräa', wenn sie höara', wie du di aufg'führt
+host, und (setzte er verächtlich hinzu) mit weam!«
+
+Der Angefahrene war von diesen Worten sichtlich getroffen. Er wußte
+nichts Besseres zu seiner Entschuldigung zu sagen, als: »Sie tanzt
+so guat!« -- »Tanzt so guat!« rief der Alte mit grimmigem Lachen.
+»Ist des a'n Ausred? Tanzet ander Mädla' net oh guat? Muaß ma dorom
+a hergloffens Mädle mit Wei' tractiera? Pfui, schäm di!« -- Er war
+aufgestanden und wendete dem Schuldigen den Rücken zu.
+
+Sein Zorn hatte offenbar den jetzt möglichen höchsten Grad erreicht.
+Ludwig, entrüstet über den Ausdruck »hergloffens Mädle,« und fühlend,
+daß jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden sei, verstummte und sah
+finster vor sich hin. -- Nach einer Weile drehte sich der Alte wieder
+zu dem Tisch und sagte: »I will me ietz net verzürna! Gscheha'n ist
+gscheha'! Der dumm Stroëch ist gmacht! Aber,« setzte er mit drohend
+erhobenem Zeigefinger und mit entsprechend verstärktem Tone hinzu,
+»des roth i d'r in Guatam: loß mi so ebbes net widder höara'! Denn
+sonst -- -- du kennst mi!« -- Er wendete sich ab und verließ mit festen
+Schritten die Stube.
+
+Man sieht, der Vater war nur über das öffentliche Aergerniß entrüstet,
+welches Ludwig gegeben, und strafte nur dieses. Daß sein Sohn auf
+Annemarie ernstliche Absichten haben und um ihretwillen die Eva lassen
+könnte, das kam ihm gar nicht in den Sinn. Hätte er Ursache gehabt,
+an so etwas nur zu denken, so wäre natürlich ein ganz anderer Sturm
+losgebrochen.
+
+Der Delinquent athmete auf; denn im Grunde war er noch gut weggekommen.
+Von der Mutter fürchtete er wenig. Er war ihr Liebling und wußte,
+daß Frauen solche Verirrungen des Herzens überhaupt glimpflicher
+aufzufassen pflegen. Er täuschte sich nicht. Während der Alte sprach,
+hatte die Mutter zu wiederholten Malen ernsthaft mit dem Kopfe genickt,
+dadurch ihr vollkommenes Einverständniß an den Tag legend. Als er fort
+war, nahmen ihre Züge einen milderen Ausdruck an, und den Sohn bei der
+Hand fassend begann sie: »Aber ietz sag m'r nor, Ludwig, wie ist's
+mögleng, daß du di so host vergessa' und dei'm Vater und mir so ebbes
+a'thoa' könna'?«
+
+Ludwig hatte seinen ganzen Humor wieder. Da er noch keinen Plan über
+die Zukunft gemacht hatte, nach welchem er handeln konnte, so folgte er
+instinktmäßig dem Trieb, sich mit seinen Eltern wieder gut zu stellen,
+und sagte, allerdings nicht sehr ritterlich: »Du woëst ja, Muater,
+wie's oëm got, wama' lusteng ist und Bier und Wei' im Kopf hot!« -- »Ja
+wohl,« versetzte die schon halb begütigte Mutter, »aber was zviel ist,
+ist zviel! Die ganz Nacht mit oëm Mädle ztanza, die oën nex a'got! I
+hätt' di wärle für gscheidter ghalta'!« -- »I hab d'r ja scho' gsakt,«
+erwiederte Ludwig, »sie tanzt so guat; und,« fügte er nicht ohne
+schlaue Absicht hinzu, »i hab gseha', daß sie oh geara' mit mir tanzt!«
+
+Die Angerbäuerin konnte nicht umhin, heiterer auszusehen. Sie hielt
+natürlich ihren Ludwig für den schönsten und geschicktesten Burschen
+in der ganzen Umgegend, und daß er den Mädchen so sehr gefiel, konnte
+ihr nichts weniger als unangenehm sein. Sie sagte daher mit dem Lächeln
+einer etwas eiteln Mutter: »Des glob i, daß e so a Mädle frät, wann du
+mit'r tanzst; aber des ist koë Entschuldigung für di!« -- Eine bessere
+Regung machte sich in ihr geltend und sie fügte hinzu: »Die Annemarie
+ist zu guet dafür, daß so a junger Mensch 'n Spaß mit ihr macht. Sie
+ist brav und ordentlich und 's wird se gwiß a passender Ma' für se
+finda'. Es wär a Sünd und a Schand, wann du ihr da' Kopf verdreha' und
+sie in's O'glück brenga' thätst!« -- »No,« sagte Ludwig, »so arg wirds
+net weara'!« -- Mit Eifer versetzte die Mutter: »I hoff's oh net! Du
+host dein Vater ghöart und woëst, er hält was 'r sakt! I hoff, 's ist
+dei' letzta' Dummheit gwesa'!« -- Ruhiger setzte sie hinzu: »So, ietz
+gang naus zu dei'm Vater und mach'n widder guat!«
+
+Ludwig folgte diesem Rath. Er fand Gelegenheit seinem Vater bei einer
+Arbeit zu helfen, und da sie nothwendig mit einander reden mußten,
+so stellte sich zwischen ihnen bald wieder ein äußerlich friedliches
+Verhältniß her. Als später dem Angerbauer noch einige Einzelheiten
+vom Ansing zu Ohren kamen, hatte ihn die Mutter schon durch die
+Versicherung beruhigt, daß es nichts als der Narrenstreich eines jungen
+Menschen gewesen sei, der etwas im Kopfe gehabt habe. Er verschluckte
+daher diese nachträglichen Pillen, so bitter sie ihm auch schmeckten.
+Seine Gedanken waren: »Der Mensch muß mir aus dem Haus, und das so bald
+als möglich! Mein Andres, das weiß ich, wird mir keine solche Streiche
+machen.« Auch die Mutter faßte den Entschluß, alles zu thun, um die
+Heirath Ludwigs mit Eva zu beschleunigen. »Hätte der alte Narr,« sagte
+sie in ihrem Verdruß, »den Hof abgegeben, so hätten wir diesen Aerger
+nicht!« Sie wollte aber nun gerade aus dem Vorgefallenen die Gründe
+schöpfen, die den Vater Evas zum Nachgeben bewegen sollten.
+
+Einige Tage vergingen, ohne daß etwas besonderes vorfiel. Auch auf dem
+Dorfe pflegt der artige junge Mann die Tänzerin, die er auszeichnete,
+den andern Tag gelegentlich zu begrüßen und sie zu fragen, wie ihr das
+Tanzen bekommen sei. Aber Ludwig mußte Scheu tragen, dies zu thun;
+auch war er nicht in der Gemüthsverfassung dazu. In seinem Herzen
+stiegen Gedanken auf, die sich wechselseitig bekämpften, seinen Geist
+verwirrten und ihn zu keinem Entschluß kommen ließen.
+
+Der guten Annemarie war sein Ausbleiben nicht so unlieb, als man denken
+mochte. Ihr war es ergangen wie ihm. Glückselige und bange Gefühle
+wechselten auch in ihrem Herzen, und die bangen überwogen zuletzt. Sie
+dachte an den stolzen Angerbauer, an den Unterschied des Vermögens und
+Standes, an das Gerede mit der Eva, und schüttelte mit betrübter Miene
+den Kopf. Indem die Bilder jener Nacht vor ihre Seele traten, machte
+sie sich Vorwürfe, zu weit gegangen zu sein. Es lastete etwas auf ihr,
+als ob sie eine Sünde begangen hätte; und dieses Gefühl wurde dadurch
+nicht gemindert, daß einzelne Mädchen sie nun mit Ludwig in einer Weise
+zu plagen begannen, die nicht mehr von der Lust zu scherzen, sondern
+offenbar vom Neide eingegeben war. Selbst Regine sah bedenklich aus,
+als ob sie mit sich selber unzufrieden wäre, und der Vormund ließ Reden
+fallen von Leichtsinn und Hoffahrt, die zu nichts Gutem führen würden
+u. s. w.
+
+Es hatte den Anschein, als ob eben durch das gesprochene Wort der Traum
+des Glücks für immer zerstört und die innigste Annäherung der beiden
+Herzen auch die letzte gewesen wäre. -- Aber die Liebe, die zwei junge
+Seelen ergriffen hat, kann von den Bedenklichkeiten des Lebens nicht
+so leicht unterdrückt werden. Die bänglichen und peinlichen Gefühle
+mildern sich und verschwinden mit der Zeit, die Liebe bleibt. Die erst
+so trüben Vorstellungen verlieren nach und nach ihr Schreckendes, die
+Liebe gewinnt an Muth -- und das Menschenkind, das glücklich sein will,
+folgt wieder dem Zug des Herzens.
+
+Als der fünfte Tag verflossen war, konnte Ludwig seinem Verlangen,
+Annemarie zu sehen, nicht länger Widerstand leisten. Er ging in das
+Haus des Bäckers, indem er sich vornahm, diesen, der am Gärteln sein
+Vergnügen hatte und nach Art solcher Leute seine Liebhaberei gern
+weiter verbreitete, um Blumensamen zu bitten. Die Täuschung war nicht
+nöthig, Annemarie war allein zu Hause. Nach einigem Stottern von seiner
+und Erröthen von ihrer Seite waren die liebenden Herzen bald wieder
+einig. Man rühmte jene Nacht, wo es so schön gewesen sei; das damals
+empfundene Glück lebte wieder in ihnen auf und die Augen bestätigten,
+was sich die Lippen verkündigt hatten. Die Liebe zog wieder als
+Herrscherin in ihre Seelen und alle entgegenstehenden Gedanken wurden
+daraus vertrieben. Die Reue, welche die Geängsteten gefühlt, die
+Vorwürfe, die sie sich gemacht -- alles war vergessen. Sie freuten
+sich eines am andern, und es war ihnen, als ob sie gar nichts Besseres
+und Schöneres thun könnten.
+
+Für diesmal konnte ihr Zusammensein nicht lange dauern. Annemarie
+erwartete den Bäcker und mahnte den Geliebten, sie zu verlassen. Ludwig
+fragte, ob er sie denn nicht einmal ungestört sehen könnte, er hätte
+noch viel mit ihr zu reden. Annemarie sah ihn an; die blauen Augen
+baten so schön und blickten so treu auf sie her. Nach einigem Zögern
+erwiederte sie mit leiserer Stimme: »Nächsten Sonntag Nachmittag geht
+mein Vetter mit Regine nach Wallerstein; sie werden spät wieder kommen;
+in der Abendstunde, wenn's dunkel geworden ist, will ich in unserm
+Garten auf dich warten.« Ludwig drückte ihr hocherfreut die Hand.
+Annemarie setzte hinzu: »Es ist vielleicht nicht recht, was ich thue,
+aber du willst es haben und es macht dir Freude.« Was konnte Ludwig
+anders, als die Lippen, die so liebliche Worte gesprochen, entsprechend
+belohnen? -- Er kam unbemerkt aus dem Hause. Wie bisher sein
+trübseliges, so fiel seinen Eltern jetzt sein vergnügtes Wesen auf,
+aber sie legten es zu ihren Gunsten aus. »Hab' ich dir's nicht gesagt?«
+bemerkte die Mutter dem Alten. »So etwas geht bei jungen Leuten schnell
+vorüber. Sei nur ruhig, es wird noch alles recht werden!«
+
+Der Garten des Bäckers war in Folge der erwähnten Liebhaberei nach
+dem des Pfarrers der schönste im Dorfe und der Stolz des Besitzers.
+Er theilte sich in Gemüse- und Baumgarten, und in dem erstern war
+den Blumen ein größerer Platz eingeräumt, als es bei dem wirthlichen
+Sinn der Landleute sonst der Fall zu sein pflegt. Eine ziemlich hohe
+dichte Hecke grenzte das Ganze von den Feldern, zunächst aber von dem
+Fußweg ab, der sich an dieser Seite des Dorfes hinzog und auf welchen
+eine hölzerne, für gewöhnlich verschlossene Thüre führte. Durch diese
+Thüre, die heute nur aufgeklinkt zu werden brauchte, trat Ludwig zur
+verabredeten Stunde in den Garten, und bald saßen die Liebenden auf
+einem hölzernen Bänkchen ohnweit der Hecke und des Hauses in traulichem
+Geplauder. Sie konnten sich diesem in der That mit einer gewissen
+Sicherheit hingeben, denn wie nach dem Felde zu die Hecke, so schützten
+gegen das Dorf das längliche Bäckerhaus und mehrere Scheunen, in denen
+jetzt wohl kein neugieriges Auge zu fürchten war. Der Abend war sehr
+schön. Von dem reinen Himmel blinkten schon einzelne Sterne, während
+von Westen her die goldengrünliche Helle sich über ihn ergoß, die
+Verheißung der untergegangenen Sonne, daß sie morgen einen schönen
+Tag bringen werde. Die Bäume standen in voller Blüthe und hie und da
+glänzte einer her wie ein großer weißer Strauß. Die Luft war leicht
+bewegt und voller Wohlgerüche. Rings herrschte vollkommene Stille und
+nur Maikäfer surrten zuweilen über die Köpfe der Liebenden hin, um die
+größere Gesellschaft auf den Bäumen aufzusuchen. -- Unserem Pärchen war
+es über alles heimlich zu Muthe. Ludwig rühmte den Garten, die Blumen,
+den schönen Abend. Sie sprachen von diesem und jenem. Bald kamen sie
+wieder auf den »Ansing«, und Ludwig scherzte über den jungen Burschen,
+der mit Annemarie getanzt und »sich geplagt habe, als ob er im Taglohn
+arbeitete.« »Der arme Kerl dauerte mich,« setzte er hinzu, »darum kam
+ich so schnell und löste ihn ab.« Das Mädchen lächelte, sie wußt' es
+besser. Beide erinnerten sich jetzt verschiedener Gesichter, die um
+ihretwillen geschnitten worden waren, und die Ausdrücke von Aerger
+und Neid kamen ihnen sehr lustig vor. Sie übten für das Geschwätz,
+das über sie ergangen war, eine gemüthliche Wiedervergeltung, indem
+sie einzelne Exemplare durchhechelten, wie es gutmüthige Menschen in
+fröhlicher Laune thun. Ludwig fragte dann, ob's denn wahr sei, daß Hans
+und Regine bald Hochzeit machen wollten. Annemarie erwiederte, so viel
+sie wisse, auf den Herbst. Dies brachte sie auf ernstere Gedanken.
+Nach einem Weilchen fragte sie erröthend und mit einem gewissen
+schüchternen Lächeln: »Ist's denn wahr, daß dein Vater will, du sollst
+des Kirchbauern Eva von ** heirathen?« Ludwig antwortete: »Ja wohl hat
+er so was im Sinn gehabt; aber mir ist's nie rechter Ernst gewesen
+und jetzt denk ich nimmer dran.« Annemarie wurde vor Vergnügen noch
+röther. Dann sah sie vor sich hin, wie wenn sie über etwas nachdächte,
+und unwillkürlich entschlüpfte ihr wieder das Wort: »Wenn ich doch ein
+reiches Mädchen wär!« Ludwig faßte ihre Hand und sagte herzlich: »Es
+kann nicht alles beisammen sein! Du bist die schönste und die beste
+und die geschickteste, die ich kenne -- das ist mehr werth als Geld!«
+
+Annemarie sah ihn dankbar an und schwieg. Dann sagte sie: »Ist dein
+Vater wirklich so stolz, wie die Leute sagen? Verzeih mir diese Frage!«
+-- »Mein Vater weiß, was er ist,« antwortete Ludwig, »und läßt sich
+nichts nehmen. Aber er ist ein braver und gescheidter Mann und giebt
+auch andern ihre Ehre. Meine Mutter ist gut und hält alles auf mich.«
+
+Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wie verliebte Herzen einmal alles
+fürchten, dann wieder alles hoffen, so war es ihr die letzten Tage her
+nicht ganz unmöglich vorgekommen, daß sie doch noch Ludwigs Frau werden
+könnte. Sie hielt etwas auf sich und glaubte, um ihretwillen könnte
+wohl eine Ausnahme von der Regel gemacht werden. Aber nun wurde durch
+das Bild des Angerbauers, dessen Stolz der Sohn zugeben mußte, ihre
+Hoffnung wieder sehr erschüttert. Sie seufzte und sagte mit leiserer
+Stimme: »Ich fürchte mich vor deinem Vater, Ludwig, und sehe nicht, was
+aus uns beiden werden soll!«
+
+Ludwig, der durch die feuchten Augen in das Herz des Mädchens sah,
+wurde gerührt, Liebe und Großmuth loderten in ihm auf. Er legte wie
+schützend den Arm um sie und sagte mit dem herzlichsten Ton: »Mach dir
+das Herz nicht schwer, Annemarie! Ich hab dir gesagt, daß du mir die
+liebste auf der Welt bist, und ich sag dir's noch einmal. Vertrau auf
+mich und sorg nicht! Was ich mir ernstlich vornehme, das setz' ich auch
+durch -- darauf verlaß dich!« -- »Ich vertraue dir,« sagte Annemarie,
+»denn sonst hätt' ich das auch nicht für dich gethan. In meinem Leben
+bin ich noch mit keinem ledigen Bursch so zusammen gekommen. Aber dich
+hab ich so lieb, daß ich thun muß, was dich freut -- ich kann mir nicht
+anders helfen!« -- Entzückt über dieses Geständnis, sah Ludwig das
+schöne Mädchen an; Thränen traten in seine Augen; sie mit seinen Armen
+umschließend, rief er aus: »O du liebes, liebes Mädchen! in meinem
+Leben laß ich dich nicht!«
+
+Dieser innige Ausruf weckte ein seliges Gefühl in dem Herzen
+Annemarie's, zu gleicher Zeit warf er aber Schrecken in ein anderes.
+Diejenige, für welche diese Worte am wenigsten bestimmt waren -- die
+Mutter Ludwigs hatte sie vernommen, klar und deutlich vernommen. Die
+Angerbäuerin war im obern Dorf auf Besuch gewesen und hatte sich
+verspätet, indem sie zwar zu rechter Zeit in der Stube Abschied
+genommen, aber auf der Haustreppe mit der Freundin von neuem und erst
+recht wieder in's Gespräch gekommen war. Da der Fußweg am schnellsten
+nach Hause führte, so schlug sie diesen ein. Als sie an der Hecke des
+Bäckergartens hingehend ein leises Reden vernahm, horchte sie und das
+Ohr der Mutter erkannte gar bald die Stimme des Sohnes. Die letzten
+Worte, bei welchen die Leidenschaft den Ton vorsichtig zu dämpfen
+vergaß und von denen ihr keine Silbe entging, sagten ihr alles. Sie
+erschrack heftig und zitterte an allen Gliedern. Hatte sie doch so eben
+noch der Freundin versichert, daß an dem Geschwätz wegen der Annemarie
+gar nichts sei und ihr Ludwig bald Kirchbauer sein werde. Sie glaubte
+vor Scham und Verdruß in die Erde sinken zu müssen. Da sie nicht mit
+sich einig werden konnte, was sie beginnen sollte, und im Garten Stille
+eingetreten war, ging sie weiter. Der Schrecken in ihrem Herzen machte
+dem Zorn Platz. Sie so schändlich anzuführen, zu dem Mädchen zu gehen
+wider ihr ausdrückliches Verbot und ihr so gottvergessene Dinge zu
+sagen! Bevor sie noch in ihren Hof trat, war ihr Entschluß gefaßt. Sie
+schwieg still und ließ sich nichts anmerken, weder vor dem Vater noch
+vor dem Sohn, der nicht lange nach ihr heim kam.
+
+ * * * * *
+
+Den andern Morgen, als der Angerbauer eben das Haus verlassen hatte
+und Ludwig ihm folgen wollte, sagte die Mutter, sie habe noch etwas
+mit ihm zu reden. Sie führte ihn in's Kanzlei zurück und sagte, gerade
+auf das Ziel losgehend: »Du bist gestern Abend bei der Annemarie
+gewesen!« -- Darauf war Ludwig nicht gefaßt. Er verlor etwas die Farbe
+und stammelte: »Wie sollt' ich.« -- Aber die Mutter fiel ihm in die
+Rede: »Läugn' es nicht, ich hab mit meinen eigenen Ohren gehört, was du
+ihr gesagt hast!« -- Und indem sie ihn mit bekümmert erzürntem Blick
+ansah, fuhr sie fort: »Es hilft also kein Reden an dir, du willst dich
+mit Gewalt in's Geschrei bringen und ein unerfahrenes Mädchen durchaus
+unglücklich machen!«
+
+Bei diesem Vorwurf sammelte sich der Betroffene wieder. Er erwiederte:
+»Wer sagt das? Ich habs ganz anders mit ihr im Sinn!« -- »Wie soll ich
+das verstehen?« -- »Wenn ich sie nun heirathen wollte?« -- Die Mutter,
+auf eine solche Rede gefaßt, zuckte die Achseln und sagte: »Du bist
+nicht gescheidt!« -- Ludwig aber versetzte mit Ernst: »Ich weiß es, mit
+keiner würd' ich so glücklich leben, wie mit der Annemarie. Grade die
+gefällt mir, und sonst keine andere!«
+
+Die Augen der Angerbäuerin funkelten. »Wie!« rief sie aus, »das
+unterstehst du dich mir zu sagen, -- du, der mit der Ev' so gut wie
+versprochen ist?« -- »Davon weiß ich nichts,« sagte Ludwig. -- »So,
+davon weißt du nichts? -- Nun merk auf, was ich dir sag: wenn du von
+diesen dummen Gedanken vor deinem Vater nur ein Wörtchen merken läßt,
+so bringt er dich um! Das ist der Rechte, sich von einem Kind so etwas
+gefallen zu lassen!«
+
+Der Sohn erkannte das Gewicht dieser Worte und schwieg. Dann sagte er
+in traurigem Ton: »Ich hätt' gedacht, du zum wenigsten würdest nicht
+so hart gegen mich sein und dich meiner annehmen gegen ihn.« -- »So,«
+rief die Mutter, »auf mich hast du dich verlassen? Du kennst mich
+also nicht, wie es scheint. Ich sag dirs jetzt ein für allemal: nie
+werd' ich zu einer solchen Heirath meine Einwilligung geben! Ich will
+nicht, daß mein Sohn durch seinen Unverstand sich unglücklich macht
+und der ganzen Freundschaft einen Schimpf anthut! Wenn du nicht von
+diesem Augenblick an das Caressiren mit dem Mädchen aufgiebst, so
+sag ichs deinem Vater und du wirst sehen, was dann geschieht! -- So,
+jetzt kennst du meine Meinung und kannst dich darnach richten!« --
+Nach diesen Worten verließ sie die Stube, indem sie die Thüre etwas
+unsanfter zumachte, als gewöhnlich.
+
+Es ist eine bekannte Sache, daß der Widerstand, den wir auf dem Weg
+zu einem ersehnten Ziel erfahren, unsern Eifer und Muth, dahin zu
+gelangen, oft nur steigert. Zuweilen bewirkt er aber das Gegentheil:
+er führt zu einer Erwägung, in der uns das Ziel als ein unerreichbares
+erscheint, so daß wir uns, wenn auch mit schwerem Herzen, zum Rückgang
+entschließen. Die menschliche Seele ist ein eigen Ding. Namentlich
+sind die weicheren für die Eindrücke des Entgegengesetzten empfänglich,
+und wenn sie eine Zeitlang sich ausschließlich nach einer Seite
+gewendet haben, so werden sie dadurch nur um so offener für die andere.
+Dies sollte nun auch Ludwig erfahren. So erzürnt war seine Mutter nie
+gewesen, so heftig hatte sie nie gegen ihn gesprochen. Er fühlte auf's
+tiefste, daß er ~sie~ nicht zum Nachgeben bewegen würde; -- und
+wie sollte ihm das erst bei seinem Vater gelingen! -- Die Gründe, aus
+denen beide gegen eine solche Verbindung sein mußten, stellten sich
+ihm dar, und er war so sehr Bauer und Sohn seiner Eltern, daß er ihre
+Vernünftigkeit nicht bestreiten konnte. Annemarie war die Tochter und
+Verwandte von Söldnersleuten, d. h. sie gehörte einem Stande an, über
+dem sich der Bauer allenfalls eben so erhaben fühlt, wie der Adelige
+über dem bürgerlichen. Der Bauer hat einen Hof mit Haus und Stadel
+und zusammengehörigen Feldgütern, er besitzt Rosse und Rindvieh in
+gehöriger Anzahl und hält sich Knechte und Mägde. Der Söldner hat nur
+ein Haus, wenige Grundstücke, kein Roß, im besten Fall einiges Vieh.
+Um sich besser durchzubringen, lernt er ein Handwerk und hilft dem
+Bauer bei der Ernte, wodurch geringere Söldnerfamilien zu gewissen
+Höfen in eine Art von Clientenverhältniß kommen. Daß der Bauer sich
+nun als zu einer höheren Menschengattung gehörig ansieht, ist beinahe
+so natürlich, als das Bewußtsein des Aristokraten gegenüber dem
+Bürgerlichen. Das Vermögen übt freilich auch hier eine ausgleichende
+Macht, und wenn der Söldner empor, der Bauer heruntergekommen ist, so
+wird die Verbindung der Familien wieder möglich. Aber auch so kann sich
+der traditionelle Stolz noch wehren, und mir ist ein Fall bekannt, wo
+ein verschuldeter alter Bauer nur mit größter Mühe zu bewegen war,
+seinen Sohn eine wohlhabende Söldnerstochter heirathen zu lassen, indem
+er den Verwandten, die sie herausstrichen, immer wieder antwortete:
+»Es ist doch keine Bauerntochter!« -- Bei Ludwig und Annemarie kam
+zu diesem Mißverhältniß noch der große Unterschied des Vermögens,
+da sie kaum den achten Theil desjenigen besaß, was er nur vorläufig
+mitbekommen sollte; endlich vollends die Anknüpfung mit Eva. -- Der
+Kopf des jungen Menschen brannte, nachdem er das alles überlegt hatte,
+und an seine Eltern denkend rief er mit Verzweiflung aus: »Sie thuns
+nicht, sie thuns nicht!«
+
+Das Bild des Mädchens stand so schön und lieb vor seiner Seele, wie
+jemals. Er hatte ihr gestanden, wie gern er sie habe, hatte ihr gesagt,
+sie solle ihm vertrauen, und er wolle nicht von ihr lassen. Aber wenn
+seine Eltern ihre Einwilligung verweigerten, so machte er Annemarie
+nur unglücklich -- und durfte er das? Ein förmliches Versprechen hatte
+er ihr nicht gegeben. Bis jetzt war es eben ein Liebeshandel, wie es
+so manche giebt in der Welt, ohne daß es zum Heirathen kommt; ein
+Liebeshandel, wo man ja vieles spricht, was man nicht halten kann, ja
+nicht einmal darf. Andere hatten ganz andere Verpflichtungen gehabt,
+als er gegen Annemarie, und doch zuletzt ihres Gleichen geheirathet.
+Auf der andern Seite, -- war es denn gewiß, daß Annemarie die Sache so
+schwer aufnahm? Vielleicht tröstete sie sich bald, heirathete einen
+andern und wurde glücklich. -- Wenn das Herz Ludwigs diesen Gedanken
+widersprach, so mußte er sie sich doch machen, und sie thaten ihre
+Wirkung.
+
+Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Er hatte mit Annemarie eine neue
+Zusammenkunft verabredet und er durfte sich nicht einfinden, wenn
+er sich nicht entschieden hatte, seinen Eltern zu trotzen. Als er
+nochmals alles hin und her überlegte, siegte zuletzt die Macht der
+äußern Verhältnisse; der Verstand und die Einschüchterung gewannen
+die Oberhand, die Liebe und die Leidenschaft gaben sich gefangen. --
+Er wollte zum wenigsten ~versuchen~, ob er ohne Annemarie leben
+könnte. Wenns ging, so wollte er in Gottes Namen seinen Eltern folgen.
+
+Er kam nicht zum Stelldichein. Als er Annemarie einen Tag später mit
+Regine begegnete, sagte er förmlich »guten Tag« und ging vorüber. Das
+Mädchen war etwas »verhofft« und sah ihm nach mit fragender Miene;
+aber sie entschuldigte beides. Zu der Bestellung hatte er nicht kommen
+können und vor der Regine wollte er sich nicht verrathen. Wie er
+nun aber mehrere Tage nichts von sich hören ließ, und endlich, als
+sie allein mit ihm zusammentraf, auch nur mit gewöhnlichem Gruß und
+dazu noch sichtlich verlegen an ihr vorüberging, da erkannte sie ihr
+Geschick. »So,« sagte sie, indem ihr Herz zu klopfen begann, »so
+ists gemeint?« Sie sah ihm nach und bemerkte, wie er schneller ging,
+gleichsam um aus ihrem Bereich zu kommen. Ihre Augen füllten sich mit
+Thränen. »Das ist der Mensch, der zu mir gesagt hat, daß ich ihm das
+Liebste wäre auf der Welt! So hält er Wort! O, ich hätt' mir's denken
+sollen!« Sie ging in's Haus zurück und eilte in ihre Kammer hinauf.
+Ihre Thränen strömten, sie sah mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes
+und der bittersten Kränkung vor sich hin. Dann sagte sie: »Es geschieht
+mir ganz recht, daß es so gekommen ist! Warum bin ich so einfältig
+gewesen und hab' ihm geglaubt? Warum hab' ich mir eingebildet, ich wär'
+auch etwas werth? -- O, wie dumm!« setzte sie schmerzlich lächelnd
+hinzu. »Als ob diese Leute von ihrem Stolz lassen könnten! Als ob wir
+ihnen zu was anderem recht wären, als zum Spielen! Ja, ganz recht
+geschieht's mir, grad so hat's kommen müssen!«
+
+Regine kam die Treppe herauf und öffnete die Thüre. Annemarie bemühte
+sich nicht, ihren Schmerz zu verbergen. Die Freundin sah sie mitleidig
+an und sagte: »Ich weiß, warum du weinst. Ja, ja, 's ist so. Beim
+Angerbauer hat's was gegeben. Der Alte und der Junge sind hinter
+einander gekommen, und Ludwig muß die Ev' heirathen.«
+
+»Muß er?« sagte Annemarie, die bei ihrem ruhigen Wesen doch heroischer
+war, als Ludwig, und unter umgekehrten Verhältnissen sich standhafter
+gezeigt hätte. -- »Ja freilich muß er, wenn sein Vater will,«
+erwiederte Regine. -- »Nun,« versetzte die Gekränkte mit Stolz, »wenn
+er mich lassen kann, dann kann ich ihn auch lassen!« -- Sie trocknete
+ihre Thränen und ging mit der Freundin hinunter, um sie auf's Feld zu
+begleiten.
+
+Von da an erschien Annemarie vor andern gefaßt, ohne den Zustand ihres
+Herzens verbergen zu wollen. Die Freude des Lebens war ihr genommen,
+und sie wollte nicht thun, als ob's anders wäre. Ihr Gesicht verlor
+nach und nach die blühende Farbe, bekam aber dafür einen eigenen
+feierlichen Ausdruck, und ihre braunen Augen erhielten einen Glanz,
+der selbst dem alten Bäcker auffiel, so daß er den Kopf schüttelte und
+für sich murmelte: »Es ist Schade, Jammerschade; aber ich kann ihr
+nicht helfen!« -- Ihr Schicksal, wie man es erkannte oder errieth,
+flößte den Leuten Achtung ein. Selbst diejenigen, die im Dorf wegen
+eines »bösen Mauls« berufen waren, unterstanden sich nicht, in ihrer
+Gegenwart Anspielungen zu machen, und kein junger Mensch fand in sich
+den Muth, ihr schön zu thun und ihr für den erlittenen Verlust einen
+Ersatz anzubieten.
+
+Ludwig setzte unterdessen den Versuch, ohne Annemarie zu leben, fort.
+Er hatte zum drittenmal gewagt, sie zu grüßen; aber sie war mit einem
+Ausdruck von gekränkter Würde an ihm vorüber geschritten, daß er es
+fortan unterließ. Wenn er nun bei einer unvermeidlichen Begegnung
+ihre Wangen sich färben und ihr Auge glänzen sah, dachte er wohl: sie
+würde nicht so bös sein (freilich nicht der rechte Ausdruck für das
+Gefühl des Mädchens), wenn sie wüßte, wie hart es mich ankommt! -- Sein
+Leben wurde sehr einförmig. Er ging zu Hause und auf dem Felde still
+seiner Arbeit nach und machte Sonntags, anstatt mit Kameraden fröhlich
+zu sein, einsame Spaziergänge. Auf einem derselben sagte er zu sich:
+»Leben kann ich wohl ohne sie, das hab' ich nun gesehen; aber was ist
+das für ein Leben!« Er schüttelte den Kopf und ging traurig nach Hause.
+
+Am dritten Sonntag nöthigte ihn seine Mutter, mit ihr einen Besuch beim
+Vetter Kirchbauer zu machen. Sie sah, daß Ludwig ihr und dem Vater ein
+Opfer brachte und daß es dem armen Menschen schwer wurde; sie war daher
+auf dem Weg besonders gut gegen ihn und gab sich große Mühe, ihn zu
+erheitern, indem sie ihm vormalte, welch' einen Herrn er als Mann der
+Eva spielen könne, wo er schon zum Anfang einen schuldenfreien Hof und
+Geld am Zins haben würde. -- Die Kirchbauerleute hatten natürlich von
+der Geschichte mit Annemarie gehört. Eva konnte bei der Begrüßung sich
+nicht enthalten, eine spöttische Miene zu weisen und gegen denjenigen,
+der einen solchen Streich machen konnte, eine gewisse Geringschätzung
+an den Tag zu legen. Indessen, der Sünder hatte eine Eigenschaft, die
+mit Nothwendigkeit Vergebung forderte: er war der Sohn reicher Leute.
+
+Man faßte denn auch die Sache von der heitern Seite auf. Als man beim
+Kaffee saß, versuchte Eva scherzhafte Anspielungen zu machen, die
+ziemlich plump herauskamen, und der arme Ludwig mußte nun seine Liebe
+verleugnen und erklären, daß ja an der ganzen Sache nichts sei, daß er
+was ganz anderes im Sinn habe u. s. w. Er strengte sich offenbar an und
+wollte sich zwingen, Eva lieb zu gewinnen. Die Folge war, daß ihm die
+große Person, die seinem Herzen bisher gleichgültig war, zuwider wurde.
+Auf dem Heimweg sprach die Mutter davon, die Sache nun bald richtig
+zu machen. Ludwig bemerkte: »Mit der Zeit wird sich alles geben; aber
+jetzt, ich bitte schön, laß mich in Ruh und treib nicht an mir!« Die
+Angerbäuerin fühlte, daß sie still sein müsse.
+
+Die zweite Hälfte des Juni war herbeigekommen und mit ihr die
+Nördlinger Messe. Diese dauert vierzehn Tage und ist ein Fest für das
+ganze Ries. Die ländlichen Hausfrauen kaufen sich auf ihr den Bedarf an
+Kleidungsstoffen, Hausgeräthen und Spielzeug, und an manchem Tag sieht
+man auf den Hauptplätzen mehr Bauern als Städter. Namentlich ist dies
+bei den Hafnern der Fall, wo die klugen Bäuerinnen durch wiederholtes
+Klopfen die Güte der Geschirre prüfen und an großen und kleinen ein
+Gemisch von Tönen hervorbringen, daß man ein wahres Concert zu hören
+glaubt. Hat man gehörig eingekauft, so erquickt man sich an den
+berühmten Nördlinger Brat- oder geräucherten Groschenwürsten, trinkt
+Bier dazu oder gar ein Schöppchen Wein, und wandert in der Dämmerung,
+trotz des gefüllten, wachstuchbezogenen »Donaugretzens,« den man zu
+tragen hat, vergnügt nach Hause. Die Sonntage sind für die »Ledigen,«
+die namentlich am zweiten, der eben deßwegen der »Bauernsonntag«
+heißt, von allen Dörfern nach Nördlingen strömen, um in verschiedenen
+Wirthshäusern der Lustbarkeit nachzugehen.
+
+Ludwig hatte acht Tage vergehen lassen, ohne sich um die Messe zu
+kümmern. Sein melancholisches Aussehen machte die Mutter besorgt und
+selbst den Alten bedenklich. Als er gar am Bauernsonntag keine Anstalt
+machte in die Stadt zu gehen, da hielt sich die Mutter nicht länger.
+Sie nahm eine kleine Rücksprache mit dem Vater, dann ging sie zu
+Ludwig, der in seiner Kammer war, und redete ihm mit mütterlichem Ernst
+in's Gewissen: was denn das wäre, daß er gar nicht mehr unter die Leute
+gehen wolle? Wenn andere ledige Bursche sich lustig machten, sitze er
+da und sinnire; ob das eine Art sei für einen jungen Menschen? »Da,«
+fuhr sie fort, indem sie einen Beutel voll Kronenthaler aus der Tasche
+zog, »da nimm, geh nach Nördlingen, mach dir einen vergnügten Tag und
+laß etwas drauf gehen! Du weißt ja, wir haben's!« Ludwig, den Beutel in
+Empfang nehmend, sagte mit trübem Lächeln: »Nun gut, Mutter, ich will
+dir folgen.« Das Gesicht der Angerbäuerin erheiterte sich. Sie wußte,
+daß Eva in der Stadt sein würde, und hoffte, daß die beiden jungen
+Leute sich treffen, mit einander tanzen und sich vollends verständigen
+würden.
+
+Ludwig kleidete sich trotz seiner Melancholie festlich an, wie
+sich gebührte, und schlug nach der Stadt einen weitern und weniger
+begangenen Fußweg ein, der durch Getreidefelder und Wiesen führte. Der
+Tag war ausnehmend schön und klar. Die Nachmittagssonne schien warm
+vom Himmel, aber ein frisches Lüftchen, das von Osten kam, milderte
+ihre Wirkung. Still, zuweilen ein rührendes Lied summend, wanderte
+Ludwig den heimlichen Gang durch das hochgewachsene Korn. Als er
+auf die Wiese heraustrat und die Augen aufschlug, bot sich ihm ein
+höchst erfreulicher Anblick. Etwa noch eine halbe Stunde entfernt
+lag die Stadt Nördlingen da, von grünenden Gärten umgeben. Der von
+grauen Quadern erbaute Thurm der St. Georgienkirche -- einer der
+höchsten und stattlichsten in Deutschland -- erhob sich in dem klaren
+sommerlichen Duft freundlich über die Häuser und bildete mit ihnen
+ein Ganzes, dem man die Eigenschaften der Solidität und Wohlhäbigkeit
+von weitem ansah. Und rechts und links, auf Straßen und Feldwegen,
+zu Wagen und zu Fuß erblickte man geputzte Leute in ländlicher oder
+städtischer Tracht, welche dem ~einen~ Punkte zustrebten. Die
+Landschaft trug vielleicht eben jetzt ihr farbenschönstes Kleid.
+Ueberallhin wogende Getreidefelder in mannichfacher Abstufung des Grüns
+und Wiesen mit Blumen geziert, besonders mit der weißen »Meßblume,«
+die den Rieserinnen dazu dient, das, »Er liebt mich von Herzen« etc.
+vorzunehmen, und die in größerer Anzahl darüber verbreitet den Gründen
+einen besonders heitern Charakter giebt.
+
+Auf Ludwig machte das alles freilich nur traumhafte Eindrücke. Seine
+Seele lebte in sich selber. Er war in einer Stimmung, wo man traurig
+ist, aber sich nicht ganz unglücklich fühlt, wo man zugleich mit der
+Trauer eine Lust der Ergebung empfindet, die alles Schmerzliche in
+gemildertem Lichte sehen läßt. In dem Menschenherzen sind wunderbare
+Quellen des Trostes, die sich aber nur öffnen, wenn es bedrückt wird.
+Dann erhebt sich eine Kraft in ihm, die in sanfter Strömung Linderung
+bietet, und die, wenn sie die früheren Hoffnungen nicht mehr beleben
+kann, doch wenigstens ihr Grab verschönt. -- Als Ludwig die Erfahrungen
+der letzten Zeit an seiner erweichten Seele vorüberziehen ließ, regte
+sich leise und leise sogar die Hoffnung wieder. Die Sehnsucht erblickte
+in weiter Ferne Bilder des Glücks, und das junge Herz fand ihre
+Verwirklichung nicht mehr so ganz unmöglich.
+
+In der Stadt angekommen, ohne recht zu wissen wie, ging er zuerst
+auf den Markt beim Rathhaus und hatte dort kurze Ansprachen mit
+verschiedenen Kameraden. Dann trieb er sich in bunter Menschenwoge bei
+den Meßständen umher und kaufte einiges zu Geschenken. Als er müde war,
+suchte er den »goldenen Ochsen« auf, wo die jungen Leute seines Dorfes
+einzukehren pflegten. Fröhliche Musik erschallte von den Fenstern
+des ersten Stocks. Er fühlte keine Neigung, sich unter die Jugend zu
+mischen, trat in die untere Stube, ließ sich einen Krug Bier geben und
+setzte sich in eine Ecke. Nach und nach regten die wohlbekannten Töne
+des Horns und der Clarinette doch eine Neugierde in ihm an, und er ging
+in den Saal hinauf, um dem Tanze zuzusehen.
+
+Das erste, was ihm in die Augen fiel, war Hans, der sich mit Regine im
+Tanze drehte. Sein Herz klopfte; er spähte im ganzen Saal umher, um die
+zu erblicken, die er liebte. Endlich sah er sie in einer Ecke stehen,
+den Blick auf die Tanzenden gerichtet, die Gedanken aber sichtlich
+anderswo.
+
+Das Hiersein des verlassenen Mädchens war dadurch veranlaßt, daß Hans
+erklärter Hochzeiter der Regine geworden war. Als solcher wollte er
+die Geliebte zur Messe führen, aber diese, die das arme Kind gern
+wieder bei einem Vergnügen gehabt hätte, erklärte, sie gehe nicht ohne
+Annemarie. Das gute Mädchen, wenn sie kein Störenfried sein wollte,
+mußte dem Paar nun wohl Gesellschaft leisten.
+
+Ludwig blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete sie, ohne von ihr
+gesehen zu werden, in erschreckter Freude. Ihr Gesicht war nicht nur
+blässer, sondern auch etwas schmaler geworden; aber wie schön und fein
+war es! Die Trennung von ihm machte ihr mehr Herzeleid als ihm selber,
+das mußte er sehen! Sie hatte ihn nicht vergessen, sie hing treu an
+ihm, sie grämte sich! Reue, Mitleid, Liebe, Bewunderung stürmten auf
+ihn ein, seine Wangen glühten, ein unendliches Verlangen ergriff ihn,
+mit der Geliebten zu reden. Plötzlich faßte er einen Entschluß. Er ging
+auf sie zu und fragte: ob es nicht erlaubt wäre mit ihr zu tanzen.
+
+Das Mädchen schrak zusammen und starrte ihn an. Sie zog die Hand,
+die er ergriffen hatte und in der seinen bebte, zurück, aber er ließ
+sie nicht los. Mit dem herzlichsten Tone sagte er: »Ich bitte dich,
+Annemarie!« und sah sie mit einem Blick so voll Liebe, Reue und
+Ergebung an, daß die Kraft zum Widerstand ihr versagte. Erröthend,
+zitternd, in tiefster Verwirrung ließ sie sich von ihm zum Tanze
+führen.
+
+Was soll ich weiter sagen? Ludwig fand Gelegenheit, sich gegen
+Annemarie über alles auszusprechen: wie Vater und Mutter drohend von
+ihm verlangt, von ihr zu lassen, wie er versucht habe, ihnen zu folgen,
+wie es ihm aber unmöglich sei, da er keine andere liebhaben könne als
+sie. Er wolle nun mit seinem Vater sprechen, gleich morgen. Sie müsse
+sein Weib werden, geh' es wie es wolle. Er verspreche es ihr hoch und
+heilig, und so wahr ein Gott im Himmel sei, er werde sein Versprechen
+halten.
+
+Annemarie glaubte ihm: sie fühlte, wie jedes Wort von Herzen kam. Sie
+verzieh ihm das Vergangene, da sie einsah, welch einen schweren Stand
+er hatte; sie bewunderte und theilte seinen Muth. Was fragte sie nach
+der Welt? Er gehörte ihr wieder, ihr Leben, ihr einziges Glück! -- Sie
+glänzte in seliger Schönheit. Die Freude hatte ihre Wangen nicht nur
+wieder geröthet, sondern schien sie auch plötzlich runder gemacht zu
+haben. Ludwig hatte sie nie so hold gesehen.
+
+Die jungen Herzen erhob ein Gefühl, das sie vorher nie in dieser Stärke
+gekannt hatten: der Heldenmuth der Liebe. Sie sahen, was ihnen drohte,
+aber sie empfanden keine Bangigkeit. Die Kämpfe, die ihrer harrten,
+waren ihnen beinahe lieb; denn sie _wollten_ sich bewähren, sie
+wollten zeigen, was wahre Liebe vermöge, und daß man einer solchen
+nichts anhaben könne. Es war ein Schwung in ihren Seelen, daß ihnen
+nichts unmöglich erschien. Mögen sie nur kommen, mögen sie nur reden
+-- dachten sie -- wir wollen sehen, wer das Feld behauptet! -- Mit dem
+Glück leuchtete nun auch dieses heroische Gefühl aus den Gesichtern und
+gab ihnen einen eigenen rührenden Ausdruck. Wer sie sah, der wußte, daß
+sie einig waren und daß man sie nicht mehr auseinanderbringen würde.
+Die einen schüttelten den Kopf, andere dagegen nahmen frohen Antheil.
+Ein stattlicher Bursche ging auf das Paar zu, klopfte Ludwig auf die
+Schulter und sagte: »Brav so! Laß dich nicht irre machen -- der Alte
+muß nachgeben!« -- »Ja, Bruderherz,« erwiederte der Entschlossene, »das
+muß er, ich kann ihm nicht helfen!«
+
+Ludwig führte sich nun gerade am schönsten auf, er strampfte am
+geschicktesten nach dem Takt vor seiner Tänzerin, er sang Lieder vor,
+die sich auf ihr Verhältniß bezogen, darunter einige, die er offenbar
+selber gemacht hatte -- er zog die allgemeine Bewunderung auf sich.
+
+Nachdem sie genug getanzt hatten, nahmen die befreundeten Paare im
+einer kleinen Stube Platz und setzten sich zum reichlichen Mahle.
+Ludwig folgte seiner Mutter: er ließ etwas drauf gehen, und mehrere von
+den schönen Kronenthalern, die er erhalten hatte, um damit vor Eva zu
+prangen, blieben im goldenen Ochsen. Gegen eilf Uhr machten sie sich
+auf den Heimweg. Ludwig führte die Geliebte und Regine hielt Hans mit
+Fleiß etwas zurück, damit die beiden sich recht ausreden konnten. Die
+Nacht war so schön wie der Tag; der Mond, beinahe voll, schien hell
+in's Land, und silberne Nebel zogen sich über die Wiesgründe hin. So
+wanderten die Glücklichen in dem Feldweg fort, sich wieder und wieder
+betheuernd, wie lieb sie sich haben, wie glücklich sie seien und
+wie sie sich treu bleiben wollten bis in den Tod. Vor dem Hause des
+Bäckers nahmen sie Abschied, und nochmal sagte Ludwig an dem Halse der
+Geliebten: »Verlaß dich auf mich!«
+
+ * * * * *
+
+Den andern Morgen ersah Ludwig seine Zeit und ging entschlossen in
+die Stube, wo seine Eltern allein waren. Er trat vor seinen Vater und
+sagte: »Ich hab' etwas mit dir zu reden.« Der Alte machte ein grimmiges
+Gesicht, welches zeigte, daß ihm von dem gestrigen Thun des Sohnes
+bereits etwas zu Ohren gekommen war. »Das trifft sich gut,« erwiederte
+er, »ich hab' auch etwas mit dir zu reden.« Und indem er ihn mit
+verachtenden Blicken maß, fuhr er fort: »Nun sag mir, was ich mit dir
+anfangen soll! Du hast also wirklich alle Scham verloren? Während ich
+und deine Mutter glauben, daß du bei Leuten bist, die dir Ehre machen,
+verbankettirst du dein Geld mit einer --«
+
+»Schimpf nicht!« fiel ihm Ludwig in die Rede; »die Annemarie ist das
+bravste und ordentlichste Mädchen! Und weils doch heraus muß, so sag
+ich dir jetzt: die und keine andere wird mein Weib! Ich hab' euch
+folgen wollen, ich hab' mir die größte Müh' gegeben; aber es geht nicht
+-- ich ~kann~ ohne die Annemarie nicht leben! Und ich hab' ihr's
+gestern gesagt, und sie hat mir's gesagt, und wir haben uns versprochen
+vor Gott im Himmel, daß wir uns treu bleiben wollen, und wir halten
+unser Wort!«
+
+Der Alte war erstarrt. Er hatte in der Geschichte auch jetzt noch
+nichts als eine ärgerliche Liebelei gesehen und fürchtete im
+schlimmsten Fall einen Ausgang, der den Buben in's Geschrei bringen
+und die Heirath mit Eva verderben konnte. Daß sein Sohn, der Sohn des
+Angerbauern, daran denken könnte, ein Mädchen wie Annemarie zum Weib zu
+verlangen, das hätte er sich nicht im Traum einfallen lassen. Er sah
+ihn ordentlich erschreckt an, wie einen plötzlich Tollgewordenen, und
+brachte mit Mühe die Worte heraus: »Was -- willst du thun?« -- Ludwig
+erwiederte mit entschlossenem und zugleich bittendem Tone: »Ich will
+die Annemarie heirathen, ich kann nicht anders, Vater!«
+
+Der Angerbauer zuckte und seine Faust ballte sich. Noch hielt er die
+Wuth, die in ihm aufkochte, zurück, aber mit solcher Anstrengung, daß
+seine Glieder zitterten. Er fragte: »Wovon wollt ihr denn leben?« --
+Ludwig versetzte: »Die Annemarie ist nicht so arm, sie hat auch etwas,
+beinahe tausend Gulden, und mit dem, was ich kriege --« -- »So?« sagte
+der Alte, »wer giebt dir denn etwas?« -- »Nun,« versetzte Ludwig, »du
+würdest mir doch --« --
+
+Der Alte lachte mit bitterem Hohn. »Wie!« sagte er, »bildest du dir
+ein, daß ich Geld ausgebe, um eine solche Söhnerin zu bekommen? Bist du
+von Sinnen? Nicht einen Heller bekommst du von mir!«
+
+»Laß ab, Ludwig!« rief die Mutter, die geängstet zur Seite gestanden
+hatte, »laß ab, um Gotteswillen! Er thut's nicht, er kann's nicht thun!
+Hast du denn allen Verstand verloren?« -- »Nein,« versetzte Ludwig
+fest, »ich hab' meinen Verstand noch ganz, und ich laß nicht ab, denn
+ich hab's wohl überlegt, was ich thu'. Die Annemarie wird mein Weib,
+mag geschehen was da will -- das ist meine letzte Rede!«
+
+Nun war die Kraft, mit welcher der Angerbauer den Ausbruch seiner
+Wuth niedergehalten hatte, zu Ende. »Wie!« schrie er den kecken Sohn
+an, »du unterstehst dich mir zu trotzen? So weit treibst du die
+Unverschämtheit? Du nichtsnutziger Bursche! Du frecher Bube! Heirathen
+willst du sie? Eine Bettlerin? Du Dummkopf! Siehst du nicht, daß die
+schlechte Person nur nach deinem Geld angelt?«
+
+Ludwig hatte die Schmähungen, die ihn betrafen, ruhig über sich ergehen
+lassen; aber bei den letzten Worten fuhr er auf. »Die Annemarie ist
+das rechtschaffenste Mädchen unter der Sonne! Wer anders sagt, ist ein
+Lügner!« -- Der Alte erhob den Arm und that einen Schritt gegen den
+rebellischen Sohn, um ihn niederzuschmettern; aber die Mutter fuhr
+dazwischen. »Um's Himmelswillen,« rief sie dem Rasenden zu, »thu' das
+nicht! Siehst du nicht die Leute, die draußen stehen?« Der Vater ließ
+den Arm sinken, aber nur um den Sohn desto grimmiger mit Worten zu
+treffen.
+
+Ich verzichte darauf, diese Scene weiter zu schildern. Der Zorn ist
+eine Art von Wahnsinn. Hat er einmal die Dämme der Vernunft und
+der Sitte durchbrochen, dann kennt sein Wüthen keine Grenzen mehr.
+Er will den Gegner vernichten und greift darum zu den gröbsten
+Schmähungen, weil sie die tödtlichsten sind. Der Zornige kann mit dem
+ehrlichsten Ingrimm und mit der wahrsten Empfindung Dinge sagen, deren
+Ungerechtigkeit er bei ruhigem Blute besser einsehen würde als irgend
+ein anderer. Nur die Ungerechtigkeit kann ihm genug thun, er lebt von
+ihr, er schwelgt in ihr. Die Worte, die dem Angerbauer angreifend und
+dem Sohn abwehrend an diesem Morgen noch in den Mund kamen, würden
+in dieser Darstellung keinen Platz finden. Noch einmal ging der Alte
+auf Ludwig los, um ihn niederzuschlagen; noch einmal trat die Mutter
+dazwischen und hielt ihm den Arm. Endlich rief er mit schäumendem
+Munde: »Fort, fort! Aus meinem Hause! Du bist mein Sohn nicht mehr!
+Fort!« Und Ludwig versetzte: »Sorg' nicht, ich geh', und nie wirst du
+mich wieder sehen!« Er öffnete die Thüre und ging hinaus. Die Mutter
+wollte ihm nach, aber der Angerbauer hielt sie mit eisernem Arm. »Laß
+ihn, er soll fort und mir nie wieder unter's Angesicht kommen!«
+
+In einer Art von heroischer Trunkenheit ging Ludwig in seine Kammer,
+packte die nothwendigsten Kleidungsstücke in ein Tuch und wanderte mit
+dem Bündel durch den Garten auf's Feld hinaus. Es war ihm ordentlich
+wohl zu Muthe. Er wollte sich an seinem Vater rächen, und er wußte, wie
+er das konnte. Gestern hatte er zufällig gehört, daß ein weitläuftiger
+Anverwandter im untern Ries einen Knecht brauche. Zu dem wollte er
+gehen und sich bei ihm verdingen. Er wollte als Knecht dienen, zur
+Schande seines reichen Vaters, und so lange aushalten, bis dieser ihn
+selber bäte wieder zu ihm zu kommen und -- Annemarie zu heirathen.
+Dieser wollte er schreiben, ihr ausführlich berichten, wie tapfer er
+sich gehalten und dadurch gewiß alles wieder gut gemacht habe. Er
+fühlte sich recht als Mann und war mit sich und beinahe auch mit seinem
+Schicksal zufrieden.
+
+Das Dorf, in welches er zu wandern gedachte, war etwa drei Stunden
+entfernt. Auf dem Feldweg, den er zunächst einschlug, begegneten ihm
+mehrere Leute, die ihn verwundert anschauten, zuletzt auch sein Bruder
+Andres, der ihn fragte, wo er hingehe. »Fort, in die weite Welt,« rief
+ihm Ludwig zu. -- »Wie soll ich das verstehen?« fragte Andres. --
+»Der Vater braucht mich nicht mehr: geh' heim und sag ihm, wo du mich
+getroffen hast!« Und fort eilte er. Andres ging etwas rascher nach
+Hause als er sonst gethan hätte, und richtete den Auftrag aus. Der
+Mutter traten auf's neue die Thränen in die Augen; der Alte aber rief:
+»Mag er laufen, wohin er will, der nichtsnutzige Bursche! -- Ich werde
+nicht nach ihm schicken!« Der ruhige Andres ging zur Mutter und sagte
+tröstend: »Er wird schon wieder kommen.«
+
+Nach einer heißen Wanderung langte Ludwig im Hofe des Vetters an. Er
+unterdrückte das Schamgefühl, das ihn anwandelte, und trat äußerlich
+entschlossen, aber doch mit der Schüchternheit eines Menschen, der sich
+anträgt, in die Stube. Der Bauer, ein gesundhagerer, sonnverbrannter
+Mann mit angehenden grauen Haaren, war allein da und rief auf den
+Gruß des Ankömmlings: »Ludwig! Sieh da! Was führt dich zu uns?« Auf
+das Bündel blickend, setzte er hinzu: »Bringst du mir etwas?« --
+»Kann sein,« erwiederte Ludwig. »Ihr braucht einen Knecht?« -- »Ja
+wohl. Weißt du mir einen?« -- »Ich weiß einen.« -- »Nun?« -- »Ich
+bin's selber.« -- »Du? Mach keinen Spaß!« -- »Ich mach keinen Spaß,
+Vetter, sondern sag' Euch die reine Wahrheit.« Und er erzählte ihm das
+Vorgefallne.
+
+Um den Mund des Schmiedbauern (so hieß der Mann vom Hofe) spielte ein
+behaglich schadenfrohes Lächeln. Er war einer von denen, die sich
+für besonders gescheidt halten und denen es höchst fatal ist, wenn
+sie Einen treffen, der noch mehr Verstand zu haben glaubt als sie.
+Diesen Verdruß hatte dem Schmiedbauern zu verschiedenen Malen der
+Angerbauer gemacht, indem er ihm zu Nördlingen, wenn sie nach einer
+»guten Schranne« beim Bier saßen, keine seiner kühneren Behauptungen
+durchgehen ließ und ihm hie und da sogar übers Maul fuhr. Den Sohn
+dieses stolzen und hoffärtigen Mannes nun als Knecht im Hause zu haben
+und dem Alten gelegentlich einmal vor den Leuten sagen zu können, wie
+er sich mache, war für ihn ein köstlicher Gedanke. Er beschloß Ludwig
+zu dingen. Zu seiner Beruhigung sagte er sich: »Wenn ich ihn nicht
+nehme, geht er vielleicht nach Augsburg, um sich als Hausknecht zu
+verdingen, oder unter die Soldaten, oder Gott weiß wohin, so daß man
+ihn am Ende gar nicht mehr findet. Bei mir aber lebt er in der Nähe und
+kann am ersten wieder zur Vernunft gebracht werden.«
+
+»Ei, ei, ei, ei!« rief er endlich aus, indem er vergnügt den Kopf
+schüttelte, »was sind das für Sachen! -- Nun,« fuhr er nach einer Weile
+fort, indem er sich zusammennahm und die Miene des Vetters allmählig
+in die des Herrn übergehen ließ, »wenn du's nicht anders haben willst,
+so will ich dir nicht entgegen sein. Du sollst mein Handknecht werden
+und so viel Lohn haben, wie der vorige. Aber eins muß ich dir sagen:
+ich ding dich nicht zum Spaß. Ich brauch einen Knecht, der ordentlich
+schafft und nichts vor andern voraus haben will.« -- Ludwig versetzte
+etwas empfindlich: »Ich schaff wie ein anderer und verlang nichts als
+was mir gehört.« -- »Nun, mit dem Beding sind wir Handels eins.«
+
+Michel, des Schmiedbauern einziger Sohn, ungefähr in gleichem Alter
+mit Ludwig, kam in die Stube und grüßte den Vetter überrascht und
+freundlich. »Was sagst du dazu,« redete der Alte ihn heiter an, »daß
+Ludwig unser Handknecht wird?« -- »Was nicht noch?« versetzte Michel
+ungläubig. Der Alte erklärte ihm den Handel, worauf der Haussohn
+den neuen Knecht mit einem schelmischen und selbstzufriedenen
+Lächeln betrachtete. Man sah ihm an, daß plötzlich das Gefühl des
+Höherstehenden in ihn gefahren war. Er eilte in die Küche, um
+seiner Schwester Madlene, welche seit dem Tode der Bäuerin die
+Wirthschaft führte, die Neuigkeit mitzutheilen. Als Madlene mit dem
+Nachmittagskaffee in die Stube trat, grüßte sie den Vetter nur obenhin
+und mit etwas verzogenem Mäulchen; sie konnte einen Burschen nicht
+begreifen, der wegen eines geringen Mädchens sich so herabzuwürdigen
+vermochte. Der Alte sagte zu Ludwig: »Setz dich zu uns; heute kannst du
+noch mit uns Kaffee trinken. Später freilich --« -- »Ich dank' schön,«
+erwiederte Ludwig rasch, »mich dürstets, ich trink Wasser lieber.« --
+»Das kannst du dir draußen am Brunnen selber pumpen,« sagte der Alte,
+vergnügt über die Empfindlichkeit des jungen Burschen, »und trinke
+so viel als dir schmeckt.« -- Die Familie setzte sich im Kanzlei zum
+Kaffee. Ludwig verließ die Stube, ging zum Brunnen, trank tüchtig
+und nahm sich vor, muthig auszuhalten und alles was sein neuer Stand
+natürlicherweise Beschwerliches hatte, mit Geduld zu ertragen.
+
+Nach zwei Tagen wurde an Annemarie von einem Hausirer ein Brief
+abgegeben, worin der Liebende berichtete, was uns bekannt ist. Der
+Schluß lautete: »Es geht mir hier recht gut. Ich muß tüchtig arbeiten,
+aber das ist mir lieb. Bleib mir nur treu wie ich dir und alles, was
+geschehen ist, wird zu unserm Glück sein.«
+
+Das gute Mädchen hatte eine seltsam gemischte Empfindung. Die
+standhafte Treue, die Ludwig bewiesen, erfreute und rührte sie
+inniglich; aber der Gedanke, daß ~sie~ an der Uneinigkeit einer
+solchen Familie Schuld sein sollte, fiel ihr schwer auf's Herz.
+Sie ergab sich für jetzt in ihr Geschick und tröstete sich mit der
+Hoffnung, daß der Himmel zwei so treu liebenden Herzen zuletzt doch aus
+ihrer Noth helfen werde.
+
+Im Dorf hatte natürlich das Davongehen Ludwigs den größten Rumor
+gemacht, und die beiden Tage lang wurde in den Häusern und auf
+dem Felde, beim Bier und Nachts auf der Gasse von nichts anderem
+gesprochen. Alle die gegen die Familie des Angerbauers etwas hatten
+oder sie beneideten, thaten sich von Herzen gütlich und sorgten dafür,
+daß die Geschichte mit gehörigen Zusätzen weiter verbreitet wurde.
+
+Unser junger Freund Theodor brachte die Nachricht mit einem gewissen
+Selbstbewußtsein dem Großvater, indem er ausrief: »Hab' ich's nicht
+gesagt?« Der alte Pfarrer sah ihn freundlich an und sagte: »Ja,
+du bist ein ganzer Mann und großer Prophet!« Theodor machte ein
+etwas verdutztes Gesicht; seine Erwartung, ein mit seinen Gefühlen
+sympathisirendes »schrecklich! was es doch für Menschen giebt« etc.
+zu hören, war auf's neue getäuscht. Dieselbe Erfahrung machte er, als
+er die Kunde brachte, daß Ludwig sich als Knecht verdingt habe. »So?«
+sagte der alte Herr, »ist die Nachricht gewiß?« -- »Ich habe sie von
+einem Hausirer, der Ludwig selber gesehen hat,« erwiederte Theodor. Und
+ihn ansehend, fragte er: »Was soll nun geschehen? was willst du thun?«
+-- »Wir wollen ihn dienen lassen,« antwortete der Pfarrer und begab
+sich in seine Studierstube. Theodor sah ihm kopfschüttelnd nach; bei
+dieser Gelegenheit konnte er seinen Großvater nicht begreifen.
+
+ * * * * *
+
+Das Leben des Bauern hat dadurch einen besonderen Reiz, daß seine
+Thätigkeit an das Leben der Natur gebunden ist und seine Arbeiten in
+Folge davon sehr mannigfaltig sind. Im Frühling wird beim Singen der
+Lerchen das dampfende Feld gepflügt und besät und auf den Wiesen
+die Streu -- die rein gewaschenen Ueberbleibsel des Strohdüngers --
+zusammengerecht. Gemüse- und Baumgarten erhalten ihre Pflege. In den
+Sommer und einen Theil des Herbstes fallen die Ernten des Heus, des
+Winter- und Sommerkorns, des Grummets (im Ries »Ohmad« genannt), des
+Flachses, Hanfs, der »Erdbirn«, der Rüben und des Krautes, die alle
+gar verschiedene Fertigkeiten in Anspruch nehmen und insbesondere
+dem rüstigen Burschen Gelegenheit geben, sich als »Mahder« (Mäher),
+Schnitter, Garbenbinder, Wagenlader und Pferdelenker auszuzeichnen. Die
+Einsammlung geschieht in fröhlicher Gesellschaft, die Familienglieder,
+Knechte und Mägde helfen zusammen und erleichtern sich die Arbeit
+durch lustige Reden; denn gewöhnlich fehlt in einem Hause weder ein
+humoristischer Bursche, der Spaß macht, noch eine gemüthlich einfältige
+oder unbewußt drollige Person, die ihm dazu den hauptsächlichsten
+Anlaß giebt. Die Hausfrau schickt zu rechter Zeit Speise und Trank
+auf's Feld und bewirthet die Arbeiter zum Schluß der großen Ernten
+festlich mit »Schneckennudeln« oder »Küchlein;« mit den verschiedenen
+Arbeiten sind auch verschiedene herkömmliche Ergötzungen verbunden.
+-- Ackern und Pflanzen hat sich von Zeit zu Zeit wiederholt, bis
+zuletzt noch die Wintersaat bestellt wird. Der Herbst und der Winter
+bringen das Dreschen, für die Frauen und Mädchen das Spinnen, womit
+in wohlgeheizter, schneeumflogener Stube unter dem Hinzutritt
+unterhaltender Bursche die langen Abende ausgefüllt werden. Durch
+alle Jahreszeiten hindurch erfordert die Viehzucht, die Besorgung der
+Rosse, des Rind- und Federviehs, der Schafe und der Schweine besondere
+Arbeiten und Geschicklichkeiten. Dann ist der Bauer auch Fuhrmann und
+Handelsmann. Er fährt in Waldungen (im Ries oft in ziemlich entfernte),
+um Holz zu holen, er fährt sein Korn zur Schranne, er fährt die Seinen
+und für Geld oder gute Worte auch Andere zu näheren und weiteren
+Besuchen. Er verkauft, kauft und tauscht, und verbringt auf Märkten,
+den Reiz der Handelschaft genießend, keine geringe Zeit. Er wird
+endlich verlockt und genöthigt, in verschiedene Künste zu pfuschen
+und sich mit allerlei Werkzeugen bei kleinen Verlegenheiten selber zu
+helfen.
+
+Natürlich sind die Arbeiten ausgetheilt und an Einen kommen nicht alle
+Arten; doch ist es nicht möglich, jeden einzelnen streng in seinem
+Kreise zu lassen, und immer bleibt für ihn noch eine Mannigfaltigkeit
+übrig, durch die er sich von dem Handwerker und zumal von dem
+Fabrikarbeiter zu seinem Vortheil unterscheidet. Auch der Knecht hat
+eine erfrischende Abwechselung von Beschäftigungen, und wenn er die
+hauptsächlichsten Arbeiten vom Ausbund versteht und ein »rechter
+Schaffer« ist, so kann er sich fühlen und genießt eines rühmlichen
+Namens.
+
+Jede Existenz in der Welt hat indeß ihre Kehrseite. Unter den
+mannigfaltigen Geschäften sind solche, die weder sehr leicht, noch sehr
+reinlich genannt werden können. In glühender Hitze Korn schneiden,
+ist eine Arbeit, ergötzlicher anzusehen, als selber zu thun, indem
+das stets wiederholte Hinabkrümmen des Oberleibes zur Erde eine sehr
+unbehagliche Empfindung im Rücken zur Folge hat. In kalter Winterzeit
+Morgens um vier aufstehen und beim düstern Schein einer Laterne
+dreschen zu müssen, würde ebenfalls für Viele nichts Einladendes haben.
+Den Acker zu bestellen, wenn es tüchtig geregnet hat, bringt mit der
+Mutter Erde in eine Berührung, die man weniger innig wünscht. Indem der
+Bauer die extremen Aeußerungen der Natur nicht so zu dämpfen vermag,
+wie der Städter, und nicht auf gebahnte, sondern auf Wege gewiesen ist,
+die meist noch in ursprünglicher Schlechtigkeit vorhanden sind, kann er
+die Eigenthümlichkeit eines »wüsten Wetters« von Grund aus genießen.
+In der Erntezeit gefällt sich die Natur zuweilen, den Fleißigen zu
+necken, indem sie die getrocknete Frucht durch einen gehörigen Regen
+netzt, um neues Umwenden nöthig zu machen, und dieses Manöver so lange
+wiederholt, bis zuletzt auch dem Gutmüthigsten der Geduldfaden reißt.
+
+Wie jeder weiß, spielt die größte Rolle in der Landwirthschaft der
+Dünger oder Mist. Denselben in gehöriger Fülle und Fettigkeit zu
+erzeugen, ist die Hauptsorge des umsichtigen Bauers. Und wo dieser
+wundersam nährende Stoff hinkommt, da wächst das Gras, da blühen die
+Blumen, da grünt das Korn und sprießt in die Höhe -- da steht die
+Poesie der Landwirthschaft vor unsern Augen. Kein Wunder, daß der
+Hofbesitzer mit besonderem Stolz auf seinen Misthaufen sieht und über
+diesen Gegenstand mit Begeisterung zu reden vermag. Wenn aber die
+segensreichen Wirkungen dieses Stoffes jeder zugiebt, so ist es doch
+weniger erfreulich, sich mit demselben unmittelbar zu befassen. Ihn auf
+einem dazu bestimmten Karren vom Stalle zum Haufen zu fördern, ihn, von
+Jauche getränkt, auf einen Wagen zu laden und festzupatschen, ihn auf
+Aecker und Wiesen zu führen und dort herumzubreiten, ist eine Arbeit,
+welche gern zu thun eine besondere Liebhaberei erforderlich ist.
+
+Natürlich geht es hier wie überall. Die Berufspflicht und die
+Gewohnheit versöhnen mit Beschwerlichkeiten, die andern groß, ja
+unerträglich erscheinen. Wer es gewohnt ist, der singt und pfeift bei
+der genannten Arbeit und ist auf keine Weise davon belästigt, da sie,
+genau genommen, in der freien Landluft auch weniger Uebelstände mit
+sich führt, als Unkundige sich vorstellen mögen. Wer sie aber nicht
+gewohnt ist und sich überdies zu gut dafür hält, den muß sie freilich
+sehr hart ankommen.
+
+Die Geduld unseres verlorenen Sohnes wurde auf eine schwere Probe
+gestellt, als die mühseligen und für ihn demüthigenden Arbeiten nach
+einander anrückten. Er hatte zwar alle Bauernarbeiten gelernt, die
+beschwerlichen und unreinlichen aber seinen Knechten überlassen, und
+für das, was die übrigen noch Lästiges mit sich führten wurde der
+Liebling der Mutter reichlich entschädigt. Nun mußte er sich nicht nur
+zu einer jeden hergeben, er mußte sie, seiner eigenthümlichen Lage
+und seinem Versprechen gemäß, auch mit besonderem Fleiß und Eifer
+verrichten und den andern mit gutem Beispiel vorangehen.
+
+Dies war indeß noch nicht das Schlimmste. Als Handknecht stand er
+unter dem Befehl des Bauern und seiner zwei Kinder, in gewissem Sinn
+auch unter dem des Oberknechts. Dieser war zufällig ein brummiger
+Kerl und machte seine Rechte um so mehr geltend, als er beinahe das
+doppelte Alter Ludwigs hatte. Wenn es nun hieß: »Komm her! -- thu'
+mir das! -- hol' mir jenes!« so mußte der arme Bursche laufen, die
+Ausrufungen der Ungeduld anhören und Tadel hinnehmen, auch wo er ihn
+nicht verdiente, sondern wo der Befehlende nur zeigen wollte, daß er
+sich das Ausgeführte noch besser denken konnte. Seine Herkunft und
+seine Vetterschaft nützten ihm dabei gar nichts. Der Schmiedbauer
+hatte seinen Kindern den Plan mitgetheilt, den er in Bezug auf
+Ludwig befolgen wollte und der so sehr mit seiner Herzensneigung
+übereinstimmte; die würdigen Sprossen fanden ihn gut und handelten
+treulich darnach, Michel, um sich einen übermüthigen Spaß zu machen,
+Madlene, um die Genossenschaft der Bauerntöchter an ihrem Beleidiger
+zu rächen. Der Oberknecht, der in frühern Diensten von reichen Bauern
+gehunzt worden war, benutzte die Gelegenheit, bei dem Sohn eines
+solchen es wieder hereinzubringen. Er that nicht nur so viel als er
+konnte, sondern mehr als er durfte, und Ludwig, der nicht rechten
+wollte und überhaupt einmal in der Selbstverläugnung begriffen war,
+ließ sich möglichst viel gefallen.
+
+Tief in der menschlichen Natur liegt der nicht sehr lobenswerthe Trieb,
+die Gutmüthigkeit zu necken, die Hülflosigkeit zu mißbrauchen und dem,
+der den Schaden hat, auch noch den Spott in den Kauf zu geben. Sogar
+bessere Menschen können dem Reiz dazu nicht widerstehen, wenn der
+Schaden nicht zu arg ist und der Betroffene ihn zu verdienen scheint.
+Als Ludwig einmal den Roßstall säuberte und durch etliche Karrenfuhren
+den Düngerhaufen vergrößerte, kam eben Michel herbei. Er konnte sich
+nicht enthalten, lächelnd stehen zu bleiben und dem Burschen zuzurufen:
+»Du kannst ja misten, Ludwig, als ob du nie etwas anderes getrieben
+hättest!« Dann ging er zum Stall, schaute hinein und rief aus:
+»Sapperment, hast du sauber gemacht! du bist ein Handknecht, wie wir
+keinen bessern hätten kriegen können!« Ludwig erröthete und schwieg;
+er fühlte, daß er den Spott entweder hinnehmen oder in einer Weise
+beantworten mußte, die zum Bruch führte. Michel trollte selbstzufrieden
+seiner Wege. Da er nicht sehr erfindsam war, so wiederholte er diese
+Anrede mit geringen Variationen auch bei andern Arbeiten, und sein
+Vater stand ihm mit ähnlichen Späßen bei, so daß Ludwig sich mehrmals
+nur mit größter Mühe enthielt, den Spöttern ein paar tüchtige Ohrfeigen
+zu langen. Der Oberknecht brach die Gelegenheit vom Zaun, auf ein
+verzogenes Muttersöhnchen zu schelten und dem Untergebenen zu sagen:
+mit ihm sei wenig ausgerichtet und er könnte nichts Besseres thun,
+als wieder zu seinem Vater heimgehen. Am unbarmherzigsten fuhr aber
+den Unglücklichen Madlene an, wenn er nach ihrer Meinung etwas nicht
+recht gemacht hatte. Sie zeigte offenbar den meisten Eifer, den Sünder
+zu bessern. Wenn dann Michel scherzend zu ihr sagte: »Hör einmal, du
+machst's ihm doch zu arg,« so wurde sie roth und erwiederte: »Was da!
+es gehört ihm nicht besser!«
+
+Das Essen, das Ludwig erhielt, stand mit den Arbeiten, die er
+verrichten mußte, nicht im Verhältniß, oder wenn man will, es stand
+damit im Verhältniß; denn in der Regel bekommt ja doch gerade der,
+welcher die sauersten Arbeiten thun muß, die magerste oder wenigstens
+die gröbste Kost. Im Hause des Schmiedbauern, der sich keineswegs durch
+Freigebigkeit auszeichnete, erhielten die Ehehalten Wassersuppe, sehr
+einfach bereitete Gemüse in möglichst geringer Abwechselung, grobe
+Mehlspeisen und allenfalls Speck und Salzfleisch, das vor Alter grün
+und gelb geworden. Die andern, die es nicht besser gewohnt waren,
+verschluckten solche Kostbarkeiten mit stets lebhaftem Appetit, der
+Bauernsohn mußte sich aber, wie man zu sagen pflegt, »einen Zorn
+einbilden,« um sie hinunter zu bringen. Da seine Mutter sich besonders
+als Köchin auszeichnete, so war er mehr verwöhnt als andere seines
+Gleichen: Fleischbrühsuppe, gutes Ochsenfleisch, schmackhafte Gemüse,
+Eierspeisen und an festlichen Tagen Braten, das war es, was er zu
+genießen pflegte. Nun mußte er die rohe Kost essen und dabei sehen, wie
+die Herrlichkeiten, die ihm die Mutter früher mit aufmunternden Worten
+vorgesetzt, von Madlene in's Kanzlei getragen und dort unter fröhlichem
+Diskurs verspeist wurden.
+
+In der ersten Zeit erduldete er alle diese Unbilden mit großer
+Standhaftigkeit. Vor allem hielt ihn sein Trotz oben und ~er~
+dachte wirklich mit jenem Jungen, der aus Mangel an Handschuhen die
+Finger erfror: es geschieht meinem Vater ganz recht, warum hat er mich
+aus dem Hause getrieben? Viel mehr aber stärkte und erhob ihn die Liebe
+und das Bewußtsein, wie mannhaft er seine Treue bewähre und wie viel er
+um der Geliebten willen ertrage. Wenn sie mich jetzt sähe, dachte er,
+wie viel ich mir gefallen lasse um ihretwillen, ein Mensch wie ich bin,
+es würde ihr gewiß an's Herz gehen! Wenige Tage nach Absendung seines
+Briefes war von Annemarie eine Antwort gekommen, ein liebliches Echo
+seiner Gedanken und Versicherungen. Das Vorgefallene beklagend, sprach
+sie dem, der ihr Muth zugesprochen, wieder Muth zu und schloß mit
+der sichern Hoffnung auf eine endliche glückliche Wiedervereinigung.
+Ludwig freute sich innig, von der Geliebten zu hören, was er ihr selber
+geschrieben hatte. Er malte sich aus, wie es ihnen wohl noch gehen und
+unter welchen glorreichen Umständen sie wieder zusammen kommen möchten;
+und solche Gedanken machten ihn allerdings hie und da bei der Arbeit
+etwas zerstreut und ließen ihn kleine Fehlgriffe begehen, auf welche
+sich seine Tadler mit einigem Recht berufen konnten.
+
+Wenn Ludwig mehr innerlichen Lebens fähig war als viele seines
+Gleichen, so war er doch kein Mann der Einbildungskraft von Profession
+und keineswegs bestimmt, sich durch bloße Vorstellungen über den
+Verlust reeller Güter trösten zu lassen. Die Wirklichkeit riß ihn
+oft sehr grob aus seinen Träumen, diese verloren überhaupt nach und
+nach ihre Kraft, und er fühlte die Erniedrigung seiner Lage, so wie
+die Klemme, in der er steckte, doppelt und dreifach. Im Hause des
+Schmiedbauern und im Dorfe fand er keinen Trost. Seinen Mitehehalten
+blieb er fremd. Ein dritter Knecht und die Mägde hatten ihn zuerst mit
+einer gewissen Rücksicht behandelt, weil sie glaubten, sein Vater würde
+bald kommen und ihn abholen. Als das aber nicht geschah und Ludwig
+still fortarbeitete, verlor sich ihr Respekt; sie nahmen ihn für einen
+wirklichen verlorenen Sohn und für ihres Gleichen. Wenn er gewollt
+hätte, so würde ihm sein »feines Gesicht« bei den Mägden gutes Spiel
+bereitet haben. Die ältere, eine passabel hübsche Dirne, glaubte, so
+viel wie eine Zimmermannstochter könne sie auch noch vorstellen, und
+schickte dem Traurigen theilnehmend süße Blicke zu; da er aber nicht in
+der gewünschten Art darauf antwortete, so erklärte sie ihn für einen
+Hansnarren und wurde um so »schnötziger« gegen ihn. -- Nicht viel
+besser erging es ihm mit den übrigen jungen Leuten des Dorfes. Es hätte
+sich unter ihnen wohl ein Kamerad gefunden, wenn er ihn gesucht hätte.
+Allein eine stolze Scheu hielt ihn zurück und man ließ ihn gehen.
+Zuerst hatte sein Auftreten als Knecht ein mächtiges Gerede veranlaßt;
+man begaffte ihn, schüttelte den Kopf und einzelne erlaubten sich mit
+ihm zu scherzen und ihm zuzurufen, daß sein Dienen nicht lange dauern
+werde. Nach und nach gewöhnte man sich an seine Stellung und es kam
+ihm endlich vor, als ob die Leute sie ganz im der Ordnung fänden.
+Das ärgerte und verletzte ihn noch am meisten. Durch die Tagesarbeit
+tüchtig ermüdet, suchte er früh das Bett, gegen dessen Reinlichkeit
+er sonst sehr viel einzuwenden gehabt hätte, und wenn er nicht süß
+träumte, so schlief er wenigstens.
+
+Als er in der vierten Woche seinen Zustand und sich selber in's
+Auge faßte, fand er den Geldbeutel leer, den einzigen Anzug den er
+mitgenommen, abgerissen, seine Hände viel schwieliger und sein Gesicht
+viel verbrannter als vorher. Er mußte sich sagen, daß es doch seine
+großen Bedenken habe, mit seinen Eltern zu brechen und sich ohne ihre
+Hülfe von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Es kam ihm vor, als ob er
+gegen den Vater vielleicht etwas weniger hitzig hätte sein können;
+allein diesen Gedanken verwarf er gleich wieder und sagte: »Nein, so
+hab' ich handeln müssen!«
+
+Die Sehnsucht, die Geliebte zu sehen, war unterdessen höher und höher
+gewachsen. Er konnte ihr zuletzt nicht länger widerstehen und schrieb
+ein Briefchen, worin er Annemarie bat, am nächsten Sonntag Nachmittag
+um vier Uhr nach Nördlingen in einen vor dem Reimlinger Thor gelegenen
+Wirthsgarten zu kommen, er müsse sie wieder einmal sehen und mit ihr
+reden. Dann ging er zum Bauern und bat ihn um drei Gulden von seinem
+Lohn. Der Schmiedbauer benutzte die Gelegenheit, ihm zu bemerken, daß
+er sich doch besser gemacht habe, als er anfänglich geglaubt, und wenn
+er sich nur das viele Sinniren abgewöhnen könnte, so würde er mit der
+Zeit ein ganzer Knecht werden. Nach dieser Anerkennung schloß er ein
+Wandschränkchen auf, nahm eine wohlgetrocknete, mit Geld gefüllte
+Schweinsblase oder »Blotter« heraus und zählte dem Burschen im kleiner
+Münze drei Gulden vor, indem er ihn ermahnte, damit hauszuhalten, da
+er jetzt nicht gleich wieder mit Geld herausrücken würde. Ludwig,
+von dieser Rede hinwegsehend, empfand ein ungewohntes Vergnügen, als
+er das selbstverdiente Geld in der Hand hatte, und sein Muth stieg
+bedeutend. Er beschloß, einen Gulden auf Ausbesserung seiner Kleider
+zu verwenden, mit den beiden andern aber, wenn's nöthig wäre, seine
+Geliebte zu regaliren wie ehedem.
+
+Im Hause des Angerbauers ging indeß das alte Leben ohne Ludwig still
+weiter. Das Geschwätz im Dorf, das Staunen, Vermuthen und Lügen über
+diesen Gegenstand hatte, wenn nicht aufgehört, doch nachgelassen, und
+schadenfrohe wie theilnehmende Freunde ließen die Familie mit ihren
+Fragen und den Versicherungen ihres Bedauerns so ziemlich in Ruhe.
+Der Angerbauer hatte dafür gesorgt, daß er für seine Person ganz
+unangefochten blieb, indem er ein paar vorwitzige Frager auf eine
+Weise abfertigte, daß sie ihm über die Grobheit ordentlich erstarrt
+nachschauten und ihren Bekannten den Rath ertheilten, ihn gehen zu
+lassen, sie wären verflucht heimgeschickt worden. Sonst hatte er
+die würdige Ruhe wieder angenommen, die ihn auszeichnete, und nur
+ein größerer Ernst und eine gewisse Freudlosigkeit in seinen Zügen
+deuteten auf den Vorfall. Die Arbeiten der Heuernte -- des »Heuets«
+oder rieserisch »Häats« -- zogen ihn von seinen Gedanken ab, und da
+es Heu in Fülle gab, wurde er sogar wieder ein wenig aufgeheitert. Es
+hatte den Anschein, als ob er das abgefallene Glied der Familie ohne
+Umstände liegen lassen und seinen Weg fortsetzen wollte, als hätte es
+nie existirt. Er verbot den Seinen, mit Einschluß des Schwiegersohns,
+auf's strengste, dem Ungerathenen Botschaft zu thun oder ihm gar Geld
+zu schicken, und da alle seinen Zorn fürchteten und dem Entlaufenen
+mehr oder weniger zürnten, so gehorchten sie ihm. Die Mutter wagte nur,
+sich durch eine Freundin nach ihrem Ludwig erkundigen zu lassen, wie's
+ihm gehe.
+
+Ein Makel haftete indeß an der Familie des Bauers, wie er, so weit
+seine Kenntniß reichte, nie in derselben vorgekommen. Wenn er unter
+die Leute ging, so drohten ihm wenigstens Anspielungen, die ihn
+beschämten und quälten. Er mußte Gesichter sehen, die viel kränkender
+durch ein Lächeln ausdrückten, was der Mund nicht zu sagen wagte. Das
+stolze Dasein des reichen Mannes war ein gespanntes, verkümmertes
+geworden; seine Zufriedenheit, die so sehr auf der Geltung seiner
+Familie bei andern beruhte, war dahin. In der ruhigeren Zeit, die
+nach dem Heuet eintrat, stellte sich ihm wieder alles recht vor die
+Seele. Er bedachte, wie verständig sein Sohn sich immer aufgeführt,
+er konnte nicht begreifen, wie er es vermochte, eine solche Schande
+über die Familie zu bringen, und der Gedanke, daß Annemarie ihn in
+eigennütziger Absicht verführt, daß sie eine schlaue Dirne sei, die
+sich nur so brav anstellen könne und die Leute bisher getäuscht habe,
+drängte sich ihm in neuer Stärke auf. »Er kann sich nicht so mir nichts
+dir nichts geändert haben,« sagte er dann zu sich, »es muß etwas
+Besonderes dahinter stecken.« In einem frühern Jahrhundert hätte er
+das Mädchen vielleicht für eine Hexe ausgegeben und sie durch einen
+Proceß verfolgt; jetzt glaubte er wenigstens, daß sie alle natürlichen
+Mittel eines listigen, zu seinem Unglück schönen Weibsbildes angewendet
+hätte, um seinen gutmüthigen Ludwig zu bethören. Dafür schienen ihm
+namentlich auch die geheimen Zusammenkünfte zu sprechen, von denen ihm
+die Mutter gesagt hatte. Er dachte sich wie es gegangen sein könnte,
+und nachdem er sich's recht deutlich vorgestellt hatte, zweifelte er
+nicht länger, daß es wirklich so gewesen. Als er seine Gedanken der
+Ehehälfte mittheilte, trat diese -- froh die eigentliche Schuld von
+ihrem Sohne genommen zu sehen -- eifrig seiner Meinung bei. »Ja ja,«
+sagte sie, »so wird's sein. Sie macht zwar eine Miene, als ob sie die
+Beste und Frömmste im Dorf wäre; aber stille Wasser gründen tief.
+Solche Verführerinnen sind gerade die schlimmsten, und nur so eine
+konnte den Ludwig so weit bringen!« In der stillen Hoffnung, daß der
+Sohn nach kurzer Zeit doch wieder zu ihnen kommen würde, getäuscht
+und über seinen fortdauernden Trotz aufgebracht, entlud sich das
+Ehepaar nun seines Verdrusses und Zorns nach der Seite des Mädchens.
+Sie habe das Unglück angestiftet, das über die Familie gekommen; von
+ihr sei's ausgegangen, das wüßten sie nun gewiß, und was jetzt noch
+Schlimmes daraus entstehen würde, das hätte man ihr zu danken. Sie sei
+eine Scheinheilige, die's hinter den Ohren habe und vor der man jeden
+jungen Menschen von Vermögen warnen müsse. Solche Dinge sagte man zu
+den Vertrauten; diese sagten es hernach wieder ihren Vertrauten, und
+in zwei Tagen war das ganze Dorf davon erfüllt. Man erzählte sich, daß
+die Angerbäuerin ihrer Freundin im obern Dorf weinend geklagt habe,
+welcher Jammer durch dieses fremde Mädchen über sie gekommen und wie
+sie verzweifeln müsse, wenn sie ihren Ludwig nicht wieder sähe.
+
+Annemarie hatte seit dem Tage, wo sie den Brief des Geliebten erhalten
+und beantwortet, entsagend weiter gelebt und die Geschäfte des Tages
+verrichtet. Man sah, daß etwas auf ihr lastete, aber auch, daß sie
+entschlossen war, die Last zu tragen. Der alte Bäcker hielt ihr einmal
+vor, welch schlimme Folgen ihre Bekanntschaft mit dem Ludwig gehabt
+habe, und wie grausam unlieb ihm diese Geschichte sei. »Vetter,«
+erwiederte das Mädchen mit bescheidenem, aber festem Ton, »ich weiß,
+was ich Euch schuldig bin, und ich vergeß' es nicht, darauf verlaßt
+Euch; aber in ~der~ Sache handle ich, wie ich's vor meinem
+Gewissen verantworten kann, und ich bitt' Euch, redet mir nicht weiter
+davon.« Der gutmüthige Vormund, von dem Ernst ihres Tones betroffen,
+versetzte: »Nun meinetwegen! Aber nimm dann auch die Folgen auf dich!«
+Seit dieser Zeit hatte sie Ruhe vor Einreden von dieser Seite, und
+sonstiges Geklatsch war ihr gleichgültig.
+
+Als die Vorwürfe, welche die Familie des Angerbauers ihr machte, an sie
+kamen, wurde diese Festigkeit doch erschüttert. Eine Freundin sagte
+ihr, welch eine Traurigkeit in jenem Hause sei, nun man sehe, daß
+Ludwig es ernst gemeint habe mit seiner Rede vom Nichtwiederkommen.
+Regine erzählte nach gehöriger Einleitung, daß man sie eine Verführerin
+heiße, die nach einem reichen Manne gefischt habe und an allem Unglück
+Schuld sei. Bei dieser zweiten Meldung goß sich eine Röthe über das
+Gesicht des Mädchens und ihr Mund verzog sich zu dem Ausdruck stolzer
+Verachtung. Bald aber faßte sie sich wieder und sagte mit traurig
+ergebenem Ton: »Diese Leute dauern mich. Wenn sie solche Dinge über
+mich ausdenken, so wackre Leute wie sie sind, dann müssen sie wirklich
+unglücklich sein.« -- Sie wurde durch diese neue Erfahrung in eine
+seltsame Aufregung versetzt. Es that ihr weh, daß sie eine Uneinigkeit
+zwischen Eltern und Sohn gestiftet haben solle, deren Ende nicht
+abzusehen war. Dann aber sagte sie sich: »Diese Leute sehen also die
+Heirath zwischen mir und Ludwig für eine solche Schande an, daß sie
+lieber unglücklich sein wollen, als sie zugeben! Sie heißen mich ein
+schlechtes Mädchen und sagen Lügen über mich; sie halten es also in
+gar keiner Art für mich möglich, daß ich einmal ihre Schwiegertochter
+werden könnte!« Ein Gedanke durchzuckte sie, sie stand auf und that
+einige Schritte. Plötzlich hielt sie an; eine Erwägung hatte sich dem
+Vorsatz entgegengestellt, sie ging still wieder zu einer Arbeit. --
+Ihre Seele war von da an eine Beute des Zweifels. Man sah sie in Unruhe
+umhergehen oder tief in Gedanken stehen. Regine überraschte sie einmal,
+wie sie bittere Thränen weinte.
+
+Die einzige Person unserer Bekanntschaft, welche bei dieser Verwicklung
+ihre Ruhe behielt, war der Pfarrer. Diese Ruhe war jedoch gegründet
+auf wahre Theilnahme und auf den Entschluß, das zu unterstützen, was
+er für das Bessere hielt. Noch hatte er sich nicht entschieden, wie er
+eingreifen sollte. Aber er unterrichtete sich fortwährend über die Lage
+der Dinge und lebte des festen Glaubens, seine Pflicht werde sich ihm
+deutlich vor Augen stellen, so daß er über sie und über die Art ihrer
+Erfüllung nicht mehr in Zweifel sein könnte.
+
+Eines Morgens überdachte er eben diese Dinge, als an die Thüre seines
+hellen, im obern Stocke gelegenen Studierzimmers geklopft wurde. Auf
+sein »Herein« erschien Annemarie. Sie sah angegriffen aus wie wenn sie
+wenig geschlafen und viel quälende Gedanken gehabt hätte; aber in ihrem
+ganzen Wesen drückte sich die Ruhe eines gefaßten Entschlusses aus.
+Nachdem sie mit ernster Anmuth einen Knix gemacht und den Morgengruß
+gesprochen hatte, sagte sie: »Ich hätt' was mit Ihnen zu reden, Herr
+Pfarrer, wenn ich Ihnen nicht ungelegen komme.« -- Der alte Herr,
+innerlich erfreut, erwiederte freundlich: »Nein, mein Kind; sag mir,
+was du auf dem Herzen hast!«
+
+Annemarie, durch ihren Vorsatz über die einem jungen Mädchen
+gewöhnliche Schüchternheit erhoben, begann mit nur leisem Erröthen:
+»Sie wissen, Herr Pfarrer, was es beim Angerbauer gegeben hat und wie
+ich dabei ins Geschrei gekommen bin. Ich will Ihnen die Geschichte
+nicht wieder erzählen; sie wird Ihnen bekannt sein -- man hat ja so
+viel darüber gesprochen! Nun hab' ich aber dieser Tage gehört, sie
+sagen beim Angerbauer, ich allein sei an allem Schuld und ich habe
+den Ludwig verführt. -- Her Pfarrer«, sagte sie, indem ihr Ton sich
+verstärkte und ihre Wangen sich höher rötheten, »~ich~ kann Gott
+zum Zeugen anrufen, daß das nicht wahr ist! Wir haben uns eben beide
+von Anfang an gern gesehen, und -- -- Sie wissen ~ja~, wie's
+geht, wenn man sich gern sieht und eine Person einem die liebste ist
+auf der Welt. Ich hab ihn halt liebhaben müssen, grad wie er mich, und
+so ist's gekommen, daß wir uns endlich gesagt haben, wir wollen nicht
+von einander lassen und uns treu bleiben, bis wir mit Gottes Hülfe
+endlich zusammenkommen. Wegen dieses Verspruchs ist Ludwig mit seinem
+Vater in Streit gerathen und dient jetzt als Knecht. Ich hab das nicht
+vorausgesehen, aber wenn ichs vorausgesehen, was hätt ich thun können?
+Ich will Ihnen blos sagen und wills vor Ihnen beschwören, daß ich ihn
+nicht verleitet habe. Er hat sich einmal seinen Eltern zu lieb fremd
+gegen mich gestellt und mich nicht mehr angesehen, und ich bin ihm zu
+dieser Zeit nicht nachgegangen, wie jeder weiß, sondern ich bin ihm
+ausgewichen. Ich hab ihn nicht wieder gesucht, er hat mich gesucht --
+und das ist die Wahrheit!«
+
+Der Pfarrer betrachtete theilnehmend das Mädchen, dessen Augen in dem
+Feuer gerechter Selbstvertheidigung erglänzten, und sagte: »Ich glaube
+dir und weiß es, mein Kind.« Annemarie, ihn dankbar anschauend, fuhr
+fort: »Ich hab das nicht gesagt, als ob ich gar keine Schuld haben
+wollte. Ich hab jederzeit empfunden, daß es Verdruß geben würde, recht
+viel Verdruß, und daß die Angerbauersleute recht bös auf mich sein
+würden. Aber, Herr Pfarrer, wenn Sie gesehen hätten, wie gut der Ludwig
+gegen mich war und wie er mich ansah, -- wenn Sie gehört hätten, was
+er noch auf der Nördlinger Messe zu mir gesagt hat, Sie würden mirs
+gewiß nicht so übelnehmen, daß ich ihm zur Antwort gegeben habe: »ich
+wolle ihm gehören und die Seinige bleiben, so lang ich lebe!« -- »Es
+ist eben,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »etwas in uns, das mehr
+Gewalt hat, als unser Wille und unsere Sorgen.«
+
+Der Pfarrer nickte mit ernster Miene, die Thatsache zugebend. Dadurch
+ermuthigt, ging das Mädchen in ihrer Rede weiter und sagte mit
+liebenswürdigem Selbstgefühl: »Ich will's Ihnen aufrichtig bekennen,
+Herr Pfarrer: ich denke nicht so gering von mir, sondern halte auch
+etwas auf mich. Ich komme von braven Leuten her und glaube, daß ich
+keiner Familie Schande machen würde. Ich hab' etwas gelernt und bin
+ein ordentliches Mädchen gewesen mein Lebenlang. Da hab' ich nun
+gedacht, wenn ich auch keine Bauerntochter und nicht so reich bin, so
+bin ich doch diejenige, mit welcher der Ludwig am glücklichsten leben
+würde. Und ich hab' gedacht, sein Vater würde das am Ende einsehen und
+nachgeben. Aber« -- fuhr sie nicht ohne eine gewisse Bitterkeit fort --
+»das ist eben der Gedanke, den ich mir nicht verzeihen kann. Ach, Herr
+Pfarrer, das Geld ist alles und der Stand ist alles, und die Tugend ist
+nichts! Man redet wohl so, als ob die Tugend und die Liebe auch etwas
+wären, aber wenn's drum und dran kommt, gelten sie doch nichts. Wenn
+ein Mädchen keinen Verstand und keine Art hat, aber Geld und Gut, dann
+ist sie die rechte. Wenn eine sich aber auf andere Dinge etwas zu Gute
+thun will und merken läßt, daß diese eben so viel werth sind als Gut
+und Geld, dann hält man sie für verrückt!« -- Ueber ihren Eifer und den
+letzten starken Ausdruck erröthend, setzte sie hinzu: »Verzeihen Sie,
+Herr Pfarrer!«
+
+Der alte Herr lächelte und sagte: »Du hast nicht ganz Unrecht,
+Annemarie. -- Aber nun sage, was begehrst du von mir? Worin kann ich
+dir helfen?« -- »Herr Pfarrer,« versetzte das Mädchen, indem sie
+sich augenscheinlich zusammennahm, »ich bin zu Ihnen gekommen, weil
+ich Ihnen sagen möcht', was ich bei mir ausgemacht habe. Der Ludwig
+hat mir Lieb und Treu versprochen für alle Zeit. Er hat's freiwillig
+gethan und mir's zugeschworen bei allem, was heilig ist. Ich könnte
+also ruhig sein und zusehen, wie der Streit ausginge. Ich hätte nur
+mein Versprechen zu halten, wie ich's ihm gegeben hab', und könnte das
+andere Gott überlassen. Aber«, fuhr sie bewegter fort, »ich will diese
+Leute nicht in's Unglück bringen, wenn sie's dafür nehmen, und ich
+bilde mir viel zu viel ein, als daß ich mich einer Familie aufnöthigen
+möchte, die mich nicht haben will. Ich ~kann's~ nicht ertragen,
+Herr Pfarrer, daß die mich verachten, die ich allzeit lieb und werth
+gehalten hab', und darum will ich jetzt thun, was ich mit gutem
+Gewissen thun kann.«
+
+Sie hielt ein wenig inne, nahm sich nochmals mit offenbarer
+Anstrengung zusammen und sagte dann mit einem Tone, dem sie vergebens
+die erste Festigkeit zu verleihen suchte: »Ich will dem Ludwig sein
+Wort zurückgeben, er soll von mir aus frei sein und thun können, was er
+will. Er soll noch einmal die Wahl haben, ob er mich lassen und seinem
+Vater nachgeben will oder nicht. Ich will durchaus nichts dagegen thun
+und ihm in keiner Art hinderlich sein, wenn er glaubt, daß er mit einer
+andern sein Glück findet. Wenn das ist, dann will ich fortgehen von
+hier, daß ich ihn nicht mehr seh' und er mich nicht mehr. Ich hab'
+einen Vetter bei Stuttgart, der wird mich zu sich nehmen. Ich will
+nichts mehr von mir hören lassen, und es soll grad so sein, als ob ich
+nicht mehr auf der Welt wäre. Ich will für meinen Theil« -- -- Aber
+damit war die Kraft des guten Mädchens zu Ende. Ihr Mund zuckte, die
+Stimme versagte ihr, Thränen waren in ihre Augen gestürzt. Sie gab
+sich Mühe, das Weinen zu verhindern und kämpfte sichtlich dagegen an,
+aber doch rollten ein paar große Tropfen über ihre Wangen. Indem sie
+ausführte, was gekränkter Stolz und Großmuth sie thun hießen, glühte
+die heißeste Liebe zu ihrem Ludwig in ihr auf; indem sie den Geliebten
+frei geben wollte, klammerte sie sich an ihn an mit einem schmerzlich
+innigeren Gefühl als je vorher.
+
+Der Pfarrer erkannte das und sah mit Rührung auf sie, wie sie dastand
+und ihre Thränen fließen ließ. Er wußte das Herkommen, den Brauch der
+Welt zu schätzen, denn er kannte die guten Gründe, auf denen er ruht.
+Er wußte, daß am besten sich Gleiches zu Gleichem gesellt, daß das
+gleiche Vermögen und die gleiche Stellung mit dem gleichen Gefühl davon
+sehr bedeutende Mittel zu einer guten Ehe sind. Aber er wußte auch,
+daß das Recht der äußern Ordnung seine Grenzen hat, und daß es Dinge
+giebt, vor welchen sie sich bescheiden zurückstellen muß. Er war nicht
+rasch gewesen, die Partei des Liebespaares zu nehmen, weil er Fälle
+kannte, wo das Kind reicher Leute den Eltern es später Dank wußte, daß
+sie dem ersten verliebten Drängen nicht nachgegeben. Allein wie er sah,
+daß er in Annemarie eine wahrhaft gute Natur vor sich hatte, wie ihr
+Gemüth sich vor ihm enthüllte in seiner ganzen Bravheit und Schönheit,
+da dachte er, erfreut und bewegt: »Die Sitte der Welt mag diesmal die
+Segel streichen! Hier ist mehr als sie und ihre Herrlichkeiten. Der
+Geist und das Gemüth, die sich so erproben, sind mir Bürgen für alles;
+und wenn ~ichs~ machen kann, sollen sie diesmal die Oberhand
+behalten.« Er stand auf, trat zu Annemarie und nahm sie väterlich bei
+der Hand, indem er sagte: »Fasse dich, gutes Mädchen, du hast recht
+gehandelt und der Lohn dafür wird nicht ausbleiben, in welcher Form er
+dir auch kommen mag. -- Wirst du das alles auch Ludwig zu wissen thun?«
+-- »Ja, Herr Pfarrer,« antwortete Annemarie, die sich wieder gefaßt
+hatte. »Ganz das Nämliche, was ich Ihnen gesagt habe, will ich ihm
+schreiben.«
+
+Der alte Herr sah ihr forschend in's Auge und über sein gerührtes
+Gesicht verbreitete sich ein fast unmerkliches Lächeln. Er glaubte aus
+der Art, wie das Mädchen diese Antwort gab, schließen zu dürfen, daß
+der Schritt, den sie that, auch zugleich eine letzte Probe sein sollte
+für Ludwig, und daß sie die Hoffnung hegte, er werde sie bestehen. Er
+sagte: »Thu das, mein Kind, und erwarte das Uebrige in Geduld. Hast du
+sonst noch was auf dem Herzen?«
+
+»Nein, Herr Pfarrer,« erwiederte Annemarie, indem sie sich die letzten
+stehen gebliebenen Thränen von den Wangen wischte. »Ich dank' Ihnen,
+daß Sie mich angehört haben, und bitte Sie nur noch darum, daß Sie dem
+Angerbauer, wenn Sie ihn treffen, sagen, ich sei nicht das Mädchen,
+für das er mich hält. Sie, Herr Pfarrer, kennen mich besser, und das
+ist mein Trost. Ich dank' Ihnen nochmals recht schön für Ihre Güte
+-- ich werde sie immer im Gedächtniß behalten!« -- Ihre weichen Züge
+verklärte, indem sie dies sagte, ein schönes Bewußtsein und Dankgefühl.
+Sie machte einen tiefen Knix und verließ die Stube, nachdem sie noch
+einen Blick inniger Verehrung auf den Pfarrer geworfen.
+
+Dieser sah ihr mit wahrer Freude nach. »Ja, ja,« sagte er dann zu sich,
+»das ist eine bessere Schwiegertochter für den Angerbauer als Eva; und
+wenn er nicht ganz verhärtet ist, soll er sie bekommen.«
+
+Die erste Sorge des alten Herrn war nun, es so einzurichten, daß der
+Angerbauer ihn ebenfalls zu seinem Vertrauten machte. Dieß mußte
+geschickt angefangen werden, wenn es gelingen sollte. Denn der
+Rieserbauer von der Art des unsrigen will sich nicht bevormunden
+lassen, er hält sich für gescheidt genug, sein eigener Rathgeber zu
+sein, und es verdrießt ihn über die Maßen, wenn man ihn über Dinge
+belehren will, die er selber am besten zu verstehen glaubt. Natürlich
+kann er auch geführt werden, aber nicht so geradezu wie dieser und
+jener. Wäre der Pfarrer zum Angerbauer in's Haus gegangen und hätte mit
+einer gewissen beichtväterlichen Miene gefragt, wie es sich denn mit
+dem Streit zwischen Vater und Sohn verhalte, was der Vater nun zu thun
+gedenke u. s. w., so wäre dieß das beste Mittel gewesen, ihn verstockt,
+wo nicht gar unhöflich zu machen. Aber zu dieser Art von Seelsorgern,
+die im Eifer ihres Herzens Gott mit Unverstand dienen, gehörte der
+erfahrene alte Herr nicht. Er konnte warten und seine Zeit ersehen.
+Dießmal erreichte er übrigens seinen Zweck leicht. Er hatte ein Stück
+Vieh zu verkaufen, und als er dem Angerbauer einmal begegnete, lud er
+den Sachverständigen ein, es anzusehen und zu taxiren. Der Bauer folgte
+ihm sehr bereitwillig, denn er wußte den »braven und gescheidten Herrn«
+sehr zu schätzen und hätte gerne schon einmal von seiner Noth mit ihm
+gesprochen, wenn es sich nur »gut geschickt hätte.«
+
+In dem kleinen Stalle des Pfarrers angekommen, unterzog er sich
+dem Taxirungsgeschäft sehr ernsthaft. Er begriff das Stück an den
+geeigneten Stellen, betrachtete es von allen Seiten und sagte dann
+genau, wie viel der Pfarrer dafür fordern könne. Dieser dankte und
+rühmte seine Kenntniß. Er selber, obwohl er immer einige Stück Vieh
+haben müsse, sei doch unsicher, weil ihm die gerade üblichen Preise
+nicht recht bekannt wären. Der Bauer versetzte höflich: »Wenn Sie
+sich damit abgeben wollten, Herr Pfarrer, würden Sie's geschickter
+machen als unser Einer; aber Sie haben was Besseres zu thun.« Der
+alte Herr fragte hierauf mit unbefangener Freundlichkeit, was die
+Angerbäuerin mache und ob bei ihm zu Hause alles gesund sei. Der Bauer
+erwiederte mit einem Seufzer: »Gesund wären wir alle, Herr Pfarrer;
+aber Sie können sich denken, wie's uns zu Muth ist nach dem, was bei
+uns vorgefallen ist.« -- »Ja, ja,« sagte der Pfarrer, »ich habe davon
+gehört und euch recht bedauert.«
+
+Der Angerbauer, der sein Herz erleichtern wollte, sagte hierauf: »Ich
+kanns noch immer nicht begreifen, so viel ich auch darüber nachgedacht
+habe. Lustig und ein bischen auf's Vergnügen aus ist er immer gewesen,
+aber in der Art und mit seines Gleichen. Runtergegeben hat er sich
+niemals, was ich gehört hab'. Und nun ist er auf einmal ganz wie
+verhext und will ein Mädchen heirathen, die -- nun, ich will mich nicht
+ausdrücken vor Ihnen, Herr Pfarrer. Wie ich nicht gleich Ja sage,
+lauft er davon und verdingt sich als Knecht. Und das thut er in dem
+Augenblick, wo er einen Hof und ein Weib haben könnte -- ein Weib und
+ein Gut -- ein anderer würde Gott auf den Knieen danken, wenn er's
+kriegte!«
+
+Der alte Herr war versucht, über diesen starken Ausdruck zu lächeln,
+aber er hielt an sich und machte ein ernsthaftes Gesicht, das der Bauer
+für zustimmend halten konnte. Dieser, einmal im Zuge, bewies, daß er
+wohl auch reden konnte, wenn's ihn drückte. »Ach, Herr Pfarrer,« rief
+er aus, »die Welt muß anders geworden sein, als sie zu meiner Zeit
+gewesen ist. Ich bin auch jung gewesen und bei der Lustbarkeit grad
+nicht der Letzte; aber wie meine Zeit zum Heirathen gekommen ist, hab'
+ich mich unter rechten Mädchen umgesehen und gottlob ein Weib gefunden,
+mit der ich nun glücklich gehaust habe volle neunundzwanzig Jahr. Wenn
+ich nun verlange, daß meine Kinder mir nachschlagen und ihr Glück
+auf dem Weg suchen sollen, wo ich's gefunden hab', ist das nicht in
+der Ordnung? Muß ich als Vater nicht so handeln?« -- »Ja,« sagte der
+Pfarrer mit nachdrücklicher Beistimmung, »das ist Eure Pflicht!«
+
+Der Angerbauer, dem dieß wohl that, fuhr fort: »Sehen Sie, Herr
+Pfarrer, in der Familie muß ein Zusammenhalt sein, alle müssen helfen,
+wenn man weiter kommen soll. Ich hab' von meinem Vater einen schönen
+Hof bekommen und mein Weib hat mir Geld in's Haus gebracht; wir haben
+ordentlich gewirthschaftet und unser Vermögen vermehrt, daß wir nun
+wohlhabende, und ich darf wohl sagen angesehene Leute sind. Ich kann's
+meinen Kindern besser machen als es uns gemacht worden ist, und nun
+will ich auch haben, daß sie's noch weiter bringen als wir und daß sie
+für ihre Kinder noch mehr thun können. Sie müssen sorgen und immer
+darauf aus sein, in rechter Art etwas zu erwerben. Nur so kommt man
+empor, man findet ein sicheres Glück und Ehre in der Welt und kann sich
+im Wohlstand seines Lebens freuen.«
+
+»Wohl,« sagte der Pfarrer, »und es ist nicht bloß der Besitz, der Einen
+erfreut, sondern das Streben und die Thätigkeit selber. Der Mensch muß
+sich ein Ziel stecken, das über den Platz, auf den man ihn gestellt
+hat, hinaus geht. Dann werden seine Tage ausgefüllt mit Arbeit, mit
+Dichten und Trachten, mit Hoffen und Erwarten, und Schritt für Schritt
+mit der Freude des Gelingens. Und indem er glücklich ist und sein Leben
+verschönert, trägt er bei zur Verschönerung und Verbesserung der Welt.
+Auf die Größe des Besitzes kommt es da nicht an. Der Kleine freut
+sich am kleinen Gewinn, der Größere am größeren; jeden erquickt das
+verhältnißmäßige Wachsen und Gedeihen, und so sind alle glücklich, die
+ein verständiges Ziel vor sich haben. Wer aber nicht vorwärts strebt,
+der kommt neben den Strebenden zurück und geht dem Mangel und der
+Unlust zu.«
+
+Der Bauer war dieser Rede mit Aufmerksamkeit gefolgt und rief nun
+erfreut aus: »So ist's, Herr Pfarrer, grad so ist's, wie Sie sagen!
+Darum« -- fuhr er mit Bedeutung fort -- »soll eben jeder in seinem
+Stand bleiben, namentlich nicht unter seinem Stand und Vermögen
+heirathen, sondern gleich da so gut als möglich anzukommen suchen. Ich
+will gern zugeben, daß andere mit Wenigem auch glücklich sein können;
+aber wer von vermöglichen Leuten herkommt, braucht mehr, weil er's
+nicht anders gewohnt ist. Und, Herr Pfarrer, Sie wissen's ja selber,
+um ein rechtes Vermögen ist's halt eine schöne Sache! Wenn ich das
+habe, so kann ich mich sehen lassen, ich brauch mich nicht zu ducken
+und nicht um das und jenes zu betteln, und wenn gute Freunde in der
+Noth sind, kann ich ihnen helfen. In ein Gelump hineinkommen, wo
+ich nothig thun und knickern müßte, um nur zu bestehen, müßte unser
+einen desperat machen. -- Und,« fuhr er nach kurzem Innehalten fort,
+indem seine Miene den Ausdruck erzürnter Bekümmerniß annahm, »dieser
+leichtsinnige, tollgewordene Mensch will sich schlechter stellen, als
+seine Geschwister, während er's viel besser haben könnte als sie! Er
+will eine Lumpenwirthschaft anfangen, wo er sich quälen müßte und wo
+doch nichts herauskommen würde, als ein Haufen von Bettlern!«
+
+Der Geistliche hütete sich wohl, einzuwenden, daß im gegenwärtigen
+Falle, wenn nämlich der Vater dem Sohn seinen gebührenden
+Vermögenstheil zukommen ließe, von einer »Lumpenwirthschaft« doch
+nicht die Rede sein könnte. Er wußte, daß den Erzürnten nichts mehr
+verdrießt, als wenn man ihm den Grund seiner Klage verkümmern will, und
+schwieg daher nachdenklich stille. Endlich sagte er: »Vielleicht geht
+diese Sache doch noch besser aus, als Ihr denkt.« -- »Wie so?« fragte
+der Angerbauer. -- »Die Annemarie,« versetzte der Pfarrer, indem er den
+andern scharf ansah, »ist vor einigen Tagen bei mir gewesen, extra um
+mir zu sagen, daß sie nicht Schuld sein wolle an der Uneinigkeit einer
+solchen Familie, wie die Eurige, und daß sie zuviel auf sich selber
+halte, um sich da aufzudrängen, wo man sie nicht haben wolle. Sie habe
+sich entschlossen, dem Ludwig sein Versprechen zurückzugeben, und wolle
+sich in keiner Art dawidersetzen, wenn er sein Glück mit einer andern
+finde.«
+
+Der Angerbauer horchte hoch auf und wußte nicht was er sagen sollte.
+Er fragte dann in zweifelndem Tone: »Hat sie das wirklich zu Ihnen
+gesagt?« -- Der Pfarrer erwiederte mit einem Ernst und einem Nachdruck,
+der jeden Zweifel niederschlagen mußte: »Es sind ihre eigenen Worte,
+Angerbauer! Sie hat mir versprochen, das Nämliche Eurem Ludwig zu
+schreiben, und ich verbürge mich dafür, daß es geschehen wird.«
+
+Der Bauer verstummte; er war in die Seele getroffen. Ein im Grunde
+seines Wesens ehrenwerther Mann, der in der That jedem das Seine
+gab, konnte ihn nur der Zorn und der tiefe Verdruß zu ungerechtem
+Absprechen hinreißen. Nun mußte er sehen, daß ein Mädchen, die er eine
+heuchlerische, gefährliche Person gescholten, brav und rechtschaffen,
+ja weit über alles Erwarten rechtschaffen gegen ihn handelte. Es
+zeugte für seine gute Natur, daß ihn diese Nachricht mehr rührte,
+als erfreute, daß er sogleich sein Unrecht fühlte und seiner stolzen
+Seele eine gewisse Achtung vor einem solchen Benehmen abgenöthigt
+wurde. Endlich sagte er mit sehr ernsthaftem Gesicht: »Wenn sie das
+gethan hat, dann ist sie besser, als ich gedacht habe. Sie mag ein
+ordentliches Mädchen sein, ich will's nicht bestreiten.«
+
+»Man muß jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen,« versetzte
+der Geistliche. »Die Annemarie ist brav, geschickt, verständig,
+wohlerzogen, und würde jeden glücklich machen --« -- »Von ihrem
+Stande!« fiel der Bauer ein. -- »Das ist's, was ich sagen will,«
+erwiederte der Pfarrer: »wenn die äußern Verhältnisse zustimmen.« --
+»Gut,« sagte der Bauer. »Bei meinem Ludwig ist das aber nicht der Fall,
+drum kann hier von einer Heirath nie die Rede sein.«
+
+Der alte Herr schwieg. Dann fragte er leichthin: »Wie soll's nun mit
+Ludwig werden? Was habt Ihr beschlossen?« -- Der Bauer konnte sich
+nicht enthalten, ein wenig aufzufahren. »Beschlossen?« rief er. »Ich
+glaube, da ist nichts zu beschließen, Herr Pfarrer. Dieser Mensch
+mag bleiben, wo er will, und gehen, wohin er will! Soll ich ihm
+nachlaufen? Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er wiederkommen und die
+Zimmermannstochter heirathen soll? Soll ~ich~ nachgeben, der Vater
+dem Sohn?«
+
+»Nein,« erwiederte der Pfarrer mit Ernst, »das sollt Ihr nicht,
+Angerbauer! ~Er~ muß nachgeben, ~er~ muß wiederkommen und dem
+Vater das Recht lassen, das ihm gebührt!« -- »Freut mich,« versetzte
+der Bauer, »daß Sie so denken, Herr Pfarrer. So ein neustudirter Herr
+hätte vielleicht gemeint, ich sollte meinem Buben seinen Willen lassen;
+warum? weil die Leute in einander verliebt sind und die Annemarie doch
+ein ordentliches Mädchen ist. Aber Sie kennen die Welt, Herr Pfarrer,
+Sie wissen, daß es beim Heirathen noch auf ganz andere Dinge ankommt,
+und daß der Vater für den Sohn denken und Verstand haben muß.« --
+Nach diesen Worten lüpfte er die Alltagskappe, an welcher der sonst
+werthvolle Pelz etwas röthlich geworden war, und fragte: »Kann ich
+Ihnen sonst noch was dienen?« -- »Nein,« versetzte der alte Herr, »ich
+danke Euch für Eure Gefälligkeit.« -- »So wünsch' ich Ihnen guten
+Nachmittag,« sagte der Bauer und entfernte sich mit langsam würdigen
+Schritten.
+
+Das Gespräch hatte theils im Stalle, theils in dem heimlichen, mit
+einer Mauer umgebenen Pfarrhof stattgefunden. Der alte Herr ging in
+seine Studirstube zurück, mit der Unterredung sehr zufrieden. Er
+hatte des Bauers Vertrauen gewonnen und wußte, daß dieser nun unter
+schwierigen Umständen ihn von selber um Rath angehen würde. Dann
+hatte er mit der Nachricht über Annemarie einen Keim in seine Seele
+gesenkt, der wachsen und gute Früchte bringen konnte. Er sah voraus,
+daß der Angerbauer seinem Weib und seinen nächsten Verwandten davon
+sagen würde, und daß diese, die sich auf ihr Geld und ihr Ansehen
+allerdings etwas mehr einbildeten, als recht war, in Annemarie ein
+ihnen ebenbürtiges Gemüth erkennen mußten. Auf die wackeren Leute mußte
+die Rechtschaffenheit, auf die stolzen das Selbstgefühl des Mädchens
+einen günstigen Eindruck machen.
+
+Als er, solchen Gedanken hingegeben, behaglich auf seinem Lederstuhl
+sich dehnte, stürmte plötzlich sein Neffe in die Studirstube. Dieser
+hatte schon erfahren, daß Annemarie bei seinem Großvater gewesen, aber
+nichts Bestimmtes über die Unterredung aus ihm herausbringen können.
+Nun sah er auf dem Heimweg von einem Spaziergang den Angerbauer aus dem
+Pfarrhofe kommen und glaubte aus seinen Mienen auf eine Entscheidung,
+ja auf eine glückliche Beilegung des Streites schließen zu können. Von
+Neugier und gutmüthiger Theilnahme getrieben, eilte er zu dem Großvater
+und rief aus: »Der Angerbauer ist bei dir gewesen und ganz zufrieden
+fortgegangen. Ich bin ihm begegnet. -- Hast du ihn herumgebracht?«
+-- »Wie so?« fragte der Alte. -- »Will er den Ludwig zurückrufen und
+ihn die Annemarie heirathen lassen?« -- »Ei, ei,« erwiederte der
+Alte heiter, »du hast dich also ganz auf diese Seite geschlagen und
+willst aus Ludwig und Annemarie durchaus ein Paar machen?« -- »Ja,«
+versetzte der Jüngling bestimmt, »das will ich. Die zwei sind nicht
+nur die schönsten im Dorf, sondern auch die bravsten. Sie passen so
+zusammen, als ob sie extra für einander geschaffen wären, und es kann
+nicht sein, daß sie wegen einer so gemeinen Sache, als das Geld ist,
+nicht zusammen kommen sollen!« -- »Du gehst rasch und machst die Sache
+kurz ab,« erwiederte der alte Herr. »Wenn aber der Angerbauer nicht
+will?« -- »Der muß,« entschied der Jüngling. -- »Wer wird ihn zwingen?«
+fragte der Alte. »Willst du vielleicht zum Gerichte gehen, einen Befehl
+auswirken, daß der Angerbauer sich fügen müsse, und die Sache mit
+Gendarmen abmachen?«
+
+Theodor, der die heiter fragende Miene des Großvaters nicht aushalten
+konnte, sah zu Boden. »Ich habe gemeint,« sagte er dann, »~du~
+würdest einmal mit ihm reden, wie sich's gehört, würdest ihm klar
+machen, daß die geistigen Vorzüge viel höher stehen als die weltlichen,
+würdest ihn überzeugen und ihn zwingen durch deinen Zuspruch.« -- »Der
+alte Angerbauer,« erwiederte der Pfarrer, »ist ein sprödes und zähes
+Metall; das bischen Feuer, das ich noch besitze, würde ihn nicht zum
+Schmelzen bringen. Du siehst ja, ich bin alt und theilnahmlos geworden
+und kann mich einer so schönen Glut, wie du sie hast, nicht mehr
+rühmen. Wie wär's« -- fuhr er gemüthlich fort -- »wenn du der Sache
+dich annähmest? Du willst ein Pfarrer werden und wirst als solcher
+gewiß gar vieles geschickter anfangen und besser hinausführen als
+ich. Wenn du beim Angerbauer dein erstes Probestück machtest? Wenn du
+hingingest, ihm und der Bäuerin eine Rede hieltest über das Verhältniß
+der ewigen und zeitlichen Güter und ihn durch begeisterte Worte
+dermaßen in's Feuer brächtest, daß er den Ludwig zurückriefe und ihm
+sein Liebchen zur Frau gäbe? -- Wie?«
+
+Theodor wurde roth und schwieg. Er hatte den Rieser Bauer vom Schlage
+des in Rede stehenden doch schon zu gut kennen gelernt, um nicht ihm
+gegenüber seine Unzulänglichkeit zu empfinden und sich zu sagen,
+daß ein solcher Versuch schmählich scheitern würde. Noch deutlicher
+erkannte er freilich, wie sein Großvater mit ihm spielte. Er sagte
+endlich mit gutmüthiger Empfindlichkeit: »Du hast mich zum Besten und
+behandelst mich wie ein Kind; und doch bin ich kein Kind mehr, sondern
+ein Mensch, der's gut meint und haben will, daß es andern wohl gehe,
+wenn sie's verdienen.« -- Der Pfarrer sah ihn freundlich an, stand auf,
+zog ihn zu sich und schloß ihn mit zärtlicher Liebe in seine Arme.
+»Du bist ein Kind,« sagte er, »aber ein gutes Kind, und mit Gottes
+Hülfe wirst du auch ein guter Mann werden. Gieb dich zufrieden. Wenn
+es deinem alten Großvater möglich wird, sollst du deine Wünsche noch
+erfüllt sehen.«
+
+Der Angerbauer hatte, bald nachdem er in sein Haus zurückgekehrt war,
+die Bäuerin in's Kanzlei gerufen und ihr von seiner Unterredung mit
+dem geistlichen Herrn erzählt. Die Nachricht über den Entschluß des
+Mädchens wirkte auf sie wie auf ihn. Sie sah ein wenig beschämt aus
+und sagte: »So hätten wir dem Mädchen also doch Unrecht gethan! Ich
+muß dir jetzt nur sagen: so ganz von Herzen hab' ich nie dran glauben
+können. Es ist mir immer wieder gewesen, als ob sie am Ende doch nicht
+so schlimm wäre.« -- Das Muttergefühl wußte nun auch auf das umgekehrte
+Verhältniß eine Entschuldigung für Ludwig zu gründen. »Wenn die
+Annemarie,« bemerkte sie nach einigem Bedenken, »so gesinnt ist, dann
+begreif' ich freilich, warum der Ludwig so viel auf sie hält, daß er
+nicht mehr von ihr lassen will. Die Schönste im Dorf ist sie ohnehin,
+und wenn sie noch dazu so rechtschaffen ist und solche Gedanken im Kopf
+hat -- das hat ihn eben verführt. -- Was meint denn der Pfarrer, daß
+wir thun sollen?«
+
+Der Angerbauer, dem diese Rede bedenklich mild vorkam, erwiederte
+streng: »Der Pfarrer ist ganz einverstanden mit mir. Gehen lassen
+sollen wir ihn, bis er von selber kommt, und nachgeben sollen wir
+ihm in keiner Art. Ich hab' den Herrn immer für gescheidt gehalten,
+aber das muß ich sagen, daß er in der Sach' ganz meiner Meinung ist,
+hat mich besonders gefreut.« -- Die Bäuerin, an den Absagebrief des
+Mädchens und seine Wirkung auf Ludwig denkend, sagte: »Wir wollen das
+Beste hoffen.« -- Dann setzte sie hinzu: »Die Annemarie dauert mich
+eigentlich. Wenn man nur einen passenden Mann für das Mädchen wüßte!
+Ich kann mir's aber schon denken, nach dem Ludwig wird ihr keiner
+gefallen.« -- »Bah,« erwiederte der Angerbauer, »bild' dir nicht so
+viel auf deinen verrückten Buben ein. Es giebt noch Mannsbilder in der
+Welt, die so ein Mädchen trösten können!« -- Nach diesen Worten verließ
+er die Stube.
+
+Die Mutter hatte nichts Eiligeres zu thun, als zu ihrer Tochter, der
+Schmalzbäuerin, zu gehen und ihr das eben Erfahrene mitzutheilen.
+Beide rühmten Annemarie und bedauerten, daß sie keine Bauerntochter
+sei, indem sonst nichts an ihr auszusetzen wäre. Bald war die ganze
+Freundschaft in Kenntniß gesetzt und alle sangen das Lob des Mädchens,
+natürlich unter der Voraussetzung, daß sie's ganz ernstlich meine und
+jeden Anspruch auf Ludwig aufgebe.
+
+In der Freundschaft war jedoch eine Person oder vielmehr ein
+Persönchen, das für die Familieninteressen wenig Sinn hatte, desto mehr
+für das Glück des Liebespaares. Dies war »Johannesle,« das älteste
+Kind der Schmalzbäuerin. Dem Ludwig gewogen von seinem ersten Denken
+an, weil er sich am schönsten mit ihm abzugeben wußte, hielt er auch
+besonders viel auf Annemarie. Bald nach ihrer Ankunft im Dorf hatte
+sich diese nämlich in ein Gespräch mit ihm eingelassen und ihn zum
+Lohn für seine hübschen Antworten so schön gestreichelt, daß er's
+ihr nicht vergessen konnte. Als das Verhältniß zwischen den beiden
+sich entspann, erhorchte und erfragte er so viel, daß er darüber so
+ziemlich unterrichtet war, und ärgerte sich dann in der letzten Zeit
+nicht wenig, daß man zwei so nette Leute nicht zusammenlassen wollte.
+Zu wiederholten Malen versicherte er seiner Mutter, die zwei müßten
+sich kriegen, und endlich trug er ihr auf, sie solle mit dem Großvater
+reden. Die Mutter antwortete, er möge es doch selber thun. Und
+Johannesle faßte sich ein Herz, trug dem Großvater die Bitte vor und
+schloß damit: es ginge nicht anders, die zwei müßten sich heirathen.
+Der Alte sah ihn verwundert an und fragte, wer ihm diese Dummheit in
+den Kopf gesetzt habe. Johannesle versetzte ernsthaft: »Ich selber,
+Aehle,« und wiederholte sein Gesuch. Der Angerbauer, um solche Gedanken
+im Keim zu ersticken, machte ein böses Gesicht und sagte in erzürntem
+Ton: »Du bist ein naseweiser Bursch! Diese Dinge gehen dich gar nichts
+an, und wenn ich dir gut zum Rath bin, so laß mich so was nicht wieder
+hören!« Eine gewisse Bewegung des Arms ergänzte den Sinn dieser
+Antwort. Der Knabe, den Großvater angaffend, ging einige Schritte
+rückwärts, murmelte dann aber, ein zweiter Galilei: »Sie kriegen sich
+doch!« -- Von da an machte er verschiedene kindische Pläne, wie er
+den beiden helfen wollte. Auf dem Dorfe nämlich, wo man gar vieles
+offen verhandelt und auf etwa anwesende Kinder nicht immer Rücksicht
+nimmt, bekommen diese früh von menschlichen Verhältnissen eine Art von
+Begriff. Der Dorfbube lernt bald die erklärten Liebespaare in seinem
+Orte kennen, das natürliche Gemüth findet es in der Ordnung, daß der
+schönste Bursche auch den nettesten Schatz habe, und nimmt an ihrer
+endlichen Verbindung einen naiv poetischen Antheil; so wie ihm auch
+früh klar wird, daß zwei Verliebte sich treu bleiben müssen und nicht
+von einander lassen dürfen. Als Johannesle von seinem Oberknecht hörte,
+die Annemarie habe sich anders besonnen und dem Ludwig geschrieben, er
+könne eine andere nehmen, erwiederte er bestimmt: »Ich glaub's nicht!«
+Und als der Oberknecht bei seiner Behauptung blieb, wurde der kleine
+Mann ganz hitzig und rief: »Es ist nicht wahr!«
+
+Nachdem der Entschluß des guten Mädchens so in den Häusern der
+Freundschaft besprochen war, kam er bald im ganzen Dorf herum. Der alte
+Bäcker, der ihn auch erst auf diesem Wege erfuhr, nahm sein Mündel bei
+der Hand, sah sie mit gerührtem Blicke an und sagte: »Du hast brav
+gehandelt, Annemarie! Laß dich's nicht reuen und bleib dabei. Man muß
+den eingebildeten Leuten zeigen, daß man auch seinen Stolz hat.«
+
+Als Annemarie das Lob erhielt, das wir ihr gleicherweise von der
+Familie des Angerbauers und ihrem Vormund haben spenden sehen, hatte
+sie es noch nicht ganz verdient: der Brief an Ludwig war noch nicht
+geschrieben. Sie hatte mehrere Versuche gemacht, im Kopf und mit der
+Feder, aber sie konnte die Ausdrücke nicht finden, die ihr genug
+thaten. Sie wollte einen ehrlichen Brief schreiben, der aus dem Herzen
+kam; aber was sie zu sagen hatte, wollte dem Geliebten gegenüber
+nicht aus dem Herzen kommen. Durfte sie, nach allem, was geschehen,
+ihn nochmal fragen, ob er ihr wirklich treu bleiben wolle? Durfte
+sie sich den Schein geben, als halte sie es für möglich, daß er ihr
+Anerbieten annehmen und seinen Eltern folgen könnte? War das nicht
+eine unverdiente Kränkung für ihn? Wie sollte sie's nun anfangen,
+daß alles so gut und so schonend als möglich heraus kam? In Bedenken
+und Fehlversuchen verging eine ganze Woche. Endlich vernahm sie,
+daß ihre Unterredung mit dem Pfarrer bekannt geworden und wegen
+ihres Versprechens im Hause des Angerbauers große Freude sei. Dieses
+Bekanntwerden und diese Freude, sie »los zu werden,« brachte sie
+wieder in die rechte Stimmung. Sie setzte sich hin und schrieb, ohne
+abzusetzen, folgendes:
+
+»Herzgeliebter Ludwig! Ich hätt' nicht gedacht, daß ich dir einen
+Brief schreiben würde, wie ich jetzt thun muß. Aber so geht es in
+dieser Welt. Man nimmt sich die besten Dinge vor, dann kommt etwas
+dazwischen und nöthigt uns, anders zu handeln, als wir gedacht haben.
+Seitdem ich an dich geschrieben hab', ist hier etwas geschehen -- so
+lang ich lebe, hat mir nichts so weh gethan und mich so gekränkt wie
+das. Ich will dir's nur kurzweg sagen. Dein Vater und deine Mutter,
+wie sie gesehen haben, daß du wirklich nicht mehr kommst, haben ihren
+Zorn und ihren Verdruß an mir ausgelassen; sie haben herumgesagt, ich
+sei darauf ausgegangen, dich zu verführen, weil ich gern die Söhnerin
+eines reichen Bauern geworden wäre; ich hätte dich listig gelockt, und
+ihr gutmüthiger Ludwig hätte sich fangen lassen. Ich sei überhaupt eine
+rechte Duckmäuserin und eine gefährliche Person, vor der man sich hüten
+müsse. Diese Reden gingen durch's ganze Dorf und in allen Haushaltungen
+wurde davon gesprochen. Ludwig, du kennst mich, dir brauch' ich nicht
+zu sagen, wie mir bei diesen Lügen zu Muthe geworden ist. O die reichen
+Leute! Nimm mir's nicht übel, Ludwig, aber die sind überall die
+nämlichen. Sie glauben, es gäbe nichts Besseres als das viele Geld,
+das sie haben, und wenn die andern etwas thun, so thun sie's einzig
+und allein, um auch so viel Geld zu bekommen. Wenn nun erst ein armes
+Mädchen den Sohn reicher Leute lieb hat, dann ist natürlich gar kein
+Zweifel, daß sie nur eine reiche Frau werden will. Daß sie ihn lieb
+hat, weil er brav und gut ist, daß sie ihn, wenn er arm wäre, grad so
+lieb, ja vielleicht noch lieber haben würde -- das ist natürlich ganz
+unmöglich!«
+
+»Neben diesen Lügen über mich hab' ich auch noch hören müssen, daß
+deine Leute ganz unglücklich sind über diese Geschichte, die ich ihnen
+angerichtet haben sollte, daß Trauer und Kummer in deinem Hause sei.
+Das ist die Wahrheit, Ludwig! Ja, ja, unglücklich sind sie gewesen! Es
+ist aber auch gar zu arg! Eine Schwiegertochter zu bekommen wie ich
+bin, ist das nicht eine Schande und ein Elend, wie es kein zweites mehr
+gibt? Lieber eine Kröte in's Haus oder eine giftige Schlange! -- Als
+ich das alles gehört hab' -- denn es ist mir alles zugebracht worden --
+was sollt' ich thun? Im Zorn und in der Betrübniß meines Herzens hab'
+ich dieß und jenes gedacht und bin ganz verzweifelt herumgelaufen. Denn
+die Sach' ist so gewesen, daß ich nicht hab' ruhig sein können, weil
+ich ein gutes Gewissen hab'; nein, meine Ehr' hat's nicht gelitten, ich
+hab' etwas thun müssen. Endlich bin ich mit mir einig geworden. Ich bin
+zum Herrn Pfarrer gegangen, zu dem ich das rechte Vertrauen hab', und
+dem hab' ich gesagt: weil die Sachen so stehen, so soll's nun sein,
+als ob du mir das Versprechen, der Meinige zu sein, gar nicht gegeben
+hättest; du sollst ganz frei sein und nochmal überlegen, was du thun
+willst, die arme Annemarie oder die reiche Eva oder eine andere reiche
+Bauerntochter heirathen, und was du thust, soll mir recht sein. Der
+Herr ist über die Maßen gut gegen mich gewesen, er hat mir gesagt, ich
+hätte recht gehandelt, und alles das soll ich auch dir schreiben. Weil
+ich's ihm versprochen hab' und weil's überhaupt geschehen muß, drum
+thu' ich's jetzt.«
+
+»Sieh, Ludwig, du hast mich recht lieb gehabt und hast für mich
+gethan, was wenige thun würden. Und ich hab' mich inniglich gefreut
+darüber und dir im Herzen tausendmal dafür gedankt. Aber wenn's dir
+nun doch zu hart ginge in deinem Dienst, wenn du's auf die Länge nicht
+aushalten könntest und wenn dir der Gedanke käme: es wäre doch besser,
+wenn du mit deinem Vater dich vertragen und ihm gefolgt hättest -- um
+Gotteswillen, Ludwig! wenn du einen solchen Gedanken hättest, und wenn
+er wieder käme -- schreib augenblicklich an deine Eltern, sag' ihnen,
+du wollest mich lassen und eine andere heirathen! Denn das kannst du
+thun, ich geb' dir das volle Recht dazu. Deßwegen, weil du mir das
+Versprechen gegeben hast, sollst du es nicht halten; ich verlang's von
+dir, daß du dich daran nicht kehren und handeln sollst, wie du es jetzt
+für gut findest.«
+
+»Bedenk, wie deine Eltern gegen mich sind! Denn das muß ich dir noch
+sagen, seitdem dein Vater vom Herrn Pfarrer erfahren hat, was ich
+zu ihm gesagt hab', glauben sie bei dir, es werde nun bald aus sein
+zwischen uns, und sind vergnügt darüber, man kann gar nicht sagen
+wie! Bedenk das, Ludwig! Deine Eltern wollen mich nicht und verachten
+mich; mit ihrem guten Willen kommen wir nie zusammen, du kannst nie zu
+gleicher Zeit mit mir glücklich sein und mit ihnen. Du wirst mit mir
+auch keinen Hausstand bekommen, wie du ihn gewohnt bist, und vieles
+nicht haben, was du vielleicht nicht wohl entrathen kannst. Bedenk
+das alles! -- Für mich brauchst du nicht zu sorgen. Ich hab' so viel,
+als ich bedarf, und kann arbeiten und mit Gottes Hülfe werde ich dazu
+auch gesund bleiben. Und wenn ich kein Glück mehr habe, so kann ich
+doch sagen, daß ich glücklich gewesen bin, wenn auch auf kurze Zeit, so
+glücklich, daß es mir immer die größte Seligkeit sein wird, nur daran
+zu denken. Ich hab' schon dem Herrn Pfarrer gesagt, ich wolle dann
+fortgehen in's Württembergische, so daß ich euch gar nicht mehr im Wege
+bin. Und wenn mir dann die Regine zu wissen thut, daß es dir gut geht,
+das soll meine Freude sein.«
+
+»Lebwohl! Ich hab' mein Versprechen gehalten und gethan, was ich nicht
+lassen konnte. Ueberleg' nun alles, herzlieber Ludwig! Denk nicht
+schlimm von mir und glaub' nicht, daß ich anders gegen dich gesinnt bin
+als sonst! Ich hab' nur nicht anders gekonnt und ergebe mich jetzt in
+alles, was geschehen mag. Schreib mir ganz ohne Bedenken, was du thun
+willst, oder laß es mich auf andere Art wissen, wenn's dir lieber ist.«
+
+Als sie diesen Brief -- der hier freilich aus der eigenen Mischung von
+Dialekt und Hochdeutsch, in der er ursprünglich abgefaßt war, möglichst
+in die Form der Schriftsprache übertragen ist -- geendet hatte, las sie
+ihn durch und empfand eine starke Versuchung, ihn wieder zu zerreißen.
+Es kam ihr vor, als ob zu viel Aerger darin wäre und zu wenig Liebe.
+Ihr Geliebter war ja ordentlich angetrieben, sie zu lassen; sie
+fürchtete, er könnte am Ende doch auf den Gedanken gerathen, ~sie~
+wolle ~ihn~ aufgeben. Sie las wieder und stand im Zweifel da,
+was sie thun solle. In diesem Augenblick öffnete Regine die Thüre und
+brachte einen kleinen Brief: es war die Einladung nach Nördlingen. Da
+Ludwig alles, was er auf dem Herzen hatte, sich für die Zusammenkunft
+vorbehielt, so bestand die Einladung nur aus wenigen einfachen Worten.
+Annemarie fühlte, daß sie ein Ende machen müsse. Sie schrieb unter
+ihren Brief: »Wie ich so weit gekommen bin, bringt man mir deine
+Einladung auf morgen. Du siehst, daß ich jetzt nicht kommen kann. Lies
+erst meinen Brief und gib mir Antwort. Lebwohl, lebwohl!« Sie machte
+das Papier rasch zurecht, »pitschirte« es mit einem kleinen Geldstück
+und übergab es Regine, die auf den Markt nach Nördlingen ging, zur
+Besorgung.
+
+Drei Tage vergingen. Ich will nicht schildern, welche Gedanken das
+gute Kind sich machte, welche Angst sie empfand und wie sie sich
+selber wieder tröstete und an die Stelle der Bangigkeit die Zuversicht
+redlicher Liebe trat. Sie war, wie überhaupt seit der Bekanntschaft mit
+Ludwig, etwas aus ihrem Charakter gegangen und bewegter und erregter
+geworden, als derjenige, der sie früher gekannt, ihr zugetraut hätte.
+Wer wird das aber verwunderlich finden? -- Am Morgen des vierten Tages
+erhielt sie die Antwort von Ludwig, die er Sonntags geschrieben und die
+-- in ähnlicher Uebertragung -- hier folgt:
+
+»Meine liebste Annemarie! Du hast mir einen Brief geschickt, über
+den ich mich recht gewundert hab'. Ich will dir aber keine Vorwürfe
+machen; ich hab' mich nach und nach doch hineingedacht, wie's dir zu
+Muth ist, ich hab' dich bedauert und schäme mich, daß meine Eltern
+so gegen dich gehandelt haben. Ja du hast Recht! So sind die reichen
+Leute, wenn sie auch sonst so gut und so brav sind wie mein Vater und
+meine Mutter! Ich begreif', wie dich diese Lügen kränken und erzürnen
+müssen. Ich begreif', was du gethan hast. -- Aber nun sag' mir: hast
+du wirklich geglaubt, daß ich thun könnte, was du mir vorschlägst? Ich
+hoff's nicht; ich hoff', daß du mich besser kennst. Wie! nach allem,
+was zwischen uns vorgegangen ist, soll ich dich lassen? Und wenn ich
+wüßte, daß ich mich unglücklich machen würde für mein ganzes Leben, ich
+thät's nicht! Und wenn ich's vorher hätte thun können und eine andere
+nehmen, jetzt könnt' ich's schon gar nicht mehr. Wie viel meinst du
+denn, daß es Mädchen gibt, die so handeln, wie du gehandelt hast? Und
+glaubst du, daß ich kein Herz habe und keinen Verstand, das einzusehen?
+Ich weiß wohl, was ein Sohn seinen Eltern schuldig ist. Ich bin nie
+ein schlechter Sohn gewesen, wie mir alle bezeugen müssen, und wenn
+mein Vater verlangt, was er von Gott und Rechtswegen verlangen kann,
+so will ich's thun. Aber wenn ich, um mit meinem Vater wieder gut zu
+werden, ein Mädchen verlassen könnte wie du bist, so verdient' ich,
+daß man mich rädern thäte und meine Glieder auf's Rad flechten! Red'
+mir also nicht mehr von dieser Sache! Wenn dich dein Gewissen und
+dein Stolz getrieben haben, zum Pfarrer zu gehen und ihm ein solches
+Anerbieten zu machen, so begreif' ich das jetzt und schätz' dich um so
+höher. Aber das will ich nicht glauben, daß du mich wirklich für fähig
+gehalten hast, ein solches Anerbieten anzunehmen. Denn wenn das wäre,
+dann wär' deine Lieb' zu mir nicht so groß, wie meine zu dir, sondern
+viel kleiner! Ich hab' auch ein Gewissen und einen Stolz, und die sagen
+mir, daß ich dir treu bleiben soll gegen alle Welt. Ich hab' kein böses
+Gewissen, daß ich mein väterliches Haus verlassen hab', sondern ein
+gutes, denn ich hab' nicht darin bleiben und dir treu sein können. Und
+wenn ich wüßte, daß ich heute sterben und vor Gott treten müßte, ich
+wär' ruhig.«
+
+»Ich seh' nun wohl, daß wir für die nächste Zeit nicht zusammen
+kommen werden, denn du hast deine Gedanken und bleibst dabei. Aber
+ich vertrau', wir haben nicht nöthig uns zu sehen, um uns grad so
+lieb zu haben. Ich hab' dich alleweil vor Augen; wohin ich geh', da
+gehst du mit mir. Wenn ich bei der harten Arbeit müde bin und denk' an
+dich, dann hab' ich wieder Kraft; es ist gerade, als hätt' ich einen
+frischen Trunk gethan. Und jetzt nach deinem Brief will ich wieder
+alles aushalten. Es ist freilich wahr, daß ich schwere Arbeit thun muß
+und mancherlei Verdrießlichkeiten hab'; aber wenn's mir hier nicht mehr
+gefällt, so kann ein Mensch, der gesund ist und sein Geschäft versteht,
+sich überall fortbringen. Ueberall, wo ich bin, werd' ich gegen dich
+der gleiche sein, und endlich, das weiß ich ganz bestimmt, werden wir
+zusammenkommen und glücklich sein. Adies, herzgeliebte Annemarie!
+Bleibe gesund und vertrau' auf Gott wie dein Ludwig!«
+
+Als Annemarie in ihrer Kammer, wohin sie sich zitternd und bebend
+geflüchtet, diesen Brief las und zu den ersten Versicherungen der Treue
+kam, rief sie mit freudestrahlendem Gesicht: »Ich habs ja gewußt!« Beim
+Weiterlesen wurde der Glanz ihrer Blicke getrübt durch wonnige Thränen,
+die ihr bei den Ausdrücken herzinniger Liebe in die Augen traten, bis
+endlich die Flamme der Freude auch durch sie hindurch drang und ihr
+ganzes Wesen verklärte. Regine, von Theilnahme getrieben, erschien
+an der Schwelle der Kammer. Das überglückliche Kind eilte auf sie zu,
+fiel ihr um den Hals und rief mit holdseliger Gewißheit: »Nun gehört er
+mein, und kein Mensch in der Welt wird mir ihn nehmen!« Regine hatte
+das größte Verlangen, den Brief auch zu sehen; die Freundinnen setzten
+sich zusammen, Wange an Wange lasen sie und unterbrachen sich selbst
+durch entzückte und gerührte Ausrufungen. Regine sagte zuletzt: »Gewiß,
+liebes Mädchen, der gehört dir; den bringt sein Vater nicht mehr herum!
+Aber nun wirst du auch wissen, was du zu thun hast.« -- »Ja,« rief
+Annemarie, »das weiß ich! Jetzt sind wir stärker als Vater und Mutter
+und die ganze Freundschaft! Mögen sie sagen und thun was sie wollen --
+nichts verdrießt mich mehr, ich verzeih ihnen alles im voraus!« Regine
+sagte: »Nun wird's auch gut gehen.« -- »Und wenn's nicht gut ginge,«
+erwiederte Annemarie, »so wären wir doch glücklich. Jetzt darfs gar
+nicht schnell kommen, sonst wär's zu viel!«
+
+Als sie noch manches so gesprochen, gingen sie die Stiege hinunter.
+»Im Tennen,« d. h. in der Hausflur, angekommen, sahen sie einen Buben
+zur Thür hereinkommen, der sich vorsichtig umsah. Es war der kleine
+Gönner des Liebespaars, Johannesle. Annemarie, die schon gehört hatte,
+wie sie bei dem Bürschchen in Gnaden stand, flog auf ihn zu, gab ihm
+die Hand und fragte, was er wünsche, ob sie vielleicht mit einer guten
+Birn aufwarten könne. Johannesle schüttelte ernsthaft den Kopf und
+betrachtete sie mit prüfendem Blick, so daß die Mädchen sich lächelnd
+ansahen, und Annemarie fragte, was denn sonst sein Begehr sei? Darauf
+sagte er endlich: »Ich hab' gehört, du willst den Ludwig lassen und
+einen andern heirathen. Ist das wahr?« -- »Nein,« rief das Mädchen
+unbedacht, »das ist nicht wahr! Entweder den Ludwig oder keinen!« Der
+Kleine war sichtlich erfreut. »Ich hab's ja gesagt,« erwiederte er
+selbstzufrieden und wandte sich zum Abgehen, voll Begierde, seinen
+»Stangenreiter« (Oberknecht) zu beschämen. Annemarie rief: »Bleib doch,
+liebs Büble, und komm mit in den Garten!« Aber Johannesle rief: »Ich
+muß fort,« und eilte davon. Regine sagte mißbilligend: »Da hast du's!
+Der wird's unter die Leute bringen!« -- »Es soll auch unter die Leute,«
+erwiederte Annemarie. »Das kann und darf nicht verschwiegen bleiben.
+Heute noch geh' ich zum Herrn Pfarrer und sag' ihm alles.«
+
+Sie erfüllte dieses Wort Nachmittags. Der Geistliche las den Brief,
+den das Mädchen ihm übergab, mit ernster Aufmerksamkeit und mit
+einer innerlichen Freude, die beinahe durchgebrochen wäre und seine
+Parteinahme verrathen hätte. »Es ist gut!« rief es in ihm. Wie
+Annemarie sah, daß er mit dem Lesen fertig war, sagte sie: »Herr
+Pfarrer, Sie sehen, ich hab' mein Versprechen gehalten. Nun hab' ich
+in der Sache nur noch eine Pflicht und der will ich nachhandeln, ohne
+an etwas anderes zu denken.« -- »Die Pflicht,« versetzte der Pfarrer,
+indem er sie lächelnd ansah, »in Geduld zu erwarten, was da kommen
+soll.«
+
+Der alte Herr achtete es unter den gegenwärtigen Umständen für
+gerathen, den Angerbauer in seinem Hause aufzusuchen und ihm von dem
+Stand der Dinge Meldung zu thun. Als der Bauer den Kern der Neuigkeit
+und ein paar Ausdrücke aus Ludwigs Brief vernommen hatte, rief er
+aus: »O Unsinn! o Tollheit! o verkehrte Welt! Nehmen Sie mir's nicht
+übel, Herr Pfarrer, aber womit hab' ich' verschuldet, daß ich mit so
+einem Menschen gestraft bin? Wenn ich nur im Grab läge, dann könnten
+sie thun, was sie wollten!« Die Bäuerin ließ sich ähnlich vernehmen,
+aber in gedämpfteren Tönen. Ihr Schlußwort lautete: »Wer hätte das dem
+Menschen zugetraut! Man soll doch niemals sagen, daß man sich in Einem
+auskennt, sogar bei seinem eigenen Kind!« Der Pfarrer versetzte: »Es
+thut mir leid, daß euch meine Nachricht betrübt; aber da das Mädchen
+zu mir das Vertrauen hatte und mir den Brief zu lesen gab, so hab'
+ich's für meine Schuldigkeit gehalten, euch davon zu unterrichten,
+obwohl ich mich sonst in Familienangelegenheiten nicht gern mische.«
+Der Angerbauer sagte mit Würde: »Ich dank' Ihnen dafür, Herr Pfarrer.
+Wir müssens hoch aufnehmen, daß Sie sich selber herbemüht haben.« Nach
+einer Weile sagte die Mutter: »Was soll nun aber aus dem Ludwig werden,
+wenn er so gesinnt ist?« -- »Was er selber will,« entgegnete der Vater
+barsch. Die Mutter seufzte und sagte: »Aber --« -- »Nichts aber!«
+rief der Bauer dazwischen. »Willst du etwa haben, daß wir uns durch
+seinen Trotz einschüchtern lassen und nach ihm schicken sollen? Da,
+frag den Herrn Pfarrer! -- Haben Sie,« fuhr er zu diesem gewandt fort,
+»nicht neulich zu mir gesagt, wir sollen nicht nachgeben, er müsse
+zu ~uns~ kommen?« -- »Ja,« antwortete der Pfarrer, »und das ist
+noch jetzt meine Meinung.« Der Bauer sah sein Weib triumphirend an und
+sagte: »Siehst du?«
+
+Nach einigen Worten des Trostes empfahl sich der Geistliche; die
+Eheleute begleiteten ihn bis zum Hofthor, von wo der Bauer düster, die
+Frau kopfschüttelnd zurückkehrte.
+
+Seit dem Tage, wo Ludwig das väterliche Haus verließ, war der
+Angerbauer nicht nach Nördlingen gekommen. Er fürchtete zuerst
+überhaupt Bekannte aus der Stadt oder aus andern Dörfern zu treffen,
+deren Fragen er nicht so leicht mit einer Grobheit beantworten
+konnte. Später scheute er hauptsächlich ein Zusammentreffen mit dem
+Schmiedbauer, dessen Charakter und Manieren er kannte. Zuletzt konnte
+er doch eine Fahrt zur Schranne nicht länger vermeiden: er hatte
+noch altes Korn, der Preis war gut und nach seiner Ansicht keine
+Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich lange so halten werde. Er
+ließ mit einer Partie des Getreides einen Wagen laden und war bald an
+Ort und Stelle.
+
+Das Gewühl in der Schranne war für diese Zeit groß. Es hatten sich
+württembergische Händler eingefunden, die bedeutende Einkäufe machten.
+Der Angerbauer wurde an einen derselben seinen ganzen Wagen Korn los;
+er war froh und hoffte an diesem Tag nichts Unangenehmes mehr zu
+befahren. Die Bekannten, die er getroffen, hatten ihn im Drang der
+Geschäfte nur flüchtig begrüßt und an seine Familienangelegenheit nicht
+gedacht, wenigstens nicht davon gesprochen. Den Schmiedbauer hatte er
+gar nicht gesehen. Als das Korn abgemessen war, hieß er den Oberknecht
+mit dem Wagen zu einem Wirthshause am Thor fahren, wo die Angerbäuerin
+aufsitzen würde. Diese hatte sich bei dem guten Wetter zu Fuß nach der
+Stadt begeben, um Einkäufe zu machen, wollte aber für den Nachhauseweg
+den Wagen benutzen. Der Bauer wollte den Nachmittag in der Stadt
+verbringen, um nach Bequemlichkeit heimzuwandern. Wie er unter einem
+Seitenthor der Schranne stehend den Knecht wegfahren sah, hörte er
+von der andern Seite her plötzlich den hellen Ruf: »Guten Tag, Vetter
+Angerbauer!« Er sah sich um und erkannte den Schmiedbauer, der ihm
+begierig zunickte. Augenblicklich ein »danke schön« brummend ging er
+rasch auf die Straße und verschwand im Gewühl der Menschen und Wagen.
+
+Anfangs war seine Absicht gewesen, zum »Fadenherrn« in der Nähe der
+Schranne zu gehen, wo er gutes Essen und Bier zu finden gewohnt war.
+Nun aber hütete er sich wohl, in einem Hause einzukehren, wo er sicher
+mit dem »boshaften Kerl,« dem Schmiedbauer, zusammenkommen würde. Er
+vermied aus demselben Grund auch das Wirthshaus am Thor und suchte
+ein drittes auf, wo er sein spätes Mittagessen in Ruhe verzehren zu
+können hoffte. Darin täuschte er sich nicht. Er traf zwei Männer aus
+seinem Dorf, setzte sich zu ihnen und ließ sich Braten und Salat wohl
+schmecken, während der Schrannentag ergiebigen Stoff zur Unterhaltung
+bot.
+
+Nach langer Zeit wurde es ihm wieder fast behaglich zu Muthe, wozu der
+um den Leib geschnallte, gefüllte Geldgurt das Seine beitragen mochte.
+Er trank nach Durst und übergab eben die blanke zinnerne Bierkanne der
+behenden Wirthstochter zur zweiten Füllung, als die Thüre aufging und
+der Schmiedbauer hereintrat. -- Dieser hatte ihn in nicht weniger als
+drei Wirthshäusern vergebens gesucht. Sein Muth wurde dadurch nicht
+geschwächt, und er war eben im Begriff, in ein viertes zu gehen, als
+ihm von einem Bekannten das rechte verrathen wurde.
+
+Der Angerbauer, als er den Gefürchteten erblickte, fuhr zurück, als
+wenn ihn eine Schlange gebissen hätte. Der Schmiedbauer ging auf ihn
+zu, das Gesicht von einem Vergnügen belebt, wie es Reineke der Fuchs
+empfunden haben mochte, als er den ehrlichen Lampe in seiner Höhle
+sah. Große, blanke Zähne weisend, die man ordentlich wässern sah, rief
+er seinem Opfer zu: »Guten Tag noch einmal! Du bist heute schwer zu
+finden, Vetter Angerbauer! Schon in drei Wirthshäusern hab' ich dich
+umsonst gesucht!«
+
+Der Angerbauer hatte sich wieder etwas gefaßt. Er bot ihm nicht
+das eben ankommende Bier zum Trinken -- eine Höflichkeit, die man
+eintretenden Bekannten sonst gewissenhaft zu erweisen pflegt, --
+sondern antwortete trocken und ein wenig den Mund verziehend: »Woher
+kommt dir denn auf einmal das große Verlangen nach mir?«
+
+»Da haben wir's!« sagte der Schmiedbauer; »gleich wieder stolz!« --
+Und indem er die beiden andern listig anblinzelte, fuhr er fort: »Bist
+du denn gar nicht neugierig, etwas von deinem Ludwig zu hören?« --
+Der Angerbauer, sich bezwingend, erwiederte: »Nicht im Geringsten!«
+-- »Nun, nun,« versetzte der andere, »stell dich nur nicht so an, ich
+weiß doch, daß du gern etwas von ihm hören möchtest. Du brauchst dich
+auch gar nicht zu fürchten: ich kann ihn nur loben. Er macht sich
+ganz vortrefflich, und ich muß dir nur sagen, ich hätt's dem Sohn
+eines so reichen Mannes nicht zugetraut, daß er einen so geschickten
+Handknecht abgäbe. Er sucht wahrhaftig seines Gleichen, namentlich im
+Futterschneiden und Misten.«
+
+Bei diesen Worten konnten die beiden Unbetheiligten sich nicht
+enthalten zu lächeln; dem Angerbauer stieg das Blut in's Gesicht.
+Finster entgegnete er: »Mag er machen, was er will! Er ist mein Sohn
+nicht mehr und geht mich so wenig an, wie einen von euch!« -- »Geh',«
+sagte der Schmiedbauer, »sei gescheidt! Unser Kind bleibt immer unser
+Kind.« -- »Und ich sag' dir,« versetzte der Angerbauer mit zornigem
+Nachdruck, »daß ich nichts mehr von ihm wissen will, und bitt' mir's
+aus, daß du jetzt von ihm das Maul hältst!«
+
+Auf diese verständliche Abweisung zuckte der Schmiedbauer die Achsel.
+»Mir auch recht,« sagte er. »Wenn du nichts mehr von ihm wissen willst,
+dann bleibt mir ein Handknecht, wie ich ihn brauche und wie man ihn
+heutzutage nicht mehr findet. Schaffen thut er für Zwei und gehorchen,
+als wenn er ein geborener Knecht wäre. Wenn ich, oder mein Sohn, oder
+meine Tochter, oder mein Oberknecht ihm etwas sagen, läuft er wie ein
+Wiesel. Wenn du ihn nicht mehr willst, gut! Ich hab' den Vortheil
+davon.«
+
+Indem er bei den letzten Worten die Zielscheibe seiner Bosheit ansah,
+fühlte er, daß er für jetzt nicht weiter gehen dürfe. In dem Angerbauer
+kochte es gefährlich. Seinen Sohn vor den beiden Männern als gehorsamen
+Knecht loben zu hören, war für ihn schrecklich, und die Absicht des
+Schmiedbauern, ihn zu verhöhnen, machte ihn wüthend. Wäre er mit diesem
+allein gewesen, er hätte ihm eine Antwort mit der Kanne an den Kopf
+gegeben, auf welche kein weiterer Bericht mehr erfolgt wäre. In der
+vollen Wirthsstube mußte er an sich halten und schwieg daher grimmig
+still. Der andere fand für gut zu bemerken: »Nun, ich sehe, es ist
+dir wirklich unlieb, etwas weiter zu hören; lassen wir's also gehen!«
+Der Angerbauer nickte bedeutsam, als wollte er sagen: »Du thust sehr
+gescheidt daran!«
+
+Von einem der beiden Bauern wurde das Gespräch wieder auf die
+Schranne zurückgelenkt und blieb dabei. Auf diese Weise kam jedoch
+der Angerbauer um eine Nachricht, die ihm lieb gewesen wäre, denn der
+Schmiedbauer war bekanntlich kein bloßer Bösewicht. Er wollte heute an
+dem Vetter sein Müthchen kühlen und an den »hoffährtigen Kameraden«
+ein wenig ärgern; dann aber wollte er ihm sagen, daß der junge Bursch
+in seinem Hause deßwegen kurz gehalten und tüchtig angespannt werde,
+damit er sich nach den Eltern sehne und endlich demüthig heimkehre, wie
+sich's gebühre. Er wollte sich dem Angerbauer von seiner ernsthaften
+Seite zeigen, ihm Vorschläge machen, seine Wünsche hören. Allein da
+dieser nach seiner Ansicht gar keinen Spaß verstand, so wollte er sich
+auch auf den Ernst nicht einlassen. Er dachte: »Es ist der Alte! immer
+gleich oben aus! Gut, für heute soll er nichts weiter hören!«
+
+Als der Angerbauer die zweite Kanne noch nicht ganz geleert hatte,
+zahlte er und schickte sich an zu gehen, indem er sagte, er habe noch
+einen Gang zu machen. Den Schmiedbauern übermannte noch einmal der
+Muthwille und er fragte den Abgehenden in schelmisch gemüthlichem Ton:
+»Soll ich also wirklich deinem Ludwig keinen schönen Gruß von dir
+ausrichten?« Der Angerbauer gab ihm hierauf eine Antwort, die ihm der
+kindischen Bosheit der Frage allein entsprechend schien, und entfernte
+sich, indem er die Thüre stattlich zuschlug. Je mehr Zorn jene Antwort
+verrieth, desto vergnügter lachten die drei Zurückgebliebenen zusammen
+und schwatzten noch eine Weile über diesen Spaß.
+
+Unser Mann ging geradeswegs nach Hause. Indem er mit wenig gemindertem
+Zorn in's Kanzlei eintrat, fand er dort sein Weib in einer ähnlichen
+Stimmung. Ohne vorläufig darauf zu achten, erzählte er, was ihm
+begegnet, und die Angerbäuerin stimmte in seine Ausrufungen über die
+Bosheit der Menschen treulich mit ein. Dann bekannte sie, ihr sei
+beinahe noch etwas Aergeres passirt. Neugierig drängte sie der Mann,
+zu erzählen. Die Bäuerin hub an: »Ich bin zuerst bei der Melbersbas
+gewesen und hab' mich etwas länger verweilt, als ich dachte. Dann bin
+ich zum »Canditor« gegangen und hab' Zucker, Kaffee und Gewürz gekauft.
+Wie ich aus dem Laden auf die Straße hinausgeh', wer kommt auf mich zu?
+Die Ev' mit ihrer alten Bas! Ich will dirs nur sagen, ich bin ein wenig
+verhofft gewesen und es ist mich ordentlich ein Zittern angekommen.
+Aber doch bin ich gleich auf sie zugegangen, hab' sie freundlich
+gegrüßt und »guten Tag« geboten. Die alte Bas hat gedankt; die Ev' hat
+aber nur ihr »Schnäuzle« naufgezogen.« Der Angerbauer, der aus allem
+abnahm, was kommen würde, bemerkte mit einem gewissen Humor: »Sag'
+Schnauz, das paßt besser!«
+
+Die Mutter fuhr fort: »Weil ich sie nun seit dem Vorgang nicht wieder
+gesehen hab', so hab' ich nach etlichen Reden gesagt: »Uns hat halt
+seitdem ein rechtes Unglück getroffen!« Denn wenn man sich so gut
+kennt, dann kann man wohl vertraut mit einander reden.« »Ja, ja,«
+antwortete die alte Bas, »das ist eine böse Geschichte! Wer hätte dem
+Ludwig das zugetraut!« -- »Ja freilich,« hab' ich wieder gesagt, »hätt'
+man ihm das nicht zugetraut; aber junge Leute machen eben manchmal
+tolle Streiche. Alles ist deßwegen nicht verloren, er kann sich wieder
+anders besinnen, kann heimkommen und alles kann noch gut werden.« Da
+hättest du die Ev' sehen sollen! Roth wie ein welscher Hahn tritt sie
+vor mich hin und sagt: »Ihr glaubet doch nicht, Frau Bas, daß es mit
+Eurem Ludwig und mir noch was werden kann? Wenn Ihr so was denkt, dann
+schlagt's Euch nur aus dem Sinn. Das wär' mir das Wahre! Ein Mensch,
+der sich so aufführt! Nein, Frau Bas, für so einen bedank' ich mich
+schön und bin froh, daß ich ihn los geworden bin.« Ich hab darauf
+gesagt: »Was willst du denn? -- hab ich denn davon geredt?« Aber sie
+hat sich nicht irr machen lassen und höhnisch gesagt »Aufrichtig, Frau
+Bas, Ihr thätet am besten, wenn Ihr Eurem Sohn seinen feinen Schatz
+ließet. Sie ist ihm nun einmal die Liebste auf der Welt, und ein
+ordentliches Mädchen nimmt ihn ohnehin nicht mehr.«
+
+»Was,« rief hier der Angerbauer auffahrend, »das hat sie dir gesagt?«
+»Ja,« erwiederte sein Weib, »das hat sie gesagt.« -- »Gut!« versetzte
+der Mann, »ganz gut! Also so eine ist die? Ein großes Unglück scheint's
+nicht, wenn wir die nicht zur Söhnerin bekommen!« -- »Das mein' ich
+auch,« bemerkte die Frau, »und das hab' ich ihr auch gesagt.« »So groß
+gefehlt wär's nicht,« hab' ich ihr gesagt, »wenn er das Mädchen bekäme.
+Denn wenn sie auch nicht reich ist, so ist sie doch brav und hat mehr
+Art als manche reiche Bauerntochter, die ich kenne.« Dabei hab' ich ihr
+steif in's Gesicht gesehen. Sie aber hat sich nichts daraus gemacht und
+gesagt: »Nun, da wünsch' ich recht viel Glück dazu! Machts nur bald
+richtig und vergeßt nicht mich auch auf die Hochzeit zu laden.« Damit
+hat sie »guten Tag« gesagt und sich umgedreht und die Alte, die den
+Kopf geschüttelt hat, mit sich fortgezogen.«
+
+Der Angerbauer war ernsthaft geworden und brach nun in die Worte aus:
+»Eine saubere Person, das muß ich sagen! Da dürfen wir ja von Glück
+sagen, daß wir sie noch zu rechter Zeit kennen gelernt haben!« --
+»Sicherlich,« erwiederte die Mutter.
+
+Nach einem längeren Schweigen, während dessen sie nachdenklich vor
+sich hingesehen hatte, begann sie wieder: »Vater, ich möchte dir
+etwas sagen, aber du mußt nicht bös werden.« -- »Nun,« erwiederte
+der Bauer mit argwöhnischem Ausdruck, »du wirst hoffentlich nicht im
+Ernst verlangen, daß wir dem Burschen das Mädchen geben?« -- »Behüte,«
+versetzte die Mutter, »das weiß ich schon, daß das nicht geht. Nein,
+ich hab' nur sagen wollen, daß mich der Ludwig »a'fanga« dauert
+(anfängt mich zu dauern). Ich glaub', er wär gern wieder bei uns, aber
+er hat deinen Kopf: er kommt nur nicht, weil er's einmal gesagt hat.«
+-- »Soll ich ihn,« bemerkte der Bauer, »etwa selber holen, weil er
+meinen Kopf hat?« -- »Auch nicht,« sagte die Mutter. »Ich meine nur,
+wir ließens ihm unter der Hand wissen, daß er kommen könnte; mit der
+Ev' wollten wir ihn nicht mehr plagen.« -- Der Bauer versetzte: »Nein,
+das geschieht nicht! um keinen Preis der Welt! Wenn ich da nachgäb',
+müßt ich mehr nachgeben!« -- »Aber deßwegen --« -- »Das muß ich besser
+wissen. Ich thu's nicht, jetzt erst recht nicht, und damit Punktum!« --
+Wie gewöhnlich wenn er einen solchen Trumpf ausgespielt hatte, stand
+er auf und verließ die Stube.
+
+ * * * * *
+
+Während dieser Erlebnisse der Seinen arbeitete Ludwig mit neuer Kraft
+und neuem Muthe weiter. Er hatte in Rücksicht auf sein Dienstverhältniß
+einer Anfeuerung bedurft; das Schreiben der Geliebten und die Abfassung
+seiner Antwort gewährten ihm diese aber in vollem Maße. Es war ihm
+ganz, wie er geschrieben. Sein Geist war aufgerichtet; das Bewußtsein,
+ein solches Herz gewonnen zu haben, das Gefühl, ihrer werth zu sein,
+und die Hoffnung, die aus diesem Gefühl emporkeimte, ließen ihn alle
+Mühen mit Freudigkeit ertragen. Er hatte nun auch eine Bekanntschaft
+gemacht, die ihm angenehm und tröstlich war. Von seinem Bauer zum
+Pfarrer des Ortes geschickt, antwortete er diesem auf seine Fragen so
+verständig und gutmüthig, daß der Geistliche das Gespräch verlängerte,
+so weit es anging, und den jungen Burschen aufforderte, ihn in freien
+Stunden zu besuchen. Es war dieß ein Mann in mittleren Jahren, der aber
+ähnliche Ansichten zu haben schien, wie der alte Herr, den wir kennen,
+da er an den entlaufenen Sohn keine Ermahnungen richtete, die er nicht
+hätte befolgen mögen, sondern sich unbefangen im Kreise allgemeiner
+Belehrung hielt.
+
+Die Annehmlichkeiten, die er aus alledem schöpfte, waren Ludwig auch
+nöthig, um ein Uebel zu bestehen, das immer ärger zu werden schien.
+Dieß war der Uebermuth Michels, der nicht selten in wirkliche Bosheit
+ausartete. Verdroß es ihn, daß Ludwig bei seinen Neckereien nicht mehr
+empfindlich wurde, sondern ihn lächelnd oder mitleidig ansah; war er
+eifersüchtig auf die Seelenfreude, die verschönernd aus dem Gesichte
+des Knechts leuchtete, oder auf das Lob, das sein Vater diesem hie und
+da auf seine Unkosten ertheilte, genug, der junge Schmiedbauer ging in
+seiner herrischen Anmaßung gegen Ludwig weiter und weiter, so daß er
+alle die Seinen hinter sich ließ. Die schwache sinnliche Gutmüthigkeit,
+wie man dieß in der Welt öfter sehen kann, bestand die Probe nicht, die
+ihr auferlegt wurde, und verwandelte sich unter gewissen Anreizungen
+geradezu in Gemeinheit. Eine solche Anreizung mochte für den Burschen
+auch in der Nachricht seines Vaters liegen, daß der Angerbauer seinen
+Sohn verläugne und, wie es scheine, wirklich nichts mehr von ihm wissen
+wolle. Konnte man gegen einen Verstoßenen sich nicht gehen lassen nach
+Belieben?
+
+Als die kleinen Mittel nichts mehr verfingen, wendete Michel die
+gröberen und plumperen an, und es gelang ihm nun allerdings wieder,
+den Untergebenen zu ärgern und zu erzürnen. Ungerechte Behandlung
+zu ertragen ist für gewisse Gemüther das Schwerste; und wenn sie
+sich's auch vornehmen, bei den Anmaßungen der Dummdreistigkeit ruhig
+zu bleiben, so glückt's ihnen doch nicht immer. Die Geduld Ludwigs
+wurde auf harte Proben gestellt; das Betragen Michels erschien ihm so
+kläglich, daß er den Ausbruch des Zorns und der Verachtung kaum mehr
+zurückhalten konnte. So sammelte sich nun aber ein Maß von Galle in ihm
+an, das nur noch berührt zu werden brauchte, um überzulaufen.
+
+An einem Sonntag nach dem Essen kamen »Freunde« -- wie, man weiß,
+Verwandte -- des Schmiedbauern zum Besuch angefahren, Vater, Mutter
+und ein fünfzehnjähriger Sohn. Sie wurden mit Kaffee und »Goglopf«
+(Guglhupf) traktirt, welchen Madlene und die Magd am Vormittag zu
+diesem Zweck verfertigt hatten. Als endlich auch der »junge Vetter«
+dem Nöthigen zu einer neuen Schale nicht mehr Folge leisten konnte,
+führte man die Gäste im Hause herum und zeigte ihnen Küche und Keller,
+Kasten und Schreine und deren Inhalt zum Bewundern, welcher Absicht die
+Bauersleute höflich entgegenkamen. Michel empfand großes Verlangen,
+ihnen die Ställe zu zeigen, und freute sich namentlich, ihnen die
+Zierde derselben, einen schönen zweijährigen Braunen vorzuführen. Er
+eilte voraus in den Roßstall, fand den Oberknecht ausgegangen, Ludwig
+aber bei der Hand. Bei dem Anblick desselben fuhr der böse Feind in ihn
+und gab ihm den Gedanken ein, sich selbst in seiner Herrlichkeit und
+den Sohn des Angerbauern, der mit den Gästen ebenfalls einigermaßen
+verwandt war, in seiner Erniedrigung zu zeigen. Er rief in barschem
+Ton: »Ludwig, führ' den Braunen in den Hof!« Ludwig gehorchte und
+dankte den Verwandten auf den Gruß, den sie ihm boten, mit bescheidener
+Höflichkeit. Das junge Roß ward im Freien munter und fing an zu
+laufen. Michel rief ärgerlich: »Nicht so schnell!« Der Angefahrene
+hielt es zurück; Michel schrie nun: »Zu langsam! Marsch! Zu!« und
+vexirte den andern so, daß die Gäste bald sahen, worauf es hier
+angelegt war, den rothgewordenen Ludwig bedauerten und den Sohn des
+Hauses für einen dummen Prahler hielten. Endlich rief Michel: »Laß ihn
+laufen! Schnell! schneller!« Ludwig gehorchte; das Roß wurde im Trab
+übermüthig, sprang auf die Seite, traf mit den Hinterbeinen in eine
+kleine Kothlache, die vom gestrigen Regen herrührte, und bespritzte den
+schön gestreiften Rock der Bäuerin.
+
+Auf so etwas hatte Michel gewartet. Den Umstand, daß dieser armselige
+Zufall nur in Folge seiner Befehle eingetreten war, natürlich außer
+Acht lassend, ergriff er mit Begierde die Gelegenheit, zugleich seine
+Machtvollkommenheit und seine Galanterie gegen die Base an den Tag zu
+legen; er schrie Ludwig zornig an: »Du bist ein Esel! Nicht einmal
+ein Roß kannst du führen, wie sich's gehört!« -- Das war aber dem
+Burschen zuviel. Während die Gäste Ausrufe des Bedauerns hören ließen,
+übergab er dem kurz vorher angekommenen dritten Knecht das Roß, trat
+vor Michel hin und rief: »Du bist der jämmerlichste aller Menschen!
+Noch ein solches Wort gegen mich, und ich brech' dich zusammen!«
+Seine Augen funkelten, in seinem Gesicht brannte die Glut des Zorns
+und der Verachtung, seine Arme zuckten, als ob er seine Rede sogleich
+wahrmachen wollte. Michel erschrack und trat blaß geworden einen
+Schritt zurück. Der gemeinschaftliche Vetter stellte sich zwischen
+sie und ermahnte zur Ruhe. Unterdessen faßte sich Michel wieder, und
+indem er eine hochmüthige Miene anzunehmen suchte, sagte er zu Ludwig:
+»Mit dir wird man noch fertig werden, und das bald!« Dann sah er sich
+um, ob nicht sein Vater oder der Oberknecht in der Nähe wäre. Ludwig
+folgte dieser Bewegung, und seine Gedanken errathend, rief er: »Schrei
+keinem, ich rath es dir! Wenn ihr zusammen über mich herfallt, dann
+ist's Nothwehr, was ich thu', und« -- setzte er hinzu, indem er die
+Hand an die Seitentasche legte -- »ich schwör's bei Gott: den ersten
+der mich anrührt, stoß' ich nieder wie einen Hund!« Der Bauer, dem dieß
+zu stark war, sagte: »Führ keine solche Reden, das geziemt sich nicht
+für dich!« -- »Für mich geziemt sich alles,« entgegnete der Gereizte,
+»was sich für einen freien Menschen geziemt! In dem Augenblick bin ich
+kein Knecht mehr, sondern der Sohn meines Vaters! Aus diesem Haus geh'
+ich fort, auf der Stelle -- das versteht sich von selbst!« Er wandte
+sich zum Abgehen, drehte sich aber nochmal gegen Michel um und machte
+mit geballter Faust eine Bewegung, als ob er sagen wollte: Du weißt,
+was geschieht! Dann ging er in die Stallkammer zu seinem Lager und nahm
+aus dem daneben liegenden Schrein seine wenigen Habseligkeiten heraus,
+um sie zur Wanderung zusammenzubinden.
+
+Unterdessen war der Schmiedbauer mit seiner Tochter aus dem Hause
+gekommen. Auf sein Befragen, welch ein Lärm das sei, erzählte der
+Vetter den Handel, war aber so gerecht zu sagen, daß Michel dem Ludwig
+es zu arg gemacht habe, was von der Base mit der Bemerkung bestätigt
+wurde, daß es wegen des »Spretzers« auf ihrer Schürze nicht der Mühe
+werth gewesen wäre. Der Schmiedbauer verwies dem Sohn sein Betragen
+und hieß ihn in die obere Stube gehen: die Sache wolle er nun allein
+ausmachen. Michel entgegnete, dem Kerl werde er nicht aus dem Wege
+gehen, entfernte sich aber doch.
+
+Ludwig, sein Bündel unter dem Arm, kam herbei. »Schmiedbauer,« sagte er
+mit verhältnißmäßiger Ruhe, »Ihr habt wohl schon gehört, was geschehen
+ist, und werdet begreifen, daß ich in Eurem Hause nicht länger bleiben
+kann.« -- »Das begreif ich,« sagte der Bauer. »Aber wo willst du hin?«
+Ludwig erwiederte: »Ich geh' nach Augsburg.« Der Bauer bemerkte: »Es
+wäre gescheidter, wenn du zu deinem Vater heimgingest. Die Gelegenheit
+wär' gut.« -- Ludwig entgegnete unmuthig: »Behaltet Euren Rath für
+Euch,« und wollte gehen. -- »Wie!« rief der Bauer, »ohne deinen Lohn?
+Du bekommst noch zwei Gulden.« -- Ludwig erwiederte, er schenke ihm
+den Lohn, worauf der Bauer nicht ohne Würde ausrief, er wolle nichts
+geschenkt von ihm, was er verdient habe, müsse er nehmen. Ludwig
+ließ sich die zwei Gulden bezahlen, drückte sie dem dritten Knecht
+in die Hand, der ihn erstaunt ansah, wünschte den Umstehenden wohl
+zu leben und richtete seine Schritte dem Wirthshaus zu. Da der Abend
+herannahte, so wollte er hier übernachten und morgen mit dem Frühesten
+nach Augsburg wandern, wozu er noch beinahe zwei Gulden vom früher
+eingenommenen Lohn hatte. Sein Gedanke war, an diesem Ort, wie schon so
+Mancher vom Ries, sein Glück zu machen, Annemarie nachzuholen und sie
+in eine schöne Stadtwohnung als Frau einzuführen.
+
+Als er in die stark besuchte, von Tabakrauch erfüllte Wirthsstube trat,
+wurde er von einem Tisch junger Burschen freundlich begrüßt und zwei
+davon streckten ihm mit der üblichen Frage: »Kann ich aufwarten?« ihre
+gefüllten Gläser entgegen. Der Streit mit dem jungen Schmiedbauer war
+von mehreren, die zufällig am Hofe vorübergingen, mit angehört worden,
+und diese hatten nichts Eiligeres zu thun, als die Geschichte durch's
+Dorf zu verbreiten. Kurz vorher war sie in der Wirthsstube erzählt
+worden, und die Zuvorkommenheit der jungen Leute hatte ihren Grund
+darin, daß Ludwig es dem eingebildeten Michel so hinausgegeben, und --
+daß er kein Knecht mehr war. Unser Bursche that mit ebenbürtiger Miene
+Bescheid, aß und trank, sagte dem Wirth, daß er über Nacht bleiben
+wolle, und ließ sich von ihm in die obere Stube führen. Hier begehrte
+er Schreibzeug und begann einen Brief an Annemarie, worin er ihr den
+heutigen Vorgang und seine Pläne mittheilte. Als er fertig war, klopfte
+es an die Thüre. Die Wirthsmagd brachte Licht mit einem Brief, der so
+eben unten für ihn abgegeben worden sei.
+
+Ludwig betrachtete die Aufschrift, erbrach das Schreiben und las,
+zuerst mit allen Zeichen großer Ueberraschung; dann schüttelte er ernst
+den Kopf, als ob er mit dem Inhalt nicht einverstanden sein könnte. Er
+las weiter; eine eigenthümliche Empfindung spiegelte sich in seinen
+Zügen, er sah empor, wie bewegt von einem lockenden und drängenden
+Gedanken. Auf einmal stand er auf und rief entschlossen: »Ich thu's!«
+-- Er setzte sich wieder, versank in Nachdenken, und sein Gesicht nahm
+einen wehmüthigen Ausdruck an, wie das eines Menschen, der weiß, daß
+sein Thun verdammende Urtheile erfahren wird. Er packte sein Bündel aus
+und ordnete seine Habseligkeiten geschickter, als es in der ersten Eile
+möglich gewesen. Was der Brief auch enthalten mochte, in dem Beschluß,
+die Wanderung anzutreten, schien er ihn nur bestärkt zu haben.
+
+ * * * * *
+
+Nach einem in mäßiger Arbeit verbrachten Tage saß der Angerbauer bei
+seinem Weib im Kanzlei. Die Abendmahlzeit war vorüber, eben so das
+Läuten der Kirchenglocke, das die Familien zum Abendgebete ruft,
+und welches darum »Betläuten« genannt wird. Die Ehehalten waren zum
+größten Theil schon im Bette, weil sie morgen sehr früh wieder heraus
+mußten; nur der Oberknecht war noch im Roßstall und erzählte dem Andres
+Geschichten. In der Stube herrschte große Stille, in welcher nur das
+Ticken der Wanduhr -- stärker, als man ihrs bei Tage zugetraut hätte --
+und das »Spinnen« der großen Hauskatze vernehmlich war. Der Angerbauer
+hörte nichts von beiden; er ruhte gedankenvoll in dem braunledernen
+Großvaterstuhl am Ofen. Die Bäuerin saß am Wandtisch, auf dem eine
+brennende Oelampel stand. Sie sah bekümmert aus und war offenbar mit
+einem bestimmten Gedanken beschäftigt. Diesen zu äußern brach sie das
+Stillschweigen, und zwar in einem Tone, als ob sie ein unterbrochenes
+Gespräch wieder aufnähme. »Was doch das Geld ist!« sagte sie mit einer
+Art Seufzer. »Wenn das Mädchen nur einen Hof hätte wie die andere, eine
+bessere Schwiegertochter könnten wir uns nicht wünschen!« -- Der Bauer
+fuhr aus seinen Gedanken auf und erwiederte: »Was redest du da wieder!
+Sie hat ihn nun einmal nicht! Wenn! Als ob einem damit geholfen wäre!«
+-- Die Bäuerin ließ sich nicht irre machen und fuhr fort: »Ich hab' sie
+heut' wieder an mir vorbeigehen sehen, und was mir besonders gefallen
+hat, ist ihre Sauberkeit, und daß ihr alles so wohl ansteht. Das würde
+eine Haushaltung werden wie unsere.«
+
+Der Alte wurde ernstlich böse. »Ich möchte doch wissen,« rief er aus,
+»was das für ein Vergnügen ist, sich Dinge vorzustellen, die nicht
+sein können. Sei doch nicht kindisch!« -- »Nun ja,« erwiederte die
+Frau, »ich weiß ja, daß es nicht sein kann; aber man darf doch wohl
+davon reden.« -- Sie schwieg eine Weile still, konnte oder wollte sich
+aber noch nicht zufrieden geben, und begann daher: »Wer hätte gedacht,
+daß es uns so ganz unglücklich gehen würde! Statt einen Sohn gut zu
+versorgen, müssen wir ihn bei Leuten dienen lassen, die ihn schlecht
+behandeln, und vielleicht bald hören, daß er in die weite Welt gelaufen
+ist, wo wir ihn gar nicht mehr sehen!« -- Der Vater erhob sich in
+großem Unmuth. »Ich seh,« rief er, »es ist die höchste Zeit, daß wir
+in's Bett gehen! Nimm die Ampel und zünde mir, ich geh!« -- »Nun,«
+versetzte die Mutter, »thu' nur nicht gleich so wild!« Sie erhob sich
+und folgte dem Mann in die Stube.
+
+Als sie eben der Thür sich näherten, hörten sie ein Gebell vom
+Hofhunde, das sich rasch in ein Freudengeheul verwandelte. Sie
+horchten. Ein froher Lärm erhob sich vom Stalle her und bald vernahmen
+sie den lauten Ruf von Andres: »Er ist da! Er ist da!« -- Das Herz der
+Mutter klopfte, mit zitternder Hand öffnete sie die Thüre, sah umher
+und erblickte an dem Ende des Ganges, der vom Stall in den Tennen
+führte, den verloren geglaubten Ludwig, von Andres mit jubelndem Eifer
+vorwärts gezogen. Einen Freudenschrei ausstoßen, die Ampel auf die
+Ofenbank stellen, dem wiedergefundenen Sohn entgegeneilen, ihn fassen
+und mit liebenden Worten begrüßen, war bei der guten Frau Eins. Sie
+nahm ihn beim andern Arm und führte ihn vereint mit Andres der Stube
+zu.
+
+Der Angerbauer war von dieser, im gegenwärtigen Moment durchaus
+unerwarteten Heimkehr in die innerste Seele getroffen. Seine
+Gemüthsbewegung äußerte sich in einer Blässe, die über sein Gesicht
+ging und eben so wie die Freudenröthe der Mutter das Gefühl für den
+Sohn verkündete. Damit hatte er aber den Zoll der väterlichen Liebe
+abgetragen; er faßte sich im Augenblick wieder, unterdrückte seine
+Bewegung und sah dem Ankommenden in der Würde des häuslichen Richters
+entgegen, da die Mutter nach seiner Ansicht in der Güte viel zu weit
+gegangen war. Ludwig stand mit blutrothem Gesicht auf der Schwelle. Er
+hatte der Mutter »guten Abend« gesagt; vor dem Vater zeigte sich aber
+die Natur unfähig, den Beschluß des Willens auszuführen; der Mund war
+ihm wie durch einen Zauber verschlossen. Eben so unfähig war der Vater,
+diesen Zauber zu lösen durch ein mildes, entgegenkommendes, wenn auch
+mit väterlicher Rüge entgegenkommendes Wort.
+
+Allein ich darf in dieser Schilderung nicht weiter gehen. Ich kenne die
+Leser und auch die schönen Leserinnen. Ich weiß, daß namentlich die
+letzteren am Manne das Heroische, Durchgreifende, stolz Beharrende
+lieben, und muß nun fürchten, daß unser Freund wegen seiner plötzlichen
+Nachgiebigkeit in ihrer Achtung gar sehr gesunken ist und ihre
+theilnehmenden Seelen von dieser Wendung überhaupt unangenehm berührt
+worden sind. Da es mir nun doch hauptsächlich um ihre Gunst zu thun
+ist, für mich sowohl als für meinen ländlichen Liebhaber, so muß ich
+vor allem berichten, wie dieser dazu gebracht wurde, den unerwarteten
+Schritt zu thun.
+
+Als Ludwig sich vom Schmiedbauer in's Wirthshaus begab und den Brief
+an Annemarie schrieb, war es bei ihm ausgemacht, am andern Morgen nach
+Augsburg zu wandern. Eine Aenderung seines Entschlusses wurde durch den
+Brief herbeigeführt, den er Nachts erhielt und der ihm ein anderes Ziel
+der Wanderung bezeichnete. Er war geschrieben von dem alten Pfarrer und
+ihm zugesandt aus dem Hause des jüngeren Amtsbruders, wo er für einen
+Fall dieser Art schon bereit lag. Ich lasse ihn wörtlich folgen und
+seine Sache selbst führen. Der alte Herr schrieb:
+
+»Lieber Ludwig! Ich höre von meinem Freunde und Amtsbruder, daß du von
+dem Bauer, bei welchem du als Knecht dienst, und von seinen Kindern
+immer übler gehalten wirst, und da ich annehmen muß, du werdest
+dich über kurz oder lang mit ihm überwerfen, so schreibe ich dir
+diesen Brief, damit er im Augenblick der Entscheidung das Gewicht
+eines freundschaftlichen Rathes in die Wagschale werfe, die sich zur
+Versöhnung neigt. Du weißt selber, Ludwig, daß dein alter Freund nicht
+zu denen gehört, die mit ihren Ermahnungen lästig werden, wo kein Wille
+und keine Fähigkeit ist, sie zu befolgen; aber dir muth' ich jetzt
+etwas zu, weil ich dir die Kraft zutraue, es zu thun. Um es offen zu
+sagen: du mußt zu deinen Eltern zurückkehren! Du mußt es freiwillig und
+sobald als möglich thun!«
+
+»Ueber den Streit mit deinem Vater will ich jetzt nicht urtheilen. Ihr
+seyd aneinander gerathen und du hast das väterliche Haus verlassen --
+es sind geschehene Dinge. Aber nehmen wir an, es sei an dem Bruche
+einer so gut Schuld wie der andere -- wem steht es zu, die Hand zum
+Frieden zu bieten, dem Vater oder dem Sohn? Die Antwort hierauf wirst
+du dir, wenn du unbefangen urtheilen kannst, selber geben. Der Sohn,
+der nachgiebt, erfüllt die Pflichten kindlicher Liebe und kindlichen
+Gehorsams; der Vater, der nachgiebt, verletzt die Pflichten der
+Herrschaft in seinem Hause und gibt sich unmännlich in die Hand des
+Kindes.«
+
+»Wüßten deine Eltern nicht, daß sie dich aus dieser Ursache nicht
+zurückrufen ~dürfen~, sie hätten's wahrlich schon lange gethan.
+Denn sie kümmern und grämen sich, sie verzehren sich in Sorgen und
+Unruhe, wie wenig sie sich vor andern auch anmerken lassen. Die
+Freude und die schöne Zufriedenheit ist aus ihrem Hause gewichen.
+Darf nun der Sohn, der davon Kenntniß erhält, zaudern, seinen Eltern
+die verlorene Freude wieder zu geben? Darf er zaudern, auch wenn man
+ihm zeigt, daß es seine Pflicht ist und er allein es vermag? Wenn der
+natürliche Mensch in dir widerstrebt, wenn er sich dreht und windet und
+allerlei Ausflüchte macht -- um so besser, Ludwig! denn dann hast du
+Gelegenheit, in Ueberwindung desselben zu beweisen, daß du ein Christ
+und ein braver, sittlicher Mensch bist.«
+
+»Ich wende mich an den Ludwig, der mir im Unterricht gar oft durch
+verständige und feine Antworten Freude gemacht. -- Wenn ein Sohn, der
+trotzig davongelaufen, in das Haus seiner Eltern zurückkehrt, weil es
+ihm draußen schlecht geht und er gern wieder besser essen und trinken
+möchte, so ist er ein armer Sünder, dem man allenfalls verzeihen, aber
+keine Achtung schenken kann. Wenn er aber heimkehrt aus Liebe zu den
+Seinen und in der großmüthigen Absicht, ihnen Freude zu bringen, wenn
+er heimkehrt, obwohl er sich sagen kann, daß er sich draußen selber
+zu helfen vermöchte, dann ist er ein braver, edler Mensch und handelt
+in dieser christlichen Selbstüberwindung viel männlicher, als wenn
+er trutzig weiter und weiter liefe; denn es gehört viel mehr Kraft
+dazu, seinen Willen zu brechen, als seiner Leidenschaft zu fröhnen.
+-- Das Christenthum, Ludwig, das ich dich gelehrt, ist nicht einem
+Gefäße gleich, das man in einen Kasten stellt, um es hie und da seinen
+Freunden zu weisen; es ist eine Sache zum Brauchen. Und je mehr und je
+fleißiger man diese Sache braucht, desto besser und schöner wird sie.«
+
+»Erwäge noch etwas anderes! Du strebst nach einem eigenen, in deinen
+Verhältnissen ungewöhnlichen Preis. Du begehrst ein Mädchen zur
+Frau, die durch ihr Vermögen und ihre Stellung im Leben nach der
+hergebrachten Ansicht nicht deines Gleichen ist. Du verlangst, daß
+deine Eltern ihre Pläne opfern und ihre gewohnten Begriffe aufgeben
+sollen um deiner Leidenschaft willen. Womit hast du denn das verdient?
+Was hast du denn dafür gethan? Du forderst dem Vater seine Einwilligung
+ab, und wie er sie verweigert, brichst du mit ihm und gehst davon.
+Heißt das von seinen Eltern eine Gunst verdienen? Und wenn du nun ganz
+fortwandertest in die Fremde, könntest du von dem völlig geflohenen,
+doppelt gekränkten Vater erwarten, daß er dich dafür durch Erfüllung
+deiner Wünsche belohne? -- Wenn du aber selbst ein Opfer bringst,
+wenn du dich demüthigst und in freiem Entschluß als gehorsamer Sohn
+zurückkehrst, dann möchte das wohl die Herzen der Deinen rühren, sie
+möchten eine Anregung empfinden, nun ebenfalls ein Opfer zu bringen und
+da zu belohnen, wo ein Verdienst vorhanden ist.«
+
+»Ich will dir keine Hoffnungen machen, denn ich habe kein Recht dazu;
+noch weniger kann ich für etwas der Art einstehen. Allein wenn du den
+Segen des Himmels haben willst, so mußt du durch edles Handeln dich
+seiner werth machen. Und wenn du bei deinem Vater etwas erreichen
+willst, so darfst du nicht auf eine Schwäche rechnen, die er nicht hat,
+sondern du mußt die Großmuth zu erwecken suchen, deren er fähig ist.«
+
+»Und nun bedenke, was deine braven Eltern von jeher für dich
+gethan haben, und frage dich, ob die Aufrechthaltung eines im Zorn
+gesprochenen Wortes so schwer wiegen darf wie die Pflicht der
+Dankbarkeit für unberechenbare Wohlthaten. Denke an die Freude, welche
+du den Deinigen machen wirst -- und daneben auch ein wenig an die,
+welche dein alter Freund haben wird, der dich gar gern wieder in seiner
+Nähe hätte!«
+
+Ob dieser Brief einen andern umgestimmt hätte? Ich weiß es nicht. Bei
+Ludwig erfüllte er seinen Zweck, und der alte Herr bewies hier, daß
+er seinen Schüler kannte. Der Verstand des jungen Burschen konnte den
+Gründen des Geistlichen nicht Unrecht geben und sein gutmüthiges Herz
+war empfänglich für die edlen Mahnungen, die er an sich gerichtet sah.
+Er erkannte klar: geschehen muß etwas, mein Vater thut's nicht, darum
+muß ich's thun. Er fühlte sich bei diesem Gedanken nicht kleiner als
+vorher, sondern größer, und deutlich rief es in seinem Herzen, daß der
+Gang nach Hause der Weg zu seinem Glück seyn werde. Er faßte seinen
+Entschluß und blieb dabei.
+
+Am andern Morgen zerriß er den Brief an Annemarie und schrieb einen
+andern, der kurz so lautete: »Liebe Annemarie! Ich bin im Streit vom
+Schmiedbauer geschieden und folge nun dem Rath unseres guten Pfarrers
+und kehre aus freien Stücken zu meinen Eltern heim. Er hat mir seine
+Meinung schriftlich zukommen lassen und du würdest ihm eben so recht
+geben müssen, wie ich es thue. Ich bleibe dir unabänderlich treu und
+thu' nur einen Schritt, der uns dem Ziel, das wir beide uns gesetzt
+haben, näher bringen muß. Und vertrau dem Herrn Pfarrer und mir nur
+ohne weiteres, wenn ich dich auch in der ersten Zeit nicht gleich
+besuchen könnte. Es geschieht alles zu unserem Besten. Ich bin dein
+ewig getreuer Ludwig.«
+
+Nachdem er diesen Brief an Annemarie durch eine sichere Gelegenheit
+abgeschickt hatte, wo sie ihn noch im Lauf des Tages bekommen mußte,
+nahm er von den Wirthsleuten Abschied, ging zum Pfarrer des Orts
+und theilte ihm sein Vorhaben mit. Der Geistliche lobte ihn sehr
+und wünschte ihm alles Glück, indem er ihm freundlich lächelnd Muth
+einsprach. Ludwig ging zuerst nach Nördlingen und richtete es so ein,
+daß er in der Dämmerung auf Feldwegen nach seinem Dorfe wanderte. Als
+er sich seinem Garten näherte -- denn durch ihn wollte er ins Vaterhaus
+zurückkehren -- mußte er erfahren, daß auch bei der größten Willigkeit
+des Geistes das Fleisch dennoch schwach sein könne. Wie fest er sich
+vorgenommen, heimzukehren als ein Mensch, der weiß was er will und
+der seine Pflicht erfüllt, so fing sein Herz doch gar mächtig an zu
+pochen und er wurde roth vor sich selber. Trotz dieser Anwandlungen des
+Schämens und Zagens ging er indeß vorwärts, bis er in den Hof und von
+da in die Stallung kam. Das Uebrige wissen wir.
+
+Als der Alte sah, daß sein Sohn nichts vorzubringen vermöge, brach
+er das Stillschweigen auf eine Art, wie sie ihm für's erste allein
+möglich war. Er sagte: »Es scheint, daß es dir beim Vetter Schmiedbauer
+nicht recht gefallen hat, da du wieder zu einem Mann kommst, wie
+dein Vater ist. Hat man den Herrn vielleicht nicht gut gehalten? Hat
+man sich unterstanden, ihm durch den Sinn zu fahren? Wie oder hätte«
+-- Weiter konnte er nicht reden, da die Mutter ihm mit dem Ausruf;
+»Bist du gleich still?« den Mund zuhielt. Zu Ludwig gewendet, sagte
+sie dann: »Kehr dich nicht an seine Reden, du kennst ihn ja! Ihm ist's
+am liebsten von uns allen, daß du wieder da bist!« -- »Ja wohl,«
+bemerkte Andres, »ihm ist ein Mühlstein vom Herzen gefallen!« -- Der
+Alte sah Andres an und sagte: »Ihr seyd Narren, du und deine Mutter!«
+-- Dann faßte er sich und sagte mit Würde: »Freilich ist's mir lieb,
+wenn ich sehe, daß ein junger Mensch zur Einsicht kommt und seinem
+Vater nachgibt wie sich's gehört! Wenn ein toller Streich wieder gut
+gemacht und der Karren wieder ins Gleis geschoben wird, muß das einen
+vernünftigen Menschen freuen.«
+
+Diese Rede öffnete dem Sohne wieder den Mund; er sagte mit bescheidener
+Festigkeit: »Vater, ich bin zu dir zurückgekommen aus freien Stücken.
+Ich hab's nicht nöthig gehabt, denn einem Menschen, wie ich bin, steht
+die Welt offen, und daß ich etwas ertragen kann, hab' ich bewiesen.
+Ich bin zu dir zurückgekommen, weil ich mich überzeugt hab', daß
+das Nachgeben meine Pflicht ist, und nun bin ich auch entschlossen,
+alles auszuhalten, was mir geschehen mag.« -- Der Alte hatte hoch
+aufgehorcht; die Rede und die Art, wie sie vorgebracht wurde, gefiel
+ihm. Eben deswegen hing er sich aber an die letzten Worte und
+erwiederte: »Dummheiten! Man wird dich wohl hier fressen? Du bist noch
+immer der Alte!« -- Damit wandte er sich weg.
+
+Die Mutter dachte nun an etwas anderes. Sie fragte: »Aber du wirst
+hungrig sein, Ludwig, von dem Marsch! Gleich will ich ein Stück Fleisch
+richten, das noch von gestern übrig ist!« -- Andres, der in bester
+Laune war, bemerkte: »Du bekommst Kalbsbraten, wie dein Vorgänger im
+neuen Testament.« -- Ludwig, auf den Scherz eingehend, erwiederte: »So
+wie der komme ich drum doch nicht heim! Indessen hab' ich schon in
+Nördlingen Kalbsbraten gespeist und muß für dein Anerbieten danken,
+Mutter.« -- »Ah so,« rief Andres, »du hast dich gestärkt zu der großen
+Anrede! Die Kraft hat aber doch beinahe nicht gereicht.« -- »Sei
+still,« sagte die Mutter, »du bist grad wie dein Alter!« -- Sie bot
+ihren Braten wiederholt an und Ludwig mußte es auf's bestimmteste
+abschlagen, bevor sie sich beruhigte. Nun lud sie ihn ein, sich an den
+Tisch zu setzen, wo der Vater schon Platz genommen hatte, und ihr zu
+berichten, wie's ihm ergangen sey.
+
+Ludwig erzählte seine ganze Geschichte, mehrfach unterbrochen
+von Ausrufungen der Mutter: wie sie nie geglaubt hätte, daß die
+Schmiedbauersleute von der Art seyen. Als er den Auftritt mit dem
+jungen Schmiedbauer schilderte, konnte sein Vater nicht umhin, den
+Jungen, der hier gezeigt, daß er auch »Schneid« habe, beifällig
+anzusehen. Bei dem Bericht über die Umwandlung durch den Brief wurde er
+aber plötzlich ernsthaft. »So, so,« sagte er, »ein Brief von unserem
+Pfarrer. Darf man ihn vielleicht auch lesen?«
+
+Ludwig bergab ihm den Brief, denn er hatte wohl gemerkt, daß er auch
+für den Vater geschrieben war. Der Alte rückte die Ampel näher und las,
+anfangs mit würdevollen Zeichen der Beistimmung und Anerkennung, dann
+mit sehr bedenklicher Miene. »So, so, so,« sagte er, als er fertig war.
+»Das schreibt der Herr Pfarrer? -- Nun seh ich, wie viel's geschlagen
+hat!« -- »Nun?« fragte die Mutter mit großer Neugierde. -- »Jetzt kenn'
+ich mich aus und bedank' mich schön,« fuhr der Alte mit empfindlicher
+Miene fort.
+
+Ludwig, seine Gedanken errathend, sagte: »Vater, ich weiß, was du
+meinst. Aber ich verspreche dir's, nie sollst du von mir eine Bitte
+hören. Wenn ihr mich nicht mehr mit der Base plagt, so will ich nichts
+weiter.« -- Der Alte versetzte: »Du willst nichts weiter? Gut, schön!
+Das heißt für die erste Zeit. Du kannst warten! Hab' ich's getroffen?«
+-- Als er Ludwig leicht erröthen sah, setzte er hinzu: »Dein Pfarrer
+und du, ihr dürft fein nicht glauben, daß der Angerbauer ein Brett
+vor dem Kopf hat. Ihr seid mir noch lang nicht zu gescheidt! Daß ihr
+euch nur nicht verrechnet.« -- Jetzt rief die Mutter in ernstlicher
+Ungeduld: »Aber was hast du denn?« -- »Ach,« erwiederte der Alte, »die
+ganze Geschichte ist mir zuwider, ich bin müd' und geh' in's Bett.«
+Damit stand er auf und ging hinaus in die Schlafkammer.
+
+Die Mutter »zündete« ihm nicht, wie sie sonst auch unaufgefordert
+gethan hätte. Sie war zu neugierig, zu erfahren, was in dem Brief
+stehe, und forderte Ludwig auf, ihn vorzulesen. Dieser las die
+Hauptstellen: Als er geendet hatte, rief die gute Frau, während Andres
+sehr schlau dreinsah. »Ei, ei, ei! Nun begreif' ich deinen Vater.« --
+»Liebe Mutter,« sagte Ludwig, »heut' wollen wir von dieser Geschichte
+nicht weiter reden.« -- »Ja wohl,« bemerkte Andres, »wir wollen uns
+niederlegen, ich bin schläfrig. Komm, du gehst mit mir in die obere
+Kammer. Hab' ich doch wieder einen Schlafkameraden!« Er wollte den
+Bruder mit sich fortziehen, aber die Mutter hielt ihn noch und fragte:
+»Willst du denn aber wirklich nichts mehr essen heute, Ludwig?« --
+»Nein,« erwiederte dieser dankbar, gab ihr die Hand und sah ihr
+zärtlich in's Auge, indem er sagte: »Schlaf wohl, gute Mutter! Führ'
+meine Sach' beim Vater.«
+
+ * * * * *
+
+Die Mittheilungen, die Andres seinem Schlafkameraden gemacht, konnten
+nur günstig gewesen sein; denn Ludwig zeigte am andern Morgen in seinem
+Gesicht eine eigene stille Zufriedenheit und Hoffnung. Er wußte, daß
+der Pfarrer früh aufzustehen pflegte, und wollte ihn daher zuerst
+besuchen. Auf dem Weg wurde er den verschiedenen Bekannten erstaunt
+angesehen, von einigen schelmisch begrüßt. Er war jedoch in zu guter
+Stimmung, um verlegen zu werden; er dankte und antwortete wieder
+scherzend. -- Der alte Herr war sehr erfreut, als er ihn sah. »Ah, brav
+so!« rief er, ihm die Hand reichend, »du hast meinen Rath befolgt!« --
+»Ja, Herr Pfarrer.« -- »Und bist wohl aufgenommen worden?«
+
+Ludwig erzählte, wie es ihm ergangen. Der Alte hörte mit größter
+Theilnahme zu und sagte: »Nun, ich kenne ja die Deinen! Es ist
+gekommen, wie ich's dachte.« -- »Ja,« versetzte Ludwig, »Sie haben
+sich meiner angenommen, Herr Pfarrer. Ich sehe nun wohl, wie Sie's
+meinen, und weiß, daß wir alles Gute, was uns noch kommen wird, nur
+Ihnen verdanken.« -- »Pst!« rief der alte Herr lächelnd und freundlich
+warnend. »Still davon!«
+
+Vom Pfarrer ging Ludwig zu seiner Schwester, die er allein in der
+Stube traf. Sie hatte von seiner Ankunft schon gehört und gab ihm
+die Hand, indem sie ausrief: »Bist du da, Vagabund? Du machst schöne
+Streiche, ja!« Ludwig zuckte die Achseln und begrüßte den eintretenden
+Schwager, der seine Frau fragte: »Hast du nicht den Ofen eingeschlagen
+bei dem seltsamen Besuch?« -- »Wahrhaftig,« sagte diese, »das hätt' ich
+thun sollen.« -- »Nun,« bemerkte Ludwig, »von jetzt an werd' ich schon
+öfter kommen.« -- Die Schwester lächelte. »Du glaubst wohl selbander?
+Aber das hat noch einen Haken.« -- »Man kann nicht wissen,« versetzte
+Ludwig mit einem gewissen Uebermuth.
+
+Er verließ die Familie sehr aufgemuntert. Aus allem, was er sah und
+hörte, drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß sich die Seinen --
+vielleicht nur den Vater ausgenommen -- mit dem Gedanken einer Heirath
+zwischen ihm und Annemarie schon vertrauter gemacht hatten, als er nur
+irgend hatte hoffen können. Was würde er gesagt haben, wenn er erfahren
+hätte, daß er diese Umstimmung zum großen Theil dem Benehmen der Eva
+verdankte! Dieses hatte namentlich die Schmalzbäuerin empört, und da
+bei der angestellten Vergleichung Annemarie doppelt gewinnen mußte, so
+hatte die Schwester gegen ihren Mann und die Mutter zuerst den Gedanken
+ausgesprochen, ~es~ würde am Ende das Beste sein, dem Ludwig das
+Mädchen zu lassen. -- Als er an der Gasse vorüberging, die zu dem
+Bäckerhause führte, sah er sehnsüchtig hin, und beinahe hätte er dem
+Drange nachgegeben, zu der Geliebten zu eilen und ihr seine Hoffnungen
+zu verkünden. Aber er sagte sich: »Nein, es darf nicht sein!« und ging
+nach Hause.
+
+In derselben Morgenstunde saß Annemarie bei einer Arbeit in der
+Stube des Bäckers. Sie hatte Ludwigs Brief am gestrigen Tage richtig
+erhalten, und ohne daß es jemand gesehen. Die Ueberraschung, welche der
+ausgesprochene Entschluß des Geliebten in ihr hervorrufen mußte, hatte
+bald einem großen Wohlgefühl Platz gemacht. Die Last, die sie noch zu
+tragen hatte, war abgeworfen. Sie war nicht mehr eine »Stifterin des
+Unfriedens zwischen Vater und Sohn;« man konnte ihr den ungerechten
+Vorwurf gar nicht mehr machen. Die Selbstüberwindung Ludwigs begriff
+das wackere und begabte Mädchen, und ihr Herz sagte ihr, daß diese
+Heimkehr ihnen beiden zum Segen sein werde.
+
+Als sie in diesen Gedanken glücklich dasaß, kam Regine athemlos
+gelaufen und rief: »Weißt du die große Neuigkeit schon?« -- »Nun, was
+ist's?« fragte Annemarie. -- »Fall nicht vom Stuhl, wenn du's hörst:
+der Ludwig ist wieder bei seinem Vater!« -- Annemarie erröthete ein
+wenig und erwiederte: »Das hab' ich schon gewußt, er hat mir's gestern
+geschrieben.« -- »So?« versetzte die Freundin etwas empfindlich, »davon
+sagst du mir nichts?« -- Annemarie sah sie gutmüthig an und erwiederte:
+»Muß ich dir denn alles sagen? -- Auch jetzt muß ich dich bitten, von
+diesem Brief niemand etwas merken zu lassen.« -- »Ich verrath' nichts,«
+sagte Regine. »Aber wird er dich denn besuchen?« -- »Heute nicht,«
+versetzte Annemarie ruhig, »und morgen auch nicht. Aber ich kann
+warten.«
+
+Ein gutes altes Sprichwort sagt: »Was sein soll, schickt sich wohl.«
+Eine Zeitlang kann sich uns auf unserem Lebensweg Hinderniß auf
+Hinderniß entgegenstellen, und wenn wir uns des Sieges erfreuen wollen,
+finden wir nur immer neue Arbeit. Plötzlich ist's wie umgekehrt.
+Alles gelingt, rasch geschehen Dinge, welche den letzten Widerstand
+beseitigen und der kühnsten Hoffnung Erfüllung verheißen. Es liegt dann
+in der Luft und jeder fühlt, daß die glückliche Entscheidung kommen
+soll. -- So ging es auch hier.
+
+Zwei Tage nach der Rückkehr Ludwigs wurde bekannt, daß die Hoferbin
+Eva sich versprochen habe. Der Erkorene war jener Vetter der beiden
+langen Bauerntöchter, den wir vom »Ansing« her kennen. Obwohl der
+Gedanke einer Verbindung zwischen Eva und Ludwig vom Angerbauer selber
+aufgegeben war, so lag in dem Ereigniß doch etwas Günstiges. Die
+Möglichkeit war nun ganz verschlossen und der rasche Entschluß des
+Mädchens reizte die schon freundlich gestimmten Seelen, auch ihrerseits
+an's Werk zu schreiten.
+
+Fast zu derselben Zeit wurde bekannt, daß ein Bauer sich auswärts
+angekauft habe und sein Hof zu erwerben sei. Nun hielten sich die
+Angerbäuerin und die Schmalzbäuerin nicht länger. Sie pflogen Raths und
+förmlich wurde der Beschluß gefaßt, daß man dem Ludwig das Mädchen
+geben müsse. Die Gründe waren: »Die Annemarie ist brav; vernarrt sind
+sie in einander; eine andere nimmt er nicht; im Geschrei ist er mit
+ihr; ein Hof ist zu haben; und endlich: es geht einmal nicht anders!«
+-- Zuerst wurde der Schmalzbauer in's Geheimniß gezogen. Dieser, der
+mit seinem Weib »gut hauste« und von der »Lieb« noch einen gewissen
+Begriff hatte, erklärte seine Zustimmung und Beihülfe ohne weiteres.
+Durch ihn verstärkt rückten die beiden Frauen endlich an einem
+Nachmittag hinter den Angerbauer.
+
+Obwohl dieser den Vorschlag hatte kommen sehen und selber sah, daß es
+nicht wohl anders ging, so fuhr er doch gewaltig auf und fragte: ob sie
+wirklich alle mit einander verrückt geworden seien? Alle Gegengründe
+wurden von ihm hervorgeholt und ein Ach und O folgte dem andern. Sein
+letzter Einwand war die »Söldnersfreundschaft.« Den hatte aber der
+Schmalzbauer leicht zu widerlegen. Der Bäcker war in's Dorf gezogen
+und in demselben ohne Blutsverwandte. Seine einzige Tochter sollte den
+Hans, einen Bauern heirathen, wenn auch den kleinsten im Dorfe. Auf
+diese Art hatte man nur Einen Söldner in der Freundschaft, den Bäcker,
+und das war doch auch kein gewöhnlicher. Der Köcher des Alten war leer,
+und da er nach und nach müde geworden war, so rief er: »Nun in's -- --
+in Gottes Namen, er mag sie haben!«
+
+Die Weiber, welche die Angelegenheit ganz zu der ihrigen gemacht
+hatten, schrieen auf vor Freude und lobten den Alten über die Maßen.
+Dann sagte die Schmalzbäuerin: »Nun laßt mich machen! Etwas gehört ihm
+noch!« Sie rief Andres herbei und sagte, er solle Ludwig holen, er
+sei im Garten. Andres nickte mit dem Kopf, wie einer, der begreift,
+und richtete seinen Auftrag aus, ohne dem Bruder etwas von seiner
+Vermuthung zu sagen. Als sie mit einander in die Stube traten, begann
+die Schwester mit einer Art von Geschäftsmiene: »Ludwig, so eben ist
+von dir die Rede gewesen. Du weißt, die Ev' heirathet, und wenn man
+dir auch keine »Spreuer« (Spreu) vor die Thüre streuen wird, so ist's
+doch keine Ehre für dich. Du mußt auch heirathen; und zum Glück ist
+unerwartet ein Antrag an uns gekommen, der unsern ganzen Beifall hat,
+und, wie wir hoffen, auch deinen. Das schönste und reichste Mädchen im
+ganzen Ries sagt augenblicklich Ja, wenn du willst.« -- »Wer ist denn
+die?« fragte Ludwig. -- »Des Wirths Tochter in **.« -- In der That war
+diese, wenn nicht gerade die schönste, doch wenigstens ~eine~ der
+schönsten und reichsten.
+
+Ludwig, ungewiß, was er denken sollte -- denn die Schmalzbäuerin
+hatte ganz ernsthaft gesprochen und die andern eben so ernsthaft
+dreingesehen, -- erwiederte kurz: »Ich dank' schön.« -- »Wie?« rief die
+Schwester, »ist dir die auch nicht recht?« -- »Gegen das Mädchen hab'
+ich nichts, aber ich will überhaupt nicht heirathen.« -- »So?« sagte
+die Schmalzbäuerin, »das ist etwas anderes.«
+
+Nun wurde auch der Alte angesteckt. »Ich hab's euch ja gesagt!« rief
+er den andern zu. »Sein erster Versuch ist so übel ausgefallen,
+daß er's ganz verschworen hat. Wenn wir ihm nun auch die schöne
+Zimmermannstochter geben wollten, die so »guet tanzt« und die mehr
+werth ist als alle Rieser Bauern- und Wirthstöchter zusammengenommen
+-- er würde auch sagen: ich dank' schön!« -- »Wirklich?« fragte die
+Mutter, zu Ludwig gewendet, »würdest du das?«
+
+Dieser, betroffen, verwirrt, schaute die Gesichter an und verweilte
+bei dem des Vaters, der aber seine Rolle fest behauptete. Die Mutter
+konnte sich nicht länger halten. Sie nahm den Sohn bei der Hand und
+sagte: »Nun, Ludwig, mach einmal ein ganz freundliches Gesicht! Deine
+Schwester, dein Schwager und ich, wir haben den Vater herumgebracht
+-- du sollst die Annemarie haben!« »Ist's wahr?« rief der Glückliche,
+drückte der Mutter die Hand, eilte zum Vater und dankte ihm in
+überfließend zärtlichen Worten. Der Alte machte ein seltsames Gesicht.
+»Ach!« rief er mit einem großen Seufzer aus, »nun muß man auch den Dank
+noch hören! -- Geh fort,« setzte er hinzu, als Ludwig den andern seine
+Liebe bezeigte, »geh' und sag's dem Mädchen, damit ein Ende wird!« --
+Ludwig ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach wiederholten Dankreden
+eilte er davon. Als er hinaus war, sagte die Schmalzbäuerin zu Andres:
+»Nun, was ist denn dir? du stehst ja da wie ein »Oelgötz!« Freust du
+dich denn nicht?« -- »Gott!« erwiederte Andres, »daß das so kommen
+wird, hab' ich ja längst gewußt!«
+
+Ludwig kam zum Bäckerhaus wie im Traum. Als er die Thür geöffnet hatte,
+sagte sein strahlendes Gesicht alles. Wie durch einen Zauberschlag
+entzündet, glänzte sein Glück auf dem Antlitz der Geliebten, die
+bei dem Bäcker und Regine saß; sie flog ihm entgegen und in der
+zärtlichsten Umarmung flossen selige Thränen von ihren Wangen herab.
+»Du bist mein, Annemarie, mein mit dem Willen meiner Eltern!« rief
+Ludwig zum Ueberfluß und drückte die Geliebte fester an sich, deren vor
+Freude gebeugtes Haupt an seine Brust gesunken war. -- Es war einer von
+den Augenblicken, die man als unverdientes Geschenk empfindet, wenn man
+in Noth und Sorgen, in Dulden und Sehnen Jahre lang darnach getrachtet
+hat.
+
+Das Schicksal hatte aber für die Liebenden noch eine Gabe im Füllhorn.
+Zwei Tage nach der günstigen Entscheidung gelangte in's Bäckerhaus
+die Nachricht, daß in dem württembergischen Städtchen Bopfingen (dem
+Abdera oder Schöppenstedt des Rieses) eine Verwandte gestorben sei und
+der Annemarie zweitausend Gulden vermacht habe. Dies war kein bloßer
+Zufall, auch kein »Bopfinger Stückle« von der Verstorbenen, sondern
+eine verständige Handlung, herbeigeführt durch das Mädchen selbst
+und ihr braves Benehmen. Die kinderlose Base hatte davon gehört, und
+da sie als eine erfahrene Frau so treu Liebe hoch hielt, so wollte
+sie sterbend einen Beitrag leisten zu ihrer Belohnung. -- Als man
+dem Angerbauer diesen Glücksfall hinterbrachte, war er zunächst sehr
+erfreut über den Zuwachs des Vermögens, dann aber auch darüber, daß
+er erst nach seiner Einwilligung bekannt geworden, so daß Niemand
+behaupten konnte, er hätte nur um des Geldes willen Ja gesagt. Um so
+mehr fühlte er sich nun angetrieben, gegen seinen Sohn ganz als Vater
+zu handeln. Er kaufte den feilgewordenen Hof für Ludwig, der ihn als
+sein Heirathgut haben sollte, obwohl er um ein gutes Theil mehr kostete
+als sechstausend Gulden. Ueberdies ergänzte er den Viehstand und das
+Geräthe, so daß die Besitzung nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Dann
+setzte er den Heirathstag (den Tag der Verlobung) selber fest.
+
+In der Zwischenzeit fanden die ersten Besuche und Gegenbesuche statt.
+Es war ein großer Augenblick, als Annemarie an der Seite ihres Vormunds
+zum erstenmal in den Hof des Angerbauers trat. Ludwig war ihnen
+entgegen geeilt und seine Eltern erwarteten die Gäste auf der Schwelle
+der Hausthür. Wie muthig das Mädchen war, so kam sie doch ein Zittern
+an, als sie dem stolzen Bauer, der so lange als die gefürchtetste
+Person vor ihrer Seele gestanden, zur ersten Begrüßung entgegen ging.
+Allein sie wurde sehr freundlich empfangen, wie es in der Natur der
+Sache lag. Sobald der Angerbauer seine Zustimmung zu der Heirath
+gegeben hatte, war das Verhältniß in seinen Augen auch sanctionirt. Die
+Strahlen seines Lichtes fielen nicht nur auf Annemarie, sondern auch
+auf den Bäcker und machten sie zu seines Gleichen. Annemarie war nicht
+mehr die Tochter und die Verwandte eines Söldners, sie war die künftige
+Schwiegertochter des Angerbauers, und als solche konnte sie die größten
+Ehren in Anspruch nehmen. Niemand wäre zu rathen gewesen, daß er
+jetzt in Gegenwart des Alten über diese Verbindung seine Verwunderung
+ausgedrückt oder gar über das Mädchen geringschätzig gesprochen hätte.
+
+Als Annemarie die Freundlichkeit der Eltern sah, fand sie ihren
+Muth wieder und beantwortete die Begrüßungsfragen so anmuthig und
+bescheiden, daß der Alte sie selber bei der Hand faßte und in die
+Stube führte. Man würde den Landleuten sehr Unrecht thun, wenn man
+ihnen nicht ein ihrem Stande entsprechendes Schicklichkeits- und
+Zartgefühl zutrauen wollte. Als man hier an dem wohlbesetzten Tisch
+saß, unterhielt man sich, als ob nie ein Streit vorgefallen wäre,
+nicht eine Hindeutung erlaubte man sich darauf. Dagegen wurden die
+erfreulichen und ehrenvollen Neuigkeiten besprochen: die Erbschaft, die
+der Annemarie zugefallen war, der Kauf und die Einrichtung des Hofes.
+Bei dieser Gelegenheit machte das Mädchen einige Bemerkungen, die der
+Angerbauer mit vollem Beifall beehrte, indem er hinzufügte: er sehe
+schon, daß sie die Sache verstehe. Natürlich saß Ludwig bald an der
+Seite der Geliebten. Als die Angerbäuerin das schöne Paar zum erstenmal
+beisammen sah, betrachtete sie es mit großem Wohlgefallen, und ein
+vergnügtes, schlaues Lächeln spielte um ihren Mund, als sie später auch
+den Vater über einem solchen Blick ertappte. Die Gäste nahmen endlich
+Abschied, und Ludwig begleitete sie. »Nun,« fragte die Angerbäuerin,
+»was meinst du zu dem Mädchen?« Der Alte erwiederte ernsthaft: »Das
+Mädchen ist recht.«
+
+Sonst ist von der Zwischenzeit nichts mehr zu erwähnen, als ein Besuch,
+den der alte Angerbauer mit Ludwig in Nördlingen machte. Beide hatten
+sich in ihren besten Staat geworfen, denn eigentlich wollte der Alte
+nichts, als sich mit seinem Sohne dort sehen lassen. Da er zu diesem
+Zweck Bekannte treffen mußte, so begaben sie sich zum »Fadenherrn.«
+Als sie in der Stube sich umsahen, erblickten sie zu ihrer großen
+Ueberraschung an einem Ecktisch die ganze Familie des Schmiedbauers,
+Vater, Sohn, Tochter und Magd. Die Reihe, verlegen zu werden, war
+nun an diesen. Sie waren in der That sehr betroffen und Michel sah
+tiefbeschämt aus. Der Schmiedbauer faßte sich zuerst; er stand auf,
+ging den beiden entgegen und sagte: »Nun, wie ich höre, kann man
+gratuliren?« -- »Allerdings,« entgegnete der Angerbauer mit Würde, »das
+kann man.« -- Der Schmiedbauer nahm hierauf eine lächelnde Miene an und
+sagte: »Vetter Ludwig, du bist wohl bös auf mich zu sprechen? Aber ich
+bin dein schlimmster Feind nicht gewesen. Wenn ich dich als den Sohn
+des Angerbauers bei mir gehalten hätte, so stände die Sache jetzt nicht
+so, wie sie steht.« -- »Ja wohl,« rief Michel, der auch aufgestanden
+war, mit der halb komischen, halb Mitleid erweckenden Verlegenheit
+eines schlechten Gewissens. »Wenn das nicht unser Gedanke gewesen wär',
+so wär' manches nicht vorgefallen, am wenigsten die Geschichte am
+Sonntag.«
+
+Ludwig war zu glücklich, um streng zu sein. Er erwiederte daher mit
+Ueberlegenheit zwar, aber auch mit Gutmüthigkeit: »So, nun soll ich das
+am Ende für ein Freundschaftsstück nehmen? Auch gut! Aber daß ich's
+nicht gleich gethan hab', mußt du mir nicht übel nehmen, Freund Michel:
+du hast die Sache gar zu gut gemacht.« Hierauf grüßte er Madlene und
+die Magd. Jene ward glühend roth und sah mit einem Blick zu ihm her,
+daß er ihr alles verzieh und ihr die Hand zur Versöhnung gab. Die Magd
+starrte ihn wie einen Prinzen an. Sie konnte gar nicht begreifen, wie
+sie jemals ihre Augen zu so Einem habe erheben können, und machte sich
+in der Ecke so klein als möglich. Auf dem Heimwege sagte Ludwig zu
+seinem Vater: »Es ist mir lieb, daß es so ausgegangen ist.«
+
+Endlich kam der Tag, wo es zwischen Ludwig und Annemarie »schriftlich
+gemacht« werden sollte. Die Liebenden hatten ihn in der letzten Zeit
+sehr herbeigesehnt. Ihr Glück war zu groß, als daß sie nicht hie und da
+die Furcht hatte anwandeln sollen, es möchte wie ein Traum zerfließen,
+und die Unterschrift war eine neue, große Sicherung und gab ihnen
+festen Boden unter die Füße. Mit der Zusammenkunft der Familien zu
+einem »Heirathstag« ist das Glück der Liebenden nicht immer schon außer
+Frage gestellt. Zuweilen führt die Unterhandlung über die Mitgabe
+selber noch zum Streit, und ein von der einen Seite begehrter, von
+der andern verweigerter »Raupe« oder junger Stier kann Anlaß zu einem
+Bruche werden, der nur allenfalls durch flehentliches Zureden der
+jungen Leute wieder zu heilen ist. Wenn nämlich der Vater des Burschen
+nach wiederholter vergeblicher Aufforderung zu dem des Mädchens sagt:
+»Ich hätt' nicht geglaubt, daß du ein so intressirter Mensch wärst!
+Wahrhaftig, schämen thät' ich mich« u. s. w. so kanns dieser krumm
+nehmen, zornig werden, auf den Tisch hineinschlagen, daß die Krüge
+wackeln und die Gläser umfallen, und erbost ausrufen: »Was? ich hab'
+für mein Mädle so viel gethan, daß ich's vor meinen andern Kindern gar
+nicht verantworten kann, und du willst mir so kommen? Himmel-Kreuz« u.
+s. w. u. s. w.
+
+Im gegenwärtigen Falle war dergleichen freilich nicht zu fürchten.
+Die Angerbauersleute waren zu vornehm, als daß sie hätten markten
+sollen; auch lagen die Verhältnisse anders als gewöhnlich. Als man
+sich nun Nachmittags in der obern Stube des Angerbauers versammelt und
+den Getränken und Backwerken der Bäuerin die gebührende Ehre angethan
+hatte, setzte man sich zu einer Verhandlung, die nicht allzuviel Zeit
+in Anspruch nahm. Der Protokollführer war der Schullehrer des Dorfs,
+einer von der alten Gattung, ein Mann von etwas über fünfzig Jahren,
+der sich noch »Schulmeister« nennen hören konnte und weniger nach
+Ehre als nach einer guten Nahrung trachtete, im übrigen seinem Amte
+wohl vorstand. Nach einer würdigen Einleitung des Angerbauers wurde
+ausgemacht, daß Annemarie dem Ludwig ihr Vermögen von 2900 Gulden
+(bei Nennung dieser Summe nickte der Schullehrer dem Bauer, den er
+kannte, höflich bedeutsam zu, als wollte er sagen: »Alle Achtung!«)
+und Ludwig der Annemarie seinen Hof anheirathe, mit Allem darin,
+wie es geht und steht. Der Bäcker machte die Bemerkung, daß man bei
+solchen Gelegenheiten zuweilen auch einen »Rückfall« bedinge, wenn
+nämlich eines der Eheleute sterben sollte, ohne daß Leibeserben
+vorhanden wären. Ludwig, der sah, daß der Alte damit seinem Vater
+entgegenkommen oder ihn versuchen wollte, sagte rasch: »Wir hoffen mit
+Gottes Hülfe zu leben und wollen für so einen Fall nichts ausmachen.
+Wenn ich sterbe, dann gehört der Hof meinem Weib, wie umgekehrt mir
+ihr Vermögen. Anders thut's mein Vater nicht.« Der Angerbauer schwieg:
+er hatte die Möglichkeit vor Augen, daß Annemarie als kinderlose
+Wittwe die Eigenthümerin des Hofes werden und ihn durch eine zweite
+Heirath an eine andere Familie bringen könnte. Ludwig rief aber: »Nicht
+wahr, Vater?« und der Bauer antwortete: »Ja, ja, darüber bedingen wir
+nichts.« Sein Gesicht sah indeß nachher aus, als wollte er sagen: »Das
+macht mir so leicht keiner nach!«
+
+Als das Nöthige besprochen war, setzte der Schullehrer die
+verschiedenen Punkte auf, las sie feierlich in einer Art von
+Predigerton vor und reichte die eingetauchte Feder zum Unterschreiben.
+Als dieß von allen nach der Reihe vollzogen war, ergriff Ludwig die
+Geliebte rasch bei der Hand und hielt und drückte sie, als ob er sie
+nicht mehr loslassen wollte. Gerührte Glückwünsche ertönten von allen
+Seiten.
+
+Unterdessen war der Abend gekommen und nun sollte erst die rechte
+Festlichkeit angehen. Nicht umsonst waren die Angerbäuerin und ihre
+Tochter wiederholt ab und zu gegangen. Eine Magd erschien mit zwei
+brennenden Kerzen in spiegelblanken Messingleuchtern; die Tafel
+wurde abgeräumt, mit einem schöngewirkten Tischtuch überzogen und
+gedeckt. Je zwei Teller von Steingut, silberne Bestecke (die, nebenbei
+gesagt, zum Theil der Schmalzbäuerin gehörten) und sogar Servietten
+oder »Salveater« ließen auf ein tüchtiges Mahl schließen, was der
+Schullehrer mit großem Interesse zu bemerken schien. Im Schein der
+Lichter, die auf der Tafel prangten, sah die schöngeweißte, nett
+gehaltene Stube sehr heimlich aus.
+
+Nicht lange, so erschien die ganze Familie, und am Ende der Pfarrer
+mit seinem Neffen. Nachdem sich der Sturm der üblichen Glückwünsche
+einigermaßen gelegt hatte, fand sich der Pfarrer an der Seite der
+Verlobten. Er fragte: »Nun, bist du zufrieden, Annemarie?« -- »O, Herr
+Pfarrer!« erwiederte das Mädchen in einem Tone, der mehr sagte als jede
+Versicherung. -- Der alte Herr sah sie liebevoll heiter an und sagte:
+»Die Tugend, scheint's, ist doch auch etwas in der Welt werth und kann
+auch zu etwas führen! Das Geld und der Stand sind doch nicht alles!«
+-- Das Mädchen ward roth und erwiederte: »Ich schäme mich der Reden,
+die ich damals geführt hab'. Ich bin tausendmal glücklicher, als ich's
+verdiene.« -- Der Geistliche nickte beifällig und bemerkte: »Auf diese
+Art holst du nach, was dir fehlt.«
+
+Als er kurz darauf allein dastand und mit frohen Blicken die
+Gesellschaft übersah, machte sich der Angerbauer an ihn und sagte:
+»Sie freuen sich, Herr Pfarrer, und haben auch alle Ursache dazu; an
+dem heutigen Tag sind doch eigentlich Sie Schuld.« -- »Ich?« fragte
+der Pfarrer. -- »Sie,« versetzte der Bauer. »Sie mischen sich nicht
+in Familienangelegenheiten? Ja freilich: ungeschickt nicht, aber
+geschickt.« -- Der alte Herr fragte mit liebenswürdiger Schalkheit:
+»Hab' ich's nicht recht gemacht?« -- Der Bauer drückte ihm die Hand und
+rief: »Recht gemacht haben Sie's, Herr Pfarrer!«
+
+Es versteht sich von selbst, daß es die Gastgeber während des
+Tafelns an keiner Aufmerksamkeit fehlen ließen und namentlich das
+schickliche »Nöthigen« nicht vergaßen. Am meisten Höflichkeit wurde
+dem Pfarrer erwiesen, der Gegenstand der freundlichsten und zartesten
+Ehrenbezeugungen war aber Annemarie. Ihr wurden die besten Bissen auf
+den Teller gelegt, und wenn ihr zugeredet wurde, nahmen die Stimmen
+den weichsten und sanftesten Ton an. Man fühlte, daß bei ihr etwas gut
+zu machen sei, und that mehr und that es besser, als man es für eine
+reiche Schwiegertochter gethan hätte. Alle Liebe, welche diese Leute in
+sich hatten, kam gegen das Mädchen heraus, und der Pfarrer sah seinen
+Enkel, der es zu bemerken schien, mit einem bedeutsamen Blick an.
+
+Annemarie aß wenig und gegen das Ende der Mahlzeit wurde sie still
+und stiller. Ihre Seele war in die Vergangenheit gerichtet. Sie dachte
+an ihre Liebe und ihre Noth, an ihre Bitterkeit und ihre Klagen,
+und wie sich alles das in unendliches Glück aufgelöst. Sie dachte
+an die Feindschaft, unter der sie gelitten, und die sich nun in die
+zärtlichste Freundschaft umgewandelt. Als ihr der Angerbauer von dem
+eben zerschnittenen Kuchen das schönste Stück überreichte, machte die
+Güte und die Achtung in seinem Blick einen solchen Eindruck auf ihr
+erweichtes Herz, daß ihre Augen sich mit Thränen füllten. Sie aß ein
+Stückchen, um die Gabe zu ehren, aber der Strom der Wehmuth war im
+Gange, das übervolle Herz mußte sich entlasten und unaufhaltsam brachen
+ihre Thränen hervor.
+
+Alles sah auf sie, ernst, bewegt; die meisten begriffen den Grund
+dieser Thränen. Es entstand eine feierliche Stille. Ludwig drückte
+der Geliebten auf's zärtlichste die Hand, die Augen der Frauen wurden
+feucht. Der Angerbauer saß in tiefem Ernst da und in seinen Blicken
+entzündete sich ein Feuer, das den Pfarrer beinahe noch mehr ergriff,
+als das Antlitz der Braut. Niemand wollte das Wort nehmen, und der
+Pfarrer dachte endlich selber daran, durch eine passende Bemerkung
+einen Uebergang zu unbefangener Unterhaltung herbeizuführen, als ihm
+ein anderer zuvorkam. Johannesle hatte die weinende Annemarie bisher
+staunend angesehen; wie die Thränen kein Ende nahmen, sondern wieder
+und wieder aus ihren Augen flossen, stand er auf, ging zu ihr und
+sagte mit dem ehrlichsten Tone von der Welt: »Warum weinst du denn,
+Annemarie? Du hast ihn ja jetzt!« Diese naive Rede rief auf dem Gesicht
+des Mädchens ein sanftes Lächeln hervor und eine milde Heiterkeit in
+der Gesellschaft. Annemarie sagte mit gütevoller Stimme: »Du wirst's
+auch noch verstehen lernen, Kind, warum ich wein'! Aber jetzt will ich
+aufhören.« Und sie trocknete ihre Thränen.
+
+Als der Pfarrer mit seinem Enkel nach Hause ging, fragte er, wie
+ihm heute der Angerbauer und seine Frau gefallen hätten. Theodor
+erwiederte: »Ich bin ganz erstaunt über sie; nie hätt' ich ihnen
+zugetraut, daß sie so gut und so wahrhaft zart sein könnten.« -- »Du
+siehst also, daß du früher nicht ganz Recht hattest, diesen Mann, weil
+er im Zorn grobe Reden ausstieß, ohne weiteres für roh zu erklären, und
+wirst künftig mit deinem Urtheil behutsamer sein.«
+
+Nach sechs Wochen fand die Hochzeit statt. Es war nur Eine Stimme über
+die Schönheit der Predigt, die Andacht des Brautpaars, ihren prächtigen
+Anzug, das vortreffliche Mahl, wobei die Wirthin des Dorfs sich selbst
+übertraf, und das große, große Vergnügen. Die Musikanten hielten eine
+Ernte, wie seit Jahren nicht. Der Höhepunkt des Festes war übrigens der
+Moment, wo der Angerbauer in der Laune des Weins bewogen wurde, drei
+Reihen allein mit der Braut zu tanzen. Er drehte sich taktfest, aber
+etwas steif herum, und sein Gesicht drückte eine so eigene Mischung von
+Galanterie und Selbstgefälligkeit aus, daß ein paar ältere Weiber, mit
+denen er in seiner Jugend zu tanzen pflegte, nicht umhin konnten, sich
+spöttisch lächelnd anzusehen, als wollten sie sagen: »Der alte Narr!
+Wenn man ihm das vor einem Vierteljahr gesagt hätte!« Der Angerbauer
+hörte dieß natürlich nicht, da es überhaupt nicht gesprochen wurde. Als
+er daher unter großem Beifall den letzten Reihen geendet hatte, konnte
+er in ungestörter Freude seiner Tänzerin ein Glas Wein präsentiren und
+dann zu einem Vertrauten sagen: »Daß die Hochzeiterin am schönsten
+tanzt, hab' ich gesehen; daß sie aber auch am besten tanzt im ganzen
+Dorf, das kann ich jetzt aus Erfahrung bezeugen. Ueberhaupt: mein
+Ludwig ist nicht dumm gewesen!«
+
+
+
+
+ Die Lehrersbraut.
+
+
+ I.
+
+In einem Dorfe mitten im Ries, in einem hübschen Hause, wohnten
+glückliche Leute -- Mutter, Tochter und Vetter. Sie waren gesund und
+verhältnißmäßig, d. h. nach ihrem Stande, wohlhabend. Die Mutter von
+ruhigem Temperament, mehr geneigt sich am Angenehmen zu freuen, als aus
+verdrießlichen Dingen, wie sie im Leben vorkommen, sich viel zu machen;
+die Tochter, Christine, hübsch und wohlgemuth; der Vetter, Hans, wacker
+und thätig, ein guter »Baur« -- wie man das im Ries nennt -- und »ein
+rechter Schaffer.«
+
+Ein eigentlicher Bauer im Sinne der dörflichen Rangordnung war Hans
+freilich nicht; das war aber auch der verstorbene Glauning, der Vater
+der Christine, nicht. Erst Söldner und Weber hatte sich dieser durch
+ächt Rieserische Arbeitsamkeit und Sparsamkeit zu einer Mittelstellung
+zwischen Söldner und Bauer emporgearbeitet. Das Weberhandwerk wurde
+aufgegeben und nur im Winter noch zum Wirken des eigenen Garnes
+betrieben, um so fleißiger den Geschäften des Ackerbaus und der
+Viehzucht nachgegangen. Es gelang dem stillen, ruhig fortarbeitenden
+Manne, das Unglück eines Brandes, der nebst sechs andern auch sein
+strohgedecktes Haus in Asche legte, zu überstehen, ein neues,
+bequemeres, plattengedecktes an seine Stelle zu setzen, und bei seinem
+Tode der Wittwe ein respektables Anwesen zu hinterlassen: das Haus
+mit Wohnung, Stall und Stadel in Einem Bau, vier Kühe mit Nachzucht,
+fünf Schweine, einen schönen Baumgarten, zwei »Dawert« (Tagwerke)
+Wiesen und vier Morgen »in ein Feld« -- also, wer das nicht verstehen
+sollte, zwölf Morgen Ackerland. Allerdings war dieses »schöne Sach«
+nicht schuldenfrei; der alte Glauning hatte eine runde Summe aufnehmen
+müssen, um die runde Zahl von Morgen Landes zu erhalten, die im
+Ries mehr bedeuten wollen als anderswo. Aber der Hauptgläubiger war
+gegenwärtig -- Vetter Hans.
+
+Hans Burger -- denn der Mann verdient, daß wir seinen ganzen Namen
+nennen -- war vom nächsten Dorfe, Sohn des dortigen Schmieds. Er
+wurde von dem Vater in seinem Handwerk unterwiesen; aber trotzdem,
+daß ihm ein paar Arme verliehen waren, die im Nothfall den Ambos in
+Stücke schlagen konnten, hatte er für seine Person doch mehr Freude
+am »Bauernhandwerk.« Nach dem Tode seiner Eltern führte er die kleine
+Oekonomie und nahm Hammer und Zange nur als Gehülfe seines Bruders in
+die Hand. Dieser konnte zu eben der Zeit, wo der alte Glauning starb,
+»einen guten Heirich« (gute Heirath) machen. Hans überließ ihm Schmiede
+und Oekonomie, nahm seinen Vermögenstheil heraus und ging zur Base
+Glauning, um ihr die Wirthschaft zu führen. Christine war damals noch
+nicht ganz fünfzehn Jahre alt; demungeachtet wollte man bemerken, daß
+der Vetter sie verstohlenerweise schon mit ganz besondern Augen ansehe.
+
+Drei Jahre gingen in's Land. Christine wuchs heran und wurde nach
+den Begriffen des Dorfs immer schöner. Mittelgroß, rund, aber
+von angenehmer Rundung, das gutmüthige, ruhig vergnügte Gesicht,
+dessen Linien nicht ohne eine gewisse Anmuth waren, frischroth mit
+bräunlichem Hauch, die Zähne regelmäßig und weiß -- konnte man
+sie einem Apfel vergleichen, der untadelich gereift eben vom Baum
+genommen wurde. Damals war unter den Rieser Bauernmädchen noch nicht
+die Mode aufgekommen, die Haare doppelt zu scheiteln und auf beiden
+Seiten herunterzukämmen, wodurch sie sich jetzt ein städtisches,
+vornehmeres Ansehen zu geben suchen. Das Haar wurde von der Stirn
+an zurückgestrichen und gegen die Mitte des Kopfes zu von dem
+landesüblichen Käppchen bedeckt. Das ließ einfacher, munterer, und
+stand besonders Gesichtern, wie Christine eines hatte. Am hübschesten
+erschien diese, wenn sie an heiterem Sommertag, in weißen Hemdärmeln
+und den Rechen in der Hand, auf die Wiese ging, ohne eine Ahnung von
+Sorge, in Fülle körperlichen Wohlseyns schwimmend und gänzlich der
+frohen Gegenwart hingegeben. Aus dem runden Gesicht blickte zugleich
+ein eigenthümliches Selbstgefühl heraus, und das hatte seinen guten
+Grund.
+
+»Die schöne Christine« hieß sie im Dorf. Nur eine Bauerntochter konnte
+mit ihr noch verglichen werden; aber da diese »so eine rahnenge«
+war, nämlich allzu schlank, so erhielt Christine von den bäuerlichen
+Schönheitsrichtern den Vorzug. Die jungen Bursche tanzten gern mit ihr,
+und wenn einer sie an der Hand im Reihen führte, sang er wohl auch den
+Musikanten Schelmenliedchen vor, ihr zu Ehren. Aus dem Stegreif zu
+dichten, ist die Sache des Rieser Burschen nicht, solche Talente sind
+dort Ausnahmen; dagegen weiß er bekannte Lieder passend anzubringen und
+damit, ähnlich dem gelehrten Schriftsteller, der eine öfters citirte
+klassische Stelle wieder citirt, auf bescheidene Weise elegant zu
+werden. Wenn ein tüchtiger Kerl, mit Christine herumgehend, sang:
+
+ Macht mer 'n Walzer auf,
+ Der a weng luste geht,
+ I hab' a Tänzere,
+ 'Sist der Müh werth --
+
+dann im Takt strampfend schmunzelte, so gewann das oft gehörte Liedchen
+wieder Bedeutung. Einige Zuschauer konnten lächeln und irgend ein alter
+Bekannter der Christine gemüthlich zurufen: »Ja, ja, so isch -- sott
+(solche) git's net viel!« Als unter den zuschauenden Weibern einmal
+die noch immer stattliche Wittwe Glauning vornean stand, machte es der
+zufällige Tänzer der Christine noch besser; er sang, indem er dem Liede
+durch Gesichtsausdruck und Blick Sinn verlieh:
+
+ A schneaweißa Däube (Täubin),
+ A schwarzer Dauber;
+ Und wann d'Mueter schön ist,
+ No[1] wurd d'Tochter sauber.
+
+Bei dieser Gelegenheit war die Heiterkeit der Mutter noch um vieles
+lebhafter, als die der Tochter, die an solche schöne Dinge schon
+gewöhnt war. -- All die Huldigungen aber, die sie erfuhr, gaben
+dem Wesen des Mädchens nach und nach eine vergnügte Sicherheit,
+Wohlgefälligkeit, und, wenn man dieses Wort in den Grenzen ländlicher
+Möglichkeit verstehen will, einen Ausdruck von Huld, der ihr ganz gut
+stand, aber auch mehr hinter ihr vermuthen ließ, als vorläufig noch
+hinter ihr war.
+
+Das Gefühl der Huld wurde in Christine vorzugsweise durch Hans genährt.
+Beichten wir in seinem Namen ohne Umstände. Hans hatte sich allerdings
+schon in die noch nicht Fünfzehnjährige versehen und nach einem Besuch,
+kurz vor dem Tode des alten Glauning, ernsthaft zu sich gesagt: »Des
+wurd (wird) a Mädle für mi!« Die Hoffnung seines Herzens hatte großen
+Antheil an seinem Entschluß, der Base die Wirthschaft zu führen; sie
+belebte sein ganzes Wesen und machte ihm die Bauernarbeit noch viel
+lieber, als sie ihm ohnehin war. Bald freilich trat neben dieser
+Hoffnung auch eine gewisse Furcht hervor; sie steigerte sich, als
+Christine zu dem Glanz ihrer ländlichen Reize heranwuchs, und erzeugte
+das Gefühl und den Humor der Entsagung, dem sich der gute Bursche mit
+der halben Lust einer treuen, opferfähigen Seele hingeben konnte.
+»Ja, ja,« sagte er dann wohl mit einem Seufzer, »i sig (sehe) scho,
+die krieg i net; die ist z'schöa' für mi!« Aber dieses Gefühl konnte
+natürlich nicht dauern; nach einiger Zeit kam auch die Hoffnung wieder
+und er ermuthigte sich mit der Bemerkung: »Was doh (da)! A Bursch wie
+ih kann oh a schöns Weib kriega'; des ist scho oft vorkomma'!« Dann
+wich der Ernst aus seinem Gesicht, er wurde herzensvergnügt und that
+der Mutter und der Tochter noch eifriger alles zu Liebe. Aber er fand
+nicht den Muth, mit Christine von seiner Liebe zu reden.
+
+Die Leserinnen dieser Erzählung haben schon errathen, wo es bei
+unserem Freund haperte. War Stand und Vermögen gleich und das Herz
+des Liebhabers doch ohne Zuversicht, so mußte es mit der Figur
+nicht zum besten bestellt sein. Und das können wir allerdings nicht
+leugnen. Hans gehörte unter den ledigen Burschen nicht zu den
+Schönen, und auch nicht zu den Lustigen, die sich bei festlichen
+Gelegenheiten »recht aufführen« können, auf diese Art den Mangel
+besonderer Schönheit decken und den Mädchen ebenfalls in die Augen
+stechen. Er war untersetzt und etwas krummbeinig. Seine Arme haben
+wir charakterisirt; auf seinen Schultern konnte er ohne Anstrengung
+ein »Schahf« (Scheffel) Korn tragen. Sein Gesicht war breiter, als
+man's liebt, und die Nase nicht ganz regelmäßig, die Farbe für einen
+noch in den Zwanzigen befindlichen Menschen zu braun. Eines war schön
+an ihm: seine treu blickenden, braunen Augen. Sie waren sogar sehr
+schön und ihr Glanz hatte einen rührenden Reiz, wenn er heimlich in
+gutmüthigster Liebe einen Blick auf Sie warf. Nur Schade, daß er dies
+immer bloß heimlich that, und wenn er ihr offen ins Gesicht sah, in
+den Grenzen einer freundschaftlichen Herzlichkeit blieb, die wohl
+einen angenehmen Eindruck macht, aber keinen Zauber ausübt, wie es der
+Blick der Leidenschaft vermag. Hätte er sie im rechten Moment einmal
+so angesehen, wie er es heimlich zu thun pflegte, dann wäre ihr Herz
+vielleicht geschmolzen und ihr Gesicht hätte einen Ausdruck erhalten,
+der ihm den Muth gegeben hätte, mit seinem Anliegen hervorzugehen und
+die Schöne zu erobern. Dann hätten wir freilich auch unsere Geschichte
+nicht schreiben können.
+
+Noch eins war, ich will nicht sagen schön an Hans, aber proportionirt
+und nicht zu tadeln: der Mund und seine mannhaften Zähne. Wann er bei
+seinen Kameraden im Wirthshaus saß und in der Laune, die das braune
+Bier erweckte, gutmüthig über andere und sich selber Spaß machte,
+dann umspielte seine Lippen ein humoristisches Lächeln, das ihm sehr
+gut stand und dem ganzen Menschen etwas Angenehmes gab. Das Gesicht
+glänzte, und sogar die Zähne, die zur Hälfte zwischen den geöffneten
+Lippen hervorsahen, schimmerten Heiterkeit. Aber auch in diesem Vorzug
+konnte er sich nie vor der Geliebten zeigen. Einmal wollte er eine
+lustige Geschichte, die im Wirthshaus großen Beifall gefunden hatte, zu
+Hause wieder erzählen. Als aber Christine aufmerksam horchte und nicht
+gleich vergnügt aussah, wo nach seiner Ansicht das »G'spässige« der
+Geschichte schon begonnen hatte, brachte ihn die Furcht, sein Ziel zu
+verfehlen, in Verwirrung; er verpfuschte das Ende und wies ein Gesicht,
+das eher geeignet war Mitleiden als Heiterkeit einzuflößen. »'Sischt
+doch grad,« sagte er darauf im Kuhstall, den er nach seiner Niederlage
+aufgesucht hatte, »als wann's der Deufel g'macht hätt'! Im Wirthshaus
+ka'n es, und derhoe'mt (daheim) ka'n es net und stell me a' wie a'n
+Esel!« Als ihm hier eine Kuh, die nach Futter verlangte, diesen ihren
+Wunsch durch eine Kopfbewegung und einen Blick zu erkennen gab, die er
+sogleich verstand, sagte er: »Ja, ja, du sikscht (siehst) g'scheider
+drei' und host meaner Segel im Hihra (mehr Grütz im Kopf) als ih!«
+Gleichsam um das Vieh für seinen Verstand zu belohnen, gab er ihm etwas
+extra. Bei sich selber aber beschloß er fest, seine Geschichten künftig
+nur im Wirthshaus zu erzählen.
+
+Sein Gefühl, das so sträubig war, sich in der Gestalt von Worten
+zu offenbaren, bewies der gute Hans um so mehr durch Thaten. Die
+Wirthschaft besser zu führen, als wenn's seine eigene gewesen wäre,
+die Aecker herzurichten wie Gartenland, Korn und Vieh auf dem Markt
+zum höchsten Preis zu verkaufen, und im Hause der Geliebten Freude zu
+machen durch Erfüllung ihrer Wünsche, die sie entweder aussprach oder
+die er ihr an den Augen ansah, das war seine Sache. Im Uebrigen wollte
+er -- warten. »'S macht se villeicht amohl von o'gfohr« (von ungefähr),
+dachte er und tröstete mit dieser Möglichkeit sein ungewisses Herz.
+Sein Zögern hatte auch noch einen Grund, den die Leser ganz vernünftig
+finden werden. Eins in's andere gerechnet, war sein Verhältniß zu
+Christine für ihn auch jetzt schon eine Quelle von Vergnügen. Mit ihr
+die ländlichen Arbeiten zu verrichten, wie die Jahreszeit sie brachte,
+das Heu »zusammenzuschlohen« oder das Korn zu sammeln, auf dem Wagen
+die Garben von der Gabel zu nehmen, die ihre rüstigen Arme ihm entgegen
+streckten, und ihn so schön und gleichmäßig zu laden, daß sie ihn
+bewundern mußte; im Winter mit ihr zu dreschen und seinen Flegelschlag
+nach dem ihrigen kräftiger »auf dem Tennen« erschallen zu lassen;
+Abends mit ihr und der Base zu schwatzen, Rath zu halten über die
+Arbeiten des folgenden Tages, über Kauf und Verkauf; namentlich aber,
+vom Markt heimgekehrt, ihnen aus dem ledernen Gurt das Geld vorzuzählen
+und Lob dafür zu empfangen, daß er wieder so viel gelöst habe -- dieß
+und anderes, wie es der Verkehr in einem Haus und Geschäft mit sich
+bringt, war für ihn eine Kette von Freuden, Labsal und Trost für alle
+Unbilden, die er erfuhr oder im zweifelnden Herzen sich selber anthat.
+Sollte er nun das alles auf's Spiel setzen, indem er Christine zum Weib
+verlangte und eine abschlägige oder auch nur eine ausweichende Antwort
+erhielt? In diesem Fall mußte er das Haus verlassen, oder wenn er
+blieb, war ihm die Freude verdorben und jede fernere Werbung untersagt.
+Hans -- das haben wir nun hoffentlich schon klar gemacht -- war kein
+gewöhnlicher Mensch; er hatte seinen Kopf und sein Ehrgefühl.
+
+Und sie, die schöne Christine? Unstreitig werde ich nicht nöthig haben
+den Leserinnen erst noch ernsthaft zu versichern, daß ~sie~ gar
+wohl wußte, wie es mit dem Herzen des guten Burschen stand. Wo gäbe
+es ein hübsches Mädchen, die hier nicht sogleich Bescheid wüßte?
+Ich kann sogar verrathen, daß Christine schon als Fünfzehnjährige,
+nachdem sie ihn einmal auf einem gewissen Seitenblick ertappt, von
+dem Stand der Dinge gleich eine sehr entschiedene Ahnung hatte. Aber
+ein unausgesprochenes Gefühl hat auch für die einfache Schöne das
+Gute, daß es zugleich vorhanden und nicht vorhanden ist. Sie kann ihm
+gegenüber ihre Gedanken ebenfalls unausgesprochen lassen und thun, als
+ob es nicht existirte, während es schon diplomatische Geistesbildung
+erfordert, auch das ausgesprochene Gefühl zu ignoriren. Christine
+sah, wie sie den Vetter am Schnürchen hatte, und freute sich darüber.
+Es gefiel ihr besonders, daß er so bescheiden war, daß er sie nicht
+nöthigte, Ja oder Nein zu sagen, sondern ihr die Freiheit ließ, in
+der sie sich immer noch so wohl fühlte. Sie hatte eine Empfindung,
+wie sie bekanntlich auch schöne junge Damen haben, die es ebenfalls
+höchst reizend finden, eine Zeitlang als erstrebenswerthes Gut zu
+glänzen, bevor sie ihre Macht und Freiheit an einen Einzelnen hingeben.
+»Den kannst du haben und am Ende glücklich mit ihm leben,« dachte die
+gute Christine, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, wenn sie sich
+vorstellte, wie glücklich sie den Vetter machen könnte, wenn sie ihm
+entgegenkäme. »Aber es hat noch Zeit,« rief es dann in ihr; -- »wer
+weiß!« --
+
+Aehnlich dachte die Mutter. Daß sie für ihre Tochter einen Mann haben
+konnte, brav, in der Arbeit geschickt und in seiner Art vermöglich,
+war gut. Aber wer konnte sagen, ob ihrer Christine nicht noch was
+Besseres, vielleicht was viel Besseres anstand? »Es hat noch Zeit,«
+war darum auch ihr Refrain, wenn sich beide mit einander über diese
+Angelegenheit besprachen. Einmal setzte sie hinzu: »Du därfst aber oh
+nex thoa', daß 'r verschächt wurd (verscheucht wird)!« Und Christine
+antwortete: »Des fällt mer net ei'! Er hätt's oh net om mi verdea't!«
+Und sie folgte ihrer Natur und traf in ihrem Sinne das Rechte: sie
+bewies gegen Hans eine Freundlichkeit, die seinem Wunsche die Aussicht
+auf das Ziel freiließ, ohne sie selber zu verpflichten.
+
+Aus diesen Gründen nannten wir im Eingang unserer Erzählung die drei
+Leute glücklich. Hans war es durch seine Liebe, durch seine Herzensgüte
+und seine Hoffnung. Mutter und Tochter waren es durch ihre behagliche
+Existenz, durch die Ehre, die ihnen widerfuhr, durch die Sicherheit,
+die ihnen Hans gewährte, und durch die Macht, die ihnen gegeben schien.
+Das Glück des Hans war nun freilich um vieles löblicher, als das seiner
+beiden Verwandten; allein ich wünschte doch nicht, daß Christine zu
+streng beurtheilt würde. Sie schätzte den Vetter nur, sie liebte ihn
+nicht; sollte sie ihm nun entgegenkommen und sich binden ohne Noth? Und
+daß die Mutter aus bewußter, die Tochter aus instinktmäßiger Vorsicht
+den wackern Burschen für dem Nothfall bewahrt zu sehen wünschten, das
+wollen wir zwar nicht bewundernswürdig finden, aber -- aus Galanterie
+-- auch für keine Todsünde halten.
+
+Ein solcher Zustand kann nicht dauern, und soll es auch nicht. Die
+unentschiedene Seele sieht sich auf einmal in eine Lage versetzt, wo
+sie ein bestimmtes Ziel vor sich hat, welches alle ihre Wünsche an sich
+reißt. Und nicht nur das Erreichen, auch das Erstreben dieses Ziels
+kann das bisherige Glück trüben und alteriren.
+
+Als Christine das achtzehnte Jahr hinter sich hatte, kam, was Hans in
+den Stunden der Sorge befürchtete. Es trat ein Nebenbuhler auf.
+
+Im selbigen Winter gab es zwei Hochzeiten, die im Wirthshaus gefeiert
+wurden, also zwei Tanzgelegenheiten. Bei der ersten ging Christine
+mit Hans und einer Kamerädin auf den »Ansing.« Wie man ohne Zweifel
+schon aus seinem ganzen Charakter vermuthet, war das Tanzen die Stärke
+des Hans nicht. Er hatte keine Freude daran, er leistete auch nichts
+Rechtes darin und bequemte sich darum auch nur höchst selten dazu. An
+diesem Ansing tanzte er nur ein paar Reihen, weil ihn Christine in
+Folge der Koketterie, mit der hübsche Mädchen bescheidene Liebhaber
+zuweilen auch unversehens beglücken wollen, selber dringend dazu
+aufgefordert hatte. Nachdem er das Nöthige gethan zu haben glaubte,
+bedankte er sich und sagte zu ihr mit gutmüthigem Lächeln, sie möge
+sich den Abend nur recht lustig machen, vor ihm habe sie nun Ruhe.
+Sie versetzte: »Was schwätscht ietz doh widder! 'S wär' koë Wonder,
+i tanzet net geara' mit d'r!« Dann aber gab sie doch vergnügt einem
+flinkeren Burschen die Hand, der schon auf sie gelauert hatte. Hans
+belohnte sich für seine Anstrengung durch einen tüchtigen Trunk und
+stellte sich in eine Ecke, um der Lustbarkeit zuzusehen. Das war ihm
+lieber als selber mitzumachen, d. h. wenn Christine tanzte. Er freute
+sich auch jetzt wieder, wie schön sie's konnte und wie sie ordentlich
+»das G'rihß hatte« (wie man sich um sie riß).
+
+Als später der stattliche Sohn eines reichen Bauern auf den geringern
+Burschen, der sie eben im Reihen führte, zuging und zu ihm sagte:
+»Komm, loß me oh a weng mit der Christine danza! Du host ietz gmuag
+(genug)!« -- sie dann ohne viel Umstände nahm und nach einigen Worten,
+die er an sie richtete, strampfte und den Kopf schüttelte, daß das
+grünseidene Quästchen auf der Fischotterkappe baumelte, da war Hans im
+Namen der Geliebten stolz auf die Ehre, die ihr widerfuhr; denn jener
+Bursche war dermalen der »fürnemste« im ganzen Dorf, und der Gute
+fühlte sich selbst geschmeichelt, daß so einer sie aufzog und, wie es
+schien, das Tanzen mit ihr gar nicht hatte »verwarten« können. Bald sah
+er auch, daß der schöne »Hansirg« (Hansjürg) sie wirklich recht gern im
+Arm oder an der Hand haben mußte. Er tanzte lange mit ihr, so lange,
+bis ihr die Schweißtropfen an der Schläfe standen und über die rothen
+Backen herunterperlten. Dann führte er sie zu einem Trunk in die Stube.
+
+Alles das war in der Ordnung und wurde von Hans auch durchaus so
+gefunden. Als aber beide nicht lange nachher wieder mit einander
+herauskamen, um sich herumzudrehen, da freute er sich plötzlich nicht
+mehr. Er sah, wie der Bursche schon mit einer gewissen Vertrautheit
+sprach, dabei ganz eigenthümliche Augen machte und die Stimme dämpfte,
+so daß er seine Worte nicht verstehen konnte, und das Blut stieg ihm
+in's Gesicht. Er mußte sich alle Mühe geben, sich nichts »anmerken«
+zu lassen; und um dieß besser zu können, ging er in die Stube, setzte
+sich an seinen Tisch und fing ein Gespräch an. Früher, als er glaubte,
+kam Christine zurück und sagte zu ihm und zu der Kamerädin: »So, nun
+will ich ausschnaufen, nachher gehn wir heim; für heut ist's gnug!«
+Ein Stein fiel dem guten Burschen vom Herzen. Er wußte nicht, daß der
+»Fürneme« in seiner plötzlichen Zärtlichkeit etwas zu weit gegangen,
+Christine böse geworden war und sich ihm entzogen hatte, d. h. daß die
+Sache für ihn, den Hans, immer noch sehr gefährlich stand.
+
+Die zweite Hochzeit folgte wenige Wochen darauf. Christine war entfernt
+mit der Braut, der reiche Bauernsohn mit dem Bräutigam verwandt, und
+beide gingen als Gäste auf die Hochzeit. Durch die Miene des Trutzens,
+die Christine gegen ihn annahm und in der sie ihm noch viel schöner
+vorkam als letzthin, wurde der Bursche auf's neue gereizt. Er bat sich
+mit höflicher Miene ein paar Reihen aus, und sie konnte es ihm nicht
+abschlagen. Während des Tanzes fand er Gelegenheit, sie zu besänftigen
+und Vergebung zu erhalten. Er war voll Freude, setzte sich in der Stube
+neben sie, ließ eine Flasche Wein kommen, trank und »juxte« (jauchzte),
+tanzte wieder, und so gings mit wenigen Unterbrechungen fort bis zum
+»Obedmohl.« Bedenken wir, daß dieser Bursche, abgesehen von dem Reiz,
+den er als der Sohn des vielleicht wohlhabendsten Bauern im Dorfe
+hatte, hübsch, hochgewachsen, geschickt und ein vortrefflicher Tänzer
+war, daß seine Zärtlichkeit ihm von Herzen ging und die Schmeicheleien
+aus seinem Munde für Christine etwas außerordentlich Wohlklingendes
+hatten, so werden wir es natürlich finden, daß das Herz des Mädchens
+nach und nach erweicht wurde und eine Hoffnung in ihr aufflammte, die
+sie berauschte. In dieser Hoffnung, in der süßen Aufregung ihres Innern
+wurde sie so schön, daß das Herz auch des Burschen völlig schmolz und
+er sich förmlich in sie verliebte.
+
+Nach dem Mahl begab sich Christine nach Haus. Sie fühlte, daß es
+für heute genug sei, ging nicht mehr auf den Ansing und vertraute
+ihre Tageserlebnisse mit Auswahl der Mutter. Der junge Bauer blieb,
+theilte im Rausch der Liebe und des Weins sein Glück einem Kameraden,
+dem Bruder der Hochzeiterin, mit, schwur, daß er keine andere möge
+als Christine, und daß er sie heirathen werde. Als der Kamerad ihn
+an den Stolz seines Vaters erinnerte, entgegnete der Verliebte, sein
+Vater habe ihm nichts zu sagen, was ~er~ wolle, müsse geschehen.
+Christine bekomme so viel wie manche Bauerntochter und ihre Schönheit
+sei nochmal so viel werth. Wenn er auch reichere haben könnte, auf's
+Geld sehe er nicht, das kriege er selber genug. Sein Vater solle ihm
+nur kommen -- Himmel-Kreuz-Tausend -- er werde es ihm schon sagen u. s.
+w.
+
+Auch der andere Morgen, das Getöppel der Seinigen, die sein gestriges
+Benehmen für ein Plaisir ansahen, das er sich gemacht, auch das ruhige
+Bedenken der Verhältnisse kühlte seine Glut nicht. Er hatte sich den
+Gedanken in den Kopf gesetzt, und ein Mann wie er mußte seine Sache
+durchführen. Am folgenden Sonntag nach dem Essen kehrte er unerwartet
+mit dem Kameraden bei Christines Mutter ein. Hans hatte schon munkeln
+hören und war in trüber Stimmung. Als die beiden stattlichen Bursche
+in die Stube traten, sah er sie mit einem Gesicht an, auf dem kein
+Willkommen zu lesen war. Und wie er nun die Freude sah, mit der die
+Base und Christine die Gäste empfingen, die Geschäftigkeit, womit
+sogleich in's Wirthshaus nach braunem Bier geschickt wurde und die Base
+sogar Kaffee machen wollte -- in einem Hause, wo immer nur Milchsuppe
+gefrühstückt und der Kaffee nur bei den seltensten Feierlichkeiten
+aufgetischt wurde -- da gab es ihm einen Stich in's Herz. Er fühlte,
+wie wenig er zu der Gesellschaft paßte, und schützte einen nothwendigen
+Gang vor, um aus dem Hause zu kommen. -- Als er Nachts zurückkehrte,
+war der Besuch natürlich fort, aber der Schein des Glücks, das er
+gebracht hatte, glänzte noch auf den Gesichtern der beiden Weiber.
+Christine sah wohl, daß ihre Freude dem guten Hans wehe that; sie
+bedauerte es, aber sie konnte sich nicht helfen und den Strom ihres
+Triumphgefühls nicht zurückhalten. Sie erblickte sich schon als eine
+der ersten Bäuerinnen im Ries und ihr sonst so gesunder Schlaf wurde
+mehrmals durch den süßen Tumult ihres Herzens unterbrochen.
+
+Damit war's aber auch zu Ende. Der Vater des Burschen erhielt von dem
+Besuch und dem wesentlichen Inhalt des gepflogenen Raths Kunde, und es
+folgte nun zwischen beiden ein Auftritt, in welchem der prahlerische
+Liebhaber gar bald den kürzeren zog. Der Alte entwickelte einen Zorn
+und eine Machtvollkommenheit, wovor der Bursche sich verkriechen mußte.
+Was der Wüthende forderte, wurde mit »ja, ja, i will's ja!« zugesagt
+-- und in kurzem hieß es: »des Moürs (Maierbauers) Hansirg hat mit der
+einzigen Tochter des reichen Bachbauers von ** Heirathstag gehalten.«
+
+Christine war tief beschämt. Es ging die ersten Tage nicht ohne
+Vergießung vieler Thränen ab. Allein ihr Temperament und ihr ganzes
+Wesen war nicht von der Art, daß sich darum ein Gram in ihr befestigen
+und an ihr zehren konnte. Da der Ungetreue noch dazu aus dem Dorf weg
+heirathete, so hatte sie, auf gut ländlich, den Traum der Liebe und des
+Ehrgeizes in wenigen Wochen vergessen.
+
+Hans hatte seit jenem Sonntag ein Betragen angenommen, das er eine
+Zeitlang unverändert festhielt. Er ging äußerlich ruhig seinem Geschäft
+nach, beschränkte seinen Verkehr mit Christine und der Base auf das
+Nothwendigste, machte ein gleichmäßig ernsthaftes Gesicht und suchte
+zu thun, als ob nichts vorgefallen wäre. Nachdem die Verlobung des
+Nebenbuhlers bekannt geworden, zeigte er (wer ihn begriffen, sagt
+sich das von selber) keine Schadenfreude. Er hatte diese nicht etwa
+zurückzudrängen, sondern die eigentlich so zu nennende empfand er
+gar nicht. Er bedauerte die Beschämte vielmehr, ging ihr aus dem
+Weg, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, und überließ sie ihrer
+Traurigkeit. Als sie nach einigen Tagen schon um vieles getrösteter
+aussah, gab er seiner Stimme im Gespräch mit ihr unwillkürlich einen
+freundschaftlicheren Klang, um sie gewiß zu machen, daß er nicht böse
+sei, und ihre Beruhigung, so weit es von ihm abhing, zu fördern.
+Aber weiter ging er nicht. Es hatte ihn doch recht »verdschmohcht«
+(verdrossen), daß sich die schöne Christine dem Bauernsohn mir nichts
+dir nichts an den Hals geworfen und sich angestellt, als ob er, der
+Hans, gar nicht mehr auf der Welt wäre. Er wollte sein Herz von nun
+an nicht mehr an ein Mädchen hängen, die von ihm nichts wollte --
+Christine sollte durch nichts mehr daran erinnert werden, daß er sie
+jemals gern gehabt habe.
+
+Diese guten Vorsätze wurden im Ausgang des Winters gefaßt. Im Sommer
+stand das Verhältniß unseres wackern Freundes wieder so ziemlich auf
+dem alten Fleck, ja es war im Begriff weiter zu gedeihen. -- Christine
+hatte zwischen Hans und dem Ungetreuen Vergleichungen angestellt, und
+es war ihr zum erstenmal klar geworden, daß Treue und Zuverlässigkeit
+etwas seien, wovor man Respekt haben müsse. Das frühere Benehmen des
+Vetters erschien ihr jetzt nicht mehr als ein Gegenstand herablassenden
+Spiels, im Gegentheil, sie hatte dabei ganz ernsthafte Gedanken. Und
+wenn sich nun ~er~ zurückhielt und gar nicht mehr dergleichen
+thun wollte, so -- kam sie ihm selber entgegen; allerdings nur mit
+einer gewissen Vorsicht. Sie offenbarte in ihrem ganzen Wesen nur mehr
+Achtung und Freundschaft und der Ton ihrer Stimme erhielt nur eine
+herzlichere Färbung. Zuweilen aber, wenn er im Geschäft etwas recht gut
+gemacht hatte, warf sie mit ihren graublauen Augen ihm einen Blick zu,
+dessen Dankbarkeit auch ein Unparteiischer durch eine bedeutende Zugabe
+von Zärtlichkeit verstärkt gesehen hätte. Dem widerstehe ein liebendes
+Herz, und obendrein ein großmüthiges! Hans ließ sich Schritt für
+Schritt wieder zurückführen in die angenehme Gefangenschaft. Er kostete
+nun seinerseits einen gewissen Triumph, wiegte sich in frohen Momenten
+stolz im Gefühl der Macht und gab sich einer Sicherheit hin, die nur
+zuweilen durch die Einwürfe der Bescheidenheit unterbrochen wurde. Dann
+prüfte er wieder, hielt wieder an sich -- und Christine kam ihm einen
+Schritt weiter entgegen. Die treue Seele war über die Maßen vergnügt;
+aber dieses Vergnügen that ihm gar zu wohl, und ihm war, als müßte er
+es vorläufig dabei lassen.
+
+Der Verkehr der drei Leute nahm einen Charakter an, dessen reine
+Fröhlichkeit jeden theilnehmenden Beobachter erquickt hätte. Man
+scherzte und neckte sich; dem Vetter gelang es jetzt, der Schönen
+lustige Geschichten, namentlich wenn sie kurz waren, ohne Anstoß zu
+erzählen und sein Gesicht dabei durch jenes humoristische Lächeln
+zu erhellen, das ihm so gut ließ. Das Dorf war über ihr Verhältniß
+im Reinen, und wenn es geheißen hätte: Christine wird ihren Vetter
+heirathen, so hätte sich kein Mensch darüber gewundert. Hans wurde
+nun von seinen Kameraden mit ihr aufgezogen und gelegentlich ermahnt,
+einmal ein Ende zu machen, damit man bald wieder eine lustige Hochzeit
+bekäme. Und jetzt, in den Tagen des Herbstes, faßte er ernstlich den
+Entschluß, ihr seine Herzensmeinung zu sagen. Er verschob indessen die
+Ausführung von einem Tag zum andern. War es das Gefühl, daß Eile nicht
+nöthig sei und Christine ihm doch nicht entgehen könne? oder war der
+Geist des Zweifels wieder über ihn gekommen, oder vermochte er nur
+nicht über die Anrede mit sich einig zu werden und wartete auf eine
+Gelegenheit, wo sie sich von selber machte? Sei dem wie ihm wolle -- er
+zauderte.
+
+Da trat auf einmal ein Nebenbuhler auf, der noch gefährlicher war, als
+der erste, und in kurzer Zeit die Hoffnungen des Guten zertrümmerte.
+
+
+ II.
+
+Der Nebenbuhler des Hans war der neue Lehrer, der den bisherigen in
+der Dorfschule ersetzte. Der alte war im Ausgang des Sommers an eine
+andere Stelle befördert worden, die jährlich um zwanzig volle Gulden
+mehr trug. Der neue, ein geborner Rieser, im Seminar erzogen und als
+mehrjähriger Gehülfe praktisch gebildet, übernahm sein Amt im Oktober.
+
+Friedrich Forstner -- so hieß der junge Mann -- war kaum vierzehn Tage
+im Dorf, als er schon die meisten Herzen gewonnen hatte. Ein Theil
+erinnerte an das »neue Besen kehren gut« und wollte erst sehen, wie
+er sich halte. Nur wenige alte Murrköpfe oder junge Eifersüchtige
+erklärten ihn für einen »Windbeutel.« -- Der Contrast zwischen ihm und
+dem bisherigen Lehrer war freilich sehr stark.
+
+Der alte war seines Zeichens ursprünglich ein Weber, und, wie man
+annehmen muß, an seine Stelle gekommen in Ermangelung eines Bessern.
+Eine lange, hagere Gestalt mit kleinem Kopf und dünner Nase, von
+der man sogleich auf einen charakteristisch näselnden Ton der Stimme
+schließen konnte. Gutmüthig bis zu einem gewissen Grad, wurde er an
+Einfalt nur von Einem seiner damaligen Collegen übertroffen. Indem er
+zur Nothdurft lesen, schreiben und rechnen lehrte, genügte er dennoch.
+Seine Hauptthätigkeit bestand im Abhören dessen, was die Kinder,
+entweder von ihm aufgegeben oder freiwillig, auswendig gelernt hatten.
+Diese Kunst war für einen Mann, der Gedrucktes lesen konnte, nicht
+schwer, und da die »Schulfrau« (die Gattin des Lehrers) dies auch
+verstand, so vermochte sie ganz gut für ihn Schule zu halten, wenn er
+über Land gegangen war oder irgend ein dringendes Geschäft abzumachen
+hatte. In einem Zweige der Pädagogik war der würdige Repräsentant der
+guten alten Zeit Virtuos -- in Führung des Haselstocks. Wenn die Buben
+oder keckeren Mädchen schwatzten und »bätschten,« d. h. Tauschgeschäfte
+machten, was namentlich mit »Helgen«[2] zu geschehen pflegte; wenn
+sie, zum Sprechen aufgefordert, dem Befehl nicht nachkommen konnten,
+weil sie zu heimlichem Genuß eben Brod oder Obst in den Mund gesteckt
+hatten; wenn sie statt das Auswendiggelernte ohne Anstoß »herzubeten,«
+»gatzten« (stotterten) und nicht mehr weiter konnten, dann schwang
+er, besonders wenn er schon vorher in gereizter Stimmung war, den
+gefürchteten Stock mit einer Fertigkeit auf Achseln und Rücken
+des Schuldigen, daß es eine Freude war zuzusehen. Und mit jener
+Befriedigung, die man nach Ausübung einer Kunst empfindet, in der man
+sich Meister weiß, legte er, während der getroffene Schlingel heulte,
+das Instrument wieder bei Seite.
+
+In den größten Zorn konnte der Mann gerathen, wenn er fand, daß ein
+Schüler seine »Lection« übersprungen hatte. Damit verhielt es sich
+so. Vielleicht um sich auch die Mühe des Aufgebens zu ersparen, oder
+berücksichtigend, daß nicht einer ein so gutes »G'merk« (Gedächtniß)
+habe wie der andere, stellte er es den Kindern anheim, aus Luthers
+kleinem und großem Katechismus nach Oettingscher Einrichtung von vorne
+beginnend auswendig zu lernen, so viel ihnen gutdünkte, indem er
+dann abhörte, was sie ihm als gelernt bezeichnet hatten. Wie nun der
+Ehrgeiz aus keinem Winkel der Erde zu verbannen ist, so lernten auch
+die Schüler tüchtig; denn es galt die Erlangung des Ruhms, von allen
+zuerst mit den sämmtlichen zweiundfünfzig »Lezgen« oder Lectionen des
+großen Lutherischen Katechismus fertig geworden zu sein. Hie und da
+besaß einer der geistreicheren Jungen viel Ehrgeiz, aber sehr wenig
+Lernbegierde; was war natürlicher, als daß er nun gelegentlich einige
+Lectionen überhüpfte? Manchmal gelang der Betrug, wenn auch die
+Mitschüler nichts gewahr wurden oder so gute Kameraden waren, daß sie
+schwiegen. Wenn aber der Lehrer selber stutzte, oder irgend ein Schelm
+ihn durch Lachen aufmerksam machte, oder ein Verräther geradezu rief:
+»Herr Schullehrer, der überhupft!« -- dann gerieth der Getäuschte in
+eine schwer zu beschreibende Wuth, und die Streiche des Haselstocks
+regneten auf den entlarvten Betrüger. Diesem blieb nichts übrig, als
+die Schläge trotzend oder schreiend hinzunehmen und nach Umständen
+außer der Schule den Verräther durchzuprügeln, was meistentheils
+geschah, da der unternehmende Bursche in der Regel kräftig und gewandt,
+der »Batscher« (Plauderer) schwach und feig zu sein pflegt.
+
+So hielt der alte Lehrer Schule. In ähnlicher Weise kam er auch den
+Pflichten eines Küsters, Organisten und Vorsängers nach, nämlich
+immer in einer gewissen Entfernung. Für die Bauern war er doch »kein
+unebener Mann.« Da er, mit einer Anzahl von Kindern gesegnet, »nothig«
+und geschenkbedürftig war, so befleißigte er sich den Wohlhabenden
+gegenüber stets der gebührenden Höflichkeit. Er war dienstwillig, und
+wenn ein Vater anfragen ließ, ob sein Bube heute nicht »aus der Schule
+bleiben« könnte, so nahm er es mit dem vorgeschützten Grunde niemals
+genau. Sogar das Verlangen, den Haselstock zu führen, so mächtig es
+in ihm war, konnte er »aus Rücksichten« bemeistern. Die »gestandenen«
+Bauern fühlten sich in keiner Weise unter ihm. Er trug sich städtisch,
+aber der städtische Anzug war das Produkt des Dorfschneiders und nicht
+geeignet, neben der Rieser Tracht den Anblick von etwas Feinerem zu
+gewähren. Er sprach ein wenig hochdeutsch; aber jeder Andere glaubte
+in der ächten Rieser Sprache etwas Gescheidteres sagen zu könnnen. So
+flößte er in keiner Art Respekt ein. Darum war es aber gerade commod
+mit ihm umzugehen, und das ist eine Eigenschaft, die auch im Dorfe
+Beifall und Gunst findet.
+
+Friedrich Forstner war seiner ganzen Erscheinung nach das, was der
+Rieser Bauer einen »Herrn« nennt. Mittelgroß, zierlich gebaut, sah
+er in seiner einfachen, aber wohlgefertigten Kleidung nett, beinahe
+elegant aus. Als ein aufgeweckter Kopf und von Natur anstellig zu
+Allem, hatte er im Seminar eine nicht gewöhnliche Summe von Kenntnissen
+erlangt; als Gehülfe in Dorf und Stadt hatte er die Klugheit
+ausgebildet, die Niemand lästig wird und sich spielend nach den
+Umständen zu richten weiß. Er sang hübsch, verstand mehrere Instrumente
+und war ein vortrefflicher Gesellschafter.
+
+Gleich bei seinem Einzug hatten die Glieder der Gemeindeverwaltung und
+andere Männer, die mit ihm zusammen kamen, eine eigene Empfindung.
+Forstner ließ es durchaus nicht an Höflichkeit fehlen, aber sie,
+anstatt die Artigkeiten, wie bei seinem Vorgänger, wohlgefällig
+hinzunehmen und nur kurz zu danken, fühlten sich unwillkürlich
+getrieben, sie zu überbieten. Der junge Mann erwiederte bescheiden,
+schlug mit Gewandtheit einen vertraulichen Ton an und wußte es zu
+machen, daß die Bauern ihren Respekt behielten, ohne dadurch genirt zu
+sein, ein Gefühl, das ihnen ganz neu war. Als der zeitige Ortsvorsteher
+nach Haus kam, sagte er zu seinem Weib: »Höer du! der nui (neue)
+Schulmoëster ist a fei's Mändle!«
+
+Eine ähnliche Erfahrung machten die Schulkinder. Forstner hielt bei
+seinem Auftritt eine Anrede an sie, und es war den meisten, als ob
+sie das, was er sagte, verständen! Als die Eltern zu Hause fragten,
+wie's gegangen sei, wußten sie sogar von dem Gehörten etwas wieder zu
+erzählen und es einigermaßen zu expliciren! Am andern Tag fand eine
+Aufmerksamkeit statt, wie sie die Wände der Schulstube nie gesehen
+hatten. Bei einem entstandenen Lärm genügte ein Zuruf und ein Blick des
+Lehrers, um zwei in Streit gerathene Buben augenblicklich verstummen
+zu machen; und wie später einer mit seinem Nachbar schwatzen wollte,
+stieß ihn dieser, anstatt auf das Vergnügen des »Blieselns« einzugehen,
+mit dem Ellbogen in die Seite und rief mit gedämpfter Stimme ärgerlich:
+»Halt's Maul!« -- Nach dem vierten Tage erlebten die Eltern etwas
+Unerhörtes: die Kinder wollten nicht mehr aus der Schule bleiben! Ein
+Söldner brauchte seinen zehnjährigen Sohn bei einer Arbeit und wollte
+ihn zu Hause behalten; das Bürschchen widersprach, und als das nichts
+half, begann es zu »flannen« (flennen). So lange das Dorf stand, der
+erste Fall dieser Art.
+
+Um diese Zeit begegneten sich drei Bauern auf der Gasse. »Was isch
+denn mit deana' Kinder (diesen Kindern) iatz?«, begann der erste; »die
+deant (thun) ja wie narret!« -- »'Sischt wärle wohr« (wahrlich wahr),
+versetzte der andere; »der nui Schulmoëster hot's ganz verhext.« --
+»No, no,« sagte der dritte, »'sist ja rehcht, wann's geara' en d'Schuel
+gont« (gehen). -- »Des scho',« erwiederte der erste; »aber überstudiert
+soll er's net macha', des paßt se net für Baura'.« -- »Ueberstudiert,«
+entgegnete der dritte, »weara's no lahng net, wann's meaner (mehr)
+learna', als beim alda'. Semmer (seien wir) froa', daß mer dean loas
+send ond 'n bessera' hont« (haben). -- So behielt die Gunst auch hier
+das letzte Wort.
+
+Dem Talent des neuen Lehrers gelang es sogar, die Sonntagsschüler zu
+gewinnen, mit Ausnahme nur weniger Burschen, die schon im achtzehnten
+Jahre standen und durch nichts mit dem Gedanken versöhnt werden
+konnten, sich von einem Menschen, der nur etliche Jahre älter war als
+sie, noch etwas sagen lassen zu müssen. Am zweiten Feiertag fing eine
+und die andere Jungfrau schon an, sich etwas besser zu putzen und dabei
+anmuthig zu lächeln und ein wenig zu erröthen. Es trat ein Eifer des
+Schulbesuchs ein, den bisher niemand wahrgenommen hatte und der zu
+vielen guten und schlechten Späßen Anlaß gab.
+
+Zuletzt eroberte Forstner auch die Bauern in der Wirthsstube. Er setzte
+sich kameradschaftlich zu ihnen, ließ sich von ihnen über ökonomische
+Verhältnisse und Einrichtungen des Dorfes belehren, beantwortete die
+Fragen der Neu- und Wißbegierde, gab jedem seine Ehre und lieferte das
+feinste und beste Salz zu den lustigen und satyrischen Gesprächen. --
+So hallte in kurzem das ganze Dorf von seinem Lobe wieder. Mit wenigen
+Ausnahmen sangen es Männer und Weiber, Mädchen und Bursche, Kinder
+und Greise. Es kam so weit, daß hie und da ein wohlgesinnter, aber
+maßhaltender Mann ärgerlich ausrief: »Ietz hab' i aber gnuag von uirem
+(eurem) Schulmoëster, und bitt mer'n andern Diskursch aus.«
+
+Das meiste Glück machte der hübsche, junge Pädagog freilich bei den
+Mädchen des Dorfes, obwohl gerade diejenigen, denen er am meisten
+gefiel, es am wenigsten Wort haben wollten. Alle, sogar die Tochter des
+Wirths und die Töchter der reichsten Bauern, suchten dem »netten Mann«
+zu gefallen. Forstner war Verehrer und Kenner des schönen Geschlechts
+und mit Vergnügen galant; er konnte gar so freundlich »guten Tag«
+sagen, und manche, die sich für schön hielt, schwenkte sich nun bloß zu
+dem Ende an ihm vorbei, um von ihm bemerkt und gegrüßt zu werden.
+
+Drei aus der Klasse derjenigen, die es für ein Glück halten konnten,
+»Schulfrau« zu werden, hatten ernsthafte Absichten auf ihn. Man würde
+sich irren, wenn man glauben wollte, Forstner, der so sehr gefiel,
+hätte nun auch unter allen Dorfmädchen die Wahl gehabt, in der Meinung
+etwa, daß ein im Seminar erzogener, mit den Gebildeten der Umgegend
+verkehrender, im Dorf als »Herr« geehrter junger Man für die Phantasie
+auch des wohlhabenden Bauers etwas Unwiderstehliches besitzen müßte.
+Dem wohlhabenden Bauer flößen derartige Vorzüge den hier allein
+entscheidenden Respekt nicht ein; er gibt dem »Herrn Lehrer« die
+Ehre, behält aber seine Tochter. Der Bauer verlangt vor Allem, daß
+sein künftiger Schwiegersohn ein eigenes Haus besitze; eine Existenz
+ohne dieses scheint ihm sehr luftig, und wenn man ihm einen hauslosen
+Schullehrer anträgt, dann kann er befremdet, ja entrüstet fragen:
+»Soll i mei' Tochter auf d'Gaß naus heiricha' (heirathen) lossa'?« --
+Und nicht nur die Eltern, auch die Tochter würde sich in der Regel
+nicht mit dem Gedanken befreunden, die Frau eines Mannes zu werden,
+der jährlich nur zwei bis dreihundert Gulden Einnahme hat, »alles
+kohfa'« (kaufen) und von den Bauern Geschenke annehmen muß. Der Bauer
+ist stolz darauf, in seiner Art Herr zu sein, d. h. auf tüchtigem Gute
+thätig und behaglich zu leben und seine Töchter wieder an Bauern oder
+an Wirthe, Müller und ausnahmsweise an wohlgesessene Handwerker der
+umliegenden Städte zu verheirathen, die selbst einige Oekonomie haben.
+So räth es ihm die Sitte und die Lebenserfahrung, und diesen folgt er.
+Etwas anderes ist es mit dem besser gestellten Söldner, dem dörflichen
+Handwerker, und allenfalls auch dem verschuldeten Bauer. Diese können
+es für eine Ehre halten, wenn der Lehrer des Dorfs ihr Schwiegersohn
+zu werden wünscht. Sein Einkommen entspricht hier dem Heirathsgut der
+Tochter, und auch in den Augen des verschuldeten Bauers würde die
+Schattenseite des Lehrerstandes durch die Lichtseite wieder aufgewogen.
+
+Aus dieser Schichte der dörflichen Gesellschaft waren denn auch
+die drei Mädchen, die es lüstete, die Hand des hübschen Mannes
+davonzureißen. Sie gaben sich gewaltig Mühe, und eine davon hoffte
+schon zu triumphiren. Sie hatte die betagte Mutter Forstners, die ihm
+Haus hielt, wiederholt im Sonntagsstaat besucht und ihr -- was man sagt
+-- »mit dem Holzschlägel gewinkt;« und da sie überdieß von den dreien
+die reichste war, so glaubte sie nicht, daß es ihr fehlen könne. Indeß,
+ein paar Tage später, und sie mußte hören, der Herr Forstner habe ein
+Auge auf die schöne Christine geworfen. Eine Woche später, und auch sie
+mußte sich von der Wahrheit dieses Gerüchts überzeugen, das nun in die
+Reihe offenkundiger Thatsachen eintrat.
+
+Die Mutter Forstners war mit der Wittwe Glauning verwandt; allerdings
+sehr entfernt, doch das verhinderte die Glauning nicht, die Mutter des
+Herrn Lehrers als Frau Base zu begrüßen und denselben Titel von ihr
+zu empfangen. So war zwischen den Familien gleich in der ersten Zeit
+ein Verhältniß hergestellt. Der junge Mann fand Christine hübsch, aber
+in der geschäftigen Zeit der ersten Einrichtung, der Amtspflichten,
+des Besuchmachens u. s. w. konnte er die Bekanntschaft nicht weiter
+pflegen. Als er in seinem Neste warm saß, die Arbeiten ihren Gang
+gingen und ihm freie Zeit übrig ließen, empfand er ein Verlangen, sie
+wieder zu sehen; er folgte dem unbestimmten Drang und kehrte an einem
+festtäglichen Abend in ihrem Hause ein. Als er sie sah im Sonntagsputz,
+vom Schein der Ampel beleuchtet, mit ruhiger, aber herzlicher
+Heiterkeit zu seinen Artigkeiten lächelnd, fühlte er sich getroffen.
+Die unverdorbene, schöne Sinnlichkeit machte einen reizenden Eindruck
+auf ihn, und er mußte sich sagen, daß in ihrem Wesen noch etwas liege,
+das sie höher stellte, als ihre Gespielen. Er kam sehr eingenommen, in
+merklicher Aufregung nach Hause und rühmte sie der Mutter in starken
+Ausdrücken. Diese erwiederte sofort: »Weißt du, was ich mir schon
+gedacht hab'? Das wär' eine Frau für dich.« -- »Frau?« erwiederte er
+in einem Ton, der den Skrupel des »Gebildeten« ausdrückte. »Ja, Frau!«
+versetzte die Mutter. »Die Glauningin wird ihre viertausend Gulden
+Vermögen haben; Christine ist hübsch, wacker, versteht alle Arbeit
+und paßt sich besser für dich, als so eine Städterin, die nichts als
+Kleider mitbrächte.« -- »Aber man sagt ja, der Bursch da, der Hans,
+wolle sie heirathen.« -- »Ausgemacht ist noch nichts,« bemerkte die
+Mutter, »das weiß ich. Und so Einen,« setzte sie mit einem etwas eiteln
+Blick auf den Sohn hinzu, »so Einen wirst du wohl nicht fürchten?« --
+»Wir wollen sehen,« erwiederte Forstner nachdenklich.
+
+Der Keim, den die Mutter ihm in die Seele gesenkt hatte, gedieh und
+entwickelte sich. Am nächsten freien Abend fühlte er eine lebhafte
+Begierde, den Besuch bei der Glauning zu wiederholen. Er legte den Weg
+vom Schulhaus zu ihr mit raschen Tritten zurück, und das freundliche
+Gesicht des Mädchens glänzte ihm entgegen wie der Vollmond. Wir haben
+es schon angedeutet: Forstner war das, was man einen »Liebhaber des
+schönen Geschlechts« nennt. Seine Freude an hübschen Gestalten dürfen
+wir vielleicht ~poetisch~ nennen, in so fern dieses Wort ein fein
+sinnliches und phantastisches Wohlgefallen ausdrückt. Die Empfindung
+war so schön und so reizend! -- und er gab sich ihr nun, wo es die
+Klugheit nicht widerrieth, ohne weitere Skrupel hin. Bei Christine
+riethen ihm Neigung und Klugheit, für's erste nur den Galanten, den
+heitern Liebhaber zu spielen. Er wollte das hübsche Mädchen umschwärmen
+wie ein Schmetterling und hier vor allem die sinnlich romantische
+Lust finden, die er suchte; er wollte sie bezaubern, den bäurischen
+»Tölpel,« für den ein solches Mädchen wahrlich nicht geschaffen
+war, verdrängen und sich zum Gebieter ihres Herzens machen, dann --
+überlegen, ob und wann er sie zu seiner Frau machen könne.
+
+Als er, von der Wittwe mit besonderem Eifer und schon mit einem eigenen
+Blick empfangen, Platz genommen hatte, setzten sich auch Mutter
+und Tochter wieder zum Spinnen. Forstner entwickelte sogleich seine
+Unterhaltungskunst, und sein angebornes Talent und die Begierde, zu
+gefallen, ließen ihn Scherzreden führen und Geschichten erzählen, wie
+sie dem Bildungsstand der Zuhörerinnen entsprachen und nothwendig
+belustigen mußten. Er wußte einer Geschichte ungezwungen eine für
+Christine schmeichelhafte Wendung zu geben, und nicht nur herzliches
+Lachen, sondern auch ein beglücktes Erröthen und ein im Abwehren
+dankbarer Blick war sein Lohn. Forstner besaß eine Gewandtheit mit
+hübschen Mädchen umzugehen, von der sich ein ehrlicher Bauernbursche
+nichts träumen läßt. Der Bauer unterhält und schmeichelt im
+Lapidarstyl, die niedliche Currentschrift mit zierlichen Schnörkeln
+ist nicht seine Sache. Unser junger Mann war aber gerade hierin stark,
+und er gab diesen Abend gleich eine Probe davon. Er bewunderte die
+Kunst des Spinnens, worin Christine in der That sich auszeichnete, und
+behauptete dann, er hätte es auch einmal zu lernen versucht und möchte
+wohl sehen, ob's noch ginge. Natürlich lud ihn das fröhliche Mädchen
+ein, es zu versuchen. Er setzte sich zum Rocken und es ging hinlänglich
+schlecht; Christine lachte, zeigte es ihm, er versuchte es wieder,
+und das alles bewirkte unter großem Vergnügen rasche Vertraulichkeit.
+Nachdem dieses Mittel erschöpft war, erklärte Forstner, er wolle neben
+einer solchen Meisterin nicht länger den Pfuscher spielen und lieber
+ein anderes Geschäft treiben, das sich besser für ihn schicke. Er
+setzte sich neben sie und machte sich's zur Aufgabe, ihr die »Aga'«
+(Flachsabfälle beim Spinnen) von der Schürze zu schütteln. Und während
+er die mündliche Unterhaltung fortsetzte, that er dieß gelegentlich
+so nett und lustig, daß man's ihm nicht übelnehmen und nur lachend
+Abwehrungsversuche machen konnte. Es stand ihm eben alles an, und er
+konnte mehr wagen als ein Bauernbursche, weil er es zierlich machte
+und in den Grenzen des Scherzes blieb. Als er endlich Abschied nahm,
+erklärten Mutter und Tochter, so vergnügt wären sie lange nicht
+gewesen, und er solle doch ja bald wieder die Ehr' geben.
+
+Und Forstner kam wieder und wieder. Ihm ward so wohl in der warmen
+Stube bei dem hübschen Mädchen und der gefälligen, heiter blickenden
+Mutter. Draußen wirbelte der Schnee und sauste der Wind, drinnen
+schnurrten die Räder und tickte die Wanduhr, und unter dieser
+Begleitung ging das Spiel der Unterhaltung fort und gipfelte hie und da
+in einem Terzett hellen Gelächters. Alle drei hatten im eigentlichen
+Verstande eine poetische Empfindung. Mutter und Tochter sagten sich
+dieß nicht, denn sie kannten das Wort nicht; aber Forstner sagte sich's
+und schwelgte in seinen Gefühlen. Welchen Reiz übte Christine auf
+ihn! die in ihrer Art vollkommene Gestalt, durch Fröhlichkeit erhellt
+und verklärt, die sinnliche Fülle in ihrer schönsten Blüthe und im
+reichsten Glanze des Glücks! -- Und dieses Mädchen war ihm gewogen und
+wurde es immer mehr. Zu ihm neigte sie sich -- ein Wort von ihm, und
+sie lag in seinen Armen. Welch süßes und stolzes Gefühl -- das Gefühl
+der Macht über ein so liebenswürdiges Geschöpf! Nun hielt er beim
+Abschiednehmen die Hand in der seinen und drückte sie, und dies wurde
+mit Erröthen geduldet und erwiedert. Lieb war ihm da der Wind und der
+herabwirbelnde Schnee, die seine glühende Wange auf dem Heimweg
+kühlten.
+
+Wir dürfen Christine nicht schwächer erscheinen lassen, als sie in
+der That war. Sie ließ sich nicht ohne Weiteres gewinnen und dem
+Vetter abwendig machen. Zuerst ahnte sie nichts und hatte gegen
+Forstner nur das Gefühl der Dankbarkeit, weil er so freundlich und so
+»unterhaltlich« war. Sie verliebte sich nicht in seine nette Gestalt,
+wie jene drei andern, eben darum war sie auch nicht auf ihrer Hut und
+ließ sich gehen -- und so verstrickte sie sich. Es gab in der ersten
+Zeit einen Moment, wo die Wage für Hans und Forstner noch gleich stand.
+Hätte jener seinen Antrag gemacht, vielleicht hätte der ehrliche
+Freiersmann den bloßen Liebhaber (als mehr erschien Forstner bis dahin
+noch nicht) aus dem Felde geschlagen. Aber während dieser dafür sorgte,
+sein Gewicht zu vermehren, handelte der Ehrliche so, daß seine Schale
+immer leichter werden mußte.
+
+Hans hatte nie zu denen gehört, die den neuen Lehrer ohne Klausel
+bewunderten. Gleich nach dem ersten Zusammentreffen mit ihm hielt er
+ihn für einen Menschen, der ihm zu schlau dreinsehe und dem nicht zu
+trauen sei. Bei dem ersten Besuch Forstners im Haus der Base hatte
+indeß auch er noch kein Arg. Er stimmte von der Ofenbank, auf der er
+saß, ein paarmal herzlich in das Gelächter der Weiber mit ein. Als
+aber der Gewandte seine Künste begann, hatte der wackere Hans ein
+unbehagliches Gefühl. Er erklärte ihn zuerst nur bei sich für einen
+»öaden« (faden) Menschen, der ihm recht »auf d'Weibsbilder aus« zu sein
+scheine und mit dem sich ein ordentliches Mädchen eigentlich nicht viel
+abgeben sollte. Als er aber sah, wie Christine sich mehr und mehr auf
+seine Späße einließ, wurde er ärgerlich und -- empfindlich. Er konnte
+und wollte die Unterhaltung nicht weiter mit anhören, und wenn das
+»Schulmoesterle« kam, ging Hans in den Stall oder aus dem Hause. -- Es
+wogte sonderbar in der treuen Seele hin und her. Einmal war er erzürnt,
+und wenn Christine ihn über irgend etwas fragte, brummte er sie an.
+Dann glaubte er wieder, seine Befürchtung sei Unsinn und sein Trutzen
+einfältig. Er gab sich Mühe freundlich auszusehen; er wollte ihr nun
+auch etwas Schönes sagen und etwas Lustiges erzählen, und nun gerieth's
+ihm wieder nicht. Zu dem Einzigen, was ihm den Sieg noch hätte
+gewinnen können, zu einer herzhaften Erklärung konnte er sich jetzt
+am allerwenigsten entschließen. Er wollte jetzt gerade sehen, wie die
+Sache ginge. Wenn Christine »so 'n Kohbatza'« (winziger Fisch) lieber
+zum Mann wolle als ihn, dann solle sie ihn haben und Schulmeisterin
+werden. Sie kenne seine Meinung wohl und sie wisse recht gut, daß
+sie auf ihn zählen könne. Wenn sie im Stande sei, ihn wieder so ohne
+Weiteres aufzugeben, dann sei es ihm auch recht -- und am Ende besser,
+daß er so eine gar nicht kriege. Aus diesen Gründen zog er sich mehr
+und mehr zurück, und Christine neigte sich ganz zu Forstner.
+
+Als der Treue sich davon überzeugen mußte, so daß er nicht mehr
+zweifeln konnte, fühlte er eine Pein, wie nie zuvor. Aber bald war
+auch sein Entschluß gefaßt. Was in der ersten stillen Nacht auf dem
+einsamen Lager in ihm vorging, wollen wir nicht schildern und nur das
+sagen, daß Zorn und Schmerz über Sie, über sich und sein Unglück so in
+ihm brannten und sich wechselseitig steigernd ihn so bedrängten, daß
+sich das gepreßte Herz in Thränen Luft machen mußte. Für eine tiefe und
+leidenschaftliche Liebe -- und das war seine Liebe geworden -- ist es
+eine unsägliche Qual, sich verschmäht zu sehen um eines Mannes willen,
+den man nicht schätzen kann. Zur Vernichtung aller Hoffnungen auf das
+einzige Glück des Lebens kommt noch die Pein der Verachtung, die man
+erfahren, die Pein des Schmerzes über den Triumph des Nebenbuhlers,
+die Wuth über sich selbst, daß man den Schatz seiner Liebe an die
+Geringschätzung des Unbestandes verrathen konnte. Hans, in dem alle
+diese Empfindungen nach einander aufloderten, empfand die Marter der
+Verzweiflung in seinem Herzen. Welch ein Elend, sich Christine als das
+Weib dieses »Leckers« denken zu müssen! welche Schande, noch einmal auf
+die Seite gesetzt zu sein, nachdem schon von ihrer Hochzeit die Rede
+gewesen war! »Du mußt fort!« rief es in ihm, »aus dem Haus, aus dem
+Dorf!« -- Aber da rührte sich die gründlich gute Natur in ihm. »Nein,«
+rief er dagegen, indem er sich ermannte, »nein das thu ich nicht, das
+wär' mir zu miserabel! Ich bleib' und halt' aus -- jetzt grad! --
+Hinter meinem Rücken mögen die Leut' sagen, was sie wollen -- in's
+Gesicht« (und er blickte mit funkelnden Augen in die Morgendämmerung)
+»in's Gesicht verspottet mich keiner, das weiß ich!« -- Nachdem so das
+Bleiben vor seiner Ehre gerechtfertigt war, konnte auch die Großmuth
+ihre Gründe dafür aussprechen. »Sie brauchen dich, und jetzt mehr als
+sonst. Wer weiß, wie's geht? Der sieht mir grad so aus, als ob er mit
+nochmal so viel fertig werden könnt' als er hat. Ich will die Sach'
+vor der Hand noch zusammenhalten. -- Kein' Dank verlang ich nicht!«
+Nach der Entschließung beruhigte sich die Leidenschaft endlich, die ihn
+so mächtig hin und her geschüttelt hatte. Der Wille, auszuharren und
+denen, die ihn gekränkt, Gutes zu thun -- das war der Balsam auf die
+Wunde seines Herzens. Er kleidete sich an und ging in die Stube.
+
+Christine saß mit ihrer Mutter am Tisch. Hans wünschte mit ruhiger
+Stimme guten Morgen, aber mit einem Gesicht, daß Christine sich
+augenblicklich sagte: er weiß es! Sie las in diesen Mienen ihr
+Gericht und schrak zusammen. Das Gewissen, das sich plötzlich in ihr
+aufrichtete, erhellte ihren Geist und schärfte ihr Urtheil; und während
+sie sich vorher, ihrer Neigung folgend, gesagt hatte: »er ist selber
+dran Schuld, warum red't er nicht?« so erkannte sie jetzt ihr Unrecht
+und fühlte es tief. Das Schuldbewußtsein drückte sie darnieder und
+ließ sie so verzagt erscheinen, daß Hans wieder Erbarmen mit ihr
+empfand. Gemüther wie das seine können in der Strenge des Richters
+nicht lange verharren; der Trieb, Gnade für Recht ergehen zu lassen,
+ist zu mächtig in ihnen und geht unwiderstehlich in Wirksamkeit über.
+
+Hans blieb von diesem Moment an genau in der Zurückhaltung, die er
+sich zum Gesetz gemacht hatte; aber er wurde freier darin, und Blick
+und Ton seiner Stimme erhielten wieder mehr von dem Wohlwollen, das
+unvertilglich in seinem Gemüth lebte. In der Güte, in der Großmuth
+eines wackern Mannes liegt ein Quell von Kraft, von der die seichte,
+egoistische Natur keine Ahnung hat. Im Besitz dieser Natur kann man
+vergeben, und man vergiebt. Und man wird nicht schwächer, indem man
+es thut, sondern stärker; man fühlt sich nach Ertheilung der Gnade
+nicht ärmer, als nach Forderung und Erlangung seines Rechts, sondern
+reicher, und man schwingt sich in dem Bewußtsein der Tugend über das
+Leid hinweg, das die Seele überfluthen zu wollen schien. Dies vermag
+der Bauer wie der König, wenn ihm Gott den Geist dazu gegeben hat, und
+jeder thut's nach seiner Art. Unser Bauernbursche gewann nach seiner
+innerlichen Ueberwindung einen Gesichtsausdruck, den man nur als edel
+bezeichnen konnte. Dem Dorfmädchen war auch dieses Wort in seiner
+moralischen Bedeutung unbekannt, aber von der Sache hatte sie eine
+Ahnung. Sie fühlte kein Bedauern, sondern eine unwiderstehliche Achtung
+vor dem Vetter; mit dem weiblichen Stolz, der so bereit ist, Mitleid
+zu empfinden und namentlich zu offenbaren, war es aus. -- Aber ihre
+Natur machte sich den Stand der Dinge nun auf andere Weise zu Nutze.
+»Er ist getröstet,« sagte sie sich, »und wenn er sonst auch viel aus
+mir gemacht hat, thut er es jetzt nicht mehr.« -- Einige Tage später,
+und ihr Gewissen hatte sich wieder beruhigt und schwieg; die Neigung,
+die Leidenschaft gewannen die Herrschaft wieder völlig. Das Weib fühlte
+sich frei und gab sich ganz dem Drang ihres Herzens zum Glück hin.
+
+Die Leser haben errathen können, daß Forstner und Christine
+Liebesgeständnisse ausgetauscht und Hans gewisse Kunde davon erhalten
+hatte. Zu einem Verlöbniß war es noch nicht gekommen; aber zu diesem
+Ziele drängte es beide nun unausweichlich hin. Der junge Mann hatte
+seiner Neigung und wenn man will seinem Gelüste folgen wollen, in der
+Meinung, immer noch die Wahl frei behalten zu können; er hatte seiner
+Mutter verboten, mit der Glauning von ernsthaften Absichten seinerseits
+zu reden. Aber es ging, wie häufig in solchen Fällen: die Leidenschaft
+wuchs und führte ihn weiter als er gedacht. Sein ganzes Wesen war von
+Christine bezaubert; er war gebunden durch seine Liebe, gebunden durch
+die Rücksichten, die er auf Mutter und Tochter, auf den Geistlichen,
+auf das Dorf und seine Stellung darin nehmen mußte. Das Dorf hatte
+schon ausgemacht, daß er Christine heirathen werde, und er konnte, er
+durfte es nicht Lügen strafen. So gedieh das Verhältniß endlich zum
+Abschluß. Die Wittwe Glauning hatte die Verheirathung ihrer Tochter mit
+dem gefeierten Lehrer von dem Gesichtspunkt der Ehre ansehen gelernt,
+und die Aussicht, den Flecken ihrer Verrechnung wegen jenes reichen
+Bauernsohnes gänzlich zu tilgen und als »Schwieger« Forstners auf
+eigene Art hervorstechen zu können, erfüllte sie mit Lust und mit jener
+Begierde, der es unmöglich ist, länger müßig zuzusehen. Als Mutter
+war sie jetzt ohnehin verpflichtet zu reden; und so ging sie denn
+eines Tages zur Base Forstner und sprach ihre Meinung in dürren Worten
+aus. Entweder -- oder! -- das war der Sinn ihrer Rede. Die Mutter des
+Lehrers hatte für diesen Fall schon Vollmacht erhalten; sie sagte, daß
+ihr Fritz nie eine andere Absicht gehabt habe, als das schöne und liebe
+Bäschen zu heirathen. -- Auf einmal hieß es im Dorf: der Herr Lehrer
+hat sich mit der Christine versprochen.
+
+Die vollendete Thatsache machte doch ihr Recht geltend, obwohl man
+sie allgemein hatte kommen sehen. Der Geist der Kritik fand sich
+herausgefordert; jede Meinung, die der Sachlage nach möglich war, fand
+einen Vertreter, und der Lärm war groß. Die einen, vorzüglich Weiber
+und Mädchen, verdammten Christine. So einen braven Menschen wie den
+Hans zweimal nach einander anzuführen, ihm »das Maul zu machen« und
+ihn, wenn ein Vornehmerer komme, wieder fahren zu lassen, das wäre
+keine Art nicht; das hätten sie niemals gethan -- und wenn ein Graf
+gekommen wäre! Aber diese Christine sei eben ein hoffährtiges Ding,
+man wisse das ja, und trachte immer über ihren Stand hinaus. Der
+Hans hätte für sie gepaßt, der Herr Forstner sei zu fein für sie, und
+man werde sehen, daß das nicht gut ausgehe. Die andern, hauptsächlich
+ledige Bursche, machten den Hans für den Ausgang verantwortlich. Er
+sei allein Schuld und ihm geschehe ganz Recht. Der Mutter jahrelang
+das Hauswesen führen und sich dann die Tochter wegkapern zu lassen,
+da müßte einer ungeschickter sein als der Teufel! Wenn sie den »Rang«
+gehabt hätten, wenn sie bei der Christine im Haus gewesen wären, da
+hätte so ein Schulmeister kommen sollen! Der hätte gleich gesehen, daß
+er wieder gehen könnte. Auf so Einen zu warten, ja, das wär' ihnen das
+Wahre gewesen! Aber der Hans sei eben ein »Lamech,« ein »Drockser,« ein
+Kerl, der nicht von der Stell' komme; und wenn Christine den flinkeren
+Schulmeister lieber habe, so könne ihr das kein Mensch übel nehmen.
+
+Das Dorf, wie man sieht, beschäftigte sich eben so viel mit Hans als
+mit Christine und Forstner. Der brave Bursche, der geschickte Bauer
+hatte sich eben Respekt erworben und dadurch eine eigene persönliche
+Bedeutung erlangt. Was wird er nun thun? fragte man sich. Wird er
+gehen, sein Geld aufkünden und die beiden Weiber sitzen lassen?
+»Freilich wird er gehen!« rief eine Gegnerin der Christine auf so eine
+Frage ordentlich hitzig. »Er wird wohl bleiben und all den Spektakel
+mit ansehen -- Hochzeit und am End' Kindtauf' auch noch. Er wird sich
+die Tochter wegfischen lassen und der Alten noch länger den Knecht und
+den Narren machen! Das wär' nicht mehr gut, sondern dumm -- und dumm
+ist der Hans doch nicht.«
+
+Die Frage war bald entschieden. Hans blieb, und ein großer Theil seiner
+Vertheidigerinnen fiel nun auch von ihm ab und sagte, Christine habe
+doch Recht gehabt, es ihm so zu machen. So ein einfältiger Mensch sei
+ihnen ihr Lebtag noch nicht vorgekommen.
+
+Durch Alles, was bisher in ihm vorgegangen, hatte Hans die Fähigkeit
+erlangt, der Christine zu ihrer Verlobung ehrlich und ruhig Glück zu
+wünschen. Er that es und ging so weit, ihr dabei die Hand zu geben.
+Aber er vergab sich nichts damit; der Ausdruck seines Gesichts sorgte
+dafür. Christine wurde roth über und über, sie sah ihn beschämt,
+ja bittend an und ihre Hand zitterte in der seinen. Es war eine
+Genugthuung für den treuen Burschen und er kostete ihre traurige
+Süßigkeit. Aber dann fing er selbst ein anderes Gespräch an und half
+dem Mädchen, aus Schonung, von der Tiefe der Empfindung wieder zur
+Oberfläche empor. Beiden wurde leichter um's Herz, und Christine
+überließ sich bald wieder der Freude und der Ehre ihres Brautstandes.
+
+Am ersten Sonntag Abend nach dem »Verspruch« ging Hans in's Wirthshaus.
+Einige junge Leute hatten vorgehabt, ihn aufzuziehen; aber er hatte
+so was Eigenes in seinem Gesicht und in seinem Auge; sie trauten
+dem Landfrieden nicht und dankten ganz ehrbar auf seinen Gruß. Man
+discurirte über allerlei andere Dinge; unser Freund sprach resolut,
+verständig und machte zuletzt sogar hie und da eine humoristische
+Bemerkung in seiner alten Manier. Wie nun bei natürlichen, eben so wie
+bei gebildeten Menschen keine wirkliche Kraft ohne Anerkennung bleibt,
+so bekam der Wackere, als er die Wirthsstube verlassen hatte, von
+seinen Kameraden ernstlich empfundenes Lob. »Der ist gescheidter,« hieß
+es, »als die Leute glauben. Er macht sich aus der ganzen Geschichte
+nichts, und er hat Recht. Die Christine ist eine falsche Person, die
+einen so braven Kerl gar nicht verdient. Er darf sich Glück wünschen,
+daß er sie nicht bekommt -- und wie's ihr geht, das wollen wir sehen.«
+
+
+ III.
+
+Die größte Heilkraft auf Erden besitzt -- die Zeit. Indem sie den
+Menschen in ihrem Strome fortführt und andere Bilder vor seine Seele
+bringt, entzieht sie ihn mehr und mehr der Einwirkung dessen, was
+gewesen ist. Sie mildert den Schmerz, löst die Spannung, entkräftet
+die Selbstanklage und giebt der Seele die Stärke und Ruhe wieder,
+ohne die sie ihren eigenen Anfechtungen erliegen müßte. Was uns heute
+unerträglich scheint, vielleicht in wenigen Tagen schon dünkt es uns
+eine mäßige Last. Was uns im ersten Moment als eine ausgesuchte Schmach
+niederdrückt, nach einigen Wochen erscheint es uns als ein gewöhnliches
+menschliches Ungemach, und unser übertriebenes Leidwesen darüber kann
+uns ein Lächeln entlocken.
+
+Freilich kommt dabei sehr viel auf die Art des begangenen oder
+erduldeten Unrechts, auf das Temperament und den Charakter des Menschen
+an. Es giebt Dinge, die der Seele keine Ruhe lassen, die mitgehen
+auf dem Wege, den sie nimmt, und ihr immer gegenwärtig bleiben. Es
+giebt Naturen, welche Handlungen und Erlebnisse von geringerem Belang
+festhalten und sich selbstquälerisch damit zu tragen im Stande sind;
+Menschen, in denen die Vergangenheit sich immer wieder vergegenwärtigt
+und die eine Beschämung roth machen kann, welche ihnen vor zwanzig
+Jahren widerfahren ist. Andere Erlebnisse verflüchtigen sich von
+selbst, und andere Naturen wissen Dinge von sich abzuschütteln, die
+sich sonst wie Kletten anzuhängen pflegen. Auch der Bildungsstand ist
+hier von großem Einfluß. Je mehr der Mensch seinen Geist entwickelt und
+sich zu einem innerlichen Leben erzogen hat, desto leichter versetzt er
+sich in die Vergangenheit, desto bedeutsamer ist für ihn das Gewesene,
+desto mehr durchdringen sich in ihm die Zeiten. Je näher der Mensch der
+Natur steht, desto mehr lebt er in der Gegenwart, desto mehr vergißt
+er, desto weniger belästigt ihn seine Vergangenheit.
+
+Der Bauer giebt sich nicht viel mit Erinnerungen ab, wenn sie nicht
+von sehr gewichtiger Art sind. Durch seine Denkweise, durch Natur und
+Gewohnheit, namentlich aber durch die ihm auferlegten Arbeiten ist
+er vorzugsweise auf die Gegenwart gewiesen. Alle feinern Differenzen
+kommen auf dem Dorfe gar bald wieder ins Gleiche, und nur tiefe
+Leidenschaften in tiefen Gemüthern können auch hier still fortglühen.
+
+In dem Haus, in welchem unsere Erzählung hauptsächlich spielt, war
+äußerlich bald alles wieder im alten Gang und auch innerlich vieles
+wieder hergestellt und gemildert. -- Am raschesten war es der Wittwe
+Glauning gelungen, ihre frühere Gemüthsruhe wieder zu erlangen. Sie
+hatte sich wegen ihres Benehmens gegen Hans im Stillen doch auch
+einige Vorwürfe gemacht; aber nach wenigen Tagen schon war ihr das
+neue Verhältniß etwas Gewohntes und übte auf ihren Geist die Macht
+einer Sache, die nun einmal nicht anders ist. Wenn sie den Vetter sah,
+wie er mit ernstem Fleiß weiter arbeitete, dachte sie wohl: »Das ist
+doch wahrlich ein braver Mensch! Man sollte gar nicht glauben, daß
+es noch solche Leute gäbe!« Aber eben durch diese Anerkennung fand
+sie sich mit ihm ab. Hans war ihr von nun an der gute Vetter, der
+sehr freundschaftlich gegen sie handelte, auf dessen Dienste sie aber
+beinahe schon ein gewisses Recht zu haben glaubte.
+
+Christine folgte der Mutter nach. Das beschämende Gefühl und die
+Vorwürfe, die sich beim Anblick des Vetters zuweilen noch in ihr
+erneuert hatten, kamen seltener und blieben endlich ganz aus. Sie lebte
+im Wonnemond des Brautstandes, und die ganze Welt erschien ihr in
+heiterem Lichte. Wenn man sie hinter ihrem Rücken scharf beurtheilte,
+in's Gesicht gratulirte man ihr, lobte den Herrn Lehrer und pries sie
+glücklich. Die Kunst, sich höflich zu verstellen, ist auf dem Lande
+keineswegs unbekannt und gehört zur guten Lebensart wie anderswo. Es
+giebt auch hier Leute, die um so lebhafter zu schmeicheln verstehen, je
+nachdrücklicher sie dieselbe Person gegen Andere durchgehechelt haben;
+Leute, von denen man als etwas Besonderes hervorhebt, daß sie sich
+»recht anstellen,« d. h. einen Eifer, ein Vergnügen, eine Bewunderung
+zeigen können, von denen ihr Herz nichts weiß. Der Glanz des Ruhms, den
+sich der Bräutigam durch seine persönlichen Vorzüge erworben hatte,
+warf seine Strahlen auch auf die Braut; um seinetwillen that man der
+Christine mehr Ehre an und bewies ihr mehr Achtung als vorher. So sah
+die Glückliche sich umhuldigt von allen Seiten und hatte in der Freude
+ihres Herzens natürlich kein Arg, daß von den schönen Sachen, die man
+ihr sagte, auch nur eine Sylbe abgehen könnte.
+
+Forstner selbst zeigte sich jetzt gegen sie von seiner
+liebenswürdigsten Seite. Er war von Leuten, auf deren Urtheil es
+ihm ankam, wegen seiner verständigen Wahl gelobt worden; ein paar
+muntere Collegen, die er von dem Vermögensstand der alten Glauning
+unterrichtet und mit der Braut bekannt gemacht hatte, erklärten ihn
+für beneidenswerth; er war in der besten Laune, sog den Blüthenduft
+des schönen Verhältnisses mit vollen Zügen ein und that alles, was
+der Erwählten angenehm und schmeichelhaft sein konnte. Wie hätte da
+Christine noch Aug' und Ohr haben können für etwas anderes! Sie liebte
+und sah den Geliebten glücklich, sie sah seinen Eifer, ihr Freude zu
+machen, und fühlte keinen lebhafteren Trieb und wußte keine höhere
+Pflicht, als ihm seine Liebe zu vergelten.
+
+Das Glück hat die Eigenschaft, daß es sich aus sich selber vermehrt und
+seine Vermehrung von außen her magnetisch anzieht; darum giebt es auch
+eine Zeit, wo es in stetem Wachsen ist. Die Freude machte Christine
+nicht nur holder und feiner, als sie bisher erschien, sondern auch
+geistig aufgeweckter und heller. Sie war in der Freude sicher, und ihre
+Urtheile, ihre Bemerkungen im Gespräch erschienen dem Verlobten gar oft
+mit Recht sinnig und treffend. Forstner sah sich nun auch von dieser
+Seite beruhigt -- er glaubte aus ihr eine Frau ganz nach seinem Herzen
+bilden zu können. Dies verhehlte er ihr aber auch nicht; er erquickte
+ihr Herz mit Lob über Vorzüge, die sie bis jetzt noch nicht an sich
+gekannt hatte, und ein außerordentliches Behagen, ein liebevolles
+Dankgefühl gegen ihn war die Folge davon.
+
+Die beiden jungen Leute und eben so die beiden Mütter waren in einem
+Zustande, wo man die Engelein im Himmel singen und musiciren hört. Der
+Liebes- und Freundschaftsverkehr ließ bei der nothwendigen Arbeit des
+Tages kaum so viel Muße übrig, um die Ausstattung der Braut und die
+künftige Einrichtung zu erwägen und die ersten Vorbereitungen zu den
+Unternehmungen der nächsten Monate zu treffen.
+
+Hans ging seinem Geschäft nach und schien nur dafür Sinn und Auge zu
+haben. Was er mit seinen Verwandten zu reden hatte, wurde kurz und
+ruhig abgemacht; er war gern allein, man sah es und ließ ihn allein.
+Da Christine an ihrer Ausfertigung arbeiten mußte und die strengere
+Bauernarbeit für sie nicht wohl mehr schicklich war, so hatte man eine
+Taglöhnerin für sie eingethan. Diese war schweigsam, eine von den still
+hinlebenden, in ihrer Gedankenlosigkeit glücklichen Personen, wie man
+sie auf dem Lande nicht selten findet, und der Bursche hatte zu seinem
+Troste nichts zu leiden durch Geschwätz und durch Fragen, die ihm jetzt
+doppelt zuwider gewesen wären.
+
+Ihm war das zuletzt Erlebte freilich nicht verschwunden und von der
+Gegenwart überdeckt, wie den andern; aber es hatte sein Peinliches
+verloren, die Zeit hatte es gemildert und ihren Duft darauf geworfen.
+Es war nicht mehr das bloße Leid, das er empfand. Diesem war die
+niederdrückende Gewalt genommen, die man entweder überwinden oder
+der man erliegen muß; es hatte selbst etwas Liebes und für die Seele
+Wohlthuendes erhalten.
+
+Was wir poetisches Gefühl nennen, ist von keinem Stande, von keiner
+Schichte der Gesellschaft ausgeschlossen. Früher hätte man diesen Satz
+vertheidigen müssen; jetzt, wo man die Volksmelodien und Volkslieder
+kennt und ehrt, wird ihn niemand zu bestreiten wagen. Wo ist Liebeslust
+und Liebesleid inniger, tiefer und rührender ausgesprochen, als
+in eben diesen Liedern, die aus dem Volke hervorgegangen oder von
+ihm angenommen und erhalten worden sind, und die immer noch, in
+Gesellschaft oder in Einsamkeit, von ihm gesungen werden? Wenn das
+tiefere Gemüth auf sich selbst und sein Leid beschränkt ist, fällt
+ihm ein Lied ein, das seinen Zustand ausdrückt; der Mund summt es
+unwillkürlich, das Herz schauert und die Augen werden feucht.
+
+Der Winter war vergangen, die erste Frühlingszeit hatte schön begonnen
+und die Feldarbeit nahm ihren Anfang. Wenn der letzte Schnee weicht,
+die Sonne wärmer scheint, der Boden locker, die Wiese grüner wird und
+die Lerche singend in den Himmel steigt, dann geht durch jede bedrängte
+Seele ein Gefühl der Genesung. Auch die weichere Natur fühlt sich
+körperlich und geistig stärker und fängt im Leid wieder an zu hoffen;
+das männliche Herz gesundet fühlbar, wird seiner selbst mächtig und der
+Bedrängniß überlegen. Dann ist aber gerade die Zeit gekommen, wo es das
+Leid lieb gewinnt und es aus freien Stücken festhält und hinabsteigt zu
+der Süßigkeit melancholischer Träumerei.
+
+Unser guter Freund hatte mehr Anlage zu innerlichem Leben von der Natur
+erhalten und in sich ausgebildet, als es auf dem Lande gewöhnlich ist.
+Von der Lustbarkeit weniger angezogen, durch eine scheue Leidenschaft
+auf sich selber gewiesen, kannte er schon länger den Reiz gemüthlicher
+Vorstellungen. Die Neigung dazu und die Kraft, solche Vorstellungen
+zu erzeugen, trat jetzt um so stärker in ihm hervor und gewährte ihm
+die volle Lust herzlich gehegter Trauer. Freuten die Verlobten sich
+in hellen Dur-Tönen -- ihm war ein Glück, und ein reiches Glück, in
+Moll beschieden. Seine Arbeiten störten ihn darin nicht; er verstand
+sie so gut, daß sie wie von selber ihren Gang gingen und ihm Zeit
+genug übrig ließen, seinen Gedanken nachzuhängen. Wenn er mit seinen
+Kühen wohlgehaltenes Land »äckerte« und von dem Hauch der frisch
+aufgeworfenen Erde umdampft zuweilen »sinnirte,« wurden die Furchen
+darum nicht schlechter und er rief den Thieren zeitig genug sein
+»Härrerei'« zu, wenn er an der »G'wand« (Ackergrenze, wo umgewendet
+wird) angekommen war. Auf der Wiese rechte er mit der Taglöhnerin um
+die Wette Streu, obwohl es in seinem Innern summte, während in ihr die
+vollkommene Stille des Nichts Platz genommen hatte. Die ländlichen
+Arbeiten begünstigen zum Theil ein gewisses träumerisches Wesen;
+besonders einladend dazu ist aber die mittägliche und abendliche
+Heimkehr von einem entfernteren Ackerstück, so wie die Fütterungs-
+und Verdauungszeit der untergebenen Thiere. In den völlig einsamen
+Momenten, erfüllt von seiner Empfindung, kamen unserm Burschen allerlei
+Lieder in den Sinn. Er sang sie mit herzlicher, gedämpfter Stimme
+und fühlte ganz die Besänftigung und erneuerte schönere Aufregung
+anspruchloser Kunst. So sang er das Lied:
+
+ »Da droben auf jenem Berge,
+ Da steht ein hohes Haus,
+ Da schauen wohl alle Frühmorgen
+ Drei schöne Jungfrauen heraus« u. s. w. --
+
+wohl mehr wegen der lieben, rührenden Melodie, als weil die Reime
+seinem Zustand entsprachen. Wenn er aber das letzte »G'setz« für sich
+hinsummte, dann hatte er dabei doch auch seine ganz eigenen Gedanken.
+
+ »Ach Scheiden, ach Scheiden,
+ Wer hat doch das Scheiden erdacht!
+ Es hat mein jung frisch Leben
+ Das Scheiden so traurig gemacht.«
+
+Er lebte mit der, die er liebte, in Einem Hause; aber er war viel
+schlimmer geschieden als ein Liebhaber, der in die Fremde muß. Für ihn
+gab es kein Wiederfinden, kein Wiedersehen, keine Wiedervereinigung! --
+Bedachte er, wie sehr und wie lang er Christine geliebt und wie treu
+er an ihr gehangen, dann kam ihm wohl ein Lied auf die Lippen, das im
+Ries oft gesungen wird:
+
+ »Treu hab' i geliebet,
+ Was hab' i davon?
+ Mein Herz ist betrübet,
+ Das hab' i zum Lohn.«
+
+Und in tiefem Ernst sah er dann für sich hin. -- Einmal wurde dieser
+Ernst durch ein halb weh-, halb gutmüthiges Lächeln verdrängt. Es war
+ihm ein anderes Liedchen eingefallen, das seine Erfahrung erklärte:
+
+ »Wann's Mädle sauber ist,
+ Und ist no jung, no jung,
+ Muß der Bue luste sei',
+ Sonst kommt er drum.«
+
+»Ja freile,« sagte er dann zu sich, »doh hot's eba' g'fehlt, und i ka'
+me net beklaga'. 'Sist oena' (eine) wie die ander. Wer koe (kein) so a
+»Luftikus« (Variation von Windbeutel) ist, der ka' nex ausrichta' bei
+da' Mädla'!« Und er erleichterte nun sein Herz in folgenden
+Strafreimen:
+
+ »Was hilft me a schöner Apfel,
+ Wann er innen ist faul!
+ Was hilft me a schöas Dea'del --
+ Sie macht mer nor d's Maul!«
+
+Der leichten Anklage der schönen Base folgte aber bei dem guten
+Burschen in der Regel die Rechtfertigung, die Einsicht in die Natur
+der Dinge und den Lauf der Welt, die Ergebung und die stille Trauer.
+Einmal, als er nach der letzten abendlichen Fütterung im Stalle saß und
+die Kühe wiederkäuend dalagen, summte er in der leise belebten Stille
+eine Melodie ohne Text, die ihn dergestalt rührte, daß ihm Thränen in
+die Augen traten. Er besann sich auf das Lied -- es war das bekannte:
+
+ »Wann mei' Schatz Hochzeit macht,
+ Hab' i a traurige Nacht,
+ Sperr mi in mei' Kämmerlein
+ Und wein' um mein' Schatz.«
+
+Es klopfte und zitterte in seinem Herzen und die Thränen rollten die
+Wangen herunter. Das war ihm aber doch zu arg. Er stand rasch auf,
+wischte sich die Augen und rief mit wahrem Zorn: »Hohl der Teufel die
+Narrheit! Ich werd' noch ganz zum alten Weib! -- Aber jetzt ist's auch
+gnug!« Er ging in dem Gange vor dem »Bahren« (Futtertrog) hin und her
+und fing ein kleines Gespräch mit einer Kuh an, die sich erhoben hatte
+und ihn anmuhte. Allein er konnte nicht verhindern, daß ihm seine
+Gedanken wie verwöhnte Kinder noch einmal zu dem verbotenen Gegenstand
+entliefen. Er dachte an seine alten Träume, mit der Christine das
+schöne Haus zu bekommen und drin mit Weib und Schwieger ein Leben zu
+führen herrlich und in Freuden. Mit einer Art von Heroismus sang er
+hierauf das launig desperate Lied:
+
+ »Und aus isch mit mir,
+ Mei' Haus hat kei' Thür,
+ Und mei' Thür' hat kei' Schloß,
+ Und mein' Schatz bin i los.«
+
+»Ja, ja,« sagte er dann halb lächelnd zu sich, »Alles ist hin
+miteinander! -- D's Haus freilich, das traut' ich mir wohl noch zu
+kriegen; aber was hilft mich d's Haus ohne d's Weib!« -- »Nun,« setzte
+er endlich sich ermannend hinzu, »am End' bleib' doch ~ich~ noch
+da!«
+
+Zu der schönsten Zeit auf dem Lande gehört der Morgen eines Feiertags,
+wenn die Sonne scheint und die Luft mild und lieblich ist. Je mehr der
+Bauer die Woche hindurch gearbeitet hat, desto besser versteht er am
+Sonntag zu ruhen. Seine Bewegungen sind dann +con amore+ langsam, die
+Mienen drücken ruhiges Vergnügen, sein ganzes Wesen tiefe Gelassenheit
+aus. Mit der Arbeit der Wochentage hat er auch die Sorgen hinter sich
+gelassen und ist zu einer Art von Naturstand zurückgekehrt, wo ihn ein
+Hauch der goldenen Zeit und ihrer Glückseligkeit anweht. Er kommt an
+solchem Tag in eine tiefere Stimmung und gibt sich entweder stiller
+Träumerei hin oder freut sich an der Schönheit einzelner Gegenstände
+der Natur, nicht wie ein schwärmender Poet freilich, aber schlicht und
+naiv wie ein Kind. Und dieses Naturbehagen wird durch die kirchliche
+Feier des Tags nicht gestört, es wird durch sie gestärkt, erhöht und
+sanktionirt.
+
+Nach und nach war der Mai herbeigekommen. Die Bäume glänzten in
+frischem Laub, einzelne standen über und über in Blüthe. Es wurde nun
+ein Lieblingsvergnügen des guten Hans, in der schönen Sonntagsfrühe
+sich in den Garten zu begeben, und was in der Woche gewachsen und
+ausgeschlagen, was von ihm selbst darin gearbeitet und hergerichtet
+war, mit Ruhe zu beschauen. Er freute sich an dem grünen Laub und an
+den schönen Blüthen der Bäume, aber auch an dem Gesurre der »Emmen«
+(Immen, Bienen) darin; denn sie hatten an der Mauer des Hauses selber
+einen »Emmenstand,« worin sich drei Stöcke befanden, und er hoffte, daß
+einer davon bald schwärmen werde. Er freute sich bei den Stöcken der
+rothen und gelben Hosen, welche die Bienen anhatten, und wie ordentlich
+ein Vergnügen aus ihnen glänzte, mit so reicher Beute heimzukehren.
+Zu der Südgrenze des Gartens hinabgewandelt, sah er mit Lust über die
+weißblühende Dornhecke auf die Wiese hinaus und freute sich der schönen
+Blumen darin, eben so des reichlichen Grases, das eine gute Heuernte
+versprach. Die Lerchen schienen ihm noch lieblicher zu singen, als
+an Wochentagen draußen auf dem Felde, und es war ihm, als müßte bei
+diesem Gesang, bei der Schönheit und dem Wohlgeruch der Blüthen, bei
+der warmen Luft und dem hellen Sonnenschein, und bei den herrlichen
+Aussichten auf ein gesegnetes Jahr die ganze Welt sich glücklich
+fühlen.
+
+Er selber fühlte sich glücklich, glücklicher als seit langer Zeit. Es
+war noch immer ein Zusatz von Trauer in seinem Glück, aber sie war
+aufgelöst und hatte sich innig mit seinem Wohlgefühl verbunden. Das
+genesende Herz war nicht nur gestärkt durch die Schönheit der Natur,
+durch die stille Betrachtung des Blühens und Gedeihens, sondern auch
+durch die religiöse Bedeutung des Tages. Hans gehörte nicht zu den
+»Betischten,« wie man im Ries, das Wort von »Beten« ableitend, die
+Pietisten nennt; er machte aus der Frömmigkeit nicht das Geschäft
+seines Lebens. Aber man hat wohl schon bemerkt, daß in seinem Wesen
+doch gar manches lag, was recht eigentlich christlich war, und bei
+aller Natur, die mit ihm verbunden blieb, hätten wir einem solchen Mann
+im Lebensverkehr doch mehr vertrauen mögen, als manchem von den Stillen
+im Lande, deren Mehrzahl wir übrigens gerne nicht nur für ehrliche,
+sondern überhaupt für respektable Leute halten. Hans hatte einen guten
+»Unterricht« (mit diesem Wort bezeichnet der Rieser ausschließlich den
+Religionsunterricht) genossen, und er war der Mann, von den Lehren
+des Geistlichen mehr zu behalten als der erste beste. Er hatte ein
+dankbares Gemüth gegen Gott und war ihm anhänglich und diente ihm in
+den Formen, in denen er erzogen war. In seinem Hin- und Herdenken fiel
+ihm nun auch wohl ein Ausspruch der Bibel oder des Gesangbuchs ein, der
+ihn tröstete und von seiner Empfindung frei machte.
+
+An einem besonders schönen Sonntagsmorgen steigerte sich unter solcher
+Einwirkung die Stimmung seines Herzens bis zur Heiterkeit. Vor dem
+religiösen Gefühl, wenn es die Seele auch nur als ein unbewußter Hauch
+durchdringt, können gewisse trübe Empfindungen nicht Stand halten; wir
+legen einen andern Maßstab an das Leid, und was uns sonst über die
+Maßen begründet erschien, das kann sich uns als eine Einbildung, ein
+Erzeugniß menschlicher Schwäche darstellen, und sein Wichtigthun kann
+uns ein Lächeln abnöthigen. Die wahrhaft gute Natur wird dann frei von
+der letzten Empfindlichkeit und fähig, nicht nur zu vergeben, sondern
+auch zu vergessen. Als Hans an diesem Morgen in's Haus zurückkehrte,
+weil die Glocken zur Kirche riefen und er die festlich geputzte
+Christine im »Wurzgarten« am Hause sah, wie sie noch ein Sträußchen
+pflückte, um ihren Schmuck zu vollenden, warf er im Vorübergehen einen
+Blick auf sie, wie ihn ein Mann auf ein glückliches Kind wirft. Und als
+sie ihn gewahr wurde und vergnügt und mit einer gewissen Gutmüthigkeit
+rief: »Guten Tag, Hans!« da dankte er ihr von Herzen freundlich und
+wünschte ihr eine »gute Andacht,« obgleich er wußte, daß ihre Andacht
+hauptsächlich im Denken an ihren Bräutigam und in der Freude über sein
+schönes Singen und Orgeln bestehen werde. Er selber ging würdig langsam
+in die Kirche und erbaute sich in ihr mehr als sonst, weil er, durch
+seine Herzenserfahrungen und sein Nachdenken darüber belehrt, mehr
+als sonst von der Predigt verstand. Er kam aufgerichtet und froh nach
+Haus, das Gefühl im Herzen, das wohl als ein Ersatz für die verlorene
+Freude des Lebens gelten kann, das Gefühl, durch Selbstüberwindung und
+Entsagung klarer und besser geworden zu sein.
+
+Wer kann die Regungen eines Herzens schildern, das eben so der
+Leidenschaft wie der Resignation, eben so des Schmerzes wie der
+Erhebung fähig ist? wer das Spiel verfolgen der Trauer und der
+Tröstung, des Hinabsinkens und des Emporstrebens, des Rückfalls und der
+langsamen, langsamen Heilung? Nur andeuten läßt sich, was durch eine
+Seele geht, die dem liebsten und theuersten Wunsch entsagen muß, und
+das haben wir zu thun versucht.
+
+Die Zeit und die Kräfte, die dem strebenden Menschen zu Hülfe
+kommen, übten endlich auch auf unsern Freund ihre ganze Macht. Seine
+Empfindungen zergingen freilich nicht wie die der andern, aber sie
+traten zurück in das Innerste seines Herzens, das sich über ihnen
+zuschloß. Er bewahrte sie hier, wie man im verborgensten Fache eines
+Schreins ein ererbtes theures Kleinod bewahrt, des Besitzes gewiß, ob
+man es zuletzt auch nur selten hervorzieht, um sich in seinen Anblick
+zu versenken.
+
+Als der Frühling hingegangen war, standen Mutter, Tochter und Vetter
+wieder auf so freundschaftlichem Fuß, als ob ihr Verhältniß niemals
+getrübt worden wäre. Wenn die Glauning sah, wie Hans jetzt fast noch
+eifriger und gewissenhafter arbeitete, als früher, ging es ihr doch
+zuweilen an's Herz und sie dachte bei sich selbst: »So ein braver
+Mensch ist mir doch wahrhaftig noch nie vorgekommen! Der Bräutigam
+meiner Tochter ist schöner und feiner; aber wenn er nur auch so gut
+ist, wie der Hans.« -- Christine war von der Tugend des Vetters, die
+sich so völlig anspruchlos in Thaten kundgab, auch gerührt; aber ihr
+innerliches Lob schloß nicht mit einem Wunsch, der über die Güte
+Forstners noch irgend einen Zweifel zuließ. Ihr Bräutigam war nicht
+nur der schönste und feinste, sondern auch der beste aller Menschen;
+das bewies er ihr ja täglich durch seine Liebe, durch seinen Eifer,
+ihr Freude zu machen. -- Der Verlobte selbst begegnete dem Guten jetzt
+mit viel mehr Rücksicht als früher. Wenn Hans ihm seine gebührende
+Ehre gab und bei seinem Eintritt in's Haus mit ruhiger Freundlichkeit
+»guten Abend, Herr Lehrer« sagte, sprach aus dem Ton seiner Erwiederung
+und aus seinem Blick ein unwillkürlicher Respekt, und selbst zu
+Hause im Gespräch mit seiner Mutter gebrauchte er über ihn nie mehr
+despektirliche Bezeichnungen, wie sonst. Manchmal nahm er Gelegenheit,
+dem Braven wegen seiner Geschicklichkeit als Bauer ein Compliment zu
+machen und es so warm auszudrücken, daß Hans selber zu glauben anfing,
+dieser Mann wäre am Ende doch besser, als er ihm zuerst vorgekommen
+sei, und Christine könnte mit ihm glücklich werden.
+
+In Christine regte sich, nachdem sie ihre Furcht und Verlegenheit vor
+Hans gänzlich abgelegt hatte, die gute Natur. Die Achtung, die sein
+Benehmen ihr einflößte, wurde zur Freundschaft, zur freundschaftlichen
+Theilnahme. Sie fühlte den Trieb, ihn wohl zu halten und ihn
+zu erfreuen durch Lob und durch die Aufmerksamkeiten, wozu der
+Familienverkehr so viele Gelegenheit bietet. War sie auch nicht mehr
+gedrückt durch das, was ihr früher als ein Unrecht vorkam, so fühlte
+sie sich doch erleichtert, wenn sie etwas für ihn gethan hatte. Einmal,
+als das Gespräch mit ihm eine scherzende Wendung genommen, sagte sie,
+indem sie plötzlich einen ersteren Ton annahm: »Hans, du mußt auch
+heirathen! Einem Mann in deinem Alter gehört ein braves Weib, und
+du verdienst die beste!« -- Hans sah ihr betroffen und argwöhnisch
+in's Gesicht; da er aber nur wirkliche Theilnahme darin erblickte,
+so antwortete er mit einer gewissen Laune: »Für unser Einen ist's
+Heirathen so eine Sach', man kriegt nicht immer die, die man gern
+möchte.« -- Christine, die ein wenig roth wurde, rief um so lebhafter:
+»Ein Bursch wie du kann sich jede aussuchen!« -- Hans verzog seinen
+Mund und erwiederte: »Ich glaub's wohl! So Einem kann's nicht fehlen!
+Wenn er die Hände ausstreckt, hängt an jedem Finger eine!« -- Ueber
+diesen kitzlichen Punkt fand Christine für gut hinwegzugehen, und die
+Heirath schon als geschehen betrachtend, sagte sie: »Dann werden wir
+Gevatterleut' und ich heb' deine Kinder aus der Täf (Taufe), und wir
+wollen recht vergnügt mit einander sein.« -- »Nun damit,« versetzte
+Hans lächelnd, »hat's noch gute Weg'. Zuerst heirathest du, und dann
+wollen wir sehen, was mit mir anzufangen ist.«
+
+Freilich, auf die Hochzeit der Christine war mehr Aussicht als auf
+die des guten Hans. Die Verlobten hatten beschlossen, sich im Herbst
+»zusammengeben« zu lassen, und es wurde nun immer emsiger an der
+Ausfertigung gearbeitet. Die Frage, wie Christine als Frau Lehrerin
+sich kleiden solle, war erledigt. Heutzutage hätte man eine »Näherin«
+eingethan, die sich als Kleidermacherin schon einen Namen erworben,
+und der Lehrersbraut die gehörige Zahl bürgerlich französischer Anzüge
+fertigen lassen. Damals warf man aber die Rieser Tracht noch nicht so
+schnell über Bord, und es war demnach im Hause der Glauning beschlossen
+worden, nur zu der feineren Kleidung im Rieser Styl fortzugehen, wie
+sie die Weiber der reichen Bauern, der Müller, Wirthe und auch der
+Schullehrer noch trugen. Es war immerhin ein Fortschritt, und das
+Herz der Braut wurde außerordentlich erheitert beim Anblick zweier
+seidener Halstücher, die ganz neumodisch waren, eines herrlichen
+»geflammten« Rocks, der in zierliche Falten »gebegelt« (gebügelt) die
+stattlich Hinschreitende umwogen sollte, und einer großen Radhaube,
+nicht mit schwarzen, sondern mit weißen Spitzen und mit farbigen
+seidenen Bändern, womit im Dorf bis jetzt einzig und allein die
+Wirthin geprangt hatte. Als Christine dieses Wunder von Haube zuerst
+probirte und die seidenen Bänder, zierlich verschlungen, von ihrem
+Kinn auf die Brust herunter wallten, fühlte sogar die Taglöhnerin aus
+ihrer pflanzenähnlichen Ruhe sich herausgerissen; sie hing an der
+Beneidenswerthen mit einer Art von Andacht, stieß einen komischen
+Seufzer aus und rief: »Bändel zieret halt da' Menscha'!« wobei sie in
+ihrem Herzen dachte, daß sie in einer Haube mit so schönen Bändern sich
+neben der Christine wohl auch noch sehen lassen könnte. -- Dem Vorrath
+an Leinwand und Bettfedern, den die Mutter gesammelt hatte, wurde nebst
+dem Geldbeutel stark zugesprochen, und der Wunsch der ehrgeizigen
+Frau, ihre Christine wie eine reiche Bauerntochter auszustatten, und
+das Verlangen, doch auch noch etwas übrig zu behalten, kamen öfters
+mit einander in Streit. Hie und da gab es sogar einen kleinen Handel
+zwischen Mutter und Tochter, der aber bald wieder in's Gleiche gebracht
+wurde: Christine hatte den Vortheil, das einzige Kind zu sein. Indem
+nun die beiden mit der Dorfnäherin und dem Dorfschneider in die Wette
+arbeiteten, ging die Sache stetig vorwärts. Man war sicher, zu rechter
+Zeit fertig zu werden und in's Schulhaus mit einem Wagen voll Hausrath
+einzuziehen, wie er von einer Söldnerfamilie noch nie geliefert worden
+war.
+
+Daß zwischen dem Haus der Glauning und dem Schulhaus immer der engste
+Verkehr statt gefunden hatte, versteht sich von selbst. Forstner
+war fast in allen Stunden, die er sich abmüßigen konnte, bei der
+schönen Braut gewesen, und seine Mutter hatte über alle wichtigen
+Fragen mit ihr und der Base Rath gepflogen. Bei einem so lebhaften
+Temperament, wie es der junge Lehrer besaß, konnte sich die Glut
+des Liebenden freilich nicht immer auf der ersten Höhe behaupten;
+gerade wenn sie dauern sollte, mußte sie sich mäßigen und so zu sagen
+in regelmäßigem Flußbette hinströmen. So war denn mit der Zeit der
+Verlobte ruhiger geworden, und ohne daß sein Wohlgefallen an der Braut
+sich minderte, öffnete sich sein Herz auch wieder andern Dingen.
+Den ganzen Frühling hindurch hatte er Einladungen seiner Freunde zu
+fröhlichen Gelegenheiten ausgeschlagen. Er führte Christine mit seiner
+und ihrer Mutter an schönen Feiertagen nach Nördlingen, Oettingen oder
+Wallerstein, unterhielt sie, zeigte ihnen belehrend die Schlösser und
+Hofgärten der fürstlichen Residenzen und ging in gemüthlichem Gespräch
+mit ihnen nach Haus. Wie nun aber der Eifer der Ausfertigung, je weiter
+diese vorschritt, nur um so lebhafter wurde und die Weiberherzen
+ganz zu erfüllen schien, glaubte Forstner den Collegen und Kameraden
+sich nicht länger entziehen zu dürfen. Man hatte in Oettingen ein
+musikalisches Kränzchen gestiftet, und er mit seinem hübschen Tenor und
+seinem Geschick auf der Violine war ehrenvoll dringend zur Theilnahme
+aufgefordert worden. Er verpflichtete sich dazu, und da die Gesänge und
+die Musikstücke, die man aufführte, bald gut zusammengingen, so legte
+der rasche Fußgänger mit Vergnügen die ziemlich lange Strecke zurück,
+die zwischen dem Dorf und dem Ort der Zusammenkunft lag, und freute
+sich der künstlerischen Unterhaltung und der lustigen und geistreichen
+Gespräche, die auf die kleinen Concerte zu folgen pflegten.
+
+Forstners Temperament -- das hat man schon gesehen -- war überwiegend
+sanguinisch. Von Leuten dieser Art ist bekannt, daß sie gewisse Dinge
+schneller und lebhafter erfassen, aber schneller auch wieder lassen
+als andere. Ich sage, gewisse Dinge. Es wäre schlimm, wenn der
+Sanguiniker in seinem Geist und Herzen nicht die Kraft besitzen könnte,
+einem Gedanken, einer Pflicht und einer ernstlichen Neigung treu
+sein Leben zu widmen. Aber von gewissen Dingen, namentlich solchen,
+die auf dem Felde der Unterhaltung und des Lebensgenusses liegen,
+wird der Mann von leichtem Blut schneller hingerissen als andere
+und weiter geführt, als er anfangs dachte, auch wenn er, wie unser
+Lehrer, eine Dosis Phlegma besitzt, welche der Klugheit zur Unterlage
+dient. -- Das musikalische Kränzchen in der genannten fürstlichen
+Residenz gewann in raschem Aufschwung einen Stand der Blüthe, wie er
+unter günstigen Verhältnissen bei solchen Verbindungen einzutreten
+und eine Zeitlang zu dauern pflegt. In solcher Zeit gelingt alles;
+die Theilnahme scheint ununterbrochen zu wachsen, die Freude kommt
+ungesucht und der Ruhm des Instituts verbreitet sich in der ganzen
+Umgegend. An den Tagen, wo man sich in Oettingen versammelte, fanden
+sich nun bald auch Gäste von benachbarten fränkischen Orten ein, die
+nach ihrem bekannten Naturell dem Vergnügen keinen Eintrag thaten.
+Musiker trinken gern, und ein leichter Rausch ist der Zustand, der
+allein würdig scheint, auf künstlerischen Enthusiasmus zu folgen,
+weil er diesen nicht verglühen läßt, sondern liebevoll erhöht und
+weiter trägt. Da nun das Bier, welches der Ganswirth lieferte,
+vortrefflich war, so fühlten sie sich, wenn es auch meistens Dorf-
+und Stadtlehrer mit zwei- bis fünfhundert Gulden Einkommen waren,
+doch alle wie Könige. Die musikalischen Aufführungen gewährten edeln
+und feinen Genuß, das darauf folgende Gelag machte sie fröhlich wie
+die fidelsten Musensöhne, und die Gesänge, in welche die innere Lust
+hier unwillkürlich ausströmte, klangen noch schöner und ergreifender,
+als die kunstmäßig vorgetragenen, weil die Formen der Kunst von der
+lodernden Glut der Seelen überschwänglich erfüllt wurden. -- Forstner,
+eine Zierde sowohl der Aufführungen als der Gelage, sah sich in diesem
+Zirkel geehrt und geliebt; seine Freundschaft wurde gesucht, ein Lehrer
+aus der benachbarten fränkischen Stadt erklärte ihn für ein Genie und
+schloß sich eng an ihn an; da war es ohne Zweifel natürlich, daß die
+Theilnahme an dem Kränzchen in ihm endlich zur Passion wurde und daß
+er an den Versammlungstagen regelmäßig als einer der ersten kam und
+einer der letzten ging. Eben so natürlich war es aber auch, daß dabei
+Zeit und Geld verthan wurden »nach Noten« -- und letzteres mehr als es
+Forstners Einkommen vertrug.
+
+An Zeit hat der Dorflehrer im Sommer keinen Mangel. Dessen ungeachtet
+verminderten sich die Besuche des Bräutigams im Hause der Braut auf
+eine Weise, daß es auch der Vielbeschäftigten und Arbeitstrunkenen
+auffallen mußte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe und setzte mit etwas
+empfindlichem Ausdruck hinzu: es sehe beinahe aus, als ob's mit seiner
+Lieb' zu ihr gar nicht mehr so arg sei, wie sonst. Allein da schloß
+er sie mit einer Zärtlichkeit in seine Arme und sprach von seiner
+ewigen Liebe und Treue in so schönen Ausdrücken, daß der halbe Zweifel
+in der Seele des Mädchens rasch wieder getilgt war. Er zeigte eine
+ernste Miene und belehrte sie, wie er sich im Singen und Musiciren
+üben und Bekanntschaften machen müsse, weil ihm dies zu seinem
+Fortkommen durchaus nöthig sei. Er erzählte ihr, welchen Beifall er in
+dem Kränzchen erhalte und wie geehrt er sei -- und Christine, selbst
+geschmeichelt, meinte, das sei dann freilich etwas anderes und auch sie
+könne ihm jetzt nicht rathen wegzubleiben.
+
+Mit seiner Mutter hatte Forstner eine andere Erörterung. Die alte
+Frau besaß noch etwas Vermögen. Es war nicht mehr so viel als vor
+einigen Jahren; denn der begabte und überall beliebte Sohn hatte als
+Schulgehülfe mit seinen Einnahmen unmöglich reichen können, und jedes
+Jahr mußten etwelche Schulden getilgt werden. In seiner jetzigen
+Stellung war er ausgekommen, so lange er eingezogen lebte; jetzt hatte
+sich wieder ein Deficit gezeigt, und er mußte die Mutter neuerdings
+angehen. Diese sträubte sich und las ihm gehörig den Text. Allein
+es gelang ihm auch ihr gegenüber zu beweisen, daß ihm die jetzigen
+Ausgaben in Folge der gemachten Bekanntschaften zehnfach wieder
+hereinkommen würden, und die beschwichtigte Mutter zahlte.
+
+Der Sommer näherte sich seinem Ende. Die Ausstattung der Christine
+war beinahe fertig -- ein Gegenstand der offenen Bewunderung und
+des geheimen Neides besuchender Freundinnen. An den Kästen und
+»Bettscha'den« (Bettstatten), an Tischen und Stühlen hatte der
+Schreiner des Dorfs sein Meisterstück gemacht. Sie waren nicht von
+Mahagoniholz und nicht polirt, aber mit brauner Oelfarbe überzogen,
+so schön wie man's noch nie gesehen. Hemden, weiße Schürzen,
+Schnupftücher, »Handswellen« (Handtücher), Tischtücher und Strümpfe
+gewöhnlicher und feingemodelter Gattung lagen gewaschen und gebügelt
+im »Weißwaarenkasten.« Die Betten waren schon überzogen mit blau- und
+rothgestreiftem, selbstgewirktem Zeug. Spitzenhauben, Sonntagskappen
+(wo das »Bödele« aus Gold- oder Silbergeflecht bestand) und
+verschiedene Alltagskappen prangten im obern Fach des reichbehängten
+Kleiderkastens. Ein neuer Spinnrocken mit Rad, von einem Nördlinger
+»Dreher« kunstreich gefertigt, stand bereit, um an dem Tag des Einzugs,
+mit dem feinsten und weißesten Flachs überzogen und mit rothseidenem
+Band umwickelt, mitten auf dem Wagen zu prangen. Es fehlten
+hauptsächlich nur noch ein paar Sessel, welche die alte Glauning, des
+feinen Schwiegersohns wegen, sich auch noch zu bestellen entschlossen
+hatte, und ein kleines Stück Hausrath, welches erst später nöthig zu
+werden pflegt, das aber vorsorgliche und humoristische Eltern in der
+Regel auch gleich mitfertigen lassen.
+
+Was Christine an Geld mitbekommen und wie es gezahlt werden sollte, war
+ausgemacht. Die Heirath des einzigen Kindes mit einem Lehrer versetzte
+die Wittwe in eine Nothwendigkeit, die auf dem Lande stets mit
+Leidwesen empfunden wird, das Gut, das ihr Mann von seinen Vorfahren
+überkommen, vergrößert und so schön hergerichtet hatte, in andere
+Hände übergehen zu lassen. Der angestellte Schwiegersohn konnte es
+nicht übernehmen, und sie konnte es nach der Ausstattung ihrer Tochter
+nicht mehr halten. Als sie das einmal vor Hans aussprach, bemerkte
+dieser: er habe daran auch schon gedacht und bei sich überlegt, was
+Haus und Feldung in heutiger Zeit wohl gelten möchten. Er sei über eine
+Summe mit sich einig geworden, und um diese wolle er selber das Gut
+an sich bringen. Die Wittwe, angenehm überrascht, ließ ihn die Summe
+nennen; und da auch sie schon einen Ueberschlag gemacht hatte, dessen
+Ergebniß von dem Gebot des Vetters nicht viel abwich, so wurden sie
+bald »Handels eins.« Sie machten aus und gaben sich die Hand darauf,
+daß nach der Heirath der Christine -- denn vorher wollten sie keine
+Aenderung treffen -- die Sölde um die vereinbarte Summe von ihr an ihn
+übergehen solle. Der alten Glauning fiel ein Stein vom Herzen. Sie
+konnte mit dem Handel zufrieden sein, dann aber war es ihr lieb, daß
+ihr »Sach« an einen »Freund« überging, und nicht minder, daß der um
+sie verdiente Hans wenigstens ihr Haus und ihre Güter erhielt, wenn
+auch nicht ihre Tochter. In dem Vergnügen, das sie empfand, sah sie ihn
+mit gutmüthiger Schlauheit an und sagte: »Du hast g'wiß schon eine mit
+zwei- oder dreitausend Gulden!« -- »Das nicht,« erwiederte Hans, »ist
+aber auch nicht nöthig. Vor der Hand getrau' ich mir die Geschichte
+allein zu behaupten.« -- »Wenn's Einer kann, so kannst du's. Aber
+besser ist besser.« -- »Das schon; ich will auch gar nicht sagen, daß
+ich ledig bleib'. Wenn ich in dem Haus da einmal festsitz', dann wird
+sich wohl eine finden, die's riskirt mit mir.« -- »Hundert für Eine!«
+rief die Base mit Wärme; »so viel du willst!« -- Hans zuckte die Achsel
+und sagte: »Also dabei bleibt's! Wenn die Christine heirathet, bin ich
+der Käufer.«
+
+Die Uebernahme dieser Verpflichtung war kein Akt der Großmuth von
+unserem Freund. Er hatte das Gut lieb gewonnen, die von ihm Jahre lang
+bebauten und verbesserten Felder waren ihm an's Herz gewachsen, und
+da sich eine so gute Gelegenheit bot, sie zu erhalten, wollte er sie
+nicht auslassen. Trotz des Gemüthes, das wir an ihm kennen, war er
+keineswegs so romantisch gesinnt, daß er sich etwa vorgenommen, selber
+unbeweibt zu bleiben und nur der Erinnerung an seine Liebe zu leben.
+Im Gegentheil, es war ihm ganz ernst mit dem, was er der Base gesagt
+hatte; wenn Christine verheirathet war, so wollte er selbst eine brave
+Frau nehmen, die von ordentlichen Leuten herkam und etwas hatte und mit
+deren Eingebrachtem er nach und nach ganz schuldenfrei werden konnte.
+Mit ihr, wenn sie auch der Christine an Schönheit lange nicht gleich
+käme, wollte er leben, wie sich's gehört, und einen rechten Mann
+machen.
+
+Von derjenigen Seite, wo neue Einrichtungen getroffen werden mußten,
+war demnach alles in Ordnung. Es blieb nichts mehr übrig, als die
+Erfüllung der gewöhnlichen Formalitäten, und das Brautpaar konnte
+verkündigt, die Hochzeit konnte gefeiert werden. Als die Glauning dies
+dem Verlobten mittheilte und den Tag der Verkündigung bestimmt wissen
+wollte, bemerkte dieser: es gehe jetzt noch nicht -- man müsse noch
+warten. Mutter und Tochter sahen ihn bei diesen Worten befremdet an. Er
+war in der letzten Zeit einmal auf drei Tage verreist und hatte vorher
+auf Befragen nur erklärt, daß er nothwendige Geschäfte besorgen müsse.
+Nach der Rückkehr war er unruhig und aufgeregt; Christine wußte nicht,
+was sie aus ihm machen sollte; sie sagte es ihm und mußte mit einer
+Antwort vorlieb nehmen, die sie nur für eine Ausrede halten konnte. Und
+jetzt, nachdem alles fertig und alles im Reinen war, sollten sie noch
+warten? Sie fragte nach der Ursache; er erwiederte, die könne er noch
+nicht sagen. »Auch mir nicht?« entgegnete sie verletzt und erröthend.
+-- »Auch dir nicht, gute Christine,« antwortete Forstner. »Es ist um
+unseres gemeinschaftlichen Besten willen, und ich hoffe, in kurzem
+kann ich reden.« -- Wie bedenklich das alles der Braut und der Mutter
+erscheinen mochte, sie mußten sich in seinen Willen ergeben und
+zusehen.
+
+Eines Abends -- nachdem vier Tage verflossen waren -- kam Forstner
+mit raschen Schritten auf das Haus zu und trat mit ernster, feierlich
+aufgeregter Miene in die Stube. »Ich bring' eine große Neuigkeit!«
+rief er Christine entgegen, die mit ihrer Mutter am Tische saß. Das
+Mädchen fuhr unwillkürlich zusammen und erhob sich rasch. »Was für eine
+Neuigkeit? Du erschreckst mich!« -- »Es ist nicht zum Erschrecken,
+sondern zum Freuen,« erwiederte er. -- »So sag's!« rief Christine, noch
+keineswegs ermuthigt. -- »Nun, ohne Umschweife: ich bin als Lehrer nach
+** berufen« (er nannte eine fränkische Stadt, aus der sein Freund und
+College vom Oettinger Kränzchen war) »und werde die Stelle mit nächstem
+antreten.«
+
+Das Mädchen war mehr bestürzt als erfreut über diese Nachricht. »Du
+kommst in eine Stadt?« fragte sie zagend. »Was soll dann aber aus
+uns werden?« -- »Du wartest hier bei deiner Mutter, bis ich mich
+eingerichtet habe. Dann hol' ich dich ab und wir machen Hochzeit.«
+-- »Ich in eine Stadt!« rief sie, indem sie, wenn auch dunkel, alles
+Bedenkliche dieser Ortsveränderung empfand. »Da paß' ich nicht hin!«
+Und die Mutter setzte bekümmert hinzu: »Dann hab' ich die halbe
+Ausfertigung und alle die theuern Bauernkleider umsonst machen lassen!«
+-- Forstner lächelte. »Wir werden manches brauchen können, was Ihr
+angeschafft habt, Frau Schwiegermutter. Und für die Kleider, die nicht
+in die Stadt passen, schaffen wir andere an. Ich bekomme für's erste
+hundert Gulden mehr als hier, kann mir durch Privatstunden noch andere
+hundert verdienen und habe die Hoffnung bald vorzurücken.«
+
+Trotz all den schön eröffneten Aussichten wollte sich bei Christine
+noch kein Vergnügen einstellen. »Ich weiß nicht,« sagte sie, indem
+sie vor sich hinsah, »mir ist so angst!« -- »Wenn du an einen Ort
+sollst,« erwiederte der Verlobte mit einem Blick des Vorwurfs, »wo
+ich bin? Schäme dich, Christine! Freuen solltest du dich, daß ich
+vorwärts komme, und etwas einbilden solltest du dir, die Frau eines
+Mannes zu werden, der in zehn Jahren vielleicht Oberlehrer ist.« --
+»Ich freu' mich auch,« erwiederte Christine, deren Mienen sich nun doch
+aufklärten, »aber ich fürchte nur« -- -- »Du bist ein Kind,« versetzte
+er, indem er sie bei der Hand faßte. Und mit einem zärtlichen Blick
+setzte er hinzu: »Bei mir wirst du doch angewöhnen? Da wird's dir doch
+nicht »and thun« nach deinem Dorf?« -- »Nun,« erwiederte das Mädchen,
+der bei diesen Worten das liebende Herz aufging, »das mein' ich selbst.
+Und in die Stadtleut' werd' ich mich am End' auch schicken!« --
+»Freilich wirst du das! Ein schönes, liebes und gescheidtes Mädchen wie
+du.«
+
+Bei der Mutter hatte die Aussicht, eine Frau Oberlehrerin zu bekommen,
+die fatale Empfindung, so feine Bauernkleider umsonst angeschafft
+zu haben, bereits zurückgedrängt und sie sagte jetzt: »Es ist wahr!
+Und das Weib muß Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhängen,
+wie's in der Bibel heißt. Herr Lehrer, nehmen Sie die Stelle nur an,
+meine Tochter wird sich drein finden.« -- »Es freut mich,« erwiederte
+Forstner, »daß Ihr so verständig seid, obwohl ich bei Euch darauf
+gerechnet habe.« Und in einem Ton, der halb dem Liebhaber, halb aber
+auch dem Lehrer angehörte, sagte er zu der Verlobten: »Folg' mir nur,
+liebe Christine, und gieb dir Mühe zu lernen, was dir fehlt. Ich will
+dir alles sagen und zeigen, und in sechs Wochen wird dich kein Mensch
+mehr von einem Stadtmädchen unterscheiden können. Du hast die Gaben,
+du wirst sie unter meiner Leitung ausbilden und eine Frau werden, die
+mir Ehre macht.«
+
+
+ IV.
+
+Ein schönes Ziel, auf dessen Erreichen man sich gefreut hat und durch
+das man in heiterer Einbildungskraft schon vorher beglückt war,
+plötzlich versinken zu sehen, ist betrübend, auch wenn sich in der
+Ferne ein neues erhebt, das noch erstrebenswerther scheint. Christine
+hatte geglaubt, in wenigen Wochen die Frau des Geliebten zu sein und
+in ihrem Geburtsorte, wo es allein ihren Sinn reizte, etwas zu gelten,
+in guten Verhältnissen und geehrt zu leben. Nun sah sie die Hochzeit
+verschoben und sollte dann im eine Stadt ziehen unter fremde Leute,
+an deren guter Meinung ihr nichts liegen konnte, wenn sie auch das
+Vertrauen zu sich gehabt hätte, sie zu gewinnen. Statt der Gewißheit
+hatte sie nur eine neue Hoffnung, die noch dazu bedeutend mit Furcht
+gemischt war -- ein Ziel, das nur ihrem Verstande, nicht ihrem Herzen
+ehrenvoll erschien, und das nur durch Anstrengungen erreicht werden
+konnte, die ihr keine geringe Last dünkten. -- Doch, so war es einmal;
+sie mußte sich darein fügen und dem neuen Stand der Dinge die beste
+Seite abzugewinnen suchen.
+
+Zu dem in den Verhältnissen liegenden Grunde, die Trauung zu
+verschieben, trat in kurzem und unerwartet ein neuer: die Mutter
+Forstners erkrankte und starb nach wenigen Tagen. Sie hatte sich
+außerordentlich gefreut, daß ihr Sohn den Fuß auf eine Leiter gesetzt,
+auf welcher er zum Gipfel der Ehre emporsteigen konnte, und sie
+rühmte ihn jetzt, daß er, wenn auch mit einigen Kosten, so nützliche
+Bekanntschaften gemacht habe; denn er hatte ihr nicht verschwiegen,
+daß er seine Berufung hauptsächlich den Bemühungen seines Freundes vom
+Oettinger Kränzchen verdankte. War es ihr nun auch nicht vergönnt,
+ihn auf dem neuen Weg zu begleiten, so starb sie doch mit dem
+erhebenden Gedanken, ihn an der Seite einer wackern und schönen Frau,
+die eigentlich sie gewählt hatte, dem städtischen Oberlehrer zugehen
+zu sehen. -- Der alte Geistliche benutzte diese Umstände zu einer
+erbaulichen Rede, und die Verlobten weinten der Verstorbenen von Herzen
+in's Grab. Nach Verlauf weniger Tage gehörten sie freilich wieder dem
+Leben an und gedachten der sorgsamen Mutter gelegentlich mit Lob, aber
+ohne Trauer.
+
+Der Tag, auf welchen Forstner seinen Abzug angesetzt hatte, war
+gekommen. Die Bauern zeigten sich bei dieser Gelegenheit freundlich und
+diensteifrig. Der Lehrer hatte seine Pflichten nie vernachlässigt und
+die Liebe der Kinder sich erhalten. In der letzten Zeit hatte unter
+den Eltern allerdings die Meinung um sich gegriffen, daß er eigentlich
+ein »leichter Passagier« sei, dem die Christine recht auf die Finger
+sehen dürfe. Aber der Erfolg, die Anstellung in der Stadt überzeugte
+auch sie eines Bessern; sie sahen in seinem »Gelaufe« ein kluges
+Manöver und der gescheidte Mann stieg in der Achtung der praktischen
+Dorfleute. Die Kinder, in denen die bessere Unterweisung neue, feinere
+Gefühle ausgebildet hatte, ehrten den Lehrer durch sinnige Kränze
+von Herbstblumen und durch ein gemeinsames Präsent. Gaben spendeten
+auch wohlmeinende und vermögende Eltern, und die Nachbarn halfen den
+Wagen beladen, den ein reicher Bauer unentgeltlich nach dem neuen
+Aufenthaltsort zu fahren sich erboten hatte. Der Abschied von den
+Repräsentanten der Gemeinde war freundschaftlich und herzlich, aber
+heiter; Forstner sollte ja wieder kommen, um das schöne Dorfkind
+abzuholen. -- Von den Segenswünschen seiner Braut und ihrer Mutter
+begleitet, nach vielfachen zärtlichen Händedrücken, fuhr er aus dem
+Dorf unter tüchtigem Knallen der Geißel, womit der Oberknecht, der auf
+dem Sattelgaul saß, ihn und sich selber zu ehren suchte.
+
+Die folgenden Tage beschäftigte sich Christine mit den ersten
+Zurüstungen für die Stadt. Es war ihr lieb, daß ihr noch eine Frist im
+Vaterhause vergönnt war, und sie ging mit einem ordentlichen Wohlgefühl
+darin hin und her. Ueber den Aufenthalt in der Stadt, der sich für sie
+noch vor der Trauung als nöthig herausgestellt hatte, war ein fester
+Beschluß gefaßt. Die Glauning hatte sich erinnert, daß an dem Ort eine
+Frau wohne, die mit ihr Einen Urgroßvater gehabt und deren Vater nach
+vom Ries dahin gezogen war. Diese, die an einen Krämer verheirathet war
+und ein Haus besaß, sollte Forstner aufsuchen und fragen, ob Christine
+nicht die kurze Zeit bei ihr wohnen könne. Die Hoffnung, eine zusagende
+Antwort zu bekommen und zunächst im Hause einer Verwandten leben zu
+können, mochte dazu beitragen, das Herz der Braut in jene Ruhe zu
+wiegen, mit der sie das Dorf noch recht genießen konnte.
+
+Forstner hatte sogleich in wenigen Zeilen seine glückliche Ankunft
+gemeldet. Nach einer Woche kam ein neues Schreiben von ihm, ziemlich
+lang und sorgsam abgefaßt. Er schilderte zuerst, wie er von seinen
+Collegen, von den Herrn Geistlichen und Magistratsräthen, bei denen er
+Besuche gemacht, ausnehmend freundlich und schmeichelhaft aufgenommen
+worden sei. Er habe sich überzeugt, das sei der Platz, wohin er gehöre,
+wo er Gutes wirken könne mit seinen Gaben und Kenntnissen, und wo er
+glücklich sein werde. Die Gespräche, die er geführt mit gebildeten
+Männern und Frauen, hätten ihm außerordentlich wohlgethan, und er
+freue sich über alles, bei ihnen zu leben und auch seine Christine in
+ihre Gesellschaft bringen zu können. Er schätze jeden Stand und habe
+gezeigt, daß er mit Leuten von jeder Klasse umzugehen wisse, aber
+besser sei besser; man müsse höher hinaufstreben, wenn man könne,
+und immer weiter und weiter zu kommen, das sei das wahre Glück. Er
+fühle die Kraft in sich, zu steigen, und auch die Geliebte mit sich
+hinaufzuheben. Sie müsse nun aber auch ihrerseits die Hand bieten und
+sich alle Mühe geben, seine Arbeit ihm zu erleichtern. Das Glück,
+das sie dort mit einander finden würden, sei so groß, daß es wohl
+die Anstrengungen und Opfer verdiene, die nöthig sein würden, es zu
+erreichen. Anstrengungen müsse er seiner Braut nun allerdings zumuthen,
+und auch ein Opfer, wenn sie's dafür ansehen wolle. Die Hochzeit
+noch in diesem Jahre zu feiern, wie sie zuletzt noch gemeint hätten,
+verbiete eigentlich schon die Trauer wegen der seligen Mutter. Allein
+es kämen noch zwei Gründe hinzu, die es durchaus nöthig machten, daß
+die Trauung erst im nächsten Frühjahr stattfinde. Erstens sei ihm
+gesagt worden, daß er nach einer halbjährigen Amtsführung, wenn er sich
+als Lehrer auszeichne, eine nicht unbedeutende Zulage erhalten solle.
+Sei es ihm nun gerathen, in der nächsten Zeit alle Kraft und allen
+Fleiß auf Erfüllung seiner Lehrerpflichten zu wenden, so wäre es auch
+gut für sie beide, die Zulage abzuwarten; denn das Leben in der Stadt
+sei für ein Hauswesen doch kostspieliger, als er gedacht. Dann aber
+sei es eben so eine Sache, vom Dorf her nach kurzem Aufenthalt in der
+Stadt, wo man sich kaum darin umsehen konnte, eine Stadtfrau machen
+zu wollen. Er selber habe sich das leichter vorgestellt, als er es
+jetzt bei kaltem Blut finde. Man müsse eben doch ein anderes Benehmen
+lernen, man müsse sich Kenntnisse aneignen, damit man in Gesellschaft
+wisse, wovon die Rede sei, und selber mitsprechen könne, kurz, man
+müsse das Bauernmädchen abthun und sich eine gewisse Bildung erwerben.
+Das gehe aber nicht in einigen Wochen, dazu sei wenigstens ein halbes
+Jahr nöthig, und da müsse man noch recht fleißig und aufmerksam sein.
+Seine Meinung sei nun die: Christine solle zur Base Kahl ziehen, die
+sie mit Vergnügen aufnehmen werde, und im nächsten Winter unter seiner
+Leitung alles das lernen, was zu ihrem künftigen Stande erforderlich
+sei. Die Kahl sei eine gute Frau, wenn es auch freilich mit ihrer
+Bildung nur so so stehe. Er selber hätte seiner Braut wohl gewünscht,
+in ein feineres Haus zu kommen; aber das sei nun eben nicht anders zu
+machen. -- Der Brief schloß mit Liebesbetheurungen für die Braut, mit
+schmeichelhaften Worten für die Mutter. Andern hätte er einen solchen
+Vorschlag vielleicht nicht machen können, ohne mißverstanden und
+verkannt zu werden; aber sie hätten bei jeder Gelegenheit Beweise von
+ihrer Einsicht und ihrer Klugheit gegeben; sie würden ihn verstehen und
+ihm Recht geben. --
+
+Die Wirkung dieses Briefes war auf Christine trotzdem keine
+erfreuliche. Der Bräutigam sprach darin so vornehm, so von oben herab
+zu ihr! Die Vorstellung der Arbeiten, die sie sich zugemuthet sah,
+lastete auf ihrem Gemüthe mit verdoppelter Schwere; ihre Bangigkeit
+erneuerte sich und ihre Miene drückte Zagen und zugleich etwas
+Empfindlichkeit aus. »Da haben wir's!« rief sie am Ende. »Ich bin ihm
+so nicht gut genug und soll erst weiß Gott was lernen, bis er mich
+heirathen mag!« -- Die Mutter, der die Schreibweise des künftigen
+Schwiegersohns auch nicht ganz gefallen hatte, obwohl sie einem
+»Herrn« seine eigene, vornehmere Sprache zugab, hielt es doch für
+gerathen, davon zu schweigen und sich Forstners anzunehmen. »Mir
+scheint's aber, daß er gar nicht Unrecht hat, Christine! Er will, daß
+du recht hineintaugst in die Stadt und daß du verstehst, was du als
+Frau Lehrerin brauchst. Er will dich gescheidt und geschickt machen
+und das beweist ja grad, daß er recht viel auf dich hält und ein
+braver, ehrlicher Mann ist.« -- »Das mag sein,« erwiederte Christine
+etwas beruhigter; »aber er hätte mir das doch anders sagen können.« --
+»Eigentlich,« versetzte die Mutter, »schreibt er freilich ein wenig
+anders, als er früher geredet hat; aber das wird schon so sein müssen,
+es wird eben die Mode sein unter den Herrn. Er meint's gut, und das ist
+die Hauptsach'.«
+
+Christine wollte das nicht bestreiten und fand sich endlich in den
+Vorschlag und den Willen des Verlobten. Wenn wir es gestehen sollen,
+so war ihr die tröstlichste Stelle in dem Briefe die, wo Forstner die
+Base für nicht gebildet und fein genug erklärte. Sie fühlte zu ihr
+gleich ein lebhaftes Zutrauen und setzte sich mit erleichtertem Herzen
+an den Tisch, um die Antwort abzufassen. Im Wesentlichen sagte sie:
+Was er geschrieben, wäre ihr und ihrer Mutter recht; sie wolle ihm
+folgen und fleißig sein, und hoffe dann so weit zu kommen, daß sie ihm
+in der Stadt keine Unehre mache. Was sie unter den jetzigen Umständen
+für die Stadt brauche, werde sie bald hergerichtet haben; er könne sie
+darum abholen, wenn er's für gut finde. -- Die Mutter nahm es auf sich,
+die Abänderung in dem Plane der Verlobten gehörig unter die Leute zu
+bringen. Ihre Christine werde erst im Frühjahr heirathen, was für Herrn
+Forstner und sie ein großer Vortheil sei; aber sie werde jetzt schon
+in die Stadt ziehen und was Ordentliches lernen, damit sie dort eine
+rechte Frau machen könne.
+
+Eines Vormittags in der ersten Woche des November kam Forstner in
+einer Kutsche angefahren. Er war bei der ersten Begrüßung etwas
+ernst; es schien als ob das Dorfmäßige der Wohnung und Kleidung
+schon etwas Befremdendes für ihn erhalten hätte. Bald aber thaute er
+auf und war wieder der Alte. Christine, die sich zu seinem Empfang
+geputzt hatte und ihm aufwartete, sah in ihrem wirthlichen Eifer so
+frisch und anmuthig aus! Sein Puls ging rascher, als er sie an seine
+Seite niederzog und sie betrachtete. Was konnte er sich Schöneres
+wünschen, als dieses Mädchen sein zu nennen? Er liebte sie, und wenn
+er sie noch so weit zu bringen vermochte, daß sie ihn und sich in
+seiner nunmehrigen Stellung nicht durch Unwissenheit und Dorfmanieren
+bloßstellte -- war er nicht der glücklichste Ehemann? -- Die Furcht vor
+dem Lächerlichen, wir können es nicht läugnen, war groß in dem jetzigen
+Stadtlehrer. Sein Trieb, in Gesellschaft zu glänzen, hatte sich nach
+Maßgabe seiner Erfolge in ihm ausgebildet, und in gleichem Verhältniß
+war auch die Besorgniß gewachsen, in Gesellschaft zu mißfallen oder
+ein Gegenstand des Bedauerns zu werden. Wie bedrückend war für ihn der
+Gedanke, daß das, was er gut machte, durch seine Frau vielleicht wieder
+verdorben wurde! Doch jetzt wich jeder Zweifel zurück im Anschauen des
+liebenswerthen Mädchens. Das Herz ging ihm auf, er glaubte an sie und
+traute ihr Alles zu. Er ward fröhlich und guter Dinge, scherzte nach
+alter Sitte und machte Mutter und Tochter fröhlich.
+
+Um die Mittagszeit war Alles zur Abfahrt bereit. Als Christine von
+der Mutter, vom väterlichen Haus und vom Dorf Abschied nehmen sollte,
+da ward es ihr doch plötzlich wieder ernst zu Muthe. Sie fühlte, was
+sie that und wagte, und ihr Herz klopfte in bängeren Schlägen. Die
+Mutter hatte sie und den Verlobten würdig ermahnt und feierliche
+Gegenversicherungen erhalten; das war tröstlich, als sie noch beisammen
+saßen. Draußen im Hof, unter dem grauen Himmel, in der frostigen Luft,
+wo ihr noch einige Freundinnen »b'hüt dich Gott« sagten, um dann auf
+die Gasse hinaus oder heimzugehen, erhielt die Furcht in dem Dorfkind
+wieder die Oberhand. Der gute Hans, der schon beim Einpacken behülflich
+gewesen, hatte noch eben eine Kiste mit Stricken auf der Kutsche
+festgebunden. Sie trat zu ihm, gab ihm die Hand und dankte mit etwas
+unsicherer Stimme, aber um so herzlicher für all die Freundschaft, die
+er ihr und ihrer Mutter bewiesen habe. Hans erwiederte mit ernsthaftem
+Gesicht: was er gethan habe, das hab' er gern gethan, und er wünsche
+ihr jetzt alles Glück und Wohlergehen. -- In solchen Momenten leben
+alte Gedanken und Gefühle wieder auf; die Seele wird heller, und was
+völlig abgethan schien, steht in klarem Lichte vor ihr. Christine hielt
+die Hand des Wackern fest und drückte sie; denn nicht nur die Liebe,
+auch der gerührte Dank, auch die Hochschätzung muß sich in Aeußerungen
+der Zärtlichkeit genug thun. Ihre Augen wurden feucht, und wie sie
+ihn damit ansah, hätte er wohl eine Abbitte darin lesen können. Ohne
+Zweifel verstand er sie. Eine leise Andeutung von gutmüthig wehmüthigem
+Lächeln ging über seine ernsten Züge; er schüttelte ihr kräftig und
+treuherzig die Hand, als wollte er sagen: »laß das gehen,« und wünschte
+ihr nochmal wohl zu leben. -- Ein paar Minuten später, und Christine
+saß in ihrem Dorfgewand, aber in einen Mantel gehüllt und um den
+Kopf ein weißes Tuch gebunden, neben dem Verlobten im Wagen, der von
+trabenden Rossen gezogen aus dem Dorf rollte.
+
+Eine seltsame Reihe von Empfindungen zog durch das erweichte Herz
+des Mädchens. Trauernde und sorgende, hoffende und freudige tauchten
+abwechselnd auf, bis die Seele nach und nach ruhig wurde und in dem
+Einen Gefühl der Ergebung die übrigen versanken. Sie machte eine eigene
+Erfahrung an diesem Tag: das Zusammensein mit dem Geliebten kam ihr
+nicht so schön vor, als sie sich's früher gedacht. Mit der Ruhe kam
+aber die Empfänglichkeit für die aufmunternden und schmeichelnden Worte
+des Bräutigams wieder in ihr Gemüth, und endlich saß sie vergnügt an
+der Seite des Vergnügten.
+
+Es war in der Abenddämmerung, als das Ziel ihrer Fahrt, die Stadt vor
+ihnen lag. Diese gewährte in der guten Jahreszeit einen freundlichen
+und hübschen Anblick; jetzt sah sie aus, wie eben eine Landstadt im
+Spätherbst, und der guten Christine kam sie recht fremd vor. -- Die
+Kutsche rollte durch das Thor in die Hauptstraße, lenkte bald in eine
+Seitengasse ein, die zu den engen und düstern gehörte, und hielt vor
+einem schmalen, zweistockigen Hause. Eine Frau in den Fünfzigen kam
+heraus, hob Christine grüßend aus dem Wagen und führte sie in die Stube
+zu ebener Erde. Sie war bei der Base Kahl.
+
+Herr Kahl war ein Kleinhändler, dessen Geschäft seit dem Auftreten
+eines reicheren und praktischeren Concurrenten in Abnahme gekommen war
+und der nun, anstatt sich ebenfalls besser umzuthun, lieber ergeben
+den alten Schlendrian fortführte und seinen Haushalt einschränkte. Er
+wohnte mit seiner Frau und einer Magd, die auch im Laden aushelfen
+mußte, allein in dem Hause, und weder die kleine Familie noch die
+Stube, in der sie sich Mittags und Abends zusammenfand, konnte den
+Eindruck des Wohlhäbigen machen. Es waren -- die gleichfalls in
+gewissen Jahren befindliche Magd mit eingeschlossen -- längliche,
+hagere Gestalten, die in ihrem ganzen Wesen etwas Kümmerliches hatten.
+Dieß war ihnen freilich schon zur Gewohnheit geworden und erschien
+durch mehrjährige Uebung gemildert; allein ihr Anblick hatte damit noch
+nichts Vertraueneinflößendes gewonnen. Gutmüthig in gewissem Sinn waren
+die alten Leute; sie konnten sich auch freuen über kleine Wendungen zum
+Bessern und einzelne glückliche Zufälle, und spannen so ihr Leben am
+Ende doch erträglich weiter.
+
+Christine erhielt die Stube im ersten Stock, bisher eine Art von
+Prunkzimmer der Familie, nebst einem Schlafkämmerchen. Ein kleiner
+irdener Ofen, altes Möbelwerk und einige Bilder an der Wand zierten
+das zweifenstrige Gemach, jedenfalls das beste im Hause. Unter andern
+altmodischen Bildern sahen aber die Porträts der Hausleute, in ihrer
+Jugend von einem Anfänger gemalt, so trübselig von der Wand, als ob
+die Originale schon eine Ahnung gehabt hätten, daß sie zu besonderem
+Glück im Leben nicht bestimmt waren. Als der Ofen nach so langem Feiern
+und Frieren geheizt wurde, begann er tüchtig zu rauchen; die Fenster
+mußten aufgerissen werden, und erst nach und nach brachte man in dem
+frostgewohnten Raum einige Wärme zuwege. Die ersten Eindrücke, die
+Christine in dem Hause erhielt, waren keineswegs angenehm.
+
+In dem Vertrauen, das sie auf die Base gesetzt hatte, fand sie sich
+aber nicht getäuscht. Frau Kahl, abgesehen von ihrer verhältnißmäßigen
+Gutmüthigkeit, hatte auch alle Ursache, gegen das Bäschen gefällig
+zu sein: diese zahlte Kost und Logis, wenn auch zu mäßigem Preis,
+und vergrößerte so das geringe Einkommen. Dann aber war sie die
+Braut des Herrn Forstner, der auch hier schon ein Gegenstand des
+Anerkennens und Rühmens geworden war. Aus diesen Gründen war die Base
+freundlicher und rücksichtsvoller gegen sie, als die seit Jahren im
+Hause mitregierende Magd, die es hart anzukommen schien, von einer in
+Bauernkleidern gekommenen und sich gar nicht auskennenden jungen Person
+etwas zu halten und gegen sie zu thun, als ob sie etwas wäre. -- Der
+sechzigjährige Vetter bezeigte sich freundlich und höflich, aber ohne
+sonderlichen Eifer, dessen er überhaupt nicht fähig war. Mit ihm hatte
+Christine wenig zu thun. Den Tag über war er in seinem Laden, beim
+Mittagessen schwieg er und nach dem Abendessen duselte er in seinem
+Sorgenstuhl ein.
+
+Als die neue Hausgenossin sich so gut, als es anging, eingerichtet
+hatte, war es ihre nächste Aufgabe, sich städtische Gewandung zu
+verschaffen. Ein Alltagskleid war bald besorgt und das Anprobiren
+desselben das erste wichtige Ereigniß in dem neuen Leben der
+Lehrersbraut. Die Base half ihr dabei und hoffte, daß sie in dem
+schöneren Anzug bedeutend hübscher und vornehmer aussehen würde. Allein
+welche Ueberraschung, als sie nun die Fertige musterte! Sie mußte
+sie viel weniger hübsch finden als vorher. Natürlich sagte sie das
+nicht und strich und zupfte um so emsiger das Gewand zurecht, in der
+Hoffnung, es möchte noch werden. Die Hoffnung erfüllte sich aber nicht
+und der Grund war klar. Abgesehen davon, daß Christine das ungewohnte
+Kleid nicht zu tragen verstand, war auch ihre Gestalt nicht dafür
+geschaffen. Ihr Wuchs, der sich im Bauerngewand stattlich ausnahm und
+von dem nichts hinwegzuwünschen war, hatte im städtischen Anzug -- wir
+sagen es mit Bedauern -- etwas Unzierliches und Schwerfälliges, eine
+boshafte Städterin hätte sagen können Plumpes. Als Frau Kahl sie von
+oben bis unten betrachtet hatte und ein Lob unmöglich über ihre Lippen
+bringen konnte, machte sie in der Verlegenheit des Augenblicks das
+Kleid verantwortlich, das nicht gut gerathen sei und geändert werden
+müsse. Aber Susanne, die Magd, die auch herzugekommen war und sich an
+dem Anblick weidete, bemerkte mit entsprechendem Ausdruck: »Am Kleid
+liegt der Fehler nicht.« -- Auf dem Tisch lag noch ein Hut, den Frau
+Kahl erst gestern gekauft hatte, ganz neu und neumodisch. Vielleicht
+daß er, den schönen Kopf zierend, eine günstige Veränderung im Ganzen
+bewirkte. Sie setzte ihn darauf -- und sah sich auf's neue enttäuscht!
+Das Gesicht, im Rieser Käppchen so hübsch rund und so reizend, erschien
+im Hut zu voll. Christine, die zu merken anfing, welchen Eindruck sie
+hervorbrachte, wurde befangen, das Blut stieg ihr in's Gesicht, und
+dieses konnte dadurch weder an Rundung ab-, noch an Feinheit zunehmen.
+Zu allem Unglück war die Temperatur in der Stube seit dem frühen
+Morgen bedeutend gesunken, und indem die Röthe der etwas frierenden
+Christine eine bläuliche Färbung gewann, vollendete sich die Tücke des
+schlimmen Tags.
+
+Wie sie so dastand und nicht wußte, was sie sagen oder thun sollte,
+ging die Thüre auf und Forstner trat herein. Er kam zufällig, das
+Unternehmen des Tags war ihm unbekannt. Als er die Verlobte in dem
+langen Kleid sah, war er betroffen und betrachtete sie einen Moment
+schweigend. Dann rief er mit einem Lächeln, das nicht ganz hinreichte,
+einen gewissen verlegenen Ernst zu decken: »Wie siehst du aus,
+Christine! Man kennt dich gar nicht mehr! So -- so vornehm!« Christine
+versuchte zu lächeln und sagte mit etwas verzogenem Mund: »Nun --
+gefall' ich dir nicht?« -- »O freilich,« erwiederte der Verlobte,
+der vor der Base und der Magd gerathen fand, seine und ihre Würde zu
+wahren. »Aber man ist's nicht an dir gewohnt und darum fällt's einem
+auf. Nun, aller Anfang ist schwer; das wissen wir Lehrer. Mit der Zeit
+wirst du's tragen wie eine Städterin, und uns wird's dann sein, als ob
+wir dich nie anders gesehen hätten.« -- »Ja freilich,« bemerkte die
+Base, die froh war, daß der Bräutigam ihr zu Hülfe kam; »es ist ja kein
+Hexenwerk!« -- Die Magd, die unbeachtet in einer Ecke stand, schüttelte
+den Kopf und verließ die Stube. Auf der Stiege sagte sie zu sich: »Das
+wird nie eine Frau für diesen Mann!«
+
+Forstner hatte Christine nicht sogleich anstrengen wollen und sie
+bisher nur besucht, um sie zu grüßen und zu unterhalten. Allein die
+Zeit war kostbar, und endlich mußte mit der Erziehung, die er ihr
+zudachte, vorgeschritten werden. Nachdem auch die Base sich entfernt,
+setzte sich das Paar auf einem kleinen Kanape zusammen und der Verlobte
+entwickelte ihr den Plan, nach welchem sie die fehlende Bildung
+nachholen sollte. Da er unter Tags in der Schule und mit Privatstunden
+beschäftigt war, so wollte er wo möglich jeden Abend zu ihr kommen und
+sie unterrichten. Sie sollte Lesen, Schreiben und Rechnen nachüben und
+sich der Orthographie und der hochdeutschen Aussprache befleißigen.
+Geographie und Geschichte konnten ihr nicht erlassen werden; denn
+der Frau eines Lehrers mußte wenigstens bis zu einem gewissen Grade
+bekannt sein, was es mit der Erde für eine Bewandtniß habe und wie
+es dem Menschengeschlecht bis jetzt darauf ergangen sei. Wie leicht
+konnte in Gesellschaft die Rede darauf kommen und sie ihn, wenn
+sie aus Unwissenheit fragte oder gar mitreden wollte, in peinliche
+Verlegenheit bringen! -- Dann mußte sie gute Bücher lesen lernen, die
+Geist und Herz veredeln und Stoff bieten zu geselliger Unterhaltung. --
+War sie nicht jung und hatte sie ihm nicht schon Beweise gegeben von
+offenbarem Verstande? Wenn er sie nur erst eingeführt in den Garten des
+Wissens, dann sollte sie schon Geschmack daran finden und selber darin
+herumwandeln und an Blüthen und Früchten sich ergötzen. -- Als er ihr
+das alles auseinander setzte, gerieth er in einen Eifer des Lehrers und
+malte ihr die künftigen Herrlichkeiten so schön vor, als ob sie schon
+da wären. Die gute Christine aber dachte: »Gott, wie wird das alles in
+meinen Kopf gehen!«
+
+Forstner stand auf, Abschied zu nehmen. Als er die Verlobte in dem
+langen Kleid nochmal betrachtete (den Hut hatte sie glücklicherweise
+schon abgelegt), konnte er doch nicht umhin, auf's neue bedenklich
+zu werden. Der Anzug kleidete sie gar zu wenig! Die Gestalt war von
+städtischer Zierlichkeit gar zu weit entfernt! und es drängte sich
+ihm das Gefühl auf, daß Christine doch wohl nie eine feine Frau
+werden möchte. Die Zufriedenheit, ja alle Munterkeit war aus seinen
+Mienen gewichen; er sah ernst und befangen für sich hin. Christine
+errieth oder ahnte seine Gedanken und stand halb niedergedrückt, halb
+empfindlich vor ihm, den Blick zu Boden gesenkt. Es war einer von jenen
+schlimmen Augenblicken, wo man die Empfindungen, die man schweigend
+verbergen wollte, in ihrer ganzen fatalen Realität sich gegenseitig aus
+der Seele liest. Endlich nahm sich Forstner zusammen; er gab ihr die
+Hand, sah sie freundlich, wo nicht zärtlich an und drückte einen Kuß
+auf ihre Lippen, die auch in der gegenwärtigen ungünstigen Situation
+ihren Reiz nicht verloren hatten. Das Mädchen wurde roth und die Freude
+glänzte wieder aus ihr; sie blickte ihn so schön und lieb an, wie nur
+jemals früher in ländlicher Unbefangenheit. Ihres Anblicks froh empfahl
+er ihr noch zwei Bücher, die er mitgebracht hatte, als unterhaltend zum
+ersten Leseversuch, und verabschiedete sich.
+
+Das Leben des Mädchens hatte bald in jeder Beziehung seine Ordnung und
+Methode. Einen Theil des Tages verbrachte sie bei der Base und half ihr
+kochen und sonstige Hausarbeit verrichten. In der Kochkunst viel zu
+lernen war bei Frau Kahl nicht die Gelegenheit; denn die Speisen, die
+sie bereitete, waren sehr einfach und eine große Abwechslung fand nicht
+statt. Auch wollte Christine finden, daß die städtische Kost, obwohl
+öfter Fleisch auf den Tisch kam, als bei ihr zu Hause, doch nicht so
+nahrhaft und wohlschmeckend sei und namentlich zu viel an Butter und
+Schmalz gespart würde. -- Eine oder zwei Stunden täglich wurden von
+weiblicher Arbeit in Anspruch genommen. Hier sollte sich das Dorfkind,
+die in ihrer Weise ganz gut nähen und stricken, sogar ein wenig
+schneidern konnte, die feineren Künste zu eigen machen, und zwar unter
+der Leitung einer Verwandten des Vetters Kahl, die sich erboten hatte,
+sich ihrer anzunehmen und sie so weit zu bringen, als es bei einer
+Person, die unter Bauersleuten aufgewachsen sei, eben ginge. Diese
+Verwandte führte den romantischen Namen Adelheid, hatte aber trotzdem
+keinen Mann bekommen, und schuf sich dafür einen geistigen Ersatz
+in Geltendmachung ihrer Ueberlegenheit und in stolzem Verziehen der
+Oberlippe, die im Verlauf der Zeit einen Ausdruck männlicher Autorität
+gewonnen hatte und auch mit einem entsprechenden Fläumchen geziert war.
+Daß diese Stunden für Christine nicht die angenehmsten waren, erräth
+man; allein sie mußte die Unterweisung, die Mamsell Adelheid ihr bot,
+doch mit Dank aufnehmen und durch Fleiß, durch Aufmerksamkeit und
+namentlich auch durch Bescheidenheit zu verdienen suchen. Was an Zeit
+noch übrig blieb, war auf Erledigung der Aufgaben zu verwenden, die
+Forstner ihr gegeben hatte.
+
+Dieser begann seinen Unterricht mit der praktischen Klugheit, die
+uns an ihm nicht unbekannt ist. Die ersten Stunden wurden mehr mit
+Unterhaltung ausgefüllt; das Verfahren war darauf berechnet, das
+Mädchen zu erheitern und ihre Neu- und Wißbegierde zu reizen. Nach
+und nach mußten die Zügel freilich straffer angezogen werden. Die
+Wißbegierde wollte sich eben in Christine keineswegs in der Stärke
+einfinden, die der Verlobte wünschen mußte. Das gute Mädchen hatte mehr
+einen Hang, sich mit dem, was sie wußte, zu begnügen, als einen Drang,
+den Schatz ihrer Kenntnisse zu vermehren. Sie konnte nicht einsehen,
+was es z. B. nütze zu wissen, daß die Hauptstadt von Preußen Berlin
+heiße, und zu was es gut sei, mehr alte Römer kennen zu lernen, als
+den Landpfleger Pontius Pilatus. Sie war daher manchmal zerstreut,
+dachte an andere, ihr näher liegende Gegenstände, und hatte, was der
+Lehrer ihr mit lebhaftem Eifer gesagt, öfters gar nicht gehört, viel
+weniger verstanden. Sie offenbarte ein eigenthümliches Talent, das
+was sie schon gelernt, mindestens nachgesprochen hatte, wieder zu
+vergessen, und bei Dingen, die er als bekannt voraussetzen zu können
+glaubte, dreinzusehen, als ob sie nie eine Sylbe davon gehört hätte.
+Daß nun auch der Lehrer ärgerlich wurde, und daß es ihn zuweilen sehr
+hart ankam, in den Grenzen der Höflichkeit zu bleiben, begreift sich.
+Eine Zeitlang nahm er sich zusammen, und wenn er hitzig wurde und die
+Verlobte einigermaßen verletzt schien, legte er als Balsam gleich
+wieder sanfte Worte auf. Rief er einmal strafend: »Wie ungeschickt!«
+oder: »Das hast du ja schon gewußt! -- wo sind denn deine Gedanken?«
+-- und erröthete sie dann und sah gedemüthigt zu Boden, dann tröstete
+er sie: es komme nur darauf an, die ersten Schwierigkeiten zu besiegen
+und mehr Freude an der Sache zu finden; sie solle nur den Muth nicht
+verlieren, und dergleichen. Wie nun aber diese Freude sich nicht
+einstellte und die alten Fehler wiederkehrten, fand er's doch für
+gerathen, bei den strafenden Worten zu bleiben und ihr aus einem
+Schamgefühl nicht herauszuhelfen, das so wohl verdient schien. Es
+entfuhren ihm nun zuweilen Ausrufungen wie: »Gott, was ist das für ein
+Kopf!« oder: »das ist ja zum Verzweifeln!« -- und er versetzte damit
+dem Selbstgefühl des Mädchens einen Schlag, der um so weher that, als
+er früher ja ganz anders gesprochen hatte. -- Nach solchen Aeußerungen
+mußte er freilich wieder einlenken; aber er that es nicht mehr in
+sanften Worten, sondern erklärte, es thue ihm leid, so zu reden, aber
+es sei seine Pflicht, die Sache mit mehr Ernst und Strenge anzugreifen,
+da sie mit ihrer Langsamkeit und Zerstreuung sonst zu nichts kommen
+würde. Was er thue, geschehe zu ihrem Besten und nur aus Liebe.
+
+Das mochte alles ganz wahr sein, aber auf Christine konnte es keinen
+erfreulichen Eindruck machen. Wenn Forstner als Liebhaber im ihre Stube
+trat, sah sie diesen gar bald durch den Lehrer beeinträchtigt; nach und
+nach wurde er ganz zum Hofmeister, und sie konnte von Glück sagen, wenn
+der Liebhaber wenigstens beim Abschied wieder zum Vorschein kam.
+
+Die Gute mußte endlich einsehen, daß sie wieder ganz zum Schulkinde
+geworden war und die Leiden eines solchen zu erdulden hatte, ohne den
+frohen und leichten Jugendmuth zu besitzen, der alles Unangenehme
+schnell wieder abwirft. Sie war gehofmeistert von Mamsell Adelheid,
+gehofmeistert von ihrem Bräutigam, und oft schien es ihr, als wäre
+dieser schlimmer wie jene. Das Fatale dabei war: sie konnte die Bande,
+wie schwer sie auf ihr lasteten, nicht abwerfen, nicht einmal an
+ihnen rütteln; sie mußte das Joch tragen und damit weiter gehen. --
+Erholung und Unterhaltung war ihr wenig geboten; denn außer den uns
+bekannten Persönlichkeiten hatte sie keinen Umgang, da sie ja durch
+diese zu weiterem erst befähigt werden sollte. Wenn sie sich nun an
+einem grauen, kalten Tag in ihrer Stube mit ihren Aufgaben beschäftigen
+wollte, aber durchaus keine Lust dazu verspürte und Buch und Papier
+weglegte, um für sich hinzustarren, dann begann es ihr endlich »and zu
+thun« nach der Heimath, und dieses Gefühl wurde stärker und stärker.
+Sie kam sich recht einsam, recht verlassen vor und hatte zuletzt
+eine Anwandlung von der Empfindung, die man im Ries mit dem Worte
+»verzwazeln« (verzweifeln, vergehen) bezeichnet. Aber sie durfte von
+diesem eigenen Leide niemand etwas sagen. Auch der Mutter mußte sie
+schreiben, daß es ihr wohl gehe, und daß sie gern hier sei.
+
+Endlich kam ein Tag, der wohl zu der Hoffnung berechtigen konnte, daß
+er ihr Freude bringen und wieder Muth und Zuversicht einflößen werde.
+Der städtische Sonntagsanzug, den man bald nach ihrer Ankunft für
+sie bestellt hatte, war fertig geworden. Man hatte nichts gespart,
+ihn so hübsch und glänzend herzustellen, als es bei ihr nur immer
+anging. Alles hatte seinen Rath dazu gegeben und das Kleid war von den
+geschicktesten Händen gefertigt, die man in der Stadt finden konnte.
+Frau Kahl, der es eine Ehrensache geworden war, das Dorfbäschen in eine
+Städterin umzuwandeln, hatte sich am eifrigsten dabei umgethan; sie
+hoffte besonders auch eine gute Wirkung auf das Gemüth der Verwandten,
+an der sie ein scheueres und gedrückteres Wesen zu ihrem großen
+Bedauern wahrgenommen hatte. Kleider machen Leute, das ist ein gutes
+altes Sprichwort, und mit einem feineren Anzug pflegt in gar viele
+Menschen auch ein höherer Geist zu fahren. Sollte sich das nicht auch
+an Christine bewähren? -- Als diese an dem festlichen Morgen unter
+Beihülfe der Base und der Mamsell Adelheid fertig geworden war und
+dastand im dunkeln Merinokleid, seidenem Halstuch, sammtnem Hut und
+glänzend gewichsten Schuhen, wurde sie von den Richterinnen ernst und
+aufmerksam geprüft. Beide gingen hin und her und betrachteten sie von
+allen Seiten. Seltsames Mißgeschick! Die Erscheinungen beim ersten
+Probiren des Alltagskleides wiederholten sich. Die Stoffe thaten ihre
+Wirkung, die Gestalt war aber durch sie um nichts feiner und zierlicher
+geworden, sie schien allen Verwandlungsversuchen widerstehen zu wollen.
+»'S ist eben eine maskirte Bäurin,« dachte Mamsell Adelheid, und die
+Base wußte gar nicht, was sie denken sollte.
+
+Am ungefügigsten erwiesen sich zuletzt noch die Hände des Landmädchens.
+Daß die Bauernarbeit, wie jede andere, die gleiche Anstrengung mit
+sich führt, die Glieder mächtiger und stärker entwickelt, weiß jeder.
+Ein Dorfkind bringt in der Regel die Anlage zu tüchtigen Fingern schon
+von den Eltern mit, und die Ausbildung wird durch Rechen, Sichel und
+Dreschflegel entsprechend gefördert. Die Haut wird auf der einen Seite
+hart, auf der andern erhält sie eine röthlich bräunliche Färbung, und
+die Dorfhand ist fertig. In ihrer Heimath wird sie so gerade geschätzt;
+sie deutet auf Arbeit und Arbeitsfähigkeit -- die Ehre der Landleute
+-- und paßt zum ländlichen Anzug. Ein schönes Mädchen weiß damit zu
+schmeicheln, so gut wie eine Städterin mit ihren zierlichen Fingern,
+und der Druck der Liebe soll unter dieser Voraussetzung um nichts
+weniger süß und angenehm sein. Aber alles hat in der Welt seinen
+natürlichen Platz, und wenn es diesen verläßt, wird das Passende
+unpassend. Die Hände unserer Christine gehörten auf dem Dorf noch
+nicht zu den stärksten; in der Stadt und für den städtischen Anzug
+erschienen sie nun doch viel zu entwickelt, und dieß stellte sich
+auf's klarste heraus, als die neugekauften Handschuhe darüber gezogen
+werden sollten. Sie erwiesen sich zu klein und drohten zu platzen;
+man mußte in den Laden schicken und Männerhandschuhe der größten Art
+bringen lassen. Diese reichten endlich zu; aber den Händen, die mit
+ihnen bedeckt waren, Beifall zu spenden, das war auch der wohlmeinenden
+Richterin eine Sache der Unmöglichkeit.
+
+Nach erneuerter Prüfung gewann es Frau Kahl zuletzt über sich, das
+Bäschen mit Anerkennung aufzumuntern und zu bemerken, das Kleid stehe
+ihr diesmal schon viel besser und sie könne sich sehr wohl damit sehen
+lassen. Mamsell Adelheid schwieg; sie konnte eine gewisse Schadenfreude
+in ihrem gelblichen und scharfen Antlitz nicht unterdrücken und sagte
+zuletzt, für den Anfang sei es gut genug; man dürfe von einem Mädchen,
+die im Dorf groß geworden sei, gar nicht verlangen, daß sie ein solches
+Gewand gleich zu tragen verstehe, wie sich's gehöre. -- Christine,
+durch alles das betroffen und irre gemacht, besah sich im Spiegel,
+prüfte sich hin und her, und gefiel sich selbst nicht. Sie gehörte
+nicht zu den Einfältigen, das gute Dorfkind, und ließ sich nicht von
+den prächtigen Stoffen blenden; sie hatte ein Augenmaß und überzeugte
+sich, daß ihr der ganze Kram nicht zu Gesichte stehe. Ihre Freude --
+denn sie hatte sich doch auf die schönen Sachen gefreut -- war zu
+Wasser geworden.
+
+Eben hatte die Base wieder eine ermuthigende Bemerkung angefangen,
+als der Verlobte in die Stube trat -- diesmal nicht zufällig. Es
+war verabredet, daß er die Braut besuchen und sie mit Frau Kahl in
+die Kirche führen solle. An der Thüre stehend und nur den schönen
+neuen Anzug im Auge, stieß er ein fröhliches »Ah, wie schön!« aus.
+Als er näher trat und die Geputzte genauer betrachtete, wurde er
+ernst und ernster, und es war ihm unmöglich, in dem begonnenen Tone
+fortzufahren. Die Hände waren ihm nie so groß vorgekommen als in den
+feinen Handschuhen; aus dem Gesicht im Sammthut schien aller Geist,
+alle Anmuth geflohen zu sein. Die Eitelkeit des jungen Mannes, der
+sich eine Frau wünschte, mit der er prunken konnte, war erschreckt und
+sah den unerfreulichen Thatbestand noch dazu mit übertreibenden Augen.
+Christine sagte sich augenblicklich: »Ich gefall' ihm wieder nicht,
+gar nicht -- und das ist kein Wunder!« Als der Verlobte sich endlich
+mit Anstrengung zusammennahm und seine Verlegenheit hinter Worte des
+Lobes und der Bewunderung verbergen wollte, die ihm aber durchaus nicht
+von Herzen gingen und auf dem Gesicht der Mamsell Adelheid nur ein
+boshaftes Lächeln hervorriefen, da hatte das gute Kind eine wahrhaft
+peinliche Empfindung. Sie versetzte mit dem Ernst der Ehrlichkeit: er
+möge sie doch mit solchen Reden verschonen, sie wisse recht gut, daß
+ihr dieses Kleid nicht anstehe und immer noch das Bauernmädchen aus ihm
+herausschaue. Aber das sei nun einmal so, und sie könnte sich nicht
+anders machen, als sie wäre.
+
+Sehr verstimmt trat man den Weg zur Kirche an. Als in der Hauptstraße
+ein Herr und zwei Frauenzimmer daher kamen, die den Lehrer grüßten
+und auf Christine blickend, heitere Mienen zeigten, war es ihm, als
+ob er auf Nadeln ginge. Er wurde schamroth wie ein Mädchen, dankte
+hastig, ging rascher und verabschiedete sich vor dem Kirchenthore
+von Christine mit dem Gefühl wahrer Erleichterung. Für sie hatte die
+niederdrückende Erfahrung, die der eilige Abschied des Bräutigams noch
+vervollständigte, das Gute, das sie im Gotteshause Trost suchte und
+der Predigt, die ihrer Lage entsprach und an sie gerichtet schien, von
+Anfang bis zu Ende folgte. Es war dies das erste Mal in ihrem Leben;
+aber Noth lehrt beten und öffnet das Verständniß für Aussprüche, die
+früher nur als leere Klänge am Ohr vorüberzogen. Ihre Anstrengung
+belohnte sich auch, sie kam getrösteter und ruhiger nach Hause.
+
+Indem ich das Verhalten und die Schicksale Christinens der Wahrheit
+gemäß schildere, bin ich weit entfernt, eine Theorie aufstellen
+und etwa lehren zu wollen, ein Dorfmädchen passe in die Stadt und
+für einen Städter überhaupt nicht, die geborne Bäuerin könne nur
+mit einem Bauer glücklich sein und die Verpflanzung in eine höhere
+Schichte der Gesellschaft niemals gelingen. Das wäre falsch und würde
+namentlich auch im Ries durch gelungene Versuche widerlegt. Es kommt
+hier, wie sich von selber versteht, auf den Geist und das Naturell
+des Mädchens an. Ist diese begabt, strebsam und sehnt sie sich höher
+hinauf, so wird sie als Braut und als Frau eines gebildeten Mannes
+gar bald die Kultur annehmen, die von ihr gefordert werden kann;
+denn eine Pariserin braucht sie ja in einer deutschen Kleinstadt
+nicht zu werden. Sie wird das verhältnißmäßige Hochdeutsch lernen,
+womit man im der städtischen Unterhaltung durchkommt; Begrüßungen und
+höfliche Redensarten werden ihr bald geläufig vom Munde gehen; sie
+wird Kenntnisse sammeln und in Gesellschaft mehr oder weniger ein Wort
+mitreden können. Was die französische Kleidung betrifft, so wird eben
+dieser Punkt am leichtesten erledigt sein. In dem strebenden Mädchen
+regt sich der feinere Putztrieb von selbst, das neue Gewand, das Symbol
+höheren Standes, wird mit freudiger Begierde angelegt, mit Selbstgefühl
+getragen, und Lust und Liebe und angeborenes Geschick führen bald zu
+der Herrschaft darüber, die sich in leichter und angenehmer Bewegung
+ausspricht. Die Hände, wenn sie nicht schon von Natur feiner waren und
+der Einwirkung der Arbeit widerstanden haben, werden zarter und feiner
+mit der Zeit, und das Wagniß ist gelungen. Kommt es ja doch in der
+Ehe und in einem Haushalt viel mehr auf Angebornes als auf äußerlich
+Gelerntes an! Der natürliche helle Verstand findet sich darin viel
+eher und besser zurecht als der trägere Geist, dem allerlei Wissen
+beigebracht wurde, und wenn zuletzt auch einzelne Züge immer noch das
+geborene Landmädchen verriethen, so könnten sie bei dem Vorhandensein
+der erforderlichen reellen Eigenschaften doch zu nichts weiter als zu
+scherzhaften kleinen Neckereien führen.
+
+Ich möchte behaupten, daß eine solche Entwicklung bei Dorfkindern, die
+von der Natur nicht stiefmütterlich behandelt sind und von Städtern
+geehlicht werden, Regel ist. Die meisten werden, von dem Reiz geleitet,
+den das Neue und Höhere auf ihr Gemüth übt, sich in die Verhältnisse
+schicken, ihrem Stande Ehre zu machen sich bemühen und in ihrem Eifer
+das vorgesteckte Ziel erreichen.
+
+Unsere Christine gehörte aber nicht zu den Strebenden. Sie war für das
+Dorf geboren und nur hier konnte sie wahrhaft glücklich werden. Auf
+ihre Phantasie wirkte mehr der Reiz des Hergebrachten als des Neuen,
+mehr die Poesie des Eigenen als des Andern. In dem Kreise des Dorfes
+selber fortzuschreiten, aus einer Söldnerstochter eine angesehene
+Bäuerin zu werden, das war ihr Ehrgeiz, ihr erster und schönster Traum
+gewesen. Bei Forstner war es mehr die hübsche und einschmeichelnde
+Persönlichkeit, die sie bestrickte, als der Lehrer und »Herr«; und
+wenn der Gedanke ihr angenehm war, Frau Lehrerin zu werden, so war es
+eben nur unter der Voraussetzung, daß sie es auf dem Dorf, ja in ihrem
+Geburtsort würde und damit in ihrer Art zu der Höhe der ersten Frauen
+darin hinaufrückte. Der Titel einer städtischen Frau Oberlehrerin
+blendete sie nur mit flüchtigem Reiz, mit einem Schein, der bei näherer
+Betrachtung nicht Stand halten konnte. Ihr angeborener Trieb führte die
+Seele wieder und wieder zum Dorfe, zur Stätte des Jugendglücks, zur
+Heimlichkeit der Heimath zurück.
+
+Christine liebte die Rieser Tracht, fand sie schön und zierend, und
+sie hatte alle Ursache dazu, denn ihr stand sie vortrefflich. Sie
+hatte etwas von der Gesinnung in sich, die ehedem verbreiteter war
+als jetzt, aber sich gewiß noch nicht ganz verloren hat; ich meine
+die Gesinnung, in welcher der Bauer seinen Stand eigentlich für den
+ehrenvollsten, seine Kleidung für die schönste hält, und die Herren
+und Herrenfrauen, die in der Stadt leben und französische Kleider
+tragen müssen, nicht nur für weniger begünstigt ansehen, sondern
+geradezu bedauern kann. Schreiber dieses erinnert sich, in seiner
+Jugend von wohlhäbigen Landmädchen mehrfach spöttische Bemerkungen über
+Städterinnen gehört zu haben, die nur dem Stande und Gewande galten
+und mit behaglicher Sicherheit, ohne alle Bosheit abgegeben wurden.
+»So eine Langrockete,« hieß es von dem Stiefkinde der Verhältnisse,
+das mit dem Flecken reizloser und unsolider Tracht behaftet war. Eine
+geborene Wallersteinerin, Tochter eines angesehenen Bürgers und von
+mütterlicher Seite mit einer jungen Bäuerin verwandt, besuchte diese
+einmal zur Kirchweih und gewann in fröhlichem Gespräch bald ihr Herz.
+Die Bäuerin freute sich ihrer und sagte endlich: »Du bist a brav's und
+a lieb's Mädle -- wann d'nor oh (auch) andere Kloeder a'hättst!« --
+»Warum das?« fragte die Wallersteinerin. Und sie erhielt zur Antwort:
+»'s ist halt nex mit dem Häs (Kleidung) doh, und wo ma' he'kommt, ist
+ma' halt veracht!« -- Diese Aeußerung kam dem heitern Mädchen sehr
+ergötzlich vor, und noch als ältere Frau pflegte sie die Anekdote zur
+Charakteristik des Rieser Landvolks und zur Belustigung städtischer
+Hörer zu erzählen. Allein die Gesinnung, aus der solche Aeußerungen
+hervorgehen, ist doch eine höchst respektable Quelle von Glück in der
+Welt. Es ist der frohe Glaube an den Werth dessen, was man hat und ist,
+das Erfülltsein von Liebe zu der hergebrachten Art und Sitte -- der
+Grund der Zufriedenheit und Beständigkeit im Leben.
+
+In Christine lebte etwas von diesem Glauben und dieser Liebe und trat
+in den gegenwärtigen Verhältnissen, die freilich nicht darnach angethan
+waren, mit ihren Erinnerungen in die Schranken zu treten, zuweilen
+mit größter Stärke hervor. Doch sie durfte sich dem Zug nach dieser
+Seite nicht hingeben, sie mußte ihn bekämpfen, mußte streben und
+lernen, mußte sich bemühen, eine andere zu werden und städtische Sitten
+liebzugewinnen.
+
+Die Erziehung eines Mädchens wie Christine und ihre Angewöhnung in der
+Stadt, sollte man glauben, hätte unter den geschilderten Umständen
+dennoch, wenn auch langsam, fortschreiten müssen, da es ja doch
+immer der Bräutigam war, der die Braut erzog, und die Liebe, die
+beide zusammengeführt hatte, zuweilen allerdings getrübt, keineswegs
+ausgelöscht war. Allerdings; aber die Liebe des Bräutigams und der
+Entschluß, die gelobte Treue zu bewahren, hatten nun eben den Vorsatz
+gefaßt, gegen den Zögling sich in consequentester Strenge zu beweisen.
+Die Zeit verstrich und Christine mußte bis zum Frühjahr wenigstens so
+weit gebracht werden, daß sie als Frau seiner nicht ganz unwürdig war.
+Er mußte sie zwingen, sich Mühe zu geben und ihren Geist auszubilden.
+War dieser entwickelt, dann sollte das übrige schon nachfolgen und
+der nöthige Anstand ergab sich von selber. -- Durch diese strenge und
+unter Umständen züchtigende Liebe des Bräutigams wurde die Liebe der
+Braut auf die schwerste Probe gestellt. Es blieb eben auch nicht bei
+dem Ernst, hinter dem eine Liebe regiert, die gut und consequent ist.
+Dieser wäre es endlich wohl gelungen, das Ziel zu erreichen und ihre
+Bemühungen gekrönt zu sehen; aber Forstner war in einer Gemüthslage,
+wo ihm nichts rasch genug ging; er wollte, aufgeregt und ungeduldig,
+die Frucht haben, bevor sie reifen konnte, und wiederkehrende Fehler
+der Schülerin entrissen ihm nun bei schon angesammeltem Verdruß
+Aeußerungen, die er zwar immer noch für wohlverdient hielt, Christine
+aber nur als wahre Beleidigungen aufnehmen konnte. Es gab Auftritte
+zwischen dem Liebespaar, und Stunden, ja Tage des Trutzens. Versöhnte
+man sich wieder und that man das Gelübde, sich nie, nie wieder zu
+kränken, so war dem Frieden die Dauer so wenig verbürgt, wie andern,
+die auch auf ewige Zeiten abgeschlossen werden. -- Gegen die ernsten
+Mahnungen Forstners konnte und wollte Christine nichts einwenden. Sie
+faßte den Entschluß, sich Mühe zu geben, und sie gab sich Mühe; aber
+Lust und Liebe zur Sache konnte sie sich nicht geben, und unter den
+geschilderten Umständen konnten diese auch nicht in ihr keimen und
+wachsen. Alles, was gegen die Natur verlangt wird, alles, was vor
+der Zeit fertig sein soll, gewinnt aber in der Seele den Charakter
+einer unerträglichen Last. Es wächst ein Widerwille dagegen, der zum
+Abscheu werden kann; und wenn man die verhaßte Pflicht nun doch nicht
+zurückzuweisen sich getraut, vielmehr die Nöthigung erkennt sie zu
+erfüllen, koste es was es wolle, dann können sich im Herzen Elemente
+der Verzweiflung ansammeln, die nothwendig zum Ausbruch kommen müssen.
+
+Am Abend eines Tages, an dem Forstner nach wieder eingetretener
+Spannung nicht erschienen war, saß Christine mit ihren Verwandten
+und Mamsell Adelheid bei der frugalen Abendmahlzeit. Sie wurde mit
+dem abwesenden Liebhaber geneckt, wie es ihr mißfallen mußte; nicht
+aus heiterem und gutem Herzen (ein solches hätte unter den gegebenen
+Verhältnissen überhaupt geschwiegen) sondern von Seiten der Base ohne
+Laune, aus Langeweile, von Mamsell Adelheid ohne Wohlwollen, aus
+Schadenfreude. Sie antwortete zuerst etwas empfindlich, und endlich
+verbat sie sich diese Reden ganz. Wie meistens, wenn sie im Ernst
+und von Herzen sprach, hatte sie diese Erklärung im Rieser Dialekt
+abgegeben, und Adelheid, die sich auf dem einen Felde nicht mehr
+genügen durfte, benutzte nun die Aussprache des Dorfmädchens, um
+ihr etwas anzuhaben. »Pfui, Christine,« rief sie mit dem geheuchelt
+wohlmeinenden Ausdruck, der bekanntlich viel widerlicher ist, als
+ehrliche Unhöflichkeit, »pfui, wie bäurisch ist das wieder! Du mußt
+dir dieses Rieserischreden abgewöhnen, gutes Mädchen; das geht hier
+nicht mehr, du machst dich lächerlich damit, und für die Frau eines
+Lehrers paßt es schon gar nicht!« Die Wahrnehmung, daß ihre Worte auf
+Christine ihre Wirkung gethan hatten, ermunterten sie fortzufahren, und
+sie bemerkte: »Du brauchst nicht ärgerlich zu werden. Wir meinen's gut
+mit dir, drum sagen wir dir's, andere lassen dich reden und lachen dich
+aus.«
+
+Das hieß bei dem Rieser Kinde eine der empfindlichsten Stellen
+berühren. Sie hatte jene Rüge und Ermahnung von ihrem Bräutigam und
+von der Mamsell schon öfters hören müssen. Bei ihm hatte sie's in der
+Ordnung gefunden und sich bestrebt, hochdeutsch zu reden. Zunächst
+war freilich nur ein Mischmasch herausgekommen, der ihn zuweilen auch
+wieder lächeln machte, und wenn sie sich bemühte, rein hochdeutsch zu
+reden, dann sprach sie die Worte mit einer Betonung, die ihr nicht
+natürlich war und pedantisch klang, so daß Forstner sie zuweilen wieder
+bat, sie solle lieber reden, wie sie's gelernt habe. Es war auch eine
+fatale Empfindung, sich sagen zu müssen, daß sie ihm nichts zu Dank
+machen könne, und die ganze Sache hatte darum etwas Unangenehmes
+für sie. Bei der Adelheid war ihr aber der Tadel ihrer Sprache um
+so verdrießlicher, als sie ihr eigentlich kein Recht dazu einräumen
+konnte, auch darum nicht, weil die Mamsell nicht sowohl hochdeutsch
+als fränkisch-deutsch redete. Die Rieserin konnte durchaus nicht
+begreifen, wie das fränkische »Na'« (Nein) schöner klingen sollte
+als das Rieserische »Noë«, oder worin »Ah« (Auch) hochdeutscher wäre
+als »Oh« u. s. w. Sie hatte bemerkt, daß man im Ries gewisse Worte
+gerade nach der Schrift aussprach, während man sie im Fränkischen
+veränderte, also verschlechterte, daß man z. B. im Ries ganz richtig
+»mager« sagte, wo es hier »moger« hieß; und sie sah nun in keiner Art
+ein, wie sie die Sprache ihrer Heimath gegen so eine Sprache sollte
+schlecht machen lassen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie denn mit der
+Resolution des Unwillens alles, was sie auf dem Herzen hatte, und
+schloß ihre Erwiederung mit den Worten: »Jedes hat seine Sprach' gern
+und glaubt, sie sei besser als die andere, und das ist natürlich. Ihr
+sagt, die Rieser sei so breit und hinausgezogen, mir kommt die eure
+dagegen öd vor und recht »moger«, und ich mein', ich könnt' in ihr nie
+von Herzen reden. Aber darüber will ich nicht streiten. Wenn ich mein
+Rieserisch einmal ablegen soll, so will ich doch lieber gleich ein
+rechtes Hochdeutsch lernen, sonst will ich beim Rieserischen bleiben.
+Denn wenn's auch eine langsamere Sprach' ist wie die eure, so reden's
+doch Leute, die ich lieb hab' und die ich hochschätz', und das kann ich
+nicht von allen sagen, die ich kenne. Für heut' wünsch' ich Gutnacht!«
+-- Sie war aufgestanden und verließ die Stube mit einem Blick der
+Geringschätzung auf Mamsell Adelheid. -- »Hoffärtiges Ding!« rief
+diese, die sich durch den Vorwurf der Schülerin wegen des Fränkischen
+getroffen und durch ihren Abschiedsblick beleidigt fühlte. Aber Vetter
+Kahl meinte, sie habe es ihr heute auch arg gemacht, und man könne es
+der Christine jetzt nicht übel nehmen, wenn sie nicht bei guter Laune
+sei. -- »Ja freilich,« setzte die Frau hinzu und nickte bedenklich.
+
+Christine ging in ihre Stube hinauf, zündete ein Talglicht an, setzte
+sich an den Tisch und versuchte in einem Buche zu lesen, das ihr
+Forstner als unterhaltend empfohlen hatte. Bald legte sie's weg. Wie
+sollte sie sich für die geschriebenen Sachen interessiren, während ihr
+Herz so voll und so aufgeregt war von Unmuth und Sorge! Schweigend,
+die Arme auf die Lehne des alten Stuhls gelegt, sah sie auf den Boden
+und verharrte in formlosem Gedankenspiel eine Zeitlang in dieser
+Stellung. Es fröstelte sie; aber sie wollt' es nicht anders haben und
+rührte sich nicht. Wie traurig und öde war es in dieser Stadt! -- wie
+unheimlich war es in der Stube, die eigentlich nie recht warm gemacht
+werden konnte! Ihre Phantasie ging in die Heimath zurück, sie stellte
+sich das Dorf und die Stube ihrer Mutter vor, und alles Liebe und
+Heimliche baute sich nach und nach vor ihr auf. -- Wie schön war es
+dort -- auch im Winter! die Stube so warm den ganzen Tag, weil man im
+Rohr des eisernen Ofens kochte und das Holz nicht sparte. Welch ein
+angenehmer Geruch, wenn am Sonntag ein paar Tauben gebraten wurden
+oder ein frisches Stück Fleisch vom selbstgeschlachteten Schwein. Wie
+heimlich war es des Abends, wenn sie mit ihrer Mutter spann und mit ihr
+und dem braven Hans einen Rath hielt oder »ihren Gedanken Audienz gab«
+und die runde Hauskatze hinter dem Ofen dazu »durnte!« Wie traulich
+war es, wenn ein paar Freundinnen mit dem Rocken kamen, wenn man mit
+einander schwatzte und lachte, und nicht eines besser zu reden glaubte
+als das andere, und nicht eines das andere mit seiner Sprach' aufzog.
+Dort waren die Leute gut, und auch die schlimmen hatten etwas an sich,
+was man gern haben mußte. Es war eben dort alles lustiger, und auch die
+schlimmen meinten's nicht so bös; und so hochmüthige gelbe Gesichter,
+wie die Adelheid eines hatte, gab es dort gar nicht.
+
+Indem die Träumende von diesen Vorstellungen aufsah und sich in ihrem
+düster erhellten, todtenstillen Zimmer erblickte, hatte sie das Gefühl
+eines verlorenen Paradieses. Dort war alles so gut und so schön, dort
+konnte sie glücklich werden. Hier hatte sie keine einzige Gespielin,
+keine einzige vertraute Seele! Hier war sie verachtet und verspottet,
+sie, die in ihrem Dorfe geehrt und gepriesen war. Hier wurde sie
+mißhandelt! Und er, der ihr Trost und ihre Stütze sein sollte, er,
+der ihr ewige Liebe geschworen hatte, wurde mit jedem Tage härter und
+liebloser gegen sie! Er hatte keine Geduld mit ihr, er »kappte sie
+herab,« er beschimpfte sie, er schämte sich ihrer! Das mußte ~sie~
+erleben! -- und das mußte sie von ~ihm~ erleben! Und wenn er nun
+schon als Bräutigam so gegen sie handelte, was hatte sie zu erwarten,
+wenn er ihr Mann war und ihr Herr? Welchen Ehestand sollte das geben?
+
+Der Gedanke, daß sie das Unrechte gewählt habe, daß ein unglückliches,
+verfehltes Leben ihrer warte, und daß sie selber daran Schuld sei,
+begann den Geist des Mädchens zu überwältigen. In ihrem Herzen fing ein
+Zittern und Beben an, das sich über den ganzen Körper verbreitete, das
+nicht mehr zurückgedrängt werden konnte und nicht mehr enden zu können
+schien. Der Sturm der Verzweiflung war über ihre Seele gekommen. Wenn
+dieser einmal im Innern zu sausen und zu brausen beginnt, dann helfen
+keine Einreden des Verstandes mehr. Alle Gründe, die dagegen sprechen
+sollen, fallen kraftlos zu Boden, das Toben der Angst geht weiter mit
+der Gewalt eines übermächtig gewordenen Feuerbrandes, man hat nur noch
+Ein Gefühl und Ein Wort: Verloren! verloren!
+
+Christine konnte nicht mehr glauben und nicht mehr hoffen. Es war ihr,
+als ob sie auf und davon müßte; aber wohin sollte sie? Sie konnte
+nicht fort, sie mußte bleiben und alles erdulden, was ihr auferlegt
+war. Sie hatte ein Gefühl, als wenn sie in einen Brunnen gefallen
+wäre und nicht mehr heraus, ja nicht einmal um Hülfe rufen könnte.
+Welch eine Noth! -- welche Bangigkeit! Und hätte sie nur weinen und
+Erleichterung finden können in Thränen! Aber in solchem Zustande des
+Herzens kann auch das Weib nicht weinen; nur leiden kann es, leiden und
+beben, wie das Lamm in den Klauen des Raubthiers.
+
+Endlich erhob sich die Unglückliche mit entschlossener Anstrengung. Sie
+legte sich nieder, ob ihr vielleicht der Schlaf ein Erlöser würde; aber
+die empörten Wogen der Seele ließen sie nicht schlafen. Sie verbrachte
+die schwerste, peinvollste Nacht ihres Lebens und sank endlich nur aus
+Mattigkeit in einen unruhevollen Schlummer.
+
+
+ V.
+
+Die Verzweiflung, von der eine leidende, gedrückte Seele befallen
+wird, trägt oft am meisten zu ihrer Wiederauflebung und Stärkung bei,
+wenn die Verhältnisse, in denen sie lebt, nicht an sich desperat,
+sondern von ihr nur so empfunden worden sind. In dem Wirbel der Sinne
+übertreibt sie und sieht im schlimmsten Licht; und wenn der Hauptanfall
+ausgehalten ist, kann sie diesen Irrthum erkennen, zur Betrachtung der
+bessern Seite hingedrängt und dadurch wieder beruhigt werden. Bleibt
+noch so manches Unebene zurück, so liegt der Gedanke nahe: ob denn auch
+alles so accurat sein müsse, ob denn bei andern alles so accurat sei?
+Und sie ermuthigt sich, sie bescheidet sich, sie hofft wieder.
+
+Ein Sturm, der im Herzen sich erhebt, fegt dieses ohnehin, ich möchte
+sagen physisch aus. Er nimmt manchen phantastischen Anspruch, den man
+an die Welt und ihr Glück zu haben glaubt, mit sich hinweg und läßt
+erkennen, daß man in ihr vielmehr dulden und etwas leisten müsse. »Thu'
+was du kannst, in's übrige füge dich!« -- mit diesem Vorsatz tritt man
+den Anfechtungen des Lebens entgegen und findet dann auch wieder, daß
+es doch nicht so schlimm ist, als man sich's vorgestellt.
+
+Bei Christine war es aber nicht mit einem Tage abgemacht. An dem
+folgenden ging sie körperlich erschöpft, im Innern gebrochen einher
+und die Quelle der Verzweiflung strömte ruhiger, aber stetig in ihr
+fort. Sie trug alle Merkmale einer qualvoll durchwachten Nacht an sich;
+doch war ihr Mund still und ihre Miene ergeben, so daß die Base wahres
+Bedauern mit ihr empfand und auch Susanne und Adelheid nicht ganz
+ungerührt blieben. Forstner kam auch an diesem Tage nicht. Christine
+mußte an das Schlimmste denken; sie that es mit schauerndem Herzen;
+aber das Schlimmste war eine Entscheidung und hatte für ihr jetziges
+Gefühl auch wieder etwas Beruhigendes. Ermüdet legte sie sich zu Bette
+und fand bald das Heilbad des Schlafes.
+
+Kräftiger stand sie auf und erfreute die Base beim Frühstück durch eine
+getröstete Miene. Sie hatten von häuslichen Dingen gesprochen und waren
+eben daran, die Arbeiten des Tages zu erwägen, da trat der Verlobte
+herein -- mit allen Zeichen der Eile und einem entschiedenen Ausdruck
+der Reue, die wieder gut machen will.
+
+Das ist leicht zu erklären. Die Base hatte gestern in der Nacht noch
+Vetter Kahl zu ihm geschickt, und dieser hatte ihn von dem Stande der
+Dinge unterrichtet und ihm ins Gewissen geredet. Eindrucksfähig wie er
+war, hatte sich Forstner die Worte zu Herzen genommen, sein Gewissen
+hatte sich gerührt und ihn zu dem Entschluß gebracht, Christine noch
+vor der Schule zu besuchen.
+
+Er ging auf sie zu, drückte ihr die Hand und entschuldigte sein
+Ausbleiben mit unaufschieblichen Arbeiten, die ihn leider abgehalten
+hätten, zu ihr zu kommen u. s. w. Christine, durch sein Erscheinen
+erfreut, ließ alles gelten, und es kam zu einer vollständigen
+Versöhnung. Als sie vom Unterricht zu reden begann, nahm er
+Gelegenheit, sich selbst anzuklagen. Er sei offenbar in der letzten
+Zeit zu ungeduldig gewesen und habe mehr verlangt, als sie leisten
+konnte; er müsse sie wirklich um Verzeihung bitten; aber sein Amt und
+die Plage mit seinen Kindern mache ihn eben auch zuweilen verdrießlich
+und ungerecht. Das Mädchen entgegnete: daß er mit ihr die Geduld
+verloren habe, sei ganz natürlich, sie komme auch gar nicht weiter.
+Aber nun solle er sehen, nun werde sie sich recht zusammennehmen, und
+es werde gewiß besser gehen. -- Von seiner Seite Geduld, von ihrer
+Seite Fleiß und Mühe -- was brauchte es mehr zur Eintracht und zum
+Glück?
+
+Als Forstner in die Schule ging, dachte er: wenn sie auch nicht alles
+hält, was ich mir von ihr versprochen habe, so giebt es doch eine gute
+Frau. Sie ist fügsam, das ist schon etwas werth. Nach und nach wird
+sie auch lernen, was nöthig ist; ich darf nur nicht zu viel von ihr
+verlangen.
+
+Die nun folgenden Unterrichtsstunden gingen bei solcher Stimmung des
+Lehrers und der Schülerin ganz wohl vorüber. Es waren zunächst nur
+wenige. Die Christfeiertage kamen heran und machten eine Unterbrechung
+nöthig. Die Verlobte hatte mit Hülfe der Mamsell Adelheid einen
+zierlichen Tabaksbeutel zu Stande gebracht, sie kaufte noch ein schönes
+Buch, das der Bräutigam zufällig einmal gewünscht hatte, und machte
+somit eine ganz hübsche Bescheerung. Forstner beschenkte sie mit einem
+Shawl und einem kleinen galanten Gedicht. In dem Vergnügen dieser Tage
+hatte Christine auch Susanne und Adelheid mit Gaben bedacht, welche die
+mäßigen Erwartungen derselben übertrafen, und bessere Gesichter dafür
+erhalten. Alles ließ sich erfreulicher an, und Christine konnte ein
+verspätetes kleines Präsent an die Mutter mit einem Brief absenden,
+worin die Versicherung, daß sie recht fröhliche Weihnachten gefeiert
+habe, durchaus von Herzen kam. Sie hatte jetzt auch den Muth gefunden,
+einer wiederholten Aufforderung der Base nachzukommen und die Mutter
+zum Besuch einzuladen; ja sie hatte auf ihre Faust hinzugefügt, daß
+sie sich durch Vetter Hans herführen lassen solle. Die Erwartung eines
+frohen Wiedersehens trug dazu bei, daß sie das neue Jahr unter heiterem
+Austausch von Gratulationen und vertrauensvoll antrat.
+
+Die Hoffnung auf das Wiedersehen trog sie nicht. Frau Glauning war
+neugierig, ihre Christine in der Stadt zu sehen, und da nach Neujahr
+eine Masse Schnee fiel, dann kalte, trockene Witterung eintrat, so
+riskirte sie's, die Bahn zu benutzen und den Besuch mit Hans in einem
+entlehnten Schlitten zu machen. Am heiligen Dreikönigstage saßen alle
+unsere Personen bei Herrn Kahl um den Mittagstisch, der lange nicht so
+reichlich besetzt gewesen war. Man hatte sich ausgewundert, ausgegrüßt,
+ausgelobt und unterhielt ein behagliches Gespräch, das Forstner zu
+männiglichem Ergötzen mit seinen besten Einfällen zierte, so daß man
+sich endlich auch in dieser Hinsicht gesättigt und vergnügt vom Tisch
+erhob.
+
+In der Laune, die das Mahl in ihr angeregt hatte, nahm die Glauning
+ihre Tochter in eine Ecke und sagte: »Hör', Mädchen, du bist doch ein
+wenig »schmalbackeder« geworden, seit du hier bist. Man ißt wohl bei
+der Base nicht alle Tag' so gut wie heut?« -- Christine lächelte und
+sagte: »Ach, liebe Mutter, je weniger ich esse, desto besser ist's!
+Denn ich bin für die Stadt noch lange nicht »schmalbacked« genug.« --
+»So, so?« erwiederte die Alte. »Nun, du siehst wenigstens gesund und
+vergnügt aus. Aber das kann ich dir nicht verschweigen, recht närrisch
+kommst du mir vor in dem Kleid da.« -- »Ist andern auch passirt,«
+versetzte Christine. -- »Aber diese haben sich dran gewöhnt, wie's
+scheint, und dir wird's auch so gehen.« -- Wie die Mutter hier den
+Bräutigam auf sich zukommen sah, fragte sie: »Wie macht sich denn aber
+meine Christine in der Lehr', Herr Forstner? Geht's recht vorwärts?«
+-- »Jeden Tag,« erwiederte dieser heiter. -- »Verspotte mich nicht,«
+rief ihm Christine zu; »ich weiß recht wohl, daß ich einen langsamen
+Bauernkopf hab'.« -- »Nein,« fuhr er zur Mutter fort, »in der letzten
+Zeit bin ich sehr zufrieden gewesen, und wenn's so fortgeht, wird sie
+noch eine ganze Gelehrte werden.« »O Jerum,« rief die Gelobte mit
+komischem Ausdruck. Die Alte sah mit Vergnügen auf das Paar, das Arm in
+Arm vor ihr stand.
+
+Vor dem Abschied fand Christine noch Gelegenheit, eine vertrauliche
+Zwiesprach mit Hans zu halten. Sie dankte ihm und rühmte ihn wiederholt
+wegen seiner Freundschaft und Herzensgüte. Dann fragte sie mit einem
+Lächeln, in dem neben wirklicher Theilnahme ein Hauch von Scham nicht
+zu verkennen war: »Hast du noch immer keine, Hans? Ist noch keine
+Aussicht, daß ich dir auf die Hochzeit gehen kann?« Hans ging auf
+die Unterhaltung ein und versetzte nicht ohne Laune: »'S hat sich
+noch nicht machen lassen. Gut Ding will Weile haben!« -- »Ja wohl,«
+erwiederte sie schon heiterer. »Aber man muß doch auch anfangen. Du
+thust dich nicht um!« -- »Kommt drauf an,« entgegnete Hans. »Aber du
+weißt ja, ich wart' auf deine Hochzeit.« -- »Da kannst du vielleicht
+noch lange warten.« -- »Wie so?« -- »Bis zum Frühjahr sicher,
+vielleicht aber auch bis in den Sommer hinein -- ich muß noch gar viel
+lernen.« -- »Lernen? Was fehlt dir denn noch?« -- »Ach, Hannesle,«
+sagte das Mädchen mit einem humoristischen Seufzer, »noch gar viel!
+Das verstehst du nicht.« -- Hans dachte: »Was so ein Schulmeister
+doch heutzutag nicht alles verlangt!« Aber er sagte das natürlich
+nicht, sondern wünschte dem Bäschen alles Glück und drückte ihr in
+freundschaftlicher Theilnahme die Hand. Christine sah, daß er noch
+immer etwas auf sie hielt und daß er ihr nichts nachtrug; beides freute
+sie.
+
+Nach diesem letzten festlichen Tag wurde der unterbrochene Unterricht
+wieder fortgesetzt. Forstner nahm es zuerst wieder leicht und führte
+das Spiel nur sachte zum Ernst hinüber. In der Zwischenzeit hatte aber
+Christine von ihrem Talent, Gelerntes zu vergessen, wieder ziemlich
+Gebrauch gemacht, so daß Fortschritte nirgends sichtbar werden wollten,
+und bald stacken sie wieder in der Prosa des Lebens. Geschmack an
+geistiger Beschäftigung, ein Trieb, selber vorwärts zu gehen, etwas zu
+thun und zu suchen, wollte sich eben in der Schülerin nicht melden. Sie
+lernte nie einsehen, wozu das alles eigentlich gut sein sollte; die
+Kopfarbeit blieb ihr beschwerlich und sie konnte darin nicht einmal
+eine rechte Arbeit sehen. Neigung, angeborener und anerzogener Respekt
+drängte sie zur Arbeit mit der Hand, und nur wenn sie hier etwas fertig
+gebracht, glaubte sie wirklich etwas gethan und ihre Pflicht erfüllt zu
+haben.
+
+Forstner überzeugte sich jeden Tag mehr von der Unmöglichkeit, der
+Verlobten das beizubringen, was er an Geistescultur von seiner Frau
+glaubte fordern zu können. Aber die Wirkung war nun eine andere auf
+ihn als früher: er wurde nicht mehr erzürnt -- er entsagte seiner
+Hoffnung. Er that es mit Seufzen und tröstete sich mit dem Gedanken,
+daß Christine jedenfalls eine gute Hausfrau sein werde. -- Damit war
+ein bedeutender Schritt zum Glück des Paares hin gethan; denn das
+Glück wird dann erst möglich, wenn man von sich und von andern nur das
+fordern lernt, was die einmal gegebene Natur zu leisten im Stande ist,
+und sich dabei genügen läßt. -- Aber nun zog ein Wetter, das schon
+lange am Horizont gestanden hatte, rasch am Himmel auf und hing bald
+drohend über dem Haupte des Dorfmädchens. -- Um dieß zu erklären, muß
+ich in der Geschichte um mehrere Monate zurück gehen.
+
+Jener College Forstners, der sich im Oettinger Kränzchen so eng an
+ihn angeschlossen und dessen Betriebsamkeit er hauptsächlich seine
+jetzige Stelle verdankte, war bei seinen Bemühungen von wirklicher
+Freundschaft zu dem talentvollen, liebenswürdigen jungen Mann
+geleitet. Der Eifer, den er zu seinen Gunsten anwandte, beruhte aber
+doch nicht ausschließlich auf diesem persönlichen Wohlwollen; er war
+zugleich, und zwar nicht minder stark, durch sein eigenes Interesse
+getragen. Gustav Dobler (denn er muß jetzt mit seinem Namen in unsere
+Erzählung eintreten) hatte zwei Schwestern, die bei ihm, dem noch
+unverheiratheten Manne, wohnten. Die jüngere war noch nicht aus der
+Schule, die ältere, Wilhelmine, führte seinen Haushalt. Diese befand
+sich in den Jahren, wo sich ein vorsichtiges Mädchen schon einige Jahre
+um eine Partie umgesehen hat -- sie war in der Mitte der Zwanziger,
+dabei schlank, hübsch, gebildet, mit einem Geiste begabt, der gern
+das Regiment führte und es liebte sein Licht leuchten zu lassen.
+Was war natürlicher, als daß der schon in den Dreißigen stehende
+Dobler wünschte ihr einen Mann zu verschaffen? Er konnte dann selbst
+heirathen, was bei der Anwesenheit der herrschaftgewohnten Schwester
+nicht zu rathen war, und sie hatte für ihr Talent den rechten Boden und
+das Glück ihres Lebens gefunden. In Forstner hatte der sorgliche Bruder
+gleich den Mann erkannt, der für seine Schwester in jeder Hinsicht
+passend war, den liebenswürdigen, begabten, im Hause zu leitenden Mann,
+und in dieser Ueberzeugung hatte er gehandelt.
+
+Das Verhältniß des neuen Freundes zu einem Bauernmädchen seines Dorfes
+konnte ihm begreiflicherweise nicht verborgen bleiben. Allein er faßte
+es nicht so ernst auf, als es war; er glaubte nicht, daß ein solches
+Mädchen dem feinen Mann genügen könne, und nahm an, es sei gut für
+beide, wenn die Bekanntschaft rechtzeitig abgebrochen würde. Da nun
+in seiner Geburtsstadt eine Stelle vacant wurde, so spannte er alle
+Segel auf, die Ernennung Forstners durchzusetzen. War er nur erst hier,
+dachte er, so löste sich das Verhältniß mit Christine von selbst, und
+das ihm wünschenswerthe knüpfte sich.
+
+Als Dobler nach der Uebersiedlung des Collegen das erste vertraute
+Gespräch mit ihm hatte, mußte er sich freilich überzeugen, daß er sich
+getäuscht. Er hatte mit einiger Deutlichkeit auf den Busch geklopft,
+hatte von einer Frau gesprochen, die sich der angestellte hübsche junge
+Mann unter den schönen Mädchen des Orts auswählen könne, und Forstner
+war genöthigt gewesen, ihm zu sagen, daß er ernstlich verlobt sei und
+daß er seine Braut hieher berufen habe, um sich im Frühjahr mit ihr
+trauen zu lassen.
+
+Christine kam an, und die Hoffnung des Stadtlehrers, den Freund zu
+seinem Schwager zu machen, schien gänzlich gescheitert. Dobler hatte
+der Schwester den Phönix unter den Rieser Lehrern schon vor seiner
+Ankunft gerühmt, ihr seinen Plan mitgetheilt, und Wilhelmine war sehr
+neugierig gewesen, ihn kennen zu lernen. In der That gewann Forstner
+auch gleich bei der ersten Zusammenkunft ihren vollen Beifall und
+konnte aus ihrem Benehmen wohl schließen, daß unter andern Umständen
+eine Bewerbung von seiner Seite hier keine ungünstige Aufnahme gefunden
+hätte. Aber seine Treue gegen Christine wurde auch in Gedanken nicht
+erschüttert. Wilhelmine hatte offenbare Vorzüge der Gestalt und
+der Bildung; aber wie artig sie war und wie zuvorkommend sie ihn
+behandelte, so ahnte der junge Mann in ihr doch den herrschenden Geist
+und konnte nicht umhin, eine gewisse Scheu vor ihr zu fühlen. Sein Herz
+und seine Phantasie hingen an der Verlobten; ihr naturfrisches Bild
+erschien ihm unvergleichlich poetischer, als die Eleganz der Städterin;
+er blieb bei seiner ersten ernstlichen Neigung und hielt sein Wort.
+
+Dobler und Wilhelmine bewerkstelligten einen anständigen Rückzug. Sie,
+von ihren Vorzügen durchdrungen, konnte nicht alle Hoffnung aufgeben
+und freute sich zu hören, daß Forstner seinen Dorfschatz erst noch
+bilden wolle, bevor er Hochzeit machte. Ehe so Eine gebildet wurde,
+konnte gar manches geschehen. Der sonst so verständige Mann werde
+Vergleichungen anstellen und Augen bekommen für den Unterschied
+zwischen ihr und einer Bäuerin, und dann werde sich zeigen, wer den
+Platz behaupte. Natürlich fühlte sie durch die Zurückhaltung Forstners
+auch ihren weiblichen Stolz gekränkt und ihre Ehre herausgefordert.
+Das Versagte reizte sie und ihr Wohlgefallen an ihm steigerte sich zum
+leidenschaftlichen Wunsch, ihn zu erobern. Sie war indeß klug genug,
+ihre Gefühle zu verbergen, zu warten und ihre Zeit zu ersehen.
+
+Als sie durch Mamsell Adelheid gelegentlich hörte, wie plump Christine
+im französischen Kleid aussehe und wie ungeschickt sie sich zu aller
+feineren Arbeit anlasse, hatte sie die erste freudige Empfindung.
+Eine süße Hoffnung schwellte ihr Herz. »Er wird mir kommen!« rief
+sie, als sie allein war, mit der Zuversicht des Stolzes. Und auch
+sie rechtfertigte ihren Plan und ihr Verhalten durch die Annahme, es
+sei für das Bauernmädchen viel besser, wenn sie wieder in ihr Dorf
+zurückginge und das Weib eines Bauern würde.
+
+Wenn Forstner in ihr Haus kam, zeigten Bruder und Schwester, die sich
+mit einander verständigt hatten, nur freundschaftliche Theilnahme an
+ihm und seinem Verhältniß. Man erkundigte sich, wie Christine sich in
+der Stadt gefalle; man begriff, daß er sie jetzt noch nicht unter die
+Leute bringen wolle, man fragte nach ihren Fortschritten u. s. w. Als
+der Lehrer, zutraulicher gemacht, sich über die Langsamkeit beklagte,
+womit die Schülerin lernte, und über die sonderbaren Antworten, die er
+von ihr zuweilen erhalte, tröstete man ihn. Das sei begreiflich, würde
+bei jeder andern auch der Fall sein, und er solle darum den Muth nicht
+verlieren; zuletzt werde alles auf einmal kommen. War er über Christine
+betrübt, ja konnte er einen ernstlichen Unmuth nicht verbergen, dann
+ließ man ihn wohl auch reden und hörte mit bedauerndem Antheil zu. Man
+bot alle Freundlichkeit und Herzlichkeit auf, ihn zu beruhigen, und
+man entfaltete alle geselligen Talente, ihn zu entschädigen. Er sollte
+nicht anders können, er sollte sich genöthigt sehen, Vergleichungen
+anzustellen, die zu Gunsten der Prätendentin ausfallen mußten.
+
+Die Folge war, daß Forstner, so oft er Verdruß empfand und Trost
+bedurfte, das Haus der Freundschaft aufsuchte. Die Scheu vor Wilhelmine
+hatte sich verloren; denn er mußte sich ja überzeugen, daß sie nur
+sein Bestes wollte und wahrer Anhänglichkeit fähig war. Der Umgang mit
+ihr und Dobler wurde ihm Bedürfniß.
+
+Er war der Gefährlichen schon sehr nahe gekommen. Er hatte in der That
+und wiederholt Vergleichungen angestellt; er hatte sich gesagt, daß
+die gebildete Städterin doch in jeder Hinsicht besser für ihn passen
+würde -- und das Verhältniß zu Christine war ihm eine Fessel geworden,
+die ihn beengte und drückte. Da kam, durch Vetter Kahl eingeleitet,
+nach dem letzten Streit mit der Verlobten die Versöhnung; es kamen die
+Feiertage und die wechselseitige Beschenkung; es kam der Besuch und das
+Mittagsmahl, wo man insgesammt wieder Ein Herz und Eine Seele wurde.
+
+Als er nun aber in Folge erneuerter vergeblicher Versuche mit Christine
+dazu gekommen war, auf ihre Ausbildung, wie er sie sich erst gedacht
+hatte, zu resigniren, machte er eine eigene Erfahrung, eine Erfahrung,
+die Kennern des menschlichen Herzens nichts neues ist und die, wie er
+einmal war, in seine Beziehungen überhaupt eine Veränderung bringen
+mußte. Das stärkste Band, das uns an eine werthe Person knüpft, ist
+die Hoffnung, sie werde die Herzenswünsche, die wir für sie und für
+uns hegen, erfüllen und dem Bild entsprechen, das wir im Geist ihr
+vorhalten. Zaudert sie dieß zu thun, und glauben wir uns getäuscht,
+dann wird an die Stelle der entflohenen Hoffnung zunächst die
+Beschämung, der Unmuth und der erzürnte Vorwurf treten. Aber der Unmuth
+ist immer noch ein Band, das uns an die Erkorene fesselt. Immer ist
+unser Blick auf sie gerichtet; sie wollen wir strafen, sie wollen wir
+bessern, sie wollen wir zwingen, unserem Willen sich zu fügen, und wir
+haben kein Auge für andere. Endet aber der Unmuth in Entsagung, dann
+droht der Existenz des Verhältnisses selber Gefahr. Wir sind nicht mehr
+beschäftigt, weder durch Hoffnung und Freude, noch durch Verdruß und
+Schmerz, und es ist Raum geworden für die Gleichgültigkeit.
+
+Eine ähnliche Erfahrung war es, die unser Lehrer machte. Eben in der
+Resignation wurde er frei gegen die Verlobte, seine Augen wurden
+aufgethan für die Vorzüge der Freundin, und die Wagschale neigte sich
+wieder und viel stärker zu ihren Gunsten.
+
+Forstner hatte jedoch nur auf Eines resignirt bei Christine: auf
+ihre Geistesbildung. Die Hoffnung, daß sie das Benehmen lernen werde,
+mit dem sie in der Stadt als seine Frau durchkommen könnte, hatte er
+noch nicht aufgegeben. Und wenn seine Neigung zu ihr gesunken war, so
+bestand doch noch das Wort, das er ihr gegeben und das er sich nicht
+zu brechen getraute. Er faßte sich kurz und entwarf einen andern Plan.
+Er wollte nicht zuerst ihren Geist bilden und das feinere Benehmen als
+natürliche Folge davon erwarten; er wollte nun praktischer verfahren
+und sie in bessere Gesellschaft bringen, damit sie zunächst das
+Leichtere lerne. Stellte sie sich am Anfang auch ungeschickt, mit der
+Zeit lernte sie doch die nöthigen Formen, und es erfüllte sich ihm
+wenigstens Eine Hoffnung.
+
+Nachdem er dieß beschlossen hatte, war auf die Frage: wohin zuerst?
+bald geantwortet. Welches Haus lag ihm zu jenem Zweck näher, als das
+seines Collegen? Von wem konnte die Verlobte mehr lernen als von
+Wilhelmine? Hatte die Mamsell (in jener Zeit mußte sich auch die
+Schwester des Stadtlehrers noch mit diesem Titel begnügen) doch zwei
+Jahre bei Verwandten in Nürnberg gelebt und war seit ihrer Zurückkunft
+eine Zierde der bürgerlichen »Erheiterung« ihrer Stadt! -- Christine
+konnte nun zeigen, ob sie für ihn auch etwas zu thun im Stande sei, und
+ob sie sich mindestens das Nothdürftigste anzueignen vermöge. Sie mußte
+ihm gehorchen. Ihr alles zu erlassen, ihr alles nachzusehen, das war
+nicht von ihm zu verlangen.
+
+Er fragte bei Dobler an, ob er die Verlobte bringen dürfe, ob er
+Mamsell Wilhelmine nicht damit belästige? »Im Gegentheil,« erwiederte
+diese, »Sie machen mir die größte Freude.« -- Und das war ganz richtig.
+Sie empfand die größte Freude, sich neben dem Dorfmädchen sehen zu
+lassen, ihre Ueberlegenheit beweisen und sie vor dem Bräutigam tief in
+Schatten stellen zu können.
+
+Als dieser die Braut aufforderte, mit ihm einen Besuch bei seinem
+Collegen zu machen, fand er zuerst entschiedenen Widerstand. Fühlte
+sie überhaupt eine Scheu, zu »fremden Leuten« zu gehen, so war ihr der
+Gedanke, gerade mit diesen anzufangen, besonders fatal. Wilhelmine
+hatte schon von weitem einen unangenehmen Eindruck auf sie gemacht. Sie
+hatte von den häufigen Besuchen Forstners in ihrem Hause gehört, und
+wenn sie nach den letzten Erfahrungen nicht an seiner Treue zweifelte,
+so mußte sie doch in ihr eine Nebenbuhlerin argwöhnen. Der Ruf der
+Feinheit und Geschicklichkeit, den die Mamsell sich erworben, flößte
+ihr Furcht ein, und sie hatte eine sehr deutliche instinktmäßige Ahnung
+von ihrer Gesinnung in Bezug auf sie. Der Verlobte redete ihr aber zu,
+er unterstützte seine Gründe mit einer ernsten Willenserklärung; sie
+wußte ihm zuletzt nichts mehr zu entgegnen und sagte mit Ergebung: »Nun
+meinetwegen!« -- Zu ihrer Einwilligung hatte doch auch die Neugierde
+beigetragen, diese Wilhelmine näher kennen zu lernen und den Bräutigam
+bei ihr zu sehen.
+
+An einem Sonntag Abend fand der Besuch statt und verlief ungefähr so,
+wie Christine gefürchtet. Wilhelmine war beim Empfang seelenvergnügt,
+das Gefühl der Ueberlegenheit strahlte ordentlich aus ihrem Gesicht;
+aber sie nahm sich zusammen und milderte es zu einer herablassenden
+Freundlichkeit, die freilich für den damit Begnadeten auch gerade
+nichts Schmeichelhaftes hat. Christine trat befangen und gezwungen
+auf, und der Ausdruck in dem Gesicht der Mamsell, den sie wohl
+verstand, machte sie confus. Man setzte sich, und Wilhelmine begann die
+Unterhaltung mit allerlei Erkundigungen. Sie fragte das Dorfmädchen
+aus, wie man ein Kind ausfragt, und belächelte ähnlich ihre naiv
+klingenden Antworten. Christine sah gleich, wie sie mit ihr daran war;
+sie erkannte in ihr eine Art Adelheid, die zwar feiner, aber im Grunde
+ihres Herzens viel schlimmer sei als die Sticklehrerin. Gewissermaßen
+Hülfe suchend richtete sie ihre Augen auf den Verlobten. Dieser stand
+ihr auch bei und antwortete für sie; aber er that ihr's viel zu höflich
+und versäumte die Gelegenheit, der vornehmen Person bei ihren unnützen
+Fragen etwas hinauszugeben. Sie bemerkte überhaupt zwischen beiden
+einen vertrauten Ton, der ihr nicht gefallen wollte, und überdieß in
+den Reden ihres Bräutigams gegen die Mamsell einen Respekt, der für sie
+etwas Kränkendes hatte, weil er im Gespräch mit ihr nicht zum Vorschein
+kam. Es wurde ihr sehr unbehaglich zu Muthe und sie war froh, als
+Wilhelmine sich zum Klavier setzte und die Unterhaltung, so weit sich
+Gelegenheit dazu bot, dem Bruder überließ, der ihre Rolle in milderen
+Formen, und wir können sagen auch mit mehr Gutmüthigkeit fortsetzte.
+Die Wirthin spielte und sang; sie that beides gut, und Christine
+freute sich endlich daran und lobte sie aufrichtig, obwohl die Lieder
+selbst ihr nicht so schön vorkamen, wie die, welche man in ihrem Dorfe
+sang. Die Musik löste ihre Seele dennoch und sie fing an sich wohler
+zu fühlen. Als aber Forstner ein neues Lied der Sängerin beklatschte
+und ihren Vortrag mit großer Wärme für ganz vortrefflich erklärte, da
+fühlte sie sich wieder getrübt und gedrückt und war durch nichts mehr
+zu erheitern. Beim Abschied reichte Wilhelmine der Stadtnovize die Hand
+und erklärte mit lächelndem Wohlwollen, es würde ihr sehr angenehm
+sein, wenn sie ihr recht oft die Ehre geben wollte. Christine fühlte
+den Spott, der sich das Wohlwollen als Maske vorgenommen hatte, sagte
+aber doch den schicklichen Dank, und athmete tief auf, als sie mit
+Forstner auf der Straße war.
+
+Auf dem Heimweg fragte sie dieser, wie es ihr gefallen habe. Sie
+erwiederte: »Ich muß dir aufrichtig sagen, mir hat's nicht gefallen.«
+-- »Und warum nicht?« -- »Ich passe nicht für solche Leute und komme
+nur in Verlegenheit bei ihnen.« -- »Das wird sich geben,« bemerkte
+der Bräutigam tröstend, »und dann wirst du den Umgang mit gebildeten
+Frauenzimmern angenehm finden.« -- »Das mag sein; aber dann müssen die
+gebildeten Frauenzimmer besser sein, als diese Wilhelmine.« -- »Wie
+so? Ist sie unhöflich gegen dich gewesen?« -- »Das nicht, aber sie hat
+gegen mich ein Wesen angenommen, wie eine gnädige Frau, und das ist
+sie doch noch lange nicht. Ich hab' auch wohl gemerkt, daß sie mich
+ausgelacht hat.« -- »Warum nicht gar!« rief Forstner dagegen. »Nun ja,
+ein paar von deinen Antworten sind freilich von der Art gewesen, daß so
+Eine sie curios finden mußte. Aber das muß man sich gefallen lassen,
+sonst lernt man nichts. Und wenn sie lacht, so lache du wieder!« --
+»Das kann ich nicht,« erwiederte Christine. »Ich seh' schon, bei der da
+wird's mir nie wohl zu Muthe werden.« -- Forstner kam in Eifer. »Das
+ist wieder kindisch!« rief er mit strafendem Ton. »Ich sage dir, gerade
+die ist das Muster, das du vor Augen haben mußt, wenn du das rechte
+Benehmen lernen sollst! Du mußt zu ihr gehen, und wenn es dir zehnmal
+nicht wohl bei ihr zu Muthe wird. Umsonst hat man nichts in dieser Welt
+und ohne Mühe und Anstrengung kommt niemand vorwärts.«
+
+Sonderbare Empfindung, auf der sich unser Lehrer an diesem Abend
+ertappt hatte! Die Verwirrung, das Ungeschick, die naiven Antworten,
+durch welche die Braut einigemal in der That komisch wurde, beschämten
+ihn nicht so, wie sie es früher gethan hätten. Er gönnte ihr den Spott,
+der ihm begreiflicherweise nicht entgangen war, als gerechte Strafe für
+ihre Mängel. Mußte er doch auch die Folgen einer Verpflichtung tragen,
+die er einmal eingegangen hatte, und zum bösen Spiel gute Miene machen!
+
+Nach Verfluß einer Woche forderte er Christine mit einer Art von
+Genugthuung auf, den Besuch bei Dobler zu wiederholen. Er hatte fest
+beschlossen, sie nicht zu schonen. Sie mußte entweder etwas profitiren
+oder den verdienten Spott hinnehmen. Zog sie sich ihn zu, so war er
+ihr auch gesund, und es war Schwäche, ihr ihn ersparen zu wollen. --
+Als Christine zagend erwiederte, sie thue es ungern, recht ungern, kam
+wieder eine Reihe von Gründen zum Vorschein, denen zu widerstehen sie
+keine Macht hatte. Sie ging mit, wie das Opfer zur Schlachtbank.
+
+Wilhelmine war diesen Abend in bester Laune. Sie hatte den Verlobten
+ausgeholt und glaubte annehmen zu dürfen, daß er im Innersten seines
+Herzens wünschte, das Verhältniß mit Christine aufgelöst zu sehen.
+Als diese nun mit ihm ankam und in ihrem ganzen Wesen ihre Stimmung
+offenbarte, zeigte sich auf dem Antlitz der Sicheren jene Heiterkeit,
+welche demüthigen soll, und mit dieser Absicht wahrhaft beleidigt.
+Die Reden waren dagegen um so freundlicher und schmeichelhafter, und
+die gute Christine war gezwungen, dankende Antworten darauf zu geben,
+die ihr nicht von Herzen gingen und ihr durchaus nicht zu Gesichte
+standen. Forstner konnte nicht umhin, bei diesen Erwiederungen zu
+lächeln; er sah Wilhelmine an und ihre Blicke tauschten ihre Gedanken
+aus. Christine sah diese Blicke, ahnte ihre Bedeutung, und setzte sich,
+einen Pfeil im Herzen, zur Gesellschaft.
+
+Außer der Familie Dobler waren noch zwei Freundinnen Wilhelmines
+da, gleich ihr belesen, und namentlich bewandert in der städtischen
+Leihbibliothek. Man fragte sich, wie eines und das andere der neueren
+Bücher gefallen habe, man lobte und tadelte, und es entwickelte sich
+ein Gespräch, das gerade nicht von Geist übersprudelte und keineswegs
+mit gerechten und feinen Urtheilen geziert, aber vielleicht eben
+darum für unser Dorfkind zu hoch war. Die Gute blickte stumm für
+sich hin und horchte in der Hoffnung, daß man zuletzt doch auf etwas
+kommen müsse, wo sie auch mitreden könne. Endlich leuchtete ihr ein
+Ausspruch im Allgemeinen ein: sie glaubte zeigen zu müssen, daß sie
+ihn verstanden habe, und nickte beistimmend. Wilhelmine, die gebotene
+Gelegenheit ergreifend, fragte: »Haben Sie die Erzählung auch gelesen,
+Jungfer Christine?« Diese mußte mit Nein antworten, und um sich zu
+entschuldigen, fügte sie hinzu, daß sie zum Lesen immer noch nicht
+recht kommen könne. -- »Was thun Sie denn aber den ganzen Tag?« fragte
+die Gebildete. Christine erwiederte: »Ich lerne -- ich nähe, stricke,
+ich sticke und helfe kochen.« -- »Das Nähen und Stricken,« warf die
+andere hin, »ist Ihnen wohl lieber als das Lesen?« -- »Ich kann's
+nicht leugnen,« war die ehrliche Antwort. »Was man von Jugend auf
+getrieben hat, was man versteht und was einem leicht geht, das thut man
+gern.« -- »Nun,« versetzte Wilhelmine lächelnd, »da würden Sie wohl
+auch lieber Korn schneiden und dreschen als lesen?« Ein spöttisches
+Vergnügen belebte bei dieser Frage die Gesichter der Freundinnen.
+Christine fühlte die Absicht derselben, die Galle stieg ihr auf und
+sie entgegnete: »Warum nicht? Das Dreschen ist zwar eine grobe Arbeit
+und verträgt sich nicht recht mit feiner Lebensart; aber das Lesen,
+scheint's, macht auch nicht immer fein und höflich.« -- Damit hatte die
+Gebildete auch ihren Hieb. Sie schwieg und lächelte. Es war aber nicht
+mehr das überlegene, sondern das aushelfende Lächeln, das den Mangel
+einer treffenden Erwiederung decken soll, bis die Gelegenheit zur Rache
+kommt.
+
+Zunächst lenkte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand, wobei
+sie zu ihrem Vortheil erscheinen mußte und Christine zum Schweigen
+verurtheilt war. Sie sprach von Nürnberg und erzählte, was sie dort
+gesehen und welche Bekanntschaften sie gemacht. Der edle Gegenstand
+machte auch das Herz des gereizten Frauenzimmers wärmer und
+honetter; sie rühmte die Schönheit der Stadt, die Gastlichkeit und
+die Geselligkeit der Bewohner so gut, daß Christine im Verlauf der
+Erzählung ihren Groll vergaß und ihr mit Vergnügen zuhörte. Forstner
+und der Bruder, welche die Perle der vaterländischen Städte kannten und
+liebten, gaben ihre Bemerkungen dazu, und die Spannung löste sich in
+allgemeine Vertraulichkeit.
+
+Christine gehörte zu den Naturen, die verzeihen können, wenn sie in
+denen, die sie verletzt haben, nur auch wieder etwas Gutes sehen.
+Sie setzte sich zu Wilhelmine, lobte sie und suchte dadurch ihren
+Stich von vorhin wieder auszugleichen -- das arme Kind! Wilhelmine
+nahm die Anerkennung als etwas auf, das ihr gebühre, und schritt, nur
+ihre Erhöhung im Auge, zur Entfaltung eines neuen Vorzugs. Sie hatte
+mit Forstner in den letzten Tagen ein vierhändiges Stück eingeübt,
+besonders gefällige und reizende Musik. Von ihren Freundinnen gebeten,
+etwas zu spielen, forderte sie den Lehrer auf, und beide setzten sich
+an's Clavier. Das Spiel ging vortrefflich zusammen und die Zuhörer
+waren bald voll Bewunderung. Christine war aufgestanden und näher
+getreten. Sie sah die beiden, wie sie Ein Herz und Eine Seele waren
+und zusammen paßten, als ob sie für einander geschaffen wären. In ihre
+Bewunderung mischte sich ein demüthigendes, niederschlagendes Gefühl:
+sie erkannte, daß ihr gerade das fehlte, was an Wilhelmine zu Forstner
+so besonders paßte. Nachdem ein brillanter Schluß den musikalischen
+Vortrag gekrönt hatte, brach die Gesellschaft in den lautesten Beifall
+aus. Die beiden dankten, sahen sich in's Auge und lächelten sich an,
+zufrieden und glücklich. Eifersucht -- zum erstenmal helle, klare
+Eifersucht loderte in dem Herzen der Verlobten auf. Eine peinliche
+Empfindung lastete auf ihr, zum geringsten Theil auf Neid, zum größten
+auf der klaren Anschauung eigenen Unvermögens und Unwerthes beruhend.
+In ihrem Herzen fing es wieder an zu gähren und zu beben; aber sie
+bezwang sich, wie viel es sie auch kostete, trat mit Fleiß zu der
+Gefeierten und sprach ihren Dank und ihre Bewunderung auf ihre Art aus.
+Es sei doch wahrhaftig zum Erstaunen, wie schön sie's könne und mit
+welcher Geschwindigkeit! Sie begreife nicht, wie man so schnelle Finger
+bekommen und ein so langes Stück spielen könne, ohne einen Fehler zu
+machen. Wilhelmine erwiederte: das lerne sich durch Uebung; man müsse
+sich eben recht dran halten, dann gebe sich alles.
+
+In dem Uebermuth, den der Beifall in ihr angeregt, in der Erinnerung
+an die kleine Schlappe, die sie von dem Dorfmädchen erlitten hatte,
+fuhr der böse Geist in ihr Herz. Sie suchte ihren sanftesten Ton, gab
+ihrem Gesicht den mütterlichsten Ausdruck und sagte: »Sie müssen das
+auch lernen, liebe Christine. Wenn man einen so geschickten Musiker
+zum Bräutigam hat, wie Sie, darf man die Gelegenheit nicht versäumen,
+sich in die Kunst einweihen zu lassen.« -- »O,« rief Christine, »das
+würde nicht gehen!« Die Mamsell hatte unterdessen ihre Hand ergriffen,
+welche die ländliche Derbheit immer noch bedeutend zur Schau trug,
+und betrachtete sie und drehte sie hin und her. »Die Finger,« sagte
+sie mit anmuthigem Kopfwiegen, »sind freilich noch etwas zu stark und
+zu schwer, sie verrathen noch zu sehr die Arbeit mit der Sichel und
+der Heugabel und würden vorläufig zum Klavierspiel noch nicht ganz
+geschickt sein. Aber man muß an nichts verzweifeln, mit der Zeit ändert
+sich alles, und auch diese Glieder können noch leicht und gelenkig
+werden.« Die Gesichter der Freundinnen zeigten bei diesen Worten
+zugleich Schadenfreude und Spannung -- die Hand der Verhöhnten zuckte.
+Wie gern hätte sie der boshaften Person gezeigt, daß ihre Finger, wenn
+auch nicht zum Klavierspiel, doch zur Ertheilung einer wohlverdienten,
+tüchtigen Ohrfeige ganz vortrefflich paßten! Aber sie mußte sie ruhig
+zurückziehen und sich alle Mühe geben, ihre Gekränktheit sich nicht
+anmerken zu lassen. Ihren Unmuth hinunterschluckend erwiederte sie
+aber: »Meine Finger sind eben wie sie sind, und wenn sie nicht zum
+Klavierspielen passen, so ist das mein geringster Kummer. Ich bekomme
+einen Mann und eine Haushaltung und werde nicht nöthig haben, mir mit
+Singen und Spielen die Zeit zu vertreiben.« -- Das war auch nicht ganz
+übel. Forstner, der bei der Verhöhnung der Hand, die noch immer seinen
+Verlobungsring trug, eine entschieden mißbilligende Miene gezeigt
+hatte, ergötzte sich an der Replik und die Freundinnen der Getroffenen
+dachten im Stillen: da seht mir die Bäuerin! Wilhelmine aber hielt
+aus und sagte lächelnd: »Das ist freilich wahr!« Bei sich aber dachte
+sie: wir wollen sehen, du Rieser Gänschen! -- College Dobler begann
+einen andern Discurs, der das Vorgefallene in Vergessenheit zu bringen
+bestimmt war, und man trennte sich unter höflichen Redensarten.
+
+Die Verlobten legten den Weg zu Kahl schweigend zurück, da beide
+keinen Beruf in sich spürten, die Erlebnisse des Abends zu besprechen.
+Christine hatte sich überzeugt, daß die Mamsell darauf ausgehe, sie vor
+ihrem Bräutigam zu beschämen und zu beschimpfen; sie nahm sich vor, nie
+wieder in ihr Haus zu gehen. Wie es mit ihr und ihm stehe, das wollte
+sie doch erfahren und dann sehen, was zu thun sei. -- Forstner hatte
+das Haus mit einer sehr gemischten Empfindung verlassen. Die Absicht
+Wilhelminens war deutlich genug. Obwohl nun ihr heutiges Betragen
+gegen seine Braut ihn wirklich verletzt hatte, so lag in dem letzten
+Endzweck, ihm besser gefallen zu wollen als diese, für ihn doch immer
+noch etwas, das einen mildernden Schein auf ihr Benehmen warf und keine
+rechte Entrüstung in ihm aufkommen ließ. Er faßte den Entschluß, zu ihr
+zu gehen, ihr die unpassende Art, Christine zu necken, vorzuhalten und
+sich die gehörige Rücksicht für sie auszubitten.
+
+Gleich am andern Tag führte er seinen Vorsatz aus. Als man an der
+Einleitung sah, wohin er wollte, ließ man ihn gar nicht ausreden. Die
+Mamsell hatte sehr wohl gefühlt, daß sie zu weit gegangen war, und der
+Bruder hatte ihr zu Gemüthe geführt, daß das nicht die Art wäre, seinen
+Collegen zu gewinnen. Der Verstand hatte über das gereizte Gefühl
+gesiegt, und die Gewandte fiel nun dem Freund mit zerknirschter Miene
+ins Wort: »Ich habe sehr gefehlt -- es ist wahr und ich weiß es! Sie
+selber können mich nicht schärfer anklagen, als ich es schon gethan
+habe. Ich hab' einen Scherz machen wollen, aber ohne daß ich bedachte,
+was ich that, hab' ich Dinge gesagt, die ihrer lieben Braut weh thun
+mußten. Verzeihen Sie mir! Ich hab' es gebüßt, und es soll nie wieder
+geschehen!«
+
+Damit war Forstner entwaffnet. Er erwiederte: »Wenn Sie so denken,
+dann ist's um so besser; und ich will Ihnen nicht verbergen, daß Sie
+mir damit eine Freude machen. Wohin sollt' ich Christine bringen und
+wo sollte sie die rechte Art lernen und den gehörigen Muth in der
+Unterhaltung, wenn nicht in diesem Hause?« -- »Nun,« sagte Wilhelmine
+mit halbem Lächeln, »an Muth und auch an Geistesgegenwart fehlt es ihr
+gerade nicht. Haben Sie gesehen, wie sie mir gestern geantwortet hat?
+Sie hat mich fühlen lassen, daß ich nicht so glücklich bin wie sie!«
+-- Forstner verwirrte sich einigermaßen und sagte um so rascher: »Ich
+werde also nächstens wieder mit ihr kommen, und danke Ihnen für Ihre
+Gefälligkeit.«
+
+Ein paar Tage darauf gewann es die Schwester des Stadtlehrers über
+sich, der Verlobten einen Besuch abzustatten. Christine war zufällig
+nicht zu Hause. Als sie später davon hörte, sagte sie ruhig: »So, die
+ist dagewesen? Sie wird nimmer kommen, schätz' ich.« Die Base sah das
+Mädchen verwundert an, machte dann aber ein Gesicht, als ob sie den
+Sinn ihrer Worte begriffe.
+
+Wieder ein paar Tage und Forstner kam zu Christine und sagte: »Heute
+ist Gesellschaft bei Dobler und wir sind eingeladen. Halte dich bereit.
+Nach sechs Uhr komm ich und hole dich ab.« -- Christine erwiederte:
+»Ich geh' nicht hin.« -- »Wie soll ich das verstehen?« entgegnete
+der Verlobte. »Willst du gar nicht mehr« -- -- »Allerdings,« rief
+Christine, indem eine leichte Röthe ihr Gesicht überzog -- »ich will
+gar nicht mehr in dieses Haus gehen!« -- »Und warum nicht?« -- »Weil
+ich zu gut dazu bin, um mich von einer boshaften Person aufziehen und
+verspotten zu lassen.« -- »Du nimmst den kleinen Spaß, den Wilhelmine
+sich gemacht hat, viel zu ernsthaft. Ueberdies bereut sie ihn und wird
+dir von jetzt an alle Ehre anthun, die du erwarten kannst.« -- »Ich
+glaub's nicht.« -- »Sie hat mir's selber gesagt.« -- »Das mag sein,
+aber ich glaub's doch nicht. Die mag sich vornehmen und versprechen was
+sie will, sie wirds doch nicht halten und es bei nächster Gelegenheit
+ärger machen als vorher. Aber dafür thu' ich ihr!«
+
+Dem Verlobten stieg nun gleichfalls das Blut ins Gesicht. »Wenn du so
+denkst,« rief er in seinem Hofmeisterton, »dann wirst du niemals die
+Manieren lernen, niemals die Bildung, die« -- Aber das Mädchen fiel ihm
+in gerechter Entrüstung in die Rede: »Geh mir doch mit deiner Bildung!
+Wenn das Bildung ist, Leute, die einen besuchen, so zu behandeln, wie
+diese Mamsell mich behandelt hat, dann will ich lieber ungebildet sein
+und bleiben mein Leben lang. Wenn die Bildung die Leute nicht besser
+macht und aufrichtiger, dann geb' ich keinen Pfifferling um sie!«
+
+Forstner schwieg; er war von der ungewohnten Entschlossenheit und
+Heftigkeit betroffen. Endlich sagte er: »Du bist empfindlich und machst
+aus einer Mücke einen Elephanten!« -- Christine sagte: »Ich mach mir
+nichts aus den Dingen, die geschehen sind; aber ich mach' mir alles aus
+der Person, die mir's gethan hat. Die ist falsch gegen mich und wirds
+bleiben, und mit ihr will ich nichts mehr zu thun haben.« -- »Du irrst
+dich,« erwiederte Forstner nochmal im Ton der Ueberredung. »Sei klug,
+geh heute noch mit hin und überzeuge dich selbst, daß du Unrecht hast.«
+-- »Nie!« versetzte Christine mit dem Ausdruck eines unerschütterlichen
+Gefühls; »zu der geh' ich nie mehr, um keinen Preis der Welt!« -- »Aber
+ich bitte dich« -- -- »Ich will nicht und ich mag nicht. Du kannst mich
+hinführen, wohin du willst, und ich will's nirgends genau nehmen; ich
+will mir etwas gefallen lassen und Geduld haben -- ich bin gar kein
+solches Christkindle, wie du meinst, und kann auch etwas aushalten;
+aber von Der laß ich mir nichts gefallen, von Der will ich auch nichts
+lernen, und damit gut für heut.«
+
+Forstner war verstummt. Der eigentliche Grund der Weigerung seiner
+Verlobten war ihm klar. Er fühlte, was dafür sprach, er begriff sie,
+und widersprechende Gefühle stritten in ihm. Aber der Verdruß, sie
+wider alles Erwarten gegen seinen ausgesprochenen Willen unbeugsam zu
+finden, überwog zuletzt doch. Er sagte: »Nun, wenn du so eigensinnig
+bist und alles Reden nicht hilft, so bleib zu Hause!« -- »Das will ich
+thun,« erwiederte Christine ruhig. »Und du geh hin zu der gebildeten
+Mamsell und unterhalte dich gut.« -- »Das will ich auch thun,«
+antwortete er und verließ die Stube.
+
+Es giebt eine Schickung in der Welt, die in das Leben der Menschen eine
+gewisse Methode bringt. Ueber den Grund und die mitwirkenden Ursachen
+kann man streiten, über die Thatsache schwerlich. Das Geschick unseres
+Landmädchens war es, in einer Stadt und unter einem Menschenschlag, wie
+es so viele gutmüthige, ehrenhafte, fröhliche und freundliche Leute
+giebt, nur solche näher kennen zu lernen, die sie verletzten und ihr
+das Leben daselbst verleideten. Sie war nun beinahe vier Monate in
+der Stadt, und nicht ihre Hoffnungen, nur ihre Befürchtungen waren in
+Erfüllung gegangen. Doch auch für sie sollte ein Tag der Entscheidung
+kommen.
+
+Forstner hatte sich an jenem Abend geradeswegs zu Dobler begeben, um
+dort, wo nicht Aufheiterung, doch Zerstreuung zu finden. Das Band,
+das ihn an Christine knüpfte, beruhte nur noch in dem Versprechen,
+das er ihr gegeben und in einer Mischung von Gewissenhaftigkeit und
+Zaghaftigkeit, es zu brechen. Die Liebe und die auf sie gegründete
+Achtung waren aus seinem Herzen entflohen; die Hoffnung auf eine
+Aenderung war aufgegeben. In der Klemme, in der er sich befand, konnte
+er einer theilnehmenden Erkundigung von Seiten Wilhelminens nicht
+widerstehen; er erzählte den Auftritt mit der Verlobten und machte
+seinem Herzen in Klagen Luft. Das Herz der Bewerberin klopfte; aber sie
+hielt ihre Empfindung stark zurück und war so klug, mit bedauernder
+Miene Trost und freundschaftlichen Rath zu ertheilen. »Zwingen Sie das
+gute Kind nicht, zu uns zu kommen,« sagte sie mit sanfter Stimme, »und
+haben Sie Geduld mit ihr. Wenn man von Kindheit an auf dem Land gelebt
+und sich an seine Manieren gewöhnt hat, da fällt's einem schwer, sich
+in andere zu finden. Lassen Sie ihr Zeit dazu.« Forstner seufzte. »Ich
+will Geduld haben, ich muß es, denn es ist das Einzige, was mir übrig
+bleibt. Ich hab' mich mit ihr versprochen, sie ist meine Braut -- ich
+muß sie nehmen, wie sie ist.« -- Für Wilhelmine hatte diese Erklärung
+viel mehr Ermuthigendes als Niederschlagendes. Sie erwartete neue,
+heftigere Auftritte zwischen den Verlobten, und in Folge davon die
+Auflösung des Verhältnisses.
+
+Zunächst kam es doch weder zu dem Einen, noch zu dem Andern. Forstner
+hatte eben in der Resignation, die sich nun auf alle seine früheren
+Erwartungen ausdehnte, wieder die Ruhe gefunden, seinen Unterricht und
+seine Unterhaltung mit Christine, äußerlich und obenhin, fortzusetzen.
+Er that es, weil er angefangen hatte, weil die Zeit ausgefüllt werden
+mußte; einen innern Grund gab es nicht mehr. Es waren graue, leere
+Tage der Unentschiedenheit, des Hinwartens, des Gehenlassens. In der
+Verlobten der stille Trotz, in Forstner die Gleichgültigkeit. Nur
+selten und nur auf Momente thauten die Herzen ein wenig auf. Wenn er
+ihr aber dann auch die Hand reichte, so fühlte sie doch nicht mehr den
+Druck der Liebe, und wenn er ihr zum Abschied einen Kuß gab, so war
+es eben eine Ceremonie, ohne wahres Verlangen ertheilt, ohne Glauben
+empfangen.
+
+Dieser Stand der Dinge konnte den Hausgenossen und Bekannten des
+Mädchens natürlich kein Geheimniß bleiben. Man zeigte bedenkliche
+Mienen, man schüttelte den Kopf, und auch die Magd Susanne und Mamsell
+Adelheid konnten sich nicht enthalten, zuweilen mit Blicken wirklichen
+Bedauerns auf sie zu sehen. Man erfuhr, daß der Lehrer immer häufiger
+zu Dobler komme; man sah Wilhelmine vergnügt und stolz über die Straße
+gehen, wie Eine, die ihrer Sache gewiß ist, und man erwartete nicht
+anders, als daß es in kurzem heißen werde: der Herr Forstner hat dem
+Bauernmädchen abgeschrieben.
+
+Daß diese nach und nach zur Ueberzeugung gewordene Ansicht im Gespräch
+mit Christine durchschimmerte, und die Andeutungen, die man gab, nicht
+so fein waren, um nicht verstanden werden zu können, begreift sich.
+Die Base hielt es für ihre Pflicht, noch weiter zu gehen und ihrer
+Verwandten geradezu mitzutheilen, was man in der Stadt über Forstner
+und sein Verhältniß zu Wilhelmine sagte. Christine sah sie einen Moment
+an; dann erwiederte sie: »Ich kann es nicht glauben. So schlecht
+handelt er nicht an mir!« -- Sobald sie aber von der Tagesarbeit frei
+war, suchte sie die Einsamkeit ihrer Stube auf. Sie dachte über die
+Möglichkeit nach, daß es wirklich aus sein könne zwischen ihr und ihrem
+Bräutigam -- aus für alle Zeit. Wird er es thun? wird er sein Wort
+brechen? wird er mich -- -- Der Gedanke, verschmäht und verlassen zu
+werden, trat zum erstenmal in vollster Bestimmtheit vor ihre Seele.
+Und so sehr sie durch Alles, was sie bisher erfahren, darauf hätte
+vorbereitet sein müssen, sie empfand nun doch alle Pein und alle
+Bitterkeit desselben.
+
+In jenem schönen Winter, in welchem sie die Bekanntschaft des Lehrers
+gemacht hatte, war sie von seiner Liebenswürdigkeit in Wahrheit
+bezaubert und seiner Bewerbung zuletzt in leidenschaftlichem Verlangen
+entgegengekommen. Sie war an die Vorstellung gewöhnt, ihm zu gehören
+und ihm treu sein zu müssen, und ihre Liebe hatte alle Anfechtungen
+bestanden, die sie in den letzten Monaten erfahren. Als sie nun in
+ihrer einsamen Erwägung zu dem Schlusse kam: ja, er bricht sein Wort,
+er verläßt dich, er nimmt ~sie~ -- da flammte mit dem Schmerz auch
+all ihre Liebe und Leidenschaft wieder auf. Sie fühlte ein glühendes
+Verlangen, ihn wieder zu gewinnen, ihn zu halten, und sie fragte sich
+mit angstvoller Seele, wie sie's anfangen solle, das Unglück und die
+Schande abzuwenden, die ihr drohten. Sie wollte Alles thun, was in
+ihren Kräften stand, sie wollte lernen, wollte in Gesellschaft gehen,
+wollte sich Tadel und Spott gefallen lassen. Sie wollte dem Bräutigam
+ihre Schuld bekennen, wollte ihn bitten, sie auf die Probe zu stellen
+und ihr das Schwerste aufzugeben. -- Wie sehr sie sich aber zu Allem
+bereit fühlte und welche Wirkung sie sich von ihren Anerbietungen auf
+ihn versprach -- es wollte kein Vertrauen in ihr Herz kommen. Mitten
+in der Selbstermuthigung rief es in ihr: er liebt dich nicht mehr --
+er schätzt dich nicht mehr -- du bist ihm nicht mehr gut genug! -- Sie
+sah vor sich hin und athmete hörbar. Es war die Bewegung der Angst,
+verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht, welche die Brust der Verlassenen
+regelmäßig hob und senkte. Es waren Verzweiflung und Ergebung, die
+ihr Herz erfüllten -- Verzweiflung an ihrem Glück, Ergebung in ihr
+unvermeidliches Elend.
+
+Nach und nach war es dunkel geworden. Die Stille der Nacht wirkte
+heimlicher auf das verwundete Gemüth, als die Oede des grauen Tages.
+Die Ergebung wuchs in dem Herzen der Unglücklichen; sie wurde ruhiger,
+gefaßter. Sie fühlte sich in ihrer dunkeln, einsamen, lautlosen Stube
+der Welt, die ihr so viel Schmerzen gemacht hatte, entrückt und vor
+ihren Angriffen gesichert. Ihre Seele wurde frei zu Vorstellungen, die
+mit ihrem Leide zusammenhingen und traurig waren, aber doch auch etwas
+Wohlthuendes hatten.
+
+Unwillkürlich summte sie ein Lied, und ein schmerzliches Lächeln ging
+über ihr Gesicht. Es war eines der schönsten Volkslieder, das ihr
+in den Sinn kam, ein Lied der Liebe und des Leids, der schlichten
+Entsagung und der Erhebung zu einer ahnungsvollen Vision. Im
+Schwabenlande heimisch und verbreitet, hatte es Christine schon in
+ihrer frühen Jugend gelernt. Da war es freilich nur ein Lied mehr für
+sie, das unter andern gesungen wurde; aber schon damals verfehlte es
+auf einem einsamen Gange oder in der Stille der nächtlich erhellten
+Stube seines Eindrucks nicht. Jetzt sang sie es mit tiefer Empfindung
+und jedes Wort hatte Bedeutung für sie:
+
+ Jezt gang i an's Brünnele, trink aber net:
+ Da such' i mein herztausenda Schatz, find'n aber net,
+
+ Da laß i meine Aeugelein rund ummi gehn,
+ Da seh i mein herztausenda Schatz bei'm Andre stehn.
+
+ Und bei'm Andre stehn sehn, ach das thut weh!
+ Jezt b'hüt di Gott, herztausender Schatz, seh di nimmermehr!
+
+ Jezt kauf i mir Federn und Dint' und Papier,
+ Und schreib mei'm herztausenda Schatz einen Abschiedsbrief.
+
+ Jezt leg' i mi nieder auf Heu und auf Stroh,
+ Da fallen drei Röselein mir in den Schooß.
+
+ Und diese drei Röselein sehn blutigroth;
+ Jezt weiß i net, lebt mei Schatz oder ist er todt!
+
+Ihre Augen waren feucht geworden bei dem Lied; aber wer sie gesehen,
+würde doch einen Glanz darin bemerkt haben, der noch etwas anderes
+ausdrückte als Verlust und Schmerz. Das Gebilde der Poesie hatte seine
+Wirkung geübt; das Leid war der Bedrängten gegenständlich geworden und
+ihre Seele hatte eine Macht darüber erlangt, die immer einen gewissen
+Trost mit sich führt. -- Die Trauer verschwindet freilich nicht in
+einem solchen Falle, sie erhält nur ein milderndes Licht, und das
+Gemüth wird fähig, ihren Gegenstand ruhiger und wie von einer höheren
+Sphäre herab anzusehen.
+
+»Und bei'm Andre stehen sehn, ach, das thut weh!« wiederholte sie und
+setzte hinzu: »Ja, das erfahr' ich nun auch, wie es schon manches
+erfahren hat!«
+
+Sie versank in Stillschweigen. Sie hatte an ihren guten Vetter gedacht
+und fühlte nun plötzlich auf's genaueste, wie es ihm gewesen und was er
+gelitten. -- Ihre eigene Richterin, nickte sie zu wiederholten Malen
+traurig ernst mit dem Haupte und sagte: »Du guter Hans -- du hast's
+auch erfahren -- und ich bin daran Schuld gewesen! Ich hab' deinem
+treuen Herzen weh gethan, hab' deine Lieb' und Freundschaft mit Undank
+vergolten!« -- Sie folgte einem innern Drange, sich vorzustellen, wie
+es damals gewesen, und wie sie jetzt ihr Leid empfand, sah sie ihr
+damaliges Unrecht im hellsten Licht und auf eine Weise, daß das Bild
+davon in ihrem Geiste blieb und nicht wieder ausgelöscht werden konnte.
+Sie übertrieb ihre Schuld und empfand eine Lust, sich damit zu strafen
+und zu quälen. »Ja,« sagte sie, »ich hab' gewußt, wie du gesinnt warst
+gegen mich, ich hab' gewußt, daß du der beste Mensch bist von der Welt
+-- eine so treue, grundgute Seele, wie mir keine sonst vorgekommen ist!
+Du hast an meiner Mutter gehandelt wie ein Sohn, und an mir wie ein
+Bruder, und wir haben deine Wohlthat angenommen, als hätten wir ein
+Recht darauf -- und zum Lohn dafür hab' ich dich betrogen und an der
+Nase herumgeführt. Du warst mir der Gutgnug, wenn kein anderer da war;
+sobald ein anderer kam, ließ ich dich fahren! Ich hab' damals zu mir
+gesagt: »Warum redet er nicht? Er ist selber daran Schuld.« Aber jetzt
+erkenn' ich, was das für eine elende Ausrede gewesen ist! Als ob ich
+nicht gesehen hätte, wie du's mit mir gemeint, als ob ich nicht in dein
+Herz gesehen hätte und in jedes Winkele davon! Ich hab' gewußt, daß
+du mich lieber hast als alles in der Welt, und ich hab' dir das Maul
+gemacht eine Zeitlang, und dann bin ich dir untreu geworden, weil der
+andere schöner und geschickter und vornehmer war, und weil er besser
+schwätzen und schmeicheln konnte. Und wenn ich mich dann auch ein
+wenig geschämt hab', so hab' ich's doch bald wieder vergessen und hab'
+gethan, als ob nichts vorgefallen wäre. O, ich hab' schlecht gehandelt
+-- schlechter als manche, die in's Zuchthaus gekommen ist! Aber ich
+hab' meine Straf' auch gekriegt! So hat's mir gehen müssen, das hat mir
+gehört -- und ich darf mich nicht beklagen, nein, und ich will mich
+auch nicht beklagen. Ich würde nur eine neue Sünde begehen, wenn ich's
+thäte, und ich hab' an denen genug, die ich begangen habe.«
+
+Während dieser Anrede, die sie an den guten Vetter und sich selber
+hielt, waren ihr Thränen in die Augen getreten und herunter gelaufen
+über ihre Wangen, die Worte begleitend, die ihr vom Munde gingen.
+Endlich behaupteten sie allein das Recht und flossen reichlich und
+lange und begossen die Saat einer neuen Erkenntniß.
+
+Das Bauernmädchen hatte den Unterricht eines andern Lehrers empfangen,
+als der gute Forstner ihr sein konnte. Die wahren Einsichten, die
+fruchtbar sind und Macht und Gewalt haben, in ein neues Leben zu
+führen, werden dem Menschen nur durch Schicksale, die er erdulden muß,
+durch Schmerzen, die über ihn verhängt werden und ihm die Augen öffnen.
+Das Unrecht, was wir gethan, wird uns dann klar durch das Unrecht,
+das wir leiden. Haben wir damit aber die Kraft erlangt, uns selber
+zu richten, dann wird uns eben die Strafe und die Buße zur Staffel,
+auf der wir hinansteigen können zu einem höheren Leben. Wo nichts ist
+freilich, da kann auch nichts herauskommen; aber für diejenigen, die,
+wenn auch unter eiteln und selbstsüchtigen Trieben, den Stoff zur
+Erhebung in sich bergen, für diese ist die Züchtigung im eigentlichsten
+Sinn ein Werk der Liebe -- das einzige Mittel ihrer Rettung.
+
+In Christine lag ein Keim, der sich der rettenden Hand darbot -- ein
+Keim der Gutmüthigkeit, ein Keim der Fähigkeit, Reue zu fühlen und
+sich selber das Urtheil zu sprechen. Sie hatte ihr Leid verdient, in
+Wahrheit verdient; aber jetzt, nachdem sie es getragen, verdiente sie
+auch seine Hülfe und sein Heil.
+
+Als sie ausgeweint hatte, fühlte sie eine Stille in ihrem Gemüth, die
+sie vorher nie gekannt, eine Stille nicht blos gedankenlos ruhigen
+Lebens, sondern vereint mit klarer Anschauung ihres Seelenzustandes.
+Sie athmete leicht, als ob sie eine Last abgeworfen hätte; ihre Züge
+waren verwandelt, sie waren lichter und geistiger geworden. Sie war
+gefaßt auf alles, was ihr begegnen mochte. Was über sie kam, es war
+gut, und vielleicht nur um so besser, je schlimmer und schmerzlicher es
+war.
+
+Das ist die heilspendende Kraft, die in der wirklichen Erkenntniß,
+nicht in der bloß vorübergehenden Empfindung begangenen Unrechts liegt.
+Das Leid, das uns unerträglich schien und trostlos machte, nimmt, wenn
+wir eine gerechte Strafe darin erblicken, eine andere Gestalt, ein
+anderes Wesen an. Aus dem Gegner wird ein Helfer zur Freiheit, die
+wir durch Erduldung der Strafe gewinnen. Die Last, die uns zu Boden
+drückte, fällt in unsere Wagschale und hilft unsern wahren Feind
+aufwiegen. Und wir müssen segnen, wo wir geflucht, wir müssen lieben wo
+wir gehaßt haben.
+
+Obwohl die äußere Lage unseres Dorfkindes gegenwärtig um vieles
+schlimmer war als in jener trüben Zeit vor den Feiertagen, so wurde
+sie doch nicht mehr ein Raub der Angst und Verzweiflung. Sie sah genau
+wie es stand und was sie zu fürchten hatte, aber sie blieb ruhig.
+Sie stellte sich vor, daß der Mann, dem zu Liebe sie das beste Herz
+beleidigt und für immer verloren, dem zu Liebe sie ihr Vaterhaus
+verlassen hatte, in die Stadt gezogen und ihrem Stand untreu geworden
+war, in den nächsten Tagen zu ihr kommen und sagen könnte: »es ist aus
+mit uns Zweien, wir taugen nicht zusammen, geh wieder heim in dein
+Dorf!« Aber wie groß die Schmach war, die ihrer dann wartete, und wie
+schmerzlich bei dem Gedanken, ihr ganzes Leben zerstört zu sehen, ihr
+Herz erzitterte, sie faßte sich doch wieder. Sie legte sich nieder und
+sank in dem Frieden der Ergebung in tiefen Schlaf.
+
+Am andern Morgen erschien sie in der untern Stube mit einer Sanftmuth,
+und wir können sagen mit einer Würde in dem etwas blässeren Gesicht,
+daß es allen Hausgenossen auffiel. Es war unmöglich, ihr nicht mit
+Rücksicht zu begegnen. Die Reden beim Mittagessen waren darauf
+berechnet, sie zu erheitern und ihren Geist von ihren Zuständen
+abzulenken, und sie lächelte ein paarmal gutmüthig dazu. Selbst
+Vetter Kahl strengte sich an, eine Geschichte zu erzählen, die er für
+ergötzlich hielt, und freute sich an den Zeichen des Erfolgs. Das
+Verlangen der Schadenfreude, das die Magd früher empfunden hatte, war
+schon lange mehr als gesättigt. Was dem armen Bauernmädchen widerfuhr,
+war ihr gar zu arg, und da sie nun auch so freundlich, so bescheiden
+mit ihr sprach, so empfand sie wahres Mitleid mit ihr.
+
+Als Christine Nachmittags allein in der untern Stube war, machte
+die Bekehrte sich an sie, und jene merkte gleich, daß sie etwas auf
+dem Herzen habe. Auf ihre Frage, was es Neues gebe, begann Susanne
+mit einer scharfen Kritik der Männer im Allgemeinen und fuhr dann
+fort: »Liebe Jungfer Christine, ich hab' mich besonnen, ob ich Ihnen
+sagen soll, was ich heute früh gehört hab'; aber es ist mir doch
+vorgekommen, als ob's besser wäre, wenn Sie es wüßten; denn wenn's
+wahr wäre und Sie es plötzlich erfahren würden -- vielleicht ist's
+aber nicht wahr, man schwätzt gar viel, wenn der Tag lang ist -- aber
+ich glaub' doch, es ist besser, wenn Sie's erfahren« -- -- »Nun,« fiel
+Christine ein, »was ist es denn?« Die Magd sah sie mit großem Bedauern
+an und erwiederte: »Ich hab' heut gehört, daß Herr Forstner mit der
+Mamsell Wilhelmine ganz im Reinen sei, daß sie sich heimlich schon mit
+einander versprochen hätten, und daß Sie sich gefaßt machen müssen,
+-- Sie verstehen« -- -- »Ja wohl,« entgegnete Christine. »Vorläufig
+ist das aber nur ein Gerede, das boshafte Leute ihm aufgebracht haben
+können. Ich werd' es nur dann glauben, wenn ich es von ihm selber
+höre!« -- »Es kann ja sein, daß nichts dahinter ist,« versetzte die
+Magd; »aber es kann auch Grund haben, und gewiß werden Sie mir's
+nicht übel nehmen --« -- »Durchaus nicht, gute Susanne,« erwiederte
+Christine, »ich dank' Ihr dafür. Mag kommen, was da will -- ich hoff'
+es mit Gottes Hülfe zu ertragen.«
+
+Dem Herannahen der immerhin peinlichen Entscheidung vermochte das
+Mädchen doch nicht zu widerstehen. Ihr Geist konnte die Ruhe und
+Stärke nicht behaupten, die er erlangt hatte, und je weiter die Zeit
+vorrückte, je mehr klopfte ihr das Herz im Vorgefühl des Schlages,
+den sie für unvermeidlich hielt. Als sie in der Abendstunde, wo der
+Verlobte heute kommen sollte, in ihrer Stube saß, rang ihr Wille mit
+ihrer Aufregung, und als sie plötzlich seinen Tritt auf der Treppe
+hörte, war es ihr, als ob die Sinne ihr vergehen müßten.
+
+Forstner trat ein und grüßte. Sie nickte nur mit dem Kopf und starrte
+ihn an, in der Meinung, daß die Worte, die sie sich selber schon gesagt
+hatte, ihm ohne Verzug vom Munde gehen müßten. Bald erkannte sie, daß
+sie sich getäuscht. Er nahm an ihrer Seite Platz, um den gewöhnlichen
+Unterricht fortzusetzen. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, als ob er
+Verdruß gehabt, aber den Vorsatz gefaßt hätte, sich nichts merken zu
+lassen. Doch sah sie wohl, daß er sich Mühe geben mußte, mit ruhigem
+und einigermaßen freundlichem Tone zu beginnen.
+
+Forstner hatte sich nicht mit Wilhelmine verständigt. Was die Magd
+Susanne gehört, beruhte auf einer Annahme und einer darauf gebauten
+Versicherung. Er war freilich jeden Tag zu Dobler gekommen und Bruder
+und Schwester hatten ihn mit großer Klugheit nach der Forderung ihrer
+Absichten behandelt. Wilhelmine nahm an, daß er ihr eigentlich schon
+gehörte; sie hatte darum alle direkten Bestrebungen unterlassen, sich
+durchaus in der Rolle einer theilnehmenden Freundin gehalten und
+nur dafür gesorgt, daß ihre Kenntnisse, ihre Zierlichkeit nebst den
+schönsten Geistes- und Herzensgaben dem Verehrer immer deutlicher
+würden. Forstner war auch in der That ganz von ihr eingenommen: die
+feste Ueberzeugung, daß sie die Frau sei, die ihm durch ihren Geist und
+ihre Gaben zu Hause Freude, im Umgang mit Andern Ehre machen würde,
+hatte seine Bezauberung vollendet. Wenn er sich aber dachte, wie er
+mit Christine brechen sollte -- wenn er sich vorstellte, welchen Lärm
+es geben würde, sowohl hier in der Stadt als im Ries unter seinen und
+ihren Bekannten, dann konnte er doch nicht zu einem Entschluß gelangen.
+Er war talentvoll, der gute Forstner, strebend, klug und gewandt; aber
+ein Mann war er nicht und als Mann konnte er nicht handeln. Endlich
+nahm er sich in seiner Verlegenheit vor, mit Christine und ihrer
+Bildungsfähigkeit nochmal einen Versuch zu machen, nochmal zu prüfen,
+was ihr möglich sei oder nicht, und darnach einen Entschluß zu fassen.
+Mit diesem Gedanken war er heute gekommen.
+
+Man sagt sich selbst, daß die letzte Zeit nicht darnach angethan war,
+unserer Christine die Schulaufgaben des Verlobten besonders wichtig
+erscheinen zu lassen und einen erhöhten Lerneifer in ihr anzufachen.
+Die innere Aufregung, die erfahrene Kränkung, das Nachdenken über
+die beängstigende Lage hatten ihr Herz und ihren Geist beschäftigt,
+und wenn sie Zerstreuung bedurfte, konnte sie diese nur in der Haus-
+und Handarbeit finden. In der innern Umwandlung, die an dem einsamen
+Abend mit ihr vorgegangen war, in der gewonnenen Einsicht in ihre
+Schuld, in der Erkenntniß, daß ihr nur mit demselben Maße gemessen
+würde, mit dem sie gemessen hatte, und in dem Troste, den sie daraus
+geschöpft, in der ganzen für sie tiefbedeutsamen Erfahrung dieser Tage
+war ihr der Bildungsflitter, mit dem sie gegen ihre Natur und ihre
+Bedürfnisse behängt werden sollte, in seiner ganzen Seelenlosigkeit
+und Armseligkeit erschienen, und es war ihr, trotz der wohlgemeinten
+Vorsätze, welche die Angst geboren hatte, nicht möglich geworden, auch
+nur ernsthaft daran zu denken.
+
+Die Bildung ist, wie jeder wahrhaft Gebildete weiß, nur Gewinn, wenn
+sich die Materialien, die sie uns zuführt, organisch mit dem Geiste
+verbinden und, in sein Leben sich einfügend, ihn bereichern. Kommt
+es dazu nicht, bleiben diese Materialien ihm äußerlich, dann ist die
+Bildung nur eine sogenannte und Verlust, wie die Speisen, die den
+Leib nähren, wenn sie verdaut werden, unverdaut seine Schwächung
+und Verkümmerung herbeiführen. In solchem Falle ist es dann viel
+besser, jene Stoffe abzuweisen und in seinem Leben und seiner Einheit
+zu bleiben, in einer schlichteren, beschränkteren Einheit, aber in
+einer Einheit. Denn nur die Einheit gewährt ein Bild, und nur die
+Bereicherung, welche die Einheit festhält, verdient in Wahrheit den
+Namen der Bildung.
+
+Christine sagte sich das freilich nicht, aber sie hatte ein Gefühl
+davon und sie handelte darnach. Voll von ihren Anschauungen und
+Gedanken, die wahrlich ohne Vergleich mehr Inhalt und Bedeutung hatten,
+konnte sie es nicht dahin bringen, von der gerühmten Weisheit des
+Pädagogen viel zu halten, und sie hatte darum wieder einen Theil der
+schon eingetrichterten, dem keine Verbindung mit ihrem Innern gelungen
+war, verdunsten lassen.
+
+Der Lehrer, der sie auszufragen begann, sah bald, wie es mit ihr
+stand. Bei der ersten daneben treffenden Antwort, die er bekam,
+zuckte er und konnte nicht verhindern, daß der Blick, mit dem er sie
+ansah, eine ziemliche Dosis Geringschätzung enthielt. Er nahm sich
+indeß zusammen, um die Prüfung fortzusetzen. Er fragte nach einer
+geschichtlichen Thatsache, die er ihr schon wiederholt eingeprägt
+hatte. Christine wurde ängstlich; sie wußte, daß ihr das schon einmal
+bekannt gewesen, und da er nun doch wieder gekommen war und es am
+Ende nicht so bös meinte, als sie gefürchtet, so hätte sie ihn gar
+zu gern mit der richtigen Antwort erfreut. Je hastiger sie aber nach
+dem Abhandengekommenen suchte, desto weniger konnte sie es entdecken;
+sie mußte ihre Unwissenheit eingestehen. »Das wird gut!« sagte
+Forstner mit dem Ausdruck eines Mißmuths, der nur in Folge innerer
+Anstrengung nicht als erzürnte Heftigkeit hervortrat. Endlich richtete
+er eine Frage an sie, die mehr durch den Verstand als das Gedächtniß
+zu beantworten war. Christine, durch das Bisherige verwirrt, hatte
+ihn kaum gehört und gab in ihrer Confusion eine geradezu verkehrte
+Antwort. Nun war der letzte Rest von Kraft und Willen, den aufkochenden
+Unmuth zurückzuhalten, in ihm verzehrt, und es kam zum Ausbruch. Der
+Pedant, der die Perlen seiner Lehre so schlecht gewürdigt sah, fühlte
+sich beleidigt; die Unwissenheit und Unfähigkeit, die er in dieser
+Antwort erblickte, hatte tiefen Widerwillen in ihm erweckt; allein
+er folgte doch keineswegs bloß dem Drange dieser Empfindungen! Die
+Charakterschwäche, die nicht den Muth hatte, offen zu erklären: »wir
+passen nicht für einander und es ist gut, wenn wir uns trennen,« diese
+Schwäche sah die Möglichkeit, eine Auflösung des peinlich gewordenen
+Verhältnisses gelegentlich beizuführen, und zu dem empörten Gefühl
+gesellte sich nun instinktmäßig der Wille, diese Gelegenheit zu
+benutzen.
+
+Von seinem Sitz emporgefahren, stellte er sich vor sie hin und rief
+mit dem Ausdruck des Zorns und tiefer Verachtung: »Das ist Unsinn, der
+abgeschmackteste Unsinn, der je aus dem Munde einer hirnlosen Person
+gekommen ist! Geh mir! Aus dir wird nie etwas, du bist und bleibst eine
+Bauerntrutschel, ein einfältiges, dummes Weibsbild! Ich bin verrückt
+gewesen, ich hab' eine unverzeihliche Thorheit begangen, daß ich --« --
+Er hielt inne und -- schämte sich. Christine war aufgestanden und hatte
+ihn groß angesehen, mit einem Blick, wie die beleidigte Rechtlichkeit,
+ja der beleidigte wahre Verstand die sinnlose Wuth und Gemeinheit
+ansieht. Sie hatte die Verachtung in seiner Miene gefühlt, sie hatte in
+sein innerstes Herz gesehen und den Vorsatz erkannt, mit ihr brechen zu
+wollen, und in ihrem Gemüth hatte sich auch eine Verachtung erhoben,
+aber eine, die auf besserem Grund fußte, und mit Blitzesschnelligkeit
+war ein Entschluß gefaßt. Eben in der Glut dieser Empfindungen zeigte
+sie ihm das Gesicht, das ihn erschreckte und verwirrte; und wie er nun
+innehielt, fiel sie ergänzend ein: »Daß du dich mit mir versprochen
+hast, willst du sagen? Ja, das ist wahr, da hast du Recht! Und ich
+bin ein schwaches, einfältiges Mädchen gewesen, daß ich dir getraut
+hab'! Aber glaub' ja nicht, daß du mich jetzt haben mußt. Hab' ja keine
+Furcht! Du hast mich gesucht, du bist zu mir gekommen, nicht ich zu dir
+-- das weißt du und das sagt dir dein Gewissen. Aber darum, und weil du
+mir dein heiliges Versprechen gegeben hast, und weil du mich genöthigt
+hast, in diese Stadt zu kommen und meinen Stand zu verändern, und weil
+ich nun wieder nach Haus gehen soll und Schande und Spott erleben von
+aller Welt, darum will ich dich doch nicht zwingen, dein Versprechen zu
+halten! -- Nein,« rief sie, indem sie den Verlobungsring schnell von
+dem schlanker gewordenen Finger zog, »nein, im Gegentheil! Hier ist
+dein Ring, nimm ihn, und wir sind geschiedene Leute!« -- Forstner sah
+sie an und entgegnete: »Ich hätte gute Lust --« -- »Freilich hast du
+gute Lust!« fiel das Mädchen verächtlich ein; »das seh' ich und eben
+deswegen geb' ich dir den Ring zurück. Her deine Hand und gieb mir den
+meinigen, und es ist aus mit uns für alle Zeit!«
+
+Als Forstner das Zeichen der Verlobung in ihren Fingern blinken und
+sich aufgedrängt sah, da zuckte bei dem Gedanken, daß er es nur
+annehmen dürfe, um einer für ihn unerträglich gewordenen Fessel
+entledigt zu sein, ein Freudenstrahl aus seinem Auge und er rief: »Ist
+es wirklich dein Ernst?« -- Wenn sie noch nicht völlig entschlossen
+gewesen wäre, mit ihm zu Ende zu kommen, so wäre sie es durch die
+unendliche Kränkung dieser Freude geworden. Mit funkelnden Augen der
+Entrüstung rief sie: »Ja, es ist mein Ernst, und ich verlang' jetzt
+meinen Ring für deinen! Ich sage ~dir~ ab, ich künde ~dir~
+auf und will nichts mehr mit dir zu thun haben mein Lebenlang!«
+
+Forstners schwache Seele, beschämt, verwirrt, schwankte noch einen
+Moment; aber eine Stimme rief ihm zu: »benutze das!« und entschied ihn.
+»Nun,« rief er, indem er selber den Kopf erhob, »wenn du so hochmüthig
+bist, so soll dein Wille geschehen!« Er zog den Ring vom Finger, gab
+ihr ihn und nahm den seinen. »So,« sagte sie, indem sie ihn mit eben so
+viel Stolz als Geringschätzung ansah, »und jetzt halt' ich dich nicht
+mehr auf in meiner Stub'!« -- Forstner sagte: »Du willst es, gut! Ich
+geh' und komm nie wieder!« -- »Ich hoff's,« entgegnete sie mit Hohn,
+indem ihr Gesicht brannte, »ich hoff's, daß du nicht wieder kommst!«
+Und indem sie mit der Hand auf die Thüre wies, rief sie mit der größten
+Heftigkeit: »Geh! geh! geh!«
+
+Forstner hatte die Thüre ergriffen, und wie von diesen Worten
+hinausgeschleudert, war er verschwunden.
+
+
+ VI.
+
+Christine sah noch eine Zeitlang auf die Thüre, die Forstner hinter
+sich zugeschlagen hatte. Ein heroisches Gefühl glänzte auf ihrem
+Gesicht. Er war es nicht, der ihr den Abschied gegeben, sie war
+ihm zuvorgekommen, sie hatte ihn weggeschickt, sie hatte das Recht
+behauptet und ihre Ehre gerettet! Das Bewußtsein, dem Ungetreuen die
+Thüre gewiesen und ihn nach Verdienst behandelt zu haben, erfüllte sie
+mit süßem Stolz, und sie kostete diesen in der Aufregung des Sieges von
+Grund ihres Herzens.
+
+Endlich trat sie zurück. Die Fluth ihrer Empfindung war gesunken und
+Gedanken tauchten auf, die andere Bilder vor ihre Seele riefen. Es
+war also aus mit ihm, wirklich aus und für immer! Und nun? -- Sie
+mußte wieder in die Heimath, in ihr Dorf zurück. -- Wie sie diese
+unausweichliche Nothwendigkeit zum erstenmal klar erkannte und die
+Folgen überschaute, fühlte sie einen kalten Schauer im Herzen und sank
+erschöpft auf einen Stuhl.
+
+Wir wissen, Christine besaß einen Ehrgeiz -- eine Art desselben, die
+auf dem Lande häufig vorkommt: den Ehrgeiz, der sich Andern möglichst
+immer in Würde und Wohlergehen darstellen und dem ganzen Dorfe damit
+Respekt einflößen will. In volkreicher Stadt kann man leicht dahin
+kommen, nach der Meinung Anderer gar nichts mehr zu fragen, weil diese
+Andern eben zum größten Theil Fremde sind und die Befreundeten keine
+Zeit haben, sich mit Einem viel abzugeben. Auf dem Dorf hingegen,
+wo man Alle kennt und von Allen gekannt ist, bildet sich natürlich
+das Verlangen aus, auch von Allen geachtet zu sein. Man wahrt die
+Außenseite, man »prangt,« man fragt sich bei einem absonderlichen
+Vorhaben in der Regel, was die Leute dazu sagen werden, man fürchtet
+sich vor dem Schaden, aber häufig mehr noch vor dem Spott, der dem
+Schaden folgt. Diese Rücksicht auf Andere kann zur Schwäche werden
+und macht gar oft auch kleinlich und lächerlich; aber auf der andern
+Seite ist sie die Mitursache guter Sitte, rechtmäßigen Handelns und
+stattlicher, angenehmer Lebensformen. Der Kenner des Dorflebens wird
+sie auf ihre Stelle beschränkt, aber gewiß nicht vertilgt, ja nicht
+einmal gemindert wünschen.
+
+In Christine war eine starke Dosis dieses Triebes, und wie wir gesehen
+haben, war da, wo ihr Herz gewonnen wurde, immer auch ihr Ehrverlangen
+mit im Spiele; der Reiz des Glanzes wirkte mit dem der Schönheit und
+Liebenswürdigkeit zusammen auf sie. Dieses Ehrverlangen bezog sich aber
+gerade auf ihr Dorf, gerade auf ihre Freunde und Bekannte. In ihren
+Augen hervorzustrahlen war ja ihr Streben, ihr beglückendster Gedanke.
+Und nun sollte sie, die das Vaterhaus ehrenvoll und beneidet, an der
+Seite des Bräutigams verlassen hatte -- sie, die Gesuchte, Gefeierte
+-- sie sollte zurückkehren als eine, die den Laufpaß bekommen (denn
+das war und blieb sie in den Augen der Leute trotz ihres Redens), sie
+sollte zurückkehren beschimpft und erniedrigt für ihr ganzes Leben!
+Sie sollte vor ihren Vetter treten als eine Verschmähte, die Mitleid
+und Geringschätzung einflößen mußte! Sie sollte vor ihre Mutter treten
+in Schmach und Schande -- vor die gute Mutter, deren Stolz und einzige
+Freude sie gewesen, die keine Ahnung hatte von ihrem Unglück und in
+kurzem ihren »Ehrentag« mitzufeiern hoffte! -- Sie sollte den Spott
+und die übeln Nachreden der bösen Zungen über sich ergehen lassen! Sie
+sollte erleben, wie man mit Fingern auf sie zeigte, sollte es in ihre
+Ohren hören, wie man sagte: »Da seht sie, die so hoch hinaus wollte!
+Nun ist sie wieder da! Ihr Stadtlehrer hat sie fortgeschickt, und nun
+mag sie auch kein ehrlicher Bauernbursch mehr!«
+
+Die Erlebnisse der letzten Tage hatten das Mädchen im Tiefsten erregt,
+ihre Seele gerüttelt und geschüttelt, ihr Gefühl krankhaft gereizt. Wie
+sie nun bei der Vorstellung, so kläglich in ihre Heimath zurückkehren
+zu müssen, alle Marter empfand, welche die Schmach der Niederlage
+dem Ehrgeiz auferlegt, da folgte auf den heroischen Stolz, den die
+Verabschiedung des Bräutigams in ihr erweckt hatte, der Zweifel,
+das Zagen, die Reue. Hab' ich auch wirklich Ursache gehabt, ihm
+aufzukünden? Bin ich nicht zu hitzig gewesen? Hab' ich nicht am Ende
+unrecht gesehen und gemeint, er wolle mit mir brechen, bloß weil ich
+in der Zeit davon habe schwatzen hören? Kann er nicht bloß übler Laune
+gewesen sein, und sind meine Antworten nicht am Ende so ungeschickt
+gewesen, daß er nicht anders konnte als zornig werden? -- Solche Fragen
+traten in ihr hervor und konnten es wohl; denn ein Dorfmädchen ist an
+eine derbere Sprache und Handlungsweise von Jugend auf gewöhnt und
+mußte die vernommenen Schmähworte nicht für so beweiskräftig halten
+als eine gebildete, zarte Städterin. In ihrer Gemüthslage wurden ihr
+nun auch die andern deutlichen Zeichen wieder zweifelhaft, und als sie
+bedachte, daß sie das Elend, welchem sie entgegen ging, hätte vermeiden
+können, da wandelten sie wieder Schrecken und Verzweiflung an. Sie
+raffte all ihre Kraft zusammen und überlegte, wie Forstner sich die
+letzte Zeit her und heute gegen sie benommen. Endlich aber rief sie
+fest und entschlossen: »Nein, ich hab' mich nicht getäuscht! Nein, ich
+hab' recht gehandelt! Was ich gethan hab', das hab' ich thun müssen
+-- ich hab' ein gutes Gewissen -- und nun mag mir's auch gehen, wie's
+will!«
+
+Sie stand auf, in der Meinung zur Base hinunterzugehen, denn es war
+noch nicht die gewöhnliche Schlafenszeit. Allein sie fühlte sich
+überaus müde, die Glieder zitterten ihr. Sie hielt es für besser, sich
+niederzulegen.
+
+Ihr Schlaf war unruhig, sie fuhr mehrmals auf in schweren Träumen. Als
+sie Morgens erwachte, waren ihre Glieder wie gelähmt, ihr Kopf brannte,
+die Zunge klebte ihr am Gaumen. Sie war krank -- ein Fieber hatte sie
+ergriffen.
+
+Die Base, die sie vergebens zum Frühstück erwartet hatte, ging hinauf,
+um nachzusehen. Sie wußte noch nicht, was geschehen war. Gestern hatte
+sie freilich ein paarmal die Stimmen herunter gehört und auf einen
+Wortwechsel geschlossen; aber das war ja schon öfter vorgekommen, und
+da Forstner ruhig aus dem Hause, Christine zu Bett gegangen war, so
+glaubte sie nicht an einen Ausgang, wie er stattgefunden hatte.
+
+An's Bett des Mädchens getreten, erkundigte sie sich theilnehmend nach
+ihrem Befinden. Christine erklärte sich für unwohl und erzählte ihr
+alles. Die gute Frau war tief betroffen. »Ich hab' mir's gedacht,«
+rief sie aus, »aber nun bin ich doch erschreckt! Was wird deine Mutter
+dazu sagen, die an so etwas gar nicht denkt? Ich muß ihr's zu wissen
+thun, Alles und Jedes, und das heute noch.« -- Christine verbot das.
+»Ich will's selber thun, wenn ich wieder auf bin -- ich allein kann's
+recht thun.« -- »Aber wenn du ernstlich krank würdest,« entgegnete die
+Base, »wenn du --« -- »Sterben würdest, meinen Sie? Das wäre vielleicht
+das Beste für mich; aber eben darum glaub' ich nicht daran. Wenn
+Gefahr kommt, dann können Sie schreiben, aber jetzt nicht -- Ihre Hand
+darauf!« -- Die Base beruhigte die Kranke durch ein ausdrückliches
+Versprechen und ging hinunter, einen Arzt holen zu lassen.
+
+Dieser kam und erklärte den Zustand des Mädchens für den Anfang
+einer Krankheit, vor deren ernstlichem Ausbruch sie vielleicht noch
+bewahrt werden könnte. -- In Befolgung dessen, was er vorschrieb, und
+im strengster Diät verging eine Reihe von Tagen. Zuletzt siegte die
+gute Natur des Dorfkindes, das Fieber wich, ihr Blut wurde ruhiger,
+ihr Appetit regte sich wieder, sie erholte sich und hatte das Gefühl
+der Genesung, jenes leichte, süße Gefühl, um dessentwillen es wohl
+der Mühe werth erscheint, eine Krankheit ausgehalten zu haben. In
+der Genesung ist von dem Zustande des Leidens nichts mehr übrig, als
+eine körperliche Schwäche, in der ein innerliches Leben um so reicher
+sich entfalten kann, eine Schwäche, die alle Gefühle mildert und
+uns die ganze Welt in sanftem Licht erscheinen läßt. Und zu dieser
+Poesie der Krankheit gesellt sich eine stille Lust des Aufstrebens und
+Fortschreitens zu neuem Wohlsein und Glück, das ahnungsreich vor der
+Seele webt. Der Genesende kann nicht verzweifeln. Auch nach dem größten
+Verlust muß er wieder hoffen auf eine Entschädigung, sei es auch nur
+die Kraft, den Verlust ohne Schmerz ertragen zu können.
+
+Während Christine sich leiblich erholte, genas sie auch geistig.
+In ihrem stillen, helleren Seelenzustande sah sie zurück auf ihre
+Erlebnisse und dachte jenes Moments wieder, wo sie in ihrem Unglück
+eine gerechte Strafe erkannt und es in diesem Sinn willkommen geheißen
+hatte. Und es fiel ihr ein, daß sie später doch wieder verzweifelt war,
+als sie sich vorstellte, wie sie verachtet und verlassen zur Mutter
+heimkehren -- das heißt doch eigentlich: die heilvolle Strafe zu Ende
+dulden sollte. -- Sie lächelte ernst über sich selbst und sagte: »Ich
+hab's wieder vergessen gehabt! -- Das geht nicht auf einmal, wie's
+scheint!« -- Nun faßte sie aber in Wiederholung jener Anschauung den
+Entschluß, alles zu dulden, was an Schmach und Beschimpfung über sie
+verhängt sein sollte. Und nun konnte sie hoffen zu triumphiren, denn zu
+ihrer Erhebung und Selbstüberwindung half ihr die Natur.
+
+In ihrer Leidenszeit hatte sie die sorgsamste, wir können sagen
+liebevollste Pflege erfahren, und diese setzte sich während ihrer
+Genesung fort. Die Base und der Vetter thaten alles, was in ihren
+Kräften stand. Susanne war wie verwandelt, ganz Aufmerksamkeit und
+Güte für sie, und nichts schien sie mehr zu beglücken, als wenn ihr
+Christine freundlich die Hand gab und sie dabei mit erkenntlichem Blick
+ansah. Auch Mamsell Adelheid kam täglich, sich zu erkundigen und sie zu
+trösten. Die Vornehmheit der Lehrerin war verschwunden und hatte ganz
+einer würdigen, mütterlichen Theilnahme Platz gemacht. Auf Christine in
+ihrer jetzigen Weichheit machte das alles einen rührenden Eindruck. Mit
+Thränen im Auge sagte sie sich: »Die Menschen sind doch viel besser,
+als man denkt! Man sollte eigentlich niemand für schlecht ausgeben,
+sondern warten, bis er wieder gut wird.« Sie dachte daran, daß auch die
+Leute in ihrem Dorf nicht so schlimm sein würden, als sie sich zuerst
+vorgestellt, und der Gedanke der Heimkehr verlor auch aus diesem Grunde
+mehr von seinem Peinlichen und Schreckhaften.
+
+Wenn sich übrigens Mamsell Adelheid in der That über Erwarten
+theilnahmvoll gegen ihre Schülerin erzeigte, so war sie damit noch
+nicht ein Muster von Zartheit geworden, und dem Drange, Gericht zu
+halten über irgend jemand, konnte sie nicht unbedingt widerstehen. --
+Eines Vormittags kam sie mit hastigeren Schritten als gewöhnlich in
+die Stube, wo sich die Reconvalescentin befand, und man sah gleich, daß
+sie etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Sie zögerte nicht, es los zu
+werden, und rief nach ihrem Gruße der anwesenden Frau Kahl zu: »Nun,
+liebe Frau Base, haben Sie's auch schon gehört? -- Ich habe manches
+erlebt in der Welt, aber das geht doch über alle Begriffe! So schnell
+-- und in dieser Zeit! Nein, für so schlecht hätt' ich diesen Menschen
+doch nicht gehalten!« -- »Was gibt's denn?« fragten Christine und die
+Base zu gleicher Zeit. Adelheid sah theilnehmend auf das Mädchen und
+sagte: »Sei froh, Christine, und wünsche dir Glück, daß du ihn nicht
+bekommen, daß du ihn noch zu rechter Zeit kennen gelernt hast! Besser
+vor der Hochzeit als nachher!« -- »Ah so,« erwiederte das Mädchen,
+indem eine leichte Röthe über ihr blasses Gesicht flog; »nun kann ich's
+errathen! Er hat sich mit ihr versprochen?« -- »Das hat er gethan,
+gute Christine, und zwar an demselben Tag, wo du im ärgsten Fieber
+lagst.« -- Frau Kahl sah die Mamsell vorwurfsvoll an und rief: »Das
+hättest du nicht sagen sollen! Wenn sie nun wieder schlimmer wird?«
+Aber Christine hatte sich von dem Canapee, worauf sie gesessen, rasch
+erhoben und rief: »Nein, das macht mich gerade gesund!« -- Sie sah in
+der That genesen aus und athmete leicht, als ob sie von einer großen
+Last befreit worden wäre.
+
+Und das war sie. Die Meldung hatte sie befreit von der letzten
+Ungewißheit in Bezug auf den Lehrer, von dem letzten Grunde, sich
+selbst mit der Vorstellung einer übereilten Handlung zu quälen. Was
+sie gedacht hatte, war nun bewiesen. Wenn er nur von ihr weggehen und
+mit jener sich versprechen konnte, dann hatte er schon lange keine
+Liebe mehr zu ihr, sondern zu jener; dann war er mit der Absicht zu ihr
+gekommen, Händel zu suchen, um sie los zu werden; dann hatte sie ganz
+recht gehandelt und das beste Gewissen. Nun war sie frei von ihm ganz
+und gar; sie war frei von Achtung und Liebe zu ihm, sie war frei von
+Haß gegen ihn und von Eifersucht gegen sie. -- »Mag er glücklich sein!
+mögen sie glücklich sein alle beide!« das waren ihre Gedanken. -- Wen
+man nicht achtet, den kann man nicht hassen und nicht beneiden. Man
+fühlt ihn unter sich und machtlos und dürftig bei allem äußern Glück.
+
+Christine erklärte sich für gesund. Der Arzt, der bald darauf im's
+Zimmer trat, bestätigte dieß und erlaubte ihr, an einem der nächsten
+Tage nach Hause zu reisen.
+
+In einer Stimmung, die ihr selber auffiel, mit einer Ruhe, die nur
+selten durch lebhaftere Empfindungen unterbrochen wurde, machte sich
+Christine zur Heimkehr bereit. Sie schloß mit ihrem Stadtleben ab und
+hatte das Gefühl eines Wanderers, der sich nach langem Irrgehen wieder
+zurecht findet. Er hat Zeit und Mühe verloren, er wird zu spät kommen,
+aber er ist doch wieder auf dem rechten Weg.
+
+Nun war die Zeit gekommen, den Brief an ihre Mutter abzufassen. Sie
+meldete kurz, was in den letzten Wochen geschehen war, fügte aber dann
+Alles hinzu, was sie für die Mutter Tröstliches zu sagen wußte. Sie hob
+hervor, daß sie für die Stadt nicht passe, daß sie mit Forstner nie
+glücklich geworden wäre und dem Himmel danken müsse, noch zu rechter
+Zeit seinen Charakter kennen gelernt zu haben. Sie unterstrich die
+Nachricht, daß sie ~ihm~ aufgesagt habe, und daß sie ihn nicht
+mehr gemocht hätte, wenn er auch wiedergekommen wäre. Jetzt sei er mit
+seiner Wilhelmine versprochen, und das sei gut, denn die beiden taugten
+für einander und wären einander werth. Sie selber habe ihren Entschluß
+gefaßt, sie wolle nach Hause gehen und mit der Mutter überlegen, was
+zu thun sei. Glücklich wolle sie nicht mehr werden, aber verzagen
+wolle sie deßwegen auch nicht. Sie wolle schaffen und arbeiten, wie
+sie's gelernt habe, sie wolle ihre Schuldigkeit thun und als ein
+rechtschaffenes Mädchen leben und sterben.
+
+Vorsichtshalber trug sie den Brief selber auf die Post. Durch die
+Aufschrift hatte sie dafür gesorgt, daß er sicher einen halben Tag vor
+ihrer Ankunft in die Hände der Mutter gelangte.
+
+Als sie am zweiten Morgen nach ihrer Wiederherstellung aufgestanden
+war, ging sie im Unterkleid zu der alten Commode, zog das oberste
+Fach heraus und lächelte, mit einer seltsamen Mischung von Freud und
+Leid. Die Bauernkleider, in denen sie hergekommen war, lagen darin.
+Sie nahm ein Stück nach dem andern heraus, betrachtete sie, als sie
+auf dem Tisch ausgebreitet waren, mit einer Art von Feierlichkeit, und
+kleidete sich damit an. Als sie fertig war und in den Spiegel sah,
+schüttelte sie erst den Kopf, dann hing sie mit zufriedenen Blicken an
+dem Bild. Die Kleider waren ihr zu weit geworden und kamen ihr so im
+ersten Moment doppelt ungewohnt vor. Aber es waren doch die Kleider,
+in denen sie schöne Tage gesehen hatte -- jetzt das Wahrzeichen einer
+verständigen Umkehr und eines neuen Lebens.
+
+Groß war die Verwunderung, als sie in diesem Anzug, allen unerwartet,
+in die untere Stube trat. Und sie minderte sich nicht, als die kaum
+Genesene der Base erklärte, da das Wetter so gut sei, wolle sie nicht
+nach Hause fahren, sondern gehen. An ihrer Krankheit sei Schuld
+gewesen, daß sie sich zu wenig Bewegung gemacht habe; das Gehen würde
+ihr gesund sein und sie würde sich's jetzt um keinen Preis abkaufen
+lassen. Alle Einreden der Sorglichkeit waren umsonst, und man fügte
+sich endlich in ihren wiederholt erklärten Willen.
+
+Nach dem Frühstück nahm sie die Base mit auf ihre Stube, wo ihre
+Stadtkleider in drei verschiedenen Partien auf dem Canapee lagen.
+Sie bat ihre Verwandte, die erste mit den werthvollsten Stücken zum
+Andenken von ihr anzunehmen und die beiden andern der Mamsell Adelheid
+und der Susanne zu übergeben. Das Sträuben der guten Frau wurde
+überwunden und die Einwilligung erzwungen. Die Geschenke, die sie
+von Forstner erhalten hatte, lagen auf einem Ecktisch. Sie nahm der
+Base das Versprechen ab, ihm alle zusammen heute noch in's Haus zu
+schicken. Wenn er dafür die ihrigen zurücksende, so bäte sie den Herrn
+Vetter, sie zu behalten. Sie würde kein Fäserchen von diesem Manne bei
+sich dulden können. -- Die Kiste, in der sie ihre Habseligkeiten vom
+Dorf mitgebracht hatte, stand bepackt in einer Ecke. Man sollte sie
+dem Fuhrmann übergeben, der am folgenden Tage die Stadt passirte. Es
+blieb nichts mehr übrig, als von der letzten Geldsendung der Mutter
+die kleine Schlußrechnung der Base zu bezahlen. Dieß geschah, und das
+Landmädchen war fertig mit der Stadt.
+
+Es war nach neun Uhr, als sie der kleinen Zahl ihrer städtischen
+Bekannten Lebewohl sagte. Die gute Frau Kahl und Susanne weinten, der
+Vetter hatte feuchte Augen und Mamsell Adelheid widerstand mit Mühe
+dem Drang ihres Gefühls. Christine war über diese Zeichen wahrer
+Theilnahme zu erfreut, um gleich den andern weich werden zu können.
+Sie gab allen die Hand, sah mit glänzenden Blicken der Liebe und des
+Dankes auf sie, und jetzt endlich standen Thränen auch in ihren Augen.
+-- »Lebwohl, lebwohl, du gutes, liebes Kind!« rief die Base, indem sie
+ihre Hand zärtlich gefaßt hielt. »Du hast hier keine guten Tage gehabt,
+du hast viel gelitten; aber dir wird's auch noch gut gehen!« -- »Mir
+wird's gehen, wie ich's verdiene,« erwiederte Christine, »und anders
+verlang' ich's nicht!«
+
+Wenige Minuten später, und sie ging allein, wie sie sich's erbeten
+hatte, durch die Hauptstraße der Stadt. Ein paar Vorübergehende kannten
+sie, starrten sie an und sahen ihr kopfschüttelnd nach. Christine that,
+als ob sie nichts gemerkt hätte, und ging ruhigen Schrittes weiter;
+aber doch war sie froh, als sie die Stadt endlich hinter sich hatte.
+
+Es war in der zweiten Hälfte des März und der Tag wie zu einer
+Fußwanderung geschaffen, Frühlingsanfang, nicht nur dem Kalender nach,
+sondern in der That. Der Winter hatte schon seit einigen Tagen weichen
+müssen, der Lenz hatte das Feld behauptet, und schmetternde Lerchen
+verkündeten seinen Sieg dem Himmel und der Erde. Die Luft war milde,
+die Sonne von leichten Wolken umzogen, so daß ihr Schein durchdringen
+konnte, wenn auch nicht ihr Bild, und der Weg trocken, hie und da noch
+gefeuchtet und weich, dort schon bedeckt von Märzenstaub. Und Gras und
+Laub, welche dieser bringen soll, waren reichlich verheißen in dem
+frischeren Grün der Wiesen, in den Knospen der Bäume und Gesträuche.
+
+Christine wanderte still weiter, die Straße weiter, auf welcher sie
+hergefahren war und die sie nun zum erstenmal wieder sah. Ihr Mund sog
+die lau frische Gottesluft ein, ihre Augen schweiften umher auf dem
+Feld und den Waldstücken, die in der Landschaft hervortraten, und ihr
+Gesicht ward heller und freundlicher bei diesem Anblick. Bald fühlte
+sie sich wieder hineingezogen in ihr Inneres, sie überließ sich den
+Gedanken ihrer Seele und ging dahin, wie eine, die im Traume wandelt.
+
+Ein Rieser Bauernmädchen ist im benachbarten Frankenlande nichts
+Seltenes und kann schon darum nicht bemerkenswerth erscheinen, weil
+ihre Tracht von der dortigen ländlichen nur wenig unterschieden ist.
+Aber Christine hatte in ihrem Wesen etwas, das auffallen mußte und
+wirklich auffiel. Die Landleute, die ihr begegneten, der Steinklopfer
+am Wege sahen sie an und grüßten sie theilnehmend. Als einer sie nach
+erhaltenem Dank fragte: »Wohin denn noch heute?« und mit sanfter Stimme
+die Antwort erhielt: »In's Ries,« da betrachtete er sie noch einmal
+genau, bevor er weiter ging, schien aber doch nicht mit sich einig
+werden zu können, was er aus ihr machen solle.
+
+In Folge des Lebens in der Stadt und der Leiden, die sie darin
+ausgehalten hatte, war die Gestalt des Landmädchens um vieles schlanker
+geworden; die Fülle des Gesichts war geschwunden, die Farbe, die ihr
+auf dem Dorf ein so frisches Aussehen gegeben hatte, war gewichen
+und die jetzige Blässe nur von einem bräunlichen Hauch und in Folge
+des Gehens von einer leichten, flüchtigen Röthe bedeckt. Da sie den
+gestreiften »Kittel« (das Gewand des Oberkörpers) offenbar nicht mehr
+ausfüllte, so sagte sich jeder, daß sie krank gewesen sein und viel
+ausgestanden haben müsse. Aber das war es nicht allein, was auffiel.
+Ihr bleiches Gesicht hatte einen Glanz, aus ihren feuchten Augen, wenn
+sie damit aufsah, ging ein Blick, und der ganze Kopf hatte ein Gepräge
+und einen Ausdruck, daß jeder augenblicklich sah, nicht nur daß es ein
+schönes Mädchen sei, sondern auch daß es mit ihr eine ganz besondere
+Bewandtniß haben müsse.
+
+Es war die Erfahrung ihres Geistes, welche dem Gesicht diesen Ausdruck
+lieh, es waren die Empfindungen und Bilder ihrer Seele, die es
+verklärten. Die Erdenschwere des Leides war ihr abgenommen, aber sein
+Schein und sein Duft waren geblieben. Die Freude des Lebens, ja die
+Hoffnung auf sie waren geflohen, aber ein stiller Friede, gegründet
+auf das Bewußtsein, endlich recht und gut gehandelt zu haben, waren
+eingezogen in sie. Eine Wehmuth erfüllte sie, die etwas Süßes hatte,
+weil sie durchdrungen war von holdem Licht und getragen von einem
+erstarkten Geist. Alles das weckte und nährte das Spiel der Phantasie,
+eine Träumerei, welche das Mädchen weiter und weiter zog und neue,
+wunderbare Welten ihrem Blick öffnete. -- Die Poesie der Lieder, die
+sie in schönen Tagen auf dem Dorfe gelernt und gesungen hatte, lebte
+wieder in ihr auf. Traurige und fröhliche summten durch einander in
+ihr und feuchteten bald ihre Augen und regten zarte, süße Schauer in
+ihr an. Sie hörte die Melodien ordentlich in ihrer Seele, und Stimmen
+in der Luft, nahe und ferne, schienen in sie einzuklingen. -- Die gute
+Christine! Jetzt war sie fein, und ihr Gesicht war geistig und ihr
+ganzes Wesen von einem Reiz übergossen, daß es auch der eitle Pedant in
+der Stadt hätte anerkennen müssen. -- Zu spät! -- Aber zu ihrem großen
+Glück! -- Jener hätte sie nicht verdient, auch wenn es ihm möglich
+gewesen wäre, sein Versprechen zu halten und seine Treue zu bewahren.
+
+Wir haben damit erklärt, was die Vorübergehenden Absonderliches an
+Christine wahrnahmen. Hübsche Mädchen in Rieser Tracht kann man viele
+sehen, wenn man durch die gesegnete Ebene wandert -- und Glück hat.
+Aber Bilder, wie Christine in ihrer jetzigen Seelenstimmung eines
+darbot, wird man unter allen Umständen nur selten bemerken können.
+
+In der Einsamkeit eines Waldthals nahmen die Gedanken der Fußgängerin
+eine bestimmte Richtung. Ein Verhältniß, wie sie es mit Forstner
+gehabt, läßt sich nicht abthun und vergessen; die Seele wird eine
+Zeitlang immer wieder zurückschauen und sich den Verlauf und den
+Ausgang zu erklären suchen. -- Christine ließ das Handeln Forstners
+wieder an ihrem Geist vorüberziehen. Wie billig sie war und wie viel
+sie sich selber zur Last legen mochte, nahm sie alles zusammen und
+hatte sie ihn in den hauptsächlichsten Momenten vor Augen, so konnte
+sie sein Benehmen zwar begreiflich finden, aber auch nicht der leiseste
+Hauch von Achtung dieses Mannes war ihr möglich. Im Besitz dessen,
+was Natur und Geschick ihr an Einsicht verliehen hatten, kam ihr die
+ängstliche Sorge und die Wichtigkeit, womit er ihr den Flitterkram
+seiner Bildung aufdrängen wollte, über alle Maßen kleinlich vor; und
+daß er diesen als die Hauptsache ansah, für die wirkliche Hauptsache
+dagegen, welche sie jetzt auf's allerklarste anschaute, keine Augen und
+kein Gemüth hatte, das erfüllte ihre Seele mit einer Geringschätzung,
+in welcher sie ihn zu einem Nichts hinschwinden sah.
+
+Es war unvermeidlich, hier nicht an das Benehmen des Vetters Hans zu
+denken. Obwohl sie eine Scheu davor empfand, so konnte sie dem Reiz
+doch nicht widerstehen, sich zu vergegenwärtigen, wie sich dieser von
+der ersten Zeit an gegen sie betragen hatte. Seine treue Liebe, die
+sich erst so bescheiden verbergen wollte und sich doch verrieth; seine
+Freude an ihr und das Vergnügen, das aus ihm leuchtete, wenn er sie bei
+der Arbeit loben konnte und sie dabei ansah; die stete Sorge für sie
+und ihre Mutter, der Eifer für ihr Wohlergehen und ihre Ehre; seine
+Großmuth, als er erfahren hatte, was ihn auf's tiefste schmerzen, auf's
+bitterste kränken mußte; der Stolz, der sich vor den Leuten nichts
+anmerken ließ und alles vergessen zu haben schien; die unendliche
+Gutmüthigkeit, womit er sie später als Verwandte und Jugendfreundin
+behandelte, als ob sie ihn nie beleidigt hätte -- alles das stellte
+sich vor ihre Seele und verband sich zu einem einzigen Bilde. Die ganze
+Schönheit eines von Gott und Natur mit gleicher Liebe beschenkten
+Gemüths glänzte vor ihr und sie war jetzt in der rechten Stimmung, sie
+zu erkennen und nach ihrem Werth zu schätzen. Thränen stürzten aus
+ihren Augen, die nur der edlen Seele galten. Sie fühlte die Liebe und
+Treue eines solchen Mannes als das Liebste und Holdeste, was es geben
+könne auf der Erde; in ihrem Herzen gährte und bebte es und eine Glut
+entzündete sich und loderte empor und übergoß ihr bleiches Gesicht
+urplötzlich mit brennender Röthe.
+
+Es war geschehen. Sie hatte ein Gefühl, als ob nichts wahr gewesen
+wäre in ihrem ganzen Leben, als diese Liebe zu dem besten Menschen auf
+der Welt. Alles, was ihr an andern schön vorgekommen war und reizend
+und vornehm, erschien ihr jetzt wie gar nichts, wie Rauch, den ein
+Windhauch verjagte. Sie begriff nicht, wie man sich davon blenden
+lassen, wie man daran sein Herz hängen, wie man darauf bauen und
+vertrauen könne.
+
+Und sie hatte sich zweimal davon blenden lassen! Sie war von dem,
+der allein aller Lieb' und Treue werth gewesen, zweimal abgefallen!
+-- Das Gesicht, auf welchem sich die Blässe wieder gelagert hatte,
+wurde auf's neue überströmt -- von der Röthe der Scham; und diese
+blieb länger auf ihm als die Farbe der Liebe und des Entzückens. --
+»Du hast keine Augen gehabt,« rief sie sich strafend und leidvoll
+zu, »du hast nichts gesehen -- du Blinde, Dumme, Sinnlose!« -- Sie
+fühlte ihre ganze Unwürdigkeit dem braven, uneigennützigen, unendlich
+liebevollen Manne gegenüber. Das Licht der Erkenntniß, das ihr zuerst
+in schwachem, vorübergehendem Aufzucken, dann im klaren, hellen Scheine
+zu Theil geworden war -- jetzt flammte es vor ihr empor und leuchtete
+und brannte vor ihr und faßte und durchloderte sie, und drohte sie zu
+verzehren. -- Das war das Maß, mit dem ihr gemessen werden sollte --
+das volle, gerüttelte und geschüttelte, überfließende Maß.
+
+In der Qual dieser Flamme gab es nur Eine Rettung für Christine, und
+sie griff darnach. »Er soll's nie, nie erfahren, wie es mir zu Muth
+ist! Kein Sterbenswörtchen soll er von mir hören, aus keiner Miene,
+keinem Zuck soll er's errathen können! Im Herzen will ich ihn tragen
+Tag und Nacht -- todtschlagen will ich mich lassen für ihn, wenn's sein
+muß -- aber sterben will ich, ohne daß er weiß, wie ich gesinnt gewesen
+bin!« -- Nun brachen wieder Thränen aus ihren Augen und rollten die
+Wangen hinab; aber es waren lindernde Thränen. Sie und das Gelübde, das
+sie gethan, halfen zusammen, der Tieferregten nach und nach die Ruhe
+wieder in's Herz zu flößen, in der sie still ergeben, aber zugleich mit
+einem gewissen Stolz der Entsagung fortwanderte.
+
+Endlich fühlte sie sich müde und erschöpft, und im nächsten Dorfe
+ging sie in das Wirthshaus, das an der Straße lag. Sie nahm ein
+einfaches Mahl zu sich, ruhte aus und erholte sich. Als sie nach der
+Zeche fragte, sah die schon ziemlich bejahrte, stattliche Wirthin
+sie prüfend an. »Du bist wohl im Dienst gewesen und krank geworden?«
+fragte sie theilnehmend. -- Christine richtete merklich verletzt
+den Kopf auf und erwiederte: »Krank gewesen bin ich, aber im Dienst
+nicht.« -- Der theilnehmende Blick der Wirthin verwandelte sich in
+einen spöttischen. »Ah,« sagte sie, »da bitt' ich um Verzeihung, daß
+ich der Jungfer Unrecht gethan hab'!« Sie überlegte ein wenig, nannte
+die Summe, erhielt das Geld, bedankte sich und ging hinaus. Die Zeche
+war ziemlich groß, und Christine fühlte, was sie gethan hatte. »Du
+bist wieder dumm und am unrechten Ort empfindlich gewesen,« dachte
+sie. »Die Frau ist gut und wollte dir eine kleine Zeche machen, und
+du bist ihr lächerlich vorgekommen mit deinem Stolz, und sie hat Recht
+gehabt, dir eine Lehre zu geben. Im Dienst! 'S wär besser, du wärst im
+Dienst gewesen und könntest jetzt nach Hause gehen --« -- Ihr Geist
+verlor sich in Gedanken, dann erhellten sich plötzlich ihre Züge; mit
+einem Aussehen, als ob sie einen Vorsatz gefaßt hätte, erhob sie sich
+und verließ die Stube. Im »Haustennen« stand die Wirthin. »Geht's
+schon weiter, Jungfer?« war die noch immer spöttische Frage. »Ja,«
+erwiederte Christine. »Lebt wohl, Frau Wirthin, und haltet mich nicht
+für einfältiger als ich bin!« Das behaglich breite Gesicht lächelte und
+der Spott darin erhielt einen Zusatz von Wohlwollen. »O bewahre!« rief
+sie, »ich seh' schon, wen ich vor mir hab'. Glück auf den Weg!«
+
+Es war nothwendig, daß Christine sich gestärkt und erholt hatte --
+sie kam dem Ries näher und näher. -- Eine Stunde darauf und sie war
+eingetreten in seinen Kreis und ihr Herz klopfte, ihr Kopf schwindelte.
+Sie sah, was ihr bekannt war von Jugend auf, aber das Bekannte erschien
+ihr wie ein Mährchen. Dort rechts der Felsen von Wallerstein im Kranze
+von Häusern und Bäumen, geradeaus der graue Thurm von Nördlingen, und
+jetzt in dem Schein der Sonne, die vorübergehend aus den Wolken trat --
+ihr Geburtsort. -- War es nicht ein Traumgesicht? Waren die Bilder, die
+vor ihren Augen flimmerten, nicht aus Luft gewoben und hergezaubert,
+um auf einmal wieder zu verschwinden? -- Nein, sie standen fest und
+blieben stehen und traten immer größer und deutlicher hervor. Sie
+hatten gezittert und gegaukelt vor ihr, weil ihren eigenen Kopf eine
+Art von Trunkenheit ergriffen hatte, und in der Schwärmerei des
+Staunens hatte das Altgewohnteste den Charakter des Wunders angenommen.
+
+Sich endlich besinnend und fassend, ging sie weiter und weiter, ihrem
+Dorfe zu. Sie freute sich an der Heimath, an den Leuten, die ihr
+begegneten, an den Arbeitern auf dem Felde, die sie von weitem sah,
+und an der schönen und traulichen Rieser Tracht; aber sie fürchtete
+sich, daß irgend Jemand sie erkennen und bei ihrem Namen rufen möchte.
+Unangefochten langte sie indeß an der Feldung ihres Geburtsortes an.
+Sie schlug einen Fußweg ein. Je näher sie dem Ziele kam, desto mehr
+entsank ihr der Muth. Sie konnte nicht anders -- sie mußte sich
+wieder vorstellen, was die Leute von ihr denken, was sie sagen und ihr
+nachsagen würden. Alle Schmach, als eine Verstoßene, der Verläumdung
+Preisgegebene heimzukehren, stieg wieder vor ihrer Seele auf. Da fiel
+ihr aber auch wieder ein, daß sie Leid und Beschwer ja gewünscht und
+gut gefunden hatte. Sie lächelte mitleidig über sich selber und ging
+mit neuer Entschlossenheit vorwärts.
+
+Die Sonne war hinter dichtere Wolken getreten; es war trübe und kühler
+geworden und die laublosen Gärten des Dorfes sahen nicht gerade
+erfreulich aus. Als sie eine Hecke entlang ging, um auf die Südseite
+zu kommen, wo ihr Haus stand, bemerkte sie in einem Garten eine
+Jugendfreundin, die ein Beet umhackte. Die Tritte der Vorübergehenden
+vernehmend, schaute diese auf und Christine erwartete einen Zuruf; aber
+er blieb aus. »Sie kennt mich nicht mehr,« dachte das Mädchen. »Nun,
+das ist ja natürlich!«
+
+An der kleinen Thüre, die von ihrem Garten auf den Fußweg hinaus
+führte, stand die Mutter. Sie hatte sich, von ihren eigenen Gefühlen
+einen Schluß ziehend, eben hier aufgestellt, um die Tochter zu
+erwarten. Christine ging rascher und gab ihr mit leis gesprochenem
+Gruße die Hand. Die Wittwe sah kummervoll und blaß aus, aber ihr
+Gesicht war nicht ohne eine Art von Würde. »O Christine!« rief sie mit
+gedämpfter Stimme -- weiter nichts. Man konnte sie sehen und hören vom
+Haus oder Garten des Nachbars, und niemand sollte wahrnehmen, wie's ihr
+um's Herz war. -- Sie führte die Tochter an der Hand durch den Garten
+in den kleinen Hofraum. Hier stand Hans. Er sah Christine an mit einem
+Gesicht, in welchem das Mitleid hinter tiefem Ernst verborgen war, und
+sagte ruhig: »Guten Abend, Christine!« Sie dankte, ohne ihn anzusehen,
+und ging mit der Mutter in's Haus.
+
+Als sie allein waren, öffnete die Mutter ihr Herz und ließ den Klagen,
+die sie bis jetzt zurückgepreßt hatte, freien Lauf. »Wer hätte das
+gedacht!« rief sie mit tiefer Betrübniß. »Wer hätte das diesem Menschen
+zugetraut! -- Ich hab' gemeint, ich müss' umsinken vor Schrecken, wie
+ich deinen Brief gelesen hab'. Nicht glauben hab' ich wollen, was du
+geschrieben hast! Aber jetzt, wenn ich dich ansehe, muß ich freilich
+alles glauben! -- Du armes Mädchen,« setzte sie hinzu, indem sie die
+Tochter in zärtlichem Mitleid bei den Händen faßte, »so elend, so
+verfallen! -- Das ist nun das Glück, das du gemacht hast! Das ist die
+Freude, die ich an meinem einzigen Kind erlebt hab'!« -- Ihre Thränen
+flossen, das Schluchzen ließ sie nicht weiter reden. Christine tröstete
+sie und sagte: »Sei ruhig, Mutter! Laß dir's nicht so zu Herzen gehen!
+-- Ich bin gesund und werde bald wieder aussehen wie sonst.« -- »Ja,«
+entgegnete die Wittwe, »dein elendes Aussehen wird vergehen auf dem
+Land, aber die Schande wird dir bleiben. Was wird man von dir jetzt
+alles sagen im Dorf! Was werden wir uns gefallen lassen müssen! Das
+Unglück, das einem widerfährt, ist ja den Leuten nie groß genug, sie
+müssen's noch größer machen. Und wir, denen ohnehin so manches Feind
+ist im Dorf -- was werden erst wir hören müssen! Ich trau' mir gar
+nimmer unter die Leute -- ich schäme mich zu Tod!«
+
+Als die Tochter die von ihr überwundene Furcht an der Mutter sah, kam
+sie ihr in keiner Art würdig vor, und sie erwiederte mit Ernst: »Was
+die Leute sagen, liebe Mutter, ist mir einerlei, und dir kann's auch
+so sein. Eine Zeitlang wird man schmähen, dann kommt wieder etwas
+anderes auf, und wir sind vergessen. Und wenn man auch spottet über uns
+und uns ausrichtet -- haben wir's nicht verdient? Ist uns mit unserm
+Hochhinauswollen nicht Recht geschehen? -- Von ~der~ Seite muß
+man die Sache auch betrachten. So oder so ist das Gerede der Leute
+gleichgültig. Wenn sie lügen über mich, so geht's mich nichts an,
+und wenn sie die Wahrheit sagen, muß ich's aushalten. Und am Ende --
+wenn's mir hier wirklich zu arg würde, giebt's nicht noch einen Dienst
+anderwärts? Man kann sich immer helfen, wenn man noch zu was gut ist in
+der Welt, und alles ist noch lang nicht verloren.«
+
+Diese gefaßte Sprache des Kindes that der Mutter wohl und flößte auch
+ihr wieder Trost und neuen Muth ein. Sie sah schweigend auf das blasse,
+aber feinere und vornehmere Gesicht und fühlte, daß ihre Tochter in
+der Stadt nicht nur verloren, sondern auch etwas gewonnen hatte. Ihre
+Mienen klärten sich auf und es war, als ob sie etwas auf der Zunge
+hätte. Sie schwieg aber. Sie hatte, wie es schien, nicht den Muth zu
+sagen, was sie dachte.
+
+Als am andern Tag die große Neuigkeit in dem Dorf bekannt wurde, gab
+es freilich ein Geschrei, das dem, welches die Verlobung des Mädchens
+mit dem Lehrer hervorgerufen hatte, in keiner Weise nachstand. Im
+Gegentheil, die Ausrufungen waren jetzt noch leidenschaftlicher,
+das Gewunder größer und nachhaltiger, weil die Nachricht wirklich
+ganz unerwartet gekommen und wie ein Blitz aus wolkenlosem Himmel
+hernieder gefahren war. Welch ein Ohrenschmaus für die ehemaligen
+Mitbewerberinnen! Welch ein Triumph für diejenigen, die in ihrer
+sittlichen Entrüstung einen schlimmen Ausgang vorhergesagt hatten! --
+Die Partie der Weiber und Mädchen hatte gesiegt; das Schicksal hatte
+ihnen Recht gegeben. Und nun ließen sie's die jungen Bursche, die ihnen
+früher widersprochen hatten, gehörig empfinden und kosteten den Ruhm
+bewährter Prophetengabe von Grund aus. »Hab' ich's nicht gesagt? Hab'
+ich's nicht vorher gewußt? Du hast mit mir gestritten, aber nun siehst
+du, wer Recht gehabt hat. Mit Schand und Spott ist sie heimgekommen,
+die eitle Närrin! Und nun wird's aus sein mit ihrer Vornehmheit -- aus
+für alle Zeit!«
+
+Die große Frage war nun: wie werden die Leute mit einander forthausen?
+Ist's denn möglich, daß sie beisammen bleiben? Und wenn sie's thun,
+was soll am Ende draus werden? -- In einer zahlreichen Bauernfamilie,
+wo dieser Punkt beim Abendessen erörtert wurde, meinte der Oberknecht:
+»Am End' nimmt sie der Hans doch noch zum Weib.« -- Da fuhr aber
+die älteste Tochter, die nicht zu den Schönsten gehörte und ihre
+Sechsundzwanzig hinter sich hatte, empört auf und rief: »Red nicht so
+dumm, alter »Gischpel«! Ein Mensch wie der Hans, der etwas hat und
+andere kriegen kann, wenn er will, der wird wohl eine nehmen, die ein
+halbes Jahr mit einem Schulmeister herumgefahren ist! Schäm dich! 'S
+ist sündlich, einem braven Burschen so was zuzutrauen!« -- »No, no,«
+versetzte der in der That schon etwas bejahrte Knecht phlegmatisch
+lächelnd, »man kann nicht alles so genau nehmen, und 's hat sich schon
+gar manches noch g'macht in der Welt.« -- »Und ich wett', was du
+willst,« erwiederte die erzürnte Person, »er nimmt sie nicht mehr!« --
+»'S kann auch sein,« versetzte der Knecht. »Ich kenn' den Hans nicht so
+genau, daß ich weiß, was er in einem Jahr thun wird. Ich weiß nur, was
+ich thät' -- und ich thät' sie nehmen, wenn sie mich möcht'.« -- »Du!«
+entgegnete die Tochter des Hauses mit verächtlichem Blick, während die
+andern Ehehalten lachten und die Magd schließlich meinte: »Du wärst
+»net blöad« (blöde), Heiner! So eine könnt' dich aufrichten!«
+
+Einige Tage später, und die Frage, die so viele Zungen in Bewegung
+gesetzt hatte, war entschieden. Man erfuhr, die Christine sei in
+*** (einem zwei Stunden entfernten, westlich gelegenen Dorfe) beim
+Holzbauern in Dienst gegangen. Damit erhielt das Gerede einen Kehraus,
+der den bisherigen Lärm würdig abschloß. »Die Lehrersbraut eine
+Bauernmagd! Und bei dem, wo's noch keine auf die Läng' hat aushalten
+können! -- bei dem gröbsten aller Menschen im ganzen Ries! Die hat's
+zu was gebracht, das muß man sagen! Die kann sich freuen!« -- Zur Ehre
+des Dorfs muß ich übrigens bemerken, daß auch gar mancher die Sache von
+einer andern Seite ansah. Als ein ehrenhafter alter Bauer davon hörte,
+sagte er zu seiner Ehehälfte: »Wenn das in ihrem Kopf gewachsen ist,
+dann fang' ich wieder an etwas zu halten von dem Mädchen.«
+
+Allerdings war es in dem Kopf der Christine gewachsen, und zwar ging es
+so zu.
+
+Am andern Tage nach der Heimkehr ihrer Tochter hatte die Glauning schon
+einen großen Theil ihrer Ruhe und Besonnenheit wieder erlangt. Gedrückt
+war sie noch immer und traurig ging sie im Hause umher; aber ihr Geist
+richtete sich allmählig auf und überlegte, wie sie das Unglück, das sie
+betroffen hatte, wieder gut machen könne. Leute wie sie überreden sich
+leicht, daß sich alles auf eben die Art wieder ausgleichen lasse, die
+ihnen erfreulich dünkt. Als sie nun ihre Tochter in der Stube und Küche
+wieder arbeiten sah wie ehedem, als sie den Vetter mit ihr umgehen
+sah, wie wenn nichts vorgefallen und sie höchstens von einem längeren
+Besuch zurückgekehrt wäre, da beurtheilte sie die beiden nach sich und
+glaubte, alles könnte noch recht werden. Als erfahrene Frau mußte sie
+am besten wissen, was man alles zu thun habe, um in dieser Welt etwas
+zu erreichen; als Mutter hatte sie die Pflicht, für ihre Tochter zu
+denken und zu sorgen. Die Scheu, die sie gestern noch gefühlt hatte,
+wich daher einer Entschließung.
+
+Nachmittags fing sie gegen Christine auf's neue an zu klagen und ihre
+Bekümmerniß auszusprechen; es geschah dieß aber in einem Ton, daß die
+Tochter gleich fühlte, der eigentliche Schmerz sei schon vorüber und
+eine ernstliche Tröstung nicht mehr vonnöthen. Sie entgegnete mit
+Ruhe, daß diese Reden jetzt zu nichts mehr führen könnten. Man müsse
+das Geschehene geschehen sein lassen und nicht mehr daran denken,
+dann werde vielleicht alles wieder besser in's Gleiche kommen, als
+man glaube. »Da kannst du auch Recht haben,« erwiederte die Mutter
+begütigt. Und nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: »Man glaubt oft,
+man müsse ein recht großes Glück machen und deßwegen ein kleineres,
+das einem entgegenkommt, verschmähen. Aber das große ist einem nicht
+bestimmt und bleibt aus; und wenn man das sieht und gescheidt ist,
+nimmt man das kleinere an und lebt auch zufrieden dabei.« -- Christine
+sah ihre Mutter befremdet an: diese glaubte, sie müsse sich deutlicher
+erklären, und sagte: »Du hast Recht, Christine, alles kann wieder in's
+Gleiche gebracht werden, und du hast's in deiner Hand. Mir kannst du
+wohl glauben, denn ich versteh' mich darauf -- der Hans hat dich noch
+immer gern! Er ist einer von den guten Menschen, die alles verzeihen
+und denen es nicht möglich ist, etwas nachzutragen. Wenn du dich wieder
+freundlich gegen ihn benehmen und ihm ein wenig schönthun wolltest, so
+bin ich überzeugt.« --
+
+Das Gesicht des Mädchens hatte sich während dieser Rede, nach dem
+ersten deutlichen Wort, mit tiefer Röthe bedeckt; jetzt funkelten
+ihre Augen und mit erzürnter Heftigkeit rief sie: »Red' nicht weiter,
+Mutter! -- ich bitte dich! -- Wenn der Hans mich jetzt noch nähme, so
+wär' er ein Tropf -- der jämmerlichste Mensch, der auf Gottes Erdboden
+herumwandelt! Und wenn er's wäre und wenn er mich wollte, so möcht' ich
+~ihn~ nicht, weil ich ihn verachten würde! Pfui! wie kannst du an
+so etwas denken und einem ehrlichen Mädchen solche Vorschläge machen!«
+-- Die Mutter war betroffen; sie faßte sich indeß wieder und sagte:
+»Nun, ich rathe dir nichts, als was gar manches Mädchen schon gethan
+hat, die jetzt als Frau hoch in Ehren steht. Du kennst die Welt nicht.
+Ich bin deine Mutter, ich muß für dich sorgen, ich muß dich wieder
+auf den rechten Weg weisen --« -- »Red nicht weiter,« rief Christine
+am ganzen Leibe zitternd, »oder es geschieht ein Unglück! -- Noch ein
+Wort davon -- und ich geh' fort und spring' in's Wasser!« -- Die Alte
+starrte sie an. »Um Gotteswillen,« rief sie, »thu nur nicht gleich so
+wild! Ich hab' nur gemeint --« -- »Du sollst nichts meinen, was eine
+Schande wäre für mich und für ihn. Glücklich sein muß man nicht in der
+Welt, aber seinen Charakter muß man behaupten und seine Ehre! Und das
+sag' ich dir jetzt: wenn du nochmal von dieser Sache anfängst, wenn du
+nur noch eine Sylbe davon sprichst, dann geh' ich aus deinem Haus und
+deiner Lebtag wirst du mich nicht wieder sehen!«
+
+Die Alte schwieg, seufzte tief und verließ die Stube. In ihrer
+Herzensangst ging sie in den Stall und traf dort den Vetter, der eben
+vom Felde heimgekommen war. Sie sah ihn traurig an und schüttelte
+den Kopf. Hans fragte, was ihr wäre, und sie erwiederte: »Ich bin
+betrübt über meine Tochter. Nicht nur daß sie unglücklich heimgekommen
+ist -- sie ist auch bös heimgekommen. Wenn ich etwas sag' und ihr
+einen guten Rath geben will, fährt sie mich an wie rasend. Als ob
+ich eine Schlechtigkeit von ihr verlangte! Guter Gott, wer hätte das
+gedacht! Wer hätte geglaubt, daß ich noch so was erleben müßte!«
+Hans fragte, um was es sich denn eigentlich handle, und die Mutter,
+die ihr Herz erleichtern mußte, erzählte ihm den ganzen Auftritt
+mit Christine, indem sie nur in Bezug auf ihn die zu seiner Ehre
+nöthigen, schmeichelhaft klingenden Veränderungen anbrachte. Allein
+das fruchtete sehr wenig. Hans war bei ihrer Erzählung braunroth
+geworden und ein Blitz zuckte aus seinen Augen. Es kostete ihn Gewalt,
+den Zorn hinunterzudrücken, den er empfand; aber es gelang ihm und er
+entgegnete mit einer gewissen Ruhe: »Die Christine hat Recht gehabt.
+Mit uns beiden ist's aus. Je freundlicher sie gegen mich wäre, um so
+weniger möcht' ich sie, und Ihr würdet mich dann nicht lang mehr bei
+Euch sehen.« -- Die Mutter sah ihn tief betroffen an und rief: »Kann's
+denn wahr sein! ist wirklich alle Lieb' vergangen in dir?« -- »Alle,«
+erwiederte Hans mit Nachdruck. »Und ich muß Euch nur sagen, Base, auch
+mir wär's lieb, wenn Ihr davon nicht mehr reden wolltet.« -- »Ach,«
+rief die eben so von der Liebe des Hans wie von der Schönheit ihrer
+Tochter überzeugte Frau in ihrer Noth, »ich kann's nicht glauben, daß
+es dir ernst ist! Geh weiter! Mit der Zeit --« -- Aber nun sah Hans,
+dem die Stirnader schwoll, mit einem Gesicht auf sie, daß sie schleunig
+rief: »Sei ruhig, sei ruhig! ich will nichts mehr sagen!« -- Hans
+drehte ihr den Rücken zu und ging an eine Arbeit.
+
+Nun war die Reihe zu verzweifeln auch an die Alte gekommen. Wenn die
+Sachen so standen, dann war alles verloren; die letzte Hoffnung war
+ihr geraubt und die Schande, die auf sie herabgefallen war, blieb auf
+ihr sitzen. Ein ehrbarer, vermöglicher Mann, das fühlte sie, meldete
+sich jetzt schwerlich mehr um ihre Tochter. Einen armen Teufel, einen
+Liederlichen konnte sie nicht brauchen, um so weniger, als ihr Vermögen
+im letzten Jahr ohnehin eine ziemlich bedeutende Einbuße erlitten
+hatte. Und wenn auch einer von der Mittelgattung kam, war zu glauben,
+daß die »bockbeinige« Christine ihn nehmen würde? -- Ihr ganzes Leben
+war verdorben, durch die Schlechtigkeit eines Menschen, dem sie getraut
+hatte. Sie konnte nichts dagegen thun, sie mußte ruhig dasitzen und
+alles über sich ergehen lassen, Schadenfreude, Spott und Verachtung. --
+Als sie sich das recht deutlich machte, stand ihre Seele, die vor allem
+auf eitler Ehre Glanz gerichtet war, Folterqualen aus. Sie weinte und
+wehklagte und rief zu wiederholtenmalen: »Warum muß denn ~mir's~
+grad so gehen? Warum muß denn ich grad so unglücklich sein?«
+
+Auf diese Fragen gab es eine Antwort, und auch das in moralischen
+Dingen nichts weniger als fein empfindende Weib kam endlich auf ihre
+Spur. Nach einer Weile des Zurückdenkens in die Vergangenheit sagte
+sie sich: »Ja, ja! -- hätten wir nicht immer weiter getrachtet, wären
+wir beim Hans geblieben -- hätt' ich selber das Maul aufgethan damals,
+wie ich's hätte thun können und müssen, dann wär' alles anders jetzt.
+Wir wären geachtet, wohlhabend und glücklich alle mit einander.« Und
+nun, in Noth und in Schaden und in der Erkenntniß ihrer Mitwirkung dazu
+klopfte auch bei ihr das Gewissen an. Es ging ein Licht auf in ihrem
+Kopf und ein Feuer durch ihr Herz und sie rief: »Ich bin selber Schuld
+an meinem Jammer, ja ja, ich selber! -- ich hab's nicht anders haben
+wollen!« -- Sie stöhnte unter dem doppelten Druck des Unglücks und der
+eigenen Anklage, und nur in Thränen fand sie einige Erleichterung.
+
+Christine ließ sie weinen. Sie verrichtete die Arbeiten des Tags und
+schien für nichts anderes mehr Sinn zu haben. Hie und da sah sie zu
+der Betrübten auf; aber ihr Gesicht verrieth eher Befriedigung als
+Bedauern. Es war, als ob sie sagen wollte: »Fühl' es nur! Das kann dir
+nur gut sein, wie es mir gut gewesen ist!«
+
+Der Sonntag kam und brachte einen Besuch. Es war wieder eine Base
+(deren jede gestandene Person im Ries eine ungezählte Menge hat),
+zugleich mit der Glauning und mit Hans verwandt, eine Söldnersfrau aus
+dem Dorf des Holzbauern, die einem Hiesigen Zins bezahlt hatte. Nach
+geschehener Einweihung in das erlebte Unglück und der Empfangnahme von
+Worten des Bedauerns und Trostes kam die Rede auf die Angelegenheiten
+der Freundin, auf ihr Dorf und auf den genannten Bauern, der unter
+allen durch Reichthum, Verstand, Heftigkeit und Grobheit hervorragte.
+Frau Hubel (so hieß die Base) erzählte, daß dieser sonst so gescheidte
+Mann eben je älter, je ärger würde, daß er wieder eine Magd wegen einer
+kleinen Vergeßlichkeit ausgeschimpft habe »für's Vaterland,« daß die
+Magd ihm auch »ein rechtes Maul angehängt« habe und davon gelaufen sei.
+»Und nun,« setzte sie hinzu, »kann er sehen, wo er eine kriegt. Seit
+einem Jahr ist das die vierte, die er weggejagt hat, und schon ist
+eine Woche vorbei und noch immer hat er keine. Er kriegt auch keine,
+sag' ich, wenigstens keine ordentliche.« Christine, die der Erzählung
+aufmerksam zugehört hatte, erwiederte: »Doch, Base, er kriegt eine,
+und ich hoff' auch eine ordentliche.« -- »Wen denn aber?« fragte die
+Base verwundert. -- »Mich selber,« versetzte das Mädchen. »Ich will zu
+ihm gehen und mich anbieten, und ich hoff', er wird mich nicht wieder
+fortschicken. Gleich heute will ich mit Euch nach *** -- Ihr werdet so
+gut sein, mich über Nacht zu behalten.«
+
+Man kann sich denken, welches Staunen diese Erklärung bei der Hubel,
+welchen Sturm sie bei der Mutter hervorrief. Aber alle Einwendungen und
+alle Vorstellungen, die man ihr machte, wurden beantwortet und blieben
+fruchtlos. Das Mädchen sagte zuletzt: »Auf so eine Gelegenheit hab' ich
+gepaßt, und wenn ich sie jetzt nicht benutzen wollte, wär's eine
+Sünde.«
+
+In ihrer Aufregung suchte die Alte wieder den Hans auf, theilte ihm ihr
+Leid mit und rief: »Nun, was sagst du dazu? Was hältst du von diesem
+neuen Einfall?« -- Hans bemerkte ruhig: »Ich find' ihn ganz vernünftig.
+Wir haben hier nicht auf sie gerechnet und brauchen sie nicht. Da
+sie aber doch schwerlich mehr in die Stadt heirathet, so wird's gut
+sein für sie, wenn sie die Bauernarbeit wieder recht lernt; und beim
+Holzbauern ist sie in der besten Schule.« -- »Aber denk nur,« rief die
+Glauning, »dieser jähzornige Mensch, der nach niemand was fragt! Wenn
+er in seiner Wuth ist, wird er sie herstellen vor allen Leuten wie ein
+Bettelmädchen!« -- »Bah,« versetzte Hans, »so arg ist's nicht! Und am
+Ende,« setzte er lächelnd hinzu, »kann's ihr nicht schaden, wenn sie
+ein bischen unter die Fuchtel genommen wird.«
+
+Frau Glauning schüttelte bedeutend den Kopf, kehrte seufzend zurück
+und hatte keine Widerrede mehr. Christine packte Wäsche und Kleider
+zusammen und verließ gegen Abend mit der Base das Haus.
+
+Am andern Morgen ging sie in den großen, stattlichen Hof des
+Holzbauern. Sie traf diesen vor dem Haus und eröffnete ihm ihr Begehr.
+Der Bauer, hochgewachsen, breitschultrig, von rothbraunem Gesicht und
+mit dem Gebiß eines Wolfs, schien von ihrem Aussehen nicht sehr erbaut
+zu sein und fragte, wer sie wäre. Christine nannte ihren Namen und
+ihr Dorf. »So,« erwiederte er mit verdrießlicher Geringschätzung, »du
+bist die? Hab' vorgestern von der Geschichte gehört. -- Nun, und du
+glaubst, du könnt'st wieder eine Bauernmagd abgeben?« -- »Ich hoff's,
+Herr Bosch,« antwortete Christine dem Manne, der schon zweimal an der
+Spitze seiner Gemeinde gestanden hatte. -- »Verstehst du denn die
+Arbeiten noch?« -- »Was man von Jugend auf getrieben hat, verlernt man
+nicht in einem Winter.« -- »Kommt darauf an,« erwiederte der Bauer. Und
+ihre Hand fassend und betrachtend sagte er: »Das Händle da scheint mir
+die Arbeit schon recht verg'wöhnt zu haben.« Er drehte sie hin und her
+und schüttelte mürrisch den Kopf. Das Mädchen konnte nicht umhin zu
+lächeln. Ihre Hand, die man in der Stadt zu groß gefunden hatte, sollte
+nun wohl zu klein und zu fein sein. In der des Holzbauers war sie
+freilich klein; aber das war auch eine darnach, nicht sowohl eine Hand,
+als eine »Doap« erster Größe. -- Doch sie mußte antworten und sagte
+so ernsthaft als möglich: »Die Hand da wird so viel schaffen als eine
+andere, und bei Euch, glaub' ich, wird sie bald wieder gröber werden.
+Uebrigens will ich mich Euch nicht aufnöthigen. Wenn Ihr mich wollt,
+so versucht's mit mir; steh ich Euch nicht an, so sagt's, und ich geh
+meiner Wege.« -- Die entschlossene Sprache gefiel dem Holzbauern, der
+ohnehin nicht gemeint war, ein Mädchen, das er so nothwendig brauchte,
+wieder gehen zu lassen. »Der Teufel!« sagte er, »dein Maul geht ja wie
+ein Mühlrad. -- Nun, probiren will ich's mit dir. -- Viel trau ich dir
+nicht zu, das muß ich dir aufrichtig sagen; aber am End' -- No, so komm
+'rein zur Bäuerin', da wollen wir den Handel richtig machen.«
+
+Christine ging mit ihm in's Haus, bestand die Prüfung auch der würdigen
+Ehehälfte des Gewaltigen und war gedungen. Als sie, dem ersten Befehl
+gehorchend, die Stube verlassen hatte, sagte die Bäuerin: »Eigentlich
+ist das doch »a rechts Häa'le« (Hühnchen)! Ich glaub' nicht, daß wir
+die lang haben werden.« -- »Wenn's ihr nicht gefällt bei uns,« brummte
+der Bauer, »dann kann sie meinethalben wieder zum Teufel gehen!«
+
+
+ VII.
+
+Nachdem die Fluth der Ereignisse, wie wir sie im letzten Kapitel
+zu schildern versuchten, abgelaufen war, trat in dem Leben unserer
+Personen eine Ebbe ein, die für sie wohlthuend und nöthig war, uns aber
+als geschichtslose Epoche wenig zu sagen bietet. Das Außerordentliche
+hatte für jetzt ein Ende gefunden und alles ging seinen gewöhnlichen
+Gang. Hier und dort wurden die Arbeiten des Frühlings die Hauptsache,
+und hier und dort sah man seine persönlichen Angelegenheiten durch sie
+in den Hintergrund gedrängt.
+
+Von dem Frieden, den eine solche Epoche mit sich bringt, genoß übrigens
+am wenigsten die Wittwe Glauning. Sie mußte zugeben, daß unter den
+obwaltenden Verhältnissen das Dienen ihrer Tochter eine Auskunft
+war; aber den gewaltigen Sprung von der Lehrersbraut und künftigen
+Oberlehrerin zur Bauernmagd konnte sie nicht verwinden, und es war ihr
+eine ängstliche Sache, das Mädchen, die ihre einzige Freude war, bei
+dem »Wilden,« d. h. beim Holzbauern zu wissen und sich vorzustellen,
+wie er sie anfahren und heruntermachen werde.
+
+Zu der Plage, die sie sich mit ihren Gedanken selber anthat, gesellte
+sich noch eine andere. Das Schicksal der Christine war zu merkwürdig,
+zu seltsam, als daß in den guten Freundinnen der Mutter und der Tochter
+sich nicht ein unwiderstehliches Verlangen hätte regen sollen, das
+Nähere darüber zu erfahren. In den Stunden der Muße kam nun eine
+um die andere angeschlichen, und den Versicherungen der Theilnahme
+folgten regelmäßig Fragen, welche die gute Frau sehr inkommodirten. Sie
+erklärte zwar die Vorgänge durchaus zur Ehre ihrer Tochter; aber was
+half das? Ein Gesicht wie beim Erzählen eines glücklichen Ereignisses
+konnte sie doch nicht machen. Und wenn die Freundinnen Christine lobten
+und hinzufügten: das hätten sie an ihrer Stelle auch gethan, und sie
+hätte sich benommen wie ein rechtes Mädchen, so klang dies in den Ohren
+der Mutter lange nicht so gut, als die Ausrufungen und Gratulationen
+geklungen hätten beim Verkündigen der Nachricht: ihre Tochter sei Frau
+Lehrerin. -- Und wenn gar erst eine von der schlimmen Sorte kam und
+ein ungläubiges Gesicht machte und eine gewisse Schadenfreude nicht
+verbergen konnte und von den unschuldigen Fragen zu den spitzigen
+überging, da wurde die Situation der ehrgeizigen Mutter höchst fatal.
+Sie konnte nur mit Mühe die Ungeduld ihres Herzens bemeistern; ein
+paarmal, gegenüber von besonders Zudringlichen, gelang ihr dies nicht
+und sie mußte sich mit entschieden unhöflichen Antworten helfen. Damit
+gewann sie aber nichts; die Weiber entschuldigten sich heuchlerisch und
+lächelten dabei noch viel beglückter als vorher.
+
+Doch die Zeit verging, das Mißgeschick der Familie wurde altmodisch, in
+einem Bauernhause des Orts gab es ein Aergerniß, das bedeutend von sich
+reden machte, obwohl es lange nicht so außerordentlicher Natur war,
+und die Glauning bekam endlich Ruhe. -- Christine hatte schon zweimal
+Grüße geschickt und der Mutter zuletzt noch herunter »verbieten«
+(entbieten) lassen: sie sei gesund und es gehe ihr gut; der Holzbauer
+wäre nicht so bös, als man ihn mache, zum wenigsten meine er's nicht so
+bös, und ihr selber sei alles recht bei ihm. Diese Nachrichten trugen
+dazu bei, das Herz der Mutter zu beschwichtigen, so daß sie hie und
+da sogar wieder behagliche Stunden hatte. Sie wußte freilich nicht,
+was aus ihr und ihrer Tochter werden sollte. Sie wußte nicht, ob Hans
+gesonnen war, bei ihr zu bleiben, oder was er sonst im Sinn hatte.
+Der sonderbare Mensch arbeitete weiter, als ob er der Sohn des Hauses
+wäre. Er hatte von dem Ankauf des Gutes nicht mehr gesprochen, sagte
+überhaupt sehr wenig und wollte offenbar nicht gefragt werden. Aber
+konnte er nicht jeden Augenblick zu ihr kommen und sagen: er hätte
+nun eine gefunden, die ihm passe, er wolle heirathen und müsse nun
+entweder sein Geld oder das Gut haben? Diese Unsicherheit der Zukunft
+hatte nichts Tröstliches, aber vor der Hand war dem Herzen doch eine
+wirkliche Last abgenommen, und ein's in's andere gerechnet, konnte
+man sich in sein Schicksal ergeben. Die Wittwe nahm sich ein Beispiel
+an dem Vetter, und so hauste man zusammen weiter und ließ es, auf gut
+deutsch und auf gut ländlich, gehen, wie's eben ging.
+
+An einem Sonntag in der zweiten Hälfte des Mai kam unerwartet eine
+Einkehr, in der Person der Base Hubel. Diese gehörte zu den Weibern,
+die gerne Neuigkeiten einsammeln und verbreiten, und deswegen auch
+öfter über Land gehen, wenn sie gerade Zeit und dem Mann gegenüber
+einen Vorwand haben. Diesmal hatte sie im Dorf eigentlich nichts zu
+thun; sie wollte nur erzählen und hören, und sehen, wie's bei der
+Glauning stehe. Zunächst richtete sie recht schöne Grüße von Christine
+aus. Auf Befragen der Mutter, was diese mache und wie ihr das Dienen
+anschlage, legte sie ihr Gesicht in bedenkliche Falten und bemerkte:
+»Ja, da wär' viel zu sagen! 'S geht ihr eben recht hart bei dem
+Menschen, recht hart!« -- »So?« erwiederte die Mutter. »Aber sie hat
+mir ja sagen lassen, sie sei wohl zufrieden?« -- »Ja seht, Base, das
+ist eben zum Verwundern. Sie selbst thut, als ob ihr nichts zuviel und
+alles recht wär'. Sie schafft mehr als die andern, und besser. Aber
+anstatt nun ein Einsehn zu haben und sie zu schonen, verlangt der
+alte Bär immer mehr von ihr, und wenn sie »in der Acht« (unversehens)
+ein kleines Fehlerle gemacht hat, schnurrt er sie an. 'S ist grad,
+als wenn der Teufel in ihn gefahren wär'! Eine andere wär' schon lang
+davongelaufen. Aber wenn die Christine noch so meint, es müßt' sein,
+sie wird doch auch nicht bleiben können: sie macht's nicht aus auf
+die Läng'.« -- »Du lieber Gott!« rief die Mutter, »was sind das für
+Sachen! Aber wie steht's denn mit ihrer Gesundheit? Wie sieht sie denn
+aus dabei?« -- »Wie wird sie aussehen, Base! Wie man eben aussieht,
+wenn man alles thun muß! Mager ist sie und »schwarz« (braun) und
+gelb im Gesicht.« -- »Meine Christine!« rief die Alte, wie von einer
+Schlange gebissen. »Aber das kann so nicht fortgehen, sie kann's
+nicht aushalten, und ich darf's nicht leiden.« -- »Das hab' ich ihr
+auch gesagt, erst heut früh noch. Mädle, hab' ich gesagt, das kannst
+du nicht prästiren, du bist's nicht gewohnt und du schaffst dir die
+Schwindsucht an den Hals. Wenn du deinen Sinn nicht ändern und mit
+Gewalt dienen willst, so such dir wenigstens einen andern Platz; 's
+giebt ja bessere. Aber was hat sie mir darauf gesagt? Grad ~der~
+Platz ist mir recht und grad da will ich bleiben!«
+
+»Da seh eins den eigensinnigen Kopf! Guter Gott! 's ist ja grad, als
+ob sie sich expreß zu Grund richten wollte?« Und die unglückliche
+Mutter wendete sich zu dem Vetter, der am Ofen »Speikel« schnitzte
+zum Festmachen einer Hacke am Stiel, und rief: »Nun, Hans, was sagst
+denn du zu der Neuigkeit? Soll ich das dulden? Ist's nicht meine
+Schuldigkeit, sie mit Gewalt von dem Menschen wegzubringen?« -- »Base,«
+erwiederte Hans nach kurzem Besinnen, »Ihr wißt, daß ich nicht gern in
+anderer Leut' Sachen rede; aber weil Ihr mich gefragt habt, will ich
+Euch doch meine Meinung sagen. Daß man sich die Schwindsucht an den
+Hals ärgert, mag sein, zum wenigsten sagt man so; aber daß man sie sich
+an den Hals schafft, hab' ich noch nie gehört. Ich glaub' auch nicht,
+daß es mit dem Aussehen der Christine grad so arg ist, wie's die Bas
+Hubel macht. Die Bas red't manchmal gern ein Bischen mehr, als an der
+Sach' ist; und natürlich, wenn man über zwei Stunden Wegs macht, um
+etwas zu erzählen, so muß es doch auch der Müh' werth sein.«
+
+Hier verzog die Hubel bedeutend die Oberlippe; Hans aber, ohne sich
+daran zu kehren, fuhr fort: »Runde und rothe Backen muß man grad nicht
+haben, sonst wär's bös für viele Leut' in der Welt. Im Uebrigen ist
+die Christine ein Mädchen, die ihren Verstand hat und selber am besten
+wissen muß, was sie vertragen kann; ich mein' also, daß Ihr sie lassen
+sollt, wo sie bleiben will.« -- »Geh weiter!« rief die Hubel, »du bist
+mir auch der rechte geworden! Wenn das die Christine hörte, daß du dich
+jetzt so gar nichts mehr um sie bekümmerst, dann thät' sie's kränken,
+recht in der Seel' kränken, das kann ich dir sagen.« -- »Ich glaub's
+nicht,« erwiederte Hans, der unterdessen aufgestanden war; »übrigens
+müßt' ich's mir gefallen lassen, ich kann mich nicht anders machen, als
+ich bin.« -- Dann verließ er die Stube und hämmerte draußen die Speikel
+ein. Die beiden Weiber sahen sich an und schüttelten den Kopf. »Wer
+hätte das geglaubt?« rief die Hubel. Und die Glauning jammerte: »Alle
+sind verhext! Ist das ein Elend!«
+
+Manches wurde noch hin und her geredet. Endlich rüstete sich die Base
+zum Aufbruch und fragte, was sie der Christine sagen solle. »Sie soll
+sich schonen,« rief die Glauning eifrig; »und wenn ihr's der »Unmassel«
+zu arg macht, soll sie zu ihrer Mutter kommen. Das sag ihr!« -- »Sagen
+will ich ihr's,« versetzte die Base; »aber ich sorg', es wird nichts
+helfen.«
+
+Und es half nichts. Christine hörte es, dankte der Base -- und blieb.
+Gelegentlich ließ sie der Mutter sagen: sie werde das Schaffen immer
+mehr gewöhnt, und man solle doch ja keine Sorge haben um sie.
+
+Mehrere Wochen gingen vorüber. Die Glauning war wieder ruhiger
+geworden, da sie nichts Besonderes von ihrer Tochter erfuhr, und ihr
+Herz hatte sich wieder einigermaßen der Lebensfreude geöffnet. Nun
+brachte aber das Schicksal eine andere, stärkere Prüfung an sie. An
+einem Sonntag in der Heuernte kam ein Besuch von ***, der sich mit
+einem Gruß der Hubel einführte. Es war eine Nachbarin derselben, etwas
+verwandt mit ihr, weswegen sie auch die Glauning sofort mit dem Titel
+Frau Base anredete. Als die letztere nach den ersten Höflichkeiten
+und nachdem sie ein gutes »Vorbrod« auf den Tisch gesetzt hatte,
+die Frau genauer ansah, merkte sie an einer gewissen bedenklichen
+Ernsthaftigkeit derselben alsbald, daß sie etwas Neues bringen werde
+von Christine, aber nichts Gutes. Sie erkundigte sich etwas kleinlaut,
+was ihre Tochter mache, und ob sie's noch aushalte in ihrem Dienst.
+»Noch immer, Frau Base,« war die Antwort; »aber ich kann's Euch wohl
+sagen, 's wundert sich alle Welt drüber.« -- »Wie so?« fragte die
+Glauning; »wird sie noch alleweil so hart gehalten?« -- »Frau Bas,«
+erwiederte die Andere, »ich hätt' mir nicht getraut zu erzählen, was
+vorgefallen ist; aber die Bas Hubel hat gesagt, weil ich hier grad
+etwas zu thun hätt', sollt' ich zu Euch gehen und Mittheilung machen,
+denn Ihr müßtet's wissen.« -- »Guter Gott,« rief die Mutter, »was werd'
+ich wieder hören müssen!«
+
+Und die Andere begann: »Wie Eure Christine, die's doch wahrhaftig
+nicht nöthig hätt', alles thun muß beim Holzbauern, wie er ihr mehr
+aufhängt als andern, und wie sie auch wirklich mehr schafft als andere,
+das wißt Ihr schon; 's ist zum Verstaunen! Da ist nun »vodertags«
+(vorgestern) zum »Häat« (Heuernte) schön's Wetter kommen, und der
+Bauer ist wieder gewesen wie der »Massich« und hat gemeint, alles
+müss' auf einmal drin sein. Er hat gethan und gewirthschaftet auf der
+Wies, daß »a Graus« gewesen ist. Am Himmel ist a Wölkle gestanden,
+ganz klein und unscheinbar; aber er hat doch gesehen, das könnt' ein
+Wetter geben, denn gescheidt ist er, das muß man ihm lassen. Wie nun
+ein Fuder heimgefahren und die Christine mitgegangen ist zum Abladen,
+hat er ihr noch nachgerufen, sie sollt' des Nachbars Wagen »verdleihen«
+(entlehnen) und rausschicken. Nun, wie's einem eben geht -- entweder
+hat sie's nicht recht verstanden oder sie hat's vergessen -- du lieber
+Gott, was passirt einem nicht in der Unmuß', wenn alles auf einen
+hineinschreit? Die Bäuerin hat auch noch schnell was haben wollen von
+ihr, und wenn die red't, muß auch gleich alles laufen und springen;
+kurz, der Bauer wartet und der Wagen bleibt aus, aber das Wetter kommt
+am Himmel rauf. Da hättet Ihr den Mann sehen sollen! Reingelaufen
+ist er wie »wüadeng« (wüthend), und wie er erst vom Nachbar gehört
+hat, daß der Wagen gar nicht bestellt worden ist, da ist's gar aus
+gewesen. Herrgott, Frau Bas, wie hat der die Christine hergestellt!
+Ich bin grad am Hof vorbei gegangen und stehen geblieben; mein Lebtag
+hab' ich keinen Menschen so lästern hören. »Du dummes Thier! Du
+einfältiger Mensch! Bist »do'sohrad« (taub), he'! oder denkst an dein'
+Schulmeister, wann ich was sag'? Ich hätt' n' guten Lust und nähm' die
+Karbatsch und thät' dir die Gedanken austreiben, daß sie deiner Lebtag
+nimmer kommen.« -- Ach, Frau Bas, ich will nicht sagen, was er alles
+noch geschrieen hat. 'S ist so arg gewesen, daß die andern Ehehalten
+ganz blaß dagestanden sind und ordentlich verstarrt, und zuletzt auch
+die Bäuerin gerufen hat: »Jetzt sei still einmal und schäm dich vor den
+Leuten. Geschehen ist geschehen!««
+
+Die Mutter war bei den Schimpfreden, womit ihr Kind befleckt
+worden, von der Bank aufgesprungen mit einer Miene, als ob sie
+das Schrecklichste vernommen hätte, und sogar die uns bekannte
+pflanzenruhige Taglöhnerin, die hinter dem Ofen gestrickt hatte,
+war herbeigeeilt. »Das ist meiner Tochter passirt?«, rief die Alte
+zitternd vor Entrüstung, »~meiner~ Christine? und sie hat dem
+Schandmenschen nicht augenblicklich den Dienst gekündigt und ist auf
+und davon gegangen?« -- »Jede andere hätte das gethan,« versetzte
+das Weib, »keine hätte sich das gefallen lassen.« -- »Ich wahrhaftig
+auch nicht,« rief die Taglöhnerin, deren Backen sich gefärbt hatten,
+ordentlich aufgebracht. -- »Die Christine,« fuhr die Erzählerin fort,
+»hat sich's gefallen lassen und ist geblieben. Zuerst ist sie bestürzt
+gewesen und hat ihn mit großen Augen angesehen. Je mehr er aber
+gewüthet hat, je ruhiger ist sie geworden; und wie er endlich aufgehört
+hat, weil ihm ganz der Schnaufer ausgegangen ist, da hat sie gesagt:
+»Herr Bosch, ich seh's ein, ich hab' gefehlt. Verzeiht mir's -- es soll
+nimmer geschehen.«« -- Die Glauning war empört. »Das hat meine Tochter
+gesagt?« rief sie. »Mit der muß was vorgegangen sein. Es ist nicht
+anders möglich -- bei der ist's nicht mehr richtig im Kopf!«
+
+Das Gesetz der Schwere, wie man weiß, gilt in der geistigen Sphäre so
+gut wie in der materiellen. Die Schwäche gravitirt nach der Stärke; wer
+außer sich ist, strebt zu dem Festen und Gefaßten hin und klammert sich
+an ihn an, und zwar zunächst ganz instinktmäßig, ohne alle Reflexion
+und trotz aller Anprallungserfahrungen, die man gemacht hat. -- Diesem
+Instinkt zufolge suchte die Glauning den Vetter auf; sie traf ihn im
+»Emmenstand« und erzählte ihm die Geschichte. Der Bursche horchte mit
+großem Ernst und die Mutter, die hierin Uebereinstimmung mit ihren
+Gedanken erblickte, schloß mit den Worten: »Nun wirst du mir doch
+Recht geben, wenn ich's nicht mehr leide, daß sie noch länger bei dem
+Menschen dient? Gleich morgen in der Früh' geh ich hin und nehm' sie
+mit nach Haus.« -- Hans, nach kurzem Schweigen, versetzte: »Wenn sie
+nun aber nicht mitgeht?« -- »Nicht mitgehen?« rief die Mutter. »Das
+will ich doch sehen, ob ich über mein Kind keine Gewalt mehr hab'.
+Sie ~muß~ mit!« -- »Base,« fuhr Hans fort, »übereilt Euch nicht
+und macht überhaupt die Sache nicht ärger als sie ist. Wenn man Heu
+hereinbringen will und durch den Fehler eines Dienstboten wird's
+verregnet, so ist das für einen Bauern eine sehr ärgerliche Sach'. Der
+Christine hat was gehört, und wenn der Bosch es ihr nicht geschenkt
+hat, so ist das begreiflich.« -- »Aber so rasend, so abscheulich thun«
+-- -- »Das will ich gar nicht loben,« versetzte Hans. »Aber kennt man
+den Holzbauern denn nicht? Wenn der zornig wird, ist's grad, wie wenn
+ein Wetter ausbricht. 'S geht nicht anders, es muß raus aus ihm, er
+kann sich nicht anders helfen, und darum kann man's ihm auch nicht so
+übel nehmen wie andern Leuten. Das wird sich die Christine wohl auch
+gedacht haben und drum ist sie geblieben.« -- »In einem Haus, wo man
+einen so schandbar behandelt hat,« erwiederte die Glauning mit dem
+Ausdruck der Entrüstung und Geringschätzung, »da bleibt man nicht mehr,
+wenn man ein ordentliches Mädchen ist. Und die da, die zu mir gesagt
+hat, daß man vor allem seinen Charakter und seine Ehr' behaupten müss'
+in der Welt -- die will sich so was gefallen lassen!« -- »Sie wird eben
+unter Charakter und Ehr' etwas anderes verstehen, als Ihr, Base.« --
+»Meinetwegen!« rief die Mutter, erzürnt darüber, den Burschen gegen
+ihr Vermuthen auch diesmal im Widerspruch mit sich zu finden. »Ich
+leid's einmal nicht, daß sie noch dort bleibt. Und ich geh hin und hol'
+sie und mit Gewalt nehm' ich sie mit mir!« -- »Ihr kennt Eure eigene
+Tochter nicht,« rief Hans mit Nachdruck. »Ich sag' Euch, sie geht nicht
+mit Euch!« -- »Das wird sich zeigen, -- ich thu's nicht anders und
+setz' alles in Bewegung.« -- »Dann, Frau Base,« rief Hans mit strengem
+Gesicht, »dann macht Ihr einen thörichten Streich und kommt doch nicht
+zu Eurem Zweck. Die Christine, das könnt Ihr nun wohl sehen, hat sich
+was in den Kopf gesetzt und läßt sich nicht davon abbringen; und ich
+für meine Person, ich denk', ich kann's errathen. -- Bah,« fuhr er mit
+einem eigenen Lächeln fort, »an einem Schimpfwort stirbt man nicht --
+namentlich wenn man nicht ohne Schuld ist, und je mehr man aushalten
+lernt, desto besser ist's.« -- »Aushalten!« rief die Glauning; »Schande
+soll niemand aushalten.« Aber nun wurde Hans aufgebracht. »Base,« rief
+er, »ich will Euch meine Meinung rund heraus sagen. Ihr seid eine eitle
+Mutter und wollt nichts als Ehr' haben und flattirt sein und prangen
+mit Eurer Tochter. Euer Prangen ist Euch aber schlecht bekommen bis
+jetzt. Wer weiß, wer weiß, ob nicht Euch so gut als Eurer Tochter die
+Schande gesünder ist.«
+
+Die Alte war von diesen Worten getroffen -- und entwaffnet. Sie ging
+niedergebeugt ins Haus zurück und sagte zu sich selber: »Der ist nun
+auch ein Satan geworden. -- O ich unglückliche Mutter!« -- Als die
+neue Base Abschied nahm, erhielt sie keinen andern Auftrag, als der
+Christine zu sagen, sie solle doch ja heimkommen oder in einen andern
+Dienst gehen und nicht mehr bei dem Menschen bleiben; es wär' ja ein
+Schimpf und eine Schande für die ganze Freundschaft.
+
+Die Mahnung hatte aber denselben Erfolg wie die erste. Christine blieb
+und ließ bei Gelegenheit herunter sagen, es sei Alles wieder in Ordnung
+und Alles vergessen.
+
+Mit der Satanschaft, welche die Glauning dem Vetter beilegte, war es
+freilich nicht weit her. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, die Leser
+nun ein wenig mehr in das Herz des Burschen blicken zu lassen, damit
+sie das Verhalten desselben vollständiger begreifen und würdigen können.
+
+Hatte die Natur den Hans nicht zu einem Satan bestimmt, so war er doch
+eben so wenig zu einem sogenannten »guten Menschen« geschaffen, d.
+h. zu einem, der aus Schwäche gegen andere und ihre Prätensionen die
+Pflichten verletzt, die er gegen sich selber hat. Unser Freund sollte
+werden, was man auf dem Land einen rechten Mann -- einen Ehrenmann
+nennt. Zu einem solchen gehört die Güte und die Großmuth, die in seinem
+Wesen lag, als nothwendiges Element, aber eine Güte und eine Großmuth,
+die weiß, was sie will, und sich nicht beikommen läßt, mit ihren
+Vorzügen den eiteln Trieben der Welt zu dienen. Die Lehre, die ihm
+das Schicksal gegeben, war nicht fruchtlos geblieben; er hatte etwas
+profitirt von seinem Leid und sich ein Benehmen vorgezeichnet, das er
+streng einhalten wollte. Er hatte sich vorgenommen, sich selbst höher
+zu achten, nicht zu thun, was andere, sondern was er selber für gut
+ansah, und den größten Schatz, den er besaß, nimmermehr an ein Wesen zu
+verschleudern, das seiner nicht werth war.
+
+Als die Glauning ihm den Brief mittheilte, worin Christine das
+Auseinanderkommen mit Forstner meldete, war er zuerst hoch überrascht;
+denn auch er hatte an einen solchen Ausgang nicht mehr gedacht. Das
+Benehmen und die Ausdrücke des Mädchens gefielen ihm; er freute
+sich, daß sie den Menschen, dem er freilich nie recht getraut, nach
+Verdienst behandelt habe; er freute sich an ihrem Stolz und daß sie
+sich achtungswerther zeigte, als er von ihr erwartet. Zugleich hatte
+er aber ein Gefühl der Genugthuung, und er unterdrückte es nicht. Sie
+war gestraft -- er gerechtfertigt. Sie hatte erfahren, wie viel mehr
+ein braves Herz werth ist, als ein glattes Gesicht, und das war ihr gut
+und heilsam. Sie hatte das Schicksal, das sie gewollt -- sie mußte es
+hinnehmen.
+
+Die Rückkehr des Mädchens änderte seine Empfindung in etwas, aber nicht
+in der Hauptsache. Ihr Aussehen, die Folge der erduldeten Krankheit,
+regte sein Mitleid an; er fühlte, wie es ihr zu Muthe sein mußte, und
+bedauerte sie von Herzen. Indem er überlegte, wie er sich gegen sie
+benehmen sollte, hielt er es in jeder Hinsicht für das Beste, sie
+mit Fragen ganz zu verschonen und zu thun, als ob nichts vorgefallen
+wäre. In seinem Herzen mußte freilich auch er sich fragen: was soll
+aus ihr werden? was soll am Ende aus uns allen werden? Er fühlte das
+Bedenkliche und Aengstliche des gegenwärtigen Zusammenlebens und dachte
+darüber nach, wie es allenfalls geändert werden könnte. Aber die
+Auskunft, die andern eingefallen war und die in jenem Bauernhause den
+Streit zwischen Knecht und Tochter hervorgerufen hatte, stellte sich
+nicht einmal als Möglichkeit vor seine Seele. Ein Mädchen aus Mitleid
+zu heirathen und gar die Untreue zu belohnen mit dem Besten, was er
+hatte, das war nicht die Sache unseres Burschen. -- Er konnte vergeben
+und vergessen, er konnte Freund und Vetter sein, er konnte Hülfe
+leisten und Wohlthaten erzeigen; aber Christine zum Weib zu nehmen,
+wär' ihm jetzt nicht eingefallen, auch wenn er sie noch geliebt hätte.
+Er verlangte von der Seinen, daß sie ihm in Lieb' und Treue anhänglich
+sei und ihn zu schätzen wisse nach Verdienst. Und wenn er auch aus der
+Noth eine Tugend machte, wenn er eine nahm, die er selber nicht liebte,
+wie er Christine geliebt hatte, dann mußte es doch eine sein, die ihn
+gern und an ihm ihre Freude hatte und die ihn höher achtete, als jeden
+andern in der Welt.
+
+Daß ihn bei dieser Gesinnung die Erzählung der Mutter von ihrem Streit
+mit der Tochter, d. h. die Ansicht und die Hoffnung der Alten selbst,
+wie verzuckert sie ihm präsentirt wurde, empören mußte, leuchtet ein.
+Er empfand eine solche Wuth in seinem Herzen, noch einmal für den
+Gutgenug gehalten zu werden, daß er ein ungewöhnliches Zucken in seiner
+Rechten verspürte und die größte Anstrengung nöthig hatte, gegen die
+»dumm unverschämte Zumuthung« nicht loszuplatzen. Dagegen was ihm von
+den Reden der Christine mitgetheilt wurde, gefiel ihm und er freute
+sich ihrer »Einsicht.«
+
+Seinen ganzen Beifall hatte der Entschluß des Mädchens, als Magd zu
+dienen. Die Fragen, die ihn belästigten, fanden damit ihre Erledigung
+und das gegenwärtige bängliche Beisammensein ein Ende. Er mußte sich
+sagen, daß in Christine doch ein Geist wohne, der nach mehr aussehe,
+als er ihr bisher zugetraut hatte. Es war ihm recht, daß sie gerade zum
+Holzbauern kam, und er rechnete es ihr als Tugend an, daß sie ihn nicht
+scheute. »Bei dem,« sagte er zu sich selber, »ist sie am rechten Platz,
+um das Frauenzimmer ganz wegzucuriren und wieder etwas nutz zu werden
+für das Dorf.«
+
+Die Berichte, die nach einander von den zwei Basen gemacht wurden,
+konnten seine Achtung vor ihr nur erhöhen und seinen innerlichen
+Beifall nur verstärken. Er überzeugte sich, daß Christine einen
+Zweck habe, so zu handeln, und er glaubte ihn zu kennen. Da es nun
+gerade nicht nöthig ist, Philosoph oder Theolog zu sein, um zu wissen,
+daß eine unter gewissen Umständen, mit Fleiß und aus guten Gründen
+erduldete Beschimpfung keine Schande, sondern vielmehr Ehre bringt; da
+es zu dieser Einsicht genügt, nur kein Geck zu sein und das Herz auf
+dem rechten Fleck zu haben, so konnte Hans auch bei der zweiten Meldung
+nicht mit der Entrüstung und dem Lamento seiner Base harmoniren.
+Nachdem er dieser seine Meinung gesagt und in der Einsamkeit das
+Vernommene wieder überdacht hatte, rief er im Gegentheil zufrieden für
+sich hin: »Bravo!«
+
+Man würde unsern Freund mißverstehen und ihm Unrecht thun, wenn man
+glauben wollte, die Achtung, die er empfand, sei der Art gewesen,
+daß sie in natürlicher Steigerung zum Wiederaufleben seiner Liebe
+führen mußte und nicht mehr weit davon entfernt war. Er fühlte Respekt
+vor dem Respektabeln, er freute sich an dem Erfreulichen -- nichts
+weiter. Alte Liebe rostet nicht, sagt das Sprüchwort; aber gerade
+bei den liebefähigsten Menschen kann sie unter Umständen doch etwas
+rostig werden. Die liebefähigsten sind nämlich in der Regel auch die
+liebeklarsten und fühlen und wissen, daß an der Geliebten eben ihre
+Liebe die höchste und schönste, d. h. die liebenswürdigste Eigenschaft
+ist. Wenn diese ihre Liebe nun dahinschwindet oder als bloßer Schein
+erkannt wird, dann schwindet für einen solchen Menschen eben das
+Höchste, das Licht und Leben der Schönheit hinweg, und die Flamme, die
+von der Anschauung dieses Höchsten genährt war, muß zu Boden sinken.
+
+Unser Bauernbursche hatte treu geliebt in Hoffnung, wenn auch anfangs
+mit schüchterner Hoffnung; er hatte verziehen und wieder geliebt, als
+er in der Geliebten Reue und Liebe zu sehen glaubte; er hatte das
+Leid der unglücklichen Liebe im Grund seines Herzens durchgelebt und
+überwunden. Damit war's aber auch zu Ende.
+
+In seiner jetzigen Gesinnung und in der Freude, daß eine
+Jugendfreundin, eine Verwandte von ihm sich so über Erwarten hielt,
+hätte er übrigens der Christine gern seinen Beifall kundgegeben und
+sie dadurch in ihrer Handlungsweise bestärkt; aber das ging unter den
+bestehenden Verhältnissen nicht an. Da bot ihm der Zufall unverhofft
+eine Gelegenheit, für sie doch gewissermaßen etwas zu thun und
+zugleich, einem alten Grolle genügend, sein Müthchen zu kühlen.
+
+Eines Sonntags nach Tisch begab er sich nach Oettingen. Er hatte dort
+Einkäufe zu machen, ging hin und her und stärkte sich endlich durch
+ein Maß kühlen und kräftigen Sommerbiers. In rüstiger Stimmung und
+etwas unternehmungslustiger als vorher trat er aus der Wirthsstube auf
+die Straße. Kaum war er ein paar Schritte gegangen, als er von weitem
+eine Gestalt erblickte, die ihm bekannt war. Seine Augen täuschten ihn
+nicht, denn er hatte gute Augen -- es war der Mann, der ihm sein ganzes
+Leben verdorben -- der, welcher ihm das Liebste abwendig gemacht und es
+dann gekränkt und unwürdig behandelt hatte: es war der Lehrer Friedrich
+Forstner, der in Begleitung eines andern ihm entgegenkam. Als er ihn
+erkannte, so daß er nicht mehr zweifeln konnte, fuhr ein Zorn und
+ein Geist der Rache in ihn, der für den Menschen, der ihm sein Glück
+gestohlen, eine exemplarische Züchtigung verlangte. Allein er hatte
+Zeit zu überlegen; eine andere Stimme ließ sich in ihm hören und er
+sagte sich unmuthig und geringschätzig: »Ich kann's ihm nicht machen,
+wie er's verdient -- der Kerl blieb' mir in der Hand.« Das gute Glück
+hatte gleichwohl eine Art Genugthuung für ihn bereit. Forstner war mit
+seinem Begleiter -- seinem künftigen Schwager Dobler -- in eifrigem
+Gespräch; er erkannte den Hans nicht und sah nur im Allgemeinen, daß
+ein Bauernbursche auf ihn zukam. Von einem Gönner, den er besucht
+hatte, besonders freundlich behandelt, fühlte er sich noch etwas höher
+als gewöhnlich, und daß nun ein Bauernbursche, wenn er ihm begegnete,
+mit Respekt auf die Seite treten müsse, das verstand sich von selbst.
+Hans aber ging fest und gerade auf ihn zu; er wich, im Gefühl der
+Gleichheit, nur zur Hälfte aus, Forstner im Bewußtsein des Höherstehens
+gar nicht, und so stießen sie aneinander. Diesen Moment benutzte der
+Brave, um dem Zierlichen einen Ruck zu geben, daß er und sein Begleiter
+drei Schritte weit auf die Seite flogen und sich mit Mühe auf den
+Beinen hielten. Dobler raffte sich zuerst auf und rief zornig: »Was ist
+das für ein unverschämter« -- -- Aber Forstner hielt den Vordringenden
+bei der Hand zurück und rief ihm ein gedämpftes, warnendes »Ruhig«
+zu. -- Er hatte den Vetter erkannt, sein Gewissen hatte sich gerührt
+und seinen Muth beschwichtigt. -- Hans richtete seinen Kopf stolz
+empor und fragte: »Ist den Herren was gefällig?« Es mußte ihnen wohl
+nichts weiter gefällig sein, denn sie wichen der »brutalen Gewalt« und
+gingen ruhig weiter. Der Sieger schritt befriedigt und in männliche
+Gedanken verloren vorwärts. Plötzlich stieß er wiederum an und eine
+gewaltige Baßstimme rief: »Kreuzmillionen, was ist denn das?« Er sah
+auf, erkannte den stärksten Burschen seines Dorfs, lachte gutmüthig
+und sagte: »Nichts für ungut, Bruder, ich bin in Gedanken gewesen!« --
+Der Stattliche, wieder begütigt, sagte mit Achselzucken: »Du bist aber
+»ebbes« in Gedanken! Will das gar kein End' nehmen?« -- Unser Freund
+hätte zur Erklärung gern sein kleines Abenteuer erzählt; er fühlte
+aber, daß es ihm nur unliebsame Bemerkungen zuziehen würde, und schwieg
+und sprach auf dem Heimweg mit dem Kameraden nur über Gegenstände des
+Feldbaus.
+
+Die Zeit der Ernte kam heran und gab auch im Hause der Glauning vollauf
+zu thun. Es war sehr heiß diesen Sommer, man hatte viel auszustehen
+beim Schneiden und Sammeln; die Beschwerden der Mutter wurden aber
+dadurch noch vermehrt, daß sie sich die Leiden der Tochter vorstellte.
+»Gott,« rief sie einmal aus, als die Sonne gewaltig niederbrannte,
+»wie wird es meiner Christine gehen! Die schwindet mir ganz zusammen
+diesen Sommer und wird alt vor der Zeit!« -- Hans, dem sie diese Worte
+zu Gehör geredet, lächelte und schwieg. Die Alte fuhr fort: »Wie sie
+wieder heimgekommen ist von der Stadt, bin ich froh gewesen, daß ich
+ihre Bauernkleider und sonstige Ausstaffirung nicht verkauft gehabt
+hab', denn ich dacht' mir: wer weiß, was geschieht! Aber jetzt, wenn
+sie so zusammengeht, wie ich höre, kann sie die Sachen ja doch nicht
+brauchen, und es wär' gescheidter gewesen, ich hätt' sie weggegeben.«
+-- Hans zuckte die Achseln; dann sagte er: »Was der Sommer nimmt,
+das bringt die Winterszeit wieder. Wenn's kühl wird und die Arbeit
+nicht mehr so scharf geht, dann wird sie schon wieder runder werden,
+Eure Christine. Und dann wird auch gewiß bald ein Hochzeiter da sein.
+Wenn sie ein Jahr beim Holzbauern gedient hat, dann hat sie die Prob'
+gemacht, und dann werden Bursche, die ein sauberes und fleißiges Weib
+suchen, von allen Seiten kommen. Verliert den Muth nicht, Base! Solche
+Mädchen bleiben nicht übrig im Ries!« -- Ein tiefer Seufzer war die
+Antwort. Die Wittwe hatte ihre frühere Sicherheit ganz verloren; sie
+konnte nicht mehr glauben an ein Glück, und die Worte des Hans, die ihr
+wie Spott klangen, waren nicht geeignet ihren Geist aufzurichten.
+
+Mühevoll -- denn auf die heißen Tage folgte noch Regenwetter -- und
+freudlos -- denn sie wußte nicht, für wen sie sich eigentlich so plagte
+-- ging die Erntezeit für die Glauning vorüber. Als die Feldfrüchte,
+auf die es hauptsächlich ankam, im Stadel gesichert waren, hatte sie
+doch wieder eine frohere Empfindung. Sie berechnete, daß sie vorwärts
+kam in diesem Jahr und von dem Ausfall des letzten etwas zu decken
+vermochte, und so etwas muß einer Person, die von Kindesbeinen an
+auf's »Hausen und Sparen« gerichtet wird und nur durch die Ehre zu
+außergewöhnlichen Ausgaben vermocht werden kann, immer wohl thun.
+
+An einem Sonntag im September, nach dem Essen, saß die Gute mit Hans
+an dem abgedeckten Tisch. Sie hatten eben zusammen eine Geldzählung
+vorgenommen, die zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen war, und erfreuten
+sich daher einer Stimmung, in der sie eine gemüthliche Ansprache
+hielten. Die Wittwe hatte dem Vetter eben wieder bedeutendes Lob
+gezollt, als die Thüre aufging und mit den Worten: »Grüß euch Gott
+miteinander!« die Hubel in die Stube trat. Ihr Aussehen fiel dem
+Burschen im ersten Moment auf. Sie war nicht nur vergnügter als
+gewöhnlich, sondern zeigte auch eine eigenthümliche Feierlichkeit,
+wie eine Person, die sich bewußt ist, etwas in der Hand zu haben.
+Nach den ersten allgemeinen Fragen und Antworten rief die Glauning
+gastfreundlich: »Dasmal muß ich aber der Bas einen Kaffee machen --
+ich thu's nicht anders!« -- Die Hubel versetzte: »Ich hab' nichts
+dagegen; denn ich hab' heut' früher gegessen als sonst, von wegen weil
+ich bald wieder zu Hause sein will, und mir ist's »wäger« (wahrlich)
+schon wieder »a bisle eitel« im Magen.« -- »Der Hans da,« bemerkte
+die Wittwe, »kann dir unterdessen was Neues verzählen, oder du ihm.«
+-- »Wie's kommt,« erwiederte die Hubel. »Gott sei Dank, jetzt sieht
+er doch wieder aus, daß man sich ein Wort mit ihm zu reden getraut!«
+-- »Ja,« sagte die Glauning, »ein wenig hat er sich gebessert,« und
+verließ die Stube.
+
+Sie wollte was Rechtes machen, denn ihre verständige Ansicht war
+immer: entweder gar keinen Kaffee oder einen guten. Gebrannte Bohnen
+waren in einem Haus, wo das Kaffeetrinken zu den Ausnahmen gehörte,
+natürlich nicht vorräthig, und ihr war das lieb; frischgebrannte gaben
+ein besseres Getränk, und wenn sie ein wenig später fertig wurde, was
+schadete das?
+
+Freilich dauerte es nun geraume Zeit, bis sie die blanken zinnernen
+»Kanden« (Kannen) füllen konnte. Als sie diese mit glücklicherweise
+vorhandenen Schneckennudeln in die Stube trug und auf den Tisch setzte,
+fiel ihr, die sich bei dem Auftreten der Base nichts Besonderes gedacht
+hatte, doch das Ansehen des Hans auf. Glänzend saß er da, ein freudiger
+und ein stolzer Blick ging aus seinen Augen, und noch dazu schien
+es, als ob er das Vergnügen, das er empfand, gar nicht alles heraus
+lassen wollte. -- Verwundert sah die Wittwe von dem einen zur andern
+und sagte dann: »Ihr müßt euch ja recht gut unterhalten haben. Seit
+langer Zeit hab' ich den Hans nicht so hellauf gesehen!« -- Dieser nahm
+sich zusammen und erwiederte: »Man spricht von allerhand. Und die Base
+da kommt unter die Leute und wird immer was Neues inne.« -- »Das ist
+wahr,« sagte die Hubel, »und »ebbania'« (etwanje, zuweilen) ist's recht
+gut, wenn man was erfährt, und manchem geschieht ein Gefallen damit,
+wenn man ihm zu rechter Zeit was sagt.«
+
+Diese Reden und die beiden Gesichter dazu kamen der Glauning seltsam
+vor. Hatte die Hubel eine ausfindig gemacht, die den Hans wollte, eine
+schöne und eine reiche -- am Ende eine Bauerntochter? Darnach sah er
+wahrhaftig aus! Und einem Burschen mit seinem Geld und mit dem Lob, das
+er hatte, konnte auch gar wohl ein solches Glück anstehen. -- Ihr Herz
+war bei diesen Gedanken plötzlich schwer geworden; es kostete sie Mühe,
+die schickliche Freundlichkeit aufzubringen, mit welcher zum Trinken
+und Zulangen ermahnt werden mußte. -- Nach einer längeren Pause, die
+mit dem Genuß und Lob des Kaffees ausgefüllt wurde, begann die Wittwe:
+»Aber nun erzähl' mir doch noch etwas von meiner Christine. Ist sie
+immer noch so schmal?« -- »Stark ist sie nicht geworden,« erwiederte
+die Base, »aber sie ist gesund und wohlauf.« -- »Gott sei Dank!«
+versetzte die Mutter, »das ist doch das Best'. Und ist derweil nichts
+mehr vorgefallen mit dem Bauern?« -- »Nichts was der Rede werth wäre
+zu sagen. Du weißt ja, der ist eben, wie ihn unser Herrgott erschaffen
+hat, und wenn er bös ist, wird er auch wieder gut.« -- Die Mutter
+erwiederte: »Was hilft's, wenn man einem den Kopf herunter gerissen
+hat und will ihn dann wieder aufsetzen! -- Aber was sagt man denn bei
+euch im Dorf über sie?« -- »Nichts als Gutes, Base. Man sieht, wie sie
+schafft und aushält, und alle ordentlichen Leute schätzen sie und loben
+sie.« -- »Nun, das ist doch ein Trost,« erwiederte die Mutter. Und mit
+einem Selbstgefühl, das ihrem gedrückten Wesen eine Art Würde verlieh,
+setzte sie hinzu: »Ein braves Mädchen ist sie eben doch, die Christine.
+Und wer weiß, am End' gibt's auch für sie noch ein Glück in der Welt.«
+-- Nach kurzem Schweigen bemerkte sie: »Nun sag' ihr aber, sie soll
+mich endlich einmal besuchen, jetzt, wo die Hauptarbeit doch gethan
+ist.« -- Die Andere schüttelte den Kopf: »Darüber hat sie ihre eigenen
+Ansichten, Base, ich glaub' nicht, daß sie jetzt schon kommt. Besuch du
+lieber mich einmal, dann kannst du sie bei mir sehen.« -- »Ist das eine
+Welt jetzt!« rief die Wittwe. »Die Kinder folgen ihrem Kopf und die
+Alten sollen ihnen folgen! -- Nun, ich will sehen.«
+
+Das Gespräch wandte sich andern Gegenständen zu, wobei auch Hans wieder
+mitreden konnte. Endlich erklärte die Hubel, es sei die höchste Zeit,
+sie müsse fort. Die Mutter gab ihr die Hand, dankte für den Besuch und
+trug ihr Grüße an ihre Tochter auf. »Habt auch von mir Dank,« fügte
+Hans hinzu, »und kommt gut heim.« Die Wittwe sah ihn mit einem Blick
+an, der wahre Gekränktheit verrieth. »Nun,« sagte sie, »läßt du die
+Christine nicht auch grüßen? Einen Gruß ist sie doch wohl noch werth,
+sollt' ich glauben!« -- »Meinethalb,« rief Hans, »grüßt sie auch von
+mir!«
+
+Am Abend ging der Bursche in's Wirthshaus. Der mannhafte Schritt, mit
+dem er auftrat, das Glück, das aus seinem Gesicht leuchtete, konnten
+nicht unbemerkt bleiben. »Was Teufel ist denn mit dem Hans?« rief ein
+junger Mensch an einem Tisch zu seinen Zechgenossen; »der sieht ja
+aus, als ob er das große Loos gewonnen hätt'!« -- »Wird wohl endlich
+eine gefunden haben, die ihm ansteht,« warf ein anderer hin. »Kannst
+Recht haben,« versetzte jener Gewaltige, an den Hans in Oettingen
+in seinen Siegesgedanken angestoßen war. Und mit einer gewissen
+großartigen Geringschätzung setzte er hinzu: »'S ist doch merkwürdig,
+was der Mensch auf d'Weibsbilder gibt! So'n Kerl, und läßt sich von
+der einen traurig und von der andern wieder vergnügt machen! Bah! das
+könnt' mir einfallen!« -- Der erste bemerkte: »'S ist so ein Stiller,
+der Hans, die sind alle so.« -- Und der zweite sagte: »Am End' ist's
+ihm auch zu gönnen, wenn er eine kriegt nach seinem Sinn. Die Christine
+hat ihm doch Verdruß genug gemacht.«
+
+Hans war an einem andern Tisch niedergesessen, den etliche nähere
+Bekannte von ihm in Besitz genommen hatten. Nach dem Naturgesetz, das
+auf dem Lande wie in der Stadt, in der niedersten wie in der höchsten
+Schichte der Gesellschaft gilt, muß jeder, der ein auffallendes
+Vergnügen blicken läßt, geneckt werden. Dieß geschah denn auch unserem
+Burschen. Fragen wurden gestellt und Vermuthungen geäußert, die sich
+alle um den vorhin erörterten Punkt drehten. Hans war indeß nicht in
+der Stimmung ärgerlich zu werden, im Gegentheil, sein Humor stieg in
+Folge der Angriffe; er duckte einen, der sich ungeschickt dabei benahm,
+gehörig in's Wasser und bekam die Lacher auf seine Seite. Als er an
+einem andern Tisch Bescheid that, sagte einer der Bekannten: »'S ist
+schon richtig, er hat eine! -- aber wen?« -- Man rieth hin und her,
+konnte aber nicht schlüssig werden und tröstete sich mit dem Gedanken,
+daß es jedenfalls wieder eine Hochzeit geben werde und einen lustigen
+Ansing.
+
+Jeden Tag in der Woche erwartete die Glauning, daß der Vetter im Staat
+vor sie treten und sagen würde, er müsse über Land gehen; denn ihr saß
+der Gedanke, der in ihr aufgestiegen war, so fest im Kopfe, wie den
+Kameraden des Burschen. Als sie sich auch am Donnerstag getäuscht sah,
+meinte sie: nun wird er am Sonntag gehen. Und in der That, am Vorabend
+erklärte Hans, er werde morgen über Land -- fahren. »Fahren?« rief die
+Wittwe betroffen. -- »Warum nicht?« erwiederte Hans lächelnd. »Der
+Hiesinger leiht mir seinen Braunen und sein Wägele. Und darf sich
+unser einer nicht auch einmal ein Plaisir machen?« -- »Wegen meiner
+fahr' du,« entgegnete die Glauning. »Du bist dein eigener Herr und
+kannst thun was du willst.« -- Sie that ihm aber nicht die Ehr' an oder
+sie hatte nicht den Muth, zu fragen wohin.
+
+Am andern Tag, im Schein der Morgensonne, als der Bursche von ihr
+Abschied nahm, geputzt wie nochmal einer, der »auf d'Gschau« geht,
+hatte sie doch so viel Kraft erlangt, mit einer Art von Lächeln zu
+sagen: »Nun, Hans, ich wünsch' dir viel Glück! Du wirst dir hoffentlich
+nicht einbilden, daß ich nicht weiß, worauf du ausgehst?« -- »Nein,«
+erwiederte Hans gemüthlich. »Vor Euch kann man sich nicht verstellen,
+Base -- und ich versuch's auch nicht. Was wollt Ihr? einmal muß man
+doch dran!« -- Er gab ihr die Hand und verließ mit kräftigen Schritten
+den Hof. Die Base sah ihm nach. »Wie sicher er seiner Sach' ist!«
+dachte sie. »Nun, wenn er ein Glück macht, ich muß es ihm gönnen --
+allein um mich hat er's verdient.« Diese Gedanken konnten aber doch
+nicht bewirken, daß sie sich über sein Glück freute; im Gegentheil, sie
+hatte ein Gefühl, als ob ihr der letzte Rest des ihrigen genommen würde.
+
+Hans ging zu dem Bauer, den er Hiesinger genannt. Das Wägelchen
+stand im Hof, aber der Gaul wurde noch gefüttert. »Mach' »fürsche«
+(vorwärts),« rief der Bauer dem Handknecht mit Laune zu, »und spann an!
+In solchen Geschäften will man bald an Ort und Stelle sein.« -- Einige
+Minuten später, und Hans fuhr im Trab durch's Dorf. »Aha,« rief einer
+von seinen Kameraden, der ihn sah, »nun werden wir's bald inne werden!«
+
+Wenn die Glauning gesehen hätte, in welchen Weg der Bursche einlenkte,
+dann hätte vielleicht ihr Herz zu klopfen und wieder zu hoffen
+angefangen. -- Die Leser haben das Ziel der Fahrt schon errathen -- sie
+sind scharfsichtiger als die Bauern. Sie wissen, daß eine Geschichte
+nach ihrem Anfang und Verlauf nur Einen, d. h. eben nur den Ausgang
+haben kann, der im Verlauf begründet ist; und zwar nicht, weil es
+der Erzähler so will, sondern weil es bei den Personen, an denen es
+überhaupt etwas zu demonstriren liebt, das Schicksal so will, dem der
+Erzähler folgen muß. Könnte nach allem Bisherigen ein Erfahrener noch
+in Zweifel sein, wohin das Wägelchen unseres Burschen rollte? Er fuhr
+dem Dorf zu, in welchem Christine sich befand. Er konnte es, er durfte
+es -- er mußte es; und das hoff' ich jedem klar zu machen, wenn ich
+erzähle, was sich unterdessen begeben hatte.
+
+Die Art, wie Christine bei dem Holzbauern ihre Pflicht erfüllte,
+zusammengehalten mit ihren ungewöhnlichen früheren Erlebnissen, hatte
+die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfs *** auf sie gelenkt. Das Mädchen
+hatte die Zweifler und Spötter, die sich auch dort aufgethan, beschämt;
+ihr ausdauernder Fleiß in dem beschwerlichen Dienst hatte ihr nicht
+Geringschätzung, wie die Mutter gefürchtet, sondern Achtung, bei
+Einzelnen sogar Bewunderung erworben. -- Mit der Zeit wird jeder Tugend
+ihr Recht auch in dieser ungerechten Welt. Die Anfeindung stumpft sich
+ab, das Geklatsche wird langweilig und vergeht, die Anerkennung tritt
+an seine Stelle und besteht.
+
+Bei Christine kam noch etwas anderes hinzu, was ihr eine besondere
+Bedeutung gab. Ihr Aussehen hatte sich nicht so geändert, daß man sie
+nicht mehr für ein ungewöhnlich hübsches Mädchen hätte müssen gelten
+lassen. Die frühere Fülle allerdings war nicht wiedergekehrt; aber die
+verhältnißmäßige Schlankheit, mit der sie aus der Stadt heimgekommen
+war, hatte in Folge der ländlichen Arbeiten einen gesunden Charakter
+erhalten. Ihre Gesichtsfarbe war keineswegs gelb, wie die Hubel auch
+für die erste Zeit übertreibend berichtete, sondern der ihr eigene
+bräunliche Ton war nur kräftiger geworden, hatte dann aber auch wieder
+einen Hauch frischen Roths erhalten. Sie war noch immer die »schöne
+Christine,« die ehemalige Lehrersbraut und jetzige Bauernmagd; aber sie
+war mehr als das. Ihr Gesicht hatte einen eigenen höheren Charakter
+erhalten -- den Charakter, der das natürliche Erzeugniß innern Lebens
+und einer Kraft ist, wie sie die Geprüfte besaß und bewies. Eine tiefe
+Leidenschaft, die man aus Stolz zu verheimlichen entschlossen ist; den
+Willen, eine Handlungsweise, die man als unrecht erkannt hat, zu büßen
+und sich in die Folgen seiner Schuld unbedingt zu ergeben; den Willen,
+seine Pflicht zu thun, wie schwer sie einem auch gemacht werde, und
+seine Ehre darein zu setzen, gerade da auszuhalten, wo andere nicht
+die Stärke dazu fänden -- dergleichen kann man unmöglich in Kopf und
+Herzen tragen, ohne daß der Abglanz davon auf dem Gesicht bemerklich
+würde. Ob sie nun im Haus, auf dem Felde thätig war, oder ob sie in der
+Kirche den Worten des Geistlichen horchte, die Magd Christine hatte
+etwas in ihrem Wesen, dessen sich kein anderes Mädchen im Dorf rühmen
+konnte. Die Töchter der wohlhabenden Bauern konnten den Kopf hoch
+halten und an Festtagen in ihrem besten Staat und ihrer Stellung sich
+bewußt mit fein geschlossenem Mäulchen anmuthig über die Gasse sich
+schwenken, so fein und so vornehm sah doch keine von ihnen aus, wie
+unsere dienende Heldin, und aus keinem Auge blickte so viel Seele, als
+aus den uns bekannten graublauen, die mit dem Gehalt (wenn dieses Wort
+hier gestattet ist) auch an Umfang zugenommen zu haben schienen.
+
+Unter denen, die das Mädchen und ihr Verhalten zu taxiren wußten,
+stand eine Familie obenan, und zwar eine Bauernfamilie. Der Vater war
+ein Landmann der besten Art -- einer von denen, die ihren Stand hoch
+halten, aber noch höher die Tugenden, die den ächten und rechten Bauer
+machen. Er führte mit Weib und Kindern einen musterhaft geregelten
+Haushalt, und die Folge war, daß er, der mit Schulden begonnen hatte,
+jetzt unter die Wohlhabendsten des Orts zählte. Der Kinder waren nur
+zwei, ein Sohn und eine Tochter, jener siebenundzwanzig, diese neunzehn
+Jahr alt, beide noch unverheirathet. Der Sohn, ein Abbild seines
+Vaters und nur etwas weniger lustig, als der Alte im ledigen Stand
+gewesen, befand sich wohl unter dem Regiment der Eltern, und darum und
+weil er einigermaßen scheu war und wählerisch, hatte er noch keine
+Frau gefunden und noch nicht den ihm gebührenden und bestimmten Hof
+erhalten. Die Tochter, ein angenehmes, gutes Geschöpf, trug schon ein
+Bild in ihrem Herzen, d. h. ein Mannsbild. Ein Bauernbursche, der alle
+Qualitäten besaß, die sie und ihre Eltern nur verlangen konnten, war
+ihr gewogen, und ihre Hochzeit stand in Aussicht, sobald der Vater des
+Liebhabers sich entschloß, den Hof zu übergeben.
+
+Diese Familie war es, die unsere Christine von allen zuerst mit
+günstigen Augen betrachtete. Der Alte, der an ihr die guten
+Eigenschaften wahrnahm, die er von einem rechten »Bauernweibsbild«
+verlangte, rühmte sie, und Mutter, Kinder und Ehehalten stimmten
+mit ein. Was man von ihrem Schicksal erfuhr, konnte dem Mädchen bei
+wohlwollenden Beurtheilern nicht schaden. Hatte sie schon als halbe
+Mamsell in der Stadt gelebt, so war es um so verdienstlicher, daß sie
+eine so brave Magd wurde, und die Gerüchte, welche zuerst über sie
+umliefen, wurden durch ihren streng ehrbaren Lebenswandel vollkommen
+widerlegt. Sie war noch nicht sechs Wochen im Dienst, als der Alte
+schon zu seinem Weib sagte: »Wenn das Mädchen eine Bauerntochter
+wäre, eine bessere für unsern Sohn könnten wir nicht bekommen.« --
+Nach und nach erfuhr man, was die Glauning der einzigen Tochter immer
+noch mitgeben konnte, und wenn es auch nur den vierten Theil dessen
+betrug, was der Alte gab, so verfehlte es doch nicht, das Haupt der
+Magd in seinen Augen mit einem gewissen Schein zu umgeben. Endlich kam
+es dahin, daß der wackere Mann sich fragte: »Muß es denn gerad' eine
+Bauerntochter sein? Und wenn sie weniger hat als mein Sohn, ist ihr
+Fleiß, ihre Geschicklichkeit und ihre Tugend nicht mehr werth als Geld
+und Gut?« Weib und Tochter, denen er seine Gedanken mittheilte, traten
+ihm lebhaft bei. Gutmüthig, wie sie waren, hatten sie das Mädchen in's
+Herz geschlossen, und die Tochter namentlich interessirte sich für den
+Heirathsplan mit dem ganzen Eifer einer liebesglücklichen Jungfrau.
+Sie sprach mit dem Bruder und brachte aus ihm heraus, daß er ganz im
+Stillen selber schon ein Auge auf Christine geworfen! -- Allgemein
+war die Zufriedenheit über diese Entdeckung; nach der Ernte hielt man
+nochmal einen Familienrath und das Projekt gedieh zum festen Beschluß.
+
+Das Mittel der Liebeswerbung konnte unter den gegenwärtigen Umständen
+allerdings nicht in Anwendung kommen. Wäre unser Freier auch der Mann
+gewesen, ein Mädchen durch Schmeichelreden zu gewinnen, so hätte er
+von dieser Fähigkeit gegenüber einer Magd beim Holzbauern doch keinen
+Gebrauch machen können. Aus allen Gründen mußte man den bewährten
+alten, auch jetzt noch immer praktischen Weg der Unterhandlung durch
+eine dritte Person gehen, und wandte sich an Base Hubel.
+
+Hilf Himmel, welch einen Eindruck machte die Eröffnung auf die nicht
+sehr bemittelte Söldnerin! Ihr Bäschen eine Bäuerin -- und was für
+eine! Sie selber zur Freundschaft einer der ersten Familien im Ries
+gehörig! Und sie hatte das in der Hand! sie sollte das machen -- sie
+wurde darum gebeten! Das Entzücken der guten Frau war so groß, daß sie
+für den ersten Augenblick sprachlos dastand, weil sie ganz eigentlich
+den Mund nicht mehr zusammenbringen konnte, um Worte zu bilden, so
+daß Mutter und Tochter, welche die Eröffnung gemacht hatten, sich
+Mühe geben mußten, das Lachen, das sie ankam, zu einem Lächeln zu
+mildern. -- Natürlich versprach die Gebetene, als sie endlich sprechen
+konnte, Alles. Die Sache war schon gemacht -- sie brachte das Jawort
+der Christine heut Abend noch. Gott, welche Ehre war es für diese und
+welche Freude! Welche Ehre und welche Freude für die Base Glauning und
+für sie alle miteinander!
+
+Mit brennendem Kopfe lief sie zu dem glücklichen Mädchen. Es war an
+einem Feiertag nach der Betstunde, und Christine konnte ihrer Einladung
+zu einer wichtigem Unterredung in ihrem Hause ungehindert folgen. Als
+sie allein waren, bedachte die Erfahrene, daß das Mädchen vielleicht
+vor Freude in Ohnmacht fallen könnte, wenn sie ohne weiteres ihren
+Auftrag ausrichtete; sie begann daher mit Reden, welche sie auf das
+beispiellose Glück, das ihrer wartete, vorbereiten sollten. Christine,
+ungeduldig, fragte, was es denn wäre. Die Unterhändlerin machte ihre
+Eröffnung triumphirend und in der sichern Erwartung, die Glückliche
+würde, außer sich, ihr um den Hals fallen, mit Freudenthränen »ja, ja«
+rufen und des Dankes kein Ende finden. Welch ein Erstaunen, ja welch
+ein Schrecken, als Christine nach vorübergehendem, leichtem Rothwerden
+ernst und ruhig erwiederte: »Die Leute sind gut gegen mich und thun
+mir eine große Ehr' an. Ich dank' ihnen auch von Herzen dafür, aber
+ich kann's nicht annehmen, Base.« -- Die Hubel sah starr auf sie, wie
+auf eine plötzlich toll Gewordene. »Du willst's nicht annehmen?« rief
+sie endlich. -- »Ich kann nicht,« war die Antwort. -- »Bist du rasend,
+Mädchen?« -- »Nein, ich bin bei gutem Verstand. Geht zu den Leuten und
+dankt ihnen in meinem Namen recht schön, und sagt ihnen, ich kann nicht
+heirathen -- weil ich überhaupt nicht heirathen will!«
+
+Zu dem Erstaunen der Base gesellte sich jetzt die Entrüstung, der
+Geist und die Autorität einer Mutter fuhr in sie, und sie stellte dem
+Mädchen vor, welch unsinnigen Streich sie mache, wenn sie eine der
+ersten Bäuerinnen im ganzen Ries werden könne und nicht wolle. »Hast du
+etwas gegen die Leute? Hast du etwas gegen den Menschen? Ist er nicht
+brav und geschickt und häuslich und ein sauberer Bursch obendrein?« --
+Christine mußte das zugeben. -- »Und du willst nicht? Du willst so ein
+Glück versäumen, mit Füßen von dir stoßen? Warum? weßwegen?« -- Das
+Mädchen, bewegt, geängstigt, rief: »Um Gotteswillen, Base, fragt mich
+nicht! -- es geht nicht!«
+
+In dem Kopf der Hubel blitzte ein Gedanke. »Wär's möglich,« begann sie,
+»hättest du einen andern im Kopf? Denkst du vielleicht« -- (die Wangen
+des Mädchens begannen sich zu färben) -- »kannst du deinen Schulmeister
+nicht vergessen?« Die Farbe verging wieder auf dem Gesicht der
+Gefragten und ihre Lippe verzog sich geringschätzig. Da ging der Base
+ein Licht auf wie eine Fackel; sie rief bestimmt: »Du hast den Hans
+im Kopf!« -- Eine glühende Röthe überströmte das Gesicht der Armen,
+sie zitterte -- Thränen stürzten ihr in die Augen. -- »Der ist's also!
+der Vetter! Himmel, was ist das!« -- »Ja,« rief das Mädchen, die jetzt
+wirklich außer sich gebracht war, »der ist's! der beste Mensch, der
+bravste Mensch, und mir der liebste auf der Welt! Ich hab' schändlich
+gehandelt gegen ihn, er haßt mich, er verachtet mich, und er hat Recht,
+und ich will's nicht anders haben. Aber nun wißt Ihr, warum ich auf
+Euch nicht hören kann! Ihn krieg' ich nicht und verdien' ich nicht,
+einen andern will ich nicht und mag ich nicht, und darum heirath' ich
+nicht und will als Bauernmagd leben und sterben!«
+
+Die Frau, von der Leidenschaft des Mädchens überwältigt, verstummte.
+Sie kannte den Wunsch der Glauning, ihre Tochter an Hans verheirathet
+zu sehen; sie wußte, daß er der Mann war, ein Weib glücklich zu machen;
+aber wenn er sie nicht mehr wollte, war's nicht ganz widersinnig,
+wegen seiner ein ganzes Lebensglück aufzuopfern? Sie mußte doch noch
+ein Wort reden, die erfahrene Mittelsmännin, und sie sagte daher, mit
+größerer Ruhe zwar, aber mit Nachdruck: »Mädchen, Mädchen, bedenke,
+was du thust! Ein solcher Antrag wird dir nicht wieder gemacht! Und
+wenn du ihn ausschlägst um eines Menschen willen, der nichts mehr nach
+dir fragt -- aus Eigensinn, aus Tollheit -- es wird dich reuen, all
+dein Lebtag wird's dich reuen.« -- Aber hierauf erwiederte Christine
+bestimmt und entschlossen: »Base, ich hab' Euch gesagt, wie ich denke,
+und nun ist's genug. Streiten will ich nicht mit Euch. Redet also
+nichts mehr, es hilft Euch nichts, jedes Wort ist umsonst.« -- »Gut,«
+versetzte die Hubel, »dann hab' ich wenigstens meine Schuldigkeit
+gethan und kann dich deinem Schicksal überlassen. Ich hätt' nicht
+geglaubt, daß ich von einem Mädchen, wie du bist, mit so einer Antwort
+zu solchen Leuten gehen müßt'. Aber sie warten darauf, ich hab' ihnen
+versprochen, die Antwort heute noch zu bringen, und ich will hingehen
+und sagen, daß du nicht willst und warum du nicht willst.«
+
+Christine stand erschreckt. Das Geheimniß, das sie bewahren wollte
+vor jedermann, war ihr entrissen, und jetzt erst merkte sie's. Scham
+und Angst bemächtigten sich ihrer und im dringendsten Tone rief sie:
+»Nein, das dürft Ihr nicht! Sagt, daß ich überhaupt nicht heirathen
+will, daß ich mich für solche Leute nicht gut genug achte, sagt was Ihr
+wollt, nur sagt nichts vom Hans! Es könnte herum kommen -- er könnt's
+erfahren, und (setzte sie heftig hinzu) er soll's nicht erfahren! Ich
+geh' nicht von Euch, Base, bis Ihr mir's versprecht! Gebt mir die Hand
+darauf, ich bitt' Euch, ich beschwör' Euch!« -- »Gott,« entgegnete
+die Frau, »ist das ein Kreuz mit dem Mädchen! Nun gut, ich versprech'
+dir's.« -- »Ich dank' Euch, Base,« rief das Mädchen herzlich und
+gerührt; »ich dank' Euch für all Eure Güte und Freundschaft! Sagt den
+braven Leuten alles Schöne und Gute in meinem Namen; sagt, ich wolle
+gar nicht heirathen, und sie würden sehen, daß ich auch keinen andern
+nehme. Sagt ihnen, ich würde keine Seele etwas merken lassen von ihrem
+Antrag, und sie sollten sich jetzt eine bessere aussuchen, als ich
+bin, denn mit mir wäre ihr Sohn doch niemals glücklich geworden.« Sie
+faßte die Frau bei der Hand und sah ihr in's Gesicht. Ihre Augen waren
+feucht geworden und füllten sich mit Thränen. Wehmüthig lächelnd, in
+liebevollem Ton sagte sie: »Ihr seid brav -- ich kann mich auf Euch
+verlassen!« Und ihr die braune Wange streichelnd setzte sie hinzu: »So,
+nun geht und macht Eure Sache gut!« -- Sie schüttelte ihr die Hand
+und verließ die Stube, nachdem sie ihr nochmal einen bittenden Blick
+zugeworfen hatte.
+
+Die Base Hubel gehörte indeß nicht zu jenen Personen, die, wenn sie ein
+Versprechen gegeben haben, nun auch glauben, es unter allen Umständen
+halten zu müssen. Im Gegentheil, sie hatte eine heroische Ader in sich,
+und wenn sie gutmüthig genug war, auf eine dringende Bitte ja zu sagen,
+so besaß sie doch auch den Muth, sich »nach Gestalt der Sach« von
+der übernommenen Verpflichtung selber zu dispensiren und ihr Wort zu
+brechen. Als sie allein war, rief sie daher: »Du einfältiges Mädchen!
+Nichts sagen vom Hans? Das ist ja das Einzige, was in deine Antwort ein
+bischen Sinn bringt und Verstand, so daß ich nicht ganz in Schand' und
+Spott dastehen muß vor diesen Leuten, und du mit mir! Augenblicklich
+sollen sie's erfahren!« -- Um vieles langsamer dennoch, als sie es
+verlassen hatte, ging sie in das Haus des Bauern zurück, traf die
+Eltern und die Tochter und erzählte alles, indem sie nicht versäumte,
+über den Wahnsinn des Mädchens entrüstet ihr Verdammungsurtheil
+auszusprechen. Die wackern Leute bedauerten die Antwort von Herzen;
+aber -- offen zu reden -- ihre Betrübniß wäre doch größer gewesen, wenn
+der Korb von einer in jeder Hinsicht Ebenbürtigen ertheilt worden wäre.
+Sie hatten doch daran denken müssen, welches Aufsehen die Verheirathung
+ihres Sohnes mit der Magd des Holzbauern machen würde, und der Umstand,
+daß nun dieses Aufsehen mit all seinen Unbequemlichkeiten wegfiel,
+erleichterte ihnen die Tröstung ihrer Seelen bedeutend.
+
+Der alte Bauer klärte sich endlich auf und sagte zu der Hubel: »Nun
+habt Ihr Euer Geschäft aber erst halb gemacht.« -- Die ihrer vornehmen
+Freundschaft beraubte und darum niedergeschlagene Söldnerin sah ihn
+fragend an. -- »Die Hauptsach' ist jetzt, daß Ihr die Christine und
+ihren Vetter zusammenbringt.« -- »Aber wie soll ich das anfangen?« rief
+das Weib. Der Bauer fuhr fort: »Hat nicht der Hans sein Bäschen für
+sein Leben gern gesehen?« -- »Ja wohl,« erwiederte sie; »aber jetzt
+will er durchaus nichts mehr von ihr wissen.« -- »Ganz natürlich! --
+weil sie ihn aufgegeben hat und er glauben muß, sie halte nichts von
+ihm und habe keine Zuneigung zu ihm. Geht aber jetzt nur hinunter und
+erzählt ihm, was die Christine gesagt hat und was geschehen ist, und
+dann seht zu, ob er noch immer nichts von ihr wissen will. Ich bin der
+Meinung (setzte er lächelnd hinzu), daß ihr noch immer Euern Kuppelpelz
+verdienen könnt.« -- Das Gesicht des Weibes erhellte sich bei diesen
+Worten. »Ihr könnt wahrhaftig Recht haben! -- Aber darf ich denn auch
+alles sagen?« -- »Alles,« versetzte der Bauer, »mit der Bedingung, daß
+es unter der Familie bleibt.« -- »O, das versprech' ich mit Freuden!
+Kein Mensch weiter soll etwas davon erfahren!« -- Beim Abschied reichte
+die Bäuerin der Guten die Hand und sagte: »Habt Dank für die Mühe, die
+Ihr Euch unsretwegen gemacht habt. Wenn auch nichts draus geworden ist,
+so bleiben wir doch gute Freunde.« -- »O,« rief die Hubel, »das ist
+eine große Ehre für mich! -- Und wer weiß, vielleicht kann ich Euch
+doch noch einmal auf eine andere Art dienen!«
+
+»Was für gute Leute das sind!« rief sie mit einem Seufzer, als sie
+ihrem Hause zuging; »'s ist doch Jammerschade!« -- Etwas indeß war ihr
+geblieben. Sie faßte nun das neue Geschäft in's Auge und ihre Seele
+erheiterte sich wieder. »Wenn das geräth, wenn die Zwei zusammen kommen
+und glücklich sind, dann bin's eben doch ich, die's gemacht hat und der
+sie danken müssen für ihr Glück, so lang sie leben.«
+
+Am nächsten Sonntag trat sie die Wanderung bei Zeiten an, um den Vetter
+sicher zu treffen, und erzählte ihm, während die Glauning den Kaffee
+machte, Alles und Jedes. Hans konnte nicht zweifeln; die Base beschwor
+ihre Aussagen bei allem, was heilig ist, und gab ihm in jeder Hinsicht
+die beruhigendsten Versicherungen. -- Und nun erstand die entschlafene
+Liebe plötzlich, wie wenn ihr ein neues schöpferisches Werde zugerufen
+worden wäre. Der Deckel des Schreins, in dem sie verborgen lag, flog
+auf und sie glühte hervor und durchloderte und durchleuchtete ihn mit
+wonnevoller Glut. -- Nun war's also doch geschehen, woran er nicht
+mehr glauben, worauf er nicht mehr hoffen konnte. Das Mädchen, das
+ihm lieber war als Alles, war sein! Sie war zur Erkenntniß gekommen,
+sie verstand ihn -- sie liebte ihn -- ihn allein und über alles! --
+O, nun war es besser als vorher -- tausendmal besser! Er mußte ihr
+nicht nur vergeben -- nein, Gott danken mußte er für den Weg, den sie
+geführt worden -- Gott danken für ihr Leid und ihre Erkenntniß, und
+sie lieben und ehren und ihr Leben versüßen und sie glücklich machen
+-- glücklicher, wenn's möglich wäre, als er selbst wurde! -- Die
+Empfindungen des Glücks und des Dankes strömten durch sein Herz und
+erschütterten ihn so gewaltig, daß ihm Thränen in die Augen traten und
+die gute Verwandte in gerührter Theilnahme sich freute, daß ihr dieses
+zweite Werk gelungen war, und nicht das erste. Eine innere Stimme rief
+dem Glücklichen zu, vor der Mutter die Kunde noch geheim zu halten; er
+gebot der Hubel auf's strengste, seiner Base nichts zu sagen und sie
+auch nichts merken zu lassen, und eben so der Christine alles geheim zu
+halten. Die Hubel versprach beides. Sie kam der Mutter gegenüber der
+Forderung auch sogleich nach; der Liebende selbst aber vermochte es
+nicht, und die Glauning hätte das Geheimniß errathen müssen, wenn ihre
+Gedanken nicht schon vorher auf falscher Fährte gewesen wären.
+
+Das war es, was unsern Freund bewog, heute dem Dorfe zuzufahren, in
+welchem Christine lebte. -- Und nun kein Wort mehr zur Erklärung seines
+Handelns.
+
+Als das nette »Gefährt« im Sonnenschein über den trockenen Weg
+hinrollte, näher und näher dem lieben Ziel, da hatte unser Freund
+eine glückselige Empfindung, und die Wirkung davon ward sichtbar
+in seiner ganzen Erscheinung. Man weiß, daß George Sand -- eine
+Schriftstellerin, der ich gern das heutzutage so sehr mißbrauchte Wort
+»genial« zuerkenne, ohne darum alles in ihren Werken für wahr und schön
+zu halten -- Personen in relativer Häßlichkeit auftreten und nach
+und nach schön, ja unwiderstehlich anziehend werden läßt. Sie kann
+sich damit auf die Wirklichkeit berufen. Es giebt Gesichter, an denen
+sich gar manches aussetzen läßt, sofern man sie nach einem Ideal der
+Formvollendung beurtheilt. Wenn aber die Seele sich entfaltet, wenn
+das Licht der Liebe, der Güte, des Glücks es durchleuchtet, dann ist
+ein solches Gesicht nicht nur charaktervoll, sondern schön; die Seele
+herrscht in ihm und schmelzt in allbelebender Strömung die Theile zum
+harmonischen Ganzen; die Schönheit der Seele triumphirt über die Form
+und macht diese zur Trägerin und Verkünderin ihres Glanzes; ihre Flamme
+bricht durch und überstrahlt die Züge und tilgt alles Widerstrebende
+darin hinweg. Daß ein solches Gesicht hernach das bloß äußerlich schöne
+in Schatten stellt, daß eine geliebte Person, die für seine höhere
+Schönheit empfänglich ist, sich davon entzückt, hingerissen fühlt,
+das ist durchaus natürlich -- der natürliche Sieg des Innern über das
+Aeußere, des Geistes über den Stoff.
+
+Wenn eine theilnehmende Freundin unsern Burschen heute gesehen hätte,
+so würde sie vielleicht gerufen haben: er sieht aus »wie verklärt;«
+denn dieses Wort ist unter dem Rieser Landvolk bekannt und wird ganz
+richtig angewendet. Und in der That, verklärt war das Gesicht des
+Guten, verklärt durch die Liebe, die der Gegenliebe sicher geworden,
+verklärt durch das Bewußtsein des Sieges, der zu der Liebe die Ehre
+gebracht hat. -- Es ist eben doch schön, wenn man nicht mehr ganz
+allein auf sich und seine Tugend angewiesen ist, wenn man der Welt
+nicht bloß zu verzeihen, sondern auch etwas zu danken hat, wenn die
+Kraft der Seele getragen wird von der Schwellung des Glücks, wenn zu
+dem Gefühl, den Sieg zu verdienen, die stolze Freude des wirklich
+errungenen Sieges kommt. Aus dem Gesicht des Liebenden sprach jetzt
+nicht allein das Glück und die Freude, sondern auch die Würde des
+Mannes, der sich endlich auf die Stelle erhoben sieht, nach der er
+getrachtet hat und die ihm gebührt.
+
+Als der Wagen in das Dorf rollte, lag auf diesem eben das feierliche
+Schweigen des Sonntags: die Kirche hatte eben begonnen und die Gemeinde
+horchte dem Worte des Geistlichen. Hans fuhr in's Wirthshaus, versorgte
+mit dem anwesenden Knecht das Roß und ging dann im Hof umher. Die
+Glocke, die beim Vaterunser geläutet zu werden pflegt, verkündigte das
+baldige Ende des Gottesdienstes, Hans erwartete es, sah die Leute des
+Hauses und der Nachbarschaft von der Kirche heimkehren, und machte
+sich endlich selber auf den Weg, mit Herzklopfen zwar, aber mit dem
+überherrschten eines Mannes, der mit tiefer Zuversicht dem Erfolg
+entgegengeht. Er hatte sich vorgenommen, bei der Geliebten sich nicht
+ohne weiteres auf die Erzählung der Verwandten zu berufen, er wollte so
+ruhig, als es ihm möglich war, als Besuch auftreten, zuerst von andern
+Dingen reden und selber hören und sehen.
+
+Als er in den Hof trat, sah er das »Mädle«, d. h. die zweite Magd der
+Bauers. Er fragte nach Christine, indem er hinzufügte, er sei ein
+Verwandter und hätte mit ihr zu reden. Die Gefragte erwiederte, die
+Magd sei im Garten, und wies ihm den Eingang. Hans trat hinein und sah
+Christine von weitem Gemüse abschneiden, das ihr die Bäuerin zu bringen
+aufgetragen hatte. Sie war in der Kirche gewesen, hatte aber an dem
+warmen Tage den Kittel ausgezogen und bückte sich zu Boden in blanken
+Hemdärmeln, die indeß nur den Oberarm bedeckten. Als sie jemand gehen
+hörte, schaute sie auf. Sie erkannte den Vetter und sah erröthend vor
+sich hin.
+
+Hans trat näher und sagte treuherzig: »Guten Tag, Christine!« -- Die
+Gegrüßte dankte und erwiederte mit erkenntlichem Blick: »Du kommst
+herauf? Das hätt' ich wahrlich nicht erwartet!« -- »Nun,« sagte Hans,
+»ich muß doch auch einmal sehen, wie's dir geht.« -- Die Brust des
+Mädchens hob sich und ein leichter Strahl der Freude ging über ihre
+Züge. Sie versetzte: »Gottlob, mir geht's gut, ich bin gesund und
+zufrieden.« Und in der That, so sah sie aus. Hatten Sonnenschein und
+Regen in Frühling und Sommer sie erfrischt und gestärkt, so war sie in
+den letzten, weniger »unmüßigen« Wochen schon wieder auch etwas runder
+geworden und ihre ganze Erscheinung hatte den Charakter einer größeren
+sinnlichen Ruhe erhalten. Hans lächelte. »Das freut mich,« erwiederte
+er. »Du scheinst den Holzbauern nicht so schlimm zu finden, wie deine
+Vorgängerinnen?« -- »Er ist auch nicht so schlimm,« versicherte
+Christine. »Hitzig ist er freilich, und wenn er in seinen Zorn kommt,
+weiß er nicht mehr, was er sagt; aber im Grund seines Herzens ist
+er ein ehrlicher Mann und meint's besser als so ein glatter, süßer
+Schwätzer. Seit dem letzten Sturm im Heuet« -- setzte sie lächelnd
+hinzu -- »kommen wir ganz gut mit einander aus. Ich paß' aber auch
+besser auf.« Nach einem Moment des Schweigens ernster geworden, sagte
+sie: »Was macht denn aber meine Mutter? Ist sie doch wohlauf?« -- »Ja
+wohl,« versetzte Hans, »und auch zufrieden -- bis auf die Gedanken,
+von denen sie zeitweis geplagt wird. Sie kann sich immer noch nicht
+drein finden, daß ihre Christine, ihre einzige Tochter bei einem
+andern dienen soll.« -- »O,« rief das Mädchen, »daran wird sie sich
+eben doch gewöhnen müssen! Mir gefällt das Dienen, und ich bin lange
+nicht so vergnügt gewesen, wie jetzt.« -- Der Bursche betrachtete sie
+mit innigem Wohlgefallen. »Ja,« sagte er, »du bist auch wieder eine
+ganze Magd geworden.« Und mit gutmüthigem Stolz setzte er hinzu: »Das
+Bauernhandwerk ist halt doch das schönste und gesündeste, und über
+den Bauernstand geht nichts in der Welt!« »Das ist wahr,« erwiederte
+Christine, durch seine Anerkennung geschmeichelt und erfreut. »Drum
+will ich auch fortarbeiten, weil ich seh', daß ich's doch nicht ganz
+vergessen hab', und dazu lernen, was ich noch nicht versteh', und das
+kann ich am besten auf so einem großen Hof wie hier. Sag' das meiner
+Mutter, sag' ihr nur, ich bin gern eine Bauernmagd und hoff's noch
+lange zu bleiben.«
+
+Um den Mund des Burschen spielte ein fast unmerkliches schelmisches
+Lächeln. »Nun,« erwiederte er endlich, »auf einem Bauernhof kann man
+auch etwas anderes sein als Magd. Du bist keine Magd, wie die erste
+beste, du bist das einzige Kind deiner Mutter, und wenn das der Rechte
+erfährt und wenn er sieht wie du schaffen kannst in einem großen
+Werk, dann könnten wir auf einmal hören, daß die Magd eine Bäuerin
+geworden ist.« -- Christine, des an sie ergangenen Antrages gedenkend,
+wechselte die Farbe und sah den Vetter scharf an; aber dieser hielt
+aus und verrieth seine Kenntniß der Sache mit keinem Zug. Das Mädchen
+entgegnete mit Ernst: »Ich trachte nicht so hoch hinaus; ich begnüge
+mich mit dem, was ich bin, und bleib' im ledigen Stand.« Eine sanfte
+Heiterkeit verbreitete sich über ihr Gesicht mit einem Hauch von Trauer
+gemischt, der sich indeß im Ausdruck wahrer Theilnahme verlor. Sie
+sagte: »Aber von dir hört man jetzt, daß du an's Heirathen denkst. Nun,
+wundern wird sich niemand darüber. Du weißt ja, wie oft ich dir selbst
+früher zugeredet hab'.« Und plötzlich erröthend rief sie: »Am End hast
+du schon eine? und willst mich zur Hochzeitmagd?« -- »Eins ist wahr,«
+erwiederte Hans, »heirathen will ich.«
+
+Das Mädchen erschrak bei diesen Worten, ihr Gesicht wurde blaß und
+im Augenblick darauf purpurroth. Aber nun war es zu Ende mit der
+Zurückhaltung des Burschen. Wie er die Zeichen der Liebe an dem
+Mädchen erblickte, die er sich erkoren hatte, als sie fast noch im
+Kindesalter stand, wie er das Bild, das ihn im Spiegel der Seele
+entzückt hatte, mit Augen schaute, da schlug die Flamme seiner
+Leidenschaft durch, und mit jenem Blick unendlicher Liebe, den er
+früher nur verstohlen auf sie zu richten gewagt hatte, sah er ihr
+muthig und gerade in die Augen. Und sie verstand ihn -- mit der
+Schnelle des Blitzes erleuchtete sie die Erkenntniß, daß er alles
+wisse, und erschüttert und beseligt stand sie vor ihm. Hans ergriff
+ihre Hand und sagte im herzlichsten Ton: »Ja, Christine, heirathen will
+ich: aber ich brauch' keine Hochzeitsmagd, sondern eine Hochzeiterin!«
+Und als sie bei diesen Worten zuckte, als ob sie sich ihm entziehen
+wollte, rief er: »Laß mir die Hand! -- Die Base hat mir alles gesagt.
+Ich bin heraufgekommen, um dich zu fragen, ob du mein Weib werden
+willst -- und nun red' und sag' es!«
+
+Das Herz des Mädchens drehte sich im Busen um vor Wonne; aber noch
+wagte sie nicht, das ihr vom Himmel gefallene allzugroße Glück
+anzunehmen und sie rief: »Wie! -- mich, die so gegen dich gehandelt
+hat -- mich willst du zum Weib?« -- »Still!« entgegnete Hans mit
+einer Bewegung, als ob er ihr den Mund zuhalten wollte; »das ist
+vorbei und vergessen, und nun thu' dir nicht selber Unrecht. Ich
+kenne kein Mädchen in der ganzen Welt, die ich für besser und für
+rechtschaffener halte und die ich höher schätze, als dich.« -- Nach
+dieser Ehrenerklärung, welche die Liebeserklärung diesmal ergänzte und
+sanctionirte, sah das Mädchen mit dem rührendsten Blick der Liebe und
+des Dankes auf ihn. »Ja,« rief sie mit Thränen in den Augen, »du bist
+eben immer der beste der Menschen! Wie viel hab' ich erfahren, wie viel
+hab' ich leiden müssen, um das einzusehen.« Und während die Thränen
+über ihre Wangen rollten, vergaß sie alles und fiel im Drang ihres
+Herzens dem Guten und Treuen um den Hals und küßte ihn und weinte an
+seinem Gesicht.
+
+Sie hatten Glück, die Glücklichen. Kein Wesen sah diesen Vorgang, der
+am hellen Tag und unter freiem Himmel auf dem Dorf höchst ungewöhnlich
+ist, ein einziges paar Schwalben ausgenommen, die auf dem Stadeldache
+saßen und die Flügel streckend neugierig herunterzulugen schienen.
+
+Aber nicht lange mehr sollten sie ungestört bleiben. Indem der
+Erschütterung auf beiden Gesichtern innige Heiterkeit folgte und das
+Mädchen ihre Thränen mit der Sonntagsschürze trocknete, vernahmen sie
+von der Gartenthür her plötzlich den Ruf: »Aber was Kreuzblitz ist
+denn das?« -- Sie sahen hin, in höchst eigener Person und in voller
+Autorität des Richters kam der Holzbauer auf sie zu. »So?« rief er
+zu Christine, »die Bäuerin wartet auf dich und du unterhältst dich
+mit einem -- wer ist der Bursch da?« -- Hans trat mit festem Schritt
+vor den Gefürchteten hin und sagte: »Mein Nam' ist Hans Burger.« --
+Der Bauer betrachtete ihn und rief sich erinnernd: »Ah so, du bist
+~der~!« -- »Ja,« sagte Hans, »und die Christine hier ist mein
+Bäschen, und seit einigen Minuten -- meine Hochzeiterin.«
+
+Der Holzbauer stand überrascht und sah ihn groß an. Er war zu
+gescheidt, um nicht einzusehen, daß seine Autorität jetzt ein
+Ende hatte; so schnell indeß konnte er das nicht einräumen. »Das
+Donnerwetter,« polterte er mit einer eigenen Mischung von wirklichem
+Unwillen und gespieltem Zorn, »was ist denn aber das für eine Art?
+Du kommst so mir nichts dir nichts her zu mir und heirathest mir
+meine Magd weg? Da soll ja doch gleich« -- Hans, von diesem Spaß des
+Holzbauern ergötzt, entgegnete: »Ja, da kann ich nicht helfen, das
+Heirathen geht Allem vor.« -- »Hol's der Teufel!« brummte der Bauer.
+»Die bösen Weibsbilder laufen einem weg, und hat man eine, die ein
+wenig ordentlich wäre, dann kommt so ein verfluchter Kerl und nimmt
+sie einem zum Weib! -- Nun,« setzte er mit einem satyrischen Blick
+hinzu, »und du willst's also wirklich riskiren? -- mit der Feinen?«
+-- »Ja, Holzbauer,« versetzte Hans mit der Laune des Glücklichen.
+»Nachdem sie ein halbes Jahr bei Euch gedient hat, mein' ich, kann
+ich's riskiren.« -- Der Bauer, der heute einen Sonntagshumor hatte und
+von Natur Spaß verstand, lachte. »Ja, ja,« sagte er dann, »hast auch
+Recht -- jetzt kannst du's. Ich hab' sie dir gezogen und du kannst
+dich bei mir bedanken.« -- Indem er seine Zornanfälle auf diese Art
+sich als Tugend anrechnete, konnten die beiden Liebenden nur mit Mühe
+den Ausdruck ihres Vergnügens zurückhalten. Hans nahm sich indessen
+zusammen und sagte: »Ich dank' Euch auch, Holzbauer, von Herzen.« --
+»Und ich desgleichen,« setzte Christine hinzu, »bei Euch hab' ich
+grade gelernt, was mir fehlte, und ohne Euch wär' ich meiner Lebtag
+nicht glücklich geworden.«
+
+Der Holzbauer, wie alle Großen, war darum, weil er Schmeichelworte
+als etwas ihm Zukommendes betrachtete, für ihre Süßigkeit keineswegs
+unempfindlich. »Freut mich,« erwiederte er, »daß ihr das einseht.« Und
+in dem Gefühl seiner unleugbaren Güte setzte er hinzu: »Da sagt man
+immer, ich sei bös und schimpfe die Leute. Dummköpfe, Ochsen, alberne
+Weibsbilder sind's, die so was sagen. Ich schimpfen! Einfältiges
+Lumpenpack verfluchtes! -- Ich verlang' was recht ist, und wenn etwas
+Dummes geschieht, laß' ich's nicht durchgehen; und so muß man's auch
+machen, sonst wird nie etwas aus den Leuten. Da hat man nun das
+Beispiel! -- Und's freut mich doch, daß ihr das einseht und daß man
+auch einmal seinen Dank bekommt in der Welt.« Im vollen Genusse des
+Selbstgefühls hielt er ein bischen inne, ließ seinen Blick auf dem
+Mädchen ruhen und sagte dann zu Hans: »Noch ein Jährle, wenn ich sie
+hätt' -- dann solltest du sehen!« -- »Nein, nein,« versetzte Hans
+lachend, »man muß nicht zu viel verlangen. Von jetzt an will ich sie
+schon selber ziehen.« -- Der Bauer sah ihn an, wie etwa ein Kaiser
+einen jungen Grafen ansieht, der sich auch fühlen zu können glaubt.
+Durch seinen guten Leumund, der auch zu ihm gedrungen war, schon für
+ihn eingenommen, fühlte er sich von seinem Wesen angesprochen und
+sagte daher mit der Miene huldvoller Approbation: »Nun, die Postur
+hast du dazu.« -- Hans bemerkte: »Vor der Hand, nämlich bis wir uns
+zusammengeben lassen, bleibt die Christine ohnehin noch bei euch,
+wenn Ihr nichts dagegen habt. Heute freilich möcht ich bitten, daß
+Ihr sie mit mir zu ihrer Mutter fahren lasset.« -- »Alles was Recht
+ist,« versetzte der Bauer mit Würde. Und mit der Freundlichkeit, deren
+sein Gesicht überhaupt fähig war, fügte er hinzu: »Seid vergnügt mit
+einander und macht bald Hochzeit und ladet mich auch darauf. Ich komm',
+ich versprech's euch, und wär's nur, um die dummen Weiber zu ärgern.
+Dann sollen sie mir nochmal sagen, keine Magd könnt's aushalten bei
+mir und jede käm' in Unfrieden von mir weg! -- Aber Sapperment!« rief
+er, sich plötzlich unterbrechend, »jetzt müssen wir in die Küche!«
+Und zu Christine gewandt, setzte er hinzu: »Klaub das Zeug da zusammen
+und schneid' noch ein wenig ab. Ich will indeß zur Bäuerin gehen und
+dich entschuldigen; denn die könnt' am End' nicht so Spaß verstehen wie
+ich!« Und in einer Laune, wie man ihn seit langer Zeit nicht gesehen,
+schritt er hinweg.
+
+Als das Mädchen zur Bäuerin kam, erhielt sie für die Scheltworte, die
+sie sonst zu erwarten hatte, einen freundlichen Glückwunsch.
+
+Eine halbe Stunde später trat unser Paar in die Stube der Hubel, die
+natürlich augenblicklich wußte, woran sie war. Christine rief: »Ihr
+habt nicht Wort gehalten -- Ihr habt mich verrathen!« -- »Sei still,
+du dummes Ding,« entgegnete die Base. »Wo wärt Ihr jetzt, wenn ich das
+Maul nicht aufgethan hätt'?« -- »Ihr habt Recht gehabt,« erwiederte die
+Glückliche und drückte ihr die Hand. Hans sah die Base heiter an und
+sagte dankbar: »Mir habt Ihr Wort gehalten.« -- Die Hubel versetzte
+würdig: »Wo ich reden muß, da red' ich, und wo das Schweigen nothwendig
+ist, da kann ich auch schweigen.«
+
+Man giebt mir zu, daß ich im Verlauf dieser Erzählung den Leser nicht
+mit der bekannten Versicherung behelligt habe, dieses oder jenes könne
+nicht geschildert werden, der Autor müsse die Ohnmacht der Darstellung
+bekennen, müsse es der Einbildungskraft der Leser überlassen, sich die
+Dinge auszumalen u. s. w. Eigentlich ist ja doch alles zu schildern,
+was lebt und sich offenbart und angeschaut werden kann, und jene
+Versicherung bedeutet darum auch in der Regel nur so viel als: ich bin
+nicht im Stande meine Schuldigkeit zu thun. -- Zuweilen dürfte der
+Autor aber doch befugt sein, an die Phantasie des Lesers zu appelliren
+-- der Kürze halber. Ich möchte darum jetzt die Freunde unseres Paares
+ersuchen, sich vorzustellen, mit welchen Gefühlen sie, nachdem sie im
+Wirthshaus die von Hans bestellte Mahlzeit eingenommen hatten, auf
+dem Wägelchen der Heimath zufuhren. -- Es giebt Momente, wo sich eine
+solche Fülle von Glück zusammendrängt, daß wir ein ganzes Leben voll
+Schmerzen dadurch aufgewogen sehen, Momente, wo in überschwänglicher
+Liebe zu Gott und zu der Welt der letzte Hauch von Leid, der letzte
+Hauch von Schuld hinweggetilgt, in Seligkeit verschlungen ist.
+
+Im Schwunge der Freude geberdet sich der natürliche Mensch frisch und
+lustig. In's Dorf einlenkend knallte unser zum Hochzeiter gediehene
+Freund, daß es eine Art hatte, und ließ das wohlgefütterte Roß traben,
+daß die Leute ihnen nur nachsehen und ein paar am Wege stehende Freunde
+nur die einfachsten Laute des Staunens ausrufen konnten. -- Der Gute
+eilte der Mutter zu, die trotz alledem und alledem nun auch wieder
+einmal eine Freude haben sollte.
+
+Als er am Fenster des Hauses vorbei fuhr, erkannte die Glauning nur
+ihn, der Kopf der Christine war verdeckt. Der Wagen rollte in den Hof.
+»Da haben wir's!« rief die Wittwe, in's Herz getroffen; »nun bringt
+er sie mir gar in's Haus.« Allein es galt ihre Ehre, sie drückte die
+Betrübniß in's Innerste ihres Herzens zurück und hatte eine würdig
+freundliche Miene zu Stande gebracht, als sie zur Begrüßung heraustrat.
+»Da ist nun die Hochzeiterin,« rief Hans, »das heißt, wenn Ihr nichts
+dagegen habt!« Die Mutter, Christine erkennend, stieß einen Schrei aus
+und fing das vom Wagen steigende Kind in ihren Armen auf. »Gott sei
+Dank!« rief sie, und Thränen der Freude stürzten aus ihren Augen.
+
+Bei dem besten Kaffee, den man jemals in diesem Hause trank, wurde
+die Mutter in das Geheimniß der letzten Vorgänge eingeweiht. Wenn ein
+moralisch ästhetischer Knauser vielleicht denken sollte, die Wittwe
+hätte das Glück, solche Kinder zu besitzen, eigentlich nicht verdient,
+so beschämen wir ihn mit der Thatsache, daß sie bei Erwähnung der
+abschlägigen Antwort, die Christine dem reichen Bauernsohn gegeben, nur
+ein Augenblickchen eine curiose Empfindung hatte, sich aber durchaus
+nichts ansehen ließ und aufrichtigst ihren Dank gegen Gott wiederholte
+für den glücklichen Ausgang, und den Kindern gerührt ihren Segen gab.
+
+Im Dorfe freilich wurde über Hans zunächst gar manches Näschen und
+manches Mäulchen gerümpft, wovon eigentlich nicht jedes die zierliche
+Benennung verdiente. In Kurzem war aber auch hier von dem wahren
+Sachverhalt Einiges durchgesickert, wir wollen ununtersucht lassen,
+durch wessen Vermittlung. Ein Name zwar wurde nicht genannt, bald
+aber sagte eines dem andern: die Christine hätte gar einen Reichen
+und Großen haben können, wenn sie gewollt hätte, aber sie hat ihn
+ausgeschlagen, weil ihr der Hans lieber ist als Alle. Man begriff
+endlich das Paar, und an die Stelle der Kritik, die nicht mehr
+sachgemäß war, trat allgemein freundliche und achtungsvolle Theilnahme.
+
+Hans hatte die Braut an jenem Sonntag wieder zum Holzbauern
+zurückgeführt. Hier, wo sie nun mit auffallender Rücksicht behandelt
+wurde, schrieb sie an die gute Base Kahl und meldete ihr Glück und den
+wunderbaren Weg dazu, und ließ an alle ihre Bekannten in der Stadt, an
+den Herrn Vetter, an Mamsell Adelheid und Susanne die schönsten Grüße
+ausrichten. Nach einer Woche lief die Antwort ein. Die Schreiberin
+freute sich unendlich, daß ihre Prophezeihung so schnell eingetroffen
+sei, und konnte die Theilnahme der Bekannten nicht warm und lebhaft
+genug schildern; ihr sei's gewesen, als ob eine Tochter, der Adelheid
+und Susanne, als ob eine Schwester das Glück gehabt hätte. Jetzt könne
+sie übrigens ihrem lieben Bäschen auch melden, was sie bisher sich
+nicht zu schreiben getraut, daß Herr Forstner schon seit drei Wochen
+mit der Wilhelmine verheirathet sei. Diesen könne sie aber, nach Allem
+was sie höre, keinen glücklichen Ehestand prophezeihen. Die Wilhelmine
+habe ihren jetzigen Mann schon ganz unter dem Pantoffel; außerdem sei
+sie eifersüchtig und hüte ihn wie ein Drache. Wenn das schon in der
+ersten Zeit geschehe, was würde der Mann erst später zu erdulden haben!
+Im Uebrigen müsse sie sagen, was wahr sei: vorgestern habe in der
+»Erheiterung« ein Concert stattgefunden und Herr Forstner habe auf der
+Violine gespielt, daß Alles Bravo gerufen und Beifall geklatscht habe.
+
+Bei dem letzten Satz lächelte Christine; es schien, als ob sie sich
+nicht unglücklich fühle, daß ihr künftiger Mann dieser Qualität
+entbehrte. Die Vorhersagung eines unglücklichen Ehestandes anlangend,
+dachte sie: die Base wird wohl übertrieben haben und meint mir
+vielleicht einen Gefallen damit zu thun; aber da kennt sie mich
+schlecht. Ich habe nicht das Geringste gegen diese Leute und gönne
+ihnen von Herzen alles Glück, das sie sich verschaffen können.
+
+Aus der Zeit ihres Dienstes beim Holzbauer haben wir nur noch weniges
+zu berichten. Eines Abends, als sie eben vom Felde heimging, begegnete
+ihr vor dem Dorf jener Alte, der ihr die ehrenvolle Stelle einer
+Söhnerin zugedacht hatte. Dem Mädchen klopfte das Herz in Dank und
+Achtung, und als sie ihm nahe kam, grüßte sie ihn mit einem Blick
+der liebevollsten Erkenntlichkeit und -- Abbitte. Der Bauer lächelte
+und sagte, indem er ihr freundlich wie einem Kinde zunickte: »Ich
+gratulire, Christine!« Das vollendet heitere Aussehen des Alten
+hatte, wie wir gestehen wollen, noch einen andern Grund als seine
+Gutmüthigkeit. Christine war ersetzt. Der Hubel, der ihre Niederlage
+gegenüber den guten Leuten keine Ruhe gelassen, war eine große That
+gelungen; sie hatte für den Sohn eine ausgemittelt, ihm an Stand und
+Vermögen völlig gleich und in jeder Hinsicht wundersam passend für
+ihn, und die Unterhandlungen waren bereits dahin gediehen, daß der
+Heirathstag in naher Aussicht stand. Christine erfuhr es etliche Tage
+später, und diese Ausgleichung trug dazu bei, ihr die letzte Zeit bei
+dem Holzbauern zu der angenehmsten zu machen.
+
+Im Oktober lud Hans mit seinem Bruder, dem Schmied, und mit dem
+jetzigen Dorflehrer Freunde und Bekannte im Ries herum zu seiner
+Hochzeit ein. Er lernte den letzteren, den die Vereinigung der
+Seminarbildung mit einem wackern, schlichten, zufriedenen Sinn für
+eine Schulstelle auf dem Lande ganz besonders qualificirte, bei
+dieser Gelegenheit näher kennen und freute sich, an ihm künftig einen
+guten Freund zu haben und an der braven, muntern Frau desselben eine
+richtige, nützliche Bekanntschaft für Christine.
+
+Mit der Erwähnung der feierlichen Einladung haben wir schon gesagt,
+daß die Hochzeit im Wirthshause gehalten wurde. So hatte es Hans
+gewollt. Alle Welt sollte die Christine sehen im bräutlichen »Horbet,«
+dem jungfräulichen Kopfputz: alle Welt sollte ihn an ihrer Seite
+erblicken, stolz und glücklich. -- Es war eine große Hochzeit für
+ein solches Brautpaar, die meisten Geladenen, die zugesagt hatten,
+waren auch gekommen, und richtig befand sich unter ihnen auch der
+Holzbauer. Derselbe trank sich nach und nach in eine ausnehmend gute
+Laune hinein, die sich übrigens, bei gelegentlich an ihn gerichteten
+Fragen, mehr in ergötzlichen als höflichen Antworten kundgab. Nachdem
+er einige wirksame Trümpfe ausgespielt und namentlich auch seine Güte
+und Verträglichkeit in so kräftigen Ausdrücken vertheidigt hatte, daß
+ihm niemand zu widersprechen wagte, schöpfte die glückliche Christine
+aus seinem vergnügten Aussehen den Muth, einem neckischen Verlangen
+nachzugeben und den Wunsch laut werden zu lassen, er möchte doch auch
+ein paar Reihen mit ihr tanzen. Der Hochzeiterin dies abzuschlagen,
+ging nicht wohl an, und außerdem konnte er durch Erfüllung des Wunsches
+am besten beweisen, wie gut man es bei ihm habe und wie vortrefflich
+sie mit einander ausgekommen seien. Deshalb unterdrückte er die bereits
+auf seiner Zunge befindliche Frage: ob sie toll geworden sei? führte
+sie unter allgemeiner Aufmerksamkeit auf den Tanzboden und drehte sich
+so stattlich herum, als es seine Leibesbeschaffenheit irgend zuließ.
+Nach den schicklichen drei Reihen wollte er aufhören; Christine, der
+es Vergnügen machte, den »Wilden« so zahm an der Hand zu haben, bat
+ihn noch um einen. Aber nun war seine Geduld zu Ende. »Geh zum -- es
+geht nicht, Mädle! -- Jungfer Braut, wollt' ich sagen!« -- Hans, der
+heiter zugeschaut hatte, nahm ihm die Tänzerin ab, und statt ihrer trat
+die Mutter zu ihm und rühmte ihn, wie »feindle« (feindlich) schön er's
+noch könne und was für eine »grausame Ehr'« er ihnen angethan habe, daß
+er auf die Hochzeit gekommen sei. Zufrieden setzte er sich zur Kanne,
+und während er auf den Tanzlorbeeren ruhte, sammelte er sich neue als
+Zecher und Redner.
+
+Das Fest ging seinen fröhlichen Gang, der Abend kam heran. Die
+Ehrentänze, die bei solchen Gelegenheiten für das Brautpaar eine
+Pflicht der Höflichkeit werden können, waren getanzt, der Hochzeiter
+und die Hochzeiterin setzten sich an den »Bräuteltisch,« an welchem
+sich dermalen nur die Mutter befand. Die Gäste waren zum größten Theil
+auf dem Tanzboden, wo der junge, lustige Hochzeitknecht berufsmäßig
+eine nach der andern in den Reihen geführt hatte und sich eben nach
+geheim erhaltenem Auftrag mit der Base Hubel herumdrehte, zum Lohn für
+ihre Verdienste. In der Stube waren nur zwei entferntere Tische mit
+Zechenden besetzt, die in lebhaften Diskurs gerathen waren und nur
+Aug' und Ohr für sich selber hatten. Gewissermaßen allein gelassen und
+von der Festesfreude schon etwas ermüdet, saßen unsere drei Personen
+stille da und gaben sich ihren Gedanken hin. Die Musik draußen störte
+sie nicht, die bekannten Töne klangen freundlich in ihre Vorstellungen
+ein. Das Vergnügen, das Nachmittags hell auf ihren Gesichtern
+geleuchtet hatte, nahm nach und nach einen ernsteren Charakter an und
+ihre Mienen wurden feierlich, fast so wie sie in der Kirche gewesen.
+-- Die Mutter sah zuerst aus ihren Träumen empor; sie ließ ihren Blick
+liebevoll auf den Beiden ruhen, die so ganz und gar zusammengehörig
+ihr gegenüber saßen, und sagte dann bedeutsam: »Wie lang hat's dazu
+gebraucht! Es ist doch wahrlich gerade, als ob's früher nicht hätte
+sein sollen!« -- Hans erwiederte auf diesen unwillkürlichen Ausruf in
+dem milden Tone, wie er tieferen Menschen in ernster Empfindung eigen
+ist: »Es hat auch wirklich nicht sein sollen, Schwieger! In der Welt
+ist's nicht jedesmal gut, wenn man ohne weiteres bekommt, was man gern
+möchte: man muß zum rechten Glück erst fertig gemacht werden. Ich hab'
+die Christine besser bekommen, als es früher möglich gewesen ist, und
+sie mich. Glücklich wären wir auch früher mit einander geworden, aber
+wir hätten nicht gewußt, was wir aneinander haben, und jetzt wissen
+wir's.« Christine sah ihn bei diesen Worten mit feucht glänzenden Augen
+an und drückte ihm zärtlich die Hand.
+
+
+Fußnoten:
+
+[1] No, nocht, nochta = nachher, dann.
+
+[2] Ursprünglich Heiligenbilder, dann Bilder überhaupt bis zum farbigen
+Papier herab.
+
+
+
+
+ Ende gut, Alles gut.
+
+
+
+
+ Der Michel und die Gret.
+
+Wenn der Rieser nicht gerade zu der größten und stärksten Menschenart
+im deutschen Vaterlande gehört, so wird man ihm das Prädikat
+»wohlgewachsen« nicht versagen können. Begreiflicherweise gibt es
+in dem volkreichen Gau allerhand, kleine und große, »wie's der Hirt
+zum Thor naustreibt«; in der Regel begegnen wir aber doch schlanken
+Personen von guter Mittelgröße und darüber. Enakssöhne -- Bursche, die
+eine Verbindung von Größe, Schulterbreite und Gliederstärke zeigen,
+die wir mit Staunen betrachten -- sind selten und kommen in andern
+deutschen Gauen häufiger vor; zuweilen gelingt aber auch im Ries ein
+solches Erzeugniß, und es wächst, sofern der Geist mit dem Körper
+nicht geradezu in Widerspruch steht, eine Person heran, die sich in
+ihrer Umgebung eines besondern Respekts zu erfreuen hat. Wenn so einer
+freilich keinen Verstand, keine Würde und am Ende gar auch keine
+»Schneid« hat, dann hilft ihm sein Körperbau nichts; man belegt ihn
+mit den despectirlichen Namen eines »Drieschlags,« eines »unklamperen
+Kerls,« verspottet und hänselt ihn. Sind ihm aber jene Eigenschaften,
+namentlich die letzte, in merklichem Grade verliehen, dann ist er in
+seiner Art eine Macht; man fürchtet ihn und schmeichelt ihm.
+
+Zu den leiblich außerordentlichen Erscheinungen im Ries gehörte auch
+der Held der Erzählung, womit wir dießmal die Leser zu unterhalten
+gedenken. Wir sagen mit Bedacht: der Held. Denn obwohl unsre Geschichte
+keineswegs eine Reihe von Thaten vorführen wird, bei welchen die
+Stärke des Armes die Hauptrolle spielt, so hoffen wir jene, für
+einen Bauernburschen sonst nicht wohl passende Bezeichnung doch zu
+rechtfertigen.
+
+Michel Schwab wurde im ersten Zehntel unsres Jahrhunderts geboren.
+Der Vater, ein wohlhabender Söldner und auch schon ein ungewöhnlich
+großer und gliederstarker Mann, erlag einer hitzigen Krankheit in
+seinen besten Jahren. Die Wittwe, die gut mit ihm gehaust hatte und den
+zehnjährigen Sohn über alles liebte, beschloß nicht mehr zu heirathen,
+damit ihr Einziger das ganze »Sach« bekäme, wie es der Vater gehabt
+hatte. Sie war selbst eine stattliche Frau, froher Gemüthsart und
+regierte gern -- ein Grund mehr, um als ehrsame Wittib fortzuleben und
+die erste Person im Hause zu spielen, bis sie die Herrschaft an den
+Sohn abtreten mußte.
+
+Michel wuchs heran -- die Augenweide und der Stolz der Mutter. In der
+Schule zeichnete er sich nicht besonders aus; sein Verstand war etwas
+langsam zum Begreifen, sein Gedächtniß zum Behalten von Sachen, deren
+Nutzen ihm zweifelhaft erschien, nicht sehr bereitwillig, und Ehrgeiz,
+der ihn hätte stacheln können, besaß er nicht. Er lernte nur, was
+nicht zu umgehen war, ging lieber auf's Feld als in die Schulstube,
+und empfand eine dunkle Sehnsucht nach der Zeit, wo er gar nicht mehr
+hineinmußte, außer an Sonntagen. Um so besser gedieh sein Körper. Er
+war offenbar der stärkste von den Buben seines Alters; die Mutter hielt
+ihn überdieß für den schönsten und war nach dörflichen Begriffen wohl
+dazu berechtigt. Auf dem Dorf ist es vorzugsweise die derbe, robuste
+Schönheit, die eine ungemischte Bewunderung erweckt. Der Bauer hat
+auch ein Auge für zarte, feine Schönheit; aber wenn ein Kind mit einer
+solchen von ihm Lob erhält, so wird doch aus seinem Ton zugleich ein
+gewisses Mitleid herauszuhören sein, zumal wenn es ein Bube ist. Kennt
+er die Eltern gut, so erlaubt er sich in diesem Fall hinzuzusetzen: »a
+bisle kräftenger könnt' 'r freile sei'! No, 's kommt vielleicht no'
+(noch)!« Im Stillen denkt er aber: »Schad für des Büeble, daß er gar
+so elend ist!« Bei dem hübschen Jungen dagegen, der zugleich rothe
+Backen und tüchtige Gliedmaßen aufweist, geht die Gratulation durchaus
+von Herzen und das Lob wird mit den Zeichen der Achtung ausgesprochen.
+»Kott's Blitz,« ruft hier der Freund, während seine Augen im Glanze des
+Wohlgefallens blinken, -- »des ist a Kerl! Des gibt a Mannsbild! Des
+weara't a' baar (paar) Aerm' zum Garba' naufgeba'!« Und er lächelt
+dabei mit Würde und nickt den Eltern seine volle Anerkennung zu.
+
+In solcher Art wurde der junge Michel gerühmt, namentlich von Gästen
+aus andern Dörfern, die ihn längere Zeit nicht gesehen hatten, und
+am lebhaftesten von Weibern. So eine sagte wohl im Doppeleifer der
+Höflichkeit und der wirklichen Empfindung zu der Mutter: »Aber wie uir
+(euer) Michel widder g'wachsa'n ist! Doh muße me nor so aufwondera'
+(aufwundern)! Und a Boschdur (Positur) und a G'sicht hot er grad wie
+sei' Vader! Wie ra'grissa' (herabgerissen, d. h. vom Vater)! Und die
+roth' Backa', die er hot! Und die schöa' brau' Oga'! Doh müsset 'r aber
+doch a rechta' Fräd (Freud) haba' mit so'm Buaba' -- net wohr, Bas?«
+-- u. s. w. -- Die Mutter suchte derartiges Lob, wie es der Brauch
+verlangte, wieder zu dämpfen, indem sie einwarf, daß in dem Alter
+alle Buben rothe Backen hätten, wenn ihnen grad nichts abginge, oder
+in Bezug auf besseres Lernen in der Schule und Angewöhnung besserer
+Manieren klagend ihre Wünsche aussprach. Aber solche Einwendungen
+erfuhren natürlich die gehörige Widerlegung; und wer konnte es der
+Glücklichen nun verdenken, wenn sie, den schönen Versicherungen in
+ihrem Innern beistimmend, an ihrem Michel eine Art Wunderkind zu haben
+glaubte?
+
+Als das ersehnte Ziel erreicht und der Bursche »in die Zahl der
+Erwachsenen aufgenommen war,« entwickelte er sich indeß mehr nach
+seinen natürlichen Anlagen, als nach den Gesamtwünschen der Mutter; und
+die gute Frau mußte ihrerseits erfahren, daß es nichts Vollkommenes
+gebe unterm Monde!
+
+Zum Theil zwar erfüllte der junge Michel nicht nur ihre Erwartungen
+-- er übertraf sie. Er wurde größer als sein Vater und ragte bald ein
+andrer Saul über seine Altersgenossen hervor. Gestalteten sich die Züge
+verhältnißmäßig derb, so waren sie doch regelmäßig. Die bräunlich rothe
+Gesichtsfarbe paßte zu den Formen, die dunkeln Augen und das dunkle
+Haar waren untadelich, und mit alledem konnte ihn die Mutter immer
+noch für den Schönsten im Dorf halten, wenn auch minder befangne Augen
+einigen andern Burschen den Vorzug geben mußten.
+
+Das Bauernhandwerk lernte er gern und gut. Die Mutter hatte
+zur Besorgung der Feldarbeiten ihres Vaters Bruder, einen alten
+Bauernknecht, ins Haus genommen. Dieser weihte den Burschen nach und
+nach in alle Künste der Landwirthschaft ein, und der Zögling machte
+sie sich ein wenig langsam, aber gründlich zu eigen. Er gewöhnte sich
+eine stetige Art zu schaffen an, die ohne Uebereilung auch zum Ziele
+kommt. Falls es aber gerade sein mußte -- z. B. in der Erntezeit, wenn
+man vor dem drohenden Regen noch schnell ein Fuder hereinbringen wollte
+-- da konnte er auch arbeiten »wie ein Roß!« Durch den trunkenen Eifer
+beflügelt, den im ächten Landmann die Nothwendigkeit aufzuregen pflegt,
+leisteten die gewaltigen Gliedmaßen Staunenswerthes; und wenn zufällig
+ein alter Bauer vorüberging, konnte er sich überzeugen, daß die jetzige
+Zeit doch auch noch Mannsbilder aufzuweisen habe und die tüchtigen
+Leute im Ries nicht aussterben würden!
+
+Unter den ledigen Burschen im Dorf erwarb sich Michel eine
+außergewöhnliche Stellung. Schon als Bube hatte er im »Moestern«
+(Meistern), d. h. im Ringkampf, nicht nur seine Mitschüler, sondern
+auch ältere Bursche bezwungen und die Kniffe, womit die Schlaueren
+über ihn Herr zu werden suchten, durch überlegene Kraft wett gemacht.
+Er hatte verschiedene unverschämte Kerle in die Grenzen des Anstandes
+zurückgeprügelt, und die Partei, die ihn bei Schläghändeln auf ihre
+Seite bekam, durfte sich für geborgen halten. Wie er als Lediger
+zuletzt »auf die Gass' ging,« glaubten ihn zwei ältere Bursche,
+die bis dahin für die Stärksten gegolten, »für'n Narren halten«
+und vornehm behandeln zu können. Das »Geträtze« reifte zu einem
+nächtlichen Kampf, und dieser verlieh jedem die Ueberzeugung, daß die
+Gefürchteten ihren Meister gefunden hatten. Michel, von einem Kameraden
+secundirt, schickte die Gegner jämmerlich zerdroschen heim! -- Von da
+an ließ man ihn nicht nur in Ruhe, sondern wich ihm bescheiden aus
+und behandelte ihn mit Rücksicht. Er kam nicht mehr in den Fall, die
+Stärke seines Armes geltend zu machen, außer wenn er sich bei einer
+entstandenen Prügelei bewogen sah, »auszuwehren,« d. i. thatsächlich
+Ruhe herzustellen. Die Veranlassung dazu bot sich ihm nicht oft, aber
+vor etwa dreißig Jahren doch öfter, als es jetzt sein könnte, wo der
+kriegerische Geist der Rieser Bauernburschen durch die fortschreitende
+Bildung und die Gendarmerie auffallend zurückgedrängt ist. Bei solchen
+Gelegenheiten pflegte Michel die Bursche, die sich ihm nicht fügten und
+immer wieder angriffen, mehr als just nöthig war zu puffen und dadurch
+den Glauben an seine Ueberlegenheit so aufzufrischen, daß zuletzt das
+ganze Dorf davon durchdrungen war.
+
+In der angenehmen, behaglichen Stellung, die sich unser Mann
+erobert, bildete sich folgerichtig ein eigenthümlicher Geist in ihm
+aus. Obwohl von Natur nicht anmaßend, gewöhnte er sich doch einen
+kurzen, befehlenden Ton an, weil ihm nach seinem Gefühl kein anderer
+zustand. Er saß beim Bier unter seinen Kameraden in der Regel mit
+schweigsamer Würde, ließ sich unterhalten, belohnte den Spaß, der einem
+»Narra'sager« gelungen war, mit beifälligem Lachen, und spielte nur hie
+und da selbst einen Trumpf aus, der dann gerade nicht der feinste zu
+sein brauchte, um günstig aufgenommen zu werden. Wenn aber ein Streit
+entstand über Dinge, die er zu verstehen glaubte, so pflegte er zu
+entscheiden. Auch andern Disputen machte er zum öftern ein Ende, nicht
+durch ein siegreiches Argument, sondern durch die einfache, kräftig
+betonte Erklärung, daß man »d's Maul halten« solle! -- Er war kein
+Liebhaber von vielen Worten, unser Michel -- selbst nicht, wenn Andere
+sie machten; und wenn seiner Ansprüche im Umgang immer wenige blieben,
+so wollte er diese doch auch befriedigt sehen. Dank sei es dem Namen,
+den er sich erworben -- unter seinen Kameraden setzte er seine Wünsche
+durch!
+
+Das wäre Alles gut und schön gewesen, und eine Mutter hätte Ursache
+gehabt, mit so einem Buben zufrieden zu sein; aber das Bild hatte seine
+Kehrseite. -- Michel nahm keine Manier an! Er konnte sich nicht abgeben
+mit Vettern und Basen, wie die Schwabin es wünschte -- er lernte
+keine Höflichkeit! -- Schon als kleiner Junge, wenn ihn die Mutter in
+die Stube rief, um ihn einem besonders werthen Besuch vorzustellen,
+pflegte er ein »wildes« Gesicht zu machen, auf die gewöhnlichen Fragen,
+halb verlegen, halb trotzig, kurze, zum Theil verkehrte Antworten
+hervorzustoßen und sobald als möglich das Weite zu suchen. Dem Knaben
+wurde das verziehen, weil man doch sah, daß er's eigentlich so bös
+nicht meinte, und auch die etwas beschämte Wittwe konnte über irgend
+eine komisch-alberne Antwort achselzuckend mitlächeln. Als er aber
+heranwuchs und seine Sache immer noch nicht besser machte, wurde sie
+höchst verdrießlich.
+
+Der Bauer hat keine Zeit, die Unterhaltung als Kunst zu betreiben,
+und Gesellschaften im städtischen Sinn giebt es auf dem Dorfe nicht.
+Allein man empfängt doch Besuche und macht welche, es giebt fröhliche
+Zusammenkünfte, und dem jungen Burschen fehlt es keineswegs an
+Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, wenn er eines hat, oder
+sich wenigstens in herkömmlicher Weise schicklich zu benehmen. -- Bei
+Michel waren dem Erlernen auch solchen Benehmens zwei Eigenschaften
+hinderlich, die sich in ihrem Bunde unüberwindlich zeigten: Ehrlichkeit
+und -- Faulheit. Seiner geraden Seele widerstrebte es, Dinge zu
+bewundern, die er nicht besonders, ja nicht einmal gewöhnlich gut
+fand; und in den Eifer, wo einem derartige Versicherungen allenfalls
+vom Munde gehen, sich hineinzureden, war ihm unmöglich; denn dazu
+hätte es einer Anstrengung bedurft, die ihm schon beim bloßen Gedanken
+abschreckend vorkam! So blieb es in der Regel bei einem schweigsamen
+Gesicht -- einem »Hm,« »Ja,« »Jo« (ja doch), »Freile« und andern
+lakonischen Aeußerungen, womit sich Leute seines Gleichen aus der
+Affaire ziehen. Bei ungelegenen Fragen kam noch das im Ries sehr
+gebräuchliche »Bah« hinzu, das mit stark ablehnender, unter Umständen
+verächtlicher Miene hingeworfen wurde. Es war in der That unmöglich, in
+einer unvermeidlich gewordenen Unterhaltung sich kürzer auszudrücken
+als unser Michel, zum großen Leidwesen seiner Mutter, die ihn gern auch
+im Diskurs, wo nicht musterhaft, doch löblich gesehen hätte. Manchmal
+blieb es aber nicht dabei -- manchmal, wenn man seine Ehrlichkeit
+allzustark reizte, platzte er direkt mit der Wahrheit heraus und beging
+damit eine Unschicklichkeit, bei der es der Mutter grün und gelb vor
+den Augen wurde. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, die grobe Rede
+zu vertuschen; wenn es aber nicht gelang und die beleidigte Person
+sichtlich böse dastand, dann übernahm sie die Rache selber, indem sie
+den Schuldigen für einen einfältigen Schwätzer erklärte, der nichts
+verstehe und ein Esel bleiben werde »all sein Lebtag!«
+
+In der ersten Zeit folgte solchen Unterhaltungen in der Regel ein
+Zwiegespräch, in welchem die Mutter dem Sohn in's Gewissen redete
+und ihn mit dem Nachdruck der gerechten Entrüstung über seine Mängel
+aufzuklären suchte. Als er sich einmal durch düstre Schweigsamkeit
+und kurze Antworten ausgezeichnet hatte, begann die Alte: »Aber ietz
+sag mer nor, Michel, wie isch (ist es) mögle, daß ma' se so benemma'
+ka' vor da' Leuta'! Ka'st denn ietz net oh a weng reda', wie's der
+Brauch ist, und a froendle's (freundliches) G'sicht macha'? Fällt
+der denn gar nex ei', daß d'alleweil dohstost (dastehst), als ob d'r
+d's Maul zuag'wachsa' wär'?« -- Michel, etwas unmuthig, fragte wie
+er schon öfter gethan: »No, was soll i denn saga'?« -- Die Schwabin
+kam in Eifer. »Was er saga' soll, frogt er me! -- Was ander Leut'
+saget -- Badde (alberner Mensch)! Merkst denn gar net auf? Host denn
+gar koe Hihra' (Hirn)?« -- Michel über diesen Ausdruck verdrießlich,
+erwiederte: »I ka' des domm' G'säg (Gesage, Gerede) net leida'.« --
+Aber nun wurde die Alte hitzig. »Wer sakt denn, daß d' a domm's G'säg
+haba' sollst, o'verständenger Mensch? Ebbes G'scheidt's sollst reda',
+daß ma'n a'n Unterhalteng hot und vergnügt ist! Gang weiter. A Kerl
+so stark und so groaß wie a' Bohm (Baum), und hot net amol soviel
+Versta'd wie a' Schuelbüable! An dir wear' e no' a rechta' Fräd (Freud)
+verleba', daß Gott erbarm'!« u. s. w.
+
+Kräftiger noch war die Rüge, wenn Michel seiner Ehrlichkeit freien Lauf
+gelassen und die Wahrheit gesagt hatte, wo Höflichkeit an der Stelle
+gewesen wäre. Nach dem ersten auffallenden Verstoß dieser Art kam es zu
+folgender Scene.
+
+~Mutter.~ No ha'et (heut) host widder a Dommheit g'macht! Du bist
+doch der Dipplengst[3] em ganza' Doraf (Dorf)! Sakt ma'n oem so ebbes
+en's G'sicht? Setzt ma' d'Leut so en Verlega'heit?
+
+~Michel~ (trutzig). S'ist nor d'Wora't (Wahrheit) g'wesa', was e
+g'sakt hab'!
+
+~Mutter~ (bitter lachend). D'Wora't! O du o'sennenger (unsinniger)
+Mensch! Sakt ma' d'Wora't, wann's o'gschickt rauskommt und d'Leut
+verdrießt? -- Was weara'n ietz die von der denka'? Und was weara's von
+d'r verzähla', wann's hoem (heim) kommet!
+
+~Michel.~ Mei'twega' was went (was sie wollen)! I frog' nex
+dernoch!
+
+~Mutter.~ Oh rehcht (auch recht)! Du frogst nex dernoch, wamma'
+de für'n Esel hält und dei' Mueter für a Weib, die de net zoga' hot?
+Du wurscht a saubers Mannsbild weara'! Du wurscht schöa' durch d' Welt
+komma'! -- Ietz möcht' i nor wissa, w'rom ih grad so gstroft ben und
+so'n Narra' zum Soh' hab!
+
+~Michel~ (ärgerlich). »No, ietz isch gmuag! -- -- A'n andersmol
+du' es (thu ich es) nemmer!« --
+
+Diese Zusage, die ihm das Verlangen nach dem Schluß erpreßt hatte,
+konnte der gute Michel indessen nicht immer halten. Wenn er aber auch
+in weitern Verstößen sich selbst übertraf -- wenn er, zum Sprechen
+genöthigt, in seinem Widerwillen vollständig »aus dem Weg naus« redete
+oder, durch sein eigenes Schweigen belästigt, in der Zerstreuung und
+ohne Kenntniß des eben Gesprochenen eine Frage that, daß man ihn für
+»meschucka'« (hebräisch: verrückt) hielt -- kurz wenn er auf dem
+eingeschlagenen Wege consequent fortging, so hörten die Predigten der
+Mutter doch nach und nach auf. Einmal wurde die wackre Frau müde, stets
+dasselbe zu sagen für nichts und wider nichts. Dann regte sich, je mehr
+er heranwuchs und Autorität unter den Dorfburschen erlangte, in Michel
+ein Geist der Widersetzlichkeit, der sich das »Repermandiren« nicht
+mehr gefallen lassen wollte. Die Schwabin beschränkte sich zunächst auf
+einzelne kurze Bemerkungen, wie z. B.: »No, ha'et host widder a Schluap
+(großes Maul) rahgh'ängt, des muß i saga'! Wann de nor em Spiegel
+g'seha' hätt'st -- du hätt'st der gwiß selber g'falla'!« Oder: »Ha'et
+host widder 'n Einfall g'hett (gehabt)! Wie d'nor drauf komma' bist!
+A'n Anderer brächt's net raus, er därft' se Müa' geba'!« -- Aber Michel
+wurde endlich auch dadurch verletzt und sagte einmal unmuthsvoll: »Ietz
+laß me amol ganga'! I ben wie'n e ben, und durch dei' ewengs (ewiges)
+G'schimpf wear' e net anderst! Weam e net g'fall, der soll derhoemt
+(daheim) bleiba', oder -- -- i hätt' schier ebbes g'sakt!«
+
+Die Mutter seufzte. Sie mußte einsehen, daß sie sich in einem Punkte
+geirrt und ihr Sohn eben doch einen Fehler habe, und zwar einen großen,
+den er vielleicht nie ablegen werde. Aber noch blieb ihr eine Hoffnung.
+Michel war noch jung, es konnte noch werden. »Vielleicht got's 'm«,
+dachte die Gute, »wies scho' manchem ganga'n ist! -- vielleicht wurd 'r
+zoga', wann 'm a Mädle g'fällt!« -- Dieser Gedanke leuchtete ihr ein
+und rief eine Art von Lächeln auf ihr Gesicht. Es gab manche im Dorf,
+die ihr als Söhnerin nicht unlieb gewesen wäre. Wenn Michel an einer
+seine Freud' hätte, sich »um sie herummachte« und sie zum Tanz führte,
+dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ihm der Verstand nicht
+kommen und das Maul nicht aufgehen sollte! -- Die gute Frau stellte
+sich das so hübsch und natürlich vor, daß sie recht erheitert wurde und
+auf diese Medizin das vollste Vertrauen setzte. Sie beschloß, ihn gehen
+zu lassen und zu warten.
+
+Michel wurde neunzehn, er wurde zwanzig Jahre alt -- und noch gefiel
+ihm keine. Die Mutter schüttelte den Kopf. Nicht nur, daß er keiner den
+Vorzug gab -- er machte sich aus den Mädchen überhaupt nichts. Er lief
+ihnen nicht nur nicht nach, er wich ihnen aus oder that wenigstens, als
+sähe er sie nicht. An Lustbarkeiten nahm er Theil, aber nur, um sich
+zu Mannsbildern zu setzen, die ohne Schatz waren, wie er. Mit diesen
+zechte, dampfte und diskutirte er in der schon beschriebenen Art und
+ging endlich zufrieden nach Hause. Ein paarmal ließ er sich von einer
+Nachbarin, die einige Jahre älter war als er und ihm gegenüber eine Art
+von Erziehungstrieb spürte, zum Tanzen verleiten. Als aber nach dem
+zweiten Versuch eine alte Base zu ihm sagte, er tanze, daß »dem Teufel
+dran grause«, und er müsse es besser lernen, sonst wärs g'fehlt -- da
+hatte dies nicht zur Folge, daß ers besser lernte, sondern ganz und gar
+aufsteckte. -- Die Mutter wurde recht bedenklich, und an die Stelle der
+Hoffnung trat das Mißvergnügen und die Sorge.
+
+Auf dem Lande heirathet man verhältnißmäßig früh, und früh knüpfen sich
+auch Liebesbündnisse. Zwei junge Leute, die sich gefallen, gedeihen
+eben darum bald zum Liebespaar, weil sie auch bald zum Ehepaar gedeihen
+können; und der Dorfgeschichten-Erzähler wird nicht leicht in den
+Fall kommen, seine Leser für das Verhältniß eines Vierzigers mit einem
+zwanzigjährigen Mädchen interessiren zu müssen, was der Novellist
+der höhern Stände immer seltner wird umgehen können. Daß ein Sohn zu
+spät oder zu wenig nach den Mädchen fragt, ist ein Unglück, welches
+bäurischen Eltern selten begegnet. Oefter kommt es vor, daß einer in
+jungen Jahren zuviel darnach fragt und dann natürlicherweise Folgen
+sich ergeben, die den Eltern viel Verdruß machen können, in der Regel
+aber auch wieder eine gute Ausgleichung finden. Vernünftige Eltern
+wünschen niemals, daß ihr Sohn eine Liebschaft anfange, wenn er kaum
+ein paar Jahre aus der Schule ist. Aber wenn ein Jahr ums andere
+vergeht, wenn er in die Zwanzige eintritt und immer noch thut, als ob's
+gar keine Mädchen auf der Welt gäbe, dann findet man das auf dem Lande
+nicht natürlich.
+
+Als Michel das zwanzigste Jahr hinter sich hatte, achtete es die
+Schwabin für ihre Pflicht, ihm in dieser Beziehung Ermahnungen zu geben
+-- freundliche, liebevolle Ermahnungen: sie wußte ja, daß andere bei
+ihm nicht anschlugen! -- Bei Gelegenheit eines Tanzes forderte sie ihn
+auf, ins Wirthshaus zu gehen und sich auch einmal ein Vergnügen zu
+machen. Er habe ja die letzte Zeit her genug geschafft, und für Leute
+seines Alters wären ja solche Gelegenheiten da. Michel antwortete, er
+wolle sich schon ein Vergnügen machen. Die Mutter schüttelte den Kopf
+und sagte: »I moe (meine) net, daß de widder he'setzst und rohchst
+aus dei'm Pfeifa'kopf -- i moen, daß d'oh a Mädle nemmst und danzst
+mit 'r, wie ander' jung Leut'.« -- Michel schwieg einen Moment, dann
+sagte er: »du woescht (weißst), Mueter, d's Danza' frät me net.«
+-- Hier konnte die Mutter ihre Ungeduld nicht bemeistern. »Kott's
+Blitz, red net so! Fang's nor a', 's wurd de scho' fräa'!« -- Und in
+freundlicherm Ton setzte sie hinzu: »Ha'et kommt dei' Bäsle von ** ins
+Wirthshaus, a saubers Weibsbild -- ka' alle Arbet und hot ebbes! Des
+wär' a Dänzere für di! Mach de lusteng mit 'r (ihr), nemm's mit in d'
+Stub' nei' und loß 'r ebbes auftraga'. Kott's Kreuz nei', a Mensch, der
+ins oenazwanzengst Johr got.« -- »Aber i ka' ja net danza«, entgegnete
+Michel. »D'Leut lachet me aus.« -- »Wie wursch (wirst du's) denn
+aber learna', wann's net probierst?« versetzte die Alte. »Learngeld
+hommer (haben wir) alle geba' müssa' -- des verstot se. Aber die
+Bäbe, die wurd de scho' regiera'; die brengt de rom -- doh ka'st de
+drauf verlossa'. -- Komm, versprich mer's!« -- »Ach Gott«, erwiederte
+der gute Bursche mit einer Miene, als ob er Arznei nehmen sollte --
+»i due's recht o'geara'.« -- »Ietz verzürn' me net«, entgegnete die
+Mutter, »oemol mueß sei',« -- »I hab' koe Gloech (Gleich, Gelenk)
+derzue,« versetzte der noch immer Bedenkliche. -- »Dommheita'! du
+host dei' grade Glieder! Und du ka'st ja doch bei der Arbet sprenga'
+(springen, laufen) wann's sei' muß!« -- »Ja bei der Arbet!« erwiederte
+Michel, als ob er hinzusetzen wollte: »das ist auch was ganz Anders!«
+-- »Beim Danza' got's no' (noch) besser!« versicherte die Mutter; und
+indem sie ihn schmeichelnd auf die Schulter klopfte, setzte sie hinzu:
+»komm, sei brav, versuch's und due (thu) oh amol ebbes, was e (ich)
+geara' hab'!« -- Der gute Michel verspürte bei diesen bittenden Worten
+einige Rührung, und um der Sache ein Ende zu machen und loszukommen,
+sagte er: »No, i will seha'!« -- »Also du willst?« rief die Mutter. --
+»Ja, ja«, erwiederte Michel, »i will seha'!« --
+
+Als er am andern Morgen in die Stube trat, fragte die Schwabin: »No,
+wie hot's ganga'?« -- »Ganz guet«, versetzte Michel. -- »Bist z'recht
+komma'?« -- »Des will i moena'«, erwiederte der Sohn mit Selbstgefühl.
+-- »No«, sagte die Alte erheitert, »des hab' i ja g'wißt! -- Host
+aber oh ebbes auftraga' lossa'?« -- »Des net.« -- »Wie, 'r Dänzere,
+zu der ma' Froed (Freund) ist?« -- »Ja so«, versetzte Michel, »du
+red'st vom Danza'?« -- »No, von was soll i denn reda'?« -- »Ja, lieba'
+Mueter«, erwiederte der Sohn mit einer Art von Bedauern, »des muß i d'r
+scho' saga': danzt hab' e net.« -- »Was? Aber du sakst ja --« »Ja«,
+entgegnete der Enakssohn, »i hab denkt, du moest ebbes andersts. 'S hot
+nämlich bald 'n kloena' Handel geba', und doh hab' e ausg'wehrt. Doh
+ist so a kloener Grippel (Krüppel; bedeutet hier bloß die Kleinheit)
+g'wesa', der gar koen Fried hot geba' wölla'. I hab' wärle Earnst
+macha' müassa'! -- Aber ietzt«, setzte er mit Befriedigung hinzu,
+»ietzt, hoff' i, wurd er oh an mi denka'!« -- Die Mutter, ärgerlich,
+versetzte: »Aber des wurd doch net eweng daurt haba'? Später wurd's
+doch oh no Zeit geba' haba' zum Danza'?« -- »Ja«, sagte Michel, »doh
+hab i nocht (nachher) mei' Unterhalteng scho' g'hett (gehabt), und i
+hab denkt: für ha'et isch gmuag!« -- Die Alte wußte nicht, sollte sie
+weinen oder lachen über so einen Menschen. »No«, sagte sie endlich,
+»i sig scho', an dir ist Hopfa'n und Malz verloara'!« -- »Desdawega'
+(deßwegen) no net«, erwiederte Michel behaglich, und ging langsamen
+Schrittes an seine Arbeit.
+
+Trotz des schlechten Erfolges dieser ersten Ermahnung richtete die
+Mutter ähnliche noch zu wiederholtenmalen an den Sohn. Die gute Frau
+meinte: »'s ist doch a Vergnüaga, was i von 'm haba' will! 's ka' ja
+net sei', daß 'r gar koen G'falla' dra' fendt! 'S ist doch no a'n ieder
+endle drauf komma'!« -- Allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos.
+Einmal ließ sich Michel bewegen, noch einen Tanzversuch zu machen;
+aber abgesehen davon, daß er nicht das geringste Vergnügen dabei
+empfand, hörte er auch aus einer Ecke von zwei Mädchen ein »Kuttern«
+(gedämpftes Lachen), das er nur auf sich beziehen konnte, und in dem
+Aerger, den »Fratzen« zum Gespötte zu dienen, sagte er zu seiner
+Tänzerin: »So, ietz ist gmuag, ietz ka'st widder ganga'!« und kehrte
+in die Stube zurück, um seinen Unmuth zu vertrinken. Ein Kamerad, den
+er auf's Gewissen fragte, wie er eigentlich tanze, erwiederte mit
+bedeutungsvollem Blick: »Loba' ka'n e's net!« Michel nickte schweigend;
+und als er heimkam und seine Mutter wieder fragte, ob er »sich lustig
+gemacht« habe, antwortete er mit Unmuth: »Ja, danzt hab' e; aber desmol
+und mei' Lebteng net widder! Aus isch! Globst du, doß i da' Leuta' da'
+Narra' ahgib? doh bild' i mer doch z'viel ei'! Kott's Kreuz-Taused«
+-- -- »Aber« -- »Ietz hör' auf oder du machst me falsch! I will
+endlich 'n Fried' haba' mit dem Sakermentsdanza' doh! -- 'S wär koe
+Wonder, 's käm' ebbes dabei raus!« -- -- Die Mutter sah den Burschen
+achselzuckend an und schwieg. Sie mußte sich überzeugen, daß an so
+einem Menschen kein Reden was helfen kann! In Gottes Namen! Sie hatte
+ihre Schuldigkeit gethan; und wenn er nicht mehr auf den rechten Weg
+zu bringen war -- ihr konnten keine Vorwürfe gemacht werden. Hatte sie
+sich doch auch schon erboten, ihn selber tanzen zu »lernen« (lehren)!
+Aber was hatte er drauf gesagt? »Mit mei'r Mutter z'danza', kommt mer
+so öad für, daß mer übel wurd, nor wann e dra' denk'!« Mit so einem
+Menschen fang' eines was an! Nein! -- er soll thun, was er will! Und
+wenn er »a'n alter Esel« wird und keine kriegt, soll er's haben!
+
+Um es kurz zu machen -- unser Bursche hatte das sechsundzwanzigste Jahr
+hinter sich -- und noch konnte er das Tanzen nicht und noch hatte er
+keinen Schatz, geschweige denn ein Weib. Er näherte sich dem, was auf
+dem Dorf ein »alter Jungg'sell« heißt; denn wenn der Bursche einmal in
+der zweiten Hälfte der Zwanzige steht, dann kann er sich nicht mehr
+viel auf seine Jugend einbilden und es ist Zeit, daß er seine Wahl
+trifft. Hat er einmal »drei Kreuz auf'm Buckel (Rücken)«, dann ist
+er schon sehr anrüchig, und er muß andere Qualitäten bedeutender Art
+haben, falls er auf eine Dorfschöne noch Eindruck machen will.
+
+Bei seiner Weise zu leben wurde Michel natürlich ein eigenthümlicher
+Kauz. Von Herzen gutmüthig, konnte er doch leicht und schnell böse
+werden, wenn man ihn durch eine Zumuthung belästigte oder durch
+Widerspruch reizte. Der kurze, befehlende Ton unter Kameraden wurde ihm
+zur andern Natur, er gebrauchte ihn ganz gemüthlich und hatte keine
+Ahnung davon, daß er einen Andern damit in einer Art ansprach, die er
+von ihm sehr übel aufgenommen hätte. Wer ihn zu behandeln wußte, konnte
+gleichwohl Alles mit ihm anfangen. Auf eine gute Rede, für einen guten
+Freund wär' er in's Feuer gegangen. Natürlich wurde er bei alledem kein
+großer Menschenkenner. Er bildete mehr die Gabe des Glaubens, als das
+Talent der Prüfung und Unterscheidung aus, glaubte an seine eigenen
+Einfälle und anderer Leute Versicherungen und handelte in diesem
+Vertrauen oft sehr naiv. Er gab im Dorfe zu manchem Spaß Anlaß, der
+gute Michel, und man lachte bei solchen Gelegenheiten weidlich über ihn
+-- aber hinter seinem Rücken! Denn ihm ins Gesicht zu lachen, wollte
+doch Niemand räthlich finden! --
+
+Die Mutter ließ ihn gehen. Am Ende, wenn er nicht heirathete, blieb
+sie die Herrin im Haus bis an ihr letztes Stündlein; und wir wissen,
+sie regierte gern. Aber ihr Muttergefühl überwog doch. Eine rechte
+Söhnerin ins Haus und für sie »Enkala'« zu wiegen, wär' ihr doch lieber
+gewesen. -- Wenn sie daran dachte, verlor sich ihre Zufriedenheit; sie
+schüttelte den Kopf und seufzte. Zuweilen tröstete sie sich selbst mit
+den Worten: »Was ka'n i macha'? 'Sist eba'n a Blohk (Block) und bleibt
+oer!«
+
+Damit aber that sie ihrem Sohn unrecht. Die Fähigkeit, die sie so gern
+bethätigt gesehen hätte, fehlte nicht, sie schlief nur und harrte
+ihrer Zeit. Und die Zeit kam endlich und eine neue Periode begann für
+Michel -- die geschichtliche. Kurz: er sah »die Rechte« -- die bestimmt
+war, sein Herz zu rühren. Und bei dem ersten Anblick schon wurde ihm
+höchst seltsam zu Muthe, und was die Mutter ihm vorgepredigt und was er
+niemals verstanden hatte, das begriff er mit einem Schlag.
+
+Diese Rechte war Margareth, zweite Tochter eines Söldners und Maurers,
+dessen Haus in der nämlichen Gasse lag. Als »Greatle« war sie aus dem
+Dorf gekommen, um zu dienen -- als »Great« kam sie wieder, da ihre
+ältere Schwester sich verheirathet hatte und der verwittwete Maurer
+sie im Haushalt brauchte. Vor vier Jahren, wo sie das elterliche
+Haus verließ, hatte sie noch wenig »gleichgesehen« (vorgestellt);
+jetzt verwunderte sich Alles über ihre »Aussicht.« Sie war stattlich
+und groß -- um ein Gutes kleiner freilich als Michel, aber doch das
+größte Mädchen im Dorf. Zugleich war sie ein sehr hübsches Mädchen.
+Sie gehörte zu jenen gesunden, kräftigen Blonden, welche das heiterste
+Bild froher Weiblichkeit gewähren. Ihre Züge waren regelmäßig, die
+Gesichtsfarbe hell; die Backen hatten nur einen leichten rosigen
+Anhauch, aber desto röther waren ihre Lippen; und wenn sie lachte,
+war es ein Vergnügen, ihre weißen Zähne durchblinken zu sehen. In
+gemüthlicher Aufregung pflegten die Flügel ihrer wohlgebildeten Nase
+sich etwas in Bewegung zu setzen, was auf ein lebhaftes Temperament
+schließen läßt. Allein wer ihre ziemlich hohe, klare Stirn sah und ihre
+hellen blauen Augen, der erkannte in ihr ein Mädchen, die zu gescheidt
+war, um ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. In der That
+war sie ein fröhliches, aber unverdorbenes Geschöpf; vielleicht eben
+darum unverdorben, weil sie fröhlich war und nach der Arbeit in Scherz
+und Spiel ihre Erholung und Befriedigung fand. Sie war das letzte
+Jahr zu Nördlingen im Dienst gewesen, und es hatte ihr an verliebten
+Nachstellungen durchaus nicht gefehlt. Allein Margareth war ein ächtes
+Bauernmädchen -- ein rechter »Bauernburscht« ging ihr über Alles, und
+da sie so einen noch zu bekommen hoffte, so konnte ein »Nearlenger
+Da'le (Daniel; Spottname der Nördlinger unter den Bauern)« keine Macht
+über sie gewinnen. Im Uebrigen war das Schaffen ihr Vergnügen. Sie
+gehörte zu den Personen, denen nach dem Rieser Ausdruck »etwas aus der
+Hand geht« -- die nicht lange fackeln und herumtappen, sondern die
+Sache gleich recht angreifen, und die gerne arbeiten, weil sie immer
+etwas Ordentliches fertig sehen.
+
+Gewiß ein Mädchen, der es zustand, das Herz unsres Burschen in Bewegung
+zu setzen! Wäre Michel geschickter gewesen, so hätte man sagen können:
+sie war unter den Mädchen des Dorfs, was er unter den Burschen. Allein
+unter den gegenwärtigen Umständen ragte sie über ihn empor, und das war
+auch nöthig, wenn sie dem Stolzen einleuchten und den Selbstgenügsamen
+zu der Erkenntniß bringen sollte, daß ihm doch noch etwas fehle und daß
+er sich um etwas zu bemühen habe.
+
+Als Michel ihr das erstemal begegnete und sie ihm guten Tag bot, sah
+er sie verwundert an und erwiederte stehen bleibend: »I muß scho'
+saga'« -- Das Mädchen, ihm zu Hülfe kommend, rief: »Du kennst me
+g'wiß nemmer, Michel? I ben d's Maurers Margret!« -- »Kott's Blitz«,
+erwiederte Michel, »'s ist wohr! -- Aber du bist ja a Fetza'mädle
+woara!« -- Der Ausdruck »Fetza'mädle«, obwohl eine tüchtige Person
+bezeichnend, klang doch von einem Burschen zu einem hübschen Mädchen
+nicht besonders zierlich und rief auf dem Gesicht der Gret ein Lächeln
+hervor. Sie sagte ein wenig schnippisch: »Uir Mannsbilder moenet wohl,
+uir könnet alloe groaß wäara'? Aber manchmal g'rothet (geräth) von o's
+doch oh oena'! -- No, godda' Morga'!« -- Sie ging weiter. Michel hatte
+mechanisch das »godda' Morga'« wiederholt und sah ihr jetzt mit einer
+curiosen Empfindung nach. Endlich sagte er: »Des ist ja a verfluacht
+saubers Weibsbild woara, die Great! Wer hätt' des g'lobt (geglaubt)!«
+Er drehte sich um und ging weiter; aber das Bild der Gret stand immer
+vor ihm und seine Gedanken konnten nicht von ihr loskommen. Es gährte
+und »grubelte« in seinem Herzen, und nachdem sein Mund eine halbe
+Stunde geschwiegen, verrieth er die Beschäftigung seiner Seele, indem
+er plötzlich murmelte: »A saubers Weibsbild, wärle! A Mädle, wie von
+Wachs!«
+
+Der Keim war in unsern Burschen gelegt. Bei weiterem Nachdenken
+erkannte er immer mehr, daß die Gret diejenige sei, die er haben
+möchte, zum Schatz -- zum Weib! Er begriff, wie man einem Mädchen
+nachlaufen könne; denn eigentlich wäre er der Gret jetzt selber gern
+nachgelaufen! Was ihm früher zuwider gewesen, das erschien ihm jetzt
+lieb und angenehm. Es dünkte ihn schön, sehr schön, mit der Gret
+eine »Ansprach« zu halten, sie zum Tanz zu führen, sie ordentlich
+herumzudrehen und ihr tüchtig auftragen zu lassen! Was die Mutter
+früher umsonst gewünscht hatte, jetzt hätte er's ausführen können Alles
+miteinander! -- -- Allein er wäre nicht Michel gewesen, wenn er die
+Sache nun so angegriffen hätte, daß er zu seinem Zwecke gelangen mußte.
+
+Zuerst überlegte er, und dabei kam ihm ein Skrupel, der ihn höchst
+bedenklich machte. »Wann's de aber no net möga' dät? Wann's de
+auslacha' dät und du ständest doh« -- -- Es ging ihm heiß durch die
+Brust bei diesem Gedanken und er sah gewaltig düster für sich hin.
+Michel hatte nichts von der Eitelkeit, die junge Bursche glauben läßt,
+jedes hübsche Mädchen müsse sich in sie verlieben; aber um so mehr
+besaß er jenen Stolz, für welchen der Gedanke, sich verachtet zu sehen,
+empörend ist. Wenn Er, der niemals nach den Mädchen was fragte, der
+ihnen auswich, der zu wiederholten Malen erklärte, er könne ihr »G'säg«
+nicht leiden -- wenn er, der Michel, vor dem Alles Respekt hatte, nun
+plötzlich einer nachginge und schlecht ankäme! Wenn sie ihn verspottete
+und es käme heraus und das ganze Dorf spottet über ihn -- -- Ein
+Kernfluch entrang sich bei dieser Vorstellung seinen Lippen. Nein, so
+durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das mußte klug und vorsichtig
+-- sehr vorsichtig angefangen werden.
+
+Er faßte den Entschluß, keinem Menschen zu sagen, wie's ihm war. Zur
+Mutter zu gehen und ihr zu beichten, er hätte ein Mädchen gern, wäre
+ohnehin nicht in seinem Charakter gelegen; nachdem er aber so lange
+ihren Ermahnungen widerstanden hatte, wäre sie die letzte gewesen,
+der er seine Bekehrung hätte vertrauen mögen. »Vor der Hand« sagte
+er endlich zu sich selbst, »will i seha', wie's got! -- Und was will
+e? Z'erst muß e ja doch oh d's Mädle nommol (nochmal) betrachta':
+vielleicht g'fällt's m'r nemmer so.«
+
+Mit dieser Hoffnung täuschte er sich freilich. Als er sie wieder sah,
+gefiel sie ihm nicht weniger, sondern noch viel besser als das erste
+Mal. Sie hatte just ihren schönsten Tag, war in ihrer heitersten Laune
+und glänzte vor Vergnügen! -- Das Herz des Guten klopfte, als er sie
+grüßte, und er hätte jetzt nicht stehen bleiben und mit ihr ein paar
+Worte reden können! Eine höchst ungewohnte Aufregung trieb ihn an
+ihr vorbei, und erst als er ein paar hundert Schritte gegangen war,
+beruhigte er sich wieder. -- »Des ist nex g'wesa',« sagte er endlich zu
+sich selbst und schüttelte höchst ernsthaft den Kopf.
+
+Er war gefangen, der arme Michel. Er hatte seinen Theil -- und konnte
+sehen, wie's ihm ging. -- Zu dem schönen Aussehen der Gret kamen
+zuletzt noch die Urtheile, die er von Andern über sie hörte. In diesem
+Punkte sind wir Alle Menschen! Wir lieben die Geliebte um ihrer selbst,
+um der Schönheit und Tugend willen, die uns aus ihr entgegen leuchtet.
+Allein wenn sie nun auch von Andern gerühmt wird, so hat das nicht zur
+Folge, daß unser Wohlgefallen an ihr sich mindert -- im Gegentheil;
+das Lob, was ihr gesungen wird, ist ein Hauch, der die Flamme unsres
+Herzens oft noch viel stärker anblasen kann. Michel horchte herum,
+indem er mit gutem Erfolg den Gleichgültigen spielte; denn die Liebe
+schärft den Verstand aller Wesen. Und wie er nun hörte: »a g'schickt's
+Mädle -- a schöas Mädle -- a bravs Mädle« -- ja, von einem alten Kenner
+»a Staatsmädle,« da war's ihm zu Muthe als wenn er dieses Mädle kriegen
+müsse, koste es was es wolle. Er fühlte einen unwiderstehlichen Trieb,
+sie wieder zu sehen -- und ging ihr nun extra zu Gefallen.
+
+Nachdem er sich ein paarmal umsonst bemüht hatte, kam sie ihm eines
+Nachmittags mit einer Kamrädin entgegen. Er wollte sie diesmal recht
+darauf ansehen, ob sie denn wirklich eine solche sei, wie die
+Leute sagten; deshalb ließ er seine Augen während des Grußwechsels
+tiefprüfend auf ihr ruhen, indem er, den Blick zu verlängern, auch
+noch den Kopf nach ihr drehte. Als er vorüber war, sagte die Kamrädin
+zur Gret: »Aber der hot a baar Oga' g'macht auf dih hear! Kommt mer
+grad für, als ob er -- no des wär' aber zom Lacha'!« -- »Was moest
+(meinst) denn?« fragte die Gret lächelnd. -- »Gang,« erwiederte die
+andere, »du verstost me wol net!« -- »Du moest, er wär'« -- »Oh (auch)
+in di verliebt, ja, so kommt's mer für!« -- Die Gret versetzte: »Sei
+g'scheidt! Dean kennt ma' ja! -- Mir isch gar net so fürkomma'!«
+
+Natürlich log hier das hübsche Mädchen. Ihr war's erst recht so
+vorgekommen -- und heute nicht das erste Mal. Schon bei der zweiten
+Begegnung hatte sie »ebbes gnissa'« (bemerkt), und jetzt war's klar,
+oder Alles mußte trügen. -- Die Gewißheit, die sie erlangt hatte,
+machte einen sehr wohlthuenden Eindruck auf sie. Fürs erste wars eine
+Ehr', den verrufenen Sünder zu bekehren und den Mädchenverächter
+dahin zu bringen, daß er auch daran glauben mußte. Aber das war das
+Geringste. Michel gefiel ihr! Seine Statur und der Ruhm seiner Stärke
+hatten ihr schon früher Achtung eingeflößt; gegenwärtig kam ihr sein
+Gesicht für ein Mannsbild hübsch genug vor, die Gutmüthigkeit, die
+ihm aus den Augen sah, rührte ihr Herz -- und das »B'sondere« und
+»O'gschickte,« das er an sich hatte, erheiterte sie, ohne ihm bei ihr
+zu schaden. Als sie wieder allein war, lächelte sie für sich hin. »Es
+ist oft guet,« sagte sie endlich, »wann der Ma' net gar z'g'scheidt
+ist!« --
+
+Wie man sieht, gingen ihre Gedanken ebenfalls ziemlich rasch. Das
+ist natürlich und -- ländlich. -- Aber ihre Sache war es nicht, ihm
+nachlaufen; wenn es ihm ernst war, mußte er kommen -- sie konnte
+zusehen. Ihr Gesicht klärte sich schelmisch auf. »Wie er se a'stella'
+wird derzue?« fragte sie sich. »I bin wirkle neugiereng!« Er hatte
+ihren Beifall, der gute Michel, sie konnte ihn zum »Burscht,« sie
+konnte ihn zum Manne nehmen, wenn's sein mußte, -- ja es regte sich
+der Wunsch in ihr, daß es so ausgehen möchte; -- aber sie bereitete
+sich doch vor, ihn auszulachen, und freute sich darauf! -- Sie war ein
+Mädchen.
+
+Michel hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß die Leute ganz recht hatten
+mit dem, was sie über die Gret sagten. Aber wenn dies seine Liebe
+noch mehr schürte, so fachte es auch seine Sorgen an. Die Gret hatte
+ihn diesmal gar nicht angesehen (er hatte noch keine Kenntniß davon,
+daß die Mädchen nicht sehen und doch sehen können!) und es war ihm
+beinahe vorgekommen, als ob sie ein etwas spöttisches Gesicht gemacht
+hätte. Was sollte er thun? Sollte er warten und stillschweigen? Dann
+kam vielleicht ein Anderer und nahm sie ihm weg. Oder sollte er ihr
+nachgehen und reden mit ihr? Dann sagte sie vielleicht, er könne wieder
+gehen, woher er gekommen sei, und er wurde das Gespötte des ganzes
+Dorfes. -- Die Klemme war verwünscht und guter Rath theuer.
+
+
+ In der Unterhaltung.
+
+Jede Versäumniß rächt sich. Man soll in jungen Jahren nicht denken:
+Wozu hab' ich das nöthig? Wozu könnte das gut sein? -- Man soll
+Kenntnisse sammeln und sich Fertigkeiten aneignen, wie die Gelegenheit
+sich bietet, auch wenn zunächst keine Neigung dazu vorhanden und
+Anstrengung erforderlich wäre; denn man weiß nie, wozu man sie später
+brauchen kann! --
+
+Davon überzeugte sich jetzt auch Michel. Die Liebe trieb ihn hin und
+her, sie ließ ihm keine Ruhe, und er sah ein, daß er etwas unternehmen
+müsse, geh es, wie es wolle. Er mußte mit der Gret reden -- er mußte
+erfahren, was er zu hoffen habe -- sonst wurde er toll! -- Aber wie
+sollte er's anfangen? Wie sollte er sein Anliegen vorbringen?
+
+Er dachte darüber nach und nichts fiel ihm ein, was er für anwendbar
+und gut gehalten hätte. Es dünkte ihn so närrisch, von der Liebe zu
+reden; es war ihm, als würde es nicht herausgehen aus ihm, als würde
+er stecken bleiben und dastehen, wie d's Kind beim -- -- Da hatte er's
+nun! Gab's nicht Kerle im Dorf, denen bei den Mädchen das Maul ging
+»wie geschmiert?« die nicht nur sagen konnten, was sie auf dem Herzen
+hatten, sondern noch viel mehr dazu lügen? Hatte er nicht gehört, daß
+mancher schon eine, die ihn zuerst gar nicht leiden konnte, durch
+bloßes Reden soweit gebracht, daß sie endlich zu Allem Ja sagte?
+-- Aber so geht's! Hätte er in jüngern Jahren auch mit den Mädchen
+diskurirt, mit ihnen getanzt und sich lustig gemacht, -- hätte er sich
+das bischen Mühe gegeben und gelernt, wie man mit ihnen umgehen muß --
+dann könnte er's jetzt und müßte sich nicht den Kopf zerbrechen! -- Er
+fühlte ganz ernstlich Reue, der gute Michel! Er wurde verdrießlich,
+sehr verdrießlich. »I ben a'n Esel g'west, und des a großer,« sagte er
+zu sich selbst. »Aber,« setzte er hinzu, »wie hab i oh wissa könna, daß
+mer no' so ganga' wurd!«
+
+Ein paar Tage ließ er vorbeigehen. Zuletzt, durch den Kampf der
+Leidenschaft mit der Furcht gequält und geärgert, rief er zornig: »Hol
+der Teufel alles! So ka'n e's nemmer aushalta' -- i muß woga', komm's
+raus wie's will!« -- Die Gret stand vor seiner Seele so schön und mit
+einer Miene, die nichts Abschreckendes hatte! »Dommheit«, rief er
+beherzt. »I sott me wohl vor'm Mädle färchta' (fürchten)? Des wär' ja
+zum Lacha'.« -- Er faßte den Entschluß, bei nächster Gelegenheit mit
+der Gret zu schwätzen und sein Anliegen vorzubringen oder wenigstens
+»drom rom« (darum herum) zu reden, zu sehen, was sie für ein Gesicht
+dazu mache, und dann ein andersmal weiter zu gehen.
+
+Recht schön fügte sich's, daß er das Mädchen eines Abends, als ihn
+ein Geschäft auf den Fußweg hinter den Dorfgärten geführt hatte, ganz
+allein gegen sich herkommen sah. Die Gelegenheit konnte nicht günstiger
+sein, er mußte sie benutzen. Was er zuerst zu ihr sagen wollte, wußte
+er genau, nämlich: »Godda'n Ohbed (guten Abend) Margret!« Das Uebrige
+gab sich dann von selbst. Entschlossen ging er vorwärts. Wie er aber
+die Gret näher und näher kommen sah, machte er eine seltsame Erfahrung.
+Sein Herz fing an zu klopfen, vor den Augen begann es ihm zu flimmern,
+und die Lippen wurden so schwer, als ob Gewichte daran gehängt worden
+wären. Es schien ihm unmöglich, sie zu bewegen -- und da halte einer
+eine Ansprache! Vor der Gret angekommen, machte er eine unerhörte
+Anstrengung und rief mit grimmiger Freundlichkeit: »Godda'n Ohbed,
+Margret!« -- »Godda'n Ohbed, Michel,« antwortete die Gret mit heller
+Stimme und mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ob sie recht gut
+wüßte, in welchem Spittel der arme Bursche krank läge. Dieser nahm
+indeß nichts wahr. Nach der Leistung, die er sich abgerungen, trieb es
+ihn mit unwiderstehlicher Macht an ihr vorüber -- weiter und weiter.
+Nachdem er hundert Schritte gemacht hatte, athmete er auf; aber erst
+als er um eine Ecke bog und nicht mehr gesehen werden konnte, wurde
+er leichter und ruhiger. -- Er hielt an, dachte nach -- -- und sein
+Benehmen stand klar vor seinen Augen. Er hatte sich nun doch gefürchtet
+-- und die schönste Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen! Unmuth
+erfüllte seine Brust und sehr ärgerlich rief er: »Ietz möcht' e mer
+glei (gleich) selber a'n Ohrfeig' geba' daß mer der Kohpf somsa' dät!
+Fürcht' me wärle, und zitter' am ganza Leib, als wann e oen ombrocht
+hätt! Sott ma' denn globa', daß ma' so domm sei' ka'?« --
+
+Die Sache war indeß nicht anzufechten, sie war geschehen und der
+Verdruß konnte nichts daran ändern. Für Michel gab es nur Einen
+vernünftigen Entschluß: sie zu vergessen und sich vorzunehmen, es ein
+andermal besser zu machen. Dazu verstand er sich denn auch. »I ben a
+Narr,« sagte er, »daß e me verzürn'! Verloara'n ist no nex, und so
+wurd's net allmol ganga' (gehen).« -- Er stellte sich vor, wie er das
+nächstemal reden werde, er hatte Einfälle, wie man sie nach einer
+versäumten Gelegenheit zu haben pflegt -- und so von weitem schien ihm
+die Sache ganz leicht zu machen. »Bah,« meinte er endlich, »des ist
+ha'et nor so a dommer A'fall g'wesa'! 'S müeßt ja beim Deufel sei',
+wann ih net könnt', was jeder ander' ka'!« -- Er tröstete sich und ging
+beruhigt und mit neuem Muthe nach Hause.
+
+Wieder verstrich einige Zeit. Es war in der letzten Woche des Monat
+Mai, und unter dem Wehen der Ostluft kam ein wunderschöner Tag herauf.
+Ein leichter Reif hatte auf der Landschaft gelegen, die Sonne, in den
+wolkenlosen Himmel sich erhebend, sog ihn weg und goß den Silberglanz
+des Morgens über die Erde. Die Lerchen sangen, die Landleute, die sich
+an ihre Arbeit begaben, zeigten vergnügte Gesichter, das Vieh, das zum
+Saufen getrieben wurde, brüllte vor Lust und sprang rechts und links
+in die Höhe. Das Alles war so fröhlich, so ermuthigend! Es war einer
+von den Morgen, wo im Herzen so wenig eine Sorge aufkommen kann, wie am
+Himmel ein Wölkchen -- wo im Innern der Frohsinn regiert und draußen
+der Sonnenschein.
+
+An diesem Morgen fühlte sich unser Michel frisch und munter, wie seit
+langer Zeit nicht. Er dachte an die Gret -- mit stillem, ruhigem
+Vergnügen. Es war ihm, als könnte er heute schwätzen und Spaß machen
+nach Belieben, und wenn's sein müßte, gelegentlich auch ein ernstes
+Wort reden -- kurz, er fühlte sich aufgelegt. Indem er sich's lebhaft
+vorstellte, empfand er ein Verlangen, sein Vermögen in's Werk zu
+setzen. Er faßte sich kurz und machte sich auf den Weg durch die
+Gasse, in der Hoffnung, die Geliebte zu sehen. Im Nothfall, wenn er
+sie nämlich vor ihrem Hause nicht traf, konnte er hineingehen und den
+Maurer bestellen; denn an seinem Hause war ein Stück weit der Mörtel
+abgefallen, und wenn es auch auf dem Lande nicht grad nothwendig war,
+ihn wiederherzustellen, so konnte es doch auch nicht schaden.
+
+Sein guter Muth und seine Laune minderte sich nicht, als er der
+Wohnung des Maurers sich näherte. Er hatte ein paar Vorübergehende
+gegrüßt und die gewöhnlichen Formeln waren ihm so leicht und lustig
+vom Munde gegangen, daß ein junges Weib sagte: »Du bist aber ha'et
+alert, Michel!« -- Darin lag für ihn ein neuer Beweis, daß er heute
+seinen guten Tag habe, und rüstig ging er vorwärts. In dem kleinen
+Hofe sah er die Gret nicht; aber im Wurzgärtlein, von der Gasse nur
+durch einen niedrigen Zaun getrennt, war sie über ein Beet hin gebückt.
+Wie er sie hier unvermuthet erblickte, war er doch betroffen. Es hieß
+nun wieder: »Vogel friß oder stirb,« und vor dem strengen Antlitz der
+Nothwendigkeit entfloh der leichte Humor in seinem Herzen, um den
+Anwandlungen von letzthin Platz zu machen. Es mahnte ihn etwas, zu
+thun als ob er sie nicht gesehen hätte, und sachte weiter zu gehen.
+Aber heute war er nicht gemeint, auf die Stimme des Kleinmuthes zu
+hören; er unterdrückte die Bewegungen seines Innern, blieb stehen und
+rief entschlossen: »Godda' Morga', Margreat!« -- Das Mädchen sah auf
+und erwiederte: »Ei, godda' Morga', Michel! Bist oh scho' en der Höa'
+(Höhe, d. h. aufgestanden)«? -- Diese Frage kam ihm ungelegen; denn
+eigentlich hatte er selber fragen wollen: »Oh scho' auf?« -- und wenn
+sie dann, wie es nicht wohl anders möglich war, mit Ja antwortete, so
+hätte er ihr was Schönes gesagt über ihr frühes Aufstehen, ihren Fleiß
+u. s. w. Das konnte er nun, wenigstens in der zuerst ausgedachten
+Weise, nicht mehr, und dieser Umstand machte ihn ein wenig verwirrt.
+Er antwortete zögernd: »Ja wohl,« und da er sich auf diesen Fall nicht
+vorgesehen hatte, so entstand eine kleine Pause. Allein mit Recht
+hatte er geglaubt, daß er heute seinen guten Tag habe. Nicht lange
+besann er sich, und ein neuer Einfall war da. Er drehte seinen Kopf
+in der Luft herum und sagte: »Ha'et hommer (haben wir) amol a schöas
+Wäder (Wetter)!« -- Die Gret erwiederte heiter: »Ja Gottlob! Mer (wir)
+könna's aber oh braucha'!« Und ohne Unterbrechung und würdig setzte er
+hinzu: »Descht (das ist) wohr! -- Des könna' mer!«
+
+Bis hieher war's gut gegangen, trotz der nothwendig gewordenen
+Aenderung, und Michel konnte sich dessen bewußt sein. Aber nun war
+eine neue Rede nöthig, und nichts wollte ihm einfallen. Es entstand
+eine längere Pause. Ein besserer Beobachter als Michel hätte an dem
+Gesicht des Mädchens wahrnehmen können, daß sie gar wohl im Stande
+gewesen wäre zu reden und dem Burschen aus der Noth zu helfen -- daß
+sie aber aus irgend einem Grunde nicht wollte! Michel besann sich, und
+ein neuer Einfall kam. Er sagte: »Bischt allweil g'sond und wollauf?«
+-- Diese Frage schien der Gret so curios hinterdrein zu hinken und so
+sehr eine bloße Geburt der Noth, daß sie mit Mühe das Lachen halten
+konnte. Sie nahm sich indeß zusammen und erwiederte ruhig, aber nicht
+ohne eine gewisse schelmische Heiterkeit durchblicken zu lassen: »Dank
+der Nochfrog (Nachfrage)! Mir fehlt Gottlob nex!« -- Michel, wie uns
+bekannt ist, war im eigentlichen Sinn weder dumm noch blind. Die
+Bedeutung dieses Vergnügens auf dem Gesicht der Gret blieb ihm nicht
+ganz verborgen; er hatte eine Ahnung, daß sie ihn eigentlich auslache,
+und schwieg, indem eine Wolke der Verstimmung seine Züge beschattete.
+Die Gret erkannte, was in ihm vorging, sie fühlte, daß sie etwas gut
+zu machen habe, und einen Schritt vortretend sagte sie zugleich mit
+gutmüthigem und schlauem Lächeln: »Host vielleicht so'st ebbes g'wöllt
+(gewollt)?« -- Diese Frage fiel wie eine Bombe auf den guten Michel. Es
+war klar: er hatte sich verrathen; sie wußte, wie's ihm um's Herz war,
+und forderte ihn heraus! Er konnte -- er sollte reden -- da war kein
+Zweifel! Aber diese Möglichkeit, reden zu können, und diese Nöthigung,
+reden zu sollen, traf ihn mit solchen Schrecken der Ueberraschung, daß
+er dastand wie vom Donner gerührt und nicht ein Wort hätte vorbringen
+können um die ganze Welt! In der Verwirrung, die ihn überkam und ihn zu
+übermannen drohte, nahm er instinktmäßig seine Zuflucht zu dem einzigen
+Mittel, das ihm noch übrig blieb -- zur Grobheit! Mit trotzigem Gesicht
+und wie beleidigt rief er endlich: »Was sott (sollte) i denn wölla'? I
+wißt net was! -- Godda' Morga'!«
+
+Und mit starken Schritten ging er seines Weges.
+
+Die Gret sah ihm nach und lachte -- nicht laut -- dafür aber, wie man
+zu sagen pflegt, mit dem ganzen Gesicht. Als er hinter dem Nachbarhaus
+verschwunden war, sagte sie zu sich selber: »Ietz so o'g'schickt hätt'
+i mer'n doch net vorg'stellt! -- I sig scho' -- doh mueß i mi der Sach
+selber a'nemma', wann ebbes draus weara' soll!«
+
+Michel ging nach Hause. Der Unwille, zu dem er gekommen war, er wußte
+selber nicht wie, verging, eine dumpfe Ruhe trat an seine Stelle. In
+dieser Ruhe erhielt er bald eine deutliche Anschauung von der Art
+seines Betragens -- eine gelinde Verzweiflung fiel ihn an und brachte
+sein Blut auf's neue in eine schlimme Gährung. Er entlastete sein Herz
+in unarticulirten Lauten; dann, die Einsamkeit seines Stadeltennen
+aufsuchend, bildete er bestimmte Gedanken und konnte nicht umhin, ihnen
+Worte zu geben. »Also widder nex,« rief er, -- »widder a Dommheit!
+Isch denn net grad, als wann's verhext wär'? W'rom ka'n e denn ietz
+net reda', wann e vor dem Ohs (Aas) dohstand? W'rom got's mit m'r
+em Reng rom, als wann e g'suffa' (betrunken) wär'? Der Deufel mueß
+g'macht haba'!« Er stöhnte vor Verdruß und strampfte den Boden, daß
+es schallte. Nach einer Weile fuhr er fort: »Host so'st ebbes g'wöllt
+-- hot's me g'frogt. Des ist doch offa'bar, daß g'wöllt hot, i soll
+d's Maul aufdoa'! W'rom hab' e denn ietz net g'redt? Hätt'e net saga'
+könna': Mädle, du g'fällst mer, i will de heiricha' (heirathen) --
+willst me? -- oder so'st ebbes! No (nachher) hätt's reda' müessa', ja
+oder noe, ond i wihßt ietz, wie e dra' ben! Aber so stand e doh wie a'n
+Ochs, der mit 'm Beil oes naufkriegt hot auf's Hihra' (Hirn, Stirn),
+und nocht mach e a G'sicht ond due an se na', als ob's m'r ebbes do'
+(gethan) hätt'! Die wurd se 'n schöna' Begriff macha' von mir! Die hält
+me doch g'wihß für da' dommsta'n ond o'g'hobelsta' Menscha'n em ganza'
+Ries? Ond wann's me vorhear oh g'möcht hätt, ietz mag's me g'wihß
+nemmer ond ka' me nemmer möga'! So'n Esel! I bedanket' me selber, wann
+e a Mädle wär!«
+
+Der gute Bursche versank nach dieser desperaten Selbstanklage in eine
+dumpf-düstere Stimmung. Er war unerfahren, unschuldig, aber ein Mensch,
+der in seiner Art Anlage zum Reflectiren hatte. Diese Anlage begann
+unter den obwaltenden Umständen sich zu entwickeln und seinem Wesen
+einen neuen charakteristischen Zug zu verleihen. Je mehr er von sich
+hielt, je mehr Ansehen er bisher unter seinen Kameraden genossen,
+um so mehr forderte er von sich einem Mädchen gegenüber auch das
+rechte würdige Benehmen. Je weniger er aber im Stande war, sich so zu
+benehmen, wie ers seiner für würdig hielt, desto mehr kapitelte er sich
+hinterdrein selber, stellte sich vor wie er sich hätte benehmen sollen
+und können, ärgerte sich, daß er sich nicht so benommen habe etc. etc.
+-- kurz, er wurde ein denkender Mensch. Er unterhielt sich mit sich
+selber, er strafte sich, er quälte sich selber. Daß das Letztere nicht
+zu weit ging, dafür sorgte als guter Genius die Bauernnatur, die sich
+auch hier in natürlichen Gränzen bewegt und sich aus dem Quell der
+unbewußten Lebenskraft immer selber wieder herstellt.
+
+Für jetzt sank er gleichwohl in Abgründe der Verzagtheit. Mit der
+Gret wieder eine Ansprache zu versuchen, kam ihm unmöglich vor. Er
+hatte eine stille Wuth gegen sich, eine stille Wuth gegen sie -- wie
+sollte er da reden? Und wenn er sich nöthigen wollte, müßte es nicht
+tausendmal ungeschickter herauskommen, als dießmal, wo er vergnügt war
+und im Grunde ganz gut angefangen hatte? -- Nein -- es half nichts.
+Einem Mädchen zu gefallen, hatte er nun einmal keine Gaben -- es ging
+nicht -- er mußte es aufgeben! --
+
+Als er so weit gekommen war, ging er in den Hof, um sich an einer
+Arbeit zu erholen. Hier begegnete ihm seine Mutter. Sie sah ihn an und
+sagte: »Was machst denn du ha'et für a G'sicht?« -- »Ih, a G'sicht?«
+versetzte Michel. -- »Wie ka'n e des wissa'? Guck i ebba' en Spiegel?«
+-- »Gang weiter«, entgegnete die Schwabin, »du host ebbes! Hot d'r
+ebber (etwer, jemand) ebbes do'?« -- »Mir?« erwiederte Michel, indem
+er mit einer heroischen Miene aufsah, -- »mir ebbes do'? I wott's koem
+rotha'!« -- Er ging weiter, indem er bei sich dachte: »du därfst lang
+warta', bis e dir ebbes sag'!« -- Die Mutter sah ihm kopfschüttelnd
+nach. »Er ist halt doch net vergnüagt«, dachte sie, »und des ist
+natürlich! In deam Alter muß a'n ordentlichs Mannsbild a Weib haba' --
+so'st isch nex!« -- Sie ahnte nicht, wie Michel sich schon abgemüht
+hatte, um ihre Herzenswünsche zu erfüllen.
+
+Einige Tage ging unser Bursche melancholisch umher und wenn ihn beim
+Zurückdenken an seine Niederlagen ein Zorn anwandelte, so ließ er
+ihn an irgend einer Arbeit aus. Er bot denen, die seiner wahrnahmen,
+ein neues und eigenthümliches Bild. Schweigend hatte man ihn oft
+gesehen; jetzt sah man ihn »sinnirend« und vernahm hie und da grimmige
+Ausrufungen, wozu man keinen Grund wußte. Fragte man ihn darnach, so
+war die Antwort, sofern eine erfolgte, keine höfliche. Man wußte nicht,
+was man aus ihm machen sollte. Den Zustand seines Herzens ahnte Niemand
+im ganzen Dorf. Die einzige Person, die außer ihm davon Kenntniß
+hatte, schwieg nicht nur selber -- sie hatte auch jener Kamrädin ihre
+Vermuthung wieder auszureden gewußt und ihr das Versprechen abgenommen,
+sie mit dem Michel nicht in's Geschrei zu bringen. Es giebt Mädchen,
+die das Genie der Verschwiegenheit haben, d. h. die ohne besondern
+Vorsatz und mit Lust verschwiegen sind und sich an dem Geheimniß
+weiden. Die Gret war heiter und hoffte mit Zuversicht, ihre Wünsche
+gekrönt zu sehen -- sie brauchte nicht zu schwätzen.
+
+Michel war es nicht; er war unmuthig und verzweifelte am Erfolg -- er
+spürte einen Trieb zu reden und konnte endlich einer Gelegenheit, sei
+Herz zu entlasten, nicht widerstehen.
+
+Unser Enakssohn hatte einen Kameraden, der ihm unter allen Burschen,
+die zu ihm hielten, der liebste war. Kaspar, der Sohn eines Webers,
+hing mit aufrichtiger Theilnahme an Michel und wußte sich auch am
+besten in seine Manieren zu fügen. Obschon drei Jahre jünger, hatte
+er in Bezug auf das weibliche Geschlecht eine hinreichende Summe von
+Erfahrungen -- er wußte, wie man sie behandeln mußte, und galt darum
+auch »seinen Batzen« bei ihnen. Mittelgroß, »rahneng,« von angenehmer
+Gesichtsbildung hieß er bei ihnen nur »a nett's Bürschtle« und »a
+lustengs Männdle,« dem man gut sein müsse. Trotz der Gunst, die er bei
+den Spenderinnen der Lebensfreude erfuhr, hatte er doch nicht mehr
+Selbstgefälligkeit als allenfalls natürlich war; er genoß das Lob eines
+fleißigen Menschen und wußte sich unter den Mannsbildern ebenso den Ruf
+eines guten Kameraden zu bewahren. -- Dieser Bursche, zum Vertrauten
+wie geschaffen, wußte durch eine wohlgemeinte und geschickte Frage dem
+Michel sein Geheimniß zu entreißen. Allein mit ihm sah er den düster
+vor sich Hinstarrenden theilnehmend an und sagte dann: »Michel, di
+drückt ebbes! Wannd' mer's net geara' sakst, will e de net weiter
+froga'. Wann's aber ebbes ist, wo i d'r vielleicht helfa' ka', so red!
+-- Du woescht, wie e's moe (ichs meine).«
+
+Diese treuherzig gesprochenen Worte machten des Leidenden Herz weich
+und folglich geneigt zur Mittheilung. »Ach,« erwiederte der Verliebte
+nach kurzem Schweigen mit einem riesenmäßigen Seufzer, »mi drückt
+freile ebbes!« -- »Was isch?« fragte Kasper. »Sag's, wann e's (ich es)
+wissa' därf!« -- »Am End,« erwiederte Michel, »bist du grad der Recht',
+der mer'n Roth (Rath) geba' könnt! -- No mei'dawega' (meinetwegen), i
+will der's saga'!« -- Er schwieg. -- »Nossa' (nun so dann),« mahnte
+Kasper. -- »Z'erst mueß e der saga',« erwiederte Michel mit tiefem
+Ernst, »daß koe Mensch ebbes davo'n enna' weara' (inne werden) därf!«
+-- »Gang weiter! Ben i a Schwätzer?« -- Die Möglichkeit, daß Kasper
+es doch unter die Leute bringen könnte, hatte aber den Michel schon
+aufgeregt. »Kerl,« rief er eine Faust machend, »wann d'ebbes sakst --
+'s got d'r schlecht!« Der Andere kannte seinen Mann; er zuckte die
+Achsel und erwiederte: »Du bist net g'scheidt!« -- »Guet,« versetzte
+Michel. »Ietz woesch (weißt dus) -- und ietz will i der's saga'!«
+-- Wieder eine Pause. »I höar,« erwiederte der Andere, indem seine
+Mienen sich ahnend erhellten. -- »No,« begann endlich Michel mit
+neuer Anstrengung, »doh (da) die Great -- d's Maurers seine moen' e«
+-- Kasper sah den wiederholt Innehaltenden mit gutmüthig schlauem
+Lächeln an und rief, ihn ganz durchschauend: »Fehlt's d'r doh?« -- »Ja,
+Bruder,« ging's endlich aus Michel heraus, »doh fehlt's m'r! Des Mädle
+g'fällt m'r, die mueß e haba -- -- und Kreuzdonner ond's Wetter: i woeß
+net, wie e's a'fanga' soll!«
+
+Kasper unterdrückte das Lachen, das ihn bei diesem Bekenntniß
+anwandelte, und forderte ihn auf, ihm zu sagen, wie's eigentlich stehe.
+Michel, einmal im Zuge, erzählte Alles, und zwar mit einer Naivität,
+bei welcher der Erfahrene, wenn er nicht lachte, doch wenigstens zu
+»schmöhzeln« (schmunzeln) nicht umhin konnte.
+
+Bekanntlich hat der Mensch nicht leicht eine angenehmere Empfindung,
+als wenn er an einem Andern, der ihm bisher Respekt abgenöthigt hat,
+plötzlich eine Schwachheit entdeckt. Es gibt deren, die eine solche
+Wahrnehmung geradezu beseligen kann und die das so erlangte Wohlgefühl
+zu den höchsten Genüssen zählen, womit der Himmel die armen Sterblichen
+begnadet hat. Sogar Freunde, will man wissen, sollen in diesem Fall
+erheitert werden und aussehen, als ob ihnen ein Glück widerfahren wäre!
+Und ihr Benehmen gegen den Träger dieser Schwachheit soll nach der
+Entdeckung ein vielfach anderes sein, als vorher! -- Wir lassen diese
+Behauptung in ihrer Allgemeinheit auf sich beruhen, müssen aber der
+Wahrheit gemäß bekennen, daß unser wackrer Kasper bei der Erzählung
+seines Kameraden eine ziemlich lebhafte Genugthuung empfand und in
+seinem Gesicht einen Ausdruck heiterer Ueberlegenheit zeigte, den er
+vorher nie gegen ihn hatte blicken lassen.
+
+»Des isch, was me drückt,« schloß Michel seinen Bericht. »Schlechter,
+des wurscht selber saga', hätt's net ganga' könna', und Alles ist
+verspielt. I ben eba' zom O'glück geboara', und mit mei'r Fräd isch
+aus auf der Welt!« -- »So,« versetzte Kasper, indem er ihn mitleidig
+ansah; -- »willst de net lieber glei gar versäufa'?« -- Michel
+schaute ihn an. »Du bist a Narr,« fuhr Kasper fort, »des sag d'r ih!
+Nex ist verspielt, gar nex!« -- »So,« erwiederte Michel, »wamma' se
+so o'gscheidt benemmt ond« -- »Dei' Benemma' schad't d'r gar nex,«
+fiel Kasper ein. »Des ist eba' d'Liab! D'Liab macht verwirrt, ond
+wamma' verwirrt ist, macht ma' Dommheita'. Aber d'Liab ist ja eba',
+was d'Mädla' haba' wöllet! ond wann oer vor lauter Liab duet als ob
+'r narred wär, globst, des nemmt d'r oena'nübel? Ja bis Wuch (auf die
+Woche d. h. niemals)! Fräa' duet se's ond geara' hont's so oen!« --
+Dem Michel schien dieß einzuleuchten. »Du ka'st Rehcht haba',« sagte
+er getrösteter. »'S ist wohr, i därf me no' net ahschrecka' lossa'!«
+-- »Wie moest,« setzte er mit neuerwachtem Muthe hinzu, »soll e glei
+rausrucka' mit der Farb? Soll e saga', daß e's heiricha' will?« -- »Des
+got net,« entgegnete Kasper mit der Miene der Autorität. »Ma' mueß net
+mit der Thür en's Haus falla'! Allweil oes noch'm Andra'! -- Z'erst
+muescht doch oh seha', ob's de haba' will!« -- »Ja so,« versetzte
+Michel wieder etwas herabgestimmt. »Was soll e denn aber so'st doa'
+(thun)?« -- »G'späß macha',« erwiederte Kasper munter. »Siksch (siehst
+du), des ist d'Hauptsach. Da' Mädla' g'fällt nex besser, als Narrheita!
+Z'erst G'spaß und nocht Ernst -- des ist der recht Weg! Foppa' mueß
+ma's ond ploga', wamma' zo ebbes komma will! Je meaner (mehr) as (als)
+ma's plogt, je lieber as oen hont (haben)!« -- Dem geradsinnigen
+Michel schien diese Behauptung sehr gewagt; er sah den Rathgeber
+fragend an. »Du globsch wohl net?« sagte dieser; und als der Bursche
+den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Weil d'eba' koe Erfahreng host en
+deana' (diesen) Sacha'! Siksch, des ist so! Wann e a Mädle fopp ond
+plog, no sikt's, daß e ebbes mit 'r haba' will, no sikt's, daß e's
+liab -- ond 'n Spaß hot's obadrei'! Ond so went (wollen) se's grad
+haba'!« -- Michel begriff; er sagte mit Anerkennung: »Kapper (traulich:
+Kasper), du bist a verfluechter Schlengel!« -- »No,« erwiederte Kasper
+behaglich, »wann e des net wihßt!«
+
+Es erfolgte eine kleine Pause, in der Michel auf's neue bedenklich
+wurde. »Ja,« begann er zögernd, »wann e aber nocht G'späß macha' will
+ond 's g'rothet mer net? Wann e me widder o'gschickt a'stell -- wie
+doh?« -- »Des wär freile fehlerhaft,« erwiederte Kasper mit Ernst.
+»Eweng därfa't (dürfen) Dommheita' net daura', so'st verliera't
+d'Mädla' da' Respekt!« -- »Doh hosch (hast du's)!« versetzte Michel mit
+einem Ausdruck, als ob nun er wieder Recht hätte. »Ond mir isch grad
+so, als ob's mer net g'rotha' könnt! Was ietz?« -- »No,« erwiederte
+Kasper mit einer Art von Unmuth, »doh ka'n e d'r koen andera' Roth
+geba', als daß d'r eba'n a bisle meaner ei'bildst! Kott's Heidablitz!
+A Kerl wie du! Ist des koe Ehr' für so a Mädle, wann du 'n G'falla'n
+an 'r host? Mueß (sie) doh net stolz drauf sei'?« -- »Ih sott's
+(sollt' es) beinah globa',« bemerkte der Enakssohn mit entsprechendem
+Selbstgefühl. Und Kasper erwiederte: »No, ond wann d'net vergischt,
+wer du bist, nocht wurscht oh reda' und G'späß treiba' könna' mit
+so'm Deng doh!« Ruhiger setzte er hinzu: »Ma' mueß se net gar z'viel
+macha'n aus da' Mädla' -- des ist a Fehler! Drom wamma'n amol a bisle
+z'hitzeng g'wesa'n ist, no mueß ma'n extra widder a weng huf (zurück)
+ganga' und doa' als ob ma' gar wohl ohne se leba' könnt! Nocht kriega'
+sie widder 'n Luhst! -- Also, bei d'r nächsta' G'legenheit duast, was e
+d'r g'sakt hab', ond i garantir d'r, sie kommt d'r!« -- »I will seha',«
+erwiederte Michel. Dann, nach kurzem Schweigen, setzte er hinzu: »Also
+nommol (nochmal)! D's Maul g'halta'n oder« -- Er machte mit der Faust
+eine verständliche Bewegung. Kasper lachte. »Du wärst am End em Stand
+und brächst mer da' Hahls, zom Dank für mein' gueta' Roth?« -- Michel,
+wieder auf seinem Boden stehend und sich fühlend, erwiederte: »Wann de
+dernoch aufführa' dätst -- 's käm m'r net drauf a'! -- No, ietz b'hütet
+de Gott!« -- -- --
+
+Michel war durch die Aufklärung des gewandten Kameraden in der That
+getröstet und faßte wieder frischen Muth. Das Gefühl seiner Kraft und
+das Vertrauen auf sich selbst kehrte zurück. Es war ihm zuweilen, als
+ob er nur hingehen dürfte zu der Gret, um Spaß zu machen nach Noten!
+Aber extra zu ihr gehen, das wollte er nicht: da würde sie ja glauben,
+daß er's gar zu nothwendig hätte -- und das sollte sie nicht! -- Er
+wollte die Gelegenheit abwarten, dann aber auch benutzen.
+
+Eines Nachmittags schlenderte er gemüthlich auf dem Anger hinter
+seinem Garten. Es war ein Sonntag; er hatte gut gegessen, ein wenig
+»gedurmt« (geschlummert), sich dann schön angezogen, die Pfeife in den
+Mund gesteckt und war hieher gegangen, um zu sehen, was ihm weiter
+belieben werde. An einem solchen Nachmittag fühlt sich der Bauer immer
+behaglich, sogar wenn er verliebt ist. Michel ging langsam, blieb
+zuweilen ein bischen stehen -- er dachte an die Gret. Er war heute
+so unternehmungslustig und dabei so sicher! »Jetzt wann's mer käm',«
+dachte er -- »Sapperment nei'!« -- Er ging wieder einige Schritte
+und sah umher -- und wie's denn manchmal geht, dort, den Weg von der
+linken Gasse zum Anger herunter, kam die Gret! Michel eilte mit großen
+Schritten zum Ausgang des Wegs, um sie noch eben zwischen den Gärten zu
+treffen. Sie sollte ihm nicht entwischen -- sie sollte ihm Rede stehn
+und nicht mit einem bloßen Gruß davon kommen!
+
+Es gibt auf dem Lande nichts Reizenderes als jene Gänge zwischen
+lebendigen Hecken, die eben breit genug sind, daß man sich ausweichen
+kann. In der schönen Jahreszeit, wo die Hecken grünen und blühen, wo
+der trockene Weg von Gras und Blumen eingefaßt ist, gewährt es ein
+wahrhaft poetisches Vergnügen, hindurchzuspatzieren, zumal wenn beim
+Schein der Sonne der Schatten dicht belaubter Gartenbäume drüber fällt.
+Es ist so traulich und so heimlich darin, daß man nur bedauert, so bald
+wieder ins Freie zu kommen! --
+
+Ein solcher Gang war es, in dem unser Michel die Geliebte festhalten
+wollte. Seine großen Schritte hatten bewirkt, daß er noch rechtzeitig
+kam: die Gret ging erst in der Mitte des Weges. -- Wie schön war sie!
+Sie hatte an dem warmen Tage keinen Kittel an: in blendendweißen
+Hemdärmeln, in gestreiftem, farbigem Mieder und rothem Halstuch
+kam sie ihm entgegen. Die Kleider standen ihr so gut, ihr Gang war
+so geschickt: das Dienen in der Stadt hat eben doch seine großen
+Vortheile! -- Dem guten Michel lachte das Herz im Leibe, als er sie
+ins Auge faßte. Wann aber das Herz lacht, dann schwebt es und kann
+consequenterweise nicht -- -- -- fallen. Unser Freund behielt seinen
+Unternehmungsgeist, obwohl die Gret mit schelmisch heiterm Antlitz
+näher und näher kam; und als sie endlich vor einander standen, sagte er
+heroisch: »No Margreat, wo kommst denn du hear?« -- »Von der Fischere«,
+war die Antwort. -- »So! -- Ond wo willst denn he'?« -- »Hoem! -- I
+ben mit 'm G'strick ausganga' -- ond hab d's Gara' (Garn) vergessa'!«
+
+Unser Bursche machte ein curioses Gesicht. Es schien ihm hier eine
+vortreffliche Gelegenheit gekommen, die Gret zu foppen und zu plagen,
+und er beschloß sie zu benutzen. Sich breit auf den Weg hinstellend
+sagte er mit schlauer Miene: »Doh hommer's (da haben wirs)! An was host
+ietz doh denkt?« -- Die Gret, seine Gedanken errathend, erwiederte:
+»Ja, wann e's saga' dät!« -- »No«, versetzte Michel, »des ka'n e mer
+fürstella': an a Mannsbild!« -- »So?« entgegnete die Gret schnippisch.
+»Woescht du des so gwihß?« -- »Wamma (wenn man) des net wihßt!«
+versetzte Michel mit selbstgefälliger Sicherheit. »Des ist ja doch uir
+(euer) oezengs Dichta'n ond Drachta'!« -- »Doh bildet 'r ui (ihr euch)
+doch a bisle z'viel ei'«, erwiederte die Gret. -- »Bah«, rief Michel
+im Hochgefühl des Rechthabens, »wär koe Wonder, des wär net bekannt!«
+-- Das Mädchen versetzte mit einem Schein von Ernst und Schärfe: »Ma'
+sakt manchmol, es sei ebbes so, derweil hätt' ma nor geara', daß so
+wär! Omkeart (umgekehrt) wurd a Schua' (Schuh) draus!« -- »Ho ho!« rief
+Michel. -- »Uir (ihr) Mannsbilder«, fuhr die Gret fort, »lebet en der
+Ei'bildeng -- und des ist natürlich. Uir wisset net, was o's (uns, wir)
+denket; aber o's wisset, was uir denket!« -- »Des wär' der Deufel!«
+versetzte Michel, verwundert über die kecke Behauptung. »Wie sottet'r
+(solltet ihr) des wissa?« -- »Wie?« erwiederte die Gret, indem sie ihm
+heiter ins Gesicht sah; »weil d'r (ihr) uire Gedanka' verrothet, weil
+d'r o's nochloffet (nachlauft)!« --
+
+Michel war betroffen. »D's Ohs hot Rehcht,« dachte er in einem Moment
+des Schweigens. Es blieb ihm indeß noch der Ausweg, die Thatsache zu
+läugnen -- und das that er tapfer. »Bah«, rief er geringschätzig, »wear
+duet des? A rechter Kerl net!« -- »Ih«, setzte er mit Stolz hinzu,
+»ben mei' Lebteng no' koer nochgloffa'!« -- »Ist des wohr?« fragte die
+Gret lächelnd. -- »So wohr i dohstand«, sagte der Ehrliche. Die Gret,
+die recht wohl gesehen, wie der Enakssohn zu dem Durchgang geeilt
+war, hätte bei dieser naiven Behauptung beinahe gelacht; allein sie
+unterdrückte die Anwandlung und sagte scheinheilig: »Doh ist d'r also
+oh gar net drom z'doa', daß d' mit oer redst?« -- Michel ahnte, wo sie
+hinaus wollte; aber er hatte A gesagt und mußte B sagen, und ohnehin
+wollte er sie ja uhzen (foppen)! Heroisch erwiederte er: »Gar net! --
+I wihßt oh net, worum!« -- »So«, sagte die Gret, »doh mueß e m'r ja
+nocht a Gwissa' draus macha', doß e de mit mei'm Gschwätz aufhalt.
+-- Bhüet de Gott!« Sie wollte vorbei. Michel war aber nicht gemeint,
+eine Unterhaltung, die bis jetzt so schön gegangen war, so schnell
+abbrechen zu lassen; er rief mit Eifer: »So wart nor no' a weng! -- Du
+wurscht doch Gspaß verstanda'?« -- »Des scho',« versetzte die Gret;
+»aber i muß ietz zu meina' Kamrädenna'!« -- »Gang weiter«, entgegnete
+Michel, »lauter Weibsbilder! Was wurd des für a'n Onderhalteng sei'!«
+-- »O«, rief die Gret, »o's onderhalta' se recht guet!« -- »Was net
+no'!« erwiederte Michel seinerseits ironisch. Und selbstgefällig setzte
+er hinzu: »Von was hont'r (habt ihr) ietz gredt?« -- Die Gret sah ihn
+an und ihre Lippe zuckte unmerklich. »Von was redt ma'«, sagte sie
+dann, vor sich hinschauend, »wamma' se guet onderhalta' will: von da'
+ledenga' Burscht'!« -- Michels Gesicht klärte sich auf. »No, was hab'
+e gsakt?« rief er. »Ietz gibst m'r doch selber Rehcht!« -- »I hab me
+verschnappt«, erwiederte die Gret. -- »Ja, ja«, fuhr Michel fort,
+»d'Mannsbilder stecket ui (euch) em Kopf -- des woeß e ja!« -- »No«,
+setzte er in behaglichem Stolz hinzu, »en was für 'r Art hont 'r von es
+(uns) gredt?« -- »Mer hont g'rotha«, erwiederte das Mädchen nach kurzem
+Zögern, »weller (welcher) ietz wol d'r G'scheidtst ist em Doraf!« --
+»So«, versetzte Michel. »Send 'r oeneng (einig) woara'?« -- »Noe«,
+erwiederte die Gret. »Jeda' hot 'n andera' a'geba'!« -- »Natürlich«,
+bemerkte unser Bursche, indem ihn das Vergnügen über die entlarvte
+Schwäche der Mädchen verhinderte zu sehen, welche Gefahr er selber
+lief. »Wean host denn aber du a'geba'?«
+
+Es giebt eine Mischung von Unschuld, Ungeschicklichkeit und
+Selbstgefälligkeit, die auch wohlwollende Naturen reizt, den Träger
+derselben, was man sagt, anlaufen zu lassen. Die Absicht, necken zu
+wollen, fordert heraus, und das Unvermögen, das in keiner Art zur Sache
+kommt, erweckt ein Verlangen, zu strafen. Unsre Gret fühlte einen
+Antrieb dazu und konnte ihm diesmal nicht widerstehen; sie erwiderte:
+»I hab no' gar koen a'geba' -- i hab koen gwißt. Aber ietz -- ietz
+woeß e oen -- ond ietz muß e eila', daß e widder z'ruck komm. Mei'r
+(meiner) wurd gwihß alla'n ei'leuchta'!« -- Nach einem Blick, dessen
+Bedeutung nicht zu verkennen war, schlüpfte sie an ihm vorbei und ging
+rasch weiter.
+
+Michel sah ihr nach -- -- er fühlte mit einemmal, was die Gret ihm
+angethan, und die Röthe der Scham überströmte sein Gesicht. Bald erhob
+sich der Zorn in ihm und verstärkte das Roth zu düsterem Braun. »Wann
+de nor der Deufel holla' dät,« rief er -- »du Hex du! -- Hot ihren
+Spoht (Spott) auf m'r und stellt me he' wie'n Esel! -- O wann e's nor
+doh hätt' --« Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß er hier gehört werden
+konnte, und die Furcht, dem ganzen Dorf zum Gespött zu werden, hieß ihn
+abbrechen. -- Langsam ging er zurück. Er dachte nach, wie er zu diesem
+Verdruß gekommen sei -- und lachte bitter. »I hab's foppa wölla'! Die
+do, d's ärgst Ohs em ganza' Dorf! Doh ben ih d'r recht Ma' derzue!« --
+Nach einer Pause setzte er unmuthsvoll hinzu: »Der Kapper ist a'n Esel
+gwesa' mit sei'm Roth, und i a Narr, daß e'm gfolgt hab! -- Des hot
+grad no' gfehlt! Des hot d'Butt bonda (die Bütte gebunden, die Sache
+fertig gemacht)!« -- Am Ende des Ganges blieb er stehen und ließ eine
+Zeitlang gedankenvoll sein Haupt hängen. Endlich murmelte er: »'S soll
+amol net sei'! I gib m'r alle Müa ond dua', was e ka' und hab nex als
+Verdruhß ond Onear (Unehre) dervo'. Noe, noe -- i loß d's Heiricha
+sei'! Aus isch ond gar isch! --«
+
+Als er bei diesem desperaten Satz angekommen war, hörte er Tritte
+in der Nähe und schaute auf. Es war die Gret, die mit dem Garn
+zurückkam. Daß sie's dem guten Michel so arg hinausgegeben, hatte sie
+doch ein wenig gereut, und ihr Gesicht drückte jetzt Wohlwollen und
+Freundlichkeit aus. Wie sie ihn aber dastehen sah mit der trotzig
+verlegenen Miene, da änderte sich ihre Stimmung etwas. Sie konnte sich
+nicht enthalten, mit neckischer Verwunderung zu fragen: »No Michel,
+stost (stehst du) no' allweil doh?« -- Der Bursche, auf's neue gereizt,
+erwiederte: »Dirdawega (deinetwegen) net!« -- »O,« versetzte Gret, »des
+bild e m'r oh net ei'! Kott's Blitz! doh mueß e nor macha', daß e d'r
+bald aus da'n Oga' komm!« -- »I halt de net auf!« rief Michel. -- »Hu
+hu!«, erwiederte die Gret, und rasch verschwand sie in dem Gange.
+
+Michel, in dem Gefühl, daß es nun wirklich aus sei, verließ mit
+langsamen Schritten den Anger. Er suchte den Kasper auf und traf ihn
+allein in seinem Garten. »No,« sagte er unmuthig zu ihm, »du host m'r
+'n schöana' Roth geba', des mueß e saga'! Du bist a gscheidter Kerl!«
+-- Der Kamerad sah ihn verwundert an und fragte: »Wie so?« -- »No doh
+mit dei'm Foppa'n und Ploga', wo d'me a'glearnt host! -- Des ist a
+Dommheit gwesa'!« -- Kasper ahnte was vorgefallen war; er forderte ihn
+auf zu erzählen, was passirt sei, und Michel gab ihm, so gut er konnte,
+ein Bild von dem Verlauf der Ansprache.
+
+Wie lächerlich die Geschichte dem Erfahrenen und Gewandten auch vorkam,
+so hielt er es im Moment doch weder für rathsam zu lachen, noch das
+Benehmen des Burschen zu tadeln. Er richtete seine Kritik gegen das
+Mädchen und sagte: »'S ist a'n Ohs!« -- »So,« erwiederte Michel, für
+welchen diese Zustimmung etwas Angenehmes hatte, »siksch ietz oh ei'?
+-- Freile isch a'n Ohs, d's ärgst em ganza' Doref! Für da' Narra' hot's
+me ghett; -- ond für da' Narra' dät's me halta, so ofts könnt' -- wann
+i net gscheidter wär! Aber doh wurd a Riegel fürgschoba'! Koe Wöartle
+mea' (mehr) red e mit'r. Nemmer a'seha' du e's (thu ich sie)!« -- »No,
+no,« warf der Kasper ein, »gar z'hitzeng muest oh net sei'. Durch des,
+was d'mer verzählt host, ist no' net bewiesa', daß's de net mag!« --
+»Was,« rief Michel, »doh isch no' net bewiesa?« -- »Noe,« bemerkte
+Kasper. »Du host sie foppa' wölla'n aus Lieb, ond sie hot di gefoppt --
+vielleicht oh aus Lieb!« -- Der Bursche konnte sich bei diesen Worten
+nicht enthalten, ein wenig zu lächeln und rasch loderte in Michel der
+Zorn empor. »Willst du me oh no' für da' Narra haba'?« rief er, indem
+er ihn grimmig anschaute. »Des net,« erwiederte Kasper. »Aber d' Mädla'
+deant (thun) oft grad d's Conträre von deam, was denket! Der Spoht« --
+»Mach me net wild,« fiel Michel ein. »Wean e verspott, auf dean halt'
+e nex! Du bist a'n Esel, wann's anderst sakst!« -- Kasper zuckte die
+Achseln. »Du bist halt a grober Kerl,« versetzte er. -- »Weil e Rehcht
+hab,« entgegnete Michel. »Doh ben e doch a weng z'guet dafür, doß e
+so'm Fratza' da' Narra'n ahgib! -- Nex doh! Aus isch ond gar isch!« --
+
+
+ Beim braunen Bier.
+
+Ein Mädchen wie die Gret gefiel natürlich mehreren ledigen Burschen.
+Zwei oder drei Handwerker hätten gern mit ihr anbinden mögen, aber
+sie erfuhren, daß sie schon angebunden war -- sehr kurz nämlich
+ihnen gegenüber, die etwas dreist vorgehen wollten. Auch ein paar
+Bauernsöhne schauten sie mit großem Wohlgefallen an und einer schien
+gute Lust zu haben, sie zu dem Rang seiner Geliebten zu erheben. Es
+lag indeß nicht in der Art des Mädchens, nach einer solchen Verbindung
+zu streben. Sie war zu fröhlich, um ehrgeizig zu sein, und verspürte
+keine Neigung, zwischen Sohn und Eltern Streit zu veranlassen und sich
+durch Händel und wüsten Lärm zu einer höhern Stellung durchzukämpfen.
+Die Liebe, die ihr den heroischen Muth dazu vielleicht gegeben hätte,
+meldete sich nicht, und so erfuhr der junge Bursche bei dem zweiten
+Annäherungsversuch eine lachende, aber deutliche Abweisung.
+
+Wenn sie die sämmtlichen Dorfbursche durchging, war und blieb es eben
+unser Michel allein, bei welchem ihr Herz sich regte. Zu ihm verspürte
+sie nachgerade einen Zug, über den sie sich selber wunderte. Sie hatte
+gesehen, daß es der ärgste »Lackel« sei im ganzen Dorf -- unerfahren
+wie ein Kind, und so ungeschickt, daß er einen ordentlich dauerte.
+Aber der ungeschickte Kerl war ihr der interessanteste! Sie mußte
+immer wieder an ihn denken; sie fühlte einen Trieb zu überlegen, ob
+ihm nicht zu helfen sei, ob er nicht doch am Ende gescheidter sei als
+er aussehe, und ob ihm der Verstand nicht noch kommen könnte, wenn
+auch spät, u. s. w. -- Wer in Herzensangelegenheiten erfahren ist, der
+weiß, was dieses Spiel der Gedanken für Folgen hat. Eben im Scheine
+solcher Vorstellungen entwickelt sich der Keim einer Neigung; die
+heitere Beschäftigung mit dem Bilde kommt dem Original zu Gute, und
+dieses ist zuletzt in der Lage, erndten zu können, wo es persönlich gar
+nicht gesät hat. Die Gret gewöhnte sich an die Vorstellung des Michel
+und an den Gedanken, daß er für sie bestimmt sei. Bald war sie mehr
+verstrickt, als sie selber ahnte; und während der gute Bursche glaubte,
+seine Sache sei verloren, stand sie just so gut als möglich.
+
+Je mehr Ernst in die Neigung kommt, desto weniger läßt man dem
+Gegenstand etwas thun, desto weniger will man Scherz mit ihm treiben.
+Als die Gret bedachte, wie sie den Michel bei dem letzten Diskurs doch
+abgeführt hatte, fühlte sie Gewissensbisse und auch eine plötzliche
+Sorge, er könnte so bös geworden sein, daß er gar nichts mehr von
+ihr wissen wollte. Dies Letztere schien ihr bei näherer Betrachtung
+nicht gerade wahrscheinlich; aber doch nahm sie sich vor, bei nächster
+Gelegenheit sich nicht wieder vom Uebermuth hinreißen zu lassen,
+sondern mit seinem guten Willen vorlieb zu nehmen und ihm wohlmeinend
+unter die Arme zu greifen.
+
+Eine Reihe von Tagen war vergangen und sie hatte den Burschen nicht
+wieder gesehen, außer von weitem. Daß er jetzt keinen neuen Versuch
+machte, mit ihr zu reden, begriff sie, und es war ihr lieb, daß sie
+sich in der ersten Zeit nach jenem Auftritt im Heckengang nicht
+zufällig begegneten. Der Aerger in Michel sollte erst verdampfen und
+der Liebe wieder Platz machen; dann wollte sie ihn so freundlich
+grüßen, daß er gewiß wieder Muth bekam und mit ihr ein erwünschtes
+Gespräch anfing. Sie hatte eine sehr angenehme Empfindung bei der
+Vorstellung, das er dann das rechte Wort finden könnte, sie ihm sagen
+müßte, wie's ihr um's Herz sei -- und Alles zu gutem Ende käme.
+
+Endlich führte sie der Zufall einander entgegen. Sie kam von der Wiese,
+er ging hinaus. Als das Mädchen seiner ansichtig wurde, erröthete sie
+etwas und sah lieblich heiter aus; sie wollte ihn grüßen so schön wie
+sie's nur konnte! Allein in ihm hatte der Anblick derjenigen, die
+ihn für'n Narren gehabt, schon den Unmuth wieder angeregt; und wie
+er nun gar ihr Vergnügen wahrnahm, das nach seiner Meinung nur Spott
+sein konnte, loderte ein ganz ehrlicher Zorn in ihm auf. Er machte
+ein Gesicht so »wild« als möglich; die Gret, bei dem Anblick etwas
+verhofft, sagte guten Tag lange nicht so schön wie sie sich's gedacht
+hatte -- und der Gegrüßte ging vorüber, ohne zu danken. Ihrerseits
+verletzt, sah das Mädchen ihm nach und schüttelte den Kopf. »Also
+doch,« sagte sie einigermaßen verlegen und ging langsam weiter. Bald
+aber tröstete sie sich. »Er moent eba', d's erstmol muß er doch no'
+trutza'! 'S ist a Mensch ohne Manier! Aber er moet's doch net böas --
+ond d's nächstmol wurd er scho' danka'!« --
+
+Bei der nächsten Begegnung schaute das Mädchen den Burschen erst
+erwartend an; ihre Wünsche hatten die Hoffnung schon so sehr wieder
+belebt, daß sie meinte, er könnte zuerst grüßen. Als er sich aber
+mit düsterm Gesicht näherte, ohne eine Miene zu verziehen, rief
+sie: »Godden Tag, Michel« in dem Ton einer Gekränkten, als ob sie
+hinzusetzen wollte: »Worom grüescht me denn net? Hab' e d'r denn ebbes
+do'?« Dieser Ton traf unsern Burschen; aber da er beschlossen hatte,
+trutzend an ihr vorüberzugehen, so war nicht von ihm zu verlangen, daß
+er in dem einzigen noch übrigen Moment diese Bestimmung änderte. Er
+führte demnach seinen ersten Gedanken aus, weil er einmal im Schuß war,
+und beleidigte nun freilich die wohlmeinende Gret in einer Weise, die
+ihrerseits einen Entschluß hervorrufen mußte. Sie schaute sich diesmal
+nicht um, sondern ging mit rötherem Gesicht weiter und murmelte für
+sich: »'S ist a Dommkopf ond bleibt oer! Mit deam ist nex a'zfanga'! No
+meit'weg! Vo' mir soll'r net weiter encommodiert weara'!« --
+
+In Folge dieser niederdrückenden Erfahrung gerieth das gute Mädchen
+in einen Gemüthszustand, der ihr neu war, den sie aber eben darum
+sorgfältig geheim zu halten suchte. In die Heiterkeit ihres Innern war
+ein Schatten gefallen. Sie wurde leichter ärgerlich als früher, sie
+fühlte sich in andern Augenblicken weicher als sonst und eine Art von
+Trauer wandelte sie an, so daß sie ein Verlangen empfand, ihr Herz
+einer Kamerädin aufzuschließen. Allein das zu thun, schämte sie sich
+doch allzusehr; sie fühlte, daß es ihr nicht anstand, und schwieg.
+Auf sich selber beschränkt, gab sie sich stillen Erwägungen hin. Es
+begegnete ihr, daß sie überlegte, welcher von den übrigen Burschen wohl
+derjenige sei, der sich am besten für sie passen würde. Sie konnte sich
+für keinen entscheiden; aber indem sie sich vorstellte, wie einer »mit
+ihr ging«, erquickte sie sich an dem Gedanken, daß der Michel sich
+recht darüber ärgerte. Denn das wußte sie: ärgerlich war es ihm doch,
+wenn sie einen Andern hatte, so ein dummer und einfältiger »Stoffel« er
+auch war. --
+
+In dieser Zeit kam ein junger Mensch in's Dorf zurück, der auswärts
+gearbeitet hatte. Es war der Sohn eines der zwei Schneider, die der Ort
+nährte -- selbst Künstler mit der Nadel und das, was man auch auf dem
+Land, wenigstens im Ries, »a gallants Bürschle« nennt. Weder groß noch
+stark, sondern eher klein und schmächtig, war er doch gut gewachsen;
+und wenn sein helles, glattes Gesicht etwas zu mädchenartig ließ, so
+war das für gewisse Jungfrauen kein Grund, weniger davon zu halten.
+Bei viel natürlicher Gutmüthigkeit besaß er eine bedeutende Portion
+Selbstgefühl, das sich auf die Ansicht gründete, daß ihm an Feinheit,
+Geschicklichkeit und höherem Anstand keiner der gegenwärtigen Burschen
+des Dorfes gleich käme. Er hatte in der kleinen Stadt, in der er sich
+aufgehalten, allerlei Redensarten gemerkt, die er bei Gelegenheit zum
+Besten gab, sprach ein wenig »hochdeutsch,« wenn's drauf ankam, und
+hatte für sich eine Mischung von bäurischer und städtischer Kleidung
+erfunden, die seiner Erscheinung etwas besonders Nettes gab. Einmal
+war ihm der Gedanke gekommen, ob er nicht vielleicht zu etwas Höherem
+bestimmt sei und in der weiten Welt sein Glück suchen sollte. Aber
+sein Vater wurde alt, er hinterließ ihm ein Haus und Feldgüter, und in
+diesem Betracht schien es doch gerathen, auf sein ehrgeiziges Projekt
+zu verzichten und als Geselle des Alten die Zeit zu erwarten, wo er
+sich als Meister im Dorf setzen konnte.
+
+Jakob -- so hieß unser Schneider -- war mit dem Maurer befreundet und
+kehrte bald nach seiner Ankunft bei ihm ein. Die stattliche Schönheit
+der Gret überraschte ihn und machte auf sein leicht erregbares Herz
+sogleich einen mächtigen Eindruck. Er nahm sich zusammen, setzte die
+Reden und sagte dem Bäschen Schmeicheleien, die ihr nach seiner Meinung
+unendlich wohlthun mußten. Die Gret lächelte, halb schelmisch, halb
+wirklich vergnügt, und nun kam sie ihm so reizend vor, daß eine Stimme
+in ihm rief: »Dieses Mädchen mußt du kriegen!« -- Die Gret konnte
+ebenfalls hochdeutsch reden, wenn sie wollte, und es hatte bei ihr
+überhaupt Alles einen andern Furm (Form) als bei den Mädchen, die nie
+aus dem Dorf hinaus »geschmeckt« hatten: waren sie beide nicht recht
+eigentlich für einander geschaffen? -- Freilich war sie fast einen
+halben Kopf größer wie er, und dieses Verhältniß hätte er umgekehrt
+lieber gehabt; allein im Grunde, schadete das was? Es gab Exempel, wo
+eine große Frau und ein etwas kleinerer Mann recht gut mit einander
+gehaust hatten. »Wenn sonst nichts fehlt,« dachte der gute Bursche,
+»das kann man sich gefallen lassen!« Und darin hatte er ganz Recht:
+wenn sonst nichts fehlte, dann stand es vortrefflich.
+
+Vor der Hand fehlte indeß noch die Hauptsache: die Gret hatte von ihm
+keineswegs eine ähnliche Ansicht erlangt, wie er von ihr, und ihr war
+es gar nicht so vorgekommen, als ob sie für einander geschaffen wären!
+-- Als ein kluges und natürliches Mädchen durchschaute sie den Burschen
+sogleich. Er war gutmüthig und eitel -- so recht einer von denen, die
+eine Gescheidte am Narrenseil führen kann, ohne daß sie's merken. Ein
+»Männdle«, mit dem eine Lustige zu ihrer Unterhaltung spielt, von dem
+sie sich flattiren und Gefälligkeiten erweisen läßt und den sie dann
+ohne große Gewissensbisse nach Hause schickt, wenn sich ein Besserer
+meldet. Wie hätte die Gret vor so einem Respekt haben können? Wenn sie
+aber keinen Respekt haben konnte, dann konnte sie auch nicht lieben. --
+Das lag in ihrem Wesen und das merkte sie auch nachgerade selbst.
+
+Unser Schneider hätte sich eher alles Andre einfallen lassen, als daß
+die Gret über ihn solche Gedanken hegte. Er hatte den besten Muth; denn
+Alles zusammengenommen, konnte so ein Mädchen nicht von Glück sagen,
+wenn sie ihn bekam? Er war eifrig, dieß lag in seiner Natur; aber er
+war eifrig mit Zuversicht. Zunächst kehrte er beim Vetter Maurer ein,
+so oft es anging, und wenn er der Gret einen Gefallen thun konnte, so
+ergriff er die Gelegenheit mit Begierde. Als sie in diesen Tagen einen
+neuen kattunenen Kittel zu haben wünschte, fertigte er denselben (denn
+er war Männer- und Frauenschneider) in kürzester Zeit und brachte darin
+eine sinnreiche Neuerung an, indem er behauptete, ein Mädchen, die in
+der Stadt gewesen sei, müsse sich feiner tragen als eine gewöhnliche
+Bauerntrutschel! Er brachte ihr von Hause Sträußchen mit und spitzte
+dabei seine Complimente so fein zu, daß er selber daran seine Freude
+hatte. Kurz er huldigte der Schönen auf eine Weise, der man ansehen
+mußte, daß er sie anderswo gelernt habe, als zu Hause bei seinem Vater.
+
+Nach und nach fand die Gret doch Gefallen daran. Der Schneider hatte
+aber auch eine günstige Zeit getroffen. Die Spannung zwischen ihr
+und Michel dauerte fort. Bei einer dritten Begegnung hatte sie, wie
+natürlich, ihn nicht gegrüßt, und er war mit einem nur um so »wildern«
+Gesicht an ihr vorübergeschritten. Die Grobheit eines Menschen, dem sie
+vor Allen den Vorzug gegeben hätte, verdroß das Mädchen im Innersten
+ihres Herzens, und in diesem Zustande hatte die Höflichkeit des
+Schneiders etwas Wohlthuendes für sie. Sie brauchte einen Ersatz, der
+junge Vetter gewährte ihr ihn, und sie konnte sich nicht enthalten,
+ihn freundlich dafür anzusehen. Einmal, in weicherer Stimmung, dankte
+sie mit besonderer Wärme, und dem Blick, mit welchem sie die Worte
+begleitete, gab die Dankbarkeit der gerührten Seele einen Glanz und
+einen Schmelz, wie ihn der Schneider noch nicht gesehen. Jetzt konnte
+er sich nicht mehr täuschen; das schöne Bäschen gehörte ihm, sie hatte
+sich verrathen! Jetzt durfte er nur reden und die Sache war fertig! --
+Er redete zunächst doch nicht; vielleicht weil er des Sieges gewiß war,
+oder weil ihn der schelmische Genius, der sein Loos zu weben hatte,
+davon abhielt. Das konnte er sich aber nicht versagen, beim Abschied
+die Zuversicht seines Herzens mit wohlgefälliger Miene fein anzudeuten.
+
+Die Gret sah ihm trübe lächelnd nach. »Du guts Bürschtle« rief sie für
+sich und zuckte die Achseln. -- Ihre Gedanken nahmen den Lauf wieder
+zu dem Enakssohn. Nach einer Weile sagte sie: »Könnt' ietz der Michel
+net oh höflich sei' und dischgeriera' und flattiera' wie der Schneider?
+Mueß denn grad der, den e möcht', der gröbst und der dommst sei' em
+ganza' Doraf? 'Sist doch nex en der Welt, wies sei' soll!« --
+
+Wenn sie in andern Momenten wieder dachte, Michel könnte sich am Ende
+doch bessern, so erfüllte dieser ihre Erwartung fürs erste nicht. Er
+trutzte weiter -- er wollte in der That nichts mehr von ihr wissen; d.
+h. er wollte im Grunde immer noch gar viel von ihr wissen, aber er gab
+es nicht zu erkennen. Die Besuche des Schneiders und die Reden, die
+darüber im Dorf umzugehen anfingen, brachten in seinen Gedanken keine
+Aenderung hervor. Daß ein Mädchen wie die Gret so einen »Krampen«
+wie den Schneider möge, konnte er fürs erste nicht glauben. Wenn sie
+ihn aber mochte, wenn sie so einen »miserabeln Kerl« lieber haben
+könnte, als ihn, dann sollte sie ihn nur nehmen und zum Gespötte werden
+mit ihm! Unser Bursche hatte über die »Weibsbilder« schon soviel
+nachgedacht und vernommen, daß er wußte: sie seien eigentlich »d's
+Deufels« und auskennen werde sich so leicht keiner in ihnen. Als er
+sich aber vorstellte, daß die Gret sich wirklich dergestalt verirren
+und den Schneider nehmen könnte, wo doch Er, der Michel, zu haben war,
+da stieg ein Gefühl der Geringschätzung gegen ihren Verstand, ihren
+Charakter, ihre ganze Person in ihm auf, welche die Liebe für den
+Moment gänzlich überdeckte. »Wanns so komma dät, wanns dean lieber
+hätt' wie mih, nocht dät e me doch schäma', doß e nor a Menutt ebbes
+von 'r ghalta' hab!« -- Es war ihm aber auch bei diesem Ausruf noch,
+als obs eigentlich doch nicht so sein könnte.
+
+Unterdessen hatte die Ernte begonnen, und in dieser Zeit können
+es Leute, die in einem Dorfe, zumal in einer Gasse wohnen, nicht
+vermeiden, sich öfter zu sehen. Michel traf die Gret eines Tages mit
+dem Maurer, dieser grüßte, und unser Bursche konnte nicht so sehr
+die Lebensart außer Acht setzen, daß er nicht dankte. Wie er nun
+mit ehrbarem Ton »Godda'n Ohbed« sagte, benutzte das Mädchen die
+Gelegenheit, um mit etwas gedämpfter Stimme gleichfalls ein »Godda'n
+Ohbed« anzufügen. Was sie sich dabei gedacht, konnte zweifelhaft
+sein; gleichwohl empfand Michel diesmal bei dem Ton ihrer Stimme ein
+wohlthuendes Zucken in seinem Herzen, und es schien ihm unmöglich, daß
+dieses nachträgliche »Godda'n Ohbed« nicht etwas zu bedeuten habe, und
+zwar etwas Gutes. -- Das nächstemal kam sie ihm allein entgegen. Sie
+grüßte nicht, weil sie jetzt eben von ihm gegrüßt zu werden hoffte. Als
+er aber wieder stumm blieb, sah sie ihn von der Seite mit einem Blick
+an, der auch einen Härtern, wie er war, in die Seele hätte treffen
+müssen. Dieser Blick sagte: »O du dommer Kerl, willst du a Mädle net
+grüeßa', die so viel auf de hält?« -- Michel konnte sich der Wirkung
+dieses Blickes nicht entziehen. Als er einige Schritte weiter gegangen
+war, sagte er ernsthaft zu sich: »Ietz isch m'r doch so fürkomma'n,
+als ob -- -- am End hot doch der Kapper Rehcht!«
+
+Denselben Abend noch suchte er den Kameraden auf und machte ihn mit
+seiner Erfahrung und seiner Vermuthung bekannt. Wie Kasper ihn auf
+solchem Wege sah, rief er: »No, was hab' e denn g'sakt? Die Great hot
+dih em Kopf, des hab' e scho' lahng gwißt; aber du loscht (lässest)
+ja net mit d'r reda'!« -- »No no,« erwiederte Michel begütigend; und
+nach einem Moment des Nachdenkens setzte er hinzu: »Du moest also, i
+hätt' Hoffneng -- 's ist dei' Earnst?« -- »Freile isch mei' Earnst,«
+entgegnete Kasper. »Wer ka' doh no zweifla'! -- Aber ietz mach amol
+'n Fried mit dei'm oefältenga' Trutza' doh und dua', was se für a
+rechts Mannsbild g'höart!« -- Michel stand mit tiefsinnigem Gesicht da.
+»Wann's d'Glegenheit git (gibt),« erwiederte er endlich, »will e seha'!«
+
+Dieser abendliche Diskurs fand gegen Ende der Woche statt. Nachdem
+am Samstag noch ein tüchtiges Gewitter sich entladen und die Luft
+abgekühlt hatte, kam ein schöner und nicht allzuheißer Sonntag. Das
+Wintergetreide war größtentheils zu Hause, die Gerste der Sichel
+entgegengereift, und da sich die Ernte so gut angelassen, glaubte man,
+sie werde auch gut zu Ende gehen. In solchem Vertrauen entwickelt
+sich in der Seele des Bauers ein gründliches Behagen und er fühlt das
+Bedürfniß, sich ein Plaisir zu machen.
+
+Heute stellte sich bei Michel nach dem Essen der Kamerad ein und
+machte den Vorschlag, »zum braunen Bier zu gehen.« Zu den Eigenheiten
+unsres Burschen gehörte es, auch dann, wenn er etwas zu thun geneigt
+war, sich nöthigen zu lassen. Er sah dermalen den Andern mit einer
+Miene an, die weit entfernt war, Beistimmung auszudrücken. Die eben
+anwesende Mutter rief indeß: »Gang mit! Kommst doch oh widder amol
+aus'm Doraf naus ond unter d'Leut!« -- »Ha'et wurd's vohl (voll),«
+bemerkte Kasper. »D's Bier soll gar fei'dle guet sei' ond d's Wäder ist
+schöa'!« -- »Wer woeß,« sagte er lächelnd zu Michel, »ob d'net ha'et
+oena sikscht, die d'r gfällt!« -- Die Mutter zuckte die Achseln und
+entgegnete für Michel: »Gang weiter! Deam gfällt oena'! Dia' Hoffneng
+hab e lang aufgeba'!« -- Sie verließ die Stube. -- Kasper machte ein
+pfiffiges Gesicht und sagte zu Michel: »Die merkt no' nex!« -- Auch
+unser Bursche verrieth auf seinem Gesicht einige Schlauheit; dann aber
+erwiederte er: »Sie soll oh nex merka', bis d'Sach klor ist!« Und mit
+einem bedeutungsvollen Wink setzte er hinzu: »Woescht no', was e d'r
+g'sakt hab?« -- »Ja wohl,« entgegnete Kasper mit Lachen. »Aber ietz
+mach!«
+
+»Zum braunen Bier gehen«, hieß auf den Dörfern in der Nähe von
+Wallerstein so viel als: auf den Keller der fürstlichen Brauerei gehen.
+Diese Bezeichnung datirt ohne Zweifel aus einer Zeit, wo in jenen
+Dörfern ausschließlich weißes Bier gesotten und das braune (das in
+Norddeutschland s. g. bayrische) zunächst nur von der »Herrschaftsbräu«
+geliefert wurde. In den Jahren, in denen unsre Geschichte spielt,
+verdiente aber das hier producirte Getränk die Auszeichnung einer
+solchen Benennung immer noch durch seine Güte, wie es denn auch jetzt
+noch unter den Bieren des Rieses einen ehrenvollen Rang behauptet.
+
+Die Kameraden legten die mäßige Strecke von ihrem Dorf nach Wallerstein
+in gemüthlichem Diskurse zurück. Die Zahl der »Schöber,« die sie schon
+eingeführt hatten und die sie noch zu bekommen hofften, der Stand des
+Sommerkorns und die Hoffnungen des Brachfeldes bildeten den Hauptinhalt
+ihrer Ansprache. Im Markt angekommen, schlugen sie den nächsten Weg zu
+der Anhöhe ein, auf welcher die fürstliche Brauerei liegt und nebst den
+ausgedehnten Oekonomiegebäuden den grauen Felsen, der das alte Schloß
+getragen, kranzartig umschließt. Sie fanden noch Platz auf einer der
+Bänke vor der Brauerei, ließen sich jeder eine Maaß geben, würdigten
+den schäumenden Trank, der aus dem gepichten Bauche der hölzernen
+»Bitsch« in ihre Kehlen floß, mit tiefem Zuge und theilten bald,
+schmauchend und nach entsprechenden Intervallen die Zungen befeuchtend,
+das Vergnügen der zechenden Versammlung.
+
+Kasper hatte Recht gehabt. Das in dem Felsenkeller gelagerte Bier
+war heute ganz besonders wohlschmeckend und der Trinkplatz, der die
+Aussicht in den nordöstlichen Theil des Rieses darbot, vollständig
+besetzt. Wallersteiner Herren -- fürstliche Beamte und Bürger --
+etwelche Nördlinger, »kadollische« und »luttrische« Bauern saßen
+größtentheils standesmäßig vereinigt, hie und da aber auch zufällig
+gemischt um die hölzernen Tische, die heute für die »Herrn« durch
+einige hübschere aus der Zechstube vermehrt waren. Das schöne
+Geschlecht war nicht zahlreich vertreten; doch sah man außer der
+französischen auch noch katholische und protestantische Rieser Tracht
+nicht ganz unwürdigen Inhalt umschließend. Alles war vergnügt. Die
+Hauptsache war unerschöpflich vorhanden, und wer Appetit nach etwas
+Eßbarem hatte, für den war nicht nur durch die Wirthschaft, sondern
+auch durch Wallersteiner Buben gesorgt, die Rettiche und »Würst'
+siedhoeße« ausriefen und die letztern auch dann noch mit dem lockenden
+Prädikat schmückten, wenn sie schon zwei Stunden hin und hergetragen
+waren.
+
+Unsre Kameraden tranken sich nach und nach in jenen angenehmen Dusel
+hinein, in welchem die jetzigen Sterblichen eine Ahnung von dem Gefühl
+erhalten, durch das die Menschen des goldenen Zeitalters beglückt
+worden sein mögen. Michel hatte einen Blick auf das Dorf Birkhausen
+und auf das Fasanenwäldchen geworfen, das ihm so hübsch gegenüber
+lag; er hatte die Gäste gemustert und nach flüchtiger Betrachtung der
+anwesenden Bauernmädchen die Ueberzeugung gewonnen, daß Kasper in
+dieser Beziehung nicht gut prophezeiht habe! Jetzt ließ er die Augen
+ruhen und verharrte im Gegensatz zu dem Kameraden, der sich von Zeit
+zu Zeit umsah, in unveränderter Stellung, sichtlich in Nachdenken
+versinkend. Ohne aufzusehen, murmelte er endlich: »Wann e's nor gwihß
+wihßt'!« -- Kasper sah ihn an und sagte lächelnd: »Bist scho' widder
+doh mit deina' Gedanka'?« -- »Hol's der Deufel,« rief Michel, »i ka'
+net dervo' loaskomma'! Wann's ietz doch nex wär'? Wann's doch da'
+Schneider lieber hätt'? Gestert ist der Kerl a'mer verbeiganga',
+als ob's scho' sei' wär'! I hätt 'm glei oena' stecka' könna', so
+hoaffärteng hot 'r ausgseha', der Grippel!« -- »Da' Schneider,
+glob' e, host net z'färchta',« erwiederte Kasper. -- »I sott's oh
+net moena,« sagte Michel; und mit großartiger Verachtung setzte er
+hinzu: »So a Krack -- so a Stump von 'm Menscha'! -- net gröaßer als
+a Säustallthürle! I schmieß 'n über a Haus nüber, wann's sei' müeßt'!
+-- 'S ka' net sei'!« -- »Sie müeßt se ja schäma', wann's mit 'm geang
+(ginge),« setzte Kasper hinzu. »D'Leut dätet lacha 'n über so a Baar!«
+-- »'S ist wohr,« sagte Michel. »Aber auf der andera' Seit; reda'
+ka'n er, schwätza' ka'n er, ond d'Mädla' send Mädla'. Wer'n (ihnen)
+flattirt, der hot scho' halb gwonna'.« -- »Des ist freile oh widder
+wohr,« bemerkte Kasper. »Ond a'n Ohs ist der Schneider! Allweil woeß
+er ebbes Nuis. Ond manch's Mädle hot scho' so'n Kerl gnomma', weil's
+geara' d'Hosa'n a'ghett hätt! Vielleicht daß d'Great« -- -- Aber eine
+solche Zustimmung war es nicht, was unser Bursche jetzt wünschte. Seine
+Züge hatten sich verdüstert und unmuthig fiel er ein: »Schwätz net so
+domm! I glob's mei' Lebteng net! A Mädle wie d'Great will'n rechta'
+Ma'! Ond i woeß net, was grad do' (gethan) hot, daß d' so elend von 'r
+denkst!« -- Kasper schwieg. Er wußte wohl, daß er nichts profitirte,
+wenn er nachwies, daß er nur Michels eigne Meinung wiederholt hatte! --
+Der Gewaltige ertränkte den unliebsamen Gedanken durch einen tüchtigen
+Zug aus der Bitsch und beide sahen stumm vor sich hin. Auf einmal
+erhellte sich das Gesicht Kaspers -- man hätte sagen mögen schadenfroh
+-- und Michel rief: »Aber kommt denn doh net -- hol me der Deufel, sie
+send's!«
+
+Sie waren's in der That, nämlich die Gret und ihr Vater. Sie kamen von
+der Westseite, denn sie waren auf Besuch bei der Schwester gewesen, die
+in dem nächsten württembergischen Dorfe verheirathet war, und fanden
+sich darum auch erst zu einer Zeit ein, wo der Nachmittag in den Abend
+überging. Als sie den Kameraden sich näherten, rief Kasper: »Godda'n
+Ohbed, Maurer!« und hielt ihm die Bitsch entgegen. Man wechselte Grüße
+und der Maurer that Bescheid. »Doh ist no' Plahtz,« sagte Kasper auf
+die Bank deutend. Der Maurer besorgte sich auch eine Bitsch, und man
+setzte sich zusammen.
+
+Michel war überrascht gewesen und hatte die mit langsamen Schritten
+herbeikommende Gret sonderbar angestarrt. Sie war eben wieder sehr
+schön in ihrem Sonntagsstaat und namentlich in einem neuen seidnen,
+prächtig glänzenden Halstuch feinster Qualität! Der Gang in der Sonne
+hatte ihr Gesicht höher gefärbt, und ein guter Beobachter hätte
+bemerken können, daß ihre Augen, sobald Michel sich ihnen darbot,
+durch ein reizendes Funkeln belebt wurden. -- Zu anderer Zeit hätte
+sich der erste Eindruck in dem Burschen vielleicht länger erhalten und
+eine verhängnißvolle Confusion der Gedanken zur Folge gehabt; allein
+zwei Maaß Lagerbier trinkt man nicht ohne Wirkung! Michel saß bald mit
+ruhiger Würde neben dem Maurer und nahm gemüthlich an dem Gespräche
+Theil, das sich entspann.
+
+Kasper hatte gefragt, wo sie herkämen -- nicht um es erst zu erfahren,
+sondern um vor ihnen und Michel zu verbergen, daß er es schon wußte.
+Nach der Antwort des Alten fragte Michel, wie's den Eheleuten ginge
+und wie der jungen Frau die Haushaltung anschlüge! Hierauf gab die
+Gret erfreulichen Bescheid: sie kämen gut fort und hausten recht gut
+zusammen. Anknüpfend an dieses gute Zusammenhausen nahm der Diskurs
+eine heitere Wendung. Kasper ging voran, und Michel bewies, daß er
+auch einen Spaß machen konnte, wenn's drauf ankam. In dem Behagen,
+das er empfand, war es ihm geradezu unbegreiflich, wie ihm vor der
+Gret jemals das Reden hatte schwer werden können! Beim Teufel! Heut
+konnte er schwätzen mit ihr wie mit seiner Mutter! Fragen -- Antwort
+geben -- Alles dünkte ihn ein Spaß! -- was war das doch für ein Unsinn
+früher? -- Der Umstand, daß er sich endlich in der Stimmung fühlte,
+nach der er getrachtet hatte und die er allein seiner würdig hielt,
+erfüllte ihn jetzt mit einem gewissen Stolz und einer eigenthümlichen
+Sicherheit. Die Gret war auch so vergnügt, daß ein Blinder hätte sehen
+müssen, wie sie sich freute, bei ihm zu sitzen! Die Furcht, als könnte
+sie den Schneider gern haben, war eine Dummheit, die größte, die ihm
+jemals vorgekommen! Den Schneider! So ein Mädchen! -- Nein! Er -- er
+selbst war der Glückliche! -- Das war klar, daran konnte nur ein Narr
+zweifeln! -- -- Aber heute wollte er auch sein Wort anbringen! heut auf
+dem Heimweg wollte er sich an sie machen, Alles frisch weg heraussagen
+-- das stand fest -- und -- auf den Herbst sollte die Hochzeit sein! --
+
+Unterdessen hatte man das Bier nicht warm werden lassen. Auch die Gret,
+die sich durstig gelaufen, that aus der Bitsch, wo man's nicht sah,
+etwas bessere Züge, als sie's aus einem Glase gewagt hätte. Sie war in
+der That von ganzer Seele vergnügt. Michel in seiner Unbefangenheit,
+seiner guten Laune, gefiel ihr ausnehmend. Er war schöner als er ihr
+sonst vorgekommen, und offenbar auch viel gescheidter! Die Neigung, die
+sie immer für ihn gehegt hatte, steigerte sich diesen Abend zu dem
+ernstlichsten Wohlgefallen, und sie empfand das lebhafteste Verlangen,
+ihn endlich zur Erklärung zu bringen. Daß sie ihm gleichfalls
+heute nicht weniger gefiel, als früher, davon erlangte sie gewisse
+Ueberzeugung, und in der Hoffnung, einen solchen Prachtburschen zum
+Mann zu bekommen, wuchs ihr Vergnügen zu einer Art von Uebermuth.
+Sie neckte den Glücklichen von wegen weil er auf die Mädchen nichts
+gebe, was ein Unglück und eine schlechte Ehre sei für alle. Michel
+erwiederte: auf ihn käme nichts an, da gebe es andere, z. B. den jungen
+Schneider, der in der Fremd' gewesen sei und draußen Dinge gelernt
+habe, wo sie im Dorf nichts davon wüßten. Das wäre ein Kerl, der könne
+den Mädchen sagen, was sie gern hörten! Worauf die Gret versetzte: Der
+Schneider sei allerdings »a gallants Bürschtle,« an dem könnte sich
+mancher ein Exempel nehmen; aber es gebe eben so vornehme Bursche, die
+der Meinung seien, für sie wäre keine gut genug etc. etc. -- Diesem
+kleinen Gefecht hörte Kasper mit Vergnügen zu, weil er seinen Plan dem
+Gelingen zureifen sah; der Maurer ergötzte sich daran, ohne den Ernst
+hinter dem Spaß gewahr zu werden. Zuletzt, nachdem sie einen Moment vor
+sich hingesehen, sagte das Mädchen: »Wie wär's, wammer (wenn wir) auf
+da' Felsa' naufgeanget, so lang d'Sonn no' schei't? Mir isch, als ob's
+ha'et bsonders schöa' sei' müeßt do droba'!« -- Der Maurer wand ein,
+es möchte doch zu spät sein; sie müßten heim. Allein die Gret bat, die
+Kameraden traten dem Vorschlag bei und der Alte fügte sich.
+
+Der nächste Weg vom Keller zum Felsen geht hinter dem Brauhause
+vorbei. Man gelangt, wenn man eine Treppe emporsteigt, auf einen
+grasigen Platz, der meist eben um den Felsen herumläuft -- ehemals
+der innerste Hof des Schlosses.[4] Als unsre kleine Gesellschaft auf
+ihm der südwestlichen Seite zuging, neigte sich die Sonne schon den
+fernen Anhöhen zu. Vom Keller an hatte sich Michel zu dem Maurer
+gesellt. Wir wissen, daß er den Entschluß gefaßt, seine Wünsche auf dem
+Heimweg anzubringen; er folgte daher um so eher einem instinktmäßigen
+Trieb, nach der geschehenen Annäherung sich wieder ein Bischen
+zurückzuziehen, die Gret dem Kasper zu überlassen und zur Hauptaction
+neue Kräfte zu sammeln. Das war aber nicht die Rechnung des Mädchens,
+die das Besteigen des Felsen eben vorgeschlagen hatte, um dem Michel
+zu weiterer Annäherung Gelegenheit zu bieten, in der Hoffnung, einen
+Moment herbeiführen zu können, wo ihm, der einmal im Zuge war, das
+Schloß vom Munde fallen sollte. Wie sie nun, am Felsen angekommen, ihn
+ernsthaft mit dem Vater diskuriren und zurückbleiben sah, warf sie
+einen Blick des Bedauerns auf den Liebhaber, der die gute Gelegenheit
+versäumte, mit ihr aufzusteigen und ihr allenfalls dabei zu helfen.
+Damals war der Weg (er befindet sich auf der Südwestseite) noch nicht
+so bequem wie jetzt, wo neue Treppen in den Felsen gehauen sind.
+Kasper, der mit der Gret hinan stieg, kam einmal im den Fall, ihr die
+Hand reichen zu müssen, um sie einige Schritte zu führen; und es ist
+zu vermuthen, daß sich diese Nothwendigkeit für Michel öfter ergeben
+hätte. »'S ist doch a'n o'gschickter Mensch«, sagte sie sich. Aber ein
+Gedanke beruhigte sie wieder: »Vielleicht will er se bei mei'm Vader
+wohl dra' macha', des ghöart oh zor Sach, obwohl der nex dagega' haba'
+wurd -- o conträr!« --
+
+Alle waren endlich auf dem Gipfel angekommen. Man ging hin und her und
+schaute. »Ei wie schön!« rief die Gret und hing mit freudigem Blick
+an der Landschaft. »Du host Rehcht,« setzte der Maurer hinzu. »'S ist
+wärle der Müh wearth gwesa', daß mer (wir) raufganga' sind.«
+
+Der Bauer ist kein schwärmerischer Bewunderer der schönen Natur.
+Zunächst weil er überhaupt nicht so leicht schwärmt; dann aber weil
+er gewissermaßen selber zur Natur, zur Landschaft gehört und mit ihr
+auf zu vertrautem Fuße lebt, um über ihre Erscheinungen außer sich zu
+kommen. Ein recht schöner Anblick verfehlt aber auch auf ihn seine
+Wirkung nicht; er freut sich darüber herzlich und kindlich -- und
+das Ries im Schein der Abendsonne ist ein Bild, dessen Reiz auch die
+substantiellere Natur eines eingebornen Dorfbewohners zu ergreifen
+vermag.
+
+Die Luft war klar, auf der nordwestlichen Seite kein Wölkchen am
+Himmel. Die gelben oder noch grünlichen Getreidefelder -- die schon
+»geschnittenen« Aecker, zum Theil noch mit »Sammelten« bedeckt -- die
+lichtgrünen Wiesen, die Brachfelder mit verschiedenen Abstufungen
+von hellerem und dunklerem Grün -- die zahlreichen Orte in der Nähe
+und in der Ferne -- Alles das stand vor den Augen in deutlichen
+Umrissen und durch den zarten sommerlichen Duft gleichwohl zu einem
+schönen landschaftlichen Ganzen verbunden. Unter ihnen lag der
+Markt Wallerstein mit den beiden fürstlichen Schlössern und den
+Parkanlagen; am nordwestlichen Horizont ragte das hochgelegene Schloß
+Baldern über Hügel ins Ries herein; nach Westen zu erhob sich das
+ehemalige Lanenkloster Kirchheim auf mäßiger Höhe, und weiterhin stieg
+der Langenberg und der Nipf bei Bopfingen empor. Eine halbe Meile
+entfernt, gegen die südlichen Hügel hin, war die Stadt Nördlingen
+gelagert mit ihren vielen ansehnlichen Gebäuden, Zwingern, Gärten
+und Alleen -- und rechts und links wohlhäbige Dörfer über die Ebene
+hingesät. Die Ruine Hochhaus schimmerte aus Wäldern hervor; auf den
+südöstlichen Höhen prangten das Schloß Reimlingen und die ehemalige
+Benedictiner-Abtei Deggingen, weiter nach Osten die Schlösser Harburg
+und Lierheim und die Reste von Allerheim. Kehrte man sich nach der
+nördlichen und nordöstlichen Seite, so erblickte man die stattliche
+Kirche von Zipplingen, das Kloster Maihingen und den langen Hesselberg
+-- die Schlösser Hochaltingen und Spielberg, den uralten Thurm von
+Hohentrüdingen, die Städte Oettingen und Wemdingen. Die nordwestlichen
+Anhöhen standen in grünlichem Duft, unter der Sonne golden überhaucht;
+die südwestlichen erquickten das Auge mit wenig gedämpftem Waldesgrün;
+die entfernteren südlichen und östlichen glänzten in wundervollem Blau,
+hie und da von helleren Partien der Getreidefelder durchzogen. Eben die
+Anhöhen, welche die Ebene rings umgeben, erwecken in dem Eingebornen
+das Gefühl, daß er in einem Paradiese lebt -- in dem landschaftlich
+eingeschlossenen und abgeschlossenen, fruchtreichen, schönen Ries!
+
+Unsere Leute genossen das Malerische des Anblicks auf ihre Weise, in
+großen Linien, und verwendeten deshalb weniger Zeit darauf als wir auf
+die Beschreibung. Sie gingen zu einer sachlichen Unterhaltung -- zur
+Hervorhebung einzelner Gegenstände über. Sie zeigten sich Orte, die das
+Merkwürdige hatten, daß darin Freunde von ihnen hausten; sie machten
+Anhöhen namhaft, die sich dadurch auszeichneten, daß sie von ihnen
+schon bestiegen worden waren. Die Gret deutete das Haus ihrer Schwester
+an, welches leider von einem großen Bauernhaus verdeckt sei; und
+zuletzt concentrirte sich die Aufmerksamkeit auf dem interessantesten
+Dorf -- auf dem eigenen. Man zeigte sich seine Häuser, Wiesen und
+Aecker, und Anblick und Besprechung dieser traulichen Objekte
+versetzten die Landleute wieder in eine muntere und fröhliche Stimmung.
+
+Michel hatte sich hie und da an die Seite der Gret gestellt, allein
+nach seinem Plane sich nicht mehr mit ihr abgegeben, als mit den
+Andern, obwohl der Kamerad den Maurer ein paarmal abseits geführt
+hatte, ihm Gelegenheit zu verschaffen. Die Gret, dadurch gereizt und
+in der erhöhten Laune des Tages, beschloß ihm einen Schreck einzujagen
+und -- ihm entgegen zu kommen. Als die Andern in die östlich gelegene
+Spalte hinabgestiegen waren und Michel schweigend neben ihr stand, that
+sie einen Schritt gegen den Rand des Gipfels, von dem es hier schroff
+abwärts ging, zuckte und »grillte« (kreischte), daß es eine Art hatte.
+Michel erschrak in der That und versäumte, rasch zuzugreifen; als er
+sah, daß sie selber feststand, hielt er es nicht mehr für nöthig und
+schaute sie beruhigt an. Die Gret verzog den Mund. »Du bist a schöaner
+Nochber,« sagte sie; »du ließest me nonterfalla' ond sächtest (sähest)
+ganz ruheng zua'!« -- Der Ehrliche war etwas beschämt, weil er selbst
+fühlte, daß er zu langsam gewesen; aber eben darum wollte er den
+Vorwurf zurückweisen. »No, no,« erwiederte er, »du host de ja selber
+ghalta'. -- I hab' eba' denkt, du wurscht Versta'd gmuag haba' ond
+net z'weit nausganga!« -- Für einen Liebhaber keine galante Rede! Die
+Actien des Burschen, insbesondere seiner Gescheidtheit, sanken wieder,
+und das Mädchen, etwas empfindlich geworden, suchte die Andern auf.
+
+Die Sonne zerschmolz eben am Horizont -- der Alte mahnte zum Aufbruch.
+Die Gret, um den Michel für sein Ungeschick zu strafen, ging zuerst
+hinunter und that, als ob er gar nicht mehr da wäre. Natürlicherweise
+fühlte nun er, dem es doch schwante, daß er sie »geärgert« habe, einen
+Trieb, ihr nachzugehen und sie wieder gut zu machen. Nachdem sie alle
+auf dem schon thauigen Rasen angekommen waren, führte Kasper, der des
+Kameraden Absicht merkte, den Alten im Gespräch links um den Felsen.
+Unser Paar sah sich allein. Der Bursche sagte ihr etwas Schönes wegen
+der Geschwindigkeit, womit sie den Felsen herabgestiegen war. Sie, noch
+ein wenig schmollend, aber seines guten Willens halber schon wieder auf
+dem Weg zur Güte, entgegnete: »Ja, a bisle gschwender ben e freile als
+du! Bei dir hoeßt's eba': komm' e ha'et net, komm' e morga'. I sorg',
+du wurscht überal z'spät komma'!« -- »Oho,« erwiederte Michel und
+lächelte, denn das Gesicht, womit ihm dieser Vorwurf gemacht worden,
+hatte nichts Beleidigendes. Das Mädchen sah ihn an -- und nochmal
+fühlte sie eine Regung, für ihn etwas zu thun. Sie sagte: »Globsch
+(glaubst du), du ka'st me net fanga', wann e spreng (springe, laufe)?«
+-- »Ih dih?« versetzte Michel und konnte nicht umhin, über so eine
+Behauptung die Achseln zu zucken. -- »Ja, du mih,« erwiederte die
+Gret mit Nachdruck. Das hieß den Michel bei der Ehre angreifen; und
+im Gefühl seiner langen Beine rief er mit stolzer Sicherheit: »Loß de
+net auslacha'!« -- »Ja,« sagte das Mädchen, »pranga' ka'n a'n ieder;
+aber i glob's net!« -- »Du bist net gscheidt!« entgegnete Michel. »No,
+so zoeg's,« fuhr die Gret fort, »ond fang me, wann d' ka'st!« -- Sie
+faßte ihren Rock auf beiden Seiten, hob ihn ein wenig in die Höhe, um
+den Beinen mehr Freiheit zu gewähren, und lief -- aber nicht links, den
+Andern nach, sondern rechts um den Felsen, einer Grube zu, die sich auf
+der nördlichen Seite des Felsens befindet. Michel, so herausgefordert,
+hatte sich bereit gemacht; er ließ ihr einen Vorsprung, dann fing er
+an auszugreifen, daß er sie schon im Eingang der Grube erreichte. Aber
+der Triumph, sie nun zu fassen und zu halten, war ihm ein viel zu
+geringer -- er lief einige Schritte über sie hinaus, bis sie schnaufend
+zurückblieb, drehte sich um und rief siegesfreudig: »No, was hab e
+gsakt? Ka'n e's oder ka'n e's net?« -- Die Gret sah ihn mit einem fast
+wehmüthigen Blick an, und mit dem Doppelsinn, den ihr die Situation
+aufdrängte, versetzte sie: »Ja, ja, i hab' me g'irrt en dir -- ond
+mueß me schäma'!« -- Michel, weit entfernt zu begreifen, trat näher
+und sagte mit dem Tone wohlwollender Ueberlegenheit: »No, no, z'schäma
+brauchst de grad net, wann ih über de nausloff!«
+
+Der absolute Mangel an Verständniß machte die Gret lächeln und die
+grundehrliche Meinung des Burschen versöhnte sie wieder. In der Grube
+war es schon dämmerig; der Spaziergang, auf den sie so viele Hoffnung
+gesetzt, nahte sich seinem Ende, und daß die beiden Burschen mit ihr
+heimgehen würden, konnte sie nicht als gewiß annehmen. Wer wird es
+ihr nun verdenken, wenn sie bei der Redlichkeit ihrer Absichten die
+Gelegenheit ergriff, mit dem Burschen noch einen Versuch zu machen? Am
+Ende -- sie that damit ihre Schuldigkeit, und wenn gleichwohl an ihm
+nichts half, so brauchte sie sich wenigstens keinen Vorwurf zu machen.
+
+Sie hatte gemerkt, daß sie beim Laufen die Glufe, womit das Halstuch
+des Rieser Bauernmädchens auf dem Rücken angeheftet wird, um daselbst
+ein regelrechtes Dreieck zu bilden -- verloren und ihr schönes seidenes
+Halstuch sich verschoben hatte. Indem sie eine Glufe von der Brust
+auszog, wo sie minder nöthig war, sagte sie zu Michel: »Ietz muß e de
+no' om a Gfälligkeit bitta'! I spür, daß mei' Gluf rausgfalla'n ist aus
+mei'm Halstuch, ond's wär mer lieb, wann d' mers widder nei'stecka'
+möchtst, vor mer zrückgont (zurückgehen).« Während sie dieses sagte,
+hatte die Phantasie ihr vorgezaubert, was ihr Herz wünschte. Michel
+fand während dieser Beschäftigung den Muth der Liebe, folgte ihm
+freudig und hielt jene Anrede an sie, die wenn auch noch so kurz, doch
+vom Munde des Mannes gehen muß, um von dem Mädchen bejaht den Bund der
+Herzen thatsächlich zu knüpfen.
+
+In diese Seelenmusik ertönte plötzlich die Antwort des wirklichen
+Michel: »I will's versuacha'! Muß d'r aber scho' saga', daß e mit
+deana (diesen) Sacha' net recht omganga' ka'!« -- wodurch die Gret
+belehrt wurde, daß es noch nicht an dem sei. Der Bursche nahm die
+Gluf und stellte sich hinter sie; er wollte ihr nun auch wirklich
+gefällig sein und genau thun, was sie haben wollte. Als er anfing, das
+Halstuch zurechtzurücken, wurde ihm doch sehr curios. Sein Herz fing
+an zu schlagen, vor seinen Augen begann es zu schwimmen; er fühlte ein
+außerordentliches Verlangen, just das zu thun, was sie wünschte und ihr
+Phantasiebild wortwörtlich zu erfüllen. Allein zu rechter Zeit noch
+mahnte ihn die Pflicht und sein Vorsatz. Ihr die Gluf anzustecken,
+das hatte sie verlangt, darum war es ihr zu thun, und darin mußte er
+ihr zu Willen sein. In der Verwirrung seiner Lebensgeister zog er das
+Tuch rechts und links, ohne ihm die gehörige Lage geben zu können. Die
+Gret rief: »Daß 's fei' recht en d' Mitt nei' kommt!« Denn grad in der
+Mitte des Rückens muß die Spitze befestigt werden, wenn das schöne
+Dreieck herauskommen soll. Dieser Zuruf des offenbar etwas ungeduldigen
+Mädchens traf den Burschen. Das Tuch hing eben zu weit rechts. In
+seiner Confusion that er instinktmäßig einen Riß gegen die Mitte, wobei
+er die Kraft seiner Finger nicht erwog, und -- ein Fetzen des Halstuchs
+blieb in seiner Hand.
+
+Nun riß aber auch die Geduld der guten Margret! Nachdem sie so weit
+gegangen -- nachdem sie ihm auf eine Art entgegen gekommen war, daß
+der Einfältigste hätte begreifen müssen -- ihr, anstatt ihren Wunsch
+zu erfüllen und ihr um den Hals zu fallen, das schöne neue Halstuch zu
+zerreißen -- das war denn doch in Wahrheit »dümmer, als verlobbt ist.«
+So einen Menschen zum Mann zu kriegen, ist am End auch kein großes
+Glück, und -- -- sie hatte sich umgedreht, sah den Fetzen in seiner
+Hand, sah das Gesicht halb verlegen, halb lächelnd gegen sie gewendet,
+und rief erzürnt: »Du bist aber doch o'gschickter als der Deufel! So a
+Mannsbild! Gang nor glei (gleich) morga' zom Schulmoester ond loß d'r
+dei' Schuelgeld widder rausgeba'; denn des ist net verdeat (verdient)
+woara!« -- Das war auch nicht höflich, und so etwas hatte Michel noch
+nie gehört. Er wurde seinerseits ärgerlich und entgegnete: »I hab d'r
+ja gsakt, daß e mit deam Zuig (Zeug) net omganga ka' -- w'rom trägst
+mer's auf?« Und mit stolzem Selbstgefühl setzte er hinzu: »I hab ebbes
+anderst's z'doa' en der Welt, als da' Mädla' d'Halstüacher na'zmacha!«
+-- Die Gret sah ihn achselzuckend an und sagte: »Ja, des glob' e!« --
+Der Bursche fühlte einen Drang, sich von jedem Vorwurf rein zu waschen;
+deswegen, den Fetzen emporhaltend, bemerkte er: »Des Tuech doh, nemm
+mers net übel, ist aber oh nex nutz gwesa'! 'S ist eba' widder so a
+nuimodischer Lompazuig (Lumpenzeug), so dent (dünn) wie Spennawett
+(Spinnweb)! Mei'r Mueter ihr Halstuch wär' m'r net in der Ha'd
+blieba'.« --
+
+Das Mädchen wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen. Sie hielt an
+sich und erwiederte: »Du host natürlich Rehcht! Ma' woeß ja, doß d'r
+Gscheidtst bist en der ganza' Gmoed (Gemeinde). -- So, ietz ka'n e
+mit 'm verrissenga' Halstuech hoemganga'!« -- Michel, der einmal in
+den Schuß der Dummheit gekommen war, verstand die letzte Rede wieder
+falsch. Er trat mit ritterlicher Intention einen Schritt näher und
+sagte tröstend: »Doh brauchst de net z'kränka'! -- ih ka' d'r scho'
+a nuis kohfa!« -- Das gab ihm bei dem Mädchen den Rest. Wahrhaft
+beleidigt, riß sie ihm den Fetzen aus der Hand und rief; »So viel Geld
+hab' e no' übreng, um m'r a nuis Halstuch z'kohfa! I brauch nex von
+dir, du oefältenger Mensch!« -- Sie wandte sich rasch ab und ging fort.
+
+Michel stand verdutzt. Er hatte eine dumpfe Ahnung, daß er doch
+nicht ganz richtig gehandelt haben könnte. Ein Aerger erhob sich in
+seiner Brust -- über sein Unglück, über die Hitze der Gret, über das
+Mißgeschick, das ihn überall verfolgte. Indem er nachdenken wollte,
+fühlte er, daß ihm heute auch das Denken nicht mehr geriethe. Er spürte
+eine ziemliche Mattigkeit in seinen Gliedern, setzte sich auf ein
+Felsstück und überließ sich der formlosen Bewegung seiner unmuthvollen
+Seele. Endlich erhob er sich rasch und trat den Rückweg an; er wollte
+doch sehen, wie's stehe und was zu thun sei!
+
+Als er an seinen Tisch trat, waren der Maurer und die Gret schon
+fort; Kaspar erwartete ihn, unwissend, was er denken sollte, und
+höchst neugierig was denn passirt sei. Die Gret sei zurückgekommen,
+sehr ernsthaft und ärgerlich, und habe erzählt: sie hätte ihren
+Fürwitz gebüßt, sie wäre in einer Grub am Felsen hingegangen und ein
+spitziger Stein hätte ihr das Halstuch zerrissen. Er, Kasper, habe
+nicht begreifen können, wie das zugegangen sei, und nach ihm, dem
+Michel, gefragt; worauf sie zur Antwort gegeben, sie wisse nicht wo er
+hingelaufen sei. Dann habe sie an ihrem Vater getrieben, sie müßten
+nach Hause, sie habe noch etwas herzurichten auf morgen früh -- und der
+Maurer sei mit ihr fortgegangen. »Was hot's denn geba'?« rief der gute
+Bursche zuletzt mit dem Antheil eines Freundes, der das Seine gethan.
+»Send'r (seid ihr) oeneng woara'n oder« -- »Jo«, rief Michel mit dem
+Humor der Verzweiflung, »oeneng! -- Aus isch!« -- Kaspar fuhr empor.
+»Was! -- aus?« -- »Aus«, erwiederte Michel, »wie'n e der sag!« -- »Aber
+wie hot's denn ganga'? So verzähl m'r doch!«
+
+Unser Bursche war gedrückt von dem Unstern, den er gehabt, von dem
+Unwillen, der in seiner Seele emporschwoll -- er mußte sein Herz
+erleichtern, und er wollte dem treuen Kameraden Alles vertrauen. Wie er
+erzählte, daß er in der Grube über die Gret hinausgelaufen sei, machte
+Kaspar Bewegungen, als ob er das Gliederreißen hätte. »Nausgloffa?«
+wiederholte er mit unwilligem Staunen; und den Zorn des Gewaltigen
+riskirend, setzte er entrüstet hinzu: »O du dommer Kerl! Host denn net
+gseha', wos die gwöllt hot?« -- »No, was denn?« fragte Michel. Und
+Kaspar fuhr fort: »Fanga' hättsch (hättest du sie) solla' -- ond d's
+Maul hättst aufdoa' solla, wann's ghett hättst! Desdawega' hot's de
+rausgfoadert!« -- Michel war betroffen; die Sache leuchtete ihm ein,
+und nur kleinlaut sagte er: »Moest?« -- »Ach, i bitt' de!« rief der
+Kamerad höchst verdrießlich. -- »No, verzähl weiter!«
+
+Michel erzählte das Uebrige. Kaspar sah ihn an, wie einen, bei dem's
+nicht recht richtig ist, und brach in ein lautes Gelächter aus.
+»Lieber Michel«, sagte er endlich, »nemm mer's net übel, aber dir
+muß ma' da' Dippel boara' (der Düppel bohren)! Was! doh host no' nex
+gmerkt?« -- Unser Bursche, einmal auf dem Wege der Selbsterkenntniß,
+begriff -- und ein dumpfes Schamgefühl begann in ihm aufzuquellen.
+Allein seine Handlungsweise hatte doch auch ihre Gründe, und zu
+seiner Rechtfertigung mußte er sie geltend machen. »Aber i sag d'r«,
+entgegnete er etwas verlegen -- »ihr Halstuech ist wärle verschoba'
+gwesa'! Ond i hab gmoet« -- -- »Ietz höar auf«, rief Kaspar »ond
+ärger' me net! Die hot se ebbes om ihr Halstuech kümmert! Des ist 'r
+aufglega'! -- no' derzue bei der Nahcht, wo's koe Mensch sicht!«
+
+Bei dieser Hinweisung auf die Nacht ward es Tag in unserm Burschen.
+Er schämte sich in den Tiefen seiner Seele, und ein großer Verdruß
+über sich selbst erhob sich in ihm. Indessen wenn man angegriffen ist,
+muß man sich doch vertheidigen, und darum sagte er: »'Smag sei'! Aber
+'sist vielleicht besser, daß's so komma'n ist! Mit dem Mädle hab e
+amol nex acks (als) O'glück -- und wear woeß« -- Kasper fiel ihm in die
+Rede: »O'glück haba' nennt 'r des! Ietz wurd's mer zviel! Glück host
+tausedmol meaner (mehr) as der Brauch ist -- -- aber (auf die Stirn
+deutend) ~doh~ fehlt's!« -- Nach kurzem Schweigen setzte er hinzu:
+»Ietz bitt' e de nor om oes! Verzähl m'r koem Menscha' nex dervo'! Ih
+as dei' Kamrad mueß me schäma' für di! Du host de benomma, daß a wahra'
+Schand ist! Wie a Dommkopf, wie a Sempel, wie a -- --«
+
+Der gute Kaspar wollte die Gelegenheit der Vernichtung Michels benutzen
+und sich für die Grobheiten, die er von ihm schon anzuhören gehabt
+hatte, entschädigen. Aber nun wurde es dem Enakssohn zu bunt. Er
+richtete sich empor in seiner ganzen Macht und rief mit dunkelbraunem
+Gesicht: »Ietz sei mer still, oder i schmeiß de onter da' Dihsch
+(Tisch) nonter, doß d's Aufstanda' vergischt! Kott's Höllablitz!
+-- Willst me du oh no' verzürna'? -- I hab mei' Lebteng mit deana
+Lueders-Weibsbilder nex z'doa ghett -- wie sollt' ih ihr' Ränk ond
+Schwänk kenna'?« -- Kasper, zur Mäßigung gemahnt, versetzte mit Humor:
+»So got's eba'! Wer nex lernt, der ka' nex!« -- »Was doh«, rief Michel
+unmuthig. »Falsche Ohser sends alle mit anander! I ben froa', daß so
+ganga'n ist, ond meiner Lebteng loss' e me ietz mit koer mea' ei'! Aus
+isch!« -- Er ergriff die Bitsch, leerte sie auf einen Zug, stand auf
+und rief mit dem alten Herrscherton: »Ietz komm!« -- Er ging. Kasper
+folgte.
+
+Auf dem Heimweg schüttelte der Erfahrene noch zu wiederholtenmalen den
+Kopf. Es war freilich beinahe nicht zu glauben, wie der Kamerad sich
+benommen hatte. Aber abgesehen von den Gründen, die er selber angab,
+war er ein Deutscher und hieß Michel. Er war ein Schwabe und erst
+sechsundzwanzig Jahre alt.
+
+
+ Beim Tanze.
+
+Als die Gret am andern Morgen in ihrem Bett erwachte, überlegte sie
+bei dem heitern Schein der eben aufgegangenen Sonne die Vorfälle des
+gestrigen Abends in ihrem Zusammenhang und ihrer Steigerung -- und
+brach in ein helles Gelächter aus. Nichts in der Welt kam ihr so
+närrisch vor wie der gute Michel in seiner Einfalt. Was sie gestern
+erzürnt hatte, das erschien ihr heute unendlich lustig, und um keinen
+Preis hätte sie sich ihr zerrissenes Halstuch abkaufen lassen. »O ist
+des a gueter Kerl!« rief sie, Lachthränen in den Augen. »Ist des a
+dommer Mensch!«
+
+Mit dem Unmuth war aber auch die Geringschätzung, die sie gegen ihn
+empfunden hatte, völlig aus ihr gewichen. Die Heiterkeit stimmte sie
+zur Milde, zur Gerechtigkeit. Sie fühlte, wie gut ers eigentlich
+meinte, wie durch und durch ehrlich er war, und wie ihm nur die rechte
+Art fehlte. Ihre Seele hing an seinem Bilde, wie das Aug einer Mutter
+an ihrem Kind, mit liebend mitleidigem Antheil. »G'scheidt ist er
+freile net,« sagte sie endlich, »ond wie ma' mit da' Mädla'n omgot, des
+woeß er gar net. Aber was schadt's? 'S ist am End besser, er lernt's
+von mir, als wann ers scho' von 'r andra' glernt hätt!«
+
+Da sie die Schwäche des Burschen von der schönern Seite betrachtete,
+so leuchtet ein, zu welchem Schlusse sie kam. Sie wollte ihn durchaus
+nicht aufgeben, ihm vielmehr Alles verzeihen und bei der nächsten guten
+Gelegenheit sich alle Mühe geben mit einem neuen Versuch. »'S ist
+freile net en der Oarneng (Ordnung),« sagte sie mit etwas bedenklichem
+Gesicht, »daß d's Mädle widder a'fangt. Aber was ka'n e macha'? 'S got
+amol net anderst, ond a jeds mueß doa', was eba' ka'! -- So o'stearisch
+(unsternisch, unglücklich), wie desmol,« setzte sie erheitert hinzu,
+»wurds ja doch net allmol ganga'!«
+
+Es hatte einen ganz absonderlichen Reiz für die muntere Gret, den
+dummen prächtigen Michel zu gewinnen. Sie lächelte holdselig für sich
+bei diesem Gedanken, ihre Augen glänzten und schelmisch verlangend
+rundeten sich die schönen rothen Lippen.
+
+Vergnügt kam sie in die Stube. Als sie nach der Begrüßung des Alten
+wieder an Michel und sein Benehmen dachte, konnte sie sich nicht
+enthalten, für sich hinzulachen. Ihr Vater sah sie verwundert an und
+sagte: »Was host denn? Du bist ja gwihß net gscheidt?« -- Die Gret
+erwiederte: »'S ist m'r grad ebbes ei'gfalla'!« -- »Gang weiter,« sagte
+der Maurer, der nicht zu den scharfsichtigsten Menschen gehörte, »du
+bist a verruckts Mädle! Mach lieber, daß mer a Supp krieget ond zom
+Schneida' kommet!«
+
+Anders war die Nachwirkung des gestrigen Abends bei dem Burschen. Auch
+er sah klar an dem hellen Morgen, aber bei ihm erzeugte die Klarheit
+nicht Heiterkeit und Milde, sondern grimmigen Verdruß und Wuth über
+sich selbst. Schon ~Göthe~ hat hervorgehoben, wie der arme Mensch,
+des Morgens im Bette erwachend, in der Passivität des Daliegens den
+Pfeilen der Selbstanklage und der Reue wehrlos preisgegeben ist.
+Michel, in dem Nachtheil seiner Lage, erkannte aufs deutlichste, wie
+dumm er sich gestern benommen; Scham färbte sein Gesicht, er strampfte
+mit dem Bein, daß die Bettstatt krachte. »O du Ochs«, rief er aus und
+gab sich einen Schlag vor die Stirn, der einer minder harten gefährlich
+werden konnte. »So domm sei'! -- net seha', was d's Ohs will, ond
+globa', sie will des, was sie sakt! Als ob's net grad allmol ebbes
+andersts wölla' dätet, die -- --! -- Ietz kenn e's (ich sie) auf oemol
+-- ietz, wo's nex mea' hilft!«
+
+Michel, wie der Leser schon gesehen, war hinterdrein immer um ein
+Gutes klüger als vorher; er machte sich seine Erfahrungen in Wahrheit
+zu nutze, er ging vorwärts, und es war darum keineswegs an der
+Durchbildung seines Verstandes zu verzweifeln, wenn man ihm nur Zeit
+gab, die hiezu nöthige Zahl von Erfahrungen zu machen. Das ist aber
+eben das Schlimme bei dieser gründlichen Art der Entwicklung, daß man
+oft gewisse Einsichten erst zehn Jahre später erlangt, als wo man sie
+brauchte, und unter solchen Verhältnissen gar vieles unwiederbringlich
+verloren bleibt.
+
+»So a Glegenheit«, murmelte der Bursche für sich hin. »Moets so guet
+mit m'r, richt't mers na' -- a'n oezengs Wöartle, ond mei' wär's! --
+Ond ih ben so hihra'dippleng und verreiß 'r d's Halstuech! Noe (und er
+brach selber in ein Lachen aus) so 'n oefältenga' Menscha' gibts en
+der Welt nemmer! Des ist gar net möglich! -- Natürlich isch wüadeng
+woara', des begreift se -- über so'n Esel! Die möcht' i oh seha', die
+doh d'Geduld net verliera' dät!« --
+
+Er versank in tiefes Nachdenken. »'Sist verloara'«, begann er aufs
+neue, »ganz ond gar verloara'! So'n domma' Menscha muß ma verachta',
+'s got net anderst; ond wo amol koe Respekt mea' ist, doh hot's mit d'r
+Liab a'n End! -- O, i wott glei« -- --
+
+Er sprang auf, zog sich an, und murrte dabei fortwährend über sich
+selbst. -- Als er in die Stube trat und der Mutter guten Morgen bot,
+sah ihn diese an und sagte: »Wie sikscht denn du ha'et aus? -- Du host
+g'wiß gestert z'tief en d'Bitsch nei'guckt!« -- Michel war froh, die
+Alte auf dieser Fährte zu sehen, und dichtete sich einen Katzenjammer
+an, obwohl mindestens das doppelte Quantum des gestern Getrunkenen
+erforderlich gewesen wäre, ihm eine Andeutung davon zu geben. »Ja«,
+erwiederte er, »i ben a bisle z'weit ganga'! Aber (setzte er mit saurem
+Gesicht hinzu) i hab a Lear (Lehre) kriegt, ond wear me a'nandersmol
+hüeta'!«
+
+Als er nach dem Frühstück auf's Feld hinausging, dachte er: »Ietz nor
+Alles ha'et, als dem Mädle net begegna'!« Er empfand eine grausame
+Scheu, das Gesicht zu sehen, das er sich nicht anders als höhnisch
+denken konnte und dessen bloße Vorstellung ihm schon einen Stich
+ins Herz gab. Unbehelligt kam er an seinen Acker, und froh über
+dieses Glück schnitt er rüstig in Gesellschaft seiner Mutter und
+einer Taglöhnerin die zeitgemäße Gerste. Aber seine Furcht war doch
+eine Ahnung dessen, was kommen sollte! Da sie den Acker noch fertig
+schneiden wollten, so gingen sie erst spät zum Mittagessen heim. Michel
+blieb in Gedanken zurück, und wie er in die Gasse einlenkte, kam
+ihm die Gret entgegen. Er erschrak, und sein Gesicht zeigte eine so
+komische Mischung von Verlegenheit, Verdruß und Empfindlichkeit, daß
+das Mädchen, als er ohne zu grüßen an ihr vorüberschritt, sich nicht
+anders helfen konnte -- sie mußte grad hinaus lachen.
+
+Es that ihr unendlich leid, sobald es geschehen war. Sie fühlte, daß es
+jetzt zu Ende sei mit ihm, und daß ein Wunder geschehen müßte, wenn er
+ihr dieses Lachen verzeihen sollte! -- Sie schalt sich selbst, wurde
+sehr ernsthaft und beruhigte sich endlich nur in dem Vorsatz: für jetzt
+sich zurückzuhalten und Alles in Geduld zu erwarten.
+
+Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Michel war im Tiefsten beleidigt.
+»I habs ja gwißt«, sagte er schamerglühend zu sich selbst, --
+auslacha' wurd's me! -- No, ietz isch aber verbei, -- ietz sig e's
+nemmer a' meiner Lebtag! I ben a'n Esel gwesa', daß e denkt hab', sie
+hält doch ebbes auf mi! Wean ma' so auslacht, auf dean hält ma'n ebbes,
+ja wohl! -- Nia hot ma'n ebbes auf 'n ghalta'!«
+
+In seiner gerechten Entrüstung ging er zu dem Kameraden und erzählte
+ihm, was ihm passirt sei und was er nun denken müsse. Kasper wollte
+die Schlußfolge Michels nicht gelten lassen; aber dieser machte ein
+Gesicht, daß er seine Einwendung gern fallen ließ und meinte: es könnte
+doch so sein! -- Gewisse Leute finden immer Beistimmung.
+
+Michel faßte den Entschluß, die Gret nicht nur ihres Weges gehen zu
+lassen, sondern gar nicht mehr an sie zu denken. Zunächst wurde er aber
+doch noch an sie erinnert. Seine Mutter erfuhr nämlich im Lauf der
+Woche von einem Nachbar, Michel sei am Sonntag beim Maurer und seiner
+Tochter gesessen, er sei recht »lebendeng« gewesen, und es habe just so
+ausgesehen, als ob ihm die Gret gefiele. -- »Des gäb' a rechts Baar«,
+hatte der Wohlwollende hinzugesetzt, -- »doh müsset 'r a Bisle helfa'!«
+-- Die Alte war sehr erfreut über diese Nachricht und nahm sich gleich
+vor, bei guter Gelegenheit auf den Busch zu klopfen und zum Zwecke zu
+reden.
+
+Als sie einen Tag darauf nach dem Essen allein in der Stube waren,
+begann sie mit jenem Lächeln, das nur Müttern eigen ist, wenn sie auf
+eine ihnen genehme Liebschaft des Sohnes anspielen: »Des mueß ma' doch
+saga', d's Maurers Margret ist doch ietz d's erst' Mädle em ganza'
+Doraf! Wie die so gschickt ist ond wie der Alles aus der Ha'd got!
+'Sist wärle zum Verwondra'!« -- Michel blieb stumm. -- »No, isch net
+wohr?« fuhr die Alte fort und sah ihn an. -- »'S ka' sei'«, entgegnete
+Michel. -- »Die Gschwendne (Geschwindigkeit)«, begann die Mutter
+wieder, »hab' e no' net leicht gseha' bei 'm Mädle! Sie schafft für
+zwua (zwo, zwei).« -- »Mei'daweg für drei!« versetzte der Bursche.
+Die Alte wollte aus dieser Antwort entnehmen, Michel schäme sich zu
+bekennen, und fuhr fort: »Wer die zom Weib kriegt, deam isch net gfehlt
+-- der hots troffa' -- noch mei'r Moeneng!« -- »I wensch 'm Glück
+derzue«, bemerkte der Sohn ohne aufzusehen und mit einem Ton, der der
+Alten doch befremdlich klang. »No, was host denn ietz?« rief sie; und
+lächelnd setzte sie hinzu: »bist net amol aufrichteng mit dei'r Mueter?
+I will der's nor saga': die Great wär a Mädle für dih, ond wann de a
+Bisle om se rommacha' dätst« -- --
+
+Michel sah auf mit unmuthigem Gesicht. »Die Great«, erwiederte er kurz,
+»wär die Letscht (Letzte), die i näam (nähme)!« -- »Aber worom denn?«
+rief die erstaunte Alte. -- »Weil's a'n Ohs ist«, war die Antwort, »ond
+weil e's net leida' ka'!«
+
+Die Mutter wollte ihren Ohren nicht trauen. »Aber du sollst de ja
+beim brauna' Bier recht guet mit 'r onderhalta' haba'!« -- »Descht
+(das ist) a domma' Schwätzerei -- weiter nex!« entgegnete Michel. Und
+indem alle Schmach, die er erfahren, in seiner Seele brannte, rief er
+mit Nachdruck: »Von deam Mädle red m'r nex mea' -- i will nex von 'r
+höara'!« -- Die Alte war bestürzt und schwieg einen Moment still. Dann
+sagte sie mit einem Klageton, der aus der Seele kam: »Aber sag m'r nor,
+willst denn ietz barduh (partout) net heiricha'? Magst denn gar koena'?
+Soll e meiner Lebteng koe Söhnere mea' ens Haus kriega'?« -- Dieser
+Ton traf den Burschen; -- und da es die Mutter doch so gut meinte und
+vielleicht die einzige Person in der Welt war, die es gut meinte mit
+ihm, so ging er auf sie zu, nahm sie bei der Hand und sagte von Herzen:
+»Mueß denn aber grad gheiricht sei'? I hab ja a brava' Mueter, die m'r
+nex ahganga' (abgehen) loßt and bei ders m'r wöller ist, als bei so 'r
+jonga Butzdock (Putzdocke)!« -- »Ach«, erwiederte die Alte, die sich
+doch etwas geschmeichelt fühlte, »wann e aber stirb, was nocht?« -- »Du
+lebst länger als ih«, rief Michel, nickte versichernd -- und suchte das
+Weite.
+
+Wie vorsichtig die gute Frau war, und wie sehr sie eine Scheu empfand,
+über ihren Michel ein Gerede zu veranlassen, das ihn erzürnen würde --
+den Widerspruch zwischen der Erzählung des Nachbars und dem Benehmen
+des Burschen konnte sie doch nicht verwinden. Sie erkundigte sich
+gelegentlich bei dem Kameraden. Dieser spürte kein Verlangen, die
+Wahrheit zu sagen und unter Umständen die Kraft der Michelschen Fäuste
+zu empfinden; er erwiederte, sie hätten allerdings eine Ansprache mit
+dem Maurer und seiner Tochter gehabt, aber diese hätte dem Michel ein
+paar spöttische Reden hinausgegeben, das habe ihn geärgert und nun sei
+sie ihm zuwider. -- Die Mutter seufzte und resignirte noch einmal. Zum
+Nachbar sagte sie: »Desmol hont 'r falsch gseha'!« Der Alte meinte:
+»Nocht wurd's halt d's brau' Bier gwesst sei', was 'n so monter gmacht
+hot!« -- »Des glob' e ehr«, entgegnete die Mutter -- und die Frage war
+abgemacht für sie.
+
+Die Erndte ging ihren Gang. Das letzte Fuder Hafer war ins Dorf
+gefahren, und das Verhältniß zwischen Michel und der Gret noch
+das alte. Mit dem Maurer wechselte der Bursche die gewöhnlichen
+Grußformeln. Begegnete er dem Mädchen, so spielte er mit Erfolg einen
+Menschen, der ganz in seine Gedanken verloren hinwandelt, und sie ging
+mit dem Ernst der Ergebung an ihm vorüber, mit wiederholtem innigem
+Bedauern über ihr unglückseliges Lachen und mit erneuertem Vorsatz,
+bei der nächsten Gelegenheit, wenn ihr ja das Glück noch einmal wollen
+sollte, sich so gut, so klug und so lieb als möglich gegen ihn zu
+benehmen.
+
+Der Schneider hatte unterdessen seine Besuche und Huldigungen
+nicht ausgesetzt, obwohl die Erntezeit, die ihn in einen Schnitter
+verwandelte, sie nicht in solcher Häufigkeit zuließ wie früher. Er sah
+zu seiner Verwunderung, daß sein Bäschen mehr und mehr ihre Munterkeit
+verlor, sich hie und da in einem sonderbaren traurigen Nachdenken,
+zuweilen auch in einer sehr ärgerlichen Stimmung betreffen ließ. Dieß
+erschien ihm nicht wohl begreiflich, da sie doch nach seiner Ansicht
+Alles hatte, was sie wünschen konnte, namentlich einen Liebhaber, der
+deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er sich, wenn es sein mußte,
+in einen Ehemann verwandeln könnte. Er setzte ihr Betragen indeß auf
+Rechnung der bekannten weiblichen Launen und tröstete sich, daß sie
+gehen würden, wie sie gekommen.
+
+Auf den ersten Dienstag nach der Ernte fiel eine Hochzeit, die, zum
+Vergnügen der jungen Leute des Dorfes, im Wirthshaus gefeiert wurde.
+Unsre Leser haben schon aus den frühern Erzählungen gesehen, welche
+Rolle in der Sphäre ländlicher Ergötzungen die Hochzeiten spielen.
+Die Dorfjugend mitten im Ries hat im ganzen Jahre nur zwei regelmäßig
+wiederkehrende Tanzgelegenheiten: die Ortskirchweih und die Nördlinger
+Messe. Zur Ergänzung der eignen Kirchweih machten ehedem Solche, die
+Belieben darnach trugen oder von Verwandten eingeladen waren, die
+eines und des anderen Nachbardorfes mit, was vorläufig durch die
+büreaukratisch angeordnete Verlegung sämmtlicher Kirchweihtänze auf
+Einen Tag, ins Reich der Unmöglichkeit verwiesen ist. Da ein paar
+Tanztage im ganzen Jahr einer lebenslustigen Jugend nicht genügen
+können, so werden natürlich die wirthshäuslichen Hochzeitsfeste mit
+Freuden begrüßt und als ein Gnadengeschenk der Verhältnisse um so
+dankbarer hingenommen, als auch sie schon seltener zu werden anfangen.
+
+Bei dieser Gelegenheit müssen wir bemerken, daß eben diese
+Festlichkeiten für das gesellige Leben des Rieser Landvolks eine
+Bedeutung haben, die wir gehörigen Ortes anerkannt zu sehen wünschten.
+Es sind Mittelpunkte, wo sich Gäste aus den verschiedenen Dörfern
+treffen, in fröhlichem Verkehr einander ihr Herz aufschließen und
+neue Verhältnisse sich entspinnen, die auseinander wohnende Familien
+wieder mit einem Bande der Verwandtschaft umschlingen können. Die
+Thatsache, daß das Rieser Landvolk derselben Confession gewissermaßen
+eine große Familie bildet, wird hier anschaulich gemacht und zu ihrer
+Erhaltung immer wieder beigetragen. Wer dieß zu schätzen und die guten
+Folgen solcher Mischung sich vorzustellen weiß, der wird um einiger
+Rohheiten willen, die dabei vorfallen können, die aber meist nur dem
+verzärtelten Geschmack als solche erscheinen, nicht die Axt an eine
+Sitte gelegt zu sehen wünschen, die so viel Gutes mit sich bringt --
+von der Rekreation, welche der Bauer in Folge seiner ununterbrochenen
+Thätigkeit doch ebensosehr bedarf als verdient, ganz abgesehen.
+Es ist immer nur Schwäche, die, um den Mißbrauch zu verhüten, den
+Gebrauch aufheben will; Schwäche und Unfähigkeit, die sich bewußt
+ist, auf positive Weise nicht helfen zu können, wo zu helfen wäre.
+Durch die Vernichtung der überlieferten Sitte würde das Landvolk zur
+Charakterlosigkeit, zur socialen Nullität gebracht werden -- und
+mehr werth als diese, sollte man glauben, wäre ein selbstständig
+ausgeprägtes Leben doch bei weitem, auch mit etwelcher Rohheit, die
+ohnehin der fortschreitenden Cultur schon vielfach gewichen ist und
+immer mehr wird weichen müssen. Wolle man doch ja sociale Zahmheit und
+Dürre nicht gewaltsam herbeiführen! Es ist möglich, daß sie von selber
+kommt, früher und vollständiger kommt, als es sogar ihren jetzigen
+Liebhabern lieb sein wird! --
+
+Die Hochzeit war die eines wohlhabenden jungen Söldners mit der Tochter
+eines kleinen Bauern. Die Familie Schwab gehörte zur »Freundschaft« des
+letztern -- es war daher unumgänglich nöthig, daß ein Glied derselben
+als Gast an der Feier theilnahm, um so mehr, als der Bauer vor Zeiten
+auch den Ehrentag der Wittib mitgefeiert hatte und die Schicklichkeit
+eines Ersatzes in die Wagschale fiel. Wenn der Brauch will, daß ein
+Geladener dem Freund oder guten Bekannten »auf die Hochzeit gehe« und
+»auf die Hochzeit schenke«, d. h. einen verhältnißmäßigen Geldbeitrag
+zum Beginn der Wirthschaft liefere, so will er nicht minder, daß
+dem Gaste bei Gelegenheit seiner eigenen Verbindung oder der eines
+Blutsverwandten die Ehre und das Geschenk wieder zurückgegeben werden.
+Der Brauch übt einen sanften Zwang zur Wiedervergeltung und fördert
+so den Austausch reeller Höflichkeiten, indem er jedem abwechselnd
+das Wohlgefühl des Empfangens und Gebens verschafft. Denn es bleibt
+natürlich dem Rieser unbenommen, das, was die Sitte gebietet, aus
+freien Stücken zu thun und in der Wiedervergeltung nicht eine bloße
+Pflichterfüllung, sondern einen natürlichen Erweis der Großmuth zu
+sehen, deren Freude es ist zu schenken und glücklich zu machen! --
+
+Schon acht Tage vor diesem Fest hatte zwischen Michel und seiner Mutter
+ein kleiner Kampf über die Frage begonnen, wer es mitmachen solle.
+Michel wollte die Last der Mutter aufbürden, die Mutter wollte die Lust
+dem Sohne gönnen. Die gute Frau kam eben, wenn auch nur im Stillen,
+immer wieder auf den Wunsch und die Hoffnung zurück: es möchte ihm
+Eine gefallen! Da nun im Dorfe selbst offenbar Keine so glücklich war,
+so wünschte sie um so lebhafter, der Sohn möchte auf dieser Hochzeit
+Jungfrauen aus andern Orten sehen, die nicht fehlen konnten. -- Das
+Bewußtsein, als Mutter für sein Bestes sorgen zu müssen, gab ihr
+diesmal in der That die Kraft zu widerstehen und seine Einwendungen
+zu entkräften. Wie oft er auch wiederholen mochte: es mache ihm keine
+Freude, er habe gar »keinen Luhst« dazu, es sei ihm grausam zuwider!
+-- am Ende mußte er sich den Ermahnungen, womit die Alte ihm zuzusetzen
+nicht müde wurde, dennoch fügen und in den sauern Apfel beißen. Zur
+Verzweiflung gebracht rief er endlich: »No mei'daweg, i will ganga'!
+Aber du wurscht seha', 's gibt widder ebbes. Denn der Deufel ist loas
+ond loßt m'r koe Rua'!« -- Die Mutter war zu vergnügt über seinen
+Entschluß, als daß sie dieser Rede weiter nachgedacht hätte.
+
+Ob Michel sich deswegen so lange sträubte, weil er erfahren hatte, daß
+auch die Gret auf die Hochzeit kommen würde -- oder ob er deswegen
+endlich nachgab -- wer konnte es wissen? -- Der Kamerad, den er von
+dem Streit mit der Mutter in Kenntniß gesetzt, machte ihm gelegentlich
+und vorsichtig jene Mittheilung, indem er hinzufügte, nun würde er
+gerade auch darauf gehen und dem Mädchen zum »Tort« sich um eine andere
+herummachen, was sie gewiß recht ärgern würde. Michel hatte indessen
+geantwortet, er kümmere sich um das Mädchen überhaupt gar nichts mehr,
+und später diesen Gegenstand nicht wieder berührt. -- Sei dem, wie ihm
+wolle -- er folgte der Alten, und mußte sich am Hochzeitsmorgen mit dem
+Gedanken der Nöthigung doch schon einigermaßen versöhnt haben, denn
+er wusch und putzte sich nach Kräften und zog sich so stattlich an,
+als es der Kleiderkasten zuließ. Wie er endlich vor seine Mutter trat
+in schwarzen Hosen von Hirschleder, die kein Fältchen warfen und fast
+bis eine Spanne über das Knie von den Stiefeln bedeckt waren, -- in
+manschesternem Leibchen mit versilberten Knöpfen, im neuen, schwarzen,
+baumwollbehaarten Barchentkittel mit flachen, thalergroßen Knöpfen
+-- über das wohlgebundene dunkle Halstuch den feinsten Hemdkragen
+gezogen und den Kopf mit dem landesüblichen Schaufelhut bedeckt --
+da ging der guten Frau das Herz auf und undenkbar schien es ihr, daß
+so ein Mannsbild sollte durchs Leben gehen können, ohne ein braves
+Weib glücklich zu machen und ohne eine würdige Nachkommenschaft
+zu hinterlassen. -- Sie hatte eben in das Papierkäpselchen des
+Gesangbuchs, das ihm auf dem Weg zur Kirche übergeben werden mußte,
+einen großen Kupferzweier gesteckt, den er als »Opfer« in den
+Klingelbeutel werfen sollte; nun wünschte sie ihm von Herzen gute
+Unterhaltung und gab ihm geschwind noch ein paar Schicklichkeitsregeln
+mit, ihn besonders ermahnend, daß er zu den Brautleuten sagen sollte:
+»Ich gratuliere«, nicht: »Ich condoliere,« wie es einmal einem zu
+seiner großen Schande passirt sei. Michel zuckte die Achseln und ging,
+da es eben zehn Uhr schlug, in langsamen Schritten dem Wirthshaus zu.
+
+Eine Rieser Hochzeitsfeier hatte in jenen Tagen einen andern Verlauf
+als jetzt, wo dem Geiste der Zeit verschiedene Glieder der alten
+Ordnung zum Opfer gefallen sind. Wir müssen unsre Leser schon ersuchen,
+zunächst eine Schilderung und Charakteristik derselben freundlich
+aufzunehmen, da wir ohne eine solche in der Erzählung nicht so
+verständlich sein könnten, als wir gerne wären. Abgesehen davon möchte
+es den künftigen Riesern von Interesse sein, das, was die Alten fromm
+und fröhlich getrieben, wenigstens aus einem Buch kennen zu lernen.
+-- --
+
+Wenn das »Ander gelitten«, d. h. wenn mit Einer Glocke das zweite
+Mal vor dem Beginn der kirchlichen Handlung geläutet wurde, begaben
+sich Bräutigam und Braut, Hochzeitknecht und Hochzeitmagd und die
+nächsten Verwandten ins Wirthshaus. Der Hochzeitknecht trug einen
+Säbel mit breitem farbigem Seidenband; er ist der Beschützer der Braut
+-- eine Sitte, die aus Zeiten datirt, wo thatsächlicher Schutz noch
+erfordert werden konnte. In der obern Stube angekommen nahmen sie
+Platz am Bräuteltisch zunächst der Thüre und erwarteten die nach und
+nach anlangenden Gäste, deren jeder zum Brautpaar trat und in würdigem
+Ernste »zum Ehrentag und zum fröhlichen Kirchgang« gratulirte. Hatten
+sich die Gäste eingefunden, so beschenkte die Hochzeitmagd sie mit
+Rosmarin, und das Frühmahl wurde aufgetragen: Suppe, Rindfleisch und
+ein Viertellaib des schmackhaften »Hochzeitbrodes.« Weißbier und
+Branntwein (und zwar jenes den ganzen Tag durch) gehörten zum »Mohl«
+(Mahl); Wein und braunes Bier wurden gegen Bezahlung gereicht. Den
+behaglichen Genuß des Frühstücks erhöhten die Musikanten -- deren
+es bei kleinen Hochzeiten viere, bei größeren sechse gab -- durch
+Aufspielen ihrer schönsten Arien. Endlich wurde »zusammengeschlagen,«
+d. h. mit zwei Glocken zum Kirchgang geläutet, Pfarrer und Schullehrer
+kamen im Ornat zum Wirthshause und empfingen je eine Citrone und einen
+Rosmarinstrauch, die männlichen und weiblichen Gäste, mit Rosmarin
+schon geputzt, sonderten sich, und unter dem Vortritt der Musikanten,
+die einen Marsch bliesen, begann der Zug vom Hofe des Wirthshauses in
+die Kirche; die Männer mit Pfarrer und Schullehrer voran, die Braut an
+der Spitze der Weiber vom Hochzeitknecht mit blankem Säbel geleitet. Am
+Thore des Kirchhofs machten die Musikanten Halt, die weltliche Musik
+verstummte, und der Zug ging über den breiten Weg des Kirchhofs, wo die
+Gäste durch die Ihrigen mit Gesangbüchern versehen und von Verwandten
+und Bekannten mit leckereigefüllten »Guckern« beschenkt wurden, in das
+Gotteshaus. Bei der Trauung hatte der Hochzeitknecht seinen Stand zur
+Seite des Paares, um die Braut nach Beendigung der kirchlichen Feier
+sogleich wieder in Empfang zu nehmen. In derselben Ordnung, wie er
+angekommen, ging der Zug zurück und vor dem Kirchthor stellten sich
+die Musikanten, stattlich blasend, wieder an die Spitze. Im Hofe des
+Wirthshauses bildete man einen Kreis, der Pfarrer nahm Glück wünschend
+Abschied, und nun trat der Schullehrer in die Mitte, um seinerseits
+in feierlichem Ton eine gereimte Anrede zu halten, worin er nach der
+kirchlichen Ermahnung als Repräsentant des praktisch-moralischen Sinnes
+die Bedeutung des Tages beleuchtete und mäßigen Genuß und ehrbare
+Fröhlichkeit empfahl.
+
+In jeder Beziehung geistig versehen, begaben sich die Gäste in's
+Haus, der Hochzeiter nahm die Hochzeiterin bei der Hand, führte sie
+auf den Tanzboden und tanzte mit ihr drei Reihen allein, worauf
+der Hochzeitknecht mit der Hochzeitmagd, und die übrigen schon
+bereitstehenden Paare sich anschlossen. Wenn der Aufwärter zum
+Mittagessen rief, setzte man sich in bunter Reihe an die Tafeln.
+Jeder Gast fand bei seinem Gedeck einen »Hochzeitlaib« vor, und
+nach einander wurde aufgetragen: Suppe mit weißen Semmel- und
+braunen schmalzgebackenen »Knöpfen«, Rindfleisch mit Reis, Blut- und
+Leberwurst, Leberkuchen und Bratwurst, endlich Braten. Nach dem Mahl
+begann der Tanz wieder und dauerte bis zum Abendessen. Die ältern Leute
+unterhielten sich trinkend und diskurirend oder zuschauend; die Braut
+-- oder wenn sie tanzte, eines der ihrigen -- nahm Hochzeitsgeschenke
+in Empfang, die ihr von Dorfbewohnern gebracht wurden, und wartete
+ihnen mit Schnaps oder Wein auf. Die Dorfbewohner nämlich -- so
+verlangte es die schöne Sitte -- waren ~alle~ geladen, auch den
+ärmsten nicht ausgenommen, und wenn so einer nicht als Gast erscheinen
+konnte, so schenkte er wenigstens nach Verhältniß seines Vermögens.
+
+Das Abendessen vereinigte Alle wieder in der Stube. Es gab zum
+drittenmal Suppe -- Rindfleisch mit süßer Rosinenbrühe, Braten und
+für jede Person ein Viertel Torte. Das »Mohl« war damit vollendet;
+und jetzt nahm der Schullehrer die Aufmerksamkeit der Versammlung
+noch einmal in Anspruch. Er hielt eine Rede, worin er (der gleich
+dem Geistlichen seinen Antheil vom Bräutigam in's Haus gesendet
+erhalten hatte) Gott pries, der sie so reichlich gespeist habe, die
+Summe namhaft machte, die je ein Gast zu entrichten hatte, und den
+Brautleuten mit einer feinen Anspielung auf das Läuten der Taufglocke
+alles Glück und allen Segen wünschte. Während dieser Rede hatten sich
+die ältern Schulbuben um ihren Meister gesammelt, die Musikanten
+in der Nähe sich aufgestellt, und es ertönte zum Beschluß mit
+Instrumentalbegleitung der Choral: »Nun danket Alle Gott!«
+
+In der feierlichen Stimmung, welche dieses Lied erweckte, sammelte
+der Schullehrer mit einem Blutsverwandten des Brautpaars die
+»Hochzeitschenk« ein, die von jedem erhaltene Summe genau notirend; und
+der einmal geöffnete Geldbeutel durfte sobald nicht wieder geschlossen
+werden. Zunächst folgte der Wirth, um die Bezahlung für das Mahl
+(damals anderthalb Gulden und etwas darüber, jetzt über zwei!) in
+Empfang zu nehmen. Dann erschienen nach einander der Aufwärter, die
+Köchin, die Magd und das Mädchen, um die Gäste zu brandschatzen, die
+aber ihrerseits auch zu immer kleinerer Münze griffen, bis zuletzt
+in das Pfännchen des Mädchens Kreuzer und nur ausnahmsweise Groschen
+geworfen wurden. Während diese Schaar sich entfernte, um schnell die
+Beute zu überzählen und sich nach Verhältniß entweder zu freuen oder zu
+ärgern, hielten die Musikanten ihren Umgang bei den Tischen, spielten,
+was ihnen vorgesungen wurde, und zogen das Honorar ein, das in jener
+Zeit um ein Ziemliches bedeutender ausfiel, als heutzutage. Die
+Hochzeitgäste, vor allen die aus andern Dörfern, nahmen Abschied. Die
+Brautleute begaben sich mit befreundeten Paaren in den Haustennen, wo
+unter Absingung bezüglicher Liedchen nochmal getanzt und Wein gezecht
+wurde. Der Bauer liebt die Gründlichkeit auch in der Ergötzung -- wenn
+er sich einmal darauf einläßt -- und das Austrinken des Vergnügens
+bis zum letzten Tropfen. Darum ließ sich nun der Bräutigam von den
+Musikanten auch noch »heimmachen«, und in seiner Stube erst wurde
+der Kehraus getanzt. Dehnte sich dieser zu lang, dann konnte Murren
+unter den jungen Leuten des Dorfes entstehen, die sich zum »Ansing«
+versammelt hatten. In der Regel aber hatte man diesen schon früher
+ein paar Musici überlassen, und während in der Wohnung des Bräutigams
+die Hochzeit endigte, war auf dem Tanzboden die freie Lustbarkeit der
+Ledigen schon in vollem Gange, die früher erlaubtermaßen bis zum Morgen
+dauerte.
+
+In der Ordnung des eigentlichen Festes, wie man sieht, waren
+Geistliches und Weltliches verbunden wie zwei Elemente, die sich zur
+Bildung eines Ehren- und Freudentages wechselseitig ergänzen sollen.
+Jeder Moment war ausgefüllt mit dem, was den Bauer ergreift und über
+die Prosa des Daseins erhebt. Nach der Weihe der kirchlichen Handlung
+leitete ihn Musik zu dem Orte, wo er fröhlich den Tag verbrachte, der
+Schullehrer, als Mittelsmann zwischen Geistlichem und Weltlichem,
+sorgte für den Uebergang und lenkte nach der letzten Mahlzeit die
+Herzen noch einmal zu einer ernsten Betrachtung des Tages zurück.
+Die Naivität und, um es nur zu sagen, die geistige und gemüthliche
+Gesundheit früherer Zeiten nahm an dieser Verflechtung der beiden
+Elemente kein Aergerniß, und Schreiber dieses erinnert sich noch wohl
+der ernsten, ja feierlichen Gesichter der Hochzeitgäste beim Absingen
+des Kirchenliedes. Man muß die Natur des Bauers, die Derbheit seiner
+Empfindungsorgane, die Hingebung an die Gegenwart -- und auf der andern
+Seite die Einfachheit seines geistigen Lebens im Auge behalten, wenn
+man über eine solche Ordnung gerecht urtheilen will. Der Bauer quält
+sich nicht mit dem Gedanken, ob er nicht vielleicht Gott beleidige,
+wenn er sich nach der kirchlichen Handlung dem Vergnügen überläßt;
+er tanzt ohne Arg, dem Gebrauch und seinem Drange folgend. Und wenn
+er nach der Lustbarkeit den Choral singen hört, so stört ihn nicht
+die Frage, ob dies wohl auch in's Wirthshaus gehöre; er läßt, die
+Lustbarkeit vergessend, den Gesang auf sich wirken, nimmt sich's dann
+aber auch in keiner Weise übel, wenn die ernste Stimmung, in die er
+versetzt war, nach dem Schlusse des Liedes selbst wieder ein Ende nimmt
+und erneuter Fröhlichkeit Platz macht. Für ihn ist die sittegeregelte
+Fröhlichkeit eben selbst eine Erhebung! Was ihm ein solcher Tag bietet,
+ist ihm Kunst und Poesie; und so wenig man diese der gebildeten
+Menschheit rauben darf, so wenig darf man dem Bauer nehmen, was sie ihm
+ersetzt.
+
+In den letzten Jahrzehnten hat das Ganze dieser ländlichen
+Hochzeitsfeier die Begleitung des Zuges durch die Musikanten -- die
+förmlichen Reden des Schullehrers und das Absingen des Chorals nach
+der Abendmahlzeit -- endlich das Tanzen im Haustennen und den Heimgang
+der Brautleute mit Musik -- verloren. Das erste hat die Geistlichkeit
+anstößig gefunden, das zweite scheint den jungen Lehrern, die das
+Seminar gebildet hatte, nicht mehr gepaßt zu haben, das letzte
+untersagte die Polizei. Das besondere Tanzen nach dem Abendessen hat
+sich der Bauer indeß nicht nehmen lassen. Die Brautleute tanzen jetzt
+in der untern Wirthsstube und lassen sich beim Abschied wenigstens zum
+Hause hinaus blasen!
+
+Die Sitte des Volks ist ein natürliches Gewächs; wenn ihre Zeit
+vorüber ist, läßt sie sich durch Befehle nicht mehr erhalten, und kein
+Vernünftiger wird darüber klagen, daß das, was kein inneres Leben mehr
+hat, dem Untergang verfällt. Was aber an überlieferten Gebräuchen vom
+Volke selbst erhalten, mit Lust und Liebe erhalten wird, das sollte
+weder von der geistlichen noch von der weltlichen Macht angetastet
+werden, sofern es nicht einer männlichen, über Nervenschwachheit und
+Pedanterei erhabenen Sittlichkeit widerspricht. Wollte man dem Bauer
+die öffentliche Hochzeitsfeier mit Musik und Tanz verbieten, in der
+Meinung etwa, daß ein solcher Tag in ernster Stille begangen werden
+müsse, so würde das, außer dem schon erwähnten Uebelstand, für das
+Rieser Landvolk insbesondere noch die Folge haben, daß die bäurische
+Natur an Essen und Trinken Ersatz nähme und sich den Magen überladend
+in dumpfer Gedankenlosigkeit hinbrütete, was nach der Angabe eines
+glaubenswerthen Mannes in Tyrol geschehen soll, wo die geistlichen
+Väter das Landvolk auch dem höhern Leben zu gewinnen glauben, wenn
+sie ihm das Tanzen ausreden. -- Man veredle und bereichere den Geist
+der Landleute, man befähige sie durch Bildung zu höheren und feineren
+Genüssen, namentlich zu jenen würdigen und tiefsinnigen Gesprächen, wie
+sie die Gebildeten bei ihren Diners zu führen pflegen -- dann werden
+sie auf ihre Gebräuche und ihre noch immer beliebten Vergnügungen von
+selber verzichten. Bis dahin aber lasse man ihnen ihre Sitten, ihre
+Freuden und, was auch eine gar schöne Sache ist -- ihren Humor!
+
+Als Michel in die obere Wirthsstube kam, waren außer dem Brautpaar und
+seinen Angehörigen nur erst wenige Gäste dort. Er trat stattlich zu den
+beiden Glücklichen und sagte die Gratulation ohne Anstoß, worauf der
+Dank mit einem gewissen ernsten Lächeln ausgesprochen wurde, welches
+namentlich auf dem Gesicht der Braut zu bedeuten schien: Nimm dir
+ein Exempel dran! An einem benachbarten Tisch hatten schon ein paar
+ältere Männer aus dem Dorfe und eine Matrone von auswärts Posto gefaßt;
+er setzte sich zu ihnen, um, da er nicht tanzte, wenigstens eine
+vernünftige Ansprache zu haben.
+
+Die Gäste mehrten sich. Auf einmal trat auch die Gret ein, die in
+der schwarzen Spitzenhaube und in dem dunkeln Anzug, wie ihn das
+protestantische Landvolk bei ernsten Gelegenheiten zu tragen pflegt,
+ein eignes feierliches Aussehen hatte. Allein nachdem das Auge rasch
+die Tische überflogen, stimmte das helle Antlitz nicht mehr zu dem
+ernsten Gewand; es glänzte froh dem Brautpaar entgegen und wünschte
+schon Glück, ehe die Lippen sich öffneten.
+
+Michel hatte bei ihrem Eintritt in seinem Herzen einen kleinen Ruck
+empfunden und konnte sich nicht enthalten, sie in der Stellung des
+Gratulirens anzusehen -- und sie wieder schöner zu finden als alle
+andern Mädchen und Weiber! -- Plötzlich verdunkelten sich seine Züge;
+der Schneider war angekommen in funkelnagelneuem Tuchrock und sehr
+vergnügten Gesichts. Er sprach einen Glückwunsch, der nur den Sinn der
+alten Bauernformel enthielt, und setzte sich an die Tafel, an welcher
+die Gret Platz genommen hatte, um sofort mit ihr einen Diskurs zu
+beginnen.
+
+Das Fest begann und verlief nach der Regel, und die Gäste fühlten sich
+bald wohl und wohler -- mit Ausnahme eines Einzigen.
+
+Michel hatte den Entschluß, die Gret nicht mehr anzusehen, während
+ihrer vergnügten Unterhaltung mit dem Schneider erneuert. Beim
+Aufstellen des Zugs ging er an ihr vorbei, ohne irgend von ihr Notiz zu
+nehmen. In der Kirche sah er sich aber unwillkürlich zur Uebertretung
+des von ihm aufgestellten Gesetzes verlockt. Der Pfarrer hob in seiner
+Predigt die Bedeutung des Ehestandes so schön hervor; er sprach über
+den Segen, der an diesen Bund geknüpft sei, mit solcher Weihe, daß
+Michel instinktmäßig den Kopf nach der Gegend hinkehrte, wo die Gret
+saß. Diese hatte den ihrigen just in entgegengesetzter Art gewendet --
+die Blicke trafen aufeinander. Obwohl er nun sein Haupt rasch wieder
+in die alte Stellung zurückdrehte und eine Miene annahm, als ob nichts
+geschehen wäre, so fühlte er sich doch ertappt, die Gret konnte von ihm
+denken, Gott weiß was, ihn auslachen und ihn verspotten. -- Er war sehr
+ärgerlich.
+
+Von da an war unser Bursche kein aufmerksamer Hörer der Predigt mehr,
+und auch die Rede des Schullehrers ging ungewürdigt an ihm vorüber. Es
+begann ihn zu reuen, daß er der Mutter nachgegeben; und nur mechanisch
+ging er mit andern Zuschauern auf den Tanzboden. Was er da sah, war
+gleichfalls nicht geeignet, ihn aufzuheitern.
+
+Als das Brautpaar die drei Reihen getanzt hatte, wirbelten bald zwölf
+Paare herum -- und unter diesen der Schneider mit der Gret. -- --
+Alles was recht ist: der Schneider tanzte vortrefflich. Er kam dabei
+sogar ein bischen größer heraus, sintemal er städtisch hüpfte; er
+hatte die Gret fest am Kittel gefaßt und drehte sie kräftiger herum,
+als man's ihm zugetraut hätte. Dabei schimmerte sein glattes Gesicht
+in dem Vergnügen seines Herzens und in anmuthiger Selbstgefälligkeit,
+so daß er allgemein gefiel. Nur unserm Burschen mißfiel er. Namentlich
+war diesem das selbstgefällige Lächeln des kleinen Kerls in einer Art
+zuwider, daß er's ihm gerne durch eine Ohrfeige vertrieben hätte, wobei
+ihm Hören und Sehen vergangen wäre. Allein das ging nicht an, er mußte
+seinen Verdruß hinunterschlucken. Er wäre in die Stube zurückgegangen,
+wenn er nicht der Gret hätte zeigen wollen, daß ihn diese Tanzerei
+durchaus nicht schenire! Das schien ihm aber seiner Würde gemäß.
+Indem er ein gleichgültiges Gesicht zu machen suchte, gelang es ihm
+wenigstens ein freudloses hervorzubringen, das an ihm Niemand auffiel.
+
+Eine Tänzerin wie die Gret ließ man dem Schneider nicht allein. Ein
+andrer Lediger nahm sie ihm ab und drehte sich, wenn auch mehr auf dem
+Boden, ebenso lustig mit ihr im Reihen. Michel hatte wenigstens die
+Genugthuung zu sehen, daß das Mädchen mit diesem just so vergnügt,
+ja fast noch vergnügter aussah, wie mit dem Nebenbuhler. Es kam ihm
+der Gedanke, sie könnte den Schneider auch nur für'n Narren halten;
+und das war ihm ergötzlich und erheiterte seine Züge. Ein Schmunzeln
+der Schadenfreude umspielte seine Lippen, als er das Bürschchen aus
+einer Ecke, und zwar mit einem gewissen Ernst im Gesicht, auf das
+Paar schauen sah. Er verzieh ihm und konnte nicht umhin, die Tänzerin
+wohlwollender und unbefangener zu betrachten.
+
+Die Gret, obwohl sie ihm nicht ins Gesicht sah, mußte doch etwas
+gemerkt haben. Als sie wieder im Reihen an ihm vorüberging, glänzte
+ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das ihm galt -- ein Lächeln, wie es
+gefallen muß, kein falsches, sondern ein gutes Lächeln. Das Herz unsers
+Burschen begann aufzuthauen. Aber es sollte noch besser kommen. Das
+Wirthsmädchen hatte wiederholt zum Essen gerufen, die Musik verstummte,
+mit einer Art von Gedränge gings der Thüre zu. Die Gret kam in die Nähe
+des Burschen, sie schaute ihm ins Gesicht und sagte mit einem Tone, aus
+welchem die Seele klang, zugleich heiter, weich und süß: »Godden Dag,
+Michel! Bist oh auf d'r Hoaxet?« Michel konnte in der Ueberraschung
+allerdings kein ebenso freundliches Gesicht machen -- gewissermaßen
+brummte er nur sein Ja. Allein die Gret schien das nicht schlimm zu
+deuten; vielmehr sagte sie: »No, mach de nor recht lusteng«, nickte ihm
+aufmunternd zu und setzte sich an ihren Tisch.
+
+Das war denn doch freundlich! Da gebe sich einer nicht erneuerter
+Hoffnung und glücklichen Empfindungen hin! -- Michel setzte sich an
+seinen Tisch, und da er dem Frühmahl wenig Theilnahme geschenkt hatte,
+so aß er jetzt im Verhältniß zu seiner Statur -- so ziemlich mit dem
+Appetit eines Herkules. Ländlich, sittlich. Ein romantisch Gebildeter
+hätte vielleicht nach einem so holdseligen Gruße der Geliebten lange
+nichts gegessen und nur von dem geistigen Leben seines Herzens gezehrt;
+-- unsern Burschen trieb eben die Seelenfreude auch zur Erfreuung des
+Leibes. Das Mahl war vortrefflich -- die Schöpfung einer Wirthin,
+die mehr nach Lob als nach Gewinn trachtete -- und er ließ es sich
+schmecken, so lange der Appetit seine Kraft behauptete. Dies war lange,
+da das braune Bier, das er sich geben ließ, sie wiederholt erneuerte.
+Er fügte auch noch dem Braten eine ziemlich bedeutende Wunde zu und
+konnte nur wenig »einwickeln« lassen, um es der Mutter heimzubringen.
+
+Die Genüsse des Mahles und das Glück der Liebe und der Hoffnung
+harmonirten in ihm durchaus. Die Blicke, die er zu dem Tisch hinüber
+warf, an dem die Gret saß, wurden immer herzhafter, und er fühlte sich
+so wohl wie seit langer Zeit nicht. In seinem Behagen erfüllte er sogar
+die Unterhaltungspflicht an seinem Tisch und sprach über die Preise,
+die das Korn, der Roggen und die Gerste im Herbst haben und im Winter
+behaupten würden, Gedanken aus, die, wenn sie nicht unfehlbar waren,
+doch mit einer Miene gegeben wurden, als ob sie es wären, und bei den
+ältern Männern lächelnde Zustimmung fanden.
+
+Der Tanz begann wieder. Michel hatte sich erhoben, und als die Gret von
+einem dritten Burschen an ihm vorbeigeführt wurde, hatte er schon den
+Muth, ihr mit einem gewissen väterlichen Wohlwollen zuzurufen: »Scho'
+widder auf da' Da'zboda'! O uir (ihr) Weibsbilder!« -- »Was will e
+doa'?« erwiederte die Gret. »Wer a'fangt, mueß furtmacha'!« Und nach
+einem freundlichen Blick auf ihn ließ sie sich hinausführen.
+
+Michel ging nach Hause. Die Mutter sah ihn an und sagte: »No, es
+schei't doch, 'sgfällt d'r!« -- »No ja,« erwiederte der Sohn, »'s ist
+am End doch a Vergnüaga! -- Aber,« setzte er, das Eingewickelte auf
+den Tisch legend, hinzu, »i hab' en Gedanka' verfluecht zuag'langt
+ond breng d'r weng mit!« -- »Wann's d'r nor gschmeckt hot!« rief die
+gute Alte; und heiter sagte sie: »Du host de am End gar oh scho' recht
+lusteng gmacht (d. h. getanzt)?« Michel erwiederte: »Bis ietz no'
+net. Aber wer woeß? Der Letscht hot no' net gschossa'!« -- Die Mutter
+bemerkte: »Wie d'r (ihr) en d'Kirch ganga' send, hab e a baar Mädala'
+gseha', die wära' wohl wearth, daß ma's romdreha' dät!« -- »I wills net
+verreda',« erwiederte Michel. »Aber z'erst muß e no' a weng zecha'.«
+
+Als er wieder dem Wirthshause zuging, begegnete ihm Kasper vor einem
+ochsenbespannten Pflug, durch dessen Lenkung er sich heute das
+Vergnügen des Ansings verdienen wollte. Die Ochsen wurden zum Stehen
+gebracht, der Kamerad fragte, wie sich die Hochzeit anlasse. Michel, in
+der frohen Aufregung seines Herzens, erzählte, wie die Gret sich gegen
+ihn benommen. Kaspers Gesicht erhellte sich. »Willst ietz no' allweil
+zweifla',« rief er aus, »daß des Mädle a'n Og (Aug) auf di hot? O wann
+e an dei'r Stell wär!« -- »Was soll e doa'?« fragte Michel. -- »Danza'
+muest mit'r, wanns oh nor a baar Roea' wära't! Schwätza' muest -- en
+d'Stub muasch (mußt du sie) füara', a Bodell (Bouteille) Wei' muest
+komma' lossa -- Kott's Heidablitz! Wann's doh net got, nocht got's sei'
+Lebtag nemmer!«
+
+Unser Bursche war bedenklich geworden. »I ka' d's Danza' net rehcht«,
+entgegnete er, »ond du woescht, i hab' O'glück!« -- »O'glück!«
+versetzte der Kamerad etwas ärgerlich. »Ietz kommt 'r widder mit dear
+Ei'bildeng!« -- »Ja, ja,« sagte der gute Bursche, »'s ist doch so.
+Mir got nex naus!« -- »Gang weiter! A Kerl, dem d'Mädla' nochloffet!«
+-- Michel, obwohl von dieser Vorstellung erheitert, erwiederte: »Du
+wurscht seha', 's wurd nex!« -- »Ja freile«, rief Kasper, »wann's
+widder so machst, wie d's Wallerstoe!« -- »Ietz doh hab koe Sorg«,
+versetzte der Bursche mit einem gewissen Selbstgefühl. »Des passiert
+m'r nemmer!« -- Kasper knallte den Ochsen und rief im Abgehen: »Ha'et
+Ohbed, hoff' e, ka'st m'r ebbes Nuis verzähla'!« -- »'S ka' sei'«,
+erwiederte Michel und folgte den Tönen der Clarinette, die vom
+Tanzboden herunter in die Gasse drangen.
+
+Michel fühlte, daß er nach dem offenbaren Entgegenkommen der Gret
+einen Versuch machen und als tüchtiger Bursch handeln müsse. Bei
+der Vorstellung indeß, wie er nun zu ihr gehen und sie zum Tanz
+auffordern sollte, spürte er doch wieder eine eigenthümliche Bewegung
+in seinem Herzen. Es fiel ihm ein, daß er beschlossen hatte, fürs
+erste zu trinken und zu rauchen; er trat in die Stube, setzte sich,
+zündete seine Pfeife an, und führte seinen Vorsatz männlich aus.
+Nachdem er schweigend und diskurirend zwei fernere Maaß Braunes in sich
+aufgenommen hatte, fühlte er sich gekräftigt -- muthig, lustig und in
+einer Stimmung, wo er glaubte, daß ihm nichts fehlen könne. -- Der
+Wirth und Bräuer war ein solider Mann und die Gerste seit einem Jahr
+billig.
+
+Er ging auf den Tanzboden. Da er die Gret, die sich nicht in der Stube
+befand, auch hier nicht erblickte, so war sie offenbar nach Hause
+gegangen. Die Vertagung seines Unternehmens, welche dieser Umstand
+nothwendig machte, war ihm nicht unlieb. Er sah den Paaren zu, die es
+am besten konnten, und überzeugte sich, daß dieses Tanzen am Ende auch
+kein Hexenwerk sei. Nachdem er genug gesehen, wollte er in die Stube
+zurück; im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die Stiege -- und siehe,
+an der Seite einer auswärtigen Freundin stieg die Gret herauf.
+
+Bei diesem Anblick fühlte er sich etwas überrascht. Auch sie erröthete
+lieblich; aber in ihrem Herzen regierte der Muth der Liebe und der
+Wille, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Sie ging auf ihn
+zu und sagte gutmüthig fröhlich: »No, Michel, host no' net danzt?« Der
+Bursche, der zu seiner Verwunderung fühlte, daß ihm wieder etwas von
+seinem Unternehmungsgeist abhanden gekommen war, versetzte: »Allweil
+no' net!« -- Er spürte einen gewissen Trieb, wieder in die Stube zu
+kommen, und hatte schon seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt; aber das
+Schicksal hatte es anders beschlossen. Die Gret fuhr fort: »Willst denn
+aber gar net a'fanga'? Willst da' ganza' Dag dohsitza', ond romstanda'
+auf 'r Hoaxet?« -- »Wie soll i danza'«, entgegnete Michel; »d's ganz
+Doraf woeß ond du wursch (wirst es) oh wissa, daß e's net ka'!« -- »I
+hab de aber doch früher scho' amol danza' seha'!« bemerkte die Gret.
+-- »Ja wohl,« versetzte der Bursche mit einer gewissen Laune, -- »aber
+wia?« -- »Auf oemol got nex en der Welt«, erwiederte das Mädchen
+tröstend und ermuthigend. »Wamma'n ebbes lerna' will, mueß ma's öfter
+probiera'!« -- Michel, dem in Abwehrungsfällen die Gründe nicht so
+leicht ausgingen, versetzte: »Manch Sacha' ka' ma'n oh ganz bleiba
+lossa, wamma' z'alt derzue ist!« -- »Kott's Blitz«, rief die Gret,
+»wann e nor so ebbes höar! Z'alt zom Danza! A jonger Burscht wie du!
+Schäm de doch!« -- Und indem sie ein wenig näher trat, sagte sie mit
+aller Güte und Liebe -- mit einer Stimme, welcher der Durchbruch ihrer
+Empfindung eine honigsüße Weichheit verlieh: »Komm Michel! -- probiers
+mit mir!« Dem Burschen war es seltsam durch's Herz gegangen, er wußte
+nichts zu entgegnen. »Komm!« rief das Mädchen heiter und zärtlich,
+indem sie ihn bei der Hand faßte. Michel begriff, daß es im höchsten
+Grade feig und in jeder Beziehung unschicklich gewesen wäre, jetzt
+nicht zu folgen. Er wollte handeln wie ein Mann, er wollte sein Bestes
+leisten -- und entschlossen führte er sie in den Reihen.
+
+Unser Bursche gehörte vermöge seiner Größe, seiner Stärke und seines
+besonderen Wesens noch immer zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten
+des Dorfs. Dergleichen in eigenthümlichen Situationen zu sehen, ist
+interessant, besonders wenn man hoffen kann, daß die Schadenfreude ihre
+Rechnung dabei findet. Wie nun einer in die Stube kam und sagte, der
+»Schwoba-Michel« tanze mit des Maurers Gret, da verfügten sich schnell
+noch etliche zu den auf dem Tanzboden schon befindlichen Zuschauern --
+begierig der Dinge, die da kommen sollten.
+
+Der Gang im Reihen war vollendet, das Tanzen begann. Die Gret wußte
+sehr gut, welcher Aufgabe sie sich unterzogen hatte, und war nun darauf
+bedacht, alle Kraft und Geschicklichkeit anzuwenden, um das Wagniß gut
+hinauszuführen. Den Tänzer festhaltend leitete und drehte sie ihn, so
+viel sie konnte. Daß ihre Arbeit nicht gering war, merkte sie freilich
+bald. Micheln wohnte nur eine sehr schwache Ahnung vom Takte bei und
+zu gleicher Zeit wirkte in ihm eine gewisse Centrifugalkraft, die ihn
+immer der Wand zutrieb, so daß ihn die Gute nur mit Mühe im Reihen
+halten konnte. Trotz alledem -- es ging. Die Kunst und die Liebe des
+Mädchens triumphirten, und sie war sich dessen nach Beendigung des
+Reihens mit Freude bewußt.
+
+Michel war sehr vergnügt. Jeder Spur von Furcht entledigt blickte er
+frisch umher -- er begriff gar nicht, wie er diese Lumperei für so
+schwer hatte halten können! »Siksch, es got!« rief die Gret, indem sie
+ihn freundlich ansah; und er erwiederte allerdings: »Ja freile, wamma'
+so a Dänzere hot!« -- aber er war doch überzeugt, daß er's konnte, und
+sein Gesicht schrieb einen guten Theil des Erfolgs auf seine Rechnung.
+
+In dieser Stimmung wollte er's das zweite Mal noch besser machen. Er
+wollte sich Mühe geben und alle die Kraft und Stärke anwenden, die
+er in seinen Gliedern fühlte; denn das erstemal hatte er eigentlich
+nur gespielt! -- Er arbeitete nun wie an einer Schanze und machte
+Bewegungen, als ob er Centnersteine vom Boden lupfen wollte. -- Der
+Gret wurde es saurer als das erstemal, ihn im Geleise zu erhalten,
+und die Schadenfreude, die aus den Ecken lugte, fand eine reichere
+Ausbeute. Man lächelte sich an und zuckte die Achseln. »Descht a
+Mannsbild!« rief eine Bäuerin mit gedämpfter Stimme einem Nachbar zu,
+-- »der macht widder a'n Arbet (Arbeit)!« Und der Andere versetzte:
+»Er schafft, als ob er mit 'm Danza' sei' Brod verdiena' müßt! Gommer
+(gehen wir) a bisle z'ruck, daß 'r es (uns) net doat (todt) tritt!« --
+
+Der Bursche merkte davon nichts. In dem Bewußtsein der Mühe, die er
+sich gegeben, meinte er seine Sache vorzüglich gemacht zu haben. Er
+lächelte mit Stolz und erkannte in dem satyrischen Zuschmunzeln einiger
+Kameraden nichts als den verdienten Beifall. Da die Gret diesmal
+schwieg, um auszuschnaufen, so sagte er selbst zu ihr: »'S got doch
+besser, als e gmoet hab!« -- Die Gret dachte in ihrem Herzen: »daß
+Gott erbarm'!« -- behielt aber diese Meinung wohlweislich für sich und
+erwiederte: »W'rom sott's net ganga'? Was ander' Leut könnet, wäara'
+mer doch oh könna?«
+
+Gern hätte sie ihn gebeten, sich dessen ungeachtet etwas weniger
+anzustrengen, die Sache sich leichter zu machen; aber sie wußte, daß
+er nicht in der Stimmung war, diesen Rath gut aufzunehmen -- und für
+den Moment wär's ohnehin zu spät gewesen. In dem Vergnügen, das ihn
+belebte, in der Kühnheit, die sein Herz rasch emporwachsend erfüllte,
+hatte er ein Lied begonnen. Ein Andrer war ihm zuvorgekommen; aber
+dieser, ein kleiner Kerl, schwieg auf der Stelle, als er die Stimme
+des Gewaltigen vernahm, und Michel sang das seine zu Ende, mehr kräftig
+als schön, aber für seinen Zweck immer passirbar. Dann nahm er die Gret
+bei der Hand, strampfte, daß der Tanzboden zitterte, »juxte«, daß seine
+Nachbarn an die Ohren langten, faßte die Tänzerin und drehte sich mit
+ihr »was host, was geift« (was hast du, was gibst du, so schnell etc.
+als möglich). -- Und besser gings als das letzte Mal -- nach seiner
+Meinung. Die Bethätigung des Kraftüberschusses, der in ihm wogte -- die
+Freude, die Herzallerliebste herumzudrehen und es zu ~können~ --
+durchgoß ihn mit einem Wohlgefühl, wie er es nie empfunden. Herrlich
+wars und prächtig gings -- bei weitem besser, als er sich's zugetraut
+hätte! -- Jedenfalls hatte die Gret dafür gesorgt, daß er einmal die
+Wand, an die er streifte, nicht einstieß und dann ein Paar, das vor ihm
+den gewöhnlichen Bauernschritt einhielt, nicht über den Haufen tanzte.
+
+Die Heiterkeit der Zuschauer war bei dieser neuen Leistung nicht
+geringer geworden. Ein sonnverbrannter Alter nickte ihm seine
+Anerkennung mit gemüthlichem Faungesicht zu und rief: »Kreuzschwernoth,
+Michel! du bist ja der erst' Dänzer em ganza' Land!« -- Michel, in
+der Freude seines Herzens, entgegnete: »Net wohr, des hättet 'r m'r
+doch net zuatraut!« -- »Wärle net«, versetzte der Alte. »So ebbes mueß
+ma' seha, wamma's globa' soll!« -- Die gute Gret begann es zu reuen,
+daß sie den Geliebten auf eine Bahn gelenkt hatte, wo er so schlechte
+Ehre gewann. Aber vielleicht schlug er nun selber eine andere ein,
+wo er Aussicht hatte, besser zu bestehen. Schon hatte die ungewohnte
+Anstrengung seine Lungenflügel in Bewegung gesetzt und der Schweiß
+rann von seiner Stirn. Vielleicht hörte er auf, nahm sie in die Stube
+-- setzte sich zu ihr -- und es ereignete sich, was ihr alle Mühen und
+Leiden tausendfach vergütete.
+
+Fürs erste ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Michel tanzte aufs
+neue; und der Umstand, daß es wieder ohne Unglück ablief, steigerte
+seine Lust und Sicherheit. Sein Hintermann, ein begüterter junger
+Bauer, klopfte ihn auf die Schulter und rief: »Aber Michel, sag m'r
+doch, wo host denn d's Danza' so glearnt?« -- »Was woeß ih«, erwiederte
+der Bursche mit stolzem Behagen -- »auf oemal got's halt! -- Aber
+Sapperment«, setzte er, die Augen sich wischend, hinzu, »doh stobbt's
+(staubt's) ja, daß ma' kamm (kaum) sei' Dänzere sicht! -- ond des ist
+doppelt schad', wamma' so a schöana' hot, wie'nih! -- He, Mädle!« --
+Er schaute sich nach dem Wirthsmädchen um, die den Staub mit Wasser
+zu löschen pflegt; und da er sie nicht gleich erblickte, schrie er
+aus Leibeskräften und jede Silbe breit ausdehnend: »Mädleh! Auf da'
+Da'zbodah'! Spretzah'!« -- Unter allgemeiner Heiterkeit erschien die
+Herbeigerufene, ein schnippisches Ding von sechzehn Jahren, mit einem
+Kübel Wasser, und die Tanzenden traten auf die Seite. »So«, rief
+Michel ihr zu, »spretz (spritz, sprenge) nor rehcht! D'r Deufel mag
+doh danza'!« -- Das Mädchen sah ihn von der Seite an, murmelte was von
+einem »Drieschlag«, langte mit der Rechten in den Kübel und schleuderte
+herumgehend das Wasser auf den Boden. »Meaner, meaner (mehr)«, schrie
+unser Bursche, der als ächter Bauer alles gründlich haben wollte. Das
+Mädchen, durch den herrischen Ton gereizt, spritzte wahre Lachen.
+»So, ietz isch gmua!« rief Michel, stellte sich fest hin, sang ein
+Lied und tanzte auf dem erfrischten Boden mit erhöhter Lust, in einer
+wahren Trunkenheit des Eifers und der Liebe zur Sache. Es ging besser
+und immer besser. In dem Jubel seines Herzens, unwillkürlich sich
+selber bewundernd, rief er mit strahlendem Gesicht: »Hopp hopp! hopp
+hopp! Juhu!« -- -- Plautsch lag er da. Auf der nassesten Stelle war
+er ausgeglitscht, in dem Schwunge des Tanzens war es auch der Gret
+unmöglich gewesen, ihn zu halten; sie mußte ihn fahren lassen, um nicht
+mitzufallen -- und der riesige Bursche »schlug hin« (wie der Rieser in
+solchem Falle treffend sagt), daß der Boden krachte und ein Zuschauer
+nur durch einen raschen Seitensprung sich vor Zerquetschung rettete.
+Nach dem triumphirenden Hopphopp dieser Sturz, der Länge nach, auf die
+Hinterseite des Leibes -- es war unmöglich, das Lachen zurückzuhalten.
+Von allen Seiten des Tanzbodens, aus allen Winkeln, sogar von der
+Treppe herauf (wo sich ebenfalls Zuschauer befanden) erschallte es laut
+und selig; und nicht wurde es beschwichtigt, als Michel nach einem
+grimmigen Fluch mit der Physiognomie der Wuth und der Scham aufstand,
+wozu die Gret ihm behülflich war. Diese hatte mit etwas erschreckter
+Miene einen Augenblick auf den Liegenden geschaut; jetzt, als sie ihn
+wieder strack dastehen sah, wandelte sie das Lachen hinterdrein an, und
+nur den eigentlichen Ausbruch zurückhaltend rief sie: »Komm, des macht
+nex«, und wollte zum Weitertanzen seine Hand fassen. Aber Michel zog
+sie heftig zurück.
+
+Der Bursche hatte die Empfindlichkeit des Sonderlings und Anfängers.
+Ein flotter Tänzer wäre aufgesprungen, hätte mitgelacht und weiter
+getanzt. Aber den Schüler dünkte der Sturz unauslöschliche Schande
+-- das Selbstbewußtsein des Gewaltigen hatte einen Schlag erlitten,
+der ihm schrecklich vorkam. Hinzufallen -- ausgelacht zu werden von
+»einfältigen Weibsbildern, alten Eseln und elenden Buben«, und nicht
+dreinschlagen zu dürfen -- das nehme ein Michel von der lustigen Seite!
+-- Er trat in eine Ecke, seiner Ansicht nach für sein ganzes Leben
+beschimpft. Und als die Gret ihm nachging und ihn aufs neue ermahnte,
+doch fortzutanzen, entgegnete er hochverdrießlich: »Gang weiter! I
+hab' d'r ja gsakt, daß e net danza' ka'! Du hätt'st me en Rua' (Ruhe)
+lossa solla'!« -- Die Gret erwiederte begütigend: »'S ist ja ganz
+guet ganga'! Für d's Falla' ka' ma' nex, des ka' n'm G'schicktsta'
+passiera'! Komm! Wer net omwirft, der lernt net fahra'!«
+
+Bei ihrem heitern Wesen hatte das Mädchen nicht umhin gekonnt, ihm
+diese Ermahnung mit einem Lächeln zu ertheilen, in welchem die
+Schelmerei über die Gutherzigkeit den Sieg davon trug. Michel, dies
+gewahrend, fühlte den schlimmsten Argwohn, den er haben konnte; und im
+Unmuth desselben rief er: »Höar amol? -- suach d'r 'n andera' Narra'
+-- ih mach d'r 'n net zom zwoetamol! -- Moest, i ben doh, daß e me
+auslacha' ond da' Spoht auf m'r haba' loß?« -- Das Mädchen, durch diese
+unerwartete Sprache betroffen und ihrerseits verletzt, erwiederte mit
+vorwurfsvollem Ausdruck: »Wer hot denn da' Spoht auf d'r?« -- »Du!«
+rief Michel, für den sein Argwohn schon eine bewiesene Sache war, mit
+erzürntem Ton. »Falsch send 'r all mita'nander -- ond du bist die
+fälscht (falscheste)!« -- Das war zuviel! Das Mädchen trat zurück und
+sagte mit Verdruß: »Du bist halt a grober Kerl! Gang he' wo d' willst
+-- ih mueß de wärle net haba' -- ih krieg scho' n andera' Dänzer!«
+-- »Mei'thalb danz mit 'm Deufel«, rief Michel und ging mit starken
+Schritte in die Stube.
+
+Die Gret war ernstlich böse. »So a'n o'gschickter Mensch -- ond
+so grob ond so hochmütheng! Noe mit deam ist nex a'zfanga' -- i
+mueß 'n aufgeba'!« -- Während sie diese Gedanken hatte, machte sie
+mit weiblicher Geistesgegenwart gleich wieder gute Miene. In die
+Heiterkeit, welche die letzten Worte Michels und sein wüthender Abgang
+erregten, hatte sie halb mit eingestimmt. Nun zeigte sie ein Gesicht,
+daß es schien, als ob sie ihn mit ihrem Tanzen wirklich nur zum Besten
+gehabt hätte; und als eben der Schneider von Hause zurückkam, reichte
+sie ihm, der sie schnell aufzog, ihre Hand und tanzte so gut und so
+schön, als ob sie heute noch an nichts Anderes gedacht hätte. Als
+der Zierliche von der Affaire des Michel hörte, rief er in seinem
+Mischmasch von Dialekt und Hochdeutsch: »'S ist nicht z'globa', daß es
+so ongschickt Menschen geba' ka'« -- lächelte selbstzufriedener als je,
+begann noch flotter den neuen Reihen, rief ebenfalls Hopphopp und Juhu,
+fiel aber nicht, sondern machte es so gut, daß ihm alle mit Vergnügen
+zusahen.
+
+Das Gelächter, das unserm Burschen vom Tanzboden nachgeschickt worden
+war, hatte nicht besänftigend auf ihn gewirkt. Tief ergrimmt setzte er
+sich an seinen Tisch und patschte gewaltig mit seinem Bierkrug wegen
+erneuter Füllung. Der Aufwärter eilte, ihn zu befriedigen. Einer der
+beiden Alten, die in gemüthlichem Diskurs dagesessen hatten, schaute
+zu ihm auf und rief: »No, Michel, w'rom machst denn du so a Gsicht auf
+oemol?« -- Der Bursche, statt aller Antwort, that einen tiefen Zug aus
+dem Maaßkrug. Ein dritter Alter, der mit dem Faungesicht, war von dem
+Tanzboden hereingekommen und begann lächelnd: »Du host a kloes O'glück
+ghett, Michel? -- No, no, desdawega' brauchst de net z'kränka'! 'S ist
+scho' oft oer g'falla' beim Danza'!« -- »So so?« versetzte der erste
+mit schlauem Gesicht, »des ist 'm passiert?« Und mit der Bosheit, die
+sich ein alter Bursch gegen einen jungen wohl erlauben kann, setzte
+er hinzu: »W'rom host denn aber dei' Dänzere net mit rei'brocht? Die
+hot gwihß 'n rechta' Schrecka' ghett und hätt oh 'n Tro'k (Trunk)
+zor Stärkeng braucha' könna', so guet wie Du!« -- »Oh«, antwortete
+der dritte für Michel, der in stiller Wuth vor sich hinsah, -- »die
+g'fohrts net (achtets nicht)! Sie danzt scho' widder!« -- »Welle isch
+denn?« -- »Welle wurds sei'!«, erwiederte der dritte, »d's Maurers
+Great!« -- »So!« bemerkte der erste mit einer Miene, als ob ihm ein
+Licht aufgegangen wäre. Und kopfschüttelnd setzte er hinzu: »Ietz
+gfällt m'r die Gschicht nor halb! -- Die hätt' de zor Noath halta'
+könna', Michel, -- wann's gwöllt hätt'!«
+
+Durch diese Bemerkung sah der Bursche seinen Argwohn bestätigt,
+er fühlte sich verkauft und verrathen und ließ eine »Schluap«
+herunterhängen, daß es die Alten Mühe kostete, ihm nicht geradezu ins
+Gesicht zu lachen. Nach einem Moment sagte der dritte mit ironischer
+Tröstung: »Was doh! Gspäß müssa' trieba' sei'! Sott jong Mädla' sticht
+manchmol der Uebermuth ond doh macha's eba' Norrheita'! A rechts
+Mannsbild verzürnt se desdawega net -- er kriegt's oh widder amol
+derfür!« -- »Ih« rief Michel in stolzem Unwillen, »ben d's erstmol ond
+d's letztmol von 'r a'gführt -- dohfür stand e guet!« -- Der erste
+bemerkte: »Ma' mueß nex verreda'!« Und vergnügt setzte er hinzu: »Wann
+ih no' mein Zwanzger hätt' (noch in den Zwanzigen wäre), nocht wißt' e,
+was e dät!« -- Michel versetzte: »I woeß oh, was e dua'!« -- Und mit
+einem scharfen Blick und entsprechender Kopfbewegung setzte er hinzu:
+»Globet 'r mers?« -- Der Alte lachte und sagte zu seinem Kameraden:
+»Was send des für jong Leut ietz! Glei da Kohpf verliera'! Doh hont se
+o's (haben wir uns) anderst gholfa' zu o'srer Zeit -- net wohr?« --
+Er stieß mit ihm an; der Andre brachte eine Geschichte in Erinnerung,
+die dies bestätigen sollte -- Michel, dem das Vergnügen der »alten
+Narren« höchlich zuwider war, trat zu einem jungen Burschen, der ihn
+respektirte, und fühlte sich nach einem Gespräch mit ihm wieder etwas
+beruhigt.
+
+Der Abend kam heran -- man setzte sich an die Tafeln, um das letzte
+Mahl einzunehmen, das Interesse der Gäste wurde auf andre, wichtigere
+Dinge gelenkt, und nach dem feierlichen Schluß des eigentlichen
+Festes dachte mit Ausnahme der Nächstbetheiligten Niemand mehr an das
+Zwischenspiel auf dem Tanzboden.
+
+Michel hatte wenig gegessen und demgemäß viel eingewickelt. Er blieb
+in dumpfer Stimmung sitzen und handhabte nur von Zeit zu Zeit den
+Bierkrug. Auf einmal erblickte er den Kasper an der Thür; er erhob
+sich, nahm sein Eingewickeltes und ging auf ihn zu. »No?« fragte
+Kasper, den die Neugier so früh zum Ansing geführt hatte, »wie stot's?«
+-- »Nor still!« versetzte Michel, »i will d'rs glei verzähla'!« --
+Er führte ihn in ein gästeleeres Seitenstübchen, theilte ihm seine
+Erlebnisse mit und fragte mit der Miene der Unfehlbarkeit: »No, was
+sakst ietz? Hab' e Rehcht ghett -- hab' e O'glück mit deam Mädle?« --
+Kasper hatte große Mühe gehabt, bei der Erzählung ruhig zu bleiben;
+aber auf diese Frage konnte er seine Meinung nicht zurück halten.
+»Brueder«, rief er, »bedenk doch --« -- »Still!« fiel Michel, der
+seine Absicht errieth, erzürnt ein, -- »red m'r nex zom Guata', oder
+du machst me böas! -- Mei' Lebteng sig' es nemmer a' -- ond mei'
+Lebteng gang e auf koe Hoaxet mea'!« -- »No, no«, erwiederte Kasper,
+der wohl sah, daß ihm heute mit Ernst und Vernunft nicht beizukommen
+war, lächelnd, »du wurscht doch auf dei' oegana' (eigene) ganga'?« --
+»Halt's Maul« rief Michel in Verachtung solcher Späße und stand auf, um
+heimzugehen. Kasper fühlte die Pflicht, ihn zu begleiten.
+
+Unterdessen hatte das Tanzen wieder begonnen. Der Schneider ging im
+Reihen, die Gret an der Hand, und sang ein lustiges Stückchen. Wie er
+den Michel mit seinem Päckchen an der Stiege sah, war er nicht sowohl
+schadenfroh als schadenselig, -- vom Siegesjubel hingerissen juxte er
+und tanzte er fortjuxend, bis ihm der Athem ausging. »Doh siksch!«
+bemerkte unser Bursche zu Kasper, während sie die Stiege hinuntergingen
+-- »so a miserabler Schneider, dear gar net he'falla' ka', weil 'r
+fliegt wie a Bettfeder -- des ist der recht Ma' für dia! -- No so
+mei'tweg -- dean soll's oh haba'.«
+
+
+ Ende gut, Alles gut.
+
+Es ist eine eigenthümliche Sache um das Schicksal! -- -- Der Mensch
+will an einem schönen, glückverheißenden Ziel anlangen, aber der Weg,
+den er einschlägt, führt ihn nur weiter ab davon. Er nimmt die Lehre
+der Erfahrung an, er geht, die täuschende Bahn vorsichtig meidend,
+eine andere. Da gewahrt er, daß man durch Schaden immer nur sehr
+verhältnißmäßig klug wird: der erprobten Falle entgehend, stürzt er
+in eine andere. Er sieht den Zweck verloren. Wie sollte er ihn noch
+erreichen? So und so hat er ihn verfehlt. -- Auf einmal bringt ihn
+sein guter Genius in eine Situation, wo die Anwendung der ~ihm~
+vorzugsweise verliehenen Gaben zum Siege führt! Und nun kann er
+sein Schicksal schmieden -- wenn er entschlossen ist, den Hammer zu
+schwingen und die von ihm geforderten Schläge zu führen.
+
+Unser Bursche hatte ein Mädchen, die er liebte, foppen wollen -- und
+war von ihr gefoppt worden. Er hatte sie durch Ausführung ihrer Befehle
+erfreuen wollen -- und hatte sie durch Nichterfüllung ihrer Wünsche
+böse gemacht. Er hatte sich vor ihr und mit ihr auszeichnen wollen und
+hatte sich vor ihr und vor dem ganzen Dorfe mit Schande bedeckt. -- Was
+konnte für ihn das Schicksal noch bereit haben?
+
+Zunächst stand seine Sache bei dem Mädchen so schlecht als möglich.
+Die Gret hatte in der That beschlossen, ihn aufzugeben, und der
+Unwille, der diesen Entschluß geboren, hatte ihn auch den Rest des
+Hochzeitabends aufrecht erhalten. Als sie am andern Morgen früh
+erwachte, war es ihr Erstes, das Geschehene zu überdenken. Und diesmal
+kam sie kein Lachen an -- ein tiefer Ernst nahm ihr Herz ein und blieb
+darin. »Es soll net sei'« -- das war das Ergebniß ihres Nachdenkens.
+»Er hot ebbes auf me ghalta', des will e net läugna'; aber er ist
+stolz wie a Reichsgrof, empfindlich wie a kloes Ke'd (Kind), grob wie
+Säuboanastroa' -- ond a Narr, wo ma'n a'sicht! -- Noe, noe!« rief sie.
+»Wann e sei' Weib wearat, hätt e me nex as z'schäma', ond wann e'm
+d'Worat saga' dät, wuhr'r (würde er) wüadeng ond --« -- Die Gret sah
+unwillkürlich die Arme Michels in einer gewissen Bewegung -- sie zuckte
+in ihrem Bette und sah mit weiblichem Stolz vor sich hin. »Des wurd m'r
+net passiera'«, rief sie zuletzt, -- »doh ben i guet derfür!«
+
+Sie faßte mit Ernst und Ruhe den Entschluß, zu thun, als ob Michel
+nicht mehr auf der Welt wäre -- ihn nicht mehr anzusehen -- -- und zu
+überlegen, was sich für sie Anderes und Besseres schicken möchte.
+
+Der Vorfall zwischen ihr und dem Burschen war gestern Abend noch in der
+untern Wirthsstube erzählt worden, und Niemand zweifelte daran, daß die
+Gret sich mit dem Ungeschickten einen Spaß gemacht habe. Als sie nun zu
+ihrem Vater hinunterging, stellte sie der Wackre ernstlich zur Rede und
+sagte zum Schluß: »Des loß nor onterwegs kenfteng, so'st dischgerier
+ih a Wöartle mit d'r! Der Michel ist a braver ond a fleißenger Mensch;
+ond wann 'r net danza' ka', so braucht m'n desdawega' net für da'
+Narra' zhalta'! -- I hoff«, setzte er mit aller Strenge hinzu, deren er
+fähig war, -- »i hoff, daß so ebbes nemmer fürkommt!« -- Das Mädchen,
+die ihrem Vater kein Bekenntniß ablegen wollte, begnügte sich zu
+erwiedern: »Doh hab koe Sorg! D' Schand ist für mi so groaß gwesa' wie
+für ihn -- i hab bodagmuag (bodengenug, genug bis auf den Boden) an dem
+oezengamol!«
+
+Bald darauf kam der Schneider -- »em Vorbeiganga'«, wie er sagte. Er
+war vergnügt und sprach gemüthlich, indem er gewandt einige seiner
+städtischen Redensarten anbrachte. Das Mädchen sah ihn freundlich an
+und der Ernst wich im Geplauder mit ihm wenigstens aus ihrem Gesicht.
+-- Der Maurer schaute mit zufriedenen Blicken auf das Paar. Vetter
+Jakob hatte eine bessere Sölde als er, und mit der Nadel war's eine
+gute Mannsnahrung. Die jungen Leute gefielen sich und hatten ihre
+Freude an einander -- die Sache machte sich von selber. -- Als der
+Schneider wieder fort war, zeigte der Alte das Gesicht eines Vaters,
+der Aussicht hat, seine letzte Tochter nach Wunsch zu versorgen, und
+sagte: »Der Vetter ist a gueter ond a'n aufklärter Mensch! 'S hot doch
+ebbes Guet's, wamma'n a bisle en der Fremd gwesa'n ist! Dean hält gwihß
+koe Mädle für da' Narra'!« -- Die Gret sah für sich hin und ein leises
+Lächeln ging über ihr Gesicht. -- --
+
+Wie das Mädchen, so war auch ihr bisheriger Liebhaber weiter als jemals
+von dem Punkte entfernt, den er so lang erstrebt hatte.
+
+Michel war nach kurzem Abschied von Kaspar, der zum Ansing
+zurückverlangte, geräuschlos in sein Haus getreten und hatte der
+Mutter das Eingewickelte mit dem Bemerken übergeben: er sei müde
+und wolle gleich ins Bett gehen. Die Mutter wußte nicht, was sie aus
+dem ruhigen, aber durchaus unvergnügten Gesicht machen sollte, und
+fragte: ob er nicht getanzt habe! »Ond wia!« versetzte der Bursche mit
+einer Art von Humor, »daß se alle Leut' drüber gwondert hont! -- Aber
+ha'et ka'n e nemmer viel verzehla' -- morga' früa' ist oh no' Zeit!
+Guetnahcht!« -- Er ging in seine Kammer.
+
+Vor Tagesanbruch erwachend hatte er das dumpfe Gefühl einer höchst
+widerwärtigen Geschichte. Als er sich das Vorgefallene deutlicher
+machte, verlor sich seine fatale Eigenschaft nicht -- es grinste ihn
+widerlich und peinlich und immer peinlicher an. Er seufzte tief auf --
+und wollte davon wegsehen; aber das ging nicht. Seine Seele kam immer
+wieder darauf zurück, seine Gedanken liefen sonderbar hin und her.
+Einmal klagte er sich selbst an und wollte die Hauptschuld haben. Dann
+erinnerte er sich ihres »boshaften Lachens« und ihres Tanzens mit dem
+Schneider, und es schien ihm unzweifelhaft, daß die Gret falsch und er
+der Angeführte, der mit Fleiß Verhöhnte sei. Zuletzt rief er: »Was plog
+e me viel! -- 'S ist aus -- hab' Schuld dra' wer will!« --
+
+Er stand auf und zog sich an. Der Mutter sein Versprechen wegen der
+Erzählung zu halten, fühlte er sich durchaus nicht in der Stimmung;
+deßwegen ging er sachte in die Stube, schnitt von dem Brotlaib in
+der Schublade des Tisches ein tüchtiges Stück ab, nahm eine Schaufel
+und ging auf's Feld, um an einem Graben weiter zu schaffen, den
+er herzustellen unternommen hatte. Er arbeitete »wie wild«. In
+körperlicher Anstrengung suchte er seinen Unstern mit Gewalt zu
+vergessen.
+
+Als er um zehn Uhr heimwanderte, begegnete ihm in der Gasse -- die
+Gret. Hätte er beschlossen gehabt, sie zu grüßen, so würde er's nach
+einem Blick auf sie doch unterlassen haben. Seine scharfen Augen
+gewahrten in ihrem gespannten Gesicht einen Ernst und einen Trutz, der
+ihm auf's Deutlichste sagte, sie wolle ihn nicht ansehen, nichts mehr
+von ihm wissen. Er machte ein Gesicht, dem ihrigen ähnlich, und stumm
+gingen sie aneinander vorüber. -- Sollte er jetzt noch zweifeln, daß
+er der Genarrte war und der Schneider der Vorgezogene?
+
+Als er -- man sagt sich, in welcher Laune -- nach Hause kam, war die
+Mutter von dem Ereigniß auf dem Tanzboden schon unterrichtet. Durch das
+Betragen des Burschen stutzig gemacht, war sie bald nach dem einsamen
+Frühstück zu einer Nachbarin gegangen, die auf der Hochzeit gewesen,
+und hatte Alles erfahren. Sehr unangenehm berührt von der Niederlage
+des Sohnes, urtheilte sie doch über die Gret anders als die Leute, und
+am fatalsten war ihr daher zuletzt Michels Grobheit gegen das Mädchen.
+Sie nahm sich vor, ihm tüchtig ihre Meinung zu sagen.
+
+Nach einem leichten mütterlichen Tadel, daß er heute ohne etwas Warmes
+fortgegangen sei, erinnerte sie ihn, ihre Wissenschaft verbergend, an
+sein Versprechen. »Ach Gott«, erwiderte Michel ungeduldig, »'s ist
+gar net d'r Müa' wearth dervo' z'reda'!« -- »Ja, ja«, versetzte die
+Mutter, indem sie ihm sehr ernsthaft in's Gesicht sah, »i glob's scho',
+daß d' net geara' dervo' redst! Ist des a Benemma' für'n Menscha',
+der ballvoll (bald voll) semna zwanzg Johr alt ist! Ander Leut wearat
+gscheidter wann's älter wearat, ond du wurscht allweil o'gscheidter
+ond allweil dommer!« -- Von diesem Vorwurf der Mutter wenig berührt,
+entgegnete Michel: »Du woescht (weißst) also scho' Alles?« -- »Ja
+freile woeß e Alles!« erwiederte die Mutter. »Redt ma' ja überal dervo'
+em ganza' Doraf ond lacht de aus!« Und mit einer Miene zugleich der
+Bekümmerniß und der Anklage setzte sie hinzu: »'S ist also ganz zom
+Verzweifla' mit dir! So o'gschickt sei'! So grob sei' gega'n a Mädle,
+die's so guet mit oem moet« -- -- »So«, fiel Michel ein, »die moets
+guet mit mir? -- Wie hätt se's (sie es) denn zoegt (gezeigt)?« --
+»Des sicht ma'n aus allem«, erwiederte die gute Frau. »Ond wannd' a
+gscheidter Kerl gwesa' wärst, nocht hättst a Weib kriega' könna', wie's
+koena' mea' git dohrom!«
+
+Diese Versicherung mußte dem Burschen nach der von ihm gewonnenen
+Ueberzeugung durchaus haltlos vorkommen. In der vollen Gewißheit
+des Rechthabens entgegnete er: »I will d'r ebbes saga'! Wart no' a
+baar Wucha' ond dua' dei' Oga'n auf, nocht wurscht seha', mit weams
+~dia'~ guet moet!« -- Durch den sichern Ton des Burschen etwas
+getroffen, aber sich nichts ansehen lassend, erwiederte sie: »Du bist
+a Mensch voller Ei'bildenga'! Ond ih sag: ha'et könntst no' alles guet
+macha', wann d' a Kerl wärst! Auf da' Sonnteng über vierzea' (vierzehn)
+Dag ist d' Kirwe (Kirchweih). Gang en d'Zech, führ de auf, wie's 'm
+rechta' Burscht ghöart, tanz nommol mit'r --« --
+
+Das war dem guten Michel zu viel. Das Zureden der Mutter war mit Schuld
+an seinem Unfall auf der Hochzeit -- -- und nun sollte er wieder tanzen
+-- mit derselben, die ihn -- Er war in tiefster Seele verdrießlich und
+erwiederte mit gerechter Entrüstung: »Du host haba' wölla', i soll
+danza' -- i hab' danzt en d's Deufels Nama, ben he'schlaga' ond hab' me
+auslacha' lossa'. Ond ietz bist no' net z'frieda' ond willst, i soll me
+nommol für da' Narra' haba'n ond auslacha' lossa? A' -- doh möcht oen
+ja glei d's Donner onds Wetter -- -- -- Ietz lohs (höre), i will d'r
+ebbes saga'! I dua mei' Arbet ond leb wie's 'm ordentlicha' Menscha'
+ghöart -- ond em Uebrenga' bitt e m'r 'n Ruh' aus! Danza' mueß ma' net
+-- ond heiricha' mueß ma'n oh net! Was Sakerment! -- soll e denn grad
+allweil die Sacha' doa', die e net mag?« -- Die Mutter konnte hierauf
+nichts erwiedern als die Achseln zucken, wie über einen Verlorenen.
+Michel, der sich schon gewendet hatte, ging mit starken Schritten aus
+der Stube.
+
+Im Verlauf der nächsten Woche kam der Schneider zum Maurer, eröffnete
+der Gret, daß er in die »Zech« gehen wolle, und fragte mit eben so
+großer Artigkeit als Zuversicht: ob er sie nicht auf die Kirchweih
+führen dürfe! -- Das Mädchen sah ihn schweigend an und sagte endlich:
+»I glob net, daß des got!«
+
+Sich von einem Burschen auf die Kirchweih führen lassen und
+consequenterweise mit ihm auf dem Platz tanzen, hieß so viel als: ein
+bestehendes oder werdendes Verhältniß mit ihm offen bekennen. Zuweilen
+geschah es allerdings auch aus Freundschaft, daß man zusammen die
+Kirchweihfreuden genoß; allein das waren eben nur Ausnahmen und immer
+hatte das Eingehen auf einen Vorschlag, wie er dem Mädchen gemacht
+wurde, etwas Verpflichtendes und -- Verfängliches.
+
+Das Bedenken der Gret werden unsre Leser nun besser begreifen, als
+der Schneider und ihr Vater. Der Bursche rief höchlich überrascht:
+»Worom denn net?« Und der Maurer setzte hinzu: »Ja, des möcht' e oh
+wissa'!« -- Die Gret wollte begreiflicherweise nicht sagen, was sie
+eigentlich für eine Empfindung hatte; sie erwiederte zögernd: »I muß
+d'r aufrichteng saga', Jakob, i hab m'r auf d'r letschta' Hoaxet
+gemuag danzt! -- i hab koen Luhst mea' derzue! -- Der Schneider fragte
+erstaunt: »Willst also gar net ens Wirthshaus ganga'?« -- »Beinah hab'
+e so ebbes em Send (im Sinn)«, erwiederte die Gret. -- Der Alte rief:
+»Gang weiter -- des ist widder so a'n Ei'fall! Morga' denkst anderst!«
+-- Die Gret, für jetzt zufrieden, nur Zeit zu gewinnen, versetzte:
+»'S ka' sei'! -- Reda'mer (reden wir) a'nandersmol dervo' -- 's hot
+ja no' Zeit!« -- Dem Schneider war es höchst fatal, einen Antrag halb
+ausgeschlagen zu sehen, der, wie er gemeint hatte, mit der größten
+Freude sollte aufgenommen werden. Allein er mußte sich in ihre Laune
+fügen und ließ die Sache fallen, in der Hoffnung, sie das nächstemal
+bereitwilliger zu finden.
+
+Ein paar Tage später, an einem schönen, milden Septembermorgen, ging
+die Gret ins »Ohmed«. Nicht weit vom Dorfe sah sie den Michel gegen
+sich herankommen, mit einer Miene, die ihr auffallen mußte. -- Der gute
+Bursche hatte sich in der That Ruhe verschafft in seinem Hause -- weder
+die Mutter noch Kaspar sprachen mit ihm fernerhin über die Gret und
+über's Tanzen. Aber in dieser Ruhe war er traurig geworden; der Unmuth
+seiner Seele hatte sich in Schwermuth verwandelt. -- Ihm war's auch
+einmal eingefallen, glücklich sein zu wollen, wie andere Leute -- doch
+für ihn gab es kein Glück! Durch seine oder ihre Schuld -- sei's, wie's
+sei -- war er drum gekommen und nun hatte er ein Leben vor sich ohne
+Lust und ohne Liebe und ohne Freude. Dieser Gedanke drängte sich ihm
+auf, er kämpfte nicht dagegen an, er unterwarf sich -- und seine passiv
+ergebene Seele ward ein Raub der Melancholie.
+
+Die Gret, wie sie ihn einem Träumenden ähnlich, die Miene traurig, aber
+ruhig und auch in der Trauer noch mannhaft, an sich vorübergehen sah,
+bekam eine Ahnung von seinem Zustande. Sie schaute ihm lange nach --
+und ging tief in Gedanken weiter.
+
+Als sie nach Hause kam, war der Vetter wieder erschienen und erneuerte
+seinen Vorschlag. Das Mädchen sah ihn mit glänzenden Augen, mit einer
+Art von wehmüthigem Lächeln an und sagte: »No mei'tweg! -- -- 'S wurd
+ja nex O'rechts sei, was e dua'!« -- Das Gesicht des Schneiders hatte
+der Schimmer des Triumphes überflogen und mit stolzem Behagen rief er
+aus: »Ebbes O'rechts? I möcht wissa', worom!« Dann sah er sie schlau an
+und bemerkte: »Du wurscht m'r doch net zutraua', daß ih ebbes O'rechts
+im Senn hab?« -- Die Gret konnte nicht umhin, ein wenig zu lachen und
+erwiederte heiter: »Des net.« Etwas ernster setzte sie hinzu: »No,
+du bist mei' Vetter, ond von 'm Vetter därf ma' scho'n a Gfälligkeit
+a'nemma! 'S got eba'n en d' Froedschaft!« -- Der Maurer sah vergnügt
+auf sie und murmelte: »Guet!« -- --
+
+Der Inbegriff aller Fröhlichkeit und aller Genüsse des Dorfes --
+das Hauptfest im ganzen Jahr -- die ~Kirchweih~ kam heran. --
+In damaliger Zeit wurde dieses Fest ebenfalls anders gefeiert, als
+gegenwärtig; bevor wir daher in unsrer Erzählung weiter gehen, ist es
+nothwendig, auch hierüber einige Bemerkungen vorauszuschicken.
+
+Zur Zeit des alten deutschen Reiches erhielt die Rieser Kirchweih
+außer der kirchlichen noch eine gerichtliche Sanction. Der Amtknecht
+der betreffenden Behörde verkündete feierlich das »Friedbot« und
+tanzte beim »Platzaufführen« die ersten drei Reihen allein -- damit
+erklärend, daß die Lustbarkeit einen Charakter haben müsse, der
+vor der Macht, die er vertrat, auch bestehen könne. In der Zeit,
+in welcher unsre Geschichte spielt, war dieß weggefallen, aber die
+Lustbarkeit verlief doch noch in einer Reihe bestimmter Formen. In
+gewissem Sinne war an die Stelle des Amtknechts ein Dorfbursche
+getreten, der »den Platz kaufte«, d. h. gegen Erlegung einer gewissen
+Summe an den Gerichtsdiener den Namen des »Platzmeisters« und eine
+Anzahl von Rechten erwarb. Er durfte am Kirchweihmontag und an dem
+darauf folgenden Sonntag, durch einen geputzten dreispitzigen Hut
+ausgezeichnet, im Verein mit andern Paaren einen Tanz im Freien, auf
+geebnetem Platz, wo möglich um einen Baum, aufführen und ihn durch
+dreimaliges Alleintanzen einleiten. Zur Vergütung seiner Auslagen
+und Bemühungen durfte er am ersten Sonntag eine Ente, am letzten
+einen Hut oder ein ähnliches Möbel herauspaschen lassen, wobei der
+Einsatz den Werth des Gegenstandes natürlich bei weitem überstieg;
+deßgleichen einen Kegelplatz anlegen, der gleichfalls gute Procente
+abwarf. Verstand der Platzmeister, der in der Regel noch einen zweiten
+als Gehülfen zur Seite hatte, die Leute recht zum Paschen und Setzen
+heranzukriegen, und wurde bei guter Witterung fleißig gekegelt, so fiel
+nicht nur der mäßige Kaufpreis des Platzes ab, sondern auch noch die
+Summe für die Zeche an den Kirchweihtagen. Daraus ergiebt sich, daß
+nur unbemittelte Bursche -- Söldnerssöhne oder Knechte -- Platzmeister
+wurden, indem Bauernsöhne derartige Erwerbungen unter ihrer Würde
+halten und sich vielmehr berufen sehen mußten, ungewöhnlich viel Geld
+springen zu lassen. Für das Dorf waren aber doch die Platzmeister die
+Hauptpersonen.
+
+Genauer zu reden hätten wir nämlich sagen müssen: das Kirchweihfest
+~konnte~ zu jener Zeit noch in bestimmten Formen verlaufen --
+eben wenn die Stelle des Platzmeisters erworben wurde. Fand sich dazu
+Niemand bewogen, dann war die Kirchweih ein einfaches Tanzfest, zum
+wenigsten in unserm Dorfe. Nicht nur das Kegelspiel und das Tanzen
+auf dem Platz fiel weg, sondern auch das uralte Abholen der Mädchen
+mit Musikanten und das Tanzen in den Häusern derselben. Eine solche
+Kirchweih hatte aber »keinen rechten Ton«, jeder ächten Bauernnatur
+mußte dabei etwas fehlen -- und das Auftreten eines Platzmeisters, der
+auch nur ausnahmsweise mangelte, wurde daher immer mit Freude begrüßt.
+
+Die letzten Jahrzehnte sind auch für die Kirchweihgebräuche kritisch
+gewesen -- das Platzaufführen mit allem, was damit zusammenhing, ist
+aus der Reihe der Festesfreuden gestrichen. Während die Alten diesen
+Brauch als moralisches Mittel benutzten -- denn Burschen und Mädchen,
+die nach dem Rieser Ausdruck »schon so vorgekommen«, d. h. nachweislich
+vom Wege der Ehrbarkeit abgewichen waren, durften nicht mit klingendem
+Spiel in's Wirthshaus ziehen und »auf den Platz gehen!« -- erschien in
+neuerer Zeit das Jauchzen, Spielen und Tanzen im Freien als ein nicht
+zu duldender Skandal, der zunächst wenigstens in einen geschlossenen
+Raum verwiesen werden müsse. In der jüngsten Zeit ist durch den Befehl,
+daß alle Kirchweihtänze des Kreises Schwaben und Neuburg an einem und
+demselben Tag abzuhalten seien, dem Rieser Kirchweihfest die letzte
+Zierde und Würde des Brauches genommen worden. Von andern prosaischen
+Uebelständen abgesehen ist dadurch nämlich die ~Gastfreundschaft~
+unmöglich geworden, die in den Tagen des Festes von Befreundeten
+verschiedener Dörfer wechselseitig geübt wurde. Die Bauern können nun
+höchstens noch die Beamten aus der Stadt »auf die Kirchweih laden«,
+sich selbst aber nicht mehr -- die Feier ist auf die Bewohner eines
+Dorfes oder Dörfleins beschränkt und nichts weiter als ein gewöhnliches
+Essen und Tanzen ohne bräuchliche und poetische Weihe.
+
+Einem Autor, der sich die Darstellung des Volkslebens zum Ziel gesetzt
+hat, muß es gestattet sein, gelegentlich eine die Volkssitten und ihre
+administrative Behandlung angehende Bemerkung zu machen. -- Es fällt
+uns nicht ein, die Vortrefflichkeit der Absicht jenes Befehls, der ja
+auch in andern Staaten schon ergangen ist, irgend anzufechten. Man
+will, daß jeder Streit, der auf dem Kirchweihfest eines Dorfs zwischen
+eingebornen und fremden Burschen entstehen könnte, zuvor abgeschnitten
+sei, und -- daß der Bauer auf seine Vergnügungen möglichst wenig
+Geld verwende. Friedlichkeit, Fleiß und Sparsamkeit sollen dadurch
+gefördert werden bis zu einem noch nie dagewesenen Grade. -- Allein
+im Ries darf man die früher üblichen Händel zwischen eingebornen
+und fremden Burschen recht eigentlich als aus der Mode gekommen
+ansprechen; und was Fleiß und Sparsamkeit betrifft, so übt die große
+Mehrzahl des dortigen Landvolks diese Tugend von alter Zeit her in
+einer Weise, die man geradezu musterhaft nennen kann. Ein Staat, der
+sich einer Beamtenschaft rühmen könnte, die in dieser Beziehung dem
+Rieser Landvolk ähnlich wäre, dürfte sich nach unserer Ueberzeugung
+glücklich preisen. Ist es nun gerathen, um einiger liederlicher
+Menschen willen, die überall vorkommen und bekanntermaßen nicht der
+Kirchweihen bedürfen, um sich zu ruiniren -- ist es gerathen, fragen
+wir, jener großen Mehrzahl ihre hergebrachte Lustbarkeit zu verkümmern
+und für die Söhne und Töchter wohlhabender, ja reicher Landleute die
+Tanzgelegenheiten auf ein Minimum herabzusetzen, während in Städten
+nicht nur die höhern Klassen, sondern auch die Massen der Handwerker
+und Proletarier vor Bällen und Tanzmusiken nicht wissen, wo aus und
+wo ein? Hält man etwa das Landvolk im Vergleich mit dem Städter
+für unmündig und für leichter zu verführen? Schreiber dieses kennt
+beide aus vieljähriger Erfahrung; er muß aber sagen, daß ihm keine
+Menschenklasse vorgekommen ist, die sich in ihren Vergnügungen und
+Geldausgaben mündiger und ordnungsmäßiger zu benehmen wüßte, als eben
+der Rieser Bauer! -- daß mithin Befehle, die sich auf die Annahme einer
+solchen Unmündigkeit gründen, in keiner Art nothwendig erscheinen.
+
+Ein Schriftsteller, der sich in dieser Beziehung Autorität erworben
+hat, ~Riehl~, erklärt sich in seiner »bürgerlichen Gesellschaft«
+mit Entschiedenheit gegen die Vernichtung hergebrachter Bauernfeste
+durch Zusammenlegung der Kirchweihen auf Einen Tag. Er citirt zu
+seinen Gunsten den Ausspruch des anerkanntesten Volkskenners --
+~Justus Mösers~. -- Mögen diejenigen, die durch Einschränkung der
+gebräuchlichen und natürlichen Lustbarkeit das Beste des Landvolks zu
+fördern glauben, bescheidentlich mit uns erkennen, daß das in dieser
+Beziehung ~Beste~ in der That noch eine ~Frage~ ist, die nur
+in Erwägung gar mancher Verhältnisse definitiv entschieden werden kann!
+Steckt man auch dem Landvolk ein höheres Ziel im Leben und Streben, so
+wird es diesem Ziel nimmermehr durch Verbote, sondern nur durch die
+ihm entsprechende Bildung näher geführt werden. Das positive Mittel
+einer solchen Bildung wende man an -- dann wird Alles, was sich mit
+ihr nicht mehr verträgt, im Verhältniß ihrer Ausdehnung von selber zu
+Boden fallen. Mit Untersagung herkömmlicher Gebräuche sei man dagegen
+um so behutsamer, als die sich erhaltenden vielleicht eben das Material
+bieten sollen, welches die fortschreitende Bildung zu läutern und zu
+einer neuen Poesie des Lebens zu verklären haben wird. -- --
+
+Unser Dorf hatte diesmal das Glück, eine »rechte Kirchweih« zu
+bekommen. Zwei Bursche hatten den Platz gekauft, die in jeder Hinsicht
+fähig waren, das Amt zu versehen: lustige Kerle, vortreffliche Tänzer
+und Liedersänger. Der Kegelplatz war schon errichtet; er prangte vor
+dem Wirthshause, allerdings auf einer etwas geneigten Ebene, was indeß
+nur zur Folge hatte, daß das Treffen darauf um so ehrenvoller war.
+Eine ziemliche Anzahl von Ledigen war »in die Zech gegangen,« d. h.
+sie ließen im Wirthshaus aufschreiben, was sie an Essen, Weißbier und
+Branntwein verzehrten, um nach den Festtagen zu gleichen Theilen zu
+bezahlen. Das ganze Dorf war angeduftet von der Poesie einer Feier,
+die, erinnerung- und hoffnungerweckend, ein lautes, fröhliches Leben
+vorführen sollte, und von den Torten, Ringen (Kränzen) und Bretzgen,
+die nach Maßgabe des Vermögens von allen Familien gebacken wurden.
+»Nach altem Brauch« waren nicht nur im Wirthshaus verschiedene
+Schweine geschlachtet worden, sondern je eines auch in bedeutenden
+Bauernhäusern, und eine erklekliche Anzahl befiederter Geschöpfe war
+aus den Reihen der Lebendigen gestrichen. Das Dorf brauchte nichts
+mehr als gutes Wetter -- und das kam. Schon am Freitag hatte ein die
+Gemüther sehr beunruhigender Regen aufgehört, der Kirchweihsamstag
+war trocken, und am Sonntag stieg die Sonne in einen Himmel mit nur
+einzelnen dünnen Wölkchen empor. Wer die Empfindungen kennt, die beim
+Anblick solchen Himmels an dem Hauptfeste des Jahres die genußfähigen
+Dorfbewohner erfüllt, der weiß, was Freude des Lebens ist!
+
+Der Vormittag des Sonntags und ein Theil des Nachmittags ward in unserm
+Dorfe der geistlichen Feier gewidmet. Wer es irgend konnte, ging in die
+Kirche und horchte der Predigt, welche die höhere Bedeutung des Festes
+darlegte, mit Andacht. Sobald die nachmittägige Betstunde vorüber war,
+begann im Wirthshause das weltliche Fest. Die Mädchen der in der Zech
+befindlichen Bursche kamen sachte angeschlichen, thaten zuerst, als ob
+sie nur da wären, um ein wenig zuzuschauen, ließen sich dann aber von
+ihren Verehrern bereitwillig in die obere Stube oder gleich auf den
+Tanzboden führen.
+
+Unter den »Kirchweihburschen« war auch der Schneider, unter den
+Mädchen, die sich zum Tanz einfanden, die Gret. Mit der Zuversicht,
+die man gegen die Seinige an den Tag zu legen pflegt, ging der Bursche
+dem Mädchen entgegen, tanzte mit ihr und führte sie nach einem Dutzend
+Reihen in die Stube. Als ein Anderer kam, und mit ihr zugleich ihn
+fragte: »Isch verlobbt (ist's erlaubt)?« erwiederte er würdevoll:
+»Du ka'st danza'!« -- und der Begünstigte führte die Gret hinaus.
+Ein Bekannter trat zu ihm und sagte vergnügt: »No, Schneider, hosch
+(hast du's) wirklich durchgsetzt bei deam Mädle -- send d'r oeneng?«
+-- Der Bursche erwiederte: »Vor der Hand gots wenigstens mit m'r auf
+d' Kirweih!« -- Dem Bekannten war das genug; er sagte: »Die Schöast
+em ganza' Dorf! Wie host ietz des a'gfangt, Schlengel?« -- Der
+Schneider zog statt der Antwort die Augenbraunen in die Höhe und sah
+mit tiefbedeutsamem Lächeln für sich hin. »Du bist a Hauptspitzbue«,
+rief der Kamrad und der Schneider machte ein Gesicht, als ob er sagen
+wollte: »Ich widerspreche nicht!«
+
+Wie Michel -- bei dem sich's von selber verstand -- war auch Kasper
+nicht unter den Kirchweihburschen. An einem der letzten Tage war
+der treue Freund zu dem Traurigen und Düstern gegangen, um ihm eine
+Mittheilung zu machen und eine Aufforderung daran zu knüpfen. Er
+begann mit der gemüthlichen Frage: »Was isch, gommer oh en d'Zech
+desmol?« -- »Frog net so domm!« erwiederte Michel und drehte sich weg.
+Kasper lachte: »'S ist oh nor Gspaß! Was sottet o's (sollten wir) dren
+doa'? Du host koena', ond ih hab grad oh koena'! Doh mag d'r Deufel
+mitmacha'. -- Aber«, setzte er ernsthafter hinzu, »ens Wirthshaus
+wurscht doch ganga'?« -- »Sell verred'e net«, erwiederte Michel. --
+Kasper, nachdem er eine Weile für sich hingesehen, begann wieder:
+»Ietz, wo dein' Pla' mit der Great aufgeba' host, wurd's d'r nex mea'
+macha', wann da' Schneider mit'r danza' sichst!« -- »Sell got me nex
+mea' a'«, versetzte Michel ernsthaft. -- »Wie e ghöart hab«, fuhr
+der Andre fort, »got's mit d'm Schneider auf da' Plahtz!« -- Michel
+zuckte. »Auf da' Plahtz?« rief er, während dunkle Röthe sein Gesicht
+übergoß. Kasper sah dem Betroffenen ins Gesicht und fragte: »Aergert
+de des?« -- »Noe«, versetzte der Bursche mit Anstrengung. Der Kamerad
+sagte: »So hab e's geara'! -- Am End, wer ka's dem Mädle verdenka',
+wann's da' Schneider nemmt ond ietz mit 'm auf d' Kirwe got? Zwea'
+oder dreia' (zweien oder dreien) hot sie selber da' Marsch gmacht; du
+bist ahgstanda' von 'r -- solls da' Schneider oh no' furtschicka?«
+-- »Sie hot Recht«, erwiederte Michel mit dumpfer Ruhe; aber auf
+einmal ballte sich seine Faust wie von selber, und er rief: »O i wott
+(wollte) --!« »Was wottst?« fragte der Kamerad, indem er ihn lächelnd
+ansah. -- »Nex«, erwiederte Michel mit Nachdruck, indem er die Finger
+zusammenpreßte, um sie dann auseinander gehen zu lassen.
+
+Am Sonntag -- um dieselbe Zeit, als die Gret mit dem Burschen tanzte,
+der sich vom Schneider die Erlaubniß ausgebeten, verfügte sich Kasper
+zu Michel, um ihn in's Wirthshaus abzuholen. Er fand ihn in tief
+melancholischer Stimmung. Als er seinen Vorschlag machte, gab Michel
+zur Antwort: »Ha'et no' net -- morga'! -- Ha'et ben e net aufglegt!«
+-- Alle Mahnungen waren umsonst. Kasper sagte mit Ernst: »I will de
+net nöada' (nöthigen) -- mei'daweg duest, was d' willst. Aber ih moe,
+a Kerl wie du sott grad ens Wirthshaus ganga', en die ober' Stub',
+ond so'm Mädle zoega', daß 'r se nex draus macht, gots auf da' Plahtz
+mit weam's will! Die möcht'e net globa' lossa', doß e ihrdawega' von
+d'r Kirwe derhoemt blieb!« -- »Des gschicht oh net«, versetzte unser
+Bursche, -- »morga' gang' e drauf!« -- »Morga' host widder a'n andera'n
+Ausred!« -- Michel wurde ungeduldig. »Doh host mei' Ha'd«, rief er
+und streckte ihm fünf Finger entgegen, die ihres Gleichen suchten, --
+»morga' gang e ens Wirthshaus -- Sakerment!« -- Kasper schied beruhigt
+und folgte den lockenden Tönen eines Drehers, der ihm vom Wirthshaus
+entgegenschallte.
+
+Bei seiner Ankunft auf dem Tanzboden ging die Gret mit ihrem Tänzer
+eben im Reihen. Als sie Kaspers ansichtig wurde, zeigte sie eine
+gewisse Erregtheit -- und schaute sich weiter um. -- Der Kamerad hatte
+sie beobachtet, und nickte für sich.
+
+Er beschloß, den Michel am folgenden Tage ins Wirthshaus zu bringen,
+koste es, was es wolle.
+
+Kasper hatte ein Gefühl, was er im Sinn trug, könnte nützlich werden.
+Er sah nicht voraus, was kommen würde; aber er empfand eine lebhafte
+Genugthuung, als er sich sagte: »Desmol soll' r net derhoemt bleiba'!«
+-- Er handelte mit dem Instinkt der Freundschaft.
+
+Der Kirchweihmontag brach so schön an wie der Sonntag. Die jungen
+Leute, die sich vorsichtigerweise früh zur Ruhe begeben hatten,
+erwachten fröhlich, und auch die andern, die erst der Morgen nach Hause
+wandern sah, hatten bald muntere Augen, um einem Tag entgegenzusehen,
+an welchem das Vergnügen allein regieren und zur farbigsten Blüthe
+sich entfalten sollte. -- Noch Vormittags, nach früh genossenem Mahle,
+begaben sich die Zechbursche in's Wirthshaus, und aus den Fenstern
+desselben erklang sofort stattliche Musik. Das Mädchenholen begann
+-- die Gassen ertönten von Spiel und Jauchzen, und die zinnernen
+Bierkannen, von rüstigen Armen in die Höhe gehalten, funkelten im Glanz
+der Sonne.
+
+Vor allen und am feierlichsten -- mit sämmtlichen Musikanten -- wurden
+die Geliebten der beiden Platzmeister abgeholt. Sie stolzirten in
+absonderlichem Putz und trugen zur Auszeichnung vor den übrigen, die
+nur in der Kappe beim Tanz erschienen, die radförmige Spitzenhaube.
+Als diese beiden wichtigen Personen sich an der Tafel der Wirthsstube
+niedergesetzt hatten, theilten sich die Musikanten, und verschiedene
+Bursche zogen mit je zweien in die Häuser der Erwählten. Das ganze
+Dorf war bald in freudiger Aufregung: Singen und Springen, Zuschauen
+und Loben, Austauschen von guten Sachen und Höflichkeiten war die
+allgemeine Beschäftigung. Die Buben wuchsen in Gedanken beim Anblick
+der Vergnügungen, die ihnen auch einmal zu Theil werden sollten, und
+die Alten wurden jung und gedachten der Zeiten, wo sie's -- noch besser
+gemacht hatten.
+
+Nur Ein Haus war ausgenommen von der allgemeinen Fröhlichkeit -- das
+der Familie Schwab. Unser Bursche, nachdem er gestern auch noch einer
+Ermahnung der Mutter widerstanden, war früh zu Bett gegangen und hatte
+einen tiefen Schlaf gethan. Wie gewöhnlich aufgestanden, machte er
+sich in Haus und Hof zu thun und sah nicht aus wie einer, der sich an
+dem Fest betheiligen wollte. Die Mutter betrachtete den düster Hin-
+und Hergehenden mit betrübter Miene. Sie gedachte an die Zeiten seines
+Knabenalters. Wie stolz war sie auf ihn gewesen! Wie viel hatte sie
+sich von ihm versprochen -- und wie wenig hatte er gehalten! Was half
+es, daß er fleißig war und ordentlich und das Vermögen in den letzten
+Jahren sich vermehrt hatte? -- Er hatte keine Freude, sie hatte keine,
+und zu hoffen war auch keine! -- Als draußen das lustige Spiel und
+das »Juxen« der Bursche anhub, erschienen ihr die Mängel des Sohnes
+in immer grellerem Licht. Ein Mensch, der nicht tanzen und sich nicht
+»aufführen« konnte, ein Mensch, der keinen Schatz und kein Weib zu
+kriegen verstand, ein solcher Mensch war gar nichts -- und sie die
+unglücklichste Mutter im ganzen Dorf.
+
+Schon war auch der Schneider mit einem Geiger und Clarinettenbläser
+am Hause vorübergezogen und hatte einen Tenor gejuxt, wie ihn kein
+gewöhnlicher Bauernbursche herausgebracht hätte. Die Mutter war eben
+in der Kammer und hatte den Zug nicht gesehen. Nach einer Weile, als
+sie wieder in die Stube kam, trat Michel zu ihr, und als von der untern
+Gasse her ein Freudenlärm erscholl, nahm er sie bei der Hand und führte
+sie ans Fenster. Jauchzend, obwohl schon mit etwas angegriffener
+Stimme -- mit dem Deckel der leeren Kanne nach Kräften patschend kam
+der Schneider an der Spitze der Musikanten heran und hinter diesen die
+Gret mit sittigem Schritt und einem Angesicht, das durch höhere Röthe
+und einen eigenen feierlichen Ausdruck holder und bedeutender erschien
+als jemals. »Siksch ietz, mit weam die's guet moet?« fragte Michel in
+Rücksicht auf seine Rede von letzthin. Die Mutter erwiederte: »Des
+ist m'r oh nex Nuis mea'! Aber wear ist dra' Schuld?« Michel schwieg
+einen Moment; dann, indem er mit einer Art von Humor den Kopf in die
+Höhe warf, erwiederte er: »Bah, a Mädle, die mit 'm Schneider auf
+d'Kirwe got, doggt (taugt) net für 'n Kerl, wie'n ih ben. Ih trau m'r
+no' a'n andera' z'kriega', wann's amol gheiricht sei' mueß!« -- Mit
+halb schmerzlichem, halb spöttischem Lächeln versetzte die Mutter:
+»Du bist der Recht', ja!« Aber Michel fuhr fort: »Loß me nor macha'!
+Ho'et Nommedag (Nachmittag) gang e ens Wirthshaus -- doh passirt ebbes,
+des sag' d'r e! Ond wanns auf o'srer nex wurd -- gits net no' ander'
+Kirwena? I will doch seha', ob ih nex ausricht', wann e amol drauf
+ausgang!« --
+
+Es war nicht nur der Geist des Widerspruchs, der Micheln, der
+anklagenden und ungläubigen Mutter gegenüber, diese herzhaften Worte in
+den Mund gab. Der Anblick der Gret, die dem Schneider folgte, hatte ihn
+zugleich gereizt und von der letzten Bürde der Ungewißheit befreit. Nun
+wars offenbar und nicht mehr zu läugnen! -- und nun mußte er entweder
+die Weibsbilder gehen lassen sein ganzes Leben lang -- oder sein Glück
+mit einer andern versuchen. Aus allen Gründen mußte er ins Wirthshaus
+gehen -- er mußte sehen und sich sehen lassen -- er mußte zeigen, daß
+er nicht der Mann war, darum, weil er ein Mädchen nicht gekriegt hatte,
+sein Leben zu vertrauern.
+
+Das Fest hatte seinen Verlauf. Der Platz vor dem Wirthshause und die
+angrenzenden Gassentheile belebten sich mehr und mehr. Unter die
+Bauern und Bäuerinnen mischten sich »Herrn« und »Frauenzimmer«, die
+an dem schönen Tage hauptsächlich aus Nördlingen und Wallerstein
+herbeigekommen waren. Einige flotte Musensöhne im altdeutschen Rock und
+weiten blauen Hosen, das Mützchen keck auf die eine Seite des Kopfes
+geklebt, schauten mit vergnügtem Antlitz umher oder »schnitten« den
+schönsten und jüngsten der anwesenden »Florbesen« die Cour. Bauern und
+Handwerker mittleren Alters hatten schon das Kegelspiel begonnen und
+suchten auf verschiedene Weise die Ungunst des Lokales zu überwinden,
+einer davon auch noch durch nachträglich pantomimische Lenkung der
+schon hinausgerollten Kugel, wodurch er, wenn nicht mehr Kegel, doch
+die Erheiterung der Umstehenden erzielte. Schulkinder liefen hin und
+her, begafften Alles und erlabten sich bei den Weibern, die an der
+Schattenseite des Wirthshauses Obst feil boten. Die jungen Leute
+drehten sich auf dem Tanzboden und hielten gleichsam eine Vorübung zu
+der Production, die sie vor einer so großen Anzahl von Schaulustigen
+ausführen sollten.
+
+Der feierliche, zuletzt sehnlich erwartete Moment erschien. Die
+Tanzmusik im Wirthshause war verstummt, und in die Ohren der bunten
+Menge, die sich davor angehäuft hatte, ertönte vom Hof her auf
+einmal ein kräftiger Marsch. »Sie kommen! Sie kommen!« rief man sich
+freudig zu und die Vorsichtigen eilten auf die Standpunkte, wo man
+die Aufführung am besten übersah. Unter einer wahren Kanonade von
+Juhschreien sämmtlicher Bursche, die zuweilen auch die Blechmusik
+übertönte, kam der Zug aus dem Hofe: zuerst die sechs Musikanten, dann
+der »Flur« (Flurschütz, Gemeindediener) mit einem Stuhl, der Aufwärter
+mit einer riesigen kupfernen Bierkanne und das Wirthsmädchen mit
+Krügen; endlich die Paare, geführt von dem ersten Platzmeister, der
+an der Seite seiner Schönen stattlich daherschreitend einen großen,
+bändergezierten, in blanker Scheide ruhenden Säbel trug! An der
+uralten Linde angekommen machte man Halt, die Musikanten stellten sich
+herum, der Aufwärter setzte die Bierkanne auf den Stuhl, und die Paare
+traten an die Seite. Unter allgemeiner Aufmerksamkeit zog der erste
+Platzmeister den Säbel aus der Scheide, hielt ihn in die Höhe, stellte
+sich vor die Musikanten und sang das herkömmliche Liedchen:
+
+ Ietz soll e halt danza' drei Roea'n alloe!
+ I ka's ja kamm (kaum) danza' vor Staub ond vor Stoe.
+
+Die Musikanten spielten und der Bursche tanzte allein um die Linde,
+indem er auf dem mäßig ebenen Boden seinem Titel Ehre machte. Zum
+zweitenmal sang er:
+
+ Der erst der ist danzt ond der ander' fangt a':
+ Ietz will e halt seha', ob es nommol so ka'.
+
+Die Zuschauer, die bei solchen Gelegenheiten, wenigstens eine Zeitlang,
+empfänglich und anspruchlos zu sein pflegen, nahmen diese allerdings
+mehr sachgemäßen als poetischen Reime mit heiterem Interesse auf, und
+da der Platzmeister wieder ohne zu stolpern und in schönem Kreisbogen
+um den Baum kam, so rief ein lustiger Studiosus ihm ein Bravo zu.
+
+Zum Dritten sang er:
+
+ Ond oemol ond zwoemol ond nommol ist frei!
+ Ond des mueß das Best' sei', denn ietz isch vorbei!
+
+Nach glücklicher Vollendung auch dieses Reihens steckte der Bursche den
+Säbel in die Scheide, übergab ihn dem »Fluer«, sah auf die Paare und
+sang:
+
+ Danzt hab' e so gut als ma's ka'n ohne Schatz.
+ Nemm jeder die Sei'n ietz ond rei' auf da' Platz!
+
+Er holte sich die Geliebte, die mit Würde den Leistungen ihres Burschen
+zugesehen hatte, und begann mit ihr zu walzen. Alle Paare folgten nach.
+
+Der Tanz -- die Trinkpausen mit eingeschlossen -- dauerte ungefähr
+eine Stunde. Da die Bursche und Mädchen von verschiedener Gestalt und
+Schönheit waren, und beim Tanzen verschiedene Manieren an sich hatten,
+die auf dem schwierigen Terrain um so charakteristischer hervortraten;
+-- da den Musikanten eine Reihe Lieder vorgesungen wurden, wovon
+etliche nicht ohne pikanten Reiz, andere aber in so fern »ächt lyrisch«
+waren, als nicht eine Spur von Gedanken darin vorkam -- so gab es für
+das Publikum, namentlich für das gebildete, gar vielerlei zu schauen
+und zu kritisiren. Einige der Herrn unterhielten ihre Damen mit
+mehr oder minder gelungener Verspottung und ironischer Belobung der
+ländlichen Künste. Andre lachten und nickten Beifall. Wieder andere
+stellten Vergleichungen an und suchten zu entscheiden, welche Mädchen
+den Preis der Schönheit verdienten, u. s. w.
+
+Die größte Aufmerksamkeit hatte bald von allen Paaren ein uns
+wohlbekanntes auf sich gezogen -- der Schneider und die Gret. Die
+stattliche Größe des Mädchens und die zierliche Kleinheit des Burschen
+war zuerst aufgefallen. Bei näherer Betrachtung fand die Schönheit der
+Blonden lebhafte Anerkennung, besonders von Seiten dreier Studiosen,
+die ihre Augen so oft nach ihr wandten, daß eine daneben stehende junge
+Nördlingerin beinahe eifersüchtig geworden wäre. Nicht geringeres
+Interesse erweckte indeß bei eben diesen Studiosen der Schneider
+selbst. Glücklicher und selbstbewußter auszusehen als dieser, war nicht
+wohl möglich. Das schönste Mädchen von allen, die um die Linde tanzten,
+war die seine! Sie hatte sich erst ein bischen »geziert«, als er sie
+einlud, mit ihm auf den Platz zu gehen; aber wie bald hatte sie Ja
+gesagt! -- Mit welchem Vergnügen hatte sie's gesagt, und wie gern war
+sie mit ihm gegangen! Dumme Teufel mußten die gewesen sein, denen sie
+den Laufzettel gegeben! Er war gekommen, hatte gesprochen, und immer
+weicher war sie geworden und immer nachgiebiger, und jetzt konnte er
+mit ihr machen, was er wollte! Es lebe die Fremde! Wer nicht hinaus
+kommt, der kommt nicht heim, und bleibt ein Dummkopf, der überall das
+Nachsehen hat! -- Heute noch, beim Nachhauseführen, wollte er mit ihr
+reden wegen der Heirath, auf den Winter machte er Hochzeit, und damit
+basta!
+
+Das Wohlgefallen, mit welchem die drei Studiosen zu ihm hersahen,
+schmeichelte unserm Dorfschneider ungemein. Er mußte freilich annehmen,
+daß ein Theil des Beifalls seiner Tänzerin galt -- aber war das nicht
+wieder eine Ehre für ihn? Sein Gesicht wurde vor Selbstgefälligkeit
+ordentlich runder, jedenfalls glänzte es »wie Wallerstein des Abends«
+(wenn die Sonne aus den Fenstern der terrassenartig aufsteigenden
+Häuser wiederstrahlt!) -- und seine Augen blickten beim Tanzen
+rechts und links, um nichts von den Eindrücken zu verlieren, die er
+hervorbrachte.
+
+In solcher Stimmung ist man nicht geneigt, Andern Erfolge zu gönnen;
+und wenn einer dergleichen erzielt, fühlt man einen Trieb, ihn
+herunterzustechen. Die Heiterkeit, die ein paar von einem rüstigen
+Kerl gesungene lustige Liedchen hervorriefen, weckte des Schneiders
+Eifersucht. Er wollte auch ein Lied singen, das den »Herren« Spaß
+machte, und hatte schon den Mund dazu geöffnet -- als ihm derselbe
+Mensch zuvorkam. Verdrießlich hörte er zu, und wie in dem Text statt
+des Reims eine bloße Assonanz zum Vorschein kam, rief er, das Gesicht
+satyrisch-kritisch den Studenten zugewendet: »Reim de oder i friß de!«
+-- Der Sänger schaute den Burschen an und nach geendetem Reihen sagte
+er: »Desmol will e a bessers senga' -- paß auf!« Und er sang:
+
+ Doh droba'n auf dem Bergle bei dera' Kapell,
+ Doh sitzen drei Schneider beir' Wasserbodell!
+
+Allgemeine Heiterkeit war der Erfolg dieser Schnurre; auch die Gret,
+die im Verlauf des Tanzens etwas zerstreut geworden war, konnte sich
+nicht enthalten zu lächeln. Der Schneider ging auf Nadeln. Wie gern
+hätte er den Kerl zehnmal stärker getroffen! Aber es war ein Maurer,
+und er wußte kein Spottlied auf dieses Handwerk! Da half ihm die
+Entrüstung über die dumme Verhöhnung seines Metiers aus der Noth:
+sie gab ihm einen Reim ein, wodurch er den Hieb mit Zinsen wieder
+zurückzugeben hoffte. Er stellte sich resolut hin und sang:
+
+ Die Kleider der Leut' hat der Schneider gemacht,
+ Und der ist a Narr, der die Schneider veracht'.
+
+Schallendes Gelächter erfolgte auf diesen gewaltigen Rückschlag, in
+welches der vermeintlich Getroffene herzlich mit einstimmte, während
+die Gret etwas erröthete und einen mitleidigen Blick auf ihren Tänzer
+warf. Der Schneider sah dies nicht. Würde ihm nicht schon das Lachen
+ein Beweis gewesen sein, daß er einen treffenden Reim gedichtet, so
+hätten ihn die lobenden Zurufe der Studenten davon überzeugen müssen.
+Triumphirend sah er umher und tanzte, von dem Hochgefühl des Sieges
+getragen, mit erneuter Kraft und Leichtigkeit. Während er das Vorsingen
+Andern überließ, dachte er bei sich: »Wann die Herra' an deana'
+Bauraliedla' scho' so a Freud hont, nocht will i ihna' doch beweisa',
+daß e andre oh no' ka'!« -- Als die Zeit, die auf dem Platz zugebracht
+zu werden pflegte, sich ihrem Ende zuneigte, ersah er seinen Moment,
+nahm eine Stellung, die etwas erwarten ließ, und sang, indem er den
+Studenten pfiffig zublinzelte, folgende anmuthige Variation eines
+Burschenliedes:
+
+ Der Herr Professer
+ Liegt in Corretschiom,
+ Drom wär' es besser,
+ Man trinkt eins rom.
+ Ebete, bebete, esse coralle!
+ Was soll das Hepula? Bombau, holla!
+
+Die Studenten horchten mit hochvergnügten Gesichtern, riefen Bravo und
+lachten königlich zusammen. -- Der Schneider war überzeugt, daß er die
+Palme davongetragen.
+
+Als der Zug unter denselben Jubeltönen, mit denen er gekommen, obwohl
+etwas langsamer, ins Wirthshaus zurückging, stellten sich die Studenten
+an den Weg, und einer von ihnen, der in den Dorfverhältnissen genau
+unterrichtet zu sein schien, sagte fidel zu dem Siegesglücklichen:
+»Brav, Schneider! -- Du bist a Hauptkerl!« -- Der Angeredete erwiederte
+mit Würde: »I hab den Herren nur zeiga' wolla', daß man auf d'm Land
+auch manchmol ebbes ka', was man oem nicht zutraut hätt'!« -- Die Gret
+warf auf den Studenten einen Blick, der zu sagen schien: »Halt mich ja
+nicht für so dumm wie meinen Schneider!«
+
+In der obern Wirthsstube gönnten sich Musikanten und Tänzer einige
+Zeit Ruhe, dann begann die Lustbarkeit auf dem Tanzboden von neuem.
+Der Schneider war unermüdlich und von einer Hüpflustigkeit, die nicht
+zu ersättigen schien; er forderte die Gret wieder zum Tanz auf. Das
+Mädchen, die mehr und mehr das Aussehen gewonnen hatte, als ob ihr
+etwas abginge, erwiederte, sie sei müde und möchte noch ausruhen.
+Der Schneider, im Gefühl seiner Würde als Mann und seinem Stolz als
+Kirchweihbursche, entgegnete: »Des hilft nex! I will amol danza', ond
+i wear' doch hoffentlich koen Korb kriega' von 'm Mädle, die e auf d'
+Kirwe gführt hab? -- Komm!« -- Er nahm sie bei der Hand und sie folgte,
+indem sie den Verdruß ihres Herzens in ernster Miene zu verbergen
+suchte. Nachdem sie sechs Reihen erduldet hatte, erklärte sie positiv:
+es liege ihr in den Gliedern wie Blei -- es ginge nicht mehr! -- Der
+Bursche mußte sie in die Stube führen. Während sie an der Tafel der
+Zechburschen Platz nahm, forderte der Schneider eine Andere auf und
+führte sie auf den Tanzboden.
+
+Die Gret überließ sich ihren Gedanken. Sie hatte etwas unternommen
+-- es war die Frage, ob sie Recht gehabt hatte, es zu thun. Aber
+jedenfalls hatte sie es umsonst gethan: was sie gehofft hatte, war
+nicht eingetroffen. -- Ein Ernst erfüllte ihr helles Gesicht, der mehr
+und mehr den Charakter der Trauer annahm. Still und gedankenvoll sah
+sie für sich hin. -- Auf einmal erröthete sie: -- durch die Thüre,
+die kaum groß genug war, ihn einzulassen, trat Michel in die Stube,
+begleitet von dem treuen Kasper.
+
+Unser Freund erschien in seinem besten Staat und mit einem Ausdruck
+der Würde in seinem Gesicht, den früher Niemand an ihm wahrgenommen
+hatte. Seit dem Versprechen, das er seiner Mutter gegeben, war eine
+neue Veränderung mit ihm vorgegangen. Der momentanen Erhebung, die
+der Anblick des an seinem Hause vorbeiziehenden Schneiders in ihm
+hervorgerufen, war eine Herabstimmung gefolgt, die sich in dem stillen,
+von nähern und fernern Jubeltönen umklungenen Hause zu erneuter,
+tiefer Schwermuth ausbildete. Der Trieb, glücklich zu sein, regt sich
+in dem Menschen immer wieder und nirgends stärker, als an einem Tag
+allgemeiner Freude. Hier ist das Herz von seinem Recht auf auch einen
+Antheil daran durchdrungen -- das Bild dessen, was man wünscht, tritt
+in höchstem Reiz vor die Seele, die Sehnsucht, es zu erlangen, wird
+feuriger und inniger -- und die Nothwendigkeit, es dennoch verloren
+geben zu müssen, wirft das Gemüth in Abgründe der Trauer. Was half
+dem guten Michel sein Entschluß, sich nach einer Andern umzusehen! So
+eine wie die Gret gab's doch nicht mehr -- so gern konnte er keine
+mehr haben -- so glücklich mit keiner mehr leben! Wie schön war sie
+heute wieder, als sie an seinem Hause vorüberging. Nein! Wenn dieses
+Mädchen ein Andrer bekam, dann wollte er überhaupt keine mehr, er
+wollte unglücklich sein mit Fleiß -- und sein Leben als Junggeselle
+beschließen.
+
+In dieser Stimmung, in dem Nachdenken, das sie begünstigte, traten die
+Fehler, die er gemacht hatte, wieder vor seine Seele; aber sie regten
+keinen Zorn in ihm an. Er fühlte sich damit behaftet wie durch ein
+Verhängniß; ihm waren eben die Gaben, womit Andere etwas erreichten,
+nicht verliehen, er sollte kein Glück haben, er mußte entsagen. -- Nach
+und nach stieg der Muth, der die Frucht der Entsagung ist, in ihm auf.
+Der männliche Stolz rührte sich in ihm, und er faßte den Entschluß,
+jetzt wenigstens keinen armen Sünder mehr zu spielen, wie früher,
+sondern ruhig seines Weges zu gehen -- jetzt, wo doch nichts mehr zu
+verlieren war! -- -- In dieser Gemüthslage traf ihn Kasper. Michel
+fügte sich der Aufforderung, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, ohne
+Widerrede. Er zog seine neue Juppe von dunkelblauem Tuch an, steckte
+den reich mit Silber beschlagenen Ulmer Pfeifenkopf in den Mund, setzte
+die breite Fischotterkappe auf und folgte dem Kameraden. Die Mutter
+hatte mit der Ironie des Unglaubens »viel Vergnügen« gewünscht.
+
+In der Stube setzten sich die Kameraden an einen Seitentisch, wo schon
+ein Lediger Platz genommen hatte. Kaspar ließ sich hier nicht halten;
+er hatte bald eine hübsche Braune an der Hand und tanzte mit dem
+Schneider um die Wette. -- Michel unterhielt sich mit dem Ledigen, der
+wie er ohne Schatz und vom Tanzen kein Liebhaber war. Die Gret hatte
+er, als er an der Tafel vorbeiging, auf eine ungezwungene Weise nicht
+gesehen; jetzt, im Gespräch mit dem Burschen, sah er einmal zu ihr
+hinüber -- er sah, daß sie nicht vergnügt war -- und eine sonderbare
+Empfindung regte sich in ihm.
+
+Nach einer Weile kam der Schneider in die Stube. Er hatte einen
+jungen Mann an der Hand in spießbürgerlicher Kleidung und von einer
+Statur, die der seinen ähnlich war, -- trat mit ihm vor die Gret und
+sagte: »Des ist mei' Colleg, Herr Bügel, der zu Nörrleng (Nördlingen)
+arbeitet. Er möcht' gern mit d'r danza'n ond i hab gsakt, 's wär a'n
+Ehr'. Komm!« -- In ihrer jetzigen Stimmung dem Tanzen ohnehin gänzlich
+abgeneigt, wäre der »Colleg« der letzte gewesen, der ihr Lust dazu
+gemacht hätte. Und sich mit ihm zum Tanzen commandiren zu lassen!
+-- Vor Michel -- und in solchem Ton! -- Ein Widerwille stieg in ihr
+auf und wuchs zur entschiedensten Widerstandskraft. Sie erwiederte
+dem Stadtschneider: »I muß danka' für die Ehr'!« und zu dem ihrigen
+bemerkte sie: »I hab d'r scho' gsakt, i ben müed ond hab koen Luhst
+mea'. 'S ist seitdem net anderst woara' -- ond i wear' ha'et gar nemmer
+danza'!« -- Der Schneider runzelte die Stirn. »Des send Ei'bildenga'«,
+rief er, ehe der andre zu Worte kommen konnte; »du bist ja gruat
+(ausgeruht)! -- Mach'! Komm!« -- Das Mädchen rührte sich nicht und
+mit dem Nachdruck des Abweisens erwiederte sie: »I dank' schöa'!« --
+Eine Wolke verfinsterte die Züge des Burschen. »Doh ist nex z'danka'«,
+entgegnete er schnell und heftig, -- »i hab' gsakt, du danzst mit 'm
+-- ond ietz danz!« -- »Ond i sag, i ka' net«, versetzte die Gret. Der
+Schneider warf einen Blick auf sie, als wollte er seinen Ohren nicht
+trauen. »Des send Dommheita'!« rief er entrüstet; -- und großartig
+setzte er hinzu: »Was ih sag, mueß gscheha'!« -- Die Gret sah ihn von
+der Seite an und sagte: »Aber Alles doch wohl net -- hoff e! A bisle
+ebbes wurd wohl no' ahganga' (abgehen)!« -- Der spöttische Ton dieser
+Entgegnung indignirte den Schneider auf's Höchste. Bebend vor Zorn rief
+er: »Zom letschtamol sag e d'r: danz! Auf der Stell! -- Oder 's got d'r
+schlecht!«
+
+Reden und Gegenreden dieses Dialogs waren so rasch aufeinander gefolgt,
+daß der Schneidergeselle aus Nördlingen keine Zeit gefunden hatte,
+zu sagen, was ihm, von der Ehre geboten, auf der Lippe schwebte.
+Jetzt setzte er's endlich durch. Indem er sich vor der Gret ironisch
+verneigte, rief er mit höhnendem Ton: »Ich bitt' recht sehr --
+~ich~ dank' jetzt schön für's Tanzen -- und wünsch' der Jungfer
+gute Besserung!« -- Mit dem Bewußtsein, das »einfältige Weibsbild« nach
+Verdienst getroffen zu haben, verließ er die Stube.
+
+Der Schneider stand da mit gefährlicher Miene. Seine Brust arbeitete,
+seine Lippen zitterten, seine Rechte gerieth in eine zuckende Bewegung.
+Das Schlimmste, Peinlichste war ihm widerfahren! Er war blamiert --
+blamiert vor einem Collegen aus der Stadt! -- War ihm »vor den Leuten«
+Zurückhaltung geboten und konnte er nicht wie er wollte, so mußte er
+der impertinenten Person doch wenigstens die Wahrheit ~sagen~.
+Nachdem er sie eine Zeit lang angesehen, begann er: »Doh hab e Respekt!
+Des send Maniera'! Ih führ' de auf d'Kirwe, ond du duast von dem, was
+e sag, d's Gegendeil ond benemmst de gegen 'n Mann aus der Stadt wie
+a grobs Bauramädle, daß e an der Schand dohstanda' mueß? -- Pfui!« --
+Die Wichtigkeit, womit der Bursche die Sache aufnahm, und die drohenden
+Blicke, die er ihr dabei zuwarf, waren dem Mädchen zum Lachen; aber
+sie hielt an sich und erwiederte ruhig: »I ben wärle müed gwesa', i
+hab net g'loga'! Soll e danza', wann e koen Luhst derzue hab?« --
+»Ja«, entgegnete der Schneider wild, »wann ~ih's~ sag!« -- Das
+war dem Mädchen zu viel; unwillig und mit der geringschätzigen Miene
+des Unwillens erwiederte sie: »Ach was! -- i ka' doch net mit alla'
+Schneider danza'n em ganza Boerland?«
+
+Diese Worte, nach welchen die Mienen der Gret überdieß sich etwas
+erheiterten, rissen die Schranken, die den Zornausbruch des Schneiders
+noch zurückgehalten hatten, nieder. Mit grimmiger Wuth, am ganzen
+Leibe zitternd, rief er: »Du bist a'n o'verschämta' Perso'! A frechs
+Lompamensch! Was? Ih führ' de auf d' Kirwe aus Erbarma', ond du willst
+me no' verspotta'? I hätt' 'n gueta' Luhst« --
+
+Auf einmal ließen sich hinter ihm die streng betonten Worte hören: »Wie
+ka'st du de onderstanda', mit 'm Mädle, wie die Great ist, so z'reda'?«
+-- Der Schneider sah sich um -- und fuhr zusammen. Michel stand vor
+ihm in dem schreckeneinflößenden Ernst des Richters. -- Der Große und
+der Kleine sahen sich einen Moment an. Plötzlich, wie sich auf etwas
+besinnend, faßte sich der letztere und entgegnete keck: »Got des dih
+ebbes a'?« -- »Ja«, versetzte Michel mit Nachdruck. »A'n ordentlicher
+Kerl leidt's net, wann 'm Weibsbild ebbes gschicht -- und (setzte er
+geringschätzig hinzu) voara' (voran, noch dazu) von 'm Schneider!«
+-- Der Kleine zuckte; dann streckte er sich, sah zu dem Gegner mit
+vielsagendem Gesicht empor und erwiederte, indem er drohend den
+Zeigefinger erhob: »I will d'r ebbes rotha', Michel! -- mach de ha'et
+net z'mauseng!« -- Der Enakssohn lachte herzlich. -- »Ja«, fuhr der
+Schneider fort, »lach nor! -- für dih fend' ma'n oh no' 'n Moester!«
+-- »Bist am End du's?« fragte Michel heiter; und mit gemüthlichem
+Selbstgefühl setzte er hinzu: »Gang weiter, Schneiderle! Wann e de
+a'blos (anblase), no' fliegst zor Stub naus!«
+
+Ein Kichern, das diesen Worten am untern Ende der Tafel folgte, und
+das unwillkürliche Lächeln der Gret, die aufgestanden und ein wenig
+zurückgetreten war, machte den Beleidigten rasend und raubte ihm den
+letzten Rest der Besinnung; -- die Zähne fletschend ging er auf Michel
+los, packte ihn am Arm und suchte ihn niederzureißen. Der Gewaltige
+schüttelte ihn ab und rief: »Schneider, Schneider! -- i roth dr's en
+Guetem -- höar auf!« -- Der Schneider, der diese Ruhe mißverstand,
+attakirte von neuem. Michel faßte ihn beim Arm, hielt ihn zurück und
+rief mit funkelnden Augen: »Ietz sei ruheng -- oder i stand für nex
+mea' guet!« -- Aber der Schneider, der einen Blick auf die Thüre
+geworfen hatte, machte sich mit wüthender Anstrengung los, packte den
+Gegner an der Juppe, riß -- und riß ein Stück davon herunter. Das war
+über allen Spaß. Michel nahm ihn und warf ihn zu Boden, daß es krachte.
+
+Es war die erste wohlthätige Empfindung für den guten Burschen seit
+langer Zeit! -- Aber wie dehnte sich nun seine Brust! Welch eine
+Begier entstand in ihm, fortzufahren und sich durch eine großartige
+Uebung der Kräfte, die so lange geruht hatten, das gepreßte Herz zu
+erleichtern! -- Es war ihm wie einem Esser, der mit einem Riesenappetit
+auf dem Tisch nur ein Cotelettchen vorgefunden hat und nach dessen
+Verschlingung mit schmerzlichem Verlangen eine seiner würdige Mahlzeit
+herbeisehnt. »Mehr, mehr, mehr!« rief es in ihm, als der aufgestandene
+Schneider von neuem auf ihn losging. -- Sein Wunsch sollte erfüllt
+werden. Der Schneider, in Gefahr wieder auf den Boden zu fliegen, rief
+mit desperater, durchdringender Stimme: »Brüder, helft!!« -- und in
+kürzester Zeit fühlte sich Michel von einem halben Dutzend Burschen
+zugleich angefallen.
+
+Es waren Gegner von ihm, Kameraden des Schneiders und zu Schutz und
+Trutz mit ihm verbunden, die von andern Tischen und vom Tanzboden
+herbeigeeilt waren und nun mit vereinten Kräften zu siegen hofften.
+Sobald der Enakssohn die Kerle an sich schlagen und zerren fühlte,
+athmete er tief auf und -- begann seine Arbeit.
+
+Er verrichtete Thaten, die würdig wären, von einem Homer Zug für Zug
+geschildert zu werden. Seine ungeheure Körperkraft im gerechtesten
+Kampf -- der Trieb und die Lust, für ~sie~ etwas zu thun, vor ihr
+in seiner Glorie sich zu zeigen -- befähigten ihn zu wahren Wundern. Er
+schüttelte ab und schleuderte von sich, er drosch und schlug nieder,
+er ergriff ein paar Kerle, die just zu haben waren, und stieß ihnen
+die Köpfe zusammen -- kurz, er that Alles, was der Verlauf des Kampfes
+nothwendig machte, -- mit unwiderstehlicher Gewalt. Kein Hieb und kein
+Stoß ging daneben.
+
+Die Unterstützung des Schneiders war zu schnell nöthig geworden, als
+daß seine Kameraden sich mit den bei solchen Händeln üblichen Waffen,
+als da sind: Stuhlfüße, Holzscheiter u. s. w. -- hätten versehen
+können. Der Kampf gegen den Unbewaffneten wurde darum ehrlich mit
+Fäusten geführt. Nur ein Bursch ergriff einen steinernen Maßkrug,
+um den Simson des Dorfes von hinten auf den Kopf zu schlagen, der
+nicht mehr von der Fischotterkappe bedeckt war. Er wurde von Kaspar
+weggerissen und auf die Seite gestoßen.
+
+Der Kamerad Michels war auf den Hauptlärm auch vom Tanzboden hergeeilt
+und eben recht gekommen, diesen Hieb zu verhindern, der dem Schädel
+Michels, vielleicht aber auch nur dem Krug verderblich werden konnte.
+Der Treue war muthig und nervenkräftig und hätte dem Freund gerne
+ferner geholfen -- wenn es nur nöthig gewesen wäre. Allein er sah, wie
+dieser schaffte, -- er sah, was er schon geleistet hatte, und überließ
+ihm den Rest.
+
+Das Getöse des Kampfes hatte bald auch Zuschauer herbeigezogen, und
+die drei Studenten waren nicht die letzten. Als sie einen Burschen
+erblickten, der seine Gegner, die sich wie Katzen an ihn anklammerten,
+immer wieder von sich schleuderte und inmitten eines ihn umdrängenden
+wüthenden Haufens fest auf den Beinen blieb, ließen sie Ausrufungen der
+Bewunderung hören und folgten der Scene mit größtem Interesse. Auch ein
+paar muthige Damen hatten sich an die Thüre der großen Stube gewagt und
+lugten mit Antheil auf den Kampf, hauptsächlich aber auf den Kämpfer,
+der, einen Kopf über die Andern hinausragend, so preiswürdige Dinge
+that.
+
+Die theilnehmendste und zugleich antheilswertheste Zuschauerin
+von allen war aber die Gret. Ihr Herz wurde nach einander von
+Empfindungen ergriffen, die sie in durchaus unbekannte, wunderbar
+neue Regionen emporrissen. -- Die ersten Worte Michels, der so
+unerwartet und mit solchem Ansehen ihr zu Hülfe kam, hatten sie mit
+Wohlgefühl überrieselt. Sie starrte ihn an, erröthend, verlegen -- mit
+durchbrechender Freude. Als der Schneider den Gewaltigen anpackte, rief
+sie: »Bist du rasend?« -- und wollte ihn, von dem drohenden Streit
+erschreckt, in seinem Interesse zurückziehen. Wie sie nun aber den
+Vertheidiger umringt sah, da fühlte sie eine andere Regung; muthig
+stürzte sie auf einen der Bursche zu, ergriff ihn und wollte ihn
+wegreißen. Allein Michel stieß eben diesen Gegner auf die Seite, daß
+er über eine Bank taumelte -- -- und als sie die Riesenkraft sah, mit
+der er allein sich Aller erwehrte, und der Glaube, daß ihm keiner was
+anhaben könne, unwiderstehlich in ihrem Gemüth auflebte, da trat sie
+auf die Seite.
+
+Mit klopfendem Herzen und wogender Brust sah sie auf den Kampf, der wie
+ein Sturm vor ihren Augen brauste. Sie sah die Uebermacht des Mannes,
+der ihr immer von allen der liebste gewesen war, mit Staunen, mit
+Entzücken. Was konnte es für sie Herrlicheres geben? Was konnte sie
+Schöneres und Rührenderes erblicken? Das that er für sie! Das that er,
+nachdem sie mit ihm getrutzt hatte wegen nichts und wieder nichts! Er,
+der größte und stärkste, aber auch der wackerste, der rechtschaffenste
+Bursche. Verschwunden war Alles, was ihr an ihm jemals lächerlich oder
+ärgerlich vorgekommen war -- verschlungen von der Flamme der Kraft und
+des Muthes, die vor ihr aufloderte. Sie sah nichts als den Helden,
+der um ihretwillen kämpfte und Alle niederstreckte! Sie sah ihn mit
+überströmendem Gefühl, mit wonnigem Stolz. Ihre Lippen zuckten; Thränen
+traten ihr in die Augen und rollten die glühenden Wangen hinab. -- --
+
+Michel war fertig -- der Kampf geendet. Drei der Gegner lagen am Boden
+und versuchten aufzustehen, wozu ihre Mädchen, die sich vergebens
+bemüht hatten, auszuwehren, ihnen die Hände reichten. Ein paar andre
+konnten nicht mehr aus den Augen sehen und traten wankend zurück.
+Der Schneider und sein Nördlinger College, der ihm tapfer zu Hülfe
+geeilt war, hatten geschwollene, blutende Nasen, blaue Augenringe
+und zerrissene, rothbefleckte Kleider. Michel stand siegreich da!
+Starkathmend, das Gesicht erhitzt und schweißtriefend, die Haare in
+Unordnung, die Juppe ohne den linken Flügel -- aber aufrecht und in der
+ganzen Freude des Triumphs. Ins Gesicht hatte ihn keiner getroffen,
+dafür hatten seine Arme gesorgt -- und die blauen Flecke auf dem Leib
+sah man nicht.
+
+Seine Blicke suchten die Gret. Er sah sie, die Wangen thränenfeucht,
+aber die Augen selig glänzend -- und schnell wie der Blitz erhellte
+seine Seele die Erkenntniß ihres Gemüthes. Mit stolzem Lächeln ging er
+auf sie zu und rief: »No, Margret, bist z'frieda' mit m'r desmol?« --
+»O Michel«, erwiederte das Mädchen mit einem Ton aus tiefster Seele, --
+-- »o Michel, was bist du für a Burscht!« -- Michel sah sie liebevoll
+an und nahm sie bei der Hand. »Ja« sagte er, »schwätza' ka'n e freile
+net wie a'n Anderer, ond danza'n ond sprenga' ka'n e net, wie se's
+ghöart -- aber ebbes ka'n e doch doa' für a Mädle, auf die e ebbes
+halt!« -- Die Gret schwieg und drückte ihm zärtlich die Hand.
+
+In der Gewißheit seines Glücks und im Schwunge des Siegergefühls
+wandelte den Burschen eine heitere Laune an. Die Hand des Mädchens
+loslassend und einen Schritt zurücktretend sagte er: »Aber wärle --
+i dua' grad als ob du mei' Schatz wärst, ond vergiß ganz, daß dei'
+Burscht doh ist, der de auf d'Kirwe gführt hot. Wamma' se von oem ens
+Wirthshaus führa' loßt ond gar mit 'm auf da' Plahtz got« -- -- Die
+Gret war bei den ersten Worten erröthet; nun fiel sie ihm in die Rede
+mit einem Blick zugleich der Liebe, der Scham und des Vorwurfs: »Ist
+m'r denn ebbes anderst's überblieba', om di z'ärgera' ond eifersüchteng
+zmacha?« --
+
+Ein Seufzer ließ sich in der Nähe vernehmen. Er kam von dem
+unglücklichen Schneider, der an einem Seitentisch in eine
+wassergefüllte Schüssel sich wusch und nun hören mußte, daß er von der
+Gret nur als Mittel benutzt worden war. »Des oh no' (das auch noch)«,
+rief der arme Kerl, indem er mit tragikomischer Miene nickend in die
+Schüssel sah. Michel aber ging strahlenden Angesichts auf das Mädchen
+zu, ergriff ihre Hand und rief: »So isch gmoet gwesa'? -- No, nocht
+ghöarst mei' -- ond der Deufel en der Höll soll de mir net widder
+nemma'!« --
+
+Die ganze Scene des Streites und der Verständigung unsres Paars
+war natürlich schneller vorübergerauscht, als wir sie zu schildern
+vermochten. Jetzt, nachdem sich Alles begreiflich gelöst und der Kampf
+durch die Reden der Liebenden Licht und Sinn erhalten hatte, drängte
+man sich theilnehmend zu diesen heran. Der treue Kasper gab erst dem
+Freunde die Hand, dann, mit heiterm Zunicken, dem Mädchen, und wurde
+von dieser durch einen herzlich dankbaren Blick belohnt. Die Studenten
+konnten nicht widerstehen -- sie mußten den Triumphator preisen und ihm
+gratuliren, was der Bursche mit wohlgefälliger Würde entgegennahm. --
+Allgemeine Heiterkeit füllte die Stube. Sämmtliche Zuschauer hielten
+es mit dem Sieger und Glücklichen und warfen spöttische Blicke auf die
+Geschlagenen, die den Schaden hatten. -- In dieser Beziehung machen
+sie's im Ries gerade so, wie anderwärts! --
+
+Michel, in der Höhe seiner Stimmung, wandte sich zu seinem sonstigen
+Nebenbuhler und sagte halb mit Laune, halb gutmüthig: »Schneider -- nex
+für o'guet! I sig ietz scho' daß eigentlich du an mei'm Glück Schuld
+bist -- ond i bedank' me schöa'!« -- Der Schneider, in welchem die
+Wuth verdampft war und einem gewissen desperaten Humor Platz gemacht
+hatte, erwiederte sich die Nase reibend: »I bedank' me oh schöa'!« --
+Das Gelächter, das auf diese Art von Witz folgte, war die erste kleine
+Genugthuung, die dem armen Burschen nach seiner Niederlage zu Theil
+wurde. Michel fühlte einen Trieb, ihn wieder aufzurichten, und fuhr
+fort: »Onder o's gsakt, Schneider, du bist a Deufelskerl! Wann alle so
+gschwend ond so wüadeng gwesa' wäret wie du -- i hätt' wärle koe Fetzle
+Häs mea' auf'm Leib. Aber i will d'r ietz zoega', daß e oh ebbes für
+de doa' ka'. Weil d'mer mei' Jupp so schöa' verrissa host, ietz sollst
+m'r grad a nuia' macha' därfa'. Von ha'et a' loß e bei dir arbeta',
+ond i hoff, i ka' d'r bald meaner z'doa geba'!« -- »Ist m'r a'n Ehr'«,
+erwiederte der Schneider mit ironischer Höflichkeit.
+
+Die Gret hatte dem Michel mit froher Verwunderung zugehört. Wie kam er
+plötzlich dazu, mit Andern Spaß zu machen und so nette Dinge zu sagen?
+-- Eine neue Tugend, die sie ihm nicht zugetraut hätte, und deren
+Hervortreten sie nun in große Freude versetzte.
+
+Die Scene war friedlich, ja ergötzlich geworden. Sie hatte große
+Aehnlichkeit mit der Auflösung eines Lustspiels, wo Alles in Heiterkeit
+verschlungen und der heftigste der vorangegangenen Conflicte eben am
+pikantesten erscheint. Zum Glück hatte der Streit keine tragischen
+Folgen gehabt. Niemand war gefährlich verletzt. Die Geschlagenen
+und Betäubten erholten sich wieder, nahmen Trost an und hofften in
+wenigen Tagen geheilt zu sein. Alles fügte sich in seine Lage, und das
+Vergnügen wollte eben wieder seinen Lauf nehmen, als auf einmal von
+außen der entrüstet herrische Ruf erscholl: »Wo ist's? Wer hat die
+Frechheit gehabt« --
+
+Ein Gendarm trat herein, nicht einer von den gutmüthigen und
+volksfreundlichen, wie es deren giebt, sondern ein grimmiger, der als
+Repräsentant des Gesetzes das Gefühl hatte, daß sich eigentlich Alles
+vor ihm verkriechen müsse. Er hatte, im Freien spatzierend, erst jetzt
+von der Schlägerei Kenntniß erhalten und eilte herbei, die Schuldigen
+herauszufinden und Anzeige zu machen. »Wer hat hier geschlagen? Wie ist
+der Streit angegangen? -- Antwort!« Auf diese mit funkelnden Augen und
+vernichtender Miene herausgestoßene Rede, trat Michel großartig vor
+und sagte: »Ih ben's, der Streit ghett hot! -- i hab a halbs Dutzet
+Kerl zammgschlaga' die auf me loasganga' send -- ih alloe! Mei' Nam'
+ist Johann Michael Schwab, ond i ben vom Dorf. So, ietz woeß er, was
+er wissa' mueß. Ietz zoeg 'r me a', ond was m'r noch'm Rehcht ghöart,
+des will e haba'.« -- Der Gendarm, von dem riesigen Burschen etwas
+imponirt, aber von dem Stolz dieser Rede noch mehr indignirt, versetzte
+streng und mürrisch: »Was ist das für a Rüpelei -- Raufen!« -- Schon
+war Michel bereit, dem Gendarmen hinauszugeben, was ihm nach seiner
+Meinung gebührte, als auf einmal ein junger Bursche aus der Menge
+heraus mit schelmisch heller Stimme rief: »Der Schneider hot a'gfangt!«
+
+Allgemeines schallendes Gelächter folgte dieser Erinnerung an eine
+komische Wahrheit und ließ sich nicht mehr beruhigen. Der Gendarm fand
+für gut, sein strenges Wesen, auf das niemand mehr achtete, bei Seite
+zu setzen und mit pflichtmäßiger Ruhe die zu seiner Anzeige nöthigen
+Erkundigungen einzuziehen. Während dem faßte die Gret den Michel bei
+der Hand und sagte im Ton herzlichen Bedauerns: »Ietz kommst no' en
+O'gelegenheit, Michel -- wega' mir! -- 'S duet m'r wärle recht von
+Herza' Loed (Leid)!« -- »Bah«, erwiederte der Bursche, -- »da' Kohpf
+kost des no' lang net! -- Ond wanns anderst ganga' wär' -- ond wanns 'n
+kosta' dät, -- 's dät me net ruia (reuen)!« -- Das war ein Compliment
+für die Gret! -- Das Mädchen fand, daß Michel auch besser reden könne,
+als alle Bursche, die sie bis jetzt gehört hatte -- und ihre Freude
+kannte keine Grenzen.
+
+Nach einer Weile finden wir das Paar auf dem Weg zu dem Hause Michels.
+Die Fischotterkappe und der abgerissene Juppenflügel hatten sich
+wieder gefunden und dieser war von der Gret angegluft worden, so daß
+unser Held mit Ehren durch die Gasse gehen konnte. Eine Ueberraschung
+war der Mutter freilich nicht mehr zu bereiten, denn Kasper, der
+Getreue, hatte sich schon zu ihr verfügt und ihr Alles erzählt. Die
+gute Alte fühlte eine unendliche Liebe zu der Gret. Wäre sie eine
+gebildete Frau gewesen, sie wäre der Schönen, Lieben und Klugen mit
+den zärtlichsten Ausdrücken um den Hals gefallen. Als ein Weib aus
+dem Dorfe, wo Umarmungen weniger vorkommen, ergriff sie die Hände der
+künftigen Söhnerin und preßte sie, während die herrliche Erfüllung des
+so lange versagt gebliebenen und schon aufgegebenen Herzenswunsches ihr
+Freudenthränen in die Augen trieb. »No«, rief der Sohn ihr vergnügt zu,
+»hab e net gsakt, daß i ebbes durchsetz', wann i amol drauf ausgang'?«
+-- »Ja, des glob e«, erwiederte die Mutter, »wamma' des Glück hot,
+wo du ha'et ghett host; doh ka'n a'n ieder zu ebbes komma'!« -- »Ja,
+lieba' Mueter«, versetzte Michel, »Glück mueß ma'n allweil haba',
+wamma'n ebbes durchsetza' will en dear schlechta' Welt! Ohne des got
+nex!« --
+
+Wir brauchen nicht zu sagen, daß der wackre Vater der Gret, zu dem man
+sich gleich nachher verfügte, unserm Paar kein Hinderniß in den Weg
+legte. Er mußte sich am Ende auch sagen, daß der Michel als Mann der
+Gret eine bessere Figur mache als der gute Jakob. Nachdem er seine
+Einwilligung ertheilt hatte, sah er übrigens die Tochter lächelnd an
+und sagte; »O uir Weibsbildr, en ui kennt se doch koe Mensch aus!« --
+Michel, seinen Arm um die Geliebte schlingend, erwiederte heiter: »I
+moenet ietz doch, i dät me auskenna' en dear doh!« --
+
+ * * * * *
+
+Unsere Geschichte ist zu Ende. Damals glaubte man nicht, daß die
+bürgerliche Gesellschaft in Gefahr sei, wenn bei einem Bauernfest
+eine kleine Schlägerei vorfiel. Man faßte bei Gericht die Sache von
+der heitern Seite auf und die Betheiligten kamen mit verhältnißmäßig
+leichten Strafen davon.
+
+Auf den Schneider hatte die Erfahrung, die er machte, eine günstige
+Wirkung. Nachdem er als derjenige, welcher nachweislich zuerst
+geschlagen, auch noch am bedeutendsten gestraft worden war, fühlte er
+sich von dem »Spruhz«, der ihn bis dahin besessen hatte, so ziemlich
+geheilt. Er lernte sein Verhältniß zur Welt in richtigerem Lichte
+sehen und verzieh nach Art der gutmüthig eiteln Menschen nicht nur dem
+Michel, sondern auch der Gret, welche bei schicklicher Gelegenheit
+ihn herzlich um Verzeihung bat und hinzufügte: daß sie sich eine
+solche Freiheit nicht genommen hätte, wenn er nicht ihr Vetter und ihr
+außerdem als herzensguter Mensch bekannt gewesen wäre! -- Bald nachher
+sagte der Gute zu seinen Kameraden: »Am End isch mei' Glück', daß e
+die net kriegt hab!« Und die Kameraden stimmten ihm lachend bei. In
+der Folge heirathete er eine Kleine, Feine und Gutmüthige, die ihn
+respectirte, und lebte als Dorfschneider zufrieden und glücklich.
+
+Unser Paar feierte den Ehrentag noch in demselben Jahre. In der
+Zwischenzeit hatte die Gret den Michel so weit gebracht, daß er nach
+dem Heimgang von der Kirche zu allgemeinem Beifall mit ihr tanzte.
+Unter dem Gemurmel desselben sang Kasper, der Hochzeitknecht, mit
+fröhlicher Miene das Liedchen, womit wir Erzählung und Buch beschließen
+wollen:
+
+ Die ersten drei Reihen
+ Sind aus und vorbei,
+ Und nun steht das Tanzen
+ Jedem Anderen frei! --
+
+ [Illustration]
+
+
+ Berlin, Druck von ~W. Büxenstein~.
+
+
+Fußnoten:
+
+[3] Von Düppel, einer Kopfkrankheit der Schafe, wobei sie sich wie
+blödsinnig benehmen.
+
+[4] Er ist jetzt in eine hübsche Anlage verwandelt.
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75688 ***
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+ Erzählungen Aus Dem Ries | Project Gutenberg
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+<div class="transnote">
+<p class="s3 center">Anmerkungen zur Transkription</p>
+<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und
+Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche
+Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.</p>
+<p class="p0">Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter umgestaltet. Ein Urheberrecht
+wird nicht geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt genutzt werden.</p>
+<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt</p>.
+</div>
+
+<figure class="figcenter illowp46" id="cover">
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+
+<h1 class="mtop2">Erzählungen aus dem Ries.</h1><br>
+
+<p class="p2 center">Von</p>
+
+<p class="s2 p2 center">Melchior Meyr.</p><br>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowe14" id="illu-001">
+ <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<p class="s4 p4 center"><b>Berlin, 1856.</b></p>
+
+<p class="center">Verlag von Julius Springer.</p> <br>
+
+<hr class="r5">
+
+<div class="chapter">
+<h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt.</h2></div>
+
+<table class="autotable">
+<tr>
+<td class="tdl"></td>
+<td class="tdr">Seite</td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Ludwig und Annemarie</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_1">1</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Die Lehrersbraut</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_109">109</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Ende gut, Alles gut</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_277">277</a></td>
+</tr>
+</table>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowe8" id="illu-003">
+ <img class="w100" src="images/illu-003.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_v">[S. v]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Vorwort.</h2>
+</div>
+<div>
+<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-v.jpg" id="drop-v.jpg">
+</div>
+<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">D</span>ie erste der drei Erzählungen dieses Bandes wurde 1852 im
+<em class="gesperrt">Morgenblatt</em> veröffentlicht. Der Beifall, den sie erhielt, und
+die freundliche Aufforderung von Seiten der Redaction veranlaßten mich,
+im letzten Winter die zweite zu liefern. Die dritte, im laufenden Jahr
+geschrieben, erscheint hier zum erstenmal.</p>
+
+<p>In der Einleitung zur ersten habe ich über das <em class="gesperrt">Ries</em> die nöthigen
+Aufklärungen gegeben und meine Ansicht über das Genre ausgesprochen,
+das ebenfalls zu cultiviren ich mich berufen fühlte. Zur Unterstützung
+des dort Gesagten nur wenige Bemerkungen.</p>
+
+<p>Das, was man unter dem Namen »Dorfgeschichte« begreift, ist in
+Bezug auf idyllische Darstellung im weiteren Verstande des Worts
+ein Fortschritt, in sofern darin von erträumten Zuständen und
+schablonenmäßiger Behandlung zur Auffassung der Natur und des
+wirklichen Lebens übergegangen ist. Man gewann neue, frische
+Gegenstände und eine neue Behandlung; und das Publikum überzeugte sich,
+daß die Personen in den gelungensten dieser Erzählungen darum, daß
+sie lebenswahr und individuell im Bilde stehen, an Reiz und Interesse
+keineswegs verloren<span class="pagenum" id="Seite_vi">[S. vi]</span> haben. Der Beifall, den diese Erzeugnisse fanden,
+mag mit daran Schuld sein, daß man Anklagen gegen sie erhoben hat,
+die nur ihre schwachen Nachahmungen treffen. Die Dorfgeschichte soll
+freilich das getreue Bild eines wirklich vorhandenen Landlebens
+aufstellen; allein ist der Erzähler dichterisch begabt, so verhindert
+ihn nichts, dieses Leben poetisch zu verklären. Er kann das Material,
+das ihm die Wirklichkeit bietet, zu einem Organismus ausprägen, der auf
+den Leser alle Eindrücke eines künstlerischen hervorbringt. Er kann es
+— wenn er der Mann dazu ist.</p>
+
+<p>Von Seiten derer, die in Fragen der Poesie nicht zu entscheiden
+berechtigt sind, weil sie ihre Begriffe nur von einzelnen Erscheinungen
+derselben abgezogen haben und das Werdende und das Seinsollende —
+das Ideal nicht in Anschlag bringen können — von Seiten dieser
+in Deutschland nicht seltenen Urtheiler ist die Würde und die
+Bedeutung des Gegenstandes angestritten worden, auf den sich der
+Dorfgeschichten-Erzähler gewiesen sieht. Allerdings bewegt sich das
+Leben des Landvolks — und nun gar das eines bestimmten Landvolks!
+— in genau begränzter Sphäre. Allein innerhalb derselben findet
+sich gleichwohl alles Menschliche — alle Tugenden und Schwächen
+des Menschen und eine reiche Bethätigung derselben — wenn auch in
+eigenthümlichen, nach gewisser Seite hin beschränkenden Formen. Wer das
+Alles nun klar zu sehen — wer die Tugenden und Fehler in Aufdeckung
+ihrer Quellen treu zu schildern und in das Licht wahrer poetischer
+Gerechtigkeit zu erheben, wer dem vorgeführten Conflict in Handhabung
+dieser Gerechtigkeit einen befriedigenden Schluß zu geben vermag —
+wie sollte der abgehalten sein, in Darstellung solchen Lebens ein
+poetisches Werk hervorzubringen?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_vii">[S. vii]</span></p>
+
+<p>Von dem Erzähler, der auf diesem Gebiete dem Ideal sich nähern soll,
+ist freilich außer der poetischen Begabung noch Eines unabweislich
+gefordert: er muß unter dem Volke, das er zu schildern unternimmt,
+gelebt und Leid und Freud mit ihm getheilt haben. Er muß im Innern der
+Familien heimisch sein und seine Leute in Situationen gesehen haben,
+die ihre derbere Natur und ihr einfacheres Wesen auch wirklich in
+Bewegung zu setzen und zu antheilerweckenden Aeußerungen aufzuregen
+vermochten. Dem flüchtigen Beobachter wird das Landvolk im Guten und
+im Schlimmen sich nicht offenbaren, und weder im Wirthshaus noch in
+der Amtsstube kann man den ganzen Bauer kennen lernen, weil hier wie
+dort nur einzelne Seiten zum Vorschein kommen, und zwar keineswegs die
+besten. Mit der Kenntniß des Gesammtlebens, wie sie nur der Mitlebende
+sich erwirbt, muß der Autor zugleich jene Liebe zum Volke verbinden,
+ohne die es unmöglich ist, das Schöne und Gute in ihm zu sehen und
+herzgewinnend hervorzubilden. Allein die wahre Kenntniß und die Liebe
+gehen immer Hand in Hand; denn nur die Liebe ist im Stande, wahre
+Kenntniß zu erlangen.</p>
+
+<p>Der Dorfgeschichten-Erzähler, in welchem die erforderlichen
+Eigenschaften vereinigt sind, hat von seinem Gegenstand, der ihn auf
+der einen Seite beschränkt, auch wieder ganz eigenthümliche Vortheile.
+Er schildert Menschen, die entschieden ausgeprägt sind, und doch in
+einer Sphäre der Naivität sich bewegen, die ihren Aeußerungen den Reiz
+des Kindlichen verleiht und auch bei den ergreifenden uns ein Lächeln
+entlocken kann. Rührung und Erheiterung — wie dies namentlich auch die
+Werke Jeremias Gotthelfs beweisen — gehen in seiner Darstellung eng
+verbunden zusammen. Das unmittelbare Sinnen- und Gemüthsleben, das in
+der Sphäre unverdorbener Landleute herrschend<span class="pagenum" id="Seite_viii">[S. viii]</span> ist, giebt auch der hier
+bewußtesten Persönlichkeit und den von ihm entferntesten Eigenschaften
+noch etwas von seinem Gepräge. Die <em class="gesperrt">Natur</em> in ihrer Kraft, in
+ihrem quellend frischen Leben, das uns umfließt, wie das Wasser des
+lebendigen Stromes die Glieder des Badenden, sie, die nährende Trägerin
+alles Lebens ist es, die ihr Füllhorn ausgießt, wenn der Darsteller nur
+den Geist hat, dem sie liebend und mittheilend entgegen kommt! —</p>
+
+<p>Ist die Möglichkeit einer wesentlich poetisch gehaltenen Dorfgeschichte
+bewiesen, dann wird es Erzählungen, die in der That poetisch wirken,
+nicht zum Vorwurf gemacht werden können, daß durch sie zugleich noch
+andere Zwecke erreicht werden. Wenn sie, von ästhetischer Ergötzung
+abgesehen, zur Kenntniß des Volkes, seiner Denkweise und Sitten
+beitragen; wenn sie auf die Frage der Volkserziehung beachtenswerthe
+Lichter werfen; wenn sie die geistige Scheidewand niederreißen helfen,
+die zwischen den gebildeten Klassen und den Landleuten noch besteht,
+und die einseitigen Begriffe, die sich jene von diesen machen,
+berichtigen — wenn sie den Beweis liefern, daß man sich des deutschen
+Bauers gerade nicht zu schämen hat, und die gebildeten Classen zu
+dem Gedanken erheben, daß sie mit dem richtig erkannten und richtig
+behandelten Bauer Ein Volk zu bilden haben — dann wird dies an solchen
+Erzählungen kein Mangel, sondern nur eine Tugend mehr sein.</p>
+
+<p>Wie weit ich mich in den folgenden Erzählungen dem Ziele, das ich mir
+hiernach stecken mußte, genähert habe, das mögen berufene Kritiker und
+freundliche Leser entscheiden. Kenntniß des Volks, das ich schildere,
+und Liebe zu ihm wird mir nicht abzusprechen — und das Streben, aus
+dem ächten Material Kunstwerke zu bilden, wird nicht ganz ohne Frucht<span class="pagenum" id="Seite_ix">[S. ix]</span>
+geblieben sein. Die Gedanken, die der ersten und der zweiten Erzählung
+zu Grund liegen und durch sie zur Anschauung gebracht werden sollen,
+treten dem Urtheilenden so klar entgegen, daß ich über sie nichts
+weiter zu sagen habe. Auch der dritten, in der ich den ungedämpften
+Realismus des Riesers in die Sphäre des Humors zu erheben trachtete,
+wird man vielleicht die Bedeutung eines Gleichnisses zugestehen. Die
+Aufgabe, die ich mir hier gestellt, bedingte in den Gesprächen die
+durchgängige Anwendung des Dialekts, worin die geführten Reden allein
+die erforderliche Natürlichkeit und humoristische Kraft haben. Allein
+der Rieser Dialekt ist leicht zu verstehen, und einzelne schwierige
+oder in der Schriftsprache nicht gebräuchliche Ausdrücke sind in
+Parenthesen erklärt. Bei gewissen Gegenständen ist die Mundart für
+den geistigen Menschen, was die Landestracht für den leiblichen; und
+wenn die schönwissenschaftlichen Arbeiten nebenbei die Kenntniß der
+deutschen Dialekte fördern, so wird das wohl ebenfalls eine löbliche
+und nicht unzeitgemäße Eigenheit sein.</p>
+
+<p>Zur richtigen Lesung und zum Verständniß jener Gespräche werden
+folgende Nachweisungen dienen.</p>
+
+<p>Im Rieser Dialekt, ähnlich wie in andern, wird vielfach das n nicht
+ausgesprochen, aber der Nasenton des ihm vorhergehenden Vokals oder
+Diphthongen beibehalten. Die »Bahn« wird zur »Bah'«, aber das a darin
+ebenso durch die Nase wie in dem hochdeutschen »Bahn« — also wie das
+französische <span class="antiqua">ban</span> ausgesprochen. »Es scheint« wird »es schei't«;
+der Diphthong behält den Nasenton des »scheint« und das Wort darf
+keineswegs wie Scheit (Holz) gelesen werden. — Ich habe diesen Ton
+durch den Apostroph hinter dem betreffenden Vokal oder Diphthongen
+bezeichnet.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_x">[S. x]</span></p>
+
+<p>Der Rieser legt bei gewissen Worten nach dem Vocal ein kurz und
+gleichfalls durch die Nase zu sprechendes a oder e ein. Er sagt statt
+»gut,« guat oder guet, statt »gern« geara'. Guet läßt etwas feiner als
+guat.</p>
+
+<p>In »ab«, »herab«, läßt der Rieser das b unausgesprochen; er sagt »ah«,
+»rah«. Abfallen wird Ahfalla'.</p>
+
+<p>Das au verwandelt man im Ries vielfach in o oder oh, das ei in oe, das
+a in o, das i in e. Es heißt z. B. statt rauchen rohchen, statt klein
+kloe, statt Mahl Mohl, statt finden fenden. Weiß man dies, so wird aus
+dem Zusammenhang der Rede das entsprechende hochdeutsche Wort leicht zu
+erkennen sein. Das oe habe ich, damit es nicht ö gelesen wird, in den
+ersten Erzählungen mit trennenden Punkten versehen.</p>
+
+<p>Wie in andern Gegenden Deutschlands, so wird auch im Ries häufig d
+gesprochen, wo die Schriftsprache t — b, wo sie p hat. Man sagt danza'
+statt tanzen, doa' statt thun, Bost statt Post etc.</p>
+
+<p>Für »wir« hat der Rieser »o's« (uns) — aber nur da, wo der Nachdruck
+auf diesem Worte liegt. Er sagt: »O's Rieser« = wir Rieser. »Send o's
+net so guet, wie ander Leut?« = Sind wir nicht so gut wie andre Leute?
+— Hat »wir« dagegen nicht den Accent, so wird es zu mer (m'r) oder wer
+(w'r). »Mer hont scho' gmuag« = wir haben schon genug. »Reißa' mer's
+raus« = reißen wir's heraus.</p>
+
+<p>Die Betonung hat auch sonst Einfluß auf die Fassung der Worte. »Ich«
+lautet, wenn es mit Nachdruck gesprochen wird, »ih«. Bei geringerer
+Betonung wird es zu i, bei der geringsten zu e. Es heißt: »Ih solls do'
+haba'?« = <em class="gesperrt">ich</em> soll's gethan haben? »Soll i's oh doa'? = soll
+ich's auch thun? »Des hab' e do'«, = Das hab' ich gethan. »Dir« lautet
+»Dir«, wen es<span class="pagenum" id="Seite_xi">[S. xi]</span> den Accent hat; wo nicht, so wird es zu »Der«, »D'r«. Z.
+B. »I hab <em class="gesperrt">dir's</em> gsakt (gesagt). I hab d'r's <em class="gesperrt">gsakt</em>.«</p>
+
+<p>Die Rieser Mundart braucht einzelne Worte in anderm Geschlecht als die
+Schriftsprache. »Ich habe keine Lust dazu« heißt: i hab koen (keinen)
+Luhft derzua'. »Luft« existirt weiblich und männlich. Die Luft ist
+ruhige Luft; der Luft, active Luft, Wind. Man sagt z. B. »'s got (geht)
+a starker Luhft!«</p>
+
+<p>In Bezug auf Deklination ist zu bemerken, daß der Rieser statt des
+hochdeutschen Genitivs ein »von« anwendet; z. B. die Größe meines
+Sohnes = die Gröaß von mei'm Soh'; — oder nach dem Genitiv ein Fürwort
+setzt: z. B. des Bauern Haus = d's Baura' sei' (sein) Haus.</p>
+
+<p>In der Conjugation weicht er von der Schriftsprache vielfach ab. Er
+conjugirt: I hab (ich habe), du host, er hot; o's hont, uir hont, sie
+hont. I wear (ich werde), du wurscht, er wurd; o's wearet, uir wearet,
+sie wearet. I sig (ich sehe), du sikst, er sikt; o's sehet (seha't),
+uir sehet, sie sehet. »Sie wearet« heißt auch, sie weara', und so
+bei andern Zeitwörtern. Vom Imperfectum braucht der Rieser nicht den
+Indicativ, wohl aber den Conjunctiv. Statt »ich ging« sagt er: i ben
+ganga'. Für »ich ginge wohl« hat er aber: i geang wohl. Wenn er das
+Imperfectum »war« anwendet, so bedeutet es entweder »wäre« oder »ist«.
+Eigenthümliche Zusammenziehungen sind: Gommer = gehen wir; hommer =
+haben wir; lommer = lassen wir.</p>
+
+<p>Der Hiatus wird im Dialekt möglichst vermieden. A' = ein wird vor einem
+Wort, das mit einem Vokal anfängt, zu a'n. Es heißt: a Fueß (Fuß); aber
+nicht: a' Aug, sondern a'n Aug. —</p>
+
+<p>Das dürfte genügen. Andere Abweichungen, Auslassungen von Buchstaben
+und Zusammenziehungen, Dehnungen (die mit<span class="pagenum" id="Seite_xii">[S. xii]</span> Einlegung eines h bezeichnet
+sind) bieten für den Leser keine Schwierigkeit.</p>
+
+<p>Schließlich haben wir nur noch zu bemerken, daß der Schriftsteller in
+Gesprächen die mehr oder minder gebildeten Landleute durch minder oder
+mehr entschiedenen Dialekt charakterisiren muß. Wenn man also auch
+in unsern Erzählungen Variationen antrifft, so wolle man darin keine
+Nachlässigkeit oder Willkür, sondern vielmehr das Bestreben erkennen,
+den Modificationen zu folgen, die im Leben selber vorkommen.</p>
+
+<p>
+<span style="margin-left: 1em;"><em class="gesperrt">Ebermergen</em> bei Harburg im Ries.</span></p>
+<p class="s4 mright"><b>Der Verfasser.</b></p><br>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_1">[S. 1]</span></p>
+<h2>Ludwig und Annemarie.</h2>
+</div>
+
+<div>
+<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-3.jpg" id="drop-3.jpg">
+</div>
+
+<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">D</span>as Ries ist ein Gau im Schwabenlande, einige Stunden nordwärts von der
+Donau. Der größte Theil gehört zu Bayern, der nordwestliche Strich zu
+Württemberg. Man braucht in diesem Gau nicht geboren zu sein, sondern
+nur in guter Jahreszeit darin verweilt zu haben, um ihn für einen der
+anmuthigsten und gesegnetsten in unserem Vaterlande zu halten. Wer an
+einem schönen Juni-Abend auf einer der westlichen Anhöhen steht und die
+von bewaldeten Hügeln umschlossene Ebene erblickt in dem glänzenden
+Reichthum ihrer Feldfrüchte, die alte Reichsstadt Nördlingen mit ihrem
+hohen Thurm, die fürstliche Residenz Wallerstein mit dem grauen Felsen,
+der früher die Burg der Grafen von Wallerstein trug, hier und da ein
+wohlerhaltenes Schloß oder ehemaliges Klostergebäude und die Menge
+schmucker Dörfer, den wird ein freudiges Gefühl überkommen: er hat
+nicht nur eine schöne, fröhliche Landschaft vor sich, sondern er fühlt
+zugleich, daß ihre Bewohner begünstigte Menschen waren und sind.</p>
+
+<p>Das Ries ist eine kleine Welt und birgt eine nicht unbedeutende
+Mannigfaltigkeit von Lebenserscheiuungen in sich. Daß es theils
+bayrisch, theils württembergisch ist, scheint zu seinem Wesen zu
+gehören. Die Bewohner zerfallen in Protestanten und Katholiken,
+die zerstreut durcheinander wohnen. Im protestantischen Theile und
+namentlich unter den Geistlichen fanden sich vor einigen Jahrzehnten
+die Extreme der frommgläubigen und rationalistischaufgeklärten
+Anschauung vertreten, von denen die erstere eine sehr rege Thätigkeit
+entwickelte. Auch<span class="pagenum" id="Seite_2">[S. 2]</span> Juden fehlen nicht in dem wohlhäbigen Landstrich.
+Sie sitzen an einzelnen Orten, hauptsächlich in Wallerstein, in
+verschiedenen Abstufungen des Vermögens und Ansehens, vom reichen
+Kaufmann und Geldverleiher an bis herab zum Schmuser, der sich auf
+Märkten durch leidenschaftliche Verständigungsversuche seinen Bedarf
+erkämpft. Der Dialekt ist schwäbisch in besonderer Ausbildung, an
+einzelnen Punkten von Alters her eigenthümlich modificirt. Nördlingen
+und Wallerstein liegen kaum eine Stunde auseinander, und doch ist
+der ächte Nördlinger von dem ächten Wallersteiner an Mundart und
+Betonung sogleich zu unterscheiden. In Oettingen, wie überhaupt
+an der nordöstlichen Grenze, herrscht der fränkische Dialekt. Der
+Menschenschlag ist arbeitsam, gewerbthätig und von gemüthlichem,
+vergnügtem Wesen, sehr geneigt zu Scherz und Neckerei. Man findet
+darunter noch viele Exemplare von jenem angenehm drolligen und
+komischen Gepräge, das der verständigen Ernsthaftigkeit unserer
+Zeit immer mehr weichen zu wollen scheint. Das schöne Geschlecht
+macht seinem Namen alle Ehre; auf den Dörfern begegnet man nicht nur
+stattlichen<span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span> und tüchtigen, sondern auch gar feinen und zierlichen
+Gestalten. Die Landestracht ist kleidsam, wenn sie mit Geschmack
+behandelt und von den Frauen in der Zahl der Röcke ein gewisses Maaß
+eingehalten wird. Uebrigens greift auch hier die französische Tracht um
+sich, und in dem Anzug der Frauen und Töchter wohlhabender Landleute
+findet sich Einzelnes derselben mehr oder minder glücklich mit der
+Landestracht verbunden.</p>
+
+<p>Der Verfasser hängt an diesem Gau mit begreiflicher Liebe. Er ist darin
+geboren und hat in ihm die schöne Jugendzeit verlebt. Als Gymnasiast
+und Student verbrachte er hier die glücklichsten Ferientage. In dem
+Alter, wo man um so reicher an poetischer Empfindung und Anschauung
+ist, je weniger man sie noch kunstmäßig auszudrücken vermag, lebte er
+das fröhliche Rieserleben mit und nahm mit nie versiegender Freude
+seine Eigenthümlichkeiten in sich auf. Die Landschaft, von dem Duft
+seiner Jugendgefühle übergossen, hat für ihn einen poetischen Reiz wie
+keine andere.</p>
+
+<p>Schon einmal im dem ländlichen Gedicht: »Wilhelm und Rosine,« das 1835
+erschien und eine Dorfgeschichte in Hexametern genannt werden kann,
+hat Schreiber dieses seiner Heimath in Schilderung ihres Dorflebens
+seinen poetischen Dank abgetragen. Er versucht es zum zweitenmal in
+einer Erzählung. Nach den ächten Darstellungen von<span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span> von Immermann und
+Berthold Auerbach ist das Genre der Dorfgeschichten durch Nachahmungen
+bei uns in die Mode und wieder aus der Mode gekommen. Aber das kann
+eine getreue Schilderung wirklicher Lebensverhältnisse nicht berühren.
+Im deutschen Volke sind noch Schätze zu heben von eigenthümlicher
+Art und Sitte, von eigenthümlichen Freuden und Leiden, von besondern
+Verbindungen der überlieferten Stammesbildung mit der neuen
+Zeitbildung. Wer von einem so bestimmten Leben ein dichterisch treues
+Abbild zu geben weiß, der wird empfänglichen Menschen immer Freude und
+Nutzen gewähren können. Das Aechte wie das Ewige hat immer seine Zeit;
+und auch Annäherungen an das höchste Ziel, wie sie dem frischen Streben
+gelingen, werden nicht unwillkommen sein.</p>
+
+<p>Nun zu unserer Geschichte. Sie hat sich vor einer Reihe von Jahren
+zugetragen, wo durch die Ebene noch nicht der Dampfwagen brauste und
+das Leben überhaupt noch ein idyllisches Gepräge trug, wie es jetzt
+nicht mehr so ganz der Fall sein mag.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Der Geistliche eines Dorfes in der Nähe von Nördlingen wandelte
+an einem schönen Sommermorgen in seinem Garten, der hinter dem
+wohlgebauten, zweistockigen Pfarrhause lag. Er hatte schon eine
+Zeitlang gearbeitet und wollte nun<span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span> einen Gang in freier Luft machen
+und nach den Fortschritten der Gewächse sehen. Da dieser Mann in den
+spätern Verlauf unserer Geschichte bedeutend eingreift, so wollen
+wir den Leser schon jetzt näher mit ihm bekannt machen. Er war ein
+Sechziger, bei mittlerer Größe von stattlichem Ansehen und offenbar im
+Besitz einer stetigen Gesundheit. Aus den regelmäßigen Gesichtszügen
+sprach Erfahrung, Verstand und eine heitere Freiheit des Geistes. Er
+hatte auf der Universität neben den theologischen allgemein bildende
+Studien getrieben, als Hofmeister in vornehmen Cirkeln und auf Reisen
+die Welt kennen gelernt und die Laufbahn eines Geistlichen von unten
+auf gemacht, bis er die einträgliche Stelle erhielt, wo er nun seit
+zehn Jahren ein ruhig glückliches Leben führte. Der Glaube an die
+Grundlehren der evangelischen Kirche war bei ihm ein Trieb und eine
+Forderung des Herzens, aber sein Christenthum war liebevoller,
+freundlicher Art. Die Natur mit Feuer und Schwert austreiben zu wollen,
+aus einer Mücke einen Elephanten zu machen und die Gemüther durch
+übertriebene Forderungen zu verwirren, war nicht seinem Charakter
+gemäß. Er rügte streng, wo es ihm klare Einsicht gebot, aber lieber
+schilderte er das höhere Leben in einer Weise, daß es durch seine
+eigene Schönheit die empfänglichen Herzen gewann. Er war milde,
+weil er zu unterscheiden wußte und das Gute in der Natur und in dem
+Gehaben des Volks erkannte. Als Seelsorger und im sonstigen Verkehr
+mit den Gliedern seiner Gemeinde freute er sich, jene brave Klugheit
+anzuwenden, welche die Menschen mit<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> leichten Mitteln zu lenken
+versteht. Er war dem Scherz nicht abhold, und aus dem anmuthigen
+Ausdruck seines Mundes konnte man schließen, das er freundschaftliches
+Gespräch selber damit zu würzen verstand.</p>
+
+<p>Die Sonne schien heiß vom wolkenlosen Himmel. Dieß hielt den Pfarrer
+nicht ab, den Schatten der Kastanienbäume am Hause zu verlassen und
+geschützt durch sei schwarzes Käppchen, unter dem rechts und links ein
+silbergrauer Haarbüschel hervordrang, erst die Blumenbeete, dann auf
+dem grasigen Platz die reifenden Kirschen zu betrachten. Aus einem
+Gesicht, dessen bräunliches Roth sich von dem anderer Landbewohner
+durch einen feineren, geistigeren Ton unterschied, sah eine innere
+Freudigkeit, die mit der Schönheit des Sommertags ganz in Harmonie war.</p>
+
+<p>Als er sich eben anschickte, unter die Kastanienbäume zurückzukehren,
+wurde die Thüre, die vom Pfarrhaus in den Garten führte, rasch
+aufgemacht und ein schlanker, blonder junger Mensch von etwa sechzehn
+Jahren ging eilig auf ihn zu. Es war sein Enkel, der Sohn seiner
+Tochter, die ihren Theodor dem Großvater zur Vorbildung für die letzte
+Klasse des Gymnasiums zugeschickt hatte. Das sonst gleichmäßig blasse,
+durch die Sonne nur wenig gebräunte Gesicht war jetzt erhitzt und
+geröthet, und man sah aus allem, daß er etwas für ihn sehr Bedeutendes
+zu berichten hatte.</p>
+
+<p>»Großvater,« rief er dem alten Herrn zu, »es ist gut, daß ich dich
+treffe! Drunten im Dorf — nein, es ist zu arg!« Er hielt inne, um
+zu verschnaufen. — Der Alte kannte seinen Mann. Er wußte,<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> daß der
+junge Kopf seine eigenen Ansichten vom Leben hatte, und daß manches,
+was damit in Widerspruch trat, ihn oft in unverhältnißmäßige Aufregung
+versetzen konnte. Er war daher nicht erschreckt, sondern fragte ruhig:
+»Nun, was ist denn schon wieder?« — »Drunten im Dorf,« erwiederte
+Theodor, »beim Angerbauer gibts Händel, Händel zwischen Vater und
+Sohn. Ich hab's selber gesehen.« — Der Alte wurde ernsthaft und eine
+Bewegung seines Kopfes verrieth, daß ihm die Nachricht nicht ganz
+unerwartet kam. Er sagte: »Erzähle mir, was du gesehen hast, aber in
+der Ordnung.«</p>
+
+<p>»Ich wollte in's Dorf hinunter, um hinter den Hecken mein Pensum zu
+lernen. Da sah ich vor dem Hause des Angerbauers einen Haufen Leute
+stehen, und wie ich hingehe, hör' ich wüthendes Geschrei aus der
+Stube. Der Alte schmähte den Sohn und schrie wie rasend. Gott, welche
+Schimpfworte und Flüche! Wie ist es möglich, daß die Menschen so roh
+sein können!« — »Es ist manches möglich, was du noch nicht begreifst,
+mein Kind,« sagte der Pfarrer. — »Und dieser Angerbauer,« fuhr der
+junge Moralist fort, »der immer so gescheidt sprach und sich ein so
+würdiges Ansehen zu geben wußte — von dem hätt' ich's am wenigsten
+geglaubt.« — »Der Angerbauer,« bemerkte der Alte mit nachdrücklicherem
+Ton, »ist ein ehrenwerther Mann und der Sohn deßgleichen. Das wirst du
+noch einsehen. Aber nun erzähle weiter. Was hat der Bauer seinem Sohn
+vorgeworfen? Oder hast du das im Eifer vielleicht überhört?« — »Nein,
+das kann ich dir genau sagen. Ludwig will die Annemarie beim Bäcker
+heirathen, und der Angerbauer will's nicht zugeben.« — »Ich dacht'
+es mir,« sagte der Geistliche. — »Wie ging der Streit aus? denn du
+hast doch wohl das Ende abgewartet?« — »Wie der Alte gerast, der Sohn
+trutzig geantwortet und die Bäurin umsonst sich Mühe gegeben hatte, sie
+zu begütigen, hörte man ein Knacken, wie von einem zerbrochenen Stuhl,
+und der Vater schrie: »Fort! Geh aus meinem Haus und komm mir nie mehr
+unter die Augen!« worauf Ludwig sagte: »Hab' keine Sorg, du wirst mich
+nie wieder sehen,« und aus der Stube ging. Dann wurd's stille und ich
+lief fort, um dir's zu erzählen.«</p>
+
+<p>Der Geistliche schüttelte den Kopf, schien aber von diesem Ausgang<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span>
+doch weniger beunruhigt zu sein, als sein Enkel erwartete. Er sah eine
+Zeitlang vor sich hin und nickte dann, als ob er einen Entschluß gefaßt
+hätte. Der junge Mensch sah ihn an und fragte: »Wirst du hingehen und
+Frieden stiften?« — Der Geistliche erwiederte mit leisem Lächeln über
+diesen Eifer: »Der Streit ist ja aus, wie du mir sagst.« — »Wenn aber
+Ludwig auf und davon geht?« — »Daran werd' ich ihn nicht verhindern
+können.« — »Aber, lieber Großvater« — »Wirst du einem alten Pfarrer
+lehren, was er zu thun hat, Junge? Komm jetzt zur Großmutter.« Er nahm
+ihn wohlwollend bei der Hand und führte ihn in's Haus zurück.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Der Angerbauer war nach ländlichen Begriffen ein reicher Mann. Er
+hatte seiner Tochter, die im Dorfe verheirathet war, sechstausend
+Gulden mitgegeben, und mehr als das Doppelte hatte er noch am Zins.
+Sein Sohn Ludwig sollte eben so viel und das jüngste Kind Andres nach
+der bäuerlichen Erbfolgeordnung den Hof erhalten. Die Familie lebte
+wohl und glücklich zusammen. Der Vater, ein hochgebauter, stattlicher
+Mann mit schwarzen Augen und Haaren und gelblichbraunem Gesicht, hielt
+gute Zucht im Hause, ohne jedoch seinen Kindern den herkömmlichen
+Lebensgenuß zu verkümmern. Er war ein kluger Oekonom und sein Stolz
+war, die bestbestellten Aecker im Dorfe zu haben. Seine Wohlhabenheit
+und sein Ansehen in der ganzen Umgegend gaben ihm ein bedeutendes
+Selbstgefühl, das sich auch in seiner würdigen Haltung ausdrückte.
+Er sprach wenig, aber bestimmt, und wie gesetzt er in der Regel war,
+so sah man doch, daß er, einmal in Leidenschaft gebracht, gewaltig
+losbrechen konnte. — Die Mutter war in ihrer Jugend sehr hübsch
+gewesen, und noch immer machte die schlanke Gestalt einen angenehmen
+Eindruck. Sie hielt mehr auf zierliche Reinlichkeit im Hause, als es
+sonst in Bauerfamilien der Fall zu sein pflegt; in ihren Stuben und
+Kammern mußte alles wie geleckt sein, und überdies alles am rechten
+Platze stehen. Sonst zeichnete sie sich in der Kunst aus, Backwerk zu
+verfertigen und namentlich »Küchle« zu liefern, die von den jeweiligen
+Gästen mit entzückten Lobpreisungen verspeist wurden. Fröhlicher und
+gutmüthiger<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> als der Vater, hatte sie doch auch ihre Portion Stolz und
+hielt sehr auf das, was sich ihrer Meinung nach für eine reiche Familie
+geziemte. — Ludwig schlug der Mutter nach, während der neun Jahre
+jüngere Andres ein gemildertes Abbild des Vaters zu werden verhieß.</p>
+
+<p>Die Hauptperson unserer Erzählung — man sieht, daß dies Ludwig ist —
+war einer der schönsten und angesehensten Bauernsöhne im ganzen Ries.
+Tänzer und Sänger, wie es nur einen gab, dazu ein lustiger Bursche voll
+guter Einfälle, hatte er schon in verschiedenen Dörfern Herzen erobert,
+wenn er bei Verwandten auf Besuch war oder als Gast eine Hochzeit
+mitmachte. Es war einer von den Menschen, denen alles wohl ansteht, die
+Arbeit wie das Vergnügen. Wenn er Sonntags in dunkelgrüner sammtner
+Juppe (Jacke) mit silbernen Knöpfen, schwarzen, knapp anliegenden Hosen
+vom schönsten Hirschleder und hohen, über die Knie gezogenen Stiefeln,
+die Kappe von Fischotter mit grünseidener Troddel auf's rechte Ohr
+gesetzt und den silberbeschlagenen Ulmer Pfeifenkopf im Munde nach
+der Stadt, d. h. nach Nördlingen, wanderte, so hätte er einem ruhigen
+Beobachter wohl gefallen, den Mädchen aber, die ihm begegneten und
+die er freundlich grüßte, war sein Anblick ein wahres Labsal, und sie
+konnten sich selten enthalten, sich umzuwenden und ihm nachzusehen.
+Dann sagte wohl eine in heiterer Anerkennung: »Des Angerbauers Ludwig
+ist eben doch der schönste,« und die andern stimmten ihr bei, vergnügt
+oder erröthend, je nachdem.</p>
+
+<p>Auf welches Mädchen durfte ein so Begünstigter nicht Anspruch machen?
+Welche Schönheit wäre fähig gewesen, ihn auszuschlagen? Indessen jede
+Lebensstellung hat ihre Pflichten, und Ludwig durfte nicht unter den
+Schönheiten des Rieses überhaupt, sondern nur unter denen wählen,
+die eben so viel mitbekamen als er. Dieser Pflicht kommen die jungen
+Bursche meist instinktmäßig nach. Der Bauer, am überlieferten Brauche
+haltend, verliebt sich in der Regel nur standes- oder wenigstens
+vermögensgemäß. Zu dem Ganzen, das ihn an einem Mädchen bezaubern
+soll, gehört auch die reiche Ausstattung, die Ehre, die begüterte
+Verwandtschaft. Das Mädchen muß aus einer Familie sein, die eben so
+ästimirt ist wie die seinige, sonst entbehrt ihre Schönheit des rechten
+Nimbus oder erweckt höchstens eine gönnerhafte<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> Empfindung in ihm.
+Für unsern Burschen war die Wahl einer Lebensgefährtin noch besonders
+eingeschränkt. Da das Stammgut an Andres überging, so mußte er sich
+einen passenden Hof kaufen, was seine Schwierigkeiten hat. Das Beste
+war daher, eine einzige Tochter, eine Hoferbin, zu heirathen und in
+eine schon bereitete Stätte als Herr einzuziehen.</p>
+
+<p>Es war keine geringe Vermehrung der Zufriedenheit, welche der
+Angerbauer und sein Weib ohnehin empfanden, daß sie für ihren Ludwig
+solch einen »Anstand« wußten. In der That war dessen Künftige schon
+gefunden in der einzigen Tochter eines entfernten Verwandten, der im
+nächsten Dorf einen der stattlichsten Höfe besaß. Die Aeltern hatten
+darüber gesprochen; die Angerbäuerin hatte zur gehörigen Zeit merken
+lassen, daß die junge Base Eva eine rechte Frau für ihren Ludwig wäre,
+und im Vorbeigehen die Summe namhaft gemacht, die sie ihrem Sohn
+mitgeben könnten, worauf man sich verständigte. Ludwig hatte nichts
+gegen den Plan. Für einen Geschmack, der auf dem Lande viele Vertreter
+zählt, war Eva eine Art von Schönheit, nämlich eine große, tüchtige
+Person mit nicht allzukleiner, etwas gebogener Nase und runden rothen
+Backen, so eine, die der feinere Mann einen »Dragoner,« die solide
+Anschauung der Mehrzahl aber »a rechts Mädle« zu nennen pflegt. Ludwig
+fand in dem Aussehen seines Bäschens keinen Grund, sich in sie zu
+verlieben, aber auch keinen, sich der Heirath zu widersetzen. Ihr Hof
+leuchtete ihm ein und warf ein verschönerndes und verfeinerndes Licht
+auf die Erbin. Er spielte bei Gelegenheit mit Anstand die Rolle eines
+Verehrers, und die Heirath wäre ohne weiteres vor sich gegangen, wenn
+der Vater Eva's sich hätte entschließen können, seinen Hof so früh zu
+übergeben. Allein die erste Person im Hause zu sein, gefiel ihm noch
+zu sehr, und er wollte wenigstens warten, bis seine Tochter in die
+Zwanziger getreten wäre. Warum sollte er sich beeilen? Von allen Seiten
+war man ja einverstanden, und ob früher oder später, sein reicher
+junger Vetter wurde sein Schwiegersohn.</p>
+
+<p>Kein Projekt der Menschen ist indessen so gesichert, daß nicht noch
+etwas dazwischen treten könnte. Wenn man ein gewünschtes Gut schon in
+der Hand zu halten glaubt, kann es noch entschlüpfen, um<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> den Menschen
+erkennen zu lassen, daß es bei den Dingen dieser Erde noch auf etwas
+anderes ankommt als auf sein Wollen und Meinen. Als Eva neunzehn,
+Ludwig dreiundzwanzig Jahre alt war, ereignete sich etwas, das die
+Fäden, die von den zwei Familien gesponnen waren, zerriß und den Stoff
+zu unserer Geschichte lieferte.</p>
+
+<p>Dies war der plötzliche Tod eines braven Zimmermanns im nächsten
+württembergischen Orte. Die einzige Tochter desselben, ein ungewöhnlich
+schönes Mädchen, wurde dadurch eine Waise. Da sie erst siebzehn Jahre
+zählte und auf ihr Erbe nicht heirathen wollte, so machte ihr Vormund,
+der Bäcker unseres Dorfs, das Haus und die paar Morgen Ackerland zu
+Geld, legte dieses gut an und nahm das Mädchen zu sich.</p>
+
+<p>Die Ankunft Annemarie's brachte die Jugend des Dorfs in großen Allarm.
+Wenn der Bauer in Bezug auf die Wahl einer Ehehälfte praktisch denkt,
+so ist er doch keinesweges unempfindlich für Schönheit; ein sehr
+schönes Mädchen wird auf dem Lande ausgezeichnet wie ein reiches, nur
+auf andere Weise. Das Dorf, das eine solche Blume hegt, thut sich was
+darauf zu gute, und es sagt wohl einer mit einem gewissen Triumphgefühl
+zu einem Freund aus dem nächsten Dorfe: »So eine habt ihr doch nicht!«
+Die jungen Leute, bei denen es irgend angeht, sind eifrig, sich bei
+ihr »wohl dran zu machen;« denn einen schönen Schatz zu haben, ist,
+abgesehen von der Freude, auch eine Ehre, und es ist höchst angenehm,
+ihn von andern loben zu hören und sich darum beneidet zu sehen.
+Annemarie fand außer einer guten Anzahl von Bewunderern und Neiderinnen
+rasch auch mehrere entschiedene Anbeter; aber sie hatte eine eigene
+ruhige Art, die Andringlinge zurückzuhalten oder ablaufen zu lassen.
+Bald hieß es unter den Mißvergnügten: das sei eine Curiose, die sich
+sehr viel auf ihre Schönheit einzubilden scheine; und doch sei's gar so
+arg auch nicht damit.</p>
+
+<p>Wie soll ich aber von dieser Schönheit einen Begriff geben? — Mir
+ist es manchmal so vorgekommen, als ob man eine kindliche, eine
+jungfräuliche und eine mütterliche oder frauliche Art der Schönheit
+unterscheiden könnte. Ein Mädchen von der ersten Art wird auch als
+Frau und Mutter noch ein kindliches Wesen behalten, während die<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> von
+der dritten schon in der Zeit des jungfräulichen Aufblühens einen
+mütterlichen Charakter gewinnt. Annemarie gehörte zu der dritten
+Gattung. Ihr Aeußeres ist kurz beschrieben. Sie hatte etwas mehr als
+mittlere Größe und eine natürlich schöne Gestalt. Nichts war dürftig
+an ihr, alles reich, doch würde auch der strenge Kenner nichts
+hinweggewünscht haben. Die Farbe ihres Gesichts war nußbräunlich,
+mit mildem, aber entschiedenem Roth; Haare und Augen dunkelbraun. —
+Allein die wahre Schönheit liegt in der Seele. Wie diese schon im
+Mutterschooße auf die Formen des Leibes bildend einwirkt, so veredelt
+und verfeinert sie ihn fortwährend. Der eigenthümliche Reiz, den
+Annemarie ausübte, kam von der Güte, die aus ihrem Gesichte sprach.
+Wenn eine Empfindung der Freude oder des Dankes ihr Herz erfüllte,
+dann ging ein Glanz über ihre Züge und das schöne innere Leben gab ihr
+eine Anmuth, daß auch der Stumpfe fühlen mußte, hier sei mehr als ein
+gewöhnlich hübsches Mädchen.</p>
+
+<p>Als Annemarie zu ihrem Vetter übersiedelte, war Ludwig abwesend; er
+hatte Getreide nach Augsburg gefahren, wo dermalen der Preis höher
+stand als auf der berühmten Schranne zu Nördlingen. Nach seiner
+Rückkehr machte ihn das Lob, welches dem Mädchen von seinen Kameraden
+gesungen wurde, neugierig, und er beschloß sogleich, sie zu sehen,
+was auf dem Dorfe bekanntlich keine Schwierigkeiten hat. Mit der
+Leichtigkeit, wie sie etwa ein junger Baron zeigt, wenn er sich
+herabläßt, der hübschen Tochter eines Bürgers den Hof zu machen,
+begrüßte er Annemarie, sprach seine Freude aus, daß ein so schönes
+Mädchen in's Dorf gekommen sei, und sagte ihr mehrere Schmeicheleien
+in der direkten Art, die für ein feineres Gefühl nichts Angenehmes
+hat. Annemarie wurde ernsthaft und gab ihm kurze Antworten. Da Ludwig
+gutmüthig war, so ahnte er, worin er gefehlt hatte. Er griff es das
+nächstemal besser an, zeigte mehr Achtung vor dem Mädchen und sprach
+sein Wohlgefallen nicht in Worten, sondern in bescheiden zärtlichen
+Blicken aus. Dies wirkte. Die Wohlgestalt des jungen Bauers trat nun in
+ihr Recht ein; dem guten Mädchen ging bei seiner Huldigung das Herz auf
+und die Freude blickte aus ihrem Gesicht.</p>
+
+<p>Ludwig mußte sich sagen, daß ihm eine solche Schönheit noch<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> nicht
+vorgekommen sei. Er wiederholte seine Besuche. Bald fing er an Unruhe
+zu spüren, redete hie und da »aus dem Weg naus« und ließ seine
+Geschicklichkeit in der Ansprache sehr vermissen, was ihm aber bei
+Annemarie gar nicht schadete. Die jungen Leute waren glücklich sich zu
+sehen und zu fühlen, daß eines bei dem andern etwas gelte.</p>
+
+<p>Die erste Zeit einer entstehenden Liebe hat das Schöne, daß man noch
+nicht fragt, was daraus werden soll. Man hat sich noch kein Ziel
+gesetzt, darum sieht man auch noch keine Gefahren und Hindernisse.
+Ein Wohlgefallen an einander haben darf man ja, man läßt daher seine
+Empfindung gewähren und freut sich und macht Freude. Diese erste
+Neigung wird auch noch von andern begünstigt. Die Leute lächeln,
+wenn sie sehen, wie die beiden sich mit den Augen suchen und wieder
+zusammenzukommen trachten; sie gefallen sich, darin sie gemüthlich zu
+plagen und eines mit dem andern aufzuziehen. Und da es noch nicht zur
+Erklärung gekommen ist, so kann das Mädchen einem solchen Plagenden
+mit Wahrheit erwiedern, er irre sich, oder er sei nicht gescheidt. —
+Aber in solchem Spiel webt sich aus dem ersten Wohlgefallen nach und
+nach ein Band, durch das man sich gefesselt fühlt. Es sammelt sich ein
+Schatz von Gefühlen und mehrt sich täglich, und weß das Herz voll ist,
+deß muß der Mund übergehen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Gelegenheit zur Erklärung gab eine Hochzeit, die nach Dorfsitte
+mit Essen und Trinken, Spiel und Tanz im Wirthshause gefeiert wurde.
+Nach überliefertem Brauche gehört der Tanzboden von Mittag bis Abend
+den Hochzeitgästen. Hat aber nach der Abendmahlzeit und nach Abgabe der
+Hochzeitgeschenke der Schullehrer eine Dankrede in Versen gehalten und
+mit seinen Zöglingen ein geistliches Lied gesungen, dann kündigt ein
+weltliches Lied, das ein kecker Bursche sich anzustimmen erlaubt, die
+Herrschaft der jungen Leute des Dorfes an. Die Hochzeitgäste, zumal die
+aus andern Dörfern, verlieren sich nach und nach, das Brautpaar wird
+von einem Theil der Musikanten nach Hause begleitet: der zweite Theil
+der Lustbarkeit, der »Ansing,«<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> hat begonnen und die Jugend des Dorfs
+nimmt den verlassenen Raum ein.</p>
+
+<p>Ludwig hatte der Hochzeit als Gast beigewohnt, aber wenig getanzt
+und überhaupt ein nachdenkliches Wesen gezeigt. Als er einmal allein
+dasaß, kam ein munteres Mädchen auf ihn zu und sagte: »Warum tanz'st du
+nicht, Ludwig?« Er wußte nichts Gescheidteres zu erwiedern, als, daß
+es ihm nicht recht gut sei. Das Mädchen sah ihn lächelnd an und sagte:
+»Die rechte Tänzerin ist nicht da. Aber hab' nur Geduld, sie wird
+heute Abend schon kommen.« Ludwigs Gesicht erheiterte sich; er wußte
+allerdings, daß er sie erwarten durfte. — Nach dem Abendessen ging er
+nach Hause, vertauschte den Hochzeitrock mit der Sammtjacke, kehrte
+in's Wirthshaus zurück und setzte sich zu einem Burschen, der Regine,
+die Tochter des Bäckers, zum Schatz hatte, und mit dem er daher in der
+letzten Zeit vertrauter geworden war. Bald erhielten die beiden einen
+Wink; sie gingen hinaus, und Hans führte Regine, Ludwig Annemarie unter
+die Tanzenden.</p>
+
+<p>Wer sich den Moment vergegenwärtigt, wo er zum erstenmal die, welche
+er liebt, in den Arm fassen durfte, um nach dem fröhlichen Takt
+eines Walzers durch den Saal zu fliegen, der begreift das Glück des
+jungen Paares. Geflogen wurde hier freilich nicht; der Bauer bleibt
+beim Tanz mit seinen Füßen mehr auf dem Boden, als der Städter, und
+kommt langsamer vorwärts; aber die Wirkung ist dieselbe. Es war eine
+Freude, den beiden zuzusehen. Sie waren ohne Vergleich das schönste
+Paar und tanzten auch am schönsten. Dabei war Ludwig so vergnügt, daß
+er, wie man zu sagen pflegt, den Mund nicht zusammenbringen konnte,
+und Annemarie lächelte selig in sich hinein. Jene Muntere, die mit
+ihrem Liebhaber wieder zum Tanz gekommen war, trat einmal zu ihm und
+sagte: »Ist dir jetzt wieder gut, Ludwig?« Und dieser hatte den Muth zu
+erwiedern: »Ja wohl, in meinem Leben wünsch' ich mir's nicht besser!«</p>
+
+<p>Auf dem Dorfe tanzt man nicht Touren, sondern <em class="gesperrt">Reihen</em>, und zwar
+deren so viel, als man wünscht und aushalten kann. Ein Bursche singt
+ein Lied vor — in Altbayern »Schnaderhüpfel,« im Ries »Schelmenliedle«
+genannt — und die Musikanten spielen es<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> zum Tanz. Ist der Reihen aus,
+so führt der Bursche sein Mädchen gehend an der Hand, während ein neues
+Lied einen neuen Tanz einleitet. Diese Sitte verursacht manchmal Streit
+und die Spielleute kommen in große Noth, wenn zwei tüchtige Bursche
+verschiedene Lieder singen und jeder verlangt, daß seines aufgespielt
+werde. In der Regel läßt indeß einer dem andern schon beim Singen den
+Vorrang und wird auch wohl beim Streite noch zum Nachgeben beredet. —
+Während man herumging, erklärte Ludwig der Geliebten die Frage jenes
+Mädchens und seine Antwort; und die Glückliche, die so deutlich sah,
+wie viel er auf sie hielt und wie ernst es ihm war, konnte sich nicht
+enthalten, ihm dankbar die Hand zu drücken.</p>
+
+<p>Nachdem sie sich so ziemlich müde getanzt, führten die beiden Kameraden
+ihre Tänzerinnen in die Stube und boten ihnen zu trinken, worauf die
+Mädchen, um mit Goldsmith zu reden, »den Rand des Kruges küßten.« Man
+setzte sich zusammen, um zu plaudern. Ludwig hatte nicht bemerkt,
+daß während des Tanzes sein Vater auf der Stiege gestanden, ihn mit
+Annemarie gesehen und sehr verfinsterten Angesichts das Wirthshaus
+verlassen hatte. Ein boshafter Nachbar hatte ihm gesagt, sein Ludwig
+tanze heute so schön, und der Alte, dem es ganz recht war, daß sein
+Sohn auch darin sich auszeichnete, wollte sich das Vergnügen machen,
+ihn zu sehen. War es ihm nun schon sehr fatal, ihn mit Annemarie tanzen
+zu sehen, von der man ihm gesagt, daß sein Ludwig ein Aug' auf sie
+habe, so ärgerten ihn noch mehr die zärtlich glücklichen Mienen des
+Paars. Er ging sehr verstimmt nach Hause, um zunächst der Ehehälfte
+seinen Verdruß mitzutheilen, am nächsten Morgen aber mit dem Burschen
+selbst ein Wörtchen zu reden. — Von alledem ahnte Ludwig nichts,
+seine Freude blieb daher ungestört. Nach einer Weile kam ein junger
+Bursche und forderte Annemarie zum Tanz auf. Ludwig sah ihn groß an
+und hatte gute Lust, ihm zu sagen, er solle sich fortscheeren und eine
+andere suchen. Allein er besann sich, daß er dazu kein Recht habe, und
+ließ sie ziehen. Er sah dem Tanzen zu und freute sich an der sittigen
+Haltung Annemarie's und an der Art, wie sie den etwas unbeholfenen
+jungen Menschen leitete. Als dieser, der sich gewaltig abgearbeitet
+hatte, den Schweiß von der Stirne wischte, trat Ludwig zu ihm und<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span>
+sagte: »Du bist müde, ich will dich ablösen.« Ohne Weiteres nahm er das
+lächelnde Mädchen bei der Hand und mischte sich unter die Paare.</p>
+
+<p>Den ganzen Abend tanzte er nur einmal mit einer andern, nämlich mit
+jener Muntern, weil er sicher war, daß sie ihn mit der Geliebten
+aufziehen und von ihr reden würde. Er kam Annemarie beinahe gar nicht
+von der Seite, und sie hatte dabei ein Ansehen, als ob's nie anders
+gewesen wäre. Beide waren in jener Stimmung, wo man ganz in dem Lichte
+seliger Empfindungen lebt und das trunkene Auge in den Menschen umher
+nur Schattengestalten erblickt, die wie in einer andern Welt ihr
+Wesen treiben. Sie sahen nicht, wie man um sie her sich in die Ohren
+zischelte und den Kopf schüttelte; sie bemerkten nicht, wie die zwei
+langgewachsenen Töchter eines reichen Bauern, vor deren Augen Ludwig
+ebenfalls Gnade gefunden hatte und die mit Bruder und Vetter da waren,
+regelmäßig, so oft sie an dem glücklichen Paar vorübergingen, den
+häßlichen Mund verzogen, wodurch er keineswegs schöner wurde.</p>
+
+<p>Endlich kam Mitternacht heran und die gesammte Jugend begab sich in
+die große Stube, um sich zum Schmause zu setzen. Ludwig blieb auf dem
+Tanzboden mit Annemarie zurück; die Talglichter waren herabgebrannt
+und der Raum beinahe dunkel. Er nahm die Geliebte bei der Hand und
+führte sie zu einem offenen Fenster, und beide blickten in die laue,
+trübe Mainacht hinaus. Nachdem sie eine kurze Zeit schweigend vor sich
+hingesehen, sagte Ludwig: »Was ist das für ein schöner Ansing! In
+meinem Leben bin ich nicht so vergnügt gewesen, wie heut. Aber du,«
+setzte er herzlich hinzu, »bist auch die schönste und liebste Tänzerin,
+die man finden kann.« — »Mach mich nicht roth,« erwiederte sie und
+wurde roth vor Freude, »du thust mir zu viel Ehr' an.« — »Dir kann man
+gar nicht zu viel Ehr' anthun,« rief Ludwig, um sein volles Herz durch
+Lobpreisung zu erleichtern, »du bist das erste Mädchen im ganzen Ries!«</p>
+
+<p>Annemarie schwieg. Mit einem leisen Seufzer und als ob sie die letzten
+Worte nicht gehört hätte, sagte sie endlich: »Wenn ich deines Gleichen
+wäre!« — Sie wollte sagen: wenn ich die Tochter eines reichen
+Bauern wäre! — Ludwig, den Unterschied ohne Weiteres<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> zugebend,
+erwiederte: »Das ist mir einerlei, du bist mir die liebste, lieber
+als alle Bauerntöchter miteinander. In meinem Leben wünsch' ich mir
+keine Bessere wie dich!« — Und er bekräftigte diese Betheurung mit
+einem zärtlichen Händedruck. — Das war zu viel für das gute Mädchen.
+Sie erhob sich und sah ihn an. »Ach, Ludwig,« sagte sie mit einer
+Stimme, die vor Freude zitterte, und mit einem Ton, als ob sie ihre
+Worte keineswegs für ganz richtig hielte, »ach, Ludwig, ich bin dich
+nicht werth!« — Statt aller Antwort faßte Ludwig sie um den Hals und
+drückte einen herzlichen Schmatz auf die schönen Lippen, die nicht in
+der Stimmung waren, sich zu weigern, sondern vielmehr gleich darauf
+das schöne Geschenk dankbar mit Zinsen zurückgaben. Niemand war Zeuge
+dieses Vorgangs. Es war ganz dunkel geworden. Nur die feuchten Augen
+der Glücklichen leuchteten gegen einander.</p>
+
+<p>Regine trat aus der Stube, sie zu suchen; Annemarie eilte zu ihr und
+ging mit ihr zurück. Ludwig kam später nach, strahlend vor Vergnügen.
+Er ließ in der Freude seines Herzens eine Flasche Wein kommen und
+auftragen, was gut und theuer war. Die beiden Langgewachsenen wurden
+gelb vor Neid und Aergerniß.</p>
+
+<p>Nachdem in der ganzen Stube die Messer und Gabeln bei Seite gelegt
+waren, begannen die Spielleute »auf den Tisch hinein zu machen,«
+nämlich Musik. An jedem Tisch pflegt der Bursche, der's versteht,
+ein längeres Lied vorzusingen; die Musikanten setzen einen zinnernen
+Teller auf den Tisch und spielen das Lied nach. Wenn dies ein paarmal
+geschehen, so wirft jeder Bursche mit Art ein Geldstück auf den Teller
+— größer oder kleiner, je nachdem es die Ehre und der Beutel leidet —
+und die Musikanten treten zu einem andern Tisch, um eine neue Ernte zu
+halten. Der Meister der jungen Leute ist hier derjenige, der mit einem
+<em class="gesperrt">neuen</em> Lied auftreten kann. Denn auch auf dem Lande will man
+nicht immer dasselbe, sondern was Frisches hören und seine Kenntnisse
+bereichern. Gewisse alte Volkslieder, die jetzt in gebildeten Kreisen
+Glück machen, sind bei solchen Gelegenheiten geradezu verpönt; und als
+diesmal der junge Mensch, der mit Annemarie getanzt hatte, sich ein
+Ansehen gab und begann:</p>
+
+<p class="mleft5">Es steht ein Wirthshaus an dem Rhein —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p>
+
+<p>brach ein allgemeines Gelächter aus. »Das hast du wohl von dei'm Aehle
+(Aehnlein, Großvater) gelernt!« rief ihm Einer zu, und eine runde Dirne
+an seinem Tisch sagte mit mütterlichem Ausdruck: »Besinn dich auf ein
+anderes, Jakob; so ein junger Bursch darf kein so altes Lied singen!«
+Dem verdutzten Jungen fiel jedoch nichts ein, so sehr er auch in die
+Luft hinstarrte, als ob es dort abzulesen wäre. Er mußte es einem
+andern überlassen, die Ehre des Tisches zu retten.</p>
+
+<p>Die Zeit nach dem Essen ist überhaupt die, wo verschiedene Späße
+losgelassen werden. Ein anderes Bürschchen, das zum erstenmal bei
+einer solchen Gelegenheit war, sang ein bekanntes Lied in herzbrechend
+falschen Tönen; ein geschickter junger Clarinettist copierte ihn Ton
+für Ton, was große Heiterkeit verursachte und dem Musikanten von den
+»Ausgelernten« großes Lob zuzog. Der junge Bursche kam zum erstenmal
+über seinen Gesang zur Erkenntniß und wurde roth. Ein alter Musikus
+mit gemüthlicher Kupfernase, der das Horn blies, sagte schmunzelnd:
+»Laß dich nicht irre machen, Mathes, und halt's nur immer recht
+mit den Musikanten, dann erleb ich's noch, daß du die andern alle
+herunterstichst.« Das Bürschchen, das nicht dumm war, verstand den
+Wink; um sich wenigstens auf eine Art auszuzeichnen, nahm er aus
+seinem nagelneuen ledernen Beutelchen das Doppelte heraus, was er erst
+hatte geben wollen, nämlich zwei Sechsbätzner, und warf sie in den
+Teller, daß es klang. »Siehst du,« sagte der geriebene alte Hornbläser,
+»<em class="gesperrt">der</em> Ton ist schon besser!«</p>
+
+<p>Zuletzt kamen die Musici an den kleinen Tisch, wo Ludwig mit Annemarie,
+Hans und Regine saß, und spielten eine kleine Einleitung. Ueber das
+Gesicht des jungen Bauers verbreitete sich ein wohlgefälliges Lächeln.
+Er hatte von Augsburg ein Lied mitgebracht, das wenigstens für die
+anwesende Gesellschaft vollkommen neu war, und wollte sich nun gehörig
+damit zeigen. Als die Musik zu Ende war, setzte er sich in Positur und
+hub an:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Wir winden dir den Jungfernkranz</div>
+ <div class="verse indent0">Mit veilchenblauer Seide u. s. w.</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Allgemeinste Aufmerksamkeit! Die Musikanten, der Clarinettist voran,
+fanden sich bald in die einfache Weise und nach einigen Mißtönen
+ging's. Der Erfolg war außerordentlich. Als unter vollkommener<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> Stille
+das letzte »G'setz« gesungen war, riefen einige Mädchen: »Ah, das ist
+aber schön!« und sahen mit einer Art von Andacht auf Ludwig. Mehrere
+Bursche kamen herbei und sagten, das müßten sie auch lernen. Der Sänger
+wurde der Mittelpunkt der Gesellschaft. Er mußte auf allgemeines
+Verlangen sein Lied wiederholen und erntete noch größeres Lob. Seine
+schöne Nachbarin erröthete auf's neue bei den bedeutungsvollen Worten
+»Jungfernkranz« und »Freiersmann« und zeigte die liebenswürdigste
+Freude über den Sieg ihres Tänzers. Dieser wollte nach einem solchen
+Triumph im Singen keinen neuen Versuch mehr machen. Aber noch blieb
+etwas übrig, was seinen Effekt nicht verfehlen konnte. Er griff ruhig
+in die Tasche und legte, als wär' es ihm nichts, einen Kronenthaler
+auf den Teller. Der Kamerad mußte nun ein Uebriges thun und legte
+wenigstens einen halben dazu. Die Gesichter der Musikanten leuchteten.
+Sie setzten mit Leidenschaft einen Marsch darauf, der wie ein Tusch
+klang, und der Hornist blies, daß ihm beinahe die Backen platzten.
+Als das Stückchen zu Ende war, strich er das Geld ein und sagte mit
+schelmischem Schmunzeln: »Bleibt gesund, bis ihr's wieder kriegt!«</p>
+
+<p>Es war ein Uhr geworden und die meisten jungen Leute fingen wieder an
+zu tanzen. Auch Hans zeigte Lust dazu, aber Regine erklärte, sie und
+Annemarie müßten nach Hause. Die Mädchen nahmen Abschied und Annemarie
+dankte Ludwig gar schön für die Ehre, die er ihr angethan habe. Sehr
+gern hätten die Verliebten ihre Mädchen nach Hause geführt, aber die
+Bäckerstochter bestand darauf, daß sie hier bleiben sollten. Sie
+durften ihnen nur auf der Treppe noch die Hand geben und gute Nacht
+sagen.</p>
+
+<p>Ludwig ging in die Stube zurück, um das letzte Glas Wein
+auszuschlürfen. Er war aber heute zu glücklich gewesen, als daß nicht
+ein Dämon sich gereizt fühlen sollte, in den Honigtrank einige Tropfen
+Galle zu mischen; und so trat denn ein solcher in der Gestalt des
+Vetters der beiden Langgewachsenen zu ihm und sagte: »Du hast dich ja
+heut recht lustig gemacht, Ludwig. Allen Respekt vor deinem Tanzen
+und Singen! Dein Vater hat dich mit der schönen Annemarie auch einmal
+tanzen sehen, aber dem scheints nicht gefallen zu haben, denn er ist
+gleich wieder fortgegangen.« Diese boshaften Worte gaben<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> Ludwig einen
+Stich in's Herz und jagten ihm das Blut in's Gesicht. »Meinetwegen!«
+erwiederte er trotzig; der andere, der seinen Zweck erreicht hatte,
+ging vergnügt auf den Tanzboden. Alles, was mit seinem Glück in
+Widerspruch trat, stellte sich dem armen Burschen gespenstisch vor
+die Seele und eine große Unruhe befiel ihn. Allein für heute war der
+Strom der Freude in ihm noch zu mächtig und die Sorge wurde von ihm
+hinweggespült. Eine halbe Stunde später ging er nach Hause, glücklich
+im Nachgefühl des Erlebten. — —</p>
+
+<p>Nach einem unruhigen Schlaf erwachte Ludwig zur gewöhnlichen Zeit:
+Sein Bruder, der in derselben Kammer schlief, schnarchte noch, obwohl
+er gestern schon bald nach Verzehrung des Bratens, den Ludwig vom
+abendlichen Hochzeitsmahl nach Hause gebracht hatte, zu Bette gegangen
+war. Als unser Freund überdachte, was gestern geschehen war, fing sein
+Herz an zu klopfen. Freude und Angst erhoben sich und wechselten in
+seinem Herzen, bis die Angst zuletzt die Oberhand gewann. Eine Zeit
+lang ließ er sich ruhig von ihr quälen; dann faßte er einen Entschluß,
+kleidete sich an und ging mit festem Schritt, dem man aber doch das
+Absichtliche ansah, in die Stube hinunter. Die Morgensonne schien durch
+die Fensterscheiben und die friedliche Scene bildete einen eigenen
+Contrast zu der Verwirrung in seinem Herzen. Er ging in »das Kanzlei,«
+das in den Bauernhäusern gewöhnliche Nebenstübchen zum besondern
+Gebrauch der Familie, von der Stube durch eine hölzerne, mit brauner
+Oelfarbe bestrichene Wand getrennt, welche mit der einen Seite des
+Ofens zusammenzulaufen pflegt. Der Vater saß an dem Wandtisch mit
+tiefernstem Gesicht und die Mutter brachte eben den Kaffee. Ludwig bot
+ihnen mit etwas unsicherer Stimme guten Morgen und setzte sich zum
+Frühstück. Zu gleicher Zeit kamen die »Ehehalten« (Knechte und Mägde)
+in die Stube, um die Morgensuppe zu verzehren. Der Oberknecht und die
+Magd waren auf dem Ansing gewesen; sie blinzelten sich nun zu und sahen
+auf das Kanzlei mit jenem Vergnügen, welches die schwache menschliche
+Seele zu empfinden pflegt, wenn unter Höherstehenden ein scandalöser
+Streit zu erwarten ist. Allein der Angerbauer war nicht der Mann, sich
+und seine Familie preiszugeben, wenn der Zorn über seinen Verstand
+nicht Herr wurde. Er wartete mit der<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> Anrede, die er Ludwig zudachte,
+und erst als der letzte der Ehehalten die Stube verlassen hatte, begann
+ein Dialog, den wir, um den Lesern eine kleine Probe davon zu bieten,
+in dem Rieser Dialekt wiedergeben wollen.</p>
+
+<p>Der Alte sagte mit bitterem Spott: »No, du host de ja gestert recht
+aufg'führt! Machst mer a rechta'n Ehr, des muß i saga'; Aufm A'seng,
+wo Baura'töchter send, tanzst du da' ganza'n Obed mit'r Magd! Und net
+gnuag damit, setzst sie oh no' neba' de he' und regalirst sie!« —
+Ludwig, der sah, daß dem Vater schon geplaudert worden war, und die
+Thatsache nicht leugnen konnte, hing sich an ein Wort und sagte: »No, a
+Magd ist sie grad net!«</p>
+
+<p>Der Angerbauer fuhr auf und blickte ihn mit drohenden Augen an.
+»Schweig, sag i d'r! Mag sie sei', was sie will, sie ist net dei's
+Gleicha', und es ist a Schimpf und a Schand, daß du di so mit'r ahgeba'
+host! Wann du d's Nuibaurs Bäbe (die Reichste im Dorfe) so tractirt
+hättst, so wärs o'schickleng gwesa'! Was wird die Ev' saga' und ihr
+Vater? Die weara' se recht fräa', wenn sie höara', wie du di aufg'führt
+host, und (setzte er verächtlich hinzu) mit weam!«</p>
+
+<p>Der Angefahrene war von diesen Worten sichtlich getroffen. Er wußte
+nichts Besseres zu seiner Entschuldigung zu sagen, als: »Sie tanzt
+so guat!« — »Tanzt so guat!« rief der Alte mit grimmigem Lachen.
+»Ist des a'n Ausred? Tanzet ander Mädla' net oh guat? Muaß ma dorom
+a hergloffens Mädle mit Wei' tractiera? Pfui, schäm di!« — Er war
+aufgestanden und wendete dem Schuldigen den Rücken zu.</p>
+
+<p>Sein Zorn hatte offenbar den jetzt möglichen höchsten Grad erreicht.
+Ludwig, entrüstet über den Ausdruck »hergloffens Mädle,« und fühlend,
+daß jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden sei, verstummte und sah
+finster vor sich hin. — Nach einer Weile drehte sich der Alte wieder
+zu dem Tisch und sagte: »I will me ietz net verzürna! Gscheha'n ist
+gscheha'! Der dumm Stroëch ist gmacht! Aber,« setzte er mit drohend
+erhobenem Zeigefinger und mit entsprechend verstärktem Tone hinzu,
+»des roth i d'r in Guatam: loß mi so ebbes net widder höara'! Denn
+sonst — — du kennst mi!« — Er wendete sich ab und verließ mit festen
+Schritten die Stube.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p>
+
+<p>Man sieht, der Vater war nur über das öffentliche Aergerniß entrüstet,
+welches Ludwig gegeben, und strafte nur dieses. Daß sein Sohn auf
+Annemarie ernstliche Absichten haben und um ihretwillen die Eva lassen
+könnte, das kam ihm gar nicht in den Sinn. Hätte er Ursache gehabt,
+an so etwas nur zu denken, so wäre natürlich ein ganz anderer Sturm
+losgebrochen.</p>
+
+<p>Der Delinquent athmete auf; denn im Grunde war er noch gut weggekommen.
+Von der Mutter fürchtete er wenig. Er war ihr Liebling und wußte,
+daß Frauen solche Verirrungen des Herzens überhaupt glimpflicher
+aufzufassen pflegen. Er täuschte sich nicht. Während der Alte sprach,
+hatte die Mutter zu wiederholten Malen ernsthaft mit dem Kopfe genickt,
+dadurch ihr vollkommenes Einverständniß an den Tag legend. Als er fort
+war, nahmen ihre Züge einen milderen Ausdruck an, und den Sohn bei der
+Hand fassend begann sie: »Aber ietz sag m'r nor, Ludwig, wie ist's
+mögleng, daß du di so host vergessa' und dei'm Vater und mir so ebbes
+a'thoa' könna'?«</p>
+
+<p>Ludwig hatte seinen ganzen Humor wieder. Da er noch keinen Plan über
+die Zukunft gemacht hatte, nach welchem er handeln konnte, so folgte er
+instinktmäßig dem Trieb, sich mit seinen Eltern wieder gut zu stellen,
+und sagte, allerdings nicht sehr ritterlich: »Du woëst ja, Muater,
+wie's oëm got, wama' lusteng ist und Bier und Wei' im Kopf hot!« — »Ja
+wohl,« versetzte die schon halb begütigte Mutter, »aber was zviel ist,
+ist zviel! Die ganz Nacht mit oëm Mädle ztanza, die oën nex a'got! I
+hätt' di wärle für gscheidter ghalta'!« — »I hab d'r ja scho' gsakt,«
+erwiederte Ludwig, »sie tanzt so guat; und,« fügte er nicht ohne
+schlaue Absicht hinzu, »i hab gseha', daß sie oh geara' mit mir tanzt!«</p>
+
+<p>Die Angerbäuerin konnte nicht umhin, heiterer auszusehen. Sie hielt
+natürlich ihren Ludwig für den schönsten und geschicktesten Burschen
+in der ganzen Umgegend, und daß er den Mädchen so sehr gefiel, konnte
+ihr nichts weniger als unangenehm sein. Sie sagte daher mit dem Lächeln
+einer etwas eiteln Mutter: »Des glob i, daß e so a Mädle frät, wann du
+mit'r tanzst; aber des ist koë Entschuldigung für di!« — Eine bessere
+Regung machte sich in ihr geltend und sie fügte hinzu: »Die Annemarie
+ist zu guet dafür, daß<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> so a junger Mensch 'n Spaß mit ihr macht. Sie
+ist brav und ordentlich und 's wird se gwiß a passender Ma' für se
+finda'. Es wär a Sünd und a Schand, wann du ihr da' Kopf verdreha' und
+sie in's O'glück brenga' thätst!« — »No,« sagte Ludwig, »so arg wirds
+net weara'!« — Mit Eifer versetzte die Mutter: »I hoff's oh net! Du
+host dein Vater ghöart und woëst, er hält was 'r sakt! I hoff, 's ist
+dei' letzta' Dummheit gwesa'!« — Ruhiger setzte sie hinzu: »So, ietz
+gang naus zu dei'm Vater und mach'n widder guat!«</p>
+
+<p>Ludwig folgte diesem Rath. Er fand Gelegenheit seinem Vater bei einer
+Arbeit zu helfen, und da sie nothwendig mit einander reden mußten,
+so stellte sich zwischen ihnen bald wieder ein äußerlich friedliches
+Verhältniß her. Als später dem Angerbauer noch einige Einzelheiten
+vom Ansing zu Ohren kamen, hatte ihn die Mutter schon durch die
+Versicherung beruhigt, daß es nichts als der Narrenstreich eines jungen
+Menschen gewesen sei, der etwas im Kopfe gehabt habe. Er verschluckte
+daher diese nachträglichen Pillen, so bitter sie ihm auch schmeckten.
+Seine Gedanken waren: »Der Mensch muß mir aus dem Haus, und das so bald
+als möglich! Mein Andres, das weiß ich, wird mir keine solche Streiche
+machen.« Auch die Mutter faßte den Entschluß, alles zu thun, um die
+Heirath Ludwigs mit Eva zu beschleunigen. »Hätte der alte Narr,« sagte
+sie in ihrem Verdruß, »den Hof abgegeben, so hätten wir diesen Aerger
+nicht!« Sie wollte aber nun gerade aus dem Vorgefallenen die Gründe
+schöpfen, die den Vater Evas zum Nachgeben bewegen sollten.</p>
+
+<p>Einige Tage vergingen, ohne daß etwas besonderes vorfiel. Auch auf dem
+Dorfe pflegt der artige junge Mann die Tänzerin, die er auszeichnete,
+den andern Tag gelegentlich zu begrüßen und sie zu fragen, wie ihr das
+Tanzen bekommen sei. Aber Ludwig mußte Scheu tragen, dies zu thun;
+auch war er nicht in der Gemüthsverfassung dazu. In seinem Herzen
+stiegen Gedanken auf, die sich wechselseitig bekämpften, seinen Geist
+verwirrten und ihn zu keinem Entschluß kommen ließen.</p>
+
+<p>Der guten Annemarie war sein Ausbleiben nicht so unlieb, als man denken
+mochte. Ihr war es ergangen wie ihm. Glückselige und bange Gefühle
+wechselten auch in ihrem Herzen, und die bangen<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> überwogen zuletzt. Sie
+dachte an den stolzen Angerbauer, an den Unterschied des Vermögens und
+Standes, an das Gerede mit der Eva, und schüttelte mit betrübter Miene
+den Kopf. Indem die Bilder jener Nacht vor ihre Seele traten, machte
+sie sich Vorwürfe, zu weit gegangen zu sein. Es lastete etwas auf ihr,
+als ob sie eine Sünde begangen hätte; und dieses Gefühl wurde dadurch
+nicht gemindert, daß einzelne Mädchen sie nun mit Ludwig in einer Weise
+zu plagen begannen, die nicht mehr von der Lust zu scherzen, sondern
+offenbar vom Neide eingegeben war. Selbst Regine sah bedenklich aus,
+als ob sie mit sich selber unzufrieden wäre, und der Vormund ließ Reden
+fallen von Leichtsinn und Hoffahrt, die zu nichts Gutem führen würden
+u. s. w.</p>
+
+<p>Es hatte den Anschein, als ob eben durch das gesprochene Wort der Traum
+des Glücks für immer zerstört und die innigste Annäherung der beiden
+Herzen auch die letzte gewesen wäre. — Aber die Liebe, die zwei junge
+Seelen ergriffen hat, kann von den Bedenklichkeiten des Lebens nicht
+so leicht unterdrückt werden. Die bänglichen und peinlichen Gefühle
+mildern sich und verschwinden mit der Zeit, die Liebe bleibt. Die erst
+so trüben Vorstellungen verlieren nach und nach ihr Schreckendes, die
+Liebe gewinnt an Muth — und das Menschenkind, das glücklich sein will,
+folgt wieder dem Zug des Herzens.</p>
+
+<p>Als der fünfte Tag verflossen war, konnte Ludwig seinem Verlangen,
+Annemarie zu sehen, nicht länger Widerstand leisten. Er ging in das
+Haus des Bäckers, indem er sich vornahm, diesen, der am Gärteln sein
+Vergnügen hatte und nach Art solcher Leute seine Liebhaberei gern
+weiter verbreitete, um Blumensamen zu bitten. Die Täuschung war nicht
+nöthig, Annemarie war allein zu Hause. Nach einigem Stottern von seiner
+und Erröthen von ihrer Seite waren die liebenden Herzen bald wieder
+einig. Man rühmte jene Nacht, wo es so schön gewesen sei; das damals
+empfundene Glück lebte wieder in ihnen auf und die Augen bestätigten,
+was sich die Lippen verkündigt hatten. Die Liebe zog wieder als
+Herrscherin in ihre Seelen und alle entgegenstehenden Gedanken wurden
+daraus vertrieben. Die Reue, welche die Geängsteten gefühlt, die
+Vorwürfe, die sie sich gemacht<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> — alles war vergessen. Sie freuten
+sich eines am andern, und es war ihnen, als ob sie gar nichts Besseres
+und Schöneres thun könnten.</p>
+
+<p>Für diesmal konnte ihr Zusammensein nicht lange dauern. Annemarie
+erwartete den Bäcker und mahnte den Geliebten, sie zu verlassen. Ludwig
+fragte, ob er sie denn nicht einmal ungestört sehen könnte, er hätte
+noch viel mit ihr zu reden. Annemarie sah ihn an; die blauen Augen
+baten so schön und blickten so treu auf sie her. Nach einigem Zögern
+erwiederte sie mit leiserer Stimme: »Nächsten Sonntag Nachmittag geht
+mein Vetter mit Regine nach Wallerstein; sie werden spät wieder kommen;
+in der Abendstunde, wenn's dunkel geworden ist, will ich in unserm
+Garten auf dich warten.« Ludwig drückte ihr hocherfreut die Hand.
+Annemarie setzte hinzu: »Es ist vielleicht nicht recht, was ich thue,
+aber du willst es haben und es macht dir Freude.« Was konnte Ludwig
+anders, als die Lippen, die so liebliche Worte gesprochen, entsprechend
+belohnen? — Er kam unbemerkt aus dem Hause. Wie bisher sein
+trübseliges, so fiel seinen Eltern jetzt sein vergnügtes Wesen auf,
+aber sie legten es zu ihren Gunsten aus. »Hab' ich dir's nicht gesagt?«
+bemerkte die Mutter dem Alten. »So etwas geht bei jungen Leuten schnell
+vorüber. Sei nur ruhig, es wird noch alles recht werden!«</p>
+
+<p>Der Garten des Bäckers war in Folge der erwähnten Liebhaberei nach
+dem des Pfarrers der schönste im Dorfe und der Stolz des Besitzers.
+Er theilte sich in Gemüse- und Baumgarten, und in dem erstern war
+den Blumen ein größerer Platz eingeräumt, als es bei dem wirthlichen
+Sinn der Landleute sonst der Fall zu sein pflegt. Eine ziemlich hohe
+dichte Hecke grenzte das Ganze von den Feldern, zunächst aber von dem
+Fußweg ab, der sich an dieser Seite des Dorfes hinzog und auf welchen
+eine hölzerne, für gewöhnlich verschlossene Thüre führte. Durch diese
+Thüre, die heute nur aufgeklinkt zu werden brauchte, trat Ludwig zur
+verabredeten Stunde in den Garten, und bald saßen die Liebenden auf
+einem hölzernen Bänkchen ohnweit der Hecke und des Hauses in traulichem
+Geplauder. Sie konnten sich diesem in der That mit einer gewissen
+Sicherheit hingeben, denn wie nach dem Felde zu die Hecke, so schützten
+gegen das Dorf das längliche<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> Bäckerhaus und mehrere Scheunen, in denen
+jetzt wohl kein neugieriges Auge zu fürchten war. Der Abend war sehr
+schön. Von dem reinen Himmel blinkten schon einzelne Sterne, während
+von Westen her die goldengrünliche Helle sich über ihn ergoß, die
+Verheißung der untergegangenen Sonne, daß sie morgen einen schönen
+Tag bringen werde. Die Bäume standen in voller Blüthe und hie und da
+glänzte einer her wie ein großer weißer Strauß. Die Luft war leicht
+bewegt und voller Wohlgerüche. Rings herrschte vollkommene Stille und
+nur Maikäfer surrten zuweilen über die Köpfe der Liebenden hin, um die
+größere Gesellschaft auf den Bäumen aufzusuchen. — Unserem Pärchen war
+es über alles heimlich zu Muthe. Ludwig rühmte den Garten, die Blumen,
+den schönen Abend. Sie sprachen von diesem und jenem. Bald kamen sie
+wieder auf den »Ansing«, und Ludwig scherzte über den jungen Burschen,
+der mit Annemarie getanzt und »sich geplagt habe, als ob er im Taglohn
+arbeitete.« »Der arme Kerl dauerte mich,« setzte er hinzu, »darum kam
+ich so schnell und löste ihn ab.« Das Mädchen lächelte, sie wußt' es
+besser. Beide erinnerten sich jetzt verschiedener Gesichter, die um
+ihretwillen geschnitten worden waren, und die Ausdrücke von Aerger
+und Neid kamen ihnen sehr lustig vor. Sie übten für das Geschwätz,
+das über sie ergangen war, eine gemüthliche Wiedervergeltung, indem
+sie einzelne Exemplare durchhechelten, wie es gutmüthige Menschen in
+fröhlicher Laune thun. Ludwig fragte dann, ob's denn wahr sei, daß Hans
+und Regine bald Hochzeit machen wollten. Annemarie erwiederte, so viel
+sie wisse, auf den Herbst. Dies brachte sie auf ernstere Gedanken.
+Nach einem Weilchen fragte sie erröthend und mit einem gewissen
+schüchternen Lächeln: »Ist's denn wahr, daß dein Vater will, du sollst
+des Kirchbauern Eva von ** heirathen?« Ludwig antwortete: »Ja wohl hat
+er so was im Sinn gehabt; aber mir ist's nie rechter Ernst gewesen
+und jetzt denk ich nimmer dran.« Annemarie wurde vor Vergnügen noch
+röther. Dann sah sie vor sich hin, wie wenn sie über etwas nachdächte,
+und unwillkürlich entschlüpfte ihr wieder das Wort: »Wenn ich doch ein
+reiches Mädchen wär!« Ludwig faßte ihre Hand und sagte herzlich: »Es
+kann nicht alles<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> beisammen sein! Du bist die schönste und die beste
+und die geschickteste, die ich kenne — das ist mehr werth als Geld!«</p>
+
+<p>Annemarie sah ihn dankbar an und schwieg. Dann sagte sie: »Ist dein
+Vater wirklich so stolz, wie die Leute sagen? Verzeih mir diese Frage!«
+— »Mein Vater weiß, was er ist,« antwortete Ludwig, »und läßt sich
+nichts nehmen. Aber er ist ein braver und gescheidter Mann und giebt
+auch andern ihre Ehre. Meine Mutter ist gut und hält alles auf mich.«</p>
+
+<p>Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wie verliebte Herzen einmal alles
+fürchten, dann wieder alles hoffen, so war es ihr die letzten Tage her
+nicht ganz unmöglich vorgekommen, daß sie doch noch Ludwigs Frau werden
+könnte. Sie hielt etwas auf sich und glaubte, um ihretwillen könnte
+wohl eine Ausnahme von der Regel gemacht werden. Aber nun wurde durch
+das Bild des Angerbauers, dessen Stolz der Sohn zugeben mußte, ihre
+Hoffnung wieder sehr erschüttert. Sie seufzte und sagte mit leiserer
+Stimme: »Ich fürchte mich vor deinem Vater, Ludwig, und sehe nicht, was
+aus uns beiden werden soll!«</p>
+
+<p>Ludwig, der durch die feuchten Augen in das Herz des Mädchens sah,
+wurde gerührt, Liebe und Großmuth loderten in ihm auf. Er legte wie
+schützend den Arm um sie und sagte mit dem herzlichsten Ton: »Mach dir
+das Herz nicht schwer, Annemarie! Ich hab dir gesagt, daß du mir die
+liebste auf der Welt bist, und ich sag dir's noch einmal. Vertrau auf
+mich und sorg nicht! Was ich mir ernstlich vornehme, das setz' ich auch
+durch — darauf verlaß dich!« — »Ich vertraue dir,« sagte Annemarie,
+»denn sonst hätt' ich das auch nicht für dich gethan. In meinem Leben
+bin ich noch mit keinem ledigen Bursch so zusammen gekommen. Aber dich
+hab ich so lieb, daß ich thun muß, was dich freut — ich kann mir nicht
+anders helfen!« — Entzückt über dieses Geständnis, sah Ludwig das
+schöne Mädchen an; Thränen traten in seine Augen; sie mit seinen Armen
+umschließend, rief er aus: »O du liebes, liebes Mädchen! in meinem
+Leben laß ich dich nicht!«</p>
+
+<p>Dieser innige Ausruf weckte ein seliges Gefühl in dem Herzen
+Annemarie's, zu gleicher Zeit warf er aber Schrecken in ein anderes.<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span>
+Diejenige, für welche diese Worte am wenigsten bestimmt waren — die
+Mutter Ludwigs hatte sie vernommen, klar und deutlich vernommen. Die
+Angerbäuerin war im obern Dorf auf Besuch gewesen und hatte sich
+verspätet, indem sie zwar zu rechter Zeit in der Stube Abschied
+genommen, aber auf der Haustreppe mit der Freundin von neuem und erst
+recht wieder in's Gespräch gekommen war. Da der Fußweg am schnellsten
+nach Hause führte, so schlug sie diesen ein. Als sie an der Hecke des
+Bäckergartens hingehend ein leises Reden vernahm, horchte sie und das
+Ohr der Mutter erkannte gar bald die Stimme des Sohnes. Die letzten
+Worte, bei welchen die Leidenschaft den Ton vorsichtig zu dämpfen
+vergaß und von denen ihr keine Silbe entging, sagten ihr alles. Sie
+erschrack heftig und zitterte an allen Gliedern. Hatte sie doch so eben
+noch der Freundin versichert, daß an dem Geschwätz wegen der Annemarie
+gar nichts sei und ihr Ludwig bald Kirchbauer sein werde. Sie glaubte
+vor Scham und Verdruß in die Erde sinken zu müssen. Da sie nicht mit
+sich einig werden konnte, was sie beginnen sollte, und im Garten Stille
+eingetreten war, ging sie weiter. Der Schrecken in ihrem Herzen machte
+dem Zorn Platz. Sie so schändlich anzuführen, zu dem Mädchen zu gehen
+wider ihr ausdrückliches Verbot und ihr so gottvergessene Dinge zu
+sagen! Bevor sie noch in ihren Hof trat, war ihr Entschluß gefaßt. Sie
+schwieg still und ließ sich nichts anmerken, weder vor dem Vater noch
+vor dem Sohn, der nicht lange nach ihr heim kam.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Den andern Morgen, als der Angerbauer eben das Haus verlassen hatte
+und Ludwig ihm folgen wollte, sagte die Mutter, sie habe noch etwas
+mit ihm zu reden. Sie führte ihn in's Kanzlei zurück und sagte, gerade
+auf das Ziel losgehend: »Du bist gestern Abend bei der Annemarie
+gewesen!« — Darauf war Ludwig nicht gefaßt. Er verlor etwas die Farbe
+und stammelte: »Wie sollt' ich.« — Aber die Mutter fiel ihm in die
+Rede: »Läugn' es nicht, ich hab mit meinen eigenen Ohren gehört, was du
+ihr gesagt hast!« — Und indem sie ihn mit bekümmert erzürntem Blick
+ansah, fuhr sie fort: »Es hilft also kein Reden an dir, du willst dich
+mit Gewalt in's Geschrei bringen und ein unerfahrenes Mädchen durchaus
+unglücklich machen!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span></p>
+
+<p>Bei diesem Vorwurf sammelte sich der Betroffene wieder. Er erwiederte:
+»Wer sagt das? Ich habs ganz anders mit ihr im Sinn!« — »Wie soll ich
+das verstehen?« — »Wenn ich sie nun heirathen wollte?« — Die Mutter,
+auf eine solche Rede gefaßt, zuckte die Achseln und sagte: »Du bist
+nicht gescheidt!« — Ludwig aber versetzte mit Ernst: »Ich weiß es, mit
+keiner würd' ich so glücklich leben, wie mit der Annemarie. Grade die
+gefällt mir, und sonst keine andere!«</p>
+
+<p>Die Augen der Angerbäuerin funkelten. »Wie!« rief sie aus, »das
+unterstehst du dich mir zu sagen, — du, der mit der Ev' so gut wie
+versprochen ist?« — »Davon weiß ich nichts,« sagte Ludwig. — »So,
+davon weißt du nichts? — Nun merk auf, was ich dir sag: wenn du von
+diesen dummen Gedanken vor deinem Vater nur ein Wörtchen merken läßt,
+so bringt er dich um! Das ist der Rechte, sich von einem Kind so etwas
+gefallen zu lassen!«</p>
+
+<p>Der Sohn erkannte das Gewicht dieser Worte und schwieg. Dann sagte er
+in traurigem Ton: »Ich hätt' gedacht, du zum wenigsten würdest nicht
+so hart gegen mich sein und dich meiner annehmen gegen ihn.« — »So,«
+rief die Mutter, »auf mich hast du dich verlassen? Du kennst mich
+also nicht, wie es scheint. Ich sag dirs jetzt ein für allemal: nie
+werd' ich zu einer solchen Heirath meine Einwilligung geben! Ich will
+nicht, daß mein Sohn durch seinen Unverstand sich unglücklich macht
+und der ganzen Freundschaft einen Schimpf anthut! Wenn du nicht von
+diesem Augenblick an das Caressiren mit dem Mädchen aufgiebst, so
+sag ichs deinem Vater und du wirst sehen, was dann geschieht! — So,
+jetzt kennst du meine Meinung und kannst dich darnach richten!« —
+Nach diesen Worten verließ sie die Stube, indem sie die Thüre etwas
+unsanfter zumachte, als gewöhnlich.</p>
+
+<p>Es ist eine bekannte Sache, daß der Widerstand, den wir auf dem Weg
+zu einem ersehnten Ziel erfahren, unsern Eifer und Muth, dahin zu
+gelangen, oft nur steigert. Zuweilen bewirkt er aber das Gegentheil:
+er führt zu einer Erwägung, in der uns das Ziel als ein unerreichbares
+erscheint, so daß wir uns, wenn auch mit schwerem Herzen, zum Rückgang
+entschließen. Die menschliche Seele ist ein<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> eigen Ding. Namentlich
+sind die weicheren für die Eindrücke des Entgegengesetzten empfänglich,
+und wenn sie eine Zeitlang sich ausschließlich nach einer Seite
+gewendet haben, so werden sie dadurch nur um so offener für die andere.
+Dies sollte nun auch Ludwig erfahren. So erzürnt war seine Mutter nie
+gewesen, so heftig hatte sie nie gegen ihn gesprochen. Er fühlte auf's
+tiefste, daß er <em class="gesperrt">sie</em> nicht zum Nachgeben bewegen würde; — und
+wie sollte ihm das erst bei seinem Vater gelingen! — Die Gründe, aus
+denen beide gegen eine solche Verbindung sein mußten, stellten sich
+ihm dar, und er war so sehr Bauer und Sohn seiner Eltern, daß er ihre
+Vernünftigkeit nicht bestreiten konnte. Annemarie war die Tochter und
+Verwandte von Söldnersleuten, d. h. sie gehörte einem Stande an, über
+dem sich der Bauer allenfalls eben so erhaben fühlt, wie der Adelige
+über dem bürgerlichen. Der Bauer hat einen Hof mit Haus und Stadel
+und zusammengehörigen Feldgütern, er besitzt Rosse und Rindvieh in
+gehöriger Anzahl und hält sich Knechte und Mägde. Der Söldner hat nur
+ein Haus, wenige Grundstücke, kein Roß, im besten Fall einiges Vieh.
+Um sich besser durchzubringen, lernt er ein Handwerk und hilft dem
+Bauer bei der Ernte, wodurch geringere Söldnerfamilien zu gewissen
+Höfen in eine Art von Clientenverhältniß kommen. Daß der Bauer sich
+nun als zu einer höheren Menschengattung gehörig ansieht, ist beinahe
+so natürlich, als das Bewußtsein des Aristokraten gegenüber dem
+Bürgerlichen. Das Vermögen übt freilich auch hier eine ausgleichende
+Macht, und wenn der Söldner empor, der Bauer heruntergekommen ist, so
+wird die Verbindung der Familien wieder möglich. Aber auch so kann sich
+der traditionelle Stolz noch wehren, und mir ist ein Fall bekannt, wo
+ein verschuldeter alter Bauer nur mit größter Mühe zu bewegen war,
+seinen Sohn eine wohlhabende Söldnerstochter heirathen zu lassen, indem
+er den Verwandten, die sie herausstrichen, immer wieder antwortete:
+»Es ist doch keine Bauerntochter!« — Bei Ludwig und Annemarie kam
+zu diesem Mißverhältniß noch der große Unterschied des Vermögens,
+da sie kaum den achten Theil desjenigen besaß, was er nur vorläufig
+mitbekommen sollte; endlich vollends die Anknüpfung mit Eva. — Der
+Kopf des jungen Menschen brannte, nachdem er das alles überlegt hatte,
+und<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> an seine Eltern denkend rief er mit Verzweiflung aus: »Sie thuns
+nicht, sie thuns nicht!«</p>
+
+<p>Das Bild des Mädchens stand so schön und lieb vor seiner Seele, wie
+jemals. Er hatte ihr gestanden, wie gern er sie habe, hatte ihr gesagt,
+sie solle ihm vertrauen, und er wolle nicht von ihr lassen. Aber wenn
+seine Eltern ihre Einwilligung verweigerten, so machte er Annemarie
+nur unglücklich — und durfte er das? Ein förmliches Versprechen hatte
+er ihr nicht gegeben. Bis jetzt war es eben ein Liebeshandel, wie es
+so manche giebt in der Welt, ohne daß es zum Heirathen kommt; ein
+Liebeshandel, wo man ja vieles spricht, was man nicht halten kann, ja
+nicht einmal darf. Andere hatten ganz andere Verpflichtungen gehabt,
+als er gegen Annemarie, und doch zuletzt ihres Gleichen geheirathet.
+Auf der andern Seite, — war es denn gewiß, daß Annemarie die Sache so
+schwer aufnahm? Vielleicht tröstete sie sich bald, heirathete einen
+andern und wurde glücklich. — Wenn das Herz Ludwigs diesen Gedanken
+widersprach, so mußte er sie sich doch machen, und sie thaten ihre
+Wirkung.</p>
+
+<p>Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Er hatte mit Annemarie eine neue
+Zusammenkunft verabredet und er durfte sich nicht einfinden, wenn
+er sich nicht entschieden hatte, seinen Eltern zu trotzen. Als er
+nochmals alles hin und her überlegte, siegte zuletzt die Macht der
+äußern Verhältnisse; der Verstand und die Einschüchterung gewannen
+die Oberhand, die Liebe und die Leidenschaft gaben sich gefangen. —
+Er wollte zum wenigsten <em class="gesperrt">versuchen</em>, ob er ohne Annemarie leben
+könnte. Wenns ging, so wollte er in Gottes Namen seinen Eltern folgen.</p>
+
+<p>Er kam nicht zum Stelldichein. Als er Annemarie einen Tag später mit
+Regine begegnete, sagte er förmlich »guten Tag« und ging vorüber. Das
+Mädchen war etwas »verhofft« und sah ihm nach mit fragender Miene;
+aber sie entschuldigte beides. Zu der Bestellung hatte er nicht kommen
+können und vor der Regine wollte er sich nicht verrathen. Wie er
+nun aber mehrere Tage nichts von sich hören ließ, und endlich, als
+sie allein mit ihm zusammentraf, auch nur mit gewöhnlichem Gruß und
+dazu noch sichtlich verlegen an ihr vorüberging, da erkannte sie ihr
+Geschick. »So,« sagte sie, indem ihr Herz<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> zu klopfen begann, »so
+ists gemeint?« Sie sah ihm nach und bemerkte, wie er schneller ging,
+gleichsam um aus ihrem Bereich zu kommen. Ihre Augen füllten sich mit
+Thränen. »Das ist der Mensch, der zu mir gesagt hat, daß ich ihm das
+Liebste wäre auf der Welt! So hält er Wort! O, ich hätt' mir's denken
+sollen!« Sie ging in's Haus zurück und eilte in ihre Kammer hinauf.
+Ihre Thränen strömten, sie sah mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes
+und der bittersten Kränkung vor sich hin. Dann sagte sie: »Es geschieht
+mir ganz recht, daß es so gekommen ist! Warum bin ich so einfältig
+gewesen und hab' ihm geglaubt? Warum hab' ich mir eingebildet, ich wär'
+auch etwas werth? — O, wie dumm!« setzte sie schmerzlich lächelnd
+hinzu. »Als ob diese Leute von ihrem Stolz lassen könnten! Als ob wir
+ihnen zu was anderem recht wären, als zum Spielen! Ja, ganz recht
+geschieht's mir, grad so hat's kommen müssen!«</p>
+
+<p>Regine kam die Treppe herauf und öffnete die Thüre. Annemarie bemühte
+sich nicht, ihren Schmerz zu verbergen. Die Freundin sah sie mitleidig
+an und sagte: »Ich weiß, warum du weinst. Ja, ja, 's ist so. Beim
+Angerbauer hat's was gegeben. Der Alte und der Junge sind hinter
+einander gekommen, und Ludwig muß die Ev' heirathen.«</p>
+
+<p>»Muß er?« sagte Annemarie, die bei ihrem ruhigen Wesen doch heroischer
+war, als Ludwig, und unter umgekehrten Verhältnissen sich standhafter
+gezeigt hätte. — »Ja freilich muß er, wenn sein Vater will,«
+erwiederte Regine. — »Nun,« versetzte die Gekränkte mit Stolz, »wenn
+er mich lassen kann, dann kann ich ihn auch lassen!« — Sie trocknete
+ihre Thränen und ging mit der Freundin hinunter, um sie auf's Feld zu
+begleiten.</p>
+
+<p>Von da an erschien Annemarie vor andern gefaßt, ohne den Zustand ihres
+Herzens verbergen zu wollen. Die Freude des Lebens war ihr genommen,
+und sie wollte nicht thun, als ob's anders wäre. Ihr Gesicht verlor
+nach und nach die blühende Farbe, bekam aber dafür einen eigenen
+feierlichen Ausdruck, und ihre braunen Augen erhielten einen Glanz,
+der selbst dem alten Bäcker auffiel, so daß er den Kopf schüttelte und
+für sich murmelte: »Es ist Schade, Jammerschade; aber ich kann ihr
+nicht helfen!« — Ihr Schicksal, wie man es erkannte<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> oder errieth,
+flößte den Leuten Achtung ein. Selbst diejenigen, die im Dorf wegen
+eines »bösen Mauls« berufen waren, unterstanden sich nicht, in ihrer
+Gegenwart Anspielungen zu machen, und kein junger Mensch fand in sich
+den Muth, ihr schön zu thun und ihr für den erlittenen Verlust einen
+Ersatz anzubieten.</p>
+
+<p>Ludwig setzte unterdessen den Versuch, ohne Annemarie zu leben, fort.
+Er hatte zum drittenmal gewagt, sie zu grüßen; aber sie war mit einem
+Ausdruck von gekränkter Würde an ihm vorüber geschritten, daß er es
+fortan unterließ. Wenn er nun bei einer unvermeidlichen Begegnung
+ihre Wangen sich färben und ihr Auge glänzen sah, dachte er wohl: sie
+würde nicht so bös sein (freilich nicht der rechte Ausdruck für das
+Gefühl des Mädchens), wenn sie wüßte, wie hart es mich ankommt! — Sein
+Leben wurde sehr einförmig. Er ging zu Hause und auf dem Felde still
+seiner Arbeit nach und machte Sonntags, anstatt mit Kameraden fröhlich
+zu sein, einsame Spaziergänge. Auf einem derselben sagte er zu sich:
+»Leben kann ich wohl ohne sie, das hab' ich nun gesehen; aber was ist
+das für ein Leben!« Er schüttelte den Kopf und ging traurig nach Hause.</p>
+
+<p>Am dritten Sonntag nöthigte ihn seine Mutter, mit ihr einen Besuch beim
+Vetter Kirchbauer zu machen. Sie sah, daß Ludwig ihr und dem Vater ein
+Opfer brachte und daß es dem armen Menschen schwer wurde; sie war daher
+auf dem Weg besonders gut gegen ihn und gab sich große Mühe, ihn zu
+erheitern, indem sie ihm vormalte, welch' einen Herrn er als Mann der
+Eva spielen könne, wo er schon zum Anfang einen schuldenfreien Hof und
+Geld am Zins haben würde. — Die Kirchbauerleute hatten natürlich von
+der Geschichte mit Annemarie gehört. Eva konnte bei der Begrüßung sich
+nicht enthalten, eine spöttische Miene zu weisen und gegen denjenigen,
+der einen solchen Streich machen konnte, eine gewisse Geringschätzung
+an den Tag zu legen. Indessen, der Sünder hatte eine Eigenschaft, die
+mit Nothwendigkeit Vergebung forderte: er war der Sohn reicher Leute.</p>
+
+<p>Man faßte denn auch die Sache von der heitern Seite auf. Als man beim
+Kaffee saß, versuchte Eva scherzhafte Anspielungen zu machen, die
+ziemlich plump herauskamen, und der arme Ludwig mußte nun seine Liebe
+verleugnen und erklären, daß ja an der ganzen Sache<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> nichts sei, daß er
+was ganz anderes im Sinn habe u. s. w. Er strengte sich offenbar an und
+wollte sich zwingen, Eva lieb zu gewinnen. Die Folge war, daß ihm die
+große Person, die seinem Herzen bisher gleichgültig war, zuwider wurde.
+Auf dem Heimweg sprach die Mutter davon, die Sache nun bald richtig
+zu machen. Ludwig bemerkte: »Mit der Zeit wird sich alles geben; aber
+jetzt, ich bitte schön, laß mich in Ruh und treib nicht an mir!« Die
+Angerbäuerin fühlte, daß sie still sein müsse.</p>
+
+<p>Die zweite Hälfte des Juni war herbeigekommen und mit ihr die
+Nördlinger Messe. Diese dauert vierzehn Tage und ist ein Fest für das
+ganze Ries. Die ländlichen Hausfrauen kaufen sich auf ihr den Bedarf an
+Kleidungsstoffen, Hausgeräthen und Spielzeug, und an manchem Tag sieht
+man auf den Hauptplätzen mehr Bauern als Städter. Namentlich ist dies
+bei den Hafnern der Fall, wo die klugen Bäuerinnen durch wiederholtes
+Klopfen die Güte der Geschirre prüfen und an großen und kleinen ein
+Gemisch von Tönen hervorbringen, daß man ein wahres Concert zu hören
+glaubt. Hat man gehörig eingekauft, so erquickt man sich an den
+berühmten Nördlinger Brat- oder geräucherten Groschenwürsten, trinkt
+Bier dazu oder gar ein Schöppchen Wein, und wandert in der Dämmerung,
+trotz des gefüllten, wachstuchbezogenen »Donaugretzens,« den man zu
+tragen hat, vergnügt nach Hause. Die Sonntage sind für die »Ledigen,«
+die namentlich am zweiten, der eben deßwegen der »Bauernsonntag«
+heißt, von allen Dörfern nach Nördlingen strömen, um in verschiedenen
+Wirthshäusern der Lustbarkeit nachzugehen.</p>
+
+<p>Ludwig hatte acht Tage vergehen lassen, ohne sich um die Messe zu
+kümmern. Sein melancholisches Aussehen machte die Mutter besorgt und
+selbst den Alten bedenklich. Als er gar am Bauernsonntag keine Anstalt
+machte in die Stadt zu gehen, da hielt sich die Mutter nicht länger.
+Sie nahm eine kleine Rücksprache mit dem Vater, dann ging sie zu
+Ludwig, der in seiner Kammer war, und redete ihm mit mütterlichem Ernst
+in's Gewissen: was denn das wäre, daß er gar nicht mehr unter die Leute
+gehen wolle? Wenn andere ledige Bursche sich lustig machten, sitze er
+da und sinnire; ob das eine Art sei für einen jungen Menschen? »Da,«
+fuhr sie fort, indem sie einen Beutel<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> voll Kronenthaler aus der Tasche
+zog, »da nimm, geh nach Nördlingen, mach dir einen vergnügten Tag und
+laß etwas drauf gehen! Du weißt ja, wir haben's!« Ludwig, den Beutel in
+Empfang nehmend, sagte mit trübem Lächeln: »Nun gut, Mutter, ich will
+dir folgen.« Das Gesicht der Angerbäuerin erheiterte sich. Sie wußte,
+daß Eva in der Stadt sein würde, und hoffte, daß die beiden jungen
+Leute sich treffen, mit einander tanzen und sich vollends verständigen
+würden.</p>
+
+<p>Ludwig kleidete sich trotz seiner Melancholie festlich an, wie
+sich gebührte, und schlug nach der Stadt einen weitern und weniger
+begangenen Fußweg ein, der durch Getreidefelder und Wiesen führte. Der
+Tag war ausnehmend schön und klar. Die Nachmittagssonne schien warm
+vom Himmel, aber ein frisches Lüftchen, das von Osten kam, milderte
+ihre Wirkung. Still, zuweilen ein rührendes Lied summend, wanderte
+Ludwig den heimlichen Gang durch das hochgewachsene Korn. Als er
+auf die Wiese heraustrat und die Augen aufschlug, bot sich ihm ein
+höchst erfreulicher Anblick. Etwa noch eine halbe Stunde entfernt
+lag die Stadt Nördlingen da, von grünenden Gärten umgeben. Der von
+grauen Quadern erbaute Thurm der St. Georgienkirche — einer der
+höchsten und stattlichsten in Deutschland — erhob sich in dem klaren
+sommerlichen Duft freundlich über die Häuser und bildete mit ihnen
+ein Ganzes, dem man die Eigenschaften der Solidität und Wohlhäbigkeit
+von weitem ansah. Und rechts und links, auf Straßen und Feldwegen,
+zu Wagen und zu Fuß erblickte man geputzte Leute in ländlicher oder
+städtischer Tracht, welche dem <em class="gesperrt">einen</em> Punkte zustrebten. Die
+Landschaft trug vielleicht eben jetzt ihr farbenschönstes Kleid.
+Ueberallhin wogende Getreidefelder in mannichfacher Abstufung des Grüns
+und Wiesen mit Blumen geziert, besonders mit der weißen »Meßblume,«
+die den Rieserinnen dazu dient, das, »Er liebt mich von Herzen« etc.
+vorzunehmen, und die in größerer Anzahl darüber verbreitet den Gründen
+einen besonders heitern Charakter giebt.</p>
+
+<p>Auf Ludwig machte das alles freilich nur traumhafte Eindrücke. Seine
+Seele lebte in sich selber. Er war in einer Stimmung, wo man traurig
+ist, aber sich nicht ganz unglücklich fühlt, wo man zugleich<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> mit der
+Trauer eine Lust der Ergebung empfindet, die alles Schmerzliche in
+gemildertem Lichte sehen läßt. In dem Menschenherzen sind wunderbare
+Quellen des Trostes, die sich aber nur öffnen, wenn es bedrückt wird.
+Dann erhebt sich eine Kraft in ihm, die in sanfter Strömung Linderung
+bietet, und die, wenn sie die früheren Hoffnungen nicht mehr beleben
+kann, doch wenigstens ihr Grab verschönt. — Als Ludwig die Erfahrungen
+der letzten Zeit an seiner erweichten Seele vorüberziehen ließ, regte
+sich leise und leise sogar die Hoffnung wieder. Die Sehnsucht erblickte
+in weiter Ferne Bilder des Glücks, und das junge Herz fand ihre
+Verwirklichung nicht mehr so ganz unmöglich.</p>
+
+<p>In der Stadt angekommen, ohne recht zu wissen wie, ging er zuerst
+auf den Markt beim Rathhaus und hatte dort kurze Ansprachen mit
+verschiedenen Kameraden. Dann trieb er sich in bunter Menschenwoge bei
+den Meßständen umher und kaufte einiges zu Geschenken. Als er müde war,
+suchte er den »goldenen Ochsen« auf, wo die jungen Leute seines Dorfes
+einzukehren pflegten. Fröhliche Musik erschallte von den Fenstern
+des ersten Stocks. Er fühlte keine Neigung, sich unter die Jugend zu
+mischen, trat in die untere Stube, ließ sich einen Krug Bier geben und
+setzte sich in eine Ecke. Nach und nach regten die wohlbekannten Töne
+des Horns und der Clarinette doch eine Neugierde in ihm an, und er ging
+in den Saal hinauf, um dem Tanze zuzusehen.</p>
+
+<p>Das erste, was ihm in die Augen fiel, war Hans, der sich mit Regine im
+Tanze drehte. Sein Herz klopfte; er spähte im ganzen Saal umher, um die
+zu erblicken, die er liebte. Endlich sah er sie in einer Ecke stehen,
+den Blick auf die Tanzenden gerichtet, die Gedanken aber sichtlich
+anderswo.</p>
+
+<p>Das Hiersein des verlassenen Mädchens war dadurch veranlaßt, daß Hans
+erklärter Hochzeiter der Regine geworden war. Als solcher wollte er
+die Geliebte zur Messe führen, aber diese, die das arme Kind gern
+wieder bei einem Vergnügen gehabt hätte, erklärte, sie gehe nicht ohne
+Annemarie. Das gute Mädchen, wenn sie kein Störenfried sein wollte,
+mußte dem Paar nun wohl Gesellschaft leisten.</p>
+
+<p>Ludwig blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete sie, ohne<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> von ihr
+gesehen zu werden, in erschreckter Freude. Ihr Gesicht war nicht nur
+blässer, sondern auch etwas schmaler geworden; aber wie schön und fein
+war es! Die Trennung von ihm machte ihr mehr Herzeleid als ihm selber,
+das mußte er sehen! Sie hatte ihn nicht vergessen, sie hing treu an
+ihm, sie grämte sich! Reue, Mitleid, Liebe, Bewunderung stürmten auf
+ihn ein, seine Wangen glühten, ein unendliches Verlangen ergriff ihn,
+mit der Geliebten zu reden. Plötzlich faßte er einen Entschluß. Er ging
+auf sie zu und fragte: ob es nicht erlaubt wäre mit ihr zu tanzen.</p>
+
+<p>Das Mädchen schrak zusammen und starrte ihn an. Sie zog die Hand,
+die er ergriffen hatte und in der seinen bebte, zurück, aber er ließ
+sie nicht los. Mit dem herzlichsten Tone sagte er: »Ich bitte dich,
+Annemarie!« und sah sie mit einem Blick so voll Liebe, Reue und
+Ergebung an, daß die Kraft zum Widerstand ihr versagte. Erröthend,
+zitternd, in tiefster Verwirrung ließ sie sich von ihm zum Tanze führen.</p>
+
+<p>Was soll ich weiter sagen? Ludwig fand Gelegenheit, sich gegen
+Annemarie über alles auszusprechen: wie Vater und Mutter drohend von
+ihm verlangt, von ihr zu lassen, wie er versucht habe, ihnen zu folgen,
+wie es ihm aber unmöglich sei, da er keine andere liebhaben könne als
+sie. Er wolle nun mit seinem Vater sprechen, gleich morgen. Sie müsse
+sein Weib werden, geh' es wie es wolle. Er verspreche es ihr hoch und
+heilig, und so wahr ein Gott im Himmel sei, er werde sein Versprechen
+halten.</p>
+
+<p>Annemarie glaubte ihm: sie fühlte, wie jedes Wort von Herzen kam. Sie
+verzieh ihm das Vergangene, da sie einsah, welch einen schweren Stand
+er hatte; sie bewunderte und theilte seinen Muth. Was fragte sie nach
+der Welt? Er gehörte ihr wieder, ihr Leben, ihr einziges Glück! — Sie
+glänzte in seliger Schönheit. Die Freude hatte ihre Wangen nicht nur
+wieder geröthet, sondern schien sie auch plötzlich runder gemacht zu
+haben. Ludwig hatte sie nie so hold gesehen.</p>
+
+<p>Die jungen Herzen erhob ein Gefühl, das sie vorher nie in dieser Stärke
+gekannt hatten: der Heldenmuth der Liebe. Sie sahen, was ihnen drohte,
+aber sie empfanden keine Bangigkeit. Die Kämpfe,<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> die ihrer harrten,
+waren ihnen beinahe lieb; denn sie <i>wollten</i> sich bewähren, sie
+wollten zeigen, was wahre Liebe vermöge, und daß man einer solchen
+nichts anhaben könne. Es war ein Schwung in ihren Seelen, daß ihnen
+nichts unmöglich erschien. Mögen sie nur kommen, mögen sie nur reden
+— dachten sie — wir wollen sehen, wer das Feld behauptet! — Mit dem
+Glück leuchtete nun auch dieses heroische Gefühl aus den Gesichtern und
+gab ihnen einen eigenen rührenden Ausdruck. Wer sie sah, der wußte, daß
+sie einig waren und daß man sie nicht mehr auseinanderbringen würde.
+Die einen schüttelten den Kopf, andere dagegen nahmen frohen Antheil.
+Ein stattlicher Bursche ging auf das Paar zu, klopfte Ludwig auf die
+Schulter und sagte: »Brav so! Laß dich nicht irre machen — der Alte
+muß nachgeben!« — »Ja, Bruderherz,« erwiederte der Entschlossene, »das
+muß er, ich kann ihm nicht helfen!«</p>
+
+<p>Ludwig führte sich nun gerade am schönsten auf, er strampfte am
+geschicktesten nach dem Takt vor seiner Tänzerin, er sang Lieder vor,
+die sich auf ihr Verhältniß bezogen, darunter einige, die er offenbar
+selber gemacht hatte — er zog die allgemeine Bewunderung auf sich.</p>
+
+<p>Nachdem sie genug getanzt hatten, nahmen die befreundeten Paare im
+einer kleinen Stube Platz und setzten sich zum reichlichen Mahle.
+Ludwig folgte seiner Mutter: er ließ etwas drauf gehen, und mehrere von
+den schönen Kronenthalern, die er erhalten hatte, um damit vor Eva zu
+prangen, blieben im goldenen Ochsen. Gegen eilf Uhr machten sie sich
+auf den Heimweg. Ludwig führte die Geliebte und Regine hielt Hans mit
+Fleiß etwas zurück, damit die beiden sich recht ausreden konnten. Die
+Nacht war so schön wie der Tag; der Mond, beinahe voll, schien hell
+in's Land, und silberne Nebel zogen sich über die Wiesgründe hin. So
+wanderten die Glücklichen in dem Feldweg fort, sich wieder und wieder
+betheuernd, wie lieb sie sich haben, wie glücklich sie seien und
+wie sie sich treu bleiben wollten bis in den Tod. Vor dem Hause des
+Bäckers nahmen sie Abschied, und nochmal sagte Ludwig an dem Halse der
+Geliebten: »Verlaß dich auf mich!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span></p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Den andern Morgen ersah Ludwig seine Zeit und ging entschlossen in
+die Stube, wo seine Eltern allein waren. Er trat vor seinen Vater und
+sagte: »Ich hab' etwas mit dir zu reden.« Der Alte machte ein grimmiges
+Gesicht, welches zeigte, daß ihm von dem gestrigen Thun des Sohnes
+bereits etwas zu Ohren gekommen war. »Das trifft sich gut,« erwiederte
+er, »ich hab' auch etwas mit dir zu reden.« Und indem er ihn mit
+verachtenden Blicken maß, fuhr er fort: »Nun sag mir, was ich mit dir
+anfangen soll! Du hast also wirklich alle Scham verloren? Während ich
+und deine Mutter glauben, daß du bei Leuten bist, die dir Ehre machen,
+verbankettirst du dein Geld mit einer —«</p>
+
+<p>»Schimpf nicht!« fiel ihm Ludwig in die Rede; »die Annemarie ist das
+bravste und ordentlichste Mädchen! Und weils doch heraus muß, so sag
+ich dir jetzt: die und keine andere wird mein Weib! Ich hab' euch
+folgen wollen, ich hab' mir die größte Müh' gegeben; aber es geht nicht
+— ich <em class="gesperrt">kann</em> ohne die Annemarie nicht leben! Und ich hab' ihr's
+gestern gesagt, und sie hat mir's gesagt, und wir haben uns versprochen
+vor Gott im Himmel, daß wir uns treu bleiben wollen, und wir halten
+unser Wort!«</p>
+
+<p>Der Alte war erstarrt. Er hatte in der Geschichte auch jetzt noch
+nichts als eine ärgerliche Liebelei gesehen und fürchtete im
+schlimmsten Fall einen Ausgang, der den Buben in's Geschrei bringen
+und die Heirath mit Eva verderben konnte. Daß sein Sohn, der Sohn des
+Angerbauern, daran denken könnte, ein Mädchen wie Annemarie zum Weib zu
+verlangen, das hätte er sich nicht im Traum einfallen lassen. Er sah
+ihn ordentlich erschreckt an, wie einen plötzlich Tollgewordenen, und
+brachte mit Mühe die Worte heraus: »Was — willst du thun?« — Ludwig
+erwiederte mit entschlossenem und zugleich bittendem Tone: »Ich will
+die Annemarie heirathen, ich kann nicht anders, Vater!«</p>
+
+<p>Der Angerbauer zuckte und seine Faust ballte sich. Noch hielt er die
+Wuth, die in ihm aufkochte, zurück, aber mit solcher Anstrengung, daß
+seine Glieder zitterten. Er fragte: »Wovon wollt ihr denn leben?« —
+Ludwig versetzte: »Die Annemarie ist nicht so arm, sie hat auch etwas,
+beinahe tausend Gulden, und mit dem, was ich kriege —« — »So?« sagte
+der Alte, »wer giebt dir denn etwas?« — »Nun,« versetzte Ludwig, »du
+würdest mir doch —« —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span></p>
+
+<p>Der Alte lachte mit bitterem Hohn. »Wie!« sagte er, »bildest du dir
+ein, daß ich Geld ausgebe, um eine solche Söhnerin zu bekommen? Bist du
+von Sinnen? Nicht einen Heller bekommst du von mir!«</p>
+
+<p>»Laß ab, Ludwig!« rief die Mutter, die geängstet zur Seite gestanden
+hatte, »laß ab, um Gotteswillen! Er thut's nicht, er kann's nicht thun!
+Hast du denn allen Verstand verloren?« — »Nein,« versetzte Ludwig
+fest, »ich hab' meinen Verstand noch ganz, und ich laß nicht ab, denn
+ich hab's wohl überlegt, was ich thu'. Die Annemarie wird mein Weib,
+mag geschehen was da will — das ist meine letzte Rede!«</p>
+
+<p>Nun war die Kraft, mit welcher der Angerbauer den Ausbruch seiner
+Wuth niedergehalten hatte, zu Ende. »Wie!« schrie er den kecken Sohn
+an, »du unterstehst dich mir zu trotzen? So weit treibst du die
+Unverschämtheit? Du nichtsnutziger Bursche! Du frecher Bube! Heirathen
+willst du sie? Eine Bettlerin? Du Dummkopf! Siehst du nicht, daß die
+schlechte Person nur nach deinem Geld angelt?«</p>
+
+<p>Ludwig hatte die Schmähungen, die ihn betrafen, ruhig über sich ergehen
+lassen; aber bei den letzten Worten fuhr er auf. »Die Annemarie ist
+das rechtschaffenste Mädchen unter der Sonne! Wer anders sagt, ist ein
+Lügner!« — Der Alte erhob den Arm und that einen Schritt gegen den
+rebellischen Sohn, um ihn niederzuschmettern; aber die Mutter fuhr
+dazwischen. »Um's Himmelswillen,« rief sie dem Rasenden zu, »thu' das
+nicht! Siehst du nicht die Leute, die draußen stehen?« Der Vater ließ
+den Arm sinken, aber nur um den Sohn desto grimmiger mit Worten zu
+treffen.</p>
+
+<p>Ich verzichte darauf, diese Scene weiter zu schildern. Der Zorn ist
+eine Art von Wahnsinn. Hat er einmal die Dämme der Vernunft und
+der Sitte durchbrochen, dann kennt sein Wüthen keine Grenzen mehr.
+Er will den Gegner vernichten und greift darum zu den gröbsten
+Schmähungen, weil sie die tödtlichsten sind. Der Zornige kann mit dem
+ehrlichsten Ingrimm und mit der wahrsten Empfindung Dinge sagen, deren
+Ungerechtigkeit er bei ruhigem Blute besser einsehen würde als irgend
+ein anderer. Nur die Ungerechtigkeit kann<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> ihm genug thun, er lebt von
+ihr, er schwelgt in ihr. Die Worte, die dem Angerbauer angreifend und
+dem Sohn abwehrend an diesem Morgen noch in den Mund kamen, würden
+in dieser Darstellung keinen Platz finden. Noch einmal ging der Alte
+auf Ludwig los, um ihn niederzuschlagen; noch einmal trat die Mutter
+dazwischen und hielt ihm den Arm. Endlich rief er mit schäumendem
+Munde: »Fort, fort! Aus meinem Hause! Du bist mein Sohn nicht mehr!
+Fort!« Und Ludwig versetzte: »Sorg' nicht, ich geh', und nie wirst du
+mich wieder sehen!« Er öffnete die Thüre und ging hinaus. Die Mutter
+wollte ihm nach, aber der Angerbauer hielt sie mit eisernem Arm. »Laß
+ihn, er soll fort und mir nie wieder unter's Angesicht kommen!«</p>
+
+<p>In einer Art von heroischer Trunkenheit ging Ludwig in seine Kammer,
+packte die nothwendigsten Kleidungsstücke in ein Tuch und wanderte mit
+dem Bündel durch den Garten auf's Feld hinaus. Es war ihm ordentlich
+wohl zu Muthe. Er wollte sich an seinem Vater rächen, und er wußte, wie
+er das konnte. Gestern hatte er zufällig gehört, daß ein weitläuftiger
+Anverwandter im untern Ries einen Knecht brauche. Zu dem wollte er
+gehen und sich bei ihm verdingen. Er wollte als Knecht dienen, zur
+Schande seines reichen Vaters, und so lange aushalten, bis dieser ihn
+selber bäte wieder zu ihm zu kommen und — Annemarie zu heirathen.
+Dieser wollte er schreiben, ihr ausführlich berichten, wie tapfer er
+sich gehalten und dadurch gewiß alles wieder gut gemacht habe. Er
+fühlte sich recht als Mann und war mit sich und beinahe auch mit seinem
+Schicksal zufrieden.</p>
+
+<p>Das Dorf, in welches er zu wandern gedachte, war etwa drei Stunden
+entfernt. Auf dem Feldweg, den er zunächst einschlug, begegneten ihm
+mehrere Leute, die ihn verwundert anschauten, zuletzt auch sein Bruder
+Andres, der ihn fragte, wo er hingehe. »Fort, in die weite Welt,« rief
+ihm Ludwig zu. — »Wie soll ich das verstehen?« fragte Andres. —
+»Der Vater braucht mich nicht mehr: geh' heim und sag ihm, wo du mich
+getroffen hast!« Und fort eilte er. Andres ging etwas rascher nach
+Hause als er sonst gethan hätte, und richtete den Auftrag aus. Der
+Mutter traten auf's neue die Thränen in die Augen; der Alte aber rief:
+»Mag er laufen, wohin er will, der<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> nichtsnutzige Bursche! — Ich werde
+nicht nach ihm schicken!« Der ruhige Andres ging zur Mutter und sagte
+tröstend: »Er wird schon wieder kommen.«</p>
+
+<p>Nach einer heißen Wanderung langte Ludwig im Hofe des Vetters an. Er
+unterdrückte das Schamgefühl, das ihn anwandelte, und trat äußerlich
+entschlossen, aber doch mit der Schüchternheit eines Menschen, der sich
+anträgt, in die Stube. Der Bauer, ein gesundhagerer, sonnverbrannter
+Mann mit angehenden grauen Haaren, war allein da und rief auf den
+Gruß des Ankömmlings: »Ludwig! Sieh da! Was führt dich zu uns?« Auf
+das Bündel blickend, setzte er hinzu: »Bringst du mir etwas?« —
+»Kann sein,« erwiederte Ludwig. »Ihr braucht einen Knecht?« — »Ja
+wohl. Weißt du mir einen?« — »Ich weiß einen.« — »Nun?« — »Ich
+bin's selber.« — »Du? Mach keinen Spaß!« — »Ich mach keinen Spaß,
+Vetter, sondern sag' Euch die reine Wahrheit.« Und er erzählte ihm das
+Vorgefallne.</p>
+
+<p>Um den Mund des Schmiedbauern (so hieß der Mann vom Hofe) spielte ein
+behaglich schadenfrohes Lächeln. Er war einer von denen, die sich
+für besonders gescheidt halten und denen es höchst fatal ist, wenn
+sie Einen treffen, der noch mehr Verstand zu haben glaubt als sie.
+Diesen Verdruß hatte dem Schmiedbauern zu verschiedenen Malen der
+Angerbauer gemacht, indem er ihm zu Nördlingen, wenn sie nach einer
+»guten Schranne« beim Bier saßen, keine seiner kühneren Behauptungen
+durchgehen ließ und ihm hie und da sogar übers Maul fuhr. Den Sohn
+dieses stolzen und hoffärtigen Mannes nun als Knecht im Hause zu haben
+und dem Alten gelegentlich einmal vor den Leuten sagen zu können, wie
+er sich mache, war für ihn ein köstlicher Gedanke. Er beschloß Ludwig
+zu dingen. Zu seiner Beruhigung sagte er sich: »Wenn ich ihn nicht
+nehme, geht er vielleicht nach Augsburg, um sich als Hausknecht zu
+verdingen, oder unter die Soldaten, oder Gott weiß wohin, so daß man
+ihn am Ende gar nicht mehr findet. Bei mir aber lebt er in der Nähe und
+kann am ersten wieder zur Vernunft gebracht werden.«</p>
+
+<p>»Ei, ei, ei, ei!« rief er endlich aus, indem er vergnügt den Kopf
+schüttelte, »was sind das für Sachen! — Nun,« fuhr er nach einer Weile
+fort, indem er sich zusammennahm und die Miene des Vetters<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> allmählig
+in die des Herrn übergehen ließ, »wenn du's nicht anders haben willst,
+so will ich dir nicht entgegen sein. Du sollst mein Handknecht werden
+und so viel Lohn haben, wie der vorige. Aber eins muß ich dir sagen:
+ich ding dich nicht zum Spaß. Ich brauch einen Knecht, der ordentlich
+schafft und nichts vor andern voraus haben will.« — Ludwig versetzte
+etwas empfindlich: »Ich schaff wie ein anderer und verlang nichts als
+was mir gehört.« — »Nun, mit dem Beding sind wir Handels eins.«</p>
+
+<p>Michel, des Schmiedbauern einziger Sohn, ungefähr in gleichem Alter
+mit Ludwig, kam in die Stube und grüßte den Vetter überrascht und
+freundlich. »Was sagst du dazu,« redete der Alte ihn heiter an, »daß
+Ludwig unser Handknecht wird?« — »Was nicht noch?« versetzte Michel
+ungläubig. Der Alte erklärte ihm den Handel, worauf der Haussohn
+den neuen Knecht mit einem schelmischen und selbstzufriedenen
+Lächeln betrachtete. Man sah ihm an, daß plötzlich das Gefühl des
+Höherstehenden in ihn gefahren war. Er eilte in die Küche, um
+seiner Schwester Madlene, welche seit dem Tode der Bäuerin die
+Wirthschaft führte, die Neuigkeit mitzutheilen. Als Madlene mit dem
+Nachmittagskaffee in die Stube trat, grüßte sie den Vetter nur obenhin
+und mit etwas verzogenem Mäulchen; sie konnte einen Burschen nicht
+begreifen, der wegen eines geringen Mädchens sich so herabzuwürdigen
+vermochte. Der Alte sagte zu Ludwig: »Setz dich zu uns; heute kannst du
+noch mit uns Kaffee trinken. Später freilich —« — »Ich dank' schön,«
+erwiederte Ludwig rasch, »mich dürstets, ich trink Wasser lieber.« —
+»Das kannst du dir draußen am Brunnen selber pumpen,« sagte der Alte,
+vergnügt über die Empfindlichkeit des jungen Burschen, »und trinke
+so viel als dir schmeckt.« — Die Familie setzte sich im Kanzlei zum
+Kaffee. Ludwig verließ die Stube, ging zum Brunnen, trank tüchtig
+und nahm sich vor, muthig auszuhalten und alles was sein neuer Stand
+natürlicherweise Beschwerliches hatte, mit Geduld zu ertragen.</p>
+
+<p>Nach zwei Tagen wurde an Annemarie von einem Hausirer ein Brief
+abgegeben, worin der Liebende berichtete, was uns bekannt ist. Der
+Schluß lautete: »Es geht mir hier recht gut. Ich muß tüchtig<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> arbeiten,
+aber das ist mir lieb. Bleib mir nur treu wie ich dir und alles, was
+geschehen ist, wird zu unserm Glück sein.«</p>
+
+<p>Das gute Mädchen hatte eine seltsam gemischte Empfindung. Die
+standhafte Treue, die Ludwig bewiesen, erfreute und rührte sie
+inniglich; aber der Gedanke, daß <em class="gesperrt">sie</em> an der Uneinigkeit einer
+solchen Familie Schuld sein sollte, fiel ihr schwer auf's Herz.
+Sie ergab sich für jetzt in ihr Geschick und tröstete sich mit der
+Hoffnung, daß der Himmel zwei so treu liebenden Herzen zuletzt doch aus
+ihrer Noth helfen werde.</p>
+
+<p>Im Dorf hatte natürlich das Davongehen Ludwigs den größten Rumor
+gemacht, und die beiden Tage lang wurde in den Häusern und auf
+dem Felde, beim Bier und Nachts auf der Gasse von nichts anderem
+gesprochen. Alle die gegen die Familie des Angerbauers etwas hatten
+oder sie beneideten, thaten sich von Herzen gütlich und sorgten dafür,
+daß die Geschichte mit gehörigen Zusätzen weiter verbreitet wurde.</p>
+
+<p>Unser junger Freund Theodor brachte die Nachricht mit einem gewissen
+Selbstbewußtsein dem Großvater, indem er ausrief: »Hab' ich's nicht
+gesagt?« Der alte Pfarrer sah ihn freundlich an und sagte: »Ja,
+du bist ein ganzer Mann und großer Prophet!« Theodor machte ein
+etwas verdutztes Gesicht; seine Erwartung, ein mit seinen Gefühlen
+sympathisirendes »schrecklich! was es doch für Menschen giebt« etc.
+zu hören, war auf's neue getäuscht. Dieselbe Erfahrung machte er, als
+er die Kunde brachte, daß Ludwig sich als Knecht verdingt habe. »So?«
+sagte der alte Herr, »ist die Nachricht gewiß?« — »Ich habe sie von
+einem Hausirer, der Ludwig selber gesehen hat,« erwiederte Theodor. Und
+ihn ansehend, fragte er: »Was soll nun geschehen? was willst du thun?«
+— »Wir wollen ihn dienen lassen,« antwortete der Pfarrer und begab
+sich in seine Studierstube. Theodor sah ihm kopfschüttelnd nach; bei
+dieser Gelegenheit konnte er seinen Großvater nicht begreifen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Das Leben des Bauern hat dadurch einen besonderen Reiz, daß seine
+Thätigkeit an das Leben der Natur gebunden ist und seine Arbeiten in
+Folge davon sehr mannigfaltig sind. Im Frühling wird beim Singen der
+Lerchen das dampfende Feld gepflügt und besät<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> und auf den Wiesen
+die Streu — die rein gewaschenen Ueberbleibsel des Strohdüngers —
+zusammengerecht. Gemüse- und Baumgarten erhalten ihre Pflege. In den
+Sommer und einen Theil des Herbstes fallen die Ernten des Heus, des
+Winter- und Sommerkorns, des Grummets (im Ries »Ohmad« genannt), des
+Flachses, Hanfs, der »Erdbirn«, der Rüben und des Krautes, die alle
+gar verschiedene Fertigkeiten in Anspruch nehmen und insbesondere
+dem rüstigen Burschen Gelegenheit geben, sich als »Mahder« (Mäher),
+Schnitter, Garbenbinder, Wagenlader und Pferdelenker auszuzeichnen. Die
+Einsammlung geschieht in fröhlicher Gesellschaft, die Familienglieder,
+Knechte und Mägde helfen zusammen und erleichtern sich die Arbeit
+durch lustige Reden; denn gewöhnlich fehlt in einem Hause weder ein
+humoristischer Bursche, der Spaß macht, noch eine gemüthlich einfältige
+oder unbewußt drollige Person, die ihm dazu den hauptsächlichsten
+Anlaß giebt. Die Hausfrau schickt zu rechter Zeit Speise und Trank
+auf's Feld und bewirthet die Arbeiter zum Schluß der großen Ernten
+festlich mit »Schneckennudeln« oder »Küchlein;« mit den verschiedenen
+Arbeiten sind auch verschiedene herkömmliche Ergötzungen verbunden.
+— Ackern und Pflanzen hat sich von Zeit zu Zeit wiederholt, bis
+zuletzt noch die Wintersaat bestellt wird. Der Herbst und der Winter
+bringen das Dreschen, für die Frauen und Mädchen das Spinnen, womit
+in wohlgeheizter, schneeumflogener Stube unter dem Hinzutritt
+unterhaltender Bursche die langen Abende ausgefüllt werden. Durch
+alle Jahreszeiten hindurch erfordert die Viehzucht, die Besorgung der
+Rosse, des Rind- und Federviehs, der Schafe und der Schweine besondere
+Arbeiten und Geschicklichkeiten. Dann ist der Bauer auch Fuhrmann und
+Handelsmann. Er fährt in Waldungen (im Ries oft in ziemlich entfernte),
+um Holz zu holen, er fährt sein Korn zur Schranne, er fährt die Seinen
+und für Geld oder gute Worte auch Andere zu näheren und weiteren
+Besuchen. Er verkauft, kauft und tauscht, und verbringt auf Märkten,
+den Reiz der Handelschaft genießend, keine geringe Zeit. Er wird
+endlich verlockt und genöthigt, in verschiedene Künste zu pfuschen
+und sich mit allerlei Werkzeugen bei kleinen Verlegenheiten selber zu
+helfen.</p>
+
+<p>Natürlich sind die Arbeiten ausgetheilt und an Einen kommen<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> nicht alle
+Arten; doch ist es nicht möglich, jeden einzelnen streng in seinem
+Kreise zu lassen, und immer bleibt für ihn noch eine Mannigfaltigkeit
+übrig, durch die er sich von dem Handwerker und zumal von dem
+Fabrikarbeiter zu seinem Vortheil unterscheidet. Auch der Knecht hat
+eine erfrischende Abwechselung von Beschäftigungen, und wenn er die
+hauptsächlichsten Arbeiten vom Ausbund versteht und ein »rechter
+Schaffer« ist, so kann er sich fühlen und genießt eines rühmlichen
+Namens.</p>
+
+<p>Jede Existenz in der Welt hat indeß ihre Kehrseite. Unter den
+mannigfaltigen Geschäften sind solche, die weder sehr leicht, noch sehr
+reinlich genannt werden können. In glühender Hitze Korn schneiden,
+ist eine Arbeit, ergötzlicher anzusehen, als selber zu thun, indem
+das stets wiederholte Hinabkrümmen des Oberleibes zur Erde eine sehr
+unbehagliche Empfindung im Rücken zur Folge hat. In kalter Winterzeit
+Morgens um vier aufstehen und beim düstern Schein einer Laterne
+dreschen zu müssen, würde ebenfalls für Viele nichts Einladendes haben.
+Den Acker zu bestellen, wenn es tüchtig geregnet hat, bringt mit der
+Mutter Erde in eine Berührung, die man weniger innig wünscht. Indem der
+Bauer die extremen Aeußerungen der Natur nicht so zu dämpfen vermag,
+wie der Städter, und nicht auf gebahnte, sondern auf Wege gewiesen ist,
+die meist noch in ursprünglicher Schlechtigkeit vorhanden sind, kann er
+die Eigenthümlichkeit eines »wüsten Wetters« von Grund aus genießen.
+In der Erntezeit gefällt sich die Natur zuweilen, den Fleißigen zu
+necken, indem sie die getrocknete Frucht durch einen gehörigen Regen
+netzt, um neues Umwenden nöthig zu machen, und dieses Manöver so lange
+wiederholt, bis zuletzt auch dem Gutmüthigsten der Geduldfaden reißt.</p>
+
+<p>Wie jeder weiß, spielt die größte Rolle in der Landwirthschaft der
+Dünger oder Mist. Denselben in gehöriger Fülle und Fettigkeit zu
+erzeugen, ist die Hauptsorge des umsichtigen Bauers. Und wo dieser
+wundersam nährende Stoff hinkommt, da wächst das Gras, da blühen die
+Blumen, da grünt das Korn und sprießt in die Höhe — da steht die
+Poesie der Landwirthschaft vor unsern Augen. Kein Wunder, daß der
+Hofbesitzer mit besonderem Stolz auf seinen Misthaufen sieht und über
+diesen Gegenstand mit Begeisterung zu reden<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> vermag. Wenn aber die
+segensreichen Wirkungen dieses Stoffes jeder zugiebt, so ist es doch
+weniger erfreulich, sich mit demselben unmittelbar zu befassen. Ihn auf
+einem dazu bestimmten Karren vom Stalle zum Haufen zu fördern, ihn, von
+Jauche getränkt, auf einen Wagen zu laden und festzupatschen, ihn auf
+Aecker und Wiesen zu führen und dort herumzubreiten, ist eine Arbeit,
+welche gern zu thun eine besondere Liebhaberei erforderlich ist.</p>
+
+<p>Natürlich geht es hier wie überall. Die Berufspflicht und die
+Gewohnheit versöhnen mit Beschwerlichkeiten, die andern groß, ja
+unerträglich erscheinen. Wer es gewohnt ist, der singt und pfeift bei
+der genannten Arbeit und ist auf keine Weise davon belästigt, da sie,
+genau genommen, in der freien Landluft auch weniger Uebelstände mit
+sich führt, als Unkundige sich vorstellen mögen. Wer sie aber nicht
+gewohnt ist und sich überdies zu gut dafür hält, den muß sie freilich
+sehr hart ankommen.</p>
+
+<p>Die Geduld unseres verlorenen Sohnes wurde auf eine schwere Probe
+gestellt, als die mühseligen und für ihn demüthigenden Arbeiten nach
+einander anrückten. Er hatte zwar alle Bauernarbeiten gelernt, die
+beschwerlichen und unreinlichen aber seinen Knechten überlassen, und
+für das, was die übrigen noch Lästiges mit sich führten wurde der
+Liebling der Mutter reichlich entschädigt. Nun mußte er sich nicht nur
+zu einer jeden hergeben, er mußte sie, seiner eigenthümlichen Lage
+und seinem Versprechen gemäß, auch mit besonderem Fleiß und Eifer
+verrichten und den andern mit gutem Beispiel vorangehen.</p>
+
+<p>Dies war indeß noch nicht das Schlimmste. Als Handknecht stand er
+unter dem Befehl des Bauern und seiner zwei Kinder, in gewissem Sinn
+auch unter dem des Oberknechts. Dieser war zufällig ein brummiger
+Kerl und machte seine Rechte um so mehr geltend, als er beinahe das
+doppelte Alter Ludwigs hatte. Wenn es nun hieß: »Komm her! — thu'
+mir das! — hol' mir jenes!« so mußte der arme Bursche laufen, die
+Ausrufungen der Ungeduld anhören und Tadel hinnehmen, auch wo er ihn
+nicht verdiente, sondern wo der Befehlende nur zeigen wollte, daß er
+sich das Ausgeführte noch besser denken konnte. Seine Herkunft und
+seine Vetterschaft nützten<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> ihm dabei gar nichts. Der Schmiedbauer
+hatte seinen Kindern den Plan mitgetheilt, den er in Bezug auf
+Ludwig befolgen wollte und der so sehr mit seiner Herzensneigung
+übereinstimmte; die würdigen Sprossen fanden ihn gut und handelten
+treulich darnach, Michel, um sich einen übermüthigen Spaß zu machen,
+Madlene, um die Genossenschaft der Bauerntöchter an ihrem Beleidiger
+zu rächen. Der Oberknecht, der in frühern Diensten von reichen Bauern
+gehunzt worden war, benutzte die Gelegenheit, bei dem Sohn eines
+solchen es wieder hereinzubringen. Er that nicht nur so viel als er
+konnte, sondern mehr als er durfte, und Ludwig, der nicht rechten
+wollte und überhaupt einmal in der Selbstverläugnung begriffen war,
+ließ sich möglichst viel gefallen.</p>
+
+<p>Tief in der menschlichen Natur liegt der nicht sehr lobenswerthe Trieb,
+die Gutmüthigkeit zu necken, die Hülflosigkeit zu mißbrauchen und dem,
+der den Schaden hat, auch noch den Spott in den Kauf zu geben. Sogar
+bessere Menschen können dem Reiz dazu nicht widerstehen, wenn der
+Schaden nicht zu arg ist und der Betroffene ihn zu verdienen scheint.
+Als Ludwig einmal den Roßstall säuberte und durch etliche Karrenfuhren
+den Düngerhaufen vergrößerte, kam eben Michel herbei. Er konnte sich
+nicht enthalten, lächelnd stehen zu bleiben und dem Burschen zuzurufen:
+»Du kannst ja misten, Ludwig, als ob du nie etwas anderes getrieben
+hättest!« Dann ging er zum Stall, schaute hinein und rief aus:
+»Sapperment, hast du sauber gemacht! du bist ein Handknecht, wie wir
+keinen bessern hätten kriegen können!« Ludwig erröthete und schwieg;
+er fühlte, daß er den Spott entweder hinnehmen oder in einer Weise
+beantworten mußte, die zum Bruch führte. Michel trollte selbstzufrieden
+seiner Wege. Da er nicht sehr erfindsam war, so wiederholte er diese
+Anrede mit geringen Variationen auch bei andern Arbeiten, und sein
+Vater stand ihm mit ähnlichen Späßen bei, so daß Ludwig sich mehrmals
+nur mit größter Mühe enthielt, den Spöttern ein paar tüchtige Ohrfeigen
+zu langen. Der Oberknecht brach die Gelegenheit vom Zaun, auf ein
+verzogenes Muttersöhnchen zu schelten und dem Untergebenen zu sagen:
+mit ihm sei wenig ausgerichtet und er könnte nichts Besseres thun,
+als wieder zu seinem Vater heimgehen. Am unbarmherzigsten fuhr aber
+den<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> Unglücklichen Madlene an, wenn er nach ihrer Meinung etwas nicht
+recht gemacht hatte. Sie zeigte offenbar den meisten Eifer, den Sünder
+zu bessern. Wenn dann Michel scherzend zu ihr sagte: »Hör einmal, du
+machst's ihm doch zu arg,« so wurde sie roth und erwiederte: »Was da!
+es gehört ihm nicht besser!«</p>
+
+<p>Das Essen, das Ludwig erhielt, stand mit den Arbeiten, die er
+verrichten mußte, nicht im Verhältniß, oder wenn man will, es stand
+damit im Verhältniß; denn in der Regel bekommt ja doch gerade der,
+welcher die sauersten Arbeiten thun muß, die magerste oder wenigstens
+die gröbste Kost. Im Hause des Schmiedbauern, der sich keineswegs durch
+Freigebigkeit auszeichnete, erhielten die Ehehalten Wassersuppe, sehr
+einfach bereitete Gemüse in möglichst geringer Abwechselung, grobe
+Mehlspeisen und allenfalls Speck und Salzfleisch, das vor Alter grün
+und gelb geworden. Die andern, die es nicht besser gewohnt waren,
+verschluckten solche Kostbarkeiten mit stets lebhaftem Appetit, der
+Bauernsohn mußte sich aber, wie man zu sagen pflegt, »einen Zorn
+einbilden,« um sie hinunter zu bringen. Da seine Mutter sich besonders
+als Köchin auszeichnete, so war er mehr verwöhnt als andere seines
+Gleichen: Fleischbrühsuppe, gutes Ochsenfleisch, schmackhafte Gemüse,
+Eierspeisen und an festlichen Tagen Braten, das war es, was er zu
+genießen pflegte. Nun mußte er die rohe Kost essen und dabei sehen, wie
+die Herrlichkeiten, die ihm die Mutter früher mit aufmunternden Worten
+vorgesetzt, von Madlene in's Kanzlei getragen und dort unter fröhlichem
+Diskurs verspeist wurden.</p>
+
+<p>In der ersten Zeit erduldete er alle diese Unbilden mit großer
+Standhaftigkeit. Vor allem hielt ihn sein Trotz oben und <em class="gesperrt">er</em>
+dachte wirklich mit jenem Jungen, der aus Mangel an Handschuhen die
+Finger erfror: es geschieht meinem Vater ganz recht, warum hat er mich
+aus dem Hause getrieben? Viel mehr aber stärkte und erhob ihn die Liebe
+und das Bewußtsein, wie mannhaft er seine Treue bewähre und wie viel er
+um der Geliebten willen ertrage. Wenn sie mich jetzt sähe, dachte er,
+wie viel ich mir gefallen lasse um ihretwillen, ein Mensch wie ich bin,
+es würde ihr gewiß an's Herz gehen! Wenige Tage nach Absendung seines
+Briefes war von Annemarie<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> eine Antwort gekommen, ein liebliches Echo
+seiner Gedanken und Versicherungen. Das Vorgefallene beklagend, sprach
+sie dem, der ihr Muth zugesprochen, wieder Muth zu und schloß mit
+der sichern Hoffnung auf eine endliche glückliche Wiedervereinigung.
+Ludwig freute sich innig, von der Geliebten zu hören, was er ihr selber
+geschrieben hatte. Er malte sich aus, wie es ihnen wohl noch gehen und
+unter welchen glorreichen Umständen sie wieder zusammen kommen möchten;
+und solche Gedanken machten ihn allerdings hie und da bei der Arbeit
+etwas zerstreut und ließen ihn kleine Fehlgriffe begehen, auf welche
+sich seine Tadler mit einigem Recht berufen konnten.</p>
+
+<p>Wenn Ludwig mehr innerlichen Lebens fähig war als viele seines
+Gleichen, so war er doch kein Mann der Einbildungskraft von Profession
+und keineswegs bestimmt, sich durch bloße Vorstellungen über den
+Verlust reeller Güter trösten zu lassen. Die Wirklichkeit riß ihn
+oft sehr grob aus seinen Träumen, diese verloren überhaupt nach und
+nach ihre Kraft, und er fühlte die Erniedrigung seiner Lage, so wie
+die Klemme, in der er steckte, doppelt und dreifach. Im Hause des
+Schmiedbauern und im Dorfe fand er keinen Trost. Seinen Mitehehalten
+blieb er fremd. Ein dritter Knecht und die Mägde hatten ihn zuerst mit
+einer gewissen Rücksicht behandelt, weil sie glaubten, sein Vater würde
+bald kommen und ihn abholen. Als das aber nicht geschah und Ludwig
+still fortarbeitete, verlor sich ihr Respekt; sie nahmen ihn für einen
+wirklichen verlorenen Sohn und für ihres Gleichen. Wenn er gewollt
+hätte, so würde ihm sein »feines Gesicht« bei den Mägden gutes Spiel
+bereitet haben. Die ältere, eine passabel hübsche Dirne, glaubte, so
+viel wie eine Zimmermannstochter könne sie auch noch vorstellen, und
+schickte dem Traurigen theilnehmend süße Blicke zu; da er aber nicht in
+der gewünschten Art darauf antwortete, so erklärte sie ihn für einen
+Hansnarren und wurde um so »schnötziger« gegen ihn. — Nicht viel
+besser erging es ihm mit den übrigen jungen Leuten des Dorfes. Es hätte
+sich unter ihnen wohl ein Kamerad gefunden, wenn er ihn gesucht hätte.
+Allein eine stolze Scheu hielt ihn zurück und man ließ ihn gehen.
+Zuerst hatte sein Auftreten als Knecht ein mächtiges Gerede veranlaßt;
+man begaffte ihn, schüttelte den Kopf und einzelne erlaubten sich mit
+ihm zu scherzen<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> und ihm zuzurufen, daß sein Dienen nicht lange dauern
+werde. Nach und nach gewöhnte man sich an seine Stellung und es kam
+ihm endlich vor, als ob die Leute sie ganz im der Ordnung fänden.
+Das ärgerte und verletzte ihn noch am meisten. Durch die Tagesarbeit
+tüchtig ermüdet, suchte er früh das Bett, gegen dessen Reinlichkeit
+er sonst sehr viel einzuwenden gehabt hätte, und wenn er nicht süß
+träumte, so schlief er wenigstens.</p>
+
+<p>Als er in der vierten Woche seinen Zustand und sich selber in's
+Auge faßte, fand er den Geldbeutel leer, den einzigen Anzug den er
+mitgenommen, abgerissen, seine Hände viel schwieliger und sein Gesicht
+viel verbrannter als vorher. Er mußte sich sagen, daß es doch seine
+großen Bedenken habe, mit seinen Eltern zu brechen und sich ohne ihre
+Hülfe von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Es kam ihm vor, als ob er
+gegen den Vater vielleicht etwas weniger hitzig hätte sein können;
+allein diesen Gedanken verwarf er gleich wieder und sagte: »Nein, so
+hab' ich handeln müssen!«</p>
+
+<p>Die Sehnsucht, die Geliebte zu sehen, war unterdessen höher und höher
+gewachsen. Er konnte ihr zuletzt nicht länger widerstehen und schrieb
+ein Briefchen, worin er Annemarie bat, am nächsten Sonntag Nachmittag
+um vier Uhr nach Nördlingen in einen vor dem Reimlinger Thor gelegenen
+Wirthsgarten zu kommen, er müsse sie wieder einmal sehen und mit ihr
+reden. Dann ging er zum Bauern und bat ihn um drei Gulden von seinem
+Lohn. Der Schmiedbauer benutzte die Gelegenheit, ihm zu bemerken, daß
+er sich doch besser gemacht habe, als er anfänglich geglaubt, und wenn
+er sich nur das viele Sinniren abgewöhnen könnte, so würde er mit der
+Zeit ein ganzer Knecht werden. Nach dieser Anerkennung schloß er ein
+Wandschränkchen auf, nahm eine wohlgetrocknete, mit Geld gefüllte
+Schweinsblase oder »Blotter« heraus und zählte dem Burschen im kleiner
+Münze drei Gulden vor, indem er ihn ermahnte, damit hauszuhalten, da
+er jetzt nicht gleich wieder mit Geld herausrücken würde. Ludwig,
+von dieser Rede hinwegsehend, empfand ein ungewohntes Vergnügen, als
+er das selbstverdiente Geld in der Hand hatte, und sein Muth stieg
+bedeutend. Er beschloß, einen Gulden auf Ausbesserung<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> seiner Kleider
+zu verwenden, mit den beiden andern aber, wenn's nöthig wäre, seine
+Geliebte zu regaliren wie ehedem.</p>
+
+<p>Im Hause des Angerbauers ging indeß das alte Leben ohne Ludwig still
+weiter. Das Geschwätz im Dorf, das Staunen, Vermuthen und Lügen über
+diesen Gegenstand hatte, wenn nicht aufgehört, doch nachgelassen, und
+schadenfrohe wie theilnehmende Freunde ließen die Familie mit ihren
+Fragen und den Versicherungen ihres Bedauerns so ziemlich in Ruhe.
+Der Angerbauer hatte dafür gesorgt, daß er für seine Person ganz
+unangefochten blieb, indem er ein paar vorwitzige Frager auf eine
+Weise abfertigte, daß sie ihm über die Grobheit ordentlich erstarrt
+nachschauten und ihren Bekannten den Rath ertheilten, ihn gehen zu
+lassen, sie wären verflucht heimgeschickt worden. Sonst hatte er
+die würdige Ruhe wieder angenommen, die ihn auszeichnete, und nur
+ein größerer Ernst und eine gewisse Freudlosigkeit in seinen Zügen
+deuteten auf den Vorfall. Die Arbeiten der Heuernte — des »Heuets«
+oder rieserisch »Häats« — zogen ihn von seinen Gedanken ab, und da
+es Heu in Fülle gab, wurde er sogar wieder ein wenig aufgeheitert. Es
+hatte den Anschein, als ob er das abgefallene Glied der Familie ohne
+Umstände liegen lassen und seinen Weg fortsetzen wollte, als hätte es
+nie existirt. Er verbot den Seinen, mit Einschluß des Schwiegersohns,
+auf's strengste, dem Ungerathenen Botschaft zu thun oder ihm gar Geld
+zu schicken, und da alle seinen Zorn fürchteten und dem Entlaufenen
+mehr oder weniger zürnten, so gehorchten sie ihm. Die Mutter wagte nur,
+sich durch eine Freundin nach ihrem Ludwig erkundigen zu lassen, wie's
+ihm gehe.</p>
+
+<p>Ein Makel haftete indeß an der Familie des Bauers, wie er, so weit
+seine Kenntniß reichte, nie in derselben vorgekommen. Wenn er unter
+die Leute ging, so drohten ihm wenigstens Anspielungen, die ihn
+beschämten und quälten. Er mußte Gesichter sehen, die viel kränkender
+durch ein Lächeln ausdrückten, was der Mund nicht zu sagen wagte. Das
+stolze Dasein des reichen Mannes war ein gespanntes, verkümmertes
+geworden; seine Zufriedenheit, die so sehr auf der Geltung seiner
+Familie bei andern beruhte, war dahin. In der ruhigeren Zeit, die
+nach dem Heuet eintrat, stellte sich ihm wieder alles recht vor die
+Seele. Er bedachte, wie verständig sein Sohn<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> sich immer aufgeführt,
+er konnte nicht begreifen, wie er es vermochte, eine solche Schande
+über die Familie zu bringen, und der Gedanke, daß Annemarie ihn in
+eigennütziger Absicht verführt, daß sie eine schlaue Dirne sei, die
+sich nur so brav anstellen könne und die Leute bisher getäuscht habe,
+drängte sich ihm in neuer Stärke auf. »Er kann sich nicht so mir nichts
+dir nichts geändert haben,« sagte er dann zu sich, »es muß etwas
+Besonderes dahinter stecken.« In einem frühern Jahrhundert hätte er
+das Mädchen vielleicht für eine Hexe ausgegeben und sie durch einen
+Proceß verfolgt; jetzt glaubte er wenigstens, daß sie alle natürlichen
+Mittel eines listigen, zu seinem Unglück schönen Weibsbildes angewendet
+hätte, um seinen gutmüthigen Ludwig zu bethören. Dafür schienen ihm
+namentlich auch die geheimen Zusammenkünfte zu sprechen, von denen ihm
+die Mutter gesagt hatte. Er dachte sich wie es gegangen sein könnte,
+und nachdem er sich's recht deutlich vorgestellt hatte, zweifelte er
+nicht länger, daß es wirklich so gewesen. Als er seine Gedanken der
+Ehehälfte mittheilte, trat diese — froh die eigentliche Schuld von
+ihrem Sohne genommen zu sehen — eifrig seiner Meinung bei. »Ja ja,«
+sagte sie, »so wird's sein. Sie macht zwar eine Miene, als ob sie die
+Beste und Frömmste im Dorf wäre; aber stille Wasser gründen tief.
+Solche Verführerinnen sind gerade die schlimmsten, und nur so eine
+konnte den Ludwig so weit bringen!« In der stillen Hoffnung, daß der
+Sohn nach kurzer Zeit doch wieder zu ihnen kommen würde, getäuscht
+und über seinen fortdauernden Trotz aufgebracht, entlud sich das
+Ehepaar nun seines Verdrusses und Zorns nach der Seite des Mädchens.
+Sie habe das Unglück angestiftet, das über die Familie gekommen; von
+ihr sei's ausgegangen, das wüßten sie nun gewiß, und was jetzt noch
+Schlimmes daraus entstehen würde, das hätte man ihr zu danken. Sie sei
+eine Scheinheilige, die's hinter den Ohren habe und vor der man jeden
+jungen Menschen von Vermögen warnen müsse. Solche Dinge sagte man zu
+den Vertrauten; diese sagten es hernach wieder ihren Vertrauten, und
+in zwei Tagen war das ganze Dorf davon erfüllt. Man erzählte sich, daß
+die Angerbäuerin ihrer Freundin im obern Dorf weinend geklagt habe,
+welcher Jammer durch<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> dieses fremde Mädchen über sie gekommen und wie
+sie verzweifeln müsse, wenn sie ihren Ludwig nicht wieder sähe.</p>
+
+<p>Annemarie hatte seit dem Tage, wo sie den Brief des Geliebten erhalten
+und beantwortet, entsagend weiter gelebt und die Geschäfte des Tages
+verrichtet. Man sah, daß etwas auf ihr lastete, aber auch, daß sie
+entschlossen war, die Last zu tragen. Der alte Bäcker hielt ihr einmal
+vor, welch schlimme Folgen ihre Bekanntschaft mit dem Ludwig gehabt
+habe, und wie grausam unlieb ihm diese Geschichte sei. »Vetter,«
+erwiederte das Mädchen mit bescheidenem, aber festem Ton, »ich weiß,
+was ich Euch schuldig bin, und ich vergeß' es nicht, darauf verlaßt
+Euch; aber in <em class="gesperrt">der</em> Sache handle ich, wie ich's vor meinem
+Gewissen verantworten kann, und ich bitt' Euch, redet mir nicht weiter
+davon.« Der gutmüthige Vormund, von dem Ernst ihres Tones betroffen,
+versetzte: »Nun meinetwegen! Aber nimm dann auch die Folgen auf dich!«
+Seit dieser Zeit hatte sie Ruhe vor Einreden von dieser Seite, und
+sonstiges Geklatsch war ihr gleichgültig.</p>
+
+<p>Als die Vorwürfe, welche die Familie des Angerbauers ihr machte, an sie
+kamen, wurde diese Festigkeit doch erschüttert. Eine Freundin sagte
+ihr, welch eine Traurigkeit in jenem Hause sei, nun man sehe, daß
+Ludwig es ernst gemeint habe mit seiner Rede vom Nichtwiederkommen.
+Regine erzählte nach gehöriger Einleitung, daß man sie eine Verführerin
+heiße, die nach einem reichen Manne gefischt habe und an allem Unglück
+Schuld sei. Bei dieser zweiten Meldung goß sich eine Röthe über das
+Gesicht des Mädchens und ihr Mund verzog sich zu dem Ausdruck stolzer
+Verachtung. Bald aber faßte sie sich wieder und sagte mit traurig
+ergebenem Ton: »Diese Leute dauern mich. Wenn sie solche Dinge über
+mich ausdenken, so wackre Leute wie sie sind, dann müssen sie wirklich
+unglücklich sein.« — Sie wurde durch diese neue Erfahrung in eine
+seltsame Aufregung versetzt. Es that ihr weh, daß sie eine Uneinigkeit
+zwischen Eltern und Sohn gestiftet haben solle, deren Ende nicht
+abzusehen war. Dann aber sagte sie sich: »Diese Leute sehen also die
+Heirath zwischen mir und Ludwig für eine solche Schande an, daß sie
+lieber unglücklich sein wollen, als sie zugeben! Sie heißen mich<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> ein
+schlechtes Mädchen und sagen Lügen über mich; sie halten es also in
+gar keiner Art für mich möglich, daß ich einmal ihre Schwiegertochter
+werden könnte!« Ein Gedanke durchzuckte sie, sie stand auf und that
+einige Schritte. Plötzlich hielt sie an; eine Erwägung hatte sich dem
+Vorsatz entgegengestellt, sie ging still wieder zu einer Arbeit. —
+Ihre Seele war von da an eine Beute des Zweifels. Man sah sie in Unruhe
+umhergehen oder tief in Gedanken stehen. Regine überraschte sie einmal,
+wie sie bittere Thränen weinte.</p>
+
+<p>Die einzige Person unserer Bekanntschaft, welche bei dieser Verwicklung
+ihre Ruhe behielt, war der Pfarrer. Diese Ruhe war jedoch gegründet
+auf wahre Theilnahme und auf den Entschluß, das zu unterstützen, was
+er für das Bessere hielt. Noch hatte er sich nicht entschieden, wie er
+eingreifen sollte. Aber er unterrichtete sich fortwährend über die Lage
+der Dinge und lebte des festen Glaubens, seine Pflicht werde sich ihm
+deutlich vor Augen stellen, so daß er über sie und über die Art ihrer
+Erfüllung nicht mehr in Zweifel sein könnte.</p>
+
+<p>Eines Morgens überdachte er eben diese Dinge, als an die Thüre seines
+hellen, im obern Stocke gelegenen Studierzimmers geklopft wurde. Auf
+sein »Herein« erschien Annemarie. Sie sah angegriffen aus wie wenn sie
+wenig geschlafen und viel quälende Gedanken gehabt hätte; aber in ihrem
+ganzen Wesen drückte sich die Ruhe eines gefaßten Entschlusses aus.
+Nachdem sie mit ernster Anmuth einen Knix gemacht und den Morgengruß
+gesprochen hatte, sagte sie: »Ich hätt' was mit Ihnen zu reden, Herr
+Pfarrer, wenn ich Ihnen nicht ungelegen komme.« — Der alte Herr,
+innerlich erfreut, erwiederte freundlich: »Nein, mein Kind; sag mir,
+was du auf dem Herzen hast!«</p>
+
+<p>Annemarie, durch ihren Vorsatz über die einem jungen Mädchen
+gewöhnliche Schüchternheit erhoben, begann mit nur leisem Erröthen:
+»Sie wissen, Herr Pfarrer, was es beim Angerbauer gegeben hat und wie
+ich dabei ins Geschrei gekommen bin. Ich will Ihnen die Geschichte
+nicht wieder erzählen; sie wird Ihnen bekannt sein — man hat ja so
+viel darüber gesprochen! Nun hab' ich aber dieser Tage gehört, sie
+sagen beim Angerbauer, ich allein sei an allem Schuld und ich habe
+den Ludwig verführt. — Her Pfarrer«, sagte sie, indem<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> ihr Ton sich
+verstärkte und ihre Wangen sich höher rötheten, »<em class="gesperrt">ich</em> kann Gott
+zum Zeugen anrufen, daß das nicht wahr ist! Wir haben uns eben beide
+von Anfang an gern gesehen, und — — Sie wissen <em class="gesperrt">ja</em>, wie's
+geht, wenn man sich gern sieht und eine Person einem die liebste ist
+auf der Welt. Ich hab ihn halt liebhaben müssen, grad wie er mich, und
+so ist's gekommen, daß wir uns endlich gesagt haben, wir wollen nicht
+von einander lassen und uns treu bleiben, bis wir mit Gottes Hülfe
+endlich zusammenkommen. Wegen dieses Verspruchs ist Ludwig mit seinem
+Vater in Streit gerathen und dient jetzt als Knecht. Ich hab das nicht
+vorausgesehen, aber wenn ichs vorausgesehen, was hätt ich thun können?
+Ich will Ihnen blos sagen und wills vor Ihnen beschwören, daß ich ihn
+nicht verleitet habe. Er hat sich einmal seinen Eltern zu lieb fremd
+gegen mich gestellt und mich nicht mehr angesehen, und ich bin ihm zu
+dieser Zeit nicht nachgegangen, wie jeder weiß, sondern ich bin ihm
+ausgewichen. Ich hab ihn nicht wieder gesucht, er hat mich gesucht —
+und das ist die Wahrheit!«</p>
+
+<p>Der Pfarrer betrachtete theilnehmend das Mädchen, dessen Augen in dem
+Feuer gerechter Selbstvertheidigung erglänzten, und sagte: »Ich glaube
+dir und weiß es, mein Kind.« Annemarie, ihn dankbar anschauend, fuhr
+fort: »Ich hab das nicht gesagt, als ob ich gar keine Schuld haben
+wollte. Ich hab jederzeit empfunden, daß es Verdruß geben würde, recht
+viel Verdruß, und daß die Angerbauersleute recht bös auf mich sein
+würden. Aber, Herr Pfarrer, wenn Sie gesehen hätten, wie gut der Ludwig
+gegen mich war und wie er mich ansah, — wenn Sie gehört hätten, was
+er noch auf der Nördlinger Messe zu mir gesagt hat, Sie würden mirs
+gewiß nicht so übelnehmen, daß ich ihm zur Antwort gegeben habe: »ich
+wolle ihm gehören und die Seinige bleiben, so lang ich lebe!« — »Es
+ist eben,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »etwas in uns, das mehr
+Gewalt hat, als unser Wille und unsere Sorgen.«</p>
+
+<p>Der Pfarrer nickte mit ernster Miene, die Thatsache zugebend. Dadurch
+ermuthigt, ging das Mädchen in ihrer Rede weiter und sagte mit
+liebenswürdigem Selbstgefühl: »Ich will's Ihnen aufrichtig bekennen,
+Herr Pfarrer: ich denke nicht so gering von mir, sondern<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> halte auch
+etwas auf mich. Ich komme von braven Leuten her und glaube, daß ich
+keiner Familie Schande machen würde. Ich hab' etwas gelernt und bin
+ein ordentliches Mädchen gewesen mein Lebenlang. Da hab' ich nun
+gedacht, wenn ich auch keine Bauerntochter und nicht so reich bin, so
+bin ich doch diejenige, mit welcher der Ludwig am glücklichsten leben
+würde. Und ich hab' gedacht, sein Vater würde das am Ende einsehen und
+nachgeben. Aber« — fuhr sie nicht ohne eine gewisse Bitterkeit fort —
+»das ist eben der Gedanke, den ich mir nicht verzeihen kann. Ach, Herr
+Pfarrer, das Geld ist alles und der Stand ist alles, und die Tugend ist
+nichts! Man redet wohl so, als ob die Tugend und die Liebe auch etwas
+wären, aber wenn's drum und dran kommt, gelten sie doch nichts. Wenn
+ein Mädchen keinen Verstand und keine Art hat, aber Geld und Gut, dann
+ist sie die rechte. Wenn eine sich aber auf andere Dinge etwas zu Gute
+thun will und merken läßt, daß diese eben so viel werth sind als Gut
+und Geld, dann hält man sie für verrückt!« — Ueber ihren Eifer und den
+letzten starken Ausdruck erröthend, setzte sie hinzu: »Verzeihen Sie,
+Herr Pfarrer!«</p>
+
+<p>Der alte Herr lächelte und sagte: »Du hast nicht ganz Unrecht,
+Annemarie. — Aber nun sage, was begehrst du von mir? Worin kann ich
+dir helfen?« — »Herr Pfarrer,« versetzte das Mädchen, indem sie
+sich augenscheinlich zusammennahm, »ich bin zu Ihnen gekommen, weil
+ich Ihnen sagen möcht', was ich bei mir ausgemacht habe. Der Ludwig
+hat mir Lieb und Treu versprochen für alle Zeit. Er hat's freiwillig
+gethan und mir's zugeschworen bei allem, was heilig ist. Ich könnte
+also ruhig sein und zusehen, wie der Streit ausginge. Ich hätte nur
+mein Versprechen zu halten, wie ich's ihm gegeben hab', und könnte das
+andere Gott überlassen. Aber«, fuhr sie bewegter fort, »ich will diese
+Leute nicht in's Unglück bringen, wenn sie's dafür nehmen, und ich
+bilde mir viel zu viel ein, als daß ich mich einer Familie aufnöthigen
+möchte, die mich nicht haben will. Ich <em class="gesperrt">kann's</em> nicht ertragen,
+Herr Pfarrer, daß die mich verachten, die ich allzeit lieb und werth
+gehalten hab', und darum will ich jetzt thun, was ich mit gutem
+Gewissen thun kann.«</p>
+
+<p>Sie hielt ein wenig inne, nahm sich nochmals mit offenbarer<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span>
+Anstrengung zusammen und sagte dann mit einem Tone, dem sie vergebens
+die erste Festigkeit zu verleihen suchte: »Ich will dem Ludwig sein
+Wort zurückgeben, er soll von mir aus frei sein und thun können, was er
+will. Er soll noch einmal die Wahl haben, ob er mich lassen und seinem
+Vater nachgeben will oder nicht. Ich will durchaus nichts dagegen thun
+und ihm in keiner Art hinderlich sein, wenn er glaubt, daß er mit einer
+andern sein Glück findet. Wenn das ist, dann will ich fortgehen von
+hier, daß ich ihn nicht mehr seh' und er mich nicht mehr. Ich hab'
+einen Vetter bei Stuttgart, der wird mich zu sich nehmen. Ich will
+nichts mehr von mir hören lassen, und es soll grad so sein, als ob ich
+nicht mehr auf der Welt wäre. Ich will für meinen Theil« — — Aber
+damit war die Kraft des guten Mädchens zu Ende. Ihr Mund zuckte, die
+Stimme versagte ihr, Thränen waren in ihre Augen gestürzt. Sie gab
+sich Mühe, das Weinen zu verhindern und kämpfte sichtlich dagegen an,
+aber doch rollten ein paar große Tropfen über ihre Wangen. Indem sie
+ausführte, was gekränkter Stolz und Großmuth sie thun hießen, glühte
+die heißeste Liebe zu ihrem Ludwig in ihr auf; indem sie den Geliebten
+frei geben wollte, klammerte sie sich an ihn an mit einem schmerzlich
+innigeren Gefühl als je vorher.</p>
+
+<p>Der Pfarrer erkannte das und sah mit Rührung auf sie, wie sie dastand
+und ihre Thränen fließen ließ. Er wußte das Herkommen, den Brauch der
+Welt zu schätzen, denn er kannte die guten Gründe, auf denen er ruht.
+Er wußte, daß am besten sich Gleiches zu Gleichem gesellt, daß das
+gleiche Vermögen und die gleiche Stellung mit dem gleichen Gefühl davon
+sehr bedeutende Mittel zu einer guten Ehe sind. Aber er wußte auch,
+daß das Recht der äußern Ordnung seine Grenzen hat, und daß es Dinge
+giebt, vor welchen sie sich bescheiden zurückstellen muß. Er war nicht
+rasch gewesen, die Partei des Liebespaares zu nehmen, weil er Fälle
+kannte, wo das Kind reicher Leute den Eltern es später Dank wußte, daß
+sie dem ersten verliebten Drängen nicht nachgegeben. Allein wie er sah,
+daß er in Annemarie eine wahrhaft gute Natur vor sich hatte, wie ihr
+Gemüth sich vor ihm enthüllte in seiner ganzen Bravheit und Schönheit,
+da dachte er, erfreut und bewegt: »Die Sitte der Welt mag<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> diesmal die
+Segel streichen! Hier ist mehr als sie und ihre Herrlichkeiten. Der
+Geist und das Gemüth, die sich so erproben, sind mir Bürgen für alles;
+und wenn <em class="gesperrt">ichs</em> machen kann, sollen sie diesmal die Oberhand
+behalten.« Er stand auf, trat zu Annemarie und nahm sie väterlich bei
+der Hand, indem er sagte: »Fasse dich, gutes Mädchen, du hast recht
+gehandelt und der Lohn dafür wird nicht ausbleiben, in welcher Form er
+dir auch kommen mag. — Wirst du das alles auch Ludwig zu wissen thun?«
+— »Ja, Herr Pfarrer,« antwortete Annemarie, die sich wieder gefaßt
+hatte. »Ganz das Nämliche, was ich Ihnen gesagt habe, will ich ihm
+schreiben.«</p>
+
+<p>Der alte Herr sah ihr forschend in's Auge und über sein gerührtes
+Gesicht verbreitete sich ein fast unmerkliches Lächeln. Er glaubte aus
+der Art, wie das Mädchen diese Antwort gab, schließen zu dürfen, daß
+der Schritt, den sie that, auch zugleich eine letzte Probe sein sollte
+für Ludwig, und daß sie die Hoffnung hegte, er werde sie bestehen. Er
+sagte: »Thu das, mein Kind, und erwarte das Uebrige in Geduld. Hast du
+sonst noch was auf dem Herzen?«</p>
+
+<p>»Nein, Herr Pfarrer,« erwiederte Annemarie, indem sie sich die letzten
+stehen gebliebenen Thränen von den Wangen wischte. »Ich dank' Ihnen,
+daß Sie mich angehört haben, und bitte Sie nur noch darum, daß Sie dem
+Angerbauer, wenn Sie ihn treffen, sagen, ich sei nicht das Mädchen,
+für das er mich hält. Sie, Herr Pfarrer, kennen mich besser, und das
+ist mein Trost. Ich dank' Ihnen nochmals recht schön für Ihre Güte
+— ich werde sie immer im Gedächtniß behalten!« — Ihre weichen Züge
+verklärte, indem sie dies sagte, ein schönes Bewußtsein und Dankgefühl.
+Sie machte einen tiefen Knix und verließ die Stube, nachdem sie noch
+einen Blick inniger Verehrung auf den Pfarrer geworfen.</p>
+
+<p>Dieser sah ihr mit wahrer Freude nach. »Ja, ja,« sagte er dann zu sich,
+»das ist eine bessere Schwiegertochter für den Angerbauer als Eva; und
+wenn er nicht ganz verhärtet ist, soll er sie bekommen.«</p>
+
+<p>Die erste Sorge des alten Herrn war nun, es so einzurichten, daß der
+Angerbauer ihn ebenfalls zu seinem Vertrauten machte. Dieß mußte
+geschickt angefangen werden, wenn es gelingen sollte. Denn<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> der
+Rieserbauer von der Art des unsrigen will sich nicht bevormunden
+lassen, er hält sich für gescheidt genug, sein eigener Rathgeber zu
+sein, und es verdrießt ihn über die Maßen, wenn man ihn über Dinge
+belehren will, die er selber am besten zu verstehen glaubt. Natürlich
+kann er auch geführt werden, aber nicht so geradezu wie dieser und
+jener. Wäre der Pfarrer zum Angerbauer in's Haus gegangen und hätte mit
+einer gewissen beichtväterlichen Miene gefragt, wie es sich denn mit
+dem Streit zwischen Vater und Sohn verhalte, was der Vater nun zu thun
+gedenke u. s. w., so wäre dieß das beste Mittel gewesen, ihn verstockt,
+wo nicht gar unhöflich zu machen. Aber zu dieser Art von Seelsorgern,
+die im Eifer ihres Herzens Gott mit Unverstand dienen, gehörte der
+erfahrene alte Herr nicht. Er konnte warten und seine Zeit ersehen.
+Dießmal erreichte er übrigens seinen Zweck leicht. Er hatte ein Stück
+Vieh zu verkaufen, und als er dem Angerbauer einmal begegnete, lud er
+den Sachverständigen ein, es anzusehen und zu taxiren. Der Bauer folgte
+ihm sehr bereitwillig, denn er wußte den »braven und gescheidten Herrn«
+sehr zu schätzen und hätte gerne schon einmal von seiner Noth mit ihm
+gesprochen, wenn es sich nur »gut geschickt hätte.«</p>
+
+<p>In dem kleinen Stalle des Pfarrers angekommen, unterzog er sich
+dem Taxirungsgeschäft sehr ernsthaft. Er begriff das Stück an den
+geeigneten Stellen, betrachtete es von allen Seiten und sagte dann
+genau, wie viel der Pfarrer dafür fordern könne. Dieser dankte und
+rühmte seine Kenntniß. Er selber, obwohl er immer einige Stück Vieh
+haben müsse, sei doch unsicher, weil ihm die gerade üblichen Preise
+nicht recht bekannt wären. Der Bauer versetzte höflich: »Wenn Sie
+sich damit abgeben wollten, Herr Pfarrer, würden Sie's geschickter
+machen als unser Einer; aber Sie haben was Besseres zu thun.« Der
+alte Herr fragte hierauf mit unbefangener Freundlichkeit, was die
+Angerbäuerin mache und ob bei ihm zu Hause alles gesund sei. Der Bauer
+erwiederte mit einem Seufzer: »Gesund wären wir alle, Herr Pfarrer;
+aber Sie können sich denken, wie's uns zu Muth ist nach dem, was bei
+uns vorgefallen ist.« — »Ja, ja,« sagte der Pfarrer, »ich habe davon
+gehört und euch recht bedauert.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p>
+
+<p>Der Angerbauer, der sein Herz erleichtern wollte, sagte hierauf: »Ich
+kanns noch immer nicht begreifen, so viel ich auch darüber nachgedacht
+habe. Lustig und ein bischen auf's Vergnügen aus ist er immer gewesen,
+aber in der Art und mit seines Gleichen. Runtergegeben hat er sich
+niemals, was ich gehört hab'. Und nun ist er auf einmal ganz wie
+verhext und will ein Mädchen heirathen, die — nun, ich will mich nicht
+ausdrücken vor Ihnen, Herr Pfarrer. Wie ich nicht gleich Ja sage,
+lauft er davon und verdingt sich als Knecht. Und das thut er in dem
+Augenblick, wo er einen Hof und ein Weib haben könnte — ein Weib und
+ein Gut — ein anderer würde Gott auf den Knieen danken, wenn er's
+kriegte!«</p>
+
+<p>Der alte Herr war versucht, über diesen starken Ausdruck zu lächeln,
+aber er hielt an sich und machte ein ernsthaftes Gesicht, das der Bauer
+für zustimmend halten konnte. Dieser, einmal im Zuge, bewies, daß er
+wohl auch reden konnte, wenn's ihn drückte. »Ach, Herr Pfarrer,« rief
+er aus, »die Welt muß anders geworden sein, als sie zu meiner Zeit
+gewesen ist. Ich bin auch jung gewesen und bei der Lustbarkeit grad
+nicht der Letzte; aber wie meine Zeit zum Heirathen gekommen ist, hab'
+ich mich unter rechten Mädchen umgesehen und gottlob ein Weib gefunden,
+mit der ich nun glücklich gehaust habe volle neunundzwanzig Jahr. Wenn
+ich nun verlange, daß meine Kinder mir nachschlagen und ihr Glück
+auf dem Weg suchen sollen, wo ich's gefunden hab', ist das nicht in
+der Ordnung? Muß ich als Vater nicht so handeln?« — »Ja,« sagte der
+Pfarrer mit nachdrücklicher Beistimmung, »das ist Eure Pflicht!«</p>
+
+<p>Der Angerbauer, dem dieß wohl that, fuhr fort: »Sehen Sie, Herr
+Pfarrer, in der Familie muß ein Zusammenhalt sein, alle müssen helfen,
+wenn man weiter kommen soll. Ich hab' von meinem Vater einen schönen
+Hof bekommen und mein Weib hat mir Geld in's Haus gebracht; wir haben
+ordentlich gewirthschaftet und unser Vermögen vermehrt, daß wir nun
+wohlhabende, und ich darf wohl sagen angesehene Leute sind. Ich kann's
+meinen Kindern besser machen als es uns gemacht worden ist, und nun
+will ich auch haben, daß sie's noch weiter bringen als wir und daß sie
+für ihre Kinder noch mehr thun können. Sie müssen sorgen und immer
+darauf aus sein, in rechter<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> Art etwas zu erwerben. Nur so kommt man
+empor, man findet ein sicheres Glück und Ehre in der Welt und kann sich
+im Wohlstand seines Lebens freuen.«</p>
+
+<p>»Wohl,« sagte der Pfarrer, »und es ist nicht bloß der Besitz, der Einen
+erfreut, sondern das Streben und die Thätigkeit selber. Der Mensch muß
+sich ein Ziel stecken, das über den Platz, auf den man ihn gestellt
+hat, hinaus geht. Dann werden seine Tage ausgefüllt mit Arbeit, mit
+Dichten und Trachten, mit Hoffen und Erwarten, und Schritt für Schritt
+mit der Freude des Gelingens. Und indem er glücklich ist und sein Leben
+verschönert, trägt er bei zur Verschönerung und Verbesserung der Welt.
+Auf die Größe des Besitzes kommt es da nicht an. Der Kleine freut
+sich am kleinen Gewinn, der Größere am größeren; jeden erquickt das
+verhältnißmäßige Wachsen und Gedeihen, und so sind alle glücklich, die
+ein verständiges Ziel vor sich haben. Wer aber nicht vorwärts strebt,
+der kommt neben den Strebenden zurück und geht dem Mangel und der
+Unlust zu.«</p>
+
+<p>Der Bauer war dieser Rede mit Aufmerksamkeit gefolgt und rief nun
+erfreut aus: »So ist's, Herr Pfarrer, grad so ist's, wie Sie sagen!
+Darum« — fuhr er mit Bedeutung fort — »soll eben jeder in seinem
+Stand bleiben, namentlich nicht unter seinem Stand und Vermögen
+heirathen, sondern gleich da so gut als möglich anzukommen suchen. Ich
+will gern zugeben, daß andere mit Wenigem auch glücklich sein können;
+aber wer von vermöglichen Leuten herkommt, braucht mehr, weil er's
+nicht anders gewohnt ist. Und, Herr Pfarrer, Sie wissen's ja selber,
+um ein rechtes Vermögen ist's halt eine schöne Sache! Wenn ich das
+habe, so kann ich mich sehen lassen, ich brauch mich nicht zu ducken
+und nicht um das und jenes zu betteln, und wenn gute Freunde in der
+Noth sind, kann ich ihnen helfen. In ein Gelump hineinkommen, wo
+ich nothig thun und knickern müßte, um nur zu bestehen, müßte unser
+einen desperat machen. — Und,« fuhr er nach kurzem Innehalten fort,
+indem seine Miene den Ausdruck erzürnter Bekümmerniß annahm, »dieser
+leichtsinnige, tollgewordene Mensch will sich schlechter stellen, als
+seine Geschwister, während er's viel besser haben könnte als sie! Er
+will eine Lumpenwirthschaft anfangen,<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> wo er sich quälen müßte und wo
+doch nichts herauskommen würde, als ein Haufen von Bettlern!«</p>
+
+<p>Der Geistliche hütete sich wohl, einzuwenden, daß im gegenwärtigen
+Falle, wenn nämlich der Vater dem Sohn seinen gebührenden
+Vermögenstheil zukommen ließe, von einer »Lumpenwirthschaft« doch
+nicht die Rede sein könnte. Er wußte, daß den Erzürnten nichts mehr
+verdrießt, als wenn man ihm den Grund seiner Klage verkümmern will, und
+schwieg daher nachdenklich stille. Endlich sagte er: »Vielleicht geht
+diese Sache doch noch besser aus, als Ihr denkt.« — »Wie so?« fragte
+der Angerbauer. — »Die Annemarie,« versetzte der Pfarrer, indem er den
+andern scharf ansah, »ist vor einigen Tagen bei mir gewesen, extra um
+mir zu sagen, daß sie nicht Schuld sein wolle an der Uneinigkeit einer
+solchen Familie, wie die Eurige, und daß sie zuviel auf sich selber
+halte, um sich da aufzudrängen, wo man sie nicht haben wolle. Sie habe
+sich entschlossen, dem Ludwig sein Versprechen zurückzugeben, und wolle
+sich in keiner Art dawidersetzen, wenn er sein Glück mit einer andern
+finde.«</p>
+
+<p>Der Angerbauer horchte hoch auf und wußte nicht was er sagen sollte.
+Er fragte dann in zweifelndem Tone: »Hat sie das wirklich zu Ihnen
+gesagt?« — Der Pfarrer erwiederte mit einem Ernst und einem Nachdruck,
+der jeden Zweifel niederschlagen mußte: »Es sind ihre eigenen Worte,
+Angerbauer! Sie hat mir versprochen, das Nämliche Eurem Ludwig zu
+schreiben, und ich verbürge mich dafür, daß es geschehen wird.«</p>
+
+<p>Der Bauer verstummte; er war in die Seele getroffen. Ein im Grunde
+seines Wesens ehrenwerther Mann, der in der That jedem das Seine
+gab, konnte ihn nur der Zorn und der tiefe Verdruß zu ungerechtem
+Absprechen hinreißen. Nun mußte er sehen, daß ein Mädchen, die er eine
+heuchlerische, gefährliche Person gescholten, brav und rechtschaffen,
+ja weit über alles Erwarten rechtschaffen gegen ihn handelte. Es
+zeugte für seine gute Natur, daß ihn diese Nachricht mehr rührte,
+als erfreute, daß er sogleich sein Unrecht fühlte und seiner stolzen
+Seele eine gewisse Achtung vor einem solchen Benehmen abgenöthigt
+wurde. Endlich sagte er mit sehr ernsthaftem Gesicht: »Wenn sie das
+gethan hat, dann ist sie besser, als ich gedacht<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> habe. Sie mag ein
+ordentliches Mädchen sein, ich will's nicht bestreiten.«</p>
+
+<p>»Man muß jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen,« versetzte
+der Geistliche. »Die Annemarie ist brav, geschickt, verständig,
+wohlerzogen, und würde jeden glücklich machen —« — »Von ihrem
+Stande!« fiel der Bauer ein. — »Das ist's, was ich sagen will,«
+erwiederte der Pfarrer: »wenn die äußern Verhältnisse zustimmen.« —
+»Gut,« sagte der Bauer. »Bei meinem Ludwig ist das aber nicht der Fall,
+drum kann hier von einer Heirath nie die Rede sein.«</p>
+
+<p>Der alte Herr schwieg. Dann fragte er leichthin: »Wie soll's nun mit
+Ludwig werden? Was habt Ihr beschlossen?« — Der Bauer konnte sich
+nicht enthalten, ein wenig aufzufahren. »Beschlossen?« rief er. »Ich
+glaube, da ist nichts zu beschließen, Herr Pfarrer. Dieser Mensch
+mag bleiben, wo er will, und gehen, wohin er will! Soll ich ihm
+nachlaufen? Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er wiederkommen und die
+Zimmermannstochter heirathen soll? Soll <em class="gesperrt">ich</em> nachgeben, der Vater
+dem Sohn?«</p>
+
+<p>»Nein,« erwiederte der Pfarrer mit Ernst, »das sollt Ihr nicht,
+Angerbauer! <em class="gesperrt">Er</em> muß nachgeben, <em class="gesperrt">er</em> muß wiederkommen und dem
+Vater das Recht lassen, das ihm gebührt!« — »Freut mich,« versetzte
+der Bauer, »daß Sie so denken, Herr Pfarrer. So ein neustudirter Herr
+hätte vielleicht gemeint, ich sollte meinem Buben seinen Willen lassen;
+warum? weil die Leute in einander verliebt sind und die Annemarie doch
+ein ordentliches Mädchen ist. Aber Sie kennen die Welt, Herr Pfarrer,
+Sie wissen, daß es beim Heirathen noch auf ganz andere Dinge ankommt,
+und daß der Vater für den Sohn denken und Verstand haben muß.« —
+Nach diesen Worten lüpfte er die Alltagskappe, an welcher der sonst
+werthvolle Pelz etwas röthlich geworden war, und fragte: »Kann ich
+Ihnen sonst noch was dienen?« — »Nein,« versetzte der alte Herr, »ich
+danke Euch für Eure Gefälligkeit.« — »So wünsch' ich Ihnen guten
+Nachmittag,« sagte der Bauer und entfernte sich mit langsam würdigen
+Schritten.</p>
+
+<p>Das Gespräch hatte theils im Stalle, theils in dem heimlichen, mit
+einer Mauer umgebenen Pfarrhof stattgefunden. Der alte Herr ging in
+seine Studirstube zurück, mit der Unterredung sehr zufrieden.<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> Er
+hatte des Bauers Vertrauen gewonnen und wußte, daß dieser nun unter
+schwierigen Umständen ihn von selber um Rath angehen würde. Dann
+hatte er mit der Nachricht über Annemarie einen Keim in seine Seele
+gesenkt, der wachsen und gute Früchte bringen konnte. Er sah voraus,
+daß der Angerbauer seinem Weib und seinen nächsten Verwandten davon
+sagen würde, und daß diese, die sich auf ihr Geld und ihr Ansehen
+allerdings etwas mehr einbildeten, als recht war, in Annemarie ein
+ihnen ebenbürtiges Gemüth erkennen mußten. Auf die wackeren Leute mußte
+die Rechtschaffenheit, auf die stolzen das Selbstgefühl des Mädchens
+einen günstigen Eindruck machen.</p>
+
+<p>Als er, solchen Gedanken hingegeben, behaglich auf seinem Lederstuhl
+sich dehnte, stürmte plötzlich sein Neffe in die Studirstube. Dieser
+hatte schon erfahren, daß Annemarie bei seinem Großvater gewesen, aber
+nichts Bestimmtes über die Unterredung aus ihm herausbringen können.
+Nun sah er auf dem Heimweg von einem Spaziergang den Angerbauer aus dem
+Pfarrhofe kommen und glaubte aus seinen Mienen auf eine Entscheidung,
+ja auf eine glückliche Beilegung des Streites schließen zu können. Von
+Neugier und gutmüthiger Theilnahme getrieben, eilte er zu dem Großvater
+und rief aus: »Der Angerbauer ist bei dir gewesen und ganz zufrieden
+fortgegangen. Ich bin ihm begegnet. — Hast du ihn herumgebracht?«
+— »Wie so?« fragte der Alte. — »Will er den Ludwig zurückrufen und
+ihn die Annemarie heirathen lassen?« — »Ei, ei,« erwiederte der
+Alte heiter, »du hast dich also ganz auf diese Seite geschlagen und
+willst aus Ludwig und Annemarie durchaus ein Paar machen?« — »Ja,«
+versetzte der Jüngling bestimmt, »das will ich. Die zwei sind nicht
+nur die schönsten im Dorf, sondern auch die bravsten. Sie passen so
+zusammen, als ob sie extra für einander geschaffen wären, und es kann
+nicht sein, daß sie wegen einer so gemeinen Sache, als das Geld ist,
+nicht zusammen kommen sollen!« — »Du gehst rasch und machst die Sache
+kurz ab,« erwiederte der alte Herr. »Wenn aber der Angerbauer nicht
+will?« — »Der muß,« entschied der Jüngling. — »Wer wird ihn zwingen?«
+fragte der Alte. »Willst du vielleicht zum Gerichte gehen, einen Befehl
+auswirken, daß der Angerbauer sich fügen müsse, und die Sache mit
+Gendarmen abmachen?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span></p>
+
+<p>Theodor, der die heiter fragende Miene des Großvaters nicht aushalten
+konnte, sah zu Boden. »Ich habe gemeint,« sagte er dann, »<em class="gesperrt">du</em>
+würdest einmal mit ihm reden, wie sich's gehört, würdest ihm klar
+machen, daß die geistigen Vorzüge viel höher stehen als die weltlichen,
+würdest ihn überzeugen und ihn zwingen durch deinen Zuspruch.« — »Der
+alte Angerbauer,« erwiederte der Pfarrer, »ist ein sprödes und zähes
+Metall; das bischen Feuer, das ich noch besitze, würde ihn nicht zum
+Schmelzen bringen. Du siehst ja, ich bin alt und theilnahmlos geworden
+und kann mich einer so schönen Glut, wie du sie hast, nicht mehr
+rühmen. Wie wär's« — fuhr er gemüthlich fort — »wenn du der Sache
+dich annähmest? Du willst ein Pfarrer werden und wirst als solcher
+gewiß gar vieles geschickter anfangen und besser hinausführen als
+ich. Wenn du beim Angerbauer dein erstes Probestück machtest? Wenn du
+hingingest, ihm und der Bäuerin eine Rede hieltest über das Verhältniß
+der ewigen und zeitlichen Güter und ihn durch begeisterte Worte
+dermaßen in's Feuer brächtest, daß er den Ludwig zurückriefe und ihm
+sein Liebchen zur Frau gäbe? — Wie?«</p>
+
+<p>Theodor wurde roth und schwieg. Er hatte den Rieser Bauer vom Schlage
+des in Rede stehenden doch schon zu gut kennen gelernt, um nicht ihm
+gegenüber seine Unzulänglichkeit zu empfinden und sich zu sagen,
+daß ein solcher Versuch schmählich scheitern würde. Noch deutlicher
+erkannte er freilich, wie sein Großvater mit ihm spielte. Er sagte
+endlich mit gutmüthiger Empfindlichkeit: »Du hast mich zum Besten und
+behandelst mich wie ein Kind; und doch bin ich kein Kind mehr, sondern
+ein Mensch, der's gut meint und haben will, daß es andern wohl gehe,
+wenn sie's verdienen.« — Der Pfarrer sah ihn freundlich an, stand auf,
+zog ihn zu sich und schloß ihn mit zärtlicher Liebe in seine Arme.
+»Du bist ein Kind,« sagte er, »aber ein gutes Kind, und mit Gottes
+Hülfe wirst du auch ein guter Mann werden. Gieb dich zufrieden. Wenn
+es deinem alten Großvater möglich wird, sollst du deine Wünsche noch
+erfüllt sehen.«</p>
+
+<p>Der Angerbauer hatte, bald nachdem er in sein Haus zurückgekehrt war,
+die Bäuerin in's Kanzlei gerufen und ihr von seiner Unterredung mit
+dem geistlichen Herrn erzählt. Die Nachricht über den<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> Entschluß des
+Mädchens wirkte auf sie wie auf ihn. Sie sah ein wenig beschämt aus
+und sagte: »So hätten wir dem Mädchen also doch Unrecht gethan! Ich
+muß dir jetzt nur sagen: so ganz von Herzen hab' ich nie dran glauben
+können. Es ist mir immer wieder gewesen, als ob sie am Ende doch nicht
+so schlimm wäre.« — Das Muttergefühl wußte nun auch auf das umgekehrte
+Verhältniß eine Entschuldigung für Ludwig zu gründen. »Wenn die
+Annemarie,« bemerkte sie nach einigem Bedenken, »so gesinnt ist, dann
+begreif' ich freilich, warum der Ludwig so viel auf sie hält, daß er
+nicht mehr von ihr lassen will. Die Schönste im Dorf ist sie ohnehin,
+und wenn sie noch dazu so rechtschaffen ist und solche Gedanken im Kopf
+hat — das hat ihn eben verführt. — Was meint denn der Pfarrer, daß
+wir thun sollen?«</p>
+
+<p>Der Angerbauer, dem diese Rede bedenklich mild vorkam, erwiederte
+streng: »Der Pfarrer ist ganz einverstanden mit mir. Gehen lassen
+sollen wir ihn, bis er von selber kommt, und nachgeben sollen wir
+ihm in keiner Art. Ich hab' den Herrn immer für gescheidt gehalten,
+aber das muß ich sagen, daß er in der Sach' ganz meiner Meinung ist,
+hat mich besonders gefreut.« — Die Bäuerin, an den Absagebrief des
+Mädchens und seine Wirkung auf Ludwig denkend, sagte: »Wir wollen das
+Beste hoffen.« — Dann setzte sie hinzu: »Die Annemarie dauert mich
+eigentlich. Wenn man nur einen passenden Mann für das Mädchen wüßte!
+Ich kann mir's aber schon denken, nach dem Ludwig wird ihr keiner
+gefallen.« — »Bah,« erwiederte der Angerbauer, »bild' dir nicht so
+viel auf deinen verrückten Buben ein. Es giebt noch Mannsbilder in der
+Welt, die so ein Mädchen trösten können!« — Nach diesen Worten verließ
+er die Stube.</p>
+
+<p>Die Mutter hatte nichts Eiligeres zu thun, als zu ihrer Tochter, der
+Schmalzbäuerin, zu gehen und ihr das eben Erfahrene mitzutheilen.
+Beide rühmten Annemarie und bedauerten, daß sie keine Bauerntochter
+sei, indem sonst nichts an ihr auszusetzen wäre. Bald war die ganze
+Freundschaft in Kenntniß gesetzt und alle sangen das Lob des Mädchens,
+natürlich unter der Voraussetzung, daß sie's ganz ernstlich meine und
+jeden Anspruch auf Ludwig aufgebe.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p>
+
+<p>In der Freundschaft war jedoch eine Person oder vielmehr ein
+Persönchen, das für die Familieninteressen wenig Sinn hatte, desto mehr
+für das Glück des Liebespaares. Dies war »Johannesle,« das älteste
+Kind der Schmalzbäuerin. Dem Ludwig gewogen von seinem ersten Denken
+an, weil er sich am schönsten mit ihm abzugeben wußte, hielt er auch
+besonders viel auf Annemarie. Bald nach ihrer Ankunft im Dorf hatte
+sich diese nämlich in ein Gespräch mit ihm eingelassen und ihn zum
+Lohn für seine hübschen Antworten so schön gestreichelt, daß er's
+ihr nicht vergessen konnte. Als das Verhältniß zwischen den beiden
+sich entspann, erhorchte und erfragte er so viel, daß er darüber so
+ziemlich unterrichtet war, und ärgerte sich dann in der letzten Zeit
+nicht wenig, daß man zwei so nette Leute nicht zusammenlassen wollte.
+Zu wiederholten Malen versicherte er seiner Mutter, die zwei müßten
+sich kriegen, und endlich trug er ihr auf, sie solle mit dem Großvater
+reden. Die Mutter antwortete, er möge es doch selber thun. Und
+Johannesle faßte sich ein Herz, trug dem Großvater die Bitte vor und
+schloß damit: es ginge nicht anders, die zwei müßten sich heirathen.
+Der Alte sah ihn verwundert an und fragte, wer ihm diese Dummheit in
+den Kopf gesetzt habe. Johannesle versetzte ernsthaft: »Ich selber,
+Aehle,« und wiederholte sein Gesuch. Der Angerbauer, um solche Gedanken
+im Keim zu ersticken, machte ein böses Gesicht und sagte in erzürntem
+Ton: »Du bist ein naseweiser Bursch! Diese Dinge gehen dich gar nichts
+an, und wenn ich dir gut zum Rath bin, so laß mich so was nicht wieder
+hören!« Eine gewisse Bewegung des Arms ergänzte den Sinn dieser
+Antwort. Der Knabe, den Großvater angaffend, ging einige Schritte
+rückwärts, murmelte dann aber, ein zweiter Galilei: »Sie kriegen sich
+doch!« — Von da an machte er verschiedene kindische Pläne, wie er
+den beiden helfen wollte. Auf dem Dorfe nämlich, wo man gar vieles
+offen verhandelt und auf etwa anwesende Kinder nicht immer Rücksicht
+nimmt, bekommen diese früh von menschlichen Verhältnissen eine Art von
+Begriff. Der Dorfbube lernt bald die erklärten Liebespaare in seinem
+Orte kennen, das natürliche Gemüth findet es in der Ordnung, daß der
+schönste Bursche auch den nettesten Schatz habe, und nimmt an ihrer
+endlichen Verbindung einen naiv poetischen Antheil;<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> so wie ihm auch
+früh klar wird, daß zwei Verliebte sich treu bleiben müssen und nicht
+von einander lassen dürfen. Als Johannesle von seinem Oberknecht hörte,
+die Annemarie habe sich anders besonnen und dem Ludwig geschrieben, er
+könne eine andere nehmen, erwiederte er bestimmt: »Ich glaub's nicht!«
+Und als der Oberknecht bei seiner Behauptung blieb, wurde der kleine
+Mann ganz hitzig und rief: »Es ist nicht wahr!«</p>
+
+<p>Nachdem der Entschluß des guten Mädchens so in den Häusern der
+Freundschaft besprochen war, kam er bald im ganzen Dorf herum. Der alte
+Bäcker, der ihn auch erst auf diesem Wege erfuhr, nahm sein Mündel bei
+der Hand, sah sie mit gerührtem Blicke an und sagte: »Du hast brav
+gehandelt, Annemarie! Laß dich's nicht reuen und bleib dabei. Man muß
+den eingebildeten Leuten zeigen, daß man auch seinen Stolz hat.«</p>
+
+<p>Als Annemarie das Lob erhielt, das wir ihr gleicherweise von der
+Familie des Angerbauers und ihrem Vormund haben spenden sehen, hatte
+sie es noch nicht ganz verdient: der Brief an Ludwig war noch nicht
+geschrieben. Sie hatte mehrere Versuche gemacht, im Kopf und mit der
+Feder, aber sie konnte die Ausdrücke nicht finden, die ihr genug
+thaten. Sie wollte einen ehrlichen Brief schreiben, der aus dem Herzen
+kam; aber was sie zu sagen hatte, wollte dem Geliebten gegenüber
+nicht aus dem Herzen kommen. Durfte sie, nach allem, was geschehen,
+ihn nochmal fragen, ob er ihr wirklich treu bleiben wolle? Durfte
+sie sich den Schein geben, als halte sie es für möglich, daß er ihr
+Anerbieten annehmen und seinen Eltern folgen könnte? War das nicht
+eine unverdiente Kränkung für ihn? Wie sollte sie's nun anfangen,
+daß alles so gut und so schonend als möglich heraus kam? In Bedenken
+und Fehlversuchen verging eine ganze Woche. Endlich vernahm sie,
+daß ihre Unterredung mit dem Pfarrer bekannt geworden und wegen
+ihres Versprechens im Hause des Angerbauers große Freude sei. Dieses
+Bekanntwerden und diese Freude, sie »los zu werden,« brachte sie
+wieder in die rechte Stimmung. Sie setzte sich hin und schrieb, ohne
+abzusetzen, folgendes:</p>
+
+<p>»Herzgeliebter Ludwig! Ich hätt' nicht gedacht, daß ich dir einen
+Brief schreiben würde, wie ich jetzt thun muß. Aber so geht es in<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span>
+dieser Welt. Man nimmt sich die besten Dinge vor, dann kommt etwas
+dazwischen und nöthigt uns, anders zu handeln, als wir gedacht haben.
+Seitdem ich an dich geschrieben hab', ist hier etwas geschehen — so
+lang ich lebe, hat mir nichts so weh gethan und mich so gekränkt wie
+das. Ich will dir's nur kurzweg sagen. Dein Vater und deine Mutter,
+wie sie gesehen haben, daß du wirklich nicht mehr kommst, haben ihren
+Zorn und ihren Verdruß an mir ausgelassen; sie haben herumgesagt, ich
+sei darauf ausgegangen, dich zu verführen, weil ich gern die Söhnerin
+eines reichen Bauern geworden wäre; ich hätte dich listig gelockt, und
+ihr gutmüthiger Ludwig hätte sich fangen lassen. Ich sei überhaupt eine
+rechte Duckmäuserin und eine gefährliche Person, vor der man sich hüten
+müsse. Diese Reden gingen durch's ganze Dorf und in allen Haushaltungen
+wurde davon gesprochen. Ludwig, du kennst mich, dir brauch' ich nicht
+zu sagen, wie mir bei diesen Lügen zu Muthe geworden ist. O die reichen
+Leute! Nimm mir's nicht übel, Ludwig, aber die sind überall die
+nämlichen. Sie glauben, es gäbe nichts Besseres als das viele Geld,
+das sie haben, und wenn die andern etwas thun, so thun sie's einzig
+und allein, um auch so viel Geld zu bekommen. Wenn nun erst ein armes
+Mädchen den Sohn reicher Leute lieb hat, dann ist natürlich gar kein
+Zweifel, daß sie nur eine reiche Frau werden will. Daß sie ihn lieb
+hat, weil er brav und gut ist, daß sie ihn, wenn er arm wäre, grad so
+lieb, ja vielleicht noch lieber haben würde — das ist natürlich ganz
+unmöglich!«</p>
+
+<p>»Neben diesen Lügen über mich hab' ich auch noch hören müssen, daß
+deine Leute ganz unglücklich sind über diese Geschichte, die ich ihnen
+angerichtet haben sollte, daß Trauer und Kummer in deinem Hause sei.
+Das ist die Wahrheit, Ludwig! Ja, ja, unglücklich sind sie gewesen! Es
+ist aber auch gar zu arg! Eine Schwiegertochter zu bekommen wie ich
+bin, ist das nicht eine Schande und ein Elend, wie es kein zweites mehr
+gibt? Lieber eine Kröte in's Haus oder eine giftige Schlange! — Als
+ich das alles gehört hab' — denn es ist mir alles zugebracht worden —
+was sollt' ich thun? Im Zorn und in der Betrübniß meines Herzens hab'
+ich dieß und jenes gedacht und bin ganz verzweifelt herumgelaufen. Denn
+die Sach' ist so gewesen,<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> daß ich nicht hab' ruhig sein können, weil
+ich ein gutes Gewissen hab'; nein, meine Ehr' hat's nicht gelitten, ich
+hab' etwas thun müssen. Endlich bin ich mit mir einig geworden. Ich bin
+zum Herrn Pfarrer gegangen, zu dem ich das rechte Vertrauen hab', und
+dem hab' ich gesagt: weil die Sachen so stehen, so soll's nun sein,
+als ob du mir das Versprechen, der Meinige zu sein, gar nicht gegeben
+hättest; du sollst ganz frei sein und nochmal überlegen, was du thun
+willst, die arme Annemarie oder die reiche Eva oder eine andere reiche
+Bauerntochter heirathen, und was du thust, soll mir recht sein. Der
+Herr ist über die Maßen gut gegen mich gewesen, er hat mir gesagt, ich
+hätte recht gehandelt, und alles das soll ich auch dir schreiben. Weil
+ich's ihm versprochen hab' und weil's überhaupt geschehen muß, drum
+thu' ich's jetzt.«</p>
+
+<p>»Sieh, Ludwig, du hast mich recht lieb gehabt und hast für mich
+gethan, was wenige thun würden. Und ich hab' mich inniglich gefreut
+darüber und dir im Herzen tausendmal dafür gedankt. Aber wenn's dir
+nun doch zu hart ginge in deinem Dienst, wenn du's auf die Länge nicht
+aushalten könntest und wenn dir der Gedanke käme: es wäre doch besser,
+wenn du mit deinem Vater dich vertragen und ihm gefolgt hättest — um
+Gotteswillen, Ludwig! wenn du einen solchen Gedanken hättest, und wenn
+er wieder käme — schreib augenblicklich an deine Eltern, sag' ihnen,
+du wollest mich lassen und eine andere heirathen! Denn das kannst du
+thun, ich geb' dir das volle Recht dazu. Deßwegen, weil du mir das
+Versprechen gegeben hast, sollst du es nicht halten; ich verlang's von
+dir, daß du dich daran nicht kehren und handeln sollst, wie du es jetzt
+für gut findest.«</p>
+
+<p>»Bedenk, wie deine Eltern gegen mich sind! Denn das muß ich dir noch
+sagen, seitdem dein Vater vom Herrn Pfarrer erfahren hat, was ich
+zu ihm gesagt hab', glauben sie bei dir, es werde nun bald aus sein
+zwischen uns, und sind vergnügt darüber, man kann gar nicht sagen
+wie! Bedenk das, Ludwig! Deine Eltern wollen mich nicht und verachten
+mich; mit ihrem guten Willen kommen wir nie zusammen, du kannst nie zu
+gleicher Zeit mit mir glücklich sein und mit ihnen. Du wirst mit mir
+auch keinen Hausstand bekommen, wie du ihn gewohnt bist, und vieles
+nicht haben, was du vielleicht nicht<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> wohl entrathen kannst. Bedenk
+das alles! — Für mich brauchst du nicht zu sorgen. Ich hab' so viel,
+als ich bedarf, und kann arbeiten und mit Gottes Hülfe werde ich dazu
+auch gesund bleiben. Und wenn ich kein Glück mehr habe, so kann ich
+doch sagen, daß ich glücklich gewesen bin, wenn auch auf kurze Zeit, so
+glücklich, daß es mir immer die größte Seligkeit sein wird, nur daran
+zu denken. Ich hab' schon dem Herrn Pfarrer gesagt, ich wolle dann
+fortgehen in's Württembergische, so daß ich euch gar nicht mehr im Wege
+bin. Und wenn mir dann die Regine zu wissen thut, daß es dir gut geht,
+das soll meine Freude sein.«</p>
+
+<p>»Lebwohl! Ich hab' mein Versprechen gehalten und gethan, was ich nicht
+lassen konnte. Ueberleg' nun alles, herzlieber Ludwig! Denk nicht
+schlimm von mir und glaub' nicht, daß ich anders gegen dich gesinnt bin
+als sonst! Ich hab' nur nicht anders gekonnt und ergebe mich jetzt in
+alles, was geschehen mag. Schreib mir ganz ohne Bedenken, was du thun
+willst, oder laß es mich auf andere Art wissen, wenn's dir lieber ist.«</p>
+
+<p>Als sie diesen Brief — der hier freilich aus der eigenen Mischung von
+Dialekt und Hochdeutsch, in der er ursprünglich abgefaßt war, möglichst
+in die Form der Schriftsprache übertragen ist — geendet hatte, las sie
+ihn durch und empfand eine starke Versuchung, ihn wieder zu zerreißen.
+Es kam ihr vor, als ob zu viel Aerger darin wäre und zu wenig Liebe.
+Ihr Geliebter war ja ordentlich angetrieben, sie zu lassen; sie
+fürchtete, er könnte am Ende doch auf den Gedanken gerathen, <em class="gesperrt">sie</em>
+wolle <em class="gesperrt">ihn</em> aufgeben. Sie las wieder und stand im Zweifel da,
+was sie thun solle. In diesem Augenblick öffnete Regine die Thüre und
+brachte einen kleinen Brief: es war die Einladung nach Nördlingen. Da
+Ludwig alles, was er auf dem Herzen hatte, sich für die Zusammenkunft
+vorbehielt, so bestand die Einladung nur aus wenigen einfachen Worten.
+Annemarie fühlte, daß sie ein Ende machen müsse. Sie schrieb unter
+ihren Brief: »Wie ich so weit gekommen bin, bringt man mir deine
+Einladung auf morgen. Du siehst, daß ich jetzt nicht kommen kann. Lies
+erst meinen Brief und gib mir Antwort. Lebwohl, lebwohl!« Sie machte
+das Papier rasch zurecht, »pitschirte« es mit einem kleinen Geldstück
+und übergab<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> es Regine, die auf den Markt nach Nördlingen ging, zur
+Besorgung.</p>
+
+<p>Drei Tage vergingen. Ich will nicht schildern, welche Gedanken das
+gute Kind sich machte, welche Angst sie empfand und wie sie sich
+selber wieder tröstete und an die Stelle der Bangigkeit die Zuversicht
+redlicher Liebe trat. Sie war, wie überhaupt seit der Bekanntschaft mit
+Ludwig, etwas aus ihrem Charakter gegangen und bewegter und erregter
+geworden, als derjenige, der sie früher gekannt, ihr zugetraut hätte.
+Wer wird das aber verwunderlich finden? — Am Morgen des vierten Tages
+erhielt sie die Antwort von Ludwig, die er Sonntags geschrieben und die
+— in ähnlicher Uebertragung — hier folgt:</p>
+
+<p>»Meine liebste Annemarie! Du hast mir einen Brief geschickt, über
+den ich mich recht gewundert hab'. Ich will dir aber keine Vorwürfe
+machen; ich hab' mich nach und nach doch hineingedacht, wie's dir zu
+Muth ist, ich hab' dich bedauert und schäme mich, daß meine Eltern
+so gegen dich gehandelt haben. Ja du hast Recht! So sind die reichen
+Leute, wenn sie auch sonst so gut und so brav sind wie mein Vater und
+meine Mutter! Ich begreif', wie dich diese Lügen kränken und erzürnen
+müssen. Ich begreif', was du gethan hast. — Aber nun sag' mir: hast
+du wirklich geglaubt, daß ich thun könnte, was du mir vorschlägst? Ich
+hoff's nicht; ich hoff', daß du mich besser kennst. Wie! nach allem,
+was zwischen uns vorgegangen ist, soll ich dich lassen? Und wenn ich
+wüßte, daß ich mich unglücklich machen würde für mein ganzes Leben, ich
+thät's nicht! Und wenn ich's vorher hätte thun können und eine andere
+nehmen, jetzt könnt' ich's schon gar nicht mehr. Wie viel meinst du
+denn, daß es Mädchen gibt, die so handeln, wie du gehandelt hast? Und
+glaubst du, daß ich kein Herz habe und keinen Verstand, das einzusehen?
+Ich weiß wohl, was ein Sohn seinen Eltern schuldig ist. Ich bin nie
+ein schlechter Sohn gewesen, wie mir alle bezeugen müssen, und wenn
+mein Vater verlangt, was er von Gott und Rechtswegen verlangen kann,
+so will ich's thun. Aber wenn ich, um mit meinem Vater wieder gut zu
+werden, ein Mädchen verlassen könnte wie du bist, so verdient' ich,
+daß man mich rädern thäte und meine Glieder auf's Rad flechten!<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> Red'
+mir also nicht mehr von dieser Sache! Wenn dich dein Gewissen und
+dein Stolz getrieben haben, zum Pfarrer zu gehen und ihm ein solches
+Anerbieten zu machen, so begreif' ich das jetzt und schätz' dich um so
+höher. Aber das will ich nicht glauben, daß du mich wirklich für fähig
+gehalten hast, ein solches Anerbieten anzunehmen. Denn wenn das wäre,
+dann wär' deine Lieb' zu mir nicht so groß, wie meine zu dir, sondern
+viel kleiner! Ich hab' auch ein Gewissen und einen Stolz, und die sagen
+mir, daß ich dir treu bleiben soll gegen alle Welt. Ich hab' kein böses
+Gewissen, daß ich mein väterliches Haus verlassen hab', sondern ein
+gutes, denn ich hab' nicht darin bleiben und dir treu sein können. Und
+wenn ich wüßte, daß ich heute sterben und vor Gott treten müßte, ich
+wär' ruhig.«</p>
+
+<p>»Ich seh' nun wohl, daß wir für die nächste Zeit nicht zusammen
+kommen werden, denn du hast deine Gedanken und bleibst dabei. Aber
+ich vertrau', wir haben nicht nöthig uns zu sehen, um uns grad so
+lieb zu haben. Ich hab' dich alleweil vor Augen; wohin ich geh', da
+gehst du mit mir. Wenn ich bei der harten Arbeit müde bin und denk' an
+dich, dann hab' ich wieder Kraft; es ist gerade, als hätt' ich einen
+frischen Trunk gethan. Und jetzt nach deinem Brief will ich wieder
+alles aushalten. Es ist freilich wahr, daß ich schwere Arbeit thun muß
+und mancherlei Verdrießlichkeiten hab'; aber wenn's mir hier nicht mehr
+gefällt, so kann ein Mensch, der gesund ist und sein Geschäft versteht,
+sich überall fortbringen. Ueberall, wo ich bin, werd' ich gegen dich
+der gleiche sein, und endlich, das weiß ich ganz bestimmt, werden wir
+zusammenkommen und glücklich sein. Adies, herzgeliebte Annemarie!
+Bleibe gesund und vertrau' auf Gott wie dein Ludwig!«</p>
+
+<p>Als Annemarie in ihrer Kammer, wohin sie sich zitternd und bebend
+geflüchtet, diesen Brief las und zu den ersten Versicherungen der Treue
+kam, rief sie mit freudestrahlendem Gesicht: »Ich habs ja gewußt!« Beim
+Weiterlesen wurde der Glanz ihrer Blicke getrübt durch wonnige Thränen,
+die ihr bei den Ausdrücken herzinniger Liebe in die Augen traten, bis
+endlich die Flamme der Freude auch durch sie hindurch drang und ihr
+ganzes Wesen verklärte. Regine,<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> von Theilnahme getrieben, erschien
+an der Schwelle der Kammer. Das überglückliche Kind eilte auf sie zu,
+fiel ihr um den Hals und rief mit holdseliger Gewißheit: »Nun gehört er
+mein, und kein Mensch in der Welt wird mir ihn nehmen!« Regine hatte
+das größte Verlangen, den Brief auch zu sehen; die Freundinnen setzten
+sich zusammen, Wange an Wange lasen sie und unterbrachen sich selbst
+durch entzückte und gerührte Ausrufungen. Regine sagte zuletzt: »Gewiß,
+liebes Mädchen, der gehört dir; den bringt sein Vater nicht mehr herum!
+Aber nun wirst du auch wissen, was du zu thun hast.« — »Ja,« rief
+Annemarie, »das weiß ich! Jetzt sind wir stärker als Vater und Mutter
+und die ganze Freundschaft! Mögen sie sagen und thun was sie wollen —
+nichts verdrießt mich mehr, ich verzeih ihnen alles im voraus!« Regine
+sagte: »Nun wird's auch gut gehen.« — »Und wenn's nicht gut ginge,«
+erwiederte Annemarie, »so wären wir doch glücklich. Jetzt darfs gar
+nicht schnell kommen, sonst wär's zu viel!«</p>
+
+<p>Als sie noch manches so gesprochen, gingen sie die Stiege hinunter.
+»Im Tennen,« d. h. in der Hausflur, angekommen, sahen sie einen Buben
+zur Thür hereinkommen, der sich vorsichtig umsah. Es war der kleine
+Gönner des Liebespaars, Johannesle. Annemarie, die schon gehört hatte,
+wie sie bei dem Bürschchen in Gnaden stand, flog auf ihn zu, gab ihm
+die Hand und fragte, was er wünsche, ob sie vielleicht mit einer guten
+Birn aufwarten könne. Johannesle schüttelte ernsthaft den Kopf und
+betrachtete sie mit prüfendem Blick, so daß die Mädchen sich lächelnd
+ansahen, und Annemarie fragte, was denn sonst sein Begehr sei? Darauf
+sagte er endlich: »Ich hab' gehört, du willst den Ludwig lassen und
+einen andern heirathen. Ist das wahr?« — »Nein,« rief das Mädchen
+unbedacht, »das ist nicht wahr! Entweder den Ludwig oder keinen!« Der
+Kleine war sichtlich erfreut. »Ich hab's ja gesagt,« erwiederte er
+selbstzufrieden und wandte sich zum Abgehen, voll Begierde, seinen
+»Stangenreiter« (Oberknecht) zu beschämen. Annemarie rief: »Bleib doch,
+liebs Büble, und komm mit in den Garten!« Aber Johannesle rief: »Ich
+muß fort,« und eilte davon. Regine sagte mißbilligend: »Da hast du's!
+Der wird's unter die Leute bringen!« — »Es soll auch unter die Leute,«
+erwiederte Annemarie. »Das kann<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> und darf nicht verschwiegen bleiben.
+Heute noch geh' ich zum Herrn Pfarrer und sag' ihm alles.«</p>
+
+<p>Sie erfüllte dieses Wort Nachmittags. Der Geistliche las den Brief,
+den das Mädchen ihm übergab, mit ernster Aufmerksamkeit und mit
+einer innerlichen Freude, die beinahe durchgebrochen wäre und seine
+Parteinahme verrathen hätte. »Es ist gut!« rief es in ihm. Wie
+Annemarie sah, daß er mit dem Lesen fertig war, sagte sie: »Herr
+Pfarrer, Sie sehen, ich hab' mein Versprechen gehalten. Nun hab' ich
+in der Sache nur noch eine Pflicht und der will ich nachhandeln, ohne
+an etwas anderes zu denken.« — »Die Pflicht,« versetzte der Pfarrer,
+indem er sie lächelnd ansah, »in Geduld zu erwarten, was da kommen
+soll.«</p>
+
+<p>Der alte Herr achtete es unter den gegenwärtigen Umständen für
+gerathen, den Angerbauer in seinem Hause aufzusuchen und ihm von dem
+Stand der Dinge Meldung zu thun. Als der Bauer den Kern der Neuigkeit
+und ein paar Ausdrücke aus Ludwigs Brief vernommen hatte, rief er
+aus: »O Unsinn! o Tollheit! o verkehrte Welt! Nehmen Sie mir's nicht
+übel, Herr Pfarrer, aber womit hab' ich' verschuldet, daß ich mit so
+einem Menschen gestraft bin? Wenn ich nur im Grab läge, dann könnten
+sie thun, was sie wollten!« Die Bäuerin ließ sich ähnlich vernehmen,
+aber in gedämpfteren Tönen. Ihr Schlußwort lautete: »Wer hätte das dem
+Menschen zugetraut! Man soll doch niemals sagen, daß man sich in Einem
+auskennt, sogar bei seinem eigenen Kind!« Der Pfarrer versetzte: »Es
+thut mir leid, daß euch meine Nachricht betrübt; aber da das Mädchen
+zu mir das Vertrauen hatte und mir den Brief zu lesen gab, so hab'
+ich's für meine Schuldigkeit gehalten, euch davon zu unterrichten,
+obwohl ich mich sonst in Familienangelegenheiten nicht gern mische.«
+Der Angerbauer sagte mit Würde: »Ich dank' Ihnen dafür, Herr Pfarrer.
+Wir müssens hoch aufnehmen, daß Sie sich selber herbemüht haben.« Nach
+einer Weile sagte die Mutter: »Was soll nun aber aus dem Ludwig werden,
+wenn er so gesinnt ist?« — »Was er selber will,« entgegnete der Vater
+barsch. Die Mutter seufzte und sagte: »Aber —« — »Nichts aber!«
+rief der Bauer dazwischen. »Willst du etwa haben, daß wir uns durch
+seinen Trotz einschüchtern lassen und<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> nach ihm schicken sollen? Da,
+frag den Herrn Pfarrer! — Haben Sie,« fuhr er zu diesem gewandt fort,
+»nicht neulich zu mir gesagt, wir sollen nicht nachgeben, er müsse
+zu <em class="gesperrt">uns</em> kommen?« — »Ja,« antwortete der Pfarrer, »und das ist
+noch jetzt meine Meinung.« Der Bauer sah sein Weib triumphirend an und
+sagte: »Siehst du?«</p>
+
+<p>Nach einigen Worten des Trostes empfahl sich der Geistliche; die
+Eheleute begleiteten ihn bis zum Hofthor, von wo der Bauer düster, die
+Frau kopfschüttelnd zurückkehrte.</p>
+
+<p>Seit dem Tage, wo Ludwig das väterliche Haus verließ, war der
+Angerbauer nicht nach Nördlingen gekommen. Er fürchtete zuerst
+überhaupt Bekannte aus der Stadt oder aus andern Dörfern zu treffen,
+deren Fragen er nicht so leicht mit einer Grobheit beantworten
+konnte. Später scheute er hauptsächlich ein Zusammentreffen mit dem
+Schmiedbauer, dessen Charakter und Manieren er kannte. Zuletzt konnte
+er doch eine Fahrt zur Schranne nicht länger vermeiden: er hatte
+noch altes Korn, der Preis war gut und nach seiner Ansicht keine
+Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich lange so halten werde. Er
+ließ mit einer Partie des Getreides einen Wagen laden und war bald an
+Ort und Stelle.</p>
+
+<p>Das Gewühl in der Schranne war für diese Zeit groß. Es hatten sich
+württembergische Händler eingefunden, die bedeutende Einkäufe machten.
+Der Angerbauer wurde an einen derselben seinen ganzen Wagen Korn los;
+er war froh und hoffte an diesem Tag nichts Unangenehmes mehr zu
+befahren. Die Bekannten, die er getroffen, hatten ihn im Drang der
+Geschäfte nur flüchtig begrüßt und an seine Familienangelegenheit nicht
+gedacht, wenigstens nicht davon gesprochen. Den Schmiedbauer hatte er
+gar nicht gesehen. Als das Korn abgemessen war, hieß er den Oberknecht
+mit dem Wagen zu einem Wirthshause am Thor fahren, wo die Angerbäuerin
+aufsitzen würde. Diese hatte sich bei dem guten Wetter zu Fuß nach der
+Stadt begeben, um Einkäufe zu machen, wollte aber für den Nachhauseweg
+den Wagen benutzen. Der Bauer wollte den Nachmittag in der Stadt
+verbringen, um nach Bequemlichkeit heimzuwandern. Wie er unter einem
+Seitenthor der Schranne stehend den Knecht wegfahren sah, hörte er
+von der andern Seite her plötzlich den hellen Ruf: »Guten Tag, Vetter
+Angerbauer!« Er sah sich um und erkannte<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> den Schmiedbauer, der ihm
+begierig zunickte. Augenblicklich ein »danke schön« brummend ging er
+rasch auf die Straße und verschwand im Gewühl der Menschen und Wagen.</p>
+
+<p>Anfangs war seine Absicht gewesen, zum »Fadenherrn« in der Nähe der
+Schranne zu gehen, wo er gutes Essen und Bier zu finden gewohnt war.
+Nun aber hütete er sich wohl, in einem Hause einzukehren, wo er sicher
+mit dem »boshaften Kerl,« dem Schmiedbauer, zusammenkommen würde. Er
+vermied aus demselben Grund auch das Wirthshaus am Thor und suchte
+ein drittes auf, wo er sein spätes Mittagessen in Ruhe verzehren zu
+können hoffte. Darin täuschte er sich nicht. Er traf zwei Männer aus
+seinem Dorf, setzte sich zu ihnen und ließ sich Braten und Salat wohl
+schmecken, während der Schrannentag ergiebigen Stoff zur Unterhaltung
+bot.</p>
+
+<p>Nach langer Zeit wurde es ihm wieder fast behaglich zu Muthe, wozu der
+um den Leib geschnallte, gefüllte Geldgurt das Seine beitragen mochte.
+Er trank nach Durst und übergab eben die blanke zinnerne Bierkanne der
+behenden Wirthstochter zur zweiten Füllung, als die Thüre aufging und
+der Schmiedbauer hereintrat. — Dieser hatte ihn in nicht weniger als
+drei Wirthshäusern vergebens gesucht. Sein Muth wurde dadurch nicht
+geschwächt, und er war eben im Begriff, in ein viertes zu gehen, als
+ihm von einem Bekannten das rechte verrathen wurde.</p>
+
+<p>Der Angerbauer, als er den Gefürchteten erblickte, fuhr zurück, als
+wenn ihn eine Schlange gebissen hätte. Der Schmiedbauer ging auf ihn
+zu, das Gesicht von einem Vergnügen belebt, wie es Reineke der Fuchs
+empfunden haben mochte, als er den ehrlichen Lampe in seiner Höhle
+sah. Große, blanke Zähne weisend, die man ordentlich wässern sah, rief
+er seinem Opfer zu: »Guten Tag noch einmal! Du bist heute schwer zu
+finden, Vetter Angerbauer! Schon in drei Wirthshäusern hab' ich dich
+umsonst gesucht!«</p>
+
+<p>Der Angerbauer hatte sich wieder etwas gefaßt. Er bot ihm nicht
+das eben ankommende Bier zum Trinken — eine Höflichkeit, die man
+eintretenden Bekannten sonst gewissenhaft zu erweisen pflegt, —
+sondern antwortete trocken und ein wenig den Mund verziehend: »Woher
+kommt dir denn auf einmal das große Verlangen nach mir?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span></p>
+
+<p>»Da haben wir's!« sagte der Schmiedbauer; »gleich wieder stolz!« —
+Und indem er die beiden andern listig anblinzelte, fuhr er fort: »Bist
+du denn gar nicht neugierig, etwas von deinem Ludwig zu hören?« —
+Der Angerbauer, sich bezwingend, erwiederte: »Nicht im Geringsten!«
+— »Nun, nun,« versetzte der andere, »stell dich nur nicht so an, ich
+weiß doch, daß du gern etwas von ihm hören möchtest. Du brauchst dich
+auch gar nicht zu fürchten: ich kann ihn nur loben. Er macht sich
+ganz vortrefflich, und ich muß dir nur sagen, ich hätt's dem Sohn
+eines so reichen Mannes nicht zugetraut, daß er einen so geschickten
+Handknecht abgäbe. Er sucht wahrhaftig seines Gleichen, namentlich im
+Futterschneiden und Misten.«</p>
+
+<p>Bei diesen Worten konnten die beiden Unbetheiligten sich nicht
+enthalten zu lächeln; dem Angerbauer stieg das Blut in's Gesicht.
+Finster entgegnete er: »Mag er machen, was er will! Er ist mein Sohn
+nicht mehr und geht mich so wenig an, wie einen von euch!« — »Geh',«
+sagte der Schmiedbauer, »sei gescheidt! Unser Kind bleibt immer unser
+Kind.« — »Und ich sag' dir,« versetzte der Angerbauer mit zornigem
+Nachdruck, »daß ich nichts mehr von ihm wissen will, und bitt' mir's
+aus, daß du jetzt von ihm das Maul hältst!«</p>
+
+<p>Auf diese verständliche Abweisung zuckte der Schmiedbauer die Achsel.
+»Mir auch recht,« sagte er. »Wenn du nichts mehr von ihm wissen willst,
+dann bleibt mir ein Handknecht, wie ich ihn brauche und wie man ihn
+heutzutage nicht mehr findet. Schaffen thut er für Zwei und gehorchen,
+als wenn er ein geborener Knecht wäre. Wenn ich, oder mein Sohn, oder
+meine Tochter, oder mein Oberknecht ihm etwas sagen, läuft er wie ein
+Wiesel. Wenn du ihn nicht mehr willst, gut! Ich hab' den Vortheil
+davon.«</p>
+
+<p>Indem er bei den letzten Worten die Zielscheibe seiner Bosheit ansah,
+fühlte er, daß er für jetzt nicht weiter gehen dürfe. In dem Angerbauer
+kochte es gefährlich. Seinen Sohn vor den beiden Männern als gehorsamen
+Knecht loben zu hören, war für ihn schrecklich, und die Absicht des
+Schmiedbauern, ihn zu verhöhnen, machte ihn wüthend. Wäre er mit diesem
+allein gewesen, er hätte ihm eine Antwort mit der Kanne an den Kopf
+gegeben, auf welche kein weiterer Bericht mehr erfolgt wäre. In der
+vollen Wirthsstube mußte er an sich<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> halten und schwieg daher grimmig
+still. Der andere fand für gut zu bemerken: »Nun, ich sehe, es ist
+dir wirklich unlieb, etwas weiter zu hören; lassen wir's also gehen!«
+Der Angerbauer nickte bedeutsam, als wollte er sagen: »Du thust sehr
+gescheidt daran!«</p>
+
+<p>Von einem der beiden Bauern wurde das Gespräch wieder auf die
+Schranne zurückgelenkt und blieb dabei. Auf diese Weise kam jedoch
+der Angerbauer um eine Nachricht, die ihm lieb gewesen wäre, denn der
+Schmiedbauer war bekanntlich kein bloßer Bösewicht. Er wollte heute an
+dem Vetter sein Müthchen kühlen und an den »hoffährtigen Kameraden«
+ein wenig ärgern; dann aber wollte er ihm sagen, daß der junge Bursch
+in seinem Hause deßwegen kurz gehalten und tüchtig angespannt werde,
+damit er sich nach den Eltern sehne und endlich demüthig heimkehre, wie
+sich's gebühre. Er wollte sich dem Angerbauer von seiner ernsthaften
+Seite zeigen, ihm Vorschläge machen, seine Wünsche hören. Allein da
+dieser nach seiner Ansicht gar keinen Spaß verstand, so wollte er sich
+auch auf den Ernst nicht einlassen. Er dachte: »Es ist der Alte! immer
+gleich oben aus! Gut, für heute soll er nichts weiter hören!«</p>
+
+<p>Als der Angerbauer die zweite Kanne noch nicht ganz geleert hatte,
+zahlte er und schickte sich an zu gehen, indem er sagte, er habe noch
+einen Gang zu machen. Den Schmiedbauern übermannte noch einmal der
+Muthwille und er fragte den Abgehenden in schelmisch gemüthlichem Ton:
+»Soll ich also wirklich deinem Ludwig keinen schönen Gruß von dir
+ausrichten?« Der Angerbauer gab ihm hierauf eine Antwort, die ihm der
+kindischen Bosheit der Frage allein entsprechend schien, und entfernte
+sich, indem er die Thüre stattlich zuschlug. Je mehr Zorn jene Antwort
+verrieth, desto vergnügter lachten die drei Zurückgebliebenen zusammen
+und schwatzten noch eine Weile über diesen Spaß.</p>
+
+<p>Unser Mann ging geradeswegs nach Hause. Indem er mit wenig gemindertem
+Zorn in's Kanzlei eintrat, fand er dort sein Weib in einer ähnlichen
+Stimmung. Ohne vorläufig darauf zu achten, erzählte er, was ihm
+begegnet, und die Angerbäuerin stimmte in seine Ausrufungen über die
+Bosheit der Menschen treulich mit ein. Dann bekannte sie, ihr sei
+beinahe noch etwas Aergeres passirt. Neugierig<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> drängte sie der Mann,
+zu erzählen. Die Bäuerin hub an: »Ich bin zuerst bei der Melbersbas
+gewesen und hab' mich etwas länger verweilt, als ich dachte. Dann bin
+ich zum »Canditor« gegangen und hab' Zucker, Kaffee und Gewürz gekauft.
+Wie ich aus dem Laden auf die Straße hinausgeh', wer kommt auf mich zu?
+Die Ev' mit ihrer alten Bas! Ich will dirs nur sagen, ich bin ein wenig
+verhofft gewesen und es ist mich ordentlich ein Zittern angekommen.
+Aber doch bin ich gleich auf sie zugegangen, hab' sie freundlich
+gegrüßt und »guten Tag« geboten. Die alte Bas hat gedankt; die Ev' hat
+aber nur ihr »Schnäuzle« naufgezogen.« Der Angerbauer, der aus allem
+abnahm, was kommen würde, bemerkte mit einem gewissen Humor: »Sag'
+Schnauz, das paßt besser!«</p>
+
+<p>Die Mutter fuhr fort: »Weil ich sie nun seit dem Vorgang nicht wieder
+gesehen hab', so hab' ich nach etlichen Reden gesagt: »Uns hat halt
+seitdem ein rechtes Unglück getroffen!« Denn wenn man sich so gut
+kennt, dann kann man wohl vertraut mit einander reden.« »Ja, ja,«
+antwortete die alte Bas, »das ist eine böse Geschichte! Wer hätte dem
+Ludwig das zugetraut!« — »Ja freilich,« hab' ich wieder gesagt, »hätt'
+man ihm das nicht zugetraut; aber junge Leute machen eben manchmal
+tolle Streiche. Alles ist deßwegen nicht verloren, er kann sich wieder
+anders besinnen, kann heimkommen und alles kann noch gut werden.« Da
+hättest du die Ev' sehen sollen! Roth wie ein welscher Hahn tritt sie
+vor mich hin und sagt: »Ihr glaubet doch nicht, Frau Bas, daß es mit
+Eurem Ludwig und mir noch was werden kann? Wenn Ihr so was denkt, dann
+schlagt's Euch nur aus dem Sinn. Das wär' mir das Wahre! Ein Mensch,
+der sich so aufführt! Nein, Frau Bas, für so einen bedank' ich mich
+schön und bin froh, daß ich ihn los geworden bin.« Ich hab darauf
+gesagt: »Was willst du denn? — hab ich denn davon geredt?« Aber sie
+hat sich nicht irr machen lassen und höhnisch gesagt »Aufrichtig, Frau
+Bas, Ihr thätet am besten, wenn Ihr Eurem Sohn seinen feinen Schatz
+ließet. Sie ist ihm nun einmal die Liebste auf der Welt, und ein
+ordentliches Mädchen nimmt ihn ohnehin nicht mehr.«</p>
+
+<p>»Was,« rief hier der Angerbauer auffahrend, »das hat sie dir<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> gesagt?«
+»Ja,« erwiederte sein Weib, »das hat sie gesagt.« — »Gut!« versetzte
+der Mann, »ganz gut! Also so eine ist die? Ein großes Unglück scheint's
+nicht, wenn wir die nicht zur Söhnerin bekommen!« — »Das mein' ich
+auch,« bemerkte die Frau, »und das hab' ich ihr auch gesagt.« »So groß
+gefehlt wär's nicht,« hab' ich ihr gesagt, »wenn er das Mädchen bekäme.
+Denn wenn sie auch nicht reich ist, so ist sie doch brav und hat mehr
+Art als manche reiche Bauerntochter, die ich kenne.« Dabei hab' ich ihr
+steif in's Gesicht gesehen. Sie aber hat sich nichts daraus gemacht und
+gesagt: »Nun, da wünsch' ich recht viel Glück dazu! Machts nur bald
+richtig und vergeßt nicht mich auch auf die Hochzeit zu laden.« Damit
+hat sie »guten Tag« gesagt und sich umgedreht und die Alte, die den
+Kopf geschüttelt hat, mit sich fortgezogen.«</p>
+
+<p>Der Angerbauer war ernsthaft geworden und brach nun in die Worte aus:
+»Eine saubere Person, das muß ich sagen! Da dürfen wir ja von Glück
+sagen, daß wir sie noch zu rechter Zeit kennen gelernt haben!« —
+»Sicherlich,« erwiederte die Mutter.</p>
+
+<p>Nach einem längeren Schweigen, während dessen sie nachdenklich vor
+sich hingesehen hatte, begann sie wieder: »Vater, ich möchte dir
+etwas sagen, aber du mußt nicht bös werden.« — »Nun,« erwiederte
+der Bauer mit argwöhnischem Ausdruck, »du wirst hoffentlich nicht im
+Ernst verlangen, daß wir dem Burschen das Mädchen geben?« — »Behüte,«
+versetzte die Mutter, »das weiß ich schon, daß das nicht geht. Nein,
+ich hab' nur sagen wollen, daß mich der Ludwig »a'fanga« dauert
+(anfängt mich zu dauern). Ich glaub', er wär gern wieder bei uns, aber
+er hat deinen Kopf: er kommt nur nicht, weil er's einmal gesagt hat.«
+— »Soll ich ihn,« bemerkte der Bauer, »etwa selber holen, weil er
+meinen Kopf hat?« — »Auch nicht,« sagte die Mutter. »Ich meine nur,
+wir ließens ihm unter der Hand wissen, daß er kommen könnte; mit der
+Ev' wollten wir ihn nicht mehr plagen.« — Der Bauer versetzte: »Nein,
+das geschieht nicht! um keinen Preis der Welt! Wenn ich da nachgäb',
+müßt ich mehr nachgeben!« — »Aber deßwegen —« — »Das muß ich besser
+wissen. Ich thu's nicht, jetzt erst recht nicht, und damit Punktum!« —
+Wie gewöhnlich<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> wenn er einen solchen Trumpf ausgespielt hatte, stand
+er auf und verließ die Stube.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Während dieser Erlebnisse der Seinen arbeitete Ludwig mit neuer Kraft
+und neuem Muthe weiter. Er hatte in Rücksicht auf sein Dienstverhältniß
+einer Anfeuerung bedurft; das Schreiben der Geliebten und die Abfassung
+seiner Antwort gewährten ihm diese aber in vollem Maße. Es war ihm
+ganz, wie er geschrieben. Sein Geist war aufgerichtet; das Bewußtsein,
+ein solches Herz gewonnen zu haben, das Gefühl, ihrer werth zu sein,
+und die Hoffnung, die aus diesem Gefühl emporkeimte, ließen ihn alle
+Mühen mit Freudigkeit ertragen. Er hatte nun auch eine Bekanntschaft
+gemacht, die ihm angenehm und tröstlich war. Von seinem Bauer zum
+Pfarrer des Ortes geschickt, antwortete er diesem auf seine Fragen so
+verständig und gutmüthig, daß der Geistliche das Gespräch verlängerte,
+so weit es anging, und den jungen Burschen aufforderte, ihn in freien
+Stunden zu besuchen. Es war dieß ein Mann in mittleren Jahren, der aber
+ähnliche Ansichten zu haben schien, wie der alte Herr, den wir kennen,
+da er an den entlaufenen Sohn keine Ermahnungen richtete, die er nicht
+hätte befolgen mögen, sondern sich unbefangen im Kreise allgemeiner
+Belehrung hielt.</p>
+
+<p>Die Annehmlichkeiten, die er aus alledem schöpfte, waren Ludwig auch
+nöthig, um ein Uebel zu bestehen, das immer ärger zu werden schien.
+Dieß war der Uebermuth Michels, der nicht selten in wirkliche Bosheit
+ausartete. Verdroß es ihn, daß Ludwig bei seinen Neckereien nicht mehr
+empfindlich wurde, sondern ihn lächelnd oder mitleidig ansah; war er
+eifersüchtig auf die Seelenfreude, die verschönernd aus dem Gesichte
+des Knechts leuchtete, oder auf das Lob, das sein Vater diesem hie und
+da auf seine Unkosten ertheilte, genug, der junge Schmiedbauer ging in
+seiner herrischen Anmaßung gegen Ludwig weiter und weiter, so daß er
+alle die Seinen hinter sich ließ. Die schwache sinnliche Gutmüthigkeit,
+wie man dieß in der Welt öfter sehen kann, bestand die Probe nicht, die
+ihr auferlegt wurde, und verwandelte sich unter gewissen Anreizungen
+geradezu in Gemeinheit. Eine solche Anreizung mochte für den Burschen
+auch<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> in der Nachricht seines Vaters liegen, daß der Angerbauer seinen
+Sohn verläugne und, wie es scheine, wirklich nichts mehr von ihm wissen
+wolle. Konnte man gegen einen Verstoßenen sich nicht gehen lassen nach
+Belieben?</p>
+
+<p>Als die kleinen Mittel nichts mehr verfingen, wendete Michel die
+gröberen und plumperen an, und es gelang ihm nun allerdings wieder,
+den Untergebenen zu ärgern und zu erzürnen. Ungerechte Behandlung
+zu ertragen ist für gewisse Gemüther das Schwerste; und wenn sie
+sich's auch vornehmen, bei den Anmaßungen der Dummdreistigkeit ruhig
+zu bleiben, so glückt's ihnen doch nicht immer. Die Geduld Ludwigs
+wurde auf harte Proben gestellt; das Betragen Michels erschien ihm so
+kläglich, daß er den Ausbruch des Zorns und der Verachtung kaum mehr
+zurückhalten konnte. So sammelte sich nun aber ein Maß von Galle in ihm
+an, das nur noch berührt zu werden brauchte, um überzulaufen.</p>
+
+<p>An einem Sonntag nach dem Essen kamen »Freunde« — wie, man weiß,
+Verwandte — des Schmiedbauern zum Besuch angefahren, Vater, Mutter
+und ein fünfzehnjähriger Sohn. Sie wurden mit Kaffee und »Goglopf«
+(Guglhupf) traktirt, welchen Madlene und die Magd am Vormittag zu
+diesem Zweck verfertigt hatten. Als endlich auch der »junge Vetter«
+dem Nöthigen zu einer neuen Schale nicht mehr Folge leisten konnte,
+führte man die Gäste im Hause herum und zeigte ihnen Küche und Keller,
+Kasten und Schreine und deren Inhalt zum Bewundern, welcher Absicht die
+Bauersleute höflich entgegenkamen. Michel empfand großes Verlangen,
+ihnen die Ställe zu zeigen, und freute sich namentlich, ihnen die
+Zierde derselben, einen schönen zweijährigen Braunen vorzuführen. Er
+eilte voraus in den Roßstall, fand den Oberknecht ausgegangen, Ludwig
+aber bei der Hand. Bei dem Anblick desselben fuhr der böse Feind in ihn
+und gab ihm den Gedanken ein, sich selbst in seiner Herrlichkeit und
+den Sohn des Angerbauern, der mit den Gästen ebenfalls einigermaßen
+verwandt war, in seiner Erniedrigung zu zeigen. Er rief in barschem
+Ton: »Ludwig, führ' den Braunen in den Hof!« Ludwig gehorchte und
+dankte den Verwandten auf den Gruß, den sie ihm boten, mit bescheidener
+Höflichkeit. Das junge Roß ward im Freien munter und<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> fing an zu
+laufen. Michel rief ärgerlich: »Nicht so schnell!« Der Angefahrene
+hielt es zurück; Michel schrie nun: »Zu langsam! Marsch! Zu!« und
+vexirte den andern so, daß die Gäste bald sahen, worauf es hier
+angelegt war, den rothgewordenen Ludwig bedauerten und den Sohn des
+Hauses für einen dummen Prahler hielten. Endlich rief Michel: »Laß ihn
+laufen! Schnell! schneller!« Ludwig gehorchte; das Roß wurde im Trab
+übermüthig, sprang auf die Seite, traf mit den Hinterbeinen in eine
+kleine Kothlache, die vom gestrigen Regen herrührte, und bespritzte den
+schön gestreiften Rock der Bäuerin.</p>
+
+<p>Auf so etwas hatte Michel gewartet. Den Umstand, daß dieser armselige
+Zufall nur in Folge seiner Befehle eingetreten war, natürlich außer
+Acht lassend, ergriff er mit Begierde die Gelegenheit, zugleich seine
+Machtvollkommenheit und seine Galanterie gegen die Base an den Tag zu
+legen; er schrie Ludwig zornig an: »Du bist ein Esel! Nicht einmal
+ein Roß kannst du führen, wie sich's gehört!« — Das war aber dem
+Burschen zuviel. Während die Gäste Ausrufe des Bedauerns hören ließen,
+übergab er dem kurz vorher angekommenen dritten Knecht das Roß, trat
+vor Michel hin und rief: »Du bist der jämmerlichste aller Menschen!
+Noch ein solches Wort gegen mich, und ich brech' dich zusammen!«
+Seine Augen funkelten, in seinem Gesicht brannte die Glut des Zorns
+und der Verachtung, seine Arme zuckten, als ob er seine Rede sogleich
+wahrmachen wollte. Michel erschrack und trat blaß geworden einen
+Schritt zurück. Der gemeinschaftliche Vetter stellte sich zwischen
+sie und ermahnte zur Ruhe. Unterdessen faßte sich Michel wieder, und
+indem er eine hochmüthige Miene anzunehmen suchte, sagte er zu Ludwig:
+»Mit dir wird man noch fertig werden, und das bald!« Dann sah er sich
+um, ob nicht sein Vater oder der Oberknecht in der Nähe wäre. Ludwig
+folgte dieser Bewegung, und seine Gedanken errathend, rief er: »Schrei
+keinem, ich rath es dir! Wenn ihr zusammen über mich herfallt, dann
+ist's Nothwehr, was ich thu', und« — setzte er hinzu, indem er die
+Hand an die Seitentasche legte — »ich schwör's bei Gott: den ersten
+der mich anrührt, stoß' ich nieder wie einen Hund!« Der Bauer, dem dieß
+zu stark war, sagte: »Führ keine solche Reden, das geziemt sich nicht
+für dich!« — »Für mich geziemt sich alles,« entgegnete der Gereizte,<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span>
+»was sich für einen freien Menschen geziemt! In dem Augenblick bin ich
+kein Knecht mehr, sondern der Sohn meines Vaters! Aus diesem Haus geh'
+ich fort, auf der Stelle — das versteht sich von selbst!« Er wandte
+sich zum Abgehen, drehte sich aber nochmal gegen Michel um und machte
+mit geballter Faust eine Bewegung, als ob er sagen wollte: Du weißt,
+was geschieht! Dann ging er in die Stallkammer zu seinem Lager und nahm
+aus dem daneben liegenden Schrein seine wenigen Habseligkeiten heraus,
+um sie zur Wanderung zusammenzubinden.</p>
+
+<p>Unterdessen war der Schmiedbauer mit seiner Tochter aus dem Hause
+gekommen. Auf sein Befragen, welch ein Lärm das sei, erzählte der
+Vetter den Handel, war aber so gerecht zu sagen, daß Michel dem Ludwig
+es zu arg gemacht habe, was von der Base mit der Bemerkung bestätigt
+wurde, daß es wegen des »Spretzers« auf ihrer Schürze nicht der Mühe
+werth gewesen wäre. Der Schmiedbauer verwies dem Sohn sein Betragen
+und hieß ihn in die obere Stube gehen: die Sache wolle er nun allein
+ausmachen. Michel entgegnete, dem Kerl werde er nicht aus dem Wege
+gehen, entfernte sich aber doch.</p>
+
+<p>Ludwig, sein Bündel unter dem Arm, kam herbei. »Schmiedbauer,« sagte er
+mit verhältnißmäßiger Ruhe, »Ihr habt wohl schon gehört, was geschehen
+ist, und werdet begreifen, daß ich in Eurem Hause nicht länger bleiben
+kann.« — »Das begreif ich,« sagte der Bauer. »Aber wo willst du hin?«
+Ludwig erwiederte: »Ich geh' nach Augsburg.« Der Bauer bemerkte: »Es
+wäre gescheidter, wenn du zu deinem Vater heimgingest. Die Gelegenheit
+wär' gut.« — Ludwig entgegnete unmuthig: »Behaltet Euren Rath für
+Euch,« und wollte gehen. — »Wie!« rief der Bauer, »ohne deinen Lohn?
+Du bekommst noch zwei Gulden.« — Ludwig erwiederte, er schenke ihm
+den Lohn, worauf der Bauer nicht ohne Würde ausrief, er wolle nichts
+geschenkt von ihm, was er verdient habe, müsse er nehmen. Ludwig
+ließ sich die zwei Gulden bezahlen, drückte sie dem dritten Knecht
+in die Hand, der ihn erstaunt ansah, wünschte den Umstehenden wohl
+zu leben und richtete seine Schritte dem Wirthshaus zu. Da der Abend
+herannahte, so wollte er hier übernachten und morgen mit dem Frühesten<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span>
+nach Augsburg wandern, wozu er noch beinahe zwei Gulden vom früher
+eingenommenen Lohn hatte. Sein Gedanke war, an diesem Ort, wie schon so
+Mancher vom Ries, sein Glück zu machen, Annemarie nachzuholen und sie
+in eine schöne Stadtwohnung als Frau einzuführen.</p>
+
+<p>Als er in die stark besuchte, von Tabakrauch erfüllte Wirthsstube trat,
+wurde er von einem Tisch junger Burschen freundlich begrüßt und zwei
+davon streckten ihm mit der üblichen Frage: »Kann ich aufwarten?« ihre
+gefüllten Gläser entgegen. Der Streit mit dem jungen Schmiedbauer war
+von mehreren, die zufällig am Hofe vorübergingen, mit angehört worden,
+und diese hatten nichts Eiligeres zu thun, als die Geschichte durch's
+Dorf zu verbreiten. Kurz vorher war sie in der Wirthsstube erzählt
+worden, und die Zuvorkommenheit der jungen Leute hatte ihren Grund
+darin, daß Ludwig es dem eingebildeten Michel so hinausgegeben, und —
+daß er kein Knecht mehr war. Unser Bursche that mit ebenbürtiger Miene
+Bescheid, aß und trank, sagte dem Wirth, daß er über Nacht bleiben
+wolle, und ließ sich von ihm in die obere Stube führen. Hier begehrte
+er Schreibzeug und begann einen Brief an Annemarie, worin er ihr den
+heutigen Vorgang und seine Pläne mittheilte. Als er fertig war, klopfte
+es an die Thüre. Die Wirthsmagd brachte Licht mit einem Brief, der so
+eben unten für ihn abgegeben worden sei.</p>
+
+<p>Ludwig betrachtete die Aufschrift, erbrach das Schreiben und las,
+zuerst mit allen Zeichen großer Ueberraschung; dann schüttelte er ernst
+den Kopf, als ob er mit dem Inhalt nicht einverstanden sein könnte. Er
+las weiter; eine eigenthümliche Empfindung spiegelte sich in seinen
+Zügen, er sah empor, wie bewegt von einem lockenden und drängenden
+Gedanken. Auf einmal stand er auf und rief entschlossen: »Ich thu's!«
+— Er setzte sich wieder, versank in Nachdenken, und sein Gesicht nahm
+einen wehmüthigen Ausdruck an, wie das eines Menschen, der weiß, daß
+sein Thun verdammende Urtheile erfahren wird. Er packte sein Bündel aus
+und ordnete seine Habseligkeiten geschickter, als es in der ersten Eile
+möglich gewesen. Was der Brief auch enthalten mochte, in dem Beschluß,
+die Wanderung anzutreten, schien er ihn nur bestärkt zu haben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span></p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Nach einem in mäßiger Arbeit verbrachten Tage saß der Angerbauer bei
+seinem Weib im Kanzlei. Die Abendmahlzeit war vorüber, eben so das
+Läuten der Kirchenglocke, das die Familien zum Abendgebete ruft,
+und welches darum »Betläuten« genannt wird. Die Ehehalten waren zum
+größten Theil schon im Bette, weil sie morgen sehr früh wieder heraus
+mußten; nur der Oberknecht war noch im Roßstall und erzählte dem Andres
+Geschichten. In der Stube herrschte große Stille, in welcher nur das
+Ticken der Wanduhr — stärker, als man ihrs bei Tage zugetraut hätte —
+und das »Spinnen« der großen Hauskatze vernehmlich war. Der Angerbauer
+hörte nichts von beiden; er ruhte gedankenvoll in dem braunledernen
+Großvaterstuhl am Ofen. Die Bäuerin saß am Wandtisch, auf dem eine
+brennende Oelampel stand. Sie sah bekümmert aus und war offenbar mit
+einem bestimmten Gedanken beschäftigt. Diesen zu äußern brach sie das
+Stillschweigen, und zwar in einem Tone, als ob sie ein unterbrochenes
+Gespräch wieder aufnähme. »Was doch das Geld ist!« sagte sie mit einer
+Art Seufzer. »Wenn das Mädchen nur einen Hof hätte wie die andere, eine
+bessere Schwiegertochter könnten wir uns nicht wünschen!« — Der Bauer
+fuhr aus seinen Gedanken auf und erwiederte: »Was redest du da wieder!
+Sie hat ihn nun einmal nicht! Wenn! Als ob einem damit geholfen wäre!«
+— Die Bäuerin ließ sich nicht irre machen und fuhr fort: »Ich hab' sie
+heut' wieder an mir vorbeigehen sehen, und was mir besonders gefallen
+hat, ist ihre Sauberkeit, und daß ihr alles so wohl ansteht. Das würde
+eine Haushaltung werden wie unsere.«</p>
+
+<p>Der Alte wurde ernstlich böse. »Ich möchte doch wissen,« rief er aus,
+»was das für ein Vergnügen ist, sich Dinge vorzustellen, die nicht
+sein können. Sei doch nicht kindisch!« — »Nun ja,« erwiederte die
+Frau, »ich weiß ja, daß es nicht sein kann; aber man darf doch wohl
+davon reden.« — Sie schwieg eine Weile still, konnte oder wollte sich
+aber noch nicht zufrieden geben, und begann daher: »Wer hätte gedacht,
+daß es uns so ganz unglücklich gehen würde! Statt einen Sohn gut zu
+versorgen, müssen wir ihn bei Leuten dienen lassen, die ihn schlecht
+behandeln, und vielleicht bald hören, daß er in die weite Welt gelaufen
+ist, wo wir ihn gar nicht mehr sehen!«<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> — Der Vater erhob sich in
+großem Unmuth. »Ich seh,« rief er, »es ist die höchste Zeit, daß wir
+in's Bett gehen! Nimm die Ampel und zünde mir, ich geh!« — »Nun,«
+versetzte die Mutter, »thu' nur nicht gleich so wild!« Sie erhob sich
+und folgte dem Mann in die Stube.</p>
+
+<p>Als sie eben der Thür sich näherten, hörten sie ein Gebell vom
+Hofhunde, das sich rasch in ein Freudengeheul verwandelte. Sie
+horchten. Ein froher Lärm erhob sich vom Stalle her und bald vernahmen
+sie den lauten Ruf von Andres: »Er ist da! Er ist da!« — Das Herz der
+Mutter klopfte, mit zitternder Hand öffnete sie die Thüre, sah umher
+und erblickte an dem Ende des Ganges, der vom Stall in den Tennen
+führte, den verloren geglaubten Ludwig, von Andres mit jubelndem Eifer
+vorwärts gezogen. Einen Freudenschrei ausstoßen, die Ampel auf die
+Ofenbank stellen, dem wiedergefundenen Sohn entgegeneilen, ihn fassen
+und mit liebenden Worten begrüßen, war bei der guten Frau Eins. Sie
+nahm ihn beim andern Arm und führte ihn vereint mit Andres der Stube zu.</p>
+
+<p>Der Angerbauer war von dieser, im gegenwärtigen Moment durchaus
+unerwarteten Heimkehr in die innerste Seele getroffen. Seine
+Gemüthsbewegung äußerte sich in einer Blässe, die über sein Gesicht
+ging und eben so wie die Freudenröthe der Mutter das Gefühl für den
+Sohn verkündete. Damit hatte er aber den Zoll der väterlichen Liebe
+abgetragen; er faßte sich im Augenblick wieder, unterdrückte seine
+Bewegung und sah dem Ankommenden in der Würde des häuslichen Richters
+entgegen, da die Mutter nach seiner Ansicht in der Güte viel zu weit
+gegangen war. Ludwig stand mit blutrothem Gesicht auf der Schwelle. Er
+hatte der Mutter »guten Abend« gesagt; vor dem Vater zeigte sich aber
+die Natur unfähig, den Beschluß des Willens auszuführen; der Mund war
+ihm wie durch einen Zauber verschlossen. Eben so unfähig war der Vater,
+diesen Zauber zu lösen durch ein mildes, entgegenkommendes, wenn auch
+mit väterlicher Rüge entgegenkommendes Wort.</p>
+
+<p>Allein ich darf in dieser Schilderung nicht weiter gehen. Ich kenne die
+Leser und auch die schönen Leserinnen. Ich weiß, daß namentlich die
+letzteren am Manne das Heroische, Durchgreifende, stolz<span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span> Beharrende
+lieben, und muß nun fürchten, daß unser Freund wegen seiner plötzlichen
+Nachgiebigkeit in ihrer Achtung gar sehr gesunken ist und ihre
+theilnehmenden Seelen von dieser Wendung überhaupt unangenehm berührt
+worden sind. Da es mir nun doch hauptsächlich um ihre Gunst zu thun
+ist, für mich sowohl als für meinen ländlichen Liebhaber, so muß ich
+vor allem berichten, wie dieser dazu gebracht wurde, den unerwarteten
+Schritt zu thun.</p>
+
+<p>Als Ludwig sich vom Schmiedbauer in's Wirthshaus begab und den Brief
+an Annemarie schrieb, war es bei ihm ausgemacht, am andern Morgen nach
+Augsburg zu wandern. Eine Aenderung seines Entschlusses wurde durch den
+Brief herbeigeführt, den er Nachts erhielt und der ihm ein anderes Ziel
+der Wanderung bezeichnete. Er war geschrieben von dem alten Pfarrer und
+ihm zugesandt aus dem Hause des jüngeren Amtsbruders, wo er für einen
+Fall dieser Art schon bereit lag. Ich lasse ihn wörtlich folgen und
+seine Sache selbst führen. Der alte Herr schrieb:</p>
+
+<p>»Lieber Ludwig! Ich höre von meinem Freunde und Amtsbruder, daß du von
+dem Bauer, bei welchem du als Knecht dienst, und von seinen Kindern
+immer übler gehalten wirst, und da ich annehmen muß, du werdest
+dich über kurz oder lang mit ihm überwerfen, so schreibe ich dir
+diesen Brief, damit er im Augenblick der Entscheidung das Gewicht
+eines freundschaftlichen Rathes in die Wagschale werfe, die sich zur
+Versöhnung neigt. Du weißt selber, Ludwig, daß dein alter Freund nicht
+zu denen gehört, die mit ihren Ermahnungen lästig werden, wo kein Wille
+und keine Fähigkeit ist, sie zu befolgen; aber dir muth' ich jetzt
+etwas zu, weil ich dir die Kraft zutraue, es zu thun. Um es offen zu
+sagen: du mußt zu deinen Eltern zurückkehren! Du mußt es freiwillig und
+sobald als möglich thun!«</p>
+
+<p>»Ueber den Streit mit deinem Vater will ich jetzt nicht urtheilen. Ihr
+seyd aneinander gerathen und du hast das väterliche Haus verlassen —
+es sind geschehene Dinge. Aber nehmen wir an, es sei an dem Bruche
+einer so gut Schuld wie der andere — wem steht es zu, die Hand zum
+Frieden zu bieten, dem Vater oder dem Sohn? Die Antwort hierauf wirst
+du dir, wenn du unbefangen urtheilen<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> kannst, selber geben. Der Sohn,
+der nachgiebt, erfüllt die Pflichten kindlicher Liebe und kindlichen
+Gehorsams; der Vater, der nachgiebt, verletzt die Pflichten der
+Herrschaft in seinem Hause und gibt sich unmännlich in die Hand des
+Kindes.«</p>
+
+<p>»Wüßten deine Eltern nicht, daß sie dich aus dieser Ursache nicht
+zurückrufen <em class="gesperrt">dürfen</em>, sie hätten's wahrlich schon lange gethan.
+Denn sie kümmern und grämen sich, sie verzehren sich in Sorgen und
+Unruhe, wie wenig sie sich vor andern auch anmerken lassen. Die
+Freude und die schöne Zufriedenheit ist aus ihrem Hause gewichen.
+Darf nun der Sohn, der davon Kenntniß erhält, zaudern, seinen Eltern
+die verlorene Freude wieder zu geben? Darf er zaudern, auch wenn man
+ihm zeigt, daß es seine Pflicht ist und er allein es vermag? Wenn der
+natürliche Mensch in dir widerstrebt, wenn er sich dreht und windet und
+allerlei Ausflüchte macht — um so besser, Ludwig! denn dann hast du
+Gelegenheit, in Ueberwindung desselben zu beweisen, daß du ein Christ
+und ein braver, sittlicher Mensch bist.«</p>
+
+<p>»Ich wende mich an den Ludwig, der mir im Unterricht gar oft durch
+verständige und feine Antworten Freude gemacht. — Wenn ein Sohn, der
+trotzig davongelaufen, in das Haus seiner Eltern zurückkehrt, weil es
+ihm draußen schlecht geht und er gern wieder besser essen und trinken
+möchte, so ist er ein armer Sünder, dem man allenfalls verzeihen, aber
+keine Achtung schenken kann. Wenn er aber heimkehrt aus Liebe zu den
+Seinen und in der großmüthigen Absicht, ihnen Freude zu bringen, wenn
+er heimkehrt, obwohl er sich sagen kann, daß er sich draußen selber
+zu helfen vermöchte, dann ist er ein braver, edler Mensch und handelt
+in dieser christlichen Selbstüberwindung viel männlicher, als wenn
+er trutzig weiter und weiter liefe; denn es gehört viel mehr Kraft
+dazu, seinen Willen zu brechen, als seiner Leidenschaft zu fröhnen.
+— Das Christenthum, Ludwig, das ich dich gelehrt, ist nicht einem
+Gefäße gleich, das man in einen Kasten stellt, um es hie und da seinen
+Freunden zu weisen; es ist eine Sache zum Brauchen. Und je mehr und je
+fleißiger man diese Sache braucht, desto besser und schöner wird sie.«</p>
+
+<p>»Erwäge noch etwas anderes! Du strebst nach einem eigenen, in deinen
+Verhältnissen ungewöhnlichen Preis. Du begehrst ein Mädchen<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> zur
+Frau, die durch ihr Vermögen und ihre Stellung im Leben nach der
+hergebrachten Ansicht nicht deines Gleichen ist. Du verlangst, daß
+deine Eltern ihre Pläne opfern und ihre gewohnten Begriffe aufgeben
+sollen um deiner Leidenschaft willen. Womit hast du denn das verdient?
+Was hast du denn dafür gethan? Du forderst dem Vater seine Einwilligung
+ab, und wie er sie verweigert, brichst du mit ihm und gehst davon.
+Heißt das von seinen Eltern eine Gunst verdienen? Und wenn du nun ganz
+fortwandertest in die Fremde, könntest du von dem völlig geflohenen,
+doppelt gekränkten Vater erwarten, daß er dich dafür durch Erfüllung
+deiner Wünsche belohne? — Wenn du aber selbst ein Opfer bringst,
+wenn du dich demüthigst und in freiem Entschluß als gehorsamer Sohn
+zurückkehrst, dann möchte das wohl die Herzen der Deinen rühren, sie
+möchten eine Anregung empfinden, nun ebenfalls ein Opfer zu bringen und
+da zu belohnen, wo ein Verdienst vorhanden ist.«</p>
+
+<p>»Ich will dir keine Hoffnungen machen, denn ich habe kein Recht dazu;
+noch weniger kann ich für etwas der Art einstehen. Allein wenn du den
+Segen des Himmels haben willst, so mußt du durch edles Handeln dich
+seiner werth machen. Und wenn du bei deinem Vater etwas erreichen
+willst, so darfst du nicht auf eine Schwäche rechnen, die er nicht hat,
+sondern du mußt die Großmuth zu erwecken suchen, deren er fähig ist.«</p>
+
+<p>»Und nun bedenke, was deine braven Eltern von jeher für dich
+gethan haben, und frage dich, ob die Aufrechthaltung eines im Zorn
+gesprochenen Wortes so schwer wiegen darf wie die Pflicht der
+Dankbarkeit für unberechenbare Wohlthaten. Denke an die Freude, welche
+du den Deinigen machen wirst — und daneben auch ein wenig an die,
+welche dein alter Freund haben wird, der dich gar gern wieder in seiner
+Nähe hätte!«</p>
+
+<p>Ob dieser Brief einen andern umgestimmt hätte? Ich weiß es nicht. Bei
+Ludwig erfüllte er seinen Zweck, und der alte Herr bewies hier, daß
+er seinen Schüler kannte. Der Verstand des jungen Burschen konnte den
+Gründen des Geistlichen nicht Unrecht geben und sein gutmüthiges Herz
+war empfänglich für die edlen Mahnungen, die er an sich gerichtet sah.
+Er erkannte klar: geschehen muß etwas, mein<span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span> Vater thut's nicht, darum
+muß ich's thun. Er fühlte sich bei diesem Gedanken nicht kleiner als
+vorher, sondern größer, und deutlich rief es in seinem Herzen, daß der
+Gang nach Hause der Weg zu seinem Glück seyn werde. Er faßte seinen
+Entschluß und blieb dabei.</p>
+
+<p>Am andern Morgen zerriß er den Brief an Annemarie und schrieb einen
+andern, der kurz so lautete: »Liebe Annemarie! Ich bin im Streit vom
+Schmiedbauer geschieden und folge nun dem Rath unseres guten Pfarrers
+und kehre aus freien Stücken zu meinen Eltern heim. Er hat mir seine
+Meinung schriftlich zukommen lassen und du würdest ihm eben so recht
+geben müssen, wie ich es thue. Ich bleibe dir unabänderlich treu und
+thu' nur einen Schritt, der uns dem Ziel, das wir beide uns gesetzt
+haben, näher bringen muß. Und vertrau dem Herrn Pfarrer und mir nur
+ohne weiteres, wenn ich dich auch in der ersten Zeit nicht gleich
+besuchen könnte. Es geschieht alles zu unserem Besten. Ich bin dein
+ewig getreuer Ludwig.«</p>
+
+<p>Nachdem er diesen Brief an Annemarie durch eine sichere Gelegenheit
+abgeschickt hatte, wo sie ihn noch im Lauf des Tages bekommen mußte,
+nahm er von den Wirthsleuten Abschied, ging zum Pfarrer des Orts
+und theilte ihm sein Vorhaben mit. Der Geistliche lobte ihn sehr
+und wünschte ihm alles Glück, indem er ihm freundlich lächelnd Muth
+einsprach. Ludwig ging zuerst nach Nördlingen und richtete es so ein,
+daß er in der Dämmerung auf Feldwegen nach seinem Dorfe wanderte. Als
+er sich seinem Garten näherte — denn durch ihn wollte er ins Vaterhaus
+zurückkehren — mußte er erfahren, daß auch bei der größten Willigkeit
+des Geistes das Fleisch dennoch schwach sein könne. Wie fest er sich
+vorgenommen, heimzukehren als ein Mensch, der weiß was er will und
+der seine Pflicht erfüllt, so fing sein Herz doch gar mächtig an zu
+pochen und er wurde roth vor sich selber. Trotz dieser Anwandlungen des
+Schämens und Zagens ging er indeß vorwärts, bis er in den Hof und von
+da in die Stallung kam. Das Uebrige wissen wir.</p>
+
+<p>Als der Alte sah, daß sein Sohn nichts vorzubringen vermöge, brach
+er das Stillschweigen auf eine Art, wie sie ihm für's erste allein
+möglich war. Er sagte: »Es scheint, daß es dir beim Vetter Schmiedbauer
+nicht recht gefallen hat, da du wieder zu einem Mann kommst,<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> wie
+dein Vater ist. Hat man den Herrn vielleicht nicht gut gehalten? Hat
+man sich unterstanden, ihm durch den Sinn zu fahren? Wie oder hätte«
+— Weiter konnte er nicht reden, da die Mutter ihm mit dem Ausruf;
+»Bist du gleich still?« den Mund zuhielt. Zu Ludwig gewendet, sagte
+sie dann: »Kehr dich nicht an seine Reden, du kennst ihn ja! Ihm ist's
+am liebsten von uns allen, daß du wieder da bist!« — »Ja wohl,«
+bemerkte Andres, »ihm ist ein Mühlstein vom Herzen gefallen!« — Der
+Alte sah Andres an und sagte: »Ihr seyd Narren, du und deine Mutter!«
+— Dann faßte er sich und sagte mit Würde: »Freilich ist's mir lieb,
+wenn ich sehe, daß ein junger Mensch zur Einsicht kommt und seinem
+Vater nachgibt wie sich's gehört! Wenn ein toller Streich wieder gut
+gemacht und der Karren wieder ins Gleis geschoben wird, muß das einen
+vernünftigen Menschen freuen.«</p>
+
+<p>Diese Rede öffnete dem Sohne wieder den Mund; er sagte mit bescheidener
+Festigkeit: »Vater, ich bin zu dir zurückgekommen aus freien Stücken.
+Ich hab's nicht nöthig gehabt, denn einem Menschen, wie ich bin, steht
+die Welt offen, und daß ich etwas ertragen kann, hab' ich bewiesen.
+Ich bin zu dir zurückgekommen, weil ich mich überzeugt hab', daß
+das Nachgeben meine Pflicht ist, und nun bin ich auch entschlossen,
+alles auszuhalten, was mir geschehen mag.« — Der Alte hatte hoch
+aufgehorcht; die Rede und die Art, wie sie vorgebracht wurde, gefiel
+ihm. Eben deswegen hing er sich aber an die letzten Worte und
+erwiederte: »Dummheiten! Man wird dich wohl hier fressen? Du bist noch
+immer der Alte!« — Damit wandte er sich weg.</p>
+
+<p>Die Mutter dachte nun an etwas anderes. Sie fragte: »Aber du wirst
+hungrig sein, Ludwig, von dem Marsch! Gleich will ich ein Stück Fleisch
+richten, das noch von gestern übrig ist!« — Andres, der in bester
+Laune war, bemerkte: »Du bekommst Kalbsbraten, wie dein Vorgänger im
+neuen Testament.« — Ludwig, auf den Scherz eingehend, erwiederte: »So
+wie der komme ich drum doch nicht heim! Indessen hab' ich schon in
+Nördlingen Kalbsbraten gespeist und muß für dein Anerbieten danken,
+Mutter.« — »Ah so,« rief Andres, »du hast dich gestärkt zu der großen
+Anrede! Die Kraft hat aber doch<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> beinahe nicht gereicht.« — »Sei
+still,« sagte die Mutter, »du bist grad wie dein Alter!« — Sie bot
+ihren Braten wiederholt an und Ludwig mußte es auf's bestimmteste
+abschlagen, bevor sie sich beruhigte. Nun lud sie ihn ein, sich an den
+Tisch zu setzen, wo der Vater schon Platz genommen hatte, und ihr zu
+berichten, wie's ihm ergangen sey.</p>
+
+<p>Ludwig erzählte seine ganze Geschichte, mehrfach unterbrochen
+von Ausrufungen der Mutter: wie sie nie geglaubt hätte, daß die
+Schmiedbauersleute von der Art seyen. Als er den Auftritt mit dem
+jungen Schmiedbauer schilderte, konnte sein Vater nicht umhin, den
+Jungen, der hier gezeigt, daß er auch »Schneid« habe, beifällig
+anzusehen. Bei dem Bericht über die Umwandlung durch den Brief wurde er
+aber plötzlich ernsthaft. »So, so,« sagte er, »ein Brief von unserem
+Pfarrer. Darf man ihn vielleicht auch lesen?«</p>
+
+<p>Ludwig bergab ihm den Brief, denn er hatte wohl gemerkt, daß er auch
+für den Vater geschrieben war. Der Alte rückte die Ampel näher und las,
+anfangs mit würdevollen Zeichen der Beistimmung und Anerkennung, dann
+mit sehr bedenklicher Miene. »So, so, so,« sagte er, als er fertig war.
+»Das schreibt der Herr Pfarrer? — Nun seh ich, wie viel's geschlagen
+hat!« — »Nun?« fragte die Mutter mit großer Neugierde. — »Jetzt kenn'
+ich mich aus und bedank' mich schön,« fuhr der Alte mit empfindlicher
+Miene fort.</p>
+
+<p>Ludwig, seine Gedanken errathend, sagte: »Vater, ich weiß, was du
+meinst. Aber ich verspreche dir's, nie sollst du von mir eine Bitte
+hören. Wenn ihr mich nicht mehr mit der Base plagt, so will ich nichts
+weiter.« — Der Alte versetzte: »Du willst nichts weiter? Gut, schön!
+Das heißt für die erste Zeit. Du kannst warten! Hab' ich's getroffen?«
+— Als er Ludwig leicht erröthen sah, setzte er hinzu: »Dein Pfarrer
+und du, ihr dürft fein nicht glauben, daß der Angerbauer ein Brett
+vor dem Kopf hat. Ihr seid mir noch lang nicht zu gescheidt! Daß ihr
+euch nur nicht verrechnet.« — Jetzt rief die Mutter in ernstlicher
+Ungeduld: »Aber was hast du denn?« — »Ach,« erwiederte der Alte, »die
+ganze Geschichte ist mir zuwider, ich bin müd' und geh' in's Bett.«
+Damit stand er auf und ging hinaus in die Schlafkammer.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span></p>
+
+<p>Die Mutter »zündete« ihm nicht, wie sie sonst auch unaufgefordert
+gethan hätte. Sie war zu neugierig, zu erfahren, was in dem Brief
+stehe, und forderte Ludwig auf, ihn vorzulesen. Dieser las die
+Hauptstellen: Als er geendet hatte, rief die gute Frau, während Andres
+sehr schlau dreinsah. »Ei, ei, ei! Nun begreif' ich deinen Vater.« —
+»Liebe Mutter,« sagte Ludwig, »heut' wollen wir von dieser Geschichte
+nicht weiter reden.« — »Ja wohl,« bemerkte Andres, »wir wollen uns
+niederlegen, ich bin schläfrig. Komm, du gehst mit mir in die obere
+Kammer. Hab' ich doch wieder einen Schlafkameraden!« Er wollte den
+Bruder mit sich fortziehen, aber die Mutter hielt ihn noch und fragte:
+»Willst du denn aber wirklich nichts mehr essen heute, Ludwig?« —
+»Nein,« erwiederte dieser dankbar, gab ihr die Hand und sah ihr
+zärtlich in's Auge, indem er sagte: »Schlaf wohl, gute Mutter! Führ'
+meine Sach' beim Vater.«</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Mittheilungen, die Andres seinem Schlafkameraden gemacht, konnten
+nur günstig gewesen sein; denn Ludwig zeigte am andern Morgen in seinem
+Gesicht eine eigene stille Zufriedenheit und Hoffnung. Er wußte, daß
+der Pfarrer früh aufzustehen pflegte, und wollte ihn daher zuerst
+besuchen. Auf dem Weg wurde er den verschiedenen Bekannten erstaunt
+angesehen, von einigen schelmisch begrüßt. Er war jedoch in zu guter
+Stimmung, um verlegen zu werden; er dankte und antwortete wieder
+scherzend. — Der alte Herr war sehr erfreut, als er ihn sah. »Ah, brav
+so!« rief er, ihm die Hand reichend, »du hast meinen Rath befolgt!« —
+»Ja, Herr Pfarrer.« — »Und bist wohl aufgenommen worden?«</p>
+
+<p>Ludwig erzählte, wie es ihm ergangen. Der Alte hörte mit größter
+Theilnahme zu und sagte: »Nun, ich kenne ja die Deinen! Es ist
+gekommen, wie ich's dachte.« — »Ja,« versetzte Ludwig, »Sie haben
+sich meiner angenommen, Herr Pfarrer. Ich sehe nun wohl, wie Sie's
+meinen, und weiß, daß wir alles Gute, was uns noch kommen wird, nur
+Ihnen verdanken.« — »Pst!« rief der alte Herr lächelnd und freundlich
+warnend. »Still davon!«</p>
+
+<p>Vom Pfarrer ging Ludwig zu seiner Schwester, die er allein<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> in der
+Stube traf. Sie hatte von seiner Ankunft schon gehört und gab ihm
+die Hand, indem sie ausrief: »Bist du da, Vagabund? Du machst schöne
+Streiche, ja!« Ludwig zuckte die Achseln und begrüßte den eintretenden
+Schwager, der seine Frau fragte: »Hast du nicht den Ofen eingeschlagen
+bei dem seltsamen Besuch?« — »Wahrhaftig,« sagte diese, »das hätt' ich
+thun sollen.« — »Nun,« bemerkte Ludwig, »von jetzt an werd' ich schon
+öfter kommen.« — Die Schwester lächelte. »Du glaubst wohl selbander?
+Aber das hat noch einen Haken.« — »Man kann nicht wissen,« versetzte
+Ludwig mit einem gewissen Uebermuth.</p>
+
+<p>Er verließ die Familie sehr aufgemuntert. Aus allem, was er sah und
+hörte, drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß sich die Seinen —
+vielleicht nur den Vater ausgenommen — mit dem Gedanken einer Heirath
+zwischen ihm und Annemarie schon vertrauter gemacht hatten, als er nur
+irgend hatte hoffen können. Was würde er gesagt haben, wenn er erfahren
+hätte, daß er diese Umstimmung zum großen Theil dem Benehmen der Eva
+verdankte! Dieses hatte namentlich die Schmalzbäuerin empört, und da
+bei der angestellten Vergleichung Annemarie doppelt gewinnen mußte, so
+hatte die Schwester gegen ihren Mann und die Mutter zuerst den Gedanken
+ausgesprochen, <em class="gesperrt">es</em> würde am Ende das Beste sein, dem Ludwig das
+Mädchen zu lassen. — Als er an der Gasse vorüberging, die zu dem
+Bäckerhause führte, sah er sehnsüchtig hin, und beinahe hätte er dem
+Drange nachgegeben, zu der Geliebten zu eilen und ihr seine Hoffnungen
+zu verkünden. Aber er sagte sich: »Nein, es darf nicht sein!« und ging
+nach Hause.</p>
+
+<p>In derselben Morgenstunde saß Annemarie bei einer Arbeit in der
+Stube des Bäckers. Sie hatte Ludwigs Brief am gestrigen Tage richtig
+erhalten, und ohne daß es jemand gesehen. Die Ueberraschung, welche der
+ausgesprochene Entschluß des Geliebten in ihr hervorrufen mußte, hatte
+bald einem großen Wohlgefühl Platz gemacht. Die Last, die sie noch zu
+tragen hatte, war abgeworfen. Sie war nicht mehr eine »Stifterin des
+Unfriedens zwischen Vater und Sohn;« man konnte ihr den ungerechten
+Vorwurf gar nicht mehr machen. Die Selbstüberwindung Ludwigs begriff
+das wackere und<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> begabte Mädchen, und ihr Herz sagte ihr, daß diese
+Heimkehr ihnen beiden zum Segen sein werde.</p>
+
+<p>Als sie in diesen Gedanken glücklich dasaß, kam Regine athemlos
+gelaufen und rief: »Weißt du die große Neuigkeit schon?« — »Nun, was
+ist's?« fragte Annemarie. — »Fall nicht vom Stuhl, wenn du's hörst:
+der Ludwig ist wieder bei seinem Vater!« — Annemarie erröthete ein
+wenig und erwiederte: »Das hab' ich schon gewußt, er hat mir's gestern
+geschrieben.« — »So?« versetzte die Freundin etwas empfindlich, »davon
+sagst du mir nichts?« — Annemarie sah sie gutmüthig an und erwiederte:
+»Muß ich dir denn alles sagen? — Auch jetzt muß ich dich bitten, von
+diesem Brief niemand etwas merken zu lassen.« — »Ich verrath' nichts,«
+sagte Regine. »Aber wird er dich denn besuchen?« — »Heute nicht,«
+versetzte Annemarie ruhig, »und morgen auch nicht. Aber ich kann
+warten.«</p>
+
+<p>Ein gutes altes Sprichwort sagt: »Was sein soll, schickt sich wohl.«
+Eine Zeitlang kann sich uns auf unserem Lebensweg Hinderniß auf
+Hinderniß entgegenstellen, und wenn wir uns des Sieges erfreuen wollen,
+finden wir nur immer neue Arbeit. Plötzlich ist's wie umgekehrt.
+Alles gelingt, rasch geschehen Dinge, welche den letzten Widerstand
+beseitigen und der kühnsten Hoffnung Erfüllung verheißen. Es liegt dann
+in der Luft und jeder fühlt, daß die glückliche Entscheidung kommen
+soll. — So ging es auch hier.</p>
+
+<p>Zwei Tage nach der Rückkehr Ludwigs wurde bekannt, daß die Hoferbin
+Eva sich versprochen habe. Der Erkorene war jener Vetter der beiden
+langen Bauerntöchter, den wir vom »Ansing« her kennen. Obwohl der
+Gedanke einer Verbindung zwischen Eva und Ludwig vom Angerbauer selber
+aufgegeben war, so lag in dem Ereigniß doch etwas Günstiges. Die
+Möglichkeit war nun ganz verschlossen und der rasche Entschluß des
+Mädchens reizte die schon freundlich gestimmten Seelen, auch ihrerseits
+an's Werk zu schreiten.</p>
+
+<p>Fast zu derselben Zeit wurde bekannt, daß ein Bauer sich auswärts
+angekauft habe und sein Hof zu erwerben sei. Nun hielten sich die
+Angerbäuerin und die Schmalzbäuerin nicht länger. Sie pflogen Raths und
+förmlich wurde der Beschluß gefaßt, daß man<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> dem Ludwig das Mädchen
+geben müsse. Die Gründe waren: »Die Annemarie ist brav; vernarrt sind
+sie in einander; eine andere nimmt er nicht; im Geschrei ist er mit
+ihr; ein Hof ist zu haben; und endlich: es geht einmal nicht anders!«
+— Zuerst wurde der Schmalzbauer in's Geheimniß gezogen. Dieser, der
+mit seinem Weib »gut hauste« und von der »Lieb« noch einen gewissen
+Begriff hatte, erklärte seine Zustimmung und Beihülfe ohne weiteres.
+Durch ihn verstärkt rückten die beiden Frauen endlich an einem
+Nachmittag hinter den Angerbauer.</p>
+
+<p>Obwohl dieser den Vorschlag hatte kommen sehen und selber sah, daß es
+nicht wohl anders ging, so fuhr er doch gewaltig auf und fragte: ob sie
+wirklich alle mit einander verrückt geworden seien? Alle Gegengründe
+wurden von ihm hervorgeholt und ein Ach und O folgte dem andern. Sein
+letzter Einwand war die »Söldnersfreundschaft.« Den hatte aber der
+Schmalzbauer leicht zu widerlegen. Der Bäcker war in's Dorf gezogen
+und in demselben ohne Blutsverwandte. Seine einzige Tochter sollte den
+Hans, einen Bauern heirathen, wenn auch den kleinsten im Dorfe. Auf
+diese Art hatte man nur Einen Söldner in der Freundschaft, den Bäcker,
+und das war doch auch kein gewöhnlicher. Der Köcher des Alten war leer,
+und da er nach und nach müde geworden war, so rief er: »Nun in's — —
+in Gottes Namen, er mag sie haben!«</p>
+
+<p>Die Weiber, welche die Angelegenheit ganz zu der ihrigen gemacht
+hatten, schrieen auf vor Freude und lobten den Alten über die Maßen.
+Dann sagte die Schmalzbäuerin: »Nun laßt mich machen! Etwas gehört ihm
+noch!« Sie rief Andres herbei und sagte, er solle Ludwig holen, er
+sei im Garten. Andres nickte mit dem Kopf, wie einer, der begreift,
+und richtete seinen Auftrag aus, ohne dem Bruder etwas von seiner
+Vermuthung zu sagen. Als sie mit einander in die Stube traten, begann
+die Schwester mit einer Art von Geschäftsmiene: »Ludwig, so eben ist
+von dir die Rede gewesen. Du weißt, die Ev' heirathet, und wenn man
+dir auch keine »Spreuer« (Spreu) vor die Thüre streuen wird, so ist's
+doch keine Ehre für dich. Du mußt auch heirathen; und zum Glück ist
+unerwartet ein Antrag an uns gekommen, der unsern ganzen Beifall hat,<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span>
+und, wie wir hoffen, auch deinen. Das schönste und reichste Mädchen im
+ganzen Ries sagt augenblicklich Ja, wenn du willst.« — »Wer ist denn
+die?« fragte Ludwig. — »Des Wirths Tochter in **.« — In der That war
+diese, wenn nicht gerade die schönste, doch wenigstens <em class="gesperrt">eine</em> der
+schönsten und reichsten.</p>
+
+<p>Ludwig, ungewiß, was er denken sollte — denn die Schmalzbäuerin
+hatte ganz ernsthaft gesprochen und die andern eben so ernsthaft
+dreingesehen, — erwiederte kurz: »Ich dank' schön.« — »Wie?« rief die
+Schwester, »ist dir die auch nicht recht?« — »Gegen das Mädchen hab'
+ich nichts, aber ich will überhaupt nicht heirathen.« — »So?« sagte
+die Schmalzbäuerin, »das ist etwas anderes.«</p>
+
+<p>Nun wurde auch der Alte angesteckt. »Ich hab's euch ja gesagt!« rief
+er den andern zu. »Sein erster Versuch ist so übel ausgefallen,
+daß er's ganz verschworen hat. Wenn wir ihm nun auch die schöne
+Zimmermannstochter geben wollten, die so »guet tanzt« und die mehr
+werth ist als alle Rieser Bauern- und Wirthstöchter zusammengenommen
+— er würde auch sagen: ich dank' schön!« — »Wirklich?« fragte die
+Mutter, zu Ludwig gewendet, »würdest du das?«</p>
+
+<p>Dieser, betroffen, verwirrt, schaute die Gesichter an und verweilte
+bei dem des Vaters, der aber seine Rolle fest behauptete. Die Mutter
+konnte sich nicht länger halten. Sie nahm den Sohn bei der Hand und
+sagte: »Nun, Ludwig, mach einmal ein ganz freundliches Gesicht! Deine
+Schwester, dein Schwager und ich, wir haben den Vater herumgebracht
+— du sollst die Annemarie haben!« »Ist's wahr?« rief der Glückliche,
+drückte der Mutter die Hand, eilte zum Vater und dankte ihm in
+überfließend zärtlichen Worten. Der Alte machte ein seltsames Gesicht.
+»Ach!« rief er mit einem großen Seufzer aus, »nun muß man auch den Dank
+noch hören! — Geh fort,« setzte er hinzu, als Ludwig den andern seine
+Liebe bezeigte, »geh' und sag's dem Mädchen, damit ein Ende wird!« —
+Ludwig ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach wiederholten Dankreden
+eilte er davon. Als er hinaus war, sagte die Schmalzbäuerin zu Andres:
+»Nun, was ist denn dir? du stehst ja da wie ein »Oelgötz!« Freust du
+dich denn nicht?« — »Gott!« erwiederte Andres, »daß das so kommen
+wird, hab' ich ja längst gewußt!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span></p>
+
+<p>Ludwig kam zum Bäckerhaus wie im Traum. Als er die Thür geöffnet hatte,
+sagte sein strahlendes Gesicht alles. Wie durch einen Zauberschlag
+entzündet, glänzte sein Glück auf dem Antlitz der Geliebten, die
+bei dem Bäcker und Regine saß; sie flog ihm entgegen und in der
+zärtlichsten Umarmung flossen selige Thränen von ihren Wangen herab.
+»Du bist mein, Annemarie, mein mit dem Willen meiner Eltern!« rief
+Ludwig zum Ueberfluß und drückte die Geliebte fester an sich, deren vor
+Freude gebeugtes Haupt an seine Brust gesunken war. — Es war einer von
+den Augenblicken, die man als unverdientes Geschenk empfindet, wenn man
+in Noth und Sorgen, in Dulden und Sehnen Jahre lang darnach getrachtet
+hat.</p>
+
+<p>Das Schicksal hatte aber für die Liebenden noch eine Gabe im Füllhorn.
+Zwei Tage nach der günstigen Entscheidung gelangte in's Bäckerhaus
+die Nachricht, daß in dem württembergischen Städtchen Bopfingen (dem
+Abdera oder Schöppenstedt des Rieses) eine Verwandte gestorben sei und
+der Annemarie zweitausend Gulden vermacht habe. Dies war kein bloßer
+Zufall, auch kein »Bopfinger Stückle« von der Verstorbenen, sondern
+eine verständige Handlung, herbeigeführt durch das Mädchen selbst
+und ihr braves Benehmen. Die kinderlose Base hatte davon gehört, und
+da sie als eine erfahrene Frau so treu Liebe hoch hielt, so wollte
+sie sterbend einen Beitrag leisten zu ihrer Belohnung. — Als man
+dem Angerbauer diesen Glücksfall hinterbrachte, war er zunächst sehr
+erfreut über den Zuwachs des Vermögens, dann aber auch darüber, daß
+er erst nach seiner Einwilligung bekannt geworden, so daß Niemand
+behaupten konnte, er hätte nur um des Geldes willen Ja gesagt. Um so
+mehr fühlte er sich nun angetrieben, gegen seinen Sohn ganz als Vater
+zu handeln. Er kaufte den feilgewordenen Hof für Ludwig, der ihn als
+sein Heirathgut haben sollte, obwohl er um ein gutes Theil mehr kostete
+als sechstausend Gulden. Ueberdies ergänzte er den Viehstand und das
+Geräthe, so daß die Besitzung nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Dann
+setzte er den Heirathstag (den Tag der Verlobung) selber fest.</p>
+
+<p>In der Zwischenzeit fanden die ersten Besuche und Gegenbesuche statt.
+Es war ein großer Augenblick, als Annemarie an der Seite ihres Vormunds
+zum erstenmal in den Hof des Angerbauers trat.<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> Ludwig war ihnen
+entgegen geeilt und seine Eltern erwarteten die Gäste auf der Schwelle
+der Hausthür. Wie muthig das Mädchen war, so kam sie doch ein Zittern
+an, als sie dem stolzen Bauer, der so lange als die gefürchtetste
+Person vor ihrer Seele gestanden, zur ersten Begrüßung entgegen ging.
+Allein sie wurde sehr freundlich empfangen, wie es in der Natur der
+Sache lag. Sobald der Angerbauer seine Zustimmung zu der Heirath
+gegeben hatte, war das Verhältniß in seinen Augen auch sanctionirt. Die
+Strahlen seines Lichtes fielen nicht nur auf Annemarie, sondern auch
+auf den Bäcker und machten sie zu seines Gleichen. Annemarie war nicht
+mehr die Tochter und die Verwandte eines Söldners, sie war die künftige
+Schwiegertochter des Angerbauers, und als solche konnte sie die größten
+Ehren in Anspruch nehmen. Niemand wäre zu rathen gewesen, daß er
+jetzt in Gegenwart des Alten über diese Verbindung seine Verwunderung
+ausgedrückt oder gar über das Mädchen geringschätzig gesprochen hätte.</p>
+
+<p>Als Annemarie die Freundlichkeit der Eltern sah, fand sie ihren
+Muth wieder und beantwortete die Begrüßungsfragen so anmuthig und
+bescheiden, daß der Alte sie selber bei der Hand faßte und in die
+Stube führte. Man würde den Landleuten sehr Unrecht thun, wenn man
+ihnen nicht ein ihrem Stande entsprechendes Schicklichkeits- und
+Zartgefühl zutrauen wollte. Als man hier an dem wohlbesetzten Tisch
+saß, unterhielt man sich, als ob nie ein Streit vorgefallen wäre,
+nicht eine Hindeutung erlaubte man sich darauf. Dagegen wurden die
+erfreulichen und ehrenvollen Neuigkeiten besprochen: die Erbschaft, die
+der Annemarie zugefallen war, der Kauf und die Einrichtung des Hofes.
+Bei dieser Gelegenheit machte das Mädchen einige Bemerkungen, die der
+Angerbauer mit vollem Beifall beehrte, indem er hinzufügte: er sehe
+schon, daß sie die Sache verstehe. Natürlich saß Ludwig bald an der
+Seite der Geliebten. Als die Angerbäuerin das schöne Paar zum erstenmal
+beisammen sah, betrachtete sie es mit großem Wohlgefallen, und ein
+vergnügtes, schlaues Lächeln spielte um ihren Mund, als sie später auch
+den Vater über einem solchen Blick ertappte. Die Gäste nahmen endlich
+Abschied, und Ludwig begleitete sie. »Nun,« fragte die Angerbäuerin,
+»was meinst du zu<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> dem Mädchen?« Der Alte erwiederte ernsthaft: »Das
+Mädchen ist recht.«</p>
+
+<p>Sonst ist von der Zwischenzeit nichts mehr zu erwähnen, als ein Besuch,
+den der alte Angerbauer mit Ludwig in Nördlingen machte. Beide hatten
+sich in ihren besten Staat geworfen, denn eigentlich wollte der Alte
+nichts, als sich mit seinem Sohne dort sehen lassen. Da er zu diesem
+Zweck Bekannte treffen mußte, so begaben sie sich zum »Fadenherrn.«
+Als sie in der Stube sich umsahen, erblickten sie zu ihrer großen
+Ueberraschung an einem Ecktisch die ganze Familie des Schmiedbauers,
+Vater, Sohn, Tochter und Magd. Die Reihe, verlegen zu werden, war
+nun an diesen. Sie waren in der That sehr betroffen und Michel sah
+tiefbeschämt aus. Der Schmiedbauer faßte sich zuerst; er stand auf,
+ging den beiden entgegen und sagte: »Nun, wie ich höre, kann man
+gratuliren?« — »Allerdings,« entgegnete der Angerbauer mit Würde, »das
+kann man.« — Der Schmiedbauer nahm hierauf eine lächelnde Miene an und
+sagte: »Vetter Ludwig, du bist wohl bös auf mich zu sprechen? Aber ich
+bin dein schlimmster Feind nicht gewesen. Wenn ich dich als den Sohn
+des Angerbauers bei mir gehalten hätte, so stände die Sache jetzt nicht
+so, wie sie steht.« — »Ja wohl,« rief Michel, der auch aufgestanden
+war, mit der halb komischen, halb Mitleid erweckenden Verlegenheit
+eines schlechten Gewissens. »Wenn das nicht unser Gedanke gewesen wär',
+so wär' manches nicht vorgefallen, am wenigsten die Geschichte am
+Sonntag.«</p>
+
+<p>Ludwig war zu glücklich, um streng zu sein. Er erwiederte daher mit
+Ueberlegenheit zwar, aber auch mit Gutmüthigkeit: »So, nun soll ich das
+am Ende für ein Freundschaftsstück nehmen? Auch gut! Aber daß ich's
+nicht gleich gethan hab', mußt du mir nicht übel nehmen, Freund Michel:
+du hast die Sache gar zu gut gemacht.« Hierauf grüßte er Madlene und
+die Magd. Jene ward glühend roth und sah mit einem Blick zu ihm her,
+daß er ihr alles verzieh und ihr die Hand zur Versöhnung gab. Die Magd
+starrte ihn wie einen Prinzen an. Sie konnte gar nicht begreifen, wie
+sie jemals ihre Augen zu so Einem habe erheben können, und machte sich
+in der Ecke so klein als<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> möglich. Auf dem Heimwege sagte Ludwig zu
+seinem Vater: »Es ist mir lieb, daß es so ausgegangen ist.«</p>
+
+<p>Endlich kam der Tag, wo es zwischen Ludwig und Annemarie »schriftlich
+gemacht« werden sollte. Die Liebenden hatten ihn in der letzten Zeit
+sehr herbeigesehnt. Ihr Glück war zu groß, als daß sie nicht hie und da
+die Furcht hatte anwandeln sollen, es möchte wie ein Traum zerfließen,
+und die Unterschrift war eine neue, große Sicherung und gab ihnen
+festen Boden unter die Füße. Mit der Zusammenkunft der Familien zu
+einem »Heirathstag« ist das Glück der Liebenden nicht immer schon außer
+Frage gestellt. Zuweilen führt die Unterhandlung über die Mitgabe
+selber noch zum Streit, und ein von der einen Seite begehrter, von
+der andern verweigerter »Raupe« oder junger Stier kann Anlaß zu einem
+Bruche werden, der nur allenfalls durch flehentliches Zureden der
+jungen Leute wieder zu heilen ist. Wenn nämlich der Vater des Burschen
+nach wiederholter vergeblicher Aufforderung zu dem des Mädchens sagt:
+»Ich hätt' nicht geglaubt, daß du ein so intressirter Mensch wärst!
+Wahrhaftig, schämen thät' ich mich« u. s. w. so kanns dieser krumm
+nehmen, zornig werden, auf den Tisch hineinschlagen, daß die Krüge
+wackeln und die Gläser umfallen, und erbost ausrufen: »Was? ich hab'
+für mein Mädle so viel gethan, daß ich's vor meinen andern Kindern gar
+nicht verantworten kann, und du willst mir so kommen? Himmel-Kreuz« u.
+s. w. u. s. w.</p>
+
+<p>Im gegenwärtigen Falle war dergleichen freilich nicht zu fürchten.
+Die Angerbauersleute waren zu vornehm, als<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> daß sie hätten markten
+sollen; auch lagen die Verhältnisse anders als gewöhnlich. Als man
+sich nun Nachmittags in der obern Stube des Angerbauers versammelt und
+den Getränken und Backwerken der Bäuerin die gebührende Ehre angethan
+hatte, setzte man sich zu einer Verhandlung, die nicht allzuviel Zeit
+in Anspruch nahm. Der Protokollführer war der Schullehrer des Dorfs,
+einer von der alten Gattung, ein Mann von etwas über fünfzig Jahren,
+der sich noch »Schulmeister« nennen hören konnte und weniger nach
+Ehre als nach einer guten Nahrung trachtete, im übrigen seinem Amte
+wohl vorstand. Nach einer würdigen Einleitung des Angerbauers wurde
+ausgemacht, daß Annemarie dem Ludwig ihr Vermögen von 2900 Gulden
+(bei Nennung dieser Summe nickte der Schullehrer dem Bauer, den er
+kannte, höflich bedeutsam zu, als wollte er sagen: »Alle Achtung!«)
+und Ludwig der Annemarie seinen Hof anheirathe, mit Allem darin,
+wie es geht und steht. Der Bäcker machte die Bemerkung, daß man bei
+solchen Gelegenheiten zuweilen auch einen »Rückfall« bedinge, wenn
+nämlich eines der Eheleute sterben sollte, ohne daß Leibeserben
+vorhanden wären. Ludwig, der sah, daß der Alte damit seinem Vater
+entgegenkommen oder ihn versuchen wollte, sagte rasch: »Wir hoffen mit
+Gottes Hülfe zu leben und wollen für so einen Fall nichts ausmachen.
+Wenn ich sterbe, dann gehört der Hof meinem Weib, wie umgekehrt mir
+ihr Vermögen. Anders thut's mein Vater nicht.« Der Angerbauer schwieg:
+er hatte die Möglichkeit vor Augen, daß Annemarie als kinderlose
+Wittwe die Eigenthümerin des Hofes werden und ihn durch eine zweite
+Heirath an eine andere Familie bringen könnte. Ludwig rief aber: »Nicht
+wahr, Vater?« und der Bauer antwortete: »Ja, ja, darüber bedingen wir
+nichts.« Sein Gesicht sah indeß nachher aus, als wollte er sagen: »Das
+macht mir so leicht keiner nach!«</p>
+
+<p>Als das Nöthige besprochen war, setzte der Schullehrer die
+verschiedenen Punkte auf, las sie feierlich in einer Art von
+Predigerton vor und reichte die eingetauchte Feder zum Unterschreiben.
+Als dieß von allen nach der Reihe vollzogen war, ergriff Ludwig die
+Geliebte rasch bei der Hand und hielt und drückte sie, als ob er sie
+nicht mehr loslassen wollte. Gerührte Glückwünsche ertönten von allen
+Seiten.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span></p>
+
+<p>Unterdessen war der Abend gekommen und nun sollte erst die rechte
+Festlichkeit angehen. Nicht umsonst waren die Angerbäuerin und ihre
+Tochter wiederholt ab und zu gegangen. Eine Magd erschien mit zwei
+brennenden Kerzen in spiegelblanken Messingleuchtern; die Tafel
+wurde abgeräumt, mit einem schöngewirkten Tischtuch überzogen und
+gedeckt. Je zwei Teller von Steingut, silberne Bestecke (die, nebenbei
+gesagt, zum Theil der Schmalzbäuerin gehörten) und sogar Servietten
+oder »Salveater« ließen auf ein tüchtiges Mahl schließen, was der
+Schullehrer mit großem Interesse zu bemerken schien. Im Schein der
+Lichter, die auf der Tafel prangten, sah die schöngeweißte, nett
+gehaltene Stube sehr heimlich aus.</p>
+
+<p>Nicht lange, so erschien die ganze Familie, und am Ende der Pfarrer
+mit seinem Neffen. Nachdem sich der Sturm der üblichen Glückwünsche
+einigermaßen gelegt hatte, fand sich der Pfarrer an der Seite der
+Verlobten. Er fragte: »Nun, bist du zufrieden, Annemarie?« — »O, Herr
+Pfarrer!« erwiederte das Mädchen in einem Tone, der mehr sagte als jede
+Versicherung. — Der alte Herr sah sie liebevoll heiter an und sagte:
+»Die Tugend, scheint's, ist doch auch etwas in der Welt werth und kann
+auch zu etwas führen! Das Geld und der Stand sind doch nicht alles!«
+— Das Mädchen ward roth und erwiederte: »Ich schäme mich der Reden,
+die ich damals geführt hab'. Ich bin tausendmal glücklicher, als ich's
+verdiene.« — Der Geistliche nickte beifällig und bemerkte: »Auf diese
+Art holst du nach, was dir fehlt.«</p>
+
+<p>Als er kurz darauf allein dastand und mit frohen Blicken die
+Gesellschaft übersah, machte sich der Angerbauer an ihn und sagte:
+»Sie freuen sich, Herr Pfarrer, und haben auch alle Ursache dazu; an
+dem heutigen Tag sind doch eigentlich Sie Schuld.« — »Ich?« fragte
+der Pfarrer. — »Sie,« versetzte der Bauer. »Sie mischen sich nicht
+in Familienangelegenheiten? Ja freilich: ungeschickt nicht, aber
+geschickt.« — Der alte Herr fragte mit liebenswürdiger Schalkheit:
+»Hab' ich's nicht recht gemacht?« — Der Bauer drückte ihm die Hand und
+rief: »Recht gemacht haben Sie's, Herr Pfarrer!«</p>
+
+<p>Es versteht sich von selbst, daß es die Gastgeber während des
+Tafelns an keiner Aufmerksamkeit fehlen<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> ließen und namentlich das
+schickliche »Nöthigen« nicht vergaßen. Am meisten Höflichkeit wurde
+dem Pfarrer erwiesen, der Gegenstand der freundlichsten und zartesten
+Ehrenbezeugungen war aber Annemarie. Ihr wurden die besten Bissen auf
+den Teller gelegt, und wenn ihr zugeredet wurde, nahmen die Stimmen
+den weichsten und sanftesten Ton an. Man fühlte, daß bei ihr etwas gut
+zu machen sei, und that mehr und that es besser, als man es für eine
+reiche Schwiegertochter gethan hätte. Alle Liebe, welche diese Leute in
+sich hatten, kam gegen das Mädchen heraus, und der Pfarrer sah seinen
+Enkel, der es zu bemerken schien, mit einem bedeutsamen Blick an.</p>
+
+<p>Annemarie aß wenig und gegen das Ende der Mahlzeit wurde sie still
+und stiller. Ihre Seele war in die Vergangenheit gerichtet. Sie dachte
+an ihre Liebe und ihre Noth, an ihre Bitterkeit und ihre Klagen,
+und wie sich alles das in unendliches Glück aufgelöst. Sie dachte
+an die Feindschaft, unter der sie gelitten, und die sich nun in die
+zärtlichste Freundschaft umgewandelt. Als ihr der Angerbauer von dem
+eben zerschnittenen Kuchen das schönste Stück überreichte, machte die
+Güte und die Achtung in seinem Blick einen solchen Eindruck auf ihr
+erweichtes Herz, daß ihre Augen sich mit Thränen füllten. Sie aß ein
+Stückchen, um die Gabe zu ehren, aber der Strom der Wehmuth war im
+Gange, das übervolle Herz mußte sich entlasten und unaufhaltsam brachen
+ihre Thränen hervor.</p>
+
+<p>Alles sah auf sie, ernst, bewegt; die meisten begriffen den Grund
+dieser Thränen. Es entstand eine feierliche Stille. Ludwig drückte
+der Geliebten auf's zärtlichste die Hand, die Augen der Frauen wurden
+feucht. Der Angerbauer saß in tiefem Ernst da und in seinen Blicken
+entzündete sich ein Feuer, das den Pfarrer beinahe noch mehr ergriff,
+als das Antlitz der Braut. Niemand wollte das Wort nehmen, und der
+Pfarrer dachte endlich selber daran, durch eine passende Bemerkung
+einen Uebergang zu unbefangener Unterhaltung herbeizuführen, als ihm
+ein anderer zuvorkam. Johannesle hatte die weinende Annemarie bisher
+staunend angesehen; wie die Thränen kein Ende nahmen, sondern wieder
+und wieder aus ihren Augen flossen, stand er auf, ging zu ihr und
+sagte mit dem ehrlichsten Tone von der Welt: »Warum weinst du denn,
+Annemarie? Du hast ihn ja jetzt!« Diese naive Rede rief auf dem Gesicht
+des Mädchens ein sanftes Lächeln hervor und eine<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> milde Heiterkeit in
+der Gesellschaft. Annemarie sagte mit gütevoller Stimme: »Du wirst's
+auch noch verstehen lernen, Kind, warum ich wein'! Aber jetzt will ich
+aufhören.« Und sie trocknete ihre Thränen.</p>
+
+<p>Als der Pfarrer mit seinem Enkel nach Hause ging, fragte er, wie
+ihm heute der Angerbauer und seine Frau gefallen hätten. Theodor
+erwiederte: »Ich bin ganz erstaunt über sie; nie hätt' ich ihnen
+zugetraut, daß sie so gut und so wahrhaft zart sein könnten.« — »Du
+siehst also, daß du früher nicht ganz Recht hattest, diesen Mann, weil
+er im Zorn grobe Reden ausstieß, ohne weiteres für roh zu erklären, und
+wirst künftig mit deinem Urtheil behutsamer sein.«</p>
+
+<p>Nach sechs Wochen fand die Hochzeit statt. Es war nur Eine Stimme über
+die Schönheit der Predigt, die Andacht des Brautpaars, ihren prächtigen
+Anzug, das vortreffliche Mahl, wobei die Wirthin des Dorfs sich selbst
+übertraf, und das große, große Vergnügen. Die Musikanten hielten eine
+Ernte, wie seit Jahren nicht. Der Höhepunkt des Festes war übrigens der
+Moment, wo der Angerbauer in der Laune des Weins bewogen wurde, drei
+Reihen allein mit der Braut zu tanzen. Er drehte sich taktfest, aber
+etwas steif herum, und sein Gesicht drückte eine so eigene Mischung von
+Galanterie und Selbstgefälligkeit aus, daß ein paar ältere Weiber, mit
+denen er in seiner Jugend zu tanzen pflegte, nicht umhin konnten, sich
+spöttisch lächelnd anzusehen, als wollten sie sagen: »Der alte Narr!
+Wenn man ihm das vor einem Vierteljahr gesagt hätte!« Der Angerbauer
+hörte dieß natürlich nicht, da es überhaupt nicht gesprochen wurde. Als
+er daher unter großem Beifall den letzten Reihen geendet hatte, konnte
+er in ungestörter Freude seiner Tänzerin ein Glas Wein präsentiren und
+dann zu einem Vertrauten sagen: »Daß die Hochzeiterin am schönsten
+tanzt, hab' ich gesehen; daß sie aber auch am besten tanzt im ganzen
+Dorf, das kann ich jetzt aus Erfahrung bezeugen. Ueberhaupt: mein
+Ludwig ist nicht dumm gewesen!«</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span></p>
+
+<h2>Die Lehrersbraut.<br>
+<span class="s5">I.</span></h2>
+</div>
+
+<div>
+<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-i.jpg" id="drop-i.jpg">
+</div>
+
+<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">I</span>n einem
+Dorfe mitten im Ries, in einem hübschen Hause, wohnten
+glückliche Leute — Mutter, Tochter und Vetter. Sie waren gesund und
+verhältnißmäßig, d. h. nach ihrem Stande, wohlhabend. Die Mutter von
+ruhigem Temperament, mehr geneigt sich am Angenehmen zu freuen, als aus
+verdrießlichen Dingen, wie sie im Leben vorkommen, sich viel zu machen;
+die Tochter, Christine, hübsch und wohlgemuth; der Vetter, Hans, wacker
+und thätig, ein guter »Baur« — wie man das im Ries nennt — und »ein
+rechter Schaffer.«</p>
+
+<p>Ein eigentlicher Bauer im Sinne der dörflichen Rangordnung war Hans
+freilich nicht; das war aber auch der verstorbene Glauning, der Vater
+der Christine, nicht. Erst Söldner und Weber hatte sich dieser durch
+ächt Rieserische Arbeitsamkeit und Sparsamkeit zu einer Mittelstellung
+zwischen Söldner und Bauer emporgearbeitet. Das Weberhandwerk wurde
+aufgegeben und nur im Winter noch zum Wirken des eigenen Garnes
+betrieben, um so fleißiger den Geschäften des Ackerbaus<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> und der
+Viehzucht nachgegangen. Es gelang dem stillen, ruhig fortarbeitenden
+Manne, das Unglück eines Brandes, der nebst sechs andern auch sein
+strohgedecktes Haus in Asche legte, zu überstehen, ein neues,
+bequemeres, plattengedecktes an seine Stelle zu setzen, und bei seinem
+Tode der Wittwe ein respektables Anwesen zu hinterlassen: das Haus
+mit Wohnung, Stall und Stadel in Einem Bau, vier Kühe mit Nachzucht,
+fünf Schweine, einen schönen Baumgarten, zwei »Dawert« (Tagwerke)
+Wiesen und vier Morgen »in ein Feld« — also, wer das nicht verstehen
+sollte, zwölf Morgen Ackerland. Allerdings war dieses »schöne Sach«
+nicht schuldenfrei; der alte Glauning hatte eine runde Summe aufnehmen
+müssen, um die runde Zahl von Morgen Landes zu erhalten, die im
+Ries mehr bedeuten wollen als anderswo. Aber der Hauptgläubiger war
+gegenwärtig — Vetter Hans.</p>
+
+<p>Hans Burger — denn der Mann verdient, daß wir seinen ganzen Namen
+nennen — war vom nächsten Dorfe, Sohn des dortigen Schmieds. Er
+wurde von dem Vater in seinem Handwerk unterwiesen; aber trotzdem,
+daß ihm ein paar Arme verliehen waren, die im Nothfall den Ambos in
+Stücke schlagen konnten, hatte er für seine Person doch mehr Freude
+am »Bauernhandwerk.« Nach dem Tode seiner Eltern führte er die kleine
+Oekonomie und nahm Hammer und Zange nur als Gehülfe seines Bruders in
+die Hand. Dieser konnte zu eben der Zeit, wo der alte Glauning starb,
+»einen guten Heirich« (gute Heirath) machen. Hans überließ ihm Schmiede
+und Oekonomie, nahm seinen Vermögenstheil heraus und ging zur Base
+Glauning, um ihr die Wirthschaft zu führen. Christine<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> war damals noch
+nicht ganz fünfzehn Jahre alt; demungeachtet wollte man bemerken, daß
+der Vetter sie verstohlenerweise schon mit ganz besondern Augen ansehe.</p>
+
+<p>Drei Jahre gingen in's Land. Christine wuchs heran und wurde nach
+den Begriffen des Dorfs immer schöner. Mittelgroß, rund, aber
+von angenehmer Rundung, das gutmüthige, ruhig vergnügte Gesicht,
+dessen Linien nicht ohne eine gewisse Anmuth waren, frischroth mit
+bräunlichem Hauch, die Zähne regelmäßig und weiß — konnte man
+sie einem Apfel vergleichen, der untadelich gereift eben vom Baum
+genommen wurde. Damals war unter den Rieser Bauernmädchen noch nicht
+die Mode aufgekommen, die Haare doppelt zu scheiteln und auf beiden
+Seiten herunterzukämmen, wodurch sie sich jetzt ein städtisches,
+vornehmeres Ansehen zu geben suchen. Das Haar wurde von der Stirn
+an zurückgestrichen und gegen die Mitte des Kopfes zu von dem
+landesüblichen Käppchen bedeckt. Das ließ einfacher, munterer, und
+stand besonders Gesichtern, wie Christine eines hatte. Am hübschesten
+erschien diese, wenn sie an heiterem Sommertag, in weißen Hemdärmeln
+und den Rechen in der Hand, auf die Wiese ging, ohne eine Ahnung von
+Sorge, in Fülle körperlichen Wohlseyns schwimmend und gänzlich der
+frohen Gegenwart hingegeben. Aus dem runden Gesicht blickte zugleich
+ein eigenthümliches Selbstgefühl heraus, und das hatte seinen guten
+Grund.</p>
+
+<p>»Die schöne Christine« hieß sie im Dorf. Nur eine Bauerntochter konnte
+mit ihr noch verglichen werden; aber da diese »so eine rahnenge«
+war, nämlich allzu schlank, so erhielt Christine von den bäuerlichen
+Schönheitsrichtern den Vorzug. Die jungen Bursche<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> tanzten gern mit ihr,
+und wenn einer sie an der Hand im Reihen führte, sang er wohl auch den
+Musikanten Schelmenliedchen vor, ihr zu Ehren. Aus dem Stegreif zu
+dichten, ist die Sache des Rieser Burschen nicht, solche Talente sind
+dort Ausnahmen; dagegen weiß er bekannte Lieder passend anzubringen und
+damit, ähnlich dem gelehrten Schriftsteller, der eine öfters citirte
+klassische Stelle wieder citirt, auf bescheidene Weise elegant zu
+werden. Wenn ein tüchtiger Kerl, mit Christine herumgehend, sang:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Macht mer 'n Walzer auf,</div>
+ <div class="verse indent0">Der a weng luste geht,</div>
+ <div class="verse indent0">I hab' a Tänzere,</div>
+ <div class="verse indent0">'Sist der Müh werth —</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>dann im Takt strampfend schmunzelte, so gewann das oft gehörte Liedchen
+wieder Bedeutung. Einige Zuschauer konnten lächeln und irgend ein alter
+Bekannter der Christine gemüthlich zurufen: »Ja, ja, so isch — sott
+(solche) git's net viel!« Als unter den zuschauenden Weibern einmal
+die noch immer stattliche Wittwe Glauning vornean stand, machte es der
+zufällige Tänzer der Christine noch besser; er sang, indem er<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> dem Liede
+durch Gesichtsausdruck und Blick Sinn verlieh:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">A schneaweißa Däube (Täubin),</div>
+ <div class="verse indent0">A schwarzer Dauber;</div>
+ <div class="verse indent0">Und wann d'Mueter schön ist,</div>
+ <div class="verse indent0">No<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> wurd d'Tochter sauber.</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Bei dieser Gelegenheit war die Heiterkeit der Mutter noch um vieles
+lebhafter, als die der Tochter, die an solche schöne Dinge schon
+gewöhnt war. — All die Huldigungen aber, die sie erfuhr, gaben
+dem Wesen des Mädchens nach und nach eine vergnügte Sicherheit,
+Wohlgefälligkeit, und, wenn man dieses Wort in den Grenzen ländlicher
+Möglichkeit verstehen will, einen Ausdruck von Huld, der ihr ganz gut
+stand, aber auch mehr hinter ihr vermuthen ließ, als vorläufig noch
+hinter ihr war.</p>
+
+<p>Das Gefühl der Huld wurde in Christine vorzugsweise durch Hans genährt.
+Beichten wir in seinem Namen ohne Umstände. Hans hatte sich allerdings
+schon in die noch nicht Fünfzehnjährige versehen und nach einem Besuch,
+kurz vor dem Tode des alten Glauning, ernsthaft zu sich gesagt: »Des
+wurd (wird) a Mädle für mi!« Die Hoffnung seines Herzens hatte großen
+Antheil an seinem Entschluß, der Base die Wirthschaft zu führen; sie
+belebte sein ganzes Wesen und machte ihm die Bauernarbeit noch viel
+lieber, als sie ihm ohnehin war. Bald freilich trat neben dieser
+Hoffnung auch eine gewisse Furcht hervor; sie steigerte sich, als
+Christine zu dem Glanz ihrer ländlichen Reize heranwuchs, und erzeugte
+das Gefühl und den Humor der Entsagung, dem<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> sich der gute Bursche mit
+der halben Lust einer treuen, opferfähigen Seele hingeben konnte.
+»Ja, ja,« sagte er dann wohl mit einem Seufzer, »i sig (sehe) scho,
+die krieg i net; die ist z'schöa' für mi!« Aber dieses Gefühl konnte
+natürlich nicht dauern; nach einiger Zeit kam auch die Hoffnung wieder
+und er ermuthigte sich mit der Bemerkung: »Was doh (da)! A Bursch wie
+ih kann oh a schöns Weib kriega'; des ist scho oft vorkomma'!« Dann
+wich der Ernst aus seinem Gesicht, er wurde herzensvergnügt und that
+der Mutter und der Tochter noch eifriger alles zu Liebe. Aber er fand
+nicht den Muth, mit Christine von seiner Liebe zu reden.</p>
+
+<p>Die Leserinnen dieser Erzählung haben schon errathen, wo es bei
+unserem Freund haperte. War Stand und Vermögen gleich und das Herz
+des Liebhabers doch ohne Zuversicht, so mußte es mit der Figur
+nicht zum besten bestellt sein. Und das können wir allerdings nicht
+leugnen. Hans gehörte unter den ledigen Burschen nicht zu den
+Schönen, und auch nicht zu den Lustigen, die sich bei festlichen
+Gelegenheiten »recht aufführen« können, auf diese Art den Mangel
+besonderer Schönheit decken und den Mädchen ebenfalls in die Augen
+stechen. Er war untersetzt und etwas krummbeinig. Seine Arme haben
+wir charakterisirt; auf seinen Schultern konnte er ohne Anstrengung
+ein »Schahf« (Scheffel) Korn tragen. Sein Gesicht war breiter, als
+man's liebt, und die Nase nicht ganz regelmäßig, die Farbe für einen
+noch in den Zwanzigen befindlichen Menschen zu braun. Eines war schön
+an ihm: seine treu blickenden, braunen Augen. Sie waren sogar sehr
+schön und ihr Glanz hatte einen rührenden Reiz, wenn er<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> heimlich in
+gutmüthigster Liebe einen Blick auf Sie warf. Nur Schade, daß er dies
+immer bloß heimlich that, und wenn er ihr offen ins Gesicht sah, in
+den Grenzen einer freundschaftlichen Herzlichkeit blieb, die wohl
+einen angenehmen Eindruck macht, aber keinen Zauber ausübt, wie es der
+Blick der Leidenschaft vermag. Hätte er sie im rechten Moment einmal
+so angesehen, wie er es heimlich zu thun pflegte, dann wäre ihr Herz
+vielleicht geschmolzen und ihr Gesicht hätte einen Ausdruck erhalten,
+der ihm den Muth gegeben hätte, mit seinem Anliegen hervorzugehen und
+die Schöne zu erobern. Dann hätten wir freilich auch unsere Geschichte
+nicht schreiben können.</p>
+
+<p>Noch eins war, ich will nicht sagen schön an Hans, aber proportionirt
+und nicht zu tadeln: der Mund und seine mannhaften Zähne. Wann er bei
+seinen Kameraden im Wirthshaus saß und in der Laune, die das braune
+Bier erweckte, gutmüthig über andere und sich selber Spaß machte,
+dann umspielte seine Lippen ein humoristisches Lächeln, das ihm sehr
+gut stand und dem ganzen Menschen etwas Angenehmes gab. Das Gesicht
+glänzte, und sogar die Zähne, die zur Hälfte zwischen den geöffneten
+Lippen hervorsahen, schimmerten Heiterkeit. Aber auch in diesem Vorzug
+konnte er sich nie vor der Geliebten zeigen. Einmal wollte er eine
+lustige Geschichte, die im Wirthshaus großen Beifall gefunden hatte, zu
+Hause wieder erzählen. Als aber Christine aufmerksam horchte und nicht
+gleich vergnügt aussah, wo nach seiner Ansicht das »G'spässige« der
+Geschichte schon begonnen hatte, brachte ihn die Furcht, sein Ziel zu
+verfehlen, in Verwirrung; er verpfuschte das Ende und wies ein Gesicht,
+das eher geeignet war Mitleiden als Heiterkeit einzuflößen. »'Sischt
+doch<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> grad,« sagte er darauf im Kuhstall, den er nach seiner Niederlage
+aufgesucht hatte, »als wann's der Deufel g'macht hätt'! Im Wirthshaus
+ka'n es, und derhoe'mt (daheim) ka'n es net und stell me a' wie a'n
+Esel!« Als ihm hier eine Kuh, die nach Futter verlangte, diesen ihren
+Wunsch durch eine Kopfbewegung und einen Blick zu erkennen gab, die er
+sogleich verstand, sagte er: »Ja, ja, du sikscht (siehst) g'scheider
+drei' und host meaner Segel im Hihra (mehr Grütz im Kopf) als ih!«
+Gleichsam um das Vieh für seinen Verstand zu belohnen, gab er ihm etwas
+extra. Bei sich selber aber beschloß er fest, seine Geschichten künftig
+nur im Wirthshaus zu erzählen.</p>
+
+<p>Sein Gefühl, das so sträubig war, sich in der Gestalt von Worten
+zu offenbaren, bewies der gute Hans um so mehr durch Thaten. Die
+Wirthschaft besser zu führen, als wenn's seine eigene gewesen wäre,
+die Aecker herzurichten wie Gartenland, Korn und Vieh auf dem Markt
+zum höchsten Preis zu verkaufen, und im Hause der Geliebten Freude zu
+machen durch Erfüllung ihrer Wünsche, die sie entweder aussprach oder
+die er ihr an den Augen ansah, das war seine Sache. Im Uebrigen wollte
+er — warten. »'S macht se villeicht amohl von o'gfohr« (von ungefähr),
+dachte er und tröstete mit dieser Möglichkeit sein ungewisses Herz.
+Sein Zögern hatte auch noch einen Grund, den die Leser ganz vernünftig
+finden werden. Eins in's andere gerechnet, war sein Verhältniß zu
+Christine für ihn auch jetzt schon eine Quelle von Vergnügen. Mit ihr
+die ländlichen Arbeiten zu verrichten, wie die Jahreszeit sie brachte,
+das Heu »zusammenzuschlohen« oder das Korn zu sammeln, auf dem Wagen
+die Garben von der Gabel zu nehmen, die ihre rüstigen Arme ihm entgegen
+streckten, und ihn so schön und gleichmäßig zu laden, daß sie ihn
+bewundern mußte; im Winter mit ihr zu dreschen und seinen Flegelschlag
+nach dem ihrigen kräftiger »auf dem Tennen« erschallen zu lassen;
+Abends mit ihr und der Base zu schwatzen, Rath zu halten über die
+Arbeiten des folgenden Tages, über Kauf und Verkauf; namentlich aber,
+vom Markt heimgekehrt, ihnen aus dem ledernen Gurt das Geld vorzuzählen
+und Lob dafür zu empfangen, daß er wieder so viel gelöst habe — dieß
+und anderes, wie es der Verkehr in einem Haus und Geschäft mit sich
+bringt, war für ihn<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> eine Kette von Freuden, Labsal und Trost für alle
+Unbilden, die er erfuhr oder im zweifelnden Herzen sich selber anthat.
+Sollte er nun das alles auf's Spiel setzen, indem er Christine zum Weib
+verlangte und eine abschlägige oder auch nur eine ausweichende Antwort
+erhielt? In diesem Fall mußte er das Haus verlassen, oder wenn er
+blieb, war ihm die Freude verdorben und jede fernere Werbung untersagt.
+Hans — das haben wir nun hoffentlich schon klar gemacht — war kein
+gewöhnlicher Mensch; er hatte seinen Kopf und sein Ehrgefühl.</p>
+
+<p>Und sie, die schöne Christine? Unstreitig werde ich nicht nöthig haben
+den Leserinnen erst noch ernsthaft zu versichern, daß <em class="gesperrt">sie</em> gar
+wohl wußte, wie es mit dem Herzen des guten Burschen stand. Wo gäbe
+es ein hübsches Mädchen, die hier nicht sogleich Bescheid wüßte?
+Ich kann sogar verrathen, daß Christine schon als Fünfzehnjährige,
+nachdem sie ihn einmal auf einem gewissen Seitenblick ertappt, von
+dem Stand der Dinge gleich eine sehr entschiedene Ahnung hatte. Aber
+ein unausgesprochenes Gefühl hat auch für die einfache Schöne das
+Gute, daß es zugleich vorhanden und nicht vorhanden ist. Sie kann ihm
+gegenüber ihre Gedanken ebenfalls unausgesprochen lassen und thun, als
+ob es nicht existirte, während es schon diplomatische Geistesbildung
+erfordert, auch das ausgesprochene Gefühl zu ignoriren. Christine
+sah, wie sie den Vetter am Schnürchen hatte, und freute sich darüber.
+Es gefiel ihr besonders, daß er so bescheiden war, daß er sie nicht
+nöthigte, Ja oder Nein zu sagen, sondern ihr die Freiheit ließ, in
+der sie sich immer noch so wohl fühlte. Sie hatte eine Empfindung,
+wie sie bekanntlich auch schöne junge Damen haben, die es ebenfalls
+höchst reizend finden, eine Zeitlang als erstrebenswerthes Gut zu
+glänzen, bevor sie ihre Macht und Freiheit an einen Einzelnen hingeben.
+»Den kannst du haben und am Ende glücklich mit ihm leben,« dachte die
+gute Christine, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, wenn sie sich
+vorstellte, wie glücklich sie den Vetter machen könnte, wenn sie ihm
+entgegenkäme. »Aber es hat noch Zeit,« rief es dann in ihr; — »wer
+weiß!« —</p>
+
+<p>Aehnlich dachte die Mutter. Daß sie für ihre Tochter einen Mann haben
+konnte, brav, in der Arbeit geschickt und in seiner Art<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> vermöglich,
+war gut. Aber wer konnte sagen, ob ihrer Christine nicht noch was
+Besseres, vielleicht was viel Besseres anstand? »Es hat noch Zeit,«
+war darum auch ihr Refrain, wenn sich beide mit einander über diese
+Angelegenheit besprachen. Einmal setzte sie hinzu: »Du därfst aber oh
+nex thoa', daß 'r verschächt wurd (verscheucht wird)!« Und Christine
+antwortete: »Des fällt mer net ei'! Er hätt's oh net om mi verdea't!«
+Und sie folgte ihrer Natur und traf in ihrem Sinne das Rechte: sie
+bewies gegen Hans eine Freundlichkeit, die seinem Wunsche die Aussicht
+auf das Ziel freiließ, ohne sie selber zu verpflichten.</p>
+
+<p>Aus diesen Gründen nannten wir im Eingang unserer Erzählung die drei
+Leute glücklich. Hans war es durch seine Liebe, durch seine Herzensgüte
+und seine Hoffnung. Mutter und Tochter waren es durch ihre behagliche
+Existenz, durch die Ehre, die ihnen widerfuhr, durch die Sicherheit,
+die ihnen Hans gewährte, und durch die Macht, die ihnen gegeben schien.
+Das Glück des Hans war nun freilich um vieles löblicher, als das seiner
+beiden Verwandten; allein ich wünschte doch nicht, daß Christine zu
+streng beurtheilt würde. Sie schätzte den Vetter nur, sie liebte ihn
+nicht; sollte sie ihm nun entgegenkommen und sich binden ohne Noth? Und
+daß die Mutter aus bewußter, die Tochter aus instinktmäßiger Vorsicht
+den wackern Burschen für dem Nothfall bewahrt zu sehen wünschten, das
+wollen wir zwar nicht bewundernswürdig finden, aber — aus Galanterie
+— auch für keine Todsünde halten.</p>
+
+<p>Ein solcher Zustand kann nicht dauern, und soll es auch nicht. Die
+unentschiedene Seele sieht sich auf einmal in eine Lage versetzt, wo
+sie ein bestimmtes Ziel vor sich hat, welches alle ihre Wünsche an sich
+reißt. Und nicht nur das Erreichen, auch das Erstreben dieses Ziels
+kann das bisherige Glück trüben und alteriren.</p>
+
+<p>Als Christine das achtzehnte Jahr hinter sich hatte, kam, was Hans in
+den Stunden der Sorge befürchtete. Es trat ein Nebenbuhler auf.</p>
+
+<p>Im selbigen Winter gab es zwei Hochzeiten, die im Wirthshaus gefeiert
+wurden, also zwei Tanzgelegenheiten. Bei der ersten ging Christine
+mit Hans und einer Kamerädin auf den »Ansing.« Wie<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> man ohne Zweifel
+schon aus seinem ganzen Charakter vermuthet, war das Tanzen die Stärke
+des Hans nicht. Er hatte keine Freude daran, er leistete auch nichts
+Rechtes darin und bequemte sich darum auch nur höchst selten dazu. An
+diesem Ansing tanzte er nur ein paar Reihen, weil ihn Christine in
+Folge der Koketterie, mit der hübsche Mädchen bescheidene Liebhaber
+zuweilen auch unversehens beglücken wollen, selber dringend dazu
+aufgefordert hatte. Nachdem er das Nöthige gethan zu haben glaubte,
+bedankte er sich und sagte zu ihr mit gutmüthigem Lächeln, sie möge
+sich den Abend nur recht lustig machen, vor ihm habe sie nun Ruhe.
+Sie versetzte: »Was schwätscht ietz doh widder! 'S wär' koë Wonder,
+i tanzet net geara' mit d'r!« Dann aber gab sie doch vergnügt einem
+flinkeren Burschen die Hand, der schon auf sie gelauert hatte. Hans
+belohnte sich für seine Anstrengung durch einen tüchtigen Trunk und
+stellte sich in eine Ecke, um der Lustbarkeit zuzusehen. Das war ihm
+lieber als selber mitzumachen, d. h. wenn Christine tanzte. Er freute
+sich auch jetzt wieder, wie schön sie's konnte und wie sie ordentlich
+»das G'rihß hatte« (wie man sich um sie riß).</p>
+
+<p>Als später der stattliche Sohn eines reichen Bauern auf den geringern
+Burschen, der sie eben im Reihen führte, zuging und zu ihm sagte:
+»Komm, loß me oh a weng mit der Christine danza! Du host ietz gmuag
+(genug)!« — sie dann ohne viel Umstände nahm und nach einigen Worten,
+die er an sie richtete, strampfte und den Kopf schüttelte, daß das
+grünseidene Quästchen auf der Fischotterkappe baumelte, da war Hans im
+Namen der Geliebten stolz auf die Ehre, die ihr widerfuhr; denn jener
+Bursche war dermalen der »fürnemste« im ganzen Dorf, und der Gute
+fühlte sich selbst geschmeichelt, daß so einer sie aufzog und, wie es
+schien, das Tanzen mit ihr gar nicht hatte »verwarten« können. Bald sah
+er auch, daß der schöne »Hansirg« (Hansjürg) sie wirklich recht gern im
+Arm oder an der Hand haben mußte. Er tanzte lange mit ihr, so lange,
+bis ihr die Schweißtropfen an der Schläfe standen und über die rothen
+Backen herunterperlten. Dann führte er sie zu einem Trunk in die Stube.</p>
+
+<p>Alles das war in der Ordnung und wurde von Hans auch durchaus so
+gefunden. Als aber beide nicht lange nachher wieder mit einander<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span>
+herauskamen, um sich herumzudrehen, da freute er sich plötzlich nicht
+mehr. Er sah, wie der Bursche schon mit einer gewissen Vertrautheit
+sprach, dabei ganz eigenthümliche Augen machte und die Stimme dämpfte,
+so daß er seine Worte nicht verstehen konnte, und das Blut stieg ihm
+in's Gesicht. Er mußte sich alle Mühe geben, sich nichts »anmerken«
+zu lassen; und um dieß besser zu können, ging er in die Stube, setzte
+sich an seinen Tisch und fing ein Gespräch an. Früher, als er glaubte,
+kam Christine zurück und sagte zu ihm und zu der Kamerädin: »So, nun
+will ich ausschnaufen, nachher gehn wir heim; für heut ist's gnug!«
+Ein Stein fiel dem guten Burschen vom Herzen. Er wußte nicht, daß der
+»Fürneme« in seiner plötzlichen Zärtlichkeit etwas zu weit gegangen,
+Christine böse geworden war und sich ihm entzogen hatte, d. h. daß die
+Sache für ihn, den Hans, immer noch sehr gefährlich stand.</p>
+
+<p>Die zweite Hochzeit folgte wenige Wochen darauf. Christine war entfernt
+mit der Braut, der reiche Bauernsohn mit dem Bräutigam verwandt, und
+beide gingen als Gäste auf die Hochzeit. Durch die Miene des Trutzens,
+die Christine gegen ihn annahm und in der sie ihm noch viel schöner
+vorkam als letzthin, wurde der Bursche auf's neue gereizt. Er bat sich
+mit höflicher Miene ein paar Reihen aus, und sie konnte es ihm nicht
+abschlagen. Während des Tanzes fand er Gelegenheit, sie zu besänftigen
+und Vergebung zu erhalten. Er war voll Freude, setzte sich in der Stube
+neben sie, ließ eine Flasche Wein kommen, trank und »juxte« (jauchzte),
+tanzte wieder, und so gings mit wenigen Unterbrechungen fort bis zum
+»Obedmohl.« Bedenken wir, daß dieser Bursche, abgesehen von dem Reiz,
+den er als der Sohn des vielleicht wohlhabendsten Bauern im Dorfe
+hatte, hübsch, hochgewachsen, geschickt und ein vortrefflicher Tänzer
+war, daß seine Zärtlichkeit ihm von Herzen ging und die Schmeicheleien
+aus seinem Munde für Christine etwas außerordentlich Wohlklingendes
+hatten, so werden wir es natürlich finden, daß das Herz des Mädchens
+nach und nach erweicht wurde und eine Hoffnung in ihr aufflammte, die
+sie berauschte. In dieser Hoffnung, in der süßen Aufregung ihres Innern
+wurde sie so schön, daß das Herz auch des Burschen völlig schmolz und
+er sich förmlich in sie verliebte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span></p>
+
+<p>Nach dem Mahl begab sich Christine nach Haus. Sie fühlte, daß es
+für heute genug sei, ging nicht mehr auf den Ansing und vertraute
+ihre Tageserlebnisse mit Auswahl der Mutter. Der junge Bauer blieb,
+theilte im Rausch der Liebe und des Weins sein Glück einem Kameraden,
+dem Bruder der Hochzeiterin, mit, schwur, daß er keine andere möge
+als Christine, und daß er sie heirathen werde. Als der Kamerad ihn
+an den Stolz seines Vaters erinnerte, entgegnete der Verliebte, sein
+Vater habe ihm nichts zu sagen, was <em class="gesperrt">er</em> wolle, müsse geschehen.
+Christine bekomme so viel wie manche Bauerntochter und ihre Schönheit
+sei nochmal so viel werth. Wenn er auch reichere haben könnte, auf's
+Geld sehe er nicht, das kriege er selber genug. Sein Vater solle ihm
+nur kommen — Himmel-Kreuz-Tausend — er werde es ihm schon sagen u. s.
+w.</p>
+
+<p>Auch der andere Morgen, das Getöppel der Seinigen, die sein gestriges
+Benehmen für ein Plaisir ansahen, das er sich gemacht, auch das ruhige
+Bedenken der Verhältnisse kühlte seine Glut nicht. Er hatte sich den
+Gedanken in den Kopf gesetzt, und ein Mann wie er mußte seine Sache
+durchführen. Am folgenden Sonntag nach dem Essen kehrte er unerwartet
+mit dem Kameraden bei Christines Mutter ein. Hans hatte schon munkeln
+hören und war in trüber Stimmung. Als die beiden stattlichen Bursche
+in die Stube traten, sah er sie mit einem Gesicht an, auf dem kein
+Willkommen zu lesen war. Und wie er nun die Freude sah, mit der die
+Base und Christine die Gäste empfingen, die Geschäftigkeit, womit
+sogleich in's Wirthshaus nach braunem Bier geschickt wurde und die Base
+sogar Kaffee machen wollte — in einem Hause, wo immer nur Milchsuppe
+gefrühstückt und der Kaffee nur bei den seltensten Feierlichkeiten
+aufgetischt wurde — da gab es ihm einen Stich in's Herz. Er fühlte,
+wie wenig er zu der Gesellschaft paßte, und schützte einen nothwendigen
+Gang vor, um aus dem Hause zu kommen. — Als er Nachts zurückkehrte,
+war der Besuch natürlich fort, aber der Schein des Glücks, das er
+gebracht hatte, glänzte noch auf den Gesichtern der beiden Weiber.
+Christine sah wohl, daß ihre Freude dem guten Hans wehe that; sie
+bedauerte es, aber sie konnte sich nicht helfen und den Strom ihres
+Triumphgefühls nicht zurückhalten. Sie erblickte sich schon als<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> eine
+der ersten Bäuerinnen im Ries und ihr sonst so gesunder Schlaf wurde
+mehrmals durch den süßen Tumult ihres Herzens unterbrochen.</p>
+
+<p>Damit war's aber auch zu Ende. Der Vater des Burschen erhielt von dem
+Besuch und dem wesentlichen Inhalt des gepflogenen Raths Kunde, und es
+folgte nun zwischen beiden ein Auftritt, in welchem der prahlerische
+Liebhaber gar bald den kürzeren zog. Der Alte entwickelte einen Zorn
+und eine Machtvollkommenheit, wovor der Bursche sich verkriechen mußte.
+Was der Wüthende forderte, wurde mit »ja, ja, i will's ja!« zugesagt
+— und in kurzem hieß es: »des Moürs (Maierbauers) Hansirg hat mit der
+einzigen Tochter des reichen Bachbauers von ** Heirathstag gehalten.«</p>
+
+<p>Christine war tief beschämt. Es ging die ersten Tage nicht ohne
+Vergießung vieler Thränen ab. Allein ihr Temperament und ihr ganzes
+Wesen war nicht von der Art, daß sich darum ein Gram in ihr befestigen
+und an ihr zehren konnte. Da der Ungetreue noch dazu aus dem Dorf weg
+heirathete, so hatte sie, auf gut ländlich, den Traum der Liebe und des
+Ehrgeizes in wenigen Wochen vergessen.</p>
+
+<p>Hans hatte seit jenem Sonntag ein Betragen angenommen, das er eine
+Zeitlang unverändert festhielt. Er ging äußerlich ruhig seinem Geschäft
+nach, beschränkte seinen Verkehr mit Christine und der Base auf das
+Nothwendigste, machte ein gleichmäßig ernsthaftes Gesicht und suchte
+zu thun, als ob nichts vorgefallen wäre. Nachdem die Verlobung des
+Nebenbuhlers bekannt geworden, zeigte er (wer ihn begriffen, sagt
+sich das von selber) keine Schadenfreude. Er hatte diese nicht etwa
+zurückzudrängen, sondern die eigentlich so zu nennende empfand er
+gar nicht. Er bedauerte die Beschämte vielmehr, ging ihr aus dem
+Weg, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, und überließ sie ihrer
+Traurigkeit. Als sie nach einigen Tagen schon um vieles getrösteter
+aussah, gab er seiner Stimme im Gespräch mit ihr unwillkürlich einen
+freundschaftlicheren Klang, um sie gewiß zu machen, daß er nicht böse
+sei, und ihre Beruhigung, so weit es von ihm abhing, zu fördern.
+Aber weiter ging er nicht. Es hatte ihn doch recht »verdschmohcht«
+(verdrossen), daß sich die schöne<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> Christine dem Bauernsohn mir nichts
+dir nichts an den Hals geworfen und sich angestellt, als ob er, der
+Hans, gar nicht mehr auf der Welt wäre. Er wollte sein Herz von nun
+an nicht mehr an ein Mädchen hängen, die von ihm nichts wollte —
+Christine sollte durch nichts mehr daran erinnert werden, daß er sie
+jemals gern gehabt habe.</p>
+
+<p>Diese guten Vorsätze wurden im Ausgang des Winters gefaßt. Im Sommer
+stand das Verhältniß unseres wackern Freundes wieder so ziemlich auf
+dem alten Fleck, ja es war im Begriff weiter zu gedeihen. — Christine
+hatte zwischen Hans und dem Ungetreuen Vergleichungen angestellt, und
+es war ihr zum erstenmal klar geworden, daß Treue und Zuverlässigkeit
+etwas seien, wovor man Respekt haben müsse. Das frühere Benehmen des
+Vetters erschien ihr jetzt nicht mehr als ein Gegenstand herablassenden
+Spiels, im Gegentheil, sie hatte dabei ganz ernsthafte Gedanken. Und
+wenn sich nun <em class="gesperrt">er</em> zurückhielt und gar nicht mehr dergleichen
+thun wollte, so — kam sie ihm selber entgegen; allerdings nur mit
+einer gewissen Vorsicht. Sie offenbarte in ihrem ganzen Wesen nur mehr
+Achtung und Freundschaft und der Ton ihrer Stimme erhielt nur eine
+herzlichere Färbung. Zuweilen aber, wenn er im Geschäft etwas recht gut
+gemacht hatte, warf sie mit ihren graublauen Augen ihm einen Blick zu,
+dessen Dankbarkeit auch ein Unparteiischer durch eine bedeutende Zugabe
+von Zärtlichkeit verstärkt gesehen hätte. Dem widerstehe ein liebendes
+Herz, und obendrein ein großmüthiges! Hans ließ sich Schritt für
+Schritt wieder zurückführen in die angenehme Gefangenschaft. Er kostete
+nun seinerseits einen gewissen Triumph, wiegte sich in frohen Momenten
+stolz im Gefühl der Macht und gab sich einer Sicherheit hin, die nur
+zuweilen durch die Einwürfe der Bescheidenheit unterbrochen wurde. Dann
+prüfte er wieder, hielt wieder an sich — und Christine kam ihm einen
+Schritt weiter entgegen. Die treue Seele war über die Maßen vergnügt;
+aber dieses Vergnügen that ihm gar zu wohl, und ihm war, als müßte er
+es vorläufig dabei lassen.</p>
+
+<p>Der Verkehr der drei Leute nahm einen Charakter an, dessen reine
+Fröhlichkeit jeden theilnehmenden Beobachter erquickt hätte. Man
+scherzte und neckte sich; dem Vetter gelang es jetzt, der Schönen<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span>
+lustige Geschichten, namentlich wenn sie kurz waren, ohne Anstoß zu
+erzählen und sein Gesicht dabei durch jenes humoristische Lächeln
+zu erhellen, das ihm so gut ließ. Das Dorf war über ihr Verhältniß
+im Reinen, und wenn es geheißen hätte: Christine wird ihren Vetter
+heirathen, so hätte sich kein Mensch darüber gewundert. Hans wurde
+nun von seinen Kameraden mit ihr aufgezogen und gelegentlich ermahnt,
+einmal ein Ende zu machen, damit man bald wieder eine lustige Hochzeit
+bekäme. Und jetzt, in den Tagen des Herbstes, faßte er ernstlich den
+Entschluß, ihr seine Herzensmeinung zu sagen. Er verschob indessen die
+Ausführung von einem Tag zum andern. War es das Gefühl, daß Eile nicht
+nöthig sei und Christine ihm doch nicht entgehen könne? oder war der
+Geist des Zweifels wieder über ihn gekommen, oder vermochte er nur
+nicht über die Anrede mit sich einig zu werden und wartete auf eine
+Gelegenheit, wo sie sich von selber machte? Sei dem wie ihm wolle — er
+zauderte.</p>
+
+<p>Da trat auf einmal ein Nebenbuhler auf, der noch gefährlicher war, als
+der erste, und in kurzer Zeit die Hoffnungen des Guten zertrümmerte.</p>
+
+<h3>II.</h3>
+
+<p>Der Nebenbuhler des Hans war der neue Lehrer, der den bisherigen in
+der Dorfschule ersetzte. Der alte war im Ausgang des Sommers an eine
+andere Stelle befördert worden, die jährlich um zwanzig volle Gulden
+mehr trug. Der neue, ein geborner Rieser, im Seminar erzogen und als
+mehrjähriger Gehülfe praktisch gebildet, übernahm sein Amt im Oktober.</p>
+
+<p>Friedrich Forstner — so hieß der junge Mann — war kaum vierzehn Tage
+im Dorf, als er schon die meisten Herzen gewonnen hatte. Ein Theil
+erinnerte an das »neue Besen kehren gut« und wollte erst sehen, wie
+er sich halte. Nur wenige alte Murrköpfe oder junge Eifersüchtige
+erklärten ihn für einen »Windbeutel.« — Der Contrast zwischen ihm und
+dem bisherigen Lehrer war freilich sehr stark.</p>
+
+<p>Der alte war seines Zeichens ursprünglich ein Weber, und, wie man
+annehmen muß, an seine Stelle gekommen in Ermangelung eines Bessern.
+Eine lange, hagere Gestalt mit kleinem Kopf und<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> dünner Nase, von
+der man sogleich auf einen charakteristisch näselnden Ton der Stimme
+schließen konnte. Gutmüthig bis zu einem gewissen Grad, wurde er an
+Einfalt nur von Einem seiner damaligen Collegen übertroffen. Indem er
+zur Nothdurft lesen, schreiben und rechnen lehrte, genügte er dennoch.
+Seine Hauptthätigkeit bestand im Abhören dessen, was die Kinder,
+entweder von ihm aufgegeben oder freiwillig, auswendig gelernt hatten.
+Diese Kunst war für einen Mann, der Gedrucktes lesen konnte, nicht
+schwer, und da die »Schulfrau« (die Gattin des Lehrers) dies auch
+verstand, so vermochte sie ganz gut für ihn Schule zu halten, wenn er
+über Land gegangen war oder irgend ein dringendes Geschäft abzumachen
+hatte. In einem Zweige der Pädagogik war der würdige Repräsentant der
+guten alten Zeit Virtuos — in Führung des Haselstocks. Wenn die Buben
+oder keckeren Mädchen schwatzten und »bätschten,« d. h. Tauschgeschäfte
+machten, was namentlich mit »Helgen«<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a> zu geschehen pflegte; wenn
+sie, zum Sprechen aufgefordert, dem Befehl nicht nachkommen konnten,
+weil sie zu heimlichem Genuß eben Brod oder Obst in den Mund gesteckt
+hatten; wenn sie statt das Auswendiggelernte ohne Anstoß »herzubeten,«
+»gatzten« (stotterten) und nicht mehr weiter konnten, dann schwang
+er, besonders wenn er schon vorher in gereizter Stimmung war, den
+gefürchteten Stock mit einer Fertigkeit auf Achseln und Rücken
+des Schuldigen, daß es eine Freude war zuzusehen. Und mit jener
+Befriedigung, die man nach Ausübung einer Kunst empfindet, in der man
+sich Meister weiß, legte er, während der getroffene Schlingel heulte,
+das Instrument wieder bei Seite.</p>
+
+<p>In den größten Zorn konnte der Mann gerathen, wenn er fand, daß ein
+Schüler seine »Lection« übersprungen hatte. Damit verhielt es sich
+so. Vielleicht um sich auch die Mühe des Aufgebens zu ersparen, oder
+berücksichtigend, daß nicht einer ein so gutes »G'merk« (Gedächtniß)
+habe wie der andere, stellte er es den Kindern anheim, aus Luthers
+kleinem und großem Katechismus nach Oettingscher Einrichtung von vorne
+beginnend auswendig zu lernen, so viel ihnen<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> gutdünkte, indem er
+dann abhörte, was sie ihm als gelernt bezeichnet hatten. Wie nun der
+Ehrgeiz aus keinem Winkel der Erde zu verbannen ist, so lernten auch
+die Schüler tüchtig; denn es galt die Erlangung des Ruhms, von allen
+zuerst mit den sämmtlichen zweiundfünfzig »Lezgen« oder Lectionen des
+großen Lutherischen Katechismus fertig geworden zu sein. Hie und da
+besaß einer der geistreicheren Jungen viel Ehrgeiz, aber sehr wenig
+Lernbegierde; was war natürlicher, als daß er nun gelegentlich einige
+Lectionen überhüpfte? Manchmal gelang der Betrug, wenn auch die
+Mitschüler nichts gewahr wurden oder so gute Kameraden waren, daß sie
+schwiegen. Wenn aber der Lehrer selber stutzte, oder irgend ein Schelm
+ihn durch Lachen aufmerksam machte, oder ein Verräther geradezu rief:
+»Herr Schullehrer, der überhupft!« — dann gerieth der Getäuschte in
+eine schwer zu beschreibende Wuth, und die Streiche des Haselstocks
+regneten auf den entlarvten Betrüger. Diesem blieb nichts übrig, als
+die Schläge trotzend oder schreiend hinzunehmen und nach Umständen
+außer der Schule den Verräther durchzuprügeln, was meistentheils
+geschah, da der unternehmende Bursche in der Regel kräftig und gewandt,
+der »Batscher« (Plauderer) schwach und feig zu sein pflegt.</p>
+
+<p>So hielt der alte Lehrer Schule. In ähnlicher Weise kam er auch den
+Pflichten eines Küsters, Organisten und Vorsängers nach, nämlich
+immer in einer gewissen Entfernung. Für die Bauern war er doch »kein
+unebener Mann.« Da er, mit einer Anzahl von Kindern gesegnet, »nothig«
+und geschenkbedürftig war, so befleißigte er sich den Wohlhabenden
+gegenüber stets der gebührenden Höflichkeit. Er war dienstwillig, und
+wenn ein Vater anfragen ließ, ob sein Bube heute nicht »aus der Schule
+bleiben« könnte, so nahm er es mit dem vorgeschützten Grunde niemals
+genau. Sogar das Verlangen, den Haselstock zu führen, so mächtig es
+in ihm war, konnte er »aus Rücksichten« bemeistern. Die »gestandenen«
+Bauern fühlten sich in keiner Weise unter ihm. Er trug sich städtisch,
+aber der städtische Anzug war das Produkt des Dorfschneiders und nicht
+geeignet, neben der Rieser Tracht den Anblick von etwas Feinerem zu
+gewähren. Er sprach ein wenig hochdeutsch; aber jeder Andere glaubte
+in der ächten Rieser Sprache etwas Gescheidteres sagen zu könnnen. So
+flößte er<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> in keiner Art Respekt ein. Darum war es aber gerade commod
+mit ihm umzugehen, und das ist eine Eigenschaft, die auch im Dorfe
+Beifall und Gunst findet.</p>
+
+<p>Friedrich Forstner war seiner ganzen Erscheinung nach das, was der
+Rieser Bauer einen »Herrn« nennt. Mittelgroß, zierlich gebaut, sah
+er in seiner einfachen, aber wohlgefertigten Kleidung nett, beinahe
+elegant aus. Als ein aufgeweckter Kopf und von Natur anstellig zu
+Allem, hatte er im Seminar eine nicht gewöhnliche Summe von Kenntnissen
+erlangt; als Gehülfe in Dorf und Stadt hatte er die Klugheit
+ausgebildet, die Niemand lästig wird und sich spielend nach den
+Umständen zu richten weiß. Er sang hübsch, verstand mehrere Instrumente
+und war ein vortrefflicher Gesellschafter.</p>
+
+<p>Gleich bei seinem Einzug hatten die Glieder der Gemeindeverwaltung und
+andere Männer, die mit ihm zusammen kamen, eine eigene Empfindung.
+Forstner ließ es durchaus nicht an Höflichkeit fehlen, aber sie,
+anstatt die Artigkeiten, wie bei seinem Vorgänger, wohlgefällig
+hinzunehmen und nur kurz zu danken, fühlten sich unwillkürlich
+getrieben, sie zu überbieten. Der junge Mann erwiederte bescheiden,
+schlug mit Gewandtheit einen vertraulichen Ton an und wußte es zu
+machen, daß die Bauern ihren Respekt behielten, ohne dadurch genirt zu
+sein, ein Gefühl, das ihnen ganz neu war. Als der zeitige Ortsvorsteher
+nach Haus kam, sagte er zu seinem Weib: »Höer du! der nui (neue)
+Schulmoëster ist a fei's Mändle!«</p>
+
+<p>Eine ähnliche Erfahrung machten die Schulkinder. Forstner hielt bei
+seinem Auftritt eine Anrede an sie, und es war den meisten, als ob
+sie das, was er sagte, verständen! Als die Eltern zu Hause fragten,
+wie's gegangen sei, wußten sie sogar von dem Gehörten etwas wieder zu
+erzählen und es einigermaßen zu expliciren! Am andern Tag fand eine
+Aufmerksamkeit statt, wie sie die Wände der Schulstube nie gesehen
+hatten. Bei einem entstandenen Lärm genügte ein Zuruf und ein Blick des
+Lehrers, um zwei in Streit gerathene Buben augenblicklich verstummen
+zu machen; und wie später einer mit seinem Nachbar schwatzen wollte,
+stieß ihn dieser, anstatt auf das Vergnügen des »Blieselns« einzugehen,
+mit dem Ellbogen in die Seite und rief mit gedämpfter Stimme ärgerlich:
+»Halt's Maul!« — Nach dem<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> vierten Tage erlebten die Eltern etwas
+Unerhörtes: die Kinder wollten nicht mehr aus der Schule bleiben! Ein
+Söldner brauchte seinen zehnjährigen Sohn bei einer Arbeit und wollte
+ihn zu Hause behalten; das Bürschchen widersprach, und als das nichts
+half, begann es zu »flannen« (flennen). So lange das Dorf stand, der
+erste Fall dieser Art.</p>
+
+<p>Um diese Zeit begegneten sich drei Bauern auf der Gasse. »Was isch
+denn mit deana' Kinder (diesen Kindern) iatz?«, begann der erste; »die
+deant (thun) ja wie narret!« — »'Sischt wärle wohr« (wahrlich wahr),
+versetzte der andere; »der nui Schulmoëster hot's ganz verhext.« —
+»No, no,« sagte der dritte, »'sist ja rehcht, wann's geara' en d'Schuel
+gont« (gehen). — »Des scho',« erwiederte der erste; »aber überstudiert
+soll er's net macha', des paßt se net für Baura'.« — »Ueberstudiert,«
+entgegnete der dritte, »weara's no lahng net, wann's meaner (mehr)
+learna', als beim alda'. Semmer (seien wir) froa', daß mer dean loas
+send ond 'n bessera' hont« (haben). — So behielt die Gunst auch hier
+das letzte Wort.</p>
+
+<p>Dem Talent des neuen Lehrers gelang es sogar, die Sonntagsschüler zu
+gewinnen, mit Ausnahme nur weniger Burschen, die schon im achtzehnten
+Jahre standen und durch nichts mit dem Gedanken versöhnt werden
+konnten, sich von einem Menschen, der nur etliche Jahre älter war als
+sie, noch etwas sagen lassen zu müssen. Am zweiten Feiertag fing eine
+und die andere Jungfrau schon an, sich etwas besser zu putzen und dabei
+anmuthig zu lächeln und ein wenig zu erröthen. Es trat ein Eifer des
+Schulbesuchs ein, den bisher niemand wahrgenommen hatte und der zu
+vielen guten und schlechten Späßen Anlaß gab.</p>
+
+<p>Zuletzt eroberte Forstner auch die Bauern in der Wirthsstube. Er setzte
+sich kameradschaftlich zu ihnen, ließ sich von ihnen über ökonomische
+Verhältnisse und Einrichtungen des Dorfes belehren, beantwortete die
+Fragen der Neu- und Wißbegierde, gab jedem seine Ehre und lieferte das
+feinste und beste Salz zu den lustigen und satyrischen Gesprächen. —
+So hallte in kurzem das ganze Dorf von seinem Lobe wieder. Mit wenigen
+Ausnahmen sangen es Männer und Weiber, Mädchen und Bursche, Kinder
+und Greise. Es kam<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> so weit, daß hie und da ein wohlgesinnter, aber
+maßhaltender Mann ärgerlich ausrief: »Ietz hab' i aber gnuag von uirem
+(eurem) Schulmoëster, und bitt mer'n andern Diskursch aus.«</p>
+
+<p>Das meiste Glück machte der hübsche, junge Pädagog freilich bei den
+Mädchen des Dorfes, obwohl gerade diejenigen, denen er am meisten
+gefiel, es am wenigsten Wort haben wollten. Alle, sogar die Tochter des
+Wirths und die Töchter der reichsten Bauern, suchten dem »netten Mann«
+zu gefallen. Forstner war Verehrer und Kenner des schönen Geschlechts
+und mit Vergnügen galant; er konnte gar so freundlich »guten Tag«
+sagen, und manche, die sich für schön hielt, schwenkte sich nun bloß zu
+dem Ende an ihm vorbei, um von ihm bemerkt und gegrüßt zu werden.</p>
+
+<p>Drei aus der Klasse derjenigen, die es für ein Glück halten konnten,
+»Schulfrau« zu werden, hatten ernsthafte Absichten auf ihn. Man würde
+sich irren, wenn man glauben wollte, Forstner, der so sehr gefiel,
+hätte nun auch unter allen Dorfmädchen die Wahl gehabt, in der Meinung
+etwa, daß ein im Seminar erzogener, mit den Gebildeten der Umgegend
+verkehrender, im Dorf als »Herr« geehrter junger Man für die Phantasie
+auch des wohlhabenden Bauers etwas Unwiderstehliches besitzen müßte.
+Dem wohlhabenden Bauer flößen derartige Vorzüge den hier allein
+entscheidenden Respekt nicht ein; er gibt dem »Herrn Lehrer« die
+Ehre, behält aber seine Tochter. Der Bauer verlangt vor Allem, daß
+sein künftiger Schwiegersohn ein eigenes Haus besitze; eine Existenz
+ohne dieses scheint ihm sehr luftig, und wenn man ihm einen hauslosen
+Schullehrer anträgt, dann kann er befremdet, ja entrüstet fragen:
+»Soll i mei' Tochter auf d'Gaß naus heiricha' (heirathen) lossa'?« —
+Und nicht nur die Eltern, auch die Tochter würde sich in der Regel
+nicht mit dem Gedanken befreunden, die Frau eines Mannes zu werden,
+der jährlich nur zwei bis dreihundert Gulden Einnahme hat, »alles
+kohfa'« (kaufen) und von den Bauern Geschenke annehmen muß. Der Bauer
+ist stolz darauf, in seiner Art Herr zu sein, d. h. auf tüchtigem Gute
+thätig und behaglich zu leben und seine Töchter wieder an Bauern oder
+an Wirthe, Müller und ausnahmsweise an wohlgesessene Handwerker der
+umliegenden Städte zu verheirathen, die selbst einige Oekonomie<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> haben.
+So räth es ihm die Sitte und die Lebenserfahrung, und diesen folgt er.
+Etwas anderes ist es mit dem besser gestellten Söldner, dem dörflichen
+Handwerker, und allenfalls auch dem verschuldeten Bauer. Diese können
+es für eine Ehre halten, wenn der Lehrer des Dorfs ihr Schwiegersohn
+zu werden wünscht. Sein Einkommen entspricht hier dem Heirathsgut der
+Tochter, und auch in den Augen des verschuldeten Bauers würde die
+Schattenseite des Lehrerstandes durch die Lichtseite wieder aufgewogen.</p>
+
+<p>Aus dieser Schichte der dörflichen Gesellschaft waren denn auch
+die drei Mädchen, die es lüstete, die Hand des hübschen Mannes
+davonzureißen. Sie gaben sich gewaltig Mühe, und eine davon hoffte
+schon zu triumphiren. Sie hatte die betagte Mutter Forstners, die ihm
+Haus hielt, wiederholt im Sonntagsstaat besucht und ihr — was man sagt
+— »mit dem Holzschlägel gewinkt;« und da sie überdieß von den dreien
+die reichste war, so glaubte sie nicht, daß es ihr fehlen könne. Indeß,
+ein paar Tage später, und sie mußte hören, der Herr Forstner habe ein
+Auge auf die schöne Christine geworfen. Eine Woche später, und auch sie
+mußte sich von der Wahrheit dieses Gerüchts überzeugen, das nun in die
+Reihe offenkundiger Thatsachen eintrat.</p>
+
+<p>Die Mutter Forstners war mit der Wittwe Glauning verwandt; allerdings
+sehr entfernt, doch das verhinderte die Glauning nicht, die Mutter des
+Herrn Lehrers als Frau Base zu begrüßen und denselben Titel von ihr
+zu empfangen. So war zwischen den Familien gleich in der ersten Zeit
+ein Verhältniß hergestellt. Der junge Mann fand Christine hübsch, aber
+in der geschäftigen Zeit der ersten Einrichtung, der Amtspflichten,
+des Besuchmachens u. s. w. konnte er die Bekanntschaft nicht weiter
+pflegen. Als er in seinem Neste warm saß, die Arbeiten ihren Gang
+gingen und ihm freie Zeit übrig ließen, empfand er ein Verlangen, sie
+wieder zu sehen; er folgte dem unbestimmten Drang und kehrte an einem
+festtäglichen Abend in ihrem Hause ein. Als er sie sah im Sonntagsputz,
+vom Schein der Ampel beleuchtet, mit ruhiger, aber herzlicher
+Heiterkeit zu seinen Artigkeiten lächelnd, fühlte er sich getroffen.
+Die unverdorbene, schöne Sinnlichkeit machte einen reizenden Eindruck
+auf ihn, und er mußte sich sagen, daß in<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> ihrem Wesen noch etwas liege,
+das sie höher stellte, als ihre Gespielen. Er kam sehr eingenommen, in
+merklicher Aufregung nach Hause und rühmte sie der Mutter in starken
+Ausdrücken. Diese erwiederte sofort: »Weißt du, was ich mir schon
+gedacht hab'? Das wär' eine Frau für dich.« — »Frau?« erwiederte er
+in einem Ton, der den Skrupel des »Gebildeten« ausdrückte. »Ja, Frau!«
+versetzte die Mutter. »Die Glauningin wird ihre viertausend Gulden
+Vermögen haben; Christine ist hübsch, wacker, versteht alle Arbeit
+und paßt sich besser für dich, als so eine Städterin, die nichts als
+Kleider mitbrächte.« — »Aber man sagt ja, der Bursch da, der Hans,
+wolle sie heirathen.« — »Ausgemacht ist noch nichts,« bemerkte die
+Mutter, »das weiß ich. Und so Einen,« setzte sie mit einem etwas eiteln
+Blick auf den Sohn hinzu, »so Einen wirst du wohl nicht fürchten?« —
+»Wir wollen sehen,« erwiederte Forstner nachdenklich.</p>
+
+<p>Der Keim, den die Mutter ihm in die Seele gesenkt hatte, gedieh und
+entwickelte sich. Am nächsten freien Abend fühlte er eine lebhafte
+Begierde, den Besuch bei der Glauning zu wiederholen. Er legte den Weg
+vom Schulhaus zu ihr mit raschen Tritten zurück, und das freundliche
+Gesicht des Mädchens glänzte ihm entgegen wie der Vollmond. Wir haben
+es schon angedeutet: Forstner war das, was man einen »Liebhaber des
+schönen Geschlechts« nennt. Seine Freude an hübschen Gestalten dürfen
+wir vielleicht <em class="gesperrt">poetisch</em> nennen, in so fern dieses Wort ein fein
+sinnliches und phantastisches Wohlgefallen ausdrückt. Die Empfindung
+war so schön und so reizend! — und er gab sich ihr nun, wo es die
+Klugheit nicht widerrieth, ohne weitere Skrupel hin. Bei Christine
+riethen ihm Neigung und Klugheit, für's erste nur den Galanten, den
+heitern Liebhaber zu spielen. Er wollte das hübsche Mädchen umschwärmen
+wie ein Schmetterling und hier vor allem die sinnlich romantische
+Lust finden, die er suchte; er wollte sie bezaubern, den bäurischen
+»Tölpel,« für den ein solches Mädchen wahrlich nicht geschaffen
+war, verdrängen und sich zum Gebieter ihres Herzens machen, dann —
+überlegen, ob und wann er sie zu seiner Frau machen könne.</p>
+
+<p>Als er, von der Wittwe mit besonderem Eifer und schon mit einem eigenen
+Blick empfangen, Platz genommen hatte, setzten sich<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> auch Mutter
+und Tochter wieder zum Spinnen. Forstner entwickelte sogleich seine
+Unterhaltungskunst, und sein angebornes Talent und die Begierde, zu
+gefallen, ließen ihn Scherzreden führen und Geschichten erzählen, wie
+sie dem Bildungsstand der Zuhörerinnen entsprachen und nothwendig
+belustigen mußten. Er wußte einer Geschichte ungezwungen eine für
+Christine schmeichelhafte Wendung zu geben, und nicht nur herzliches
+Lachen, sondern auch ein beglücktes Erröthen und ein im Abwehren
+dankbarer Blick war sein Lohn. Forstner besaß eine Gewandtheit mit
+hübschen Mädchen umzugehen, von der sich ein ehrlicher Bauernbursche
+nichts träumen läßt. Der Bauer unterhält und schmeichelt im
+Lapidarstyl, die niedliche Currentschrift mit zierlichen Schnörkeln
+ist nicht seine Sache. Unser junger Mann war aber gerade hierin stark,
+und er gab diesen Abend gleich eine Probe davon. Er bewunderte die
+Kunst des Spinnens, worin Christine in der That sich auszeichnete, und
+behauptete dann, er hätte es auch einmal zu lernen versucht und möchte
+wohl sehen, ob's noch ginge. Natürlich lud ihn das fröhliche Mädchen
+ein, es zu versuchen. Er setzte sich zum Rocken und es ging hinlänglich
+schlecht; Christine lachte, zeigte es ihm, er versuchte es wieder,
+und das alles bewirkte unter großem Vergnügen rasche Vertraulichkeit.
+Nachdem dieses Mittel erschöpft war, erklärte Forstner, er wolle neben
+einer solchen Meisterin nicht länger den Pfuscher spielen und lieber
+ein anderes Geschäft treiben, das sich besser für ihn schicke. Er
+setzte sich neben sie und machte sich's zur Aufgabe, ihr die »Aga'«
+(Flachsabfälle beim Spinnen) von der Schürze zu schütteln. Und während
+er die mündliche Unterhaltung fortsetzte, that er dieß gelegentlich
+so nett und lustig, daß man's ihm nicht übelnehmen und nur lachend
+Abwehrungsversuche machen konnte. Es stand ihm eben alles an, und er
+konnte mehr wagen als ein Bauernbursche, weil er es zierlich machte
+und in den Grenzen des Scherzes blieb. Als er endlich Abschied nahm,
+erklärten Mutter und Tochter, so vergnügt wären sie lange nicht
+gewesen, und er solle doch ja bald wieder die Ehr' geben.</p>
+
+<p>Und Forstner kam wieder und wieder. Ihm ward so wohl in der warmen
+Stube bei dem hübschen Mädchen und der gefälligen, heiter blickenden
+Mutter. Draußen wirbelte der Schnee und sauste<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> der Wind, drinnen
+schnurrten die Räder und tickte die Wanduhr, und unter dieser
+Begleitung ging das Spiel der Unterhaltung fort und gipfelte hie und da
+in einem Terzett hellen Gelächters. Alle drei hatten im eigentlichen
+Verstande eine poetische Empfindung. Mutter und Tochter sagten sich
+dieß nicht, denn sie kannten das Wort nicht; aber Forstner sagte sich's
+und schwelgte in seinen Gefühlen. Welchen Reiz übte Christine auf
+ihn! die in ihrer Art vollkommene Gestalt, durch Fröhlichkeit erhellt
+und verklärt, die sinnliche Fülle in ihrer schönsten Blüthe und im
+reichsten Glanze des Glücks! — Und dieses Mädchen war ihm gewogen und
+wurde es immer mehr. Zu ihm neigte sie sich — ein Wort von ihm, und
+sie lag in seinen Armen. Welch süßes und stolzes Gefühl — das Gefühl
+der Macht über ein so liebenswürdiges Geschöpf! Nun hielt er beim
+Abschiednehmen die Hand in der seinen und drückte sie, und dies wurde
+mit Erröthen geduldet und erwiedert. Lieb war ihm da der Wind und der
+herabwirbelnde Schnee, die seine glühende Wange auf dem Heimweg kühlten.</p>
+
+<p>Wir dürfen Christine nicht schwächer erscheinen lassen, als sie in
+der That war. Sie ließ sich nicht ohne Weiteres gewinnen und dem
+Vetter abwendig machen. Zuerst ahnte sie nichts und hatte gegen
+Forstner nur das Gefühl der Dankbarkeit, weil er so freundlich und so
+»unterhaltlich« war. Sie verliebte sich nicht in seine nette Gestalt,
+wie jene drei andern, eben darum war sie auch nicht auf ihrer Hut und
+ließ sich gehen — und so verstrickte sie sich. Es gab in der ersten
+Zeit einen Moment, wo die Wage für Hans und Forstner noch gleich stand.
+Hätte jener seinen Antrag gemacht, vielleicht hätte der ehrliche
+Freiersmann den bloßen Liebhaber (als mehr erschien Forstner bis dahin
+noch nicht) aus dem Felde geschlagen. Aber während dieser dafür sorgte,
+sein Gewicht zu vermehren, handelte der Ehrliche so, daß seine Schale
+immer leichter werden mußte.</p>
+
+<p>Hans hatte nie zu denen gehört, die den neuen Lehrer ohne Klausel
+bewunderten. Gleich nach dem ersten Zusammentreffen mit ihm hielt er
+ihn für einen Menschen, der ihm zu schlau dreinsehe und dem nicht zu
+trauen sei. Bei dem ersten Besuch Forstners im Haus der Base hatte
+indeß auch er noch kein Arg. Er stimmte von der<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> Ofenbank, auf der er
+saß, ein paarmal herzlich in das Gelächter der Weiber mit ein. Als
+aber der Gewandte seine Künste begann, hatte der wackere Hans ein
+unbehagliches Gefühl. Er erklärte ihn zuerst nur bei sich für einen
+»öaden« (faden) Menschen, der ihm recht »auf d'Weibsbilder aus« zu sein
+scheine und mit dem sich ein ordentliches Mädchen eigentlich nicht viel
+abgeben sollte. Als er aber sah, wie Christine sich mehr und mehr auf
+seine Späße einließ, wurde er ärgerlich und — empfindlich. Er konnte
+und wollte die Unterhaltung nicht weiter mit anhören, und wenn das
+»Schulmoesterle« kam, ging Hans in den Stall oder aus dem Hause. — Es
+wogte sonderbar in der treuen Seele hin und her. Einmal war er erzürnt,
+und wenn Christine ihn über irgend etwas fragte, brummte er sie an.
+Dann glaubte er wieder, seine Befürchtung sei Unsinn und sein Trutzen
+einfältig. Er gab sich Mühe freundlich auszusehen; er wollte ihr nun
+auch etwas Schönes sagen und etwas Lustiges erzählen, und nun gerieth's
+ihm wieder nicht. Zu dem Einzigen, was ihm den Sieg noch hätte
+gewinnen können, zu einer herzhaften Erklärung konnte er sich jetzt
+am allerwenigsten entschließen. Er wollte jetzt gerade sehen, wie die
+Sache ginge. Wenn Christine »so 'n Kohbatza'« (winziger Fisch) lieber
+zum Mann wolle als ihn, dann solle sie ihn haben und Schulmeisterin
+werden. Sie kenne seine Meinung wohl und sie wisse recht gut, daß
+sie auf ihn zählen könne. Wenn sie im Stande sei, ihn wieder so ohne
+Weiteres aufzugeben, dann sei es ihm auch recht — und am Ende besser,
+daß er so eine gar nicht kriege. Aus diesen Gründen zog er sich mehr
+und mehr zurück, und Christine neigte sich ganz zu Forstner.</p>
+
+<p>Als der Treue sich davon überzeugen mußte, so daß er nicht mehr
+zweifeln konnte, fühlte er eine Pein, wie nie zuvor. Aber bald war
+auch sein Entschluß gefaßt. Was in der ersten stillen Nacht auf dem
+einsamen Lager in ihm vorging, wollen wir nicht schildern und nur das
+sagen, daß Zorn und Schmerz über Sie, über sich und sein Unglück so in
+ihm brannten und sich wechselseitig steigernd ihn so bedrängten, daß
+sich das gepreßte Herz in Thränen Luft machen mußte. Für eine tiefe und
+leidenschaftliche Liebe — und das war seine Liebe geworden — ist es
+eine unsägliche Qual, sich verschmäht<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> zu sehen um eines Mannes willen,
+den man nicht schätzen kann. Zur Vernichtung aller Hoffnungen auf das
+einzige Glück des Lebens kommt noch die Pein der Verachtung, die man
+erfahren, die Pein des Schmerzes über den Triumph des Nebenbuhlers,
+die Wuth über sich selbst, daß man den Schatz seiner Liebe an die
+Geringschätzung des Unbestandes verrathen konnte. Hans, in dem alle
+diese Empfindungen nach einander aufloderten, empfand die Marter der
+Verzweiflung in seinem Herzen. Welch ein Elend, sich Christine als das
+Weib dieses »Leckers« denken zu müssen! welche Schande, noch einmal auf
+die Seite gesetzt zu sein, nachdem schon von ihrer Hochzeit die Rede
+gewesen war! »Du mußt fort!« rief es in ihm, »aus dem Haus, aus dem
+Dorf!« — Aber da rührte sich die gründlich gute Natur in ihm. »Nein,«
+rief er dagegen, indem er sich ermannte, »nein das thu ich nicht, das
+wär' mir zu miserabel! Ich bleib' und halt' aus — jetzt grad! —
+Hinter meinem Rücken mögen die Leut' sagen, was sie wollen — in's
+Gesicht« (und er blickte mit funkelnden Augen in die Morgendämmerung)
+»in's Gesicht verspottet mich keiner, das weiß ich!« — Nachdem so das
+Bleiben vor seiner Ehre gerechtfertigt war, konnte auch die Großmuth
+ihre Gründe dafür aussprechen. »Sie brauchen dich, und jetzt mehr als
+sonst. Wer weiß, wie's geht? Der sieht mir grad so aus, als ob er mit
+nochmal so viel fertig werden könnt' als er hat. Ich will die Sach'
+vor der Hand noch zusammenhalten. — Kein' Dank verlang ich nicht!«
+Nach der Entschließung beruhigte sich die Leidenschaft endlich, die ihn
+so mächtig hin und her geschüttelt hatte. Der Wille, auszuharren und
+denen, die ihn gekränkt, Gutes zu thun — das war der Balsam auf die
+Wunde seines Herzens. Er kleidete sich an und ging in die Stube.</p>
+
+<p>Christine saß mit ihrer Mutter am Tisch. Hans wünschte mit ruhiger
+Stimme guten Morgen, aber mit einem Gesicht, daß Christine sich
+augenblicklich sagte: er weiß es! Sie las in diesen Mienen ihr
+Gericht und schrak zusammen. Das Gewissen, das sich plötzlich in ihr
+aufrichtete, erhellte ihren Geist und schärfte ihr Urtheil; und während
+sie sich vorher, ihrer Neigung folgend, gesagt hatte: »er ist selber
+dran Schuld, warum red't er nicht?« so erkannte sie jetzt ihr Unrecht
+und fühlte es tief. Das Schuldbewußtsein drückte sie darnieder<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> und
+ließ sie so verzagt erscheinen, daß Hans wieder Erbarmen mit ihr
+empfand. Gemüther wie das seine können in der Strenge des Richters
+nicht lange verharren; der Trieb, Gnade für Recht ergehen zu lassen,
+ist zu mächtig in ihnen und geht unwiderstehlich in Wirksamkeit über.</p>
+
+<p>Hans blieb von diesem Moment an genau in der Zurückhaltung, die er
+sich zum Gesetz gemacht hatte; aber er wurde freier darin, und Blick
+und Ton seiner Stimme erhielten wieder mehr von dem Wohlwollen, das
+unvertilglich in seinem Gemüth lebte. In der Güte, in der Großmuth
+eines wackern Mannes liegt ein Quell von Kraft, von der die seichte,
+egoistische Natur keine Ahnung hat. Im Besitz dieser Natur kann man
+vergeben, und man vergiebt. Und man wird nicht schwächer, indem man
+es thut, sondern stärker; man fühlt sich nach Ertheilung der Gnade
+nicht ärmer, als nach Forderung und Erlangung seines Rechts, sondern
+reicher, und man schwingt sich in dem Bewußtsein der Tugend über das
+Leid hinweg, das die Seele überfluthen zu wollen schien. Dies vermag
+der Bauer wie der König, wenn ihm Gott den Geist dazu gegeben hat, und
+jeder thut's nach seiner Art. Unser Bauernbursche gewann nach seiner
+innerlichen Ueberwindung einen Gesichtsausdruck, den man nur als edel
+bezeichnen konnte. Dem Dorfmädchen war auch dieses Wort in seiner
+moralischen Bedeutung unbekannt, aber von der Sache hatte sie eine
+Ahnung. Sie fühlte kein Bedauern, sondern eine unwiderstehliche Achtung
+vor dem Vetter; mit dem weiblichen Stolz, der so bereit ist, Mitleid
+zu empfinden und namentlich zu offenbaren, war es aus. — Aber ihre
+Natur machte sich den Stand der Dinge nun auf andere Weise zu Nutze.
+»Er ist getröstet,« sagte sie sich, »und wenn er sonst auch viel aus
+mir gemacht hat, thut er es jetzt nicht mehr.« — Einige Tage später,
+und ihr Gewissen hatte sich wieder beruhigt und schwieg; die Neigung,
+die Leidenschaft gewannen die Herrschaft wieder völlig. Das Weib fühlte
+sich frei und gab sich ganz dem Drang ihres Herzens zum Glück hin.</p>
+
+<p>Die Leser haben errathen können, daß Forstner und Christine
+Liebesgeständnisse ausgetauscht und Hans gewisse Kunde davon erhalten
+hatte. Zu einem Verlöbniß war es noch nicht gekommen; aber<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> zu diesem
+Ziele drängte es beide nun unausweichlich hin. Der junge Mann hatte
+seiner Neigung und wenn man will seinem Gelüste folgen wollen, in der
+Meinung, immer noch die Wahl frei behalten zu können; er hatte seiner
+Mutter verboten, mit der Glauning von ernsthaften Absichten seinerseits
+zu reden. Aber es ging, wie häufig in solchen Fällen: die Leidenschaft
+wuchs und führte ihn weiter als er gedacht. Sein ganzes Wesen war von
+Christine bezaubert; er war gebunden durch seine Liebe, gebunden durch
+die Rücksichten, die er auf Mutter und Tochter, auf den Geistlichen,
+auf das Dorf und seine Stellung darin nehmen mußte. Das Dorf hatte
+schon ausgemacht, daß er Christine heirathen werde, und er konnte, er
+durfte es nicht Lügen strafen. So gedieh das Verhältniß endlich zum
+Abschluß. Die Wittwe Glauning hatte die Verheirathung ihrer Tochter mit
+dem gefeierten Lehrer von dem Gesichtspunkt der Ehre ansehen gelernt,
+und die Aussicht, den Flecken ihrer Verrechnung wegen jenes reichen
+Bauernsohnes gänzlich zu tilgen und als »Schwieger« Forstners auf
+eigene Art hervorstechen zu können, erfüllte sie mit Lust und mit jener
+Begierde, der es unmöglich ist, länger müßig zuzusehen. Als Mutter
+war sie jetzt ohnehin verpflichtet zu reden; und so ging sie denn
+eines Tages zur Base Forstner und sprach ihre Meinung in dürren Worten
+aus. Entweder — oder! — das war der Sinn ihrer Rede. Die Mutter des
+Lehrers hatte für diesen Fall schon Vollmacht erhalten; sie sagte, daß
+ihr Fritz nie eine andere Absicht gehabt habe, als das schöne und liebe
+Bäschen zu heirathen. — Auf einmal hieß es im Dorf: der Herr Lehrer
+hat sich mit der Christine versprochen.</p>
+
+<p>Die vollendete Thatsache machte doch ihr Recht geltend, obwohl man
+sie allgemein hatte kommen sehen. Der Geist der Kritik fand sich
+herausgefordert; jede Meinung, die der Sachlage nach möglich war, fand
+einen Vertreter, und der Lärm war groß. Die einen, vorzüglich Weiber
+und Mädchen, verdammten Christine. So einen braven Menschen wie den
+Hans zweimal nach einander anzuführen, ihm »das Maul zu machen« und
+ihn, wenn ein Vornehmerer komme, wieder fahren zu lassen, das wäre
+keine Art nicht; das hätten sie niemals gethan — und wenn ein Graf
+gekommen wäre! Aber diese Christine sei eben ein hoffährtiges Ding,
+man wisse das ja, und trachte immer<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> über ihren Stand hinaus. Der
+Hans hätte für sie gepaßt, der Herr Forstner sei zu fein für sie, und
+man werde sehen, daß das nicht gut ausgehe. Die andern, hauptsächlich
+ledige Bursche, machten den Hans für den Ausgang verantwortlich. Er
+sei allein Schuld und ihm geschehe ganz Recht. Der Mutter jahrelang
+das Hauswesen führen und sich dann die Tochter wegkapern zu lassen,
+da müßte einer ungeschickter sein als der Teufel! Wenn sie den »Rang«
+gehabt hätten, wenn sie bei der Christine im Haus gewesen wären, da
+hätte so ein Schulmeister kommen sollen! Der hätte gleich gesehen, daß
+er wieder gehen könnte. Auf so Einen zu warten, ja, das wär' ihnen das
+Wahre gewesen! Aber der Hans sei eben ein »Lamech,« ein »Drockser,« ein
+Kerl, der nicht von der Stell' komme; und wenn Christine den flinkeren
+Schulmeister lieber habe, so könne ihr das kein Mensch übel nehmen.</p>
+
+<p>Das Dorf, wie man sieht, beschäftigte sich eben so viel mit Hans als
+mit Christine und Forstner. Der brave Bursche, der geschickte Bauer
+hatte sich eben Respekt erworben und dadurch eine eigene persönliche
+Bedeutung erlangt. Was wird er nun thun? fragte man sich. Wird er
+gehen, sein Geld aufkünden und die beiden Weiber sitzen lassen?
+»Freilich wird er gehen!« rief eine Gegnerin der Christine auf so eine
+Frage ordentlich hitzig. »Er wird wohl bleiben und all den Spektakel
+mit ansehen — Hochzeit und am End' Kindtauf' auch noch. Er wird sich
+die Tochter wegfischen lassen und der Alten noch länger den Knecht und
+den Narren machen! Das wär' nicht mehr gut, sondern dumm — und dumm
+ist der Hans doch nicht.«</p>
+
+<p>Die Frage war bald entschieden. Hans blieb, und ein großer Theil seiner
+Vertheidigerinnen fiel nun auch von ihm ab und sagte, Christine habe
+doch Recht gehabt, es ihm so zu machen. So ein einfältiger Mensch sei
+ihnen ihr Lebtag noch nicht vorgekommen.</p>
+
+<p>Durch Alles, was bisher in ihm vorgegangen, hatte Hans die Fähigkeit
+erlangt, der Christine zu ihrer Verlobung ehrlich und ruhig Glück zu
+wünschen. Er that es und ging so weit, ihr dabei die Hand zu geben.
+Aber er vergab sich nichts damit; der Ausdruck seines Gesichts sorgte
+dafür. Christine wurde roth über und über, sie sah ihn beschämt,
+ja bittend an und ihre Hand zitterte in der seinen. Es war<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> eine
+Genugthuung für den treuen Burschen und er kostete ihre traurige
+Süßigkeit. Aber dann fing er selbst ein anderes Gespräch an und half
+dem Mädchen, aus Schonung, von der Tiefe der Empfindung wieder zur
+Oberfläche empor. Beiden wurde leichter um's Herz, und Christine
+überließ sich bald wieder der Freude und der Ehre ihres Brautstandes.</p>
+
+<p>Am ersten Sonntag Abend nach dem »Verspruch« ging Hans in's Wirthshaus.
+Einige junge Leute hatten vorgehabt, ihn aufzuziehen; aber er hatte
+so was Eigenes in seinem Gesicht und in seinem Auge; sie trauten
+dem Landfrieden nicht und dankten ganz ehrbar auf seinen Gruß. Man
+discurirte über allerlei andere Dinge; unser Freund sprach resolut,
+verständig und machte zuletzt sogar hie und da eine humoristische
+Bemerkung in seiner alten Manier. Wie nun bei natürlichen, eben so wie
+bei gebildeten Menschen keine wirkliche Kraft ohne Anerkennung bleibt,
+so bekam der Wackere, als er die Wirthsstube verlassen hatte, von
+seinen Kameraden ernstlich empfundenes Lob. »Der ist gescheidter,« hieß
+es, »als die Leute glauben. Er macht sich aus der ganzen Geschichte
+nichts, und er hat Recht. Die Christine ist eine falsche Person, die
+einen so braven Kerl gar nicht verdient. Er darf sich Glück wünschen,
+daß er sie nicht bekommt — und wie's ihr geht, das wollen wir sehen.«</p>
+
+<h3>III.</h3>
+
+<p>Die größte Heilkraft auf Erden besitzt — die Zeit. Indem sie den
+Menschen in ihrem Strome fortführt und andere Bilder vor seine Seele
+bringt, entzieht sie ihn mehr und mehr der Einwirkung dessen, was
+gewesen ist. Sie mildert den Schmerz, löst die Spannung, entkräftet
+die Selbstanklage und giebt der Seele die Stärke und Ruhe wieder,
+ohne die sie ihren eigenen Anfechtungen erliegen müßte. Was uns heute
+unerträglich scheint, vielleicht in wenigen Tagen schon dünkt es uns
+eine mäßige Last. Was uns im ersten Moment als eine ausgesuchte Schmach
+niederdrückt, nach einigen Wochen erscheint es uns als ein gewöhnliches
+menschliches Ungemach, und unser übertriebenes Leidwesen darüber kann
+uns ein Lächeln entlocken.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p>
+
+<p>Freilich kommt dabei sehr viel auf die Art des begangenen oder
+erduldeten Unrechts, auf das Temperament und den Charakter des Menschen
+an. Es giebt Dinge, die der Seele keine Ruhe lassen, die mitgehen
+auf dem Wege, den sie nimmt, und ihr immer gegenwärtig bleiben. Es
+giebt Naturen, welche Handlungen und Erlebnisse von geringerem Belang
+festhalten und sich selbstquälerisch damit zu tragen im Stande sind;
+Menschen, in denen die Vergangenheit sich immer wieder vergegenwärtigt
+und die eine Beschämung roth machen kann, welche ihnen vor zwanzig
+Jahren widerfahren ist. Andere Erlebnisse verflüchtigen sich von
+selbst, und andere Naturen wissen Dinge von sich abzuschütteln, die
+sich sonst wie Kletten anzuhängen pflegen. Auch der Bildungsstand ist
+hier von großem Einfluß. Je mehr der Mensch seinen Geist entwickelt und
+sich zu einem innerlichen Leben erzogen hat, desto leichter versetzt er
+sich in die Vergangenheit, desto bedeutsamer ist für ihn das Gewesene,
+desto mehr durchdringen sich in ihm die Zeiten. Je näher der Mensch der
+Natur steht, desto mehr lebt er in der Gegenwart, desto mehr vergißt
+er, desto weniger belästigt ihn seine Vergangenheit.</p>
+
+<p>Der Bauer giebt sich nicht viel mit Erinnerungen ab, wenn sie nicht
+von sehr gewichtiger Art sind. Durch seine Denkweise, durch Natur und
+Gewohnheit, namentlich aber durch die ihm auferlegten Arbeiten ist
+er vorzugsweise auf die Gegenwart gewiesen. Alle feinern Differenzen
+kommen auf dem Dorfe gar bald wieder ins Gleiche, und nur tiefe
+Leidenschaften in tiefen Gemüthern können auch hier still fortglühen.</p>
+
+<p>In dem Haus, in welchem unsere Erzählung hauptsächlich spielt, war
+äußerlich bald alles wieder im alten Gang und auch innerlich vieles
+wieder hergestellt und gemildert. — Am raschesten war es der Wittwe
+Glauning gelungen, ihre frühere Gemüthsruhe wieder zu erlangen. Sie
+hatte sich wegen ihres Benehmens gegen Hans im Stillen doch auch
+einige Vorwürfe gemacht; aber nach wenigen Tagen schon war ihr das
+neue Verhältniß etwas Gewohntes und übte auf ihren Geist die Macht
+einer Sache, die nun einmal nicht anders ist. Wenn sie den Vetter sah,
+wie er mit ernstem Fleiß weiter arbeitete, dachte sie wohl: »Das ist
+doch wahrlich ein braver Mensch!<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> Man sollte gar nicht glauben, daß
+es noch solche Leute gäbe!« Aber eben durch diese Anerkennung fand
+sie sich mit ihm ab. Hans war ihr von nun an der gute Vetter, der
+sehr freundschaftlich gegen sie handelte, auf dessen Dienste sie aber
+beinahe schon ein gewisses Recht zu haben glaubte.</p>
+
+<p>Christine folgte der Mutter nach. Das beschämende Gefühl und die
+Vorwürfe, die sich beim Anblick des Vetters zuweilen noch in ihr
+erneuert hatten, kamen seltener und blieben endlich ganz aus. Sie lebte
+im Wonnemond des Brautstandes, und die ganze Welt erschien ihr in
+heiterem Lichte. Wenn man sie hinter ihrem Rücken scharf beurtheilte,
+in's Gesicht gratulirte man ihr, lobte den Herrn Lehrer und pries sie
+glücklich. Die Kunst, sich höflich zu verstellen, ist auf dem Lande
+keineswegs unbekannt und gehört zur guten Lebensart wie anderswo. Es
+giebt auch hier Leute, die um so lebhafter zu schmeicheln verstehen, je
+nachdrücklicher sie dieselbe Person gegen Andere durchgehechelt haben;
+Leute, von denen man als etwas Besonderes hervorhebt, daß sie sich
+»recht anstellen,« d. h. einen Eifer, ein Vergnügen, eine Bewunderung
+zeigen können, von denen ihr Herz nichts weiß. Der Glanz des Ruhms, den
+sich der Bräutigam durch seine persönlichen Vorzüge erworben hatte,
+warf seine Strahlen auch auf die Braut; um seinetwillen that man der
+Christine mehr Ehre an und bewies ihr mehr Achtung als vorher. So sah
+die Glückliche sich umhuldigt von allen Seiten und hatte in der Freude
+ihres Herzens natürlich kein Arg, daß von den schönen Sachen, die man
+ihr sagte, auch nur eine Sylbe abgehen könnte.</p>
+
+<p>Forstner selbst zeigte sich jetzt gegen sie von seiner
+liebenswürdigsten Seite. Er war von Leuten, auf deren Urtheil es
+ihm ankam, wegen seiner verständigen Wahl gelobt worden; ein paar
+muntere Collegen, die er von dem Vermögensstand der alten Glauning
+unterrichtet und mit der Braut bekannt gemacht hatte, erklärten ihn
+für beneidenswerth; er war in der besten Laune, sog den Blüthenduft
+des schönen Verhältnisses mit vollen Zügen ein und that alles, was
+der Erwählten angenehm und schmeichelhaft sein konnte. Wie hätte da
+Christine noch Aug' und Ohr haben können für etwas anderes! Sie liebte
+und sah den Geliebten glücklich, sie sah seinen Eifer, ihr Freude<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> zu
+machen, und fühlte keinen lebhafteren Trieb und wußte keine höhere
+Pflicht, als ihm seine Liebe zu vergelten.</p>
+
+<p>Das Glück hat die Eigenschaft, daß es sich aus sich selber vermehrt und
+seine Vermehrung von außen her magnetisch anzieht; darum giebt es auch
+eine Zeit, wo es in stetem Wachsen ist. Die Freude machte Christine
+nicht nur holder und feiner, als sie bisher erschien, sondern auch
+geistig aufgeweckter und heller. Sie war in der Freude sicher, und ihre
+Urtheile, ihre Bemerkungen im Gespräch erschienen dem Verlobten gar oft
+mit Recht sinnig und treffend. Forstner sah sich nun auch von dieser
+Seite beruhigt — er glaubte aus ihr eine Frau ganz nach seinem Herzen
+bilden zu können. Dies verhehlte er ihr aber auch nicht; er erquickte
+ihr Herz mit Lob über Vorzüge, die sie bis jetzt noch nicht an sich
+gekannt hatte, und ein außerordentliches Behagen, ein liebevolles
+Dankgefühl gegen ihn war die Folge davon.</p>
+
+<p>Die beiden jungen Leute und eben so die beiden Mütter waren in einem
+Zustande, wo man die Engelein im Himmel singen und musiciren hört. Der
+Liebes- und Freundschaftsverkehr ließ bei der nothwendigen Arbeit des
+Tages kaum so viel Muße übrig, um die Ausstattung der Braut und die
+künftige Einrichtung zu erwägen und die ersten Vorbereitungen zu den
+Unternehmungen der nächsten Monate zu treffen.</p>
+
+<p>Hans ging seinem Geschäft nach und schien nur dafür Sinn und Auge zu
+haben. Was er mit seinen Verwandten zu reden hatte, wurde kurz und
+ruhig abgemacht; er war gern allein, man sah es und ließ ihn allein.
+Da Christine an ihrer Ausfertigung arbeiten mußte und die strengere
+Bauernarbeit für sie nicht wohl mehr schicklich war, so hatte man eine
+Taglöhnerin für sie eingethan. Diese war schweigsam, eine von den still
+hinlebenden, in ihrer Gedankenlosigkeit glücklichen Personen, wie man
+sie auf dem Lande nicht selten findet, und der Bursche hatte zu seinem
+Troste nichts zu leiden durch Geschwätz und durch Fragen, die ihm jetzt
+doppelt zuwider gewesen wären.</p>
+
+<p>Ihm war das zuletzt Erlebte freilich nicht verschwunden und von der
+Gegenwart überdeckt, wie den andern; aber es hatte sein Peinliches
+verloren, die Zeit hatte es gemildert und ihren Duft darauf geworfen.<span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span>
+Es war nicht mehr das bloße Leid, das er empfand. Diesem war die
+niederdrückende Gewalt genommen, die man entweder überwinden oder
+der man erliegen muß; es hatte selbst etwas Liebes und für die Seele
+Wohlthuendes erhalten.</p>
+
+<p>Was wir poetisches Gefühl nennen, ist von keinem Stande, von keiner
+Schichte der Gesellschaft ausgeschlossen. Früher hätte man diesen Satz
+vertheidigen müssen; jetzt, wo man die Volksmelodien und Volkslieder
+kennt und ehrt, wird ihn niemand zu bestreiten wagen. Wo ist Liebeslust
+und Liebesleid inniger, tiefer und rührender ausgesprochen, als
+in eben diesen Liedern, die aus dem Volke hervorgegangen oder von
+ihm angenommen und erhalten worden sind, und die immer noch, in
+Gesellschaft oder in Einsamkeit, von ihm gesungen werden? Wenn das
+tiefere Gemüth auf sich selbst und sein Leid beschränkt ist, fällt
+ihm ein Lied ein, das seinen Zustand ausdrückt; der Mund summt es
+unwillkürlich, das Herz schauert und die Augen werden feucht.</p>
+
+<p>Der Winter war vergangen, die erste Frühlingszeit hatte schön begonnen
+und die Feldarbeit nahm ihren Anfang. Wenn der letzte Schnee weicht,
+die Sonne wärmer scheint, der Boden locker, die Wiese grüner wird und
+die Lerche singend in den Himmel steigt, dann geht durch jede bedrängte
+Seele ein Gefühl der Genesung. Auch die weichere Natur fühlt sich
+körperlich und geistig stärker und fängt im Leid wieder an zu hoffen;
+das männliche Herz gesundet fühlbar, wird seiner selbst mächtig und der
+Bedrängniß überlegen. Dann ist aber gerade die Zeit gekommen, wo es das
+Leid lieb gewinnt und es aus freien Stücken festhält und hinabsteigt zu
+der Süßigkeit melancholischer Träumerei.</p>
+
+<p>Unser guter Freund hatte mehr Anlage zu innerlichem Leben von der Natur
+erhalten und in sich ausgebildet, als es auf dem Lande gewöhnlich ist.
+Von der Lustbarkeit weniger angezogen, durch eine scheue Leidenschaft
+auf sich selber gewiesen, kannte er schon länger den Reiz gemüthlicher
+Vorstellungen. Die Neigung dazu und die Kraft, solche Vorstellungen
+zu erzeugen, trat jetzt um so stärker in ihm hervor und gewährte ihm
+die volle Lust herzlich gehegter Trauer. Freuten die Verlobten sich
+in hellen Dur-Tönen — ihm war ein Glück,<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> und ein reiches Glück, in
+Moll beschieden. Seine Arbeiten störten ihn darin nicht; er verstand
+sie so gut, daß sie wie von selber ihren Gang gingen und ihm Zeit
+genug übrig ließen, seinen Gedanken nachzuhängen. Wenn er mit seinen
+Kühen wohlgehaltenes Land »äckerte« und von dem Hauch der frisch
+aufgeworfenen Erde umdampft zuweilen »sinnirte,« wurden die Furchen
+darum nicht schlechter und er rief den Thieren zeitig genug sein
+»Härrerei'« zu, wenn er an der »G'wand« (Ackergrenze, wo umgewendet
+wird) angekommen war. Auf der Wiese rechte er mit der Taglöhnerin um
+die Wette Streu, obwohl es in seinem Innern summte, während in ihr die
+vollkommene Stille des Nichts Platz genommen hatte. Die ländlichen
+Arbeiten begünstigen zum Theil ein gewisses träumerisches Wesen;
+besonders einladend dazu ist aber die mittägliche und abendliche
+Heimkehr von einem entfernteren Ackerstück, so wie die Fütterungs-
+und Verdauungszeit der untergebenen Thiere. In den völlig einsamen
+Momenten, erfüllt von seiner Empfindung, kamen unserm Burschen allerlei
+Lieder in den Sinn. Er sang sie mit herzlicher, gedämpfter Stimme
+und fühlte ganz die Besänftigung und erneuerte schönere Aufregung
+anspruchloser Kunst. So sang er das Lied:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Da droben auf jenem Berge,</div>
+ <div class="verse indent0">Da steht ein hohes Haus,</div>
+ <div class="verse indent0">Da schauen wohl alle Frühmorgen</div>
+ <div class="verse indent0">Drei schöne Jungfrauen heraus« u. s. w. —</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>wohl mehr wegen der lieben, rührenden Melodie, als weil die Reime
+seinem Zustand entsprachen. Wenn er aber das letzte »G'setz« für sich
+hinsummte, dann hatte er dabei doch auch seine ganz eigenen Gedanken.</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Ach Scheiden, ach Scheiden,</div>
+ <div class="verse indent0">Wer hat doch das Scheiden erdacht!</div>
+ <div class="verse indent0">Es hat mein jung frisch Leben</div>
+ <div class="verse indent0">Das Scheiden so traurig gemacht.«</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Er lebte mit der, die er liebte, in Einem Hause; aber er war viel
+schlimmer geschieden als ein Liebhaber, der in die Fremde muß. Für ihn
+gab es kein Wiederfinden, kein Wiedersehen, keine Wiedervereinigung! —
+Bedachte er, wie sehr und wie lang er Christine geliebt<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span> und wie treu
+er an ihr gehangen, dann kam ihm wohl ein Lied auf die Lippen, das im
+Ries oft gesungen wird:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Treu hab' i geliebet,</div>
+ <div class="verse indent0">Was hab' i davon?</div>
+ <div class="verse indent0">Mein Herz ist betrübet,</div>
+ <div class="verse indent0">Das hab' i zum Lohn.«</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Und in tiefem Ernst sah er dann für sich hin. — Einmal wurde dieser
+Ernst durch ein halb weh-, halb gutmüthiges Lächeln verdrängt. Es war
+ihm ein anderes Liedchen eingefallen, das seine Erfahrung erklärte:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Wann's Mädle sauber ist,</div>
+ <div class="verse indent0">Und ist no jung, no jung,</div>
+ <div class="verse indent0">Muß der Bue luste sei',</div>
+ <div class="verse indent0">Sonst kommt er drum.«</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>»Ja freile,« sagte er dann zu sich, »doh hot's eba' g'fehlt, und i ka'
+me net beklaga'. 'Sist oena' (eine) wie die ander. Wer koe (kein) so a
+»Luftikus« (Variation von Windbeutel) ist, der ka' nex ausrichta' bei
+da' Mädla'!« Und er erleichterte nun sein Herz in folgenden Strafreimen:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Was hilft me a schöner Apfel,</div>
+ <div class="verse indent0">Wann er innen ist faul! </div>
+ <div class="verse indent0">Was hilft me a schöas Dea'del —</div>
+ <div class="verse indent0">Sie macht mer nor d's Maul!«</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Der leichten Anklage der schönen Base folgte aber bei dem guten
+Burschen in der Regel die Rechtfertigung, die Einsicht in die Natur
+der Dinge und den Lauf der Welt, die Ergebung und die stille Trauer.
+Einmal, als er nach der letzten abendlichen Fütterung im Stalle saß und
+die Kühe wiederkäuend dalagen, summte er in der leise belebten Stille
+eine Melodie ohne Text, die ihn dergestalt rührte, daß ihm Thränen in
+die Augen traten. Er besann sich auf das Lied — es war das bekannte:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Wann mei' Schatz Hochzeit macht,</div>
+ <div class="verse indent0">Hab' i a traurige Nacht,</div>
+ <div class="verse indent0">Sperr mi in mei' Kämmerlein</div>
+ <div class="verse indent0">Und wein' um mein' Schatz.«</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span></p>
+
+<p>Es klopfte und zitterte in seinem Herzen und die Thränen rollten die
+Wangen herunter. Das war ihm aber doch zu arg. Er stand rasch auf,
+wischte sich die Augen und rief mit wahrem Zorn: »Hohl der Teufel die
+Narrheit! Ich werd' noch ganz zum alten Weib! — Aber jetzt ist's auch
+gnug!« Er ging in dem Gange vor dem »Bahren« (Futtertrog) hin und her
+und fing ein kleines Gespräch mit einer Kuh an, die sich erhoben hatte
+und ihn anmuhte. Allein er konnte nicht verhindern, daß ihm seine
+Gedanken wie verwöhnte Kinder noch einmal zu dem verbotenen Gegenstand
+entliefen. Er dachte an seine alten Träume, mit der Christine das
+schöne Haus zu bekommen und drin mit Weib und Schwieger ein Leben zu
+führen herrlich und in Freuden. Mit einer Art von Heroismus sang er
+hierauf das launig desperate Lied:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Und aus isch mit mir,</div>
+ <div class="verse indent0">Mei' Haus hat kei' Thür,</div>
+ <div class="verse indent0">Und mei' Thür' hat kei' Schloß,</div>
+ <div class="verse indent0">Und mein' Schatz bin i los.«</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>»Ja, ja,« sagte er dann halb lächelnd zu sich, »Alles ist hin
+miteinander! — D's Haus freilich, das traut' ich mir wohl noch zu
+kriegen; aber was hilft mich d's Haus ohne d's Weib!« — »Nun,« setzte
+er endlich sich ermannend hinzu, »am End' bleib' doch <em class="gesperrt">ich</em> noch
+da!«</p>
+
+<p>Zu der schönsten Zeit auf dem Lande gehört der Morgen eines Feiertags,
+wenn die Sonne scheint und die Luft mild und lieblich ist. Je mehr der
+Bauer die Woche hindurch gearbeitet hat, desto besser versteht er am
+Sonntag zu ruhen. Seine Bewegungen sind dann <i>con amore</i> langsam, die
+Mienen drücken ruhiges Vergnügen, sein ganzes Wesen tiefe Gelassenheit
+aus. Mit der Arbeit der Wochentage hat er auch die Sorgen hinter sich
+gelassen und ist zu einer Art von Naturstand zurückgekehrt, wo ihn ein
+Hauch der goldenen Zeit und ihrer Glückseligkeit anweht. Er kommt an
+solchem Tag in eine tiefere Stimmung und gibt sich entweder stiller
+Träumerei hin oder freut sich an der Schönheit einzelner Gegenstände
+der Natur, nicht wie ein schwärmender Poet freilich, aber schlicht und
+naiv wie ein Kind. Und dieses Naturbehagen wird durch die kirchliche
+Feier des Tags nicht gestört, es wird durch sie gestärkt, erhöht und
+sanktionirt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p>
+
+<p>Nach und nach war der Mai herbeigekommen. Die Bäume glänzten in
+frischem Laub, einzelne standen über und über in Blüthe. Es wurde nun
+ein Lieblingsvergnügen des guten Hans, in der schönen Sonntagsfrühe
+sich in den Garten zu begeben, und was in der Woche gewachsen und
+ausgeschlagen, was von ihm selbst darin gearbeitet und hergerichtet
+war, mit Ruhe zu beschauen. Er freute sich an dem grünen Laub und an
+den schönen Blüthen der Bäume, aber auch an dem Gesurre der »Emmen«
+(Immen, Bienen) darin; denn sie hatten an der Mauer des Hauses selber
+einen »Emmenstand,« worin sich drei Stöcke befanden, und er hoffte, daß
+einer davon bald schwärmen werde. Er freute sich bei den Stöcken der
+rothen und gelben Hosen, welche die Bienen anhatten, und wie ordentlich
+ein Vergnügen aus ihnen glänzte, mit so reicher Beute heimzukehren.
+Zu der Südgrenze des Gartens hinabgewandelt, sah er mit Lust über die
+weißblühende Dornhecke auf die Wiese hinaus und freute sich der schönen
+Blumen darin, eben so des reichlichen Grases, das eine gute Heuernte
+versprach. Die Lerchen schienen ihm noch lieblicher zu singen, als
+an Wochentagen draußen auf dem Felde, und es war ihm, als müßte bei
+diesem Gesang, bei der Schönheit und dem Wohlgeruch der Blüthen, bei
+der warmen Luft und dem hellen Sonnenschein, und bei den herrlichen
+Aussichten auf ein gesegnetes Jahr die ganze Welt sich glücklich fühlen.</p>
+
+<p>Er selber fühlte sich glücklich, glücklicher als seit langer Zeit. Es
+war noch immer ein Zusatz von Trauer in seinem Glück, aber sie war
+aufgelöst und hatte sich innig mit seinem Wohlgefühl verbunden. Das
+genesende Herz war nicht nur gestärkt durch die Schönheit der Natur,
+durch die stille Betrachtung des Blühens und Gedeihens, sondern auch
+durch die religiöse Bedeutung des Tages. Hans gehörte nicht zu den
+»Betischten,« wie man im Ries, das Wort von »Beten« ableitend, die
+Pietisten nennt; er machte aus der Frömmigkeit nicht das Geschäft
+seines Lebens. Aber man hat wohl schon bemerkt, daß in seinem Wesen
+doch gar manches lag, was recht eigentlich christlich war, und bei
+aller Natur, die mit ihm verbunden blieb, hätten wir einem solchen Mann
+im Lebensverkehr doch mehr vertrauen mögen, als manchem von den Stillen
+im Lande, deren Mehrzahl wir übrigens<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> gerne nicht nur für ehrliche,
+sondern überhaupt für respektable Leute halten. Hans hatte einen guten
+»Unterricht« (mit diesem Wort bezeichnet der Rieser ausschließlich den
+Religionsunterricht) genossen, und er war der Mann, von den Lehren
+des Geistlichen mehr zu behalten als der erste beste. Er hatte ein
+dankbares Gemüth gegen Gott und war ihm anhänglich und diente ihm in
+den Formen, in denen er erzogen war. In seinem Hin- und Herdenken fiel
+ihm nun auch wohl ein Ausspruch der Bibel oder des Gesangbuchs ein, der
+ihn tröstete und von seiner Empfindung frei machte.</p>
+
+<p>An einem besonders schönen Sonntagsmorgen steigerte sich unter solcher
+Einwirkung die Stimmung seines Herzens bis zur Heiterkeit. Vor dem
+religiösen Gefühl, wenn es die Seele auch nur als ein unbewußter Hauch
+durchdringt, können gewisse trübe Empfindungen nicht Stand halten; wir
+legen einen andern Maßstab an das Leid, und was uns sonst über die
+Maßen begründet erschien, das kann sich uns als eine Einbildung, ein
+Erzeugniß menschlicher Schwäche darstellen, und sein Wichtigthun kann
+uns ein Lächeln abnöthigen. Die wahrhaft gute Natur wird dann frei von
+der letzten Empfindlichkeit und fähig, nicht nur zu vergeben, sondern
+auch zu vergessen. Als Hans an diesem Morgen in's Haus zurückkehrte,
+weil die Glocken zur Kirche riefen und er die festlich geputzte
+Christine im »Wurzgarten« am Hause sah, wie sie noch ein Sträußchen
+pflückte, um ihren Schmuck zu vollenden, warf er im Vorübergehen einen
+Blick auf sie, wie ihn ein Mann auf ein glückliches Kind wirft. Und als
+sie ihn gewahr wurde und vergnügt und mit einer gewissen Gutmüthigkeit
+rief: »Guten Tag, Hans!« da dankte er ihr von Herzen freundlich und
+wünschte ihr eine »gute Andacht,« obgleich er wußte, daß ihre Andacht
+hauptsächlich im Denken an ihren Bräutigam und in der Freude über sein
+schönes Singen und Orgeln bestehen werde. Er selber ging würdig langsam
+in die Kirche und erbaute sich in ihr mehr als sonst, weil er, durch
+seine Herzenserfahrungen und sein Nachdenken darüber belehrt, mehr
+als sonst von der Predigt verstand. Er kam aufgerichtet und froh nach
+Haus, das Gefühl im Herzen, das wohl als ein Ersatz für die verlorene
+Freude des Lebens gelten kann,<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> das Gefühl, durch Selbstüberwindung und
+Entsagung klarer und besser geworden zu sein.</p>
+
+<p>Wer kann die Regungen eines Herzens schildern, das eben so der
+Leidenschaft wie der Resignation, eben so des Schmerzes wie der
+Erhebung fähig ist? wer das Spiel verfolgen der Trauer und der
+Tröstung, des Hinabsinkens und des Emporstrebens, des Rückfalls und der
+langsamen, langsamen Heilung? Nur andeuten läßt sich, was durch eine
+Seele geht, die dem liebsten und theuersten Wunsch entsagen muß, und
+das haben wir zu thun versucht.</p>
+
+<p>Die Zeit und die Kräfte, die dem strebenden Menschen zu Hülfe
+kommen, übten endlich auch auf unsern Freund ihre ganze Macht. Seine
+Empfindungen zergingen freilich nicht wie die der andern, aber sie
+traten zurück in das Innerste seines Herzens, das sich über ihnen
+zuschloß. Er bewahrte sie hier, wie man im verborgensten Fache eines
+Schreins ein ererbtes theures Kleinod bewahrt, des Besitzes gewiß, ob
+man es zuletzt auch nur selten hervorzieht, um sich in seinen Anblick
+zu versenken.</p>
+
+<p>Als der Frühling hingegangen war, standen Mutter, Tochter und Vetter
+wieder auf so freundschaftlichem Fuß, als ob ihr Verhältniß niemals
+getrübt worden wäre. Wenn die Glauning sah, wie Hans jetzt fast noch
+eifriger und gewissenhafter arbeitete, als früher, ging es ihr doch
+zuweilen an's Herz und sie dachte bei sich selbst: »So ein braver
+Mensch ist mir doch wahrhaftig noch nie vorgekommen! Der Bräutigam
+meiner Tochter ist schöner und feiner; aber wenn er nur auch so gut
+ist, wie der Hans.« — Christine war von der Tugend des Vetters, die
+sich so völlig anspruchlos in Thaten kundgab, auch gerührt; aber ihr
+innerliches Lob schloß nicht mit einem Wunsch, der über die Güte
+Forstners noch irgend einen Zweifel zuließ. Ihr Bräutigam war nicht
+nur der schönste und feinste, sondern auch der beste aller Menschen;
+das bewies er ihr ja täglich durch seine Liebe, durch seinen Eifer,
+ihr Freude zu machen. — Der Verlobte selbst begegnete dem Guten jetzt
+mit viel mehr Rücksicht als früher. Wenn Hans ihm seine gebührende
+Ehre gab und bei seinem Eintritt in's Haus mit ruhiger Freundlichkeit
+»guten Abend, Herr Lehrer« sagte, sprach aus dem Ton seiner Erwiederung
+und aus seinem Blick<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> ein unwillkürlicher Respekt, und selbst zu
+Hause im Gespräch mit seiner Mutter gebrauchte er über ihn nie mehr
+despektirliche Bezeichnungen, wie sonst. Manchmal nahm er Gelegenheit,
+dem Braven wegen seiner Geschicklichkeit als Bauer ein Compliment zu
+machen und es so warm auszudrücken, daß Hans selber zu glauben anfing,
+dieser Mann wäre am Ende doch besser, als er ihm zuerst vorgekommen
+sei, und Christine könnte mit ihm glücklich werden.</p>
+
+<p>In Christine regte sich, nachdem sie ihre Furcht und Verlegenheit vor
+Hans gänzlich abgelegt hatte, die gute Natur. Die Achtung, die sein
+Benehmen ihr einflößte, wurde zur Freundschaft, zur freundschaftlichen
+Theilnahme. Sie fühlte den Trieb, ihn wohl zu halten und ihn
+zu erfreuen durch Lob und durch die Aufmerksamkeiten, wozu der
+Familienverkehr so viele Gelegenheit bietet. War sie auch nicht mehr
+gedrückt durch das, was ihr früher als ein Unrecht vorkam, so fühlte
+sie sich doch erleichtert, wenn sie etwas für ihn gethan hatte. Einmal,
+als das Gespräch mit ihm eine scherzende Wendung genommen, sagte sie,
+indem sie plötzlich einen ersteren Ton annahm: »Hans, du mußt auch
+heirathen! Einem Mann in deinem Alter gehört ein braves Weib, und
+du verdienst die beste!« — Hans sah ihr betroffen und argwöhnisch
+in's Gesicht; da er aber nur wirkliche Theilnahme darin erblickte,
+so antwortete er mit einer gewissen Laune: »Für unser Einen ist's
+Heirathen so eine Sach', man kriegt nicht immer die, die man gern
+möchte.« — Christine, die ein wenig roth wurde, rief um so lebhafter:
+»Ein Bursch wie du kann sich jede aussuchen!« — Hans verzog seinen
+Mund und erwiederte: »Ich glaub's wohl! So Einem kann's nicht fehlen!
+Wenn er die Hände ausstreckt, hängt an jedem Finger eine!« — Ueber
+diesen kitzlichen Punkt fand Christine für gut hinwegzugehen, und die
+Heirath schon als geschehen betrachtend, sagte sie: »Dann werden wir
+Gevatterleut' und ich heb' deine Kinder aus der Täf (Taufe), und wir
+wollen recht vergnügt mit einander sein.« — »Nun damit,« versetzte
+Hans lächelnd, »hat's noch gute Weg'. Zuerst heirathest du, und dann
+wollen wir sehen, was mit mir anzufangen ist.«</p>
+
+<p>Freilich, auf die Hochzeit der Christine war mehr Aussicht als auf
+die des guten Hans. Die Verlobten hatten beschlossen, sich im<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> Herbst
+»zusammengeben« zu lassen, und es wurde nun immer emsiger an der
+Ausfertigung gearbeitet. Die Frage, wie Christine als Frau Lehrerin
+sich kleiden solle, war erledigt. Heutzutage hätte man eine »Näherin«
+eingethan, die sich als Kleidermacherin schon einen Namen erworben,
+und der Lehrersbraut die gehörige Zahl bürgerlich französischer Anzüge
+fertigen lassen. Damals warf man aber die Rieser Tracht noch nicht so
+schnell über Bord, und es war demnach im Hause der Glauning beschlossen
+worden, nur zu der feineren Kleidung im Rieser Styl fortzugehen, wie
+sie die Weiber der reichen Bauern, der Müller, Wirthe und auch der
+Schullehrer noch trugen. Es war immerhin ein Fortschritt, und das
+Herz der Braut wurde außerordentlich erheitert beim Anblick zweier
+seidener Halstücher, die ganz neumodisch waren, eines herrlichen
+»geflammten« Rocks, der in zierliche Falten »gebegelt« (gebügelt) die
+stattlich Hinschreitende umwogen sollte, und einer großen Radhaube,
+nicht mit schwarzen, sondern mit weißen Spitzen und mit farbigen
+seidenen Bändern, womit im Dorf bis jetzt einzig und allein die
+Wirthin geprangt hatte. Als Christine dieses Wunder von Haube zuerst
+probirte und die seidenen Bänder, zierlich verschlungen, von ihrem
+Kinn auf die Brust herunter wallten, fühlte sogar die Taglöhnerin aus
+ihrer pflanzenähnlichen Ruhe sich herausgerissen; sie hing an der
+Beneidenswerthen mit einer Art von Andacht, stieß einen komischen
+Seufzer aus und rief: »Bändel zieret halt da' Menscha'!« wobei sie in
+ihrem Herzen dachte, daß sie in einer Haube mit so schönen Bändern sich
+neben der Christine wohl auch noch sehen lassen könnte. — Dem Vorrath
+an Leinwand und Bettfedern, den die Mutter gesammelt hatte, wurde nebst
+dem Geldbeutel stark zugesprochen, und der Wunsch der ehrgeizigen
+Frau, ihre Christine wie eine reiche Bauerntochter auszustatten, und
+das Verlangen, doch auch noch etwas übrig zu behalten, kamen öfters
+mit einander in Streit. Hie und da gab es sogar einen kleinen Handel
+zwischen Mutter und Tochter, der aber bald wieder in's Gleiche gebracht
+wurde: Christine hatte den Vortheil, das einzige Kind zu sein. Indem
+nun die beiden mit der Dorfnäherin und dem Dorfschneider in die Wette
+arbeiteten, ging die Sache stetig vorwärts. Man war sicher, zu rechter
+Zeit fertig zu werden und in's Schulhaus mit einem<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> Wagen voll Hausrath
+einzuziehen, wie er von einer Söldnerfamilie noch nie geliefert worden
+war.</p>
+
+<p>Daß zwischen dem Haus der Glauning und dem Schulhaus immer der engste
+Verkehr statt gefunden hatte, versteht sich von selbst. Forstner
+war fast in allen Stunden, die er sich abmüßigen konnte, bei der
+schönen Braut gewesen, und seine Mutter hatte über alle wichtigen
+Fragen mit ihr und der Base Rath gepflogen. Bei einem so lebhaften
+Temperament, wie es der junge Lehrer besaß, konnte sich die Glut
+des Liebenden freilich nicht immer auf der ersten Höhe behaupten;
+gerade wenn sie dauern sollte, mußte sie sich mäßigen und so zu sagen
+in regelmäßigem Flußbette hinströmen. So war denn mit der Zeit der
+Verlobte ruhiger geworden, und ohne daß sein Wohlgefallen an der Braut
+sich minderte, öffnete sich sein Herz auch wieder andern Dingen.
+Den ganzen Frühling hindurch hatte er Einladungen seiner Freunde zu
+fröhlichen Gelegenheiten ausgeschlagen. Er führte Christine mit seiner
+und ihrer Mutter an schönen Feiertagen nach Nördlingen, Oettingen oder
+Wallerstein, unterhielt sie, zeigte ihnen belehrend die Schlösser und
+Hofgärten der fürstlichen Residenzen und ging in gemüthlichem Gespräch
+mit ihnen nach Haus. Wie nun aber der Eifer der Ausfertigung, je weiter
+diese vorschritt, nur um so lebhafter wurde und die Weiberherzen
+ganz zu erfüllen schien, glaubte Forstner den Collegen und Kameraden
+sich nicht länger entziehen zu dürfen. Man hatte in Oettingen ein
+musikalisches Kränzchen gestiftet, und er mit seinem hübschen Tenor und
+seinem Geschick auf der Violine war ehrenvoll dringend zur Theilnahme
+aufgefordert worden. Er verpflichtete sich dazu, und da die Gesänge und
+die Musikstücke, die man aufführte, bald gut zusammengingen, so legte
+der rasche Fußgänger mit Vergnügen die ziemlich lange Strecke zurück,
+die zwischen dem Dorf und dem Ort der Zusammenkunft lag, und freute
+sich der künstlerischen Unterhaltung und der lustigen und geistreichen
+Gespräche, die auf die kleinen Concerte zu folgen pflegten.</p>
+
+<p>Forstners Temperament — das hat man schon gesehen — war überwiegend
+sanguinisch. Von Leuten dieser Art ist bekannt, daß sie gewisse Dinge
+schneller und lebhafter erfassen, aber schneller auch wieder lassen
+als andere. Ich sage, gewisse Dinge. Es wäre schlimm,<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> wenn der
+Sanguiniker in seinem Geist und Herzen nicht die Kraft besitzen könnte,
+einem Gedanken, einer Pflicht und einer ernstlichen Neigung treu
+sein Leben zu widmen. Aber von gewissen Dingen, namentlich solchen,
+die auf dem Felde der Unterhaltung und des Lebensgenusses liegen,
+wird der Mann von leichtem Blut schneller hingerissen als andere
+und weiter geführt, als er anfangs dachte, auch wenn er, wie unser
+Lehrer, eine Dosis Phlegma besitzt, welche der Klugheit zur Unterlage
+dient. — Das musikalische Kränzchen in der genannten fürstlichen
+Residenz gewann in raschem Aufschwung einen Stand der Blüthe, wie er
+unter günstigen Verhältnissen bei solchen Verbindungen einzutreten
+und eine Zeitlang zu dauern pflegt. In solcher Zeit gelingt alles;
+die Theilnahme scheint ununterbrochen zu wachsen, die Freude kommt
+ungesucht und der Ruhm des Instituts verbreitet sich in der ganzen
+Umgegend. An den Tagen, wo man sich in Oettingen versammelte, fanden
+sich nun bald auch Gäste von benachbarten fränkischen Orten ein, die
+nach ihrem bekannten Naturell dem Vergnügen keinen Eintrag thaten.
+Musiker trinken gern, und ein leichter Rausch ist der Zustand, der
+allein würdig scheint, auf künstlerischen Enthusiasmus zu folgen,
+weil er diesen nicht verglühen läßt, sondern liebevoll erhöht und
+weiter trägt. Da nun das Bier, welches der Ganswirth lieferte,
+vortrefflich war, so fühlten sie sich, wenn es auch meistens Dorf-
+und Stadtlehrer mit zwei- bis fünfhundert Gulden Einkommen waren,
+doch alle wie Könige. Die musikalischen Aufführungen gewährten edeln
+und feinen Genuß, das darauf folgende Gelag machte sie fröhlich wie
+die fidelsten Musensöhne, und die Gesänge, in welche die innere Lust
+hier unwillkürlich ausströmte, klangen noch schöner und ergreifender,
+als die kunstmäßig vorgetragenen, weil die Formen der Kunst von der
+lodernden Glut der Seelen überschwänglich erfüllt wurden. — Forstner,
+eine Zierde sowohl der Aufführungen als der Gelage, sah sich in diesem
+Zirkel geehrt und geliebt; seine Freundschaft wurde gesucht, ein Lehrer
+aus der benachbarten fränkischen Stadt erklärte ihn für ein Genie und
+schloß sich eng an ihn an; da war es ohne Zweifel natürlich, daß die
+Theilnahme an dem Kränzchen in ihm endlich zur Passion wurde und daß
+er an den Versammlungstagen regelmäßig als einer der ersten kam und
+einer<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span> der letzten ging. Eben so natürlich war es aber auch, daß dabei
+Zeit und Geld verthan wurden »nach Noten« — und letzteres mehr als es
+Forstners Einkommen vertrug.</p>
+
+<p>An Zeit hat der Dorflehrer im Sommer keinen Mangel. Dessen ungeachtet
+verminderten sich die Besuche des Bräutigams im Hause der Braut auf
+eine Weise, daß es auch der Vielbeschäftigten und Arbeitstrunkenen
+auffallen mußte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe und setzte mit etwas
+empfindlichem Ausdruck hinzu: es sehe beinahe aus, als ob's mit seiner
+Lieb' zu ihr gar nicht mehr so arg sei, wie sonst. Allein da schloß
+er sie mit einer Zärtlichkeit in seine Arme und sprach von seiner
+ewigen Liebe und Treue in so schönen Ausdrücken, daß der halbe Zweifel
+in der Seele des Mädchens rasch wieder getilgt war. Er zeigte eine
+ernste Miene und belehrte sie, wie er sich im Singen und Musiciren
+üben und Bekanntschaften machen müsse, weil ihm dies zu seinem
+Fortkommen durchaus nöthig sei. Er erzählte ihr, welchen Beifall er in
+dem Kränzchen erhalte und wie geehrt er sei — und Christine, selbst
+geschmeichelt, meinte, das sei dann freilich etwas anderes und auch sie
+könne ihm jetzt nicht rathen wegzubleiben.</p>
+
+<p>Mit seiner Mutter hatte Forstner eine andere Erörterung. Die alte
+Frau besaß noch etwas Vermögen. Es war nicht mehr so viel als vor
+einigen Jahren; denn der begabte und überall beliebte Sohn hatte als
+Schulgehülfe mit seinen Einnahmen unmöglich reichen können, und jedes
+Jahr mußten etwelche Schulden getilgt werden. In seiner jetzigen
+Stellung war er ausgekommen, so lange er eingezogen lebte; jetzt hatte
+sich wieder ein Deficit gezeigt, und er mußte die Mutter neuerdings
+angehen. Diese sträubte sich und las ihm gehörig den Text. Allein
+es gelang ihm auch ihr gegenüber zu beweisen, daß ihm die jetzigen
+Ausgaben in Folge der gemachten Bekanntschaften zehnfach wieder
+hereinkommen würden, und die beschwichtigte Mutter zahlte.</p>
+
+<p>Der Sommer näherte sich seinem Ende. Die Ausstattung der Christine
+war beinahe fertig — ein Gegenstand der offenen Bewunderung und
+des geheimen Neides besuchender Freundinnen. An den Kästen und
+»Bettscha'den« (Bettstatten), an Tischen und Stühlen<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> hatte der
+Schreiner des Dorfs sein Meisterstück gemacht. Sie waren nicht von
+Mahagoniholz und nicht polirt, aber mit brauner Oelfarbe überzogen,
+so schön wie man's noch nie gesehen. Hemden, weiße Schürzen,
+Schnupftücher, »Handswellen« (Handtücher), Tischtücher und Strümpfe
+gewöhnlicher und feingemodelter Gattung lagen gewaschen und gebügelt
+im »Weißwaarenkasten.« Die Betten waren schon überzogen mit blau- und
+rothgestreiftem, selbstgewirktem Zeug. Spitzenhauben, Sonntagskappen
+(wo das »Bödele« aus Gold- oder Silbergeflecht bestand) und
+verschiedene Alltagskappen prangten im obern Fach des reichbehängten
+Kleiderkastens. Ein neuer Spinnrocken mit Rad, von einem Nördlinger
+»Dreher« kunstreich gefertigt, stand bereit, um an dem Tag des Einzugs,
+mit dem feinsten und weißesten Flachs überzogen und mit rothseidenem
+Band umwickelt, mitten auf dem Wagen zu prangen. Es fehlten
+hauptsächlich nur noch ein paar Sessel, welche die alte Glauning, des
+feinen Schwiegersohns wegen, sich auch noch zu bestellen entschlossen
+hatte, und ein kleines Stück Hausrath, welches erst später nöthig zu
+werden pflegt, das aber vorsorgliche und humoristische Eltern in der
+Regel auch gleich mitfertigen lassen.</p>
+
+<p>Was Christine an Geld mitbekommen und wie es gezahlt werden sollte, war
+ausgemacht. Die Heirath des einzigen Kindes mit einem Lehrer versetzte
+die Wittwe in eine Nothwendigkeit, die auf dem Lande stets mit
+Leidwesen empfunden wird, das Gut, das ihr Mann von seinen Vorfahren
+überkommen, vergrößert und so schön hergerichtet hatte, in andere
+Hände übergehen zu lassen. Der angestellte Schwiegersohn konnte es
+nicht übernehmen, und sie konnte es nach der Ausstattung ihrer Tochter
+nicht mehr halten. Als sie das einmal vor Hans aussprach, bemerkte
+dieser: er habe daran auch schon gedacht und bei sich überlegt, was
+Haus und Feldung in heutiger Zeit wohl gelten möchten. Er sei über eine
+Summe mit sich einig geworden, und um diese wolle er selber das Gut
+an sich bringen. Die Wittwe, angenehm überrascht, ließ ihn die Summe
+nennen; und da auch sie schon einen Ueberschlag gemacht hatte, dessen
+Ergebniß von dem Gebot des Vetters nicht viel abwich, so wurden sie
+bald »Handels eins.« Sie machten aus und gaben sich die Hand darauf,
+daß<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> nach der Heirath der Christine — denn vorher wollten sie keine
+Aenderung treffen — die Sölde um die vereinbarte Summe von ihr an ihn
+übergehen solle. Der alten Glauning fiel ein Stein vom Herzen. Sie
+konnte mit dem Handel zufrieden sein, dann aber war es ihr lieb, daß
+ihr »Sach« an einen »Freund« überging, und nicht minder, daß der um
+sie verdiente Hans wenigstens ihr Haus und ihre Güter erhielt, wenn
+auch nicht ihre Tochter. In dem Vergnügen, das sie empfand, sah sie ihn
+mit gutmüthiger Schlauheit an und sagte: »Du hast g'wiß schon eine mit
+zwei- oder dreitausend Gulden!« — »Das nicht,« erwiederte Hans, »ist
+aber auch nicht nöthig. Vor der Hand getrau' ich mir die Geschichte
+allein zu behaupten.« — »Wenn's Einer kann, so kannst du's. Aber
+besser ist besser.« — »Das schon; ich will auch gar nicht sagen, daß
+ich ledig bleib'. Wenn ich in dem Haus da einmal festsitz', dann wird
+sich wohl eine finden, die's riskirt mit mir.« — »Hundert für Eine!«
+rief die Base mit Wärme; »so viel du willst!« — Hans zuckte die Achsel
+und sagte: »Also dabei bleibt's! Wenn die Christine heirathet, bin ich
+der Käufer.«</p>
+
+<p>Die Uebernahme dieser Verpflichtung war kein Akt der Großmuth von
+unserem Freund. Er hatte das Gut lieb gewonnen, die von ihm Jahre lang
+bebauten und verbesserten Felder waren ihm an's Herz gewachsen, und
+da sich eine so gute Gelegenheit bot, sie zu erhalten, wollte er sie
+nicht auslassen. Trotz des Gemüthes, das wir an ihm kennen, war er
+keineswegs so romantisch gesinnt, daß er sich etwa vorgenommen, selber
+unbeweibt zu bleiben und nur der Erinnerung an seine Liebe zu leben.
+Im Gegentheil, es war ihm ganz ernst mit dem, was er der Base gesagt
+hatte; wenn Christine verheirathet war, so wollte er selbst eine brave
+Frau nehmen, die von ordentlichen Leuten herkam und etwas hatte und mit
+deren Eingebrachtem er nach und nach ganz schuldenfrei werden konnte.
+Mit ihr, wenn sie auch der Christine an Schönheit lange nicht gleich
+käme, wollte er leben, wie sich's gehört, und einen rechten Mann machen.</p>
+
+<p>Von derjenigen Seite, wo neue Einrichtungen getroffen werden mußten,
+war demnach alles in Ordnung. Es blieb nichts mehr übrig, als die
+Erfüllung der gewöhnlichen Formalitäten, und das Brautpaar konnte
+verkündigt, die Hochzeit konnte gefeiert werden. Als die Glauning<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> dies
+dem Verlobten mittheilte und den Tag der Verkündigung bestimmt wissen
+wollte, bemerkte dieser: es gehe jetzt noch nicht — man müsse noch
+warten. Mutter und Tochter sahen ihn bei diesen Worten befremdet an. Er
+war in der letzten Zeit einmal auf drei Tage verreist und hatte vorher
+auf Befragen nur erklärt, daß er nothwendige Geschäfte besorgen müsse.
+Nach der Rückkehr war er unruhig und aufgeregt; Christine wußte nicht,
+was sie aus ihm machen sollte; sie sagte es ihm und mußte mit einer
+Antwort vorlieb nehmen, die sie nur für eine Ausrede halten konnte. Und
+jetzt, nachdem alles fertig und alles im Reinen war, sollten sie noch
+warten? Sie fragte nach der Ursache; er erwiederte, die könne er noch
+nicht sagen. »Auch mir nicht?« entgegnete sie verletzt und erröthend.
+— »Auch dir nicht, gute Christine,« antwortete Forstner. »Es ist um
+unseres gemeinschaftlichen Besten willen, und ich hoffe, in kurzem
+kann ich reden.« — Wie bedenklich das alles der Braut und der Mutter
+erscheinen mochte, sie mußten sich in seinen Willen ergeben und zusehen.</p>
+
+<p>Eines Abends — nachdem vier Tage verflossen waren — kam Forstner
+mit raschen Schritten auf das Haus zu und trat mit ernster, feierlich
+aufgeregter Miene in die Stube. »Ich bring' eine große Neuigkeit!«
+rief er Christine entgegen, die mit ihrer Mutter am Tische saß. Das
+Mädchen fuhr unwillkürlich zusammen und erhob sich rasch. »Was für eine
+Neuigkeit? Du erschreckst mich!« — »Es ist nicht zum Erschrecken,
+sondern zum Freuen,« erwiederte er. — »So sag's!« rief Christine, noch
+keineswegs ermuthigt. — »Nun, ohne Umschweife: ich bin als Lehrer nach
+** berufen« (er nannte eine fränkische Stadt, aus der sein Freund und
+College vom Oettinger Kränzchen war) »und werde die Stelle mit nächstem
+antreten.«</p>
+
+<p>Das Mädchen war mehr bestürzt als erfreut über diese Nachricht. »Du
+kommst in eine Stadt?« fragte sie zagend. »Was soll dann aber aus
+uns werden?« — »Du wartest hier bei deiner Mutter, bis ich mich
+eingerichtet habe. Dann hol' ich dich ab und wir machen Hochzeit.«
+— »Ich in eine Stadt!« rief sie, indem sie, wenn auch dunkel, alles
+Bedenkliche dieser Ortsveränderung empfand. »Da paß' ich nicht hin!«
+Und die Mutter setzte bekümmert hinzu: »Dann<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> hab' ich die halbe
+Ausfertigung und alle die theuern Bauernkleider umsonst machen lassen!«
+— Forstner lächelte. »Wir werden manches brauchen können, was Ihr
+angeschafft habt, Frau Schwiegermutter. Und für die Kleider, die nicht
+in die Stadt passen, schaffen wir andere an. Ich bekomme für's erste
+hundert Gulden mehr als hier, kann mir durch Privatstunden noch andere
+hundert verdienen und habe die Hoffnung bald vorzurücken.«</p>
+
+<p>Trotz all den schön eröffneten Aussichten wollte sich bei Christine
+noch kein Vergnügen einstellen. »Ich weiß nicht,« sagte sie, indem
+sie vor sich hinsah, »mir ist so angst!« — »Wenn du an einen Ort
+sollst,« erwiederte der Verlobte mit einem Blick des Vorwurfs, »wo
+ich bin? Schäme dich, Christine! Freuen solltest du dich, daß ich
+vorwärts komme, und etwas einbilden solltest du dir, die Frau eines
+Mannes zu werden, der in zehn Jahren vielleicht Oberlehrer ist.« —
+»Ich freu' mich auch,« erwiederte Christine, deren Mienen sich nun doch
+aufklärten, »aber ich fürchte nur« — — »Du bist ein Kind,« versetzte
+er, indem er sie bei der Hand faßte. Und mit einem zärtlichen Blick
+setzte er hinzu: »Bei mir wirst du doch angewöhnen? Da wird's dir doch
+nicht »and thun« nach deinem Dorf?« — »Nun,« erwiederte das Mädchen,
+der bei diesen Worten das liebende Herz aufging, »das mein' ich selbst.
+Und in die Stadtleut' werd' ich mich am End' auch schicken!« —
+»Freilich wirst du das! Ein schönes, liebes und gescheidtes Mädchen wie
+du.«</p>
+
+<p>Bei der Mutter hatte die Aussicht, eine Frau Oberlehrerin zu bekommen,
+die fatale Empfindung, so feine Bauernkleider umsonst angeschafft
+zu haben, bereits zurückgedrängt und sie sagte jetzt: »Es ist wahr!
+Und das Weib muß Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhängen,
+wie's in der Bibel heißt. Herr Lehrer, nehmen Sie die Stelle nur an,
+meine Tochter wird sich drein finden.« — »Es freut mich,« erwiederte
+Forstner, »daß Ihr so verständig seid, obwohl ich bei Euch darauf
+gerechnet habe.« Und in einem Ton, der halb dem Liebhaber, halb aber
+auch dem Lehrer angehörte, sagte er zu der Verlobten: »Folg' mir nur,
+liebe Christine, und gieb dir Mühe zu lernen, was dir fehlt. Ich will
+dir alles sagen und zeigen, und in sechs Wochen wird dich kein Mensch
+mehr von einem Stadtmädchen<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> unterscheiden können. Du hast die Gaben,
+du wirst sie unter meiner Leitung ausbilden und eine Frau werden, die
+mir Ehre macht.«</p>
+
+<h3>IV.</h3>
+
+<p>Ein schönes Ziel, auf dessen Erreichen man sich gefreut hat und durch
+das man in heiterer Einbildungskraft schon vorher beglückt war,
+plötzlich versinken zu sehen, ist betrübend, auch wenn sich in der
+Ferne ein neues erhebt, das noch erstrebenswerther scheint. Christine
+hatte geglaubt, in wenigen Wochen die Frau des Geliebten zu sein und
+in ihrem Geburtsorte, wo es allein ihren Sinn reizte, etwas zu gelten,
+in guten Verhältnissen und geehrt zu leben. Nun sah sie die Hochzeit
+verschoben und sollte dann im eine Stadt ziehen unter fremde Leute,
+an deren guter Meinung ihr nichts liegen konnte, wenn sie auch das
+Vertrauen zu sich gehabt hätte, sie zu gewinnen. Statt der Gewißheit
+hatte sie nur eine neue Hoffnung, die noch dazu bedeutend mit Furcht
+gemischt war — ein Ziel, das nur ihrem Verstande, nicht ihrem Herzen
+ehrenvoll erschien, und das nur durch Anstrengungen erreicht werden
+konnte, die ihr keine geringe Last dünkten. — Doch, so war es einmal;
+sie mußte sich darein fügen und dem neuen Stand der Dinge die beste
+Seite abzugewinnen suchen.</p>
+
+<p>Zu dem in den Verhältnissen liegenden Grunde, die Trauung zu
+verschieben, trat in kurzem und unerwartet ein neuer: die Mutter
+Forstners erkrankte und starb nach wenigen Tagen. Sie hatte sich
+außerordentlich gefreut, daß ihr Sohn den Fuß auf eine Leiter gesetzt,
+auf welcher er zum Gipfel der Ehre emporsteigen konnte, und sie
+rühmte ihn jetzt, daß er, wenn auch mit einigen Kosten, so nützliche
+Bekanntschaften gemacht habe; denn er hatte ihr nicht verschwiegen,
+daß er seine Berufung hauptsächlich den Bemühungen seines Freundes vom
+Oettinger Kränzchen verdankte. War es ihr nun auch nicht vergönnt,
+ihn auf dem neuen Weg zu begleiten, so starb sie doch mit dem
+erhebenden Gedanken, ihn an der Seite einer wackern und schönen Frau,
+die eigentlich sie gewählt hatte, dem städtischen Oberlehrer zugehen
+zu sehen. — Der alte Geistliche benutzte diese<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> Umstände zu einer
+erbaulichen Rede, und die Verlobten weinten der Verstorbenen von Herzen
+in's Grab. Nach Verlauf weniger Tage gehörten sie freilich wieder dem
+Leben an und gedachten der sorgsamen Mutter gelegentlich mit Lob, aber
+ohne Trauer.</p>
+
+<p>Der Tag, auf welchen Forstner seinen Abzug angesetzt hatte, war
+gekommen. Die Bauern zeigten sich bei dieser Gelegenheit freundlich und
+diensteifrig. Der Lehrer hatte seine Pflichten nie vernachlässigt und
+die Liebe der Kinder sich erhalten. In der letzten Zeit hatte unter
+den Eltern allerdings die Meinung um sich gegriffen, daß er eigentlich
+ein »leichter Passagier« sei, dem die Christine recht auf die Finger
+sehen dürfe. Aber der Erfolg, die Anstellung in der Stadt überzeugte
+auch sie eines Bessern; sie sahen in seinem »Gelaufe« ein kluges
+Manöver und der gescheidte Mann stieg in der Achtung der praktischen
+Dorfleute. Die Kinder, in denen die bessere Unterweisung neue, feinere
+Gefühle ausgebildet hatte, ehrten den Lehrer durch sinnige Kränze
+von Herbstblumen und durch ein gemeinsames Präsent. Gaben spendeten
+auch wohlmeinende und vermögende Eltern, und die Nachbarn halfen den
+Wagen beladen, den ein reicher Bauer unentgeltlich nach dem neuen
+Aufenthaltsort zu fahren sich erboten hatte. Der Abschied von den
+Repräsentanten der Gemeinde war freundschaftlich und herzlich, aber
+heiter; Forstner sollte ja wieder kommen, um das schöne Dorfkind
+abzuholen. — Von den Segenswünschen seiner Braut und ihrer Mutter
+begleitet, nach vielfachen zärtlichen Händedrücken, fuhr er aus dem
+Dorf unter tüchtigem Knallen der Geißel, womit der Oberknecht, der auf
+dem Sattelgaul saß, ihn und sich selber zu ehren suchte.</p>
+
+<p>Die folgenden Tage beschäftigte sich Christine mit den ersten
+Zurüstungen für die Stadt. Es war ihr lieb, daß ihr noch eine Frist im
+Vaterhause vergönnt war, und sie ging mit einem ordentlichen Wohlgefühl
+darin hin und her. Ueber den Aufenthalt in der Stadt, der sich für sie
+noch vor der Trauung als nöthig herausgestellt hatte, war ein fester
+Beschluß gefaßt. Die Glauning hatte sich erinnert, daß an dem Ort eine
+Frau wohne, die mit ihr Einen Urgroßvater gehabt und deren Vater nach
+vom Ries dahin gezogen war. Diese, die an einen Krämer verheirathet war
+und ein Haus<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> besaß, sollte Forstner aufsuchen und fragen, ob Christine
+nicht die kurze Zeit bei ihr wohnen könne. Die Hoffnung, eine zusagende
+Antwort zu bekommen und zunächst im Hause einer Verwandten leben zu
+können, mochte dazu beitragen, das Herz der Braut in jene Ruhe zu
+wiegen, mit der sie das Dorf noch recht genießen konnte.</p>
+
+<p>Forstner hatte sogleich in wenigen Zeilen seine glückliche Ankunft
+gemeldet. Nach einer Woche kam ein neues Schreiben von ihm, ziemlich
+lang und sorgsam abgefaßt. Er schilderte zuerst, wie er von seinen
+Collegen, von den Herrn Geistlichen und Magistratsräthen, bei denen er
+Besuche gemacht, ausnehmend freundlich und schmeichelhaft aufgenommen
+worden sei. Er habe sich überzeugt, das sei der Platz, wohin er gehöre,
+wo er Gutes wirken könne mit seinen Gaben und Kenntnissen, und wo er
+glücklich sein werde. Die Gespräche, die er geführt mit gebildeten
+Männern und Frauen, hätten ihm außerordentlich wohlgethan, und er
+freue sich über alles, bei ihnen zu leben und auch seine Christine in
+ihre Gesellschaft bringen zu können. Er schätze jeden Stand und habe
+gezeigt, daß er mit Leuten von jeder Klasse umzugehen wisse, aber
+besser sei besser; man müsse höher hinaufstreben, wenn man könne,
+und immer weiter und weiter zu kommen, das sei das wahre Glück. Er
+fühle die Kraft in sich, zu steigen, und auch die Geliebte mit sich
+hinaufzuheben. Sie müsse nun aber auch ihrerseits die Hand bieten und
+sich alle Mühe geben, seine Arbeit ihm zu erleichtern. Das Glück,
+das sie dort mit einander finden würden, sei so groß, daß es wohl
+die Anstrengungen und Opfer verdiene, die nöthig sein würden, es zu
+erreichen. Anstrengungen müsse er seiner Braut nun allerdings zumuthen,
+und auch ein Opfer, wenn sie's dafür ansehen wolle. Die Hochzeit
+noch in diesem Jahre zu feiern, wie sie zuletzt noch gemeint hätten,
+verbiete eigentlich schon die Trauer wegen der seligen Mutter. Allein
+es kämen noch zwei Gründe hinzu, die es durchaus nöthig machten, daß
+die Trauung erst im nächsten Frühjahr stattfinde. Erstens sei ihm
+gesagt worden, daß er nach einer halbjährigen Amtsführung, wenn er sich
+als Lehrer auszeichne, eine nicht unbedeutende Zulage erhalten solle.
+Sei es ihm nun gerathen, in der nächsten Zeit alle Kraft und allen
+Fleiß auf Erfüllung seiner Lehrerpflichten zu wenden, so wäre es auch
+gut für<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> sie beide, die Zulage abzuwarten; denn das Leben in der Stadt
+sei für ein Hauswesen doch kostspieliger, als er gedacht. Dann aber
+sei es eben so eine Sache, vom Dorf her nach kurzem Aufenthalt in der
+Stadt, wo man sich kaum darin umsehen konnte, eine Stadtfrau machen
+zu wollen. Er selber habe sich das leichter vorgestellt, als er es
+jetzt bei kaltem Blut finde. Man müsse eben doch ein anderes Benehmen
+lernen, man müsse sich Kenntnisse aneignen, damit man in Gesellschaft
+wisse, wovon die Rede sei, und selber mitsprechen könne, kurz, man
+müsse das Bauernmädchen abthun und sich eine gewisse Bildung erwerben.
+Das gehe aber nicht in einigen Wochen, dazu sei wenigstens ein halbes
+Jahr nöthig, und da müsse man noch recht fleißig und aufmerksam sein.
+Seine Meinung sei nun die: Christine solle zur Base Kahl ziehen, die
+sie mit Vergnügen aufnehmen werde, und im nächsten Winter unter seiner
+Leitung alles das lernen, was zu ihrem künftigen Stande erforderlich
+sei. Die Kahl sei eine gute Frau, wenn es auch freilich mit ihrer
+Bildung nur so so stehe. Er selber hätte seiner Braut wohl gewünscht,
+in ein feineres Haus zu kommen; aber das sei nun eben nicht anders zu
+machen. — Der Brief schloß mit Liebesbetheurungen für die Braut, mit
+schmeichelhaften Worten für die Mutter. Andern hätte er einen solchen
+Vorschlag vielleicht nicht machen können, ohne mißverstanden und
+verkannt zu werden; aber sie hätten bei jeder Gelegenheit Beweise von
+ihrer Einsicht und ihrer Klugheit gegeben; sie würden ihn verstehen und
+ihm Recht geben. —</p>
+
+<p>Die Wirkung dieses Briefes war auf Christine trotzdem keine
+erfreuliche. Der Bräutigam sprach darin so vornehm, so von oben herab
+zu ihr! Die Vorstellung der Arbeiten, die sie sich zugemuthet sah,
+lastete auf ihrem Gemüthe mit verdoppelter Schwere; ihre Bangigkeit
+erneuerte sich und ihre Miene drückte Zagen und zugleich etwas
+Empfindlichkeit aus. »Da haben wir's!« rief sie am Ende. »Ich bin ihm
+so nicht gut genug und soll erst weiß Gott was lernen, bis er mich
+heirathen mag!« — Die Mutter, der die Schreibweise des künftigen
+Schwiegersohns auch nicht ganz gefallen hatte, obwohl sie einem
+»Herrn« seine eigene, vornehmere Sprache zugab, hielt es doch für
+gerathen, davon zu schweigen und sich Forstners anzunehmen. »Mir<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span>
+scheint's aber, daß er gar nicht Unrecht hat, Christine! Er will, daß
+du recht hineintaugst in die Stadt und daß du verstehst, was du als
+Frau Lehrerin brauchst. Er will dich gescheidt und geschickt machen
+und das beweist ja grad, daß er recht viel auf dich hält und ein
+braver, ehrlicher Mann ist.« — »Das mag sein,« erwiederte Christine
+etwas beruhigter; »aber er hätte mir das doch anders sagen können.« —
+»Eigentlich,« versetzte die Mutter, »schreibt er freilich ein wenig
+anders, als er früher geredet hat; aber das wird schon so sein müssen,
+es wird eben die Mode sein unter den Herrn. Er meint's gut, und das ist
+die Hauptsach'.«</p>
+
+<p>Christine wollte das nicht bestreiten und fand sich endlich in den
+Vorschlag und den Willen des Verlobten. Wenn wir es gestehen sollen,
+so war ihr die tröstlichste Stelle in dem Briefe die, wo Forstner die
+Base für nicht gebildet und fein genug erklärte. Sie fühlte zu ihr
+gleich ein lebhaftes Zutrauen und setzte sich mit erleichtertem Herzen
+an den Tisch, um die Antwort abzufassen. Im Wesentlichen sagte sie:
+Was er geschrieben, wäre ihr und ihrer Mutter recht; sie wolle ihm
+folgen und fleißig sein, und hoffe dann so weit zu kommen, daß sie ihm
+in der Stadt keine Unehre mache. Was sie unter den jetzigen Umständen
+für die Stadt brauche, werde sie bald hergerichtet haben; er könne sie
+darum abholen, wenn er's für gut finde. — Die Mutter nahm es auf sich,
+die Abänderung in dem Plane der Verlobten gehörig unter die Leute zu
+bringen. Ihre Christine werde erst im Frühjahr heirathen, was für Herrn
+Forstner und sie ein großer Vortheil sei; aber sie werde jetzt schon
+in die Stadt ziehen und was Ordentliches lernen, damit sie dort eine
+rechte Frau machen könne.</p>
+
+<p>Eines Vormittags in der ersten Woche des November kam Forstner in
+einer Kutsche angefahren. Er war bei der ersten Begrüßung etwas
+ernst; es schien als ob das Dorfmäßige der Wohnung und Kleidung
+schon etwas Befremdendes für ihn erhalten hätte. Bald aber thaute er
+auf und war wieder der Alte. Christine, die sich zu seinem Empfang
+geputzt hatte und ihm aufwartete, sah in ihrem wirthlichen Eifer so
+frisch und anmuthig aus! Sein Puls ging rascher, als er sie an seine
+Seite niederzog und sie betrachtete. Was konnte er sich Schöneres
+wünschen, als dieses Mädchen sein zu nennen? Er<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> liebte sie, und wenn
+er sie noch so weit zu bringen vermochte, daß sie ihn und sich in
+seiner nunmehrigen Stellung nicht durch Unwissenheit und Dorfmanieren
+bloßstellte — war er nicht der glücklichste Ehemann? — Die Furcht vor
+dem Lächerlichen, wir können es nicht läugnen, war groß in dem jetzigen
+Stadtlehrer. Sein Trieb, in Gesellschaft zu glänzen, hatte sich nach
+Maßgabe seiner Erfolge in ihm ausgebildet, und in gleichem Verhältniß
+war auch die Besorgniß gewachsen, in Gesellschaft zu mißfallen oder
+ein Gegenstand des Bedauerns zu werden. Wie bedrückend war für ihn der
+Gedanke, daß das, was er gut machte, durch seine Frau vielleicht wieder
+verdorben wurde! Doch jetzt wich jeder Zweifel zurück im Anschauen des
+liebenswerthen Mädchens. Das Herz ging ihm auf, er glaubte an sie und
+traute ihr Alles zu. Er ward fröhlich und guter Dinge, scherzte nach
+alter Sitte und machte Mutter und Tochter fröhlich.</p>
+
+<p>Um die Mittagszeit war Alles zur Abfahrt bereit. Als Christine von
+der Mutter, vom väterlichen Haus und vom Dorf Abschied nehmen sollte,
+da ward es ihr doch plötzlich wieder ernst zu Muthe. Sie fühlte, was
+sie that und wagte, und ihr Herz klopfte in bängeren Schlägen. Die
+Mutter hatte sie und den Verlobten würdig ermahnt und feierliche
+Gegenversicherungen erhalten; das war tröstlich, als sie noch beisammen
+saßen. Draußen im Hof, unter dem grauen Himmel, in der frostigen Luft,
+wo ihr noch einige Freundinnen »b'hüt dich Gott« sagten, um dann auf
+die Gasse hinaus oder heimzugehen, erhielt die Furcht in dem Dorfkind
+wieder die Oberhand. Der gute Hans, der schon beim Einpacken behülflich
+gewesen, hatte noch eben eine Kiste mit Stricken auf der Kutsche
+festgebunden. Sie trat zu ihm, gab ihm die Hand und dankte mit etwas
+unsicherer Stimme, aber um so herzlicher für all die Freundschaft, die
+er ihr und ihrer Mutter bewiesen habe. Hans erwiederte mit ernsthaftem
+Gesicht: was er gethan habe, das hab' er gern gethan, und er wünsche
+ihr jetzt alles Glück und Wohlergehen. — In solchen Momenten leben
+alte Gedanken und Gefühle wieder auf; die Seele wird heller, und was
+völlig abgethan schien, steht in klarem Lichte vor ihr. Christine hielt
+die Hand des Wackern fest und drückte sie; denn nicht nur die Liebe,
+auch der gerührte Dank, auch die Hochschätzung muß sich in<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> Aeußerungen
+der Zärtlichkeit genug thun. Ihre Augen wurden feucht, und wie sie
+ihn damit ansah, hätte er wohl eine Abbitte darin lesen können. Ohne
+Zweifel verstand er sie. Eine leise Andeutung von gutmüthig wehmüthigem
+Lächeln ging über seine ernsten Züge; er schüttelte ihr kräftig und
+treuherzig die Hand, als wollte er sagen: »laß das gehen,« und wünschte
+ihr nochmal wohl zu leben. — Ein paar Minuten später, und Christine
+saß in ihrem Dorfgewand, aber in einen Mantel gehüllt und um den
+Kopf ein weißes Tuch gebunden, neben dem Verlobten im Wagen, der von
+trabenden Rossen gezogen aus dem Dorf rollte.</p>
+
+<p>Eine seltsame Reihe von Empfindungen zog durch das erweichte Herz
+des Mädchens. Trauernde und sorgende, hoffende und freudige tauchten
+abwechselnd auf, bis die Seele nach und nach ruhig wurde und in dem
+Einen Gefühl der Ergebung die übrigen versanken. Sie machte eine eigene
+Erfahrung an diesem Tag: das Zusammensein mit dem Geliebten kam ihr
+nicht so schön vor, als sie sich's früher gedacht. Mit der Ruhe kam
+aber die Empfänglichkeit für die aufmunternden und schmeichelnden Worte
+des Bräutigams wieder in ihr Gemüth, und endlich saß sie vergnügt an
+der Seite des Vergnügten.</p>
+
+<p>Es war in der Abenddämmerung, als das Ziel ihrer Fahrt, die Stadt vor
+ihnen lag. Diese gewährte in der guten Jahreszeit einen freundlichen
+und hübschen Anblick; jetzt sah sie aus, wie eben eine Landstadt im
+Spätherbst, und der guten Christine kam sie recht fremd vor. — Die
+Kutsche rollte durch das Thor in die Hauptstraße, lenkte bald in eine
+Seitengasse ein, die zu den engen und düstern gehörte, und hielt vor
+einem schmalen, zweistockigen Hause. Eine Frau in den Fünfzigen kam
+heraus, hob Christine grüßend aus dem Wagen und führte sie in die Stube
+zu ebener Erde. Sie war bei der Base Kahl.</p>
+
+<p>Herr Kahl war ein Kleinhändler, dessen Geschäft seit dem Auftreten
+eines reicheren und praktischeren Concurrenten in Abnahme gekommen war
+und der nun, anstatt sich ebenfalls besser umzuthun, lieber ergeben
+den alten Schlendrian fortführte und seinen Haushalt einschränkte. Er
+wohnte mit seiner Frau und einer Magd, die auch im Laden aushelfen
+mußte, allein in dem Hause, und weder die kleine Familie noch die
+Stube, in der sie sich Mittags und Abends zusammenfand,<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> konnte den
+Eindruck des Wohlhäbigen machen. Es waren — die gleichfalls in
+gewissen Jahren befindliche Magd mit eingeschlossen — längliche,
+hagere Gestalten, die in ihrem ganzen Wesen etwas Kümmerliches hatten.
+Dieß war ihnen freilich schon zur Gewohnheit geworden und erschien
+durch mehrjährige Uebung gemildert; allein ihr Anblick hatte damit noch
+nichts Vertraueneinflößendes gewonnen. Gutmüthig in gewissem Sinn waren
+die alten Leute; sie konnten sich auch freuen über kleine Wendungen zum
+Bessern und einzelne glückliche Zufälle, und spannen so ihr Leben am
+Ende doch erträglich weiter.</p>
+
+<p>Christine erhielt die Stube im ersten Stock, bisher eine Art von
+Prunkzimmer der Familie, nebst einem Schlafkämmerchen. Ein kleiner
+irdener Ofen, altes Möbelwerk und einige Bilder an der Wand zierten
+das zweifenstrige Gemach, jedenfalls das beste im Hause. Unter andern
+altmodischen Bildern sahen aber die Porträts der Hausleute, in ihrer
+Jugend von einem Anfänger gemalt, so trübselig von der Wand, als ob
+die Originale schon eine Ahnung gehabt hätten, daß sie zu besonderem
+Glück im Leben nicht bestimmt waren. Als der Ofen nach so langem Feiern
+und Frieren geheizt wurde, begann er tüchtig zu rauchen; die Fenster
+mußten aufgerissen werden, und erst nach und nach brachte man in dem
+frostgewohnten Raum einige Wärme zuwege. Die ersten Eindrücke, die
+Christine in dem Hause erhielt, waren keineswegs angenehm.</p>
+
+<p>In dem Vertrauen, das sie auf die Base gesetzt hatte, fand sie sich
+aber nicht getäuscht. Frau Kahl, abgesehen von ihrer verhältnißmäßigen
+Gutmüthigkeit, hatte auch alle Ursache, gegen das Bäschen gefällig
+zu sein: diese zahlte Kost und Logis, wenn auch zu mäßigem Preis,
+und vergrößerte so das geringe Einkommen. Dann aber war sie die
+Braut des Herrn Forstner, der auch hier schon ein Gegenstand des
+Anerkennens und Rühmens geworden war. Aus diesen Gründen war die Base
+freundlicher und rücksichtsvoller gegen sie, als die seit Jahren im
+Hause mitregierende Magd, die es hart anzukommen schien, von einer in
+Bauernkleidern gekommenen und sich gar nicht auskennenden jungen Person
+etwas zu halten und gegen sie zu thun, als ob sie etwas wäre. — Der
+sechzigjährige Vetter bezeigte sich freundlich<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> und höflich, aber ohne
+sonderlichen Eifer, dessen er überhaupt nicht fähig war. Mit ihm hatte
+Christine wenig zu thun. Den Tag über war er in seinem Laden, beim
+Mittagessen schwieg er und nach dem Abendessen duselte er in seinem
+Sorgenstuhl ein.</p>
+
+<p>Als die neue Hausgenossin sich so gut, als es anging, eingerichtet
+hatte, war es ihre nächste Aufgabe, sich städtische Gewandung zu
+verschaffen. Ein Alltagskleid war bald besorgt und das Anprobiren
+desselben das erste wichtige Ereigniß in dem neuen Leben der
+Lehrersbraut. Die Base half ihr dabei und hoffte, daß sie in dem
+schöneren Anzug bedeutend hübscher und vornehmer aussehen würde. Allein
+welche Ueberraschung, als sie nun die Fertige musterte! Sie mußte
+sie viel weniger hübsch finden als vorher. Natürlich sagte sie das
+nicht und strich und zupfte um so emsiger das Gewand zurecht, in der
+Hoffnung, es möchte noch werden. Die Hoffnung erfüllte sich aber nicht
+und der Grund war klar. Abgesehen davon, daß Christine das ungewohnte
+Kleid nicht zu tragen verstand, war auch ihre Gestalt nicht dafür
+geschaffen. Ihr Wuchs, der sich im Bauerngewand stattlich ausnahm und
+von dem nichts hinwegzuwünschen war, hatte im städtischen Anzug — wir
+sagen es mit Bedauern — etwas Unzierliches und Schwerfälliges, eine
+boshafte Städterin hätte sagen können Plumpes. Als Frau Kahl sie von
+oben bis unten betrachtet hatte und ein Lob unmöglich über ihre Lippen
+bringen konnte, machte sie in der Verlegenheit des Augenblicks das
+Kleid verantwortlich, das nicht gut gerathen sei und geändert werden
+müsse. Aber Susanne, die Magd, die auch herzugekommen war und sich an
+dem Anblick weidete, bemerkte mit entsprechendem Ausdruck: »Am Kleid
+liegt der Fehler nicht.« — Auf dem Tisch lag noch ein Hut, den Frau
+Kahl erst gestern gekauft hatte, ganz neu und neumodisch. Vielleicht
+daß er, den schönen Kopf zierend, eine günstige Veränderung im Ganzen
+bewirkte. Sie setzte ihn darauf — und sah sich auf's neue enttäuscht!
+Das Gesicht, im Rieser Käppchen so hübsch rund und so reizend, erschien
+im Hut zu voll. Christine, die zu merken anfing, welchen Eindruck sie
+hervorbrachte, wurde befangen, das Blut stieg ihr in's Gesicht, und
+dieses konnte dadurch weder an Rundung ab-, noch an Feinheit zunehmen.
+Zu allem Unglück war die Temperatur in der<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> Stube seit dem frühen
+Morgen bedeutend gesunken, und indem die Röthe der etwas frierenden
+Christine eine bläuliche Färbung gewann, vollendete sich die Tücke des
+schlimmen Tags.</p>
+
+<p>Wie sie so dastand und nicht wußte, was sie sagen oder thun sollte,
+ging die Thüre auf und Forstner trat herein. Er kam zufällig, das
+Unternehmen des Tags war ihm unbekannt. Als er die Verlobte in dem
+langen Kleid sah, war er betroffen und betrachtete sie einen Moment
+schweigend. Dann rief er mit einem Lächeln, das nicht ganz hinreichte,
+einen gewissen verlegenen Ernst zu decken: »Wie siehst du aus,
+Christine! Man kennt dich gar nicht mehr! So — so vornehm!« Christine
+versuchte zu lächeln und sagte mit etwas verzogenem Mund: »Nun —
+gefall' ich dir nicht?« — »O freilich,« erwiederte der Verlobte,
+der vor der Base und der Magd gerathen fand, seine und ihre Würde zu
+wahren. »Aber man ist's nicht an dir gewohnt und darum fällt's einem
+auf. Nun, aller Anfang ist schwer; das wissen wir Lehrer. Mit der Zeit
+wirst du's tragen wie eine Städterin, und uns wird's dann sein, als ob
+wir dich nie anders gesehen hätten.« — »Ja freilich,« bemerkte die
+Base, die froh war, daß der Bräutigam ihr zu Hülfe kam; »es ist ja kein
+Hexenwerk!« — Die Magd, die unbeachtet in einer Ecke stand, schüttelte
+den Kopf und verließ die Stube. Auf der Stiege sagte sie zu sich: »Das
+wird nie eine Frau für diesen Mann!«</p>
+
+<p>Forstner hatte Christine nicht sogleich anstrengen wollen und sie
+bisher nur besucht, um sie zu grüßen und zu unterhalten. Allein die
+Zeit war kostbar, und endlich mußte mit der Erziehung, die er ihr
+zudachte, vorgeschritten werden. Nachdem auch die Base sich entfernt,
+setzte sich das Paar auf einem kleinen Kanape zusammen und der Verlobte
+entwickelte ihr den Plan, nach welchem sie die fehlende Bildung
+nachholen sollte. Da er unter Tags in der Schule und mit Privatstunden
+beschäftigt war, so wollte er wo möglich jeden Abend zu ihr kommen und
+sie unterrichten. Sie sollte Lesen, Schreiben und Rechnen nachüben und
+sich der Orthographie und der hochdeutschen Aussprache befleißigen.
+Geographie und Geschichte konnten ihr nicht erlassen werden; denn
+der Frau eines Lehrers mußte wenigstens bis zu einem gewissen Grade
+bekannt sein, was es mit der Erde für eine<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> Bewandtniß habe und wie
+es dem Menschengeschlecht bis jetzt darauf ergangen sei. Wie leicht
+konnte in Gesellschaft die Rede darauf kommen und sie ihn, wenn
+sie aus Unwissenheit fragte oder gar mitreden wollte, in peinliche
+Verlegenheit bringen! — Dann mußte sie gute Bücher lesen lernen, die
+Geist und Herz veredeln und Stoff bieten zu geselliger Unterhaltung. —
+War sie nicht jung und hatte sie ihm nicht schon Beweise gegeben von
+offenbarem Verstande? Wenn er sie nur erst eingeführt in den Garten des
+Wissens, dann sollte sie schon Geschmack daran finden und selber darin
+herumwandeln und an Blüthen und Früchten sich ergötzen. — Als er ihr
+das alles auseinander setzte, gerieth er in einen Eifer des Lehrers und
+malte ihr die künftigen Herrlichkeiten so schön vor, als ob sie schon
+da wären. Die gute Christine aber dachte: »Gott, wie wird das alles in
+meinen Kopf gehen!«</p>
+
+<p>Forstner stand auf, Abschied zu nehmen. Als er die Verlobte in dem
+langen Kleid nochmal betrachtete (den Hut hatte sie glücklicherweise
+schon abgelegt), konnte er doch nicht umhin, auf's neue bedenklich
+zu werden. Der Anzug kleidete sie gar zu wenig! Die Gestalt war von
+städtischer Zierlichkeit gar zu weit entfernt! und es drängte sich
+ihm das Gefühl auf, daß Christine doch wohl nie eine feine Frau
+werden möchte. Die Zufriedenheit, ja alle Munterkeit war aus seinen
+Mienen gewichen; er sah ernst und befangen für sich hin. Christine
+errieth oder ahnte seine Gedanken und stand halb niedergedrückt, halb
+empfindlich vor ihm, den Blick zu Boden gesenkt. Es war einer von jenen
+schlimmen Augenblicken, wo man die Empfindungen, die man schweigend
+verbergen wollte, in ihrer ganzen fatalen Realität sich gegenseitig aus
+der Seele liest. Endlich nahm sich Forstner zusammen; er gab ihr die
+Hand, sah sie freundlich, wo nicht zärtlich an und drückte einen Kuß
+auf ihre Lippen, die auch in der gegenwärtigen ungünstigen Situation
+ihren Reiz nicht verloren hatten. Das Mädchen wurde roth und die Freude
+glänzte wieder aus ihr; sie blickte ihn so schön und lieb an, wie nur
+jemals früher in ländlicher Unbefangenheit. Ihres Anblicks froh empfahl
+er ihr noch zwei Bücher, die er mitgebracht hatte, als unterhaltend zum
+ersten Leseversuch, und verabschiedete sich.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span></p>
+
+<p>Das Leben des Mädchens hatte bald in jeder Beziehung seine Ordnung und
+Methode. Einen Theil des Tages verbrachte sie bei der Base und half ihr
+kochen und sonstige Hausarbeit verrichten. In der Kochkunst viel zu
+lernen war bei Frau Kahl nicht die Gelegenheit; denn die Speisen, die
+sie bereitete, waren sehr einfach und eine große Abwechslung fand nicht
+statt. Auch wollte Christine finden, daß die städtische Kost, obwohl
+öfter Fleisch auf den Tisch kam, als bei ihr zu Hause, doch nicht so
+nahrhaft und wohlschmeckend sei und namentlich zu viel an Butter und
+Schmalz gespart würde. — Eine oder zwei Stunden täglich wurden von
+weiblicher Arbeit in Anspruch genommen. Hier sollte sich das Dorfkind,
+die in ihrer Weise ganz gut nähen und stricken, sogar ein wenig
+schneidern konnte, die feineren Künste zu eigen machen, und zwar unter
+der Leitung einer Verwandten des Vetters Kahl, die sich erboten hatte,
+sich ihrer anzunehmen und sie so weit zu bringen, als es bei einer
+Person, die unter Bauersleuten aufgewachsen sei, eben ginge. Diese
+Verwandte führte den romantischen Namen Adelheid, hatte aber trotzdem
+keinen Mann bekommen, und schuf sich dafür einen geistigen Ersatz
+in Geltendmachung ihrer Ueberlegenheit und in stolzem Verziehen der
+Oberlippe, die im Verlauf der Zeit einen Ausdruck männlicher Autorität
+gewonnen hatte und auch mit einem entsprechenden Fläumchen geziert war.
+Daß diese Stunden für Christine nicht die angenehmsten waren, erräth
+man; allein sie mußte die Unterweisung, die Mamsell Adelheid ihr bot,
+doch mit Dank aufnehmen und durch Fleiß, durch Aufmerksamkeit und
+namentlich auch durch Bescheidenheit zu verdienen suchen. Was an Zeit
+noch übrig blieb, war auf Erledigung der Aufgaben zu verwenden, die
+Forstner ihr gegeben hatte.</p>
+
+<p>Dieser begann seinen Unterricht mit der praktischen Klugheit, die
+uns an ihm nicht unbekannt ist. Die ersten Stunden wurden mehr mit
+Unterhaltung ausgefüllt; das Verfahren war darauf berechnet, das
+Mädchen zu erheitern und ihre Neu- und Wißbegierde zu reizen. Nach
+und nach mußten die Zügel freilich straffer angezogen werden. Die
+Wißbegierde wollte sich eben in Christine keineswegs in der Stärke
+einfinden, die der Verlobte wünschen mußte. Das gute Mädchen hatte mehr
+einen Hang, sich mit dem, was sie wußte, zu begnügen,<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> als einen Drang,
+den Schatz ihrer Kenntnisse zu vermehren. Sie konnte nicht einsehen,
+was es z. B. nütze zu wissen, daß die Hauptstadt von Preußen Berlin
+heiße, und zu was es gut sei, mehr alte Römer kennen zu lernen, als
+den Landpfleger Pontius Pilatus. Sie war daher manchmal zerstreut,
+dachte an andere, ihr näher liegende Gegenstände, und hatte, was der
+Lehrer ihr mit lebhaftem Eifer gesagt, öfters gar nicht gehört, viel
+weniger verstanden. Sie offenbarte ein eigenthümliches Talent, das
+was sie schon gelernt, mindestens nachgesprochen hatte, wieder zu
+vergessen, und bei Dingen, die er als bekannt voraussetzen zu können
+glaubte, dreinzusehen, als ob sie nie eine Sylbe davon gehört hätte.
+Daß nun auch der Lehrer ärgerlich wurde, und daß es ihn zuweilen sehr
+hart ankam, in den Grenzen der Höflichkeit zu bleiben, begreift sich.
+Eine Zeitlang nahm er sich zusammen, und wenn er hitzig wurde und die
+Verlobte einigermaßen verletzt schien, legte er als Balsam gleich
+wieder sanfte Worte auf. Rief er einmal strafend: »Wie ungeschickt!«
+oder: »Das hast du ja schon gewußt! — wo sind denn deine Gedanken?«
+— und erröthete sie dann und sah gedemüthigt zu Boden, dann tröstete
+er sie: es komme nur darauf an, die ersten Schwierigkeiten zu besiegen
+und mehr Freude an der Sache zu finden; sie solle nur den Muth nicht
+verlieren, und dergleichen. Wie nun aber diese Freude sich nicht
+einstellte und die alten Fehler wiederkehrten, fand er's doch für
+gerathen, bei den strafenden Worten zu bleiben und ihr aus einem
+Schamgefühl nicht herauszuhelfen, das so wohl verdient schien. Es
+entfuhren ihm nun zuweilen Ausrufungen wie: »Gott, was ist das für ein
+Kopf!« oder: »das ist ja zum Verzweifeln!« — und er versetzte damit
+dem Selbstgefühl des Mädchens einen Schlag, der um so weher that, als
+er früher ja ganz anders gesprochen hatte. — Nach solchen Aeußerungen
+mußte er freilich wieder einlenken; aber er that es nicht mehr in
+sanften Worten, sondern erklärte, es thue ihm leid, so zu reden, aber
+es sei seine Pflicht, die Sache mit mehr Ernst und Strenge anzugreifen,
+da sie mit ihrer Langsamkeit und Zerstreuung sonst zu nichts kommen
+würde. Was er thue, geschehe zu ihrem Besten und nur aus Liebe.</p>
+
+<p>Das mochte alles ganz wahr sein, aber auf Christine konnte es<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> keinen
+erfreulichen Eindruck machen. Wenn Forstner als Liebhaber im ihre Stube
+trat, sah sie diesen gar bald durch den Lehrer beeinträchtigt; nach und
+nach wurde er ganz zum Hofmeister, und sie konnte von Glück sagen, wenn
+der Liebhaber wenigstens beim Abschied wieder zum Vorschein kam.</p>
+
+<p>Die Gute mußte endlich einsehen, daß sie wieder ganz zum Schulkinde
+geworden war und die Leiden eines solchen zu erdulden hatte, ohne den
+frohen und leichten Jugendmuth zu besitzen, der alles Unangenehme
+schnell wieder abwirft. Sie war gehofmeistert von Mamsell Adelheid,
+gehofmeistert von ihrem Bräutigam, und oft schien es ihr, als wäre
+dieser schlimmer wie jene. Das Fatale dabei war: sie konnte die Bande,
+wie schwer sie auf ihr lasteten, nicht abwerfen, nicht einmal an
+ihnen rütteln; sie mußte das Joch tragen und damit weiter gehen. —
+Erholung und Unterhaltung war ihr wenig geboten; denn außer den uns
+bekannten Persönlichkeiten hatte sie keinen Umgang, da sie ja durch
+diese zu weiterem erst befähigt werden sollte. Wenn sie sich nun an
+einem grauen, kalten Tag in ihrer Stube mit ihren Aufgaben beschäftigen
+wollte, aber durchaus keine Lust dazu verspürte und Buch und Papier
+weglegte, um für sich hinzustarren, dann begann es ihr endlich »and zu
+thun« nach der Heimath, und dieses Gefühl wurde stärker und stärker.
+Sie kam sich recht einsam, recht verlassen vor und hatte zuletzt
+eine Anwandlung von der Empfindung, die man im Ries mit dem Worte
+»verzwazeln« (verzweifeln, vergehen) bezeichnet. Aber sie durfte von
+diesem eigenen Leide niemand etwas sagen. Auch der Mutter mußte sie
+schreiben, daß es ihr wohl gehe, und daß sie gern hier sei.</p>
+
+<p>Endlich kam ein Tag, der wohl zu der Hoffnung berechtigen konnte, daß
+er ihr Freude bringen und wieder Muth und Zuversicht einflößen werde.
+Der städtische Sonntagsanzug, den man bald nach ihrer Ankunft für
+sie bestellt hatte, war fertig geworden. Man hatte nichts gespart,
+ihn so hübsch und glänzend herzustellen, als es bei ihr nur immer
+anging. Alles hatte seinen Rath dazu gegeben und das Kleid war von den
+geschicktesten Händen gefertigt, die man in der Stadt finden konnte.
+Frau Kahl, der es eine Ehrensache geworden war, das Dorfbäschen in eine
+Städterin umzuwandeln, hatte sich am<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> eifrigsten dabei umgethan; sie
+hoffte besonders auch eine gute Wirkung auf das Gemüth der Verwandten,
+an der sie ein scheueres und gedrückteres Wesen zu ihrem großen
+Bedauern wahrgenommen hatte. Kleider machen Leute, das ist ein gutes
+altes Sprichwort, und mit einem feineren Anzug pflegt in gar viele
+Menschen auch ein höherer Geist zu fahren. Sollte sich das nicht auch
+an Christine bewähren? — Als diese an dem festlichen Morgen unter
+Beihülfe der Base und der Mamsell Adelheid fertig geworden war und
+dastand im dunkeln Merinokleid, seidenem Halstuch, sammtnem Hut und
+glänzend gewichsten Schuhen, wurde sie von den Richterinnen ernst und
+aufmerksam geprüft. Beide gingen hin und her und betrachteten sie von
+allen Seiten. Seltsames Mißgeschick! Die Erscheinungen beim ersten
+Probiren des Alltagskleides wiederholten sich. Die Stoffe thaten ihre
+Wirkung, die Gestalt war aber durch sie um nichts feiner und zierlicher
+geworden, sie schien allen Verwandlungsversuchen widerstehen zu wollen.
+»'S ist eben eine maskirte Bäurin,« dachte Mamsell Adelheid, und die
+Base wußte gar nicht, was sie denken sollte.</p>
+
+<p>Am ungefügigsten erwiesen sich zuletzt noch die Hände des Landmädchens.
+Daß die Bauernarbeit, wie jede andere, die gleiche Anstrengung mit
+sich führt, die Glieder mächtiger und stärker entwickelt, weiß jeder.
+Ein Dorfkind bringt in der Regel die Anlage zu tüchtigen Fingern schon
+von den Eltern mit, und die Ausbildung wird durch Rechen, Sichel und
+Dreschflegel entsprechend gefördert. Die Haut wird auf der einen Seite
+hart, auf der andern erhält sie eine röthlich bräunliche Färbung, und
+die Dorfhand ist fertig. In ihrer Heimath wird sie so gerade geschätzt;
+sie deutet auf Arbeit und Arbeitsfähigkeit — die Ehre der Landleute
+— und paßt zum ländlichen Anzug. Ein schönes Mädchen weiß damit zu
+schmeicheln, so gut wie eine Städterin mit ihren zierlichen Fingern,
+und der Druck der Liebe soll unter dieser Voraussetzung um nichts
+weniger süß und angenehm sein. Aber alles hat in der Welt seinen
+natürlichen Platz, und wenn es diesen verläßt, wird das Passende
+unpassend. Die Hände unserer Christine gehörten auf dem Dorf noch
+nicht zu den stärksten; in der Stadt und für den städtischen Anzug
+erschienen sie nun doch viel zu entwickelt, und dieß stellte sich
+auf's klarste heraus, als die neugekauften<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> Handschuhe darüber gezogen
+werden sollten. Sie erwiesen sich zu klein und drohten zu platzen;
+man mußte in den Laden schicken und Männerhandschuhe der größten Art
+bringen lassen. Diese reichten endlich zu; aber den Händen, die mit
+ihnen bedeckt waren, Beifall zu spenden, das war auch der wohlmeinenden
+Richterin eine Sache der Unmöglichkeit.</p>
+
+<p>Nach erneuerter Prüfung gewann es Frau Kahl zuletzt über sich, das
+Bäschen mit Anerkennung aufzumuntern und zu bemerken, das Kleid stehe
+ihr diesmal schon viel besser und sie könne sich sehr wohl damit sehen
+lassen. Mamsell Adelheid schwieg; sie konnte eine gewisse Schadenfreude
+in ihrem gelblichen und scharfen Antlitz nicht unterdrücken und sagte
+zuletzt, für den Anfang sei es gut genug; man dürfe von einem Mädchen,
+die im Dorf groß geworden sei, gar nicht verlangen, daß sie ein solches
+Gewand gleich zu tragen verstehe, wie sich's gehöre. — Christine,
+durch alles das betroffen und irre gemacht, besah sich im Spiegel,
+prüfte sich hin und her, und gefiel sich selbst nicht. Sie gehörte
+nicht zu den Einfältigen, das gute Dorfkind, und ließ sich nicht von
+den prächtigen Stoffen blenden; sie hatte ein Augenmaß und überzeugte
+sich, daß ihr der ganze Kram nicht zu Gesichte stehe. Ihre Freude —
+denn sie hatte sich doch auf die schönen Sachen gefreut — war zu
+Wasser geworden.</p>
+
+<p>Eben hatte die Base wieder eine ermuthigende Bemerkung angefangen,
+als der Verlobte in die Stube trat — diesmal nicht zufällig. Es
+war verabredet, daß er die Braut besuchen und sie mit Frau Kahl in
+die Kirche führen solle. An der Thüre stehend und nur den schönen
+neuen Anzug im Auge, stieß er ein fröhliches »Ah, wie schön!« aus.
+Als er näher trat und die Geputzte genauer betrachtete, wurde er
+ernst und ernster, und es war ihm unmöglich, in dem begonnenen Tone
+fortzufahren. Die Hände waren ihm nie so groß vorgekommen als in den
+feinen Handschuhen; aus dem Gesicht im Sammthut schien aller Geist,
+alle Anmuth geflohen zu sein. Die Eitelkeit des jungen Mannes, der
+sich eine Frau wünschte, mit der er prunken konnte, war erschreckt und
+sah den unerfreulichen Thatbestand noch dazu mit übertreibenden Augen.
+Christine sagte sich augenblicklich: »Ich gefall' ihm wieder nicht,
+gar nicht — und das<span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span> ist kein Wunder!« Als der Verlobte sich endlich
+mit Anstrengung zusammennahm und seine Verlegenheit hinter Worte des
+Lobes und der Bewunderung verbergen wollte, die ihm aber durchaus nicht
+von Herzen gingen und auf dem Gesicht der Mamsell Adelheid nur ein
+boshaftes Lächeln hervorriefen, da hatte das gute Kind eine wahrhaft
+peinliche Empfindung. Sie versetzte mit dem Ernst der Ehrlichkeit: er
+möge sie doch mit solchen Reden verschonen, sie wisse recht gut, daß
+ihr dieses Kleid nicht anstehe und immer noch das Bauernmädchen aus ihm
+herausschaue. Aber das sei nun einmal so, und sie könnte sich nicht
+anders machen, als sie wäre.</p>
+
+<p>Sehr verstimmt trat man den Weg zur Kirche an. Als in der Hauptstraße
+ein Herr und zwei Frauenzimmer daher kamen, die den Lehrer grüßten
+und auf Christine blickend, heitere Mienen zeigten, war es ihm, als
+ob er auf Nadeln ginge. Er wurde schamroth wie ein Mädchen, dankte
+hastig, ging rascher und verabschiedete sich vor dem Kirchenthore
+von Christine mit dem Gefühl wahrer Erleichterung. Für sie hatte die
+niederdrückende Erfahrung, die der eilige Abschied des Bräutigams noch
+vervollständigte, das Gute, das sie im Gotteshause Trost suchte und
+der Predigt, die ihrer Lage entsprach und an sie gerichtet schien, von
+Anfang bis zu Ende folgte. Es war dies das erste Mal in ihrem Leben;
+aber Noth lehrt beten und öffnet das Verständniß für Aussprüche, die
+früher nur als leere Klänge am Ohr vorüberzogen. Ihre Anstrengung
+belohnte sich auch, sie kam getrösteter und ruhiger nach Hause.</p>
+
+<p>Indem ich das Verhalten und die Schicksale Christinens der Wahrheit
+gemäß schildere, bin ich weit entfernt, eine Theorie aufstellen
+und etwa lehren zu wollen, ein Dorfmädchen passe in die Stadt und
+für einen Städter überhaupt nicht, die geborne Bäuerin könne nur
+mit einem Bauer glücklich sein und die Verpflanzung in eine höhere
+Schichte der Gesellschaft niemals gelingen. Das wäre falsch und würde
+namentlich auch im Ries durch gelungene Versuche widerlegt. Es kommt
+hier, wie sich von selber versteht, auf den Geist und das Naturell
+des Mädchens an. Ist diese begabt, strebsam und sehnt sie sich höher
+hinauf, so wird sie als Braut und als Frau eines gebildeten Mannes
+gar bald die Kultur annehmen, die von ihr<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> gefordert werden kann;
+denn eine Pariserin braucht sie ja in einer deutschen Kleinstadt
+nicht zu werden. Sie wird das verhältnißmäßige Hochdeutsch lernen,
+womit man im der städtischen Unterhaltung durchkommt; Begrüßungen und
+höfliche Redensarten werden ihr bald geläufig vom Munde gehen; sie
+wird Kenntnisse sammeln und in Gesellschaft mehr oder weniger ein Wort
+mitreden können. Was die französische Kleidung betrifft, so wird eben
+dieser Punkt am leichtesten erledigt sein. In dem strebenden Mädchen
+regt sich der feinere Putztrieb von selbst, das neue Gewand, das Symbol
+höheren Standes, wird mit freudiger Begierde angelegt, mit Selbstgefühl
+getragen, und Lust und Liebe und angeborenes Geschick führen bald zu
+der Herrschaft darüber, die sich in leichter und angenehmer Bewegung
+ausspricht. Die Hände, wenn sie nicht schon von Natur feiner waren und
+der Einwirkung der Arbeit widerstanden haben, werden zarter und feiner
+mit der Zeit, und das Wagniß ist gelungen. Kommt es ja doch in der
+Ehe und in einem Haushalt viel mehr auf Angebornes als auf äußerlich
+Gelerntes an! Der natürliche helle Verstand findet sich darin viel
+eher und besser zurecht als der trägere Geist, dem allerlei Wissen
+beigebracht wurde, und wenn zuletzt auch einzelne Züge immer noch das
+geborene Landmädchen verriethen, so könnten sie bei dem Vorhandensein
+der erforderlichen reellen Eigenschaften doch zu nichts weiter als zu
+scherzhaften kleinen Neckereien führen.</p>
+
+<p>Ich möchte behaupten, daß eine solche Entwicklung bei Dorfkindern, die
+von der Natur nicht stiefmütterlich behandelt sind und von Städtern
+geehlicht werden, Regel ist. Die meisten werden, von dem Reiz geleitet,
+den das Neue und Höhere auf ihr Gemüth übt, sich in die Verhältnisse
+schicken, ihrem Stande Ehre zu machen sich bemühen und in ihrem Eifer
+das vorgesteckte Ziel erreichen.</p>
+
+<p>Unsere Christine gehörte aber nicht zu den Strebenden. Sie war für das
+Dorf geboren und nur hier konnte sie wahrhaft glücklich werden. Auf
+ihre Phantasie wirkte mehr der Reiz des Hergebrachten als des Neuen,
+mehr die Poesie des Eigenen als des Andern. In dem Kreise des Dorfes
+selber fortzuschreiten, aus einer Söldnerstochter eine angesehene
+Bäuerin zu werden, das war ihr Ehrgeiz, ihr erster und schönster Traum
+gewesen. Bei Forstner war es mehr die<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> hübsche und einschmeichelnde
+Persönlichkeit, die sie bestrickte, als der Lehrer und »Herr«; und
+wenn der Gedanke ihr angenehm war, Frau Lehrerin zu werden, so war es
+eben nur unter der Voraussetzung, daß sie es auf dem Dorf, ja in ihrem
+Geburtsort würde und damit in ihrer Art zu der Höhe der ersten Frauen
+darin hinaufrückte. Der Titel einer städtischen Frau Oberlehrerin
+blendete sie nur mit flüchtigem Reiz, mit einem Schein, der bei näherer
+Betrachtung nicht Stand halten konnte. Ihr angeborener Trieb führte die
+Seele wieder und wieder zum Dorfe, zur Stätte des Jugendglücks, zur
+Heimlichkeit der Heimath zurück.</p>
+
+<p>Christine liebte die Rieser Tracht, fand sie schön und zierend, und
+sie hatte alle Ursache dazu, denn ihr stand sie vortrefflich. Sie
+hatte etwas von der Gesinnung in sich, die ehedem verbreiteter war
+als jetzt, aber sich gewiß noch nicht ganz verloren hat; ich meine
+die Gesinnung, in welcher der Bauer seinen Stand eigentlich für den
+ehrenvollsten, seine Kleidung für die schönste hält, und die Herren
+und Herrenfrauen, die in der Stadt leben und französische Kleider
+tragen müssen, nicht nur für weniger begünstigt ansehen, sondern
+geradezu bedauern kann. Schreiber dieses erinnert sich, in seiner
+Jugend von wohlhäbigen Landmädchen mehrfach spöttische Bemerkungen über
+Städterinnen gehört zu haben, die nur dem Stande und Gewande galten
+und mit behaglicher Sicherheit, ohne alle Bosheit abgegeben wurden.
+»So eine Langrockete,« hieß es von dem Stiefkinde der Verhältnisse,
+das mit dem Flecken reizloser und unsolider Tracht behaftet war. Eine
+geborene Wallersteinerin, Tochter eines angesehenen Bürgers und von
+mütterlicher Seite mit einer jungen Bäuerin verwandt, besuchte diese
+einmal zur Kirchweih und gewann in fröhlichem Gespräch bald ihr Herz.
+Die Bäuerin freute sich ihrer und sagte endlich: »Du bist a brav's und
+a lieb's Mädle — wann d'nor oh (auch) andere Kloeder a'hättst!« —
+»Warum das?« fragte die Wallersteinerin. Und sie erhielt zur Antwort:
+»'s ist halt nex mit dem Häs (Kleidung) doh, und wo ma' he'kommt, ist
+ma' halt veracht!« — Diese Aeußerung kam dem heitern Mädchen sehr
+ergötzlich vor, und noch als ältere Frau pflegte sie die Anekdote zur
+Charakteristik des Rieser Landvolks und zur Belustigung städtischer
+Hörer zu erzählen.<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> Allein die Gesinnung, aus der solche Aeußerungen
+hervorgehen, ist doch eine höchst respektable Quelle von Glück in der
+Welt. Es ist der frohe Glaube an den Werth dessen, was man hat und ist,
+das Erfülltsein von Liebe zu der hergebrachten Art und Sitte — der
+Grund der Zufriedenheit und Beständigkeit im Leben.</p>
+
+<p>In Christine lebte etwas von diesem Glauben und dieser Liebe und trat
+in den gegenwärtigen Verhältnissen, die freilich nicht darnach angethan
+waren, mit ihren Erinnerungen in die Schranken zu treten, zuweilen
+mit größter Stärke hervor. Doch sie durfte sich dem Zug nach dieser
+Seite nicht hingeben, sie mußte ihn bekämpfen, mußte streben und
+lernen, mußte sich bemühen, eine andere zu werden und städtische Sitten
+liebzugewinnen.</p>
+
+<p>Die Erziehung eines Mädchens wie Christine und ihre Angewöhnung in der
+Stadt, sollte man glauben, hätte unter den geschilderten Umständen
+dennoch, wenn auch langsam, fortschreiten müssen, da es ja doch
+immer der Bräutigam war, der die Braut erzog, und die Liebe, die
+beide zusammengeführt hatte, zuweilen allerdings getrübt, keineswegs
+ausgelöscht war. Allerdings; aber die Liebe des Bräutigams und der
+Entschluß, die gelobte Treue zu bewahren, hatten nun eben den Vorsatz
+gefaßt, gegen den Zögling sich in consequentester Strenge zu beweisen.
+Die Zeit verstrich und Christine mußte bis zum Frühjahr wenigstens so
+weit gebracht werden, daß sie als Frau seiner nicht ganz unwürdig war.
+Er mußte sie zwingen, sich Mühe zu geben und ihren Geist auszubilden.
+War dieser entwickelt, dann sollte das übrige schon nachfolgen und
+der nöthige Anstand ergab sich von selber. — Durch diese strenge und
+unter Umständen züchtigende Liebe des Bräutigams wurde die Liebe der
+Braut auf die schwerste Probe gestellt. Es blieb eben auch nicht bei
+dem Ernst, hinter dem eine Liebe regiert, die gut und consequent ist.
+Dieser wäre es endlich wohl gelungen, das Ziel zu erreichen und ihre
+Bemühungen gekrönt zu sehen; aber Forstner war in einer Gemüthslage,
+wo ihm nichts rasch genug ging; er wollte, aufgeregt und ungeduldig,
+die Frucht haben, bevor sie reifen konnte, und wiederkehrende Fehler
+der Schülerin entrissen ihm nun bei schon angesammeltem Verdruß
+Aeußerungen, die er zwar immer noch für wohlverdient<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span> hielt, Christine
+aber nur als wahre Beleidigungen aufnehmen konnte. Es gab Auftritte
+zwischen dem Liebespaar, und Stunden, ja Tage des Trutzens. Versöhnte
+man sich wieder und that man das Gelübde, sich nie, nie wieder zu
+kränken, so war dem Frieden die Dauer so wenig verbürgt, wie andern,
+die auch auf ewige Zeiten abgeschlossen werden. — Gegen die ernsten
+Mahnungen Forstners konnte und wollte Christine nichts einwenden. Sie
+faßte den Entschluß, sich Mühe zu geben, und sie gab sich Mühe; aber
+Lust und Liebe zur Sache konnte sie sich nicht geben, und unter den
+geschilderten Umständen konnten diese auch nicht in ihr keimen und
+wachsen. Alles, was gegen die Natur verlangt wird, alles, was vor
+der Zeit fertig sein soll, gewinnt aber in der Seele den Charakter
+einer unerträglichen Last. Es wächst ein Widerwille dagegen, der zum
+Abscheu werden kann; und wenn man die verhaßte Pflicht nun doch nicht
+zurückzuweisen sich getraut, vielmehr die Nöthigung erkennt sie zu
+erfüllen, koste es was es wolle, dann können sich im Herzen Elemente
+der Verzweiflung ansammeln, die nothwendig zum Ausbruch kommen müssen.</p>
+
+<p>Am Abend eines Tages, an dem Forstner nach wieder eingetretener
+Spannung nicht erschienen war, saß Christine mit ihren Verwandten
+und Mamsell Adelheid bei der frugalen Abendmahlzeit. Sie wurde mit
+dem abwesenden Liebhaber geneckt, wie es ihr mißfallen mußte; nicht
+aus heiterem und gutem Herzen (ein solches hätte unter den gegebenen
+Verhältnissen überhaupt geschwiegen) sondern von Seiten der Base ohne
+Laune, aus Langeweile, von Mamsell Adelheid ohne Wohlwollen, aus
+Schadenfreude. Sie antwortete zuerst etwas empfindlich, und endlich
+verbat sie sich diese Reden ganz. Wie meistens, wenn sie im Ernst
+und von Herzen sprach, hatte sie diese Erklärung im Rieser Dialekt
+abgegeben, und Adelheid, die sich auf dem einen Felde nicht mehr
+genügen durfte, benutzte nun die Aussprache des Dorfmädchens, um
+ihr etwas anzuhaben. »Pfui, Christine,« rief sie mit dem geheuchelt
+wohlmeinenden Ausdruck, der bekanntlich viel widerlicher ist, als
+ehrliche Unhöflichkeit, »pfui, wie bäurisch ist das wieder! Du mußt
+dir dieses Rieserischreden abgewöhnen, gutes Mädchen; das geht hier
+nicht mehr, du machst dich lächerlich damit,<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> und für die Frau eines
+Lehrers paßt es schon gar nicht!« Die Wahrnehmung, daß ihre Worte auf
+Christine ihre Wirkung gethan hatten, ermunterten sie fortzufahren, und
+sie bemerkte: »Du brauchst nicht ärgerlich zu werden. Wir meinen's gut
+mit dir, drum sagen wir dir's, andere lassen dich reden und lachen dich
+aus.«</p>
+
+<p>Das hieß bei dem Rieser Kinde eine der empfindlichsten Stellen
+berühren. Sie hatte jene Rüge und Ermahnung von ihrem Bräutigam und
+von der Mamsell schon öfters hören müssen. Bei ihm hatte sie's in der
+Ordnung gefunden und sich bestrebt, hochdeutsch zu reden. Zunächst
+war freilich nur ein Mischmasch herausgekommen, der ihn zuweilen auch
+wieder lächeln machte, und wenn sie sich bemühte, rein hochdeutsch zu
+reden, dann sprach sie die Worte mit einer Betonung, die ihr nicht
+natürlich war und pedantisch klang, so daß Forstner sie zuweilen wieder
+bat, sie solle lieber reden, wie sie's gelernt habe. Es war auch eine
+fatale Empfindung, sich sagen zu müssen, daß sie ihm nichts zu Dank
+machen könne, und die ganze Sache hatte darum etwas Unangenehmes
+für sie. Bei der Adelheid war ihr aber der Tadel ihrer Sprache um
+so verdrießlicher, als sie ihr eigentlich kein Recht dazu einräumen
+konnte, auch darum nicht, weil die Mamsell nicht sowohl hochdeutsch
+als fränkisch-deutsch redete. Die Rieserin konnte durchaus nicht
+begreifen, wie das fränkische »Na'« (Nein) schöner klingen sollte
+als das Rieserische »Noë«, oder worin »Ah« (Auch) hochdeutscher wäre
+als »Oh« u. s. w. Sie hatte bemerkt, daß man im Ries gewisse Worte
+gerade nach der Schrift aussprach, während man sie im Fränkischen
+veränderte, also verschlechterte, daß man z. B. im Ries ganz richtig
+»mager« sagte, wo es hier »moger« hieß; und sie sah nun in keiner Art
+ein, wie sie die Sprache ihrer Heimath gegen so eine Sprache sollte
+schlecht machen lassen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie denn mit der
+Resolution des Unwillens alles, was sie auf dem Herzen hatte, und
+schloß ihre Erwiederung mit den Worten: »Jedes hat seine Sprach' gern
+und glaubt, sie sei besser als die andere, und das ist natürlich. Ihr
+sagt, die Rieser sei so breit und hinausgezogen, mir kommt die eure
+dagegen öd vor und recht »moger«, und ich mein', ich könnt' in ihr nie
+von Herzen reden. Aber darüber will ich nicht streiten. Wenn ich mein
+Rieserisch einmal<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> ablegen soll, so will ich doch lieber gleich ein
+rechtes Hochdeutsch lernen, sonst will ich beim Rieserischen bleiben.
+Denn wenn's auch eine langsamere Sprach' ist wie die eure, so reden's
+doch Leute, die ich lieb hab' und die ich hochschätz', und das kann ich
+nicht von allen sagen, die ich kenne. Für heut' wünsch' ich Gutnacht!«
+— Sie war aufgestanden und verließ die Stube mit einem Blick der
+Geringschätzung auf Mamsell Adelheid. — »Hoffärtiges Ding!« rief
+diese, die sich durch den Vorwurf der Schülerin wegen des Fränkischen
+getroffen und durch ihren Abschiedsblick beleidigt fühlte. Aber Vetter
+Kahl meinte, sie habe es ihr heute auch arg gemacht, und man könne es
+der Christine jetzt nicht übel nehmen, wenn sie nicht bei guter Laune
+sei. — »Ja freilich,« setzte die Frau hinzu und nickte bedenklich.</p>
+
+<p>Christine ging in ihre Stube hinauf, zündete ein Talglicht an, setzte
+sich an den Tisch und versuchte in einem Buche zu lesen, das ihr
+Forstner als unterhaltend empfohlen hatte. Bald legte sie's weg. Wie
+sollte sie sich für die geschriebenen Sachen interessiren, während ihr
+Herz so voll und so aufgeregt war von Unmuth und Sorge! Schweigend,
+die Arme auf die Lehne des alten Stuhls gelegt, sah sie auf den Boden
+und verharrte in formlosem Gedankenspiel eine Zeitlang in dieser
+Stellung. Es fröstelte sie; aber sie wollt' es nicht anders haben und
+rührte sich nicht. Wie traurig und öde war es in dieser Stadt! — wie
+unheimlich war es in der Stube, die eigentlich nie recht warm gemacht
+werden konnte! Ihre Phantasie ging in die Heimath zurück, sie stellte
+sich das Dorf und die Stube ihrer Mutter vor, und alles Liebe und
+Heimliche baute sich nach und nach vor ihr auf. — Wie schön war es
+dort — auch im Winter! die Stube so warm den ganzen Tag, weil man im
+Rohr des eisernen Ofens kochte und das Holz nicht sparte. Welch ein
+angenehmer Geruch, wenn am Sonntag ein paar Tauben gebraten wurden
+oder ein frisches Stück Fleisch vom selbstgeschlachteten Schwein. Wie
+heimlich war es des Abends, wenn sie mit ihrer Mutter spann und mit ihr
+und dem braven Hans einen Rath hielt oder »ihren Gedanken Audienz gab«
+und die runde Hauskatze hinter dem Ofen dazu »durnte!« Wie traulich
+war es, wenn ein paar Freundinnen<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span> mit dem Rocken kamen, wenn man mit
+einander schwatzte und lachte, und nicht eines besser zu reden glaubte
+als das andere, und nicht eines das andere mit seiner Sprach' aufzog.
+Dort waren die Leute gut, und auch die schlimmen hatten etwas an sich,
+was man gern haben mußte. Es war eben dort alles lustiger, und auch die
+schlimmen meinten's nicht so bös; und so hochmüthige gelbe Gesichter,
+wie die Adelheid eines hatte, gab es dort gar nicht.</p>
+
+<p>Indem die Träumende von diesen Vorstellungen aufsah und sich in ihrem
+düster erhellten, todtenstillen Zimmer erblickte, hatte sie das Gefühl
+eines verlorenen Paradieses. Dort war alles so gut und so schön, dort
+konnte sie glücklich werden. Hier hatte sie keine einzige Gespielin,
+keine einzige vertraute Seele! Hier war sie verachtet und verspottet,
+sie, die in ihrem Dorfe geehrt und gepriesen war. Hier wurde sie
+mißhandelt! Und er, der ihr Trost und ihre Stütze sein sollte, er,
+der ihr ewige Liebe geschworen hatte, wurde mit jedem Tage härter und
+liebloser gegen sie! Er hatte keine Geduld mit ihr, er »kappte sie
+herab,« er beschimpfte sie, er schämte sich ihrer! Das mußte <em class="gesperrt">sie</em>
+erleben! — und das mußte sie von <em class="gesperrt">ihm</em> erleben! Und wenn er nun
+schon als Bräutigam so gegen sie handelte, was hatte sie zu erwarten,
+wenn er ihr Mann war und ihr Herr? Welchen Ehestand sollte das geben?</p>
+
+<p>Der Gedanke, daß sie das Unrechte gewählt habe, daß ein unglückliches,
+verfehltes Leben ihrer warte, und daß sie selber daran Schuld sei,
+begann den Geist des Mädchens zu überwältigen. In ihrem Herzen fing ein
+Zittern und Beben an, das sich über den ganzen Körper verbreitete, das
+nicht mehr zurückgedrängt werden konnte und nicht mehr enden zu können
+schien. Der Sturm der Verzweiflung war über ihre Seele gekommen. Wenn
+dieser einmal im Innern zu sausen und zu brausen beginnt, dann helfen
+keine Einreden des Verstandes mehr. Alle Gründe, die dagegen sprechen
+sollen, fallen kraftlos zu Boden, das Toben der Angst geht weiter mit
+der Gewalt eines übermächtig gewordenen Feuerbrandes, man hat nur noch
+Ein Gefühl und Ein Wort: Verloren! verloren!</p>
+
+<p>Christine konnte nicht mehr glauben und nicht mehr hoffen. Es war ihr,
+als ob sie auf und davon müßte; aber wohin sollte sie?<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> Sie konnte
+nicht fort, sie mußte bleiben und alles erdulden, was ihr auferlegt
+war. Sie hatte ein Gefühl, als wenn sie in einen Brunnen gefallen
+wäre und nicht mehr heraus, ja nicht einmal um Hülfe rufen könnte.
+Welch eine Noth! — welche Bangigkeit! Und hätte sie nur weinen und
+Erleichterung finden können in Thränen! Aber in solchem Zustande des
+Herzens kann auch das Weib nicht weinen; nur leiden kann es, leiden und
+beben, wie das Lamm in den Klauen des Raubthiers.</p>
+
+<p>Endlich erhob sich die Unglückliche mit entschlossener Anstrengung. Sie
+legte sich nieder, ob ihr vielleicht der Schlaf ein Erlöser würde; aber
+die empörten Wogen der Seele ließen sie nicht schlafen. Sie verbrachte
+die schwerste, peinvollste Nacht ihres Lebens und sank endlich nur aus
+Mattigkeit in einen unruhevollen Schlummer.</p>
+
+<h3>V.</h3>
+
+<p>Die Verzweiflung, von der eine leidende, gedrückte Seele befallen
+wird, trägt oft am meisten zu ihrer Wiederauflebung und Stärkung bei,
+wenn die Verhältnisse, in denen sie lebt, nicht an sich desperat,
+sondern von ihr nur so empfunden worden sind. In dem Wirbel der Sinne
+übertreibt sie und sieht im schlimmsten Licht; und wenn der Hauptanfall
+ausgehalten ist, kann sie diesen Irrthum erkennen, zur Betrachtung der
+bessern Seite hingedrängt und dadurch wieder beruhigt werden. Bleibt
+noch so manches Unebene zurück, so liegt der Gedanke nahe: ob denn auch
+alles so accurat sein müsse, ob denn bei andern alles so accurat sei?
+Und sie ermuthigt sich, sie bescheidet sich, sie hofft wieder.</p>
+
+<p>Ein Sturm, der im Herzen sich erhebt, fegt dieses ohnehin, ich möchte
+sagen physisch aus. Er nimmt manchen phantastischen Anspruch, den man
+an die Welt und ihr Glück zu haben glaubt, mit sich hinweg und läßt
+erkennen, daß man in ihr vielmehr dulden und etwas leisten müsse. »Thu'
+was du kannst, in's übrige füge dich!« — mit diesem Vorsatz tritt man
+den Anfechtungen des Lebens entgegen und findet dann auch wieder, daß
+es doch nicht so schlimm ist, als man sich's vorgestellt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span></p>
+
+<p>Bei Christine war es aber nicht mit einem Tage abgemacht. An dem
+folgenden ging sie körperlich erschöpft, im Innern gebrochen einher
+und die Quelle der Verzweiflung strömte ruhiger, aber stetig in ihr
+fort. Sie trug alle Merkmale einer qualvoll durchwachten Nacht an sich;
+doch war ihr Mund still und ihre Miene ergeben, so daß die Base wahres
+Bedauern mit ihr empfand und auch Susanne und Adelheid nicht ganz
+ungerührt blieben. Forstner kam auch an diesem Tage nicht. Christine
+mußte an das Schlimmste denken; sie that es mit schauerndem Herzen;
+aber das Schlimmste war eine Entscheidung und hatte für ihr jetziges
+Gefühl auch wieder etwas Beruhigendes. Ermüdet legte sie sich zu Bette
+und fand bald das Heilbad des Schlafes.</p>
+
+<p>Kräftiger stand sie auf und erfreute die Base beim Frühstück durch eine
+getröstete Miene. Sie hatten von häuslichen Dingen gesprochen und waren
+eben daran, die Arbeiten des Tages zu erwägen, da trat der Verlobte
+herein — mit allen Zeichen der Eile und einem entschiedenen Ausdruck
+der Reue, die wieder gut machen will.</p>
+
+<p>Das ist leicht zu erklären. Die Base hatte gestern in der Nacht noch
+Vetter Kahl zu ihm geschickt, und dieser hatte ihn von dem Stande der
+Dinge unterrichtet und ihm ins Gewissen geredet. Eindrucksfähig wie er
+war, hatte sich Forstner die Worte zu Herzen genommen, sein Gewissen
+hatte sich gerührt und ihn zu dem Entschluß gebracht, Christine noch
+vor der Schule zu besuchen.</p>
+
+<p>Er ging auf sie zu, drückte ihr die Hand und entschuldigte sein
+Ausbleiben mit unaufschieblichen Arbeiten, die ihn leider abgehalten
+hätten, zu ihr zu kommen u. s. w. Christine, durch sein Erscheinen
+erfreut, ließ alles gelten, und es kam zu einer vollständigen
+Versöhnung. Als sie vom Unterricht zu reden begann, nahm er
+Gelegenheit, sich selbst anzuklagen. Er sei offenbar in der letzten
+Zeit zu ungeduldig gewesen und habe mehr verlangt, als sie leisten
+konnte; er müsse sie wirklich um Verzeihung bitten; aber sein Amt und
+die Plage mit seinen Kindern mache ihn eben auch zuweilen verdrießlich
+und ungerecht. Das Mädchen entgegnete: daß er mit ihr die Geduld
+verloren habe, sei ganz natürlich, sie komme auch gar nicht weiter.
+Aber nun solle er sehen, nun werde sie sich recht zusammennehmen,<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> und
+es werde gewiß besser gehen. — Von seiner Seite Geduld, von ihrer
+Seite Fleiß und Mühe — was brauchte es mehr zur Eintracht und zum
+Glück?</p>
+
+<p>Als Forstner in die Schule ging, dachte er: wenn sie auch nicht alles
+hält, was ich mir von ihr versprochen habe, so giebt es doch eine gute
+Frau. Sie ist fügsam, das ist schon etwas werth. Nach und nach wird
+sie auch lernen, was nöthig ist; ich darf nur nicht zu viel von ihr
+verlangen.</p>
+
+<p>Die nun folgenden Unterrichtsstunden gingen bei solcher Stimmung des
+Lehrers und der Schülerin ganz wohl vorüber. Es waren zunächst nur
+wenige. Die Christfeiertage kamen heran und machten eine Unterbrechung
+nöthig. Die Verlobte hatte mit Hülfe der Mamsell Adelheid einen
+zierlichen Tabaksbeutel zu Stande gebracht, sie kaufte noch ein schönes
+Buch, das der Bräutigam zufällig einmal gewünscht hatte, und machte
+somit eine ganz hübsche Bescheerung. Forstner beschenkte sie mit einem
+Shawl und einem kleinen galanten Gedicht. In dem Vergnügen dieser Tage
+hatte Christine auch Susanne und Adelheid mit Gaben bedacht, welche die
+mäßigen Erwartungen derselben übertrafen, und bessere Gesichter dafür
+erhalten. Alles ließ sich erfreulicher an, und Christine konnte ein
+verspätetes kleines Präsent an die Mutter mit einem Brief absenden,
+worin die Versicherung, daß sie recht fröhliche Weihnachten gefeiert
+habe, durchaus von Herzen kam. Sie hatte jetzt auch den Muth gefunden,
+einer wiederholten Aufforderung der Base nachzukommen und die Mutter
+zum Besuch einzuladen; ja sie hatte auf ihre Faust hinzugefügt, daß
+sie sich durch Vetter Hans herführen lassen solle. Die Erwartung eines
+frohen Wiedersehens trug dazu bei, daß sie das neue Jahr unter heiterem
+Austausch von Gratulationen und vertrauensvoll antrat.</p>
+
+<p>Die Hoffnung auf das Wiedersehen trog sie nicht. Frau Glauning war
+neugierig, ihre Christine in der Stadt zu sehen, und da nach Neujahr
+eine Masse Schnee fiel, dann kalte, trockene Witterung eintrat, so
+riskirte sie's, die Bahn zu benutzen und den Besuch mit Hans in einem
+entlehnten Schlitten zu machen. Am heiligen Dreikönigstage saßen alle
+unsere Personen bei Herrn Kahl um den Mittagstisch,<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> der lange nicht so
+reichlich besetzt gewesen war. Man hatte sich ausgewundert, ausgegrüßt,
+ausgelobt und unterhielt ein behagliches Gespräch, das Forstner zu
+männiglichem Ergötzen mit seinen besten Einfällen zierte, so daß man
+sich endlich auch in dieser Hinsicht gesättigt und vergnügt vom Tisch
+erhob.</p>
+
+<p>In der Laune, die das Mahl in ihr angeregt hatte, nahm die Glauning
+ihre Tochter in eine Ecke und sagte: »Hör', Mädchen, du bist doch ein
+wenig »schmalbackeder« geworden, seit du hier bist. Man ißt wohl bei
+der Base nicht alle Tag' so gut wie heut?« — Christine lächelte und
+sagte: »Ach, liebe Mutter, je weniger ich esse, desto besser ist's!
+Denn ich bin für die Stadt noch lange nicht »schmalbacked« genug.« —
+»So, so?« erwiederte die Alte. »Nun, du siehst wenigstens gesund und
+vergnügt aus. Aber das kann ich dir nicht verschweigen, recht närrisch
+kommst du mir vor in dem Kleid da.« — »Ist andern auch passirt,«
+versetzte Christine. — »Aber diese haben sich dran gewöhnt, wie's
+scheint, und dir wird's auch so gehen.« — Wie die Mutter hier den
+Bräutigam auf sich zukommen sah, fragte sie: »Wie macht sich denn aber
+meine Christine in der Lehr', Herr Forstner? Geht's recht vorwärts?«
+— »Jeden Tag,« erwiederte dieser heiter. — »Verspotte mich nicht,«
+rief ihm Christine zu; »ich weiß recht wohl, daß ich einen langsamen
+Bauernkopf hab'.« — »Nein,« fuhr er zur Mutter fort, »in der letzten
+Zeit bin ich sehr zufrieden gewesen, und wenn's so fortgeht, wird sie
+noch eine ganze Gelehrte werden.« »O Jerum,« rief die Gelobte mit
+komischem Ausdruck. Die Alte sah mit Vergnügen auf das Paar, das Arm in
+Arm vor ihr stand.</p>
+
+<p>Vor dem Abschied fand Christine noch Gelegenheit, eine vertrauliche
+Zwiesprach mit Hans zu halten. Sie dankte ihm und rühmte ihn wiederholt
+wegen seiner Freundschaft und Herzensgüte. Dann fragte sie mit einem
+Lächeln, in dem neben wirklicher Theilnahme ein Hauch von Scham nicht
+zu verkennen war: »Hast du noch immer keine, Hans? Ist noch keine
+Aussicht, daß ich dir auf die Hochzeit gehen kann?« Hans ging auf
+die Unterhaltung ein und versetzte nicht ohne Laune: »'S hat sich
+noch nicht machen lassen. Gut Ding will Weile haben!« — »Ja wohl,«
+erwiederte sie schon heiterer. »Aber<span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span> man muß doch auch anfangen. Du
+thust dich nicht um!« — »Kommt drauf an,« entgegnete Hans. »Aber du
+weißt ja, ich wart' auf deine Hochzeit.« — »Da kannst du vielleicht
+noch lange warten.« — »Wie so?« — »Bis zum Frühjahr sicher,
+vielleicht aber auch bis in den Sommer hinein — ich muß noch gar viel
+lernen.« — »Lernen? Was fehlt dir denn noch?« — »Ach, Hannesle,«
+sagte das Mädchen mit einem humoristischen Seufzer, »noch gar viel!
+Das verstehst du nicht.« — Hans dachte: »Was so ein Schulmeister
+doch heutzutag nicht alles verlangt!« Aber er sagte das natürlich
+nicht, sondern wünschte dem Bäschen alles Glück und drückte ihr in
+freundschaftlicher Theilnahme die Hand. Christine sah, daß er noch
+immer etwas auf sie hielt und daß er ihr nichts nachtrug; beides freute
+sie.</p>
+
+<p>Nach diesem letzten festlichen Tag wurde der unterbrochene Unterricht
+wieder fortgesetzt. Forstner nahm es zuerst wieder leicht und führte
+das Spiel nur sachte zum Ernst hinüber. In der Zwischenzeit hatte aber
+Christine von ihrem Talent, Gelerntes zu vergessen, wieder ziemlich
+Gebrauch gemacht, so daß Fortschritte nirgends sichtbar werden wollten,
+und bald stacken sie wieder in der Prosa des Lebens. Geschmack an
+geistiger Beschäftigung, ein Trieb, selber vorwärts zu gehen, etwas zu
+thun und zu suchen, wollte sich eben in der Schülerin nicht melden. Sie
+lernte nie einsehen, wozu das alles eigentlich gut sein sollte; die
+Kopfarbeit blieb ihr beschwerlich und sie konnte darin nicht einmal
+eine rechte Arbeit sehen. Neigung, angeborener und anerzogener Respekt
+drängte sie zur Arbeit mit der Hand, und nur wenn sie hier etwas fertig
+gebracht, glaubte sie wirklich etwas gethan und ihre Pflicht erfüllt zu
+haben.</p>
+
+<p>Forstner überzeugte sich jeden Tag mehr von der Unmöglichkeit, der
+Verlobten das beizubringen, was er an Geistescultur von seiner Frau
+glaubte fordern zu können. Aber die Wirkung war nun eine andere auf
+ihn als früher: er wurde nicht mehr erzürnt — er entsagte seiner
+Hoffnung. Er that es mit Seufzen und tröstete sich mit dem Gedanken,
+daß Christine jedenfalls eine gute Hausfrau sein werde. — Damit war
+ein bedeutender Schritt zum Glück des Paares hin gethan; denn das
+Glück wird dann erst möglich, wenn man von sich und von andern nur das
+fordern lernt, was die einmal gegebene<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> Natur zu leisten im Stande ist,
+und sich dabei genügen läßt. — Aber nun zog ein Wetter, das schon
+lange am Horizont gestanden hatte, rasch am Himmel auf und hing bald
+drohend über dem Haupte des Dorfmädchens. — Um dieß zu erklären, muß
+ich in der Geschichte um mehrere Monate zurück gehen.</p>
+
+<p>Jener College Forstners, der sich im Oettinger Kränzchen so eng an
+ihn angeschlossen und dessen Betriebsamkeit er hauptsächlich seine
+jetzige Stelle verdankte, war bei seinen Bemühungen von wirklicher
+Freundschaft zu dem talentvollen, liebenswürdigen jungen Mann
+geleitet. Der Eifer, den er zu seinen Gunsten anwandte, beruhte aber
+doch nicht ausschließlich auf diesem persönlichen Wohlwollen; er war
+zugleich, und zwar nicht minder stark, durch sein eigenes Interesse
+getragen. Gustav Dobler (denn er muß jetzt mit seinem Namen in unsere
+Erzählung eintreten) hatte zwei Schwestern, die bei ihm, dem noch
+unverheiratheten Manne, wohnten. Die jüngere war noch nicht aus der
+Schule, die ältere, Wilhelmine, führte seinen Haushalt. Diese befand
+sich in den Jahren, wo sich ein vorsichtiges Mädchen schon einige Jahre
+um eine Partie umgesehen hat — sie war in der Mitte der Zwanziger,
+dabei schlank, hübsch, gebildet, mit einem Geiste begabt, der gern
+das Regiment führte und es liebte sein Licht leuchten zu lassen.
+Was war natürlicher, als daß der schon in den Dreißigen stehende
+Dobler wünschte ihr einen Mann zu verschaffen? Er konnte dann selbst
+heirathen, was bei der Anwesenheit der herrschaftgewohnten Schwester
+nicht zu rathen war, und sie hatte für ihr Talent den rechten Boden und
+das Glück ihres Lebens gefunden. In Forstner hatte der sorgliche Bruder
+gleich den Mann erkannt, der für seine Schwester in jeder Hinsicht
+passend war, den liebenswürdigen, begabten, im Hause zu leitenden Mann,
+und in dieser Ueberzeugung hatte er gehandelt.</p>
+
+<p>Das Verhältniß des neuen Freundes zu einem Bauernmädchen seines Dorfes
+konnte ihm begreiflicherweise nicht verborgen bleiben. Allein er faßte
+es nicht so ernst auf, als es war; er glaubte nicht, daß ein solches
+Mädchen dem feinen Mann genügen könne, und nahm an, es sei gut für
+beide, wenn die Bekanntschaft rechtzeitig abgebrochen würde. Da nun
+in seiner Geburtsstadt eine Stelle vacant wurde,<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> so spannte er alle
+Segel auf, die Ernennung Forstners durchzusetzen. War er nur erst hier,
+dachte er, so löste sich das Verhältniß mit Christine von selbst, und
+das ihm wünschenswerthe knüpfte sich.</p>
+
+<p>Als Dobler nach der Uebersiedlung des Collegen das erste vertraute
+Gespräch mit ihm hatte, mußte er sich freilich überzeugen, daß er sich
+getäuscht. Er hatte mit einiger Deutlichkeit auf den Busch geklopft,
+hatte von einer Frau gesprochen, die sich der angestellte hübsche junge
+Mann unter den schönen Mädchen des Orts auswählen könne, und Forstner
+war genöthigt gewesen, ihm zu sagen, daß er ernstlich verlobt sei und
+daß er seine Braut hieher berufen habe, um sich im Frühjahr mit ihr
+trauen zu lassen.</p>
+
+<p>Christine kam an, und die Hoffnung des Stadtlehrers, den Freund zu
+seinem Schwager zu machen, schien gänzlich gescheitert. Dobler hatte
+der Schwester den Phönix unter den Rieser Lehrern schon vor seiner
+Ankunft gerühmt, ihr seinen Plan mitgetheilt, und Wilhelmine war sehr
+neugierig gewesen, ihn kennen zu lernen. In der That gewann Forstner
+auch gleich bei der ersten Zusammenkunft ihren vollen Beifall und
+konnte aus ihrem Benehmen wohl schließen, daß unter andern Umständen
+eine Bewerbung von seiner Seite hier keine ungünstige Aufnahme gefunden
+hätte. Aber seine Treue gegen Christine wurde auch in Gedanken nicht
+erschüttert. Wilhelmine hatte offenbare Vorzüge der Gestalt und
+der Bildung; aber wie artig sie war und wie zuvorkommend sie ihn
+behandelte, so ahnte der junge Mann in ihr doch den herrschenden Geist
+und konnte nicht umhin, eine gewisse Scheu vor ihr zu fühlen. Sein Herz
+und seine Phantasie hingen an der Verlobten; ihr naturfrisches Bild
+erschien ihm unvergleichlich poetischer, als die Eleganz der Städterin;
+er blieb bei seiner ersten ernstlichen Neigung und hielt sein Wort.</p>
+
+<p>Dobler und Wilhelmine bewerkstelligten einen anständigen Rückzug. Sie,
+von ihren Vorzügen durchdrungen, konnte nicht alle Hoffnung aufgeben
+und freute sich zu hören, daß Forstner seinen Dorfschatz erst noch
+bilden wolle, bevor er Hochzeit machte. Ehe so Eine gebildet wurde,
+konnte gar manches geschehen. Der sonst so verständige Mann werde
+Vergleichungen anstellen und Augen bekommen für den Unterschied
+zwischen ihr und einer Bäuerin, und dann werde sich<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> zeigen, wer den
+Platz behaupte. Natürlich fühlte sie durch die Zurückhaltung Forstners
+auch ihren weiblichen Stolz gekränkt und ihre Ehre herausgefordert.
+Das Versagte reizte sie und ihr Wohlgefallen an ihm steigerte sich zum
+leidenschaftlichen Wunsch, ihn zu erobern. Sie war indeß klug genug,
+ihre Gefühle zu verbergen, zu warten und ihre Zeit zu ersehen.</p>
+
+<p>Als sie durch Mamsell Adelheid gelegentlich hörte, wie plump Christine
+im französischen Kleid aussehe und wie ungeschickt sie sich zu aller
+feineren Arbeit anlasse, hatte sie die erste freudige Empfindung.
+Eine süße Hoffnung schwellte ihr Herz. »Er wird mir kommen!« rief
+sie, als sie allein war, mit der Zuversicht des Stolzes. Und auch
+sie rechtfertigte ihren Plan und ihr Verhalten durch die Annahme, es
+sei für das Bauernmädchen viel besser, wenn sie wieder in ihr Dorf
+zurückginge und das Weib eines Bauern würde.</p>
+
+<p>Wenn Forstner in ihr Haus kam, zeigten Bruder und Schwester, die sich
+mit einander verständigt hatten, nur freundschaftliche Theilnahme an
+ihm und seinem Verhältniß. Man erkundigte sich, wie Christine sich in
+der Stadt gefalle; man begriff, daß er sie jetzt noch nicht unter die
+Leute bringen wolle, man fragte nach ihren Fortschritten u. s. w. Als
+der Lehrer, zutraulicher gemacht, sich über die Langsamkeit beklagte,
+womit die Schülerin lernte, und über die sonderbaren Antworten, die er
+von ihr zuweilen erhalte, tröstete man ihn. Das sei begreiflich, würde
+bei jeder andern auch der Fall sein, und er solle darum den Muth nicht
+verlieren; zuletzt werde alles auf einmal kommen. War er über Christine
+betrübt, ja konnte er einen ernstlichen Unmuth nicht verbergen, dann
+ließ man ihn wohl auch reden und hörte mit bedauerndem Antheil zu. Man
+bot alle Freundlichkeit und Herzlichkeit auf, ihn zu beruhigen, und
+man entfaltete alle geselligen Talente, ihn zu entschädigen. Er sollte
+nicht anders können, er sollte sich genöthigt sehen, Vergleichungen
+anzustellen, die zu Gunsten der Prätendentin ausfallen mußten.</p>
+
+<p>Die Folge war, daß Forstner, so oft er Verdruß empfand und Trost
+bedurfte, das Haus der Freundschaft aufsuchte. Die Scheu vor Wilhelmine
+hatte sich verloren; denn er mußte sich ja überzeugen,<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> daß sie nur
+sein Bestes wollte und wahrer Anhänglichkeit fähig war. Der Umgang mit
+ihr und Dobler wurde ihm Bedürfniß.</p>
+
+<p>Er war der Gefährlichen schon sehr nahe gekommen. Er hatte in der That
+und wiederholt Vergleichungen angestellt; er hatte sich gesagt, daß
+die gebildete Städterin doch in jeder Hinsicht besser für ihn passen
+würde — und das Verhältniß zu Christine war ihm eine Fessel geworden,
+die ihn beengte und drückte. Da kam, durch Vetter Kahl eingeleitet,
+nach dem letzten Streit mit der Verlobten die Versöhnung; es kamen die
+Feiertage und die wechselseitige Beschenkung; es kam der Besuch und das
+Mittagsmahl, wo man insgesammt wieder Ein Herz und Eine Seele wurde.</p>
+
+<p>Als er nun aber in Folge erneuerter vergeblicher Versuche mit Christine
+dazu gekommen war, auf ihre Ausbildung, wie er sie sich erst gedacht
+hatte, zu resigniren, machte er eine eigene Erfahrung, eine Erfahrung,
+die Kennern des menschlichen Herzens nichts neues ist und die, wie er
+einmal war, in seine Beziehungen überhaupt eine Veränderung bringen
+mußte. Das stärkste Band, das uns an eine werthe Person knüpft, ist
+die Hoffnung, sie werde die Herzenswünsche, die wir für sie und für
+uns hegen, erfüllen und dem Bild entsprechen, das wir im Geist ihr
+vorhalten. Zaudert sie dieß zu thun, und glauben wir uns getäuscht,
+dann wird an die Stelle der entflohenen Hoffnung zunächst die
+Beschämung, der Unmuth und der erzürnte Vorwurf treten. Aber der Unmuth
+ist immer noch ein Band, das uns an die Erkorene fesselt. Immer ist
+unser Blick auf sie gerichtet; sie wollen wir strafen, sie wollen wir
+bessern, sie wollen wir zwingen, unserem Willen sich zu fügen, und wir
+haben kein Auge für andere. Endet aber der Unmuth in Entsagung, dann
+droht der Existenz des Verhältnisses selber Gefahr. Wir sind nicht mehr
+beschäftigt, weder durch Hoffnung und Freude, noch durch Verdruß und
+Schmerz, und es ist Raum geworden für die Gleichgültigkeit.</p>
+
+<p>Eine ähnliche Erfahrung war es, die unser Lehrer machte. Eben in der
+Resignation wurde er frei gegen die Verlobte, seine Augen wurden
+aufgethan für die Vorzüge der Freundin, und die Wagschale neigte sich
+wieder und viel stärker zu ihren Gunsten.</p>
+
+<p>Forstner hatte jedoch nur auf Eines resignirt bei Christine: auf<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span>
+ihre Geistesbildung. Die Hoffnung, daß sie das Benehmen lernen werde,
+mit dem sie in der Stadt als seine Frau durchkommen könnte, hatte er
+noch nicht aufgegeben. Und wenn seine Neigung zu ihr gesunken war, so
+bestand doch noch das Wort, das er ihr gegeben und das er sich nicht
+zu brechen getraute. Er faßte sich kurz und entwarf einen andern Plan.
+Er wollte nicht zuerst ihren Geist bilden und das feinere Benehmen als
+natürliche Folge davon erwarten; er wollte nun praktischer verfahren
+und sie in bessere Gesellschaft bringen, damit sie zunächst das
+Leichtere lerne. Stellte sie sich am Anfang auch ungeschickt, mit der
+Zeit lernte sie doch die nöthigen Formen, und es erfüllte sich ihm
+wenigstens Eine Hoffnung.</p>
+
+<p>Nachdem er dieß beschlossen hatte, war auf die Frage: wohin zuerst?
+bald geantwortet. Welches Haus lag ihm zu jenem Zweck näher, als das
+seines Collegen? Von wem konnte die Verlobte mehr lernen als von
+Wilhelmine? Hatte die Mamsell (in jener Zeit mußte sich auch die
+Schwester des Stadtlehrers noch mit diesem Titel begnügen) doch zwei
+Jahre bei Verwandten in Nürnberg gelebt und war seit ihrer Zurückkunft
+eine Zierde der bürgerlichen »Erheiterung« ihrer Stadt! — Christine
+konnte nun zeigen, ob sie für ihn auch etwas zu thun im Stande sei, und
+ob sie sich mindestens das Nothdürftigste anzueignen vermöge. Sie mußte
+ihm gehorchen. Ihr alles zu erlassen, ihr alles nachzusehen, das war
+nicht von ihm zu verlangen.</p>
+
+<p>Er fragte bei Dobler an, ob er die Verlobte bringen dürfe, ob er
+Mamsell Wilhelmine nicht damit belästige? »Im Gegentheil,« erwiederte
+diese, »Sie machen mir die größte Freude.« — Und das war ganz richtig.
+Sie empfand die größte Freude, sich neben dem Dorfmädchen sehen zu
+lassen, ihre Ueberlegenheit beweisen und sie vor dem Bräutigam tief in
+Schatten stellen zu können.</p>
+
+<p>Als dieser die Braut aufforderte, mit ihm einen Besuch bei seinem
+Collegen zu machen, fand er zuerst entschiedenen Widerstand. Fühlte
+sie überhaupt eine Scheu, zu »fremden Leuten« zu gehen, so war ihr der
+Gedanke, gerade mit diesen anzufangen, besonders fatal. Wilhelmine
+hatte schon von weitem einen unangenehmen Eindruck auf sie gemacht. Sie
+hatte von den häufigen Besuchen Forstners in ihrem Hause gehört, und
+wenn sie nach den letzten Erfahrungen nicht an<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> seiner Treue zweifelte,
+so mußte sie doch in ihr eine Nebenbuhlerin argwöhnen. Der Ruf der
+Feinheit und Geschicklichkeit, den die Mamsell sich erworben, flößte
+ihr Furcht ein, und sie hatte eine sehr deutliche instinktmäßige Ahnung
+von ihrer Gesinnung in Bezug auf sie. Der Verlobte redete ihr aber zu,
+er unterstützte seine Gründe mit einer ernsten Willenserklärung; sie
+wußte ihm zuletzt nichts mehr zu entgegnen und sagte mit Ergebung: »Nun
+meinetwegen!« — Zu ihrer Einwilligung hatte doch auch die Neugierde
+beigetragen, diese Wilhelmine näher kennen zu lernen und den Bräutigam
+bei ihr zu sehen.</p>
+
+<p>An einem Sonntag Abend fand der Besuch statt und verlief ungefähr so,
+wie Christine gefürchtet. Wilhelmine war beim Empfang seelenvergnügt,
+das Gefühl der Ueberlegenheit strahlte ordentlich aus ihrem Gesicht;
+aber sie nahm sich zusammen und milderte es zu einer herablassenden
+Freundlichkeit, die freilich für den damit Begnadeten auch gerade
+nichts Schmeichelhaftes hat. Christine trat befangen und gezwungen
+auf, und der Ausdruck in dem Gesicht der Mamsell, den sie wohl
+verstand, machte sie confus. Man setzte sich, und Wilhelmine begann die
+Unterhaltung mit allerlei Erkundigungen. Sie fragte das Dorfmädchen
+aus, wie man ein Kind ausfragt, und belächelte ähnlich ihre naiv
+klingenden Antworten. Christine sah gleich, wie sie mit ihr daran war;
+sie erkannte in ihr eine Art Adelheid, die zwar feiner, aber im Grunde
+ihres Herzens viel schlimmer sei als die Sticklehrerin. Gewissermaßen
+Hülfe suchend richtete sie ihre Augen auf den Verlobten. Dieser stand
+ihr auch bei und antwortete für sie; aber er that ihr's viel zu höflich
+und versäumte die Gelegenheit, der vornehmen Person bei ihren unnützen
+Fragen etwas hinauszugeben. Sie bemerkte überhaupt zwischen beiden
+einen vertrauten Ton, der ihr nicht gefallen wollte, und überdieß in
+den Reden ihres Bräutigams gegen die Mamsell einen Respekt, der für sie
+etwas Kränkendes hatte, weil er im Gespräch mit ihr nicht zum Vorschein
+kam. Es wurde ihr sehr unbehaglich zu Muthe und sie war froh, als
+Wilhelmine sich zum Klavier setzte und die Unterhaltung, so weit sich
+Gelegenheit dazu bot, dem Bruder überließ, der ihre Rolle in milderen
+Formen, und wir können sagen auch mit mehr Gutmüthigkeit fortsetzte.
+Die Wirthin spielte und sang; sie that beides gut, und Christine<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span>
+freute sich endlich daran und lobte sie aufrichtig, obwohl die Lieder
+selbst ihr nicht so schön vorkamen, wie die, welche man in ihrem Dorfe
+sang. Die Musik löste ihre Seele dennoch und sie fing an sich wohler
+zu fühlen. Als aber Forstner ein neues Lied der Sängerin beklatschte
+und ihren Vortrag mit großer Wärme für ganz vortrefflich erklärte, da
+fühlte sie sich wieder getrübt und gedrückt und war durch nichts mehr
+zu erheitern. Beim Abschied reichte Wilhelmine der Stadtnovize die Hand
+und erklärte mit lächelndem Wohlwollen, es würde ihr sehr angenehm
+sein, wenn sie ihr recht oft die Ehre geben wollte. Christine fühlte
+den Spott, der sich das Wohlwollen als Maske vorgenommen hatte, sagte
+aber doch den schicklichen Dank, und athmete tief auf, als sie mit
+Forstner auf der Straße war.</p>
+
+<p>Auf dem Heimweg fragte sie dieser, wie es ihr gefallen habe. Sie
+erwiederte: »Ich muß dir aufrichtig sagen, mir hat's nicht gefallen.«
+— »Und warum nicht?« — »Ich passe nicht für solche Leute und komme
+nur in Verlegenheit bei ihnen.« — »Das wird sich geben,« bemerkte
+der Bräutigam tröstend, »und dann wirst du den Umgang mit gebildeten
+Frauenzimmern angenehm finden.« — »Das mag sein; aber dann müssen die
+gebildeten Frauenzimmer besser sein, als diese Wilhelmine.« — »Wie
+so? Ist sie unhöflich gegen dich gewesen?« — »Das nicht, aber sie hat
+gegen mich ein Wesen angenommen, wie eine gnädige Frau, und das ist
+sie doch noch lange nicht. Ich hab' auch wohl gemerkt, daß sie mich
+ausgelacht hat.« — »Warum nicht gar!« rief Forstner dagegen. »Nun ja,
+ein paar von deinen Antworten sind freilich von der Art gewesen, daß so
+Eine sie curios finden mußte. Aber das muß man sich gefallen lassen,
+sonst lernt man nichts. Und wenn sie lacht, so lache du wieder!« —
+»Das kann ich nicht,« erwiederte Christine. »Ich seh' schon, bei der da
+wird's mir nie wohl zu Muthe werden.« — Forstner kam in Eifer. »Das
+ist wieder kindisch!« rief er mit strafendem Ton. »Ich sage dir, gerade
+die ist das Muster, das du vor Augen haben mußt, wenn du das rechte
+Benehmen lernen sollst! Du mußt zu ihr gehen, und wenn es dir zehnmal
+nicht wohl bei ihr zu Muthe wird. Umsonst hat man nichts in dieser Welt
+und ohne Mühe und Anstrengung kommt niemand vorwärts.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span></p>
+
+<p>Sonderbare Empfindung, auf der sich unser Lehrer an diesem Abend
+ertappt hatte! Die Verwirrung, das Ungeschick, die naiven Antworten,
+durch welche die Braut einigemal in der That komisch wurde, beschämten
+ihn nicht so, wie sie es früher gethan hätten. Er gönnte ihr den Spott,
+der ihm begreiflicherweise nicht entgangen war, als gerechte Strafe für
+ihre Mängel. Mußte er doch auch die Folgen einer Verpflichtung tragen,
+die er einmal eingegangen hatte, und zum bösen Spiel gute Miene machen!</p>
+
+<p>Nach Verfluß einer Woche forderte er Christine mit einer Art von
+Genugthuung auf, den Besuch bei Dobler zu wiederholen. Er hatte fest
+beschlossen, sie nicht zu schonen. Sie mußte entweder etwas profitiren
+oder den verdienten Spott hinnehmen. Zog sie sich ihn zu, so war er
+ihr auch gesund, und es war Schwäche, ihr ihn ersparen zu wollen. —
+Als Christine zagend erwiederte, sie thue es ungern, recht ungern, kam
+wieder eine Reihe von Gründen zum Vorschein, denen zu widerstehen sie
+keine Macht hatte. Sie ging mit, wie das Opfer zur Schlachtbank.</p>
+
+<p>Wilhelmine war diesen Abend in bester Laune. Sie hatte den Verlobten
+ausgeholt und glaubte annehmen zu dürfen, daß er im Innersten seines
+Herzens wünschte, das Verhältniß mit Christine aufgelöst zu sehen.
+Als diese nun mit ihm ankam und in ihrem ganzen Wesen ihre Stimmung
+offenbarte, zeigte sich auf dem Antlitz der Sicheren jene Heiterkeit,
+welche demüthigen soll, und mit dieser Absicht wahrhaft beleidigt.
+Die Reden waren dagegen um so freundlicher und schmeichelhafter, und
+die gute Christine war gezwungen, dankende Antworten darauf zu geben,
+die ihr nicht von Herzen gingen und ihr durchaus nicht zu Gesichte
+standen. Forstner konnte nicht umhin, bei diesen Erwiederungen zu
+lächeln; er sah Wilhelmine an und ihre Blicke tauschten ihre Gedanken
+aus. Christine sah diese Blicke, ahnte ihre Bedeutung, und setzte sich,
+einen Pfeil im Herzen, zur Gesellschaft.</p>
+
+<p>Außer der Familie Dobler waren noch zwei Freundinnen Wilhelmines
+da, gleich ihr belesen, und namentlich bewandert in der städtischen
+Leihbibliothek. Man fragte sich, wie eines und das andere der neueren
+Bücher gefallen habe, man lobte und tadelte, und es<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span> entwickelte sich
+ein Gespräch, das gerade nicht von Geist übersprudelte und keineswegs
+mit gerechten und feinen Urtheilen geziert, aber vielleicht eben
+darum für unser Dorfkind zu hoch war. Die Gute blickte stumm für
+sich hin und horchte in der Hoffnung, daß man zuletzt doch auf etwas
+kommen müsse, wo sie auch mitreden könne. Endlich leuchtete ihr ein
+Ausspruch im Allgemeinen ein: sie glaubte zeigen zu müssen, daß sie
+ihn verstanden habe, und nickte beistimmend. Wilhelmine, die gebotene
+Gelegenheit ergreifend, fragte: »Haben Sie die Erzählung auch gelesen,
+Jungfer Christine?« Diese mußte mit Nein antworten, und um sich zu
+entschuldigen, fügte sie hinzu, daß sie zum Lesen immer noch nicht
+recht kommen könne. — »Was thun Sie denn aber den ganzen Tag?« fragte
+die Gebildete. Christine erwiederte: »Ich lerne — ich nähe, stricke,
+ich sticke und helfe kochen.« — »Das Nähen und Stricken,« warf die
+andere hin, »ist Ihnen wohl lieber als das Lesen?« — »Ich kann's
+nicht leugnen,« war die ehrliche Antwort. »Was man von Jugend auf
+getrieben hat, was man versteht und was einem leicht geht, das thut man
+gern.« — »Nun,« versetzte Wilhelmine lächelnd, »da würden Sie wohl
+auch lieber Korn schneiden und dreschen als lesen?« Ein spöttisches
+Vergnügen belebte bei dieser Frage die Gesichter der Freundinnen.
+Christine fühlte die Absicht derselben, die Galle stieg ihr auf und
+sie entgegnete: »Warum nicht? Das Dreschen ist zwar eine grobe Arbeit
+und verträgt sich nicht recht mit feiner Lebensart; aber das Lesen,
+scheint's, macht auch nicht immer fein und höflich.« — Damit hatte die
+Gebildete auch ihren Hieb. Sie schwieg und lächelte. Es war aber nicht
+mehr das überlegene, sondern das aushelfende Lächeln, das den Mangel
+einer treffenden Erwiederung decken soll, bis die Gelegenheit zur Rache
+kommt.</p>
+
+<p>Zunächst lenkte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand, wobei
+sie zu ihrem Vortheil erscheinen mußte und Christine zum Schweigen
+verurtheilt war. Sie sprach von Nürnberg und erzählte, was sie dort
+gesehen und welche Bekanntschaften sie gemacht. Der edle Gegenstand
+machte auch das Herz des gereizten Frauenzimmers wärmer und
+honetter; sie rühmte die Schönheit der Stadt, die Gastlichkeit und
+die Geselligkeit der Bewohner so gut, daß Christine im<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> Verlauf der
+Erzählung ihren Groll vergaß und ihr mit Vergnügen zuhörte. Forstner
+und der Bruder, welche die Perle der vaterländischen Städte kannten und
+liebten, gaben ihre Bemerkungen dazu, und die Spannung löste sich in
+allgemeine Vertraulichkeit.</p>
+
+<p>Christine gehörte zu den Naturen, die verzeihen können, wenn sie in
+denen, die sie verletzt haben, nur auch wieder etwas Gutes sehen.
+Sie setzte sich zu Wilhelmine, lobte sie und suchte dadurch ihren
+Stich von vorhin wieder auszugleichen — das arme Kind! Wilhelmine
+nahm die Anerkennung als etwas auf, das ihr gebühre, und schritt, nur
+ihre Erhöhung im Auge, zur Entfaltung eines neuen Vorzugs. Sie hatte
+mit Forstner in den letzten Tagen ein vierhändiges Stück eingeübt,
+besonders gefällige und reizende Musik. Von ihren Freundinnen gebeten,
+etwas zu spielen, forderte sie den Lehrer auf, und beide setzten sich
+an's Clavier. Das Spiel ging vortrefflich zusammen und die Zuhörer
+waren bald voll Bewunderung. Christine war aufgestanden und näher
+getreten. Sie sah die beiden, wie sie Ein Herz und Eine Seele waren
+und zusammen paßten, als ob sie für einander geschaffen wären. In ihre
+Bewunderung mischte sich ein demüthigendes, niederschlagendes Gefühl:
+sie erkannte, daß ihr gerade das fehlte, was an Wilhelmine zu Forstner
+so besonders paßte. Nachdem ein brillanter Schluß den musikalischen
+Vortrag gekrönt hatte, brach die Gesellschaft in den lautesten Beifall
+aus. Die beiden dankten, sahen sich in's Auge und lächelten sich an,
+zufrieden und glücklich. Eifersucht — zum erstenmal helle, klare
+Eifersucht loderte in dem Herzen der Verlobten auf. Eine peinliche
+Empfindung lastete auf ihr, zum geringsten Theil auf Neid, zum größten
+auf der klaren Anschauung eigenen Unvermögens und Unwerthes beruhend.
+In ihrem Herzen fing es wieder an zu gähren und zu beben; aber sie
+bezwang sich, wie viel es sie auch kostete, trat mit Fleiß zu der
+Gefeierten und sprach ihren Dank und ihre Bewunderung auf ihre Art aus.
+Es sei doch wahrhaftig zum Erstaunen, wie schön sie's könne und mit
+welcher Geschwindigkeit! Sie begreife nicht, wie man so schnelle Finger
+bekommen und ein so langes Stück spielen könne, ohne einen Fehler zu
+machen. Wilhelmine erwiederte: das lerne sich durch Uebung; man müsse
+sich eben recht dran halten, dann gebe sich alles.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span></p>
+
+<p>In dem Uebermuth, den der Beifall in ihr angeregt, in der Erinnerung
+an die kleine Schlappe, die sie von dem Dorfmädchen erlitten hatte,
+fuhr der böse Geist in ihr Herz. Sie suchte ihren sanftesten Ton, gab
+ihrem Gesicht den mütterlichsten Ausdruck und sagte: »Sie müssen das
+auch lernen, liebe Christine. Wenn man einen so geschickten Musiker
+zum Bräutigam hat, wie Sie, darf man die Gelegenheit nicht versäumen,
+sich in die Kunst einweihen zu lassen.« — »O,« rief Christine, »das
+würde nicht gehen!« Die Mamsell hatte unterdessen ihre Hand ergriffen,
+welche die ländliche Derbheit immer noch bedeutend zur Schau trug,
+und betrachtete sie und drehte sie hin und her. »Die Finger,« sagte
+sie mit anmuthigem Kopfwiegen, »sind freilich noch etwas zu stark und
+zu schwer, sie verrathen noch zu sehr die Arbeit mit der Sichel und
+der Heugabel und würden vorläufig zum Klavierspiel noch nicht ganz
+geschickt sein. Aber man muß an nichts verzweifeln, mit der Zeit ändert
+sich alles, und auch diese Glieder können noch leicht und gelenkig
+werden.« Die Gesichter der Freundinnen zeigten bei diesen Worten
+zugleich Schadenfreude und Spannung — die Hand der Verhöhnten zuckte.
+Wie gern hätte sie der boshaften Person gezeigt, daß ihre Finger, wenn
+auch nicht zum Klavierspiel, doch zur Ertheilung einer wohlverdienten,
+tüchtigen Ohrfeige ganz vortrefflich paßten! Aber sie mußte sie ruhig
+zurückziehen und sich alle Mühe geben, ihre Gekränktheit sich nicht
+anmerken zu lassen. Ihren Unmuth hinunterschluckend erwiederte sie
+aber: »Meine Finger sind eben wie sie sind, und wenn sie nicht zum
+Klavierspielen passen, so ist das mein geringster Kummer. Ich bekomme
+einen Mann und eine Haushaltung und werde nicht nöthig haben, mir mit
+Singen und Spielen die Zeit zu vertreiben.« — Das war auch nicht ganz
+übel. Forstner, der bei der Verhöhnung der Hand, die noch immer seinen
+Verlobungsring trug, eine entschieden mißbilligende Miene gezeigt
+hatte, ergötzte sich an der Replik und die Freundinnen der Getroffenen
+dachten im Stillen: da seht mir die Bäuerin! Wilhelmine aber hielt
+aus und sagte lächelnd: »Das ist freilich wahr!« Bei sich aber dachte
+sie: wir wollen sehen, du Rieser Gänschen! — College Dobler begann
+einen andern Discurs, der das Vorgefallene<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> in Vergessenheit zu bringen
+bestimmt war, und man trennte sich unter höflichen Redensarten.</p>
+
+<p>Die Verlobten legten den Weg zu Kahl schweigend zurück, da beide
+keinen Beruf in sich spürten, die Erlebnisse des Abends zu besprechen.
+Christine hatte sich überzeugt, daß die Mamsell darauf ausgehe, sie vor
+ihrem Bräutigam zu beschämen und zu beschimpfen; sie nahm sich vor, nie
+wieder in ihr Haus zu gehen. Wie es mit ihr und ihm stehe, das wollte
+sie doch erfahren und dann sehen, was zu thun sei. — Forstner hatte
+das Haus mit einer sehr gemischten Empfindung verlassen. Die Absicht
+Wilhelminens war deutlich genug. Obwohl nun ihr heutiges Betragen
+gegen seine Braut ihn wirklich verletzt hatte, so lag in dem letzten
+Endzweck, ihm besser gefallen zu wollen als diese, für ihn doch immer
+noch etwas, das einen mildernden Schein auf ihr Benehmen warf und keine
+rechte Entrüstung in ihm aufkommen ließ. Er faßte den Entschluß, zu ihr
+zu gehen, ihr die unpassende Art, Christine zu necken, vorzuhalten und
+sich die gehörige Rücksicht für sie auszubitten.</p>
+
+<p>Gleich am andern Tag führte er seinen Vorsatz aus. Als man an der
+Einleitung sah, wohin er wollte, ließ man ihn gar nicht ausreden. Die
+Mamsell hatte sehr wohl gefühlt, daß sie zu weit gegangen war, und der
+Bruder hatte ihr zu Gemüthe geführt, daß das nicht die Art wäre, seinen
+Collegen zu gewinnen. Der Verstand hatte über das gereizte Gefühl
+gesiegt, und die Gewandte fiel nun dem Freund mit zerknirschter Miene
+ins Wort: »Ich habe sehr gefehlt — es ist wahr und ich weiß es! Sie
+selber können mich nicht schärfer anklagen, als ich es schon gethan
+habe. Ich hab' einen Scherz machen wollen, aber ohne daß ich bedachte,
+was ich that, hab' ich Dinge gesagt, die ihrer lieben Braut weh thun
+mußten. Verzeihen Sie mir! Ich hab' es gebüßt, und es soll nie wieder
+geschehen!«</p>
+
+<p>Damit war Forstner entwaffnet. Er erwiederte: »Wenn Sie so denken,
+dann ist's um so besser; und ich will Ihnen nicht verbergen, daß Sie
+mir damit eine Freude machen. Wohin sollt' ich Christine bringen und
+wo sollte sie die rechte Art lernen und den gehörigen Muth in der
+Unterhaltung, wenn nicht in diesem Hause?« — »Nun,« sagte Wilhelmine
+mit halbem Lächeln, »an Muth und auch an Geistesgegenwart<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> fehlt es ihr
+gerade nicht. Haben Sie gesehen, wie sie mir gestern geantwortet hat?
+Sie hat mich fühlen lassen, daß ich nicht so glücklich bin wie sie!«
+— Forstner verwirrte sich einigermaßen und sagte um so rascher: »Ich
+werde also nächstens wieder mit ihr kommen, und danke Ihnen für Ihre
+Gefälligkeit.«</p>
+
+<p>Ein paar Tage darauf gewann es die Schwester des Stadtlehrers über
+sich, der Verlobten einen Besuch abzustatten. Christine war zufällig
+nicht zu Hause. Als sie später davon hörte, sagte sie ruhig: »So, die
+ist dagewesen? Sie wird nimmer kommen, schätz' ich.« Die Base sah das
+Mädchen verwundert an, machte dann aber ein Gesicht, als ob sie den
+Sinn ihrer Worte begriffe.</p>
+
+<p>Wieder ein paar Tage und Forstner kam zu Christine und sagte: »Heute
+ist Gesellschaft bei Dobler und wir sind eingeladen. Halte dich bereit.
+Nach sechs Uhr komm ich und hole dich ab.« — Christine erwiederte:
+»Ich geh' nicht hin.« — »Wie soll ich das verstehen?« entgegnete
+der Verlobte. »Willst du gar nicht mehr« — — »Allerdings,« rief
+Christine, indem eine leichte Röthe ihr Gesicht überzog — »ich will
+gar nicht mehr in dieses Haus gehen!« — »Und warum nicht?« — »Weil
+ich zu gut dazu bin, um mich von einer boshaften Person aufziehen und
+verspotten zu lassen.« — »Du nimmst den kleinen Spaß, den Wilhelmine
+sich gemacht hat, viel zu ernsthaft. Ueberdies bereut sie ihn und wird
+dir von jetzt an alle Ehre anthun, die du erwarten kannst.« — »Ich
+glaub's nicht.« — »Sie hat mir's selber gesagt.« — »Das mag sein,
+aber ich glaub's doch nicht. Die mag sich vornehmen und versprechen was
+sie will, sie wirds doch nicht halten und es bei nächster Gelegenheit
+ärger machen als vorher. Aber dafür thu' ich ihr!«</p>
+
+<p>Dem Verlobten stieg nun gleichfalls das Blut ins Gesicht. »Wenn du so
+denkst,« rief er in seinem Hofmeisterton, »dann wirst du niemals die
+Manieren lernen, niemals die Bildung, die« — Aber das Mädchen fiel ihm
+in gerechter Entrüstung in die Rede: »Geh mir doch mit deiner Bildung!
+Wenn das Bildung ist, Leute, die einen besuchen, so zu behandeln, wie
+diese Mamsell mich behandelt hat, dann will ich lieber ungebildet sein
+und bleiben mein Leben lang.<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> Wenn die Bildung die Leute nicht besser
+macht und aufrichtiger, dann geb' ich keinen Pfifferling um sie!«</p>
+
+<p>Forstner schwieg; er war von der ungewohnten Entschlossenheit und
+Heftigkeit betroffen. Endlich sagte er: »Du bist empfindlich und machst
+aus einer Mücke einen Elephanten!« — Christine sagte: »Ich mach mir
+nichts aus den Dingen, die geschehen sind; aber ich mach' mir alles aus
+der Person, die mir's gethan hat. Die ist falsch gegen mich und wirds
+bleiben, und mit ihr will ich nichts mehr zu thun haben.« — »Du irrst
+dich,« erwiederte Forstner nochmal im Ton der Ueberredung. »Sei klug,
+geh heute noch mit hin und überzeuge dich selbst, daß du Unrecht hast.«
+— »Nie!« versetzte Christine mit dem Ausdruck eines unerschütterlichen
+Gefühls; »zu der geh' ich nie mehr, um keinen Preis der Welt!« — »Aber
+ich bitte dich« — — »Ich will nicht und ich mag nicht. Du kannst mich
+hinführen, wohin du willst, und ich will's nirgends genau nehmen; ich
+will mir etwas gefallen lassen und Geduld haben — ich bin gar kein
+solches Christkindle, wie du meinst, und kann auch etwas aushalten;
+aber von Der laß ich mir nichts gefallen, von Der will ich auch nichts
+lernen, und damit gut für heut.«</p>
+
+<p>Forstner war verstummt. Der eigentliche Grund der Weigerung seiner
+Verlobten war ihm klar. Er fühlte, was dafür sprach, er begriff sie,
+und widersprechende Gefühle stritten in ihm. Aber der Verdruß, sie
+wider alles Erwarten gegen seinen ausgesprochenen Willen unbeugsam zu
+finden, überwog zuletzt doch. Er sagte: »Nun, wenn du so eigensinnig
+bist und alles Reden nicht hilft, so bleib zu Hause!« — »Das will ich
+thun,« erwiederte Christine ruhig. »Und du geh hin zu der gebildeten
+Mamsell und unterhalte dich gut.« — »Das will ich auch thun,«
+antwortete er und verließ die Stube.</p>
+
+<p>Es giebt eine Schickung in der Welt, die in das Leben der Menschen eine
+gewisse Methode bringt. Ueber den Grund und die mitwirkenden Ursachen
+kann man streiten, über die Thatsache schwerlich. Das Geschick unseres
+Landmädchens war es, in einer Stadt und unter einem Menschenschlag, wie
+es so viele gutmüthige, ehrenhafte, fröhliche und freundliche Leute
+giebt, nur solche näher kennen zu lernen, die sie verletzten und ihr
+das Leben daselbst verleideten. Sie war<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span> nun beinahe vier Monate in
+der Stadt, und nicht ihre Hoffnungen, nur ihre Befürchtungen waren in
+Erfüllung gegangen. Doch auch für sie sollte ein Tag der Entscheidung
+kommen.</p>
+
+<p>Forstner hatte sich an jenem Abend geradeswegs zu Dobler begeben, um
+dort, wo nicht Aufheiterung, doch Zerstreuung zu finden. Das Band,
+das ihn an Christine knüpfte, beruhte nur noch in dem Versprechen,
+das er ihr gegeben und in einer Mischung von Gewissenhaftigkeit und
+Zaghaftigkeit, es zu brechen. Die Liebe und die auf sie gegründete
+Achtung waren aus seinem Herzen entflohen; die Hoffnung auf eine
+Aenderung war aufgegeben. In der Klemme, in der er sich befand, konnte
+er einer theilnehmenden Erkundigung von Seiten Wilhelminens nicht
+widerstehen; er erzählte den Auftritt mit der Verlobten und machte
+seinem Herzen in Klagen Luft. Das Herz der Bewerberin klopfte; aber sie
+hielt ihre Empfindung stark zurück und war so klug, mit bedauernder
+Miene Trost und freundschaftlichen Rath zu ertheilen. »Zwingen Sie das
+gute Kind nicht, zu uns zu kommen,« sagte sie mit sanfter Stimme, »und
+haben Sie Geduld mit ihr. Wenn man von Kindheit an auf dem Land gelebt
+und sich an seine Manieren gewöhnt hat, da fällt's einem schwer, sich
+in andere zu finden. Lassen Sie ihr Zeit dazu.« Forstner seufzte. »Ich
+will Geduld haben, ich muß es, denn es ist das Einzige, was mir übrig
+bleibt. Ich hab' mich mit ihr versprochen, sie ist meine Braut — ich
+muß sie nehmen, wie sie ist.« — Für Wilhelmine hatte diese Erklärung
+viel mehr Ermuthigendes als Niederschlagendes. Sie erwartete neue,
+heftigere Auftritte zwischen den Verlobten, und in Folge davon die
+Auflösung des Verhältnisses.</p>
+
+<p>Zunächst kam es doch weder zu dem Einen, noch zu dem Andern. Forstner
+hatte eben in der Resignation, die sich nun auf alle seine früheren
+Erwartungen ausdehnte, wieder die Ruhe gefunden, seinen Unterricht und
+seine Unterhaltung mit Christine, äußerlich und obenhin, fortzusetzen.
+Er that es, weil er angefangen hatte, weil die Zeit ausgefüllt werden
+mußte; einen innern Grund gab es nicht mehr. Es waren graue, leere
+Tage der Unentschiedenheit, des Hinwartens, des Gehenlassens. In der
+Verlobten der stille Trotz, in Forstner die Gleichgültigkeit. Nur
+selten und nur auf Momente thauten die Herzen<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span> ein wenig auf. Wenn er
+ihr aber dann auch die Hand reichte, so fühlte sie doch nicht mehr den
+Druck der Liebe, und wenn er ihr zum Abschied einen Kuß gab, so war
+es eben eine Ceremonie, ohne wahres Verlangen ertheilt, ohne Glauben
+empfangen.</p>
+
+<p>Dieser Stand der Dinge konnte den Hausgenossen und Bekannten des
+Mädchens natürlich kein Geheimniß bleiben. Man zeigte bedenkliche
+Mienen, man schüttelte den Kopf, und auch die Magd Susanne und Mamsell
+Adelheid konnten sich nicht enthalten, zuweilen mit Blicken wirklichen
+Bedauerns auf sie zu sehen. Man erfuhr, daß der Lehrer immer häufiger
+zu Dobler komme; man sah Wilhelmine vergnügt und stolz über die Straße
+gehen, wie Eine, die ihrer Sache gewiß ist, und man erwartete nicht
+anders, als daß es in kurzem heißen werde: der Herr Forstner hat dem
+Bauernmädchen abgeschrieben.</p>
+
+<p>Daß diese nach und nach zur Ueberzeugung gewordene Ansicht im Gespräch
+mit Christine durchschimmerte, und die Andeutungen, die man gab, nicht
+so fein waren, um nicht verstanden werden zu können, begreift sich.
+Die Base hielt es für ihre Pflicht, noch weiter zu gehen und ihrer
+Verwandten geradezu mitzutheilen, was man in der Stadt über Forstner
+und sein Verhältniß zu Wilhelmine sagte. Christine sah sie einen Moment
+an; dann erwiederte sie: »Ich kann es nicht glauben. So schlecht
+handelt er nicht an mir!« — Sobald sie aber von der Tagesarbeit frei
+war, suchte sie die Einsamkeit ihrer Stube auf. Sie dachte über die
+Möglichkeit nach, daß es wirklich aus sein könne zwischen ihr und ihrem
+Bräutigam — aus für alle Zeit. Wird er es thun? wird er sein Wort
+brechen? wird er mich — — Der Gedanke, verschmäht und verlassen zu
+werden, trat zum erstenmal in vollster Bestimmtheit vor ihre Seele.
+Und so sehr sie durch Alles, was sie bisher erfahren, darauf hätte
+vorbereitet sein müssen, sie empfand nun doch alle Pein und alle
+Bitterkeit desselben.</p>
+
+<p>In jenem schönen Winter, in welchem sie die Bekanntschaft des Lehrers
+gemacht hatte, war sie von seiner Liebenswürdigkeit in Wahrheit
+bezaubert und seiner Bewerbung zuletzt in leidenschaftlichem Verlangen
+entgegengekommen. Sie war an die Vorstellung gewöhnt, ihm zu gehören
+und ihm treu sein zu müssen, und ihre Liebe hatte alle<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> Anfechtungen
+bestanden, die sie in den letzten Monaten erfahren. Als sie nun in
+ihrer einsamen Erwägung zu dem Schlusse kam: ja, er bricht sein Wort,
+er verläßt dich, er nimmt <em class="gesperrt">sie</em> — da flammte mit dem Schmerz auch
+all ihre Liebe und Leidenschaft wieder auf. Sie fühlte ein glühendes
+Verlangen, ihn wieder zu gewinnen, ihn zu halten, und sie fragte sich
+mit angstvoller Seele, wie sie's anfangen solle, das Unglück und die
+Schande abzuwenden, die ihr drohten. Sie wollte Alles thun, was in
+ihren Kräften stand, sie wollte lernen, wollte in Gesellschaft gehen,
+wollte sich Tadel und Spott gefallen lassen. Sie wollte dem Bräutigam
+ihre Schuld bekennen, wollte ihn bitten, sie auf die Probe zu stellen
+und ihr das Schwerste aufzugeben. — Wie sehr sie sich aber zu Allem
+bereit fühlte und welche Wirkung sie sich von ihren Anerbietungen auf
+ihn versprach — es wollte kein Vertrauen in ihr Herz kommen. Mitten
+in der Selbstermuthigung rief es in ihr: er liebt dich nicht mehr —
+er schätzt dich nicht mehr — du bist ihm nicht mehr gut genug! — Sie
+sah vor sich hin und athmete hörbar. Es war die Bewegung der Angst,
+verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht, welche die Brust der Verlassenen
+regelmäßig hob und senkte. Es waren Verzweiflung und Ergebung, die
+ihr Herz erfüllten — Verzweiflung an ihrem Glück, Ergebung in ihr
+unvermeidliches Elend.</p>
+
+<p>Nach und nach war es dunkel geworden. Die Stille der Nacht wirkte
+heimlicher auf das verwundete Gemüth, als die Oede des grauen Tages.
+Die Ergebung wuchs in dem Herzen der Unglücklichen; sie wurde ruhiger,
+gefaßter. Sie fühlte sich in ihrer dunkeln, einsamen, lautlosen Stube
+der Welt, die ihr so viel Schmerzen gemacht hatte, entrückt und vor
+ihren Angriffen gesichert. Ihre Seele wurde frei zu Vorstellungen, die
+mit ihrem Leide zusammenhingen und traurig waren, aber doch auch etwas
+Wohlthuendes hatten.</p>
+
+<p>Unwillkürlich summte sie ein Lied, und ein schmerzliches Lächeln ging
+über ihr Gesicht. Es war eines der schönsten Volkslieder, das ihr
+in den Sinn kam, ein Lied der Liebe und des Leids, der schlichten
+Entsagung und der Erhebung zu einer ahnungsvollen Vision. Im
+Schwabenlande heimisch und verbreitet, hatte es Christine schon in
+ihrer frühen Jugend gelernt. Da war es freilich nur ein Lied<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> mehr für
+sie, das unter andern gesungen wurde; aber schon damals verfehlte es
+auf einem einsamen Gange oder in der Stille der nächtlich erhellten
+Stube seines Eindrucks nicht. Jetzt sang sie es mit tiefer Empfindung
+und jedes Wort hatte Bedeutung für sie:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Jezt gang i an's Brünnele, trink aber net:</div>
+ <div class="verse indent0">Da such' i mein herztausenda Schatz, find'n aber net,</div>
+</div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Da laß i meine Aeugelein rund ummi gehn,</div>
+ <div class="verse indent0">Da seh i mein herztausenda Schatz bei'm Andre stehn.</div>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Und bei'm Andre stehn sehn, ach das thut weh!</div>
+ <div class="verse indent0">Jezt b'hüt di Gott, herztausender Schatz, seh di nimmermehr!</div>
+</div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Jezt kauf i mir Federn und Dint' und Papier,</div>
+ <div class="verse indent0">Und schreib mei'm herztausenda Schatz einen Abschiedsbrief.</div>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Jezt leg' i mi nieder auf Heu und auf Stroh,</div>
+ <div class="verse indent0">Da fallen drei Röselein mir in den Schooß.</div>
+</div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Und diese drei Röselein sehn blutigroth;</div>
+ <div class="verse indent0">Jezt weiß i net, lebt mei Schatz oder ist er todt!</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Ihre Augen waren feucht geworden bei dem Lied; aber wer sie gesehen,
+würde doch einen Glanz darin bemerkt haben, der noch etwas anderes
+ausdrückte als Verlust und Schmerz. Das Gebilde der Poesie hatte seine
+Wirkung geübt; das Leid war der Bedrängten gegenständlich geworden und
+ihre Seele hatte eine Macht darüber erlangt, die immer einen gewissen
+Trost mit sich führt. — Die Trauer verschwindet freilich nicht in
+einem solchen Falle, sie erhält nur ein milderndes Licht, und das
+Gemüth wird fähig, ihren Gegenstand ruhiger und wie von einer höheren
+Sphäre herab anzusehen.</p>
+
+<p>»Und bei'm Andre stehen sehn, ach, das thut weh!« wiederholte sie und
+setzte hinzu: »Ja, das erfahr' ich nun auch, wie es schon manches
+erfahren hat!«</p>
+
+<p>Sie versank in Stillschweigen. Sie hatte an ihren guten Vetter gedacht
+und fühlte nun plötzlich auf's genaueste, wie es ihm gewesen und was er
+gelitten. — Ihre eigene Richterin, nickte sie zu wiederholten Malen
+traurig ernst mit dem Haupte und sagte: »Du guter Hans — du hast's
+auch erfahren — und ich bin daran Schuld gewesen! Ich hab' deinem
+treuen Herzen weh gethan, hab' deine<span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span> Lieb' und Freundschaft mit Undank
+vergolten!« — Sie folgte einem innern Drange, sich vorzustellen, wie
+es damals gewesen, und wie sie jetzt ihr Leid empfand, sah sie ihr
+damaliges Unrecht im hellsten Licht und auf eine Weise, daß das Bild
+davon in ihrem Geiste blieb und nicht wieder ausgelöscht werden konnte.
+Sie übertrieb ihre Schuld und empfand eine Lust, sich damit zu strafen
+und zu quälen. »Ja,« sagte sie, »ich hab' gewußt, wie du gesinnt warst
+gegen mich, ich hab' gewußt, daß du der beste Mensch bist von der Welt
+— eine so treue, grundgute Seele, wie mir keine sonst vorgekommen ist!
+Du hast an meiner Mutter gehandelt wie ein Sohn, und an mir wie ein
+Bruder, und wir haben deine Wohlthat angenommen, als hätten wir ein
+Recht darauf — und zum Lohn dafür hab' ich dich betrogen und an der
+Nase herumgeführt. Du warst mir der Gutgnug, wenn kein anderer da war;
+sobald ein anderer kam, ließ ich dich fahren! Ich hab' damals zu mir
+gesagt: »Warum redet er nicht? Er ist selber daran Schuld.« Aber jetzt
+erkenn' ich, was das für eine elende Ausrede gewesen ist! Als ob ich
+nicht gesehen hätte, wie du's mit mir gemeint, als ob ich nicht in dein
+Herz gesehen hätte und in jedes Winkele davon! Ich hab' gewußt, daß
+du mich lieber hast als alles in der Welt, und ich hab' dir das Maul
+gemacht eine Zeitlang, und dann bin ich dir untreu geworden, weil der
+andere schöner und geschickter und vornehmer war, und weil er besser
+schwätzen und schmeicheln konnte. Und wenn ich mich dann auch ein
+wenig geschämt hab', so hab' ich's doch bald wieder vergessen und hab'
+gethan, als ob nichts vorgefallen wäre. O, ich hab' schlecht gehandelt
+— schlechter als manche, die in's Zuchthaus gekommen ist! Aber ich
+hab' meine Straf' auch gekriegt! So hat's mir gehen müssen, das hat mir
+gehört — und ich darf mich nicht beklagen, nein, und ich will mich
+auch nicht beklagen. Ich würde nur eine neue Sünde begehen, wenn ich's
+thäte, und ich hab' an denen genug, die ich begangen habe.«</p>
+
+<p>Während dieser Anrede, die sie an den guten Vetter und sich selber
+hielt, waren ihr Thränen in die Augen getreten und herunter gelaufen
+über ihre Wangen, die Worte begleitend, die ihr vom Munde gingen.
+Endlich behaupteten sie allein das Recht und flossen reichlich und
+lange und begossen die Saat einer neuen Erkenntniß.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span></p>
+
+<p>Das Bauernmädchen hatte den Unterricht eines andern Lehrers empfangen,
+als der gute Forstner ihr sein konnte. Die wahren Einsichten, die
+fruchtbar sind und Macht und Gewalt haben, in ein neues Leben zu
+führen, werden dem Menschen nur durch Schicksale, die er erdulden muß,
+durch Schmerzen, die über ihn verhängt werden und ihm die Augen öffnen.
+Das Unrecht, was wir gethan, wird uns dann klar durch das Unrecht,
+das wir leiden. Haben wir damit aber die Kraft erlangt, uns selber
+zu richten, dann wird uns eben die Strafe und die Buße zur Staffel,
+auf der wir hinansteigen können zu einem höheren Leben. Wo nichts ist
+freilich, da kann auch nichts herauskommen; aber für diejenigen, die,
+wenn auch unter eiteln und selbstsüchtigen Trieben, den Stoff zur
+Erhebung in sich bergen, für diese ist die Züchtigung im eigentlichsten
+Sinn ein Werk der Liebe — das einzige Mittel ihrer Rettung.</p>
+
+<p>In Christine lag ein Keim, der sich der rettenden Hand darbot — ein
+Keim der Gutmüthigkeit, ein Keim der Fähigkeit, Reue zu fühlen und
+sich selber das Urtheil zu sprechen. Sie hatte ihr Leid verdient, in
+Wahrheit verdient; aber jetzt, nachdem sie es getragen, verdiente sie
+auch seine Hülfe und sein Heil.</p>
+
+<p>Als sie ausgeweint hatte, fühlte sie eine Stille in ihrem Gemüth, die
+sie vorher nie gekannt, eine Stille nicht blos gedankenlos ruhigen
+Lebens, sondern vereint mit klarer Anschauung ihres Seelenzustandes.
+Sie athmete leicht, als ob sie eine Last abgeworfen hätte; ihre Züge
+waren verwandelt, sie waren lichter und geistiger geworden. Sie war
+gefaßt auf alles, was ihr begegnen mochte. Was über sie kam, es war
+gut, und vielleicht nur um so besser, je schlimmer und schmerzlicher es
+war.</p>
+
+<p>Das ist die heilspendende Kraft, die in der wirklichen Erkenntniß,
+nicht in der bloß vorübergehenden Empfindung begangenen Unrechts liegt.
+Das Leid, das uns unerträglich schien und trostlos machte, nimmt, wenn
+wir eine gerechte Strafe darin erblicken, eine andere Gestalt, ein
+anderes Wesen an. Aus dem Gegner wird ein Helfer zur Freiheit, die
+wir durch Erduldung der Strafe gewinnen. Die Last, die uns zu Boden
+drückte, fällt in unsere Wagschale und hilft unsern<span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span> wahren Feind
+aufwiegen. Und wir müssen segnen, wo wir geflucht, wir müssen lieben wo
+wir gehaßt haben.</p>
+
+<p>Obwohl die äußere Lage unseres Dorfkindes gegenwärtig um vieles
+schlimmer war als in jener trüben Zeit vor den Feiertagen, so wurde
+sie doch nicht mehr ein Raub der Angst und Verzweiflung. Sie sah genau
+wie es stand und was sie zu fürchten hatte, aber sie blieb ruhig.
+Sie stellte sich vor, daß der Mann, dem zu Liebe sie das beste Herz
+beleidigt und für immer verloren, dem zu Liebe sie ihr Vaterhaus
+verlassen hatte, in die Stadt gezogen und ihrem Stand untreu geworden
+war, in den nächsten Tagen zu ihr kommen und sagen könnte: »es ist aus
+mit uns Zweien, wir taugen nicht zusammen, geh wieder heim in dein
+Dorf!« Aber wie groß die Schmach war, die ihrer dann wartete, und wie
+schmerzlich bei dem Gedanken, ihr ganzes Leben zerstört zu sehen, ihr
+Herz erzitterte, sie faßte sich doch wieder. Sie legte sich nieder und
+sank in dem Frieden der Ergebung in tiefen Schlaf.</p>
+
+<p>Am andern Morgen erschien sie in der untern Stube mit einer Sanftmuth,
+und wir können sagen mit einer Würde in dem etwas blässeren Gesicht,
+daß es allen Hausgenossen auffiel. Es war unmöglich, ihr nicht mit
+Rücksicht zu begegnen. Die Reden beim Mittagessen waren darauf
+berechnet, sie zu erheitern und ihren Geist von ihren Zuständen
+abzulenken, und sie lächelte ein paarmal gutmüthig dazu. Selbst
+Vetter Kahl strengte sich an, eine Geschichte zu erzählen, die er für
+ergötzlich hielt, und freute sich an den Zeichen des Erfolgs. Das
+Verlangen der Schadenfreude, das die Magd früher empfunden hatte, war
+schon lange mehr als gesättigt. Was dem armen Bauernmädchen widerfuhr,
+war ihr gar zu arg, und da sie nun auch so freundlich, so bescheiden
+mit ihr sprach, so empfand sie wahres Mitleid mit ihr.</p>
+
+<p>Als Christine Nachmittags allein in der untern Stube war, machte
+die Bekehrte sich an sie, und jene merkte gleich, daß sie etwas auf
+dem Herzen habe. Auf ihre Frage, was es Neues gebe, begann Susanne
+mit einer scharfen Kritik der Männer im Allgemeinen und fuhr dann
+fort: »Liebe Jungfer Christine, ich hab' mich besonnen, ob ich Ihnen
+sagen soll, was ich heute früh gehört hab'; aber es ist mir<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> doch
+vorgekommen, als ob's besser wäre, wenn Sie es wüßten; denn wenn's
+wahr wäre und Sie es plötzlich erfahren würden — vielleicht ist's
+aber nicht wahr, man schwätzt gar viel, wenn der Tag lang ist — aber
+ich glaub' doch, es ist besser, wenn Sie's erfahren« — — »Nun,« fiel
+Christine ein, »was ist es denn?« Die Magd sah sie mit großem Bedauern
+an und erwiederte: »Ich hab' heut gehört, daß Herr Forstner mit der
+Mamsell Wilhelmine ganz im Reinen sei, daß sie sich heimlich schon mit
+einander versprochen hätten, und daß Sie sich gefaßt machen müssen,
+— Sie verstehen« — — »Ja wohl,« entgegnete Christine. »Vorläufig
+ist das aber nur ein Gerede, das boshafte Leute ihm aufgebracht haben
+können. Ich werd' es nur dann glauben, wenn ich es von ihm selber
+höre!« — »Es kann ja sein, daß nichts dahinter ist,« versetzte die
+Magd; »aber es kann auch Grund haben, und gewiß werden Sie mir's
+nicht übel nehmen —« — »Durchaus nicht, gute Susanne,« erwiederte
+Christine, »ich dank' Ihr dafür. Mag kommen, was da will — ich hoff'
+es mit Gottes Hülfe zu ertragen.«</p>
+
+<p>Dem Herannahen der immerhin peinlichen Entscheidung vermochte das
+Mädchen doch nicht zu widerstehen. Ihr Geist konnte die Ruhe und
+Stärke nicht behaupten, die er erlangt hatte, und je weiter die Zeit
+vorrückte, je mehr klopfte ihr das Herz im Vorgefühl des Schlages,
+den sie für unvermeidlich hielt. Als sie in der Abendstunde, wo der
+Verlobte heute kommen sollte, in ihrer Stube saß, rang ihr Wille mit
+ihrer Aufregung, und als sie plötzlich seinen Tritt auf der Treppe
+hörte, war es ihr, als ob die Sinne ihr vergehen müßten.</p>
+
+<p>Forstner trat ein und grüßte. Sie nickte nur mit dem Kopf und starrte
+ihn an, in der Meinung, daß die Worte, die sie sich selber schon gesagt
+hatte, ihm ohne Verzug vom Munde gehen müßten. Bald erkannte sie, daß
+sie sich getäuscht. Er nahm an ihrer Seite Platz, um den gewöhnlichen
+Unterricht fortzusetzen. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, als ob er
+Verdruß gehabt, aber den Vorsatz gefaßt hätte, sich nichts merken zu
+lassen. Doch sah sie wohl, daß er sich Mühe geben mußte, mit ruhigem
+und einigermaßen freundlichem Tone zu beginnen.</p>
+
+<p>Forstner hatte sich nicht mit Wilhelmine verständigt. Was die<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> Magd
+Susanne gehört, beruhte auf einer Annahme und einer darauf gebauten
+Versicherung. Er war freilich jeden Tag zu Dobler gekommen und Bruder
+und Schwester hatten ihn mit großer Klugheit nach der Forderung ihrer
+Absichten behandelt. Wilhelmine nahm an, daß er ihr eigentlich schon
+gehörte; sie hatte darum alle direkten Bestrebungen unterlassen, sich
+durchaus in der Rolle einer theilnehmenden Freundin gehalten und
+nur dafür gesorgt, daß ihre Kenntnisse, ihre Zierlichkeit nebst den
+schönsten Geistes- und Herzensgaben dem Verehrer immer deutlicher
+würden. Forstner war auch in der That ganz von ihr eingenommen: die
+feste Ueberzeugung, daß sie die Frau sei, die ihm durch ihren Geist und
+ihre Gaben zu Hause Freude, im Umgang mit Andern Ehre machen würde,
+hatte seine Bezauberung vollendet. Wenn er sich aber dachte, wie er
+mit Christine brechen sollte — wenn er sich vorstellte, welchen Lärm
+es geben würde, sowohl hier in der Stadt als im Ries unter seinen und
+ihren Bekannten, dann konnte er doch nicht zu einem Entschluß gelangen.
+Er war talentvoll, der gute Forstner, strebend, klug und gewandt; aber
+ein Mann war er nicht und als Mann konnte er nicht handeln. Endlich
+nahm er sich in seiner Verlegenheit vor, mit Christine und ihrer
+Bildungsfähigkeit nochmal einen Versuch zu machen, nochmal zu prüfen,
+was ihr möglich sei oder nicht, und darnach einen Entschluß zu fassen.
+Mit diesem Gedanken war er heute gekommen.</p>
+
+<p>Man sagt sich selbst, daß die letzte Zeit nicht darnach angethan war,
+unserer Christine die Schulaufgaben des Verlobten besonders wichtig
+erscheinen zu lassen und einen erhöhten Lerneifer in ihr anzufachen.
+Die innere Aufregung, die erfahrene Kränkung, das Nachdenken über
+die beängstigende Lage hatten ihr Herz und ihren Geist beschäftigt,
+und wenn sie Zerstreuung bedurfte, konnte sie diese nur in der Haus-
+und Handarbeit finden. In der innern Umwandlung, die an dem einsamen
+Abend mit ihr vorgegangen war, in der gewonnenen Einsicht in ihre
+Schuld, in der Erkenntniß, daß ihr nur mit demselben Maße gemessen
+würde, mit dem sie gemessen hatte, und in dem Troste, den sie daraus
+geschöpft, in der ganzen für sie tiefbedeutsamen Erfahrung dieser Tage
+war ihr der Bildungsflitter, mit dem sie gegen ihre Natur und ihre
+Bedürfnisse behängt werden<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> sollte, in seiner ganzen Seelenlosigkeit
+und Armseligkeit erschienen, und es war ihr, trotz der wohlgemeinten
+Vorsätze, welche die Angst geboren hatte, nicht möglich geworden, auch
+nur ernsthaft daran zu denken.</p>
+
+<p>Die Bildung ist, wie jeder wahrhaft Gebildete weiß, nur Gewinn, wenn
+sich die Materialien, die sie uns zuführt, organisch mit dem Geiste
+verbinden und, in sein Leben sich einfügend, ihn bereichern. Kommt
+es dazu nicht, bleiben diese Materialien ihm äußerlich, dann ist die
+Bildung nur eine sogenannte und Verlust, wie die Speisen, die den
+Leib nähren, wenn sie verdaut werden, unverdaut seine Schwächung
+und Verkümmerung herbeiführen. In solchem Falle ist es dann viel
+besser, jene Stoffe abzuweisen und in seinem Leben und seiner Einheit
+zu bleiben, in einer schlichteren, beschränkteren Einheit, aber in
+einer Einheit. Denn nur die Einheit gewährt ein Bild, und nur die
+Bereicherung, welche die Einheit festhält, verdient in Wahrheit den
+Namen der Bildung.</p>
+
+<p>Christine sagte sich das freilich nicht, aber sie hatte ein Gefühl
+davon und sie handelte darnach. Voll von ihren Anschauungen und
+Gedanken, die wahrlich ohne Vergleich mehr Inhalt und Bedeutung hatten,
+konnte sie es nicht dahin bringen, von der gerühmten Weisheit des
+Pädagogen viel zu halten, und sie hatte darum wieder einen Theil der
+schon eingetrichterten, dem keine Verbindung mit ihrem Innern gelungen
+war, verdunsten lassen.</p>
+
+<p>Der Lehrer, der sie auszufragen begann, sah bald, wie es mit ihr
+stand. Bei der ersten daneben treffenden Antwort, die er bekam,
+zuckte er und konnte nicht verhindern, daß der Blick, mit dem er sie
+ansah, eine ziemliche Dosis Geringschätzung enthielt. Er nahm sich
+indeß zusammen, um die Prüfung fortzusetzen. Er fragte nach einer
+geschichtlichen Thatsache, die er ihr schon wiederholt eingeprägt
+hatte. Christine wurde ängstlich; sie wußte, daß ihr das schon einmal
+bekannt gewesen, und da er nun doch wieder gekommen war und es am
+Ende nicht so bös meinte, als sie gefürchtet, so hätte sie ihn gar
+zu gern mit der richtigen Antwort erfreut. Je hastiger sie aber nach
+dem Abhandengekommenen suchte, desto weniger konnte sie es entdecken;
+sie mußte ihre Unwissenheit eingestehen. »Das wird gut!«<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> sagte
+Forstner mit dem Ausdruck eines Mißmuths, der nur in Folge innerer
+Anstrengung nicht als erzürnte Heftigkeit hervortrat. Endlich richtete
+er eine Frage an sie, die mehr durch den Verstand als das Gedächtniß
+zu beantworten war. Christine, durch das Bisherige verwirrt, hatte
+ihn kaum gehört und gab in ihrer Confusion eine geradezu verkehrte
+Antwort. Nun war der letzte Rest von Kraft und Willen, den aufkochenden
+Unmuth zurückzuhalten, in ihm verzehrt, und es kam zum Ausbruch. Der
+Pedant, der die Perlen seiner Lehre so schlecht gewürdigt sah, fühlte
+sich beleidigt; die Unwissenheit und Unfähigkeit, die er in dieser
+Antwort erblickte, hatte tiefen Widerwillen in ihm erweckt; allein
+er folgte doch keineswegs bloß dem Drange dieser Empfindungen! Die
+Charakterschwäche, die nicht den Muth hatte, offen zu erklären: »wir
+passen nicht für einander und es ist gut, wenn wir uns trennen,« diese
+Schwäche sah die Möglichkeit, eine Auflösung des peinlich gewordenen
+Verhältnisses gelegentlich beizuführen, und zu dem empörten Gefühl
+gesellte sich nun instinktmäßig der Wille, diese Gelegenheit zu
+benutzen.</p>
+
+<p>Von seinem Sitz emporgefahren, stellte er sich vor sie hin und rief
+mit dem Ausdruck des Zorns und tiefer Verachtung: »Das ist Unsinn, der
+abgeschmackteste Unsinn, der je aus dem Munde einer hirnlosen Person
+gekommen ist! Geh mir! Aus dir wird nie etwas, du bist und bleibst eine
+Bauerntrutschel, ein einfältiges, dummes Weibsbild! Ich bin verrückt
+gewesen, ich hab' eine unverzeihliche Thorheit begangen, daß ich —« —
+Er hielt inne und — schämte sich. Christine war aufgestanden und hatte
+ihn groß angesehen, mit einem Blick, wie die beleidigte Rechtlichkeit,
+ja der beleidigte wahre Verstand die sinnlose Wuth und Gemeinheit
+ansieht. Sie hatte die Verachtung in seiner Miene gefühlt, sie hatte in
+sein innerstes Herz gesehen und den Vorsatz erkannt, mit ihr brechen zu
+wollen, und in ihrem Gemüth hatte sich auch eine Verachtung erhoben,
+aber eine, die auf besserem Grund fußte, und mit Blitzesschnelligkeit
+war ein Entschluß gefaßt. Eben in der Glut dieser Empfindungen zeigte
+sie ihm das Gesicht, das ihn erschreckte und verwirrte; und wie er nun
+innehielt, fiel sie ergänzend ein: »Daß du dich mit mir versprochen
+hast, willst du sagen? Ja, das ist wahr, da hast du Recht! Und ich<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span>
+bin ein schwaches, einfältiges Mädchen gewesen, daß ich dir getraut
+hab'! Aber glaub' ja nicht, daß du mich jetzt haben mußt. Hab' ja keine
+Furcht! Du hast mich gesucht, du bist zu mir gekommen, nicht ich zu dir
+— das weißt du und das sagt dir dein Gewissen. Aber darum, und weil du
+mir dein heiliges Versprechen gegeben hast, und weil du mich genöthigt
+hast, in diese Stadt zu kommen und meinen Stand zu verändern, und weil
+ich nun wieder nach Haus gehen soll und Schande und Spott erleben von
+aller Welt, darum will ich dich doch nicht zwingen, dein Versprechen zu
+halten! — Nein,« rief sie, indem sie den Verlobungsring schnell von
+dem schlanker gewordenen Finger zog, »nein, im Gegentheil! Hier ist
+dein Ring, nimm ihn, und wir sind geschiedene Leute!« — Forstner sah
+sie an und entgegnete: »Ich hätte gute Lust —« — »Freilich hast du
+gute Lust!« fiel das Mädchen verächtlich ein; »das seh' ich und eben
+deswegen geb' ich dir den Ring zurück. Her deine Hand und gieb mir den
+meinigen, und es ist aus mit uns für alle Zeit!«</p>
+
+<p>Als Forstner das Zeichen der Verlobung in ihren Fingern blinken und
+sich aufgedrängt sah, da zuckte bei dem Gedanken, daß er es nur
+annehmen dürfe, um einer für ihn unerträglich gewordenen Fessel
+entledigt zu sein, ein Freudenstrahl aus seinem Auge und er rief: »Ist
+es wirklich dein Ernst?« — Wenn sie noch nicht völlig entschlossen
+gewesen wäre, mit ihm zu Ende zu kommen, so wäre sie es durch die
+unendliche Kränkung dieser Freude geworden. Mit funkelnden Augen der
+Entrüstung rief sie: »Ja, es ist mein Ernst, und ich verlang' jetzt
+meinen Ring für deinen! Ich sage <em class="gesperrt">dir</em> ab, ich künde <em class="gesperrt">dir</em>
+auf und will nichts mehr mit dir zu thun haben mein Lebenlang!«</p>
+
+<p>Forstners schwache Seele, beschämt, verwirrt, schwankte noch einen
+Moment; aber eine Stimme rief ihm zu: »benutze das!« und entschied ihn.
+»Nun,« rief er, indem er selber den Kopf erhob, »wenn du so hochmüthig
+bist, so soll dein Wille geschehen!« Er zog den Ring vom Finger, gab
+ihr ihn und nahm den seinen. »So,« sagte sie, indem sie ihn mit eben so
+viel Stolz als Geringschätzung ansah, »und jetzt halt' ich dich nicht
+mehr auf in meiner Stub'!« — Forstner sagte: »Du willst es, gut! Ich
+geh' und komm nie wieder!« —<span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span> »Ich hoff's,« entgegnete sie mit Hohn,
+indem ihr Gesicht brannte, »ich hoff's, daß du nicht wieder kommst!«
+Und indem sie mit der Hand auf die Thüre wies, rief sie mit der größten
+Heftigkeit: »Geh! geh! geh!«</p>
+
+<p>Forstner hatte die Thüre ergriffen, und wie von diesen Worten
+hinausgeschleudert, war er verschwunden.</p>
+
+<h3>VI.</h3>
+
+<p>Christine sah noch eine Zeitlang auf die Thüre, die Forstner hinter
+sich zugeschlagen hatte. Ein heroisches Gefühl glänzte auf ihrem
+Gesicht. Er war es nicht, der ihr den Abschied gegeben, sie war
+ihm zuvorgekommen, sie hatte ihn weggeschickt, sie hatte das Recht
+behauptet und ihre Ehre gerettet! Das Bewußtsein, dem Ungetreuen die
+Thüre gewiesen und ihn nach Verdienst behandelt zu haben, erfüllte sie
+mit süßem Stolz, und sie kostete diesen in der Aufregung des Sieges von
+Grund ihres Herzens.</p>
+
+<p>Endlich trat sie zurück. Die Fluth ihrer Empfindung war gesunken und
+Gedanken tauchten auf, die andere Bilder vor ihre Seele riefen. Es
+war also aus mit ihm, wirklich aus und für immer! Und nun? — Sie
+mußte wieder in die Heimath, in ihr Dorf zurück. — Wie sie diese
+unausweichliche Nothwendigkeit zum erstenmal klar erkannte und die
+Folgen überschaute, fühlte sie einen kalten Schauer im Herzen und sank
+erschöpft auf einen Stuhl.</p>
+
+<p>Wir wissen, Christine besaß einen Ehrgeiz — eine Art desselben, die
+auf dem Lande häufig vorkommt: den Ehrgeiz, der sich Andern möglichst
+immer in Würde und Wohlergehen darstellen und dem ganzen Dorfe damit
+Respekt einflößen will. In volkreicher Stadt kann man leicht dahin
+kommen, nach der Meinung Anderer gar nichts mehr zu fragen, weil diese
+Andern eben zum größten Theil Fremde sind und die Befreundeten keine
+Zeit haben, sich mit Einem viel abzugeben. Auf dem Dorf hingegen,
+wo man Alle kennt und von Allen gekannt ist, bildet sich natürlich
+das Verlangen aus, auch von Allen geachtet zu sein. Man wahrt die
+Außenseite, man »prangt,« man fragt sich bei einem absonderlichen
+Vorhaben in der Regel, was<span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span> die Leute dazu sagen werden, man fürchtet
+sich vor dem Schaden, aber häufig mehr noch vor dem Spott, der dem
+Schaden folgt. Diese Rücksicht auf Andere kann zur Schwäche werden
+und macht gar oft auch kleinlich und lächerlich; aber auf der andern
+Seite ist sie die Mitursache guter Sitte, rechtmäßigen Handelns und
+stattlicher, angenehmer Lebensformen. Der Kenner des Dorflebens wird
+sie auf ihre Stelle beschränkt, aber gewiß nicht vertilgt, ja nicht
+einmal gemindert wünschen.</p>
+
+<p>In Christine war eine starke Dosis dieses Triebes, und wie wir gesehen
+haben, war da, wo ihr Herz gewonnen wurde, immer auch ihr Ehrverlangen
+mit im Spiele; der Reiz des Glanzes wirkte mit dem der Schönheit und
+Liebenswürdigkeit zusammen auf sie. Dieses Ehrverlangen bezog sich aber
+gerade auf ihr Dorf, gerade auf ihre Freunde und Bekannte. In ihren
+Augen hervorzustrahlen war ja ihr Streben, ihr beglückendster Gedanke.
+Und nun sollte sie, die das Vaterhaus ehrenvoll und beneidet, an der
+Seite des Bräutigams verlassen hatte — sie, die Gesuchte, Gefeierte
+— sie sollte zurückkehren als eine, die den Laufpaß bekommen (denn
+das war und blieb sie in den Augen der Leute trotz ihres Redens), sie
+sollte zurückkehren beschimpft und erniedrigt für ihr ganzes Leben!
+Sie sollte vor ihren Vetter treten als eine Verschmähte, die Mitleid
+und Geringschätzung einflößen mußte! Sie sollte vor ihre Mutter treten
+in Schmach und Schande — vor die gute Mutter, deren Stolz und einzige
+Freude sie gewesen, die keine Ahnung hatte von ihrem Unglück und in
+kurzem ihren »Ehrentag« mitzufeiern hoffte! — Sie sollte den Spott
+und die übeln Nachreden der bösen Zungen über sich ergehen lassen! Sie
+sollte erleben, wie man mit Fingern auf sie zeigte, sollte es in ihre
+Ohren hören, wie man sagte: »Da seht sie, die so hoch hinaus wollte!
+Nun ist sie wieder da! Ihr Stadtlehrer hat sie fortgeschickt, und nun
+mag sie auch kein ehrlicher Bauernbursch mehr!«</p>
+
+<p>Die Erlebnisse der letzten Tage hatten das Mädchen im Tiefsten erregt,
+ihre Seele gerüttelt und geschüttelt, ihr Gefühl krankhaft gereizt. Wie
+sie nun bei der Vorstellung, so kläglich in ihre Heimath zurückkehren
+zu müssen, alle Marter empfand, welche die Schmach der Niederlage
+dem Ehrgeiz auferlegt, da folgte auf den heroischen Stolz,<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> den die
+Verabschiedung des Bräutigams in ihr erweckt hatte, der Zweifel,
+das Zagen, die Reue. Hab' ich auch wirklich Ursache gehabt, ihm
+aufzukünden? Bin ich nicht zu hitzig gewesen? Hab' ich nicht am Ende
+unrecht gesehen und gemeint, er wolle mit mir brechen, bloß weil ich
+in der Zeit davon habe schwatzen hören? Kann er nicht bloß übler Laune
+gewesen sein, und sind meine Antworten nicht am Ende so ungeschickt
+gewesen, daß er nicht anders konnte als zornig werden? — Solche Fragen
+traten in ihr hervor und konnten es wohl; denn ein Dorfmädchen ist an
+eine derbere Sprache und Handlungsweise von Jugend auf gewöhnt und
+mußte die vernommenen Schmähworte nicht für so beweiskräftig halten
+als eine gebildete, zarte Städterin. In ihrer Gemüthslage wurden ihr
+nun auch die andern deutlichen Zeichen wieder zweifelhaft, und als sie
+bedachte, daß sie das Elend, welchem sie entgegen ging, hätte vermeiden
+können, da wandelten sie wieder Schrecken und Verzweiflung an. Sie
+raffte all ihre Kraft zusammen und überlegte, wie Forstner sich die
+letzte Zeit her und heute gegen sie benommen. Endlich aber rief sie
+fest und entschlossen: »Nein, ich hab' mich nicht getäuscht! Nein, ich
+hab' recht gehandelt! Was ich gethan hab', das hab' ich thun müssen
+— ich hab' ein gutes Gewissen — und nun mag mir's auch gehen, wie's
+will!«</p>
+
+<p>Sie stand auf, in der Meinung zur Base hinunterzugehen, denn es war
+noch nicht die gewöhnliche Schlafenszeit. Allein sie fühlte sich
+überaus müde, die Glieder zitterten ihr. Sie hielt es für besser, sich
+niederzulegen.</p>
+
+<p>Ihr Schlaf war unruhig, sie fuhr mehrmals auf in schweren Träumen. Als
+sie Morgens erwachte, waren ihre Glieder wie gelähmt, ihr Kopf brannte,
+die Zunge klebte ihr am Gaumen. Sie war krank — ein Fieber hatte sie
+ergriffen.</p>
+
+<p>Die Base, die sie vergebens zum Frühstück erwartet hatte, ging hinauf,
+um nachzusehen. Sie wußte noch nicht, was geschehen war. Gestern hatte
+sie freilich ein paarmal die Stimmen herunter gehört und auf einen
+Wortwechsel geschlossen; aber das war ja schon öfter vorgekommen, und
+da Forstner ruhig aus dem Hause, Christine zu<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> Bett gegangen war, so
+glaubte sie nicht an einen Ausgang, wie er stattgefunden hatte.</p>
+
+<p>An's Bett des Mädchens getreten, erkundigte sie sich theilnehmend nach
+ihrem Befinden. Christine erklärte sich für unwohl und erzählte ihr
+alles. Die gute Frau war tief betroffen. »Ich hab' mir's gedacht,«
+rief sie aus, »aber nun bin ich doch erschreckt! Was wird deine Mutter
+dazu sagen, die an so etwas gar nicht denkt? Ich muß ihr's zu wissen
+thun, Alles und Jedes, und das heute noch.« — Christine verbot das.
+»Ich will's selber thun, wenn ich wieder auf bin — ich allein kann's
+recht thun.« — »Aber wenn du ernstlich krank würdest,« entgegnete die
+Base, »wenn du —« — »Sterben würdest, meinen Sie? Das wäre vielleicht
+das Beste für mich; aber eben darum glaub' ich nicht daran. Wenn
+Gefahr kommt, dann können Sie schreiben, aber jetzt nicht — Ihre Hand
+darauf!« — Die Base beruhigte die Kranke durch ein ausdrückliches
+Versprechen und ging hinunter, einen Arzt holen zu lassen.</p>
+
+<p>Dieser kam und erklärte den Zustand des Mädchens für den Anfang
+einer Krankheit, vor deren ernstlichem Ausbruch sie vielleicht noch
+bewahrt werden könnte. — In Befolgung dessen, was er vorschrieb, und
+im strengster Diät verging eine Reihe von Tagen. Zuletzt siegte die
+gute Natur des Dorfkindes, das Fieber wich, ihr Blut wurde ruhiger,
+ihr Appetit regte sich wieder, sie erholte sich und hatte das Gefühl
+der Genesung, jenes leichte, süße Gefühl, um dessentwillen es wohl
+der Mühe werth erscheint, eine Krankheit ausgehalten zu haben. In
+der Genesung ist von dem Zustande des Leidens nichts mehr übrig, als
+eine körperliche Schwäche, in der ein innerliches Leben um so reicher
+sich entfalten kann, eine Schwäche, die alle Gefühle mildert und
+uns die ganze Welt in sanftem Licht erscheinen läßt. Und zu dieser
+Poesie der Krankheit gesellt sich eine stille Lust des Aufstrebens und
+Fortschreitens zu neuem Wohlsein und Glück, das ahnungsreich vor der
+Seele webt. Der Genesende kann nicht verzweifeln. Auch nach dem größten
+Verlust muß er wieder hoffen auf eine Entschädigung, sei es auch nur
+die Kraft, den Verlust ohne Schmerz ertragen zu können.</p>
+
+<p>Während Christine sich leiblich erholte, genas sie auch geistig.<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span>
+In ihrem stillen, helleren Seelenzustande sah sie zurück auf ihre
+Erlebnisse und dachte jenes Moments wieder, wo sie in ihrem Unglück
+eine gerechte Strafe erkannt und es in diesem Sinn willkommen geheißen
+hatte. Und es fiel ihr ein, daß sie später doch wieder verzweifelt war,
+als sie sich vorstellte, wie sie verachtet und verlassen zur Mutter
+heimkehren — das heißt doch eigentlich: die heilvolle Strafe zu Ende
+dulden sollte. — Sie lächelte ernst über sich selbst und sagte: »Ich
+hab's wieder vergessen gehabt! — Das geht nicht auf einmal, wie's
+scheint!« — Nun faßte sie aber in Wiederholung jener Anschauung den
+Entschluß, alles zu dulden, was an Schmach und Beschimpfung über sie
+verhängt sein sollte. Und nun konnte sie hoffen zu triumphiren, denn zu
+ihrer Erhebung und Selbstüberwindung half ihr die Natur.</p>
+
+<p>In ihrer Leidenszeit hatte sie die sorgsamste, wir können sagen
+liebevollste Pflege erfahren, und diese setzte sich während ihrer
+Genesung fort. Die Base und der Vetter thaten alles, was in ihren
+Kräften stand. Susanne war wie verwandelt, ganz Aufmerksamkeit und
+Güte für sie, und nichts schien sie mehr zu beglücken, als wenn ihr
+Christine freundlich die Hand gab und sie dabei mit erkenntlichem Blick
+ansah. Auch Mamsell Adelheid kam täglich, sich zu erkundigen und sie zu
+trösten. Die Vornehmheit der Lehrerin war verschwunden und hatte ganz
+einer würdigen, mütterlichen Theilnahme Platz gemacht. Auf Christine in
+ihrer jetzigen Weichheit machte das alles einen rührenden Eindruck. Mit
+Thränen im Auge sagte sie sich: »Die Menschen sind doch viel besser,
+als man denkt! Man sollte eigentlich niemand für schlecht ausgeben,
+sondern warten, bis er wieder gut wird.« Sie dachte daran, daß auch die
+Leute in ihrem Dorf nicht so schlimm sein würden, als sie sich zuerst
+vorgestellt, und der Gedanke der Heimkehr verlor auch aus diesem Grunde
+mehr von seinem Peinlichen und Schreckhaften.</p>
+
+<p>Wenn sich übrigens Mamsell Adelheid in der That über Erwarten
+theilnahmvoll gegen ihre Schülerin erzeigte, so war sie damit noch
+nicht ein Muster von Zartheit geworden, und dem Drange, Gericht zu
+halten über irgend jemand, konnte sie nicht unbedingt widerstehen. —
+Eines Vormittags kam sie mit hastigeren Schritten als gewöhnlich<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> in
+die Stube, wo sich die Reconvalescentin befand, und man sah gleich, daß
+sie etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Sie zögerte nicht, es los zu
+werden, und rief nach ihrem Gruße der anwesenden Frau Kahl zu: »Nun,
+liebe Frau Base, haben Sie's auch schon gehört? — Ich habe manches
+erlebt in der Welt, aber das geht doch über alle Begriffe! So schnell
+— und in dieser Zeit! Nein, für so schlecht hätt' ich diesen Menschen
+doch nicht gehalten!« — »Was gibt's denn?« fragten Christine und die
+Base zu gleicher Zeit. Adelheid sah theilnehmend auf das Mädchen und
+sagte: »Sei froh, Christine, und wünsche dir Glück, daß du ihn nicht
+bekommen, daß du ihn noch zu rechter Zeit kennen gelernt hast! Besser
+vor der Hochzeit als nachher!« — »Ah so,« erwiederte das Mädchen,
+indem eine leichte Röthe über ihr blasses Gesicht flog; »nun kann ich's
+errathen! Er hat sich mit ihr versprochen?« — »Das hat er gethan,
+gute Christine, und zwar an demselben Tag, wo du im ärgsten Fieber
+lagst.« — Frau Kahl sah die Mamsell vorwurfsvoll an und rief: »Das
+hättest du nicht sagen sollen! Wenn sie nun wieder schlimmer wird?«
+Aber Christine hatte sich von dem Canapee, worauf sie gesessen, rasch
+erhoben und rief: »Nein, das macht mich gerade gesund!« — Sie sah in
+der That genesen aus und athmete leicht, als ob sie von einer großen
+Last befreit worden wäre.</p>
+
+<p>Und das war sie. Die Meldung hatte sie befreit von der letzten
+Ungewißheit in Bezug auf den Lehrer, von dem letzten Grunde, sich
+selbst mit der Vorstellung einer übereilten Handlung zu quälen. Was
+sie gedacht hatte, war nun bewiesen. Wenn er nur von ihr weggehen und
+mit jener sich versprechen konnte, dann hatte er schon lange keine
+Liebe mehr zu ihr, sondern zu jener; dann war er mit der Absicht zu ihr
+gekommen, Händel zu suchen, um sie los zu werden; dann hatte sie ganz
+recht gehandelt und das beste Gewissen. Nun war sie frei von ihm ganz
+und gar; sie war frei von Achtung und Liebe zu ihm, sie war frei von
+Haß gegen ihn und von Eifersucht gegen sie. — »Mag er glücklich sein!
+mögen sie glücklich sein alle beide!« das waren ihre Gedanken. — Wen
+man nicht achtet, den kann man nicht hassen und nicht beneiden. Man
+fühlt ihn unter sich und machtlos und dürftig bei allem äußern Glück.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span></p>
+
+<p>Christine erklärte sich für gesund. Der Arzt, der bald darauf im's
+Zimmer trat, bestätigte dieß und erlaubte ihr, an einem der nächsten
+Tage nach Hause zu reisen.</p>
+
+<p>In einer Stimmung, die ihr selber auffiel, mit einer Ruhe, die nur
+selten durch lebhaftere Empfindungen unterbrochen wurde, machte sich
+Christine zur Heimkehr bereit. Sie schloß mit ihrem Stadtleben ab und
+hatte das Gefühl eines Wanderers, der sich nach langem Irrgehen wieder
+zurecht findet. Er hat Zeit und Mühe verloren, er wird zu spät kommen,
+aber er ist doch wieder auf dem rechten Weg.</p>
+
+<p>Nun war die Zeit gekommen, den Brief an ihre Mutter abzufassen. Sie
+meldete kurz, was in den letzten Wochen geschehen war, fügte aber dann
+Alles hinzu, was sie für die Mutter Tröstliches zu sagen wußte. Sie hob
+hervor, daß sie für die Stadt nicht passe, daß sie mit Forstner nie
+glücklich geworden wäre und dem Himmel danken müsse, noch zu rechter
+Zeit seinen Charakter kennen gelernt zu haben. Sie unterstrich die
+Nachricht, daß sie <em class="gesperrt">ihm</em> aufgesagt habe, und daß sie ihn nicht
+mehr gemocht hätte, wenn er auch wiedergekommen wäre. Jetzt sei er mit
+seiner Wilhelmine versprochen, und das sei gut, denn die beiden taugten
+für einander und wären einander werth. Sie selber habe ihren Entschluß
+gefaßt, sie wolle nach Hause gehen und mit der Mutter überlegen, was
+zu thun sei. Glücklich wolle sie nicht mehr werden, aber verzagen
+wolle sie deßwegen auch nicht. Sie wolle schaffen und arbeiten, wie
+sie's gelernt habe, sie wolle ihre Schuldigkeit thun und als ein
+rechtschaffenes Mädchen leben und sterben.</p>
+
+<p>Vorsichtshalber trug sie den Brief selber auf die Post. Durch die
+Aufschrift hatte sie dafür gesorgt, daß er sicher einen halben Tag vor
+ihrer Ankunft in die Hände der Mutter gelangte.</p>
+
+<p>Als sie am zweiten Morgen nach ihrer Wiederherstellung aufgestanden
+war, ging sie im Unterkleid zu der alten Commode, zog das oberste
+Fach heraus und lächelte, mit einer seltsamen Mischung von Freud und
+Leid. Die Bauernkleider, in denen sie hergekommen war, lagen darin.
+Sie nahm ein Stück nach dem andern heraus, betrachtete sie, als sie
+auf dem Tisch ausgebreitet waren, mit einer Art von Feierlichkeit, und
+kleidete sich damit an. Als sie fertig war und in den Spiegel sah,
+schüttelte sie erst den Kopf, dann hing sie mit zufriedenen<span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span> Blicken an
+dem Bild. Die Kleider waren ihr zu weit geworden und kamen ihr so im
+ersten Moment doppelt ungewohnt vor. Aber es waren doch die Kleider,
+in denen sie schöne Tage gesehen hatte — jetzt das Wahrzeichen einer
+verständigen Umkehr und eines neuen Lebens.</p>
+
+<p>Groß war die Verwunderung, als sie in diesem Anzug, allen unerwartet,
+in die untere Stube trat. Und sie minderte sich nicht, als die kaum
+Genesene der Base erklärte, da das Wetter so gut sei, wolle sie nicht
+nach Hause fahren, sondern gehen. An ihrer Krankheit sei Schuld
+gewesen, daß sie sich zu wenig Bewegung gemacht habe; das Gehen würde
+ihr gesund sein und sie würde sich's jetzt um keinen Preis abkaufen
+lassen. Alle Einreden der Sorglichkeit waren umsonst, und man fügte
+sich endlich in ihren wiederholt erklärten Willen.</p>
+
+<p>Nach dem Frühstück nahm sie die Base mit auf ihre Stube, wo ihre
+Stadtkleider in drei verschiedenen Partien auf dem Canapee lagen.
+Sie bat ihre Verwandte, die erste mit den werthvollsten Stücken zum
+Andenken von ihr anzunehmen und die beiden andern der Mamsell Adelheid
+und der Susanne zu übergeben. Das Sträuben der guten Frau wurde
+überwunden und die Einwilligung erzwungen. Die Geschenke, die sie
+von Forstner erhalten hatte, lagen auf einem Ecktisch. Sie nahm der
+Base das Versprechen ab, ihm alle zusammen heute noch in's Haus zu
+schicken. Wenn er dafür die ihrigen zurücksende, so bäte sie den Herrn
+Vetter, sie zu behalten. Sie würde kein Fäserchen von diesem Manne bei
+sich dulden können. — Die Kiste, in der sie ihre Habseligkeiten vom
+Dorf mitgebracht hatte, stand bepackt in einer Ecke. Man sollte sie
+dem Fuhrmann übergeben, der am folgenden Tage die Stadt passirte. Es
+blieb nichts mehr übrig, als von der letzten Geldsendung der Mutter
+die kleine Schlußrechnung der Base zu bezahlen. Dieß geschah, und das
+Landmädchen war fertig mit der Stadt.</p>
+
+<p>Es war nach neun Uhr, als sie der kleinen Zahl ihrer städtischen
+Bekannten Lebewohl sagte. Die gute Frau Kahl und Susanne weinten, der
+Vetter hatte feuchte Augen und Mamsell Adelheid widerstand mit Mühe
+dem Drang ihres Gefühls. Christine war über diese<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> Zeichen wahrer
+Theilnahme zu erfreut, um gleich den andern weich werden zu können.
+Sie gab allen die Hand, sah mit glänzenden Blicken der Liebe und des
+Dankes auf sie, und jetzt endlich standen Thränen auch in ihren Augen.
+— »Lebwohl, lebwohl, du gutes, liebes Kind!« rief die Base, indem sie
+ihre Hand zärtlich gefaßt hielt. »Du hast hier keine guten Tage gehabt,
+du hast viel gelitten; aber dir wird's auch noch gut gehen!« — »Mir
+wird's gehen, wie ich's verdiene,« erwiederte Christine, »und anders
+verlang' ich's nicht!«</p>
+
+<p>Wenige Minuten später, und sie ging allein, wie sie sich's erbeten
+hatte, durch die Hauptstraße der Stadt. Ein paar Vorübergehende kannten
+sie, starrten sie an und sahen ihr kopfschüttelnd nach. Christine that,
+als ob sie nichts gemerkt hätte, und ging ruhigen Schrittes weiter;
+aber doch war sie froh, als sie die Stadt endlich hinter sich hatte.</p>
+
+<p>Es war in der zweiten Hälfte des März und der Tag wie zu einer
+Fußwanderung geschaffen, Frühlingsanfang, nicht nur dem Kalender nach,
+sondern in der That. Der Winter hatte schon seit einigen Tagen weichen
+müssen, der Lenz hatte das Feld behauptet, und schmetternde Lerchen
+verkündeten seinen Sieg dem Himmel und der Erde. Die Luft war milde,
+die Sonne von leichten Wolken umzogen, so daß ihr Schein durchdringen
+konnte, wenn auch nicht ihr Bild, und der Weg trocken, hie und da noch
+gefeuchtet und weich, dort schon bedeckt von Märzenstaub. Und Gras und
+Laub, welche dieser bringen soll, waren reichlich verheißen in dem
+frischeren Grün der Wiesen, in den Knospen der Bäume und Gesträuche.</p>
+
+<p>Christine wanderte still weiter, die Straße weiter, auf welcher sie
+hergefahren war und die sie nun zum erstenmal wieder sah. Ihr Mund sog
+die lau frische Gottesluft ein, ihre Augen schweiften umher auf dem
+Feld und den Waldstücken, die in der Landschaft hervortraten, und ihr
+Gesicht ward heller und freundlicher bei diesem Anblick. Bald fühlte
+sie sich wieder hineingezogen in ihr Inneres, sie überließ sich den
+Gedanken ihrer Seele und ging dahin, wie eine, die im Traume wandelt.</p>
+
+<p>Ein Rieser Bauernmädchen ist im benachbarten Frankenlande nichts
+Seltenes und kann schon darum nicht bemerkenswerth erscheinen,<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> weil
+ihre Tracht von der dortigen ländlichen nur wenig unterschieden ist.
+Aber Christine hatte in ihrem Wesen etwas, das auffallen mußte und
+wirklich auffiel. Die Landleute, die ihr begegneten, der Steinklopfer
+am Wege sahen sie an und grüßten sie theilnehmend. Als einer sie nach
+erhaltenem Dank fragte: »Wohin denn noch heute?« und mit sanfter Stimme
+die Antwort erhielt: »In's Ries,« da betrachtete er sie noch einmal
+genau, bevor er weiter ging, schien aber doch nicht mit sich einig
+werden zu können, was er aus ihr machen solle.</p>
+
+<p>In Folge des Lebens in der Stadt und der Leiden, die sie darin
+ausgehalten hatte, war die Gestalt des Landmädchens um vieles schlanker
+geworden; die Fülle des Gesichts war geschwunden, die Farbe, die ihr
+auf dem Dorf ein so frisches Aussehen gegeben hatte, war gewichen
+und die jetzige Blässe nur von einem bräunlichen Hauch und in Folge
+des Gehens von einer leichten, flüchtigen Röthe bedeckt. Da sie den
+gestreiften »Kittel« (das Gewand des Oberkörpers) offenbar nicht mehr
+ausfüllte, so sagte sich jeder, daß sie krank gewesen sein und viel
+ausgestanden haben müsse. Aber das war es nicht allein, was auffiel.
+Ihr bleiches Gesicht hatte einen Glanz, aus ihren feuchten Augen, wenn
+sie damit aufsah, ging ein Blick, und der ganze Kopf hatte ein Gepräge
+und einen Ausdruck, daß jeder augenblicklich sah, nicht nur daß es ein
+schönes Mädchen sei, sondern auch daß es mit ihr eine ganz besondere
+Bewandtniß haben müsse.</p>
+
+<p>Es war die Erfahrung ihres Geistes, welche dem Gesicht diesen Ausdruck
+lieh, es waren die Empfindungen und Bilder ihrer Seele, die es
+verklärten. Die Erdenschwere des Leides war ihr abgenommen, aber sein
+Schein und sein Duft waren geblieben. Die Freude des Lebens, ja die
+Hoffnung auf sie waren geflohen, aber ein stiller Friede, gegründet
+auf das Bewußtsein, endlich recht und gut gehandelt zu haben, waren
+eingezogen in sie. Eine Wehmuth erfüllte sie, die etwas Süßes hatte,
+weil sie durchdrungen war von holdem Licht und getragen von einem
+erstarkten Geist. Alles das weckte und nährte das Spiel der Phantasie,
+eine Träumerei, welche das Mädchen weiter und weiter zog und neue,
+wunderbare Welten ihrem Blick öffnete. — Die Poesie der Lieder, die
+sie in schönen Tagen auf dem Dorfe gelernt<span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span> und gesungen hatte, lebte
+wieder in ihr auf. Traurige und fröhliche summten durch einander in
+ihr und feuchteten bald ihre Augen und regten zarte, süße Schauer in
+ihr an. Sie hörte die Melodien ordentlich in ihrer Seele, und Stimmen
+in der Luft, nahe und ferne, schienen in sie einzuklingen. — Die gute
+Christine! Jetzt war sie fein, und ihr Gesicht war geistig und ihr
+ganzes Wesen von einem Reiz übergossen, daß es auch der eitle Pedant in
+der Stadt hätte anerkennen müssen. — Zu spät! — Aber zu ihrem großen
+Glück! — Jener hätte sie nicht verdient, auch wenn es ihm möglich
+gewesen wäre, sein Versprechen zu halten und seine Treue zu bewahren.</p>
+
+<p>Wir haben damit erklärt, was die Vorübergehenden Absonderliches an
+Christine wahrnahmen. Hübsche Mädchen in Rieser Tracht kann man viele
+sehen, wenn man durch die gesegnete Ebene wandert — und Glück hat.
+Aber Bilder, wie Christine in ihrer jetzigen Seelenstimmung eines
+darbot, wird man unter allen Umständen nur selten bemerken können.</p>
+
+<p>In der Einsamkeit eines Waldthals nahmen die Gedanken der Fußgängerin
+eine bestimmte Richtung. Ein Verhältniß, wie sie es mit Forstner
+gehabt, läßt sich nicht abthun und vergessen; die Seele wird eine
+Zeitlang immer wieder zurückschauen und sich den Verlauf und den
+Ausgang zu erklären suchen. — Christine ließ das Handeln Forstners
+wieder an ihrem Geist vorüberziehen. Wie billig sie war und wie viel
+sie sich selber zur Last legen mochte, nahm sie alles zusammen und
+hatte sie ihn in den hauptsächlichsten Momenten vor Augen, so konnte
+sie sein Benehmen zwar begreiflich finden, aber auch nicht der leiseste
+Hauch von Achtung dieses Mannes war ihr möglich. Im Besitz dessen,
+was Natur und Geschick ihr an Einsicht verliehen hatten, kam ihr die
+ängstliche Sorge und die Wichtigkeit, womit er ihr den Flitterkram
+seiner Bildung aufdrängen wollte, über alle Maßen kleinlich vor; und
+daß er diesen als die Hauptsache ansah, für die wirkliche Hauptsache
+dagegen, welche sie jetzt auf's allerklarste anschaute, keine Augen und
+kein Gemüth hatte, das erfüllte ihre Seele mit einer Geringschätzung,
+in welcher sie ihn zu einem Nichts hinschwinden sah.</p>
+
+<p>Es war unvermeidlich, hier nicht an das Benehmen des Vetters<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span> Hans zu
+denken. Obwohl sie eine Scheu davor empfand, so konnte sie dem Reiz
+doch nicht widerstehen, sich zu vergegenwärtigen, wie sich dieser von
+der ersten Zeit an gegen sie betragen hatte. Seine treue Liebe, die
+sich erst so bescheiden verbergen wollte und sich doch verrieth; seine
+Freude an ihr und das Vergnügen, das aus ihm leuchtete, wenn er sie bei
+der Arbeit loben konnte und sie dabei ansah; die stete Sorge für sie
+und ihre Mutter, der Eifer für ihr Wohlergehen und ihre Ehre; seine
+Großmuth, als er erfahren hatte, was ihn auf's tiefste schmerzen, auf's
+bitterste kränken mußte; der Stolz, der sich vor den Leuten nichts
+anmerken ließ und alles vergessen zu haben schien; die unendliche
+Gutmüthigkeit, womit er sie später als Verwandte und Jugendfreundin
+behandelte, als ob sie ihn nie beleidigt hätte — alles das stellte
+sich vor ihre Seele und verband sich zu einem einzigen Bilde. Die ganze
+Schönheit eines von Gott und Natur mit gleicher Liebe beschenkten
+Gemüths glänzte vor ihr und sie war jetzt in der rechten Stimmung, sie
+zu erkennen und nach ihrem Werth zu schätzen. Thränen stürzten aus
+ihren Augen, die nur der edlen Seele galten. Sie fühlte die Liebe und
+Treue eines solchen Mannes als das Liebste und Holdeste, was es geben
+könne auf der Erde; in ihrem Herzen gährte und bebte es und eine Glut
+entzündete sich und loderte empor und übergoß ihr bleiches Gesicht
+urplötzlich mit brennender Röthe.</p>
+
+<p>Es war geschehen. Sie hatte ein Gefühl, als ob nichts wahr gewesen
+wäre in ihrem ganzen Leben, als diese Liebe zu dem besten Menschen auf
+der Welt. Alles, was ihr an andern schön vorgekommen war und reizend
+und vornehm, erschien ihr jetzt wie gar nichts, wie Rauch, den ein
+Windhauch verjagte. Sie begriff nicht, wie man sich davon blenden
+lassen, wie man daran sein Herz hängen, wie man darauf bauen und
+vertrauen könne.</p>
+
+<p>Und sie hatte sich zweimal davon blenden lassen! Sie war von dem,
+der allein aller Lieb' und Treue werth gewesen, zweimal abgefallen!
+— Das Gesicht, auf welchem sich die Blässe wieder gelagert hatte,
+wurde auf's neue überströmt — von der Röthe der Scham; und diese
+blieb länger auf ihm als die Farbe der Liebe und des Entzückens. —
+»Du hast keine Augen gehabt,« rief sie sich strafend<span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span> und leidvoll
+zu, »du hast nichts gesehen — du Blinde, Dumme, Sinnlose!« — Sie
+fühlte ihre ganze Unwürdigkeit dem braven, uneigennützigen, unendlich
+liebevollen Manne gegenüber. Das Licht der Erkenntniß, das ihr zuerst
+in schwachem, vorübergehendem Aufzucken, dann im klaren, hellen Scheine
+zu Theil geworden war — jetzt flammte es vor ihr empor und leuchtete
+und brannte vor ihr und faßte und durchloderte sie, und drohte sie zu
+verzehren. — Das war das Maß, mit dem ihr gemessen werden sollte —
+das volle, gerüttelte und geschüttelte, überfließende Maß.</p>
+
+<p>In der Qual dieser Flamme gab es nur Eine Rettung für Christine, und
+sie griff darnach. »Er soll's nie, nie erfahren, wie es mir zu Muth
+ist! Kein Sterbenswörtchen soll er von mir hören, aus keiner Miene,
+keinem Zuck soll er's errathen können! Im Herzen will ich ihn tragen
+Tag und Nacht — todtschlagen will ich mich lassen für ihn, wenn's sein
+muß — aber sterben will ich, ohne daß er weiß, wie ich gesinnt gewesen
+bin!« — Nun brachen wieder Thränen aus ihren Augen und rollten die
+Wangen hinab; aber es waren lindernde Thränen. Sie und das Gelübde, das
+sie gethan, halfen zusammen, der Tieferregten nach und nach die Ruhe
+wieder in's Herz zu flößen, in der sie still ergeben, aber zugleich mit
+einem gewissen Stolz der Entsagung fortwanderte.</p>
+
+<p>Endlich fühlte sie sich müde und erschöpft, und im nächsten Dorfe
+ging sie in das Wirthshaus, das an der Straße lag. Sie nahm ein
+einfaches Mahl zu sich, ruhte aus und erholte sich. Als sie nach der
+Zeche fragte, sah die schon ziemlich bejahrte, stattliche Wirthin
+sie prüfend an. »Du bist wohl im Dienst gewesen und krank geworden?«
+fragte sie theilnehmend. — Christine richtete merklich verletzt
+den Kopf auf und erwiederte: »Krank gewesen bin ich, aber im Dienst
+nicht.« — Der theilnehmende Blick der Wirthin verwandelte sich in
+einen spöttischen. »Ah,« sagte sie, »da bitt' ich um Verzeihung, daß
+ich der Jungfer Unrecht gethan hab'!« Sie überlegte ein wenig, nannte
+die Summe, erhielt das Geld, bedankte sich und ging hinaus. Die Zeche
+war ziemlich groß, und Christine fühlte, was sie gethan hatte. »Du
+bist wieder dumm und am unrechten Ort empfindlich gewesen,« dachte
+sie. »Die Frau ist gut und wollte dir eine kleine Zeche machen, und<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span>
+du bist ihr lächerlich vorgekommen mit deinem Stolz, und sie hat Recht
+gehabt, dir eine Lehre zu geben. Im Dienst! 'S wär besser, du wärst im
+Dienst gewesen und könntest jetzt nach Hause gehen —« — Ihr Geist
+verlor sich in Gedanken, dann erhellten sich plötzlich ihre Züge; mit
+einem Aussehen, als ob sie einen Vorsatz gefaßt hätte, erhob sie sich
+und verließ die Stube. Im »Haustennen« stand die Wirthin. »Geht's
+schon weiter, Jungfer?« war die noch immer spöttische Frage. »Ja,«
+erwiederte Christine. »Lebt wohl, Frau Wirthin, und haltet mich nicht
+für einfältiger als ich bin!« Das behaglich breite Gesicht lächelte und
+der Spott darin erhielt einen Zusatz von Wohlwollen. »O bewahre!« rief
+sie, »ich seh' schon, wen ich vor mir hab'. Glück auf den Weg!«</p>
+
+<p>Es war nothwendig, daß Christine sich gestärkt und erholt hatte —
+sie kam dem Ries näher und näher. — Eine Stunde darauf und sie war
+eingetreten in seinen Kreis und ihr Herz klopfte, ihr Kopf schwindelte.
+Sie sah, was ihr bekannt war von Jugend auf, aber das Bekannte erschien
+ihr wie ein Mährchen. Dort rechts der Felsen von Wallerstein im Kranze
+von Häusern und Bäumen, geradeaus der graue Thurm von Nördlingen, und
+jetzt in dem Schein der Sonne, die vorübergehend aus den Wolken trat —
+ihr Geburtsort. — War es nicht ein Traumgesicht? Waren die Bilder, die
+vor ihren Augen flimmerten, nicht aus Luft gewoben und hergezaubert,
+um auf einmal wieder zu verschwinden? — Nein, sie standen fest und
+blieben stehen und traten immer größer und deutlicher hervor. Sie
+hatten gezittert und gegaukelt vor ihr, weil ihren eigenen Kopf eine
+Art von Trunkenheit ergriffen hatte, und in der Schwärmerei des
+Staunens hatte das Altgewohnteste den Charakter des Wunders angenommen.</p>
+
+<p>Sich endlich besinnend und fassend, ging sie weiter und weiter, ihrem
+Dorfe zu. Sie freute sich an der Heimath, an den Leuten, die ihr
+begegneten, an den Arbeitern auf dem Felde, die sie von weitem sah,
+und an der schönen und traulichen Rieser Tracht; aber sie fürchtete
+sich, daß irgend Jemand sie erkennen und bei ihrem Namen rufen möchte.
+Unangefochten langte sie indeß an der Feldung ihres Geburtsortes an.
+Sie schlug einen Fußweg ein. Je näher sie dem Ziele kam, desto mehr
+entsank ihr der Muth. Sie konnte nicht anders<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> — sie mußte sich
+wieder vorstellen, was die Leute von ihr denken, was sie sagen und ihr
+nachsagen würden. Alle Schmach, als eine Verstoßene, der Verläumdung
+Preisgegebene heimzukehren, stieg wieder vor ihrer Seele auf. Da fiel
+ihr aber auch wieder ein, daß sie Leid und Beschwer ja gewünscht und
+gut gefunden hatte. Sie lächelte mitleidig über sich selber und ging
+mit neuer Entschlossenheit vorwärts.</p>
+
+<p>Die Sonne war hinter dichtere Wolken getreten; es war trübe und kühler
+geworden und die laublosen Gärten des Dorfes sahen nicht gerade
+erfreulich aus. Als sie eine Hecke entlang ging, um auf die Südseite
+zu kommen, wo ihr Haus stand, bemerkte sie in einem Garten eine
+Jugendfreundin, die ein Beet umhackte. Die Tritte der Vorübergehenden
+vernehmend, schaute diese auf und Christine erwartete einen Zuruf; aber
+er blieb aus. »Sie kennt mich nicht mehr,« dachte das Mädchen. »Nun,
+das ist ja natürlich!«</p>
+
+<p>An der kleinen Thüre, die von ihrem Garten auf den Fußweg hinaus
+führte, stand die Mutter. Sie hatte sich, von ihren eigenen Gefühlen
+einen Schluß ziehend, eben hier aufgestellt, um die Tochter zu
+erwarten. Christine ging rascher und gab ihr mit leis gesprochenem
+Gruße die Hand. Die Wittwe sah kummervoll und blaß aus, aber ihr
+Gesicht war nicht ohne eine Art von Würde. »O Christine!« rief sie mit
+gedämpfter Stimme — weiter nichts. Man konnte sie sehen und hören vom
+Haus oder Garten des Nachbars, und niemand sollte wahrnehmen, wie's ihr
+um's Herz war. — Sie führte die Tochter an der Hand durch den Garten
+in den kleinen Hofraum. Hier stand Hans. Er sah Christine an mit einem
+Gesicht, in welchem das Mitleid hinter tiefem Ernst verborgen war, und
+sagte ruhig: »Guten Abend, Christine!« Sie dankte, ohne ihn anzusehen,
+und ging mit der Mutter in's Haus.</p>
+
+<p>Als sie allein waren, öffnete die Mutter ihr Herz und ließ den Klagen,
+die sie bis jetzt zurückgepreßt hatte, freien Lauf. »Wer hätte das
+gedacht!« rief sie mit tiefer Betrübniß. »Wer hätte das diesem Menschen
+zugetraut! — Ich hab' gemeint, ich müss' umsinken vor Schrecken, wie
+ich deinen Brief gelesen hab'. Nicht glauben hab' ich wollen, was du
+geschrieben hast! Aber jetzt, wenn ich dich ansehe,<span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span> muß ich freilich
+alles glauben! — Du armes Mädchen,« setzte sie hinzu, indem sie die
+Tochter in zärtlichem Mitleid bei den Händen faßte, »so elend, so
+verfallen! — Das ist nun das Glück, das du gemacht hast! Das ist die
+Freude, die ich an meinem einzigen Kind erlebt hab'!« — Ihre Thränen
+flossen, das Schluchzen ließ sie nicht weiter reden. Christine tröstete
+sie und sagte: »Sei ruhig, Mutter! Laß dir's nicht so zu Herzen gehen!
+— Ich bin gesund und werde bald wieder aussehen wie sonst.« — »Ja,«
+entgegnete die Wittwe, »dein elendes Aussehen wird vergehen auf dem
+Land, aber die Schande wird dir bleiben. Was wird man von dir jetzt
+alles sagen im Dorf! Was werden wir uns gefallen lassen müssen! Das
+Unglück, das einem widerfährt, ist ja den Leuten nie groß genug, sie
+müssen's noch größer machen. Und wir, denen ohnehin so manches Feind
+ist im Dorf — was werden erst wir hören müssen! Ich trau' mir gar
+nimmer unter die Leute — ich schäme mich zu Tod!«</p>
+
+<p>Als die Tochter die von ihr überwundene Furcht an der Mutter sah, kam
+sie ihr in keiner Art würdig vor, und sie erwiederte mit Ernst: »Was
+die Leute sagen, liebe Mutter, ist mir einerlei, und dir kann's auch
+so sein. Eine Zeitlang wird man schmähen, dann kommt wieder etwas
+anderes auf, und wir sind vergessen. Und wenn man auch spottet über uns
+und uns ausrichtet — haben wir's nicht verdient? Ist uns mit unserm
+Hochhinauswollen nicht Recht geschehen? — Von <em class="gesperrt">der</em> Seite muß
+man die Sache auch betrachten. So oder so ist das Gerede der Leute
+gleichgültig. Wenn sie lügen über mich, so geht's mich nichts an,
+und wenn sie die Wahrheit sagen, muß ich's aushalten. Und am Ende —
+wenn's mir hier wirklich zu arg würde, giebt's nicht noch einen Dienst
+anderwärts? Man kann sich immer helfen, wenn man noch zu was gut ist in
+der Welt, und alles ist noch lang nicht verloren.«</p>
+
+<p>Diese gefaßte Sprache des Kindes that der Mutter wohl und flößte auch
+ihr wieder Trost und neuen Muth ein. Sie sah schweigend auf das blasse,
+aber feinere und vornehmere Gesicht und fühlte, daß ihre Tochter in
+der Stadt nicht nur verloren, sondern auch etwas gewonnen hatte. Ihre
+Mienen klärten sich auf und es war, als ob<span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span> sie etwas auf der Zunge
+hätte. Sie schwieg aber. Sie hatte, wie es schien, nicht den Muth zu
+sagen, was sie dachte.</p>
+
+<p>Als am andern Tag die große Neuigkeit in dem Dorf bekannt wurde, gab
+es freilich ein Geschrei, das dem, welches die Verlobung des Mädchens
+mit dem Lehrer hervorgerufen hatte, in keiner Weise nachstand. Im
+Gegentheil, die Ausrufungen waren jetzt noch leidenschaftlicher,
+das Gewunder größer und nachhaltiger, weil die Nachricht wirklich
+ganz unerwartet gekommen und wie ein Blitz aus wolkenlosem Himmel
+hernieder gefahren war. Welch ein Ohrenschmaus für die ehemaligen
+Mitbewerberinnen! Welch ein Triumph für diejenigen, die in ihrer
+sittlichen Entrüstung einen schlimmen Ausgang vorhergesagt hatten! —
+Die Partie der Weiber und Mädchen hatte gesiegt; das Schicksal hatte
+ihnen Recht gegeben. Und nun ließen sie's die jungen Bursche, die ihnen
+früher widersprochen hatten, gehörig empfinden und kosteten den Ruhm
+bewährter Prophetengabe von Grund aus. »Hab' ich's nicht gesagt? Hab'
+ich's nicht vorher gewußt? Du hast mit mir gestritten, aber nun siehst
+du, wer Recht gehabt hat. Mit Schand und Spott ist sie heimgekommen,
+die eitle Närrin! Und nun wird's aus sein mit ihrer Vornehmheit — aus
+für alle Zeit!«</p>
+
+<p>Die große Frage war nun: wie werden die Leute mit einander forthausen?
+Ist's denn möglich, daß sie beisammen bleiben? Und wenn sie's thun,
+was soll am Ende draus werden? — In einer zahlreichen Bauernfamilie,
+wo dieser Punkt beim Abendessen erörtert wurde, meinte der Oberknecht:
+»Am End' nimmt sie der Hans doch noch zum Weib.« — Da fuhr aber
+die älteste Tochter, die nicht zu den Schönsten gehörte und ihre
+Sechsundzwanzig hinter sich hatte, empört auf und rief: »Red nicht so
+dumm, alter »Gischpel«! Ein Mensch wie der Hans, der etwas hat und
+andere kriegen kann, wenn er will, der wird wohl eine nehmen, die ein
+halbes Jahr mit einem Schulmeister herumgefahren ist! Schäm dich! 'S
+ist sündlich, einem braven Burschen so was zuzutrauen!« — »No, no,«
+versetzte der in der That schon etwas bejahrte Knecht phlegmatisch
+lächelnd, »man kann nicht alles so genau nehmen, und 's hat sich schon
+gar manches noch g'macht in der Welt.« — »Und ich wett', was du
+willst,« erwiederte die erzürnte<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> Person, »er nimmt sie nicht mehr!« —
+»'S kann auch sein,« versetzte der Knecht. »Ich kenn' den Hans nicht so
+genau, daß ich weiß, was er in einem Jahr thun wird. Ich weiß nur, was
+ich thät' — und ich thät' sie nehmen, wenn sie mich möcht'.« — »Du!«
+entgegnete die Tochter des Hauses mit verächtlichem Blick, während die
+andern Ehehalten lachten und die Magd schließlich meinte: »Du wärst
+»net blöad« (blöde), Heiner! So eine könnt' dich aufrichten!«</p>
+
+<p>Einige Tage später, und die Frage, die so viele Zungen in Bewegung
+gesetzt hatte, war entschieden. Man erfuhr, die Christine sei in
+*** (einem zwei Stunden entfernten, westlich gelegenen Dorfe) beim
+Holzbauern in Dienst gegangen. Damit erhielt das Gerede einen Kehraus,
+der den bisherigen Lärm würdig abschloß. »Die Lehrersbraut eine
+Bauernmagd! Und bei dem, wo's noch keine auf die Läng' hat aushalten
+können! — bei dem gröbsten aller Menschen im ganzen Ries! Die hat's
+zu was gebracht, das muß man sagen! Die kann sich freuen!« — Zur Ehre
+des Dorfs muß ich übrigens bemerken, daß auch gar mancher die Sache von
+einer andern Seite ansah. Als ein ehrenhafter alter Bauer davon hörte,
+sagte er zu seiner Ehehälfte: »Wenn das in ihrem Kopf gewachsen ist,
+dann fang' ich wieder an etwas zu halten von dem Mädchen.«</p>
+
+<p>Allerdings war es in dem Kopf der Christine gewachsen, und zwar ging es
+so zu.</p>
+
+<p>Am andern Tage nach der Heimkehr ihrer Tochter hatte die Glauning schon
+einen großen Theil ihrer Ruhe und Besonnenheit wieder erlangt. Gedrückt
+war sie noch immer und traurig ging sie im Hause umher; aber ihr Geist
+richtete sich allmählig auf und überlegte, wie sie das Unglück, das sie
+betroffen hatte, wieder gut machen könne. Leute wie sie überreden sich
+leicht, daß sich alles auf eben die Art wieder ausgleichen lasse, die
+ihnen erfreulich dünkt. Als sie nun ihre Tochter in der Stube und Küche
+wieder arbeiten sah wie ehedem, als sie den Vetter mit ihr umgehen
+sah, wie wenn nichts vorgefallen und sie höchstens von einem längeren
+Besuch zurückgekehrt wäre, da beurtheilte sie die beiden nach sich und
+glaubte, alles könnte noch recht werden. Als erfahrene Frau mußte sie
+am besten wissen, was man alles zu thun habe, um in dieser Welt etwas
+zu erreichen; als Mutter<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> hatte sie die Pflicht, für ihre Tochter zu
+denken und zu sorgen. Die Scheu, die sie gestern noch gefühlt hatte,
+wich daher einer Entschließung.</p>
+
+<p>Nachmittags fing sie gegen Christine auf's neue an zu klagen und ihre
+Bekümmerniß auszusprechen; es geschah dieß aber in einem Ton, daß die
+Tochter gleich fühlte, der eigentliche Schmerz sei schon vorüber und
+eine ernstliche Tröstung nicht mehr vonnöthen. Sie entgegnete mit
+Ruhe, daß diese Reden jetzt zu nichts mehr führen könnten. Man müsse
+das Geschehene geschehen sein lassen und nicht mehr daran denken,
+dann werde vielleicht alles wieder besser in's Gleiche kommen, als
+man glaube. »Da kannst du auch Recht haben,« erwiederte die Mutter
+begütigt. Und nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: »Man glaubt oft,
+man müsse ein recht großes Glück machen und deßwegen ein kleineres,
+das einem entgegenkommt, verschmähen. Aber das große ist einem nicht
+bestimmt und bleibt aus; und wenn man das sieht und gescheidt ist,
+nimmt man das kleinere an und lebt auch zufrieden dabei.« — Christine
+sah ihre Mutter befremdet an: diese glaubte, sie müsse sich deutlicher
+erklären, und sagte: »Du hast Recht, Christine, alles kann wieder in's
+Gleiche gebracht werden, und du hast's in deiner Hand. Mir kannst du
+wohl glauben, denn ich versteh' mich darauf — der Hans hat dich noch
+immer gern! Er ist einer von den guten Menschen, die alles verzeihen
+und denen es nicht möglich ist, etwas nachzutragen. Wenn du dich wieder
+freundlich gegen ihn benehmen und ihm ein wenig schönthun wolltest, so
+bin ich überzeugt.« —</p>
+
+<p>Das Gesicht des Mädchens hatte sich während dieser Rede, nach dem
+ersten deutlichen Wort, mit tiefer Röthe bedeckt; jetzt funkelten
+ihre Augen und mit erzürnter Heftigkeit rief sie: »Red' nicht weiter,
+Mutter! — ich bitte dich! — Wenn der Hans mich jetzt noch nähme, so
+wär' er ein Tropf — der jämmerlichste Mensch, der auf Gottes Erdboden
+herumwandelt! Und wenn er's wäre und wenn er mich wollte, so möcht' ich
+<em class="gesperrt">ihn</em> nicht, weil ich ihn verachten würde! Pfui! wie kannst du an
+so etwas denken und einem ehrlichen Mädchen solche Vorschläge machen!«
+— Die Mutter war betroffen; sie faßte sich indeß wieder und sagte:
+»Nun, ich rathe dir nichts, als was gar manches<span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span> Mädchen schon gethan
+hat, die jetzt als Frau hoch in Ehren steht. Du kennst die Welt nicht.
+Ich bin deine Mutter, ich muß für dich sorgen, ich muß dich wieder
+auf den rechten Weg weisen —« — »Red nicht weiter,« rief Christine
+am ganzen Leibe zitternd, »oder es geschieht ein Unglück! — Noch ein
+Wort davon — und ich geh' fort und spring' in's Wasser!« — Die Alte
+starrte sie an. »Um Gotteswillen,« rief sie, »thu nur nicht gleich so
+wild! Ich hab' nur gemeint —« — »Du sollst nichts meinen, was eine
+Schande wäre für mich und für ihn. Glücklich sein muß man nicht in der
+Welt, aber seinen Charakter muß man behaupten und seine Ehre! Und das
+sag' ich dir jetzt: wenn du nochmal von dieser Sache anfängst, wenn du
+nur noch eine Sylbe davon sprichst, dann geh' ich aus deinem Haus und
+deiner Lebtag wirst du mich nicht wieder sehen!«</p>
+
+<p>Die Alte schwieg, seufzte tief und verließ die Stube. In ihrer
+Herzensangst ging sie in den Stall und traf dort den Vetter, der eben
+vom Felde heimgekommen war. Sie sah ihn traurig an und schüttelte
+den Kopf. Hans fragte, was ihr wäre, und sie erwiederte: »Ich bin
+betrübt über meine Tochter. Nicht nur daß sie unglücklich heimgekommen
+ist — sie ist auch bös heimgekommen. Wenn ich etwas sag' und ihr
+einen guten Rath geben will, fährt sie mich an wie rasend. Als ob
+ich eine Schlechtigkeit von ihr verlangte! Guter Gott, wer hätte das
+gedacht! Wer hätte geglaubt, daß ich noch so was erleben müßte!«
+Hans fragte, um was es sich denn eigentlich handle, und die Mutter,
+die ihr Herz erleichtern mußte, erzählte ihm den ganzen Auftritt
+mit Christine, indem sie nur in Bezug auf ihn die zu seiner Ehre
+nöthigen, schmeichelhaft klingenden Veränderungen anbrachte. Allein
+das fruchtete sehr wenig. Hans war bei ihrer Erzählung braunroth
+geworden und ein Blitz zuckte aus seinen Augen. Es kostete ihn Gewalt,
+den Zorn hinunterzudrücken, den er empfand; aber es gelang ihm und er
+entgegnete mit einer gewissen Ruhe: »Die Christine hat Recht gehabt.
+Mit uns beiden ist's aus. Je freundlicher sie gegen mich wäre, um so
+weniger möcht' ich sie, und Ihr würdet mich dann nicht lang mehr bei
+Euch sehen.« — Die Mutter sah ihn tief betroffen an und rief: »Kann's
+denn wahr sein! ist wirklich alle Lieb' vergangen in dir?« — »Alle,«
+erwiederte Hans mit<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> Nachdruck. »Und ich muß Euch nur sagen, Base, auch
+mir wär's lieb, wenn Ihr davon nicht mehr reden wolltet.« — »Ach,«
+rief die eben so von der Liebe des Hans wie von der Schönheit ihrer
+Tochter überzeugte Frau in ihrer Noth, »ich kann's nicht glauben, daß
+es dir ernst ist! Geh weiter! Mit der Zeit —« — Aber nun sah Hans,
+dem die Stirnader schwoll, mit einem Gesicht auf sie, daß sie schleunig
+rief: »Sei ruhig, sei ruhig! ich will nichts mehr sagen!« — Hans
+drehte ihr den Rücken zu und ging an eine Arbeit.</p>
+
+<p>Nun war die Reihe zu verzweifeln auch an die Alte gekommen. Wenn die
+Sachen so standen, dann war alles verloren; die letzte Hoffnung war
+ihr geraubt und die Schande, die auf sie herabgefallen war, blieb auf
+ihr sitzen. Ein ehrbarer, vermöglicher Mann, das fühlte sie, meldete
+sich jetzt schwerlich mehr um ihre Tochter. Einen armen Teufel, einen
+Liederlichen konnte sie nicht brauchen, um so weniger, als ihr Vermögen
+im letzten Jahr ohnehin eine ziemlich bedeutende Einbuße erlitten
+hatte. Und wenn auch einer von der Mittelgattung kam, war zu glauben,
+daß die »bockbeinige« Christine ihn nehmen würde? — Ihr ganzes Leben
+war verdorben, durch die Schlechtigkeit eines Menschen, dem sie getraut
+hatte. Sie konnte nichts dagegen thun, sie mußte ruhig dasitzen und
+alles über sich ergehen lassen, Schadenfreude, Spott und Verachtung. —
+Als sie sich das recht deutlich machte, stand ihre Seele, die vor allem
+auf eitler Ehre Glanz gerichtet war, Folterqualen aus. Sie weinte und
+wehklagte und rief zu wiederholtenmalen: »Warum muß denn <em class="gesperrt">mir's</em>
+grad so gehen? Warum muß denn ich grad so unglücklich sein?«</p>
+
+<p>Auf diese Fragen gab es eine Antwort, und auch das in moralischen
+Dingen nichts weniger als fein empfindende Weib kam endlich auf ihre
+Spur. Nach einer Weile des Zurückdenkens in die Vergangenheit sagte
+sie sich: »Ja, ja! — hätten wir nicht immer weiter getrachtet, wären
+wir beim Hans geblieben — hätt' ich selber das Maul aufgethan damals,
+wie ich's hätte thun können und müssen, dann wär' alles anders jetzt.
+Wir wären geachtet, wohlhabend und glücklich alle mit einander.« Und
+nun, in Noth und in Schaden und in der Erkenntniß ihrer Mitwirkung dazu
+klopfte auch bei ihr das Gewissen an. Es ging ein Licht auf in ihrem
+Kopf und ein Feuer durch<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> ihr Herz und sie rief: »Ich bin selber Schuld
+an meinem Jammer, ja ja, ich selber! — ich hab's nicht anders haben
+wollen!« — Sie stöhnte unter dem doppelten Druck des Unglücks und der
+eigenen Anklage, und nur in Thränen fand sie einige Erleichterung.</p>
+
+<p>Christine ließ sie weinen. Sie verrichtete die Arbeiten des Tags und
+schien für nichts anderes mehr Sinn zu haben. Hie und da sah sie zu
+der Betrübten auf; aber ihr Gesicht verrieth eher Befriedigung als
+Bedauern. Es war, als ob sie sagen wollte: »Fühl' es nur! Das kann dir
+nur gut sein, wie es mir gut gewesen ist!«</p>
+
+<p>Der Sonntag kam und brachte einen Besuch. Es war wieder eine Base
+(deren jede gestandene Person im Ries eine ungezählte Menge hat),
+zugleich mit der Glauning und mit Hans verwandt, eine Söldnersfrau aus
+dem Dorf des Holzbauern, die einem Hiesigen Zins bezahlt hatte. Nach
+geschehener Einweihung in das erlebte Unglück und der Empfangnahme von
+Worten des Bedauerns und Trostes kam die Rede auf die Angelegenheiten
+der Freundin, auf ihr Dorf und auf den genannten Bauern, der unter
+allen durch Reichthum, Verstand, Heftigkeit und Grobheit hervorragte.
+Frau Hubel (so hieß die Base) erzählte, daß dieser sonst so gescheidte
+Mann eben je älter, je ärger würde, daß er wieder eine Magd wegen einer
+kleinen Vergeßlichkeit ausgeschimpft habe »für's Vaterland,« daß die
+Magd ihm auch »ein rechtes Maul angehängt« habe und davon gelaufen sei.
+»Und nun,« setzte sie hinzu, »kann er sehen, wo er eine kriegt. Seit
+einem Jahr ist das die vierte, die er weggejagt hat, und schon ist
+eine Woche vorbei und noch immer hat er keine. Er kriegt auch keine,
+sag' ich, wenigstens keine ordentliche.« Christine, die der Erzählung
+aufmerksam zugehört hatte, erwiederte: »Doch, Base, er kriegt eine,
+und ich hoff' auch eine ordentliche.« — »Wen denn aber?« fragte die
+Base verwundert. — »Mich selber,« versetzte das Mädchen. »Ich will zu
+ihm gehen und mich anbieten, und ich hoff', er wird mich nicht wieder
+fortschicken. Gleich heute will ich mit Euch nach *** — Ihr werdet so
+gut sein, mich über Nacht zu behalten.«</p>
+
+<p>Man kann sich denken, welches Staunen diese Erklärung bei der Hubel,
+welchen Sturm sie bei der Mutter hervorrief. Aber alle Einwendungen und
+alle Vorstellungen, die man ihr machte, wurden beantwortet<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> und blieben
+fruchtlos. Das Mädchen sagte zuletzt: »Auf so eine Gelegenheit hab' ich
+gepaßt, und wenn ich sie jetzt nicht benutzen wollte, wär's eine Sünde.«</p>
+
+<p>In ihrer Aufregung suchte die Alte wieder den Hans auf, theilte ihm ihr
+Leid mit und rief: »Nun, was sagst du dazu? Was hältst du von diesem
+neuen Einfall?« — Hans bemerkte ruhig: »Ich find' ihn ganz vernünftig.
+Wir haben hier nicht auf sie gerechnet und brauchen sie nicht. Da
+sie aber doch schwerlich mehr in die Stadt heirathet, so wird's gut
+sein für sie, wenn sie die Bauernarbeit wieder recht lernt; und beim
+Holzbauern ist sie in der besten Schule.« — »Aber denk nur,« rief die
+Glauning, »dieser jähzornige Mensch, der nach niemand was fragt! Wenn
+er in seiner Wuth ist, wird er sie herstellen vor allen Leuten wie ein
+Bettelmädchen!« — »Bah,« versetzte Hans, »so arg ist's nicht! Und am
+Ende,« setzte er lächelnd hinzu, »kann's ihr nicht schaden, wenn sie
+ein bischen unter die Fuchtel genommen wird.«</p>
+
+<p>Frau Glauning schüttelte bedeutend den Kopf, kehrte seufzend zurück
+und hatte keine Widerrede mehr. Christine packte Wäsche und Kleider
+zusammen und verließ gegen Abend mit der Base das Haus.</p>
+
+<p>Am andern Morgen ging sie in den großen, stattlichen Hof des
+Holzbauern. Sie traf diesen vor dem Haus und eröffnete ihm ihr Begehr.
+Der Bauer, hochgewachsen, breitschultrig, von rothbraunem Gesicht und
+mit dem Gebiß eines Wolfs, schien von ihrem Aussehen nicht sehr erbaut
+zu sein und fragte, wer sie wäre. Christine nannte ihren Namen und
+ihr Dorf. »So,« erwiederte er mit verdrießlicher Geringschätzung, »du
+bist die? Hab' vorgestern von der Geschichte gehört. — Nun, und du
+glaubst, du könnt'st wieder eine Bauernmagd abgeben?« — »Ich hoff's,
+Herr Bosch,« antwortete Christine dem Manne, der schon zweimal an der
+Spitze seiner Gemeinde gestanden hatte. — »Verstehst du denn die
+Arbeiten noch?« — »Was man von Jugend auf getrieben hat, verlernt man
+nicht in einem Winter.« — »Kommt darauf an,« erwiederte der Bauer. Und
+ihre Hand fassend und betrachtend sagte er: »Das Händle da scheint mir
+die Arbeit schon recht verg'wöhnt zu haben.« Er drehte sie hin und her
+und schüttelte mürrisch den Kopf. Das Mädchen konnte nicht umhin zu<span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span>
+lächeln. Ihre Hand, die man in der Stadt zu groß gefunden hatte, sollte
+nun wohl zu klein und zu fein sein. In der des Holzbauers war sie
+freilich klein; aber das war auch eine darnach, nicht sowohl eine Hand,
+als eine »Doap« erster Größe. — Doch sie mußte antworten und sagte
+so ernsthaft als möglich: »Die Hand da wird so viel schaffen als eine
+andere, und bei Euch, glaub' ich, wird sie bald wieder gröber werden.
+Uebrigens will ich mich Euch nicht aufnöthigen. Wenn Ihr mich wollt,
+so versucht's mit mir; steh ich Euch nicht an, so sagt's, und ich geh
+meiner Wege.« — Die entschlossene Sprache gefiel dem Holzbauern, der
+ohnehin nicht gemeint war, ein Mädchen, das er so nothwendig brauchte,
+wieder gehen zu lassen. »Der Teufel!« sagte er, »dein Maul geht ja wie
+ein Mühlrad. — Nun, probiren will ich's mit dir. — Viel trau ich dir
+nicht zu, das muß ich dir aufrichtig sagen; aber am End' — No, so komm
+'rein zur Bäuerin', da wollen wir den Handel richtig machen.«</p>
+
+<p>Christine ging mit ihm in's Haus, bestand die Prüfung auch der würdigen
+Ehehälfte des Gewaltigen und war gedungen. Als sie, dem ersten Befehl
+gehorchend, die Stube verlassen hatte, sagte die Bäuerin: »Eigentlich
+ist das doch »a rechts Häa'le« (Hühnchen)! Ich glaub' nicht, daß wir
+die lang haben werden.« — »Wenn's ihr nicht gefällt bei uns,« brummte
+der Bauer, »dann kann sie meinethalben wieder zum Teufel gehen!«</p>
+
+<h3>VII.</h3>
+
+<p>Nachdem die Fluth der Ereignisse, wie wir sie im letzten Kapitel
+zu schildern versuchten, abgelaufen war, trat in dem Leben unserer
+Personen eine Ebbe ein, die für sie wohlthuend und nöthig war, uns aber
+als geschichtslose Epoche wenig zu sagen bietet. Das Außerordentliche
+hatte für jetzt ein Ende gefunden und alles ging seinen gewöhnlichen
+Gang. Hier und dort wurden die Arbeiten des Frühlings die Hauptsache,
+und hier und dort sah man seine persönlichen Angelegenheiten durch sie
+in den Hintergrund gedrängt.</p>
+
+<p>Von dem Frieden, den eine solche Epoche mit sich bringt, genoß übrigens
+am wenigsten die Wittwe Glauning. Sie mußte zugeben,<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> daß unter den
+obwaltenden Verhältnissen das Dienen ihrer Tochter eine Auskunft
+war; aber den gewaltigen Sprung von der Lehrersbraut und künftigen
+Oberlehrerin zur Bauernmagd konnte sie nicht verwinden, und es war ihr
+eine ängstliche Sache, das Mädchen, die ihre einzige Freude war, bei
+dem »Wilden,« d. h. beim Holzbauern zu wissen und sich vorzustellen,
+wie er sie anfahren und heruntermachen werde.</p>
+
+<p>Zu der Plage, die sie sich mit ihren Gedanken selber anthat, gesellte
+sich noch eine andere. Das Schicksal der Christine war zu merkwürdig,
+zu seltsam, als daß in den guten Freundinnen der Mutter und der Tochter
+sich nicht ein unwiderstehliches Verlangen hätte regen sollen, das
+Nähere darüber zu erfahren. In den Stunden der Muße kam nun eine
+um die andere angeschlichen, und den Versicherungen der Theilnahme
+folgten regelmäßig Fragen, welche die gute Frau sehr inkommodirten. Sie
+erklärte zwar die Vorgänge durchaus zur Ehre ihrer Tochter; aber was
+half das? Ein Gesicht wie beim Erzählen eines glücklichen Ereignisses
+konnte sie doch nicht machen. Und wenn die Freundinnen Christine lobten
+und hinzufügten: das hätten sie an ihrer Stelle auch gethan, und sie
+hätte sich benommen wie ein rechtes Mädchen, so klang dies in den Ohren
+der Mutter lange nicht so gut, als die Ausrufungen und Gratulationen
+geklungen hätten beim Verkündigen der Nachricht: ihre Tochter sei Frau
+Lehrerin. — Und wenn gar erst eine von der schlimmen Sorte kam und
+ein ungläubiges Gesicht machte und eine gewisse Schadenfreude nicht
+verbergen konnte und von den unschuldigen Fragen zu den spitzigen
+überging, da wurde die Situation der ehrgeizigen Mutter höchst fatal.
+Sie konnte nur mit Mühe die Ungeduld ihres Herzens bemeistern; ein
+paarmal, gegenüber von besonders Zudringlichen, gelang ihr dies nicht
+und sie mußte sich mit entschieden unhöflichen Antworten helfen. Damit
+gewann sie aber nichts; die Weiber entschuldigten sich heuchlerisch und
+lächelten dabei noch viel beglückter als vorher.</p>
+
+<p>Doch die Zeit verging, das Mißgeschick der Familie wurde altmodisch, in
+einem Bauernhause des Orts gab es ein Aergerniß, das bedeutend von sich
+reden machte, obwohl es lange nicht so außerordentlicher Natur war,
+und die Glauning bekam endlich Ruhe. —<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> Christine hatte schon zweimal
+Grüße geschickt und der Mutter zuletzt noch herunter »verbieten«
+(entbieten) lassen: sie sei gesund und es gehe ihr gut; der Holzbauer
+wäre nicht so bös, als man ihn mache, zum wenigsten meine er's nicht so
+bös, und ihr selber sei alles recht bei ihm. Diese Nachrichten trugen
+dazu bei, das Herz der Mutter zu beschwichtigen, so daß sie hie und
+da sogar wieder behagliche Stunden hatte. Sie wußte freilich nicht,
+was aus ihr und ihrer Tochter werden sollte. Sie wußte nicht, ob Hans
+gesonnen war, bei ihr zu bleiben, oder was er sonst im Sinn hatte.
+Der sonderbare Mensch arbeitete weiter, als ob er der Sohn des Hauses
+wäre. Er hatte von dem Ankauf des Gutes nicht mehr gesprochen, sagte
+überhaupt sehr wenig und wollte offenbar nicht gefragt werden. Aber
+konnte er nicht jeden Augenblick zu ihr kommen und sagen: er hätte
+nun eine gefunden, die ihm passe, er wolle heirathen und müsse nun
+entweder sein Geld oder das Gut haben? Diese Unsicherheit der Zukunft
+hatte nichts Tröstliches, aber vor der Hand war dem Herzen doch eine
+wirkliche Last abgenommen, und ein's in's andere gerechnet, konnte
+man sich in sein Schicksal ergeben. Die Wittwe nahm sich ein Beispiel
+an dem Vetter, und so hauste man zusammen weiter und ließ es, auf gut
+deutsch und auf gut ländlich, gehen, wie's eben ging.</p>
+
+<p>An einem Sonntag in der zweiten Hälfte des Mai kam unerwartet eine
+Einkehr, in der Person der Base Hubel. Diese gehörte zu den Weibern,
+die gerne Neuigkeiten einsammeln und verbreiten, und deswegen auch
+öfter über Land gehen, wenn sie gerade Zeit und dem Mann gegenüber
+einen Vorwand haben. Diesmal hatte sie im Dorf eigentlich nichts zu
+thun; sie wollte nur erzählen und hören, und sehen, wie's bei der
+Glauning stehe. Zunächst richtete sie recht schöne Grüße von Christine
+aus. Auf Befragen der Mutter, was diese mache und wie ihr das Dienen
+anschlage, legte sie ihr Gesicht in bedenkliche Falten und bemerkte:
+»Ja, da wär' viel zu sagen! 'S geht ihr eben recht hart bei dem
+Menschen, recht hart!« — »So?« erwiederte die Mutter. »Aber sie hat
+mir ja sagen lassen, sie sei wohl zufrieden?« — »Ja seht, Base, das
+ist eben zum Verwundern. Sie selbst thut, als ob ihr nichts zuviel und
+alles recht wär'. Sie schafft mehr als die andern, und besser. Aber
+anstatt nun ein Einsehn zu<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> haben und sie zu schonen, verlangt der
+alte Bär immer mehr von ihr, und wenn sie »in der Acht« (unversehens)
+ein kleines Fehlerle gemacht hat, schnurrt er sie an. 'S ist grad,
+als wenn der Teufel in ihn gefahren wär'! Eine andere wär' schon lang
+davongelaufen. Aber wenn die Christine noch so meint, es müßt' sein,
+sie wird doch auch nicht bleiben können: sie macht's nicht aus auf
+die Läng'.« — »Du lieber Gott!« rief die Mutter, »was sind das für
+Sachen! Aber wie steht's denn mit ihrer Gesundheit? Wie sieht sie denn
+aus dabei?« — »Wie wird sie aussehen, Base! Wie man eben aussieht,
+wenn man alles thun muß! Mager ist sie und »schwarz« (braun) und
+gelb im Gesicht.« — »Meine Christine!« rief die Alte, wie von einer
+Schlange gebissen. »Aber das kann so nicht fortgehen, sie kann's
+nicht aushalten, und ich darf's nicht leiden.« — »Das hab' ich ihr
+auch gesagt, erst heut früh noch. Mädle, hab' ich gesagt, das kannst
+du nicht prästiren, du bist's nicht gewohnt und du schaffst dir die
+Schwindsucht an den Hals. Wenn du deinen Sinn nicht ändern und mit
+Gewalt dienen willst, so such dir wenigstens einen andern Platz; 's
+giebt ja bessere. Aber was hat sie mir darauf gesagt? Grad <em class="gesperrt">der</em>
+Platz ist mir recht und grad da will ich bleiben!«</p>
+
+<p>»Da seh eins den eigensinnigen Kopf! Guter Gott! 's ist ja grad, als
+ob sie sich expreß zu Grund richten wollte?« Und die unglückliche
+Mutter wendete sich zu dem Vetter, der am Ofen »Speikel« schnitzte
+zum Festmachen einer Hacke am Stiel, und rief: »Nun, Hans, was sagst
+denn du zu der Neuigkeit? Soll ich das dulden? Ist's nicht meine
+Schuldigkeit, sie mit Gewalt von dem Menschen wegzubringen?« — »Base,«
+erwiederte Hans nach kurzem Besinnen, »Ihr wißt, daß ich nicht gern in
+anderer Leut' Sachen rede; aber weil Ihr mich gefragt habt, will ich
+Euch doch meine Meinung sagen. Daß man sich die Schwindsucht an den
+Hals ärgert, mag sein, zum wenigsten sagt man so; aber daß man sie sich
+an den Hals schafft, hab' ich noch nie gehört. Ich glaub' auch nicht,
+daß es mit dem Aussehen der Christine grad so arg ist, wie's die Bas
+Hubel macht. Die Bas red't manchmal gern ein Bischen mehr, als an der
+Sach' ist; und natürlich, wenn man über zwei Stunden Wegs macht, um
+etwas zu erzählen, so muß es doch auch der Müh' werth sein.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span></p>
+
+<p>Hier verzog die Hubel bedeutend die Oberlippe; Hans aber, ohne sich
+daran zu kehren, fuhr fort: »Runde und rothe Backen muß man grad nicht
+haben, sonst wär's bös für viele Leut' in der Welt. Im Uebrigen ist
+die Christine ein Mädchen, die ihren Verstand hat und selber am besten
+wissen muß, was sie vertragen kann; ich mein' also, daß Ihr sie lassen
+sollt, wo sie bleiben will.« — »Geh weiter!« rief die Hubel, »du bist
+mir auch der rechte geworden! Wenn das die Christine hörte, daß du dich
+jetzt so gar nichts mehr um sie bekümmerst, dann thät' sie's kränken,
+recht in der Seel' kränken, das kann ich dir sagen.« — »Ich glaub's
+nicht,« erwiederte Hans, der unterdessen aufgestanden war; »übrigens
+müßt' ich's mir gefallen lassen, ich kann mich nicht anders machen, als
+ich bin.« — Dann verließ er die Stube und hämmerte draußen die Speikel
+ein. Die beiden Weiber sahen sich an und schüttelten den Kopf. »Wer
+hätte das geglaubt?« rief die Hubel. Und die Glauning jammerte: »Alle
+sind verhext! Ist das ein Elend!«</p>
+
+<p>Manches wurde noch hin und her geredet. Endlich rüstete sich die Base
+zum Aufbruch und fragte, was sie der Christine sagen solle. »Sie soll
+sich schonen,« rief die Glauning eifrig; »und wenn ihr's der »Unmassel«
+zu arg macht, soll sie zu ihrer Mutter kommen. Das sag ihr!« — »Sagen
+will ich ihr's,« versetzte die Base; »aber ich sorg', es wird nichts
+helfen.«</p>
+
+<p>Und es half nichts. Christine hörte es, dankte der Base — und blieb.
+Gelegentlich ließ sie der Mutter sagen: sie werde das Schaffen immer
+mehr gewöhnt, und man solle doch ja keine Sorge haben um sie.</p>
+
+<p>Mehrere Wochen gingen vorüber. Die Glauning war wieder ruhiger
+geworden, da sie nichts Besonderes von ihrer Tochter erfuhr, und ihr
+Herz hatte sich wieder einigermaßen der Lebensfreude geöffnet. Nun
+brachte aber das Schicksal eine andere, stärkere Prüfung an sie. An
+einem Sonntag in der Heuernte kam ein Besuch von ***, der sich mit
+einem Gruß der Hubel einführte. Es war eine Nachbarin derselben, etwas
+verwandt mit ihr, weswegen sie auch die Glauning sofort mit dem Titel
+Frau Base anredete. Als die letztere nach den ersten Höflichkeiten
+und nachdem sie ein gutes »Vorbrod« auf den<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> Tisch gesetzt hatte,
+die Frau genauer ansah, merkte sie an einer gewissen bedenklichen
+Ernsthaftigkeit derselben alsbald, daß sie etwas Neues bringen werde
+von Christine, aber nichts Gutes. Sie erkundigte sich etwas kleinlaut,
+was ihre Tochter mache, und ob sie's noch aushalte in ihrem Dienst.
+»Noch immer, Frau Base,« war die Antwort; »aber ich kann's Euch wohl
+sagen, 's wundert sich alle Welt drüber.« — »Wie so?« fragte die
+Glauning; »wird sie noch alleweil so hart gehalten?« — »Frau Bas,«
+erwiederte die Andere, »ich hätt' mir nicht getraut zu erzählen, was
+vorgefallen ist; aber die Bas Hubel hat gesagt, weil ich hier grad
+etwas zu thun hätt', sollt' ich zu Euch gehen und Mittheilung machen,
+denn Ihr müßtet's wissen.« — »Guter Gott,« rief die Mutter, »was werd'
+ich wieder hören müssen!«</p>
+
+<p>Und die Andere begann: »Wie Eure Christine, die's doch wahrhaftig
+nicht nöthig hätt', alles thun muß beim Holzbauern, wie er ihr mehr
+aufhängt als andern, und wie sie auch wirklich mehr schafft als andere,
+das wißt Ihr schon; 's ist zum Verstaunen! Da ist nun »vodertags«
+(vorgestern) zum »Häat« (Heuernte) schön's Wetter kommen, und der
+Bauer ist wieder gewesen wie der »Massich« und hat gemeint, alles
+müss' auf einmal drin sein. Er hat gethan und gewirthschaftet auf der
+Wies, daß »a Graus« gewesen ist. Am Himmel ist a Wölkle gestanden,
+ganz klein und unscheinbar; aber er hat doch gesehen, das könnt' ein
+Wetter geben, denn gescheidt ist er, das muß man ihm lassen. Wie nun
+ein Fuder heimgefahren und die Christine mitgegangen ist zum Abladen,
+hat er ihr noch nachgerufen, sie sollt' des Nachbars Wagen »verdleihen«
+(entlehnen) und rausschicken. Nun, wie's einem eben geht — entweder
+hat sie's nicht recht verstanden oder sie hat's vergessen — du lieber
+Gott, was passirt einem nicht in der Unmuß', wenn alles auf einen
+hineinschreit? Die Bäuerin hat auch noch schnell was haben wollen von
+ihr, und wenn die red't, muß auch gleich alles laufen und springen;
+kurz, der Bauer wartet und der Wagen bleibt aus, aber das Wetter kommt
+am Himmel rauf. Da hättet Ihr den Mann sehen sollen! Reingelaufen
+ist er wie »wüadeng« (wüthend), und wie er erst vom Nachbar gehört
+hat, daß der Wagen gar nicht bestellt worden ist, da ist's gar aus
+gewesen. Herrgott, Frau Bas, wie hat der die Christine hergestellt!
+Ich bin grad am Hof<span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span> vorbei gegangen und stehen geblieben; mein Lebtag
+hab' ich keinen Menschen so lästern hören. »Du dummes Thier! Du
+einfältiger Mensch! Bist »do'sohrad« (taub), he'! oder denkst an dein'
+Schulmeister, wann ich was sag'? Ich hätt' n' guten Lust und nähm' die
+Karbatsch und thät' dir die Gedanken austreiben, daß sie deiner Lebtag
+nimmer kommen.« — Ach, Frau Bas, ich will nicht sagen, was er alles
+noch geschrieen hat. 'S ist so arg gewesen, daß die andern Ehehalten
+ganz blaß dagestanden sind und ordentlich verstarrt, und zuletzt auch
+die Bäuerin gerufen hat: »Jetzt sei still einmal und schäm dich vor den
+Leuten. Geschehen ist geschehen!««</p>
+
+<p>Die Mutter war bei den Schimpfreden, womit ihr Kind befleckt
+worden, von der Bank aufgesprungen mit einer Miene, als ob sie
+das Schrecklichste vernommen hätte, und sogar die uns bekannte
+pflanzenruhige Taglöhnerin, die hinter dem Ofen gestrickt hatte,
+war herbeigeeilt. »Das ist meiner Tochter passirt?«, rief die Alte
+zitternd vor Entrüstung, »<em class="gesperrt">meiner</em> Christine? und sie hat dem
+Schandmenschen nicht augenblicklich den Dienst gekündigt und ist auf
+und davon gegangen?« — »Jede andere hätte das gethan,« versetzte
+das Weib, »keine hätte sich das gefallen lassen.« — »Ich wahrhaftig
+auch nicht,« rief die Taglöhnerin, deren Backen sich gefärbt hatten,
+ordentlich aufgebracht. — »Die Christine,« fuhr die Erzählerin fort,
+»hat sich's gefallen lassen und ist geblieben. Zuerst ist sie bestürzt
+gewesen und hat ihn mit großen Augen angesehen. Je mehr er aber
+gewüthet hat, je ruhiger ist sie geworden; und wie er endlich aufgehört
+hat, weil ihm ganz der Schnaufer ausgegangen ist, da hat sie gesagt:
+»Herr Bosch, ich seh's ein, ich hab' gefehlt. Verzeiht mir's — es soll
+nimmer geschehen.«« — Die Glauning war empört. »Das hat meine Tochter
+gesagt?« rief sie. »Mit der muß was vorgegangen sein. Es ist nicht
+anders möglich — bei der ist's nicht mehr richtig im Kopf!«</p>
+
+<p>Das Gesetz der Schwere, wie man weiß, gilt in der geistigen Sphäre so
+gut wie in der materiellen. Die Schwäche gravitirt nach der Stärke; wer
+außer sich ist, strebt zu dem Festen und Gefaßten hin und klammert sich
+an ihn an, und zwar zunächst ganz instinktmäßig, ohne alle Reflexion
+und trotz aller Anprallungserfahrungen,<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> die man gemacht hat. — Diesem
+Instinkt zufolge suchte die Glauning den Vetter auf; sie traf ihn im
+»Emmenstand« und erzählte ihm die Geschichte. Der Bursche horchte mit
+großem Ernst und die Mutter, die hierin Uebereinstimmung mit ihren
+Gedanken erblickte, schloß mit den Worten: »Nun wirst du mir doch
+Recht geben, wenn ich's nicht mehr leide, daß sie noch länger bei dem
+Menschen dient? Gleich morgen in der Früh' geh ich hin und nehm' sie
+mit nach Haus.« — Hans, nach kurzem Schweigen, versetzte: »Wenn sie
+nun aber nicht mitgeht?« — »Nicht mitgehen?« rief die Mutter. »Das
+will ich doch sehen, ob ich über mein Kind keine Gewalt mehr hab'.
+Sie <em class="gesperrt">muß</em> mit!« — »Base,« fuhr Hans fort, »übereilt Euch nicht
+und macht überhaupt die Sache nicht ärger als sie ist. Wenn man Heu
+hereinbringen will und durch den Fehler eines Dienstboten wird's
+verregnet, so ist das für einen Bauern eine sehr ärgerliche Sach'. Der
+Christine hat was gehört, und wenn der Bosch es ihr nicht geschenkt
+hat, so ist das begreiflich.« — »Aber so rasend, so abscheulich thun«
+— — »Das will ich gar nicht loben,« versetzte Hans. »Aber kennt man
+den Holzbauern denn nicht? Wenn der zornig wird, ist's grad, wie wenn
+ein Wetter ausbricht. 'S geht nicht anders, es muß raus aus ihm, er
+kann sich nicht anders helfen, und darum kann man's ihm auch nicht so
+übel nehmen wie andern Leuten. Das wird sich die Christine wohl auch
+gedacht haben und drum ist sie geblieben.« — »In einem Haus, wo man
+einen so schandbar behandelt hat,« erwiederte die Glauning mit dem
+Ausdruck der Entrüstung und Geringschätzung, »da bleibt man nicht mehr,
+wenn man ein ordentliches Mädchen ist. Und die da, die zu mir gesagt
+hat, daß man vor allem seinen Charakter und seine Ehr' behaupten müss'
+in der Welt — die will sich so was gefallen lassen!« — »Sie wird eben
+unter Charakter und Ehr' etwas anderes verstehen, als Ihr, Base.« —
+»Meinetwegen!« rief die Mutter, erzürnt darüber, den Burschen gegen
+ihr Vermuthen auch diesmal im Widerspruch mit sich zu finden. »Ich
+leid's einmal nicht, daß sie noch dort bleibt. Und ich geh hin und hol'
+sie und mit Gewalt nehm' ich sie mit mir!« — »Ihr kennt Eure eigene
+Tochter nicht,« rief Hans mit Nachdruck. »Ich sag' Euch, sie geht nicht
+mit Euch!« — »Das wird sich zeigen, — ich<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> thu's nicht anders und
+setz' alles in Bewegung.« — »Dann, Frau Base,« rief Hans mit strengem
+Gesicht, »dann macht Ihr einen thörichten Streich und kommt doch nicht
+zu Eurem Zweck. Die Christine, das könnt Ihr nun wohl sehen, hat sich
+was in den Kopf gesetzt und läßt sich nicht davon abbringen; und ich
+für meine Person, ich denk', ich kann's errathen. — Bah,« fuhr er mit
+einem eigenen Lächeln fort, »an einem Schimpfwort stirbt man nicht —
+namentlich wenn man nicht ohne Schuld ist, und je mehr man aushalten
+lernt, desto besser ist's.« — »Aushalten!« rief die Glauning; »Schande
+soll niemand aushalten.« Aber nun wurde Hans aufgebracht. »Base,« rief
+er, »ich will Euch meine Meinung rund heraus sagen. Ihr seid eine eitle
+Mutter und wollt nichts als Ehr' haben und flattirt sein und prangen
+mit Eurer Tochter. Euer Prangen ist Euch aber schlecht bekommen bis
+jetzt. Wer weiß, wer weiß, ob nicht Euch so gut als Eurer Tochter die
+Schande gesünder ist.«</p>
+
+<p>Die Alte war von diesen Worten getroffen — und entwaffnet. Sie ging
+niedergebeugt ins Haus zurück und sagte zu sich selber: »Der ist nun
+auch ein Satan geworden. — O ich unglückliche Mutter!« — Als die
+neue Base Abschied nahm, erhielt sie keinen andern Auftrag, als der
+Christine zu sagen, sie solle doch ja heimkommen oder in einen andern
+Dienst gehen und nicht mehr bei dem Menschen bleiben; es wär' ja ein
+Schimpf und eine Schande für die ganze Freundschaft.</p>
+
+<p>Die Mahnung hatte aber denselben Erfolg wie die erste. Christine blieb
+und ließ bei Gelegenheit herunter sagen, es sei Alles wieder in Ordnung
+und Alles vergessen.</p>
+
+<p>Mit der Satanschaft, welche die Glauning dem Vetter beilegte, war es
+freilich nicht weit her. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, die Leser
+nun ein wenig mehr in das Herz des Burschen blicken zu lassen, damit
+sie das Verhalten desselben vollständiger begreifen und würdigen können.</p>
+
+<p>Hatte die Natur den Hans nicht zu einem Satan bestimmt, so war er doch
+eben so wenig zu einem sogenannten »guten Menschen« geschaffen, d.
+h. zu einem, der aus Schwäche gegen andere und ihre Prätensionen die
+Pflichten verletzt, die er gegen sich selber hat. Unser<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> Freund sollte
+werden, was man auf dem Land einen rechten Mann — einen Ehrenmann
+nennt. Zu einem solchen gehört die Güte und die Großmuth, die in seinem
+Wesen lag, als nothwendiges Element, aber eine Güte und eine Großmuth,
+die weiß, was sie will, und sich nicht beikommen läßt, mit ihren
+Vorzügen den eiteln Trieben der Welt zu dienen. Die Lehre, die ihm
+das Schicksal gegeben, war nicht fruchtlos geblieben; er hatte etwas
+profitirt von seinem Leid und sich ein Benehmen vorgezeichnet, das er
+streng einhalten wollte. Er hatte sich vorgenommen, sich selbst höher
+zu achten, nicht zu thun, was andere, sondern was er selber für gut
+ansah, und den größten Schatz, den er besaß, nimmermehr an ein Wesen zu
+verschleudern, das seiner nicht werth war.</p>
+
+<p>Als die Glauning ihm den Brief mittheilte, worin Christine das
+Auseinanderkommen mit Forstner meldete, war er zuerst hoch überrascht;
+denn auch er hatte an einen solchen Ausgang nicht mehr gedacht. Das
+Benehmen und die Ausdrücke des Mädchens gefielen ihm; er freute
+sich, daß sie den Menschen, dem er freilich nie recht getraut, nach
+Verdienst behandelt habe; er freute sich an ihrem Stolz und daß sie
+sich achtungswerther zeigte, als er von ihr erwartet. Zugleich hatte
+er aber ein Gefühl der Genugthuung, und er unterdrückte es nicht. Sie
+war gestraft — er gerechtfertigt. Sie hatte erfahren, wie viel mehr
+ein braves Herz werth ist, als ein glattes Gesicht, und das war ihr gut
+und heilsam. Sie hatte das Schicksal, das sie gewollt — sie mußte es
+hinnehmen.</p>
+
+<p>Die Rückkehr des Mädchens änderte seine Empfindung in etwas, aber nicht
+in der Hauptsache. Ihr Aussehen, die Folge der erduldeten Krankheit,
+regte sein Mitleid an; er fühlte, wie es ihr zu Muthe sein mußte, und
+bedauerte sie von Herzen. Indem er überlegte, wie er sich gegen sie
+benehmen sollte, hielt er es in jeder Hinsicht für das Beste, sie
+mit Fragen ganz zu verschonen und zu thun, als ob nichts vorgefallen
+wäre. In seinem Herzen mußte freilich auch er sich fragen: was soll
+aus ihr werden? was soll am Ende aus uns allen werden? Er fühlte das
+Bedenkliche und Aengstliche des gegenwärtigen Zusammenlebens und dachte
+darüber nach, wie es allenfalls geändert werden könnte. Aber die
+Auskunft, die andern eingefallen war und die in<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> jenem Bauernhause den
+Streit zwischen Knecht und Tochter hervorgerufen hatte, stellte sich
+nicht einmal als Möglichkeit vor seine Seele. Ein Mädchen aus Mitleid
+zu heirathen und gar die Untreue zu belohnen mit dem Besten, was er
+hatte, das war nicht die Sache unseres Burschen. — Er konnte vergeben
+und vergessen, er konnte Freund und Vetter sein, er konnte Hülfe
+leisten und Wohlthaten erzeigen; aber Christine zum Weib zu nehmen,
+wär' ihm jetzt nicht eingefallen, auch wenn er sie noch geliebt hätte.
+Er verlangte von der Seinen, daß sie ihm in Lieb' und Treue anhänglich
+sei und ihn zu schätzen wisse nach Verdienst. Und wenn er auch aus der
+Noth eine Tugend machte, wenn er eine nahm, die er selber nicht liebte,
+wie er Christine geliebt hatte, dann mußte es doch eine sein, die ihn
+gern und an ihm ihre Freude hatte und die ihn höher achtete, als jeden
+andern in der Welt.</p>
+
+<p>Daß ihn bei dieser Gesinnung die Erzählung der Mutter von ihrem Streit
+mit der Tochter, d. h. die Ansicht und die Hoffnung der Alten selbst,
+wie verzuckert sie ihm präsentirt wurde, empören mußte, leuchtet ein.
+Er empfand eine solche Wuth in seinem Herzen, noch einmal für den
+Gutgenug gehalten zu werden, daß er ein ungewöhnliches Zucken in seiner
+Rechten verspürte und die größte Anstrengung nöthig hatte, gegen die
+»dumm unverschämte Zumuthung« nicht loszuplatzen. Dagegen was ihm von
+den Reden der Christine mitgetheilt wurde, gefiel ihm und er freute
+sich ihrer »Einsicht.«</p>
+
+<p>Seinen ganzen Beifall hatte der Entschluß des Mädchens, als Magd zu
+dienen. Die Fragen, die ihn belästigten, fanden damit ihre Erledigung
+und das gegenwärtige bängliche Beisammensein ein Ende. Er mußte sich
+sagen, daß in Christine doch ein Geist wohne, der nach mehr aussehe,
+als er ihr bisher zugetraut hatte. Es war ihm recht, daß sie gerade zum
+Holzbauern kam, und er rechnete es ihr als Tugend an, daß sie ihn nicht
+scheute. »Bei dem,« sagte er zu sich selber, »ist sie am rechten Platz,
+um das Frauenzimmer ganz wegzucuriren und wieder etwas nutz zu werden
+für das Dorf.«</p>
+
+<p>Die Berichte, die nach einander von den zwei Basen gemacht wurden,
+konnten seine Achtung vor ihr nur erhöhen und seinen innerlichen
+Beifall nur verstärken. Er überzeugte sich, daß Christine einen<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span>
+Zweck habe, so zu handeln, und er glaubte ihn zu kennen. Da es nun
+gerade nicht nöthig ist, Philosoph oder Theolog zu sein, um zu wissen,
+daß eine unter gewissen Umständen, mit Fleiß und aus guten Gründen
+erduldete Beschimpfung keine Schande, sondern vielmehr Ehre bringt; da
+es zu dieser Einsicht genügt, nur kein Geck zu sein und das Herz auf
+dem rechten Fleck zu haben, so konnte Hans auch bei der zweiten Meldung
+nicht mit der Entrüstung und dem Lamento seiner Base harmoniren.
+Nachdem er dieser seine Meinung gesagt und in der Einsamkeit das
+Vernommene wieder überdacht hatte, rief er im Gegentheil zufrieden für
+sich hin: »Bravo!«</p>
+
+<p>Man würde unsern Freund mißverstehen und ihm Unrecht thun, wenn man
+glauben wollte, die Achtung, die er empfand, sei der Art gewesen,
+daß sie in natürlicher Steigerung zum Wiederaufleben seiner Liebe
+führen mußte und nicht mehr weit davon entfernt war. Er fühlte Respekt
+vor dem Respektabeln, er freute sich an dem Erfreulichen — nichts
+weiter. Alte Liebe rostet nicht, sagt das Sprüchwort; aber gerade
+bei den liebefähigsten Menschen kann sie unter Umständen doch etwas
+rostig werden. Die liebefähigsten sind nämlich in der Regel auch die
+liebeklarsten und fühlen und wissen, daß an der Geliebten eben ihre
+Liebe die höchste und schönste, d. h. die liebenswürdigste Eigenschaft
+ist. Wenn diese ihre Liebe nun dahinschwindet oder als bloßer Schein
+erkannt wird, dann schwindet für einen solchen Menschen eben das
+Höchste, das Licht und Leben der Schönheit hinweg, und die Flamme, die
+von der Anschauung dieses Höchsten genährt war, muß zu Boden sinken.</p>
+
+<p>Unser Bauernbursche hatte treu geliebt in Hoffnung, wenn auch anfangs
+mit schüchterner Hoffnung; er hatte verziehen und wieder geliebt, als
+er in der Geliebten Reue und Liebe zu sehen glaubte; er hatte das
+Leid der unglücklichen Liebe im Grund seines Herzens durchgelebt und
+überwunden. Damit war's aber auch zu Ende.</p>
+
+<p>In seiner jetzigen Gesinnung und in der Freude, daß eine
+Jugendfreundin, eine Verwandte von ihm sich so über Erwarten hielt,
+hätte er übrigens der Christine gern seinen Beifall kundgegeben und
+sie dadurch in ihrer Handlungsweise bestärkt; aber das ging unter den
+bestehenden Verhältnissen nicht an. Da bot ihm der Zufall unverhofft<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span>
+eine Gelegenheit, für sie doch gewissermaßen etwas zu thun und
+zugleich, einem alten Grolle genügend, sein Müthchen zu kühlen.</p>
+
+<p>Eines Sonntags nach Tisch begab er sich nach Oettingen. Er hatte dort
+Einkäufe zu machen, ging hin und her und stärkte sich endlich durch
+ein Maß kühlen und kräftigen Sommerbiers. In rüstiger Stimmung und
+etwas unternehmungslustiger als vorher trat er aus der Wirthsstube auf
+die Straße. Kaum war er ein paar Schritte gegangen, als er von weitem
+eine Gestalt erblickte, die ihm bekannt war. Seine Augen täuschten ihn
+nicht, denn er hatte gute Augen — es war der Mann, der ihm sein ganzes
+Leben verdorben — der, welcher ihm das Liebste abwendig gemacht und es
+dann gekränkt und unwürdig behandelt hatte: es war der Lehrer Friedrich
+Forstner, der in Begleitung eines andern ihm entgegenkam. Als er ihn
+erkannte, so daß er nicht mehr zweifeln konnte, fuhr ein Zorn und
+ein Geist der Rache in ihn, der für den Menschen, der ihm sein Glück
+gestohlen, eine exemplarische Züchtigung verlangte. Allein er hatte
+Zeit zu überlegen; eine andere Stimme ließ sich in ihm hören und er
+sagte sich unmuthig und geringschätzig: »Ich kann's ihm nicht machen,
+wie er's verdient — der Kerl blieb' mir in der Hand.« Das gute Glück
+hatte gleichwohl eine Art Genugthuung für ihn bereit. Forstner war mit
+seinem Begleiter — seinem künftigen Schwager Dobler — in eifrigem
+Gespräch; er erkannte den Hans nicht und sah nur im Allgemeinen, daß
+ein Bauernbursche auf ihn zukam. Von einem Gönner, den er besucht
+hatte, besonders freundlich behandelt, fühlte er sich noch etwas höher
+als gewöhnlich, und daß nun ein Bauernbursche, wenn er ihm begegnete,
+mit Respekt auf die Seite treten müsse, das verstand sich von selbst.
+Hans aber ging fest und gerade auf ihn zu; er wich, im Gefühl der
+Gleichheit, nur zur Hälfte aus, Forstner im Bewußtsein des Höherstehens
+gar nicht, und so stießen sie aneinander. Diesen Moment benutzte der
+Brave, um dem Zierlichen einen Ruck zu geben, daß er und sein Begleiter
+drei Schritte weit auf die Seite flogen und sich mit Mühe auf den
+Beinen hielten. Dobler raffte sich zuerst auf und rief zornig: »Was ist
+das für ein unverschämter« — — Aber Forstner hielt den Vordringenden
+bei der Hand zurück und rief ihm ein gedämpftes, warnendes »Ruhig«
+zu. — Er hatte den Vetter erkannt,<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> sein Gewissen hatte sich gerührt
+und seinen Muth beschwichtigt. — Hans richtete seinen Kopf stolz
+empor und fragte: »Ist den Herren was gefällig?« Es mußte ihnen wohl
+nichts weiter gefällig sein, denn sie wichen der »brutalen Gewalt« und
+gingen ruhig weiter. Der Sieger schritt befriedigt und in männliche
+Gedanken verloren vorwärts. Plötzlich stieß er wiederum an und eine
+gewaltige Baßstimme rief: »Kreuzmillionen, was ist denn das?« Er sah
+auf, erkannte den stärksten Burschen seines Dorfs, lachte gutmüthig
+und sagte: »Nichts für ungut, Bruder, ich bin in Gedanken gewesen!« —
+Der Stattliche, wieder begütigt, sagte mit Achselzucken: »Du bist aber
+»ebbes« in Gedanken! Will das gar kein End' nehmen?« — Unser Freund
+hätte zur Erklärung gern sein kleines Abenteuer erzählt; er fühlte
+aber, daß es ihm nur unliebsame Bemerkungen zuziehen würde, und schwieg
+und sprach auf dem Heimweg mit dem Kameraden nur über Gegenstände des
+Feldbaus.</p>
+
+<p>Die Zeit der Ernte kam heran und gab auch im Hause der Glauning vollauf
+zu thun. Es war sehr heiß diesen Sommer, man hatte viel auszustehen
+beim Schneiden und Sammeln; die Beschwerden der Mutter wurden aber
+dadurch noch vermehrt, daß sie sich die Leiden der Tochter vorstellte.
+»Gott,« rief sie einmal aus, als die Sonne gewaltig niederbrannte,
+»wie wird es meiner Christine gehen! Die schwindet mir ganz zusammen
+diesen Sommer und wird alt vor der Zeit!« — Hans, dem sie diese Worte
+zu Gehör geredet, lächelte und schwieg. Die Alte fuhr fort: »Wie sie
+wieder heimgekommen ist von der Stadt, bin ich froh gewesen, daß ich
+ihre Bauernkleider und sonstige Ausstaffirung nicht verkauft gehabt
+hab', denn ich dacht' mir: wer weiß, was geschieht! Aber jetzt, wenn
+sie so zusammengeht, wie ich höre, kann sie die Sachen ja doch nicht
+brauchen, und es wär' gescheidter gewesen, ich hätt' sie weggegeben.«
+— Hans zuckte die Achseln; dann sagte er: »Was der Sommer nimmt,
+das bringt die Winterszeit wieder. Wenn's kühl wird und die Arbeit
+nicht mehr so scharf geht, dann wird sie schon wieder runder werden,
+Eure Christine. Und dann wird auch gewiß bald ein Hochzeiter da sein.
+Wenn sie ein Jahr beim Holzbauern gedient hat, dann hat sie die Prob'
+gemacht, und dann werden Bursche, die ein sauberes und fleißiges Weib<span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span>
+suchen, von allen Seiten kommen. Verliert den Muth nicht, Base! Solche
+Mädchen bleiben nicht übrig im Ries!« — Ein tiefer Seufzer war die
+Antwort. Die Wittwe hatte ihre frühere Sicherheit ganz verloren; sie
+konnte nicht mehr glauben an ein Glück, und die Worte des Hans, die ihr
+wie Spott klangen, waren nicht geeignet ihren Geist aufzurichten.</p>
+
+<p>Mühevoll — denn auf die heißen Tage folgte noch Regenwetter — und
+freudlos — denn sie wußte nicht, für wen sie sich eigentlich so plagte
+— ging die Erntezeit für die Glauning vorüber. Als die Feldfrüchte,
+auf die es hauptsächlich ankam, im Stadel gesichert waren, hatte sie
+doch wieder eine frohere Empfindung. Sie berechnete, daß sie vorwärts
+kam in diesem Jahr und von dem Ausfall des letzten etwas zu decken
+vermochte, und so etwas muß einer Person, die von Kindesbeinen an
+auf's »Hausen und Sparen« gerichtet wird und nur durch die Ehre zu
+außergewöhnlichen Ausgaben vermocht werden kann, immer wohl thun.</p>
+
+<p>An einem Sonntag im September, nach dem Essen, saß die Gute mit Hans
+an dem abgedeckten Tisch. Sie hatten eben zusammen eine Geldzählung
+vorgenommen, die zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen war, und erfreuten
+sich daher einer Stimmung, in der sie eine gemüthliche Ansprache
+hielten. Die Wittwe hatte dem Vetter eben wieder bedeutendes Lob
+gezollt, als die Thüre aufging und mit den Worten: »Grüß euch Gott
+miteinander!« die Hubel in die Stube trat. Ihr Aussehen fiel dem
+Burschen im ersten Moment auf. Sie war nicht nur vergnügter als
+gewöhnlich, sondern zeigte auch eine eigenthümliche Feierlichkeit,
+wie eine Person, die sich bewußt ist, etwas in der Hand zu haben.
+Nach den ersten allgemeinen Fragen und Antworten rief die Glauning
+gastfreundlich: »Dasmal muß ich aber der Bas einen Kaffee machen —
+ich thu's nicht anders!« — Die Hubel versetzte: »Ich hab' nichts
+dagegen; denn ich hab' heut' früher gegessen als sonst, von wegen weil
+ich bald wieder zu Hause sein will, und mir ist's »wäger« (wahrlich)
+schon wieder »a bisle eitel« im Magen.« — »Der Hans da,« bemerkte
+die Wittwe, »kann dir unterdessen was Neues verzählen, oder du ihm.«
+— »Wie's kommt,« erwiederte die Hubel. »Gott sei Dank, jetzt sieht
+er doch wieder aus, daß man sich<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> ein Wort mit ihm zu reden getraut!«
+— »Ja,« sagte die Glauning, »ein wenig hat er sich gebessert,« und
+verließ die Stube.</p>
+
+<p>Sie wollte was Rechtes machen, denn ihre verständige Ansicht war
+immer: entweder gar keinen Kaffee oder einen guten. Gebrannte Bohnen
+waren in einem Haus, wo das Kaffeetrinken zu den Ausnahmen gehörte,
+natürlich nicht vorräthig, und ihr war das lieb; frischgebrannte gaben
+ein besseres Getränk, und wenn sie ein wenig später fertig wurde, was
+schadete das?</p>
+
+<p>Freilich dauerte es nun geraume Zeit, bis sie die blanken zinnernen
+»Kanden« (Kannen) füllen konnte. Als sie diese mit glücklicherweise
+vorhandenen Schneckennudeln in die Stube trug und auf den Tisch setzte,
+fiel ihr, die sich bei dem Auftreten der Base nichts Besonderes gedacht
+hatte, doch das Ansehen des Hans auf. Glänzend saß er da, ein freudiger
+und ein stolzer Blick ging aus seinen Augen, und noch dazu schien
+es, als ob er das Vergnügen, das er empfand, gar nicht alles heraus
+lassen wollte. — Verwundert sah die Wittwe von dem einen zur andern
+und sagte dann: »Ihr müßt euch ja recht gut unterhalten haben. Seit
+langer Zeit hab' ich den Hans nicht so hellauf gesehen!« — Dieser nahm
+sich zusammen und erwiederte: »Man spricht von allerhand. Und die Base
+da kommt unter die Leute und wird immer was Neues inne.« — »Das ist
+wahr,« sagte die Hubel, »und »ebbania'« (etwanje, zuweilen) ist's recht
+gut, wenn man was erfährt, und manchem geschieht ein Gefallen damit,
+wenn man ihm zu rechter Zeit was sagt.«</p>
+
+<p>Diese Reden und die beiden Gesichter dazu kamen der Glauning seltsam
+vor. Hatte die Hubel eine ausfindig gemacht, die den Hans wollte, eine
+schöne und eine reiche — am Ende eine Bauerntochter? Darnach sah er
+wahrhaftig aus! Und einem Burschen mit seinem Geld und mit dem Lob, das
+er hatte, konnte auch gar wohl ein solches Glück anstehen. — Ihr Herz
+war bei diesen Gedanken plötzlich schwer geworden; es kostete sie Mühe,
+die schickliche Freundlichkeit aufzubringen, mit welcher zum Trinken
+und Zulangen ermahnt werden mußte. — Nach einer längeren Pause, die
+mit dem Genuß und Lob des Kaffees ausgefüllt wurde, begann die Wittwe:
+»Aber nun erzähl' mir doch noch etwas von meiner Christine. Ist sie
+immer noch so schmal?«<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> — »Stark ist sie nicht geworden,« erwiederte
+die Base, »aber sie ist gesund und wohlauf.« — »Gott sei Dank!«
+versetzte die Mutter, »das ist doch das Best'. Und ist derweil nichts
+mehr vorgefallen mit dem Bauern?« — »Nichts was der Rede werth wäre
+zu sagen. Du weißt ja, der ist eben, wie ihn unser Herrgott erschaffen
+hat, und wenn er bös ist, wird er auch wieder gut.« — Die Mutter
+erwiederte: »Was hilft's, wenn man einem den Kopf herunter gerissen
+hat und will ihn dann wieder aufsetzen! — Aber was sagt man denn bei
+euch im Dorf über sie?« — »Nichts als Gutes, Base. Man sieht, wie sie
+schafft und aushält, und alle ordentlichen Leute schätzen sie und loben
+sie.« — »Nun, das ist doch ein Trost,« erwiederte die Mutter. Und mit
+einem Selbstgefühl, das ihrem gedrückten Wesen eine Art Würde verlieh,
+setzte sie hinzu: »Ein braves Mädchen ist sie eben doch, die Christine.
+Und wer weiß, am End' gibt's auch für sie noch ein Glück in der Welt.«
+— Nach kurzem Schweigen bemerkte sie: »Nun sag' ihr aber, sie soll
+mich endlich einmal besuchen, jetzt, wo die Hauptarbeit doch gethan
+ist.« — Die Andere schüttelte den Kopf: »Darüber hat sie ihre eigenen
+Ansichten, Base, ich glaub' nicht, daß sie jetzt schon kommt. Besuch du
+lieber mich einmal, dann kannst du sie bei mir sehen.« — »Ist das eine
+Welt jetzt!« rief die Wittwe. »Die Kinder folgen ihrem Kopf und die
+Alten sollen ihnen folgen! — Nun, ich will sehen.«</p>
+
+<p>Das Gespräch wandte sich andern Gegenständen zu, wobei auch Hans wieder
+mitreden konnte. Endlich erklärte die Hubel, es sei die höchste Zeit,
+sie müsse fort. Die Mutter gab ihr die Hand, dankte für den Besuch und
+trug ihr Grüße an ihre Tochter auf. »Habt auch von mir Dank,« fügte
+Hans hinzu, »und kommt gut heim.« Die Wittwe sah ihn mit einem Blick
+an, der wahre Gekränktheit verrieth. »Nun,« sagte sie, »läßt du die
+Christine nicht auch grüßen? Einen Gruß ist sie doch wohl noch werth,
+sollt' ich glauben!« — »Meinethalb,« rief Hans, »grüßt sie auch von
+mir!«</p>
+
+<p>Am Abend ging der Bursche in's Wirthshaus. Der mannhafte Schritt, mit
+dem er auftrat, das Glück, das aus seinem Gesicht leuchtete, konnten
+nicht unbemerkt bleiben. »Was Teufel ist denn mit dem Hans?« rief ein
+junger Mensch an einem Tisch zu seinen Zechgenossen;<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> »der sieht ja
+aus, als ob er das große Loos gewonnen hätt'!« — »Wird wohl endlich
+eine gefunden haben, die ihm ansteht,« warf ein anderer hin. »Kannst
+Recht haben,« versetzte jener Gewaltige, an den Hans in Oettingen
+in seinen Siegesgedanken angestoßen war. Und mit einer gewissen
+großartigen Geringschätzung setzte er hinzu: »'S ist doch merkwürdig,
+was der Mensch auf d'Weibsbilder gibt! So'n Kerl, und läßt sich von
+der einen traurig und von der andern wieder vergnügt machen! Bah! das
+könnt' mir einfallen!« — Der erste bemerkte: »'S ist so ein Stiller,
+der Hans, die sind alle so.« — Und der zweite sagte: »Am End' ist's
+ihm auch zu gönnen, wenn er eine kriegt nach seinem Sinn. Die Christine
+hat ihm doch Verdruß genug gemacht.«</p>
+
+<p>Hans war an einem andern Tisch niedergesessen, den etliche nähere
+Bekannte von ihm in Besitz genommen hatten. Nach dem Naturgesetz, das
+auf dem Lande wie in der Stadt, in der niedersten wie in der höchsten
+Schichte der Gesellschaft gilt, muß jeder, der ein auffallendes
+Vergnügen blicken läßt, geneckt werden. Dieß geschah denn auch unserem
+Burschen. Fragen wurden gestellt und Vermuthungen geäußert, die sich
+alle um den vorhin erörterten Punkt drehten. Hans war indeß nicht in
+der Stimmung ärgerlich zu werden, im Gegentheil, sein Humor stieg in
+Folge der Angriffe; er duckte einen, der sich ungeschickt dabei benahm,
+gehörig in's Wasser und bekam die Lacher auf seine Seite. Als er an
+einem andern Tisch Bescheid that, sagte einer der Bekannten: »'S ist
+schon richtig, er hat eine! — aber wen?« — Man rieth hin und her,
+konnte aber nicht schlüssig werden und tröstete sich mit dem Gedanken,
+daß es jedenfalls wieder eine Hochzeit geben werde und einen lustigen
+Ansing.</p>
+
+<p>Jeden Tag in der Woche erwartete die Glauning, daß der Vetter im Staat
+vor sie treten und sagen würde, er müsse über Land gehen; denn ihr saß
+der Gedanke, der in ihr aufgestiegen war, so fest im Kopfe, wie den
+Kameraden des Burschen. Als sie sich auch am Donnerstag getäuscht sah,
+meinte sie: nun wird er am Sonntag gehen. Und in der That, am Vorabend
+erklärte Hans, er werde morgen über Land — fahren. »Fahren?« rief die
+Wittwe betroffen. — »Warum nicht?« erwiederte Hans lächelnd. »Der
+Hiesinger leiht mir seinen<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> Braunen und sein Wägele. Und darf sich
+unser einer nicht auch einmal ein Plaisir machen?« — »Wegen meiner
+fahr' du,« entgegnete die Glauning. »Du bist dein eigener Herr und
+kannst thun was du willst.« — Sie that ihm aber nicht die Ehr' an oder
+sie hatte nicht den Muth, zu fragen wohin.</p>
+
+<p>Am andern Tag, im Schein der Morgensonne, als der Bursche von ihr
+Abschied nahm, geputzt wie nochmal einer, der »auf d'Gschau« geht,
+hatte sie doch so viel Kraft erlangt, mit einer Art von Lächeln zu
+sagen: »Nun, Hans, ich wünsch' dir viel Glück! Du wirst dir hoffentlich
+nicht einbilden, daß ich nicht weiß, worauf du ausgehst?« — »Nein,«
+erwiederte Hans gemüthlich. »Vor Euch kann man sich nicht verstellen,
+Base — und ich versuch's auch nicht. Was wollt Ihr? einmal muß man
+doch dran!« — Er gab ihr die Hand und verließ mit kräftigen Schritten
+den Hof. Die Base sah ihm nach. »Wie sicher er seiner Sach' ist!«
+dachte sie. »Nun, wenn er ein Glück macht, ich muß es ihm gönnen —
+allein um mich hat er's verdient.« Diese Gedanken konnten aber doch
+nicht bewirken, daß sie sich über sein Glück freute; im Gegentheil, sie
+hatte ein Gefühl, als ob ihr der letzte Rest des ihrigen genommen würde.</p>
+
+<p>Hans ging zu dem Bauer, den er Hiesinger genannt. Das Wägelchen
+stand im Hof, aber der Gaul wurde noch gefüttert. »Mach' »fürsche«
+(vorwärts),« rief der Bauer dem Handknecht mit Laune zu, »und spann an!
+In solchen Geschäften will man bald an Ort und Stelle sein.« — Einige
+Minuten später, und Hans fuhr im Trab durch's Dorf. »Aha,« rief einer
+von seinen Kameraden, der ihn sah, »nun werden wir's bald inne werden!«</p>
+
+<p>Wenn die Glauning gesehen hätte, in welchen Weg der Bursche einlenkte,
+dann hätte vielleicht ihr Herz zu klopfen und wieder zu hoffen
+angefangen. — Die Leser haben das Ziel der Fahrt schon errathen — sie
+sind scharfsichtiger als die Bauern. Sie wissen, daß eine Geschichte
+nach ihrem Anfang und Verlauf nur Einen, d. h. eben nur den Ausgang
+haben kann, der im Verlauf begründet ist; und zwar nicht, weil es
+der Erzähler so will, sondern weil es bei den Personen, an denen es
+überhaupt etwas zu demonstriren liebt, das Schicksal so will, dem der
+Erzähler folgen muß. Könnte nach allem Bisherigen<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span> ein Erfahrener noch
+in Zweifel sein, wohin das Wägelchen unseres Burschen rollte? Er fuhr
+dem Dorf zu, in welchem Christine sich befand. Er konnte es, er durfte
+es — er mußte es; und das hoff' ich jedem klar zu machen, wenn ich
+erzähle, was sich unterdessen begeben hatte.</p>
+
+<p>Die Art, wie Christine bei dem Holzbauern ihre Pflicht erfüllte,
+zusammengehalten mit ihren ungewöhnlichen früheren Erlebnissen, hatte
+die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfs *** auf sie gelenkt. Das Mädchen
+hatte die Zweifler und Spötter, die sich auch dort aufgethan, beschämt;
+ihr ausdauernder Fleiß in dem beschwerlichen Dienst hatte ihr nicht
+Geringschätzung, wie die Mutter gefürchtet, sondern Achtung, bei
+Einzelnen sogar Bewunderung erworben. — Mit der Zeit wird jeder Tugend
+ihr Recht auch in dieser ungerechten Welt. Die Anfeindung stumpft sich
+ab, das Geklatsche wird langweilig und vergeht, die Anerkennung tritt
+an seine Stelle und besteht.</p>
+
+<p>Bei Christine kam noch etwas anderes hinzu, was ihr eine besondere
+Bedeutung gab. Ihr Aussehen hatte sich nicht so geändert, daß man sie
+nicht mehr für ein ungewöhnlich hübsches Mädchen hätte müssen gelten
+lassen. Die frühere Fülle allerdings war nicht wiedergekehrt; aber die
+verhältnißmäßige Schlankheit, mit der sie aus der Stadt heimgekommen
+war, hatte in Folge der ländlichen Arbeiten einen gesunden Charakter
+erhalten. Ihre Gesichtsfarbe war keineswegs gelb, wie die Hubel auch
+für die erste Zeit übertreibend berichtete, sondern der ihr eigene
+bräunliche Ton war nur kräftiger geworden, hatte dann aber auch wieder
+einen Hauch frischen Roths erhalten. Sie war noch immer die »schöne
+Christine,« die ehemalige Lehrersbraut und jetzige Bauernmagd; aber sie
+war mehr als das. Ihr Gesicht hatte einen eigenen höheren Charakter
+erhalten — den Charakter, der das natürliche Erzeugniß innern Lebens
+und einer Kraft ist, wie sie die Geprüfte besaß und bewies. Eine tiefe
+Leidenschaft, die man aus Stolz zu verheimlichen entschlossen ist; den
+Willen, eine Handlungsweise, die man als unrecht erkannt hat, zu büßen
+und sich in die Folgen seiner Schuld unbedingt zu ergeben; den Willen,
+seine Pflicht zu thun, wie schwer sie einem auch gemacht werde, und
+seine Ehre darein zu setzen, gerade da auszuhalten, wo andere nicht<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span>
+die Stärke dazu fänden — dergleichen kann man unmöglich in Kopf und
+Herzen tragen, ohne daß der Abglanz davon auf dem Gesicht bemerklich
+würde. Ob sie nun im Haus, auf dem Felde thätig war, oder ob sie in der
+Kirche den Worten des Geistlichen horchte, die Magd Christine hatte
+etwas in ihrem Wesen, dessen sich kein anderes Mädchen im Dorf rühmen
+konnte. Die Töchter der wohlhabenden Bauern konnten den Kopf hoch
+halten und an Festtagen in ihrem besten Staat und ihrer Stellung sich
+bewußt mit fein geschlossenem Mäulchen anmuthig über die Gasse sich
+schwenken, so fein und so vornehm sah doch keine von ihnen aus, wie
+unsere dienende Heldin, und aus keinem Auge blickte so viel Seele, als
+aus den uns bekannten graublauen, die mit dem Gehalt (wenn dieses Wort
+hier gestattet ist) auch an Umfang zugenommen zu haben schienen.</p>
+
+<p>Unter denen, die das Mädchen und ihr Verhalten zu taxiren wußten,
+stand eine Familie obenan, und zwar eine Bauernfamilie. Der Vater war
+ein Landmann der besten Art — einer von denen, die ihren Stand hoch
+halten, aber noch höher die Tugenden, die den ächten und rechten Bauer
+machen. Er führte mit Weib und Kindern einen musterhaft geregelten
+Haushalt, und die Folge war, daß er, der mit Schulden begonnen hatte,
+jetzt unter die Wohlhabendsten des Orts zählte. Der Kinder waren nur
+zwei, ein Sohn und eine Tochter, jener siebenundzwanzig, diese neunzehn
+Jahr alt, beide noch unverheirathet. Der Sohn, ein Abbild seines
+Vaters und nur etwas weniger lustig, als der Alte im ledigen Stand
+gewesen, befand sich wohl unter dem Regiment der Eltern, und darum und
+weil er einigermaßen scheu war und wählerisch, hatte er noch keine
+Frau gefunden und noch nicht den ihm gebührenden und bestimmten Hof
+erhalten. Die Tochter, ein angenehmes, gutes Geschöpf, trug schon ein
+Bild in ihrem Herzen, d. h. ein Mannsbild. Ein Bauernbursche, der alle
+Qualitäten besaß, die sie und ihre Eltern nur verlangen konnten, war
+ihr gewogen, und ihre Hochzeit stand in Aussicht, sobald der Vater des
+Liebhabers sich entschloß, den Hof zu übergeben.</p>
+
+<p>Diese Familie war es, die unsere Christine von allen zuerst mit
+günstigen Augen betrachtete. Der Alte, der an ihr die guten
+Eigenschaften wahrnahm, die er von einem rechten »Bauernweibsbild«
+verlangte,<span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span> rühmte sie, und Mutter, Kinder und Ehehalten stimmten
+mit ein. Was man von ihrem Schicksal erfuhr, konnte dem Mädchen bei
+wohlwollenden Beurtheilern nicht schaden. Hatte sie schon als halbe
+Mamsell in der Stadt gelebt, so war es um so verdienstlicher, daß sie
+eine so brave Magd wurde, und die Gerüchte, welche zuerst über sie
+umliefen, wurden durch ihren streng ehrbaren Lebenswandel vollkommen
+widerlegt. Sie war noch nicht sechs Wochen im Dienst, als der Alte
+schon zu seinem Weib sagte: »Wenn das Mädchen eine Bauerntochter
+wäre, eine bessere für unsern Sohn könnten wir nicht bekommen.« —
+Nach und nach erfuhr man, was die Glauning der einzigen Tochter immer
+noch mitgeben konnte, und wenn es auch nur den vierten Theil dessen
+betrug, was der Alte gab, so verfehlte es doch nicht, das Haupt der
+Magd in seinen Augen mit einem gewissen Schein zu umgeben. Endlich kam
+es dahin, daß der wackere Mann sich fragte: »Muß es denn gerad' eine
+Bauerntochter sein? Und wenn sie weniger hat als mein Sohn, ist ihr
+Fleiß, ihre Geschicklichkeit und ihre Tugend nicht mehr werth als Geld
+und Gut?« Weib und Tochter, denen er seine Gedanken mittheilte, traten
+ihm lebhaft bei. Gutmüthig, wie sie waren, hatten sie das Mädchen in's
+Herz geschlossen, und die Tochter namentlich interessirte sich für den
+Heirathsplan mit dem ganzen Eifer einer liebesglücklichen Jungfrau.
+Sie sprach mit dem Bruder und brachte aus ihm heraus, daß er ganz im
+Stillen selber schon ein Auge auf Christine geworfen! — Allgemein
+war die Zufriedenheit über diese Entdeckung; nach der Ernte hielt man
+nochmal einen Familienrath und das Projekt gedieh zum festen Beschluß.</p>
+
+<p>Das Mittel der Liebeswerbung konnte unter den gegenwärtigen Umständen
+allerdings nicht in Anwendung kommen. Wäre unser Freier auch der Mann
+gewesen, ein Mädchen durch Schmeichelreden zu gewinnen, so hätte er
+von dieser Fähigkeit gegenüber einer Magd beim Holzbauern doch keinen
+Gebrauch machen können. Aus allen Gründen mußte man den bewährten
+alten, auch jetzt noch immer praktischen Weg der Unterhandlung durch
+eine dritte Person gehen, und wandte sich an Base Hubel.</p>
+
+<p>Hilf Himmel, welch einen Eindruck machte die Eröffnung auf die nicht
+sehr bemittelte Söldnerin! Ihr Bäschen eine Bäuerin —<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> und was für
+eine! Sie selber zur Freundschaft einer der ersten Familien im Ries
+gehörig! Und sie hatte das in der Hand! sie sollte das machen — sie
+wurde darum gebeten! Das Entzücken der guten Frau war so groß, daß sie
+für den ersten Augenblick sprachlos dastand, weil sie ganz eigentlich
+den Mund nicht mehr zusammenbringen konnte, um Worte zu bilden, so
+daß Mutter und Tochter, welche die Eröffnung gemacht hatten, sich
+Mühe geben mußten, das Lachen, das sie ankam, zu einem Lächeln zu
+mildern. — Natürlich versprach die Gebetene, als sie endlich sprechen
+konnte, Alles. Die Sache war schon gemacht — sie brachte das Jawort
+der Christine heut Abend noch. Gott, welche Ehre war es für diese und
+welche Freude! Welche Ehre und welche Freude für die Base Glauning und
+für sie alle miteinander!</p>
+
+<p>Mit brennendem Kopfe lief sie zu dem glücklichen Mädchen. Es war an
+einem Feiertag nach der Betstunde, und Christine konnte ihrer Einladung
+zu einer wichtigem Unterredung in ihrem Hause ungehindert folgen. Als
+sie allein waren, bedachte die Erfahrene, daß das Mädchen vielleicht
+vor Freude in Ohnmacht fallen könnte, wenn sie ohne weiteres ihren
+Auftrag ausrichtete; sie begann daher mit Reden, welche sie auf das
+beispiellose Glück, das ihrer wartete, vorbereiten sollten. Christine,
+ungeduldig, fragte, was es denn wäre. Die Unterhändlerin machte ihre
+Eröffnung triumphirend und in der sichern Erwartung, die Glückliche
+würde, außer sich, ihr um den Hals fallen, mit Freudenthränen »ja, ja«
+rufen und des Dankes kein Ende finden. Welch ein Erstaunen, ja welch
+ein Schrecken, als Christine nach vorübergehendem, leichtem Rothwerden
+ernst und ruhig erwiederte: »Die Leute sind gut gegen mich und thun
+mir eine große Ehr' an. Ich dank' ihnen auch von Herzen dafür, aber
+ich kann's nicht annehmen, Base.« — Die Hubel sah starr auf sie, wie
+auf eine plötzlich toll Gewordene. »Du willst's nicht annehmen?« rief
+sie endlich. — »Ich kann nicht,« war die Antwort. — »Bist du rasend,
+Mädchen?« — »Nein, ich bin bei gutem Verstand. Geht zu den Leuten und
+dankt ihnen in meinem Namen recht schön, und sagt ihnen, ich kann nicht
+heirathen — weil ich überhaupt nicht heirathen will!«</p>
+
+<p>Zu dem Erstaunen der Base gesellte sich jetzt die Entrüstung, der<span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span>
+Geist und die Autorität einer Mutter fuhr in sie, und sie stellte dem
+Mädchen vor, welch unsinnigen Streich sie mache, wenn sie eine der
+ersten Bäuerinnen im ganzen Ries werden könne und nicht wolle. »Hast du
+etwas gegen die Leute? Hast du etwas gegen den Menschen? Ist er nicht
+brav und geschickt und häuslich und ein sauberer Bursch obendrein?« —
+Christine mußte das zugeben. — »Und du willst nicht? Du willst so ein
+Glück versäumen, mit Füßen von dir stoßen? Warum? weßwegen?« — Das
+Mädchen, bewegt, geängstigt, rief: »Um Gotteswillen, Base, fragt mich
+nicht! — es geht nicht!«</p>
+
+<p>In dem Kopf der Hubel blitzte ein Gedanke. »Wär's möglich,« begann sie,
+»hättest du einen andern im Kopf? Denkst du vielleicht« — (die Wangen
+des Mädchens begannen sich zu färben) — »kannst du deinen Schulmeister
+nicht vergessen?« Die Farbe verging wieder auf dem Gesicht der
+Gefragten und ihre Lippe verzog sich geringschätzig. Da ging der Base
+ein Licht auf wie eine Fackel; sie rief bestimmt: »Du hast den Hans
+im Kopf!« — Eine glühende Röthe überströmte das Gesicht der Armen,
+sie zitterte — Thränen stürzten ihr in die Augen. — »Der ist's also!
+der Vetter! Himmel, was ist das!« — »Ja,« rief das Mädchen, die jetzt
+wirklich außer sich gebracht war, »der ist's! der beste Mensch, der
+bravste Mensch, und mir der liebste auf der Welt! Ich hab' schändlich
+gehandelt gegen ihn, er haßt mich, er verachtet mich, und er hat Recht,
+und ich will's nicht anders haben. Aber nun wißt Ihr, warum ich auf
+Euch nicht hören kann! Ihn krieg' ich nicht und verdien' ich nicht,
+einen andern will ich nicht und mag ich nicht, und darum heirath' ich
+nicht und will als Bauernmagd leben und sterben!«</p>
+
+<p>Die Frau, von der Leidenschaft des Mädchens überwältigt, verstummte.
+Sie kannte den Wunsch der Glauning, ihre Tochter an Hans verheirathet
+zu sehen; sie wußte, daß er der Mann war, ein Weib glücklich zu machen;
+aber wenn er sie nicht mehr wollte, war's nicht ganz widersinnig,
+wegen seiner ein ganzes Lebensglück aufzuopfern? Sie mußte doch noch
+ein Wort reden, die erfahrene Mittelsmännin, und sie sagte daher, mit
+größerer Ruhe zwar, aber mit Nachdruck: »Mädchen, Mädchen, bedenke,
+was du thust! Ein solcher Antrag wird dir nicht wieder gemacht! Und
+wenn du ihn ausschlägst<span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span> um eines Menschen willen, der nichts mehr nach
+dir fragt — aus Eigensinn, aus Tollheit — es wird dich reuen, all
+dein Lebtag wird's dich reuen.« — Aber hierauf erwiederte Christine
+bestimmt und entschlossen: »Base, ich hab' Euch gesagt, wie ich denke,
+und nun ist's genug. Streiten will ich nicht mit Euch. Redet also
+nichts mehr, es hilft Euch nichts, jedes Wort ist umsonst.« — »Gut,«
+versetzte die Hubel, »dann hab' ich wenigstens meine Schuldigkeit
+gethan und kann dich deinem Schicksal überlassen. Ich hätt' nicht
+geglaubt, daß ich von einem Mädchen, wie du bist, mit so einer Antwort
+zu solchen Leuten gehen müßt'. Aber sie warten darauf, ich hab' ihnen
+versprochen, die Antwort heute noch zu bringen, und ich will hingehen
+und sagen, daß du nicht willst und warum du nicht willst.«</p>
+
+<p>Christine stand erschreckt. Das Geheimniß, das sie bewahren wollte
+vor jedermann, war ihr entrissen, und jetzt erst merkte sie's. Scham
+und Angst bemächtigten sich ihrer und im dringendsten Tone rief sie:
+»Nein, das dürft Ihr nicht! Sagt, daß ich überhaupt nicht heirathen
+will, daß ich mich für solche Leute nicht gut genug achte, sagt was Ihr
+wollt, nur sagt nichts vom Hans! Es könnte herum kommen — er könnt's
+erfahren, und (setzte sie heftig hinzu) er soll's nicht erfahren! Ich
+geh' nicht von Euch, Base, bis Ihr mir's versprecht! Gebt mir die Hand
+darauf, ich bitt' Euch, ich beschwör' Euch!« — »Gott,« entgegnete
+die Frau, »ist das ein Kreuz mit dem Mädchen! Nun gut, ich versprech'
+dir's.« — »Ich dank' Euch, Base,« rief das Mädchen herzlich und
+gerührt; »ich dank' Euch für all Eure Güte und Freundschaft! Sagt den
+braven Leuten alles Schöne und Gute in meinem Namen; sagt, ich wolle
+gar nicht heirathen, und sie würden sehen, daß ich auch keinen andern
+nehme. Sagt ihnen, ich würde keine Seele etwas merken lassen von ihrem
+Antrag, und sie sollten sich jetzt eine bessere aussuchen, als ich
+bin, denn mit mir wäre ihr Sohn doch niemals glücklich geworden.« Sie
+faßte die Frau bei der Hand und sah ihr in's Gesicht. Ihre Augen waren
+feucht geworden und füllten sich mit Thränen. Wehmüthig lächelnd, in
+liebevollem Ton sagte sie: »Ihr seid brav — ich kann mich auf Euch
+verlassen!« Und ihr die braune Wange streichelnd setzte sie hinzu: »So,
+nun geht und macht Eure Sache gut!« — Sie schüttelte ihr die<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span> Hand
+und verließ die Stube, nachdem sie ihr nochmal einen bittenden Blick
+zugeworfen hatte.</p>
+
+<p>Die Base Hubel gehörte indeß nicht zu jenen Personen, die, wenn sie ein
+Versprechen gegeben haben, nun auch glauben, es unter allen Umständen
+halten zu müssen. Im Gegentheil, sie hatte eine heroische Ader in sich,
+und wenn sie gutmüthig genug war, auf eine dringende Bitte ja zu sagen,
+so besaß sie doch auch den Muth, sich »nach Gestalt der Sach« von
+der übernommenen Verpflichtung selber zu dispensiren und ihr Wort zu
+brechen. Als sie allein war, rief sie daher: »Du einfältiges Mädchen!
+Nichts sagen vom Hans? Das ist ja das Einzige, was in deine Antwort ein
+bischen Sinn bringt und Verstand, so daß ich nicht ganz in Schand' und
+Spott dastehen muß vor diesen Leuten, und du mit mir! Augenblicklich
+sollen sie's erfahren!« — Um vieles langsamer dennoch, als sie es
+verlassen hatte, ging sie in das Haus des Bauern zurück, traf die
+Eltern und die Tochter und erzählte alles, indem sie nicht versäumte,
+über den Wahnsinn des Mädchens entrüstet ihr Verdammungsurtheil
+auszusprechen. Die wackern Leute bedauerten die Antwort von Herzen;
+aber — offen zu reden — ihre Betrübniß wäre doch größer gewesen, wenn
+der Korb von einer in jeder Hinsicht Ebenbürtigen ertheilt worden wäre.
+Sie hatten doch daran denken müssen, welches Aufsehen die Verheirathung
+ihres Sohnes mit der Magd des Holzbauern machen würde, und der Umstand,
+daß nun dieses Aufsehen mit all seinen Unbequemlichkeiten wegfiel,
+erleichterte ihnen die Tröstung ihrer Seelen bedeutend.</p>
+
+<p>Der alte Bauer klärte sich endlich auf und sagte zu der Hubel: »Nun
+habt Ihr Euer Geschäft aber erst halb gemacht.« — Die ihrer vornehmen
+Freundschaft beraubte und darum niedergeschlagene Söldnerin sah ihn
+fragend an. — »Die Hauptsach' ist jetzt, daß Ihr die Christine und
+ihren Vetter zusammenbringt.« — »Aber wie soll ich das anfangen?« rief
+das Weib. Der Bauer fuhr fort: »Hat nicht der Hans sein Bäschen für
+sein Leben gern gesehen?« — »Ja wohl,« erwiederte sie; »aber jetzt
+will er durchaus nichts mehr von ihr wissen.« — »Ganz natürlich! —
+weil sie ihn aufgegeben hat und er glauben muß, sie halte nichts von
+ihm und habe keine Zuneigung zu ihm. Geht aber jetzt nur hinunter und
+erzählt ihm, was die Christine<span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span> gesagt hat und was geschehen ist, und
+dann seht zu, ob er noch immer nichts von ihr wissen will. Ich bin der
+Meinung (setzte er lächelnd hinzu), daß ihr noch immer Euern Kuppelpelz
+verdienen könnt.« — Das Gesicht des Weibes erhellte sich bei diesen
+Worten. »Ihr könnt wahrhaftig Recht haben! — Aber darf ich denn auch
+alles sagen?« — »Alles,« versetzte der Bauer, »mit der Bedingung, daß
+es unter der Familie bleibt.« — »O, das versprech' ich mit Freuden!
+Kein Mensch weiter soll etwas davon erfahren!« — Beim Abschied reichte
+die Bäuerin der Guten die Hand und sagte: »Habt Dank für die Mühe, die
+Ihr Euch unsretwegen gemacht habt. Wenn auch nichts draus geworden ist,
+so bleiben wir doch gute Freunde.« — »O,« rief die Hubel, »das ist
+eine große Ehre für mich! — Und wer weiß, vielleicht kann ich Euch
+doch noch einmal auf eine andere Art dienen!«</p>
+
+<p>»Was für gute Leute das sind!« rief sie mit einem Seufzer, als sie
+ihrem Hause zuging; »'s ist doch Jammerschade!« — Etwas indeß war ihr
+geblieben. Sie faßte nun das neue Geschäft in's Auge und ihre Seele
+erheiterte sich wieder. »Wenn das geräth, wenn die Zwei zusammen kommen
+und glücklich sind, dann bin's eben doch ich, die's gemacht hat und der
+sie danken müssen für ihr Glück, so lang sie leben.«</p>
+
+<p>Am nächsten Sonntag trat sie die Wanderung bei Zeiten an, um den Vetter
+sicher zu treffen, und erzählte ihm, während die Glauning den Kaffee
+machte, Alles und Jedes. Hans konnte nicht zweifeln; die Base beschwor
+ihre Aussagen bei allem, was heilig ist, und gab ihm in jeder Hinsicht
+die beruhigendsten Versicherungen. — Und nun erstand die entschlafene
+Liebe plötzlich, wie wenn ihr ein neues schöpferisches Werde zugerufen
+worden wäre. Der Deckel des Schreins, in dem sie verborgen lag, flog
+auf und sie glühte hervor und durchloderte und durchleuchtete ihn mit
+wonnevoller Glut. — Nun war's also doch geschehen, woran er nicht
+mehr glauben, worauf er nicht mehr hoffen konnte. Das Mädchen, das
+ihm lieber war als Alles, war sein! Sie war zur Erkenntniß gekommen,
+sie verstand ihn — sie liebte ihn — ihn allein und über alles! —
+O, nun war es besser als vorher — tausendmal besser! Er mußte ihr
+nicht nur vergeben — nein, Gott danken mußte er für den Weg, den sie
+geführt worden — Gott<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> danken für ihr Leid und ihre Erkenntniß, und
+sie lieben und ehren und ihr Leben versüßen und sie glücklich machen
+— glücklicher, wenn's möglich wäre, als er selbst wurde! — Die
+Empfindungen des Glücks und des Dankes strömten durch sein Herz und
+erschütterten ihn so gewaltig, daß ihm Thränen in die Augen traten und
+die gute Verwandte in gerührter Theilnahme sich freute, daß ihr dieses
+zweite Werk gelungen war, und nicht das erste. Eine innere Stimme rief
+dem Glücklichen zu, vor der Mutter die Kunde noch geheim zu halten; er
+gebot der Hubel auf's strengste, seiner Base nichts zu sagen und sie
+auch nichts merken zu lassen, und eben so der Christine alles geheim zu
+halten. Die Hubel versprach beides. Sie kam der Mutter gegenüber der
+Forderung auch sogleich nach; der Liebende selbst aber vermochte es
+nicht, und die Glauning hätte das Geheimniß errathen müssen, wenn ihre
+Gedanken nicht schon vorher auf falscher Fährte gewesen wären.</p>
+
+<p>Das war es, was unsern Freund bewog, heute dem Dorfe zuzufahren, in
+welchem Christine lebte. — Und nun kein Wort mehr zur Erklärung seines
+Handelns.</p>
+
+<p>Als das nette »Gefährt« im Sonnenschein über den trockenen Weg
+hinrollte, näher und näher dem lieben Ziel, da hatte unser Freund
+eine glückselige Empfindung, und die Wirkung davon ward sichtbar
+in seiner ganzen Erscheinung. Man weiß, daß George Sand — eine
+Schriftstellerin, der ich gern das heutzutage so sehr mißbrauchte Wort
+»genial« zuerkenne, ohne darum alles in ihren Werken für wahr und schön
+zu halten — Personen in relativer Häßlichkeit auftreten und nach
+und nach schön, ja unwiderstehlich anziehend werden läßt. Sie kann
+sich damit auf die Wirklichkeit berufen. Es giebt Gesichter, an denen
+sich gar manches aussetzen läßt, sofern man sie nach einem Ideal der
+Formvollendung beurtheilt. Wenn aber die Seele sich entfaltet, wenn
+das Licht der Liebe, der Güte, des Glücks es durchleuchtet, dann ist
+ein solches Gesicht nicht nur charaktervoll, sondern schön; die Seele
+herrscht in ihm und schmelzt in allbelebender Strömung die Theile zum
+harmonischen Ganzen; die Schönheit der Seele triumphirt über die Form
+und macht diese zur Trägerin und Verkünderin ihres Glanzes; ihre Flamme
+bricht durch und überstrahlt<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span> die Züge und tilgt alles Widerstrebende
+darin hinweg. Daß ein solches Gesicht hernach das bloß äußerlich schöne
+in Schatten stellt, daß eine geliebte Person, die für seine höhere
+Schönheit empfänglich ist, sich davon entzückt, hingerissen fühlt,
+das ist durchaus natürlich — der natürliche Sieg des Innern über das
+Aeußere, des Geistes über den Stoff.</p>
+
+<p>Wenn eine theilnehmende Freundin unsern Burschen heute gesehen hätte,
+so würde sie vielleicht gerufen haben: er sieht aus »wie verklärt;«
+denn dieses Wort ist unter dem Rieser Landvolk bekannt und wird ganz
+richtig angewendet. Und in der That, verklärt war das Gesicht des
+Guten, verklärt durch die Liebe, die der Gegenliebe sicher geworden,
+verklärt durch das Bewußtsein des Sieges, der zu der Liebe die Ehre
+gebracht hat. — Es ist eben doch schön, wenn man nicht mehr ganz
+allein auf sich und seine Tugend angewiesen ist, wenn man der Welt
+nicht bloß zu verzeihen, sondern auch etwas zu danken hat, wenn die
+Kraft der Seele getragen wird von der Schwellung des Glücks, wenn zu
+dem Gefühl, den Sieg zu verdienen, die stolze Freude des wirklich
+errungenen Sieges kommt. Aus dem Gesicht des Liebenden sprach jetzt
+nicht allein das Glück und die Freude, sondern auch die Würde des
+Mannes, der sich endlich auf die Stelle erhoben sieht, nach der er
+getrachtet hat und die ihm gebührt.</p>
+
+<p>Als der Wagen in das Dorf rollte, lag auf diesem eben das feierliche
+Schweigen des Sonntags: die Kirche hatte eben begonnen und die Gemeinde
+horchte dem Worte des Geistlichen. Hans fuhr in's Wirthshaus, versorgte
+mit dem anwesenden Knecht das Roß und ging dann im Hof umher. Die
+Glocke, die beim Vaterunser geläutet zu werden pflegt, verkündigte das
+baldige Ende des Gottesdienstes, Hans erwartete es, sah die Leute des
+Hauses und der Nachbarschaft von der Kirche heimkehren, und machte
+sich endlich selber auf den Weg, mit Herzklopfen zwar, aber mit dem
+überherrschten eines Mannes, der mit tiefer Zuversicht dem Erfolg
+entgegengeht. Er hatte sich vorgenommen, bei der Geliebten sich nicht
+ohne weiteres auf die Erzählung der Verwandten zu berufen, er wollte so
+ruhig, als es ihm möglich war, als Besuch auftreten, zuerst von andern
+Dingen reden und selber hören und sehen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span></p>
+
+<p>Als er in den Hof trat, sah er das »Mädle«, d. h. die zweite Magd der
+Bauers. Er fragte nach Christine, indem er hinzufügte, er sei ein
+Verwandter und hätte mit ihr zu reden. Die Gefragte erwiederte, die
+Magd sei im Garten, und wies ihm den Eingang. Hans trat hinein und sah
+Christine von weitem Gemüse abschneiden, das ihr die Bäuerin zu bringen
+aufgetragen hatte. Sie war in der Kirche gewesen, hatte aber an dem
+warmen Tage den Kittel ausgezogen und bückte sich zu Boden in blanken
+Hemdärmeln, die indeß nur den Oberarm bedeckten. Als sie jemand gehen
+hörte, schaute sie auf. Sie erkannte den Vetter und sah erröthend vor
+sich hin.</p>
+
+<p>Hans trat näher und sagte treuherzig: »Guten Tag, Christine!« — Die
+Gegrüßte dankte und erwiederte mit erkenntlichem Blick: »Du kommst
+herauf? Das hätt' ich wahrlich nicht erwartet!« — »Nun,« sagte Hans,
+»ich muß doch auch einmal sehen, wie's dir geht.« — Die Brust des
+Mädchens hob sich und ein leichter Strahl der Freude ging über ihre
+Züge. Sie versetzte: »Gottlob, mir geht's gut, ich bin gesund und
+zufrieden.« Und in der That, so sah sie aus. Hatten Sonnenschein und
+Regen in Frühling und Sommer sie erfrischt und gestärkt, so war sie in
+den letzten, weniger »unmüßigen« Wochen schon wieder auch etwas runder
+geworden und ihre ganze Erscheinung hatte den Charakter einer größeren
+sinnlichen Ruhe erhalten. Hans lächelte. »Das freut mich,« erwiederte
+er. »Du scheinst den Holzbauern nicht so schlimm zu finden, wie deine
+Vorgängerinnen?« — »Er ist auch nicht so schlimm,« versicherte
+Christine. »Hitzig ist er freilich, und wenn er in seinen Zorn kommt,
+weiß er nicht mehr, was er sagt; aber im Grund seines Herzens ist
+er ein ehrlicher Mann und meint's besser als so ein glatter, süßer
+Schwätzer. Seit dem letzten Sturm im Heuet« — setzte sie lächelnd
+hinzu — »kommen wir ganz gut mit einander aus. Ich paß' aber auch
+besser auf.« Nach einem Moment des Schweigens ernster geworden, sagte
+sie: »Was macht denn aber meine Mutter? Ist sie doch wohlauf?« — »Ja
+wohl,« versetzte Hans, »und auch zufrieden — bis auf die Gedanken,
+von denen sie zeitweis geplagt wird. Sie kann sich immer noch nicht
+drein finden, daß ihre Christine, ihre einzige Tochter bei einem
+andern dienen soll.« — »O,«<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> rief das Mädchen, »daran wird sie sich
+eben doch gewöhnen müssen! Mir gefällt das Dienen, und ich bin lange
+nicht so vergnügt gewesen, wie jetzt.« — Der Bursche betrachtete sie
+mit innigem Wohlgefallen. »Ja,« sagte er, »du bist auch wieder eine
+ganze Magd geworden.« Und mit gutmüthigem Stolz setzte er hinzu: »Das
+Bauernhandwerk ist halt doch das schönste und gesündeste, und über
+den Bauernstand geht nichts in der Welt!« »Das ist wahr,« erwiederte
+Christine, durch seine Anerkennung geschmeichelt und erfreut. »Drum
+will ich auch fortarbeiten, weil ich seh', daß ich's doch nicht ganz
+vergessen hab', und dazu lernen, was ich noch nicht versteh', und das
+kann ich am besten auf so einem großen Hof wie hier. Sag' das meiner
+Mutter, sag' ihr nur, ich bin gern eine Bauernmagd und hoff's noch
+lange zu bleiben.«</p>
+
+<p>Um den Mund des Burschen spielte ein fast unmerkliches schelmisches
+Lächeln. »Nun,« erwiederte er endlich, »auf einem Bauernhof kann man
+auch etwas anderes sein als Magd. Du bist keine Magd, wie die erste
+beste, du bist das einzige Kind deiner Mutter, und wenn das der Rechte
+erfährt und wenn er sieht wie du schaffen kannst in einem großen
+Werk, dann könnten wir auf einmal hören, daß die Magd eine Bäuerin
+geworden ist.« — Christine, des an sie ergangenen Antrages gedenkend,
+wechselte die Farbe und sah den Vetter scharf an; aber dieser hielt
+aus und verrieth seine Kenntniß der Sache mit keinem Zug. Das Mädchen
+entgegnete mit Ernst: »Ich trachte nicht so hoch hinaus; ich begnüge
+mich mit dem, was ich bin, und bleib' im ledigen Stand.« Eine sanfte
+Heiterkeit verbreitete sich über ihr Gesicht mit einem Hauch von Trauer
+gemischt, der sich indeß im Ausdruck wahrer Theilnahme verlor. Sie
+sagte: »Aber von dir hört man jetzt, daß du an's Heirathen denkst. Nun,
+wundern wird sich niemand darüber. Du weißt ja, wie oft ich dir selbst
+früher zugeredet hab'.« Und plötzlich erröthend rief sie: »Am End hast
+du schon eine? und willst mich zur Hochzeitmagd?« — »Eins ist wahr,«
+erwiederte Hans, »heirathen will ich.«</p>
+
+<p>Das Mädchen erschrak bei diesen Worten, ihr Gesicht wurde blaß und
+im Augenblick darauf purpurroth. Aber nun war es zu Ende mit der
+Zurückhaltung des Burschen. Wie er die Zeichen der Liebe<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> an dem
+Mädchen erblickte, die er sich erkoren hatte, als sie fast noch im
+Kindesalter stand, wie er das Bild, das ihn im Spiegel der Seele
+entzückt hatte, mit Augen schaute, da schlug die Flamme seiner
+Leidenschaft durch, und mit jenem Blick unendlicher Liebe, den er
+früher nur verstohlen auf sie zu richten gewagt hatte, sah er ihr
+muthig und gerade in die Augen. Und sie verstand ihn — mit der
+Schnelle des Blitzes erleuchtete sie die Erkenntniß, daß er alles
+wisse, und erschüttert und beseligt stand sie vor ihm. Hans ergriff
+ihre Hand und sagte im herzlichsten Ton: »Ja, Christine, heirathen will
+ich: aber ich brauch' keine Hochzeitsmagd, sondern eine Hochzeiterin!«
+Und als sie bei diesen Worten zuckte, als ob sie sich ihm entziehen
+wollte, rief er: »Laß mir die Hand! — Die Base hat mir alles gesagt.
+Ich bin heraufgekommen, um dich zu fragen, ob du mein Weib werden
+willst — und nun red' und sag' es!«</p>
+
+<p>Das Herz des Mädchens drehte sich im Busen um vor Wonne; aber noch
+wagte sie nicht, das ihr vom Himmel gefallene allzugroße Glück
+anzunehmen und sie rief: »Wie! — mich, die so gegen dich gehandelt
+hat — mich willst du zum Weib?« — »Still!« entgegnete Hans mit
+einer Bewegung, als ob er ihr den Mund zuhalten wollte; »das ist
+vorbei und vergessen, und nun thu' dir nicht selber Unrecht. Ich
+kenne kein Mädchen in der ganzen Welt, die ich für besser und für
+rechtschaffener halte und die ich höher schätze, als dich.« — Nach
+dieser Ehrenerklärung, welche die Liebeserklärung diesmal ergänzte und
+sanctionirte, sah das Mädchen mit dem rührendsten Blick der Liebe und
+des Dankes auf ihn. »Ja,« rief sie mit Thränen in den Augen, »du bist
+eben immer der beste der Menschen! Wie viel hab' ich erfahren, wie viel
+hab' ich leiden müssen, um das einzusehen.« Und während die Thränen
+über ihre Wangen rollten, vergaß sie alles und fiel im Drang ihres
+Herzens dem Guten und Treuen um den Hals und küßte ihn und weinte an
+seinem Gesicht.</p>
+
+<p>Sie hatten Glück, die Glücklichen. Kein Wesen sah diesen Vorgang, der
+am hellen Tag und unter freiem Himmel auf dem Dorf höchst ungewöhnlich
+ist, ein einziges paar Schwalben ausgenommen, die auf dem Stadeldache
+saßen und die Flügel streckend neugierig herunterzulugen schienen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span></p>
+
+<p>Aber nicht lange mehr sollten sie ungestört bleiben. Indem der
+Erschütterung auf beiden Gesichtern innige Heiterkeit folgte und das
+Mädchen ihre Thränen mit der Sonntagsschürze trocknete, vernahmen sie
+von der Gartenthür her plötzlich den Ruf: »Aber was Kreuzblitz ist
+denn das?« — Sie sahen hin, in höchst eigener Person und in voller
+Autorität des Richters kam der Holzbauer auf sie zu. »So?« rief er
+zu Christine, »die Bäuerin wartet auf dich und du unterhältst dich
+mit einem — wer ist der Bursch da?« — Hans trat mit festem Schritt
+vor den Gefürchteten hin und sagte: »Mein Nam' ist Hans Burger.« —
+Der Bauer betrachtete ihn und rief sich erinnernd: »Ah so, du bist
+<em class="gesperrt">der</em>!« — »Ja,« sagte Hans, »und die Christine hier ist mein
+Bäschen, und seit einigen Minuten — meine Hochzeiterin.«</p>
+
+<p>Der Holzbauer stand überrascht und sah ihn groß an. Er war zu
+gescheidt, um nicht einzusehen, daß seine Autorität jetzt ein
+Ende hatte; so schnell indeß konnte er das nicht einräumen. »Das
+Donnerwetter,« polterte er mit einer eigenen Mischung von wirklichem
+Unwillen und gespieltem Zorn, »was ist denn aber das für eine Art?
+Du kommst so mir nichts dir nichts her zu mir und heirathest mir
+meine Magd weg? Da soll ja doch gleich« — Hans, von diesem Spaß des
+Holzbauern ergötzt, entgegnete: »Ja, da kann ich nicht helfen, das
+Heirathen geht Allem vor.« — »Hol's der Teufel!« brummte der Bauer.
+»Die bösen Weibsbilder laufen einem weg, und hat man eine, die ein
+wenig ordentlich wäre, dann kommt so ein verfluchter Kerl und nimmt
+sie einem zum Weib! — Nun,« setzte er mit einem satyrischen Blick
+hinzu, »und du willst's also wirklich riskiren? — mit der Feinen?«
+— »Ja, Holzbauer,« versetzte Hans mit der Laune des Glücklichen.
+»Nachdem sie ein halbes Jahr bei Euch gedient hat, mein' ich, kann
+ich's riskiren.« — Der Bauer, der heute einen Sonntagshumor hatte und
+von Natur Spaß verstand, lachte. »Ja, ja,« sagte er dann, »hast auch
+Recht — jetzt kannst du's. Ich hab' sie dir gezogen und du kannst
+dich bei mir bedanken.« — Indem er seine Zornanfälle auf diese Art
+sich als Tugend anrechnete, konnten die beiden Liebenden nur mit Mühe
+den Ausdruck ihres Vergnügens zurückhalten. Hans nahm sich indessen
+zusammen und sagte: »Ich dank' Euch auch, Holzbauer, von Herzen.« —
+»Und ich desgleichen,«<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> setzte Christine hinzu, »bei Euch hab' ich
+grade gelernt, was mir fehlte, und ohne Euch wär' ich meiner Lebtag
+nicht glücklich geworden.«</p>
+
+<p>Der Holzbauer, wie alle Großen, war darum, weil er Schmeichelworte
+als etwas ihm Zukommendes betrachtete, für ihre Süßigkeit keineswegs
+unempfindlich. »Freut mich,« erwiederte er, »daß ihr das einseht.« Und
+in dem Gefühl seiner unleugbaren Güte setzte er hinzu: »Da sagt man
+immer, ich sei bös und schimpfe die Leute. Dummköpfe, Ochsen, alberne
+Weibsbilder sind's, die so was sagen. Ich schimpfen! Einfältiges
+Lumpenpack verfluchtes! — Ich verlang' was recht ist, und wenn etwas
+Dummes geschieht, laß' ich's nicht durchgehen; und so muß man's auch
+machen, sonst wird nie etwas aus den Leuten. Da hat man nun das
+Beispiel! — Und's freut mich doch, daß ihr das einseht und daß man
+auch einmal seinen Dank bekommt in der Welt.« Im vollen Genusse des
+Selbstgefühls hielt er ein bischen inne, ließ seinen Blick auf dem
+Mädchen ruhen und sagte dann zu Hans: »Noch ein Jährle, wenn ich sie
+hätt' — dann solltest du sehen!« — »Nein, nein,« versetzte Hans
+lachend, »man muß nicht zu viel verlangen. Von jetzt an will ich sie
+schon selber ziehen.« — Der Bauer sah ihn an, wie etwa ein Kaiser
+einen jungen Grafen ansieht, der sich auch fühlen zu können glaubt.
+Durch seinen guten Leumund, der auch zu ihm gedrungen war, schon für
+ihn eingenommen, fühlte er sich von seinem Wesen angesprochen und
+sagte daher mit der Miene huldvoller Approbation: »Nun, die Postur
+hast du dazu.« — Hans bemerkte: »Vor der Hand, nämlich bis wir uns
+zusammengeben lassen, bleibt die Christine ohnehin noch bei euch,
+wenn Ihr nichts dagegen habt. Heute freilich möcht ich bitten, daß
+Ihr sie mit mir zu ihrer Mutter fahren lasset.« — »Alles was Recht
+ist,« versetzte der Bauer mit Würde. Und mit der Freundlichkeit, deren
+sein Gesicht überhaupt fähig war, fügte er hinzu: »Seid vergnügt mit
+einander und macht bald Hochzeit und ladet mich auch darauf. Ich komm',
+ich versprech's euch, und wär's nur, um die dummen Weiber zu ärgern.
+Dann sollen sie mir nochmal sagen, keine Magd könnt's aushalten bei
+mir und jede käm' in Unfrieden von mir weg! — Aber Sapperment!« rief
+er, sich plötzlich unterbrechend, »jetzt<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> müssen wir in die Küche!«
+Und zu Christine gewandt, setzte er hinzu: »Klaub das Zeug da zusammen
+und schneid' noch ein wenig ab. Ich will indeß zur Bäuerin gehen und
+dich entschuldigen; denn die könnt' am End' nicht so Spaß verstehen wie
+ich!« Und in einer Laune, wie man ihn seit langer Zeit nicht gesehen,
+schritt er hinweg.</p>
+
+<p>Als das Mädchen zur Bäuerin kam, erhielt sie für die Scheltworte, die
+sie sonst zu erwarten hatte, einen freundlichen Glückwunsch.</p>
+
+<p>Eine halbe Stunde später trat unser Paar in die Stube der Hubel, die
+natürlich augenblicklich wußte, woran sie war. Christine rief: »Ihr
+habt nicht Wort gehalten — Ihr habt mich verrathen!« — »Sei still,
+du dummes Ding,« entgegnete die Base. »Wo wärt Ihr jetzt, wenn ich das
+Maul nicht aufgethan hätt'?« — »Ihr habt Recht gehabt,« erwiederte die
+Glückliche und drückte ihr die Hand. Hans sah die Base heiter an und
+sagte dankbar: »Mir habt Ihr Wort gehalten.« — Die Hubel versetzte
+würdig: »Wo ich reden muß, da red' ich, und wo das Schweigen nothwendig
+ist, da kann ich auch schweigen.«</p>
+
+<p>Man giebt mir zu, daß ich im Verlauf dieser Erzählung den Leser nicht
+mit der bekannten Versicherung behelligt habe, dieses oder jenes könne
+nicht geschildert werden, der Autor müsse die Ohnmacht der Darstellung
+bekennen, müsse es der Einbildungskraft der Leser überlassen, sich die
+Dinge auszumalen u. s. w. Eigentlich ist ja doch alles zu schildern,
+was lebt und sich offenbart und angeschaut werden kann, und jene
+Versicherung bedeutet darum auch in der Regel nur so viel als: ich bin
+nicht im Stande meine Schuldigkeit zu thun. — Zuweilen dürfte der
+Autor aber doch befugt sein, an die Phantasie des Lesers zu appelliren
+— der Kürze halber. Ich möchte darum jetzt die Freunde unseres Paares
+ersuchen, sich vorzustellen, mit welchen Gefühlen sie, nachdem sie im
+Wirthshaus die von Hans bestellte Mahlzeit eingenommen hatten, auf
+dem Wägelchen der Heimath zufuhren. — Es giebt Momente, wo sich eine
+solche Fülle von Glück zusammendrängt, daß wir ein ganzes Leben voll
+Schmerzen dadurch aufgewogen sehen, Momente, wo in überschwänglicher
+Liebe zu Gott<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> und zu der Welt der letzte Hauch von Leid, der letzte
+Hauch von Schuld hinweggetilgt, in Seligkeit verschlungen ist.</p>
+
+<p>Im Schwunge der Freude geberdet sich der natürliche Mensch frisch und
+lustig. In's Dorf einlenkend knallte unser zum Hochzeiter gediehene
+Freund, daß es eine Art hatte, und ließ das wohlgefütterte Roß traben,
+daß die Leute ihnen nur nachsehen und ein paar am Wege stehende Freunde
+nur die einfachsten Laute des Staunens ausrufen konnten. — Der Gute
+eilte der Mutter zu, die trotz alledem und alledem nun auch wieder
+einmal eine Freude haben sollte.</p>
+
+<p>Als er am Fenster des Hauses vorbei fuhr, erkannte die Glauning nur
+ihn, der Kopf der Christine war verdeckt. Der Wagen rollte in den Hof.
+»Da haben wir's!« rief die Wittwe, in's Herz getroffen; »nun bringt
+er sie mir gar in's Haus.« Allein es galt ihre Ehre, sie drückte die
+Betrübniß in's Innerste ihres Herzens zurück und hatte eine würdig
+freundliche Miene zu Stande gebracht, als sie zur Begrüßung heraustrat.
+»Da ist nun die Hochzeiterin,« rief Hans, »das heißt, wenn Ihr nichts
+dagegen habt!« Die Mutter, Christine erkennend, stieß einen Schrei aus
+und fing das vom Wagen steigende Kind in ihren Armen auf. »Gott sei
+Dank!« rief sie, und Thränen der Freude stürzten aus ihren Augen.</p>
+
+<p>Bei dem besten Kaffee, den man jemals in diesem Hause trank, wurde
+die Mutter in das Geheimniß der letzten Vorgänge eingeweiht. Wenn ein
+moralisch ästhetischer Knauser vielleicht denken sollte, die Wittwe
+hätte das Glück, solche Kinder zu besitzen, eigentlich nicht verdient,
+so beschämen wir ihn mit der Thatsache, daß sie bei Erwähnung der
+abschlägigen Antwort, die Christine dem reichen Bauernsohn gegeben, nur
+ein Augenblickchen eine curiose Empfindung hatte, sich aber durchaus
+nichts ansehen ließ und aufrichtigst ihren Dank gegen Gott wiederholte
+für den glücklichen Ausgang, und den Kindern gerührt ihren Segen gab.</p>
+
+<p>Im Dorfe freilich wurde über Hans zunächst gar manches Näschen und
+manches Mäulchen gerümpft, wovon eigentlich nicht jedes die zierliche
+Benennung verdiente. In Kurzem war aber auch hier von dem wahren
+Sachverhalt Einiges durchgesickert, wir wollen ununtersucht lassen,
+durch wessen Vermittlung. Ein Name zwar wurde<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> nicht genannt, bald
+aber sagte eines dem andern: die Christine hätte gar einen Reichen
+und Großen haben können, wenn sie gewollt hätte, aber sie hat ihn
+ausgeschlagen, weil ihr der Hans lieber ist als Alle. Man begriff
+endlich das Paar, und an die Stelle der Kritik, die nicht mehr
+sachgemäß war, trat allgemein freundliche und achtungsvolle Theilnahme.</p>
+
+<p>Hans hatte die Braut an jenem Sonntag wieder zum Holzbauern
+zurückgeführt. Hier, wo sie nun mit auffallender Rücksicht behandelt
+wurde, schrieb sie an die gute Base Kahl und meldete ihr Glück und den
+wunderbaren Weg dazu, und ließ an alle ihre Bekannten in der Stadt, an
+den Herrn Vetter, an Mamsell Adelheid und Susanne die schönsten Grüße
+ausrichten. Nach einer Woche lief die Antwort ein. Die Schreiberin
+freute sich unendlich, daß ihre Prophezeihung so schnell eingetroffen
+sei, und konnte die Theilnahme der Bekannten nicht warm und lebhaft
+genug schildern; ihr sei's gewesen, als ob eine Tochter, der Adelheid
+und Susanne, als ob eine Schwester das Glück gehabt hätte. Jetzt könne
+sie übrigens ihrem lieben Bäschen auch melden, was sie bisher sich
+nicht zu schreiben getraut, daß Herr Forstner schon seit drei Wochen
+mit der Wilhelmine verheirathet sei. Diesen könne sie aber, nach Allem
+was sie höre, keinen glücklichen Ehestand prophezeihen. Die Wilhelmine
+habe ihren jetzigen Mann schon ganz unter dem Pantoffel; außerdem sei
+sie eifersüchtig und hüte ihn wie ein Drache. Wenn das schon in der
+ersten Zeit geschehe, was würde der Mann erst später zu erdulden haben!
+Im Uebrigen müsse sie sagen, was wahr sei: vorgestern habe in der
+»Erheiterung« ein Concert stattgefunden und Herr Forstner habe auf der
+Violine gespielt, daß Alles Bravo gerufen und Beifall geklatscht habe.</p>
+
+<p>Bei dem letzten Satz lächelte Christine; es schien, als ob sie sich
+nicht unglücklich fühle, daß ihr künftiger Mann dieser Qualität
+entbehrte. Die Vorhersagung eines unglücklichen Ehestandes anlangend,
+dachte sie: die Base wird wohl übertrieben haben und meint mir
+vielleicht einen Gefallen damit zu thun; aber da kennt sie mich
+schlecht. Ich habe nicht das Geringste gegen diese Leute und gönne
+ihnen von Herzen alles Glück, das sie sich verschaffen können.</p>
+
+<p>Aus der Zeit ihres Dienstes beim Holzbauer haben wir nur noch<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> weniges
+zu berichten. Eines Abends, als sie eben vom Felde heimging, begegnete
+ihr vor dem Dorf jener Alte, der ihr die ehrenvolle Stelle einer
+Söhnerin zugedacht hatte. Dem Mädchen klopfte das Herz in Dank und
+Achtung, und als sie ihm nahe kam, grüßte sie ihn mit einem Blick
+der liebevollsten Erkenntlichkeit und — Abbitte. Der Bauer lächelte
+und sagte, indem er ihr freundlich wie einem Kinde zunickte: »Ich
+gratulire, Christine!« Das vollendet heitere Aussehen des Alten
+hatte, wie wir gestehen wollen, noch einen andern Grund als seine
+Gutmüthigkeit. Christine war ersetzt. Der Hubel, der ihre Niederlage
+gegenüber den guten Leuten keine Ruhe gelassen, war eine große That
+gelungen; sie hatte für den Sohn eine ausgemittelt, ihm an Stand und
+Vermögen völlig gleich und in jeder Hinsicht wundersam passend für
+ihn, und die Unterhandlungen waren bereits dahin gediehen, daß der
+Heirathstag in naher Aussicht stand. Christine erfuhr es etliche Tage
+später, und diese Ausgleichung trug dazu bei, ihr die letzte Zeit bei
+dem Holzbauern zu der angenehmsten zu machen.</p>
+
+<p>Im Oktober lud Hans mit seinem Bruder, dem Schmied, und mit dem
+jetzigen Dorflehrer Freunde und Bekannte im Ries herum zu seiner
+Hochzeit ein. Er lernte den letzteren, den die Vereinigung der
+Seminarbildung mit einem wackern, schlichten, zufriedenen Sinn für
+eine Schulstelle auf dem Lande ganz besonders qualificirte, bei
+dieser Gelegenheit näher kennen und freute sich, an ihm künftig einen
+guten Freund zu haben und an der braven, muntern Frau desselben eine
+richtige, nützliche Bekanntschaft für Christine.</p>
+
+<p>Mit der Erwähnung der feierlichen Einladung haben wir schon gesagt,
+daß die Hochzeit im Wirthshause gehalten wurde. So hatte es Hans
+gewollt. Alle Welt sollte die Christine sehen im bräutlichen »Horbet,«
+dem jungfräulichen Kopfputz: alle Welt sollte ihn an ihrer Seite
+erblicken, stolz und glücklich. — Es war eine große Hochzeit für
+ein solches Brautpaar, die meisten Geladenen, die zugesagt hatten,
+waren auch gekommen, und richtig befand sich unter ihnen auch der
+Holzbauer. Derselbe trank sich nach und nach in eine ausnehmend gute
+Laune hinein, die sich übrigens, bei gelegentlich an ihn gerichteten
+Fragen, mehr in ergötzlichen als höflichen Antworten kundgab. Nachdem<span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span>
+er einige wirksame Trümpfe ausgespielt und namentlich auch seine Güte
+und Verträglichkeit in so kräftigen Ausdrücken vertheidigt hatte, daß
+ihm niemand zu widersprechen wagte, schöpfte die glückliche Christine
+aus seinem vergnügten Aussehen den Muth, einem neckischen Verlangen
+nachzugeben und den Wunsch laut werden zu lassen, er möchte doch auch
+ein paar Reihen mit ihr tanzen. Der Hochzeiterin dies abzuschlagen,
+ging nicht wohl an, und außerdem konnte er durch Erfüllung des Wunsches
+am besten beweisen, wie gut man es bei ihm habe und wie vortrefflich
+sie mit einander ausgekommen seien. Deshalb unterdrückte er die bereits
+auf seiner Zunge befindliche Frage: ob sie toll geworden sei? führte
+sie unter allgemeiner Aufmerksamkeit auf den Tanzboden und drehte sich
+so stattlich herum, als es seine Leibesbeschaffenheit irgend zuließ.
+Nach den schicklichen drei Reihen wollte er aufhören; Christine, der
+es Vergnügen machte, den »Wilden« so zahm an der Hand zu haben, bat
+ihn noch um einen. Aber nun war seine Geduld zu Ende. »Geh zum — es
+geht nicht, Mädle! — Jungfer Braut, wollt' ich sagen!« — Hans, der
+heiter zugeschaut hatte, nahm ihm die Tänzerin ab, und statt ihrer trat
+die Mutter zu ihm und rühmte ihn, wie »feindle« (feindlich) schön er's
+noch könne und was für eine »grausame Ehr'« er ihnen angethan habe, daß
+er auf die Hochzeit gekommen sei. Zufrieden setzte er sich zur Kanne,
+und während er auf den Tanzlorbeeren ruhte, sammelte er sich neue als
+Zecher und Redner.</p>
+
+<p>Das Fest ging seinen fröhlichen Gang, der Abend kam heran. Die
+Ehrentänze, die bei solchen Gelegenheiten für das Brautpaar eine
+Pflicht der Höflichkeit werden können, waren getanzt, der Hochzeiter
+und die Hochzeiterin setzten sich an den »Bräuteltisch,« an welchem
+sich dermalen nur die Mutter befand. Die Gäste waren zum größten Theil
+auf dem Tanzboden, wo der junge, lustige Hochzeitknecht berufsmäßig
+eine nach der andern in den Reihen geführt hatte und sich eben nach
+geheim erhaltenem Auftrag mit der Base Hubel herumdrehte, zum Lohn für
+ihre Verdienste. In der Stube waren nur zwei entferntere Tische mit
+Zechenden besetzt, die in lebhaften Diskurs gerathen waren und nur
+Aug' und Ohr für sich selber hatten. Gewissermaßen allein gelassen und
+von der Festesfreude schon etwas ermüdet, saßen unsere<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> drei Personen
+stille da und gaben sich ihren Gedanken hin. Die Musik draußen störte
+sie nicht, die bekannten Töne klangen freundlich in ihre Vorstellungen
+ein. Das Vergnügen, das Nachmittags hell auf ihren Gesichtern
+geleuchtet hatte, nahm nach und nach einen ernsteren Charakter an und
+ihre Mienen wurden feierlich, fast so wie sie in der Kirche gewesen.
+— Die Mutter sah zuerst aus ihren Träumen empor; sie ließ ihren Blick
+liebevoll auf den Beiden ruhen, die so ganz und gar zusammengehörig
+ihr gegenüber saßen, und sagte dann bedeutsam: »Wie lang hat's dazu
+gebraucht! Es ist doch wahrlich gerade, als ob's früher nicht hätte
+sein sollen!« — Hans erwiederte auf diesen unwillkürlichen Ausruf in
+dem milden Tone, wie er tieferen Menschen in ernster Empfindung eigen
+ist: »Es hat auch wirklich nicht sein sollen, Schwieger! In der Welt
+ist's nicht jedesmal gut, wenn man ohne weiteres bekommt, was man gern
+möchte: man muß zum rechten Glück erst fertig gemacht werden. Ich hab'
+die Christine besser bekommen, als es früher möglich gewesen ist, und
+sie mich. Glücklich wären wir auch früher mit einander geworden, aber
+wir hätten nicht gewußt, was wir aneinander haben, und jetzt wissen
+wir's.« Christine sah ihn bei diesen Worten mit feucht glänzenden Augen
+an und drückte ihm zärtlich die Hand.</p>
+
+<div class="footnotes">
+
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> No, nocht, nochta = nachher, dann.</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Ursprünglich Heiligenbilder, dann Bilder überhaupt bis zum
+farbigen Papier herab.</p>
+</div>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span></p>
+
+<h2>Ende gut, Alles gut.<br>
+<span class="s5">Der Michel und die Gret.</span></h2>
+</div>
+
+<div>
+<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-w.jpg" id="drop-w.jpg">
+</div>
+<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">W</span>enn
+der Rieser nicht gerade zu der größten und stärksten Menschenart
+im deutschen Vaterlande gehört, so wird man ihm das Prädikat
+»wohlgewachsen« nicht versagen können. Begreiflicherweise gibt es
+in dem volkreichen Gau allerhand, kleine und große, »wie's der Hirt
+zum Thor naustreibt«; in der Regel begegnen wir aber doch schlanken
+Personen von guter Mittelgröße und darüber. Enakssöhne — Bursche, die
+eine Verbindung von Größe, Schulterbreite und Gliederstärke zeigen,
+die wir mit Staunen betrachten — sind selten und kommen in andern
+deutschen Gauen häufiger vor; zuweilen gelingt aber auch im Ries ein
+solches Erzeugniß, und es wächst, sofern der Geist mit dem Körper
+nicht geradezu in Widerspruch steht, eine Person heran, die sich in
+ihrer Umgebung eines besondern Respekts zu erfreuen hat. Wenn so einer
+freilich keinen Verstand, keine Würde und am Ende gar auch keine
+»Schneid« hat, dann hilft ihm sein Körperbau nichts; man belegt ihn
+mit den despectirlichen Namen eines »Drieschlags,« eines »unklamperen
+Kerls,« verspottet und hänselt ihn. Sind ihm aber jene<span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span> Eigenschaften,
+namentlich die letzte, in merklichem Grade verliehen, dann ist er in
+seiner Art eine Macht; man fürchtet ihn und schmeichelt ihm.</p>
+
+<p>Zu den leiblich außerordentlichen Erscheinungen im Ries gehörte auch
+der Held der Erzählung, womit wir dießmal die Leser zu unterhalten
+gedenken. Wir sagen mit Bedacht: der Held. Denn obwohl unsre Geschichte
+keineswegs eine Reihe von Thaten vorführen wird, bei welchen die
+Stärke des Armes die Hauptrolle spielt, so hoffen wir jene, für
+einen Bauernburschen sonst nicht wohl passende Bezeichnung doch zu
+rechtfertigen.</p>
+
+<p>Michel Schwab wurde im ersten Zehntel unsres Jahrhunderts geboren.
+Der Vater, ein wohlhabender Söldner und auch schon ein ungewöhnlich
+großer und gliederstarker Mann, erlag einer hitzigen Krankheit in
+seinen besten Jahren. Die Wittwe, die gut mit ihm gehaust hatte und den
+zehnjährigen Sohn über alles liebte, beschloß nicht mehr zu heirathen,
+damit ihr Einziger das ganze »Sach« bekäme, wie es der Vater gehabt
+hatte. Sie war selbst eine stattliche Frau, froher Gemüthsart und
+regierte gern — ein Grund mehr, um als ehrsame Wittib fortzuleben und
+die erste Person im Hause zu spielen, bis sie die Herrschaft an den
+Sohn abtreten mußte.</p>
+
+<p>Michel wuchs heran — die Augenweide und der Stolz der Mutter. In der
+Schule zeichnete er sich nicht besonders aus; sein Verstand <span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span>war etwas
+langsam zum Begreifen, sein Gedächtniß zum Behalten von Sachen, deren
+Nutzen ihm zweifelhaft erschien, nicht sehr bereitwillig, und Ehrgeiz,
+der ihn hätte stacheln können, besaß er nicht. Er lernte nur, was
+nicht zu umgehen war, ging lieber auf's Feld als in die Schulstube,
+und empfand eine dunkle Sehnsucht nach der Zeit, wo er gar nicht mehr
+hineinmußte, außer an Sonntagen. Um so besser gedieh sein Körper. Er
+war offenbar der stärkste von den Buben seines Alters; die Mutter hielt
+ihn überdieß für den schönsten und war nach dörflichen Begriffen wohl
+dazu berechtigt. Auf dem Dorf ist es vorzugsweise die derbe, robuste
+Schönheit, die eine ungemischte Bewunderung erweckt. Der Bauer hat
+auch ein Auge für zarte, feine Schönheit; aber wenn ein Kind mit einer
+solchen von ihm Lob erhält, so wird doch aus seinem Ton zugleich ein
+gewisses Mitleid herauszuhören sein, zumal wenn es ein Bube ist. Kennt
+er die Eltern gut, so erlaubt er sich in diesem Fall hinzuzusetzen: »a
+bisle kräftenger könnt' 'r freile sei'! No, 's kommt vielleicht no'
+(noch)!« Im Stillen denkt er aber: »Schad für des Büeble, daß er gar
+so elend ist!« Bei dem hübschen Jungen dagegen, der zugleich rothe
+Backen und tüchtige Gliedmaßen aufweist, geht die Gratulation durchaus
+von Herzen und das Lob wird mit den Zeichen der Achtung ausgesprochen.
+»Kott's Blitz,« ruft hier der Freund, während seine Augen im Glanze des
+Wohlgefallens blinken, — »des ist a Kerl! Des gibt a Mannsbild! Des
+weara't a' baar (paar)<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> Aerm' zum Garba' naufgeba'!« Und er lächelt
+dabei mit Würde und nickt den Eltern seine volle Anerkennung zu.</p>
+
+<p>In solcher Art wurde der junge Michel gerühmt, namentlich von Gästen
+aus andern Dörfern, die ihn längere Zeit nicht gesehen hatten, und
+am lebhaftesten von Weibern. So eine sagte wohl im Doppeleifer der
+Höflichkeit und der wirklichen Empfindung zu der Mutter: »Aber wie uir
+(euer) Michel widder g'wachsa'n ist! Doh muße me nor so aufwondera'
+(aufwundern)! Und a Boschdur (Positur) und a G'sicht hot er grad wie
+sei' Vader! Wie ra'grissa' (herabgerissen, d. h. vom Vater)! Und die
+roth' Backa', die er hot! Und die schöa' brau' Oga'! Doh müsset 'r aber
+doch a rechta' Fräd (Freud) haba' mit so'm Buaba' — net wohr, Bas?«
+— u. s. w. — Die Mutter suchte derartiges Lob, wie es der Brauch
+verlangte, wieder zu dämpfen, indem sie einwarf, daß in dem Alter
+alle Buben rothe Backen hätten, wenn ihnen grad nichts abginge, oder
+in Bezug auf besseres Lernen in der Schule und Angewöhnung besserer
+Manieren klagend ihre Wünsche aussprach. Aber solche Einwendungen
+erfuhren natürlich die gehörige Widerlegung; und wer konnte es der
+Glücklichen nun verdenken, wenn sie, den schönen Versicherungen in
+ihrem Innern beistimmend, an ihrem Michel eine Art Wunderkind zu haben
+glaubte?</p>
+
+<p>Als das ersehnte Ziel erreicht und der Bursche »in die<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> Zahl der
+Erwachsenen aufgenommen war,« entwickelte er sich indeß mehr nach
+seinen natürlichen Anlagen, als nach den Gesamtwünschen der Mutter; und
+die gute Frau mußte ihrerseits erfahren, daß es nichts Vollkommenes
+gebe unterm Monde!</p>
+
+<p>Zum Theil zwar erfüllte der junge Michel nicht nur ihre Erwartungen
+— er übertraf sie. Er wurde größer als sein Vater und ragte bald ein
+andrer Saul über seine Altersgenossen hervor. Gestalteten sich die Züge
+verhältnißmäßig derb, so waren sie doch regelmäßig. Die bräunlich rothe
+Gesichtsfarbe paßte zu den Formen, die dunkeln Augen und das dunkle
+Haar waren untadelich, und mit alledem konnte ihn die Mutter immer
+noch für den Schönsten im Dorf halten, wenn auch minder befangne Augen
+einigen andern Burschen den Vorzug geben mußten.</p>
+
+<p>Das Bauernhandwerk lernte er gern und gut. Die Mutter hatte
+zur Besorgung der Feldarbeiten ihres Vaters Bruder, einen alten
+Bauernknecht, ins Haus genommen. Dieser weihte den Burschen nach und
+nach in alle Künste der Landwirthschaft ein, und der Zögling machte
+sie sich ein wenig langsam, aber gründlich zu eigen. Er gewöhnte sich
+eine stetige Art zu schaffen an, die ohne Uebereilung auch zum Ziele
+kommt. Falls es aber gerade sein mußte — z. B. in der Erntezeit, wenn
+man vor dem drohenden Regen noch schnell ein Fuder hereinbringen wollte
+— da konnte er auch arbeiten »wie ein Roß!« Durch den trunkenen<span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span> Eifer
+beflügelt, den im ächten Landmann die Nothwendigkeit aufzuregen pflegt,
+leisteten die gewaltigen Gliedmaßen Staunenswerthes; und wenn zufällig
+ein alter Bauer vorüberging, konnte er sich überzeugen, daß die jetzige
+Zeit doch auch noch Mannsbilder aufzuweisen habe und die tüchtigen
+Leute im Ries nicht aussterben würden!</p>
+
+<p>Unter den ledigen Burschen im Dorf erwarb sich Michel eine
+außergewöhnliche Stellung. Schon als Bube hatte er im »Moestern«
+(Meistern), d. h. im Ringkampf, nicht nur seine Mitschüler, sondern
+auch ältere Bursche bezwungen und die Kniffe, womit die Schlaueren
+über ihn Herr zu werden suchten, durch überlegene Kraft wett gemacht.
+Er hatte verschiedene unverschämte Kerle in die Grenzen des Anstandes
+zurückgeprügelt, und die Partei, die ihn bei Schläghändeln auf ihre
+Seite bekam, durfte sich für geborgen halten. Wie er als Lediger
+zuletzt »auf die Gass' ging,« glaubten ihn zwei ältere Bursche,
+die bis dahin für die Stärksten gegolten, »für'n Narren halten«
+und vornehm behandeln zu können. Das »Geträtze« reifte zu einem
+nächtlichen Kampf, und dieser verlieh jedem die Ueberzeugung, daß die
+Gefürchteten ihren Meister gefunden hatten. Michel, von einem Kameraden
+secundirt, schickte die Gegner jämmerlich zerdroschen heim! — Von da
+an ließ man ihn nicht nur in Ruhe, sondern wich ihm bescheiden aus
+und behandelte ihn mit Rücksicht. Er kam nicht mehr in den Fall, die
+Stärke seines Armes geltend zu machen, außer wenn er sich bei einer
+entstandenen Prügelei bewogen sah, »auszuwehren,« d. i. thatsächlich
+Ruhe herzustellen. Die Veranlassung dazu bot sich ihm nicht oft, aber
+vor etwa dreißig Jahren doch öfter, als es jetzt sein könnte, wo der
+kriegerische Geist der Rieser Bauernburschen durch<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> die fortschreitende
+Bildung und die Gendarmerie auffallend zurückgedrängt ist. Bei solchen
+Gelegenheiten pflegte Michel die Bursche, die sich ihm nicht fügten und
+immer wieder angriffen, mehr als just nöthig war zu puffen und dadurch
+den Glauben an seine Ueberlegenheit so aufzufrischen, daß zuletzt das
+ganze Dorf davon durchdrungen war.</p>
+
+<p>In der angenehmen, behaglichen Stellung, die sich unser Mann
+erobert, bildete sich folgerichtig ein eigenthümlicher Geist in ihm
+aus. Obwohl von Natur nicht anmaßend, gewöhnte er sich doch einen
+kurzen, befehlenden Ton an, weil ihm nach seinem Gefühl kein anderer
+zustand. Er saß beim Bier unter seinen Kameraden in der Regel mit
+schweigsamer Würde, ließ sich unterhalten, belohnte den Spaß, der einem
+»Narra'sager« gelungen war, mit beifälligem Lachen, und spielte nur hie
+und da selbst einen Trumpf aus, der dann gerade nicht der feinste zu
+sein brauchte, um günstig aufgenommen zu werden. Wenn aber ein Streit
+entstand über Dinge, die er zu verstehen glaubte, so pflegte er zu
+entscheiden. Auch andern Disputen machte er zum öftern ein Ende, nicht
+durch ein siegreiches Argument, sondern durch die einfache, kräftig
+betonte Erklärung, daß man »d's Maul halten« solle! — Er war kein
+Liebhaber von vielen Worten, unser Michel — selbst nicht, wenn Andere
+sie machten; und wenn seiner Ansprüche im Umgang immer wenige blieben,
+so wollte er diese doch auch befriedigt sehen. Dank sei es dem Namen,
+den er sich erworben — unter seinen Kameraden setzte er seine Wünsche
+durch!</p>
+
+<p>Das wäre Alles gut und schön gewesen, und eine Mutter hätte Ursache
+gehabt, mit so einem Buben zufrieden zu sein; aber das Bild hatte seine
+Kehrseite. — Michel nahm keine Manier an! Er konnte sich nicht abgeben
+mit Vettern und Basen, wie die Schwabin es wünschte — er lernte
+keine Höflichkeit! — Schon als kleiner Junge, wenn ihn die Mutter in
+die Stube rief, um ihn einem besonders werthen Besuch vorzustellen,
+pflegte er ein »wildes« Gesicht zu machen, auf die gewöhnlichen Fragen,
+halb verlegen, halb trotzig, kurze, zum Theil verkehrte Antworten
+hervorzustoßen und sobald als möglich das Weite zu suchen. Dem Knaben
+wurde das verziehen, weil man doch sah, daß er's eigentlich so bös
+nicht meinte, und auch die etwas<span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span> beschämte Wittwe konnte über irgend
+eine komisch-alberne Antwort achselzuckend mitlächeln. Als er aber
+heranwuchs und seine Sache immer noch nicht besser machte, wurde sie
+höchst verdrießlich.</p>
+
+<p>Der Bauer hat keine Zeit, die Unterhaltung als Kunst zu betreiben,
+und Gesellschaften im städtischen Sinn giebt es auf dem Dorfe nicht.
+Allein man empfängt doch Besuche und macht welche, es giebt fröhliche
+Zusammenkünfte, und dem jungen Burschen fehlt es keineswegs an
+Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, wenn er eines hat, oder
+sich wenigstens in herkömmlicher Weise schicklich zu benehmen. — Bei
+Michel waren dem Erlernen auch solchen Benehmens zwei Eigenschaften
+hinderlich, die sich in ihrem Bunde unüberwindlich zeigten: Ehrlichkeit
+und — Faulheit. Seiner geraden Seele widerstrebte es, Dinge zu
+bewundern, die er nicht besonders, ja nicht einmal gewöhnlich gut
+fand; und in den Eifer, wo einem derartige Versicherungen allenfalls
+vom Munde gehen, sich hineinzureden, war ihm unmöglich; denn dazu
+hätte es einer Anstrengung bedurft, die ihm schon beim bloßen Gedanken
+abschreckend vorkam! So blieb es in der Regel bei einem schweigsamen
+Gesicht — einem »Hm,« »Ja,« »Jo« (ja doch), »Freile« und andern
+lakonischen Aeußerungen, womit sich Leute seines Gleichen aus der
+Affaire ziehen. Bei ungelegenen Fragen kam noch das im Ries sehr
+gebräuchliche »Bah« hinzu, das mit stark ablehnender, unter Umständen
+verächtlicher Miene hingeworfen wurde. Es war in der That unmöglich, in
+einer unvermeidlich gewordenen Unterhaltung sich kürzer auszudrücken
+als unser Michel, zum großen Leidwesen seiner Mutter, die ihn gern auch
+im Diskurs, wo nicht musterhaft, doch löblich gesehen hätte. Manchmal
+blieb es aber nicht dabei — manchmal, wenn man seine Ehrlichkeit
+allzustark reizte, platzte er direkt mit der Wahrheit heraus und beging
+damit eine Unschicklichkeit, bei der es der Mutter grün und gelb vor
+den Augen wurde. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, die grobe Rede
+zu vertuschen; wenn es aber nicht gelang und die beleidigte Person
+sichtlich böse dastand, dann übernahm sie die Rache selber, indem sie
+den Schuldigen für einen einfältigen Schwätzer erklärte, der nichts
+verstehe und ein Esel bleiben werde »all sein Lebtag!«</p>
+
+<p>In der ersten Zeit folgte solchen Unterhaltungen in der Regel<span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span> ein
+Zwiegespräch, in welchem die Mutter dem Sohn in's Gewissen redete
+und ihn mit dem Nachdruck der gerechten Entrüstung über seine Mängel
+aufzuklären suchte. Als er sich einmal durch düstre Schweigsamkeit
+und kurze Antworten ausgezeichnet hatte, begann die Alte: »Aber ietz
+sag mer nor, Michel, wie isch (ist es) mögle, daß ma' se so benemma'
+ka' vor da' Leuta'! Ka'st denn ietz net oh a weng reda', wie's der
+Brauch ist, und a froendle's (freundliches) G'sicht macha'? Fällt
+der denn gar nex ei', daß d'alleweil dohstost (dastehst), als ob d'r
+d's Maul zuag'wachsa' wär'?« — Michel, etwas unmuthig, fragte wie
+er schon öfter gethan: »No, was soll i denn saga'?« — Die Schwabin
+kam in Eifer. »Was er saga' soll, frogt er me! — Was ander Leut'
+saget — Badde (alberner Mensch)! Merkst denn gar net auf? Host denn
+gar koe Hihra' (Hirn)?« — Michel über diesen Ausdruck verdrießlich,
+erwiederte: »I ka' des domm' G'säg (Gesage, Gerede) net leida'.« —
+Aber nun wurde die Alte hitzig. »Wer sakt denn, daß d' a domm's G'säg
+haba' sollst, o'verständenger Mensch? Ebbes G'scheidt's sollst reda',
+daß ma'n a'n Unterhalteng hot und vergnügt ist! Gang weiter. A Kerl
+so stark und so groaß wie a' Bohm (Baum), und hot net amol soviel
+Versta'd wie a' Schuelbüable! An dir wear' e no' a rechta' Fräd (Freud)
+verleba', daß Gott erbarm'!« u.s.w.</p>
+
+<p>Kräftiger noch war die Rüge, wenn Michel seiner Ehrlichkeit freien Lauf
+gelassen und die Wahrheit gesagt hatte, wo Höflichkeit an der Stelle
+gewesen wäre. Nach dem ersten auffallenden Verstoß dieser Art kam es zu
+folgender Scene.</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Mutter.</em> No ha'et (heut) host widder a Dommheit g'macht! Du bist
+doch der Dipplengst<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a> em ganza' Doraf (Dorf)! Sakt ma'n oem so ebbes
+en's G'sicht? Setzt ma' d'Leut so en Verlega'heit?</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Michel</em> (trutzig). S'ist nor d'Wora't (Wahrheit) g'wesa', was e
+g'sakt hab'!</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Mutter</em> (bitter lachend). D'Wora't! O du o'sennenger (unsinniger)
+Mensch! Sakt ma' d'Wora't, wann's o'gschickt rauskommt<span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span> und d'Leut
+verdrießt? — Was weara'n ietz die von der denka'? Und was weara's von
+d'r verzähla', wann's hoem (heim) kommet!</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Michel.</em> Mei'twega' was went (was sie wollen)! I frog' nex
+dernoch!</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Mutter.</em> Oh rehcht (auch recht)! Du frogst nex dernoch, wamma'
+de für'n Esel hält und dei' Mueter für a Weib, die de net zoga' hot?
+Du wurscht a saubers Mannsbild weara'! Du wurscht schöa' durch d' Welt
+komma'! — Ietz möcht' i nor wissa, w'rom ih grad so gstroft ben und
+so'n Narra' zum Soh' hab!</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Michel</em> (ärgerlich). »No, ietz isch gmuag! — — A'n andersmol
+du' es (thu ich es) nemmer!« —</p>
+
+<p>Diese Zusage, die ihm das Verlangen nach dem Schluß erpreßt hatte,
+konnte der gute Michel indessen nicht immer halten. Wenn er aber auch
+in weitern Verstößen sich selbst übertraf — wenn er, zum Sprechen
+genöthigt, in seinem Widerwillen vollständig »aus dem Weg naus« redete
+oder, durch sein eigenes Schweigen belästigt, in der Zerstreuung und
+ohne Kenntniß des eben Gesprochenen eine Frage that, daß man ihn für
+»meschucka'« (hebräisch: verrückt) hielt — kurz wenn er auf dem
+eingeschlagenen Wege consequent fortging, so hörten die Predigten der
+Mutter doch nach und nach auf. Einmal wurde die wackre Frau müde, stets
+dasselbe zu sagen für nichts und wider nichts. Dann regte sich, je mehr
+er heranwuchs und Autorität unter den Dorfburschen erlangte, in Michel
+ein Geist der Widersetzlichkeit, der sich das »Repermandiren« nicht
+mehr gefallen lassen wollte. Die Schwabin beschränkte sich zunächst auf
+einzelne kurze Bemerkungen, wie z. B.: »No, ha'et host widder a Schluap
+(großes Maul) rahgh'ängt, des muß i saga'! Wann de nor em Spiegel
+g'seha' hätt'st — du hätt'st der gwiß selber g'falla'!« Oder: »Ha'et
+host widder 'n Einfall g'hett (gehabt)! Wie d'nor drauf komma' bist!
+A'n Anderer brächt's net raus, er därft' se Müa' geba'!« — Aber Michel
+wurde endlich auch dadurch verletzt und sagte einmal unmuthsvoll: »Ietz
+laß me amol ganga'! I ben wie'n e ben, und durch dei' ewengs (ewiges)
+G'schimpf wear' e net anderst! Weam e net g'fall, der soll derhoemt
+(daheim) bleiba', oder — — i hätt' schier ebbes g'sakt!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span></p>
+
+<p>Die Mutter seufzte. Sie mußte einsehen, daß sie sich in einem Punkte
+geirrt und ihr Sohn eben doch einen Fehler habe, und zwar einen großen,
+den er vielleicht nie ablegen werde. Aber noch blieb ihr eine Hoffnung.
+Michel war noch jung, es konnte noch werden. »Vielleicht got's 'm«,
+dachte die Gute, »wies scho' manchem ganga'n ist! — vielleicht wurd 'r
+zoga', wann 'm a Mädle g'fällt!« — Dieser Gedanke leuchtete ihr ein
+und rief eine Art von Lächeln auf ihr Gesicht. Es gab manche im Dorf,
+die ihr als Söhnerin nicht unlieb gewesen wäre. Wenn Michel an einer
+seine Freud' hätte, sich »um sie herummachte« und sie zum Tanz führte,
+dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ihm der Verstand nicht
+kommen und das Maul nicht aufgehen sollte! — Die gute Frau stellte
+sich das so hübsch und natürlich vor, daß sie recht erheitert wurde und
+auf diese Medizin das vollste Vertrauen setzte. Sie beschloß, ihn gehen
+zu lassen und zu warten.</p>
+
+<p>Michel wurde neunzehn, er wurde zwanzig Jahre alt — und noch gefiel
+ihm keine. Die Mutter schüttelte den Kopf. Nicht nur, daß er keiner den
+Vorzug gab — er machte sich aus den Mädchen überhaupt nichts. Er lief
+ihnen nicht nur nicht nach, er wich ihnen aus oder that wenigstens, als
+sähe er sie nicht. An Lustbarkeiten nahm er Theil, aber nur, um sich
+zu Mannsbildern zu setzen, die ohne Schatz waren, wie er. Mit diesen
+zechte, dampfte und diskutirte er in der schon beschriebenen Art und
+ging endlich zufrieden nach Hause. Ein paarmal ließ er sich von einer
+Nachbarin, die einige Jahre älter war als er und ihm gegenüber eine Art
+von Erziehungstrieb spürte, zum Tanzen verleiten. Als aber nach dem
+zweiten Versuch eine alte Base zu ihm sagte, er tanze, daß »dem Teufel
+dran grause«, und er müsse es besser lernen, sonst wärs g'fehlt — da
+hatte dies nicht zur Folge, daß ers besser lernte, sondern ganz und gar
+aufsteckte. — Die Mutter wurde recht bedenklich, und an die Stelle der
+Hoffnung trat das Mißvergnügen und die Sorge.</p>
+
+<p>Auf dem Lande heirathet man verhältnißmäßig früh, und früh knüpfen sich
+auch Liebesbündnisse. Zwei junge Leute, die sich gefallen, gedeihen
+eben darum bald zum Liebespaar, weil sie auch bald zum Ehepaar gedeihen
+können; und der Dorfgeschichten-Erzähler wird<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> nicht leicht in den
+Fall kommen, seine Leser für das Verhältniß eines Vierzigers mit einem
+zwanzigjährigen Mädchen interessiren zu müssen, was der Novellist
+der höhern Stände immer seltner wird umgehen können. Daß ein Sohn zu
+spät oder zu wenig nach den Mädchen fragt, ist ein Unglück, welches
+bäurischen Eltern selten begegnet. Oefter kommt es vor, daß einer in
+jungen Jahren zuviel darnach fragt und dann natürlicherweise Folgen
+sich ergeben, die den Eltern viel Verdruß machen können, in der Regel
+aber auch wieder eine gute Ausgleichung finden. Vernünftige Eltern
+wünschen niemals, daß ihr Sohn eine Liebschaft anfange, wenn er kaum
+ein paar Jahre aus der Schule ist. Aber wenn ein Jahr ums andere
+vergeht, wenn er in die Zwanzige eintritt und immer noch thut, als ob's
+gar keine Mädchen auf der Welt gäbe, dann findet man das auf dem Lande
+nicht natürlich.</p>
+
+<p>Als Michel das zwanzigste Jahr hinter sich hatte, achtete es die
+Schwabin für ihre Pflicht, ihm in dieser Beziehung Ermahnungen zu geben
+— freundliche, liebevolle Ermahnungen: sie wußte ja, daß andere bei
+ihm nicht anschlugen! — Bei Gelegenheit eines Tanzes forderte sie ihn
+auf, ins Wirthshaus zu gehen und sich auch einmal ein Vergnügen zu
+machen. Er habe ja die letzte Zeit her genug geschafft, und für Leute
+seines Alters wären ja solche Gelegenheiten da. Michel antwortete, er
+wolle sich schon ein Vergnügen machen. Die Mutter schüttelte den Kopf
+und sagte: »I moe (meine) net, daß de widder he'setzst und rohchst
+aus dei'm Pfeifa'kopf — i moen, daß d'oh a Mädle nemmst und danzst
+mit 'r, wie ander' jung Leut'.« — Michel schwieg einen Moment, dann
+sagte er: »du woescht (weißst), Mueter, d's Danza' frät me net.«
+— Hier konnte die Mutter ihre Ungeduld nicht bemeistern. »Kott's
+Blitz, red net so! Fang's nor a', 's wurd de scho' fräa'!« — Und in
+freundlicherm Ton setzte sie hinzu: »Ha'et kommt dei' Bäsle von ** ins
+Wirthshaus, a saubers Weibsbild — ka' alle Arbet und hot ebbes! Des
+wär' a Dänzere für di! Mach de lusteng mit 'r (ihr), nemm's mit in d'
+Stub' nei' und loß 'r ebbes auftraga'. Kott's Kreuz nei', a Mensch, der
+ins oenazwanzengst Johr got.« — »Aber i ka' ja net danza«, entgegnete
+Michel. »D'Leut lachet me aus.« — »Wie wursch (wirst<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> du's) denn
+aber learna', wann's net probierst?« versetzte die Alte. »Learngeld
+hommer (haben wir) alle geba' müssa' — des verstot se. Aber die
+Bäbe, die wurd de scho' regiera'; die brengt de rom — doh ka'st de
+drauf verlossa'. — Komm, versprich mer's!« — »Ach Gott«, erwiederte
+der gute Bursche mit einer Miene, als ob er Arznei nehmen sollte —
+»i due's recht o'geara'.« — »Ietz verzürn' me net«, entgegnete die
+Mutter, »oemol mueß sei',« — »I hab' koe Gloech (Gleich, Gelenk)
+derzue,« versetzte der noch immer Bedenkliche. — »Dommheita'! du
+host dei' grade Glieder! Und du ka'st ja doch bei der Arbet sprenga'
+(springen, laufen) wann's sei' muß!« — »Ja bei der Arbet!« erwiederte
+Michel, als ob er hinzusetzen wollte: »das ist auch was ganz Anders!«
+— »Beim Danza' got's no' (noch) besser!« versicherte die Mutter; und
+indem sie ihn schmeichelnd auf die Schulter klopfte, setzte sie hinzu:
+»komm, sei brav, versuch's und due (thu) oh amol ebbes, was e (ich)
+geara' hab'!« — Der gute Michel verspürte bei diesen bittenden Worten
+einige Rührung, und um der Sache ein Ende zu machen und loszukommen,
+sagte er: »No, i will seha'!« — »Also du willst?« rief die Mutter. —
+»Ja, ja«, erwiederte Michel, »i will seha'!« —</p>
+
+<p>Als er am andern Morgen in die Stube trat, fragte die Schwabin: »No,
+wie hot's ganga'?« — »Ganz guet«, versetzte Michel. — »Bist z'recht
+komma'?« — »Des will i moena'«, erwiederte der Sohn mit Selbstgefühl.
+— »No«, sagte die Alte erheitert, »des hab' i ja g'wißt! — Host
+aber oh ebbes auftraga' lossa'?« — »Des net.« — »Wie, 'r Dänzere,
+zu der ma' Froed (Freund) ist?« — »Ja so«, versetzte Michel, »du
+red'st vom Danza'?« — »No, von was soll i denn reda'?« — »Ja, lieba'
+Mueter«, erwiederte der Sohn mit einer Art von Bedauern, »des muß i d'r
+scho' saga': danzt hab' e net.« — »Was? Aber du sakst ja —« »Ja«,
+entgegnete der Enakssohn, »i hab denkt, du moest ebbes andersts. 'S hot
+nämlich bald 'n kloena' Handel geba', und doh hab' e ausg'wehrt. Doh
+ist so a kloener Grippel (Krüppel; bedeutet hier bloß die Kleinheit)
+g'wesa', der gar koen Fried hot geba' wölla'. I hab' wärle Earnst
+macha' müassa'! — Aber ietzt«, setzte er mit Befriedigung hinzu,
+»ietzt, hoff' i, wurd er oh an mi denka'!« — Die Mutter, ärgerlich,
+versetzte:<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> »Aber des wurd doch net eweng daurt haba'? Später wurd's
+doch oh no Zeit geba' haba' zum Danza'?« — »Ja«, sagte Michel, »doh
+hab i nocht (nachher) mei' Unterhalteng scho' g'hett (gehabt), und i
+hab denkt: für ha'et isch gmuag!« — Die Alte wußte nicht, sollte sie
+weinen oder lachen über so einen Menschen. »No«, sagte sie endlich,
+»i sig scho', an dir ist Hopfa'n und Malz verloara'!« — »Desdawega'
+(deßwegen) no net«, erwiederte Michel behaglich, und ging langsamen
+Schrittes an seine Arbeit.</p>
+
+<p>Trotz des schlechten Erfolges dieser ersten Ermahnung richtete die
+Mutter ähnliche noch zu wiederholtenmalen an den Sohn. Die gute Frau
+meinte: »'s ist doch a Vergnüaga, was i von 'm haba' will! 's ka' ja
+net sei', daß 'r gar koen G'falla' dra' fendt! 'S ist doch no a'n ieder
+endle drauf komma'!« — Allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos.
+Einmal ließ sich Michel bewegen, noch einen Tanzversuch zu machen;
+aber abgesehen davon, daß er nicht das geringste Vergnügen dabei
+empfand, hörte er auch aus einer Ecke von zwei Mädchen ein »Kuttern«
+(gedämpftes Lachen), das er nur auf sich beziehen konnte, und in dem
+Aerger, den »Fratzen« zum Gespötte zu dienen, sagte er zu seiner
+Tänzerin: »So, ietz ist gmuag, ietz ka'st widder ganga'!« und kehrte
+in die Stube zurück, um seinen Unmuth zu vertrinken. Ein Kamerad, den
+er auf's Gewissen fragte, wie er eigentlich tanze, erwiederte mit
+bedeutungsvollem Blick: »Loba' ka'n e's net!« Michel nickte schweigend;
+und als er heimkam und seine Mutter wieder fragte, ob er »sich lustig
+gemacht« habe, antwortete er mit Unmuth: »Ja, danzt hab' e; aber desmol
+und mei' Lebteng net widder! Aus isch! Globst du, doß i da' Leuta' da'
+Narra' ahgib? doh bild' i mer doch z'viel ei'! Kott's Kreuz-Taused«
+— — »Aber« — »Ietz hör' auf oder du machst me falsch! I will
+endlich 'n Fried' haba' mit dem Sakermentsdanza' doh! — 'S wär koe
+Wonder, 's käm' ebbes dabei raus!« — — Die Mutter sah den Burschen
+achselzuckend an und schwieg. Sie mußte sich überzeugen, daß an so
+einem Menschen kein Reden was helfen kann! In Gottes Namen! Sie hatte
+ihre Schuldigkeit gethan; und wenn er nicht mehr auf den rechten Weg
+zu bringen war — ihr konnten keine Vorwürfe gemacht werden. Hatte sie
+sich doch auch schon erboten,<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> ihn selber tanzen zu »lernen« (lehren)!
+Aber was hatte er drauf gesagt? »Mit mei'r Mutter z'danza', kommt mer
+so öad für, daß mer übel wurd, nor wann e dra' denk'!« Mit so einem
+Menschen fang' eines was an! Nein! — er soll thun, was er will! Und
+wenn er »a'n alter Esel« wird und keine kriegt, soll er's haben!</p>
+
+<p>Um es kurz zu machen — unser Bursche hatte das sechsundzwanzigste Jahr
+hinter sich — und noch konnte er das Tanzen nicht und noch hatte er
+keinen Schatz, geschweige denn ein Weib. Er näherte sich dem, was auf
+dem Dorf ein »alter Jungg'sell« heißt; denn wenn der Bursche einmal in
+der zweiten Hälfte der Zwanzige steht, dann kann er sich nicht mehr
+viel auf seine Jugend einbilden und es ist Zeit, daß er seine Wahl
+trifft. Hat er einmal »drei Kreuz auf'm Buckel (Rücken)«, dann ist
+er schon sehr anrüchig, und er muß andere Qualitäten bedeutender Art
+haben, falls er auf eine Dorfschöne noch Eindruck machen will.</p>
+
+<p>Bei seiner Weise zu leben wurde Michel natürlich ein eigenthümlicher
+Kauz. Von Herzen gutmüthig, konnte er doch leicht und schnell böse
+werden, wenn man ihn durch eine Zumuthung belästigte oder durch
+Widerspruch reizte. Der kurze, befehlende Ton unter Kameraden wurde ihm
+zur andern Natur, er gebrauchte ihn ganz gemüthlich und hatte keine
+Ahnung davon, daß er einen Andern damit in einer Art ansprach, die er
+von ihm sehr übel aufgenommen hätte. Wer ihn zu behandeln wußte, konnte
+gleichwohl Alles mit ihm anfangen. Auf eine gute Rede, für einen guten
+Freund wär' er in's Feuer gegangen. Natürlich wurde er bei alledem kein
+großer Menschenkenner. Er bildete mehr die Gabe des Glaubens, als das
+Talent der Prüfung und Unterscheidung aus, glaubte an seine eigenen
+Einfälle und anderer Leute Versicherungen und handelte in diesem
+Vertrauen oft sehr naiv. Er gab im Dorfe zu manchem Spaß Anlaß, der
+gute Michel, und man lachte bei solchen Gelegenheiten weidlich über ihn
+— aber hinter seinem Rücken! Denn ihm ins Gesicht zu lachen, wollte
+doch Niemand räthlich finden! —</p>
+
+<p>Die Mutter ließ ihn gehen. Am Ende, wenn er nicht heirathete, blieb
+sie die Herrin im Haus bis an ihr letztes Stündlein; und wir wissen,
+sie regierte gern. Aber ihr Muttergefühl überwog doch.<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> Eine rechte
+Söhnerin ins Haus und für sie »Enkala'« zu wiegen, wär' ihr doch lieber
+gewesen. — Wenn sie daran dachte, verlor sich ihre Zufriedenheit; sie
+schüttelte den Kopf und seufzte. Zuweilen tröstete sie sich selbst mit
+den Worten: »Was ka'n i macha'? 'Sist eba'n a Blohk (Block) und bleibt
+oer!«</p>
+
+<p>Damit aber that sie ihrem Sohn unrecht. Die Fähigkeit, die sie so gern
+bethätigt gesehen hätte, fehlte nicht, sie schlief nur und harrte
+ihrer Zeit. Und die Zeit kam endlich und eine neue Periode begann für
+Michel — die geschichtliche. Kurz: er sah »die Rechte« — die bestimmt
+war, sein Herz zu rühren. Und bei dem ersten Anblick schon wurde ihm
+höchst seltsam zu Muthe, und was die Mutter ihm vorgepredigt und was er
+niemals verstanden hatte, das begriff er mit einem Schlag.</p>
+
+<p>Diese Rechte war Margareth, zweite Tochter eines Söldners und Maurers,
+dessen Haus in der nämlichen Gasse lag. Als »Greatle« war sie aus dem
+Dorf gekommen, um zu dienen — als »Great« kam sie wieder, da ihre
+ältere Schwester sich verheirathet hatte und der verwittwete Maurer
+sie im Haushalt brauchte. Vor vier Jahren, wo sie das elterliche
+Haus verließ, hatte sie noch wenig »gleichgesehen« (vorgestellt);
+jetzt verwunderte sich Alles über ihre »Aussicht.« Sie war stattlich
+und groß — um ein Gutes kleiner freilich als Michel, aber doch das
+größte Mädchen im Dorf. Zugleich war sie ein sehr hübsches Mädchen.
+Sie gehörte zu jenen gesunden, kräftigen Blonden, welche das heiterste
+Bild froher Weiblichkeit gewähren. Ihre Züge waren regelmäßig, die
+Gesichtsfarbe hell; die Backen hatten nur einen leichten rosigen
+Anhauch, aber desto röther waren ihre Lippen; und wenn sie lachte,
+war es ein Vergnügen, ihre weißen Zähne durchblinken zu sehen. In
+gemüthlicher Aufregung pflegten die Flügel ihrer wohlgebildeten Nase
+sich etwas in Bewegung zu setzen, was auf ein lebhaftes Temperament
+schließen läßt. Allein wer ihre ziemlich hohe, klare Stirn sah und ihre
+hellen blauen Augen, der erkannte in ihr ein Mädchen, die zu gescheidt
+war, um ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. In der That
+war sie ein fröhliches, aber unverdorbenes Geschöpf; vielleicht eben
+darum unverdorben, weil sie fröhlich war und nach der Arbeit in Scherz<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span>
+und Spiel ihre Erholung und Befriedigung fand. Sie war das letzte
+Jahr zu Nördlingen im Dienst gewesen, und es hatte ihr an verliebten
+Nachstellungen durchaus nicht gefehlt. Allein Margareth war ein ächtes
+Bauernmädchen — ein rechter »Bauernburscht« ging ihr über Alles, und
+da sie so einen noch zu bekommen hoffte, so konnte ein »Nearlenger
+Da'le (Daniel; Spottname der Nördlinger unter den Bauern)« keine Macht
+über sie gewinnen. Im Uebrigen war das Schaffen ihr Vergnügen. Sie
+gehörte zu den Personen, denen nach dem Rieser Ausdruck »etwas aus der
+Hand geht« — die nicht lange fackeln und herumtappen, sondern die
+Sache gleich recht angreifen, und die gerne arbeiten, weil sie immer
+etwas Ordentliches fertig sehen.</p>
+
+<p>Gewiß ein Mädchen, der es zustand, das Herz unsres Burschen in Bewegung
+zu setzen! Wäre Michel geschickter gewesen, so hätte man sagen können:
+sie war unter den Mädchen des Dorfs, was er unter den Burschen. Allein
+unter den gegenwärtigen Umständen ragte sie über ihn empor, und das war
+auch nöthig, wenn sie dem Stolzen einleuchten und den Selbstgenügsamen
+zu der Erkenntniß bringen sollte, daß ihm doch noch etwas fehle und daß
+er sich um etwas zu bemühen habe.</p>
+
+<p>Als Michel ihr das erstemal begegnete und sie ihm guten Tag bot, sah
+er sie verwundert an und erwiederte stehen bleibend: »I muß scho'
+saga'« — Das Mädchen, ihm zu Hülfe kommend, rief: »Du kennst me
+g'wiß nemmer, Michel? I ben d's Maurers Margret!« — »Kott's Blitz«,
+erwiederte Michel, »'s ist wohr! — Aber du bist ja a Fetza'mädle
+woara!« — Der Ausdruck »Fetza'mädle«, obwohl eine tüchtige Person
+bezeichnend, klang doch von einem Burschen zu einem hübschen Mädchen
+nicht besonders zierlich und rief auf dem Gesicht der Gret ein Lächeln
+hervor. Sie sagte ein wenig schnippisch: »Uir Mannsbilder moenet wohl,
+uir könnet alloe groaß wäara'? Aber manchmal g'rothet (geräth) von o's
+doch oh oena'! — No, godda' Morga'!« — Sie ging weiter. Michel hatte
+mechanisch das »godda' Morga'« wiederholt und sah ihr jetzt mit einer
+curiosen Empfindung nach. Endlich sagte er: »Des ist ja a verfluacht
+saubers Weibsbild woara, die Great! Wer hätt' des g'lobt (geglaubt)!«
+Er<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> drehte sich um und ging weiter; aber das Bild der Gret stand immer
+vor ihm und seine Gedanken konnten nicht von ihr loskommen. Es gährte
+und »grubelte« in seinem Herzen, und nachdem sein Mund eine halbe
+Stunde geschwiegen, verrieth er die Beschäftigung seiner Seele, indem
+er plötzlich murmelte: »A saubers Weibsbild, wärle! A Mädle, wie von
+Wachs!«</p>
+
+<p>Der Keim war in unsern Burschen gelegt. Bei weiterem Nachdenken
+erkannte er immer mehr, daß die Gret diejenige sei, die er haben
+möchte, zum Schatz — zum Weib! Er begriff, wie man einem Mädchen
+nachlaufen könne; denn eigentlich wäre er der Gret jetzt selber gern
+nachgelaufen! Was ihm früher zuwider gewesen, das erschien ihm jetzt
+lieb und angenehm. Es dünkte ihn schön, sehr schön, mit der Gret
+eine »Ansprach« zu halten, sie zum Tanz zu führen, sie ordentlich
+herumzudrehen und ihr tüchtig auftragen zu lassen! Was die Mutter
+früher umsonst gewünscht hatte, jetzt hätte er's ausführen können Alles
+miteinander! — — Allein er wäre nicht Michel gewesen, wenn er die
+Sache nun so angegriffen hätte, daß er zu seinem Zwecke gelangen mußte.</p>
+
+<p>Zuerst überlegte er, und dabei kam ihm ein Skrupel, der ihn höchst
+bedenklich machte. »Wann's de aber no net möga' dät? Wann's de
+auslacha' dät und du ständest doh« — — Es ging ihm heiß durch die
+Brust bei diesem Gedanken und er sah gewaltig düster für sich hin.
+Michel hatte nichts von der Eitelkeit, die junge Bursche glauben läßt,
+jedes hübsche Mädchen müsse sich in sie verlieben; aber um so mehr
+besaß er jenen Stolz, für welchen der Gedanke, sich verachtet zu sehen,
+empörend ist. Wenn Er, der niemals nach den Mädchen was fragte, der
+ihnen auswich, der zu wiederholten Malen erklärte, er könne ihr »G'säg«
+nicht leiden — wenn er, der Michel, vor dem Alles Respekt hatte, nun
+plötzlich einer nachginge und schlecht ankäme! Wenn sie ihn verspottete
+und es käme heraus und das ganze Dorf spottet über ihn — — Ein
+Kernfluch entrang sich bei dieser Vorstellung seinen Lippen. Nein, so
+durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das mußte klug und vorsichtig
+— sehr vorsichtig angefangen werden.</p>
+
+<p>Er faßte den Entschluß, keinem Menschen zu sagen, wie's ihm<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span> war. Zur
+Mutter zu gehen und ihr zu beichten, er hätte ein Mädchen gern, wäre
+ohnehin nicht in seinem Charakter gelegen; nachdem er aber so lange
+ihren Ermahnungen widerstanden hatte, wäre sie die letzte gewesen,
+der er seine Bekehrung hätte vertrauen mögen. »Vor der Hand« sagte
+er endlich zu sich selbst, »will i seha', wie's got! — Und was will
+e? Z'erst muß e ja doch oh d's Mädle nommol (nochmal) betrachta':
+vielleicht g'fällt's m'r nemmer so.«</p>
+
+<p>Mit dieser Hoffnung täuschte er sich freilich. Als er sie wieder sah,
+gefiel sie ihm nicht weniger, sondern noch viel besser als das erste
+Mal. Sie hatte just ihren schönsten Tag, war in ihrer heitersten Laune
+und glänzte vor Vergnügen! — Das Herz des Guten klopfte, als er sie
+grüßte, und er hätte jetzt nicht stehen bleiben und mit ihr ein paar
+Worte reden können! Eine höchst ungewohnte Aufregung trieb ihn an
+ihr vorbei, und erst als er ein paar hundert Schritte gegangen war,
+beruhigte er sich wieder. — »Des ist nex g'wesa',« sagte er endlich zu
+sich selbst und schüttelte höchst ernsthaft den Kopf.</p>
+
+<p>Er war gefangen, der arme Michel. Er hatte seinen Theil — und konnte
+sehen, wie's ihm ging. — Zu dem schönen Aussehen der Gret kamen
+zuletzt noch die Urtheile, die er von Andern über sie hörte. In diesem
+Punkte sind wir Alle Menschen! Wir lieben die Geliebte um ihrer selbst,
+um der Schönheit und Tugend willen, die uns aus ihr entgegen leuchtet.
+Allein wenn sie nun auch von Andern gerühmt wird, so hat das nicht zur
+Folge, daß unser Wohlgefallen an ihr sich mindert — im Gegentheil;
+das Lob, was ihr gesungen wird, ist ein Hauch, der die Flamme unsres
+Herzens oft noch viel stärker anblasen kann. Michel horchte herum,
+indem er mit gutem Erfolg den Gleichgültigen spielte; denn die Liebe
+schärft den Verstand aller Wesen. Und wie er nun hörte: »a g'schickt's
+Mädle — a schöas Mädle — a bravs Mädle« — ja, von einem alten Kenner
+»a Staatsmädle,« da war's ihm zu Muthe als wenn er dieses Mädle kriegen
+müsse, koste es was es wolle. Er fühlte einen unwiderstehlichen Trieb,
+sie wieder zu sehen — und ging ihr nun extra zu Gefallen.</p>
+
+<p>Nachdem er sich ein paarmal umsonst bemüht hatte, kam sie ihm eines
+Nachmittags mit einer Kamrädin entgegen. Er wollte sie diesmal recht
+darauf ansehen, ob sie denn wirklich eine solche sei, wie die<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span>
+Leute sagten; deshalb ließ er seine Augen während des Grußwechsels
+tiefprüfend auf ihr ruhen, indem er, den Blick zu verlängern, auch
+noch den Kopf nach ihr drehte. Als er vorüber war, sagte die Kamrädin
+zur Gret: »Aber der hot a baar Oga' g'macht auf dih hear! Kommt mer
+grad für, als ob er — no des wär' aber zom Lacha'!« — »Was moest
+(meinst) denn?« fragte die Gret lächelnd. — »Gang,« erwiederte die
+andere, »du verstost me wol net!« — »Du moest, er wär'« — »Oh (auch)
+in di verliebt, ja, so kommt's mer für!« — Die Gret versetzte: »Sei
+g'scheidt! Dean kennt ma' ja! — Mir isch gar net so fürkomma'!«</p>
+
+<p>Natürlich log hier das hübsche Mädchen. Ihr war's erst recht so
+vorgekommen — und heute nicht das erste Mal. Schon bei der zweiten
+Begegnung hatte sie »ebbes gnissa'« (bemerkt), und jetzt war's klar,
+oder Alles mußte trügen. — Die Gewißheit, die sie erlangt hatte,
+machte einen sehr wohlthuenden Eindruck auf sie. Fürs erste wars eine
+Ehr', den verrufenen Sünder zu bekehren und den Mädchenverächter
+dahin zu bringen, daß er auch daran glauben mußte. Aber das war das
+Geringste. Michel gefiel ihr! Seine Statur und der Ruhm seiner Stärke
+hatten ihr schon früher Achtung eingeflößt; gegenwärtig kam ihr sein
+Gesicht für ein Mannsbild hübsch genug vor, die Gutmüthigkeit, die
+ihm aus den Augen sah, rührte ihr Herz — und das »B'sondere« und
+»O'gschickte,« das er an sich hatte, erheiterte sie, ohne ihm bei ihr
+zu schaden. Als sie wieder allein war, lächelte sie für sich hin. »Es
+ist oft guet,« sagte sie endlich, »wann der Ma' net gar z'g'scheidt
+ist!« —</p>
+
+<p>Wie man sieht, gingen ihre Gedanken ebenfalls ziemlich rasch. Das
+ist natürlich und — ländlich. — Aber ihre Sache war es nicht, ihm
+nachlaufen; wenn es ihm ernst war, mußte er kommen — sie konnte
+zusehen. Ihr Gesicht klärte sich schelmisch auf. »Wie er se a'stella'
+wird derzue?« fragte sie sich. »I bin wirkle neugiereng!« Er hatte
+ihren Beifall, der gute Michel, sie konnte ihn zum »Burscht,« sie
+konnte ihn zum Manne nehmen, wenn's sein mußte, — ja es regte sich
+der Wunsch in ihr, daß es so ausgehen möchte; — aber sie bereitete
+sich doch vor, ihn auszulachen, und freute sich darauf! — Sie war ein
+Mädchen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span></p>
+
+<p>Michel hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß die Leute ganz recht hatten
+mit dem, was sie über die Gret sagten. Aber wenn dies seine Liebe
+noch mehr schürte, so fachte es auch seine Sorgen an. Die Gret hatte
+ihn diesmal gar nicht angesehen (er hatte noch keine Kenntniß davon,
+daß die Mädchen nicht sehen und doch sehen können!) und es war ihm
+beinahe vorgekommen, als ob sie ein etwas spöttisches Gesicht gemacht
+hätte. Was sollte er thun? Sollte er warten und stillschweigen? Dann
+kam vielleicht ein Anderer und nahm sie ihm weg. Oder sollte er ihr
+nachgehen und reden mit ihr? Dann sagte sie vielleicht, er könne wieder
+gehen, woher er gekommen sei, und er wurde das Gespötte des ganzes
+Dorfes. — Die Klemme war verwünscht und guter Rath theuer.</p>
+
+<h3>In der Unterhaltung.</h3>
+
+<p>Jede Versäumniß rächt sich. Man soll in jungen Jahren nicht denken:
+Wozu hab' ich das nöthig? Wozu könnte das gut sein? — Man soll
+Kenntnisse sammeln und sich Fertigkeiten aneignen, wie die Gelegenheit
+sich bietet, auch wenn zunächst keine Neigung dazu vorhanden und
+Anstrengung erforderlich wäre; denn man weiß nie, wozu man sie später
+brauchen kann! —</p>
+
+<p>Davon überzeugte sich jetzt auch Michel. Die Liebe trieb ihn hin und
+her, sie ließ ihm keine Ruhe, und er sah ein, daß er etwas unternehmen
+müsse, geh es, wie es wolle. Er mußte mit der Gret reden — er mußte
+erfahren, was er zu hoffen habe — sonst wurde er toll! — Aber wie
+sollte er's anfangen? Wie sollte er sein Anliegen vorbringen?</p>
+
+<p>Er dachte darüber nach und nichts fiel ihm ein, was er für anwendbar
+und gut gehalten hätte. Es dünkte ihn so närrisch, von der Liebe zu
+reden; es war ihm, als würde es nicht herausgehen aus ihm, als würde
+er stecken bleiben und dastehen, wie d's Kind beim — — Da hatte er's
+nun! Gab's nicht Kerle im Dorf, denen bei den Mädchen das Maul ging
+»wie geschmiert?« die nicht nur sagen konnten,<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> was sie auf dem Herzen
+hatten, sondern noch viel mehr dazu lügen? Hatte er nicht gehört, daß
+mancher schon eine, die ihn zuerst gar nicht leiden konnte, durch
+bloßes Reden soweit gebracht, daß sie endlich zu Allem Ja sagte?
+— Aber so geht's! Hätte er in jüngern Jahren auch mit den Mädchen
+diskurirt, mit ihnen getanzt und sich lustig gemacht, — hätte er sich
+das bischen Mühe gegeben und gelernt, wie man mit ihnen umgehen muß —
+dann könnte er's jetzt und müßte sich nicht den Kopf zerbrechen! — Er
+fühlte ganz ernstlich Reue, der gute Michel! Er wurde verdrießlich,
+sehr verdrießlich. »I ben a'n Esel g'west, und des a großer,« sagte er
+zu sich selbst. »Aber,« setzte er hinzu, »wie hab i oh wissa könna, daß
+mer no' so ganga' wurd!«</p>
+
+<p>Ein paar Tage ließ er vorbeigehen. Zuletzt, durch den Kampf der
+Leidenschaft mit der Furcht gequält und geärgert, rief er zornig: »Hol
+der Teufel alles! So ka'n e's nemmer aushalta' — i muß woga', komm's
+raus wie's will!« — Die Gret stand vor seiner Seele so schön und mit
+einer Miene, die nichts Abschreckendes hatte! »Dommheit«, rief er
+beherzt. »I sott me wohl vor'm Mädle färchta' (fürchten)? Des wär' ja
+zum Lacha'.« — Er faßte den Entschluß, bei nächster Gelegenheit mit
+der Gret zu schwätzen und sein Anliegen vorzubringen oder wenigstens
+»drom rom« (darum herum) zu reden, zu sehen, was sie für ein Gesicht
+dazu mache, und dann ein andersmal weiter zu gehen.</p>
+
+<p>Recht schön fügte sich's, daß er das Mädchen eines Abends, als ihn
+ein Geschäft auf den Fußweg hinter den Dorfgärten geführt hatte, ganz
+allein gegen sich herkommen sah. Die Gelegenheit konnte nicht günstiger
+sein, er mußte sie benutzen. Was er zuerst zu ihr sagen wollte, wußte
+er genau, nämlich: »Godda'n Ohbed (guten Abend) Margret!« Das Uebrige
+gab sich dann von selbst. Entschlossen ging er vorwärts. Wie er aber
+die Gret näher und näher kommen sah, machte er eine seltsame Erfahrung.
+Sein Herz fing an zu klopfen, vor den Augen begann es ihm zu flimmern,
+und die Lippen wurden so schwer, als ob Gewichte daran gehängt worden
+wären. Es schien ihm unmöglich, sie zu bewegen — und da halte einer
+eine Ansprache! Vor der Gret angekommen, machte er eine unerhörte
+Anstrengung<span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span> und rief mit grimmiger Freundlichkeit: »Godda'n Ohbed,
+Margret!« — »Godda'n Ohbed, Michel,« antwortete die Gret mit heller
+Stimme und mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ob sie recht gut
+wüßte, in welchem Spittel der arme Bursche krank läge. Dieser nahm
+indeß nichts wahr. Nach der Leistung, die er sich abgerungen, trieb es
+ihn mit unwiderstehlicher Macht an ihr vorüber — weiter und weiter.
+Nachdem er hundert Schritte gemacht hatte, athmete er auf; aber erst
+als er um eine Ecke bog und nicht mehr gesehen werden konnte, wurde
+er leichter und ruhiger. — Er hielt an, dachte nach — — und sein
+Benehmen stand klar vor seinen Augen. Er hatte sich nun doch gefürchtet
+— und die schönste Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen! Unmuth
+erfüllte seine Brust und sehr ärgerlich rief er: »Ietz möcht' e mer
+glei (gleich) selber a'n Ohrfeig' geba' daß mer der Kohpf somsa' dät!
+Fürcht' me wärle, und zitter' am ganza Leib, als wann e oen ombrocht
+hätt! Sott ma' denn globa', daß ma' so domm sei' ka'?« —</p>
+
+<p>Die Sache war indeß nicht anzufechten, sie war geschehen und der
+Verdruß konnte nichts daran ändern. Für Michel gab es nur Einen
+vernünftigen Entschluß: sie zu vergessen und sich vorzunehmen, es ein
+andermal besser zu machen. Dazu verstand er sich denn auch. »I ben a
+Narr,« sagte er, »daß e me verzürn'! Verloara'n ist no nex, und so
+wurd's net allmol ganga' (gehen).« — Er stellte sich vor, wie er das
+nächstemal reden werde, er hatte Einfälle, wie man sie nach einer
+versäumten Gelegenheit zu haben pflegt — und so von weitem schien ihm
+die Sache ganz leicht zu machen. »Bah,« meinte er endlich, »des ist
+ha'et nor so a dommer A'fall g'wesa'! 'S müeßt ja beim Deufel sei',
+wann ih net könnt', was jeder ander' ka'!« — Er tröstete sich und ging
+beruhigt und mit neuem Muthe nach Hause.</p>
+
+<p>Wieder verstrich einige Zeit. Es war in der letzten Woche des Monat
+Mai, und unter dem Wehen der Ostluft kam ein wunderschöner Tag herauf.
+Ein leichter Reif hatte auf der Landschaft gelegen, die Sonne, in den
+wolkenlosen Himmel sich erhebend, sog ihn weg und goß den Silberglanz
+des Morgens über die Erde. Die Lerchen sangen, die Landleute, die sich
+an ihre Arbeit begaben, zeigten vergnügte Gesichter, das Vieh, das zum
+Saufen getrieben wurde,<span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span> brüllte vor Lust und sprang rechts und links
+in die Höhe. Das Alles war so fröhlich, so ermuthigend! Es war einer
+von den Morgen, wo im Herzen so wenig eine Sorge aufkommen kann, wie am
+Himmel ein Wölkchen — wo im Innern der Frohsinn regiert und draußen
+der Sonnenschein.</p>
+
+<p>An diesem Morgen fühlte sich unser Michel frisch und munter, wie seit
+langer Zeit nicht. Er dachte an die Gret — mit stillem, ruhigem
+Vergnügen. Es war ihm, als könnte er heute schwätzen und Spaß machen
+nach Belieben, und wenn's sein müßte, gelegentlich auch ein ernstes
+Wort reden — kurz, er fühlte sich aufgelegt. Indem er sich's lebhaft
+vorstellte, empfand er ein Verlangen, sein Vermögen in's Werk zu
+setzen. Er faßte sich kurz und machte sich auf den Weg durch die
+Gasse, in der Hoffnung, die Geliebte zu sehen. Im Nothfall, wenn er
+sie nämlich vor ihrem Hause nicht traf, konnte er hineingehen und den
+Maurer bestellen; denn an seinem Hause war ein Stück weit der Mörtel
+abgefallen, und wenn es auch auf dem Lande nicht grad nothwendig war,
+ihn wiederherzustellen, so konnte es doch auch nicht schaden.</p>
+
+<p>Sein guter Muth und seine Laune minderte sich nicht, als er der
+Wohnung des Maurers sich näherte. Er hatte ein paar Vorübergehende
+gegrüßt und die gewöhnlichen Formeln waren ihm so leicht und lustig
+vom Munde gegangen, daß ein junges Weib sagte: »Du bist aber ha'et
+alert, Michel!« — Darin lag für ihn ein neuer Beweis, daß er heute
+seinen guten Tag habe, und rüstig ging er vorwärts. In dem kleinen
+Hofe sah er die Gret nicht; aber im Wurzgärtlein, von der Gasse nur
+durch einen niedrigen Zaun getrennt, war sie über ein Beet hin gebückt.
+Wie er sie hier unvermuthet erblickte, war er doch betroffen. Es hieß
+nun wieder: »Vogel friß oder stirb,« und vor dem strengen Antlitz der
+Nothwendigkeit entfloh der leichte Humor in seinem Herzen, um den
+Anwandlungen von letzthin Platz zu machen. Es mahnte ihn etwas, zu
+thun als ob er sie nicht gesehen hätte, und sachte weiter zu gehen.
+Aber heute war er nicht gemeint, auf die Stimme des Kleinmuthes zu
+hören; er unterdrückte die Bewegungen seines Innern, blieb stehen und
+rief entschlossen: »Godda' Morga', Margreat!« — Das Mädchen sah auf
+und erwiederte:<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> »Ei, godda' Morga', Michel! Bist oh scho' en der Höa'
+(Höhe, d. h. aufgestanden)«? — Diese Frage kam ihm ungelegen; denn
+eigentlich hatte er selber fragen wollen: »Oh scho' auf?« — und wenn
+sie dann, wie es nicht wohl anders möglich war, mit Ja antwortete, so
+hätte er ihr was Schönes gesagt über ihr frühes Aufstehen, ihren Fleiß
+u. s. w. Das konnte er nun, wenigstens in der zuerst ausgedachten
+Weise, nicht mehr, und dieser Umstand machte ihn ein wenig verwirrt.
+Er antwortete zögernd: »Ja wohl,« und da er sich auf diesen Fall nicht
+vorgesehen hatte, so entstand eine kleine Pause. Allein mit Recht
+hatte er geglaubt, daß er heute seinen guten Tag habe. Nicht lange
+besann er sich, und ein neuer Einfall war da. Er drehte seinen Kopf
+in der Luft herum und sagte: »Ha'et hommer (haben wir) amol a schöas
+Wäder (Wetter)!« — Die Gret erwiederte heiter: »Ja Gottlob! Mer (wir)
+könna's aber oh braucha'!« Und ohne Unterbrechung und würdig setzte er
+hinzu: »Descht (das ist) wohr! — Des könna' mer!«</p>
+
+<p>Bis hieher war's gut gegangen, trotz der nothwendig gewordenen
+Aenderung, und Michel konnte sich dessen bewußt sein. Aber nun war
+eine neue Rede nöthig, und nichts wollte ihm einfallen. Es entstand
+eine längere Pause. Ein besserer Beobachter als Michel hätte an dem
+Gesicht des Mädchens wahrnehmen können, daß sie gar wohl im Stande
+gewesen wäre zu reden und dem Burschen aus der Noth zu helfen — daß
+sie aber aus irgend einem Grunde nicht wollte! Michel besann sich, und
+ein neuer Einfall kam. Er sagte: »Bischt allweil g'sond und wollauf?«
+— Diese Frage schien der Gret so curios hinterdrein zu hinken und so
+sehr eine bloße Geburt der Noth, daß sie mit Mühe das Lachen halten
+konnte. Sie nahm sich indeß zusammen und erwiederte ruhig, aber nicht
+ohne eine gewisse schelmische Heiterkeit durchblicken zu lassen: »Dank
+der Nochfrog (Nachfrage)! Mir fehlt Gottlob nex!« — Michel, wie uns
+bekannt ist, war im eigentlichen Sinn weder dumm noch blind. Die
+Bedeutung dieses Vergnügens auf dem Gesicht der Gret blieb ihm nicht
+ganz verborgen; er hatte eine Ahnung, daß sie ihn eigentlich auslache,
+und schwieg, indem eine Wolke der Verstimmung seine Züge beschattete.
+Die Gret erkannte, was in ihm vorging, sie fühlte, daß sie etwas gut
+zu machen<span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span> habe, und einen Schritt vortretend sagte sie zugleich mit
+gutmüthigem und schlauem Lächeln: »Host vielleicht so'st ebbes g'wöllt
+(gewollt)?« — Diese Frage fiel wie eine Bombe auf den guten Michel. Es
+war klar: er hatte sich verrathen; sie wußte, wie's ihm um's Herz war,
+und forderte ihn heraus! Er konnte — er sollte reden — da war kein
+Zweifel! Aber diese Möglichkeit, reden zu können, und diese Nöthigung,
+reden zu sollen, traf ihn mit solchen Schrecken der Ueberraschung, daß
+er dastand wie vom Donner gerührt und nicht ein Wort hätte vorbringen
+können um die ganze Welt! In der Verwirrung, die ihn überkam und ihn zu
+übermannen drohte, nahm er instinktmäßig seine Zuflucht zu dem einzigen
+Mittel, das ihm noch übrig blieb — zur Grobheit! Mit trotzigem Gesicht
+und wie beleidigt rief er endlich: »Was sott (sollte) i denn wölla'? I
+wißt net was! — Godda' Morga'!«</p>
+
+<p>Und mit starken Schritten ging er seines Weges.</p>
+
+<p>Die Gret sah ihm nach und lachte — nicht laut — dafür aber, wie man
+zu sagen pflegt, mit dem ganzen Gesicht. Als er hinter dem Nachbarhaus
+verschwunden war, sagte sie zu sich selber: »Ietz so o'g'schickt hätt'
+i mer'n doch net vorg'stellt! — I sig scho' — doh mueß i mi der Sach
+selber a'nemma', wann ebbes draus weara' soll!«</p>
+
+<p>Michel ging nach Hause. Der Unwille, zu dem er gekommen war, er wußte
+selber nicht wie, verging, eine dumpfe Ruhe trat an seine Stelle. In
+dieser Ruhe erhielt er bald eine deutliche Anschauung von der Art
+seines Betragens — eine gelinde Verzweiflung fiel ihn an und brachte
+sein Blut auf's neue in eine schlimme Gährung. Er entlastete sein Herz
+in unarticulirten Lauten; dann, die Einsamkeit seines Stadeltennen
+aufsuchend, bildete er bestimmte Gedanken und konnte nicht umhin, ihnen
+Worte zu geben. »Also widder nex,« rief er, — »widder a Dommheit!
+Isch denn net grad, als wann's verhext wär'? W'rom ka'n e denn ietz
+net reda', wann e vor dem Ohs (Aas) dohstand? W'rom got's mit m'r
+em Reng rom, als wann e g'suffa' (betrunken) wär'? Der Deufel mueß
+g'macht haba'!« Er stöhnte vor Verdruß und strampfte den Boden, daß
+es schallte. Nach einer Weile fuhr er fort: »Host so'st ebbes g'wöllt
+— hot's me g'frogt. Des ist doch offa'bar, daß g'wöllt hot, i soll
+d's Maul aufdoa'! W'rom<span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span> hab' e denn ietz net g'redt? Hätt'e net saga'
+könna': Mädle, du g'fällst mer, i will de heiricha' (heirathen) —
+willst me? — oder so'st ebbes! No (nachher) hätt's reda' müessa', ja
+oder noe, ond i wihßt ietz, wie e dra' ben! Aber so stand e doh wie a'n
+Ochs, der mit 'm Beil oes naufkriegt hot auf's Hihra' (Hirn, Stirn),
+und nocht mach e a G'sicht ond due an se na', als ob's m'r ebbes do'
+(gethan) hätt'! Die wurd se 'n schöna' Begriff macha' von mir! Die hält
+me doch g'wihß für da' dommsta'n ond o'g'hobelsta' Menscha'n em ganza'
+Ries? Ond wann's me vorhear oh g'möcht hätt, ietz mag's me g'wihß
+nemmer ond ka' me nemmer möga'! So'n Esel! I bedanket' me selber, wann
+e a Mädle wär!«</p>
+
+<p>Der gute Bursche versank nach dieser desperaten Selbstanklage in eine
+dumpf-düstere Stimmung. Er war unerfahren, unschuldig, aber ein Mensch,
+der in seiner Art Anlage zum Reflectiren hatte. Diese Anlage begann
+unter den obwaltenden Umständen sich zu entwickeln und seinem Wesen
+einen neuen charakteristischen Zug zu verleihen. Je mehr er von sich
+hielt, je mehr Ansehen er bisher unter seinen Kameraden genossen,
+um so mehr forderte er von sich einem Mädchen gegenüber auch das
+rechte würdige Benehmen. Je weniger er aber im Stande war, sich so zu
+benehmen, wie ers seiner für würdig hielt, desto mehr kapitelte er sich
+hinterdrein selber, stellte sich vor wie er sich hätte benehmen sollen
+und können, ärgerte sich, daß er sich nicht so benommen habe etc. etc.
+— kurz, er wurde ein denkender Mensch. Er unterhielt sich mit sich
+selber, er strafte sich, er quälte sich selber. Daß das Letztere nicht
+zu weit ging, dafür sorgte als guter Genius die Bauernnatur, die sich
+auch hier in natürlichen Gränzen bewegt und sich aus dem Quell der
+unbewußten Lebenskraft immer selber wieder herstellt.</p>
+
+<p>Für jetzt sank er gleichwohl in Abgründe der Verzagtheit. Mit der
+Gret wieder eine Ansprache zu versuchen, kam ihm unmöglich vor. Er
+hatte eine stille Wuth gegen sich, eine stille Wuth gegen sie — wie
+sollte er da reden? Und wenn er sich nöthigen wollte, müßte es nicht
+tausendmal ungeschickter herauskommen, als dießmal, wo er vergnügt war
+und im Grunde ganz gut angefangen hatte? — Nein<span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span> — es half nichts.
+Einem Mädchen zu gefallen, hatte er nun einmal keine Gaben — es ging
+nicht — er mußte es aufgeben! —</p>
+
+<p>Als er so weit gekommen war, ging er in den Hof, um sich an einer
+Arbeit zu erholen. Hier begegnete ihm seine Mutter. Sie sah ihn an und
+sagte: »Was machst denn du ha'et für a G'sicht?« — »Ih, a G'sicht?«
+versetzte Michel. — »Wie ka'n e des wissa'? Guck i ebba' en Spiegel?«
+— »Gang weiter«, entgegnete die Schwabin, »du host ebbes! Hot d'r
+ebber (etwer, jemand) ebbes do'?« — »Mir?« erwiederte Michel, indem
+er mit einer heroischen Miene aufsah, — »mir ebbes do'? I wott's koem
+rotha'!« — Er ging weiter, indem er bei sich dachte: »du därfst lang
+warta', bis e dir ebbes sag'!« — Die Mutter sah ihm kopfschüttelnd
+nach. »Er ist halt doch net vergnüagt«, dachte sie, »und des ist
+natürlich! In deam Alter muß a'n ordentlichs Mannsbild a Weib haba' —
+so'st isch nex!« — Sie ahnte nicht, wie Michel sich schon abgemüht
+hatte, um ihre Herzenswünsche zu erfüllen.</p>
+
+<p>Einige Tage ging unser Bursche melancholisch umher und wenn ihn beim
+Zurückdenken an seine Niederlagen ein Zorn anwandelte, so ließ er
+ihn an irgend einer Arbeit aus. Er bot denen, die seiner wahrnahmen,
+ein neues und eigenthümliches Bild. Schweigend hatte man ihn oft
+gesehen; jetzt sah man ihn »sinnirend« und vernahm hie und da grimmige
+Ausrufungen, wozu man keinen Grund wußte. Fragte man ihn darnach, so
+war die Antwort, sofern eine erfolgte, keine höfliche. Man wußte nicht,
+was man aus ihm machen sollte. Den Zustand seines Herzens ahnte Niemand
+im ganzen Dorf. Die einzige Person, die außer ihm davon Kenntniß
+hatte, schwieg nicht nur selber — sie hatte auch jener Kamrädin ihre
+Vermuthung wieder auszureden gewußt und ihr das Versprechen abgenommen,
+sie mit dem Michel nicht in's Geschrei zu bringen. Es giebt Mädchen,
+die das Genie der Verschwiegenheit haben, d. h. die ohne besondern
+Vorsatz und mit Lust verschwiegen sind und sich an dem Geheimniß
+weiden. Die Gret war heiter und hoffte mit Zuversicht, ihre Wünsche
+gekrönt zu sehen — sie brauchte nicht zu schwätzen.</p>
+
+<p>Michel war es nicht; er war unmuthig und verzweifelte am Erfolg<span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span> — er
+spürte einen Trieb zu reden und konnte endlich einer Gelegenheit, sei
+Herz zu entlasten, nicht widerstehen.</p>
+
+<p>Unser Enakssohn hatte einen Kameraden, der ihm unter allen Burschen,
+die zu ihm hielten, der liebste war. Kaspar, der Sohn eines Webers,
+hing mit aufrichtiger Theilnahme an Michel und wußte sich auch am
+besten in seine Manieren zu fügen. Obschon drei Jahre jünger, hatte
+er in Bezug auf das weibliche Geschlecht eine hinreichende Summe von
+Erfahrungen — er wußte, wie man sie behandeln mußte, und galt darum
+auch »seinen Batzen« bei ihnen. Mittelgroß, »rahneng,« von angenehmer
+Gesichtsbildung hieß er bei ihnen nur »a nett's Bürschtle« und »a
+lustengs Männdle,« dem man gut sein müsse. Trotz der Gunst, die er bei
+den Spenderinnen der Lebensfreude erfuhr, hatte er doch nicht mehr
+Selbstgefälligkeit als allenfalls natürlich war; er genoß das Lob eines
+fleißigen Menschen und wußte sich unter den Mannsbildern ebenso den Ruf
+eines guten Kameraden zu bewahren. — Dieser Bursche, zum Vertrauten
+wie geschaffen, wußte durch eine wohlgemeinte und geschickte Frage dem
+Michel sein Geheimniß zu entreißen. Allein mit ihm sah er den düster
+vor sich Hinstarrenden theilnehmend an und sagte dann: »Michel, di
+drückt ebbes! Wannd' mer's net geara' sakst, will e de net weiter
+froga'. Wann's aber ebbes ist, wo i d'r vielleicht helfa' ka', so red!
+— Du woescht, wie e's moe (ichs meine).«</p>
+
+<p>Diese treuherzig gesprochenen Worte machten des Leidenden Herz weich
+und folglich geneigt zur Mittheilung. »Ach,« erwiederte der Verliebte
+nach kurzem Schweigen mit einem riesenmäßigen Seufzer, »mi drückt
+freile ebbes!« — »Was isch?« fragte Kasper. »Sag's, wann e's (ich es)
+wissa' därf!« — »Am End,« erwiederte Michel, »bist du grad der Recht',
+der mer'n Roth (Rath) geba' könnt! — No mei'dawega' (meinetwegen), i
+will der's saga'!« — Er schwieg. — »Nossa' (nun so dann),« mahnte
+Kasper. — »Z'erst mueß e der saga',« erwiederte Michel mit tiefem
+Ernst, »daß koe Mensch ebbes davo'n enna' weara' (inne werden) därf!«
+— »Gang weiter! Ben i a Schwätzer?« — Die Möglichkeit, daß Kasper
+es doch unter die Leute bringen könnte, hatte aber den Michel schon
+aufgeregt. »Kerl,« rief er eine Faust machend, »wann d'ebbes sakst —
+'s got d'r schlecht!«<span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span> Der Andere kannte seinen Mann; er zuckte die
+Achsel und erwiederte: »Du bist net g'scheidt!« — »Guet,« versetzte
+Michel. »Ietz woesch (weißt dus) — und ietz will i der's saga'!«
+— Wieder eine Pause. »I höar,« erwiederte der Andere, indem seine
+Mienen sich ahnend erhellten. — »No,« begann endlich Michel mit
+neuer Anstrengung, »doh (da) die Great — d's Maurers seine moen' e«
+— Kasper sah den wiederholt Innehaltenden mit gutmüthig schlauem
+Lächeln an und rief, ihn ganz durchschauend: »Fehlt's d'r doh?« — »Ja,
+Bruder,« ging's endlich aus Michel heraus, »doh fehlt's m'r! Des Mädle
+g'fällt m'r, die mueß e haba — — und Kreuzdonner ond's Wetter: i woeß
+net, wie e's a'fanga' soll!«</p>
+
+<p>Kasper unterdrückte das Lachen, das ihn bei diesem Bekenntniß
+anwandelte, und forderte ihn auf, ihm zu sagen, wie's eigentlich stehe.
+Michel, einmal im Zuge, erzählte Alles, und zwar mit einer Naivität,
+bei welcher der Erfahrene, wenn er nicht lachte, doch wenigstens zu
+»schmöhzeln« (schmunzeln) nicht umhin konnte.</p>
+
+<p>Bekanntlich hat der Mensch nicht leicht eine angenehmere Empfindung,
+als wenn er an einem Andern, der ihm bisher Respekt abgenöthigt hat,
+plötzlich eine Schwachheit entdeckt. Es gibt deren, die eine solche
+Wahrnehmung geradezu beseligen kann und die das so erlangte Wohlgefühl
+zu den höchsten Genüssen zählen, womit der Himmel die armen Sterblichen
+begnadet hat. Sogar Freunde, will man wissen, sollen in diesem Fall
+erheitert werden und aussehen, als ob ihnen ein Glück widerfahren wäre!
+Und ihr Benehmen gegen den Träger dieser Schwachheit soll nach der
+Entdeckung ein vielfach anderes sein, als vorher! — Wir lassen diese
+Behauptung in ihrer Allgemeinheit auf sich beruhen, müssen aber der
+Wahrheit gemäß bekennen, daß unser wackrer Kasper bei der Erzählung
+seines Kameraden eine ziemlich lebhafte Genugthuung empfand und in
+seinem Gesicht einen Ausdruck heiterer Ueberlegenheit zeigte, den er
+vorher nie gegen ihn hatte blicken lassen.</p>
+
+<p>»Des isch, was me drückt,« schloß Michel seinen Bericht. »Schlechter,
+des wurscht selber saga', hätt's net ganga' könna', und Alles ist
+verspielt. I ben eba' zom O'glück geboara', und mit mei'r Fräd isch
+aus auf der Welt!« — »So,« versetzte Kasper, indem er ihn mitleidig
+ansah; — »willst de net lieber glei gar versäufa'?« — Michel<span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span>
+schaute ihn an. »Du bist a Narr,« fuhr Kasper fort, »des sag d'r ih!
+Nex ist verspielt, gar nex!« — »So,« erwiederte Michel, »wamma' se
+so o'gscheidt benemmt ond« — »Dei' Benemma' schad't d'r gar nex,«
+fiel Kasper ein. »Des ist eba' d'Liab! D'Liab macht verwirrt, ond
+wamma' verwirrt ist, macht ma' Dommheita'. Aber d'Liab ist ja eba',
+was d'Mädla' haba' wöllet! ond wann oer vor lauter Liab duet als ob
+'r narred wär, globst, des nemmt d'r oena'nübel? Ja bis Wuch (auf die
+Woche d. h. niemals)! Fräa' duet se's ond geara' hont's so oen!« —
+Dem Michel schien dieß einzuleuchten. »Du ka'st Rehcht haba',« sagte
+er getrösteter. »'S ist wohr, i därf me no' net ahschrecka' lossa'!«
+— »Wie moest,« setzte er mit neuerwachtem Muthe hinzu, »soll e glei
+rausrucka' mit der Farb? Soll e saga', daß e's heiricha' will?« — »Des
+got net,« entgegnete Kasper mit der Miene der Autorität. »Ma' mueß net
+mit der Thür en's Haus falla'! Allweil oes noch'm Andra'! — Z'erst
+muescht doch oh seha', ob's de haba' will!« — »Ja so,« versetzte
+Michel wieder etwas herabgestimmt. »Was soll e denn aber so'st doa'
+(thun)?« — »G'späß macha',« erwiederte Kasper munter. »Siksch (siehst
+du), des ist d'Hauptsach. Da' Mädla' g'fällt nex besser, als Narrheita!
+Z'erst G'spaß und nocht Ernst — des ist der recht Weg! Foppa' mueß
+ma's ond ploga', wamma' zo ebbes komma will! Je meaner (mehr) as (als)
+ma's plogt, je lieber as oen hont (haben)!« — Dem geradsinnigen
+Michel schien diese Behauptung sehr gewagt; er sah den Rathgeber
+fragend an. »Du globsch wohl net?« sagte dieser; und als der Bursche
+den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Weil d'eba' koe Erfahreng host en
+deana' (diesen) Sacha'! Siksch, des ist so! Wann e a Mädle fopp ond
+plog, no sikt's, daß e ebbes mit 'r haba' will, no sikt's, daß e's
+liab — ond 'n Spaß hot's obadrei'! Ond so went (wollen) se's grad
+haba'!« — Michel begriff; er sagte mit Anerkennung: »Kapper (traulich:
+Kasper), du bist a verfluechter Schlengel!« — »No,« erwiederte Kasper
+behaglich, »wann e des net wihßt!«</p>
+
+<p>Es erfolgte eine kleine Pause, in der Michel auf's neue bedenklich
+wurde. »Ja,« begann er zögernd, »wann e aber nocht G'späß macha' will
+ond 's g'rothet mer net? Wann e me widder o'gschickt a'stell — wie
+doh?« — »Des wär freile fehlerhaft,« erwiederte Kasper<span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span> mit Ernst.
+»Eweng därfa't (dürfen) Dommheita' net daura', so'st verliera't
+d'Mädla' da' Respekt!« — »Doh hosch (hast du's)!« versetzte Michel mit
+einem Ausdruck, als ob nun er wieder Recht hätte. »Ond mir isch grad
+so, als ob's mer net g'rotha' könnt! Was ietz?« — »No,« erwiederte
+Kasper mit einer Art von Unmuth, »doh ka'n e d'r koen andera' Roth
+geba', als daß d'r eba'n a bisle meaner ei'bildst! Kott's Heidablitz!
+A Kerl wie du! Ist des koe Ehr' für so a Mädle, wann du 'n G'falla'n
+an 'r host? Mueß (sie) doh net stolz drauf sei'?« — »Ih sott's
+(sollt' es) beinah globa',« bemerkte der Enakssohn mit entsprechendem
+Selbstgefühl. Und Kasper erwiederte: »No, ond wann d'net vergischt,
+wer du bist, nocht wurscht oh reda' und G'späß treiba' könna' mit
+so'm Deng doh!« Ruhiger setzte er hinzu: »Ma' mueß se net gar z'viel
+macha'n aus da' Mädla' — des ist a Fehler! Drom wamma'n amol a bisle
+z'hitzeng g'wesa'n ist, no mueß ma'n extra widder a weng huf (zurück)
+ganga' und doa' als ob ma' gar wohl ohne se leba' könnt! Nocht kriega'
+sie widder 'n Luhst! — Also, bei d'r nächsta' G'legenheit duast, was e
+d'r g'sakt hab', ond i garantir d'r, sie kommt d'r!« — »I will seha',«
+erwiederte Michel. Dann, nach kurzem Schweigen, setzte er hinzu: »Also
+nommol (nochmal)! D's Maul g'halta'n oder« — Er machte mit der Faust
+eine verständliche Bewegung. Kasper lachte. »Du wärst am End em Stand
+und brächst mer da' Hahls, zom Dank für mein' gueta' Roth?« — Michel,
+wieder auf seinem Boden stehend und sich fühlend, erwiederte: »Wann de
+dernoch aufführa' dätst — 's käm m'r net drauf a'! — No, ietz b'hütet
+de Gott!« — — —</p>
+
+<p>Michel war durch die Aufklärung des gewandten Kameraden in der That
+getröstet und faßte wieder frischen Muth. Das Gefühl seiner Kraft und
+das Vertrauen auf sich selbst kehrte zurück. Es war ihm zuweilen, als
+ob er nur hingehen dürfte zu der Gret, um Spaß zu machen nach Noten!
+Aber extra zu ihr gehen, das wollte er nicht: da würde sie ja glauben,
+daß er's gar zu nothwendig hätte — und das sollte sie nicht! — Er
+wollte die Gelegenheit abwarten, dann aber auch benutzen.</p>
+
+<p>Eines Nachmittags schlenderte er gemüthlich auf dem Anger hinter
+seinem Garten. Es war ein Sonntag; er hatte gut gegessen, ein<span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span> wenig
+»gedurmt« (geschlummert), sich dann schön angezogen, die Pfeife in den
+Mund gesteckt und war hieher gegangen, um zu sehen, was ihm weiter
+belieben werde. An einem solchen Nachmittag fühlt sich der Bauer immer
+behaglich, sogar wenn er verliebt ist. Michel ging langsam, blieb
+zuweilen ein bischen stehen — er dachte an die Gret. Er war heute
+so unternehmungslustig und dabei so sicher! »Jetzt wann's mer käm',«
+dachte er — »Sapperment nei'!« — Er ging wieder einige Schritte
+und sah umher — und wie's denn manchmal geht, dort, den Weg von der
+linken Gasse zum Anger herunter, kam die Gret! Michel eilte mit großen
+Schritten zum Ausgang des Wegs, um sie noch eben zwischen den Gärten zu
+treffen. Sie sollte ihm nicht entwischen — sie sollte ihm Rede stehn
+und nicht mit einem bloßen Gruß davon kommen!</p>
+
+<p>Es gibt auf dem Lande nichts Reizenderes als jene Gänge zwischen
+lebendigen Hecken, die eben breit genug sind, daß man sich ausweichen
+kann. In der schönen Jahreszeit, wo die Hecken grünen und blühen, wo
+der trockene Weg von Gras und Blumen eingefaßt ist, gewährt es ein
+wahrhaft poetisches Vergnügen, hindurchzuspatzieren, zumal wenn beim
+Schein der Sonne der Schatten dicht belaubter Gartenbäume drüber fällt.
+Es ist so traulich und so heimlich darin, daß man nur bedauert, so bald
+wieder ins Freie zu kommen! —</p>
+
+<p>Ein solcher Gang war es, in dem unser Michel die Geliebte festhalten
+wollte. Seine großen Schritte hatten bewirkt, daß er noch rechtzeitig
+kam: die Gret ging erst in der Mitte des Weges. — Wie schön war sie!
+Sie hatte an dem warmen Tage keinen Kittel an: in blendendweißen
+Hemdärmeln, in gestreiftem, farbigem Mieder und rothem Halstuch
+kam sie ihm entgegen. Die Kleider standen ihr so gut, ihr Gang war
+so geschickt: das Dienen in der Stadt hat eben doch seine großen
+Vortheile! — Dem guten Michel lachte das Herz im Leibe, als er sie
+ins Auge faßte. Wann aber das Herz lacht, dann schwebt es und kann
+consequenterweise nicht — — — fallen. Unser Freund behielt seinen
+Unternehmungsgeist, obwohl die Gret mit schelmisch heiterm Antlitz
+näher und näher kam; und als sie endlich vor einander standen, sagte er
+heroisch: »No Margreat, wo kommst denn du hear?« — »Von der Fischere«,
+war die Antwort.<span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span> — »So! — Ond wo willst denn he'?« — »Hoem! — I
+ben mit 'm G'strick ausganga' — ond hab d's Gara' (Garn) vergessa'!«</p>
+
+<p>Unser Bursche machte ein curioses Gesicht. Es schien ihm hier eine
+vortreffliche Gelegenheit gekommen, die Gret zu foppen und zu plagen,
+und er beschloß sie zu benutzen. Sich breit auf den Weg hinstellend
+sagte er mit schlauer Miene: »Doh hommer's (da haben wirs)! An was host
+ietz doh denkt?« — Die Gret, seine Gedanken errathend, erwiederte:
+»Ja, wann e's saga' dät!« — »No«, versetzte Michel, »des ka'n e mer
+fürstella': an a Mannsbild!« — »So?« entgegnete die Gret schnippisch.
+»Woescht du des so gwihß?« — »Wamma (wenn man) des net wihßt!«
+versetzte Michel mit selbstgefälliger Sicherheit. »Des ist ja doch uir
+(euer) oezengs Dichta'n ond Drachta'!« — »Doh bildet 'r ui (ihr euch)
+doch a bisle z'viel ei'«, erwiederte die Gret. — »Bah«, rief Michel
+im Hochgefühl des Rechthabens, »wär koe Wonder, des wär net bekannt!«
+— Das Mädchen versetzte mit einem Schein von Ernst und Schärfe: »Ma'
+sakt manchmol, es sei ebbes so, derweil hätt' ma nor geara', daß so
+wär! Omkeart (umgekehrt) wurd a Schua' (Schuh) draus!« — »Ho ho!« rief
+Michel. — »Uir (ihr) Mannsbilder«, fuhr die Gret fort, »lebet en der
+Ei'bildeng — und des ist natürlich. Uir wisset net, was o's (uns, wir)
+denket; aber o's wisset, was uir denket!« — »Des wär' der Deufel!«
+versetzte Michel, verwundert über die kecke Behauptung. »Wie sottet'r
+(solltet ihr) des wissa?« — »Wie?« erwiederte die Gret, indem sie ihm
+heiter ins Gesicht sah; »weil d'r (ihr) uire Gedanka' verrothet, weil
+d'r o's nochloffet (nachlauft)!« —</p>
+
+<p>Michel war betroffen. »D's Ohs hot Rehcht,« dachte er in einem Moment
+des Schweigens. Es blieb ihm indeß noch der Ausweg, die Thatsache zu
+läugnen — und das that er tapfer. »Bah«, rief er geringschätzig, »wear
+duet des? A rechter Kerl net!« — »Ih«, setzte er mit Stolz hinzu,
+»ben mei' Lebteng no' koer nochgloffa'!« — »Ist des wohr?« fragte die
+Gret lächelnd. — »So wohr i dohstand«, sagte der Ehrliche. Die Gret,
+die recht wohl gesehen, wie der Enakssohn zu dem Durchgang geeilt
+war, hätte bei dieser naiven Behauptung beinahe gelacht; allein sie
+unterdrückte die Anwandlung und sagte scheinheilig: »Doh ist d'r also
+oh gar net drom<span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span> z'doa', daß d' mit oer redst?« — Michel ahnte, wo sie
+hinaus wollte; aber er hatte A gesagt und mußte B sagen, und ohnehin
+wollte er sie ja uhzen (foppen)! Heroisch erwiederte er: »Gar net! —
+I wihßt oh net, worum!« — »So«, sagte die Gret, »doh mueß e m'r ja
+nocht a Gwissa' draus macha', doß e de mit mei'm Gschwätz aufhalt.
+— Bhüet de Gott!« Sie wollte vorbei. Michel war aber nicht gemeint,
+eine Unterhaltung, die bis jetzt so schön gegangen war, so schnell
+abbrechen zu lassen; er rief mit Eifer: »So wart nor no' a weng! — Du
+wurscht doch Gspaß verstanda'?« — »Des scho',« versetzte die Gret;
+»aber i muß ietz zu meina' Kamrädenna'!« — »Gang weiter«, entgegnete
+Michel, »lauter Weibsbilder! Was wurd des für a'n Onderhalteng sei'!«
+— »O«, rief die Gret, »o's onderhalta' se recht guet!« — »Was net
+no'!« erwiederte Michel seinerseits ironisch. Und selbstgefällig setzte
+er hinzu: »Von was hont'r (habt ihr) ietz gredt?« — Die Gret sah ihn
+an und ihre Lippe zuckte unmerklich. »Von was redt ma'«, sagte sie
+dann, vor sich hinschauend, »wamma' se guet onderhalta' will: von da'
+ledenga' Burscht'!« — Michels Gesicht klärte sich auf. »No, was hab'
+e gsakt?« rief er. »Ietz gibst m'r doch selber Rehcht!« — »I hab me
+verschnappt«, erwiederte die Gret. — »Ja, ja«, fuhr Michel fort,
+»d'Mannsbilder stecket ui (euch) em Kopf — des woeß e ja!« — »No«,
+setzte er in behaglichem Stolz hinzu, »en was für 'r Art hont 'r von es
+(uns) gredt?« — »Mer hont g'rotha«, erwiederte das Mädchen nach kurzem
+Zögern, »weller (welcher) ietz wol d'r G'scheidtst ist em Doraf!« —
+»So«, versetzte Michel. »Send 'r oeneng (einig) woara'?« — »Noe«,
+erwiederte die Gret. »Jeda' hot 'n andera' a'geba'!« — »Natürlich«,
+bemerkte unser Bursche, indem ihn das Vergnügen über die entlarvte
+Schwäche der Mädchen verhinderte zu sehen, welche Gefahr er selber
+lief. »Wean host denn aber du a'geba'?«</p>
+
+<p>Es giebt eine Mischung von Unschuld, Ungeschicklichkeit und
+Selbstgefälligkeit, die auch wohlwollende Naturen reizt, den Träger
+derselben, was man sagt, anlaufen zu lassen. Die Absicht, necken zu
+wollen, fordert heraus, und das Unvermögen, das in keiner Art zur Sache
+kommt, erweckt ein Verlangen, zu strafen. Unsre Gret fühlte einen
+Antrieb dazu und konnte ihm diesmal nicht widerstehen; sie erwiderte:
+»I<span class="pagenum" id="Seite_312">[S. 312]</span> hab no' gar koen a'geba' — i hab koen gwißt. Aber ietz — ietz
+woeß e oen — ond ietz muß e eila', daß e widder z'ruck komm. Mei'r
+(meiner) wurd gwihß alla'n ei'leuchta'!« — Nach einem Blick, dessen
+Bedeutung nicht zu verkennen war, schlüpfte sie an ihm vorbei und ging
+rasch weiter.</p>
+
+<p>Michel sah ihr nach — — er fühlte mit einemmal, was die Gret ihm
+angethan, und die Röthe der Scham überströmte sein Gesicht. Bald erhob
+sich der Zorn in ihm und verstärkte das Roth zu düsterem Braun. »Wann
+de nor der Deufel holla' dät,« rief er — »du Hex du! — Hot ihren
+Spoht (Spott) auf m'r und stellt me he' wie'n Esel! — O wann e's nor
+doh hätt' —« Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß er hier gehört werden
+konnte, und die Furcht, dem ganzen Dorf zum Gespött zu werden, hieß ihn
+abbrechen. — Langsam ging er zurück. Er dachte nach, wie er zu diesem
+Verdruß gekommen sei — und lachte bitter. »I hab's foppa wölla'! Die
+do, d's ärgst Ohs em ganza' Dorf! Doh ben ih d'r recht Ma' derzue!« —
+Nach einer Pause setzte er unmuthsvoll hinzu: »Der Kapper ist a'n Esel
+gwesa' mit sei'm Roth, und i a Narr, daß e'm gfolgt hab! — Des hot
+grad no' gfehlt! Des hot d'Butt bonda (die Bütte gebunden, die Sache
+fertig gemacht)!« — Am Ende des Ganges blieb er stehen und ließ eine
+Zeitlang gedankenvoll sein Haupt hängen. Endlich murmelte er: »'S soll
+amol net sei'! I gib m'r alle Müa ond dua', was e ka' und hab nex als
+Verdruhß ond Onear (Unehre) dervo'. Noe, noe — i loß d's Heiricha
+sei'! Aus isch ond gar isch! —«</p>
+
+<p>Als er bei diesem desperaten Satz angekommen war, hörte er Tritte
+in der Nähe und schaute auf. Es war die Gret, die mit dem Garn
+zurückkam. Daß sie's dem guten Michel so arg hinausgegeben, hatte sie
+doch ein wenig gereut, und ihr Gesicht drückte jetzt Wohlwollen und
+Freundlichkeit aus. Wie sie ihn aber dastehen sah mit der trotzig
+verlegenen Miene, da änderte sich ihre Stimmung etwas. Sie konnte sich
+nicht enthalten, mit neckischer Verwunderung zu fragen: »No Michel,
+stost (stehst du) no' allweil doh?« — Der Bursche, auf's neue gereizt,
+erwiederte: »Dirdawega (deinetwegen) net!« — »O,« versetzte Gret, »des
+bild e m'r oh net ei'! Kott's Blitz! doh mueß e nor macha', daß e d'r
+bald aus da'n Oga' komm!« — »I halt de net auf!« rief Michel. — »Hu
+hu!«, erwiederte die Gret, und rasch verschwand sie in dem Gange.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_313">[S. 313]</span></p>
+
+<p>Michel, in dem Gefühl, daß es nun wirklich aus sei, verließ mit
+langsamen Schritten den Anger. Er suchte den Kasper auf und traf ihn
+allein in seinem Garten. »No,« sagte er unmuthig zu ihm, »du host m'r
+'n schöana' Roth geba', des mueß e saga'! Du bist a gscheidter Kerl!«
+— Der Kamerad sah ihn verwundert an und fragte: »Wie so?« — »No doh
+mit dei'm Foppa'n und Ploga', wo d'me a'glearnt host! — Des ist a
+Dommheit gwesa'!« — Kasper ahnte was vorgefallen war; er forderte ihn
+auf zu erzählen, was passirt sei, und Michel gab ihm, so gut er konnte,
+ein Bild von dem Verlauf der Ansprache.</p>
+
+<p>Wie lächerlich die Geschichte dem Erfahrenen und Gewandten auch vorkam,
+so hielt er es im Moment doch weder für rathsam zu lachen, noch das
+Benehmen des Burschen zu tadeln. Er richtete seine Kritik gegen das
+Mädchen und sagte: »'S ist a'n Ohs!« — »So,« erwiederte Michel, für
+welchen diese Zustimmung etwas Angenehmes hatte, »siksch ietz oh ei'?
+— Freile isch a'n Ohs, d's ärgst em ganza' Doref! Für da' Narra' hot's
+me ghett; — ond für da' Narra' dät's me halta, so ofts könnt' — wann
+i net gscheidter wär! Aber doh wurd a Riegel fürgschoba'! Koe Wöartle
+mea' (mehr) red e mit'r. Nemmer a'seha' du e's (thu ich sie)!« — »No,
+no,« warf der Kasper ein, »gar z'hitzeng muest oh net sei'. Durch des,
+was d'mer verzählt host, ist no' net bewiesa', daß's de net mag!« —
+»Was,« rief Michel, »doh isch no' net bewiesa?« — »Noe,« bemerkte
+Kasper. »Du host sie foppa' wölla'n aus Lieb, ond sie hot di gefoppt —
+vielleicht oh aus Lieb!« — Der Bursche konnte sich bei diesen Worten
+nicht enthalten, ein wenig zu lächeln und rasch loderte in Michel der
+Zorn empor. »Willst du me oh no' für da' Narra haba'?« rief er, indem
+er ihn grimmig anschaute. »Des net,« erwiederte Kasper. »Aber d' Mädla'
+deant (thun) oft grad d's Conträre von deam, was denket! Der Spoht« —
+»Mach me net wild,« fiel Michel ein. »Wean e verspott, auf dean halt'
+e nex! Du bist a'n Esel, wann's anderst sakst!« — Kasper zuckte die
+Achseln. »Du bist halt a grober Kerl,« versetzte er. — »Weil e Rehcht
+hab,« entgegnete Michel. »Doh ben e doch a weng z'guet dafür, doß e
+so'm Fratza' da' Narra'n ahgib! — Nex doh! Aus isch ond gar isch!« —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_314">[S. 314]</span></p>
+
+<h3>Beim braunen Bier.</h3>
+
+<p>Ein Mädchen wie die Gret gefiel natürlich mehreren ledigen Burschen.
+Zwei oder drei Handwerker hätten gern mit ihr anbinden mögen, aber
+sie erfuhren, daß sie schon angebunden war — sehr kurz nämlich
+ihnen gegenüber, die etwas dreist vorgehen wollten. Auch ein paar
+Bauernsöhne schauten sie mit großem Wohlgefallen an und einer schien
+gute Lust zu haben, sie zu dem Rang seiner Geliebten zu erheben. Es
+lag indeß nicht in der Art des Mädchens, nach einer solchen Verbindung
+zu streben. Sie war zu fröhlich, um ehrgeizig zu sein, und verspürte
+keine Neigung, zwischen Sohn und Eltern Streit zu veranlassen und sich
+durch Händel und wüsten Lärm zu einer höhern Stellung durchzukämpfen.
+Die Liebe, die ihr den heroischen Muth dazu vielleicht gegeben hätte,
+meldete sich nicht, und so erfuhr der junge Bursche bei dem zweiten
+Annäherungsversuch eine lachende, aber deutliche Abweisung.</p>
+
+<p>Wenn sie die sämmtlichen Dorfbursche durchging, war und blieb es eben
+unser Michel allein, bei welchem ihr Herz sich regte. Zu ihm verspürte
+sie nachgerade einen Zug, über den sie sich selber wunderte. Sie hatte
+gesehen, daß es der ärgste »Lackel« sei im ganzen Dorf — unerfahren
+wie ein Kind, und so ungeschickt, daß er einen ordentlich dauerte.
+Aber der ungeschickte Kerl war ihr der interessanteste! Sie mußte
+immer wieder an ihn denken; sie fühlte einen Trieb zu überlegen, ob
+ihm nicht zu helfen sei, ob er nicht doch am Ende gescheidter sei als
+er aussehe, und ob ihm der Verstand nicht noch kommen könnte, wenn
+auch spät, u. s. w. — Wer in Herzensangelegenheiten erfahren ist, der
+weiß, was dieses Spiel der Gedanken für Folgen hat. Eben im Scheine
+solcher Vorstellungen entwickelt sich der Keim einer Neigung; die
+heitere Beschäftigung mit dem Bilde kommt dem Original zu Gute, und
+dieses ist zuletzt in der Lage, erndten zu können, wo es persönlich gar
+nicht gesät hat. Die Gret gewöhnte sich an die Vorstellung des Michel
+und an den Gedanken, daß er für sie bestimmt sei. Bald war sie mehr
+verstrickt, als sie selber ahnte; und während der gute Bursche glaubte,
+seine Sache sei verloren, stand sie just so gut als möglich.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_315">[S. 315]</span></p>
+
+<p>Je mehr Ernst in die Neigung kommt, desto weniger läßt man dem
+Gegenstand etwas thun, desto weniger will man Scherz mit ihm treiben.
+Als die Gret bedachte, wie sie den Michel bei dem letzten Diskurs doch
+abgeführt hatte, fühlte sie Gewissensbisse und auch eine plötzliche
+Sorge, er könnte so bös geworden sein, daß er gar nichts mehr von
+ihr wissen wollte. Dies Letztere schien ihr bei näherer Betrachtung
+nicht gerade wahrscheinlich; aber doch nahm sie sich vor, bei nächster
+Gelegenheit sich nicht wieder vom Uebermuth hinreißen zu lassen,
+sondern mit seinem guten Willen vorlieb zu nehmen und ihm wohlmeinend
+unter die Arme zu greifen.</p>
+
+<p>Eine Reihe von Tagen war vergangen und sie hatte den Burschen nicht
+wieder gesehen, außer von weitem. Daß er jetzt keinen neuen Versuch
+machte, mit ihr zu reden, begriff sie, und es war ihr lieb, daß sie
+sich in der ersten Zeit nach jenem Auftritt im Heckengang nicht
+zufällig begegneten. Der Aerger in Michel sollte erst verdampfen und
+der Liebe wieder Platz machen; dann wollte sie ihn so freundlich
+grüßen, daß er gewiß wieder Muth bekam und mit ihr ein erwünschtes
+Gespräch anfing. Sie hatte eine sehr angenehme Empfindung bei der
+Vorstellung, das er dann das rechte Wort finden könnte, sie ihm sagen
+müßte, wie's ihr um's Herz sei — und Alles zu gutem Ende käme.</p>
+
+<p>Endlich führte sie der Zufall einander entgegen. Sie kam von der Wiese,
+er ging hinaus. Als das Mädchen seiner ansichtig wurde, erröthete sie
+etwas und sah lieblich heiter aus; sie wollte ihn grüßen so schön wie
+sie's nur konnte! Allein in ihm hatte der Anblick derjenigen, die
+ihn für'n Narren gehabt, schon den Unmuth wieder angeregt; und wie
+er nun gar ihr Vergnügen wahrnahm, das nach seiner Meinung nur Spott
+sein konnte, loderte ein ganz ehrlicher Zorn in ihm auf. Er machte
+ein Gesicht so »wild« als möglich; die Gret, bei dem Anblick etwas
+verhofft, sagte guten Tag lange nicht so schön wie sie sich's gedacht
+hatte — und der Gegrüßte ging vorüber, ohne zu danken. Ihrerseits
+verletzt, sah das Mädchen ihm nach und schüttelte den Kopf. »Also
+doch,« sagte sie einigermaßen verlegen und ging langsam weiter. Bald
+aber tröstete sie sich. »Er moent eba', d's erstmol muß er doch no'
+trutza'! 'S ist a Mensch ohne Manier!<span class="pagenum" id="Seite_316">[S. 316]</span> Aber er moet's doch net böas —
+ond d's nächstmol wurd er scho' danka'!« —</p>
+
+<p>Bei der nächsten Begegnung schaute das Mädchen den Burschen erst
+erwartend an; ihre Wünsche hatten die Hoffnung schon so sehr wieder
+belebt, daß sie meinte, er könnte zuerst grüßen. Als er sich aber
+mit düsterm Gesicht näherte, ohne eine Miene zu verziehen, rief
+sie: »Godden Tag, Michel« in dem Ton einer Gekränkten, als ob sie
+hinzusetzen wollte: »Worom grüescht me denn net? Hab' e d'r denn ebbes
+do'?« Dieser Ton traf unsern Burschen; aber da er beschlossen hatte,
+trutzend an ihr vorüberzugehen, so war nicht von ihm zu verlangen, daß
+er in dem einzigen noch übrigen Moment diese Bestimmung änderte. Er
+führte demnach seinen ersten Gedanken aus, weil er einmal im Schuß war,
+und beleidigte nun freilich die wohlmeinende Gret in einer Weise, die
+ihrerseits einen Entschluß hervorrufen mußte. Sie schaute sich diesmal
+nicht um, sondern ging mit rötherem Gesicht weiter und murmelte für
+sich: »'S ist a Dommkopf ond bleibt oer! Mit deam ist nex a'zfanga'! No
+meit'weg! Vo' mir soll'r net weiter encommodiert weara'!« —</p>
+
+<p>In Folge dieser niederdrückenden Erfahrung gerieth das gute Mädchen
+in einen Gemüthszustand, der ihr neu war, den sie aber eben darum
+sorgfältig geheim zu halten suchte. In die Heiterkeit ihres Innern war
+ein Schatten gefallen. Sie wurde leichter ärgerlich als früher, sie
+fühlte sich in andern Augenblicken weicher als sonst und eine Art von
+Trauer wandelte sie an, so daß sie ein Verlangen empfand, ihr Herz
+einer Kamerädin aufzuschließen. Allein das zu thun, schämte sie sich
+doch allzusehr; sie fühlte, daß es ihr nicht anstand, und schwieg.
+Auf sich selber beschränkt, gab sie sich stillen Erwägungen hin. Es
+begegnete ihr, daß sie überlegte, welcher von den übrigen Burschen wohl
+derjenige sei, der sich am besten für sie passen würde. Sie konnte sich
+für keinen entscheiden; aber indem sie sich vorstellte, wie einer »mit
+ihr ging«, erquickte sie sich an dem Gedanken, daß der Michel sich
+recht darüber ärgerte. Denn das wußte sie: ärgerlich war es ihm doch,
+wenn sie einen Andern hatte, so ein dummer und einfältiger »Stoffel« er
+auch war. —</p>
+
+<p>In dieser Zeit kam ein junger Mensch in's Dorf zurück, der<span class="pagenum" id="Seite_317">[S. 317]</span> auswärts
+gearbeitet hatte. Es war der Sohn eines der zwei Schneider, die der Ort
+nährte — selbst Künstler mit der Nadel und das, was man auch auf dem
+Land, wenigstens im Ries, »a gallants Bürschle« nennt. Weder groß noch
+stark, sondern eher klein und schmächtig, war er doch gut gewachsen;
+und wenn sein helles, glattes Gesicht etwas zu mädchenartig ließ, so
+war das für gewisse Jungfrauen kein Grund, weniger davon zu halten.
+Bei viel natürlicher Gutmüthigkeit besaß er eine bedeutende Portion
+Selbstgefühl, das sich auf die Ansicht gründete, daß ihm an Feinheit,
+Geschicklichkeit und höherem Anstand keiner der gegenwärtigen Burschen
+des Dorfes gleich käme. Er hatte in der kleinen Stadt, in der er sich
+aufgehalten, allerlei Redensarten gemerkt, die er bei Gelegenheit zum
+Besten gab, sprach ein wenig »hochdeutsch,« wenn's drauf ankam, und
+hatte für sich eine Mischung von bäurischer und städtischer Kleidung
+erfunden, die seiner Erscheinung etwas besonders Nettes gab. Einmal
+war ihm der Gedanke gekommen, ob er nicht vielleicht zu etwas Höherem
+bestimmt sei und in der weiten Welt sein Glück suchen sollte. Aber
+sein Vater wurde alt, er hinterließ ihm ein Haus und Feldgüter, und in
+diesem Betracht schien es doch gerathen, auf sein ehrgeiziges Projekt
+zu verzichten und als Geselle des Alten die Zeit zu erwarten, wo er
+sich als Meister im Dorf setzen konnte.</p>
+
+<p>Jakob — so hieß unser Schneider — war mit dem Maurer befreundet und
+kehrte bald nach seiner Ankunft bei ihm ein. Die stattliche Schönheit
+der Gret überraschte ihn und machte auf sein leicht erregbares Herz
+sogleich einen mächtigen Eindruck. Er nahm sich zusammen, setzte die
+Reden und sagte dem Bäschen Schmeicheleien, die ihr nach seiner Meinung
+unendlich wohlthun mußten. Die Gret lächelte, halb schelmisch, halb
+wirklich vergnügt, und nun kam sie ihm so reizend vor, daß eine Stimme
+in ihm rief: »Dieses Mädchen mußt du kriegen!« — Die Gret konnte
+ebenfalls hochdeutsch reden, wenn sie wollte, und es hatte bei ihr
+überhaupt Alles einen andern Furm (Form) als bei den Mädchen, die nie
+aus dem Dorf hinaus »geschmeckt« hatten: waren sie beide nicht recht
+eigentlich für einander geschaffen? — Freilich war sie fast einen
+halben Kopf größer wie er, und dieses Verhältniß hätte er umgekehrt
+lieber gehabt; allein im<span class="pagenum" id="Seite_318">[S. 318]</span> Grunde, schadete das was? Es gab Exempel, wo
+eine große Frau und ein etwas kleinerer Mann recht gut mit einander
+gehaust hatten. »Wenn sonst nichts fehlt,« dachte der gute Bursche,
+»das kann man sich gefallen lassen!« Und darin hatte er ganz Recht:
+wenn sonst nichts fehlte, dann stand es vortrefflich.</p>
+
+<p>Vor der Hand fehlte indeß noch die Hauptsache: die Gret hatte von ihm
+keineswegs eine ähnliche Ansicht erlangt, wie er von ihr, und ihr war
+es gar nicht so vorgekommen, als ob sie für einander geschaffen wären!
+— Als ein kluges und natürliches Mädchen durchschaute sie den Burschen
+sogleich. Er war gutmüthig und eitel — so recht einer von denen, die
+eine Gescheidte am Narrenseil führen kann, ohne daß sie's merken. Ein
+»Männdle«, mit dem eine Lustige zu ihrer Unterhaltung spielt, von dem
+sie sich flattiren und Gefälligkeiten erweisen läßt und den sie dann
+ohne große Gewissensbisse nach Hause schickt, wenn sich ein Besserer
+meldet. Wie hätte die Gret vor so einem Respekt haben können? Wenn sie
+aber keinen Respekt haben konnte, dann konnte sie auch nicht lieben. —
+Das lag in ihrem Wesen und das merkte sie auch nachgerade selbst.</p>
+
+<p>Unser Schneider hätte sich eher alles Andre einfallen lassen, als daß
+die Gret über ihn solche Gedanken hegte. Er hatte den besten Muth; denn
+Alles zusammengenommen, konnte so ein Mädchen nicht von Glück sagen,
+wenn sie ihn bekam? Er war eifrig, dieß lag in seiner Natur; aber er
+war eifrig mit Zuversicht. Zunächst kehrte er beim Vetter Maurer ein,
+so oft es anging, und wenn er der Gret einen Gefallen thun konnte, so
+ergriff er die Gelegenheit mit Begierde. Als sie in diesen Tagen einen
+neuen kattunenen Kittel zu haben wünschte, fertigte er denselben (denn
+er war Männer- und Frauenschneider) in kürzester Zeit und brachte darin
+eine sinnreiche Neuerung an, indem er behauptete, ein Mädchen, die in
+der Stadt gewesen sei, müsse sich feiner tragen als eine gewöhnliche
+Bauerntrutschel! Er brachte ihr von Hause Sträußchen mit und spitzte
+dabei seine Complimente so fein zu, daß er selber daran seine Freude
+hatte. Kurz er huldigte der Schönen auf eine Weise, der man ansehen
+mußte, daß er sie anderswo gelernt habe, als zu Hause bei seinem Vater.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_319">[S. 319]</span></p>
+
+<p>Nach und nach fand die Gret doch Gefallen daran. Der Schneider hatte
+aber auch eine günstige Zeit getroffen. Die Spannung zwischen ihr
+und Michel dauerte fort. Bei einer dritten Begegnung hatte sie, wie
+natürlich, ihn nicht gegrüßt, und er war mit einem nur um so »wildern«
+Gesicht an ihr vorübergeschritten. Die Grobheit eines Menschen, dem sie
+vor Allen den Vorzug gegeben hätte, verdroß das Mädchen im Innersten
+ihres Herzens, und in diesem Zustande hatte die Höflichkeit des
+Schneiders etwas Wohlthuendes für sie. Sie brauchte einen Ersatz, der
+junge Vetter gewährte ihr ihn, und sie konnte sich nicht enthalten,
+ihn freundlich dafür anzusehen. Einmal, in weicherer Stimmung, dankte
+sie mit besonderer Wärme, und dem Blick, mit welchem sie die Worte
+begleitete, gab die Dankbarkeit der gerührten Seele einen Glanz und
+einen Schmelz, wie ihn der Schneider noch nicht gesehen. Jetzt konnte
+er sich nicht mehr täuschen; das schöne Bäschen gehörte ihm, sie hatte
+sich verrathen! Jetzt durfte er nur reden und die Sache war fertig! —
+Er redete zunächst doch nicht; vielleicht weil er des Sieges gewiß war,
+oder weil ihn der schelmische Genius, der sein Loos zu weben hatte,
+davon abhielt. Das konnte er sich aber nicht versagen, beim Abschied
+die Zuversicht seines Herzens mit wohlgefälliger Miene fein anzudeuten.</p>
+
+<p>Die Gret sah ihm trübe lächelnd nach. »Du guts Bürschtle« rief sie für
+sich und zuckte die Achseln. — Ihre Gedanken nahmen den Lauf wieder
+zu dem Enakssohn. Nach einer Weile sagte sie: »Könnt' ietz der Michel
+net oh höflich sei' und dischgeriera' und flattiera' wie der Schneider?
+Mueß denn grad der, den e möcht', der gröbst und der dommst sei' em
+ganza' Doraf? 'Sist doch nex en der Welt, wies sei' soll!« —</p>
+
+<p>Wenn sie in andern Momenten wieder dachte, Michel könnte sich am Ende
+doch bessern, so erfüllte dieser ihre Erwartung fürs erste nicht. Er
+trutzte weiter — er wollte in der That nichts mehr von ihr wissen; d.
+h. er wollte im Grunde immer noch gar viel von ihr wissen, aber er gab
+es nicht zu erkennen. Die Besuche des Schneiders und die Reden, die
+darüber im Dorf umzugehen anfingen, brachten in seinen Gedanken keine
+Aenderung hervor. Daß ein<span class="pagenum" id="Seite_320">[S. 320]</span> Mädchen wie die Gret so einen »Krampen«
+wie den Schneider möge, konnte er fürs erste nicht glauben. Wenn sie
+ihn aber mochte, wenn sie so einen »miserabeln Kerl« lieber haben
+könnte, als ihn, dann sollte sie ihn nur nehmen und zum Gespötte werden
+mit ihm! Unser Bursche hatte über die »Weibsbilder« schon soviel
+nachgedacht und vernommen, daß er wußte: sie seien eigentlich »d's
+Deufels« und auskennen werde sich so leicht keiner in ihnen. Als er
+sich aber vorstellte, daß die Gret sich wirklich dergestalt verirren
+und den Schneider nehmen könnte, wo doch Er, der Michel, zu haben war,
+da stieg ein Gefühl der Geringschätzung gegen ihren Verstand, ihren
+Charakter, ihre ganze Person in ihm auf, welche die Liebe für den
+Moment gänzlich überdeckte. »Wanns so komma dät, wanns dean lieber
+hätt' wie mih, nocht dät e me doch schäma', doß e nor a Menutt ebbes
+von 'r ghalta' hab!« — Es war ihm aber auch bei diesem Ausruf noch,
+als obs eigentlich doch nicht so sein könnte.</p>
+
+<p>Unterdessen hatte die Ernte begonnen, und in dieser Zeit können
+es Leute, die in einem Dorfe, zumal in einer Gasse wohnen, nicht
+vermeiden, sich öfter zu sehen. Michel traf die Gret eines Tages mit
+dem Maurer, dieser grüßte, und unser Bursche konnte nicht so sehr
+die Lebensart außer Acht setzen, daß er nicht dankte. Wie er nun
+mit ehrbarem Ton »Godda'n Ohbed« sagte, benutzte das Mädchen die
+Gelegenheit, um mit etwas gedämpfter Stimme gleichfalls ein »Godda'n
+Ohbed« anzufügen. Was sie sich dabei gedacht, konnte zweifelhaft
+sein; gleichwohl empfand Michel diesmal bei dem Ton ihrer Stimme ein
+wohlthuendes Zucken in seinem Herzen, und es schien ihm unmöglich, daß
+dieses nachträgliche »Godda'n Ohbed« nicht etwas zu bedeuten habe, und
+zwar etwas Gutes. — Das nächstemal kam sie ihm allein entgegen. Sie
+grüßte nicht, weil sie jetzt eben von ihm gegrüßt zu werden hoffte. Als
+er aber wieder stumm blieb, sah sie ihn von der Seite mit einem Blick
+an, der auch einen Härtern, wie er war, in die Seele hätte treffen
+müssen. Dieser Blick sagte: »O du dommer Kerl, willst du a Mädle net
+grüeßa', die so viel auf de hält?« — Michel konnte sich der Wirkung
+dieses Blickes nicht entziehen. Als er einige Schritte weiter gegangen
+war,<span class="pagenum" id="Seite_321">[S. 321]</span> sagte er ernsthaft zu sich: »Ietz isch m'r doch so fürkomma'n,
+als ob — — am End hot doch der Kapper Rehcht!«</p>
+
+<p>Denselben Abend noch suchte er den Kameraden auf und machte ihn mit
+seiner Erfahrung und seiner Vermuthung bekannt. Wie Kasper ihn auf
+solchem Wege sah, rief er: »No, was hab' e denn g'sakt? Die Great hot
+dih em Kopf, des hab' e scho' lahng gwißt; aber du loscht (lässest)
+ja net mit d'r reda'!« — »No no,« erwiederte Michel begütigend; und
+nach einem Moment des Nachdenkens setzte er hinzu: »Du moest also, i
+hätt' Hoffneng — 's ist dei' Earnst?« — »Freile isch mei' Earnst,«
+entgegnete Kasper. »Wer ka' doh no zweifla'! — Aber ietz mach amol
+'n Fried mit dei'm oefältenga' Trutza' doh und dua', was se für a
+rechts Mannsbild g'höart!« — Michel stand mit tiefsinnigem Gesicht da.
+»Wann's d'Glegenheit git (gibt),« erwiederte er endlich, »will e seha'!«</p>
+
+<p>Dieser abendliche Diskurs fand gegen Ende der Woche statt. Nachdem
+am Samstag noch ein tüchtiges Gewitter sich entladen und die Luft
+abgekühlt hatte, kam ein schöner und nicht allzuheißer Sonntag. Das
+Wintergetreide war größtentheils zu Hause, die Gerste der Sichel
+entgegengereift, und da sich die Ernte so gut angelassen, glaubte man,
+sie werde auch gut zu Ende gehen. In solchem Vertrauen entwickelt
+sich in der Seele des Bauers ein gründliches Behagen und er fühlt das
+Bedürfniß, sich ein Plaisir zu machen.</p>
+
+<p>Heute stellte sich bei Michel nach dem Essen der Kamerad ein und
+machte den Vorschlag, »zum braunen Bier zu gehen.« Zu den Eigenheiten
+unsres Burschen gehörte es, auch dann, wenn er etwas zu thun geneigt
+war, sich nöthigen zu lassen. Er sah dermalen den Andern mit einer
+Miene an, die weit entfernt war, Beistimmung auszudrücken. Die eben
+anwesende Mutter rief indeß: »Gang mit! Kommst doch oh widder amol
+aus'm Doraf naus ond unter d'Leut!« — »Ha'et wurd's vohl (voll),«
+bemerkte Kasper. »D's Bier soll gar fei'dle guet sei' ond d's Wäder ist
+schöa'!« — »Wer woeß,« sagte er lächelnd zu Michel, »ob d'net ha'et
+oena sikscht, die d'r gfällt!« — Die Mutter zuckte die Achseln und
+entgegnete für Michel: »Gang weiter! Deam gfällt oena'! Dia' Hoffneng
+hab e lang aufgeba'!« — Sie verließ die Stube. — Kasper machte ein
+pfiffiges Gesicht und<span class="pagenum" id="Seite_322">[S. 322]</span> sagte zu Michel: »Die merkt no' nex!« — Auch
+unser Bursche verrieth auf seinem Gesicht einige Schlauheit; dann aber
+erwiederte er: »Sie soll oh nex merka', bis d'Sach klor ist!« Und mit
+einem bedeutungsvollen Wink setzte er hinzu: »Woescht no', was e d'r
+g'sakt hab?« — »Ja wohl,« entgegnete Kasper mit Lachen. »Aber ietz
+mach!«</p>
+
+<p>»Zum braunen Bier gehen«, hieß auf den Dörfern in der Nähe von
+Wallerstein so viel als: auf den Keller der fürstlichen Brauerei gehen.
+Diese Bezeichnung datirt ohne Zweifel aus einer Zeit, wo in jenen
+Dörfern ausschließlich weißes Bier gesotten und das braune (das in
+Norddeutschland s. g. bayrische) zunächst nur von der »Herrschaftsbräu«
+geliefert wurde. In den Jahren, in denen unsre Geschichte spielt,
+verdiente aber das hier producirte Getränk die Auszeichnung einer
+solchen Benennung immer noch durch seine Güte, wie es denn auch jetzt
+noch unter den Bieren des Rieses einen ehrenvollen Rang behauptet.</p>
+
+<p>Die Kameraden legten die mäßige Strecke von ihrem Dorf nach Wallerstein
+in gemüthlichem Diskurse zurück. Die Zahl der »Schöber,« die sie schon
+eingeführt hatten und die sie noch zu bekommen hofften, der Stand des
+Sommerkorns und die Hoffnungen des Brachfeldes bildeten den Hauptinhalt
+ihrer Ansprache. Im Markt angekommen, schlugen sie den nächsten Weg zu
+der Anhöhe ein, auf welcher die fürstliche Brauerei liegt und nebst den
+ausgedehnten Oekonomiegebäuden den grauen Felsen, der das alte Schloß
+getragen, kranzartig umschließt. Sie fanden noch Platz auf einer der
+Bänke vor der Brauerei, ließen sich jeder eine Maaß geben, würdigten
+den schäumenden Trank, der aus dem gepichten Bauche der hölzernen
+»Bitsch« in ihre Kehlen floß, mit tiefem Zuge und theilten bald,
+schmauchend und nach entsprechenden Intervallen die Zungen befeuchtend,
+das Vergnügen der zechenden Versammlung.</p>
+
+<p>Kasper hatte Recht gehabt. Das in dem Felsenkeller gelagerte Bier
+war heute ganz besonders wohlschmeckend und der Trinkplatz, der die
+Aussicht in den nordöstlichen Theil des Rieses darbot, vollständig
+besetzt. Wallersteiner Herren — fürstliche Beamte und Bürger —
+etwelche Nördlinger, »kadollische« und »luttrische« Bauern saßen
+größtentheils standesmäßig vereinigt, hie und da aber auch zufällig<span class="pagenum" id="Seite_323">[S. 323]</span>
+gemischt um die hölzernen Tische, die heute für die »Herrn« durch
+einige hübschere aus der Zechstube vermehrt waren. Das schöne
+Geschlecht war nicht zahlreich vertreten; doch sah man außer der
+französischen auch noch katholische und protestantische Rieser Tracht
+nicht ganz unwürdigen Inhalt umschließend. Alles war vergnügt. Die
+Hauptsache war unerschöpflich vorhanden, und wer Appetit nach etwas
+Eßbarem hatte, für den war nicht nur durch die Wirthschaft, sondern
+auch durch Wallersteiner Buben gesorgt, die Rettiche und »Würst'
+siedhoeße« ausriefen und die letztern auch dann noch mit dem lockenden
+Prädikat schmückten, wenn sie schon zwei Stunden hin und hergetragen
+waren.</p>
+
+<p>Unsre Kameraden tranken sich nach und nach in jenen angenehmen Dusel
+hinein, in welchem die jetzigen Sterblichen eine Ahnung von dem Gefühl
+erhalten, durch das die Menschen des goldenen Zeitalters beglückt
+worden sein mögen. Michel hatte einen Blick auf das Dorf Birkhausen
+und auf das Fasanenwäldchen geworfen, das ihm so hübsch gegenüber
+lag; er hatte die Gäste gemustert und nach flüchtiger Betrachtung der
+anwesenden Bauernmädchen die Ueberzeugung gewonnen, daß Kasper in
+dieser Beziehung nicht gut prophezeiht habe! Jetzt ließ er die Augen
+ruhen und verharrte im Gegensatz zu dem Kameraden, der sich von Zeit
+zu Zeit umsah, in unveränderter Stellung, sichtlich in Nachdenken
+versinkend. Ohne aufzusehen, murmelte er endlich: »Wann e's nor gwihß
+wihßt'!« — Kasper sah ihn an und sagte lächelnd: »Bist scho' widder
+doh mit deina' Gedanka'?« — »Hol's der Deufel,« rief Michel, »i ka'
+net dervo' loaskomma'! Wann's ietz doch nex wär'? Wann's doch da'
+Schneider lieber hätt'? Gestert ist der Kerl a'mer verbeiganga',
+als ob's scho' sei' wär'! I hätt 'm glei oena' stecka' könna', so
+hoaffärteng hot 'r ausgseha', der Grippel!« — »Da' Schneider,
+glob' e, host net z'färchta',« erwiederte Kasper. — »I sott's oh
+net moena,« sagte Michel; und mit großartiger Verachtung setzte er
+hinzu: »So a Krack — so a Stump von 'm Menscha'! — net gröaßer als
+a Säustallthürle! I schmieß 'n über a Haus nüber, wann's sei' müeßt'!
+— 'S ka' net sei'!« — »Sie müeßt se ja schäma', wann's mit 'm geang
+(ginge),« setzte Kasper hinzu. »D'Leut dätet lacha 'n über so a Baar!«
+— »'S ist wohr,« sagte Michel.<span class="pagenum" id="Seite_324">[S. 324]</span> »Aber auf der andera' Seit; reda'
+ka'n er, schwätza' ka'n er, ond d'Mädla' send Mädla'. Wer'n (ihnen)
+flattirt, der hot scho' halb gwonna'.« — »Des ist freile oh widder
+wohr,« bemerkte Kasper. »Ond a'n Ohs ist der Schneider! Allweil woeß
+er ebbes Nuis. Ond manch's Mädle hot scho' so'n Kerl gnomma', weil's
+geara' d'Hosa'n a'ghett hätt! Vielleicht daß d'Great« — — Aber eine
+solche Zustimmung war es nicht, was unser Bursche jetzt wünschte. Seine
+Züge hatten sich verdüstert und unmuthig fiel er ein: »Schwätz net so
+domm! I glob's mei' Lebteng net! A Mädle wie d'Great will'n rechta'
+Ma'! Ond i woeß net, was grad do' (gethan) hot, daß d' so elend von 'r
+denkst!« — Kasper schwieg. Er wußte wohl, daß er nichts profitirte,
+wenn er nachwies, daß er nur Michels eigne Meinung wiederholt hatte! —
+Der Gewaltige ertränkte den unliebsamen Gedanken durch einen tüchtigen
+Zug aus der Bitsch und beide sahen stumm vor sich hin. Auf einmal
+erhellte sich das Gesicht Kaspers — man hätte sagen mögen schadenfroh
+— und Michel rief: »Aber kommt denn doh net — hol me der Deufel, sie
+send's!«</p>
+
+<p>Sie waren's in der That, nämlich die Gret und ihr Vater. Sie kamen von
+der Westseite, denn sie waren auf Besuch bei der Schwester gewesen, die
+in dem nächsten württembergischen Dorfe verheirathet war, und fanden
+sich darum auch erst zu einer Zeit ein, wo der Nachmittag in den Abend
+überging. Als sie den Kameraden sich näherten, rief Kasper: »Godda'n
+Ohbed, Maurer!« und hielt ihm die Bitsch entgegen. Man wechselte Grüße
+und der Maurer that Bescheid. »Doh ist no' Plahtz,« sagte Kasper auf
+die Bank deutend. Der Maurer besorgte sich auch eine Bitsch, und man
+setzte sich zusammen.</p>
+
+<p>Michel war überrascht gewesen und hatte die mit langsamen Schritten
+herbeikommende Gret sonderbar angestarrt. Sie war eben wieder sehr
+schön in ihrem Sonntagsstaat und namentlich in einem neuen seidnen,
+prächtig glänzenden Halstuch feinster Qualität! Der Gang in der Sonne
+hatte ihr Gesicht höher gefärbt, und ein guter Beobachter hätte
+bemerken können, daß ihre Augen, sobald Michel sich ihnen darbot,
+durch ein reizendes Funkeln belebt wurden. — Zu anderer Zeit hätte
+sich der erste Eindruck in dem Burschen vielleicht länger erhalten und
+eine verhängnißvolle Confusion der Gedanken zur<span class="pagenum" id="Seite_325">[S. 325]</span> Folge gehabt; allein
+zwei Maaß Lagerbier trinkt man nicht ohne Wirkung! Michel saß bald mit
+ruhiger Würde neben dem Maurer und nahm gemüthlich an dem Gespräche
+Theil, das sich entspann.</p>
+
+<p>Kasper hatte gefragt, wo sie herkämen — nicht um es erst zu erfahren,
+sondern um vor ihnen und Michel zu verbergen, daß er es schon wußte.
+Nach der Antwort des Alten fragte Michel, wie's den Eheleuten ginge
+und wie der jungen Frau die Haushaltung anschlüge! Hierauf gab die
+Gret erfreulichen Bescheid: sie kämen gut fort und hausten recht gut
+zusammen. Anknüpfend an dieses gute Zusammenhausen nahm der Diskurs
+eine heitere Wendung. Kasper ging voran, und Michel bewies, daß er
+auch einen Spaß machen konnte, wenn's drauf ankam. In dem Behagen,
+das er empfand, war es ihm geradezu unbegreiflich, wie ihm vor der
+Gret jemals das Reden hatte schwer werden können! Beim Teufel! Heut
+konnte er schwätzen mit ihr wie mit seiner Mutter! Fragen — Antwort
+geben — Alles dünkte ihn ein Spaß! — was war das doch für ein Unsinn
+früher? — Der Umstand, daß er sich endlich in der Stimmung fühlte,
+nach der er getrachtet hatte und die er allein seiner würdig hielt,
+erfüllte ihn jetzt mit einem gewissen Stolz und einer eigenthümlichen
+Sicherheit. Die Gret war auch so vergnügt, daß ein Blinder hätte sehen
+müssen, wie sie sich freute, bei ihm zu sitzen! Die Furcht, als könnte
+sie den Schneider gern haben, war eine Dummheit, die größte, die ihm
+jemals vorgekommen! Den Schneider! So ein Mädchen! — Nein! Er — er
+selbst war der Glückliche! — Das war klar, daran konnte nur ein Narr
+zweifeln! — — Aber heute wollte er auch sein Wort anbringen! heut auf
+dem Heimweg wollte er sich an sie machen, Alles frisch weg heraussagen
+— das stand fest — und — auf den Herbst sollte die Hochzeit sein! —</p>
+
+<p>Unterdessen hatte man das Bier nicht warm werden lassen. Auch die Gret,
+die sich durstig gelaufen, that aus der Bitsch, wo man's nicht sah,
+etwas bessere Züge, als sie's aus einem Glase gewagt hätte. Sie war in
+der That von ganzer Seele vergnügt. Michel in seiner Unbefangenheit,
+seiner guten Laune, gefiel ihr ausnehmend. Er war schöner als er ihr
+sonst vorgekommen, und offenbar auch viel gescheidter! Die Neigung, die
+sie immer für ihn gehegt hatte, steigerte sich<span class="pagenum" id="Seite_326">[S. 326]</span> diesen Abend zu dem
+ernstlichsten Wohlgefallen, und sie empfand das lebhafteste Verlangen,
+ihn endlich zur Erklärung zu bringen. Daß sie ihm gleichfalls
+heute nicht weniger gefiel, als früher, davon erlangte sie gewisse
+Ueberzeugung, und in der Hoffnung, einen solchen Prachtburschen zum
+Mann zu bekommen, wuchs ihr Vergnügen zu einer Art von Uebermuth.
+Sie neckte den Glücklichen von wegen weil er auf die Mädchen nichts
+gebe, was ein Unglück und eine schlechte Ehre sei für alle. Michel
+erwiederte: auf ihn käme nichts an, da gebe es andere, z. B. den jungen
+Schneider, der in der Fremd' gewesen sei und draußen Dinge gelernt
+habe, wo sie im Dorf nichts davon wüßten. Das wäre ein Kerl, der könne
+den Mädchen sagen, was sie gern hörten! Worauf die Gret versetzte: Der
+Schneider sei allerdings »a gallants Bürschtle,« an dem könnte sich
+mancher ein Exempel nehmen; aber es gebe eben so vornehme Bursche, die
+der Meinung seien, für sie wäre keine gut genug etc. etc. — Diesem
+kleinen Gefecht hörte Kasper mit Vergnügen zu, weil er seinen Plan dem
+Gelingen zureifen sah; der Maurer ergötzte sich daran, ohne den Ernst
+hinter dem Spaß gewahr zu werden. Zuletzt, nachdem sie einen Moment vor
+sich hingesehen, sagte das Mädchen: »Wie wär's, wammer (wenn wir) auf
+da' Felsa' naufgeanget, so lang d'Sonn no' schei't? Mir isch, als ob's
+ha'et bsonders schöa' sei' müeßt do droba'!« — Der Maurer wand ein,
+es möchte doch zu spät sein; sie müßten heim. Allein die Gret bat, die
+Kameraden traten dem Vorschlag bei und der Alte fügte sich.</p>
+
+<p>Der nächste Weg vom Keller zum Felsen geht hinter dem Brauhause
+vorbei. Man gelangt, wenn man eine Treppe emporsteigt, auf einen
+grasigen Platz, der meist eben um den Felsen herumläuft — ehemals
+der innerste Hof des Schlosses.<a id="FNAnker_4" href="#Fussnote_4" class="fnanchor">[4]</a> Als unsre kleine Gesellschaft auf
+ihm der südwestlichen Seite zuging, neigte sich die Sonne schon den
+fernen Anhöhen zu. Vom Keller an hatte sich Michel zu dem Maurer
+gesellt. Wir wissen, daß er den Entschluß gefaßt, seine Wünsche auf dem
+Heimweg anzubringen; er folgte daher um so eher einem instinktmäßigen
+Trieb, nach der geschehenen Annäherung sich<span class="pagenum" id="Seite_327">[S. 327]</span> wieder ein Bischen
+zurückzuziehen, die Gret dem Kasper zu überlassen und zur Hauptaction
+neue Kräfte zu sammeln. Das war aber nicht die Rechnung des Mädchens,
+die das Besteigen des Felsen eben vorgeschlagen hatte, um dem Michel
+zu weiterer Annäherung Gelegenheit zu bieten, in der Hoffnung, einen
+Moment herbeiführen zu können, wo ihm, der einmal im Zuge war, das
+Schloß vom Munde fallen sollte. Wie sie nun, am Felsen angekommen, ihn
+ernsthaft mit dem Vater diskuriren und zurückbleiben sah, warf sie
+einen Blick des Bedauerns auf den Liebhaber, der die gute Gelegenheit
+versäumte, mit ihr aufzusteigen und ihr allenfalls dabei zu helfen.
+Damals war der Weg (er befindet sich auf der Südwestseite) noch nicht
+so bequem wie jetzt, wo neue Treppen in den Felsen gehauen sind.
+Kasper, der mit der Gret hinan stieg, kam einmal im den Fall, ihr die
+Hand reichen zu müssen, um sie einige Schritte zu führen; und es ist
+zu vermuthen, daß sich diese Nothwendigkeit für Michel öfter ergeben
+hätte. »'S ist doch a'n o'gschickter Mensch«, sagte sie sich. Aber ein
+Gedanke beruhigte sie wieder: »Vielleicht will er se bei mei'm Vader
+wohl dra' macha', des ghöart oh zor Sach, obwohl der nex dagega' haba'
+wurd — o conträr!« —</p>
+
+<p>Alle waren endlich auf dem Gipfel angekommen. Man ging hin und her und
+schaute. »Ei wie schön!« rief die Gret und hing mit freudigem Blick
+an der Landschaft. »Du host Rehcht,« setzte der Maurer hinzu. »'S ist
+wärle der Müh wearth gwesa', daß mer (wir) raufganga' sind.«</p>
+
+<p>Der Bauer ist kein schwärmerischer Bewunderer der schönen Natur.
+Zunächst weil er überhaupt nicht so leicht schwärmt; dann aber weil
+er gewissermaßen selber zur Natur, zur Landschaft gehört und mit ihr
+auf zu vertrautem Fuße lebt, um über ihre Erscheinungen außer sich zu
+kommen. Ein recht schöner Anblick verfehlt aber auch auf ihn seine
+Wirkung nicht; er freut sich darüber herzlich und kindlich — und
+das Ries im Schein der Abendsonne ist ein Bild, dessen Reiz auch die
+substantiellere Natur eines eingebornen Dorfbewohners zu ergreifen
+vermag.</p>
+
+<p>Die Luft war klar, auf der nordwestlichen Seite kein Wölkchen am
+Himmel. Die gelben oder noch grünlichen Getreidefelder — die<span class="pagenum" id="Seite_328">[S. 328]</span> schon
+»geschnittenen« Aecker, zum Theil noch mit »Sammelten« bedeckt — die
+lichtgrünen Wiesen, die Brachfelder mit verschiedenen Abstufungen
+von hellerem und dunklerem Grün — die zahlreichen Orte in der Nähe
+und in der Ferne — Alles das stand vor den Augen in deutlichen
+Umrissen und durch den zarten sommerlichen Duft gleichwohl zu einem
+schönen landschaftlichen Ganzen verbunden. Unter ihnen lag der
+Markt Wallerstein mit den beiden fürstlichen Schlössern und den
+Parkanlagen; am nordwestlichen Horizont ragte das hochgelegene Schloß
+Baldern über Hügel ins Ries herein; nach Westen zu erhob sich das
+ehemalige Lanenkloster Kirchheim auf mäßiger Höhe, und weiterhin stieg
+der Langenberg und der Nipf bei Bopfingen empor. Eine halbe Meile
+entfernt, gegen die südlichen Hügel hin, war die Stadt Nördlingen
+gelagert mit ihren vielen ansehnlichen Gebäuden, Zwingern, Gärten
+und Alleen — und rechts und links wohlhäbige Dörfer über die Ebene
+hingesät. Die Ruine Hochhaus schimmerte aus Wäldern hervor; auf den
+südöstlichen Höhen prangten das Schloß Reimlingen und die ehemalige
+Benedictiner-Abtei Deggingen, weiter nach Osten die Schlösser Harburg
+und Lierheim und die Reste von Allerheim. Kehrte man sich nach der
+nördlichen und nordöstlichen Seite, so erblickte man die stattliche
+Kirche von Zipplingen, das Kloster Maihingen und den langen Hesselberg
+— die Schlösser Hochaltingen und Spielberg, den uralten Thurm von
+Hohentrüdingen, die Städte Oettingen und Wemdingen. Die nordwestlichen
+Anhöhen standen in grünlichem Duft, unter der Sonne golden überhaucht;
+die südwestlichen erquickten das Auge mit wenig gedämpftem Waldesgrün;
+die entfernteren südlichen und östlichen glänzten in wundervollem Blau,
+hie und da von helleren Partien der Getreidefelder durchzogen. Eben die
+Anhöhen, welche die Ebene rings umgeben, erwecken in dem Eingebornen
+das Gefühl, daß er in einem Paradiese lebt — in dem landschaftlich
+eingeschlossenen und abgeschlossenen, fruchtreichen, schönen Ries!</p>
+
+<p>Unsere Leute genossen das Malerische des Anblicks auf ihre Weise, in
+großen Linien, und verwendeten deshalb weniger Zeit darauf als wir auf
+die Beschreibung. Sie gingen zu einer sachlichen Unterhaltung — zur
+Hervorhebung einzelner Gegenstände über. Sie zeigten sich Orte, die das
+Merkwürdige hatten, daß darin Freunde von<span class="pagenum" id="Seite_329">[S. 329]</span> ihnen hausten; sie machten
+Anhöhen namhaft, die sich dadurch auszeichneten, daß sie von ihnen
+schon bestiegen worden waren. Die Gret deutete das Haus ihrer Schwester
+an, welches leider von einem großen Bauernhaus verdeckt sei; und
+zuletzt concentrirte sich die Aufmerksamkeit auf dem interessantesten
+Dorf — auf dem eigenen. Man zeigte sich seine Häuser, Wiesen und
+Aecker, und Anblick und Besprechung dieser traulichen Objekte
+versetzten die Landleute wieder in eine muntere und fröhliche Stimmung.</p>
+
+<p>Michel hatte sich hie und da an die Seite der Gret gestellt, allein
+nach seinem Plane sich nicht mehr mit ihr abgegeben, als mit den
+Andern, obwohl der Kamerad den Maurer ein paarmal abseits geführt
+hatte, ihm Gelegenheit zu verschaffen. Die Gret, dadurch gereizt und
+in der erhöhten Laune des Tages, beschloß ihm einen Schreck einzujagen
+und — ihm entgegen zu kommen. Als die Andern in die östlich gelegene
+Spalte hinabgestiegen waren und Michel schweigend neben ihr stand, that
+sie einen Schritt gegen den Rand des Gipfels, von dem es hier schroff
+abwärts ging, zuckte und »grillte« (kreischte), daß es eine Art hatte.
+Michel erschrak in der That und versäumte, rasch zuzugreifen; als er
+sah, daß sie selber feststand, hielt er es nicht mehr für nöthig und
+schaute sie beruhigt an. Die Gret verzog den Mund. »Du bist a schöaner
+Nochber,« sagte sie; »du ließest me nonterfalla' ond sächtest (sähest)
+ganz ruheng zua'!« — Der Ehrliche war etwas beschämt, weil er selbst
+fühlte, daß er zu langsam gewesen; aber eben darum wollte er den
+Vorwurf zurückweisen. »No, no,« erwiederte er, »du host de ja selber
+ghalta'. — I hab' eba' denkt, du wurscht Versta'd gmuag haba' ond
+net z'weit nausganga!« — Für einen Liebhaber keine galante Rede! Die
+Actien des Burschen, insbesondere seiner Gescheidtheit, sanken wieder,
+und das Mädchen, etwas empfindlich geworden, suchte die Andern auf.</p>
+
+<p>Die Sonne zerschmolz eben am Horizont — der Alte mahnte zum Aufbruch.
+Die Gret, um den Michel für sein Ungeschick zu strafen, ging zuerst
+hinunter und that, als ob er gar nicht mehr da wäre. Natürlicherweise
+fühlte nun er, dem es doch schwante, daß er sie »geärgert« habe, einen
+Trieb, ihr nachzugehen und sie wieder gut zu machen. Nachdem sie alle
+auf dem schon thauigen Rasen angekommen<span class="pagenum" id="Seite_330">[S. 330]</span> waren, führte Kasper, der des
+Kameraden Absicht merkte, den Alten im Gespräch links um den Felsen.
+Unser Paar sah sich allein. Der Bursche sagte ihr etwas Schönes wegen
+der Geschwindigkeit, womit sie den Felsen herabgestiegen war. Sie, noch
+ein wenig schmollend, aber seines guten Willens halber schon wieder auf
+dem Weg zur Güte, entgegnete: »Ja, a bisle gschwender ben e freile als
+du! Bei dir hoeßt's eba': komm' e ha'et net, komm' e morga'. I sorg',
+du wurscht überal z'spät komma'!« — »Oho,« erwiederte Michel und
+lächelte, denn das Gesicht, womit ihm dieser Vorwurf gemacht worden,
+hatte nichts Beleidigendes. Das Mädchen sah ihn an — und nochmal
+fühlte sie eine Regung, für ihn etwas zu thun. Sie sagte: »Globsch
+(glaubst du), du ka'st me net fanga', wann e spreng (springe, laufe)?«
+— »Ih dih?« versetzte Michel und konnte nicht umhin, über so eine
+Behauptung die Achseln zu zucken. — »Ja, du mih,« erwiederte die
+Gret mit Nachdruck. Das hieß den Michel bei der Ehre angreifen; und
+im Gefühl seiner langen Beine rief er mit stolzer Sicherheit: »Loß de
+net auslacha'!« — »Ja,« sagte das Mädchen, »pranga' ka'n a'n ieder;
+aber i glob's net!« — »Du bist net gscheidt!« entgegnete Michel. »No,
+so zoeg's,« fuhr die Gret fort, »ond fang me, wann d' ka'st!« — Sie
+faßte ihren Rock auf beiden Seiten, hob ihn ein wenig in die Höhe, um
+den Beinen mehr Freiheit zu gewähren, und lief — aber nicht links, den
+Andern nach, sondern rechts um den Felsen, einer Grube zu, die sich auf
+der nördlichen Seite des Felsens befindet. Michel, so herausgefordert,
+hatte sich bereit gemacht; er ließ ihr einen Vorsprung, dann fing er
+an auszugreifen, daß er sie schon im Eingang der Grube erreichte. Aber
+der Triumph, sie nun zu fassen und zu halten, war ihm ein viel zu
+geringer — er lief einige Schritte über sie hinaus, bis sie schnaufend
+zurückblieb, drehte sich um und rief siegesfreudig: »No, was hab e
+gsakt? Ka'n e's oder ka'n e's net?« — Die Gret sah ihn mit einem fast
+wehmüthigen Blick an, und mit dem Doppelsinn, den ihr die Situation
+aufdrängte, versetzte sie: »Ja, ja, i hab' me g'irrt en dir — ond
+mueß me schäma'!« — Michel, weit entfernt zu begreifen, trat näher
+und sagte mit dem Tone wohlwollender Ueberlegenheit: »No, no, z'schäma
+brauchst de grad net, wann ih über de nausloff!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_331">[S. 331]</span></p>
+
+<p>Der absolute Mangel an Verständniß machte die Gret lächeln und die
+grundehrliche Meinung des Burschen versöhnte sie wieder. In der Grube
+war es schon dämmerig; der Spaziergang, auf den sie so viele Hoffnung
+gesetzt, nahte sich seinem Ende, und daß die beiden Burschen mit ihr
+heimgehen würden, konnte sie nicht als gewiß annehmen. Wer wird es
+ihr nun verdenken, wenn sie bei der Redlichkeit ihrer Absichten die
+Gelegenheit ergriff, mit dem Burschen noch einen Versuch zu machen? Am
+Ende — sie that damit ihre Schuldigkeit, und wenn gleichwohl an ihm
+nichts half, so brauchte sie sich wenigstens keinen Vorwurf zu machen.</p>
+
+<p>Sie hatte gemerkt, daß sie beim Laufen die Glufe, womit das Halstuch
+des Rieser Bauernmädchens auf dem Rücken angeheftet wird, um daselbst
+ein regelrechtes Dreieck zu bilden — verloren und ihr schönes seidenes
+Halstuch sich verschoben hatte. Indem sie eine Glufe von der Brust
+auszog, wo sie minder nöthig war, sagte sie zu Michel: »Ietz muß e de
+no' om a Gfälligkeit bitta'! I spür, daß mei' Gluf rausgfalla'n ist aus
+mei'm Halstuch, ond's wär mer lieb, wann d' mers widder nei'stecka'
+möchtst, vor mer zrückgont (zurückgehen).« Während sie dieses sagte,
+hatte die Phantasie ihr vorgezaubert, was ihr Herz wünschte. Michel
+fand während dieser Beschäftigung den Muth der Liebe, folgte ihm
+freudig und hielt jene Anrede an sie, die wenn auch noch so kurz, doch
+vom Munde des Mannes gehen muß, um von dem Mädchen bejaht den Bund der
+Herzen thatsächlich zu knüpfen.</p>
+
+<p>In diese Seelenmusik ertönte plötzlich die Antwort des wirklichen
+Michel: »I will's versuacha'! Muß d'r aber scho' saga', daß e mit
+deana (diesen) Sacha' net recht omganga' ka'!« — wodurch die Gret
+belehrt wurde, daß es noch nicht an dem sei. Der Bursche nahm die
+Gluf und stellte sich hinter sie; er wollte ihr nun auch wirklich
+gefällig sein und genau thun, was sie haben wollte. Als er anfing, das
+Halstuch zurechtzurücken, wurde ihm doch sehr curios. Sein Herz fing
+an zu schlagen, vor seinen Augen begann es zu schwimmen; er fühlte ein
+außerordentliches Verlangen, just das zu thun, was sie wünschte und ihr
+Phantasiebild wortwörtlich zu erfüllen. Allein zu rechter Zeit noch
+mahnte ihn die Pflicht und sein Vorsatz. Ihr die<span class="pagenum" id="Seite_332">[S. 332]</span> Gluf anzustecken,
+das hatte sie verlangt, darum war es ihr zu thun, und darin mußte er
+ihr zu Willen sein. In der Verwirrung seiner Lebensgeister zog er das
+Tuch rechts und links, ohne ihm die gehörige Lage geben zu können. Die
+Gret rief: »Daß 's fei' recht en d' Mitt nei' kommt!« Denn grad in der
+Mitte des Rückens muß die Spitze befestigt werden, wenn das schöne
+Dreieck herauskommen soll. Dieser Zuruf des offenbar etwas ungeduldigen
+Mädchens traf den Burschen. Das Tuch hing eben zu weit rechts. In
+seiner Confusion that er instinktmäßig einen Riß gegen die Mitte, wobei
+er die Kraft seiner Finger nicht erwog, und — ein Fetzen des Halstuchs
+blieb in seiner Hand.</p>
+
+<p>Nun riß aber auch die Geduld der guten Margret! Nachdem sie so weit
+gegangen — nachdem sie ihm auf eine Art entgegen gekommen war, daß
+der Einfältigste hätte begreifen müssen — ihr, anstatt ihren Wunsch
+zu erfüllen und ihr um den Hals zu fallen, das schöne neue Halstuch zu
+zerreißen — das war denn doch in Wahrheit »dümmer, als verlobbt ist.«
+So einen Menschen zum Mann zu kriegen, ist am End auch kein großes
+Glück, und — — sie hatte sich umgedreht, sah den Fetzen in seiner
+Hand, sah das Gesicht halb verlegen, halb lächelnd gegen sie gewendet,
+und rief erzürnt: »Du bist aber doch o'gschickter als der Deufel! So a
+Mannsbild! Gang nor glei (gleich) morga' zom Schulmoester ond loß d'r
+dei' Schuelgeld widder rausgeba'; denn des ist net verdeat (verdient)
+woara!« — Das war auch nicht höflich, und so etwas hatte Michel noch
+nie gehört. Er wurde seinerseits ärgerlich und entgegnete: »I hab d'r
+ja gsakt, daß e mit deam Zuig (Zeug) net omganga ka' — w'rom trägst
+mer's auf?« Und mit stolzem Selbstgefühl setzte er hinzu: »I hab ebbes
+anderst's z'doa' en der Welt, als da' Mädla' d'Halstüacher na'zmacha!«
+— Die Gret sah ihn achselzuckend an und sagte: »Ja, des glob' e!« —
+Der Bursche fühlte einen Drang, sich von jedem Vorwurf rein zu waschen;
+deswegen, den Fetzen emporhaltend, bemerkte er: »Des Tuech doh, nemm
+mers net übel, ist aber oh nex nutz gwesa'! 'S ist eba' widder so a
+nuimodischer Lompazuig (Lumpenzeug), so dent (dünn) wie Spennawett
+(Spinnweb)! Mei'r Mueter ihr Halstuch wär' m'r net in der Ha'd
+blieba'.« —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_333">[S. 333]</span></p>
+
+<p>Das Mädchen wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen. Sie hielt an
+sich und erwiederte: »Du host natürlich Rehcht! Ma' woeß ja, doß d'r
+Gscheidtst bist en der ganza' Gmoed (Gemeinde). — So, ietz ka'n e
+mit 'm verrissenga' Halstuech hoemganga'!« — Michel, der einmal in
+den Schuß der Dummheit gekommen war, verstand die letzte Rede wieder
+falsch. Er trat mit ritterlicher Intention einen Schritt näher und
+sagte tröstend: »Doh brauchst de net z'kränka'! — ih ka' d'r scho'
+a nuis kohfa!« — Das gab ihm bei dem Mädchen den Rest. Wahrhaft
+beleidigt, riß sie ihm den Fetzen aus der Hand und rief; »So viel Geld
+hab' e no' übreng, um m'r a nuis Halstuch z'kohfa! I brauch nex von
+dir, du oefältenger Mensch!« — Sie wandte sich rasch ab und ging fort.</p>
+
+<p>Michel stand verdutzt. Er hatte eine dumpfe Ahnung, daß er doch
+nicht ganz richtig gehandelt haben könnte. Ein Aerger erhob sich in
+seiner Brust — über sein Unglück, über die Hitze der Gret, über das
+Mißgeschick, das ihn überall verfolgte. Indem er nachdenken wollte,
+fühlte er, daß ihm heute auch das Denken nicht mehr geriethe. Er spürte
+eine ziemliche Mattigkeit in seinen Gliedern, setzte sich auf ein
+Felsstück und überließ sich der formlosen Bewegung seiner unmuthvollen
+Seele. Endlich erhob er sich rasch und trat den Rückweg an; er wollte
+doch sehen, wie's stehe und was zu thun sei!</p>
+
+<p>Als er an seinen Tisch trat, waren der Maurer und die Gret schon
+fort; Kaspar erwartete ihn, unwissend, was er denken sollte, und
+höchst neugierig was denn passirt sei. Die Gret sei zurückgekommen,
+sehr ernsthaft und ärgerlich, und habe erzählt: sie hätte ihren
+Fürwitz gebüßt, sie wäre in einer Grub am Felsen hingegangen und ein
+spitziger Stein hätte ihr das Halstuch zerrissen. Er, Kasper, habe
+nicht begreifen können, wie das zugegangen sei, und nach ihm, dem
+Michel, gefragt; worauf sie zur Antwort gegeben, sie wisse nicht wo er
+hingelaufen sei. Dann habe sie an ihrem Vater getrieben, sie müßten
+nach Hause, sie habe noch etwas herzurichten auf morgen früh — und der
+Maurer sei mit ihr fortgegangen. »Was hot's denn geba'?« rief der gute
+Bursche zuletzt mit dem Antheil eines Freundes, der das Seine gethan.
+»Send'r (seid ihr) oeneng woara'n oder« — »Jo«, rief Michel mit dem
+Humor der Verzweiflung, »oeneng!<span class="pagenum" id="Seite_334">[S. 334]</span> — Aus isch!« — Kaspar fuhr empor.
+»Was! — aus?« — »Aus«, erwiederte Michel, »wie'n e der sag!« — »Aber
+wie hot's denn ganga'? So verzähl m'r doch!«</p>
+
+<p>Unser Bursche war gedrückt von dem Unstern, den er gehabt, von dem
+Unwillen, der in seiner Seele emporschwoll — er mußte sein Herz
+erleichtern, und er wollte dem treuen Kameraden Alles vertrauen. Wie er
+erzählte, daß er in der Grube über die Gret hinausgelaufen sei, machte
+Kaspar Bewegungen, als ob er das Gliederreißen hätte. »Nausgloffa?«
+wiederholte er mit unwilligem Staunen; und den Zorn des Gewaltigen
+riskirend, setzte er entrüstet hinzu: »O du dommer Kerl! Host denn net
+gseha', wos die gwöllt hot?« — »No, was denn?« fragte Michel. Und
+Kaspar fuhr fort: »Fanga' hättsch (hättest du sie) solla' — ond d's
+Maul hättst aufdoa' solla, wann's ghett hättst! Desdawega' hot's de
+rausgfoadert!« — Michel war betroffen; die Sache leuchtete ihm ein,
+und nur kleinlaut sagte er: »Moest?« — »Ach, i bitt' de!« rief der
+Kamerad höchst verdrießlich. — »No, verzähl weiter!«</p>
+
+<p>Michel erzählte das Uebrige. Kaspar sah ihn an, wie einen, bei dem's
+nicht recht richtig ist, und brach in ein lautes Gelächter aus.
+»Lieber Michel«, sagte er endlich, »nemm mer's net übel, aber dir
+muß ma' da' Dippel boara' (der Düppel bohren)! Was! doh host no' nex
+gmerkt?« — Unser Bursche, einmal auf dem Wege der Selbsterkenntniß,
+begriff — und ein dumpfes Schamgefühl begann in ihm aufzuquellen.
+Allein seine Handlungsweise hatte doch auch ihre Gründe, und zu
+seiner Rechtfertigung mußte er sie geltend machen. »Aber i sag d'r«,
+entgegnete er etwas verlegen — »ihr Halstuech ist wärle verschoba'
+gwesa'! Ond i hab gmoet« — — »Ietz höar auf«, rief Kaspar »ond
+ärger' me net! Die hot se ebbes om ihr Halstuech kümmert! Des ist 'r
+aufglega'! — no' derzue bei der Nahcht, wo's koe Mensch sicht!«</p>
+
+<p>Bei dieser Hinweisung auf die Nacht ward es Tag in unserm Burschen.
+Er schämte sich in den Tiefen seiner Seele, und ein großer Verdruß
+über sich selbst erhob sich in ihm. Indessen wenn man angegriffen ist,
+muß man sich doch vertheidigen, und darum sagte er: »'Smag sei'! Aber
+'sist vielleicht besser, daß's so komma'n<span class="pagenum" id="Seite_335">[S. 335]</span> ist! Mit dem Mädle hab e
+amol nex acks (als) O'glück — und wear woeß« — Kasper fiel ihm in die
+Rede: »O'glück haba' nennt 'r des! Ietz wurd's mer zviel! Glück host
+tausedmol meaner (mehr) as der Brauch ist — — aber (auf die Stirn
+deutend) <em class="gesperrt">doh</em> fehlt's!« — Nach kurzem Schweigen setzte er hinzu:
+»Ietz bitt' e de nor om oes! Verzähl m'r koem Menscha' nex dervo'! Ih
+as dei' Kamrad mueß me schäma' für di! Du host de benomma, daß a wahra'
+Schand ist! Wie a Dommkopf, wie a Sempel, wie a — —«</p>
+
+<p>Der gute Kaspar wollte die Gelegenheit der Vernichtung Michels benutzen
+und sich für die Grobheiten, die er von ihm schon anzuhören gehabt
+hatte, entschädigen. Aber nun wurde es dem Enakssohn zu bunt. Er
+richtete sich empor in seiner ganzen Macht und rief mit dunkelbraunem
+Gesicht: »Ietz sei mer still, oder i schmeiß de onter da' Dihsch
+(Tisch) nonter, doß d's Aufstanda' vergischt! Kott's Höllablitz!
+— Willst me du oh no' verzürna'? — I hab mei' Lebteng mit deana
+Lueders-Weibsbilder nex z'doa ghett — wie sollt' ih ihr' Ränk ond
+Schwänk kenna'?« — Kasper, zur Mäßigung gemahnt, versetzte mit Humor:
+»So got's eba'! Wer nex lernt, der ka' nex!« — »Was doh«, rief Michel
+unmuthig. »Falsche Ohser sends alle mit anander! I ben froa', daß so
+ganga'n ist, ond meiner Lebteng loss' e me ietz mit koer mea' ei'! Aus
+isch!« — Er ergriff die Bitsch, leerte sie auf einen Zug, stand auf
+und rief mit dem alten Herrscherton: »Ietz komm!« — Er ging. Kasper
+folgte.</p>
+
+<p>Auf dem Heimweg schüttelte der Erfahrene noch zu wiederholtenmalen den
+Kopf. Es war freilich beinahe nicht zu glauben, wie der Kamerad sich
+benommen hatte. Aber abgesehen von den Gründen, die er selber angab,
+war er ein Deutscher und hieß Michel. Er war ein Schwabe und erst
+sechsundzwanzig Jahre alt.</p>
+
+<h3>Beim Tanze.</h3>
+
+<p>Als die Gret am andern Morgen in ihrem Bett erwachte, überlegte sie
+bei dem heitern Schein der eben aufgegangenen Sonne die Vorfälle des
+gestrigen Abends in ihrem Zusammenhang und ihrer<span class="pagenum" id="Seite_336">[S. 336]</span> Steigerung — und
+brach in ein helles Gelächter aus. Nichts in der Welt kam ihr so
+närrisch vor wie der gute Michel in seiner Einfalt. Was sie gestern
+erzürnt hatte, das erschien ihr heute unendlich lustig, und um keinen
+Preis hätte sie sich ihr zerrissenes Halstuch abkaufen lassen. »O ist
+des a gueter Kerl!« rief sie, Lachthränen in den Augen. »Ist des a
+dommer Mensch!«</p>
+
+<p>Mit dem Unmuth war aber auch die Geringschätzung, die sie gegen ihn
+empfunden hatte, völlig aus ihr gewichen. Die Heiterkeit stimmte sie
+zur Milde, zur Gerechtigkeit. Sie fühlte, wie gut ers eigentlich
+meinte, wie durch und durch ehrlich er war, und wie ihm nur die rechte
+Art fehlte. Ihre Seele hing an seinem Bilde, wie das Aug einer Mutter
+an ihrem Kind, mit liebend mitleidigem Antheil. »G'scheidt ist er
+freile net,« sagte sie endlich, »ond wie ma' mit da' Mädla'n omgot, des
+woeß er gar net. Aber was schadt's? 'S ist am End besser, er lernt's
+von mir, als wann ers scho' von 'r andra' glernt hätt!«</p>
+
+<p>Da sie die Schwäche des Burschen von der schönern Seite betrachtete,
+so leuchtet ein, zu welchem Schlusse sie kam. Sie wollte ihn durchaus
+nicht aufgeben, ihm vielmehr Alles verzeihen und bei der nächsten guten
+Gelegenheit sich alle Mühe geben mit einem neuen Versuch. »'S ist
+freile net en der Oarneng (Ordnung),« sagte sie mit etwas bedenklichem
+Gesicht, »daß d's Mädle widder a'fangt. Aber was ka'n e macha'? 'S got
+amol net anderst, ond a jeds mueß doa', was eba' ka'! — So o'stearisch
+(unsternisch, unglücklich), wie desmol,« setzte sie erheitert hinzu,
+»wurds ja doch net allmol ganga'!«</p>
+
+<p>Es hatte einen ganz absonderlichen Reiz für die muntere Gret, den
+dummen prächtigen Michel zu gewinnen. Sie lächelte holdselig für sich
+bei diesem Gedanken, ihre Augen glänzten und schelmisch verlangend
+rundeten sich die schönen rothen Lippen.</p>
+
+<p>Vergnügt kam sie in die Stube. Als sie nach der Begrüßung des Alten
+wieder an Michel und sein Benehmen dachte, konnte sie sich nicht
+enthalten, für sich hinzulachen. Ihr Vater sah sie verwundert an und
+sagte: »Was host denn? Du bist ja gwihß net gscheidt?« — Die Gret
+erwiederte: »'S ist m'r grad ebbes ei'gfalla'!« — »Gang weiter,« sagte
+der Maurer, der nicht zu den scharfsichtigsten Menschen<span class="pagenum" id="Seite_337">[S. 337]</span> gehörte, »du
+bist a verruckts Mädle! Mach lieber, daß mer a Supp krieget ond zom
+Schneida' kommet!«</p>
+
+<p>Anders war die Nachwirkung des gestrigen Abends bei dem Burschen. Auch
+er sah klar an dem hellen Morgen, aber bei ihm erzeugte die Klarheit
+nicht Heiterkeit und Milde, sondern grimmigen Verdruß und Wuth über
+sich selbst. Schon <em class="gesperrt">Göthe</em> hat hervorgehoben, wie der arme Mensch,
+des Morgens im Bette erwachend, in der Passivität des Daliegens den
+Pfeilen der Selbstanklage und der Reue wehrlos preisgegeben ist.
+Michel, in dem Nachtheil seiner Lage, erkannte aufs deutlichste, wie
+dumm er sich gestern benommen; Scham färbte sein Gesicht, er strampfte
+mit dem Bein, daß die Bettstatt krachte. »O du Ochs«, rief er aus und
+gab sich einen Schlag vor die Stirn, der einer minder harten gefährlich
+werden konnte. »So domm sei'! — net seha', was d's Ohs will, ond
+globa', sie will des, was sie sakt! Als ob's net grad allmol ebbes
+andersts wölla' dätet, die — —! — Ietz kenn e's (ich sie) auf oemol
+— ietz, wo's nex mea' hilft!«</p>
+
+<p>Michel, wie der Leser schon gesehen, war hinterdrein immer um ein
+Gutes klüger als vorher; er machte sich seine Erfahrungen in Wahrheit
+zu nutze, er ging vorwärts, und es war darum keineswegs an der
+Durchbildung seines Verstandes zu verzweifeln, wenn man ihm nur Zeit
+gab, die hiezu nöthige Zahl von Erfahrungen zu machen. Das ist aber
+eben das Schlimme bei dieser gründlichen Art der Entwicklung, daß man
+oft gewisse Einsichten erst zehn Jahre später erlangt, als wo man sie
+brauchte, und unter solchen Verhältnissen gar vieles unwiederbringlich
+verloren bleibt.</p>
+
+<p>»So a Glegenheit«, murmelte der Bursche für sich hin. »Moets so guet
+mit m'r, richt't mers na' — a'n oezengs Wöartle, ond mei' wär's! —
+Ond ih ben so hihra'dippleng und verreiß 'r d's Halstuech! Noe (und er
+brach selber in ein Lachen aus) so 'n oefältenga' Menscha' gibts en
+der Welt nemmer! Des ist gar net möglich! — Natürlich isch wüadeng
+woara', des begreift se — über so'n Esel! Die möcht' i oh seha', die
+doh d'Geduld net verliera' dät!« —</p>
+
+<p>Er versank in tiefes Nachdenken. »'Sist verloara'«, begann er aufs
+neue, »ganz ond gar verloara'! So'n domma' Menscha<span class="pagenum" id="Seite_338">[S. 338]</span> muß ma verachta',
+'s got net anderst; ond wo amol koe Respekt mea' ist, doh hot's mit d'r
+Liab a'n End! — O, i wott glei« — —</p>
+
+<p>Er sprang auf, zog sich an, und murrte dabei fortwährend über sich
+selbst. — Als er in die Stube trat und der Mutter guten Morgen bot,
+sah ihn diese an und sagte: »Wie sikscht denn du ha'et aus? — Du host
+g'wiß gestert z'tief en d'Bitsch nei'guckt!« — Michel war froh, die
+Alte auf dieser Fährte zu sehen, und dichtete sich einen Katzenjammer
+an, obwohl mindestens das doppelte Quantum des gestern Getrunkenen
+erforderlich gewesen wäre, ihm eine Andeutung davon zu geben. »Ja«,
+erwiederte er, »i ben a bisle z'weit ganga'! Aber (setzte er mit saurem
+Gesicht hinzu) i hab a Lear (Lehre) kriegt, ond wear me a'nandersmol
+hüeta'!«</p>
+
+<p>Als er nach dem Frühstück auf's Feld hinausging, dachte er: »Ietz nor
+Alles ha'et, als dem Mädle net begegna'!« Er empfand eine grausame
+Scheu, das Gesicht zu sehen, das er sich nicht anders als höhnisch
+denken konnte und dessen bloße Vorstellung ihm schon einen Stich
+ins Herz gab. Unbehelligt kam er an seinen Acker, und froh über
+dieses Glück schnitt er rüstig in Gesellschaft seiner Mutter und
+einer Taglöhnerin die zeitgemäße Gerste. Aber seine Furcht war doch
+eine Ahnung dessen, was kommen sollte! Da sie den Acker noch fertig
+schneiden wollten, so gingen sie erst spät zum Mittagessen heim. Michel
+blieb in Gedanken zurück, und wie er in die Gasse einlenkte, kam
+ihm die Gret entgegen. Er erschrak, und sein Gesicht zeigte eine so
+komische Mischung von Verlegenheit, Verdruß und Empfindlichkeit, daß
+das Mädchen, als er ohne zu grüßen an ihr vorüberschritt, sich nicht
+anders helfen konnte — sie mußte grad hinaus lachen.</p>
+
+<p>Es that ihr unendlich leid, sobald es geschehen war. Sie fühlte, daß es
+jetzt zu Ende sei mit ihm, und daß ein Wunder geschehen müßte, wenn er
+ihr dieses Lachen verzeihen sollte! — Sie schalt sich selbst, wurde
+sehr ernsthaft und beruhigte sich endlich nur in dem Vorsatz: für jetzt
+sich zurückzuhalten und Alles in Geduld zu erwarten.</p>
+
+<p>Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Michel war im Tiefsten beleidigt.
+»I habs ja gwißt«, sagte er schamerglühend zu sich selbst,<span class="pagenum" id="Seite_339">[S. 339]</span> —
+auslacha' wurd's me! — No, ietz isch aber verbei, — ietz sig e's
+nemmer a' meiner Lebtag! I ben a'n Esel gwesa', daß e denkt hab', sie
+hält doch ebbes auf mi! Wean ma' so auslacht, auf dean hält ma'n ebbes,
+ja wohl! — Nia hot ma'n ebbes auf 'n ghalta'!«</p>
+
+<p>In seiner gerechten Entrüstung ging er zu dem Kameraden und erzählte
+ihm, was ihm passirt sei und was er nun denken müsse. Kasper wollte
+die Schlußfolge Michels nicht gelten lassen; aber dieser machte ein
+Gesicht, daß er seine Einwendung gern fallen ließ und meinte: es könnte
+doch so sein! — Gewisse Leute finden immer Beistimmung.</p>
+
+<p>Michel faßte den Entschluß, die Gret nicht nur ihres Weges gehen zu
+lassen, sondern gar nicht mehr an sie zu denken. Zunächst wurde er aber
+doch noch an sie erinnert. Seine Mutter erfuhr nämlich im Lauf der
+Woche von einem Nachbar, Michel sei am Sonntag beim Maurer und seiner
+Tochter gesessen, er sei recht »lebendeng« gewesen, und es habe just so
+ausgesehen, als ob ihm die Gret gefiele. — »Des gäb' a rechts Baar«,
+hatte der Wohlwollende hinzugesetzt, — »doh müsset 'r a Bisle helfa'!«
+— Die Alte war sehr erfreut über diese Nachricht und nahm sich gleich
+vor, bei guter Gelegenheit auf den Busch zu klopfen und zum Zwecke zu
+reden.</p>
+
+<p>Als sie einen Tag darauf nach dem Essen allein in der Stube waren,
+begann sie mit jenem Lächeln, das nur Müttern eigen ist, wenn sie auf
+eine ihnen genehme Liebschaft des Sohnes anspielen: »Des mueß ma' doch
+saga', d's Maurers Margret ist doch ietz d's erst' Mädle em ganza'
+Doraf! Wie die so gschickt ist ond wie der Alles aus der Ha'd got!
+'Sist wärle zum Verwondra'!« — Michel blieb stumm. — »No, isch net
+wohr?« fuhr die Alte fort und sah ihn an. — »'S ka' sei'«, entgegnete
+Michel. — »Die Gschwendne (Geschwindigkeit)«, begann die Mutter
+wieder, »hab' e no' net leicht gseha' bei 'm Mädle! Sie schafft für
+zwua (zwo, zwei).« — »Mei'daweg für drei!« versetzte der Bursche.
+Die Alte wollte aus dieser Antwort entnehmen, Michel schäme sich zu
+bekennen, und fuhr fort: »Wer die zom Weib kriegt, deam isch net gfehlt
+— der hots troffa' — noch mei'r Moeneng!« — »I wensch 'm Glück
+derzue«, bemerkte der Sohn ohne aufzusehen und mit einem Ton, der der
+Alten doch<span class="pagenum" id="Seite_340">[S. 340]</span> befremdlich klang. »No, was host denn ietz?« rief sie; und
+lächelnd setzte sie hinzu: »bist net amol aufrichteng mit dei'r Mueter?
+I will der's nor saga': die Great wär a Mädle für dih, ond wann de a
+Bisle om se rommacha' dätst« — —</p>
+
+<p>Michel sah auf mit unmuthigem Gesicht. »Die Great«, erwiederte er kurz,
+»wär die Letscht (Letzte), die i näam (nähme)!« — »Aber worom denn?«
+rief die erstaunte Alte. — »Weil's a'n Ohs ist«, war die Antwort, »ond
+weil e's net leida' ka'!«</p>
+
+<p>Die Mutter wollte ihren Ohren nicht trauen. »Aber du sollst de ja
+beim brauna' Bier recht guet mit 'r onderhalta' haba'!« — »Descht
+(das ist) a domma' Schwätzerei — weiter nex!« entgegnete Michel. Und
+indem alle Schmach, die er erfahren, in seiner Seele brannte, rief er
+mit Nachdruck: »Von deam Mädle red m'r nex mea' — i will nex von 'r
+höara'!« — Die Alte war bestürzt und schwieg einen Moment still. Dann
+sagte sie mit einem Klageton, der aus der Seele kam: »Aber sag m'r nor,
+willst denn ietz barduh (partout) net heiricha'? Magst denn gar koena'?
+Soll e meiner Lebteng koe Söhnere mea' ens Haus kriega'?« — Dieser
+Ton traf den Burschen; — und da es die Mutter doch so gut meinte und
+vielleicht die einzige Person in der Welt war, die es gut meinte mit
+ihm, so ging er auf sie zu, nahm sie bei der Hand und sagte von Herzen:
+»Mueß denn aber grad gheiricht sei'? I hab ja a brava' Mueter, die m'r
+nex ahganga' (abgehen) loßt and bei ders m'r wöller ist, als bei so 'r
+jonga Butzdock (Putzdocke)!« — »Ach«, erwiederte die Alte, die sich
+doch etwas geschmeichelt fühlte, »wann e aber stirb, was nocht?« — »Du
+lebst länger als ih«, rief Michel, nickte versichernd — und suchte das
+Weite.</p>
+
+<p>Wie vorsichtig die gute Frau war, und wie sehr sie eine Scheu empfand,
+über ihren Michel ein Gerede zu veranlassen, das ihn erzürnen würde —
+den Widerspruch zwischen der Erzählung des Nachbars und dem Benehmen
+des Burschen konnte sie doch nicht verwinden. Sie erkundigte sich
+gelegentlich bei dem Kameraden. Dieser spürte kein Verlangen, die
+Wahrheit zu sagen und unter Umständen die Kraft der Michelschen Fäuste
+zu empfinden; er erwiederte, sie hätten allerdings eine Ansprache mit
+dem Maurer und seiner Tochter gehabt,<span class="pagenum" id="Seite_341">[S. 341]</span> aber diese hätte dem Michel ein
+paar spöttische Reden hinausgegeben, das habe ihn geärgert und nun sei
+sie ihm zuwider. — Die Mutter seufzte und resignirte noch einmal. Zum
+Nachbar sagte sie: »Desmol hont 'r falsch gseha'!« Der Alte meinte:
+»Nocht wurd's halt d's brau' Bier gwesst sei', was 'n so monter gmacht
+hot!« — »Des glob' e ehr«, entgegnete die Mutter — und die Frage war
+abgemacht für sie.</p>
+
+<p>Die Erndte ging ihren Gang. Das letzte Fuder Hafer war ins Dorf
+gefahren, und das Verhältniß zwischen Michel und der Gret noch
+das alte. Mit dem Maurer wechselte der Bursche die gewöhnlichen
+Grußformeln. Begegnete er dem Mädchen, so spielte er mit Erfolg einen
+Menschen, der ganz in seine Gedanken verloren hinwandelt, und sie ging
+mit dem Ernst der Ergebung an ihm vorüber, mit wiederholtem innigem
+Bedauern über ihr unglückseliges Lachen und mit erneuertem Vorsatz,
+bei der nächsten Gelegenheit, wenn ihr ja das Glück noch einmal wollen
+sollte, sich so gut, so klug und so lieb als möglich gegen ihn zu
+benehmen.</p>
+
+<p>Der Schneider hatte unterdessen seine Besuche und Huldigungen
+nicht ausgesetzt, obwohl die Erntezeit, die ihn in einen Schnitter
+verwandelte, sie nicht in solcher Häufigkeit zuließ wie früher. Er sah
+zu seiner Verwunderung, daß sein Bäschen mehr und mehr ihre Munterkeit
+verlor, sich hie und da in einem sonderbaren traurigen Nachdenken,
+zuweilen auch in einer sehr ärgerlichen Stimmung betreffen ließ. Dieß
+erschien ihm nicht wohl begreiflich, da sie doch nach seiner Ansicht
+Alles hatte, was sie wünschen konnte, namentlich einen Liebhaber, der
+deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er sich, wenn es sein mußte,
+in einen Ehemann verwandeln könnte. Er setzte ihr Betragen indeß auf
+Rechnung der bekannten weiblichen Launen und tröstete sich, daß sie
+gehen würden, wie sie gekommen.</p>
+
+<p>Auf den ersten Dienstag nach der Ernte fiel eine Hochzeit, die, zum
+Vergnügen der jungen Leute des Dorfes, im Wirthshaus gefeiert wurde.
+Unsre Leser haben schon aus den frühern Erzählungen gesehen, welche
+Rolle in der Sphäre ländlicher Ergötzungen die Hochzeiten spielen.
+Die Dorfjugend mitten im Ries hat im ganzen Jahre nur zwei regelmäßig
+wiederkehrende Tanzgelegenheiten: die Ortskirchweih<span class="pagenum" id="Seite_342">[S. 342]</span> und die Nördlinger
+Messe. Zur Ergänzung der eignen Kirchweih machten ehedem Solche, die
+Belieben darnach trugen oder von Verwandten eingeladen waren, die
+eines und des anderen Nachbardorfes mit, was vorläufig durch die
+büreaukratisch angeordnete Verlegung sämmtlicher Kirchweihtänze auf
+Einen Tag, ins Reich der Unmöglichkeit verwiesen ist. Da ein paar
+Tanztage im ganzen Jahr einer lebenslustigen Jugend nicht genügen
+können, so werden natürlich die wirthshäuslichen Hochzeitsfeste mit
+Freuden begrüßt und als ein Gnadengeschenk der Verhältnisse um so
+dankbarer hingenommen, als auch sie schon seltener zu werden anfangen.</p>
+
+<p>Bei dieser Gelegenheit müssen wir bemerken, daß eben diese
+Festlichkeiten für das gesellige Leben des Rieser Landvolks eine
+Bedeutung haben, die wir gehörigen Ortes anerkannt zu sehen wünschten.
+Es sind Mittelpunkte, wo sich Gäste aus den verschiedenen Dörfern
+treffen, in fröhlichem Verkehr einander ihr Herz aufschließen und
+neue Verhältnisse sich entspinnen, die auseinander wohnende Familien
+wieder mit einem Bande der Verwandtschaft umschlingen können. Die
+Thatsache, daß das Rieser Landvolk derselben Confession gewissermaßen
+eine große Familie bildet, wird hier anschaulich gemacht und zu ihrer
+Erhaltung immer wieder beigetragen. Wer dieß zu schätzen und die guten
+Folgen solcher Mischung sich vorzustellen weiß, der wird um einiger
+Rohheiten willen, die dabei vorfallen können, die aber meist nur dem
+verzärtelten Geschmack als solche erscheinen, nicht die Axt an eine
+Sitte gelegt zu sehen wünschen, die so viel Gutes mit sich bringt —
+von der Rekreation, welche der Bauer in Folge seiner ununterbrochenen
+Thätigkeit doch ebensosehr bedarf als verdient, ganz abgesehen.
+Es ist immer nur Schwäche, die, um den Mißbrauch zu verhüten, den
+Gebrauch aufheben will; Schwäche und Unfähigkeit, die sich bewußt
+ist, auf positive Weise nicht helfen zu können, wo zu helfen wäre.
+Durch die Vernichtung der überlieferten Sitte würde das Landvolk zur
+Charakterlosigkeit, zur socialen Nullität gebracht werden — und
+mehr werth als diese, sollte man glauben, wäre ein selbstständig
+ausgeprägtes Leben doch bei weitem, auch mit etwelcher Rohheit, die
+ohnehin der fortschreitenden Cultur schon vielfach gewichen ist und
+immer mehr wird weichen müssen.<span class="pagenum" id="Seite_343">[S. 343]</span> Wolle man doch ja sociale Zahmheit und
+Dürre nicht gewaltsam herbeiführen! Es ist möglich, daß sie von selber
+kommt, früher und vollständiger kommt, als es sogar ihren jetzigen
+Liebhabern lieb sein wird! —</p>
+
+<p>Die Hochzeit war die eines wohlhabenden jungen Söldners mit der Tochter
+eines kleinen Bauern. Die Familie Schwab gehörte zur »Freundschaft« des
+letztern — es war daher unumgänglich nöthig, daß ein Glied derselben
+als Gast an der Feier theilnahm, um so mehr, als der Bauer vor Zeiten
+auch den Ehrentag der Wittib mitgefeiert hatte und die Schicklichkeit
+eines Ersatzes in die Wagschale fiel. Wenn der Brauch will, daß ein
+Geladener dem Freund oder guten Bekannten »auf die Hochzeit gehe« und
+»auf die Hochzeit schenke«, d. h. einen verhältnißmäßigen Geldbeitrag
+zum Beginn der Wirthschaft liefere, so will er nicht minder, daß
+dem Gaste bei Gelegenheit seiner eigenen Verbindung oder der eines
+Blutsverwandten die Ehre und das Geschenk wieder zurückgegeben werden.
+Der Brauch übt einen sanften Zwang zur Wiedervergeltung und fördert
+so den Austausch reeller Höflichkeiten, indem er jedem abwechselnd
+das Wohlgefühl des Empfangens und Gebens verschafft. Denn es bleibt
+natürlich dem Rieser unbenommen, das, was die Sitte gebietet, aus
+freien Stücken zu thun und in der Wiedervergeltung nicht eine bloße
+Pflichterfüllung, sondern einen natürlichen Erweis der Großmuth zu
+sehen, deren Freude es ist zu schenken und glücklich zu machen! —</p>
+
+<p>Schon acht Tage vor diesem Fest hatte zwischen Michel und seiner Mutter
+ein kleiner Kampf über die Frage begonnen, wer es mitmachen solle.
+Michel wollte die Last der Mutter aufbürden, die Mutter wollte die Lust
+dem Sohne gönnen. Die gute Frau kam eben, wenn auch nur im Stillen,
+immer wieder auf den Wunsch und die Hoffnung zurück: es möchte ihm
+Eine gefallen! Da nun im Dorfe selbst offenbar Keine so glücklich war,
+so wünschte sie um so lebhafter, der Sohn möchte auf dieser Hochzeit
+Jungfrauen aus andern Orten sehen, die nicht fehlen konnten. — Das
+Bewußtsein, als Mutter für sein Bestes sorgen zu müssen, gab ihr
+diesmal in der That die Kraft zu widerstehen und seine Einwendungen
+zu entkräften. Wie oft er auch wiederholen mochte: es mache ihm keine
+Freude, er habe gar »keinen Luhst« dazu, es sei ihm grausam<span class="pagenum" id="Seite_344">[S. 344]</span> zuwider!
+— am Ende mußte er sich den Ermahnungen, womit die Alte ihm zuzusetzen
+nicht müde wurde, dennoch fügen und in den sauern Apfel beißen. Zur
+Verzweiflung gebracht rief er endlich: »No mei'daweg, i will ganga'!
+Aber du wurscht seha', 's gibt widder ebbes. Denn der Deufel ist loas
+ond loßt m'r koe Rua'!« — Die Mutter war zu vergnügt über seinen
+Entschluß, als daß sie dieser Rede weiter nachgedacht hätte.</p>
+
+<p>Ob Michel sich deswegen so lange sträubte, weil er erfahren hatte, daß
+auch die Gret auf die Hochzeit kommen würde — oder ob er deswegen
+endlich nachgab — wer konnte es wissen? — Der Kamerad, den er von
+dem Streit mit der Mutter in Kenntniß gesetzt, machte ihm gelegentlich
+und vorsichtig jene Mittheilung, indem er hinzufügte, nun würde er
+gerade auch darauf gehen und dem Mädchen zum »Tort« sich um eine andere
+herummachen, was sie gewiß recht ärgern würde. Michel hatte indessen
+geantwortet, er kümmere sich um das Mädchen überhaupt gar nichts mehr,
+und später diesen Gegenstand nicht wieder berührt. — Sei dem, wie ihm
+wolle — er folgte der Alten, und mußte sich am Hochzeitsmorgen mit dem
+Gedanken der Nöthigung doch schon einigermaßen versöhnt haben, denn
+er wusch und putzte sich nach Kräften und zog sich so stattlich an,
+als es der Kleiderkasten zuließ. Wie er endlich vor seine Mutter trat
+in schwarzen Hosen von Hirschleder, die kein Fältchen warfen und fast
+bis eine Spanne über das Knie von den Stiefeln bedeckt waren, — in
+manschesternem Leibchen mit versilberten Knöpfen, im neuen, schwarzen,
+baumwollbehaarten Barchentkittel mit flachen, thalergroßen Knöpfen
+— über das wohlgebundene dunkle Halstuch den feinsten Hemdkragen
+gezogen und den Kopf mit dem landesüblichen Schaufelhut bedeckt —
+da ging der guten Frau das Herz auf und undenkbar schien es ihr, daß
+so ein Mannsbild sollte durchs Leben gehen können, ohne ein braves
+Weib glücklich zu machen und ohne eine würdige Nachkommenschaft
+zu hinterlassen. — Sie hatte eben in das Papierkäpselchen des
+Gesangbuchs, das ihm auf dem Weg zur Kirche übergeben werden mußte,
+einen großen Kupferzweier gesteckt, den er als »Opfer« in den
+Klingelbeutel werfen sollte; nun wünschte sie ihm von Herzen gute
+Unterhaltung und gab ihm geschwind noch ein paar<span class="pagenum" id="Seite_345">[S. 345]</span> Schicklichkeitsregeln
+mit, ihn besonders ermahnend, daß er zu den Brautleuten sagen sollte:
+»Ich gratuliere«, nicht: »Ich condoliere,« wie es einmal einem zu
+seiner großen Schande passirt sei. Michel zuckte die Achseln und ging,
+da es eben zehn Uhr schlug, in langsamen Schritten dem Wirthshaus zu.</p>
+
+<p>Eine Rieser Hochzeitsfeier hatte in jenen Tagen einen andern Verlauf
+als jetzt, wo dem Geiste der Zeit verschiedene Glieder der alten
+Ordnung zum Opfer gefallen sind. Wir müssen unsre Leser schon ersuchen,
+zunächst eine Schilderung und Charakteristik derselben freundlich
+aufzunehmen, da wir ohne eine solche in der Erzählung nicht so
+verständlich sein könnten, als wir gerne wären. Abgesehen davon möchte
+es den künftigen Riesern von Interesse sein, das, was die Alten fromm
+und fröhlich getrieben, wenigstens aus einem Buch kennen zu lernen. —
+—</p>
+
+<p>Wenn das »Ander gelitten«, d. h. wenn mit Einer Glocke das zweite
+Mal vor dem Beginn der kirchlichen Handlung geläutet wurde, begaben
+sich Bräutigam und Braut, Hochzeitknecht und Hochzeitmagd und die
+nächsten Verwandten ins Wirthshaus. Der Hochzeitknecht trug einen
+Säbel mit breitem farbigem Seidenband; er ist der Beschützer der Braut
+— eine Sitte, die aus Zeiten datirt, wo thatsächlicher Schutz noch
+erfordert werden konnte. In der obern Stube angekommen nahmen sie
+Platz am Bräuteltisch zunächst der Thüre und erwarteten die nach und
+nach anlangenden Gäste, deren jeder zum Brautpaar trat und in würdigem
+Ernste »zum Ehrentag und zum fröhlichen Kirchgang« gratulirte. Hatten
+sich die Gäste eingefunden, so beschenkte die Hochzeitmagd sie mit
+Rosmarin, und das Frühmahl wurde aufgetragen: Suppe, Rindfleisch und
+ein Viertellaib des schmackhaften »Hochzeitbrodes.« Weißbier und
+Branntwein (und zwar jenes den ganzen Tag durch) gehörten zum »Mohl«
+(Mahl); Wein und braunes Bier wurden gegen Bezahlung gereicht. Den
+behaglichen Genuß des Frühstücks erhöhten die Musikanten — deren
+es bei kleinen Hochzeiten viere, bei größeren sechse gab — durch
+Aufspielen ihrer schönsten Arien. Endlich wurde »zusammengeschlagen,«
+d. h. mit zwei Glocken zum Kirchgang geläutet, Pfarrer und Schullehrer
+kamen im Ornat zum Wirthshause und empfingen je eine Citrone und einen<span class="pagenum" id="Seite_346">[S. 346]</span>
+Rosmarinstrauch, die männlichen und weiblichen Gäste, mit Rosmarin
+schon geputzt, sonderten sich, und unter dem Vortritt der Musikanten,
+die einen Marsch bliesen, begann der Zug vom Hofe des Wirthshauses in
+die Kirche; die Männer mit Pfarrer und Schullehrer voran, die Braut an
+der Spitze der Weiber vom Hochzeitknecht mit blankem Säbel geleitet. Am
+Thore des Kirchhofs machten die Musikanten Halt, die weltliche Musik
+verstummte, und der Zug ging über den breiten Weg des Kirchhofs, wo die
+Gäste durch die Ihrigen mit Gesangbüchern versehen und von Verwandten
+und Bekannten mit leckereigefüllten »Guckern« beschenkt wurden, in das
+Gotteshaus. Bei der Trauung hatte der Hochzeitknecht seinen Stand zur
+Seite des Paares, um die Braut nach Beendigung der kirchlichen Feier
+sogleich wieder in Empfang zu nehmen. In derselben Ordnung, wie er
+angekommen, ging der Zug zurück und vor dem Kirchthor stellten sich
+die Musikanten, stattlich blasend, wieder an die Spitze. Im Hofe des
+Wirthshauses bildete man einen Kreis, der Pfarrer nahm Glück wünschend
+Abschied, und nun trat der Schullehrer in die Mitte, um seinerseits
+in feierlichem Ton eine gereimte Anrede zu halten, worin er nach der
+kirchlichen Ermahnung als Repräsentant des praktisch-moralischen Sinnes
+die Bedeutung des Tages beleuchtete und mäßigen Genuß und ehrbare
+Fröhlichkeit empfahl.</p>
+
+<p>In jeder Beziehung geistig versehen, begaben sich die Gäste in's
+Haus, der Hochzeiter nahm die Hochzeiterin bei der Hand, führte sie
+auf den Tanzboden und tanzte mit ihr drei Reihen allein, worauf
+der Hochzeitknecht mit der Hochzeitmagd, und die übrigen schon
+bereitstehenden Paare sich anschlossen. Wenn der Aufwärter zum
+Mittagessen rief, setzte man sich in bunter Reihe an die Tafeln.
+Jeder Gast fand bei seinem Gedeck einen »Hochzeitlaib« vor, und
+nach einander wurde aufgetragen: Suppe mit weißen Semmel- und
+braunen schmalzgebackenen »Knöpfen«, Rindfleisch mit Reis, Blut- und
+Leberwurst, Leberkuchen und Bratwurst, endlich Braten. Nach dem Mahl
+begann der Tanz wieder und dauerte bis zum Abendessen. Die ältern Leute
+unterhielten sich trinkend und diskurirend oder zuschauend; die Braut
+— oder wenn sie tanzte, eines der ihrigen — nahm Hochzeitsgeschenke
+in Empfang, die ihr von Dorfbewohnern gebracht wurden,<span class="pagenum" id="Seite_347">[S. 347]</span> und wartete
+ihnen mit Schnaps oder Wein auf. Die Dorfbewohner nämlich — so
+verlangte es die schöne Sitte — waren <em class="gesperrt">alle</em> geladen, auch den
+ärmsten nicht ausgenommen, und wenn so einer nicht als Gast erscheinen
+konnte, so schenkte er wenigstens nach Verhältniß seines Vermögens.</p>
+
+<p>Das Abendessen vereinigte Alle wieder in der Stube. Es gab zum
+drittenmal Suppe — Rindfleisch mit süßer Rosinenbrühe, Braten und
+für jede Person ein Viertel Torte. Das »Mohl« war damit vollendet;
+und jetzt nahm der Schullehrer die Aufmerksamkeit der Versammlung
+noch einmal in Anspruch. Er hielt eine Rede, worin er (der gleich
+dem Geistlichen seinen Antheil vom Bräutigam in's Haus gesendet
+erhalten hatte) Gott pries, der sie so reichlich gespeist habe, die
+Summe namhaft machte, die je ein Gast zu entrichten hatte, und den
+Brautleuten mit einer feinen Anspielung auf das Läuten der Taufglocke
+alles Glück und allen Segen wünschte. Während dieser Rede hatten sich
+die ältern Schulbuben um ihren Meister gesammelt, die Musikanten
+in der Nähe sich aufgestellt, und es ertönte zum Beschluß mit
+Instrumentalbegleitung der Choral: »Nun danket Alle Gott!«</p>
+
+<p>In der feierlichen Stimmung, welche dieses Lied erweckte, sammelte
+der Schullehrer mit einem Blutsverwandten des Brautpaars die
+»Hochzeitschenk« ein, die von jedem erhaltene Summe genau notirend; und
+der einmal geöffnete Geldbeutel durfte sobald nicht wieder geschlossen
+werden. Zunächst folgte der Wirth, um die Bezahlung für das Mahl
+(damals anderthalb Gulden und etwas darüber, jetzt über zwei!) in
+Empfang zu nehmen. Dann erschienen nach einander der Aufwärter, die
+Köchin, die Magd und das Mädchen, um die Gäste zu brandschatzen, die
+aber ihrerseits auch zu immer kleinerer Münze griffen, bis zuletzt
+in das Pfännchen des Mädchens Kreuzer und nur ausnahmsweise Groschen
+geworfen wurden. Während diese Schaar sich entfernte, um schnell die
+Beute zu überzählen und sich nach Verhältniß entweder zu freuen oder zu
+ärgern, hielten die Musikanten ihren Umgang bei den Tischen, spielten,
+was ihnen vorgesungen wurde, und zogen das Honorar ein, das in jener
+Zeit um ein Ziemliches bedeutender ausfiel, als heutzutage. Die
+Hochzeitgäste,<span class="pagenum" id="Seite_348">[S. 348]</span> vor allen die aus andern Dörfern, nahmen Abschied. Die
+Brautleute begaben sich mit befreundeten Paaren in den Haustennen, wo
+unter Absingung bezüglicher Liedchen nochmal getanzt und Wein gezecht
+wurde. Der Bauer liebt die Gründlichkeit auch in der Ergötzung — wenn
+er sich einmal darauf einläßt — und das Austrinken des Vergnügens
+bis zum letzten Tropfen. Darum ließ sich nun der Bräutigam von den
+Musikanten auch noch »heimmachen«, und in seiner Stube erst wurde
+der Kehraus getanzt. Dehnte sich dieser zu lang, dann konnte Murren
+unter den jungen Leuten des Dorfes entstehen, die sich zum »Ansing«
+versammelt hatten. In der Regel aber hatte man diesen schon früher
+ein paar Musici überlassen, und während in der Wohnung des Bräutigams
+die Hochzeit endigte, war auf dem Tanzboden die freie Lustbarkeit der
+Ledigen schon in vollem Gange, die früher erlaubtermaßen bis zum Morgen
+dauerte.</p>
+
+<p>In der Ordnung des eigentlichen Festes, wie man sieht, waren
+Geistliches und Weltliches verbunden wie zwei Elemente, die sich zur
+Bildung eines Ehren- und Freudentages wechselseitig ergänzen sollen.
+Jeder Moment war ausgefüllt mit dem, was den Bauer ergreift und über
+die Prosa des Daseins erhebt. Nach der Weihe der kirchlichen Handlung
+leitete ihn Musik zu dem Orte, wo er fröhlich den Tag verbrachte, der
+Schullehrer, als Mittelsmann zwischen Geistlichem und Weltlichem,
+sorgte für den Uebergang und lenkte nach der letzten Mahlzeit die
+Herzen noch einmal zu einer ernsten Betrachtung des Tages zurück.
+Die Naivität und, um es nur zu sagen, die geistige und gemüthliche
+Gesundheit früherer Zeiten nahm an dieser Verflechtung der beiden
+Elemente kein Aergerniß, und Schreiber dieses erinnert sich noch wohl
+der ernsten, ja feierlichen Gesichter der Hochzeitgäste beim Absingen
+des Kirchenliedes. Man muß die Natur des Bauers, die Derbheit seiner
+Empfindungsorgane, die Hingebung an die Gegenwart — und auf der andern
+Seite die Einfachheit seines geistigen Lebens im Auge behalten, wenn
+man über eine solche Ordnung gerecht urtheilen will. Der Bauer quält
+sich nicht mit dem Gedanken, ob er nicht vielleicht Gott beleidige,
+wenn er sich nach der kirchlichen Handlung dem Vergnügen überläßt;
+er tanzt ohne Arg, dem Gebrauch und seinem Drange folgend. Und wenn
+er nach der<span class="pagenum" id="Seite_349">[S. 349]</span> Lustbarkeit den Choral singen hört, so stört ihn nicht
+die Frage, ob dies wohl auch in's Wirthshaus gehöre; er läßt, die
+Lustbarkeit vergessend, den Gesang auf sich wirken, nimmt sich's dann
+aber auch in keiner Weise übel, wenn die ernste Stimmung, in die er
+versetzt war, nach dem Schlusse des Liedes selbst wieder ein Ende nimmt
+und erneuter Fröhlichkeit Platz macht. Für ihn ist die sittegeregelte
+Fröhlichkeit eben selbst eine Erhebung! Was ihm ein solcher Tag bietet,
+ist ihm Kunst und Poesie; und so wenig man diese der gebildeten
+Menschheit rauben darf, so wenig darf man dem Bauer nehmen, was sie ihm
+ersetzt.</p>
+
+<p>In den letzten Jahrzehnten hat das Ganze dieser ländlichen
+Hochzeitsfeier die Begleitung des Zuges durch die Musikanten — die
+förmlichen Reden des Schullehrers und das Absingen des Chorals nach
+der Abendmahlzeit — endlich das Tanzen im Haustennen und den Heimgang
+der Brautleute mit Musik — verloren. Das erste hat die Geistlichkeit
+anstößig gefunden, das zweite scheint den jungen Lehrern, die das
+Seminar gebildet hatte, nicht mehr gepaßt zu haben, das letzte
+untersagte die Polizei. Das besondere Tanzen nach dem Abendessen hat
+sich der Bauer indeß nicht nehmen lassen. Die Brautleute tanzen jetzt
+in der untern Wirthsstube und lassen sich beim Abschied wenigstens zum
+Hause hinaus blasen!</p>
+
+<p>Die Sitte des Volks ist ein natürliches Gewächs; wenn ihre Zeit
+vorüber ist, läßt sie sich durch Befehle nicht mehr erhalten, und kein
+Vernünftiger wird darüber klagen, daß das, was kein inneres Leben mehr
+hat, dem Untergang verfällt. Was aber an überlieferten Gebräuchen vom
+Volke selbst erhalten, mit Lust und Liebe erhalten wird, das sollte
+weder von der geistlichen noch von der weltlichen Macht angetastet
+werden, sofern es nicht einer männlichen, über Nervenschwachheit und
+Pedanterei erhabenen Sittlichkeit widerspricht. Wollte man dem Bauer
+die öffentliche Hochzeitsfeier mit Musik und Tanz verbieten, in der
+Meinung etwa, daß ein solcher Tag in ernster Stille begangen werden
+müsse, so würde das, außer dem schon erwähnten Uebelstand, für das
+Rieser Landvolk insbesondere noch die Folge haben, daß die bäurische
+Natur an Essen und Trinken Ersatz nähme und sich den Magen überladend
+in dumpfer Gedankenlosigkeit<span class="pagenum" id="Seite_350">[S. 350]</span> hinbrütete, was nach der Angabe eines
+glaubenswerthen Mannes in Tyrol geschehen soll, wo die geistlichen
+Väter das Landvolk auch dem höhern Leben zu gewinnen glauben, wenn
+sie ihm das Tanzen ausreden. — Man veredle und bereichere den Geist
+der Landleute, man befähige sie durch Bildung zu höheren und feineren
+Genüssen, namentlich zu jenen würdigen und tiefsinnigen Gesprächen, wie
+sie die Gebildeten bei ihren Diners zu führen pflegen — dann werden
+sie auf ihre Gebräuche und ihre noch immer beliebten Vergnügungen von
+selber verzichten. Bis dahin aber lasse man ihnen ihre Sitten, ihre
+Freuden und, was auch eine gar schöne Sache ist — ihren Humor!</p>
+
+<p>Als Michel in die obere Wirthsstube kam, waren außer dem Brautpaar und
+seinen Angehörigen nur erst wenige Gäste dort. Er trat stattlich zu den
+beiden Glücklichen und sagte die Gratulation ohne Anstoß, worauf der
+Dank mit einem gewissen ernsten Lächeln ausgesprochen wurde, welches
+namentlich auf dem Gesicht der Braut zu bedeuten schien: Nimm dir
+ein Exempel dran! An einem benachbarten Tisch hatten schon ein paar
+ältere Männer aus dem Dorfe und eine Matrone von auswärts Posto gefaßt;
+er setzte sich zu ihnen, um, da er nicht tanzte, wenigstens eine
+vernünftige Ansprache zu haben.</p>
+
+<p>Die Gäste mehrten sich. Auf einmal trat auch die Gret ein, die in
+der schwarzen Spitzenhaube und in dem dunkeln Anzug, wie ihn das
+protestantische Landvolk bei ernsten Gelegenheiten zu tragen pflegt,
+ein eignes feierliches Aussehen hatte. Allein nachdem das Auge rasch
+die Tische überflogen, stimmte das helle Antlitz nicht mehr zu dem
+ernsten Gewand; es glänzte froh dem Brautpaar entgegen und wünschte
+schon Glück, ehe die Lippen sich öffneten.</p>
+
+<p>Michel hatte bei ihrem Eintritt in seinem Herzen einen kleinen Ruck
+empfunden und konnte sich nicht enthalten, sie in der Stellung des
+Gratulirens anzusehen — und sie wieder schöner zu finden als alle
+andern Mädchen und Weiber! — Plötzlich verdunkelten sich seine Züge;
+der Schneider war angekommen in funkelnagelneuem Tuchrock und sehr
+vergnügten Gesichts. Er sprach einen Glückwunsch, der nur den Sinn der
+alten Bauernformel enthielt, und setzte sich an die<span class="pagenum" id="Seite_351">[S. 351]</span> Tafel, an welcher
+die Gret Platz genommen hatte, um sofort mit ihr einen Diskurs zu
+beginnen.</p>
+
+<p>Das Fest begann und verlief nach der Regel, und die Gäste fühlten sich
+bald wohl und wohler — mit Ausnahme eines Einzigen.</p>
+
+<p>Michel hatte den Entschluß, die Gret nicht mehr anzusehen, während
+ihrer vergnügten Unterhaltung mit dem Schneider erneuert. Beim
+Aufstellen des Zugs ging er an ihr vorbei, ohne irgend von ihr Notiz zu
+nehmen. In der Kirche sah er sich aber unwillkürlich zur Uebertretung
+des von ihm aufgestellten Gesetzes verlockt. Der Pfarrer hob in seiner
+Predigt die Bedeutung des Ehestandes so schön hervor; er sprach über
+den Segen, der an diesen Bund geknüpft sei, mit solcher Weihe, daß
+Michel instinktmäßig den Kopf nach der Gegend hinkehrte, wo die Gret
+saß. Diese hatte den ihrigen just in entgegengesetzter Art gewendet —
+die Blicke trafen aufeinander. Obwohl er nun sein Haupt rasch wieder
+in die alte Stellung zurückdrehte und eine Miene annahm, als ob nichts
+geschehen wäre, so fühlte er sich doch ertappt, die Gret konnte von ihm
+denken, Gott weiß was, ihn auslachen und ihn verspotten. — Er war sehr
+ärgerlich.</p>
+
+<p>Von da an war unser Bursche kein aufmerksamer Hörer der Predigt mehr,
+und auch die Rede des Schullehrers ging ungewürdigt an ihm vorüber. Es
+begann ihn zu reuen, daß er der Mutter nachgegeben; und nur mechanisch
+ging er mit andern Zuschauern auf den Tanzboden. Was er da sah, war
+gleichfalls nicht geeignet, ihn aufzuheitern.</p>
+
+<p>Als das Brautpaar die drei Reihen getanzt hatte, wirbelten bald zwölf
+Paare herum — und unter diesen der Schneider mit der Gret. — —
+Alles was recht ist: der Schneider tanzte vortrefflich. Er kam dabei
+sogar ein bischen größer heraus, sintemal er städtisch hüpfte; er
+hatte die Gret fest am Kittel gefaßt und drehte sie kräftiger herum,
+als man's ihm zugetraut hätte. Dabei schimmerte sein glattes Gesicht
+in dem Vergnügen seines Herzens und in anmuthiger Selbstgefälligkeit,
+so daß er allgemein gefiel. Nur unserm Burschen mißfiel er. Namentlich
+war diesem das selbstgefällige Lächeln des kleinen Kerls in einer Art
+zuwider, daß er's ihm gerne durch eine Ohrfeige vertrieben hätte, wobei
+ihm Hören und Sehen vergangen<span class="pagenum" id="Seite_352">[S. 352]</span> wäre. Allein das ging nicht an, er mußte
+seinen Verdruß hinunterschlucken. Er wäre in die Stube zurückgegangen,
+wenn er nicht der Gret hätte zeigen wollen, daß ihn diese Tanzerei
+durchaus nicht schenire! Das schien ihm aber seiner Würde gemäß.
+Indem er ein gleichgültiges Gesicht zu machen suchte, gelang es ihm
+wenigstens ein freudloses hervorzubringen, das an ihm Niemand auffiel.</p>
+
+<p>Eine Tänzerin wie die Gret ließ man dem Schneider nicht allein. Ein
+andrer Lediger nahm sie ihm ab und drehte sich, wenn auch mehr auf dem
+Boden, ebenso lustig mit ihr im Reihen. Michel hatte wenigstens die
+Genugthuung zu sehen, daß das Mädchen mit diesem just so vergnügt,
+ja fast noch vergnügter aussah, wie mit dem Nebenbuhler. Es kam ihm
+der Gedanke, sie könnte den Schneider auch nur für'n Narren halten;
+und das war ihm ergötzlich und erheiterte seine Züge. Ein Schmunzeln
+der Schadenfreude umspielte seine Lippen, als er das Bürschchen aus
+einer Ecke, und zwar mit einem gewissen Ernst im Gesicht, auf das
+Paar schauen sah. Er verzieh ihm und konnte nicht umhin, die Tänzerin
+wohlwollender und unbefangener zu betrachten.</p>
+
+<p>Die Gret, obwohl sie ihm nicht ins Gesicht sah, mußte doch etwas
+gemerkt haben. Als sie wieder im Reihen an ihm vorüberging, glänzte
+ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das ihm galt — ein Lächeln, wie es
+gefallen muß, kein falsches, sondern ein gutes Lächeln. Das Herz unsers
+Burschen begann aufzuthauen. Aber es sollte noch besser kommen. Das
+Wirthsmädchen hatte wiederholt zum Essen gerufen, die Musik verstummte,
+mit einer Art von Gedränge gings der Thüre zu. Die Gret kam in die Nähe
+des Burschen, sie schaute ihm ins Gesicht und sagte mit einem Tone, aus
+welchem die Seele klang, zugleich heiter, weich und süß: »Godden Dag,
+Michel! Bist oh auf d'r Hoaxet?« Michel konnte in der Ueberraschung
+allerdings kein ebenso freundliches Gesicht machen — gewissermaßen
+brummte er nur sein Ja. Allein die Gret schien das nicht schlimm zu
+deuten; vielmehr sagte sie: »No, mach de nor recht lusteng«, nickte ihm
+aufmunternd zu und setzte sich an ihren Tisch.</p>
+
+<p>Das war denn doch freundlich! Da gebe sich einer nicht erneuerter
+Hoffnung und glücklichen Empfindungen hin! — Michel<span class="pagenum" id="Seite_353">[S. 353]</span> setzte sich an
+seinen Tisch, und da er dem Frühmahl wenig Theilnahme geschenkt hatte,
+so aß er jetzt im Verhältniß zu seiner Statur — so ziemlich mit dem
+Appetit eines Herkules. Ländlich, sittlich. Ein romantisch Gebildeter
+hätte vielleicht nach einem so holdseligen Gruße der Geliebten lange
+nichts gegessen und nur von dem geistigen Leben seines Herzens gezehrt;
+— unsern Burschen trieb eben die Seelenfreude auch zur Erfreuung des
+Leibes. Das Mahl war vortrefflich — die Schöpfung einer Wirthin,
+die mehr nach Lob als nach Gewinn trachtete — und er ließ es sich
+schmecken, so lange der Appetit seine Kraft behauptete. Dies war lange,
+da das braune Bier, das er sich geben ließ, sie wiederholt erneuerte.
+Er fügte auch noch dem Braten eine ziemlich bedeutende Wunde zu und
+konnte nur wenig »einwickeln« lassen, um es der Mutter heimzubringen.</p>
+
+<p>Die Genüsse des Mahles und das Glück der Liebe und der Hoffnung
+harmonirten in ihm durchaus. Die Blicke, die er zu dem Tisch hinüber
+warf, an dem die Gret saß, wurden immer herzhafter, und er fühlte sich
+so wohl wie seit langer Zeit nicht. In seinem Behagen erfüllte er sogar
+die Unterhaltungspflicht an seinem Tisch und sprach über die Preise,
+die das Korn, der Roggen und die Gerste im Herbst haben und im Winter
+behaupten würden, Gedanken aus, die, wenn sie nicht unfehlbar waren,
+doch mit einer Miene gegeben wurden, als ob sie es wären, und bei den
+ältern Männern lächelnde Zustimmung fanden.</p>
+
+<p>Der Tanz begann wieder. Michel hatte sich erhoben, und als die Gret von
+einem dritten Burschen an ihm vorbeigeführt wurde, hatte er schon den
+Muth, ihr mit einem gewissen väterlichen Wohlwollen zuzurufen: »Scho'
+widder auf da' Da'zboda'! O uir (ihr) Weibsbilder!« — »Was will e
+doa'?« erwiederte die Gret. »Wer a'fangt, mueß furtmacha'!« Und nach
+einem freundlichen Blick auf ihn ließ sie sich hinausführen.</p>
+
+<p>Michel ging nach Hause. Die Mutter sah ihn an und sagte: »No, es
+schei't doch, 'sgfällt d'r!« — »No ja,« erwiederte der Sohn, »'s ist
+am End doch a Vergnüaga! — Aber,« setzte er, das Eingewickelte auf
+den Tisch legend, hinzu, »i hab' en Gedanka' verfluecht zuag'langt
+ond breng d'r weng mit!« — »Wann's d'r nor gschmeckt<span class="pagenum" id="Seite_354">[S. 354]</span> hot!« rief die
+gute Alte; und heiter sagte sie: »Du host de am End gar oh scho' recht
+lusteng gmacht (d. h. getanzt)?« Michel erwiederte: »Bis ietz no'
+net. Aber wer woeß? Der Letscht hot no' net gschossa'!« — Die Mutter
+bemerkte: »Wie d'r (ihr) en d'Kirch ganga' send, hab e a baar Mädala'
+gseha', die wära' wohl wearth, daß ma's romdreha' dät!« — »I wills net
+verreda',« erwiederte Michel. »Aber z'erst muß e no' a weng zecha'.«</p>
+
+<p>Als er wieder dem Wirthshause zuging, begegnete ihm Kasper vor einem
+ochsenbespannten Pflug, durch dessen Lenkung er sich heute das
+Vergnügen des Ansings verdienen wollte. Die Ochsen wurden zum Stehen
+gebracht, der Kamerad fragte, wie sich die Hochzeit anlasse. Michel, in
+der frohen Aufregung seines Herzens, erzählte, wie die Gret sich gegen
+ihn benommen. Kaspers Gesicht erhellte sich. »Willst ietz no' allweil
+zweifla',« rief er aus, »daß des Mädle a'n Og (Aug) auf di hot? O wann
+e an dei'r Stell wär!« — »Was soll e doa'?« fragte Michel. — »Danza'
+muest mit'r, wanns oh nor a baar Roea' wära't! Schwätza' muest — en
+d'Stub muasch (mußt du sie) füara', a Bodell (Bouteille) Wei' muest
+komma' lossa — Kott's Heidablitz! Wann's doh net got, nocht got's sei'
+Lebtag nemmer!«</p>
+
+<p>Unser Bursche war bedenklich geworden. »I ka' d's Danza' net rehcht«,
+entgegnete er, »ond du woescht, i hab' O'glück!« — »O'glück!«
+versetzte der Kamerad etwas ärgerlich. »Ietz kommt 'r widder mit dear
+Ei'bildeng!« — »Ja, ja,« sagte der gute Bursche, »'s ist doch so.
+Mir got nex naus!« — »Gang weiter! A Kerl, dem d'Mädla' nochloffet!«
+— Michel, obwohl von dieser Vorstellung erheitert, erwiederte: »Du
+wurscht seha', 's wurd nex!« — »Ja freile«, rief Kasper, »wann's
+widder so machst, wie d's Wallerstoe!« — »Ietz doh hab koe Sorg«,
+versetzte der Bursche mit einem gewissen Selbstgefühl. »Des passiert
+m'r nemmer!« — Kasper knallte den Ochsen und rief im Abgehen: »Ha'et
+Ohbed, hoff' e, ka'st m'r ebbes Nuis verzähla'!« — »'S ka' sei'«,
+erwiederte Michel und folgte den Tönen der Clarinette, die vom
+Tanzboden herunter in die Gasse drangen.</p>
+
+<p>Michel fühlte, daß er nach dem offenbaren Entgegenkommen der Gret
+einen Versuch machen und als tüchtiger Bursch handeln müsse. Bei
+der Vorstellung indeß, wie er nun zu ihr gehen und sie zum<span class="pagenum" id="Seite_355">[S. 355]</span> Tanz
+auffordern sollte, spürte er doch wieder eine eigenthümliche Bewegung
+in seinem Herzen. Es fiel ihm ein, daß er beschlossen hatte, fürs
+erste zu trinken und zu rauchen; er trat in die Stube, setzte sich,
+zündete seine Pfeife an, und führte seinen Vorsatz männlich aus.
+Nachdem er schweigend und diskurirend zwei fernere Maaß Braunes in sich
+aufgenommen hatte, fühlte er sich gekräftigt — muthig, lustig und in
+einer Stimmung, wo er glaubte, daß ihm nichts fehlen könne. — Der
+Wirth und Bräuer war ein solider Mann und die Gerste seit einem Jahr
+billig.</p>
+
+<p>Er ging auf den Tanzboden. Da er die Gret, die sich nicht in der Stube
+befand, auch hier nicht erblickte, so war sie offenbar nach Hause
+gegangen. Die Vertagung seines Unternehmens, welche dieser Umstand
+nothwendig machte, war ihm nicht unlieb. Er sah den Paaren zu, die es
+am besten konnten, und überzeugte sich, daß dieses Tanzen am Ende auch
+kein Hexenwerk sei. Nachdem er genug gesehen, wollte er in die Stube
+zurück; im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die Stiege — und siehe,
+an der Seite einer auswärtigen Freundin stieg die Gret herauf.</p>
+
+<p>Bei diesem Anblick fühlte er sich etwas überrascht. Auch sie erröthete
+lieblich; aber in ihrem Herzen regierte der Muth der Liebe und der
+Wille, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Sie ging auf ihn
+zu und sagte gutmüthig fröhlich: »No, Michel, host no' net danzt?« Der
+Bursche, der zu seiner Verwunderung fühlte, daß ihm wieder etwas von
+seinem Unternehmungsgeist abhanden gekommen war, versetzte: »Allweil
+no' net!« — Er spürte einen gewissen Trieb, wieder in die Stube zu
+kommen, und hatte schon seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt; aber das
+Schicksal hatte es anders beschlossen. Die Gret fuhr fort: »Willst denn
+aber gar net a'fanga'? Willst da' ganza' Dag dohsitza', ond romstanda'
+auf 'r Hoaxet?« — »Wie soll i danza'«, entgegnete Michel; »d's ganz
+Doraf woeß ond du wursch (wirst es) oh wissa, daß e's net ka'!« — »I
+hab de aber doch früher scho' amol danza' seha'!« bemerkte die Gret.
+— »Ja wohl,« versetzte der Bursche mit einer gewissen Laune, — »aber
+wia?« — »Auf oemol got nex en der Welt«, erwiederte das Mädchen
+tröstend und ermuthigend. »Wamma'n ebbes lerna' will, mueß ma's öfter
+probiera'!« —<span class="pagenum" id="Seite_356">[S. 356]</span> Michel, dem in Abwehrungsfällen die Gründe nicht so
+leicht ausgingen, versetzte: »Manch Sacha' ka' ma'n oh ganz bleiba
+lossa, wamma' z'alt derzue ist!« — »Kott's Blitz«, rief die Gret,
+»wann e nor so ebbes höar! Z'alt zom Danza! A jonger Burscht wie du!
+Schäm de doch!« — Und indem sie ein wenig näher trat, sagte sie mit
+aller Güte und Liebe — mit einer Stimme, welcher der Durchbruch ihrer
+Empfindung eine honigsüße Weichheit verlieh: »Komm Michel! — probiers
+mit mir!« Dem Burschen war es seltsam durch's Herz gegangen, er wußte
+nichts zu entgegnen. »Komm!« rief das Mädchen heiter und zärtlich,
+indem sie ihn bei der Hand faßte. Michel begriff, daß es im höchsten
+Grade feig und in jeder Beziehung unschicklich gewesen wäre, jetzt
+nicht zu folgen. Er wollte handeln wie ein Mann, er wollte sein Bestes
+leisten — und entschlossen führte er sie in den Reihen.</p>
+
+<p>Unser Bursche gehörte vermöge seiner Größe, seiner Stärke und seines
+besonderen Wesens noch immer zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten
+des Dorfs. Dergleichen in eigenthümlichen Situationen zu sehen, ist
+interessant, besonders wenn man hoffen kann, daß die Schadenfreude ihre
+Rechnung dabei findet. Wie nun einer in die Stube kam und sagte, der
+»Schwoba-Michel« tanze mit des Maurers Gret, da verfügten sich schnell
+noch etliche zu den auf dem Tanzboden schon befindlichen Zuschauern —
+begierig der Dinge, die da kommen sollten.</p>
+
+<p>Der Gang im Reihen war vollendet, das Tanzen begann. Die Gret wußte
+sehr gut, welcher Aufgabe sie sich unterzogen hatte, und war nun darauf
+bedacht, alle Kraft und Geschicklichkeit anzuwenden, um das Wagniß gut
+hinauszuführen. Den Tänzer festhaltend leitete und drehte sie ihn, so
+viel sie konnte. Daß ihre Arbeit nicht gering war, merkte sie freilich
+bald. Micheln wohnte nur eine sehr schwache Ahnung vom Takte bei und
+zu gleicher Zeit wirkte in ihm eine gewisse Centrifugalkraft, die ihn
+immer der Wand zutrieb, so daß ihn die Gute nur mit Mühe im Reihen
+halten konnte. Trotz alledem — es ging. Die Kunst und die Liebe des
+Mädchens triumphirten, und sie war sich dessen nach Beendigung des
+Reihens mit Freude bewußt.</p>
+
+<p>Michel war sehr vergnügt. Jeder Spur von Furcht entledigt<span class="pagenum" id="Seite_357">[S. 357]</span> blickte er
+frisch umher — er begriff gar nicht, wie er diese Lumperei für so
+schwer hatte halten können! »Siksch, es got!« rief die Gret, indem sie
+ihn freundlich ansah; und er erwiederte allerdings: »Ja freile, wamma'
+so a Dänzere hot!« — aber er war doch überzeugt, daß er's konnte, und
+sein Gesicht schrieb einen guten Theil des Erfolgs auf seine Rechnung.</p>
+
+<p>In dieser Stimmung wollte er's das zweite Mal noch besser machen. Er
+wollte sich Mühe geben und alle die Kraft und Stärke anwenden, die
+er in seinen Gliedern fühlte; denn das erstemal hatte er eigentlich
+nur gespielt! — Er arbeitete nun wie an einer Schanze und machte
+Bewegungen, als ob er Centnersteine vom Boden lupfen wollte. — Der
+Gret wurde es saurer als das erstemal, ihn im Geleise zu erhalten,
+und die Schadenfreude, die aus den Ecken lugte, fand eine reichere
+Ausbeute. Man lächelte sich an und zuckte die Achseln. »Descht a
+Mannsbild!« rief eine Bäuerin mit gedämpfter Stimme einem Nachbar zu,
+— »der macht widder a'n Arbet (Arbeit)!« Und der Andere versetzte:
+»Er schafft, als ob er mit 'm Danza' sei' Brod verdiena' müßt! Gommer
+(gehen wir) a bisle z'ruck, daß 'r es (uns) net doat (todt) tritt!« —</p>
+
+<p>Der Bursche merkte davon nichts. In dem Bewußtsein der Mühe, die er
+sich gegeben, meinte er seine Sache vorzüglich gemacht zu haben. Er
+lächelte mit Stolz und erkannte in dem satyrischen Zuschmunzeln einiger
+Kameraden nichts als den verdienten Beifall. Da die Gret diesmal
+schwieg, um auszuschnaufen, so sagte er selbst zu ihr: »'S got doch
+besser, als e gmoet hab!« — Die Gret dachte in ihrem Herzen: »daß
+Gott erbarm'!« — behielt aber diese Meinung wohlweislich für sich und
+erwiederte: »W'rom sott's net ganga'? Was ander' Leut könnet, wäara'
+mer doch oh könna?«</p>
+
+<p>Gern hätte sie ihn gebeten, sich dessen ungeachtet etwas weniger
+anzustrengen, die Sache sich leichter zu machen; aber sie wußte, daß
+er nicht in der Stimmung war, diesen Rath gut aufzunehmen — und für
+den Moment wär's ohnehin zu spät gewesen. In dem Vergnügen, das ihn
+belebte, in der Kühnheit, die sein Herz rasch emporwachsend erfüllte,
+hatte er ein Lied begonnen. Ein Andrer war ihm zuvorgekommen; aber
+dieser, ein kleiner Kerl, schwieg auf der Stelle,<span class="pagenum" id="Seite_358">[S. 358]</span> als er die Stimme
+des Gewaltigen vernahm, und Michel sang das seine zu Ende, mehr kräftig
+als schön, aber für seinen Zweck immer passirbar. Dann nahm er die Gret
+bei der Hand, strampfte, daß der Tanzboden zitterte, »juxte«, daß seine
+Nachbarn an die Ohren langten, faßte die Tänzerin und drehte sich mit
+ihr »was host, was geift« (was hast du, was gibst du, so schnell etc.
+als möglich). — Und besser gings als das letzte Mal — nach seiner
+Meinung. Die Bethätigung des Kraftüberschusses, der in ihm wogte — die
+Freude, die Herzallerliebste herumzudrehen und es zu <em class="gesperrt">können</em> —
+durchgoß ihn mit einem Wohlgefühl, wie er es nie empfunden. Herrlich
+wars und prächtig gings — bei weitem besser, als er sich's zugetraut
+hätte! — Jedenfalls hatte die Gret dafür gesorgt, daß er einmal die
+Wand, an die er streifte, nicht einstieß und dann ein Paar, das vor ihm
+den gewöhnlichen Bauernschritt einhielt, nicht über den Haufen tanzte.</p>
+
+<p>Die Heiterkeit der Zuschauer war bei dieser neuen Leistung nicht
+geringer geworden. Ein sonnverbrannter Alter nickte ihm seine
+Anerkennung mit gemüthlichem Faungesicht zu und rief: »Kreuzschwernoth,
+Michel! du bist ja der erst' Dänzer em ganza' Land!« — Michel, in
+der Freude seines Herzens, entgegnete: »Net wohr, des hättet 'r m'r
+doch net zuatraut!« — »Wärle net«, versetzte der Alte. »So ebbes mueß
+ma' seha, wamma's globa' soll!« — Die gute Gret begann es zu reuen,
+daß sie den Geliebten auf eine Bahn gelenkt hatte, wo er so schlechte
+Ehre gewann. Aber vielleicht schlug er nun selber eine andere ein,
+wo er Aussicht hatte, besser zu bestehen. Schon hatte die ungewohnte
+Anstrengung seine Lungenflügel in Bewegung gesetzt und der Schweiß
+rann von seiner Stirn. Vielleicht hörte er auf, nahm sie in die Stube
+— setzte sich zu ihr — und es ereignete sich, was ihr alle Mühen und
+Leiden tausendfach vergütete.</p>
+
+<p>Fürs erste ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Michel tanzte aufs
+neue; und der Umstand, daß es wieder ohne Unglück ablief, steigerte
+seine Lust und Sicherheit. Sein Hintermann, ein begüterter junger
+Bauer, klopfte ihn auf die Schulter und rief: »Aber Michel, sag m'r
+doch, wo host denn d's Danza' so glearnt?« — »Was woeß ih«, erwiederte
+der Bursche mit stolzem Behagen — »auf oemal got's<span class="pagenum" id="Seite_359">[S. 359]</span> halt! — Aber
+Sapperment«, setzte er, die Augen sich wischend, hinzu, »doh stobbt's
+(staubt's) ja, daß ma' kamm (kaum) sei' Dänzere sicht! — ond des ist
+doppelt schad', wamma' so a schöana' hot, wie'nih! — He, Mädle!« —
+Er schaute sich nach dem Wirthsmädchen um, die den Staub mit Wasser
+zu löschen pflegt; und da er sie nicht gleich erblickte, schrie er
+aus Leibeskräften und jede Silbe breit ausdehnend: »Mädleh! Auf da'
+Da'zbodah'! Spretzah'!« — Unter allgemeiner Heiterkeit erschien die
+Herbeigerufene, ein schnippisches Ding von sechzehn Jahren, mit einem
+Kübel Wasser, und die Tanzenden traten auf die Seite. »So«, rief
+Michel ihr zu, »spretz (spritz, sprenge) nor rehcht! D'r Deufel mag
+doh danza'!« — Das Mädchen sah ihn von der Seite an, murmelte was von
+einem »Drieschlag«, langte mit der Rechten in den Kübel und schleuderte
+herumgehend das Wasser auf den Boden. »Meaner, meaner (mehr)«, schrie
+unser Bursche, der als ächter Bauer alles gründlich haben wollte. Das
+Mädchen, durch den herrischen Ton gereizt, spritzte wahre Lachen.
+»So, ietz isch gmua!« rief Michel, stellte sich fest hin, sang ein
+Lied und tanzte auf dem erfrischten Boden mit erhöhter Lust, in einer
+wahren Trunkenheit des Eifers und der Liebe zur Sache. Es ging besser
+und immer besser. In dem Jubel seines Herzens, unwillkürlich sich
+selber bewundernd, rief er mit strahlendem Gesicht: »Hopp hopp! hopp
+hopp! Juhu!« — — Plautsch lag er da. Auf der nassesten Stelle war
+er ausgeglitscht, in dem Schwunge des Tanzens war es auch der Gret
+unmöglich gewesen, ihn zu halten; sie mußte ihn fahren lassen, um nicht
+mitzufallen — und der riesige Bursche »schlug hin« (wie der Rieser in
+solchem Falle treffend sagt), daß der Boden krachte und ein Zuschauer
+nur durch einen raschen Seitensprung sich vor Zerquetschung rettete.
+Nach dem triumphirenden Hopphopp dieser Sturz, der Länge nach, auf die
+Hinterseite des Leibes — es war unmöglich, das Lachen zurückzuhalten.
+Von allen Seiten des Tanzbodens, aus allen Winkeln, sogar von der
+Treppe herauf (wo sich ebenfalls Zuschauer befanden) erschallte es laut
+und selig; und nicht wurde es beschwichtigt, als Michel nach einem
+grimmigen Fluch mit der Physiognomie der Wuth und der Scham aufstand,
+wozu die Gret ihm behülflich war. Diese hatte mit etwas erschreckter
+Miene einen Augenblick<span class="pagenum" id="Seite_360">[S. 360]</span> auf den Liegenden geschaut; jetzt, als sie ihn
+wieder strack dastehen sah, wandelte sie das Lachen hinterdrein an, und
+nur den eigentlichen Ausbruch zurückhaltend rief sie: »Komm, des macht
+nex«, und wollte zum Weitertanzen seine Hand fassen. Aber Michel zog
+sie heftig zurück.</p>
+
+<p>Der Bursche hatte die Empfindlichkeit des Sonderlings und Anfängers.
+Ein flotter Tänzer wäre aufgesprungen, hätte mitgelacht und weiter
+getanzt. Aber den Schüler dünkte der Sturz unauslöschliche Schande
+— das Selbstbewußtsein des Gewaltigen hatte einen Schlag erlitten,
+der ihm schrecklich vorkam. Hinzufallen — ausgelacht zu werden von
+»einfältigen Weibsbildern, alten Eseln und elenden Buben«, und nicht
+dreinschlagen zu dürfen — das nehme ein Michel von der lustigen Seite!
+— Er trat in eine Ecke, seiner Ansicht nach für sein ganzes Leben
+beschimpft. Und als die Gret ihm nachging und ihn aufs neue ermahnte,
+doch fortzutanzen, entgegnete er hochverdrießlich: »Gang weiter! I
+hab' d'r ja gsakt, daß e net danza' ka'! Du hätt'st me en Rua' (Ruhe)
+lossa solla'!« — Die Gret erwiederte begütigend: »'S ist ja ganz
+guet ganga'! Für d's Falla' ka' ma' nex, des ka' n'm G'schicktsta'
+passiera'! Komm! Wer net omwirft, der lernt net fahra'!«</p>
+
+<p>Bei ihrem heitern Wesen hatte das Mädchen nicht umhin gekonnt, ihm
+diese Ermahnung mit einem Lächeln zu ertheilen, in welchem die
+Schelmerei über die Gutherzigkeit den Sieg davon trug. Michel, dies
+gewahrend, fühlte den schlimmsten Argwohn, den er haben konnte; und im
+Unmuth desselben rief er: »Höar amol? — suach d'r 'n andera' Narra'
+— ih mach d'r 'n net zom zwoetamol! — Moest, i ben doh, daß e me
+auslacha' ond da' Spoht auf m'r haba' loß?« — Das Mädchen, durch diese
+unerwartete Sprache betroffen und ihrerseits verletzt, erwiederte mit
+vorwurfsvollem Ausdruck: »Wer hot denn da' Spoht auf d'r?« — »Du!«
+rief Michel, für den sein Argwohn schon eine bewiesene Sache war, mit
+erzürntem Ton. »Falsch send 'r all mita'nander — ond du bist die
+fälscht (falscheste)!« — Das war zuviel! Das Mädchen trat zurück und
+sagte mit Verdruß: »Du bist halt a grober Kerl! Gang he' wo d' willst
+— ih mueß de wärle net haba' — ih krieg scho' n andera' Dänzer!«
+—<span class="pagenum" id="Seite_361">[S. 361]</span> »Mei'thalb danz mit 'm Deufel«, rief Michel und ging mit starken
+Schritte in die Stube.</p>
+
+<p>Die Gret war ernstlich böse. »So a'n o'gschickter Mensch — ond
+so grob ond so hochmütheng! Noe mit deam ist nex a'zfanga' — i
+mueß 'n aufgeba'!« — Während sie diese Gedanken hatte, machte sie
+mit weiblicher Geistesgegenwart gleich wieder gute Miene. In die
+Heiterkeit, welche die letzten Worte Michels und sein wüthender Abgang
+erregten, hatte sie halb mit eingestimmt. Nun zeigte sie ein Gesicht,
+daß es schien, als ob sie ihn mit ihrem Tanzen wirklich nur zum Besten
+gehabt hätte; und als eben der Schneider von Hause zurückkam, reichte
+sie ihm, der sie schnell aufzog, ihre Hand und tanzte so gut und so
+schön, als ob sie heute noch an nichts Anderes gedacht hätte. Als
+der Zierliche von der Affaire des Michel hörte, rief er in seinem
+Mischmasch von Dialekt und Hochdeutsch: »'S ist nicht z'globa', daß es
+so ongschickt Menschen geba' ka'« — lächelte selbstzufriedener als je,
+begann noch flotter den neuen Reihen, rief ebenfalls Hopphopp und Juhu,
+fiel aber nicht, sondern machte es so gut, daß ihm alle mit Vergnügen
+zusahen.</p>
+
+<p>Das Gelächter, das unserm Burschen vom Tanzboden nachgeschickt worden
+war, hatte nicht besänftigend auf ihn gewirkt. Tief ergrimmt setzte er
+sich an seinen Tisch und patschte gewaltig mit seinem Bierkrug wegen
+erneuter Füllung. Der Aufwärter eilte, ihn zu befriedigen. Einer der
+beiden Alten, die in gemüthlichem Diskurs dagesessen hatten, schaute
+zu ihm auf und rief: »No, Michel, w'rom machst denn du so a Gsicht auf
+oemol?« — Der Bursche, statt aller Antwort, that einen tiefen Zug aus
+dem Maaßkrug. Ein dritter Alter, der mit dem Faungesicht, war von dem
+Tanzboden hereingekommen und begann lächelnd: »Du host a kloes O'glück
+ghett, Michel? — No, no, desdawega' brauchst de net z'kränka'! 'S ist
+scho' oft oer g'falla' beim Danza'!« — »So so?« versetzte der erste
+mit schlauem Gesicht, »des ist 'm passiert?« Und mit der Bosheit, die
+sich ein alter Bursch gegen einen jungen wohl erlauben kann, setzte
+er hinzu: »W'rom host denn aber dei' Dänzere net mit rei'brocht? Die
+hot gwihß 'n rechta' Schrecka' ghett und hätt oh 'n Tro'k (Trunk)
+zor Stärkeng braucha' könna', so guet wie Du!« — »Oh«, antwortete<span class="pagenum" id="Seite_362">[S. 362]</span>
+der dritte für Michel, der in stiller Wuth vor sich hinsah, — »die
+g'fohrts net (achtets nicht)! Sie danzt scho' widder!« — »Welle isch
+denn?« — »Welle wurds sei'!«, erwiederte der dritte, »d's Maurers
+Great!« — »So!« bemerkte der erste mit einer Miene, als ob ihm ein
+Licht aufgegangen wäre. Und kopfschüttelnd setzte er hinzu: »Ietz
+gfällt m'r die Gschicht nor halb! — Die hätt' de zor Noath halta'
+könna', Michel, — wann's gwöllt hätt'!«</p>
+
+<p>Durch diese Bemerkung sah der Bursche seinen Argwohn bestätigt,
+er fühlte sich verkauft und verrathen und ließ eine »Schluap«
+herunterhängen, daß es die Alten Mühe kostete, ihm nicht geradezu ins
+Gesicht zu lachen. Nach einem Moment sagte der dritte mit ironischer
+Tröstung: »Was doh! Gspäß müssa' trieba' sei'! Sott jong Mädla' sticht
+manchmol der Uebermuth ond doh macha's eba' Norrheita'! A rechts
+Mannsbild verzürnt se desdawega net — er kriegt's oh widder amol
+derfür!« — »Ih« rief Michel in stolzem Unwillen, »ben d's erstmol ond
+d's letztmol von 'r a'gführt — dohfür stand e guet!« — Der erste
+bemerkte: »Ma' mueß nex verreda'!« Und vergnügt setzte er hinzu: »Wann
+ih no' mein Zwanzger hätt' (noch in den Zwanzigen wäre), nocht wißt' e,
+was e dät!« — Michel versetzte: »I woeß oh, was e dua'!« — Und mit
+einem scharfen Blick und entsprechender Kopfbewegung setzte er hinzu:
+»Globet 'r mers?« — Der Alte lachte und sagte zu seinem Kameraden:
+»Was send des für jong Leut ietz! Glei da Kohpf verliera'! Doh hont se
+o's (haben wir uns) anderst gholfa' zu o'srer Zeit — net wohr?« —
+Er stieß mit ihm an; der Andre brachte eine Geschichte in Erinnerung,
+die dies bestätigen sollte — Michel, dem das Vergnügen der »alten
+Narren« höchlich zuwider war, trat zu einem jungen Burschen, der ihn
+respektirte, und fühlte sich nach einem Gespräch mit ihm wieder etwas
+beruhigt.</p>
+
+<p>Der Abend kam heran — man setzte sich an die Tafeln, um das letzte
+Mahl einzunehmen, das Interesse der Gäste wurde auf andre, wichtigere
+Dinge gelenkt, und nach dem feierlichen Schluß des eigentlichen
+Festes dachte mit Ausnahme der Nächstbetheiligten Niemand mehr an das
+Zwischenspiel auf dem Tanzboden.</p>
+
+<p>Michel hatte wenig gegessen und demgemäß viel eingewickelt.<span class="pagenum" id="Seite_363">[S. 363]</span> Er blieb
+in dumpfer Stimmung sitzen und handhabte nur von Zeit zu Zeit den
+Bierkrug. Auf einmal erblickte er den Kasper an der Thür; er erhob
+sich, nahm sein Eingewickeltes und ging auf ihn zu. »No?« fragte
+Kasper, den die Neugier so früh zum Ansing geführt hatte, »wie stot's?«
+— »Nor still!« versetzte Michel, »i will d'rs glei verzähla'!« —
+Er führte ihn in ein gästeleeres Seitenstübchen, theilte ihm seine
+Erlebnisse mit und fragte mit der Miene der Unfehlbarkeit: »No, was
+sakst ietz? Hab' e Rehcht ghett — hab' e O'glück mit deam Mädle?« —
+Kasper hatte große Mühe gehabt, bei der Erzählung ruhig zu bleiben;
+aber auf diese Frage konnte er seine Meinung nicht zurück halten.
+»Brueder«, rief er, »bedenk doch —« — »Still!« fiel Michel, der
+seine Absicht errieth, erzürnt ein, — »red m'r nex zom Guata', oder
+du machst me böas! — Mei' Lebteng sig' es nemmer a' — ond mei'
+Lebteng gang e auf koe Hoaxet mea'!« — »No, no«, erwiederte Kasper,
+der wohl sah, daß ihm heute mit Ernst und Vernunft nicht beizukommen
+war, lächelnd, »du wurscht doch auf dei' oegana' (eigene) ganga'?« —
+»Halt's Maul« rief Michel in Verachtung solcher Späße und stand auf, um
+heimzugehen. Kasper fühlte die Pflicht, ihn zu begleiten.</p>
+
+<p>Unterdessen hatte das Tanzen wieder begonnen. Der Schneider ging im
+Reihen, die Gret an der Hand, und sang ein lustiges Stückchen. Wie er
+den Michel mit seinem Päckchen an der Stiege sah, war er nicht sowohl
+schadenfroh als schadenselig, — vom Siegesjubel hingerissen juxte er
+und tanzte er fortjuxend, bis ihm der Athem ausging. »Doh siksch!«
+bemerkte unser Bursche zu Kasper, während sie die Stiege hinuntergingen
+— »so a miserabler Schneider, dear gar net he'falla' ka', weil 'r
+fliegt wie a Bettfeder — des ist der recht Ma' für dia! — No so
+mei'tweg — dean soll's oh haba'.«</p>
+
+<h3>Ende gut, Alles gut.</h3>
+
+<p>Es ist eine eigenthümliche Sache um das Schicksal! — — Der Mensch
+will an einem schönen, glückverheißenden Ziel anlangen, aber der Weg,
+den er einschlägt, führt ihn nur weiter ab davon. Er<span class="pagenum" id="Seite_364">[S. 364]</span> nimmt die Lehre
+der Erfahrung an, er geht, die täuschende Bahn vorsichtig meidend,
+eine andere. Da gewahrt er, daß man durch Schaden immer nur sehr
+verhältnißmäßig klug wird: der erprobten Falle entgehend, stürzt er
+in eine andere. Er sieht den Zweck verloren. Wie sollte er ihn noch
+erreichen? So und so hat er ihn verfehlt. — Auf einmal bringt ihn
+sein guter Genius in eine Situation, wo die Anwendung der <em class="gesperrt">ihm</em>
+vorzugsweise verliehenen Gaben zum Siege führt! Und nun kann er
+sein Schicksal schmieden — wenn er entschlossen ist, den Hammer zu
+schwingen und die von ihm geforderten Schläge zu führen.</p>
+
+<p>Unser Bursche hatte ein Mädchen, die er liebte, foppen wollen — und
+war von ihr gefoppt worden. Er hatte sie durch Ausführung ihrer Befehle
+erfreuen wollen — und hatte sie durch Nichterfüllung ihrer Wünsche
+böse gemacht. Er hatte sich vor ihr und mit ihr auszeichnen wollen und
+hatte sich vor ihr und vor dem ganzen Dorfe mit Schande bedeckt. — Was
+konnte für ihn das Schicksal noch bereit haben?</p>
+
+<p>Zunächst stand seine Sache bei dem Mädchen so schlecht als möglich.
+Die Gret hatte in der That beschlossen, ihn aufzugeben, und der
+Unwille, der diesen Entschluß geboren, hatte ihn auch den Rest des
+Hochzeitabends aufrecht erhalten. Als sie am andern Morgen früh
+erwachte, war es ihr Erstes, das Geschehene zu überdenken. Und diesmal
+kam sie kein Lachen an — ein tiefer Ernst nahm ihr Herz ein und blieb
+darin. »Es soll net sei'« — das war das Ergebniß ihres Nachdenkens.
+»Er hot ebbes auf me ghalta', des will e net läugna'; aber er ist
+stolz wie a Reichsgrof, empfindlich wie a kloes Ke'd (Kind), grob wie
+Säuboanastroa' — ond a Narr, wo ma'n a'sicht! — Noe, noe!« rief sie.
+»Wann e sei' Weib wearat, hätt e me nex as z'schäma', ond wann e'm
+d'Worat saga' dät, wuhr'r (würde er) wüadeng ond —« — Die Gret sah
+unwillkürlich die Arme Michels in einer gewissen Bewegung — sie zuckte
+in ihrem Bette und sah mit weiblichem Stolz vor sich hin. »Des wurd m'r
+net passiera'«, rief sie zuletzt, — »doh ben i guet derfür!«</p>
+
+<p>Sie faßte mit Ernst und Ruhe den Entschluß, zu thun, als ob Michel
+nicht mehr auf der Welt wäre — ihn nicht mehr anzusehen<span class="pagenum" id="Seite_365">[S. 365]</span> — — und zu
+überlegen, was sich für sie Anderes und Besseres schicken möchte.</p>
+
+<p>Der Vorfall zwischen ihr und dem Burschen war gestern Abend noch in der
+untern Wirthsstube erzählt worden, und Niemand zweifelte daran, daß die
+Gret sich mit dem Ungeschickten einen Spaß gemacht habe. Als sie nun zu
+ihrem Vater hinunterging, stellte sie der Wackre ernstlich zur Rede und
+sagte zum Schluß: »Des loß nor onterwegs kenfteng, so'st dischgerier
+ih a Wöartle mit d'r! Der Michel ist a braver ond a fleißenger Mensch;
+ond wann 'r net danza' ka', so braucht m'n desdawega' net für da'
+Narra' zhalta'! — I hoff«, setzte er mit aller Strenge hinzu, deren er
+fähig war, — »i hoff, daß so ebbes nemmer fürkommt!« — Das Mädchen,
+die ihrem Vater kein Bekenntniß ablegen wollte, begnügte sich zu
+erwiedern: »Doh hab koe Sorg! D' Schand ist für mi so groaß gwesa' wie
+für ihn — i hab bodagmuag (bodengenug, genug bis auf den Boden) an dem
+oezengamol!«</p>
+
+<p>Bald darauf kam der Schneider — »em Vorbeiganga'«, wie er sagte. Er
+war vergnügt und sprach gemüthlich, indem er gewandt einige seiner
+städtischen Redensarten anbrachte. Das Mädchen sah ihn freundlich an
+und der Ernst wich im Geplauder mit ihm wenigstens aus ihrem Gesicht.
+— Der Maurer schaute mit zufriedenen Blicken auf das Paar. Vetter
+Jakob hatte eine bessere Sölde als er, und mit der Nadel war's eine
+gute Mannsnahrung. Die jungen Leute gefielen sich und hatten ihre
+Freude an einander — die Sache machte sich von selber. — Als der
+Schneider wieder fort war, zeigte der Alte das Gesicht eines Vaters,
+der Aussicht hat, seine letzte Tochter nach Wunsch zu versorgen, und
+sagte: »Der Vetter ist a gueter ond a'n aufklärter Mensch! 'S hot doch
+ebbes Guet's, wamma'n a bisle en der Fremd gwesa'n ist! Dean hält gwihß
+koe Mädle für da' Narra'!« — Die Gret sah für sich hin und ein leises
+Lächeln ging über ihr Gesicht. — —</p>
+
+<p>Wie das Mädchen, so war auch ihr bisheriger Liebhaber weiter als jemals
+von dem Punkte entfernt, den er so lang erstrebt hatte.</p>
+
+<p>Michel war nach kurzem Abschied von Kaspar, der zum Ansing
+zurückverlangte, geräuschlos in sein Haus getreten und hatte der
+Mutter<span class="pagenum" id="Seite_366">[S. 366]</span> das Eingewickelte mit dem Bemerken übergeben: er sei müde
+und wolle gleich ins Bett gehen. Die Mutter wußte nicht, was sie aus
+dem ruhigen, aber durchaus unvergnügten Gesicht machen sollte, und
+fragte: ob er nicht getanzt habe! »Ond wia!« versetzte der Bursche mit
+einer Art von Humor, »daß se alle Leut' drüber gwondert hont! — Aber
+ha'et ka'n e nemmer viel verzehla' — morga' früa' ist oh no' Zeit!
+Guetnahcht!« — Er ging in seine Kammer.</p>
+
+<p>Vor Tagesanbruch erwachend hatte er das dumpfe Gefühl einer höchst
+widerwärtigen Geschichte. Als er sich das Vorgefallene deutlicher
+machte, verlor sich seine fatale Eigenschaft nicht — es grinste ihn
+widerlich und peinlich und immer peinlicher an. Er seufzte tief auf —
+und wollte davon wegsehen; aber das ging nicht. Seine Seele kam immer
+wieder darauf zurück, seine Gedanken liefen sonderbar hin und her.
+Einmal klagte er sich selbst an und wollte die Hauptschuld haben. Dann
+erinnerte er sich ihres »boshaften Lachens« und ihres Tanzens mit dem
+Schneider, und es schien ihm unzweifelhaft, daß die Gret falsch und er
+der Angeführte, der mit Fleiß Verhöhnte sei. Zuletzt rief er: »Was plog
+e me viel! — 'S ist aus — hab' Schuld dra' wer will!« —</p>
+
+<p>Er stand auf und zog sich an. Der Mutter sein Versprechen wegen der
+Erzählung zu halten, fühlte er sich durchaus nicht in der Stimmung;
+deßwegen ging er sachte in die Stube, schnitt von dem Brotlaib in
+der Schublade des Tisches ein tüchtiges Stück ab, nahm eine Schaufel
+und ging auf's Feld, um an einem Graben weiter zu schaffen, den
+er herzustellen unternommen hatte. Er arbeitete »wie wild«. In
+körperlicher Anstrengung suchte er seinen Unstern mit Gewalt zu
+vergessen.</p>
+
+<p>Als er um zehn Uhr heimwanderte, begegnete ihm in der Gasse — die
+Gret. Hätte er beschlossen gehabt, sie zu grüßen, so würde er's nach
+einem Blick auf sie doch unterlassen haben. Seine scharfen Augen
+gewahrten in ihrem gespannten Gesicht einen Ernst und einen Trutz, der
+ihm auf's Deutlichste sagte, sie wolle ihn nicht ansehen, nichts mehr
+von ihm wissen. Er machte ein Gesicht, dem ihrigen ähnlich, und stumm
+gingen sie aneinander vorüber. — Sollte er jetzt<span class="pagenum" id="Seite_367">[S. 367]</span> noch zweifeln, daß
+er der Genarrte war und der Schneider der Vorgezogene?</p>
+
+<p>Als er — man sagt sich, in welcher Laune — nach Hause kam, war die
+Mutter von dem Ereigniß auf dem Tanzboden schon unterrichtet. Durch das
+Betragen des Burschen stutzig gemacht, war sie bald nach dem einsamen
+Frühstück zu einer Nachbarin gegangen, die auf der Hochzeit gewesen,
+und hatte Alles erfahren. Sehr unangenehm berührt von der Niederlage
+des Sohnes, urtheilte sie doch über die Gret anders als die Leute, und
+am fatalsten war ihr daher zuletzt Michels Grobheit gegen das Mädchen.
+Sie nahm sich vor, ihm tüchtig ihre Meinung zu sagen.</p>
+
+<p>Nach einem leichten mütterlichen Tadel, daß er heute ohne etwas Warmes
+fortgegangen sei, erinnerte sie ihn, ihre Wissenschaft verbergend, an
+sein Versprechen. »Ach Gott«, erwiderte Michel ungeduldig, »'s ist
+gar net d'r Müa' wearth dervo' z'reda'!« — »Ja, ja«, versetzte die
+Mutter, indem sie ihm sehr ernsthaft in's Gesicht sah, »i glob's scho',
+daß d' net geara' dervo' redst! Ist des a Benemma' für'n Menscha',
+der ballvoll (bald voll) semna zwanzg Johr alt ist! Ander Leut wearat
+gscheidter wann's älter wearat, ond du wurscht allweil o'gscheidter
+ond allweil dommer!« — Von diesem Vorwurf der Mutter wenig berührt,
+entgegnete Michel: »Du woescht (weißst) also scho' Alles?« — »Ja
+freile woeß e Alles!« erwiederte die Mutter. »Redt ma' ja überal dervo'
+em ganza' Doraf ond lacht de aus!« Und mit einer Miene zugleich der
+Bekümmerniß und der Anklage setzte sie hinzu: »'S ist also ganz zom
+Verzweifla' mit dir! So o'gschickt sei'! So grob sei' gega'n a Mädle,
+die's so guet mit oem moet« — — »So«, fiel Michel ein, »die moets
+guet mit mir? — Wie hätt se's (sie es) denn zoegt (gezeigt)?« —
+»Des sicht ma'n aus allem«, erwiederte die gute Frau. »Ond wannd' a
+gscheidter Kerl gwesa' wärst, nocht hättst a Weib kriega' könna', wie's
+koena' mea' git dohrom!«</p>
+
+<p>Diese Versicherung mußte dem Burschen nach der von ihm gewonnenen
+Ueberzeugung durchaus haltlos vorkommen. In der vollen Gewißheit
+des Rechthabens entgegnete er: »I will d'r ebbes saga'! Wart no' a
+baar Wucha' ond dua' dei' Oga'n auf, nocht wurscht<span class="pagenum" id="Seite_368">[S. 368]</span> seha', mit weams
+<em class="gesperrt">dia'</em> guet moet!« — Durch den sichern Ton des Burschen etwas
+getroffen, aber sich nichts ansehen lassend, erwiederte sie: »Du bist
+a Mensch voller Ei'bildenga'! Ond ih sag: ha'et könntst no' alles guet
+macha', wann d' a Kerl wärst! Auf da' Sonnteng über vierzea' (vierzehn)
+Dag ist d' Kirwe (Kirchweih). Gang en d'Zech, führ de auf, wie's 'm
+rechta' Burscht ghöart, tanz nommol mit'r —« —</p>
+
+<p>Das war dem guten Michel zu viel. Das Zureden der Mutter war mit Schuld
+an seinem Unfall auf der Hochzeit — — und nun sollte er wieder tanzen
+— mit derselben, die ihn — Er war in tiefster Seele verdrießlich und
+erwiederte mit gerechter Entrüstung: »Du host haba' wölla', i soll
+danza' — i hab' danzt en d's Deufels Nama, ben he'schlaga' ond hab' me
+auslacha' lossa'. Ond ietz bist no' net z'frieda' ond willst, i soll me
+nommol für da' Narra' haba'n ond auslacha' lossa? A' — doh möcht oen
+ja glei d's Donner onds Wetter — — — Ietz lohs (höre), i will d'r
+ebbes saga'! I dua mei' Arbet ond leb wie's 'm ordentlicha' Menscha'
+ghöart — ond em Uebrenga' bitt e m'r 'n Ruh' aus! Danza' mueß ma' net
+— ond heiricha' mueß ma'n oh net! Was Sakerment! — soll e denn grad
+allweil die Sacha' doa', die e net mag?« — Die Mutter konnte hierauf
+nichts erwiedern als die Achseln zucken, wie über einen Verlorenen.
+Michel, der sich schon gewendet hatte, ging mit starken Schritten aus
+der Stube.</p>
+
+<p>Im Verlauf der nächsten Woche kam der Schneider zum Maurer, eröffnete
+der Gret, daß er in die »Zech« gehen wolle, und fragte mit eben so
+großer Artigkeit als Zuversicht: ob er sie nicht auf die Kirchweih
+führen dürfe! — Das Mädchen sah ihn schweigend an und sagte endlich:
+»I glob net, daß des got!«</p>
+
+<p>Sich von einem Burschen auf die Kirchweih führen lassen und
+consequenterweise mit ihm auf dem Platz tanzen, hieß so viel als: ein
+bestehendes oder werdendes Verhältniß mit ihm offen bekennen. Zuweilen
+geschah es allerdings auch aus Freundschaft, daß man zusammen die
+Kirchweihfreuden genoß; allein das waren eben nur Ausnahmen und immer
+hatte das Eingehen auf einen Vorschlag, wie er dem Mädchen gemacht
+wurde, etwas Verpflichtendes und — Verfängliches.</p>
+
+<p>Das Bedenken der Gret werden unsre Leser nun besser begreifen,<span class="pagenum" id="Seite_369">[S. 369]</span> als
+der Schneider und ihr Vater. Der Bursche rief höchlich überrascht:
+»Worom denn net?« Und der Maurer setzte hinzu: »Ja, des möcht' e oh
+wissa'!« — Die Gret wollte begreiflicherweise nicht sagen, was sie
+eigentlich für eine Empfindung hatte; sie erwiederte zögernd: »I muß
+d'r aufrichteng saga', Jakob, i hab m'r auf d'r letschta' Hoaxet
+gemuag danzt! — i hab koen Luhst mea' derzue! — Der Schneider fragte
+erstaunt: »Willst also gar net ens Wirthshaus ganga'?« — »Beinah hab'
+e so ebbes em Send (im Sinn)«, erwiederte die Gret. — Der Alte rief:
+»Gang weiter — des ist widder so a'n Ei'fall! Morga' denkst anderst!«
+— Die Gret, für jetzt zufrieden, nur Zeit zu gewinnen, versetzte:
+»'S ka' sei'! — Reda'mer (reden wir) a'nandersmol dervo' — 's hot
+ja no' Zeit!« — Dem Schneider war es höchst fatal, einen Antrag halb
+ausgeschlagen zu sehen, der, wie er gemeint hatte, mit der größten
+Freude sollte aufgenommen werden. Allein er mußte sich in ihre Laune
+fügen und ließ die Sache fallen, in der Hoffnung, sie das nächstemal
+bereitwilliger zu finden.</p>
+
+<p>Ein paar Tage später, an einem schönen, milden Septembermorgen, ging
+die Gret ins »Ohmed«. Nicht weit vom Dorfe sah sie den Michel gegen
+sich herankommen, mit einer Miene, die ihr auffallen mußte. — Der gute
+Bursche hatte sich in der That Ruhe verschafft in seinem Hause — weder
+die Mutter noch Kaspar sprachen mit ihm fernerhin über die Gret und
+über's Tanzen. Aber in dieser Ruhe war er traurig geworden; der Unmuth
+seiner Seele hatte sich in Schwermuth verwandelt. — Ihm war's auch
+einmal eingefallen, glücklich sein zu wollen, wie andere Leute — doch
+für ihn gab es kein Glück! Durch seine oder ihre Schuld — sei's, wie's
+sei — war er drum gekommen und nun hatte er ein Leben vor sich ohne
+Lust und ohne Liebe und ohne Freude. Dieser Gedanke drängte sich ihm
+auf, er kämpfte nicht dagegen an, er unterwarf sich — und seine passiv
+ergebene Seele ward ein Raub der Melancholie.</p>
+
+<p>Die Gret, wie sie ihn einem Träumenden ähnlich, die Miene traurig, aber
+ruhig und auch in der Trauer noch mannhaft, an sich vorübergehen sah,
+bekam eine Ahnung von seinem Zustande. Sie schaute ihm lange nach —
+und ging tief in Gedanken weiter.</p>
+
+<p>Als sie nach Hause kam, war der Vetter wieder erschienen und<span class="pagenum" id="Seite_370">[S. 370]</span> erneuerte
+seinen Vorschlag. Das Mädchen sah ihn mit glänzenden Augen, mit einer
+Art von wehmüthigem Lächeln an und sagte: »No mei'tweg! — — 'S wurd
+ja nex O'rechts sei, was e dua'!« — Das Gesicht des Schneiders hatte
+der Schimmer des Triumphes überflogen und mit stolzem Behagen rief er
+aus: »Ebbes O'rechts? I möcht wissa', worom!« Dann sah er sie schlau an
+und bemerkte: »Du wurscht m'r doch net zutraua', daß ih ebbes O'rechts
+im Senn hab?« — Die Gret konnte nicht umhin, ein wenig zu lachen und
+erwiederte heiter: »Des net.« Etwas ernster setzte sie hinzu: »No,
+du bist mei' Vetter, ond von 'm Vetter därf ma' scho'n a Gfälligkeit
+a'nemma! 'S got eba'n en d' Froedschaft!« — Der Maurer sah vergnügt
+auf sie und murmelte: »Guet!« — —</p>
+
+<p>Der Inbegriff aller Fröhlichkeit und aller Genüsse des Dorfes —
+das Hauptfest im ganzen Jahr — die <em class="gesperrt">Kirchweih</em> kam heran. —
+In damaliger Zeit wurde dieses Fest ebenfalls anders gefeiert, als
+gegenwärtig; bevor wir daher in unsrer Erzählung weiter gehen, ist es
+nothwendig, auch hierüber einige Bemerkungen vorauszuschicken.</p>
+
+<p>Zur Zeit des alten deutschen Reiches erhielt die Rieser Kirchweih
+außer der kirchlichen noch eine gerichtliche Sanction. Der Amtknecht
+der betreffenden Behörde verkündete feierlich das »Friedbot« und
+tanzte beim »Platzaufführen« die ersten drei Reihen allein — damit
+erklärend, daß die Lustbarkeit einen Charakter haben müsse, der
+vor der Macht, die er vertrat, auch bestehen könne. In der Zeit,
+in welcher unsre Geschichte spielt, war dieß weggefallen, aber die
+Lustbarkeit verlief doch noch in einer Reihe bestimmter Formen. In
+gewissem Sinne war an die Stelle des Amtknechts ein Dorfbursche
+getreten, der »den Platz kaufte«, d. h. gegen Erlegung einer gewissen
+Summe an den Gerichtsdiener den Namen des »Platzmeisters« und eine
+Anzahl von Rechten erwarb. Er durfte am Kirchweihmontag und an dem
+darauf folgenden Sonntag, durch einen geputzten dreispitzigen Hut
+ausgezeichnet, im Verein mit andern Paaren einen Tanz im Freien, auf
+geebnetem Platz, wo möglich um einen Baum, aufführen und ihn durch
+dreimaliges Alleintanzen einleiten. Zur Vergütung seiner Auslagen
+und Bemühungen durfte er am ersten Sonntag eine Ente, am letzten
+einen Hut oder ein ähnliches Möbel herauspaschen lassen,<span class="pagenum" id="Seite_371">[S. 371]</span> wobei der
+Einsatz den Werth des Gegenstandes natürlich bei weitem überstieg;
+deßgleichen einen Kegelplatz anlegen, der gleichfalls gute Procente
+abwarf. Verstand der Platzmeister, der in der Regel noch einen zweiten
+als Gehülfen zur Seite hatte, die Leute recht zum Paschen und Setzen
+heranzukriegen, und wurde bei guter Witterung fleißig gekegelt, so fiel
+nicht nur der mäßige Kaufpreis des Platzes ab, sondern auch noch die
+Summe für die Zeche an den Kirchweihtagen. Daraus ergiebt sich, daß
+nur unbemittelte Bursche — Söldnerssöhne oder Knechte — Platzmeister
+wurden, indem Bauernsöhne derartige Erwerbungen unter ihrer Würde
+halten und sich vielmehr berufen sehen mußten, ungewöhnlich viel Geld
+springen zu lassen. Für das Dorf waren aber doch die Platzmeister die
+Hauptpersonen.</p>
+
+<p>Genauer zu reden hätten wir nämlich sagen müssen: das Kirchweihfest
+<em class="gesperrt">konnte</em> zu jener Zeit noch in bestimmten Formen verlaufen —
+eben wenn die Stelle des Platzmeisters erworben wurde. Fand sich dazu
+Niemand bewogen, dann war die Kirchweih ein einfaches Tanzfest, zum
+wenigsten in unserm Dorfe. Nicht nur das Kegelspiel und das Tanzen
+auf dem Platz fiel weg, sondern auch das uralte Abholen der Mädchen
+mit Musikanten und das Tanzen in den Häusern derselben. Eine solche
+Kirchweih hatte aber »keinen rechten Ton«, jeder ächten Bauernnatur
+mußte dabei etwas fehlen — und das Auftreten eines Platzmeisters, der
+auch nur ausnahmsweise mangelte, wurde daher immer mit Freude begrüßt.</p>
+
+<p>Die letzten Jahrzehnte sind auch für die Kirchweihgebräuche kritisch
+gewesen — das Platzaufführen mit allem, was damit zusammenhing, ist
+aus der Reihe der Festesfreuden gestrichen. Während die Alten diesen
+Brauch als moralisches Mittel benutzten — denn Burschen und Mädchen,
+die nach dem Rieser Ausdruck »schon so vorgekommen«, d. h. nachweislich
+vom Wege der Ehrbarkeit abgewichen waren, durften nicht mit klingendem
+Spiel in's Wirthshaus ziehen und »auf den Platz gehen!« — erschien in
+neuerer Zeit das Jauchzen, Spielen und Tanzen im Freien als ein nicht
+zu duldender Skandal, der zunächst wenigstens in einen geschlossenen
+Raum verwiesen werden müsse. In der jüngsten Zeit ist durch den Befehl,
+daß alle Kirchweihtänze des Kreises Schwaben und Neuburg an einem und
+demselben<span class="pagenum" id="Seite_372">[S. 372]</span> Tag abzuhalten seien, dem Rieser Kirchweihfest die letzte
+Zierde und Würde des Brauches genommen worden. Von andern prosaischen
+Uebelständen abgesehen ist dadurch nämlich die <em class="gesperrt">Gastfreundschaft</em>
+unmöglich geworden, die in den Tagen des Festes von Befreundeten
+verschiedener Dörfer wechselseitig geübt wurde. Die Bauern können nun
+höchstens noch die Beamten aus der Stadt »auf die Kirchweih laden«,
+sich selbst aber nicht mehr — die Feier ist auf die Bewohner eines
+Dorfes oder Dörfleins beschränkt und nichts weiter als ein gewöhnliches
+Essen und Tanzen ohne bräuchliche und poetische Weihe.</p>
+
+<p>Einem Autor, der sich die Darstellung des Volkslebens zum Ziel gesetzt
+hat, muß es gestattet sein, gelegentlich eine die Volkssitten und ihre
+administrative Behandlung angehende Bemerkung zu machen. — Es fällt
+uns nicht ein, die Vortrefflichkeit der Absicht jenes Befehls, der ja
+auch in andern Staaten schon ergangen ist, irgend anzufechten. Man
+will, daß jeder Streit, der auf dem Kirchweihfest eines Dorfs zwischen
+eingebornen und fremden Burschen entstehen könnte, zuvor abgeschnitten
+sei, und — daß der Bauer auf seine Vergnügungen möglichst wenig
+Geld verwende. Friedlichkeit, Fleiß und Sparsamkeit sollen dadurch
+gefördert werden bis zu einem noch nie dagewesenen Grade. — Allein
+im Ries darf man die früher üblichen Händel zwischen eingebornen
+und fremden Burschen recht eigentlich als aus der Mode gekommen
+ansprechen; und was Fleiß und Sparsamkeit betrifft, so übt die große
+Mehrzahl des dortigen Landvolks diese Tugend von alter Zeit her in
+einer Weise, die man geradezu musterhaft nennen kann. Ein Staat, der
+sich einer Beamtenschaft rühmen könnte, die in dieser Beziehung dem
+Rieser Landvolk ähnlich wäre, dürfte sich nach unserer Ueberzeugung
+glücklich preisen. Ist es nun gerathen, um einiger liederlicher
+Menschen willen, die überall vorkommen und bekanntermaßen nicht der
+Kirchweihen bedürfen, um sich zu ruiniren — ist es gerathen, fragen
+wir, jener großen Mehrzahl ihre hergebrachte Lustbarkeit zu verkümmern
+und für die Söhne und Töchter wohlhabender, ja reicher Landleute die
+Tanzgelegenheiten auf ein Minimum herabzusetzen, während in Städten
+nicht nur die höhern Klassen, sondern auch die Massen der Handwerker
+und Proletarier vor Bällen und Tanzmusiken nicht wissen, wo aus und<span class="pagenum" id="Seite_373">[S. 373]</span>
+wo ein? Hält man etwa das Landvolk im Vergleich mit dem Städter
+für unmündig und für leichter zu verführen? Schreiber dieses kennt
+beide aus vieljähriger Erfahrung; er muß aber sagen, daß ihm keine
+Menschenklasse vorgekommen ist, die sich in ihren Vergnügungen und
+Geldausgaben mündiger und ordnungsmäßiger zu benehmen wüßte, als eben
+der Rieser Bauer! — daß mithin Befehle, die sich auf die Annahme einer
+solchen Unmündigkeit gründen, in keiner Art nothwendig erscheinen.</p>
+
+<p>Ein Schriftsteller, der sich in dieser Beziehung Autorität erworben
+hat, <em class="gesperrt">Riehl</em>, erklärt sich in seiner »bürgerlichen Gesellschaft«
+mit Entschiedenheit gegen die Vernichtung hergebrachter Bauernfeste
+durch Zusammenlegung der Kirchweihen auf Einen Tag. Er citirt zu
+seinen Gunsten den Ausspruch des anerkanntesten Volkskenners —
+<em class="gesperrt">Justus Mösers</em>. — Mögen diejenigen, die durch Einschränkung der
+gebräuchlichen und natürlichen Lustbarkeit das Beste des Landvolks zu
+fördern glauben, bescheidentlich mit uns erkennen, daß das in dieser
+Beziehung <em class="gesperrt">Beste</em> in der That noch eine <em class="gesperrt">Frage</em> ist, die nur
+in Erwägung gar mancher Verhältnisse definitiv entschieden werden kann!
+Steckt man auch dem Landvolk ein höheres Ziel im Leben und Streben, so
+wird es diesem Ziel nimmermehr durch Verbote, sondern nur durch die
+ihm entsprechende Bildung näher geführt werden. Das positive Mittel
+einer solchen Bildung wende man an — dann wird Alles, was sich mit
+ihr nicht mehr verträgt, im Verhältniß ihrer Ausdehnung von selber zu
+Boden fallen. Mit Untersagung herkömmlicher Gebräuche sei man dagegen
+um so behutsamer, als die sich erhaltenden vielleicht eben das Material
+bieten sollen, welches die fortschreitende Bildung zu läutern und zu
+einer neuen Poesie des Lebens zu verklären haben wird. — —</p>
+
+<p>Unser Dorf hatte diesmal das Glück, eine »rechte Kirchweih« zu
+bekommen. Zwei Bursche hatten den Platz gekauft, die in jeder Hinsicht
+fähig waren, das Amt zu versehen: lustige Kerle, vortreffliche Tänzer
+und Liedersänger. Der Kegelplatz war schon errichtet; er prangte vor
+dem Wirthshause, allerdings auf einer etwas geneigten Ebene, was indeß
+nur zur Folge hatte, daß das Treffen darauf um so ehrenvoller war.
+Eine ziemliche Anzahl von Ledigen<span class="pagenum" id="Seite_374">[S. 374]</span> war »in die Zech gegangen,« d. h.
+sie ließen im Wirthshaus aufschreiben, was sie an Essen, Weißbier und
+Branntwein verzehrten, um nach den Festtagen zu gleichen Theilen zu
+bezahlen. Das ganze Dorf war angeduftet von der Poesie einer Feier,
+die, erinnerung- und hoffnungerweckend, ein lautes, fröhliches Leben
+vorführen sollte, und von den Torten, Ringen (Kränzen) und Bretzgen,
+die nach Maßgabe des Vermögens von allen Familien gebacken wurden.
+»Nach altem Brauch« waren nicht nur im Wirthshaus verschiedene
+Schweine geschlachtet worden, sondern je eines auch in bedeutenden
+Bauernhäusern, und eine erklekliche Anzahl befiederter Geschöpfe war
+aus den Reihen der Lebendigen gestrichen. Das Dorf brauchte nichts
+mehr als gutes Wetter — und das kam. Schon am Freitag hatte ein die
+Gemüther sehr beunruhigender Regen aufgehört, der Kirchweihsamstag
+war trocken, und am Sonntag stieg die Sonne in einen Himmel mit nur
+einzelnen dünnen Wölkchen empor. Wer die Empfindungen kennt, die beim
+Anblick solchen Himmels an dem Hauptfeste des Jahres die genußfähigen
+Dorfbewohner erfüllt, der weiß, was Freude des Lebens ist!</p>
+
+<p>Der Vormittag des Sonntags und ein Theil des Nachmittags ward in unserm
+Dorfe der geistlichen Feier gewidmet. Wer es irgend konnte, ging in die
+Kirche und horchte der Predigt, welche die höhere Bedeutung des Festes
+darlegte, mit Andacht. Sobald die nachmittägige Betstunde vorüber war,
+begann im Wirthshause das weltliche Fest. Die Mädchen der in der Zech
+befindlichen Bursche kamen sachte angeschlichen, thaten zuerst, als ob
+sie nur da wären, um ein wenig zuzuschauen, ließen sich dann aber von
+ihren Verehrern bereitwillig in die obere Stube oder gleich auf den
+Tanzboden führen.</p>
+
+<p>Unter den »Kirchweihburschen« war auch der Schneider, unter den
+Mädchen, die sich zum Tanz einfanden, die Gret. Mit der Zuversicht,
+die man gegen die Seinige an den Tag zu legen pflegt, ging der Bursche
+dem Mädchen entgegen, tanzte mit ihr und führte sie nach einem Dutzend
+Reihen in die Stube. Als ein Anderer kam, und mit ihr zugleich ihn
+fragte: »Isch verlobbt (ist's erlaubt)?« erwiederte er würdevoll:
+»Du ka'st danza'!« — und der Begünstigte führte die Gret hinaus.
+Ein Bekannter trat zu ihm und sagte vergnügt:<span class="pagenum" id="Seite_375">[S. 375]</span> »No, Schneider, hosch
+(hast du's) wirklich durchgsetzt bei deam Mädle — send d'r oeneng?«
+— Der Bursche erwiederte: »Vor der Hand gots wenigstens mit m'r auf
+d' Kirweih!« — Dem Bekannten war das genug; er sagte: »Die Schöast
+em ganza' Dorf! Wie host ietz des a'gfangt, Schlengel?« — Der
+Schneider zog statt der Antwort die Augenbraunen in die Höhe und sah
+mit tiefbedeutsamem Lächeln für sich hin. »Du bist a Hauptspitzbue«,
+rief der Kamrad und der Schneider machte ein Gesicht, als ob er sagen
+wollte: »Ich widerspreche nicht!«</p>
+
+<p>Wie Michel — bei dem sich's von selber verstand — war auch Kasper
+nicht unter den Kirchweihburschen. An einem der letzten Tage war
+der treue Freund zu dem Traurigen und Düstern gegangen, um ihm eine
+Mittheilung zu machen und eine Aufforderung daran zu knüpfen. Er
+begann mit der gemüthlichen Frage: »Was isch, gommer oh en d'Zech
+desmol?« — »Frog net so domm!« erwiederte Michel und drehte sich weg.
+Kasper lachte: »'S ist oh nor Gspaß! Was sottet o's (sollten wir) dren
+doa'? Du host koena', ond ih hab grad oh koena'! Doh mag d'r Deufel
+mitmacha'. — Aber«, setzte er ernsthafter hinzu, »ens Wirthshaus
+wurscht doch ganga'?« — »Sell verred'e net«, erwiederte Michel. —
+Kasper, nachdem er eine Weile für sich hingesehen, begann wieder:
+»Ietz, wo dein' Pla' mit der Great aufgeba' host, wurd's d'r nex mea'
+macha', wann da' Schneider mit'r danza' sichst!« — »Sell got me nex
+mea' a'«, versetzte Michel ernsthaft. — »Wie e ghöart hab«, fuhr
+der Andre fort, »got's mit d'm Schneider auf da' Plahtz!« — Michel
+zuckte. »Auf da' Plahtz?« rief er, während dunkle Röthe sein Gesicht
+übergoß. Kasper sah dem Betroffenen ins Gesicht und fragte: »Aergert
+de des?« — »Noe«, versetzte der Bursche mit Anstrengung. Der Kamerad
+sagte: »So hab e's geara'! — Am End, wer ka's dem Mädle verdenka',
+wann's da' Schneider nemmt ond ietz mit 'm auf d' Kirwe got? Zwea'
+oder dreia' (zweien oder dreien) hot sie selber da' Marsch gmacht; du
+bist ahgstanda' von 'r — solls da' Schneider oh no' furtschicka?«
+— »Sie hot Recht«, erwiederte Michel mit dumpfer Ruhe; aber auf
+einmal ballte sich seine Faust wie von selber, und er rief: »O i wott
+(wollte) —!« »Was wottst?« fragte der Kamerad, indem er ihn lächelnd
+ansah. —<span class="pagenum" id="Seite_376">[S. 376]</span> »Nex«, erwiederte Michel mit Nachdruck, indem er die Finger
+zusammenpreßte, um sie dann auseinander gehen zu lassen.</p>
+
+<p>Am Sonntag — um dieselbe Zeit, als die Gret mit dem Burschen tanzte,
+der sich vom Schneider die Erlaubniß ausgebeten, verfügte sich Kasper
+zu Michel, um ihn in's Wirthshaus abzuholen. Er fand ihn in tief
+melancholischer Stimmung. Als er seinen Vorschlag machte, gab Michel
+zur Antwort: »Ha'et no' net — morga'! — Ha'et ben e net aufglegt!«
+— Alle Mahnungen waren umsonst. Kasper sagte mit Ernst: »I will de
+net nöada' (nöthigen) — mei'daweg duest, was d' willst. Aber ih moe,
+a Kerl wie du sott grad ens Wirthshaus ganga', en die ober' Stub',
+ond so'm Mädle zoega', daß 'r se nex draus macht, gots auf da' Plahtz
+mit weam's will! Die möcht'e net globa' lossa', doß e ihrdawega' von
+d'r Kirwe derhoemt blieb!« — »Des gschicht oh net«, versetzte unser
+Bursche, — »morga' gang' e drauf!« — »Morga' host widder a'n andera'n
+Ausred!« — Michel wurde ungeduldig. »Doh host mei' Ha'd«, rief er
+und streckte ihm fünf Finger entgegen, die ihres Gleichen suchten, —
+»morga' gang e ens Wirthshaus — Sakerment!« — Kasper schied beruhigt
+und folgte den lockenden Tönen eines Drehers, der ihm vom Wirthshaus
+entgegenschallte.</p>
+
+<p>Bei seiner Ankunft auf dem Tanzboden ging die Gret mit ihrem Tänzer
+eben im Reihen. Als sie Kaspers ansichtig wurde, zeigte sie eine
+gewisse Erregtheit — und schaute sich weiter um. — Der Kamerad hatte
+sie beobachtet, und nickte für sich.</p>
+
+<p>Er beschloß, den Michel am folgenden Tage ins Wirthshaus zu bringen,
+koste es, was es wolle.</p>
+
+<p>Kasper hatte ein Gefühl, was er im Sinn trug, könnte nützlich werden.
+Er sah nicht voraus, was kommen würde; aber er empfand eine lebhafte
+Genugthuung, als er sich sagte: »Desmol soll' r net derhoemt bleiba'!«
+— Er handelte mit dem Instinkt der Freundschaft.</p>
+
+<p>Der Kirchweihmontag brach so schön an wie der Sonntag. Die jungen
+Leute, die sich vorsichtigerweise früh zur Ruhe begeben hatten,
+erwachten fröhlich, und auch die andern, die erst der Morgen nach Hause
+wandern sah, hatten bald muntere Augen, um einem Tag entgegenzusehen,
+an welchem das Vergnügen allein regieren und zur<span class="pagenum" id="Seite_377">[S. 377]</span> farbigsten Blüthe
+sich entfalten sollte. — Noch Vormittags, nach früh genossenem Mahle,
+begaben sich die Zechbursche in's Wirthshaus, und aus den Fenstern
+desselben erklang sofort stattliche Musik. Das Mädchenholen begann
+— die Gassen ertönten von Spiel und Jauchzen, und die zinnernen
+Bierkannen, von rüstigen Armen in die Höhe gehalten, funkelten im Glanz
+der Sonne.</p>
+
+<p>Vor allen und am feierlichsten — mit sämmtlichen Musikanten — wurden
+die Geliebten der beiden Platzmeister abgeholt. Sie stolzirten in
+absonderlichem Putz und trugen zur Auszeichnung vor den übrigen, die
+nur in der Kappe beim Tanz erschienen, die radförmige Spitzenhaube.
+Als diese beiden wichtigen Personen sich an der Tafel der Wirthsstube
+niedergesetzt hatten, theilten sich die Musikanten, und verschiedene
+Bursche zogen mit je zweien in die Häuser der Erwählten. Das ganze
+Dorf war bald in freudiger Aufregung: Singen und Springen, Zuschauen
+und Loben, Austauschen von guten Sachen und Höflichkeiten war die
+allgemeine Beschäftigung. Die Buben wuchsen in Gedanken beim Anblick
+der Vergnügungen, die ihnen auch einmal zu Theil werden sollten, und
+die Alten wurden jung und gedachten der Zeiten, wo sie's — noch besser
+gemacht hatten.</p>
+
+<p>Nur Ein Haus war ausgenommen von der allgemeinen Fröhlichkeit — das
+der Familie Schwab. Unser Bursche, nachdem er gestern auch noch einer
+Ermahnung der Mutter widerstanden, war früh zu Bett gegangen und hatte
+einen tiefen Schlaf gethan. Wie gewöhnlich aufgestanden, machte er
+sich in Haus und Hof zu thun und sah nicht aus wie einer, der sich an
+dem Fest betheiligen wollte. Die Mutter betrachtete den düster Hin-
+und Hergehenden mit betrübter Miene. Sie gedachte an die Zeiten seines
+Knabenalters. Wie stolz war sie auf ihn gewesen! Wie viel hatte sie
+sich von ihm versprochen — und wie wenig hatte er gehalten! Was half
+es, daß er fleißig war und ordentlich und das Vermögen in den letzten
+Jahren sich vermehrt hatte? — Er hatte keine Freude, sie hatte keine,
+und zu hoffen war auch keine! — Als draußen das lustige Spiel und
+das »Juxen« der Bursche anhub, erschienen ihr die Mängel des Sohnes
+in immer grellerem Licht. Ein Mensch, der nicht tanzen und sich nicht
+»aufführen« konnte, ein Mensch, der keinen Schatz und kein Weib zu
+kriegen<span class="pagenum" id="Seite_378">[S. 378]</span> verstand, ein solcher Mensch war gar nichts — und sie die
+unglücklichste Mutter im ganzen Dorf.</p>
+
+<p>Schon war auch der Schneider mit einem Geiger und Clarinettenbläser
+am Hause vorübergezogen und hatte einen Tenor gejuxt, wie ihn kein
+gewöhnlicher Bauernbursche herausgebracht hätte. Die Mutter war eben
+in der Kammer und hatte den Zug nicht gesehen. Nach einer Weile, als
+sie wieder in die Stube kam, trat Michel zu ihr, und als von der untern
+Gasse her ein Freudenlärm erscholl, nahm er sie bei der Hand und führte
+sie ans Fenster. Jauchzend, obwohl schon mit etwas angegriffener
+Stimme — mit dem Deckel der leeren Kanne nach Kräften patschend kam
+der Schneider an der Spitze der Musikanten heran und hinter diesen die
+Gret mit sittigem Schritt und einem Angesicht, das durch höhere Röthe
+und einen eigenen feierlichen Ausdruck holder und bedeutender erschien
+als jemals. »Siksch ietz, mit weam die's guet moet?« fragte Michel in
+Rücksicht auf seine Rede von letzthin. Die Mutter erwiederte: »Des
+ist m'r oh nex Nuis mea'! Aber wear ist dra' Schuld?« Michel schwieg
+einen Moment; dann, indem er mit einer Art von Humor den Kopf in die
+Höhe warf, erwiederte er: »Bah, a Mädle, die mit 'm Schneider auf
+d'Kirwe got, doggt (taugt) net für 'n Kerl, wie'n ih ben. Ih trau m'r
+no' a'n andera' z'kriega', wann's amol gheiricht sei' mueß!« — Mit
+halb schmerzlichem, halb spöttischem Lächeln versetzte die Mutter:
+»Du bist der Recht', ja!« Aber Michel fuhr fort: »Loß me nor macha'!
+Ho'et Nommedag (Nachmittag) gang e ens Wirthshaus — doh passirt ebbes,
+des sag' d'r e! Ond wanns auf o'srer nex wurd — gits net no' ander'
+Kirwena? I will doch seha', ob ih nex ausricht', wann e amol drauf
+ausgang!« —</p>
+
+<p>Es war nicht nur der Geist des Widerspruchs, der Micheln, der
+anklagenden und ungläubigen Mutter gegenüber, diese herzhaften Worte in
+den Mund gab. Der Anblick der Gret, die dem Schneider folgte, hatte ihn
+zugleich gereizt und von der letzten Bürde der Ungewißheit befreit. Nun
+wars offenbar und nicht mehr zu läugnen! — und nun mußte er entweder
+die Weibsbilder gehen lassen sein ganzes Leben lang — oder sein Glück
+mit einer andern versuchen. Aus allen Gründen mußte er ins Wirthshaus
+gehen — er mußte<span class="pagenum" id="Seite_379">[S. 379]</span> sehen und sich sehen lassen — er mußte zeigen, daß
+er nicht der Mann war, darum, weil er ein Mädchen nicht gekriegt hatte,
+sein Leben zu vertrauern.</p>
+
+<p>Das Fest hatte seinen Verlauf. Der Platz vor dem Wirthshause und die
+angrenzenden Gassentheile belebten sich mehr und mehr. Unter die
+Bauern und Bäuerinnen mischten sich »Herrn« und »Frauenzimmer«, die
+an dem schönen Tage hauptsächlich aus Nördlingen und Wallerstein
+herbeigekommen waren. Einige flotte Musensöhne im altdeutschen Rock und
+weiten blauen Hosen, das Mützchen keck auf die eine Seite des Kopfes
+geklebt, schauten mit vergnügtem Antlitz umher oder »schnitten« den
+schönsten und jüngsten der anwesenden »Florbesen« die Cour. Bauern und
+Handwerker mittleren Alters hatten schon das Kegelspiel begonnen und
+suchten auf verschiedene Weise die Ungunst des Lokales zu überwinden,
+einer davon auch noch durch nachträglich pantomimische Lenkung der
+schon hinausgerollten Kugel, wodurch er, wenn nicht mehr Kegel, doch
+die Erheiterung der Umstehenden erzielte. Schulkinder liefen hin und
+her, begafften Alles und erlabten sich bei den Weibern, die an der
+Schattenseite des Wirthshauses Obst feil boten. Die jungen Leute
+drehten sich auf dem Tanzboden und hielten gleichsam eine Vorübung zu
+der Production, die sie vor einer so großen Anzahl von Schaulustigen
+ausführen sollten.</p>
+
+<p>Der feierliche, zuletzt sehnlich erwartete Moment erschien. Die
+Tanzmusik im Wirthshause war verstummt, und in die Ohren der bunten
+Menge, die sich davor angehäuft hatte, ertönte vom Hof her auf
+einmal ein kräftiger Marsch. »Sie kommen! Sie kommen!« rief man sich
+freudig zu und die Vorsichtigen eilten auf die Standpunkte, wo man
+die Aufführung am besten übersah. Unter einer wahren Kanonade von
+Juhschreien sämmtlicher Bursche, die zuweilen auch die Blechmusik
+übertönte, kam der Zug aus dem Hofe: zuerst die sechs Musikanten, dann
+der »Flur« (Flurschütz, Gemeindediener) mit einem Stuhl, der Aufwärter
+mit einer riesigen kupfernen Bierkanne und das Wirthsmädchen mit
+Krügen; endlich die Paare, geführt von dem ersten Platzmeister, der
+an der Seite seiner Schönen stattlich daherschreitend einen großen,
+bändergezierten, in blanker Scheide<span class="pagenum" id="Seite_380">[S. 380]</span> ruhenden Säbel trug! An der
+uralten Linde angekommen machte man Halt, die Musikanten stellten sich
+herum, der Aufwärter setzte die Bierkanne auf den Stuhl, und die Paare
+traten an die Seite. Unter allgemeiner Aufmerksamkeit zog der erste
+Platzmeister den Säbel aus der Scheide, hielt ihn in die Höhe, stellte
+sich vor die Musikanten und sang das herkömmliche Liedchen:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Ietz soll e halt danza' drei Roea'n alloe!</div>
+ <div class="verse indent0">I ka's ja kamm (kaum) danza' vor Staub ond vor Stoe.</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Die Musikanten spielten und der Bursche tanzte allein um die Linde,
+indem er auf dem mäßig ebenen Boden seinem Titel Ehre machte. Zum
+zweitenmal sang er:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Der erst der ist danzt ond der ander' fangt a':</div>
+ <div class="verse indent0">Ietz will e halt seha', ob es nommol so ka'.</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Die Zuschauer, die bei solchen Gelegenheiten, wenigstens eine Zeitlang,
+empfänglich und anspruchlos zu sein pflegen, nahmen diese allerdings
+mehr sachgemäßen als poetischen Reime mit heiterem Interesse auf, und
+da der Platzmeister wieder ohne zu stolpern und in schönem Kreisbogen
+um den Baum kam, so rief ein lustiger Studiosus ihm ein Bravo zu.</p>
+
+<p>Zum Dritten sang er:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Ond oemol ond zwoemol ond nommol ist frei!</div>
+ <div class="verse indent0">Ond des mueß das Best' sei', denn ietz isch vorbei!</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Nach glücklicher Vollendung auch dieses Reihens steckte der Bursche den
+Säbel in die Scheide, übergab ihn dem »Fluer«, sah auf die Paare und
+sang:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Danzt hab' e so gut als ma's ka'n ohne Schatz.</div>
+ <div class="verse indent0">Nemm jeder die Sei'n ietz ond rei' auf da' Platz!</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Er holte sich die Geliebte, die mit Würde den Leistungen ihres Burschen
+zugesehen hatte, und begann mit ihr zu walzen. Alle Paare folgten nach.</p>
+
+<p>Der Tanz — die Trinkpausen mit eingeschlossen — dauerte ungefähr
+eine Stunde. Da die Bursche und Mädchen von verschiedener Gestalt und
+Schönheit waren, und beim Tanzen verschiedene Manieren an sich hatten,
+die auf dem schwierigen Terrain um so charakteristischer hervortraten;
+— da den Musikanten eine Reihe Lieder<span class="pagenum" id="Seite_381">[S. 381]</span> vorgesungen wurden, wovon
+etliche nicht ohne pikanten Reiz, andere aber in so fern »ächt lyrisch«
+waren, als nicht eine Spur von Gedanken darin vorkam — so gab es für
+das Publikum, namentlich für das gebildete, gar vielerlei zu schauen
+und zu kritisiren. Einige der Herrn unterhielten ihre Damen mit
+mehr oder minder gelungener Verspottung und ironischer Belobung der
+ländlichen Künste. Andre lachten und nickten Beifall. Wieder andere
+stellten Vergleichungen an und suchten zu entscheiden, welche Mädchen
+den Preis der Schönheit verdienten, u. s. w.</p>
+
+<p>Die größte Aufmerksamkeit hatte bald von allen Paaren ein uns
+wohlbekanntes auf sich gezogen — der Schneider und die Gret. Die
+stattliche Größe des Mädchens und die zierliche Kleinheit des Burschen
+war zuerst aufgefallen. Bei näherer Betrachtung fand die Schönheit der
+Blonden lebhafte Anerkennung, besonders von Seiten dreier Studiosen,
+die ihre Augen so oft nach ihr wandten, daß eine daneben stehende junge
+Nördlingerin beinahe eifersüchtig geworden wäre. Nicht geringeres
+Interesse erweckte indeß bei eben diesen Studiosen der Schneider
+selbst. Glücklicher und selbstbewußter auszusehen als dieser, war nicht
+wohl möglich. Das schönste Mädchen von allen, die um die Linde tanzten,
+war die seine! Sie hatte sich erst ein bischen »geziert«, als er sie
+einlud, mit ihm auf den Platz zu gehen; aber wie bald hatte sie Ja
+gesagt! — Mit welchem Vergnügen hatte sie's gesagt, und wie gern war
+sie mit ihm gegangen! Dumme Teufel mußten die gewesen sein, denen sie
+den Laufzettel gegeben! Er war gekommen, hatte gesprochen, und immer
+weicher war sie geworden und immer nachgiebiger, und jetzt konnte er
+mit ihr machen, was er wollte! Es lebe die Fremde! Wer nicht hinaus
+kommt, der kommt nicht heim, und bleibt ein Dummkopf, der überall das
+Nachsehen hat! — Heute noch, beim Nachhauseführen, wollte er mit ihr
+reden wegen der Heirath, auf den Winter machte er Hochzeit, und damit
+basta!</p>
+
+<p>Das Wohlgefallen, mit welchem die drei Studiosen zu ihm hersahen,
+schmeichelte unserm Dorfschneider ungemein. Er mußte freilich annehmen,
+daß ein Theil des Beifalls seiner Tänzerin galt — aber war das nicht
+wieder eine Ehre für ihn? Sein Gesicht wurde<span class="pagenum" id="Seite_382">[S. 382]</span> vor Selbstgefälligkeit
+ordentlich runder, jedenfalls glänzte es »wie Wallerstein des Abends«
+(wenn die Sonne aus den Fenstern der terrassenartig aufsteigenden
+Häuser wiederstrahlt!) — und seine Augen blickten beim Tanzen
+rechts und links, um nichts von den Eindrücken zu verlieren, die er
+hervorbrachte.</p>
+
+<p>In solcher Stimmung ist man nicht geneigt, Andern Erfolge zu gönnen;
+und wenn einer dergleichen erzielt, fühlt man einen Trieb, ihn
+herunterzustechen. Die Heiterkeit, die ein paar von einem rüstigen
+Kerl gesungene lustige Liedchen hervorriefen, weckte des Schneiders
+Eifersucht. Er wollte auch ein Lied singen, das den »Herren« Spaß
+machte, und hatte schon den Mund dazu geöffnet — als ihm derselbe
+Mensch zuvorkam. Verdrießlich hörte er zu, und wie in dem Text statt
+des Reims eine bloße Assonanz zum Vorschein kam, rief er, das Gesicht
+satyrisch-kritisch den Studenten zugewendet: »Reim de oder i friß de!«
+— Der Sänger schaute den Burschen an und nach geendetem Reihen sagte
+er: »Desmol will e a bessers senga' — paß auf!« Und er sang:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Doh droba'n auf dem Bergle bei dera' Kapell,</div>
+ <div class="verse indent0">Doh sitzen drei Schneider beir' Wasserbodell!</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Allgemeine Heiterkeit war der Erfolg dieser Schnurre; auch die Gret,
+die im Verlauf des Tanzens etwas zerstreut geworden war, konnte sich
+nicht enthalten zu lächeln. Der Schneider ging auf Nadeln. Wie gern
+hätte er den Kerl zehnmal stärker getroffen! Aber es war ein Maurer,
+und er wußte kein Spottlied auf dieses Handwerk! Da half ihm die
+Entrüstung über die dumme Verhöhnung seines Metiers aus der Noth:
+sie gab ihm einen Reim ein, wodurch er den Hieb mit Zinsen wieder
+zurückzugeben hoffte. Er stellte sich resolut hin und sang:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Die Kleider der Leut' hat der Schneider gemacht,</div>
+ <div class="verse indent0">Und der ist a Narr, der die Schneider veracht'.</div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Schallendes Gelächter erfolgte auf diesen gewaltigen Rückschlag, in
+welches der vermeintlich Getroffene herzlich mit einstimmte, während
+die Gret etwas erröthete und einen mitleidigen Blick auf ihren Tänzer
+warf. Der Schneider sah dies nicht. Würde ihm nicht schon das Lachen
+ein Beweis gewesen sein, daß er einen treffenden Reim<span class="pagenum" id="Seite_383">[S. 383]</span> gedichtet, so
+hätten ihn die lobenden Zurufe der Studenten davon überzeugen müssen.
+Triumphirend sah er umher und tanzte, von dem Hochgefühl des Sieges
+getragen, mit erneuter Kraft und Leichtigkeit. Während er das Vorsingen
+Andern überließ, dachte er bei sich: »Wann die Herra' an deana'
+Bauraliedla' scho' so a Freud hont, nocht will i ihna' doch beweisa',
+daß e andre oh no' ka'!« — Als die Zeit, die auf dem Platz zugebracht
+zu werden pflegte, sich ihrem Ende zuneigte, ersah er seinen Moment,
+nahm eine Stellung, die etwas erwarten ließ, und sang, indem er den
+Studenten pfiffig zublinzelte, folgende anmuthige Variation eines
+Burschenliedes:</p>
+
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Der Herr Professer </div>
+ <div class="verse indent0">Liegt in Corretschiom, </div>
+ <div class="verse indent0">Drom wär' es besser, </div>
+ <div class="verse indent0">Man trinkt eins rom. </div>
+ <div class="verse indent0">Ebete, bebete, esse coralle! </div>
+ <div class="verse indent0">Was soll das Hepula? Bombau, holla! </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p>Die Studenten horchten mit hochvergnügten Gesichtern, riefen Bravo und
+lachten königlich zusammen. — Der Schneider war überzeugt, daß er die
+Palme davongetragen.</p>
+
+<p>Als der Zug unter denselben Jubeltönen, mit denen er gekommen, obwohl
+etwas langsamer, ins Wirthshaus zurückging, stellten sich die Studenten
+an den Weg, und einer von ihnen, der in den Dorfverhältnissen genau
+unterrichtet zu sein schien, sagte fidel zu dem Siegesglücklichen:
+»Brav, Schneider! — Du bist a Hauptkerl!« — Der Angeredete erwiederte
+mit Würde: »I hab den Herren nur zeiga' wolla', daß man auf d'm Land
+auch manchmol ebbes ka', was man oem nicht zutraut hätt'!« — Die Gret
+warf auf den Studenten einen Blick, der zu sagen schien: »Halt mich ja
+nicht für so dumm wie meinen Schneider!«</p>
+
+<p>In der obern Wirthsstube gönnten sich Musikanten und Tänzer einige
+Zeit Ruhe, dann begann die Lustbarkeit auf dem Tanzboden von neuem.
+Der Schneider war unermüdlich und von einer Hüpflustigkeit, die nicht
+zu ersättigen schien; er forderte die Gret wieder zum Tanz auf. Das
+Mädchen, die mehr und mehr das Aussehen gewonnen hatte, als ob ihr
+etwas abginge, erwiederte, sie sei müde und möchte noch ausruhen.
+Der Schneider, im Gefühl seiner Würde<span class="pagenum" id="Seite_384">[S. 384]</span> als Mann und seinem Stolz als
+Kirchweihbursche, entgegnete: »Des hilft nex! I will amol danza', ond
+i wear' doch hoffentlich koen Korb kriega' von 'm Mädle, die e auf d'
+Kirwe gführt hab? — Komm!« — Er nahm sie bei der Hand und sie folgte,
+indem sie den Verdruß ihres Herzens in ernster Miene zu verbergen
+suchte. Nachdem sie sechs Reihen erduldet hatte, erklärte sie positiv:
+es liege ihr in den Gliedern wie Blei — es ginge nicht mehr! — Der
+Bursche mußte sie in die Stube führen. Während sie an der Tafel der
+Zechburschen Platz nahm, forderte der Schneider eine Andere auf und
+führte sie auf den Tanzboden.</p>
+
+<p>Die Gret überließ sich ihren Gedanken. Sie hatte etwas unternommen
+— es war die Frage, ob sie Recht gehabt hatte, es zu thun. Aber
+jedenfalls hatte sie es umsonst gethan: was sie gehofft hatte, war
+nicht eingetroffen. — Ein Ernst erfüllte ihr helles Gesicht, der mehr
+und mehr den Charakter der Trauer annahm. Still und gedankenvoll sah
+sie für sich hin. — Auf einmal erröthete sie: — durch die Thüre,
+die kaum groß genug war, ihn einzulassen, trat Michel in die Stube,
+begleitet von dem treuen Kasper.</p>
+
+<p>Unser Freund erschien in seinem besten Staat und mit einem Ausdruck
+der Würde in seinem Gesicht, den früher Niemand an ihm wahrgenommen
+hatte. Seit dem Versprechen, das er seiner Mutter gegeben, war eine
+neue Veränderung mit ihm vorgegangen. Der momentanen Erhebung, die
+der Anblick des an seinem Hause vorbeiziehenden Schneiders in ihm
+hervorgerufen, war eine Herabstimmung gefolgt, die sich in dem stillen,
+von nähern und fernern Jubeltönen umklungenen Hause zu erneuter,
+tiefer Schwermuth ausbildete. Der Trieb, glücklich zu sein, regt sich
+in dem Menschen immer wieder und nirgends stärker, als an einem Tag
+allgemeiner Freude. Hier ist das Herz von seinem Recht auf auch einen
+Antheil daran durchdrungen — das Bild dessen, was man wünscht, tritt
+in höchstem Reiz vor die Seele, die Sehnsucht, es zu erlangen, wird
+feuriger und inniger — und die Nothwendigkeit, es dennoch verloren
+geben zu müssen, wirft das Gemüth in Abgründe der Trauer. Was half
+dem guten Michel sein Entschluß, sich nach einer Andern umzusehen! So
+eine wie die Gret gab's doch nicht mehr — so gern<span class="pagenum" id="Seite_385">[S. 385]</span> konnte er keine
+mehr haben — so glücklich mit keiner mehr leben! Wie schön war sie
+heute wieder, als sie an seinem Hause vorüberging. Nein! Wenn dieses
+Mädchen ein Andrer bekam, dann wollte er überhaupt keine mehr, er
+wollte unglücklich sein mit Fleiß — und sein Leben als Junggeselle
+beschließen.</p>
+
+<p>In dieser Stimmung, in dem Nachdenken, das sie begünstigte, traten die
+Fehler, die er gemacht hatte, wieder vor seine Seele; aber sie regten
+keinen Zorn in ihm an. Er fühlte sich damit behaftet wie durch ein
+Verhängniß; ihm waren eben die Gaben, womit Andere etwas erreichten,
+nicht verliehen, er sollte kein Glück haben, er mußte entsagen. — Nach
+und nach stieg der Muth, der die Frucht der Entsagung ist, in ihm auf.
+Der männliche Stolz rührte sich in ihm, und er faßte den Entschluß,
+jetzt wenigstens keinen armen Sünder mehr zu spielen, wie früher,
+sondern ruhig seines Weges zu gehen — jetzt, wo doch nichts mehr zu
+verlieren war! — — In dieser Gemüthslage traf ihn Kasper. Michel
+fügte sich der Aufforderung, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, ohne
+Widerrede. Er zog seine neue Juppe von dunkelblauem Tuch an, steckte
+den reich mit Silber beschlagenen Ulmer Pfeifenkopf in den Mund, setzte
+die breite Fischotterkappe auf und folgte dem Kameraden. Die Mutter
+hatte mit der Ironie des Unglaubens »viel Vergnügen« gewünscht.</p>
+
+<p>In der Stube setzten sich die Kameraden an einen Seitentisch, wo schon
+ein Lediger Platz genommen hatte. Kaspar ließ sich hier nicht halten;
+er hatte bald eine hübsche Braune an der Hand und tanzte mit dem
+Schneider um die Wette. — Michel unterhielt sich mit dem Ledigen, der
+wie er ohne Schatz und vom Tanzen kein Liebhaber war. Die Gret hatte
+er, als er an der Tafel vorbeiging, auf eine ungezwungene Weise nicht
+gesehen; jetzt, im Gespräch mit dem Burschen, sah er einmal zu ihr
+hinüber — er sah, daß sie nicht vergnügt war — und eine sonderbare
+Empfindung regte sich in ihm.</p>
+
+<p>Nach einer Weile kam der Schneider in die Stube. Er hatte einen
+jungen Mann an der Hand in spießbürgerlicher Kleidung und von einer
+Statur, die der seinen ähnlich war, — trat mit ihm vor die Gret und
+sagte: »Des ist mei' Colleg, Herr Bügel, der zu Nörrleng (Nördlingen)
+arbeitet. Er möcht' gern mit d'r danza'n ond i<span class="pagenum" id="Seite_386">[S. 386]</span> hab gsakt, 's wär a'n
+Ehr'. Komm!« — In ihrer jetzigen Stimmung dem Tanzen ohnehin gänzlich
+abgeneigt, wäre der »Colleg« der letzte gewesen, der ihr Lust dazu
+gemacht hätte. Und sich mit ihm zum Tanzen commandiren zu lassen!
+— Vor Michel — und in solchem Ton! — Ein Widerwille stieg in ihr
+auf und wuchs zur entschiedensten Widerstandskraft. Sie erwiederte
+dem Stadtschneider: »I muß danka' für die Ehr'!« und zu dem ihrigen
+bemerkte sie: »I hab d'r scho' gsakt, i ben müed ond hab koen Luhst
+mea'. 'S ist seitdem net anderst woara' — ond i wear' ha'et gar nemmer
+danza'!« — Der Schneider runzelte die Stirn. »Des send Ei'bildenga'«,
+rief er, ehe der andre zu Worte kommen konnte; »du bist ja gruat
+(ausgeruht)! — Mach'! Komm!« — Das Mädchen rührte sich nicht und
+mit dem Nachdruck des Abweisens erwiederte sie: »I dank' schöa'!« —
+Eine Wolke verfinsterte die Züge des Burschen. »Doh ist nex z'danka'«,
+entgegnete er schnell und heftig, — »i hab' gsakt, du danzst mit 'm
+— ond ietz danz!« — »Ond i sag, i ka' net«, versetzte die Gret. Der
+Schneider warf einen Blick auf sie, als wollte er seinen Ohren nicht
+trauen. »Des send Dommheita'!« rief er entrüstet; — und großartig
+setzte er hinzu: »Was ih sag, mueß gscheha'!« — Die Gret sah ihn von
+der Seite an und sagte: »Aber Alles doch wohl net — hoff e! A bisle
+ebbes wurd wohl no' ahganga' (abgehen)!« — Der spöttische Ton dieser
+Entgegnung indignirte den Schneider auf's Höchste. Bebend vor Zorn rief
+er: »Zom letschtamol sag e d'r: danz! Auf der Stell! — Oder 's got d'r
+schlecht!«</p>
+
+<p>Reden und Gegenreden dieses Dialogs waren so rasch aufeinander gefolgt,
+daß der Schneidergeselle aus Nördlingen keine Zeit gefunden hatte,
+zu sagen, was ihm, von der Ehre geboten, auf der Lippe schwebte.
+Jetzt setzte er's endlich durch. Indem er sich vor der Gret ironisch
+verneigte, rief er mit höhnendem Ton: »Ich bitt' recht sehr —
+<em class="gesperrt">ich</em> dank' jetzt schön für's Tanzen — und wünsch' der Jungfer
+gute Besserung!« — Mit dem Bewußtsein, das »einfältige Weibsbild« nach
+Verdienst getroffen zu haben, verließ er die Stube.</p>
+
+<p>Der Schneider stand da mit gefährlicher Miene. Seine Brust arbeitete,
+seine Lippen zitterten, seine Rechte gerieth in eine zuckende Bewegung.
+Das Schlimmste, Peinlichste war ihm widerfahren! Er<span class="pagenum" id="Seite_387">[S. 387]</span> war blamiert —
+blamiert vor einem Collegen aus der Stadt! — War ihm »vor den Leuten«
+Zurückhaltung geboten und konnte er nicht wie er wollte, so mußte er
+der impertinenten Person doch wenigstens die Wahrheit <em class="gesperrt">sagen</em>.
+Nachdem er sie eine Zeit lang angesehen, begann er: »Doh hab e Respekt!
+Des send Maniera'! Ih führ' de auf d'Kirwe, ond du duast von dem, was
+e sag, d's Gegendeil ond benemmst de gegen 'n Mann aus der Stadt wie
+a grobs Bauramädle, daß e an der Schand dohstanda' mueß? — Pfui!« —
+Die Wichtigkeit, womit der Bursche die Sache aufnahm, und die drohenden
+Blicke, die er ihr dabei zuwarf, waren dem Mädchen zum Lachen; aber
+sie hielt an sich und erwiederte ruhig: »I ben wärle müed gwesa', i
+hab net g'loga'! Soll e danza', wann e koen Luhst derzue hab?« —
+»Ja«, entgegnete der Schneider wild, »wann <em class="gesperrt">ih's</em> sag!« — Das
+war dem Mädchen zu viel; unwillig und mit der geringschätzigen Miene
+des Unwillens erwiederte sie: »Ach was! — i ka' doch net mit alla'
+Schneider danza'n em ganza Boerland?«</p>
+
+<p>Diese Worte, nach welchen die Mienen der Gret überdieß sich etwas
+erheiterten, rissen die Schranken, die den Zornausbruch des Schneiders
+noch zurückgehalten hatten, nieder. Mit grimmiger Wuth, am ganzen
+Leibe zitternd, rief er: »Du bist a'n o'verschämta' Perso'! A frechs
+Lompamensch! Was? Ih führ' de auf d' Kirwe aus Erbarma', ond du willst
+me no' verspotta'? I hätt' 'n gueta' Luhst« —</p>
+
+<p>Auf einmal ließen sich hinter ihm die streng betonten Worte hören: »Wie
+ka'st du de onderstanda', mit 'm Mädle, wie die Great ist, so z'reda'?«
+— Der Schneider sah sich um — und fuhr zusammen. Michel stand vor
+ihm in dem schreckeneinflößenden Ernst des Richters. — Der Große und
+der Kleine sahen sich einen Moment an. Plötzlich, wie sich auf etwas
+besinnend, faßte sich der letztere und entgegnete keck: »Got des dih
+ebbes a'?« — »Ja«, versetzte Michel mit Nachdruck. »A'n ordentlicher
+Kerl leidt's net, wann 'm Weibsbild ebbes gschicht — und (setzte er
+geringschätzig hinzu) voara' (voran, noch dazu) von 'm Schneider!«
+— Der Kleine zuckte; dann streckte er sich, sah zu dem Gegner mit
+vielsagendem Gesicht empor und erwiederte, indem er drohend den
+Zeigefinger erhob: »I will d'r ebbes rotha', Michel! — mach de ha'et
+net z'mauseng!« — Der<span class="pagenum" id="Seite_388">[S. 388]</span> Enakssohn lachte herzlich. — »Ja«, fuhr der
+Schneider fort, »lach nor! — für dih fend' ma'n oh no' 'n Moester!«
+— »Bist am End du's?« fragte Michel heiter; und mit gemüthlichem
+Selbstgefühl setzte er hinzu: »Gang weiter, Schneiderle! Wann e de
+a'blos (anblase), no' fliegst zor Stub naus!«</p>
+
+<p>Ein Kichern, das diesen Worten am untern Ende der Tafel folgte, und
+das unwillkürliche Lächeln der Gret, die aufgestanden und ein wenig
+zurückgetreten war, machte den Beleidigten rasend und raubte ihm den
+letzten Rest der Besinnung; — die Zähne fletschend ging er auf Michel
+los, packte ihn am Arm und suchte ihn niederzureißen. Der Gewaltige
+schüttelte ihn ab und rief: »Schneider, Schneider! — i roth dr's en
+Guetem — höar auf!« — Der Schneider, der diese Ruhe mißverstand,
+attakirte von neuem. Michel faßte ihn beim Arm, hielt ihn zurück und
+rief mit funkelnden Augen: »Ietz sei ruheng — oder i stand für nex
+mea' guet!« — Aber der Schneider, der einen Blick auf die Thüre
+geworfen hatte, machte sich mit wüthender Anstrengung los, packte den
+Gegner an der Juppe, riß — und riß ein Stück davon herunter. Das war
+über allen Spaß. Michel nahm ihn und warf ihn zu Boden, daß es krachte.</p>
+
+<p>Es war die erste wohlthätige Empfindung für den guten Burschen seit
+langer Zeit! — Aber wie dehnte sich nun seine Brust! Welch eine
+Begier entstand in ihm, fortzufahren und sich durch eine großartige
+Uebung der Kräfte, die so lange geruht hatten, das gepreßte Herz zu
+erleichtern! — Es war ihm wie einem Esser, der mit einem Riesenappetit
+auf dem Tisch nur ein Cotelettchen vorgefunden hat und nach dessen
+Verschlingung mit schmerzlichem Verlangen eine seiner würdige Mahlzeit
+herbeisehnt. »Mehr, mehr, mehr!« rief es in ihm, als der aufgestandene
+Schneider von neuem auf ihn losging. — Sein Wunsch sollte erfüllt
+werden. Der Schneider, in Gefahr wieder auf den Boden zu fliegen, rief
+mit desperater, durchdringender Stimme: »Brüder, helft!!« — und in
+kürzester Zeit fühlte sich Michel von einem halben Dutzend Burschen
+zugleich angefallen.</p>
+
+<p>Es waren Gegner von ihm, Kameraden des Schneiders und zu Schutz und
+Trutz mit ihm verbunden, die von andern Tischen und vom Tanzboden
+herbeigeeilt waren und nun mit vereinten Kräften zu<span class="pagenum" id="Seite_389">[S. 389]</span> siegen hofften.
+Sobald der Enakssohn die Kerle an sich schlagen und zerren fühlte,
+athmete er tief auf und — begann seine Arbeit.</p>
+
+<p>Er verrichtete Thaten, die würdig wären, von einem Homer Zug für Zug
+geschildert zu werden. Seine ungeheure Körperkraft im gerechtesten
+Kampf — der Trieb und die Lust, für <em class="gesperrt">sie</em> etwas zu thun, vor ihr
+in seiner Glorie sich zu zeigen — befähigten ihn zu wahren Wundern. Er
+schüttelte ab und schleuderte von sich, er drosch und schlug nieder,
+er ergriff ein paar Kerle, die just zu haben waren, und stieß ihnen
+die Köpfe zusammen — kurz, er that Alles, was der Verlauf des Kampfes
+nothwendig machte, — mit unwiderstehlicher Gewalt. Kein Hieb und kein
+Stoß ging daneben.</p>
+
+<p>Die Unterstützung des Schneiders war zu schnell nöthig geworden, als
+daß seine Kameraden sich mit den bei solchen Händeln üblichen Waffen,
+als da sind: Stuhlfüße, Holzscheiter u. s. w. — hätten versehen
+können. Der Kampf gegen den Unbewaffneten wurde darum ehrlich mit
+Fäusten geführt. Nur ein Bursch ergriff einen steinernen Maßkrug,
+um den Simson des Dorfes von hinten auf den Kopf zu schlagen, der
+nicht mehr von der Fischotterkappe bedeckt war. Er wurde von Kaspar
+weggerissen und auf die Seite gestoßen.</p>
+
+<p>Der Kamerad Michels war auf den Hauptlärm auch vom Tanzboden hergeeilt
+und eben recht gekommen, diesen Hieb zu verhindern, der dem Schädel
+Michels, vielleicht aber auch nur dem Krug verderblich werden konnte.
+Der Treue war muthig und nervenkräftig und hätte dem Freund gerne
+ferner geholfen — wenn es nur nöthig gewesen wäre. Allein er sah, wie
+dieser schaffte, — er sah, was er schon geleistet hatte, und überließ
+ihm den Rest.</p>
+
+<p>Das Getöse des Kampfes hatte bald auch Zuschauer herbeigezogen, und
+die drei Studenten waren nicht die letzten. Als sie einen Burschen
+erblickten, der seine Gegner, die sich wie Katzen an ihn anklammerten,
+immer wieder von sich schleuderte und inmitten eines ihn umdrängenden
+wüthenden Haufens fest auf den Beinen blieb, ließen sie Ausrufungen der
+Bewunderung hören und folgten der Scene mit größtem Interesse. Auch ein
+paar muthige Damen hatten sich an die Thüre der großen Stube gewagt und
+lugten mit<span class="pagenum" id="Seite_390">[S. 390]</span> Antheil auf den Kampf, hauptsächlich aber auf den Kämpfer,
+der, einen Kopf über die Andern hinausragend, so preiswürdige Dinge
+that.</p>
+
+<p>Die theilnehmendste und zugleich antheilswertheste Zuschauerin
+von allen war aber die Gret. Ihr Herz wurde nach einander von
+Empfindungen ergriffen, die sie in durchaus unbekannte, wunderbar
+neue Regionen emporrissen. — Die ersten Worte Michels, der so
+unerwartet und mit solchem Ansehen ihr zu Hülfe kam, hatten sie mit
+Wohlgefühl überrieselt. Sie starrte ihn an, erröthend, verlegen — mit
+durchbrechender Freude. Als der Schneider den Gewaltigen anpackte, rief
+sie: »Bist du rasend?« — und wollte ihn, von dem drohenden Streit
+erschreckt, in seinem Interesse zurückziehen. Wie sie nun aber den
+Vertheidiger umringt sah, da fühlte sie eine andere Regung; muthig
+stürzte sie auf einen der Bursche zu, ergriff ihn und wollte ihn
+wegreißen. Allein Michel stieß eben diesen Gegner auf die Seite, daß
+er über eine Bank taumelte — — und als sie die Riesenkraft sah, mit
+der er allein sich Aller erwehrte, und der Glaube, daß ihm keiner was
+anhaben könne, unwiderstehlich in ihrem Gemüth auflebte, da trat sie
+auf die Seite.</p>
+
+<p>Mit klopfendem Herzen und wogender Brust sah sie auf den Kampf, der wie
+ein Sturm vor ihren Augen brauste. Sie sah die Uebermacht des Mannes,
+der ihr immer von allen der liebste gewesen war, mit Staunen, mit
+Entzücken. Was konnte es für sie Herrlicheres geben? Was konnte sie
+Schöneres und Rührenderes erblicken? Das that er für sie! Das that er,
+nachdem sie mit ihm getrutzt hatte wegen nichts und wieder nichts! Er,
+der größte und stärkste, aber auch der wackerste, der rechtschaffenste
+Bursche. Verschwunden war Alles, was ihr an ihm jemals lächerlich oder
+ärgerlich vorgekommen war — verschlungen von der Flamme der Kraft und
+des Muthes, die vor ihr aufloderte. Sie sah nichts als den Helden,
+der um ihretwillen kämpfte und Alle niederstreckte! Sie sah ihn mit
+überströmendem Gefühl, mit wonnigem Stolz. Ihre Lippen zuckten; Thränen
+traten ihr in die Augen und rollten die glühenden Wangen hinab. — —</p>
+
+<p>Michel war fertig — der Kampf geendet. Drei der Gegner lagen am Boden
+und versuchten aufzustehen, wozu ihre Mädchen, die sich vergebens
+bemüht hatten, auszuwehren, ihnen die Hände reichten.<span class="pagenum" id="Seite_391">[S. 391]</span> Ein paar andre
+konnten nicht mehr aus den Augen sehen und traten wankend zurück.
+Der Schneider und sein Nördlinger College, der ihm tapfer zu Hülfe
+geeilt war, hatten geschwollene, blutende Nasen, blaue Augenringe
+und zerrissene, rothbefleckte Kleider. Michel stand siegreich da!
+Starkathmend, das Gesicht erhitzt und schweißtriefend, die Haare in
+Unordnung, die Juppe ohne den linken Flügel — aber aufrecht und in der
+ganzen Freude des Triumphs. Ins Gesicht hatte ihn keiner getroffen,
+dafür hatten seine Arme gesorgt — und die blauen Flecke auf dem Leib
+sah man nicht.</p>
+
+<p>Seine Blicke suchten die Gret. Er sah sie, die Wangen thränenfeucht,
+aber die Augen selig glänzend — und schnell wie der Blitz erhellte
+seine Seele die Erkenntniß ihres Gemüthes. Mit stolzem Lächeln ging er
+auf sie zu und rief: »No, Margret, bist z'frieda' mit m'r desmol?« —
+»O Michel«, erwiederte das Mädchen mit einem Ton aus tiefster Seele, —
+— »o Michel, was bist du für a Burscht!« — Michel sah sie liebevoll
+an und nahm sie bei der Hand. »Ja« sagte er, »schwätza' ka'n e freile
+net wie a'n Anderer, ond danza'n ond sprenga' ka'n e net, wie se's
+ghöart — aber ebbes ka'n e doch doa' für a Mädle, auf die e ebbes
+halt!« — Die Gret schwieg und drückte ihm zärtlich die Hand.</p>
+
+<p>In der Gewißheit seines Glücks und im Schwunge des Siegergefühls
+wandelte den Burschen eine heitere Laune an. Die Hand des Mädchens
+loslassend und einen Schritt zurücktretend sagte er: »Aber wärle —
+i dua' grad als ob du mei' Schatz wärst, ond vergiß ganz, daß dei'
+Burscht doh ist, der de auf d'Kirwe gführt hot. Wamma' se von oem ens
+Wirthshaus führa' loßt ond gar mit 'm auf da' Plahtz got« — — Die
+Gret war bei den ersten Worten erröthet; nun fiel sie ihm in die Rede
+mit einem Blick zugleich der Liebe, der Scham und des Vorwurfs: »Ist
+m'r denn ebbes anderst's überblieba', om di z'ärgera' ond eifersüchteng
+zmacha?« —</p>
+
+<p>Ein Seufzer ließ sich in der Nähe vernehmen. Er kam von dem
+unglücklichen Schneider, der an einem Seitentisch in eine
+wassergefüllte Schüssel sich wusch und nun hören mußte, daß er von der
+Gret nur als Mittel benutzt worden war. »Des oh no' (das auch noch)«,
+rief der arme Kerl, indem er mit tragikomischer Miene nickend in die<span class="pagenum" id="Seite_392">[S. 392]</span>
+Schüssel sah. Michel aber ging strahlenden Angesichts auf das Mädchen
+zu, ergriff ihre Hand und rief: »So isch gmoet gwesa'? — No, nocht
+ghöarst mei' — ond der Deufel en der Höll soll de mir net widder
+nemma'!« —</p>
+
+<p>Die ganze Scene des Streites und der Verständigung unsres Paars
+war natürlich schneller vorübergerauscht, als wir sie zu schildern
+vermochten. Jetzt, nachdem sich Alles begreiflich gelöst und der Kampf
+durch die Reden der Liebenden Licht und Sinn erhalten hatte, drängte
+man sich theilnehmend zu diesen heran. Der treue Kasper gab erst dem
+Freunde die Hand, dann, mit heiterm Zunicken, dem Mädchen, und wurde
+von dieser durch einen herzlich dankbaren Blick belohnt. Die Studenten
+konnten nicht widerstehen — sie mußten den Triumphator preisen und ihm
+gratuliren, was der Bursche mit wohlgefälliger Würde entgegennahm. —
+Allgemeine Heiterkeit füllte die Stube. Sämmtliche Zuschauer hielten
+es mit dem Sieger und Glücklichen und warfen spöttische Blicke auf die
+Geschlagenen, die den Schaden hatten. — In dieser Beziehung machen
+sie's im Ries gerade so, wie anderwärts! —</p>
+
+<p>Michel, in der Höhe seiner Stimmung, wandte sich zu seinem sonstigen
+Nebenbuhler und sagte halb mit Laune, halb gutmüthig: »Schneider — nex
+für o'guet! I sig ietz scho' daß eigentlich du an mei'm Glück Schuld
+bist — ond i bedank' me schöa'!« — Der Schneider, in welchem die
+Wuth verdampft war und einem gewissen desperaten Humor Platz gemacht
+hatte, erwiederte sich die Nase reibend: »I bedank' me oh schöa'!« —
+Das Gelächter, das auf diese Art von Witz folgte, war die erste kleine
+Genugthuung, die dem armen Burschen nach seiner Niederlage zu Theil
+wurde. Michel fühlte einen Trieb, ihn wieder aufzurichten, und fuhr
+fort: »Onder o's gsakt, Schneider, du bist a Deufelskerl! Wann alle so
+gschwend ond so wüadeng gwesa' wäret wie du — i hätt' wärle koe Fetzle
+Häs mea' auf'm Leib. Aber i will d'r ietz zoega', daß e oh ebbes für
+de doa' ka'. Weil d'mer mei' Jupp so schöa' verrissa host, ietz sollst
+m'r grad a nuia' macha' därfa'. Von ha'et a' loß e bei dir arbeta',
+ond i hoff, i ka' d'r bald meaner z'doa geba'!« — »Ist m'r a'n Ehr'«,
+erwiederte der Schneider mit ironischer Höflichkeit.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_393">[S. 393]</span></p>
+
+<p>Die Gret hatte dem Michel mit froher Verwunderung zugehört. Wie kam er
+plötzlich dazu, mit Andern Spaß zu machen und so nette Dinge zu sagen?
+— Eine neue Tugend, die sie ihm nicht zugetraut hätte, und deren
+Hervortreten sie nun in große Freude versetzte.</p>
+
+<p>Die Scene war friedlich, ja ergötzlich geworden. Sie hatte große
+Aehnlichkeit mit der Auflösung eines Lustspiels, wo Alles in Heiterkeit
+verschlungen und der heftigste der vorangegangenen Conflicte eben am
+pikantesten erscheint. Zum Glück hatte der Streit keine tragischen
+Folgen gehabt. Niemand war gefährlich verletzt. Die Geschlagenen
+und Betäubten erholten sich wieder, nahmen Trost an und hofften in
+wenigen Tagen geheilt zu sein. Alles fügte sich in seine Lage, und das
+Vergnügen wollte eben wieder seinen Lauf nehmen, als auf einmal von
+außen der entrüstet herrische Ruf erscholl: »Wo ist's? Wer hat die
+Frechheit gehabt« —</p>
+
+<p>Ein Gendarm trat herein, nicht einer von den gutmüthigen und
+volksfreundlichen, wie es deren giebt, sondern ein grimmiger, der als
+Repräsentant des Gesetzes das Gefühl hatte, daß sich eigentlich Alles
+vor ihm verkriechen müsse. Er hatte, im Freien spatzierend, erst jetzt
+von der Schlägerei Kenntniß erhalten und eilte herbei, die Schuldigen
+herauszufinden und Anzeige zu machen. »Wer hat hier geschlagen? Wie ist
+der Streit angegangen? — Antwort!« Auf diese mit funkelnden Augen und
+vernichtender Miene herausgestoßene Rede, trat Michel großartig vor
+und sagte: »Ih ben's, der Streit ghett hot! — i hab a halbs Dutzet
+Kerl zammgschlaga' die auf me loasganga' send — ih alloe! Mei' Nam'
+ist Johann Michael Schwab, ond i ben vom Dorf. So, ietz woeß er, was
+er wissa' mueß. Ietz zoeg 'r me a', ond was m'r noch'm Rehcht ghöart,
+des will e haba'.« — Der Gendarm, von dem riesigen Burschen etwas
+imponirt, aber von dem Stolz dieser Rede noch mehr indignirt, versetzte
+streng und mürrisch: »Was ist das für a Rüpelei — Raufen!« — Schon
+war Michel bereit, dem Gendarmen hinauszugeben, was ihm nach seiner
+Meinung gebührte, als auf einmal ein junger Bursche aus der Menge
+heraus mit schelmisch heller Stimme rief: »Der Schneider hot a'gfangt!«</p>
+
+<p>Allgemeines schallendes Gelächter folgte dieser Erinnerung an eine
+komische Wahrheit und ließ sich nicht mehr beruhigen. Der Gendarm<span class="pagenum" id="Seite_394">[S. 394]</span> fand
+für gut, sein strenges Wesen, auf das niemand mehr achtete, bei Seite
+zu setzen und mit pflichtmäßiger Ruhe die zu seiner Anzeige nöthigen
+Erkundigungen einzuziehen. Während dem faßte die Gret den Michel bei
+der Hand und sagte im Ton herzlichen Bedauerns: »Ietz kommst no' en
+O'gelegenheit, Michel — wega' mir! — 'S duet m'r wärle recht von
+Herza' Loed (Leid)!« — »Bah«, erwiederte der Bursche, — »da' Kohpf
+kost des no' lang net! — Ond wanns anderst ganga' wär' — ond wanns 'n
+kosta' dät, — 's dät me net ruia (reuen)!« — Das war ein Compliment
+für die Gret! — Das Mädchen fand, daß Michel auch besser reden könne,
+als alle Bursche, die sie bis jetzt gehört hatte — und ihre Freude
+kannte keine Grenzen.</p>
+
+<p>Nach einer Weile finden wir das Paar auf dem Weg zu dem Hause Michels.
+Die Fischotterkappe und der abgerissene Juppenflügel hatten sich
+wieder gefunden und dieser war von der Gret angegluft worden, so daß
+unser Held mit Ehren durch die Gasse gehen konnte. Eine Ueberraschung
+war der Mutter freilich nicht mehr zu bereiten, denn Kasper, der
+Getreue, hatte sich schon zu ihr verfügt und ihr Alles erzählt. Die
+gute Alte fühlte eine unendliche Liebe zu der Gret. Wäre sie eine
+gebildete Frau gewesen, sie wäre der Schönen, Lieben und Klugen mit
+den zärtlichsten Ausdrücken um den Hals gefallen. Als ein Weib aus
+dem Dorfe, wo Umarmungen weniger vorkommen, ergriff sie die Hände der
+künftigen Söhnerin und preßte sie, während die herrliche Erfüllung des
+so lange versagt gebliebenen und schon aufgegebenen Herzenswunsches ihr
+Freudenthränen in die Augen trieb. »No«, rief der Sohn ihr vergnügt zu,
+»hab e net gsakt, daß i ebbes durchsetz', wann i amol drauf ausgang'?«
+— »Ja, des glob e«, erwiederte die Mutter, »wamma' des Glück hot,
+wo du ha'et ghett host; doh ka'n a'n ieder zu ebbes komma'!« — »Ja,
+lieba' Mueter«, versetzte Michel, »Glück mueß ma'n allweil haba',
+wamma'n ebbes durchsetza' will en dear schlechta' Welt! Ohne des got
+nex!« —</p>
+
+<p>Wir brauchen nicht zu sagen, daß der wackre Vater der Gret, zu dem man
+sich gleich nachher verfügte, unserm Paar kein Hinderniß<span class="pagenum" id="Seite_395">[S. 395]</span> in den Weg
+legte. Er mußte sich am Ende auch sagen, daß der Michel als Mann der
+Gret eine bessere Figur mache als der gute Jakob. Nachdem er seine
+Einwilligung ertheilt hatte, sah er übrigens die Tochter lächelnd an
+und sagte; »O uir Weibsbildr, en ui kennt se doch koe Mensch aus!« —
+Michel, seinen Arm um die Geliebte schlingend, erwiederte heiter: »I
+moenet ietz doch, i dät me auskenna' en dear doh!« —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Unsere Geschichte ist zu Ende. Damals glaubte man nicht, daß die
+bürgerliche Gesellschaft in Gefahr sei, wenn bei einem Bauernfest
+eine kleine Schlägerei vorfiel. Man faßte bei Gericht die Sache von
+der heitern Seite auf und die Betheiligten kamen mit verhältnißmäßig
+leichten Strafen davon.</p>
+
+<p>Auf den Schneider hatte die Erfahrung, die er machte, eine günstige
+Wirkung. Nachdem er als derjenige, welcher nachweislich zuerst
+geschlagen, auch noch am bedeutendsten gestraft worden war, fühlte er
+sich von dem »Spruhz«, der ihn bis dahin besessen hatte, so ziemlich
+geheilt. Er lernte sein Verhältniß zur Welt in richtigerem Lichte
+sehen und verzieh nach Art der gutmüthig eiteln Menschen nicht nur dem
+Michel, sondern auch der Gret, welche bei schicklicher Gelegenheit
+ihn herzlich um Verzeihung bat und hinzufügte: daß sie sich eine
+solche Freiheit nicht genommen hätte, wenn er nicht ihr Vetter und ihr
+außerdem als herzensguter Mensch bekannt gewesen wäre! — Bald nachher
+sagte der Gute zu seinen Kameraden: »Am End isch mei' Glück', daß e
+die net kriegt hab!« Und die Kameraden stimmten ihm lachend bei. In
+der Folge heirathete er eine Kleine, Feine und Gutmüthige, die ihn
+respectirte, und lebte als Dorfschneider zufrieden und glücklich.</p>
+
+<p>Unser Paar feierte den Ehrentag noch in demselben Jahre. In der
+Zwischenzeit hatte die Gret den Michel so weit gebracht, daß er nach
+dem Heimgang von der Kirche zu allgemeinem Beifall mit ihr<span class="pagenum" id="Seite_396">[S. 396]</span> tanzte.
+Unter dem Gemurmel desselben sang Kasper, der Hochzeitknecht, mit
+fröhlicher Miene das Liedchen, womit wir Erzählung und Buch beschließen
+wollen:</p>
+
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Die ersten drei Reihen</div>
+ <div class="verse indent0">Sind aus und vorbei,</div>
+ <div class="verse indent0">Und nun steht das Tanzen</div>
+ <div class="verse indent0">Jedem Anderen frei! —</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowe10" id="illu-408">
+ <img class="w100" src="images/illu-408.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<p class="p2 center">Berlin, Druck von <em class="gesperrt">W. Büxenstein</em>.</p><br>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3>
+
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> Von Düppel, einer Kopfkrankheit der Schafe, wobei sie sich
+wie blödsinnig benehmen.</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_4" href="#FNAnker_4" class="label">[4]</a> Er ist jetzt in eine hübsche Anlage verwandelt.</p>
+</div>
+</div>
+
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75688 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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