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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/75688-0.txt b/75688-0.txt new file mode 100644 index 0000000..99d21a3 --- /dev/null +++ b/75688-0.txt @@ -0,0 +1,14121 @@ + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75688 *** + + + +======================================================================= + + Anmerkungen zur Transkription. + +Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des +Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler +sind stillschweigend korrigiert worden. + +Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~. + +======================================================================= + + + + + Erzählungen aus dem Ries. + + Von + + Melchior Meyr. + + + [Illustration] + + + + + Berlin, 1856. + + Verlag von Julius Springer. + + + + + Inhalt. + + + Seite + Ludwig und Annemarie 1 + + Die Lehrersbraut 109 + + Ende gut, Alles gut 277 + + + [Illustration] + + + + + Vorwort. + + +Die erste der drei Erzählungen dieses Bandes wurde 1852 im +~Morgenblatt~ veröffentlicht. Der Beifall, den sie erhielt, und +die freundliche Aufforderung von Seiten der Redaction veranlaßten mich, +im letzten Winter die zweite zu liefern. Die dritte, im laufenden Jahr +geschrieben, erscheint hier zum erstenmal. + +In der Einleitung zur ersten habe ich über das ~Ries~ die nöthigen +Aufklärungen gegeben und meine Ansicht über das Genre ausgesprochen, +das ebenfalls zu cultiviren ich mich berufen fühlte. Zur Unterstützung +des dort Gesagten nur wenige Bemerkungen. + +Das, was man unter dem Namen »Dorfgeschichte« begreift, ist in +Bezug auf idyllische Darstellung im weiteren Verstande des Worts +ein Fortschritt, in sofern darin von erträumten Zuständen und +schablonenmäßiger Behandlung zur Auffassung der Natur und des +wirklichen Lebens übergegangen ist. Man gewann neue, frische +Gegenstände und eine neue Behandlung; und das Publikum überzeugte sich, +daß die Personen in den gelungensten dieser Erzählungen darum, daß +sie lebenswahr und individuell im Bilde stehen, an Reiz und Interesse +keineswegs verloren haben. Der Beifall, den diese Erzeugnisse fanden, +mag mit daran Schuld sein, daß man Anklagen gegen sie erhoben hat, +die nur ihre schwachen Nachahmungen treffen. Die Dorfgeschichte soll +freilich das getreue Bild eines wirklich vorhandenen Landlebens +aufstellen; allein ist der Erzähler dichterisch begabt, so verhindert +ihn nichts, dieses Leben poetisch zu verklären. Er kann das Material, +das ihm die Wirklichkeit bietet, zu einem Organismus ausprägen, der auf +den Leser alle Eindrücke eines künstlerischen hervorbringt. Er kann es +-- wenn er der Mann dazu ist. + +Von Seiten derer, die in Fragen der Poesie nicht zu entscheiden +berechtigt sind, weil sie ihre Begriffe nur von einzelnen Erscheinungen +derselben abgezogen haben und das Werdende und das Seinsollende -- +das Ideal nicht in Anschlag bringen können -- von Seiten dieser +in Deutschland nicht seltenen Urtheiler ist die Würde und die +Bedeutung des Gegenstandes angestritten worden, auf den sich der +Dorfgeschichten-Erzähler gewiesen sieht. Allerdings bewegt sich das +Leben des Landvolks -- und nun gar das eines bestimmten Landvolks! +-- in genau begränzter Sphäre. Allein innerhalb derselben findet +sich gleichwohl alles Menschliche -- alle Tugenden und Schwächen +des Menschen und eine reiche Bethätigung derselben -- wenn auch in +eigenthümlichen, nach gewisser Seite hin beschränkenden Formen. Wer das +Alles nun klar zu sehen -- wer die Tugenden und Fehler in Aufdeckung +ihrer Quellen treu zu schildern und in das Licht wahrer poetischer +Gerechtigkeit zu erheben, wer dem vorgeführten Conflict in Handhabung +dieser Gerechtigkeit einen befriedigenden Schluß zu geben vermag -- +wie sollte der abgehalten sein, in Darstellung solchen Lebens ein +poetisches Werk hervorzubringen? + +Von dem Erzähler, der auf diesem Gebiete dem Ideal sich nähern soll, +ist freilich außer der poetischen Begabung noch Eines unabweislich +gefordert: er muß unter dem Volke, das er zu schildern unternimmt, +gelebt und Leid und Freud mit ihm getheilt haben. Er muß im Innern der +Familien heimisch sein und seine Leute in Situationen gesehen haben, +die ihre derbere Natur und ihr einfacheres Wesen auch wirklich in +Bewegung zu setzen und zu antheilerweckenden Aeußerungen aufzuregen +vermochten. Dem flüchtigen Beobachter wird das Landvolk im Guten und +im Schlimmen sich nicht offenbaren, und weder im Wirthshaus noch in +der Amtsstube kann man den ganzen Bauer kennen lernen, weil hier wie +dort nur einzelne Seiten zum Vorschein kommen, und zwar keineswegs die +besten. Mit der Kenntniß des Gesammtlebens, wie sie nur der Mitlebende +sich erwirbt, muß der Autor zugleich jene Liebe zum Volke verbinden, +ohne die es unmöglich ist, das Schöne und Gute in ihm zu sehen und +herzgewinnend hervorzubilden. Allein die wahre Kenntniß und die Liebe +gehen immer Hand in Hand; denn nur die Liebe ist im Stande, wahre +Kenntniß zu erlangen. + +Der Dorfgeschichten-Erzähler, in welchem die erforderlichen +Eigenschaften vereinigt sind, hat von seinem Gegenstand, der ihn auf +der einen Seite beschränkt, auch wieder ganz eigenthümliche Vortheile. +Er schildert Menschen, die entschieden ausgeprägt sind, und doch in +einer Sphäre der Naivität sich bewegen, die ihren Aeußerungen den Reiz +des Kindlichen verleiht und auch bei den ergreifenden uns ein Lächeln +entlocken kann. Rührung und Erheiterung -- wie dies namentlich auch die +Werke Jeremias Gotthelfs beweisen -- gehen in seiner Darstellung eng +verbunden zusammen. Das unmittelbare Sinnen- und Gemüthsleben, das in +der Sphäre unverdorbener Landleute herrschend ist, giebt auch der hier +bewußtesten Persönlichkeit und den von ihm entferntesten Eigenschaften +noch etwas von seinem Gepräge. Die ~Natur~ in ihrer Kraft, in +ihrem quellend frischen Leben, das uns umfließt, wie das Wasser des +lebendigen Stromes die Glieder des Badenden, sie, die nährende Trägerin +alles Lebens ist es, die ihr Füllhorn ausgießt, wenn der Darsteller nur +den Geist hat, dem sie liebend und mittheilend entgegen kommt! -- + +Ist die Möglichkeit einer wesentlich poetisch gehaltenen Dorfgeschichte +bewiesen, dann wird es Erzählungen, die in der That poetisch wirken, +nicht zum Vorwurf gemacht werden können, daß durch sie zugleich noch +andere Zwecke erreicht werden. Wenn sie, von ästhetischer Ergötzung +abgesehen, zur Kenntniß des Volkes, seiner Denkweise und Sitten +beitragen; wenn sie auf die Frage der Volkserziehung beachtenswerthe +Lichter werfen; wenn sie die geistige Scheidewand niederreißen helfen, +die zwischen den gebildeten Klassen und den Landleuten noch besteht, +und die einseitigen Begriffe, die sich jene von diesen machen, +berichtigen -- wenn sie den Beweis liefern, daß man sich des deutschen +Bauers gerade nicht zu schämen hat, und die gebildeten Classen zu +dem Gedanken erheben, daß sie mit dem richtig erkannten und richtig +behandelten Bauer Ein Volk zu bilden haben -- dann wird dies an solchen +Erzählungen kein Mangel, sondern nur eine Tugend mehr sein. + +Wie weit ich mich in den folgenden Erzählungen dem Ziele, das ich mir +hiernach stecken mußte, genähert habe, das mögen berufene Kritiker und +freundliche Leser entscheiden. Kenntniß des Volks, das ich schildere, +und Liebe zu ihm wird mir nicht abzusprechen -- und das Streben, aus +dem ächten Material Kunstwerke zu bilden, wird nicht ganz ohne Frucht +geblieben sein. Die Gedanken, die der ersten und der zweiten Erzählung +zu Grund liegen und durch sie zur Anschauung gebracht werden sollen, +treten dem Urtheilenden so klar entgegen, daß ich über sie nichts +weiter zu sagen habe. Auch der dritten, in der ich den ungedämpften +Realismus des Riesers in die Sphäre des Humors zu erheben trachtete, +wird man vielleicht die Bedeutung eines Gleichnisses zugestehen. Die +Aufgabe, die ich mir hier gestellt, bedingte in den Gesprächen die +durchgängige Anwendung des Dialekts, worin die geführten Reden allein +die erforderliche Natürlichkeit und humoristische Kraft haben. Allein +der Rieser Dialekt ist leicht zu verstehen, und einzelne schwierige +oder in der Schriftsprache nicht gebräuchliche Ausdrücke sind in +Parenthesen erklärt. Bei gewissen Gegenständen ist die Mundart für +den geistigen Menschen, was die Landestracht für den leiblichen; und +wenn die schönwissenschaftlichen Arbeiten nebenbei die Kenntniß der +deutschen Dialekte fördern, so wird das wohl ebenfalls eine löbliche +und nicht unzeitgemäße Eigenheit sein. + +Zur richtigen Lesung und zum Verständniß jener Gespräche werden +folgende Nachweisungen dienen. + +Im Rieser Dialekt, ähnlich wie in andern, wird vielfach das n nicht +ausgesprochen, aber der Nasenton des ihm vorhergehenden Vokals oder +Diphthongen beibehalten. Die »Bahn« wird zur »Bah'«, aber das a darin +ebenso durch die Nase wie in dem hochdeutschen »Bahn« -- also wie das +französische +ban+ ausgesprochen. »Es scheint« wird »es schei't«; +der Diphthong behält den Nasenton des »scheint« und das Wort darf +keineswegs wie Scheit (Holz) gelesen werden. -- Ich habe diesen Ton +durch den Apostroph hinter dem betreffenden Vokal oder Diphthongen +bezeichnet. + +Der Rieser legt bei gewissen Worten nach dem Vocal ein kurz und +gleichfalls durch die Nase zu sprechendes a oder e ein. Er sagt statt +»gut,« guat oder guet, statt »gern« geara'. Guet läßt etwas feiner als +guat. + +In »ab«, »herab«, läßt der Rieser das b unausgesprochen; er sagt »ah«, +»rah«. Abfallen wird Ahfalla'. + +Das au verwandelt man im Ries vielfach in o oder oh, das ei in oe, das +a in o, das i in e. Es heißt z. B. statt rauchen rohchen, statt klein +kloe, statt Mahl Mohl, statt finden fenden. Weiß man dies, so wird aus +dem Zusammenhang der Rede das entsprechende hochdeutsche Wort leicht zu +erkennen sein. Das oe habe ich, damit es nicht ö gelesen wird, in den +ersten Erzählungen mit trennenden Punkten versehen. + +Wie in andern Gegenden Deutschlands, so wird auch im Ries häufig d +gesprochen, wo die Schriftsprache t -- b, wo sie p hat. Man sagt danza' +statt tanzen, doa' statt thun, Bost statt Post etc. + +Für »wir« hat der Rieser »o's« (uns) -- aber nur da, wo der Nachdruck +auf diesem Worte liegt. Er sagt: »O's Rieser« = wir Rieser. »Send o's +net so guet, wie ander Leut?« = Sind wir nicht so gut wie andre Leute? +-- Hat »wir« dagegen nicht den Accent, so wird es zu mer (m'r) oder wer +(w'r). »Mer hont scho' gmuag« = wir haben schon genug. »Reißa' mer's +raus« = reißen wir's heraus. + +Die Betonung hat auch sonst Einfluß auf die Fassung der Worte. »Ich« +lautet, wenn es mit Nachdruck gesprochen wird, »ih«. Bei geringerer +Betonung wird es zu i, bei der geringsten zu e. Es heißt: »Ih solls do' +haba'?« = ~ich~ soll's gethan haben? »Soll i's oh doa'? = soll +ich's auch thun? »Des hab' e do'«, = Das hab' ich gethan. »Dir« lautet +»Dir«, wen es den Accent hat; wo nicht, so wird es zu »Der«, »D'r«. Z. +B. »I hab ~dir's~ gsakt (gesagt). I hab d'r's ~gsakt~.« + +Die Rieser Mundart braucht einzelne Worte in anderm Geschlecht als die +Schriftsprache. »Ich habe keine Lust dazu« heißt: i hab koen (keinen) +Luhft derzua'. »Luft« existirt weiblich und männlich. Die Luft ist +ruhige Luft; der Luft, active Luft, Wind. Man sagt z. B. »'s got (geht) +a starker Luhft!« + +In Bezug auf Deklination ist zu bemerken, daß der Rieser statt des +hochdeutschen Genitivs ein »von« anwendet; z. B. die Größe meines +Sohnes = die Gröaß von mei'm Soh'; -- oder nach dem Genitiv ein Fürwort +setzt: z. B. des Bauern Haus = d's Baura' sei' (sein) Haus. + +In der Conjugation weicht er von der Schriftsprache vielfach ab. Er +conjugirt: I hab (ich habe), du host, er hot; o's hont, uir hont, sie +hont. I wear (ich werde), du wurscht, er wurd; o's wearet, uir wearet, +sie wearet. I sig (ich sehe), du sikst, er sikt; o's sehet (seha't), +uir sehet, sie sehet. »Sie wearet« heißt auch, sie weara', und so +bei andern Zeitwörtern. Vom Imperfectum braucht der Rieser nicht den +Indicativ, wohl aber den Conjunctiv. Statt »ich ging« sagt er: i ben +ganga'. Für »ich ginge wohl« hat er aber: i geang wohl. Wenn er das +Imperfectum »war« anwendet, so bedeutet es entweder »wäre« oder »ist«. +Eigenthümliche Zusammenziehungen sind: Gommer = gehen wir; hommer = +haben wir; lommer = lassen wir. + +Der Hiatus wird im Dialekt möglichst vermieden. A' = ein wird vor einem +Wort, das mit einem Vokal anfängt, zu a'n. Es heißt: a Fueß (Fuß); aber +nicht: a' Aug, sondern a'n Aug. -- + +Das dürfte genügen. Andere Abweichungen, Auslassungen von Buchstaben +und Zusammenziehungen, Dehnungen (die mit Einlegung eines h bezeichnet +sind) bieten für den Leser keine Schwierigkeit. + +Schließlich haben wir nur noch zu bemerken, daß der Schriftsteller in +Gesprächen die mehr oder minder gebildeten Landleute durch minder oder +mehr entschiedenen Dialekt charakterisiren muß. Wenn man also auch +in unsern Erzählungen Variationen antrifft, so wolle man darin keine +Nachlässigkeit oder Willkür, sondern vielmehr das Bestreben erkennen, +den Modificationen zu folgen, die im Leben selber vorkommen. + + ~Ebermergen~ bei Harburg im Ries. + + Der Verfasser. + + + + + Ludwig und Annemarie. + + +Das Ries ist ein Gau im Schwabenlande, einige Stunden nordwärts von der +Donau. Der größte Theil gehört zu Bayern, der nordwestliche Strich zu +Württemberg. Man braucht in diesem Gau nicht geboren zu sein, sondern +nur in guter Jahreszeit darin verweilt zu haben, um ihn für einen der +anmuthigsten und gesegnetsten in unserem Vaterlande zu halten. Wer an +einem schönen Juni-Abend auf einer der westlichen Anhöhen steht und die +von bewaldeten Hügeln umschlossene Ebene erblickt in dem glänzenden +Reichthum ihrer Feldfrüchte, die alte Reichsstadt Nördlingen mit ihrem +hohen Thurm, die fürstliche Residenz Wallerstein mit dem grauen Felsen, +der früher die Burg der Grafen von Wallerstein trug, hier und da ein +wohlerhaltenes Schloß oder ehemaliges Klostergebäude und die Menge +schmucker Dörfer, den wird ein freudiges Gefühl überkommen: er hat +nicht nur eine schöne, fröhliche Landschaft vor sich, sondern er fühlt +zugleich, daß ihre Bewohner begünstigte Menschen waren und sind. + +Das Ries ist eine kleine Welt und birgt eine nicht unbedeutende +Mannigfaltigkeit von Lebenserscheiuungen in sich. Daß es theils +bayrisch, theils württembergisch ist, scheint zu seinem Wesen zu +gehören. Die Bewohner zerfallen in Protestanten und Katholiken, +die zerstreut durcheinander wohnen. Im protestantischen Theile und +namentlich unter den Geistlichen fanden sich vor einigen Jahrzehnten +die Extreme der frommgläubigen und rationalistischaufgeklärten +Anschauung vertreten, von denen die erstere eine sehr rege Thätigkeit +entwickelte. Auch Juden fehlen nicht in dem wohlhäbigen Landstrich. +Sie sitzen an einzelnen Orten, hauptsächlich in Wallerstein, in +verschiedenen Abstufungen des Vermögens und Ansehens, vom reichen +Kaufmann und Geldverleiher an bis herab zum Schmuser, der sich auf +Märkten durch leidenschaftliche Verständigungsversuche seinen Bedarf +erkämpft. Der Dialekt ist schwäbisch in besonderer Ausbildung, an +einzelnen Punkten von Alters her eigenthümlich modificirt. Nördlingen +und Wallerstein liegen kaum eine Stunde auseinander, und doch ist +der ächte Nördlinger von dem ächten Wallersteiner an Mundart und +Betonung sogleich zu unterscheiden. In Oettingen, wie überhaupt +an der nordöstlichen Grenze, herrscht der fränkische Dialekt. Der +Menschenschlag ist arbeitsam, gewerbthätig und von gemüthlichem, +vergnügtem Wesen, sehr geneigt zu Scherz und Neckerei. Man findet +darunter noch viele Exemplare von jenem angenehm drolligen und +komischen Gepräge, das der verständigen Ernsthaftigkeit unserer +Zeit immer mehr weichen zu wollen scheint. Das schöne Geschlecht +macht seinem Namen alle Ehre; auf den Dörfern begegnet man nicht nur +stattlichen und tüchtigen, sondern auch gar feinen und zierlichen +Gestalten. Die Landestracht ist kleidsam, wenn sie mit Geschmack +behandelt und von den Frauen in der Zahl der Röcke ein gewisses Maaß +eingehalten wird. Uebrigens greift auch hier die französische Tracht um +sich, und in dem Anzug der Frauen und Töchter wohlhabender Landleute +findet sich Einzelnes derselben mehr oder minder glücklich mit der +Landestracht verbunden. + +Der Verfasser hängt an diesem Gau mit begreiflicher Liebe. Er ist darin +geboren und hat in ihm die schöne Jugendzeit verlebt. Als Gymnasiast +und Student verbrachte er hier die glücklichsten Ferientage. In dem +Alter, wo man um so reicher an poetischer Empfindung und Anschauung +ist, je weniger man sie noch kunstmäßig auszudrücken vermag, lebte er +das fröhliche Rieserleben mit und nahm mit nie versiegender Freude +seine Eigenthümlichkeiten in sich auf. Die Landschaft, von dem Duft +seiner Jugendgefühle übergossen, hat für ihn einen poetischen Reiz wie +keine andere. + +Schon einmal im dem ländlichen Gedicht: »Wilhelm und Rosine,« das 1835 +erschien und eine Dorfgeschichte in Hexametern genannt werden kann, +hat Schreiber dieses seiner Heimath in Schilderung ihres Dorflebens +seinen poetischen Dank abgetragen. Er versucht es zum zweitenmal in +einer Erzählung. Nach den ächten Darstellungen von von Immermann und +Berthold Auerbach ist das Genre der Dorfgeschichten durch Nachahmungen +bei uns in die Mode und wieder aus der Mode gekommen. Aber das kann +eine getreue Schilderung wirklicher Lebensverhältnisse nicht berühren. +Im deutschen Volke sind noch Schätze zu heben von eigenthümlicher +Art und Sitte, von eigenthümlichen Freuden und Leiden, von besondern +Verbindungen der überlieferten Stammesbildung mit der neuen +Zeitbildung. Wer von einem so bestimmten Leben ein dichterisch treues +Abbild zu geben weiß, der wird empfänglichen Menschen immer Freude und +Nutzen gewähren können. Das Aechte wie das Ewige hat immer seine Zeit; +und auch Annäherungen an das höchste Ziel, wie sie dem frischen Streben +gelingen, werden nicht unwillkommen sein. + +Nun zu unserer Geschichte. Sie hat sich vor einer Reihe von Jahren +zugetragen, wo durch die Ebene noch nicht der Dampfwagen brauste und +das Leben überhaupt noch ein idyllisches Gepräge trug, wie es jetzt +nicht mehr so ganz der Fall sein mag. + + * * * * * + +Der Geistliche eines Dorfes in der Nähe von Nördlingen wandelte +an einem schönen Sommermorgen in seinem Garten, der hinter dem +wohlgebauten, zweistockigen Pfarrhause lag. Er hatte schon eine +Zeitlang gearbeitet und wollte nun einen Gang in freier Luft machen +und nach den Fortschritten der Gewächse sehen. Da dieser Mann in den +spätern Verlauf unserer Geschichte bedeutend eingreift, so wollen +wir den Leser schon jetzt näher mit ihm bekannt machen. Er war ein +Sechziger, bei mittlerer Größe von stattlichem Ansehen und offenbar im +Besitz einer stetigen Gesundheit. Aus den regelmäßigen Gesichtszügen +sprach Erfahrung, Verstand und eine heitere Freiheit des Geistes. Er +hatte auf der Universität neben den theologischen allgemein bildende +Studien getrieben, als Hofmeister in vornehmen Cirkeln und auf Reisen +die Welt kennen gelernt und die Laufbahn eines Geistlichen von unten +auf gemacht, bis er die einträgliche Stelle erhielt, wo er nun seit +zehn Jahren ein ruhig glückliches Leben führte. Der Glaube an die +Grundlehren der evangelischen Kirche war bei ihm ein Trieb und eine +Forderung des Herzens, aber sein Christenthum war liebevoller, +freundlicher Art. Die Natur mit Feuer und Schwert austreiben zu wollen, +aus einer Mücke einen Elephanten zu machen und die Gemüther durch +übertriebene Forderungen zu verwirren, war nicht seinem Charakter +gemäß. Er rügte streng, wo es ihm klare Einsicht gebot, aber lieber +schilderte er das höhere Leben in einer Weise, daß es durch seine +eigene Schönheit die empfänglichen Herzen gewann. Er war milde, +weil er zu unterscheiden wußte und das Gute in der Natur und in dem +Gehaben des Volks erkannte. Als Seelsorger und im sonstigen Verkehr +mit den Gliedern seiner Gemeinde freute er sich, jene brave Klugheit +anzuwenden, welche die Menschen mit leichten Mitteln zu lenken +versteht. Er war dem Scherz nicht abhold, und aus dem anmuthigen +Ausdruck seines Mundes konnte man schließen, das er freundschaftliches +Gespräch selber damit zu würzen verstand. + +Die Sonne schien heiß vom wolkenlosen Himmel. Dieß hielt den Pfarrer +nicht ab, den Schatten der Kastanienbäume am Hause zu verlassen und +geschützt durch sei schwarzes Käppchen, unter dem rechts und links ein +silbergrauer Haarbüschel hervordrang, erst die Blumenbeete, dann auf +dem grasigen Platz die reifenden Kirschen zu betrachten. Aus einem +Gesicht, dessen bräunliches Roth sich von dem anderer Landbewohner +durch einen feineren, geistigeren Ton unterschied, sah eine innere +Freudigkeit, die mit der Schönheit des Sommertags ganz in Harmonie war. + +Als er sich eben anschickte, unter die Kastanienbäume zurückzukehren, +wurde die Thüre, die vom Pfarrhaus in den Garten führte, rasch +aufgemacht und ein schlanker, blonder junger Mensch von etwa sechzehn +Jahren ging eilig auf ihn zu. Es war sein Enkel, der Sohn seiner +Tochter, die ihren Theodor dem Großvater zur Vorbildung für die letzte +Klasse des Gymnasiums zugeschickt hatte. Das sonst gleichmäßig blasse, +durch die Sonne nur wenig gebräunte Gesicht war jetzt erhitzt und +geröthet, und man sah aus allem, daß er etwas für ihn sehr Bedeutendes +zu berichten hatte. + +»Großvater,« rief er dem alten Herrn zu, »es ist gut, daß ich dich +treffe! Drunten im Dorf -- nein, es ist zu arg!« Er hielt inne, um +zu verschnaufen. -- Der Alte kannte seinen Mann. Er wußte, daß der +junge Kopf seine eigenen Ansichten vom Leben hatte, und daß manches, +was damit in Widerspruch trat, ihn oft in unverhältnißmäßige Aufregung +versetzen konnte. Er war daher nicht erschreckt, sondern fragte ruhig: +»Nun, was ist denn schon wieder?« -- »Drunten im Dorf,« erwiederte +Theodor, »beim Angerbauer gibts Händel, Händel zwischen Vater und +Sohn. Ich hab's selber gesehen.« -- Der Alte wurde ernsthaft und eine +Bewegung seines Kopfes verrieth, daß ihm die Nachricht nicht ganz +unerwartet kam. Er sagte: »Erzähle mir, was du gesehen hast, aber in +der Ordnung.« + +»Ich wollte in's Dorf hinunter, um hinter den Hecken mein Pensum zu +lernen. Da sah ich vor dem Hause des Angerbauers einen Haufen Leute +stehen, und wie ich hingehe, hör' ich wüthendes Geschrei aus der +Stube. Der Alte schmähte den Sohn und schrie wie rasend. Gott, welche +Schimpfworte und Flüche! Wie ist es möglich, daß die Menschen so roh +sein können!« -- »Es ist manches möglich, was du noch nicht begreifst, +mein Kind,« sagte der Pfarrer. -- »Und dieser Angerbauer,« fuhr der +junge Moralist fort, »der immer so gescheidt sprach und sich ein so +würdiges Ansehen zu geben wußte -- von dem hätt' ich's am wenigsten +geglaubt.« -- »Der Angerbauer,« bemerkte der Alte mit nachdrücklicherem +Ton, »ist ein ehrenwerther Mann und der Sohn deßgleichen. Das wirst du +noch einsehen. Aber nun erzähle weiter. Was hat der Bauer seinem Sohn +vorgeworfen? Oder hast du das im Eifer vielleicht überhört?« -- »Nein, +das kann ich dir genau sagen. Ludwig will die Annemarie beim Bäcker +heirathen, und der Angerbauer will's nicht zugeben.« -- »Ich dacht' +es mir,« sagte der Geistliche. -- »Wie ging der Streit aus? denn du +hast doch wohl das Ende abgewartet?« -- »Wie der Alte gerast, der Sohn +trutzig geantwortet und die Bäurin umsonst sich Mühe gegeben hatte, sie +zu begütigen, hörte man ein Knacken, wie von einem zerbrochenen Stuhl, +und der Vater schrie: »Fort! Geh aus meinem Haus und komm mir nie mehr +unter die Augen!« worauf Ludwig sagte: »Hab' keine Sorg, du wirst mich +nie wieder sehen,« und aus der Stube ging. Dann wurd's stille und ich +lief fort, um dir's zu erzählen.« + +Der Geistliche schüttelte den Kopf, schien aber von diesem Ausgang +doch weniger beunruhigt zu sein, als sein Enkel erwartete. Er sah eine +Zeitlang vor sich hin und nickte dann, als ob er einen Entschluß gefaßt +hätte. Der junge Mensch sah ihn an und fragte: »Wirst du hingehen und +Frieden stiften?« -- Der Geistliche erwiederte mit leisem Lächeln über +diesen Eifer: »Der Streit ist ja aus, wie du mir sagst.« -- »Wenn aber +Ludwig auf und davon geht?« -- »Daran werd' ich ihn nicht verhindern +können.« -- »Aber, lieber Großvater« -- »Wirst du einem alten Pfarrer +lehren, was er zu thun hat, Junge? Komm jetzt zur Großmutter.« Er nahm +ihn wohlwollend bei der Hand und führte ihn in's Haus zurück. + + * * * * * + +Der Angerbauer war nach ländlichen Begriffen ein reicher Mann. Er +hatte seiner Tochter, die im Dorfe verheirathet war, sechstausend +Gulden mitgegeben, und mehr als das Doppelte hatte er noch am Zins. +Sein Sohn Ludwig sollte eben so viel und das jüngste Kind Andres nach +der bäuerlichen Erbfolgeordnung den Hof erhalten. Die Familie lebte +wohl und glücklich zusammen. Der Vater, ein hochgebauter, stattlicher +Mann mit schwarzen Augen und Haaren und gelblichbraunem Gesicht, hielt +gute Zucht im Hause, ohne jedoch seinen Kindern den herkömmlichen +Lebensgenuß zu verkümmern. Er war ein kluger Oekonom und sein Stolz +war, die bestbestellten Aecker im Dorfe zu haben. Seine Wohlhabenheit +und sein Ansehen in der ganzen Umgegend gaben ihm ein bedeutendes +Selbstgefühl, das sich auch in seiner würdigen Haltung ausdrückte. +Er sprach wenig, aber bestimmt, und wie gesetzt er in der Regel war, +so sah man doch, daß er, einmal in Leidenschaft gebracht, gewaltig +losbrechen konnte. -- Die Mutter war in ihrer Jugend sehr hübsch +gewesen, und noch immer machte die schlanke Gestalt einen angenehmen +Eindruck. Sie hielt mehr auf zierliche Reinlichkeit im Hause, als es +sonst in Bauerfamilien der Fall zu sein pflegt; in ihren Stuben und +Kammern mußte alles wie geleckt sein, und überdies alles am rechten +Platze stehen. Sonst zeichnete sie sich in der Kunst aus, Backwerk zu +verfertigen und namentlich »Küchle« zu liefern, die von den jeweiligen +Gästen mit entzückten Lobpreisungen verspeist wurden. Fröhlicher und +gutmüthiger als der Vater, hatte sie doch auch ihre Portion Stolz und +hielt sehr auf das, was sich ihrer Meinung nach für eine reiche Familie +geziemte. -- Ludwig schlug der Mutter nach, während der neun Jahre +jüngere Andres ein gemildertes Abbild des Vaters zu werden verhieß. + +Die Hauptperson unserer Erzählung -- man sieht, daß dies Ludwig ist -- +war einer der schönsten und angesehensten Bauernsöhne im ganzen Ries. +Tänzer und Sänger, wie es nur einen gab, dazu ein lustiger Bursche voll +guter Einfälle, hatte er schon in verschiedenen Dörfern Herzen erobert, +wenn er bei Verwandten auf Besuch war oder als Gast eine Hochzeit +mitmachte. Es war einer von den Menschen, denen alles wohl ansteht, die +Arbeit wie das Vergnügen. Wenn er Sonntags in dunkelgrüner sammtner +Juppe (Jacke) mit silbernen Knöpfen, schwarzen, knapp anliegenden Hosen +vom schönsten Hirschleder und hohen, über die Knie gezogenen Stiefeln, +die Kappe von Fischotter mit grünseidener Troddel auf's rechte Ohr +gesetzt und den silberbeschlagenen Ulmer Pfeifenkopf im Munde nach +der Stadt, d. h. nach Nördlingen, wanderte, so hätte er einem ruhigen +Beobachter wohl gefallen, den Mädchen aber, die ihm begegneten und +die er freundlich grüßte, war sein Anblick ein wahres Labsal, und sie +konnten sich selten enthalten, sich umzuwenden und ihm nachzusehen. +Dann sagte wohl eine in heiterer Anerkennung: »Des Angerbauers Ludwig +ist eben doch der schönste,« und die andern stimmten ihr bei, vergnügt +oder erröthend, je nachdem. + +Auf welches Mädchen durfte ein so Begünstigter nicht Anspruch machen? +Welche Schönheit wäre fähig gewesen, ihn auszuschlagen? Indessen jede +Lebensstellung hat ihre Pflichten, und Ludwig durfte nicht unter den +Schönheiten des Rieses überhaupt, sondern nur unter denen wählen, +die eben so viel mitbekamen als er. Dieser Pflicht kommen die jungen +Bursche meist instinktmäßig nach. Der Bauer, am überlieferten Brauche +haltend, verliebt sich in der Regel nur standes- oder wenigstens +vermögensgemäß. Zu dem Ganzen, das ihn an einem Mädchen bezaubern +soll, gehört auch die reiche Ausstattung, die Ehre, die begüterte +Verwandtschaft. Das Mädchen muß aus einer Familie sein, die eben so +ästimirt ist wie die seinige, sonst entbehrt ihre Schönheit des rechten +Nimbus oder erweckt höchstens eine gönnerhafte Empfindung in ihm. +Für unsern Burschen war die Wahl einer Lebensgefährtin noch besonders +eingeschränkt. Da das Stammgut an Andres überging, so mußte er sich +einen passenden Hof kaufen, was seine Schwierigkeiten hat. Das Beste +war daher, eine einzige Tochter, eine Hoferbin, zu heirathen und in +eine schon bereitete Stätte als Herr einzuziehen. + +Es war keine geringe Vermehrung der Zufriedenheit, welche der +Angerbauer und sein Weib ohnehin empfanden, daß sie für ihren Ludwig +solch einen »Anstand« wußten. In der That war dessen Künftige schon +gefunden in der einzigen Tochter eines entfernten Verwandten, der im +nächsten Dorf einen der stattlichsten Höfe besaß. Die Aeltern hatten +darüber gesprochen; die Angerbäuerin hatte zur gehörigen Zeit merken +lassen, daß die junge Base Eva eine rechte Frau für ihren Ludwig wäre, +und im Vorbeigehen die Summe namhaft gemacht, die sie ihrem Sohn +mitgeben könnten, worauf man sich verständigte. Ludwig hatte nichts +gegen den Plan. Für einen Geschmack, der auf dem Lande viele Vertreter +zählt, war Eva eine Art von Schönheit, nämlich eine große, tüchtige +Person mit nicht allzukleiner, etwas gebogener Nase und runden rothen +Backen, so eine, die der feinere Mann einen »Dragoner,« die solide +Anschauung der Mehrzahl aber »a rechts Mädle« zu nennen pflegt. Ludwig +fand in dem Aussehen seines Bäschens keinen Grund, sich in sie zu +verlieben, aber auch keinen, sich der Heirath zu widersetzen. Ihr Hof +leuchtete ihm ein und warf ein verschönerndes und verfeinerndes Licht +auf die Erbin. Er spielte bei Gelegenheit mit Anstand die Rolle eines +Verehrers, und die Heirath wäre ohne weiteres vor sich gegangen, wenn +der Vater Eva's sich hätte entschließen können, seinen Hof so früh zu +übergeben. Allein die erste Person im Hause zu sein, gefiel ihm noch +zu sehr, und er wollte wenigstens warten, bis seine Tochter in die +Zwanziger getreten wäre. Warum sollte er sich beeilen? Von allen Seiten +war man ja einverstanden, und ob früher oder später, sein reicher +junger Vetter wurde sein Schwiegersohn. + +Kein Projekt der Menschen ist indessen so gesichert, daß nicht noch +etwas dazwischen treten könnte. Wenn man ein gewünschtes Gut schon in +der Hand zu halten glaubt, kann es noch entschlüpfen, um den Menschen +erkennen zu lassen, daß es bei den Dingen dieser Erde noch auf etwas +anderes ankommt als auf sein Wollen und Meinen. Als Eva neunzehn, +Ludwig dreiundzwanzig Jahre alt war, ereignete sich etwas, das die +Fäden, die von den zwei Familien gesponnen waren, zerriß und den Stoff +zu unserer Geschichte lieferte. + +Dies war der plötzliche Tod eines braven Zimmermanns im nächsten +württembergischen Orte. Die einzige Tochter desselben, ein ungewöhnlich +schönes Mädchen, wurde dadurch eine Waise. Da sie erst siebzehn Jahre +zählte und auf ihr Erbe nicht heirathen wollte, so machte ihr Vormund, +der Bäcker unseres Dorfs, das Haus und die paar Morgen Ackerland zu +Geld, legte dieses gut an und nahm das Mädchen zu sich. + +Die Ankunft Annemarie's brachte die Jugend des Dorfs in großen Allarm. +Wenn der Bauer in Bezug auf die Wahl einer Ehehälfte praktisch denkt, +so ist er doch keinesweges unempfindlich für Schönheit; ein sehr +schönes Mädchen wird auf dem Lande ausgezeichnet wie ein reiches, nur +auf andere Weise. Das Dorf, das eine solche Blume hegt, thut sich was +darauf zu gute, und es sagt wohl einer mit einem gewissen Triumphgefühl +zu einem Freund aus dem nächsten Dorfe: »So eine habt ihr doch nicht!« +Die jungen Leute, bei denen es irgend angeht, sind eifrig, sich bei +ihr »wohl dran zu machen;« denn einen schönen Schatz zu haben, ist, +abgesehen von der Freude, auch eine Ehre, und es ist höchst angenehm, +ihn von andern loben zu hören und sich darum beneidet zu sehen. +Annemarie fand außer einer guten Anzahl von Bewunderern und Neiderinnen +rasch auch mehrere entschiedene Anbeter; aber sie hatte eine eigene +ruhige Art, die Andringlinge zurückzuhalten oder ablaufen zu lassen. +Bald hieß es unter den Mißvergnügten: das sei eine Curiose, die sich +sehr viel auf ihre Schönheit einzubilden scheine; und doch sei's gar so +arg auch nicht damit. + +Wie soll ich aber von dieser Schönheit einen Begriff geben? -- Mir +ist es manchmal so vorgekommen, als ob man eine kindliche, eine +jungfräuliche und eine mütterliche oder frauliche Art der Schönheit +unterscheiden könnte. Ein Mädchen von der ersten Art wird auch als +Frau und Mutter noch ein kindliches Wesen behalten, während die von +der dritten schon in der Zeit des jungfräulichen Aufblühens einen +mütterlichen Charakter gewinnt. Annemarie gehörte zu der dritten +Gattung. Ihr Aeußeres ist kurz beschrieben. Sie hatte etwas mehr als +mittlere Größe und eine natürlich schöne Gestalt. Nichts war dürftig +an ihr, alles reich, doch würde auch der strenge Kenner nichts +hinweggewünscht haben. Die Farbe ihres Gesichts war nußbräunlich, +mit mildem, aber entschiedenem Roth; Haare und Augen dunkelbraun. -- +Allein die wahre Schönheit liegt in der Seele. Wie diese schon im +Mutterschooße auf die Formen des Leibes bildend einwirkt, so veredelt +und verfeinert sie ihn fortwährend. Der eigenthümliche Reiz, den +Annemarie ausübte, kam von der Güte, die aus ihrem Gesichte sprach. +Wenn eine Empfindung der Freude oder des Dankes ihr Herz erfüllte, +dann ging ein Glanz über ihre Züge und das schöne innere Leben gab ihr +eine Anmuth, daß auch der Stumpfe fühlen mußte, hier sei mehr als ein +gewöhnlich hübsches Mädchen. + +Als Annemarie zu ihrem Vetter übersiedelte, war Ludwig abwesend; er +hatte Getreide nach Augsburg gefahren, wo dermalen der Preis höher +stand als auf der berühmten Schranne zu Nördlingen. Nach seiner +Rückkehr machte ihn das Lob, welches dem Mädchen von seinen Kameraden +gesungen wurde, neugierig, und er beschloß sogleich, sie zu sehen, +was auf dem Dorfe bekanntlich keine Schwierigkeiten hat. Mit der +Leichtigkeit, wie sie etwa ein junger Baron zeigt, wenn er sich +herabläßt, der hübschen Tochter eines Bürgers den Hof zu machen, +begrüßte er Annemarie, sprach seine Freude aus, daß ein so schönes +Mädchen in's Dorf gekommen sei, und sagte ihr mehrere Schmeicheleien +in der direkten Art, die für ein feineres Gefühl nichts Angenehmes +hat. Annemarie wurde ernsthaft und gab ihm kurze Antworten. Da Ludwig +gutmüthig war, so ahnte er, worin er gefehlt hatte. Er griff es das +nächstemal besser an, zeigte mehr Achtung vor dem Mädchen und sprach +sein Wohlgefallen nicht in Worten, sondern in bescheiden zärtlichen +Blicken aus. Dies wirkte. Die Wohlgestalt des jungen Bauers trat nun in +ihr Recht ein; dem guten Mädchen ging bei seiner Huldigung das Herz auf +und die Freude blickte aus ihrem Gesicht. + +Ludwig mußte sich sagen, daß ihm eine solche Schönheit noch nicht +vorgekommen sei. Er wiederholte seine Besuche. Bald fing er an Unruhe +zu spüren, redete hie und da »aus dem Weg naus« und ließ seine +Geschicklichkeit in der Ansprache sehr vermissen, was ihm aber bei +Annemarie gar nicht schadete. Die jungen Leute waren glücklich sich zu +sehen und zu fühlen, daß eines bei dem andern etwas gelte. + +Die erste Zeit einer entstehenden Liebe hat das Schöne, daß man noch +nicht fragt, was daraus werden soll. Man hat sich noch kein Ziel +gesetzt, darum sieht man auch noch keine Gefahren und Hindernisse. +Ein Wohlgefallen an einander haben darf man ja, man läßt daher seine +Empfindung gewähren und freut sich und macht Freude. Diese erste +Neigung wird auch noch von andern begünstigt. Die Leute lächeln, +wenn sie sehen, wie die beiden sich mit den Augen suchen und wieder +zusammenzukommen trachten; sie gefallen sich, darin sie gemüthlich zu +plagen und eines mit dem andern aufzuziehen. Und da es noch nicht zur +Erklärung gekommen ist, so kann das Mädchen einem solchen Plagenden +mit Wahrheit erwiedern, er irre sich, oder er sei nicht gescheidt. -- +Aber in solchem Spiel webt sich aus dem ersten Wohlgefallen nach und +nach ein Band, durch das man sich gefesselt fühlt. Es sammelt sich ein +Schatz von Gefühlen und mehrt sich täglich, und weß das Herz voll ist, +deß muß der Mund übergehen. + + * * * * * + +Die Gelegenheit zur Erklärung gab eine Hochzeit, die nach Dorfsitte +mit Essen und Trinken, Spiel und Tanz im Wirthshause gefeiert wurde. +Nach überliefertem Brauche gehört der Tanzboden von Mittag bis Abend +den Hochzeitgästen. Hat aber nach der Abendmahlzeit und nach Abgabe der +Hochzeitgeschenke der Schullehrer eine Dankrede in Versen gehalten und +mit seinen Zöglingen ein geistliches Lied gesungen, dann kündigt ein +weltliches Lied, das ein kecker Bursche sich anzustimmen erlaubt, die +Herrschaft der jungen Leute des Dorfes an. Die Hochzeitgäste, zumal die +aus andern Dörfern, verlieren sich nach und nach, das Brautpaar wird +von einem Theil der Musikanten nach Hause begleitet: der zweite Theil +der Lustbarkeit, der »Ansing,« hat begonnen und die Jugend des Dorfs +nimmt den verlassenen Raum ein. + +Ludwig hatte der Hochzeit als Gast beigewohnt, aber wenig getanzt +und überhaupt ein nachdenkliches Wesen gezeigt. Als er einmal allein +dasaß, kam ein munteres Mädchen auf ihn zu und sagte: »Warum tanz'st du +nicht, Ludwig?« Er wußte nichts Gescheidteres zu erwiedern, als, daß +es ihm nicht recht gut sei. Das Mädchen sah ihn lächelnd an und sagte: +»Die rechte Tänzerin ist nicht da. Aber hab' nur Geduld, sie wird +heute Abend schon kommen.« Ludwigs Gesicht erheiterte sich; er wußte +allerdings, daß er sie erwarten durfte. -- Nach dem Abendessen ging er +nach Hause, vertauschte den Hochzeitrock mit der Sammtjacke, kehrte +in's Wirthshaus zurück und setzte sich zu einem Burschen, der Regine, +die Tochter des Bäckers, zum Schatz hatte, und mit dem er daher in der +letzten Zeit vertrauter geworden war. Bald erhielten die beiden einen +Wink; sie gingen hinaus, und Hans führte Regine, Ludwig Annemarie unter +die Tanzenden. + +Wer sich den Moment vergegenwärtigt, wo er zum erstenmal die, welche +er liebt, in den Arm fassen durfte, um nach dem fröhlichen Takt +eines Walzers durch den Saal zu fliegen, der begreift das Glück des +jungen Paares. Geflogen wurde hier freilich nicht; der Bauer bleibt +beim Tanz mit seinen Füßen mehr auf dem Boden, als der Städter, und +kommt langsamer vorwärts; aber die Wirkung ist dieselbe. Es war eine +Freude, den beiden zuzusehen. Sie waren ohne Vergleich das schönste +Paar und tanzten auch am schönsten. Dabei war Ludwig so vergnügt, daß +er, wie man zu sagen pflegt, den Mund nicht zusammenbringen konnte, +und Annemarie lächelte selig in sich hinein. Jene Muntere, die mit +ihrem Liebhaber wieder zum Tanz gekommen war, trat einmal zu ihm und +sagte: »Ist dir jetzt wieder gut, Ludwig?« Und dieser hatte den Muth zu +erwiedern: »Ja wohl, in meinem Leben wünsch' ich mir's nicht besser!« + +Auf dem Dorfe tanzt man nicht Touren, sondern ~Reihen~, und zwar +deren so viel, als man wünscht und aushalten kann. Ein Bursche singt +ein Lied vor -- in Altbayern »Schnaderhüpfel,« im Ries »Schelmenliedle« +genannt -- und die Musikanten spielen es zum Tanz. Ist der Reihen aus, +so führt der Bursche sein Mädchen gehend an der Hand, während ein neues +Lied einen neuen Tanz einleitet. Diese Sitte verursacht manchmal Streit +und die Spielleute kommen in große Noth, wenn zwei tüchtige Bursche +verschiedene Lieder singen und jeder verlangt, daß seines aufgespielt +werde. In der Regel läßt indeß einer dem andern schon beim Singen den +Vorrang und wird auch wohl beim Streite noch zum Nachgeben beredet. -- +Während man herumging, erklärte Ludwig der Geliebten die Frage jenes +Mädchens und seine Antwort; und die Glückliche, die so deutlich sah, +wie viel er auf sie hielt und wie ernst es ihm war, konnte sich nicht +enthalten, ihm dankbar die Hand zu drücken. + +Nachdem sie sich so ziemlich müde getanzt, führten die beiden Kameraden +ihre Tänzerinnen in die Stube und boten ihnen zu trinken, worauf die +Mädchen, um mit Goldsmith zu reden, »den Rand des Kruges küßten.« Man +setzte sich zusammen, um zu plaudern. Ludwig hatte nicht bemerkt, +daß während des Tanzes sein Vater auf der Stiege gestanden, ihn mit +Annemarie gesehen und sehr verfinsterten Angesichts das Wirthshaus +verlassen hatte. Ein boshafter Nachbar hatte ihm gesagt, sein Ludwig +tanze heute so schön, und der Alte, dem es ganz recht war, daß sein +Sohn auch darin sich auszeichnete, wollte sich das Vergnügen machen, +ihn zu sehen. War es ihm nun schon sehr fatal, ihn mit Annemarie tanzen +zu sehen, von der man ihm gesagt, daß sein Ludwig ein Aug' auf sie +habe, so ärgerten ihn noch mehr die zärtlich glücklichen Mienen des +Paars. Er ging sehr verstimmt nach Hause, um zunächst der Ehehälfte +seinen Verdruß mitzutheilen, am nächsten Morgen aber mit dem Burschen +selbst ein Wörtchen zu reden. -- Von alledem ahnte Ludwig nichts, +seine Freude blieb daher ungestört. Nach einer Weile kam ein junger +Bursche und forderte Annemarie zum Tanz auf. Ludwig sah ihn groß an +und hatte gute Lust, ihm zu sagen, er solle sich fortscheeren und eine +andere suchen. Allein er besann sich, daß er dazu kein Recht habe, und +ließ sie ziehen. Er sah dem Tanzen zu und freute sich an der sittigen +Haltung Annemarie's und an der Art, wie sie den etwas unbeholfenen +jungen Menschen leitete. Als dieser, der sich gewaltig abgearbeitet +hatte, den Schweiß von der Stirne wischte, trat Ludwig zu ihm und +sagte: »Du bist müde, ich will dich ablösen.« Ohne Weiteres nahm er das +lächelnde Mädchen bei der Hand und mischte sich unter die Paare. + +Den ganzen Abend tanzte er nur einmal mit einer andern, nämlich mit +jener Muntern, weil er sicher war, daß sie ihn mit der Geliebten +aufziehen und von ihr reden würde. Er kam Annemarie beinahe gar nicht +von der Seite, und sie hatte dabei ein Ansehen, als ob's nie anders +gewesen wäre. Beide waren in jener Stimmung, wo man ganz in dem Lichte +seliger Empfindungen lebt und das trunkene Auge in den Menschen umher +nur Schattengestalten erblickt, die wie in einer andern Welt ihr +Wesen treiben. Sie sahen nicht, wie man um sie her sich in die Ohren +zischelte und den Kopf schüttelte; sie bemerkten nicht, wie die zwei +langgewachsenen Töchter eines reichen Bauern, vor deren Augen Ludwig +ebenfalls Gnade gefunden hatte und die mit Bruder und Vetter da waren, +regelmäßig, so oft sie an dem glücklichen Paar vorübergingen, den +häßlichen Mund verzogen, wodurch er keineswegs schöner wurde. + +Endlich kam Mitternacht heran und die gesammte Jugend begab sich in +die große Stube, um sich zum Schmause zu setzen. Ludwig blieb auf dem +Tanzboden mit Annemarie zurück; die Talglichter waren herabgebrannt +und der Raum beinahe dunkel. Er nahm die Geliebte bei der Hand und +führte sie zu einem offenen Fenster, und beide blickten in die laue, +trübe Mainacht hinaus. Nachdem sie eine kurze Zeit schweigend vor sich +hingesehen, sagte Ludwig: »Was ist das für ein schöner Ansing! In +meinem Leben bin ich nicht so vergnügt gewesen, wie heut. Aber du,« +setzte er herzlich hinzu, »bist auch die schönste und liebste Tänzerin, +die man finden kann.« -- »Mach mich nicht roth,« erwiederte sie und +wurde roth vor Freude, »du thust mir zu viel Ehr' an.« -- »Dir kann man +gar nicht zu viel Ehr' anthun,« rief Ludwig, um sein volles Herz durch +Lobpreisung zu erleichtern, »du bist das erste Mädchen im ganzen Ries!« + +Annemarie schwieg. Mit einem leisen Seufzer und als ob sie die letzten +Worte nicht gehört hätte, sagte sie endlich: »Wenn ich deines Gleichen +wäre!« -- Sie wollte sagen: wenn ich die Tochter eines reichen +Bauern wäre! -- Ludwig, den Unterschied ohne Weiteres zugebend, +erwiederte: »Das ist mir einerlei, du bist mir die liebste, lieber +als alle Bauerntöchter miteinander. In meinem Leben wünsch' ich mir +keine Bessere wie dich!« -- Und er bekräftigte diese Betheurung mit +einem zärtlichen Händedruck. -- Das war zu viel für das gute Mädchen. +Sie erhob sich und sah ihn an. »Ach, Ludwig,« sagte sie mit einer +Stimme, die vor Freude zitterte, und mit einem Ton, als ob sie ihre +Worte keineswegs für ganz richtig hielte, »ach, Ludwig, ich bin dich +nicht werth!« -- Statt aller Antwort faßte Ludwig sie um den Hals und +drückte einen herzlichen Schmatz auf die schönen Lippen, die nicht in +der Stimmung waren, sich zu weigern, sondern vielmehr gleich darauf +das schöne Geschenk dankbar mit Zinsen zurückgaben. Niemand war Zeuge +dieses Vorgangs. Es war ganz dunkel geworden. Nur die feuchten Augen +der Glücklichen leuchteten gegen einander. + +Regine trat aus der Stube, sie zu suchen; Annemarie eilte zu ihr und +ging mit ihr zurück. Ludwig kam später nach, strahlend vor Vergnügen. +Er ließ in der Freude seines Herzens eine Flasche Wein kommen und +auftragen, was gut und theuer war. Die beiden Langgewachsenen wurden +gelb vor Neid und Aergerniß. + +Nachdem in der ganzen Stube die Messer und Gabeln bei Seite gelegt +waren, begannen die Spielleute »auf den Tisch hinein zu machen,« +nämlich Musik. An jedem Tisch pflegt der Bursche, der's versteht, +ein längeres Lied vorzusingen; die Musikanten setzen einen zinnernen +Teller auf den Tisch und spielen das Lied nach. Wenn dies ein paarmal +geschehen, so wirft jeder Bursche mit Art ein Geldstück auf den Teller +-- größer oder kleiner, je nachdem es die Ehre und der Beutel leidet -- +und die Musikanten treten zu einem andern Tisch, um eine neue Ernte zu +halten. Der Meister der jungen Leute ist hier derjenige, der mit einem +~neuen~ Lied auftreten kann. Denn auch auf dem Lande will man +nicht immer dasselbe, sondern was Frisches hören und seine Kenntnisse +bereichern. Gewisse alte Volkslieder, die jetzt in gebildeten Kreisen +Glück machen, sind bei solchen Gelegenheiten geradezu verpönt; und als +diesmal der junge Mensch, der mit Annemarie getanzt hatte, sich ein +Ansehen gab und begann: + + Es steht ein Wirthshaus an dem Rhein -- + +brach ein allgemeines Gelächter aus. »Das hast du wohl von dei'm Aehle +(Aehnlein, Großvater) gelernt!« rief ihm Einer zu, und eine runde Dirne +an seinem Tisch sagte mit mütterlichem Ausdruck: »Besinn dich auf ein +anderes, Jakob; so ein junger Bursch darf kein so altes Lied singen!« +Dem verdutzten Jungen fiel jedoch nichts ein, so sehr er auch in die +Luft hinstarrte, als ob es dort abzulesen wäre. Er mußte es einem +andern überlassen, die Ehre des Tisches zu retten. + +Die Zeit nach dem Essen ist überhaupt die, wo verschiedene Späße +losgelassen werden. Ein anderes Bürschchen, das zum erstenmal bei +einer solchen Gelegenheit war, sang ein bekanntes Lied in herzbrechend +falschen Tönen; ein geschickter junger Clarinettist copierte ihn Ton +für Ton, was große Heiterkeit verursachte und dem Musikanten von den +»Ausgelernten« großes Lob zuzog. Der junge Bursche kam zum erstenmal +über seinen Gesang zur Erkenntniß und wurde roth. Ein alter Musikus +mit gemüthlicher Kupfernase, der das Horn blies, sagte schmunzelnd: +»Laß dich nicht irre machen, Mathes, und halt's nur immer recht +mit den Musikanten, dann erleb ich's noch, daß du die andern alle +herunterstichst.« Das Bürschchen, das nicht dumm war, verstand den +Wink; um sich wenigstens auf eine Art auszuzeichnen, nahm er aus +seinem nagelneuen ledernen Beutelchen das Doppelte heraus, was er erst +hatte geben wollen, nämlich zwei Sechsbätzner, und warf sie in den +Teller, daß es klang. »Siehst du,« sagte der geriebene alte Hornbläser, +»~der~ Ton ist schon besser!« + +Zuletzt kamen die Musici an den kleinen Tisch, wo Ludwig mit Annemarie, +Hans und Regine saß, und spielten eine kleine Einleitung. Ueber das +Gesicht des jungen Bauers verbreitete sich ein wohlgefälliges Lächeln. +Er hatte von Augsburg ein Lied mitgebracht, das wenigstens für die +anwesende Gesellschaft vollkommen neu war, und wollte sich nun gehörig +damit zeigen. Als die Musik zu Ende war, setzte er sich in Positur und +hub an: + + Wir winden dir den Jungfernkranz + Mit veilchenblauer Seide u. s. w. + +Allgemeinste Aufmerksamkeit! Die Musikanten, der Clarinettist voran, +fanden sich bald in die einfache Weise und nach einigen Mißtönen +ging's. Der Erfolg war außerordentlich. Als unter vollkommener Stille +das letzte »G'setz« gesungen war, riefen einige Mädchen: »Ah, das ist +aber schön!« und sahen mit einer Art von Andacht auf Ludwig. Mehrere +Bursche kamen herbei und sagten, das müßten sie auch lernen. Der Sänger +wurde der Mittelpunkt der Gesellschaft. Er mußte auf allgemeines +Verlangen sein Lied wiederholen und erntete noch größeres Lob. Seine +schöne Nachbarin erröthete auf's neue bei den bedeutungsvollen Worten +»Jungfernkranz« und »Freiersmann« und zeigte die liebenswürdigste +Freude über den Sieg ihres Tänzers. Dieser wollte nach einem solchen +Triumph im Singen keinen neuen Versuch mehr machen. Aber noch blieb +etwas übrig, was seinen Effekt nicht verfehlen konnte. Er griff ruhig +in die Tasche und legte, als wär' es ihm nichts, einen Kronenthaler +auf den Teller. Der Kamerad mußte nun ein Uebriges thun und legte +wenigstens einen halben dazu. Die Gesichter der Musikanten leuchteten. +Sie setzten mit Leidenschaft einen Marsch darauf, der wie ein Tusch +klang, und der Hornist blies, daß ihm beinahe die Backen platzten. +Als das Stückchen zu Ende war, strich er das Geld ein und sagte mit +schelmischem Schmunzeln: »Bleibt gesund, bis ihr's wieder kriegt!« + +Es war ein Uhr geworden und die meisten jungen Leute fingen wieder an +zu tanzen. Auch Hans zeigte Lust dazu, aber Regine erklärte, sie und +Annemarie müßten nach Hause. Die Mädchen nahmen Abschied und Annemarie +dankte Ludwig gar schön für die Ehre, die er ihr angethan habe. Sehr +gern hätten die Verliebten ihre Mädchen nach Hause geführt, aber die +Bäckerstochter bestand darauf, daß sie hier bleiben sollten. Sie +durften ihnen nur auf der Treppe noch die Hand geben und gute Nacht +sagen. + +Ludwig ging in die Stube zurück, um das letzte Glas Wein +auszuschlürfen. Er war aber heute zu glücklich gewesen, als daß nicht +ein Dämon sich gereizt fühlen sollte, in den Honigtrank einige Tropfen +Galle zu mischen; und so trat denn ein solcher in der Gestalt des +Vetters der beiden Langgewachsenen zu ihm und sagte: »Du hast dich ja +heut recht lustig gemacht, Ludwig. Allen Respekt vor deinem Tanzen +und Singen! Dein Vater hat dich mit der schönen Annemarie auch einmal +tanzen sehen, aber dem scheints nicht gefallen zu haben, denn er ist +gleich wieder fortgegangen.« Diese boshaften Worte gaben Ludwig einen +Stich in's Herz und jagten ihm das Blut in's Gesicht. »Meinetwegen!« +erwiederte er trotzig; der andere, der seinen Zweck erreicht hatte, +ging vergnügt auf den Tanzboden. Alles, was mit seinem Glück in +Widerspruch trat, stellte sich dem armen Burschen gespenstisch vor +die Seele und eine große Unruhe befiel ihn. Allein für heute war der +Strom der Freude in ihm noch zu mächtig und die Sorge wurde von ihm +hinweggespült. Eine halbe Stunde später ging er nach Hause, glücklich +im Nachgefühl des Erlebten. -- -- + +Nach einem unruhigen Schlaf erwachte Ludwig zur gewöhnlichen Zeit: +Sein Bruder, der in derselben Kammer schlief, schnarchte noch, obwohl +er gestern schon bald nach Verzehrung des Bratens, den Ludwig vom +abendlichen Hochzeitsmahl nach Hause gebracht hatte, zu Bette gegangen +war. Als unser Freund überdachte, was gestern geschehen war, fing sein +Herz an zu klopfen. Freude und Angst erhoben sich und wechselten in +seinem Herzen, bis die Angst zuletzt die Oberhand gewann. Eine Zeit +lang ließ er sich ruhig von ihr quälen; dann faßte er einen Entschluß, +kleidete sich an und ging mit festem Schritt, dem man aber doch das +Absichtliche ansah, in die Stube hinunter. Die Morgensonne schien durch +die Fensterscheiben und die friedliche Scene bildete einen eigenen +Contrast zu der Verwirrung in seinem Herzen. Er ging in »das Kanzlei,« +das in den Bauernhäusern gewöhnliche Nebenstübchen zum besondern +Gebrauch der Familie, von der Stube durch eine hölzerne, mit brauner +Oelfarbe bestrichene Wand getrennt, welche mit der einen Seite des +Ofens zusammenzulaufen pflegt. Der Vater saß an dem Wandtisch mit +tiefernstem Gesicht und die Mutter brachte eben den Kaffee. Ludwig bot +ihnen mit etwas unsicherer Stimme guten Morgen und setzte sich zum +Frühstück. Zu gleicher Zeit kamen die »Ehehalten« (Knechte und Mägde) +in die Stube, um die Morgensuppe zu verzehren. Der Oberknecht und die +Magd waren auf dem Ansing gewesen; sie blinzelten sich nun zu und sahen +auf das Kanzlei mit jenem Vergnügen, welches die schwache menschliche +Seele zu empfinden pflegt, wenn unter Höherstehenden ein scandalöser +Streit zu erwarten ist. Allein der Angerbauer war nicht der Mann, sich +und seine Familie preiszugeben, wenn der Zorn über seinen Verstand +nicht Herr wurde. Er wartete mit der Anrede, die er Ludwig zudachte, +und erst als der letzte der Ehehalten die Stube verlassen hatte, begann +ein Dialog, den wir, um den Lesern eine kleine Probe davon zu bieten, +in dem Rieser Dialekt wiedergeben wollen. + +Der Alte sagte mit bitterem Spott: »No, du host de ja gestert recht +aufg'führt! Machst mer a rechta'n Ehr, des muß i saga'; Aufm A'seng, +wo Baura'töchter send, tanzst du da' ganza'n Obed mit'r Magd! Und net +gnuag damit, setzst sie oh no' neba' de he' und regalirst sie!« -- +Ludwig, der sah, daß dem Vater schon geplaudert worden war, und die +Thatsache nicht leugnen konnte, hing sich an ein Wort und sagte: »No, a +Magd ist sie grad net!« + +Der Angerbauer fuhr auf und blickte ihn mit drohenden Augen an. +»Schweig, sag i d'r! Mag sie sei', was sie will, sie ist net dei's +Gleicha', und es ist a Schimpf und a Schand, daß du di so mit'r ahgeba' +host! Wann du d's Nuibaurs Bäbe (die Reichste im Dorfe) so tractirt +hättst, so wärs o'schickleng gwesa'! Was wird die Ev' saga' und ihr +Vater? Die weara' se recht fräa', wenn sie höara', wie du di aufg'führt +host, und (setzte er verächtlich hinzu) mit weam!« + +Der Angefahrene war von diesen Worten sichtlich getroffen. Er wußte +nichts Besseres zu seiner Entschuldigung zu sagen, als: »Sie tanzt +so guat!« -- »Tanzt so guat!« rief der Alte mit grimmigem Lachen. +»Ist des a'n Ausred? Tanzet ander Mädla' net oh guat? Muaß ma dorom +a hergloffens Mädle mit Wei' tractiera? Pfui, schäm di!« -- Er war +aufgestanden und wendete dem Schuldigen den Rücken zu. + +Sein Zorn hatte offenbar den jetzt möglichen höchsten Grad erreicht. +Ludwig, entrüstet über den Ausdruck »hergloffens Mädle,« und fühlend, +daß jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden sei, verstummte und sah +finster vor sich hin. -- Nach einer Weile drehte sich der Alte wieder +zu dem Tisch und sagte: »I will me ietz net verzürna! Gscheha'n ist +gscheha'! Der dumm Stroëch ist gmacht! Aber,« setzte er mit drohend +erhobenem Zeigefinger und mit entsprechend verstärktem Tone hinzu, +»des roth i d'r in Guatam: loß mi so ebbes net widder höara'! Denn +sonst -- -- du kennst mi!« -- Er wendete sich ab und verließ mit festen +Schritten die Stube. + +Man sieht, der Vater war nur über das öffentliche Aergerniß entrüstet, +welches Ludwig gegeben, und strafte nur dieses. Daß sein Sohn auf +Annemarie ernstliche Absichten haben und um ihretwillen die Eva lassen +könnte, das kam ihm gar nicht in den Sinn. Hätte er Ursache gehabt, +an so etwas nur zu denken, so wäre natürlich ein ganz anderer Sturm +losgebrochen. + +Der Delinquent athmete auf; denn im Grunde war er noch gut weggekommen. +Von der Mutter fürchtete er wenig. Er war ihr Liebling und wußte, +daß Frauen solche Verirrungen des Herzens überhaupt glimpflicher +aufzufassen pflegen. Er täuschte sich nicht. Während der Alte sprach, +hatte die Mutter zu wiederholten Malen ernsthaft mit dem Kopfe genickt, +dadurch ihr vollkommenes Einverständniß an den Tag legend. Als er fort +war, nahmen ihre Züge einen milderen Ausdruck an, und den Sohn bei der +Hand fassend begann sie: »Aber ietz sag m'r nor, Ludwig, wie ist's +mögleng, daß du di so host vergessa' und dei'm Vater und mir so ebbes +a'thoa' könna'?« + +Ludwig hatte seinen ganzen Humor wieder. Da er noch keinen Plan über +die Zukunft gemacht hatte, nach welchem er handeln konnte, so folgte er +instinktmäßig dem Trieb, sich mit seinen Eltern wieder gut zu stellen, +und sagte, allerdings nicht sehr ritterlich: »Du woëst ja, Muater, +wie's oëm got, wama' lusteng ist und Bier und Wei' im Kopf hot!« -- »Ja +wohl,« versetzte die schon halb begütigte Mutter, »aber was zviel ist, +ist zviel! Die ganz Nacht mit oëm Mädle ztanza, die oën nex a'got! I +hätt' di wärle für gscheidter ghalta'!« -- »I hab d'r ja scho' gsakt,« +erwiederte Ludwig, »sie tanzt so guat; und,« fügte er nicht ohne +schlaue Absicht hinzu, »i hab gseha', daß sie oh geara' mit mir tanzt!« + +Die Angerbäuerin konnte nicht umhin, heiterer auszusehen. Sie hielt +natürlich ihren Ludwig für den schönsten und geschicktesten Burschen +in der ganzen Umgegend, und daß er den Mädchen so sehr gefiel, konnte +ihr nichts weniger als unangenehm sein. Sie sagte daher mit dem Lächeln +einer etwas eiteln Mutter: »Des glob i, daß e so a Mädle frät, wann du +mit'r tanzst; aber des ist koë Entschuldigung für di!« -- Eine bessere +Regung machte sich in ihr geltend und sie fügte hinzu: »Die Annemarie +ist zu guet dafür, daß so a junger Mensch 'n Spaß mit ihr macht. Sie +ist brav und ordentlich und 's wird se gwiß a passender Ma' für se +finda'. Es wär a Sünd und a Schand, wann du ihr da' Kopf verdreha' und +sie in's O'glück brenga' thätst!« -- »No,« sagte Ludwig, »so arg wirds +net weara'!« -- Mit Eifer versetzte die Mutter: »I hoff's oh net! Du +host dein Vater ghöart und woëst, er hält was 'r sakt! I hoff, 's ist +dei' letzta' Dummheit gwesa'!« -- Ruhiger setzte sie hinzu: »So, ietz +gang naus zu dei'm Vater und mach'n widder guat!« + +Ludwig folgte diesem Rath. Er fand Gelegenheit seinem Vater bei einer +Arbeit zu helfen, und da sie nothwendig mit einander reden mußten, +so stellte sich zwischen ihnen bald wieder ein äußerlich friedliches +Verhältniß her. Als später dem Angerbauer noch einige Einzelheiten +vom Ansing zu Ohren kamen, hatte ihn die Mutter schon durch die +Versicherung beruhigt, daß es nichts als der Narrenstreich eines jungen +Menschen gewesen sei, der etwas im Kopfe gehabt habe. Er verschluckte +daher diese nachträglichen Pillen, so bitter sie ihm auch schmeckten. +Seine Gedanken waren: »Der Mensch muß mir aus dem Haus, und das so bald +als möglich! Mein Andres, das weiß ich, wird mir keine solche Streiche +machen.« Auch die Mutter faßte den Entschluß, alles zu thun, um die +Heirath Ludwigs mit Eva zu beschleunigen. »Hätte der alte Narr,« sagte +sie in ihrem Verdruß, »den Hof abgegeben, so hätten wir diesen Aerger +nicht!« Sie wollte aber nun gerade aus dem Vorgefallenen die Gründe +schöpfen, die den Vater Evas zum Nachgeben bewegen sollten. + +Einige Tage vergingen, ohne daß etwas besonderes vorfiel. Auch auf dem +Dorfe pflegt der artige junge Mann die Tänzerin, die er auszeichnete, +den andern Tag gelegentlich zu begrüßen und sie zu fragen, wie ihr das +Tanzen bekommen sei. Aber Ludwig mußte Scheu tragen, dies zu thun; +auch war er nicht in der Gemüthsverfassung dazu. In seinem Herzen +stiegen Gedanken auf, die sich wechselseitig bekämpften, seinen Geist +verwirrten und ihn zu keinem Entschluß kommen ließen. + +Der guten Annemarie war sein Ausbleiben nicht so unlieb, als man denken +mochte. Ihr war es ergangen wie ihm. Glückselige und bange Gefühle +wechselten auch in ihrem Herzen, und die bangen überwogen zuletzt. Sie +dachte an den stolzen Angerbauer, an den Unterschied des Vermögens und +Standes, an das Gerede mit der Eva, und schüttelte mit betrübter Miene +den Kopf. Indem die Bilder jener Nacht vor ihre Seele traten, machte +sie sich Vorwürfe, zu weit gegangen zu sein. Es lastete etwas auf ihr, +als ob sie eine Sünde begangen hätte; und dieses Gefühl wurde dadurch +nicht gemindert, daß einzelne Mädchen sie nun mit Ludwig in einer Weise +zu plagen begannen, die nicht mehr von der Lust zu scherzen, sondern +offenbar vom Neide eingegeben war. Selbst Regine sah bedenklich aus, +als ob sie mit sich selber unzufrieden wäre, und der Vormund ließ Reden +fallen von Leichtsinn und Hoffahrt, die zu nichts Gutem führen würden +u. s. w. + +Es hatte den Anschein, als ob eben durch das gesprochene Wort der Traum +des Glücks für immer zerstört und die innigste Annäherung der beiden +Herzen auch die letzte gewesen wäre. -- Aber die Liebe, die zwei junge +Seelen ergriffen hat, kann von den Bedenklichkeiten des Lebens nicht +so leicht unterdrückt werden. Die bänglichen und peinlichen Gefühle +mildern sich und verschwinden mit der Zeit, die Liebe bleibt. Die erst +so trüben Vorstellungen verlieren nach und nach ihr Schreckendes, die +Liebe gewinnt an Muth -- und das Menschenkind, das glücklich sein will, +folgt wieder dem Zug des Herzens. + +Als der fünfte Tag verflossen war, konnte Ludwig seinem Verlangen, +Annemarie zu sehen, nicht länger Widerstand leisten. Er ging in das +Haus des Bäckers, indem er sich vornahm, diesen, der am Gärteln sein +Vergnügen hatte und nach Art solcher Leute seine Liebhaberei gern +weiter verbreitete, um Blumensamen zu bitten. Die Täuschung war nicht +nöthig, Annemarie war allein zu Hause. Nach einigem Stottern von seiner +und Erröthen von ihrer Seite waren die liebenden Herzen bald wieder +einig. Man rühmte jene Nacht, wo es so schön gewesen sei; das damals +empfundene Glück lebte wieder in ihnen auf und die Augen bestätigten, +was sich die Lippen verkündigt hatten. Die Liebe zog wieder als +Herrscherin in ihre Seelen und alle entgegenstehenden Gedanken wurden +daraus vertrieben. Die Reue, welche die Geängsteten gefühlt, die +Vorwürfe, die sie sich gemacht -- alles war vergessen. Sie freuten +sich eines am andern, und es war ihnen, als ob sie gar nichts Besseres +und Schöneres thun könnten. + +Für diesmal konnte ihr Zusammensein nicht lange dauern. Annemarie +erwartete den Bäcker und mahnte den Geliebten, sie zu verlassen. Ludwig +fragte, ob er sie denn nicht einmal ungestört sehen könnte, er hätte +noch viel mit ihr zu reden. Annemarie sah ihn an; die blauen Augen +baten so schön und blickten so treu auf sie her. Nach einigem Zögern +erwiederte sie mit leiserer Stimme: »Nächsten Sonntag Nachmittag geht +mein Vetter mit Regine nach Wallerstein; sie werden spät wieder kommen; +in der Abendstunde, wenn's dunkel geworden ist, will ich in unserm +Garten auf dich warten.« Ludwig drückte ihr hocherfreut die Hand. +Annemarie setzte hinzu: »Es ist vielleicht nicht recht, was ich thue, +aber du willst es haben und es macht dir Freude.« Was konnte Ludwig +anders, als die Lippen, die so liebliche Worte gesprochen, entsprechend +belohnen? -- Er kam unbemerkt aus dem Hause. Wie bisher sein +trübseliges, so fiel seinen Eltern jetzt sein vergnügtes Wesen auf, +aber sie legten es zu ihren Gunsten aus. »Hab' ich dir's nicht gesagt?« +bemerkte die Mutter dem Alten. »So etwas geht bei jungen Leuten schnell +vorüber. Sei nur ruhig, es wird noch alles recht werden!« + +Der Garten des Bäckers war in Folge der erwähnten Liebhaberei nach +dem des Pfarrers der schönste im Dorfe und der Stolz des Besitzers. +Er theilte sich in Gemüse- und Baumgarten, und in dem erstern war +den Blumen ein größerer Platz eingeräumt, als es bei dem wirthlichen +Sinn der Landleute sonst der Fall zu sein pflegt. Eine ziemlich hohe +dichte Hecke grenzte das Ganze von den Feldern, zunächst aber von dem +Fußweg ab, der sich an dieser Seite des Dorfes hinzog und auf welchen +eine hölzerne, für gewöhnlich verschlossene Thüre führte. Durch diese +Thüre, die heute nur aufgeklinkt zu werden brauchte, trat Ludwig zur +verabredeten Stunde in den Garten, und bald saßen die Liebenden auf +einem hölzernen Bänkchen ohnweit der Hecke und des Hauses in traulichem +Geplauder. Sie konnten sich diesem in der That mit einer gewissen +Sicherheit hingeben, denn wie nach dem Felde zu die Hecke, so schützten +gegen das Dorf das längliche Bäckerhaus und mehrere Scheunen, in denen +jetzt wohl kein neugieriges Auge zu fürchten war. Der Abend war sehr +schön. Von dem reinen Himmel blinkten schon einzelne Sterne, während +von Westen her die goldengrünliche Helle sich über ihn ergoß, die +Verheißung der untergegangenen Sonne, daß sie morgen einen schönen +Tag bringen werde. Die Bäume standen in voller Blüthe und hie und da +glänzte einer her wie ein großer weißer Strauß. Die Luft war leicht +bewegt und voller Wohlgerüche. Rings herrschte vollkommene Stille und +nur Maikäfer surrten zuweilen über die Köpfe der Liebenden hin, um die +größere Gesellschaft auf den Bäumen aufzusuchen. -- Unserem Pärchen war +es über alles heimlich zu Muthe. Ludwig rühmte den Garten, die Blumen, +den schönen Abend. Sie sprachen von diesem und jenem. Bald kamen sie +wieder auf den »Ansing«, und Ludwig scherzte über den jungen Burschen, +der mit Annemarie getanzt und »sich geplagt habe, als ob er im Taglohn +arbeitete.« »Der arme Kerl dauerte mich,« setzte er hinzu, »darum kam +ich so schnell und löste ihn ab.« Das Mädchen lächelte, sie wußt' es +besser. Beide erinnerten sich jetzt verschiedener Gesichter, die um +ihretwillen geschnitten worden waren, und die Ausdrücke von Aerger +und Neid kamen ihnen sehr lustig vor. Sie übten für das Geschwätz, +das über sie ergangen war, eine gemüthliche Wiedervergeltung, indem +sie einzelne Exemplare durchhechelten, wie es gutmüthige Menschen in +fröhlicher Laune thun. Ludwig fragte dann, ob's denn wahr sei, daß Hans +und Regine bald Hochzeit machen wollten. Annemarie erwiederte, so viel +sie wisse, auf den Herbst. Dies brachte sie auf ernstere Gedanken. +Nach einem Weilchen fragte sie erröthend und mit einem gewissen +schüchternen Lächeln: »Ist's denn wahr, daß dein Vater will, du sollst +des Kirchbauern Eva von ** heirathen?« Ludwig antwortete: »Ja wohl hat +er so was im Sinn gehabt; aber mir ist's nie rechter Ernst gewesen +und jetzt denk ich nimmer dran.« Annemarie wurde vor Vergnügen noch +röther. Dann sah sie vor sich hin, wie wenn sie über etwas nachdächte, +und unwillkürlich entschlüpfte ihr wieder das Wort: »Wenn ich doch ein +reiches Mädchen wär!« Ludwig faßte ihre Hand und sagte herzlich: »Es +kann nicht alles beisammen sein! Du bist die schönste und die beste +und die geschickteste, die ich kenne -- das ist mehr werth als Geld!« + +Annemarie sah ihn dankbar an und schwieg. Dann sagte sie: »Ist dein +Vater wirklich so stolz, wie die Leute sagen? Verzeih mir diese Frage!« +-- »Mein Vater weiß, was er ist,« antwortete Ludwig, »und läßt sich +nichts nehmen. Aber er ist ein braver und gescheidter Mann und giebt +auch andern ihre Ehre. Meine Mutter ist gut und hält alles auf mich.« + +Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wie verliebte Herzen einmal alles +fürchten, dann wieder alles hoffen, so war es ihr die letzten Tage her +nicht ganz unmöglich vorgekommen, daß sie doch noch Ludwigs Frau werden +könnte. Sie hielt etwas auf sich und glaubte, um ihretwillen könnte +wohl eine Ausnahme von der Regel gemacht werden. Aber nun wurde durch +das Bild des Angerbauers, dessen Stolz der Sohn zugeben mußte, ihre +Hoffnung wieder sehr erschüttert. Sie seufzte und sagte mit leiserer +Stimme: »Ich fürchte mich vor deinem Vater, Ludwig, und sehe nicht, was +aus uns beiden werden soll!« + +Ludwig, der durch die feuchten Augen in das Herz des Mädchens sah, +wurde gerührt, Liebe und Großmuth loderten in ihm auf. Er legte wie +schützend den Arm um sie und sagte mit dem herzlichsten Ton: »Mach dir +das Herz nicht schwer, Annemarie! Ich hab dir gesagt, daß du mir die +liebste auf der Welt bist, und ich sag dir's noch einmal. Vertrau auf +mich und sorg nicht! Was ich mir ernstlich vornehme, das setz' ich auch +durch -- darauf verlaß dich!« -- »Ich vertraue dir,« sagte Annemarie, +»denn sonst hätt' ich das auch nicht für dich gethan. In meinem Leben +bin ich noch mit keinem ledigen Bursch so zusammen gekommen. Aber dich +hab ich so lieb, daß ich thun muß, was dich freut -- ich kann mir nicht +anders helfen!« -- Entzückt über dieses Geständnis, sah Ludwig das +schöne Mädchen an; Thränen traten in seine Augen; sie mit seinen Armen +umschließend, rief er aus: »O du liebes, liebes Mädchen! in meinem +Leben laß ich dich nicht!« + +Dieser innige Ausruf weckte ein seliges Gefühl in dem Herzen +Annemarie's, zu gleicher Zeit warf er aber Schrecken in ein anderes. +Diejenige, für welche diese Worte am wenigsten bestimmt waren -- die +Mutter Ludwigs hatte sie vernommen, klar und deutlich vernommen. Die +Angerbäuerin war im obern Dorf auf Besuch gewesen und hatte sich +verspätet, indem sie zwar zu rechter Zeit in der Stube Abschied +genommen, aber auf der Haustreppe mit der Freundin von neuem und erst +recht wieder in's Gespräch gekommen war. Da der Fußweg am schnellsten +nach Hause führte, so schlug sie diesen ein. Als sie an der Hecke des +Bäckergartens hingehend ein leises Reden vernahm, horchte sie und das +Ohr der Mutter erkannte gar bald die Stimme des Sohnes. Die letzten +Worte, bei welchen die Leidenschaft den Ton vorsichtig zu dämpfen +vergaß und von denen ihr keine Silbe entging, sagten ihr alles. Sie +erschrack heftig und zitterte an allen Gliedern. Hatte sie doch so eben +noch der Freundin versichert, daß an dem Geschwätz wegen der Annemarie +gar nichts sei und ihr Ludwig bald Kirchbauer sein werde. Sie glaubte +vor Scham und Verdruß in die Erde sinken zu müssen. Da sie nicht mit +sich einig werden konnte, was sie beginnen sollte, und im Garten Stille +eingetreten war, ging sie weiter. Der Schrecken in ihrem Herzen machte +dem Zorn Platz. Sie so schändlich anzuführen, zu dem Mädchen zu gehen +wider ihr ausdrückliches Verbot und ihr so gottvergessene Dinge zu +sagen! Bevor sie noch in ihren Hof trat, war ihr Entschluß gefaßt. Sie +schwieg still und ließ sich nichts anmerken, weder vor dem Vater noch +vor dem Sohn, der nicht lange nach ihr heim kam. + + * * * * * + +Den andern Morgen, als der Angerbauer eben das Haus verlassen hatte +und Ludwig ihm folgen wollte, sagte die Mutter, sie habe noch etwas +mit ihm zu reden. Sie führte ihn in's Kanzlei zurück und sagte, gerade +auf das Ziel losgehend: »Du bist gestern Abend bei der Annemarie +gewesen!« -- Darauf war Ludwig nicht gefaßt. Er verlor etwas die Farbe +und stammelte: »Wie sollt' ich.« -- Aber die Mutter fiel ihm in die +Rede: »Läugn' es nicht, ich hab mit meinen eigenen Ohren gehört, was du +ihr gesagt hast!« -- Und indem sie ihn mit bekümmert erzürntem Blick +ansah, fuhr sie fort: »Es hilft also kein Reden an dir, du willst dich +mit Gewalt in's Geschrei bringen und ein unerfahrenes Mädchen durchaus +unglücklich machen!« + +Bei diesem Vorwurf sammelte sich der Betroffene wieder. Er erwiederte: +»Wer sagt das? Ich habs ganz anders mit ihr im Sinn!« -- »Wie soll ich +das verstehen?« -- »Wenn ich sie nun heirathen wollte?« -- Die Mutter, +auf eine solche Rede gefaßt, zuckte die Achseln und sagte: »Du bist +nicht gescheidt!« -- Ludwig aber versetzte mit Ernst: »Ich weiß es, mit +keiner würd' ich so glücklich leben, wie mit der Annemarie. Grade die +gefällt mir, und sonst keine andere!« + +Die Augen der Angerbäuerin funkelten. »Wie!« rief sie aus, »das +unterstehst du dich mir zu sagen, -- du, der mit der Ev' so gut wie +versprochen ist?« -- »Davon weiß ich nichts,« sagte Ludwig. -- »So, +davon weißt du nichts? -- Nun merk auf, was ich dir sag: wenn du von +diesen dummen Gedanken vor deinem Vater nur ein Wörtchen merken läßt, +so bringt er dich um! Das ist der Rechte, sich von einem Kind so etwas +gefallen zu lassen!« + +Der Sohn erkannte das Gewicht dieser Worte und schwieg. Dann sagte er +in traurigem Ton: »Ich hätt' gedacht, du zum wenigsten würdest nicht +so hart gegen mich sein und dich meiner annehmen gegen ihn.« -- »So,« +rief die Mutter, »auf mich hast du dich verlassen? Du kennst mich +also nicht, wie es scheint. Ich sag dirs jetzt ein für allemal: nie +werd' ich zu einer solchen Heirath meine Einwilligung geben! Ich will +nicht, daß mein Sohn durch seinen Unverstand sich unglücklich macht +und der ganzen Freundschaft einen Schimpf anthut! Wenn du nicht von +diesem Augenblick an das Caressiren mit dem Mädchen aufgiebst, so +sag ichs deinem Vater und du wirst sehen, was dann geschieht! -- So, +jetzt kennst du meine Meinung und kannst dich darnach richten!« -- +Nach diesen Worten verließ sie die Stube, indem sie die Thüre etwas +unsanfter zumachte, als gewöhnlich. + +Es ist eine bekannte Sache, daß der Widerstand, den wir auf dem Weg +zu einem ersehnten Ziel erfahren, unsern Eifer und Muth, dahin zu +gelangen, oft nur steigert. Zuweilen bewirkt er aber das Gegentheil: +er führt zu einer Erwägung, in der uns das Ziel als ein unerreichbares +erscheint, so daß wir uns, wenn auch mit schwerem Herzen, zum Rückgang +entschließen. Die menschliche Seele ist ein eigen Ding. Namentlich +sind die weicheren für die Eindrücke des Entgegengesetzten empfänglich, +und wenn sie eine Zeitlang sich ausschließlich nach einer Seite +gewendet haben, so werden sie dadurch nur um so offener für die andere. +Dies sollte nun auch Ludwig erfahren. So erzürnt war seine Mutter nie +gewesen, so heftig hatte sie nie gegen ihn gesprochen. Er fühlte auf's +tiefste, daß er ~sie~ nicht zum Nachgeben bewegen würde; -- und +wie sollte ihm das erst bei seinem Vater gelingen! -- Die Gründe, aus +denen beide gegen eine solche Verbindung sein mußten, stellten sich +ihm dar, und er war so sehr Bauer und Sohn seiner Eltern, daß er ihre +Vernünftigkeit nicht bestreiten konnte. Annemarie war die Tochter und +Verwandte von Söldnersleuten, d. h. sie gehörte einem Stande an, über +dem sich der Bauer allenfalls eben so erhaben fühlt, wie der Adelige +über dem bürgerlichen. Der Bauer hat einen Hof mit Haus und Stadel +und zusammengehörigen Feldgütern, er besitzt Rosse und Rindvieh in +gehöriger Anzahl und hält sich Knechte und Mägde. Der Söldner hat nur +ein Haus, wenige Grundstücke, kein Roß, im besten Fall einiges Vieh. +Um sich besser durchzubringen, lernt er ein Handwerk und hilft dem +Bauer bei der Ernte, wodurch geringere Söldnerfamilien zu gewissen +Höfen in eine Art von Clientenverhältniß kommen. Daß der Bauer sich +nun als zu einer höheren Menschengattung gehörig ansieht, ist beinahe +so natürlich, als das Bewußtsein des Aristokraten gegenüber dem +Bürgerlichen. Das Vermögen übt freilich auch hier eine ausgleichende +Macht, und wenn der Söldner empor, der Bauer heruntergekommen ist, so +wird die Verbindung der Familien wieder möglich. Aber auch so kann sich +der traditionelle Stolz noch wehren, und mir ist ein Fall bekannt, wo +ein verschuldeter alter Bauer nur mit größter Mühe zu bewegen war, +seinen Sohn eine wohlhabende Söldnerstochter heirathen zu lassen, indem +er den Verwandten, die sie herausstrichen, immer wieder antwortete: +»Es ist doch keine Bauerntochter!« -- Bei Ludwig und Annemarie kam +zu diesem Mißverhältniß noch der große Unterschied des Vermögens, +da sie kaum den achten Theil desjenigen besaß, was er nur vorläufig +mitbekommen sollte; endlich vollends die Anknüpfung mit Eva. -- Der +Kopf des jungen Menschen brannte, nachdem er das alles überlegt hatte, +und an seine Eltern denkend rief er mit Verzweiflung aus: »Sie thuns +nicht, sie thuns nicht!« + +Das Bild des Mädchens stand so schön und lieb vor seiner Seele, wie +jemals. Er hatte ihr gestanden, wie gern er sie habe, hatte ihr gesagt, +sie solle ihm vertrauen, und er wolle nicht von ihr lassen. Aber wenn +seine Eltern ihre Einwilligung verweigerten, so machte er Annemarie +nur unglücklich -- und durfte er das? Ein förmliches Versprechen hatte +er ihr nicht gegeben. Bis jetzt war es eben ein Liebeshandel, wie es +so manche giebt in der Welt, ohne daß es zum Heirathen kommt; ein +Liebeshandel, wo man ja vieles spricht, was man nicht halten kann, ja +nicht einmal darf. Andere hatten ganz andere Verpflichtungen gehabt, +als er gegen Annemarie, und doch zuletzt ihres Gleichen geheirathet. +Auf der andern Seite, -- war es denn gewiß, daß Annemarie die Sache so +schwer aufnahm? Vielleicht tröstete sie sich bald, heirathete einen +andern und wurde glücklich. -- Wenn das Herz Ludwigs diesen Gedanken +widersprach, so mußte er sie sich doch machen, und sie thaten ihre +Wirkung. + +Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Er hatte mit Annemarie eine neue +Zusammenkunft verabredet und er durfte sich nicht einfinden, wenn +er sich nicht entschieden hatte, seinen Eltern zu trotzen. Als er +nochmals alles hin und her überlegte, siegte zuletzt die Macht der +äußern Verhältnisse; der Verstand und die Einschüchterung gewannen +die Oberhand, die Liebe und die Leidenschaft gaben sich gefangen. -- +Er wollte zum wenigsten ~versuchen~, ob er ohne Annemarie leben +könnte. Wenns ging, so wollte er in Gottes Namen seinen Eltern folgen. + +Er kam nicht zum Stelldichein. Als er Annemarie einen Tag später mit +Regine begegnete, sagte er förmlich »guten Tag« und ging vorüber. Das +Mädchen war etwas »verhofft« und sah ihm nach mit fragender Miene; +aber sie entschuldigte beides. Zu der Bestellung hatte er nicht kommen +können und vor der Regine wollte er sich nicht verrathen. Wie er +nun aber mehrere Tage nichts von sich hören ließ, und endlich, als +sie allein mit ihm zusammentraf, auch nur mit gewöhnlichem Gruß und +dazu noch sichtlich verlegen an ihr vorüberging, da erkannte sie ihr +Geschick. »So,« sagte sie, indem ihr Herz zu klopfen begann, »so +ists gemeint?« Sie sah ihm nach und bemerkte, wie er schneller ging, +gleichsam um aus ihrem Bereich zu kommen. Ihre Augen füllten sich mit +Thränen. »Das ist der Mensch, der zu mir gesagt hat, daß ich ihm das +Liebste wäre auf der Welt! So hält er Wort! O, ich hätt' mir's denken +sollen!« Sie ging in's Haus zurück und eilte in ihre Kammer hinauf. +Ihre Thränen strömten, sie sah mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes +und der bittersten Kränkung vor sich hin. Dann sagte sie: »Es geschieht +mir ganz recht, daß es so gekommen ist! Warum bin ich so einfältig +gewesen und hab' ihm geglaubt? Warum hab' ich mir eingebildet, ich wär' +auch etwas werth? -- O, wie dumm!« setzte sie schmerzlich lächelnd +hinzu. »Als ob diese Leute von ihrem Stolz lassen könnten! Als ob wir +ihnen zu was anderem recht wären, als zum Spielen! Ja, ganz recht +geschieht's mir, grad so hat's kommen müssen!« + +Regine kam die Treppe herauf und öffnete die Thüre. Annemarie bemühte +sich nicht, ihren Schmerz zu verbergen. Die Freundin sah sie mitleidig +an und sagte: »Ich weiß, warum du weinst. Ja, ja, 's ist so. Beim +Angerbauer hat's was gegeben. Der Alte und der Junge sind hinter +einander gekommen, und Ludwig muß die Ev' heirathen.« + +»Muß er?« sagte Annemarie, die bei ihrem ruhigen Wesen doch heroischer +war, als Ludwig, und unter umgekehrten Verhältnissen sich standhafter +gezeigt hätte. -- »Ja freilich muß er, wenn sein Vater will,« +erwiederte Regine. -- »Nun,« versetzte die Gekränkte mit Stolz, »wenn +er mich lassen kann, dann kann ich ihn auch lassen!« -- Sie trocknete +ihre Thränen und ging mit der Freundin hinunter, um sie auf's Feld zu +begleiten. + +Von da an erschien Annemarie vor andern gefaßt, ohne den Zustand ihres +Herzens verbergen zu wollen. Die Freude des Lebens war ihr genommen, +und sie wollte nicht thun, als ob's anders wäre. Ihr Gesicht verlor +nach und nach die blühende Farbe, bekam aber dafür einen eigenen +feierlichen Ausdruck, und ihre braunen Augen erhielten einen Glanz, +der selbst dem alten Bäcker auffiel, so daß er den Kopf schüttelte und +für sich murmelte: »Es ist Schade, Jammerschade; aber ich kann ihr +nicht helfen!« -- Ihr Schicksal, wie man es erkannte oder errieth, +flößte den Leuten Achtung ein. Selbst diejenigen, die im Dorf wegen +eines »bösen Mauls« berufen waren, unterstanden sich nicht, in ihrer +Gegenwart Anspielungen zu machen, und kein junger Mensch fand in sich +den Muth, ihr schön zu thun und ihr für den erlittenen Verlust einen +Ersatz anzubieten. + +Ludwig setzte unterdessen den Versuch, ohne Annemarie zu leben, fort. +Er hatte zum drittenmal gewagt, sie zu grüßen; aber sie war mit einem +Ausdruck von gekränkter Würde an ihm vorüber geschritten, daß er es +fortan unterließ. Wenn er nun bei einer unvermeidlichen Begegnung +ihre Wangen sich färben und ihr Auge glänzen sah, dachte er wohl: sie +würde nicht so bös sein (freilich nicht der rechte Ausdruck für das +Gefühl des Mädchens), wenn sie wüßte, wie hart es mich ankommt! -- Sein +Leben wurde sehr einförmig. Er ging zu Hause und auf dem Felde still +seiner Arbeit nach und machte Sonntags, anstatt mit Kameraden fröhlich +zu sein, einsame Spaziergänge. Auf einem derselben sagte er zu sich: +»Leben kann ich wohl ohne sie, das hab' ich nun gesehen; aber was ist +das für ein Leben!« Er schüttelte den Kopf und ging traurig nach Hause. + +Am dritten Sonntag nöthigte ihn seine Mutter, mit ihr einen Besuch beim +Vetter Kirchbauer zu machen. Sie sah, daß Ludwig ihr und dem Vater ein +Opfer brachte und daß es dem armen Menschen schwer wurde; sie war daher +auf dem Weg besonders gut gegen ihn und gab sich große Mühe, ihn zu +erheitern, indem sie ihm vormalte, welch' einen Herrn er als Mann der +Eva spielen könne, wo er schon zum Anfang einen schuldenfreien Hof und +Geld am Zins haben würde. -- Die Kirchbauerleute hatten natürlich von +der Geschichte mit Annemarie gehört. Eva konnte bei der Begrüßung sich +nicht enthalten, eine spöttische Miene zu weisen und gegen denjenigen, +der einen solchen Streich machen konnte, eine gewisse Geringschätzung +an den Tag zu legen. Indessen, der Sünder hatte eine Eigenschaft, die +mit Nothwendigkeit Vergebung forderte: er war der Sohn reicher Leute. + +Man faßte denn auch die Sache von der heitern Seite auf. Als man beim +Kaffee saß, versuchte Eva scherzhafte Anspielungen zu machen, die +ziemlich plump herauskamen, und der arme Ludwig mußte nun seine Liebe +verleugnen und erklären, daß ja an der ganzen Sache nichts sei, daß er +was ganz anderes im Sinn habe u. s. w. Er strengte sich offenbar an und +wollte sich zwingen, Eva lieb zu gewinnen. Die Folge war, daß ihm die +große Person, die seinem Herzen bisher gleichgültig war, zuwider wurde. +Auf dem Heimweg sprach die Mutter davon, die Sache nun bald richtig +zu machen. Ludwig bemerkte: »Mit der Zeit wird sich alles geben; aber +jetzt, ich bitte schön, laß mich in Ruh und treib nicht an mir!« Die +Angerbäuerin fühlte, daß sie still sein müsse. + +Die zweite Hälfte des Juni war herbeigekommen und mit ihr die +Nördlinger Messe. Diese dauert vierzehn Tage und ist ein Fest für das +ganze Ries. Die ländlichen Hausfrauen kaufen sich auf ihr den Bedarf an +Kleidungsstoffen, Hausgeräthen und Spielzeug, und an manchem Tag sieht +man auf den Hauptplätzen mehr Bauern als Städter. Namentlich ist dies +bei den Hafnern der Fall, wo die klugen Bäuerinnen durch wiederholtes +Klopfen die Güte der Geschirre prüfen und an großen und kleinen ein +Gemisch von Tönen hervorbringen, daß man ein wahres Concert zu hören +glaubt. Hat man gehörig eingekauft, so erquickt man sich an den +berühmten Nördlinger Brat- oder geräucherten Groschenwürsten, trinkt +Bier dazu oder gar ein Schöppchen Wein, und wandert in der Dämmerung, +trotz des gefüllten, wachstuchbezogenen »Donaugretzens,« den man zu +tragen hat, vergnügt nach Hause. Die Sonntage sind für die »Ledigen,« +die namentlich am zweiten, der eben deßwegen der »Bauernsonntag« +heißt, von allen Dörfern nach Nördlingen strömen, um in verschiedenen +Wirthshäusern der Lustbarkeit nachzugehen. + +Ludwig hatte acht Tage vergehen lassen, ohne sich um die Messe zu +kümmern. Sein melancholisches Aussehen machte die Mutter besorgt und +selbst den Alten bedenklich. Als er gar am Bauernsonntag keine Anstalt +machte in die Stadt zu gehen, da hielt sich die Mutter nicht länger. +Sie nahm eine kleine Rücksprache mit dem Vater, dann ging sie zu +Ludwig, der in seiner Kammer war, und redete ihm mit mütterlichem Ernst +in's Gewissen: was denn das wäre, daß er gar nicht mehr unter die Leute +gehen wolle? Wenn andere ledige Bursche sich lustig machten, sitze er +da und sinnire; ob das eine Art sei für einen jungen Menschen? »Da,« +fuhr sie fort, indem sie einen Beutel voll Kronenthaler aus der Tasche +zog, »da nimm, geh nach Nördlingen, mach dir einen vergnügten Tag und +laß etwas drauf gehen! Du weißt ja, wir haben's!« Ludwig, den Beutel in +Empfang nehmend, sagte mit trübem Lächeln: »Nun gut, Mutter, ich will +dir folgen.« Das Gesicht der Angerbäuerin erheiterte sich. Sie wußte, +daß Eva in der Stadt sein würde, und hoffte, daß die beiden jungen +Leute sich treffen, mit einander tanzen und sich vollends verständigen +würden. + +Ludwig kleidete sich trotz seiner Melancholie festlich an, wie +sich gebührte, und schlug nach der Stadt einen weitern und weniger +begangenen Fußweg ein, der durch Getreidefelder und Wiesen führte. Der +Tag war ausnehmend schön und klar. Die Nachmittagssonne schien warm +vom Himmel, aber ein frisches Lüftchen, das von Osten kam, milderte +ihre Wirkung. Still, zuweilen ein rührendes Lied summend, wanderte +Ludwig den heimlichen Gang durch das hochgewachsene Korn. Als er +auf die Wiese heraustrat und die Augen aufschlug, bot sich ihm ein +höchst erfreulicher Anblick. Etwa noch eine halbe Stunde entfernt +lag die Stadt Nördlingen da, von grünenden Gärten umgeben. Der von +grauen Quadern erbaute Thurm der St. Georgienkirche -- einer der +höchsten und stattlichsten in Deutschland -- erhob sich in dem klaren +sommerlichen Duft freundlich über die Häuser und bildete mit ihnen +ein Ganzes, dem man die Eigenschaften der Solidität und Wohlhäbigkeit +von weitem ansah. Und rechts und links, auf Straßen und Feldwegen, +zu Wagen und zu Fuß erblickte man geputzte Leute in ländlicher oder +städtischer Tracht, welche dem ~einen~ Punkte zustrebten. Die +Landschaft trug vielleicht eben jetzt ihr farbenschönstes Kleid. +Ueberallhin wogende Getreidefelder in mannichfacher Abstufung des Grüns +und Wiesen mit Blumen geziert, besonders mit der weißen »Meßblume,« +die den Rieserinnen dazu dient, das, »Er liebt mich von Herzen« etc. +vorzunehmen, und die in größerer Anzahl darüber verbreitet den Gründen +einen besonders heitern Charakter giebt. + +Auf Ludwig machte das alles freilich nur traumhafte Eindrücke. Seine +Seele lebte in sich selber. Er war in einer Stimmung, wo man traurig +ist, aber sich nicht ganz unglücklich fühlt, wo man zugleich mit der +Trauer eine Lust der Ergebung empfindet, die alles Schmerzliche in +gemildertem Lichte sehen läßt. In dem Menschenherzen sind wunderbare +Quellen des Trostes, die sich aber nur öffnen, wenn es bedrückt wird. +Dann erhebt sich eine Kraft in ihm, die in sanfter Strömung Linderung +bietet, und die, wenn sie die früheren Hoffnungen nicht mehr beleben +kann, doch wenigstens ihr Grab verschönt. -- Als Ludwig die Erfahrungen +der letzten Zeit an seiner erweichten Seele vorüberziehen ließ, regte +sich leise und leise sogar die Hoffnung wieder. Die Sehnsucht erblickte +in weiter Ferne Bilder des Glücks, und das junge Herz fand ihre +Verwirklichung nicht mehr so ganz unmöglich. + +In der Stadt angekommen, ohne recht zu wissen wie, ging er zuerst +auf den Markt beim Rathhaus und hatte dort kurze Ansprachen mit +verschiedenen Kameraden. Dann trieb er sich in bunter Menschenwoge bei +den Meßständen umher und kaufte einiges zu Geschenken. Als er müde war, +suchte er den »goldenen Ochsen« auf, wo die jungen Leute seines Dorfes +einzukehren pflegten. Fröhliche Musik erschallte von den Fenstern +des ersten Stocks. Er fühlte keine Neigung, sich unter die Jugend zu +mischen, trat in die untere Stube, ließ sich einen Krug Bier geben und +setzte sich in eine Ecke. Nach und nach regten die wohlbekannten Töne +des Horns und der Clarinette doch eine Neugierde in ihm an, und er ging +in den Saal hinauf, um dem Tanze zuzusehen. + +Das erste, was ihm in die Augen fiel, war Hans, der sich mit Regine im +Tanze drehte. Sein Herz klopfte; er spähte im ganzen Saal umher, um die +zu erblicken, die er liebte. Endlich sah er sie in einer Ecke stehen, +den Blick auf die Tanzenden gerichtet, die Gedanken aber sichtlich +anderswo. + +Das Hiersein des verlassenen Mädchens war dadurch veranlaßt, daß Hans +erklärter Hochzeiter der Regine geworden war. Als solcher wollte er +die Geliebte zur Messe führen, aber diese, die das arme Kind gern +wieder bei einem Vergnügen gehabt hätte, erklärte, sie gehe nicht ohne +Annemarie. Das gute Mädchen, wenn sie kein Störenfried sein wollte, +mußte dem Paar nun wohl Gesellschaft leisten. + +Ludwig blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete sie, ohne von ihr +gesehen zu werden, in erschreckter Freude. Ihr Gesicht war nicht nur +blässer, sondern auch etwas schmaler geworden; aber wie schön und fein +war es! Die Trennung von ihm machte ihr mehr Herzeleid als ihm selber, +das mußte er sehen! Sie hatte ihn nicht vergessen, sie hing treu an +ihm, sie grämte sich! Reue, Mitleid, Liebe, Bewunderung stürmten auf +ihn ein, seine Wangen glühten, ein unendliches Verlangen ergriff ihn, +mit der Geliebten zu reden. Plötzlich faßte er einen Entschluß. Er ging +auf sie zu und fragte: ob es nicht erlaubt wäre mit ihr zu tanzen. + +Das Mädchen schrak zusammen und starrte ihn an. Sie zog die Hand, +die er ergriffen hatte und in der seinen bebte, zurück, aber er ließ +sie nicht los. Mit dem herzlichsten Tone sagte er: »Ich bitte dich, +Annemarie!« und sah sie mit einem Blick so voll Liebe, Reue und +Ergebung an, daß die Kraft zum Widerstand ihr versagte. Erröthend, +zitternd, in tiefster Verwirrung ließ sie sich von ihm zum Tanze +führen. + +Was soll ich weiter sagen? Ludwig fand Gelegenheit, sich gegen +Annemarie über alles auszusprechen: wie Vater und Mutter drohend von +ihm verlangt, von ihr zu lassen, wie er versucht habe, ihnen zu folgen, +wie es ihm aber unmöglich sei, da er keine andere liebhaben könne als +sie. Er wolle nun mit seinem Vater sprechen, gleich morgen. Sie müsse +sein Weib werden, geh' es wie es wolle. Er verspreche es ihr hoch und +heilig, und so wahr ein Gott im Himmel sei, er werde sein Versprechen +halten. + +Annemarie glaubte ihm: sie fühlte, wie jedes Wort von Herzen kam. Sie +verzieh ihm das Vergangene, da sie einsah, welch einen schweren Stand +er hatte; sie bewunderte und theilte seinen Muth. Was fragte sie nach +der Welt? Er gehörte ihr wieder, ihr Leben, ihr einziges Glück! -- Sie +glänzte in seliger Schönheit. Die Freude hatte ihre Wangen nicht nur +wieder geröthet, sondern schien sie auch plötzlich runder gemacht zu +haben. Ludwig hatte sie nie so hold gesehen. + +Die jungen Herzen erhob ein Gefühl, das sie vorher nie in dieser Stärke +gekannt hatten: der Heldenmuth der Liebe. Sie sahen, was ihnen drohte, +aber sie empfanden keine Bangigkeit. Die Kämpfe, die ihrer harrten, +waren ihnen beinahe lieb; denn sie _wollten_ sich bewähren, sie +wollten zeigen, was wahre Liebe vermöge, und daß man einer solchen +nichts anhaben könne. Es war ein Schwung in ihren Seelen, daß ihnen +nichts unmöglich erschien. Mögen sie nur kommen, mögen sie nur reden +-- dachten sie -- wir wollen sehen, wer das Feld behauptet! -- Mit dem +Glück leuchtete nun auch dieses heroische Gefühl aus den Gesichtern und +gab ihnen einen eigenen rührenden Ausdruck. Wer sie sah, der wußte, daß +sie einig waren und daß man sie nicht mehr auseinanderbringen würde. +Die einen schüttelten den Kopf, andere dagegen nahmen frohen Antheil. +Ein stattlicher Bursche ging auf das Paar zu, klopfte Ludwig auf die +Schulter und sagte: »Brav so! Laß dich nicht irre machen -- der Alte +muß nachgeben!« -- »Ja, Bruderherz,« erwiederte der Entschlossene, »das +muß er, ich kann ihm nicht helfen!« + +Ludwig führte sich nun gerade am schönsten auf, er strampfte am +geschicktesten nach dem Takt vor seiner Tänzerin, er sang Lieder vor, +die sich auf ihr Verhältniß bezogen, darunter einige, die er offenbar +selber gemacht hatte -- er zog die allgemeine Bewunderung auf sich. + +Nachdem sie genug getanzt hatten, nahmen die befreundeten Paare im +einer kleinen Stube Platz und setzten sich zum reichlichen Mahle. +Ludwig folgte seiner Mutter: er ließ etwas drauf gehen, und mehrere von +den schönen Kronenthalern, die er erhalten hatte, um damit vor Eva zu +prangen, blieben im goldenen Ochsen. Gegen eilf Uhr machten sie sich +auf den Heimweg. Ludwig führte die Geliebte und Regine hielt Hans mit +Fleiß etwas zurück, damit die beiden sich recht ausreden konnten. Die +Nacht war so schön wie der Tag; der Mond, beinahe voll, schien hell +in's Land, und silberne Nebel zogen sich über die Wiesgründe hin. So +wanderten die Glücklichen in dem Feldweg fort, sich wieder und wieder +betheuernd, wie lieb sie sich haben, wie glücklich sie seien und +wie sie sich treu bleiben wollten bis in den Tod. Vor dem Hause des +Bäckers nahmen sie Abschied, und nochmal sagte Ludwig an dem Halse der +Geliebten: »Verlaß dich auf mich!« + + * * * * * + +Den andern Morgen ersah Ludwig seine Zeit und ging entschlossen in +die Stube, wo seine Eltern allein waren. Er trat vor seinen Vater und +sagte: »Ich hab' etwas mit dir zu reden.« Der Alte machte ein grimmiges +Gesicht, welches zeigte, daß ihm von dem gestrigen Thun des Sohnes +bereits etwas zu Ohren gekommen war. »Das trifft sich gut,« erwiederte +er, »ich hab' auch etwas mit dir zu reden.« Und indem er ihn mit +verachtenden Blicken maß, fuhr er fort: »Nun sag mir, was ich mit dir +anfangen soll! Du hast also wirklich alle Scham verloren? Während ich +und deine Mutter glauben, daß du bei Leuten bist, die dir Ehre machen, +verbankettirst du dein Geld mit einer --« + +»Schimpf nicht!« fiel ihm Ludwig in die Rede; »die Annemarie ist das +bravste und ordentlichste Mädchen! Und weils doch heraus muß, so sag +ich dir jetzt: die und keine andere wird mein Weib! Ich hab' euch +folgen wollen, ich hab' mir die größte Müh' gegeben; aber es geht nicht +-- ich ~kann~ ohne die Annemarie nicht leben! Und ich hab' ihr's +gestern gesagt, und sie hat mir's gesagt, und wir haben uns versprochen +vor Gott im Himmel, daß wir uns treu bleiben wollen, und wir halten +unser Wort!« + +Der Alte war erstarrt. Er hatte in der Geschichte auch jetzt noch +nichts als eine ärgerliche Liebelei gesehen und fürchtete im +schlimmsten Fall einen Ausgang, der den Buben in's Geschrei bringen +und die Heirath mit Eva verderben konnte. Daß sein Sohn, der Sohn des +Angerbauern, daran denken könnte, ein Mädchen wie Annemarie zum Weib zu +verlangen, das hätte er sich nicht im Traum einfallen lassen. Er sah +ihn ordentlich erschreckt an, wie einen plötzlich Tollgewordenen, und +brachte mit Mühe die Worte heraus: »Was -- willst du thun?« -- Ludwig +erwiederte mit entschlossenem und zugleich bittendem Tone: »Ich will +die Annemarie heirathen, ich kann nicht anders, Vater!« + +Der Angerbauer zuckte und seine Faust ballte sich. Noch hielt er die +Wuth, die in ihm aufkochte, zurück, aber mit solcher Anstrengung, daß +seine Glieder zitterten. Er fragte: »Wovon wollt ihr denn leben?« -- +Ludwig versetzte: »Die Annemarie ist nicht so arm, sie hat auch etwas, +beinahe tausend Gulden, und mit dem, was ich kriege --« -- »So?« sagte +der Alte, »wer giebt dir denn etwas?« -- »Nun,« versetzte Ludwig, »du +würdest mir doch --« -- + +Der Alte lachte mit bitterem Hohn. »Wie!« sagte er, »bildest du dir +ein, daß ich Geld ausgebe, um eine solche Söhnerin zu bekommen? Bist du +von Sinnen? Nicht einen Heller bekommst du von mir!« + +»Laß ab, Ludwig!« rief die Mutter, die geängstet zur Seite gestanden +hatte, »laß ab, um Gotteswillen! Er thut's nicht, er kann's nicht thun! +Hast du denn allen Verstand verloren?« -- »Nein,« versetzte Ludwig +fest, »ich hab' meinen Verstand noch ganz, und ich laß nicht ab, denn +ich hab's wohl überlegt, was ich thu'. Die Annemarie wird mein Weib, +mag geschehen was da will -- das ist meine letzte Rede!« + +Nun war die Kraft, mit welcher der Angerbauer den Ausbruch seiner +Wuth niedergehalten hatte, zu Ende. »Wie!« schrie er den kecken Sohn +an, »du unterstehst dich mir zu trotzen? So weit treibst du die +Unverschämtheit? Du nichtsnutziger Bursche! Du frecher Bube! Heirathen +willst du sie? Eine Bettlerin? Du Dummkopf! Siehst du nicht, daß die +schlechte Person nur nach deinem Geld angelt?« + +Ludwig hatte die Schmähungen, die ihn betrafen, ruhig über sich ergehen +lassen; aber bei den letzten Worten fuhr er auf. »Die Annemarie ist +das rechtschaffenste Mädchen unter der Sonne! Wer anders sagt, ist ein +Lügner!« -- Der Alte erhob den Arm und that einen Schritt gegen den +rebellischen Sohn, um ihn niederzuschmettern; aber die Mutter fuhr +dazwischen. »Um's Himmelswillen,« rief sie dem Rasenden zu, »thu' das +nicht! Siehst du nicht die Leute, die draußen stehen?« Der Vater ließ +den Arm sinken, aber nur um den Sohn desto grimmiger mit Worten zu +treffen. + +Ich verzichte darauf, diese Scene weiter zu schildern. Der Zorn ist +eine Art von Wahnsinn. Hat er einmal die Dämme der Vernunft und +der Sitte durchbrochen, dann kennt sein Wüthen keine Grenzen mehr. +Er will den Gegner vernichten und greift darum zu den gröbsten +Schmähungen, weil sie die tödtlichsten sind. Der Zornige kann mit dem +ehrlichsten Ingrimm und mit der wahrsten Empfindung Dinge sagen, deren +Ungerechtigkeit er bei ruhigem Blute besser einsehen würde als irgend +ein anderer. Nur die Ungerechtigkeit kann ihm genug thun, er lebt von +ihr, er schwelgt in ihr. Die Worte, die dem Angerbauer angreifend und +dem Sohn abwehrend an diesem Morgen noch in den Mund kamen, würden +in dieser Darstellung keinen Platz finden. Noch einmal ging der Alte +auf Ludwig los, um ihn niederzuschlagen; noch einmal trat die Mutter +dazwischen und hielt ihm den Arm. Endlich rief er mit schäumendem +Munde: »Fort, fort! Aus meinem Hause! Du bist mein Sohn nicht mehr! +Fort!« Und Ludwig versetzte: »Sorg' nicht, ich geh', und nie wirst du +mich wieder sehen!« Er öffnete die Thüre und ging hinaus. Die Mutter +wollte ihm nach, aber der Angerbauer hielt sie mit eisernem Arm. »Laß +ihn, er soll fort und mir nie wieder unter's Angesicht kommen!« + +In einer Art von heroischer Trunkenheit ging Ludwig in seine Kammer, +packte die nothwendigsten Kleidungsstücke in ein Tuch und wanderte mit +dem Bündel durch den Garten auf's Feld hinaus. Es war ihm ordentlich +wohl zu Muthe. Er wollte sich an seinem Vater rächen, und er wußte, wie +er das konnte. Gestern hatte er zufällig gehört, daß ein weitläuftiger +Anverwandter im untern Ries einen Knecht brauche. Zu dem wollte er +gehen und sich bei ihm verdingen. Er wollte als Knecht dienen, zur +Schande seines reichen Vaters, und so lange aushalten, bis dieser ihn +selber bäte wieder zu ihm zu kommen und -- Annemarie zu heirathen. +Dieser wollte er schreiben, ihr ausführlich berichten, wie tapfer er +sich gehalten und dadurch gewiß alles wieder gut gemacht habe. Er +fühlte sich recht als Mann und war mit sich und beinahe auch mit seinem +Schicksal zufrieden. + +Das Dorf, in welches er zu wandern gedachte, war etwa drei Stunden +entfernt. Auf dem Feldweg, den er zunächst einschlug, begegneten ihm +mehrere Leute, die ihn verwundert anschauten, zuletzt auch sein Bruder +Andres, der ihn fragte, wo er hingehe. »Fort, in die weite Welt,« rief +ihm Ludwig zu. -- »Wie soll ich das verstehen?« fragte Andres. -- +»Der Vater braucht mich nicht mehr: geh' heim und sag ihm, wo du mich +getroffen hast!« Und fort eilte er. Andres ging etwas rascher nach +Hause als er sonst gethan hätte, und richtete den Auftrag aus. Der +Mutter traten auf's neue die Thränen in die Augen; der Alte aber rief: +»Mag er laufen, wohin er will, der nichtsnutzige Bursche! -- Ich werde +nicht nach ihm schicken!« Der ruhige Andres ging zur Mutter und sagte +tröstend: »Er wird schon wieder kommen.« + +Nach einer heißen Wanderung langte Ludwig im Hofe des Vetters an. Er +unterdrückte das Schamgefühl, das ihn anwandelte, und trat äußerlich +entschlossen, aber doch mit der Schüchternheit eines Menschen, der sich +anträgt, in die Stube. Der Bauer, ein gesundhagerer, sonnverbrannter +Mann mit angehenden grauen Haaren, war allein da und rief auf den +Gruß des Ankömmlings: »Ludwig! Sieh da! Was führt dich zu uns?« Auf +das Bündel blickend, setzte er hinzu: »Bringst du mir etwas?« -- +»Kann sein,« erwiederte Ludwig. »Ihr braucht einen Knecht?« -- »Ja +wohl. Weißt du mir einen?« -- »Ich weiß einen.« -- »Nun?« -- »Ich +bin's selber.« -- »Du? Mach keinen Spaß!« -- »Ich mach keinen Spaß, +Vetter, sondern sag' Euch die reine Wahrheit.« Und er erzählte ihm das +Vorgefallne. + +Um den Mund des Schmiedbauern (so hieß der Mann vom Hofe) spielte ein +behaglich schadenfrohes Lächeln. Er war einer von denen, die sich +für besonders gescheidt halten und denen es höchst fatal ist, wenn +sie Einen treffen, der noch mehr Verstand zu haben glaubt als sie. +Diesen Verdruß hatte dem Schmiedbauern zu verschiedenen Malen der +Angerbauer gemacht, indem er ihm zu Nördlingen, wenn sie nach einer +»guten Schranne« beim Bier saßen, keine seiner kühneren Behauptungen +durchgehen ließ und ihm hie und da sogar übers Maul fuhr. Den Sohn +dieses stolzen und hoffärtigen Mannes nun als Knecht im Hause zu haben +und dem Alten gelegentlich einmal vor den Leuten sagen zu können, wie +er sich mache, war für ihn ein köstlicher Gedanke. Er beschloß Ludwig +zu dingen. Zu seiner Beruhigung sagte er sich: »Wenn ich ihn nicht +nehme, geht er vielleicht nach Augsburg, um sich als Hausknecht zu +verdingen, oder unter die Soldaten, oder Gott weiß wohin, so daß man +ihn am Ende gar nicht mehr findet. Bei mir aber lebt er in der Nähe und +kann am ersten wieder zur Vernunft gebracht werden.« + +»Ei, ei, ei, ei!« rief er endlich aus, indem er vergnügt den Kopf +schüttelte, »was sind das für Sachen! -- Nun,« fuhr er nach einer Weile +fort, indem er sich zusammennahm und die Miene des Vetters allmählig +in die des Herrn übergehen ließ, »wenn du's nicht anders haben willst, +so will ich dir nicht entgegen sein. Du sollst mein Handknecht werden +und so viel Lohn haben, wie der vorige. Aber eins muß ich dir sagen: +ich ding dich nicht zum Spaß. Ich brauch einen Knecht, der ordentlich +schafft und nichts vor andern voraus haben will.« -- Ludwig versetzte +etwas empfindlich: »Ich schaff wie ein anderer und verlang nichts als +was mir gehört.« -- »Nun, mit dem Beding sind wir Handels eins.« + +Michel, des Schmiedbauern einziger Sohn, ungefähr in gleichem Alter +mit Ludwig, kam in die Stube und grüßte den Vetter überrascht und +freundlich. »Was sagst du dazu,« redete der Alte ihn heiter an, »daß +Ludwig unser Handknecht wird?« -- »Was nicht noch?« versetzte Michel +ungläubig. Der Alte erklärte ihm den Handel, worauf der Haussohn +den neuen Knecht mit einem schelmischen und selbstzufriedenen +Lächeln betrachtete. Man sah ihm an, daß plötzlich das Gefühl des +Höherstehenden in ihn gefahren war. Er eilte in die Küche, um +seiner Schwester Madlene, welche seit dem Tode der Bäuerin die +Wirthschaft führte, die Neuigkeit mitzutheilen. Als Madlene mit dem +Nachmittagskaffee in die Stube trat, grüßte sie den Vetter nur obenhin +und mit etwas verzogenem Mäulchen; sie konnte einen Burschen nicht +begreifen, der wegen eines geringen Mädchens sich so herabzuwürdigen +vermochte. Der Alte sagte zu Ludwig: »Setz dich zu uns; heute kannst du +noch mit uns Kaffee trinken. Später freilich --« -- »Ich dank' schön,« +erwiederte Ludwig rasch, »mich dürstets, ich trink Wasser lieber.« -- +»Das kannst du dir draußen am Brunnen selber pumpen,« sagte der Alte, +vergnügt über die Empfindlichkeit des jungen Burschen, »und trinke +so viel als dir schmeckt.« -- Die Familie setzte sich im Kanzlei zum +Kaffee. Ludwig verließ die Stube, ging zum Brunnen, trank tüchtig +und nahm sich vor, muthig auszuhalten und alles was sein neuer Stand +natürlicherweise Beschwerliches hatte, mit Geduld zu ertragen. + +Nach zwei Tagen wurde an Annemarie von einem Hausirer ein Brief +abgegeben, worin der Liebende berichtete, was uns bekannt ist. Der +Schluß lautete: »Es geht mir hier recht gut. Ich muß tüchtig arbeiten, +aber das ist mir lieb. Bleib mir nur treu wie ich dir und alles, was +geschehen ist, wird zu unserm Glück sein.« + +Das gute Mädchen hatte eine seltsam gemischte Empfindung. Die +standhafte Treue, die Ludwig bewiesen, erfreute und rührte sie +inniglich; aber der Gedanke, daß ~sie~ an der Uneinigkeit einer +solchen Familie Schuld sein sollte, fiel ihr schwer auf's Herz. +Sie ergab sich für jetzt in ihr Geschick und tröstete sich mit der +Hoffnung, daß der Himmel zwei so treu liebenden Herzen zuletzt doch aus +ihrer Noth helfen werde. + +Im Dorf hatte natürlich das Davongehen Ludwigs den größten Rumor +gemacht, und die beiden Tage lang wurde in den Häusern und auf +dem Felde, beim Bier und Nachts auf der Gasse von nichts anderem +gesprochen. Alle die gegen die Familie des Angerbauers etwas hatten +oder sie beneideten, thaten sich von Herzen gütlich und sorgten dafür, +daß die Geschichte mit gehörigen Zusätzen weiter verbreitet wurde. + +Unser junger Freund Theodor brachte die Nachricht mit einem gewissen +Selbstbewußtsein dem Großvater, indem er ausrief: »Hab' ich's nicht +gesagt?« Der alte Pfarrer sah ihn freundlich an und sagte: »Ja, +du bist ein ganzer Mann und großer Prophet!« Theodor machte ein +etwas verdutztes Gesicht; seine Erwartung, ein mit seinen Gefühlen +sympathisirendes »schrecklich! was es doch für Menschen giebt« etc. +zu hören, war auf's neue getäuscht. Dieselbe Erfahrung machte er, als +er die Kunde brachte, daß Ludwig sich als Knecht verdingt habe. »So?« +sagte der alte Herr, »ist die Nachricht gewiß?« -- »Ich habe sie von +einem Hausirer, der Ludwig selber gesehen hat,« erwiederte Theodor. Und +ihn ansehend, fragte er: »Was soll nun geschehen? was willst du thun?« +-- »Wir wollen ihn dienen lassen,« antwortete der Pfarrer und begab +sich in seine Studierstube. Theodor sah ihm kopfschüttelnd nach; bei +dieser Gelegenheit konnte er seinen Großvater nicht begreifen. + + * * * * * + +Das Leben des Bauern hat dadurch einen besonderen Reiz, daß seine +Thätigkeit an das Leben der Natur gebunden ist und seine Arbeiten in +Folge davon sehr mannigfaltig sind. Im Frühling wird beim Singen der +Lerchen das dampfende Feld gepflügt und besät und auf den Wiesen +die Streu -- die rein gewaschenen Ueberbleibsel des Strohdüngers -- +zusammengerecht. Gemüse- und Baumgarten erhalten ihre Pflege. In den +Sommer und einen Theil des Herbstes fallen die Ernten des Heus, des +Winter- und Sommerkorns, des Grummets (im Ries »Ohmad« genannt), des +Flachses, Hanfs, der »Erdbirn«, der Rüben und des Krautes, die alle +gar verschiedene Fertigkeiten in Anspruch nehmen und insbesondere +dem rüstigen Burschen Gelegenheit geben, sich als »Mahder« (Mäher), +Schnitter, Garbenbinder, Wagenlader und Pferdelenker auszuzeichnen. Die +Einsammlung geschieht in fröhlicher Gesellschaft, die Familienglieder, +Knechte und Mägde helfen zusammen und erleichtern sich die Arbeit +durch lustige Reden; denn gewöhnlich fehlt in einem Hause weder ein +humoristischer Bursche, der Spaß macht, noch eine gemüthlich einfältige +oder unbewußt drollige Person, die ihm dazu den hauptsächlichsten +Anlaß giebt. Die Hausfrau schickt zu rechter Zeit Speise und Trank +auf's Feld und bewirthet die Arbeiter zum Schluß der großen Ernten +festlich mit »Schneckennudeln« oder »Küchlein;« mit den verschiedenen +Arbeiten sind auch verschiedene herkömmliche Ergötzungen verbunden. +-- Ackern und Pflanzen hat sich von Zeit zu Zeit wiederholt, bis +zuletzt noch die Wintersaat bestellt wird. Der Herbst und der Winter +bringen das Dreschen, für die Frauen und Mädchen das Spinnen, womit +in wohlgeheizter, schneeumflogener Stube unter dem Hinzutritt +unterhaltender Bursche die langen Abende ausgefüllt werden. Durch +alle Jahreszeiten hindurch erfordert die Viehzucht, die Besorgung der +Rosse, des Rind- und Federviehs, der Schafe und der Schweine besondere +Arbeiten und Geschicklichkeiten. Dann ist der Bauer auch Fuhrmann und +Handelsmann. Er fährt in Waldungen (im Ries oft in ziemlich entfernte), +um Holz zu holen, er fährt sein Korn zur Schranne, er fährt die Seinen +und für Geld oder gute Worte auch Andere zu näheren und weiteren +Besuchen. Er verkauft, kauft und tauscht, und verbringt auf Märkten, +den Reiz der Handelschaft genießend, keine geringe Zeit. Er wird +endlich verlockt und genöthigt, in verschiedene Künste zu pfuschen +und sich mit allerlei Werkzeugen bei kleinen Verlegenheiten selber zu +helfen. + +Natürlich sind die Arbeiten ausgetheilt und an Einen kommen nicht alle +Arten; doch ist es nicht möglich, jeden einzelnen streng in seinem +Kreise zu lassen, und immer bleibt für ihn noch eine Mannigfaltigkeit +übrig, durch die er sich von dem Handwerker und zumal von dem +Fabrikarbeiter zu seinem Vortheil unterscheidet. Auch der Knecht hat +eine erfrischende Abwechselung von Beschäftigungen, und wenn er die +hauptsächlichsten Arbeiten vom Ausbund versteht und ein »rechter +Schaffer« ist, so kann er sich fühlen und genießt eines rühmlichen +Namens. + +Jede Existenz in der Welt hat indeß ihre Kehrseite. Unter den +mannigfaltigen Geschäften sind solche, die weder sehr leicht, noch sehr +reinlich genannt werden können. In glühender Hitze Korn schneiden, +ist eine Arbeit, ergötzlicher anzusehen, als selber zu thun, indem +das stets wiederholte Hinabkrümmen des Oberleibes zur Erde eine sehr +unbehagliche Empfindung im Rücken zur Folge hat. In kalter Winterzeit +Morgens um vier aufstehen und beim düstern Schein einer Laterne +dreschen zu müssen, würde ebenfalls für Viele nichts Einladendes haben. +Den Acker zu bestellen, wenn es tüchtig geregnet hat, bringt mit der +Mutter Erde in eine Berührung, die man weniger innig wünscht. Indem der +Bauer die extremen Aeußerungen der Natur nicht so zu dämpfen vermag, +wie der Städter, und nicht auf gebahnte, sondern auf Wege gewiesen ist, +die meist noch in ursprünglicher Schlechtigkeit vorhanden sind, kann er +die Eigenthümlichkeit eines »wüsten Wetters« von Grund aus genießen. +In der Erntezeit gefällt sich die Natur zuweilen, den Fleißigen zu +necken, indem sie die getrocknete Frucht durch einen gehörigen Regen +netzt, um neues Umwenden nöthig zu machen, und dieses Manöver so lange +wiederholt, bis zuletzt auch dem Gutmüthigsten der Geduldfaden reißt. + +Wie jeder weiß, spielt die größte Rolle in der Landwirthschaft der +Dünger oder Mist. Denselben in gehöriger Fülle und Fettigkeit zu +erzeugen, ist die Hauptsorge des umsichtigen Bauers. Und wo dieser +wundersam nährende Stoff hinkommt, da wächst das Gras, da blühen die +Blumen, da grünt das Korn und sprießt in die Höhe -- da steht die +Poesie der Landwirthschaft vor unsern Augen. Kein Wunder, daß der +Hofbesitzer mit besonderem Stolz auf seinen Misthaufen sieht und über +diesen Gegenstand mit Begeisterung zu reden vermag. Wenn aber die +segensreichen Wirkungen dieses Stoffes jeder zugiebt, so ist es doch +weniger erfreulich, sich mit demselben unmittelbar zu befassen. Ihn auf +einem dazu bestimmten Karren vom Stalle zum Haufen zu fördern, ihn, von +Jauche getränkt, auf einen Wagen zu laden und festzupatschen, ihn auf +Aecker und Wiesen zu führen und dort herumzubreiten, ist eine Arbeit, +welche gern zu thun eine besondere Liebhaberei erforderlich ist. + +Natürlich geht es hier wie überall. Die Berufspflicht und die +Gewohnheit versöhnen mit Beschwerlichkeiten, die andern groß, ja +unerträglich erscheinen. Wer es gewohnt ist, der singt und pfeift bei +der genannten Arbeit und ist auf keine Weise davon belästigt, da sie, +genau genommen, in der freien Landluft auch weniger Uebelstände mit +sich führt, als Unkundige sich vorstellen mögen. Wer sie aber nicht +gewohnt ist und sich überdies zu gut dafür hält, den muß sie freilich +sehr hart ankommen. + +Die Geduld unseres verlorenen Sohnes wurde auf eine schwere Probe +gestellt, als die mühseligen und für ihn demüthigenden Arbeiten nach +einander anrückten. Er hatte zwar alle Bauernarbeiten gelernt, die +beschwerlichen und unreinlichen aber seinen Knechten überlassen, und +für das, was die übrigen noch Lästiges mit sich führten wurde der +Liebling der Mutter reichlich entschädigt. Nun mußte er sich nicht nur +zu einer jeden hergeben, er mußte sie, seiner eigenthümlichen Lage +und seinem Versprechen gemäß, auch mit besonderem Fleiß und Eifer +verrichten und den andern mit gutem Beispiel vorangehen. + +Dies war indeß noch nicht das Schlimmste. Als Handknecht stand er +unter dem Befehl des Bauern und seiner zwei Kinder, in gewissem Sinn +auch unter dem des Oberknechts. Dieser war zufällig ein brummiger +Kerl und machte seine Rechte um so mehr geltend, als er beinahe das +doppelte Alter Ludwigs hatte. Wenn es nun hieß: »Komm her! -- thu' +mir das! -- hol' mir jenes!« so mußte der arme Bursche laufen, die +Ausrufungen der Ungeduld anhören und Tadel hinnehmen, auch wo er ihn +nicht verdiente, sondern wo der Befehlende nur zeigen wollte, daß er +sich das Ausgeführte noch besser denken konnte. Seine Herkunft und +seine Vetterschaft nützten ihm dabei gar nichts. Der Schmiedbauer +hatte seinen Kindern den Plan mitgetheilt, den er in Bezug auf +Ludwig befolgen wollte und der so sehr mit seiner Herzensneigung +übereinstimmte; die würdigen Sprossen fanden ihn gut und handelten +treulich darnach, Michel, um sich einen übermüthigen Spaß zu machen, +Madlene, um die Genossenschaft der Bauerntöchter an ihrem Beleidiger +zu rächen. Der Oberknecht, der in frühern Diensten von reichen Bauern +gehunzt worden war, benutzte die Gelegenheit, bei dem Sohn eines +solchen es wieder hereinzubringen. Er that nicht nur so viel als er +konnte, sondern mehr als er durfte, und Ludwig, der nicht rechten +wollte und überhaupt einmal in der Selbstverläugnung begriffen war, +ließ sich möglichst viel gefallen. + +Tief in der menschlichen Natur liegt der nicht sehr lobenswerthe Trieb, +die Gutmüthigkeit zu necken, die Hülflosigkeit zu mißbrauchen und dem, +der den Schaden hat, auch noch den Spott in den Kauf zu geben. Sogar +bessere Menschen können dem Reiz dazu nicht widerstehen, wenn der +Schaden nicht zu arg ist und der Betroffene ihn zu verdienen scheint. +Als Ludwig einmal den Roßstall säuberte und durch etliche Karrenfuhren +den Düngerhaufen vergrößerte, kam eben Michel herbei. Er konnte sich +nicht enthalten, lächelnd stehen zu bleiben und dem Burschen zuzurufen: +»Du kannst ja misten, Ludwig, als ob du nie etwas anderes getrieben +hättest!« Dann ging er zum Stall, schaute hinein und rief aus: +»Sapperment, hast du sauber gemacht! du bist ein Handknecht, wie wir +keinen bessern hätten kriegen können!« Ludwig erröthete und schwieg; +er fühlte, daß er den Spott entweder hinnehmen oder in einer Weise +beantworten mußte, die zum Bruch führte. Michel trollte selbstzufrieden +seiner Wege. Da er nicht sehr erfindsam war, so wiederholte er diese +Anrede mit geringen Variationen auch bei andern Arbeiten, und sein +Vater stand ihm mit ähnlichen Späßen bei, so daß Ludwig sich mehrmals +nur mit größter Mühe enthielt, den Spöttern ein paar tüchtige Ohrfeigen +zu langen. Der Oberknecht brach die Gelegenheit vom Zaun, auf ein +verzogenes Muttersöhnchen zu schelten und dem Untergebenen zu sagen: +mit ihm sei wenig ausgerichtet und er könnte nichts Besseres thun, +als wieder zu seinem Vater heimgehen. Am unbarmherzigsten fuhr aber +den Unglücklichen Madlene an, wenn er nach ihrer Meinung etwas nicht +recht gemacht hatte. Sie zeigte offenbar den meisten Eifer, den Sünder +zu bessern. Wenn dann Michel scherzend zu ihr sagte: »Hör einmal, du +machst's ihm doch zu arg,« so wurde sie roth und erwiederte: »Was da! +es gehört ihm nicht besser!« + +Das Essen, das Ludwig erhielt, stand mit den Arbeiten, die er +verrichten mußte, nicht im Verhältniß, oder wenn man will, es stand +damit im Verhältniß; denn in der Regel bekommt ja doch gerade der, +welcher die sauersten Arbeiten thun muß, die magerste oder wenigstens +die gröbste Kost. Im Hause des Schmiedbauern, der sich keineswegs durch +Freigebigkeit auszeichnete, erhielten die Ehehalten Wassersuppe, sehr +einfach bereitete Gemüse in möglichst geringer Abwechselung, grobe +Mehlspeisen und allenfalls Speck und Salzfleisch, das vor Alter grün +und gelb geworden. Die andern, die es nicht besser gewohnt waren, +verschluckten solche Kostbarkeiten mit stets lebhaftem Appetit, der +Bauernsohn mußte sich aber, wie man zu sagen pflegt, »einen Zorn +einbilden,« um sie hinunter zu bringen. Da seine Mutter sich besonders +als Köchin auszeichnete, so war er mehr verwöhnt als andere seines +Gleichen: Fleischbrühsuppe, gutes Ochsenfleisch, schmackhafte Gemüse, +Eierspeisen und an festlichen Tagen Braten, das war es, was er zu +genießen pflegte. Nun mußte er die rohe Kost essen und dabei sehen, wie +die Herrlichkeiten, die ihm die Mutter früher mit aufmunternden Worten +vorgesetzt, von Madlene in's Kanzlei getragen und dort unter fröhlichem +Diskurs verspeist wurden. + +In der ersten Zeit erduldete er alle diese Unbilden mit großer +Standhaftigkeit. Vor allem hielt ihn sein Trotz oben und ~er~ +dachte wirklich mit jenem Jungen, der aus Mangel an Handschuhen die +Finger erfror: es geschieht meinem Vater ganz recht, warum hat er mich +aus dem Hause getrieben? Viel mehr aber stärkte und erhob ihn die Liebe +und das Bewußtsein, wie mannhaft er seine Treue bewähre und wie viel er +um der Geliebten willen ertrage. Wenn sie mich jetzt sähe, dachte er, +wie viel ich mir gefallen lasse um ihretwillen, ein Mensch wie ich bin, +es würde ihr gewiß an's Herz gehen! Wenige Tage nach Absendung seines +Briefes war von Annemarie eine Antwort gekommen, ein liebliches Echo +seiner Gedanken und Versicherungen. Das Vorgefallene beklagend, sprach +sie dem, der ihr Muth zugesprochen, wieder Muth zu und schloß mit +der sichern Hoffnung auf eine endliche glückliche Wiedervereinigung. +Ludwig freute sich innig, von der Geliebten zu hören, was er ihr selber +geschrieben hatte. Er malte sich aus, wie es ihnen wohl noch gehen und +unter welchen glorreichen Umständen sie wieder zusammen kommen möchten; +und solche Gedanken machten ihn allerdings hie und da bei der Arbeit +etwas zerstreut und ließen ihn kleine Fehlgriffe begehen, auf welche +sich seine Tadler mit einigem Recht berufen konnten. + +Wenn Ludwig mehr innerlichen Lebens fähig war als viele seines +Gleichen, so war er doch kein Mann der Einbildungskraft von Profession +und keineswegs bestimmt, sich durch bloße Vorstellungen über den +Verlust reeller Güter trösten zu lassen. Die Wirklichkeit riß ihn +oft sehr grob aus seinen Träumen, diese verloren überhaupt nach und +nach ihre Kraft, und er fühlte die Erniedrigung seiner Lage, so wie +die Klemme, in der er steckte, doppelt und dreifach. Im Hause des +Schmiedbauern und im Dorfe fand er keinen Trost. Seinen Mitehehalten +blieb er fremd. Ein dritter Knecht und die Mägde hatten ihn zuerst mit +einer gewissen Rücksicht behandelt, weil sie glaubten, sein Vater würde +bald kommen und ihn abholen. Als das aber nicht geschah und Ludwig +still fortarbeitete, verlor sich ihr Respekt; sie nahmen ihn für einen +wirklichen verlorenen Sohn und für ihres Gleichen. Wenn er gewollt +hätte, so würde ihm sein »feines Gesicht« bei den Mägden gutes Spiel +bereitet haben. Die ältere, eine passabel hübsche Dirne, glaubte, so +viel wie eine Zimmermannstochter könne sie auch noch vorstellen, und +schickte dem Traurigen theilnehmend süße Blicke zu; da er aber nicht in +der gewünschten Art darauf antwortete, so erklärte sie ihn für einen +Hansnarren und wurde um so »schnötziger« gegen ihn. -- Nicht viel +besser erging es ihm mit den übrigen jungen Leuten des Dorfes. Es hätte +sich unter ihnen wohl ein Kamerad gefunden, wenn er ihn gesucht hätte. +Allein eine stolze Scheu hielt ihn zurück und man ließ ihn gehen. +Zuerst hatte sein Auftreten als Knecht ein mächtiges Gerede veranlaßt; +man begaffte ihn, schüttelte den Kopf und einzelne erlaubten sich mit +ihm zu scherzen und ihm zuzurufen, daß sein Dienen nicht lange dauern +werde. Nach und nach gewöhnte man sich an seine Stellung und es kam +ihm endlich vor, als ob die Leute sie ganz im der Ordnung fänden. +Das ärgerte und verletzte ihn noch am meisten. Durch die Tagesarbeit +tüchtig ermüdet, suchte er früh das Bett, gegen dessen Reinlichkeit +er sonst sehr viel einzuwenden gehabt hätte, und wenn er nicht süß +träumte, so schlief er wenigstens. + +Als er in der vierten Woche seinen Zustand und sich selber in's +Auge faßte, fand er den Geldbeutel leer, den einzigen Anzug den er +mitgenommen, abgerissen, seine Hände viel schwieliger und sein Gesicht +viel verbrannter als vorher. Er mußte sich sagen, daß es doch seine +großen Bedenken habe, mit seinen Eltern zu brechen und sich ohne ihre +Hülfe von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Es kam ihm vor, als ob er +gegen den Vater vielleicht etwas weniger hitzig hätte sein können; +allein diesen Gedanken verwarf er gleich wieder und sagte: »Nein, so +hab' ich handeln müssen!« + +Die Sehnsucht, die Geliebte zu sehen, war unterdessen höher und höher +gewachsen. Er konnte ihr zuletzt nicht länger widerstehen und schrieb +ein Briefchen, worin er Annemarie bat, am nächsten Sonntag Nachmittag +um vier Uhr nach Nördlingen in einen vor dem Reimlinger Thor gelegenen +Wirthsgarten zu kommen, er müsse sie wieder einmal sehen und mit ihr +reden. Dann ging er zum Bauern und bat ihn um drei Gulden von seinem +Lohn. Der Schmiedbauer benutzte die Gelegenheit, ihm zu bemerken, daß +er sich doch besser gemacht habe, als er anfänglich geglaubt, und wenn +er sich nur das viele Sinniren abgewöhnen könnte, so würde er mit der +Zeit ein ganzer Knecht werden. Nach dieser Anerkennung schloß er ein +Wandschränkchen auf, nahm eine wohlgetrocknete, mit Geld gefüllte +Schweinsblase oder »Blotter« heraus und zählte dem Burschen im kleiner +Münze drei Gulden vor, indem er ihn ermahnte, damit hauszuhalten, da +er jetzt nicht gleich wieder mit Geld herausrücken würde. Ludwig, +von dieser Rede hinwegsehend, empfand ein ungewohntes Vergnügen, als +er das selbstverdiente Geld in der Hand hatte, und sein Muth stieg +bedeutend. Er beschloß, einen Gulden auf Ausbesserung seiner Kleider +zu verwenden, mit den beiden andern aber, wenn's nöthig wäre, seine +Geliebte zu regaliren wie ehedem. + +Im Hause des Angerbauers ging indeß das alte Leben ohne Ludwig still +weiter. Das Geschwätz im Dorf, das Staunen, Vermuthen und Lügen über +diesen Gegenstand hatte, wenn nicht aufgehört, doch nachgelassen, und +schadenfrohe wie theilnehmende Freunde ließen die Familie mit ihren +Fragen und den Versicherungen ihres Bedauerns so ziemlich in Ruhe. +Der Angerbauer hatte dafür gesorgt, daß er für seine Person ganz +unangefochten blieb, indem er ein paar vorwitzige Frager auf eine +Weise abfertigte, daß sie ihm über die Grobheit ordentlich erstarrt +nachschauten und ihren Bekannten den Rath ertheilten, ihn gehen zu +lassen, sie wären verflucht heimgeschickt worden. Sonst hatte er +die würdige Ruhe wieder angenommen, die ihn auszeichnete, und nur +ein größerer Ernst und eine gewisse Freudlosigkeit in seinen Zügen +deuteten auf den Vorfall. Die Arbeiten der Heuernte -- des »Heuets« +oder rieserisch »Häats« -- zogen ihn von seinen Gedanken ab, und da +es Heu in Fülle gab, wurde er sogar wieder ein wenig aufgeheitert. Es +hatte den Anschein, als ob er das abgefallene Glied der Familie ohne +Umstände liegen lassen und seinen Weg fortsetzen wollte, als hätte es +nie existirt. Er verbot den Seinen, mit Einschluß des Schwiegersohns, +auf's strengste, dem Ungerathenen Botschaft zu thun oder ihm gar Geld +zu schicken, und da alle seinen Zorn fürchteten und dem Entlaufenen +mehr oder weniger zürnten, so gehorchten sie ihm. Die Mutter wagte nur, +sich durch eine Freundin nach ihrem Ludwig erkundigen zu lassen, wie's +ihm gehe. + +Ein Makel haftete indeß an der Familie des Bauers, wie er, so weit +seine Kenntniß reichte, nie in derselben vorgekommen. Wenn er unter +die Leute ging, so drohten ihm wenigstens Anspielungen, die ihn +beschämten und quälten. Er mußte Gesichter sehen, die viel kränkender +durch ein Lächeln ausdrückten, was der Mund nicht zu sagen wagte. Das +stolze Dasein des reichen Mannes war ein gespanntes, verkümmertes +geworden; seine Zufriedenheit, die so sehr auf der Geltung seiner +Familie bei andern beruhte, war dahin. In der ruhigeren Zeit, die +nach dem Heuet eintrat, stellte sich ihm wieder alles recht vor die +Seele. Er bedachte, wie verständig sein Sohn sich immer aufgeführt, +er konnte nicht begreifen, wie er es vermochte, eine solche Schande +über die Familie zu bringen, und der Gedanke, daß Annemarie ihn in +eigennütziger Absicht verführt, daß sie eine schlaue Dirne sei, die +sich nur so brav anstellen könne und die Leute bisher getäuscht habe, +drängte sich ihm in neuer Stärke auf. »Er kann sich nicht so mir nichts +dir nichts geändert haben,« sagte er dann zu sich, »es muß etwas +Besonderes dahinter stecken.« In einem frühern Jahrhundert hätte er +das Mädchen vielleicht für eine Hexe ausgegeben und sie durch einen +Proceß verfolgt; jetzt glaubte er wenigstens, daß sie alle natürlichen +Mittel eines listigen, zu seinem Unglück schönen Weibsbildes angewendet +hätte, um seinen gutmüthigen Ludwig zu bethören. Dafür schienen ihm +namentlich auch die geheimen Zusammenkünfte zu sprechen, von denen ihm +die Mutter gesagt hatte. Er dachte sich wie es gegangen sein könnte, +und nachdem er sich's recht deutlich vorgestellt hatte, zweifelte er +nicht länger, daß es wirklich so gewesen. Als er seine Gedanken der +Ehehälfte mittheilte, trat diese -- froh die eigentliche Schuld von +ihrem Sohne genommen zu sehen -- eifrig seiner Meinung bei. »Ja ja,« +sagte sie, »so wird's sein. Sie macht zwar eine Miene, als ob sie die +Beste und Frömmste im Dorf wäre; aber stille Wasser gründen tief. +Solche Verführerinnen sind gerade die schlimmsten, und nur so eine +konnte den Ludwig so weit bringen!« In der stillen Hoffnung, daß der +Sohn nach kurzer Zeit doch wieder zu ihnen kommen würde, getäuscht +und über seinen fortdauernden Trotz aufgebracht, entlud sich das +Ehepaar nun seines Verdrusses und Zorns nach der Seite des Mädchens. +Sie habe das Unglück angestiftet, das über die Familie gekommen; von +ihr sei's ausgegangen, das wüßten sie nun gewiß, und was jetzt noch +Schlimmes daraus entstehen würde, das hätte man ihr zu danken. Sie sei +eine Scheinheilige, die's hinter den Ohren habe und vor der man jeden +jungen Menschen von Vermögen warnen müsse. Solche Dinge sagte man zu +den Vertrauten; diese sagten es hernach wieder ihren Vertrauten, und +in zwei Tagen war das ganze Dorf davon erfüllt. Man erzählte sich, daß +die Angerbäuerin ihrer Freundin im obern Dorf weinend geklagt habe, +welcher Jammer durch dieses fremde Mädchen über sie gekommen und wie +sie verzweifeln müsse, wenn sie ihren Ludwig nicht wieder sähe. + +Annemarie hatte seit dem Tage, wo sie den Brief des Geliebten erhalten +und beantwortet, entsagend weiter gelebt und die Geschäfte des Tages +verrichtet. Man sah, daß etwas auf ihr lastete, aber auch, daß sie +entschlossen war, die Last zu tragen. Der alte Bäcker hielt ihr einmal +vor, welch schlimme Folgen ihre Bekanntschaft mit dem Ludwig gehabt +habe, und wie grausam unlieb ihm diese Geschichte sei. »Vetter,« +erwiederte das Mädchen mit bescheidenem, aber festem Ton, »ich weiß, +was ich Euch schuldig bin, und ich vergeß' es nicht, darauf verlaßt +Euch; aber in ~der~ Sache handle ich, wie ich's vor meinem +Gewissen verantworten kann, und ich bitt' Euch, redet mir nicht weiter +davon.« Der gutmüthige Vormund, von dem Ernst ihres Tones betroffen, +versetzte: »Nun meinetwegen! Aber nimm dann auch die Folgen auf dich!« +Seit dieser Zeit hatte sie Ruhe vor Einreden von dieser Seite, und +sonstiges Geklatsch war ihr gleichgültig. + +Als die Vorwürfe, welche die Familie des Angerbauers ihr machte, an sie +kamen, wurde diese Festigkeit doch erschüttert. Eine Freundin sagte +ihr, welch eine Traurigkeit in jenem Hause sei, nun man sehe, daß +Ludwig es ernst gemeint habe mit seiner Rede vom Nichtwiederkommen. +Regine erzählte nach gehöriger Einleitung, daß man sie eine Verführerin +heiße, die nach einem reichen Manne gefischt habe und an allem Unglück +Schuld sei. Bei dieser zweiten Meldung goß sich eine Röthe über das +Gesicht des Mädchens und ihr Mund verzog sich zu dem Ausdruck stolzer +Verachtung. Bald aber faßte sie sich wieder und sagte mit traurig +ergebenem Ton: »Diese Leute dauern mich. Wenn sie solche Dinge über +mich ausdenken, so wackre Leute wie sie sind, dann müssen sie wirklich +unglücklich sein.« -- Sie wurde durch diese neue Erfahrung in eine +seltsame Aufregung versetzt. Es that ihr weh, daß sie eine Uneinigkeit +zwischen Eltern und Sohn gestiftet haben solle, deren Ende nicht +abzusehen war. Dann aber sagte sie sich: »Diese Leute sehen also die +Heirath zwischen mir und Ludwig für eine solche Schande an, daß sie +lieber unglücklich sein wollen, als sie zugeben! Sie heißen mich ein +schlechtes Mädchen und sagen Lügen über mich; sie halten es also in +gar keiner Art für mich möglich, daß ich einmal ihre Schwiegertochter +werden könnte!« Ein Gedanke durchzuckte sie, sie stand auf und that +einige Schritte. Plötzlich hielt sie an; eine Erwägung hatte sich dem +Vorsatz entgegengestellt, sie ging still wieder zu einer Arbeit. -- +Ihre Seele war von da an eine Beute des Zweifels. Man sah sie in Unruhe +umhergehen oder tief in Gedanken stehen. Regine überraschte sie einmal, +wie sie bittere Thränen weinte. + +Die einzige Person unserer Bekanntschaft, welche bei dieser Verwicklung +ihre Ruhe behielt, war der Pfarrer. Diese Ruhe war jedoch gegründet +auf wahre Theilnahme und auf den Entschluß, das zu unterstützen, was +er für das Bessere hielt. Noch hatte er sich nicht entschieden, wie er +eingreifen sollte. Aber er unterrichtete sich fortwährend über die Lage +der Dinge und lebte des festen Glaubens, seine Pflicht werde sich ihm +deutlich vor Augen stellen, so daß er über sie und über die Art ihrer +Erfüllung nicht mehr in Zweifel sein könnte. + +Eines Morgens überdachte er eben diese Dinge, als an die Thüre seines +hellen, im obern Stocke gelegenen Studierzimmers geklopft wurde. Auf +sein »Herein« erschien Annemarie. Sie sah angegriffen aus wie wenn sie +wenig geschlafen und viel quälende Gedanken gehabt hätte; aber in ihrem +ganzen Wesen drückte sich die Ruhe eines gefaßten Entschlusses aus. +Nachdem sie mit ernster Anmuth einen Knix gemacht und den Morgengruß +gesprochen hatte, sagte sie: »Ich hätt' was mit Ihnen zu reden, Herr +Pfarrer, wenn ich Ihnen nicht ungelegen komme.« -- Der alte Herr, +innerlich erfreut, erwiederte freundlich: »Nein, mein Kind; sag mir, +was du auf dem Herzen hast!« + +Annemarie, durch ihren Vorsatz über die einem jungen Mädchen +gewöhnliche Schüchternheit erhoben, begann mit nur leisem Erröthen: +»Sie wissen, Herr Pfarrer, was es beim Angerbauer gegeben hat und wie +ich dabei ins Geschrei gekommen bin. Ich will Ihnen die Geschichte +nicht wieder erzählen; sie wird Ihnen bekannt sein -- man hat ja so +viel darüber gesprochen! Nun hab' ich aber dieser Tage gehört, sie +sagen beim Angerbauer, ich allein sei an allem Schuld und ich habe +den Ludwig verführt. -- Her Pfarrer«, sagte sie, indem ihr Ton sich +verstärkte und ihre Wangen sich höher rötheten, »~ich~ kann Gott +zum Zeugen anrufen, daß das nicht wahr ist! Wir haben uns eben beide +von Anfang an gern gesehen, und -- -- Sie wissen ~ja~, wie's +geht, wenn man sich gern sieht und eine Person einem die liebste ist +auf der Welt. Ich hab ihn halt liebhaben müssen, grad wie er mich, und +so ist's gekommen, daß wir uns endlich gesagt haben, wir wollen nicht +von einander lassen und uns treu bleiben, bis wir mit Gottes Hülfe +endlich zusammenkommen. Wegen dieses Verspruchs ist Ludwig mit seinem +Vater in Streit gerathen und dient jetzt als Knecht. Ich hab das nicht +vorausgesehen, aber wenn ichs vorausgesehen, was hätt ich thun können? +Ich will Ihnen blos sagen und wills vor Ihnen beschwören, daß ich ihn +nicht verleitet habe. Er hat sich einmal seinen Eltern zu lieb fremd +gegen mich gestellt und mich nicht mehr angesehen, und ich bin ihm zu +dieser Zeit nicht nachgegangen, wie jeder weiß, sondern ich bin ihm +ausgewichen. Ich hab ihn nicht wieder gesucht, er hat mich gesucht -- +und das ist die Wahrheit!« + +Der Pfarrer betrachtete theilnehmend das Mädchen, dessen Augen in dem +Feuer gerechter Selbstvertheidigung erglänzten, und sagte: »Ich glaube +dir und weiß es, mein Kind.« Annemarie, ihn dankbar anschauend, fuhr +fort: »Ich hab das nicht gesagt, als ob ich gar keine Schuld haben +wollte. Ich hab jederzeit empfunden, daß es Verdruß geben würde, recht +viel Verdruß, und daß die Angerbauersleute recht bös auf mich sein +würden. Aber, Herr Pfarrer, wenn Sie gesehen hätten, wie gut der Ludwig +gegen mich war und wie er mich ansah, -- wenn Sie gehört hätten, was +er noch auf der Nördlinger Messe zu mir gesagt hat, Sie würden mirs +gewiß nicht so übelnehmen, daß ich ihm zur Antwort gegeben habe: »ich +wolle ihm gehören und die Seinige bleiben, so lang ich lebe!« -- »Es +ist eben,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »etwas in uns, das mehr +Gewalt hat, als unser Wille und unsere Sorgen.« + +Der Pfarrer nickte mit ernster Miene, die Thatsache zugebend. Dadurch +ermuthigt, ging das Mädchen in ihrer Rede weiter und sagte mit +liebenswürdigem Selbstgefühl: »Ich will's Ihnen aufrichtig bekennen, +Herr Pfarrer: ich denke nicht so gering von mir, sondern halte auch +etwas auf mich. Ich komme von braven Leuten her und glaube, daß ich +keiner Familie Schande machen würde. Ich hab' etwas gelernt und bin +ein ordentliches Mädchen gewesen mein Lebenlang. Da hab' ich nun +gedacht, wenn ich auch keine Bauerntochter und nicht so reich bin, so +bin ich doch diejenige, mit welcher der Ludwig am glücklichsten leben +würde. Und ich hab' gedacht, sein Vater würde das am Ende einsehen und +nachgeben. Aber« -- fuhr sie nicht ohne eine gewisse Bitterkeit fort -- +»das ist eben der Gedanke, den ich mir nicht verzeihen kann. Ach, Herr +Pfarrer, das Geld ist alles und der Stand ist alles, und die Tugend ist +nichts! Man redet wohl so, als ob die Tugend und die Liebe auch etwas +wären, aber wenn's drum und dran kommt, gelten sie doch nichts. Wenn +ein Mädchen keinen Verstand und keine Art hat, aber Geld und Gut, dann +ist sie die rechte. Wenn eine sich aber auf andere Dinge etwas zu Gute +thun will und merken läßt, daß diese eben so viel werth sind als Gut +und Geld, dann hält man sie für verrückt!« -- Ueber ihren Eifer und den +letzten starken Ausdruck erröthend, setzte sie hinzu: »Verzeihen Sie, +Herr Pfarrer!« + +Der alte Herr lächelte und sagte: »Du hast nicht ganz Unrecht, +Annemarie. -- Aber nun sage, was begehrst du von mir? Worin kann ich +dir helfen?« -- »Herr Pfarrer,« versetzte das Mädchen, indem sie +sich augenscheinlich zusammennahm, »ich bin zu Ihnen gekommen, weil +ich Ihnen sagen möcht', was ich bei mir ausgemacht habe. Der Ludwig +hat mir Lieb und Treu versprochen für alle Zeit. Er hat's freiwillig +gethan und mir's zugeschworen bei allem, was heilig ist. Ich könnte +also ruhig sein und zusehen, wie der Streit ausginge. Ich hätte nur +mein Versprechen zu halten, wie ich's ihm gegeben hab', und könnte das +andere Gott überlassen. Aber«, fuhr sie bewegter fort, »ich will diese +Leute nicht in's Unglück bringen, wenn sie's dafür nehmen, und ich +bilde mir viel zu viel ein, als daß ich mich einer Familie aufnöthigen +möchte, die mich nicht haben will. Ich ~kann's~ nicht ertragen, +Herr Pfarrer, daß die mich verachten, die ich allzeit lieb und werth +gehalten hab', und darum will ich jetzt thun, was ich mit gutem +Gewissen thun kann.« + +Sie hielt ein wenig inne, nahm sich nochmals mit offenbarer +Anstrengung zusammen und sagte dann mit einem Tone, dem sie vergebens +die erste Festigkeit zu verleihen suchte: »Ich will dem Ludwig sein +Wort zurückgeben, er soll von mir aus frei sein und thun können, was er +will. Er soll noch einmal die Wahl haben, ob er mich lassen und seinem +Vater nachgeben will oder nicht. Ich will durchaus nichts dagegen thun +und ihm in keiner Art hinderlich sein, wenn er glaubt, daß er mit einer +andern sein Glück findet. Wenn das ist, dann will ich fortgehen von +hier, daß ich ihn nicht mehr seh' und er mich nicht mehr. Ich hab' +einen Vetter bei Stuttgart, der wird mich zu sich nehmen. Ich will +nichts mehr von mir hören lassen, und es soll grad so sein, als ob ich +nicht mehr auf der Welt wäre. Ich will für meinen Theil« -- -- Aber +damit war die Kraft des guten Mädchens zu Ende. Ihr Mund zuckte, die +Stimme versagte ihr, Thränen waren in ihre Augen gestürzt. Sie gab +sich Mühe, das Weinen zu verhindern und kämpfte sichtlich dagegen an, +aber doch rollten ein paar große Tropfen über ihre Wangen. Indem sie +ausführte, was gekränkter Stolz und Großmuth sie thun hießen, glühte +die heißeste Liebe zu ihrem Ludwig in ihr auf; indem sie den Geliebten +frei geben wollte, klammerte sie sich an ihn an mit einem schmerzlich +innigeren Gefühl als je vorher. + +Der Pfarrer erkannte das und sah mit Rührung auf sie, wie sie dastand +und ihre Thränen fließen ließ. Er wußte das Herkommen, den Brauch der +Welt zu schätzen, denn er kannte die guten Gründe, auf denen er ruht. +Er wußte, daß am besten sich Gleiches zu Gleichem gesellt, daß das +gleiche Vermögen und die gleiche Stellung mit dem gleichen Gefühl davon +sehr bedeutende Mittel zu einer guten Ehe sind. Aber er wußte auch, +daß das Recht der äußern Ordnung seine Grenzen hat, und daß es Dinge +giebt, vor welchen sie sich bescheiden zurückstellen muß. Er war nicht +rasch gewesen, die Partei des Liebespaares zu nehmen, weil er Fälle +kannte, wo das Kind reicher Leute den Eltern es später Dank wußte, daß +sie dem ersten verliebten Drängen nicht nachgegeben. Allein wie er sah, +daß er in Annemarie eine wahrhaft gute Natur vor sich hatte, wie ihr +Gemüth sich vor ihm enthüllte in seiner ganzen Bravheit und Schönheit, +da dachte er, erfreut und bewegt: »Die Sitte der Welt mag diesmal die +Segel streichen! Hier ist mehr als sie und ihre Herrlichkeiten. Der +Geist und das Gemüth, die sich so erproben, sind mir Bürgen für alles; +und wenn ~ichs~ machen kann, sollen sie diesmal die Oberhand +behalten.« Er stand auf, trat zu Annemarie und nahm sie väterlich bei +der Hand, indem er sagte: »Fasse dich, gutes Mädchen, du hast recht +gehandelt und der Lohn dafür wird nicht ausbleiben, in welcher Form er +dir auch kommen mag. -- Wirst du das alles auch Ludwig zu wissen thun?« +-- »Ja, Herr Pfarrer,« antwortete Annemarie, die sich wieder gefaßt +hatte. »Ganz das Nämliche, was ich Ihnen gesagt habe, will ich ihm +schreiben.« + +Der alte Herr sah ihr forschend in's Auge und über sein gerührtes +Gesicht verbreitete sich ein fast unmerkliches Lächeln. Er glaubte aus +der Art, wie das Mädchen diese Antwort gab, schließen zu dürfen, daß +der Schritt, den sie that, auch zugleich eine letzte Probe sein sollte +für Ludwig, und daß sie die Hoffnung hegte, er werde sie bestehen. Er +sagte: »Thu das, mein Kind, und erwarte das Uebrige in Geduld. Hast du +sonst noch was auf dem Herzen?« + +»Nein, Herr Pfarrer,« erwiederte Annemarie, indem sie sich die letzten +stehen gebliebenen Thränen von den Wangen wischte. »Ich dank' Ihnen, +daß Sie mich angehört haben, und bitte Sie nur noch darum, daß Sie dem +Angerbauer, wenn Sie ihn treffen, sagen, ich sei nicht das Mädchen, +für das er mich hält. Sie, Herr Pfarrer, kennen mich besser, und das +ist mein Trost. Ich dank' Ihnen nochmals recht schön für Ihre Güte +-- ich werde sie immer im Gedächtniß behalten!« -- Ihre weichen Züge +verklärte, indem sie dies sagte, ein schönes Bewußtsein und Dankgefühl. +Sie machte einen tiefen Knix und verließ die Stube, nachdem sie noch +einen Blick inniger Verehrung auf den Pfarrer geworfen. + +Dieser sah ihr mit wahrer Freude nach. »Ja, ja,« sagte er dann zu sich, +»das ist eine bessere Schwiegertochter für den Angerbauer als Eva; und +wenn er nicht ganz verhärtet ist, soll er sie bekommen.« + +Die erste Sorge des alten Herrn war nun, es so einzurichten, daß der +Angerbauer ihn ebenfalls zu seinem Vertrauten machte. Dieß mußte +geschickt angefangen werden, wenn es gelingen sollte. Denn der +Rieserbauer von der Art des unsrigen will sich nicht bevormunden +lassen, er hält sich für gescheidt genug, sein eigener Rathgeber zu +sein, und es verdrießt ihn über die Maßen, wenn man ihn über Dinge +belehren will, die er selber am besten zu verstehen glaubt. Natürlich +kann er auch geführt werden, aber nicht so geradezu wie dieser und +jener. Wäre der Pfarrer zum Angerbauer in's Haus gegangen und hätte mit +einer gewissen beichtväterlichen Miene gefragt, wie es sich denn mit +dem Streit zwischen Vater und Sohn verhalte, was der Vater nun zu thun +gedenke u. s. w., so wäre dieß das beste Mittel gewesen, ihn verstockt, +wo nicht gar unhöflich zu machen. Aber zu dieser Art von Seelsorgern, +die im Eifer ihres Herzens Gott mit Unverstand dienen, gehörte der +erfahrene alte Herr nicht. Er konnte warten und seine Zeit ersehen. +Dießmal erreichte er übrigens seinen Zweck leicht. Er hatte ein Stück +Vieh zu verkaufen, und als er dem Angerbauer einmal begegnete, lud er +den Sachverständigen ein, es anzusehen und zu taxiren. Der Bauer folgte +ihm sehr bereitwillig, denn er wußte den »braven und gescheidten Herrn« +sehr zu schätzen und hätte gerne schon einmal von seiner Noth mit ihm +gesprochen, wenn es sich nur »gut geschickt hätte.« + +In dem kleinen Stalle des Pfarrers angekommen, unterzog er sich +dem Taxirungsgeschäft sehr ernsthaft. Er begriff das Stück an den +geeigneten Stellen, betrachtete es von allen Seiten und sagte dann +genau, wie viel der Pfarrer dafür fordern könne. Dieser dankte und +rühmte seine Kenntniß. Er selber, obwohl er immer einige Stück Vieh +haben müsse, sei doch unsicher, weil ihm die gerade üblichen Preise +nicht recht bekannt wären. Der Bauer versetzte höflich: »Wenn Sie +sich damit abgeben wollten, Herr Pfarrer, würden Sie's geschickter +machen als unser Einer; aber Sie haben was Besseres zu thun.« Der +alte Herr fragte hierauf mit unbefangener Freundlichkeit, was die +Angerbäuerin mache und ob bei ihm zu Hause alles gesund sei. Der Bauer +erwiederte mit einem Seufzer: »Gesund wären wir alle, Herr Pfarrer; +aber Sie können sich denken, wie's uns zu Muth ist nach dem, was bei +uns vorgefallen ist.« -- »Ja, ja,« sagte der Pfarrer, »ich habe davon +gehört und euch recht bedauert.« + +Der Angerbauer, der sein Herz erleichtern wollte, sagte hierauf: »Ich +kanns noch immer nicht begreifen, so viel ich auch darüber nachgedacht +habe. Lustig und ein bischen auf's Vergnügen aus ist er immer gewesen, +aber in der Art und mit seines Gleichen. Runtergegeben hat er sich +niemals, was ich gehört hab'. Und nun ist er auf einmal ganz wie +verhext und will ein Mädchen heirathen, die -- nun, ich will mich nicht +ausdrücken vor Ihnen, Herr Pfarrer. Wie ich nicht gleich Ja sage, +lauft er davon und verdingt sich als Knecht. Und das thut er in dem +Augenblick, wo er einen Hof und ein Weib haben könnte -- ein Weib und +ein Gut -- ein anderer würde Gott auf den Knieen danken, wenn er's +kriegte!« + +Der alte Herr war versucht, über diesen starken Ausdruck zu lächeln, +aber er hielt an sich und machte ein ernsthaftes Gesicht, das der Bauer +für zustimmend halten konnte. Dieser, einmal im Zuge, bewies, daß er +wohl auch reden konnte, wenn's ihn drückte. »Ach, Herr Pfarrer,« rief +er aus, »die Welt muß anders geworden sein, als sie zu meiner Zeit +gewesen ist. Ich bin auch jung gewesen und bei der Lustbarkeit grad +nicht der Letzte; aber wie meine Zeit zum Heirathen gekommen ist, hab' +ich mich unter rechten Mädchen umgesehen und gottlob ein Weib gefunden, +mit der ich nun glücklich gehaust habe volle neunundzwanzig Jahr. Wenn +ich nun verlange, daß meine Kinder mir nachschlagen und ihr Glück +auf dem Weg suchen sollen, wo ich's gefunden hab', ist das nicht in +der Ordnung? Muß ich als Vater nicht so handeln?« -- »Ja,« sagte der +Pfarrer mit nachdrücklicher Beistimmung, »das ist Eure Pflicht!« + +Der Angerbauer, dem dieß wohl that, fuhr fort: »Sehen Sie, Herr +Pfarrer, in der Familie muß ein Zusammenhalt sein, alle müssen helfen, +wenn man weiter kommen soll. Ich hab' von meinem Vater einen schönen +Hof bekommen und mein Weib hat mir Geld in's Haus gebracht; wir haben +ordentlich gewirthschaftet und unser Vermögen vermehrt, daß wir nun +wohlhabende, und ich darf wohl sagen angesehene Leute sind. Ich kann's +meinen Kindern besser machen als es uns gemacht worden ist, und nun +will ich auch haben, daß sie's noch weiter bringen als wir und daß sie +für ihre Kinder noch mehr thun können. Sie müssen sorgen und immer +darauf aus sein, in rechter Art etwas zu erwerben. Nur so kommt man +empor, man findet ein sicheres Glück und Ehre in der Welt und kann sich +im Wohlstand seines Lebens freuen.« + +»Wohl,« sagte der Pfarrer, »und es ist nicht bloß der Besitz, der Einen +erfreut, sondern das Streben und die Thätigkeit selber. Der Mensch muß +sich ein Ziel stecken, das über den Platz, auf den man ihn gestellt +hat, hinaus geht. Dann werden seine Tage ausgefüllt mit Arbeit, mit +Dichten und Trachten, mit Hoffen und Erwarten, und Schritt für Schritt +mit der Freude des Gelingens. Und indem er glücklich ist und sein Leben +verschönert, trägt er bei zur Verschönerung und Verbesserung der Welt. +Auf die Größe des Besitzes kommt es da nicht an. Der Kleine freut +sich am kleinen Gewinn, der Größere am größeren; jeden erquickt das +verhältnißmäßige Wachsen und Gedeihen, und so sind alle glücklich, die +ein verständiges Ziel vor sich haben. Wer aber nicht vorwärts strebt, +der kommt neben den Strebenden zurück und geht dem Mangel und der +Unlust zu.« + +Der Bauer war dieser Rede mit Aufmerksamkeit gefolgt und rief nun +erfreut aus: »So ist's, Herr Pfarrer, grad so ist's, wie Sie sagen! +Darum« -- fuhr er mit Bedeutung fort -- »soll eben jeder in seinem +Stand bleiben, namentlich nicht unter seinem Stand und Vermögen +heirathen, sondern gleich da so gut als möglich anzukommen suchen. Ich +will gern zugeben, daß andere mit Wenigem auch glücklich sein können; +aber wer von vermöglichen Leuten herkommt, braucht mehr, weil er's +nicht anders gewohnt ist. Und, Herr Pfarrer, Sie wissen's ja selber, +um ein rechtes Vermögen ist's halt eine schöne Sache! Wenn ich das +habe, so kann ich mich sehen lassen, ich brauch mich nicht zu ducken +und nicht um das und jenes zu betteln, und wenn gute Freunde in der +Noth sind, kann ich ihnen helfen. In ein Gelump hineinkommen, wo +ich nothig thun und knickern müßte, um nur zu bestehen, müßte unser +einen desperat machen. -- Und,« fuhr er nach kurzem Innehalten fort, +indem seine Miene den Ausdruck erzürnter Bekümmerniß annahm, »dieser +leichtsinnige, tollgewordene Mensch will sich schlechter stellen, als +seine Geschwister, während er's viel besser haben könnte als sie! Er +will eine Lumpenwirthschaft anfangen, wo er sich quälen müßte und wo +doch nichts herauskommen würde, als ein Haufen von Bettlern!« + +Der Geistliche hütete sich wohl, einzuwenden, daß im gegenwärtigen +Falle, wenn nämlich der Vater dem Sohn seinen gebührenden +Vermögenstheil zukommen ließe, von einer »Lumpenwirthschaft« doch +nicht die Rede sein könnte. Er wußte, daß den Erzürnten nichts mehr +verdrießt, als wenn man ihm den Grund seiner Klage verkümmern will, und +schwieg daher nachdenklich stille. Endlich sagte er: »Vielleicht geht +diese Sache doch noch besser aus, als Ihr denkt.« -- »Wie so?« fragte +der Angerbauer. -- »Die Annemarie,« versetzte der Pfarrer, indem er den +andern scharf ansah, »ist vor einigen Tagen bei mir gewesen, extra um +mir zu sagen, daß sie nicht Schuld sein wolle an der Uneinigkeit einer +solchen Familie, wie die Eurige, und daß sie zuviel auf sich selber +halte, um sich da aufzudrängen, wo man sie nicht haben wolle. Sie habe +sich entschlossen, dem Ludwig sein Versprechen zurückzugeben, und wolle +sich in keiner Art dawidersetzen, wenn er sein Glück mit einer andern +finde.« + +Der Angerbauer horchte hoch auf und wußte nicht was er sagen sollte. +Er fragte dann in zweifelndem Tone: »Hat sie das wirklich zu Ihnen +gesagt?« -- Der Pfarrer erwiederte mit einem Ernst und einem Nachdruck, +der jeden Zweifel niederschlagen mußte: »Es sind ihre eigenen Worte, +Angerbauer! Sie hat mir versprochen, das Nämliche Eurem Ludwig zu +schreiben, und ich verbürge mich dafür, daß es geschehen wird.« + +Der Bauer verstummte; er war in die Seele getroffen. Ein im Grunde +seines Wesens ehrenwerther Mann, der in der That jedem das Seine +gab, konnte ihn nur der Zorn und der tiefe Verdruß zu ungerechtem +Absprechen hinreißen. Nun mußte er sehen, daß ein Mädchen, die er eine +heuchlerische, gefährliche Person gescholten, brav und rechtschaffen, +ja weit über alles Erwarten rechtschaffen gegen ihn handelte. Es +zeugte für seine gute Natur, daß ihn diese Nachricht mehr rührte, +als erfreute, daß er sogleich sein Unrecht fühlte und seiner stolzen +Seele eine gewisse Achtung vor einem solchen Benehmen abgenöthigt +wurde. Endlich sagte er mit sehr ernsthaftem Gesicht: »Wenn sie das +gethan hat, dann ist sie besser, als ich gedacht habe. Sie mag ein +ordentliches Mädchen sein, ich will's nicht bestreiten.« + +»Man muß jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen,« versetzte +der Geistliche. »Die Annemarie ist brav, geschickt, verständig, +wohlerzogen, und würde jeden glücklich machen --« -- »Von ihrem +Stande!« fiel der Bauer ein. -- »Das ist's, was ich sagen will,« +erwiederte der Pfarrer: »wenn die äußern Verhältnisse zustimmen.« -- +»Gut,« sagte der Bauer. »Bei meinem Ludwig ist das aber nicht der Fall, +drum kann hier von einer Heirath nie die Rede sein.« + +Der alte Herr schwieg. Dann fragte er leichthin: »Wie soll's nun mit +Ludwig werden? Was habt Ihr beschlossen?« -- Der Bauer konnte sich +nicht enthalten, ein wenig aufzufahren. »Beschlossen?« rief er. »Ich +glaube, da ist nichts zu beschließen, Herr Pfarrer. Dieser Mensch +mag bleiben, wo er will, und gehen, wohin er will! Soll ich ihm +nachlaufen? Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er wiederkommen und die +Zimmermannstochter heirathen soll? Soll ~ich~ nachgeben, der Vater +dem Sohn?« + +»Nein,« erwiederte der Pfarrer mit Ernst, »das sollt Ihr nicht, +Angerbauer! ~Er~ muß nachgeben, ~er~ muß wiederkommen und dem +Vater das Recht lassen, das ihm gebührt!« -- »Freut mich,« versetzte +der Bauer, »daß Sie so denken, Herr Pfarrer. So ein neustudirter Herr +hätte vielleicht gemeint, ich sollte meinem Buben seinen Willen lassen; +warum? weil die Leute in einander verliebt sind und die Annemarie doch +ein ordentliches Mädchen ist. Aber Sie kennen die Welt, Herr Pfarrer, +Sie wissen, daß es beim Heirathen noch auf ganz andere Dinge ankommt, +und daß der Vater für den Sohn denken und Verstand haben muß.« -- +Nach diesen Worten lüpfte er die Alltagskappe, an welcher der sonst +werthvolle Pelz etwas röthlich geworden war, und fragte: »Kann ich +Ihnen sonst noch was dienen?« -- »Nein,« versetzte der alte Herr, »ich +danke Euch für Eure Gefälligkeit.« -- »So wünsch' ich Ihnen guten +Nachmittag,« sagte der Bauer und entfernte sich mit langsam würdigen +Schritten. + +Das Gespräch hatte theils im Stalle, theils in dem heimlichen, mit +einer Mauer umgebenen Pfarrhof stattgefunden. Der alte Herr ging in +seine Studirstube zurück, mit der Unterredung sehr zufrieden. Er +hatte des Bauers Vertrauen gewonnen und wußte, daß dieser nun unter +schwierigen Umständen ihn von selber um Rath angehen würde. Dann +hatte er mit der Nachricht über Annemarie einen Keim in seine Seele +gesenkt, der wachsen und gute Früchte bringen konnte. Er sah voraus, +daß der Angerbauer seinem Weib und seinen nächsten Verwandten davon +sagen würde, und daß diese, die sich auf ihr Geld und ihr Ansehen +allerdings etwas mehr einbildeten, als recht war, in Annemarie ein +ihnen ebenbürtiges Gemüth erkennen mußten. Auf die wackeren Leute mußte +die Rechtschaffenheit, auf die stolzen das Selbstgefühl des Mädchens +einen günstigen Eindruck machen. + +Als er, solchen Gedanken hingegeben, behaglich auf seinem Lederstuhl +sich dehnte, stürmte plötzlich sein Neffe in die Studirstube. Dieser +hatte schon erfahren, daß Annemarie bei seinem Großvater gewesen, aber +nichts Bestimmtes über die Unterredung aus ihm herausbringen können. +Nun sah er auf dem Heimweg von einem Spaziergang den Angerbauer aus dem +Pfarrhofe kommen und glaubte aus seinen Mienen auf eine Entscheidung, +ja auf eine glückliche Beilegung des Streites schließen zu können. Von +Neugier und gutmüthiger Theilnahme getrieben, eilte er zu dem Großvater +und rief aus: »Der Angerbauer ist bei dir gewesen und ganz zufrieden +fortgegangen. Ich bin ihm begegnet. -- Hast du ihn herumgebracht?« +-- »Wie so?« fragte der Alte. -- »Will er den Ludwig zurückrufen und +ihn die Annemarie heirathen lassen?« -- »Ei, ei,« erwiederte der +Alte heiter, »du hast dich also ganz auf diese Seite geschlagen und +willst aus Ludwig und Annemarie durchaus ein Paar machen?« -- »Ja,« +versetzte der Jüngling bestimmt, »das will ich. Die zwei sind nicht +nur die schönsten im Dorf, sondern auch die bravsten. Sie passen so +zusammen, als ob sie extra für einander geschaffen wären, und es kann +nicht sein, daß sie wegen einer so gemeinen Sache, als das Geld ist, +nicht zusammen kommen sollen!« -- »Du gehst rasch und machst die Sache +kurz ab,« erwiederte der alte Herr. »Wenn aber der Angerbauer nicht +will?« -- »Der muß,« entschied der Jüngling. -- »Wer wird ihn zwingen?« +fragte der Alte. »Willst du vielleicht zum Gerichte gehen, einen Befehl +auswirken, daß der Angerbauer sich fügen müsse, und die Sache mit +Gendarmen abmachen?« + +Theodor, der die heiter fragende Miene des Großvaters nicht aushalten +konnte, sah zu Boden. »Ich habe gemeint,« sagte er dann, »~du~ +würdest einmal mit ihm reden, wie sich's gehört, würdest ihm klar +machen, daß die geistigen Vorzüge viel höher stehen als die weltlichen, +würdest ihn überzeugen und ihn zwingen durch deinen Zuspruch.« -- »Der +alte Angerbauer,« erwiederte der Pfarrer, »ist ein sprödes und zähes +Metall; das bischen Feuer, das ich noch besitze, würde ihn nicht zum +Schmelzen bringen. Du siehst ja, ich bin alt und theilnahmlos geworden +und kann mich einer so schönen Glut, wie du sie hast, nicht mehr +rühmen. Wie wär's« -- fuhr er gemüthlich fort -- »wenn du der Sache +dich annähmest? Du willst ein Pfarrer werden und wirst als solcher +gewiß gar vieles geschickter anfangen und besser hinausführen als +ich. Wenn du beim Angerbauer dein erstes Probestück machtest? Wenn du +hingingest, ihm und der Bäuerin eine Rede hieltest über das Verhältniß +der ewigen und zeitlichen Güter und ihn durch begeisterte Worte +dermaßen in's Feuer brächtest, daß er den Ludwig zurückriefe und ihm +sein Liebchen zur Frau gäbe? -- Wie?« + +Theodor wurde roth und schwieg. Er hatte den Rieser Bauer vom Schlage +des in Rede stehenden doch schon zu gut kennen gelernt, um nicht ihm +gegenüber seine Unzulänglichkeit zu empfinden und sich zu sagen, +daß ein solcher Versuch schmählich scheitern würde. Noch deutlicher +erkannte er freilich, wie sein Großvater mit ihm spielte. Er sagte +endlich mit gutmüthiger Empfindlichkeit: »Du hast mich zum Besten und +behandelst mich wie ein Kind; und doch bin ich kein Kind mehr, sondern +ein Mensch, der's gut meint und haben will, daß es andern wohl gehe, +wenn sie's verdienen.« -- Der Pfarrer sah ihn freundlich an, stand auf, +zog ihn zu sich und schloß ihn mit zärtlicher Liebe in seine Arme. +»Du bist ein Kind,« sagte er, »aber ein gutes Kind, und mit Gottes +Hülfe wirst du auch ein guter Mann werden. Gieb dich zufrieden. Wenn +es deinem alten Großvater möglich wird, sollst du deine Wünsche noch +erfüllt sehen.« + +Der Angerbauer hatte, bald nachdem er in sein Haus zurückgekehrt war, +die Bäuerin in's Kanzlei gerufen und ihr von seiner Unterredung mit +dem geistlichen Herrn erzählt. Die Nachricht über den Entschluß des +Mädchens wirkte auf sie wie auf ihn. Sie sah ein wenig beschämt aus +und sagte: »So hätten wir dem Mädchen also doch Unrecht gethan! Ich +muß dir jetzt nur sagen: so ganz von Herzen hab' ich nie dran glauben +können. Es ist mir immer wieder gewesen, als ob sie am Ende doch nicht +so schlimm wäre.« -- Das Muttergefühl wußte nun auch auf das umgekehrte +Verhältniß eine Entschuldigung für Ludwig zu gründen. »Wenn die +Annemarie,« bemerkte sie nach einigem Bedenken, »so gesinnt ist, dann +begreif' ich freilich, warum der Ludwig so viel auf sie hält, daß er +nicht mehr von ihr lassen will. Die Schönste im Dorf ist sie ohnehin, +und wenn sie noch dazu so rechtschaffen ist und solche Gedanken im Kopf +hat -- das hat ihn eben verführt. -- Was meint denn der Pfarrer, daß +wir thun sollen?« + +Der Angerbauer, dem diese Rede bedenklich mild vorkam, erwiederte +streng: »Der Pfarrer ist ganz einverstanden mit mir. Gehen lassen +sollen wir ihn, bis er von selber kommt, und nachgeben sollen wir +ihm in keiner Art. Ich hab' den Herrn immer für gescheidt gehalten, +aber das muß ich sagen, daß er in der Sach' ganz meiner Meinung ist, +hat mich besonders gefreut.« -- Die Bäuerin, an den Absagebrief des +Mädchens und seine Wirkung auf Ludwig denkend, sagte: »Wir wollen das +Beste hoffen.« -- Dann setzte sie hinzu: »Die Annemarie dauert mich +eigentlich. Wenn man nur einen passenden Mann für das Mädchen wüßte! +Ich kann mir's aber schon denken, nach dem Ludwig wird ihr keiner +gefallen.« -- »Bah,« erwiederte der Angerbauer, »bild' dir nicht so +viel auf deinen verrückten Buben ein. Es giebt noch Mannsbilder in der +Welt, die so ein Mädchen trösten können!« -- Nach diesen Worten verließ +er die Stube. + +Die Mutter hatte nichts Eiligeres zu thun, als zu ihrer Tochter, der +Schmalzbäuerin, zu gehen und ihr das eben Erfahrene mitzutheilen. +Beide rühmten Annemarie und bedauerten, daß sie keine Bauerntochter +sei, indem sonst nichts an ihr auszusetzen wäre. Bald war die ganze +Freundschaft in Kenntniß gesetzt und alle sangen das Lob des Mädchens, +natürlich unter der Voraussetzung, daß sie's ganz ernstlich meine und +jeden Anspruch auf Ludwig aufgebe. + +In der Freundschaft war jedoch eine Person oder vielmehr ein +Persönchen, das für die Familieninteressen wenig Sinn hatte, desto mehr +für das Glück des Liebespaares. Dies war »Johannesle,« das älteste +Kind der Schmalzbäuerin. Dem Ludwig gewogen von seinem ersten Denken +an, weil er sich am schönsten mit ihm abzugeben wußte, hielt er auch +besonders viel auf Annemarie. Bald nach ihrer Ankunft im Dorf hatte +sich diese nämlich in ein Gespräch mit ihm eingelassen und ihn zum +Lohn für seine hübschen Antworten so schön gestreichelt, daß er's +ihr nicht vergessen konnte. Als das Verhältniß zwischen den beiden +sich entspann, erhorchte und erfragte er so viel, daß er darüber so +ziemlich unterrichtet war, und ärgerte sich dann in der letzten Zeit +nicht wenig, daß man zwei so nette Leute nicht zusammenlassen wollte. +Zu wiederholten Malen versicherte er seiner Mutter, die zwei müßten +sich kriegen, und endlich trug er ihr auf, sie solle mit dem Großvater +reden. Die Mutter antwortete, er möge es doch selber thun. Und +Johannesle faßte sich ein Herz, trug dem Großvater die Bitte vor und +schloß damit: es ginge nicht anders, die zwei müßten sich heirathen. +Der Alte sah ihn verwundert an und fragte, wer ihm diese Dummheit in +den Kopf gesetzt habe. Johannesle versetzte ernsthaft: »Ich selber, +Aehle,« und wiederholte sein Gesuch. Der Angerbauer, um solche Gedanken +im Keim zu ersticken, machte ein böses Gesicht und sagte in erzürntem +Ton: »Du bist ein naseweiser Bursch! Diese Dinge gehen dich gar nichts +an, und wenn ich dir gut zum Rath bin, so laß mich so was nicht wieder +hören!« Eine gewisse Bewegung des Arms ergänzte den Sinn dieser +Antwort. Der Knabe, den Großvater angaffend, ging einige Schritte +rückwärts, murmelte dann aber, ein zweiter Galilei: »Sie kriegen sich +doch!« -- Von da an machte er verschiedene kindische Pläne, wie er +den beiden helfen wollte. Auf dem Dorfe nämlich, wo man gar vieles +offen verhandelt und auf etwa anwesende Kinder nicht immer Rücksicht +nimmt, bekommen diese früh von menschlichen Verhältnissen eine Art von +Begriff. Der Dorfbube lernt bald die erklärten Liebespaare in seinem +Orte kennen, das natürliche Gemüth findet es in der Ordnung, daß der +schönste Bursche auch den nettesten Schatz habe, und nimmt an ihrer +endlichen Verbindung einen naiv poetischen Antheil; so wie ihm auch +früh klar wird, daß zwei Verliebte sich treu bleiben müssen und nicht +von einander lassen dürfen. Als Johannesle von seinem Oberknecht hörte, +die Annemarie habe sich anders besonnen und dem Ludwig geschrieben, er +könne eine andere nehmen, erwiederte er bestimmt: »Ich glaub's nicht!« +Und als der Oberknecht bei seiner Behauptung blieb, wurde der kleine +Mann ganz hitzig und rief: »Es ist nicht wahr!« + +Nachdem der Entschluß des guten Mädchens so in den Häusern der +Freundschaft besprochen war, kam er bald im ganzen Dorf herum. Der alte +Bäcker, der ihn auch erst auf diesem Wege erfuhr, nahm sein Mündel bei +der Hand, sah sie mit gerührtem Blicke an und sagte: »Du hast brav +gehandelt, Annemarie! Laß dich's nicht reuen und bleib dabei. Man muß +den eingebildeten Leuten zeigen, daß man auch seinen Stolz hat.« + +Als Annemarie das Lob erhielt, das wir ihr gleicherweise von der +Familie des Angerbauers und ihrem Vormund haben spenden sehen, hatte +sie es noch nicht ganz verdient: der Brief an Ludwig war noch nicht +geschrieben. Sie hatte mehrere Versuche gemacht, im Kopf und mit der +Feder, aber sie konnte die Ausdrücke nicht finden, die ihr genug +thaten. Sie wollte einen ehrlichen Brief schreiben, der aus dem Herzen +kam; aber was sie zu sagen hatte, wollte dem Geliebten gegenüber +nicht aus dem Herzen kommen. Durfte sie, nach allem, was geschehen, +ihn nochmal fragen, ob er ihr wirklich treu bleiben wolle? Durfte +sie sich den Schein geben, als halte sie es für möglich, daß er ihr +Anerbieten annehmen und seinen Eltern folgen könnte? War das nicht +eine unverdiente Kränkung für ihn? Wie sollte sie's nun anfangen, +daß alles so gut und so schonend als möglich heraus kam? In Bedenken +und Fehlversuchen verging eine ganze Woche. Endlich vernahm sie, +daß ihre Unterredung mit dem Pfarrer bekannt geworden und wegen +ihres Versprechens im Hause des Angerbauers große Freude sei. Dieses +Bekanntwerden und diese Freude, sie »los zu werden,« brachte sie +wieder in die rechte Stimmung. Sie setzte sich hin und schrieb, ohne +abzusetzen, folgendes: + +»Herzgeliebter Ludwig! Ich hätt' nicht gedacht, daß ich dir einen +Brief schreiben würde, wie ich jetzt thun muß. Aber so geht es in +dieser Welt. Man nimmt sich die besten Dinge vor, dann kommt etwas +dazwischen und nöthigt uns, anders zu handeln, als wir gedacht haben. +Seitdem ich an dich geschrieben hab', ist hier etwas geschehen -- so +lang ich lebe, hat mir nichts so weh gethan und mich so gekränkt wie +das. Ich will dir's nur kurzweg sagen. Dein Vater und deine Mutter, +wie sie gesehen haben, daß du wirklich nicht mehr kommst, haben ihren +Zorn und ihren Verdruß an mir ausgelassen; sie haben herumgesagt, ich +sei darauf ausgegangen, dich zu verführen, weil ich gern die Söhnerin +eines reichen Bauern geworden wäre; ich hätte dich listig gelockt, und +ihr gutmüthiger Ludwig hätte sich fangen lassen. Ich sei überhaupt eine +rechte Duckmäuserin und eine gefährliche Person, vor der man sich hüten +müsse. Diese Reden gingen durch's ganze Dorf und in allen Haushaltungen +wurde davon gesprochen. Ludwig, du kennst mich, dir brauch' ich nicht +zu sagen, wie mir bei diesen Lügen zu Muthe geworden ist. O die reichen +Leute! Nimm mir's nicht übel, Ludwig, aber die sind überall die +nämlichen. Sie glauben, es gäbe nichts Besseres als das viele Geld, +das sie haben, und wenn die andern etwas thun, so thun sie's einzig +und allein, um auch so viel Geld zu bekommen. Wenn nun erst ein armes +Mädchen den Sohn reicher Leute lieb hat, dann ist natürlich gar kein +Zweifel, daß sie nur eine reiche Frau werden will. Daß sie ihn lieb +hat, weil er brav und gut ist, daß sie ihn, wenn er arm wäre, grad so +lieb, ja vielleicht noch lieber haben würde -- das ist natürlich ganz +unmöglich!« + +»Neben diesen Lügen über mich hab' ich auch noch hören müssen, daß +deine Leute ganz unglücklich sind über diese Geschichte, die ich ihnen +angerichtet haben sollte, daß Trauer und Kummer in deinem Hause sei. +Das ist die Wahrheit, Ludwig! Ja, ja, unglücklich sind sie gewesen! Es +ist aber auch gar zu arg! Eine Schwiegertochter zu bekommen wie ich +bin, ist das nicht eine Schande und ein Elend, wie es kein zweites mehr +gibt? Lieber eine Kröte in's Haus oder eine giftige Schlange! -- Als +ich das alles gehört hab' -- denn es ist mir alles zugebracht worden -- +was sollt' ich thun? Im Zorn und in der Betrübniß meines Herzens hab' +ich dieß und jenes gedacht und bin ganz verzweifelt herumgelaufen. Denn +die Sach' ist so gewesen, daß ich nicht hab' ruhig sein können, weil +ich ein gutes Gewissen hab'; nein, meine Ehr' hat's nicht gelitten, ich +hab' etwas thun müssen. Endlich bin ich mit mir einig geworden. Ich bin +zum Herrn Pfarrer gegangen, zu dem ich das rechte Vertrauen hab', und +dem hab' ich gesagt: weil die Sachen so stehen, so soll's nun sein, +als ob du mir das Versprechen, der Meinige zu sein, gar nicht gegeben +hättest; du sollst ganz frei sein und nochmal überlegen, was du thun +willst, die arme Annemarie oder die reiche Eva oder eine andere reiche +Bauerntochter heirathen, und was du thust, soll mir recht sein. Der +Herr ist über die Maßen gut gegen mich gewesen, er hat mir gesagt, ich +hätte recht gehandelt, und alles das soll ich auch dir schreiben. Weil +ich's ihm versprochen hab' und weil's überhaupt geschehen muß, drum +thu' ich's jetzt.« + +»Sieh, Ludwig, du hast mich recht lieb gehabt und hast für mich +gethan, was wenige thun würden. Und ich hab' mich inniglich gefreut +darüber und dir im Herzen tausendmal dafür gedankt. Aber wenn's dir +nun doch zu hart ginge in deinem Dienst, wenn du's auf die Länge nicht +aushalten könntest und wenn dir der Gedanke käme: es wäre doch besser, +wenn du mit deinem Vater dich vertragen und ihm gefolgt hättest -- um +Gotteswillen, Ludwig! wenn du einen solchen Gedanken hättest, und wenn +er wieder käme -- schreib augenblicklich an deine Eltern, sag' ihnen, +du wollest mich lassen und eine andere heirathen! Denn das kannst du +thun, ich geb' dir das volle Recht dazu. Deßwegen, weil du mir das +Versprechen gegeben hast, sollst du es nicht halten; ich verlang's von +dir, daß du dich daran nicht kehren und handeln sollst, wie du es jetzt +für gut findest.« + +»Bedenk, wie deine Eltern gegen mich sind! Denn das muß ich dir noch +sagen, seitdem dein Vater vom Herrn Pfarrer erfahren hat, was ich +zu ihm gesagt hab', glauben sie bei dir, es werde nun bald aus sein +zwischen uns, und sind vergnügt darüber, man kann gar nicht sagen +wie! Bedenk das, Ludwig! Deine Eltern wollen mich nicht und verachten +mich; mit ihrem guten Willen kommen wir nie zusammen, du kannst nie zu +gleicher Zeit mit mir glücklich sein und mit ihnen. Du wirst mit mir +auch keinen Hausstand bekommen, wie du ihn gewohnt bist, und vieles +nicht haben, was du vielleicht nicht wohl entrathen kannst. Bedenk +das alles! -- Für mich brauchst du nicht zu sorgen. Ich hab' so viel, +als ich bedarf, und kann arbeiten und mit Gottes Hülfe werde ich dazu +auch gesund bleiben. Und wenn ich kein Glück mehr habe, so kann ich +doch sagen, daß ich glücklich gewesen bin, wenn auch auf kurze Zeit, so +glücklich, daß es mir immer die größte Seligkeit sein wird, nur daran +zu denken. Ich hab' schon dem Herrn Pfarrer gesagt, ich wolle dann +fortgehen in's Württembergische, so daß ich euch gar nicht mehr im Wege +bin. Und wenn mir dann die Regine zu wissen thut, daß es dir gut geht, +das soll meine Freude sein.« + +»Lebwohl! Ich hab' mein Versprechen gehalten und gethan, was ich nicht +lassen konnte. Ueberleg' nun alles, herzlieber Ludwig! Denk nicht +schlimm von mir und glaub' nicht, daß ich anders gegen dich gesinnt bin +als sonst! Ich hab' nur nicht anders gekonnt und ergebe mich jetzt in +alles, was geschehen mag. Schreib mir ganz ohne Bedenken, was du thun +willst, oder laß es mich auf andere Art wissen, wenn's dir lieber ist.« + +Als sie diesen Brief -- der hier freilich aus der eigenen Mischung von +Dialekt und Hochdeutsch, in der er ursprünglich abgefaßt war, möglichst +in die Form der Schriftsprache übertragen ist -- geendet hatte, las sie +ihn durch und empfand eine starke Versuchung, ihn wieder zu zerreißen. +Es kam ihr vor, als ob zu viel Aerger darin wäre und zu wenig Liebe. +Ihr Geliebter war ja ordentlich angetrieben, sie zu lassen; sie +fürchtete, er könnte am Ende doch auf den Gedanken gerathen, ~sie~ +wolle ~ihn~ aufgeben. Sie las wieder und stand im Zweifel da, +was sie thun solle. In diesem Augenblick öffnete Regine die Thüre und +brachte einen kleinen Brief: es war die Einladung nach Nördlingen. Da +Ludwig alles, was er auf dem Herzen hatte, sich für die Zusammenkunft +vorbehielt, so bestand die Einladung nur aus wenigen einfachen Worten. +Annemarie fühlte, daß sie ein Ende machen müsse. Sie schrieb unter +ihren Brief: »Wie ich so weit gekommen bin, bringt man mir deine +Einladung auf morgen. Du siehst, daß ich jetzt nicht kommen kann. Lies +erst meinen Brief und gib mir Antwort. Lebwohl, lebwohl!« Sie machte +das Papier rasch zurecht, »pitschirte« es mit einem kleinen Geldstück +und übergab es Regine, die auf den Markt nach Nördlingen ging, zur +Besorgung. + +Drei Tage vergingen. Ich will nicht schildern, welche Gedanken das +gute Kind sich machte, welche Angst sie empfand und wie sie sich +selber wieder tröstete und an die Stelle der Bangigkeit die Zuversicht +redlicher Liebe trat. Sie war, wie überhaupt seit der Bekanntschaft mit +Ludwig, etwas aus ihrem Charakter gegangen und bewegter und erregter +geworden, als derjenige, der sie früher gekannt, ihr zugetraut hätte. +Wer wird das aber verwunderlich finden? -- Am Morgen des vierten Tages +erhielt sie die Antwort von Ludwig, die er Sonntags geschrieben und die +-- in ähnlicher Uebertragung -- hier folgt: + +»Meine liebste Annemarie! Du hast mir einen Brief geschickt, über +den ich mich recht gewundert hab'. Ich will dir aber keine Vorwürfe +machen; ich hab' mich nach und nach doch hineingedacht, wie's dir zu +Muth ist, ich hab' dich bedauert und schäme mich, daß meine Eltern +so gegen dich gehandelt haben. Ja du hast Recht! So sind die reichen +Leute, wenn sie auch sonst so gut und so brav sind wie mein Vater und +meine Mutter! Ich begreif', wie dich diese Lügen kränken und erzürnen +müssen. Ich begreif', was du gethan hast. -- Aber nun sag' mir: hast +du wirklich geglaubt, daß ich thun könnte, was du mir vorschlägst? Ich +hoff's nicht; ich hoff', daß du mich besser kennst. Wie! nach allem, +was zwischen uns vorgegangen ist, soll ich dich lassen? Und wenn ich +wüßte, daß ich mich unglücklich machen würde für mein ganzes Leben, ich +thät's nicht! Und wenn ich's vorher hätte thun können und eine andere +nehmen, jetzt könnt' ich's schon gar nicht mehr. Wie viel meinst du +denn, daß es Mädchen gibt, die so handeln, wie du gehandelt hast? Und +glaubst du, daß ich kein Herz habe und keinen Verstand, das einzusehen? +Ich weiß wohl, was ein Sohn seinen Eltern schuldig ist. Ich bin nie +ein schlechter Sohn gewesen, wie mir alle bezeugen müssen, und wenn +mein Vater verlangt, was er von Gott und Rechtswegen verlangen kann, +so will ich's thun. Aber wenn ich, um mit meinem Vater wieder gut zu +werden, ein Mädchen verlassen könnte wie du bist, so verdient' ich, +daß man mich rädern thäte und meine Glieder auf's Rad flechten! Red' +mir also nicht mehr von dieser Sache! Wenn dich dein Gewissen und +dein Stolz getrieben haben, zum Pfarrer zu gehen und ihm ein solches +Anerbieten zu machen, so begreif' ich das jetzt und schätz' dich um so +höher. Aber das will ich nicht glauben, daß du mich wirklich für fähig +gehalten hast, ein solches Anerbieten anzunehmen. Denn wenn das wäre, +dann wär' deine Lieb' zu mir nicht so groß, wie meine zu dir, sondern +viel kleiner! Ich hab' auch ein Gewissen und einen Stolz, und die sagen +mir, daß ich dir treu bleiben soll gegen alle Welt. Ich hab' kein böses +Gewissen, daß ich mein väterliches Haus verlassen hab', sondern ein +gutes, denn ich hab' nicht darin bleiben und dir treu sein können. Und +wenn ich wüßte, daß ich heute sterben und vor Gott treten müßte, ich +wär' ruhig.« + +»Ich seh' nun wohl, daß wir für die nächste Zeit nicht zusammen +kommen werden, denn du hast deine Gedanken und bleibst dabei. Aber +ich vertrau', wir haben nicht nöthig uns zu sehen, um uns grad so +lieb zu haben. Ich hab' dich alleweil vor Augen; wohin ich geh', da +gehst du mit mir. Wenn ich bei der harten Arbeit müde bin und denk' an +dich, dann hab' ich wieder Kraft; es ist gerade, als hätt' ich einen +frischen Trunk gethan. Und jetzt nach deinem Brief will ich wieder +alles aushalten. Es ist freilich wahr, daß ich schwere Arbeit thun muß +und mancherlei Verdrießlichkeiten hab'; aber wenn's mir hier nicht mehr +gefällt, so kann ein Mensch, der gesund ist und sein Geschäft versteht, +sich überall fortbringen. Ueberall, wo ich bin, werd' ich gegen dich +der gleiche sein, und endlich, das weiß ich ganz bestimmt, werden wir +zusammenkommen und glücklich sein. Adies, herzgeliebte Annemarie! +Bleibe gesund und vertrau' auf Gott wie dein Ludwig!« + +Als Annemarie in ihrer Kammer, wohin sie sich zitternd und bebend +geflüchtet, diesen Brief las und zu den ersten Versicherungen der Treue +kam, rief sie mit freudestrahlendem Gesicht: »Ich habs ja gewußt!« Beim +Weiterlesen wurde der Glanz ihrer Blicke getrübt durch wonnige Thränen, +die ihr bei den Ausdrücken herzinniger Liebe in die Augen traten, bis +endlich die Flamme der Freude auch durch sie hindurch drang und ihr +ganzes Wesen verklärte. Regine, von Theilnahme getrieben, erschien +an der Schwelle der Kammer. Das überglückliche Kind eilte auf sie zu, +fiel ihr um den Hals und rief mit holdseliger Gewißheit: »Nun gehört er +mein, und kein Mensch in der Welt wird mir ihn nehmen!« Regine hatte +das größte Verlangen, den Brief auch zu sehen; die Freundinnen setzten +sich zusammen, Wange an Wange lasen sie und unterbrachen sich selbst +durch entzückte und gerührte Ausrufungen. Regine sagte zuletzt: »Gewiß, +liebes Mädchen, der gehört dir; den bringt sein Vater nicht mehr herum! +Aber nun wirst du auch wissen, was du zu thun hast.« -- »Ja,« rief +Annemarie, »das weiß ich! Jetzt sind wir stärker als Vater und Mutter +und die ganze Freundschaft! Mögen sie sagen und thun was sie wollen -- +nichts verdrießt mich mehr, ich verzeih ihnen alles im voraus!« Regine +sagte: »Nun wird's auch gut gehen.« -- »Und wenn's nicht gut ginge,« +erwiederte Annemarie, »so wären wir doch glücklich. Jetzt darfs gar +nicht schnell kommen, sonst wär's zu viel!« + +Als sie noch manches so gesprochen, gingen sie die Stiege hinunter. +»Im Tennen,« d. h. in der Hausflur, angekommen, sahen sie einen Buben +zur Thür hereinkommen, der sich vorsichtig umsah. Es war der kleine +Gönner des Liebespaars, Johannesle. Annemarie, die schon gehört hatte, +wie sie bei dem Bürschchen in Gnaden stand, flog auf ihn zu, gab ihm +die Hand und fragte, was er wünsche, ob sie vielleicht mit einer guten +Birn aufwarten könne. Johannesle schüttelte ernsthaft den Kopf und +betrachtete sie mit prüfendem Blick, so daß die Mädchen sich lächelnd +ansahen, und Annemarie fragte, was denn sonst sein Begehr sei? Darauf +sagte er endlich: »Ich hab' gehört, du willst den Ludwig lassen und +einen andern heirathen. Ist das wahr?« -- »Nein,« rief das Mädchen +unbedacht, »das ist nicht wahr! Entweder den Ludwig oder keinen!« Der +Kleine war sichtlich erfreut. »Ich hab's ja gesagt,« erwiederte er +selbstzufrieden und wandte sich zum Abgehen, voll Begierde, seinen +»Stangenreiter« (Oberknecht) zu beschämen. Annemarie rief: »Bleib doch, +liebs Büble, und komm mit in den Garten!« Aber Johannesle rief: »Ich +muß fort,« und eilte davon. Regine sagte mißbilligend: »Da hast du's! +Der wird's unter die Leute bringen!« -- »Es soll auch unter die Leute,« +erwiederte Annemarie. »Das kann und darf nicht verschwiegen bleiben. +Heute noch geh' ich zum Herrn Pfarrer und sag' ihm alles.« + +Sie erfüllte dieses Wort Nachmittags. Der Geistliche las den Brief, +den das Mädchen ihm übergab, mit ernster Aufmerksamkeit und mit +einer innerlichen Freude, die beinahe durchgebrochen wäre und seine +Parteinahme verrathen hätte. »Es ist gut!« rief es in ihm. Wie +Annemarie sah, daß er mit dem Lesen fertig war, sagte sie: »Herr +Pfarrer, Sie sehen, ich hab' mein Versprechen gehalten. Nun hab' ich +in der Sache nur noch eine Pflicht und der will ich nachhandeln, ohne +an etwas anderes zu denken.« -- »Die Pflicht,« versetzte der Pfarrer, +indem er sie lächelnd ansah, »in Geduld zu erwarten, was da kommen +soll.« + +Der alte Herr achtete es unter den gegenwärtigen Umständen für +gerathen, den Angerbauer in seinem Hause aufzusuchen und ihm von dem +Stand der Dinge Meldung zu thun. Als der Bauer den Kern der Neuigkeit +und ein paar Ausdrücke aus Ludwigs Brief vernommen hatte, rief er +aus: »O Unsinn! o Tollheit! o verkehrte Welt! Nehmen Sie mir's nicht +übel, Herr Pfarrer, aber womit hab' ich' verschuldet, daß ich mit so +einem Menschen gestraft bin? Wenn ich nur im Grab läge, dann könnten +sie thun, was sie wollten!« Die Bäuerin ließ sich ähnlich vernehmen, +aber in gedämpfteren Tönen. Ihr Schlußwort lautete: »Wer hätte das dem +Menschen zugetraut! Man soll doch niemals sagen, daß man sich in Einem +auskennt, sogar bei seinem eigenen Kind!« Der Pfarrer versetzte: »Es +thut mir leid, daß euch meine Nachricht betrübt; aber da das Mädchen +zu mir das Vertrauen hatte und mir den Brief zu lesen gab, so hab' +ich's für meine Schuldigkeit gehalten, euch davon zu unterrichten, +obwohl ich mich sonst in Familienangelegenheiten nicht gern mische.« +Der Angerbauer sagte mit Würde: »Ich dank' Ihnen dafür, Herr Pfarrer. +Wir müssens hoch aufnehmen, daß Sie sich selber herbemüht haben.« Nach +einer Weile sagte die Mutter: »Was soll nun aber aus dem Ludwig werden, +wenn er so gesinnt ist?« -- »Was er selber will,« entgegnete der Vater +barsch. Die Mutter seufzte und sagte: »Aber --« -- »Nichts aber!« +rief der Bauer dazwischen. »Willst du etwa haben, daß wir uns durch +seinen Trotz einschüchtern lassen und nach ihm schicken sollen? Da, +frag den Herrn Pfarrer! -- Haben Sie,« fuhr er zu diesem gewandt fort, +»nicht neulich zu mir gesagt, wir sollen nicht nachgeben, er müsse +zu ~uns~ kommen?« -- »Ja,« antwortete der Pfarrer, »und das ist +noch jetzt meine Meinung.« Der Bauer sah sein Weib triumphirend an und +sagte: »Siehst du?« + +Nach einigen Worten des Trostes empfahl sich der Geistliche; die +Eheleute begleiteten ihn bis zum Hofthor, von wo der Bauer düster, die +Frau kopfschüttelnd zurückkehrte. + +Seit dem Tage, wo Ludwig das väterliche Haus verließ, war der +Angerbauer nicht nach Nördlingen gekommen. Er fürchtete zuerst +überhaupt Bekannte aus der Stadt oder aus andern Dörfern zu treffen, +deren Fragen er nicht so leicht mit einer Grobheit beantworten +konnte. Später scheute er hauptsächlich ein Zusammentreffen mit dem +Schmiedbauer, dessen Charakter und Manieren er kannte. Zuletzt konnte +er doch eine Fahrt zur Schranne nicht länger vermeiden: er hatte +noch altes Korn, der Preis war gut und nach seiner Ansicht keine +Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich lange so halten werde. Er +ließ mit einer Partie des Getreides einen Wagen laden und war bald an +Ort und Stelle. + +Das Gewühl in der Schranne war für diese Zeit groß. Es hatten sich +württembergische Händler eingefunden, die bedeutende Einkäufe machten. +Der Angerbauer wurde an einen derselben seinen ganzen Wagen Korn los; +er war froh und hoffte an diesem Tag nichts Unangenehmes mehr zu +befahren. Die Bekannten, die er getroffen, hatten ihn im Drang der +Geschäfte nur flüchtig begrüßt und an seine Familienangelegenheit nicht +gedacht, wenigstens nicht davon gesprochen. Den Schmiedbauer hatte er +gar nicht gesehen. Als das Korn abgemessen war, hieß er den Oberknecht +mit dem Wagen zu einem Wirthshause am Thor fahren, wo die Angerbäuerin +aufsitzen würde. Diese hatte sich bei dem guten Wetter zu Fuß nach der +Stadt begeben, um Einkäufe zu machen, wollte aber für den Nachhauseweg +den Wagen benutzen. Der Bauer wollte den Nachmittag in der Stadt +verbringen, um nach Bequemlichkeit heimzuwandern. Wie er unter einem +Seitenthor der Schranne stehend den Knecht wegfahren sah, hörte er +von der andern Seite her plötzlich den hellen Ruf: »Guten Tag, Vetter +Angerbauer!« Er sah sich um und erkannte den Schmiedbauer, der ihm +begierig zunickte. Augenblicklich ein »danke schön« brummend ging er +rasch auf die Straße und verschwand im Gewühl der Menschen und Wagen. + +Anfangs war seine Absicht gewesen, zum »Fadenherrn« in der Nähe der +Schranne zu gehen, wo er gutes Essen und Bier zu finden gewohnt war. +Nun aber hütete er sich wohl, in einem Hause einzukehren, wo er sicher +mit dem »boshaften Kerl,« dem Schmiedbauer, zusammenkommen würde. Er +vermied aus demselben Grund auch das Wirthshaus am Thor und suchte +ein drittes auf, wo er sein spätes Mittagessen in Ruhe verzehren zu +können hoffte. Darin täuschte er sich nicht. Er traf zwei Männer aus +seinem Dorf, setzte sich zu ihnen und ließ sich Braten und Salat wohl +schmecken, während der Schrannentag ergiebigen Stoff zur Unterhaltung +bot. + +Nach langer Zeit wurde es ihm wieder fast behaglich zu Muthe, wozu der +um den Leib geschnallte, gefüllte Geldgurt das Seine beitragen mochte. +Er trank nach Durst und übergab eben die blanke zinnerne Bierkanne der +behenden Wirthstochter zur zweiten Füllung, als die Thüre aufging und +der Schmiedbauer hereintrat. -- Dieser hatte ihn in nicht weniger als +drei Wirthshäusern vergebens gesucht. Sein Muth wurde dadurch nicht +geschwächt, und er war eben im Begriff, in ein viertes zu gehen, als +ihm von einem Bekannten das rechte verrathen wurde. + +Der Angerbauer, als er den Gefürchteten erblickte, fuhr zurück, als +wenn ihn eine Schlange gebissen hätte. Der Schmiedbauer ging auf ihn +zu, das Gesicht von einem Vergnügen belebt, wie es Reineke der Fuchs +empfunden haben mochte, als er den ehrlichen Lampe in seiner Höhle +sah. Große, blanke Zähne weisend, die man ordentlich wässern sah, rief +er seinem Opfer zu: »Guten Tag noch einmal! Du bist heute schwer zu +finden, Vetter Angerbauer! Schon in drei Wirthshäusern hab' ich dich +umsonst gesucht!« + +Der Angerbauer hatte sich wieder etwas gefaßt. Er bot ihm nicht +das eben ankommende Bier zum Trinken -- eine Höflichkeit, die man +eintretenden Bekannten sonst gewissenhaft zu erweisen pflegt, -- +sondern antwortete trocken und ein wenig den Mund verziehend: »Woher +kommt dir denn auf einmal das große Verlangen nach mir?« + +»Da haben wir's!« sagte der Schmiedbauer; »gleich wieder stolz!« -- +Und indem er die beiden andern listig anblinzelte, fuhr er fort: »Bist +du denn gar nicht neugierig, etwas von deinem Ludwig zu hören?« -- +Der Angerbauer, sich bezwingend, erwiederte: »Nicht im Geringsten!« +-- »Nun, nun,« versetzte der andere, »stell dich nur nicht so an, ich +weiß doch, daß du gern etwas von ihm hören möchtest. Du brauchst dich +auch gar nicht zu fürchten: ich kann ihn nur loben. Er macht sich +ganz vortrefflich, und ich muß dir nur sagen, ich hätt's dem Sohn +eines so reichen Mannes nicht zugetraut, daß er einen so geschickten +Handknecht abgäbe. Er sucht wahrhaftig seines Gleichen, namentlich im +Futterschneiden und Misten.« + +Bei diesen Worten konnten die beiden Unbetheiligten sich nicht +enthalten zu lächeln; dem Angerbauer stieg das Blut in's Gesicht. +Finster entgegnete er: »Mag er machen, was er will! Er ist mein Sohn +nicht mehr und geht mich so wenig an, wie einen von euch!« -- »Geh',« +sagte der Schmiedbauer, »sei gescheidt! Unser Kind bleibt immer unser +Kind.« -- »Und ich sag' dir,« versetzte der Angerbauer mit zornigem +Nachdruck, »daß ich nichts mehr von ihm wissen will, und bitt' mir's +aus, daß du jetzt von ihm das Maul hältst!« + +Auf diese verständliche Abweisung zuckte der Schmiedbauer die Achsel. +»Mir auch recht,« sagte er. »Wenn du nichts mehr von ihm wissen willst, +dann bleibt mir ein Handknecht, wie ich ihn brauche und wie man ihn +heutzutage nicht mehr findet. Schaffen thut er für Zwei und gehorchen, +als wenn er ein geborener Knecht wäre. Wenn ich, oder mein Sohn, oder +meine Tochter, oder mein Oberknecht ihm etwas sagen, läuft er wie ein +Wiesel. Wenn du ihn nicht mehr willst, gut! Ich hab' den Vortheil +davon.« + +Indem er bei den letzten Worten die Zielscheibe seiner Bosheit ansah, +fühlte er, daß er für jetzt nicht weiter gehen dürfe. In dem Angerbauer +kochte es gefährlich. Seinen Sohn vor den beiden Männern als gehorsamen +Knecht loben zu hören, war für ihn schrecklich, und die Absicht des +Schmiedbauern, ihn zu verhöhnen, machte ihn wüthend. Wäre er mit diesem +allein gewesen, er hätte ihm eine Antwort mit der Kanne an den Kopf +gegeben, auf welche kein weiterer Bericht mehr erfolgt wäre. In der +vollen Wirthsstube mußte er an sich halten und schwieg daher grimmig +still. Der andere fand für gut zu bemerken: »Nun, ich sehe, es ist +dir wirklich unlieb, etwas weiter zu hören; lassen wir's also gehen!« +Der Angerbauer nickte bedeutsam, als wollte er sagen: »Du thust sehr +gescheidt daran!« + +Von einem der beiden Bauern wurde das Gespräch wieder auf die +Schranne zurückgelenkt und blieb dabei. Auf diese Weise kam jedoch +der Angerbauer um eine Nachricht, die ihm lieb gewesen wäre, denn der +Schmiedbauer war bekanntlich kein bloßer Bösewicht. Er wollte heute an +dem Vetter sein Müthchen kühlen und an den »hoffährtigen Kameraden« +ein wenig ärgern; dann aber wollte er ihm sagen, daß der junge Bursch +in seinem Hause deßwegen kurz gehalten und tüchtig angespannt werde, +damit er sich nach den Eltern sehne und endlich demüthig heimkehre, wie +sich's gebühre. Er wollte sich dem Angerbauer von seiner ernsthaften +Seite zeigen, ihm Vorschläge machen, seine Wünsche hören. Allein da +dieser nach seiner Ansicht gar keinen Spaß verstand, so wollte er sich +auch auf den Ernst nicht einlassen. Er dachte: »Es ist der Alte! immer +gleich oben aus! Gut, für heute soll er nichts weiter hören!« + +Als der Angerbauer die zweite Kanne noch nicht ganz geleert hatte, +zahlte er und schickte sich an zu gehen, indem er sagte, er habe noch +einen Gang zu machen. Den Schmiedbauern übermannte noch einmal der +Muthwille und er fragte den Abgehenden in schelmisch gemüthlichem Ton: +»Soll ich also wirklich deinem Ludwig keinen schönen Gruß von dir +ausrichten?« Der Angerbauer gab ihm hierauf eine Antwort, die ihm der +kindischen Bosheit der Frage allein entsprechend schien, und entfernte +sich, indem er die Thüre stattlich zuschlug. Je mehr Zorn jene Antwort +verrieth, desto vergnügter lachten die drei Zurückgebliebenen zusammen +und schwatzten noch eine Weile über diesen Spaß. + +Unser Mann ging geradeswegs nach Hause. Indem er mit wenig gemindertem +Zorn in's Kanzlei eintrat, fand er dort sein Weib in einer ähnlichen +Stimmung. Ohne vorläufig darauf zu achten, erzählte er, was ihm +begegnet, und die Angerbäuerin stimmte in seine Ausrufungen über die +Bosheit der Menschen treulich mit ein. Dann bekannte sie, ihr sei +beinahe noch etwas Aergeres passirt. Neugierig drängte sie der Mann, +zu erzählen. Die Bäuerin hub an: »Ich bin zuerst bei der Melbersbas +gewesen und hab' mich etwas länger verweilt, als ich dachte. Dann bin +ich zum »Canditor« gegangen und hab' Zucker, Kaffee und Gewürz gekauft. +Wie ich aus dem Laden auf die Straße hinausgeh', wer kommt auf mich zu? +Die Ev' mit ihrer alten Bas! Ich will dirs nur sagen, ich bin ein wenig +verhofft gewesen und es ist mich ordentlich ein Zittern angekommen. +Aber doch bin ich gleich auf sie zugegangen, hab' sie freundlich +gegrüßt und »guten Tag« geboten. Die alte Bas hat gedankt; die Ev' hat +aber nur ihr »Schnäuzle« naufgezogen.« Der Angerbauer, der aus allem +abnahm, was kommen würde, bemerkte mit einem gewissen Humor: »Sag' +Schnauz, das paßt besser!« + +Die Mutter fuhr fort: »Weil ich sie nun seit dem Vorgang nicht wieder +gesehen hab', so hab' ich nach etlichen Reden gesagt: »Uns hat halt +seitdem ein rechtes Unglück getroffen!« Denn wenn man sich so gut +kennt, dann kann man wohl vertraut mit einander reden.« »Ja, ja,« +antwortete die alte Bas, »das ist eine böse Geschichte! Wer hätte dem +Ludwig das zugetraut!« -- »Ja freilich,« hab' ich wieder gesagt, »hätt' +man ihm das nicht zugetraut; aber junge Leute machen eben manchmal +tolle Streiche. Alles ist deßwegen nicht verloren, er kann sich wieder +anders besinnen, kann heimkommen und alles kann noch gut werden.« Da +hättest du die Ev' sehen sollen! Roth wie ein welscher Hahn tritt sie +vor mich hin und sagt: »Ihr glaubet doch nicht, Frau Bas, daß es mit +Eurem Ludwig und mir noch was werden kann? Wenn Ihr so was denkt, dann +schlagt's Euch nur aus dem Sinn. Das wär' mir das Wahre! Ein Mensch, +der sich so aufführt! Nein, Frau Bas, für so einen bedank' ich mich +schön und bin froh, daß ich ihn los geworden bin.« Ich hab darauf +gesagt: »Was willst du denn? -- hab ich denn davon geredt?« Aber sie +hat sich nicht irr machen lassen und höhnisch gesagt »Aufrichtig, Frau +Bas, Ihr thätet am besten, wenn Ihr Eurem Sohn seinen feinen Schatz +ließet. Sie ist ihm nun einmal die Liebste auf der Welt, und ein +ordentliches Mädchen nimmt ihn ohnehin nicht mehr.« + +»Was,« rief hier der Angerbauer auffahrend, »das hat sie dir gesagt?« +»Ja,« erwiederte sein Weib, »das hat sie gesagt.« -- »Gut!« versetzte +der Mann, »ganz gut! Also so eine ist die? Ein großes Unglück scheint's +nicht, wenn wir die nicht zur Söhnerin bekommen!« -- »Das mein' ich +auch,« bemerkte die Frau, »und das hab' ich ihr auch gesagt.« »So groß +gefehlt wär's nicht,« hab' ich ihr gesagt, »wenn er das Mädchen bekäme. +Denn wenn sie auch nicht reich ist, so ist sie doch brav und hat mehr +Art als manche reiche Bauerntochter, die ich kenne.« Dabei hab' ich ihr +steif in's Gesicht gesehen. Sie aber hat sich nichts daraus gemacht und +gesagt: »Nun, da wünsch' ich recht viel Glück dazu! Machts nur bald +richtig und vergeßt nicht mich auch auf die Hochzeit zu laden.« Damit +hat sie »guten Tag« gesagt und sich umgedreht und die Alte, die den +Kopf geschüttelt hat, mit sich fortgezogen.« + +Der Angerbauer war ernsthaft geworden und brach nun in die Worte aus: +»Eine saubere Person, das muß ich sagen! Da dürfen wir ja von Glück +sagen, daß wir sie noch zu rechter Zeit kennen gelernt haben!« -- +»Sicherlich,« erwiederte die Mutter. + +Nach einem längeren Schweigen, während dessen sie nachdenklich vor +sich hingesehen hatte, begann sie wieder: »Vater, ich möchte dir +etwas sagen, aber du mußt nicht bös werden.« -- »Nun,« erwiederte +der Bauer mit argwöhnischem Ausdruck, »du wirst hoffentlich nicht im +Ernst verlangen, daß wir dem Burschen das Mädchen geben?« -- »Behüte,« +versetzte die Mutter, »das weiß ich schon, daß das nicht geht. Nein, +ich hab' nur sagen wollen, daß mich der Ludwig »a'fanga« dauert +(anfängt mich zu dauern). Ich glaub', er wär gern wieder bei uns, aber +er hat deinen Kopf: er kommt nur nicht, weil er's einmal gesagt hat.« +-- »Soll ich ihn,« bemerkte der Bauer, »etwa selber holen, weil er +meinen Kopf hat?« -- »Auch nicht,« sagte die Mutter. »Ich meine nur, +wir ließens ihm unter der Hand wissen, daß er kommen könnte; mit der +Ev' wollten wir ihn nicht mehr plagen.« -- Der Bauer versetzte: »Nein, +das geschieht nicht! um keinen Preis der Welt! Wenn ich da nachgäb', +müßt ich mehr nachgeben!« -- »Aber deßwegen --« -- »Das muß ich besser +wissen. Ich thu's nicht, jetzt erst recht nicht, und damit Punktum!« -- +Wie gewöhnlich wenn er einen solchen Trumpf ausgespielt hatte, stand +er auf und verließ die Stube. + + * * * * * + +Während dieser Erlebnisse der Seinen arbeitete Ludwig mit neuer Kraft +und neuem Muthe weiter. Er hatte in Rücksicht auf sein Dienstverhältniß +einer Anfeuerung bedurft; das Schreiben der Geliebten und die Abfassung +seiner Antwort gewährten ihm diese aber in vollem Maße. Es war ihm +ganz, wie er geschrieben. Sein Geist war aufgerichtet; das Bewußtsein, +ein solches Herz gewonnen zu haben, das Gefühl, ihrer werth zu sein, +und die Hoffnung, die aus diesem Gefühl emporkeimte, ließen ihn alle +Mühen mit Freudigkeit ertragen. Er hatte nun auch eine Bekanntschaft +gemacht, die ihm angenehm und tröstlich war. Von seinem Bauer zum +Pfarrer des Ortes geschickt, antwortete er diesem auf seine Fragen so +verständig und gutmüthig, daß der Geistliche das Gespräch verlängerte, +so weit es anging, und den jungen Burschen aufforderte, ihn in freien +Stunden zu besuchen. Es war dieß ein Mann in mittleren Jahren, der aber +ähnliche Ansichten zu haben schien, wie der alte Herr, den wir kennen, +da er an den entlaufenen Sohn keine Ermahnungen richtete, die er nicht +hätte befolgen mögen, sondern sich unbefangen im Kreise allgemeiner +Belehrung hielt. + +Die Annehmlichkeiten, die er aus alledem schöpfte, waren Ludwig auch +nöthig, um ein Uebel zu bestehen, das immer ärger zu werden schien. +Dieß war der Uebermuth Michels, der nicht selten in wirkliche Bosheit +ausartete. Verdroß es ihn, daß Ludwig bei seinen Neckereien nicht mehr +empfindlich wurde, sondern ihn lächelnd oder mitleidig ansah; war er +eifersüchtig auf die Seelenfreude, die verschönernd aus dem Gesichte +des Knechts leuchtete, oder auf das Lob, das sein Vater diesem hie und +da auf seine Unkosten ertheilte, genug, der junge Schmiedbauer ging in +seiner herrischen Anmaßung gegen Ludwig weiter und weiter, so daß er +alle die Seinen hinter sich ließ. Die schwache sinnliche Gutmüthigkeit, +wie man dieß in der Welt öfter sehen kann, bestand die Probe nicht, die +ihr auferlegt wurde, und verwandelte sich unter gewissen Anreizungen +geradezu in Gemeinheit. Eine solche Anreizung mochte für den Burschen +auch in der Nachricht seines Vaters liegen, daß der Angerbauer seinen +Sohn verläugne und, wie es scheine, wirklich nichts mehr von ihm wissen +wolle. Konnte man gegen einen Verstoßenen sich nicht gehen lassen nach +Belieben? + +Als die kleinen Mittel nichts mehr verfingen, wendete Michel die +gröberen und plumperen an, und es gelang ihm nun allerdings wieder, +den Untergebenen zu ärgern und zu erzürnen. Ungerechte Behandlung +zu ertragen ist für gewisse Gemüther das Schwerste; und wenn sie +sich's auch vornehmen, bei den Anmaßungen der Dummdreistigkeit ruhig +zu bleiben, so glückt's ihnen doch nicht immer. Die Geduld Ludwigs +wurde auf harte Proben gestellt; das Betragen Michels erschien ihm so +kläglich, daß er den Ausbruch des Zorns und der Verachtung kaum mehr +zurückhalten konnte. So sammelte sich nun aber ein Maß von Galle in ihm +an, das nur noch berührt zu werden brauchte, um überzulaufen. + +An einem Sonntag nach dem Essen kamen »Freunde« -- wie, man weiß, +Verwandte -- des Schmiedbauern zum Besuch angefahren, Vater, Mutter +und ein fünfzehnjähriger Sohn. Sie wurden mit Kaffee und »Goglopf« +(Guglhupf) traktirt, welchen Madlene und die Magd am Vormittag zu +diesem Zweck verfertigt hatten. Als endlich auch der »junge Vetter« +dem Nöthigen zu einer neuen Schale nicht mehr Folge leisten konnte, +führte man die Gäste im Hause herum und zeigte ihnen Küche und Keller, +Kasten und Schreine und deren Inhalt zum Bewundern, welcher Absicht die +Bauersleute höflich entgegenkamen. Michel empfand großes Verlangen, +ihnen die Ställe zu zeigen, und freute sich namentlich, ihnen die +Zierde derselben, einen schönen zweijährigen Braunen vorzuführen. Er +eilte voraus in den Roßstall, fand den Oberknecht ausgegangen, Ludwig +aber bei der Hand. Bei dem Anblick desselben fuhr der böse Feind in ihn +und gab ihm den Gedanken ein, sich selbst in seiner Herrlichkeit und +den Sohn des Angerbauern, der mit den Gästen ebenfalls einigermaßen +verwandt war, in seiner Erniedrigung zu zeigen. Er rief in barschem +Ton: »Ludwig, führ' den Braunen in den Hof!« Ludwig gehorchte und +dankte den Verwandten auf den Gruß, den sie ihm boten, mit bescheidener +Höflichkeit. Das junge Roß ward im Freien munter und fing an zu +laufen. Michel rief ärgerlich: »Nicht so schnell!« Der Angefahrene +hielt es zurück; Michel schrie nun: »Zu langsam! Marsch! Zu!« und +vexirte den andern so, daß die Gäste bald sahen, worauf es hier +angelegt war, den rothgewordenen Ludwig bedauerten und den Sohn des +Hauses für einen dummen Prahler hielten. Endlich rief Michel: »Laß ihn +laufen! Schnell! schneller!« Ludwig gehorchte; das Roß wurde im Trab +übermüthig, sprang auf die Seite, traf mit den Hinterbeinen in eine +kleine Kothlache, die vom gestrigen Regen herrührte, und bespritzte den +schön gestreiften Rock der Bäuerin. + +Auf so etwas hatte Michel gewartet. Den Umstand, daß dieser armselige +Zufall nur in Folge seiner Befehle eingetreten war, natürlich außer +Acht lassend, ergriff er mit Begierde die Gelegenheit, zugleich seine +Machtvollkommenheit und seine Galanterie gegen die Base an den Tag zu +legen; er schrie Ludwig zornig an: »Du bist ein Esel! Nicht einmal +ein Roß kannst du führen, wie sich's gehört!« -- Das war aber dem +Burschen zuviel. Während die Gäste Ausrufe des Bedauerns hören ließen, +übergab er dem kurz vorher angekommenen dritten Knecht das Roß, trat +vor Michel hin und rief: »Du bist der jämmerlichste aller Menschen! +Noch ein solches Wort gegen mich, und ich brech' dich zusammen!« +Seine Augen funkelten, in seinem Gesicht brannte die Glut des Zorns +und der Verachtung, seine Arme zuckten, als ob er seine Rede sogleich +wahrmachen wollte. Michel erschrack und trat blaß geworden einen +Schritt zurück. Der gemeinschaftliche Vetter stellte sich zwischen +sie und ermahnte zur Ruhe. Unterdessen faßte sich Michel wieder, und +indem er eine hochmüthige Miene anzunehmen suchte, sagte er zu Ludwig: +»Mit dir wird man noch fertig werden, und das bald!« Dann sah er sich +um, ob nicht sein Vater oder der Oberknecht in der Nähe wäre. Ludwig +folgte dieser Bewegung, und seine Gedanken errathend, rief er: »Schrei +keinem, ich rath es dir! Wenn ihr zusammen über mich herfallt, dann +ist's Nothwehr, was ich thu', und« -- setzte er hinzu, indem er die +Hand an die Seitentasche legte -- »ich schwör's bei Gott: den ersten +der mich anrührt, stoß' ich nieder wie einen Hund!« Der Bauer, dem dieß +zu stark war, sagte: »Führ keine solche Reden, das geziemt sich nicht +für dich!« -- »Für mich geziemt sich alles,« entgegnete der Gereizte, +»was sich für einen freien Menschen geziemt! In dem Augenblick bin ich +kein Knecht mehr, sondern der Sohn meines Vaters! Aus diesem Haus geh' +ich fort, auf der Stelle -- das versteht sich von selbst!« Er wandte +sich zum Abgehen, drehte sich aber nochmal gegen Michel um und machte +mit geballter Faust eine Bewegung, als ob er sagen wollte: Du weißt, +was geschieht! Dann ging er in die Stallkammer zu seinem Lager und nahm +aus dem daneben liegenden Schrein seine wenigen Habseligkeiten heraus, +um sie zur Wanderung zusammenzubinden. + +Unterdessen war der Schmiedbauer mit seiner Tochter aus dem Hause +gekommen. Auf sein Befragen, welch ein Lärm das sei, erzählte der +Vetter den Handel, war aber so gerecht zu sagen, daß Michel dem Ludwig +es zu arg gemacht habe, was von der Base mit der Bemerkung bestätigt +wurde, daß es wegen des »Spretzers« auf ihrer Schürze nicht der Mühe +werth gewesen wäre. Der Schmiedbauer verwies dem Sohn sein Betragen +und hieß ihn in die obere Stube gehen: die Sache wolle er nun allein +ausmachen. Michel entgegnete, dem Kerl werde er nicht aus dem Wege +gehen, entfernte sich aber doch. + +Ludwig, sein Bündel unter dem Arm, kam herbei. »Schmiedbauer,« sagte er +mit verhältnißmäßiger Ruhe, »Ihr habt wohl schon gehört, was geschehen +ist, und werdet begreifen, daß ich in Eurem Hause nicht länger bleiben +kann.« -- »Das begreif ich,« sagte der Bauer. »Aber wo willst du hin?« +Ludwig erwiederte: »Ich geh' nach Augsburg.« Der Bauer bemerkte: »Es +wäre gescheidter, wenn du zu deinem Vater heimgingest. Die Gelegenheit +wär' gut.« -- Ludwig entgegnete unmuthig: »Behaltet Euren Rath für +Euch,« und wollte gehen. -- »Wie!« rief der Bauer, »ohne deinen Lohn? +Du bekommst noch zwei Gulden.« -- Ludwig erwiederte, er schenke ihm +den Lohn, worauf der Bauer nicht ohne Würde ausrief, er wolle nichts +geschenkt von ihm, was er verdient habe, müsse er nehmen. Ludwig +ließ sich die zwei Gulden bezahlen, drückte sie dem dritten Knecht +in die Hand, der ihn erstaunt ansah, wünschte den Umstehenden wohl +zu leben und richtete seine Schritte dem Wirthshaus zu. Da der Abend +herannahte, so wollte er hier übernachten und morgen mit dem Frühesten +nach Augsburg wandern, wozu er noch beinahe zwei Gulden vom früher +eingenommenen Lohn hatte. Sein Gedanke war, an diesem Ort, wie schon so +Mancher vom Ries, sein Glück zu machen, Annemarie nachzuholen und sie +in eine schöne Stadtwohnung als Frau einzuführen. + +Als er in die stark besuchte, von Tabakrauch erfüllte Wirthsstube trat, +wurde er von einem Tisch junger Burschen freundlich begrüßt und zwei +davon streckten ihm mit der üblichen Frage: »Kann ich aufwarten?« ihre +gefüllten Gläser entgegen. Der Streit mit dem jungen Schmiedbauer war +von mehreren, die zufällig am Hofe vorübergingen, mit angehört worden, +und diese hatten nichts Eiligeres zu thun, als die Geschichte durch's +Dorf zu verbreiten. Kurz vorher war sie in der Wirthsstube erzählt +worden, und die Zuvorkommenheit der jungen Leute hatte ihren Grund +darin, daß Ludwig es dem eingebildeten Michel so hinausgegeben, und -- +daß er kein Knecht mehr war. Unser Bursche that mit ebenbürtiger Miene +Bescheid, aß und trank, sagte dem Wirth, daß er über Nacht bleiben +wolle, und ließ sich von ihm in die obere Stube führen. Hier begehrte +er Schreibzeug und begann einen Brief an Annemarie, worin er ihr den +heutigen Vorgang und seine Pläne mittheilte. Als er fertig war, klopfte +es an die Thüre. Die Wirthsmagd brachte Licht mit einem Brief, der so +eben unten für ihn abgegeben worden sei. + +Ludwig betrachtete die Aufschrift, erbrach das Schreiben und las, +zuerst mit allen Zeichen großer Ueberraschung; dann schüttelte er ernst +den Kopf, als ob er mit dem Inhalt nicht einverstanden sein könnte. Er +las weiter; eine eigenthümliche Empfindung spiegelte sich in seinen +Zügen, er sah empor, wie bewegt von einem lockenden und drängenden +Gedanken. Auf einmal stand er auf und rief entschlossen: »Ich thu's!« +-- Er setzte sich wieder, versank in Nachdenken, und sein Gesicht nahm +einen wehmüthigen Ausdruck an, wie das eines Menschen, der weiß, daß +sein Thun verdammende Urtheile erfahren wird. Er packte sein Bündel aus +und ordnete seine Habseligkeiten geschickter, als es in der ersten Eile +möglich gewesen. Was der Brief auch enthalten mochte, in dem Beschluß, +die Wanderung anzutreten, schien er ihn nur bestärkt zu haben. + + * * * * * + +Nach einem in mäßiger Arbeit verbrachten Tage saß der Angerbauer bei +seinem Weib im Kanzlei. Die Abendmahlzeit war vorüber, eben so das +Läuten der Kirchenglocke, das die Familien zum Abendgebete ruft, +und welches darum »Betläuten« genannt wird. Die Ehehalten waren zum +größten Theil schon im Bette, weil sie morgen sehr früh wieder heraus +mußten; nur der Oberknecht war noch im Roßstall und erzählte dem Andres +Geschichten. In der Stube herrschte große Stille, in welcher nur das +Ticken der Wanduhr -- stärker, als man ihrs bei Tage zugetraut hätte -- +und das »Spinnen« der großen Hauskatze vernehmlich war. Der Angerbauer +hörte nichts von beiden; er ruhte gedankenvoll in dem braunledernen +Großvaterstuhl am Ofen. Die Bäuerin saß am Wandtisch, auf dem eine +brennende Oelampel stand. Sie sah bekümmert aus und war offenbar mit +einem bestimmten Gedanken beschäftigt. Diesen zu äußern brach sie das +Stillschweigen, und zwar in einem Tone, als ob sie ein unterbrochenes +Gespräch wieder aufnähme. »Was doch das Geld ist!« sagte sie mit einer +Art Seufzer. »Wenn das Mädchen nur einen Hof hätte wie die andere, eine +bessere Schwiegertochter könnten wir uns nicht wünschen!« -- Der Bauer +fuhr aus seinen Gedanken auf und erwiederte: »Was redest du da wieder! +Sie hat ihn nun einmal nicht! Wenn! Als ob einem damit geholfen wäre!« +-- Die Bäuerin ließ sich nicht irre machen und fuhr fort: »Ich hab' sie +heut' wieder an mir vorbeigehen sehen, und was mir besonders gefallen +hat, ist ihre Sauberkeit, und daß ihr alles so wohl ansteht. Das würde +eine Haushaltung werden wie unsere.« + +Der Alte wurde ernstlich böse. »Ich möchte doch wissen,« rief er aus, +»was das für ein Vergnügen ist, sich Dinge vorzustellen, die nicht +sein können. Sei doch nicht kindisch!« -- »Nun ja,« erwiederte die +Frau, »ich weiß ja, daß es nicht sein kann; aber man darf doch wohl +davon reden.« -- Sie schwieg eine Weile still, konnte oder wollte sich +aber noch nicht zufrieden geben, und begann daher: »Wer hätte gedacht, +daß es uns so ganz unglücklich gehen würde! Statt einen Sohn gut zu +versorgen, müssen wir ihn bei Leuten dienen lassen, die ihn schlecht +behandeln, und vielleicht bald hören, daß er in die weite Welt gelaufen +ist, wo wir ihn gar nicht mehr sehen!« -- Der Vater erhob sich in +großem Unmuth. »Ich seh,« rief er, »es ist die höchste Zeit, daß wir +in's Bett gehen! Nimm die Ampel und zünde mir, ich geh!« -- »Nun,« +versetzte die Mutter, »thu' nur nicht gleich so wild!« Sie erhob sich +und folgte dem Mann in die Stube. + +Als sie eben der Thür sich näherten, hörten sie ein Gebell vom +Hofhunde, das sich rasch in ein Freudengeheul verwandelte. Sie +horchten. Ein froher Lärm erhob sich vom Stalle her und bald vernahmen +sie den lauten Ruf von Andres: »Er ist da! Er ist da!« -- Das Herz der +Mutter klopfte, mit zitternder Hand öffnete sie die Thüre, sah umher +und erblickte an dem Ende des Ganges, der vom Stall in den Tennen +führte, den verloren geglaubten Ludwig, von Andres mit jubelndem Eifer +vorwärts gezogen. Einen Freudenschrei ausstoßen, die Ampel auf die +Ofenbank stellen, dem wiedergefundenen Sohn entgegeneilen, ihn fassen +und mit liebenden Worten begrüßen, war bei der guten Frau Eins. Sie +nahm ihn beim andern Arm und führte ihn vereint mit Andres der Stube +zu. + +Der Angerbauer war von dieser, im gegenwärtigen Moment durchaus +unerwarteten Heimkehr in die innerste Seele getroffen. Seine +Gemüthsbewegung äußerte sich in einer Blässe, die über sein Gesicht +ging und eben so wie die Freudenröthe der Mutter das Gefühl für den +Sohn verkündete. Damit hatte er aber den Zoll der väterlichen Liebe +abgetragen; er faßte sich im Augenblick wieder, unterdrückte seine +Bewegung und sah dem Ankommenden in der Würde des häuslichen Richters +entgegen, da die Mutter nach seiner Ansicht in der Güte viel zu weit +gegangen war. Ludwig stand mit blutrothem Gesicht auf der Schwelle. Er +hatte der Mutter »guten Abend« gesagt; vor dem Vater zeigte sich aber +die Natur unfähig, den Beschluß des Willens auszuführen; der Mund war +ihm wie durch einen Zauber verschlossen. Eben so unfähig war der Vater, +diesen Zauber zu lösen durch ein mildes, entgegenkommendes, wenn auch +mit väterlicher Rüge entgegenkommendes Wort. + +Allein ich darf in dieser Schilderung nicht weiter gehen. Ich kenne die +Leser und auch die schönen Leserinnen. Ich weiß, daß namentlich die +letzteren am Manne das Heroische, Durchgreifende, stolz Beharrende +lieben, und muß nun fürchten, daß unser Freund wegen seiner plötzlichen +Nachgiebigkeit in ihrer Achtung gar sehr gesunken ist und ihre +theilnehmenden Seelen von dieser Wendung überhaupt unangenehm berührt +worden sind. Da es mir nun doch hauptsächlich um ihre Gunst zu thun +ist, für mich sowohl als für meinen ländlichen Liebhaber, so muß ich +vor allem berichten, wie dieser dazu gebracht wurde, den unerwarteten +Schritt zu thun. + +Als Ludwig sich vom Schmiedbauer in's Wirthshaus begab und den Brief +an Annemarie schrieb, war es bei ihm ausgemacht, am andern Morgen nach +Augsburg zu wandern. Eine Aenderung seines Entschlusses wurde durch den +Brief herbeigeführt, den er Nachts erhielt und der ihm ein anderes Ziel +der Wanderung bezeichnete. Er war geschrieben von dem alten Pfarrer und +ihm zugesandt aus dem Hause des jüngeren Amtsbruders, wo er für einen +Fall dieser Art schon bereit lag. Ich lasse ihn wörtlich folgen und +seine Sache selbst führen. Der alte Herr schrieb: + +»Lieber Ludwig! Ich höre von meinem Freunde und Amtsbruder, daß du von +dem Bauer, bei welchem du als Knecht dienst, und von seinen Kindern +immer übler gehalten wirst, und da ich annehmen muß, du werdest +dich über kurz oder lang mit ihm überwerfen, so schreibe ich dir +diesen Brief, damit er im Augenblick der Entscheidung das Gewicht +eines freundschaftlichen Rathes in die Wagschale werfe, die sich zur +Versöhnung neigt. Du weißt selber, Ludwig, daß dein alter Freund nicht +zu denen gehört, die mit ihren Ermahnungen lästig werden, wo kein Wille +und keine Fähigkeit ist, sie zu befolgen; aber dir muth' ich jetzt +etwas zu, weil ich dir die Kraft zutraue, es zu thun. Um es offen zu +sagen: du mußt zu deinen Eltern zurückkehren! Du mußt es freiwillig und +sobald als möglich thun!« + +»Ueber den Streit mit deinem Vater will ich jetzt nicht urtheilen. Ihr +seyd aneinander gerathen und du hast das väterliche Haus verlassen -- +es sind geschehene Dinge. Aber nehmen wir an, es sei an dem Bruche +einer so gut Schuld wie der andere -- wem steht es zu, die Hand zum +Frieden zu bieten, dem Vater oder dem Sohn? Die Antwort hierauf wirst +du dir, wenn du unbefangen urtheilen kannst, selber geben. Der Sohn, +der nachgiebt, erfüllt die Pflichten kindlicher Liebe und kindlichen +Gehorsams; der Vater, der nachgiebt, verletzt die Pflichten der +Herrschaft in seinem Hause und gibt sich unmännlich in die Hand des +Kindes.« + +»Wüßten deine Eltern nicht, daß sie dich aus dieser Ursache nicht +zurückrufen ~dürfen~, sie hätten's wahrlich schon lange gethan. +Denn sie kümmern und grämen sich, sie verzehren sich in Sorgen und +Unruhe, wie wenig sie sich vor andern auch anmerken lassen. Die +Freude und die schöne Zufriedenheit ist aus ihrem Hause gewichen. +Darf nun der Sohn, der davon Kenntniß erhält, zaudern, seinen Eltern +die verlorene Freude wieder zu geben? Darf er zaudern, auch wenn man +ihm zeigt, daß es seine Pflicht ist und er allein es vermag? Wenn der +natürliche Mensch in dir widerstrebt, wenn er sich dreht und windet und +allerlei Ausflüchte macht -- um so besser, Ludwig! denn dann hast du +Gelegenheit, in Ueberwindung desselben zu beweisen, daß du ein Christ +und ein braver, sittlicher Mensch bist.« + +»Ich wende mich an den Ludwig, der mir im Unterricht gar oft durch +verständige und feine Antworten Freude gemacht. -- Wenn ein Sohn, der +trotzig davongelaufen, in das Haus seiner Eltern zurückkehrt, weil es +ihm draußen schlecht geht und er gern wieder besser essen und trinken +möchte, so ist er ein armer Sünder, dem man allenfalls verzeihen, aber +keine Achtung schenken kann. Wenn er aber heimkehrt aus Liebe zu den +Seinen und in der großmüthigen Absicht, ihnen Freude zu bringen, wenn +er heimkehrt, obwohl er sich sagen kann, daß er sich draußen selber +zu helfen vermöchte, dann ist er ein braver, edler Mensch und handelt +in dieser christlichen Selbstüberwindung viel männlicher, als wenn +er trutzig weiter und weiter liefe; denn es gehört viel mehr Kraft +dazu, seinen Willen zu brechen, als seiner Leidenschaft zu fröhnen. +-- Das Christenthum, Ludwig, das ich dich gelehrt, ist nicht einem +Gefäße gleich, das man in einen Kasten stellt, um es hie und da seinen +Freunden zu weisen; es ist eine Sache zum Brauchen. Und je mehr und je +fleißiger man diese Sache braucht, desto besser und schöner wird sie.« + +»Erwäge noch etwas anderes! Du strebst nach einem eigenen, in deinen +Verhältnissen ungewöhnlichen Preis. Du begehrst ein Mädchen zur +Frau, die durch ihr Vermögen und ihre Stellung im Leben nach der +hergebrachten Ansicht nicht deines Gleichen ist. Du verlangst, daß +deine Eltern ihre Pläne opfern und ihre gewohnten Begriffe aufgeben +sollen um deiner Leidenschaft willen. Womit hast du denn das verdient? +Was hast du denn dafür gethan? Du forderst dem Vater seine Einwilligung +ab, und wie er sie verweigert, brichst du mit ihm und gehst davon. +Heißt das von seinen Eltern eine Gunst verdienen? Und wenn du nun ganz +fortwandertest in die Fremde, könntest du von dem völlig geflohenen, +doppelt gekränkten Vater erwarten, daß er dich dafür durch Erfüllung +deiner Wünsche belohne? -- Wenn du aber selbst ein Opfer bringst, +wenn du dich demüthigst und in freiem Entschluß als gehorsamer Sohn +zurückkehrst, dann möchte das wohl die Herzen der Deinen rühren, sie +möchten eine Anregung empfinden, nun ebenfalls ein Opfer zu bringen und +da zu belohnen, wo ein Verdienst vorhanden ist.« + +»Ich will dir keine Hoffnungen machen, denn ich habe kein Recht dazu; +noch weniger kann ich für etwas der Art einstehen. Allein wenn du den +Segen des Himmels haben willst, so mußt du durch edles Handeln dich +seiner werth machen. Und wenn du bei deinem Vater etwas erreichen +willst, so darfst du nicht auf eine Schwäche rechnen, die er nicht hat, +sondern du mußt die Großmuth zu erwecken suchen, deren er fähig ist.« + +»Und nun bedenke, was deine braven Eltern von jeher für dich +gethan haben, und frage dich, ob die Aufrechthaltung eines im Zorn +gesprochenen Wortes so schwer wiegen darf wie die Pflicht der +Dankbarkeit für unberechenbare Wohlthaten. Denke an die Freude, welche +du den Deinigen machen wirst -- und daneben auch ein wenig an die, +welche dein alter Freund haben wird, der dich gar gern wieder in seiner +Nähe hätte!« + +Ob dieser Brief einen andern umgestimmt hätte? Ich weiß es nicht. Bei +Ludwig erfüllte er seinen Zweck, und der alte Herr bewies hier, daß +er seinen Schüler kannte. Der Verstand des jungen Burschen konnte den +Gründen des Geistlichen nicht Unrecht geben und sein gutmüthiges Herz +war empfänglich für die edlen Mahnungen, die er an sich gerichtet sah. +Er erkannte klar: geschehen muß etwas, mein Vater thut's nicht, darum +muß ich's thun. Er fühlte sich bei diesem Gedanken nicht kleiner als +vorher, sondern größer, und deutlich rief es in seinem Herzen, daß der +Gang nach Hause der Weg zu seinem Glück seyn werde. Er faßte seinen +Entschluß und blieb dabei. + +Am andern Morgen zerriß er den Brief an Annemarie und schrieb einen +andern, der kurz so lautete: »Liebe Annemarie! Ich bin im Streit vom +Schmiedbauer geschieden und folge nun dem Rath unseres guten Pfarrers +und kehre aus freien Stücken zu meinen Eltern heim. Er hat mir seine +Meinung schriftlich zukommen lassen und du würdest ihm eben so recht +geben müssen, wie ich es thue. Ich bleibe dir unabänderlich treu und +thu' nur einen Schritt, der uns dem Ziel, das wir beide uns gesetzt +haben, näher bringen muß. Und vertrau dem Herrn Pfarrer und mir nur +ohne weiteres, wenn ich dich auch in der ersten Zeit nicht gleich +besuchen könnte. Es geschieht alles zu unserem Besten. Ich bin dein +ewig getreuer Ludwig.« + +Nachdem er diesen Brief an Annemarie durch eine sichere Gelegenheit +abgeschickt hatte, wo sie ihn noch im Lauf des Tages bekommen mußte, +nahm er von den Wirthsleuten Abschied, ging zum Pfarrer des Orts +und theilte ihm sein Vorhaben mit. Der Geistliche lobte ihn sehr +und wünschte ihm alles Glück, indem er ihm freundlich lächelnd Muth +einsprach. Ludwig ging zuerst nach Nördlingen und richtete es so ein, +daß er in der Dämmerung auf Feldwegen nach seinem Dorfe wanderte. Als +er sich seinem Garten näherte -- denn durch ihn wollte er ins Vaterhaus +zurückkehren -- mußte er erfahren, daß auch bei der größten Willigkeit +des Geistes das Fleisch dennoch schwach sein könne. Wie fest er sich +vorgenommen, heimzukehren als ein Mensch, der weiß was er will und +der seine Pflicht erfüllt, so fing sein Herz doch gar mächtig an zu +pochen und er wurde roth vor sich selber. Trotz dieser Anwandlungen des +Schämens und Zagens ging er indeß vorwärts, bis er in den Hof und von +da in die Stallung kam. Das Uebrige wissen wir. + +Als der Alte sah, daß sein Sohn nichts vorzubringen vermöge, brach +er das Stillschweigen auf eine Art, wie sie ihm für's erste allein +möglich war. Er sagte: »Es scheint, daß es dir beim Vetter Schmiedbauer +nicht recht gefallen hat, da du wieder zu einem Mann kommst, wie +dein Vater ist. Hat man den Herrn vielleicht nicht gut gehalten? Hat +man sich unterstanden, ihm durch den Sinn zu fahren? Wie oder hätte« +-- Weiter konnte er nicht reden, da die Mutter ihm mit dem Ausruf; +»Bist du gleich still?« den Mund zuhielt. Zu Ludwig gewendet, sagte +sie dann: »Kehr dich nicht an seine Reden, du kennst ihn ja! Ihm ist's +am liebsten von uns allen, daß du wieder da bist!« -- »Ja wohl,« +bemerkte Andres, »ihm ist ein Mühlstein vom Herzen gefallen!« -- Der +Alte sah Andres an und sagte: »Ihr seyd Narren, du und deine Mutter!« +-- Dann faßte er sich und sagte mit Würde: »Freilich ist's mir lieb, +wenn ich sehe, daß ein junger Mensch zur Einsicht kommt und seinem +Vater nachgibt wie sich's gehört! Wenn ein toller Streich wieder gut +gemacht und der Karren wieder ins Gleis geschoben wird, muß das einen +vernünftigen Menschen freuen.« + +Diese Rede öffnete dem Sohne wieder den Mund; er sagte mit bescheidener +Festigkeit: »Vater, ich bin zu dir zurückgekommen aus freien Stücken. +Ich hab's nicht nöthig gehabt, denn einem Menschen, wie ich bin, steht +die Welt offen, und daß ich etwas ertragen kann, hab' ich bewiesen. +Ich bin zu dir zurückgekommen, weil ich mich überzeugt hab', daß +das Nachgeben meine Pflicht ist, und nun bin ich auch entschlossen, +alles auszuhalten, was mir geschehen mag.« -- Der Alte hatte hoch +aufgehorcht; die Rede und die Art, wie sie vorgebracht wurde, gefiel +ihm. Eben deswegen hing er sich aber an die letzten Worte und +erwiederte: »Dummheiten! Man wird dich wohl hier fressen? Du bist noch +immer der Alte!« -- Damit wandte er sich weg. + +Die Mutter dachte nun an etwas anderes. Sie fragte: »Aber du wirst +hungrig sein, Ludwig, von dem Marsch! Gleich will ich ein Stück Fleisch +richten, das noch von gestern übrig ist!« -- Andres, der in bester +Laune war, bemerkte: »Du bekommst Kalbsbraten, wie dein Vorgänger im +neuen Testament.« -- Ludwig, auf den Scherz eingehend, erwiederte: »So +wie der komme ich drum doch nicht heim! Indessen hab' ich schon in +Nördlingen Kalbsbraten gespeist und muß für dein Anerbieten danken, +Mutter.« -- »Ah so,« rief Andres, »du hast dich gestärkt zu der großen +Anrede! Die Kraft hat aber doch beinahe nicht gereicht.« -- »Sei +still,« sagte die Mutter, »du bist grad wie dein Alter!« -- Sie bot +ihren Braten wiederholt an und Ludwig mußte es auf's bestimmteste +abschlagen, bevor sie sich beruhigte. Nun lud sie ihn ein, sich an den +Tisch zu setzen, wo der Vater schon Platz genommen hatte, und ihr zu +berichten, wie's ihm ergangen sey. + +Ludwig erzählte seine ganze Geschichte, mehrfach unterbrochen +von Ausrufungen der Mutter: wie sie nie geglaubt hätte, daß die +Schmiedbauersleute von der Art seyen. Als er den Auftritt mit dem +jungen Schmiedbauer schilderte, konnte sein Vater nicht umhin, den +Jungen, der hier gezeigt, daß er auch »Schneid« habe, beifällig +anzusehen. Bei dem Bericht über die Umwandlung durch den Brief wurde er +aber plötzlich ernsthaft. »So, so,« sagte er, »ein Brief von unserem +Pfarrer. Darf man ihn vielleicht auch lesen?« + +Ludwig bergab ihm den Brief, denn er hatte wohl gemerkt, daß er auch +für den Vater geschrieben war. Der Alte rückte die Ampel näher und las, +anfangs mit würdevollen Zeichen der Beistimmung und Anerkennung, dann +mit sehr bedenklicher Miene. »So, so, so,« sagte er, als er fertig war. +»Das schreibt der Herr Pfarrer? -- Nun seh ich, wie viel's geschlagen +hat!« -- »Nun?« fragte die Mutter mit großer Neugierde. -- »Jetzt kenn' +ich mich aus und bedank' mich schön,« fuhr der Alte mit empfindlicher +Miene fort. + +Ludwig, seine Gedanken errathend, sagte: »Vater, ich weiß, was du +meinst. Aber ich verspreche dir's, nie sollst du von mir eine Bitte +hören. Wenn ihr mich nicht mehr mit der Base plagt, so will ich nichts +weiter.« -- Der Alte versetzte: »Du willst nichts weiter? Gut, schön! +Das heißt für die erste Zeit. Du kannst warten! Hab' ich's getroffen?« +-- Als er Ludwig leicht erröthen sah, setzte er hinzu: »Dein Pfarrer +und du, ihr dürft fein nicht glauben, daß der Angerbauer ein Brett +vor dem Kopf hat. Ihr seid mir noch lang nicht zu gescheidt! Daß ihr +euch nur nicht verrechnet.« -- Jetzt rief die Mutter in ernstlicher +Ungeduld: »Aber was hast du denn?« -- »Ach,« erwiederte der Alte, »die +ganze Geschichte ist mir zuwider, ich bin müd' und geh' in's Bett.« +Damit stand er auf und ging hinaus in die Schlafkammer. + +Die Mutter »zündete« ihm nicht, wie sie sonst auch unaufgefordert +gethan hätte. Sie war zu neugierig, zu erfahren, was in dem Brief +stehe, und forderte Ludwig auf, ihn vorzulesen. Dieser las die +Hauptstellen: Als er geendet hatte, rief die gute Frau, während Andres +sehr schlau dreinsah. »Ei, ei, ei! Nun begreif' ich deinen Vater.« -- +»Liebe Mutter,« sagte Ludwig, »heut' wollen wir von dieser Geschichte +nicht weiter reden.« -- »Ja wohl,« bemerkte Andres, »wir wollen uns +niederlegen, ich bin schläfrig. Komm, du gehst mit mir in die obere +Kammer. Hab' ich doch wieder einen Schlafkameraden!« Er wollte den +Bruder mit sich fortziehen, aber die Mutter hielt ihn noch und fragte: +»Willst du denn aber wirklich nichts mehr essen heute, Ludwig?« -- +»Nein,« erwiederte dieser dankbar, gab ihr die Hand und sah ihr +zärtlich in's Auge, indem er sagte: »Schlaf wohl, gute Mutter! Führ' +meine Sach' beim Vater.« + + * * * * * + +Die Mittheilungen, die Andres seinem Schlafkameraden gemacht, konnten +nur günstig gewesen sein; denn Ludwig zeigte am andern Morgen in seinem +Gesicht eine eigene stille Zufriedenheit und Hoffnung. Er wußte, daß +der Pfarrer früh aufzustehen pflegte, und wollte ihn daher zuerst +besuchen. Auf dem Weg wurde er den verschiedenen Bekannten erstaunt +angesehen, von einigen schelmisch begrüßt. Er war jedoch in zu guter +Stimmung, um verlegen zu werden; er dankte und antwortete wieder +scherzend. -- Der alte Herr war sehr erfreut, als er ihn sah. »Ah, brav +so!« rief er, ihm die Hand reichend, »du hast meinen Rath befolgt!« -- +»Ja, Herr Pfarrer.« -- »Und bist wohl aufgenommen worden?« + +Ludwig erzählte, wie es ihm ergangen. Der Alte hörte mit größter +Theilnahme zu und sagte: »Nun, ich kenne ja die Deinen! Es ist +gekommen, wie ich's dachte.« -- »Ja,« versetzte Ludwig, »Sie haben +sich meiner angenommen, Herr Pfarrer. Ich sehe nun wohl, wie Sie's +meinen, und weiß, daß wir alles Gute, was uns noch kommen wird, nur +Ihnen verdanken.« -- »Pst!« rief der alte Herr lächelnd und freundlich +warnend. »Still davon!« + +Vom Pfarrer ging Ludwig zu seiner Schwester, die er allein in der +Stube traf. Sie hatte von seiner Ankunft schon gehört und gab ihm +die Hand, indem sie ausrief: »Bist du da, Vagabund? Du machst schöne +Streiche, ja!« Ludwig zuckte die Achseln und begrüßte den eintretenden +Schwager, der seine Frau fragte: »Hast du nicht den Ofen eingeschlagen +bei dem seltsamen Besuch?« -- »Wahrhaftig,« sagte diese, »das hätt' ich +thun sollen.« -- »Nun,« bemerkte Ludwig, »von jetzt an werd' ich schon +öfter kommen.« -- Die Schwester lächelte. »Du glaubst wohl selbander? +Aber das hat noch einen Haken.« -- »Man kann nicht wissen,« versetzte +Ludwig mit einem gewissen Uebermuth. + +Er verließ die Familie sehr aufgemuntert. Aus allem, was er sah und +hörte, drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß sich die Seinen -- +vielleicht nur den Vater ausgenommen -- mit dem Gedanken einer Heirath +zwischen ihm und Annemarie schon vertrauter gemacht hatten, als er nur +irgend hatte hoffen können. Was würde er gesagt haben, wenn er erfahren +hätte, daß er diese Umstimmung zum großen Theil dem Benehmen der Eva +verdankte! Dieses hatte namentlich die Schmalzbäuerin empört, und da +bei der angestellten Vergleichung Annemarie doppelt gewinnen mußte, so +hatte die Schwester gegen ihren Mann und die Mutter zuerst den Gedanken +ausgesprochen, ~es~ würde am Ende das Beste sein, dem Ludwig das +Mädchen zu lassen. -- Als er an der Gasse vorüberging, die zu dem +Bäckerhause führte, sah er sehnsüchtig hin, und beinahe hätte er dem +Drange nachgegeben, zu der Geliebten zu eilen und ihr seine Hoffnungen +zu verkünden. Aber er sagte sich: »Nein, es darf nicht sein!« und ging +nach Hause. + +In derselben Morgenstunde saß Annemarie bei einer Arbeit in der +Stube des Bäckers. Sie hatte Ludwigs Brief am gestrigen Tage richtig +erhalten, und ohne daß es jemand gesehen. Die Ueberraschung, welche der +ausgesprochene Entschluß des Geliebten in ihr hervorrufen mußte, hatte +bald einem großen Wohlgefühl Platz gemacht. Die Last, die sie noch zu +tragen hatte, war abgeworfen. Sie war nicht mehr eine »Stifterin des +Unfriedens zwischen Vater und Sohn;« man konnte ihr den ungerechten +Vorwurf gar nicht mehr machen. Die Selbstüberwindung Ludwigs begriff +das wackere und begabte Mädchen, und ihr Herz sagte ihr, daß diese +Heimkehr ihnen beiden zum Segen sein werde. + +Als sie in diesen Gedanken glücklich dasaß, kam Regine athemlos +gelaufen und rief: »Weißt du die große Neuigkeit schon?« -- »Nun, was +ist's?« fragte Annemarie. -- »Fall nicht vom Stuhl, wenn du's hörst: +der Ludwig ist wieder bei seinem Vater!« -- Annemarie erröthete ein +wenig und erwiederte: »Das hab' ich schon gewußt, er hat mir's gestern +geschrieben.« -- »So?« versetzte die Freundin etwas empfindlich, »davon +sagst du mir nichts?« -- Annemarie sah sie gutmüthig an und erwiederte: +»Muß ich dir denn alles sagen? -- Auch jetzt muß ich dich bitten, von +diesem Brief niemand etwas merken zu lassen.« -- »Ich verrath' nichts,« +sagte Regine. »Aber wird er dich denn besuchen?« -- »Heute nicht,« +versetzte Annemarie ruhig, »und morgen auch nicht. Aber ich kann +warten.« + +Ein gutes altes Sprichwort sagt: »Was sein soll, schickt sich wohl.« +Eine Zeitlang kann sich uns auf unserem Lebensweg Hinderniß auf +Hinderniß entgegenstellen, und wenn wir uns des Sieges erfreuen wollen, +finden wir nur immer neue Arbeit. Plötzlich ist's wie umgekehrt. +Alles gelingt, rasch geschehen Dinge, welche den letzten Widerstand +beseitigen und der kühnsten Hoffnung Erfüllung verheißen. Es liegt dann +in der Luft und jeder fühlt, daß die glückliche Entscheidung kommen +soll. -- So ging es auch hier. + +Zwei Tage nach der Rückkehr Ludwigs wurde bekannt, daß die Hoferbin +Eva sich versprochen habe. Der Erkorene war jener Vetter der beiden +langen Bauerntöchter, den wir vom »Ansing« her kennen. Obwohl der +Gedanke einer Verbindung zwischen Eva und Ludwig vom Angerbauer selber +aufgegeben war, so lag in dem Ereigniß doch etwas Günstiges. Die +Möglichkeit war nun ganz verschlossen und der rasche Entschluß des +Mädchens reizte die schon freundlich gestimmten Seelen, auch ihrerseits +an's Werk zu schreiten. + +Fast zu derselben Zeit wurde bekannt, daß ein Bauer sich auswärts +angekauft habe und sein Hof zu erwerben sei. Nun hielten sich die +Angerbäuerin und die Schmalzbäuerin nicht länger. Sie pflogen Raths und +förmlich wurde der Beschluß gefaßt, daß man dem Ludwig das Mädchen +geben müsse. Die Gründe waren: »Die Annemarie ist brav; vernarrt sind +sie in einander; eine andere nimmt er nicht; im Geschrei ist er mit +ihr; ein Hof ist zu haben; und endlich: es geht einmal nicht anders!« +-- Zuerst wurde der Schmalzbauer in's Geheimniß gezogen. Dieser, der +mit seinem Weib »gut hauste« und von der »Lieb« noch einen gewissen +Begriff hatte, erklärte seine Zustimmung und Beihülfe ohne weiteres. +Durch ihn verstärkt rückten die beiden Frauen endlich an einem +Nachmittag hinter den Angerbauer. + +Obwohl dieser den Vorschlag hatte kommen sehen und selber sah, daß es +nicht wohl anders ging, so fuhr er doch gewaltig auf und fragte: ob sie +wirklich alle mit einander verrückt geworden seien? Alle Gegengründe +wurden von ihm hervorgeholt und ein Ach und O folgte dem andern. Sein +letzter Einwand war die »Söldnersfreundschaft.« Den hatte aber der +Schmalzbauer leicht zu widerlegen. Der Bäcker war in's Dorf gezogen +und in demselben ohne Blutsverwandte. Seine einzige Tochter sollte den +Hans, einen Bauern heirathen, wenn auch den kleinsten im Dorfe. Auf +diese Art hatte man nur Einen Söldner in der Freundschaft, den Bäcker, +und das war doch auch kein gewöhnlicher. Der Köcher des Alten war leer, +und da er nach und nach müde geworden war, so rief er: »Nun in's -- -- +in Gottes Namen, er mag sie haben!« + +Die Weiber, welche die Angelegenheit ganz zu der ihrigen gemacht +hatten, schrieen auf vor Freude und lobten den Alten über die Maßen. +Dann sagte die Schmalzbäuerin: »Nun laßt mich machen! Etwas gehört ihm +noch!« Sie rief Andres herbei und sagte, er solle Ludwig holen, er +sei im Garten. Andres nickte mit dem Kopf, wie einer, der begreift, +und richtete seinen Auftrag aus, ohne dem Bruder etwas von seiner +Vermuthung zu sagen. Als sie mit einander in die Stube traten, begann +die Schwester mit einer Art von Geschäftsmiene: »Ludwig, so eben ist +von dir die Rede gewesen. Du weißt, die Ev' heirathet, und wenn man +dir auch keine »Spreuer« (Spreu) vor die Thüre streuen wird, so ist's +doch keine Ehre für dich. Du mußt auch heirathen; und zum Glück ist +unerwartet ein Antrag an uns gekommen, der unsern ganzen Beifall hat, +und, wie wir hoffen, auch deinen. Das schönste und reichste Mädchen im +ganzen Ries sagt augenblicklich Ja, wenn du willst.« -- »Wer ist denn +die?« fragte Ludwig. -- »Des Wirths Tochter in **.« -- In der That war +diese, wenn nicht gerade die schönste, doch wenigstens ~eine~ der +schönsten und reichsten. + +Ludwig, ungewiß, was er denken sollte -- denn die Schmalzbäuerin +hatte ganz ernsthaft gesprochen und die andern eben so ernsthaft +dreingesehen, -- erwiederte kurz: »Ich dank' schön.« -- »Wie?« rief die +Schwester, »ist dir die auch nicht recht?« -- »Gegen das Mädchen hab' +ich nichts, aber ich will überhaupt nicht heirathen.« -- »So?« sagte +die Schmalzbäuerin, »das ist etwas anderes.« + +Nun wurde auch der Alte angesteckt. »Ich hab's euch ja gesagt!« rief +er den andern zu. »Sein erster Versuch ist so übel ausgefallen, +daß er's ganz verschworen hat. Wenn wir ihm nun auch die schöne +Zimmermannstochter geben wollten, die so »guet tanzt« und die mehr +werth ist als alle Rieser Bauern- und Wirthstöchter zusammengenommen +-- er würde auch sagen: ich dank' schön!« -- »Wirklich?« fragte die +Mutter, zu Ludwig gewendet, »würdest du das?« + +Dieser, betroffen, verwirrt, schaute die Gesichter an und verweilte +bei dem des Vaters, der aber seine Rolle fest behauptete. Die Mutter +konnte sich nicht länger halten. Sie nahm den Sohn bei der Hand und +sagte: »Nun, Ludwig, mach einmal ein ganz freundliches Gesicht! Deine +Schwester, dein Schwager und ich, wir haben den Vater herumgebracht +-- du sollst die Annemarie haben!« »Ist's wahr?« rief der Glückliche, +drückte der Mutter die Hand, eilte zum Vater und dankte ihm in +überfließend zärtlichen Worten. Der Alte machte ein seltsames Gesicht. +»Ach!« rief er mit einem großen Seufzer aus, »nun muß man auch den Dank +noch hören! -- Geh fort,« setzte er hinzu, als Ludwig den andern seine +Liebe bezeigte, »geh' und sag's dem Mädchen, damit ein Ende wird!« -- +Ludwig ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach wiederholten Dankreden +eilte er davon. Als er hinaus war, sagte die Schmalzbäuerin zu Andres: +»Nun, was ist denn dir? du stehst ja da wie ein »Oelgötz!« Freust du +dich denn nicht?« -- »Gott!« erwiederte Andres, »daß das so kommen +wird, hab' ich ja längst gewußt!« + +Ludwig kam zum Bäckerhaus wie im Traum. Als er die Thür geöffnet hatte, +sagte sein strahlendes Gesicht alles. Wie durch einen Zauberschlag +entzündet, glänzte sein Glück auf dem Antlitz der Geliebten, die +bei dem Bäcker und Regine saß; sie flog ihm entgegen und in der +zärtlichsten Umarmung flossen selige Thränen von ihren Wangen herab. +»Du bist mein, Annemarie, mein mit dem Willen meiner Eltern!« rief +Ludwig zum Ueberfluß und drückte die Geliebte fester an sich, deren vor +Freude gebeugtes Haupt an seine Brust gesunken war. -- Es war einer von +den Augenblicken, die man als unverdientes Geschenk empfindet, wenn man +in Noth und Sorgen, in Dulden und Sehnen Jahre lang darnach getrachtet +hat. + +Das Schicksal hatte aber für die Liebenden noch eine Gabe im Füllhorn. +Zwei Tage nach der günstigen Entscheidung gelangte in's Bäckerhaus +die Nachricht, daß in dem württembergischen Städtchen Bopfingen (dem +Abdera oder Schöppenstedt des Rieses) eine Verwandte gestorben sei und +der Annemarie zweitausend Gulden vermacht habe. Dies war kein bloßer +Zufall, auch kein »Bopfinger Stückle« von der Verstorbenen, sondern +eine verständige Handlung, herbeigeführt durch das Mädchen selbst +und ihr braves Benehmen. Die kinderlose Base hatte davon gehört, und +da sie als eine erfahrene Frau so treu Liebe hoch hielt, so wollte +sie sterbend einen Beitrag leisten zu ihrer Belohnung. -- Als man +dem Angerbauer diesen Glücksfall hinterbrachte, war er zunächst sehr +erfreut über den Zuwachs des Vermögens, dann aber auch darüber, daß +er erst nach seiner Einwilligung bekannt geworden, so daß Niemand +behaupten konnte, er hätte nur um des Geldes willen Ja gesagt. Um so +mehr fühlte er sich nun angetrieben, gegen seinen Sohn ganz als Vater +zu handeln. Er kaufte den feilgewordenen Hof für Ludwig, der ihn als +sein Heirathgut haben sollte, obwohl er um ein gutes Theil mehr kostete +als sechstausend Gulden. Ueberdies ergänzte er den Viehstand und das +Geräthe, so daß die Besitzung nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Dann +setzte er den Heirathstag (den Tag der Verlobung) selber fest. + +In der Zwischenzeit fanden die ersten Besuche und Gegenbesuche statt. +Es war ein großer Augenblick, als Annemarie an der Seite ihres Vormunds +zum erstenmal in den Hof des Angerbauers trat. Ludwig war ihnen +entgegen geeilt und seine Eltern erwarteten die Gäste auf der Schwelle +der Hausthür. Wie muthig das Mädchen war, so kam sie doch ein Zittern +an, als sie dem stolzen Bauer, der so lange als die gefürchtetste +Person vor ihrer Seele gestanden, zur ersten Begrüßung entgegen ging. +Allein sie wurde sehr freundlich empfangen, wie es in der Natur der +Sache lag. Sobald der Angerbauer seine Zustimmung zu der Heirath +gegeben hatte, war das Verhältniß in seinen Augen auch sanctionirt. Die +Strahlen seines Lichtes fielen nicht nur auf Annemarie, sondern auch +auf den Bäcker und machten sie zu seines Gleichen. Annemarie war nicht +mehr die Tochter und die Verwandte eines Söldners, sie war die künftige +Schwiegertochter des Angerbauers, und als solche konnte sie die größten +Ehren in Anspruch nehmen. Niemand wäre zu rathen gewesen, daß er +jetzt in Gegenwart des Alten über diese Verbindung seine Verwunderung +ausgedrückt oder gar über das Mädchen geringschätzig gesprochen hätte. + +Als Annemarie die Freundlichkeit der Eltern sah, fand sie ihren +Muth wieder und beantwortete die Begrüßungsfragen so anmuthig und +bescheiden, daß der Alte sie selber bei der Hand faßte und in die +Stube führte. Man würde den Landleuten sehr Unrecht thun, wenn man +ihnen nicht ein ihrem Stande entsprechendes Schicklichkeits- und +Zartgefühl zutrauen wollte. Als man hier an dem wohlbesetzten Tisch +saß, unterhielt man sich, als ob nie ein Streit vorgefallen wäre, +nicht eine Hindeutung erlaubte man sich darauf. Dagegen wurden die +erfreulichen und ehrenvollen Neuigkeiten besprochen: die Erbschaft, die +der Annemarie zugefallen war, der Kauf und die Einrichtung des Hofes. +Bei dieser Gelegenheit machte das Mädchen einige Bemerkungen, die der +Angerbauer mit vollem Beifall beehrte, indem er hinzufügte: er sehe +schon, daß sie die Sache verstehe. Natürlich saß Ludwig bald an der +Seite der Geliebten. Als die Angerbäuerin das schöne Paar zum erstenmal +beisammen sah, betrachtete sie es mit großem Wohlgefallen, und ein +vergnügtes, schlaues Lächeln spielte um ihren Mund, als sie später auch +den Vater über einem solchen Blick ertappte. Die Gäste nahmen endlich +Abschied, und Ludwig begleitete sie. »Nun,« fragte die Angerbäuerin, +»was meinst du zu dem Mädchen?« Der Alte erwiederte ernsthaft: »Das +Mädchen ist recht.« + +Sonst ist von der Zwischenzeit nichts mehr zu erwähnen, als ein Besuch, +den der alte Angerbauer mit Ludwig in Nördlingen machte. Beide hatten +sich in ihren besten Staat geworfen, denn eigentlich wollte der Alte +nichts, als sich mit seinem Sohne dort sehen lassen. Da er zu diesem +Zweck Bekannte treffen mußte, so begaben sie sich zum »Fadenherrn.« +Als sie in der Stube sich umsahen, erblickten sie zu ihrer großen +Ueberraschung an einem Ecktisch die ganze Familie des Schmiedbauers, +Vater, Sohn, Tochter und Magd. Die Reihe, verlegen zu werden, war +nun an diesen. Sie waren in der That sehr betroffen und Michel sah +tiefbeschämt aus. Der Schmiedbauer faßte sich zuerst; er stand auf, +ging den beiden entgegen und sagte: »Nun, wie ich höre, kann man +gratuliren?« -- »Allerdings,« entgegnete der Angerbauer mit Würde, »das +kann man.« -- Der Schmiedbauer nahm hierauf eine lächelnde Miene an und +sagte: »Vetter Ludwig, du bist wohl bös auf mich zu sprechen? Aber ich +bin dein schlimmster Feind nicht gewesen. Wenn ich dich als den Sohn +des Angerbauers bei mir gehalten hätte, so stände die Sache jetzt nicht +so, wie sie steht.« -- »Ja wohl,« rief Michel, der auch aufgestanden +war, mit der halb komischen, halb Mitleid erweckenden Verlegenheit +eines schlechten Gewissens. »Wenn das nicht unser Gedanke gewesen wär', +so wär' manches nicht vorgefallen, am wenigsten die Geschichte am +Sonntag.« + +Ludwig war zu glücklich, um streng zu sein. Er erwiederte daher mit +Ueberlegenheit zwar, aber auch mit Gutmüthigkeit: »So, nun soll ich das +am Ende für ein Freundschaftsstück nehmen? Auch gut! Aber daß ich's +nicht gleich gethan hab', mußt du mir nicht übel nehmen, Freund Michel: +du hast die Sache gar zu gut gemacht.« Hierauf grüßte er Madlene und +die Magd. Jene ward glühend roth und sah mit einem Blick zu ihm her, +daß er ihr alles verzieh und ihr die Hand zur Versöhnung gab. Die Magd +starrte ihn wie einen Prinzen an. Sie konnte gar nicht begreifen, wie +sie jemals ihre Augen zu so Einem habe erheben können, und machte sich +in der Ecke so klein als möglich. Auf dem Heimwege sagte Ludwig zu +seinem Vater: »Es ist mir lieb, daß es so ausgegangen ist.« + +Endlich kam der Tag, wo es zwischen Ludwig und Annemarie »schriftlich +gemacht« werden sollte. Die Liebenden hatten ihn in der letzten Zeit +sehr herbeigesehnt. Ihr Glück war zu groß, als daß sie nicht hie und da +die Furcht hatte anwandeln sollen, es möchte wie ein Traum zerfließen, +und die Unterschrift war eine neue, große Sicherung und gab ihnen +festen Boden unter die Füße. Mit der Zusammenkunft der Familien zu +einem »Heirathstag« ist das Glück der Liebenden nicht immer schon außer +Frage gestellt. Zuweilen führt die Unterhandlung über die Mitgabe +selber noch zum Streit, und ein von der einen Seite begehrter, von +der andern verweigerter »Raupe« oder junger Stier kann Anlaß zu einem +Bruche werden, der nur allenfalls durch flehentliches Zureden der +jungen Leute wieder zu heilen ist. Wenn nämlich der Vater des Burschen +nach wiederholter vergeblicher Aufforderung zu dem des Mädchens sagt: +»Ich hätt' nicht geglaubt, daß du ein so intressirter Mensch wärst! +Wahrhaftig, schämen thät' ich mich« u. s. w. so kanns dieser krumm +nehmen, zornig werden, auf den Tisch hineinschlagen, daß die Krüge +wackeln und die Gläser umfallen, und erbost ausrufen: »Was? ich hab' +für mein Mädle so viel gethan, daß ich's vor meinen andern Kindern gar +nicht verantworten kann, und du willst mir so kommen? Himmel-Kreuz« u. +s. w. u. s. w. + +Im gegenwärtigen Falle war dergleichen freilich nicht zu fürchten. +Die Angerbauersleute waren zu vornehm, als daß sie hätten markten +sollen; auch lagen die Verhältnisse anders als gewöhnlich. Als man +sich nun Nachmittags in der obern Stube des Angerbauers versammelt und +den Getränken und Backwerken der Bäuerin die gebührende Ehre angethan +hatte, setzte man sich zu einer Verhandlung, die nicht allzuviel Zeit +in Anspruch nahm. Der Protokollführer war der Schullehrer des Dorfs, +einer von der alten Gattung, ein Mann von etwas über fünfzig Jahren, +der sich noch »Schulmeister« nennen hören konnte und weniger nach +Ehre als nach einer guten Nahrung trachtete, im übrigen seinem Amte +wohl vorstand. Nach einer würdigen Einleitung des Angerbauers wurde +ausgemacht, daß Annemarie dem Ludwig ihr Vermögen von 2900 Gulden +(bei Nennung dieser Summe nickte der Schullehrer dem Bauer, den er +kannte, höflich bedeutsam zu, als wollte er sagen: »Alle Achtung!«) +und Ludwig der Annemarie seinen Hof anheirathe, mit Allem darin, +wie es geht und steht. Der Bäcker machte die Bemerkung, daß man bei +solchen Gelegenheiten zuweilen auch einen »Rückfall« bedinge, wenn +nämlich eines der Eheleute sterben sollte, ohne daß Leibeserben +vorhanden wären. Ludwig, der sah, daß der Alte damit seinem Vater +entgegenkommen oder ihn versuchen wollte, sagte rasch: »Wir hoffen mit +Gottes Hülfe zu leben und wollen für so einen Fall nichts ausmachen. +Wenn ich sterbe, dann gehört der Hof meinem Weib, wie umgekehrt mir +ihr Vermögen. Anders thut's mein Vater nicht.« Der Angerbauer schwieg: +er hatte die Möglichkeit vor Augen, daß Annemarie als kinderlose +Wittwe die Eigenthümerin des Hofes werden und ihn durch eine zweite +Heirath an eine andere Familie bringen könnte. Ludwig rief aber: »Nicht +wahr, Vater?« und der Bauer antwortete: »Ja, ja, darüber bedingen wir +nichts.« Sein Gesicht sah indeß nachher aus, als wollte er sagen: »Das +macht mir so leicht keiner nach!« + +Als das Nöthige besprochen war, setzte der Schullehrer die +verschiedenen Punkte auf, las sie feierlich in einer Art von +Predigerton vor und reichte die eingetauchte Feder zum Unterschreiben. +Als dieß von allen nach der Reihe vollzogen war, ergriff Ludwig die +Geliebte rasch bei der Hand und hielt und drückte sie, als ob er sie +nicht mehr loslassen wollte. Gerührte Glückwünsche ertönten von allen +Seiten. + +Unterdessen war der Abend gekommen und nun sollte erst die rechte +Festlichkeit angehen. Nicht umsonst waren die Angerbäuerin und ihre +Tochter wiederholt ab und zu gegangen. Eine Magd erschien mit zwei +brennenden Kerzen in spiegelblanken Messingleuchtern; die Tafel +wurde abgeräumt, mit einem schöngewirkten Tischtuch überzogen und +gedeckt. Je zwei Teller von Steingut, silberne Bestecke (die, nebenbei +gesagt, zum Theil der Schmalzbäuerin gehörten) und sogar Servietten +oder »Salveater« ließen auf ein tüchtiges Mahl schließen, was der +Schullehrer mit großem Interesse zu bemerken schien. Im Schein der +Lichter, die auf der Tafel prangten, sah die schöngeweißte, nett +gehaltene Stube sehr heimlich aus. + +Nicht lange, so erschien die ganze Familie, und am Ende der Pfarrer +mit seinem Neffen. Nachdem sich der Sturm der üblichen Glückwünsche +einigermaßen gelegt hatte, fand sich der Pfarrer an der Seite der +Verlobten. Er fragte: »Nun, bist du zufrieden, Annemarie?« -- »O, Herr +Pfarrer!« erwiederte das Mädchen in einem Tone, der mehr sagte als jede +Versicherung. -- Der alte Herr sah sie liebevoll heiter an und sagte: +»Die Tugend, scheint's, ist doch auch etwas in der Welt werth und kann +auch zu etwas führen! Das Geld und der Stand sind doch nicht alles!« +-- Das Mädchen ward roth und erwiederte: »Ich schäme mich der Reden, +die ich damals geführt hab'. Ich bin tausendmal glücklicher, als ich's +verdiene.« -- Der Geistliche nickte beifällig und bemerkte: »Auf diese +Art holst du nach, was dir fehlt.« + +Als er kurz darauf allein dastand und mit frohen Blicken die +Gesellschaft übersah, machte sich der Angerbauer an ihn und sagte: +»Sie freuen sich, Herr Pfarrer, und haben auch alle Ursache dazu; an +dem heutigen Tag sind doch eigentlich Sie Schuld.« -- »Ich?« fragte +der Pfarrer. -- »Sie,« versetzte der Bauer. »Sie mischen sich nicht +in Familienangelegenheiten? Ja freilich: ungeschickt nicht, aber +geschickt.« -- Der alte Herr fragte mit liebenswürdiger Schalkheit: +»Hab' ich's nicht recht gemacht?« -- Der Bauer drückte ihm die Hand und +rief: »Recht gemacht haben Sie's, Herr Pfarrer!« + +Es versteht sich von selbst, daß es die Gastgeber während des +Tafelns an keiner Aufmerksamkeit fehlen ließen und namentlich das +schickliche »Nöthigen« nicht vergaßen. Am meisten Höflichkeit wurde +dem Pfarrer erwiesen, der Gegenstand der freundlichsten und zartesten +Ehrenbezeugungen war aber Annemarie. Ihr wurden die besten Bissen auf +den Teller gelegt, und wenn ihr zugeredet wurde, nahmen die Stimmen +den weichsten und sanftesten Ton an. Man fühlte, daß bei ihr etwas gut +zu machen sei, und that mehr und that es besser, als man es für eine +reiche Schwiegertochter gethan hätte. Alle Liebe, welche diese Leute in +sich hatten, kam gegen das Mädchen heraus, und der Pfarrer sah seinen +Enkel, der es zu bemerken schien, mit einem bedeutsamen Blick an. + +Annemarie aß wenig und gegen das Ende der Mahlzeit wurde sie still +und stiller. Ihre Seele war in die Vergangenheit gerichtet. Sie dachte +an ihre Liebe und ihre Noth, an ihre Bitterkeit und ihre Klagen, +und wie sich alles das in unendliches Glück aufgelöst. Sie dachte +an die Feindschaft, unter der sie gelitten, und die sich nun in die +zärtlichste Freundschaft umgewandelt. Als ihr der Angerbauer von dem +eben zerschnittenen Kuchen das schönste Stück überreichte, machte die +Güte und die Achtung in seinem Blick einen solchen Eindruck auf ihr +erweichtes Herz, daß ihre Augen sich mit Thränen füllten. Sie aß ein +Stückchen, um die Gabe zu ehren, aber der Strom der Wehmuth war im +Gange, das übervolle Herz mußte sich entlasten und unaufhaltsam brachen +ihre Thränen hervor. + +Alles sah auf sie, ernst, bewegt; die meisten begriffen den Grund +dieser Thränen. Es entstand eine feierliche Stille. Ludwig drückte +der Geliebten auf's zärtlichste die Hand, die Augen der Frauen wurden +feucht. Der Angerbauer saß in tiefem Ernst da und in seinen Blicken +entzündete sich ein Feuer, das den Pfarrer beinahe noch mehr ergriff, +als das Antlitz der Braut. Niemand wollte das Wort nehmen, und der +Pfarrer dachte endlich selber daran, durch eine passende Bemerkung +einen Uebergang zu unbefangener Unterhaltung herbeizuführen, als ihm +ein anderer zuvorkam. Johannesle hatte die weinende Annemarie bisher +staunend angesehen; wie die Thränen kein Ende nahmen, sondern wieder +und wieder aus ihren Augen flossen, stand er auf, ging zu ihr und +sagte mit dem ehrlichsten Tone von der Welt: »Warum weinst du denn, +Annemarie? Du hast ihn ja jetzt!« Diese naive Rede rief auf dem Gesicht +des Mädchens ein sanftes Lächeln hervor und eine milde Heiterkeit in +der Gesellschaft. Annemarie sagte mit gütevoller Stimme: »Du wirst's +auch noch verstehen lernen, Kind, warum ich wein'! Aber jetzt will ich +aufhören.« Und sie trocknete ihre Thränen. + +Als der Pfarrer mit seinem Enkel nach Hause ging, fragte er, wie +ihm heute der Angerbauer und seine Frau gefallen hätten. Theodor +erwiederte: »Ich bin ganz erstaunt über sie; nie hätt' ich ihnen +zugetraut, daß sie so gut und so wahrhaft zart sein könnten.« -- »Du +siehst also, daß du früher nicht ganz Recht hattest, diesen Mann, weil +er im Zorn grobe Reden ausstieß, ohne weiteres für roh zu erklären, und +wirst künftig mit deinem Urtheil behutsamer sein.« + +Nach sechs Wochen fand die Hochzeit statt. Es war nur Eine Stimme über +die Schönheit der Predigt, die Andacht des Brautpaars, ihren prächtigen +Anzug, das vortreffliche Mahl, wobei die Wirthin des Dorfs sich selbst +übertraf, und das große, große Vergnügen. Die Musikanten hielten eine +Ernte, wie seit Jahren nicht. Der Höhepunkt des Festes war übrigens der +Moment, wo der Angerbauer in der Laune des Weins bewogen wurde, drei +Reihen allein mit der Braut zu tanzen. Er drehte sich taktfest, aber +etwas steif herum, und sein Gesicht drückte eine so eigene Mischung von +Galanterie und Selbstgefälligkeit aus, daß ein paar ältere Weiber, mit +denen er in seiner Jugend zu tanzen pflegte, nicht umhin konnten, sich +spöttisch lächelnd anzusehen, als wollten sie sagen: »Der alte Narr! +Wenn man ihm das vor einem Vierteljahr gesagt hätte!« Der Angerbauer +hörte dieß natürlich nicht, da es überhaupt nicht gesprochen wurde. Als +er daher unter großem Beifall den letzten Reihen geendet hatte, konnte +er in ungestörter Freude seiner Tänzerin ein Glas Wein präsentiren und +dann zu einem Vertrauten sagen: »Daß die Hochzeiterin am schönsten +tanzt, hab' ich gesehen; daß sie aber auch am besten tanzt im ganzen +Dorf, das kann ich jetzt aus Erfahrung bezeugen. Ueberhaupt: mein +Ludwig ist nicht dumm gewesen!« + + + + + Die Lehrersbraut. + + + I. + +In einem Dorfe mitten im Ries, in einem hübschen Hause, wohnten +glückliche Leute -- Mutter, Tochter und Vetter. Sie waren gesund und +verhältnißmäßig, d. h. nach ihrem Stande, wohlhabend. Die Mutter von +ruhigem Temperament, mehr geneigt sich am Angenehmen zu freuen, als aus +verdrießlichen Dingen, wie sie im Leben vorkommen, sich viel zu machen; +die Tochter, Christine, hübsch und wohlgemuth; der Vetter, Hans, wacker +und thätig, ein guter »Baur« -- wie man das im Ries nennt -- und »ein +rechter Schaffer.« + +Ein eigentlicher Bauer im Sinne der dörflichen Rangordnung war Hans +freilich nicht; das war aber auch der verstorbene Glauning, der Vater +der Christine, nicht. Erst Söldner und Weber hatte sich dieser durch +ächt Rieserische Arbeitsamkeit und Sparsamkeit zu einer Mittelstellung +zwischen Söldner und Bauer emporgearbeitet. Das Weberhandwerk wurde +aufgegeben und nur im Winter noch zum Wirken des eigenen Garnes +betrieben, um so fleißiger den Geschäften des Ackerbaus und der +Viehzucht nachgegangen. Es gelang dem stillen, ruhig fortarbeitenden +Manne, das Unglück eines Brandes, der nebst sechs andern auch sein +strohgedecktes Haus in Asche legte, zu überstehen, ein neues, +bequemeres, plattengedecktes an seine Stelle zu setzen, und bei seinem +Tode der Wittwe ein respektables Anwesen zu hinterlassen: das Haus +mit Wohnung, Stall und Stadel in Einem Bau, vier Kühe mit Nachzucht, +fünf Schweine, einen schönen Baumgarten, zwei »Dawert« (Tagwerke) +Wiesen und vier Morgen »in ein Feld« -- also, wer das nicht verstehen +sollte, zwölf Morgen Ackerland. Allerdings war dieses »schöne Sach« +nicht schuldenfrei; der alte Glauning hatte eine runde Summe aufnehmen +müssen, um die runde Zahl von Morgen Landes zu erhalten, die im +Ries mehr bedeuten wollen als anderswo. Aber der Hauptgläubiger war +gegenwärtig -- Vetter Hans. + +Hans Burger -- denn der Mann verdient, daß wir seinen ganzen Namen +nennen -- war vom nächsten Dorfe, Sohn des dortigen Schmieds. Er +wurde von dem Vater in seinem Handwerk unterwiesen; aber trotzdem, +daß ihm ein paar Arme verliehen waren, die im Nothfall den Ambos in +Stücke schlagen konnten, hatte er für seine Person doch mehr Freude +am »Bauernhandwerk.« Nach dem Tode seiner Eltern führte er die kleine +Oekonomie und nahm Hammer und Zange nur als Gehülfe seines Bruders in +die Hand. Dieser konnte zu eben der Zeit, wo der alte Glauning starb, +»einen guten Heirich« (gute Heirath) machen. Hans überließ ihm Schmiede +und Oekonomie, nahm seinen Vermögenstheil heraus und ging zur Base +Glauning, um ihr die Wirthschaft zu führen. Christine war damals noch +nicht ganz fünfzehn Jahre alt; demungeachtet wollte man bemerken, daß +der Vetter sie verstohlenerweise schon mit ganz besondern Augen ansehe. + +Drei Jahre gingen in's Land. Christine wuchs heran und wurde nach +den Begriffen des Dorfs immer schöner. Mittelgroß, rund, aber +von angenehmer Rundung, das gutmüthige, ruhig vergnügte Gesicht, +dessen Linien nicht ohne eine gewisse Anmuth waren, frischroth mit +bräunlichem Hauch, die Zähne regelmäßig und weiß -- konnte man +sie einem Apfel vergleichen, der untadelich gereift eben vom Baum +genommen wurde. Damals war unter den Rieser Bauernmädchen noch nicht +die Mode aufgekommen, die Haare doppelt zu scheiteln und auf beiden +Seiten herunterzukämmen, wodurch sie sich jetzt ein städtisches, +vornehmeres Ansehen zu geben suchen. Das Haar wurde von der Stirn +an zurückgestrichen und gegen die Mitte des Kopfes zu von dem +landesüblichen Käppchen bedeckt. Das ließ einfacher, munterer, und +stand besonders Gesichtern, wie Christine eines hatte. Am hübschesten +erschien diese, wenn sie an heiterem Sommertag, in weißen Hemdärmeln +und den Rechen in der Hand, auf die Wiese ging, ohne eine Ahnung von +Sorge, in Fülle körperlichen Wohlseyns schwimmend und gänzlich der +frohen Gegenwart hingegeben. Aus dem runden Gesicht blickte zugleich +ein eigenthümliches Selbstgefühl heraus, und das hatte seinen guten +Grund. + +»Die schöne Christine« hieß sie im Dorf. Nur eine Bauerntochter konnte +mit ihr noch verglichen werden; aber da diese »so eine rahnenge« +war, nämlich allzu schlank, so erhielt Christine von den bäuerlichen +Schönheitsrichtern den Vorzug. Die jungen Bursche tanzten gern mit ihr, +und wenn einer sie an der Hand im Reihen führte, sang er wohl auch den +Musikanten Schelmenliedchen vor, ihr zu Ehren. Aus dem Stegreif zu +dichten, ist die Sache des Rieser Burschen nicht, solche Talente sind +dort Ausnahmen; dagegen weiß er bekannte Lieder passend anzubringen und +damit, ähnlich dem gelehrten Schriftsteller, der eine öfters citirte +klassische Stelle wieder citirt, auf bescheidene Weise elegant zu +werden. Wenn ein tüchtiger Kerl, mit Christine herumgehend, sang: + + Macht mer 'n Walzer auf, + Der a weng luste geht, + I hab' a Tänzere, + 'Sist der Müh werth -- + +dann im Takt strampfend schmunzelte, so gewann das oft gehörte Liedchen +wieder Bedeutung. Einige Zuschauer konnten lächeln und irgend ein alter +Bekannter der Christine gemüthlich zurufen: »Ja, ja, so isch -- sott +(solche) git's net viel!« Als unter den zuschauenden Weibern einmal +die noch immer stattliche Wittwe Glauning vornean stand, machte es der +zufällige Tänzer der Christine noch besser; er sang, indem er dem Liede +durch Gesichtsausdruck und Blick Sinn verlieh: + + A schneaweißa Däube (Täubin), + A schwarzer Dauber; + Und wann d'Mueter schön ist, + No[1] wurd d'Tochter sauber. + +Bei dieser Gelegenheit war die Heiterkeit der Mutter noch um vieles +lebhafter, als die der Tochter, die an solche schöne Dinge schon +gewöhnt war. -- All die Huldigungen aber, die sie erfuhr, gaben +dem Wesen des Mädchens nach und nach eine vergnügte Sicherheit, +Wohlgefälligkeit, und, wenn man dieses Wort in den Grenzen ländlicher +Möglichkeit verstehen will, einen Ausdruck von Huld, der ihr ganz gut +stand, aber auch mehr hinter ihr vermuthen ließ, als vorläufig noch +hinter ihr war. + +Das Gefühl der Huld wurde in Christine vorzugsweise durch Hans genährt. +Beichten wir in seinem Namen ohne Umstände. Hans hatte sich allerdings +schon in die noch nicht Fünfzehnjährige versehen und nach einem Besuch, +kurz vor dem Tode des alten Glauning, ernsthaft zu sich gesagt: »Des +wurd (wird) a Mädle für mi!« Die Hoffnung seines Herzens hatte großen +Antheil an seinem Entschluß, der Base die Wirthschaft zu führen; sie +belebte sein ganzes Wesen und machte ihm die Bauernarbeit noch viel +lieber, als sie ihm ohnehin war. Bald freilich trat neben dieser +Hoffnung auch eine gewisse Furcht hervor; sie steigerte sich, als +Christine zu dem Glanz ihrer ländlichen Reize heranwuchs, und erzeugte +das Gefühl und den Humor der Entsagung, dem sich der gute Bursche mit +der halben Lust einer treuen, opferfähigen Seele hingeben konnte. +»Ja, ja,« sagte er dann wohl mit einem Seufzer, »i sig (sehe) scho, +die krieg i net; die ist z'schöa' für mi!« Aber dieses Gefühl konnte +natürlich nicht dauern; nach einiger Zeit kam auch die Hoffnung wieder +und er ermuthigte sich mit der Bemerkung: »Was doh (da)! A Bursch wie +ih kann oh a schöns Weib kriega'; des ist scho oft vorkomma'!« Dann +wich der Ernst aus seinem Gesicht, er wurde herzensvergnügt und that +der Mutter und der Tochter noch eifriger alles zu Liebe. Aber er fand +nicht den Muth, mit Christine von seiner Liebe zu reden. + +Die Leserinnen dieser Erzählung haben schon errathen, wo es bei +unserem Freund haperte. War Stand und Vermögen gleich und das Herz +des Liebhabers doch ohne Zuversicht, so mußte es mit der Figur +nicht zum besten bestellt sein. Und das können wir allerdings nicht +leugnen. Hans gehörte unter den ledigen Burschen nicht zu den +Schönen, und auch nicht zu den Lustigen, die sich bei festlichen +Gelegenheiten »recht aufführen« können, auf diese Art den Mangel +besonderer Schönheit decken und den Mädchen ebenfalls in die Augen +stechen. Er war untersetzt und etwas krummbeinig. Seine Arme haben +wir charakterisirt; auf seinen Schultern konnte er ohne Anstrengung +ein »Schahf« (Scheffel) Korn tragen. Sein Gesicht war breiter, als +man's liebt, und die Nase nicht ganz regelmäßig, die Farbe für einen +noch in den Zwanzigen befindlichen Menschen zu braun. Eines war schön +an ihm: seine treu blickenden, braunen Augen. Sie waren sogar sehr +schön und ihr Glanz hatte einen rührenden Reiz, wenn er heimlich in +gutmüthigster Liebe einen Blick auf Sie warf. Nur Schade, daß er dies +immer bloß heimlich that, und wenn er ihr offen ins Gesicht sah, in +den Grenzen einer freundschaftlichen Herzlichkeit blieb, die wohl +einen angenehmen Eindruck macht, aber keinen Zauber ausübt, wie es der +Blick der Leidenschaft vermag. Hätte er sie im rechten Moment einmal +so angesehen, wie er es heimlich zu thun pflegte, dann wäre ihr Herz +vielleicht geschmolzen und ihr Gesicht hätte einen Ausdruck erhalten, +der ihm den Muth gegeben hätte, mit seinem Anliegen hervorzugehen und +die Schöne zu erobern. Dann hätten wir freilich auch unsere Geschichte +nicht schreiben können. + +Noch eins war, ich will nicht sagen schön an Hans, aber proportionirt +und nicht zu tadeln: der Mund und seine mannhaften Zähne. Wann er bei +seinen Kameraden im Wirthshaus saß und in der Laune, die das braune +Bier erweckte, gutmüthig über andere und sich selber Spaß machte, +dann umspielte seine Lippen ein humoristisches Lächeln, das ihm sehr +gut stand und dem ganzen Menschen etwas Angenehmes gab. Das Gesicht +glänzte, und sogar die Zähne, die zur Hälfte zwischen den geöffneten +Lippen hervorsahen, schimmerten Heiterkeit. Aber auch in diesem Vorzug +konnte er sich nie vor der Geliebten zeigen. Einmal wollte er eine +lustige Geschichte, die im Wirthshaus großen Beifall gefunden hatte, zu +Hause wieder erzählen. Als aber Christine aufmerksam horchte und nicht +gleich vergnügt aussah, wo nach seiner Ansicht das »G'spässige« der +Geschichte schon begonnen hatte, brachte ihn die Furcht, sein Ziel zu +verfehlen, in Verwirrung; er verpfuschte das Ende und wies ein Gesicht, +das eher geeignet war Mitleiden als Heiterkeit einzuflößen. »'Sischt +doch grad,« sagte er darauf im Kuhstall, den er nach seiner Niederlage +aufgesucht hatte, »als wann's der Deufel g'macht hätt'! Im Wirthshaus +ka'n es, und derhoe'mt (daheim) ka'n es net und stell me a' wie a'n +Esel!« Als ihm hier eine Kuh, die nach Futter verlangte, diesen ihren +Wunsch durch eine Kopfbewegung und einen Blick zu erkennen gab, die er +sogleich verstand, sagte er: »Ja, ja, du sikscht (siehst) g'scheider +drei' und host meaner Segel im Hihra (mehr Grütz im Kopf) als ih!« +Gleichsam um das Vieh für seinen Verstand zu belohnen, gab er ihm etwas +extra. Bei sich selber aber beschloß er fest, seine Geschichten künftig +nur im Wirthshaus zu erzählen. + +Sein Gefühl, das so sträubig war, sich in der Gestalt von Worten +zu offenbaren, bewies der gute Hans um so mehr durch Thaten. Die +Wirthschaft besser zu führen, als wenn's seine eigene gewesen wäre, +die Aecker herzurichten wie Gartenland, Korn und Vieh auf dem Markt +zum höchsten Preis zu verkaufen, und im Hause der Geliebten Freude zu +machen durch Erfüllung ihrer Wünsche, die sie entweder aussprach oder +die er ihr an den Augen ansah, das war seine Sache. Im Uebrigen wollte +er -- warten. »'S macht se villeicht amohl von o'gfohr« (von ungefähr), +dachte er und tröstete mit dieser Möglichkeit sein ungewisses Herz. +Sein Zögern hatte auch noch einen Grund, den die Leser ganz vernünftig +finden werden. Eins in's andere gerechnet, war sein Verhältniß zu +Christine für ihn auch jetzt schon eine Quelle von Vergnügen. Mit ihr +die ländlichen Arbeiten zu verrichten, wie die Jahreszeit sie brachte, +das Heu »zusammenzuschlohen« oder das Korn zu sammeln, auf dem Wagen +die Garben von der Gabel zu nehmen, die ihre rüstigen Arme ihm entgegen +streckten, und ihn so schön und gleichmäßig zu laden, daß sie ihn +bewundern mußte; im Winter mit ihr zu dreschen und seinen Flegelschlag +nach dem ihrigen kräftiger »auf dem Tennen« erschallen zu lassen; +Abends mit ihr und der Base zu schwatzen, Rath zu halten über die +Arbeiten des folgenden Tages, über Kauf und Verkauf; namentlich aber, +vom Markt heimgekehrt, ihnen aus dem ledernen Gurt das Geld vorzuzählen +und Lob dafür zu empfangen, daß er wieder so viel gelöst habe -- dieß +und anderes, wie es der Verkehr in einem Haus und Geschäft mit sich +bringt, war für ihn eine Kette von Freuden, Labsal und Trost für alle +Unbilden, die er erfuhr oder im zweifelnden Herzen sich selber anthat. +Sollte er nun das alles auf's Spiel setzen, indem er Christine zum Weib +verlangte und eine abschlägige oder auch nur eine ausweichende Antwort +erhielt? In diesem Fall mußte er das Haus verlassen, oder wenn er +blieb, war ihm die Freude verdorben und jede fernere Werbung untersagt. +Hans -- das haben wir nun hoffentlich schon klar gemacht -- war kein +gewöhnlicher Mensch; er hatte seinen Kopf und sein Ehrgefühl. + +Und sie, die schöne Christine? Unstreitig werde ich nicht nöthig haben +den Leserinnen erst noch ernsthaft zu versichern, daß ~sie~ gar +wohl wußte, wie es mit dem Herzen des guten Burschen stand. Wo gäbe +es ein hübsches Mädchen, die hier nicht sogleich Bescheid wüßte? +Ich kann sogar verrathen, daß Christine schon als Fünfzehnjährige, +nachdem sie ihn einmal auf einem gewissen Seitenblick ertappt, von +dem Stand der Dinge gleich eine sehr entschiedene Ahnung hatte. Aber +ein unausgesprochenes Gefühl hat auch für die einfache Schöne das +Gute, daß es zugleich vorhanden und nicht vorhanden ist. Sie kann ihm +gegenüber ihre Gedanken ebenfalls unausgesprochen lassen und thun, als +ob es nicht existirte, während es schon diplomatische Geistesbildung +erfordert, auch das ausgesprochene Gefühl zu ignoriren. Christine +sah, wie sie den Vetter am Schnürchen hatte, und freute sich darüber. +Es gefiel ihr besonders, daß er so bescheiden war, daß er sie nicht +nöthigte, Ja oder Nein zu sagen, sondern ihr die Freiheit ließ, in +der sie sich immer noch so wohl fühlte. Sie hatte eine Empfindung, +wie sie bekanntlich auch schöne junge Damen haben, die es ebenfalls +höchst reizend finden, eine Zeitlang als erstrebenswerthes Gut zu +glänzen, bevor sie ihre Macht und Freiheit an einen Einzelnen hingeben. +»Den kannst du haben und am Ende glücklich mit ihm leben,« dachte die +gute Christine, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, wenn sie sich +vorstellte, wie glücklich sie den Vetter machen könnte, wenn sie ihm +entgegenkäme. »Aber es hat noch Zeit,« rief es dann in ihr; -- »wer +weiß!« -- + +Aehnlich dachte die Mutter. Daß sie für ihre Tochter einen Mann haben +konnte, brav, in der Arbeit geschickt und in seiner Art vermöglich, +war gut. Aber wer konnte sagen, ob ihrer Christine nicht noch was +Besseres, vielleicht was viel Besseres anstand? »Es hat noch Zeit,« +war darum auch ihr Refrain, wenn sich beide mit einander über diese +Angelegenheit besprachen. Einmal setzte sie hinzu: »Du därfst aber oh +nex thoa', daß 'r verschächt wurd (verscheucht wird)!« Und Christine +antwortete: »Des fällt mer net ei'! Er hätt's oh net om mi verdea't!« +Und sie folgte ihrer Natur und traf in ihrem Sinne das Rechte: sie +bewies gegen Hans eine Freundlichkeit, die seinem Wunsche die Aussicht +auf das Ziel freiließ, ohne sie selber zu verpflichten. + +Aus diesen Gründen nannten wir im Eingang unserer Erzählung die drei +Leute glücklich. Hans war es durch seine Liebe, durch seine Herzensgüte +und seine Hoffnung. Mutter und Tochter waren es durch ihre behagliche +Existenz, durch die Ehre, die ihnen widerfuhr, durch die Sicherheit, +die ihnen Hans gewährte, und durch die Macht, die ihnen gegeben schien. +Das Glück des Hans war nun freilich um vieles löblicher, als das seiner +beiden Verwandten; allein ich wünschte doch nicht, daß Christine zu +streng beurtheilt würde. Sie schätzte den Vetter nur, sie liebte ihn +nicht; sollte sie ihm nun entgegenkommen und sich binden ohne Noth? Und +daß die Mutter aus bewußter, die Tochter aus instinktmäßiger Vorsicht +den wackern Burschen für dem Nothfall bewahrt zu sehen wünschten, das +wollen wir zwar nicht bewundernswürdig finden, aber -- aus Galanterie +-- auch für keine Todsünde halten. + +Ein solcher Zustand kann nicht dauern, und soll es auch nicht. Die +unentschiedene Seele sieht sich auf einmal in eine Lage versetzt, wo +sie ein bestimmtes Ziel vor sich hat, welches alle ihre Wünsche an sich +reißt. Und nicht nur das Erreichen, auch das Erstreben dieses Ziels +kann das bisherige Glück trüben und alteriren. + +Als Christine das achtzehnte Jahr hinter sich hatte, kam, was Hans in +den Stunden der Sorge befürchtete. Es trat ein Nebenbuhler auf. + +Im selbigen Winter gab es zwei Hochzeiten, die im Wirthshaus gefeiert +wurden, also zwei Tanzgelegenheiten. Bei der ersten ging Christine +mit Hans und einer Kamerädin auf den »Ansing.« Wie man ohne Zweifel +schon aus seinem ganzen Charakter vermuthet, war das Tanzen die Stärke +des Hans nicht. Er hatte keine Freude daran, er leistete auch nichts +Rechtes darin und bequemte sich darum auch nur höchst selten dazu. An +diesem Ansing tanzte er nur ein paar Reihen, weil ihn Christine in +Folge der Koketterie, mit der hübsche Mädchen bescheidene Liebhaber +zuweilen auch unversehens beglücken wollen, selber dringend dazu +aufgefordert hatte. Nachdem er das Nöthige gethan zu haben glaubte, +bedankte er sich und sagte zu ihr mit gutmüthigem Lächeln, sie möge +sich den Abend nur recht lustig machen, vor ihm habe sie nun Ruhe. +Sie versetzte: »Was schwätscht ietz doh widder! 'S wär' koë Wonder, +i tanzet net geara' mit d'r!« Dann aber gab sie doch vergnügt einem +flinkeren Burschen die Hand, der schon auf sie gelauert hatte. Hans +belohnte sich für seine Anstrengung durch einen tüchtigen Trunk und +stellte sich in eine Ecke, um der Lustbarkeit zuzusehen. Das war ihm +lieber als selber mitzumachen, d. h. wenn Christine tanzte. Er freute +sich auch jetzt wieder, wie schön sie's konnte und wie sie ordentlich +»das G'rihß hatte« (wie man sich um sie riß). + +Als später der stattliche Sohn eines reichen Bauern auf den geringern +Burschen, der sie eben im Reihen führte, zuging und zu ihm sagte: +»Komm, loß me oh a weng mit der Christine danza! Du host ietz gmuag +(genug)!« -- sie dann ohne viel Umstände nahm und nach einigen Worten, +die er an sie richtete, strampfte und den Kopf schüttelte, daß das +grünseidene Quästchen auf der Fischotterkappe baumelte, da war Hans im +Namen der Geliebten stolz auf die Ehre, die ihr widerfuhr; denn jener +Bursche war dermalen der »fürnemste« im ganzen Dorf, und der Gute +fühlte sich selbst geschmeichelt, daß so einer sie aufzog und, wie es +schien, das Tanzen mit ihr gar nicht hatte »verwarten« können. Bald sah +er auch, daß der schöne »Hansirg« (Hansjürg) sie wirklich recht gern im +Arm oder an der Hand haben mußte. Er tanzte lange mit ihr, so lange, +bis ihr die Schweißtropfen an der Schläfe standen und über die rothen +Backen herunterperlten. Dann führte er sie zu einem Trunk in die Stube. + +Alles das war in der Ordnung und wurde von Hans auch durchaus so +gefunden. Als aber beide nicht lange nachher wieder mit einander +herauskamen, um sich herumzudrehen, da freute er sich plötzlich nicht +mehr. Er sah, wie der Bursche schon mit einer gewissen Vertrautheit +sprach, dabei ganz eigenthümliche Augen machte und die Stimme dämpfte, +so daß er seine Worte nicht verstehen konnte, und das Blut stieg ihm +in's Gesicht. Er mußte sich alle Mühe geben, sich nichts »anmerken« +zu lassen; und um dieß besser zu können, ging er in die Stube, setzte +sich an seinen Tisch und fing ein Gespräch an. Früher, als er glaubte, +kam Christine zurück und sagte zu ihm und zu der Kamerädin: »So, nun +will ich ausschnaufen, nachher gehn wir heim; für heut ist's gnug!« +Ein Stein fiel dem guten Burschen vom Herzen. Er wußte nicht, daß der +»Fürneme« in seiner plötzlichen Zärtlichkeit etwas zu weit gegangen, +Christine böse geworden war und sich ihm entzogen hatte, d. h. daß die +Sache für ihn, den Hans, immer noch sehr gefährlich stand. + +Die zweite Hochzeit folgte wenige Wochen darauf. Christine war entfernt +mit der Braut, der reiche Bauernsohn mit dem Bräutigam verwandt, und +beide gingen als Gäste auf die Hochzeit. Durch die Miene des Trutzens, +die Christine gegen ihn annahm und in der sie ihm noch viel schöner +vorkam als letzthin, wurde der Bursche auf's neue gereizt. Er bat sich +mit höflicher Miene ein paar Reihen aus, und sie konnte es ihm nicht +abschlagen. Während des Tanzes fand er Gelegenheit, sie zu besänftigen +und Vergebung zu erhalten. Er war voll Freude, setzte sich in der Stube +neben sie, ließ eine Flasche Wein kommen, trank und »juxte« (jauchzte), +tanzte wieder, und so gings mit wenigen Unterbrechungen fort bis zum +»Obedmohl.« Bedenken wir, daß dieser Bursche, abgesehen von dem Reiz, +den er als der Sohn des vielleicht wohlhabendsten Bauern im Dorfe +hatte, hübsch, hochgewachsen, geschickt und ein vortrefflicher Tänzer +war, daß seine Zärtlichkeit ihm von Herzen ging und die Schmeicheleien +aus seinem Munde für Christine etwas außerordentlich Wohlklingendes +hatten, so werden wir es natürlich finden, daß das Herz des Mädchens +nach und nach erweicht wurde und eine Hoffnung in ihr aufflammte, die +sie berauschte. In dieser Hoffnung, in der süßen Aufregung ihres Innern +wurde sie so schön, daß das Herz auch des Burschen völlig schmolz und +er sich förmlich in sie verliebte. + +Nach dem Mahl begab sich Christine nach Haus. Sie fühlte, daß es +für heute genug sei, ging nicht mehr auf den Ansing und vertraute +ihre Tageserlebnisse mit Auswahl der Mutter. Der junge Bauer blieb, +theilte im Rausch der Liebe und des Weins sein Glück einem Kameraden, +dem Bruder der Hochzeiterin, mit, schwur, daß er keine andere möge +als Christine, und daß er sie heirathen werde. Als der Kamerad ihn +an den Stolz seines Vaters erinnerte, entgegnete der Verliebte, sein +Vater habe ihm nichts zu sagen, was ~er~ wolle, müsse geschehen. +Christine bekomme so viel wie manche Bauerntochter und ihre Schönheit +sei nochmal so viel werth. Wenn er auch reichere haben könnte, auf's +Geld sehe er nicht, das kriege er selber genug. Sein Vater solle ihm +nur kommen -- Himmel-Kreuz-Tausend -- er werde es ihm schon sagen u. s. +w. + +Auch der andere Morgen, das Getöppel der Seinigen, die sein gestriges +Benehmen für ein Plaisir ansahen, das er sich gemacht, auch das ruhige +Bedenken der Verhältnisse kühlte seine Glut nicht. Er hatte sich den +Gedanken in den Kopf gesetzt, und ein Mann wie er mußte seine Sache +durchführen. Am folgenden Sonntag nach dem Essen kehrte er unerwartet +mit dem Kameraden bei Christines Mutter ein. Hans hatte schon munkeln +hören und war in trüber Stimmung. Als die beiden stattlichen Bursche +in die Stube traten, sah er sie mit einem Gesicht an, auf dem kein +Willkommen zu lesen war. Und wie er nun die Freude sah, mit der die +Base und Christine die Gäste empfingen, die Geschäftigkeit, womit +sogleich in's Wirthshaus nach braunem Bier geschickt wurde und die Base +sogar Kaffee machen wollte -- in einem Hause, wo immer nur Milchsuppe +gefrühstückt und der Kaffee nur bei den seltensten Feierlichkeiten +aufgetischt wurde -- da gab es ihm einen Stich in's Herz. Er fühlte, +wie wenig er zu der Gesellschaft paßte, und schützte einen nothwendigen +Gang vor, um aus dem Hause zu kommen. -- Als er Nachts zurückkehrte, +war der Besuch natürlich fort, aber der Schein des Glücks, das er +gebracht hatte, glänzte noch auf den Gesichtern der beiden Weiber. +Christine sah wohl, daß ihre Freude dem guten Hans wehe that; sie +bedauerte es, aber sie konnte sich nicht helfen und den Strom ihres +Triumphgefühls nicht zurückhalten. Sie erblickte sich schon als eine +der ersten Bäuerinnen im Ries und ihr sonst so gesunder Schlaf wurde +mehrmals durch den süßen Tumult ihres Herzens unterbrochen. + +Damit war's aber auch zu Ende. Der Vater des Burschen erhielt von dem +Besuch und dem wesentlichen Inhalt des gepflogenen Raths Kunde, und es +folgte nun zwischen beiden ein Auftritt, in welchem der prahlerische +Liebhaber gar bald den kürzeren zog. Der Alte entwickelte einen Zorn +und eine Machtvollkommenheit, wovor der Bursche sich verkriechen mußte. +Was der Wüthende forderte, wurde mit »ja, ja, i will's ja!« zugesagt +-- und in kurzem hieß es: »des Moürs (Maierbauers) Hansirg hat mit der +einzigen Tochter des reichen Bachbauers von ** Heirathstag gehalten.« + +Christine war tief beschämt. Es ging die ersten Tage nicht ohne +Vergießung vieler Thränen ab. Allein ihr Temperament und ihr ganzes +Wesen war nicht von der Art, daß sich darum ein Gram in ihr befestigen +und an ihr zehren konnte. Da der Ungetreue noch dazu aus dem Dorf weg +heirathete, so hatte sie, auf gut ländlich, den Traum der Liebe und des +Ehrgeizes in wenigen Wochen vergessen. + +Hans hatte seit jenem Sonntag ein Betragen angenommen, das er eine +Zeitlang unverändert festhielt. Er ging äußerlich ruhig seinem Geschäft +nach, beschränkte seinen Verkehr mit Christine und der Base auf das +Nothwendigste, machte ein gleichmäßig ernsthaftes Gesicht und suchte +zu thun, als ob nichts vorgefallen wäre. Nachdem die Verlobung des +Nebenbuhlers bekannt geworden, zeigte er (wer ihn begriffen, sagt +sich das von selber) keine Schadenfreude. Er hatte diese nicht etwa +zurückzudrängen, sondern die eigentlich so zu nennende empfand er +gar nicht. Er bedauerte die Beschämte vielmehr, ging ihr aus dem +Weg, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, und überließ sie ihrer +Traurigkeit. Als sie nach einigen Tagen schon um vieles getrösteter +aussah, gab er seiner Stimme im Gespräch mit ihr unwillkürlich einen +freundschaftlicheren Klang, um sie gewiß zu machen, daß er nicht böse +sei, und ihre Beruhigung, so weit es von ihm abhing, zu fördern. +Aber weiter ging er nicht. Es hatte ihn doch recht »verdschmohcht« +(verdrossen), daß sich die schöne Christine dem Bauernsohn mir nichts +dir nichts an den Hals geworfen und sich angestellt, als ob er, der +Hans, gar nicht mehr auf der Welt wäre. Er wollte sein Herz von nun +an nicht mehr an ein Mädchen hängen, die von ihm nichts wollte -- +Christine sollte durch nichts mehr daran erinnert werden, daß er sie +jemals gern gehabt habe. + +Diese guten Vorsätze wurden im Ausgang des Winters gefaßt. Im Sommer +stand das Verhältniß unseres wackern Freundes wieder so ziemlich auf +dem alten Fleck, ja es war im Begriff weiter zu gedeihen. -- Christine +hatte zwischen Hans und dem Ungetreuen Vergleichungen angestellt, und +es war ihr zum erstenmal klar geworden, daß Treue und Zuverlässigkeit +etwas seien, wovor man Respekt haben müsse. Das frühere Benehmen des +Vetters erschien ihr jetzt nicht mehr als ein Gegenstand herablassenden +Spiels, im Gegentheil, sie hatte dabei ganz ernsthafte Gedanken. Und +wenn sich nun ~er~ zurückhielt und gar nicht mehr dergleichen +thun wollte, so -- kam sie ihm selber entgegen; allerdings nur mit +einer gewissen Vorsicht. Sie offenbarte in ihrem ganzen Wesen nur mehr +Achtung und Freundschaft und der Ton ihrer Stimme erhielt nur eine +herzlichere Färbung. Zuweilen aber, wenn er im Geschäft etwas recht gut +gemacht hatte, warf sie mit ihren graublauen Augen ihm einen Blick zu, +dessen Dankbarkeit auch ein Unparteiischer durch eine bedeutende Zugabe +von Zärtlichkeit verstärkt gesehen hätte. Dem widerstehe ein liebendes +Herz, und obendrein ein großmüthiges! Hans ließ sich Schritt für +Schritt wieder zurückführen in die angenehme Gefangenschaft. Er kostete +nun seinerseits einen gewissen Triumph, wiegte sich in frohen Momenten +stolz im Gefühl der Macht und gab sich einer Sicherheit hin, die nur +zuweilen durch die Einwürfe der Bescheidenheit unterbrochen wurde. Dann +prüfte er wieder, hielt wieder an sich -- und Christine kam ihm einen +Schritt weiter entgegen. Die treue Seele war über die Maßen vergnügt; +aber dieses Vergnügen that ihm gar zu wohl, und ihm war, als müßte er +es vorläufig dabei lassen. + +Der Verkehr der drei Leute nahm einen Charakter an, dessen reine +Fröhlichkeit jeden theilnehmenden Beobachter erquickt hätte. Man +scherzte und neckte sich; dem Vetter gelang es jetzt, der Schönen +lustige Geschichten, namentlich wenn sie kurz waren, ohne Anstoß zu +erzählen und sein Gesicht dabei durch jenes humoristische Lächeln +zu erhellen, das ihm so gut ließ. Das Dorf war über ihr Verhältniß +im Reinen, und wenn es geheißen hätte: Christine wird ihren Vetter +heirathen, so hätte sich kein Mensch darüber gewundert. Hans wurde +nun von seinen Kameraden mit ihr aufgezogen und gelegentlich ermahnt, +einmal ein Ende zu machen, damit man bald wieder eine lustige Hochzeit +bekäme. Und jetzt, in den Tagen des Herbstes, faßte er ernstlich den +Entschluß, ihr seine Herzensmeinung zu sagen. Er verschob indessen die +Ausführung von einem Tag zum andern. War es das Gefühl, daß Eile nicht +nöthig sei und Christine ihm doch nicht entgehen könne? oder war der +Geist des Zweifels wieder über ihn gekommen, oder vermochte er nur +nicht über die Anrede mit sich einig zu werden und wartete auf eine +Gelegenheit, wo sie sich von selber machte? Sei dem wie ihm wolle -- er +zauderte. + +Da trat auf einmal ein Nebenbuhler auf, der noch gefährlicher war, als +der erste, und in kurzer Zeit die Hoffnungen des Guten zertrümmerte. + + + II. + +Der Nebenbuhler des Hans war der neue Lehrer, der den bisherigen in +der Dorfschule ersetzte. Der alte war im Ausgang des Sommers an eine +andere Stelle befördert worden, die jährlich um zwanzig volle Gulden +mehr trug. Der neue, ein geborner Rieser, im Seminar erzogen und als +mehrjähriger Gehülfe praktisch gebildet, übernahm sein Amt im Oktober. + +Friedrich Forstner -- so hieß der junge Mann -- war kaum vierzehn Tage +im Dorf, als er schon die meisten Herzen gewonnen hatte. Ein Theil +erinnerte an das »neue Besen kehren gut« und wollte erst sehen, wie +er sich halte. Nur wenige alte Murrköpfe oder junge Eifersüchtige +erklärten ihn für einen »Windbeutel.« -- Der Contrast zwischen ihm und +dem bisherigen Lehrer war freilich sehr stark. + +Der alte war seines Zeichens ursprünglich ein Weber, und, wie man +annehmen muß, an seine Stelle gekommen in Ermangelung eines Bessern. +Eine lange, hagere Gestalt mit kleinem Kopf und dünner Nase, von +der man sogleich auf einen charakteristisch näselnden Ton der Stimme +schließen konnte. Gutmüthig bis zu einem gewissen Grad, wurde er an +Einfalt nur von Einem seiner damaligen Collegen übertroffen. Indem er +zur Nothdurft lesen, schreiben und rechnen lehrte, genügte er dennoch. +Seine Hauptthätigkeit bestand im Abhören dessen, was die Kinder, +entweder von ihm aufgegeben oder freiwillig, auswendig gelernt hatten. +Diese Kunst war für einen Mann, der Gedrucktes lesen konnte, nicht +schwer, und da die »Schulfrau« (die Gattin des Lehrers) dies auch +verstand, so vermochte sie ganz gut für ihn Schule zu halten, wenn er +über Land gegangen war oder irgend ein dringendes Geschäft abzumachen +hatte. In einem Zweige der Pädagogik war der würdige Repräsentant der +guten alten Zeit Virtuos -- in Führung des Haselstocks. Wenn die Buben +oder keckeren Mädchen schwatzten und »bätschten,« d. h. Tauschgeschäfte +machten, was namentlich mit »Helgen«[2] zu geschehen pflegte; wenn +sie, zum Sprechen aufgefordert, dem Befehl nicht nachkommen konnten, +weil sie zu heimlichem Genuß eben Brod oder Obst in den Mund gesteckt +hatten; wenn sie statt das Auswendiggelernte ohne Anstoß »herzubeten,« +»gatzten« (stotterten) und nicht mehr weiter konnten, dann schwang +er, besonders wenn er schon vorher in gereizter Stimmung war, den +gefürchteten Stock mit einer Fertigkeit auf Achseln und Rücken +des Schuldigen, daß es eine Freude war zuzusehen. Und mit jener +Befriedigung, die man nach Ausübung einer Kunst empfindet, in der man +sich Meister weiß, legte er, während der getroffene Schlingel heulte, +das Instrument wieder bei Seite. + +In den größten Zorn konnte der Mann gerathen, wenn er fand, daß ein +Schüler seine »Lection« übersprungen hatte. Damit verhielt es sich +so. Vielleicht um sich auch die Mühe des Aufgebens zu ersparen, oder +berücksichtigend, daß nicht einer ein so gutes »G'merk« (Gedächtniß) +habe wie der andere, stellte er es den Kindern anheim, aus Luthers +kleinem und großem Katechismus nach Oettingscher Einrichtung von vorne +beginnend auswendig zu lernen, so viel ihnen gutdünkte, indem er +dann abhörte, was sie ihm als gelernt bezeichnet hatten. Wie nun der +Ehrgeiz aus keinem Winkel der Erde zu verbannen ist, so lernten auch +die Schüler tüchtig; denn es galt die Erlangung des Ruhms, von allen +zuerst mit den sämmtlichen zweiundfünfzig »Lezgen« oder Lectionen des +großen Lutherischen Katechismus fertig geworden zu sein. Hie und da +besaß einer der geistreicheren Jungen viel Ehrgeiz, aber sehr wenig +Lernbegierde; was war natürlicher, als daß er nun gelegentlich einige +Lectionen überhüpfte? Manchmal gelang der Betrug, wenn auch die +Mitschüler nichts gewahr wurden oder so gute Kameraden waren, daß sie +schwiegen. Wenn aber der Lehrer selber stutzte, oder irgend ein Schelm +ihn durch Lachen aufmerksam machte, oder ein Verräther geradezu rief: +»Herr Schullehrer, der überhupft!« -- dann gerieth der Getäuschte in +eine schwer zu beschreibende Wuth, und die Streiche des Haselstocks +regneten auf den entlarvten Betrüger. Diesem blieb nichts übrig, als +die Schläge trotzend oder schreiend hinzunehmen und nach Umständen +außer der Schule den Verräther durchzuprügeln, was meistentheils +geschah, da der unternehmende Bursche in der Regel kräftig und gewandt, +der »Batscher« (Plauderer) schwach und feig zu sein pflegt. + +So hielt der alte Lehrer Schule. In ähnlicher Weise kam er auch den +Pflichten eines Küsters, Organisten und Vorsängers nach, nämlich +immer in einer gewissen Entfernung. Für die Bauern war er doch »kein +unebener Mann.« Da er, mit einer Anzahl von Kindern gesegnet, »nothig« +und geschenkbedürftig war, so befleißigte er sich den Wohlhabenden +gegenüber stets der gebührenden Höflichkeit. Er war dienstwillig, und +wenn ein Vater anfragen ließ, ob sein Bube heute nicht »aus der Schule +bleiben« könnte, so nahm er es mit dem vorgeschützten Grunde niemals +genau. Sogar das Verlangen, den Haselstock zu führen, so mächtig es +in ihm war, konnte er »aus Rücksichten« bemeistern. Die »gestandenen« +Bauern fühlten sich in keiner Weise unter ihm. Er trug sich städtisch, +aber der städtische Anzug war das Produkt des Dorfschneiders und nicht +geeignet, neben der Rieser Tracht den Anblick von etwas Feinerem zu +gewähren. Er sprach ein wenig hochdeutsch; aber jeder Andere glaubte +in der ächten Rieser Sprache etwas Gescheidteres sagen zu könnnen. So +flößte er in keiner Art Respekt ein. Darum war es aber gerade commod +mit ihm umzugehen, und das ist eine Eigenschaft, die auch im Dorfe +Beifall und Gunst findet. + +Friedrich Forstner war seiner ganzen Erscheinung nach das, was der +Rieser Bauer einen »Herrn« nennt. Mittelgroß, zierlich gebaut, sah +er in seiner einfachen, aber wohlgefertigten Kleidung nett, beinahe +elegant aus. Als ein aufgeweckter Kopf und von Natur anstellig zu +Allem, hatte er im Seminar eine nicht gewöhnliche Summe von Kenntnissen +erlangt; als Gehülfe in Dorf und Stadt hatte er die Klugheit +ausgebildet, die Niemand lästig wird und sich spielend nach den +Umständen zu richten weiß. Er sang hübsch, verstand mehrere Instrumente +und war ein vortrefflicher Gesellschafter. + +Gleich bei seinem Einzug hatten die Glieder der Gemeindeverwaltung und +andere Männer, die mit ihm zusammen kamen, eine eigene Empfindung. +Forstner ließ es durchaus nicht an Höflichkeit fehlen, aber sie, +anstatt die Artigkeiten, wie bei seinem Vorgänger, wohlgefällig +hinzunehmen und nur kurz zu danken, fühlten sich unwillkürlich +getrieben, sie zu überbieten. Der junge Mann erwiederte bescheiden, +schlug mit Gewandtheit einen vertraulichen Ton an und wußte es zu +machen, daß die Bauern ihren Respekt behielten, ohne dadurch genirt zu +sein, ein Gefühl, das ihnen ganz neu war. Als der zeitige Ortsvorsteher +nach Haus kam, sagte er zu seinem Weib: »Höer du! der nui (neue) +Schulmoëster ist a fei's Mändle!« + +Eine ähnliche Erfahrung machten die Schulkinder. Forstner hielt bei +seinem Auftritt eine Anrede an sie, und es war den meisten, als ob +sie das, was er sagte, verständen! Als die Eltern zu Hause fragten, +wie's gegangen sei, wußten sie sogar von dem Gehörten etwas wieder zu +erzählen und es einigermaßen zu expliciren! Am andern Tag fand eine +Aufmerksamkeit statt, wie sie die Wände der Schulstube nie gesehen +hatten. Bei einem entstandenen Lärm genügte ein Zuruf und ein Blick des +Lehrers, um zwei in Streit gerathene Buben augenblicklich verstummen +zu machen; und wie später einer mit seinem Nachbar schwatzen wollte, +stieß ihn dieser, anstatt auf das Vergnügen des »Blieselns« einzugehen, +mit dem Ellbogen in die Seite und rief mit gedämpfter Stimme ärgerlich: +»Halt's Maul!« -- Nach dem vierten Tage erlebten die Eltern etwas +Unerhörtes: die Kinder wollten nicht mehr aus der Schule bleiben! Ein +Söldner brauchte seinen zehnjährigen Sohn bei einer Arbeit und wollte +ihn zu Hause behalten; das Bürschchen widersprach, und als das nichts +half, begann es zu »flannen« (flennen). So lange das Dorf stand, der +erste Fall dieser Art. + +Um diese Zeit begegneten sich drei Bauern auf der Gasse. »Was isch +denn mit deana' Kinder (diesen Kindern) iatz?«, begann der erste; »die +deant (thun) ja wie narret!« -- »'Sischt wärle wohr« (wahrlich wahr), +versetzte der andere; »der nui Schulmoëster hot's ganz verhext.« -- +»No, no,« sagte der dritte, »'sist ja rehcht, wann's geara' en d'Schuel +gont« (gehen). -- »Des scho',« erwiederte der erste; »aber überstudiert +soll er's net macha', des paßt se net für Baura'.« -- »Ueberstudiert,« +entgegnete der dritte, »weara's no lahng net, wann's meaner (mehr) +learna', als beim alda'. Semmer (seien wir) froa', daß mer dean loas +send ond 'n bessera' hont« (haben). -- So behielt die Gunst auch hier +das letzte Wort. + +Dem Talent des neuen Lehrers gelang es sogar, die Sonntagsschüler zu +gewinnen, mit Ausnahme nur weniger Burschen, die schon im achtzehnten +Jahre standen und durch nichts mit dem Gedanken versöhnt werden +konnten, sich von einem Menschen, der nur etliche Jahre älter war als +sie, noch etwas sagen lassen zu müssen. Am zweiten Feiertag fing eine +und die andere Jungfrau schon an, sich etwas besser zu putzen und dabei +anmuthig zu lächeln und ein wenig zu erröthen. Es trat ein Eifer des +Schulbesuchs ein, den bisher niemand wahrgenommen hatte und der zu +vielen guten und schlechten Späßen Anlaß gab. + +Zuletzt eroberte Forstner auch die Bauern in der Wirthsstube. Er setzte +sich kameradschaftlich zu ihnen, ließ sich von ihnen über ökonomische +Verhältnisse und Einrichtungen des Dorfes belehren, beantwortete die +Fragen der Neu- und Wißbegierde, gab jedem seine Ehre und lieferte das +feinste und beste Salz zu den lustigen und satyrischen Gesprächen. -- +So hallte in kurzem das ganze Dorf von seinem Lobe wieder. Mit wenigen +Ausnahmen sangen es Männer und Weiber, Mädchen und Bursche, Kinder +und Greise. Es kam so weit, daß hie und da ein wohlgesinnter, aber +maßhaltender Mann ärgerlich ausrief: »Ietz hab' i aber gnuag von uirem +(eurem) Schulmoëster, und bitt mer'n andern Diskursch aus.« + +Das meiste Glück machte der hübsche, junge Pädagog freilich bei den +Mädchen des Dorfes, obwohl gerade diejenigen, denen er am meisten +gefiel, es am wenigsten Wort haben wollten. Alle, sogar die Tochter des +Wirths und die Töchter der reichsten Bauern, suchten dem »netten Mann« +zu gefallen. Forstner war Verehrer und Kenner des schönen Geschlechts +und mit Vergnügen galant; er konnte gar so freundlich »guten Tag« +sagen, und manche, die sich für schön hielt, schwenkte sich nun bloß zu +dem Ende an ihm vorbei, um von ihm bemerkt und gegrüßt zu werden. + +Drei aus der Klasse derjenigen, die es für ein Glück halten konnten, +»Schulfrau« zu werden, hatten ernsthafte Absichten auf ihn. Man würde +sich irren, wenn man glauben wollte, Forstner, der so sehr gefiel, +hätte nun auch unter allen Dorfmädchen die Wahl gehabt, in der Meinung +etwa, daß ein im Seminar erzogener, mit den Gebildeten der Umgegend +verkehrender, im Dorf als »Herr« geehrter junger Man für die Phantasie +auch des wohlhabenden Bauers etwas Unwiderstehliches besitzen müßte. +Dem wohlhabenden Bauer flößen derartige Vorzüge den hier allein +entscheidenden Respekt nicht ein; er gibt dem »Herrn Lehrer« die +Ehre, behält aber seine Tochter. Der Bauer verlangt vor Allem, daß +sein künftiger Schwiegersohn ein eigenes Haus besitze; eine Existenz +ohne dieses scheint ihm sehr luftig, und wenn man ihm einen hauslosen +Schullehrer anträgt, dann kann er befremdet, ja entrüstet fragen: +»Soll i mei' Tochter auf d'Gaß naus heiricha' (heirathen) lossa'?« -- +Und nicht nur die Eltern, auch die Tochter würde sich in der Regel +nicht mit dem Gedanken befreunden, die Frau eines Mannes zu werden, +der jährlich nur zwei bis dreihundert Gulden Einnahme hat, »alles +kohfa'« (kaufen) und von den Bauern Geschenke annehmen muß. Der Bauer +ist stolz darauf, in seiner Art Herr zu sein, d. h. auf tüchtigem Gute +thätig und behaglich zu leben und seine Töchter wieder an Bauern oder +an Wirthe, Müller und ausnahmsweise an wohlgesessene Handwerker der +umliegenden Städte zu verheirathen, die selbst einige Oekonomie haben. +So räth es ihm die Sitte und die Lebenserfahrung, und diesen folgt er. +Etwas anderes ist es mit dem besser gestellten Söldner, dem dörflichen +Handwerker, und allenfalls auch dem verschuldeten Bauer. Diese können +es für eine Ehre halten, wenn der Lehrer des Dorfs ihr Schwiegersohn +zu werden wünscht. Sein Einkommen entspricht hier dem Heirathsgut der +Tochter, und auch in den Augen des verschuldeten Bauers würde die +Schattenseite des Lehrerstandes durch die Lichtseite wieder aufgewogen. + +Aus dieser Schichte der dörflichen Gesellschaft waren denn auch +die drei Mädchen, die es lüstete, die Hand des hübschen Mannes +davonzureißen. Sie gaben sich gewaltig Mühe, und eine davon hoffte +schon zu triumphiren. Sie hatte die betagte Mutter Forstners, die ihm +Haus hielt, wiederholt im Sonntagsstaat besucht und ihr -- was man sagt +-- »mit dem Holzschlägel gewinkt;« und da sie überdieß von den dreien +die reichste war, so glaubte sie nicht, daß es ihr fehlen könne. Indeß, +ein paar Tage später, und sie mußte hören, der Herr Forstner habe ein +Auge auf die schöne Christine geworfen. Eine Woche später, und auch sie +mußte sich von der Wahrheit dieses Gerüchts überzeugen, das nun in die +Reihe offenkundiger Thatsachen eintrat. + +Die Mutter Forstners war mit der Wittwe Glauning verwandt; allerdings +sehr entfernt, doch das verhinderte die Glauning nicht, die Mutter des +Herrn Lehrers als Frau Base zu begrüßen und denselben Titel von ihr +zu empfangen. So war zwischen den Familien gleich in der ersten Zeit +ein Verhältniß hergestellt. Der junge Mann fand Christine hübsch, aber +in der geschäftigen Zeit der ersten Einrichtung, der Amtspflichten, +des Besuchmachens u. s. w. konnte er die Bekanntschaft nicht weiter +pflegen. Als er in seinem Neste warm saß, die Arbeiten ihren Gang +gingen und ihm freie Zeit übrig ließen, empfand er ein Verlangen, sie +wieder zu sehen; er folgte dem unbestimmten Drang und kehrte an einem +festtäglichen Abend in ihrem Hause ein. Als er sie sah im Sonntagsputz, +vom Schein der Ampel beleuchtet, mit ruhiger, aber herzlicher +Heiterkeit zu seinen Artigkeiten lächelnd, fühlte er sich getroffen. +Die unverdorbene, schöne Sinnlichkeit machte einen reizenden Eindruck +auf ihn, und er mußte sich sagen, daß in ihrem Wesen noch etwas liege, +das sie höher stellte, als ihre Gespielen. Er kam sehr eingenommen, in +merklicher Aufregung nach Hause und rühmte sie der Mutter in starken +Ausdrücken. Diese erwiederte sofort: »Weißt du, was ich mir schon +gedacht hab'? Das wär' eine Frau für dich.« -- »Frau?« erwiederte er +in einem Ton, der den Skrupel des »Gebildeten« ausdrückte. »Ja, Frau!« +versetzte die Mutter. »Die Glauningin wird ihre viertausend Gulden +Vermögen haben; Christine ist hübsch, wacker, versteht alle Arbeit +und paßt sich besser für dich, als so eine Städterin, die nichts als +Kleider mitbrächte.« -- »Aber man sagt ja, der Bursch da, der Hans, +wolle sie heirathen.« -- »Ausgemacht ist noch nichts,« bemerkte die +Mutter, »das weiß ich. Und so Einen,« setzte sie mit einem etwas eiteln +Blick auf den Sohn hinzu, »so Einen wirst du wohl nicht fürchten?« -- +»Wir wollen sehen,« erwiederte Forstner nachdenklich. + +Der Keim, den die Mutter ihm in die Seele gesenkt hatte, gedieh und +entwickelte sich. Am nächsten freien Abend fühlte er eine lebhafte +Begierde, den Besuch bei der Glauning zu wiederholen. Er legte den Weg +vom Schulhaus zu ihr mit raschen Tritten zurück, und das freundliche +Gesicht des Mädchens glänzte ihm entgegen wie der Vollmond. Wir haben +es schon angedeutet: Forstner war das, was man einen »Liebhaber des +schönen Geschlechts« nennt. Seine Freude an hübschen Gestalten dürfen +wir vielleicht ~poetisch~ nennen, in so fern dieses Wort ein fein +sinnliches und phantastisches Wohlgefallen ausdrückt. Die Empfindung +war so schön und so reizend! -- und er gab sich ihr nun, wo es die +Klugheit nicht widerrieth, ohne weitere Skrupel hin. Bei Christine +riethen ihm Neigung und Klugheit, für's erste nur den Galanten, den +heitern Liebhaber zu spielen. Er wollte das hübsche Mädchen umschwärmen +wie ein Schmetterling und hier vor allem die sinnlich romantische +Lust finden, die er suchte; er wollte sie bezaubern, den bäurischen +»Tölpel,« für den ein solches Mädchen wahrlich nicht geschaffen +war, verdrängen und sich zum Gebieter ihres Herzens machen, dann -- +überlegen, ob und wann er sie zu seiner Frau machen könne. + +Als er, von der Wittwe mit besonderem Eifer und schon mit einem eigenen +Blick empfangen, Platz genommen hatte, setzten sich auch Mutter +und Tochter wieder zum Spinnen. Forstner entwickelte sogleich seine +Unterhaltungskunst, und sein angebornes Talent und die Begierde, zu +gefallen, ließen ihn Scherzreden führen und Geschichten erzählen, wie +sie dem Bildungsstand der Zuhörerinnen entsprachen und nothwendig +belustigen mußten. Er wußte einer Geschichte ungezwungen eine für +Christine schmeichelhafte Wendung zu geben, und nicht nur herzliches +Lachen, sondern auch ein beglücktes Erröthen und ein im Abwehren +dankbarer Blick war sein Lohn. Forstner besaß eine Gewandtheit mit +hübschen Mädchen umzugehen, von der sich ein ehrlicher Bauernbursche +nichts träumen läßt. Der Bauer unterhält und schmeichelt im +Lapidarstyl, die niedliche Currentschrift mit zierlichen Schnörkeln +ist nicht seine Sache. Unser junger Mann war aber gerade hierin stark, +und er gab diesen Abend gleich eine Probe davon. Er bewunderte die +Kunst des Spinnens, worin Christine in der That sich auszeichnete, und +behauptete dann, er hätte es auch einmal zu lernen versucht und möchte +wohl sehen, ob's noch ginge. Natürlich lud ihn das fröhliche Mädchen +ein, es zu versuchen. Er setzte sich zum Rocken und es ging hinlänglich +schlecht; Christine lachte, zeigte es ihm, er versuchte es wieder, +und das alles bewirkte unter großem Vergnügen rasche Vertraulichkeit. +Nachdem dieses Mittel erschöpft war, erklärte Forstner, er wolle neben +einer solchen Meisterin nicht länger den Pfuscher spielen und lieber +ein anderes Geschäft treiben, das sich besser für ihn schicke. Er +setzte sich neben sie und machte sich's zur Aufgabe, ihr die »Aga'« +(Flachsabfälle beim Spinnen) von der Schürze zu schütteln. Und während +er die mündliche Unterhaltung fortsetzte, that er dieß gelegentlich +so nett und lustig, daß man's ihm nicht übelnehmen und nur lachend +Abwehrungsversuche machen konnte. Es stand ihm eben alles an, und er +konnte mehr wagen als ein Bauernbursche, weil er es zierlich machte +und in den Grenzen des Scherzes blieb. Als er endlich Abschied nahm, +erklärten Mutter und Tochter, so vergnügt wären sie lange nicht +gewesen, und er solle doch ja bald wieder die Ehr' geben. + +Und Forstner kam wieder und wieder. Ihm ward so wohl in der warmen +Stube bei dem hübschen Mädchen und der gefälligen, heiter blickenden +Mutter. Draußen wirbelte der Schnee und sauste der Wind, drinnen +schnurrten die Räder und tickte die Wanduhr, und unter dieser +Begleitung ging das Spiel der Unterhaltung fort und gipfelte hie und da +in einem Terzett hellen Gelächters. Alle drei hatten im eigentlichen +Verstande eine poetische Empfindung. Mutter und Tochter sagten sich +dieß nicht, denn sie kannten das Wort nicht; aber Forstner sagte sich's +und schwelgte in seinen Gefühlen. Welchen Reiz übte Christine auf +ihn! die in ihrer Art vollkommene Gestalt, durch Fröhlichkeit erhellt +und verklärt, die sinnliche Fülle in ihrer schönsten Blüthe und im +reichsten Glanze des Glücks! -- Und dieses Mädchen war ihm gewogen und +wurde es immer mehr. Zu ihm neigte sie sich -- ein Wort von ihm, und +sie lag in seinen Armen. Welch süßes und stolzes Gefühl -- das Gefühl +der Macht über ein so liebenswürdiges Geschöpf! Nun hielt er beim +Abschiednehmen die Hand in der seinen und drückte sie, und dies wurde +mit Erröthen geduldet und erwiedert. Lieb war ihm da der Wind und der +herabwirbelnde Schnee, die seine glühende Wange auf dem Heimweg +kühlten. + +Wir dürfen Christine nicht schwächer erscheinen lassen, als sie in +der That war. Sie ließ sich nicht ohne Weiteres gewinnen und dem +Vetter abwendig machen. Zuerst ahnte sie nichts und hatte gegen +Forstner nur das Gefühl der Dankbarkeit, weil er so freundlich und so +»unterhaltlich« war. Sie verliebte sich nicht in seine nette Gestalt, +wie jene drei andern, eben darum war sie auch nicht auf ihrer Hut und +ließ sich gehen -- und so verstrickte sie sich. Es gab in der ersten +Zeit einen Moment, wo die Wage für Hans und Forstner noch gleich stand. +Hätte jener seinen Antrag gemacht, vielleicht hätte der ehrliche +Freiersmann den bloßen Liebhaber (als mehr erschien Forstner bis dahin +noch nicht) aus dem Felde geschlagen. Aber während dieser dafür sorgte, +sein Gewicht zu vermehren, handelte der Ehrliche so, daß seine Schale +immer leichter werden mußte. + +Hans hatte nie zu denen gehört, die den neuen Lehrer ohne Klausel +bewunderten. Gleich nach dem ersten Zusammentreffen mit ihm hielt er +ihn für einen Menschen, der ihm zu schlau dreinsehe und dem nicht zu +trauen sei. Bei dem ersten Besuch Forstners im Haus der Base hatte +indeß auch er noch kein Arg. Er stimmte von der Ofenbank, auf der er +saß, ein paarmal herzlich in das Gelächter der Weiber mit ein. Als +aber der Gewandte seine Künste begann, hatte der wackere Hans ein +unbehagliches Gefühl. Er erklärte ihn zuerst nur bei sich für einen +»öaden« (faden) Menschen, der ihm recht »auf d'Weibsbilder aus« zu sein +scheine und mit dem sich ein ordentliches Mädchen eigentlich nicht viel +abgeben sollte. Als er aber sah, wie Christine sich mehr und mehr auf +seine Späße einließ, wurde er ärgerlich und -- empfindlich. Er konnte +und wollte die Unterhaltung nicht weiter mit anhören, und wenn das +»Schulmoesterle« kam, ging Hans in den Stall oder aus dem Hause. -- Es +wogte sonderbar in der treuen Seele hin und her. Einmal war er erzürnt, +und wenn Christine ihn über irgend etwas fragte, brummte er sie an. +Dann glaubte er wieder, seine Befürchtung sei Unsinn und sein Trutzen +einfältig. Er gab sich Mühe freundlich auszusehen; er wollte ihr nun +auch etwas Schönes sagen und etwas Lustiges erzählen, und nun gerieth's +ihm wieder nicht. Zu dem Einzigen, was ihm den Sieg noch hätte +gewinnen können, zu einer herzhaften Erklärung konnte er sich jetzt +am allerwenigsten entschließen. Er wollte jetzt gerade sehen, wie die +Sache ginge. Wenn Christine »so 'n Kohbatza'« (winziger Fisch) lieber +zum Mann wolle als ihn, dann solle sie ihn haben und Schulmeisterin +werden. Sie kenne seine Meinung wohl und sie wisse recht gut, daß +sie auf ihn zählen könne. Wenn sie im Stande sei, ihn wieder so ohne +Weiteres aufzugeben, dann sei es ihm auch recht -- und am Ende besser, +daß er so eine gar nicht kriege. Aus diesen Gründen zog er sich mehr +und mehr zurück, und Christine neigte sich ganz zu Forstner. + +Als der Treue sich davon überzeugen mußte, so daß er nicht mehr +zweifeln konnte, fühlte er eine Pein, wie nie zuvor. Aber bald war +auch sein Entschluß gefaßt. Was in der ersten stillen Nacht auf dem +einsamen Lager in ihm vorging, wollen wir nicht schildern und nur das +sagen, daß Zorn und Schmerz über Sie, über sich und sein Unglück so in +ihm brannten und sich wechselseitig steigernd ihn so bedrängten, daß +sich das gepreßte Herz in Thränen Luft machen mußte. Für eine tiefe und +leidenschaftliche Liebe -- und das war seine Liebe geworden -- ist es +eine unsägliche Qual, sich verschmäht zu sehen um eines Mannes willen, +den man nicht schätzen kann. Zur Vernichtung aller Hoffnungen auf das +einzige Glück des Lebens kommt noch die Pein der Verachtung, die man +erfahren, die Pein des Schmerzes über den Triumph des Nebenbuhlers, +die Wuth über sich selbst, daß man den Schatz seiner Liebe an die +Geringschätzung des Unbestandes verrathen konnte. Hans, in dem alle +diese Empfindungen nach einander aufloderten, empfand die Marter der +Verzweiflung in seinem Herzen. Welch ein Elend, sich Christine als das +Weib dieses »Leckers« denken zu müssen! welche Schande, noch einmal auf +die Seite gesetzt zu sein, nachdem schon von ihrer Hochzeit die Rede +gewesen war! »Du mußt fort!« rief es in ihm, »aus dem Haus, aus dem +Dorf!« -- Aber da rührte sich die gründlich gute Natur in ihm. »Nein,« +rief er dagegen, indem er sich ermannte, »nein das thu ich nicht, das +wär' mir zu miserabel! Ich bleib' und halt' aus -- jetzt grad! -- +Hinter meinem Rücken mögen die Leut' sagen, was sie wollen -- in's +Gesicht« (und er blickte mit funkelnden Augen in die Morgendämmerung) +»in's Gesicht verspottet mich keiner, das weiß ich!« -- Nachdem so das +Bleiben vor seiner Ehre gerechtfertigt war, konnte auch die Großmuth +ihre Gründe dafür aussprechen. »Sie brauchen dich, und jetzt mehr als +sonst. Wer weiß, wie's geht? Der sieht mir grad so aus, als ob er mit +nochmal so viel fertig werden könnt' als er hat. Ich will die Sach' +vor der Hand noch zusammenhalten. -- Kein' Dank verlang ich nicht!« +Nach der Entschließung beruhigte sich die Leidenschaft endlich, die ihn +so mächtig hin und her geschüttelt hatte. Der Wille, auszuharren und +denen, die ihn gekränkt, Gutes zu thun -- das war der Balsam auf die +Wunde seines Herzens. Er kleidete sich an und ging in die Stube. + +Christine saß mit ihrer Mutter am Tisch. Hans wünschte mit ruhiger +Stimme guten Morgen, aber mit einem Gesicht, daß Christine sich +augenblicklich sagte: er weiß es! Sie las in diesen Mienen ihr +Gericht und schrak zusammen. Das Gewissen, das sich plötzlich in ihr +aufrichtete, erhellte ihren Geist und schärfte ihr Urtheil; und während +sie sich vorher, ihrer Neigung folgend, gesagt hatte: »er ist selber +dran Schuld, warum red't er nicht?« so erkannte sie jetzt ihr Unrecht +und fühlte es tief. Das Schuldbewußtsein drückte sie darnieder und +ließ sie so verzagt erscheinen, daß Hans wieder Erbarmen mit ihr +empfand. Gemüther wie das seine können in der Strenge des Richters +nicht lange verharren; der Trieb, Gnade für Recht ergehen zu lassen, +ist zu mächtig in ihnen und geht unwiderstehlich in Wirksamkeit über. + +Hans blieb von diesem Moment an genau in der Zurückhaltung, die er +sich zum Gesetz gemacht hatte; aber er wurde freier darin, und Blick +und Ton seiner Stimme erhielten wieder mehr von dem Wohlwollen, das +unvertilglich in seinem Gemüth lebte. In der Güte, in der Großmuth +eines wackern Mannes liegt ein Quell von Kraft, von der die seichte, +egoistische Natur keine Ahnung hat. Im Besitz dieser Natur kann man +vergeben, und man vergiebt. Und man wird nicht schwächer, indem man +es thut, sondern stärker; man fühlt sich nach Ertheilung der Gnade +nicht ärmer, als nach Forderung und Erlangung seines Rechts, sondern +reicher, und man schwingt sich in dem Bewußtsein der Tugend über das +Leid hinweg, das die Seele überfluthen zu wollen schien. Dies vermag +der Bauer wie der König, wenn ihm Gott den Geist dazu gegeben hat, und +jeder thut's nach seiner Art. Unser Bauernbursche gewann nach seiner +innerlichen Ueberwindung einen Gesichtsausdruck, den man nur als edel +bezeichnen konnte. Dem Dorfmädchen war auch dieses Wort in seiner +moralischen Bedeutung unbekannt, aber von der Sache hatte sie eine +Ahnung. Sie fühlte kein Bedauern, sondern eine unwiderstehliche Achtung +vor dem Vetter; mit dem weiblichen Stolz, der so bereit ist, Mitleid +zu empfinden und namentlich zu offenbaren, war es aus. -- Aber ihre +Natur machte sich den Stand der Dinge nun auf andere Weise zu Nutze. +»Er ist getröstet,« sagte sie sich, »und wenn er sonst auch viel aus +mir gemacht hat, thut er es jetzt nicht mehr.« -- Einige Tage später, +und ihr Gewissen hatte sich wieder beruhigt und schwieg; die Neigung, +die Leidenschaft gewannen die Herrschaft wieder völlig. Das Weib fühlte +sich frei und gab sich ganz dem Drang ihres Herzens zum Glück hin. + +Die Leser haben errathen können, daß Forstner und Christine +Liebesgeständnisse ausgetauscht und Hans gewisse Kunde davon erhalten +hatte. Zu einem Verlöbniß war es noch nicht gekommen; aber zu diesem +Ziele drängte es beide nun unausweichlich hin. Der junge Mann hatte +seiner Neigung und wenn man will seinem Gelüste folgen wollen, in der +Meinung, immer noch die Wahl frei behalten zu können; er hatte seiner +Mutter verboten, mit der Glauning von ernsthaften Absichten seinerseits +zu reden. Aber es ging, wie häufig in solchen Fällen: die Leidenschaft +wuchs und führte ihn weiter als er gedacht. Sein ganzes Wesen war von +Christine bezaubert; er war gebunden durch seine Liebe, gebunden durch +die Rücksichten, die er auf Mutter und Tochter, auf den Geistlichen, +auf das Dorf und seine Stellung darin nehmen mußte. Das Dorf hatte +schon ausgemacht, daß er Christine heirathen werde, und er konnte, er +durfte es nicht Lügen strafen. So gedieh das Verhältniß endlich zum +Abschluß. Die Wittwe Glauning hatte die Verheirathung ihrer Tochter mit +dem gefeierten Lehrer von dem Gesichtspunkt der Ehre ansehen gelernt, +und die Aussicht, den Flecken ihrer Verrechnung wegen jenes reichen +Bauernsohnes gänzlich zu tilgen und als »Schwieger« Forstners auf +eigene Art hervorstechen zu können, erfüllte sie mit Lust und mit jener +Begierde, der es unmöglich ist, länger müßig zuzusehen. Als Mutter +war sie jetzt ohnehin verpflichtet zu reden; und so ging sie denn +eines Tages zur Base Forstner und sprach ihre Meinung in dürren Worten +aus. Entweder -- oder! -- das war der Sinn ihrer Rede. Die Mutter des +Lehrers hatte für diesen Fall schon Vollmacht erhalten; sie sagte, daß +ihr Fritz nie eine andere Absicht gehabt habe, als das schöne und liebe +Bäschen zu heirathen. -- Auf einmal hieß es im Dorf: der Herr Lehrer +hat sich mit der Christine versprochen. + +Die vollendete Thatsache machte doch ihr Recht geltend, obwohl man +sie allgemein hatte kommen sehen. Der Geist der Kritik fand sich +herausgefordert; jede Meinung, die der Sachlage nach möglich war, fand +einen Vertreter, und der Lärm war groß. Die einen, vorzüglich Weiber +und Mädchen, verdammten Christine. So einen braven Menschen wie den +Hans zweimal nach einander anzuführen, ihm »das Maul zu machen« und +ihn, wenn ein Vornehmerer komme, wieder fahren zu lassen, das wäre +keine Art nicht; das hätten sie niemals gethan -- und wenn ein Graf +gekommen wäre! Aber diese Christine sei eben ein hoffährtiges Ding, +man wisse das ja, und trachte immer über ihren Stand hinaus. Der +Hans hätte für sie gepaßt, der Herr Forstner sei zu fein für sie, und +man werde sehen, daß das nicht gut ausgehe. Die andern, hauptsächlich +ledige Bursche, machten den Hans für den Ausgang verantwortlich. Er +sei allein Schuld und ihm geschehe ganz Recht. Der Mutter jahrelang +das Hauswesen führen und sich dann die Tochter wegkapern zu lassen, +da müßte einer ungeschickter sein als der Teufel! Wenn sie den »Rang« +gehabt hätten, wenn sie bei der Christine im Haus gewesen wären, da +hätte so ein Schulmeister kommen sollen! Der hätte gleich gesehen, daß +er wieder gehen könnte. Auf so Einen zu warten, ja, das wär' ihnen das +Wahre gewesen! Aber der Hans sei eben ein »Lamech,« ein »Drockser,« ein +Kerl, der nicht von der Stell' komme; und wenn Christine den flinkeren +Schulmeister lieber habe, so könne ihr das kein Mensch übel nehmen. + +Das Dorf, wie man sieht, beschäftigte sich eben so viel mit Hans als +mit Christine und Forstner. Der brave Bursche, der geschickte Bauer +hatte sich eben Respekt erworben und dadurch eine eigene persönliche +Bedeutung erlangt. Was wird er nun thun? fragte man sich. Wird er +gehen, sein Geld aufkünden und die beiden Weiber sitzen lassen? +»Freilich wird er gehen!« rief eine Gegnerin der Christine auf so eine +Frage ordentlich hitzig. »Er wird wohl bleiben und all den Spektakel +mit ansehen -- Hochzeit und am End' Kindtauf' auch noch. Er wird sich +die Tochter wegfischen lassen und der Alten noch länger den Knecht und +den Narren machen! Das wär' nicht mehr gut, sondern dumm -- und dumm +ist der Hans doch nicht.« + +Die Frage war bald entschieden. Hans blieb, und ein großer Theil seiner +Vertheidigerinnen fiel nun auch von ihm ab und sagte, Christine habe +doch Recht gehabt, es ihm so zu machen. So ein einfältiger Mensch sei +ihnen ihr Lebtag noch nicht vorgekommen. + +Durch Alles, was bisher in ihm vorgegangen, hatte Hans die Fähigkeit +erlangt, der Christine zu ihrer Verlobung ehrlich und ruhig Glück zu +wünschen. Er that es und ging so weit, ihr dabei die Hand zu geben. +Aber er vergab sich nichts damit; der Ausdruck seines Gesichts sorgte +dafür. Christine wurde roth über und über, sie sah ihn beschämt, +ja bittend an und ihre Hand zitterte in der seinen. Es war eine +Genugthuung für den treuen Burschen und er kostete ihre traurige +Süßigkeit. Aber dann fing er selbst ein anderes Gespräch an und half +dem Mädchen, aus Schonung, von der Tiefe der Empfindung wieder zur +Oberfläche empor. Beiden wurde leichter um's Herz, und Christine +überließ sich bald wieder der Freude und der Ehre ihres Brautstandes. + +Am ersten Sonntag Abend nach dem »Verspruch« ging Hans in's Wirthshaus. +Einige junge Leute hatten vorgehabt, ihn aufzuziehen; aber er hatte +so was Eigenes in seinem Gesicht und in seinem Auge; sie trauten +dem Landfrieden nicht und dankten ganz ehrbar auf seinen Gruß. Man +discurirte über allerlei andere Dinge; unser Freund sprach resolut, +verständig und machte zuletzt sogar hie und da eine humoristische +Bemerkung in seiner alten Manier. Wie nun bei natürlichen, eben so wie +bei gebildeten Menschen keine wirkliche Kraft ohne Anerkennung bleibt, +so bekam der Wackere, als er die Wirthsstube verlassen hatte, von +seinen Kameraden ernstlich empfundenes Lob. »Der ist gescheidter,« hieß +es, »als die Leute glauben. Er macht sich aus der ganzen Geschichte +nichts, und er hat Recht. Die Christine ist eine falsche Person, die +einen so braven Kerl gar nicht verdient. Er darf sich Glück wünschen, +daß er sie nicht bekommt -- und wie's ihr geht, das wollen wir sehen.« + + + III. + +Die größte Heilkraft auf Erden besitzt -- die Zeit. Indem sie den +Menschen in ihrem Strome fortführt und andere Bilder vor seine Seele +bringt, entzieht sie ihn mehr und mehr der Einwirkung dessen, was +gewesen ist. Sie mildert den Schmerz, löst die Spannung, entkräftet +die Selbstanklage und giebt der Seele die Stärke und Ruhe wieder, +ohne die sie ihren eigenen Anfechtungen erliegen müßte. Was uns heute +unerträglich scheint, vielleicht in wenigen Tagen schon dünkt es uns +eine mäßige Last. Was uns im ersten Moment als eine ausgesuchte Schmach +niederdrückt, nach einigen Wochen erscheint es uns als ein gewöhnliches +menschliches Ungemach, und unser übertriebenes Leidwesen darüber kann +uns ein Lächeln entlocken. + +Freilich kommt dabei sehr viel auf die Art des begangenen oder +erduldeten Unrechts, auf das Temperament und den Charakter des Menschen +an. Es giebt Dinge, die der Seele keine Ruhe lassen, die mitgehen +auf dem Wege, den sie nimmt, und ihr immer gegenwärtig bleiben. Es +giebt Naturen, welche Handlungen und Erlebnisse von geringerem Belang +festhalten und sich selbstquälerisch damit zu tragen im Stande sind; +Menschen, in denen die Vergangenheit sich immer wieder vergegenwärtigt +und die eine Beschämung roth machen kann, welche ihnen vor zwanzig +Jahren widerfahren ist. Andere Erlebnisse verflüchtigen sich von +selbst, und andere Naturen wissen Dinge von sich abzuschütteln, die +sich sonst wie Kletten anzuhängen pflegen. Auch der Bildungsstand ist +hier von großem Einfluß. Je mehr der Mensch seinen Geist entwickelt und +sich zu einem innerlichen Leben erzogen hat, desto leichter versetzt er +sich in die Vergangenheit, desto bedeutsamer ist für ihn das Gewesene, +desto mehr durchdringen sich in ihm die Zeiten. Je näher der Mensch der +Natur steht, desto mehr lebt er in der Gegenwart, desto mehr vergißt +er, desto weniger belästigt ihn seine Vergangenheit. + +Der Bauer giebt sich nicht viel mit Erinnerungen ab, wenn sie nicht +von sehr gewichtiger Art sind. Durch seine Denkweise, durch Natur und +Gewohnheit, namentlich aber durch die ihm auferlegten Arbeiten ist +er vorzugsweise auf die Gegenwart gewiesen. Alle feinern Differenzen +kommen auf dem Dorfe gar bald wieder ins Gleiche, und nur tiefe +Leidenschaften in tiefen Gemüthern können auch hier still fortglühen. + +In dem Haus, in welchem unsere Erzählung hauptsächlich spielt, war +äußerlich bald alles wieder im alten Gang und auch innerlich vieles +wieder hergestellt und gemildert. -- Am raschesten war es der Wittwe +Glauning gelungen, ihre frühere Gemüthsruhe wieder zu erlangen. Sie +hatte sich wegen ihres Benehmens gegen Hans im Stillen doch auch +einige Vorwürfe gemacht; aber nach wenigen Tagen schon war ihr das +neue Verhältniß etwas Gewohntes und übte auf ihren Geist die Macht +einer Sache, die nun einmal nicht anders ist. Wenn sie den Vetter sah, +wie er mit ernstem Fleiß weiter arbeitete, dachte sie wohl: »Das ist +doch wahrlich ein braver Mensch! Man sollte gar nicht glauben, daß +es noch solche Leute gäbe!« Aber eben durch diese Anerkennung fand +sie sich mit ihm ab. Hans war ihr von nun an der gute Vetter, der +sehr freundschaftlich gegen sie handelte, auf dessen Dienste sie aber +beinahe schon ein gewisses Recht zu haben glaubte. + +Christine folgte der Mutter nach. Das beschämende Gefühl und die +Vorwürfe, die sich beim Anblick des Vetters zuweilen noch in ihr +erneuert hatten, kamen seltener und blieben endlich ganz aus. Sie lebte +im Wonnemond des Brautstandes, und die ganze Welt erschien ihr in +heiterem Lichte. Wenn man sie hinter ihrem Rücken scharf beurtheilte, +in's Gesicht gratulirte man ihr, lobte den Herrn Lehrer und pries sie +glücklich. Die Kunst, sich höflich zu verstellen, ist auf dem Lande +keineswegs unbekannt und gehört zur guten Lebensart wie anderswo. Es +giebt auch hier Leute, die um so lebhafter zu schmeicheln verstehen, je +nachdrücklicher sie dieselbe Person gegen Andere durchgehechelt haben; +Leute, von denen man als etwas Besonderes hervorhebt, daß sie sich +»recht anstellen,« d. h. einen Eifer, ein Vergnügen, eine Bewunderung +zeigen können, von denen ihr Herz nichts weiß. Der Glanz des Ruhms, den +sich der Bräutigam durch seine persönlichen Vorzüge erworben hatte, +warf seine Strahlen auch auf die Braut; um seinetwillen that man der +Christine mehr Ehre an und bewies ihr mehr Achtung als vorher. So sah +die Glückliche sich umhuldigt von allen Seiten und hatte in der Freude +ihres Herzens natürlich kein Arg, daß von den schönen Sachen, die man +ihr sagte, auch nur eine Sylbe abgehen könnte. + +Forstner selbst zeigte sich jetzt gegen sie von seiner +liebenswürdigsten Seite. Er war von Leuten, auf deren Urtheil es +ihm ankam, wegen seiner verständigen Wahl gelobt worden; ein paar +muntere Collegen, die er von dem Vermögensstand der alten Glauning +unterrichtet und mit der Braut bekannt gemacht hatte, erklärten ihn +für beneidenswerth; er war in der besten Laune, sog den Blüthenduft +des schönen Verhältnisses mit vollen Zügen ein und that alles, was +der Erwählten angenehm und schmeichelhaft sein konnte. Wie hätte da +Christine noch Aug' und Ohr haben können für etwas anderes! Sie liebte +und sah den Geliebten glücklich, sie sah seinen Eifer, ihr Freude zu +machen, und fühlte keinen lebhafteren Trieb und wußte keine höhere +Pflicht, als ihm seine Liebe zu vergelten. + +Das Glück hat die Eigenschaft, daß es sich aus sich selber vermehrt und +seine Vermehrung von außen her magnetisch anzieht; darum giebt es auch +eine Zeit, wo es in stetem Wachsen ist. Die Freude machte Christine +nicht nur holder und feiner, als sie bisher erschien, sondern auch +geistig aufgeweckter und heller. Sie war in der Freude sicher, und ihre +Urtheile, ihre Bemerkungen im Gespräch erschienen dem Verlobten gar oft +mit Recht sinnig und treffend. Forstner sah sich nun auch von dieser +Seite beruhigt -- er glaubte aus ihr eine Frau ganz nach seinem Herzen +bilden zu können. Dies verhehlte er ihr aber auch nicht; er erquickte +ihr Herz mit Lob über Vorzüge, die sie bis jetzt noch nicht an sich +gekannt hatte, und ein außerordentliches Behagen, ein liebevolles +Dankgefühl gegen ihn war die Folge davon. + +Die beiden jungen Leute und eben so die beiden Mütter waren in einem +Zustande, wo man die Engelein im Himmel singen und musiciren hört. Der +Liebes- und Freundschaftsverkehr ließ bei der nothwendigen Arbeit des +Tages kaum so viel Muße übrig, um die Ausstattung der Braut und die +künftige Einrichtung zu erwägen und die ersten Vorbereitungen zu den +Unternehmungen der nächsten Monate zu treffen. + +Hans ging seinem Geschäft nach und schien nur dafür Sinn und Auge zu +haben. Was er mit seinen Verwandten zu reden hatte, wurde kurz und +ruhig abgemacht; er war gern allein, man sah es und ließ ihn allein. +Da Christine an ihrer Ausfertigung arbeiten mußte und die strengere +Bauernarbeit für sie nicht wohl mehr schicklich war, so hatte man eine +Taglöhnerin für sie eingethan. Diese war schweigsam, eine von den still +hinlebenden, in ihrer Gedankenlosigkeit glücklichen Personen, wie man +sie auf dem Lande nicht selten findet, und der Bursche hatte zu seinem +Troste nichts zu leiden durch Geschwätz und durch Fragen, die ihm jetzt +doppelt zuwider gewesen wären. + +Ihm war das zuletzt Erlebte freilich nicht verschwunden und von der +Gegenwart überdeckt, wie den andern; aber es hatte sein Peinliches +verloren, die Zeit hatte es gemildert und ihren Duft darauf geworfen. +Es war nicht mehr das bloße Leid, das er empfand. Diesem war die +niederdrückende Gewalt genommen, die man entweder überwinden oder +der man erliegen muß; es hatte selbst etwas Liebes und für die Seele +Wohlthuendes erhalten. + +Was wir poetisches Gefühl nennen, ist von keinem Stande, von keiner +Schichte der Gesellschaft ausgeschlossen. Früher hätte man diesen Satz +vertheidigen müssen; jetzt, wo man die Volksmelodien und Volkslieder +kennt und ehrt, wird ihn niemand zu bestreiten wagen. Wo ist Liebeslust +und Liebesleid inniger, tiefer und rührender ausgesprochen, als +in eben diesen Liedern, die aus dem Volke hervorgegangen oder von +ihm angenommen und erhalten worden sind, und die immer noch, in +Gesellschaft oder in Einsamkeit, von ihm gesungen werden? Wenn das +tiefere Gemüth auf sich selbst und sein Leid beschränkt ist, fällt +ihm ein Lied ein, das seinen Zustand ausdrückt; der Mund summt es +unwillkürlich, das Herz schauert und die Augen werden feucht. + +Der Winter war vergangen, die erste Frühlingszeit hatte schön begonnen +und die Feldarbeit nahm ihren Anfang. Wenn der letzte Schnee weicht, +die Sonne wärmer scheint, der Boden locker, die Wiese grüner wird und +die Lerche singend in den Himmel steigt, dann geht durch jede bedrängte +Seele ein Gefühl der Genesung. Auch die weichere Natur fühlt sich +körperlich und geistig stärker und fängt im Leid wieder an zu hoffen; +das männliche Herz gesundet fühlbar, wird seiner selbst mächtig und der +Bedrängniß überlegen. Dann ist aber gerade die Zeit gekommen, wo es das +Leid lieb gewinnt und es aus freien Stücken festhält und hinabsteigt zu +der Süßigkeit melancholischer Träumerei. + +Unser guter Freund hatte mehr Anlage zu innerlichem Leben von der Natur +erhalten und in sich ausgebildet, als es auf dem Lande gewöhnlich ist. +Von der Lustbarkeit weniger angezogen, durch eine scheue Leidenschaft +auf sich selber gewiesen, kannte er schon länger den Reiz gemüthlicher +Vorstellungen. Die Neigung dazu und die Kraft, solche Vorstellungen +zu erzeugen, trat jetzt um so stärker in ihm hervor und gewährte ihm +die volle Lust herzlich gehegter Trauer. Freuten die Verlobten sich +in hellen Dur-Tönen -- ihm war ein Glück, und ein reiches Glück, in +Moll beschieden. Seine Arbeiten störten ihn darin nicht; er verstand +sie so gut, daß sie wie von selber ihren Gang gingen und ihm Zeit +genug übrig ließen, seinen Gedanken nachzuhängen. Wenn er mit seinen +Kühen wohlgehaltenes Land »äckerte« und von dem Hauch der frisch +aufgeworfenen Erde umdampft zuweilen »sinnirte,« wurden die Furchen +darum nicht schlechter und er rief den Thieren zeitig genug sein +»Härrerei'« zu, wenn er an der »G'wand« (Ackergrenze, wo umgewendet +wird) angekommen war. Auf der Wiese rechte er mit der Taglöhnerin um +die Wette Streu, obwohl es in seinem Innern summte, während in ihr die +vollkommene Stille des Nichts Platz genommen hatte. Die ländlichen +Arbeiten begünstigen zum Theil ein gewisses träumerisches Wesen; +besonders einladend dazu ist aber die mittägliche und abendliche +Heimkehr von einem entfernteren Ackerstück, so wie die Fütterungs- +und Verdauungszeit der untergebenen Thiere. In den völlig einsamen +Momenten, erfüllt von seiner Empfindung, kamen unserm Burschen allerlei +Lieder in den Sinn. Er sang sie mit herzlicher, gedämpfter Stimme +und fühlte ganz die Besänftigung und erneuerte schönere Aufregung +anspruchloser Kunst. So sang er das Lied: + + »Da droben auf jenem Berge, + Da steht ein hohes Haus, + Da schauen wohl alle Frühmorgen + Drei schöne Jungfrauen heraus« u. s. w. -- + +wohl mehr wegen der lieben, rührenden Melodie, als weil die Reime +seinem Zustand entsprachen. Wenn er aber das letzte »G'setz« für sich +hinsummte, dann hatte er dabei doch auch seine ganz eigenen Gedanken. + + »Ach Scheiden, ach Scheiden, + Wer hat doch das Scheiden erdacht! + Es hat mein jung frisch Leben + Das Scheiden so traurig gemacht.« + +Er lebte mit der, die er liebte, in Einem Hause; aber er war viel +schlimmer geschieden als ein Liebhaber, der in die Fremde muß. Für ihn +gab es kein Wiederfinden, kein Wiedersehen, keine Wiedervereinigung! -- +Bedachte er, wie sehr und wie lang er Christine geliebt und wie treu +er an ihr gehangen, dann kam ihm wohl ein Lied auf die Lippen, das im +Ries oft gesungen wird: + + »Treu hab' i geliebet, + Was hab' i davon? + Mein Herz ist betrübet, + Das hab' i zum Lohn.« + +Und in tiefem Ernst sah er dann für sich hin. -- Einmal wurde dieser +Ernst durch ein halb weh-, halb gutmüthiges Lächeln verdrängt. Es war +ihm ein anderes Liedchen eingefallen, das seine Erfahrung erklärte: + + »Wann's Mädle sauber ist, + Und ist no jung, no jung, + Muß der Bue luste sei', + Sonst kommt er drum.« + +»Ja freile,« sagte er dann zu sich, »doh hot's eba' g'fehlt, und i ka' +me net beklaga'. 'Sist oena' (eine) wie die ander. Wer koe (kein) so a +»Luftikus« (Variation von Windbeutel) ist, der ka' nex ausrichta' bei +da' Mädla'!« Und er erleichterte nun sein Herz in folgenden +Strafreimen: + + »Was hilft me a schöner Apfel, + Wann er innen ist faul! + Was hilft me a schöas Dea'del -- + Sie macht mer nor d's Maul!« + +Der leichten Anklage der schönen Base folgte aber bei dem guten +Burschen in der Regel die Rechtfertigung, die Einsicht in die Natur +der Dinge und den Lauf der Welt, die Ergebung und die stille Trauer. +Einmal, als er nach der letzten abendlichen Fütterung im Stalle saß und +die Kühe wiederkäuend dalagen, summte er in der leise belebten Stille +eine Melodie ohne Text, die ihn dergestalt rührte, daß ihm Thränen in +die Augen traten. Er besann sich auf das Lied -- es war das bekannte: + + »Wann mei' Schatz Hochzeit macht, + Hab' i a traurige Nacht, + Sperr mi in mei' Kämmerlein + Und wein' um mein' Schatz.« + +Es klopfte und zitterte in seinem Herzen und die Thränen rollten die +Wangen herunter. Das war ihm aber doch zu arg. Er stand rasch auf, +wischte sich die Augen und rief mit wahrem Zorn: »Hohl der Teufel die +Narrheit! Ich werd' noch ganz zum alten Weib! -- Aber jetzt ist's auch +gnug!« Er ging in dem Gange vor dem »Bahren« (Futtertrog) hin und her +und fing ein kleines Gespräch mit einer Kuh an, die sich erhoben hatte +und ihn anmuhte. Allein er konnte nicht verhindern, daß ihm seine +Gedanken wie verwöhnte Kinder noch einmal zu dem verbotenen Gegenstand +entliefen. Er dachte an seine alten Träume, mit der Christine das +schöne Haus zu bekommen und drin mit Weib und Schwieger ein Leben zu +führen herrlich und in Freuden. Mit einer Art von Heroismus sang er +hierauf das launig desperate Lied: + + »Und aus isch mit mir, + Mei' Haus hat kei' Thür, + Und mei' Thür' hat kei' Schloß, + Und mein' Schatz bin i los.« + +»Ja, ja,« sagte er dann halb lächelnd zu sich, »Alles ist hin +miteinander! -- D's Haus freilich, das traut' ich mir wohl noch zu +kriegen; aber was hilft mich d's Haus ohne d's Weib!« -- »Nun,« setzte +er endlich sich ermannend hinzu, »am End' bleib' doch ~ich~ noch +da!« + +Zu der schönsten Zeit auf dem Lande gehört der Morgen eines Feiertags, +wenn die Sonne scheint und die Luft mild und lieblich ist. Je mehr der +Bauer die Woche hindurch gearbeitet hat, desto besser versteht er am +Sonntag zu ruhen. Seine Bewegungen sind dann +con amore+ langsam, die +Mienen drücken ruhiges Vergnügen, sein ganzes Wesen tiefe Gelassenheit +aus. Mit der Arbeit der Wochentage hat er auch die Sorgen hinter sich +gelassen und ist zu einer Art von Naturstand zurückgekehrt, wo ihn ein +Hauch der goldenen Zeit und ihrer Glückseligkeit anweht. Er kommt an +solchem Tag in eine tiefere Stimmung und gibt sich entweder stiller +Träumerei hin oder freut sich an der Schönheit einzelner Gegenstände +der Natur, nicht wie ein schwärmender Poet freilich, aber schlicht und +naiv wie ein Kind. Und dieses Naturbehagen wird durch die kirchliche +Feier des Tags nicht gestört, es wird durch sie gestärkt, erhöht und +sanktionirt. + +Nach und nach war der Mai herbeigekommen. Die Bäume glänzten in +frischem Laub, einzelne standen über und über in Blüthe. Es wurde nun +ein Lieblingsvergnügen des guten Hans, in der schönen Sonntagsfrühe +sich in den Garten zu begeben, und was in der Woche gewachsen und +ausgeschlagen, was von ihm selbst darin gearbeitet und hergerichtet +war, mit Ruhe zu beschauen. Er freute sich an dem grünen Laub und an +den schönen Blüthen der Bäume, aber auch an dem Gesurre der »Emmen« +(Immen, Bienen) darin; denn sie hatten an der Mauer des Hauses selber +einen »Emmenstand,« worin sich drei Stöcke befanden, und er hoffte, daß +einer davon bald schwärmen werde. Er freute sich bei den Stöcken der +rothen und gelben Hosen, welche die Bienen anhatten, und wie ordentlich +ein Vergnügen aus ihnen glänzte, mit so reicher Beute heimzukehren. +Zu der Südgrenze des Gartens hinabgewandelt, sah er mit Lust über die +weißblühende Dornhecke auf die Wiese hinaus und freute sich der schönen +Blumen darin, eben so des reichlichen Grases, das eine gute Heuernte +versprach. Die Lerchen schienen ihm noch lieblicher zu singen, als +an Wochentagen draußen auf dem Felde, und es war ihm, als müßte bei +diesem Gesang, bei der Schönheit und dem Wohlgeruch der Blüthen, bei +der warmen Luft und dem hellen Sonnenschein, und bei den herrlichen +Aussichten auf ein gesegnetes Jahr die ganze Welt sich glücklich +fühlen. + +Er selber fühlte sich glücklich, glücklicher als seit langer Zeit. Es +war noch immer ein Zusatz von Trauer in seinem Glück, aber sie war +aufgelöst und hatte sich innig mit seinem Wohlgefühl verbunden. Das +genesende Herz war nicht nur gestärkt durch die Schönheit der Natur, +durch die stille Betrachtung des Blühens und Gedeihens, sondern auch +durch die religiöse Bedeutung des Tages. Hans gehörte nicht zu den +»Betischten,« wie man im Ries, das Wort von »Beten« ableitend, die +Pietisten nennt; er machte aus der Frömmigkeit nicht das Geschäft +seines Lebens. Aber man hat wohl schon bemerkt, daß in seinem Wesen +doch gar manches lag, was recht eigentlich christlich war, und bei +aller Natur, die mit ihm verbunden blieb, hätten wir einem solchen Mann +im Lebensverkehr doch mehr vertrauen mögen, als manchem von den Stillen +im Lande, deren Mehrzahl wir übrigens gerne nicht nur für ehrliche, +sondern überhaupt für respektable Leute halten. Hans hatte einen guten +»Unterricht« (mit diesem Wort bezeichnet der Rieser ausschließlich den +Religionsunterricht) genossen, und er war der Mann, von den Lehren +des Geistlichen mehr zu behalten als der erste beste. Er hatte ein +dankbares Gemüth gegen Gott und war ihm anhänglich und diente ihm in +den Formen, in denen er erzogen war. In seinem Hin- und Herdenken fiel +ihm nun auch wohl ein Ausspruch der Bibel oder des Gesangbuchs ein, der +ihn tröstete und von seiner Empfindung frei machte. + +An einem besonders schönen Sonntagsmorgen steigerte sich unter solcher +Einwirkung die Stimmung seines Herzens bis zur Heiterkeit. Vor dem +religiösen Gefühl, wenn es die Seele auch nur als ein unbewußter Hauch +durchdringt, können gewisse trübe Empfindungen nicht Stand halten; wir +legen einen andern Maßstab an das Leid, und was uns sonst über die +Maßen begründet erschien, das kann sich uns als eine Einbildung, ein +Erzeugniß menschlicher Schwäche darstellen, und sein Wichtigthun kann +uns ein Lächeln abnöthigen. Die wahrhaft gute Natur wird dann frei von +der letzten Empfindlichkeit und fähig, nicht nur zu vergeben, sondern +auch zu vergessen. Als Hans an diesem Morgen in's Haus zurückkehrte, +weil die Glocken zur Kirche riefen und er die festlich geputzte +Christine im »Wurzgarten« am Hause sah, wie sie noch ein Sträußchen +pflückte, um ihren Schmuck zu vollenden, warf er im Vorübergehen einen +Blick auf sie, wie ihn ein Mann auf ein glückliches Kind wirft. Und als +sie ihn gewahr wurde und vergnügt und mit einer gewissen Gutmüthigkeit +rief: »Guten Tag, Hans!« da dankte er ihr von Herzen freundlich und +wünschte ihr eine »gute Andacht,« obgleich er wußte, daß ihre Andacht +hauptsächlich im Denken an ihren Bräutigam und in der Freude über sein +schönes Singen und Orgeln bestehen werde. Er selber ging würdig langsam +in die Kirche und erbaute sich in ihr mehr als sonst, weil er, durch +seine Herzenserfahrungen und sein Nachdenken darüber belehrt, mehr +als sonst von der Predigt verstand. Er kam aufgerichtet und froh nach +Haus, das Gefühl im Herzen, das wohl als ein Ersatz für die verlorene +Freude des Lebens gelten kann, das Gefühl, durch Selbstüberwindung und +Entsagung klarer und besser geworden zu sein. + +Wer kann die Regungen eines Herzens schildern, das eben so der +Leidenschaft wie der Resignation, eben so des Schmerzes wie der +Erhebung fähig ist? wer das Spiel verfolgen der Trauer und der +Tröstung, des Hinabsinkens und des Emporstrebens, des Rückfalls und der +langsamen, langsamen Heilung? Nur andeuten läßt sich, was durch eine +Seele geht, die dem liebsten und theuersten Wunsch entsagen muß, und +das haben wir zu thun versucht. + +Die Zeit und die Kräfte, die dem strebenden Menschen zu Hülfe +kommen, übten endlich auch auf unsern Freund ihre ganze Macht. Seine +Empfindungen zergingen freilich nicht wie die der andern, aber sie +traten zurück in das Innerste seines Herzens, das sich über ihnen +zuschloß. Er bewahrte sie hier, wie man im verborgensten Fache eines +Schreins ein ererbtes theures Kleinod bewahrt, des Besitzes gewiß, ob +man es zuletzt auch nur selten hervorzieht, um sich in seinen Anblick +zu versenken. + +Als der Frühling hingegangen war, standen Mutter, Tochter und Vetter +wieder auf so freundschaftlichem Fuß, als ob ihr Verhältniß niemals +getrübt worden wäre. Wenn die Glauning sah, wie Hans jetzt fast noch +eifriger und gewissenhafter arbeitete, als früher, ging es ihr doch +zuweilen an's Herz und sie dachte bei sich selbst: »So ein braver +Mensch ist mir doch wahrhaftig noch nie vorgekommen! Der Bräutigam +meiner Tochter ist schöner und feiner; aber wenn er nur auch so gut +ist, wie der Hans.« -- Christine war von der Tugend des Vetters, die +sich so völlig anspruchlos in Thaten kundgab, auch gerührt; aber ihr +innerliches Lob schloß nicht mit einem Wunsch, der über die Güte +Forstners noch irgend einen Zweifel zuließ. Ihr Bräutigam war nicht +nur der schönste und feinste, sondern auch der beste aller Menschen; +das bewies er ihr ja täglich durch seine Liebe, durch seinen Eifer, +ihr Freude zu machen. -- Der Verlobte selbst begegnete dem Guten jetzt +mit viel mehr Rücksicht als früher. Wenn Hans ihm seine gebührende +Ehre gab und bei seinem Eintritt in's Haus mit ruhiger Freundlichkeit +»guten Abend, Herr Lehrer« sagte, sprach aus dem Ton seiner Erwiederung +und aus seinem Blick ein unwillkürlicher Respekt, und selbst zu +Hause im Gespräch mit seiner Mutter gebrauchte er über ihn nie mehr +despektirliche Bezeichnungen, wie sonst. Manchmal nahm er Gelegenheit, +dem Braven wegen seiner Geschicklichkeit als Bauer ein Compliment zu +machen und es so warm auszudrücken, daß Hans selber zu glauben anfing, +dieser Mann wäre am Ende doch besser, als er ihm zuerst vorgekommen +sei, und Christine könnte mit ihm glücklich werden. + +In Christine regte sich, nachdem sie ihre Furcht und Verlegenheit vor +Hans gänzlich abgelegt hatte, die gute Natur. Die Achtung, die sein +Benehmen ihr einflößte, wurde zur Freundschaft, zur freundschaftlichen +Theilnahme. Sie fühlte den Trieb, ihn wohl zu halten und ihn +zu erfreuen durch Lob und durch die Aufmerksamkeiten, wozu der +Familienverkehr so viele Gelegenheit bietet. War sie auch nicht mehr +gedrückt durch das, was ihr früher als ein Unrecht vorkam, so fühlte +sie sich doch erleichtert, wenn sie etwas für ihn gethan hatte. Einmal, +als das Gespräch mit ihm eine scherzende Wendung genommen, sagte sie, +indem sie plötzlich einen ersteren Ton annahm: »Hans, du mußt auch +heirathen! Einem Mann in deinem Alter gehört ein braves Weib, und +du verdienst die beste!« -- Hans sah ihr betroffen und argwöhnisch +in's Gesicht; da er aber nur wirkliche Theilnahme darin erblickte, +so antwortete er mit einer gewissen Laune: »Für unser Einen ist's +Heirathen so eine Sach', man kriegt nicht immer die, die man gern +möchte.« -- Christine, die ein wenig roth wurde, rief um so lebhafter: +»Ein Bursch wie du kann sich jede aussuchen!« -- Hans verzog seinen +Mund und erwiederte: »Ich glaub's wohl! So Einem kann's nicht fehlen! +Wenn er die Hände ausstreckt, hängt an jedem Finger eine!« -- Ueber +diesen kitzlichen Punkt fand Christine für gut hinwegzugehen, und die +Heirath schon als geschehen betrachtend, sagte sie: »Dann werden wir +Gevatterleut' und ich heb' deine Kinder aus der Täf (Taufe), und wir +wollen recht vergnügt mit einander sein.« -- »Nun damit,« versetzte +Hans lächelnd, »hat's noch gute Weg'. Zuerst heirathest du, und dann +wollen wir sehen, was mit mir anzufangen ist.« + +Freilich, auf die Hochzeit der Christine war mehr Aussicht als auf +die des guten Hans. Die Verlobten hatten beschlossen, sich im Herbst +»zusammengeben« zu lassen, und es wurde nun immer emsiger an der +Ausfertigung gearbeitet. Die Frage, wie Christine als Frau Lehrerin +sich kleiden solle, war erledigt. Heutzutage hätte man eine »Näherin« +eingethan, die sich als Kleidermacherin schon einen Namen erworben, +und der Lehrersbraut die gehörige Zahl bürgerlich französischer Anzüge +fertigen lassen. Damals warf man aber die Rieser Tracht noch nicht so +schnell über Bord, und es war demnach im Hause der Glauning beschlossen +worden, nur zu der feineren Kleidung im Rieser Styl fortzugehen, wie +sie die Weiber der reichen Bauern, der Müller, Wirthe und auch der +Schullehrer noch trugen. Es war immerhin ein Fortschritt, und das +Herz der Braut wurde außerordentlich erheitert beim Anblick zweier +seidener Halstücher, die ganz neumodisch waren, eines herrlichen +»geflammten« Rocks, der in zierliche Falten »gebegelt« (gebügelt) die +stattlich Hinschreitende umwogen sollte, und einer großen Radhaube, +nicht mit schwarzen, sondern mit weißen Spitzen und mit farbigen +seidenen Bändern, womit im Dorf bis jetzt einzig und allein die +Wirthin geprangt hatte. Als Christine dieses Wunder von Haube zuerst +probirte und die seidenen Bänder, zierlich verschlungen, von ihrem +Kinn auf die Brust herunter wallten, fühlte sogar die Taglöhnerin aus +ihrer pflanzenähnlichen Ruhe sich herausgerissen; sie hing an der +Beneidenswerthen mit einer Art von Andacht, stieß einen komischen +Seufzer aus und rief: »Bändel zieret halt da' Menscha'!« wobei sie in +ihrem Herzen dachte, daß sie in einer Haube mit so schönen Bändern sich +neben der Christine wohl auch noch sehen lassen könnte. -- Dem Vorrath +an Leinwand und Bettfedern, den die Mutter gesammelt hatte, wurde nebst +dem Geldbeutel stark zugesprochen, und der Wunsch der ehrgeizigen +Frau, ihre Christine wie eine reiche Bauerntochter auszustatten, und +das Verlangen, doch auch noch etwas übrig zu behalten, kamen öfters +mit einander in Streit. Hie und da gab es sogar einen kleinen Handel +zwischen Mutter und Tochter, der aber bald wieder in's Gleiche gebracht +wurde: Christine hatte den Vortheil, das einzige Kind zu sein. Indem +nun die beiden mit der Dorfnäherin und dem Dorfschneider in die Wette +arbeiteten, ging die Sache stetig vorwärts. Man war sicher, zu rechter +Zeit fertig zu werden und in's Schulhaus mit einem Wagen voll Hausrath +einzuziehen, wie er von einer Söldnerfamilie noch nie geliefert worden +war. + +Daß zwischen dem Haus der Glauning und dem Schulhaus immer der engste +Verkehr statt gefunden hatte, versteht sich von selbst. Forstner +war fast in allen Stunden, die er sich abmüßigen konnte, bei der +schönen Braut gewesen, und seine Mutter hatte über alle wichtigen +Fragen mit ihr und der Base Rath gepflogen. Bei einem so lebhaften +Temperament, wie es der junge Lehrer besaß, konnte sich die Glut +des Liebenden freilich nicht immer auf der ersten Höhe behaupten; +gerade wenn sie dauern sollte, mußte sie sich mäßigen und so zu sagen +in regelmäßigem Flußbette hinströmen. So war denn mit der Zeit der +Verlobte ruhiger geworden, und ohne daß sein Wohlgefallen an der Braut +sich minderte, öffnete sich sein Herz auch wieder andern Dingen. +Den ganzen Frühling hindurch hatte er Einladungen seiner Freunde zu +fröhlichen Gelegenheiten ausgeschlagen. Er führte Christine mit seiner +und ihrer Mutter an schönen Feiertagen nach Nördlingen, Oettingen oder +Wallerstein, unterhielt sie, zeigte ihnen belehrend die Schlösser und +Hofgärten der fürstlichen Residenzen und ging in gemüthlichem Gespräch +mit ihnen nach Haus. Wie nun aber der Eifer der Ausfertigung, je weiter +diese vorschritt, nur um so lebhafter wurde und die Weiberherzen +ganz zu erfüllen schien, glaubte Forstner den Collegen und Kameraden +sich nicht länger entziehen zu dürfen. Man hatte in Oettingen ein +musikalisches Kränzchen gestiftet, und er mit seinem hübschen Tenor und +seinem Geschick auf der Violine war ehrenvoll dringend zur Theilnahme +aufgefordert worden. Er verpflichtete sich dazu, und da die Gesänge und +die Musikstücke, die man aufführte, bald gut zusammengingen, so legte +der rasche Fußgänger mit Vergnügen die ziemlich lange Strecke zurück, +die zwischen dem Dorf und dem Ort der Zusammenkunft lag, und freute +sich der künstlerischen Unterhaltung und der lustigen und geistreichen +Gespräche, die auf die kleinen Concerte zu folgen pflegten. + +Forstners Temperament -- das hat man schon gesehen -- war überwiegend +sanguinisch. Von Leuten dieser Art ist bekannt, daß sie gewisse Dinge +schneller und lebhafter erfassen, aber schneller auch wieder lassen +als andere. Ich sage, gewisse Dinge. Es wäre schlimm, wenn der +Sanguiniker in seinem Geist und Herzen nicht die Kraft besitzen könnte, +einem Gedanken, einer Pflicht und einer ernstlichen Neigung treu +sein Leben zu widmen. Aber von gewissen Dingen, namentlich solchen, +die auf dem Felde der Unterhaltung und des Lebensgenusses liegen, +wird der Mann von leichtem Blut schneller hingerissen als andere +und weiter geführt, als er anfangs dachte, auch wenn er, wie unser +Lehrer, eine Dosis Phlegma besitzt, welche der Klugheit zur Unterlage +dient. -- Das musikalische Kränzchen in der genannten fürstlichen +Residenz gewann in raschem Aufschwung einen Stand der Blüthe, wie er +unter günstigen Verhältnissen bei solchen Verbindungen einzutreten +und eine Zeitlang zu dauern pflegt. In solcher Zeit gelingt alles; +die Theilnahme scheint ununterbrochen zu wachsen, die Freude kommt +ungesucht und der Ruhm des Instituts verbreitet sich in der ganzen +Umgegend. An den Tagen, wo man sich in Oettingen versammelte, fanden +sich nun bald auch Gäste von benachbarten fränkischen Orten ein, die +nach ihrem bekannten Naturell dem Vergnügen keinen Eintrag thaten. +Musiker trinken gern, und ein leichter Rausch ist der Zustand, der +allein würdig scheint, auf künstlerischen Enthusiasmus zu folgen, +weil er diesen nicht verglühen läßt, sondern liebevoll erhöht und +weiter trägt. Da nun das Bier, welches der Ganswirth lieferte, +vortrefflich war, so fühlten sie sich, wenn es auch meistens Dorf- +und Stadtlehrer mit zwei- bis fünfhundert Gulden Einkommen waren, +doch alle wie Könige. Die musikalischen Aufführungen gewährten edeln +und feinen Genuß, das darauf folgende Gelag machte sie fröhlich wie +die fidelsten Musensöhne, und die Gesänge, in welche die innere Lust +hier unwillkürlich ausströmte, klangen noch schöner und ergreifender, +als die kunstmäßig vorgetragenen, weil die Formen der Kunst von der +lodernden Glut der Seelen überschwänglich erfüllt wurden. -- Forstner, +eine Zierde sowohl der Aufführungen als der Gelage, sah sich in diesem +Zirkel geehrt und geliebt; seine Freundschaft wurde gesucht, ein Lehrer +aus der benachbarten fränkischen Stadt erklärte ihn für ein Genie und +schloß sich eng an ihn an; da war es ohne Zweifel natürlich, daß die +Theilnahme an dem Kränzchen in ihm endlich zur Passion wurde und daß +er an den Versammlungstagen regelmäßig als einer der ersten kam und +einer der letzten ging. Eben so natürlich war es aber auch, daß dabei +Zeit und Geld verthan wurden »nach Noten« -- und letzteres mehr als es +Forstners Einkommen vertrug. + +An Zeit hat der Dorflehrer im Sommer keinen Mangel. Dessen ungeachtet +verminderten sich die Besuche des Bräutigams im Hause der Braut auf +eine Weise, daß es auch der Vielbeschäftigten und Arbeitstrunkenen +auffallen mußte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe und setzte mit etwas +empfindlichem Ausdruck hinzu: es sehe beinahe aus, als ob's mit seiner +Lieb' zu ihr gar nicht mehr so arg sei, wie sonst. Allein da schloß +er sie mit einer Zärtlichkeit in seine Arme und sprach von seiner +ewigen Liebe und Treue in so schönen Ausdrücken, daß der halbe Zweifel +in der Seele des Mädchens rasch wieder getilgt war. Er zeigte eine +ernste Miene und belehrte sie, wie er sich im Singen und Musiciren +üben und Bekanntschaften machen müsse, weil ihm dies zu seinem +Fortkommen durchaus nöthig sei. Er erzählte ihr, welchen Beifall er in +dem Kränzchen erhalte und wie geehrt er sei -- und Christine, selbst +geschmeichelt, meinte, das sei dann freilich etwas anderes und auch sie +könne ihm jetzt nicht rathen wegzubleiben. + +Mit seiner Mutter hatte Forstner eine andere Erörterung. Die alte +Frau besaß noch etwas Vermögen. Es war nicht mehr so viel als vor +einigen Jahren; denn der begabte und überall beliebte Sohn hatte als +Schulgehülfe mit seinen Einnahmen unmöglich reichen können, und jedes +Jahr mußten etwelche Schulden getilgt werden. In seiner jetzigen +Stellung war er ausgekommen, so lange er eingezogen lebte; jetzt hatte +sich wieder ein Deficit gezeigt, und er mußte die Mutter neuerdings +angehen. Diese sträubte sich und las ihm gehörig den Text. Allein +es gelang ihm auch ihr gegenüber zu beweisen, daß ihm die jetzigen +Ausgaben in Folge der gemachten Bekanntschaften zehnfach wieder +hereinkommen würden, und die beschwichtigte Mutter zahlte. + +Der Sommer näherte sich seinem Ende. Die Ausstattung der Christine +war beinahe fertig -- ein Gegenstand der offenen Bewunderung und +des geheimen Neides besuchender Freundinnen. An den Kästen und +»Bettscha'den« (Bettstatten), an Tischen und Stühlen hatte der +Schreiner des Dorfs sein Meisterstück gemacht. Sie waren nicht von +Mahagoniholz und nicht polirt, aber mit brauner Oelfarbe überzogen, +so schön wie man's noch nie gesehen. Hemden, weiße Schürzen, +Schnupftücher, »Handswellen« (Handtücher), Tischtücher und Strümpfe +gewöhnlicher und feingemodelter Gattung lagen gewaschen und gebügelt +im »Weißwaarenkasten.« Die Betten waren schon überzogen mit blau- und +rothgestreiftem, selbstgewirktem Zeug. Spitzenhauben, Sonntagskappen +(wo das »Bödele« aus Gold- oder Silbergeflecht bestand) und +verschiedene Alltagskappen prangten im obern Fach des reichbehängten +Kleiderkastens. Ein neuer Spinnrocken mit Rad, von einem Nördlinger +»Dreher« kunstreich gefertigt, stand bereit, um an dem Tag des Einzugs, +mit dem feinsten und weißesten Flachs überzogen und mit rothseidenem +Band umwickelt, mitten auf dem Wagen zu prangen. Es fehlten +hauptsächlich nur noch ein paar Sessel, welche die alte Glauning, des +feinen Schwiegersohns wegen, sich auch noch zu bestellen entschlossen +hatte, und ein kleines Stück Hausrath, welches erst später nöthig zu +werden pflegt, das aber vorsorgliche und humoristische Eltern in der +Regel auch gleich mitfertigen lassen. + +Was Christine an Geld mitbekommen und wie es gezahlt werden sollte, war +ausgemacht. Die Heirath des einzigen Kindes mit einem Lehrer versetzte +die Wittwe in eine Nothwendigkeit, die auf dem Lande stets mit +Leidwesen empfunden wird, das Gut, das ihr Mann von seinen Vorfahren +überkommen, vergrößert und so schön hergerichtet hatte, in andere +Hände übergehen zu lassen. Der angestellte Schwiegersohn konnte es +nicht übernehmen, und sie konnte es nach der Ausstattung ihrer Tochter +nicht mehr halten. Als sie das einmal vor Hans aussprach, bemerkte +dieser: er habe daran auch schon gedacht und bei sich überlegt, was +Haus und Feldung in heutiger Zeit wohl gelten möchten. Er sei über eine +Summe mit sich einig geworden, und um diese wolle er selber das Gut +an sich bringen. Die Wittwe, angenehm überrascht, ließ ihn die Summe +nennen; und da auch sie schon einen Ueberschlag gemacht hatte, dessen +Ergebniß von dem Gebot des Vetters nicht viel abwich, so wurden sie +bald »Handels eins.« Sie machten aus und gaben sich die Hand darauf, +daß nach der Heirath der Christine -- denn vorher wollten sie keine +Aenderung treffen -- die Sölde um die vereinbarte Summe von ihr an ihn +übergehen solle. Der alten Glauning fiel ein Stein vom Herzen. Sie +konnte mit dem Handel zufrieden sein, dann aber war es ihr lieb, daß +ihr »Sach« an einen »Freund« überging, und nicht minder, daß der um +sie verdiente Hans wenigstens ihr Haus und ihre Güter erhielt, wenn +auch nicht ihre Tochter. In dem Vergnügen, das sie empfand, sah sie ihn +mit gutmüthiger Schlauheit an und sagte: »Du hast g'wiß schon eine mit +zwei- oder dreitausend Gulden!« -- »Das nicht,« erwiederte Hans, »ist +aber auch nicht nöthig. Vor der Hand getrau' ich mir die Geschichte +allein zu behaupten.« -- »Wenn's Einer kann, so kannst du's. Aber +besser ist besser.« -- »Das schon; ich will auch gar nicht sagen, daß +ich ledig bleib'. Wenn ich in dem Haus da einmal festsitz', dann wird +sich wohl eine finden, die's riskirt mit mir.« -- »Hundert für Eine!« +rief die Base mit Wärme; »so viel du willst!« -- Hans zuckte die Achsel +und sagte: »Also dabei bleibt's! Wenn die Christine heirathet, bin ich +der Käufer.« + +Die Uebernahme dieser Verpflichtung war kein Akt der Großmuth von +unserem Freund. Er hatte das Gut lieb gewonnen, die von ihm Jahre lang +bebauten und verbesserten Felder waren ihm an's Herz gewachsen, und +da sich eine so gute Gelegenheit bot, sie zu erhalten, wollte er sie +nicht auslassen. Trotz des Gemüthes, das wir an ihm kennen, war er +keineswegs so romantisch gesinnt, daß er sich etwa vorgenommen, selber +unbeweibt zu bleiben und nur der Erinnerung an seine Liebe zu leben. +Im Gegentheil, es war ihm ganz ernst mit dem, was er der Base gesagt +hatte; wenn Christine verheirathet war, so wollte er selbst eine brave +Frau nehmen, die von ordentlichen Leuten herkam und etwas hatte und mit +deren Eingebrachtem er nach und nach ganz schuldenfrei werden konnte. +Mit ihr, wenn sie auch der Christine an Schönheit lange nicht gleich +käme, wollte er leben, wie sich's gehört, und einen rechten Mann +machen. + +Von derjenigen Seite, wo neue Einrichtungen getroffen werden mußten, +war demnach alles in Ordnung. Es blieb nichts mehr übrig, als die +Erfüllung der gewöhnlichen Formalitäten, und das Brautpaar konnte +verkündigt, die Hochzeit konnte gefeiert werden. Als die Glauning dies +dem Verlobten mittheilte und den Tag der Verkündigung bestimmt wissen +wollte, bemerkte dieser: es gehe jetzt noch nicht -- man müsse noch +warten. Mutter und Tochter sahen ihn bei diesen Worten befremdet an. Er +war in der letzten Zeit einmal auf drei Tage verreist und hatte vorher +auf Befragen nur erklärt, daß er nothwendige Geschäfte besorgen müsse. +Nach der Rückkehr war er unruhig und aufgeregt; Christine wußte nicht, +was sie aus ihm machen sollte; sie sagte es ihm und mußte mit einer +Antwort vorlieb nehmen, die sie nur für eine Ausrede halten konnte. Und +jetzt, nachdem alles fertig und alles im Reinen war, sollten sie noch +warten? Sie fragte nach der Ursache; er erwiederte, die könne er noch +nicht sagen. »Auch mir nicht?« entgegnete sie verletzt und erröthend. +-- »Auch dir nicht, gute Christine,« antwortete Forstner. »Es ist um +unseres gemeinschaftlichen Besten willen, und ich hoffe, in kurzem +kann ich reden.« -- Wie bedenklich das alles der Braut und der Mutter +erscheinen mochte, sie mußten sich in seinen Willen ergeben und +zusehen. + +Eines Abends -- nachdem vier Tage verflossen waren -- kam Forstner +mit raschen Schritten auf das Haus zu und trat mit ernster, feierlich +aufgeregter Miene in die Stube. »Ich bring' eine große Neuigkeit!« +rief er Christine entgegen, die mit ihrer Mutter am Tische saß. Das +Mädchen fuhr unwillkürlich zusammen und erhob sich rasch. »Was für eine +Neuigkeit? Du erschreckst mich!« -- »Es ist nicht zum Erschrecken, +sondern zum Freuen,« erwiederte er. -- »So sag's!« rief Christine, noch +keineswegs ermuthigt. -- »Nun, ohne Umschweife: ich bin als Lehrer nach +** berufen« (er nannte eine fränkische Stadt, aus der sein Freund und +College vom Oettinger Kränzchen war) »und werde die Stelle mit nächstem +antreten.« + +Das Mädchen war mehr bestürzt als erfreut über diese Nachricht. »Du +kommst in eine Stadt?« fragte sie zagend. »Was soll dann aber aus +uns werden?« -- »Du wartest hier bei deiner Mutter, bis ich mich +eingerichtet habe. Dann hol' ich dich ab und wir machen Hochzeit.« +-- »Ich in eine Stadt!« rief sie, indem sie, wenn auch dunkel, alles +Bedenkliche dieser Ortsveränderung empfand. »Da paß' ich nicht hin!« +Und die Mutter setzte bekümmert hinzu: »Dann hab' ich die halbe +Ausfertigung und alle die theuern Bauernkleider umsonst machen lassen!« +-- Forstner lächelte. »Wir werden manches brauchen können, was Ihr +angeschafft habt, Frau Schwiegermutter. Und für die Kleider, die nicht +in die Stadt passen, schaffen wir andere an. Ich bekomme für's erste +hundert Gulden mehr als hier, kann mir durch Privatstunden noch andere +hundert verdienen und habe die Hoffnung bald vorzurücken.« + +Trotz all den schön eröffneten Aussichten wollte sich bei Christine +noch kein Vergnügen einstellen. »Ich weiß nicht,« sagte sie, indem +sie vor sich hinsah, »mir ist so angst!« -- »Wenn du an einen Ort +sollst,« erwiederte der Verlobte mit einem Blick des Vorwurfs, »wo +ich bin? Schäme dich, Christine! Freuen solltest du dich, daß ich +vorwärts komme, und etwas einbilden solltest du dir, die Frau eines +Mannes zu werden, der in zehn Jahren vielleicht Oberlehrer ist.« -- +»Ich freu' mich auch,« erwiederte Christine, deren Mienen sich nun doch +aufklärten, »aber ich fürchte nur« -- -- »Du bist ein Kind,« versetzte +er, indem er sie bei der Hand faßte. Und mit einem zärtlichen Blick +setzte er hinzu: »Bei mir wirst du doch angewöhnen? Da wird's dir doch +nicht »and thun« nach deinem Dorf?« -- »Nun,« erwiederte das Mädchen, +der bei diesen Worten das liebende Herz aufging, »das mein' ich selbst. +Und in die Stadtleut' werd' ich mich am End' auch schicken!« -- +»Freilich wirst du das! Ein schönes, liebes und gescheidtes Mädchen wie +du.« + +Bei der Mutter hatte die Aussicht, eine Frau Oberlehrerin zu bekommen, +die fatale Empfindung, so feine Bauernkleider umsonst angeschafft +zu haben, bereits zurückgedrängt und sie sagte jetzt: »Es ist wahr! +Und das Weib muß Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhängen, +wie's in der Bibel heißt. Herr Lehrer, nehmen Sie die Stelle nur an, +meine Tochter wird sich drein finden.« -- »Es freut mich,« erwiederte +Forstner, »daß Ihr so verständig seid, obwohl ich bei Euch darauf +gerechnet habe.« Und in einem Ton, der halb dem Liebhaber, halb aber +auch dem Lehrer angehörte, sagte er zu der Verlobten: »Folg' mir nur, +liebe Christine, und gieb dir Mühe zu lernen, was dir fehlt. Ich will +dir alles sagen und zeigen, und in sechs Wochen wird dich kein Mensch +mehr von einem Stadtmädchen unterscheiden können. Du hast die Gaben, +du wirst sie unter meiner Leitung ausbilden und eine Frau werden, die +mir Ehre macht.« + + + IV. + +Ein schönes Ziel, auf dessen Erreichen man sich gefreut hat und durch +das man in heiterer Einbildungskraft schon vorher beglückt war, +plötzlich versinken zu sehen, ist betrübend, auch wenn sich in der +Ferne ein neues erhebt, das noch erstrebenswerther scheint. Christine +hatte geglaubt, in wenigen Wochen die Frau des Geliebten zu sein und +in ihrem Geburtsorte, wo es allein ihren Sinn reizte, etwas zu gelten, +in guten Verhältnissen und geehrt zu leben. Nun sah sie die Hochzeit +verschoben und sollte dann im eine Stadt ziehen unter fremde Leute, +an deren guter Meinung ihr nichts liegen konnte, wenn sie auch das +Vertrauen zu sich gehabt hätte, sie zu gewinnen. Statt der Gewißheit +hatte sie nur eine neue Hoffnung, die noch dazu bedeutend mit Furcht +gemischt war -- ein Ziel, das nur ihrem Verstande, nicht ihrem Herzen +ehrenvoll erschien, und das nur durch Anstrengungen erreicht werden +konnte, die ihr keine geringe Last dünkten. -- Doch, so war es einmal; +sie mußte sich darein fügen und dem neuen Stand der Dinge die beste +Seite abzugewinnen suchen. + +Zu dem in den Verhältnissen liegenden Grunde, die Trauung zu +verschieben, trat in kurzem und unerwartet ein neuer: die Mutter +Forstners erkrankte und starb nach wenigen Tagen. Sie hatte sich +außerordentlich gefreut, daß ihr Sohn den Fuß auf eine Leiter gesetzt, +auf welcher er zum Gipfel der Ehre emporsteigen konnte, und sie +rühmte ihn jetzt, daß er, wenn auch mit einigen Kosten, so nützliche +Bekanntschaften gemacht habe; denn er hatte ihr nicht verschwiegen, +daß er seine Berufung hauptsächlich den Bemühungen seines Freundes vom +Oettinger Kränzchen verdankte. War es ihr nun auch nicht vergönnt, +ihn auf dem neuen Weg zu begleiten, so starb sie doch mit dem +erhebenden Gedanken, ihn an der Seite einer wackern und schönen Frau, +die eigentlich sie gewählt hatte, dem städtischen Oberlehrer zugehen +zu sehen. -- Der alte Geistliche benutzte diese Umstände zu einer +erbaulichen Rede, und die Verlobten weinten der Verstorbenen von Herzen +in's Grab. Nach Verlauf weniger Tage gehörten sie freilich wieder dem +Leben an und gedachten der sorgsamen Mutter gelegentlich mit Lob, aber +ohne Trauer. + +Der Tag, auf welchen Forstner seinen Abzug angesetzt hatte, war +gekommen. Die Bauern zeigten sich bei dieser Gelegenheit freundlich und +diensteifrig. Der Lehrer hatte seine Pflichten nie vernachlässigt und +die Liebe der Kinder sich erhalten. In der letzten Zeit hatte unter +den Eltern allerdings die Meinung um sich gegriffen, daß er eigentlich +ein »leichter Passagier« sei, dem die Christine recht auf die Finger +sehen dürfe. Aber der Erfolg, die Anstellung in der Stadt überzeugte +auch sie eines Bessern; sie sahen in seinem »Gelaufe« ein kluges +Manöver und der gescheidte Mann stieg in der Achtung der praktischen +Dorfleute. Die Kinder, in denen die bessere Unterweisung neue, feinere +Gefühle ausgebildet hatte, ehrten den Lehrer durch sinnige Kränze +von Herbstblumen und durch ein gemeinsames Präsent. Gaben spendeten +auch wohlmeinende und vermögende Eltern, und die Nachbarn halfen den +Wagen beladen, den ein reicher Bauer unentgeltlich nach dem neuen +Aufenthaltsort zu fahren sich erboten hatte. Der Abschied von den +Repräsentanten der Gemeinde war freundschaftlich und herzlich, aber +heiter; Forstner sollte ja wieder kommen, um das schöne Dorfkind +abzuholen. -- Von den Segenswünschen seiner Braut und ihrer Mutter +begleitet, nach vielfachen zärtlichen Händedrücken, fuhr er aus dem +Dorf unter tüchtigem Knallen der Geißel, womit der Oberknecht, der auf +dem Sattelgaul saß, ihn und sich selber zu ehren suchte. + +Die folgenden Tage beschäftigte sich Christine mit den ersten +Zurüstungen für die Stadt. Es war ihr lieb, daß ihr noch eine Frist im +Vaterhause vergönnt war, und sie ging mit einem ordentlichen Wohlgefühl +darin hin und her. Ueber den Aufenthalt in der Stadt, der sich für sie +noch vor der Trauung als nöthig herausgestellt hatte, war ein fester +Beschluß gefaßt. Die Glauning hatte sich erinnert, daß an dem Ort eine +Frau wohne, die mit ihr Einen Urgroßvater gehabt und deren Vater nach +vom Ries dahin gezogen war. Diese, die an einen Krämer verheirathet war +und ein Haus besaß, sollte Forstner aufsuchen und fragen, ob Christine +nicht die kurze Zeit bei ihr wohnen könne. Die Hoffnung, eine zusagende +Antwort zu bekommen und zunächst im Hause einer Verwandten leben zu +können, mochte dazu beitragen, das Herz der Braut in jene Ruhe zu +wiegen, mit der sie das Dorf noch recht genießen konnte. + +Forstner hatte sogleich in wenigen Zeilen seine glückliche Ankunft +gemeldet. Nach einer Woche kam ein neues Schreiben von ihm, ziemlich +lang und sorgsam abgefaßt. Er schilderte zuerst, wie er von seinen +Collegen, von den Herrn Geistlichen und Magistratsräthen, bei denen er +Besuche gemacht, ausnehmend freundlich und schmeichelhaft aufgenommen +worden sei. Er habe sich überzeugt, das sei der Platz, wohin er gehöre, +wo er Gutes wirken könne mit seinen Gaben und Kenntnissen, und wo er +glücklich sein werde. Die Gespräche, die er geführt mit gebildeten +Männern und Frauen, hätten ihm außerordentlich wohlgethan, und er +freue sich über alles, bei ihnen zu leben und auch seine Christine in +ihre Gesellschaft bringen zu können. Er schätze jeden Stand und habe +gezeigt, daß er mit Leuten von jeder Klasse umzugehen wisse, aber +besser sei besser; man müsse höher hinaufstreben, wenn man könne, +und immer weiter und weiter zu kommen, das sei das wahre Glück. Er +fühle die Kraft in sich, zu steigen, und auch die Geliebte mit sich +hinaufzuheben. Sie müsse nun aber auch ihrerseits die Hand bieten und +sich alle Mühe geben, seine Arbeit ihm zu erleichtern. Das Glück, +das sie dort mit einander finden würden, sei so groß, daß es wohl +die Anstrengungen und Opfer verdiene, die nöthig sein würden, es zu +erreichen. Anstrengungen müsse er seiner Braut nun allerdings zumuthen, +und auch ein Opfer, wenn sie's dafür ansehen wolle. Die Hochzeit +noch in diesem Jahre zu feiern, wie sie zuletzt noch gemeint hätten, +verbiete eigentlich schon die Trauer wegen der seligen Mutter. Allein +es kämen noch zwei Gründe hinzu, die es durchaus nöthig machten, daß +die Trauung erst im nächsten Frühjahr stattfinde. Erstens sei ihm +gesagt worden, daß er nach einer halbjährigen Amtsführung, wenn er sich +als Lehrer auszeichne, eine nicht unbedeutende Zulage erhalten solle. +Sei es ihm nun gerathen, in der nächsten Zeit alle Kraft und allen +Fleiß auf Erfüllung seiner Lehrerpflichten zu wenden, so wäre es auch +gut für sie beide, die Zulage abzuwarten; denn das Leben in der Stadt +sei für ein Hauswesen doch kostspieliger, als er gedacht. Dann aber +sei es eben so eine Sache, vom Dorf her nach kurzem Aufenthalt in der +Stadt, wo man sich kaum darin umsehen konnte, eine Stadtfrau machen +zu wollen. Er selber habe sich das leichter vorgestellt, als er es +jetzt bei kaltem Blut finde. Man müsse eben doch ein anderes Benehmen +lernen, man müsse sich Kenntnisse aneignen, damit man in Gesellschaft +wisse, wovon die Rede sei, und selber mitsprechen könne, kurz, man +müsse das Bauernmädchen abthun und sich eine gewisse Bildung erwerben. +Das gehe aber nicht in einigen Wochen, dazu sei wenigstens ein halbes +Jahr nöthig, und da müsse man noch recht fleißig und aufmerksam sein. +Seine Meinung sei nun die: Christine solle zur Base Kahl ziehen, die +sie mit Vergnügen aufnehmen werde, und im nächsten Winter unter seiner +Leitung alles das lernen, was zu ihrem künftigen Stande erforderlich +sei. Die Kahl sei eine gute Frau, wenn es auch freilich mit ihrer +Bildung nur so so stehe. Er selber hätte seiner Braut wohl gewünscht, +in ein feineres Haus zu kommen; aber das sei nun eben nicht anders zu +machen. -- Der Brief schloß mit Liebesbetheurungen für die Braut, mit +schmeichelhaften Worten für die Mutter. Andern hätte er einen solchen +Vorschlag vielleicht nicht machen können, ohne mißverstanden und +verkannt zu werden; aber sie hätten bei jeder Gelegenheit Beweise von +ihrer Einsicht und ihrer Klugheit gegeben; sie würden ihn verstehen und +ihm Recht geben. -- + +Die Wirkung dieses Briefes war auf Christine trotzdem keine +erfreuliche. Der Bräutigam sprach darin so vornehm, so von oben herab +zu ihr! Die Vorstellung der Arbeiten, die sie sich zugemuthet sah, +lastete auf ihrem Gemüthe mit verdoppelter Schwere; ihre Bangigkeit +erneuerte sich und ihre Miene drückte Zagen und zugleich etwas +Empfindlichkeit aus. »Da haben wir's!« rief sie am Ende. »Ich bin ihm +so nicht gut genug und soll erst weiß Gott was lernen, bis er mich +heirathen mag!« -- Die Mutter, der die Schreibweise des künftigen +Schwiegersohns auch nicht ganz gefallen hatte, obwohl sie einem +»Herrn« seine eigene, vornehmere Sprache zugab, hielt es doch für +gerathen, davon zu schweigen und sich Forstners anzunehmen. »Mir +scheint's aber, daß er gar nicht Unrecht hat, Christine! Er will, daß +du recht hineintaugst in die Stadt und daß du verstehst, was du als +Frau Lehrerin brauchst. Er will dich gescheidt und geschickt machen +und das beweist ja grad, daß er recht viel auf dich hält und ein +braver, ehrlicher Mann ist.« -- »Das mag sein,« erwiederte Christine +etwas beruhigter; »aber er hätte mir das doch anders sagen können.« -- +»Eigentlich,« versetzte die Mutter, »schreibt er freilich ein wenig +anders, als er früher geredet hat; aber das wird schon so sein müssen, +es wird eben die Mode sein unter den Herrn. Er meint's gut, und das ist +die Hauptsach'.« + +Christine wollte das nicht bestreiten und fand sich endlich in den +Vorschlag und den Willen des Verlobten. Wenn wir es gestehen sollen, +so war ihr die tröstlichste Stelle in dem Briefe die, wo Forstner die +Base für nicht gebildet und fein genug erklärte. Sie fühlte zu ihr +gleich ein lebhaftes Zutrauen und setzte sich mit erleichtertem Herzen +an den Tisch, um die Antwort abzufassen. Im Wesentlichen sagte sie: +Was er geschrieben, wäre ihr und ihrer Mutter recht; sie wolle ihm +folgen und fleißig sein, und hoffe dann so weit zu kommen, daß sie ihm +in der Stadt keine Unehre mache. Was sie unter den jetzigen Umständen +für die Stadt brauche, werde sie bald hergerichtet haben; er könne sie +darum abholen, wenn er's für gut finde. -- Die Mutter nahm es auf sich, +die Abänderung in dem Plane der Verlobten gehörig unter die Leute zu +bringen. Ihre Christine werde erst im Frühjahr heirathen, was für Herrn +Forstner und sie ein großer Vortheil sei; aber sie werde jetzt schon +in die Stadt ziehen und was Ordentliches lernen, damit sie dort eine +rechte Frau machen könne. + +Eines Vormittags in der ersten Woche des November kam Forstner in +einer Kutsche angefahren. Er war bei der ersten Begrüßung etwas +ernst; es schien als ob das Dorfmäßige der Wohnung und Kleidung +schon etwas Befremdendes für ihn erhalten hätte. Bald aber thaute er +auf und war wieder der Alte. Christine, die sich zu seinem Empfang +geputzt hatte und ihm aufwartete, sah in ihrem wirthlichen Eifer so +frisch und anmuthig aus! Sein Puls ging rascher, als er sie an seine +Seite niederzog und sie betrachtete. Was konnte er sich Schöneres +wünschen, als dieses Mädchen sein zu nennen? Er liebte sie, und wenn +er sie noch so weit zu bringen vermochte, daß sie ihn und sich in +seiner nunmehrigen Stellung nicht durch Unwissenheit und Dorfmanieren +bloßstellte -- war er nicht der glücklichste Ehemann? -- Die Furcht vor +dem Lächerlichen, wir können es nicht läugnen, war groß in dem jetzigen +Stadtlehrer. Sein Trieb, in Gesellschaft zu glänzen, hatte sich nach +Maßgabe seiner Erfolge in ihm ausgebildet, und in gleichem Verhältniß +war auch die Besorgniß gewachsen, in Gesellschaft zu mißfallen oder +ein Gegenstand des Bedauerns zu werden. Wie bedrückend war für ihn der +Gedanke, daß das, was er gut machte, durch seine Frau vielleicht wieder +verdorben wurde! Doch jetzt wich jeder Zweifel zurück im Anschauen des +liebenswerthen Mädchens. Das Herz ging ihm auf, er glaubte an sie und +traute ihr Alles zu. Er ward fröhlich und guter Dinge, scherzte nach +alter Sitte und machte Mutter und Tochter fröhlich. + +Um die Mittagszeit war Alles zur Abfahrt bereit. Als Christine von +der Mutter, vom väterlichen Haus und vom Dorf Abschied nehmen sollte, +da ward es ihr doch plötzlich wieder ernst zu Muthe. Sie fühlte, was +sie that und wagte, und ihr Herz klopfte in bängeren Schlägen. Die +Mutter hatte sie und den Verlobten würdig ermahnt und feierliche +Gegenversicherungen erhalten; das war tröstlich, als sie noch beisammen +saßen. Draußen im Hof, unter dem grauen Himmel, in der frostigen Luft, +wo ihr noch einige Freundinnen »b'hüt dich Gott« sagten, um dann auf +die Gasse hinaus oder heimzugehen, erhielt die Furcht in dem Dorfkind +wieder die Oberhand. Der gute Hans, der schon beim Einpacken behülflich +gewesen, hatte noch eben eine Kiste mit Stricken auf der Kutsche +festgebunden. Sie trat zu ihm, gab ihm die Hand und dankte mit etwas +unsicherer Stimme, aber um so herzlicher für all die Freundschaft, die +er ihr und ihrer Mutter bewiesen habe. Hans erwiederte mit ernsthaftem +Gesicht: was er gethan habe, das hab' er gern gethan, und er wünsche +ihr jetzt alles Glück und Wohlergehen. -- In solchen Momenten leben +alte Gedanken und Gefühle wieder auf; die Seele wird heller, und was +völlig abgethan schien, steht in klarem Lichte vor ihr. Christine hielt +die Hand des Wackern fest und drückte sie; denn nicht nur die Liebe, +auch der gerührte Dank, auch die Hochschätzung muß sich in Aeußerungen +der Zärtlichkeit genug thun. Ihre Augen wurden feucht, und wie sie +ihn damit ansah, hätte er wohl eine Abbitte darin lesen können. Ohne +Zweifel verstand er sie. Eine leise Andeutung von gutmüthig wehmüthigem +Lächeln ging über seine ernsten Züge; er schüttelte ihr kräftig und +treuherzig die Hand, als wollte er sagen: »laß das gehen,« und wünschte +ihr nochmal wohl zu leben. -- Ein paar Minuten später, und Christine +saß in ihrem Dorfgewand, aber in einen Mantel gehüllt und um den +Kopf ein weißes Tuch gebunden, neben dem Verlobten im Wagen, der von +trabenden Rossen gezogen aus dem Dorf rollte. + +Eine seltsame Reihe von Empfindungen zog durch das erweichte Herz +des Mädchens. Trauernde und sorgende, hoffende und freudige tauchten +abwechselnd auf, bis die Seele nach und nach ruhig wurde und in dem +Einen Gefühl der Ergebung die übrigen versanken. Sie machte eine eigene +Erfahrung an diesem Tag: das Zusammensein mit dem Geliebten kam ihr +nicht so schön vor, als sie sich's früher gedacht. Mit der Ruhe kam +aber die Empfänglichkeit für die aufmunternden und schmeichelnden Worte +des Bräutigams wieder in ihr Gemüth, und endlich saß sie vergnügt an +der Seite des Vergnügten. + +Es war in der Abenddämmerung, als das Ziel ihrer Fahrt, die Stadt vor +ihnen lag. Diese gewährte in der guten Jahreszeit einen freundlichen +und hübschen Anblick; jetzt sah sie aus, wie eben eine Landstadt im +Spätherbst, und der guten Christine kam sie recht fremd vor. -- Die +Kutsche rollte durch das Thor in die Hauptstraße, lenkte bald in eine +Seitengasse ein, die zu den engen und düstern gehörte, und hielt vor +einem schmalen, zweistockigen Hause. Eine Frau in den Fünfzigen kam +heraus, hob Christine grüßend aus dem Wagen und führte sie in die Stube +zu ebener Erde. Sie war bei der Base Kahl. + +Herr Kahl war ein Kleinhändler, dessen Geschäft seit dem Auftreten +eines reicheren und praktischeren Concurrenten in Abnahme gekommen war +und der nun, anstatt sich ebenfalls besser umzuthun, lieber ergeben +den alten Schlendrian fortführte und seinen Haushalt einschränkte. Er +wohnte mit seiner Frau und einer Magd, die auch im Laden aushelfen +mußte, allein in dem Hause, und weder die kleine Familie noch die +Stube, in der sie sich Mittags und Abends zusammenfand, konnte den +Eindruck des Wohlhäbigen machen. Es waren -- die gleichfalls in +gewissen Jahren befindliche Magd mit eingeschlossen -- längliche, +hagere Gestalten, die in ihrem ganzen Wesen etwas Kümmerliches hatten. +Dieß war ihnen freilich schon zur Gewohnheit geworden und erschien +durch mehrjährige Uebung gemildert; allein ihr Anblick hatte damit noch +nichts Vertraueneinflößendes gewonnen. Gutmüthig in gewissem Sinn waren +die alten Leute; sie konnten sich auch freuen über kleine Wendungen zum +Bessern und einzelne glückliche Zufälle, und spannen so ihr Leben am +Ende doch erträglich weiter. + +Christine erhielt die Stube im ersten Stock, bisher eine Art von +Prunkzimmer der Familie, nebst einem Schlafkämmerchen. Ein kleiner +irdener Ofen, altes Möbelwerk und einige Bilder an der Wand zierten +das zweifenstrige Gemach, jedenfalls das beste im Hause. Unter andern +altmodischen Bildern sahen aber die Porträts der Hausleute, in ihrer +Jugend von einem Anfänger gemalt, so trübselig von der Wand, als ob +die Originale schon eine Ahnung gehabt hätten, daß sie zu besonderem +Glück im Leben nicht bestimmt waren. Als der Ofen nach so langem Feiern +und Frieren geheizt wurde, begann er tüchtig zu rauchen; die Fenster +mußten aufgerissen werden, und erst nach und nach brachte man in dem +frostgewohnten Raum einige Wärme zuwege. Die ersten Eindrücke, die +Christine in dem Hause erhielt, waren keineswegs angenehm. + +In dem Vertrauen, das sie auf die Base gesetzt hatte, fand sie sich +aber nicht getäuscht. Frau Kahl, abgesehen von ihrer verhältnißmäßigen +Gutmüthigkeit, hatte auch alle Ursache, gegen das Bäschen gefällig +zu sein: diese zahlte Kost und Logis, wenn auch zu mäßigem Preis, +und vergrößerte so das geringe Einkommen. Dann aber war sie die +Braut des Herrn Forstner, der auch hier schon ein Gegenstand des +Anerkennens und Rühmens geworden war. Aus diesen Gründen war die Base +freundlicher und rücksichtsvoller gegen sie, als die seit Jahren im +Hause mitregierende Magd, die es hart anzukommen schien, von einer in +Bauernkleidern gekommenen und sich gar nicht auskennenden jungen Person +etwas zu halten und gegen sie zu thun, als ob sie etwas wäre. -- Der +sechzigjährige Vetter bezeigte sich freundlich und höflich, aber ohne +sonderlichen Eifer, dessen er überhaupt nicht fähig war. Mit ihm hatte +Christine wenig zu thun. Den Tag über war er in seinem Laden, beim +Mittagessen schwieg er und nach dem Abendessen duselte er in seinem +Sorgenstuhl ein. + +Als die neue Hausgenossin sich so gut, als es anging, eingerichtet +hatte, war es ihre nächste Aufgabe, sich städtische Gewandung zu +verschaffen. Ein Alltagskleid war bald besorgt und das Anprobiren +desselben das erste wichtige Ereigniß in dem neuen Leben der +Lehrersbraut. Die Base half ihr dabei und hoffte, daß sie in dem +schöneren Anzug bedeutend hübscher und vornehmer aussehen würde. Allein +welche Ueberraschung, als sie nun die Fertige musterte! Sie mußte +sie viel weniger hübsch finden als vorher. Natürlich sagte sie das +nicht und strich und zupfte um so emsiger das Gewand zurecht, in der +Hoffnung, es möchte noch werden. Die Hoffnung erfüllte sich aber nicht +und der Grund war klar. Abgesehen davon, daß Christine das ungewohnte +Kleid nicht zu tragen verstand, war auch ihre Gestalt nicht dafür +geschaffen. Ihr Wuchs, der sich im Bauerngewand stattlich ausnahm und +von dem nichts hinwegzuwünschen war, hatte im städtischen Anzug -- wir +sagen es mit Bedauern -- etwas Unzierliches und Schwerfälliges, eine +boshafte Städterin hätte sagen können Plumpes. Als Frau Kahl sie von +oben bis unten betrachtet hatte und ein Lob unmöglich über ihre Lippen +bringen konnte, machte sie in der Verlegenheit des Augenblicks das +Kleid verantwortlich, das nicht gut gerathen sei und geändert werden +müsse. Aber Susanne, die Magd, die auch herzugekommen war und sich an +dem Anblick weidete, bemerkte mit entsprechendem Ausdruck: »Am Kleid +liegt der Fehler nicht.« -- Auf dem Tisch lag noch ein Hut, den Frau +Kahl erst gestern gekauft hatte, ganz neu und neumodisch. Vielleicht +daß er, den schönen Kopf zierend, eine günstige Veränderung im Ganzen +bewirkte. Sie setzte ihn darauf -- und sah sich auf's neue enttäuscht! +Das Gesicht, im Rieser Käppchen so hübsch rund und so reizend, erschien +im Hut zu voll. Christine, die zu merken anfing, welchen Eindruck sie +hervorbrachte, wurde befangen, das Blut stieg ihr in's Gesicht, und +dieses konnte dadurch weder an Rundung ab-, noch an Feinheit zunehmen. +Zu allem Unglück war die Temperatur in der Stube seit dem frühen +Morgen bedeutend gesunken, und indem die Röthe der etwas frierenden +Christine eine bläuliche Färbung gewann, vollendete sich die Tücke des +schlimmen Tags. + +Wie sie so dastand und nicht wußte, was sie sagen oder thun sollte, +ging die Thüre auf und Forstner trat herein. Er kam zufällig, das +Unternehmen des Tags war ihm unbekannt. Als er die Verlobte in dem +langen Kleid sah, war er betroffen und betrachtete sie einen Moment +schweigend. Dann rief er mit einem Lächeln, das nicht ganz hinreichte, +einen gewissen verlegenen Ernst zu decken: »Wie siehst du aus, +Christine! Man kennt dich gar nicht mehr! So -- so vornehm!« Christine +versuchte zu lächeln und sagte mit etwas verzogenem Mund: »Nun -- +gefall' ich dir nicht?« -- »O freilich,« erwiederte der Verlobte, +der vor der Base und der Magd gerathen fand, seine und ihre Würde zu +wahren. »Aber man ist's nicht an dir gewohnt und darum fällt's einem +auf. Nun, aller Anfang ist schwer; das wissen wir Lehrer. Mit der Zeit +wirst du's tragen wie eine Städterin, und uns wird's dann sein, als ob +wir dich nie anders gesehen hätten.« -- »Ja freilich,« bemerkte die +Base, die froh war, daß der Bräutigam ihr zu Hülfe kam; »es ist ja kein +Hexenwerk!« -- Die Magd, die unbeachtet in einer Ecke stand, schüttelte +den Kopf und verließ die Stube. Auf der Stiege sagte sie zu sich: »Das +wird nie eine Frau für diesen Mann!« + +Forstner hatte Christine nicht sogleich anstrengen wollen und sie +bisher nur besucht, um sie zu grüßen und zu unterhalten. Allein die +Zeit war kostbar, und endlich mußte mit der Erziehung, die er ihr +zudachte, vorgeschritten werden. Nachdem auch die Base sich entfernt, +setzte sich das Paar auf einem kleinen Kanape zusammen und der Verlobte +entwickelte ihr den Plan, nach welchem sie die fehlende Bildung +nachholen sollte. Da er unter Tags in der Schule und mit Privatstunden +beschäftigt war, so wollte er wo möglich jeden Abend zu ihr kommen und +sie unterrichten. Sie sollte Lesen, Schreiben und Rechnen nachüben und +sich der Orthographie und der hochdeutschen Aussprache befleißigen. +Geographie und Geschichte konnten ihr nicht erlassen werden; denn +der Frau eines Lehrers mußte wenigstens bis zu einem gewissen Grade +bekannt sein, was es mit der Erde für eine Bewandtniß habe und wie +es dem Menschengeschlecht bis jetzt darauf ergangen sei. Wie leicht +konnte in Gesellschaft die Rede darauf kommen und sie ihn, wenn +sie aus Unwissenheit fragte oder gar mitreden wollte, in peinliche +Verlegenheit bringen! -- Dann mußte sie gute Bücher lesen lernen, die +Geist und Herz veredeln und Stoff bieten zu geselliger Unterhaltung. -- +War sie nicht jung und hatte sie ihm nicht schon Beweise gegeben von +offenbarem Verstande? Wenn er sie nur erst eingeführt in den Garten des +Wissens, dann sollte sie schon Geschmack daran finden und selber darin +herumwandeln und an Blüthen und Früchten sich ergötzen. -- Als er ihr +das alles auseinander setzte, gerieth er in einen Eifer des Lehrers und +malte ihr die künftigen Herrlichkeiten so schön vor, als ob sie schon +da wären. Die gute Christine aber dachte: »Gott, wie wird das alles in +meinen Kopf gehen!« + +Forstner stand auf, Abschied zu nehmen. Als er die Verlobte in dem +langen Kleid nochmal betrachtete (den Hut hatte sie glücklicherweise +schon abgelegt), konnte er doch nicht umhin, auf's neue bedenklich +zu werden. Der Anzug kleidete sie gar zu wenig! Die Gestalt war von +städtischer Zierlichkeit gar zu weit entfernt! und es drängte sich +ihm das Gefühl auf, daß Christine doch wohl nie eine feine Frau +werden möchte. Die Zufriedenheit, ja alle Munterkeit war aus seinen +Mienen gewichen; er sah ernst und befangen für sich hin. Christine +errieth oder ahnte seine Gedanken und stand halb niedergedrückt, halb +empfindlich vor ihm, den Blick zu Boden gesenkt. Es war einer von jenen +schlimmen Augenblicken, wo man die Empfindungen, die man schweigend +verbergen wollte, in ihrer ganzen fatalen Realität sich gegenseitig aus +der Seele liest. Endlich nahm sich Forstner zusammen; er gab ihr die +Hand, sah sie freundlich, wo nicht zärtlich an und drückte einen Kuß +auf ihre Lippen, die auch in der gegenwärtigen ungünstigen Situation +ihren Reiz nicht verloren hatten. Das Mädchen wurde roth und die Freude +glänzte wieder aus ihr; sie blickte ihn so schön und lieb an, wie nur +jemals früher in ländlicher Unbefangenheit. Ihres Anblicks froh empfahl +er ihr noch zwei Bücher, die er mitgebracht hatte, als unterhaltend zum +ersten Leseversuch, und verabschiedete sich. + +Das Leben des Mädchens hatte bald in jeder Beziehung seine Ordnung und +Methode. Einen Theil des Tages verbrachte sie bei der Base und half ihr +kochen und sonstige Hausarbeit verrichten. In der Kochkunst viel zu +lernen war bei Frau Kahl nicht die Gelegenheit; denn die Speisen, die +sie bereitete, waren sehr einfach und eine große Abwechslung fand nicht +statt. Auch wollte Christine finden, daß die städtische Kost, obwohl +öfter Fleisch auf den Tisch kam, als bei ihr zu Hause, doch nicht so +nahrhaft und wohlschmeckend sei und namentlich zu viel an Butter und +Schmalz gespart würde. -- Eine oder zwei Stunden täglich wurden von +weiblicher Arbeit in Anspruch genommen. Hier sollte sich das Dorfkind, +die in ihrer Weise ganz gut nähen und stricken, sogar ein wenig +schneidern konnte, die feineren Künste zu eigen machen, und zwar unter +der Leitung einer Verwandten des Vetters Kahl, die sich erboten hatte, +sich ihrer anzunehmen und sie so weit zu bringen, als es bei einer +Person, die unter Bauersleuten aufgewachsen sei, eben ginge. Diese +Verwandte führte den romantischen Namen Adelheid, hatte aber trotzdem +keinen Mann bekommen, und schuf sich dafür einen geistigen Ersatz +in Geltendmachung ihrer Ueberlegenheit und in stolzem Verziehen der +Oberlippe, die im Verlauf der Zeit einen Ausdruck männlicher Autorität +gewonnen hatte und auch mit einem entsprechenden Fläumchen geziert war. +Daß diese Stunden für Christine nicht die angenehmsten waren, erräth +man; allein sie mußte die Unterweisung, die Mamsell Adelheid ihr bot, +doch mit Dank aufnehmen und durch Fleiß, durch Aufmerksamkeit und +namentlich auch durch Bescheidenheit zu verdienen suchen. Was an Zeit +noch übrig blieb, war auf Erledigung der Aufgaben zu verwenden, die +Forstner ihr gegeben hatte. + +Dieser begann seinen Unterricht mit der praktischen Klugheit, die +uns an ihm nicht unbekannt ist. Die ersten Stunden wurden mehr mit +Unterhaltung ausgefüllt; das Verfahren war darauf berechnet, das +Mädchen zu erheitern und ihre Neu- und Wißbegierde zu reizen. Nach +und nach mußten die Zügel freilich straffer angezogen werden. Die +Wißbegierde wollte sich eben in Christine keineswegs in der Stärke +einfinden, die der Verlobte wünschen mußte. Das gute Mädchen hatte mehr +einen Hang, sich mit dem, was sie wußte, zu begnügen, als einen Drang, +den Schatz ihrer Kenntnisse zu vermehren. Sie konnte nicht einsehen, +was es z. B. nütze zu wissen, daß die Hauptstadt von Preußen Berlin +heiße, und zu was es gut sei, mehr alte Römer kennen zu lernen, als +den Landpfleger Pontius Pilatus. Sie war daher manchmal zerstreut, +dachte an andere, ihr näher liegende Gegenstände, und hatte, was der +Lehrer ihr mit lebhaftem Eifer gesagt, öfters gar nicht gehört, viel +weniger verstanden. Sie offenbarte ein eigenthümliches Talent, das +was sie schon gelernt, mindestens nachgesprochen hatte, wieder zu +vergessen, und bei Dingen, die er als bekannt voraussetzen zu können +glaubte, dreinzusehen, als ob sie nie eine Sylbe davon gehört hätte. +Daß nun auch der Lehrer ärgerlich wurde, und daß es ihn zuweilen sehr +hart ankam, in den Grenzen der Höflichkeit zu bleiben, begreift sich. +Eine Zeitlang nahm er sich zusammen, und wenn er hitzig wurde und die +Verlobte einigermaßen verletzt schien, legte er als Balsam gleich +wieder sanfte Worte auf. Rief er einmal strafend: »Wie ungeschickt!« +oder: »Das hast du ja schon gewußt! -- wo sind denn deine Gedanken?« +-- und erröthete sie dann und sah gedemüthigt zu Boden, dann tröstete +er sie: es komme nur darauf an, die ersten Schwierigkeiten zu besiegen +und mehr Freude an der Sache zu finden; sie solle nur den Muth nicht +verlieren, und dergleichen. Wie nun aber diese Freude sich nicht +einstellte und die alten Fehler wiederkehrten, fand er's doch für +gerathen, bei den strafenden Worten zu bleiben und ihr aus einem +Schamgefühl nicht herauszuhelfen, das so wohl verdient schien. Es +entfuhren ihm nun zuweilen Ausrufungen wie: »Gott, was ist das für ein +Kopf!« oder: »das ist ja zum Verzweifeln!« -- und er versetzte damit +dem Selbstgefühl des Mädchens einen Schlag, der um so weher that, als +er früher ja ganz anders gesprochen hatte. -- Nach solchen Aeußerungen +mußte er freilich wieder einlenken; aber er that es nicht mehr in +sanften Worten, sondern erklärte, es thue ihm leid, so zu reden, aber +es sei seine Pflicht, die Sache mit mehr Ernst und Strenge anzugreifen, +da sie mit ihrer Langsamkeit und Zerstreuung sonst zu nichts kommen +würde. Was er thue, geschehe zu ihrem Besten und nur aus Liebe. + +Das mochte alles ganz wahr sein, aber auf Christine konnte es keinen +erfreulichen Eindruck machen. Wenn Forstner als Liebhaber im ihre Stube +trat, sah sie diesen gar bald durch den Lehrer beeinträchtigt; nach und +nach wurde er ganz zum Hofmeister, und sie konnte von Glück sagen, wenn +der Liebhaber wenigstens beim Abschied wieder zum Vorschein kam. + +Die Gute mußte endlich einsehen, daß sie wieder ganz zum Schulkinde +geworden war und die Leiden eines solchen zu erdulden hatte, ohne den +frohen und leichten Jugendmuth zu besitzen, der alles Unangenehme +schnell wieder abwirft. Sie war gehofmeistert von Mamsell Adelheid, +gehofmeistert von ihrem Bräutigam, und oft schien es ihr, als wäre +dieser schlimmer wie jene. Das Fatale dabei war: sie konnte die Bande, +wie schwer sie auf ihr lasteten, nicht abwerfen, nicht einmal an +ihnen rütteln; sie mußte das Joch tragen und damit weiter gehen. -- +Erholung und Unterhaltung war ihr wenig geboten; denn außer den uns +bekannten Persönlichkeiten hatte sie keinen Umgang, da sie ja durch +diese zu weiterem erst befähigt werden sollte. Wenn sie sich nun an +einem grauen, kalten Tag in ihrer Stube mit ihren Aufgaben beschäftigen +wollte, aber durchaus keine Lust dazu verspürte und Buch und Papier +weglegte, um für sich hinzustarren, dann begann es ihr endlich »and zu +thun« nach der Heimath, und dieses Gefühl wurde stärker und stärker. +Sie kam sich recht einsam, recht verlassen vor und hatte zuletzt +eine Anwandlung von der Empfindung, die man im Ries mit dem Worte +»verzwazeln« (verzweifeln, vergehen) bezeichnet. Aber sie durfte von +diesem eigenen Leide niemand etwas sagen. Auch der Mutter mußte sie +schreiben, daß es ihr wohl gehe, und daß sie gern hier sei. + +Endlich kam ein Tag, der wohl zu der Hoffnung berechtigen konnte, daß +er ihr Freude bringen und wieder Muth und Zuversicht einflößen werde. +Der städtische Sonntagsanzug, den man bald nach ihrer Ankunft für +sie bestellt hatte, war fertig geworden. Man hatte nichts gespart, +ihn so hübsch und glänzend herzustellen, als es bei ihr nur immer +anging. Alles hatte seinen Rath dazu gegeben und das Kleid war von den +geschicktesten Händen gefertigt, die man in der Stadt finden konnte. +Frau Kahl, der es eine Ehrensache geworden war, das Dorfbäschen in eine +Städterin umzuwandeln, hatte sich am eifrigsten dabei umgethan; sie +hoffte besonders auch eine gute Wirkung auf das Gemüth der Verwandten, +an der sie ein scheueres und gedrückteres Wesen zu ihrem großen +Bedauern wahrgenommen hatte. Kleider machen Leute, das ist ein gutes +altes Sprichwort, und mit einem feineren Anzug pflegt in gar viele +Menschen auch ein höherer Geist zu fahren. Sollte sich das nicht auch +an Christine bewähren? -- Als diese an dem festlichen Morgen unter +Beihülfe der Base und der Mamsell Adelheid fertig geworden war und +dastand im dunkeln Merinokleid, seidenem Halstuch, sammtnem Hut und +glänzend gewichsten Schuhen, wurde sie von den Richterinnen ernst und +aufmerksam geprüft. Beide gingen hin und her und betrachteten sie von +allen Seiten. Seltsames Mißgeschick! Die Erscheinungen beim ersten +Probiren des Alltagskleides wiederholten sich. Die Stoffe thaten ihre +Wirkung, die Gestalt war aber durch sie um nichts feiner und zierlicher +geworden, sie schien allen Verwandlungsversuchen widerstehen zu wollen. +»'S ist eben eine maskirte Bäurin,« dachte Mamsell Adelheid, und die +Base wußte gar nicht, was sie denken sollte. + +Am ungefügigsten erwiesen sich zuletzt noch die Hände des Landmädchens. +Daß die Bauernarbeit, wie jede andere, die gleiche Anstrengung mit +sich führt, die Glieder mächtiger und stärker entwickelt, weiß jeder. +Ein Dorfkind bringt in der Regel die Anlage zu tüchtigen Fingern schon +von den Eltern mit, und die Ausbildung wird durch Rechen, Sichel und +Dreschflegel entsprechend gefördert. Die Haut wird auf der einen Seite +hart, auf der andern erhält sie eine röthlich bräunliche Färbung, und +die Dorfhand ist fertig. In ihrer Heimath wird sie so gerade geschätzt; +sie deutet auf Arbeit und Arbeitsfähigkeit -- die Ehre der Landleute +-- und paßt zum ländlichen Anzug. Ein schönes Mädchen weiß damit zu +schmeicheln, so gut wie eine Städterin mit ihren zierlichen Fingern, +und der Druck der Liebe soll unter dieser Voraussetzung um nichts +weniger süß und angenehm sein. Aber alles hat in der Welt seinen +natürlichen Platz, und wenn es diesen verläßt, wird das Passende +unpassend. Die Hände unserer Christine gehörten auf dem Dorf noch +nicht zu den stärksten; in der Stadt und für den städtischen Anzug +erschienen sie nun doch viel zu entwickelt, und dieß stellte sich +auf's klarste heraus, als die neugekauften Handschuhe darüber gezogen +werden sollten. Sie erwiesen sich zu klein und drohten zu platzen; +man mußte in den Laden schicken und Männerhandschuhe der größten Art +bringen lassen. Diese reichten endlich zu; aber den Händen, die mit +ihnen bedeckt waren, Beifall zu spenden, das war auch der wohlmeinenden +Richterin eine Sache der Unmöglichkeit. + +Nach erneuerter Prüfung gewann es Frau Kahl zuletzt über sich, das +Bäschen mit Anerkennung aufzumuntern und zu bemerken, das Kleid stehe +ihr diesmal schon viel besser und sie könne sich sehr wohl damit sehen +lassen. Mamsell Adelheid schwieg; sie konnte eine gewisse Schadenfreude +in ihrem gelblichen und scharfen Antlitz nicht unterdrücken und sagte +zuletzt, für den Anfang sei es gut genug; man dürfe von einem Mädchen, +die im Dorf groß geworden sei, gar nicht verlangen, daß sie ein solches +Gewand gleich zu tragen verstehe, wie sich's gehöre. -- Christine, +durch alles das betroffen und irre gemacht, besah sich im Spiegel, +prüfte sich hin und her, und gefiel sich selbst nicht. Sie gehörte +nicht zu den Einfältigen, das gute Dorfkind, und ließ sich nicht von +den prächtigen Stoffen blenden; sie hatte ein Augenmaß und überzeugte +sich, daß ihr der ganze Kram nicht zu Gesichte stehe. Ihre Freude -- +denn sie hatte sich doch auf die schönen Sachen gefreut -- war zu +Wasser geworden. + +Eben hatte die Base wieder eine ermuthigende Bemerkung angefangen, +als der Verlobte in die Stube trat -- diesmal nicht zufällig. Es +war verabredet, daß er die Braut besuchen und sie mit Frau Kahl in +die Kirche führen solle. An der Thüre stehend und nur den schönen +neuen Anzug im Auge, stieß er ein fröhliches »Ah, wie schön!« aus. +Als er näher trat und die Geputzte genauer betrachtete, wurde er +ernst und ernster, und es war ihm unmöglich, in dem begonnenen Tone +fortzufahren. Die Hände waren ihm nie so groß vorgekommen als in den +feinen Handschuhen; aus dem Gesicht im Sammthut schien aller Geist, +alle Anmuth geflohen zu sein. Die Eitelkeit des jungen Mannes, der +sich eine Frau wünschte, mit der er prunken konnte, war erschreckt und +sah den unerfreulichen Thatbestand noch dazu mit übertreibenden Augen. +Christine sagte sich augenblicklich: »Ich gefall' ihm wieder nicht, +gar nicht -- und das ist kein Wunder!« Als der Verlobte sich endlich +mit Anstrengung zusammennahm und seine Verlegenheit hinter Worte des +Lobes und der Bewunderung verbergen wollte, die ihm aber durchaus nicht +von Herzen gingen und auf dem Gesicht der Mamsell Adelheid nur ein +boshaftes Lächeln hervorriefen, da hatte das gute Kind eine wahrhaft +peinliche Empfindung. Sie versetzte mit dem Ernst der Ehrlichkeit: er +möge sie doch mit solchen Reden verschonen, sie wisse recht gut, daß +ihr dieses Kleid nicht anstehe und immer noch das Bauernmädchen aus ihm +herausschaue. Aber das sei nun einmal so, und sie könnte sich nicht +anders machen, als sie wäre. + +Sehr verstimmt trat man den Weg zur Kirche an. Als in der Hauptstraße +ein Herr und zwei Frauenzimmer daher kamen, die den Lehrer grüßten +und auf Christine blickend, heitere Mienen zeigten, war es ihm, als +ob er auf Nadeln ginge. Er wurde schamroth wie ein Mädchen, dankte +hastig, ging rascher und verabschiedete sich vor dem Kirchenthore +von Christine mit dem Gefühl wahrer Erleichterung. Für sie hatte die +niederdrückende Erfahrung, die der eilige Abschied des Bräutigams noch +vervollständigte, das Gute, das sie im Gotteshause Trost suchte und +der Predigt, die ihrer Lage entsprach und an sie gerichtet schien, von +Anfang bis zu Ende folgte. Es war dies das erste Mal in ihrem Leben; +aber Noth lehrt beten und öffnet das Verständniß für Aussprüche, die +früher nur als leere Klänge am Ohr vorüberzogen. Ihre Anstrengung +belohnte sich auch, sie kam getrösteter und ruhiger nach Hause. + +Indem ich das Verhalten und die Schicksale Christinens der Wahrheit +gemäß schildere, bin ich weit entfernt, eine Theorie aufstellen +und etwa lehren zu wollen, ein Dorfmädchen passe in die Stadt und +für einen Städter überhaupt nicht, die geborne Bäuerin könne nur +mit einem Bauer glücklich sein und die Verpflanzung in eine höhere +Schichte der Gesellschaft niemals gelingen. Das wäre falsch und würde +namentlich auch im Ries durch gelungene Versuche widerlegt. Es kommt +hier, wie sich von selber versteht, auf den Geist und das Naturell +des Mädchens an. Ist diese begabt, strebsam und sehnt sie sich höher +hinauf, so wird sie als Braut und als Frau eines gebildeten Mannes +gar bald die Kultur annehmen, die von ihr gefordert werden kann; +denn eine Pariserin braucht sie ja in einer deutschen Kleinstadt +nicht zu werden. Sie wird das verhältnißmäßige Hochdeutsch lernen, +womit man im der städtischen Unterhaltung durchkommt; Begrüßungen und +höfliche Redensarten werden ihr bald geläufig vom Munde gehen; sie +wird Kenntnisse sammeln und in Gesellschaft mehr oder weniger ein Wort +mitreden können. Was die französische Kleidung betrifft, so wird eben +dieser Punkt am leichtesten erledigt sein. In dem strebenden Mädchen +regt sich der feinere Putztrieb von selbst, das neue Gewand, das Symbol +höheren Standes, wird mit freudiger Begierde angelegt, mit Selbstgefühl +getragen, und Lust und Liebe und angeborenes Geschick führen bald zu +der Herrschaft darüber, die sich in leichter und angenehmer Bewegung +ausspricht. Die Hände, wenn sie nicht schon von Natur feiner waren und +der Einwirkung der Arbeit widerstanden haben, werden zarter und feiner +mit der Zeit, und das Wagniß ist gelungen. Kommt es ja doch in der +Ehe und in einem Haushalt viel mehr auf Angebornes als auf äußerlich +Gelerntes an! Der natürliche helle Verstand findet sich darin viel +eher und besser zurecht als der trägere Geist, dem allerlei Wissen +beigebracht wurde, und wenn zuletzt auch einzelne Züge immer noch das +geborene Landmädchen verriethen, so könnten sie bei dem Vorhandensein +der erforderlichen reellen Eigenschaften doch zu nichts weiter als zu +scherzhaften kleinen Neckereien führen. + +Ich möchte behaupten, daß eine solche Entwicklung bei Dorfkindern, die +von der Natur nicht stiefmütterlich behandelt sind und von Städtern +geehlicht werden, Regel ist. Die meisten werden, von dem Reiz geleitet, +den das Neue und Höhere auf ihr Gemüth übt, sich in die Verhältnisse +schicken, ihrem Stande Ehre zu machen sich bemühen und in ihrem Eifer +das vorgesteckte Ziel erreichen. + +Unsere Christine gehörte aber nicht zu den Strebenden. Sie war für das +Dorf geboren und nur hier konnte sie wahrhaft glücklich werden. Auf +ihre Phantasie wirkte mehr der Reiz des Hergebrachten als des Neuen, +mehr die Poesie des Eigenen als des Andern. In dem Kreise des Dorfes +selber fortzuschreiten, aus einer Söldnerstochter eine angesehene +Bäuerin zu werden, das war ihr Ehrgeiz, ihr erster und schönster Traum +gewesen. Bei Forstner war es mehr die hübsche und einschmeichelnde +Persönlichkeit, die sie bestrickte, als der Lehrer und »Herr«; und +wenn der Gedanke ihr angenehm war, Frau Lehrerin zu werden, so war es +eben nur unter der Voraussetzung, daß sie es auf dem Dorf, ja in ihrem +Geburtsort würde und damit in ihrer Art zu der Höhe der ersten Frauen +darin hinaufrückte. Der Titel einer städtischen Frau Oberlehrerin +blendete sie nur mit flüchtigem Reiz, mit einem Schein, der bei näherer +Betrachtung nicht Stand halten konnte. Ihr angeborener Trieb führte die +Seele wieder und wieder zum Dorfe, zur Stätte des Jugendglücks, zur +Heimlichkeit der Heimath zurück. + +Christine liebte die Rieser Tracht, fand sie schön und zierend, und +sie hatte alle Ursache dazu, denn ihr stand sie vortrefflich. Sie +hatte etwas von der Gesinnung in sich, die ehedem verbreiteter war +als jetzt, aber sich gewiß noch nicht ganz verloren hat; ich meine +die Gesinnung, in welcher der Bauer seinen Stand eigentlich für den +ehrenvollsten, seine Kleidung für die schönste hält, und die Herren +und Herrenfrauen, die in der Stadt leben und französische Kleider +tragen müssen, nicht nur für weniger begünstigt ansehen, sondern +geradezu bedauern kann. Schreiber dieses erinnert sich, in seiner +Jugend von wohlhäbigen Landmädchen mehrfach spöttische Bemerkungen über +Städterinnen gehört zu haben, die nur dem Stande und Gewande galten +und mit behaglicher Sicherheit, ohne alle Bosheit abgegeben wurden. +»So eine Langrockete,« hieß es von dem Stiefkinde der Verhältnisse, +das mit dem Flecken reizloser und unsolider Tracht behaftet war. Eine +geborene Wallersteinerin, Tochter eines angesehenen Bürgers und von +mütterlicher Seite mit einer jungen Bäuerin verwandt, besuchte diese +einmal zur Kirchweih und gewann in fröhlichem Gespräch bald ihr Herz. +Die Bäuerin freute sich ihrer und sagte endlich: »Du bist a brav's und +a lieb's Mädle -- wann d'nor oh (auch) andere Kloeder a'hättst!« -- +»Warum das?« fragte die Wallersteinerin. Und sie erhielt zur Antwort: +»'s ist halt nex mit dem Häs (Kleidung) doh, und wo ma' he'kommt, ist +ma' halt veracht!« -- Diese Aeußerung kam dem heitern Mädchen sehr +ergötzlich vor, und noch als ältere Frau pflegte sie die Anekdote zur +Charakteristik des Rieser Landvolks und zur Belustigung städtischer +Hörer zu erzählen. Allein die Gesinnung, aus der solche Aeußerungen +hervorgehen, ist doch eine höchst respektable Quelle von Glück in der +Welt. Es ist der frohe Glaube an den Werth dessen, was man hat und ist, +das Erfülltsein von Liebe zu der hergebrachten Art und Sitte -- der +Grund der Zufriedenheit und Beständigkeit im Leben. + +In Christine lebte etwas von diesem Glauben und dieser Liebe und trat +in den gegenwärtigen Verhältnissen, die freilich nicht darnach angethan +waren, mit ihren Erinnerungen in die Schranken zu treten, zuweilen +mit größter Stärke hervor. Doch sie durfte sich dem Zug nach dieser +Seite nicht hingeben, sie mußte ihn bekämpfen, mußte streben und +lernen, mußte sich bemühen, eine andere zu werden und städtische Sitten +liebzugewinnen. + +Die Erziehung eines Mädchens wie Christine und ihre Angewöhnung in der +Stadt, sollte man glauben, hätte unter den geschilderten Umständen +dennoch, wenn auch langsam, fortschreiten müssen, da es ja doch +immer der Bräutigam war, der die Braut erzog, und die Liebe, die +beide zusammengeführt hatte, zuweilen allerdings getrübt, keineswegs +ausgelöscht war. Allerdings; aber die Liebe des Bräutigams und der +Entschluß, die gelobte Treue zu bewahren, hatten nun eben den Vorsatz +gefaßt, gegen den Zögling sich in consequentester Strenge zu beweisen. +Die Zeit verstrich und Christine mußte bis zum Frühjahr wenigstens so +weit gebracht werden, daß sie als Frau seiner nicht ganz unwürdig war. +Er mußte sie zwingen, sich Mühe zu geben und ihren Geist auszubilden. +War dieser entwickelt, dann sollte das übrige schon nachfolgen und +der nöthige Anstand ergab sich von selber. -- Durch diese strenge und +unter Umständen züchtigende Liebe des Bräutigams wurde die Liebe der +Braut auf die schwerste Probe gestellt. Es blieb eben auch nicht bei +dem Ernst, hinter dem eine Liebe regiert, die gut und consequent ist. +Dieser wäre es endlich wohl gelungen, das Ziel zu erreichen und ihre +Bemühungen gekrönt zu sehen; aber Forstner war in einer Gemüthslage, +wo ihm nichts rasch genug ging; er wollte, aufgeregt und ungeduldig, +die Frucht haben, bevor sie reifen konnte, und wiederkehrende Fehler +der Schülerin entrissen ihm nun bei schon angesammeltem Verdruß +Aeußerungen, die er zwar immer noch für wohlverdient hielt, Christine +aber nur als wahre Beleidigungen aufnehmen konnte. Es gab Auftritte +zwischen dem Liebespaar, und Stunden, ja Tage des Trutzens. Versöhnte +man sich wieder und that man das Gelübde, sich nie, nie wieder zu +kränken, so war dem Frieden die Dauer so wenig verbürgt, wie andern, +die auch auf ewige Zeiten abgeschlossen werden. -- Gegen die ernsten +Mahnungen Forstners konnte und wollte Christine nichts einwenden. Sie +faßte den Entschluß, sich Mühe zu geben, und sie gab sich Mühe; aber +Lust und Liebe zur Sache konnte sie sich nicht geben, und unter den +geschilderten Umständen konnten diese auch nicht in ihr keimen und +wachsen. Alles, was gegen die Natur verlangt wird, alles, was vor +der Zeit fertig sein soll, gewinnt aber in der Seele den Charakter +einer unerträglichen Last. Es wächst ein Widerwille dagegen, der zum +Abscheu werden kann; und wenn man die verhaßte Pflicht nun doch nicht +zurückzuweisen sich getraut, vielmehr die Nöthigung erkennt sie zu +erfüllen, koste es was es wolle, dann können sich im Herzen Elemente +der Verzweiflung ansammeln, die nothwendig zum Ausbruch kommen müssen. + +Am Abend eines Tages, an dem Forstner nach wieder eingetretener +Spannung nicht erschienen war, saß Christine mit ihren Verwandten +und Mamsell Adelheid bei der frugalen Abendmahlzeit. Sie wurde mit +dem abwesenden Liebhaber geneckt, wie es ihr mißfallen mußte; nicht +aus heiterem und gutem Herzen (ein solches hätte unter den gegebenen +Verhältnissen überhaupt geschwiegen) sondern von Seiten der Base ohne +Laune, aus Langeweile, von Mamsell Adelheid ohne Wohlwollen, aus +Schadenfreude. Sie antwortete zuerst etwas empfindlich, und endlich +verbat sie sich diese Reden ganz. Wie meistens, wenn sie im Ernst +und von Herzen sprach, hatte sie diese Erklärung im Rieser Dialekt +abgegeben, und Adelheid, die sich auf dem einen Felde nicht mehr +genügen durfte, benutzte nun die Aussprache des Dorfmädchens, um +ihr etwas anzuhaben. »Pfui, Christine,« rief sie mit dem geheuchelt +wohlmeinenden Ausdruck, der bekanntlich viel widerlicher ist, als +ehrliche Unhöflichkeit, »pfui, wie bäurisch ist das wieder! Du mußt +dir dieses Rieserischreden abgewöhnen, gutes Mädchen; das geht hier +nicht mehr, du machst dich lächerlich damit, und für die Frau eines +Lehrers paßt es schon gar nicht!« Die Wahrnehmung, daß ihre Worte auf +Christine ihre Wirkung gethan hatten, ermunterten sie fortzufahren, und +sie bemerkte: »Du brauchst nicht ärgerlich zu werden. Wir meinen's gut +mit dir, drum sagen wir dir's, andere lassen dich reden und lachen dich +aus.« + +Das hieß bei dem Rieser Kinde eine der empfindlichsten Stellen +berühren. Sie hatte jene Rüge und Ermahnung von ihrem Bräutigam und +von der Mamsell schon öfters hören müssen. Bei ihm hatte sie's in der +Ordnung gefunden und sich bestrebt, hochdeutsch zu reden. Zunächst +war freilich nur ein Mischmasch herausgekommen, der ihn zuweilen auch +wieder lächeln machte, und wenn sie sich bemühte, rein hochdeutsch zu +reden, dann sprach sie die Worte mit einer Betonung, die ihr nicht +natürlich war und pedantisch klang, so daß Forstner sie zuweilen wieder +bat, sie solle lieber reden, wie sie's gelernt habe. Es war auch eine +fatale Empfindung, sich sagen zu müssen, daß sie ihm nichts zu Dank +machen könne, und die ganze Sache hatte darum etwas Unangenehmes +für sie. Bei der Adelheid war ihr aber der Tadel ihrer Sprache um +so verdrießlicher, als sie ihr eigentlich kein Recht dazu einräumen +konnte, auch darum nicht, weil die Mamsell nicht sowohl hochdeutsch +als fränkisch-deutsch redete. Die Rieserin konnte durchaus nicht +begreifen, wie das fränkische »Na'« (Nein) schöner klingen sollte +als das Rieserische »Noë«, oder worin »Ah« (Auch) hochdeutscher wäre +als »Oh« u. s. w. Sie hatte bemerkt, daß man im Ries gewisse Worte +gerade nach der Schrift aussprach, während man sie im Fränkischen +veränderte, also verschlechterte, daß man z. B. im Ries ganz richtig +»mager« sagte, wo es hier »moger« hieß; und sie sah nun in keiner Art +ein, wie sie die Sprache ihrer Heimath gegen so eine Sprache sollte +schlecht machen lassen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie denn mit der +Resolution des Unwillens alles, was sie auf dem Herzen hatte, und +schloß ihre Erwiederung mit den Worten: »Jedes hat seine Sprach' gern +und glaubt, sie sei besser als die andere, und das ist natürlich. Ihr +sagt, die Rieser sei so breit und hinausgezogen, mir kommt die eure +dagegen öd vor und recht »moger«, und ich mein', ich könnt' in ihr nie +von Herzen reden. Aber darüber will ich nicht streiten. Wenn ich mein +Rieserisch einmal ablegen soll, so will ich doch lieber gleich ein +rechtes Hochdeutsch lernen, sonst will ich beim Rieserischen bleiben. +Denn wenn's auch eine langsamere Sprach' ist wie die eure, so reden's +doch Leute, die ich lieb hab' und die ich hochschätz', und das kann ich +nicht von allen sagen, die ich kenne. Für heut' wünsch' ich Gutnacht!« +-- Sie war aufgestanden und verließ die Stube mit einem Blick der +Geringschätzung auf Mamsell Adelheid. -- »Hoffärtiges Ding!« rief +diese, die sich durch den Vorwurf der Schülerin wegen des Fränkischen +getroffen und durch ihren Abschiedsblick beleidigt fühlte. Aber Vetter +Kahl meinte, sie habe es ihr heute auch arg gemacht, und man könne es +der Christine jetzt nicht übel nehmen, wenn sie nicht bei guter Laune +sei. -- »Ja freilich,« setzte die Frau hinzu und nickte bedenklich. + +Christine ging in ihre Stube hinauf, zündete ein Talglicht an, setzte +sich an den Tisch und versuchte in einem Buche zu lesen, das ihr +Forstner als unterhaltend empfohlen hatte. Bald legte sie's weg. Wie +sollte sie sich für die geschriebenen Sachen interessiren, während ihr +Herz so voll und so aufgeregt war von Unmuth und Sorge! Schweigend, +die Arme auf die Lehne des alten Stuhls gelegt, sah sie auf den Boden +und verharrte in formlosem Gedankenspiel eine Zeitlang in dieser +Stellung. Es fröstelte sie; aber sie wollt' es nicht anders haben und +rührte sich nicht. Wie traurig und öde war es in dieser Stadt! -- wie +unheimlich war es in der Stube, die eigentlich nie recht warm gemacht +werden konnte! Ihre Phantasie ging in die Heimath zurück, sie stellte +sich das Dorf und die Stube ihrer Mutter vor, und alles Liebe und +Heimliche baute sich nach und nach vor ihr auf. -- Wie schön war es +dort -- auch im Winter! die Stube so warm den ganzen Tag, weil man im +Rohr des eisernen Ofens kochte und das Holz nicht sparte. Welch ein +angenehmer Geruch, wenn am Sonntag ein paar Tauben gebraten wurden +oder ein frisches Stück Fleisch vom selbstgeschlachteten Schwein. Wie +heimlich war es des Abends, wenn sie mit ihrer Mutter spann und mit ihr +und dem braven Hans einen Rath hielt oder »ihren Gedanken Audienz gab« +und die runde Hauskatze hinter dem Ofen dazu »durnte!« Wie traulich +war es, wenn ein paar Freundinnen mit dem Rocken kamen, wenn man mit +einander schwatzte und lachte, und nicht eines besser zu reden glaubte +als das andere, und nicht eines das andere mit seiner Sprach' aufzog. +Dort waren die Leute gut, und auch die schlimmen hatten etwas an sich, +was man gern haben mußte. Es war eben dort alles lustiger, und auch die +schlimmen meinten's nicht so bös; und so hochmüthige gelbe Gesichter, +wie die Adelheid eines hatte, gab es dort gar nicht. + +Indem die Träumende von diesen Vorstellungen aufsah und sich in ihrem +düster erhellten, todtenstillen Zimmer erblickte, hatte sie das Gefühl +eines verlorenen Paradieses. Dort war alles so gut und so schön, dort +konnte sie glücklich werden. Hier hatte sie keine einzige Gespielin, +keine einzige vertraute Seele! Hier war sie verachtet und verspottet, +sie, die in ihrem Dorfe geehrt und gepriesen war. Hier wurde sie +mißhandelt! Und er, der ihr Trost und ihre Stütze sein sollte, er, +der ihr ewige Liebe geschworen hatte, wurde mit jedem Tage härter und +liebloser gegen sie! Er hatte keine Geduld mit ihr, er »kappte sie +herab,« er beschimpfte sie, er schämte sich ihrer! Das mußte ~sie~ +erleben! -- und das mußte sie von ~ihm~ erleben! Und wenn er nun +schon als Bräutigam so gegen sie handelte, was hatte sie zu erwarten, +wenn er ihr Mann war und ihr Herr? Welchen Ehestand sollte das geben? + +Der Gedanke, daß sie das Unrechte gewählt habe, daß ein unglückliches, +verfehltes Leben ihrer warte, und daß sie selber daran Schuld sei, +begann den Geist des Mädchens zu überwältigen. In ihrem Herzen fing ein +Zittern und Beben an, das sich über den ganzen Körper verbreitete, das +nicht mehr zurückgedrängt werden konnte und nicht mehr enden zu können +schien. Der Sturm der Verzweiflung war über ihre Seele gekommen. Wenn +dieser einmal im Innern zu sausen und zu brausen beginnt, dann helfen +keine Einreden des Verstandes mehr. Alle Gründe, die dagegen sprechen +sollen, fallen kraftlos zu Boden, das Toben der Angst geht weiter mit +der Gewalt eines übermächtig gewordenen Feuerbrandes, man hat nur noch +Ein Gefühl und Ein Wort: Verloren! verloren! + +Christine konnte nicht mehr glauben und nicht mehr hoffen. Es war ihr, +als ob sie auf und davon müßte; aber wohin sollte sie? Sie konnte +nicht fort, sie mußte bleiben und alles erdulden, was ihr auferlegt +war. Sie hatte ein Gefühl, als wenn sie in einen Brunnen gefallen +wäre und nicht mehr heraus, ja nicht einmal um Hülfe rufen könnte. +Welch eine Noth! -- welche Bangigkeit! Und hätte sie nur weinen und +Erleichterung finden können in Thränen! Aber in solchem Zustande des +Herzens kann auch das Weib nicht weinen; nur leiden kann es, leiden und +beben, wie das Lamm in den Klauen des Raubthiers. + +Endlich erhob sich die Unglückliche mit entschlossener Anstrengung. Sie +legte sich nieder, ob ihr vielleicht der Schlaf ein Erlöser würde; aber +die empörten Wogen der Seele ließen sie nicht schlafen. Sie verbrachte +die schwerste, peinvollste Nacht ihres Lebens und sank endlich nur aus +Mattigkeit in einen unruhevollen Schlummer. + + + V. + +Die Verzweiflung, von der eine leidende, gedrückte Seele befallen +wird, trägt oft am meisten zu ihrer Wiederauflebung und Stärkung bei, +wenn die Verhältnisse, in denen sie lebt, nicht an sich desperat, +sondern von ihr nur so empfunden worden sind. In dem Wirbel der Sinne +übertreibt sie und sieht im schlimmsten Licht; und wenn der Hauptanfall +ausgehalten ist, kann sie diesen Irrthum erkennen, zur Betrachtung der +bessern Seite hingedrängt und dadurch wieder beruhigt werden. Bleibt +noch so manches Unebene zurück, so liegt der Gedanke nahe: ob denn auch +alles so accurat sein müsse, ob denn bei andern alles so accurat sei? +Und sie ermuthigt sich, sie bescheidet sich, sie hofft wieder. + +Ein Sturm, der im Herzen sich erhebt, fegt dieses ohnehin, ich möchte +sagen physisch aus. Er nimmt manchen phantastischen Anspruch, den man +an die Welt und ihr Glück zu haben glaubt, mit sich hinweg und läßt +erkennen, daß man in ihr vielmehr dulden und etwas leisten müsse. »Thu' +was du kannst, in's übrige füge dich!« -- mit diesem Vorsatz tritt man +den Anfechtungen des Lebens entgegen und findet dann auch wieder, daß +es doch nicht so schlimm ist, als man sich's vorgestellt. + +Bei Christine war es aber nicht mit einem Tage abgemacht. An dem +folgenden ging sie körperlich erschöpft, im Innern gebrochen einher +und die Quelle der Verzweiflung strömte ruhiger, aber stetig in ihr +fort. Sie trug alle Merkmale einer qualvoll durchwachten Nacht an sich; +doch war ihr Mund still und ihre Miene ergeben, so daß die Base wahres +Bedauern mit ihr empfand und auch Susanne und Adelheid nicht ganz +ungerührt blieben. Forstner kam auch an diesem Tage nicht. Christine +mußte an das Schlimmste denken; sie that es mit schauerndem Herzen; +aber das Schlimmste war eine Entscheidung und hatte für ihr jetziges +Gefühl auch wieder etwas Beruhigendes. Ermüdet legte sie sich zu Bette +und fand bald das Heilbad des Schlafes. + +Kräftiger stand sie auf und erfreute die Base beim Frühstück durch eine +getröstete Miene. Sie hatten von häuslichen Dingen gesprochen und waren +eben daran, die Arbeiten des Tages zu erwägen, da trat der Verlobte +herein -- mit allen Zeichen der Eile und einem entschiedenen Ausdruck +der Reue, die wieder gut machen will. + +Das ist leicht zu erklären. Die Base hatte gestern in der Nacht noch +Vetter Kahl zu ihm geschickt, und dieser hatte ihn von dem Stande der +Dinge unterrichtet und ihm ins Gewissen geredet. Eindrucksfähig wie er +war, hatte sich Forstner die Worte zu Herzen genommen, sein Gewissen +hatte sich gerührt und ihn zu dem Entschluß gebracht, Christine noch +vor der Schule zu besuchen. + +Er ging auf sie zu, drückte ihr die Hand und entschuldigte sein +Ausbleiben mit unaufschieblichen Arbeiten, die ihn leider abgehalten +hätten, zu ihr zu kommen u. s. w. Christine, durch sein Erscheinen +erfreut, ließ alles gelten, und es kam zu einer vollständigen +Versöhnung. Als sie vom Unterricht zu reden begann, nahm er +Gelegenheit, sich selbst anzuklagen. Er sei offenbar in der letzten +Zeit zu ungeduldig gewesen und habe mehr verlangt, als sie leisten +konnte; er müsse sie wirklich um Verzeihung bitten; aber sein Amt und +die Plage mit seinen Kindern mache ihn eben auch zuweilen verdrießlich +und ungerecht. Das Mädchen entgegnete: daß er mit ihr die Geduld +verloren habe, sei ganz natürlich, sie komme auch gar nicht weiter. +Aber nun solle er sehen, nun werde sie sich recht zusammennehmen, und +es werde gewiß besser gehen. -- Von seiner Seite Geduld, von ihrer +Seite Fleiß und Mühe -- was brauchte es mehr zur Eintracht und zum +Glück? + +Als Forstner in die Schule ging, dachte er: wenn sie auch nicht alles +hält, was ich mir von ihr versprochen habe, so giebt es doch eine gute +Frau. Sie ist fügsam, das ist schon etwas werth. Nach und nach wird +sie auch lernen, was nöthig ist; ich darf nur nicht zu viel von ihr +verlangen. + +Die nun folgenden Unterrichtsstunden gingen bei solcher Stimmung des +Lehrers und der Schülerin ganz wohl vorüber. Es waren zunächst nur +wenige. Die Christfeiertage kamen heran und machten eine Unterbrechung +nöthig. Die Verlobte hatte mit Hülfe der Mamsell Adelheid einen +zierlichen Tabaksbeutel zu Stande gebracht, sie kaufte noch ein schönes +Buch, das der Bräutigam zufällig einmal gewünscht hatte, und machte +somit eine ganz hübsche Bescheerung. Forstner beschenkte sie mit einem +Shawl und einem kleinen galanten Gedicht. In dem Vergnügen dieser Tage +hatte Christine auch Susanne und Adelheid mit Gaben bedacht, welche die +mäßigen Erwartungen derselben übertrafen, und bessere Gesichter dafür +erhalten. Alles ließ sich erfreulicher an, und Christine konnte ein +verspätetes kleines Präsent an die Mutter mit einem Brief absenden, +worin die Versicherung, daß sie recht fröhliche Weihnachten gefeiert +habe, durchaus von Herzen kam. Sie hatte jetzt auch den Muth gefunden, +einer wiederholten Aufforderung der Base nachzukommen und die Mutter +zum Besuch einzuladen; ja sie hatte auf ihre Faust hinzugefügt, daß +sie sich durch Vetter Hans herführen lassen solle. Die Erwartung eines +frohen Wiedersehens trug dazu bei, daß sie das neue Jahr unter heiterem +Austausch von Gratulationen und vertrauensvoll antrat. + +Die Hoffnung auf das Wiedersehen trog sie nicht. Frau Glauning war +neugierig, ihre Christine in der Stadt zu sehen, und da nach Neujahr +eine Masse Schnee fiel, dann kalte, trockene Witterung eintrat, so +riskirte sie's, die Bahn zu benutzen und den Besuch mit Hans in einem +entlehnten Schlitten zu machen. Am heiligen Dreikönigstage saßen alle +unsere Personen bei Herrn Kahl um den Mittagstisch, der lange nicht so +reichlich besetzt gewesen war. Man hatte sich ausgewundert, ausgegrüßt, +ausgelobt und unterhielt ein behagliches Gespräch, das Forstner zu +männiglichem Ergötzen mit seinen besten Einfällen zierte, so daß man +sich endlich auch in dieser Hinsicht gesättigt und vergnügt vom Tisch +erhob. + +In der Laune, die das Mahl in ihr angeregt hatte, nahm die Glauning +ihre Tochter in eine Ecke und sagte: »Hör', Mädchen, du bist doch ein +wenig »schmalbackeder« geworden, seit du hier bist. Man ißt wohl bei +der Base nicht alle Tag' so gut wie heut?« -- Christine lächelte und +sagte: »Ach, liebe Mutter, je weniger ich esse, desto besser ist's! +Denn ich bin für die Stadt noch lange nicht »schmalbacked« genug.« -- +»So, so?« erwiederte die Alte. »Nun, du siehst wenigstens gesund und +vergnügt aus. Aber das kann ich dir nicht verschweigen, recht närrisch +kommst du mir vor in dem Kleid da.« -- »Ist andern auch passirt,« +versetzte Christine. -- »Aber diese haben sich dran gewöhnt, wie's +scheint, und dir wird's auch so gehen.« -- Wie die Mutter hier den +Bräutigam auf sich zukommen sah, fragte sie: »Wie macht sich denn aber +meine Christine in der Lehr', Herr Forstner? Geht's recht vorwärts?« +-- »Jeden Tag,« erwiederte dieser heiter. -- »Verspotte mich nicht,« +rief ihm Christine zu; »ich weiß recht wohl, daß ich einen langsamen +Bauernkopf hab'.« -- »Nein,« fuhr er zur Mutter fort, »in der letzten +Zeit bin ich sehr zufrieden gewesen, und wenn's so fortgeht, wird sie +noch eine ganze Gelehrte werden.« »O Jerum,« rief die Gelobte mit +komischem Ausdruck. Die Alte sah mit Vergnügen auf das Paar, das Arm in +Arm vor ihr stand. + +Vor dem Abschied fand Christine noch Gelegenheit, eine vertrauliche +Zwiesprach mit Hans zu halten. Sie dankte ihm und rühmte ihn wiederholt +wegen seiner Freundschaft und Herzensgüte. Dann fragte sie mit einem +Lächeln, in dem neben wirklicher Theilnahme ein Hauch von Scham nicht +zu verkennen war: »Hast du noch immer keine, Hans? Ist noch keine +Aussicht, daß ich dir auf die Hochzeit gehen kann?« Hans ging auf +die Unterhaltung ein und versetzte nicht ohne Laune: »'S hat sich +noch nicht machen lassen. Gut Ding will Weile haben!« -- »Ja wohl,« +erwiederte sie schon heiterer. »Aber man muß doch auch anfangen. Du +thust dich nicht um!« -- »Kommt drauf an,« entgegnete Hans. »Aber du +weißt ja, ich wart' auf deine Hochzeit.« -- »Da kannst du vielleicht +noch lange warten.« -- »Wie so?« -- »Bis zum Frühjahr sicher, +vielleicht aber auch bis in den Sommer hinein -- ich muß noch gar viel +lernen.« -- »Lernen? Was fehlt dir denn noch?« -- »Ach, Hannesle,« +sagte das Mädchen mit einem humoristischen Seufzer, »noch gar viel! +Das verstehst du nicht.« -- Hans dachte: »Was so ein Schulmeister +doch heutzutag nicht alles verlangt!« Aber er sagte das natürlich +nicht, sondern wünschte dem Bäschen alles Glück und drückte ihr in +freundschaftlicher Theilnahme die Hand. Christine sah, daß er noch +immer etwas auf sie hielt und daß er ihr nichts nachtrug; beides freute +sie. + +Nach diesem letzten festlichen Tag wurde der unterbrochene Unterricht +wieder fortgesetzt. Forstner nahm es zuerst wieder leicht und führte +das Spiel nur sachte zum Ernst hinüber. In der Zwischenzeit hatte aber +Christine von ihrem Talent, Gelerntes zu vergessen, wieder ziemlich +Gebrauch gemacht, so daß Fortschritte nirgends sichtbar werden wollten, +und bald stacken sie wieder in der Prosa des Lebens. Geschmack an +geistiger Beschäftigung, ein Trieb, selber vorwärts zu gehen, etwas zu +thun und zu suchen, wollte sich eben in der Schülerin nicht melden. Sie +lernte nie einsehen, wozu das alles eigentlich gut sein sollte; die +Kopfarbeit blieb ihr beschwerlich und sie konnte darin nicht einmal +eine rechte Arbeit sehen. Neigung, angeborener und anerzogener Respekt +drängte sie zur Arbeit mit der Hand, und nur wenn sie hier etwas fertig +gebracht, glaubte sie wirklich etwas gethan und ihre Pflicht erfüllt zu +haben. + +Forstner überzeugte sich jeden Tag mehr von der Unmöglichkeit, der +Verlobten das beizubringen, was er an Geistescultur von seiner Frau +glaubte fordern zu können. Aber die Wirkung war nun eine andere auf +ihn als früher: er wurde nicht mehr erzürnt -- er entsagte seiner +Hoffnung. Er that es mit Seufzen und tröstete sich mit dem Gedanken, +daß Christine jedenfalls eine gute Hausfrau sein werde. -- Damit war +ein bedeutender Schritt zum Glück des Paares hin gethan; denn das +Glück wird dann erst möglich, wenn man von sich und von andern nur das +fordern lernt, was die einmal gegebene Natur zu leisten im Stande ist, +und sich dabei genügen läßt. -- Aber nun zog ein Wetter, das schon +lange am Horizont gestanden hatte, rasch am Himmel auf und hing bald +drohend über dem Haupte des Dorfmädchens. -- Um dieß zu erklären, muß +ich in der Geschichte um mehrere Monate zurück gehen. + +Jener College Forstners, der sich im Oettinger Kränzchen so eng an +ihn angeschlossen und dessen Betriebsamkeit er hauptsächlich seine +jetzige Stelle verdankte, war bei seinen Bemühungen von wirklicher +Freundschaft zu dem talentvollen, liebenswürdigen jungen Mann +geleitet. Der Eifer, den er zu seinen Gunsten anwandte, beruhte aber +doch nicht ausschließlich auf diesem persönlichen Wohlwollen; er war +zugleich, und zwar nicht minder stark, durch sein eigenes Interesse +getragen. Gustav Dobler (denn er muß jetzt mit seinem Namen in unsere +Erzählung eintreten) hatte zwei Schwestern, die bei ihm, dem noch +unverheiratheten Manne, wohnten. Die jüngere war noch nicht aus der +Schule, die ältere, Wilhelmine, führte seinen Haushalt. Diese befand +sich in den Jahren, wo sich ein vorsichtiges Mädchen schon einige Jahre +um eine Partie umgesehen hat -- sie war in der Mitte der Zwanziger, +dabei schlank, hübsch, gebildet, mit einem Geiste begabt, der gern +das Regiment führte und es liebte sein Licht leuchten zu lassen. +Was war natürlicher, als daß der schon in den Dreißigen stehende +Dobler wünschte ihr einen Mann zu verschaffen? Er konnte dann selbst +heirathen, was bei der Anwesenheit der herrschaftgewohnten Schwester +nicht zu rathen war, und sie hatte für ihr Talent den rechten Boden und +das Glück ihres Lebens gefunden. In Forstner hatte der sorgliche Bruder +gleich den Mann erkannt, der für seine Schwester in jeder Hinsicht +passend war, den liebenswürdigen, begabten, im Hause zu leitenden Mann, +und in dieser Ueberzeugung hatte er gehandelt. + +Das Verhältniß des neuen Freundes zu einem Bauernmädchen seines Dorfes +konnte ihm begreiflicherweise nicht verborgen bleiben. Allein er faßte +es nicht so ernst auf, als es war; er glaubte nicht, daß ein solches +Mädchen dem feinen Mann genügen könne, und nahm an, es sei gut für +beide, wenn die Bekanntschaft rechtzeitig abgebrochen würde. Da nun +in seiner Geburtsstadt eine Stelle vacant wurde, so spannte er alle +Segel auf, die Ernennung Forstners durchzusetzen. War er nur erst hier, +dachte er, so löste sich das Verhältniß mit Christine von selbst, und +das ihm wünschenswerthe knüpfte sich. + +Als Dobler nach der Uebersiedlung des Collegen das erste vertraute +Gespräch mit ihm hatte, mußte er sich freilich überzeugen, daß er sich +getäuscht. Er hatte mit einiger Deutlichkeit auf den Busch geklopft, +hatte von einer Frau gesprochen, die sich der angestellte hübsche junge +Mann unter den schönen Mädchen des Orts auswählen könne, und Forstner +war genöthigt gewesen, ihm zu sagen, daß er ernstlich verlobt sei und +daß er seine Braut hieher berufen habe, um sich im Frühjahr mit ihr +trauen zu lassen. + +Christine kam an, und die Hoffnung des Stadtlehrers, den Freund zu +seinem Schwager zu machen, schien gänzlich gescheitert. Dobler hatte +der Schwester den Phönix unter den Rieser Lehrern schon vor seiner +Ankunft gerühmt, ihr seinen Plan mitgetheilt, und Wilhelmine war sehr +neugierig gewesen, ihn kennen zu lernen. In der That gewann Forstner +auch gleich bei der ersten Zusammenkunft ihren vollen Beifall und +konnte aus ihrem Benehmen wohl schließen, daß unter andern Umständen +eine Bewerbung von seiner Seite hier keine ungünstige Aufnahme gefunden +hätte. Aber seine Treue gegen Christine wurde auch in Gedanken nicht +erschüttert. Wilhelmine hatte offenbare Vorzüge der Gestalt und +der Bildung; aber wie artig sie war und wie zuvorkommend sie ihn +behandelte, so ahnte der junge Mann in ihr doch den herrschenden Geist +und konnte nicht umhin, eine gewisse Scheu vor ihr zu fühlen. Sein Herz +und seine Phantasie hingen an der Verlobten; ihr naturfrisches Bild +erschien ihm unvergleichlich poetischer, als die Eleganz der Städterin; +er blieb bei seiner ersten ernstlichen Neigung und hielt sein Wort. + +Dobler und Wilhelmine bewerkstelligten einen anständigen Rückzug. Sie, +von ihren Vorzügen durchdrungen, konnte nicht alle Hoffnung aufgeben +und freute sich zu hören, daß Forstner seinen Dorfschatz erst noch +bilden wolle, bevor er Hochzeit machte. Ehe so Eine gebildet wurde, +konnte gar manches geschehen. Der sonst so verständige Mann werde +Vergleichungen anstellen und Augen bekommen für den Unterschied +zwischen ihr und einer Bäuerin, und dann werde sich zeigen, wer den +Platz behaupte. Natürlich fühlte sie durch die Zurückhaltung Forstners +auch ihren weiblichen Stolz gekränkt und ihre Ehre herausgefordert. +Das Versagte reizte sie und ihr Wohlgefallen an ihm steigerte sich zum +leidenschaftlichen Wunsch, ihn zu erobern. Sie war indeß klug genug, +ihre Gefühle zu verbergen, zu warten und ihre Zeit zu ersehen. + +Als sie durch Mamsell Adelheid gelegentlich hörte, wie plump Christine +im französischen Kleid aussehe und wie ungeschickt sie sich zu aller +feineren Arbeit anlasse, hatte sie die erste freudige Empfindung. +Eine süße Hoffnung schwellte ihr Herz. »Er wird mir kommen!« rief +sie, als sie allein war, mit der Zuversicht des Stolzes. Und auch +sie rechtfertigte ihren Plan und ihr Verhalten durch die Annahme, es +sei für das Bauernmädchen viel besser, wenn sie wieder in ihr Dorf +zurückginge und das Weib eines Bauern würde. + +Wenn Forstner in ihr Haus kam, zeigten Bruder und Schwester, die sich +mit einander verständigt hatten, nur freundschaftliche Theilnahme an +ihm und seinem Verhältniß. Man erkundigte sich, wie Christine sich in +der Stadt gefalle; man begriff, daß er sie jetzt noch nicht unter die +Leute bringen wolle, man fragte nach ihren Fortschritten u. s. w. Als +der Lehrer, zutraulicher gemacht, sich über die Langsamkeit beklagte, +womit die Schülerin lernte, und über die sonderbaren Antworten, die er +von ihr zuweilen erhalte, tröstete man ihn. Das sei begreiflich, würde +bei jeder andern auch der Fall sein, und er solle darum den Muth nicht +verlieren; zuletzt werde alles auf einmal kommen. War er über Christine +betrübt, ja konnte er einen ernstlichen Unmuth nicht verbergen, dann +ließ man ihn wohl auch reden und hörte mit bedauerndem Antheil zu. Man +bot alle Freundlichkeit und Herzlichkeit auf, ihn zu beruhigen, und +man entfaltete alle geselligen Talente, ihn zu entschädigen. Er sollte +nicht anders können, er sollte sich genöthigt sehen, Vergleichungen +anzustellen, die zu Gunsten der Prätendentin ausfallen mußten. + +Die Folge war, daß Forstner, so oft er Verdruß empfand und Trost +bedurfte, das Haus der Freundschaft aufsuchte. Die Scheu vor Wilhelmine +hatte sich verloren; denn er mußte sich ja überzeugen, daß sie nur +sein Bestes wollte und wahrer Anhänglichkeit fähig war. Der Umgang mit +ihr und Dobler wurde ihm Bedürfniß. + +Er war der Gefährlichen schon sehr nahe gekommen. Er hatte in der That +und wiederholt Vergleichungen angestellt; er hatte sich gesagt, daß +die gebildete Städterin doch in jeder Hinsicht besser für ihn passen +würde -- und das Verhältniß zu Christine war ihm eine Fessel geworden, +die ihn beengte und drückte. Da kam, durch Vetter Kahl eingeleitet, +nach dem letzten Streit mit der Verlobten die Versöhnung; es kamen die +Feiertage und die wechselseitige Beschenkung; es kam der Besuch und das +Mittagsmahl, wo man insgesammt wieder Ein Herz und Eine Seele wurde. + +Als er nun aber in Folge erneuerter vergeblicher Versuche mit Christine +dazu gekommen war, auf ihre Ausbildung, wie er sie sich erst gedacht +hatte, zu resigniren, machte er eine eigene Erfahrung, eine Erfahrung, +die Kennern des menschlichen Herzens nichts neues ist und die, wie er +einmal war, in seine Beziehungen überhaupt eine Veränderung bringen +mußte. Das stärkste Band, das uns an eine werthe Person knüpft, ist +die Hoffnung, sie werde die Herzenswünsche, die wir für sie und für +uns hegen, erfüllen und dem Bild entsprechen, das wir im Geist ihr +vorhalten. Zaudert sie dieß zu thun, und glauben wir uns getäuscht, +dann wird an die Stelle der entflohenen Hoffnung zunächst die +Beschämung, der Unmuth und der erzürnte Vorwurf treten. Aber der Unmuth +ist immer noch ein Band, das uns an die Erkorene fesselt. Immer ist +unser Blick auf sie gerichtet; sie wollen wir strafen, sie wollen wir +bessern, sie wollen wir zwingen, unserem Willen sich zu fügen, und wir +haben kein Auge für andere. Endet aber der Unmuth in Entsagung, dann +droht der Existenz des Verhältnisses selber Gefahr. Wir sind nicht mehr +beschäftigt, weder durch Hoffnung und Freude, noch durch Verdruß und +Schmerz, und es ist Raum geworden für die Gleichgültigkeit. + +Eine ähnliche Erfahrung war es, die unser Lehrer machte. Eben in der +Resignation wurde er frei gegen die Verlobte, seine Augen wurden +aufgethan für die Vorzüge der Freundin, und die Wagschale neigte sich +wieder und viel stärker zu ihren Gunsten. + +Forstner hatte jedoch nur auf Eines resignirt bei Christine: auf +ihre Geistesbildung. Die Hoffnung, daß sie das Benehmen lernen werde, +mit dem sie in der Stadt als seine Frau durchkommen könnte, hatte er +noch nicht aufgegeben. Und wenn seine Neigung zu ihr gesunken war, so +bestand doch noch das Wort, das er ihr gegeben und das er sich nicht +zu brechen getraute. Er faßte sich kurz und entwarf einen andern Plan. +Er wollte nicht zuerst ihren Geist bilden und das feinere Benehmen als +natürliche Folge davon erwarten; er wollte nun praktischer verfahren +und sie in bessere Gesellschaft bringen, damit sie zunächst das +Leichtere lerne. Stellte sie sich am Anfang auch ungeschickt, mit der +Zeit lernte sie doch die nöthigen Formen, und es erfüllte sich ihm +wenigstens Eine Hoffnung. + +Nachdem er dieß beschlossen hatte, war auf die Frage: wohin zuerst? +bald geantwortet. Welches Haus lag ihm zu jenem Zweck näher, als das +seines Collegen? Von wem konnte die Verlobte mehr lernen als von +Wilhelmine? Hatte die Mamsell (in jener Zeit mußte sich auch die +Schwester des Stadtlehrers noch mit diesem Titel begnügen) doch zwei +Jahre bei Verwandten in Nürnberg gelebt und war seit ihrer Zurückkunft +eine Zierde der bürgerlichen »Erheiterung« ihrer Stadt! -- Christine +konnte nun zeigen, ob sie für ihn auch etwas zu thun im Stande sei, und +ob sie sich mindestens das Nothdürftigste anzueignen vermöge. Sie mußte +ihm gehorchen. Ihr alles zu erlassen, ihr alles nachzusehen, das war +nicht von ihm zu verlangen. + +Er fragte bei Dobler an, ob er die Verlobte bringen dürfe, ob er +Mamsell Wilhelmine nicht damit belästige? »Im Gegentheil,« erwiederte +diese, »Sie machen mir die größte Freude.« -- Und das war ganz richtig. +Sie empfand die größte Freude, sich neben dem Dorfmädchen sehen zu +lassen, ihre Ueberlegenheit beweisen und sie vor dem Bräutigam tief in +Schatten stellen zu können. + +Als dieser die Braut aufforderte, mit ihm einen Besuch bei seinem +Collegen zu machen, fand er zuerst entschiedenen Widerstand. Fühlte +sie überhaupt eine Scheu, zu »fremden Leuten« zu gehen, so war ihr der +Gedanke, gerade mit diesen anzufangen, besonders fatal. Wilhelmine +hatte schon von weitem einen unangenehmen Eindruck auf sie gemacht. Sie +hatte von den häufigen Besuchen Forstners in ihrem Hause gehört, und +wenn sie nach den letzten Erfahrungen nicht an seiner Treue zweifelte, +so mußte sie doch in ihr eine Nebenbuhlerin argwöhnen. Der Ruf der +Feinheit und Geschicklichkeit, den die Mamsell sich erworben, flößte +ihr Furcht ein, und sie hatte eine sehr deutliche instinktmäßige Ahnung +von ihrer Gesinnung in Bezug auf sie. Der Verlobte redete ihr aber zu, +er unterstützte seine Gründe mit einer ernsten Willenserklärung; sie +wußte ihm zuletzt nichts mehr zu entgegnen und sagte mit Ergebung: »Nun +meinetwegen!« -- Zu ihrer Einwilligung hatte doch auch die Neugierde +beigetragen, diese Wilhelmine näher kennen zu lernen und den Bräutigam +bei ihr zu sehen. + +An einem Sonntag Abend fand der Besuch statt und verlief ungefähr so, +wie Christine gefürchtet. Wilhelmine war beim Empfang seelenvergnügt, +das Gefühl der Ueberlegenheit strahlte ordentlich aus ihrem Gesicht; +aber sie nahm sich zusammen und milderte es zu einer herablassenden +Freundlichkeit, die freilich für den damit Begnadeten auch gerade +nichts Schmeichelhaftes hat. Christine trat befangen und gezwungen +auf, und der Ausdruck in dem Gesicht der Mamsell, den sie wohl +verstand, machte sie confus. Man setzte sich, und Wilhelmine begann die +Unterhaltung mit allerlei Erkundigungen. Sie fragte das Dorfmädchen +aus, wie man ein Kind ausfragt, und belächelte ähnlich ihre naiv +klingenden Antworten. Christine sah gleich, wie sie mit ihr daran war; +sie erkannte in ihr eine Art Adelheid, die zwar feiner, aber im Grunde +ihres Herzens viel schlimmer sei als die Sticklehrerin. Gewissermaßen +Hülfe suchend richtete sie ihre Augen auf den Verlobten. Dieser stand +ihr auch bei und antwortete für sie; aber er that ihr's viel zu höflich +und versäumte die Gelegenheit, der vornehmen Person bei ihren unnützen +Fragen etwas hinauszugeben. Sie bemerkte überhaupt zwischen beiden +einen vertrauten Ton, der ihr nicht gefallen wollte, und überdieß in +den Reden ihres Bräutigams gegen die Mamsell einen Respekt, der für sie +etwas Kränkendes hatte, weil er im Gespräch mit ihr nicht zum Vorschein +kam. Es wurde ihr sehr unbehaglich zu Muthe und sie war froh, als +Wilhelmine sich zum Klavier setzte und die Unterhaltung, so weit sich +Gelegenheit dazu bot, dem Bruder überließ, der ihre Rolle in milderen +Formen, und wir können sagen auch mit mehr Gutmüthigkeit fortsetzte. +Die Wirthin spielte und sang; sie that beides gut, und Christine +freute sich endlich daran und lobte sie aufrichtig, obwohl die Lieder +selbst ihr nicht so schön vorkamen, wie die, welche man in ihrem Dorfe +sang. Die Musik löste ihre Seele dennoch und sie fing an sich wohler +zu fühlen. Als aber Forstner ein neues Lied der Sängerin beklatschte +und ihren Vortrag mit großer Wärme für ganz vortrefflich erklärte, da +fühlte sie sich wieder getrübt und gedrückt und war durch nichts mehr +zu erheitern. Beim Abschied reichte Wilhelmine der Stadtnovize die Hand +und erklärte mit lächelndem Wohlwollen, es würde ihr sehr angenehm +sein, wenn sie ihr recht oft die Ehre geben wollte. Christine fühlte +den Spott, der sich das Wohlwollen als Maske vorgenommen hatte, sagte +aber doch den schicklichen Dank, und athmete tief auf, als sie mit +Forstner auf der Straße war. + +Auf dem Heimweg fragte sie dieser, wie es ihr gefallen habe. Sie +erwiederte: »Ich muß dir aufrichtig sagen, mir hat's nicht gefallen.« +-- »Und warum nicht?« -- »Ich passe nicht für solche Leute und komme +nur in Verlegenheit bei ihnen.« -- »Das wird sich geben,« bemerkte +der Bräutigam tröstend, »und dann wirst du den Umgang mit gebildeten +Frauenzimmern angenehm finden.« -- »Das mag sein; aber dann müssen die +gebildeten Frauenzimmer besser sein, als diese Wilhelmine.« -- »Wie +so? Ist sie unhöflich gegen dich gewesen?« -- »Das nicht, aber sie hat +gegen mich ein Wesen angenommen, wie eine gnädige Frau, und das ist +sie doch noch lange nicht. Ich hab' auch wohl gemerkt, daß sie mich +ausgelacht hat.« -- »Warum nicht gar!« rief Forstner dagegen. »Nun ja, +ein paar von deinen Antworten sind freilich von der Art gewesen, daß so +Eine sie curios finden mußte. Aber das muß man sich gefallen lassen, +sonst lernt man nichts. Und wenn sie lacht, so lache du wieder!« -- +»Das kann ich nicht,« erwiederte Christine. »Ich seh' schon, bei der da +wird's mir nie wohl zu Muthe werden.« -- Forstner kam in Eifer. »Das +ist wieder kindisch!« rief er mit strafendem Ton. »Ich sage dir, gerade +die ist das Muster, das du vor Augen haben mußt, wenn du das rechte +Benehmen lernen sollst! Du mußt zu ihr gehen, und wenn es dir zehnmal +nicht wohl bei ihr zu Muthe wird. Umsonst hat man nichts in dieser Welt +und ohne Mühe und Anstrengung kommt niemand vorwärts.« + +Sonderbare Empfindung, auf der sich unser Lehrer an diesem Abend +ertappt hatte! Die Verwirrung, das Ungeschick, die naiven Antworten, +durch welche die Braut einigemal in der That komisch wurde, beschämten +ihn nicht so, wie sie es früher gethan hätten. Er gönnte ihr den Spott, +der ihm begreiflicherweise nicht entgangen war, als gerechte Strafe für +ihre Mängel. Mußte er doch auch die Folgen einer Verpflichtung tragen, +die er einmal eingegangen hatte, und zum bösen Spiel gute Miene machen! + +Nach Verfluß einer Woche forderte er Christine mit einer Art von +Genugthuung auf, den Besuch bei Dobler zu wiederholen. Er hatte fest +beschlossen, sie nicht zu schonen. Sie mußte entweder etwas profitiren +oder den verdienten Spott hinnehmen. Zog sie sich ihn zu, so war er +ihr auch gesund, und es war Schwäche, ihr ihn ersparen zu wollen. -- +Als Christine zagend erwiederte, sie thue es ungern, recht ungern, kam +wieder eine Reihe von Gründen zum Vorschein, denen zu widerstehen sie +keine Macht hatte. Sie ging mit, wie das Opfer zur Schlachtbank. + +Wilhelmine war diesen Abend in bester Laune. Sie hatte den Verlobten +ausgeholt und glaubte annehmen zu dürfen, daß er im Innersten seines +Herzens wünschte, das Verhältniß mit Christine aufgelöst zu sehen. +Als diese nun mit ihm ankam und in ihrem ganzen Wesen ihre Stimmung +offenbarte, zeigte sich auf dem Antlitz der Sicheren jene Heiterkeit, +welche demüthigen soll, und mit dieser Absicht wahrhaft beleidigt. +Die Reden waren dagegen um so freundlicher und schmeichelhafter, und +die gute Christine war gezwungen, dankende Antworten darauf zu geben, +die ihr nicht von Herzen gingen und ihr durchaus nicht zu Gesichte +standen. Forstner konnte nicht umhin, bei diesen Erwiederungen zu +lächeln; er sah Wilhelmine an und ihre Blicke tauschten ihre Gedanken +aus. Christine sah diese Blicke, ahnte ihre Bedeutung, und setzte sich, +einen Pfeil im Herzen, zur Gesellschaft. + +Außer der Familie Dobler waren noch zwei Freundinnen Wilhelmines +da, gleich ihr belesen, und namentlich bewandert in der städtischen +Leihbibliothek. Man fragte sich, wie eines und das andere der neueren +Bücher gefallen habe, man lobte und tadelte, und es entwickelte sich +ein Gespräch, das gerade nicht von Geist übersprudelte und keineswegs +mit gerechten und feinen Urtheilen geziert, aber vielleicht eben +darum für unser Dorfkind zu hoch war. Die Gute blickte stumm für +sich hin und horchte in der Hoffnung, daß man zuletzt doch auf etwas +kommen müsse, wo sie auch mitreden könne. Endlich leuchtete ihr ein +Ausspruch im Allgemeinen ein: sie glaubte zeigen zu müssen, daß sie +ihn verstanden habe, und nickte beistimmend. Wilhelmine, die gebotene +Gelegenheit ergreifend, fragte: »Haben Sie die Erzählung auch gelesen, +Jungfer Christine?« Diese mußte mit Nein antworten, und um sich zu +entschuldigen, fügte sie hinzu, daß sie zum Lesen immer noch nicht +recht kommen könne. -- »Was thun Sie denn aber den ganzen Tag?« fragte +die Gebildete. Christine erwiederte: »Ich lerne -- ich nähe, stricke, +ich sticke und helfe kochen.« -- »Das Nähen und Stricken,« warf die +andere hin, »ist Ihnen wohl lieber als das Lesen?« -- »Ich kann's +nicht leugnen,« war die ehrliche Antwort. »Was man von Jugend auf +getrieben hat, was man versteht und was einem leicht geht, das thut man +gern.« -- »Nun,« versetzte Wilhelmine lächelnd, »da würden Sie wohl +auch lieber Korn schneiden und dreschen als lesen?« Ein spöttisches +Vergnügen belebte bei dieser Frage die Gesichter der Freundinnen. +Christine fühlte die Absicht derselben, die Galle stieg ihr auf und +sie entgegnete: »Warum nicht? Das Dreschen ist zwar eine grobe Arbeit +und verträgt sich nicht recht mit feiner Lebensart; aber das Lesen, +scheint's, macht auch nicht immer fein und höflich.« -- Damit hatte die +Gebildete auch ihren Hieb. Sie schwieg und lächelte. Es war aber nicht +mehr das überlegene, sondern das aushelfende Lächeln, das den Mangel +einer treffenden Erwiederung decken soll, bis die Gelegenheit zur Rache +kommt. + +Zunächst lenkte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand, wobei +sie zu ihrem Vortheil erscheinen mußte und Christine zum Schweigen +verurtheilt war. Sie sprach von Nürnberg und erzählte, was sie dort +gesehen und welche Bekanntschaften sie gemacht. Der edle Gegenstand +machte auch das Herz des gereizten Frauenzimmers wärmer und +honetter; sie rühmte die Schönheit der Stadt, die Gastlichkeit und +die Geselligkeit der Bewohner so gut, daß Christine im Verlauf der +Erzählung ihren Groll vergaß und ihr mit Vergnügen zuhörte. Forstner +und der Bruder, welche die Perle der vaterländischen Städte kannten und +liebten, gaben ihre Bemerkungen dazu, und die Spannung löste sich in +allgemeine Vertraulichkeit. + +Christine gehörte zu den Naturen, die verzeihen können, wenn sie in +denen, die sie verletzt haben, nur auch wieder etwas Gutes sehen. +Sie setzte sich zu Wilhelmine, lobte sie und suchte dadurch ihren +Stich von vorhin wieder auszugleichen -- das arme Kind! Wilhelmine +nahm die Anerkennung als etwas auf, das ihr gebühre, und schritt, nur +ihre Erhöhung im Auge, zur Entfaltung eines neuen Vorzugs. Sie hatte +mit Forstner in den letzten Tagen ein vierhändiges Stück eingeübt, +besonders gefällige und reizende Musik. Von ihren Freundinnen gebeten, +etwas zu spielen, forderte sie den Lehrer auf, und beide setzten sich +an's Clavier. Das Spiel ging vortrefflich zusammen und die Zuhörer +waren bald voll Bewunderung. Christine war aufgestanden und näher +getreten. Sie sah die beiden, wie sie Ein Herz und Eine Seele waren +und zusammen paßten, als ob sie für einander geschaffen wären. In ihre +Bewunderung mischte sich ein demüthigendes, niederschlagendes Gefühl: +sie erkannte, daß ihr gerade das fehlte, was an Wilhelmine zu Forstner +so besonders paßte. Nachdem ein brillanter Schluß den musikalischen +Vortrag gekrönt hatte, brach die Gesellschaft in den lautesten Beifall +aus. Die beiden dankten, sahen sich in's Auge und lächelten sich an, +zufrieden und glücklich. Eifersucht -- zum erstenmal helle, klare +Eifersucht loderte in dem Herzen der Verlobten auf. Eine peinliche +Empfindung lastete auf ihr, zum geringsten Theil auf Neid, zum größten +auf der klaren Anschauung eigenen Unvermögens und Unwerthes beruhend. +In ihrem Herzen fing es wieder an zu gähren und zu beben; aber sie +bezwang sich, wie viel es sie auch kostete, trat mit Fleiß zu der +Gefeierten und sprach ihren Dank und ihre Bewunderung auf ihre Art aus. +Es sei doch wahrhaftig zum Erstaunen, wie schön sie's könne und mit +welcher Geschwindigkeit! Sie begreife nicht, wie man so schnelle Finger +bekommen und ein so langes Stück spielen könne, ohne einen Fehler zu +machen. Wilhelmine erwiederte: das lerne sich durch Uebung; man müsse +sich eben recht dran halten, dann gebe sich alles. + +In dem Uebermuth, den der Beifall in ihr angeregt, in der Erinnerung +an die kleine Schlappe, die sie von dem Dorfmädchen erlitten hatte, +fuhr der böse Geist in ihr Herz. Sie suchte ihren sanftesten Ton, gab +ihrem Gesicht den mütterlichsten Ausdruck und sagte: »Sie müssen das +auch lernen, liebe Christine. Wenn man einen so geschickten Musiker +zum Bräutigam hat, wie Sie, darf man die Gelegenheit nicht versäumen, +sich in die Kunst einweihen zu lassen.« -- »O,« rief Christine, »das +würde nicht gehen!« Die Mamsell hatte unterdessen ihre Hand ergriffen, +welche die ländliche Derbheit immer noch bedeutend zur Schau trug, +und betrachtete sie und drehte sie hin und her. »Die Finger,« sagte +sie mit anmuthigem Kopfwiegen, »sind freilich noch etwas zu stark und +zu schwer, sie verrathen noch zu sehr die Arbeit mit der Sichel und +der Heugabel und würden vorläufig zum Klavierspiel noch nicht ganz +geschickt sein. Aber man muß an nichts verzweifeln, mit der Zeit ändert +sich alles, und auch diese Glieder können noch leicht und gelenkig +werden.« Die Gesichter der Freundinnen zeigten bei diesen Worten +zugleich Schadenfreude und Spannung -- die Hand der Verhöhnten zuckte. +Wie gern hätte sie der boshaften Person gezeigt, daß ihre Finger, wenn +auch nicht zum Klavierspiel, doch zur Ertheilung einer wohlverdienten, +tüchtigen Ohrfeige ganz vortrefflich paßten! Aber sie mußte sie ruhig +zurückziehen und sich alle Mühe geben, ihre Gekränktheit sich nicht +anmerken zu lassen. Ihren Unmuth hinunterschluckend erwiederte sie +aber: »Meine Finger sind eben wie sie sind, und wenn sie nicht zum +Klavierspielen passen, so ist das mein geringster Kummer. Ich bekomme +einen Mann und eine Haushaltung und werde nicht nöthig haben, mir mit +Singen und Spielen die Zeit zu vertreiben.« -- Das war auch nicht ganz +übel. Forstner, der bei der Verhöhnung der Hand, die noch immer seinen +Verlobungsring trug, eine entschieden mißbilligende Miene gezeigt +hatte, ergötzte sich an der Replik und die Freundinnen der Getroffenen +dachten im Stillen: da seht mir die Bäuerin! Wilhelmine aber hielt +aus und sagte lächelnd: »Das ist freilich wahr!« Bei sich aber dachte +sie: wir wollen sehen, du Rieser Gänschen! -- College Dobler begann +einen andern Discurs, der das Vorgefallene in Vergessenheit zu bringen +bestimmt war, und man trennte sich unter höflichen Redensarten. + +Die Verlobten legten den Weg zu Kahl schweigend zurück, da beide +keinen Beruf in sich spürten, die Erlebnisse des Abends zu besprechen. +Christine hatte sich überzeugt, daß die Mamsell darauf ausgehe, sie vor +ihrem Bräutigam zu beschämen und zu beschimpfen; sie nahm sich vor, nie +wieder in ihr Haus zu gehen. Wie es mit ihr und ihm stehe, das wollte +sie doch erfahren und dann sehen, was zu thun sei. -- Forstner hatte +das Haus mit einer sehr gemischten Empfindung verlassen. Die Absicht +Wilhelminens war deutlich genug. Obwohl nun ihr heutiges Betragen +gegen seine Braut ihn wirklich verletzt hatte, so lag in dem letzten +Endzweck, ihm besser gefallen zu wollen als diese, für ihn doch immer +noch etwas, das einen mildernden Schein auf ihr Benehmen warf und keine +rechte Entrüstung in ihm aufkommen ließ. Er faßte den Entschluß, zu ihr +zu gehen, ihr die unpassende Art, Christine zu necken, vorzuhalten und +sich die gehörige Rücksicht für sie auszubitten. + +Gleich am andern Tag führte er seinen Vorsatz aus. Als man an der +Einleitung sah, wohin er wollte, ließ man ihn gar nicht ausreden. Die +Mamsell hatte sehr wohl gefühlt, daß sie zu weit gegangen war, und der +Bruder hatte ihr zu Gemüthe geführt, daß das nicht die Art wäre, seinen +Collegen zu gewinnen. Der Verstand hatte über das gereizte Gefühl +gesiegt, und die Gewandte fiel nun dem Freund mit zerknirschter Miene +ins Wort: »Ich habe sehr gefehlt -- es ist wahr und ich weiß es! Sie +selber können mich nicht schärfer anklagen, als ich es schon gethan +habe. Ich hab' einen Scherz machen wollen, aber ohne daß ich bedachte, +was ich that, hab' ich Dinge gesagt, die ihrer lieben Braut weh thun +mußten. Verzeihen Sie mir! Ich hab' es gebüßt, und es soll nie wieder +geschehen!« + +Damit war Forstner entwaffnet. Er erwiederte: »Wenn Sie so denken, +dann ist's um so besser; und ich will Ihnen nicht verbergen, daß Sie +mir damit eine Freude machen. Wohin sollt' ich Christine bringen und +wo sollte sie die rechte Art lernen und den gehörigen Muth in der +Unterhaltung, wenn nicht in diesem Hause?« -- »Nun,« sagte Wilhelmine +mit halbem Lächeln, »an Muth und auch an Geistesgegenwart fehlt es ihr +gerade nicht. Haben Sie gesehen, wie sie mir gestern geantwortet hat? +Sie hat mich fühlen lassen, daß ich nicht so glücklich bin wie sie!« +-- Forstner verwirrte sich einigermaßen und sagte um so rascher: »Ich +werde also nächstens wieder mit ihr kommen, und danke Ihnen für Ihre +Gefälligkeit.« + +Ein paar Tage darauf gewann es die Schwester des Stadtlehrers über +sich, der Verlobten einen Besuch abzustatten. Christine war zufällig +nicht zu Hause. Als sie später davon hörte, sagte sie ruhig: »So, die +ist dagewesen? Sie wird nimmer kommen, schätz' ich.« Die Base sah das +Mädchen verwundert an, machte dann aber ein Gesicht, als ob sie den +Sinn ihrer Worte begriffe. + +Wieder ein paar Tage und Forstner kam zu Christine und sagte: »Heute +ist Gesellschaft bei Dobler und wir sind eingeladen. Halte dich bereit. +Nach sechs Uhr komm ich und hole dich ab.« -- Christine erwiederte: +»Ich geh' nicht hin.« -- »Wie soll ich das verstehen?« entgegnete +der Verlobte. »Willst du gar nicht mehr« -- -- »Allerdings,« rief +Christine, indem eine leichte Röthe ihr Gesicht überzog -- »ich will +gar nicht mehr in dieses Haus gehen!« -- »Und warum nicht?« -- »Weil +ich zu gut dazu bin, um mich von einer boshaften Person aufziehen und +verspotten zu lassen.« -- »Du nimmst den kleinen Spaß, den Wilhelmine +sich gemacht hat, viel zu ernsthaft. Ueberdies bereut sie ihn und wird +dir von jetzt an alle Ehre anthun, die du erwarten kannst.« -- »Ich +glaub's nicht.« -- »Sie hat mir's selber gesagt.« -- »Das mag sein, +aber ich glaub's doch nicht. Die mag sich vornehmen und versprechen was +sie will, sie wirds doch nicht halten und es bei nächster Gelegenheit +ärger machen als vorher. Aber dafür thu' ich ihr!« + +Dem Verlobten stieg nun gleichfalls das Blut ins Gesicht. »Wenn du so +denkst,« rief er in seinem Hofmeisterton, »dann wirst du niemals die +Manieren lernen, niemals die Bildung, die« -- Aber das Mädchen fiel ihm +in gerechter Entrüstung in die Rede: »Geh mir doch mit deiner Bildung! +Wenn das Bildung ist, Leute, die einen besuchen, so zu behandeln, wie +diese Mamsell mich behandelt hat, dann will ich lieber ungebildet sein +und bleiben mein Leben lang. Wenn die Bildung die Leute nicht besser +macht und aufrichtiger, dann geb' ich keinen Pfifferling um sie!« + +Forstner schwieg; er war von der ungewohnten Entschlossenheit und +Heftigkeit betroffen. Endlich sagte er: »Du bist empfindlich und machst +aus einer Mücke einen Elephanten!« -- Christine sagte: »Ich mach mir +nichts aus den Dingen, die geschehen sind; aber ich mach' mir alles aus +der Person, die mir's gethan hat. Die ist falsch gegen mich und wirds +bleiben, und mit ihr will ich nichts mehr zu thun haben.« -- »Du irrst +dich,« erwiederte Forstner nochmal im Ton der Ueberredung. »Sei klug, +geh heute noch mit hin und überzeuge dich selbst, daß du Unrecht hast.« +-- »Nie!« versetzte Christine mit dem Ausdruck eines unerschütterlichen +Gefühls; »zu der geh' ich nie mehr, um keinen Preis der Welt!« -- »Aber +ich bitte dich« -- -- »Ich will nicht und ich mag nicht. Du kannst mich +hinführen, wohin du willst, und ich will's nirgends genau nehmen; ich +will mir etwas gefallen lassen und Geduld haben -- ich bin gar kein +solches Christkindle, wie du meinst, und kann auch etwas aushalten; +aber von Der laß ich mir nichts gefallen, von Der will ich auch nichts +lernen, und damit gut für heut.« + +Forstner war verstummt. Der eigentliche Grund der Weigerung seiner +Verlobten war ihm klar. Er fühlte, was dafür sprach, er begriff sie, +und widersprechende Gefühle stritten in ihm. Aber der Verdruß, sie +wider alles Erwarten gegen seinen ausgesprochenen Willen unbeugsam zu +finden, überwog zuletzt doch. Er sagte: »Nun, wenn du so eigensinnig +bist und alles Reden nicht hilft, so bleib zu Hause!« -- »Das will ich +thun,« erwiederte Christine ruhig. »Und du geh hin zu der gebildeten +Mamsell und unterhalte dich gut.« -- »Das will ich auch thun,« +antwortete er und verließ die Stube. + +Es giebt eine Schickung in der Welt, die in das Leben der Menschen eine +gewisse Methode bringt. Ueber den Grund und die mitwirkenden Ursachen +kann man streiten, über die Thatsache schwerlich. Das Geschick unseres +Landmädchens war es, in einer Stadt und unter einem Menschenschlag, wie +es so viele gutmüthige, ehrenhafte, fröhliche und freundliche Leute +giebt, nur solche näher kennen zu lernen, die sie verletzten und ihr +das Leben daselbst verleideten. Sie war nun beinahe vier Monate in +der Stadt, und nicht ihre Hoffnungen, nur ihre Befürchtungen waren in +Erfüllung gegangen. Doch auch für sie sollte ein Tag der Entscheidung +kommen. + +Forstner hatte sich an jenem Abend geradeswegs zu Dobler begeben, um +dort, wo nicht Aufheiterung, doch Zerstreuung zu finden. Das Band, +das ihn an Christine knüpfte, beruhte nur noch in dem Versprechen, +das er ihr gegeben und in einer Mischung von Gewissenhaftigkeit und +Zaghaftigkeit, es zu brechen. Die Liebe und die auf sie gegründete +Achtung waren aus seinem Herzen entflohen; die Hoffnung auf eine +Aenderung war aufgegeben. In der Klemme, in der er sich befand, konnte +er einer theilnehmenden Erkundigung von Seiten Wilhelminens nicht +widerstehen; er erzählte den Auftritt mit der Verlobten und machte +seinem Herzen in Klagen Luft. Das Herz der Bewerberin klopfte; aber sie +hielt ihre Empfindung stark zurück und war so klug, mit bedauernder +Miene Trost und freundschaftlichen Rath zu ertheilen. »Zwingen Sie das +gute Kind nicht, zu uns zu kommen,« sagte sie mit sanfter Stimme, »und +haben Sie Geduld mit ihr. Wenn man von Kindheit an auf dem Land gelebt +und sich an seine Manieren gewöhnt hat, da fällt's einem schwer, sich +in andere zu finden. Lassen Sie ihr Zeit dazu.« Forstner seufzte. »Ich +will Geduld haben, ich muß es, denn es ist das Einzige, was mir übrig +bleibt. Ich hab' mich mit ihr versprochen, sie ist meine Braut -- ich +muß sie nehmen, wie sie ist.« -- Für Wilhelmine hatte diese Erklärung +viel mehr Ermuthigendes als Niederschlagendes. Sie erwartete neue, +heftigere Auftritte zwischen den Verlobten, und in Folge davon die +Auflösung des Verhältnisses. + +Zunächst kam es doch weder zu dem Einen, noch zu dem Andern. Forstner +hatte eben in der Resignation, die sich nun auf alle seine früheren +Erwartungen ausdehnte, wieder die Ruhe gefunden, seinen Unterricht und +seine Unterhaltung mit Christine, äußerlich und obenhin, fortzusetzen. +Er that es, weil er angefangen hatte, weil die Zeit ausgefüllt werden +mußte; einen innern Grund gab es nicht mehr. Es waren graue, leere +Tage der Unentschiedenheit, des Hinwartens, des Gehenlassens. In der +Verlobten der stille Trotz, in Forstner die Gleichgültigkeit. Nur +selten und nur auf Momente thauten die Herzen ein wenig auf. Wenn er +ihr aber dann auch die Hand reichte, so fühlte sie doch nicht mehr den +Druck der Liebe, und wenn er ihr zum Abschied einen Kuß gab, so war +es eben eine Ceremonie, ohne wahres Verlangen ertheilt, ohne Glauben +empfangen. + +Dieser Stand der Dinge konnte den Hausgenossen und Bekannten des +Mädchens natürlich kein Geheimniß bleiben. Man zeigte bedenkliche +Mienen, man schüttelte den Kopf, und auch die Magd Susanne und Mamsell +Adelheid konnten sich nicht enthalten, zuweilen mit Blicken wirklichen +Bedauerns auf sie zu sehen. Man erfuhr, daß der Lehrer immer häufiger +zu Dobler komme; man sah Wilhelmine vergnügt und stolz über die Straße +gehen, wie Eine, die ihrer Sache gewiß ist, und man erwartete nicht +anders, als daß es in kurzem heißen werde: der Herr Forstner hat dem +Bauernmädchen abgeschrieben. + +Daß diese nach und nach zur Ueberzeugung gewordene Ansicht im Gespräch +mit Christine durchschimmerte, und die Andeutungen, die man gab, nicht +so fein waren, um nicht verstanden werden zu können, begreift sich. +Die Base hielt es für ihre Pflicht, noch weiter zu gehen und ihrer +Verwandten geradezu mitzutheilen, was man in der Stadt über Forstner +und sein Verhältniß zu Wilhelmine sagte. Christine sah sie einen Moment +an; dann erwiederte sie: »Ich kann es nicht glauben. So schlecht +handelt er nicht an mir!« -- Sobald sie aber von der Tagesarbeit frei +war, suchte sie die Einsamkeit ihrer Stube auf. Sie dachte über die +Möglichkeit nach, daß es wirklich aus sein könne zwischen ihr und ihrem +Bräutigam -- aus für alle Zeit. Wird er es thun? wird er sein Wort +brechen? wird er mich -- -- Der Gedanke, verschmäht und verlassen zu +werden, trat zum erstenmal in vollster Bestimmtheit vor ihre Seele. +Und so sehr sie durch Alles, was sie bisher erfahren, darauf hätte +vorbereitet sein müssen, sie empfand nun doch alle Pein und alle +Bitterkeit desselben. + +In jenem schönen Winter, in welchem sie die Bekanntschaft des Lehrers +gemacht hatte, war sie von seiner Liebenswürdigkeit in Wahrheit +bezaubert und seiner Bewerbung zuletzt in leidenschaftlichem Verlangen +entgegengekommen. Sie war an die Vorstellung gewöhnt, ihm zu gehören +und ihm treu sein zu müssen, und ihre Liebe hatte alle Anfechtungen +bestanden, die sie in den letzten Monaten erfahren. Als sie nun in +ihrer einsamen Erwägung zu dem Schlusse kam: ja, er bricht sein Wort, +er verläßt dich, er nimmt ~sie~ -- da flammte mit dem Schmerz auch +all ihre Liebe und Leidenschaft wieder auf. Sie fühlte ein glühendes +Verlangen, ihn wieder zu gewinnen, ihn zu halten, und sie fragte sich +mit angstvoller Seele, wie sie's anfangen solle, das Unglück und die +Schande abzuwenden, die ihr drohten. Sie wollte Alles thun, was in +ihren Kräften stand, sie wollte lernen, wollte in Gesellschaft gehen, +wollte sich Tadel und Spott gefallen lassen. Sie wollte dem Bräutigam +ihre Schuld bekennen, wollte ihn bitten, sie auf die Probe zu stellen +und ihr das Schwerste aufzugeben. -- Wie sehr sie sich aber zu Allem +bereit fühlte und welche Wirkung sie sich von ihren Anerbietungen auf +ihn versprach -- es wollte kein Vertrauen in ihr Herz kommen. Mitten +in der Selbstermuthigung rief es in ihr: er liebt dich nicht mehr -- +er schätzt dich nicht mehr -- du bist ihm nicht mehr gut genug! -- Sie +sah vor sich hin und athmete hörbar. Es war die Bewegung der Angst, +verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht, welche die Brust der Verlassenen +regelmäßig hob und senkte. Es waren Verzweiflung und Ergebung, die +ihr Herz erfüllten -- Verzweiflung an ihrem Glück, Ergebung in ihr +unvermeidliches Elend. + +Nach und nach war es dunkel geworden. Die Stille der Nacht wirkte +heimlicher auf das verwundete Gemüth, als die Oede des grauen Tages. +Die Ergebung wuchs in dem Herzen der Unglücklichen; sie wurde ruhiger, +gefaßter. Sie fühlte sich in ihrer dunkeln, einsamen, lautlosen Stube +der Welt, die ihr so viel Schmerzen gemacht hatte, entrückt und vor +ihren Angriffen gesichert. Ihre Seele wurde frei zu Vorstellungen, die +mit ihrem Leide zusammenhingen und traurig waren, aber doch auch etwas +Wohlthuendes hatten. + +Unwillkürlich summte sie ein Lied, und ein schmerzliches Lächeln ging +über ihr Gesicht. Es war eines der schönsten Volkslieder, das ihr +in den Sinn kam, ein Lied der Liebe und des Leids, der schlichten +Entsagung und der Erhebung zu einer ahnungsvollen Vision. Im +Schwabenlande heimisch und verbreitet, hatte es Christine schon in +ihrer frühen Jugend gelernt. Da war es freilich nur ein Lied mehr für +sie, das unter andern gesungen wurde; aber schon damals verfehlte es +auf einem einsamen Gange oder in der Stille der nächtlich erhellten +Stube seines Eindrucks nicht. Jetzt sang sie es mit tiefer Empfindung +und jedes Wort hatte Bedeutung für sie: + + Jezt gang i an's Brünnele, trink aber net: + Da such' i mein herztausenda Schatz, find'n aber net, + + Da laß i meine Aeugelein rund ummi gehn, + Da seh i mein herztausenda Schatz bei'm Andre stehn. + + Und bei'm Andre stehn sehn, ach das thut weh! + Jezt b'hüt di Gott, herztausender Schatz, seh di nimmermehr! + + Jezt kauf i mir Federn und Dint' und Papier, + Und schreib mei'm herztausenda Schatz einen Abschiedsbrief. + + Jezt leg' i mi nieder auf Heu und auf Stroh, + Da fallen drei Röselein mir in den Schooß. + + Und diese drei Röselein sehn blutigroth; + Jezt weiß i net, lebt mei Schatz oder ist er todt! + +Ihre Augen waren feucht geworden bei dem Lied; aber wer sie gesehen, +würde doch einen Glanz darin bemerkt haben, der noch etwas anderes +ausdrückte als Verlust und Schmerz. Das Gebilde der Poesie hatte seine +Wirkung geübt; das Leid war der Bedrängten gegenständlich geworden und +ihre Seele hatte eine Macht darüber erlangt, die immer einen gewissen +Trost mit sich führt. -- Die Trauer verschwindet freilich nicht in +einem solchen Falle, sie erhält nur ein milderndes Licht, und das +Gemüth wird fähig, ihren Gegenstand ruhiger und wie von einer höheren +Sphäre herab anzusehen. + +»Und bei'm Andre stehen sehn, ach, das thut weh!« wiederholte sie und +setzte hinzu: »Ja, das erfahr' ich nun auch, wie es schon manches +erfahren hat!« + +Sie versank in Stillschweigen. Sie hatte an ihren guten Vetter gedacht +und fühlte nun plötzlich auf's genaueste, wie es ihm gewesen und was er +gelitten. -- Ihre eigene Richterin, nickte sie zu wiederholten Malen +traurig ernst mit dem Haupte und sagte: »Du guter Hans -- du hast's +auch erfahren -- und ich bin daran Schuld gewesen! Ich hab' deinem +treuen Herzen weh gethan, hab' deine Lieb' und Freundschaft mit Undank +vergolten!« -- Sie folgte einem innern Drange, sich vorzustellen, wie +es damals gewesen, und wie sie jetzt ihr Leid empfand, sah sie ihr +damaliges Unrecht im hellsten Licht und auf eine Weise, daß das Bild +davon in ihrem Geiste blieb und nicht wieder ausgelöscht werden konnte. +Sie übertrieb ihre Schuld und empfand eine Lust, sich damit zu strafen +und zu quälen. »Ja,« sagte sie, »ich hab' gewußt, wie du gesinnt warst +gegen mich, ich hab' gewußt, daß du der beste Mensch bist von der Welt +-- eine so treue, grundgute Seele, wie mir keine sonst vorgekommen ist! +Du hast an meiner Mutter gehandelt wie ein Sohn, und an mir wie ein +Bruder, und wir haben deine Wohlthat angenommen, als hätten wir ein +Recht darauf -- und zum Lohn dafür hab' ich dich betrogen und an der +Nase herumgeführt. Du warst mir der Gutgnug, wenn kein anderer da war; +sobald ein anderer kam, ließ ich dich fahren! Ich hab' damals zu mir +gesagt: »Warum redet er nicht? Er ist selber daran Schuld.« Aber jetzt +erkenn' ich, was das für eine elende Ausrede gewesen ist! Als ob ich +nicht gesehen hätte, wie du's mit mir gemeint, als ob ich nicht in dein +Herz gesehen hätte und in jedes Winkele davon! Ich hab' gewußt, daß +du mich lieber hast als alles in der Welt, und ich hab' dir das Maul +gemacht eine Zeitlang, und dann bin ich dir untreu geworden, weil der +andere schöner und geschickter und vornehmer war, und weil er besser +schwätzen und schmeicheln konnte. Und wenn ich mich dann auch ein +wenig geschämt hab', so hab' ich's doch bald wieder vergessen und hab' +gethan, als ob nichts vorgefallen wäre. O, ich hab' schlecht gehandelt +-- schlechter als manche, die in's Zuchthaus gekommen ist! Aber ich +hab' meine Straf' auch gekriegt! So hat's mir gehen müssen, das hat mir +gehört -- und ich darf mich nicht beklagen, nein, und ich will mich +auch nicht beklagen. Ich würde nur eine neue Sünde begehen, wenn ich's +thäte, und ich hab' an denen genug, die ich begangen habe.« + +Während dieser Anrede, die sie an den guten Vetter und sich selber +hielt, waren ihr Thränen in die Augen getreten und herunter gelaufen +über ihre Wangen, die Worte begleitend, die ihr vom Munde gingen. +Endlich behaupteten sie allein das Recht und flossen reichlich und +lange und begossen die Saat einer neuen Erkenntniß. + +Das Bauernmädchen hatte den Unterricht eines andern Lehrers empfangen, +als der gute Forstner ihr sein konnte. Die wahren Einsichten, die +fruchtbar sind und Macht und Gewalt haben, in ein neues Leben zu +führen, werden dem Menschen nur durch Schicksale, die er erdulden muß, +durch Schmerzen, die über ihn verhängt werden und ihm die Augen öffnen. +Das Unrecht, was wir gethan, wird uns dann klar durch das Unrecht, +das wir leiden. Haben wir damit aber die Kraft erlangt, uns selber +zu richten, dann wird uns eben die Strafe und die Buße zur Staffel, +auf der wir hinansteigen können zu einem höheren Leben. Wo nichts ist +freilich, da kann auch nichts herauskommen; aber für diejenigen, die, +wenn auch unter eiteln und selbstsüchtigen Trieben, den Stoff zur +Erhebung in sich bergen, für diese ist die Züchtigung im eigentlichsten +Sinn ein Werk der Liebe -- das einzige Mittel ihrer Rettung. + +In Christine lag ein Keim, der sich der rettenden Hand darbot -- ein +Keim der Gutmüthigkeit, ein Keim der Fähigkeit, Reue zu fühlen und +sich selber das Urtheil zu sprechen. Sie hatte ihr Leid verdient, in +Wahrheit verdient; aber jetzt, nachdem sie es getragen, verdiente sie +auch seine Hülfe und sein Heil. + +Als sie ausgeweint hatte, fühlte sie eine Stille in ihrem Gemüth, die +sie vorher nie gekannt, eine Stille nicht blos gedankenlos ruhigen +Lebens, sondern vereint mit klarer Anschauung ihres Seelenzustandes. +Sie athmete leicht, als ob sie eine Last abgeworfen hätte; ihre Züge +waren verwandelt, sie waren lichter und geistiger geworden. Sie war +gefaßt auf alles, was ihr begegnen mochte. Was über sie kam, es war +gut, und vielleicht nur um so besser, je schlimmer und schmerzlicher es +war. + +Das ist die heilspendende Kraft, die in der wirklichen Erkenntniß, +nicht in der bloß vorübergehenden Empfindung begangenen Unrechts liegt. +Das Leid, das uns unerträglich schien und trostlos machte, nimmt, wenn +wir eine gerechte Strafe darin erblicken, eine andere Gestalt, ein +anderes Wesen an. Aus dem Gegner wird ein Helfer zur Freiheit, die +wir durch Erduldung der Strafe gewinnen. Die Last, die uns zu Boden +drückte, fällt in unsere Wagschale und hilft unsern wahren Feind +aufwiegen. Und wir müssen segnen, wo wir geflucht, wir müssen lieben wo +wir gehaßt haben. + +Obwohl die äußere Lage unseres Dorfkindes gegenwärtig um vieles +schlimmer war als in jener trüben Zeit vor den Feiertagen, so wurde +sie doch nicht mehr ein Raub der Angst und Verzweiflung. Sie sah genau +wie es stand und was sie zu fürchten hatte, aber sie blieb ruhig. +Sie stellte sich vor, daß der Mann, dem zu Liebe sie das beste Herz +beleidigt und für immer verloren, dem zu Liebe sie ihr Vaterhaus +verlassen hatte, in die Stadt gezogen und ihrem Stand untreu geworden +war, in den nächsten Tagen zu ihr kommen und sagen könnte: »es ist aus +mit uns Zweien, wir taugen nicht zusammen, geh wieder heim in dein +Dorf!« Aber wie groß die Schmach war, die ihrer dann wartete, und wie +schmerzlich bei dem Gedanken, ihr ganzes Leben zerstört zu sehen, ihr +Herz erzitterte, sie faßte sich doch wieder. Sie legte sich nieder und +sank in dem Frieden der Ergebung in tiefen Schlaf. + +Am andern Morgen erschien sie in der untern Stube mit einer Sanftmuth, +und wir können sagen mit einer Würde in dem etwas blässeren Gesicht, +daß es allen Hausgenossen auffiel. Es war unmöglich, ihr nicht mit +Rücksicht zu begegnen. Die Reden beim Mittagessen waren darauf +berechnet, sie zu erheitern und ihren Geist von ihren Zuständen +abzulenken, und sie lächelte ein paarmal gutmüthig dazu. Selbst +Vetter Kahl strengte sich an, eine Geschichte zu erzählen, die er für +ergötzlich hielt, und freute sich an den Zeichen des Erfolgs. Das +Verlangen der Schadenfreude, das die Magd früher empfunden hatte, war +schon lange mehr als gesättigt. Was dem armen Bauernmädchen widerfuhr, +war ihr gar zu arg, und da sie nun auch so freundlich, so bescheiden +mit ihr sprach, so empfand sie wahres Mitleid mit ihr. + +Als Christine Nachmittags allein in der untern Stube war, machte +die Bekehrte sich an sie, und jene merkte gleich, daß sie etwas auf +dem Herzen habe. Auf ihre Frage, was es Neues gebe, begann Susanne +mit einer scharfen Kritik der Männer im Allgemeinen und fuhr dann +fort: »Liebe Jungfer Christine, ich hab' mich besonnen, ob ich Ihnen +sagen soll, was ich heute früh gehört hab'; aber es ist mir doch +vorgekommen, als ob's besser wäre, wenn Sie es wüßten; denn wenn's +wahr wäre und Sie es plötzlich erfahren würden -- vielleicht ist's +aber nicht wahr, man schwätzt gar viel, wenn der Tag lang ist -- aber +ich glaub' doch, es ist besser, wenn Sie's erfahren« -- -- »Nun,« fiel +Christine ein, »was ist es denn?« Die Magd sah sie mit großem Bedauern +an und erwiederte: »Ich hab' heut gehört, daß Herr Forstner mit der +Mamsell Wilhelmine ganz im Reinen sei, daß sie sich heimlich schon mit +einander versprochen hätten, und daß Sie sich gefaßt machen müssen, +-- Sie verstehen« -- -- »Ja wohl,« entgegnete Christine. »Vorläufig +ist das aber nur ein Gerede, das boshafte Leute ihm aufgebracht haben +können. Ich werd' es nur dann glauben, wenn ich es von ihm selber +höre!« -- »Es kann ja sein, daß nichts dahinter ist,« versetzte die +Magd; »aber es kann auch Grund haben, und gewiß werden Sie mir's +nicht übel nehmen --« -- »Durchaus nicht, gute Susanne,« erwiederte +Christine, »ich dank' Ihr dafür. Mag kommen, was da will -- ich hoff' +es mit Gottes Hülfe zu ertragen.« + +Dem Herannahen der immerhin peinlichen Entscheidung vermochte das +Mädchen doch nicht zu widerstehen. Ihr Geist konnte die Ruhe und +Stärke nicht behaupten, die er erlangt hatte, und je weiter die Zeit +vorrückte, je mehr klopfte ihr das Herz im Vorgefühl des Schlages, +den sie für unvermeidlich hielt. Als sie in der Abendstunde, wo der +Verlobte heute kommen sollte, in ihrer Stube saß, rang ihr Wille mit +ihrer Aufregung, und als sie plötzlich seinen Tritt auf der Treppe +hörte, war es ihr, als ob die Sinne ihr vergehen müßten. + +Forstner trat ein und grüßte. Sie nickte nur mit dem Kopf und starrte +ihn an, in der Meinung, daß die Worte, die sie sich selber schon gesagt +hatte, ihm ohne Verzug vom Munde gehen müßten. Bald erkannte sie, daß +sie sich getäuscht. Er nahm an ihrer Seite Platz, um den gewöhnlichen +Unterricht fortzusetzen. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, als ob er +Verdruß gehabt, aber den Vorsatz gefaßt hätte, sich nichts merken zu +lassen. Doch sah sie wohl, daß er sich Mühe geben mußte, mit ruhigem +und einigermaßen freundlichem Tone zu beginnen. + +Forstner hatte sich nicht mit Wilhelmine verständigt. Was die Magd +Susanne gehört, beruhte auf einer Annahme und einer darauf gebauten +Versicherung. Er war freilich jeden Tag zu Dobler gekommen und Bruder +und Schwester hatten ihn mit großer Klugheit nach der Forderung ihrer +Absichten behandelt. Wilhelmine nahm an, daß er ihr eigentlich schon +gehörte; sie hatte darum alle direkten Bestrebungen unterlassen, sich +durchaus in der Rolle einer theilnehmenden Freundin gehalten und +nur dafür gesorgt, daß ihre Kenntnisse, ihre Zierlichkeit nebst den +schönsten Geistes- und Herzensgaben dem Verehrer immer deutlicher +würden. Forstner war auch in der That ganz von ihr eingenommen: die +feste Ueberzeugung, daß sie die Frau sei, die ihm durch ihren Geist und +ihre Gaben zu Hause Freude, im Umgang mit Andern Ehre machen würde, +hatte seine Bezauberung vollendet. Wenn er sich aber dachte, wie er +mit Christine brechen sollte -- wenn er sich vorstellte, welchen Lärm +es geben würde, sowohl hier in der Stadt als im Ries unter seinen und +ihren Bekannten, dann konnte er doch nicht zu einem Entschluß gelangen. +Er war talentvoll, der gute Forstner, strebend, klug und gewandt; aber +ein Mann war er nicht und als Mann konnte er nicht handeln. Endlich +nahm er sich in seiner Verlegenheit vor, mit Christine und ihrer +Bildungsfähigkeit nochmal einen Versuch zu machen, nochmal zu prüfen, +was ihr möglich sei oder nicht, und darnach einen Entschluß zu fassen. +Mit diesem Gedanken war er heute gekommen. + +Man sagt sich selbst, daß die letzte Zeit nicht darnach angethan war, +unserer Christine die Schulaufgaben des Verlobten besonders wichtig +erscheinen zu lassen und einen erhöhten Lerneifer in ihr anzufachen. +Die innere Aufregung, die erfahrene Kränkung, das Nachdenken über +die beängstigende Lage hatten ihr Herz und ihren Geist beschäftigt, +und wenn sie Zerstreuung bedurfte, konnte sie diese nur in der Haus- +und Handarbeit finden. In der innern Umwandlung, die an dem einsamen +Abend mit ihr vorgegangen war, in der gewonnenen Einsicht in ihre +Schuld, in der Erkenntniß, daß ihr nur mit demselben Maße gemessen +würde, mit dem sie gemessen hatte, und in dem Troste, den sie daraus +geschöpft, in der ganzen für sie tiefbedeutsamen Erfahrung dieser Tage +war ihr der Bildungsflitter, mit dem sie gegen ihre Natur und ihre +Bedürfnisse behängt werden sollte, in seiner ganzen Seelenlosigkeit +und Armseligkeit erschienen, und es war ihr, trotz der wohlgemeinten +Vorsätze, welche die Angst geboren hatte, nicht möglich geworden, auch +nur ernsthaft daran zu denken. + +Die Bildung ist, wie jeder wahrhaft Gebildete weiß, nur Gewinn, wenn +sich die Materialien, die sie uns zuführt, organisch mit dem Geiste +verbinden und, in sein Leben sich einfügend, ihn bereichern. Kommt +es dazu nicht, bleiben diese Materialien ihm äußerlich, dann ist die +Bildung nur eine sogenannte und Verlust, wie die Speisen, die den +Leib nähren, wenn sie verdaut werden, unverdaut seine Schwächung +und Verkümmerung herbeiführen. In solchem Falle ist es dann viel +besser, jene Stoffe abzuweisen und in seinem Leben und seiner Einheit +zu bleiben, in einer schlichteren, beschränkteren Einheit, aber in +einer Einheit. Denn nur die Einheit gewährt ein Bild, und nur die +Bereicherung, welche die Einheit festhält, verdient in Wahrheit den +Namen der Bildung. + +Christine sagte sich das freilich nicht, aber sie hatte ein Gefühl +davon und sie handelte darnach. Voll von ihren Anschauungen und +Gedanken, die wahrlich ohne Vergleich mehr Inhalt und Bedeutung hatten, +konnte sie es nicht dahin bringen, von der gerühmten Weisheit des +Pädagogen viel zu halten, und sie hatte darum wieder einen Theil der +schon eingetrichterten, dem keine Verbindung mit ihrem Innern gelungen +war, verdunsten lassen. + +Der Lehrer, der sie auszufragen begann, sah bald, wie es mit ihr +stand. Bei der ersten daneben treffenden Antwort, die er bekam, +zuckte er und konnte nicht verhindern, daß der Blick, mit dem er sie +ansah, eine ziemliche Dosis Geringschätzung enthielt. Er nahm sich +indeß zusammen, um die Prüfung fortzusetzen. Er fragte nach einer +geschichtlichen Thatsache, die er ihr schon wiederholt eingeprägt +hatte. Christine wurde ängstlich; sie wußte, daß ihr das schon einmal +bekannt gewesen, und da er nun doch wieder gekommen war und es am +Ende nicht so bös meinte, als sie gefürchtet, so hätte sie ihn gar +zu gern mit der richtigen Antwort erfreut. Je hastiger sie aber nach +dem Abhandengekommenen suchte, desto weniger konnte sie es entdecken; +sie mußte ihre Unwissenheit eingestehen. »Das wird gut!« sagte +Forstner mit dem Ausdruck eines Mißmuths, der nur in Folge innerer +Anstrengung nicht als erzürnte Heftigkeit hervortrat. Endlich richtete +er eine Frage an sie, die mehr durch den Verstand als das Gedächtniß +zu beantworten war. Christine, durch das Bisherige verwirrt, hatte +ihn kaum gehört und gab in ihrer Confusion eine geradezu verkehrte +Antwort. Nun war der letzte Rest von Kraft und Willen, den aufkochenden +Unmuth zurückzuhalten, in ihm verzehrt, und es kam zum Ausbruch. Der +Pedant, der die Perlen seiner Lehre so schlecht gewürdigt sah, fühlte +sich beleidigt; die Unwissenheit und Unfähigkeit, die er in dieser +Antwort erblickte, hatte tiefen Widerwillen in ihm erweckt; allein +er folgte doch keineswegs bloß dem Drange dieser Empfindungen! Die +Charakterschwäche, die nicht den Muth hatte, offen zu erklären: »wir +passen nicht für einander und es ist gut, wenn wir uns trennen,« diese +Schwäche sah die Möglichkeit, eine Auflösung des peinlich gewordenen +Verhältnisses gelegentlich beizuführen, und zu dem empörten Gefühl +gesellte sich nun instinktmäßig der Wille, diese Gelegenheit zu +benutzen. + +Von seinem Sitz emporgefahren, stellte er sich vor sie hin und rief +mit dem Ausdruck des Zorns und tiefer Verachtung: »Das ist Unsinn, der +abgeschmackteste Unsinn, der je aus dem Munde einer hirnlosen Person +gekommen ist! Geh mir! Aus dir wird nie etwas, du bist und bleibst eine +Bauerntrutschel, ein einfältiges, dummes Weibsbild! Ich bin verrückt +gewesen, ich hab' eine unverzeihliche Thorheit begangen, daß ich --« -- +Er hielt inne und -- schämte sich. Christine war aufgestanden und hatte +ihn groß angesehen, mit einem Blick, wie die beleidigte Rechtlichkeit, +ja der beleidigte wahre Verstand die sinnlose Wuth und Gemeinheit +ansieht. Sie hatte die Verachtung in seiner Miene gefühlt, sie hatte in +sein innerstes Herz gesehen und den Vorsatz erkannt, mit ihr brechen zu +wollen, und in ihrem Gemüth hatte sich auch eine Verachtung erhoben, +aber eine, die auf besserem Grund fußte, und mit Blitzesschnelligkeit +war ein Entschluß gefaßt. Eben in der Glut dieser Empfindungen zeigte +sie ihm das Gesicht, das ihn erschreckte und verwirrte; und wie er nun +innehielt, fiel sie ergänzend ein: »Daß du dich mit mir versprochen +hast, willst du sagen? Ja, das ist wahr, da hast du Recht! Und ich +bin ein schwaches, einfältiges Mädchen gewesen, daß ich dir getraut +hab'! Aber glaub' ja nicht, daß du mich jetzt haben mußt. Hab' ja keine +Furcht! Du hast mich gesucht, du bist zu mir gekommen, nicht ich zu dir +-- das weißt du und das sagt dir dein Gewissen. Aber darum, und weil du +mir dein heiliges Versprechen gegeben hast, und weil du mich genöthigt +hast, in diese Stadt zu kommen und meinen Stand zu verändern, und weil +ich nun wieder nach Haus gehen soll und Schande und Spott erleben von +aller Welt, darum will ich dich doch nicht zwingen, dein Versprechen zu +halten! -- Nein,« rief sie, indem sie den Verlobungsring schnell von +dem schlanker gewordenen Finger zog, »nein, im Gegentheil! Hier ist +dein Ring, nimm ihn, und wir sind geschiedene Leute!« -- Forstner sah +sie an und entgegnete: »Ich hätte gute Lust --« -- »Freilich hast du +gute Lust!« fiel das Mädchen verächtlich ein; »das seh' ich und eben +deswegen geb' ich dir den Ring zurück. Her deine Hand und gieb mir den +meinigen, und es ist aus mit uns für alle Zeit!« + +Als Forstner das Zeichen der Verlobung in ihren Fingern blinken und +sich aufgedrängt sah, da zuckte bei dem Gedanken, daß er es nur +annehmen dürfe, um einer für ihn unerträglich gewordenen Fessel +entledigt zu sein, ein Freudenstrahl aus seinem Auge und er rief: »Ist +es wirklich dein Ernst?« -- Wenn sie noch nicht völlig entschlossen +gewesen wäre, mit ihm zu Ende zu kommen, so wäre sie es durch die +unendliche Kränkung dieser Freude geworden. Mit funkelnden Augen der +Entrüstung rief sie: »Ja, es ist mein Ernst, und ich verlang' jetzt +meinen Ring für deinen! Ich sage ~dir~ ab, ich künde ~dir~ +auf und will nichts mehr mit dir zu thun haben mein Lebenlang!« + +Forstners schwache Seele, beschämt, verwirrt, schwankte noch einen +Moment; aber eine Stimme rief ihm zu: »benutze das!« und entschied ihn. +»Nun,« rief er, indem er selber den Kopf erhob, »wenn du so hochmüthig +bist, so soll dein Wille geschehen!« Er zog den Ring vom Finger, gab +ihr ihn und nahm den seinen. »So,« sagte sie, indem sie ihn mit eben so +viel Stolz als Geringschätzung ansah, »und jetzt halt' ich dich nicht +mehr auf in meiner Stub'!« -- Forstner sagte: »Du willst es, gut! Ich +geh' und komm nie wieder!« -- »Ich hoff's,« entgegnete sie mit Hohn, +indem ihr Gesicht brannte, »ich hoff's, daß du nicht wieder kommst!« +Und indem sie mit der Hand auf die Thüre wies, rief sie mit der größten +Heftigkeit: »Geh! geh! geh!« + +Forstner hatte die Thüre ergriffen, und wie von diesen Worten +hinausgeschleudert, war er verschwunden. + + + VI. + +Christine sah noch eine Zeitlang auf die Thüre, die Forstner hinter +sich zugeschlagen hatte. Ein heroisches Gefühl glänzte auf ihrem +Gesicht. Er war es nicht, der ihr den Abschied gegeben, sie war +ihm zuvorgekommen, sie hatte ihn weggeschickt, sie hatte das Recht +behauptet und ihre Ehre gerettet! Das Bewußtsein, dem Ungetreuen die +Thüre gewiesen und ihn nach Verdienst behandelt zu haben, erfüllte sie +mit süßem Stolz, und sie kostete diesen in der Aufregung des Sieges von +Grund ihres Herzens. + +Endlich trat sie zurück. Die Fluth ihrer Empfindung war gesunken und +Gedanken tauchten auf, die andere Bilder vor ihre Seele riefen. Es +war also aus mit ihm, wirklich aus und für immer! Und nun? -- Sie +mußte wieder in die Heimath, in ihr Dorf zurück. -- Wie sie diese +unausweichliche Nothwendigkeit zum erstenmal klar erkannte und die +Folgen überschaute, fühlte sie einen kalten Schauer im Herzen und sank +erschöpft auf einen Stuhl. + +Wir wissen, Christine besaß einen Ehrgeiz -- eine Art desselben, die +auf dem Lande häufig vorkommt: den Ehrgeiz, der sich Andern möglichst +immer in Würde und Wohlergehen darstellen und dem ganzen Dorfe damit +Respekt einflößen will. In volkreicher Stadt kann man leicht dahin +kommen, nach der Meinung Anderer gar nichts mehr zu fragen, weil diese +Andern eben zum größten Theil Fremde sind und die Befreundeten keine +Zeit haben, sich mit Einem viel abzugeben. Auf dem Dorf hingegen, +wo man Alle kennt und von Allen gekannt ist, bildet sich natürlich +das Verlangen aus, auch von Allen geachtet zu sein. Man wahrt die +Außenseite, man »prangt,« man fragt sich bei einem absonderlichen +Vorhaben in der Regel, was die Leute dazu sagen werden, man fürchtet +sich vor dem Schaden, aber häufig mehr noch vor dem Spott, der dem +Schaden folgt. Diese Rücksicht auf Andere kann zur Schwäche werden +und macht gar oft auch kleinlich und lächerlich; aber auf der andern +Seite ist sie die Mitursache guter Sitte, rechtmäßigen Handelns und +stattlicher, angenehmer Lebensformen. Der Kenner des Dorflebens wird +sie auf ihre Stelle beschränkt, aber gewiß nicht vertilgt, ja nicht +einmal gemindert wünschen. + +In Christine war eine starke Dosis dieses Triebes, und wie wir gesehen +haben, war da, wo ihr Herz gewonnen wurde, immer auch ihr Ehrverlangen +mit im Spiele; der Reiz des Glanzes wirkte mit dem der Schönheit und +Liebenswürdigkeit zusammen auf sie. Dieses Ehrverlangen bezog sich aber +gerade auf ihr Dorf, gerade auf ihre Freunde und Bekannte. In ihren +Augen hervorzustrahlen war ja ihr Streben, ihr beglückendster Gedanke. +Und nun sollte sie, die das Vaterhaus ehrenvoll und beneidet, an der +Seite des Bräutigams verlassen hatte -- sie, die Gesuchte, Gefeierte +-- sie sollte zurückkehren als eine, die den Laufpaß bekommen (denn +das war und blieb sie in den Augen der Leute trotz ihres Redens), sie +sollte zurückkehren beschimpft und erniedrigt für ihr ganzes Leben! +Sie sollte vor ihren Vetter treten als eine Verschmähte, die Mitleid +und Geringschätzung einflößen mußte! Sie sollte vor ihre Mutter treten +in Schmach und Schande -- vor die gute Mutter, deren Stolz und einzige +Freude sie gewesen, die keine Ahnung hatte von ihrem Unglück und in +kurzem ihren »Ehrentag« mitzufeiern hoffte! -- Sie sollte den Spott +und die übeln Nachreden der bösen Zungen über sich ergehen lassen! Sie +sollte erleben, wie man mit Fingern auf sie zeigte, sollte es in ihre +Ohren hören, wie man sagte: »Da seht sie, die so hoch hinaus wollte! +Nun ist sie wieder da! Ihr Stadtlehrer hat sie fortgeschickt, und nun +mag sie auch kein ehrlicher Bauernbursch mehr!« + +Die Erlebnisse der letzten Tage hatten das Mädchen im Tiefsten erregt, +ihre Seele gerüttelt und geschüttelt, ihr Gefühl krankhaft gereizt. Wie +sie nun bei der Vorstellung, so kläglich in ihre Heimath zurückkehren +zu müssen, alle Marter empfand, welche die Schmach der Niederlage +dem Ehrgeiz auferlegt, da folgte auf den heroischen Stolz, den die +Verabschiedung des Bräutigams in ihr erweckt hatte, der Zweifel, +das Zagen, die Reue. Hab' ich auch wirklich Ursache gehabt, ihm +aufzukünden? Bin ich nicht zu hitzig gewesen? Hab' ich nicht am Ende +unrecht gesehen und gemeint, er wolle mit mir brechen, bloß weil ich +in der Zeit davon habe schwatzen hören? Kann er nicht bloß übler Laune +gewesen sein, und sind meine Antworten nicht am Ende so ungeschickt +gewesen, daß er nicht anders konnte als zornig werden? -- Solche Fragen +traten in ihr hervor und konnten es wohl; denn ein Dorfmädchen ist an +eine derbere Sprache und Handlungsweise von Jugend auf gewöhnt und +mußte die vernommenen Schmähworte nicht für so beweiskräftig halten +als eine gebildete, zarte Städterin. In ihrer Gemüthslage wurden ihr +nun auch die andern deutlichen Zeichen wieder zweifelhaft, und als sie +bedachte, daß sie das Elend, welchem sie entgegen ging, hätte vermeiden +können, da wandelten sie wieder Schrecken und Verzweiflung an. Sie +raffte all ihre Kraft zusammen und überlegte, wie Forstner sich die +letzte Zeit her und heute gegen sie benommen. Endlich aber rief sie +fest und entschlossen: »Nein, ich hab' mich nicht getäuscht! Nein, ich +hab' recht gehandelt! Was ich gethan hab', das hab' ich thun müssen +-- ich hab' ein gutes Gewissen -- und nun mag mir's auch gehen, wie's +will!« + +Sie stand auf, in der Meinung zur Base hinunterzugehen, denn es war +noch nicht die gewöhnliche Schlafenszeit. Allein sie fühlte sich +überaus müde, die Glieder zitterten ihr. Sie hielt es für besser, sich +niederzulegen. + +Ihr Schlaf war unruhig, sie fuhr mehrmals auf in schweren Träumen. Als +sie Morgens erwachte, waren ihre Glieder wie gelähmt, ihr Kopf brannte, +die Zunge klebte ihr am Gaumen. Sie war krank -- ein Fieber hatte sie +ergriffen. + +Die Base, die sie vergebens zum Frühstück erwartet hatte, ging hinauf, +um nachzusehen. Sie wußte noch nicht, was geschehen war. Gestern hatte +sie freilich ein paarmal die Stimmen herunter gehört und auf einen +Wortwechsel geschlossen; aber das war ja schon öfter vorgekommen, und +da Forstner ruhig aus dem Hause, Christine zu Bett gegangen war, so +glaubte sie nicht an einen Ausgang, wie er stattgefunden hatte. + +An's Bett des Mädchens getreten, erkundigte sie sich theilnehmend nach +ihrem Befinden. Christine erklärte sich für unwohl und erzählte ihr +alles. Die gute Frau war tief betroffen. »Ich hab' mir's gedacht,« +rief sie aus, »aber nun bin ich doch erschreckt! Was wird deine Mutter +dazu sagen, die an so etwas gar nicht denkt? Ich muß ihr's zu wissen +thun, Alles und Jedes, und das heute noch.« -- Christine verbot das. +»Ich will's selber thun, wenn ich wieder auf bin -- ich allein kann's +recht thun.« -- »Aber wenn du ernstlich krank würdest,« entgegnete die +Base, »wenn du --« -- »Sterben würdest, meinen Sie? Das wäre vielleicht +das Beste für mich; aber eben darum glaub' ich nicht daran. Wenn +Gefahr kommt, dann können Sie schreiben, aber jetzt nicht -- Ihre Hand +darauf!« -- Die Base beruhigte die Kranke durch ein ausdrückliches +Versprechen und ging hinunter, einen Arzt holen zu lassen. + +Dieser kam und erklärte den Zustand des Mädchens für den Anfang +einer Krankheit, vor deren ernstlichem Ausbruch sie vielleicht noch +bewahrt werden könnte. -- In Befolgung dessen, was er vorschrieb, und +im strengster Diät verging eine Reihe von Tagen. Zuletzt siegte die +gute Natur des Dorfkindes, das Fieber wich, ihr Blut wurde ruhiger, +ihr Appetit regte sich wieder, sie erholte sich und hatte das Gefühl +der Genesung, jenes leichte, süße Gefühl, um dessentwillen es wohl +der Mühe werth erscheint, eine Krankheit ausgehalten zu haben. In +der Genesung ist von dem Zustande des Leidens nichts mehr übrig, als +eine körperliche Schwäche, in der ein innerliches Leben um so reicher +sich entfalten kann, eine Schwäche, die alle Gefühle mildert und +uns die ganze Welt in sanftem Licht erscheinen läßt. Und zu dieser +Poesie der Krankheit gesellt sich eine stille Lust des Aufstrebens und +Fortschreitens zu neuem Wohlsein und Glück, das ahnungsreich vor der +Seele webt. Der Genesende kann nicht verzweifeln. Auch nach dem größten +Verlust muß er wieder hoffen auf eine Entschädigung, sei es auch nur +die Kraft, den Verlust ohne Schmerz ertragen zu können. + +Während Christine sich leiblich erholte, genas sie auch geistig. +In ihrem stillen, helleren Seelenzustande sah sie zurück auf ihre +Erlebnisse und dachte jenes Moments wieder, wo sie in ihrem Unglück +eine gerechte Strafe erkannt und es in diesem Sinn willkommen geheißen +hatte. Und es fiel ihr ein, daß sie später doch wieder verzweifelt war, +als sie sich vorstellte, wie sie verachtet und verlassen zur Mutter +heimkehren -- das heißt doch eigentlich: die heilvolle Strafe zu Ende +dulden sollte. -- Sie lächelte ernst über sich selbst und sagte: »Ich +hab's wieder vergessen gehabt! -- Das geht nicht auf einmal, wie's +scheint!« -- Nun faßte sie aber in Wiederholung jener Anschauung den +Entschluß, alles zu dulden, was an Schmach und Beschimpfung über sie +verhängt sein sollte. Und nun konnte sie hoffen zu triumphiren, denn zu +ihrer Erhebung und Selbstüberwindung half ihr die Natur. + +In ihrer Leidenszeit hatte sie die sorgsamste, wir können sagen +liebevollste Pflege erfahren, und diese setzte sich während ihrer +Genesung fort. Die Base und der Vetter thaten alles, was in ihren +Kräften stand. Susanne war wie verwandelt, ganz Aufmerksamkeit und +Güte für sie, und nichts schien sie mehr zu beglücken, als wenn ihr +Christine freundlich die Hand gab und sie dabei mit erkenntlichem Blick +ansah. Auch Mamsell Adelheid kam täglich, sich zu erkundigen und sie zu +trösten. Die Vornehmheit der Lehrerin war verschwunden und hatte ganz +einer würdigen, mütterlichen Theilnahme Platz gemacht. Auf Christine in +ihrer jetzigen Weichheit machte das alles einen rührenden Eindruck. Mit +Thränen im Auge sagte sie sich: »Die Menschen sind doch viel besser, +als man denkt! Man sollte eigentlich niemand für schlecht ausgeben, +sondern warten, bis er wieder gut wird.« Sie dachte daran, daß auch die +Leute in ihrem Dorf nicht so schlimm sein würden, als sie sich zuerst +vorgestellt, und der Gedanke der Heimkehr verlor auch aus diesem Grunde +mehr von seinem Peinlichen und Schreckhaften. + +Wenn sich übrigens Mamsell Adelheid in der That über Erwarten +theilnahmvoll gegen ihre Schülerin erzeigte, so war sie damit noch +nicht ein Muster von Zartheit geworden, und dem Drange, Gericht zu +halten über irgend jemand, konnte sie nicht unbedingt widerstehen. -- +Eines Vormittags kam sie mit hastigeren Schritten als gewöhnlich in +die Stube, wo sich die Reconvalescentin befand, und man sah gleich, daß +sie etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Sie zögerte nicht, es los zu +werden, und rief nach ihrem Gruße der anwesenden Frau Kahl zu: »Nun, +liebe Frau Base, haben Sie's auch schon gehört? -- Ich habe manches +erlebt in der Welt, aber das geht doch über alle Begriffe! So schnell +-- und in dieser Zeit! Nein, für so schlecht hätt' ich diesen Menschen +doch nicht gehalten!« -- »Was gibt's denn?« fragten Christine und die +Base zu gleicher Zeit. Adelheid sah theilnehmend auf das Mädchen und +sagte: »Sei froh, Christine, und wünsche dir Glück, daß du ihn nicht +bekommen, daß du ihn noch zu rechter Zeit kennen gelernt hast! Besser +vor der Hochzeit als nachher!« -- »Ah so,« erwiederte das Mädchen, +indem eine leichte Röthe über ihr blasses Gesicht flog; »nun kann ich's +errathen! Er hat sich mit ihr versprochen?« -- »Das hat er gethan, +gute Christine, und zwar an demselben Tag, wo du im ärgsten Fieber +lagst.« -- Frau Kahl sah die Mamsell vorwurfsvoll an und rief: »Das +hättest du nicht sagen sollen! Wenn sie nun wieder schlimmer wird?« +Aber Christine hatte sich von dem Canapee, worauf sie gesessen, rasch +erhoben und rief: »Nein, das macht mich gerade gesund!« -- Sie sah in +der That genesen aus und athmete leicht, als ob sie von einer großen +Last befreit worden wäre. + +Und das war sie. Die Meldung hatte sie befreit von der letzten +Ungewißheit in Bezug auf den Lehrer, von dem letzten Grunde, sich +selbst mit der Vorstellung einer übereilten Handlung zu quälen. Was +sie gedacht hatte, war nun bewiesen. Wenn er nur von ihr weggehen und +mit jener sich versprechen konnte, dann hatte er schon lange keine +Liebe mehr zu ihr, sondern zu jener; dann war er mit der Absicht zu ihr +gekommen, Händel zu suchen, um sie los zu werden; dann hatte sie ganz +recht gehandelt und das beste Gewissen. Nun war sie frei von ihm ganz +und gar; sie war frei von Achtung und Liebe zu ihm, sie war frei von +Haß gegen ihn und von Eifersucht gegen sie. -- »Mag er glücklich sein! +mögen sie glücklich sein alle beide!« das waren ihre Gedanken. -- Wen +man nicht achtet, den kann man nicht hassen und nicht beneiden. Man +fühlt ihn unter sich und machtlos und dürftig bei allem äußern Glück. + +Christine erklärte sich für gesund. Der Arzt, der bald darauf im's +Zimmer trat, bestätigte dieß und erlaubte ihr, an einem der nächsten +Tage nach Hause zu reisen. + +In einer Stimmung, die ihr selber auffiel, mit einer Ruhe, die nur +selten durch lebhaftere Empfindungen unterbrochen wurde, machte sich +Christine zur Heimkehr bereit. Sie schloß mit ihrem Stadtleben ab und +hatte das Gefühl eines Wanderers, der sich nach langem Irrgehen wieder +zurecht findet. Er hat Zeit und Mühe verloren, er wird zu spät kommen, +aber er ist doch wieder auf dem rechten Weg. + +Nun war die Zeit gekommen, den Brief an ihre Mutter abzufassen. Sie +meldete kurz, was in den letzten Wochen geschehen war, fügte aber dann +Alles hinzu, was sie für die Mutter Tröstliches zu sagen wußte. Sie hob +hervor, daß sie für die Stadt nicht passe, daß sie mit Forstner nie +glücklich geworden wäre und dem Himmel danken müsse, noch zu rechter +Zeit seinen Charakter kennen gelernt zu haben. Sie unterstrich die +Nachricht, daß sie ~ihm~ aufgesagt habe, und daß sie ihn nicht +mehr gemocht hätte, wenn er auch wiedergekommen wäre. Jetzt sei er mit +seiner Wilhelmine versprochen, und das sei gut, denn die beiden taugten +für einander und wären einander werth. Sie selber habe ihren Entschluß +gefaßt, sie wolle nach Hause gehen und mit der Mutter überlegen, was +zu thun sei. Glücklich wolle sie nicht mehr werden, aber verzagen +wolle sie deßwegen auch nicht. Sie wolle schaffen und arbeiten, wie +sie's gelernt habe, sie wolle ihre Schuldigkeit thun und als ein +rechtschaffenes Mädchen leben und sterben. + +Vorsichtshalber trug sie den Brief selber auf die Post. Durch die +Aufschrift hatte sie dafür gesorgt, daß er sicher einen halben Tag vor +ihrer Ankunft in die Hände der Mutter gelangte. + +Als sie am zweiten Morgen nach ihrer Wiederherstellung aufgestanden +war, ging sie im Unterkleid zu der alten Commode, zog das oberste +Fach heraus und lächelte, mit einer seltsamen Mischung von Freud und +Leid. Die Bauernkleider, in denen sie hergekommen war, lagen darin. +Sie nahm ein Stück nach dem andern heraus, betrachtete sie, als sie +auf dem Tisch ausgebreitet waren, mit einer Art von Feierlichkeit, und +kleidete sich damit an. Als sie fertig war und in den Spiegel sah, +schüttelte sie erst den Kopf, dann hing sie mit zufriedenen Blicken an +dem Bild. Die Kleider waren ihr zu weit geworden und kamen ihr so im +ersten Moment doppelt ungewohnt vor. Aber es waren doch die Kleider, +in denen sie schöne Tage gesehen hatte -- jetzt das Wahrzeichen einer +verständigen Umkehr und eines neuen Lebens. + +Groß war die Verwunderung, als sie in diesem Anzug, allen unerwartet, +in die untere Stube trat. Und sie minderte sich nicht, als die kaum +Genesene der Base erklärte, da das Wetter so gut sei, wolle sie nicht +nach Hause fahren, sondern gehen. An ihrer Krankheit sei Schuld +gewesen, daß sie sich zu wenig Bewegung gemacht habe; das Gehen würde +ihr gesund sein und sie würde sich's jetzt um keinen Preis abkaufen +lassen. Alle Einreden der Sorglichkeit waren umsonst, und man fügte +sich endlich in ihren wiederholt erklärten Willen. + +Nach dem Frühstück nahm sie die Base mit auf ihre Stube, wo ihre +Stadtkleider in drei verschiedenen Partien auf dem Canapee lagen. +Sie bat ihre Verwandte, die erste mit den werthvollsten Stücken zum +Andenken von ihr anzunehmen und die beiden andern der Mamsell Adelheid +und der Susanne zu übergeben. Das Sträuben der guten Frau wurde +überwunden und die Einwilligung erzwungen. Die Geschenke, die sie +von Forstner erhalten hatte, lagen auf einem Ecktisch. Sie nahm der +Base das Versprechen ab, ihm alle zusammen heute noch in's Haus zu +schicken. Wenn er dafür die ihrigen zurücksende, so bäte sie den Herrn +Vetter, sie zu behalten. Sie würde kein Fäserchen von diesem Manne bei +sich dulden können. -- Die Kiste, in der sie ihre Habseligkeiten vom +Dorf mitgebracht hatte, stand bepackt in einer Ecke. Man sollte sie +dem Fuhrmann übergeben, der am folgenden Tage die Stadt passirte. Es +blieb nichts mehr übrig, als von der letzten Geldsendung der Mutter +die kleine Schlußrechnung der Base zu bezahlen. Dieß geschah, und das +Landmädchen war fertig mit der Stadt. + +Es war nach neun Uhr, als sie der kleinen Zahl ihrer städtischen +Bekannten Lebewohl sagte. Die gute Frau Kahl und Susanne weinten, der +Vetter hatte feuchte Augen und Mamsell Adelheid widerstand mit Mühe +dem Drang ihres Gefühls. Christine war über diese Zeichen wahrer +Theilnahme zu erfreut, um gleich den andern weich werden zu können. +Sie gab allen die Hand, sah mit glänzenden Blicken der Liebe und des +Dankes auf sie, und jetzt endlich standen Thränen auch in ihren Augen. +-- »Lebwohl, lebwohl, du gutes, liebes Kind!« rief die Base, indem sie +ihre Hand zärtlich gefaßt hielt. »Du hast hier keine guten Tage gehabt, +du hast viel gelitten; aber dir wird's auch noch gut gehen!« -- »Mir +wird's gehen, wie ich's verdiene,« erwiederte Christine, »und anders +verlang' ich's nicht!« + +Wenige Minuten später, und sie ging allein, wie sie sich's erbeten +hatte, durch die Hauptstraße der Stadt. Ein paar Vorübergehende kannten +sie, starrten sie an und sahen ihr kopfschüttelnd nach. Christine that, +als ob sie nichts gemerkt hätte, und ging ruhigen Schrittes weiter; +aber doch war sie froh, als sie die Stadt endlich hinter sich hatte. + +Es war in der zweiten Hälfte des März und der Tag wie zu einer +Fußwanderung geschaffen, Frühlingsanfang, nicht nur dem Kalender nach, +sondern in der That. Der Winter hatte schon seit einigen Tagen weichen +müssen, der Lenz hatte das Feld behauptet, und schmetternde Lerchen +verkündeten seinen Sieg dem Himmel und der Erde. Die Luft war milde, +die Sonne von leichten Wolken umzogen, so daß ihr Schein durchdringen +konnte, wenn auch nicht ihr Bild, und der Weg trocken, hie und da noch +gefeuchtet und weich, dort schon bedeckt von Märzenstaub. Und Gras und +Laub, welche dieser bringen soll, waren reichlich verheißen in dem +frischeren Grün der Wiesen, in den Knospen der Bäume und Gesträuche. + +Christine wanderte still weiter, die Straße weiter, auf welcher sie +hergefahren war und die sie nun zum erstenmal wieder sah. Ihr Mund sog +die lau frische Gottesluft ein, ihre Augen schweiften umher auf dem +Feld und den Waldstücken, die in der Landschaft hervortraten, und ihr +Gesicht ward heller und freundlicher bei diesem Anblick. Bald fühlte +sie sich wieder hineingezogen in ihr Inneres, sie überließ sich den +Gedanken ihrer Seele und ging dahin, wie eine, die im Traume wandelt. + +Ein Rieser Bauernmädchen ist im benachbarten Frankenlande nichts +Seltenes und kann schon darum nicht bemerkenswerth erscheinen, weil +ihre Tracht von der dortigen ländlichen nur wenig unterschieden ist. +Aber Christine hatte in ihrem Wesen etwas, das auffallen mußte und +wirklich auffiel. Die Landleute, die ihr begegneten, der Steinklopfer +am Wege sahen sie an und grüßten sie theilnehmend. Als einer sie nach +erhaltenem Dank fragte: »Wohin denn noch heute?« und mit sanfter Stimme +die Antwort erhielt: »In's Ries,« da betrachtete er sie noch einmal +genau, bevor er weiter ging, schien aber doch nicht mit sich einig +werden zu können, was er aus ihr machen solle. + +In Folge des Lebens in der Stadt und der Leiden, die sie darin +ausgehalten hatte, war die Gestalt des Landmädchens um vieles schlanker +geworden; die Fülle des Gesichts war geschwunden, die Farbe, die ihr +auf dem Dorf ein so frisches Aussehen gegeben hatte, war gewichen +und die jetzige Blässe nur von einem bräunlichen Hauch und in Folge +des Gehens von einer leichten, flüchtigen Röthe bedeckt. Da sie den +gestreiften »Kittel« (das Gewand des Oberkörpers) offenbar nicht mehr +ausfüllte, so sagte sich jeder, daß sie krank gewesen sein und viel +ausgestanden haben müsse. Aber das war es nicht allein, was auffiel. +Ihr bleiches Gesicht hatte einen Glanz, aus ihren feuchten Augen, wenn +sie damit aufsah, ging ein Blick, und der ganze Kopf hatte ein Gepräge +und einen Ausdruck, daß jeder augenblicklich sah, nicht nur daß es ein +schönes Mädchen sei, sondern auch daß es mit ihr eine ganz besondere +Bewandtniß haben müsse. + +Es war die Erfahrung ihres Geistes, welche dem Gesicht diesen Ausdruck +lieh, es waren die Empfindungen und Bilder ihrer Seele, die es +verklärten. Die Erdenschwere des Leides war ihr abgenommen, aber sein +Schein und sein Duft waren geblieben. Die Freude des Lebens, ja die +Hoffnung auf sie waren geflohen, aber ein stiller Friede, gegründet +auf das Bewußtsein, endlich recht und gut gehandelt zu haben, waren +eingezogen in sie. Eine Wehmuth erfüllte sie, die etwas Süßes hatte, +weil sie durchdrungen war von holdem Licht und getragen von einem +erstarkten Geist. Alles das weckte und nährte das Spiel der Phantasie, +eine Träumerei, welche das Mädchen weiter und weiter zog und neue, +wunderbare Welten ihrem Blick öffnete. -- Die Poesie der Lieder, die +sie in schönen Tagen auf dem Dorfe gelernt und gesungen hatte, lebte +wieder in ihr auf. Traurige und fröhliche summten durch einander in +ihr und feuchteten bald ihre Augen und regten zarte, süße Schauer in +ihr an. Sie hörte die Melodien ordentlich in ihrer Seele, und Stimmen +in der Luft, nahe und ferne, schienen in sie einzuklingen. -- Die gute +Christine! Jetzt war sie fein, und ihr Gesicht war geistig und ihr +ganzes Wesen von einem Reiz übergossen, daß es auch der eitle Pedant in +der Stadt hätte anerkennen müssen. -- Zu spät! -- Aber zu ihrem großen +Glück! -- Jener hätte sie nicht verdient, auch wenn es ihm möglich +gewesen wäre, sein Versprechen zu halten und seine Treue zu bewahren. + +Wir haben damit erklärt, was die Vorübergehenden Absonderliches an +Christine wahrnahmen. Hübsche Mädchen in Rieser Tracht kann man viele +sehen, wenn man durch die gesegnete Ebene wandert -- und Glück hat. +Aber Bilder, wie Christine in ihrer jetzigen Seelenstimmung eines +darbot, wird man unter allen Umständen nur selten bemerken können. + +In der Einsamkeit eines Waldthals nahmen die Gedanken der Fußgängerin +eine bestimmte Richtung. Ein Verhältniß, wie sie es mit Forstner +gehabt, läßt sich nicht abthun und vergessen; die Seele wird eine +Zeitlang immer wieder zurückschauen und sich den Verlauf und den +Ausgang zu erklären suchen. -- Christine ließ das Handeln Forstners +wieder an ihrem Geist vorüberziehen. Wie billig sie war und wie viel +sie sich selber zur Last legen mochte, nahm sie alles zusammen und +hatte sie ihn in den hauptsächlichsten Momenten vor Augen, so konnte +sie sein Benehmen zwar begreiflich finden, aber auch nicht der leiseste +Hauch von Achtung dieses Mannes war ihr möglich. Im Besitz dessen, +was Natur und Geschick ihr an Einsicht verliehen hatten, kam ihr die +ängstliche Sorge und die Wichtigkeit, womit er ihr den Flitterkram +seiner Bildung aufdrängen wollte, über alle Maßen kleinlich vor; und +daß er diesen als die Hauptsache ansah, für die wirkliche Hauptsache +dagegen, welche sie jetzt auf's allerklarste anschaute, keine Augen und +kein Gemüth hatte, das erfüllte ihre Seele mit einer Geringschätzung, +in welcher sie ihn zu einem Nichts hinschwinden sah. + +Es war unvermeidlich, hier nicht an das Benehmen des Vetters Hans zu +denken. Obwohl sie eine Scheu davor empfand, so konnte sie dem Reiz +doch nicht widerstehen, sich zu vergegenwärtigen, wie sich dieser von +der ersten Zeit an gegen sie betragen hatte. Seine treue Liebe, die +sich erst so bescheiden verbergen wollte und sich doch verrieth; seine +Freude an ihr und das Vergnügen, das aus ihm leuchtete, wenn er sie bei +der Arbeit loben konnte und sie dabei ansah; die stete Sorge für sie +und ihre Mutter, der Eifer für ihr Wohlergehen und ihre Ehre; seine +Großmuth, als er erfahren hatte, was ihn auf's tiefste schmerzen, auf's +bitterste kränken mußte; der Stolz, der sich vor den Leuten nichts +anmerken ließ und alles vergessen zu haben schien; die unendliche +Gutmüthigkeit, womit er sie später als Verwandte und Jugendfreundin +behandelte, als ob sie ihn nie beleidigt hätte -- alles das stellte +sich vor ihre Seele und verband sich zu einem einzigen Bilde. Die ganze +Schönheit eines von Gott und Natur mit gleicher Liebe beschenkten +Gemüths glänzte vor ihr und sie war jetzt in der rechten Stimmung, sie +zu erkennen und nach ihrem Werth zu schätzen. Thränen stürzten aus +ihren Augen, die nur der edlen Seele galten. Sie fühlte die Liebe und +Treue eines solchen Mannes als das Liebste und Holdeste, was es geben +könne auf der Erde; in ihrem Herzen gährte und bebte es und eine Glut +entzündete sich und loderte empor und übergoß ihr bleiches Gesicht +urplötzlich mit brennender Röthe. + +Es war geschehen. Sie hatte ein Gefühl, als ob nichts wahr gewesen +wäre in ihrem ganzen Leben, als diese Liebe zu dem besten Menschen auf +der Welt. Alles, was ihr an andern schön vorgekommen war und reizend +und vornehm, erschien ihr jetzt wie gar nichts, wie Rauch, den ein +Windhauch verjagte. Sie begriff nicht, wie man sich davon blenden +lassen, wie man daran sein Herz hängen, wie man darauf bauen und +vertrauen könne. + +Und sie hatte sich zweimal davon blenden lassen! Sie war von dem, +der allein aller Lieb' und Treue werth gewesen, zweimal abgefallen! +-- Das Gesicht, auf welchem sich die Blässe wieder gelagert hatte, +wurde auf's neue überströmt -- von der Röthe der Scham; und diese +blieb länger auf ihm als die Farbe der Liebe und des Entzückens. -- +»Du hast keine Augen gehabt,« rief sie sich strafend und leidvoll +zu, »du hast nichts gesehen -- du Blinde, Dumme, Sinnlose!« -- Sie +fühlte ihre ganze Unwürdigkeit dem braven, uneigennützigen, unendlich +liebevollen Manne gegenüber. Das Licht der Erkenntniß, das ihr zuerst +in schwachem, vorübergehendem Aufzucken, dann im klaren, hellen Scheine +zu Theil geworden war -- jetzt flammte es vor ihr empor und leuchtete +und brannte vor ihr und faßte und durchloderte sie, und drohte sie zu +verzehren. -- Das war das Maß, mit dem ihr gemessen werden sollte -- +das volle, gerüttelte und geschüttelte, überfließende Maß. + +In der Qual dieser Flamme gab es nur Eine Rettung für Christine, und +sie griff darnach. »Er soll's nie, nie erfahren, wie es mir zu Muth +ist! Kein Sterbenswörtchen soll er von mir hören, aus keiner Miene, +keinem Zuck soll er's errathen können! Im Herzen will ich ihn tragen +Tag und Nacht -- todtschlagen will ich mich lassen für ihn, wenn's sein +muß -- aber sterben will ich, ohne daß er weiß, wie ich gesinnt gewesen +bin!« -- Nun brachen wieder Thränen aus ihren Augen und rollten die +Wangen hinab; aber es waren lindernde Thränen. Sie und das Gelübde, das +sie gethan, halfen zusammen, der Tieferregten nach und nach die Ruhe +wieder in's Herz zu flößen, in der sie still ergeben, aber zugleich mit +einem gewissen Stolz der Entsagung fortwanderte. + +Endlich fühlte sie sich müde und erschöpft, und im nächsten Dorfe +ging sie in das Wirthshaus, das an der Straße lag. Sie nahm ein +einfaches Mahl zu sich, ruhte aus und erholte sich. Als sie nach der +Zeche fragte, sah die schon ziemlich bejahrte, stattliche Wirthin +sie prüfend an. »Du bist wohl im Dienst gewesen und krank geworden?« +fragte sie theilnehmend. -- Christine richtete merklich verletzt +den Kopf auf und erwiederte: »Krank gewesen bin ich, aber im Dienst +nicht.« -- Der theilnehmende Blick der Wirthin verwandelte sich in +einen spöttischen. »Ah,« sagte sie, »da bitt' ich um Verzeihung, daß +ich der Jungfer Unrecht gethan hab'!« Sie überlegte ein wenig, nannte +die Summe, erhielt das Geld, bedankte sich und ging hinaus. Die Zeche +war ziemlich groß, und Christine fühlte, was sie gethan hatte. »Du +bist wieder dumm und am unrechten Ort empfindlich gewesen,« dachte +sie. »Die Frau ist gut und wollte dir eine kleine Zeche machen, und +du bist ihr lächerlich vorgekommen mit deinem Stolz, und sie hat Recht +gehabt, dir eine Lehre zu geben. Im Dienst! 'S wär besser, du wärst im +Dienst gewesen und könntest jetzt nach Hause gehen --« -- Ihr Geist +verlor sich in Gedanken, dann erhellten sich plötzlich ihre Züge; mit +einem Aussehen, als ob sie einen Vorsatz gefaßt hätte, erhob sie sich +und verließ die Stube. Im »Haustennen« stand die Wirthin. »Geht's +schon weiter, Jungfer?« war die noch immer spöttische Frage. »Ja,« +erwiederte Christine. »Lebt wohl, Frau Wirthin, und haltet mich nicht +für einfältiger als ich bin!« Das behaglich breite Gesicht lächelte und +der Spott darin erhielt einen Zusatz von Wohlwollen. »O bewahre!« rief +sie, »ich seh' schon, wen ich vor mir hab'. Glück auf den Weg!« + +Es war nothwendig, daß Christine sich gestärkt und erholt hatte -- +sie kam dem Ries näher und näher. -- Eine Stunde darauf und sie war +eingetreten in seinen Kreis und ihr Herz klopfte, ihr Kopf schwindelte. +Sie sah, was ihr bekannt war von Jugend auf, aber das Bekannte erschien +ihr wie ein Mährchen. Dort rechts der Felsen von Wallerstein im Kranze +von Häusern und Bäumen, geradeaus der graue Thurm von Nördlingen, und +jetzt in dem Schein der Sonne, die vorübergehend aus den Wolken trat -- +ihr Geburtsort. -- War es nicht ein Traumgesicht? Waren die Bilder, die +vor ihren Augen flimmerten, nicht aus Luft gewoben und hergezaubert, +um auf einmal wieder zu verschwinden? -- Nein, sie standen fest und +blieben stehen und traten immer größer und deutlicher hervor. Sie +hatten gezittert und gegaukelt vor ihr, weil ihren eigenen Kopf eine +Art von Trunkenheit ergriffen hatte, und in der Schwärmerei des +Staunens hatte das Altgewohnteste den Charakter des Wunders angenommen. + +Sich endlich besinnend und fassend, ging sie weiter und weiter, ihrem +Dorfe zu. Sie freute sich an der Heimath, an den Leuten, die ihr +begegneten, an den Arbeitern auf dem Felde, die sie von weitem sah, +und an der schönen und traulichen Rieser Tracht; aber sie fürchtete +sich, daß irgend Jemand sie erkennen und bei ihrem Namen rufen möchte. +Unangefochten langte sie indeß an der Feldung ihres Geburtsortes an. +Sie schlug einen Fußweg ein. Je näher sie dem Ziele kam, desto mehr +entsank ihr der Muth. Sie konnte nicht anders -- sie mußte sich +wieder vorstellen, was die Leute von ihr denken, was sie sagen und ihr +nachsagen würden. Alle Schmach, als eine Verstoßene, der Verläumdung +Preisgegebene heimzukehren, stieg wieder vor ihrer Seele auf. Da fiel +ihr aber auch wieder ein, daß sie Leid und Beschwer ja gewünscht und +gut gefunden hatte. Sie lächelte mitleidig über sich selber und ging +mit neuer Entschlossenheit vorwärts. + +Die Sonne war hinter dichtere Wolken getreten; es war trübe und kühler +geworden und die laublosen Gärten des Dorfes sahen nicht gerade +erfreulich aus. Als sie eine Hecke entlang ging, um auf die Südseite +zu kommen, wo ihr Haus stand, bemerkte sie in einem Garten eine +Jugendfreundin, die ein Beet umhackte. Die Tritte der Vorübergehenden +vernehmend, schaute diese auf und Christine erwartete einen Zuruf; aber +er blieb aus. »Sie kennt mich nicht mehr,« dachte das Mädchen. »Nun, +das ist ja natürlich!« + +An der kleinen Thüre, die von ihrem Garten auf den Fußweg hinaus +führte, stand die Mutter. Sie hatte sich, von ihren eigenen Gefühlen +einen Schluß ziehend, eben hier aufgestellt, um die Tochter zu +erwarten. Christine ging rascher und gab ihr mit leis gesprochenem +Gruße die Hand. Die Wittwe sah kummervoll und blaß aus, aber ihr +Gesicht war nicht ohne eine Art von Würde. »O Christine!« rief sie mit +gedämpfter Stimme -- weiter nichts. Man konnte sie sehen und hören vom +Haus oder Garten des Nachbars, und niemand sollte wahrnehmen, wie's ihr +um's Herz war. -- Sie führte die Tochter an der Hand durch den Garten +in den kleinen Hofraum. Hier stand Hans. Er sah Christine an mit einem +Gesicht, in welchem das Mitleid hinter tiefem Ernst verborgen war, und +sagte ruhig: »Guten Abend, Christine!« Sie dankte, ohne ihn anzusehen, +und ging mit der Mutter in's Haus. + +Als sie allein waren, öffnete die Mutter ihr Herz und ließ den Klagen, +die sie bis jetzt zurückgepreßt hatte, freien Lauf. »Wer hätte das +gedacht!« rief sie mit tiefer Betrübniß. »Wer hätte das diesem Menschen +zugetraut! -- Ich hab' gemeint, ich müss' umsinken vor Schrecken, wie +ich deinen Brief gelesen hab'. Nicht glauben hab' ich wollen, was du +geschrieben hast! Aber jetzt, wenn ich dich ansehe, muß ich freilich +alles glauben! -- Du armes Mädchen,« setzte sie hinzu, indem sie die +Tochter in zärtlichem Mitleid bei den Händen faßte, »so elend, so +verfallen! -- Das ist nun das Glück, das du gemacht hast! Das ist die +Freude, die ich an meinem einzigen Kind erlebt hab'!« -- Ihre Thränen +flossen, das Schluchzen ließ sie nicht weiter reden. Christine tröstete +sie und sagte: »Sei ruhig, Mutter! Laß dir's nicht so zu Herzen gehen! +-- Ich bin gesund und werde bald wieder aussehen wie sonst.« -- »Ja,« +entgegnete die Wittwe, »dein elendes Aussehen wird vergehen auf dem +Land, aber die Schande wird dir bleiben. Was wird man von dir jetzt +alles sagen im Dorf! Was werden wir uns gefallen lassen müssen! Das +Unglück, das einem widerfährt, ist ja den Leuten nie groß genug, sie +müssen's noch größer machen. Und wir, denen ohnehin so manches Feind +ist im Dorf -- was werden erst wir hören müssen! Ich trau' mir gar +nimmer unter die Leute -- ich schäme mich zu Tod!« + +Als die Tochter die von ihr überwundene Furcht an der Mutter sah, kam +sie ihr in keiner Art würdig vor, und sie erwiederte mit Ernst: »Was +die Leute sagen, liebe Mutter, ist mir einerlei, und dir kann's auch +so sein. Eine Zeitlang wird man schmähen, dann kommt wieder etwas +anderes auf, und wir sind vergessen. Und wenn man auch spottet über uns +und uns ausrichtet -- haben wir's nicht verdient? Ist uns mit unserm +Hochhinauswollen nicht Recht geschehen? -- Von ~der~ Seite muß +man die Sache auch betrachten. So oder so ist das Gerede der Leute +gleichgültig. Wenn sie lügen über mich, so geht's mich nichts an, +und wenn sie die Wahrheit sagen, muß ich's aushalten. Und am Ende -- +wenn's mir hier wirklich zu arg würde, giebt's nicht noch einen Dienst +anderwärts? Man kann sich immer helfen, wenn man noch zu was gut ist in +der Welt, und alles ist noch lang nicht verloren.« + +Diese gefaßte Sprache des Kindes that der Mutter wohl und flößte auch +ihr wieder Trost und neuen Muth ein. Sie sah schweigend auf das blasse, +aber feinere und vornehmere Gesicht und fühlte, daß ihre Tochter in +der Stadt nicht nur verloren, sondern auch etwas gewonnen hatte. Ihre +Mienen klärten sich auf und es war, als ob sie etwas auf der Zunge +hätte. Sie schwieg aber. Sie hatte, wie es schien, nicht den Muth zu +sagen, was sie dachte. + +Als am andern Tag die große Neuigkeit in dem Dorf bekannt wurde, gab +es freilich ein Geschrei, das dem, welches die Verlobung des Mädchens +mit dem Lehrer hervorgerufen hatte, in keiner Weise nachstand. Im +Gegentheil, die Ausrufungen waren jetzt noch leidenschaftlicher, +das Gewunder größer und nachhaltiger, weil die Nachricht wirklich +ganz unerwartet gekommen und wie ein Blitz aus wolkenlosem Himmel +hernieder gefahren war. Welch ein Ohrenschmaus für die ehemaligen +Mitbewerberinnen! Welch ein Triumph für diejenigen, die in ihrer +sittlichen Entrüstung einen schlimmen Ausgang vorhergesagt hatten! -- +Die Partie der Weiber und Mädchen hatte gesiegt; das Schicksal hatte +ihnen Recht gegeben. Und nun ließen sie's die jungen Bursche, die ihnen +früher widersprochen hatten, gehörig empfinden und kosteten den Ruhm +bewährter Prophetengabe von Grund aus. »Hab' ich's nicht gesagt? Hab' +ich's nicht vorher gewußt? Du hast mit mir gestritten, aber nun siehst +du, wer Recht gehabt hat. Mit Schand und Spott ist sie heimgekommen, +die eitle Närrin! Und nun wird's aus sein mit ihrer Vornehmheit -- aus +für alle Zeit!« + +Die große Frage war nun: wie werden die Leute mit einander forthausen? +Ist's denn möglich, daß sie beisammen bleiben? Und wenn sie's thun, +was soll am Ende draus werden? -- In einer zahlreichen Bauernfamilie, +wo dieser Punkt beim Abendessen erörtert wurde, meinte der Oberknecht: +»Am End' nimmt sie der Hans doch noch zum Weib.« -- Da fuhr aber +die älteste Tochter, die nicht zu den Schönsten gehörte und ihre +Sechsundzwanzig hinter sich hatte, empört auf und rief: »Red nicht so +dumm, alter »Gischpel«! Ein Mensch wie der Hans, der etwas hat und +andere kriegen kann, wenn er will, der wird wohl eine nehmen, die ein +halbes Jahr mit einem Schulmeister herumgefahren ist! Schäm dich! 'S +ist sündlich, einem braven Burschen so was zuzutrauen!« -- »No, no,« +versetzte der in der That schon etwas bejahrte Knecht phlegmatisch +lächelnd, »man kann nicht alles so genau nehmen, und 's hat sich schon +gar manches noch g'macht in der Welt.« -- »Und ich wett', was du +willst,« erwiederte die erzürnte Person, »er nimmt sie nicht mehr!« -- +»'S kann auch sein,« versetzte der Knecht. »Ich kenn' den Hans nicht so +genau, daß ich weiß, was er in einem Jahr thun wird. Ich weiß nur, was +ich thät' -- und ich thät' sie nehmen, wenn sie mich möcht'.« -- »Du!« +entgegnete die Tochter des Hauses mit verächtlichem Blick, während die +andern Ehehalten lachten und die Magd schließlich meinte: »Du wärst +»net blöad« (blöde), Heiner! So eine könnt' dich aufrichten!« + +Einige Tage später, und die Frage, die so viele Zungen in Bewegung +gesetzt hatte, war entschieden. Man erfuhr, die Christine sei in +*** (einem zwei Stunden entfernten, westlich gelegenen Dorfe) beim +Holzbauern in Dienst gegangen. Damit erhielt das Gerede einen Kehraus, +der den bisherigen Lärm würdig abschloß. »Die Lehrersbraut eine +Bauernmagd! Und bei dem, wo's noch keine auf die Läng' hat aushalten +können! -- bei dem gröbsten aller Menschen im ganzen Ries! Die hat's +zu was gebracht, das muß man sagen! Die kann sich freuen!« -- Zur Ehre +des Dorfs muß ich übrigens bemerken, daß auch gar mancher die Sache von +einer andern Seite ansah. Als ein ehrenhafter alter Bauer davon hörte, +sagte er zu seiner Ehehälfte: »Wenn das in ihrem Kopf gewachsen ist, +dann fang' ich wieder an etwas zu halten von dem Mädchen.« + +Allerdings war es in dem Kopf der Christine gewachsen, und zwar ging es +so zu. + +Am andern Tage nach der Heimkehr ihrer Tochter hatte die Glauning schon +einen großen Theil ihrer Ruhe und Besonnenheit wieder erlangt. Gedrückt +war sie noch immer und traurig ging sie im Hause umher; aber ihr Geist +richtete sich allmählig auf und überlegte, wie sie das Unglück, das sie +betroffen hatte, wieder gut machen könne. Leute wie sie überreden sich +leicht, daß sich alles auf eben die Art wieder ausgleichen lasse, die +ihnen erfreulich dünkt. Als sie nun ihre Tochter in der Stube und Küche +wieder arbeiten sah wie ehedem, als sie den Vetter mit ihr umgehen +sah, wie wenn nichts vorgefallen und sie höchstens von einem längeren +Besuch zurückgekehrt wäre, da beurtheilte sie die beiden nach sich und +glaubte, alles könnte noch recht werden. Als erfahrene Frau mußte sie +am besten wissen, was man alles zu thun habe, um in dieser Welt etwas +zu erreichen; als Mutter hatte sie die Pflicht, für ihre Tochter zu +denken und zu sorgen. Die Scheu, die sie gestern noch gefühlt hatte, +wich daher einer Entschließung. + +Nachmittags fing sie gegen Christine auf's neue an zu klagen und ihre +Bekümmerniß auszusprechen; es geschah dieß aber in einem Ton, daß die +Tochter gleich fühlte, der eigentliche Schmerz sei schon vorüber und +eine ernstliche Tröstung nicht mehr vonnöthen. Sie entgegnete mit +Ruhe, daß diese Reden jetzt zu nichts mehr führen könnten. Man müsse +das Geschehene geschehen sein lassen und nicht mehr daran denken, +dann werde vielleicht alles wieder besser in's Gleiche kommen, als +man glaube. »Da kannst du auch Recht haben,« erwiederte die Mutter +begütigt. Und nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: »Man glaubt oft, +man müsse ein recht großes Glück machen und deßwegen ein kleineres, +das einem entgegenkommt, verschmähen. Aber das große ist einem nicht +bestimmt und bleibt aus; und wenn man das sieht und gescheidt ist, +nimmt man das kleinere an und lebt auch zufrieden dabei.« -- Christine +sah ihre Mutter befremdet an: diese glaubte, sie müsse sich deutlicher +erklären, und sagte: »Du hast Recht, Christine, alles kann wieder in's +Gleiche gebracht werden, und du hast's in deiner Hand. Mir kannst du +wohl glauben, denn ich versteh' mich darauf -- der Hans hat dich noch +immer gern! Er ist einer von den guten Menschen, die alles verzeihen +und denen es nicht möglich ist, etwas nachzutragen. Wenn du dich wieder +freundlich gegen ihn benehmen und ihm ein wenig schönthun wolltest, so +bin ich überzeugt.« -- + +Das Gesicht des Mädchens hatte sich während dieser Rede, nach dem +ersten deutlichen Wort, mit tiefer Röthe bedeckt; jetzt funkelten +ihre Augen und mit erzürnter Heftigkeit rief sie: »Red' nicht weiter, +Mutter! -- ich bitte dich! -- Wenn der Hans mich jetzt noch nähme, so +wär' er ein Tropf -- der jämmerlichste Mensch, der auf Gottes Erdboden +herumwandelt! Und wenn er's wäre und wenn er mich wollte, so möcht' ich +~ihn~ nicht, weil ich ihn verachten würde! Pfui! wie kannst du an +so etwas denken und einem ehrlichen Mädchen solche Vorschläge machen!« +-- Die Mutter war betroffen; sie faßte sich indeß wieder und sagte: +»Nun, ich rathe dir nichts, als was gar manches Mädchen schon gethan +hat, die jetzt als Frau hoch in Ehren steht. Du kennst die Welt nicht. +Ich bin deine Mutter, ich muß für dich sorgen, ich muß dich wieder +auf den rechten Weg weisen --« -- »Red nicht weiter,« rief Christine +am ganzen Leibe zitternd, »oder es geschieht ein Unglück! -- Noch ein +Wort davon -- und ich geh' fort und spring' in's Wasser!« -- Die Alte +starrte sie an. »Um Gotteswillen,« rief sie, »thu nur nicht gleich so +wild! Ich hab' nur gemeint --« -- »Du sollst nichts meinen, was eine +Schande wäre für mich und für ihn. Glücklich sein muß man nicht in der +Welt, aber seinen Charakter muß man behaupten und seine Ehre! Und das +sag' ich dir jetzt: wenn du nochmal von dieser Sache anfängst, wenn du +nur noch eine Sylbe davon sprichst, dann geh' ich aus deinem Haus und +deiner Lebtag wirst du mich nicht wieder sehen!« + +Die Alte schwieg, seufzte tief und verließ die Stube. In ihrer +Herzensangst ging sie in den Stall und traf dort den Vetter, der eben +vom Felde heimgekommen war. Sie sah ihn traurig an und schüttelte +den Kopf. Hans fragte, was ihr wäre, und sie erwiederte: »Ich bin +betrübt über meine Tochter. Nicht nur daß sie unglücklich heimgekommen +ist -- sie ist auch bös heimgekommen. Wenn ich etwas sag' und ihr +einen guten Rath geben will, fährt sie mich an wie rasend. Als ob +ich eine Schlechtigkeit von ihr verlangte! Guter Gott, wer hätte das +gedacht! Wer hätte geglaubt, daß ich noch so was erleben müßte!« +Hans fragte, um was es sich denn eigentlich handle, und die Mutter, +die ihr Herz erleichtern mußte, erzählte ihm den ganzen Auftritt +mit Christine, indem sie nur in Bezug auf ihn die zu seiner Ehre +nöthigen, schmeichelhaft klingenden Veränderungen anbrachte. Allein +das fruchtete sehr wenig. Hans war bei ihrer Erzählung braunroth +geworden und ein Blitz zuckte aus seinen Augen. Es kostete ihn Gewalt, +den Zorn hinunterzudrücken, den er empfand; aber es gelang ihm und er +entgegnete mit einer gewissen Ruhe: »Die Christine hat Recht gehabt. +Mit uns beiden ist's aus. Je freundlicher sie gegen mich wäre, um so +weniger möcht' ich sie, und Ihr würdet mich dann nicht lang mehr bei +Euch sehen.« -- Die Mutter sah ihn tief betroffen an und rief: »Kann's +denn wahr sein! ist wirklich alle Lieb' vergangen in dir?« -- »Alle,« +erwiederte Hans mit Nachdruck. »Und ich muß Euch nur sagen, Base, auch +mir wär's lieb, wenn Ihr davon nicht mehr reden wolltet.« -- »Ach,« +rief die eben so von der Liebe des Hans wie von der Schönheit ihrer +Tochter überzeugte Frau in ihrer Noth, »ich kann's nicht glauben, daß +es dir ernst ist! Geh weiter! Mit der Zeit --« -- Aber nun sah Hans, +dem die Stirnader schwoll, mit einem Gesicht auf sie, daß sie schleunig +rief: »Sei ruhig, sei ruhig! ich will nichts mehr sagen!« -- Hans +drehte ihr den Rücken zu und ging an eine Arbeit. + +Nun war die Reihe zu verzweifeln auch an die Alte gekommen. Wenn die +Sachen so standen, dann war alles verloren; die letzte Hoffnung war +ihr geraubt und die Schande, die auf sie herabgefallen war, blieb auf +ihr sitzen. Ein ehrbarer, vermöglicher Mann, das fühlte sie, meldete +sich jetzt schwerlich mehr um ihre Tochter. Einen armen Teufel, einen +Liederlichen konnte sie nicht brauchen, um so weniger, als ihr Vermögen +im letzten Jahr ohnehin eine ziemlich bedeutende Einbuße erlitten +hatte. Und wenn auch einer von der Mittelgattung kam, war zu glauben, +daß die »bockbeinige« Christine ihn nehmen würde? -- Ihr ganzes Leben +war verdorben, durch die Schlechtigkeit eines Menschen, dem sie getraut +hatte. Sie konnte nichts dagegen thun, sie mußte ruhig dasitzen und +alles über sich ergehen lassen, Schadenfreude, Spott und Verachtung. -- +Als sie sich das recht deutlich machte, stand ihre Seele, die vor allem +auf eitler Ehre Glanz gerichtet war, Folterqualen aus. Sie weinte und +wehklagte und rief zu wiederholtenmalen: »Warum muß denn ~mir's~ +grad so gehen? Warum muß denn ich grad so unglücklich sein?« + +Auf diese Fragen gab es eine Antwort, und auch das in moralischen +Dingen nichts weniger als fein empfindende Weib kam endlich auf ihre +Spur. Nach einer Weile des Zurückdenkens in die Vergangenheit sagte +sie sich: »Ja, ja! -- hätten wir nicht immer weiter getrachtet, wären +wir beim Hans geblieben -- hätt' ich selber das Maul aufgethan damals, +wie ich's hätte thun können und müssen, dann wär' alles anders jetzt. +Wir wären geachtet, wohlhabend und glücklich alle mit einander.« Und +nun, in Noth und in Schaden und in der Erkenntniß ihrer Mitwirkung dazu +klopfte auch bei ihr das Gewissen an. Es ging ein Licht auf in ihrem +Kopf und ein Feuer durch ihr Herz und sie rief: »Ich bin selber Schuld +an meinem Jammer, ja ja, ich selber! -- ich hab's nicht anders haben +wollen!« -- Sie stöhnte unter dem doppelten Druck des Unglücks und der +eigenen Anklage, und nur in Thränen fand sie einige Erleichterung. + +Christine ließ sie weinen. Sie verrichtete die Arbeiten des Tags und +schien für nichts anderes mehr Sinn zu haben. Hie und da sah sie zu +der Betrübten auf; aber ihr Gesicht verrieth eher Befriedigung als +Bedauern. Es war, als ob sie sagen wollte: »Fühl' es nur! Das kann dir +nur gut sein, wie es mir gut gewesen ist!« + +Der Sonntag kam und brachte einen Besuch. Es war wieder eine Base +(deren jede gestandene Person im Ries eine ungezählte Menge hat), +zugleich mit der Glauning und mit Hans verwandt, eine Söldnersfrau aus +dem Dorf des Holzbauern, die einem Hiesigen Zins bezahlt hatte. Nach +geschehener Einweihung in das erlebte Unglück und der Empfangnahme von +Worten des Bedauerns und Trostes kam die Rede auf die Angelegenheiten +der Freundin, auf ihr Dorf und auf den genannten Bauern, der unter +allen durch Reichthum, Verstand, Heftigkeit und Grobheit hervorragte. +Frau Hubel (so hieß die Base) erzählte, daß dieser sonst so gescheidte +Mann eben je älter, je ärger würde, daß er wieder eine Magd wegen einer +kleinen Vergeßlichkeit ausgeschimpft habe »für's Vaterland,« daß die +Magd ihm auch »ein rechtes Maul angehängt« habe und davon gelaufen sei. +»Und nun,« setzte sie hinzu, »kann er sehen, wo er eine kriegt. Seit +einem Jahr ist das die vierte, die er weggejagt hat, und schon ist +eine Woche vorbei und noch immer hat er keine. Er kriegt auch keine, +sag' ich, wenigstens keine ordentliche.« Christine, die der Erzählung +aufmerksam zugehört hatte, erwiederte: »Doch, Base, er kriegt eine, +und ich hoff' auch eine ordentliche.« -- »Wen denn aber?« fragte die +Base verwundert. -- »Mich selber,« versetzte das Mädchen. »Ich will zu +ihm gehen und mich anbieten, und ich hoff', er wird mich nicht wieder +fortschicken. Gleich heute will ich mit Euch nach *** -- Ihr werdet so +gut sein, mich über Nacht zu behalten.« + +Man kann sich denken, welches Staunen diese Erklärung bei der Hubel, +welchen Sturm sie bei der Mutter hervorrief. Aber alle Einwendungen und +alle Vorstellungen, die man ihr machte, wurden beantwortet und blieben +fruchtlos. Das Mädchen sagte zuletzt: »Auf so eine Gelegenheit hab' ich +gepaßt, und wenn ich sie jetzt nicht benutzen wollte, wär's eine +Sünde.« + +In ihrer Aufregung suchte die Alte wieder den Hans auf, theilte ihm ihr +Leid mit und rief: »Nun, was sagst du dazu? Was hältst du von diesem +neuen Einfall?« -- Hans bemerkte ruhig: »Ich find' ihn ganz vernünftig. +Wir haben hier nicht auf sie gerechnet und brauchen sie nicht. Da +sie aber doch schwerlich mehr in die Stadt heirathet, so wird's gut +sein für sie, wenn sie die Bauernarbeit wieder recht lernt; und beim +Holzbauern ist sie in der besten Schule.« -- »Aber denk nur,« rief die +Glauning, »dieser jähzornige Mensch, der nach niemand was fragt! Wenn +er in seiner Wuth ist, wird er sie herstellen vor allen Leuten wie ein +Bettelmädchen!« -- »Bah,« versetzte Hans, »so arg ist's nicht! Und am +Ende,« setzte er lächelnd hinzu, »kann's ihr nicht schaden, wenn sie +ein bischen unter die Fuchtel genommen wird.« + +Frau Glauning schüttelte bedeutend den Kopf, kehrte seufzend zurück +und hatte keine Widerrede mehr. Christine packte Wäsche und Kleider +zusammen und verließ gegen Abend mit der Base das Haus. + +Am andern Morgen ging sie in den großen, stattlichen Hof des +Holzbauern. Sie traf diesen vor dem Haus und eröffnete ihm ihr Begehr. +Der Bauer, hochgewachsen, breitschultrig, von rothbraunem Gesicht und +mit dem Gebiß eines Wolfs, schien von ihrem Aussehen nicht sehr erbaut +zu sein und fragte, wer sie wäre. Christine nannte ihren Namen und +ihr Dorf. »So,« erwiederte er mit verdrießlicher Geringschätzung, »du +bist die? Hab' vorgestern von der Geschichte gehört. -- Nun, und du +glaubst, du könnt'st wieder eine Bauernmagd abgeben?« -- »Ich hoff's, +Herr Bosch,« antwortete Christine dem Manne, der schon zweimal an der +Spitze seiner Gemeinde gestanden hatte. -- »Verstehst du denn die +Arbeiten noch?« -- »Was man von Jugend auf getrieben hat, verlernt man +nicht in einem Winter.« -- »Kommt darauf an,« erwiederte der Bauer. Und +ihre Hand fassend und betrachtend sagte er: »Das Händle da scheint mir +die Arbeit schon recht verg'wöhnt zu haben.« Er drehte sie hin und her +und schüttelte mürrisch den Kopf. Das Mädchen konnte nicht umhin zu +lächeln. Ihre Hand, die man in der Stadt zu groß gefunden hatte, sollte +nun wohl zu klein und zu fein sein. In der des Holzbauers war sie +freilich klein; aber das war auch eine darnach, nicht sowohl eine Hand, +als eine »Doap« erster Größe. -- Doch sie mußte antworten und sagte +so ernsthaft als möglich: »Die Hand da wird so viel schaffen als eine +andere, und bei Euch, glaub' ich, wird sie bald wieder gröber werden. +Uebrigens will ich mich Euch nicht aufnöthigen. Wenn Ihr mich wollt, +so versucht's mit mir; steh ich Euch nicht an, so sagt's, und ich geh +meiner Wege.« -- Die entschlossene Sprache gefiel dem Holzbauern, der +ohnehin nicht gemeint war, ein Mädchen, das er so nothwendig brauchte, +wieder gehen zu lassen. »Der Teufel!« sagte er, »dein Maul geht ja wie +ein Mühlrad. -- Nun, probiren will ich's mit dir. -- Viel trau ich dir +nicht zu, das muß ich dir aufrichtig sagen; aber am End' -- No, so komm +'rein zur Bäuerin', da wollen wir den Handel richtig machen.« + +Christine ging mit ihm in's Haus, bestand die Prüfung auch der würdigen +Ehehälfte des Gewaltigen und war gedungen. Als sie, dem ersten Befehl +gehorchend, die Stube verlassen hatte, sagte die Bäuerin: »Eigentlich +ist das doch »a rechts Häa'le« (Hühnchen)! Ich glaub' nicht, daß wir +die lang haben werden.« -- »Wenn's ihr nicht gefällt bei uns,« brummte +der Bauer, »dann kann sie meinethalben wieder zum Teufel gehen!« + + + VII. + +Nachdem die Fluth der Ereignisse, wie wir sie im letzten Kapitel +zu schildern versuchten, abgelaufen war, trat in dem Leben unserer +Personen eine Ebbe ein, die für sie wohlthuend und nöthig war, uns aber +als geschichtslose Epoche wenig zu sagen bietet. Das Außerordentliche +hatte für jetzt ein Ende gefunden und alles ging seinen gewöhnlichen +Gang. Hier und dort wurden die Arbeiten des Frühlings die Hauptsache, +und hier und dort sah man seine persönlichen Angelegenheiten durch sie +in den Hintergrund gedrängt. + +Von dem Frieden, den eine solche Epoche mit sich bringt, genoß übrigens +am wenigsten die Wittwe Glauning. Sie mußte zugeben, daß unter den +obwaltenden Verhältnissen das Dienen ihrer Tochter eine Auskunft +war; aber den gewaltigen Sprung von der Lehrersbraut und künftigen +Oberlehrerin zur Bauernmagd konnte sie nicht verwinden, und es war ihr +eine ängstliche Sache, das Mädchen, die ihre einzige Freude war, bei +dem »Wilden,« d. h. beim Holzbauern zu wissen und sich vorzustellen, +wie er sie anfahren und heruntermachen werde. + +Zu der Plage, die sie sich mit ihren Gedanken selber anthat, gesellte +sich noch eine andere. Das Schicksal der Christine war zu merkwürdig, +zu seltsam, als daß in den guten Freundinnen der Mutter und der Tochter +sich nicht ein unwiderstehliches Verlangen hätte regen sollen, das +Nähere darüber zu erfahren. In den Stunden der Muße kam nun eine +um die andere angeschlichen, und den Versicherungen der Theilnahme +folgten regelmäßig Fragen, welche die gute Frau sehr inkommodirten. Sie +erklärte zwar die Vorgänge durchaus zur Ehre ihrer Tochter; aber was +half das? Ein Gesicht wie beim Erzählen eines glücklichen Ereignisses +konnte sie doch nicht machen. Und wenn die Freundinnen Christine lobten +und hinzufügten: das hätten sie an ihrer Stelle auch gethan, und sie +hätte sich benommen wie ein rechtes Mädchen, so klang dies in den Ohren +der Mutter lange nicht so gut, als die Ausrufungen und Gratulationen +geklungen hätten beim Verkündigen der Nachricht: ihre Tochter sei Frau +Lehrerin. -- Und wenn gar erst eine von der schlimmen Sorte kam und +ein ungläubiges Gesicht machte und eine gewisse Schadenfreude nicht +verbergen konnte und von den unschuldigen Fragen zu den spitzigen +überging, da wurde die Situation der ehrgeizigen Mutter höchst fatal. +Sie konnte nur mit Mühe die Ungeduld ihres Herzens bemeistern; ein +paarmal, gegenüber von besonders Zudringlichen, gelang ihr dies nicht +und sie mußte sich mit entschieden unhöflichen Antworten helfen. Damit +gewann sie aber nichts; die Weiber entschuldigten sich heuchlerisch und +lächelten dabei noch viel beglückter als vorher. + +Doch die Zeit verging, das Mißgeschick der Familie wurde altmodisch, in +einem Bauernhause des Orts gab es ein Aergerniß, das bedeutend von sich +reden machte, obwohl es lange nicht so außerordentlicher Natur war, +und die Glauning bekam endlich Ruhe. -- Christine hatte schon zweimal +Grüße geschickt und der Mutter zuletzt noch herunter »verbieten« +(entbieten) lassen: sie sei gesund und es gehe ihr gut; der Holzbauer +wäre nicht so bös, als man ihn mache, zum wenigsten meine er's nicht so +bös, und ihr selber sei alles recht bei ihm. Diese Nachrichten trugen +dazu bei, das Herz der Mutter zu beschwichtigen, so daß sie hie und +da sogar wieder behagliche Stunden hatte. Sie wußte freilich nicht, +was aus ihr und ihrer Tochter werden sollte. Sie wußte nicht, ob Hans +gesonnen war, bei ihr zu bleiben, oder was er sonst im Sinn hatte. +Der sonderbare Mensch arbeitete weiter, als ob er der Sohn des Hauses +wäre. Er hatte von dem Ankauf des Gutes nicht mehr gesprochen, sagte +überhaupt sehr wenig und wollte offenbar nicht gefragt werden. Aber +konnte er nicht jeden Augenblick zu ihr kommen und sagen: er hätte +nun eine gefunden, die ihm passe, er wolle heirathen und müsse nun +entweder sein Geld oder das Gut haben? Diese Unsicherheit der Zukunft +hatte nichts Tröstliches, aber vor der Hand war dem Herzen doch eine +wirkliche Last abgenommen, und ein's in's andere gerechnet, konnte +man sich in sein Schicksal ergeben. Die Wittwe nahm sich ein Beispiel +an dem Vetter, und so hauste man zusammen weiter und ließ es, auf gut +deutsch und auf gut ländlich, gehen, wie's eben ging. + +An einem Sonntag in der zweiten Hälfte des Mai kam unerwartet eine +Einkehr, in der Person der Base Hubel. Diese gehörte zu den Weibern, +die gerne Neuigkeiten einsammeln und verbreiten, und deswegen auch +öfter über Land gehen, wenn sie gerade Zeit und dem Mann gegenüber +einen Vorwand haben. Diesmal hatte sie im Dorf eigentlich nichts zu +thun; sie wollte nur erzählen und hören, und sehen, wie's bei der +Glauning stehe. Zunächst richtete sie recht schöne Grüße von Christine +aus. Auf Befragen der Mutter, was diese mache und wie ihr das Dienen +anschlage, legte sie ihr Gesicht in bedenkliche Falten und bemerkte: +»Ja, da wär' viel zu sagen! 'S geht ihr eben recht hart bei dem +Menschen, recht hart!« -- »So?« erwiederte die Mutter. »Aber sie hat +mir ja sagen lassen, sie sei wohl zufrieden?« -- »Ja seht, Base, das +ist eben zum Verwundern. Sie selbst thut, als ob ihr nichts zuviel und +alles recht wär'. Sie schafft mehr als die andern, und besser. Aber +anstatt nun ein Einsehn zu haben und sie zu schonen, verlangt der +alte Bär immer mehr von ihr, und wenn sie »in der Acht« (unversehens) +ein kleines Fehlerle gemacht hat, schnurrt er sie an. 'S ist grad, +als wenn der Teufel in ihn gefahren wär'! Eine andere wär' schon lang +davongelaufen. Aber wenn die Christine noch so meint, es müßt' sein, +sie wird doch auch nicht bleiben können: sie macht's nicht aus auf +die Läng'.« -- »Du lieber Gott!« rief die Mutter, »was sind das für +Sachen! Aber wie steht's denn mit ihrer Gesundheit? Wie sieht sie denn +aus dabei?« -- »Wie wird sie aussehen, Base! Wie man eben aussieht, +wenn man alles thun muß! Mager ist sie und »schwarz« (braun) und +gelb im Gesicht.« -- »Meine Christine!« rief die Alte, wie von einer +Schlange gebissen. »Aber das kann so nicht fortgehen, sie kann's +nicht aushalten, und ich darf's nicht leiden.« -- »Das hab' ich ihr +auch gesagt, erst heut früh noch. Mädle, hab' ich gesagt, das kannst +du nicht prästiren, du bist's nicht gewohnt und du schaffst dir die +Schwindsucht an den Hals. Wenn du deinen Sinn nicht ändern und mit +Gewalt dienen willst, so such dir wenigstens einen andern Platz; 's +giebt ja bessere. Aber was hat sie mir darauf gesagt? Grad ~der~ +Platz ist mir recht und grad da will ich bleiben!« + +»Da seh eins den eigensinnigen Kopf! Guter Gott! 's ist ja grad, als +ob sie sich expreß zu Grund richten wollte?« Und die unglückliche +Mutter wendete sich zu dem Vetter, der am Ofen »Speikel« schnitzte +zum Festmachen einer Hacke am Stiel, und rief: »Nun, Hans, was sagst +denn du zu der Neuigkeit? Soll ich das dulden? Ist's nicht meine +Schuldigkeit, sie mit Gewalt von dem Menschen wegzubringen?« -- »Base,« +erwiederte Hans nach kurzem Besinnen, »Ihr wißt, daß ich nicht gern in +anderer Leut' Sachen rede; aber weil Ihr mich gefragt habt, will ich +Euch doch meine Meinung sagen. Daß man sich die Schwindsucht an den +Hals ärgert, mag sein, zum wenigsten sagt man so; aber daß man sie sich +an den Hals schafft, hab' ich noch nie gehört. Ich glaub' auch nicht, +daß es mit dem Aussehen der Christine grad so arg ist, wie's die Bas +Hubel macht. Die Bas red't manchmal gern ein Bischen mehr, als an der +Sach' ist; und natürlich, wenn man über zwei Stunden Wegs macht, um +etwas zu erzählen, so muß es doch auch der Müh' werth sein.« + +Hier verzog die Hubel bedeutend die Oberlippe; Hans aber, ohne sich +daran zu kehren, fuhr fort: »Runde und rothe Backen muß man grad nicht +haben, sonst wär's bös für viele Leut' in der Welt. Im Uebrigen ist +die Christine ein Mädchen, die ihren Verstand hat und selber am besten +wissen muß, was sie vertragen kann; ich mein' also, daß Ihr sie lassen +sollt, wo sie bleiben will.« -- »Geh weiter!« rief die Hubel, »du bist +mir auch der rechte geworden! Wenn das die Christine hörte, daß du dich +jetzt so gar nichts mehr um sie bekümmerst, dann thät' sie's kränken, +recht in der Seel' kränken, das kann ich dir sagen.« -- »Ich glaub's +nicht,« erwiederte Hans, der unterdessen aufgestanden war; »übrigens +müßt' ich's mir gefallen lassen, ich kann mich nicht anders machen, als +ich bin.« -- Dann verließ er die Stube und hämmerte draußen die Speikel +ein. Die beiden Weiber sahen sich an und schüttelten den Kopf. »Wer +hätte das geglaubt?« rief die Hubel. Und die Glauning jammerte: »Alle +sind verhext! Ist das ein Elend!« + +Manches wurde noch hin und her geredet. Endlich rüstete sich die Base +zum Aufbruch und fragte, was sie der Christine sagen solle. »Sie soll +sich schonen,« rief die Glauning eifrig; »und wenn ihr's der »Unmassel« +zu arg macht, soll sie zu ihrer Mutter kommen. Das sag ihr!« -- »Sagen +will ich ihr's,« versetzte die Base; »aber ich sorg', es wird nichts +helfen.« + +Und es half nichts. Christine hörte es, dankte der Base -- und blieb. +Gelegentlich ließ sie der Mutter sagen: sie werde das Schaffen immer +mehr gewöhnt, und man solle doch ja keine Sorge haben um sie. + +Mehrere Wochen gingen vorüber. Die Glauning war wieder ruhiger +geworden, da sie nichts Besonderes von ihrer Tochter erfuhr, und ihr +Herz hatte sich wieder einigermaßen der Lebensfreude geöffnet. Nun +brachte aber das Schicksal eine andere, stärkere Prüfung an sie. An +einem Sonntag in der Heuernte kam ein Besuch von ***, der sich mit +einem Gruß der Hubel einführte. Es war eine Nachbarin derselben, etwas +verwandt mit ihr, weswegen sie auch die Glauning sofort mit dem Titel +Frau Base anredete. Als die letztere nach den ersten Höflichkeiten +und nachdem sie ein gutes »Vorbrod« auf den Tisch gesetzt hatte, +die Frau genauer ansah, merkte sie an einer gewissen bedenklichen +Ernsthaftigkeit derselben alsbald, daß sie etwas Neues bringen werde +von Christine, aber nichts Gutes. Sie erkundigte sich etwas kleinlaut, +was ihre Tochter mache, und ob sie's noch aushalte in ihrem Dienst. +»Noch immer, Frau Base,« war die Antwort; »aber ich kann's Euch wohl +sagen, 's wundert sich alle Welt drüber.« -- »Wie so?« fragte die +Glauning; »wird sie noch alleweil so hart gehalten?« -- »Frau Bas,« +erwiederte die Andere, »ich hätt' mir nicht getraut zu erzählen, was +vorgefallen ist; aber die Bas Hubel hat gesagt, weil ich hier grad +etwas zu thun hätt', sollt' ich zu Euch gehen und Mittheilung machen, +denn Ihr müßtet's wissen.« -- »Guter Gott,« rief die Mutter, »was werd' +ich wieder hören müssen!« + +Und die Andere begann: »Wie Eure Christine, die's doch wahrhaftig +nicht nöthig hätt', alles thun muß beim Holzbauern, wie er ihr mehr +aufhängt als andern, und wie sie auch wirklich mehr schafft als andere, +das wißt Ihr schon; 's ist zum Verstaunen! Da ist nun »vodertags« +(vorgestern) zum »Häat« (Heuernte) schön's Wetter kommen, und der +Bauer ist wieder gewesen wie der »Massich« und hat gemeint, alles +müss' auf einmal drin sein. Er hat gethan und gewirthschaftet auf der +Wies, daß »a Graus« gewesen ist. Am Himmel ist a Wölkle gestanden, +ganz klein und unscheinbar; aber er hat doch gesehen, das könnt' ein +Wetter geben, denn gescheidt ist er, das muß man ihm lassen. Wie nun +ein Fuder heimgefahren und die Christine mitgegangen ist zum Abladen, +hat er ihr noch nachgerufen, sie sollt' des Nachbars Wagen »verdleihen« +(entlehnen) und rausschicken. Nun, wie's einem eben geht -- entweder +hat sie's nicht recht verstanden oder sie hat's vergessen -- du lieber +Gott, was passirt einem nicht in der Unmuß', wenn alles auf einen +hineinschreit? Die Bäuerin hat auch noch schnell was haben wollen von +ihr, und wenn die red't, muß auch gleich alles laufen und springen; +kurz, der Bauer wartet und der Wagen bleibt aus, aber das Wetter kommt +am Himmel rauf. Da hättet Ihr den Mann sehen sollen! Reingelaufen +ist er wie »wüadeng« (wüthend), und wie er erst vom Nachbar gehört +hat, daß der Wagen gar nicht bestellt worden ist, da ist's gar aus +gewesen. Herrgott, Frau Bas, wie hat der die Christine hergestellt! +Ich bin grad am Hof vorbei gegangen und stehen geblieben; mein Lebtag +hab' ich keinen Menschen so lästern hören. »Du dummes Thier! Du +einfältiger Mensch! Bist »do'sohrad« (taub), he'! oder denkst an dein' +Schulmeister, wann ich was sag'? Ich hätt' n' guten Lust und nähm' die +Karbatsch und thät' dir die Gedanken austreiben, daß sie deiner Lebtag +nimmer kommen.« -- Ach, Frau Bas, ich will nicht sagen, was er alles +noch geschrieen hat. 'S ist so arg gewesen, daß die andern Ehehalten +ganz blaß dagestanden sind und ordentlich verstarrt, und zuletzt auch +die Bäuerin gerufen hat: »Jetzt sei still einmal und schäm dich vor den +Leuten. Geschehen ist geschehen!«« + +Die Mutter war bei den Schimpfreden, womit ihr Kind befleckt +worden, von der Bank aufgesprungen mit einer Miene, als ob sie +das Schrecklichste vernommen hätte, und sogar die uns bekannte +pflanzenruhige Taglöhnerin, die hinter dem Ofen gestrickt hatte, +war herbeigeeilt. »Das ist meiner Tochter passirt?«, rief die Alte +zitternd vor Entrüstung, »~meiner~ Christine? und sie hat dem +Schandmenschen nicht augenblicklich den Dienst gekündigt und ist auf +und davon gegangen?« -- »Jede andere hätte das gethan,« versetzte +das Weib, »keine hätte sich das gefallen lassen.« -- »Ich wahrhaftig +auch nicht,« rief die Taglöhnerin, deren Backen sich gefärbt hatten, +ordentlich aufgebracht. -- »Die Christine,« fuhr die Erzählerin fort, +»hat sich's gefallen lassen und ist geblieben. Zuerst ist sie bestürzt +gewesen und hat ihn mit großen Augen angesehen. Je mehr er aber +gewüthet hat, je ruhiger ist sie geworden; und wie er endlich aufgehört +hat, weil ihm ganz der Schnaufer ausgegangen ist, da hat sie gesagt: +»Herr Bosch, ich seh's ein, ich hab' gefehlt. Verzeiht mir's -- es soll +nimmer geschehen.«« -- Die Glauning war empört. »Das hat meine Tochter +gesagt?« rief sie. »Mit der muß was vorgegangen sein. Es ist nicht +anders möglich -- bei der ist's nicht mehr richtig im Kopf!« + +Das Gesetz der Schwere, wie man weiß, gilt in der geistigen Sphäre so +gut wie in der materiellen. Die Schwäche gravitirt nach der Stärke; wer +außer sich ist, strebt zu dem Festen und Gefaßten hin und klammert sich +an ihn an, und zwar zunächst ganz instinktmäßig, ohne alle Reflexion +und trotz aller Anprallungserfahrungen, die man gemacht hat. -- Diesem +Instinkt zufolge suchte die Glauning den Vetter auf; sie traf ihn im +»Emmenstand« und erzählte ihm die Geschichte. Der Bursche horchte mit +großem Ernst und die Mutter, die hierin Uebereinstimmung mit ihren +Gedanken erblickte, schloß mit den Worten: »Nun wirst du mir doch +Recht geben, wenn ich's nicht mehr leide, daß sie noch länger bei dem +Menschen dient? Gleich morgen in der Früh' geh ich hin und nehm' sie +mit nach Haus.« -- Hans, nach kurzem Schweigen, versetzte: »Wenn sie +nun aber nicht mitgeht?« -- »Nicht mitgehen?« rief die Mutter. »Das +will ich doch sehen, ob ich über mein Kind keine Gewalt mehr hab'. +Sie ~muß~ mit!« -- »Base,« fuhr Hans fort, »übereilt Euch nicht +und macht überhaupt die Sache nicht ärger als sie ist. Wenn man Heu +hereinbringen will und durch den Fehler eines Dienstboten wird's +verregnet, so ist das für einen Bauern eine sehr ärgerliche Sach'. Der +Christine hat was gehört, und wenn der Bosch es ihr nicht geschenkt +hat, so ist das begreiflich.« -- »Aber so rasend, so abscheulich thun« +-- -- »Das will ich gar nicht loben,« versetzte Hans. »Aber kennt man +den Holzbauern denn nicht? Wenn der zornig wird, ist's grad, wie wenn +ein Wetter ausbricht. 'S geht nicht anders, es muß raus aus ihm, er +kann sich nicht anders helfen, und darum kann man's ihm auch nicht so +übel nehmen wie andern Leuten. Das wird sich die Christine wohl auch +gedacht haben und drum ist sie geblieben.« -- »In einem Haus, wo man +einen so schandbar behandelt hat,« erwiederte die Glauning mit dem +Ausdruck der Entrüstung und Geringschätzung, »da bleibt man nicht mehr, +wenn man ein ordentliches Mädchen ist. Und die da, die zu mir gesagt +hat, daß man vor allem seinen Charakter und seine Ehr' behaupten müss' +in der Welt -- die will sich so was gefallen lassen!« -- »Sie wird eben +unter Charakter und Ehr' etwas anderes verstehen, als Ihr, Base.« -- +»Meinetwegen!« rief die Mutter, erzürnt darüber, den Burschen gegen +ihr Vermuthen auch diesmal im Widerspruch mit sich zu finden. »Ich +leid's einmal nicht, daß sie noch dort bleibt. Und ich geh hin und hol' +sie und mit Gewalt nehm' ich sie mit mir!« -- »Ihr kennt Eure eigene +Tochter nicht,« rief Hans mit Nachdruck. »Ich sag' Euch, sie geht nicht +mit Euch!« -- »Das wird sich zeigen, -- ich thu's nicht anders und +setz' alles in Bewegung.« -- »Dann, Frau Base,« rief Hans mit strengem +Gesicht, »dann macht Ihr einen thörichten Streich und kommt doch nicht +zu Eurem Zweck. Die Christine, das könnt Ihr nun wohl sehen, hat sich +was in den Kopf gesetzt und läßt sich nicht davon abbringen; und ich +für meine Person, ich denk', ich kann's errathen. -- Bah,« fuhr er mit +einem eigenen Lächeln fort, »an einem Schimpfwort stirbt man nicht -- +namentlich wenn man nicht ohne Schuld ist, und je mehr man aushalten +lernt, desto besser ist's.« -- »Aushalten!« rief die Glauning; »Schande +soll niemand aushalten.« Aber nun wurde Hans aufgebracht. »Base,« rief +er, »ich will Euch meine Meinung rund heraus sagen. Ihr seid eine eitle +Mutter und wollt nichts als Ehr' haben und flattirt sein und prangen +mit Eurer Tochter. Euer Prangen ist Euch aber schlecht bekommen bis +jetzt. Wer weiß, wer weiß, ob nicht Euch so gut als Eurer Tochter die +Schande gesünder ist.« + +Die Alte war von diesen Worten getroffen -- und entwaffnet. Sie ging +niedergebeugt ins Haus zurück und sagte zu sich selber: »Der ist nun +auch ein Satan geworden. -- O ich unglückliche Mutter!« -- Als die +neue Base Abschied nahm, erhielt sie keinen andern Auftrag, als der +Christine zu sagen, sie solle doch ja heimkommen oder in einen andern +Dienst gehen und nicht mehr bei dem Menschen bleiben; es wär' ja ein +Schimpf und eine Schande für die ganze Freundschaft. + +Die Mahnung hatte aber denselben Erfolg wie die erste. Christine blieb +und ließ bei Gelegenheit herunter sagen, es sei Alles wieder in Ordnung +und Alles vergessen. + +Mit der Satanschaft, welche die Glauning dem Vetter beilegte, war es +freilich nicht weit her. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, die Leser +nun ein wenig mehr in das Herz des Burschen blicken zu lassen, damit +sie das Verhalten desselben vollständiger begreifen und würdigen können. + +Hatte die Natur den Hans nicht zu einem Satan bestimmt, so war er doch +eben so wenig zu einem sogenannten »guten Menschen« geschaffen, d. +h. zu einem, der aus Schwäche gegen andere und ihre Prätensionen die +Pflichten verletzt, die er gegen sich selber hat. Unser Freund sollte +werden, was man auf dem Land einen rechten Mann -- einen Ehrenmann +nennt. Zu einem solchen gehört die Güte und die Großmuth, die in seinem +Wesen lag, als nothwendiges Element, aber eine Güte und eine Großmuth, +die weiß, was sie will, und sich nicht beikommen läßt, mit ihren +Vorzügen den eiteln Trieben der Welt zu dienen. Die Lehre, die ihm +das Schicksal gegeben, war nicht fruchtlos geblieben; er hatte etwas +profitirt von seinem Leid und sich ein Benehmen vorgezeichnet, das er +streng einhalten wollte. Er hatte sich vorgenommen, sich selbst höher +zu achten, nicht zu thun, was andere, sondern was er selber für gut +ansah, und den größten Schatz, den er besaß, nimmermehr an ein Wesen zu +verschleudern, das seiner nicht werth war. + +Als die Glauning ihm den Brief mittheilte, worin Christine das +Auseinanderkommen mit Forstner meldete, war er zuerst hoch überrascht; +denn auch er hatte an einen solchen Ausgang nicht mehr gedacht. Das +Benehmen und die Ausdrücke des Mädchens gefielen ihm; er freute +sich, daß sie den Menschen, dem er freilich nie recht getraut, nach +Verdienst behandelt habe; er freute sich an ihrem Stolz und daß sie +sich achtungswerther zeigte, als er von ihr erwartet. Zugleich hatte +er aber ein Gefühl der Genugthuung, und er unterdrückte es nicht. Sie +war gestraft -- er gerechtfertigt. Sie hatte erfahren, wie viel mehr +ein braves Herz werth ist, als ein glattes Gesicht, und das war ihr gut +und heilsam. Sie hatte das Schicksal, das sie gewollt -- sie mußte es +hinnehmen. + +Die Rückkehr des Mädchens änderte seine Empfindung in etwas, aber nicht +in der Hauptsache. Ihr Aussehen, die Folge der erduldeten Krankheit, +regte sein Mitleid an; er fühlte, wie es ihr zu Muthe sein mußte, und +bedauerte sie von Herzen. Indem er überlegte, wie er sich gegen sie +benehmen sollte, hielt er es in jeder Hinsicht für das Beste, sie +mit Fragen ganz zu verschonen und zu thun, als ob nichts vorgefallen +wäre. In seinem Herzen mußte freilich auch er sich fragen: was soll +aus ihr werden? was soll am Ende aus uns allen werden? Er fühlte das +Bedenkliche und Aengstliche des gegenwärtigen Zusammenlebens und dachte +darüber nach, wie es allenfalls geändert werden könnte. Aber die +Auskunft, die andern eingefallen war und die in jenem Bauernhause den +Streit zwischen Knecht und Tochter hervorgerufen hatte, stellte sich +nicht einmal als Möglichkeit vor seine Seele. Ein Mädchen aus Mitleid +zu heirathen und gar die Untreue zu belohnen mit dem Besten, was er +hatte, das war nicht die Sache unseres Burschen. -- Er konnte vergeben +und vergessen, er konnte Freund und Vetter sein, er konnte Hülfe +leisten und Wohlthaten erzeigen; aber Christine zum Weib zu nehmen, +wär' ihm jetzt nicht eingefallen, auch wenn er sie noch geliebt hätte. +Er verlangte von der Seinen, daß sie ihm in Lieb' und Treue anhänglich +sei und ihn zu schätzen wisse nach Verdienst. Und wenn er auch aus der +Noth eine Tugend machte, wenn er eine nahm, die er selber nicht liebte, +wie er Christine geliebt hatte, dann mußte es doch eine sein, die ihn +gern und an ihm ihre Freude hatte und die ihn höher achtete, als jeden +andern in der Welt. + +Daß ihn bei dieser Gesinnung die Erzählung der Mutter von ihrem Streit +mit der Tochter, d. h. die Ansicht und die Hoffnung der Alten selbst, +wie verzuckert sie ihm präsentirt wurde, empören mußte, leuchtet ein. +Er empfand eine solche Wuth in seinem Herzen, noch einmal für den +Gutgenug gehalten zu werden, daß er ein ungewöhnliches Zucken in seiner +Rechten verspürte und die größte Anstrengung nöthig hatte, gegen die +»dumm unverschämte Zumuthung« nicht loszuplatzen. Dagegen was ihm von +den Reden der Christine mitgetheilt wurde, gefiel ihm und er freute +sich ihrer »Einsicht.« + +Seinen ganzen Beifall hatte der Entschluß des Mädchens, als Magd zu +dienen. Die Fragen, die ihn belästigten, fanden damit ihre Erledigung +und das gegenwärtige bängliche Beisammensein ein Ende. Er mußte sich +sagen, daß in Christine doch ein Geist wohne, der nach mehr aussehe, +als er ihr bisher zugetraut hatte. Es war ihm recht, daß sie gerade zum +Holzbauern kam, und er rechnete es ihr als Tugend an, daß sie ihn nicht +scheute. »Bei dem,« sagte er zu sich selber, »ist sie am rechten Platz, +um das Frauenzimmer ganz wegzucuriren und wieder etwas nutz zu werden +für das Dorf.« + +Die Berichte, die nach einander von den zwei Basen gemacht wurden, +konnten seine Achtung vor ihr nur erhöhen und seinen innerlichen +Beifall nur verstärken. Er überzeugte sich, daß Christine einen +Zweck habe, so zu handeln, und er glaubte ihn zu kennen. Da es nun +gerade nicht nöthig ist, Philosoph oder Theolog zu sein, um zu wissen, +daß eine unter gewissen Umständen, mit Fleiß und aus guten Gründen +erduldete Beschimpfung keine Schande, sondern vielmehr Ehre bringt; da +es zu dieser Einsicht genügt, nur kein Geck zu sein und das Herz auf +dem rechten Fleck zu haben, so konnte Hans auch bei der zweiten Meldung +nicht mit der Entrüstung und dem Lamento seiner Base harmoniren. +Nachdem er dieser seine Meinung gesagt und in der Einsamkeit das +Vernommene wieder überdacht hatte, rief er im Gegentheil zufrieden für +sich hin: »Bravo!« + +Man würde unsern Freund mißverstehen und ihm Unrecht thun, wenn man +glauben wollte, die Achtung, die er empfand, sei der Art gewesen, +daß sie in natürlicher Steigerung zum Wiederaufleben seiner Liebe +führen mußte und nicht mehr weit davon entfernt war. Er fühlte Respekt +vor dem Respektabeln, er freute sich an dem Erfreulichen -- nichts +weiter. Alte Liebe rostet nicht, sagt das Sprüchwort; aber gerade +bei den liebefähigsten Menschen kann sie unter Umständen doch etwas +rostig werden. Die liebefähigsten sind nämlich in der Regel auch die +liebeklarsten und fühlen und wissen, daß an der Geliebten eben ihre +Liebe die höchste und schönste, d. h. die liebenswürdigste Eigenschaft +ist. Wenn diese ihre Liebe nun dahinschwindet oder als bloßer Schein +erkannt wird, dann schwindet für einen solchen Menschen eben das +Höchste, das Licht und Leben der Schönheit hinweg, und die Flamme, die +von der Anschauung dieses Höchsten genährt war, muß zu Boden sinken. + +Unser Bauernbursche hatte treu geliebt in Hoffnung, wenn auch anfangs +mit schüchterner Hoffnung; er hatte verziehen und wieder geliebt, als +er in der Geliebten Reue und Liebe zu sehen glaubte; er hatte das +Leid der unglücklichen Liebe im Grund seines Herzens durchgelebt und +überwunden. Damit war's aber auch zu Ende. + +In seiner jetzigen Gesinnung und in der Freude, daß eine +Jugendfreundin, eine Verwandte von ihm sich so über Erwarten hielt, +hätte er übrigens der Christine gern seinen Beifall kundgegeben und +sie dadurch in ihrer Handlungsweise bestärkt; aber das ging unter den +bestehenden Verhältnissen nicht an. Da bot ihm der Zufall unverhofft +eine Gelegenheit, für sie doch gewissermaßen etwas zu thun und +zugleich, einem alten Grolle genügend, sein Müthchen zu kühlen. + +Eines Sonntags nach Tisch begab er sich nach Oettingen. Er hatte dort +Einkäufe zu machen, ging hin und her und stärkte sich endlich durch +ein Maß kühlen und kräftigen Sommerbiers. In rüstiger Stimmung und +etwas unternehmungslustiger als vorher trat er aus der Wirthsstube auf +die Straße. Kaum war er ein paar Schritte gegangen, als er von weitem +eine Gestalt erblickte, die ihm bekannt war. Seine Augen täuschten ihn +nicht, denn er hatte gute Augen -- es war der Mann, der ihm sein ganzes +Leben verdorben -- der, welcher ihm das Liebste abwendig gemacht und es +dann gekränkt und unwürdig behandelt hatte: es war der Lehrer Friedrich +Forstner, der in Begleitung eines andern ihm entgegenkam. Als er ihn +erkannte, so daß er nicht mehr zweifeln konnte, fuhr ein Zorn und +ein Geist der Rache in ihn, der für den Menschen, der ihm sein Glück +gestohlen, eine exemplarische Züchtigung verlangte. Allein er hatte +Zeit zu überlegen; eine andere Stimme ließ sich in ihm hören und er +sagte sich unmuthig und geringschätzig: »Ich kann's ihm nicht machen, +wie er's verdient -- der Kerl blieb' mir in der Hand.« Das gute Glück +hatte gleichwohl eine Art Genugthuung für ihn bereit. Forstner war mit +seinem Begleiter -- seinem künftigen Schwager Dobler -- in eifrigem +Gespräch; er erkannte den Hans nicht und sah nur im Allgemeinen, daß +ein Bauernbursche auf ihn zukam. Von einem Gönner, den er besucht +hatte, besonders freundlich behandelt, fühlte er sich noch etwas höher +als gewöhnlich, und daß nun ein Bauernbursche, wenn er ihm begegnete, +mit Respekt auf die Seite treten müsse, das verstand sich von selbst. +Hans aber ging fest und gerade auf ihn zu; er wich, im Gefühl der +Gleichheit, nur zur Hälfte aus, Forstner im Bewußtsein des Höherstehens +gar nicht, und so stießen sie aneinander. Diesen Moment benutzte der +Brave, um dem Zierlichen einen Ruck zu geben, daß er und sein Begleiter +drei Schritte weit auf die Seite flogen und sich mit Mühe auf den +Beinen hielten. Dobler raffte sich zuerst auf und rief zornig: »Was ist +das für ein unverschämter« -- -- Aber Forstner hielt den Vordringenden +bei der Hand zurück und rief ihm ein gedämpftes, warnendes »Ruhig« +zu. -- Er hatte den Vetter erkannt, sein Gewissen hatte sich gerührt +und seinen Muth beschwichtigt. -- Hans richtete seinen Kopf stolz +empor und fragte: »Ist den Herren was gefällig?« Es mußte ihnen wohl +nichts weiter gefällig sein, denn sie wichen der »brutalen Gewalt« und +gingen ruhig weiter. Der Sieger schritt befriedigt und in männliche +Gedanken verloren vorwärts. Plötzlich stieß er wiederum an und eine +gewaltige Baßstimme rief: »Kreuzmillionen, was ist denn das?« Er sah +auf, erkannte den stärksten Burschen seines Dorfs, lachte gutmüthig +und sagte: »Nichts für ungut, Bruder, ich bin in Gedanken gewesen!« -- +Der Stattliche, wieder begütigt, sagte mit Achselzucken: »Du bist aber +»ebbes« in Gedanken! Will das gar kein End' nehmen?« -- Unser Freund +hätte zur Erklärung gern sein kleines Abenteuer erzählt; er fühlte +aber, daß es ihm nur unliebsame Bemerkungen zuziehen würde, und schwieg +und sprach auf dem Heimweg mit dem Kameraden nur über Gegenstände des +Feldbaus. + +Die Zeit der Ernte kam heran und gab auch im Hause der Glauning vollauf +zu thun. Es war sehr heiß diesen Sommer, man hatte viel auszustehen +beim Schneiden und Sammeln; die Beschwerden der Mutter wurden aber +dadurch noch vermehrt, daß sie sich die Leiden der Tochter vorstellte. +»Gott,« rief sie einmal aus, als die Sonne gewaltig niederbrannte, +»wie wird es meiner Christine gehen! Die schwindet mir ganz zusammen +diesen Sommer und wird alt vor der Zeit!« -- Hans, dem sie diese Worte +zu Gehör geredet, lächelte und schwieg. Die Alte fuhr fort: »Wie sie +wieder heimgekommen ist von der Stadt, bin ich froh gewesen, daß ich +ihre Bauernkleider und sonstige Ausstaffirung nicht verkauft gehabt +hab', denn ich dacht' mir: wer weiß, was geschieht! Aber jetzt, wenn +sie so zusammengeht, wie ich höre, kann sie die Sachen ja doch nicht +brauchen, und es wär' gescheidter gewesen, ich hätt' sie weggegeben.« +-- Hans zuckte die Achseln; dann sagte er: »Was der Sommer nimmt, +das bringt die Winterszeit wieder. Wenn's kühl wird und die Arbeit +nicht mehr so scharf geht, dann wird sie schon wieder runder werden, +Eure Christine. Und dann wird auch gewiß bald ein Hochzeiter da sein. +Wenn sie ein Jahr beim Holzbauern gedient hat, dann hat sie die Prob' +gemacht, und dann werden Bursche, die ein sauberes und fleißiges Weib +suchen, von allen Seiten kommen. Verliert den Muth nicht, Base! Solche +Mädchen bleiben nicht übrig im Ries!« -- Ein tiefer Seufzer war die +Antwort. Die Wittwe hatte ihre frühere Sicherheit ganz verloren; sie +konnte nicht mehr glauben an ein Glück, und die Worte des Hans, die ihr +wie Spott klangen, waren nicht geeignet ihren Geist aufzurichten. + +Mühevoll -- denn auf die heißen Tage folgte noch Regenwetter -- und +freudlos -- denn sie wußte nicht, für wen sie sich eigentlich so plagte +-- ging die Erntezeit für die Glauning vorüber. Als die Feldfrüchte, +auf die es hauptsächlich ankam, im Stadel gesichert waren, hatte sie +doch wieder eine frohere Empfindung. Sie berechnete, daß sie vorwärts +kam in diesem Jahr und von dem Ausfall des letzten etwas zu decken +vermochte, und so etwas muß einer Person, die von Kindesbeinen an +auf's »Hausen und Sparen« gerichtet wird und nur durch die Ehre zu +außergewöhnlichen Ausgaben vermocht werden kann, immer wohl thun. + +An einem Sonntag im September, nach dem Essen, saß die Gute mit Hans +an dem abgedeckten Tisch. Sie hatten eben zusammen eine Geldzählung +vorgenommen, die zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen war, und erfreuten +sich daher einer Stimmung, in der sie eine gemüthliche Ansprache +hielten. Die Wittwe hatte dem Vetter eben wieder bedeutendes Lob +gezollt, als die Thüre aufging und mit den Worten: »Grüß euch Gott +miteinander!« die Hubel in die Stube trat. Ihr Aussehen fiel dem +Burschen im ersten Moment auf. Sie war nicht nur vergnügter als +gewöhnlich, sondern zeigte auch eine eigenthümliche Feierlichkeit, +wie eine Person, die sich bewußt ist, etwas in der Hand zu haben. +Nach den ersten allgemeinen Fragen und Antworten rief die Glauning +gastfreundlich: »Dasmal muß ich aber der Bas einen Kaffee machen -- +ich thu's nicht anders!« -- Die Hubel versetzte: »Ich hab' nichts +dagegen; denn ich hab' heut' früher gegessen als sonst, von wegen weil +ich bald wieder zu Hause sein will, und mir ist's »wäger« (wahrlich) +schon wieder »a bisle eitel« im Magen.« -- »Der Hans da,« bemerkte +die Wittwe, »kann dir unterdessen was Neues verzählen, oder du ihm.« +-- »Wie's kommt,« erwiederte die Hubel. »Gott sei Dank, jetzt sieht +er doch wieder aus, daß man sich ein Wort mit ihm zu reden getraut!« +-- »Ja,« sagte die Glauning, »ein wenig hat er sich gebessert,« und +verließ die Stube. + +Sie wollte was Rechtes machen, denn ihre verständige Ansicht war +immer: entweder gar keinen Kaffee oder einen guten. Gebrannte Bohnen +waren in einem Haus, wo das Kaffeetrinken zu den Ausnahmen gehörte, +natürlich nicht vorräthig, und ihr war das lieb; frischgebrannte gaben +ein besseres Getränk, und wenn sie ein wenig später fertig wurde, was +schadete das? + +Freilich dauerte es nun geraume Zeit, bis sie die blanken zinnernen +»Kanden« (Kannen) füllen konnte. Als sie diese mit glücklicherweise +vorhandenen Schneckennudeln in die Stube trug und auf den Tisch setzte, +fiel ihr, die sich bei dem Auftreten der Base nichts Besonderes gedacht +hatte, doch das Ansehen des Hans auf. Glänzend saß er da, ein freudiger +und ein stolzer Blick ging aus seinen Augen, und noch dazu schien +es, als ob er das Vergnügen, das er empfand, gar nicht alles heraus +lassen wollte. -- Verwundert sah die Wittwe von dem einen zur andern +und sagte dann: »Ihr müßt euch ja recht gut unterhalten haben. Seit +langer Zeit hab' ich den Hans nicht so hellauf gesehen!« -- Dieser nahm +sich zusammen und erwiederte: »Man spricht von allerhand. Und die Base +da kommt unter die Leute und wird immer was Neues inne.« -- »Das ist +wahr,« sagte die Hubel, »und »ebbania'« (etwanje, zuweilen) ist's recht +gut, wenn man was erfährt, und manchem geschieht ein Gefallen damit, +wenn man ihm zu rechter Zeit was sagt.« + +Diese Reden und die beiden Gesichter dazu kamen der Glauning seltsam +vor. Hatte die Hubel eine ausfindig gemacht, die den Hans wollte, eine +schöne und eine reiche -- am Ende eine Bauerntochter? Darnach sah er +wahrhaftig aus! Und einem Burschen mit seinem Geld und mit dem Lob, das +er hatte, konnte auch gar wohl ein solches Glück anstehen. -- Ihr Herz +war bei diesen Gedanken plötzlich schwer geworden; es kostete sie Mühe, +die schickliche Freundlichkeit aufzubringen, mit welcher zum Trinken +und Zulangen ermahnt werden mußte. -- Nach einer längeren Pause, die +mit dem Genuß und Lob des Kaffees ausgefüllt wurde, begann die Wittwe: +»Aber nun erzähl' mir doch noch etwas von meiner Christine. Ist sie +immer noch so schmal?« -- »Stark ist sie nicht geworden,« erwiederte +die Base, »aber sie ist gesund und wohlauf.« -- »Gott sei Dank!« +versetzte die Mutter, »das ist doch das Best'. Und ist derweil nichts +mehr vorgefallen mit dem Bauern?« -- »Nichts was der Rede werth wäre +zu sagen. Du weißt ja, der ist eben, wie ihn unser Herrgott erschaffen +hat, und wenn er bös ist, wird er auch wieder gut.« -- Die Mutter +erwiederte: »Was hilft's, wenn man einem den Kopf herunter gerissen +hat und will ihn dann wieder aufsetzen! -- Aber was sagt man denn bei +euch im Dorf über sie?« -- »Nichts als Gutes, Base. Man sieht, wie sie +schafft und aushält, und alle ordentlichen Leute schätzen sie und loben +sie.« -- »Nun, das ist doch ein Trost,« erwiederte die Mutter. Und mit +einem Selbstgefühl, das ihrem gedrückten Wesen eine Art Würde verlieh, +setzte sie hinzu: »Ein braves Mädchen ist sie eben doch, die Christine. +Und wer weiß, am End' gibt's auch für sie noch ein Glück in der Welt.« +-- Nach kurzem Schweigen bemerkte sie: »Nun sag' ihr aber, sie soll +mich endlich einmal besuchen, jetzt, wo die Hauptarbeit doch gethan +ist.« -- Die Andere schüttelte den Kopf: »Darüber hat sie ihre eigenen +Ansichten, Base, ich glaub' nicht, daß sie jetzt schon kommt. Besuch du +lieber mich einmal, dann kannst du sie bei mir sehen.« -- »Ist das eine +Welt jetzt!« rief die Wittwe. »Die Kinder folgen ihrem Kopf und die +Alten sollen ihnen folgen! -- Nun, ich will sehen.« + +Das Gespräch wandte sich andern Gegenständen zu, wobei auch Hans wieder +mitreden konnte. Endlich erklärte die Hubel, es sei die höchste Zeit, +sie müsse fort. Die Mutter gab ihr die Hand, dankte für den Besuch und +trug ihr Grüße an ihre Tochter auf. »Habt auch von mir Dank,« fügte +Hans hinzu, »und kommt gut heim.« Die Wittwe sah ihn mit einem Blick +an, der wahre Gekränktheit verrieth. »Nun,« sagte sie, »läßt du die +Christine nicht auch grüßen? Einen Gruß ist sie doch wohl noch werth, +sollt' ich glauben!« -- »Meinethalb,« rief Hans, »grüßt sie auch von +mir!« + +Am Abend ging der Bursche in's Wirthshaus. Der mannhafte Schritt, mit +dem er auftrat, das Glück, das aus seinem Gesicht leuchtete, konnten +nicht unbemerkt bleiben. »Was Teufel ist denn mit dem Hans?« rief ein +junger Mensch an einem Tisch zu seinen Zechgenossen; »der sieht ja +aus, als ob er das große Loos gewonnen hätt'!« -- »Wird wohl endlich +eine gefunden haben, die ihm ansteht,« warf ein anderer hin. »Kannst +Recht haben,« versetzte jener Gewaltige, an den Hans in Oettingen +in seinen Siegesgedanken angestoßen war. Und mit einer gewissen +großartigen Geringschätzung setzte er hinzu: »'S ist doch merkwürdig, +was der Mensch auf d'Weibsbilder gibt! So'n Kerl, und läßt sich von +der einen traurig und von der andern wieder vergnügt machen! Bah! das +könnt' mir einfallen!« -- Der erste bemerkte: »'S ist so ein Stiller, +der Hans, die sind alle so.« -- Und der zweite sagte: »Am End' ist's +ihm auch zu gönnen, wenn er eine kriegt nach seinem Sinn. Die Christine +hat ihm doch Verdruß genug gemacht.« + +Hans war an einem andern Tisch niedergesessen, den etliche nähere +Bekannte von ihm in Besitz genommen hatten. Nach dem Naturgesetz, das +auf dem Lande wie in der Stadt, in der niedersten wie in der höchsten +Schichte der Gesellschaft gilt, muß jeder, der ein auffallendes +Vergnügen blicken läßt, geneckt werden. Dieß geschah denn auch unserem +Burschen. Fragen wurden gestellt und Vermuthungen geäußert, die sich +alle um den vorhin erörterten Punkt drehten. Hans war indeß nicht in +der Stimmung ärgerlich zu werden, im Gegentheil, sein Humor stieg in +Folge der Angriffe; er duckte einen, der sich ungeschickt dabei benahm, +gehörig in's Wasser und bekam die Lacher auf seine Seite. Als er an +einem andern Tisch Bescheid that, sagte einer der Bekannten: »'S ist +schon richtig, er hat eine! -- aber wen?« -- Man rieth hin und her, +konnte aber nicht schlüssig werden und tröstete sich mit dem Gedanken, +daß es jedenfalls wieder eine Hochzeit geben werde und einen lustigen +Ansing. + +Jeden Tag in der Woche erwartete die Glauning, daß der Vetter im Staat +vor sie treten und sagen würde, er müsse über Land gehen; denn ihr saß +der Gedanke, der in ihr aufgestiegen war, so fest im Kopfe, wie den +Kameraden des Burschen. Als sie sich auch am Donnerstag getäuscht sah, +meinte sie: nun wird er am Sonntag gehen. Und in der That, am Vorabend +erklärte Hans, er werde morgen über Land -- fahren. »Fahren?« rief die +Wittwe betroffen. -- »Warum nicht?« erwiederte Hans lächelnd. »Der +Hiesinger leiht mir seinen Braunen und sein Wägele. Und darf sich +unser einer nicht auch einmal ein Plaisir machen?« -- »Wegen meiner +fahr' du,« entgegnete die Glauning. »Du bist dein eigener Herr und +kannst thun was du willst.« -- Sie that ihm aber nicht die Ehr' an oder +sie hatte nicht den Muth, zu fragen wohin. + +Am andern Tag, im Schein der Morgensonne, als der Bursche von ihr +Abschied nahm, geputzt wie nochmal einer, der »auf d'Gschau« geht, +hatte sie doch so viel Kraft erlangt, mit einer Art von Lächeln zu +sagen: »Nun, Hans, ich wünsch' dir viel Glück! Du wirst dir hoffentlich +nicht einbilden, daß ich nicht weiß, worauf du ausgehst?« -- »Nein,« +erwiederte Hans gemüthlich. »Vor Euch kann man sich nicht verstellen, +Base -- und ich versuch's auch nicht. Was wollt Ihr? einmal muß man +doch dran!« -- Er gab ihr die Hand und verließ mit kräftigen Schritten +den Hof. Die Base sah ihm nach. »Wie sicher er seiner Sach' ist!« +dachte sie. »Nun, wenn er ein Glück macht, ich muß es ihm gönnen -- +allein um mich hat er's verdient.« Diese Gedanken konnten aber doch +nicht bewirken, daß sie sich über sein Glück freute; im Gegentheil, sie +hatte ein Gefühl, als ob ihr der letzte Rest des ihrigen genommen würde. + +Hans ging zu dem Bauer, den er Hiesinger genannt. Das Wägelchen +stand im Hof, aber der Gaul wurde noch gefüttert. »Mach' »fürsche« +(vorwärts),« rief der Bauer dem Handknecht mit Laune zu, »und spann an! +In solchen Geschäften will man bald an Ort und Stelle sein.« -- Einige +Minuten später, und Hans fuhr im Trab durch's Dorf. »Aha,« rief einer +von seinen Kameraden, der ihn sah, »nun werden wir's bald inne werden!« + +Wenn die Glauning gesehen hätte, in welchen Weg der Bursche einlenkte, +dann hätte vielleicht ihr Herz zu klopfen und wieder zu hoffen +angefangen. -- Die Leser haben das Ziel der Fahrt schon errathen -- sie +sind scharfsichtiger als die Bauern. Sie wissen, daß eine Geschichte +nach ihrem Anfang und Verlauf nur Einen, d. h. eben nur den Ausgang +haben kann, der im Verlauf begründet ist; und zwar nicht, weil es +der Erzähler so will, sondern weil es bei den Personen, an denen es +überhaupt etwas zu demonstriren liebt, das Schicksal so will, dem der +Erzähler folgen muß. Könnte nach allem Bisherigen ein Erfahrener noch +in Zweifel sein, wohin das Wägelchen unseres Burschen rollte? Er fuhr +dem Dorf zu, in welchem Christine sich befand. Er konnte es, er durfte +es -- er mußte es; und das hoff' ich jedem klar zu machen, wenn ich +erzähle, was sich unterdessen begeben hatte. + +Die Art, wie Christine bei dem Holzbauern ihre Pflicht erfüllte, +zusammengehalten mit ihren ungewöhnlichen früheren Erlebnissen, hatte +die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfs *** auf sie gelenkt. Das Mädchen +hatte die Zweifler und Spötter, die sich auch dort aufgethan, beschämt; +ihr ausdauernder Fleiß in dem beschwerlichen Dienst hatte ihr nicht +Geringschätzung, wie die Mutter gefürchtet, sondern Achtung, bei +Einzelnen sogar Bewunderung erworben. -- Mit der Zeit wird jeder Tugend +ihr Recht auch in dieser ungerechten Welt. Die Anfeindung stumpft sich +ab, das Geklatsche wird langweilig und vergeht, die Anerkennung tritt +an seine Stelle und besteht. + +Bei Christine kam noch etwas anderes hinzu, was ihr eine besondere +Bedeutung gab. Ihr Aussehen hatte sich nicht so geändert, daß man sie +nicht mehr für ein ungewöhnlich hübsches Mädchen hätte müssen gelten +lassen. Die frühere Fülle allerdings war nicht wiedergekehrt; aber die +verhältnißmäßige Schlankheit, mit der sie aus der Stadt heimgekommen +war, hatte in Folge der ländlichen Arbeiten einen gesunden Charakter +erhalten. Ihre Gesichtsfarbe war keineswegs gelb, wie die Hubel auch +für die erste Zeit übertreibend berichtete, sondern der ihr eigene +bräunliche Ton war nur kräftiger geworden, hatte dann aber auch wieder +einen Hauch frischen Roths erhalten. Sie war noch immer die »schöne +Christine,« die ehemalige Lehrersbraut und jetzige Bauernmagd; aber sie +war mehr als das. Ihr Gesicht hatte einen eigenen höheren Charakter +erhalten -- den Charakter, der das natürliche Erzeugniß innern Lebens +und einer Kraft ist, wie sie die Geprüfte besaß und bewies. Eine tiefe +Leidenschaft, die man aus Stolz zu verheimlichen entschlossen ist; den +Willen, eine Handlungsweise, die man als unrecht erkannt hat, zu büßen +und sich in die Folgen seiner Schuld unbedingt zu ergeben; den Willen, +seine Pflicht zu thun, wie schwer sie einem auch gemacht werde, und +seine Ehre darein zu setzen, gerade da auszuhalten, wo andere nicht +die Stärke dazu fänden -- dergleichen kann man unmöglich in Kopf und +Herzen tragen, ohne daß der Abglanz davon auf dem Gesicht bemerklich +würde. Ob sie nun im Haus, auf dem Felde thätig war, oder ob sie in der +Kirche den Worten des Geistlichen horchte, die Magd Christine hatte +etwas in ihrem Wesen, dessen sich kein anderes Mädchen im Dorf rühmen +konnte. Die Töchter der wohlhabenden Bauern konnten den Kopf hoch +halten und an Festtagen in ihrem besten Staat und ihrer Stellung sich +bewußt mit fein geschlossenem Mäulchen anmuthig über die Gasse sich +schwenken, so fein und so vornehm sah doch keine von ihnen aus, wie +unsere dienende Heldin, und aus keinem Auge blickte so viel Seele, als +aus den uns bekannten graublauen, die mit dem Gehalt (wenn dieses Wort +hier gestattet ist) auch an Umfang zugenommen zu haben schienen. + +Unter denen, die das Mädchen und ihr Verhalten zu taxiren wußten, +stand eine Familie obenan, und zwar eine Bauernfamilie. Der Vater war +ein Landmann der besten Art -- einer von denen, die ihren Stand hoch +halten, aber noch höher die Tugenden, die den ächten und rechten Bauer +machen. Er führte mit Weib und Kindern einen musterhaft geregelten +Haushalt, und die Folge war, daß er, der mit Schulden begonnen hatte, +jetzt unter die Wohlhabendsten des Orts zählte. Der Kinder waren nur +zwei, ein Sohn und eine Tochter, jener siebenundzwanzig, diese neunzehn +Jahr alt, beide noch unverheirathet. Der Sohn, ein Abbild seines +Vaters und nur etwas weniger lustig, als der Alte im ledigen Stand +gewesen, befand sich wohl unter dem Regiment der Eltern, und darum und +weil er einigermaßen scheu war und wählerisch, hatte er noch keine +Frau gefunden und noch nicht den ihm gebührenden und bestimmten Hof +erhalten. Die Tochter, ein angenehmes, gutes Geschöpf, trug schon ein +Bild in ihrem Herzen, d. h. ein Mannsbild. Ein Bauernbursche, der alle +Qualitäten besaß, die sie und ihre Eltern nur verlangen konnten, war +ihr gewogen, und ihre Hochzeit stand in Aussicht, sobald der Vater des +Liebhabers sich entschloß, den Hof zu übergeben. + +Diese Familie war es, die unsere Christine von allen zuerst mit +günstigen Augen betrachtete. Der Alte, der an ihr die guten +Eigenschaften wahrnahm, die er von einem rechten »Bauernweibsbild« +verlangte, rühmte sie, und Mutter, Kinder und Ehehalten stimmten +mit ein. Was man von ihrem Schicksal erfuhr, konnte dem Mädchen bei +wohlwollenden Beurtheilern nicht schaden. Hatte sie schon als halbe +Mamsell in der Stadt gelebt, so war es um so verdienstlicher, daß sie +eine so brave Magd wurde, und die Gerüchte, welche zuerst über sie +umliefen, wurden durch ihren streng ehrbaren Lebenswandel vollkommen +widerlegt. Sie war noch nicht sechs Wochen im Dienst, als der Alte +schon zu seinem Weib sagte: »Wenn das Mädchen eine Bauerntochter +wäre, eine bessere für unsern Sohn könnten wir nicht bekommen.« -- +Nach und nach erfuhr man, was die Glauning der einzigen Tochter immer +noch mitgeben konnte, und wenn es auch nur den vierten Theil dessen +betrug, was der Alte gab, so verfehlte es doch nicht, das Haupt der +Magd in seinen Augen mit einem gewissen Schein zu umgeben. Endlich kam +es dahin, daß der wackere Mann sich fragte: »Muß es denn gerad' eine +Bauerntochter sein? Und wenn sie weniger hat als mein Sohn, ist ihr +Fleiß, ihre Geschicklichkeit und ihre Tugend nicht mehr werth als Geld +und Gut?« Weib und Tochter, denen er seine Gedanken mittheilte, traten +ihm lebhaft bei. Gutmüthig, wie sie waren, hatten sie das Mädchen in's +Herz geschlossen, und die Tochter namentlich interessirte sich für den +Heirathsplan mit dem ganzen Eifer einer liebesglücklichen Jungfrau. +Sie sprach mit dem Bruder und brachte aus ihm heraus, daß er ganz im +Stillen selber schon ein Auge auf Christine geworfen! -- Allgemein +war die Zufriedenheit über diese Entdeckung; nach der Ernte hielt man +nochmal einen Familienrath und das Projekt gedieh zum festen Beschluß. + +Das Mittel der Liebeswerbung konnte unter den gegenwärtigen Umständen +allerdings nicht in Anwendung kommen. Wäre unser Freier auch der Mann +gewesen, ein Mädchen durch Schmeichelreden zu gewinnen, so hätte er +von dieser Fähigkeit gegenüber einer Magd beim Holzbauern doch keinen +Gebrauch machen können. Aus allen Gründen mußte man den bewährten +alten, auch jetzt noch immer praktischen Weg der Unterhandlung durch +eine dritte Person gehen, und wandte sich an Base Hubel. + +Hilf Himmel, welch einen Eindruck machte die Eröffnung auf die nicht +sehr bemittelte Söldnerin! Ihr Bäschen eine Bäuerin -- und was für +eine! Sie selber zur Freundschaft einer der ersten Familien im Ries +gehörig! Und sie hatte das in der Hand! sie sollte das machen -- sie +wurde darum gebeten! Das Entzücken der guten Frau war so groß, daß sie +für den ersten Augenblick sprachlos dastand, weil sie ganz eigentlich +den Mund nicht mehr zusammenbringen konnte, um Worte zu bilden, so +daß Mutter und Tochter, welche die Eröffnung gemacht hatten, sich +Mühe geben mußten, das Lachen, das sie ankam, zu einem Lächeln zu +mildern. -- Natürlich versprach die Gebetene, als sie endlich sprechen +konnte, Alles. Die Sache war schon gemacht -- sie brachte das Jawort +der Christine heut Abend noch. Gott, welche Ehre war es für diese und +welche Freude! Welche Ehre und welche Freude für die Base Glauning und +für sie alle miteinander! + +Mit brennendem Kopfe lief sie zu dem glücklichen Mädchen. Es war an +einem Feiertag nach der Betstunde, und Christine konnte ihrer Einladung +zu einer wichtigem Unterredung in ihrem Hause ungehindert folgen. Als +sie allein waren, bedachte die Erfahrene, daß das Mädchen vielleicht +vor Freude in Ohnmacht fallen könnte, wenn sie ohne weiteres ihren +Auftrag ausrichtete; sie begann daher mit Reden, welche sie auf das +beispiellose Glück, das ihrer wartete, vorbereiten sollten. Christine, +ungeduldig, fragte, was es denn wäre. Die Unterhändlerin machte ihre +Eröffnung triumphirend und in der sichern Erwartung, die Glückliche +würde, außer sich, ihr um den Hals fallen, mit Freudenthränen »ja, ja« +rufen und des Dankes kein Ende finden. Welch ein Erstaunen, ja welch +ein Schrecken, als Christine nach vorübergehendem, leichtem Rothwerden +ernst und ruhig erwiederte: »Die Leute sind gut gegen mich und thun +mir eine große Ehr' an. Ich dank' ihnen auch von Herzen dafür, aber +ich kann's nicht annehmen, Base.« -- Die Hubel sah starr auf sie, wie +auf eine plötzlich toll Gewordene. »Du willst's nicht annehmen?« rief +sie endlich. -- »Ich kann nicht,« war die Antwort. -- »Bist du rasend, +Mädchen?« -- »Nein, ich bin bei gutem Verstand. Geht zu den Leuten und +dankt ihnen in meinem Namen recht schön, und sagt ihnen, ich kann nicht +heirathen -- weil ich überhaupt nicht heirathen will!« + +Zu dem Erstaunen der Base gesellte sich jetzt die Entrüstung, der +Geist und die Autorität einer Mutter fuhr in sie, und sie stellte dem +Mädchen vor, welch unsinnigen Streich sie mache, wenn sie eine der +ersten Bäuerinnen im ganzen Ries werden könne und nicht wolle. »Hast du +etwas gegen die Leute? Hast du etwas gegen den Menschen? Ist er nicht +brav und geschickt und häuslich und ein sauberer Bursch obendrein?« -- +Christine mußte das zugeben. -- »Und du willst nicht? Du willst so ein +Glück versäumen, mit Füßen von dir stoßen? Warum? weßwegen?« -- Das +Mädchen, bewegt, geängstigt, rief: »Um Gotteswillen, Base, fragt mich +nicht! -- es geht nicht!« + +In dem Kopf der Hubel blitzte ein Gedanke. »Wär's möglich,« begann sie, +»hättest du einen andern im Kopf? Denkst du vielleicht« -- (die Wangen +des Mädchens begannen sich zu färben) -- »kannst du deinen Schulmeister +nicht vergessen?« Die Farbe verging wieder auf dem Gesicht der +Gefragten und ihre Lippe verzog sich geringschätzig. Da ging der Base +ein Licht auf wie eine Fackel; sie rief bestimmt: »Du hast den Hans +im Kopf!« -- Eine glühende Röthe überströmte das Gesicht der Armen, +sie zitterte -- Thränen stürzten ihr in die Augen. -- »Der ist's also! +der Vetter! Himmel, was ist das!« -- »Ja,« rief das Mädchen, die jetzt +wirklich außer sich gebracht war, »der ist's! der beste Mensch, der +bravste Mensch, und mir der liebste auf der Welt! Ich hab' schändlich +gehandelt gegen ihn, er haßt mich, er verachtet mich, und er hat Recht, +und ich will's nicht anders haben. Aber nun wißt Ihr, warum ich auf +Euch nicht hören kann! Ihn krieg' ich nicht und verdien' ich nicht, +einen andern will ich nicht und mag ich nicht, und darum heirath' ich +nicht und will als Bauernmagd leben und sterben!« + +Die Frau, von der Leidenschaft des Mädchens überwältigt, verstummte. +Sie kannte den Wunsch der Glauning, ihre Tochter an Hans verheirathet +zu sehen; sie wußte, daß er der Mann war, ein Weib glücklich zu machen; +aber wenn er sie nicht mehr wollte, war's nicht ganz widersinnig, +wegen seiner ein ganzes Lebensglück aufzuopfern? Sie mußte doch noch +ein Wort reden, die erfahrene Mittelsmännin, und sie sagte daher, mit +größerer Ruhe zwar, aber mit Nachdruck: »Mädchen, Mädchen, bedenke, +was du thust! Ein solcher Antrag wird dir nicht wieder gemacht! Und +wenn du ihn ausschlägst um eines Menschen willen, der nichts mehr nach +dir fragt -- aus Eigensinn, aus Tollheit -- es wird dich reuen, all +dein Lebtag wird's dich reuen.« -- Aber hierauf erwiederte Christine +bestimmt und entschlossen: »Base, ich hab' Euch gesagt, wie ich denke, +und nun ist's genug. Streiten will ich nicht mit Euch. Redet also +nichts mehr, es hilft Euch nichts, jedes Wort ist umsonst.« -- »Gut,« +versetzte die Hubel, »dann hab' ich wenigstens meine Schuldigkeit +gethan und kann dich deinem Schicksal überlassen. Ich hätt' nicht +geglaubt, daß ich von einem Mädchen, wie du bist, mit so einer Antwort +zu solchen Leuten gehen müßt'. Aber sie warten darauf, ich hab' ihnen +versprochen, die Antwort heute noch zu bringen, und ich will hingehen +und sagen, daß du nicht willst und warum du nicht willst.« + +Christine stand erschreckt. Das Geheimniß, das sie bewahren wollte +vor jedermann, war ihr entrissen, und jetzt erst merkte sie's. Scham +und Angst bemächtigten sich ihrer und im dringendsten Tone rief sie: +»Nein, das dürft Ihr nicht! Sagt, daß ich überhaupt nicht heirathen +will, daß ich mich für solche Leute nicht gut genug achte, sagt was Ihr +wollt, nur sagt nichts vom Hans! Es könnte herum kommen -- er könnt's +erfahren, und (setzte sie heftig hinzu) er soll's nicht erfahren! Ich +geh' nicht von Euch, Base, bis Ihr mir's versprecht! Gebt mir die Hand +darauf, ich bitt' Euch, ich beschwör' Euch!« -- »Gott,« entgegnete +die Frau, »ist das ein Kreuz mit dem Mädchen! Nun gut, ich versprech' +dir's.« -- »Ich dank' Euch, Base,« rief das Mädchen herzlich und +gerührt; »ich dank' Euch für all Eure Güte und Freundschaft! Sagt den +braven Leuten alles Schöne und Gute in meinem Namen; sagt, ich wolle +gar nicht heirathen, und sie würden sehen, daß ich auch keinen andern +nehme. Sagt ihnen, ich würde keine Seele etwas merken lassen von ihrem +Antrag, und sie sollten sich jetzt eine bessere aussuchen, als ich +bin, denn mit mir wäre ihr Sohn doch niemals glücklich geworden.« Sie +faßte die Frau bei der Hand und sah ihr in's Gesicht. Ihre Augen waren +feucht geworden und füllten sich mit Thränen. Wehmüthig lächelnd, in +liebevollem Ton sagte sie: »Ihr seid brav -- ich kann mich auf Euch +verlassen!« Und ihr die braune Wange streichelnd setzte sie hinzu: »So, +nun geht und macht Eure Sache gut!« -- Sie schüttelte ihr die Hand +und verließ die Stube, nachdem sie ihr nochmal einen bittenden Blick +zugeworfen hatte. + +Die Base Hubel gehörte indeß nicht zu jenen Personen, die, wenn sie ein +Versprechen gegeben haben, nun auch glauben, es unter allen Umständen +halten zu müssen. Im Gegentheil, sie hatte eine heroische Ader in sich, +und wenn sie gutmüthig genug war, auf eine dringende Bitte ja zu sagen, +so besaß sie doch auch den Muth, sich »nach Gestalt der Sach« von +der übernommenen Verpflichtung selber zu dispensiren und ihr Wort zu +brechen. Als sie allein war, rief sie daher: »Du einfältiges Mädchen! +Nichts sagen vom Hans? Das ist ja das Einzige, was in deine Antwort ein +bischen Sinn bringt und Verstand, so daß ich nicht ganz in Schand' und +Spott dastehen muß vor diesen Leuten, und du mit mir! Augenblicklich +sollen sie's erfahren!« -- Um vieles langsamer dennoch, als sie es +verlassen hatte, ging sie in das Haus des Bauern zurück, traf die +Eltern und die Tochter und erzählte alles, indem sie nicht versäumte, +über den Wahnsinn des Mädchens entrüstet ihr Verdammungsurtheil +auszusprechen. Die wackern Leute bedauerten die Antwort von Herzen; +aber -- offen zu reden -- ihre Betrübniß wäre doch größer gewesen, wenn +der Korb von einer in jeder Hinsicht Ebenbürtigen ertheilt worden wäre. +Sie hatten doch daran denken müssen, welches Aufsehen die Verheirathung +ihres Sohnes mit der Magd des Holzbauern machen würde, und der Umstand, +daß nun dieses Aufsehen mit all seinen Unbequemlichkeiten wegfiel, +erleichterte ihnen die Tröstung ihrer Seelen bedeutend. + +Der alte Bauer klärte sich endlich auf und sagte zu der Hubel: »Nun +habt Ihr Euer Geschäft aber erst halb gemacht.« -- Die ihrer vornehmen +Freundschaft beraubte und darum niedergeschlagene Söldnerin sah ihn +fragend an. -- »Die Hauptsach' ist jetzt, daß Ihr die Christine und +ihren Vetter zusammenbringt.« -- »Aber wie soll ich das anfangen?« rief +das Weib. Der Bauer fuhr fort: »Hat nicht der Hans sein Bäschen für +sein Leben gern gesehen?« -- »Ja wohl,« erwiederte sie; »aber jetzt +will er durchaus nichts mehr von ihr wissen.« -- »Ganz natürlich! -- +weil sie ihn aufgegeben hat und er glauben muß, sie halte nichts von +ihm und habe keine Zuneigung zu ihm. Geht aber jetzt nur hinunter und +erzählt ihm, was die Christine gesagt hat und was geschehen ist, und +dann seht zu, ob er noch immer nichts von ihr wissen will. Ich bin der +Meinung (setzte er lächelnd hinzu), daß ihr noch immer Euern Kuppelpelz +verdienen könnt.« -- Das Gesicht des Weibes erhellte sich bei diesen +Worten. »Ihr könnt wahrhaftig Recht haben! -- Aber darf ich denn auch +alles sagen?« -- »Alles,« versetzte der Bauer, »mit der Bedingung, daß +es unter der Familie bleibt.« -- »O, das versprech' ich mit Freuden! +Kein Mensch weiter soll etwas davon erfahren!« -- Beim Abschied reichte +die Bäuerin der Guten die Hand und sagte: »Habt Dank für die Mühe, die +Ihr Euch unsretwegen gemacht habt. Wenn auch nichts draus geworden ist, +so bleiben wir doch gute Freunde.« -- »O,« rief die Hubel, »das ist +eine große Ehre für mich! -- Und wer weiß, vielleicht kann ich Euch +doch noch einmal auf eine andere Art dienen!« + +»Was für gute Leute das sind!« rief sie mit einem Seufzer, als sie +ihrem Hause zuging; »'s ist doch Jammerschade!« -- Etwas indeß war ihr +geblieben. Sie faßte nun das neue Geschäft in's Auge und ihre Seele +erheiterte sich wieder. »Wenn das geräth, wenn die Zwei zusammen kommen +und glücklich sind, dann bin's eben doch ich, die's gemacht hat und der +sie danken müssen für ihr Glück, so lang sie leben.« + +Am nächsten Sonntag trat sie die Wanderung bei Zeiten an, um den Vetter +sicher zu treffen, und erzählte ihm, während die Glauning den Kaffee +machte, Alles und Jedes. Hans konnte nicht zweifeln; die Base beschwor +ihre Aussagen bei allem, was heilig ist, und gab ihm in jeder Hinsicht +die beruhigendsten Versicherungen. -- Und nun erstand die entschlafene +Liebe plötzlich, wie wenn ihr ein neues schöpferisches Werde zugerufen +worden wäre. Der Deckel des Schreins, in dem sie verborgen lag, flog +auf und sie glühte hervor und durchloderte und durchleuchtete ihn mit +wonnevoller Glut. -- Nun war's also doch geschehen, woran er nicht +mehr glauben, worauf er nicht mehr hoffen konnte. Das Mädchen, das +ihm lieber war als Alles, war sein! Sie war zur Erkenntniß gekommen, +sie verstand ihn -- sie liebte ihn -- ihn allein und über alles! -- +O, nun war es besser als vorher -- tausendmal besser! Er mußte ihr +nicht nur vergeben -- nein, Gott danken mußte er für den Weg, den sie +geführt worden -- Gott danken für ihr Leid und ihre Erkenntniß, und +sie lieben und ehren und ihr Leben versüßen und sie glücklich machen +-- glücklicher, wenn's möglich wäre, als er selbst wurde! -- Die +Empfindungen des Glücks und des Dankes strömten durch sein Herz und +erschütterten ihn so gewaltig, daß ihm Thränen in die Augen traten und +die gute Verwandte in gerührter Theilnahme sich freute, daß ihr dieses +zweite Werk gelungen war, und nicht das erste. Eine innere Stimme rief +dem Glücklichen zu, vor der Mutter die Kunde noch geheim zu halten; er +gebot der Hubel auf's strengste, seiner Base nichts zu sagen und sie +auch nichts merken zu lassen, und eben so der Christine alles geheim zu +halten. Die Hubel versprach beides. Sie kam der Mutter gegenüber der +Forderung auch sogleich nach; der Liebende selbst aber vermochte es +nicht, und die Glauning hätte das Geheimniß errathen müssen, wenn ihre +Gedanken nicht schon vorher auf falscher Fährte gewesen wären. + +Das war es, was unsern Freund bewog, heute dem Dorfe zuzufahren, in +welchem Christine lebte. -- Und nun kein Wort mehr zur Erklärung seines +Handelns. + +Als das nette »Gefährt« im Sonnenschein über den trockenen Weg +hinrollte, näher und näher dem lieben Ziel, da hatte unser Freund +eine glückselige Empfindung, und die Wirkung davon ward sichtbar +in seiner ganzen Erscheinung. Man weiß, daß George Sand -- eine +Schriftstellerin, der ich gern das heutzutage so sehr mißbrauchte Wort +»genial« zuerkenne, ohne darum alles in ihren Werken für wahr und schön +zu halten -- Personen in relativer Häßlichkeit auftreten und nach +und nach schön, ja unwiderstehlich anziehend werden läßt. Sie kann +sich damit auf die Wirklichkeit berufen. Es giebt Gesichter, an denen +sich gar manches aussetzen läßt, sofern man sie nach einem Ideal der +Formvollendung beurtheilt. Wenn aber die Seele sich entfaltet, wenn +das Licht der Liebe, der Güte, des Glücks es durchleuchtet, dann ist +ein solches Gesicht nicht nur charaktervoll, sondern schön; die Seele +herrscht in ihm und schmelzt in allbelebender Strömung die Theile zum +harmonischen Ganzen; die Schönheit der Seele triumphirt über die Form +und macht diese zur Trägerin und Verkünderin ihres Glanzes; ihre Flamme +bricht durch und überstrahlt die Züge und tilgt alles Widerstrebende +darin hinweg. Daß ein solches Gesicht hernach das bloß äußerlich schöne +in Schatten stellt, daß eine geliebte Person, die für seine höhere +Schönheit empfänglich ist, sich davon entzückt, hingerissen fühlt, +das ist durchaus natürlich -- der natürliche Sieg des Innern über das +Aeußere, des Geistes über den Stoff. + +Wenn eine theilnehmende Freundin unsern Burschen heute gesehen hätte, +so würde sie vielleicht gerufen haben: er sieht aus »wie verklärt;« +denn dieses Wort ist unter dem Rieser Landvolk bekannt und wird ganz +richtig angewendet. Und in der That, verklärt war das Gesicht des +Guten, verklärt durch die Liebe, die der Gegenliebe sicher geworden, +verklärt durch das Bewußtsein des Sieges, der zu der Liebe die Ehre +gebracht hat. -- Es ist eben doch schön, wenn man nicht mehr ganz +allein auf sich und seine Tugend angewiesen ist, wenn man der Welt +nicht bloß zu verzeihen, sondern auch etwas zu danken hat, wenn die +Kraft der Seele getragen wird von der Schwellung des Glücks, wenn zu +dem Gefühl, den Sieg zu verdienen, die stolze Freude des wirklich +errungenen Sieges kommt. Aus dem Gesicht des Liebenden sprach jetzt +nicht allein das Glück und die Freude, sondern auch die Würde des +Mannes, der sich endlich auf die Stelle erhoben sieht, nach der er +getrachtet hat und die ihm gebührt. + +Als der Wagen in das Dorf rollte, lag auf diesem eben das feierliche +Schweigen des Sonntags: die Kirche hatte eben begonnen und die Gemeinde +horchte dem Worte des Geistlichen. Hans fuhr in's Wirthshaus, versorgte +mit dem anwesenden Knecht das Roß und ging dann im Hof umher. Die +Glocke, die beim Vaterunser geläutet zu werden pflegt, verkündigte das +baldige Ende des Gottesdienstes, Hans erwartete es, sah die Leute des +Hauses und der Nachbarschaft von der Kirche heimkehren, und machte +sich endlich selber auf den Weg, mit Herzklopfen zwar, aber mit dem +überherrschten eines Mannes, der mit tiefer Zuversicht dem Erfolg +entgegengeht. Er hatte sich vorgenommen, bei der Geliebten sich nicht +ohne weiteres auf die Erzählung der Verwandten zu berufen, er wollte so +ruhig, als es ihm möglich war, als Besuch auftreten, zuerst von andern +Dingen reden und selber hören und sehen. + +Als er in den Hof trat, sah er das »Mädle«, d. h. die zweite Magd der +Bauers. Er fragte nach Christine, indem er hinzufügte, er sei ein +Verwandter und hätte mit ihr zu reden. Die Gefragte erwiederte, die +Magd sei im Garten, und wies ihm den Eingang. Hans trat hinein und sah +Christine von weitem Gemüse abschneiden, das ihr die Bäuerin zu bringen +aufgetragen hatte. Sie war in der Kirche gewesen, hatte aber an dem +warmen Tage den Kittel ausgezogen und bückte sich zu Boden in blanken +Hemdärmeln, die indeß nur den Oberarm bedeckten. Als sie jemand gehen +hörte, schaute sie auf. Sie erkannte den Vetter und sah erröthend vor +sich hin. + +Hans trat näher und sagte treuherzig: »Guten Tag, Christine!« -- Die +Gegrüßte dankte und erwiederte mit erkenntlichem Blick: »Du kommst +herauf? Das hätt' ich wahrlich nicht erwartet!« -- »Nun,« sagte Hans, +»ich muß doch auch einmal sehen, wie's dir geht.« -- Die Brust des +Mädchens hob sich und ein leichter Strahl der Freude ging über ihre +Züge. Sie versetzte: »Gottlob, mir geht's gut, ich bin gesund und +zufrieden.« Und in der That, so sah sie aus. Hatten Sonnenschein und +Regen in Frühling und Sommer sie erfrischt und gestärkt, so war sie in +den letzten, weniger »unmüßigen« Wochen schon wieder auch etwas runder +geworden und ihre ganze Erscheinung hatte den Charakter einer größeren +sinnlichen Ruhe erhalten. Hans lächelte. »Das freut mich,« erwiederte +er. »Du scheinst den Holzbauern nicht so schlimm zu finden, wie deine +Vorgängerinnen?« -- »Er ist auch nicht so schlimm,« versicherte +Christine. »Hitzig ist er freilich, und wenn er in seinen Zorn kommt, +weiß er nicht mehr, was er sagt; aber im Grund seines Herzens ist +er ein ehrlicher Mann und meint's besser als so ein glatter, süßer +Schwätzer. Seit dem letzten Sturm im Heuet« -- setzte sie lächelnd +hinzu -- »kommen wir ganz gut mit einander aus. Ich paß' aber auch +besser auf.« Nach einem Moment des Schweigens ernster geworden, sagte +sie: »Was macht denn aber meine Mutter? Ist sie doch wohlauf?« -- »Ja +wohl,« versetzte Hans, »und auch zufrieden -- bis auf die Gedanken, +von denen sie zeitweis geplagt wird. Sie kann sich immer noch nicht +drein finden, daß ihre Christine, ihre einzige Tochter bei einem +andern dienen soll.« -- »O,« rief das Mädchen, »daran wird sie sich +eben doch gewöhnen müssen! Mir gefällt das Dienen, und ich bin lange +nicht so vergnügt gewesen, wie jetzt.« -- Der Bursche betrachtete sie +mit innigem Wohlgefallen. »Ja,« sagte er, »du bist auch wieder eine +ganze Magd geworden.« Und mit gutmüthigem Stolz setzte er hinzu: »Das +Bauernhandwerk ist halt doch das schönste und gesündeste, und über +den Bauernstand geht nichts in der Welt!« »Das ist wahr,« erwiederte +Christine, durch seine Anerkennung geschmeichelt und erfreut. »Drum +will ich auch fortarbeiten, weil ich seh', daß ich's doch nicht ganz +vergessen hab', und dazu lernen, was ich noch nicht versteh', und das +kann ich am besten auf so einem großen Hof wie hier. Sag' das meiner +Mutter, sag' ihr nur, ich bin gern eine Bauernmagd und hoff's noch +lange zu bleiben.« + +Um den Mund des Burschen spielte ein fast unmerkliches schelmisches +Lächeln. »Nun,« erwiederte er endlich, »auf einem Bauernhof kann man +auch etwas anderes sein als Magd. Du bist keine Magd, wie die erste +beste, du bist das einzige Kind deiner Mutter, und wenn das der Rechte +erfährt und wenn er sieht wie du schaffen kannst in einem großen +Werk, dann könnten wir auf einmal hören, daß die Magd eine Bäuerin +geworden ist.« -- Christine, des an sie ergangenen Antrages gedenkend, +wechselte die Farbe und sah den Vetter scharf an; aber dieser hielt +aus und verrieth seine Kenntniß der Sache mit keinem Zug. Das Mädchen +entgegnete mit Ernst: »Ich trachte nicht so hoch hinaus; ich begnüge +mich mit dem, was ich bin, und bleib' im ledigen Stand.« Eine sanfte +Heiterkeit verbreitete sich über ihr Gesicht mit einem Hauch von Trauer +gemischt, der sich indeß im Ausdruck wahrer Theilnahme verlor. Sie +sagte: »Aber von dir hört man jetzt, daß du an's Heirathen denkst. Nun, +wundern wird sich niemand darüber. Du weißt ja, wie oft ich dir selbst +früher zugeredet hab'.« Und plötzlich erröthend rief sie: »Am End hast +du schon eine? und willst mich zur Hochzeitmagd?« -- »Eins ist wahr,« +erwiederte Hans, »heirathen will ich.« + +Das Mädchen erschrak bei diesen Worten, ihr Gesicht wurde blaß und +im Augenblick darauf purpurroth. Aber nun war es zu Ende mit der +Zurückhaltung des Burschen. Wie er die Zeichen der Liebe an dem +Mädchen erblickte, die er sich erkoren hatte, als sie fast noch im +Kindesalter stand, wie er das Bild, das ihn im Spiegel der Seele +entzückt hatte, mit Augen schaute, da schlug die Flamme seiner +Leidenschaft durch, und mit jenem Blick unendlicher Liebe, den er +früher nur verstohlen auf sie zu richten gewagt hatte, sah er ihr +muthig und gerade in die Augen. Und sie verstand ihn -- mit der +Schnelle des Blitzes erleuchtete sie die Erkenntniß, daß er alles +wisse, und erschüttert und beseligt stand sie vor ihm. Hans ergriff +ihre Hand und sagte im herzlichsten Ton: »Ja, Christine, heirathen will +ich: aber ich brauch' keine Hochzeitsmagd, sondern eine Hochzeiterin!« +Und als sie bei diesen Worten zuckte, als ob sie sich ihm entziehen +wollte, rief er: »Laß mir die Hand! -- Die Base hat mir alles gesagt. +Ich bin heraufgekommen, um dich zu fragen, ob du mein Weib werden +willst -- und nun red' und sag' es!« + +Das Herz des Mädchens drehte sich im Busen um vor Wonne; aber noch +wagte sie nicht, das ihr vom Himmel gefallene allzugroße Glück +anzunehmen und sie rief: »Wie! -- mich, die so gegen dich gehandelt +hat -- mich willst du zum Weib?« -- »Still!« entgegnete Hans mit +einer Bewegung, als ob er ihr den Mund zuhalten wollte; »das ist +vorbei und vergessen, und nun thu' dir nicht selber Unrecht. Ich +kenne kein Mädchen in der ganzen Welt, die ich für besser und für +rechtschaffener halte und die ich höher schätze, als dich.« -- Nach +dieser Ehrenerklärung, welche die Liebeserklärung diesmal ergänzte und +sanctionirte, sah das Mädchen mit dem rührendsten Blick der Liebe und +des Dankes auf ihn. »Ja,« rief sie mit Thränen in den Augen, »du bist +eben immer der beste der Menschen! Wie viel hab' ich erfahren, wie viel +hab' ich leiden müssen, um das einzusehen.« Und während die Thränen +über ihre Wangen rollten, vergaß sie alles und fiel im Drang ihres +Herzens dem Guten und Treuen um den Hals und küßte ihn und weinte an +seinem Gesicht. + +Sie hatten Glück, die Glücklichen. Kein Wesen sah diesen Vorgang, der +am hellen Tag und unter freiem Himmel auf dem Dorf höchst ungewöhnlich +ist, ein einziges paar Schwalben ausgenommen, die auf dem Stadeldache +saßen und die Flügel streckend neugierig herunterzulugen schienen. + +Aber nicht lange mehr sollten sie ungestört bleiben. Indem der +Erschütterung auf beiden Gesichtern innige Heiterkeit folgte und das +Mädchen ihre Thränen mit der Sonntagsschürze trocknete, vernahmen sie +von der Gartenthür her plötzlich den Ruf: »Aber was Kreuzblitz ist +denn das?« -- Sie sahen hin, in höchst eigener Person und in voller +Autorität des Richters kam der Holzbauer auf sie zu. »So?« rief er +zu Christine, »die Bäuerin wartet auf dich und du unterhältst dich +mit einem -- wer ist der Bursch da?« -- Hans trat mit festem Schritt +vor den Gefürchteten hin und sagte: »Mein Nam' ist Hans Burger.« -- +Der Bauer betrachtete ihn und rief sich erinnernd: »Ah so, du bist +~der~!« -- »Ja,« sagte Hans, »und die Christine hier ist mein +Bäschen, und seit einigen Minuten -- meine Hochzeiterin.« + +Der Holzbauer stand überrascht und sah ihn groß an. Er war zu +gescheidt, um nicht einzusehen, daß seine Autorität jetzt ein +Ende hatte; so schnell indeß konnte er das nicht einräumen. »Das +Donnerwetter,« polterte er mit einer eigenen Mischung von wirklichem +Unwillen und gespieltem Zorn, »was ist denn aber das für eine Art? +Du kommst so mir nichts dir nichts her zu mir und heirathest mir +meine Magd weg? Da soll ja doch gleich« -- Hans, von diesem Spaß des +Holzbauern ergötzt, entgegnete: »Ja, da kann ich nicht helfen, das +Heirathen geht Allem vor.« -- »Hol's der Teufel!« brummte der Bauer. +»Die bösen Weibsbilder laufen einem weg, und hat man eine, die ein +wenig ordentlich wäre, dann kommt so ein verfluchter Kerl und nimmt +sie einem zum Weib! -- Nun,« setzte er mit einem satyrischen Blick +hinzu, »und du willst's also wirklich riskiren? -- mit der Feinen?« +-- »Ja, Holzbauer,« versetzte Hans mit der Laune des Glücklichen. +»Nachdem sie ein halbes Jahr bei Euch gedient hat, mein' ich, kann +ich's riskiren.« -- Der Bauer, der heute einen Sonntagshumor hatte und +von Natur Spaß verstand, lachte. »Ja, ja,« sagte er dann, »hast auch +Recht -- jetzt kannst du's. Ich hab' sie dir gezogen und du kannst +dich bei mir bedanken.« -- Indem er seine Zornanfälle auf diese Art +sich als Tugend anrechnete, konnten die beiden Liebenden nur mit Mühe +den Ausdruck ihres Vergnügens zurückhalten. Hans nahm sich indessen +zusammen und sagte: »Ich dank' Euch auch, Holzbauer, von Herzen.« -- +»Und ich desgleichen,« setzte Christine hinzu, »bei Euch hab' ich +grade gelernt, was mir fehlte, und ohne Euch wär' ich meiner Lebtag +nicht glücklich geworden.« + +Der Holzbauer, wie alle Großen, war darum, weil er Schmeichelworte +als etwas ihm Zukommendes betrachtete, für ihre Süßigkeit keineswegs +unempfindlich. »Freut mich,« erwiederte er, »daß ihr das einseht.« Und +in dem Gefühl seiner unleugbaren Güte setzte er hinzu: »Da sagt man +immer, ich sei bös und schimpfe die Leute. Dummköpfe, Ochsen, alberne +Weibsbilder sind's, die so was sagen. Ich schimpfen! Einfältiges +Lumpenpack verfluchtes! -- Ich verlang' was recht ist, und wenn etwas +Dummes geschieht, laß' ich's nicht durchgehen; und so muß man's auch +machen, sonst wird nie etwas aus den Leuten. Da hat man nun das +Beispiel! -- Und's freut mich doch, daß ihr das einseht und daß man +auch einmal seinen Dank bekommt in der Welt.« Im vollen Genusse des +Selbstgefühls hielt er ein bischen inne, ließ seinen Blick auf dem +Mädchen ruhen und sagte dann zu Hans: »Noch ein Jährle, wenn ich sie +hätt' -- dann solltest du sehen!« -- »Nein, nein,« versetzte Hans +lachend, »man muß nicht zu viel verlangen. Von jetzt an will ich sie +schon selber ziehen.« -- Der Bauer sah ihn an, wie etwa ein Kaiser +einen jungen Grafen ansieht, der sich auch fühlen zu können glaubt. +Durch seinen guten Leumund, der auch zu ihm gedrungen war, schon für +ihn eingenommen, fühlte er sich von seinem Wesen angesprochen und +sagte daher mit der Miene huldvoller Approbation: »Nun, die Postur +hast du dazu.« -- Hans bemerkte: »Vor der Hand, nämlich bis wir uns +zusammengeben lassen, bleibt die Christine ohnehin noch bei euch, +wenn Ihr nichts dagegen habt. Heute freilich möcht ich bitten, daß +Ihr sie mit mir zu ihrer Mutter fahren lasset.« -- »Alles was Recht +ist,« versetzte der Bauer mit Würde. Und mit der Freundlichkeit, deren +sein Gesicht überhaupt fähig war, fügte er hinzu: »Seid vergnügt mit +einander und macht bald Hochzeit und ladet mich auch darauf. Ich komm', +ich versprech's euch, und wär's nur, um die dummen Weiber zu ärgern. +Dann sollen sie mir nochmal sagen, keine Magd könnt's aushalten bei +mir und jede käm' in Unfrieden von mir weg! -- Aber Sapperment!« rief +er, sich plötzlich unterbrechend, »jetzt müssen wir in die Küche!« +Und zu Christine gewandt, setzte er hinzu: »Klaub das Zeug da zusammen +und schneid' noch ein wenig ab. Ich will indeß zur Bäuerin gehen und +dich entschuldigen; denn die könnt' am End' nicht so Spaß verstehen wie +ich!« Und in einer Laune, wie man ihn seit langer Zeit nicht gesehen, +schritt er hinweg. + +Als das Mädchen zur Bäuerin kam, erhielt sie für die Scheltworte, die +sie sonst zu erwarten hatte, einen freundlichen Glückwunsch. + +Eine halbe Stunde später trat unser Paar in die Stube der Hubel, die +natürlich augenblicklich wußte, woran sie war. Christine rief: »Ihr +habt nicht Wort gehalten -- Ihr habt mich verrathen!« -- »Sei still, +du dummes Ding,« entgegnete die Base. »Wo wärt Ihr jetzt, wenn ich das +Maul nicht aufgethan hätt'?« -- »Ihr habt Recht gehabt,« erwiederte die +Glückliche und drückte ihr die Hand. Hans sah die Base heiter an und +sagte dankbar: »Mir habt Ihr Wort gehalten.« -- Die Hubel versetzte +würdig: »Wo ich reden muß, da red' ich, und wo das Schweigen nothwendig +ist, da kann ich auch schweigen.« + +Man giebt mir zu, daß ich im Verlauf dieser Erzählung den Leser nicht +mit der bekannten Versicherung behelligt habe, dieses oder jenes könne +nicht geschildert werden, der Autor müsse die Ohnmacht der Darstellung +bekennen, müsse es der Einbildungskraft der Leser überlassen, sich die +Dinge auszumalen u. s. w. Eigentlich ist ja doch alles zu schildern, +was lebt und sich offenbart und angeschaut werden kann, und jene +Versicherung bedeutet darum auch in der Regel nur so viel als: ich bin +nicht im Stande meine Schuldigkeit zu thun. -- Zuweilen dürfte der +Autor aber doch befugt sein, an die Phantasie des Lesers zu appelliren +-- der Kürze halber. Ich möchte darum jetzt die Freunde unseres Paares +ersuchen, sich vorzustellen, mit welchen Gefühlen sie, nachdem sie im +Wirthshaus die von Hans bestellte Mahlzeit eingenommen hatten, auf +dem Wägelchen der Heimath zufuhren. -- Es giebt Momente, wo sich eine +solche Fülle von Glück zusammendrängt, daß wir ein ganzes Leben voll +Schmerzen dadurch aufgewogen sehen, Momente, wo in überschwänglicher +Liebe zu Gott und zu der Welt der letzte Hauch von Leid, der letzte +Hauch von Schuld hinweggetilgt, in Seligkeit verschlungen ist. + +Im Schwunge der Freude geberdet sich der natürliche Mensch frisch und +lustig. In's Dorf einlenkend knallte unser zum Hochzeiter gediehene +Freund, daß es eine Art hatte, und ließ das wohlgefütterte Roß traben, +daß die Leute ihnen nur nachsehen und ein paar am Wege stehende Freunde +nur die einfachsten Laute des Staunens ausrufen konnten. -- Der Gute +eilte der Mutter zu, die trotz alledem und alledem nun auch wieder +einmal eine Freude haben sollte. + +Als er am Fenster des Hauses vorbei fuhr, erkannte die Glauning nur +ihn, der Kopf der Christine war verdeckt. Der Wagen rollte in den Hof. +»Da haben wir's!« rief die Wittwe, in's Herz getroffen; »nun bringt +er sie mir gar in's Haus.« Allein es galt ihre Ehre, sie drückte die +Betrübniß in's Innerste ihres Herzens zurück und hatte eine würdig +freundliche Miene zu Stande gebracht, als sie zur Begrüßung heraustrat. +»Da ist nun die Hochzeiterin,« rief Hans, »das heißt, wenn Ihr nichts +dagegen habt!« Die Mutter, Christine erkennend, stieß einen Schrei aus +und fing das vom Wagen steigende Kind in ihren Armen auf. »Gott sei +Dank!« rief sie, und Thränen der Freude stürzten aus ihren Augen. + +Bei dem besten Kaffee, den man jemals in diesem Hause trank, wurde +die Mutter in das Geheimniß der letzten Vorgänge eingeweiht. Wenn ein +moralisch ästhetischer Knauser vielleicht denken sollte, die Wittwe +hätte das Glück, solche Kinder zu besitzen, eigentlich nicht verdient, +so beschämen wir ihn mit der Thatsache, daß sie bei Erwähnung der +abschlägigen Antwort, die Christine dem reichen Bauernsohn gegeben, nur +ein Augenblickchen eine curiose Empfindung hatte, sich aber durchaus +nichts ansehen ließ und aufrichtigst ihren Dank gegen Gott wiederholte +für den glücklichen Ausgang, und den Kindern gerührt ihren Segen gab. + +Im Dorfe freilich wurde über Hans zunächst gar manches Näschen und +manches Mäulchen gerümpft, wovon eigentlich nicht jedes die zierliche +Benennung verdiente. In Kurzem war aber auch hier von dem wahren +Sachverhalt Einiges durchgesickert, wir wollen ununtersucht lassen, +durch wessen Vermittlung. Ein Name zwar wurde nicht genannt, bald +aber sagte eines dem andern: die Christine hätte gar einen Reichen +und Großen haben können, wenn sie gewollt hätte, aber sie hat ihn +ausgeschlagen, weil ihr der Hans lieber ist als Alle. Man begriff +endlich das Paar, und an die Stelle der Kritik, die nicht mehr +sachgemäß war, trat allgemein freundliche und achtungsvolle Theilnahme. + +Hans hatte die Braut an jenem Sonntag wieder zum Holzbauern +zurückgeführt. Hier, wo sie nun mit auffallender Rücksicht behandelt +wurde, schrieb sie an die gute Base Kahl und meldete ihr Glück und den +wunderbaren Weg dazu, und ließ an alle ihre Bekannten in der Stadt, an +den Herrn Vetter, an Mamsell Adelheid und Susanne die schönsten Grüße +ausrichten. Nach einer Woche lief die Antwort ein. Die Schreiberin +freute sich unendlich, daß ihre Prophezeihung so schnell eingetroffen +sei, und konnte die Theilnahme der Bekannten nicht warm und lebhaft +genug schildern; ihr sei's gewesen, als ob eine Tochter, der Adelheid +und Susanne, als ob eine Schwester das Glück gehabt hätte. Jetzt könne +sie übrigens ihrem lieben Bäschen auch melden, was sie bisher sich +nicht zu schreiben getraut, daß Herr Forstner schon seit drei Wochen +mit der Wilhelmine verheirathet sei. Diesen könne sie aber, nach Allem +was sie höre, keinen glücklichen Ehestand prophezeihen. Die Wilhelmine +habe ihren jetzigen Mann schon ganz unter dem Pantoffel; außerdem sei +sie eifersüchtig und hüte ihn wie ein Drache. Wenn das schon in der +ersten Zeit geschehe, was würde der Mann erst später zu erdulden haben! +Im Uebrigen müsse sie sagen, was wahr sei: vorgestern habe in der +»Erheiterung« ein Concert stattgefunden und Herr Forstner habe auf der +Violine gespielt, daß Alles Bravo gerufen und Beifall geklatscht habe. + +Bei dem letzten Satz lächelte Christine; es schien, als ob sie sich +nicht unglücklich fühle, daß ihr künftiger Mann dieser Qualität +entbehrte. Die Vorhersagung eines unglücklichen Ehestandes anlangend, +dachte sie: die Base wird wohl übertrieben haben und meint mir +vielleicht einen Gefallen damit zu thun; aber da kennt sie mich +schlecht. Ich habe nicht das Geringste gegen diese Leute und gönne +ihnen von Herzen alles Glück, das sie sich verschaffen können. + +Aus der Zeit ihres Dienstes beim Holzbauer haben wir nur noch weniges +zu berichten. Eines Abends, als sie eben vom Felde heimging, begegnete +ihr vor dem Dorf jener Alte, der ihr die ehrenvolle Stelle einer +Söhnerin zugedacht hatte. Dem Mädchen klopfte das Herz in Dank und +Achtung, und als sie ihm nahe kam, grüßte sie ihn mit einem Blick +der liebevollsten Erkenntlichkeit und -- Abbitte. Der Bauer lächelte +und sagte, indem er ihr freundlich wie einem Kinde zunickte: »Ich +gratulire, Christine!« Das vollendet heitere Aussehen des Alten +hatte, wie wir gestehen wollen, noch einen andern Grund als seine +Gutmüthigkeit. Christine war ersetzt. Der Hubel, der ihre Niederlage +gegenüber den guten Leuten keine Ruhe gelassen, war eine große That +gelungen; sie hatte für den Sohn eine ausgemittelt, ihm an Stand und +Vermögen völlig gleich und in jeder Hinsicht wundersam passend für +ihn, und die Unterhandlungen waren bereits dahin gediehen, daß der +Heirathstag in naher Aussicht stand. Christine erfuhr es etliche Tage +später, und diese Ausgleichung trug dazu bei, ihr die letzte Zeit bei +dem Holzbauern zu der angenehmsten zu machen. + +Im Oktober lud Hans mit seinem Bruder, dem Schmied, und mit dem +jetzigen Dorflehrer Freunde und Bekannte im Ries herum zu seiner +Hochzeit ein. Er lernte den letzteren, den die Vereinigung der +Seminarbildung mit einem wackern, schlichten, zufriedenen Sinn für +eine Schulstelle auf dem Lande ganz besonders qualificirte, bei +dieser Gelegenheit näher kennen und freute sich, an ihm künftig einen +guten Freund zu haben und an der braven, muntern Frau desselben eine +richtige, nützliche Bekanntschaft für Christine. + +Mit der Erwähnung der feierlichen Einladung haben wir schon gesagt, +daß die Hochzeit im Wirthshause gehalten wurde. So hatte es Hans +gewollt. Alle Welt sollte die Christine sehen im bräutlichen »Horbet,« +dem jungfräulichen Kopfputz: alle Welt sollte ihn an ihrer Seite +erblicken, stolz und glücklich. -- Es war eine große Hochzeit für +ein solches Brautpaar, die meisten Geladenen, die zugesagt hatten, +waren auch gekommen, und richtig befand sich unter ihnen auch der +Holzbauer. Derselbe trank sich nach und nach in eine ausnehmend gute +Laune hinein, die sich übrigens, bei gelegentlich an ihn gerichteten +Fragen, mehr in ergötzlichen als höflichen Antworten kundgab. Nachdem +er einige wirksame Trümpfe ausgespielt und namentlich auch seine Güte +und Verträglichkeit in so kräftigen Ausdrücken vertheidigt hatte, daß +ihm niemand zu widersprechen wagte, schöpfte die glückliche Christine +aus seinem vergnügten Aussehen den Muth, einem neckischen Verlangen +nachzugeben und den Wunsch laut werden zu lassen, er möchte doch auch +ein paar Reihen mit ihr tanzen. Der Hochzeiterin dies abzuschlagen, +ging nicht wohl an, und außerdem konnte er durch Erfüllung des Wunsches +am besten beweisen, wie gut man es bei ihm habe und wie vortrefflich +sie mit einander ausgekommen seien. Deshalb unterdrückte er die bereits +auf seiner Zunge befindliche Frage: ob sie toll geworden sei? führte +sie unter allgemeiner Aufmerksamkeit auf den Tanzboden und drehte sich +so stattlich herum, als es seine Leibesbeschaffenheit irgend zuließ. +Nach den schicklichen drei Reihen wollte er aufhören; Christine, der +es Vergnügen machte, den »Wilden« so zahm an der Hand zu haben, bat +ihn noch um einen. Aber nun war seine Geduld zu Ende. »Geh zum -- es +geht nicht, Mädle! -- Jungfer Braut, wollt' ich sagen!« -- Hans, der +heiter zugeschaut hatte, nahm ihm die Tänzerin ab, und statt ihrer trat +die Mutter zu ihm und rühmte ihn, wie »feindle« (feindlich) schön er's +noch könne und was für eine »grausame Ehr'« er ihnen angethan habe, daß +er auf die Hochzeit gekommen sei. Zufrieden setzte er sich zur Kanne, +und während er auf den Tanzlorbeeren ruhte, sammelte er sich neue als +Zecher und Redner. + +Das Fest ging seinen fröhlichen Gang, der Abend kam heran. Die +Ehrentänze, die bei solchen Gelegenheiten für das Brautpaar eine +Pflicht der Höflichkeit werden können, waren getanzt, der Hochzeiter +und die Hochzeiterin setzten sich an den »Bräuteltisch,« an welchem +sich dermalen nur die Mutter befand. Die Gäste waren zum größten Theil +auf dem Tanzboden, wo der junge, lustige Hochzeitknecht berufsmäßig +eine nach der andern in den Reihen geführt hatte und sich eben nach +geheim erhaltenem Auftrag mit der Base Hubel herumdrehte, zum Lohn für +ihre Verdienste. In der Stube waren nur zwei entferntere Tische mit +Zechenden besetzt, die in lebhaften Diskurs gerathen waren und nur +Aug' und Ohr für sich selber hatten. Gewissermaßen allein gelassen und +von der Festesfreude schon etwas ermüdet, saßen unsere drei Personen +stille da und gaben sich ihren Gedanken hin. Die Musik draußen störte +sie nicht, die bekannten Töne klangen freundlich in ihre Vorstellungen +ein. Das Vergnügen, das Nachmittags hell auf ihren Gesichtern +geleuchtet hatte, nahm nach und nach einen ernsteren Charakter an und +ihre Mienen wurden feierlich, fast so wie sie in der Kirche gewesen. +-- Die Mutter sah zuerst aus ihren Träumen empor; sie ließ ihren Blick +liebevoll auf den Beiden ruhen, die so ganz und gar zusammengehörig +ihr gegenüber saßen, und sagte dann bedeutsam: »Wie lang hat's dazu +gebraucht! Es ist doch wahrlich gerade, als ob's früher nicht hätte +sein sollen!« -- Hans erwiederte auf diesen unwillkürlichen Ausruf in +dem milden Tone, wie er tieferen Menschen in ernster Empfindung eigen +ist: »Es hat auch wirklich nicht sein sollen, Schwieger! In der Welt +ist's nicht jedesmal gut, wenn man ohne weiteres bekommt, was man gern +möchte: man muß zum rechten Glück erst fertig gemacht werden. Ich hab' +die Christine besser bekommen, als es früher möglich gewesen ist, und +sie mich. Glücklich wären wir auch früher mit einander geworden, aber +wir hätten nicht gewußt, was wir aneinander haben, und jetzt wissen +wir's.« Christine sah ihn bei diesen Worten mit feucht glänzenden Augen +an und drückte ihm zärtlich die Hand. + + +Fußnoten: + +[1] No, nocht, nochta = nachher, dann. + +[2] Ursprünglich Heiligenbilder, dann Bilder überhaupt bis zum farbigen +Papier herab. + + + + + Ende gut, Alles gut. + + + + + Der Michel und die Gret. + +Wenn der Rieser nicht gerade zu der größten und stärksten Menschenart +im deutschen Vaterlande gehört, so wird man ihm das Prädikat +»wohlgewachsen« nicht versagen können. Begreiflicherweise gibt es +in dem volkreichen Gau allerhand, kleine und große, »wie's der Hirt +zum Thor naustreibt«; in der Regel begegnen wir aber doch schlanken +Personen von guter Mittelgröße und darüber. Enakssöhne -- Bursche, die +eine Verbindung von Größe, Schulterbreite und Gliederstärke zeigen, +die wir mit Staunen betrachten -- sind selten und kommen in andern +deutschen Gauen häufiger vor; zuweilen gelingt aber auch im Ries ein +solches Erzeugniß, und es wächst, sofern der Geist mit dem Körper +nicht geradezu in Widerspruch steht, eine Person heran, die sich in +ihrer Umgebung eines besondern Respekts zu erfreuen hat. Wenn so einer +freilich keinen Verstand, keine Würde und am Ende gar auch keine +»Schneid« hat, dann hilft ihm sein Körperbau nichts; man belegt ihn +mit den despectirlichen Namen eines »Drieschlags,« eines »unklamperen +Kerls,« verspottet und hänselt ihn. Sind ihm aber jene Eigenschaften, +namentlich die letzte, in merklichem Grade verliehen, dann ist er in +seiner Art eine Macht; man fürchtet ihn und schmeichelt ihm. + +Zu den leiblich außerordentlichen Erscheinungen im Ries gehörte auch +der Held der Erzählung, womit wir dießmal die Leser zu unterhalten +gedenken. Wir sagen mit Bedacht: der Held. Denn obwohl unsre Geschichte +keineswegs eine Reihe von Thaten vorführen wird, bei welchen die +Stärke des Armes die Hauptrolle spielt, so hoffen wir jene, für +einen Bauernburschen sonst nicht wohl passende Bezeichnung doch zu +rechtfertigen. + +Michel Schwab wurde im ersten Zehntel unsres Jahrhunderts geboren. +Der Vater, ein wohlhabender Söldner und auch schon ein ungewöhnlich +großer und gliederstarker Mann, erlag einer hitzigen Krankheit in +seinen besten Jahren. Die Wittwe, die gut mit ihm gehaust hatte und den +zehnjährigen Sohn über alles liebte, beschloß nicht mehr zu heirathen, +damit ihr Einziger das ganze »Sach« bekäme, wie es der Vater gehabt +hatte. Sie war selbst eine stattliche Frau, froher Gemüthsart und +regierte gern -- ein Grund mehr, um als ehrsame Wittib fortzuleben und +die erste Person im Hause zu spielen, bis sie die Herrschaft an den +Sohn abtreten mußte. + +Michel wuchs heran -- die Augenweide und der Stolz der Mutter. In der +Schule zeichnete er sich nicht besonders aus; sein Verstand war etwas +langsam zum Begreifen, sein Gedächtniß zum Behalten von Sachen, deren +Nutzen ihm zweifelhaft erschien, nicht sehr bereitwillig, und Ehrgeiz, +der ihn hätte stacheln können, besaß er nicht. Er lernte nur, was +nicht zu umgehen war, ging lieber auf's Feld als in die Schulstube, +und empfand eine dunkle Sehnsucht nach der Zeit, wo er gar nicht mehr +hineinmußte, außer an Sonntagen. Um so besser gedieh sein Körper. Er +war offenbar der stärkste von den Buben seines Alters; die Mutter hielt +ihn überdieß für den schönsten und war nach dörflichen Begriffen wohl +dazu berechtigt. Auf dem Dorf ist es vorzugsweise die derbe, robuste +Schönheit, die eine ungemischte Bewunderung erweckt. Der Bauer hat +auch ein Auge für zarte, feine Schönheit; aber wenn ein Kind mit einer +solchen von ihm Lob erhält, so wird doch aus seinem Ton zugleich ein +gewisses Mitleid herauszuhören sein, zumal wenn es ein Bube ist. Kennt +er die Eltern gut, so erlaubt er sich in diesem Fall hinzuzusetzen: »a +bisle kräftenger könnt' 'r freile sei'! No, 's kommt vielleicht no' +(noch)!« Im Stillen denkt er aber: »Schad für des Büeble, daß er gar +so elend ist!« Bei dem hübschen Jungen dagegen, der zugleich rothe +Backen und tüchtige Gliedmaßen aufweist, geht die Gratulation durchaus +von Herzen und das Lob wird mit den Zeichen der Achtung ausgesprochen. +»Kott's Blitz,« ruft hier der Freund, während seine Augen im Glanze des +Wohlgefallens blinken, -- »des ist a Kerl! Des gibt a Mannsbild! Des +weara't a' baar (paar) Aerm' zum Garba' naufgeba'!« Und er lächelt +dabei mit Würde und nickt den Eltern seine volle Anerkennung zu. + +In solcher Art wurde der junge Michel gerühmt, namentlich von Gästen +aus andern Dörfern, die ihn längere Zeit nicht gesehen hatten, und +am lebhaftesten von Weibern. So eine sagte wohl im Doppeleifer der +Höflichkeit und der wirklichen Empfindung zu der Mutter: »Aber wie uir +(euer) Michel widder g'wachsa'n ist! Doh muße me nor so aufwondera' +(aufwundern)! Und a Boschdur (Positur) und a G'sicht hot er grad wie +sei' Vader! Wie ra'grissa' (herabgerissen, d. h. vom Vater)! Und die +roth' Backa', die er hot! Und die schöa' brau' Oga'! Doh müsset 'r aber +doch a rechta' Fräd (Freud) haba' mit so'm Buaba' -- net wohr, Bas?« +-- u. s. w. -- Die Mutter suchte derartiges Lob, wie es der Brauch +verlangte, wieder zu dämpfen, indem sie einwarf, daß in dem Alter +alle Buben rothe Backen hätten, wenn ihnen grad nichts abginge, oder +in Bezug auf besseres Lernen in der Schule und Angewöhnung besserer +Manieren klagend ihre Wünsche aussprach. Aber solche Einwendungen +erfuhren natürlich die gehörige Widerlegung; und wer konnte es der +Glücklichen nun verdenken, wenn sie, den schönen Versicherungen in +ihrem Innern beistimmend, an ihrem Michel eine Art Wunderkind zu haben +glaubte? + +Als das ersehnte Ziel erreicht und der Bursche »in die Zahl der +Erwachsenen aufgenommen war,« entwickelte er sich indeß mehr nach +seinen natürlichen Anlagen, als nach den Gesamtwünschen der Mutter; und +die gute Frau mußte ihrerseits erfahren, daß es nichts Vollkommenes +gebe unterm Monde! + +Zum Theil zwar erfüllte der junge Michel nicht nur ihre Erwartungen +-- er übertraf sie. Er wurde größer als sein Vater und ragte bald ein +andrer Saul über seine Altersgenossen hervor. Gestalteten sich die Züge +verhältnißmäßig derb, so waren sie doch regelmäßig. Die bräunlich rothe +Gesichtsfarbe paßte zu den Formen, die dunkeln Augen und das dunkle +Haar waren untadelich, und mit alledem konnte ihn die Mutter immer +noch für den Schönsten im Dorf halten, wenn auch minder befangne Augen +einigen andern Burschen den Vorzug geben mußten. + +Das Bauernhandwerk lernte er gern und gut. Die Mutter hatte +zur Besorgung der Feldarbeiten ihres Vaters Bruder, einen alten +Bauernknecht, ins Haus genommen. Dieser weihte den Burschen nach und +nach in alle Künste der Landwirthschaft ein, und der Zögling machte +sie sich ein wenig langsam, aber gründlich zu eigen. Er gewöhnte sich +eine stetige Art zu schaffen an, die ohne Uebereilung auch zum Ziele +kommt. Falls es aber gerade sein mußte -- z. B. in der Erntezeit, wenn +man vor dem drohenden Regen noch schnell ein Fuder hereinbringen wollte +-- da konnte er auch arbeiten »wie ein Roß!« Durch den trunkenen Eifer +beflügelt, den im ächten Landmann die Nothwendigkeit aufzuregen pflegt, +leisteten die gewaltigen Gliedmaßen Staunenswerthes; und wenn zufällig +ein alter Bauer vorüberging, konnte er sich überzeugen, daß die jetzige +Zeit doch auch noch Mannsbilder aufzuweisen habe und die tüchtigen +Leute im Ries nicht aussterben würden! + +Unter den ledigen Burschen im Dorf erwarb sich Michel eine +außergewöhnliche Stellung. Schon als Bube hatte er im »Moestern« +(Meistern), d. h. im Ringkampf, nicht nur seine Mitschüler, sondern +auch ältere Bursche bezwungen und die Kniffe, womit die Schlaueren +über ihn Herr zu werden suchten, durch überlegene Kraft wett gemacht. +Er hatte verschiedene unverschämte Kerle in die Grenzen des Anstandes +zurückgeprügelt, und die Partei, die ihn bei Schläghändeln auf ihre +Seite bekam, durfte sich für geborgen halten. Wie er als Lediger +zuletzt »auf die Gass' ging,« glaubten ihn zwei ältere Bursche, +die bis dahin für die Stärksten gegolten, »für'n Narren halten« +und vornehm behandeln zu können. Das »Geträtze« reifte zu einem +nächtlichen Kampf, und dieser verlieh jedem die Ueberzeugung, daß die +Gefürchteten ihren Meister gefunden hatten. Michel, von einem Kameraden +secundirt, schickte die Gegner jämmerlich zerdroschen heim! -- Von da +an ließ man ihn nicht nur in Ruhe, sondern wich ihm bescheiden aus +und behandelte ihn mit Rücksicht. Er kam nicht mehr in den Fall, die +Stärke seines Armes geltend zu machen, außer wenn er sich bei einer +entstandenen Prügelei bewogen sah, »auszuwehren,« d. i. thatsächlich +Ruhe herzustellen. Die Veranlassung dazu bot sich ihm nicht oft, aber +vor etwa dreißig Jahren doch öfter, als es jetzt sein könnte, wo der +kriegerische Geist der Rieser Bauernburschen durch die fortschreitende +Bildung und die Gendarmerie auffallend zurückgedrängt ist. Bei solchen +Gelegenheiten pflegte Michel die Bursche, die sich ihm nicht fügten und +immer wieder angriffen, mehr als just nöthig war zu puffen und dadurch +den Glauben an seine Ueberlegenheit so aufzufrischen, daß zuletzt das +ganze Dorf davon durchdrungen war. + +In der angenehmen, behaglichen Stellung, die sich unser Mann +erobert, bildete sich folgerichtig ein eigenthümlicher Geist in ihm +aus. Obwohl von Natur nicht anmaßend, gewöhnte er sich doch einen +kurzen, befehlenden Ton an, weil ihm nach seinem Gefühl kein anderer +zustand. Er saß beim Bier unter seinen Kameraden in der Regel mit +schweigsamer Würde, ließ sich unterhalten, belohnte den Spaß, der einem +»Narra'sager« gelungen war, mit beifälligem Lachen, und spielte nur hie +und da selbst einen Trumpf aus, der dann gerade nicht der feinste zu +sein brauchte, um günstig aufgenommen zu werden. Wenn aber ein Streit +entstand über Dinge, die er zu verstehen glaubte, so pflegte er zu +entscheiden. Auch andern Disputen machte er zum öftern ein Ende, nicht +durch ein siegreiches Argument, sondern durch die einfache, kräftig +betonte Erklärung, daß man »d's Maul halten« solle! -- Er war kein +Liebhaber von vielen Worten, unser Michel -- selbst nicht, wenn Andere +sie machten; und wenn seiner Ansprüche im Umgang immer wenige blieben, +so wollte er diese doch auch befriedigt sehen. Dank sei es dem Namen, +den er sich erworben -- unter seinen Kameraden setzte er seine Wünsche +durch! + +Das wäre Alles gut und schön gewesen, und eine Mutter hätte Ursache +gehabt, mit so einem Buben zufrieden zu sein; aber das Bild hatte seine +Kehrseite. -- Michel nahm keine Manier an! Er konnte sich nicht abgeben +mit Vettern und Basen, wie die Schwabin es wünschte -- er lernte +keine Höflichkeit! -- Schon als kleiner Junge, wenn ihn die Mutter in +die Stube rief, um ihn einem besonders werthen Besuch vorzustellen, +pflegte er ein »wildes« Gesicht zu machen, auf die gewöhnlichen Fragen, +halb verlegen, halb trotzig, kurze, zum Theil verkehrte Antworten +hervorzustoßen und sobald als möglich das Weite zu suchen. Dem Knaben +wurde das verziehen, weil man doch sah, daß er's eigentlich so bös +nicht meinte, und auch die etwas beschämte Wittwe konnte über irgend +eine komisch-alberne Antwort achselzuckend mitlächeln. Als er aber +heranwuchs und seine Sache immer noch nicht besser machte, wurde sie +höchst verdrießlich. + +Der Bauer hat keine Zeit, die Unterhaltung als Kunst zu betreiben, +und Gesellschaften im städtischen Sinn giebt es auf dem Dorfe nicht. +Allein man empfängt doch Besuche und macht welche, es giebt fröhliche +Zusammenkünfte, und dem jungen Burschen fehlt es keineswegs an +Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, wenn er eines hat, oder +sich wenigstens in herkömmlicher Weise schicklich zu benehmen. -- Bei +Michel waren dem Erlernen auch solchen Benehmens zwei Eigenschaften +hinderlich, die sich in ihrem Bunde unüberwindlich zeigten: Ehrlichkeit +und -- Faulheit. Seiner geraden Seele widerstrebte es, Dinge zu +bewundern, die er nicht besonders, ja nicht einmal gewöhnlich gut +fand; und in den Eifer, wo einem derartige Versicherungen allenfalls +vom Munde gehen, sich hineinzureden, war ihm unmöglich; denn dazu +hätte es einer Anstrengung bedurft, die ihm schon beim bloßen Gedanken +abschreckend vorkam! So blieb es in der Regel bei einem schweigsamen +Gesicht -- einem »Hm,« »Ja,« »Jo« (ja doch), »Freile« und andern +lakonischen Aeußerungen, womit sich Leute seines Gleichen aus der +Affaire ziehen. Bei ungelegenen Fragen kam noch das im Ries sehr +gebräuchliche »Bah« hinzu, das mit stark ablehnender, unter Umständen +verächtlicher Miene hingeworfen wurde. Es war in der That unmöglich, in +einer unvermeidlich gewordenen Unterhaltung sich kürzer auszudrücken +als unser Michel, zum großen Leidwesen seiner Mutter, die ihn gern auch +im Diskurs, wo nicht musterhaft, doch löblich gesehen hätte. Manchmal +blieb es aber nicht dabei -- manchmal, wenn man seine Ehrlichkeit +allzustark reizte, platzte er direkt mit der Wahrheit heraus und beging +damit eine Unschicklichkeit, bei der es der Mutter grün und gelb vor +den Augen wurde. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, die grobe Rede +zu vertuschen; wenn es aber nicht gelang und die beleidigte Person +sichtlich böse dastand, dann übernahm sie die Rache selber, indem sie +den Schuldigen für einen einfältigen Schwätzer erklärte, der nichts +verstehe und ein Esel bleiben werde »all sein Lebtag!« + +In der ersten Zeit folgte solchen Unterhaltungen in der Regel ein +Zwiegespräch, in welchem die Mutter dem Sohn in's Gewissen redete +und ihn mit dem Nachdruck der gerechten Entrüstung über seine Mängel +aufzuklären suchte. Als er sich einmal durch düstre Schweigsamkeit +und kurze Antworten ausgezeichnet hatte, begann die Alte: »Aber ietz +sag mer nor, Michel, wie isch (ist es) mögle, daß ma' se so benemma' +ka' vor da' Leuta'! Ka'st denn ietz net oh a weng reda', wie's der +Brauch ist, und a froendle's (freundliches) G'sicht macha'? Fällt +der denn gar nex ei', daß d'alleweil dohstost (dastehst), als ob d'r +d's Maul zuag'wachsa' wär'?« -- Michel, etwas unmuthig, fragte wie +er schon öfter gethan: »No, was soll i denn saga'?« -- Die Schwabin +kam in Eifer. »Was er saga' soll, frogt er me! -- Was ander Leut' +saget -- Badde (alberner Mensch)! Merkst denn gar net auf? Host denn +gar koe Hihra' (Hirn)?« -- Michel über diesen Ausdruck verdrießlich, +erwiederte: »I ka' des domm' G'säg (Gesage, Gerede) net leida'.« -- +Aber nun wurde die Alte hitzig. »Wer sakt denn, daß d' a domm's G'säg +haba' sollst, o'verständenger Mensch? Ebbes G'scheidt's sollst reda', +daß ma'n a'n Unterhalteng hot und vergnügt ist! Gang weiter. A Kerl +so stark und so groaß wie a' Bohm (Baum), und hot net amol soviel +Versta'd wie a' Schuelbüable! An dir wear' e no' a rechta' Fräd (Freud) +verleba', daß Gott erbarm'!« u. s. w. + +Kräftiger noch war die Rüge, wenn Michel seiner Ehrlichkeit freien Lauf +gelassen und die Wahrheit gesagt hatte, wo Höflichkeit an der Stelle +gewesen wäre. Nach dem ersten auffallenden Verstoß dieser Art kam es zu +folgender Scene. + +~Mutter.~ No ha'et (heut) host widder a Dommheit g'macht! Du bist +doch der Dipplengst[3] em ganza' Doraf (Dorf)! Sakt ma'n oem so ebbes +en's G'sicht? Setzt ma' d'Leut so en Verlega'heit? + +~Michel~ (trutzig). S'ist nor d'Wora't (Wahrheit) g'wesa', was e +g'sakt hab'! + +~Mutter~ (bitter lachend). D'Wora't! O du o'sennenger (unsinniger) +Mensch! Sakt ma' d'Wora't, wann's o'gschickt rauskommt und d'Leut +verdrießt? -- Was weara'n ietz die von der denka'? Und was weara's von +d'r verzähla', wann's hoem (heim) kommet! + +~Michel.~ Mei'twega' was went (was sie wollen)! I frog' nex +dernoch! + +~Mutter.~ Oh rehcht (auch recht)! Du frogst nex dernoch, wamma' +de für'n Esel hält und dei' Mueter für a Weib, die de net zoga' hot? +Du wurscht a saubers Mannsbild weara'! Du wurscht schöa' durch d' Welt +komma'! -- Ietz möcht' i nor wissa, w'rom ih grad so gstroft ben und +so'n Narra' zum Soh' hab! + +~Michel~ (ärgerlich). »No, ietz isch gmuag! -- -- A'n andersmol +du' es (thu ich es) nemmer!« -- + +Diese Zusage, die ihm das Verlangen nach dem Schluß erpreßt hatte, +konnte der gute Michel indessen nicht immer halten. Wenn er aber auch +in weitern Verstößen sich selbst übertraf -- wenn er, zum Sprechen +genöthigt, in seinem Widerwillen vollständig »aus dem Weg naus« redete +oder, durch sein eigenes Schweigen belästigt, in der Zerstreuung und +ohne Kenntniß des eben Gesprochenen eine Frage that, daß man ihn für +»meschucka'« (hebräisch: verrückt) hielt -- kurz wenn er auf dem +eingeschlagenen Wege consequent fortging, so hörten die Predigten der +Mutter doch nach und nach auf. Einmal wurde die wackre Frau müde, stets +dasselbe zu sagen für nichts und wider nichts. Dann regte sich, je mehr +er heranwuchs und Autorität unter den Dorfburschen erlangte, in Michel +ein Geist der Widersetzlichkeit, der sich das »Repermandiren« nicht +mehr gefallen lassen wollte. Die Schwabin beschränkte sich zunächst auf +einzelne kurze Bemerkungen, wie z. B.: »No, ha'et host widder a Schluap +(großes Maul) rahgh'ängt, des muß i saga'! Wann de nor em Spiegel +g'seha' hätt'st -- du hätt'st der gwiß selber g'falla'!« Oder: »Ha'et +host widder 'n Einfall g'hett (gehabt)! Wie d'nor drauf komma' bist! +A'n Anderer brächt's net raus, er därft' se Müa' geba'!« -- Aber Michel +wurde endlich auch dadurch verletzt und sagte einmal unmuthsvoll: »Ietz +laß me amol ganga'! I ben wie'n e ben, und durch dei' ewengs (ewiges) +G'schimpf wear' e net anderst! Weam e net g'fall, der soll derhoemt +(daheim) bleiba', oder -- -- i hätt' schier ebbes g'sakt!« + +Die Mutter seufzte. Sie mußte einsehen, daß sie sich in einem Punkte +geirrt und ihr Sohn eben doch einen Fehler habe, und zwar einen großen, +den er vielleicht nie ablegen werde. Aber noch blieb ihr eine Hoffnung. +Michel war noch jung, es konnte noch werden. »Vielleicht got's 'm«, +dachte die Gute, »wies scho' manchem ganga'n ist! -- vielleicht wurd 'r +zoga', wann 'm a Mädle g'fällt!« -- Dieser Gedanke leuchtete ihr ein +und rief eine Art von Lächeln auf ihr Gesicht. Es gab manche im Dorf, +die ihr als Söhnerin nicht unlieb gewesen wäre. Wenn Michel an einer +seine Freud' hätte, sich »um sie herummachte« und sie zum Tanz führte, +dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ihm der Verstand nicht +kommen und das Maul nicht aufgehen sollte! -- Die gute Frau stellte +sich das so hübsch und natürlich vor, daß sie recht erheitert wurde und +auf diese Medizin das vollste Vertrauen setzte. Sie beschloß, ihn gehen +zu lassen und zu warten. + +Michel wurde neunzehn, er wurde zwanzig Jahre alt -- und noch gefiel +ihm keine. Die Mutter schüttelte den Kopf. Nicht nur, daß er keiner den +Vorzug gab -- er machte sich aus den Mädchen überhaupt nichts. Er lief +ihnen nicht nur nicht nach, er wich ihnen aus oder that wenigstens, als +sähe er sie nicht. An Lustbarkeiten nahm er Theil, aber nur, um sich +zu Mannsbildern zu setzen, die ohne Schatz waren, wie er. Mit diesen +zechte, dampfte und diskutirte er in der schon beschriebenen Art und +ging endlich zufrieden nach Hause. Ein paarmal ließ er sich von einer +Nachbarin, die einige Jahre älter war als er und ihm gegenüber eine Art +von Erziehungstrieb spürte, zum Tanzen verleiten. Als aber nach dem +zweiten Versuch eine alte Base zu ihm sagte, er tanze, daß »dem Teufel +dran grause«, und er müsse es besser lernen, sonst wärs g'fehlt -- da +hatte dies nicht zur Folge, daß ers besser lernte, sondern ganz und gar +aufsteckte. -- Die Mutter wurde recht bedenklich, und an die Stelle der +Hoffnung trat das Mißvergnügen und die Sorge. + +Auf dem Lande heirathet man verhältnißmäßig früh, und früh knüpfen sich +auch Liebesbündnisse. Zwei junge Leute, die sich gefallen, gedeihen +eben darum bald zum Liebespaar, weil sie auch bald zum Ehepaar gedeihen +können; und der Dorfgeschichten-Erzähler wird nicht leicht in den +Fall kommen, seine Leser für das Verhältniß eines Vierzigers mit einem +zwanzigjährigen Mädchen interessiren zu müssen, was der Novellist +der höhern Stände immer seltner wird umgehen können. Daß ein Sohn zu +spät oder zu wenig nach den Mädchen fragt, ist ein Unglück, welches +bäurischen Eltern selten begegnet. Oefter kommt es vor, daß einer in +jungen Jahren zuviel darnach fragt und dann natürlicherweise Folgen +sich ergeben, die den Eltern viel Verdruß machen können, in der Regel +aber auch wieder eine gute Ausgleichung finden. Vernünftige Eltern +wünschen niemals, daß ihr Sohn eine Liebschaft anfange, wenn er kaum +ein paar Jahre aus der Schule ist. Aber wenn ein Jahr ums andere +vergeht, wenn er in die Zwanzige eintritt und immer noch thut, als ob's +gar keine Mädchen auf der Welt gäbe, dann findet man das auf dem Lande +nicht natürlich. + +Als Michel das zwanzigste Jahr hinter sich hatte, achtete es die +Schwabin für ihre Pflicht, ihm in dieser Beziehung Ermahnungen zu geben +-- freundliche, liebevolle Ermahnungen: sie wußte ja, daß andere bei +ihm nicht anschlugen! -- Bei Gelegenheit eines Tanzes forderte sie ihn +auf, ins Wirthshaus zu gehen und sich auch einmal ein Vergnügen zu +machen. Er habe ja die letzte Zeit her genug geschafft, und für Leute +seines Alters wären ja solche Gelegenheiten da. Michel antwortete, er +wolle sich schon ein Vergnügen machen. Die Mutter schüttelte den Kopf +und sagte: »I moe (meine) net, daß de widder he'setzst und rohchst +aus dei'm Pfeifa'kopf -- i moen, daß d'oh a Mädle nemmst und danzst +mit 'r, wie ander' jung Leut'.« -- Michel schwieg einen Moment, dann +sagte er: »du woescht (weißst), Mueter, d's Danza' frät me net.« +-- Hier konnte die Mutter ihre Ungeduld nicht bemeistern. »Kott's +Blitz, red net so! Fang's nor a', 's wurd de scho' fräa'!« -- Und in +freundlicherm Ton setzte sie hinzu: »Ha'et kommt dei' Bäsle von ** ins +Wirthshaus, a saubers Weibsbild -- ka' alle Arbet und hot ebbes! Des +wär' a Dänzere für di! Mach de lusteng mit 'r (ihr), nemm's mit in d' +Stub' nei' und loß 'r ebbes auftraga'. Kott's Kreuz nei', a Mensch, der +ins oenazwanzengst Johr got.« -- »Aber i ka' ja net danza«, entgegnete +Michel. »D'Leut lachet me aus.« -- »Wie wursch (wirst du's) denn +aber learna', wann's net probierst?« versetzte die Alte. »Learngeld +hommer (haben wir) alle geba' müssa' -- des verstot se. Aber die +Bäbe, die wurd de scho' regiera'; die brengt de rom -- doh ka'st de +drauf verlossa'. -- Komm, versprich mer's!« -- »Ach Gott«, erwiederte +der gute Bursche mit einer Miene, als ob er Arznei nehmen sollte -- +»i due's recht o'geara'.« -- »Ietz verzürn' me net«, entgegnete die +Mutter, »oemol mueß sei',« -- »I hab' koe Gloech (Gleich, Gelenk) +derzue,« versetzte der noch immer Bedenkliche. -- »Dommheita'! du +host dei' grade Glieder! Und du ka'st ja doch bei der Arbet sprenga' +(springen, laufen) wann's sei' muß!« -- »Ja bei der Arbet!« erwiederte +Michel, als ob er hinzusetzen wollte: »das ist auch was ganz Anders!« +-- »Beim Danza' got's no' (noch) besser!« versicherte die Mutter; und +indem sie ihn schmeichelnd auf die Schulter klopfte, setzte sie hinzu: +»komm, sei brav, versuch's und due (thu) oh amol ebbes, was e (ich) +geara' hab'!« -- Der gute Michel verspürte bei diesen bittenden Worten +einige Rührung, und um der Sache ein Ende zu machen und loszukommen, +sagte er: »No, i will seha'!« -- »Also du willst?« rief die Mutter. -- +»Ja, ja«, erwiederte Michel, »i will seha'!« -- + +Als er am andern Morgen in die Stube trat, fragte die Schwabin: »No, +wie hot's ganga'?« -- »Ganz guet«, versetzte Michel. -- »Bist z'recht +komma'?« -- »Des will i moena'«, erwiederte der Sohn mit Selbstgefühl. +-- »No«, sagte die Alte erheitert, »des hab' i ja g'wißt! -- Host +aber oh ebbes auftraga' lossa'?« -- »Des net.« -- »Wie, 'r Dänzere, +zu der ma' Froed (Freund) ist?« -- »Ja so«, versetzte Michel, »du +red'st vom Danza'?« -- »No, von was soll i denn reda'?« -- »Ja, lieba' +Mueter«, erwiederte der Sohn mit einer Art von Bedauern, »des muß i d'r +scho' saga': danzt hab' e net.« -- »Was? Aber du sakst ja --« »Ja«, +entgegnete der Enakssohn, »i hab denkt, du moest ebbes andersts. 'S hot +nämlich bald 'n kloena' Handel geba', und doh hab' e ausg'wehrt. Doh +ist so a kloener Grippel (Krüppel; bedeutet hier bloß die Kleinheit) +g'wesa', der gar koen Fried hot geba' wölla'. I hab' wärle Earnst +macha' müassa'! -- Aber ietzt«, setzte er mit Befriedigung hinzu, +»ietzt, hoff' i, wurd er oh an mi denka'!« -- Die Mutter, ärgerlich, +versetzte: »Aber des wurd doch net eweng daurt haba'? Später wurd's +doch oh no Zeit geba' haba' zum Danza'?« -- »Ja«, sagte Michel, »doh +hab i nocht (nachher) mei' Unterhalteng scho' g'hett (gehabt), und i +hab denkt: für ha'et isch gmuag!« -- Die Alte wußte nicht, sollte sie +weinen oder lachen über so einen Menschen. »No«, sagte sie endlich, +»i sig scho', an dir ist Hopfa'n und Malz verloara'!« -- »Desdawega' +(deßwegen) no net«, erwiederte Michel behaglich, und ging langsamen +Schrittes an seine Arbeit. + +Trotz des schlechten Erfolges dieser ersten Ermahnung richtete die +Mutter ähnliche noch zu wiederholtenmalen an den Sohn. Die gute Frau +meinte: »'s ist doch a Vergnüaga, was i von 'm haba' will! 's ka' ja +net sei', daß 'r gar koen G'falla' dra' fendt! 'S ist doch no a'n ieder +endle drauf komma'!« -- Allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos. +Einmal ließ sich Michel bewegen, noch einen Tanzversuch zu machen; +aber abgesehen davon, daß er nicht das geringste Vergnügen dabei +empfand, hörte er auch aus einer Ecke von zwei Mädchen ein »Kuttern« +(gedämpftes Lachen), das er nur auf sich beziehen konnte, und in dem +Aerger, den »Fratzen« zum Gespötte zu dienen, sagte er zu seiner +Tänzerin: »So, ietz ist gmuag, ietz ka'st widder ganga'!« und kehrte +in die Stube zurück, um seinen Unmuth zu vertrinken. Ein Kamerad, den +er auf's Gewissen fragte, wie er eigentlich tanze, erwiederte mit +bedeutungsvollem Blick: »Loba' ka'n e's net!« Michel nickte schweigend; +und als er heimkam und seine Mutter wieder fragte, ob er »sich lustig +gemacht« habe, antwortete er mit Unmuth: »Ja, danzt hab' e; aber desmol +und mei' Lebteng net widder! Aus isch! Globst du, doß i da' Leuta' da' +Narra' ahgib? doh bild' i mer doch z'viel ei'! Kott's Kreuz-Taused« +-- -- »Aber« -- »Ietz hör' auf oder du machst me falsch! I will +endlich 'n Fried' haba' mit dem Sakermentsdanza' doh! -- 'S wär koe +Wonder, 's käm' ebbes dabei raus!« -- -- Die Mutter sah den Burschen +achselzuckend an und schwieg. Sie mußte sich überzeugen, daß an so +einem Menschen kein Reden was helfen kann! In Gottes Namen! Sie hatte +ihre Schuldigkeit gethan; und wenn er nicht mehr auf den rechten Weg +zu bringen war -- ihr konnten keine Vorwürfe gemacht werden. Hatte sie +sich doch auch schon erboten, ihn selber tanzen zu »lernen« (lehren)! +Aber was hatte er drauf gesagt? »Mit mei'r Mutter z'danza', kommt mer +so öad für, daß mer übel wurd, nor wann e dra' denk'!« Mit so einem +Menschen fang' eines was an! Nein! -- er soll thun, was er will! Und +wenn er »a'n alter Esel« wird und keine kriegt, soll er's haben! + +Um es kurz zu machen -- unser Bursche hatte das sechsundzwanzigste Jahr +hinter sich -- und noch konnte er das Tanzen nicht und noch hatte er +keinen Schatz, geschweige denn ein Weib. Er näherte sich dem, was auf +dem Dorf ein »alter Jungg'sell« heißt; denn wenn der Bursche einmal in +der zweiten Hälfte der Zwanzige steht, dann kann er sich nicht mehr +viel auf seine Jugend einbilden und es ist Zeit, daß er seine Wahl +trifft. Hat er einmal »drei Kreuz auf'm Buckel (Rücken)«, dann ist +er schon sehr anrüchig, und er muß andere Qualitäten bedeutender Art +haben, falls er auf eine Dorfschöne noch Eindruck machen will. + +Bei seiner Weise zu leben wurde Michel natürlich ein eigenthümlicher +Kauz. Von Herzen gutmüthig, konnte er doch leicht und schnell böse +werden, wenn man ihn durch eine Zumuthung belästigte oder durch +Widerspruch reizte. Der kurze, befehlende Ton unter Kameraden wurde ihm +zur andern Natur, er gebrauchte ihn ganz gemüthlich und hatte keine +Ahnung davon, daß er einen Andern damit in einer Art ansprach, die er +von ihm sehr übel aufgenommen hätte. Wer ihn zu behandeln wußte, konnte +gleichwohl Alles mit ihm anfangen. Auf eine gute Rede, für einen guten +Freund wär' er in's Feuer gegangen. Natürlich wurde er bei alledem kein +großer Menschenkenner. Er bildete mehr die Gabe des Glaubens, als das +Talent der Prüfung und Unterscheidung aus, glaubte an seine eigenen +Einfälle und anderer Leute Versicherungen und handelte in diesem +Vertrauen oft sehr naiv. Er gab im Dorfe zu manchem Spaß Anlaß, der +gute Michel, und man lachte bei solchen Gelegenheiten weidlich über ihn +-- aber hinter seinem Rücken! Denn ihm ins Gesicht zu lachen, wollte +doch Niemand räthlich finden! -- + +Die Mutter ließ ihn gehen. Am Ende, wenn er nicht heirathete, blieb +sie die Herrin im Haus bis an ihr letztes Stündlein; und wir wissen, +sie regierte gern. Aber ihr Muttergefühl überwog doch. Eine rechte +Söhnerin ins Haus und für sie »Enkala'« zu wiegen, wär' ihr doch lieber +gewesen. -- Wenn sie daran dachte, verlor sich ihre Zufriedenheit; sie +schüttelte den Kopf und seufzte. Zuweilen tröstete sie sich selbst mit +den Worten: »Was ka'n i macha'? 'Sist eba'n a Blohk (Block) und bleibt +oer!« + +Damit aber that sie ihrem Sohn unrecht. Die Fähigkeit, die sie so gern +bethätigt gesehen hätte, fehlte nicht, sie schlief nur und harrte +ihrer Zeit. Und die Zeit kam endlich und eine neue Periode begann für +Michel -- die geschichtliche. Kurz: er sah »die Rechte« -- die bestimmt +war, sein Herz zu rühren. Und bei dem ersten Anblick schon wurde ihm +höchst seltsam zu Muthe, und was die Mutter ihm vorgepredigt und was er +niemals verstanden hatte, das begriff er mit einem Schlag. + +Diese Rechte war Margareth, zweite Tochter eines Söldners und Maurers, +dessen Haus in der nämlichen Gasse lag. Als »Greatle« war sie aus dem +Dorf gekommen, um zu dienen -- als »Great« kam sie wieder, da ihre +ältere Schwester sich verheirathet hatte und der verwittwete Maurer +sie im Haushalt brauchte. Vor vier Jahren, wo sie das elterliche +Haus verließ, hatte sie noch wenig »gleichgesehen« (vorgestellt); +jetzt verwunderte sich Alles über ihre »Aussicht.« Sie war stattlich +und groß -- um ein Gutes kleiner freilich als Michel, aber doch das +größte Mädchen im Dorf. Zugleich war sie ein sehr hübsches Mädchen. +Sie gehörte zu jenen gesunden, kräftigen Blonden, welche das heiterste +Bild froher Weiblichkeit gewähren. Ihre Züge waren regelmäßig, die +Gesichtsfarbe hell; die Backen hatten nur einen leichten rosigen +Anhauch, aber desto röther waren ihre Lippen; und wenn sie lachte, +war es ein Vergnügen, ihre weißen Zähne durchblinken zu sehen. In +gemüthlicher Aufregung pflegten die Flügel ihrer wohlgebildeten Nase +sich etwas in Bewegung zu setzen, was auf ein lebhaftes Temperament +schließen läßt. Allein wer ihre ziemlich hohe, klare Stirn sah und ihre +hellen blauen Augen, der erkannte in ihr ein Mädchen, die zu gescheidt +war, um ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. In der That +war sie ein fröhliches, aber unverdorbenes Geschöpf; vielleicht eben +darum unverdorben, weil sie fröhlich war und nach der Arbeit in Scherz +und Spiel ihre Erholung und Befriedigung fand. Sie war das letzte +Jahr zu Nördlingen im Dienst gewesen, und es hatte ihr an verliebten +Nachstellungen durchaus nicht gefehlt. Allein Margareth war ein ächtes +Bauernmädchen -- ein rechter »Bauernburscht« ging ihr über Alles, und +da sie so einen noch zu bekommen hoffte, so konnte ein »Nearlenger +Da'le (Daniel; Spottname der Nördlinger unter den Bauern)« keine Macht +über sie gewinnen. Im Uebrigen war das Schaffen ihr Vergnügen. Sie +gehörte zu den Personen, denen nach dem Rieser Ausdruck »etwas aus der +Hand geht« -- die nicht lange fackeln und herumtappen, sondern die +Sache gleich recht angreifen, und die gerne arbeiten, weil sie immer +etwas Ordentliches fertig sehen. + +Gewiß ein Mädchen, der es zustand, das Herz unsres Burschen in Bewegung +zu setzen! Wäre Michel geschickter gewesen, so hätte man sagen können: +sie war unter den Mädchen des Dorfs, was er unter den Burschen. Allein +unter den gegenwärtigen Umständen ragte sie über ihn empor, und das war +auch nöthig, wenn sie dem Stolzen einleuchten und den Selbstgenügsamen +zu der Erkenntniß bringen sollte, daß ihm doch noch etwas fehle und daß +er sich um etwas zu bemühen habe. + +Als Michel ihr das erstemal begegnete und sie ihm guten Tag bot, sah +er sie verwundert an und erwiederte stehen bleibend: »I muß scho' +saga'« -- Das Mädchen, ihm zu Hülfe kommend, rief: »Du kennst me +g'wiß nemmer, Michel? I ben d's Maurers Margret!« -- »Kott's Blitz«, +erwiederte Michel, »'s ist wohr! -- Aber du bist ja a Fetza'mädle +woara!« -- Der Ausdruck »Fetza'mädle«, obwohl eine tüchtige Person +bezeichnend, klang doch von einem Burschen zu einem hübschen Mädchen +nicht besonders zierlich und rief auf dem Gesicht der Gret ein Lächeln +hervor. Sie sagte ein wenig schnippisch: »Uir Mannsbilder moenet wohl, +uir könnet alloe groaß wäara'? Aber manchmal g'rothet (geräth) von o's +doch oh oena'! -- No, godda' Morga'!« -- Sie ging weiter. Michel hatte +mechanisch das »godda' Morga'« wiederholt und sah ihr jetzt mit einer +curiosen Empfindung nach. Endlich sagte er: »Des ist ja a verfluacht +saubers Weibsbild woara, die Great! Wer hätt' des g'lobt (geglaubt)!« +Er drehte sich um und ging weiter; aber das Bild der Gret stand immer +vor ihm und seine Gedanken konnten nicht von ihr loskommen. Es gährte +und »grubelte« in seinem Herzen, und nachdem sein Mund eine halbe +Stunde geschwiegen, verrieth er die Beschäftigung seiner Seele, indem +er plötzlich murmelte: »A saubers Weibsbild, wärle! A Mädle, wie von +Wachs!« + +Der Keim war in unsern Burschen gelegt. Bei weiterem Nachdenken +erkannte er immer mehr, daß die Gret diejenige sei, die er haben +möchte, zum Schatz -- zum Weib! Er begriff, wie man einem Mädchen +nachlaufen könne; denn eigentlich wäre er der Gret jetzt selber gern +nachgelaufen! Was ihm früher zuwider gewesen, das erschien ihm jetzt +lieb und angenehm. Es dünkte ihn schön, sehr schön, mit der Gret +eine »Ansprach« zu halten, sie zum Tanz zu führen, sie ordentlich +herumzudrehen und ihr tüchtig auftragen zu lassen! Was die Mutter +früher umsonst gewünscht hatte, jetzt hätte er's ausführen können Alles +miteinander! -- -- Allein er wäre nicht Michel gewesen, wenn er die +Sache nun so angegriffen hätte, daß er zu seinem Zwecke gelangen mußte. + +Zuerst überlegte er, und dabei kam ihm ein Skrupel, der ihn höchst +bedenklich machte. »Wann's de aber no net möga' dät? Wann's de +auslacha' dät und du ständest doh« -- -- Es ging ihm heiß durch die +Brust bei diesem Gedanken und er sah gewaltig düster für sich hin. +Michel hatte nichts von der Eitelkeit, die junge Bursche glauben läßt, +jedes hübsche Mädchen müsse sich in sie verlieben; aber um so mehr +besaß er jenen Stolz, für welchen der Gedanke, sich verachtet zu sehen, +empörend ist. Wenn Er, der niemals nach den Mädchen was fragte, der +ihnen auswich, der zu wiederholten Malen erklärte, er könne ihr »G'säg« +nicht leiden -- wenn er, der Michel, vor dem Alles Respekt hatte, nun +plötzlich einer nachginge und schlecht ankäme! Wenn sie ihn verspottete +und es käme heraus und das ganze Dorf spottet über ihn -- -- Ein +Kernfluch entrang sich bei dieser Vorstellung seinen Lippen. Nein, so +durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das mußte klug und vorsichtig +-- sehr vorsichtig angefangen werden. + +Er faßte den Entschluß, keinem Menschen zu sagen, wie's ihm war. Zur +Mutter zu gehen und ihr zu beichten, er hätte ein Mädchen gern, wäre +ohnehin nicht in seinem Charakter gelegen; nachdem er aber so lange +ihren Ermahnungen widerstanden hatte, wäre sie die letzte gewesen, +der er seine Bekehrung hätte vertrauen mögen. »Vor der Hand« sagte +er endlich zu sich selbst, »will i seha', wie's got! -- Und was will +e? Z'erst muß e ja doch oh d's Mädle nommol (nochmal) betrachta': +vielleicht g'fällt's m'r nemmer so.« + +Mit dieser Hoffnung täuschte er sich freilich. Als er sie wieder sah, +gefiel sie ihm nicht weniger, sondern noch viel besser als das erste +Mal. Sie hatte just ihren schönsten Tag, war in ihrer heitersten Laune +und glänzte vor Vergnügen! -- Das Herz des Guten klopfte, als er sie +grüßte, und er hätte jetzt nicht stehen bleiben und mit ihr ein paar +Worte reden können! Eine höchst ungewohnte Aufregung trieb ihn an +ihr vorbei, und erst als er ein paar hundert Schritte gegangen war, +beruhigte er sich wieder. -- »Des ist nex g'wesa',« sagte er endlich zu +sich selbst und schüttelte höchst ernsthaft den Kopf. + +Er war gefangen, der arme Michel. Er hatte seinen Theil -- und konnte +sehen, wie's ihm ging. -- Zu dem schönen Aussehen der Gret kamen +zuletzt noch die Urtheile, die er von Andern über sie hörte. In diesem +Punkte sind wir Alle Menschen! Wir lieben die Geliebte um ihrer selbst, +um der Schönheit und Tugend willen, die uns aus ihr entgegen leuchtet. +Allein wenn sie nun auch von Andern gerühmt wird, so hat das nicht zur +Folge, daß unser Wohlgefallen an ihr sich mindert -- im Gegentheil; +das Lob, was ihr gesungen wird, ist ein Hauch, der die Flamme unsres +Herzens oft noch viel stärker anblasen kann. Michel horchte herum, +indem er mit gutem Erfolg den Gleichgültigen spielte; denn die Liebe +schärft den Verstand aller Wesen. Und wie er nun hörte: »a g'schickt's +Mädle -- a schöas Mädle -- a bravs Mädle« -- ja, von einem alten Kenner +»a Staatsmädle,« da war's ihm zu Muthe als wenn er dieses Mädle kriegen +müsse, koste es was es wolle. Er fühlte einen unwiderstehlichen Trieb, +sie wieder zu sehen -- und ging ihr nun extra zu Gefallen. + +Nachdem er sich ein paarmal umsonst bemüht hatte, kam sie ihm eines +Nachmittags mit einer Kamrädin entgegen. Er wollte sie diesmal recht +darauf ansehen, ob sie denn wirklich eine solche sei, wie die +Leute sagten; deshalb ließ er seine Augen während des Grußwechsels +tiefprüfend auf ihr ruhen, indem er, den Blick zu verlängern, auch +noch den Kopf nach ihr drehte. Als er vorüber war, sagte die Kamrädin +zur Gret: »Aber der hot a baar Oga' g'macht auf dih hear! Kommt mer +grad für, als ob er -- no des wär' aber zom Lacha'!« -- »Was moest +(meinst) denn?« fragte die Gret lächelnd. -- »Gang,« erwiederte die +andere, »du verstost me wol net!« -- »Du moest, er wär'« -- »Oh (auch) +in di verliebt, ja, so kommt's mer für!« -- Die Gret versetzte: »Sei +g'scheidt! Dean kennt ma' ja! -- Mir isch gar net so fürkomma'!« + +Natürlich log hier das hübsche Mädchen. Ihr war's erst recht so +vorgekommen -- und heute nicht das erste Mal. Schon bei der zweiten +Begegnung hatte sie »ebbes gnissa'« (bemerkt), und jetzt war's klar, +oder Alles mußte trügen. -- Die Gewißheit, die sie erlangt hatte, +machte einen sehr wohlthuenden Eindruck auf sie. Fürs erste wars eine +Ehr', den verrufenen Sünder zu bekehren und den Mädchenverächter +dahin zu bringen, daß er auch daran glauben mußte. Aber das war das +Geringste. Michel gefiel ihr! Seine Statur und der Ruhm seiner Stärke +hatten ihr schon früher Achtung eingeflößt; gegenwärtig kam ihr sein +Gesicht für ein Mannsbild hübsch genug vor, die Gutmüthigkeit, die +ihm aus den Augen sah, rührte ihr Herz -- und das »B'sondere« und +»O'gschickte,« das er an sich hatte, erheiterte sie, ohne ihm bei ihr +zu schaden. Als sie wieder allein war, lächelte sie für sich hin. »Es +ist oft guet,« sagte sie endlich, »wann der Ma' net gar z'g'scheidt +ist!« -- + +Wie man sieht, gingen ihre Gedanken ebenfalls ziemlich rasch. Das +ist natürlich und -- ländlich. -- Aber ihre Sache war es nicht, ihm +nachlaufen; wenn es ihm ernst war, mußte er kommen -- sie konnte +zusehen. Ihr Gesicht klärte sich schelmisch auf. »Wie er se a'stella' +wird derzue?« fragte sie sich. »I bin wirkle neugiereng!« Er hatte +ihren Beifall, der gute Michel, sie konnte ihn zum »Burscht,« sie +konnte ihn zum Manne nehmen, wenn's sein mußte, -- ja es regte sich +der Wunsch in ihr, daß es so ausgehen möchte; -- aber sie bereitete +sich doch vor, ihn auszulachen, und freute sich darauf! -- Sie war ein +Mädchen. + +Michel hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß die Leute ganz recht hatten +mit dem, was sie über die Gret sagten. Aber wenn dies seine Liebe +noch mehr schürte, so fachte es auch seine Sorgen an. Die Gret hatte +ihn diesmal gar nicht angesehen (er hatte noch keine Kenntniß davon, +daß die Mädchen nicht sehen und doch sehen können!) und es war ihm +beinahe vorgekommen, als ob sie ein etwas spöttisches Gesicht gemacht +hätte. Was sollte er thun? Sollte er warten und stillschweigen? Dann +kam vielleicht ein Anderer und nahm sie ihm weg. Oder sollte er ihr +nachgehen und reden mit ihr? Dann sagte sie vielleicht, er könne wieder +gehen, woher er gekommen sei, und er wurde das Gespötte des ganzes +Dorfes. -- Die Klemme war verwünscht und guter Rath theuer. + + + In der Unterhaltung. + +Jede Versäumniß rächt sich. Man soll in jungen Jahren nicht denken: +Wozu hab' ich das nöthig? Wozu könnte das gut sein? -- Man soll +Kenntnisse sammeln und sich Fertigkeiten aneignen, wie die Gelegenheit +sich bietet, auch wenn zunächst keine Neigung dazu vorhanden und +Anstrengung erforderlich wäre; denn man weiß nie, wozu man sie später +brauchen kann! -- + +Davon überzeugte sich jetzt auch Michel. Die Liebe trieb ihn hin und +her, sie ließ ihm keine Ruhe, und er sah ein, daß er etwas unternehmen +müsse, geh es, wie es wolle. Er mußte mit der Gret reden -- er mußte +erfahren, was er zu hoffen habe -- sonst wurde er toll! -- Aber wie +sollte er's anfangen? Wie sollte er sein Anliegen vorbringen? + +Er dachte darüber nach und nichts fiel ihm ein, was er für anwendbar +und gut gehalten hätte. Es dünkte ihn so närrisch, von der Liebe zu +reden; es war ihm, als würde es nicht herausgehen aus ihm, als würde +er stecken bleiben und dastehen, wie d's Kind beim -- -- Da hatte er's +nun! Gab's nicht Kerle im Dorf, denen bei den Mädchen das Maul ging +»wie geschmiert?« die nicht nur sagen konnten, was sie auf dem Herzen +hatten, sondern noch viel mehr dazu lügen? Hatte er nicht gehört, daß +mancher schon eine, die ihn zuerst gar nicht leiden konnte, durch +bloßes Reden soweit gebracht, daß sie endlich zu Allem Ja sagte? +-- Aber so geht's! Hätte er in jüngern Jahren auch mit den Mädchen +diskurirt, mit ihnen getanzt und sich lustig gemacht, -- hätte er sich +das bischen Mühe gegeben und gelernt, wie man mit ihnen umgehen muß -- +dann könnte er's jetzt und müßte sich nicht den Kopf zerbrechen! -- Er +fühlte ganz ernstlich Reue, der gute Michel! Er wurde verdrießlich, +sehr verdrießlich. »I ben a'n Esel g'west, und des a großer,« sagte er +zu sich selbst. »Aber,« setzte er hinzu, »wie hab i oh wissa könna, daß +mer no' so ganga' wurd!« + +Ein paar Tage ließ er vorbeigehen. Zuletzt, durch den Kampf der +Leidenschaft mit der Furcht gequält und geärgert, rief er zornig: »Hol +der Teufel alles! So ka'n e's nemmer aushalta' -- i muß woga', komm's +raus wie's will!« -- Die Gret stand vor seiner Seele so schön und mit +einer Miene, die nichts Abschreckendes hatte! »Dommheit«, rief er +beherzt. »I sott me wohl vor'm Mädle färchta' (fürchten)? Des wär' ja +zum Lacha'.« -- Er faßte den Entschluß, bei nächster Gelegenheit mit +der Gret zu schwätzen und sein Anliegen vorzubringen oder wenigstens +»drom rom« (darum herum) zu reden, zu sehen, was sie für ein Gesicht +dazu mache, und dann ein andersmal weiter zu gehen. + +Recht schön fügte sich's, daß er das Mädchen eines Abends, als ihn +ein Geschäft auf den Fußweg hinter den Dorfgärten geführt hatte, ganz +allein gegen sich herkommen sah. Die Gelegenheit konnte nicht günstiger +sein, er mußte sie benutzen. Was er zuerst zu ihr sagen wollte, wußte +er genau, nämlich: »Godda'n Ohbed (guten Abend) Margret!« Das Uebrige +gab sich dann von selbst. Entschlossen ging er vorwärts. Wie er aber +die Gret näher und näher kommen sah, machte er eine seltsame Erfahrung. +Sein Herz fing an zu klopfen, vor den Augen begann es ihm zu flimmern, +und die Lippen wurden so schwer, als ob Gewichte daran gehängt worden +wären. Es schien ihm unmöglich, sie zu bewegen -- und da halte einer +eine Ansprache! Vor der Gret angekommen, machte er eine unerhörte +Anstrengung und rief mit grimmiger Freundlichkeit: »Godda'n Ohbed, +Margret!« -- »Godda'n Ohbed, Michel,« antwortete die Gret mit heller +Stimme und mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ob sie recht gut +wüßte, in welchem Spittel der arme Bursche krank läge. Dieser nahm +indeß nichts wahr. Nach der Leistung, die er sich abgerungen, trieb es +ihn mit unwiderstehlicher Macht an ihr vorüber -- weiter und weiter. +Nachdem er hundert Schritte gemacht hatte, athmete er auf; aber erst +als er um eine Ecke bog und nicht mehr gesehen werden konnte, wurde +er leichter und ruhiger. -- Er hielt an, dachte nach -- -- und sein +Benehmen stand klar vor seinen Augen. Er hatte sich nun doch gefürchtet +-- und die schönste Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen! Unmuth +erfüllte seine Brust und sehr ärgerlich rief er: »Ietz möcht' e mer +glei (gleich) selber a'n Ohrfeig' geba' daß mer der Kohpf somsa' dät! +Fürcht' me wärle, und zitter' am ganza Leib, als wann e oen ombrocht +hätt! Sott ma' denn globa', daß ma' so domm sei' ka'?« -- + +Die Sache war indeß nicht anzufechten, sie war geschehen und der +Verdruß konnte nichts daran ändern. Für Michel gab es nur Einen +vernünftigen Entschluß: sie zu vergessen und sich vorzunehmen, es ein +andermal besser zu machen. Dazu verstand er sich denn auch. »I ben a +Narr,« sagte er, »daß e me verzürn'! Verloara'n ist no nex, und so +wurd's net allmol ganga' (gehen).« -- Er stellte sich vor, wie er das +nächstemal reden werde, er hatte Einfälle, wie man sie nach einer +versäumten Gelegenheit zu haben pflegt -- und so von weitem schien ihm +die Sache ganz leicht zu machen. »Bah,« meinte er endlich, »des ist +ha'et nor so a dommer A'fall g'wesa'! 'S müeßt ja beim Deufel sei', +wann ih net könnt', was jeder ander' ka'!« -- Er tröstete sich und ging +beruhigt und mit neuem Muthe nach Hause. + +Wieder verstrich einige Zeit. Es war in der letzten Woche des Monat +Mai, und unter dem Wehen der Ostluft kam ein wunderschöner Tag herauf. +Ein leichter Reif hatte auf der Landschaft gelegen, die Sonne, in den +wolkenlosen Himmel sich erhebend, sog ihn weg und goß den Silberglanz +des Morgens über die Erde. Die Lerchen sangen, die Landleute, die sich +an ihre Arbeit begaben, zeigten vergnügte Gesichter, das Vieh, das zum +Saufen getrieben wurde, brüllte vor Lust und sprang rechts und links +in die Höhe. Das Alles war so fröhlich, so ermuthigend! Es war einer +von den Morgen, wo im Herzen so wenig eine Sorge aufkommen kann, wie am +Himmel ein Wölkchen -- wo im Innern der Frohsinn regiert und draußen +der Sonnenschein. + +An diesem Morgen fühlte sich unser Michel frisch und munter, wie seit +langer Zeit nicht. Er dachte an die Gret -- mit stillem, ruhigem +Vergnügen. Es war ihm, als könnte er heute schwätzen und Spaß machen +nach Belieben, und wenn's sein müßte, gelegentlich auch ein ernstes +Wort reden -- kurz, er fühlte sich aufgelegt. Indem er sich's lebhaft +vorstellte, empfand er ein Verlangen, sein Vermögen in's Werk zu +setzen. Er faßte sich kurz und machte sich auf den Weg durch die +Gasse, in der Hoffnung, die Geliebte zu sehen. Im Nothfall, wenn er +sie nämlich vor ihrem Hause nicht traf, konnte er hineingehen und den +Maurer bestellen; denn an seinem Hause war ein Stück weit der Mörtel +abgefallen, und wenn es auch auf dem Lande nicht grad nothwendig war, +ihn wiederherzustellen, so konnte es doch auch nicht schaden. + +Sein guter Muth und seine Laune minderte sich nicht, als er der +Wohnung des Maurers sich näherte. Er hatte ein paar Vorübergehende +gegrüßt und die gewöhnlichen Formeln waren ihm so leicht und lustig +vom Munde gegangen, daß ein junges Weib sagte: »Du bist aber ha'et +alert, Michel!« -- Darin lag für ihn ein neuer Beweis, daß er heute +seinen guten Tag habe, und rüstig ging er vorwärts. In dem kleinen +Hofe sah er die Gret nicht; aber im Wurzgärtlein, von der Gasse nur +durch einen niedrigen Zaun getrennt, war sie über ein Beet hin gebückt. +Wie er sie hier unvermuthet erblickte, war er doch betroffen. Es hieß +nun wieder: »Vogel friß oder stirb,« und vor dem strengen Antlitz der +Nothwendigkeit entfloh der leichte Humor in seinem Herzen, um den +Anwandlungen von letzthin Platz zu machen. Es mahnte ihn etwas, zu +thun als ob er sie nicht gesehen hätte, und sachte weiter zu gehen. +Aber heute war er nicht gemeint, auf die Stimme des Kleinmuthes zu +hören; er unterdrückte die Bewegungen seines Innern, blieb stehen und +rief entschlossen: »Godda' Morga', Margreat!« -- Das Mädchen sah auf +und erwiederte: »Ei, godda' Morga', Michel! Bist oh scho' en der Höa' +(Höhe, d. h. aufgestanden)«? -- Diese Frage kam ihm ungelegen; denn +eigentlich hatte er selber fragen wollen: »Oh scho' auf?« -- und wenn +sie dann, wie es nicht wohl anders möglich war, mit Ja antwortete, so +hätte er ihr was Schönes gesagt über ihr frühes Aufstehen, ihren Fleiß +u. s. w. Das konnte er nun, wenigstens in der zuerst ausgedachten +Weise, nicht mehr, und dieser Umstand machte ihn ein wenig verwirrt. +Er antwortete zögernd: »Ja wohl,« und da er sich auf diesen Fall nicht +vorgesehen hatte, so entstand eine kleine Pause. Allein mit Recht +hatte er geglaubt, daß er heute seinen guten Tag habe. Nicht lange +besann er sich, und ein neuer Einfall war da. Er drehte seinen Kopf +in der Luft herum und sagte: »Ha'et hommer (haben wir) amol a schöas +Wäder (Wetter)!« -- Die Gret erwiederte heiter: »Ja Gottlob! Mer (wir) +könna's aber oh braucha'!« Und ohne Unterbrechung und würdig setzte er +hinzu: »Descht (das ist) wohr! -- Des könna' mer!« + +Bis hieher war's gut gegangen, trotz der nothwendig gewordenen +Aenderung, und Michel konnte sich dessen bewußt sein. Aber nun war +eine neue Rede nöthig, und nichts wollte ihm einfallen. Es entstand +eine längere Pause. Ein besserer Beobachter als Michel hätte an dem +Gesicht des Mädchens wahrnehmen können, daß sie gar wohl im Stande +gewesen wäre zu reden und dem Burschen aus der Noth zu helfen -- daß +sie aber aus irgend einem Grunde nicht wollte! Michel besann sich, und +ein neuer Einfall kam. Er sagte: »Bischt allweil g'sond und wollauf?« +-- Diese Frage schien der Gret so curios hinterdrein zu hinken und so +sehr eine bloße Geburt der Noth, daß sie mit Mühe das Lachen halten +konnte. Sie nahm sich indeß zusammen und erwiederte ruhig, aber nicht +ohne eine gewisse schelmische Heiterkeit durchblicken zu lassen: »Dank +der Nochfrog (Nachfrage)! Mir fehlt Gottlob nex!« -- Michel, wie uns +bekannt ist, war im eigentlichen Sinn weder dumm noch blind. Die +Bedeutung dieses Vergnügens auf dem Gesicht der Gret blieb ihm nicht +ganz verborgen; er hatte eine Ahnung, daß sie ihn eigentlich auslache, +und schwieg, indem eine Wolke der Verstimmung seine Züge beschattete. +Die Gret erkannte, was in ihm vorging, sie fühlte, daß sie etwas gut +zu machen habe, und einen Schritt vortretend sagte sie zugleich mit +gutmüthigem und schlauem Lächeln: »Host vielleicht so'st ebbes g'wöllt +(gewollt)?« -- Diese Frage fiel wie eine Bombe auf den guten Michel. Es +war klar: er hatte sich verrathen; sie wußte, wie's ihm um's Herz war, +und forderte ihn heraus! Er konnte -- er sollte reden -- da war kein +Zweifel! Aber diese Möglichkeit, reden zu können, und diese Nöthigung, +reden zu sollen, traf ihn mit solchen Schrecken der Ueberraschung, daß +er dastand wie vom Donner gerührt und nicht ein Wort hätte vorbringen +können um die ganze Welt! In der Verwirrung, die ihn überkam und ihn zu +übermannen drohte, nahm er instinktmäßig seine Zuflucht zu dem einzigen +Mittel, das ihm noch übrig blieb -- zur Grobheit! Mit trotzigem Gesicht +und wie beleidigt rief er endlich: »Was sott (sollte) i denn wölla'? I +wißt net was! -- Godda' Morga'!« + +Und mit starken Schritten ging er seines Weges. + +Die Gret sah ihm nach und lachte -- nicht laut -- dafür aber, wie man +zu sagen pflegt, mit dem ganzen Gesicht. Als er hinter dem Nachbarhaus +verschwunden war, sagte sie zu sich selber: »Ietz so o'g'schickt hätt' +i mer'n doch net vorg'stellt! -- I sig scho' -- doh mueß i mi der Sach +selber a'nemma', wann ebbes draus weara' soll!« + +Michel ging nach Hause. Der Unwille, zu dem er gekommen war, er wußte +selber nicht wie, verging, eine dumpfe Ruhe trat an seine Stelle. In +dieser Ruhe erhielt er bald eine deutliche Anschauung von der Art +seines Betragens -- eine gelinde Verzweiflung fiel ihn an und brachte +sein Blut auf's neue in eine schlimme Gährung. Er entlastete sein Herz +in unarticulirten Lauten; dann, die Einsamkeit seines Stadeltennen +aufsuchend, bildete er bestimmte Gedanken und konnte nicht umhin, ihnen +Worte zu geben. »Also widder nex,« rief er, -- »widder a Dommheit! +Isch denn net grad, als wann's verhext wär'? W'rom ka'n e denn ietz +net reda', wann e vor dem Ohs (Aas) dohstand? W'rom got's mit m'r +em Reng rom, als wann e g'suffa' (betrunken) wär'? Der Deufel mueß +g'macht haba'!« Er stöhnte vor Verdruß und strampfte den Boden, daß +es schallte. Nach einer Weile fuhr er fort: »Host so'st ebbes g'wöllt +-- hot's me g'frogt. Des ist doch offa'bar, daß g'wöllt hot, i soll +d's Maul aufdoa'! W'rom hab' e denn ietz net g'redt? Hätt'e net saga' +könna': Mädle, du g'fällst mer, i will de heiricha' (heirathen) -- +willst me? -- oder so'st ebbes! No (nachher) hätt's reda' müessa', ja +oder noe, ond i wihßt ietz, wie e dra' ben! Aber so stand e doh wie a'n +Ochs, der mit 'm Beil oes naufkriegt hot auf's Hihra' (Hirn, Stirn), +und nocht mach e a G'sicht ond due an se na', als ob's m'r ebbes do' +(gethan) hätt'! Die wurd se 'n schöna' Begriff macha' von mir! Die hält +me doch g'wihß für da' dommsta'n ond o'g'hobelsta' Menscha'n em ganza' +Ries? Ond wann's me vorhear oh g'möcht hätt, ietz mag's me g'wihß +nemmer ond ka' me nemmer möga'! So'n Esel! I bedanket' me selber, wann +e a Mädle wär!« + +Der gute Bursche versank nach dieser desperaten Selbstanklage in eine +dumpf-düstere Stimmung. Er war unerfahren, unschuldig, aber ein Mensch, +der in seiner Art Anlage zum Reflectiren hatte. Diese Anlage begann +unter den obwaltenden Umständen sich zu entwickeln und seinem Wesen +einen neuen charakteristischen Zug zu verleihen. Je mehr er von sich +hielt, je mehr Ansehen er bisher unter seinen Kameraden genossen, +um so mehr forderte er von sich einem Mädchen gegenüber auch das +rechte würdige Benehmen. Je weniger er aber im Stande war, sich so zu +benehmen, wie ers seiner für würdig hielt, desto mehr kapitelte er sich +hinterdrein selber, stellte sich vor wie er sich hätte benehmen sollen +und können, ärgerte sich, daß er sich nicht so benommen habe etc. etc. +-- kurz, er wurde ein denkender Mensch. Er unterhielt sich mit sich +selber, er strafte sich, er quälte sich selber. Daß das Letztere nicht +zu weit ging, dafür sorgte als guter Genius die Bauernnatur, die sich +auch hier in natürlichen Gränzen bewegt und sich aus dem Quell der +unbewußten Lebenskraft immer selber wieder herstellt. + +Für jetzt sank er gleichwohl in Abgründe der Verzagtheit. Mit der +Gret wieder eine Ansprache zu versuchen, kam ihm unmöglich vor. Er +hatte eine stille Wuth gegen sich, eine stille Wuth gegen sie -- wie +sollte er da reden? Und wenn er sich nöthigen wollte, müßte es nicht +tausendmal ungeschickter herauskommen, als dießmal, wo er vergnügt war +und im Grunde ganz gut angefangen hatte? -- Nein -- es half nichts. +Einem Mädchen zu gefallen, hatte er nun einmal keine Gaben -- es ging +nicht -- er mußte es aufgeben! -- + +Als er so weit gekommen war, ging er in den Hof, um sich an einer +Arbeit zu erholen. Hier begegnete ihm seine Mutter. Sie sah ihn an und +sagte: »Was machst denn du ha'et für a G'sicht?« -- »Ih, a G'sicht?« +versetzte Michel. -- »Wie ka'n e des wissa'? Guck i ebba' en Spiegel?« +-- »Gang weiter«, entgegnete die Schwabin, »du host ebbes! Hot d'r +ebber (etwer, jemand) ebbes do'?« -- »Mir?« erwiederte Michel, indem +er mit einer heroischen Miene aufsah, -- »mir ebbes do'? I wott's koem +rotha'!« -- Er ging weiter, indem er bei sich dachte: »du därfst lang +warta', bis e dir ebbes sag'!« -- Die Mutter sah ihm kopfschüttelnd +nach. »Er ist halt doch net vergnüagt«, dachte sie, »und des ist +natürlich! In deam Alter muß a'n ordentlichs Mannsbild a Weib haba' -- +so'st isch nex!« -- Sie ahnte nicht, wie Michel sich schon abgemüht +hatte, um ihre Herzenswünsche zu erfüllen. + +Einige Tage ging unser Bursche melancholisch umher und wenn ihn beim +Zurückdenken an seine Niederlagen ein Zorn anwandelte, so ließ er +ihn an irgend einer Arbeit aus. Er bot denen, die seiner wahrnahmen, +ein neues und eigenthümliches Bild. Schweigend hatte man ihn oft +gesehen; jetzt sah man ihn »sinnirend« und vernahm hie und da grimmige +Ausrufungen, wozu man keinen Grund wußte. Fragte man ihn darnach, so +war die Antwort, sofern eine erfolgte, keine höfliche. Man wußte nicht, +was man aus ihm machen sollte. Den Zustand seines Herzens ahnte Niemand +im ganzen Dorf. Die einzige Person, die außer ihm davon Kenntniß +hatte, schwieg nicht nur selber -- sie hatte auch jener Kamrädin ihre +Vermuthung wieder auszureden gewußt und ihr das Versprechen abgenommen, +sie mit dem Michel nicht in's Geschrei zu bringen. Es giebt Mädchen, +die das Genie der Verschwiegenheit haben, d. h. die ohne besondern +Vorsatz und mit Lust verschwiegen sind und sich an dem Geheimniß +weiden. Die Gret war heiter und hoffte mit Zuversicht, ihre Wünsche +gekrönt zu sehen -- sie brauchte nicht zu schwätzen. + +Michel war es nicht; er war unmuthig und verzweifelte am Erfolg -- er +spürte einen Trieb zu reden und konnte endlich einer Gelegenheit, sei +Herz zu entlasten, nicht widerstehen. + +Unser Enakssohn hatte einen Kameraden, der ihm unter allen Burschen, +die zu ihm hielten, der liebste war. Kaspar, der Sohn eines Webers, +hing mit aufrichtiger Theilnahme an Michel und wußte sich auch am +besten in seine Manieren zu fügen. Obschon drei Jahre jünger, hatte +er in Bezug auf das weibliche Geschlecht eine hinreichende Summe von +Erfahrungen -- er wußte, wie man sie behandeln mußte, und galt darum +auch »seinen Batzen« bei ihnen. Mittelgroß, »rahneng,« von angenehmer +Gesichtsbildung hieß er bei ihnen nur »a nett's Bürschtle« und »a +lustengs Männdle,« dem man gut sein müsse. Trotz der Gunst, die er bei +den Spenderinnen der Lebensfreude erfuhr, hatte er doch nicht mehr +Selbstgefälligkeit als allenfalls natürlich war; er genoß das Lob eines +fleißigen Menschen und wußte sich unter den Mannsbildern ebenso den Ruf +eines guten Kameraden zu bewahren. -- Dieser Bursche, zum Vertrauten +wie geschaffen, wußte durch eine wohlgemeinte und geschickte Frage dem +Michel sein Geheimniß zu entreißen. Allein mit ihm sah er den düster +vor sich Hinstarrenden theilnehmend an und sagte dann: »Michel, di +drückt ebbes! Wannd' mer's net geara' sakst, will e de net weiter +froga'. Wann's aber ebbes ist, wo i d'r vielleicht helfa' ka', so red! +-- Du woescht, wie e's moe (ichs meine).« + +Diese treuherzig gesprochenen Worte machten des Leidenden Herz weich +und folglich geneigt zur Mittheilung. »Ach,« erwiederte der Verliebte +nach kurzem Schweigen mit einem riesenmäßigen Seufzer, »mi drückt +freile ebbes!« -- »Was isch?« fragte Kasper. »Sag's, wann e's (ich es) +wissa' därf!« -- »Am End,« erwiederte Michel, »bist du grad der Recht', +der mer'n Roth (Rath) geba' könnt! -- No mei'dawega' (meinetwegen), i +will der's saga'!« -- Er schwieg. -- »Nossa' (nun so dann),« mahnte +Kasper. -- »Z'erst mueß e der saga',« erwiederte Michel mit tiefem +Ernst, »daß koe Mensch ebbes davo'n enna' weara' (inne werden) därf!« +-- »Gang weiter! Ben i a Schwätzer?« -- Die Möglichkeit, daß Kasper +es doch unter die Leute bringen könnte, hatte aber den Michel schon +aufgeregt. »Kerl,« rief er eine Faust machend, »wann d'ebbes sakst -- +'s got d'r schlecht!« Der Andere kannte seinen Mann; er zuckte die +Achsel und erwiederte: »Du bist net g'scheidt!« -- »Guet,« versetzte +Michel. »Ietz woesch (weißt dus) -- und ietz will i der's saga'!« +-- Wieder eine Pause. »I höar,« erwiederte der Andere, indem seine +Mienen sich ahnend erhellten. -- »No,« begann endlich Michel mit +neuer Anstrengung, »doh (da) die Great -- d's Maurers seine moen' e« +-- Kasper sah den wiederholt Innehaltenden mit gutmüthig schlauem +Lächeln an und rief, ihn ganz durchschauend: »Fehlt's d'r doh?« -- »Ja, +Bruder,« ging's endlich aus Michel heraus, »doh fehlt's m'r! Des Mädle +g'fällt m'r, die mueß e haba -- -- und Kreuzdonner ond's Wetter: i woeß +net, wie e's a'fanga' soll!« + +Kasper unterdrückte das Lachen, das ihn bei diesem Bekenntniß +anwandelte, und forderte ihn auf, ihm zu sagen, wie's eigentlich stehe. +Michel, einmal im Zuge, erzählte Alles, und zwar mit einer Naivität, +bei welcher der Erfahrene, wenn er nicht lachte, doch wenigstens zu +»schmöhzeln« (schmunzeln) nicht umhin konnte. + +Bekanntlich hat der Mensch nicht leicht eine angenehmere Empfindung, +als wenn er an einem Andern, der ihm bisher Respekt abgenöthigt hat, +plötzlich eine Schwachheit entdeckt. Es gibt deren, die eine solche +Wahrnehmung geradezu beseligen kann und die das so erlangte Wohlgefühl +zu den höchsten Genüssen zählen, womit der Himmel die armen Sterblichen +begnadet hat. Sogar Freunde, will man wissen, sollen in diesem Fall +erheitert werden und aussehen, als ob ihnen ein Glück widerfahren wäre! +Und ihr Benehmen gegen den Träger dieser Schwachheit soll nach der +Entdeckung ein vielfach anderes sein, als vorher! -- Wir lassen diese +Behauptung in ihrer Allgemeinheit auf sich beruhen, müssen aber der +Wahrheit gemäß bekennen, daß unser wackrer Kasper bei der Erzählung +seines Kameraden eine ziemlich lebhafte Genugthuung empfand und in +seinem Gesicht einen Ausdruck heiterer Ueberlegenheit zeigte, den er +vorher nie gegen ihn hatte blicken lassen. + +»Des isch, was me drückt,« schloß Michel seinen Bericht. »Schlechter, +des wurscht selber saga', hätt's net ganga' könna', und Alles ist +verspielt. I ben eba' zom O'glück geboara', und mit mei'r Fräd isch +aus auf der Welt!« -- »So,« versetzte Kasper, indem er ihn mitleidig +ansah; -- »willst de net lieber glei gar versäufa'?« -- Michel +schaute ihn an. »Du bist a Narr,« fuhr Kasper fort, »des sag d'r ih! +Nex ist verspielt, gar nex!« -- »So,« erwiederte Michel, »wamma' se +so o'gscheidt benemmt ond« -- »Dei' Benemma' schad't d'r gar nex,« +fiel Kasper ein. »Des ist eba' d'Liab! D'Liab macht verwirrt, ond +wamma' verwirrt ist, macht ma' Dommheita'. Aber d'Liab ist ja eba', +was d'Mädla' haba' wöllet! ond wann oer vor lauter Liab duet als ob +'r narred wär, globst, des nemmt d'r oena'nübel? Ja bis Wuch (auf die +Woche d. h. niemals)! Fräa' duet se's ond geara' hont's so oen!« -- +Dem Michel schien dieß einzuleuchten. »Du ka'st Rehcht haba',« sagte +er getrösteter. »'S ist wohr, i därf me no' net ahschrecka' lossa'!« +-- »Wie moest,« setzte er mit neuerwachtem Muthe hinzu, »soll e glei +rausrucka' mit der Farb? Soll e saga', daß e's heiricha' will?« -- »Des +got net,« entgegnete Kasper mit der Miene der Autorität. »Ma' mueß net +mit der Thür en's Haus falla'! Allweil oes noch'm Andra'! -- Z'erst +muescht doch oh seha', ob's de haba' will!« -- »Ja so,« versetzte +Michel wieder etwas herabgestimmt. »Was soll e denn aber so'st doa' +(thun)?« -- »G'späß macha',« erwiederte Kasper munter. »Siksch (siehst +du), des ist d'Hauptsach. Da' Mädla' g'fällt nex besser, als Narrheita! +Z'erst G'spaß und nocht Ernst -- des ist der recht Weg! Foppa' mueß +ma's ond ploga', wamma' zo ebbes komma will! Je meaner (mehr) as (als) +ma's plogt, je lieber as oen hont (haben)!« -- Dem geradsinnigen +Michel schien diese Behauptung sehr gewagt; er sah den Rathgeber +fragend an. »Du globsch wohl net?« sagte dieser; und als der Bursche +den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Weil d'eba' koe Erfahreng host en +deana' (diesen) Sacha'! Siksch, des ist so! Wann e a Mädle fopp ond +plog, no sikt's, daß e ebbes mit 'r haba' will, no sikt's, daß e's +liab -- ond 'n Spaß hot's obadrei'! Ond so went (wollen) se's grad +haba'!« -- Michel begriff; er sagte mit Anerkennung: »Kapper (traulich: +Kasper), du bist a verfluechter Schlengel!« -- »No,« erwiederte Kasper +behaglich, »wann e des net wihßt!« + +Es erfolgte eine kleine Pause, in der Michel auf's neue bedenklich +wurde. »Ja,« begann er zögernd, »wann e aber nocht G'späß macha' will +ond 's g'rothet mer net? Wann e me widder o'gschickt a'stell -- wie +doh?« -- »Des wär freile fehlerhaft,« erwiederte Kasper mit Ernst. +»Eweng därfa't (dürfen) Dommheita' net daura', so'st verliera't +d'Mädla' da' Respekt!« -- »Doh hosch (hast du's)!« versetzte Michel mit +einem Ausdruck, als ob nun er wieder Recht hätte. »Ond mir isch grad +so, als ob's mer net g'rotha' könnt! Was ietz?« -- »No,« erwiederte +Kasper mit einer Art von Unmuth, »doh ka'n e d'r koen andera' Roth +geba', als daß d'r eba'n a bisle meaner ei'bildst! Kott's Heidablitz! +A Kerl wie du! Ist des koe Ehr' für so a Mädle, wann du 'n G'falla'n +an 'r host? Mueß (sie) doh net stolz drauf sei'?« -- »Ih sott's +(sollt' es) beinah globa',« bemerkte der Enakssohn mit entsprechendem +Selbstgefühl. Und Kasper erwiederte: »No, ond wann d'net vergischt, +wer du bist, nocht wurscht oh reda' und G'späß treiba' könna' mit +so'm Deng doh!« Ruhiger setzte er hinzu: »Ma' mueß se net gar z'viel +macha'n aus da' Mädla' -- des ist a Fehler! Drom wamma'n amol a bisle +z'hitzeng g'wesa'n ist, no mueß ma'n extra widder a weng huf (zurück) +ganga' und doa' als ob ma' gar wohl ohne se leba' könnt! Nocht kriega' +sie widder 'n Luhst! -- Also, bei d'r nächsta' G'legenheit duast, was e +d'r g'sakt hab', ond i garantir d'r, sie kommt d'r!« -- »I will seha',« +erwiederte Michel. Dann, nach kurzem Schweigen, setzte er hinzu: »Also +nommol (nochmal)! D's Maul g'halta'n oder« -- Er machte mit der Faust +eine verständliche Bewegung. Kasper lachte. »Du wärst am End em Stand +und brächst mer da' Hahls, zom Dank für mein' gueta' Roth?« -- Michel, +wieder auf seinem Boden stehend und sich fühlend, erwiederte: »Wann de +dernoch aufführa' dätst -- 's käm m'r net drauf a'! -- No, ietz b'hütet +de Gott!« -- -- -- + +Michel war durch die Aufklärung des gewandten Kameraden in der That +getröstet und faßte wieder frischen Muth. Das Gefühl seiner Kraft und +das Vertrauen auf sich selbst kehrte zurück. Es war ihm zuweilen, als +ob er nur hingehen dürfte zu der Gret, um Spaß zu machen nach Noten! +Aber extra zu ihr gehen, das wollte er nicht: da würde sie ja glauben, +daß er's gar zu nothwendig hätte -- und das sollte sie nicht! -- Er +wollte die Gelegenheit abwarten, dann aber auch benutzen. + +Eines Nachmittags schlenderte er gemüthlich auf dem Anger hinter +seinem Garten. Es war ein Sonntag; er hatte gut gegessen, ein wenig +»gedurmt« (geschlummert), sich dann schön angezogen, die Pfeife in den +Mund gesteckt und war hieher gegangen, um zu sehen, was ihm weiter +belieben werde. An einem solchen Nachmittag fühlt sich der Bauer immer +behaglich, sogar wenn er verliebt ist. Michel ging langsam, blieb +zuweilen ein bischen stehen -- er dachte an die Gret. Er war heute +so unternehmungslustig und dabei so sicher! »Jetzt wann's mer käm',« +dachte er -- »Sapperment nei'!« -- Er ging wieder einige Schritte +und sah umher -- und wie's denn manchmal geht, dort, den Weg von der +linken Gasse zum Anger herunter, kam die Gret! Michel eilte mit großen +Schritten zum Ausgang des Wegs, um sie noch eben zwischen den Gärten zu +treffen. Sie sollte ihm nicht entwischen -- sie sollte ihm Rede stehn +und nicht mit einem bloßen Gruß davon kommen! + +Es gibt auf dem Lande nichts Reizenderes als jene Gänge zwischen +lebendigen Hecken, die eben breit genug sind, daß man sich ausweichen +kann. In der schönen Jahreszeit, wo die Hecken grünen und blühen, wo +der trockene Weg von Gras und Blumen eingefaßt ist, gewährt es ein +wahrhaft poetisches Vergnügen, hindurchzuspatzieren, zumal wenn beim +Schein der Sonne der Schatten dicht belaubter Gartenbäume drüber fällt. +Es ist so traulich und so heimlich darin, daß man nur bedauert, so bald +wieder ins Freie zu kommen! -- + +Ein solcher Gang war es, in dem unser Michel die Geliebte festhalten +wollte. Seine großen Schritte hatten bewirkt, daß er noch rechtzeitig +kam: die Gret ging erst in der Mitte des Weges. -- Wie schön war sie! +Sie hatte an dem warmen Tage keinen Kittel an: in blendendweißen +Hemdärmeln, in gestreiftem, farbigem Mieder und rothem Halstuch +kam sie ihm entgegen. Die Kleider standen ihr so gut, ihr Gang war +so geschickt: das Dienen in der Stadt hat eben doch seine großen +Vortheile! -- Dem guten Michel lachte das Herz im Leibe, als er sie +ins Auge faßte. Wann aber das Herz lacht, dann schwebt es und kann +consequenterweise nicht -- -- -- fallen. Unser Freund behielt seinen +Unternehmungsgeist, obwohl die Gret mit schelmisch heiterm Antlitz +näher und näher kam; und als sie endlich vor einander standen, sagte er +heroisch: »No Margreat, wo kommst denn du hear?« -- »Von der Fischere«, +war die Antwort. -- »So! -- Ond wo willst denn he'?« -- »Hoem! -- I +ben mit 'm G'strick ausganga' -- ond hab d's Gara' (Garn) vergessa'!« + +Unser Bursche machte ein curioses Gesicht. Es schien ihm hier eine +vortreffliche Gelegenheit gekommen, die Gret zu foppen und zu plagen, +und er beschloß sie zu benutzen. Sich breit auf den Weg hinstellend +sagte er mit schlauer Miene: »Doh hommer's (da haben wirs)! An was host +ietz doh denkt?« -- Die Gret, seine Gedanken errathend, erwiederte: +»Ja, wann e's saga' dät!« -- »No«, versetzte Michel, »des ka'n e mer +fürstella': an a Mannsbild!« -- »So?« entgegnete die Gret schnippisch. +»Woescht du des so gwihß?« -- »Wamma (wenn man) des net wihßt!« +versetzte Michel mit selbstgefälliger Sicherheit. »Des ist ja doch uir +(euer) oezengs Dichta'n ond Drachta'!« -- »Doh bildet 'r ui (ihr euch) +doch a bisle z'viel ei'«, erwiederte die Gret. -- »Bah«, rief Michel +im Hochgefühl des Rechthabens, »wär koe Wonder, des wär net bekannt!« +-- Das Mädchen versetzte mit einem Schein von Ernst und Schärfe: »Ma' +sakt manchmol, es sei ebbes so, derweil hätt' ma nor geara', daß so +wär! Omkeart (umgekehrt) wurd a Schua' (Schuh) draus!« -- »Ho ho!« rief +Michel. -- »Uir (ihr) Mannsbilder«, fuhr die Gret fort, »lebet en der +Ei'bildeng -- und des ist natürlich. Uir wisset net, was o's (uns, wir) +denket; aber o's wisset, was uir denket!« -- »Des wär' der Deufel!« +versetzte Michel, verwundert über die kecke Behauptung. »Wie sottet'r +(solltet ihr) des wissa?« -- »Wie?« erwiederte die Gret, indem sie ihm +heiter ins Gesicht sah; »weil d'r (ihr) uire Gedanka' verrothet, weil +d'r o's nochloffet (nachlauft)!« -- + +Michel war betroffen. »D's Ohs hot Rehcht,« dachte er in einem Moment +des Schweigens. Es blieb ihm indeß noch der Ausweg, die Thatsache zu +läugnen -- und das that er tapfer. »Bah«, rief er geringschätzig, »wear +duet des? A rechter Kerl net!« -- »Ih«, setzte er mit Stolz hinzu, +»ben mei' Lebteng no' koer nochgloffa'!« -- »Ist des wohr?« fragte die +Gret lächelnd. -- »So wohr i dohstand«, sagte der Ehrliche. Die Gret, +die recht wohl gesehen, wie der Enakssohn zu dem Durchgang geeilt +war, hätte bei dieser naiven Behauptung beinahe gelacht; allein sie +unterdrückte die Anwandlung und sagte scheinheilig: »Doh ist d'r also +oh gar net drom z'doa', daß d' mit oer redst?« -- Michel ahnte, wo sie +hinaus wollte; aber er hatte A gesagt und mußte B sagen, und ohnehin +wollte er sie ja uhzen (foppen)! Heroisch erwiederte er: »Gar net! -- +I wihßt oh net, worum!« -- »So«, sagte die Gret, »doh mueß e m'r ja +nocht a Gwissa' draus macha', doß e de mit mei'm Gschwätz aufhalt. +-- Bhüet de Gott!« Sie wollte vorbei. Michel war aber nicht gemeint, +eine Unterhaltung, die bis jetzt so schön gegangen war, so schnell +abbrechen zu lassen; er rief mit Eifer: »So wart nor no' a weng! -- Du +wurscht doch Gspaß verstanda'?« -- »Des scho',« versetzte die Gret; +»aber i muß ietz zu meina' Kamrädenna'!« -- »Gang weiter«, entgegnete +Michel, »lauter Weibsbilder! Was wurd des für a'n Onderhalteng sei'!« +-- »O«, rief die Gret, »o's onderhalta' se recht guet!« -- »Was net +no'!« erwiederte Michel seinerseits ironisch. Und selbstgefällig setzte +er hinzu: »Von was hont'r (habt ihr) ietz gredt?« -- Die Gret sah ihn +an und ihre Lippe zuckte unmerklich. »Von was redt ma'«, sagte sie +dann, vor sich hinschauend, »wamma' se guet onderhalta' will: von da' +ledenga' Burscht'!« -- Michels Gesicht klärte sich auf. »No, was hab' +e gsakt?« rief er. »Ietz gibst m'r doch selber Rehcht!« -- »I hab me +verschnappt«, erwiederte die Gret. -- »Ja, ja«, fuhr Michel fort, +»d'Mannsbilder stecket ui (euch) em Kopf -- des woeß e ja!« -- »No«, +setzte er in behaglichem Stolz hinzu, »en was für 'r Art hont 'r von es +(uns) gredt?« -- »Mer hont g'rotha«, erwiederte das Mädchen nach kurzem +Zögern, »weller (welcher) ietz wol d'r G'scheidtst ist em Doraf!« -- +»So«, versetzte Michel. »Send 'r oeneng (einig) woara'?« -- »Noe«, +erwiederte die Gret. »Jeda' hot 'n andera' a'geba'!« -- »Natürlich«, +bemerkte unser Bursche, indem ihn das Vergnügen über die entlarvte +Schwäche der Mädchen verhinderte zu sehen, welche Gefahr er selber +lief. »Wean host denn aber du a'geba'?« + +Es giebt eine Mischung von Unschuld, Ungeschicklichkeit und +Selbstgefälligkeit, die auch wohlwollende Naturen reizt, den Träger +derselben, was man sagt, anlaufen zu lassen. Die Absicht, necken zu +wollen, fordert heraus, und das Unvermögen, das in keiner Art zur Sache +kommt, erweckt ein Verlangen, zu strafen. Unsre Gret fühlte einen +Antrieb dazu und konnte ihm diesmal nicht widerstehen; sie erwiderte: +»I hab no' gar koen a'geba' -- i hab koen gwißt. Aber ietz -- ietz +woeß e oen -- ond ietz muß e eila', daß e widder z'ruck komm. Mei'r +(meiner) wurd gwihß alla'n ei'leuchta'!« -- Nach einem Blick, dessen +Bedeutung nicht zu verkennen war, schlüpfte sie an ihm vorbei und ging +rasch weiter. + +Michel sah ihr nach -- -- er fühlte mit einemmal, was die Gret ihm +angethan, und die Röthe der Scham überströmte sein Gesicht. Bald erhob +sich der Zorn in ihm und verstärkte das Roth zu düsterem Braun. »Wann +de nor der Deufel holla' dät,« rief er -- »du Hex du! -- Hot ihren +Spoht (Spott) auf m'r und stellt me he' wie'n Esel! -- O wann e's nor +doh hätt' --« Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß er hier gehört werden +konnte, und die Furcht, dem ganzen Dorf zum Gespött zu werden, hieß ihn +abbrechen. -- Langsam ging er zurück. Er dachte nach, wie er zu diesem +Verdruß gekommen sei -- und lachte bitter. »I hab's foppa wölla'! Die +do, d's ärgst Ohs em ganza' Dorf! Doh ben ih d'r recht Ma' derzue!« -- +Nach einer Pause setzte er unmuthsvoll hinzu: »Der Kapper ist a'n Esel +gwesa' mit sei'm Roth, und i a Narr, daß e'm gfolgt hab! -- Des hot +grad no' gfehlt! Des hot d'Butt bonda (die Bütte gebunden, die Sache +fertig gemacht)!« -- Am Ende des Ganges blieb er stehen und ließ eine +Zeitlang gedankenvoll sein Haupt hängen. Endlich murmelte er: »'S soll +amol net sei'! I gib m'r alle Müa ond dua', was e ka' und hab nex als +Verdruhß ond Onear (Unehre) dervo'. Noe, noe -- i loß d's Heiricha +sei'! Aus isch ond gar isch! --« + +Als er bei diesem desperaten Satz angekommen war, hörte er Tritte +in der Nähe und schaute auf. Es war die Gret, die mit dem Garn +zurückkam. Daß sie's dem guten Michel so arg hinausgegeben, hatte sie +doch ein wenig gereut, und ihr Gesicht drückte jetzt Wohlwollen und +Freundlichkeit aus. Wie sie ihn aber dastehen sah mit der trotzig +verlegenen Miene, da änderte sich ihre Stimmung etwas. Sie konnte sich +nicht enthalten, mit neckischer Verwunderung zu fragen: »No Michel, +stost (stehst du) no' allweil doh?« -- Der Bursche, auf's neue gereizt, +erwiederte: »Dirdawega (deinetwegen) net!« -- »O,« versetzte Gret, »des +bild e m'r oh net ei'! Kott's Blitz! doh mueß e nor macha', daß e d'r +bald aus da'n Oga' komm!« -- »I halt de net auf!« rief Michel. -- »Hu +hu!«, erwiederte die Gret, und rasch verschwand sie in dem Gange. + +Michel, in dem Gefühl, daß es nun wirklich aus sei, verließ mit +langsamen Schritten den Anger. Er suchte den Kasper auf und traf ihn +allein in seinem Garten. »No,« sagte er unmuthig zu ihm, »du host m'r +'n schöana' Roth geba', des mueß e saga'! Du bist a gscheidter Kerl!« +-- Der Kamerad sah ihn verwundert an und fragte: »Wie so?« -- »No doh +mit dei'm Foppa'n und Ploga', wo d'me a'glearnt host! -- Des ist a +Dommheit gwesa'!« -- Kasper ahnte was vorgefallen war; er forderte ihn +auf zu erzählen, was passirt sei, und Michel gab ihm, so gut er konnte, +ein Bild von dem Verlauf der Ansprache. + +Wie lächerlich die Geschichte dem Erfahrenen und Gewandten auch vorkam, +so hielt er es im Moment doch weder für rathsam zu lachen, noch das +Benehmen des Burschen zu tadeln. Er richtete seine Kritik gegen das +Mädchen und sagte: »'S ist a'n Ohs!« -- »So,« erwiederte Michel, für +welchen diese Zustimmung etwas Angenehmes hatte, »siksch ietz oh ei'? +-- Freile isch a'n Ohs, d's ärgst em ganza' Doref! Für da' Narra' hot's +me ghett; -- ond für da' Narra' dät's me halta, so ofts könnt' -- wann +i net gscheidter wär! Aber doh wurd a Riegel fürgschoba'! Koe Wöartle +mea' (mehr) red e mit'r. Nemmer a'seha' du e's (thu ich sie)!« -- »No, +no,« warf der Kasper ein, »gar z'hitzeng muest oh net sei'. Durch des, +was d'mer verzählt host, ist no' net bewiesa', daß's de net mag!« -- +»Was,« rief Michel, »doh isch no' net bewiesa?« -- »Noe,« bemerkte +Kasper. »Du host sie foppa' wölla'n aus Lieb, ond sie hot di gefoppt -- +vielleicht oh aus Lieb!« -- Der Bursche konnte sich bei diesen Worten +nicht enthalten, ein wenig zu lächeln und rasch loderte in Michel der +Zorn empor. »Willst du me oh no' für da' Narra haba'?« rief er, indem +er ihn grimmig anschaute. »Des net,« erwiederte Kasper. »Aber d' Mädla' +deant (thun) oft grad d's Conträre von deam, was denket! Der Spoht« -- +»Mach me net wild,« fiel Michel ein. »Wean e verspott, auf dean halt' +e nex! Du bist a'n Esel, wann's anderst sakst!« -- Kasper zuckte die +Achseln. »Du bist halt a grober Kerl,« versetzte er. -- »Weil e Rehcht +hab,« entgegnete Michel. »Doh ben e doch a weng z'guet dafür, doß e +so'm Fratza' da' Narra'n ahgib! -- Nex doh! Aus isch ond gar isch!« -- + + + Beim braunen Bier. + +Ein Mädchen wie die Gret gefiel natürlich mehreren ledigen Burschen. +Zwei oder drei Handwerker hätten gern mit ihr anbinden mögen, aber +sie erfuhren, daß sie schon angebunden war -- sehr kurz nämlich +ihnen gegenüber, die etwas dreist vorgehen wollten. Auch ein paar +Bauernsöhne schauten sie mit großem Wohlgefallen an und einer schien +gute Lust zu haben, sie zu dem Rang seiner Geliebten zu erheben. Es +lag indeß nicht in der Art des Mädchens, nach einer solchen Verbindung +zu streben. Sie war zu fröhlich, um ehrgeizig zu sein, und verspürte +keine Neigung, zwischen Sohn und Eltern Streit zu veranlassen und sich +durch Händel und wüsten Lärm zu einer höhern Stellung durchzukämpfen. +Die Liebe, die ihr den heroischen Muth dazu vielleicht gegeben hätte, +meldete sich nicht, und so erfuhr der junge Bursche bei dem zweiten +Annäherungsversuch eine lachende, aber deutliche Abweisung. + +Wenn sie die sämmtlichen Dorfbursche durchging, war und blieb es eben +unser Michel allein, bei welchem ihr Herz sich regte. Zu ihm verspürte +sie nachgerade einen Zug, über den sie sich selber wunderte. Sie hatte +gesehen, daß es der ärgste »Lackel« sei im ganzen Dorf -- unerfahren +wie ein Kind, und so ungeschickt, daß er einen ordentlich dauerte. +Aber der ungeschickte Kerl war ihr der interessanteste! Sie mußte +immer wieder an ihn denken; sie fühlte einen Trieb zu überlegen, ob +ihm nicht zu helfen sei, ob er nicht doch am Ende gescheidter sei als +er aussehe, und ob ihm der Verstand nicht noch kommen könnte, wenn +auch spät, u. s. w. -- Wer in Herzensangelegenheiten erfahren ist, der +weiß, was dieses Spiel der Gedanken für Folgen hat. Eben im Scheine +solcher Vorstellungen entwickelt sich der Keim einer Neigung; die +heitere Beschäftigung mit dem Bilde kommt dem Original zu Gute, und +dieses ist zuletzt in der Lage, erndten zu können, wo es persönlich gar +nicht gesät hat. Die Gret gewöhnte sich an die Vorstellung des Michel +und an den Gedanken, daß er für sie bestimmt sei. Bald war sie mehr +verstrickt, als sie selber ahnte; und während der gute Bursche glaubte, +seine Sache sei verloren, stand sie just so gut als möglich. + +Je mehr Ernst in die Neigung kommt, desto weniger läßt man dem +Gegenstand etwas thun, desto weniger will man Scherz mit ihm treiben. +Als die Gret bedachte, wie sie den Michel bei dem letzten Diskurs doch +abgeführt hatte, fühlte sie Gewissensbisse und auch eine plötzliche +Sorge, er könnte so bös geworden sein, daß er gar nichts mehr von +ihr wissen wollte. Dies Letztere schien ihr bei näherer Betrachtung +nicht gerade wahrscheinlich; aber doch nahm sie sich vor, bei nächster +Gelegenheit sich nicht wieder vom Uebermuth hinreißen zu lassen, +sondern mit seinem guten Willen vorlieb zu nehmen und ihm wohlmeinend +unter die Arme zu greifen. + +Eine Reihe von Tagen war vergangen und sie hatte den Burschen nicht +wieder gesehen, außer von weitem. Daß er jetzt keinen neuen Versuch +machte, mit ihr zu reden, begriff sie, und es war ihr lieb, daß sie +sich in der ersten Zeit nach jenem Auftritt im Heckengang nicht +zufällig begegneten. Der Aerger in Michel sollte erst verdampfen und +der Liebe wieder Platz machen; dann wollte sie ihn so freundlich +grüßen, daß er gewiß wieder Muth bekam und mit ihr ein erwünschtes +Gespräch anfing. Sie hatte eine sehr angenehme Empfindung bei der +Vorstellung, das er dann das rechte Wort finden könnte, sie ihm sagen +müßte, wie's ihr um's Herz sei -- und Alles zu gutem Ende käme. + +Endlich führte sie der Zufall einander entgegen. Sie kam von der Wiese, +er ging hinaus. Als das Mädchen seiner ansichtig wurde, erröthete sie +etwas und sah lieblich heiter aus; sie wollte ihn grüßen so schön wie +sie's nur konnte! Allein in ihm hatte der Anblick derjenigen, die +ihn für'n Narren gehabt, schon den Unmuth wieder angeregt; und wie +er nun gar ihr Vergnügen wahrnahm, das nach seiner Meinung nur Spott +sein konnte, loderte ein ganz ehrlicher Zorn in ihm auf. Er machte +ein Gesicht so »wild« als möglich; die Gret, bei dem Anblick etwas +verhofft, sagte guten Tag lange nicht so schön wie sie sich's gedacht +hatte -- und der Gegrüßte ging vorüber, ohne zu danken. Ihrerseits +verletzt, sah das Mädchen ihm nach und schüttelte den Kopf. »Also +doch,« sagte sie einigermaßen verlegen und ging langsam weiter. Bald +aber tröstete sie sich. »Er moent eba', d's erstmol muß er doch no' +trutza'! 'S ist a Mensch ohne Manier! Aber er moet's doch net böas -- +ond d's nächstmol wurd er scho' danka'!« -- + +Bei der nächsten Begegnung schaute das Mädchen den Burschen erst +erwartend an; ihre Wünsche hatten die Hoffnung schon so sehr wieder +belebt, daß sie meinte, er könnte zuerst grüßen. Als er sich aber +mit düsterm Gesicht näherte, ohne eine Miene zu verziehen, rief +sie: »Godden Tag, Michel« in dem Ton einer Gekränkten, als ob sie +hinzusetzen wollte: »Worom grüescht me denn net? Hab' e d'r denn ebbes +do'?« Dieser Ton traf unsern Burschen; aber da er beschlossen hatte, +trutzend an ihr vorüberzugehen, so war nicht von ihm zu verlangen, daß +er in dem einzigen noch übrigen Moment diese Bestimmung änderte. Er +führte demnach seinen ersten Gedanken aus, weil er einmal im Schuß war, +und beleidigte nun freilich die wohlmeinende Gret in einer Weise, die +ihrerseits einen Entschluß hervorrufen mußte. Sie schaute sich diesmal +nicht um, sondern ging mit rötherem Gesicht weiter und murmelte für +sich: »'S ist a Dommkopf ond bleibt oer! Mit deam ist nex a'zfanga'! No +meit'weg! Vo' mir soll'r net weiter encommodiert weara'!« -- + +In Folge dieser niederdrückenden Erfahrung gerieth das gute Mädchen +in einen Gemüthszustand, der ihr neu war, den sie aber eben darum +sorgfältig geheim zu halten suchte. In die Heiterkeit ihres Innern war +ein Schatten gefallen. Sie wurde leichter ärgerlich als früher, sie +fühlte sich in andern Augenblicken weicher als sonst und eine Art von +Trauer wandelte sie an, so daß sie ein Verlangen empfand, ihr Herz +einer Kamerädin aufzuschließen. Allein das zu thun, schämte sie sich +doch allzusehr; sie fühlte, daß es ihr nicht anstand, und schwieg. +Auf sich selber beschränkt, gab sie sich stillen Erwägungen hin. Es +begegnete ihr, daß sie überlegte, welcher von den übrigen Burschen wohl +derjenige sei, der sich am besten für sie passen würde. Sie konnte sich +für keinen entscheiden; aber indem sie sich vorstellte, wie einer »mit +ihr ging«, erquickte sie sich an dem Gedanken, daß der Michel sich +recht darüber ärgerte. Denn das wußte sie: ärgerlich war es ihm doch, +wenn sie einen Andern hatte, so ein dummer und einfältiger »Stoffel« er +auch war. -- + +In dieser Zeit kam ein junger Mensch in's Dorf zurück, der auswärts +gearbeitet hatte. Es war der Sohn eines der zwei Schneider, die der Ort +nährte -- selbst Künstler mit der Nadel und das, was man auch auf dem +Land, wenigstens im Ries, »a gallants Bürschle« nennt. Weder groß noch +stark, sondern eher klein und schmächtig, war er doch gut gewachsen; +und wenn sein helles, glattes Gesicht etwas zu mädchenartig ließ, so +war das für gewisse Jungfrauen kein Grund, weniger davon zu halten. +Bei viel natürlicher Gutmüthigkeit besaß er eine bedeutende Portion +Selbstgefühl, das sich auf die Ansicht gründete, daß ihm an Feinheit, +Geschicklichkeit und höherem Anstand keiner der gegenwärtigen Burschen +des Dorfes gleich käme. Er hatte in der kleinen Stadt, in der er sich +aufgehalten, allerlei Redensarten gemerkt, die er bei Gelegenheit zum +Besten gab, sprach ein wenig »hochdeutsch,« wenn's drauf ankam, und +hatte für sich eine Mischung von bäurischer und städtischer Kleidung +erfunden, die seiner Erscheinung etwas besonders Nettes gab. Einmal +war ihm der Gedanke gekommen, ob er nicht vielleicht zu etwas Höherem +bestimmt sei und in der weiten Welt sein Glück suchen sollte. Aber +sein Vater wurde alt, er hinterließ ihm ein Haus und Feldgüter, und in +diesem Betracht schien es doch gerathen, auf sein ehrgeiziges Projekt +zu verzichten und als Geselle des Alten die Zeit zu erwarten, wo er +sich als Meister im Dorf setzen konnte. + +Jakob -- so hieß unser Schneider -- war mit dem Maurer befreundet und +kehrte bald nach seiner Ankunft bei ihm ein. Die stattliche Schönheit +der Gret überraschte ihn und machte auf sein leicht erregbares Herz +sogleich einen mächtigen Eindruck. Er nahm sich zusammen, setzte die +Reden und sagte dem Bäschen Schmeicheleien, die ihr nach seiner Meinung +unendlich wohlthun mußten. Die Gret lächelte, halb schelmisch, halb +wirklich vergnügt, und nun kam sie ihm so reizend vor, daß eine Stimme +in ihm rief: »Dieses Mädchen mußt du kriegen!« -- Die Gret konnte +ebenfalls hochdeutsch reden, wenn sie wollte, und es hatte bei ihr +überhaupt Alles einen andern Furm (Form) als bei den Mädchen, die nie +aus dem Dorf hinaus »geschmeckt« hatten: waren sie beide nicht recht +eigentlich für einander geschaffen? -- Freilich war sie fast einen +halben Kopf größer wie er, und dieses Verhältniß hätte er umgekehrt +lieber gehabt; allein im Grunde, schadete das was? Es gab Exempel, wo +eine große Frau und ein etwas kleinerer Mann recht gut mit einander +gehaust hatten. »Wenn sonst nichts fehlt,« dachte der gute Bursche, +»das kann man sich gefallen lassen!« Und darin hatte er ganz Recht: +wenn sonst nichts fehlte, dann stand es vortrefflich. + +Vor der Hand fehlte indeß noch die Hauptsache: die Gret hatte von ihm +keineswegs eine ähnliche Ansicht erlangt, wie er von ihr, und ihr war +es gar nicht so vorgekommen, als ob sie für einander geschaffen wären! +-- Als ein kluges und natürliches Mädchen durchschaute sie den Burschen +sogleich. Er war gutmüthig und eitel -- so recht einer von denen, die +eine Gescheidte am Narrenseil führen kann, ohne daß sie's merken. Ein +»Männdle«, mit dem eine Lustige zu ihrer Unterhaltung spielt, von dem +sie sich flattiren und Gefälligkeiten erweisen läßt und den sie dann +ohne große Gewissensbisse nach Hause schickt, wenn sich ein Besserer +meldet. Wie hätte die Gret vor so einem Respekt haben können? Wenn sie +aber keinen Respekt haben konnte, dann konnte sie auch nicht lieben. -- +Das lag in ihrem Wesen und das merkte sie auch nachgerade selbst. + +Unser Schneider hätte sich eher alles Andre einfallen lassen, als daß +die Gret über ihn solche Gedanken hegte. Er hatte den besten Muth; denn +Alles zusammengenommen, konnte so ein Mädchen nicht von Glück sagen, +wenn sie ihn bekam? Er war eifrig, dieß lag in seiner Natur; aber er +war eifrig mit Zuversicht. Zunächst kehrte er beim Vetter Maurer ein, +so oft es anging, und wenn er der Gret einen Gefallen thun konnte, so +ergriff er die Gelegenheit mit Begierde. Als sie in diesen Tagen einen +neuen kattunenen Kittel zu haben wünschte, fertigte er denselben (denn +er war Männer- und Frauenschneider) in kürzester Zeit und brachte darin +eine sinnreiche Neuerung an, indem er behauptete, ein Mädchen, die in +der Stadt gewesen sei, müsse sich feiner tragen als eine gewöhnliche +Bauerntrutschel! Er brachte ihr von Hause Sträußchen mit und spitzte +dabei seine Complimente so fein zu, daß er selber daran seine Freude +hatte. Kurz er huldigte der Schönen auf eine Weise, der man ansehen +mußte, daß er sie anderswo gelernt habe, als zu Hause bei seinem Vater. + +Nach und nach fand die Gret doch Gefallen daran. Der Schneider hatte +aber auch eine günstige Zeit getroffen. Die Spannung zwischen ihr +und Michel dauerte fort. Bei einer dritten Begegnung hatte sie, wie +natürlich, ihn nicht gegrüßt, und er war mit einem nur um so »wildern« +Gesicht an ihr vorübergeschritten. Die Grobheit eines Menschen, dem sie +vor Allen den Vorzug gegeben hätte, verdroß das Mädchen im Innersten +ihres Herzens, und in diesem Zustande hatte die Höflichkeit des +Schneiders etwas Wohlthuendes für sie. Sie brauchte einen Ersatz, der +junge Vetter gewährte ihr ihn, und sie konnte sich nicht enthalten, +ihn freundlich dafür anzusehen. Einmal, in weicherer Stimmung, dankte +sie mit besonderer Wärme, und dem Blick, mit welchem sie die Worte +begleitete, gab die Dankbarkeit der gerührten Seele einen Glanz und +einen Schmelz, wie ihn der Schneider noch nicht gesehen. Jetzt konnte +er sich nicht mehr täuschen; das schöne Bäschen gehörte ihm, sie hatte +sich verrathen! Jetzt durfte er nur reden und die Sache war fertig! -- +Er redete zunächst doch nicht; vielleicht weil er des Sieges gewiß war, +oder weil ihn der schelmische Genius, der sein Loos zu weben hatte, +davon abhielt. Das konnte er sich aber nicht versagen, beim Abschied +die Zuversicht seines Herzens mit wohlgefälliger Miene fein anzudeuten. + +Die Gret sah ihm trübe lächelnd nach. »Du guts Bürschtle« rief sie für +sich und zuckte die Achseln. -- Ihre Gedanken nahmen den Lauf wieder +zu dem Enakssohn. Nach einer Weile sagte sie: »Könnt' ietz der Michel +net oh höflich sei' und dischgeriera' und flattiera' wie der Schneider? +Mueß denn grad der, den e möcht', der gröbst und der dommst sei' em +ganza' Doraf? 'Sist doch nex en der Welt, wies sei' soll!« -- + +Wenn sie in andern Momenten wieder dachte, Michel könnte sich am Ende +doch bessern, so erfüllte dieser ihre Erwartung fürs erste nicht. Er +trutzte weiter -- er wollte in der That nichts mehr von ihr wissen; d. +h. er wollte im Grunde immer noch gar viel von ihr wissen, aber er gab +es nicht zu erkennen. Die Besuche des Schneiders und die Reden, die +darüber im Dorf umzugehen anfingen, brachten in seinen Gedanken keine +Aenderung hervor. Daß ein Mädchen wie die Gret so einen »Krampen« +wie den Schneider möge, konnte er fürs erste nicht glauben. Wenn sie +ihn aber mochte, wenn sie so einen »miserabeln Kerl« lieber haben +könnte, als ihn, dann sollte sie ihn nur nehmen und zum Gespötte werden +mit ihm! Unser Bursche hatte über die »Weibsbilder« schon soviel +nachgedacht und vernommen, daß er wußte: sie seien eigentlich »d's +Deufels« und auskennen werde sich so leicht keiner in ihnen. Als er +sich aber vorstellte, daß die Gret sich wirklich dergestalt verirren +und den Schneider nehmen könnte, wo doch Er, der Michel, zu haben war, +da stieg ein Gefühl der Geringschätzung gegen ihren Verstand, ihren +Charakter, ihre ganze Person in ihm auf, welche die Liebe für den +Moment gänzlich überdeckte. »Wanns so komma dät, wanns dean lieber +hätt' wie mih, nocht dät e me doch schäma', doß e nor a Menutt ebbes +von 'r ghalta' hab!« -- Es war ihm aber auch bei diesem Ausruf noch, +als obs eigentlich doch nicht so sein könnte. + +Unterdessen hatte die Ernte begonnen, und in dieser Zeit können +es Leute, die in einem Dorfe, zumal in einer Gasse wohnen, nicht +vermeiden, sich öfter zu sehen. Michel traf die Gret eines Tages mit +dem Maurer, dieser grüßte, und unser Bursche konnte nicht so sehr +die Lebensart außer Acht setzen, daß er nicht dankte. Wie er nun +mit ehrbarem Ton »Godda'n Ohbed« sagte, benutzte das Mädchen die +Gelegenheit, um mit etwas gedämpfter Stimme gleichfalls ein »Godda'n +Ohbed« anzufügen. Was sie sich dabei gedacht, konnte zweifelhaft +sein; gleichwohl empfand Michel diesmal bei dem Ton ihrer Stimme ein +wohlthuendes Zucken in seinem Herzen, und es schien ihm unmöglich, daß +dieses nachträgliche »Godda'n Ohbed« nicht etwas zu bedeuten habe, und +zwar etwas Gutes. -- Das nächstemal kam sie ihm allein entgegen. Sie +grüßte nicht, weil sie jetzt eben von ihm gegrüßt zu werden hoffte. Als +er aber wieder stumm blieb, sah sie ihn von der Seite mit einem Blick +an, der auch einen Härtern, wie er war, in die Seele hätte treffen +müssen. Dieser Blick sagte: »O du dommer Kerl, willst du a Mädle net +grüeßa', die so viel auf de hält?« -- Michel konnte sich der Wirkung +dieses Blickes nicht entziehen. Als er einige Schritte weiter gegangen +war, sagte er ernsthaft zu sich: »Ietz isch m'r doch so fürkomma'n, +als ob -- -- am End hot doch der Kapper Rehcht!« + +Denselben Abend noch suchte er den Kameraden auf und machte ihn mit +seiner Erfahrung und seiner Vermuthung bekannt. Wie Kasper ihn auf +solchem Wege sah, rief er: »No, was hab' e denn g'sakt? Die Great hot +dih em Kopf, des hab' e scho' lahng gwißt; aber du loscht (lässest) +ja net mit d'r reda'!« -- »No no,« erwiederte Michel begütigend; und +nach einem Moment des Nachdenkens setzte er hinzu: »Du moest also, i +hätt' Hoffneng -- 's ist dei' Earnst?« -- »Freile isch mei' Earnst,« +entgegnete Kasper. »Wer ka' doh no zweifla'! -- Aber ietz mach amol +'n Fried mit dei'm oefältenga' Trutza' doh und dua', was se für a +rechts Mannsbild g'höart!« -- Michel stand mit tiefsinnigem Gesicht da. +»Wann's d'Glegenheit git (gibt),« erwiederte er endlich, »will e seha'!« + +Dieser abendliche Diskurs fand gegen Ende der Woche statt. Nachdem +am Samstag noch ein tüchtiges Gewitter sich entladen und die Luft +abgekühlt hatte, kam ein schöner und nicht allzuheißer Sonntag. Das +Wintergetreide war größtentheils zu Hause, die Gerste der Sichel +entgegengereift, und da sich die Ernte so gut angelassen, glaubte man, +sie werde auch gut zu Ende gehen. In solchem Vertrauen entwickelt +sich in der Seele des Bauers ein gründliches Behagen und er fühlt das +Bedürfniß, sich ein Plaisir zu machen. + +Heute stellte sich bei Michel nach dem Essen der Kamerad ein und +machte den Vorschlag, »zum braunen Bier zu gehen.« Zu den Eigenheiten +unsres Burschen gehörte es, auch dann, wenn er etwas zu thun geneigt +war, sich nöthigen zu lassen. Er sah dermalen den Andern mit einer +Miene an, die weit entfernt war, Beistimmung auszudrücken. Die eben +anwesende Mutter rief indeß: »Gang mit! Kommst doch oh widder amol +aus'm Doraf naus ond unter d'Leut!« -- »Ha'et wurd's vohl (voll),« +bemerkte Kasper. »D's Bier soll gar fei'dle guet sei' ond d's Wäder ist +schöa'!« -- »Wer woeß,« sagte er lächelnd zu Michel, »ob d'net ha'et +oena sikscht, die d'r gfällt!« -- Die Mutter zuckte die Achseln und +entgegnete für Michel: »Gang weiter! Deam gfällt oena'! Dia' Hoffneng +hab e lang aufgeba'!« -- Sie verließ die Stube. -- Kasper machte ein +pfiffiges Gesicht und sagte zu Michel: »Die merkt no' nex!« -- Auch +unser Bursche verrieth auf seinem Gesicht einige Schlauheit; dann aber +erwiederte er: »Sie soll oh nex merka', bis d'Sach klor ist!« Und mit +einem bedeutungsvollen Wink setzte er hinzu: »Woescht no', was e d'r +g'sakt hab?« -- »Ja wohl,« entgegnete Kasper mit Lachen. »Aber ietz +mach!« + +»Zum braunen Bier gehen«, hieß auf den Dörfern in der Nähe von +Wallerstein so viel als: auf den Keller der fürstlichen Brauerei gehen. +Diese Bezeichnung datirt ohne Zweifel aus einer Zeit, wo in jenen +Dörfern ausschließlich weißes Bier gesotten und das braune (das in +Norddeutschland s. g. bayrische) zunächst nur von der »Herrschaftsbräu« +geliefert wurde. In den Jahren, in denen unsre Geschichte spielt, +verdiente aber das hier producirte Getränk die Auszeichnung einer +solchen Benennung immer noch durch seine Güte, wie es denn auch jetzt +noch unter den Bieren des Rieses einen ehrenvollen Rang behauptet. + +Die Kameraden legten die mäßige Strecke von ihrem Dorf nach Wallerstein +in gemüthlichem Diskurse zurück. Die Zahl der »Schöber,« die sie schon +eingeführt hatten und die sie noch zu bekommen hofften, der Stand des +Sommerkorns und die Hoffnungen des Brachfeldes bildeten den Hauptinhalt +ihrer Ansprache. Im Markt angekommen, schlugen sie den nächsten Weg zu +der Anhöhe ein, auf welcher die fürstliche Brauerei liegt und nebst den +ausgedehnten Oekonomiegebäuden den grauen Felsen, der das alte Schloß +getragen, kranzartig umschließt. Sie fanden noch Platz auf einer der +Bänke vor der Brauerei, ließen sich jeder eine Maaß geben, würdigten +den schäumenden Trank, der aus dem gepichten Bauche der hölzernen +»Bitsch« in ihre Kehlen floß, mit tiefem Zuge und theilten bald, +schmauchend und nach entsprechenden Intervallen die Zungen befeuchtend, +das Vergnügen der zechenden Versammlung. + +Kasper hatte Recht gehabt. Das in dem Felsenkeller gelagerte Bier +war heute ganz besonders wohlschmeckend und der Trinkplatz, der die +Aussicht in den nordöstlichen Theil des Rieses darbot, vollständig +besetzt. Wallersteiner Herren -- fürstliche Beamte und Bürger -- +etwelche Nördlinger, »kadollische« und »luttrische« Bauern saßen +größtentheils standesmäßig vereinigt, hie und da aber auch zufällig +gemischt um die hölzernen Tische, die heute für die »Herrn« durch +einige hübschere aus der Zechstube vermehrt waren. Das schöne +Geschlecht war nicht zahlreich vertreten; doch sah man außer der +französischen auch noch katholische und protestantische Rieser Tracht +nicht ganz unwürdigen Inhalt umschließend. Alles war vergnügt. Die +Hauptsache war unerschöpflich vorhanden, und wer Appetit nach etwas +Eßbarem hatte, für den war nicht nur durch die Wirthschaft, sondern +auch durch Wallersteiner Buben gesorgt, die Rettiche und »Würst' +siedhoeße« ausriefen und die letztern auch dann noch mit dem lockenden +Prädikat schmückten, wenn sie schon zwei Stunden hin und hergetragen +waren. + +Unsre Kameraden tranken sich nach und nach in jenen angenehmen Dusel +hinein, in welchem die jetzigen Sterblichen eine Ahnung von dem Gefühl +erhalten, durch das die Menschen des goldenen Zeitalters beglückt +worden sein mögen. Michel hatte einen Blick auf das Dorf Birkhausen +und auf das Fasanenwäldchen geworfen, das ihm so hübsch gegenüber +lag; er hatte die Gäste gemustert und nach flüchtiger Betrachtung der +anwesenden Bauernmädchen die Ueberzeugung gewonnen, daß Kasper in +dieser Beziehung nicht gut prophezeiht habe! Jetzt ließ er die Augen +ruhen und verharrte im Gegensatz zu dem Kameraden, der sich von Zeit +zu Zeit umsah, in unveränderter Stellung, sichtlich in Nachdenken +versinkend. Ohne aufzusehen, murmelte er endlich: »Wann e's nor gwihß +wihßt'!« -- Kasper sah ihn an und sagte lächelnd: »Bist scho' widder +doh mit deina' Gedanka'?« -- »Hol's der Deufel,« rief Michel, »i ka' +net dervo' loaskomma'! Wann's ietz doch nex wär'? Wann's doch da' +Schneider lieber hätt'? Gestert ist der Kerl a'mer verbeiganga', +als ob's scho' sei' wär'! I hätt 'm glei oena' stecka' könna', so +hoaffärteng hot 'r ausgseha', der Grippel!« -- »Da' Schneider, +glob' e, host net z'färchta',« erwiederte Kasper. -- »I sott's oh +net moena,« sagte Michel; und mit großartiger Verachtung setzte er +hinzu: »So a Krack -- so a Stump von 'm Menscha'! -- net gröaßer als +a Säustallthürle! I schmieß 'n über a Haus nüber, wann's sei' müeßt'! +-- 'S ka' net sei'!« -- »Sie müeßt se ja schäma', wann's mit 'm geang +(ginge),« setzte Kasper hinzu. »D'Leut dätet lacha 'n über so a Baar!« +-- »'S ist wohr,« sagte Michel. »Aber auf der andera' Seit; reda' +ka'n er, schwätza' ka'n er, ond d'Mädla' send Mädla'. Wer'n (ihnen) +flattirt, der hot scho' halb gwonna'.« -- »Des ist freile oh widder +wohr,« bemerkte Kasper. »Ond a'n Ohs ist der Schneider! Allweil woeß +er ebbes Nuis. Ond manch's Mädle hot scho' so'n Kerl gnomma', weil's +geara' d'Hosa'n a'ghett hätt! Vielleicht daß d'Great« -- -- Aber eine +solche Zustimmung war es nicht, was unser Bursche jetzt wünschte. Seine +Züge hatten sich verdüstert und unmuthig fiel er ein: »Schwätz net so +domm! I glob's mei' Lebteng net! A Mädle wie d'Great will'n rechta' +Ma'! Ond i woeß net, was grad do' (gethan) hot, daß d' so elend von 'r +denkst!« -- Kasper schwieg. Er wußte wohl, daß er nichts profitirte, +wenn er nachwies, daß er nur Michels eigne Meinung wiederholt hatte! -- +Der Gewaltige ertränkte den unliebsamen Gedanken durch einen tüchtigen +Zug aus der Bitsch und beide sahen stumm vor sich hin. Auf einmal +erhellte sich das Gesicht Kaspers -- man hätte sagen mögen schadenfroh +-- und Michel rief: »Aber kommt denn doh net -- hol me der Deufel, sie +send's!« + +Sie waren's in der That, nämlich die Gret und ihr Vater. Sie kamen von +der Westseite, denn sie waren auf Besuch bei der Schwester gewesen, die +in dem nächsten württembergischen Dorfe verheirathet war, und fanden +sich darum auch erst zu einer Zeit ein, wo der Nachmittag in den Abend +überging. Als sie den Kameraden sich näherten, rief Kasper: »Godda'n +Ohbed, Maurer!« und hielt ihm die Bitsch entgegen. Man wechselte Grüße +und der Maurer that Bescheid. »Doh ist no' Plahtz,« sagte Kasper auf +die Bank deutend. Der Maurer besorgte sich auch eine Bitsch, und man +setzte sich zusammen. + +Michel war überrascht gewesen und hatte die mit langsamen Schritten +herbeikommende Gret sonderbar angestarrt. Sie war eben wieder sehr +schön in ihrem Sonntagsstaat und namentlich in einem neuen seidnen, +prächtig glänzenden Halstuch feinster Qualität! Der Gang in der Sonne +hatte ihr Gesicht höher gefärbt, und ein guter Beobachter hätte +bemerken können, daß ihre Augen, sobald Michel sich ihnen darbot, +durch ein reizendes Funkeln belebt wurden. -- Zu anderer Zeit hätte +sich der erste Eindruck in dem Burschen vielleicht länger erhalten und +eine verhängnißvolle Confusion der Gedanken zur Folge gehabt; allein +zwei Maaß Lagerbier trinkt man nicht ohne Wirkung! Michel saß bald mit +ruhiger Würde neben dem Maurer und nahm gemüthlich an dem Gespräche +Theil, das sich entspann. + +Kasper hatte gefragt, wo sie herkämen -- nicht um es erst zu erfahren, +sondern um vor ihnen und Michel zu verbergen, daß er es schon wußte. +Nach der Antwort des Alten fragte Michel, wie's den Eheleuten ginge +und wie der jungen Frau die Haushaltung anschlüge! Hierauf gab die +Gret erfreulichen Bescheid: sie kämen gut fort und hausten recht gut +zusammen. Anknüpfend an dieses gute Zusammenhausen nahm der Diskurs +eine heitere Wendung. Kasper ging voran, und Michel bewies, daß er +auch einen Spaß machen konnte, wenn's drauf ankam. In dem Behagen, +das er empfand, war es ihm geradezu unbegreiflich, wie ihm vor der +Gret jemals das Reden hatte schwer werden können! Beim Teufel! Heut +konnte er schwätzen mit ihr wie mit seiner Mutter! Fragen -- Antwort +geben -- Alles dünkte ihn ein Spaß! -- was war das doch für ein Unsinn +früher? -- Der Umstand, daß er sich endlich in der Stimmung fühlte, +nach der er getrachtet hatte und die er allein seiner würdig hielt, +erfüllte ihn jetzt mit einem gewissen Stolz und einer eigenthümlichen +Sicherheit. Die Gret war auch so vergnügt, daß ein Blinder hätte sehen +müssen, wie sie sich freute, bei ihm zu sitzen! Die Furcht, als könnte +sie den Schneider gern haben, war eine Dummheit, die größte, die ihm +jemals vorgekommen! Den Schneider! So ein Mädchen! -- Nein! Er -- er +selbst war der Glückliche! -- Das war klar, daran konnte nur ein Narr +zweifeln! -- -- Aber heute wollte er auch sein Wort anbringen! heut auf +dem Heimweg wollte er sich an sie machen, Alles frisch weg heraussagen +-- das stand fest -- und -- auf den Herbst sollte die Hochzeit sein! -- + +Unterdessen hatte man das Bier nicht warm werden lassen. Auch die Gret, +die sich durstig gelaufen, that aus der Bitsch, wo man's nicht sah, +etwas bessere Züge, als sie's aus einem Glase gewagt hätte. Sie war in +der That von ganzer Seele vergnügt. Michel in seiner Unbefangenheit, +seiner guten Laune, gefiel ihr ausnehmend. Er war schöner als er ihr +sonst vorgekommen, und offenbar auch viel gescheidter! Die Neigung, die +sie immer für ihn gehegt hatte, steigerte sich diesen Abend zu dem +ernstlichsten Wohlgefallen, und sie empfand das lebhafteste Verlangen, +ihn endlich zur Erklärung zu bringen. Daß sie ihm gleichfalls +heute nicht weniger gefiel, als früher, davon erlangte sie gewisse +Ueberzeugung, und in der Hoffnung, einen solchen Prachtburschen zum +Mann zu bekommen, wuchs ihr Vergnügen zu einer Art von Uebermuth. +Sie neckte den Glücklichen von wegen weil er auf die Mädchen nichts +gebe, was ein Unglück und eine schlechte Ehre sei für alle. Michel +erwiederte: auf ihn käme nichts an, da gebe es andere, z. B. den jungen +Schneider, der in der Fremd' gewesen sei und draußen Dinge gelernt +habe, wo sie im Dorf nichts davon wüßten. Das wäre ein Kerl, der könne +den Mädchen sagen, was sie gern hörten! Worauf die Gret versetzte: Der +Schneider sei allerdings »a gallants Bürschtle,« an dem könnte sich +mancher ein Exempel nehmen; aber es gebe eben so vornehme Bursche, die +der Meinung seien, für sie wäre keine gut genug etc. etc. -- Diesem +kleinen Gefecht hörte Kasper mit Vergnügen zu, weil er seinen Plan dem +Gelingen zureifen sah; der Maurer ergötzte sich daran, ohne den Ernst +hinter dem Spaß gewahr zu werden. Zuletzt, nachdem sie einen Moment vor +sich hingesehen, sagte das Mädchen: »Wie wär's, wammer (wenn wir) auf +da' Felsa' naufgeanget, so lang d'Sonn no' schei't? Mir isch, als ob's +ha'et bsonders schöa' sei' müeßt do droba'!« -- Der Maurer wand ein, +es möchte doch zu spät sein; sie müßten heim. Allein die Gret bat, die +Kameraden traten dem Vorschlag bei und der Alte fügte sich. + +Der nächste Weg vom Keller zum Felsen geht hinter dem Brauhause +vorbei. Man gelangt, wenn man eine Treppe emporsteigt, auf einen +grasigen Platz, der meist eben um den Felsen herumläuft -- ehemals +der innerste Hof des Schlosses.[4] Als unsre kleine Gesellschaft auf +ihm der südwestlichen Seite zuging, neigte sich die Sonne schon den +fernen Anhöhen zu. Vom Keller an hatte sich Michel zu dem Maurer +gesellt. Wir wissen, daß er den Entschluß gefaßt, seine Wünsche auf dem +Heimweg anzubringen; er folgte daher um so eher einem instinktmäßigen +Trieb, nach der geschehenen Annäherung sich wieder ein Bischen +zurückzuziehen, die Gret dem Kasper zu überlassen und zur Hauptaction +neue Kräfte zu sammeln. Das war aber nicht die Rechnung des Mädchens, +die das Besteigen des Felsen eben vorgeschlagen hatte, um dem Michel +zu weiterer Annäherung Gelegenheit zu bieten, in der Hoffnung, einen +Moment herbeiführen zu können, wo ihm, der einmal im Zuge war, das +Schloß vom Munde fallen sollte. Wie sie nun, am Felsen angekommen, ihn +ernsthaft mit dem Vater diskuriren und zurückbleiben sah, warf sie +einen Blick des Bedauerns auf den Liebhaber, der die gute Gelegenheit +versäumte, mit ihr aufzusteigen und ihr allenfalls dabei zu helfen. +Damals war der Weg (er befindet sich auf der Südwestseite) noch nicht +so bequem wie jetzt, wo neue Treppen in den Felsen gehauen sind. +Kasper, der mit der Gret hinan stieg, kam einmal im den Fall, ihr die +Hand reichen zu müssen, um sie einige Schritte zu führen; und es ist +zu vermuthen, daß sich diese Nothwendigkeit für Michel öfter ergeben +hätte. »'S ist doch a'n o'gschickter Mensch«, sagte sie sich. Aber ein +Gedanke beruhigte sie wieder: »Vielleicht will er se bei mei'm Vader +wohl dra' macha', des ghöart oh zor Sach, obwohl der nex dagega' haba' +wurd -- o conträr!« -- + +Alle waren endlich auf dem Gipfel angekommen. Man ging hin und her und +schaute. »Ei wie schön!« rief die Gret und hing mit freudigem Blick +an der Landschaft. »Du host Rehcht,« setzte der Maurer hinzu. »'S ist +wärle der Müh wearth gwesa', daß mer (wir) raufganga' sind.« + +Der Bauer ist kein schwärmerischer Bewunderer der schönen Natur. +Zunächst weil er überhaupt nicht so leicht schwärmt; dann aber weil +er gewissermaßen selber zur Natur, zur Landschaft gehört und mit ihr +auf zu vertrautem Fuße lebt, um über ihre Erscheinungen außer sich zu +kommen. Ein recht schöner Anblick verfehlt aber auch auf ihn seine +Wirkung nicht; er freut sich darüber herzlich und kindlich -- und +das Ries im Schein der Abendsonne ist ein Bild, dessen Reiz auch die +substantiellere Natur eines eingebornen Dorfbewohners zu ergreifen +vermag. + +Die Luft war klar, auf der nordwestlichen Seite kein Wölkchen am +Himmel. Die gelben oder noch grünlichen Getreidefelder -- die schon +»geschnittenen« Aecker, zum Theil noch mit »Sammelten« bedeckt -- die +lichtgrünen Wiesen, die Brachfelder mit verschiedenen Abstufungen +von hellerem und dunklerem Grün -- die zahlreichen Orte in der Nähe +und in der Ferne -- Alles das stand vor den Augen in deutlichen +Umrissen und durch den zarten sommerlichen Duft gleichwohl zu einem +schönen landschaftlichen Ganzen verbunden. Unter ihnen lag der +Markt Wallerstein mit den beiden fürstlichen Schlössern und den +Parkanlagen; am nordwestlichen Horizont ragte das hochgelegene Schloß +Baldern über Hügel ins Ries herein; nach Westen zu erhob sich das +ehemalige Lanenkloster Kirchheim auf mäßiger Höhe, und weiterhin stieg +der Langenberg und der Nipf bei Bopfingen empor. Eine halbe Meile +entfernt, gegen die südlichen Hügel hin, war die Stadt Nördlingen +gelagert mit ihren vielen ansehnlichen Gebäuden, Zwingern, Gärten +und Alleen -- und rechts und links wohlhäbige Dörfer über die Ebene +hingesät. Die Ruine Hochhaus schimmerte aus Wäldern hervor; auf den +südöstlichen Höhen prangten das Schloß Reimlingen und die ehemalige +Benedictiner-Abtei Deggingen, weiter nach Osten die Schlösser Harburg +und Lierheim und die Reste von Allerheim. Kehrte man sich nach der +nördlichen und nordöstlichen Seite, so erblickte man die stattliche +Kirche von Zipplingen, das Kloster Maihingen und den langen Hesselberg +-- die Schlösser Hochaltingen und Spielberg, den uralten Thurm von +Hohentrüdingen, die Städte Oettingen und Wemdingen. Die nordwestlichen +Anhöhen standen in grünlichem Duft, unter der Sonne golden überhaucht; +die südwestlichen erquickten das Auge mit wenig gedämpftem Waldesgrün; +die entfernteren südlichen und östlichen glänzten in wundervollem Blau, +hie und da von helleren Partien der Getreidefelder durchzogen. Eben die +Anhöhen, welche die Ebene rings umgeben, erwecken in dem Eingebornen +das Gefühl, daß er in einem Paradiese lebt -- in dem landschaftlich +eingeschlossenen und abgeschlossenen, fruchtreichen, schönen Ries! + +Unsere Leute genossen das Malerische des Anblicks auf ihre Weise, in +großen Linien, und verwendeten deshalb weniger Zeit darauf als wir auf +die Beschreibung. Sie gingen zu einer sachlichen Unterhaltung -- zur +Hervorhebung einzelner Gegenstände über. Sie zeigten sich Orte, die das +Merkwürdige hatten, daß darin Freunde von ihnen hausten; sie machten +Anhöhen namhaft, die sich dadurch auszeichneten, daß sie von ihnen +schon bestiegen worden waren. Die Gret deutete das Haus ihrer Schwester +an, welches leider von einem großen Bauernhaus verdeckt sei; und +zuletzt concentrirte sich die Aufmerksamkeit auf dem interessantesten +Dorf -- auf dem eigenen. Man zeigte sich seine Häuser, Wiesen und +Aecker, und Anblick und Besprechung dieser traulichen Objekte +versetzten die Landleute wieder in eine muntere und fröhliche Stimmung. + +Michel hatte sich hie und da an die Seite der Gret gestellt, allein +nach seinem Plane sich nicht mehr mit ihr abgegeben, als mit den +Andern, obwohl der Kamerad den Maurer ein paarmal abseits geführt +hatte, ihm Gelegenheit zu verschaffen. Die Gret, dadurch gereizt und +in der erhöhten Laune des Tages, beschloß ihm einen Schreck einzujagen +und -- ihm entgegen zu kommen. Als die Andern in die östlich gelegene +Spalte hinabgestiegen waren und Michel schweigend neben ihr stand, that +sie einen Schritt gegen den Rand des Gipfels, von dem es hier schroff +abwärts ging, zuckte und »grillte« (kreischte), daß es eine Art hatte. +Michel erschrak in der That und versäumte, rasch zuzugreifen; als er +sah, daß sie selber feststand, hielt er es nicht mehr für nöthig und +schaute sie beruhigt an. Die Gret verzog den Mund. »Du bist a schöaner +Nochber,« sagte sie; »du ließest me nonterfalla' ond sächtest (sähest) +ganz ruheng zua'!« -- Der Ehrliche war etwas beschämt, weil er selbst +fühlte, daß er zu langsam gewesen; aber eben darum wollte er den +Vorwurf zurückweisen. »No, no,« erwiederte er, »du host de ja selber +ghalta'. -- I hab' eba' denkt, du wurscht Versta'd gmuag haba' ond +net z'weit nausganga!« -- Für einen Liebhaber keine galante Rede! Die +Actien des Burschen, insbesondere seiner Gescheidtheit, sanken wieder, +und das Mädchen, etwas empfindlich geworden, suchte die Andern auf. + +Die Sonne zerschmolz eben am Horizont -- der Alte mahnte zum Aufbruch. +Die Gret, um den Michel für sein Ungeschick zu strafen, ging zuerst +hinunter und that, als ob er gar nicht mehr da wäre. Natürlicherweise +fühlte nun er, dem es doch schwante, daß er sie »geärgert« habe, einen +Trieb, ihr nachzugehen und sie wieder gut zu machen. Nachdem sie alle +auf dem schon thauigen Rasen angekommen waren, führte Kasper, der des +Kameraden Absicht merkte, den Alten im Gespräch links um den Felsen. +Unser Paar sah sich allein. Der Bursche sagte ihr etwas Schönes wegen +der Geschwindigkeit, womit sie den Felsen herabgestiegen war. Sie, noch +ein wenig schmollend, aber seines guten Willens halber schon wieder auf +dem Weg zur Güte, entgegnete: »Ja, a bisle gschwender ben e freile als +du! Bei dir hoeßt's eba': komm' e ha'et net, komm' e morga'. I sorg', +du wurscht überal z'spät komma'!« -- »Oho,« erwiederte Michel und +lächelte, denn das Gesicht, womit ihm dieser Vorwurf gemacht worden, +hatte nichts Beleidigendes. Das Mädchen sah ihn an -- und nochmal +fühlte sie eine Regung, für ihn etwas zu thun. Sie sagte: »Globsch +(glaubst du), du ka'st me net fanga', wann e spreng (springe, laufe)?« +-- »Ih dih?« versetzte Michel und konnte nicht umhin, über so eine +Behauptung die Achseln zu zucken. -- »Ja, du mih,« erwiederte die +Gret mit Nachdruck. Das hieß den Michel bei der Ehre angreifen; und +im Gefühl seiner langen Beine rief er mit stolzer Sicherheit: »Loß de +net auslacha'!« -- »Ja,« sagte das Mädchen, »pranga' ka'n a'n ieder; +aber i glob's net!« -- »Du bist net gscheidt!« entgegnete Michel. »No, +so zoeg's,« fuhr die Gret fort, »ond fang me, wann d' ka'st!« -- Sie +faßte ihren Rock auf beiden Seiten, hob ihn ein wenig in die Höhe, um +den Beinen mehr Freiheit zu gewähren, und lief -- aber nicht links, den +Andern nach, sondern rechts um den Felsen, einer Grube zu, die sich auf +der nördlichen Seite des Felsens befindet. Michel, so herausgefordert, +hatte sich bereit gemacht; er ließ ihr einen Vorsprung, dann fing er +an auszugreifen, daß er sie schon im Eingang der Grube erreichte. Aber +der Triumph, sie nun zu fassen und zu halten, war ihm ein viel zu +geringer -- er lief einige Schritte über sie hinaus, bis sie schnaufend +zurückblieb, drehte sich um und rief siegesfreudig: »No, was hab e +gsakt? Ka'n e's oder ka'n e's net?« -- Die Gret sah ihn mit einem fast +wehmüthigen Blick an, und mit dem Doppelsinn, den ihr die Situation +aufdrängte, versetzte sie: »Ja, ja, i hab' me g'irrt en dir -- ond +mueß me schäma'!« -- Michel, weit entfernt zu begreifen, trat näher +und sagte mit dem Tone wohlwollender Ueberlegenheit: »No, no, z'schäma +brauchst de grad net, wann ih über de nausloff!« + +Der absolute Mangel an Verständniß machte die Gret lächeln und die +grundehrliche Meinung des Burschen versöhnte sie wieder. In der Grube +war es schon dämmerig; der Spaziergang, auf den sie so viele Hoffnung +gesetzt, nahte sich seinem Ende, und daß die beiden Burschen mit ihr +heimgehen würden, konnte sie nicht als gewiß annehmen. Wer wird es +ihr nun verdenken, wenn sie bei der Redlichkeit ihrer Absichten die +Gelegenheit ergriff, mit dem Burschen noch einen Versuch zu machen? Am +Ende -- sie that damit ihre Schuldigkeit, und wenn gleichwohl an ihm +nichts half, so brauchte sie sich wenigstens keinen Vorwurf zu machen. + +Sie hatte gemerkt, daß sie beim Laufen die Glufe, womit das Halstuch +des Rieser Bauernmädchens auf dem Rücken angeheftet wird, um daselbst +ein regelrechtes Dreieck zu bilden -- verloren und ihr schönes seidenes +Halstuch sich verschoben hatte. Indem sie eine Glufe von der Brust +auszog, wo sie minder nöthig war, sagte sie zu Michel: »Ietz muß e de +no' om a Gfälligkeit bitta'! I spür, daß mei' Gluf rausgfalla'n ist aus +mei'm Halstuch, ond's wär mer lieb, wann d' mers widder nei'stecka' +möchtst, vor mer zrückgont (zurückgehen).« Während sie dieses sagte, +hatte die Phantasie ihr vorgezaubert, was ihr Herz wünschte. Michel +fand während dieser Beschäftigung den Muth der Liebe, folgte ihm +freudig und hielt jene Anrede an sie, die wenn auch noch so kurz, doch +vom Munde des Mannes gehen muß, um von dem Mädchen bejaht den Bund der +Herzen thatsächlich zu knüpfen. + +In diese Seelenmusik ertönte plötzlich die Antwort des wirklichen +Michel: »I will's versuacha'! Muß d'r aber scho' saga', daß e mit +deana (diesen) Sacha' net recht omganga' ka'!« -- wodurch die Gret +belehrt wurde, daß es noch nicht an dem sei. Der Bursche nahm die +Gluf und stellte sich hinter sie; er wollte ihr nun auch wirklich +gefällig sein und genau thun, was sie haben wollte. Als er anfing, das +Halstuch zurechtzurücken, wurde ihm doch sehr curios. Sein Herz fing +an zu schlagen, vor seinen Augen begann es zu schwimmen; er fühlte ein +außerordentliches Verlangen, just das zu thun, was sie wünschte und ihr +Phantasiebild wortwörtlich zu erfüllen. Allein zu rechter Zeit noch +mahnte ihn die Pflicht und sein Vorsatz. Ihr die Gluf anzustecken, +das hatte sie verlangt, darum war es ihr zu thun, und darin mußte er +ihr zu Willen sein. In der Verwirrung seiner Lebensgeister zog er das +Tuch rechts und links, ohne ihm die gehörige Lage geben zu können. Die +Gret rief: »Daß 's fei' recht en d' Mitt nei' kommt!« Denn grad in der +Mitte des Rückens muß die Spitze befestigt werden, wenn das schöne +Dreieck herauskommen soll. Dieser Zuruf des offenbar etwas ungeduldigen +Mädchens traf den Burschen. Das Tuch hing eben zu weit rechts. In +seiner Confusion that er instinktmäßig einen Riß gegen die Mitte, wobei +er die Kraft seiner Finger nicht erwog, und -- ein Fetzen des Halstuchs +blieb in seiner Hand. + +Nun riß aber auch die Geduld der guten Margret! Nachdem sie so weit +gegangen -- nachdem sie ihm auf eine Art entgegen gekommen war, daß +der Einfältigste hätte begreifen müssen -- ihr, anstatt ihren Wunsch +zu erfüllen und ihr um den Hals zu fallen, das schöne neue Halstuch zu +zerreißen -- das war denn doch in Wahrheit »dümmer, als verlobbt ist.« +So einen Menschen zum Mann zu kriegen, ist am End auch kein großes +Glück, und -- -- sie hatte sich umgedreht, sah den Fetzen in seiner +Hand, sah das Gesicht halb verlegen, halb lächelnd gegen sie gewendet, +und rief erzürnt: »Du bist aber doch o'gschickter als der Deufel! So a +Mannsbild! Gang nor glei (gleich) morga' zom Schulmoester ond loß d'r +dei' Schuelgeld widder rausgeba'; denn des ist net verdeat (verdient) +woara!« -- Das war auch nicht höflich, und so etwas hatte Michel noch +nie gehört. Er wurde seinerseits ärgerlich und entgegnete: »I hab d'r +ja gsakt, daß e mit deam Zuig (Zeug) net omganga ka' -- w'rom trägst +mer's auf?« Und mit stolzem Selbstgefühl setzte er hinzu: »I hab ebbes +anderst's z'doa' en der Welt, als da' Mädla' d'Halstüacher na'zmacha!« +-- Die Gret sah ihn achselzuckend an und sagte: »Ja, des glob' e!« -- +Der Bursche fühlte einen Drang, sich von jedem Vorwurf rein zu waschen; +deswegen, den Fetzen emporhaltend, bemerkte er: »Des Tuech doh, nemm +mers net übel, ist aber oh nex nutz gwesa'! 'S ist eba' widder so a +nuimodischer Lompazuig (Lumpenzeug), so dent (dünn) wie Spennawett +(Spinnweb)! Mei'r Mueter ihr Halstuch wär' m'r net in der Ha'd +blieba'.« -- + +Das Mädchen wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen. Sie hielt an +sich und erwiederte: »Du host natürlich Rehcht! Ma' woeß ja, doß d'r +Gscheidtst bist en der ganza' Gmoed (Gemeinde). -- So, ietz ka'n e +mit 'm verrissenga' Halstuech hoemganga'!« -- Michel, der einmal in +den Schuß der Dummheit gekommen war, verstand die letzte Rede wieder +falsch. Er trat mit ritterlicher Intention einen Schritt näher und +sagte tröstend: »Doh brauchst de net z'kränka'! -- ih ka' d'r scho' +a nuis kohfa!« -- Das gab ihm bei dem Mädchen den Rest. Wahrhaft +beleidigt, riß sie ihm den Fetzen aus der Hand und rief; »So viel Geld +hab' e no' übreng, um m'r a nuis Halstuch z'kohfa! I brauch nex von +dir, du oefältenger Mensch!« -- Sie wandte sich rasch ab und ging fort. + +Michel stand verdutzt. Er hatte eine dumpfe Ahnung, daß er doch +nicht ganz richtig gehandelt haben könnte. Ein Aerger erhob sich in +seiner Brust -- über sein Unglück, über die Hitze der Gret, über das +Mißgeschick, das ihn überall verfolgte. Indem er nachdenken wollte, +fühlte er, daß ihm heute auch das Denken nicht mehr geriethe. Er spürte +eine ziemliche Mattigkeit in seinen Gliedern, setzte sich auf ein +Felsstück und überließ sich der formlosen Bewegung seiner unmuthvollen +Seele. Endlich erhob er sich rasch und trat den Rückweg an; er wollte +doch sehen, wie's stehe und was zu thun sei! + +Als er an seinen Tisch trat, waren der Maurer und die Gret schon +fort; Kaspar erwartete ihn, unwissend, was er denken sollte, und +höchst neugierig was denn passirt sei. Die Gret sei zurückgekommen, +sehr ernsthaft und ärgerlich, und habe erzählt: sie hätte ihren +Fürwitz gebüßt, sie wäre in einer Grub am Felsen hingegangen und ein +spitziger Stein hätte ihr das Halstuch zerrissen. Er, Kasper, habe +nicht begreifen können, wie das zugegangen sei, und nach ihm, dem +Michel, gefragt; worauf sie zur Antwort gegeben, sie wisse nicht wo er +hingelaufen sei. Dann habe sie an ihrem Vater getrieben, sie müßten +nach Hause, sie habe noch etwas herzurichten auf morgen früh -- und der +Maurer sei mit ihr fortgegangen. »Was hot's denn geba'?« rief der gute +Bursche zuletzt mit dem Antheil eines Freundes, der das Seine gethan. +»Send'r (seid ihr) oeneng woara'n oder« -- »Jo«, rief Michel mit dem +Humor der Verzweiflung, »oeneng! -- Aus isch!« -- Kaspar fuhr empor. +»Was! -- aus?« -- »Aus«, erwiederte Michel, »wie'n e der sag!« -- »Aber +wie hot's denn ganga'? So verzähl m'r doch!« + +Unser Bursche war gedrückt von dem Unstern, den er gehabt, von dem +Unwillen, der in seiner Seele emporschwoll -- er mußte sein Herz +erleichtern, und er wollte dem treuen Kameraden Alles vertrauen. Wie er +erzählte, daß er in der Grube über die Gret hinausgelaufen sei, machte +Kaspar Bewegungen, als ob er das Gliederreißen hätte. »Nausgloffa?« +wiederholte er mit unwilligem Staunen; und den Zorn des Gewaltigen +riskirend, setzte er entrüstet hinzu: »O du dommer Kerl! Host denn net +gseha', wos die gwöllt hot?« -- »No, was denn?« fragte Michel. Und +Kaspar fuhr fort: »Fanga' hättsch (hättest du sie) solla' -- ond d's +Maul hättst aufdoa' solla, wann's ghett hättst! Desdawega' hot's de +rausgfoadert!« -- Michel war betroffen; die Sache leuchtete ihm ein, +und nur kleinlaut sagte er: »Moest?« -- »Ach, i bitt' de!« rief der +Kamerad höchst verdrießlich. -- »No, verzähl weiter!« + +Michel erzählte das Uebrige. Kaspar sah ihn an, wie einen, bei dem's +nicht recht richtig ist, und brach in ein lautes Gelächter aus. +»Lieber Michel«, sagte er endlich, »nemm mer's net übel, aber dir +muß ma' da' Dippel boara' (der Düppel bohren)! Was! doh host no' nex +gmerkt?« -- Unser Bursche, einmal auf dem Wege der Selbsterkenntniß, +begriff -- und ein dumpfes Schamgefühl begann in ihm aufzuquellen. +Allein seine Handlungsweise hatte doch auch ihre Gründe, und zu +seiner Rechtfertigung mußte er sie geltend machen. »Aber i sag d'r«, +entgegnete er etwas verlegen -- »ihr Halstuech ist wärle verschoba' +gwesa'! Ond i hab gmoet« -- -- »Ietz höar auf«, rief Kaspar »ond +ärger' me net! Die hot se ebbes om ihr Halstuech kümmert! Des ist 'r +aufglega'! -- no' derzue bei der Nahcht, wo's koe Mensch sicht!« + +Bei dieser Hinweisung auf die Nacht ward es Tag in unserm Burschen. +Er schämte sich in den Tiefen seiner Seele, und ein großer Verdruß +über sich selbst erhob sich in ihm. Indessen wenn man angegriffen ist, +muß man sich doch vertheidigen, und darum sagte er: »'Smag sei'! Aber +'sist vielleicht besser, daß's so komma'n ist! Mit dem Mädle hab e +amol nex acks (als) O'glück -- und wear woeß« -- Kasper fiel ihm in die +Rede: »O'glück haba' nennt 'r des! Ietz wurd's mer zviel! Glück host +tausedmol meaner (mehr) as der Brauch ist -- -- aber (auf die Stirn +deutend) ~doh~ fehlt's!« -- Nach kurzem Schweigen setzte er hinzu: +»Ietz bitt' e de nor om oes! Verzähl m'r koem Menscha' nex dervo'! Ih +as dei' Kamrad mueß me schäma' für di! Du host de benomma, daß a wahra' +Schand ist! Wie a Dommkopf, wie a Sempel, wie a -- --« + +Der gute Kaspar wollte die Gelegenheit der Vernichtung Michels benutzen +und sich für die Grobheiten, die er von ihm schon anzuhören gehabt +hatte, entschädigen. Aber nun wurde es dem Enakssohn zu bunt. Er +richtete sich empor in seiner ganzen Macht und rief mit dunkelbraunem +Gesicht: »Ietz sei mer still, oder i schmeiß de onter da' Dihsch +(Tisch) nonter, doß d's Aufstanda' vergischt! Kott's Höllablitz! +-- Willst me du oh no' verzürna'? -- I hab mei' Lebteng mit deana +Lueders-Weibsbilder nex z'doa ghett -- wie sollt' ih ihr' Ränk ond +Schwänk kenna'?« -- Kasper, zur Mäßigung gemahnt, versetzte mit Humor: +»So got's eba'! Wer nex lernt, der ka' nex!« -- »Was doh«, rief Michel +unmuthig. »Falsche Ohser sends alle mit anander! I ben froa', daß so +ganga'n ist, ond meiner Lebteng loss' e me ietz mit koer mea' ei'! Aus +isch!« -- Er ergriff die Bitsch, leerte sie auf einen Zug, stand auf +und rief mit dem alten Herrscherton: »Ietz komm!« -- Er ging. Kasper +folgte. + +Auf dem Heimweg schüttelte der Erfahrene noch zu wiederholtenmalen den +Kopf. Es war freilich beinahe nicht zu glauben, wie der Kamerad sich +benommen hatte. Aber abgesehen von den Gründen, die er selber angab, +war er ein Deutscher und hieß Michel. Er war ein Schwabe und erst +sechsundzwanzig Jahre alt. + + + Beim Tanze. + +Als die Gret am andern Morgen in ihrem Bett erwachte, überlegte sie +bei dem heitern Schein der eben aufgegangenen Sonne die Vorfälle des +gestrigen Abends in ihrem Zusammenhang und ihrer Steigerung -- und +brach in ein helles Gelächter aus. Nichts in der Welt kam ihr so +närrisch vor wie der gute Michel in seiner Einfalt. Was sie gestern +erzürnt hatte, das erschien ihr heute unendlich lustig, und um keinen +Preis hätte sie sich ihr zerrissenes Halstuch abkaufen lassen. »O ist +des a gueter Kerl!« rief sie, Lachthränen in den Augen. »Ist des a +dommer Mensch!« + +Mit dem Unmuth war aber auch die Geringschätzung, die sie gegen ihn +empfunden hatte, völlig aus ihr gewichen. Die Heiterkeit stimmte sie +zur Milde, zur Gerechtigkeit. Sie fühlte, wie gut ers eigentlich +meinte, wie durch und durch ehrlich er war, und wie ihm nur die rechte +Art fehlte. Ihre Seele hing an seinem Bilde, wie das Aug einer Mutter +an ihrem Kind, mit liebend mitleidigem Antheil. »G'scheidt ist er +freile net,« sagte sie endlich, »ond wie ma' mit da' Mädla'n omgot, des +woeß er gar net. Aber was schadt's? 'S ist am End besser, er lernt's +von mir, als wann ers scho' von 'r andra' glernt hätt!« + +Da sie die Schwäche des Burschen von der schönern Seite betrachtete, +so leuchtet ein, zu welchem Schlusse sie kam. Sie wollte ihn durchaus +nicht aufgeben, ihm vielmehr Alles verzeihen und bei der nächsten guten +Gelegenheit sich alle Mühe geben mit einem neuen Versuch. »'S ist +freile net en der Oarneng (Ordnung),« sagte sie mit etwas bedenklichem +Gesicht, »daß d's Mädle widder a'fangt. Aber was ka'n e macha'? 'S got +amol net anderst, ond a jeds mueß doa', was eba' ka'! -- So o'stearisch +(unsternisch, unglücklich), wie desmol,« setzte sie erheitert hinzu, +»wurds ja doch net allmol ganga'!« + +Es hatte einen ganz absonderlichen Reiz für die muntere Gret, den +dummen prächtigen Michel zu gewinnen. Sie lächelte holdselig für sich +bei diesem Gedanken, ihre Augen glänzten und schelmisch verlangend +rundeten sich die schönen rothen Lippen. + +Vergnügt kam sie in die Stube. Als sie nach der Begrüßung des Alten +wieder an Michel und sein Benehmen dachte, konnte sie sich nicht +enthalten, für sich hinzulachen. Ihr Vater sah sie verwundert an und +sagte: »Was host denn? Du bist ja gwihß net gscheidt?« -- Die Gret +erwiederte: »'S ist m'r grad ebbes ei'gfalla'!« -- »Gang weiter,« sagte +der Maurer, der nicht zu den scharfsichtigsten Menschen gehörte, »du +bist a verruckts Mädle! Mach lieber, daß mer a Supp krieget ond zom +Schneida' kommet!« + +Anders war die Nachwirkung des gestrigen Abends bei dem Burschen. Auch +er sah klar an dem hellen Morgen, aber bei ihm erzeugte die Klarheit +nicht Heiterkeit und Milde, sondern grimmigen Verdruß und Wuth über +sich selbst. Schon ~Göthe~ hat hervorgehoben, wie der arme Mensch, +des Morgens im Bette erwachend, in der Passivität des Daliegens den +Pfeilen der Selbstanklage und der Reue wehrlos preisgegeben ist. +Michel, in dem Nachtheil seiner Lage, erkannte aufs deutlichste, wie +dumm er sich gestern benommen; Scham färbte sein Gesicht, er strampfte +mit dem Bein, daß die Bettstatt krachte. »O du Ochs«, rief er aus und +gab sich einen Schlag vor die Stirn, der einer minder harten gefährlich +werden konnte. »So domm sei'! -- net seha', was d's Ohs will, ond +globa', sie will des, was sie sakt! Als ob's net grad allmol ebbes +andersts wölla' dätet, die -- --! -- Ietz kenn e's (ich sie) auf oemol +-- ietz, wo's nex mea' hilft!« + +Michel, wie der Leser schon gesehen, war hinterdrein immer um ein +Gutes klüger als vorher; er machte sich seine Erfahrungen in Wahrheit +zu nutze, er ging vorwärts, und es war darum keineswegs an der +Durchbildung seines Verstandes zu verzweifeln, wenn man ihm nur Zeit +gab, die hiezu nöthige Zahl von Erfahrungen zu machen. Das ist aber +eben das Schlimme bei dieser gründlichen Art der Entwicklung, daß man +oft gewisse Einsichten erst zehn Jahre später erlangt, als wo man sie +brauchte, und unter solchen Verhältnissen gar vieles unwiederbringlich +verloren bleibt. + +»So a Glegenheit«, murmelte der Bursche für sich hin. »Moets so guet +mit m'r, richt't mers na' -- a'n oezengs Wöartle, ond mei' wär's! -- +Ond ih ben so hihra'dippleng und verreiß 'r d's Halstuech! Noe (und er +brach selber in ein Lachen aus) so 'n oefältenga' Menscha' gibts en +der Welt nemmer! Des ist gar net möglich! -- Natürlich isch wüadeng +woara', des begreift se -- über so'n Esel! Die möcht' i oh seha', die +doh d'Geduld net verliera' dät!« -- + +Er versank in tiefes Nachdenken. »'Sist verloara'«, begann er aufs +neue, »ganz ond gar verloara'! So'n domma' Menscha muß ma verachta', +'s got net anderst; ond wo amol koe Respekt mea' ist, doh hot's mit d'r +Liab a'n End! -- O, i wott glei« -- -- + +Er sprang auf, zog sich an, und murrte dabei fortwährend über sich +selbst. -- Als er in die Stube trat und der Mutter guten Morgen bot, +sah ihn diese an und sagte: »Wie sikscht denn du ha'et aus? -- Du host +g'wiß gestert z'tief en d'Bitsch nei'guckt!« -- Michel war froh, die +Alte auf dieser Fährte zu sehen, und dichtete sich einen Katzenjammer +an, obwohl mindestens das doppelte Quantum des gestern Getrunkenen +erforderlich gewesen wäre, ihm eine Andeutung davon zu geben. »Ja«, +erwiederte er, »i ben a bisle z'weit ganga'! Aber (setzte er mit saurem +Gesicht hinzu) i hab a Lear (Lehre) kriegt, ond wear me a'nandersmol +hüeta'!« + +Als er nach dem Frühstück auf's Feld hinausging, dachte er: »Ietz nor +Alles ha'et, als dem Mädle net begegna'!« Er empfand eine grausame +Scheu, das Gesicht zu sehen, das er sich nicht anders als höhnisch +denken konnte und dessen bloße Vorstellung ihm schon einen Stich +ins Herz gab. Unbehelligt kam er an seinen Acker, und froh über +dieses Glück schnitt er rüstig in Gesellschaft seiner Mutter und +einer Taglöhnerin die zeitgemäße Gerste. Aber seine Furcht war doch +eine Ahnung dessen, was kommen sollte! Da sie den Acker noch fertig +schneiden wollten, so gingen sie erst spät zum Mittagessen heim. Michel +blieb in Gedanken zurück, und wie er in die Gasse einlenkte, kam +ihm die Gret entgegen. Er erschrak, und sein Gesicht zeigte eine so +komische Mischung von Verlegenheit, Verdruß und Empfindlichkeit, daß +das Mädchen, als er ohne zu grüßen an ihr vorüberschritt, sich nicht +anders helfen konnte -- sie mußte grad hinaus lachen. + +Es that ihr unendlich leid, sobald es geschehen war. Sie fühlte, daß es +jetzt zu Ende sei mit ihm, und daß ein Wunder geschehen müßte, wenn er +ihr dieses Lachen verzeihen sollte! -- Sie schalt sich selbst, wurde +sehr ernsthaft und beruhigte sich endlich nur in dem Vorsatz: für jetzt +sich zurückzuhalten und Alles in Geduld zu erwarten. + +Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Michel war im Tiefsten beleidigt. +»I habs ja gwißt«, sagte er schamerglühend zu sich selbst, -- +auslacha' wurd's me! -- No, ietz isch aber verbei, -- ietz sig e's +nemmer a' meiner Lebtag! I ben a'n Esel gwesa', daß e denkt hab', sie +hält doch ebbes auf mi! Wean ma' so auslacht, auf dean hält ma'n ebbes, +ja wohl! -- Nia hot ma'n ebbes auf 'n ghalta'!« + +In seiner gerechten Entrüstung ging er zu dem Kameraden und erzählte +ihm, was ihm passirt sei und was er nun denken müsse. Kasper wollte +die Schlußfolge Michels nicht gelten lassen; aber dieser machte ein +Gesicht, daß er seine Einwendung gern fallen ließ und meinte: es könnte +doch so sein! -- Gewisse Leute finden immer Beistimmung. + +Michel faßte den Entschluß, die Gret nicht nur ihres Weges gehen zu +lassen, sondern gar nicht mehr an sie zu denken. Zunächst wurde er aber +doch noch an sie erinnert. Seine Mutter erfuhr nämlich im Lauf der +Woche von einem Nachbar, Michel sei am Sonntag beim Maurer und seiner +Tochter gesessen, er sei recht »lebendeng« gewesen, und es habe just so +ausgesehen, als ob ihm die Gret gefiele. -- »Des gäb' a rechts Baar«, +hatte der Wohlwollende hinzugesetzt, -- »doh müsset 'r a Bisle helfa'!« +-- Die Alte war sehr erfreut über diese Nachricht und nahm sich gleich +vor, bei guter Gelegenheit auf den Busch zu klopfen und zum Zwecke zu +reden. + +Als sie einen Tag darauf nach dem Essen allein in der Stube waren, +begann sie mit jenem Lächeln, das nur Müttern eigen ist, wenn sie auf +eine ihnen genehme Liebschaft des Sohnes anspielen: »Des mueß ma' doch +saga', d's Maurers Margret ist doch ietz d's erst' Mädle em ganza' +Doraf! Wie die so gschickt ist ond wie der Alles aus der Ha'd got! +'Sist wärle zum Verwondra'!« -- Michel blieb stumm. -- »No, isch net +wohr?« fuhr die Alte fort und sah ihn an. -- »'S ka' sei'«, entgegnete +Michel. -- »Die Gschwendne (Geschwindigkeit)«, begann die Mutter +wieder, »hab' e no' net leicht gseha' bei 'm Mädle! Sie schafft für +zwua (zwo, zwei).« -- »Mei'daweg für drei!« versetzte der Bursche. +Die Alte wollte aus dieser Antwort entnehmen, Michel schäme sich zu +bekennen, und fuhr fort: »Wer die zom Weib kriegt, deam isch net gfehlt +-- der hots troffa' -- noch mei'r Moeneng!« -- »I wensch 'm Glück +derzue«, bemerkte der Sohn ohne aufzusehen und mit einem Ton, der der +Alten doch befremdlich klang. »No, was host denn ietz?« rief sie; und +lächelnd setzte sie hinzu: »bist net amol aufrichteng mit dei'r Mueter? +I will der's nor saga': die Great wär a Mädle für dih, ond wann de a +Bisle om se rommacha' dätst« -- -- + +Michel sah auf mit unmuthigem Gesicht. »Die Great«, erwiederte er kurz, +»wär die Letscht (Letzte), die i näam (nähme)!« -- »Aber worom denn?« +rief die erstaunte Alte. -- »Weil's a'n Ohs ist«, war die Antwort, »ond +weil e's net leida' ka'!« + +Die Mutter wollte ihren Ohren nicht trauen. »Aber du sollst de ja +beim brauna' Bier recht guet mit 'r onderhalta' haba'!« -- »Descht +(das ist) a domma' Schwätzerei -- weiter nex!« entgegnete Michel. Und +indem alle Schmach, die er erfahren, in seiner Seele brannte, rief er +mit Nachdruck: »Von deam Mädle red m'r nex mea' -- i will nex von 'r +höara'!« -- Die Alte war bestürzt und schwieg einen Moment still. Dann +sagte sie mit einem Klageton, der aus der Seele kam: »Aber sag m'r nor, +willst denn ietz barduh (partout) net heiricha'? Magst denn gar koena'? +Soll e meiner Lebteng koe Söhnere mea' ens Haus kriega'?« -- Dieser +Ton traf den Burschen; -- und da es die Mutter doch so gut meinte und +vielleicht die einzige Person in der Welt war, die es gut meinte mit +ihm, so ging er auf sie zu, nahm sie bei der Hand und sagte von Herzen: +»Mueß denn aber grad gheiricht sei'? I hab ja a brava' Mueter, die m'r +nex ahganga' (abgehen) loßt and bei ders m'r wöller ist, als bei so 'r +jonga Butzdock (Putzdocke)!« -- »Ach«, erwiederte die Alte, die sich +doch etwas geschmeichelt fühlte, »wann e aber stirb, was nocht?« -- »Du +lebst länger als ih«, rief Michel, nickte versichernd -- und suchte das +Weite. + +Wie vorsichtig die gute Frau war, und wie sehr sie eine Scheu empfand, +über ihren Michel ein Gerede zu veranlassen, das ihn erzürnen würde -- +den Widerspruch zwischen der Erzählung des Nachbars und dem Benehmen +des Burschen konnte sie doch nicht verwinden. Sie erkundigte sich +gelegentlich bei dem Kameraden. Dieser spürte kein Verlangen, die +Wahrheit zu sagen und unter Umständen die Kraft der Michelschen Fäuste +zu empfinden; er erwiederte, sie hätten allerdings eine Ansprache mit +dem Maurer und seiner Tochter gehabt, aber diese hätte dem Michel ein +paar spöttische Reden hinausgegeben, das habe ihn geärgert und nun sei +sie ihm zuwider. -- Die Mutter seufzte und resignirte noch einmal. Zum +Nachbar sagte sie: »Desmol hont 'r falsch gseha'!« Der Alte meinte: +»Nocht wurd's halt d's brau' Bier gwesst sei', was 'n so monter gmacht +hot!« -- »Des glob' e ehr«, entgegnete die Mutter -- und die Frage war +abgemacht für sie. + +Die Erndte ging ihren Gang. Das letzte Fuder Hafer war ins Dorf +gefahren, und das Verhältniß zwischen Michel und der Gret noch +das alte. Mit dem Maurer wechselte der Bursche die gewöhnlichen +Grußformeln. Begegnete er dem Mädchen, so spielte er mit Erfolg einen +Menschen, der ganz in seine Gedanken verloren hinwandelt, und sie ging +mit dem Ernst der Ergebung an ihm vorüber, mit wiederholtem innigem +Bedauern über ihr unglückseliges Lachen und mit erneuertem Vorsatz, +bei der nächsten Gelegenheit, wenn ihr ja das Glück noch einmal wollen +sollte, sich so gut, so klug und so lieb als möglich gegen ihn zu +benehmen. + +Der Schneider hatte unterdessen seine Besuche und Huldigungen +nicht ausgesetzt, obwohl die Erntezeit, die ihn in einen Schnitter +verwandelte, sie nicht in solcher Häufigkeit zuließ wie früher. Er sah +zu seiner Verwunderung, daß sein Bäschen mehr und mehr ihre Munterkeit +verlor, sich hie und da in einem sonderbaren traurigen Nachdenken, +zuweilen auch in einer sehr ärgerlichen Stimmung betreffen ließ. Dieß +erschien ihm nicht wohl begreiflich, da sie doch nach seiner Ansicht +Alles hatte, was sie wünschen konnte, namentlich einen Liebhaber, der +deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er sich, wenn es sein mußte, +in einen Ehemann verwandeln könnte. Er setzte ihr Betragen indeß auf +Rechnung der bekannten weiblichen Launen und tröstete sich, daß sie +gehen würden, wie sie gekommen. + +Auf den ersten Dienstag nach der Ernte fiel eine Hochzeit, die, zum +Vergnügen der jungen Leute des Dorfes, im Wirthshaus gefeiert wurde. +Unsre Leser haben schon aus den frühern Erzählungen gesehen, welche +Rolle in der Sphäre ländlicher Ergötzungen die Hochzeiten spielen. +Die Dorfjugend mitten im Ries hat im ganzen Jahre nur zwei regelmäßig +wiederkehrende Tanzgelegenheiten: die Ortskirchweih und die Nördlinger +Messe. Zur Ergänzung der eignen Kirchweih machten ehedem Solche, die +Belieben darnach trugen oder von Verwandten eingeladen waren, die +eines und des anderen Nachbardorfes mit, was vorläufig durch die +büreaukratisch angeordnete Verlegung sämmtlicher Kirchweihtänze auf +Einen Tag, ins Reich der Unmöglichkeit verwiesen ist. Da ein paar +Tanztage im ganzen Jahr einer lebenslustigen Jugend nicht genügen +können, so werden natürlich die wirthshäuslichen Hochzeitsfeste mit +Freuden begrüßt und als ein Gnadengeschenk der Verhältnisse um so +dankbarer hingenommen, als auch sie schon seltener zu werden anfangen. + +Bei dieser Gelegenheit müssen wir bemerken, daß eben diese +Festlichkeiten für das gesellige Leben des Rieser Landvolks eine +Bedeutung haben, die wir gehörigen Ortes anerkannt zu sehen wünschten. +Es sind Mittelpunkte, wo sich Gäste aus den verschiedenen Dörfern +treffen, in fröhlichem Verkehr einander ihr Herz aufschließen und +neue Verhältnisse sich entspinnen, die auseinander wohnende Familien +wieder mit einem Bande der Verwandtschaft umschlingen können. Die +Thatsache, daß das Rieser Landvolk derselben Confession gewissermaßen +eine große Familie bildet, wird hier anschaulich gemacht und zu ihrer +Erhaltung immer wieder beigetragen. Wer dieß zu schätzen und die guten +Folgen solcher Mischung sich vorzustellen weiß, der wird um einiger +Rohheiten willen, die dabei vorfallen können, die aber meist nur dem +verzärtelten Geschmack als solche erscheinen, nicht die Axt an eine +Sitte gelegt zu sehen wünschen, die so viel Gutes mit sich bringt -- +von der Rekreation, welche der Bauer in Folge seiner ununterbrochenen +Thätigkeit doch ebensosehr bedarf als verdient, ganz abgesehen. +Es ist immer nur Schwäche, die, um den Mißbrauch zu verhüten, den +Gebrauch aufheben will; Schwäche und Unfähigkeit, die sich bewußt +ist, auf positive Weise nicht helfen zu können, wo zu helfen wäre. +Durch die Vernichtung der überlieferten Sitte würde das Landvolk zur +Charakterlosigkeit, zur socialen Nullität gebracht werden -- und +mehr werth als diese, sollte man glauben, wäre ein selbstständig +ausgeprägtes Leben doch bei weitem, auch mit etwelcher Rohheit, die +ohnehin der fortschreitenden Cultur schon vielfach gewichen ist und +immer mehr wird weichen müssen. Wolle man doch ja sociale Zahmheit und +Dürre nicht gewaltsam herbeiführen! Es ist möglich, daß sie von selber +kommt, früher und vollständiger kommt, als es sogar ihren jetzigen +Liebhabern lieb sein wird! -- + +Die Hochzeit war die eines wohlhabenden jungen Söldners mit der Tochter +eines kleinen Bauern. Die Familie Schwab gehörte zur »Freundschaft« des +letztern -- es war daher unumgänglich nöthig, daß ein Glied derselben +als Gast an der Feier theilnahm, um so mehr, als der Bauer vor Zeiten +auch den Ehrentag der Wittib mitgefeiert hatte und die Schicklichkeit +eines Ersatzes in die Wagschale fiel. Wenn der Brauch will, daß ein +Geladener dem Freund oder guten Bekannten »auf die Hochzeit gehe« und +»auf die Hochzeit schenke«, d. h. einen verhältnißmäßigen Geldbeitrag +zum Beginn der Wirthschaft liefere, so will er nicht minder, daß +dem Gaste bei Gelegenheit seiner eigenen Verbindung oder der eines +Blutsverwandten die Ehre und das Geschenk wieder zurückgegeben werden. +Der Brauch übt einen sanften Zwang zur Wiedervergeltung und fördert +so den Austausch reeller Höflichkeiten, indem er jedem abwechselnd +das Wohlgefühl des Empfangens und Gebens verschafft. Denn es bleibt +natürlich dem Rieser unbenommen, das, was die Sitte gebietet, aus +freien Stücken zu thun und in der Wiedervergeltung nicht eine bloße +Pflichterfüllung, sondern einen natürlichen Erweis der Großmuth zu +sehen, deren Freude es ist zu schenken und glücklich zu machen! -- + +Schon acht Tage vor diesem Fest hatte zwischen Michel und seiner Mutter +ein kleiner Kampf über die Frage begonnen, wer es mitmachen solle. +Michel wollte die Last der Mutter aufbürden, die Mutter wollte die Lust +dem Sohne gönnen. Die gute Frau kam eben, wenn auch nur im Stillen, +immer wieder auf den Wunsch und die Hoffnung zurück: es möchte ihm +Eine gefallen! Da nun im Dorfe selbst offenbar Keine so glücklich war, +so wünschte sie um so lebhafter, der Sohn möchte auf dieser Hochzeit +Jungfrauen aus andern Orten sehen, die nicht fehlen konnten. -- Das +Bewußtsein, als Mutter für sein Bestes sorgen zu müssen, gab ihr +diesmal in der That die Kraft zu widerstehen und seine Einwendungen +zu entkräften. Wie oft er auch wiederholen mochte: es mache ihm keine +Freude, er habe gar »keinen Luhst« dazu, es sei ihm grausam zuwider! +-- am Ende mußte er sich den Ermahnungen, womit die Alte ihm zuzusetzen +nicht müde wurde, dennoch fügen und in den sauern Apfel beißen. Zur +Verzweiflung gebracht rief er endlich: »No mei'daweg, i will ganga'! +Aber du wurscht seha', 's gibt widder ebbes. Denn der Deufel ist loas +ond loßt m'r koe Rua'!« -- Die Mutter war zu vergnügt über seinen +Entschluß, als daß sie dieser Rede weiter nachgedacht hätte. + +Ob Michel sich deswegen so lange sträubte, weil er erfahren hatte, daß +auch die Gret auf die Hochzeit kommen würde -- oder ob er deswegen +endlich nachgab -- wer konnte es wissen? -- Der Kamerad, den er von +dem Streit mit der Mutter in Kenntniß gesetzt, machte ihm gelegentlich +und vorsichtig jene Mittheilung, indem er hinzufügte, nun würde er +gerade auch darauf gehen und dem Mädchen zum »Tort« sich um eine andere +herummachen, was sie gewiß recht ärgern würde. Michel hatte indessen +geantwortet, er kümmere sich um das Mädchen überhaupt gar nichts mehr, +und später diesen Gegenstand nicht wieder berührt. -- Sei dem, wie ihm +wolle -- er folgte der Alten, und mußte sich am Hochzeitsmorgen mit dem +Gedanken der Nöthigung doch schon einigermaßen versöhnt haben, denn +er wusch und putzte sich nach Kräften und zog sich so stattlich an, +als es der Kleiderkasten zuließ. Wie er endlich vor seine Mutter trat +in schwarzen Hosen von Hirschleder, die kein Fältchen warfen und fast +bis eine Spanne über das Knie von den Stiefeln bedeckt waren, -- in +manschesternem Leibchen mit versilberten Knöpfen, im neuen, schwarzen, +baumwollbehaarten Barchentkittel mit flachen, thalergroßen Knöpfen +-- über das wohlgebundene dunkle Halstuch den feinsten Hemdkragen +gezogen und den Kopf mit dem landesüblichen Schaufelhut bedeckt -- +da ging der guten Frau das Herz auf und undenkbar schien es ihr, daß +so ein Mannsbild sollte durchs Leben gehen können, ohne ein braves +Weib glücklich zu machen und ohne eine würdige Nachkommenschaft +zu hinterlassen. -- Sie hatte eben in das Papierkäpselchen des +Gesangbuchs, das ihm auf dem Weg zur Kirche übergeben werden mußte, +einen großen Kupferzweier gesteckt, den er als »Opfer« in den +Klingelbeutel werfen sollte; nun wünschte sie ihm von Herzen gute +Unterhaltung und gab ihm geschwind noch ein paar Schicklichkeitsregeln +mit, ihn besonders ermahnend, daß er zu den Brautleuten sagen sollte: +»Ich gratuliere«, nicht: »Ich condoliere,« wie es einmal einem zu +seiner großen Schande passirt sei. Michel zuckte die Achseln und ging, +da es eben zehn Uhr schlug, in langsamen Schritten dem Wirthshaus zu. + +Eine Rieser Hochzeitsfeier hatte in jenen Tagen einen andern Verlauf +als jetzt, wo dem Geiste der Zeit verschiedene Glieder der alten +Ordnung zum Opfer gefallen sind. Wir müssen unsre Leser schon ersuchen, +zunächst eine Schilderung und Charakteristik derselben freundlich +aufzunehmen, da wir ohne eine solche in der Erzählung nicht so +verständlich sein könnten, als wir gerne wären. Abgesehen davon möchte +es den künftigen Riesern von Interesse sein, das, was die Alten fromm +und fröhlich getrieben, wenigstens aus einem Buch kennen zu lernen. +-- -- + +Wenn das »Ander gelitten«, d. h. wenn mit Einer Glocke das zweite +Mal vor dem Beginn der kirchlichen Handlung geläutet wurde, begaben +sich Bräutigam und Braut, Hochzeitknecht und Hochzeitmagd und die +nächsten Verwandten ins Wirthshaus. Der Hochzeitknecht trug einen +Säbel mit breitem farbigem Seidenband; er ist der Beschützer der Braut +-- eine Sitte, die aus Zeiten datirt, wo thatsächlicher Schutz noch +erfordert werden konnte. In der obern Stube angekommen nahmen sie +Platz am Bräuteltisch zunächst der Thüre und erwarteten die nach und +nach anlangenden Gäste, deren jeder zum Brautpaar trat und in würdigem +Ernste »zum Ehrentag und zum fröhlichen Kirchgang« gratulirte. Hatten +sich die Gäste eingefunden, so beschenkte die Hochzeitmagd sie mit +Rosmarin, und das Frühmahl wurde aufgetragen: Suppe, Rindfleisch und +ein Viertellaib des schmackhaften »Hochzeitbrodes.« Weißbier und +Branntwein (und zwar jenes den ganzen Tag durch) gehörten zum »Mohl« +(Mahl); Wein und braunes Bier wurden gegen Bezahlung gereicht. Den +behaglichen Genuß des Frühstücks erhöhten die Musikanten -- deren +es bei kleinen Hochzeiten viere, bei größeren sechse gab -- durch +Aufspielen ihrer schönsten Arien. Endlich wurde »zusammengeschlagen,« +d. h. mit zwei Glocken zum Kirchgang geläutet, Pfarrer und Schullehrer +kamen im Ornat zum Wirthshause und empfingen je eine Citrone und einen +Rosmarinstrauch, die männlichen und weiblichen Gäste, mit Rosmarin +schon geputzt, sonderten sich, und unter dem Vortritt der Musikanten, +die einen Marsch bliesen, begann der Zug vom Hofe des Wirthshauses in +die Kirche; die Männer mit Pfarrer und Schullehrer voran, die Braut an +der Spitze der Weiber vom Hochzeitknecht mit blankem Säbel geleitet. Am +Thore des Kirchhofs machten die Musikanten Halt, die weltliche Musik +verstummte, und der Zug ging über den breiten Weg des Kirchhofs, wo die +Gäste durch die Ihrigen mit Gesangbüchern versehen und von Verwandten +und Bekannten mit leckereigefüllten »Guckern« beschenkt wurden, in das +Gotteshaus. Bei der Trauung hatte der Hochzeitknecht seinen Stand zur +Seite des Paares, um die Braut nach Beendigung der kirchlichen Feier +sogleich wieder in Empfang zu nehmen. In derselben Ordnung, wie er +angekommen, ging der Zug zurück und vor dem Kirchthor stellten sich +die Musikanten, stattlich blasend, wieder an die Spitze. Im Hofe des +Wirthshauses bildete man einen Kreis, der Pfarrer nahm Glück wünschend +Abschied, und nun trat der Schullehrer in die Mitte, um seinerseits +in feierlichem Ton eine gereimte Anrede zu halten, worin er nach der +kirchlichen Ermahnung als Repräsentant des praktisch-moralischen Sinnes +die Bedeutung des Tages beleuchtete und mäßigen Genuß und ehrbare +Fröhlichkeit empfahl. + +In jeder Beziehung geistig versehen, begaben sich die Gäste in's +Haus, der Hochzeiter nahm die Hochzeiterin bei der Hand, führte sie +auf den Tanzboden und tanzte mit ihr drei Reihen allein, worauf +der Hochzeitknecht mit der Hochzeitmagd, und die übrigen schon +bereitstehenden Paare sich anschlossen. Wenn der Aufwärter zum +Mittagessen rief, setzte man sich in bunter Reihe an die Tafeln. +Jeder Gast fand bei seinem Gedeck einen »Hochzeitlaib« vor, und +nach einander wurde aufgetragen: Suppe mit weißen Semmel- und +braunen schmalzgebackenen »Knöpfen«, Rindfleisch mit Reis, Blut- und +Leberwurst, Leberkuchen und Bratwurst, endlich Braten. Nach dem Mahl +begann der Tanz wieder und dauerte bis zum Abendessen. Die ältern Leute +unterhielten sich trinkend und diskurirend oder zuschauend; die Braut +-- oder wenn sie tanzte, eines der ihrigen -- nahm Hochzeitsgeschenke +in Empfang, die ihr von Dorfbewohnern gebracht wurden, und wartete +ihnen mit Schnaps oder Wein auf. Die Dorfbewohner nämlich -- so +verlangte es die schöne Sitte -- waren ~alle~ geladen, auch den +ärmsten nicht ausgenommen, und wenn so einer nicht als Gast erscheinen +konnte, so schenkte er wenigstens nach Verhältniß seines Vermögens. + +Das Abendessen vereinigte Alle wieder in der Stube. Es gab zum +drittenmal Suppe -- Rindfleisch mit süßer Rosinenbrühe, Braten und +für jede Person ein Viertel Torte. Das »Mohl« war damit vollendet; +und jetzt nahm der Schullehrer die Aufmerksamkeit der Versammlung +noch einmal in Anspruch. Er hielt eine Rede, worin er (der gleich +dem Geistlichen seinen Antheil vom Bräutigam in's Haus gesendet +erhalten hatte) Gott pries, der sie so reichlich gespeist habe, die +Summe namhaft machte, die je ein Gast zu entrichten hatte, und den +Brautleuten mit einer feinen Anspielung auf das Läuten der Taufglocke +alles Glück und allen Segen wünschte. Während dieser Rede hatten sich +die ältern Schulbuben um ihren Meister gesammelt, die Musikanten +in der Nähe sich aufgestellt, und es ertönte zum Beschluß mit +Instrumentalbegleitung der Choral: »Nun danket Alle Gott!« + +In der feierlichen Stimmung, welche dieses Lied erweckte, sammelte +der Schullehrer mit einem Blutsverwandten des Brautpaars die +»Hochzeitschenk« ein, die von jedem erhaltene Summe genau notirend; und +der einmal geöffnete Geldbeutel durfte sobald nicht wieder geschlossen +werden. Zunächst folgte der Wirth, um die Bezahlung für das Mahl +(damals anderthalb Gulden und etwas darüber, jetzt über zwei!) in +Empfang zu nehmen. Dann erschienen nach einander der Aufwärter, die +Köchin, die Magd und das Mädchen, um die Gäste zu brandschatzen, die +aber ihrerseits auch zu immer kleinerer Münze griffen, bis zuletzt +in das Pfännchen des Mädchens Kreuzer und nur ausnahmsweise Groschen +geworfen wurden. Während diese Schaar sich entfernte, um schnell die +Beute zu überzählen und sich nach Verhältniß entweder zu freuen oder zu +ärgern, hielten die Musikanten ihren Umgang bei den Tischen, spielten, +was ihnen vorgesungen wurde, und zogen das Honorar ein, das in jener +Zeit um ein Ziemliches bedeutender ausfiel, als heutzutage. Die +Hochzeitgäste, vor allen die aus andern Dörfern, nahmen Abschied. Die +Brautleute begaben sich mit befreundeten Paaren in den Haustennen, wo +unter Absingung bezüglicher Liedchen nochmal getanzt und Wein gezecht +wurde. Der Bauer liebt die Gründlichkeit auch in der Ergötzung -- wenn +er sich einmal darauf einläßt -- und das Austrinken des Vergnügens +bis zum letzten Tropfen. Darum ließ sich nun der Bräutigam von den +Musikanten auch noch »heimmachen«, und in seiner Stube erst wurde +der Kehraus getanzt. Dehnte sich dieser zu lang, dann konnte Murren +unter den jungen Leuten des Dorfes entstehen, die sich zum »Ansing« +versammelt hatten. In der Regel aber hatte man diesen schon früher +ein paar Musici überlassen, und während in der Wohnung des Bräutigams +die Hochzeit endigte, war auf dem Tanzboden die freie Lustbarkeit der +Ledigen schon in vollem Gange, die früher erlaubtermaßen bis zum Morgen +dauerte. + +In der Ordnung des eigentlichen Festes, wie man sieht, waren +Geistliches und Weltliches verbunden wie zwei Elemente, die sich zur +Bildung eines Ehren- und Freudentages wechselseitig ergänzen sollen. +Jeder Moment war ausgefüllt mit dem, was den Bauer ergreift und über +die Prosa des Daseins erhebt. Nach der Weihe der kirchlichen Handlung +leitete ihn Musik zu dem Orte, wo er fröhlich den Tag verbrachte, der +Schullehrer, als Mittelsmann zwischen Geistlichem und Weltlichem, +sorgte für den Uebergang und lenkte nach der letzten Mahlzeit die +Herzen noch einmal zu einer ernsten Betrachtung des Tages zurück. +Die Naivität und, um es nur zu sagen, die geistige und gemüthliche +Gesundheit früherer Zeiten nahm an dieser Verflechtung der beiden +Elemente kein Aergerniß, und Schreiber dieses erinnert sich noch wohl +der ernsten, ja feierlichen Gesichter der Hochzeitgäste beim Absingen +des Kirchenliedes. Man muß die Natur des Bauers, die Derbheit seiner +Empfindungsorgane, die Hingebung an die Gegenwart -- und auf der andern +Seite die Einfachheit seines geistigen Lebens im Auge behalten, wenn +man über eine solche Ordnung gerecht urtheilen will. Der Bauer quält +sich nicht mit dem Gedanken, ob er nicht vielleicht Gott beleidige, +wenn er sich nach der kirchlichen Handlung dem Vergnügen überläßt; +er tanzt ohne Arg, dem Gebrauch und seinem Drange folgend. Und wenn +er nach der Lustbarkeit den Choral singen hört, so stört ihn nicht +die Frage, ob dies wohl auch in's Wirthshaus gehöre; er läßt, die +Lustbarkeit vergessend, den Gesang auf sich wirken, nimmt sich's dann +aber auch in keiner Weise übel, wenn die ernste Stimmung, in die er +versetzt war, nach dem Schlusse des Liedes selbst wieder ein Ende nimmt +und erneuter Fröhlichkeit Platz macht. Für ihn ist die sittegeregelte +Fröhlichkeit eben selbst eine Erhebung! Was ihm ein solcher Tag bietet, +ist ihm Kunst und Poesie; und so wenig man diese der gebildeten +Menschheit rauben darf, so wenig darf man dem Bauer nehmen, was sie ihm +ersetzt. + +In den letzten Jahrzehnten hat das Ganze dieser ländlichen +Hochzeitsfeier die Begleitung des Zuges durch die Musikanten -- die +förmlichen Reden des Schullehrers und das Absingen des Chorals nach +der Abendmahlzeit -- endlich das Tanzen im Haustennen und den Heimgang +der Brautleute mit Musik -- verloren. Das erste hat die Geistlichkeit +anstößig gefunden, das zweite scheint den jungen Lehrern, die das +Seminar gebildet hatte, nicht mehr gepaßt zu haben, das letzte +untersagte die Polizei. Das besondere Tanzen nach dem Abendessen hat +sich der Bauer indeß nicht nehmen lassen. Die Brautleute tanzen jetzt +in der untern Wirthsstube und lassen sich beim Abschied wenigstens zum +Hause hinaus blasen! + +Die Sitte des Volks ist ein natürliches Gewächs; wenn ihre Zeit +vorüber ist, läßt sie sich durch Befehle nicht mehr erhalten, und kein +Vernünftiger wird darüber klagen, daß das, was kein inneres Leben mehr +hat, dem Untergang verfällt. Was aber an überlieferten Gebräuchen vom +Volke selbst erhalten, mit Lust und Liebe erhalten wird, das sollte +weder von der geistlichen noch von der weltlichen Macht angetastet +werden, sofern es nicht einer männlichen, über Nervenschwachheit und +Pedanterei erhabenen Sittlichkeit widerspricht. Wollte man dem Bauer +die öffentliche Hochzeitsfeier mit Musik und Tanz verbieten, in der +Meinung etwa, daß ein solcher Tag in ernster Stille begangen werden +müsse, so würde das, außer dem schon erwähnten Uebelstand, für das +Rieser Landvolk insbesondere noch die Folge haben, daß die bäurische +Natur an Essen und Trinken Ersatz nähme und sich den Magen überladend +in dumpfer Gedankenlosigkeit hinbrütete, was nach der Angabe eines +glaubenswerthen Mannes in Tyrol geschehen soll, wo die geistlichen +Väter das Landvolk auch dem höhern Leben zu gewinnen glauben, wenn +sie ihm das Tanzen ausreden. -- Man veredle und bereichere den Geist +der Landleute, man befähige sie durch Bildung zu höheren und feineren +Genüssen, namentlich zu jenen würdigen und tiefsinnigen Gesprächen, wie +sie die Gebildeten bei ihren Diners zu führen pflegen -- dann werden +sie auf ihre Gebräuche und ihre noch immer beliebten Vergnügungen von +selber verzichten. Bis dahin aber lasse man ihnen ihre Sitten, ihre +Freuden und, was auch eine gar schöne Sache ist -- ihren Humor! + +Als Michel in die obere Wirthsstube kam, waren außer dem Brautpaar und +seinen Angehörigen nur erst wenige Gäste dort. Er trat stattlich zu den +beiden Glücklichen und sagte die Gratulation ohne Anstoß, worauf der +Dank mit einem gewissen ernsten Lächeln ausgesprochen wurde, welches +namentlich auf dem Gesicht der Braut zu bedeuten schien: Nimm dir +ein Exempel dran! An einem benachbarten Tisch hatten schon ein paar +ältere Männer aus dem Dorfe und eine Matrone von auswärts Posto gefaßt; +er setzte sich zu ihnen, um, da er nicht tanzte, wenigstens eine +vernünftige Ansprache zu haben. + +Die Gäste mehrten sich. Auf einmal trat auch die Gret ein, die in +der schwarzen Spitzenhaube und in dem dunkeln Anzug, wie ihn das +protestantische Landvolk bei ernsten Gelegenheiten zu tragen pflegt, +ein eignes feierliches Aussehen hatte. Allein nachdem das Auge rasch +die Tische überflogen, stimmte das helle Antlitz nicht mehr zu dem +ernsten Gewand; es glänzte froh dem Brautpaar entgegen und wünschte +schon Glück, ehe die Lippen sich öffneten. + +Michel hatte bei ihrem Eintritt in seinem Herzen einen kleinen Ruck +empfunden und konnte sich nicht enthalten, sie in der Stellung des +Gratulirens anzusehen -- und sie wieder schöner zu finden als alle +andern Mädchen und Weiber! -- Plötzlich verdunkelten sich seine Züge; +der Schneider war angekommen in funkelnagelneuem Tuchrock und sehr +vergnügten Gesichts. Er sprach einen Glückwunsch, der nur den Sinn der +alten Bauernformel enthielt, und setzte sich an die Tafel, an welcher +die Gret Platz genommen hatte, um sofort mit ihr einen Diskurs zu +beginnen. + +Das Fest begann und verlief nach der Regel, und die Gäste fühlten sich +bald wohl und wohler -- mit Ausnahme eines Einzigen. + +Michel hatte den Entschluß, die Gret nicht mehr anzusehen, während +ihrer vergnügten Unterhaltung mit dem Schneider erneuert. Beim +Aufstellen des Zugs ging er an ihr vorbei, ohne irgend von ihr Notiz zu +nehmen. In der Kirche sah er sich aber unwillkürlich zur Uebertretung +des von ihm aufgestellten Gesetzes verlockt. Der Pfarrer hob in seiner +Predigt die Bedeutung des Ehestandes so schön hervor; er sprach über +den Segen, der an diesen Bund geknüpft sei, mit solcher Weihe, daß +Michel instinktmäßig den Kopf nach der Gegend hinkehrte, wo die Gret +saß. Diese hatte den ihrigen just in entgegengesetzter Art gewendet -- +die Blicke trafen aufeinander. Obwohl er nun sein Haupt rasch wieder +in die alte Stellung zurückdrehte und eine Miene annahm, als ob nichts +geschehen wäre, so fühlte er sich doch ertappt, die Gret konnte von ihm +denken, Gott weiß was, ihn auslachen und ihn verspotten. -- Er war sehr +ärgerlich. + +Von da an war unser Bursche kein aufmerksamer Hörer der Predigt mehr, +und auch die Rede des Schullehrers ging ungewürdigt an ihm vorüber. Es +begann ihn zu reuen, daß er der Mutter nachgegeben; und nur mechanisch +ging er mit andern Zuschauern auf den Tanzboden. Was er da sah, war +gleichfalls nicht geeignet, ihn aufzuheitern. + +Als das Brautpaar die drei Reihen getanzt hatte, wirbelten bald zwölf +Paare herum -- und unter diesen der Schneider mit der Gret. -- -- +Alles was recht ist: der Schneider tanzte vortrefflich. Er kam dabei +sogar ein bischen größer heraus, sintemal er städtisch hüpfte; er +hatte die Gret fest am Kittel gefaßt und drehte sie kräftiger herum, +als man's ihm zugetraut hätte. Dabei schimmerte sein glattes Gesicht +in dem Vergnügen seines Herzens und in anmuthiger Selbstgefälligkeit, +so daß er allgemein gefiel. Nur unserm Burschen mißfiel er. Namentlich +war diesem das selbstgefällige Lächeln des kleinen Kerls in einer Art +zuwider, daß er's ihm gerne durch eine Ohrfeige vertrieben hätte, wobei +ihm Hören und Sehen vergangen wäre. Allein das ging nicht an, er mußte +seinen Verdruß hinunterschlucken. Er wäre in die Stube zurückgegangen, +wenn er nicht der Gret hätte zeigen wollen, daß ihn diese Tanzerei +durchaus nicht schenire! Das schien ihm aber seiner Würde gemäß. +Indem er ein gleichgültiges Gesicht zu machen suchte, gelang es ihm +wenigstens ein freudloses hervorzubringen, das an ihm Niemand auffiel. + +Eine Tänzerin wie die Gret ließ man dem Schneider nicht allein. Ein +andrer Lediger nahm sie ihm ab und drehte sich, wenn auch mehr auf dem +Boden, ebenso lustig mit ihr im Reihen. Michel hatte wenigstens die +Genugthuung zu sehen, daß das Mädchen mit diesem just so vergnügt, +ja fast noch vergnügter aussah, wie mit dem Nebenbuhler. Es kam ihm +der Gedanke, sie könnte den Schneider auch nur für'n Narren halten; +und das war ihm ergötzlich und erheiterte seine Züge. Ein Schmunzeln +der Schadenfreude umspielte seine Lippen, als er das Bürschchen aus +einer Ecke, und zwar mit einem gewissen Ernst im Gesicht, auf das +Paar schauen sah. Er verzieh ihm und konnte nicht umhin, die Tänzerin +wohlwollender und unbefangener zu betrachten. + +Die Gret, obwohl sie ihm nicht ins Gesicht sah, mußte doch etwas +gemerkt haben. Als sie wieder im Reihen an ihm vorüberging, glänzte +ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das ihm galt -- ein Lächeln, wie es +gefallen muß, kein falsches, sondern ein gutes Lächeln. Das Herz unsers +Burschen begann aufzuthauen. Aber es sollte noch besser kommen. Das +Wirthsmädchen hatte wiederholt zum Essen gerufen, die Musik verstummte, +mit einer Art von Gedränge gings der Thüre zu. Die Gret kam in die Nähe +des Burschen, sie schaute ihm ins Gesicht und sagte mit einem Tone, aus +welchem die Seele klang, zugleich heiter, weich und süß: »Godden Dag, +Michel! Bist oh auf d'r Hoaxet?« Michel konnte in der Ueberraschung +allerdings kein ebenso freundliches Gesicht machen -- gewissermaßen +brummte er nur sein Ja. Allein die Gret schien das nicht schlimm zu +deuten; vielmehr sagte sie: »No, mach de nor recht lusteng«, nickte ihm +aufmunternd zu und setzte sich an ihren Tisch. + +Das war denn doch freundlich! Da gebe sich einer nicht erneuerter +Hoffnung und glücklichen Empfindungen hin! -- Michel setzte sich an +seinen Tisch, und da er dem Frühmahl wenig Theilnahme geschenkt hatte, +so aß er jetzt im Verhältniß zu seiner Statur -- so ziemlich mit dem +Appetit eines Herkules. Ländlich, sittlich. Ein romantisch Gebildeter +hätte vielleicht nach einem so holdseligen Gruße der Geliebten lange +nichts gegessen und nur von dem geistigen Leben seines Herzens gezehrt; +-- unsern Burschen trieb eben die Seelenfreude auch zur Erfreuung des +Leibes. Das Mahl war vortrefflich -- die Schöpfung einer Wirthin, +die mehr nach Lob als nach Gewinn trachtete -- und er ließ es sich +schmecken, so lange der Appetit seine Kraft behauptete. Dies war lange, +da das braune Bier, das er sich geben ließ, sie wiederholt erneuerte. +Er fügte auch noch dem Braten eine ziemlich bedeutende Wunde zu und +konnte nur wenig »einwickeln« lassen, um es der Mutter heimzubringen. + +Die Genüsse des Mahles und das Glück der Liebe und der Hoffnung +harmonirten in ihm durchaus. Die Blicke, die er zu dem Tisch hinüber +warf, an dem die Gret saß, wurden immer herzhafter, und er fühlte sich +so wohl wie seit langer Zeit nicht. In seinem Behagen erfüllte er sogar +die Unterhaltungspflicht an seinem Tisch und sprach über die Preise, +die das Korn, der Roggen und die Gerste im Herbst haben und im Winter +behaupten würden, Gedanken aus, die, wenn sie nicht unfehlbar waren, +doch mit einer Miene gegeben wurden, als ob sie es wären, und bei den +ältern Männern lächelnde Zustimmung fanden. + +Der Tanz begann wieder. Michel hatte sich erhoben, und als die Gret von +einem dritten Burschen an ihm vorbeigeführt wurde, hatte er schon den +Muth, ihr mit einem gewissen väterlichen Wohlwollen zuzurufen: »Scho' +widder auf da' Da'zboda'! O uir (ihr) Weibsbilder!« -- »Was will e +doa'?« erwiederte die Gret. »Wer a'fangt, mueß furtmacha'!« Und nach +einem freundlichen Blick auf ihn ließ sie sich hinausführen. + +Michel ging nach Hause. Die Mutter sah ihn an und sagte: »No, es +schei't doch, 'sgfällt d'r!« -- »No ja,« erwiederte der Sohn, »'s ist +am End doch a Vergnüaga! -- Aber,« setzte er, das Eingewickelte auf +den Tisch legend, hinzu, »i hab' en Gedanka' verfluecht zuag'langt +ond breng d'r weng mit!« -- »Wann's d'r nor gschmeckt hot!« rief die +gute Alte; und heiter sagte sie: »Du host de am End gar oh scho' recht +lusteng gmacht (d. h. getanzt)?« Michel erwiederte: »Bis ietz no' +net. Aber wer woeß? Der Letscht hot no' net gschossa'!« -- Die Mutter +bemerkte: »Wie d'r (ihr) en d'Kirch ganga' send, hab e a baar Mädala' +gseha', die wära' wohl wearth, daß ma's romdreha' dät!« -- »I wills net +verreda',« erwiederte Michel. »Aber z'erst muß e no' a weng zecha'.« + +Als er wieder dem Wirthshause zuging, begegnete ihm Kasper vor einem +ochsenbespannten Pflug, durch dessen Lenkung er sich heute das +Vergnügen des Ansings verdienen wollte. Die Ochsen wurden zum Stehen +gebracht, der Kamerad fragte, wie sich die Hochzeit anlasse. Michel, in +der frohen Aufregung seines Herzens, erzählte, wie die Gret sich gegen +ihn benommen. Kaspers Gesicht erhellte sich. »Willst ietz no' allweil +zweifla',« rief er aus, »daß des Mädle a'n Og (Aug) auf di hot? O wann +e an dei'r Stell wär!« -- »Was soll e doa'?« fragte Michel. -- »Danza' +muest mit'r, wanns oh nor a baar Roea' wära't! Schwätza' muest -- en +d'Stub muasch (mußt du sie) füara', a Bodell (Bouteille) Wei' muest +komma' lossa -- Kott's Heidablitz! Wann's doh net got, nocht got's sei' +Lebtag nemmer!« + +Unser Bursche war bedenklich geworden. »I ka' d's Danza' net rehcht«, +entgegnete er, »ond du woescht, i hab' O'glück!« -- »O'glück!« +versetzte der Kamerad etwas ärgerlich. »Ietz kommt 'r widder mit dear +Ei'bildeng!« -- »Ja, ja,« sagte der gute Bursche, »'s ist doch so. +Mir got nex naus!« -- »Gang weiter! A Kerl, dem d'Mädla' nochloffet!« +-- Michel, obwohl von dieser Vorstellung erheitert, erwiederte: »Du +wurscht seha', 's wurd nex!« -- »Ja freile«, rief Kasper, »wann's +widder so machst, wie d's Wallerstoe!« -- »Ietz doh hab koe Sorg«, +versetzte der Bursche mit einem gewissen Selbstgefühl. »Des passiert +m'r nemmer!« -- Kasper knallte den Ochsen und rief im Abgehen: »Ha'et +Ohbed, hoff' e, ka'st m'r ebbes Nuis verzähla'!« -- »'S ka' sei'«, +erwiederte Michel und folgte den Tönen der Clarinette, die vom +Tanzboden herunter in die Gasse drangen. + +Michel fühlte, daß er nach dem offenbaren Entgegenkommen der Gret +einen Versuch machen und als tüchtiger Bursch handeln müsse. Bei +der Vorstellung indeß, wie er nun zu ihr gehen und sie zum Tanz +auffordern sollte, spürte er doch wieder eine eigenthümliche Bewegung +in seinem Herzen. Es fiel ihm ein, daß er beschlossen hatte, fürs +erste zu trinken und zu rauchen; er trat in die Stube, setzte sich, +zündete seine Pfeife an, und führte seinen Vorsatz männlich aus. +Nachdem er schweigend und diskurirend zwei fernere Maaß Braunes in sich +aufgenommen hatte, fühlte er sich gekräftigt -- muthig, lustig und in +einer Stimmung, wo er glaubte, daß ihm nichts fehlen könne. -- Der +Wirth und Bräuer war ein solider Mann und die Gerste seit einem Jahr +billig. + +Er ging auf den Tanzboden. Da er die Gret, die sich nicht in der Stube +befand, auch hier nicht erblickte, so war sie offenbar nach Hause +gegangen. Die Vertagung seines Unternehmens, welche dieser Umstand +nothwendig machte, war ihm nicht unlieb. Er sah den Paaren zu, die es +am besten konnten, und überzeugte sich, daß dieses Tanzen am Ende auch +kein Hexenwerk sei. Nachdem er genug gesehen, wollte er in die Stube +zurück; im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die Stiege -- und siehe, +an der Seite einer auswärtigen Freundin stieg die Gret herauf. + +Bei diesem Anblick fühlte er sich etwas überrascht. Auch sie erröthete +lieblich; aber in ihrem Herzen regierte der Muth der Liebe und der +Wille, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Sie ging auf ihn +zu und sagte gutmüthig fröhlich: »No, Michel, host no' net danzt?« Der +Bursche, der zu seiner Verwunderung fühlte, daß ihm wieder etwas von +seinem Unternehmungsgeist abhanden gekommen war, versetzte: »Allweil +no' net!« -- Er spürte einen gewissen Trieb, wieder in die Stube zu +kommen, und hatte schon seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt; aber das +Schicksal hatte es anders beschlossen. Die Gret fuhr fort: »Willst denn +aber gar net a'fanga'? Willst da' ganza' Dag dohsitza', ond romstanda' +auf 'r Hoaxet?« -- »Wie soll i danza'«, entgegnete Michel; »d's ganz +Doraf woeß ond du wursch (wirst es) oh wissa, daß e's net ka'!« -- »I +hab de aber doch früher scho' amol danza' seha'!« bemerkte die Gret. +-- »Ja wohl,« versetzte der Bursche mit einer gewissen Laune, -- »aber +wia?« -- »Auf oemol got nex en der Welt«, erwiederte das Mädchen +tröstend und ermuthigend. »Wamma'n ebbes lerna' will, mueß ma's öfter +probiera'!« -- Michel, dem in Abwehrungsfällen die Gründe nicht so +leicht ausgingen, versetzte: »Manch Sacha' ka' ma'n oh ganz bleiba +lossa, wamma' z'alt derzue ist!« -- »Kott's Blitz«, rief die Gret, +»wann e nor so ebbes höar! Z'alt zom Danza! A jonger Burscht wie du! +Schäm de doch!« -- Und indem sie ein wenig näher trat, sagte sie mit +aller Güte und Liebe -- mit einer Stimme, welcher der Durchbruch ihrer +Empfindung eine honigsüße Weichheit verlieh: »Komm Michel! -- probiers +mit mir!« Dem Burschen war es seltsam durch's Herz gegangen, er wußte +nichts zu entgegnen. »Komm!« rief das Mädchen heiter und zärtlich, +indem sie ihn bei der Hand faßte. Michel begriff, daß es im höchsten +Grade feig und in jeder Beziehung unschicklich gewesen wäre, jetzt +nicht zu folgen. Er wollte handeln wie ein Mann, er wollte sein Bestes +leisten -- und entschlossen führte er sie in den Reihen. + +Unser Bursche gehörte vermöge seiner Größe, seiner Stärke und seines +besonderen Wesens noch immer zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten +des Dorfs. Dergleichen in eigenthümlichen Situationen zu sehen, ist +interessant, besonders wenn man hoffen kann, daß die Schadenfreude ihre +Rechnung dabei findet. Wie nun einer in die Stube kam und sagte, der +»Schwoba-Michel« tanze mit des Maurers Gret, da verfügten sich schnell +noch etliche zu den auf dem Tanzboden schon befindlichen Zuschauern -- +begierig der Dinge, die da kommen sollten. + +Der Gang im Reihen war vollendet, das Tanzen begann. Die Gret wußte +sehr gut, welcher Aufgabe sie sich unterzogen hatte, und war nun darauf +bedacht, alle Kraft und Geschicklichkeit anzuwenden, um das Wagniß gut +hinauszuführen. Den Tänzer festhaltend leitete und drehte sie ihn, so +viel sie konnte. Daß ihre Arbeit nicht gering war, merkte sie freilich +bald. Micheln wohnte nur eine sehr schwache Ahnung vom Takte bei und +zu gleicher Zeit wirkte in ihm eine gewisse Centrifugalkraft, die ihn +immer der Wand zutrieb, so daß ihn die Gute nur mit Mühe im Reihen +halten konnte. Trotz alledem -- es ging. Die Kunst und die Liebe des +Mädchens triumphirten, und sie war sich dessen nach Beendigung des +Reihens mit Freude bewußt. + +Michel war sehr vergnügt. Jeder Spur von Furcht entledigt blickte er +frisch umher -- er begriff gar nicht, wie er diese Lumperei für so +schwer hatte halten können! »Siksch, es got!« rief die Gret, indem sie +ihn freundlich ansah; und er erwiederte allerdings: »Ja freile, wamma' +so a Dänzere hot!« -- aber er war doch überzeugt, daß er's konnte, und +sein Gesicht schrieb einen guten Theil des Erfolgs auf seine Rechnung. + +In dieser Stimmung wollte er's das zweite Mal noch besser machen. Er +wollte sich Mühe geben und alle die Kraft und Stärke anwenden, die +er in seinen Gliedern fühlte; denn das erstemal hatte er eigentlich +nur gespielt! -- Er arbeitete nun wie an einer Schanze und machte +Bewegungen, als ob er Centnersteine vom Boden lupfen wollte. -- Der +Gret wurde es saurer als das erstemal, ihn im Geleise zu erhalten, +und die Schadenfreude, die aus den Ecken lugte, fand eine reichere +Ausbeute. Man lächelte sich an und zuckte die Achseln. »Descht a +Mannsbild!« rief eine Bäuerin mit gedämpfter Stimme einem Nachbar zu, +-- »der macht widder a'n Arbet (Arbeit)!« Und der Andere versetzte: +»Er schafft, als ob er mit 'm Danza' sei' Brod verdiena' müßt! Gommer +(gehen wir) a bisle z'ruck, daß 'r es (uns) net doat (todt) tritt!« -- + +Der Bursche merkte davon nichts. In dem Bewußtsein der Mühe, die er +sich gegeben, meinte er seine Sache vorzüglich gemacht zu haben. Er +lächelte mit Stolz und erkannte in dem satyrischen Zuschmunzeln einiger +Kameraden nichts als den verdienten Beifall. Da die Gret diesmal +schwieg, um auszuschnaufen, so sagte er selbst zu ihr: »'S got doch +besser, als e gmoet hab!« -- Die Gret dachte in ihrem Herzen: »daß +Gott erbarm'!« -- behielt aber diese Meinung wohlweislich für sich und +erwiederte: »W'rom sott's net ganga'? Was ander' Leut könnet, wäara' +mer doch oh könna?« + +Gern hätte sie ihn gebeten, sich dessen ungeachtet etwas weniger +anzustrengen, die Sache sich leichter zu machen; aber sie wußte, daß +er nicht in der Stimmung war, diesen Rath gut aufzunehmen -- und für +den Moment wär's ohnehin zu spät gewesen. In dem Vergnügen, das ihn +belebte, in der Kühnheit, die sein Herz rasch emporwachsend erfüllte, +hatte er ein Lied begonnen. Ein Andrer war ihm zuvorgekommen; aber +dieser, ein kleiner Kerl, schwieg auf der Stelle, als er die Stimme +des Gewaltigen vernahm, und Michel sang das seine zu Ende, mehr kräftig +als schön, aber für seinen Zweck immer passirbar. Dann nahm er die Gret +bei der Hand, strampfte, daß der Tanzboden zitterte, »juxte«, daß seine +Nachbarn an die Ohren langten, faßte die Tänzerin und drehte sich mit +ihr »was host, was geift« (was hast du, was gibst du, so schnell etc. +als möglich). -- Und besser gings als das letzte Mal -- nach seiner +Meinung. Die Bethätigung des Kraftüberschusses, der in ihm wogte -- die +Freude, die Herzallerliebste herumzudrehen und es zu ~können~ -- +durchgoß ihn mit einem Wohlgefühl, wie er es nie empfunden. Herrlich +wars und prächtig gings -- bei weitem besser, als er sich's zugetraut +hätte! -- Jedenfalls hatte die Gret dafür gesorgt, daß er einmal die +Wand, an die er streifte, nicht einstieß und dann ein Paar, das vor ihm +den gewöhnlichen Bauernschritt einhielt, nicht über den Haufen tanzte. + +Die Heiterkeit der Zuschauer war bei dieser neuen Leistung nicht +geringer geworden. Ein sonnverbrannter Alter nickte ihm seine +Anerkennung mit gemüthlichem Faungesicht zu und rief: »Kreuzschwernoth, +Michel! du bist ja der erst' Dänzer em ganza' Land!« -- Michel, in +der Freude seines Herzens, entgegnete: »Net wohr, des hättet 'r m'r +doch net zuatraut!« -- »Wärle net«, versetzte der Alte. »So ebbes mueß +ma' seha, wamma's globa' soll!« -- Die gute Gret begann es zu reuen, +daß sie den Geliebten auf eine Bahn gelenkt hatte, wo er so schlechte +Ehre gewann. Aber vielleicht schlug er nun selber eine andere ein, +wo er Aussicht hatte, besser zu bestehen. Schon hatte die ungewohnte +Anstrengung seine Lungenflügel in Bewegung gesetzt und der Schweiß +rann von seiner Stirn. Vielleicht hörte er auf, nahm sie in die Stube +-- setzte sich zu ihr -- und es ereignete sich, was ihr alle Mühen und +Leiden tausendfach vergütete. + +Fürs erste ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Michel tanzte aufs +neue; und der Umstand, daß es wieder ohne Unglück ablief, steigerte +seine Lust und Sicherheit. Sein Hintermann, ein begüterter junger +Bauer, klopfte ihn auf die Schulter und rief: »Aber Michel, sag m'r +doch, wo host denn d's Danza' so glearnt?« -- »Was woeß ih«, erwiederte +der Bursche mit stolzem Behagen -- »auf oemal got's halt! -- Aber +Sapperment«, setzte er, die Augen sich wischend, hinzu, »doh stobbt's +(staubt's) ja, daß ma' kamm (kaum) sei' Dänzere sicht! -- ond des ist +doppelt schad', wamma' so a schöana' hot, wie'nih! -- He, Mädle!« -- +Er schaute sich nach dem Wirthsmädchen um, die den Staub mit Wasser +zu löschen pflegt; und da er sie nicht gleich erblickte, schrie er +aus Leibeskräften und jede Silbe breit ausdehnend: »Mädleh! Auf da' +Da'zbodah'! Spretzah'!« -- Unter allgemeiner Heiterkeit erschien die +Herbeigerufene, ein schnippisches Ding von sechzehn Jahren, mit einem +Kübel Wasser, und die Tanzenden traten auf die Seite. »So«, rief +Michel ihr zu, »spretz (spritz, sprenge) nor rehcht! D'r Deufel mag +doh danza'!« -- Das Mädchen sah ihn von der Seite an, murmelte was von +einem »Drieschlag«, langte mit der Rechten in den Kübel und schleuderte +herumgehend das Wasser auf den Boden. »Meaner, meaner (mehr)«, schrie +unser Bursche, der als ächter Bauer alles gründlich haben wollte. Das +Mädchen, durch den herrischen Ton gereizt, spritzte wahre Lachen. +»So, ietz isch gmua!« rief Michel, stellte sich fest hin, sang ein +Lied und tanzte auf dem erfrischten Boden mit erhöhter Lust, in einer +wahren Trunkenheit des Eifers und der Liebe zur Sache. Es ging besser +und immer besser. In dem Jubel seines Herzens, unwillkürlich sich +selber bewundernd, rief er mit strahlendem Gesicht: »Hopp hopp! hopp +hopp! Juhu!« -- -- Plautsch lag er da. Auf der nassesten Stelle war +er ausgeglitscht, in dem Schwunge des Tanzens war es auch der Gret +unmöglich gewesen, ihn zu halten; sie mußte ihn fahren lassen, um nicht +mitzufallen -- und der riesige Bursche »schlug hin« (wie der Rieser in +solchem Falle treffend sagt), daß der Boden krachte und ein Zuschauer +nur durch einen raschen Seitensprung sich vor Zerquetschung rettete. +Nach dem triumphirenden Hopphopp dieser Sturz, der Länge nach, auf die +Hinterseite des Leibes -- es war unmöglich, das Lachen zurückzuhalten. +Von allen Seiten des Tanzbodens, aus allen Winkeln, sogar von der +Treppe herauf (wo sich ebenfalls Zuschauer befanden) erschallte es laut +und selig; und nicht wurde es beschwichtigt, als Michel nach einem +grimmigen Fluch mit der Physiognomie der Wuth und der Scham aufstand, +wozu die Gret ihm behülflich war. Diese hatte mit etwas erschreckter +Miene einen Augenblick auf den Liegenden geschaut; jetzt, als sie ihn +wieder strack dastehen sah, wandelte sie das Lachen hinterdrein an, und +nur den eigentlichen Ausbruch zurückhaltend rief sie: »Komm, des macht +nex«, und wollte zum Weitertanzen seine Hand fassen. Aber Michel zog +sie heftig zurück. + +Der Bursche hatte die Empfindlichkeit des Sonderlings und Anfängers. +Ein flotter Tänzer wäre aufgesprungen, hätte mitgelacht und weiter +getanzt. Aber den Schüler dünkte der Sturz unauslöschliche Schande +-- das Selbstbewußtsein des Gewaltigen hatte einen Schlag erlitten, +der ihm schrecklich vorkam. Hinzufallen -- ausgelacht zu werden von +»einfältigen Weibsbildern, alten Eseln und elenden Buben«, und nicht +dreinschlagen zu dürfen -- das nehme ein Michel von der lustigen Seite! +-- Er trat in eine Ecke, seiner Ansicht nach für sein ganzes Leben +beschimpft. Und als die Gret ihm nachging und ihn aufs neue ermahnte, +doch fortzutanzen, entgegnete er hochverdrießlich: »Gang weiter! I +hab' d'r ja gsakt, daß e net danza' ka'! Du hätt'st me en Rua' (Ruhe) +lossa solla'!« -- Die Gret erwiederte begütigend: »'S ist ja ganz +guet ganga'! Für d's Falla' ka' ma' nex, des ka' n'm G'schicktsta' +passiera'! Komm! Wer net omwirft, der lernt net fahra'!« + +Bei ihrem heitern Wesen hatte das Mädchen nicht umhin gekonnt, ihm +diese Ermahnung mit einem Lächeln zu ertheilen, in welchem die +Schelmerei über die Gutherzigkeit den Sieg davon trug. Michel, dies +gewahrend, fühlte den schlimmsten Argwohn, den er haben konnte; und im +Unmuth desselben rief er: »Höar amol? -- suach d'r 'n andera' Narra' +-- ih mach d'r 'n net zom zwoetamol! -- Moest, i ben doh, daß e me +auslacha' ond da' Spoht auf m'r haba' loß?« -- Das Mädchen, durch diese +unerwartete Sprache betroffen und ihrerseits verletzt, erwiederte mit +vorwurfsvollem Ausdruck: »Wer hot denn da' Spoht auf d'r?« -- »Du!« +rief Michel, für den sein Argwohn schon eine bewiesene Sache war, mit +erzürntem Ton. »Falsch send 'r all mita'nander -- ond du bist die +fälscht (falscheste)!« -- Das war zuviel! Das Mädchen trat zurück und +sagte mit Verdruß: »Du bist halt a grober Kerl! Gang he' wo d' willst +-- ih mueß de wärle net haba' -- ih krieg scho' n andera' Dänzer!« +-- »Mei'thalb danz mit 'm Deufel«, rief Michel und ging mit starken +Schritte in die Stube. + +Die Gret war ernstlich böse. »So a'n o'gschickter Mensch -- ond +so grob ond so hochmütheng! Noe mit deam ist nex a'zfanga' -- i +mueß 'n aufgeba'!« -- Während sie diese Gedanken hatte, machte sie +mit weiblicher Geistesgegenwart gleich wieder gute Miene. In die +Heiterkeit, welche die letzten Worte Michels und sein wüthender Abgang +erregten, hatte sie halb mit eingestimmt. Nun zeigte sie ein Gesicht, +daß es schien, als ob sie ihn mit ihrem Tanzen wirklich nur zum Besten +gehabt hätte; und als eben der Schneider von Hause zurückkam, reichte +sie ihm, der sie schnell aufzog, ihre Hand und tanzte so gut und so +schön, als ob sie heute noch an nichts Anderes gedacht hätte. Als +der Zierliche von der Affaire des Michel hörte, rief er in seinem +Mischmasch von Dialekt und Hochdeutsch: »'S ist nicht z'globa', daß es +so ongschickt Menschen geba' ka'« -- lächelte selbstzufriedener als je, +begann noch flotter den neuen Reihen, rief ebenfalls Hopphopp und Juhu, +fiel aber nicht, sondern machte es so gut, daß ihm alle mit Vergnügen +zusahen. + +Das Gelächter, das unserm Burschen vom Tanzboden nachgeschickt worden +war, hatte nicht besänftigend auf ihn gewirkt. Tief ergrimmt setzte er +sich an seinen Tisch und patschte gewaltig mit seinem Bierkrug wegen +erneuter Füllung. Der Aufwärter eilte, ihn zu befriedigen. Einer der +beiden Alten, die in gemüthlichem Diskurs dagesessen hatten, schaute +zu ihm auf und rief: »No, Michel, w'rom machst denn du so a Gsicht auf +oemol?« -- Der Bursche, statt aller Antwort, that einen tiefen Zug aus +dem Maaßkrug. Ein dritter Alter, der mit dem Faungesicht, war von dem +Tanzboden hereingekommen und begann lächelnd: »Du host a kloes O'glück +ghett, Michel? -- No, no, desdawega' brauchst de net z'kränka'! 'S ist +scho' oft oer g'falla' beim Danza'!« -- »So so?« versetzte der erste +mit schlauem Gesicht, »des ist 'm passiert?« Und mit der Bosheit, die +sich ein alter Bursch gegen einen jungen wohl erlauben kann, setzte +er hinzu: »W'rom host denn aber dei' Dänzere net mit rei'brocht? Die +hot gwihß 'n rechta' Schrecka' ghett und hätt oh 'n Tro'k (Trunk) +zor Stärkeng braucha' könna', so guet wie Du!« -- »Oh«, antwortete +der dritte für Michel, der in stiller Wuth vor sich hinsah, -- »die +g'fohrts net (achtets nicht)! Sie danzt scho' widder!« -- »Welle isch +denn?« -- »Welle wurds sei'!«, erwiederte der dritte, »d's Maurers +Great!« -- »So!« bemerkte der erste mit einer Miene, als ob ihm ein +Licht aufgegangen wäre. Und kopfschüttelnd setzte er hinzu: »Ietz +gfällt m'r die Gschicht nor halb! -- Die hätt' de zor Noath halta' +könna', Michel, -- wann's gwöllt hätt'!« + +Durch diese Bemerkung sah der Bursche seinen Argwohn bestätigt, +er fühlte sich verkauft und verrathen und ließ eine »Schluap« +herunterhängen, daß es die Alten Mühe kostete, ihm nicht geradezu ins +Gesicht zu lachen. Nach einem Moment sagte der dritte mit ironischer +Tröstung: »Was doh! Gspäß müssa' trieba' sei'! Sott jong Mädla' sticht +manchmol der Uebermuth ond doh macha's eba' Norrheita'! A rechts +Mannsbild verzürnt se desdawega net -- er kriegt's oh widder amol +derfür!« -- »Ih« rief Michel in stolzem Unwillen, »ben d's erstmol ond +d's letztmol von 'r a'gführt -- dohfür stand e guet!« -- Der erste +bemerkte: »Ma' mueß nex verreda'!« Und vergnügt setzte er hinzu: »Wann +ih no' mein Zwanzger hätt' (noch in den Zwanzigen wäre), nocht wißt' e, +was e dät!« -- Michel versetzte: »I woeß oh, was e dua'!« -- Und mit +einem scharfen Blick und entsprechender Kopfbewegung setzte er hinzu: +»Globet 'r mers?« -- Der Alte lachte und sagte zu seinem Kameraden: +»Was send des für jong Leut ietz! Glei da Kohpf verliera'! Doh hont se +o's (haben wir uns) anderst gholfa' zu o'srer Zeit -- net wohr?« -- +Er stieß mit ihm an; der Andre brachte eine Geschichte in Erinnerung, +die dies bestätigen sollte -- Michel, dem das Vergnügen der »alten +Narren« höchlich zuwider war, trat zu einem jungen Burschen, der ihn +respektirte, und fühlte sich nach einem Gespräch mit ihm wieder etwas +beruhigt. + +Der Abend kam heran -- man setzte sich an die Tafeln, um das letzte +Mahl einzunehmen, das Interesse der Gäste wurde auf andre, wichtigere +Dinge gelenkt, und nach dem feierlichen Schluß des eigentlichen +Festes dachte mit Ausnahme der Nächstbetheiligten Niemand mehr an das +Zwischenspiel auf dem Tanzboden. + +Michel hatte wenig gegessen und demgemäß viel eingewickelt. Er blieb +in dumpfer Stimmung sitzen und handhabte nur von Zeit zu Zeit den +Bierkrug. Auf einmal erblickte er den Kasper an der Thür; er erhob +sich, nahm sein Eingewickeltes und ging auf ihn zu. »No?« fragte +Kasper, den die Neugier so früh zum Ansing geführt hatte, »wie stot's?« +-- »Nor still!« versetzte Michel, »i will d'rs glei verzähla'!« -- +Er führte ihn in ein gästeleeres Seitenstübchen, theilte ihm seine +Erlebnisse mit und fragte mit der Miene der Unfehlbarkeit: »No, was +sakst ietz? Hab' e Rehcht ghett -- hab' e O'glück mit deam Mädle?« -- +Kasper hatte große Mühe gehabt, bei der Erzählung ruhig zu bleiben; +aber auf diese Frage konnte er seine Meinung nicht zurück halten. +»Brueder«, rief er, »bedenk doch --« -- »Still!« fiel Michel, der +seine Absicht errieth, erzürnt ein, -- »red m'r nex zom Guata', oder +du machst me böas! -- Mei' Lebteng sig' es nemmer a' -- ond mei' +Lebteng gang e auf koe Hoaxet mea'!« -- »No, no«, erwiederte Kasper, +der wohl sah, daß ihm heute mit Ernst und Vernunft nicht beizukommen +war, lächelnd, »du wurscht doch auf dei' oegana' (eigene) ganga'?« -- +»Halt's Maul« rief Michel in Verachtung solcher Späße und stand auf, um +heimzugehen. Kasper fühlte die Pflicht, ihn zu begleiten. + +Unterdessen hatte das Tanzen wieder begonnen. Der Schneider ging im +Reihen, die Gret an der Hand, und sang ein lustiges Stückchen. Wie er +den Michel mit seinem Päckchen an der Stiege sah, war er nicht sowohl +schadenfroh als schadenselig, -- vom Siegesjubel hingerissen juxte er +und tanzte er fortjuxend, bis ihm der Athem ausging. »Doh siksch!« +bemerkte unser Bursche zu Kasper, während sie die Stiege hinuntergingen +-- »so a miserabler Schneider, dear gar net he'falla' ka', weil 'r +fliegt wie a Bettfeder -- des ist der recht Ma' für dia! -- No so +mei'tweg -- dean soll's oh haba'.« + + + Ende gut, Alles gut. + +Es ist eine eigenthümliche Sache um das Schicksal! -- -- Der Mensch +will an einem schönen, glückverheißenden Ziel anlangen, aber der Weg, +den er einschlägt, führt ihn nur weiter ab davon. Er nimmt die Lehre +der Erfahrung an, er geht, die täuschende Bahn vorsichtig meidend, +eine andere. Da gewahrt er, daß man durch Schaden immer nur sehr +verhältnißmäßig klug wird: der erprobten Falle entgehend, stürzt er +in eine andere. Er sieht den Zweck verloren. Wie sollte er ihn noch +erreichen? So und so hat er ihn verfehlt. -- Auf einmal bringt ihn +sein guter Genius in eine Situation, wo die Anwendung der ~ihm~ +vorzugsweise verliehenen Gaben zum Siege führt! Und nun kann er +sein Schicksal schmieden -- wenn er entschlossen ist, den Hammer zu +schwingen und die von ihm geforderten Schläge zu führen. + +Unser Bursche hatte ein Mädchen, die er liebte, foppen wollen -- und +war von ihr gefoppt worden. Er hatte sie durch Ausführung ihrer Befehle +erfreuen wollen -- und hatte sie durch Nichterfüllung ihrer Wünsche +böse gemacht. Er hatte sich vor ihr und mit ihr auszeichnen wollen und +hatte sich vor ihr und vor dem ganzen Dorfe mit Schande bedeckt. -- Was +konnte für ihn das Schicksal noch bereit haben? + +Zunächst stand seine Sache bei dem Mädchen so schlecht als möglich. +Die Gret hatte in der That beschlossen, ihn aufzugeben, und der +Unwille, der diesen Entschluß geboren, hatte ihn auch den Rest des +Hochzeitabends aufrecht erhalten. Als sie am andern Morgen früh +erwachte, war es ihr Erstes, das Geschehene zu überdenken. Und diesmal +kam sie kein Lachen an -- ein tiefer Ernst nahm ihr Herz ein und blieb +darin. »Es soll net sei'« -- das war das Ergebniß ihres Nachdenkens. +»Er hot ebbes auf me ghalta', des will e net läugna'; aber er ist +stolz wie a Reichsgrof, empfindlich wie a kloes Ke'd (Kind), grob wie +Säuboanastroa' -- ond a Narr, wo ma'n a'sicht! -- Noe, noe!« rief sie. +»Wann e sei' Weib wearat, hätt e me nex as z'schäma', ond wann e'm +d'Worat saga' dät, wuhr'r (würde er) wüadeng ond --« -- Die Gret sah +unwillkürlich die Arme Michels in einer gewissen Bewegung -- sie zuckte +in ihrem Bette und sah mit weiblichem Stolz vor sich hin. »Des wurd m'r +net passiera'«, rief sie zuletzt, -- »doh ben i guet derfür!« + +Sie faßte mit Ernst und Ruhe den Entschluß, zu thun, als ob Michel +nicht mehr auf der Welt wäre -- ihn nicht mehr anzusehen -- -- und zu +überlegen, was sich für sie Anderes und Besseres schicken möchte. + +Der Vorfall zwischen ihr und dem Burschen war gestern Abend noch in der +untern Wirthsstube erzählt worden, und Niemand zweifelte daran, daß die +Gret sich mit dem Ungeschickten einen Spaß gemacht habe. Als sie nun zu +ihrem Vater hinunterging, stellte sie der Wackre ernstlich zur Rede und +sagte zum Schluß: »Des loß nor onterwegs kenfteng, so'st dischgerier +ih a Wöartle mit d'r! Der Michel ist a braver ond a fleißenger Mensch; +ond wann 'r net danza' ka', so braucht m'n desdawega' net für da' +Narra' zhalta'! -- I hoff«, setzte er mit aller Strenge hinzu, deren er +fähig war, -- »i hoff, daß so ebbes nemmer fürkommt!« -- Das Mädchen, +die ihrem Vater kein Bekenntniß ablegen wollte, begnügte sich zu +erwiedern: »Doh hab koe Sorg! D' Schand ist für mi so groaß gwesa' wie +für ihn -- i hab bodagmuag (bodengenug, genug bis auf den Boden) an dem +oezengamol!« + +Bald darauf kam der Schneider -- »em Vorbeiganga'«, wie er sagte. Er +war vergnügt und sprach gemüthlich, indem er gewandt einige seiner +städtischen Redensarten anbrachte. Das Mädchen sah ihn freundlich an +und der Ernst wich im Geplauder mit ihm wenigstens aus ihrem Gesicht. +-- Der Maurer schaute mit zufriedenen Blicken auf das Paar. Vetter +Jakob hatte eine bessere Sölde als er, und mit der Nadel war's eine +gute Mannsnahrung. Die jungen Leute gefielen sich und hatten ihre +Freude an einander -- die Sache machte sich von selber. -- Als der +Schneider wieder fort war, zeigte der Alte das Gesicht eines Vaters, +der Aussicht hat, seine letzte Tochter nach Wunsch zu versorgen, und +sagte: »Der Vetter ist a gueter ond a'n aufklärter Mensch! 'S hot doch +ebbes Guet's, wamma'n a bisle en der Fremd gwesa'n ist! Dean hält gwihß +koe Mädle für da' Narra'!« -- Die Gret sah für sich hin und ein leises +Lächeln ging über ihr Gesicht. -- -- + +Wie das Mädchen, so war auch ihr bisheriger Liebhaber weiter als jemals +von dem Punkte entfernt, den er so lang erstrebt hatte. + +Michel war nach kurzem Abschied von Kaspar, der zum Ansing +zurückverlangte, geräuschlos in sein Haus getreten und hatte der +Mutter das Eingewickelte mit dem Bemerken übergeben: er sei müde +und wolle gleich ins Bett gehen. Die Mutter wußte nicht, was sie aus +dem ruhigen, aber durchaus unvergnügten Gesicht machen sollte, und +fragte: ob er nicht getanzt habe! »Ond wia!« versetzte der Bursche mit +einer Art von Humor, »daß se alle Leut' drüber gwondert hont! -- Aber +ha'et ka'n e nemmer viel verzehla' -- morga' früa' ist oh no' Zeit! +Guetnahcht!« -- Er ging in seine Kammer. + +Vor Tagesanbruch erwachend hatte er das dumpfe Gefühl einer höchst +widerwärtigen Geschichte. Als er sich das Vorgefallene deutlicher +machte, verlor sich seine fatale Eigenschaft nicht -- es grinste ihn +widerlich und peinlich und immer peinlicher an. Er seufzte tief auf -- +und wollte davon wegsehen; aber das ging nicht. Seine Seele kam immer +wieder darauf zurück, seine Gedanken liefen sonderbar hin und her. +Einmal klagte er sich selbst an und wollte die Hauptschuld haben. Dann +erinnerte er sich ihres »boshaften Lachens« und ihres Tanzens mit dem +Schneider, und es schien ihm unzweifelhaft, daß die Gret falsch und er +der Angeführte, der mit Fleiß Verhöhnte sei. Zuletzt rief er: »Was plog +e me viel! -- 'S ist aus -- hab' Schuld dra' wer will!« -- + +Er stand auf und zog sich an. Der Mutter sein Versprechen wegen der +Erzählung zu halten, fühlte er sich durchaus nicht in der Stimmung; +deßwegen ging er sachte in die Stube, schnitt von dem Brotlaib in +der Schublade des Tisches ein tüchtiges Stück ab, nahm eine Schaufel +und ging auf's Feld, um an einem Graben weiter zu schaffen, den +er herzustellen unternommen hatte. Er arbeitete »wie wild«. In +körperlicher Anstrengung suchte er seinen Unstern mit Gewalt zu +vergessen. + +Als er um zehn Uhr heimwanderte, begegnete ihm in der Gasse -- die +Gret. Hätte er beschlossen gehabt, sie zu grüßen, so würde er's nach +einem Blick auf sie doch unterlassen haben. Seine scharfen Augen +gewahrten in ihrem gespannten Gesicht einen Ernst und einen Trutz, der +ihm auf's Deutlichste sagte, sie wolle ihn nicht ansehen, nichts mehr +von ihm wissen. Er machte ein Gesicht, dem ihrigen ähnlich, und stumm +gingen sie aneinander vorüber. -- Sollte er jetzt noch zweifeln, daß +er der Genarrte war und der Schneider der Vorgezogene? + +Als er -- man sagt sich, in welcher Laune -- nach Hause kam, war die +Mutter von dem Ereigniß auf dem Tanzboden schon unterrichtet. Durch das +Betragen des Burschen stutzig gemacht, war sie bald nach dem einsamen +Frühstück zu einer Nachbarin gegangen, die auf der Hochzeit gewesen, +und hatte Alles erfahren. Sehr unangenehm berührt von der Niederlage +des Sohnes, urtheilte sie doch über die Gret anders als die Leute, und +am fatalsten war ihr daher zuletzt Michels Grobheit gegen das Mädchen. +Sie nahm sich vor, ihm tüchtig ihre Meinung zu sagen. + +Nach einem leichten mütterlichen Tadel, daß er heute ohne etwas Warmes +fortgegangen sei, erinnerte sie ihn, ihre Wissenschaft verbergend, an +sein Versprechen. »Ach Gott«, erwiderte Michel ungeduldig, »'s ist +gar net d'r Müa' wearth dervo' z'reda'!« -- »Ja, ja«, versetzte die +Mutter, indem sie ihm sehr ernsthaft in's Gesicht sah, »i glob's scho', +daß d' net geara' dervo' redst! Ist des a Benemma' für'n Menscha', +der ballvoll (bald voll) semna zwanzg Johr alt ist! Ander Leut wearat +gscheidter wann's älter wearat, ond du wurscht allweil o'gscheidter +ond allweil dommer!« -- Von diesem Vorwurf der Mutter wenig berührt, +entgegnete Michel: »Du woescht (weißst) also scho' Alles?« -- »Ja +freile woeß e Alles!« erwiederte die Mutter. »Redt ma' ja überal dervo' +em ganza' Doraf ond lacht de aus!« Und mit einer Miene zugleich der +Bekümmerniß und der Anklage setzte sie hinzu: »'S ist also ganz zom +Verzweifla' mit dir! So o'gschickt sei'! So grob sei' gega'n a Mädle, +die's so guet mit oem moet« -- -- »So«, fiel Michel ein, »die moets +guet mit mir? -- Wie hätt se's (sie es) denn zoegt (gezeigt)?« -- +»Des sicht ma'n aus allem«, erwiederte die gute Frau. »Ond wannd' a +gscheidter Kerl gwesa' wärst, nocht hättst a Weib kriega' könna', wie's +koena' mea' git dohrom!« + +Diese Versicherung mußte dem Burschen nach der von ihm gewonnenen +Ueberzeugung durchaus haltlos vorkommen. In der vollen Gewißheit +des Rechthabens entgegnete er: »I will d'r ebbes saga'! Wart no' a +baar Wucha' ond dua' dei' Oga'n auf, nocht wurscht seha', mit weams +~dia'~ guet moet!« -- Durch den sichern Ton des Burschen etwas +getroffen, aber sich nichts ansehen lassend, erwiederte sie: »Du bist +a Mensch voller Ei'bildenga'! Ond ih sag: ha'et könntst no' alles guet +macha', wann d' a Kerl wärst! Auf da' Sonnteng über vierzea' (vierzehn) +Dag ist d' Kirwe (Kirchweih). Gang en d'Zech, führ de auf, wie's 'm +rechta' Burscht ghöart, tanz nommol mit'r --« -- + +Das war dem guten Michel zu viel. Das Zureden der Mutter war mit Schuld +an seinem Unfall auf der Hochzeit -- -- und nun sollte er wieder tanzen +-- mit derselben, die ihn -- Er war in tiefster Seele verdrießlich und +erwiederte mit gerechter Entrüstung: »Du host haba' wölla', i soll +danza' -- i hab' danzt en d's Deufels Nama, ben he'schlaga' ond hab' me +auslacha' lossa'. Ond ietz bist no' net z'frieda' ond willst, i soll me +nommol für da' Narra' haba'n ond auslacha' lossa? A' -- doh möcht oen +ja glei d's Donner onds Wetter -- -- -- Ietz lohs (höre), i will d'r +ebbes saga'! I dua mei' Arbet ond leb wie's 'm ordentlicha' Menscha' +ghöart -- ond em Uebrenga' bitt e m'r 'n Ruh' aus! Danza' mueß ma' net +-- ond heiricha' mueß ma'n oh net! Was Sakerment! -- soll e denn grad +allweil die Sacha' doa', die e net mag?« -- Die Mutter konnte hierauf +nichts erwiedern als die Achseln zucken, wie über einen Verlorenen. +Michel, der sich schon gewendet hatte, ging mit starken Schritten aus +der Stube. + +Im Verlauf der nächsten Woche kam der Schneider zum Maurer, eröffnete +der Gret, daß er in die »Zech« gehen wolle, und fragte mit eben so +großer Artigkeit als Zuversicht: ob er sie nicht auf die Kirchweih +führen dürfe! -- Das Mädchen sah ihn schweigend an und sagte endlich: +»I glob net, daß des got!« + +Sich von einem Burschen auf die Kirchweih führen lassen und +consequenterweise mit ihm auf dem Platz tanzen, hieß so viel als: ein +bestehendes oder werdendes Verhältniß mit ihm offen bekennen. Zuweilen +geschah es allerdings auch aus Freundschaft, daß man zusammen die +Kirchweihfreuden genoß; allein das waren eben nur Ausnahmen und immer +hatte das Eingehen auf einen Vorschlag, wie er dem Mädchen gemacht +wurde, etwas Verpflichtendes und -- Verfängliches. + +Das Bedenken der Gret werden unsre Leser nun besser begreifen, als +der Schneider und ihr Vater. Der Bursche rief höchlich überrascht: +»Worom denn net?« Und der Maurer setzte hinzu: »Ja, des möcht' e oh +wissa'!« -- Die Gret wollte begreiflicherweise nicht sagen, was sie +eigentlich für eine Empfindung hatte; sie erwiederte zögernd: »I muß +d'r aufrichteng saga', Jakob, i hab m'r auf d'r letschta' Hoaxet +gemuag danzt! -- i hab koen Luhst mea' derzue! -- Der Schneider fragte +erstaunt: »Willst also gar net ens Wirthshaus ganga'?« -- »Beinah hab' +e so ebbes em Send (im Sinn)«, erwiederte die Gret. -- Der Alte rief: +»Gang weiter -- des ist widder so a'n Ei'fall! Morga' denkst anderst!« +-- Die Gret, für jetzt zufrieden, nur Zeit zu gewinnen, versetzte: +»'S ka' sei'! -- Reda'mer (reden wir) a'nandersmol dervo' -- 's hot +ja no' Zeit!« -- Dem Schneider war es höchst fatal, einen Antrag halb +ausgeschlagen zu sehen, der, wie er gemeint hatte, mit der größten +Freude sollte aufgenommen werden. Allein er mußte sich in ihre Laune +fügen und ließ die Sache fallen, in der Hoffnung, sie das nächstemal +bereitwilliger zu finden. + +Ein paar Tage später, an einem schönen, milden Septembermorgen, ging +die Gret ins »Ohmed«. Nicht weit vom Dorfe sah sie den Michel gegen +sich herankommen, mit einer Miene, die ihr auffallen mußte. -- Der gute +Bursche hatte sich in der That Ruhe verschafft in seinem Hause -- weder +die Mutter noch Kaspar sprachen mit ihm fernerhin über die Gret und +über's Tanzen. Aber in dieser Ruhe war er traurig geworden; der Unmuth +seiner Seele hatte sich in Schwermuth verwandelt. -- Ihm war's auch +einmal eingefallen, glücklich sein zu wollen, wie andere Leute -- doch +für ihn gab es kein Glück! Durch seine oder ihre Schuld -- sei's, wie's +sei -- war er drum gekommen und nun hatte er ein Leben vor sich ohne +Lust und ohne Liebe und ohne Freude. Dieser Gedanke drängte sich ihm +auf, er kämpfte nicht dagegen an, er unterwarf sich -- und seine passiv +ergebene Seele ward ein Raub der Melancholie. + +Die Gret, wie sie ihn einem Träumenden ähnlich, die Miene traurig, aber +ruhig und auch in der Trauer noch mannhaft, an sich vorübergehen sah, +bekam eine Ahnung von seinem Zustande. Sie schaute ihm lange nach -- +und ging tief in Gedanken weiter. + +Als sie nach Hause kam, war der Vetter wieder erschienen und erneuerte +seinen Vorschlag. Das Mädchen sah ihn mit glänzenden Augen, mit einer +Art von wehmüthigem Lächeln an und sagte: »No mei'tweg! -- -- 'S wurd +ja nex O'rechts sei, was e dua'!« -- Das Gesicht des Schneiders hatte +der Schimmer des Triumphes überflogen und mit stolzem Behagen rief er +aus: »Ebbes O'rechts? I möcht wissa', worom!« Dann sah er sie schlau an +und bemerkte: »Du wurscht m'r doch net zutraua', daß ih ebbes O'rechts +im Senn hab?« -- Die Gret konnte nicht umhin, ein wenig zu lachen und +erwiederte heiter: »Des net.« Etwas ernster setzte sie hinzu: »No, +du bist mei' Vetter, ond von 'm Vetter därf ma' scho'n a Gfälligkeit +a'nemma! 'S got eba'n en d' Froedschaft!« -- Der Maurer sah vergnügt +auf sie und murmelte: »Guet!« -- -- + +Der Inbegriff aller Fröhlichkeit und aller Genüsse des Dorfes -- +das Hauptfest im ganzen Jahr -- die ~Kirchweih~ kam heran. -- +In damaliger Zeit wurde dieses Fest ebenfalls anders gefeiert, als +gegenwärtig; bevor wir daher in unsrer Erzählung weiter gehen, ist es +nothwendig, auch hierüber einige Bemerkungen vorauszuschicken. + +Zur Zeit des alten deutschen Reiches erhielt die Rieser Kirchweih +außer der kirchlichen noch eine gerichtliche Sanction. Der Amtknecht +der betreffenden Behörde verkündete feierlich das »Friedbot« und +tanzte beim »Platzaufführen« die ersten drei Reihen allein -- damit +erklärend, daß die Lustbarkeit einen Charakter haben müsse, der +vor der Macht, die er vertrat, auch bestehen könne. In der Zeit, +in welcher unsre Geschichte spielt, war dieß weggefallen, aber die +Lustbarkeit verlief doch noch in einer Reihe bestimmter Formen. In +gewissem Sinne war an die Stelle des Amtknechts ein Dorfbursche +getreten, der »den Platz kaufte«, d. h. gegen Erlegung einer gewissen +Summe an den Gerichtsdiener den Namen des »Platzmeisters« und eine +Anzahl von Rechten erwarb. Er durfte am Kirchweihmontag und an dem +darauf folgenden Sonntag, durch einen geputzten dreispitzigen Hut +ausgezeichnet, im Verein mit andern Paaren einen Tanz im Freien, auf +geebnetem Platz, wo möglich um einen Baum, aufführen und ihn durch +dreimaliges Alleintanzen einleiten. Zur Vergütung seiner Auslagen +und Bemühungen durfte er am ersten Sonntag eine Ente, am letzten +einen Hut oder ein ähnliches Möbel herauspaschen lassen, wobei der +Einsatz den Werth des Gegenstandes natürlich bei weitem überstieg; +deßgleichen einen Kegelplatz anlegen, der gleichfalls gute Procente +abwarf. Verstand der Platzmeister, der in der Regel noch einen zweiten +als Gehülfen zur Seite hatte, die Leute recht zum Paschen und Setzen +heranzukriegen, und wurde bei guter Witterung fleißig gekegelt, so fiel +nicht nur der mäßige Kaufpreis des Platzes ab, sondern auch noch die +Summe für die Zeche an den Kirchweihtagen. Daraus ergiebt sich, daß +nur unbemittelte Bursche -- Söldnerssöhne oder Knechte -- Platzmeister +wurden, indem Bauernsöhne derartige Erwerbungen unter ihrer Würde +halten und sich vielmehr berufen sehen mußten, ungewöhnlich viel Geld +springen zu lassen. Für das Dorf waren aber doch die Platzmeister die +Hauptpersonen. + +Genauer zu reden hätten wir nämlich sagen müssen: das Kirchweihfest +~konnte~ zu jener Zeit noch in bestimmten Formen verlaufen -- +eben wenn die Stelle des Platzmeisters erworben wurde. Fand sich dazu +Niemand bewogen, dann war die Kirchweih ein einfaches Tanzfest, zum +wenigsten in unserm Dorfe. Nicht nur das Kegelspiel und das Tanzen +auf dem Platz fiel weg, sondern auch das uralte Abholen der Mädchen +mit Musikanten und das Tanzen in den Häusern derselben. Eine solche +Kirchweih hatte aber »keinen rechten Ton«, jeder ächten Bauernnatur +mußte dabei etwas fehlen -- und das Auftreten eines Platzmeisters, der +auch nur ausnahmsweise mangelte, wurde daher immer mit Freude begrüßt. + +Die letzten Jahrzehnte sind auch für die Kirchweihgebräuche kritisch +gewesen -- das Platzaufführen mit allem, was damit zusammenhing, ist +aus der Reihe der Festesfreuden gestrichen. Während die Alten diesen +Brauch als moralisches Mittel benutzten -- denn Burschen und Mädchen, +die nach dem Rieser Ausdruck »schon so vorgekommen«, d. h. nachweislich +vom Wege der Ehrbarkeit abgewichen waren, durften nicht mit klingendem +Spiel in's Wirthshaus ziehen und »auf den Platz gehen!« -- erschien in +neuerer Zeit das Jauchzen, Spielen und Tanzen im Freien als ein nicht +zu duldender Skandal, der zunächst wenigstens in einen geschlossenen +Raum verwiesen werden müsse. In der jüngsten Zeit ist durch den Befehl, +daß alle Kirchweihtänze des Kreises Schwaben und Neuburg an einem und +demselben Tag abzuhalten seien, dem Rieser Kirchweihfest die letzte +Zierde und Würde des Brauches genommen worden. Von andern prosaischen +Uebelständen abgesehen ist dadurch nämlich die ~Gastfreundschaft~ +unmöglich geworden, die in den Tagen des Festes von Befreundeten +verschiedener Dörfer wechselseitig geübt wurde. Die Bauern können nun +höchstens noch die Beamten aus der Stadt »auf die Kirchweih laden«, +sich selbst aber nicht mehr -- die Feier ist auf die Bewohner eines +Dorfes oder Dörfleins beschränkt und nichts weiter als ein gewöhnliches +Essen und Tanzen ohne bräuchliche und poetische Weihe. + +Einem Autor, der sich die Darstellung des Volkslebens zum Ziel gesetzt +hat, muß es gestattet sein, gelegentlich eine die Volkssitten und ihre +administrative Behandlung angehende Bemerkung zu machen. -- Es fällt +uns nicht ein, die Vortrefflichkeit der Absicht jenes Befehls, der ja +auch in andern Staaten schon ergangen ist, irgend anzufechten. Man +will, daß jeder Streit, der auf dem Kirchweihfest eines Dorfs zwischen +eingebornen und fremden Burschen entstehen könnte, zuvor abgeschnitten +sei, und -- daß der Bauer auf seine Vergnügungen möglichst wenig +Geld verwende. Friedlichkeit, Fleiß und Sparsamkeit sollen dadurch +gefördert werden bis zu einem noch nie dagewesenen Grade. -- Allein +im Ries darf man die früher üblichen Händel zwischen eingebornen +und fremden Burschen recht eigentlich als aus der Mode gekommen +ansprechen; und was Fleiß und Sparsamkeit betrifft, so übt die große +Mehrzahl des dortigen Landvolks diese Tugend von alter Zeit her in +einer Weise, die man geradezu musterhaft nennen kann. Ein Staat, der +sich einer Beamtenschaft rühmen könnte, die in dieser Beziehung dem +Rieser Landvolk ähnlich wäre, dürfte sich nach unserer Ueberzeugung +glücklich preisen. Ist es nun gerathen, um einiger liederlicher +Menschen willen, die überall vorkommen und bekanntermaßen nicht der +Kirchweihen bedürfen, um sich zu ruiniren -- ist es gerathen, fragen +wir, jener großen Mehrzahl ihre hergebrachte Lustbarkeit zu verkümmern +und für die Söhne und Töchter wohlhabender, ja reicher Landleute die +Tanzgelegenheiten auf ein Minimum herabzusetzen, während in Städten +nicht nur die höhern Klassen, sondern auch die Massen der Handwerker +und Proletarier vor Bällen und Tanzmusiken nicht wissen, wo aus und +wo ein? Hält man etwa das Landvolk im Vergleich mit dem Städter +für unmündig und für leichter zu verführen? Schreiber dieses kennt +beide aus vieljähriger Erfahrung; er muß aber sagen, daß ihm keine +Menschenklasse vorgekommen ist, die sich in ihren Vergnügungen und +Geldausgaben mündiger und ordnungsmäßiger zu benehmen wüßte, als eben +der Rieser Bauer! -- daß mithin Befehle, die sich auf die Annahme einer +solchen Unmündigkeit gründen, in keiner Art nothwendig erscheinen. + +Ein Schriftsteller, der sich in dieser Beziehung Autorität erworben +hat, ~Riehl~, erklärt sich in seiner »bürgerlichen Gesellschaft« +mit Entschiedenheit gegen die Vernichtung hergebrachter Bauernfeste +durch Zusammenlegung der Kirchweihen auf Einen Tag. Er citirt zu +seinen Gunsten den Ausspruch des anerkanntesten Volkskenners -- +~Justus Mösers~. -- Mögen diejenigen, die durch Einschränkung der +gebräuchlichen und natürlichen Lustbarkeit das Beste des Landvolks zu +fördern glauben, bescheidentlich mit uns erkennen, daß das in dieser +Beziehung ~Beste~ in der That noch eine ~Frage~ ist, die nur +in Erwägung gar mancher Verhältnisse definitiv entschieden werden kann! +Steckt man auch dem Landvolk ein höheres Ziel im Leben und Streben, so +wird es diesem Ziel nimmermehr durch Verbote, sondern nur durch die +ihm entsprechende Bildung näher geführt werden. Das positive Mittel +einer solchen Bildung wende man an -- dann wird Alles, was sich mit +ihr nicht mehr verträgt, im Verhältniß ihrer Ausdehnung von selber zu +Boden fallen. Mit Untersagung herkömmlicher Gebräuche sei man dagegen +um so behutsamer, als die sich erhaltenden vielleicht eben das Material +bieten sollen, welches die fortschreitende Bildung zu läutern und zu +einer neuen Poesie des Lebens zu verklären haben wird. -- -- + +Unser Dorf hatte diesmal das Glück, eine »rechte Kirchweih« zu +bekommen. Zwei Bursche hatten den Platz gekauft, die in jeder Hinsicht +fähig waren, das Amt zu versehen: lustige Kerle, vortreffliche Tänzer +und Liedersänger. Der Kegelplatz war schon errichtet; er prangte vor +dem Wirthshause, allerdings auf einer etwas geneigten Ebene, was indeß +nur zur Folge hatte, daß das Treffen darauf um so ehrenvoller war. +Eine ziemliche Anzahl von Ledigen war »in die Zech gegangen,« d. h. +sie ließen im Wirthshaus aufschreiben, was sie an Essen, Weißbier und +Branntwein verzehrten, um nach den Festtagen zu gleichen Theilen zu +bezahlen. Das ganze Dorf war angeduftet von der Poesie einer Feier, +die, erinnerung- und hoffnungerweckend, ein lautes, fröhliches Leben +vorführen sollte, und von den Torten, Ringen (Kränzen) und Bretzgen, +die nach Maßgabe des Vermögens von allen Familien gebacken wurden. +»Nach altem Brauch« waren nicht nur im Wirthshaus verschiedene +Schweine geschlachtet worden, sondern je eines auch in bedeutenden +Bauernhäusern, und eine erklekliche Anzahl befiederter Geschöpfe war +aus den Reihen der Lebendigen gestrichen. Das Dorf brauchte nichts +mehr als gutes Wetter -- und das kam. Schon am Freitag hatte ein die +Gemüther sehr beunruhigender Regen aufgehört, der Kirchweihsamstag +war trocken, und am Sonntag stieg die Sonne in einen Himmel mit nur +einzelnen dünnen Wölkchen empor. Wer die Empfindungen kennt, die beim +Anblick solchen Himmels an dem Hauptfeste des Jahres die genußfähigen +Dorfbewohner erfüllt, der weiß, was Freude des Lebens ist! + +Der Vormittag des Sonntags und ein Theil des Nachmittags ward in unserm +Dorfe der geistlichen Feier gewidmet. Wer es irgend konnte, ging in die +Kirche und horchte der Predigt, welche die höhere Bedeutung des Festes +darlegte, mit Andacht. Sobald die nachmittägige Betstunde vorüber war, +begann im Wirthshause das weltliche Fest. Die Mädchen der in der Zech +befindlichen Bursche kamen sachte angeschlichen, thaten zuerst, als ob +sie nur da wären, um ein wenig zuzuschauen, ließen sich dann aber von +ihren Verehrern bereitwillig in die obere Stube oder gleich auf den +Tanzboden führen. + +Unter den »Kirchweihburschen« war auch der Schneider, unter den +Mädchen, die sich zum Tanz einfanden, die Gret. Mit der Zuversicht, +die man gegen die Seinige an den Tag zu legen pflegt, ging der Bursche +dem Mädchen entgegen, tanzte mit ihr und führte sie nach einem Dutzend +Reihen in die Stube. Als ein Anderer kam, und mit ihr zugleich ihn +fragte: »Isch verlobbt (ist's erlaubt)?« erwiederte er würdevoll: +»Du ka'st danza'!« -- und der Begünstigte führte die Gret hinaus. +Ein Bekannter trat zu ihm und sagte vergnügt: »No, Schneider, hosch +(hast du's) wirklich durchgsetzt bei deam Mädle -- send d'r oeneng?« +-- Der Bursche erwiederte: »Vor der Hand gots wenigstens mit m'r auf +d' Kirweih!« -- Dem Bekannten war das genug; er sagte: »Die Schöast +em ganza' Dorf! Wie host ietz des a'gfangt, Schlengel?« -- Der +Schneider zog statt der Antwort die Augenbraunen in die Höhe und sah +mit tiefbedeutsamem Lächeln für sich hin. »Du bist a Hauptspitzbue«, +rief der Kamrad und der Schneider machte ein Gesicht, als ob er sagen +wollte: »Ich widerspreche nicht!« + +Wie Michel -- bei dem sich's von selber verstand -- war auch Kasper +nicht unter den Kirchweihburschen. An einem der letzten Tage war +der treue Freund zu dem Traurigen und Düstern gegangen, um ihm eine +Mittheilung zu machen und eine Aufforderung daran zu knüpfen. Er +begann mit der gemüthlichen Frage: »Was isch, gommer oh en d'Zech +desmol?« -- »Frog net so domm!« erwiederte Michel und drehte sich weg. +Kasper lachte: »'S ist oh nor Gspaß! Was sottet o's (sollten wir) dren +doa'? Du host koena', ond ih hab grad oh koena'! Doh mag d'r Deufel +mitmacha'. -- Aber«, setzte er ernsthafter hinzu, »ens Wirthshaus +wurscht doch ganga'?« -- »Sell verred'e net«, erwiederte Michel. -- +Kasper, nachdem er eine Weile für sich hingesehen, begann wieder: +»Ietz, wo dein' Pla' mit der Great aufgeba' host, wurd's d'r nex mea' +macha', wann da' Schneider mit'r danza' sichst!« -- »Sell got me nex +mea' a'«, versetzte Michel ernsthaft. -- »Wie e ghöart hab«, fuhr +der Andre fort, »got's mit d'm Schneider auf da' Plahtz!« -- Michel +zuckte. »Auf da' Plahtz?« rief er, während dunkle Röthe sein Gesicht +übergoß. Kasper sah dem Betroffenen ins Gesicht und fragte: »Aergert +de des?« -- »Noe«, versetzte der Bursche mit Anstrengung. Der Kamerad +sagte: »So hab e's geara'! -- Am End, wer ka's dem Mädle verdenka', +wann's da' Schneider nemmt ond ietz mit 'm auf d' Kirwe got? Zwea' +oder dreia' (zweien oder dreien) hot sie selber da' Marsch gmacht; du +bist ahgstanda' von 'r -- solls da' Schneider oh no' furtschicka?« +-- »Sie hot Recht«, erwiederte Michel mit dumpfer Ruhe; aber auf +einmal ballte sich seine Faust wie von selber, und er rief: »O i wott +(wollte) --!« »Was wottst?« fragte der Kamerad, indem er ihn lächelnd +ansah. -- »Nex«, erwiederte Michel mit Nachdruck, indem er die Finger +zusammenpreßte, um sie dann auseinander gehen zu lassen. + +Am Sonntag -- um dieselbe Zeit, als die Gret mit dem Burschen tanzte, +der sich vom Schneider die Erlaubniß ausgebeten, verfügte sich Kasper +zu Michel, um ihn in's Wirthshaus abzuholen. Er fand ihn in tief +melancholischer Stimmung. Als er seinen Vorschlag machte, gab Michel +zur Antwort: »Ha'et no' net -- morga'! -- Ha'et ben e net aufglegt!« +-- Alle Mahnungen waren umsonst. Kasper sagte mit Ernst: »I will de +net nöada' (nöthigen) -- mei'daweg duest, was d' willst. Aber ih moe, +a Kerl wie du sott grad ens Wirthshaus ganga', en die ober' Stub', +ond so'm Mädle zoega', daß 'r se nex draus macht, gots auf da' Plahtz +mit weam's will! Die möcht'e net globa' lossa', doß e ihrdawega' von +d'r Kirwe derhoemt blieb!« -- »Des gschicht oh net«, versetzte unser +Bursche, -- »morga' gang' e drauf!« -- »Morga' host widder a'n andera'n +Ausred!« -- Michel wurde ungeduldig. »Doh host mei' Ha'd«, rief er +und streckte ihm fünf Finger entgegen, die ihres Gleichen suchten, -- +»morga' gang e ens Wirthshaus -- Sakerment!« -- Kasper schied beruhigt +und folgte den lockenden Tönen eines Drehers, der ihm vom Wirthshaus +entgegenschallte. + +Bei seiner Ankunft auf dem Tanzboden ging die Gret mit ihrem Tänzer +eben im Reihen. Als sie Kaspers ansichtig wurde, zeigte sie eine +gewisse Erregtheit -- und schaute sich weiter um. -- Der Kamerad hatte +sie beobachtet, und nickte für sich. + +Er beschloß, den Michel am folgenden Tage ins Wirthshaus zu bringen, +koste es, was es wolle. + +Kasper hatte ein Gefühl, was er im Sinn trug, könnte nützlich werden. +Er sah nicht voraus, was kommen würde; aber er empfand eine lebhafte +Genugthuung, als er sich sagte: »Desmol soll' r net derhoemt bleiba'!« +-- Er handelte mit dem Instinkt der Freundschaft. + +Der Kirchweihmontag brach so schön an wie der Sonntag. Die jungen +Leute, die sich vorsichtigerweise früh zur Ruhe begeben hatten, +erwachten fröhlich, und auch die andern, die erst der Morgen nach Hause +wandern sah, hatten bald muntere Augen, um einem Tag entgegenzusehen, +an welchem das Vergnügen allein regieren und zur farbigsten Blüthe +sich entfalten sollte. -- Noch Vormittags, nach früh genossenem Mahle, +begaben sich die Zechbursche in's Wirthshaus, und aus den Fenstern +desselben erklang sofort stattliche Musik. Das Mädchenholen begann +-- die Gassen ertönten von Spiel und Jauchzen, und die zinnernen +Bierkannen, von rüstigen Armen in die Höhe gehalten, funkelten im Glanz +der Sonne. + +Vor allen und am feierlichsten -- mit sämmtlichen Musikanten -- wurden +die Geliebten der beiden Platzmeister abgeholt. Sie stolzirten in +absonderlichem Putz und trugen zur Auszeichnung vor den übrigen, die +nur in der Kappe beim Tanz erschienen, die radförmige Spitzenhaube. +Als diese beiden wichtigen Personen sich an der Tafel der Wirthsstube +niedergesetzt hatten, theilten sich die Musikanten, und verschiedene +Bursche zogen mit je zweien in die Häuser der Erwählten. Das ganze +Dorf war bald in freudiger Aufregung: Singen und Springen, Zuschauen +und Loben, Austauschen von guten Sachen und Höflichkeiten war die +allgemeine Beschäftigung. Die Buben wuchsen in Gedanken beim Anblick +der Vergnügungen, die ihnen auch einmal zu Theil werden sollten, und +die Alten wurden jung und gedachten der Zeiten, wo sie's -- noch besser +gemacht hatten. + +Nur Ein Haus war ausgenommen von der allgemeinen Fröhlichkeit -- das +der Familie Schwab. Unser Bursche, nachdem er gestern auch noch einer +Ermahnung der Mutter widerstanden, war früh zu Bett gegangen und hatte +einen tiefen Schlaf gethan. Wie gewöhnlich aufgestanden, machte er +sich in Haus und Hof zu thun und sah nicht aus wie einer, der sich an +dem Fest betheiligen wollte. Die Mutter betrachtete den düster Hin- +und Hergehenden mit betrübter Miene. Sie gedachte an die Zeiten seines +Knabenalters. Wie stolz war sie auf ihn gewesen! Wie viel hatte sie +sich von ihm versprochen -- und wie wenig hatte er gehalten! Was half +es, daß er fleißig war und ordentlich und das Vermögen in den letzten +Jahren sich vermehrt hatte? -- Er hatte keine Freude, sie hatte keine, +und zu hoffen war auch keine! -- Als draußen das lustige Spiel und +das »Juxen« der Bursche anhub, erschienen ihr die Mängel des Sohnes +in immer grellerem Licht. Ein Mensch, der nicht tanzen und sich nicht +»aufführen« konnte, ein Mensch, der keinen Schatz und kein Weib zu +kriegen verstand, ein solcher Mensch war gar nichts -- und sie die +unglücklichste Mutter im ganzen Dorf. + +Schon war auch der Schneider mit einem Geiger und Clarinettenbläser +am Hause vorübergezogen und hatte einen Tenor gejuxt, wie ihn kein +gewöhnlicher Bauernbursche herausgebracht hätte. Die Mutter war eben +in der Kammer und hatte den Zug nicht gesehen. Nach einer Weile, als +sie wieder in die Stube kam, trat Michel zu ihr, und als von der untern +Gasse her ein Freudenlärm erscholl, nahm er sie bei der Hand und führte +sie ans Fenster. Jauchzend, obwohl schon mit etwas angegriffener +Stimme -- mit dem Deckel der leeren Kanne nach Kräften patschend kam +der Schneider an der Spitze der Musikanten heran und hinter diesen die +Gret mit sittigem Schritt und einem Angesicht, das durch höhere Röthe +und einen eigenen feierlichen Ausdruck holder und bedeutender erschien +als jemals. »Siksch ietz, mit weam die's guet moet?« fragte Michel in +Rücksicht auf seine Rede von letzthin. Die Mutter erwiederte: »Des +ist m'r oh nex Nuis mea'! Aber wear ist dra' Schuld?« Michel schwieg +einen Moment; dann, indem er mit einer Art von Humor den Kopf in die +Höhe warf, erwiederte er: »Bah, a Mädle, die mit 'm Schneider auf +d'Kirwe got, doggt (taugt) net für 'n Kerl, wie'n ih ben. Ih trau m'r +no' a'n andera' z'kriega', wann's amol gheiricht sei' mueß!« -- Mit +halb schmerzlichem, halb spöttischem Lächeln versetzte die Mutter: +»Du bist der Recht', ja!« Aber Michel fuhr fort: »Loß me nor macha'! +Ho'et Nommedag (Nachmittag) gang e ens Wirthshaus -- doh passirt ebbes, +des sag' d'r e! Ond wanns auf o'srer nex wurd -- gits net no' ander' +Kirwena? I will doch seha', ob ih nex ausricht', wann e amol drauf +ausgang!« -- + +Es war nicht nur der Geist des Widerspruchs, der Micheln, der +anklagenden und ungläubigen Mutter gegenüber, diese herzhaften Worte in +den Mund gab. Der Anblick der Gret, die dem Schneider folgte, hatte ihn +zugleich gereizt und von der letzten Bürde der Ungewißheit befreit. Nun +wars offenbar und nicht mehr zu läugnen! -- und nun mußte er entweder +die Weibsbilder gehen lassen sein ganzes Leben lang -- oder sein Glück +mit einer andern versuchen. Aus allen Gründen mußte er ins Wirthshaus +gehen -- er mußte sehen und sich sehen lassen -- er mußte zeigen, daß +er nicht der Mann war, darum, weil er ein Mädchen nicht gekriegt hatte, +sein Leben zu vertrauern. + +Das Fest hatte seinen Verlauf. Der Platz vor dem Wirthshause und die +angrenzenden Gassentheile belebten sich mehr und mehr. Unter die +Bauern und Bäuerinnen mischten sich »Herrn« und »Frauenzimmer«, die +an dem schönen Tage hauptsächlich aus Nördlingen und Wallerstein +herbeigekommen waren. Einige flotte Musensöhne im altdeutschen Rock und +weiten blauen Hosen, das Mützchen keck auf die eine Seite des Kopfes +geklebt, schauten mit vergnügtem Antlitz umher oder »schnitten« den +schönsten und jüngsten der anwesenden »Florbesen« die Cour. Bauern und +Handwerker mittleren Alters hatten schon das Kegelspiel begonnen und +suchten auf verschiedene Weise die Ungunst des Lokales zu überwinden, +einer davon auch noch durch nachträglich pantomimische Lenkung der +schon hinausgerollten Kugel, wodurch er, wenn nicht mehr Kegel, doch +die Erheiterung der Umstehenden erzielte. Schulkinder liefen hin und +her, begafften Alles und erlabten sich bei den Weibern, die an der +Schattenseite des Wirthshauses Obst feil boten. Die jungen Leute +drehten sich auf dem Tanzboden und hielten gleichsam eine Vorübung zu +der Production, die sie vor einer so großen Anzahl von Schaulustigen +ausführen sollten. + +Der feierliche, zuletzt sehnlich erwartete Moment erschien. Die +Tanzmusik im Wirthshause war verstummt, und in die Ohren der bunten +Menge, die sich davor angehäuft hatte, ertönte vom Hof her auf +einmal ein kräftiger Marsch. »Sie kommen! Sie kommen!« rief man sich +freudig zu und die Vorsichtigen eilten auf die Standpunkte, wo man +die Aufführung am besten übersah. Unter einer wahren Kanonade von +Juhschreien sämmtlicher Bursche, die zuweilen auch die Blechmusik +übertönte, kam der Zug aus dem Hofe: zuerst die sechs Musikanten, dann +der »Flur« (Flurschütz, Gemeindediener) mit einem Stuhl, der Aufwärter +mit einer riesigen kupfernen Bierkanne und das Wirthsmädchen mit +Krügen; endlich die Paare, geführt von dem ersten Platzmeister, der +an der Seite seiner Schönen stattlich daherschreitend einen großen, +bändergezierten, in blanker Scheide ruhenden Säbel trug! An der +uralten Linde angekommen machte man Halt, die Musikanten stellten sich +herum, der Aufwärter setzte die Bierkanne auf den Stuhl, und die Paare +traten an die Seite. Unter allgemeiner Aufmerksamkeit zog der erste +Platzmeister den Säbel aus der Scheide, hielt ihn in die Höhe, stellte +sich vor die Musikanten und sang das herkömmliche Liedchen: + + Ietz soll e halt danza' drei Roea'n alloe! + I ka's ja kamm (kaum) danza' vor Staub ond vor Stoe. + +Die Musikanten spielten und der Bursche tanzte allein um die Linde, +indem er auf dem mäßig ebenen Boden seinem Titel Ehre machte. Zum +zweitenmal sang er: + + Der erst der ist danzt ond der ander' fangt a': + Ietz will e halt seha', ob es nommol so ka'. + +Die Zuschauer, die bei solchen Gelegenheiten, wenigstens eine Zeitlang, +empfänglich und anspruchlos zu sein pflegen, nahmen diese allerdings +mehr sachgemäßen als poetischen Reime mit heiterem Interesse auf, und +da der Platzmeister wieder ohne zu stolpern und in schönem Kreisbogen +um den Baum kam, so rief ein lustiger Studiosus ihm ein Bravo zu. + +Zum Dritten sang er: + + Ond oemol ond zwoemol ond nommol ist frei! + Ond des mueß das Best' sei', denn ietz isch vorbei! + +Nach glücklicher Vollendung auch dieses Reihens steckte der Bursche den +Säbel in die Scheide, übergab ihn dem »Fluer«, sah auf die Paare und +sang: + + Danzt hab' e so gut als ma's ka'n ohne Schatz. + Nemm jeder die Sei'n ietz ond rei' auf da' Platz! + +Er holte sich die Geliebte, die mit Würde den Leistungen ihres Burschen +zugesehen hatte, und begann mit ihr zu walzen. Alle Paare folgten nach. + +Der Tanz -- die Trinkpausen mit eingeschlossen -- dauerte ungefähr +eine Stunde. Da die Bursche und Mädchen von verschiedener Gestalt und +Schönheit waren, und beim Tanzen verschiedene Manieren an sich hatten, +die auf dem schwierigen Terrain um so charakteristischer hervortraten; +-- da den Musikanten eine Reihe Lieder vorgesungen wurden, wovon +etliche nicht ohne pikanten Reiz, andere aber in so fern »ächt lyrisch« +waren, als nicht eine Spur von Gedanken darin vorkam -- so gab es für +das Publikum, namentlich für das gebildete, gar vielerlei zu schauen +und zu kritisiren. Einige der Herrn unterhielten ihre Damen mit +mehr oder minder gelungener Verspottung und ironischer Belobung der +ländlichen Künste. Andre lachten und nickten Beifall. Wieder andere +stellten Vergleichungen an und suchten zu entscheiden, welche Mädchen +den Preis der Schönheit verdienten, u. s. w. + +Die größte Aufmerksamkeit hatte bald von allen Paaren ein uns +wohlbekanntes auf sich gezogen -- der Schneider und die Gret. Die +stattliche Größe des Mädchens und die zierliche Kleinheit des Burschen +war zuerst aufgefallen. Bei näherer Betrachtung fand die Schönheit der +Blonden lebhafte Anerkennung, besonders von Seiten dreier Studiosen, +die ihre Augen so oft nach ihr wandten, daß eine daneben stehende junge +Nördlingerin beinahe eifersüchtig geworden wäre. Nicht geringeres +Interesse erweckte indeß bei eben diesen Studiosen der Schneider +selbst. Glücklicher und selbstbewußter auszusehen als dieser, war nicht +wohl möglich. Das schönste Mädchen von allen, die um die Linde tanzten, +war die seine! Sie hatte sich erst ein bischen »geziert«, als er sie +einlud, mit ihm auf den Platz zu gehen; aber wie bald hatte sie Ja +gesagt! -- Mit welchem Vergnügen hatte sie's gesagt, und wie gern war +sie mit ihm gegangen! Dumme Teufel mußten die gewesen sein, denen sie +den Laufzettel gegeben! Er war gekommen, hatte gesprochen, und immer +weicher war sie geworden und immer nachgiebiger, und jetzt konnte er +mit ihr machen, was er wollte! Es lebe die Fremde! Wer nicht hinaus +kommt, der kommt nicht heim, und bleibt ein Dummkopf, der überall das +Nachsehen hat! -- Heute noch, beim Nachhauseführen, wollte er mit ihr +reden wegen der Heirath, auf den Winter machte er Hochzeit, und damit +basta! + +Das Wohlgefallen, mit welchem die drei Studiosen zu ihm hersahen, +schmeichelte unserm Dorfschneider ungemein. Er mußte freilich annehmen, +daß ein Theil des Beifalls seiner Tänzerin galt -- aber war das nicht +wieder eine Ehre für ihn? Sein Gesicht wurde vor Selbstgefälligkeit +ordentlich runder, jedenfalls glänzte es »wie Wallerstein des Abends« +(wenn die Sonne aus den Fenstern der terrassenartig aufsteigenden +Häuser wiederstrahlt!) -- und seine Augen blickten beim Tanzen +rechts und links, um nichts von den Eindrücken zu verlieren, die er +hervorbrachte. + +In solcher Stimmung ist man nicht geneigt, Andern Erfolge zu gönnen; +und wenn einer dergleichen erzielt, fühlt man einen Trieb, ihn +herunterzustechen. Die Heiterkeit, die ein paar von einem rüstigen +Kerl gesungene lustige Liedchen hervorriefen, weckte des Schneiders +Eifersucht. Er wollte auch ein Lied singen, das den »Herren« Spaß +machte, und hatte schon den Mund dazu geöffnet -- als ihm derselbe +Mensch zuvorkam. Verdrießlich hörte er zu, und wie in dem Text statt +des Reims eine bloße Assonanz zum Vorschein kam, rief er, das Gesicht +satyrisch-kritisch den Studenten zugewendet: »Reim de oder i friß de!« +-- Der Sänger schaute den Burschen an und nach geendetem Reihen sagte +er: »Desmol will e a bessers senga' -- paß auf!« Und er sang: + + Doh droba'n auf dem Bergle bei dera' Kapell, + Doh sitzen drei Schneider beir' Wasserbodell! + +Allgemeine Heiterkeit war der Erfolg dieser Schnurre; auch die Gret, +die im Verlauf des Tanzens etwas zerstreut geworden war, konnte sich +nicht enthalten zu lächeln. Der Schneider ging auf Nadeln. Wie gern +hätte er den Kerl zehnmal stärker getroffen! Aber es war ein Maurer, +und er wußte kein Spottlied auf dieses Handwerk! Da half ihm die +Entrüstung über die dumme Verhöhnung seines Metiers aus der Noth: +sie gab ihm einen Reim ein, wodurch er den Hieb mit Zinsen wieder +zurückzugeben hoffte. Er stellte sich resolut hin und sang: + + Die Kleider der Leut' hat der Schneider gemacht, + Und der ist a Narr, der die Schneider veracht'. + +Schallendes Gelächter erfolgte auf diesen gewaltigen Rückschlag, in +welches der vermeintlich Getroffene herzlich mit einstimmte, während +die Gret etwas erröthete und einen mitleidigen Blick auf ihren Tänzer +warf. Der Schneider sah dies nicht. Würde ihm nicht schon das Lachen +ein Beweis gewesen sein, daß er einen treffenden Reim gedichtet, so +hätten ihn die lobenden Zurufe der Studenten davon überzeugen müssen. +Triumphirend sah er umher und tanzte, von dem Hochgefühl des Sieges +getragen, mit erneuter Kraft und Leichtigkeit. Während er das Vorsingen +Andern überließ, dachte er bei sich: »Wann die Herra' an deana' +Bauraliedla' scho' so a Freud hont, nocht will i ihna' doch beweisa', +daß e andre oh no' ka'!« -- Als die Zeit, die auf dem Platz zugebracht +zu werden pflegte, sich ihrem Ende zuneigte, ersah er seinen Moment, +nahm eine Stellung, die etwas erwarten ließ, und sang, indem er den +Studenten pfiffig zublinzelte, folgende anmuthige Variation eines +Burschenliedes: + + Der Herr Professer + Liegt in Corretschiom, + Drom wär' es besser, + Man trinkt eins rom. + Ebete, bebete, esse coralle! + Was soll das Hepula? Bombau, holla! + +Die Studenten horchten mit hochvergnügten Gesichtern, riefen Bravo und +lachten königlich zusammen. -- Der Schneider war überzeugt, daß er die +Palme davongetragen. + +Als der Zug unter denselben Jubeltönen, mit denen er gekommen, obwohl +etwas langsamer, ins Wirthshaus zurückging, stellten sich die Studenten +an den Weg, und einer von ihnen, der in den Dorfverhältnissen genau +unterrichtet zu sein schien, sagte fidel zu dem Siegesglücklichen: +»Brav, Schneider! -- Du bist a Hauptkerl!« -- Der Angeredete erwiederte +mit Würde: »I hab den Herren nur zeiga' wolla', daß man auf d'm Land +auch manchmol ebbes ka', was man oem nicht zutraut hätt'!« -- Die Gret +warf auf den Studenten einen Blick, der zu sagen schien: »Halt mich ja +nicht für so dumm wie meinen Schneider!« + +In der obern Wirthsstube gönnten sich Musikanten und Tänzer einige +Zeit Ruhe, dann begann die Lustbarkeit auf dem Tanzboden von neuem. +Der Schneider war unermüdlich und von einer Hüpflustigkeit, die nicht +zu ersättigen schien; er forderte die Gret wieder zum Tanz auf. Das +Mädchen, die mehr und mehr das Aussehen gewonnen hatte, als ob ihr +etwas abginge, erwiederte, sie sei müde und möchte noch ausruhen. +Der Schneider, im Gefühl seiner Würde als Mann und seinem Stolz als +Kirchweihbursche, entgegnete: »Des hilft nex! I will amol danza', ond +i wear' doch hoffentlich koen Korb kriega' von 'm Mädle, die e auf d' +Kirwe gführt hab? -- Komm!« -- Er nahm sie bei der Hand und sie folgte, +indem sie den Verdruß ihres Herzens in ernster Miene zu verbergen +suchte. Nachdem sie sechs Reihen erduldet hatte, erklärte sie positiv: +es liege ihr in den Gliedern wie Blei -- es ginge nicht mehr! -- Der +Bursche mußte sie in die Stube führen. Während sie an der Tafel der +Zechburschen Platz nahm, forderte der Schneider eine Andere auf und +führte sie auf den Tanzboden. + +Die Gret überließ sich ihren Gedanken. Sie hatte etwas unternommen +-- es war die Frage, ob sie Recht gehabt hatte, es zu thun. Aber +jedenfalls hatte sie es umsonst gethan: was sie gehofft hatte, war +nicht eingetroffen. -- Ein Ernst erfüllte ihr helles Gesicht, der mehr +und mehr den Charakter der Trauer annahm. Still und gedankenvoll sah +sie für sich hin. -- Auf einmal erröthete sie: -- durch die Thüre, +die kaum groß genug war, ihn einzulassen, trat Michel in die Stube, +begleitet von dem treuen Kasper. + +Unser Freund erschien in seinem besten Staat und mit einem Ausdruck +der Würde in seinem Gesicht, den früher Niemand an ihm wahrgenommen +hatte. Seit dem Versprechen, das er seiner Mutter gegeben, war eine +neue Veränderung mit ihm vorgegangen. Der momentanen Erhebung, die +der Anblick des an seinem Hause vorbeiziehenden Schneiders in ihm +hervorgerufen, war eine Herabstimmung gefolgt, die sich in dem stillen, +von nähern und fernern Jubeltönen umklungenen Hause zu erneuter, +tiefer Schwermuth ausbildete. Der Trieb, glücklich zu sein, regt sich +in dem Menschen immer wieder und nirgends stärker, als an einem Tag +allgemeiner Freude. Hier ist das Herz von seinem Recht auf auch einen +Antheil daran durchdrungen -- das Bild dessen, was man wünscht, tritt +in höchstem Reiz vor die Seele, die Sehnsucht, es zu erlangen, wird +feuriger und inniger -- und die Nothwendigkeit, es dennoch verloren +geben zu müssen, wirft das Gemüth in Abgründe der Trauer. Was half +dem guten Michel sein Entschluß, sich nach einer Andern umzusehen! So +eine wie die Gret gab's doch nicht mehr -- so gern konnte er keine +mehr haben -- so glücklich mit keiner mehr leben! Wie schön war sie +heute wieder, als sie an seinem Hause vorüberging. Nein! Wenn dieses +Mädchen ein Andrer bekam, dann wollte er überhaupt keine mehr, er +wollte unglücklich sein mit Fleiß -- und sein Leben als Junggeselle +beschließen. + +In dieser Stimmung, in dem Nachdenken, das sie begünstigte, traten die +Fehler, die er gemacht hatte, wieder vor seine Seele; aber sie regten +keinen Zorn in ihm an. Er fühlte sich damit behaftet wie durch ein +Verhängniß; ihm waren eben die Gaben, womit Andere etwas erreichten, +nicht verliehen, er sollte kein Glück haben, er mußte entsagen. -- Nach +und nach stieg der Muth, der die Frucht der Entsagung ist, in ihm auf. +Der männliche Stolz rührte sich in ihm, und er faßte den Entschluß, +jetzt wenigstens keinen armen Sünder mehr zu spielen, wie früher, +sondern ruhig seines Weges zu gehen -- jetzt, wo doch nichts mehr zu +verlieren war! -- -- In dieser Gemüthslage traf ihn Kasper. Michel +fügte sich der Aufforderung, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, ohne +Widerrede. Er zog seine neue Juppe von dunkelblauem Tuch an, steckte +den reich mit Silber beschlagenen Ulmer Pfeifenkopf in den Mund, setzte +die breite Fischotterkappe auf und folgte dem Kameraden. Die Mutter +hatte mit der Ironie des Unglaubens »viel Vergnügen« gewünscht. + +In der Stube setzten sich die Kameraden an einen Seitentisch, wo schon +ein Lediger Platz genommen hatte. Kaspar ließ sich hier nicht halten; +er hatte bald eine hübsche Braune an der Hand und tanzte mit dem +Schneider um die Wette. -- Michel unterhielt sich mit dem Ledigen, der +wie er ohne Schatz und vom Tanzen kein Liebhaber war. Die Gret hatte +er, als er an der Tafel vorbeiging, auf eine ungezwungene Weise nicht +gesehen; jetzt, im Gespräch mit dem Burschen, sah er einmal zu ihr +hinüber -- er sah, daß sie nicht vergnügt war -- und eine sonderbare +Empfindung regte sich in ihm. + +Nach einer Weile kam der Schneider in die Stube. Er hatte einen +jungen Mann an der Hand in spießbürgerlicher Kleidung und von einer +Statur, die der seinen ähnlich war, -- trat mit ihm vor die Gret und +sagte: »Des ist mei' Colleg, Herr Bügel, der zu Nörrleng (Nördlingen) +arbeitet. Er möcht' gern mit d'r danza'n ond i hab gsakt, 's wär a'n +Ehr'. Komm!« -- In ihrer jetzigen Stimmung dem Tanzen ohnehin gänzlich +abgeneigt, wäre der »Colleg« der letzte gewesen, der ihr Lust dazu +gemacht hätte. Und sich mit ihm zum Tanzen commandiren zu lassen! +-- Vor Michel -- und in solchem Ton! -- Ein Widerwille stieg in ihr +auf und wuchs zur entschiedensten Widerstandskraft. Sie erwiederte +dem Stadtschneider: »I muß danka' für die Ehr'!« und zu dem ihrigen +bemerkte sie: »I hab d'r scho' gsakt, i ben müed ond hab koen Luhst +mea'. 'S ist seitdem net anderst woara' -- ond i wear' ha'et gar nemmer +danza'!« -- Der Schneider runzelte die Stirn. »Des send Ei'bildenga'«, +rief er, ehe der andre zu Worte kommen konnte; »du bist ja gruat +(ausgeruht)! -- Mach'! Komm!« -- Das Mädchen rührte sich nicht und +mit dem Nachdruck des Abweisens erwiederte sie: »I dank' schöa'!« -- +Eine Wolke verfinsterte die Züge des Burschen. »Doh ist nex z'danka'«, +entgegnete er schnell und heftig, -- »i hab' gsakt, du danzst mit 'm +-- ond ietz danz!« -- »Ond i sag, i ka' net«, versetzte die Gret. Der +Schneider warf einen Blick auf sie, als wollte er seinen Ohren nicht +trauen. »Des send Dommheita'!« rief er entrüstet; -- und großartig +setzte er hinzu: »Was ih sag, mueß gscheha'!« -- Die Gret sah ihn von +der Seite an und sagte: »Aber Alles doch wohl net -- hoff e! A bisle +ebbes wurd wohl no' ahganga' (abgehen)!« -- Der spöttische Ton dieser +Entgegnung indignirte den Schneider auf's Höchste. Bebend vor Zorn rief +er: »Zom letschtamol sag e d'r: danz! Auf der Stell! -- Oder 's got d'r +schlecht!« + +Reden und Gegenreden dieses Dialogs waren so rasch aufeinander gefolgt, +daß der Schneidergeselle aus Nördlingen keine Zeit gefunden hatte, +zu sagen, was ihm, von der Ehre geboten, auf der Lippe schwebte. +Jetzt setzte er's endlich durch. Indem er sich vor der Gret ironisch +verneigte, rief er mit höhnendem Ton: »Ich bitt' recht sehr -- +~ich~ dank' jetzt schön für's Tanzen -- und wünsch' der Jungfer +gute Besserung!« -- Mit dem Bewußtsein, das »einfältige Weibsbild« nach +Verdienst getroffen zu haben, verließ er die Stube. + +Der Schneider stand da mit gefährlicher Miene. Seine Brust arbeitete, +seine Lippen zitterten, seine Rechte gerieth in eine zuckende Bewegung. +Das Schlimmste, Peinlichste war ihm widerfahren! Er war blamiert -- +blamiert vor einem Collegen aus der Stadt! -- War ihm »vor den Leuten« +Zurückhaltung geboten und konnte er nicht wie er wollte, so mußte er +der impertinenten Person doch wenigstens die Wahrheit ~sagen~. +Nachdem er sie eine Zeit lang angesehen, begann er: »Doh hab e Respekt! +Des send Maniera'! Ih führ' de auf d'Kirwe, ond du duast von dem, was +e sag, d's Gegendeil ond benemmst de gegen 'n Mann aus der Stadt wie +a grobs Bauramädle, daß e an der Schand dohstanda' mueß? -- Pfui!« -- +Die Wichtigkeit, womit der Bursche die Sache aufnahm, und die drohenden +Blicke, die er ihr dabei zuwarf, waren dem Mädchen zum Lachen; aber +sie hielt an sich und erwiederte ruhig: »I ben wärle müed gwesa', i +hab net g'loga'! Soll e danza', wann e koen Luhst derzue hab?« -- +»Ja«, entgegnete der Schneider wild, »wann ~ih's~ sag!« -- Das +war dem Mädchen zu viel; unwillig und mit der geringschätzigen Miene +des Unwillens erwiederte sie: »Ach was! -- i ka' doch net mit alla' +Schneider danza'n em ganza Boerland?« + +Diese Worte, nach welchen die Mienen der Gret überdieß sich etwas +erheiterten, rissen die Schranken, die den Zornausbruch des Schneiders +noch zurückgehalten hatten, nieder. Mit grimmiger Wuth, am ganzen +Leibe zitternd, rief er: »Du bist a'n o'verschämta' Perso'! A frechs +Lompamensch! Was? Ih führ' de auf d' Kirwe aus Erbarma', ond du willst +me no' verspotta'? I hätt' 'n gueta' Luhst« -- + +Auf einmal ließen sich hinter ihm die streng betonten Worte hören: »Wie +ka'st du de onderstanda', mit 'm Mädle, wie die Great ist, so z'reda'?« +-- Der Schneider sah sich um -- und fuhr zusammen. Michel stand vor +ihm in dem schreckeneinflößenden Ernst des Richters. -- Der Große und +der Kleine sahen sich einen Moment an. Plötzlich, wie sich auf etwas +besinnend, faßte sich der letztere und entgegnete keck: »Got des dih +ebbes a'?« -- »Ja«, versetzte Michel mit Nachdruck. »A'n ordentlicher +Kerl leidt's net, wann 'm Weibsbild ebbes gschicht -- und (setzte er +geringschätzig hinzu) voara' (voran, noch dazu) von 'm Schneider!« +-- Der Kleine zuckte; dann streckte er sich, sah zu dem Gegner mit +vielsagendem Gesicht empor und erwiederte, indem er drohend den +Zeigefinger erhob: »I will d'r ebbes rotha', Michel! -- mach de ha'et +net z'mauseng!« -- Der Enakssohn lachte herzlich. -- »Ja«, fuhr der +Schneider fort, »lach nor! -- für dih fend' ma'n oh no' 'n Moester!« +-- »Bist am End du's?« fragte Michel heiter; und mit gemüthlichem +Selbstgefühl setzte er hinzu: »Gang weiter, Schneiderle! Wann e de +a'blos (anblase), no' fliegst zor Stub naus!« + +Ein Kichern, das diesen Worten am untern Ende der Tafel folgte, und +das unwillkürliche Lächeln der Gret, die aufgestanden und ein wenig +zurückgetreten war, machte den Beleidigten rasend und raubte ihm den +letzten Rest der Besinnung; -- die Zähne fletschend ging er auf Michel +los, packte ihn am Arm und suchte ihn niederzureißen. Der Gewaltige +schüttelte ihn ab und rief: »Schneider, Schneider! -- i roth dr's en +Guetem -- höar auf!« -- Der Schneider, der diese Ruhe mißverstand, +attakirte von neuem. Michel faßte ihn beim Arm, hielt ihn zurück und +rief mit funkelnden Augen: »Ietz sei ruheng -- oder i stand für nex +mea' guet!« -- Aber der Schneider, der einen Blick auf die Thüre +geworfen hatte, machte sich mit wüthender Anstrengung los, packte den +Gegner an der Juppe, riß -- und riß ein Stück davon herunter. Das war +über allen Spaß. Michel nahm ihn und warf ihn zu Boden, daß es krachte. + +Es war die erste wohlthätige Empfindung für den guten Burschen seit +langer Zeit! -- Aber wie dehnte sich nun seine Brust! Welch eine +Begier entstand in ihm, fortzufahren und sich durch eine großartige +Uebung der Kräfte, die so lange geruht hatten, das gepreßte Herz zu +erleichtern! -- Es war ihm wie einem Esser, der mit einem Riesenappetit +auf dem Tisch nur ein Cotelettchen vorgefunden hat und nach dessen +Verschlingung mit schmerzlichem Verlangen eine seiner würdige Mahlzeit +herbeisehnt. »Mehr, mehr, mehr!« rief es in ihm, als der aufgestandene +Schneider von neuem auf ihn losging. -- Sein Wunsch sollte erfüllt +werden. Der Schneider, in Gefahr wieder auf den Boden zu fliegen, rief +mit desperater, durchdringender Stimme: »Brüder, helft!!« -- und in +kürzester Zeit fühlte sich Michel von einem halben Dutzend Burschen +zugleich angefallen. + +Es waren Gegner von ihm, Kameraden des Schneiders und zu Schutz und +Trutz mit ihm verbunden, die von andern Tischen und vom Tanzboden +herbeigeeilt waren und nun mit vereinten Kräften zu siegen hofften. +Sobald der Enakssohn die Kerle an sich schlagen und zerren fühlte, +athmete er tief auf und -- begann seine Arbeit. + +Er verrichtete Thaten, die würdig wären, von einem Homer Zug für Zug +geschildert zu werden. Seine ungeheure Körperkraft im gerechtesten +Kampf -- der Trieb und die Lust, für ~sie~ etwas zu thun, vor ihr +in seiner Glorie sich zu zeigen -- befähigten ihn zu wahren Wundern. Er +schüttelte ab und schleuderte von sich, er drosch und schlug nieder, +er ergriff ein paar Kerle, die just zu haben waren, und stieß ihnen +die Köpfe zusammen -- kurz, er that Alles, was der Verlauf des Kampfes +nothwendig machte, -- mit unwiderstehlicher Gewalt. Kein Hieb und kein +Stoß ging daneben. + +Die Unterstützung des Schneiders war zu schnell nöthig geworden, als +daß seine Kameraden sich mit den bei solchen Händeln üblichen Waffen, +als da sind: Stuhlfüße, Holzscheiter u. s. w. -- hätten versehen +können. Der Kampf gegen den Unbewaffneten wurde darum ehrlich mit +Fäusten geführt. Nur ein Bursch ergriff einen steinernen Maßkrug, +um den Simson des Dorfes von hinten auf den Kopf zu schlagen, der +nicht mehr von der Fischotterkappe bedeckt war. Er wurde von Kaspar +weggerissen und auf die Seite gestoßen. + +Der Kamerad Michels war auf den Hauptlärm auch vom Tanzboden hergeeilt +und eben recht gekommen, diesen Hieb zu verhindern, der dem Schädel +Michels, vielleicht aber auch nur dem Krug verderblich werden konnte. +Der Treue war muthig und nervenkräftig und hätte dem Freund gerne +ferner geholfen -- wenn es nur nöthig gewesen wäre. Allein er sah, wie +dieser schaffte, -- er sah, was er schon geleistet hatte, und überließ +ihm den Rest. + +Das Getöse des Kampfes hatte bald auch Zuschauer herbeigezogen, und +die drei Studenten waren nicht die letzten. Als sie einen Burschen +erblickten, der seine Gegner, die sich wie Katzen an ihn anklammerten, +immer wieder von sich schleuderte und inmitten eines ihn umdrängenden +wüthenden Haufens fest auf den Beinen blieb, ließen sie Ausrufungen der +Bewunderung hören und folgten der Scene mit größtem Interesse. Auch ein +paar muthige Damen hatten sich an die Thüre der großen Stube gewagt und +lugten mit Antheil auf den Kampf, hauptsächlich aber auf den Kämpfer, +der, einen Kopf über die Andern hinausragend, so preiswürdige Dinge +that. + +Die theilnehmendste und zugleich antheilswertheste Zuschauerin +von allen war aber die Gret. Ihr Herz wurde nach einander von +Empfindungen ergriffen, die sie in durchaus unbekannte, wunderbar +neue Regionen emporrissen. -- Die ersten Worte Michels, der so +unerwartet und mit solchem Ansehen ihr zu Hülfe kam, hatten sie mit +Wohlgefühl überrieselt. Sie starrte ihn an, erröthend, verlegen -- mit +durchbrechender Freude. Als der Schneider den Gewaltigen anpackte, rief +sie: »Bist du rasend?« -- und wollte ihn, von dem drohenden Streit +erschreckt, in seinem Interesse zurückziehen. Wie sie nun aber den +Vertheidiger umringt sah, da fühlte sie eine andere Regung; muthig +stürzte sie auf einen der Bursche zu, ergriff ihn und wollte ihn +wegreißen. Allein Michel stieß eben diesen Gegner auf die Seite, daß +er über eine Bank taumelte -- -- und als sie die Riesenkraft sah, mit +der er allein sich Aller erwehrte, und der Glaube, daß ihm keiner was +anhaben könne, unwiderstehlich in ihrem Gemüth auflebte, da trat sie +auf die Seite. + +Mit klopfendem Herzen und wogender Brust sah sie auf den Kampf, der wie +ein Sturm vor ihren Augen brauste. Sie sah die Uebermacht des Mannes, +der ihr immer von allen der liebste gewesen war, mit Staunen, mit +Entzücken. Was konnte es für sie Herrlicheres geben? Was konnte sie +Schöneres und Rührenderes erblicken? Das that er für sie! Das that er, +nachdem sie mit ihm getrutzt hatte wegen nichts und wieder nichts! Er, +der größte und stärkste, aber auch der wackerste, der rechtschaffenste +Bursche. Verschwunden war Alles, was ihr an ihm jemals lächerlich oder +ärgerlich vorgekommen war -- verschlungen von der Flamme der Kraft und +des Muthes, die vor ihr aufloderte. Sie sah nichts als den Helden, +der um ihretwillen kämpfte und Alle niederstreckte! Sie sah ihn mit +überströmendem Gefühl, mit wonnigem Stolz. Ihre Lippen zuckten; Thränen +traten ihr in die Augen und rollten die glühenden Wangen hinab. -- -- + +Michel war fertig -- der Kampf geendet. Drei der Gegner lagen am Boden +und versuchten aufzustehen, wozu ihre Mädchen, die sich vergebens +bemüht hatten, auszuwehren, ihnen die Hände reichten. Ein paar andre +konnten nicht mehr aus den Augen sehen und traten wankend zurück. +Der Schneider und sein Nördlinger College, der ihm tapfer zu Hülfe +geeilt war, hatten geschwollene, blutende Nasen, blaue Augenringe +und zerrissene, rothbefleckte Kleider. Michel stand siegreich da! +Starkathmend, das Gesicht erhitzt und schweißtriefend, die Haare in +Unordnung, die Juppe ohne den linken Flügel -- aber aufrecht und in der +ganzen Freude des Triumphs. Ins Gesicht hatte ihn keiner getroffen, +dafür hatten seine Arme gesorgt -- und die blauen Flecke auf dem Leib +sah man nicht. + +Seine Blicke suchten die Gret. Er sah sie, die Wangen thränenfeucht, +aber die Augen selig glänzend -- und schnell wie der Blitz erhellte +seine Seele die Erkenntniß ihres Gemüthes. Mit stolzem Lächeln ging er +auf sie zu und rief: »No, Margret, bist z'frieda' mit m'r desmol?« -- +»O Michel«, erwiederte das Mädchen mit einem Ton aus tiefster Seele, -- +-- »o Michel, was bist du für a Burscht!« -- Michel sah sie liebevoll +an und nahm sie bei der Hand. »Ja« sagte er, »schwätza' ka'n e freile +net wie a'n Anderer, ond danza'n ond sprenga' ka'n e net, wie se's +ghöart -- aber ebbes ka'n e doch doa' für a Mädle, auf die e ebbes +halt!« -- Die Gret schwieg und drückte ihm zärtlich die Hand. + +In der Gewißheit seines Glücks und im Schwunge des Siegergefühls +wandelte den Burschen eine heitere Laune an. Die Hand des Mädchens +loslassend und einen Schritt zurücktretend sagte er: »Aber wärle -- +i dua' grad als ob du mei' Schatz wärst, ond vergiß ganz, daß dei' +Burscht doh ist, der de auf d'Kirwe gführt hot. Wamma' se von oem ens +Wirthshaus führa' loßt ond gar mit 'm auf da' Plahtz got« -- -- Die +Gret war bei den ersten Worten erröthet; nun fiel sie ihm in die Rede +mit einem Blick zugleich der Liebe, der Scham und des Vorwurfs: »Ist +m'r denn ebbes anderst's überblieba', om di z'ärgera' ond eifersüchteng +zmacha?« -- + +Ein Seufzer ließ sich in der Nähe vernehmen. Er kam von dem +unglücklichen Schneider, der an einem Seitentisch in eine +wassergefüllte Schüssel sich wusch und nun hören mußte, daß er von der +Gret nur als Mittel benutzt worden war. »Des oh no' (das auch noch)«, +rief der arme Kerl, indem er mit tragikomischer Miene nickend in die +Schüssel sah. Michel aber ging strahlenden Angesichts auf das Mädchen +zu, ergriff ihre Hand und rief: »So isch gmoet gwesa'? -- No, nocht +ghöarst mei' -- ond der Deufel en der Höll soll de mir net widder +nemma'!« -- + +Die ganze Scene des Streites und der Verständigung unsres Paars +war natürlich schneller vorübergerauscht, als wir sie zu schildern +vermochten. Jetzt, nachdem sich Alles begreiflich gelöst und der Kampf +durch die Reden der Liebenden Licht und Sinn erhalten hatte, drängte +man sich theilnehmend zu diesen heran. Der treue Kasper gab erst dem +Freunde die Hand, dann, mit heiterm Zunicken, dem Mädchen, und wurde +von dieser durch einen herzlich dankbaren Blick belohnt. Die Studenten +konnten nicht widerstehen -- sie mußten den Triumphator preisen und ihm +gratuliren, was der Bursche mit wohlgefälliger Würde entgegennahm. -- +Allgemeine Heiterkeit füllte die Stube. Sämmtliche Zuschauer hielten +es mit dem Sieger und Glücklichen und warfen spöttische Blicke auf die +Geschlagenen, die den Schaden hatten. -- In dieser Beziehung machen +sie's im Ries gerade so, wie anderwärts! -- + +Michel, in der Höhe seiner Stimmung, wandte sich zu seinem sonstigen +Nebenbuhler und sagte halb mit Laune, halb gutmüthig: »Schneider -- nex +für o'guet! I sig ietz scho' daß eigentlich du an mei'm Glück Schuld +bist -- ond i bedank' me schöa'!« -- Der Schneider, in welchem die +Wuth verdampft war und einem gewissen desperaten Humor Platz gemacht +hatte, erwiederte sich die Nase reibend: »I bedank' me oh schöa'!« -- +Das Gelächter, das auf diese Art von Witz folgte, war die erste kleine +Genugthuung, die dem armen Burschen nach seiner Niederlage zu Theil +wurde. Michel fühlte einen Trieb, ihn wieder aufzurichten, und fuhr +fort: »Onder o's gsakt, Schneider, du bist a Deufelskerl! Wann alle so +gschwend ond so wüadeng gwesa' wäret wie du -- i hätt' wärle koe Fetzle +Häs mea' auf'm Leib. Aber i will d'r ietz zoega', daß e oh ebbes für +de doa' ka'. Weil d'mer mei' Jupp so schöa' verrissa host, ietz sollst +m'r grad a nuia' macha' därfa'. Von ha'et a' loß e bei dir arbeta', +ond i hoff, i ka' d'r bald meaner z'doa geba'!« -- »Ist m'r a'n Ehr'«, +erwiederte der Schneider mit ironischer Höflichkeit. + +Die Gret hatte dem Michel mit froher Verwunderung zugehört. Wie kam er +plötzlich dazu, mit Andern Spaß zu machen und so nette Dinge zu sagen? +-- Eine neue Tugend, die sie ihm nicht zugetraut hätte, und deren +Hervortreten sie nun in große Freude versetzte. + +Die Scene war friedlich, ja ergötzlich geworden. Sie hatte große +Aehnlichkeit mit der Auflösung eines Lustspiels, wo Alles in Heiterkeit +verschlungen und der heftigste der vorangegangenen Conflicte eben am +pikantesten erscheint. Zum Glück hatte der Streit keine tragischen +Folgen gehabt. Niemand war gefährlich verletzt. Die Geschlagenen +und Betäubten erholten sich wieder, nahmen Trost an und hofften in +wenigen Tagen geheilt zu sein. Alles fügte sich in seine Lage, und das +Vergnügen wollte eben wieder seinen Lauf nehmen, als auf einmal von +außen der entrüstet herrische Ruf erscholl: »Wo ist's? Wer hat die +Frechheit gehabt« -- + +Ein Gendarm trat herein, nicht einer von den gutmüthigen und +volksfreundlichen, wie es deren giebt, sondern ein grimmiger, der als +Repräsentant des Gesetzes das Gefühl hatte, daß sich eigentlich Alles +vor ihm verkriechen müsse. Er hatte, im Freien spatzierend, erst jetzt +von der Schlägerei Kenntniß erhalten und eilte herbei, die Schuldigen +herauszufinden und Anzeige zu machen. »Wer hat hier geschlagen? Wie ist +der Streit angegangen? -- Antwort!« Auf diese mit funkelnden Augen und +vernichtender Miene herausgestoßene Rede, trat Michel großartig vor +und sagte: »Ih ben's, der Streit ghett hot! -- i hab a halbs Dutzet +Kerl zammgschlaga' die auf me loasganga' send -- ih alloe! Mei' Nam' +ist Johann Michael Schwab, ond i ben vom Dorf. So, ietz woeß er, was +er wissa' mueß. Ietz zoeg 'r me a', ond was m'r noch'm Rehcht ghöart, +des will e haba'.« -- Der Gendarm, von dem riesigen Burschen etwas +imponirt, aber von dem Stolz dieser Rede noch mehr indignirt, versetzte +streng und mürrisch: »Was ist das für a Rüpelei -- Raufen!« -- Schon +war Michel bereit, dem Gendarmen hinauszugeben, was ihm nach seiner +Meinung gebührte, als auf einmal ein junger Bursche aus der Menge +heraus mit schelmisch heller Stimme rief: »Der Schneider hot a'gfangt!« + +Allgemeines schallendes Gelächter folgte dieser Erinnerung an eine +komische Wahrheit und ließ sich nicht mehr beruhigen. Der Gendarm fand +für gut, sein strenges Wesen, auf das niemand mehr achtete, bei Seite +zu setzen und mit pflichtmäßiger Ruhe die zu seiner Anzeige nöthigen +Erkundigungen einzuziehen. Während dem faßte die Gret den Michel bei +der Hand und sagte im Ton herzlichen Bedauerns: »Ietz kommst no' en +O'gelegenheit, Michel -- wega' mir! -- 'S duet m'r wärle recht von +Herza' Loed (Leid)!« -- »Bah«, erwiederte der Bursche, -- »da' Kohpf +kost des no' lang net! -- Ond wanns anderst ganga' wär' -- ond wanns 'n +kosta' dät, -- 's dät me net ruia (reuen)!« -- Das war ein Compliment +für die Gret! -- Das Mädchen fand, daß Michel auch besser reden könne, +als alle Bursche, die sie bis jetzt gehört hatte -- und ihre Freude +kannte keine Grenzen. + +Nach einer Weile finden wir das Paar auf dem Weg zu dem Hause Michels. +Die Fischotterkappe und der abgerissene Juppenflügel hatten sich +wieder gefunden und dieser war von der Gret angegluft worden, so daß +unser Held mit Ehren durch die Gasse gehen konnte. Eine Ueberraschung +war der Mutter freilich nicht mehr zu bereiten, denn Kasper, der +Getreue, hatte sich schon zu ihr verfügt und ihr Alles erzählt. Die +gute Alte fühlte eine unendliche Liebe zu der Gret. Wäre sie eine +gebildete Frau gewesen, sie wäre der Schönen, Lieben und Klugen mit +den zärtlichsten Ausdrücken um den Hals gefallen. Als ein Weib aus +dem Dorfe, wo Umarmungen weniger vorkommen, ergriff sie die Hände der +künftigen Söhnerin und preßte sie, während die herrliche Erfüllung des +so lange versagt gebliebenen und schon aufgegebenen Herzenswunsches ihr +Freudenthränen in die Augen trieb. »No«, rief der Sohn ihr vergnügt zu, +»hab e net gsakt, daß i ebbes durchsetz', wann i amol drauf ausgang'?« +-- »Ja, des glob e«, erwiederte die Mutter, »wamma' des Glück hot, +wo du ha'et ghett host; doh ka'n a'n ieder zu ebbes komma'!« -- »Ja, +lieba' Mueter«, versetzte Michel, »Glück mueß ma'n allweil haba', +wamma'n ebbes durchsetza' will en dear schlechta' Welt! Ohne des got +nex!« -- + +Wir brauchen nicht zu sagen, daß der wackre Vater der Gret, zu dem man +sich gleich nachher verfügte, unserm Paar kein Hinderniß in den Weg +legte. Er mußte sich am Ende auch sagen, daß der Michel als Mann der +Gret eine bessere Figur mache als der gute Jakob. Nachdem er seine +Einwilligung ertheilt hatte, sah er übrigens die Tochter lächelnd an +und sagte; »O uir Weibsbildr, en ui kennt se doch koe Mensch aus!« -- +Michel, seinen Arm um die Geliebte schlingend, erwiederte heiter: »I +moenet ietz doch, i dät me auskenna' en dear doh!« -- + + * * * * * + +Unsere Geschichte ist zu Ende. Damals glaubte man nicht, daß die +bürgerliche Gesellschaft in Gefahr sei, wenn bei einem Bauernfest +eine kleine Schlägerei vorfiel. Man faßte bei Gericht die Sache von +der heitern Seite auf und die Betheiligten kamen mit verhältnißmäßig +leichten Strafen davon. + +Auf den Schneider hatte die Erfahrung, die er machte, eine günstige +Wirkung. Nachdem er als derjenige, welcher nachweislich zuerst +geschlagen, auch noch am bedeutendsten gestraft worden war, fühlte er +sich von dem »Spruhz«, der ihn bis dahin besessen hatte, so ziemlich +geheilt. Er lernte sein Verhältniß zur Welt in richtigerem Lichte +sehen und verzieh nach Art der gutmüthig eiteln Menschen nicht nur dem +Michel, sondern auch der Gret, welche bei schicklicher Gelegenheit +ihn herzlich um Verzeihung bat und hinzufügte: daß sie sich eine +solche Freiheit nicht genommen hätte, wenn er nicht ihr Vetter und ihr +außerdem als herzensguter Mensch bekannt gewesen wäre! -- Bald nachher +sagte der Gute zu seinen Kameraden: »Am End isch mei' Glück', daß e +die net kriegt hab!« Und die Kameraden stimmten ihm lachend bei. In +der Folge heirathete er eine Kleine, Feine und Gutmüthige, die ihn +respectirte, und lebte als Dorfschneider zufrieden und glücklich. + +Unser Paar feierte den Ehrentag noch in demselben Jahre. In der +Zwischenzeit hatte die Gret den Michel so weit gebracht, daß er nach +dem Heimgang von der Kirche zu allgemeinem Beifall mit ihr tanzte. +Unter dem Gemurmel desselben sang Kasper, der Hochzeitknecht, mit +fröhlicher Miene das Liedchen, womit wir Erzählung und Buch beschließen +wollen: + + Die ersten drei Reihen + Sind aus und vorbei, + Und nun steht das Tanzen + Jedem Anderen frei! -- + + [Illustration] + + + Berlin, Druck von ~W. Büxenstein~. + + +Fußnoten: + +[3] Von Düppel, einer Kopfkrankheit der Schafe, wobei sie sich wie +blödsinnig benehmen. + +[4] Er ist jetzt in eine hübsche Anlage verwandelt. + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75688 *** diff --git a/75688-h/75688-h.htm b/75688-h/75688-h.htm new file mode 100644 index 0000000..af023ee --- /dev/null +++ b/75688-h/75688-h.htm @@ -0,0 +1,14505 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Erzählungen Aus Dem Ries | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; +} + +h1,h2,h3 { + text-align: center; + clear: both; + font-weight: normal;} + +h1 { font-size: 220%} +h2, .s2 { font-size: 180%} +.s3 { font-size: 125%} +.s4 { font-size: 105%} +.s5 { font-size: 70%} + +h1, h2 {font-weight: normal;} + +p { text-indent:1em; + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em;} + +.p0 {text-indent: 0em;} +.p2 {margin-top: 2em;} +.p4 {margin-top: 4em;} + +.mtop2 {margin-top: 2em;} + +.padtop2 {padding-top: 2em;} + +hr { + width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: 33.5%; + margin-right: 33.5%; + clear: both;} + +hr.chap { + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + clear: both; + width: 65%; + margin-left: 17.5%; + margin-right: 17.5% } + +hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;} +@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } + +hr.r5 {width: 5%; + margin-top: 3em; + margin-bottom: 3em; + margin-left: 47.5%; + margin-right: 47.5%; + border-top: 2px solid black;} + +div.chapter {page-break-before: always;} +h2.nobreak {page-break-before: avoid;} + +table { + margin-left: auto; + margin-right: auto; + width: 23em; } + +table.autotable { border-collapse: collapse; } +table.autotable td, +table.autotable { padding: 0.25em; } + +.tdl {text-align: left;} +.tdr {text-align: right;} + +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + /* visibility: hidden; */ + position: absolute; + left: 92%; + font-size: small; + text-align: right; + font-style: normal; + font-weight: normal; + font-variant: normal; + text-indent: 0;} + +.center {text-align: center;} + +.mright {text-align: right; + margin-right: 5%;} + +.mleft5 {text-align: left; + margin-left: 5%;} + + +.gesperrt { letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em;} + +em.gesperrt{ font-style: normal;} + +.x-ebookmaker .gesperrt { + letter-spacing: 0.15em; + margin-right: -0.25em;} + +.x-ebookmaker em.gesperrt { + font-family: sans-serif, serif; + font-size: 90%; + margin-right: 0;} + +.antiqua { font-style: italic;} + +img { + max-width: 100%; + height: auto;} + +img.w100 {width: 100%;} + +img.drop-cap { + float: left; + margin: 0 0.5em 0 0 } + +p.drop-cap:first-letter { + color: transparent; + visibility: hidden; + margin-left: -0.9em } + +.x-ebookmaker img.drop-cap { + display: none } + +.x-ebookmaker p.drop-cap:first-letter { + color: inherit; + visibility: visible; + margin-left: 0 } + +.upper-case { + text-transform: uppercase } + +.figcenter { + margin: auto; + text-align: center; + page-break-inside: avoid; + max-width: 100%;} + + +/* Footnotes */ +.footnotes { + border: 1px dashed; + margin-top: 1.5em; + background-color: #e6e6e6; } + +.footnote { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + font-size: 0.9em;} + +.footnote .label { + position: absolute; + right: 84%; + text-align: right;} + +.fnanchor { + vertical-align: super; + font-size: .8em; + text-decoration: none;} + +/* Poetry */ +/* uncomment the next line for centered poetry */ +/*.poetry-container {display: flex; justify-content: center;}*/ +.poetry-container {text-align: center;} +.poetry {text-align: left; margin-left: 5%; margin-right: 5%;} +.poetry .stanza {margin: 1em auto;} +.poetry .verse {text-indent: -3em; padding-left: 3em;} + +.poetry { display: inline-block; + text-align: left;} + +/* Poetry indents */ +.poetry .indent0 {text-indent: -3em;} + +.x-ebookmaker .poetry { display: block; + margin-left: 1.5em;} + + +/* Transcriber's notes */ +.transnote {background-color: #E6E6FA; + color: black; + font-size:small; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif;} + +/* Illustration classes */ + +.illowe8 {width: 8em;} +.illowe10 {width: 10em;} +.illowe14 {width: 14em;} +.illowp46 {width: 46%;} + +.x-ebookmaker .illowe8 {width: 16%; margin: auto 42%;} +.x-ebookmaker .illowe10 {width: 20%; margin: auto 40%;} +.x-ebookmaker .illowe14 {width: 28%; margin: auto 36%;} +.x-ebookmaker .illowp46 {width: 92%; margin: auto 4%;} + + </style> +</head> +<body> +<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75688 ***</div> + +<div class="transnote"> +<p class="s3 center">Anmerkungen zur Transkription</p> +<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und +Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche +Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.</p> +<p class="p0">Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter umgestaltet. Ein Urheberrecht +wird nicht geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt genutzt werden.</p> +<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt</p>. +</div> + +<figure class="figcenter illowp46" id="cover"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt=""> +</figure> + +<h1 class="mtop2">Erzählungen aus dem Ries.</h1><br> + +<p class="p2 center">Von</p> + +<p class="s2 p2 center">Melchior Meyr.</p><br> + +<figure class="figcenter padtop2 illowe14" id="illu-001"> + <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<p class="s4 p4 center"><b>Berlin, 1856.</b></p> + +<p class="center">Verlag von Julius Springer.</p> <br> + +<hr class="r5"> + +<div class="chapter"> +<h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt.</h2></div> + +<table class="autotable"> +<tr> +<td class="tdl"></td> +<td class="tdr">Seite</td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Ludwig und Annemarie</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_1">1</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Die Lehrersbraut</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_109">109</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Ende gut, Alles gut</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_277">277</a></td> +</tr> +</table> + +<figure class="figcenter padtop2 illowe8" id="illu-003"> + <img class="w100" src="images/illu-003.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_v">[S. v]</span></p> + +<h2 class="p2">Vorwort.</h2> +</div> +<div> +<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-v.jpg" id="drop-v.jpg"> +</div> +<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">D</span>ie erste der drei Erzählungen dieses Bandes wurde 1852 im +<em class="gesperrt">Morgenblatt</em> veröffentlicht. Der Beifall, den sie erhielt, und +die freundliche Aufforderung von Seiten der Redaction veranlaßten mich, +im letzten Winter die zweite zu liefern. Die dritte, im laufenden Jahr +geschrieben, erscheint hier zum erstenmal.</p> + +<p>In der Einleitung zur ersten habe ich über das <em class="gesperrt">Ries</em> die nöthigen +Aufklärungen gegeben und meine Ansicht über das Genre ausgesprochen, +das ebenfalls zu cultiviren ich mich berufen fühlte. Zur Unterstützung +des dort Gesagten nur wenige Bemerkungen.</p> + +<p>Das, was man unter dem Namen »Dorfgeschichte« begreift, ist in +Bezug auf idyllische Darstellung im weiteren Verstande des Worts +ein Fortschritt, in sofern darin von erträumten Zuständen und +schablonenmäßiger Behandlung zur Auffassung der Natur und des +wirklichen Lebens übergegangen ist. Man gewann neue, frische +Gegenstände und eine neue Behandlung; und das Publikum überzeugte sich, +daß die Personen in den gelungensten dieser Erzählungen darum, daß +sie lebenswahr und individuell im Bilde stehen, an Reiz und Interesse +keineswegs verloren<span class="pagenum" id="Seite_vi">[S. vi]</span> haben. Der Beifall, den diese Erzeugnisse fanden, +mag mit daran Schuld sein, daß man Anklagen gegen sie erhoben hat, +die nur ihre schwachen Nachahmungen treffen. Die Dorfgeschichte soll +freilich das getreue Bild eines wirklich vorhandenen Landlebens +aufstellen; allein ist der Erzähler dichterisch begabt, so verhindert +ihn nichts, dieses Leben poetisch zu verklären. Er kann das Material, +das ihm die Wirklichkeit bietet, zu einem Organismus ausprägen, der auf +den Leser alle Eindrücke eines künstlerischen hervorbringt. Er kann es +— wenn er der Mann dazu ist.</p> + +<p>Von Seiten derer, die in Fragen der Poesie nicht zu entscheiden +berechtigt sind, weil sie ihre Begriffe nur von einzelnen Erscheinungen +derselben abgezogen haben und das Werdende und das Seinsollende — +das Ideal nicht in Anschlag bringen können — von Seiten dieser +in Deutschland nicht seltenen Urtheiler ist die Würde und die +Bedeutung des Gegenstandes angestritten worden, auf den sich der +Dorfgeschichten-Erzähler gewiesen sieht. Allerdings bewegt sich das +Leben des Landvolks — und nun gar das eines bestimmten Landvolks! +— in genau begränzter Sphäre. Allein innerhalb derselben findet +sich gleichwohl alles Menschliche — alle Tugenden und Schwächen +des Menschen und eine reiche Bethätigung derselben — wenn auch in +eigenthümlichen, nach gewisser Seite hin beschränkenden Formen. Wer das +Alles nun klar zu sehen — wer die Tugenden und Fehler in Aufdeckung +ihrer Quellen treu zu schildern und in das Licht wahrer poetischer +Gerechtigkeit zu erheben, wer dem vorgeführten Conflict in Handhabung +dieser Gerechtigkeit einen befriedigenden Schluß zu geben vermag — +wie sollte der abgehalten sein, in Darstellung solchen Lebens ein +poetisches Werk hervorzubringen?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_vii">[S. vii]</span></p> + +<p>Von dem Erzähler, der auf diesem Gebiete dem Ideal sich nähern soll, +ist freilich außer der poetischen Begabung noch Eines unabweislich +gefordert: er muß unter dem Volke, das er zu schildern unternimmt, +gelebt und Leid und Freud mit ihm getheilt haben. Er muß im Innern der +Familien heimisch sein und seine Leute in Situationen gesehen haben, +die ihre derbere Natur und ihr einfacheres Wesen auch wirklich in +Bewegung zu setzen und zu antheilerweckenden Aeußerungen aufzuregen +vermochten. Dem flüchtigen Beobachter wird das Landvolk im Guten und +im Schlimmen sich nicht offenbaren, und weder im Wirthshaus noch in +der Amtsstube kann man den ganzen Bauer kennen lernen, weil hier wie +dort nur einzelne Seiten zum Vorschein kommen, und zwar keineswegs die +besten. Mit der Kenntniß des Gesammtlebens, wie sie nur der Mitlebende +sich erwirbt, muß der Autor zugleich jene Liebe zum Volke verbinden, +ohne die es unmöglich ist, das Schöne und Gute in ihm zu sehen und +herzgewinnend hervorzubilden. Allein die wahre Kenntniß und die Liebe +gehen immer Hand in Hand; denn nur die Liebe ist im Stande, wahre +Kenntniß zu erlangen.</p> + +<p>Der Dorfgeschichten-Erzähler, in welchem die erforderlichen +Eigenschaften vereinigt sind, hat von seinem Gegenstand, der ihn auf +der einen Seite beschränkt, auch wieder ganz eigenthümliche Vortheile. +Er schildert Menschen, die entschieden ausgeprägt sind, und doch in +einer Sphäre der Naivität sich bewegen, die ihren Aeußerungen den Reiz +des Kindlichen verleiht und auch bei den ergreifenden uns ein Lächeln +entlocken kann. Rührung und Erheiterung — wie dies namentlich auch die +Werke Jeremias Gotthelfs beweisen — gehen in seiner Darstellung eng +verbunden zusammen. Das unmittelbare Sinnen- und Gemüthsleben, das in +der Sphäre unverdorbener Landleute herrschend<span class="pagenum" id="Seite_viii">[S. viii]</span> ist, giebt auch der hier +bewußtesten Persönlichkeit und den von ihm entferntesten Eigenschaften +noch etwas von seinem Gepräge. Die <em class="gesperrt">Natur</em> in ihrer Kraft, in +ihrem quellend frischen Leben, das uns umfließt, wie das Wasser des +lebendigen Stromes die Glieder des Badenden, sie, die nährende Trägerin +alles Lebens ist es, die ihr Füllhorn ausgießt, wenn der Darsteller nur +den Geist hat, dem sie liebend und mittheilend entgegen kommt! —</p> + +<p>Ist die Möglichkeit einer wesentlich poetisch gehaltenen Dorfgeschichte +bewiesen, dann wird es Erzählungen, die in der That poetisch wirken, +nicht zum Vorwurf gemacht werden können, daß durch sie zugleich noch +andere Zwecke erreicht werden. Wenn sie, von ästhetischer Ergötzung +abgesehen, zur Kenntniß des Volkes, seiner Denkweise und Sitten +beitragen; wenn sie auf die Frage der Volkserziehung beachtenswerthe +Lichter werfen; wenn sie die geistige Scheidewand niederreißen helfen, +die zwischen den gebildeten Klassen und den Landleuten noch besteht, +und die einseitigen Begriffe, die sich jene von diesen machen, +berichtigen — wenn sie den Beweis liefern, daß man sich des deutschen +Bauers gerade nicht zu schämen hat, und die gebildeten Classen zu +dem Gedanken erheben, daß sie mit dem richtig erkannten und richtig +behandelten Bauer Ein Volk zu bilden haben — dann wird dies an solchen +Erzählungen kein Mangel, sondern nur eine Tugend mehr sein.</p> + +<p>Wie weit ich mich in den folgenden Erzählungen dem Ziele, das ich mir +hiernach stecken mußte, genähert habe, das mögen berufene Kritiker und +freundliche Leser entscheiden. Kenntniß des Volks, das ich schildere, +und Liebe zu ihm wird mir nicht abzusprechen — und das Streben, aus +dem ächten Material Kunstwerke zu bilden, wird nicht ganz ohne Frucht<span class="pagenum" id="Seite_ix">[S. ix]</span> +geblieben sein. Die Gedanken, die der ersten und der zweiten Erzählung +zu Grund liegen und durch sie zur Anschauung gebracht werden sollen, +treten dem Urtheilenden so klar entgegen, daß ich über sie nichts +weiter zu sagen habe. Auch der dritten, in der ich den ungedämpften +Realismus des Riesers in die Sphäre des Humors zu erheben trachtete, +wird man vielleicht die Bedeutung eines Gleichnisses zugestehen. Die +Aufgabe, die ich mir hier gestellt, bedingte in den Gesprächen die +durchgängige Anwendung des Dialekts, worin die geführten Reden allein +die erforderliche Natürlichkeit und humoristische Kraft haben. Allein +der Rieser Dialekt ist leicht zu verstehen, und einzelne schwierige +oder in der Schriftsprache nicht gebräuchliche Ausdrücke sind in +Parenthesen erklärt. Bei gewissen Gegenständen ist die Mundart für +den geistigen Menschen, was die Landestracht für den leiblichen; und +wenn die schönwissenschaftlichen Arbeiten nebenbei die Kenntniß der +deutschen Dialekte fördern, so wird das wohl ebenfalls eine löbliche +und nicht unzeitgemäße Eigenheit sein.</p> + +<p>Zur richtigen Lesung und zum Verständniß jener Gespräche werden +folgende Nachweisungen dienen.</p> + +<p>Im Rieser Dialekt, ähnlich wie in andern, wird vielfach das n nicht +ausgesprochen, aber der Nasenton des ihm vorhergehenden Vokals oder +Diphthongen beibehalten. Die »Bahn« wird zur »Bah'«, aber das a darin +ebenso durch die Nase wie in dem hochdeutschen »Bahn« — also wie das +französische <span class="antiqua">ban</span> ausgesprochen. »Es scheint« wird »es schei't«; +der Diphthong behält den Nasenton des »scheint« und das Wort darf +keineswegs wie Scheit (Holz) gelesen werden. — Ich habe diesen Ton +durch den Apostroph hinter dem betreffenden Vokal oder Diphthongen +bezeichnet.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_x">[S. x]</span></p> + +<p>Der Rieser legt bei gewissen Worten nach dem Vocal ein kurz und +gleichfalls durch die Nase zu sprechendes a oder e ein. Er sagt statt +»gut,« guat oder guet, statt »gern« geara'. Guet läßt etwas feiner als +guat.</p> + +<p>In »ab«, »herab«, läßt der Rieser das b unausgesprochen; er sagt »ah«, +»rah«. Abfallen wird Ahfalla'.</p> + +<p>Das au verwandelt man im Ries vielfach in o oder oh, das ei in oe, das +a in o, das i in e. Es heißt z. B. statt rauchen rohchen, statt klein +kloe, statt Mahl Mohl, statt finden fenden. Weiß man dies, so wird aus +dem Zusammenhang der Rede das entsprechende hochdeutsche Wort leicht zu +erkennen sein. Das oe habe ich, damit es nicht ö gelesen wird, in den +ersten Erzählungen mit trennenden Punkten versehen.</p> + +<p>Wie in andern Gegenden Deutschlands, so wird auch im Ries häufig d +gesprochen, wo die Schriftsprache t — b, wo sie p hat. Man sagt danza' +statt tanzen, doa' statt thun, Bost statt Post etc.</p> + +<p>Für »wir« hat der Rieser »o's« (uns) — aber nur da, wo der Nachdruck +auf diesem Worte liegt. Er sagt: »O's Rieser« = wir Rieser. »Send o's +net so guet, wie ander Leut?« = Sind wir nicht so gut wie andre Leute? +— Hat »wir« dagegen nicht den Accent, so wird es zu mer (m'r) oder wer +(w'r). »Mer hont scho' gmuag« = wir haben schon genug. »Reißa' mer's +raus« = reißen wir's heraus.</p> + +<p>Die Betonung hat auch sonst Einfluß auf die Fassung der Worte. »Ich« +lautet, wenn es mit Nachdruck gesprochen wird, »ih«. Bei geringerer +Betonung wird es zu i, bei der geringsten zu e. Es heißt: »Ih solls do' +haba'?« = <em class="gesperrt">ich</em> soll's gethan haben? »Soll i's oh doa'? = soll +ich's auch thun? »Des hab' e do'«, = Das hab' ich gethan. »Dir« lautet +»Dir«, wen es<span class="pagenum" id="Seite_xi">[S. xi]</span> den Accent hat; wo nicht, so wird es zu »Der«, »D'r«. Z. +B. »I hab <em class="gesperrt">dir's</em> gsakt (gesagt). I hab d'r's <em class="gesperrt">gsakt</em>.«</p> + +<p>Die Rieser Mundart braucht einzelne Worte in anderm Geschlecht als die +Schriftsprache. »Ich habe keine Lust dazu« heißt: i hab koen (keinen) +Luhft derzua'. »Luft« existirt weiblich und männlich. Die Luft ist +ruhige Luft; der Luft, active Luft, Wind. Man sagt z. B. »'s got (geht) +a starker Luhft!«</p> + +<p>In Bezug auf Deklination ist zu bemerken, daß der Rieser statt des +hochdeutschen Genitivs ein »von« anwendet; z. B. die Größe meines +Sohnes = die Gröaß von mei'm Soh'; — oder nach dem Genitiv ein Fürwort +setzt: z. B. des Bauern Haus = d's Baura' sei' (sein) Haus.</p> + +<p>In der Conjugation weicht er von der Schriftsprache vielfach ab. Er +conjugirt: I hab (ich habe), du host, er hot; o's hont, uir hont, sie +hont. I wear (ich werde), du wurscht, er wurd; o's wearet, uir wearet, +sie wearet. I sig (ich sehe), du sikst, er sikt; o's sehet (seha't), +uir sehet, sie sehet. »Sie wearet« heißt auch, sie weara', und so +bei andern Zeitwörtern. Vom Imperfectum braucht der Rieser nicht den +Indicativ, wohl aber den Conjunctiv. Statt »ich ging« sagt er: i ben +ganga'. Für »ich ginge wohl« hat er aber: i geang wohl. Wenn er das +Imperfectum »war« anwendet, so bedeutet es entweder »wäre« oder »ist«. +Eigenthümliche Zusammenziehungen sind: Gommer = gehen wir; hommer = +haben wir; lommer = lassen wir.</p> + +<p>Der Hiatus wird im Dialekt möglichst vermieden. A' = ein wird vor einem +Wort, das mit einem Vokal anfängt, zu a'n. Es heißt: a Fueß (Fuß); aber +nicht: a' Aug, sondern a'n Aug. —</p> + +<p>Das dürfte genügen. Andere Abweichungen, Auslassungen von Buchstaben +und Zusammenziehungen, Dehnungen (die mit<span class="pagenum" id="Seite_xii">[S. xii]</span> Einlegung eines h bezeichnet +sind) bieten für den Leser keine Schwierigkeit.</p> + +<p>Schließlich haben wir nur noch zu bemerken, daß der Schriftsteller in +Gesprächen die mehr oder minder gebildeten Landleute durch minder oder +mehr entschiedenen Dialekt charakterisiren muß. Wenn man also auch +in unsern Erzählungen Variationen antrifft, so wolle man darin keine +Nachlässigkeit oder Willkür, sondern vielmehr das Bestreben erkennen, +den Modificationen zu folgen, die im Leben selber vorkommen.</p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;"><em class="gesperrt">Ebermergen</em> bei Harburg im Ries.</span></p> +<p class="s4 mright"><b>Der Verfasser.</b></p><br> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_1">[S. 1]</span></p> +<h2>Ludwig und Annemarie.</h2> +</div> + +<div> +<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-3.jpg" id="drop-3.jpg"> +</div> + +<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">D</span>as Ries ist ein Gau im Schwabenlande, einige Stunden nordwärts von der +Donau. Der größte Theil gehört zu Bayern, der nordwestliche Strich zu +Württemberg. Man braucht in diesem Gau nicht geboren zu sein, sondern +nur in guter Jahreszeit darin verweilt zu haben, um ihn für einen der +anmuthigsten und gesegnetsten in unserem Vaterlande zu halten. Wer an +einem schönen Juni-Abend auf einer der westlichen Anhöhen steht und die +von bewaldeten Hügeln umschlossene Ebene erblickt in dem glänzenden +Reichthum ihrer Feldfrüchte, die alte Reichsstadt Nördlingen mit ihrem +hohen Thurm, die fürstliche Residenz Wallerstein mit dem grauen Felsen, +der früher die Burg der Grafen von Wallerstein trug, hier und da ein +wohlerhaltenes Schloß oder ehemaliges Klostergebäude und die Menge +schmucker Dörfer, den wird ein freudiges Gefühl überkommen: er hat +nicht nur eine schöne, fröhliche Landschaft vor sich, sondern er fühlt +zugleich, daß ihre Bewohner begünstigte Menschen waren und sind.</p> + +<p>Das Ries ist eine kleine Welt und birgt eine nicht unbedeutende +Mannigfaltigkeit von Lebenserscheiuungen in sich. Daß es theils +bayrisch, theils württembergisch ist, scheint zu seinem Wesen zu +gehören. Die Bewohner zerfallen in Protestanten und Katholiken, +die zerstreut durcheinander wohnen. Im protestantischen Theile und +namentlich unter den Geistlichen fanden sich vor einigen Jahrzehnten +die Extreme der frommgläubigen und rationalistischaufgeklärten +Anschauung vertreten, von denen die erstere eine sehr rege Thätigkeit +entwickelte. Auch<span class="pagenum" id="Seite_2">[S. 2]</span> Juden fehlen nicht in dem wohlhäbigen Landstrich. +Sie sitzen an einzelnen Orten, hauptsächlich in Wallerstein, in +verschiedenen Abstufungen des Vermögens und Ansehens, vom reichen +Kaufmann und Geldverleiher an bis herab zum Schmuser, der sich auf +Märkten durch leidenschaftliche Verständigungsversuche seinen Bedarf +erkämpft. Der Dialekt ist schwäbisch in besonderer Ausbildung, an +einzelnen Punkten von Alters her eigenthümlich modificirt. Nördlingen +und Wallerstein liegen kaum eine Stunde auseinander, und doch ist +der ächte Nördlinger von dem ächten Wallersteiner an Mundart und +Betonung sogleich zu unterscheiden. In Oettingen, wie überhaupt +an der nordöstlichen Grenze, herrscht der fränkische Dialekt. Der +Menschenschlag ist arbeitsam, gewerbthätig und von gemüthlichem, +vergnügtem Wesen, sehr geneigt zu Scherz und Neckerei. Man findet +darunter noch viele Exemplare von jenem angenehm drolligen und +komischen Gepräge, das der verständigen Ernsthaftigkeit unserer +Zeit immer mehr weichen zu wollen scheint. Das schöne Geschlecht +macht seinem Namen alle Ehre; auf den Dörfern begegnet man nicht nur +stattlichen<span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span> und tüchtigen, sondern auch gar feinen und zierlichen +Gestalten. Die Landestracht ist kleidsam, wenn sie mit Geschmack +behandelt und von den Frauen in der Zahl der Röcke ein gewisses Maaß +eingehalten wird. Uebrigens greift auch hier die französische Tracht um +sich, und in dem Anzug der Frauen und Töchter wohlhabender Landleute +findet sich Einzelnes derselben mehr oder minder glücklich mit der +Landestracht verbunden.</p> + +<p>Der Verfasser hängt an diesem Gau mit begreiflicher Liebe. Er ist darin +geboren und hat in ihm die schöne Jugendzeit verlebt. Als Gymnasiast +und Student verbrachte er hier die glücklichsten Ferientage. In dem +Alter, wo man um so reicher an poetischer Empfindung und Anschauung +ist, je weniger man sie noch kunstmäßig auszudrücken vermag, lebte er +das fröhliche Rieserleben mit und nahm mit nie versiegender Freude +seine Eigenthümlichkeiten in sich auf. Die Landschaft, von dem Duft +seiner Jugendgefühle übergossen, hat für ihn einen poetischen Reiz wie +keine andere.</p> + +<p>Schon einmal im dem ländlichen Gedicht: »Wilhelm und Rosine,« das 1835 +erschien und eine Dorfgeschichte in Hexametern genannt werden kann, +hat Schreiber dieses seiner Heimath in Schilderung ihres Dorflebens +seinen poetischen Dank abgetragen. Er versucht es zum zweitenmal in +einer Erzählung. Nach den ächten Darstellungen von<span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span> von Immermann und +Berthold Auerbach ist das Genre der Dorfgeschichten durch Nachahmungen +bei uns in die Mode und wieder aus der Mode gekommen. Aber das kann +eine getreue Schilderung wirklicher Lebensverhältnisse nicht berühren. +Im deutschen Volke sind noch Schätze zu heben von eigenthümlicher +Art und Sitte, von eigenthümlichen Freuden und Leiden, von besondern +Verbindungen der überlieferten Stammesbildung mit der neuen +Zeitbildung. Wer von einem so bestimmten Leben ein dichterisch treues +Abbild zu geben weiß, der wird empfänglichen Menschen immer Freude und +Nutzen gewähren können. Das Aechte wie das Ewige hat immer seine Zeit; +und auch Annäherungen an das höchste Ziel, wie sie dem frischen Streben +gelingen, werden nicht unwillkommen sein.</p> + +<p>Nun zu unserer Geschichte. Sie hat sich vor einer Reihe von Jahren +zugetragen, wo durch die Ebene noch nicht der Dampfwagen brauste und +das Leben überhaupt noch ein idyllisches Gepräge trug, wie es jetzt +nicht mehr so ganz der Fall sein mag.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Der Geistliche eines Dorfes in der Nähe von Nördlingen wandelte +an einem schönen Sommermorgen in seinem Garten, der hinter dem +wohlgebauten, zweistockigen Pfarrhause lag. Er hatte schon eine +Zeitlang gearbeitet und wollte nun<span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span> einen Gang in freier Luft machen +und nach den Fortschritten der Gewächse sehen. Da dieser Mann in den +spätern Verlauf unserer Geschichte bedeutend eingreift, so wollen +wir den Leser schon jetzt näher mit ihm bekannt machen. Er war ein +Sechziger, bei mittlerer Größe von stattlichem Ansehen und offenbar im +Besitz einer stetigen Gesundheit. Aus den regelmäßigen Gesichtszügen +sprach Erfahrung, Verstand und eine heitere Freiheit des Geistes. Er +hatte auf der Universität neben den theologischen allgemein bildende +Studien getrieben, als Hofmeister in vornehmen Cirkeln und auf Reisen +die Welt kennen gelernt und die Laufbahn eines Geistlichen von unten +auf gemacht, bis er die einträgliche Stelle erhielt, wo er nun seit +zehn Jahren ein ruhig glückliches Leben führte. Der Glaube an die +Grundlehren der evangelischen Kirche war bei ihm ein Trieb und eine +Forderung des Herzens, aber sein Christenthum war liebevoller, +freundlicher Art. Die Natur mit Feuer und Schwert austreiben zu wollen, +aus einer Mücke einen Elephanten zu machen und die Gemüther durch +übertriebene Forderungen zu verwirren, war nicht seinem Charakter +gemäß. Er rügte streng, wo es ihm klare Einsicht gebot, aber lieber +schilderte er das höhere Leben in einer Weise, daß es durch seine +eigene Schönheit die empfänglichen Herzen gewann. Er war milde, +weil er zu unterscheiden wußte und das Gute in der Natur und in dem +Gehaben des Volks erkannte. Als Seelsorger und im sonstigen Verkehr +mit den Gliedern seiner Gemeinde freute er sich, jene brave Klugheit +anzuwenden, welche die Menschen mit<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> leichten Mitteln zu lenken +versteht. Er war dem Scherz nicht abhold, und aus dem anmuthigen +Ausdruck seines Mundes konnte man schließen, das er freundschaftliches +Gespräch selber damit zu würzen verstand.</p> + +<p>Die Sonne schien heiß vom wolkenlosen Himmel. Dieß hielt den Pfarrer +nicht ab, den Schatten der Kastanienbäume am Hause zu verlassen und +geschützt durch sei schwarzes Käppchen, unter dem rechts und links ein +silbergrauer Haarbüschel hervordrang, erst die Blumenbeete, dann auf +dem grasigen Platz die reifenden Kirschen zu betrachten. Aus einem +Gesicht, dessen bräunliches Roth sich von dem anderer Landbewohner +durch einen feineren, geistigeren Ton unterschied, sah eine innere +Freudigkeit, die mit der Schönheit des Sommertags ganz in Harmonie war.</p> + +<p>Als er sich eben anschickte, unter die Kastanienbäume zurückzukehren, +wurde die Thüre, die vom Pfarrhaus in den Garten führte, rasch +aufgemacht und ein schlanker, blonder junger Mensch von etwa sechzehn +Jahren ging eilig auf ihn zu. Es war sein Enkel, der Sohn seiner +Tochter, die ihren Theodor dem Großvater zur Vorbildung für die letzte +Klasse des Gymnasiums zugeschickt hatte. Das sonst gleichmäßig blasse, +durch die Sonne nur wenig gebräunte Gesicht war jetzt erhitzt und +geröthet, und man sah aus allem, daß er etwas für ihn sehr Bedeutendes +zu berichten hatte.</p> + +<p>»Großvater,« rief er dem alten Herrn zu, »es ist gut, daß ich dich +treffe! Drunten im Dorf — nein, es ist zu arg!« Er hielt inne, um +zu verschnaufen. — Der Alte kannte seinen Mann. Er wußte,<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> daß der +junge Kopf seine eigenen Ansichten vom Leben hatte, und daß manches, +was damit in Widerspruch trat, ihn oft in unverhältnißmäßige Aufregung +versetzen konnte. Er war daher nicht erschreckt, sondern fragte ruhig: +»Nun, was ist denn schon wieder?« — »Drunten im Dorf,« erwiederte +Theodor, »beim Angerbauer gibts Händel, Händel zwischen Vater und +Sohn. Ich hab's selber gesehen.« — Der Alte wurde ernsthaft und eine +Bewegung seines Kopfes verrieth, daß ihm die Nachricht nicht ganz +unerwartet kam. Er sagte: »Erzähle mir, was du gesehen hast, aber in +der Ordnung.«</p> + +<p>»Ich wollte in's Dorf hinunter, um hinter den Hecken mein Pensum zu +lernen. Da sah ich vor dem Hause des Angerbauers einen Haufen Leute +stehen, und wie ich hingehe, hör' ich wüthendes Geschrei aus der +Stube. Der Alte schmähte den Sohn und schrie wie rasend. Gott, welche +Schimpfworte und Flüche! Wie ist es möglich, daß die Menschen so roh +sein können!« — »Es ist manches möglich, was du noch nicht begreifst, +mein Kind,« sagte der Pfarrer. — »Und dieser Angerbauer,« fuhr der +junge Moralist fort, »der immer so gescheidt sprach und sich ein so +würdiges Ansehen zu geben wußte — von dem hätt' ich's am wenigsten +geglaubt.« — »Der Angerbauer,« bemerkte der Alte mit nachdrücklicherem +Ton, »ist ein ehrenwerther Mann und der Sohn deßgleichen. Das wirst du +noch einsehen. Aber nun erzähle weiter. Was hat der Bauer seinem Sohn +vorgeworfen? Oder hast du das im Eifer vielleicht überhört?« — »Nein, +das kann ich dir genau sagen. Ludwig will die Annemarie beim Bäcker +heirathen, und der Angerbauer will's nicht zugeben.« — »Ich dacht' +es mir,« sagte der Geistliche. — »Wie ging der Streit aus? denn du +hast doch wohl das Ende abgewartet?« — »Wie der Alte gerast, der Sohn +trutzig geantwortet und die Bäurin umsonst sich Mühe gegeben hatte, sie +zu begütigen, hörte man ein Knacken, wie von einem zerbrochenen Stuhl, +und der Vater schrie: »Fort! Geh aus meinem Haus und komm mir nie mehr +unter die Augen!« worauf Ludwig sagte: »Hab' keine Sorg, du wirst mich +nie wieder sehen,« und aus der Stube ging. Dann wurd's stille und ich +lief fort, um dir's zu erzählen.«</p> + +<p>Der Geistliche schüttelte den Kopf, schien aber von diesem Ausgang<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> +doch weniger beunruhigt zu sein, als sein Enkel erwartete. Er sah eine +Zeitlang vor sich hin und nickte dann, als ob er einen Entschluß gefaßt +hätte. Der junge Mensch sah ihn an und fragte: »Wirst du hingehen und +Frieden stiften?« — Der Geistliche erwiederte mit leisem Lächeln über +diesen Eifer: »Der Streit ist ja aus, wie du mir sagst.« — »Wenn aber +Ludwig auf und davon geht?« — »Daran werd' ich ihn nicht verhindern +können.« — »Aber, lieber Großvater« — »Wirst du einem alten Pfarrer +lehren, was er zu thun hat, Junge? Komm jetzt zur Großmutter.« Er nahm +ihn wohlwollend bei der Hand und führte ihn in's Haus zurück.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Der Angerbauer war nach ländlichen Begriffen ein reicher Mann. Er +hatte seiner Tochter, die im Dorfe verheirathet war, sechstausend +Gulden mitgegeben, und mehr als das Doppelte hatte er noch am Zins. +Sein Sohn Ludwig sollte eben so viel und das jüngste Kind Andres nach +der bäuerlichen Erbfolgeordnung den Hof erhalten. Die Familie lebte +wohl und glücklich zusammen. Der Vater, ein hochgebauter, stattlicher +Mann mit schwarzen Augen und Haaren und gelblichbraunem Gesicht, hielt +gute Zucht im Hause, ohne jedoch seinen Kindern den herkömmlichen +Lebensgenuß zu verkümmern. Er war ein kluger Oekonom und sein Stolz +war, die bestbestellten Aecker im Dorfe zu haben. Seine Wohlhabenheit +und sein Ansehen in der ganzen Umgegend gaben ihm ein bedeutendes +Selbstgefühl, das sich auch in seiner würdigen Haltung ausdrückte. +Er sprach wenig, aber bestimmt, und wie gesetzt er in der Regel war, +so sah man doch, daß er, einmal in Leidenschaft gebracht, gewaltig +losbrechen konnte. — Die Mutter war in ihrer Jugend sehr hübsch +gewesen, und noch immer machte die schlanke Gestalt einen angenehmen +Eindruck. Sie hielt mehr auf zierliche Reinlichkeit im Hause, als es +sonst in Bauerfamilien der Fall zu sein pflegt; in ihren Stuben und +Kammern mußte alles wie geleckt sein, und überdies alles am rechten +Platze stehen. Sonst zeichnete sie sich in der Kunst aus, Backwerk zu +verfertigen und namentlich »Küchle« zu liefern, die von den jeweiligen +Gästen mit entzückten Lobpreisungen verspeist wurden. Fröhlicher und +gutmüthiger<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> als der Vater, hatte sie doch auch ihre Portion Stolz und +hielt sehr auf das, was sich ihrer Meinung nach für eine reiche Familie +geziemte. — Ludwig schlug der Mutter nach, während der neun Jahre +jüngere Andres ein gemildertes Abbild des Vaters zu werden verhieß.</p> + +<p>Die Hauptperson unserer Erzählung — man sieht, daß dies Ludwig ist — +war einer der schönsten und angesehensten Bauernsöhne im ganzen Ries. +Tänzer und Sänger, wie es nur einen gab, dazu ein lustiger Bursche voll +guter Einfälle, hatte er schon in verschiedenen Dörfern Herzen erobert, +wenn er bei Verwandten auf Besuch war oder als Gast eine Hochzeit +mitmachte. Es war einer von den Menschen, denen alles wohl ansteht, die +Arbeit wie das Vergnügen. Wenn er Sonntags in dunkelgrüner sammtner +Juppe (Jacke) mit silbernen Knöpfen, schwarzen, knapp anliegenden Hosen +vom schönsten Hirschleder und hohen, über die Knie gezogenen Stiefeln, +die Kappe von Fischotter mit grünseidener Troddel auf's rechte Ohr +gesetzt und den silberbeschlagenen Ulmer Pfeifenkopf im Munde nach +der Stadt, d. h. nach Nördlingen, wanderte, so hätte er einem ruhigen +Beobachter wohl gefallen, den Mädchen aber, die ihm begegneten und +die er freundlich grüßte, war sein Anblick ein wahres Labsal, und sie +konnten sich selten enthalten, sich umzuwenden und ihm nachzusehen. +Dann sagte wohl eine in heiterer Anerkennung: »Des Angerbauers Ludwig +ist eben doch der schönste,« und die andern stimmten ihr bei, vergnügt +oder erröthend, je nachdem.</p> + +<p>Auf welches Mädchen durfte ein so Begünstigter nicht Anspruch machen? +Welche Schönheit wäre fähig gewesen, ihn auszuschlagen? Indessen jede +Lebensstellung hat ihre Pflichten, und Ludwig durfte nicht unter den +Schönheiten des Rieses überhaupt, sondern nur unter denen wählen, +die eben so viel mitbekamen als er. Dieser Pflicht kommen die jungen +Bursche meist instinktmäßig nach. Der Bauer, am überlieferten Brauche +haltend, verliebt sich in der Regel nur standes- oder wenigstens +vermögensgemäß. Zu dem Ganzen, das ihn an einem Mädchen bezaubern +soll, gehört auch die reiche Ausstattung, die Ehre, die begüterte +Verwandtschaft. Das Mädchen muß aus einer Familie sein, die eben so +ästimirt ist wie die seinige, sonst entbehrt ihre Schönheit des rechten +Nimbus oder erweckt höchstens eine gönnerhafte<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> Empfindung in ihm. +Für unsern Burschen war die Wahl einer Lebensgefährtin noch besonders +eingeschränkt. Da das Stammgut an Andres überging, so mußte er sich +einen passenden Hof kaufen, was seine Schwierigkeiten hat. Das Beste +war daher, eine einzige Tochter, eine Hoferbin, zu heirathen und in +eine schon bereitete Stätte als Herr einzuziehen.</p> + +<p>Es war keine geringe Vermehrung der Zufriedenheit, welche der +Angerbauer und sein Weib ohnehin empfanden, daß sie für ihren Ludwig +solch einen »Anstand« wußten. In der That war dessen Künftige schon +gefunden in der einzigen Tochter eines entfernten Verwandten, der im +nächsten Dorf einen der stattlichsten Höfe besaß. Die Aeltern hatten +darüber gesprochen; die Angerbäuerin hatte zur gehörigen Zeit merken +lassen, daß die junge Base Eva eine rechte Frau für ihren Ludwig wäre, +und im Vorbeigehen die Summe namhaft gemacht, die sie ihrem Sohn +mitgeben könnten, worauf man sich verständigte. Ludwig hatte nichts +gegen den Plan. Für einen Geschmack, der auf dem Lande viele Vertreter +zählt, war Eva eine Art von Schönheit, nämlich eine große, tüchtige +Person mit nicht allzukleiner, etwas gebogener Nase und runden rothen +Backen, so eine, die der feinere Mann einen »Dragoner,« die solide +Anschauung der Mehrzahl aber »a rechts Mädle« zu nennen pflegt. Ludwig +fand in dem Aussehen seines Bäschens keinen Grund, sich in sie zu +verlieben, aber auch keinen, sich der Heirath zu widersetzen. Ihr Hof +leuchtete ihm ein und warf ein verschönerndes und verfeinerndes Licht +auf die Erbin. Er spielte bei Gelegenheit mit Anstand die Rolle eines +Verehrers, und die Heirath wäre ohne weiteres vor sich gegangen, wenn +der Vater Eva's sich hätte entschließen können, seinen Hof so früh zu +übergeben. Allein die erste Person im Hause zu sein, gefiel ihm noch +zu sehr, und er wollte wenigstens warten, bis seine Tochter in die +Zwanziger getreten wäre. Warum sollte er sich beeilen? Von allen Seiten +war man ja einverstanden, und ob früher oder später, sein reicher +junger Vetter wurde sein Schwiegersohn.</p> + +<p>Kein Projekt der Menschen ist indessen so gesichert, daß nicht noch +etwas dazwischen treten könnte. Wenn man ein gewünschtes Gut schon in +der Hand zu halten glaubt, kann es noch entschlüpfen, um<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> den Menschen +erkennen zu lassen, daß es bei den Dingen dieser Erde noch auf etwas +anderes ankommt als auf sein Wollen und Meinen. Als Eva neunzehn, +Ludwig dreiundzwanzig Jahre alt war, ereignete sich etwas, das die +Fäden, die von den zwei Familien gesponnen waren, zerriß und den Stoff +zu unserer Geschichte lieferte.</p> + +<p>Dies war der plötzliche Tod eines braven Zimmermanns im nächsten +württembergischen Orte. Die einzige Tochter desselben, ein ungewöhnlich +schönes Mädchen, wurde dadurch eine Waise. Da sie erst siebzehn Jahre +zählte und auf ihr Erbe nicht heirathen wollte, so machte ihr Vormund, +der Bäcker unseres Dorfs, das Haus und die paar Morgen Ackerland zu +Geld, legte dieses gut an und nahm das Mädchen zu sich.</p> + +<p>Die Ankunft Annemarie's brachte die Jugend des Dorfs in großen Allarm. +Wenn der Bauer in Bezug auf die Wahl einer Ehehälfte praktisch denkt, +so ist er doch keinesweges unempfindlich für Schönheit; ein sehr +schönes Mädchen wird auf dem Lande ausgezeichnet wie ein reiches, nur +auf andere Weise. Das Dorf, das eine solche Blume hegt, thut sich was +darauf zu gute, und es sagt wohl einer mit einem gewissen Triumphgefühl +zu einem Freund aus dem nächsten Dorfe: »So eine habt ihr doch nicht!« +Die jungen Leute, bei denen es irgend angeht, sind eifrig, sich bei +ihr »wohl dran zu machen;« denn einen schönen Schatz zu haben, ist, +abgesehen von der Freude, auch eine Ehre, und es ist höchst angenehm, +ihn von andern loben zu hören und sich darum beneidet zu sehen. +Annemarie fand außer einer guten Anzahl von Bewunderern und Neiderinnen +rasch auch mehrere entschiedene Anbeter; aber sie hatte eine eigene +ruhige Art, die Andringlinge zurückzuhalten oder ablaufen zu lassen. +Bald hieß es unter den Mißvergnügten: das sei eine Curiose, die sich +sehr viel auf ihre Schönheit einzubilden scheine; und doch sei's gar so +arg auch nicht damit.</p> + +<p>Wie soll ich aber von dieser Schönheit einen Begriff geben? — Mir +ist es manchmal so vorgekommen, als ob man eine kindliche, eine +jungfräuliche und eine mütterliche oder frauliche Art der Schönheit +unterscheiden könnte. Ein Mädchen von der ersten Art wird auch als +Frau und Mutter noch ein kindliches Wesen behalten, während die<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> von +der dritten schon in der Zeit des jungfräulichen Aufblühens einen +mütterlichen Charakter gewinnt. Annemarie gehörte zu der dritten +Gattung. Ihr Aeußeres ist kurz beschrieben. Sie hatte etwas mehr als +mittlere Größe und eine natürlich schöne Gestalt. Nichts war dürftig +an ihr, alles reich, doch würde auch der strenge Kenner nichts +hinweggewünscht haben. Die Farbe ihres Gesichts war nußbräunlich, +mit mildem, aber entschiedenem Roth; Haare und Augen dunkelbraun. — +Allein die wahre Schönheit liegt in der Seele. Wie diese schon im +Mutterschooße auf die Formen des Leibes bildend einwirkt, so veredelt +und verfeinert sie ihn fortwährend. Der eigenthümliche Reiz, den +Annemarie ausübte, kam von der Güte, die aus ihrem Gesichte sprach. +Wenn eine Empfindung der Freude oder des Dankes ihr Herz erfüllte, +dann ging ein Glanz über ihre Züge und das schöne innere Leben gab ihr +eine Anmuth, daß auch der Stumpfe fühlen mußte, hier sei mehr als ein +gewöhnlich hübsches Mädchen.</p> + +<p>Als Annemarie zu ihrem Vetter übersiedelte, war Ludwig abwesend; er +hatte Getreide nach Augsburg gefahren, wo dermalen der Preis höher +stand als auf der berühmten Schranne zu Nördlingen. Nach seiner +Rückkehr machte ihn das Lob, welches dem Mädchen von seinen Kameraden +gesungen wurde, neugierig, und er beschloß sogleich, sie zu sehen, +was auf dem Dorfe bekanntlich keine Schwierigkeiten hat. Mit der +Leichtigkeit, wie sie etwa ein junger Baron zeigt, wenn er sich +herabläßt, der hübschen Tochter eines Bürgers den Hof zu machen, +begrüßte er Annemarie, sprach seine Freude aus, daß ein so schönes +Mädchen in's Dorf gekommen sei, und sagte ihr mehrere Schmeicheleien +in der direkten Art, die für ein feineres Gefühl nichts Angenehmes +hat. Annemarie wurde ernsthaft und gab ihm kurze Antworten. Da Ludwig +gutmüthig war, so ahnte er, worin er gefehlt hatte. Er griff es das +nächstemal besser an, zeigte mehr Achtung vor dem Mädchen und sprach +sein Wohlgefallen nicht in Worten, sondern in bescheiden zärtlichen +Blicken aus. Dies wirkte. Die Wohlgestalt des jungen Bauers trat nun in +ihr Recht ein; dem guten Mädchen ging bei seiner Huldigung das Herz auf +und die Freude blickte aus ihrem Gesicht.</p> + +<p>Ludwig mußte sich sagen, daß ihm eine solche Schönheit noch<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> nicht +vorgekommen sei. Er wiederholte seine Besuche. Bald fing er an Unruhe +zu spüren, redete hie und da »aus dem Weg naus« und ließ seine +Geschicklichkeit in der Ansprache sehr vermissen, was ihm aber bei +Annemarie gar nicht schadete. Die jungen Leute waren glücklich sich zu +sehen und zu fühlen, daß eines bei dem andern etwas gelte.</p> + +<p>Die erste Zeit einer entstehenden Liebe hat das Schöne, daß man noch +nicht fragt, was daraus werden soll. Man hat sich noch kein Ziel +gesetzt, darum sieht man auch noch keine Gefahren und Hindernisse. +Ein Wohlgefallen an einander haben darf man ja, man läßt daher seine +Empfindung gewähren und freut sich und macht Freude. Diese erste +Neigung wird auch noch von andern begünstigt. Die Leute lächeln, +wenn sie sehen, wie die beiden sich mit den Augen suchen und wieder +zusammenzukommen trachten; sie gefallen sich, darin sie gemüthlich zu +plagen und eines mit dem andern aufzuziehen. Und da es noch nicht zur +Erklärung gekommen ist, so kann das Mädchen einem solchen Plagenden +mit Wahrheit erwiedern, er irre sich, oder er sei nicht gescheidt. — +Aber in solchem Spiel webt sich aus dem ersten Wohlgefallen nach und +nach ein Band, durch das man sich gefesselt fühlt. Es sammelt sich ein +Schatz von Gefühlen und mehrt sich täglich, und weß das Herz voll ist, +deß muß der Mund übergehen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Gelegenheit zur Erklärung gab eine Hochzeit, die nach Dorfsitte +mit Essen und Trinken, Spiel und Tanz im Wirthshause gefeiert wurde. +Nach überliefertem Brauche gehört der Tanzboden von Mittag bis Abend +den Hochzeitgästen. Hat aber nach der Abendmahlzeit und nach Abgabe der +Hochzeitgeschenke der Schullehrer eine Dankrede in Versen gehalten und +mit seinen Zöglingen ein geistliches Lied gesungen, dann kündigt ein +weltliches Lied, das ein kecker Bursche sich anzustimmen erlaubt, die +Herrschaft der jungen Leute des Dorfes an. Die Hochzeitgäste, zumal die +aus andern Dörfern, verlieren sich nach und nach, das Brautpaar wird +von einem Theil der Musikanten nach Hause begleitet: der zweite Theil +der Lustbarkeit, der »Ansing,«<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> hat begonnen und die Jugend des Dorfs +nimmt den verlassenen Raum ein.</p> + +<p>Ludwig hatte der Hochzeit als Gast beigewohnt, aber wenig getanzt +und überhaupt ein nachdenkliches Wesen gezeigt. Als er einmal allein +dasaß, kam ein munteres Mädchen auf ihn zu und sagte: »Warum tanz'st du +nicht, Ludwig?« Er wußte nichts Gescheidteres zu erwiedern, als, daß +es ihm nicht recht gut sei. Das Mädchen sah ihn lächelnd an und sagte: +»Die rechte Tänzerin ist nicht da. Aber hab' nur Geduld, sie wird +heute Abend schon kommen.« Ludwigs Gesicht erheiterte sich; er wußte +allerdings, daß er sie erwarten durfte. — Nach dem Abendessen ging er +nach Hause, vertauschte den Hochzeitrock mit der Sammtjacke, kehrte +in's Wirthshaus zurück und setzte sich zu einem Burschen, der Regine, +die Tochter des Bäckers, zum Schatz hatte, und mit dem er daher in der +letzten Zeit vertrauter geworden war. Bald erhielten die beiden einen +Wink; sie gingen hinaus, und Hans führte Regine, Ludwig Annemarie unter +die Tanzenden.</p> + +<p>Wer sich den Moment vergegenwärtigt, wo er zum erstenmal die, welche +er liebt, in den Arm fassen durfte, um nach dem fröhlichen Takt +eines Walzers durch den Saal zu fliegen, der begreift das Glück des +jungen Paares. Geflogen wurde hier freilich nicht; der Bauer bleibt +beim Tanz mit seinen Füßen mehr auf dem Boden, als der Städter, und +kommt langsamer vorwärts; aber die Wirkung ist dieselbe. Es war eine +Freude, den beiden zuzusehen. Sie waren ohne Vergleich das schönste +Paar und tanzten auch am schönsten. Dabei war Ludwig so vergnügt, daß +er, wie man zu sagen pflegt, den Mund nicht zusammenbringen konnte, +und Annemarie lächelte selig in sich hinein. Jene Muntere, die mit +ihrem Liebhaber wieder zum Tanz gekommen war, trat einmal zu ihm und +sagte: »Ist dir jetzt wieder gut, Ludwig?« Und dieser hatte den Muth zu +erwiedern: »Ja wohl, in meinem Leben wünsch' ich mir's nicht besser!«</p> + +<p>Auf dem Dorfe tanzt man nicht Touren, sondern <em class="gesperrt">Reihen</em>, und zwar +deren so viel, als man wünscht und aushalten kann. Ein Bursche singt +ein Lied vor — in Altbayern »Schnaderhüpfel,« im Ries »Schelmenliedle« +genannt — und die Musikanten spielen es<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> zum Tanz. Ist der Reihen aus, +so führt der Bursche sein Mädchen gehend an der Hand, während ein neues +Lied einen neuen Tanz einleitet. Diese Sitte verursacht manchmal Streit +und die Spielleute kommen in große Noth, wenn zwei tüchtige Bursche +verschiedene Lieder singen und jeder verlangt, daß seines aufgespielt +werde. In der Regel läßt indeß einer dem andern schon beim Singen den +Vorrang und wird auch wohl beim Streite noch zum Nachgeben beredet. — +Während man herumging, erklärte Ludwig der Geliebten die Frage jenes +Mädchens und seine Antwort; und die Glückliche, die so deutlich sah, +wie viel er auf sie hielt und wie ernst es ihm war, konnte sich nicht +enthalten, ihm dankbar die Hand zu drücken.</p> + +<p>Nachdem sie sich so ziemlich müde getanzt, führten die beiden Kameraden +ihre Tänzerinnen in die Stube und boten ihnen zu trinken, worauf die +Mädchen, um mit Goldsmith zu reden, »den Rand des Kruges küßten.« Man +setzte sich zusammen, um zu plaudern. Ludwig hatte nicht bemerkt, +daß während des Tanzes sein Vater auf der Stiege gestanden, ihn mit +Annemarie gesehen und sehr verfinsterten Angesichts das Wirthshaus +verlassen hatte. Ein boshafter Nachbar hatte ihm gesagt, sein Ludwig +tanze heute so schön, und der Alte, dem es ganz recht war, daß sein +Sohn auch darin sich auszeichnete, wollte sich das Vergnügen machen, +ihn zu sehen. War es ihm nun schon sehr fatal, ihn mit Annemarie tanzen +zu sehen, von der man ihm gesagt, daß sein Ludwig ein Aug' auf sie +habe, so ärgerten ihn noch mehr die zärtlich glücklichen Mienen des +Paars. Er ging sehr verstimmt nach Hause, um zunächst der Ehehälfte +seinen Verdruß mitzutheilen, am nächsten Morgen aber mit dem Burschen +selbst ein Wörtchen zu reden. — Von alledem ahnte Ludwig nichts, +seine Freude blieb daher ungestört. Nach einer Weile kam ein junger +Bursche und forderte Annemarie zum Tanz auf. Ludwig sah ihn groß an +und hatte gute Lust, ihm zu sagen, er solle sich fortscheeren und eine +andere suchen. Allein er besann sich, daß er dazu kein Recht habe, und +ließ sie ziehen. Er sah dem Tanzen zu und freute sich an der sittigen +Haltung Annemarie's und an der Art, wie sie den etwas unbeholfenen +jungen Menschen leitete. Als dieser, der sich gewaltig abgearbeitet +hatte, den Schweiß von der Stirne wischte, trat Ludwig zu ihm und<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> +sagte: »Du bist müde, ich will dich ablösen.« Ohne Weiteres nahm er das +lächelnde Mädchen bei der Hand und mischte sich unter die Paare.</p> + +<p>Den ganzen Abend tanzte er nur einmal mit einer andern, nämlich mit +jener Muntern, weil er sicher war, daß sie ihn mit der Geliebten +aufziehen und von ihr reden würde. Er kam Annemarie beinahe gar nicht +von der Seite, und sie hatte dabei ein Ansehen, als ob's nie anders +gewesen wäre. Beide waren in jener Stimmung, wo man ganz in dem Lichte +seliger Empfindungen lebt und das trunkene Auge in den Menschen umher +nur Schattengestalten erblickt, die wie in einer andern Welt ihr +Wesen treiben. Sie sahen nicht, wie man um sie her sich in die Ohren +zischelte und den Kopf schüttelte; sie bemerkten nicht, wie die zwei +langgewachsenen Töchter eines reichen Bauern, vor deren Augen Ludwig +ebenfalls Gnade gefunden hatte und die mit Bruder und Vetter da waren, +regelmäßig, so oft sie an dem glücklichen Paar vorübergingen, den +häßlichen Mund verzogen, wodurch er keineswegs schöner wurde.</p> + +<p>Endlich kam Mitternacht heran und die gesammte Jugend begab sich in +die große Stube, um sich zum Schmause zu setzen. Ludwig blieb auf dem +Tanzboden mit Annemarie zurück; die Talglichter waren herabgebrannt +und der Raum beinahe dunkel. Er nahm die Geliebte bei der Hand und +führte sie zu einem offenen Fenster, und beide blickten in die laue, +trübe Mainacht hinaus. Nachdem sie eine kurze Zeit schweigend vor sich +hingesehen, sagte Ludwig: »Was ist das für ein schöner Ansing! In +meinem Leben bin ich nicht so vergnügt gewesen, wie heut. Aber du,« +setzte er herzlich hinzu, »bist auch die schönste und liebste Tänzerin, +die man finden kann.« — »Mach mich nicht roth,« erwiederte sie und +wurde roth vor Freude, »du thust mir zu viel Ehr' an.« — »Dir kann man +gar nicht zu viel Ehr' anthun,« rief Ludwig, um sein volles Herz durch +Lobpreisung zu erleichtern, »du bist das erste Mädchen im ganzen Ries!«</p> + +<p>Annemarie schwieg. Mit einem leisen Seufzer und als ob sie die letzten +Worte nicht gehört hätte, sagte sie endlich: »Wenn ich deines Gleichen +wäre!« — Sie wollte sagen: wenn ich die Tochter eines reichen +Bauern wäre! — Ludwig, den Unterschied ohne Weiteres<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> zugebend, +erwiederte: »Das ist mir einerlei, du bist mir die liebste, lieber +als alle Bauerntöchter miteinander. In meinem Leben wünsch' ich mir +keine Bessere wie dich!« — Und er bekräftigte diese Betheurung mit +einem zärtlichen Händedruck. — Das war zu viel für das gute Mädchen. +Sie erhob sich und sah ihn an. »Ach, Ludwig,« sagte sie mit einer +Stimme, die vor Freude zitterte, und mit einem Ton, als ob sie ihre +Worte keineswegs für ganz richtig hielte, »ach, Ludwig, ich bin dich +nicht werth!« — Statt aller Antwort faßte Ludwig sie um den Hals und +drückte einen herzlichen Schmatz auf die schönen Lippen, die nicht in +der Stimmung waren, sich zu weigern, sondern vielmehr gleich darauf +das schöne Geschenk dankbar mit Zinsen zurückgaben. Niemand war Zeuge +dieses Vorgangs. Es war ganz dunkel geworden. Nur die feuchten Augen +der Glücklichen leuchteten gegen einander.</p> + +<p>Regine trat aus der Stube, sie zu suchen; Annemarie eilte zu ihr und +ging mit ihr zurück. Ludwig kam später nach, strahlend vor Vergnügen. +Er ließ in der Freude seines Herzens eine Flasche Wein kommen und +auftragen, was gut und theuer war. Die beiden Langgewachsenen wurden +gelb vor Neid und Aergerniß.</p> + +<p>Nachdem in der ganzen Stube die Messer und Gabeln bei Seite gelegt +waren, begannen die Spielleute »auf den Tisch hinein zu machen,« +nämlich Musik. An jedem Tisch pflegt der Bursche, der's versteht, +ein längeres Lied vorzusingen; die Musikanten setzen einen zinnernen +Teller auf den Tisch und spielen das Lied nach. Wenn dies ein paarmal +geschehen, so wirft jeder Bursche mit Art ein Geldstück auf den Teller +— größer oder kleiner, je nachdem es die Ehre und der Beutel leidet — +und die Musikanten treten zu einem andern Tisch, um eine neue Ernte zu +halten. Der Meister der jungen Leute ist hier derjenige, der mit einem +<em class="gesperrt">neuen</em> Lied auftreten kann. Denn auch auf dem Lande will man +nicht immer dasselbe, sondern was Frisches hören und seine Kenntnisse +bereichern. Gewisse alte Volkslieder, die jetzt in gebildeten Kreisen +Glück machen, sind bei solchen Gelegenheiten geradezu verpönt; und als +diesmal der junge Mensch, der mit Annemarie getanzt hatte, sich ein +Ansehen gab und begann:</p> + +<p class="mleft5">Es steht ein Wirthshaus an dem Rhein —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p> + +<p>brach ein allgemeines Gelächter aus. »Das hast du wohl von dei'm Aehle +(Aehnlein, Großvater) gelernt!« rief ihm Einer zu, und eine runde Dirne +an seinem Tisch sagte mit mütterlichem Ausdruck: »Besinn dich auf ein +anderes, Jakob; so ein junger Bursch darf kein so altes Lied singen!« +Dem verdutzten Jungen fiel jedoch nichts ein, so sehr er auch in die +Luft hinstarrte, als ob es dort abzulesen wäre. Er mußte es einem +andern überlassen, die Ehre des Tisches zu retten.</p> + +<p>Die Zeit nach dem Essen ist überhaupt die, wo verschiedene Späße +losgelassen werden. Ein anderes Bürschchen, das zum erstenmal bei +einer solchen Gelegenheit war, sang ein bekanntes Lied in herzbrechend +falschen Tönen; ein geschickter junger Clarinettist copierte ihn Ton +für Ton, was große Heiterkeit verursachte und dem Musikanten von den +»Ausgelernten« großes Lob zuzog. Der junge Bursche kam zum erstenmal +über seinen Gesang zur Erkenntniß und wurde roth. Ein alter Musikus +mit gemüthlicher Kupfernase, der das Horn blies, sagte schmunzelnd: +»Laß dich nicht irre machen, Mathes, und halt's nur immer recht +mit den Musikanten, dann erleb ich's noch, daß du die andern alle +herunterstichst.« Das Bürschchen, das nicht dumm war, verstand den +Wink; um sich wenigstens auf eine Art auszuzeichnen, nahm er aus +seinem nagelneuen ledernen Beutelchen das Doppelte heraus, was er erst +hatte geben wollen, nämlich zwei Sechsbätzner, und warf sie in den +Teller, daß es klang. »Siehst du,« sagte der geriebene alte Hornbläser, +»<em class="gesperrt">der</em> Ton ist schon besser!«</p> + +<p>Zuletzt kamen die Musici an den kleinen Tisch, wo Ludwig mit Annemarie, +Hans und Regine saß, und spielten eine kleine Einleitung. Ueber das +Gesicht des jungen Bauers verbreitete sich ein wohlgefälliges Lächeln. +Er hatte von Augsburg ein Lied mitgebracht, das wenigstens für die +anwesende Gesellschaft vollkommen neu war, und wollte sich nun gehörig +damit zeigen. Als die Musik zu Ende war, setzte er sich in Positur und +hub an:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Wir winden dir den Jungfernkranz</div> + <div class="verse indent0">Mit veilchenblauer Seide u. s. w.</div> + </div> +</div> + +<p>Allgemeinste Aufmerksamkeit! Die Musikanten, der Clarinettist voran, +fanden sich bald in die einfache Weise und nach einigen Mißtönen +ging's. Der Erfolg war außerordentlich. Als unter vollkommener<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> Stille +das letzte »G'setz« gesungen war, riefen einige Mädchen: »Ah, das ist +aber schön!« und sahen mit einer Art von Andacht auf Ludwig. Mehrere +Bursche kamen herbei und sagten, das müßten sie auch lernen. Der Sänger +wurde der Mittelpunkt der Gesellschaft. Er mußte auf allgemeines +Verlangen sein Lied wiederholen und erntete noch größeres Lob. Seine +schöne Nachbarin erröthete auf's neue bei den bedeutungsvollen Worten +»Jungfernkranz« und »Freiersmann« und zeigte die liebenswürdigste +Freude über den Sieg ihres Tänzers. Dieser wollte nach einem solchen +Triumph im Singen keinen neuen Versuch mehr machen. Aber noch blieb +etwas übrig, was seinen Effekt nicht verfehlen konnte. Er griff ruhig +in die Tasche und legte, als wär' es ihm nichts, einen Kronenthaler +auf den Teller. Der Kamerad mußte nun ein Uebriges thun und legte +wenigstens einen halben dazu. Die Gesichter der Musikanten leuchteten. +Sie setzten mit Leidenschaft einen Marsch darauf, der wie ein Tusch +klang, und der Hornist blies, daß ihm beinahe die Backen platzten. +Als das Stückchen zu Ende war, strich er das Geld ein und sagte mit +schelmischem Schmunzeln: »Bleibt gesund, bis ihr's wieder kriegt!«</p> + +<p>Es war ein Uhr geworden und die meisten jungen Leute fingen wieder an +zu tanzen. Auch Hans zeigte Lust dazu, aber Regine erklärte, sie und +Annemarie müßten nach Hause. Die Mädchen nahmen Abschied und Annemarie +dankte Ludwig gar schön für die Ehre, die er ihr angethan habe. Sehr +gern hätten die Verliebten ihre Mädchen nach Hause geführt, aber die +Bäckerstochter bestand darauf, daß sie hier bleiben sollten. Sie +durften ihnen nur auf der Treppe noch die Hand geben und gute Nacht +sagen.</p> + +<p>Ludwig ging in die Stube zurück, um das letzte Glas Wein +auszuschlürfen. Er war aber heute zu glücklich gewesen, als daß nicht +ein Dämon sich gereizt fühlen sollte, in den Honigtrank einige Tropfen +Galle zu mischen; und so trat denn ein solcher in der Gestalt des +Vetters der beiden Langgewachsenen zu ihm und sagte: »Du hast dich ja +heut recht lustig gemacht, Ludwig. Allen Respekt vor deinem Tanzen +und Singen! Dein Vater hat dich mit der schönen Annemarie auch einmal +tanzen sehen, aber dem scheints nicht gefallen zu haben, denn er ist +gleich wieder fortgegangen.« Diese boshaften Worte gaben<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> Ludwig einen +Stich in's Herz und jagten ihm das Blut in's Gesicht. »Meinetwegen!« +erwiederte er trotzig; der andere, der seinen Zweck erreicht hatte, +ging vergnügt auf den Tanzboden. Alles, was mit seinem Glück in +Widerspruch trat, stellte sich dem armen Burschen gespenstisch vor +die Seele und eine große Unruhe befiel ihn. Allein für heute war der +Strom der Freude in ihm noch zu mächtig und die Sorge wurde von ihm +hinweggespült. Eine halbe Stunde später ging er nach Hause, glücklich +im Nachgefühl des Erlebten. — —</p> + +<p>Nach einem unruhigen Schlaf erwachte Ludwig zur gewöhnlichen Zeit: +Sein Bruder, der in derselben Kammer schlief, schnarchte noch, obwohl +er gestern schon bald nach Verzehrung des Bratens, den Ludwig vom +abendlichen Hochzeitsmahl nach Hause gebracht hatte, zu Bette gegangen +war. Als unser Freund überdachte, was gestern geschehen war, fing sein +Herz an zu klopfen. Freude und Angst erhoben sich und wechselten in +seinem Herzen, bis die Angst zuletzt die Oberhand gewann. Eine Zeit +lang ließ er sich ruhig von ihr quälen; dann faßte er einen Entschluß, +kleidete sich an und ging mit festem Schritt, dem man aber doch das +Absichtliche ansah, in die Stube hinunter. Die Morgensonne schien durch +die Fensterscheiben und die friedliche Scene bildete einen eigenen +Contrast zu der Verwirrung in seinem Herzen. Er ging in »das Kanzlei,« +das in den Bauernhäusern gewöhnliche Nebenstübchen zum besondern +Gebrauch der Familie, von der Stube durch eine hölzerne, mit brauner +Oelfarbe bestrichene Wand getrennt, welche mit der einen Seite des +Ofens zusammenzulaufen pflegt. Der Vater saß an dem Wandtisch mit +tiefernstem Gesicht und die Mutter brachte eben den Kaffee. Ludwig bot +ihnen mit etwas unsicherer Stimme guten Morgen und setzte sich zum +Frühstück. Zu gleicher Zeit kamen die »Ehehalten« (Knechte und Mägde) +in die Stube, um die Morgensuppe zu verzehren. Der Oberknecht und die +Magd waren auf dem Ansing gewesen; sie blinzelten sich nun zu und sahen +auf das Kanzlei mit jenem Vergnügen, welches die schwache menschliche +Seele zu empfinden pflegt, wenn unter Höherstehenden ein scandalöser +Streit zu erwarten ist. Allein der Angerbauer war nicht der Mann, sich +und seine Familie preiszugeben, wenn der Zorn über seinen Verstand +nicht Herr wurde. Er wartete mit der<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> Anrede, die er Ludwig zudachte, +und erst als der letzte der Ehehalten die Stube verlassen hatte, begann +ein Dialog, den wir, um den Lesern eine kleine Probe davon zu bieten, +in dem Rieser Dialekt wiedergeben wollen.</p> + +<p>Der Alte sagte mit bitterem Spott: »No, du host de ja gestert recht +aufg'führt! Machst mer a rechta'n Ehr, des muß i saga'; Aufm A'seng, +wo Baura'töchter send, tanzst du da' ganza'n Obed mit'r Magd! Und net +gnuag damit, setzst sie oh no' neba' de he' und regalirst sie!« — +Ludwig, der sah, daß dem Vater schon geplaudert worden war, und die +Thatsache nicht leugnen konnte, hing sich an ein Wort und sagte: »No, a +Magd ist sie grad net!«</p> + +<p>Der Angerbauer fuhr auf und blickte ihn mit drohenden Augen an. +»Schweig, sag i d'r! Mag sie sei', was sie will, sie ist net dei's +Gleicha', und es ist a Schimpf und a Schand, daß du di so mit'r ahgeba' +host! Wann du d's Nuibaurs Bäbe (die Reichste im Dorfe) so tractirt +hättst, so wärs o'schickleng gwesa'! Was wird die Ev' saga' und ihr +Vater? Die weara' se recht fräa', wenn sie höara', wie du di aufg'führt +host, und (setzte er verächtlich hinzu) mit weam!«</p> + +<p>Der Angefahrene war von diesen Worten sichtlich getroffen. Er wußte +nichts Besseres zu seiner Entschuldigung zu sagen, als: »Sie tanzt +so guat!« — »Tanzt so guat!« rief der Alte mit grimmigem Lachen. +»Ist des a'n Ausred? Tanzet ander Mädla' net oh guat? Muaß ma dorom +a hergloffens Mädle mit Wei' tractiera? Pfui, schäm di!« — Er war +aufgestanden und wendete dem Schuldigen den Rücken zu.</p> + +<p>Sein Zorn hatte offenbar den jetzt möglichen höchsten Grad erreicht. +Ludwig, entrüstet über den Ausdruck »hergloffens Mädle,« und fühlend, +daß jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden sei, verstummte und sah +finster vor sich hin. — Nach einer Weile drehte sich der Alte wieder +zu dem Tisch und sagte: »I will me ietz net verzürna! Gscheha'n ist +gscheha'! Der dumm Stroëch ist gmacht! Aber,« setzte er mit drohend +erhobenem Zeigefinger und mit entsprechend verstärktem Tone hinzu, +»des roth i d'r in Guatam: loß mi so ebbes net widder höara'! Denn +sonst — — du kennst mi!« — Er wendete sich ab und verließ mit festen +Schritten die Stube.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p> + +<p>Man sieht, der Vater war nur über das öffentliche Aergerniß entrüstet, +welches Ludwig gegeben, und strafte nur dieses. Daß sein Sohn auf +Annemarie ernstliche Absichten haben und um ihretwillen die Eva lassen +könnte, das kam ihm gar nicht in den Sinn. Hätte er Ursache gehabt, +an so etwas nur zu denken, so wäre natürlich ein ganz anderer Sturm +losgebrochen.</p> + +<p>Der Delinquent athmete auf; denn im Grunde war er noch gut weggekommen. +Von der Mutter fürchtete er wenig. Er war ihr Liebling und wußte, +daß Frauen solche Verirrungen des Herzens überhaupt glimpflicher +aufzufassen pflegen. Er täuschte sich nicht. Während der Alte sprach, +hatte die Mutter zu wiederholten Malen ernsthaft mit dem Kopfe genickt, +dadurch ihr vollkommenes Einverständniß an den Tag legend. Als er fort +war, nahmen ihre Züge einen milderen Ausdruck an, und den Sohn bei der +Hand fassend begann sie: »Aber ietz sag m'r nor, Ludwig, wie ist's +mögleng, daß du di so host vergessa' und dei'm Vater und mir so ebbes +a'thoa' könna'?«</p> + +<p>Ludwig hatte seinen ganzen Humor wieder. Da er noch keinen Plan über +die Zukunft gemacht hatte, nach welchem er handeln konnte, so folgte er +instinktmäßig dem Trieb, sich mit seinen Eltern wieder gut zu stellen, +und sagte, allerdings nicht sehr ritterlich: »Du woëst ja, Muater, +wie's oëm got, wama' lusteng ist und Bier und Wei' im Kopf hot!« — »Ja +wohl,« versetzte die schon halb begütigte Mutter, »aber was zviel ist, +ist zviel! Die ganz Nacht mit oëm Mädle ztanza, die oën nex a'got! I +hätt' di wärle für gscheidter ghalta'!« — »I hab d'r ja scho' gsakt,« +erwiederte Ludwig, »sie tanzt so guat; und,« fügte er nicht ohne +schlaue Absicht hinzu, »i hab gseha', daß sie oh geara' mit mir tanzt!«</p> + +<p>Die Angerbäuerin konnte nicht umhin, heiterer auszusehen. Sie hielt +natürlich ihren Ludwig für den schönsten und geschicktesten Burschen +in der ganzen Umgegend, und daß er den Mädchen so sehr gefiel, konnte +ihr nichts weniger als unangenehm sein. Sie sagte daher mit dem Lächeln +einer etwas eiteln Mutter: »Des glob i, daß e so a Mädle frät, wann du +mit'r tanzst; aber des ist koë Entschuldigung für di!« — Eine bessere +Regung machte sich in ihr geltend und sie fügte hinzu: »Die Annemarie +ist zu guet dafür, daß<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> so a junger Mensch 'n Spaß mit ihr macht. Sie +ist brav und ordentlich und 's wird se gwiß a passender Ma' für se +finda'. Es wär a Sünd und a Schand, wann du ihr da' Kopf verdreha' und +sie in's O'glück brenga' thätst!« — »No,« sagte Ludwig, »so arg wirds +net weara'!« — Mit Eifer versetzte die Mutter: »I hoff's oh net! Du +host dein Vater ghöart und woëst, er hält was 'r sakt! I hoff, 's ist +dei' letzta' Dummheit gwesa'!« — Ruhiger setzte sie hinzu: »So, ietz +gang naus zu dei'm Vater und mach'n widder guat!«</p> + +<p>Ludwig folgte diesem Rath. Er fand Gelegenheit seinem Vater bei einer +Arbeit zu helfen, und da sie nothwendig mit einander reden mußten, +so stellte sich zwischen ihnen bald wieder ein äußerlich friedliches +Verhältniß her. Als später dem Angerbauer noch einige Einzelheiten +vom Ansing zu Ohren kamen, hatte ihn die Mutter schon durch die +Versicherung beruhigt, daß es nichts als der Narrenstreich eines jungen +Menschen gewesen sei, der etwas im Kopfe gehabt habe. Er verschluckte +daher diese nachträglichen Pillen, so bitter sie ihm auch schmeckten. +Seine Gedanken waren: »Der Mensch muß mir aus dem Haus, und das so bald +als möglich! Mein Andres, das weiß ich, wird mir keine solche Streiche +machen.« Auch die Mutter faßte den Entschluß, alles zu thun, um die +Heirath Ludwigs mit Eva zu beschleunigen. »Hätte der alte Narr,« sagte +sie in ihrem Verdruß, »den Hof abgegeben, so hätten wir diesen Aerger +nicht!« Sie wollte aber nun gerade aus dem Vorgefallenen die Gründe +schöpfen, die den Vater Evas zum Nachgeben bewegen sollten.</p> + +<p>Einige Tage vergingen, ohne daß etwas besonderes vorfiel. Auch auf dem +Dorfe pflegt der artige junge Mann die Tänzerin, die er auszeichnete, +den andern Tag gelegentlich zu begrüßen und sie zu fragen, wie ihr das +Tanzen bekommen sei. Aber Ludwig mußte Scheu tragen, dies zu thun; +auch war er nicht in der Gemüthsverfassung dazu. In seinem Herzen +stiegen Gedanken auf, die sich wechselseitig bekämpften, seinen Geist +verwirrten und ihn zu keinem Entschluß kommen ließen.</p> + +<p>Der guten Annemarie war sein Ausbleiben nicht so unlieb, als man denken +mochte. Ihr war es ergangen wie ihm. Glückselige und bange Gefühle +wechselten auch in ihrem Herzen, und die bangen<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> überwogen zuletzt. Sie +dachte an den stolzen Angerbauer, an den Unterschied des Vermögens und +Standes, an das Gerede mit der Eva, und schüttelte mit betrübter Miene +den Kopf. Indem die Bilder jener Nacht vor ihre Seele traten, machte +sie sich Vorwürfe, zu weit gegangen zu sein. Es lastete etwas auf ihr, +als ob sie eine Sünde begangen hätte; und dieses Gefühl wurde dadurch +nicht gemindert, daß einzelne Mädchen sie nun mit Ludwig in einer Weise +zu plagen begannen, die nicht mehr von der Lust zu scherzen, sondern +offenbar vom Neide eingegeben war. Selbst Regine sah bedenklich aus, +als ob sie mit sich selber unzufrieden wäre, und der Vormund ließ Reden +fallen von Leichtsinn und Hoffahrt, die zu nichts Gutem führen würden +u. s. w.</p> + +<p>Es hatte den Anschein, als ob eben durch das gesprochene Wort der Traum +des Glücks für immer zerstört und die innigste Annäherung der beiden +Herzen auch die letzte gewesen wäre. — Aber die Liebe, die zwei junge +Seelen ergriffen hat, kann von den Bedenklichkeiten des Lebens nicht +so leicht unterdrückt werden. Die bänglichen und peinlichen Gefühle +mildern sich und verschwinden mit der Zeit, die Liebe bleibt. Die erst +so trüben Vorstellungen verlieren nach und nach ihr Schreckendes, die +Liebe gewinnt an Muth — und das Menschenkind, das glücklich sein will, +folgt wieder dem Zug des Herzens.</p> + +<p>Als der fünfte Tag verflossen war, konnte Ludwig seinem Verlangen, +Annemarie zu sehen, nicht länger Widerstand leisten. Er ging in das +Haus des Bäckers, indem er sich vornahm, diesen, der am Gärteln sein +Vergnügen hatte und nach Art solcher Leute seine Liebhaberei gern +weiter verbreitete, um Blumensamen zu bitten. Die Täuschung war nicht +nöthig, Annemarie war allein zu Hause. Nach einigem Stottern von seiner +und Erröthen von ihrer Seite waren die liebenden Herzen bald wieder +einig. Man rühmte jene Nacht, wo es so schön gewesen sei; das damals +empfundene Glück lebte wieder in ihnen auf und die Augen bestätigten, +was sich die Lippen verkündigt hatten. Die Liebe zog wieder als +Herrscherin in ihre Seelen und alle entgegenstehenden Gedanken wurden +daraus vertrieben. Die Reue, welche die Geängsteten gefühlt, die +Vorwürfe, die sie sich gemacht<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> — alles war vergessen. Sie freuten +sich eines am andern, und es war ihnen, als ob sie gar nichts Besseres +und Schöneres thun könnten.</p> + +<p>Für diesmal konnte ihr Zusammensein nicht lange dauern. Annemarie +erwartete den Bäcker und mahnte den Geliebten, sie zu verlassen. Ludwig +fragte, ob er sie denn nicht einmal ungestört sehen könnte, er hätte +noch viel mit ihr zu reden. Annemarie sah ihn an; die blauen Augen +baten so schön und blickten so treu auf sie her. Nach einigem Zögern +erwiederte sie mit leiserer Stimme: »Nächsten Sonntag Nachmittag geht +mein Vetter mit Regine nach Wallerstein; sie werden spät wieder kommen; +in der Abendstunde, wenn's dunkel geworden ist, will ich in unserm +Garten auf dich warten.« Ludwig drückte ihr hocherfreut die Hand. +Annemarie setzte hinzu: »Es ist vielleicht nicht recht, was ich thue, +aber du willst es haben und es macht dir Freude.« Was konnte Ludwig +anders, als die Lippen, die so liebliche Worte gesprochen, entsprechend +belohnen? — Er kam unbemerkt aus dem Hause. Wie bisher sein +trübseliges, so fiel seinen Eltern jetzt sein vergnügtes Wesen auf, +aber sie legten es zu ihren Gunsten aus. »Hab' ich dir's nicht gesagt?« +bemerkte die Mutter dem Alten. »So etwas geht bei jungen Leuten schnell +vorüber. Sei nur ruhig, es wird noch alles recht werden!«</p> + +<p>Der Garten des Bäckers war in Folge der erwähnten Liebhaberei nach +dem des Pfarrers der schönste im Dorfe und der Stolz des Besitzers. +Er theilte sich in Gemüse- und Baumgarten, und in dem erstern war +den Blumen ein größerer Platz eingeräumt, als es bei dem wirthlichen +Sinn der Landleute sonst der Fall zu sein pflegt. Eine ziemlich hohe +dichte Hecke grenzte das Ganze von den Feldern, zunächst aber von dem +Fußweg ab, der sich an dieser Seite des Dorfes hinzog und auf welchen +eine hölzerne, für gewöhnlich verschlossene Thüre führte. Durch diese +Thüre, die heute nur aufgeklinkt zu werden brauchte, trat Ludwig zur +verabredeten Stunde in den Garten, und bald saßen die Liebenden auf +einem hölzernen Bänkchen ohnweit der Hecke und des Hauses in traulichem +Geplauder. Sie konnten sich diesem in der That mit einer gewissen +Sicherheit hingeben, denn wie nach dem Felde zu die Hecke, so schützten +gegen das Dorf das längliche<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> Bäckerhaus und mehrere Scheunen, in denen +jetzt wohl kein neugieriges Auge zu fürchten war. Der Abend war sehr +schön. Von dem reinen Himmel blinkten schon einzelne Sterne, während +von Westen her die goldengrünliche Helle sich über ihn ergoß, die +Verheißung der untergegangenen Sonne, daß sie morgen einen schönen +Tag bringen werde. Die Bäume standen in voller Blüthe und hie und da +glänzte einer her wie ein großer weißer Strauß. Die Luft war leicht +bewegt und voller Wohlgerüche. Rings herrschte vollkommene Stille und +nur Maikäfer surrten zuweilen über die Köpfe der Liebenden hin, um die +größere Gesellschaft auf den Bäumen aufzusuchen. — Unserem Pärchen war +es über alles heimlich zu Muthe. Ludwig rühmte den Garten, die Blumen, +den schönen Abend. Sie sprachen von diesem und jenem. Bald kamen sie +wieder auf den »Ansing«, und Ludwig scherzte über den jungen Burschen, +der mit Annemarie getanzt und »sich geplagt habe, als ob er im Taglohn +arbeitete.« »Der arme Kerl dauerte mich,« setzte er hinzu, »darum kam +ich so schnell und löste ihn ab.« Das Mädchen lächelte, sie wußt' es +besser. Beide erinnerten sich jetzt verschiedener Gesichter, die um +ihretwillen geschnitten worden waren, und die Ausdrücke von Aerger +und Neid kamen ihnen sehr lustig vor. Sie übten für das Geschwätz, +das über sie ergangen war, eine gemüthliche Wiedervergeltung, indem +sie einzelne Exemplare durchhechelten, wie es gutmüthige Menschen in +fröhlicher Laune thun. Ludwig fragte dann, ob's denn wahr sei, daß Hans +und Regine bald Hochzeit machen wollten. Annemarie erwiederte, so viel +sie wisse, auf den Herbst. Dies brachte sie auf ernstere Gedanken. +Nach einem Weilchen fragte sie erröthend und mit einem gewissen +schüchternen Lächeln: »Ist's denn wahr, daß dein Vater will, du sollst +des Kirchbauern Eva von ** heirathen?« Ludwig antwortete: »Ja wohl hat +er so was im Sinn gehabt; aber mir ist's nie rechter Ernst gewesen +und jetzt denk ich nimmer dran.« Annemarie wurde vor Vergnügen noch +röther. Dann sah sie vor sich hin, wie wenn sie über etwas nachdächte, +und unwillkürlich entschlüpfte ihr wieder das Wort: »Wenn ich doch ein +reiches Mädchen wär!« Ludwig faßte ihre Hand und sagte herzlich: »Es +kann nicht alles<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> beisammen sein! Du bist die schönste und die beste +und die geschickteste, die ich kenne — das ist mehr werth als Geld!«</p> + +<p>Annemarie sah ihn dankbar an und schwieg. Dann sagte sie: »Ist dein +Vater wirklich so stolz, wie die Leute sagen? Verzeih mir diese Frage!« +— »Mein Vater weiß, was er ist,« antwortete Ludwig, »und läßt sich +nichts nehmen. Aber er ist ein braver und gescheidter Mann und giebt +auch andern ihre Ehre. Meine Mutter ist gut und hält alles auf mich.«</p> + +<p>Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wie verliebte Herzen einmal alles +fürchten, dann wieder alles hoffen, so war es ihr die letzten Tage her +nicht ganz unmöglich vorgekommen, daß sie doch noch Ludwigs Frau werden +könnte. Sie hielt etwas auf sich und glaubte, um ihretwillen könnte +wohl eine Ausnahme von der Regel gemacht werden. Aber nun wurde durch +das Bild des Angerbauers, dessen Stolz der Sohn zugeben mußte, ihre +Hoffnung wieder sehr erschüttert. Sie seufzte und sagte mit leiserer +Stimme: »Ich fürchte mich vor deinem Vater, Ludwig, und sehe nicht, was +aus uns beiden werden soll!«</p> + +<p>Ludwig, der durch die feuchten Augen in das Herz des Mädchens sah, +wurde gerührt, Liebe und Großmuth loderten in ihm auf. Er legte wie +schützend den Arm um sie und sagte mit dem herzlichsten Ton: »Mach dir +das Herz nicht schwer, Annemarie! Ich hab dir gesagt, daß du mir die +liebste auf der Welt bist, und ich sag dir's noch einmal. Vertrau auf +mich und sorg nicht! Was ich mir ernstlich vornehme, das setz' ich auch +durch — darauf verlaß dich!« — »Ich vertraue dir,« sagte Annemarie, +»denn sonst hätt' ich das auch nicht für dich gethan. In meinem Leben +bin ich noch mit keinem ledigen Bursch so zusammen gekommen. Aber dich +hab ich so lieb, daß ich thun muß, was dich freut — ich kann mir nicht +anders helfen!« — Entzückt über dieses Geständnis, sah Ludwig das +schöne Mädchen an; Thränen traten in seine Augen; sie mit seinen Armen +umschließend, rief er aus: »O du liebes, liebes Mädchen! in meinem +Leben laß ich dich nicht!«</p> + +<p>Dieser innige Ausruf weckte ein seliges Gefühl in dem Herzen +Annemarie's, zu gleicher Zeit warf er aber Schrecken in ein anderes.<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> +Diejenige, für welche diese Worte am wenigsten bestimmt waren — die +Mutter Ludwigs hatte sie vernommen, klar und deutlich vernommen. Die +Angerbäuerin war im obern Dorf auf Besuch gewesen und hatte sich +verspätet, indem sie zwar zu rechter Zeit in der Stube Abschied +genommen, aber auf der Haustreppe mit der Freundin von neuem und erst +recht wieder in's Gespräch gekommen war. Da der Fußweg am schnellsten +nach Hause führte, so schlug sie diesen ein. Als sie an der Hecke des +Bäckergartens hingehend ein leises Reden vernahm, horchte sie und das +Ohr der Mutter erkannte gar bald die Stimme des Sohnes. Die letzten +Worte, bei welchen die Leidenschaft den Ton vorsichtig zu dämpfen +vergaß und von denen ihr keine Silbe entging, sagten ihr alles. Sie +erschrack heftig und zitterte an allen Gliedern. Hatte sie doch so eben +noch der Freundin versichert, daß an dem Geschwätz wegen der Annemarie +gar nichts sei und ihr Ludwig bald Kirchbauer sein werde. Sie glaubte +vor Scham und Verdruß in die Erde sinken zu müssen. Da sie nicht mit +sich einig werden konnte, was sie beginnen sollte, und im Garten Stille +eingetreten war, ging sie weiter. Der Schrecken in ihrem Herzen machte +dem Zorn Platz. Sie so schändlich anzuführen, zu dem Mädchen zu gehen +wider ihr ausdrückliches Verbot und ihr so gottvergessene Dinge zu +sagen! Bevor sie noch in ihren Hof trat, war ihr Entschluß gefaßt. Sie +schwieg still und ließ sich nichts anmerken, weder vor dem Vater noch +vor dem Sohn, der nicht lange nach ihr heim kam.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Den andern Morgen, als der Angerbauer eben das Haus verlassen hatte +und Ludwig ihm folgen wollte, sagte die Mutter, sie habe noch etwas +mit ihm zu reden. Sie führte ihn in's Kanzlei zurück und sagte, gerade +auf das Ziel losgehend: »Du bist gestern Abend bei der Annemarie +gewesen!« — Darauf war Ludwig nicht gefaßt. Er verlor etwas die Farbe +und stammelte: »Wie sollt' ich.« — Aber die Mutter fiel ihm in die +Rede: »Läugn' es nicht, ich hab mit meinen eigenen Ohren gehört, was du +ihr gesagt hast!« — Und indem sie ihn mit bekümmert erzürntem Blick +ansah, fuhr sie fort: »Es hilft also kein Reden an dir, du willst dich +mit Gewalt in's Geschrei bringen und ein unerfahrenes Mädchen durchaus +unglücklich machen!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span></p> + +<p>Bei diesem Vorwurf sammelte sich der Betroffene wieder. Er erwiederte: +»Wer sagt das? Ich habs ganz anders mit ihr im Sinn!« — »Wie soll ich +das verstehen?« — »Wenn ich sie nun heirathen wollte?« — Die Mutter, +auf eine solche Rede gefaßt, zuckte die Achseln und sagte: »Du bist +nicht gescheidt!« — Ludwig aber versetzte mit Ernst: »Ich weiß es, mit +keiner würd' ich so glücklich leben, wie mit der Annemarie. Grade die +gefällt mir, und sonst keine andere!«</p> + +<p>Die Augen der Angerbäuerin funkelten. »Wie!« rief sie aus, »das +unterstehst du dich mir zu sagen, — du, der mit der Ev' so gut wie +versprochen ist?« — »Davon weiß ich nichts,« sagte Ludwig. — »So, +davon weißt du nichts? — Nun merk auf, was ich dir sag: wenn du von +diesen dummen Gedanken vor deinem Vater nur ein Wörtchen merken läßt, +so bringt er dich um! Das ist der Rechte, sich von einem Kind so etwas +gefallen zu lassen!«</p> + +<p>Der Sohn erkannte das Gewicht dieser Worte und schwieg. Dann sagte er +in traurigem Ton: »Ich hätt' gedacht, du zum wenigsten würdest nicht +so hart gegen mich sein und dich meiner annehmen gegen ihn.« — »So,« +rief die Mutter, »auf mich hast du dich verlassen? Du kennst mich +also nicht, wie es scheint. Ich sag dirs jetzt ein für allemal: nie +werd' ich zu einer solchen Heirath meine Einwilligung geben! Ich will +nicht, daß mein Sohn durch seinen Unverstand sich unglücklich macht +und der ganzen Freundschaft einen Schimpf anthut! Wenn du nicht von +diesem Augenblick an das Caressiren mit dem Mädchen aufgiebst, so +sag ichs deinem Vater und du wirst sehen, was dann geschieht! — So, +jetzt kennst du meine Meinung und kannst dich darnach richten!« — +Nach diesen Worten verließ sie die Stube, indem sie die Thüre etwas +unsanfter zumachte, als gewöhnlich.</p> + +<p>Es ist eine bekannte Sache, daß der Widerstand, den wir auf dem Weg +zu einem ersehnten Ziel erfahren, unsern Eifer und Muth, dahin zu +gelangen, oft nur steigert. Zuweilen bewirkt er aber das Gegentheil: +er führt zu einer Erwägung, in der uns das Ziel als ein unerreichbares +erscheint, so daß wir uns, wenn auch mit schwerem Herzen, zum Rückgang +entschließen. Die menschliche Seele ist ein<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> eigen Ding. Namentlich +sind die weicheren für die Eindrücke des Entgegengesetzten empfänglich, +und wenn sie eine Zeitlang sich ausschließlich nach einer Seite +gewendet haben, so werden sie dadurch nur um so offener für die andere. +Dies sollte nun auch Ludwig erfahren. So erzürnt war seine Mutter nie +gewesen, so heftig hatte sie nie gegen ihn gesprochen. Er fühlte auf's +tiefste, daß er <em class="gesperrt">sie</em> nicht zum Nachgeben bewegen würde; — und +wie sollte ihm das erst bei seinem Vater gelingen! — Die Gründe, aus +denen beide gegen eine solche Verbindung sein mußten, stellten sich +ihm dar, und er war so sehr Bauer und Sohn seiner Eltern, daß er ihre +Vernünftigkeit nicht bestreiten konnte. Annemarie war die Tochter und +Verwandte von Söldnersleuten, d. h. sie gehörte einem Stande an, über +dem sich der Bauer allenfalls eben so erhaben fühlt, wie der Adelige +über dem bürgerlichen. Der Bauer hat einen Hof mit Haus und Stadel +und zusammengehörigen Feldgütern, er besitzt Rosse und Rindvieh in +gehöriger Anzahl und hält sich Knechte und Mägde. Der Söldner hat nur +ein Haus, wenige Grundstücke, kein Roß, im besten Fall einiges Vieh. +Um sich besser durchzubringen, lernt er ein Handwerk und hilft dem +Bauer bei der Ernte, wodurch geringere Söldnerfamilien zu gewissen +Höfen in eine Art von Clientenverhältniß kommen. Daß der Bauer sich +nun als zu einer höheren Menschengattung gehörig ansieht, ist beinahe +so natürlich, als das Bewußtsein des Aristokraten gegenüber dem +Bürgerlichen. Das Vermögen übt freilich auch hier eine ausgleichende +Macht, und wenn der Söldner empor, der Bauer heruntergekommen ist, so +wird die Verbindung der Familien wieder möglich. Aber auch so kann sich +der traditionelle Stolz noch wehren, und mir ist ein Fall bekannt, wo +ein verschuldeter alter Bauer nur mit größter Mühe zu bewegen war, +seinen Sohn eine wohlhabende Söldnerstochter heirathen zu lassen, indem +er den Verwandten, die sie herausstrichen, immer wieder antwortete: +»Es ist doch keine Bauerntochter!« — Bei Ludwig und Annemarie kam +zu diesem Mißverhältniß noch der große Unterschied des Vermögens, +da sie kaum den achten Theil desjenigen besaß, was er nur vorläufig +mitbekommen sollte; endlich vollends die Anknüpfung mit Eva. — Der +Kopf des jungen Menschen brannte, nachdem er das alles überlegt hatte, +und<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> an seine Eltern denkend rief er mit Verzweiflung aus: »Sie thuns +nicht, sie thuns nicht!«</p> + +<p>Das Bild des Mädchens stand so schön und lieb vor seiner Seele, wie +jemals. Er hatte ihr gestanden, wie gern er sie habe, hatte ihr gesagt, +sie solle ihm vertrauen, und er wolle nicht von ihr lassen. Aber wenn +seine Eltern ihre Einwilligung verweigerten, so machte er Annemarie +nur unglücklich — und durfte er das? Ein förmliches Versprechen hatte +er ihr nicht gegeben. Bis jetzt war es eben ein Liebeshandel, wie es +so manche giebt in der Welt, ohne daß es zum Heirathen kommt; ein +Liebeshandel, wo man ja vieles spricht, was man nicht halten kann, ja +nicht einmal darf. Andere hatten ganz andere Verpflichtungen gehabt, +als er gegen Annemarie, und doch zuletzt ihres Gleichen geheirathet. +Auf der andern Seite, — war es denn gewiß, daß Annemarie die Sache so +schwer aufnahm? Vielleicht tröstete sie sich bald, heirathete einen +andern und wurde glücklich. — Wenn das Herz Ludwigs diesen Gedanken +widersprach, so mußte er sie sich doch machen, und sie thaten ihre +Wirkung.</p> + +<p>Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Er hatte mit Annemarie eine neue +Zusammenkunft verabredet und er durfte sich nicht einfinden, wenn +er sich nicht entschieden hatte, seinen Eltern zu trotzen. Als er +nochmals alles hin und her überlegte, siegte zuletzt die Macht der +äußern Verhältnisse; der Verstand und die Einschüchterung gewannen +die Oberhand, die Liebe und die Leidenschaft gaben sich gefangen. — +Er wollte zum wenigsten <em class="gesperrt">versuchen</em>, ob er ohne Annemarie leben +könnte. Wenns ging, so wollte er in Gottes Namen seinen Eltern folgen.</p> + +<p>Er kam nicht zum Stelldichein. Als er Annemarie einen Tag später mit +Regine begegnete, sagte er förmlich »guten Tag« und ging vorüber. Das +Mädchen war etwas »verhofft« und sah ihm nach mit fragender Miene; +aber sie entschuldigte beides. Zu der Bestellung hatte er nicht kommen +können und vor der Regine wollte er sich nicht verrathen. Wie er +nun aber mehrere Tage nichts von sich hören ließ, und endlich, als +sie allein mit ihm zusammentraf, auch nur mit gewöhnlichem Gruß und +dazu noch sichtlich verlegen an ihr vorüberging, da erkannte sie ihr +Geschick. »So,« sagte sie, indem ihr Herz<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> zu klopfen begann, »so +ists gemeint?« Sie sah ihm nach und bemerkte, wie er schneller ging, +gleichsam um aus ihrem Bereich zu kommen. Ihre Augen füllten sich mit +Thränen. »Das ist der Mensch, der zu mir gesagt hat, daß ich ihm das +Liebste wäre auf der Welt! So hält er Wort! O, ich hätt' mir's denken +sollen!« Sie ging in's Haus zurück und eilte in ihre Kammer hinauf. +Ihre Thränen strömten, sie sah mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes +und der bittersten Kränkung vor sich hin. Dann sagte sie: »Es geschieht +mir ganz recht, daß es so gekommen ist! Warum bin ich so einfältig +gewesen und hab' ihm geglaubt? Warum hab' ich mir eingebildet, ich wär' +auch etwas werth? — O, wie dumm!« setzte sie schmerzlich lächelnd +hinzu. »Als ob diese Leute von ihrem Stolz lassen könnten! Als ob wir +ihnen zu was anderem recht wären, als zum Spielen! Ja, ganz recht +geschieht's mir, grad so hat's kommen müssen!«</p> + +<p>Regine kam die Treppe herauf und öffnete die Thüre. Annemarie bemühte +sich nicht, ihren Schmerz zu verbergen. Die Freundin sah sie mitleidig +an und sagte: »Ich weiß, warum du weinst. Ja, ja, 's ist so. Beim +Angerbauer hat's was gegeben. Der Alte und der Junge sind hinter +einander gekommen, und Ludwig muß die Ev' heirathen.«</p> + +<p>»Muß er?« sagte Annemarie, die bei ihrem ruhigen Wesen doch heroischer +war, als Ludwig, und unter umgekehrten Verhältnissen sich standhafter +gezeigt hätte. — »Ja freilich muß er, wenn sein Vater will,« +erwiederte Regine. — »Nun,« versetzte die Gekränkte mit Stolz, »wenn +er mich lassen kann, dann kann ich ihn auch lassen!« — Sie trocknete +ihre Thränen und ging mit der Freundin hinunter, um sie auf's Feld zu +begleiten.</p> + +<p>Von da an erschien Annemarie vor andern gefaßt, ohne den Zustand ihres +Herzens verbergen zu wollen. Die Freude des Lebens war ihr genommen, +und sie wollte nicht thun, als ob's anders wäre. Ihr Gesicht verlor +nach und nach die blühende Farbe, bekam aber dafür einen eigenen +feierlichen Ausdruck, und ihre braunen Augen erhielten einen Glanz, +der selbst dem alten Bäcker auffiel, so daß er den Kopf schüttelte und +für sich murmelte: »Es ist Schade, Jammerschade; aber ich kann ihr +nicht helfen!« — Ihr Schicksal, wie man es erkannte<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> oder errieth, +flößte den Leuten Achtung ein. Selbst diejenigen, die im Dorf wegen +eines »bösen Mauls« berufen waren, unterstanden sich nicht, in ihrer +Gegenwart Anspielungen zu machen, und kein junger Mensch fand in sich +den Muth, ihr schön zu thun und ihr für den erlittenen Verlust einen +Ersatz anzubieten.</p> + +<p>Ludwig setzte unterdessen den Versuch, ohne Annemarie zu leben, fort. +Er hatte zum drittenmal gewagt, sie zu grüßen; aber sie war mit einem +Ausdruck von gekränkter Würde an ihm vorüber geschritten, daß er es +fortan unterließ. Wenn er nun bei einer unvermeidlichen Begegnung +ihre Wangen sich färben und ihr Auge glänzen sah, dachte er wohl: sie +würde nicht so bös sein (freilich nicht der rechte Ausdruck für das +Gefühl des Mädchens), wenn sie wüßte, wie hart es mich ankommt! — Sein +Leben wurde sehr einförmig. Er ging zu Hause und auf dem Felde still +seiner Arbeit nach und machte Sonntags, anstatt mit Kameraden fröhlich +zu sein, einsame Spaziergänge. Auf einem derselben sagte er zu sich: +»Leben kann ich wohl ohne sie, das hab' ich nun gesehen; aber was ist +das für ein Leben!« Er schüttelte den Kopf und ging traurig nach Hause.</p> + +<p>Am dritten Sonntag nöthigte ihn seine Mutter, mit ihr einen Besuch beim +Vetter Kirchbauer zu machen. Sie sah, daß Ludwig ihr und dem Vater ein +Opfer brachte und daß es dem armen Menschen schwer wurde; sie war daher +auf dem Weg besonders gut gegen ihn und gab sich große Mühe, ihn zu +erheitern, indem sie ihm vormalte, welch' einen Herrn er als Mann der +Eva spielen könne, wo er schon zum Anfang einen schuldenfreien Hof und +Geld am Zins haben würde. — Die Kirchbauerleute hatten natürlich von +der Geschichte mit Annemarie gehört. Eva konnte bei der Begrüßung sich +nicht enthalten, eine spöttische Miene zu weisen und gegen denjenigen, +der einen solchen Streich machen konnte, eine gewisse Geringschätzung +an den Tag zu legen. Indessen, der Sünder hatte eine Eigenschaft, die +mit Nothwendigkeit Vergebung forderte: er war der Sohn reicher Leute.</p> + +<p>Man faßte denn auch die Sache von der heitern Seite auf. Als man beim +Kaffee saß, versuchte Eva scherzhafte Anspielungen zu machen, die +ziemlich plump herauskamen, und der arme Ludwig mußte nun seine Liebe +verleugnen und erklären, daß ja an der ganzen Sache<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> nichts sei, daß er +was ganz anderes im Sinn habe u. s. w. Er strengte sich offenbar an und +wollte sich zwingen, Eva lieb zu gewinnen. Die Folge war, daß ihm die +große Person, die seinem Herzen bisher gleichgültig war, zuwider wurde. +Auf dem Heimweg sprach die Mutter davon, die Sache nun bald richtig +zu machen. Ludwig bemerkte: »Mit der Zeit wird sich alles geben; aber +jetzt, ich bitte schön, laß mich in Ruh und treib nicht an mir!« Die +Angerbäuerin fühlte, daß sie still sein müsse.</p> + +<p>Die zweite Hälfte des Juni war herbeigekommen und mit ihr die +Nördlinger Messe. Diese dauert vierzehn Tage und ist ein Fest für das +ganze Ries. Die ländlichen Hausfrauen kaufen sich auf ihr den Bedarf an +Kleidungsstoffen, Hausgeräthen und Spielzeug, und an manchem Tag sieht +man auf den Hauptplätzen mehr Bauern als Städter. Namentlich ist dies +bei den Hafnern der Fall, wo die klugen Bäuerinnen durch wiederholtes +Klopfen die Güte der Geschirre prüfen und an großen und kleinen ein +Gemisch von Tönen hervorbringen, daß man ein wahres Concert zu hören +glaubt. Hat man gehörig eingekauft, so erquickt man sich an den +berühmten Nördlinger Brat- oder geräucherten Groschenwürsten, trinkt +Bier dazu oder gar ein Schöppchen Wein, und wandert in der Dämmerung, +trotz des gefüllten, wachstuchbezogenen »Donaugretzens,« den man zu +tragen hat, vergnügt nach Hause. Die Sonntage sind für die »Ledigen,« +die namentlich am zweiten, der eben deßwegen der »Bauernsonntag« +heißt, von allen Dörfern nach Nördlingen strömen, um in verschiedenen +Wirthshäusern der Lustbarkeit nachzugehen.</p> + +<p>Ludwig hatte acht Tage vergehen lassen, ohne sich um die Messe zu +kümmern. Sein melancholisches Aussehen machte die Mutter besorgt und +selbst den Alten bedenklich. Als er gar am Bauernsonntag keine Anstalt +machte in die Stadt zu gehen, da hielt sich die Mutter nicht länger. +Sie nahm eine kleine Rücksprache mit dem Vater, dann ging sie zu +Ludwig, der in seiner Kammer war, und redete ihm mit mütterlichem Ernst +in's Gewissen: was denn das wäre, daß er gar nicht mehr unter die Leute +gehen wolle? Wenn andere ledige Bursche sich lustig machten, sitze er +da und sinnire; ob das eine Art sei für einen jungen Menschen? »Da,« +fuhr sie fort, indem sie einen Beutel<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> voll Kronenthaler aus der Tasche +zog, »da nimm, geh nach Nördlingen, mach dir einen vergnügten Tag und +laß etwas drauf gehen! Du weißt ja, wir haben's!« Ludwig, den Beutel in +Empfang nehmend, sagte mit trübem Lächeln: »Nun gut, Mutter, ich will +dir folgen.« Das Gesicht der Angerbäuerin erheiterte sich. Sie wußte, +daß Eva in der Stadt sein würde, und hoffte, daß die beiden jungen +Leute sich treffen, mit einander tanzen und sich vollends verständigen +würden.</p> + +<p>Ludwig kleidete sich trotz seiner Melancholie festlich an, wie +sich gebührte, und schlug nach der Stadt einen weitern und weniger +begangenen Fußweg ein, der durch Getreidefelder und Wiesen führte. Der +Tag war ausnehmend schön und klar. Die Nachmittagssonne schien warm +vom Himmel, aber ein frisches Lüftchen, das von Osten kam, milderte +ihre Wirkung. Still, zuweilen ein rührendes Lied summend, wanderte +Ludwig den heimlichen Gang durch das hochgewachsene Korn. Als er +auf die Wiese heraustrat und die Augen aufschlug, bot sich ihm ein +höchst erfreulicher Anblick. Etwa noch eine halbe Stunde entfernt +lag die Stadt Nördlingen da, von grünenden Gärten umgeben. Der von +grauen Quadern erbaute Thurm der St. Georgienkirche — einer der +höchsten und stattlichsten in Deutschland — erhob sich in dem klaren +sommerlichen Duft freundlich über die Häuser und bildete mit ihnen +ein Ganzes, dem man die Eigenschaften der Solidität und Wohlhäbigkeit +von weitem ansah. Und rechts und links, auf Straßen und Feldwegen, +zu Wagen und zu Fuß erblickte man geputzte Leute in ländlicher oder +städtischer Tracht, welche dem <em class="gesperrt">einen</em> Punkte zustrebten. Die +Landschaft trug vielleicht eben jetzt ihr farbenschönstes Kleid. +Ueberallhin wogende Getreidefelder in mannichfacher Abstufung des Grüns +und Wiesen mit Blumen geziert, besonders mit der weißen »Meßblume,« +die den Rieserinnen dazu dient, das, »Er liebt mich von Herzen« etc. +vorzunehmen, und die in größerer Anzahl darüber verbreitet den Gründen +einen besonders heitern Charakter giebt.</p> + +<p>Auf Ludwig machte das alles freilich nur traumhafte Eindrücke. Seine +Seele lebte in sich selber. Er war in einer Stimmung, wo man traurig +ist, aber sich nicht ganz unglücklich fühlt, wo man zugleich<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> mit der +Trauer eine Lust der Ergebung empfindet, die alles Schmerzliche in +gemildertem Lichte sehen läßt. In dem Menschenherzen sind wunderbare +Quellen des Trostes, die sich aber nur öffnen, wenn es bedrückt wird. +Dann erhebt sich eine Kraft in ihm, die in sanfter Strömung Linderung +bietet, und die, wenn sie die früheren Hoffnungen nicht mehr beleben +kann, doch wenigstens ihr Grab verschönt. — Als Ludwig die Erfahrungen +der letzten Zeit an seiner erweichten Seele vorüberziehen ließ, regte +sich leise und leise sogar die Hoffnung wieder. Die Sehnsucht erblickte +in weiter Ferne Bilder des Glücks, und das junge Herz fand ihre +Verwirklichung nicht mehr so ganz unmöglich.</p> + +<p>In der Stadt angekommen, ohne recht zu wissen wie, ging er zuerst +auf den Markt beim Rathhaus und hatte dort kurze Ansprachen mit +verschiedenen Kameraden. Dann trieb er sich in bunter Menschenwoge bei +den Meßständen umher und kaufte einiges zu Geschenken. Als er müde war, +suchte er den »goldenen Ochsen« auf, wo die jungen Leute seines Dorfes +einzukehren pflegten. Fröhliche Musik erschallte von den Fenstern +des ersten Stocks. Er fühlte keine Neigung, sich unter die Jugend zu +mischen, trat in die untere Stube, ließ sich einen Krug Bier geben und +setzte sich in eine Ecke. Nach und nach regten die wohlbekannten Töne +des Horns und der Clarinette doch eine Neugierde in ihm an, und er ging +in den Saal hinauf, um dem Tanze zuzusehen.</p> + +<p>Das erste, was ihm in die Augen fiel, war Hans, der sich mit Regine im +Tanze drehte. Sein Herz klopfte; er spähte im ganzen Saal umher, um die +zu erblicken, die er liebte. Endlich sah er sie in einer Ecke stehen, +den Blick auf die Tanzenden gerichtet, die Gedanken aber sichtlich +anderswo.</p> + +<p>Das Hiersein des verlassenen Mädchens war dadurch veranlaßt, daß Hans +erklärter Hochzeiter der Regine geworden war. Als solcher wollte er +die Geliebte zur Messe führen, aber diese, die das arme Kind gern +wieder bei einem Vergnügen gehabt hätte, erklärte, sie gehe nicht ohne +Annemarie. Das gute Mädchen, wenn sie kein Störenfried sein wollte, +mußte dem Paar nun wohl Gesellschaft leisten.</p> + +<p>Ludwig blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete sie, ohne<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> von ihr +gesehen zu werden, in erschreckter Freude. Ihr Gesicht war nicht nur +blässer, sondern auch etwas schmaler geworden; aber wie schön und fein +war es! Die Trennung von ihm machte ihr mehr Herzeleid als ihm selber, +das mußte er sehen! Sie hatte ihn nicht vergessen, sie hing treu an +ihm, sie grämte sich! Reue, Mitleid, Liebe, Bewunderung stürmten auf +ihn ein, seine Wangen glühten, ein unendliches Verlangen ergriff ihn, +mit der Geliebten zu reden. Plötzlich faßte er einen Entschluß. Er ging +auf sie zu und fragte: ob es nicht erlaubt wäre mit ihr zu tanzen.</p> + +<p>Das Mädchen schrak zusammen und starrte ihn an. Sie zog die Hand, +die er ergriffen hatte und in der seinen bebte, zurück, aber er ließ +sie nicht los. Mit dem herzlichsten Tone sagte er: »Ich bitte dich, +Annemarie!« und sah sie mit einem Blick so voll Liebe, Reue und +Ergebung an, daß die Kraft zum Widerstand ihr versagte. Erröthend, +zitternd, in tiefster Verwirrung ließ sie sich von ihm zum Tanze führen.</p> + +<p>Was soll ich weiter sagen? Ludwig fand Gelegenheit, sich gegen +Annemarie über alles auszusprechen: wie Vater und Mutter drohend von +ihm verlangt, von ihr zu lassen, wie er versucht habe, ihnen zu folgen, +wie es ihm aber unmöglich sei, da er keine andere liebhaben könne als +sie. Er wolle nun mit seinem Vater sprechen, gleich morgen. Sie müsse +sein Weib werden, geh' es wie es wolle. Er verspreche es ihr hoch und +heilig, und so wahr ein Gott im Himmel sei, er werde sein Versprechen +halten.</p> + +<p>Annemarie glaubte ihm: sie fühlte, wie jedes Wort von Herzen kam. Sie +verzieh ihm das Vergangene, da sie einsah, welch einen schweren Stand +er hatte; sie bewunderte und theilte seinen Muth. Was fragte sie nach +der Welt? Er gehörte ihr wieder, ihr Leben, ihr einziges Glück! — Sie +glänzte in seliger Schönheit. Die Freude hatte ihre Wangen nicht nur +wieder geröthet, sondern schien sie auch plötzlich runder gemacht zu +haben. Ludwig hatte sie nie so hold gesehen.</p> + +<p>Die jungen Herzen erhob ein Gefühl, das sie vorher nie in dieser Stärke +gekannt hatten: der Heldenmuth der Liebe. Sie sahen, was ihnen drohte, +aber sie empfanden keine Bangigkeit. Die Kämpfe,<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> die ihrer harrten, +waren ihnen beinahe lieb; denn sie <i>wollten</i> sich bewähren, sie +wollten zeigen, was wahre Liebe vermöge, und daß man einer solchen +nichts anhaben könne. Es war ein Schwung in ihren Seelen, daß ihnen +nichts unmöglich erschien. Mögen sie nur kommen, mögen sie nur reden +— dachten sie — wir wollen sehen, wer das Feld behauptet! — Mit dem +Glück leuchtete nun auch dieses heroische Gefühl aus den Gesichtern und +gab ihnen einen eigenen rührenden Ausdruck. Wer sie sah, der wußte, daß +sie einig waren und daß man sie nicht mehr auseinanderbringen würde. +Die einen schüttelten den Kopf, andere dagegen nahmen frohen Antheil. +Ein stattlicher Bursche ging auf das Paar zu, klopfte Ludwig auf die +Schulter und sagte: »Brav so! Laß dich nicht irre machen — der Alte +muß nachgeben!« — »Ja, Bruderherz,« erwiederte der Entschlossene, »das +muß er, ich kann ihm nicht helfen!«</p> + +<p>Ludwig führte sich nun gerade am schönsten auf, er strampfte am +geschicktesten nach dem Takt vor seiner Tänzerin, er sang Lieder vor, +die sich auf ihr Verhältniß bezogen, darunter einige, die er offenbar +selber gemacht hatte — er zog die allgemeine Bewunderung auf sich.</p> + +<p>Nachdem sie genug getanzt hatten, nahmen die befreundeten Paare im +einer kleinen Stube Platz und setzten sich zum reichlichen Mahle. +Ludwig folgte seiner Mutter: er ließ etwas drauf gehen, und mehrere von +den schönen Kronenthalern, die er erhalten hatte, um damit vor Eva zu +prangen, blieben im goldenen Ochsen. Gegen eilf Uhr machten sie sich +auf den Heimweg. Ludwig führte die Geliebte und Regine hielt Hans mit +Fleiß etwas zurück, damit die beiden sich recht ausreden konnten. Die +Nacht war so schön wie der Tag; der Mond, beinahe voll, schien hell +in's Land, und silberne Nebel zogen sich über die Wiesgründe hin. So +wanderten die Glücklichen in dem Feldweg fort, sich wieder und wieder +betheuernd, wie lieb sie sich haben, wie glücklich sie seien und +wie sie sich treu bleiben wollten bis in den Tod. Vor dem Hause des +Bäckers nahmen sie Abschied, und nochmal sagte Ludwig an dem Halse der +Geliebten: »Verlaß dich auf mich!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span></p> + +<hr class="tb"> + +<p>Den andern Morgen ersah Ludwig seine Zeit und ging entschlossen in +die Stube, wo seine Eltern allein waren. Er trat vor seinen Vater und +sagte: »Ich hab' etwas mit dir zu reden.« Der Alte machte ein grimmiges +Gesicht, welches zeigte, daß ihm von dem gestrigen Thun des Sohnes +bereits etwas zu Ohren gekommen war. »Das trifft sich gut,« erwiederte +er, »ich hab' auch etwas mit dir zu reden.« Und indem er ihn mit +verachtenden Blicken maß, fuhr er fort: »Nun sag mir, was ich mit dir +anfangen soll! Du hast also wirklich alle Scham verloren? Während ich +und deine Mutter glauben, daß du bei Leuten bist, die dir Ehre machen, +verbankettirst du dein Geld mit einer —«</p> + +<p>»Schimpf nicht!« fiel ihm Ludwig in die Rede; »die Annemarie ist das +bravste und ordentlichste Mädchen! Und weils doch heraus muß, so sag +ich dir jetzt: die und keine andere wird mein Weib! Ich hab' euch +folgen wollen, ich hab' mir die größte Müh' gegeben; aber es geht nicht +— ich <em class="gesperrt">kann</em> ohne die Annemarie nicht leben! Und ich hab' ihr's +gestern gesagt, und sie hat mir's gesagt, und wir haben uns versprochen +vor Gott im Himmel, daß wir uns treu bleiben wollen, und wir halten +unser Wort!«</p> + +<p>Der Alte war erstarrt. Er hatte in der Geschichte auch jetzt noch +nichts als eine ärgerliche Liebelei gesehen und fürchtete im +schlimmsten Fall einen Ausgang, der den Buben in's Geschrei bringen +und die Heirath mit Eva verderben konnte. Daß sein Sohn, der Sohn des +Angerbauern, daran denken könnte, ein Mädchen wie Annemarie zum Weib zu +verlangen, das hätte er sich nicht im Traum einfallen lassen. Er sah +ihn ordentlich erschreckt an, wie einen plötzlich Tollgewordenen, und +brachte mit Mühe die Worte heraus: »Was — willst du thun?« — Ludwig +erwiederte mit entschlossenem und zugleich bittendem Tone: »Ich will +die Annemarie heirathen, ich kann nicht anders, Vater!«</p> + +<p>Der Angerbauer zuckte und seine Faust ballte sich. Noch hielt er die +Wuth, die in ihm aufkochte, zurück, aber mit solcher Anstrengung, daß +seine Glieder zitterten. Er fragte: »Wovon wollt ihr denn leben?« — +Ludwig versetzte: »Die Annemarie ist nicht so arm, sie hat auch etwas, +beinahe tausend Gulden, und mit dem, was ich kriege —« — »So?« sagte +der Alte, »wer giebt dir denn etwas?« — »Nun,« versetzte Ludwig, »du +würdest mir doch —« —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span></p> + +<p>Der Alte lachte mit bitterem Hohn. »Wie!« sagte er, »bildest du dir +ein, daß ich Geld ausgebe, um eine solche Söhnerin zu bekommen? Bist du +von Sinnen? Nicht einen Heller bekommst du von mir!«</p> + +<p>»Laß ab, Ludwig!« rief die Mutter, die geängstet zur Seite gestanden +hatte, »laß ab, um Gotteswillen! Er thut's nicht, er kann's nicht thun! +Hast du denn allen Verstand verloren?« — »Nein,« versetzte Ludwig +fest, »ich hab' meinen Verstand noch ganz, und ich laß nicht ab, denn +ich hab's wohl überlegt, was ich thu'. Die Annemarie wird mein Weib, +mag geschehen was da will — das ist meine letzte Rede!«</p> + +<p>Nun war die Kraft, mit welcher der Angerbauer den Ausbruch seiner +Wuth niedergehalten hatte, zu Ende. »Wie!« schrie er den kecken Sohn +an, »du unterstehst dich mir zu trotzen? So weit treibst du die +Unverschämtheit? Du nichtsnutziger Bursche! Du frecher Bube! Heirathen +willst du sie? Eine Bettlerin? Du Dummkopf! Siehst du nicht, daß die +schlechte Person nur nach deinem Geld angelt?«</p> + +<p>Ludwig hatte die Schmähungen, die ihn betrafen, ruhig über sich ergehen +lassen; aber bei den letzten Worten fuhr er auf. »Die Annemarie ist +das rechtschaffenste Mädchen unter der Sonne! Wer anders sagt, ist ein +Lügner!« — Der Alte erhob den Arm und that einen Schritt gegen den +rebellischen Sohn, um ihn niederzuschmettern; aber die Mutter fuhr +dazwischen. »Um's Himmelswillen,« rief sie dem Rasenden zu, »thu' das +nicht! Siehst du nicht die Leute, die draußen stehen?« Der Vater ließ +den Arm sinken, aber nur um den Sohn desto grimmiger mit Worten zu +treffen.</p> + +<p>Ich verzichte darauf, diese Scene weiter zu schildern. Der Zorn ist +eine Art von Wahnsinn. Hat er einmal die Dämme der Vernunft und +der Sitte durchbrochen, dann kennt sein Wüthen keine Grenzen mehr. +Er will den Gegner vernichten und greift darum zu den gröbsten +Schmähungen, weil sie die tödtlichsten sind. Der Zornige kann mit dem +ehrlichsten Ingrimm und mit der wahrsten Empfindung Dinge sagen, deren +Ungerechtigkeit er bei ruhigem Blute besser einsehen würde als irgend +ein anderer. Nur die Ungerechtigkeit kann<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> ihm genug thun, er lebt von +ihr, er schwelgt in ihr. Die Worte, die dem Angerbauer angreifend und +dem Sohn abwehrend an diesem Morgen noch in den Mund kamen, würden +in dieser Darstellung keinen Platz finden. Noch einmal ging der Alte +auf Ludwig los, um ihn niederzuschlagen; noch einmal trat die Mutter +dazwischen und hielt ihm den Arm. Endlich rief er mit schäumendem +Munde: »Fort, fort! Aus meinem Hause! Du bist mein Sohn nicht mehr! +Fort!« Und Ludwig versetzte: »Sorg' nicht, ich geh', und nie wirst du +mich wieder sehen!« Er öffnete die Thüre und ging hinaus. Die Mutter +wollte ihm nach, aber der Angerbauer hielt sie mit eisernem Arm. »Laß +ihn, er soll fort und mir nie wieder unter's Angesicht kommen!«</p> + +<p>In einer Art von heroischer Trunkenheit ging Ludwig in seine Kammer, +packte die nothwendigsten Kleidungsstücke in ein Tuch und wanderte mit +dem Bündel durch den Garten auf's Feld hinaus. Es war ihm ordentlich +wohl zu Muthe. Er wollte sich an seinem Vater rächen, und er wußte, wie +er das konnte. Gestern hatte er zufällig gehört, daß ein weitläuftiger +Anverwandter im untern Ries einen Knecht brauche. Zu dem wollte er +gehen und sich bei ihm verdingen. Er wollte als Knecht dienen, zur +Schande seines reichen Vaters, und so lange aushalten, bis dieser ihn +selber bäte wieder zu ihm zu kommen und — Annemarie zu heirathen. +Dieser wollte er schreiben, ihr ausführlich berichten, wie tapfer er +sich gehalten und dadurch gewiß alles wieder gut gemacht habe. Er +fühlte sich recht als Mann und war mit sich und beinahe auch mit seinem +Schicksal zufrieden.</p> + +<p>Das Dorf, in welches er zu wandern gedachte, war etwa drei Stunden +entfernt. Auf dem Feldweg, den er zunächst einschlug, begegneten ihm +mehrere Leute, die ihn verwundert anschauten, zuletzt auch sein Bruder +Andres, der ihn fragte, wo er hingehe. »Fort, in die weite Welt,« rief +ihm Ludwig zu. — »Wie soll ich das verstehen?« fragte Andres. — +»Der Vater braucht mich nicht mehr: geh' heim und sag ihm, wo du mich +getroffen hast!« Und fort eilte er. Andres ging etwas rascher nach +Hause als er sonst gethan hätte, und richtete den Auftrag aus. Der +Mutter traten auf's neue die Thränen in die Augen; der Alte aber rief: +»Mag er laufen, wohin er will, der<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> nichtsnutzige Bursche! — Ich werde +nicht nach ihm schicken!« Der ruhige Andres ging zur Mutter und sagte +tröstend: »Er wird schon wieder kommen.«</p> + +<p>Nach einer heißen Wanderung langte Ludwig im Hofe des Vetters an. Er +unterdrückte das Schamgefühl, das ihn anwandelte, und trat äußerlich +entschlossen, aber doch mit der Schüchternheit eines Menschen, der sich +anträgt, in die Stube. Der Bauer, ein gesundhagerer, sonnverbrannter +Mann mit angehenden grauen Haaren, war allein da und rief auf den +Gruß des Ankömmlings: »Ludwig! Sieh da! Was führt dich zu uns?« Auf +das Bündel blickend, setzte er hinzu: »Bringst du mir etwas?« — +»Kann sein,« erwiederte Ludwig. »Ihr braucht einen Knecht?« — »Ja +wohl. Weißt du mir einen?« — »Ich weiß einen.« — »Nun?« — »Ich +bin's selber.« — »Du? Mach keinen Spaß!« — »Ich mach keinen Spaß, +Vetter, sondern sag' Euch die reine Wahrheit.« Und er erzählte ihm das +Vorgefallne.</p> + +<p>Um den Mund des Schmiedbauern (so hieß der Mann vom Hofe) spielte ein +behaglich schadenfrohes Lächeln. Er war einer von denen, die sich +für besonders gescheidt halten und denen es höchst fatal ist, wenn +sie Einen treffen, der noch mehr Verstand zu haben glaubt als sie. +Diesen Verdruß hatte dem Schmiedbauern zu verschiedenen Malen der +Angerbauer gemacht, indem er ihm zu Nördlingen, wenn sie nach einer +»guten Schranne« beim Bier saßen, keine seiner kühneren Behauptungen +durchgehen ließ und ihm hie und da sogar übers Maul fuhr. Den Sohn +dieses stolzen und hoffärtigen Mannes nun als Knecht im Hause zu haben +und dem Alten gelegentlich einmal vor den Leuten sagen zu können, wie +er sich mache, war für ihn ein köstlicher Gedanke. Er beschloß Ludwig +zu dingen. Zu seiner Beruhigung sagte er sich: »Wenn ich ihn nicht +nehme, geht er vielleicht nach Augsburg, um sich als Hausknecht zu +verdingen, oder unter die Soldaten, oder Gott weiß wohin, so daß man +ihn am Ende gar nicht mehr findet. Bei mir aber lebt er in der Nähe und +kann am ersten wieder zur Vernunft gebracht werden.«</p> + +<p>»Ei, ei, ei, ei!« rief er endlich aus, indem er vergnügt den Kopf +schüttelte, »was sind das für Sachen! — Nun,« fuhr er nach einer Weile +fort, indem er sich zusammennahm und die Miene des Vetters<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> allmählig +in die des Herrn übergehen ließ, »wenn du's nicht anders haben willst, +so will ich dir nicht entgegen sein. Du sollst mein Handknecht werden +und so viel Lohn haben, wie der vorige. Aber eins muß ich dir sagen: +ich ding dich nicht zum Spaß. Ich brauch einen Knecht, der ordentlich +schafft und nichts vor andern voraus haben will.« — Ludwig versetzte +etwas empfindlich: »Ich schaff wie ein anderer und verlang nichts als +was mir gehört.« — »Nun, mit dem Beding sind wir Handels eins.«</p> + +<p>Michel, des Schmiedbauern einziger Sohn, ungefähr in gleichem Alter +mit Ludwig, kam in die Stube und grüßte den Vetter überrascht und +freundlich. »Was sagst du dazu,« redete der Alte ihn heiter an, »daß +Ludwig unser Handknecht wird?« — »Was nicht noch?« versetzte Michel +ungläubig. Der Alte erklärte ihm den Handel, worauf der Haussohn +den neuen Knecht mit einem schelmischen und selbstzufriedenen +Lächeln betrachtete. Man sah ihm an, daß plötzlich das Gefühl des +Höherstehenden in ihn gefahren war. Er eilte in die Küche, um +seiner Schwester Madlene, welche seit dem Tode der Bäuerin die +Wirthschaft führte, die Neuigkeit mitzutheilen. Als Madlene mit dem +Nachmittagskaffee in die Stube trat, grüßte sie den Vetter nur obenhin +und mit etwas verzogenem Mäulchen; sie konnte einen Burschen nicht +begreifen, der wegen eines geringen Mädchens sich so herabzuwürdigen +vermochte. Der Alte sagte zu Ludwig: »Setz dich zu uns; heute kannst du +noch mit uns Kaffee trinken. Später freilich —« — »Ich dank' schön,« +erwiederte Ludwig rasch, »mich dürstets, ich trink Wasser lieber.« — +»Das kannst du dir draußen am Brunnen selber pumpen,« sagte der Alte, +vergnügt über die Empfindlichkeit des jungen Burschen, »und trinke +so viel als dir schmeckt.« — Die Familie setzte sich im Kanzlei zum +Kaffee. Ludwig verließ die Stube, ging zum Brunnen, trank tüchtig +und nahm sich vor, muthig auszuhalten und alles was sein neuer Stand +natürlicherweise Beschwerliches hatte, mit Geduld zu ertragen.</p> + +<p>Nach zwei Tagen wurde an Annemarie von einem Hausirer ein Brief +abgegeben, worin der Liebende berichtete, was uns bekannt ist. Der +Schluß lautete: »Es geht mir hier recht gut. Ich muß tüchtig<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> arbeiten, +aber das ist mir lieb. Bleib mir nur treu wie ich dir und alles, was +geschehen ist, wird zu unserm Glück sein.«</p> + +<p>Das gute Mädchen hatte eine seltsam gemischte Empfindung. Die +standhafte Treue, die Ludwig bewiesen, erfreute und rührte sie +inniglich; aber der Gedanke, daß <em class="gesperrt">sie</em> an der Uneinigkeit einer +solchen Familie Schuld sein sollte, fiel ihr schwer auf's Herz. +Sie ergab sich für jetzt in ihr Geschick und tröstete sich mit der +Hoffnung, daß der Himmel zwei so treu liebenden Herzen zuletzt doch aus +ihrer Noth helfen werde.</p> + +<p>Im Dorf hatte natürlich das Davongehen Ludwigs den größten Rumor +gemacht, und die beiden Tage lang wurde in den Häusern und auf +dem Felde, beim Bier und Nachts auf der Gasse von nichts anderem +gesprochen. Alle die gegen die Familie des Angerbauers etwas hatten +oder sie beneideten, thaten sich von Herzen gütlich und sorgten dafür, +daß die Geschichte mit gehörigen Zusätzen weiter verbreitet wurde.</p> + +<p>Unser junger Freund Theodor brachte die Nachricht mit einem gewissen +Selbstbewußtsein dem Großvater, indem er ausrief: »Hab' ich's nicht +gesagt?« Der alte Pfarrer sah ihn freundlich an und sagte: »Ja, +du bist ein ganzer Mann und großer Prophet!« Theodor machte ein +etwas verdutztes Gesicht; seine Erwartung, ein mit seinen Gefühlen +sympathisirendes »schrecklich! was es doch für Menschen giebt« etc. +zu hören, war auf's neue getäuscht. Dieselbe Erfahrung machte er, als +er die Kunde brachte, daß Ludwig sich als Knecht verdingt habe. »So?« +sagte der alte Herr, »ist die Nachricht gewiß?« — »Ich habe sie von +einem Hausirer, der Ludwig selber gesehen hat,« erwiederte Theodor. Und +ihn ansehend, fragte er: »Was soll nun geschehen? was willst du thun?« +— »Wir wollen ihn dienen lassen,« antwortete der Pfarrer und begab +sich in seine Studierstube. Theodor sah ihm kopfschüttelnd nach; bei +dieser Gelegenheit konnte er seinen Großvater nicht begreifen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Das Leben des Bauern hat dadurch einen besonderen Reiz, daß seine +Thätigkeit an das Leben der Natur gebunden ist und seine Arbeiten in +Folge davon sehr mannigfaltig sind. Im Frühling wird beim Singen der +Lerchen das dampfende Feld gepflügt und besät<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> und auf den Wiesen +die Streu — die rein gewaschenen Ueberbleibsel des Strohdüngers — +zusammengerecht. Gemüse- und Baumgarten erhalten ihre Pflege. In den +Sommer und einen Theil des Herbstes fallen die Ernten des Heus, des +Winter- und Sommerkorns, des Grummets (im Ries »Ohmad« genannt), des +Flachses, Hanfs, der »Erdbirn«, der Rüben und des Krautes, die alle +gar verschiedene Fertigkeiten in Anspruch nehmen und insbesondere +dem rüstigen Burschen Gelegenheit geben, sich als »Mahder« (Mäher), +Schnitter, Garbenbinder, Wagenlader und Pferdelenker auszuzeichnen. Die +Einsammlung geschieht in fröhlicher Gesellschaft, die Familienglieder, +Knechte und Mägde helfen zusammen und erleichtern sich die Arbeit +durch lustige Reden; denn gewöhnlich fehlt in einem Hause weder ein +humoristischer Bursche, der Spaß macht, noch eine gemüthlich einfältige +oder unbewußt drollige Person, die ihm dazu den hauptsächlichsten +Anlaß giebt. Die Hausfrau schickt zu rechter Zeit Speise und Trank +auf's Feld und bewirthet die Arbeiter zum Schluß der großen Ernten +festlich mit »Schneckennudeln« oder »Küchlein;« mit den verschiedenen +Arbeiten sind auch verschiedene herkömmliche Ergötzungen verbunden. +— Ackern und Pflanzen hat sich von Zeit zu Zeit wiederholt, bis +zuletzt noch die Wintersaat bestellt wird. Der Herbst und der Winter +bringen das Dreschen, für die Frauen und Mädchen das Spinnen, womit +in wohlgeheizter, schneeumflogener Stube unter dem Hinzutritt +unterhaltender Bursche die langen Abende ausgefüllt werden. Durch +alle Jahreszeiten hindurch erfordert die Viehzucht, die Besorgung der +Rosse, des Rind- und Federviehs, der Schafe und der Schweine besondere +Arbeiten und Geschicklichkeiten. Dann ist der Bauer auch Fuhrmann und +Handelsmann. Er fährt in Waldungen (im Ries oft in ziemlich entfernte), +um Holz zu holen, er fährt sein Korn zur Schranne, er fährt die Seinen +und für Geld oder gute Worte auch Andere zu näheren und weiteren +Besuchen. Er verkauft, kauft und tauscht, und verbringt auf Märkten, +den Reiz der Handelschaft genießend, keine geringe Zeit. Er wird +endlich verlockt und genöthigt, in verschiedene Künste zu pfuschen +und sich mit allerlei Werkzeugen bei kleinen Verlegenheiten selber zu +helfen.</p> + +<p>Natürlich sind die Arbeiten ausgetheilt und an Einen kommen<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> nicht alle +Arten; doch ist es nicht möglich, jeden einzelnen streng in seinem +Kreise zu lassen, und immer bleibt für ihn noch eine Mannigfaltigkeit +übrig, durch die er sich von dem Handwerker und zumal von dem +Fabrikarbeiter zu seinem Vortheil unterscheidet. Auch der Knecht hat +eine erfrischende Abwechselung von Beschäftigungen, und wenn er die +hauptsächlichsten Arbeiten vom Ausbund versteht und ein »rechter +Schaffer« ist, so kann er sich fühlen und genießt eines rühmlichen +Namens.</p> + +<p>Jede Existenz in der Welt hat indeß ihre Kehrseite. Unter den +mannigfaltigen Geschäften sind solche, die weder sehr leicht, noch sehr +reinlich genannt werden können. In glühender Hitze Korn schneiden, +ist eine Arbeit, ergötzlicher anzusehen, als selber zu thun, indem +das stets wiederholte Hinabkrümmen des Oberleibes zur Erde eine sehr +unbehagliche Empfindung im Rücken zur Folge hat. In kalter Winterzeit +Morgens um vier aufstehen und beim düstern Schein einer Laterne +dreschen zu müssen, würde ebenfalls für Viele nichts Einladendes haben. +Den Acker zu bestellen, wenn es tüchtig geregnet hat, bringt mit der +Mutter Erde in eine Berührung, die man weniger innig wünscht. Indem der +Bauer die extremen Aeußerungen der Natur nicht so zu dämpfen vermag, +wie der Städter, und nicht auf gebahnte, sondern auf Wege gewiesen ist, +die meist noch in ursprünglicher Schlechtigkeit vorhanden sind, kann er +die Eigenthümlichkeit eines »wüsten Wetters« von Grund aus genießen. +In der Erntezeit gefällt sich die Natur zuweilen, den Fleißigen zu +necken, indem sie die getrocknete Frucht durch einen gehörigen Regen +netzt, um neues Umwenden nöthig zu machen, und dieses Manöver so lange +wiederholt, bis zuletzt auch dem Gutmüthigsten der Geduldfaden reißt.</p> + +<p>Wie jeder weiß, spielt die größte Rolle in der Landwirthschaft der +Dünger oder Mist. Denselben in gehöriger Fülle und Fettigkeit zu +erzeugen, ist die Hauptsorge des umsichtigen Bauers. Und wo dieser +wundersam nährende Stoff hinkommt, da wächst das Gras, da blühen die +Blumen, da grünt das Korn und sprießt in die Höhe — da steht die +Poesie der Landwirthschaft vor unsern Augen. Kein Wunder, daß der +Hofbesitzer mit besonderem Stolz auf seinen Misthaufen sieht und über +diesen Gegenstand mit Begeisterung zu reden<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> vermag. Wenn aber die +segensreichen Wirkungen dieses Stoffes jeder zugiebt, so ist es doch +weniger erfreulich, sich mit demselben unmittelbar zu befassen. Ihn auf +einem dazu bestimmten Karren vom Stalle zum Haufen zu fördern, ihn, von +Jauche getränkt, auf einen Wagen zu laden und festzupatschen, ihn auf +Aecker und Wiesen zu führen und dort herumzubreiten, ist eine Arbeit, +welche gern zu thun eine besondere Liebhaberei erforderlich ist.</p> + +<p>Natürlich geht es hier wie überall. Die Berufspflicht und die +Gewohnheit versöhnen mit Beschwerlichkeiten, die andern groß, ja +unerträglich erscheinen. Wer es gewohnt ist, der singt und pfeift bei +der genannten Arbeit und ist auf keine Weise davon belästigt, da sie, +genau genommen, in der freien Landluft auch weniger Uebelstände mit +sich führt, als Unkundige sich vorstellen mögen. Wer sie aber nicht +gewohnt ist und sich überdies zu gut dafür hält, den muß sie freilich +sehr hart ankommen.</p> + +<p>Die Geduld unseres verlorenen Sohnes wurde auf eine schwere Probe +gestellt, als die mühseligen und für ihn demüthigenden Arbeiten nach +einander anrückten. Er hatte zwar alle Bauernarbeiten gelernt, die +beschwerlichen und unreinlichen aber seinen Knechten überlassen, und +für das, was die übrigen noch Lästiges mit sich führten wurde der +Liebling der Mutter reichlich entschädigt. Nun mußte er sich nicht nur +zu einer jeden hergeben, er mußte sie, seiner eigenthümlichen Lage +und seinem Versprechen gemäß, auch mit besonderem Fleiß und Eifer +verrichten und den andern mit gutem Beispiel vorangehen.</p> + +<p>Dies war indeß noch nicht das Schlimmste. Als Handknecht stand er +unter dem Befehl des Bauern und seiner zwei Kinder, in gewissem Sinn +auch unter dem des Oberknechts. Dieser war zufällig ein brummiger +Kerl und machte seine Rechte um so mehr geltend, als er beinahe das +doppelte Alter Ludwigs hatte. Wenn es nun hieß: »Komm her! — thu' +mir das! — hol' mir jenes!« so mußte der arme Bursche laufen, die +Ausrufungen der Ungeduld anhören und Tadel hinnehmen, auch wo er ihn +nicht verdiente, sondern wo der Befehlende nur zeigen wollte, daß er +sich das Ausgeführte noch besser denken konnte. Seine Herkunft und +seine Vetterschaft nützten<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> ihm dabei gar nichts. Der Schmiedbauer +hatte seinen Kindern den Plan mitgetheilt, den er in Bezug auf +Ludwig befolgen wollte und der so sehr mit seiner Herzensneigung +übereinstimmte; die würdigen Sprossen fanden ihn gut und handelten +treulich darnach, Michel, um sich einen übermüthigen Spaß zu machen, +Madlene, um die Genossenschaft der Bauerntöchter an ihrem Beleidiger +zu rächen. Der Oberknecht, der in frühern Diensten von reichen Bauern +gehunzt worden war, benutzte die Gelegenheit, bei dem Sohn eines +solchen es wieder hereinzubringen. Er that nicht nur so viel als er +konnte, sondern mehr als er durfte, und Ludwig, der nicht rechten +wollte und überhaupt einmal in der Selbstverläugnung begriffen war, +ließ sich möglichst viel gefallen.</p> + +<p>Tief in der menschlichen Natur liegt der nicht sehr lobenswerthe Trieb, +die Gutmüthigkeit zu necken, die Hülflosigkeit zu mißbrauchen und dem, +der den Schaden hat, auch noch den Spott in den Kauf zu geben. Sogar +bessere Menschen können dem Reiz dazu nicht widerstehen, wenn der +Schaden nicht zu arg ist und der Betroffene ihn zu verdienen scheint. +Als Ludwig einmal den Roßstall säuberte und durch etliche Karrenfuhren +den Düngerhaufen vergrößerte, kam eben Michel herbei. Er konnte sich +nicht enthalten, lächelnd stehen zu bleiben und dem Burschen zuzurufen: +»Du kannst ja misten, Ludwig, als ob du nie etwas anderes getrieben +hättest!« Dann ging er zum Stall, schaute hinein und rief aus: +»Sapperment, hast du sauber gemacht! du bist ein Handknecht, wie wir +keinen bessern hätten kriegen können!« Ludwig erröthete und schwieg; +er fühlte, daß er den Spott entweder hinnehmen oder in einer Weise +beantworten mußte, die zum Bruch führte. Michel trollte selbstzufrieden +seiner Wege. Da er nicht sehr erfindsam war, so wiederholte er diese +Anrede mit geringen Variationen auch bei andern Arbeiten, und sein +Vater stand ihm mit ähnlichen Späßen bei, so daß Ludwig sich mehrmals +nur mit größter Mühe enthielt, den Spöttern ein paar tüchtige Ohrfeigen +zu langen. Der Oberknecht brach die Gelegenheit vom Zaun, auf ein +verzogenes Muttersöhnchen zu schelten und dem Untergebenen zu sagen: +mit ihm sei wenig ausgerichtet und er könnte nichts Besseres thun, +als wieder zu seinem Vater heimgehen. Am unbarmherzigsten fuhr aber +den<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> Unglücklichen Madlene an, wenn er nach ihrer Meinung etwas nicht +recht gemacht hatte. Sie zeigte offenbar den meisten Eifer, den Sünder +zu bessern. Wenn dann Michel scherzend zu ihr sagte: »Hör einmal, du +machst's ihm doch zu arg,« so wurde sie roth und erwiederte: »Was da! +es gehört ihm nicht besser!«</p> + +<p>Das Essen, das Ludwig erhielt, stand mit den Arbeiten, die er +verrichten mußte, nicht im Verhältniß, oder wenn man will, es stand +damit im Verhältniß; denn in der Regel bekommt ja doch gerade der, +welcher die sauersten Arbeiten thun muß, die magerste oder wenigstens +die gröbste Kost. Im Hause des Schmiedbauern, der sich keineswegs durch +Freigebigkeit auszeichnete, erhielten die Ehehalten Wassersuppe, sehr +einfach bereitete Gemüse in möglichst geringer Abwechselung, grobe +Mehlspeisen und allenfalls Speck und Salzfleisch, das vor Alter grün +und gelb geworden. Die andern, die es nicht besser gewohnt waren, +verschluckten solche Kostbarkeiten mit stets lebhaftem Appetit, der +Bauernsohn mußte sich aber, wie man zu sagen pflegt, »einen Zorn +einbilden,« um sie hinunter zu bringen. Da seine Mutter sich besonders +als Köchin auszeichnete, so war er mehr verwöhnt als andere seines +Gleichen: Fleischbrühsuppe, gutes Ochsenfleisch, schmackhafte Gemüse, +Eierspeisen und an festlichen Tagen Braten, das war es, was er zu +genießen pflegte. Nun mußte er die rohe Kost essen und dabei sehen, wie +die Herrlichkeiten, die ihm die Mutter früher mit aufmunternden Worten +vorgesetzt, von Madlene in's Kanzlei getragen und dort unter fröhlichem +Diskurs verspeist wurden.</p> + +<p>In der ersten Zeit erduldete er alle diese Unbilden mit großer +Standhaftigkeit. Vor allem hielt ihn sein Trotz oben und <em class="gesperrt">er</em> +dachte wirklich mit jenem Jungen, der aus Mangel an Handschuhen die +Finger erfror: es geschieht meinem Vater ganz recht, warum hat er mich +aus dem Hause getrieben? Viel mehr aber stärkte und erhob ihn die Liebe +und das Bewußtsein, wie mannhaft er seine Treue bewähre und wie viel er +um der Geliebten willen ertrage. Wenn sie mich jetzt sähe, dachte er, +wie viel ich mir gefallen lasse um ihretwillen, ein Mensch wie ich bin, +es würde ihr gewiß an's Herz gehen! Wenige Tage nach Absendung seines +Briefes war von Annemarie<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> eine Antwort gekommen, ein liebliches Echo +seiner Gedanken und Versicherungen. Das Vorgefallene beklagend, sprach +sie dem, der ihr Muth zugesprochen, wieder Muth zu und schloß mit +der sichern Hoffnung auf eine endliche glückliche Wiedervereinigung. +Ludwig freute sich innig, von der Geliebten zu hören, was er ihr selber +geschrieben hatte. Er malte sich aus, wie es ihnen wohl noch gehen und +unter welchen glorreichen Umständen sie wieder zusammen kommen möchten; +und solche Gedanken machten ihn allerdings hie und da bei der Arbeit +etwas zerstreut und ließen ihn kleine Fehlgriffe begehen, auf welche +sich seine Tadler mit einigem Recht berufen konnten.</p> + +<p>Wenn Ludwig mehr innerlichen Lebens fähig war als viele seines +Gleichen, so war er doch kein Mann der Einbildungskraft von Profession +und keineswegs bestimmt, sich durch bloße Vorstellungen über den +Verlust reeller Güter trösten zu lassen. Die Wirklichkeit riß ihn +oft sehr grob aus seinen Träumen, diese verloren überhaupt nach und +nach ihre Kraft, und er fühlte die Erniedrigung seiner Lage, so wie +die Klemme, in der er steckte, doppelt und dreifach. Im Hause des +Schmiedbauern und im Dorfe fand er keinen Trost. Seinen Mitehehalten +blieb er fremd. Ein dritter Knecht und die Mägde hatten ihn zuerst mit +einer gewissen Rücksicht behandelt, weil sie glaubten, sein Vater würde +bald kommen und ihn abholen. Als das aber nicht geschah und Ludwig +still fortarbeitete, verlor sich ihr Respekt; sie nahmen ihn für einen +wirklichen verlorenen Sohn und für ihres Gleichen. Wenn er gewollt +hätte, so würde ihm sein »feines Gesicht« bei den Mägden gutes Spiel +bereitet haben. Die ältere, eine passabel hübsche Dirne, glaubte, so +viel wie eine Zimmermannstochter könne sie auch noch vorstellen, und +schickte dem Traurigen theilnehmend süße Blicke zu; da er aber nicht in +der gewünschten Art darauf antwortete, so erklärte sie ihn für einen +Hansnarren und wurde um so »schnötziger« gegen ihn. — Nicht viel +besser erging es ihm mit den übrigen jungen Leuten des Dorfes. Es hätte +sich unter ihnen wohl ein Kamerad gefunden, wenn er ihn gesucht hätte. +Allein eine stolze Scheu hielt ihn zurück und man ließ ihn gehen. +Zuerst hatte sein Auftreten als Knecht ein mächtiges Gerede veranlaßt; +man begaffte ihn, schüttelte den Kopf und einzelne erlaubten sich mit +ihm zu scherzen<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> und ihm zuzurufen, daß sein Dienen nicht lange dauern +werde. Nach und nach gewöhnte man sich an seine Stellung und es kam +ihm endlich vor, als ob die Leute sie ganz im der Ordnung fänden. +Das ärgerte und verletzte ihn noch am meisten. Durch die Tagesarbeit +tüchtig ermüdet, suchte er früh das Bett, gegen dessen Reinlichkeit +er sonst sehr viel einzuwenden gehabt hätte, und wenn er nicht süß +träumte, so schlief er wenigstens.</p> + +<p>Als er in der vierten Woche seinen Zustand und sich selber in's +Auge faßte, fand er den Geldbeutel leer, den einzigen Anzug den er +mitgenommen, abgerissen, seine Hände viel schwieliger und sein Gesicht +viel verbrannter als vorher. Er mußte sich sagen, daß es doch seine +großen Bedenken habe, mit seinen Eltern zu brechen und sich ohne ihre +Hülfe von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Es kam ihm vor, als ob er +gegen den Vater vielleicht etwas weniger hitzig hätte sein können; +allein diesen Gedanken verwarf er gleich wieder und sagte: »Nein, so +hab' ich handeln müssen!«</p> + +<p>Die Sehnsucht, die Geliebte zu sehen, war unterdessen höher und höher +gewachsen. Er konnte ihr zuletzt nicht länger widerstehen und schrieb +ein Briefchen, worin er Annemarie bat, am nächsten Sonntag Nachmittag +um vier Uhr nach Nördlingen in einen vor dem Reimlinger Thor gelegenen +Wirthsgarten zu kommen, er müsse sie wieder einmal sehen und mit ihr +reden. Dann ging er zum Bauern und bat ihn um drei Gulden von seinem +Lohn. Der Schmiedbauer benutzte die Gelegenheit, ihm zu bemerken, daß +er sich doch besser gemacht habe, als er anfänglich geglaubt, und wenn +er sich nur das viele Sinniren abgewöhnen könnte, so würde er mit der +Zeit ein ganzer Knecht werden. Nach dieser Anerkennung schloß er ein +Wandschränkchen auf, nahm eine wohlgetrocknete, mit Geld gefüllte +Schweinsblase oder »Blotter« heraus und zählte dem Burschen im kleiner +Münze drei Gulden vor, indem er ihn ermahnte, damit hauszuhalten, da +er jetzt nicht gleich wieder mit Geld herausrücken würde. Ludwig, +von dieser Rede hinwegsehend, empfand ein ungewohntes Vergnügen, als +er das selbstverdiente Geld in der Hand hatte, und sein Muth stieg +bedeutend. Er beschloß, einen Gulden auf Ausbesserung<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> seiner Kleider +zu verwenden, mit den beiden andern aber, wenn's nöthig wäre, seine +Geliebte zu regaliren wie ehedem.</p> + +<p>Im Hause des Angerbauers ging indeß das alte Leben ohne Ludwig still +weiter. Das Geschwätz im Dorf, das Staunen, Vermuthen und Lügen über +diesen Gegenstand hatte, wenn nicht aufgehört, doch nachgelassen, und +schadenfrohe wie theilnehmende Freunde ließen die Familie mit ihren +Fragen und den Versicherungen ihres Bedauerns so ziemlich in Ruhe. +Der Angerbauer hatte dafür gesorgt, daß er für seine Person ganz +unangefochten blieb, indem er ein paar vorwitzige Frager auf eine +Weise abfertigte, daß sie ihm über die Grobheit ordentlich erstarrt +nachschauten und ihren Bekannten den Rath ertheilten, ihn gehen zu +lassen, sie wären verflucht heimgeschickt worden. Sonst hatte er +die würdige Ruhe wieder angenommen, die ihn auszeichnete, und nur +ein größerer Ernst und eine gewisse Freudlosigkeit in seinen Zügen +deuteten auf den Vorfall. Die Arbeiten der Heuernte — des »Heuets« +oder rieserisch »Häats« — zogen ihn von seinen Gedanken ab, und da +es Heu in Fülle gab, wurde er sogar wieder ein wenig aufgeheitert. Es +hatte den Anschein, als ob er das abgefallene Glied der Familie ohne +Umstände liegen lassen und seinen Weg fortsetzen wollte, als hätte es +nie existirt. Er verbot den Seinen, mit Einschluß des Schwiegersohns, +auf's strengste, dem Ungerathenen Botschaft zu thun oder ihm gar Geld +zu schicken, und da alle seinen Zorn fürchteten und dem Entlaufenen +mehr oder weniger zürnten, so gehorchten sie ihm. Die Mutter wagte nur, +sich durch eine Freundin nach ihrem Ludwig erkundigen zu lassen, wie's +ihm gehe.</p> + +<p>Ein Makel haftete indeß an der Familie des Bauers, wie er, so weit +seine Kenntniß reichte, nie in derselben vorgekommen. Wenn er unter +die Leute ging, so drohten ihm wenigstens Anspielungen, die ihn +beschämten und quälten. Er mußte Gesichter sehen, die viel kränkender +durch ein Lächeln ausdrückten, was der Mund nicht zu sagen wagte. Das +stolze Dasein des reichen Mannes war ein gespanntes, verkümmertes +geworden; seine Zufriedenheit, die so sehr auf der Geltung seiner +Familie bei andern beruhte, war dahin. In der ruhigeren Zeit, die +nach dem Heuet eintrat, stellte sich ihm wieder alles recht vor die +Seele. Er bedachte, wie verständig sein Sohn<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> sich immer aufgeführt, +er konnte nicht begreifen, wie er es vermochte, eine solche Schande +über die Familie zu bringen, und der Gedanke, daß Annemarie ihn in +eigennütziger Absicht verführt, daß sie eine schlaue Dirne sei, die +sich nur so brav anstellen könne und die Leute bisher getäuscht habe, +drängte sich ihm in neuer Stärke auf. »Er kann sich nicht so mir nichts +dir nichts geändert haben,« sagte er dann zu sich, »es muß etwas +Besonderes dahinter stecken.« In einem frühern Jahrhundert hätte er +das Mädchen vielleicht für eine Hexe ausgegeben und sie durch einen +Proceß verfolgt; jetzt glaubte er wenigstens, daß sie alle natürlichen +Mittel eines listigen, zu seinem Unglück schönen Weibsbildes angewendet +hätte, um seinen gutmüthigen Ludwig zu bethören. Dafür schienen ihm +namentlich auch die geheimen Zusammenkünfte zu sprechen, von denen ihm +die Mutter gesagt hatte. Er dachte sich wie es gegangen sein könnte, +und nachdem er sich's recht deutlich vorgestellt hatte, zweifelte er +nicht länger, daß es wirklich so gewesen. Als er seine Gedanken der +Ehehälfte mittheilte, trat diese — froh die eigentliche Schuld von +ihrem Sohne genommen zu sehen — eifrig seiner Meinung bei. »Ja ja,« +sagte sie, »so wird's sein. Sie macht zwar eine Miene, als ob sie die +Beste und Frömmste im Dorf wäre; aber stille Wasser gründen tief. +Solche Verführerinnen sind gerade die schlimmsten, und nur so eine +konnte den Ludwig so weit bringen!« In der stillen Hoffnung, daß der +Sohn nach kurzer Zeit doch wieder zu ihnen kommen würde, getäuscht +und über seinen fortdauernden Trotz aufgebracht, entlud sich das +Ehepaar nun seines Verdrusses und Zorns nach der Seite des Mädchens. +Sie habe das Unglück angestiftet, das über die Familie gekommen; von +ihr sei's ausgegangen, das wüßten sie nun gewiß, und was jetzt noch +Schlimmes daraus entstehen würde, das hätte man ihr zu danken. Sie sei +eine Scheinheilige, die's hinter den Ohren habe und vor der man jeden +jungen Menschen von Vermögen warnen müsse. Solche Dinge sagte man zu +den Vertrauten; diese sagten es hernach wieder ihren Vertrauten, und +in zwei Tagen war das ganze Dorf davon erfüllt. Man erzählte sich, daß +die Angerbäuerin ihrer Freundin im obern Dorf weinend geklagt habe, +welcher Jammer durch<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> dieses fremde Mädchen über sie gekommen und wie +sie verzweifeln müsse, wenn sie ihren Ludwig nicht wieder sähe.</p> + +<p>Annemarie hatte seit dem Tage, wo sie den Brief des Geliebten erhalten +und beantwortet, entsagend weiter gelebt und die Geschäfte des Tages +verrichtet. Man sah, daß etwas auf ihr lastete, aber auch, daß sie +entschlossen war, die Last zu tragen. Der alte Bäcker hielt ihr einmal +vor, welch schlimme Folgen ihre Bekanntschaft mit dem Ludwig gehabt +habe, und wie grausam unlieb ihm diese Geschichte sei. »Vetter,« +erwiederte das Mädchen mit bescheidenem, aber festem Ton, »ich weiß, +was ich Euch schuldig bin, und ich vergeß' es nicht, darauf verlaßt +Euch; aber in <em class="gesperrt">der</em> Sache handle ich, wie ich's vor meinem +Gewissen verantworten kann, und ich bitt' Euch, redet mir nicht weiter +davon.« Der gutmüthige Vormund, von dem Ernst ihres Tones betroffen, +versetzte: »Nun meinetwegen! Aber nimm dann auch die Folgen auf dich!« +Seit dieser Zeit hatte sie Ruhe vor Einreden von dieser Seite, und +sonstiges Geklatsch war ihr gleichgültig.</p> + +<p>Als die Vorwürfe, welche die Familie des Angerbauers ihr machte, an sie +kamen, wurde diese Festigkeit doch erschüttert. Eine Freundin sagte +ihr, welch eine Traurigkeit in jenem Hause sei, nun man sehe, daß +Ludwig es ernst gemeint habe mit seiner Rede vom Nichtwiederkommen. +Regine erzählte nach gehöriger Einleitung, daß man sie eine Verführerin +heiße, die nach einem reichen Manne gefischt habe und an allem Unglück +Schuld sei. Bei dieser zweiten Meldung goß sich eine Röthe über das +Gesicht des Mädchens und ihr Mund verzog sich zu dem Ausdruck stolzer +Verachtung. Bald aber faßte sie sich wieder und sagte mit traurig +ergebenem Ton: »Diese Leute dauern mich. Wenn sie solche Dinge über +mich ausdenken, so wackre Leute wie sie sind, dann müssen sie wirklich +unglücklich sein.« — Sie wurde durch diese neue Erfahrung in eine +seltsame Aufregung versetzt. Es that ihr weh, daß sie eine Uneinigkeit +zwischen Eltern und Sohn gestiftet haben solle, deren Ende nicht +abzusehen war. Dann aber sagte sie sich: »Diese Leute sehen also die +Heirath zwischen mir und Ludwig für eine solche Schande an, daß sie +lieber unglücklich sein wollen, als sie zugeben! Sie heißen mich<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> ein +schlechtes Mädchen und sagen Lügen über mich; sie halten es also in +gar keiner Art für mich möglich, daß ich einmal ihre Schwiegertochter +werden könnte!« Ein Gedanke durchzuckte sie, sie stand auf und that +einige Schritte. Plötzlich hielt sie an; eine Erwägung hatte sich dem +Vorsatz entgegengestellt, sie ging still wieder zu einer Arbeit. — +Ihre Seele war von da an eine Beute des Zweifels. Man sah sie in Unruhe +umhergehen oder tief in Gedanken stehen. Regine überraschte sie einmal, +wie sie bittere Thränen weinte.</p> + +<p>Die einzige Person unserer Bekanntschaft, welche bei dieser Verwicklung +ihre Ruhe behielt, war der Pfarrer. Diese Ruhe war jedoch gegründet +auf wahre Theilnahme und auf den Entschluß, das zu unterstützen, was +er für das Bessere hielt. Noch hatte er sich nicht entschieden, wie er +eingreifen sollte. Aber er unterrichtete sich fortwährend über die Lage +der Dinge und lebte des festen Glaubens, seine Pflicht werde sich ihm +deutlich vor Augen stellen, so daß er über sie und über die Art ihrer +Erfüllung nicht mehr in Zweifel sein könnte.</p> + +<p>Eines Morgens überdachte er eben diese Dinge, als an die Thüre seines +hellen, im obern Stocke gelegenen Studierzimmers geklopft wurde. Auf +sein »Herein« erschien Annemarie. Sie sah angegriffen aus wie wenn sie +wenig geschlafen und viel quälende Gedanken gehabt hätte; aber in ihrem +ganzen Wesen drückte sich die Ruhe eines gefaßten Entschlusses aus. +Nachdem sie mit ernster Anmuth einen Knix gemacht und den Morgengruß +gesprochen hatte, sagte sie: »Ich hätt' was mit Ihnen zu reden, Herr +Pfarrer, wenn ich Ihnen nicht ungelegen komme.« — Der alte Herr, +innerlich erfreut, erwiederte freundlich: »Nein, mein Kind; sag mir, +was du auf dem Herzen hast!«</p> + +<p>Annemarie, durch ihren Vorsatz über die einem jungen Mädchen +gewöhnliche Schüchternheit erhoben, begann mit nur leisem Erröthen: +»Sie wissen, Herr Pfarrer, was es beim Angerbauer gegeben hat und wie +ich dabei ins Geschrei gekommen bin. Ich will Ihnen die Geschichte +nicht wieder erzählen; sie wird Ihnen bekannt sein — man hat ja so +viel darüber gesprochen! Nun hab' ich aber dieser Tage gehört, sie +sagen beim Angerbauer, ich allein sei an allem Schuld und ich habe +den Ludwig verführt. — Her Pfarrer«, sagte sie, indem<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> ihr Ton sich +verstärkte und ihre Wangen sich höher rötheten, »<em class="gesperrt">ich</em> kann Gott +zum Zeugen anrufen, daß das nicht wahr ist! Wir haben uns eben beide +von Anfang an gern gesehen, und — — Sie wissen <em class="gesperrt">ja</em>, wie's +geht, wenn man sich gern sieht und eine Person einem die liebste ist +auf der Welt. Ich hab ihn halt liebhaben müssen, grad wie er mich, und +so ist's gekommen, daß wir uns endlich gesagt haben, wir wollen nicht +von einander lassen und uns treu bleiben, bis wir mit Gottes Hülfe +endlich zusammenkommen. Wegen dieses Verspruchs ist Ludwig mit seinem +Vater in Streit gerathen und dient jetzt als Knecht. Ich hab das nicht +vorausgesehen, aber wenn ichs vorausgesehen, was hätt ich thun können? +Ich will Ihnen blos sagen und wills vor Ihnen beschwören, daß ich ihn +nicht verleitet habe. Er hat sich einmal seinen Eltern zu lieb fremd +gegen mich gestellt und mich nicht mehr angesehen, und ich bin ihm zu +dieser Zeit nicht nachgegangen, wie jeder weiß, sondern ich bin ihm +ausgewichen. Ich hab ihn nicht wieder gesucht, er hat mich gesucht — +und das ist die Wahrheit!«</p> + +<p>Der Pfarrer betrachtete theilnehmend das Mädchen, dessen Augen in dem +Feuer gerechter Selbstvertheidigung erglänzten, und sagte: »Ich glaube +dir und weiß es, mein Kind.« Annemarie, ihn dankbar anschauend, fuhr +fort: »Ich hab das nicht gesagt, als ob ich gar keine Schuld haben +wollte. Ich hab jederzeit empfunden, daß es Verdruß geben würde, recht +viel Verdruß, und daß die Angerbauersleute recht bös auf mich sein +würden. Aber, Herr Pfarrer, wenn Sie gesehen hätten, wie gut der Ludwig +gegen mich war und wie er mich ansah, — wenn Sie gehört hätten, was +er noch auf der Nördlinger Messe zu mir gesagt hat, Sie würden mirs +gewiß nicht so übelnehmen, daß ich ihm zur Antwort gegeben habe: »ich +wolle ihm gehören und die Seinige bleiben, so lang ich lebe!« — »Es +ist eben,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »etwas in uns, das mehr +Gewalt hat, als unser Wille und unsere Sorgen.«</p> + +<p>Der Pfarrer nickte mit ernster Miene, die Thatsache zugebend. Dadurch +ermuthigt, ging das Mädchen in ihrer Rede weiter und sagte mit +liebenswürdigem Selbstgefühl: »Ich will's Ihnen aufrichtig bekennen, +Herr Pfarrer: ich denke nicht so gering von mir, sondern<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> halte auch +etwas auf mich. Ich komme von braven Leuten her und glaube, daß ich +keiner Familie Schande machen würde. Ich hab' etwas gelernt und bin +ein ordentliches Mädchen gewesen mein Lebenlang. Da hab' ich nun +gedacht, wenn ich auch keine Bauerntochter und nicht so reich bin, so +bin ich doch diejenige, mit welcher der Ludwig am glücklichsten leben +würde. Und ich hab' gedacht, sein Vater würde das am Ende einsehen und +nachgeben. Aber« — fuhr sie nicht ohne eine gewisse Bitterkeit fort — +»das ist eben der Gedanke, den ich mir nicht verzeihen kann. Ach, Herr +Pfarrer, das Geld ist alles und der Stand ist alles, und die Tugend ist +nichts! Man redet wohl so, als ob die Tugend und die Liebe auch etwas +wären, aber wenn's drum und dran kommt, gelten sie doch nichts. Wenn +ein Mädchen keinen Verstand und keine Art hat, aber Geld und Gut, dann +ist sie die rechte. Wenn eine sich aber auf andere Dinge etwas zu Gute +thun will und merken läßt, daß diese eben so viel werth sind als Gut +und Geld, dann hält man sie für verrückt!« — Ueber ihren Eifer und den +letzten starken Ausdruck erröthend, setzte sie hinzu: »Verzeihen Sie, +Herr Pfarrer!«</p> + +<p>Der alte Herr lächelte und sagte: »Du hast nicht ganz Unrecht, +Annemarie. — Aber nun sage, was begehrst du von mir? Worin kann ich +dir helfen?« — »Herr Pfarrer,« versetzte das Mädchen, indem sie +sich augenscheinlich zusammennahm, »ich bin zu Ihnen gekommen, weil +ich Ihnen sagen möcht', was ich bei mir ausgemacht habe. Der Ludwig +hat mir Lieb und Treu versprochen für alle Zeit. Er hat's freiwillig +gethan und mir's zugeschworen bei allem, was heilig ist. Ich könnte +also ruhig sein und zusehen, wie der Streit ausginge. Ich hätte nur +mein Versprechen zu halten, wie ich's ihm gegeben hab', und könnte das +andere Gott überlassen. Aber«, fuhr sie bewegter fort, »ich will diese +Leute nicht in's Unglück bringen, wenn sie's dafür nehmen, und ich +bilde mir viel zu viel ein, als daß ich mich einer Familie aufnöthigen +möchte, die mich nicht haben will. Ich <em class="gesperrt">kann's</em> nicht ertragen, +Herr Pfarrer, daß die mich verachten, die ich allzeit lieb und werth +gehalten hab', und darum will ich jetzt thun, was ich mit gutem +Gewissen thun kann.«</p> + +<p>Sie hielt ein wenig inne, nahm sich nochmals mit offenbarer<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> +Anstrengung zusammen und sagte dann mit einem Tone, dem sie vergebens +die erste Festigkeit zu verleihen suchte: »Ich will dem Ludwig sein +Wort zurückgeben, er soll von mir aus frei sein und thun können, was er +will. Er soll noch einmal die Wahl haben, ob er mich lassen und seinem +Vater nachgeben will oder nicht. Ich will durchaus nichts dagegen thun +und ihm in keiner Art hinderlich sein, wenn er glaubt, daß er mit einer +andern sein Glück findet. Wenn das ist, dann will ich fortgehen von +hier, daß ich ihn nicht mehr seh' und er mich nicht mehr. Ich hab' +einen Vetter bei Stuttgart, der wird mich zu sich nehmen. Ich will +nichts mehr von mir hören lassen, und es soll grad so sein, als ob ich +nicht mehr auf der Welt wäre. Ich will für meinen Theil« — — Aber +damit war die Kraft des guten Mädchens zu Ende. Ihr Mund zuckte, die +Stimme versagte ihr, Thränen waren in ihre Augen gestürzt. Sie gab +sich Mühe, das Weinen zu verhindern und kämpfte sichtlich dagegen an, +aber doch rollten ein paar große Tropfen über ihre Wangen. Indem sie +ausführte, was gekränkter Stolz und Großmuth sie thun hießen, glühte +die heißeste Liebe zu ihrem Ludwig in ihr auf; indem sie den Geliebten +frei geben wollte, klammerte sie sich an ihn an mit einem schmerzlich +innigeren Gefühl als je vorher.</p> + +<p>Der Pfarrer erkannte das und sah mit Rührung auf sie, wie sie dastand +und ihre Thränen fließen ließ. Er wußte das Herkommen, den Brauch der +Welt zu schätzen, denn er kannte die guten Gründe, auf denen er ruht. +Er wußte, daß am besten sich Gleiches zu Gleichem gesellt, daß das +gleiche Vermögen und die gleiche Stellung mit dem gleichen Gefühl davon +sehr bedeutende Mittel zu einer guten Ehe sind. Aber er wußte auch, +daß das Recht der äußern Ordnung seine Grenzen hat, und daß es Dinge +giebt, vor welchen sie sich bescheiden zurückstellen muß. Er war nicht +rasch gewesen, die Partei des Liebespaares zu nehmen, weil er Fälle +kannte, wo das Kind reicher Leute den Eltern es später Dank wußte, daß +sie dem ersten verliebten Drängen nicht nachgegeben. Allein wie er sah, +daß er in Annemarie eine wahrhaft gute Natur vor sich hatte, wie ihr +Gemüth sich vor ihm enthüllte in seiner ganzen Bravheit und Schönheit, +da dachte er, erfreut und bewegt: »Die Sitte der Welt mag<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> diesmal die +Segel streichen! Hier ist mehr als sie und ihre Herrlichkeiten. Der +Geist und das Gemüth, die sich so erproben, sind mir Bürgen für alles; +und wenn <em class="gesperrt">ichs</em> machen kann, sollen sie diesmal die Oberhand +behalten.« Er stand auf, trat zu Annemarie und nahm sie väterlich bei +der Hand, indem er sagte: »Fasse dich, gutes Mädchen, du hast recht +gehandelt und der Lohn dafür wird nicht ausbleiben, in welcher Form er +dir auch kommen mag. — Wirst du das alles auch Ludwig zu wissen thun?« +— »Ja, Herr Pfarrer,« antwortete Annemarie, die sich wieder gefaßt +hatte. »Ganz das Nämliche, was ich Ihnen gesagt habe, will ich ihm +schreiben.«</p> + +<p>Der alte Herr sah ihr forschend in's Auge und über sein gerührtes +Gesicht verbreitete sich ein fast unmerkliches Lächeln. Er glaubte aus +der Art, wie das Mädchen diese Antwort gab, schließen zu dürfen, daß +der Schritt, den sie that, auch zugleich eine letzte Probe sein sollte +für Ludwig, und daß sie die Hoffnung hegte, er werde sie bestehen. Er +sagte: »Thu das, mein Kind, und erwarte das Uebrige in Geduld. Hast du +sonst noch was auf dem Herzen?«</p> + +<p>»Nein, Herr Pfarrer,« erwiederte Annemarie, indem sie sich die letzten +stehen gebliebenen Thränen von den Wangen wischte. »Ich dank' Ihnen, +daß Sie mich angehört haben, und bitte Sie nur noch darum, daß Sie dem +Angerbauer, wenn Sie ihn treffen, sagen, ich sei nicht das Mädchen, +für das er mich hält. Sie, Herr Pfarrer, kennen mich besser, und das +ist mein Trost. Ich dank' Ihnen nochmals recht schön für Ihre Güte +— ich werde sie immer im Gedächtniß behalten!« — Ihre weichen Züge +verklärte, indem sie dies sagte, ein schönes Bewußtsein und Dankgefühl. +Sie machte einen tiefen Knix und verließ die Stube, nachdem sie noch +einen Blick inniger Verehrung auf den Pfarrer geworfen.</p> + +<p>Dieser sah ihr mit wahrer Freude nach. »Ja, ja,« sagte er dann zu sich, +»das ist eine bessere Schwiegertochter für den Angerbauer als Eva; und +wenn er nicht ganz verhärtet ist, soll er sie bekommen.«</p> + +<p>Die erste Sorge des alten Herrn war nun, es so einzurichten, daß der +Angerbauer ihn ebenfalls zu seinem Vertrauten machte. Dieß mußte +geschickt angefangen werden, wenn es gelingen sollte. Denn<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> der +Rieserbauer von der Art des unsrigen will sich nicht bevormunden +lassen, er hält sich für gescheidt genug, sein eigener Rathgeber zu +sein, und es verdrießt ihn über die Maßen, wenn man ihn über Dinge +belehren will, die er selber am besten zu verstehen glaubt. Natürlich +kann er auch geführt werden, aber nicht so geradezu wie dieser und +jener. Wäre der Pfarrer zum Angerbauer in's Haus gegangen und hätte mit +einer gewissen beichtväterlichen Miene gefragt, wie es sich denn mit +dem Streit zwischen Vater und Sohn verhalte, was der Vater nun zu thun +gedenke u. s. w., so wäre dieß das beste Mittel gewesen, ihn verstockt, +wo nicht gar unhöflich zu machen. Aber zu dieser Art von Seelsorgern, +die im Eifer ihres Herzens Gott mit Unverstand dienen, gehörte der +erfahrene alte Herr nicht. Er konnte warten und seine Zeit ersehen. +Dießmal erreichte er übrigens seinen Zweck leicht. Er hatte ein Stück +Vieh zu verkaufen, und als er dem Angerbauer einmal begegnete, lud er +den Sachverständigen ein, es anzusehen und zu taxiren. Der Bauer folgte +ihm sehr bereitwillig, denn er wußte den »braven und gescheidten Herrn« +sehr zu schätzen und hätte gerne schon einmal von seiner Noth mit ihm +gesprochen, wenn es sich nur »gut geschickt hätte.«</p> + +<p>In dem kleinen Stalle des Pfarrers angekommen, unterzog er sich +dem Taxirungsgeschäft sehr ernsthaft. Er begriff das Stück an den +geeigneten Stellen, betrachtete es von allen Seiten und sagte dann +genau, wie viel der Pfarrer dafür fordern könne. Dieser dankte und +rühmte seine Kenntniß. Er selber, obwohl er immer einige Stück Vieh +haben müsse, sei doch unsicher, weil ihm die gerade üblichen Preise +nicht recht bekannt wären. Der Bauer versetzte höflich: »Wenn Sie +sich damit abgeben wollten, Herr Pfarrer, würden Sie's geschickter +machen als unser Einer; aber Sie haben was Besseres zu thun.« Der +alte Herr fragte hierauf mit unbefangener Freundlichkeit, was die +Angerbäuerin mache und ob bei ihm zu Hause alles gesund sei. Der Bauer +erwiederte mit einem Seufzer: »Gesund wären wir alle, Herr Pfarrer; +aber Sie können sich denken, wie's uns zu Muth ist nach dem, was bei +uns vorgefallen ist.« — »Ja, ja,« sagte der Pfarrer, »ich habe davon +gehört und euch recht bedauert.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p> + +<p>Der Angerbauer, der sein Herz erleichtern wollte, sagte hierauf: »Ich +kanns noch immer nicht begreifen, so viel ich auch darüber nachgedacht +habe. Lustig und ein bischen auf's Vergnügen aus ist er immer gewesen, +aber in der Art und mit seines Gleichen. Runtergegeben hat er sich +niemals, was ich gehört hab'. Und nun ist er auf einmal ganz wie +verhext und will ein Mädchen heirathen, die — nun, ich will mich nicht +ausdrücken vor Ihnen, Herr Pfarrer. Wie ich nicht gleich Ja sage, +lauft er davon und verdingt sich als Knecht. Und das thut er in dem +Augenblick, wo er einen Hof und ein Weib haben könnte — ein Weib und +ein Gut — ein anderer würde Gott auf den Knieen danken, wenn er's +kriegte!«</p> + +<p>Der alte Herr war versucht, über diesen starken Ausdruck zu lächeln, +aber er hielt an sich und machte ein ernsthaftes Gesicht, das der Bauer +für zustimmend halten konnte. Dieser, einmal im Zuge, bewies, daß er +wohl auch reden konnte, wenn's ihn drückte. »Ach, Herr Pfarrer,« rief +er aus, »die Welt muß anders geworden sein, als sie zu meiner Zeit +gewesen ist. Ich bin auch jung gewesen und bei der Lustbarkeit grad +nicht der Letzte; aber wie meine Zeit zum Heirathen gekommen ist, hab' +ich mich unter rechten Mädchen umgesehen und gottlob ein Weib gefunden, +mit der ich nun glücklich gehaust habe volle neunundzwanzig Jahr. Wenn +ich nun verlange, daß meine Kinder mir nachschlagen und ihr Glück +auf dem Weg suchen sollen, wo ich's gefunden hab', ist das nicht in +der Ordnung? Muß ich als Vater nicht so handeln?« — »Ja,« sagte der +Pfarrer mit nachdrücklicher Beistimmung, »das ist Eure Pflicht!«</p> + +<p>Der Angerbauer, dem dieß wohl that, fuhr fort: »Sehen Sie, Herr +Pfarrer, in der Familie muß ein Zusammenhalt sein, alle müssen helfen, +wenn man weiter kommen soll. Ich hab' von meinem Vater einen schönen +Hof bekommen und mein Weib hat mir Geld in's Haus gebracht; wir haben +ordentlich gewirthschaftet und unser Vermögen vermehrt, daß wir nun +wohlhabende, und ich darf wohl sagen angesehene Leute sind. Ich kann's +meinen Kindern besser machen als es uns gemacht worden ist, und nun +will ich auch haben, daß sie's noch weiter bringen als wir und daß sie +für ihre Kinder noch mehr thun können. Sie müssen sorgen und immer +darauf aus sein, in rechter<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> Art etwas zu erwerben. Nur so kommt man +empor, man findet ein sicheres Glück und Ehre in der Welt und kann sich +im Wohlstand seines Lebens freuen.«</p> + +<p>»Wohl,« sagte der Pfarrer, »und es ist nicht bloß der Besitz, der Einen +erfreut, sondern das Streben und die Thätigkeit selber. Der Mensch muß +sich ein Ziel stecken, das über den Platz, auf den man ihn gestellt +hat, hinaus geht. Dann werden seine Tage ausgefüllt mit Arbeit, mit +Dichten und Trachten, mit Hoffen und Erwarten, und Schritt für Schritt +mit der Freude des Gelingens. Und indem er glücklich ist und sein Leben +verschönert, trägt er bei zur Verschönerung und Verbesserung der Welt. +Auf die Größe des Besitzes kommt es da nicht an. Der Kleine freut +sich am kleinen Gewinn, der Größere am größeren; jeden erquickt das +verhältnißmäßige Wachsen und Gedeihen, und so sind alle glücklich, die +ein verständiges Ziel vor sich haben. Wer aber nicht vorwärts strebt, +der kommt neben den Strebenden zurück und geht dem Mangel und der +Unlust zu.«</p> + +<p>Der Bauer war dieser Rede mit Aufmerksamkeit gefolgt und rief nun +erfreut aus: »So ist's, Herr Pfarrer, grad so ist's, wie Sie sagen! +Darum« — fuhr er mit Bedeutung fort — »soll eben jeder in seinem +Stand bleiben, namentlich nicht unter seinem Stand und Vermögen +heirathen, sondern gleich da so gut als möglich anzukommen suchen. Ich +will gern zugeben, daß andere mit Wenigem auch glücklich sein können; +aber wer von vermöglichen Leuten herkommt, braucht mehr, weil er's +nicht anders gewohnt ist. Und, Herr Pfarrer, Sie wissen's ja selber, +um ein rechtes Vermögen ist's halt eine schöne Sache! Wenn ich das +habe, so kann ich mich sehen lassen, ich brauch mich nicht zu ducken +und nicht um das und jenes zu betteln, und wenn gute Freunde in der +Noth sind, kann ich ihnen helfen. In ein Gelump hineinkommen, wo +ich nothig thun und knickern müßte, um nur zu bestehen, müßte unser +einen desperat machen. — Und,« fuhr er nach kurzem Innehalten fort, +indem seine Miene den Ausdruck erzürnter Bekümmerniß annahm, »dieser +leichtsinnige, tollgewordene Mensch will sich schlechter stellen, als +seine Geschwister, während er's viel besser haben könnte als sie! Er +will eine Lumpenwirthschaft anfangen,<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> wo er sich quälen müßte und wo +doch nichts herauskommen würde, als ein Haufen von Bettlern!«</p> + +<p>Der Geistliche hütete sich wohl, einzuwenden, daß im gegenwärtigen +Falle, wenn nämlich der Vater dem Sohn seinen gebührenden +Vermögenstheil zukommen ließe, von einer »Lumpenwirthschaft« doch +nicht die Rede sein könnte. Er wußte, daß den Erzürnten nichts mehr +verdrießt, als wenn man ihm den Grund seiner Klage verkümmern will, und +schwieg daher nachdenklich stille. Endlich sagte er: »Vielleicht geht +diese Sache doch noch besser aus, als Ihr denkt.« — »Wie so?« fragte +der Angerbauer. — »Die Annemarie,« versetzte der Pfarrer, indem er den +andern scharf ansah, »ist vor einigen Tagen bei mir gewesen, extra um +mir zu sagen, daß sie nicht Schuld sein wolle an der Uneinigkeit einer +solchen Familie, wie die Eurige, und daß sie zuviel auf sich selber +halte, um sich da aufzudrängen, wo man sie nicht haben wolle. Sie habe +sich entschlossen, dem Ludwig sein Versprechen zurückzugeben, und wolle +sich in keiner Art dawidersetzen, wenn er sein Glück mit einer andern +finde.«</p> + +<p>Der Angerbauer horchte hoch auf und wußte nicht was er sagen sollte. +Er fragte dann in zweifelndem Tone: »Hat sie das wirklich zu Ihnen +gesagt?« — Der Pfarrer erwiederte mit einem Ernst und einem Nachdruck, +der jeden Zweifel niederschlagen mußte: »Es sind ihre eigenen Worte, +Angerbauer! Sie hat mir versprochen, das Nämliche Eurem Ludwig zu +schreiben, und ich verbürge mich dafür, daß es geschehen wird.«</p> + +<p>Der Bauer verstummte; er war in die Seele getroffen. Ein im Grunde +seines Wesens ehrenwerther Mann, der in der That jedem das Seine +gab, konnte ihn nur der Zorn und der tiefe Verdruß zu ungerechtem +Absprechen hinreißen. Nun mußte er sehen, daß ein Mädchen, die er eine +heuchlerische, gefährliche Person gescholten, brav und rechtschaffen, +ja weit über alles Erwarten rechtschaffen gegen ihn handelte. Es +zeugte für seine gute Natur, daß ihn diese Nachricht mehr rührte, +als erfreute, daß er sogleich sein Unrecht fühlte und seiner stolzen +Seele eine gewisse Achtung vor einem solchen Benehmen abgenöthigt +wurde. Endlich sagte er mit sehr ernsthaftem Gesicht: »Wenn sie das +gethan hat, dann ist sie besser, als ich gedacht<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> habe. Sie mag ein +ordentliches Mädchen sein, ich will's nicht bestreiten.«</p> + +<p>»Man muß jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen,« versetzte +der Geistliche. »Die Annemarie ist brav, geschickt, verständig, +wohlerzogen, und würde jeden glücklich machen —« — »Von ihrem +Stande!« fiel der Bauer ein. — »Das ist's, was ich sagen will,« +erwiederte der Pfarrer: »wenn die äußern Verhältnisse zustimmen.« — +»Gut,« sagte der Bauer. »Bei meinem Ludwig ist das aber nicht der Fall, +drum kann hier von einer Heirath nie die Rede sein.«</p> + +<p>Der alte Herr schwieg. Dann fragte er leichthin: »Wie soll's nun mit +Ludwig werden? Was habt Ihr beschlossen?« — Der Bauer konnte sich +nicht enthalten, ein wenig aufzufahren. »Beschlossen?« rief er. »Ich +glaube, da ist nichts zu beschließen, Herr Pfarrer. Dieser Mensch +mag bleiben, wo er will, und gehen, wohin er will! Soll ich ihm +nachlaufen? Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er wiederkommen und die +Zimmermannstochter heirathen soll? Soll <em class="gesperrt">ich</em> nachgeben, der Vater +dem Sohn?«</p> + +<p>»Nein,« erwiederte der Pfarrer mit Ernst, »das sollt Ihr nicht, +Angerbauer! <em class="gesperrt">Er</em> muß nachgeben, <em class="gesperrt">er</em> muß wiederkommen und dem +Vater das Recht lassen, das ihm gebührt!« — »Freut mich,« versetzte +der Bauer, »daß Sie so denken, Herr Pfarrer. So ein neustudirter Herr +hätte vielleicht gemeint, ich sollte meinem Buben seinen Willen lassen; +warum? weil die Leute in einander verliebt sind und die Annemarie doch +ein ordentliches Mädchen ist. Aber Sie kennen die Welt, Herr Pfarrer, +Sie wissen, daß es beim Heirathen noch auf ganz andere Dinge ankommt, +und daß der Vater für den Sohn denken und Verstand haben muß.« — +Nach diesen Worten lüpfte er die Alltagskappe, an welcher der sonst +werthvolle Pelz etwas röthlich geworden war, und fragte: »Kann ich +Ihnen sonst noch was dienen?« — »Nein,« versetzte der alte Herr, »ich +danke Euch für Eure Gefälligkeit.« — »So wünsch' ich Ihnen guten +Nachmittag,« sagte der Bauer und entfernte sich mit langsam würdigen +Schritten.</p> + +<p>Das Gespräch hatte theils im Stalle, theils in dem heimlichen, mit +einer Mauer umgebenen Pfarrhof stattgefunden. Der alte Herr ging in +seine Studirstube zurück, mit der Unterredung sehr zufrieden.<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> Er +hatte des Bauers Vertrauen gewonnen und wußte, daß dieser nun unter +schwierigen Umständen ihn von selber um Rath angehen würde. Dann +hatte er mit der Nachricht über Annemarie einen Keim in seine Seele +gesenkt, der wachsen und gute Früchte bringen konnte. Er sah voraus, +daß der Angerbauer seinem Weib und seinen nächsten Verwandten davon +sagen würde, und daß diese, die sich auf ihr Geld und ihr Ansehen +allerdings etwas mehr einbildeten, als recht war, in Annemarie ein +ihnen ebenbürtiges Gemüth erkennen mußten. Auf die wackeren Leute mußte +die Rechtschaffenheit, auf die stolzen das Selbstgefühl des Mädchens +einen günstigen Eindruck machen.</p> + +<p>Als er, solchen Gedanken hingegeben, behaglich auf seinem Lederstuhl +sich dehnte, stürmte plötzlich sein Neffe in die Studirstube. Dieser +hatte schon erfahren, daß Annemarie bei seinem Großvater gewesen, aber +nichts Bestimmtes über die Unterredung aus ihm herausbringen können. +Nun sah er auf dem Heimweg von einem Spaziergang den Angerbauer aus dem +Pfarrhofe kommen und glaubte aus seinen Mienen auf eine Entscheidung, +ja auf eine glückliche Beilegung des Streites schließen zu können. Von +Neugier und gutmüthiger Theilnahme getrieben, eilte er zu dem Großvater +und rief aus: »Der Angerbauer ist bei dir gewesen und ganz zufrieden +fortgegangen. Ich bin ihm begegnet. — Hast du ihn herumgebracht?« +— »Wie so?« fragte der Alte. — »Will er den Ludwig zurückrufen und +ihn die Annemarie heirathen lassen?« — »Ei, ei,« erwiederte der +Alte heiter, »du hast dich also ganz auf diese Seite geschlagen und +willst aus Ludwig und Annemarie durchaus ein Paar machen?« — »Ja,« +versetzte der Jüngling bestimmt, »das will ich. Die zwei sind nicht +nur die schönsten im Dorf, sondern auch die bravsten. Sie passen so +zusammen, als ob sie extra für einander geschaffen wären, und es kann +nicht sein, daß sie wegen einer so gemeinen Sache, als das Geld ist, +nicht zusammen kommen sollen!« — »Du gehst rasch und machst die Sache +kurz ab,« erwiederte der alte Herr. »Wenn aber der Angerbauer nicht +will?« — »Der muß,« entschied der Jüngling. — »Wer wird ihn zwingen?« +fragte der Alte. »Willst du vielleicht zum Gerichte gehen, einen Befehl +auswirken, daß der Angerbauer sich fügen müsse, und die Sache mit +Gendarmen abmachen?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span></p> + +<p>Theodor, der die heiter fragende Miene des Großvaters nicht aushalten +konnte, sah zu Boden. »Ich habe gemeint,« sagte er dann, »<em class="gesperrt">du</em> +würdest einmal mit ihm reden, wie sich's gehört, würdest ihm klar +machen, daß die geistigen Vorzüge viel höher stehen als die weltlichen, +würdest ihn überzeugen und ihn zwingen durch deinen Zuspruch.« — »Der +alte Angerbauer,« erwiederte der Pfarrer, »ist ein sprödes und zähes +Metall; das bischen Feuer, das ich noch besitze, würde ihn nicht zum +Schmelzen bringen. Du siehst ja, ich bin alt und theilnahmlos geworden +und kann mich einer so schönen Glut, wie du sie hast, nicht mehr +rühmen. Wie wär's« — fuhr er gemüthlich fort — »wenn du der Sache +dich annähmest? Du willst ein Pfarrer werden und wirst als solcher +gewiß gar vieles geschickter anfangen und besser hinausführen als +ich. Wenn du beim Angerbauer dein erstes Probestück machtest? Wenn du +hingingest, ihm und der Bäuerin eine Rede hieltest über das Verhältniß +der ewigen und zeitlichen Güter und ihn durch begeisterte Worte +dermaßen in's Feuer brächtest, daß er den Ludwig zurückriefe und ihm +sein Liebchen zur Frau gäbe? — Wie?«</p> + +<p>Theodor wurde roth und schwieg. Er hatte den Rieser Bauer vom Schlage +des in Rede stehenden doch schon zu gut kennen gelernt, um nicht ihm +gegenüber seine Unzulänglichkeit zu empfinden und sich zu sagen, +daß ein solcher Versuch schmählich scheitern würde. Noch deutlicher +erkannte er freilich, wie sein Großvater mit ihm spielte. Er sagte +endlich mit gutmüthiger Empfindlichkeit: »Du hast mich zum Besten und +behandelst mich wie ein Kind; und doch bin ich kein Kind mehr, sondern +ein Mensch, der's gut meint und haben will, daß es andern wohl gehe, +wenn sie's verdienen.« — Der Pfarrer sah ihn freundlich an, stand auf, +zog ihn zu sich und schloß ihn mit zärtlicher Liebe in seine Arme. +»Du bist ein Kind,« sagte er, »aber ein gutes Kind, und mit Gottes +Hülfe wirst du auch ein guter Mann werden. Gieb dich zufrieden. Wenn +es deinem alten Großvater möglich wird, sollst du deine Wünsche noch +erfüllt sehen.«</p> + +<p>Der Angerbauer hatte, bald nachdem er in sein Haus zurückgekehrt war, +die Bäuerin in's Kanzlei gerufen und ihr von seiner Unterredung mit +dem geistlichen Herrn erzählt. Die Nachricht über den<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> Entschluß des +Mädchens wirkte auf sie wie auf ihn. Sie sah ein wenig beschämt aus +und sagte: »So hätten wir dem Mädchen also doch Unrecht gethan! Ich +muß dir jetzt nur sagen: so ganz von Herzen hab' ich nie dran glauben +können. Es ist mir immer wieder gewesen, als ob sie am Ende doch nicht +so schlimm wäre.« — Das Muttergefühl wußte nun auch auf das umgekehrte +Verhältniß eine Entschuldigung für Ludwig zu gründen. »Wenn die +Annemarie,« bemerkte sie nach einigem Bedenken, »so gesinnt ist, dann +begreif' ich freilich, warum der Ludwig so viel auf sie hält, daß er +nicht mehr von ihr lassen will. Die Schönste im Dorf ist sie ohnehin, +und wenn sie noch dazu so rechtschaffen ist und solche Gedanken im Kopf +hat — das hat ihn eben verführt. — Was meint denn der Pfarrer, daß +wir thun sollen?«</p> + +<p>Der Angerbauer, dem diese Rede bedenklich mild vorkam, erwiederte +streng: »Der Pfarrer ist ganz einverstanden mit mir. Gehen lassen +sollen wir ihn, bis er von selber kommt, und nachgeben sollen wir +ihm in keiner Art. Ich hab' den Herrn immer für gescheidt gehalten, +aber das muß ich sagen, daß er in der Sach' ganz meiner Meinung ist, +hat mich besonders gefreut.« — Die Bäuerin, an den Absagebrief des +Mädchens und seine Wirkung auf Ludwig denkend, sagte: »Wir wollen das +Beste hoffen.« — Dann setzte sie hinzu: »Die Annemarie dauert mich +eigentlich. Wenn man nur einen passenden Mann für das Mädchen wüßte! +Ich kann mir's aber schon denken, nach dem Ludwig wird ihr keiner +gefallen.« — »Bah,« erwiederte der Angerbauer, »bild' dir nicht so +viel auf deinen verrückten Buben ein. Es giebt noch Mannsbilder in der +Welt, die so ein Mädchen trösten können!« — Nach diesen Worten verließ +er die Stube.</p> + +<p>Die Mutter hatte nichts Eiligeres zu thun, als zu ihrer Tochter, der +Schmalzbäuerin, zu gehen und ihr das eben Erfahrene mitzutheilen. +Beide rühmten Annemarie und bedauerten, daß sie keine Bauerntochter +sei, indem sonst nichts an ihr auszusetzen wäre. Bald war die ganze +Freundschaft in Kenntniß gesetzt und alle sangen das Lob des Mädchens, +natürlich unter der Voraussetzung, daß sie's ganz ernstlich meine und +jeden Anspruch auf Ludwig aufgebe.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p> + +<p>In der Freundschaft war jedoch eine Person oder vielmehr ein +Persönchen, das für die Familieninteressen wenig Sinn hatte, desto mehr +für das Glück des Liebespaares. Dies war »Johannesle,« das älteste +Kind der Schmalzbäuerin. Dem Ludwig gewogen von seinem ersten Denken +an, weil er sich am schönsten mit ihm abzugeben wußte, hielt er auch +besonders viel auf Annemarie. Bald nach ihrer Ankunft im Dorf hatte +sich diese nämlich in ein Gespräch mit ihm eingelassen und ihn zum +Lohn für seine hübschen Antworten so schön gestreichelt, daß er's +ihr nicht vergessen konnte. Als das Verhältniß zwischen den beiden +sich entspann, erhorchte und erfragte er so viel, daß er darüber so +ziemlich unterrichtet war, und ärgerte sich dann in der letzten Zeit +nicht wenig, daß man zwei so nette Leute nicht zusammenlassen wollte. +Zu wiederholten Malen versicherte er seiner Mutter, die zwei müßten +sich kriegen, und endlich trug er ihr auf, sie solle mit dem Großvater +reden. Die Mutter antwortete, er möge es doch selber thun. Und +Johannesle faßte sich ein Herz, trug dem Großvater die Bitte vor und +schloß damit: es ginge nicht anders, die zwei müßten sich heirathen. +Der Alte sah ihn verwundert an und fragte, wer ihm diese Dummheit in +den Kopf gesetzt habe. Johannesle versetzte ernsthaft: »Ich selber, +Aehle,« und wiederholte sein Gesuch. Der Angerbauer, um solche Gedanken +im Keim zu ersticken, machte ein böses Gesicht und sagte in erzürntem +Ton: »Du bist ein naseweiser Bursch! Diese Dinge gehen dich gar nichts +an, und wenn ich dir gut zum Rath bin, so laß mich so was nicht wieder +hören!« Eine gewisse Bewegung des Arms ergänzte den Sinn dieser +Antwort. Der Knabe, den Großvater angaffend, ging einige Schritte +rückwärts, murmelte dann aber, ein zweiter Galilei: »Sie kriegen sich +doch!« — Von da an machte er verschiedene kindische Pläne, wie er +den beiden helfen wollte. Auf dem Dorfe nämlich, wo man gar vieles +offen verhandelt und auf etwa anwesende Kinder nicht immer Rücksicht +nimmt, bekommen diese früh von menschlichen Verhältnissen eine Art von +Begriff. Der Dorfbube lernt bald die erklärten Liebespaare in seinem +Orte kennen, das natürliche Gemüth findet es in der Ordnung, daß der +schönste Bursche auch den nettesten Schatz habe, und nimmt an ihrer +endlichen Verbindung einen naiv poetischen Antheil;<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> so wie ihm auch +früh klar wird, daß zwei Verliebte sich treu bleiben müssen und nicht +von einander lassen dürfen. Als Johannesle von seinem Oberknecht hörte, +die Annemarie habe sich anders besonnen und dem Ludwig geschrieben, er +könne eine andere nehmen, erwiederte er bestimmt: »Ich glaub's nicht!« +Und als der Oberknecht bei seiner Behauptung blieb, wurde der kleine +Mann ganz hitzig und rief: »Es ist nicht wahr!«</p> + +<p>Nachdem der Entschluß des guten Mädchens so in den Häusern der +Freundschaft besprochen war, kam er bald im ganzen Dorf herum. Der alte +Bäcker, der ihn auch erst auf diesem Wege erfuhr, nahm sein Mündel bei +der Hand, sah sie mit gerührtem Blicke an und sagte: »Du hast brav +gehandelt, Annemarie! Laß dich's nicht reuen und bleib dabei. Man muß +den eingebildeten Leuten zeigen, daß man auch seinen Stolz hat.«</p> + +<p>Als Annemarie das Lob erhielt, das wir ihr gleicherweise von der +Familie des Angerbauers und ihrem Vormund haben spenden sehen, hatte +sie es noch nicht ganz verdient: der Brief an Ludwig war noch nicht +geschrieben. Sie hatte mehrere Versuche gemacht, im Kopf und mit der +Feder, aber sie konnte die Ausdrücke nicht finden, die ihr genug +thaten. Sie wollte einen ehrlichen Brief schreiben, der aus dem Herzen +kam; aber was sie zu sagen hatte, wollte dem Geliebten gegenüber +nicht aus dem Herzen kommen. Durfte sie, nach allem, was geschehen, +ihn nochmal fragen, ob er ihr wirklich treu bleiben wolle? Durfte +sie sich den Schein geben, als halte sie es für möglich, daß er ihr +Anerbieten annehmen und seinen Eltern folgen könnte? War das nicht +eine unverdiente Kränkung für ihn? Wie sollte sie's nun anfangen, +daß alles so gut und so schonend als möglich heraus kam? In Bedenken +und Fehlversuchen verging eine ganze Woche. Endlich vernahm sie, +daß ihre Unterredung mit dem Pfarrer bekannt geworden und wegen +ihres Versprechens im Hause des Angerbauers große Freude sei. Dieses +Bekanntwerden und diese Freude, sie »los zu werden,« brachte sie +wieder in die rechte Stimmung. Sie setzte sich hin und schrieb, ohne +abzusetzen, folgendes:</p> + +<p>»Herzgeliebter Ludwig! Ich hätt' nicht gedacht, daß ich dir einen +Brief schreiben würde, wie ich jetzt thun muß. Aber so geht es in<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> +dieser Welt. Man nimmt sich die besten Dinge vor, dann kommt etwas +dazwischen und nöthigt uns, anders zu handeln, als wir gedacht haben. +Seitdem ich an dich geschrieben hab', ist hier etwas geschehen — so +lang ich lebe, hat mir nichts so weh gethan und mich so gekränkt wie +das. Ich will dir's nur kurzweg sagen. Dein Vater und deine Mutter, +wie sie gesehen haben, daß du wirklich nicht mehr kommst, haben ihren +Zorn und ihren Verdruß an mir ausgelassen; sie haben herumgesagt, ich +sei darauf ausgegangen, dich zu verführen, weil ich gern die Söhnerin +eines reichen Bauern geworden wäre; ich hätte dich listig gelockt, und +ihr gutmüthiger Ludwig hätte sich fangen lassen. Ich sei überhaupt eine +rechte Duckmäuserin und eine gefährliche Person, vor der man sich hüten +müsse. Diese Reden gingen durch's ganze Dorf und in allen Haushaltungen +wurde davon gesprochen. Ludwig, du kennst mich, dir brauch' ich nicht +zu sagen, wie mir bei diesen Lügen zu Muthe geworden ist. O die reichen +Leute! Nimm mir's nicht übel, Ludwig, aber die sind überall die +nämlichen. Sie glauben, es gäbe nichts Besseres als das viele Geld, +das sie haben, und wenn die andern etwas thun, so thun sie's einzig +und allein, um auch so viel Geld zu bekommen. Wenn nun erst ein armes +Mädchen den Sohn reicher Leute lieb hat, dann ist natürlich gar kein +Zweifel, daß sie nur eine reiche Frau werden will. Daß sie ihn lieb +hat, weil er brav und gut ist, daß sie ihn, wenn er arm wäre, grad so +lieb, ja vielleicht noch lieber haben würde — das ist natürlich ganz +unmöglich!«</p> + +<p>»Neben diesen Lügen über mich hab' ich auch noch hören müssen, daß +deine Leute ganz unglücklich sind über diese Geschichte, die ich ihnen +angerichtet haben sollte, daß Trauer und Kummer in deinem Hause sei. +Das ist die Wahrheit, Ludwig! Ja, ja, unglücklich sind sie gewesen! Es +ist aber auch gar zu arg! Eine Schwiegertochter zu bekommen wie ich +bin, ist das nicht eine Schande und ein Elend, wie es kein zweites mehr +gibt? Lieber eine Kröte in's Haus oder eine giftige Schlange! — Als +ich das alles gehört hab' — denn es ist mir alles zugebracht worden — +was sollt' ich thun? Im Zorn und in der Betrübniß meines Herzens hab' +ich dieß und jenes gedacht und bin ganz verzweifelt herumgelaufen. Denn +die Sach' ist so gewesen,<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> daß ich nicht hab' ruhig sein können, weil +ich ein gutes Gewissen hab'; nein, meine Ehr' hat's nicht gelitten, ich +hab' etwas thun müssen. Endlich bin ich mit mir einig geworden. Ich bin +zum Herrn Pfarrer gegangen, zu dem ich das rechte Vertrauen hab', und +dem hab' ich gesagt: weil die Sachen so stehen, so soll's nun sein, +als ob du mir das Versprechen, der Meinige zu sein, gar nicht gegeben +hättest; du sollst ganz frei sein und nochmal überlegen, was du thun +willst, die arme Annemarie oder die reiche Eva oder eine andere reiche +Bauerntochter heirathen, und was du thust, soll mir recht sein. Der +Herr ist über die Maßen gut gegen mich gewesen, er hat mir gesagt, ich +hätte recht gehandelt, und alles das soll ich auch dir schreiben. Weil +ich's ihm versprochen hab' und weil's überhaupt geschehen muß, drum +thu' ich's jetzt.«</p> + +<p>»Sieh, Ludwig, du hast mich recht lieb gehabt und hast für mich +gethan, was wenige thun würden. Und ich hab' mich inniglich gefreut +darüber und dir im Herzen tausendmal dafür gedankt. Aber wenn's dir +nun doch zu hart ginge in deinem Dienst, wenn du's auf die Länge nicht +aushalten könntest und wenn dir der Gedanke käme: es wäre doch besser, +wenn du mit deinem Vater dich vertragen und ihm gefolgt hättest — um +Gotteswillen, Ludwig! wenn du einen solchen Gedanken hättest, und wenn +er wieder käme — schreib augenblicklich an deine Eltern, sag' ihnen, +du wollest mich lassen und eine andere heirathen! Denn das kannst du +thun, ich geb' dir das volle Recht dazu. Deßwegen, weil du mir das +Versprechen gegeben hast, sollst du es nicht halten; ich verlang's von +dir, daß du dich daran nicht kehren und handeln sollst, wie du es jetzt +für gut findest.«</p> + +<p>»Bedenk, wie deine Eltern gegen mich sind! Denn das muß ich dir noch +sagen, seitdem dein Vater vom Herrn Pfarrer erfahren hat, was ich +zu ihm gesagt hab', glauben sie bei dir, es werde nun bald aus sein +zwischen uns, und sind vergnügt darüber, man kann gar nicht sagen +wie! Bedenk das, Ludwig! Deine Eltern wollen mich nicht und verachten +mich; mit ihrem guten Willen kommen wir nie zusammen, du kannst nie zu +gleicher Zeit mit mir glücklich sein und mit ihnen. Du wirst mit mir +auch keinen Hausstand bekommen, wie du ihn gewohnt bist, und vieles +nicht haben, was du vielleicht nicht<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> wohl entrathen kannst. Bedenk +das alles! — Für mich brauchst du nicht zu sorgen. Ich hab' so viel, +als ich bedarf, und kann arbeiten und mit Gottes Hülfe werde ich dazu +auch gesund bleiben. Und wenn ich kein Glück mehr habe, so kann ich +doch sagen, daß ich glücklich gewesen bin, wenn auch auf kurze Zeit, so +glücklich, daß es mir immer die größte Seligkeit sein wird, nur daran +zu denken. Ich hab' schon dem Herrn Pfarrer gesagt, ich wolle dann +fortgehen in's Württembergische, so daß ich euch gar nicht mehr im Wege +bin. Und wenn mir dann die Regine zu wissen thut, daß es dir gut geht, +das soll meine Freude sein.«</p> + +<p>»Lebwohl! Ich hab' mein Versprechen gehalten und gethan, was ich nicht +lassen konnte. Ueberleg' nun alles, herzlieber Ludwig! Denk nicht +schlimm von mir und glaub' nicht, daß ich anders gegen dich gesinnt bin +als sonst! Ich hab' nur nicht anders gekonnt und ergebe mich jetzt in +alles, was geschehen mag. Schreib mir ganz ohne Bedenken, was du thun +willst, oder laß es mich auf andere Art wissen, wenn's dir lieber ist.«</p> + +<p>Als sie diesen Brief — der hier freilich aus der eigenen Mischung von +Dialekt und Hochdeutsch, in der er ursprünglich abgefaßt war, möglichst +in die Form der Schriftsprache übertragen ist — geendet hatte, las sie +ihn durch und empfand eine starke Versuchung, ihn wieder zu zerreißen. +Es kam ihr vor, als ob zu viel Aerger darin wäre und zu wenig Liebe. +Ihr Geliebter war ja ordentlich angetrieben, sie zu lassen; sie +fürchtete, er könnte am Ende doch auf den Gedanken gerathen, <em class="gesperrt">sie</em> +wolle <em class="gesperrt">ihn</em> aufgeben. Sie las wieder und stand im Zweifel da, +was sie thun solle. In diesem Augenblick öffnete Regine die Thüre und +brachte einen kleinen Brief: es war die Einladung nach Nördlingen. Da +Ludwig alles, was er auf dem Herzen hatte, sich für die Zusammenkunft +vorbehielt, so bestand die Einladung nur aus wenigen einfachen Worten. +Annemarie fühlte, daß sie ein Ende machen müsse. Sie schrieb unter +ihren Brief: »Wie ich so weit gekommen bin, bringt man mir deine +Einladung auf morgen. Du siehst, daß ich jetzt nicht kommen kann. Lies +erst meinen Brief und gib mir Antwort. Lebwohl, lebwohl!« Sie machte +das Papier rasch zurecht, »pitschirte« es mit einem kleinen Geldstück +und übergab<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> es Regine, die auf den Markt nach Nördlingen ging, zur +Besorgung.</p> + +<p>Drei Tage vergingen. Ich will nicht schildern, welche Gedanken das +gute Kind sich machte, welche Angst sie empfand und wie sie sich +selber wieder tröstete und an die Stelle der Bangigkeit die Zuversicht +redlicher Liebe trat. Sie war, wie überhaupt seit der Bekanntschaft mit +Ludwig, etwas aus ihrem Charakter gegangen und bewegter und erregter +geworden, als derjenige, der sie früher gekannt, ihr zugetraut hätte. +Wer wird das aber verwunderlich finden? — Am Morgen des vierten Tages +erhielt sie die Antwort von Ludwig, die er Sonntags geschrieben und die +— in ähnlicher Uebertragung — hier folgt:</p> + +<p>»Meine liebste Annemarie! Du hast mir einen Brief geschickt, über +den ich mich recht gewundert hab'. Ich will dir aber keine Vorwürfe +machen; ich hab' mich nach und nach doch hineingedacht, wie's dir zu +Muth ist, ich hab' dich bedauert und schäme mich, daß meine Eltern +so gegen dich gehandelt haben. Ja du hast Recht! So sind die reichen +Leute, wenn sie auch sonst so gut und so brav sind wie mein Vater und +meine Mutter! Ich begreif', wie dich diese Lügen kränken und erzürnen +müssen. Ich begreif', was du gethan hast. — Aber nun sag' mir: hast +du wirklich geglaubt, daß ich thun könnte, was du mir vorschlägst? Ich +hoff's nicht; ich hoff', daß du mich besser kennst. Wie! nach allem, +was zwischen uns vorgegangen ist, soll ich dich lassen? Und wenn ich +wüßte, daß ich mich unglücklich machen würde für mein ganzes Leben, ich +thät's nicht! Und wenn ich's vorher hätte thun können und eine andere +nehmen, jetzt könnt' ich's schon gar nicht mehr. Wie viel meinst du +denn, daß es Mädchen gibt, die so handeln, wie du gehandelt hast? Und +glaubst du, daß ich kein Herz habe und keinen Verstand, das einzusehen? +Ich weiß wohl, was ein Sohn seinen Eltern schuldig ist. Ich bin nie +ein schlechter Sohn gewesen, wie mir alle bezeugen müssen, und wenn +mein Vater verlangt, was er von Gott und Rechtswegen verlangen kann, +so will ich's thun. Aber wenn ich, um mit meinem Vater wieder gut zu +werden, ein Mädchen verlassen könnte wie du bist, so verdient' ich, +daß man mich rädern thäte und meine Glieder auf's Rad flechten!<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> Red' +mir also nicht mehr von dieser Sache! Wenn dich dein Gewissen und +dein Stolz getrieben haben, zum Pfarrer zu gehen und ihm ein solches +Anerbieten zu machen, so begreif' ich das jetzt und schätz' dich um so +höher. Aber das will ich nicht glauben, daß du mich wirklich für fähig +gehalten hast, ein solches Anerbieten anzunehmen. Denn wenn das wäre, +dann wär' deine Lieb' zu mir nicht so groß, wie meine zu dir, sondern +viel kleiner! Ich hab' auch ein Gewissen und einen Stolz, und die sagen +mir, daß ich dir treu bleiben soll gegen alle Welt. Ich hab' kein böses +Gewissen, daß ich mein väterliches Haus verlassen hab', sondern ein +gutes, denn ich hab' nicht darin bleiben und dir treu sein können. Und +wenn ich wüßte, daß ich heute sterben und vor Gott treten müßte, ich +wär' ruhig.«</p> + +<p>»Ich seh' nun wohl, daß wir für die nächste Zeit nicht zusammen +kommen werden, denn du hast deine Gedanken und bleibst dabei. Aber +ich vertrau', wir haben nicht nöthig uns zu sehen, um uns grad so +lieb zu haben. Ich hab' dich alleweil vor Augen; wohin ich geh', da +gehst du mit mir. Wenn ich bei der harten Arbeit müde bin und denk' an +dich, dann hab' ich wieder Kraft; es ist gerade, als hätt' ich einen +frischen Trunk gethan. Und jetzt nach deinem Brief will ich wieder +alles aushalten. Es ist freilich wahr, daß ich schwere Arbeit thun muß +und mancherlei Verdrießlichkeiten hab'; aber wenn's mir hier nicht mehr +gefällt, so kann ein Mensch, der gesund ist und sein Geschäft versteht, +sich überall fortbringen. Ueberall, wo ich bin, werd' ich gegen dich +der gleiche sein, und endlich, das weiß ich ganz bestimmt, werden wir +zusammenkommen und glücklich sein. Adies, herzgeliebte Annemarie! +Bleibe gesund und vertrau' auf Gott wie dein Ludwig!«</p> + +<p>Als Annemarie in ihrer Kammer, wohin sie sich zitternd und bebend +geflüchtet, diesen Brief las und zu den ersten Versicherungen der Treue +kam, rief sie mit freudestrahlendem Gesicht: »Ich habs ja gewußt!« Beim +Weiterlesen wurde der Glanz ihrer Blicke getrübt durch wonnige Thränen, +die ihr bei den Ausdrücken herzinniger Liebe in die Augen traten, bis +endlich die Flamme der Freude auch durch sie hindurch drang und ihr +ganzes Wesen verklärte. Regine,<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> von Theilnahme getrieben, erschien +an der Schwelle der Kammer. Das überglückliche Kind eilte auf sie zu, +fiel ihr um den Hals und rief mit holdseliger Gewißheit: »Nun gehört er +mein, und kein Mensch in der Welt wird mir ihn nehmen!« Regine hatte +das größte Verlangen, den Brief auch zu sehen; die Freundinnen setzten +sich zusammen, Wange an Wange lasen sie und unterbrachen sich selbst +durch entzückte und gerührte Ausrufungen. Regine sagte zuletzt: »Gewiß, +liebes Mädchen, der gehört dir; den bringt sein Vater nicht mehr herum! +Aber nun wirst du auch wissen, was du zu thun hast.« — »Ja,« rief +Annemarie, »das weiß ich! Jetzt sind wir stärker als Vater und Mutter +und die ganze Freundschaft! Mögen sie sagen und thun was sie wollen — +nichts verdrießt mich mehr, ich verzeih ihnen alles im voraus!« Regine +sagte: »Nun wird's auch gut gehen.« — »Und wenn's nicht gut ginge,« +erwiederte Annemarie, »so wären wir doch glücklich. Jetzt darfs gar +nicht schnell kommen, sonst wär's zu viel!«</p> + +<p>Als sie noch manches so gesprochen, gingen sie die Stiege hinunter. +»Im Tennen,« d. h. in der Hausflur, angekommen, sahen sie einen Buben +zur Thür hereinkommen, der sich vorsichtig umsah. Es war der kleine +Gönner des Liebespaars, Johannesle. Annemarie, die schon gehört hatte, +wie sie bei dem Bürschchen in Gnaden stand, flog auf ihn zu, gab ihm +die Hand und fragte, was er wünsche, ob sie vielleicht mit einer guten +Birn aufwarten könne. Johannesle schüttelte ernsthaft den Kopf und +betrachtete sie mit prüfendem Blick, so daß die Mädchen sich lächelnd +ansahen, und Annemarie fragte, was denn sonst sein Begehr sei? Darauf +sagte er endlich: »Ich hab' gehört, du willst den Ludwig lassen und +einen andern heirathen. Ist das wahr?« — »Nein,« rief das Mädchen +unbedacht, »das ist nicht wahr! Entweder den Ludwig oder keinen!« Der +Kleine war sichtlich erfreut. »Ich hab's ja gesagt,« erwiederte er +selbstzufrieden und wandte sich zum Abgehen, voll Begierde, seinen +»Stangenreiter« (Oberknecht) zu beschämen. Annemarie rief: »Bleib doch, +liebs Büble, und komm mit in den Garten!« Aber Johannesle rief: »Ich +muß fort,« und eilte davon. Regine sagte mißbilligend: »Da hast du's! +Der wird's unter die Leute bringen!« — »Es soll auch unter die Leute,« +erwiederte Annemarie. »Das kann<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> und darf nicht verschwiegen bleiben. +Heute noch geh' ich zum Herrn Pfarrer und sag' ihm alles.«</p> + +<p>Sie erfüllte dieses Wort Nachmittags. Der Geistliche las den Brief, +den das Mädchen ihm übergab, mit ernster Aufmerksamkeit und mit +einer innerlichen Freude, die beinahe durchgebrochen wäre und seine +Parteinahme verrathen hätte. »Es ist gut!« rief es in ihm. Wie +Annemarie sah, daß er mit dem Lesen fertig war, sagte sie: »Herr +Pfarrer, Sie sehen, ich hab' mein Versprechen gehalten. Nun hab' ich +in der Sache nur noch eine Pflicht und der will ich nachhandeln, ohne +an etwas anderes zu denken.« — »Die Pflicht,« versetzte der Pfarrer, +indem er sie lächelnd ansah, »in Geduld zu erwarten, was da kommen +soll.«</p> + +<p>Der alte Herr achtete es unter den gegenwärtigen Umständen für +gerathen, den Angerbauer in seinem Hause aufzusuchen und ihm von dem +Stand der Dinge Meldung zu thun. Als der Bauer den Kern der Neuigkeit +und ein paar Ausdrücke aus Ludwigs Brief vernommen hatte, rief er +aus: »O Unsinn! o Tollheit! o verkehrte Welt! Nehmen Sie mir's nicht +übel, Herr Pfarrer, aber womit hab' ich' verschuldet, daß ich mit so +einem Menschen gestraft bin? Wenn ich nur im Grab läge, dann könnten +sie thun, was sie wollten!« Die Bäuerin ließ sich ähnlich vernehmen, +aber in gedämpfteren Tönen. Ihr Schlußwort lautete: »Wer hätte das dem +Menschen zugetraut! Man soll doch niemals sagen, daß man sich in Einem +auskennt, sogar bei seinem eigenen Kind!« Der Pfarrer versetzte: »Es +thut mir leid, daß euch meine Nachricht betrübt; aber da das Mädchen +zu mir das Vertrauen hatte und mir den Brief zu lesen gab, so hab' +ich's für meine Schuldigkeit gehalten, euch davon zu unterrichten, +obwohl ich mich sonst in Familienangelegenheiten nicht gern mische.« +Der Angerbauer sagte mit Würde: »Ich dank' Ihnen dafür, Herr Pfarrer. +Wir müssens hoch aufnehmen, daß Sie sich selber herbemüht haben.« Nach +einer Weile sagte die Mutter: »Was soll nun aber aus dem Ludwig werden, +wenn er so gesinnt ist?« — »Was er selber will,« entgegnete der Vater +barsch. Die Mutter seufzte und sagte: »Aber —« — »Nichts aber!« +rief der Bauer dazwischen. »Willst du etwa haben, daß wir uns durch +seinen Trotz einschüchtern lassen und<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> nach ihm schicken sollen? Da, +frag den Herrn Pfarrer! — Haben Sie,« fuhr er zu diesem gewandt fort, +»nicht neulich zu mir gesagt, wir sollen nicht nachgeben, er müsse +zu <em class="gesperrt">uns</em> kommen?« — »Ja,« antwortete der Pfarrer, »und das ist +noch jetzt meine Meinung.« Der Bauer sah sein Weib triumphirend an und +sagte: »Siehst du?«</p> + +<p>Nach einigen Worten des Trostes empfahl sich der Geistliche; die +Eheleute begleiteten ihn bis zum Hofthor, von wo der Bauer düster, die +Frau kopfschüttelnd zurückkehrte.</p> + +<p>Seit dem Tage, wo Ludwig das väterliche Haus verließ, war der +Angerbauer nicht nach Nördlingen gekommen. Er fürchtete zuerst +überhaupt Bekannte aus der Stadt oder aus andern Dörfern zu treffen, +deren Fragen er nicht so leicht mit einer Grobheit beantworten +konnte. Später scheute er hauptsächlich ein Zusammentreffen mit dem +Schmiedbauer, dessen Charakter und Manieren er kannte. Zuletzt konnte +er doch eine Fahrt zur Schranne nicht länger vermeiden: er hatte +noch altes Korn, der Preis war gut und nach seiner Ansicht keine +Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich lange so halten werde. Er +ließ mit einer Partie des Getreides einen Wagen laden und war bald an +Ort und Stelle.</p> + +<p>Das Gewühl in der Schranne war für diese Zeit groß. Es hatten sich +württembergische Händler eingefunden, die bedeutende Einkäufe machten. +Der Angerbauer wurde an einen derselben seinen ganzen Wagen Korn los; +er war froh und hoffte an diesem Tag nichts Unangenehmes mehr zu +befahren. Die Bekannten, die er getroffen, hatten ihn im Drang der +Geschäfte nur flüchtig begrüßt und an seine Familienangelegenheit nicht +gedacht, wenigstens nicht davon gesprochen. Den Schmiedbauer hatte er +gar nicht gesehen. Als das Korn abgemessen war, hieß er den Oberknecht +mit dem Wagen zu einem Wirthshause am Thor fahren, wo die Angerbäuerin +aufsitzen würde. Diese hatte sich bei dem guten Wetter zu Fuß nach der +Stadt begeben, um Einkäufe zu machen, wollte aber für den Nachhauseweg +den Wagen benutzen. Der Bauer wollte den Nachmittag in der Stadt +verbringen, um nach Bequemlichkeit heimzuwandern. Wie er unter einem +Seitenthor der Schranne stehend den Knecht wegfahren sah, hörte er +von der andern Seite her plötzlich den hellen Ruf: »Guten Tag, Vetter +Angerbauer!« Er sah sich um und erkannte<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> den Schmiedbauer, der ihm +begierig zunickte. Augenblicklich ein »danke schön« brummend ging er +rasch auf die Straße und verschwand im Gewühl der Menschen und Wagen.</p> + +<p>Anfangs war seine Absicht gewesen, zum »Fadenherrn« in der Nähe der +Schranne zu gehen, wo er gutes Essen und Bier zu finden gewohnt war. +Nun aber hütete er sich wohl, in einem Hause einzukehren, wo er sicher +mit dem »boshaften Kerl,« dem Schmiedbauer, zusammenkommen würde. Er +vermied aus demselben Grund auch das Wirthshaus am Thor und suchte +ein drittes auf, wo er sein spätes Mittagessen in Ruhe verzehren zu +können hoffte. Darin täuschte er sich nicht. Er traf zwei Männer aus +seinem Dorf, setzte sich zu ihnen und ließ sich Braten und Salat wohl +schmecken, während der Schrannentag ergiebigen Stoff zur Unterhaltung +bot.</p> + +<p>Nach langer Zeit wurde es ihm wieder fast behaglich zu Muthe, wozu der +um den Leib geschnallte, gefüllte Geldgurt das Seine beitragen mochte. +Er trank nach Durst und übergab eben die blanke zinnerne Bierkanne der +behenden Wirthstochter zur zweiten Füllung, als die Thüre aufging und +der Schmiedbauer hereintrat. — Dieser hatte ihn in nicht weniger als +drei Wirthshäusern vergebens gesucht. Sein Muth wurde dadurch nicht +geschwächt, und er war eben im Begriff, in ein viertes zu gehen, als +ihm von einem Bekannten das rechte verrathen wurde.</p> + +<p>Der Angerbauer, als er den Gefürchteten erblickte, fuhr zurück, als +wenn ihn eine Schlange gebissen hätte. Der Schmiedbauer ging auf ihn +zu, das Gesicht von einem Vergnügen belebt, wie es Reineke der Fuchs +empfunden haben mochte, als er den ehrlichen Lampe in seiner Höhle +sah. Große, blanke Zähne weisend, die man ordentlich wässern sah, rief +er seinem Opfer zu: »Guten Tag noch einmal! Du bist heute schwer zu +finden, Vetter Angerbauer! Schon in drei Wirthshäusern hab' ich dich +umsonst gesucht!«</p> + +<p>Der Angerbauer hatte sich wieder etwas gefaßt. Er bot ihm nicht +das eben ankommende Bier zum Trinken — eine Höflichkeit, die man +eintretenden Bekannten sonst gewissenhaft zu erweisen pflegt, — +sondern antwortete trocken und ein wenig den Mund verziehend: »Woher +kommt dir denn auf einmal das große Verlangen nach mir?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span></p> + +<p>»Da haben wir's!« sagte der Schmiedbauer; »gleich wieder stolz!« — +Und indem er die beiden andern listig anblinzelte, fuhr er fort: »Bist +du denn gar nicht neugierig, etwas von deinem Ludwig zu hören?« — +Der Angerbauer, sich bezwingend, erwiederte: »Nicht im Geringsten!« +— »Nun, nun,« versetzte der andere, »stell dich nur nicht so an, ich +weiß doch, daß du gern etwas von ihm hören möchtest. Du brauchst dich +auch gar nicht zu fürchten: ich kann ihn nur loben. Er macht sich +ganz vortrefflich, und ich muß dir nur sagen, ich hätt's dem Sohn +eines so reichen Mannes nicht zugetraut, daß er einen so geschickten +Handknecht abgäbe. Er sucht wahrhaftig seines Gleichen, namentlich im +Futterschneiden und Misten.«</p> + +<p>Bei diesen Worten konnten die beiden Unbetheiligten sich nicht +enthalten zu lächeln; dem Angerbauer stieg das Blut in's Gesicht. +Finster entgegnete er: »Mag er machen, was er will! Er ist mein Sohn +nicht mehr und geht mich so wenig an, wie einen von euch!« — »Geh',« +sagte der Schmiedbauer, »sei gescheidt! Unser Kind bleibt immer unser +Kind.« — »Und ich sag' dir,« versetzte der Angerbauer mit zornigem +Nachdruck, »daß ich nichts mehr von ihm wissen will, und bitt' mir's +aus, daß du jetzt von ihm das Maul hältst!«</p> + +<p>Auf diese verständliche Abweisung zuckte der Schmiedbauer die Achsel. +»Mir auch recht,« sagte er. »Wenn du nichts mehr von ihm wissen willst, +dann bleibt mir ein Handknecht, wie ich ihn brauche und wie man ihn +heutzutage nicht mehr findet. Schaffen thut er für Zwei und gehorchen, +als wenn er ein geborener Knecht wäre. Wenn ich, oder mein Sohn, oder +meine Tochter, oder mein Oberknecht ihm etwas sagen, läuft er wie ein +Wiesel. Wenn du ihn nicht mehr willst, gut! Ich hab' den Vortheil +davon.«</p> + +<p>Indem er bei den letzten Worten die Zielscheibe seiner Bosheit ansah, +fühlte er, daß er für jetzt nicht weiter gehen dürfe. In dem Angerbauer +kochte es gefährlich. Seinen Sohn vor den beiden Männern als gehorsamen +Knecht loben zu hören, war für ihn schrecklich, und die Absicht des +Schmiedbauern, ihn zu verhöhnen, machte ihn wüthend. Wäre er mit diesem +allein gewesen, er hätte ihm eine Antwort mit der Kanne an den Kopf +gegeben, auf welche kein weiterer Bericht mehr erfolgt wäre. In der +vollen Wirthsstube mußte er an sich<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> halten und schwieg daher grimmig +still. Der andere fand für gut zu bemerken: »Nun, ich sehe, es ist +dir wirklich unlieb, etwas weiter zu hören; lassen wir's also gehen!« +Der Angerbauer nickte bedeutsam, als wollte er sagen: »Du thust sehr +gescheidt daran!«</p> + +<p>Von einem der beiden Bauern wurde das Gespräch wieder auf die +Schranne zurückgelenkt und blieb dabei. Auf diese Weise kam jedoch +der Angerbauer um eine Nachricht, die ihm lieb gewesen wäre, denn der +Schmiedbauer war bekanntlich kein bloßer Bösewicht. Er wollte heute an +dem Vetter sein Müthchen kühlen und an den »hoffährtigen Kameraden« +ein wenig ärgern; dann aber wollte er ihm sagen, daß der junge Bursch +in seinem Hause deßwegen kurz gehalten und tüchtig angespannt werde, +damit er sich nach den Eltern sehne und endlich demüthig heimkehre, wie +sich's gebühre. Er wollte sich dem Angerbauer von seiner ernsthaften +Seite zeigen, ihm Vorschläge machen, seine Wünsche hören. Allein da +dieser nach seiner Ansicht gar keinen Spaß verstand, so wollte er sich +auch auf den Ernst nicht einlassen. Er dachte: »Es ist der Alte! immer +gleich oben aus! Gut, für heute soll er nichts weiter hören!«</p> + +<p>Als der Angerbauer die zweite Kanne noch nicht ganz geleert hatte, +zahlte er und schickte sich an zu gehen, indem er sagte, er habe noch +einen Gang zu machen. Den Schmiedbauern übermannte noch einmal der +Muthwille und er fragte den Abgehenden in schelmisch gemüthlichem Ton: +»Soll ich also wirklich deinem Ludwig keinen schönen Gruß von dir +ausrichten?« Der Angerbauer gab ihm hierauf eine Antwort, die ihm der +kindischen Bosheit der Frage allein entsprechend schien, und entfernte +sich, indem er die Thüre stattlich zuschlug. Je mehr Zorn jene Antwort +verrieth, desto vergnügter lachten die drei Zurückgebliebenen zusammen +und schwatzten noch eine Weile über diesen Spaß.</p> + +<p>Unser Mann ging geradeswegs nach Hause. Indem er mit wenig gemindertem +Zorn in's Kanzlei eintrat, fand er dort sein Weib in einer ähnlichen +Stimmung. Ohne vorläufig darauf zu achten, erzählte er, was ihm +begegnet, und die Angerbäuerin stimmte in seine Ausrufungen über die +Bosheit der Menschen treulich mit ein. Dann bekannte sie, ihr sei +beinahe noch etwas Aergeres passirt. Neugierig<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> drängte sie der Mann, +zu erzählen. Die Bäuerin hub an: »Ich bin zuerst bei der Melbersbas +gewesen und hab' mich etwas länger verweilt, als ich dachte. Dann bin +ich zum »Canditor« gegangen und hab' Zucker, Kaffee und Gewürz gekauft. +Wie ich aus dem Laden auf die Straße hinausgeh', wer kommt auf mich zu? +Die Ev' mit ihrer alten Bas! Ich will dirs nur sagen, ich bin ein wenig +verhofft gewesen und es ist mich ordentlich ein Zittern angekommen. +Aber doch bin ich gleich auf sie zugegangen, hab' sie freundlich +gegrüßt und »guten Tag« geboten. Die alte Bas hat gedankt; die Ev' hat +aber nur ihr »Schnäuzle« naufgezogen.« Der Angerbauer, der aus allem +abnahm, was kommen würde, bemerkte mit einem gewissen Humor: »Sag' +Schnauz, das paßt besser!«</p> + +<p>Die Mutter fuhr fort: »Weil ich sie nun seit dem Vorgang nicht wieder +gesehen hab', so hab' ich nach etlichen Reden gesagt: »Uns hat halt +seitdem ein rechtes Unglück getroffen!« Denn wenn man sich so gut +kennt, dann kann man wohl vertraut mit einander reden.« »Ja, ja,« +antwortete die alte Bas, »das ist eine böse Geschichte! Wer hätte dem +Ludwig das zugetraut!« — »Ja freilich,« hab' ich wieder gesagt, »hätt' +man ihm das nicht zugetraut; aber junge Leute machen eben manchmal +tolle Streiche. Alles ist deßwegen nicht verloren, er kann sich wieder +anders besinnen, kann heimkommen und alles kann noch gut werden.« Da +hättest du die Ev' sehen sollen! Roth wie ein welscher Hahn tritt sie +vor mich hin und sagt: »Ihr glaubet doch nicht, Frau Bas, daß es mit +Eurem Ludwig und mir noch was werden kann? Wenn Ihr so was denkt, dann +schlagt's Euch nur aus dem Sinn. Das wär' mir das Wahre! Ein Mensch, +der sich so aufführt! Nein, Frau Bas, für so einen bedank' ich mich +schön und bin froh, daß ich ihn los geworden bin.« Ich hab darauf +gesagt: »Was willst du denn? — hab ich denn davon geredt?« Aber sie +hat sich nicht irr machen lassen und höhnisch gesagt »Aufrichtig, Frau +Bas, Ihr thätet am besten, wenn Ihr Eurem Sohn seinen feinen Schatz +ließet. Sie ist ihm nun einmal die Liebste auf der Welt, und ein +ordentliches Mädchen nimmt ihn ohnehin nicht mehr.«</p> + +<p>»Was,« rief hier der Angerbauer auffahrend, »das hat sie dir<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> gesagt?« +»Ja,« erwiederte sein Weib, »das hat sie gesagt.« — »Gut!« versetzte +der Mann, »ganz gut! Also so eine ist die? Ein großes Unglück scheint's +nicht, wenn wir die nicht zur Söhnerin bekommen!« — »Das mein' ich +auch,« bemerkte die Frau, »und das hab' ich ihr auch gesagt.« »So groß +gefehlt wär's nicht,« hab' ich ihr gesagt, »wenn er das Mädchen bekäme. +Denn wenn sie auch nicht reich ist, so ist sie doch brav und hat mehr +Art als manche reiche Bauerntochter, die ich kenne.« Dabei hab' ich ihr +steif in's Gesicht gesehen. Sie aber hat sich nichts daraus gemacht und +gesagt: »Nun, da wünsch' ich recht viel Glück dazu! Machts nur bald +richtig und vergeßt nicht mich auch auf die Hochzeit zu laden.« Damit +hat sie »guten Tag« gesagt und sich umgedreht und die Alte, die den +Kopf geschüttelt hat, mit sich fortgezogen.«</p> + +<p>Der Angerbauer war ernsthaft geworden und brach nun in die Worte aus: +»Eine saubere Person, das muß ich sagen! Da dürfen wir ja von Glück +sagen, daß wir sie noch zu rechter Zeit kennen gelernt haben!« — +»Sicherlich,« erwiederte die Mutter.</p> + +<p>Nach einem längeren Schweigen, während dessen sie nachdenklich vor +sich hingesehen hatte, begann sie wieder: »Vater, ich möchte dir +etwas sagen, aber du mußt nicht bös werden.« — »Nun,« erwiederte +der Bauer mit argwöhnischem Ausdruck, »du wirst hoffentlich nicht im +Ernst verlangen, daß wir dem Burschen das Mädchen geben?« — »Behüte,« +versetzte die Mutter, »das weiß ich schon, daß das nicht geht. Nein, +ich hab' nur sagen wollen, daß mich der Ludwig »a'fanga« dauert +(anfängt mich zu dauern). Ich glaub', er wär gern wieder bei uns, aber +er hat deinen Kopf: er kommt nur nicht, weil er's einmal gesagt hat.« +— »Soll ich ihn,« bemerkte der Bauer, »etwa selber holen, weil er +meinen Kopf hat?« — »Auch nicht,« sagte die Mutter. »Ich meine nur, +wir ließens ihm unter der Hand wissen, daß er kommen könnte; mit der +Ev' wollten wir ihn nicht mehr plagen.« — Der Bauer versetzte: »Nein, +das geschieht nicht! um keinen Preis der Welt! Wenn ich da nachgäb', +müßt ich mehr nachgeben!« — »Aber deßwegen —« — »Das muß ich besser +wissen. Ich thu's nicht, jetzt erst recht nicht, und damit Punktum!« — +Wie gewöhnlich<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> wenn er einen solchen Trumpf ausgespielt hatte, stand +er auf und verließ die Stube.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Während dieser Erlebnisse der Seinen arbeitete Ludwig mit neuer Kraft +und neuem Muthe weiter. Er hatte in Rücksicht auf sein Dienstverhältniß +einer Anfeuerung bedurft; das Schreiben der Geliebten und die Abfassung +seiner Antwort gewährten ihm diese aber in vollem Maße. Es war ihm +ganz, wie er geschrieben. Sein Geist war aufgerichtet; das Bewußtsein, +ein solches Herz gewonnen zu haben, das Gefühl, ihrer werth zu sein, +und die Hoffnung, die aus diesem Gefühl emporkeimte, ließen ihn alle +Mühen mit Freudigkeit ertragen. Er hatte nun auch eine Bekanntschaft +gemacht, die ihm angenehm und tröstlich war. Von seinem Bauer zum +Pfarrer des Ortes geschickt, antwortete er diesem auf seine Fragen so +verständig und gutmüthig, daß der Geistliche das Gespräch verlängerte, +so weit es anging, und den jungen Burschen aufforderte, ihn in freien +Stunden zu besuchen. Es war dieß ein Mann in mittleren Jahren, der aber +ähnliche Ansichten zu haben schien, wie der alte Herr, den wir kennen, +da er an den entlaufenen Sohn keine Ermahnungen richtete, die er nicht +hätte befolgen mögen, sondern sich unbefangen im Kreise allgemeiner +Belehrung hielt.</p> + +<p>Die Annehmlichkeiten, die er aus alledem schöpfte, waren Ludwig auch +nöthig, um ein Uebel zu bestehen, das immer ärger zu werden schien. +Dieß war der Uebermuth Michels, der nicht selten in wirkliche Bosheit +ausartete. Verdroß es ihn, daß Ludwig bei seinen Neckereien nicht mehr +empfindlich wurde, sondern ihn lächelnd oder mitleidig ansah; war er +eifersüchtig auf die Seelenfreude, die verschönernd aus dem Gesichte +des Knechts leuchtete, oder auf das Lob, das sein Vater diesem hie und +da auf seine Unkosten ertheilte, genug, der junge Schmiedbauer ging in +seiner herrischen Anmaßung gegen Ludwig weiter und weiter, so daß er +alle die Seinen hinter sich ließ. Die schwache sinnliche Gutmüthigkeit, +wie man dieß in der Welt öfter sehen kann, bestand die Probe nicht, die +ihr auferlegt wurde, und verwandelte sich unter gewissen Anreizungen +geradezu in Gemeinheit. Eine solche Anreizung mochte für den Burschen +auch<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> in der Nachricht seines Vaters liegen, daß der Angerbauer seinen +Sohn verläugne und, wie es scheine, wirklich nichts mehr von ihm wissen +wolle. Konnte man gegen einen Verstoßenen sich nicht gehen lassen nach +Belieben?</p> + +<p>Als die kleinen Mittel nichts mehr verfingen, wendete Michel die +gröberen und plumperen an, und es gelang ihm nun allerdings wieder, +den Untergebenen zu ärgern und zu erzürnen. Ungerechte Behandlung +zu ertragen ist für gewisse Gemüther das Schwerste; und wenn sie +sich's auch vornehmen, bei den Anmaßungen der Dummdreistigkeit ruhig +zu bleiben, so glückt's ihnen doch nicht immer. Die Geduld Ludwigs +wurde auf harte Proben gestellt; das Betragen Michels erschien ihm so +kläglich, daß er den Ausbruch des Zorns und der Verachtung kaum mehr +zurückhalten konnte. So sammelte sich nun aber ein Maß von Galle in ihm +an, das nur noch berührt zu werden brauchte, um überzulaufen.</p> + +<p>An einem Sonntag nach dem Essen kamen »Freunde« — wie, man weiß, +Verwandte — des Schmiedbauern zum Besuch angefahren, Vater, Mutter +und ein fünfzehnjähriger Sohn. Sie wurden mit Kaffee und »Goglopf« +(Guglhupf) traktirt, welchen Madlene und die Magd am Vormittag zu +diesem Zweck verfertigt hatten. Als endlich auch der »junge Vetter« +dem Nöthigen zu einer neuen Schale nicht mehr Folge leisten konnte, +führte man die Gäste im Hause herum und zeigte ihnen Küche und Keller, +Kasten und Schreine und deren Inhalt zum Bewundern, welcher Absicht die +Bauersleute höflich entgegenkamen. Michel empfand großes Verlangen, +ihnen die Ställe zu zeigen, und freute sich namentlich, ihnen die +Zierde derselben, einen schönen zweijährigen Braunen vorzuführen. Er +eilte voraus in den Roßstall, fand den Oberknecht ausgegangen, Ludwig +aber bei der Hand. Bei dem Anblick desselben fuhr der böse Feind in ihn +und gab ihm den Gedanken ein, sich selbst in seiner Herrlichkeit und +den Sohn des Angerbauern, der mit den Gästen ebenfalls einigermaßen +verwandt war, in seiner Erniedrigung zu zeigen. Er rief in barschem +Ton: »Ludwig, führ' den Braunen in den Hof!« Ludwig gehorchte und +dankte den Verwandten auf den Gruß, den sie ihm boten, mit bescheidener +Höflichkeit. Das junge Roß ward im Freien munter und<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> fing an zu +laufen. Michel rief ärgerlich: »Nicht so schnell!« Der Angefahrene +hielt es zurück; Michel schrie nun: »Zu langsam! Marsch! Zu!« und +vexirte den andern so, daß die Gäste bald sahen, worauf es hier +angelegt war, den rothgewordenen Ludwig bedauerten und den Sohn des +Hauses für einen dummen Prahler hielten. Endlich rief Michel: »Laß ihn +laufen! Schnell! schneller!« Ludwig gehorchte; das Roß wurde im Trab +übermüthig, sprang auf die Seite, traf mit den Hinterbeinen in eine +kleine Kothlache, die vom gestrigen Regen herrührte, und bespritzte den +schön gestreiften Rock der Bäuerin.</p> + +<p>Auf so etwas hatte Michel gewartet. Den Umstand, daß dieser armselige +Zufall nur in Folge seiner Befehle eingetreten war, natürlich außer +Acht lassend, ergriff er mit Begierde die Gelegenheit, zugleich seine +Machtvollkommenheit und seine Galanterie gegen die Base an den Tag zu +legen; er schrie Ludwig zornig an: »Du bist ein Esel! Nicht einmal +ein Roß kannst du führen, wie sich's gehört!« — Das war aber dem +Burschen zuviel. Während die Gäste Ausrufe des Bedauerns hören ließen, +übergab er dem kurz vorher angekommenen dritten Knecht das Roß, trat +vor Michel hin und rief: »Du bist der jämmerlichste aller Menschen! +Noch ein solches Wort gegen mich, und ich brech' dich zusammen!« +Seine Augen funkelten, in seinem Gesicht brannte die Glut des Zorns +und der Verachtung, seine Arme zuckten, als ob er seine Rede sogleich +wahrmachen wollte. Michel erschrack und trat blaß geworden einen +Schritt zurück. Der gemeinschaftliche Vetter stellte sich zwischen +sie und ermahnte zur Ruhe. Unterdessen faßte sich Michel wieder, und +indem er eine hochmüthige Miene anzunehmen suchte, sagte er zu Ludwig: +»Mit dir wird man noch fertig werden, und das bald!« Dann sah er sich +um, ob nicht sein Vater oder der Oberknecht in der Nähe wäre. Ludwig +folgte dieser Bewegung, und seine Gedanken errathend, rief er: »Schrei +keinem, ich rath es dir! Wenn ihr zusammen über mich herfallt, dann +ist's Nothwehr, was ich thu', und« — setzte er hinzu, indem er die +Hand an die Seitentasche legte — »ich schwör's bei Gott: den ersten +der mich anrührt, stoß' ich nieder wie einen Hund!« Der Bauer, dem dieß +zu stark war, sagte: »Führ keine solche Reden, das geziemt sich nicht +für dich!« — »Für mich geziemt sich alles,« entgegnete der Gereizte,<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> +»was sich für einen freien Menschen geziemt! In dem Augenblick bin ich +kein Knecht mehr, sondern der Sohn meines Vaters! Aus diesem Haus geh' +ich fort, auf der Stelle — das versteht sich von selbst!« Er wandte +sich zum Abgehen, drehte sich aber nochmal gegen Michel um und machte +mit geballter Faust eine Bewegung, als ob er sagen wollte: Du weißt, +was geschieht! Dann ging er in die Stallkammer zu seinem Lager und nahm +aus dem daneben liegenden Schrein seine wenigen Habseligkeiten heraus, +um sie zur Wanderung zusammenzubinden.</p> + +<p>Unterdessen war der Schmiedbauer mit seiner Tochter aus dem Hause +gekommen. Auf sein Befragen, welch ein Lärm das sei, erzählte der +Vetter den Handel, war aber so gerecht zu sagen, daß Michel dem Ludwig +es zu arg gemacht habe, was von der Base mit der Bemerkung bestätigt +wurde, daß es wegen des »Spretzers« auf ihrer Schürze nicht der Mühe +werth gewesen wäre. Der Schmiedbauer verwies dem Sohn sein Betragen +und hieß ihn in die obere Stube gehen: die Sache wolle er nun allein +ausmachen. Michel entgegnete, dem Kerl werde er nicht aus dem Wege +gehen, entfernte sich aber doch.</p> + +<p>Ludwig, sein Bündel unter dem Arm, kam herbei. »Schmiedbauer,« sagte er +mit verhältnißmäßiger Ruhe, »Ihr habt wohl schon gehört, was geschehen +ist, und werdet begreifen, daß ich in Eurem Hause nicht länger bleiben +kann.« — »Das begreif ich,« sagte der Bauer. »Aber wo willst du hin?« +Ludwig erwiederte: »Ich geh' nach Augsburg.« Der Bauer bemerkte: »Es +wäre gescheidter, wenn du zu deinem Vater heimgingest. Die Gelegenheit +wär' gut.« — Ludwig entgegnete unmuthig: »Behaltet Euren Rath für +Euch,« und wollte gehen. — »Wie!« rief der Bauer, »ohne deinen Lohn? +Du bekommst noch zwei Gulden.« — Ludwig erwiederte, er schenke ihm +den Lohn, worauf der Bauer nicht ohne Würde ausrief, er wolle nichts +geschenkt von ihm, was er verdient habe, müsse er nehmen. Ludwig +ließ sich die zwei Gulden bezahlen, drückte sie dem dritten Knecht +in die Hand, der ihn erstaunt ansah, wünschte den Umstehenden wohl +zu leben und richtete seine Schritte dem Wirthshaus zu. Da der Abend +herannahte, so wollte er hier übernachten und morgen mit dem Frühesten<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> +nach Augsburg wandern, wozu er noch beinahe zwei Gulden vom früher +eingenommenen Lohn hatte. Sein Gedanke war, an diesem Ort, wie schon so +Mancher vom Ries, sein Glück zu machen, Annemarie nachzuholen und sie +in eine schöne Stadtwohnung als Frau einzuführen.</p> + +<p>Als er in die stark besuchte, von Tabakrauch erfüllte Wirthsstube trat, +wurde er von einem Tisch junger Burschen freundlich begrüßt und zwei +davon streckten ihm mit der üblichen Frage: »Kann ich aufwarten?« ihre +gefüllten Gläser entgegen. Der Streit mit dem jungen Schmiedbauer war +von mehreren, die zufällig am Hofe vorübergingen, mit angehört worden, +und diese hatten nichts Eiligeres zu thun, als die Geschichte durch's +Dorf zu verbreiten. Kurz vorher war sie in der Wirthsstube erzählt +worden, und die Zuvorkommenheit der jungen Leute hatte ihren Grund +darin, daß Ludwig es dem eingebildeten Michel so hinausgegeben, und — +daß er kein Knecht mehr war. Unser Bursche that mit ebenbürtiger Miene +Bescheid, aß und trank, sagte dem Wirth, daß er über Nacht bleiben +wolle, und ließ sich von ihm in die obere Stube führen. Hier begehrte +er Schreibzeug und begann einen Brief an Annemarie, worin er ihr den +heutigen Vorgang und seine Pläne mittheilte. Als er fertig war, klopfte +es an die Thüre. Die Wirthsmagd brachte Licht mit einem Brief, der so +eben unten für ihn abgegeben worden sei.</p> + +<p>Ludwig betrachtete die Aufschrift, erbrach das Schreiben und las, +zuerst mit allen Zeichen großer Ueberraschung; dann schüttelte er ernst +den Kopf, als ob er mit dem Inhalt nicht einverstanden sein könnte. Er +las weiter; eine eigenthümliche Empfindung spiegelte sich in seinen +Zügen, er sah empor, wie bewegt von einem lockenden und drängenden +Gedanken. Auf einmal stand er auf und rief entschlossen: »Ich thu's!« +— Er setzte sich wieder, versank in Nachdenken, und sein Gesicht nahm +einen wehmüthigen Ausdruck an, wie das eines Menschen, der weiß, daß +sein Thun verdammende Urtheile erfahren wird. Er packte sein Bündel aus +und ordnete seine Habseligkeiten geschickter, als es in der ersten Eile +möglich gewesen. Was der Brief auch enthalten mochte, in dem Beschluß, +die Wanderung anzutreten, schien er ihn nur bestärkt zu haben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span></p> + +<hr class="tb"> + +<p>Nach einem in mäßiger Arbeit verbrachten Tage saß der Angerbauer bei +seinem Weib im Kanzlei. Die Abendmahlzeit war vorüber, eben so das +Läuten der Kirchenglocke, das die Familien zum Abendgebete ruft, +und welches darum »Betläuten« genannt wird. Die Ehehalten waren zum +größten Theil schon im Bette, weil sie morgen sehr früh wieder heraus +mußten; nur der Oberknecht war noch im Roßstall und erzählte dem Andres +Geschichten. In der Stube herrschte große Stille, in welcher nur das +Ticken der Wanduhr — stärker, als man ihrs bei Tage zugetraut hätte — +und das »Spinnen« der großen Hauskatze vernehmlich war. Der Angerbauer +hörte nichts von beiden; er ruhte gedankenvoll in dem braunledernen +Großvaterstuhl am Ofen. Die Bäuerin saß am Wandtisch, auf dem eine +brennende Oelampel stand. Sie sah bekümmert aus und war offenbar mit +einem bestimmten Gedanken beschäftigt. Diesen zu äußern brach sie das +Stillschweigen, und zwar in einem Tone, als ob sie ein unterbrochenes +Gespräch wieder aufnähme. »Was doch das Geld ist!« sagte sie mit einer +Art Seufzer. »Wenn das Mädchen nur einen Hof hätte wie die andere, eine +bessere Schwiegertochter könnten wir uns nicht wünschen!« — Der Bauer +fuhr aus seinen Gedanken auf und erwiederte: »Was redest du da wieder! +Sie hat ihn nun einmal nicht! Wenn! Als ob einem damit geholfen wäre!« +— Die Bäuerin ließ sich nicht irre machen und fuhr fort: »Ich hab' sie +heut' wieder an mir vorbeigehen sehen, und was mir besonders gefallen +hat, ist ihre Sauberkeit, und daß ihr alles so wohl ansteht. Das würde +eine Haushaltung werden wie unsere.«</p> + +<p>Der Alte wurde ernstlich böse. »Ich möchte doch wissen,« rief er aus, +»was das für ein Vergnügen ist, sich Dinge vorzustellen, die nicht +sein können. Sei doch nicht kindisch!« — »Nun ja,« erwiederte die +Frau, »ich weiß ja, daß es nicht sein kann; aber man darf doch wohl +davon reden.« — Sie schwieg eine Weile still, konnte oder wollte sich +aber noch nicht zufrieden geben, und begann daher: »Wer hätte gedacht, +daß es uns so ganz unglücklich gehen würde! Statt einen Sohn gut zu +versorgen, müssen wir ihn bei Leuten dienen lassen, die ihn schlecht +behandeln, und vielleicht bald hören, daß er in die weite Welt gelaufen +ist, wo wir ihn gar nicht mehr sehen!«<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> — Der Vater erhob sich in +großem Unmuth. »Ich seh,« rief er, »es ist die höchste Zeit, daß wir +in's Bett gehen! Nimm die Ampel und zünde mir, ich geh!« — »Nun,« +versetzte die Mutter, »thu' nur nicht gleich so wild!« Sie erhob sich +und folgte dem Mann in die Stube.</p> + +<p>Als sie eben der Thür sich näherten, hörten sie ein Gebell vom +Hofhunde, das sich rasch in ein Freudengeheul verwandelte. Sie +horchten. Ein froher Lärm erhob sich vom Stalle her und bald vernahmen +sie den lauten Ruf von Andres: »Er ist da! Er ist da!« — Das Herz der +Mutter klopfte, mit zitternder Hand öffnete sie die Thüre, sah umher +und erblickte an dem Ende des Ganges, der vom Stall in den Tennen +führte, den verloren geglaubten Ludwig, von Andres mit jubelndem Eifer +vorwärts gezogen. Einen Freudenschrei ausstoßen, die Ampel auf die +Ofenbank stellen, dem wiedergefundenen Sohn entgegeneilen, ihn fassen +und mit liebenden Worten begrüßen, war bei der guten Frau Eins. Sie +nahm ihn beim andern Arm und führte ihn vereint mit Andres der Stube zu.</p> + +<p>Der Angerbauer war von dieser, im gegenwärtigen Moment durchaus +unerwarteten Heimkehr in die innerste Seele getroffen. Seine +Gemüthsbewegung äußerte sich in einer Blässe, die über sein Gesicht +ging und eben so wie die Freudenröthe der Mutter das Gefühl für den +Sohn verkündete. Damit hatte er aber den Zoll der väterlichen Liebe +abgetragen; er faßte sich im Augenblick wieder, unterdrückte seine +Bewegung und sah dem Ankommenden in der Würde des häuslichen Richters +entgegen, da die Mutter nach seiner Ansicht in der Güte viel zu weit +gegangen war. Ludwig stand mit blutrothem Gesicht auf der Schwelle. Er +hatte der Mutter »guten Abend« gesagt; vor dem Vater zeigte sich aber +die Natur unfähig, den Beschluß des Willens auszuführen; der Mund war +ihm wie durch einen Zauber verschlossen. Eben so unfähig war der Vater, +diesen Zauber zu lösen durch ein mildes, entgegenkommendes, wenn auch +mit väterlicher Rüge entgegenkommendes Wort.</p> + +<p>Allein ich darf in dieser Schilderung nicht weiter gehen. Ich kenne die +Leser und auch die schönen Leserinnen. Ich weiß, daß namentlich die +letzteren am Manne das Heroische, Durchgreifende, stolz<span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span> Beharrende +lieben, und muß nun fürchten, daß unser Freund wegen seiner plötzlichen +Nachgiebigkeit in ihrer Achtung gar sehr gesunken ist und ihre +theilnehmenden Seelen von dieser Wendung überhaupt unangenehm berührt +worden sind. Da es mir nun doch hauptsächlich um ihre Gunst zu thun +ist, für mich sowohl als für meinen ländlichen Liebhaber, so muß ich +vor allem berichten, wie dieser dazu gebracht wurde, den unerwarteten +Schritt zu thun.</p> + +<p>Als Ludwig sich vom Schmiedbauer in's Wirthshaus begab und den Brief +an Annemarie schrieb, war es bei ihm ausgemacht, am andern Morgen nach +Augsburg zu wandern. Eine Aenderung seines Entschlusses wurde durch den +Brief herbeigeführt, den er Nachts erhielt und der ihm ein anderes Ziel +der Wanderung bezeichnete. Er war geschrieben von dem alten Pfarrer und +ihm zugesandt aus dem Hause des jüngeren Amtsbruders, wo er für einen +Fall dieser Art schon bereit lag. Ich lasse ihn wörtlich folgen und +seine Sache selbst führen. Der alte Herr schrieb:</p> + +<p>»Lieber Ludwig! Ich höre von meinem Freunde und Amtsbruder, daß du von +dem Bauer, bei welchem du als Knecht dienst, und von seinen Kindern +immer übler gehalten wirst, und da ich annehmen muß, du werdest +dich über kurz oder lang mit ihm überwerfen, so schreibe ich dir +diesen Brief, damit er im Augenblick der Entscheidung das Gewicht +eines freundschaftlichen Rathes in die Wagschale werfe, die sich zur +Versöhnung neigt. Du weißt selber, Ludwig, daß dein alter Freund nicht +zu denen gehört, die mit ihren Ermahnungen lästig werden, wo kein Wille +und keine Fähigkeit ist, sie zu befolgen; aber dir muth' ich jetzt +etwas zu, weil ich dir die Kraft zutraue, es zu thun. Um es offen zu +sagen: du mußt zu deinen Eltern zurückkehren! Du mußt es freiwillig und +sobald als möglich thun!«</p> + +<p>»Ueber den Streit mit deinem Vater will ich jetzt nicht urtheilen. Ihr +seyd aneinander gerathen und du hast das väterliche Haus verlassen — +es sind geschehene Dinge. Aber nehmen wir an, es sei an dem Bruche +einer so gut Schuld wie der andere — wem steht es zu, die Hand zum +Frieden zu bieten, dem Vater oder dem Sohn? Die Antwort hierauf wirst +du dir, wenn du unbefangen urtheilen<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> kannst, selber geben. Der Sohn, +der nachgiebt, erfüllt die Pflichten kindlicher Liebe und kindlichen +Gehorsams; der Vater, der nachgiebt, verletzt die Pflichten der +Herrschaft in seinem Hause und gibt sich unmännlich in die Hand des +Kindes.«</p> + +<p>»Wüßten deine Eltern nicht, daß sie dich aus dieser Ursache nicht +zurückrufen <em class="gesperrt">dürfen</em>, sie hätten's wahrlich schon lange gethan. +Denn sie kümmern und grämen sich, sie verzehren sich in Sorgen und +Unruhe, wie wenig sie sich vor andern auch anmerken lassen. Die +Freude und die schöne Zufriedenheit ist aus ihrem Hause gewichen. +Darf nun der Sohn, der davon Kenntniß erhält, zaudern, seinen Eltern +die verlorene Freude wieder zu geben? Darf er zaudern, auch wenn man +ihm zeigt, daß es seine Pflicht ist und er allein es vermag? Wenn der +natürliche Mensch in dir widerstrebt, wenn er sich dreht und windet und +allerlei Ausflüchte macht — um so besser, Ludwig! denn dann hast du +Gelegenheit, in Ueberwindung desselben zu beweisen, daß du ein Christ +und ein braver, sittlicher Mensch bist.«</p> + +<p>»Ich wende mich an den Ludwig, der mir im Unterricht gar oft durch +verständige und feine Antworten Freude gemacht. — Wenn ein Sohn, der +trotzig davongelaufen, in das Haus seiner Eltern zurückkehrt, weil es +ihm draußen schlecht geht und er gern wieder besser essen und trinken +möchte, so ist er ein armer Sünder, dem man allenfalls verzeihen, aber +keine Achtung schenken kann. Wenn er aber heimkehrt aus Liebe zu den +Seinen und in der großmüthigen Absicht, ihnen Freude zu bringen, wenn +er heimkehrt, obwohl er sich sagen kann, daß er sich draußen selber +zu helfen vermöchte, dann ist er ein braver, edler Mensch und handelt +in dieser christlichen Selbstüberwindung viel männlicher, als wenn +er trutzig weiter und weiter liefe; denn es gehört viel mehr Kraft +dazu, seinen Willen zu brechen, als seiner Leidenschaft zu fröhnen. +— Das Christenthum, Ludwig, das ich dich gelehrt, ist nicht einem +Gefäße gleich, das man in einen Kasten stellt, um es hie und da seinen +Freunden zu weisen; es ist eine Sache zum Brauchen. Und je mehr und je +fleißiger man diese Sache braucht, desto besser und schöner wird sie.«</p> + +<p>»Erwäge noch etwas anderes! Du strebst nach einem eigenen, in deinen +Verhältnissen ungewöhnlichen Preis. Du begehrst ein Mädchen<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> zur +Frau, die durch ihr Vermögen und ihre Stellung im Leben nach der +hergebrachten Ansicht nicht deines Gleichen ist. Du verlangst, daß +deine Eltern ihre Pläne opfern und ihre gewohnten Begriffe aufgeben +sollen um deiner Leidenschaft willen. Womit hast du denn das verdient? +Was hast du denn dafür gethan? Du forderst dem Vater seine Einwilligung +ab, und wie er sie verweigert, brichst du mit ihm und gehst davon. +Heißt das von seinen Eltern eine Gunst verdienen? Und wenn du nun ganz +fortwandertest in die Fremde, könntest du von dem völlig geflohenen, +doppelt gekränkten Vater erwarten, daß er dich dafür durch Erfüllung +deiner Wünsche belohne? — Wenn du aber selbst ein Opfer bringst, +wenn du dich demüthigst und in freiem Entschluß als gehorsamer Sohn +zurückkehrst, dann möchte das wohl die Herzen der Deinen rühren, sie +möchten eine Anregung empfinden, nun ebenfalls ein Opfer zu bringen und +da zu belohnen, wo ein Verdienst vorhanden ist.«</p> + +<p>»Ich will dir keine Hoffnungen machen, denn ich habe kein Recht dazu; +noch weniger kann ich für etwas der Art einstehen. Allein wenn du den +Segen des Himmels haben willst, so mußt du durch edles Handeln dich +seiner werth machen. Und wenn du bei deinem Vater etwas erreichen +willst, so darfst du nicht auf eine Schwäche rechnen, die er nicht hat, +sondern du mußt die Großmuth zu erwecken suchen, deren er fähig ist.«</p> + +<p>»Und nun bedenke, was deine braven Eltern von jeher für dich +gethan haben, und frage dich, ob die Aufrechthaltung eines im Zorn +gesprochenen Wortes so schwer wiegen darf wie die Pflicht der +Dankbarkeit für unberechenbare Wohlthaten. Denke an die Freude, welche +du den Deinigen machen wirst — und daneben auch ein wenig an die, +welche dein alter Freund haben wird, der dich gar gern wieder in seiner +Nähe hätte!«</p> + +<p>Ob dieser Brief einen andern umgestimmt hätte? Ich weiß es nicht. Bei +Ludwig erfüllte er seinen Zweck, und der alte Herr bewies hier, daß +er seinen Schüler kannte. Der Verstand des jungen Burschen konnte den +Gründen des Geistlichen nicht Unrecht geben und sein gutmüthiges Herz +war empfänglich für die edlen Mahnungen, die er an sich gerichtet sah. +Er erkannte klar: geschehen muß etwas, mein<span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span> Vater thut's nicht, darum +muß ich's thun. Er fühlte sich bei diesem Gedanken nicht kleiner als +vorher, sondern größer, und deutlich rief es in seinem Herzen, daß der +Gang nach Hause der Weg zu seinem Glück seyn werde. Er faßte seinen +Entschluß und blieb dabei.</p> + +<p>Am andern Morgen zerriß er den Brief an Annemarie und schrieb einen +andern, der kurz so lautete: »Liebe Annemarie! Ich bin im Streit vom +Schmiedbauer geschieden und folge nun dem Rath unseres guten Pfarrers +und kehre aus freien Stücken zu meinen Eltern heim. Er hat mir seine +Meinung schriftlich zukommen lassen und du würdest ihm eben so recht +geben müssen, wie ich es thue. Ich bleibe dir unabänderlich treu und +thu' nur einen Schritt, der uns dem Ziel, das wir beide uns gesetzt +haben, näher bringen muß. Und vertrau dem Herrn Pfarrer und mir nur +ohne weiteres, wenn ich dich auch in der ersten Zeit nicht gleich +besuchen könnte. Es geschieht alles zu unserem Besten. Ich bin dein +ewig getreuer Ludwig.«</p> + +<p>Nachdem er diesen Brief an Annemarie durch eine sichere Gelegenheit +abgeschickt hatte, wo sie ihn noch im Lauf des Tages bekommen mußte, +nahm er von den Wirthsleuten Abschied, ging zum Pfarrer des Orts +und theilte ihm sein Vorhaben mit. Der Geistliche lobte ihn sehr +und wünschte ihm alles Glück, indem er ihm freundlich lächelnd Muth +einsprach. Ludwig ging zuerst nach Nördlingen und richtete es so ein, +daß er in der Dämmerung auf Feldwegen nach seinem Dorfe wanderte. Als +er sich seinem Garten näherte — denn durch ihn wollte er ins Vaterhaus +zurückkehren — mußte er erfahren, daß auch bei der größten Willigkeit +des Geistes das Fleisch dennoch schwach sein könne. Wie fest er sich +vorgenommen, heimzukehren als ein Mensch, der weiß was er will und +der seine Pflicht erfüllt, so fing sein Herz doch gar mächtig an zu +pochen und er wurde roth vor sich selber. Trotz dieser Anwandlungen des +Schämens und Zagens ging er indeß vorwärts, bis er in den Hof und von +da in die Stallung kam. Das Uebrige wissen wir.</p> + +<p>Als der Alte sah, daß sein Sohn nichts vorzubringen vermöge, brach +er das Stillschweigen auf eine Art, wie sie ihm für's erste allein +möglich war. Er sagte: »Es scheint, daß es dir beim Vetter Schmiedbauer +nicht recht gefallen hat, da du wieder zu einem Mann kommst,<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> wie +dein Vater ist. Hat man den Herrn vielleicht nicht gut gehalten? Hat +man sich unterstanden, ihm durch den Sinn zu fahren? Wie oder hätte« +— Weiter konnte er nicht reden, da die Mutter ihm mit dem Ausruf; +»Bist du gleich still?« den Mund zuhielt. Zu Ludwig gewendet, sagte +sie dann: »Kehr dich nicht an seine Reden, du kennst ihn ja! Ihm ist's +am liebsten von uns allen, daß du wieder da bist!« — »Ja wohl,« +bemerkte Andres, »ihm ist ein Mühlstein vom Herzen gefallen!« — Der +Alte sah Andres an und sagte: »Ihr seyd Narren, du und deine Mutter!« +— Dann faßte er sich und sagte mit Würde: »Freilich ist's mir lieb, +wenn ich sehe, daß ein junger Mensch zur Einsicht kommt und seinem +Vater nachgibt wie sich's gehört! Wenn ein toller Streich wieder gut +gemacht und der Karren wieder ins Gleis geschoben wird, muß das einen +vernünftigen Menschen freuen.«</p> + +<p>Diese Rede öffnete dem Sohne wieder den Mund; er sagte mit bescheidener +Festigkeit: »Vater, ich bin zu dir zurückgekommen aus freien Stücken. +Ich hab's nicht nöthig gehabt, denn einem Menschen, wie ich bin, steht +die Welt offen, und daß ich etwas ertragen kann, hab' ich bewiesen. +Ich bin zu dir zurückgekommen, weil ich mich überzeugt hab', daß +das Nachgeben meine Pflicht ist, und nun bin ich auch entschlossen, +alles auszuhalten, was mir geschehen mag.« — Der Alte hatte hoch +aufgehorcht; die Rede und die Art, wie sie vorgebracht wurde, gefiel +ihm. Eben deswegen hing er sich aber an die letzten Worte und +erwiederte: »Dummheiten! Man wird dich wohl hier fressen? Du bist noch +immer der Alte!« — Damit wandte er sich weg.</p> + +<p>Die Mutter dachte nun an etwas anderes. Sie fragte: »Aber du wirst +hungrig sein, Ludwig, von dem Marsch! Gleich will ich ein Stück Fleisch +richten, das noch von gestern übrig ist!« — Andres, der in bester +Laune war, bemerkte: »Du bekommst Kalbsbraten, wie dein Vorgänger im +neuen Testament.« — Ludwig, auf den Scherz eingehend, erwiederte: »So +wie der komme ich drum doch nicht heim! Indessen hab' ich schon in +Nördlingen Kalbsbraten gespeist und muß für dein Anerbieten danken, +Mutter.« — »Ah so,« rief Andres, »du hast dich gestärkt zu der großen +Anrede! Die Kraft hat aber doch<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> beinahe nicht gereicht.« — »Sei +still,« sagte die Mutter, »du bist grad wie dein Alter!« — Sie bot +ihren Braten wiederholt an und Ludwig mußte es auf's bestimmteste +abschlagen, bevor sie sich beruhigte. Nun lud sie ihn ein, sich an den +Tisch zu setzen, wo der Vater schon Platz genommen hatte, und ihr zu +berichten, wie's ihm ergangen sey.</p> + +<p>Ludwig erzählte seine ganze Geschichte, mehrfach unterbrochen +von Ausrufungen der Mutter: wie sie nie geglaubt hätte, daß die +Schmiedbauersleute von der Art seyen. Als er den Auftritt mit dem +jungen Schmiedbauer schilderte, konnte sein Vater nicht umhin, den +Jungen, der hier gezeigt, daß er auch »Schneid« habe, beifällig +anzusehen. Bei dem Bericht über die Umwandlung durch den Brief wurde er +aber plötzlich ernsthaft. »So, so,« sagte er, »ein Brief von unserem +Pfarrer. Darf man ihn vielleicht auch lesen?«</p> + +<p>Ludwig bergab ihm den Brief, denn er hatte wohl gemerkt, daß er auch +für den Vater geschrieben war. Der Alte rückte die Ampel näher und las, +anfangs mit würdevollen Zeichen der Beistimmung und Anerkennung, dann +mit sehr bedenklicher Miene. »So, so, so,« sagte er, als er fertig war. +»Das schreibt der Herr Pfarrer? — Nun seh ich, wie viel's geschlagen +hat!« — »Nun?« fragte die Mutter mit großer Neugierde. — »Jetzt kenn' +ich mich aus und bedank' mich schön,« fuhr der Alte mit empfindlicher +Miene fort.</p> + +<p>Ludwig, seine Gedanken errathend, sagte: »Vater, ich weiß, was du +meinst. Aber ich verspreche dir's, nie sollst du von mir eine Bitte +hören. Wenn ihr mich nicht mehr mit der Base plagt, so will ich nichts +weiter.« — Der Alte versetzte: »Du willst nichts weiter? Gut, schön! +Das heißt für die erste Zeit. Du kannst warten! Hab' ich's getroffen?« +— Als er Ludwig leicht erröthen sah, setzte er hinzu: »Dein Pfarrer +und du, ihr dürft fein nicht glauben, daß der Angerbauer ein Brett +vor dem Kopf hat. Ihr seid mir noch lang nicht zu gescheidt! Daß ihr +euch nur nicht verrechnet.« — Jetzt rief die Mutter in ernstlicher +Ungeduld: »Aber was hast du denn?« — »Ach,« erwiederte der Alte, »die +ganze Geschichte ist mir zuwider, ich bin müd' und geh' in's Bett.« +Damit stand er auf und ging hinaus in die Schlafkammer.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span></p> + +<p>Die Mutter »zündete« ihm nicht, wie sie sonst auch unaufgefordert +gethan hätte. Sie war zu neugierig, zu erfahren, was in dem Brief +stehe, und forderte Ludwig auf, ihn vorzulesen. Dieser las die +Hauptstellen: Als er geendet hatte, rief die gute Frau, während Andres +sehr schlau dreinsah. »Ei, ei, ei! Nun begreif' ich deinen Vater.« — +»Liebe Mutter,« sagte Ludwig, »heut' wollen wir von dieser Geschichte +nicht weiter reden.« — »Ja wohl,« bemerkte Andres, »wir wollen uns +niederlegen, ich bin schläfrig. Komm, du gehst mit mir in die obere +Kammer. Hab' ich doch wieder einen Schlafkameraden!« Er wollte den +Bruder mit sich fortziehen, aber die Mutter hielt ihn noch und fragte: +»Willst du denn aber wirklich nichts mehr essen heute, Ludwig?« — +»Nein,« erwiederte dieser dankbar, gab ihr die Hand und sah ihr +zärtlich in's Auge, indem er sagte: »Schlaf wohl, gute Mutter! Führ' +meine Sach' beim Vater.«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Mittheilungen, die Andres seinem Schlafkameraden gemacht, konnten +nur günstig gewesen sein; denn Ludwig zeigte am andern Morgen in seinem +Gesicht eine eigene stille Zufriedenheit und Hoffnung. Er wußte, daß +der Pfarrer früh aufzustehen pflegte, und wollte ihn daher zuerst +besuchen. Auf dem Weg wurde er den verschiedenen Bekannten erstaunt +angesehen, von einigen schelmisch begrüßt. Er war jedoch in zu guter +Stimmung, um verlegen zu werden; er dankte und antwortete wieder +scherzend. — Der alte Herr war sehr erfreut, als er ihn sah. »Ah, brav +so!« rief er, ihm die Hand reichend, »du hast meinen Rath befolgt!« — +»Ja, Herr Pfarrer.« — »Und bist wohl aufgenommen worden?«</p> + +<p>Ludwig erzählte, wie es ihm ergangen. Der Alte hörte mit größter +Theilnahme zu und sagte: »Nun, ich kenne ja die Deinen! Es ist +gekommen, wie ich's dachte.« — »Ja,« versetzte Ludwig, »Sie haben +sich meiner angenommen, Herr Pfarrer. Ich sehe nun wohl, wie Sie's +meinen, und weiß, daß wir alles Gute, was uns noch kommen wird, nur +Ihnen verdanken.« — »Pst!« rief der alte Herr lächelnd und freundlich +warnend. »Still davon!«</p> + +<p>Vom Pfarrer ging Ludwig zu seiner Schwester, die er allein<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> in der +Stube traf. Sie hatte von seiner Ankunft schon gehört und gab ihm +die Hand, indem sie ausrief: »Bist du da, Vagabund? Du machst schöne +Streiche, ja!« Ludwig zuckte die Achseln und begrüßte den eintretenden +Schwager, der seine Frau fragte: »Hast du nicht den Ofen eingeschlagen +bei dem seltsamen Besuch?« — »Wahrhaftig,« sagte diese, »das hätt' ich +thun sollen.« — »Nun,« bemerkte Ludwig, »von jetzt an werd' ich schon +öfter kommen.« — Die Schwester lächelte. »Du glaubst wohl selbander? +Aber das hat noch einen Haken.« — »Man kann nicht wissen,« versetzte +Ludwig mit einem gewissen Uebermuth.</p> + +<p>Er verließ die Familie sehr aufgemuntert. Aus allem, was er sah und +hörte, drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß sich die Seinen — +vielleicht nur den Vater ausgenommen — mit dem Gedanken einer Heirath +zwischen ihm und Annemarie schon vertrauter gemacht hatten, als er nur +irgend hatte hoffen können. Was würde er gesagt haben, wenn er erfahren +hätte, daß er diese Umstimmung zum großen Theil dem Benehmen der Eva +verdankte! Dieses hatte namentlich die Schmalzbäuerin empört, und da +bei der angestellten Vergleichung Annemarie doppelt gewinnen mußte, so +hatte die Schwester gegen ihren Mann und die Mutter zuerst den Gedanken +ausgesprochen, <em class="gesperrt">es</em> würde am Ende das Beste sein, dem Ludwig das +Mädchen zu lassen. — Als er an der Gasse vorüberging, die zu dem +Bäckerhause führte, sah er sehnsüchtig hin, und beinahe hätte er dem +Drange nachgegeben, zu der Geliebten zu eilen und ihr seine Hoffnungen +zu verkünden. Aber er sagte sich: »Nein, es darf nicht sein!« und ging +nach Hause.</p> + +<p>In derselben Morgenstunde saß Annemarie bei einer Arbeit in der +Stube des Bäckers. Sie hatte Ludwigs Brief am gestrigen Tage richtig +erhalten, und ohne daß es jemand gesehen. Die Ueberraschung, welche der +ausgesprochene Entschluß des Geliebten in ihr hervorrufen mußte, hatte +bald einem großen Wohlgefühl Platz gemacht. Die Last, die sie noch zu +tragen hatte, war abgeworfen. Sie war nicht mehr eine »Stifterin des +Unfriedens zwischen Vater und Sohn;« man konnte ihr den ungerechten +Vorwurf gar nicht mehr machen. Die Selbstüberwindung Ludwigs begriff +das wackere und<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> begabte Mädchen, und ihr Herz sagte ihr, daß diese +Heimkehr ihnen beiden zum Segen sein werde.</p> + +<p>Als sie in diesen Gedanken glücklich dasaß, kam Regine athemlos +gelaufen und rief: »Weißt du die große Neuigkeit schon?« — »Nun, was +ist's?« fragte Annemarie. — »Fall nicht vom Stuhl, wenn du's hörst: +der Ludwig ist wieder bei seinem Vater!« — Annemarie erröthete ein +wenig und erwiederte: »Das hab' ich schon gewußt, er hat mir's gestern +geschrieben.« — »So?« versetzte die Freundin etwas empfindlich, »davon +sagst du mir nichts?« — Annemarie sah sie gutmüthig an und erwiederte: +»Muß ich dir denn alles sagen? — Auch jetzt muß ich dich bitten, von +diesem Brief niemand etwas merken zu lassen.« — »Ich verrath' nichts,« +sagte Regine. »Aber wird er dich denn besuchen?« — »Heute nicht,« +versetzte Annemarie ruhig, »und morgen auch nicht. Aber ich kann +warten.«</p> + +<p>Ein gutes altes Sprichwort sagt: »Was sein soll, schickt sich wohl.« +Eine Zeitlang kann sich uns auf unserem Lebensweg Hinderniß auf +Hinderniß entgegenstellen, und wenn wir uns des Sieges erfreuen wollen, +finden wir nur immer neue Arbeit. Plötzlich ist's wie umgekehrt. +Alles gelingt, rasch geschehen Dinge, welche den letzten Widerstand +beseitigen und der kühnsten Hoffnung Erfüllung verheißen. Es liegt dann +in der Luft und jeder fühlt, daß die glückliche Entscheidung kommen +soll. — So ging es auch hier.</p> + +<p>Zwei Tage nach der Rückkehr Ludwigs wurde bekannt, daß die Hoferbin +Eva sich versprochen habe. Der Erkorene war jener Vetter der beiden +langen Bauerntöchter, den wir vom »Ansing« her kennen. Obwohl der +Gedanke einer Verbindung zwischen Eva und Ludwig vom Angerbauer selber +aufgegeben war, so lag in dem Ereigniß doch etwas Günstiges. Die +Möglichkeit war nun ganz verschlossen und der rasche Entschluß des +Mädchens reizte die schon freundlich gestimmten Seelen, auch ihrerseits +an's Werk zu schreiten.</p> + +<p>Fast zu derselben Zeit wurde bekannt, daß ein Bauer sich auswärts +angekauft habe und sein Hof zu erwerben sei. Nun hielten sich die +Angerbäuerin und die Schmalzbäuerin nicht länger. Sie pflogen Raths und +förmlich wurde der Beschluß gefaßt, daß man<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> dem Ludwig das Mädchen +geben müsse. Die Gründe waren: »Die Annemarie ist brav; vernarrt sind +sie in einander; eine andere nimmt er nicht; im Geschrei ist er mit +ihr; ein Hof ist zu haben; und endlich: es geht einmal nicht anders!« +— Zuerst wurde der Schmalzbauer in's Geheimniß gezogen. Dieser, der +mit seinem Weib »gut hauste« und von der »Lieb« noch einen gewissen +Begriff hatte, erklärte seine Zustimmung und Beihülfe ohne weiteres. +Durch ihn verstärkt rückten die beiden Frauen endlich an einem +Nachmittag hinter den Angerbauer.</p> + +<p>Obwohl dieser den Vorschlag hatte kommen sehen und selber sah, daß es +nicht wohl anders ging, so fuhr er doch gewaltig auf und fragte: ob sie +wirklich alle mit einander verrückt geworden seien? Alle Gegengründe +wurden von ihm hervorgeholt und ein Ach und O folgte dem andern. Sein +letzter Einwand war die »Söldnersfreundschaft.« Den hatte aber der +Schmalzbauer leicht zu widerlegen. Der Bäcker war in's Dorf gezogen +und in demselben ohne Blutsverwandte. Seine einzige Tochter sollte den +Hans, einen Bauern heirathen, wenn auch den kleinsten im Dorfe. Auf +diese Art hatte man nur Einen Söldner in der Freundschaft, den Bäcker, +und das war doch auch kein gewöhnlicher. Der Köcher des Alten war leer, +und da er nach und nach müde geworden war, so rief er: »Nun in's — — +in Gottes Namen, er mag sie haben!«</p> + +<p>Die Weiber, welche die Angelegenheit ganz zu der ihrigen gemacht +hatten, schrieen auf vor Freude und lobten den Alten über die Maßen. +Dann sagte die Schmalzbäuerin: »Nun laßt mich machen! Etwas gehört ihm +noch!« Sie rief Andres herbei und sagte, er solle Ludwig holen, er +sei im Garten. Andres nickte mit dem Kopf, wie einer, der begreift, +und richtete seinen Auftrag aus, ohne dem Bruder etwas von seiner +Vermuthung zu sagen. Als sie mit einander in die Stube traten, begann +die Schwester mit einer Art von Geschäftsmiene: »Ludwig, so eben ist +von dir die Rede gewesen. Du weißt, die Ev' heirathet, und wenn man +dir auch keine »Spreuer« (Spreu) vor die Thüre streuen wird, so ist's +doch keine Ehre für dich. Du mußt auch heirathen; und zum Glück ist +unerwartet ein Antrag an uns gekommen, der unsern ganzen Beifall hat,<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> +und, wie wir hoffen, auch deinen. Das schönste und reichste Mädchen im +ganzen Ries sagt augenblicklich Ja, wenn du willst.« — »Wer ist denn +die?« fragte Ludwig. — »Des Wirths Tochter in **.« — In der That war +diese, wenn nicht gerade die schönste, doch wenigstens <em class="gesperrt">eine</em> der +schönsten und reichsten.</p> + +<p>Ludwig, ungewiß, was er denken sollte — denn die Schmalzbäuerin +hatte ganz ernsthaft gesprochen und die andern eben so ernsthaft +dreingesehen, — erwiederte kurz: »Ich dank' schön.« — »Wie?« rief die +Schwester, »ist dir die auch nicht recht?« — »Gegen das Mädchen hab' +ich nichts, aber ich will überhaupt nicht heirathen.« — »So?« sagte +die Schmalzbäuerin, »das ist etwas anderes.«</p> + +<p>Nun wurde auch der Alte angesteckt. »Ich hab's euch ja gesagt!« rief +er den andern zu. »Sein erster Versuch ist so übel ausgefallen, +daß er's ganz verschworen hat. Wenn wir ihm nun auch die schöne +Zimmermannstochter geben wollten, die so »guet tanzt« und die mehr +werth ist als alle Rieser Bauern- und Wirthstöchter zusammengenommen +— er würde auch sagen: ich dank' schön!« — »Wirklich?« fragte die +Mutter, zu Ludwig gewendet, »würdest du das?«</p> + +<p>Dieser, betroffen, verwirrt, schaute die Gesichter an und verweilte +bei dem des Vaters, der aber seine Rolle fest behauptete. Die Mutter +konnte sich nicht länger halten. Sie nahm den Sohn bei der Hand und +sagte: »Nun, Ludwig, mach einmal ein ganz freundliches Gesicht! Deine +Schwester, dein Schwager und ich, wir haben den Vater herumgebracht +— du sollst die Annemarie haben!« »Ist's wahr?« rief der Glückliche, +drückte der Mutter die Hand, eilte zum Vater und dankte ihm in +überfließend zärtlichen Worten. Der Alte machte ein seltsames Gesicht. +»Ach!« rief er mit einem großen Seufzer aus, »nun muß man auch den Dank +noch hören! — Geh fort,« setzte er hinzu, als Ludwig den andern seine +Liebe bezeigte, »geh' und sag's dem Mädchen, damit ein Ende wird!« — +Ludwig ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach wiederholten Dankreden +eilte er davon. Als er hinaus war, sagte die Schmalzbäuerin zu Andres: +»Nun, was ist denn dir? du stehst ja da wie ein »Oelgötz!« Freust du +dich denn nicht?« — »Gott!« erwiederte Andres, »daß das so kommen +wird, hab' ich ja längst gewußt!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span></p> + +<p>Ludwig kam zum Bäckerhaus wie im Traum. Als er die Thür geöffnet hatte, +sagte sein strahlendes Gesicht alles. Wie durch einen Zauberschlag +entzündet, glänzte sein Glück auf dem Antlitz der Geliebten, die +bei dem Bäcker und Regine saß; sie flog ihm entgegen und in der +zärtlichsten Umarmung flossen selige Thränen von ihren Wangen herab. +»Du bist mein, Annemarie, mein mit dem Willen meiner Eltern!« rief +Ludwig zum Ueberfluß und drückte die Geliebte fester an sich, deren vor +Freude gebeugtes Haupt an seine Brust gesunken war. — Es war einer von +den Augenblicken, die man als unverdientes Geschenk empfindet, wenn man +in Noth und Sorgen, in Dulden und Sehnen Jahre lang darnach getrachtet +hat.</p> + +<p>Das Schicksal hatte aber für die Liebenden noch eine Gabe im Füllhorn. +Zwei Tage nach der günstigen Entscheidung gelangte in's Bäckerhaus +die Nachricht, daß in dem württembergischen Städtchen Bopfingen (dem +Abdera oder Schöppenstedt des Rieses) eine Verwandte gestorben sei und +der Annemarie zweitausend Gulden vermacht habe. Dies war kein bloßer +Zufall, auch kein »Bopfinger Stückle« von der Verstorbenen, sondern +eine verständige Handlung, herbeigeführt durch das Mädchen selbst +und ihr braves Benehmen. Die kinderlose Base hatte davon gehört, und +da sie als eine erfahrene Frau so treu Liebe hoch hielt, so wollte +sie sterbend einen Beitrag leisten zu ihrer Belohnung. — Als man +dem Angerbauer diesen Glücksfall hinterbrachte, war er zunächst sehr +erfreut über den Zuwachs des Vermögens, dann aber auch darüber, daß +er erst nach seiner Einwilligung bekannt geworden, so daß Niemand +behaupten konnte, er hätte nur um des Geldes willen Ja gesagt. Um so +mehr fühlte er sich nun angetrieben, gegen seinen Sohn ganz als Vater +zu handeln. Er kaufte den feilgewordenen Hof für Ludwig, der ihn als +sein Heirathgut haben sollte, obwohl er um ein gutes Theil mehr kostete +als sechstausend Gulden. Ueberdies ergänzte er den Viehstand und das +Geräthe, so daß die Besitzung nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Dann +setzte er den Heirathstag (den Tag der Verlobung) selber fest.</p> + +<p>In der Zwischenzeit fanden die ersten Besuche und Gegenbesuche statt. +Es war ein großer Augenblick, als Annemarie an der Seite ihres Vormunds +zum erstenmal in den Hof des Angerbauers trat.<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> Ludwig war ihnen +entgegen geeilt und seine Eltern erwarteten die Gäste auf der Schwelle +der Hausthür. Wie muthig das Mädchen war, so kam sie doch ein Zittern +an, als sie dem stolzen Bauer, der so lange als die gefürchtetste +Person vor ihrer Seele gestanden, zur ersten Begrüßung entgegen ging. +Allein sie wurde sehr freundlich empfangen, wie es in der Natur der +Sache lag. Sobald der Angerbauer seine Zustimmung zu der Heirath +gegeben hatte, war das Verhältniß in seinen Augen auch sanctionirt. Die +Strahlen seines Lichtes fielen nicht nur auf Annemarie, sondern auch +auf den Bäcker und machten sie zu seines Gleichen. Annemarie war nicht +mehr die Tochter und die Verwandte eines Söldners, sie war die künftige +Schwiegertochter des Angerbauers, und als solche konnte sie die größten +Ehren in Anspruch nehmen. Niemand wäre zu rathen gewesen, daß er +jetzt in Gegenwart des Alten über diese Verbindung seine Verwunderung +ausgedrückt oder gar über das Mädchen geringschätzig gesprochen hätte.</p> + +<p>Als Annemarie die Freundlichkeit der Eltern sah, fand sie ihren +Muth wieder und beantwortete die Begrüßungsfragen so anmuthig und +bescheiden, daß der Alte sie selber bei der Hand faßte und in die +Stube führte. Man würde den Landleuten sehr Unrecht thun, wenn man +ihnen nicht ein ihrem Stande entsprechendes Schicklichkeits- und +Zartgefühl zutrauen wollte. Als man hier an dem wohlbesetzten Tisch +saß, unterhielt man sich, als ob nie ein Streit vorgefallen wäre, +nicht eine Hindeutung erlaubte man sich darauf. Dagegen wurden die +erfreulichen und ehrenvollen Neuigkeiten besprochen: die Erbschaft, die +der Annemarie zugefallen war, der Kauf und die Einrichtung des Hofes. +Bei dieser Gelegenheit machte das Mädchen einige Bemerkungen, die der +Angerbauer mit vollem Beifall beehrte, indem er hinzufügte: er sehe +schon, daß sie die Sache verstehe. Natürlich saß Ludwig bald an der +Seite der Geliebten. Als die Angerbäuerin das schöne Paar zum erstenmal +beisammen sah, betrachtete sie es mit großem Wohlgefallen, und ein +vergnügtes, schlaues Lächeln spielte um ihren Mund, als sie später auch +den Vater über einem solchen Blick ertappte. Die Gäste nahmen endlich +Abschied, und Ludwig begleitete sie. »Nun,« fragte die Angerbäuerin, +»was meinst du zu<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> dem Mädchen?« Der Alte erwiederte ernsthaft: »Das +Mädchen ist recht.«</p> + +<p>Sonst ist von der Zwischenzeit nichts mehr zu erwähnen, als ein Besuch, +den der alte Angerbauer mit Ludwig in Nördlingen machte. Beide hatten +sich in ihren besten Staat geworfen, denn eigentlich wollte der Alte +nichts, als sich mit seinem Sohne dort sehen lassen. Da er zu diesem +Zweck Bekannte treffen mußte, so begaben sie sich zum »Fadenherrn.« +Als sie in der Stube sich umsahen, erblickten sie zu ihrer großen +Ueberraschung an einem Ecktisch die ganze Familie des Schmiedbauers, +Vater, Sohn, Tochter und Magd. Die Reihe, verlegen zu werden, war +nun an diesen. Sie waren in der That sehr betroffen und Michel sah +tiefbeschämt aus. Der Schmiedbauer faßte sich zuerst; er stand auf, +ging den beiden entgegen und sagte: »Nun, wie ich höre, kann man +gratuliren?« — »Allerdings,« entgegnete der Angerbauer mit Würde, »das +kann man.« — Der Schmiedbauer nahm hierauf eine lächelnde Miene an und +sagte: »Vetter Ludwig, du bist wohl bös auf mich zu sprechen? Aber ich +bin dein schlimmster Feind nicht gewesen. Wenn ich dich als den Sohn +des Angerbauers bei mir gehalten hätte, so stände die Sache jetzt nicht +so, wie sie steht.« — »Ja wohl,« rief Michel, der auch aufgestanden +war, mit der halb komischen, halb Mitleid erweckenden Verlegenheit +eines schlechten Gewissens. »Wenn das nicht unser Gedanke gewesen wär', +so wär' manches nicht vorgefallen, am wenigsten die Geschichte am +Sonntag.«</p> + +<p>Ludwig war zu glücklich, um streng zu sein. Er erwiederte daher mit +Ueberlegenheit zwar, aber auch mit Gutmüthigkeit: »So, nun soll ich das +am Ende für ein Freundschaftsstück nehmen? Auch gut! Aber daß ich's +nicht gleich gethan hab', mußt du mir nicht übel nehmen, Freund Michel: +du hast die Sache gar zu gut gemacht.« Hierauf grüßte er Madlene und +die Magd. Jene ward glühend roth und sah mit einem Blick zu ihm her, +daß er ihr alles verzieh und ihr die Hand zur Versöhnung gab. Die Magd +starrte ihn wie einen Prinzen an. Sie konnte gar nicht begreifen, wie +sie jemals ihre Augen zu so Einem habe erheben können, und machte sich +in der Ecke so klein als<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> möglich. Auf dem Heimwege sagte Ludwig zu +seinem Vater: »Es ist mir lieb, daß es so ausgegangen ist.«</p> + +<p>Endlich kam der Tag, wo es zwischen Ludwig und Annemarie »schriftlich +gemacht« werden sollte. Die Liebenden hatten ihn in der letzten Zeit +sehr herbeigesehnt. Ihr Glück war zu groß, als daß sie nicht hie und da +die Furcht hatte anwandeln sollen, es möchte wie ein Traum zerfließen, +und die Unterschrift war eine neue, große Sicherung und gab ihnen +festen Boden unter die Füße. Mit der Zusammenkunft der Familien zu +einem »Heirathstag« ist das Glück der Liebenden nicht immer schon außer +Frage gestellt. Zuweilen führt die Unterhandlung über die Mitgabe +selber noch zum Streit, und ein von der einen Seite begehrter, von +der andern verweigerter »Raupe« oder junger Stier kann Anlaß zu einem +Bruche werden, der nur allenfalls durch flehentliches Zureden der +jungen Leute wieder zu heilen ist. Wenn nämlich der Vater des Burschen +nach wiederholter vergeblicher Aufforderung zu dem des Mädchens sagt: +»Ich hätt' nicht geglaubt, daß du ein so intressirter Mensch wärst! +Wahrhaftig, schämen thät' ich mich« u. s. w. so kanns dieser krumm +nehmen, zornig werden, auf den Tisch hineinschlagen, daß die Krüge +wackeln und die Gläser umfallen, und erbost ausrufen: »Was? ich hab' +für mein Mädle so viel gethan, daß ich's vor meinen andern Kindern gar +nicht verantworten kann, und du willst mir so kommen? Himmel-Kreuz« u. +s. w. u. s. w.</p> + +<p>Im gegenwärtigen Falle war dergleichen freilich nicht zu fürchten. +Die Angerbauersleute waren zu vornehm, als<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> daß sie hätten markten +sollen; auch lagen die Verhältnisse anders als gewöhnlich. Als man +sich nun Nachmittags in der obern Stube des Angerbauers versammelt und +den Getränken und Backwerken der Bäuerin die gebührende Ehre angethan +hatte, setzte man sich zu einer Verhandlung, die nicht allzuviel Zeit +in Anspruch nahm. Der Protokollführer war der Schullehrer des Dorfs, +einer von der alten Gattung, ein Mann von etwas über fünfzig Jahren, +der sich noch »Schulmeister« nennen hören konnte und weniger nach +Ehre als nach einer guten Nahrung trachtete, im übrigen seinem Amte +wohl vorstand. Nach einer würdigen Einleitung des Angerbauers wurde +ausgemacht, daß Annemarie dem Ludwig ihr Vermögen von 2900 Gulden +(bei Nennung dieser Summe nickte der Schullehrer dem Bauer, den er +kannte, höflich bedeutsam zu, als wollte er sagen: »Alle Achtung!«) +und Ludwig der Annemarie seinen Hof anheirathe, mit Allem darin, +wie es geht und steht. Der Bäcker machte die Bemerkung, daß man bei +solchen Gelegenheiten zuweilen auch einen »Rückfall« bedinge, wenn +nämlich eines der Eheleute sterben sollte, ohne daß Leibeserben +vorhanden wären. Ludwig, der sah, daß der Alte damit seinem Vater +entgegenkommen oder ihn versuchen wollte, sagte rasch: »Wir hoffen mit +Gottes Hülfe zu leben und wollen für so einen Fall nichts ausmachen. +Wenn ich sterbe, dann gehört der Hof meinem Weib, wie umgekehrt mir +ihr Vermögen. Anders thut's mein Vater nicht.« Der Angerbauer schwieg: +er hatte die Möglichkeit vor Augen, daß Annemarie als kinderlose +Wittwe die Eigenthümerin des Hofes werden und ihn durch eine zweite +Heirath an eine andere Familie bringen könnte. Ludwig rief aber: »Nicht +wahr, Vater?« und der Bauer antwortete: »Ja, ja, darüber bedingen wir +nichts.« Sein Gesicht sah indeß nachher aus, als wollte er sagen: »Das +macht mir so leicht keiner nach!«</p> + +<p>Als das Nöthige besprochen war, setzte der Schullehrer die +verschiedenen Punkte auf, las sie feierlich in einer Art von +Predigerton vor und reichte die eingetauchte Feder zum Unterschreiben. +Als dieß von allen nach der Reihe vollzogen war, ergriff Ludwig die +Geliebte rasch bei der Hand und hielt und drückte sie, als ob er sie +nicht mehr loslassen wollte. Gerührte Glückwünsche ertönten von allen +Seiten.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span></p> + +<p>Unterdessen war der Abend gekommen und nun sollte erst die rechte +Festlichkeit angehen. Nicht umsonst waren die Angerbäuerin und ihre +Tochter wiederholt ab und zu gegangen. Eine Magd erschien mit zwei +brennenden Kerzen in spiegelblanken Messingleuchtern; die Tafel +wurde abgeräumt, mit einem schöngewirkten Tischtuch überzogen und +gedeckt. Je zwei Teller von Steingut, silberne Bestecke (die, nebenbei +gesagt, zum Theil der Schmalzbäuerin gehörten) und sogar Servietten +oder »Salveater« ließen auf ein tüchtiges Mahl schließen, was der +Schullehrer mit großem Interesse zu bemerken schien. Im Schein der +Lichter, die auf der Tafel prangten, sah die schöngeweißte, nett +gehaltene Stube sehr heimlich aus.</p> + +<p>Nicht lange, so erschien die ganze Familie, und am Ende der Pfarrer +mit seinem Neffen. Nachdem sich der Sturm der üblichen Glückwünsche +einigermaßen gelegt hatte, fand sich der Pfarrer an der Seite der +Verlobten. Er fragte: »Nun, bist du zufrieden, Annemarie?« — »O, Herr +Pfarrer!« erwiederte das Mädchen in einem Tone, der mehr sagte als jede +Versicherung. — Der alte Herr sah sie liebevoll heiter an und sagte: +»Die Tugend, scheint's, ist doch auch etwas in der Welt werth und kann +auch zu etwas führen! Das Geld und der Stand sind doch nicht alles!« +— Das Mädchen ward roth und erwiederte: »Ich schäme mich der Reden, +die ich damals geführt hab'. Ich bin tausendmal glücklicher, als ich's +verdiene.« — Der Geistliche nickte beifällig und bemerkte: »Auf diese +Art holst du nach, was dir fehlt.«</p> + +<p>Als er kurz darauf allein dastand und mit frohen Blicken die +Gesellschaft übersah, machte sich der Angerbauer an ihn und sagte: +»Sie freuen sich, Herr Pfarrer, und haben auch alle Ursache dazu; an +dem heutigen Tag sind doch eigentlich Sie Schuld.« — »Ich?« fragte +der Pfarrer. — »Sie,« versetzte der Bauer. »Sie mischen sich nicht +in Familienangelegenheiten? Ja freilich: ungeschickt nicht, aber +geschickt.« — Der alte Herr fragte mit liebenswürdiger Schalkheit: +»Hab' ich's nicht recht gemacht?« — Der Bauer drückte ihm die Hand und +rief: »Recht gemacht haben Sie's, Herr Pfarrer!«</p> + +<p>Es versteht sich von selbst, daß es die Gastgeber während des +Tafelns an keiner Aufmerksamkeit fehlen<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> ließen und namentlich das +schickliche »Nöthigen« nicht vergaßen. Am meisten Höflichkeit wurde +dem Pfarrer erwiesen, der Gegenstand der freundlichsten und zartesten +Ehrenbezeugungen war aber Annemarie. Ihr wurden die besten Bissen auf +den Teller gelegt, und wenn ihr zugeredet wurde, nahmen die Stimmen +den weichsten und sanftesten Ton an. Man fühlte, daß bei ihr etwas gut +zu machen sei, und that mehr und that es besser, als man es für eine +reiche Schwiegertochter gethan hätte. Alle Liebe, welche diese Leute in +sich hatten, kam gegen das Mädchen heraus, und der Pfarrer sah seinen +Enkel, der es zu bemerken schien, mit einem bedeutsamen Blick an.</p> + +<p>Annemarie aß wenig und gegen das Ende der Mahlzeit wurde sie still +und stiller. Ihre Seele war in die Vergangenheit gerichtet. Sie dachte +an ihre Liebe und ihre Noth, an ihre Bitterkeit und ihre Klagen, +und wie sich alles das in unendliches Glück aufgelöst. Sie dachte +an die Feindschaft, unter der sie gelitten, und die sich nun in die +zärtlichste Freundschaft umgewandelt. Als ihr der Angerbauer von dem +eben zerschnittenen Kuchen das schönste Stück überreichte, machte die +Güte und die Achtung in seinem Blick einen solchen Eindruck auf ihr +erweichtes Herz, daß ihre Augen sich mit Thränen füllten. Sie aß ein +Stückchen, um die Gabe zu ehren, aber der Strom der Wehmuth war im +Gange, das übervolle Herz mußte sich entlasten und unaufhaltsam brachen +ihre Thränen hervor.</p> + +<p>Alles sah auf sie, ernst, bewegt; die meisten begriffen den Grund +dieser Thränen. Es entstand eine feierliche Stille. Ludwig drückte +der Geliebten auf's zärtlichste die Hand, die Augen der Frauen wurden +feucht. Der Angerbauer saß in tiefem Ernst da und in seinen Blicken +entzündete sich ein Feuer, das den Pfarrer beinahe noch mehr ergriff, +als das Antlitz der Braut. Niemand wollte das Wort nehmen, und der +Pfarrer dachte endlich selber daran, durch eine passende Bemerkung +einen Uebergang zu unbefangener Unterhaltung herbeizuführen, als ihm +ein anderer zuvorkam. Johannesle hatte die weinende Annemarie bisher +staunend angesehen; wie die Thränen kein Ende nahmen, sondern wieder +und wieder aus ihren Augen flossen, stand er auf, ging zu ihr und +sagte mit dem ehrlichsten Tone von der Welt: »Warum weinst du denn, +Annemarie? Du hast ihn ja jetzt!« Diese naive Rede rief auf dem Gesicht +des Mädchens ein sanftes Lächeln hervor und eine<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> milde Heiterkeit in +der Gesellschaft. Annemarie sagte mit gütevoller Stimme: »Du wirst's +auch noch verstehen lernen, Kind, warum ich wein'! Aber jetzt will ich +aufhören.« Und sie trocknete ihre Thränen.</p> + +<p>Als der Pfarrer mit seinem Enkel nach Hause ging, fragte er, wie +ihm heute der Angerbauer und seine Frau gefallen hätten. Theodor +erwiederte: »Ich bin ganz erstaunt über sie; nie hätt' ich ihnen +zugetraut, daß sie so gut und so wahrhaft zart sein könnten.« — »Du +siehst also, daß du früher nicht ganz Recht hattest, diesen Mann, weil +er im Zorn grobe Reden ausstieß, ohne weiteres für roh zu erklären, und +wirst künftig mit deinem Urtheil behutsamer sein.«</p> + +<p>Nach sechs Wochen fand die Hochzeit statt. Es war nur Eine Stimme über +die Schönheit der Predigt, die Andacht des Brautpaars, ihren prächtigen +Anzug, das vortreffliche Mahl, wobei die Wirthin des Dorfs sich selbst +übertraf, und das große, große Vergnügen. Die Musikanten hielten eine +Ernte, wie seit Jahren nicht. Der Höhepunkt des Festes war übrigens der +Moment, wo der Angerbauer in der Laune des Weins bewogen wurde, drei +Reihen allein mit der Braut zu tanzen. Er drehte sich taktfest, aber +etwas steif herum, und sein Gesicht drückte eine so eigene Mischung von +Galanterie und Selbstgefälligkeit aus, daß ein paar ältere Weiber, mit +denen er in seiner Jugend zu tanzen pflegte, nicht umhin konnten, sich +spöttisch lächelnd anzusehen, als wollten sie sagen: »Der alte Narr! +Wenn man ihm das vor einem Vierteljahr gesagt hätte!« Der Angerbauer +hörte dieß natürlich nicht, da es überhaupt nicht gesprochen wurde. Als +er daher unter großem Beifall den letzten Reihen geendet hatte, konnte +er in ungestörter Freude seiner Tänzerin ein Glas Wein präsentiren und +dann zu einem Vertrauten sagen: »Daß die Hochzeiterin am schönsten +tanzt, hab' ich gesehen; daß sie aber auch am besten tanzt im ganzen +Dorf, das kann ich jetzt aus Erfahrung bezeugen. Ueberhaupt: mein +Ludwig ist nicht dumm gewesen!«</p> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span></p> + +<h2>Die Lehrersbraut.<br> +<span class="s5">I.</span></h2> +</div> + +<div> +<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-i.jpg" id="drop-i.jpg"> +</div> + +<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">I</span>n einem +Dorfe mitten im Ries, in einem hübschen Hause, wohnten +glückliche Leute — Mutter, Tochter und Vetter. Sie waren gesund und +verhältnißmäßig, d. h. nach ihrem Stande, wohlhabend. Die Mutter von +ruhigem Temperament, mehr geneigt sich am Angenehmen zu freuen, als aus +verdrießlichen Dingen, wie sie im Leben vorkommen, sich viel zu machen; +die Tochter, Christine, hübsch und wohlgemuth; der Vetter, Hans, wacker +und thätig, ein guter »Baur« — wie man das im Ries nennt — und »ein +rechter Schaffer.«</p> + +<p>Ein eigentlicher Bauer im Sinne der dörflichen Rangordnung war Hans +freilich nicht; das war aber auch der verstorbene Glauning, der Vater +der Christine, nicht. Erst Söldner und Weber hatte sich dieser durch +ächt Rieserische Arbeitsamkeit und Sparsamkeit zu einer Mittelstellung +zwischen Söldner und Bauer emporgearbeitet. Das Weberhandwerk wurde +aufgegeben und nur im Winter noch zum Wirken des eigenen Garnes +betrieben, um so fleißiger den Geschäften des Ackerbaus<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> und der +Viehzucht nachgegangen. Es gelang dem stillen, ruhig fortarbeitenden +Manne, das Unglück eines Brandes, der nebst sechs andern auch sein +strohgedecktes Haus in Asche legte, zu überstehen, ein neues, +bequemeres, plattengedecktes an seine Stelle zu setzen, und bei seinem +Tode der Wittwe ein respektables Anwesen zu hinterlassen: das Haus +mit Wohnung, Stall und Stadel in Einem Bau, vier Kühe mit Nachzucht, +fünf Schweine, einen schönen Baumgarten, zwei »Dawert« (Tagwerke) +Wiesen und vier Morgen »in ein Feld« — also, wer das nicht verstehen +sollte, zwölf Morgen Ackerland. Allerdings war dieses »schöne Sach« +nicht schuldenfrei; der alte Glauning hatte eine runde Summe aufnehmen +müssen, um die runde Zahl von Morgen Landes zu erhalten, die im +Ries mehr bedeuten wollen als anderswo. Aber der Hauptgläubiger war +gegenwärtig — Vetter Hans.</p> + +<p>Hans Burger — denn der Mann verdient, daß wir seinen ganzen Namen +nennen — war vom nächsten Dorfe, Sohn des dortigen Schmieds. Er +wurde von dem Vater in seinem Handwerk unterwiesen; aber trotzdem, +daß ihm ein paar Arme verliehen waren, die im Nothfall den Ambos in +Stücke schlagen konnten, hatte er für seine Person doch mehr Freude +am »Bauernhandwerk.« Nach dem Tode seiner Eltern führte er die kleine +Oekonomie und nahm Hammer und Zange nur als Gehülfe seines Bruders in +die Hand. Dieser konnte zu eben der Zeit, wo der alte Glauning starb, +»einen guten Heirich« (gute Heirath) machen. Hans überließ ihm Schmiede +und Oekonomie, nahm seinen Vermögenstheil heraus und ging zur Base +Glauning, um ihr die Wirthschaft zu führen. Christine<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> war damals noch +nicht ganz fünfzehn Jahre alt; demungeachtet wollte man bemerken, daß +der Vetter sie verstohlenerweise schon mit ganz besondern Augen ansehe.</p> + +<p>Drei Jahre gingen in's Land. Christine wuchs heran und wurde nach +den Begriffen des Dorfs immer schöner. Mittelgroß, rund, aber +von angenehmer Rundung, das gutmüthige, ruhig vergnügte Gesicht, +dessen Linien nicht ohne eine gewisse Anmuth waren, frischroth mit +bräunlichem Hauch, die Zähne regelmäßig und weiß — konnte man +sie einem Apfel vergleichen, der untadelich gereift eben vom Baum +genommen wurde. Damals war unter den Rieser Bauernmädchen noch nicht +die Mode aufgekommen, die Haare doppelt zu scheiteln und auf beiden +Seiten herunterzukämmen, wodurch sie sich jetzt ein städtisches, +vornehmeres Ansehen zu geben suchen. Das Haar wurde von der Stirn +an zurückgestrichen und gegen die Mitte des Kopfes zu von dem +landesüblichen Käppchen bedeckt. Das ließ einfacher, munterer, und +stand besonders Gesichtern, wie Christine eines hatte. Am hübschesten +erschien diese, wenn sie an heiterem Sommertag, in weißen Hemdärmeln +und den Rechen in der Hand, auf die Wiese ging, ohne eine Ahnung von +Sorge, in Fülle körperlichen Wohlseyns schwimmend und gänzlich der +frohen Gegenwart hingegeben. Aus dem runden Gesicht blickte zugleich +ein eigenthümliches Selbstgefühl heraus, und das hatte seinen guten +Grund.</p> + +<p>»Die schöne Christine« hieß sie im Dorf. Nur eine Bauerntochter konnte +mit ihr noch verglichen werden; aber da diese »so eine rahnenge« +war, nämlich allzu schlank, so erhielt Christine von den bäuerlichen +Schönheitsrichtern den Vorzug. Die jungen Bursche<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> tanzten gern mit ihr, +und wenn einer sie an der Hand im Reihen führte, sang er wohl auch den +Musikanten Schelmenliedchen vor, ihr zu Ehren. Aus dem Stegreif zu +dichten, ist die Sache des Rieser Burschen nicht, solche Talente sind +dort Ausnahmen; dagegen weiß er bekannte Lieder passend anzubringen und +damit, ähnlich dem gelehrten Schriftsteller, der eine öfters citirte +klassische Stelle wieder citirt, auf bescheidene Weise elegant zu +werden. Wenn ein tüchtiger Kerl, mit Christine herumgehend, sang:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Macht mer 'n Walzer auf,</div> + <div class="verse indent0">Der a weng luste geht,</div> + <div class="verse indent0">I hab' a Tänzere,</div> + <div class="verse indent0">'Sist der Müh werth —</div> + </div> +</div> + +<p>dann im Takt strampfend schmunzelte, so gewann das oft gehörte Liedchen +wieder Bedeutung. Einige Zuschauer konnten lächeln und irgend ein alter +Bekannter der Christine gemüthlich zurufen: »Ja, ja, so isch — sott +(solche) git's net viel!« Als unter den zuschauenden Weibern einmal +die noch immer stattliche Wittwe Glauning vornean stand, machte es der +zufällige Tänzer der Christine noch besser; er sang, indem er<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> dem Liede +durch Gesichtsausdruck und Blick Sinn verlieh:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">A schneaweißa Däube (Täubin),</div> + <div class="verse indent0">A schwarzer Dauber;</div> + <div class="verse indent0">Und wann d'Mueter schön ist,</div> + <div class="verse indent0">No<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> wurd d'Tochter sauber.</div> + </div> +</div> + +<p>Bei dieser Gelegenheit war die Heiterkeit der Mutter noch um vieles +lebhafter, als die der Tochter, die an solche schöne Dinge schon +gewöhnt war. — All die Huldigungen aber, die sie erfuhr, gaben +dem Wesen des Mädchens nach und nach eine vergnügte Sicherheit, +Wohlgefälligkeit, und, wenn man dieses Wort in den Grenzen ländlicher +Möglichkeit verstehen will, einen Ausdruck von Huld, der ihr ganz gut +stand, aber auch mehr hinter ihr vermuthen ließ, als vorläufig noch +hinter ihr war.</p> + +<p>Das Gefühl der Huld wurde in Christine vorzugsweise durch Hans genährt. +Beichten wir in seinem Namen ohne Umstände. Hans hatte sich allerdings +schon in die noch nicht Fünfzehnjährige versehen und nach einem Besuch, +kurz vor dem Tode des alten Glauning, ernsthaft zu sich gesagt: »Des +wurd (wird) a Mädle für mi!« Die Hoffnung seines Herzens hatte großen +Antheil an seinem Entschluß, der Base die Wirthschaft zu führen; sie +belebte sein ganzes Wesen und machte ihm die Bauernarbeit noch viel +lieber, als sie ihm ohnehin war. Bald freilich trat neben dieser +Hoffnung auch eine gewisse Furcht hervor; sie steigerte sich, als +Christine zu dem Glanz ihrer ländlichen Reize heranwuchs, und erzeugte +das Gefühl und den Humor der Entsagung, dem<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> sich der gute Bursche mit +der halben Lust einer treuen, opferfähigen Seele hingeben konnte. +»Ja, ja,« sagte er dann wohl mit einem Seufzer, »i sig (sehe) scho, +die krieg i net; die ist z'schöa' für mi!« Aber dieses Gefühl konnte +natürlich nicht dauern; nach einiger Zeit kam auch die Hoffnung wieder +und er ermuthigte sich mit der Bemerkung: »Was doh (da)! A Bursch wie +ih kann oh a schöns Weib kriega'; des ist scho oft vorkomma'!« Dann +wich der Ernst aus seinem Gesicht, er wurde herzensvergnügt und that +der Mutter und der Tochter noch eifriger alles zu Liebe. Aber er fand +nicht den Muth, mit Christine von seiner Liebe zu reden.</p> + +<p>Die Leserinnen dieser Erzählung haben schon errathen, wo es bei +unserem Freund haperte. War Stand und Vermögen gleich und das Herz +des Liebhabers doch ohne Zuversicht, so mußte es mit der Figur +nicht zum besten bestellt sein. Und das können wir allerdings nicht +leugnen. Hans gehörte unter den ledigen Burschen nicht zu den +Schönen, und auch nicht zu den Lustigen, die sich bei festlichen +Gelegenheiten »recht aufführen« können, auf diese Art den Mangel +besonderer Schönheit decken und den Mädchen ebenfalls in die Augen +stechen. Er war untersetzt und etwas krummbeinig. Seine Arme haben +wir charakterisirt; auf seinen Schultern konnte er ohne Anstrengung +ein »Schahf« (Scheffel) Korn tragen. Sein Gesicht war breiter, als +man's liebt, und die Nase nicht ganz regelmäßig, die Farbe für einen +noch in den Zwanzigen befindlichen Menschen zu braun. Eines war schön +an ihm: seine treu blickenden, braunen Augen. Sie waren sogar sehr +schön und ihr Glanz hatte einen rührenden Reiz, wenn er<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> heimlich in +gutmüthigster Liebe einen Blick auf Sie warf. Nur Schade, daß er dies +immer bloß heimlich that, und wenn er ihr offen ins Gesicht sah, in +den Grenzen einer freundschaftlichen Herzlichkeit blieb, die wohl +einen angenehmen Eindruck macht, aber keinen Zauber ausübt, wie es der +Blick der Leidenschaft vermag. Hätte er sie im rechten Moment einmal +so angesehen, wie er es heimlich zu thun pflegte, dann wäre ihr Herz +vielleicht geschmolzen und ihr Gesicht hätte einen Ausdruck erhalten, +der ihm den Muth gegeben hätte, mit seinem Anliegen hervorzugehen und +die Schöne zu erobern. Dann hätten wir freilich auch unsere Geschichte +nicht schreiben können.</p> + +<p>Noch eins war, ich will nicht sagen schön an Hans, aber proportionirt +und nicht zu tadeln: der Mund und seine mannhaften Zähne. Wann er bei +seinen Kameraden im Wirthshaus saß und in der Laune, die das braune +Bier erweckte, gutmüthig über andere und sich selber Spaß machte, +dann umspielte seine Lippen ein humoristisches Lächeln, das ihm sehr +gut stand und dem ganzen Menschen etwas Angenehmes gab. Das Gesicht +glänzte, und sogar die Zähne, die zur Hälfte zwischen den geöffneten +Lippen hervorsahen, schimmerten Heiterkeit. Aber auch in diesem Vorzug +konnte er sich nie vor der Geliebten zeigen. Einmal wollte er eine +lustige Geschichte, die im Wirthshaus großen Beifall gefunden hatte, zu +Hause wieder erzählen. Als aber Christine aufmerksam horchte und nicht +gleich vergnügt aussah, wo nach seiner Ansicht das »G'spässige« der +Geschichte schon begonnen hatte, brachte ihn die Furcht, sein Ziel zu +verfehlen, in Verwirrung; er verpfuschte das Ende und wies ein Gesicht, +das eher geeignet war Mitleiden als Heiterkeit einzuflößen. »'Sischt +doch<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> grad,« sagte er darauf im Kuhstall, den er nach seiner Niederlage +aufgesucht hatte, »als wann's der Deufel g'macht hätt'! Im Wirthshaus +ka'n es, und derhoe'mt (daheim) ka'n es net und stell me a' wie a'n +Esel!« Als ihm hier eine Kuh, die nach Futter verlangte, diesen ihren +Wunsch durch eine Kopfbewegung und einen Blick zu erkennen gab, die er +sogleich verstand, sagte er: »Ja, ja, du sikscht (siehst) g'scheider +drei' und host meaner Segel im Hihra (mehr Grütz im Kopf) als ih!« +Gleichsam um das Vieh für seinen Verstand zu belohnen, gab er ihm etwas +extra. Bei sich selber aber beschloß er fest, seine Geschichten künftig +nur im Wirthshaus zu erzählen.</p> + +<p>Sein Gefühl, das so sträubig war, sich in der Gestalt von Worten +zu offenbaren, bewies der gute Hans um so mehr durch Thaten. Die +Wirthschaft besser zu führen, als wenn's seine eigene gewesen wäre, +die Aecker herzurichten wie Gartenland, Korn und Vieh auf dem Markt +zum höchsten Preis zu verkaufen, und im Hause der Geliebten Freude zu +machen durch Erfüllung ihrer Wünsche, die sie entweder aussprach oder +die er ihr an den Augen ansah, das war seine Sache. Im Uebrigen wollte +er — warten. »'S macht se villeicht amohl von o'gfohr« (von ungefähr), +dachte er und tröstete mit dieser Möglichkeit sein ungewisses Herz. +Sein Zögern hatte auch noch einen Grund, den die Leser ganz vernünftig +finden werden. Eins in's andere gerechnet, war sein Verhältniß zu +Christine für ihn auch jetzt schon eine Quelle von Vergnügen. Mit ihr +die ländlichen Arbeiten zu verrichten, wie die Jahreszeit sie brachte, +das Heu »zusammenzuschlohen« oder das Korn zu sammeln, auf dem Wagen +die Garben von der Gabel zu nehmen, die ihre rüstigen Arme ihm entgegen +streckten, und ihn so schön und gleichmäßig zu laden, daß sie ihn +bewundern mußte; im Winter mit ihr zu dreschen und seinen Flegelschlag +nach dem ihrigen kräftiger »auf dem Tennen« erschallen zu lassen; +Abends mit ihr und der Base zu schwatzen, Rath zu halten über die +Arbeiten des folgenden Tages, über Kauf und Verkauf; namentlich aber, +vom Markt heimgekehrt, ihnen aus dem ledernen Gurt das Geld vorzuzählen +und Lob dafür zu empfangen, daß er wieder so viel gelöst habe — dieß +und anderes, wie es der Verkehr in einem Haus und Geschäft mit sich +bringt, war für ihn<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> eine Kette von Freuden, Labsal und Trost für alle +Unbilden, die er erfuhr oder im zweifelnden Herzen sich selber anthat. +Sollte er nun das alles auf's Spiel setzen, indem er Christine zum Weib +verlangte und eine abschlägige oder auch nur eine ausweichende Antwort +erhielt? In diesem Fall mußte er das Haus verlassen, oder wenn er +blieb, war ihm die Freude verdorben und jede fernere Werbung untersagt. +Hans — das haben wir nun hoffentlich schon klar gemacht — war kein +gewöhnlicher Mensch; er hatte seinen Kopf und sein Ehrgefühl.</p> + +<p>Und sie, die schöne Christine? Unstreitig werde ich nicht nöthig haben +den Leserinnen erst noch ernsthaft zu versichern, daß <em class="gesperrt">sie</em> gar +wohl wußte, wie es mit dem Herzen des guten Burschen stand. Wo gäbe +es ein hübsches Mädchen, die hier nicht sogleich Bescheid wüßte? +Ich kann sogar verrathen, daß Christine schon als Fünfzehnjährige, +nachdem sie ihn einmal auf einem gewissen Seitenblick ertappt, von +dem Stand der Dinge gleich eine sehr entschiedene Ahnung hatte. Aber +ein unausgesprochenes Gefühl hat auch für die einfache Schöne das +Gute, daß es zugleich vorhanden und nicht vorhanden ist. Sie kann ihm +gegenüber ihre Gedanken ebenfalls unausgesprochen lassen und thun, als +ob es nicht existirte, während es schon diplomatische Geistesbildung +erfordert, auch das ausgesprochene Gefühl zu ignoriren. Christine +sah, wie sie den Vetter am Schnürchen hatte, und freute sich darüber. +Es gefiel ihr besonders, daß er so bescheiden war, daß er sie nicht +nöthigte, Ja oder Nein zu sagen, sondern ihr die Freiheit ließ, in +der sie sich immer noch so wohl fühlte. Sie hatte eine Empfindung, +wie sie bekanntlich auch schöne junge Damen haben, die es ebenfalls +höchst reizend finden, eine Zeitlang als erstrebenswerthes Gut zu +glänzen, bevor sie ihre Macht und Freiheit an einen Einzelnen hingeben. +»Den kannst du haben und am Ende glücklich mit ihm leben,« dachte die +gute Christine, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, wenn sie sich +vorstellte, wie glücklich sie den Vetter machen könnte, wenn sie ihm +entgegenkäme. »Aber es hat noch Zeit,« rief es dann in ihr; — »wer +weiß!« —</p> + +<p>Aehnlich dachte die Mutter. Daß sie für ihre Tochter einen Mann haben +konnte, brav, in der Arbeit geschickt und in seiner Art<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> vermöglich, +war gut. Aber wer konnte sagen, ob ihrer Christine nicht noch was +Besseres, vielleicht was viel Besseres anstand? »Es hat noch Zeit,« +war darum auch ihr Refrain, wenn sich beide mit einander über diese +Angelegenheit besprachen. Einmal setzte sie hinzu: »Du därfst aber oh +nex thoa', daß 'r verschächt wurd (verscheucht wird)!« Und Christine +antwortete: »Des fällt mer net ei'! Er hätt's oh net om mi verdea't!« +Und sie folgte ihrer Natur und traf in ihrem Sinne das Rechte: sie +bewies gegen Hans eine Freundlichkeit, die seinem Wunsche die Aussicht +auf das Ziel freiließ, ohne sie selber zu verpflichten.</p> + +<p>Aus diesen Gründen nannten wir im Eingang unserer Erzählung die drei +Leute glücklich. Hans war es durch seine Liebe, durch seine Herzensgüte +und seine Hoffnung. Mutter und Tochter waren es durch ihre behagliche +Existenz, durch die Ehre, die ihnen widerfuhr, durch die Sicherheit, +die ihnen Hans gewährte, und durch die Macht, die ihnen gegeben schien. +Das Glück des Hans war nun freilich um vieles löblicher, als das seiner +beiden Verwandten; allein ich wünschte doch nicht, daß Christine zu +streng beurtheilt würde. Sie schätzte den Vetter nur, sie liebte ihn +nicht; sollte sie ihm nun entgegenkommen und sich binden ohne Noth? Und +daß die Mutter aus bewußter, die Tochter aus instinktmäßiger Vorsicht +den wackern Burschen für dem Nothfall bewahrt zu sehen wünschten, das +wollen wir zwar nicht bewundernswürdig finden, aber — aus Galanterie +— auch für keine Todsünde halten.</p> + +<p>Ein solcher Zustand kann nicht dauern, und soll es auch nicht. Die +unentschiedene Seele sieht sich auf einmal in eine Lage versetzt, wo +sie ein bestimmtes Ziel vor sich hat, welches alle ihre Wünsche an sich +reißt. Und nicht nur das Erreichen, auch das Erstreben dieses Ziels +kann das bisherige Glück trüben und alteriren.</p> + +<p>Als Christine das achtzehnte Jahr hinter sich hatte, kam, was Hans in +den Stunden der Sorge befürchtete. Es trat ein Nebenbuhler auf.</p> + +<p>Im selbigen Winter gab es zwei Hochzeiten, die im Wirthshaus gefeiert +wurden, also zwei Tanzgelegenheiten. Bei der ersten ging Christine +mit Hans und einer Kamerädin auf den »Ansing.« Wie<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> man ohne Zweifel +schon aus seinem ganzen Charakter vermuthet, war das Tanzen die Stärke +des Hans nicht. Er hatte keine Freude daran, er leistete auch nichts +Rechtes darin und bequemte sich darum auch nur höchst selten dazu. An +diesem Ansing tanzte er nur ein paar Reihen, weil ihn Christine in +Folge der Koketterie, mit der hübsche Mädchen bescheidene Liebhaber +zuweilen auch unversehens beglücken wollen, selber dringend dazu +aufgefordert hatte. Nachdem er das Nöthige gethan zu haben glaubte, +bedankte er sich und sagte zu ihr mit gutmüthigem Lächeln, sie möge +sich den Abend nur recht lustig machen, vor ihm habe sie nun Ruhe. +Sie versetzte: »Was schwätscht ietz doh widder! 'S wär' koë Wonder, +i tanzet net geara' mit d'r!« Dann aber gab sie doch vergnügt einem +flinkeren Burschen die Hand, der schon auf sie gelauert hatte. Hans +belohnte sich für seine Anstrengung durch einen tüchtigen Trunk und +stellte sich in eine Ecke, um der Lustbarkeit zuzusehen. Das war ihm +lieber als selber mitzumachen, d. h. wenn Christine tanzte. Er freute +sich auch jetzt wieder, wie schön sie's konnte und wie sie ordentlich +»das G'rihß hatte« (wie man sich um sie riß).</p> + +<p>Als später der stattliche Sohn eines reichen Bauern auf den geringern +Burschen, der sie eben im Reihen führte, zuging und zu ihm sagte: +»Komm, loß me oh a weng mit der Christine danza! Du host ietz gmuag +(genug)!« — sie dann ohne viel Umstände nahm und nach einigen Worten, +die er an sie richtete, strampfte und den Kopf schüttelte, daß das +grünseidene Quästchen auf der Fischotterkappe baumelte, da war Hans im +Namen der Geliebten stolz auf die Ehre, die ihr widerfuhr; denn jener +Bursche war dermalen der »fürnemste« im ganzen Dorf, und der Gute +fühlte sich selbst geschmeichelt, daß so einer sie aufzog und, wie es +schien, das Tanzen mit ihr gar nicht hatte »verwarten« können. Bald sah +er auch, daß der schöne »Hansirg« (Hansjürg) sie wirklich recht gern im +Arm oder an der Hand haben mußte. Er tanzte lange mit ihr, so lange, +bis ihr die Schweißtropfen an der Schläfe standen und über die rothen +Backen herunterperlten. Dann führte er sie zu einem Trunk in die Stube.</p> + +<p>Alles das war in der Ordnung und wurde von Hans auch durchaus so +gefunden. Als aber beide nicht lange nachher wieder mit einander<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> +herauskamen, um sich herumzudrehen, da freute er sich plötzlich nicht +mehr. Er sah, wie der Bursche schon mit einer gewissen Vertrautheit +sprach, dabei ganz eigenthümliche Augen machte und die Stimme dämpfte, +so daß er seine Worte nicht verstehen konnte, und das Blut stieg ihm +in's Gesicht. Er mußte sich alle Mühe geben, sich nichts »anmerken« +zu lassen; und um dieß besser zu können, ging er in die Stube, setzte +sich an seinen Tisch und fing ein Gespräch an. Früher, als er glaubte, +kam Christine zurück und sagte zu ihm und zu der Kamerädin: »So, nun +will ich ausschnaufen, nachher gehn wir heim; für heut ist's gnug!« +Ein Stein fiel dem guten Burschen vom Herzen. Er wußte nicht, daß der +»Fürneme« in seiner plötzlichen Zärtlichkeit etwas zu weit gegangen, +Christine böse geworden war und sich ihm entzogen hatte, d. h. daß die +Sache für ihn, den Hans, immer noch sehr gefährlich stand.</p> + +<p>Die zweite Hochzeit folgte wenige Wochen darauf. Christine war entfernt +mit der Braut, der reiche Bauernsohn mit dem Bräutigam verwandt, und +beide gingen als Gäste auf die Hochzeit. Durch die Miene des Trutzens, +die Christine gegen ihn annahm und in der sie ihm noch viel schöner +vorkam als letzthin, wurde der Bursche auf's neue gereizt. Er bat sich +mit höflicher Miene ein paar Reihen aus, und sie konnte es ihm nicht +abschlagen. Während des Tanzes fand er Gelegenheit, sie zu besänftigen +und Vergebung zu erhalten. Er war voll Freude, setzte sich in der Stube +neben sie, ließ eine Flasche Wein kommen, trank und »juxte« (jauchzte), +tanzte wieder, und so gings mit wenigen Unterbrechungen fort bis zum +»Obedmohl.« Bedenken wir, daß dieser Bursche, abgesehen von dem Reiz, +den er als der Sohn des vielleicht wohlhabendsten Bauern im Dorfe +hatte, hübsch, hochgewachsen, geschickt und ein vortrefflicher Tänzer +war, daß seine Zärtlichkeit ihm von Herzen ging und die Schmeicheleien +aus seinem Munde für Christine etwas außerordentlich Wohlklingendes +hatten, so werden wir es natürlich finden, daß das Herz des Mädchens +nach und nach erweicht wurde und eine Hoffnung in ihr aufflammte, die +sie berauschte. In dieser Hoffnung, in der süßen Aufregung ihres Innern +wurde sie so schön, daß das Herz auch des Burschen völlig schmolz und +er sich förmlich in sie verliebte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span></p> + +<p>Nach dem Mahl begab sich Christine nach Haus. Sie fühlte, daß es +für heute genug sei, ging nicht mehr auf den Ansing und vertraute +ihre Tageserlebnisse mit Auswahl der Mutter. Der junge Bauer blieb, +theilte im Rausch der Liebe und des Weins sein Glück einem Kameraden, +dem Bruder der Hochzeiterin, mit, schwur, daß er keine andere möge +als Christine, und daß er sie heirathen werde. Als der Kamerad ihn +an den Stolz seines Vaters erinnerte, entgegnete der Verliebte, sein +Vater habe ihm nichts zu sagen, was <em class="gesperrt">er</em> wolle, müsse geschehen. +Christine bekomme so viel wie manche Bauerntochter und ihre Schönheit +sei nochmal so viel werth. Wenn er auch reichere haben könnte, auf's +Geld sehe er nicht, das kriege er selber genug. Sein Vater solle ihm +nur kommen — Himmel-Kreuz-Tausend — er werde es ihm schon sagen u. s. +w.</p> + +<p>Auch der andere Morgen, das Getöppel der Seinigen, die sein gestriges +Benehmen für ein Plaisir ansahen, das er sich gemacht, auch das ruhige +Bedenken der Verhältnisse kühlte seine Glut nicht. Er hatte sich den +Gedanken in den Kopf gesetzt, und ein Mann wie er mußte seine Sache +durchführen. Am folgenden Sonntag nach dem Essen kehrte er unerwartet +mit dem Kameraden bei Christines Mutter ein. Hans hatte schon munkeln +hören und war in trüber Stimmung. Als die beiden stattlichen Bursche +in die Stube traten, sah er sie mit einem Gesicht an, auf dem kein +Willkommen zu lesen war. Und wie er nun die Freude sah, mit der die +Base und Christine die Gäste empfingen, die Geschäftigkeit, womit +sogleich in's Wirthshaus nach braunem Bier geschickt wurde und die Base +sogar Kaffee machen wollte — in einem Hause, wo immer nur Milchsuppe +gefrühstückt und der Kaffee nur bei den seltensten Feierlichkeiten +aufgetischt wurde — da gab es ihm einen Stich in's Herz. Er fühlte, +wie wenig er zu der Gesellschaft paßte, und schützte einen nothwendigen +Gang vor, um aus dem Hause zu kommen. — Als er Nachts zurückkehrte, +war der Besuch natürlich fort, aber der Schein des Glücks, das er +gebracht hatte, glänzte noch auf den Gesichtern der beiden Weiber. +Christine sah wohl, daß ihre Freude dem guten Hans wehe that; sie +bedauerte es, aber sie konnte sich nicht helfen und den Strom ihres +Triumphgefühls nicht zurückhalten. Sie erblickte sich schon als<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> eine +der ersten Bäuerinnen im Ries und ihr sonst so gesunder Schlaf wurde +mehrmals durch den süßen Tumult ihres Herzens unterbrochen.</p> + +<p>Damit war's aber auch zu Ende. Der Vater des Burschen erhielt von dem +Besuch und dem wesentlichen Inhalt des gepflogenen Raths Kunde, und es +folgte nun zwischen beiden ein Auftritt, in welchem der prahlerische +Liebhaber gar bald den kürzeren zog. Der Alte entwickelte einen Zorn +und eine Machtvollkommenheit, wovor der Bursche sich verkriechen mußte. +Was der Wüthende forderte, wurde mit »ja, ja, i will's ja!« zugesagt +— und in kurzem hieß es: »des Moürs (Maierbauers) Hansirg hat mit der +einzigen Tochter des reichen Bachbauers von ** Heirathstag gehalten.«</p> + +<p>Christine war tief beschämt. Es ging die ersten Tage nicht ohne +Vergießung vieler Thränen ab. Allein ihr Temperament und ihr ganzes +Wesen war nicht von der Art, daß sich darum ein Gram in ihr befestigen +und an ihr zehren konnte. Da der Ungetreue noch dazu aus dem Dorf weg +heirathete, so hatte sie, auf gut ländlich, den Traum der Liebe und des +Ehrgeizes in wenigen Wochen vergessen.</p> + +<p>Hans hatte seit jenem Sonntag ein Betragen angenommen, das er eine +Zeitlang unverändert festhielt. Er ging äußerlich ruhig seinem Geschäft +nach, beschränkte seinen Verkehr mit Christine und der Base auf das +Nothwendigste, machte ein gleichmäßig ernsthaftes Gesicht und suchte +zu thun, als ob nichts vorgefallen wäre. Nachdem die Verlobung des +Nebenbuhlers bekannt geworden, zeigte er (wer ihn begriffen, sagt +sich das von selber) keine Schadenfreude. Er hatte diese nicht etwa +zurückzudrängen, sondern die eigentlich so zu nennende empfand er +gar nicht. Er bedauerte die Beschämte vielmehr, ging ihr aus dem +Weg, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, und überließ sie ihrer +Traurigkeit. Als sie nach einigen Tagen schon um vieles getrösteter +aussah, gab er seiner Stimme im Gespräch mit ihr unwillkürlich einen +freundschaftlicheren Klang, um sie gewiß zu machen, daß er nicht böse +sei, und ihre Beruhigung, so weit es von ihm abhing, zu fördern. +Aber weiter ging er nicht. Es hatte ihn doch recht »verdschmohcht« +(verdrossen), daß sich die schöne<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> Christine dem Bauernsohn mir nichts +dir nichts an den Hals geworfen und sich angestellt, als ob er, der +Hans, gar nicht mehr auf der Welt wäre. Er wollte sein Herz von nun +an nicht mehr an ein Mädchen hängen, die von ihm nichts wollte — +Christine sollte durch nichts mehr daran erinnert werden, daß er sie +jemals gern gehabt habe.</p> + +<p>Diese guten Vorsätze wurden im Ausgang des Winters gefaßt. Im Sommer +stand das Verhältniß unseres wackern Freundes wieder so ziemlich auf +dem alten Fleck, ja es war im Begriff weiter zu gedeihen. — Christine +hatte zwischen Hans und dem Ungetreuen Vergleichungen angestellt, und +es war ihr zum erstenmal klar geworden, daß Treue und Zuverlässigkeit +etwas seien, wovor man Respekt haben müsse. Das frühere Benehmen des +Vetters erschien ihr jetzt nicht mehr als ein Gegenstand herablassenden +Spiels, im Gegentheil, sie hatte dabei ganz ernsthafte Gedanken. Und +wenn sich nun <em class="gesperrt">er</em> zurückhielt und gar nicht mehr dergleichen +thun wollte, so — kam sie ihm selber entgegen; allerdings nur mit +einer gewissen Vorsicht. Sie offenbarte in ihrem ganzen Wesen nur mehr +Achtung und Freundschaft und der Ton ihrer Stimme erhielt nur eine +herzlichere Färbung. Zuweilen aber, wenn er im Geschäft etwas recht gut +gemacht hatte, warf sie mit ihren graublauen Augen ihm einen Blick zu, +dessen Dankbarkeit auch ein Unparteiischer durch eine bedeutende Zugabe +von Zärtlichkeit verstärkt gesehen hätte. Dem widerstehe ein liebendes +Herz, und obendrein ein großmüthiges! Hans ließ sich Schritt für +Schritt wieder zurückführen in die angenehme Gefangenschaft. Er kostete +nun seinerseits einen gewissen Triumph, wiegte sich in frohen Momenten +stolz im Gefühl der Macht und gab sich einer Sicherheit hin, die nur +zuweilen durch die Einwürfe der Bescheidenheit unterbrochen wurde. Dann +prüfte er wieder, hielt wieder an sich — und Christine kam ihm einen +Schritt weiter entgegen. Die treue Seele war über die Maßen vergnügt; +aber dieses Vergnügen that ihm gar zu wohl, und ihm war, als müßte er +es vorläufig dabei lassen.</p> + +<p>Der Verkehr der drei Leute nahm einen Charakter an, dessen reine +Fröhlichkeit jeden theilnehmenden Beobachter erquickt hätte. Man +scherzte und neckte sich; dem Vetter gelang es jetzt, der Schönen<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> +lustige Geschichten, namentlich wenn sie kurz waren, ohne Anstoß zu +erzählen und sein Gesicht dabei durch jenes humoristische Lächeln +zu erhellen, das ihm so gut ließ. Das Dorf war über ihr Verhältniß +im Reinen, und wenn es geheißen hätte: Christine wird ihren Vetter +heirathen, so hätte sich kein Mensch darüber gewundert. Hans wurde +nun von seinen Kameraden mit ihr aufgezogen und gelegentlich ermahnt, +einmal ein Ende zu machen, damit man bald wieder eine lustige Hochzeit +bekäme. Und jetzt, in den Tagen des Herbstes, faßte er ernstlich den +Entschluß, ihr seine Herzensmeinung zu sagen. Er verschob indessen die +Ausführung von einem Tag zum andern. War es das Gefühl, daß Eile nicht +nöthig sei und Christine ihm doch nicht entgehen könne? oder war der +Geist des Zweifels wieder über ihn gekommen, oder vermochte er nur +nicht über die Anrede mit sich einig zu werden und wartete auf eine +Gelegenheit, wo sie sich von selber machte? Sei dem wie ihm wolle — er +zauderte.</p> + +<p>Da trat auf einmal ein Nebenbuhler auf, der noch gefährlicher war, als +der erste, und in kurzer Zeit die Hoffnungen des Guten zertrümmerte.</p> + +<h3>II.</h3> + +<p>Der Nebenbuhler des Hans war der neue Lehrer, der den bisherigen in +der Dorfschule ersetzte. Der alte war im Ausgang des Sommers an eine +andere Stelle befördert worden, die jährlich um zwanzig volle Gulden +mehr trug. Der neue, ein geborner Rieser, im Seminar erzogen und als +mehrjähriger Gehülfe praktisch gebildet, übernahm sein Amt im Oktober.</p> + +<p>Friedrich Forstner — so hieß der junge Mann — war kaum vierzehn Tage +im Dorf, als er schon die meisten Herzen gewonnen hatte. Ein Theil +erinnerte an das »neue Besen kehren gut« und wollte erst sehen, wie +er sich halte. Nur wenige alte Murrköpfe oder junge Eifersüchtige +erklärten ihn für einen »Windbeutel.« — Der Contrast zwischen ihm und +dem bisherigen Lehrer war freilich sehr stark.</p> + +<p>Der alte war seines Zeichens ursprünglich ein Weber, und, wie man +annehmen muß, an seine Stelle gekommen in Ermangelung eines Bessern. +Eine lange, hagere Gestalt mit kleinem Kopf und<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> dünner Nase, von +der man sogleich auf einen charakteristisch näselnden Ton der Stimme +schließen konnte. Gutmüthig bis zu einem gewissen Grad, wurde er an +Einfalt nur von Einem seiner damaligen Collegen übertroffen. Indem er +zur Nothdurft lesen, schreiben und rechnen lehrte, genügte er dennoch. +Seine Hauptthätigkeit bestand im Abhören dessen, was die Kinder, +entweder von ihm aufgegeben oder freiwillig, auswendig gelernt hatten. +Diese Kunst war für einen Mann, der Gedrucktes lesen konnte, nicht +schwer, und da die »Schulfrau« (die Gattin des Lehrers) dies auch +verstand, so vermochte sie ganz gut für ihn Schule zu halten, wenn er +über Land gegangen war oder irgend ein dringendes Geschäft abzumachen +hatte. In einem Zweige der Pädagogik war der würdige Repräsentant der +guten alten Zeit Virtuos — in Führung des Haselstocks. Wenn die Buben +oder keckeren Mädchen schwatzten und »bätschten,« d. h. Tauschgeschäfte +machten, was namentlich mit »Helgen«<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a> zu geschehen pflegte; wenn +sie, zum Sprechen aufgefordert, dem Befehl nicht nachkommen konnten, +weil sie zu heimlichem Genuß eben Brod oder Obst in den Mund gesteckt +hatten; wenn sie statt das Auswendiggelernte ohne Anstoß »herzubeten,« +»gatzten« (stotterten) und nicht mehr weiter konnten, dann schwang +er, besonders wenn er schon vorher in gereizter Stimmung war, den +gefürchteten Stock mit einer Fertigkeit auf Achseln und Rücken +des Schuldigen, daß es eine Freude war zuzusehen. Und mit jener +Befriedigung, die man nach Ausübung einer Kunst empfindet, in der man +sich Meister weiß, legte er, während der getroffene Schlingel heulte, +das Instrument wieder bei Seite.</p> + +<p>In den größten Zorn konnte der Mann gerathen, wenn er fand, daß ein +Schüler seine »Lection« übersprungen hatte. Damit verhielt es sich +so. Vielleicht um sich auch die Mühe des Aufgebens zu ersparen, oder +berücksichtigend, daß nicht einer ein so gutes »G'merk« (Gedächtniß) +habe wie der andere, stellte er es den Kindern anheim, aus Luthers +kleinem und großem Katechismus nach Oettingscher Einrichtung von vorne +beginnend auswendig zu lernen, so viel ihnen<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> gutdünkte, indem er +dann abhörte, was sie ihm als gelernt bezeichnet hatten. Wie nun der +Ehrgeiz aus keinem Winkel der Erde zu verbannen ist, so lernten auch +die Schüler tüchtig; denn es galt die Erlangung des Ruhms, von allen +zuerst mit den sämmtlichen zweiundfünfzig »Lezgen« oder Lectionen des +großen Lutherischen Katechismus fertig geworden zu sein. Hie und da +besaß einer der geistreicheren Jungen viel Ehrgeiz, aber sehr wenig +Lernbegierde; was war natürlicher, als daß er nun gelegentlich einige +Lectionen überhüpfte? Manchmal gelang der Betrug, wenn auch die +Mitschüler nichts gewahr wurden oder so gute Kameraden waren, daß sie +schwiegen. Wenn aber der Lehrer selber stutzte, oder irgend ein Schelm +ihn durch Lachen aufmerksam machte, oder ein Verräther geradezu rief: +»Herr Schullehrer, der überhupft!« — dann gerieth der Getäuschte in +eine schwer zu beschreibende Wuth, und die Streiche des Haselstocks +regneten auf den entlarvten Betrüger. Diesem blieb nichts übrig, als +die Schläge trotzend oder schreiend hinzunehmen und nach Umständen +außer der Schule den Verräther durchzuprügeln, was meistentheils +geschah, da der unternehmende Bursche in der Regel kräftig und gewandt, +der »Batscher« (Plauderer) schwach und feig zu sein pflegt.</p> + +<p>So hielt der alte Lehrer Schule. In ähnlicher Weise kam er auch den +Pflichten eines Küsters, Organisten und Vorsängers nach, nämlich +immer in einer gewissen Entfernung. Für die Bauern war er doch »kein +unebener Mann.« Da er, mit einer Anzahl von Kindern gesegnet, »nothig« +und geschenkbedürftig war, so befleißigte er sich den Wohlhabenden +gegenüber stets der gebührenden Höflichkeit. Er war dienstwillig, und +wenn ein Vater anfragen ließ, ob sein Bube heute nicht »aus der Schule +bleiben« könnte, so nahm er es mit dem vorgeschützten Grunde niemals +genau. Sogar das Verlangen, den Haselstock zu führen, so mächtig es +in ihm war, konnte er »aus Rücksichten« bemeistern. Die »gestandenen« +Bauern fühlten sich in keiner Weise unter ihm. Er trug sich städtisch, +aber der städtische Anzug war das Produkt des Dorfschneiders und nicht +geeignet, neben der Rieser Tracht den Anblick von etwas Feinerem zu +gewähren. Er sprach ein wenig hochdeutsch; aber jeder Andere glaubte +in der ächten Rieser Sprache etwas Gescheidteres sagen zu könnnen. So +flößte er<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> in keiner Art Respekt ein. Darum war es aber gerade commod +mit ihm umzugehen, und das ist eine Eigenschaft, die auch im Dorfe +Beifall und Gunst findet.</p> + +<p>Friedrich Forstner war seiner ganzen Erscheinung nach das, was der +Rieser Bauer einen »Herrn« nennt. Mittelgroß, zierlich gebaut, sah +er in seiner einfachen, aber wohlgefertigten Kleidung nett, beinahe +elegant aus. Als ein aufgeweckter Kopf und von Natur anstellig zu +Allem, hatte er im Seminar eine nicht gewöhnliche Summe von Kenntnissen +erlangt; als Gehülfe in Dorf und Stadt hatte er die Klugheit +ausgebildet, die Niemand lästig wird und sich spielend nach den +Umständen zu richten weiß. Er sang hübsch, verstand mehrere Instrumente +und war ein vortrefflicher Gesellschafter.</p> + +<p>Gleich bei seinem Einzug hatten die Glieder der Gemeindeverwaltung und +andere Männer, die mit ihm zusammen kamen, eine eigene Empfindung. +Forstner ließ es durchaus nicht an Höflichkeit fehlen, aber sie, +anstatt die Artigkeiten, wie bei seinem Vorgänger, wohlgefällig +hinzunehmen und nur kurz zu danken, fühlten sich unwillkürlich +getrieben, sie zu überbieten. Der junge Mann erwiederte bescheiden, +schlug mit Gewandtheit einen vertraulichen Ton an und wußte es zu +machen, daß die Bauern ihren Respekt behielten, ohne dadurch genirt zu +sein, ein Gefühl, das ihnen ganz neu war. Als der zeitige Ortsvorsteher +nach Haus kam, sagte er zu seinem Weib: »Höer du! der nui (neue) +Schulmoëster ist a fei's Mändle!«</p> + +<p>Eine ähnliche Erfahrung machten die Schulkinder. Forstner hielt bei +seinem Auftritt eine Anrede an sie, und es war den meisten, als ob +sie das, was er sagte, verständen! Als die Eltern zu Hause fragten, +wie's gegangen sei, wußten sie sogar von dem Gehörten etwas wieder zu +erzählen und es einigermaßen zu expliciren! Am andern Tag fand eine +Aufmerksamkeit statt, wie sie die Wände der Schulstube nie gesehen +hatten. Bei einem entstandenen Lärm genügte ein Zuruf und ein Blick des +Lehrers, um zwei in Streit gerathene Buben augenblicklich verstummen +zu machen; und wie später einer mit seinem Nachbar schwatzen wollte, +stieß ihn dieser, anstatt auf das Vergnügen des »Blieselns« einzugehen, +mit dem Ellbogen in die Seite und rief mit gedämpfter Stimme ärgerlich: +»Halt's Maul!« — Nach dem<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> vierten Tage erlebten die Eltern etwas +Unerhörtes: die Kinder wollten nicht mehr aus der Schule bleiben! Ein +Söldner brauchte seinen zehnjährigen Sohn bei einer Arbeit und wollte +ihn zu Hause behalten; das Bürschchen widersprach, und als das nichts +half, begann es zu »flannen« (flennen). So lange das Dorf stand, der +erste Fall dieser Art.</p> + +<p>Um diese Zeit begegneten sich drei Bauern auf der Gasse. »Was isch +denn mit deana' Kinder (diesen Kindern) iatz?«, begann der erste; »die +deant (thun) ja wie narret!« — »'Sischt wärle wohr« (wahrlich wahr), +versetzte der andere; »der nui Schulmoëster hot's ganz verhext.« — +»No, no,« sagte der dritte, »'sist ja rehcht, wann's geara' en d'Schuel +gont« (gehen). — »Des scho',« erwiederte der erste; »aber überstudiert +soll er's net macha', des paßt se net für Baura'.« — »Ueberstudiert,« +entgegnete der dritte, »weara's no lahng net, wann's meaner (mehr) +learna', als beim alda'. Semmer (seien wir) froa', daß mer dean loas +send ond 'n bessera' hont« (haben). — So behielt die Gunst auch hier +das letzte Wort.</p> + +<p>Dem Talent des neuen Lehrers gelang es sogar, die Sonntagsschüler zu +gewinnen, mit Ausnahme nur weniger Burschen, die schon im achtzehnten +Jahre standen und durch nichts mit dem Gedanken versöhnt werden +konnten, sich von einem Menschen, der nur etliche Jahre älter war als +sie, noch etwas sagen lassen zu müssen. Am zweiten Feiertag fing eine +und die andere Jungfrau schon an, sich etwas besser zu putzen und dabei +anmuthig zu lächeln und ein wenig zu erröthen. Es trat ein Eifer des +Schulbesuchs ein, den bisher niemand wahrgenommen hatte und der zu +vielen guten und schlechten Späßen Anlaß gab.</p> + +<p>Zuletzt eroberte Forstner auch die Bauern in der Wirthsstube. Er setzte +sich kameradschaftlich zu ihnen, ließ sich von ihnen über ökonomische +Verhältnisse und Einrichtungen des Dorfes belehren, beantwortete die +Fragen der Neu- und Wißbegierde, gab jedem seine Ehre und lieferte das +feinste und beste Salz zu den lustigen und satyrischen Gesprächen. — +So hallte in kurzem das ganze Dorf von seinem Lobe wieder. Mit wenigen +Ausnahmen sangen es Männer und Weiber, Mädchen und Bursche, Kinder +und Greise. Es kam<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> so weit, daß hie und da ein wohlgesinnter, aber +maßhaltender Mann ärgerlich ausrief: »Ietz hab' i aber gnuag von uirem +(eurem) Schulmoëster, und bitt mer'n andern Diskursch aus.«</p> + +<p>Das meiste Glück machte der hübsche, junge Pädagog freilich bei den +Mädchen des Dorfes, obwohl gerade diejenigen, denen er am meisten +gefiel, es am wenigsten Wort haben wollten. Alle, sogar die Tochter des +Wirths und die Töchter der reichsten Bauern, suchten dem »netten Mann« +zu gefallen. Forstner war Verehrer und Kenner des schönen Geschlechts +und mit Vergnügen galant; er konnte gar so freundlich »guten Tag« +sagen, und manche, die sich für schön hielt, schwenkte sich nun bloß zu +dem Ende an ihm vorbei, um von ihm bemerkt und gegrüßt zu werden.</p> + +<p>Drei aus der Klasse derjenigen, die es für ein Glück halten konnten, +»Schulfrau« zu werden, hatten ernsthafte Absichten auf ihn. Man würde +sich irren, wenn man glauben wollte, Forstner, der so sehr gefiel, +hätte nun auch unter allen Dorfmädchen die Wahl gehabt, in der Meinung +etwa, daß ein im Seminar erzogener, mit den Gebildeten der Umgegend +verkehrender, im Dorf als »Herr« geehrter junger Man für die Phantasie +auch des wohlhabenden Bauers etwas Unwiderstehliches besitzen müßte. +Dem wohlhabenden Bauer flößen derartige Vorzüge den hier allein +entscheidenden Respekt nicht ein; er gibt dem »Herrn Lehrer« die +Ehre, behält aber seine Tochter. Der Bauer verlangt vor Allem, daß +sein künftiger Schwiegersohn ein eigenes Haus besitze; eine Existenz +ohne dieses scheint ihm sehr luftig, und wenn man ihm einen hauslosen +Schullehrer anträgt, dann kann er befremdet, ja entrüstet fragen: +»Soll i mei' Tochter auf d'Gaß naus heiricha' (heirathen) lossa'?« — +Und nicht nur die Eltern, auch die Tochter würde sich in der Regel +nicht mit dem Gedanken befreunden, die Frau eines Mannes zu werden, +der jährlich nur zwei bis dreihundert Gulden Einnahme hat, »alles +kohfa'« (kaufen) und von den Bauern Geschenke annehmen muß. Der Bauer +ist stolz darauf, in seiner Art Herr zu sein, d. h. auf tüchtigem Gute +thätig und behaglich zu leben und seine Töchter wieder an Bauern oder +an Wirthe, Müller und ausnahmsweise an wohlgesessene Handwerker der +umliegenden Städte zu verheirathen, die selbst einige Oekonomie<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> haben. +So räth es ihm die Sitte und die Lebenserfahrung, und diesen folgt er. +Etwas anderes ist es mit dem besser gestellten Söldner, dem dörflichen +Handwerker, und allenfalls auch dem verschuldeten Bauer. Diese können +es für eine Ehre halten, wenn der Lehrer des Dorfs ihr Schwiegersohn +zu werden wünscht. Sein Einkommen entspricht hier dem Heirathsgut der +Tochter, und auch in den Augen des verschuldeten Bauers würde die +Schattenseite des Lehrerstandes durch die Lichtseite wieder aufgewogen.</p> + +<p>Aus dieser Schichte der dörflichen Gesellschaft waren denn auch +die drei Mädchen, die es lüstete, die Hand des hübschen Mannes +davonzureißen. Sie gaben sich gewaltig Mühe, und eine davon hoffte +schon zu triumphiren. Sie hatte die betagte Mutter Forstners, die ihm +Haus hielt, wiederholt im Sonntagsstaat besucht und ihr — was man sagt +— »mit dem Holzschlägel gewinkt;« und da sie überdieß von den dreien +die reichste war, so glaubte sie nicht, daß es ihr fehlen könne. Indeß, +ein paar Tage später, und sie mußte hören, der Herr Forstner habe ein +Auge auf die schöne Christine geworfen. Eine Woche später, und auch sie +mußte sich von der Wahrheit dieses Gerüchts überzeugen, das nun in die +Reihe offenkundiger Thatsachen eintrat.</p> + +<p>Die Mutter Forstners war mit der Wittwe Glauning verwandt; allerdings +sehr entfernt, doch das verhinderte die Glauning nicht, die Mutter des +Herrn Lehrers als Frau Base zu begrüßen und denselben Titel von ihr +zu empfangen. So war zwischen den Familien gleich in der ersten Zeit +ein Verhältniß hergestellt. Der junge Mann fand Christine hübsch, aber +in der geschäftigen Zeit der ersten Einrichtung, der Amtspflichten, +des Besuchmachens u. s. w. konnte er die Bekanntschaft nicht weiter +pflegen. Als er in seinem Neste warm saß, die Arbeiten ihren Gang +gingen und ihm freie Zeit übrig ließen, empfand er ein Verlangen, sie +wieder zu sehen; er folgte dem unbestimmten Drang und kehrte an einem +festtäglichen Abend in ihrem Hause ein. Als er sie sah im Sonntagsputz, +vom Schein der Ampel beleuchtet, mit ruhiger, aber herzlicher +Heiterkeit zu seinen Artigkeiten lächelnd, fühlte er sich getroffen. +Die unverdorbene, schöne Sinnlichkeit machte einen reizenden Eindruck +auf ihn, und er mußte sich sagen, daß in<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> ihrem Wesen noch etwas liege, +das sie höher stellte, als ihre Gespielen. Er kam sehr eingenommen, in +merklicher Aufregung nach Hause und rühmte sie der Mutter in starken +Ausdrücken. Diese erwiederte sofort: »Weißt du, was ich mir schon +gedacht hab'? Das wär' eine Frau für dich.« — »Frau?« erwiederte er +in einem Ton, der den Skrupel des »Gebildeten« ausdrückte. »Ja, Frau!« +versetzte die Mutter. »Die Glauningin wird ihre viertausend Gulden +Vermögen haben; Christine ist hübsch, wacker, versteht alle Arbeit +und paßt sich besser für dich, als so eine Städterin, die nichts als +Kleider mitbrächte.« — »Aber man sagt ja, der Bursch da, der Hans, +wolle sie heirathen.« — »Ausgemacht ist noch nichts,« bemerkte die +Mutter, »das weiß ich. Und so Einen,« setzte sie mit einem etwas eiteln +Blick auf den Sohn hinzu, »so Einen wirst du wohl nicht fürchten?« — +»Wir wollen sehen,« erwiederte Forstner nachdenklich.</p> + +<p>Der Keim, den die Mutter ihm in die Seele gesenkt hatte, gedieh und +entwickelte sich. Am nächsten freien Abend fühlte er eine lebhafte +Begierde, den Besuch bei der Glauning zu wiederholen. Er legte den Weg +vom Schulhaus zu ihr mit raschen Tritten zurück, und das freundliche +Gesicht des Mädchens glänzte ihm entgegen wie der Vollmond. Wir haben +es schon angedeutet: Forstner war das, was man einen »Liebhaber des +schönen Geschlechts« nennt. Seine Freude an hübschen Gestalten dürfen +wir vielleicht <em class="gesperrt">poetisch</em> nennen, in so fern dieses Wort ein fein +sinnliches und phantastisches Wohlgefallen ausdrückt. Die Empfindung +war so schön und so reizend! — und er gab sich ihr nun, wo es die +Klugheit nicht widerrieth, ohne weitere Skrupel hin. Bei Christine +riethen ihm Neigung und Klugheit, für's erste nur den Galanten, den +heitern Liebhaber zu spielen. Er wollte das hübsche Mädchen umschwärmen +wie ein Schmetterling und hier vor allem die sinnlich romantische +Lust finden, die er suchte; er wollte sie bezaubern, den bäurischen +»Tölpel,« für den ein solches Mädchen wahrlich nicht geschaffen +war, verdrängen und sich zum Gebieter ihres Herzens machen, dann — +überlegen, ob und wann er sie zu seiner Frau machen könne.</p> + +<p>Als er, von der Wittwe mit besonderem Eifer und schon mit einem eigenen +Blick empfangen, Platz genommen hatte, setzten sich<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> auch Mutter +und Tochter wieder zum Spinnen. Forstner entwickelte sogleich seine +Unterhaltungskunst, und sein angebornes Talent und die Begierde, zu +gefallen, ließen ihn Scherzreden führen und Geschichten erzählen, wie +sie dem Bildungsstand der Zuhörerinnen entsprachen und nothwendig +belustigen mußten. Er wußte einer Geschichte ungezwungen eine für +Christine schmeichelhafte Wendung zu geben, und nicht nur herzliches +Lachen, sondern auch ein beglücktes Erröthen und ein im Abwehren +dankbarer Blick war sein Lohn. Forstner besaß eine Gewandtheit mit +hübschen Mädchen umzugehen, von der sich ein ehrlicher Bauernbursche +nichts träumen läßt. Der Bauer unterhält und schmeichelt im +Lapidarstyl, die niedliche Currentschrift mit zierlichen Schnörkeln +ist nicht seine Sache. Unser junger Mann war aber gerade hierin stark, +und er gab diesen Abend gleich eine Probe davon. Er bewunderte die +Kunst des Spinnens, worin Christine in der That sich auszeichnete, und +behauptete dann, er hätte es auch einmal zu lernen versucht und möchte +wohl sehen, ob's noch ginge. Natürlich lud ihn das fröhliche Mädchen +ein, es zu versuchen. Er setzte sich zum Rocken und es ging hinlänglich +schlecht; Christine lachte, zeigte es ihm, er versuchte es wieder, +und das alles bewirkte unter großem Vergnügen rasche Vertraulichkeit. +Nachdem dieses Mittel erschöpft war, erklärte Forstner, er wolle neben +einer solchen Meisterin nicht länger den Pfuscher spielen und lieber +ein anderes Geschäft treiben, das sich besser für ihn schicke. Er +setzte sich neben sie und machte sich's zur Aufgabe, ihr die »Aga'« +(Flachsabfälle beim Spinnen) von der Schürze zu schütteln. Und während +er die mündliche Unterhaltung fortsetzte, that er dieß gelegentlich +so nett und lustig, daß man's ihm nicht übelnehmen und nur lachend +Abwehrungsversuche machen konnte. Es stand ihm eben alles an, und er +konnte mehr wagen als ein Bauernbursche, weil er es zierlich machte +und in den Grenzen des Scherzes blieb. Als er endlich Abschied nahm, +erklärten Mutter und Tochter, so vergnügt wären sie lange nicht +gewesen, und er solle doch ja bald wieder die Ehr' geben.</p> + +<p>Und Forstner kam wieder und wieder. Ihm ward so wohl in der warmen +Stube bei dem hübschen Mädchen und der gefälligen, heiter blickenden +Mutter. Draußen wirbelte der Schnee und sauste<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> der Wind, drinnen +schnurrten die Räder und tickte die Wanduhr, und unter dieser +Begleitung ging das Spiel der Unterhaltung fort und gipfelte hie und da +in einem Terzett hellen Gelächters. Alle drei hatten im eigentlichen +Verstande eine poetische Empfindung. Mutter und Tochter sagten sich +dieß nicht, denn sie kannten das Wort nicht; aber Forstner sagte sich's +und schwelgte in seinen Gefühlen. Welchen Reiz übte Christine auf +ihn! die in ihrer Art vollkommene Gestalt, durch Fröhlichkeit erhellt +und verklärt, die sinnliche Fülle in ihrer schönsten Blüthe und im +reichsten Glanze des Glücks! — Und dieses Mädchen war ihm gewogen und +wurde es immer mehr. Zu ihm neigte sie sich — ein Wort von ihm, und +sie lag in seinen Armen. Welch süßes und stolzes Gefühl — das Gefühl +der Macht über ein so liebenswürdiges Geschöpf! Nun hielt er beim +Abschiednehmen die Hand in der seinen und drückte sie, und dies wurde +mit Erröthen geduldet und erwiedert. Lieb war ihm da der Wind und der +herabwirbelnde Schnee, die seine glühende Wange auf dem Heimweg kühlten.</p> + +<p>Wir dürfen Christine nicht schwächer erscheinen lassen, als sie in +der That war. Sie ließ sich nicht ohne Weiteres gewinnen und dem +Vetter abwendig machen. Zuerst ahnte sie nichts und hatte gegen +Forstner nur das Gefühl der Dankbarkeit, weil er so freundlich und so +»unterhaltlich« war. Sie verliebte sich nicht in seine nette Gestalt, +wie jene drei andern, eben darum war sie auch nicht auf ihrer Hut und +ließ sich gehen — und so verstrickte sie sich. Es gab in der ersten +Zeit einen Moment, wo die Wage für Hans und Forstner noch gleich stand. +Hätte jener seinen Antrag gemacht, vielleicht hätte der ehrliche +Freiersmann den bloßen Liebhaber (als mehr erschien Forstner bis dahin +noch nicht) aus dem Felde geschlagen. Aber während dieser dafür sorgte, +sein Gewicht zu vermehren, handelte der Ehrliche so, daß seine Schale +immer leichter werden mußte.</p> + +<p>Hans hatte nie zu denen gehört, die den neuen Lehrer ohne Klausel +bewunderten. Gleich nach dem ersten Zusammentreffen mit ihm hielt er +ihn für einen Menschen, der ihm zu schlau dreinsehe und dem nicht zu +trauen sei. Bei dem ersten Besuch Forstners im Haus der Base hatte +indeß auch er noch kein Arg. Er stimmte von der<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> Ofenbank, auf der er +saß, ein paarmal herzlich in das Gelächter der Weiber mit ein. Als +aber der Gewandte seine Künste begann, hatte der wackere Hans ein +unbehagliches Gefühl. Er erklärte ihn zuerst nur bei sich für einen +»öaden« (faden) Menschen, der ihm recht »auf d'Weibsbilder aus« zu sein +scheine und mit dem sich ein ordentliches Mädchen eigentlich nicht viel +abgeben sollte. Als er aber sah, wie Christine sich mehr und mehr auf +seine Späße einließ, wurde er ärgerlich und — empfindlich. Er konnte +und wollte die Unterhaltung nicht weiter mit anhören, und wenn das +»Schulmoesterle« kam, ging Hans in den Stall oder aus dem Hause. — Es +wogte sonderbar in der treuen Seele hin und her. Einmal war er erzürnt, +und wenn Christine ihn über irgend etwas fragte, brummte er sie an. +Dann glaubte er wieder, seine Befürchtung sei Unsinn und sein Trutzen +einfältig. Er gab sich Mühe freundlich auszusehen; er wollte ihr nun +auch etwas Schönes sagen und etwas Lustiges erzählen, und nun gerieth's +ihm wieder nicht. Zu dem Einzigen, was ihm den Sieg noch hätte +gewinnen können, zu einer herzhaften Erklärung konnte er sich jetzt +am allerwenigsten entschließen. Er wollte jetzt gerade sehen, wie die +Sache ginge. Wenn Christine »so 'n Kohbatza'« (winziger Fisch) lieber +zum Mann wolle als ihn, dann solle sie ihn haben und Schulmeisterin +werden. Sie kenne seine Meinung wohl und sie wisse recht gut, daß +sie auf ihn zählen könne. Wenn sie im Stande sei, ihn wieder so ohne +Weiteres aufzugeben, dann sei es ihm auch recht — und am Ende besser, +daß er so eine gar nicht kriege. Aus diesen Gründen zog er sich mehr +und mehr zurück, und Christine neigte sich ganz zu Forstner.</p> + +<p>Als der Treue sich davon überzeugen mußte, so daß er nicht mehr +zweifeln konnte, fühlte er eine Pein, wie nie zuvor. Aber bald war +auch sein Entschluß gefaßt. Was in der ersten stillen Nacht auf dem +einsamen Lager in ihm vorging, wollen wir nicht schildern und nur das +sagen, daß Zorn und Schmerz über Sie, über sich und sein Unglück so in +ihm brannten und sich wechselseitig steigernd ihn so bedrängten, daß +sich das gepreßte Herz in Thränen Luft machen mußte. Für eine tiefe und +leidenschaftliche Liebe — und das war seine Liebe geworden — ist es +eine unsägliche Qual, sich verschmäht<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> zu sehen um eines Mannes willen, +den man nicht schätzen kann. Zur Vernichtung aller Hoffnungen auf das +einzige Glück des Lebens kommt noch die Pein der Verachtung, die man +erfahren, die Pein des Schmerzes über den Triumph des Nebenbuhlers, +die Wuth über sich selbst, daß man den Schatz seiner Liebe an die +Geringschätzung des Unbestandes verrathen konnte. Hans, in dem alle +diese Empfindungen nach einander aufloderten, empfand die Marter der +Verzweiflung in seinem Herzen. Welch ein Elend, sich Christine als das +Weib dieses »Leckers« denken zu müssen! welche Schande, noch einmal auf +die Seite gesetzt zu sein, nachdem schon von ihrer Hochzeit die Rede +gewesen war! »Du mußt fort!« rief es in ihm, »aus dem Haus, aus dem +Dorf!« — Aber da rührte sich die gründlich gute Natur in ihm. »Nein,« +rief er dagegen, indem er sich ermannte, »nein das thu ich nicht, das +wär' mir zu miserabel! Ich bleib' und halt' aus — jetzt grad! — +Hinter meinem Rücken mögen die Leut' sagen, was sie wollen — in's +Gesicht« (und er blickte mit funkelnden Augen in die Morgendämmerung) +»in's Gesicht verspottet mich keiner, das weiß ich!« — Nachdem so das +Bleiben vor seiner Ehre gerechtfertigt war, konnte auch die Großmuth +ihre Gründe dafür aussprechen. »Sie brauchen dich, und jetzt mehr als +sonst. Wer weiß, wie's geht? Der sieht mir grad so aus, als ob er mit +nochmal so viel fertig werden könnt' als er hat. Ich will die Sach' +vor der Hand noch zusammenhalten. — Kein' Dank verlang ich nicht!« +Nach der Entschließung beruhigte sich die Leidenschaft endlich, die ihn +so mächtig hin und her geschüttelt hatte. Der Wille, auszuharren und +denen, die ihn gekränkt, Gutes zu thun — das war der Balsam auf die +Wunde seines Herzens. Er kleidete sich an und ging in die Stube.</p> + +<p>Christine saß mit ihrer Mutter am Tisch. Hans wünschte mit ruhiger +Stimme guten Morgen, aber mit einem Gesicht, daß Christine sich +augenblicklich sagte: er weiß es! Sie las in diesen Mienen ihr +Gericht und schrak zusammen. Das Gewissen, das sich plötzlich in ihr +aufrichtete, erhellte ihren Geist und schärfte ihr Urtheil; und während +sie sich vorher, ihrer Neigung folgend, gesagt hatte: »er ist selber +dran Schuld, warum red't er nicht?« so erkannte sie jetzt ihr Unrecht +und fühlte es tief. Das Schuldbewußtsein drückte sie darnieder<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> und +ließ sie so verzagt erscheinen, daß Hans wieder Erbarmen mit ihr +empfand. Gemüther wie das seine können in der Strenge des Richters +nicht lange verharren; der Trieb, Gnade für Recht ergehen zu lassen, +ist zu mächtig in ihnen und geht unwiderstehlich in Wirksamkeit über.</p> + +<p>Hans blieb von diesem Moment an genau in der Zurückhaltung, die er +sich zum Gesetz gemacht hatte; aber er wurde freier darin, und Blick +und Ton seiner Stimme erhielten wieder mehr von dem Wohlwollen, das +unvertilglich in seinem Gemüth lebte. In der Güte, in der Großmuth +eines wackern Mannes liegt ein Quell von Kraft, von der die seichte, +egoistische Natur keine Ahnung hat. Im Besitz dieser Natur kann man +vergeben, und man vergiebt. Und man wird nicht schwächer, indem man +es thut, sondern stärker; man fühlt sich nach Ertheilung der Gnade +nicht ärmer, als nach Forderung und Erlangung seines Rechts, sondern +reicher, und man schwingt sich in dem Bewußtsein der Tugend über das +Leid hinweg, das die Seele überfluthen zu wollen schien. Dies vermag +der Bauer wie der König, wenn ihm Gott den Geist dazu gegeben hat, und +jeder thut's nach seiner Art. Unser Bauernbursche gewann nach seiner +innerlichen Ueberwindung einen Gesichtsausdruck, den man nur als edel +bezeichnen konnte. Dem Dorfmädchen war auch dieses Wort in seiner +moralischen Bedeutung unbekannt, aber von der Sache hatte sie eine +Ahnung. Sie fühlte kein Bedauern, sondern eine unwiderstehliche Achtung +vor dem Vetter; mit dem weiblichen Stolz, der so bereit ist, Mitleid +zu empfinden und namentlich zu offenbaren, war es aus. — Aber ihre +Natur machte sich den Stand der Dinge nun auf andere Weise zu Nutze. +»Er ist getröstet,« sagte sie sich, »und wenn er sonst auch viel aus +mir gemacht hat, thut er es jetzt nicht mehr.« — Einige Tage später, +und ihr Gewissen hatte sich wieder beruhigt und schwieg; die Neigung, +die Leidenschaft gewannen die Herrschaft wieder völlig. Das Weib fühlte +sich frei und gab sich ganz dem Drang ihres Herzens zum Glück hin.</p> + +<p>Die Leser haben errathen können, daß Forstner und Christine +Liebesgeständnisse ausgetauscht und Hans gewisse Kunde davon erhalten +hatte. Zu einem Verlöbniß war es noch nicht gekommen; aber<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> zu diesem +Ziele drängte es beide nun unausweichlich hin. Der junge Mann hatte +seiner Neigung und wenn man will seinem Gelüste folgen wollen, in der +Meinung, immer noch die Wahl frei behalten zu können; er hatte seiner +Mutter verboten, mit der Glauning von ernsthaften Absichten seinerseits +zu reden. Aber es ging, wie häufig in solchen Fällen: die Leidenschaft +wuchs und führte ihn weiter als er gedacht. Sein ganzes Wesen war von +Christine bezaubert; er war gebunden durch seine Liebe, gebunden durch +die Rücksichten, die er auf Mutter und Tochter, auf den Geistlichen, +auf das Dorf und seine Stellung darin nehmen mußte. Das Dorf hatte +schon ausgemacht, daß er Christine heirathen werde, und er konnte, er +durfte es nicht Lügen strafen. So gedieh das Verhältniß endlich zum +Abschluß. Die Wittwe Glauning hatte die Verheirathung ihrer Tochter mit +dem gefeierten Lehrer von dem Gesichtspunkt der Ehre ansehen gelernt, +und die Aussicht, den Flecken ihrer Verrechnung wegen jenes reichen +Bauernsohnes gänzlich zu tilgen und als »Schwieger« Forstners auf +eigene Art hervorstechen zu können, erfüllte sie mit Lust und mit jener +Begierde, der es unmöglich ist, länger müßig zuzusehen. Als Mutter +war sie jetzt ohnehin verpflichtet zu reden; und so ging sie denn +eines Tages zur Base Forstner und sprach ihre Meinung in dürren Worten +aus. Entweder — oder! — das war der Sinn ihrer Rede. Die Mutter des +Lehrers hatte für diesen Fall schon Vollmacht erhalten; sie sagte, daß +ihr Fritz nie eine andere Absicht gehabt habe, als das schöne und liebe +Bäschen zu heirathen. — Auf einmal hieß es im Dorf: der Herr Lehrer +hat sich mit der Christine versprochen.</p> + +<p>Die vollendete Thatsache machte doch ihr Recht geltend, obwohl man +sie allgemein hatte kommen sehen. Der Geist der Kritik fand sich +herausgefordert; jede Meinung, die der Sachlage nach möglich war, fand +einen Vertreter, und der Lärm war groß. Die einen, vorzüglich Weiber +und Mädchen, verdammten Christine. So einen braven Menschen wie den +Hans zweimal nach einander anzuführen, ihm »das Maul zu machen« und +ihn, wenn ein Vornehmerer komme, wieder fahren zu lassen, das wäre +keine Art nicht; das hätten sie niemals gethan — und wenn ein Graf +gekommen wäre! Aber diese Christine sei eben ein hoffährtiges Ding, +man wisse das ja, und trachte immer<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> über ihren Stand hinaus. Der +Hans hätte für sie gepaßt, der Herr Forstner sei zu fein für sie, und +man werde sehen, daß das nicht gut ausgehe. Die andern, hauptsächlich +ledige Bursche, machten den Hans für den Ausgang verantwortlich. Er +sei allein Schuld und ihm geschehe ganz Recht. Der Mutter jahrelang +das Hauswesen führen und sich dann die Tochter wegkapern zu lassen, +da müßte einer ungeschickter sein als der Teufel! Wenn sie den »Rang« +gehabt hätten, wenn sie bei der Christine im Haus gewesen wären, da +hätte so ein Schulmeister kommen sollen! Der hätte gleich gesehen, daß +er wieder gehen könnte. Auf so Einen zu warten, ja, das wär' ihnen das +Wahre gewesen! Aber der Hans sei eben ein »Lamech,« ein »Drockser,« ein +Kerl, der nicht von der Stell' komme; und wenn Christine den flinkeren +Schulmeister lieber habe, so könne ihr das kein Mensch übel nehmen.</p> + +<p>Das Dorf, wie man sieht, beschäftigte sich eben so viel mit Hans als +mit Christine und Forstner. Der brave Bursche, der geschickte Bauer +hatte sich eben Respekt erworben und dadurch eine eigene persönliche +Bedeutung erlangt. Was wird er nun thun? fragte man sich. Wird er +gehen, sein Geld aufkünden und die beiden Weiber sitzen lassen? +»Freilich wird er gehen!« rief eine Gegnerin der Christine auf so eine +Frage ordentlich hitzig. »Er wird wohl bleiben und all den Spektakel +mit ansehen — Hochzeit und am End' Kindtauf' auch noch. Er wird sich +die Tochter wegfischen lassen und der Alten noch länger den Knecht und +den Narren machen! Das wär' nicht mehr gut, sondern dumm — und dumm +ist der Hans doch nicht.«</p> + +<p>Die Frage war bald entschieden. Hans blieb, und ein großer Theil seiner +Vertheidigerinnen fiel nun auch von ihm ab und sagte, Christine habe +doch Recht gehabt, es ihm so zu machen. So ein einfältiger Mensch sei +ihnen ihr Lebtag noch nicht vorgekommen.</p> + +<p>Durch Alles, was bisher in ihm vorgegangen, hatte Hans die Fähigkeit +erlangt, der Christine zu ihrer Verlobung ehrlich und ruhig Glück zu +wünschen. Er that es und ging so weit, ihr dabei die Hand zu geben. +Aber er vergab sich nichts damit; der Ausdruck seines Gesichts sorgte +dafür. Christine wurde roth über und über, sie sah ihn beschämt, +ja bittend an und ihre Hand zitterte in der seinen. Es war<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> eine +Genugthuung für den treuen Burschen und er kostete ihre traurige +Süßigkeit. Aber dann fing er selbst ein anderes Gespräch an und half +dem Mädchen, aus Schonung, von der Tiefe der Empfindung wieder zur +Oberfläche empor. Beiden wurde leichter um's Herz, und Christine +überließ sich bald wieder der Freude und der Ehre ihres Brautstandes.</p> + +<p>Am ersten Sonntag Abend nach dem »Verspruch« ging Hans in's Wirthshaus. +Einige junge Leute hatten vorgehabt, ihn aufzuziehen; aber er hatte +so was Eigenes in seinem Gesicht und in seinem Auge; sie trauten +dem Landfrieden nicht und dankten ganz ehrbar auf seinen Gruß. Man +discurirte über allerlei andere Dinge; unser Freund sprach resolut, +verständig und machte zuletzt sogar hie und da eine humoristische +Bemerkung in seiner alten Manier. Wie nun bei natürlichen, eben so wie +bei gebildeten Menschen keine wirkliche Kraft ohne Anerkennung bleibt, +so bekam der Wackere, als er die Wirthsstube verlassen hatte, von +seinen Kameraden ernstlich empfundenes Lob. »Der ist gescheidter,« hieß +es, »als die Leute glauben. Er macht sich aus der ganzen Geschichte +nichts, und er hat Recht. Die Christine ist eine falsche Person, die +einen so braven Kerl gar nicht verdient. Er darf sich Glück wünschen, +daß er sie nicht bekommt — und wie's ihr geht, das wollen wir sehen.«</p> + +<h3>III.</h3> + +<p>Die größte Heilkraft auf Erden besitzt — die Zeit. Indem sie den +Menschen in ihrem Strome fortführt und andere Bilder vor seine Seele +bringt, entzieht sie ihn mehr und mehr der Einwirkung dessen, was +gewesen ist. Sie mildert den Schmerz, löst die Spannung, entkräftet +die Selbstanklage und giebt der Seele die Stärke und Ruhe wieder, +ohne die sie ihren eigenen Anfechtungen erliegen müßte. Was uns heute +unerträglich scheint, vielleicht in wenigen Tagen schon dünkt es uns +eine mäßige Last. Was uns im ersten Moment als eine ausgesuchte Schmach +niederdrückt, nach einigen Wochen erscheint es uns als ein gewöhnliches +menschliches Ungemach, und unser übertriebenes Leidwesen darüber kann +uns ein Lächeln entlocken.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p> + +<p>Freilich kommt dabei sehr viel auf die Art des begangenen oder +erduldeten Unrechts, auf das Temperament und den Charakter des Menschen +an. Es giebt Dinge, die der Seele keine Ruhe lassen, die mitgehen +auf dem Wege, den sie nimmt, und ihr immer gegenwärtig bleiben. Es +giebt Naturen, welche Handlungen und Erlebnisse von geringerem Belang +festhalten und sich selbstquälerisch damit zu tragen im Stande sind; +Menschen, in denen die Vergangenheit sich immer wieder vergegenwärtigt +und die eine Beschämung roth machen kann, welche ihnen vor zwanzig +Jahren widerfahren ist. Andere Erlebnisse verflüchtigen sich von +selbst, und andere Naturen wissen Dinge von sich abzuschütteln, die +sich sonst wie Kletten anzuhängen pflegen. Auch der Bildungsstand ist +hier von großem Einfluß. Je mehr der Mensch seinen Geist entwickelt und +sich zu einem innerlichen Leben erzogen hat, desto leichter versetzt er +sich in die Vergangenheit, desto bedeutsamer ist für ihn das Gewesene, +desto mehr durchdringen sich in ihm die Zeiten. Je näher der Mensch der +Natur steht, desto mehr lebt er in der Gegenwart, desto mehr vergißt +er, desto weniger belästigt ihn seine Vergangenheit.</p> + +<p>Der Bauer giebt sich nicht viel mit Erinnerungen ab, wenn sie nicht +von sehr gewichtiger Art sind. Durch seine Denkweise, durch Natur und +Gewohnheit, namentlich aber durch die ihm auferlegten Arbeiten ist +er vorzugsweise auf die Gegenwart gewiesen. Alle feinern Differenzen +kommen auf dem Dorfe gar bald wieder ins Gleiche, und nur tiefe +Leidenschaften in tiefen Gemüthern können auch hier still fortglühen.</p> + +<p>In dem Haus, in welchem unsere Erzählung hauptsächlich spielt, war +äußerlich bald alles wieder im alten Gang und auch innerlich vieles +wieder hergestellt und gemildert. — Am raschesten war es der Wittwe +Glauning gelungen, ihre frühere Gemüthsruhe wieder zu erlangen. Sie +hatte sich wegen ihres Benehmens gegen Hans im Stillen doch auch +einige Vorwürfe gemacht; aber nach wenigen Tagen schon war ihr das +neue Verhältniß etwas Gewohntes und übte auf ihren Geist die Macht +einer Sache, die nun einmal nicht anders ist. Wenn sie den Vetter sah, +wie er mit ernstem Fleiß weiter arbeitete, dachte sie wohl: »Das ist +doch wahrlich ein braver Mensch!<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> Man sollte gar nicht glauben, daß +es noch solche Leute gäbe!« Aber eben durch diese Anerkennung fand +sie sich mit ihm ab. Hans war ihr von nun an der gute Vetter, der +sehr freundschaftlich gegen sie handelte, auf dessen Dienste sie aber +beinahe schon ein gewisses Recht zu haben glaubte.</p> + +<p>Christine folgte der Mutter nach. Das beschämende Gefühl und die +Vorwürfe, die sich beim Anblick des Vetters zuweilen noch in ihr +erneuert hatten, kamen seltener und blieben endlich ganz aus. Sie lebte +im Wonnemond des Brautstandes, und die ganze Welt erschien ihr in +heiterem Lichte. Wenn man sie hinter ihrem Rücken scharf beurtheilte, +in's Gesicht gratulirte man ihr, lobte den Herrn Lehrer und pries sie +glücklich. Die Kunst, sich höflich zu verstellen, ist auf dem Lande +keineswegs unbekannt und gehört zur guten Lebensart wie anderswo. Es +giebt auch hier Leute, die um so lebhafter zu schmeicheln verstehen, je +nachdrücklicher sie dieselbe Person gegen Andere durchgehechelt haben; +Leute, von denen man als etwas Besonderes hervorhebt, daß sie sich +»recht anstellen,« d. h. einen Eifer, ein Vergnügen, eine Bewunderung +zeigen können, von denen ihr Herz nichts weiß. Der Glanz des Ruhms, den +sich der Bräutigam durch seine persönlichen Vorzüge erworben hatte, +warf seine Strahlen auch auf die Braut; um seinetwillen that man der +Christine mehr Ehre an und bewies ihr mehr Achtung als vorher. So sah +die Glückliche sich umhuldigt von allen Seiten und hatte in der Freude +ihres Herzens natürlich kein Arg, daß von den schönen Sachen, die man +ihr sagte, auch nur eine Sylbe abgehen könnte.</p> + +<p>Forstner selbst zeigte sich jetzt gegen sie von seiner +liebenswürdigsten Seite. Er war von Leuten, auf deren Urtheil es +ihm ankam, wegen seiner verständigen Wahl gelobt worden; ein paar +muntere Collegen, die er von dem Vermögensstand der alten Glauning +unterrichtet und mit der Braut bekannt gemacht hatte, erklärten ihn +für beneidenswerth; er war in der besten Laune, sog den Blüthenduft +des schönen Verhältnisses mit vollen Zügen ein und that alles, was +der Erwählten angenehm und schmeichelhaft sein konnte. Wie hätte da +Christine noch Aug' und Ohr haben können für etwas anderes! Sie liebte +und sah den Geliebten glücklich, sie sah seinen Eifer, ihr Freude<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> zu +machen, und fühlte keinen lebhafteren Trieb und wußte keine höhere +Pflicht, als ihm seine Liebe zu vergelten.</p> + +<p>Das Glück hat die Eigenschaft, daß es sich aus sich selber vermehrt und +seine Vermehrung von außen her magnetisch anzieht; darum giebt es auch +eine Zeit, wo es in stetem Wachsen ist. Die Freude machte Christine +nicht nur holder und feiner, als sie bisher erschien, sondern auch +geistig aufgeweckter und heller. Sie war in der Freude sicher, und ihre +Urtheile, ihre Bemerkungen im Gespräch erschienen dem Verlobten gar oft +mit Recht sinnig und treffend. Forstner sah sich nun auch von dieser +Seite beruhigt — er glaubte aus ihr eine Frau ganz nach seinem Herzen +bilden zu können. Dies verhehlte er ihr aber auch nicht; er erquickte +ihr Herz mit Lob über Vorzüge, die sie bis jetzt noch nicht an sich +gekannt hatte, und ein außerordentliches Behagen, ein liebevolles +Dankgefühl gegen ihn war die Folge davon.</p> + +<p>Die beiden jungen Leute und eben so die beiden Mütter waren in einem +Zustande, wo man die Engelein im Himmel singen und musiciren hört. Der +Liebes- und Freundschaftsverkehr ließ bei der nothwendigen Arbeit des +Tages kaum so viel Muße übrig, um die Ausstattung der Braut und die +künftige Einrichtung zu erwägen und die ersten Vorbereitungen zu den +Unternehmungen der nächsten Monate zu treffen.</p> + +<p>Hans ging seinem Geschäft nach und schien nur dafür Sinn und Auge zu +haben. Was er mit seinen Verwandten zu reden hatte, wurde kurz und +ruhig abgemacht; er war gern allein, man sah es und ließ ihn allein. +Da Christine an ihrer Ausfertigung arbeiten mußte und die strengere +Bauernarbeit für sie nicht wohl mehr schicklich war, so hatte man eine +Taglöhnerin für sie eingethan. Diese war schweigsam, eine von den still +hinlebenden, in ihrer Gedankenlosigkeit glücklichen Personen, wie man +sie auf dem Lande nicht selten findet, und der Bursche hatte zu seinem +Troste nichts zu leiden durch Geschwätz und durch Fragen, die ihm jetzt +doppelt zuwider gewesen wären.</p> + +<p>Ihm war das zuletzt Erlebte freilich nicht verschwunden und von der +Gegenwart überdeckt, wie den andern; aber es hatte sein Peinliches +verloren, die Zeit hatte es gemildert und ihren Duft darauf geworfen.<span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span> +Es war nicht mehr das bloße Leid, das er empfand. Diesem war die +niederdrückende Gewalt genommen, die man entweder überwinden oder +der man erliegen muß; es hatte selbst etwas Liebes und für die Seele +Wohlthuendes erhalten.</p> + +<p>Was wir poetisches Gefühl nennen, ist von keinem Stande, von keiner +Schichte der Gesellschaft ausgeschlossen. Früher hätte man diesen Satz +vertheidigen müssen; jetzt, wo man die Volksmelodien und Volkslieder +kennt und ehrt, wird ihn niemand zu bestreiten wagen. Wo ist Liebeslust +und Liebesleid inniger, tiefer und rührender ausgesprochen, als +in eben diesen Liedern, die aus dem Volke hervorgegangen oder von +ihm angenommen und erhalten worden sind, und die immer noch, in +Gesellschaft oder in Einsamkeit, von ihm gesungen werden? Wenn das +tiefere Gemüth auf sich selbst und sein Leid beschränkt ist, fällt +ihm ein Lied ein, das seinen Zustand ausdrückt; der Mund summt es +unwillkürlich, das Herz schauert und die Augen werden feucht.</p> + +<p>Der Winter war vergangen, die erste Frühlingszeit hatte schön begonnen +und die Feldarbeit nahm ihren Anfang. Wenn der letzte Schnee weicht, +die Sonne wärmer scheint, der Boden locker, die Wiese grüner wird und +die Lerche singend in den Himmel steigt, dann geht durch jede bedrängte +Seele ein Gefühl der Genesung. Auch die weichere Natur fühlt sich +körperlich und geistig stärker und fängt im Leid wieder an zu hoffen; +das männliche Herz gesundet fühlbar, wird seiner selbst mächtig und der +Bedrängniß überlegen. Dann ist aber gerade die Zeit gekommen, wo es das +Leid lieb gewinnt und es aus freien Stücken festhält und hinabsteigt zu +der Süßigkeit melancholischer Träumerei.</p> + +<p>Unser guter Freund hatte mehr Anlage zu innerlichem Leben von der Natur +erhalten und in sich ausgebildet, als es auf dem Lande gewöhnlich ist. +Von der Lustbarkeit weniger angezogen, durch eine scheue Leidenschaft +auf sich selber gewiesen, kannte er schon länger den Reiz gemüthlicher +Vorstellungen. Die Neigung dazu und die Kraft, solche Vorstellungen +zu erzeugen, trat jetzt um so stärker in ihm hervor und gewährte ihm +die volle Lust herzlich gehegter Trauer. Freuten die Verlobten sich +in hellen Dur-Tönen — ihm war ein Glück,<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> und ein reiches Glück, in +Moll beschieden. Seine Arbeiten störten ihn darin nicht; er verstand +sie so gut, daß sie wie von selber ihren Gang gingen und ihm Zeit +genug übrig ließen, seinen Gedanken nachzuhängen. Wenn er mit seinen +Kühen wohlgehaltenes Land »äckerte« und von dem Hauch der frisch +aufgeworfenen Erde umdampft zuweilen »sinnirte,« wurden die Furchen +darum nicht schlechter und er rief den Thieren zeitig genug sein +»Härrerei'« zu, wenn er an der »G'wand« (Ackergrenze, wo umgewendet +wird) angekommen war. Auf der Wiese rechte er mit der Taglöhnerin um +die Wette Streu, obwohl es in seinem Innern summte, während in ihr die +vollkommene Stille des Nichts Platz genommen hatte. Die ländlichen +Arbeiten begünstigen zum Theil ein gewisses träumerisches Wesen; +besonders einladend dazu ist aber die mittägliche und abendliche +Heimkehr von einem entfernteren Ackerstück, so wie die Fütterungs- +und Verdauungszeit der untergebenen Thiere. In den völlig einsamen +Momenten, erfüllt von seiner Empfindung, kamen unserm Burschen allerlei +Lieder in den Sinn. Er sang sie mit herzlicher, gedämpfter Stimme +und fühlte ganz die Besänftigung und erneuerte schönere Aufregung +anspruchloser Kunst. So sang er das Lied:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Da droben auf jenem Berge,</div> + <div class="verse indent0">Da steht ein hohes Haus,</div> + <div class="verse indent0">Da schauen wohl alle Frühmorgen</div> + <div class="verse indent0">Drei schöne Jungfrauen heraus« u. s. w. —</div> + </div> +</div> + +<p>wohl mehr wegen der lieben, rührenden Melodie, als weil die Reime +seinem Zustand entsprachen. Wenn er aber das letzte »G'setz« für sich +hinsummte, dann hatte er dabei doch auch seine ganz eigenen Gedanken.</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Ach Scheiden, ach Scheiden,</div> + <div class="verse indent0">Wer hat doch das Scheiden erdacht!</div> + <div class="verse indent0">Es hat mein jung frisch Leben</div> + <div class="verse indent0">Das Scheiden so traurig gemacht.«</div> + </div> +</div> + +<p>Er lebte mit der, die er liebte, in Einem Hause; aber er war viel +schlimmer geschieden als ein Liebhaber, der in die Fremde muß. Für ihn +gab es kein Wiederfinden, kein Wiedersehen, keine Wiedervereinigung! — +Bedachte er, wie sehr und wie lang er Christine geliebt<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span> und wie treu +er an ihr gehangen, dann kam ihm wohl ein Lied auf die Lippen, das im +Ries oft gesungen wird:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Treu hab' i geliebet,</div> + <div class="verse indent0">Was hab' i davon?</div> + <div class="verse indent0">Mein Herz ist betrübet,</div> + <div class="verse indent0">Das hab' i zum Lohn.«</div> + </div> +</div> + +<p>Und in tiefem Ernst sah er dann für sich hin. — Einmal wurde dieser +Ernst durch ein halb weh-, halb gutmüthiges Lächeln verdrängt. Es war +ihm ein anderes Liedchen eingefallen, das seine Erfahrung erklärte:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Wann's Mädle sauber ist,</div> + <div class="verse indent0">Und ist no jung, no jung,</div> + <div class="verse indent0">Muß der Bue luste sei',</div> + <div class="verse indent0">Sonst kommt er drum.«</div> + </div> +</div> + +<p>»Ja freile,« sagte er dann zu sich, »doh hot's eba' g'fehlt, und i ka' +me net beklaga'. 'Sist oena' (eine) wie die ander. Wer koe (kein) so a +»Luftikus« (Variation von Windbeutel) ist, der ka' nex ausrichta' bei +da' Mädla'!« Und er erleichterte nun sein Herz in folgenden Strafreimen:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Was hilft me a schöner Apfel,</div> + <div class="verse indent0">Wann er innen ist faul! </div> + <div class="verse indent0">Was hilft me a schöas Dea'del —</div> + <div class="verse indent0">Sie macht mer nor d's Maul!«</div> + </div> +</div> + +<p>Der leichten Anklage der schönen Base folgte aber bei dem guten +Burschen in der Regel die Rechtfertigung, die Einsicht in die Natur +der Dinge und den Lauf der Welt, die Ergebung und die stille Trauer. +Einmal, als er nach der letzten abendlichen Fütterung im Stalle saß und +die Kühe wiederkäuend dalagen, summte er in der leise belebten Stille +eine Melodie ohne Text, die ihn dergestalt rührte, daß ihm Thränen in +die Augen traten. Er besann sich auf das Lied — es war das bekannte:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Wann mei' Schatz Hochzeit macht,</div> + <div class="verse indent0">Hab' i a traurige Nacht,</div> + <div class="verse indent0">Sperr mi in mei' Kämmerlein</div> + <div class="verse indent0">Und wein' um mein' Schatz.«</div> + </div> +</div> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span></p> + +<p>Es klopfte und zitterte in seinem Herzen und die Thränen rollten die +Wangen herunter. Das war ihm aber doch zu arg. Er stand rasch auf, +wischte sich die Augen und rief mit wahrem Zorn: »Hohl der Teufel die +Narrheit! Ich werd' noch ganz zum alten Weib! — Aber jetzt ist's auch +gnug!« Er ging in dem Gange vor dem »Bahren« (Futtertrog) hin und her +und fing ein kleines Gespräch mit einer Kuh an, die sich erhoben hatte +und ihn anmuhte. Allein er konnte nicht verhindern, daß ihm seine +Gedanken wie verwöhnte Kinder noch einmal zu dem verbotenen Gegenstand +entliefen. Er dachte an seine alten Träume, mit der Christine das +schöne Haus zu bekommen und drin mit Weib und Schwieger ein Leben zu +führen herrlich und in Freuden. Mit einer Art von Heroismus sang er +hierauf das launig desperate Lied:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Und aus isch mit mir,</div> + <div class="verse indent0">Mei' Haus hat kei' Thür,</div> + <div class="verse indent0">Und mei' Thür' hat kei' Schloß,</div> + <div class="verse indent0">Und mein' Schatz bin i los.«</div> + </div> +</div> + +<p>»Ja, ja,« sagte er dann halb lächelnd zu sich, »Alles ist hin +miteinander! — D's Haus freilich, das traut' ich mir wohl noch zu +kriegen; aber was hilft mich d's Haus ohne d's Weib!« — »Nun,« setzte +er endlich sich ermannend hinzu, »am End' bleib' doch <em class="gesperrt">ich</em> noch +da!«</p> + +<p>Zu der schönsten Zeit auf dem Lande gehört der Morgen eines Feiertags, +wenn die Sonne scheint und die Luft mild und lieblich ist. Je mehr der +Bauer die Woche hindurch gearbeitet hat, desto besser versteht er am +Sonntag zu ruhen. Seine Bewegungen sind dann <i>con amore</i> langsam, die +Mienen drücken ruhiges Vergnügen, sein ganzes Wesen tiefe Gelassenheit +aus. Mit der Arbeit der Wochentage hat er auch die Sorgen hinter sich +gelassen und ist zu einer Art von Naturstand zurückgekehrt, wo ihn ein +Hauch der goldenen Zeit und ihrer Glückseligkeit anweht. Er kommt an +solchem Tag in eine tiefere Stimmung und gibt sich entweder stiller +Träumerei hin oder freut sich an der Schönheit einzelner Gegenstände +der Natur, nicht wie ein schwärmender Poet freilich, aber schlicht und +naiv wie ein Kind. Und dieses Naturbehagen wird durch die kirchliche +Feier des Tags nicht gestört, es wird durch sie gestärkt, erhöht und +sanktionirt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p> + +<p>Nach und nach war der Mai herbeigekommen. Die Bäume glänzten in +frischem Laub, einzelne standen über und über in Blüthe. Es wurde nun +ein Lieblingsvergnügen des guten Hans, in der schönen Sonntagsfrühe +sich in den Garten zu begeben, und was in der Woche gewachsen und +ausgeschlagen, was von ihm selbst darin gearbeitet und hergerichtet +war, mit Ruhe zu beschauen. Er freute sich an dem grünen Laub und an +den schönen Blüthen der Bäume, aber auch an dem Gesurre der »Emmen« +(Immen, Bienen) darin; denn sie hatten an der Mauer des Hauses selber +einen »Emmenstand,« worin sich drei Stöcke befanden, und er hoffte, daß +einer davon bald schwärmen werde. Er freute sich bei den Stöcken der +rothen und gelben Hosen, welche die Bienen anhatten, und wie ordentlich +ein Vergnügen aus ihnen glänzte, mit so reicher Beute heimzukehren. +Zu der Südgrenze des Gartens hinabgewandelt, sah er mit Lust über die +weißblühende Dornhecke auf die Wiese hinaus und freute sich der schönen +Blumen darin, eben so des reichlichen Grases, das eine gute Heuernte +versprach. Die Lerchen schienen ihm noch lieblicher zu singen, als +an Wochentagen draußen auf dem Felde, und es war ihm, als müßte bei +diesem Gesang, bei der Schönheit und dem Wohlgeruch der Blüthen, bei +der warmen Luft und dem hellen Sonnenschein, und bei den herrlichen +Aussichten auf ein gesegnetes Jahr die ganze Welt sich glücklich fühlen.</p> + +<p>Er selber fühlte sich glücklich, glücklicher als seit langer Zeit. Es +war noch immer ein Zusatz von Trauer in seinem Glück, aber sie war +aufgelöst und hatte sich innig mit seinem Wohlgefühl verbunden. Das +genesende Herz war nicht nur gestärkt durch die Schönheit der Natur, +durch die stille Betrachtung des Blühens und Gedeihens, sondern auch +durch die religiöse Bedeutung des Tages. Hans gehörte nicht zu den +»Betischten,« wie man im Ries, das Wort von »Beten« ableitend, die +Pietisten nennt; er machte aus der Frömmigkeit nicht das Geschäft +seines Lebens. Aber man hat wohl schon bemerkt, daß in seinem Wesen +doch gar manches lag, was recht eigentlich christlich war, und bei +aller Natur, die mit ihm verbunden blieb, hätten wir einem solchen Mann +im Lebensverkehr doch mehr vertrauen mögen, als manchem von den Stillen +im Lande, deren Mehrzahl wir übrigens<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> gerne nicht nur für ehrliche, +sondern überhaupt für respektable Leute halten. Hans hatte einen guten +»Unterricht« (mit diesem Wort bezeichnet der Rieser ausschließlich den +Religionsunterricht) genossen, und er war der Mann, von den Lehren +des Geistlichen mehr zu behalten als der erste beste. Er hatte ein +dankbares Gemüth gegen Gott und war ihm anhänglich und diente ihm in +den Formen, in denen er erzogen war. In seinem Hin- und Herdenken fiel +ihm nun auch wohl ein Ausspruch der Bibel oder des Gesangbuchs ein, der +ihn tröstete und von seiner Empfindung frei machte.</p> + +<p>An einem besonders schönen Sonntagsmorgen steigerte sich unter solcher +Einwirkung die Stimmung seines Herzens bis zur Heiterkeit. Vor dem +religiösen Gefühl, wenn es die Seele auch nur als ein unbewußter Hauch +durchdringt, können gewisse trübe Empfindungen nicht Stand halten; wir +legen einen andern Maßstab an das Leid, und was uns sonst über die +Maßen begründet erschien, das kann sich uns als eine Einbildung, ein +Erzeugniß menschlicher Schwäche darstellen, und sein Wichtigthun kann +uns ein Lächeln abnöthigen. Die wahrhaft gute Natur wird dann frei von +der letzten Empfindlichkeit und fähig, nicht nur zu vergeben, sondern +auch zu vergessen. Als Hans an diesem Morgen in's Haus zurückkehrte, +weil die Glocken zur Kirche riefen und er die festlich geputzte +Christine im »Wurzgarten« am Hause sah, wie sie noch ein Sträußchen +pflückte, um ihren Schmuck zu vollenden, warf er im Vorübergehen einen +Blick auf sie, wie ihn ein Mann auf ein glückliches Kind wirft. Und als +sie ihn gewahr wurde und vergnügt und mit einer gewissen Gutmüthigkeit +rief: »Guten Tag, Hans!« da dankte er ihr von Herzen freundlich und +wünschte ihr eine »gute Andacht,« obgleich er wußte, daß ihre Andacht +hauptsächlich im Denken an ihren Bräutigam und in der Freude über sein +schönes Singen und Orgeln bestehen werde. Er selber ging würdig langsam +in die Kirche und erbaute sich in ihr mehr als sonst, weil er, durch +seine Herzenserfahrungen und sein Nachdenken darüber belehrt, mehr +als sonst von der Predigt verstand. Er kam aufgerichtet und froh nach +Haus, das Gefühl im Herzen, das wohl als ein Ersatz für die verlorene +Freude des Lebens gelten kann,<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> das Gefühl, durch Selbstüberwindung und +Entsagung klarer und besser geworden zu sein.</p> + +<p>Wer kann die Regungen eines Herzens schildern, das eben so der +Leidenschaft wie der Resignation, eben so des Schmerzes wie der +Erhebung fähig ist? wer das Spiel verfolgen der Trauer und der +Tröstung, des Hinabsinkens und des Emporstrebens, des Rückfalls und der +langsamen, langsamen Heilung? Nur andeuten läßt sich, was durch eine +Seele geht, die dem liebsten und theuersten Wunsch entsagen muß, und +das haben wir zu thun versucht.</p> + +<p>Die Zeit und die Kräfte, die dem strebenden Menschen zu Hülfe +kommen, übten endlich auch auf unsern Freund ihre ganze Macht. Seine +Empfindungen zergingen freilich nicht wie die der andern, aber sie +traten zurück in das Innerste seines Herzens, das sich über ihnen +zuschloß. Er bewahrte sie hier, wie man im verborgensten Fache eines +Schreins ein ererbtes theures Kleinod bewahrt, des Besitzes gewiß, ob +man es zuletzt auch nur selten hervorzieht, um sich in seinen Anblick +zu versenken.</p> + +<p>Als der Frühling hingegangen war, standen Mutter, Tochter und Vetter +wieder auf so freundschaftlichem Fuß, als ob ihr Verhältniß niemals +getrübt worden wäre. Wenn die Glauning sah, wie Hans jetzt fast noch +eifriger und gewissenhafter arbeitete, als früher, ging es ihr doch +zuweilen an's Herz und sie dachte bei sich selbst: »So ein braver +Mensch ist mir doch wahrhaftig noch nie vorgekommen! Der Bräutigam +meiner Tochter ist schöner und feiner; aber wenn er nur auch so gut +ist, wie der Hans.« — Christine war von der Tugend des Vetters, die +sich so völlig anspruchlos in Thaten kundgab, auch gerührt; aber ihr +innerliches Lob schloß nicht mit einem Wunsch, der über die Güte +Forstners noch irgend einen Zweifel zuließ. Ihr Bräutigam war nicht +nur der schönste und feinste, sondern auch der beste aller Menschen; +das bewies er ihr ja täglich durch seine Liebe, durch seinen Eifer, +ihr Freude zu machen. — Der Verlobte selbst begegnete dem Guten jetzt +mit viel mehr Rücksicht als früher. Wenn Hans ihm seine gebührende +Ehre gab und bei seinem Eintritt in's Haus mit ruhiger Freundlichkeit +»guten Abend, Herr Lehrer« sagte, sprach aus dem Ton seiner Erwiederung +und aus seinem Blick<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> ein unwillkürlicher Respekt, und selbst zu +Hause im Gespräch mit seiner Mutter gebrauchte er über ihn nie mehr +despektirliche Bezeichnungen, wie sonst. Manchmal nahm er Gelegenheit, +dem Braven wegen seiner Geschicklichkeit als Bauer ein Compliment zu +machen und es so warm auszudrücken, daß Hans selber zu glauben anfing, +dieser Mann wäre am Ende doch besser, als er ihm zuerst vorgekommen +sei, und Christine könnte mit ihm glücklich werden.</p> + +<p>In Christine regte sich, nachdem sie ihre Furcht und Verlegenheit vor +Hans gänzlich abgelegt hatte, die gute Natur. Die Achtung, die sein +Benehmen ihr einflößte, wurde zur Freundschaft, zur freundschaftlichen +Theilnahme. Sie fühlte den Trieb, ihn wohl zu halten und ihn +zu erfreuen durch Lob und durch die Aufmerksamkeiten, wozu der +Familienverkehr so viele Gelegenheit bietet. War sie auch nicht mehr +gedrückt durch das, was ihr früher als ein Unrecht vorkam, so fühlte +sie sich doch erleichtert, wenn sie etwas für ihn gethan hatte. Einmal, +als das Gespräch mit ihm eine scherzende Wendung genommen, sagte sie, +indem sie plötzlich einen ersteren Ton annahm: »Hans, du mußt auch +heirathen! Einem Mann in deinem Alter gehört ein braves Weib, und +du verdienst die beste!« — Hans sah ihr betroffen und argwöhnisch +in's Gesicht; da er aber nur wirkliche Theilnahme darin erblickte, +so antwortete er mit einer gewissen Laune: »Für unser Einen ist's +Heirathen so eine Sach', man kriegt nicht immer die, die man gern +möchte.« — Christine, die ein wenig roth wurde, rief um so lebhafter: +»Ein Bursch wie du kann sich jede aussuchen!« — Hans verzog seinen +Mund und erwiederte: »Ich glaub's wohl! So Einem kann's nicht fehlen! +Wenn er die Hände ausstreckt, hängt an jedem Finger eine!« — Ueber +diesen kitzlichen Punkt fand Christine für gut hinwegzugehen, und die +Heirath schon als geschehen betrachtend, sagte sie: »Dann werden wir +Gevatterleut' und ich heb' deine Kinder aus der Täf (Taufe), und wir +wollen recht vergnügt mit einander sein.« — »Nun damit,« versetzte +Hans lächelnd, »hat's noch gute Weg'. Zuerst heirathest du, und dann +wollen wir sehen, was mit mir anzufangen ist.«</p> + +<p>Freilich, auf die Hochzeit der Christine war mehr Aussicht als auf +die des guten Hans. Die Verlobten hatten beschlossen, sich im<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> Herbst +»zusammengeben« zu lassen, und es wurde nun immer emsiger an der +Ausfertigung gearbeitet. Die Frage, wie Christine als Frau Lehrerin +sich kleiden solle, war erledigt. Heutzutage hätte man eine »Näherin« +eingethan, die sich als Kleidermacherin schon einen Namen erworben, +und der Lehrersbraut die gehörige Zahl bürgerlich französischer Anzüge +fertigen lassen. Damals warf man aber die Rieser Tracht noch nicht so +schnell über Bord, und es war demnach im Hause der Glauning beschlossen +worden, nur zu der feineren Kleidung im Rieser Styl fortzugehen, wie +sie die Weiber der reichen Bauern, der Müller, Wirthe und auch der +Schullehrer noch trugen. Es war immerhin ein Fortschritt, und das +Herz der Braut wurde außerordentlich erheitert beim Anblick zweier +seidener Halstücher, die ganz neumodisch waren, eines herrlichen +»geflammten« Rocks, der in zierliche Falten »gebegelt« (gebügelt) die +stattlich Hinschreitende umwogen sollte, und einer großen Radhaube, +nicht mit schwarzen, sondern mit weißen Spitzen und mit farbigen +seidenen Bändern, womit im Dorf bis jetzt einzig und allein die +Wirthin geprangt hatte. Als Christine dieses Wunder von Haube zuerst +probirte und die seidenen Bänder, zierlich verschlungen, von ihrem +Kinn auf die Brust herunter wallten, fühlte sogar die Taglöhnerin aus +ihrer pflanzenähnlichen Ruhe sich herausgerissen; sie hing an der +Beneidenswerthen mit einer Art von Andacht, stieß einen komischen +Seufzer aus und rief: »Bändel zieret halt da' Menscha'!« wobei sie in +ihrem Herzen dachte, daß sie in einer Haube mit so schönen Bändern sich +neben der Christine wohl auch noch sehen lassen könnte. — Dem Vorrath +an Leinwand und Bettfedern, den die Mutter gesammelt hatte, wurde nebst +dem Geldbeutel stark zugesprochen, und der Wunsch der ehrgeizigen +Frau, ihre Christine wie eine reiche Bauerntochter auszustatten, und +das Verlangen, doch auch noch etwas übrig zu behalten, kamen öfters +mit einander in Streit. Hie und da gab es sogar einen kleinen Handel +zwischen Mutter und Tochter, der aber bald wieder in's Gleiche gebracht +wurde: Christine hatte den Vortheil, das einzige Kind zu sein. Indem +nun die beiden mit der Dorfnäherin und dem Dorfschneider in die Wette +arbeiteten, ging die Sache stetig vorwärts. Man war sicher, zu rechter +Zeit fertig zu werden und in's Schulhaus mit einem<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> Wagen voll Hausrath +einzuziehen, wie er von einer Söldnerfamilie noch nie geliefert worden +war.</p> + +<p>Daß zwischen dem Haus der Glauning und dem Schulhaus immer der engste +Verkehr statt gefunden hatte, versteht sich von selbst. Forstner +war fast in allen Stunden, die er sich abmüßigen konnte, bei der +schönen Braut gewesen, und seine Mutter hatte über alle wichtigen +Fragen mit ihr und der Base Rath gepflogen. Bei einem so lebhaften +Temperament, wie es der junge Lehrer besaß, konnte sich die Glut +des Liebenden freilich nicht immer auf der ersten Höhe behaupten; +gerade wenn sie dauern sollte, mußte sie sich mäßigen und so zu sagen +in regelmäßigem Flußbette hinströmen. So war denn mit der Zeit der +Verlobte ruhiger geworden, und ohne daß sein Wohlgefallen an der Braut +sich minderte, öffnete sich sein Herz auch wieder andern Dingen. +Den ganzen Frühling hindurch hatte er Einladungen seiner Freunde zu +fröhlichen Gelegenheiten ausgeschlagen. Er führte Christine mit seiner +und ihrer Mutter an schönen Feiertagen nach Nördlingen, Oettingen oder +Wallerstein, unterhielt sie, zeigte ihnen belehrend die Schlösser und +Hofgärten der fürstlichen Residenzen und ging in gemüthlichem Gespräch +mit ihnen nach Haus. Wie nun aber der Eifer der Ausfertigung, je weiter +diese vorschritt, nur um so lebhafter wurde und die Weiberherzen +ganz zu erfüllen schien, glaubte Forstner den Collegen und Kameraden +sich nicht länger entziehen zu dürfen. Man hatte in Oettingen ein +musikalisches Kränzchen gestiftet, und er mit seinem hübschen Tenor und +seinem Geschick auf der Violine war ehrenvoll dringend zur Theilnahme +aufgefordert worden. Er verpflichtete sich dazu, und da die Gesänge und +die Musikstücke, die man aufführte, bald gut zusammengingen, so legte +der rasche Fußgänger mit Vergnügen die ziemlich lange Strecke zurück, +die zwischen dem Dorf und dem Ort der Zusammenkunft lag, und freute +sich der künstlerischen Unterhaltung und der lustigen und geistreichen +Gespräche, die auf die kleinen Concerte zu folgen pflegten.</p> + +<p>Forstners Temperament — das hat man schon gesehen — war überwiegend +sanguinisch. Von Leuten dieser Art ist bekannt, daß sie gewisse Dinge +schneller und lebhafter erfassen, aber schneller auch wieder lassen +als andere. Ich sage, gewisse Dinge. Es wäre schlimm,<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> wenn der +Sanguiniker in seinem Geist und Herzen nicht die Kraft besitzen könnte, +einem Gedanken, einer Pflicht und einer ernstlichen Neigung treu +sein Leben zu widmen. Aber von gewissen Dingen, namentlich solchen, +die auf dem Felde der Unterhaltung und des Lebensgenusses liegen, +wird der Mann von leichtem Blut schneller hingerissen als andere +und weiter geführt, als er anfangs dachte, auch wenn er, wie unser +Lehrer, eine Dosis Phlegma besitzt, welche der Klugheit zur Unterlage +dient. — Das musikalische Kränzchen in der genannten fürstlichen +Residenz gewann in raschem Aufschwung einen Stand der Blüthe, wie er +unter günstigen Verhältnissen bei solchen Verbindungen einzutreten +und eine Zeitlang zu dauern pflegt. In solcher Zeit gelingt alles; +die Theilnahme scheint ununterbrochen zu wachsen, die Freude kommt +ungesucht und der Ruhm des Instituts verbreitet sich in der ganzen +Umgegend. An den Tagen, wo man sich in Oettingen versammelte, fanden +sich nun bald auch Gäste von benachbarten fränkischen Orten ein, die +nach ihrem bekannten Naturell dem Vergnügen keinen Eintrag thaten. +Musiker trinken gern, und ein leichter Rausch ist der Zustand, der +allein würdig scheint, auf künstlerischen Enthusiasmus zu folgen, +weil er diesen nicht verglühen läßt, sondern liebevoll erhöht und +weiter trägt. Da nun das Bier, welches der Ganswirth lieferte, +vortrefflich war, so fühlten sie sich, wenn es auch meistens Dorf- +und Stadtlehrer mit zwei- bis fünfhundert Gulden Einkommen waren, +doch alle wie Könige. Die musikalischen Aufführungen gewährten edeln +und feinen Genuß, das darauf folgende Gelag machte sie fröhlich wie +die fidelsten Musensöhne, und die Gesänge, in welche die innere Lust +hier unwillkürlich ausströmte, klangen noch schöner und ergreifender, +als die kunstmäßig vorgetragenen, weil die Formen der Kunst von der +lodernden Glut der Seelen überschwänglich erfüllt wurden. — Forstner, +eine Zierde sowohl der Aufführungen als der Gelage, sah sich in diesem +Zirkel geehrt und geliebt; seine Freundschaft wurde gesucht, ein Lehrer +aus der benachbarten fränkischen Stadt erklärte ihn für ein Genie und +schloß sich eng an ihn an; da war es ohne Zweifel natürlich, daß die +Theilnahme an dem Kränzchen in ihm endlich zur Passion wurde und daß +er an den Versammlungstagen regelmäßig als einer der ersten kam und +einer<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span> der letzten ging. Eben so natürlich war es aber auch, daß dabei +Zeit und Geld verthan wurden »nach Noten« — und letzteres mehr als es +Forstners Einkommen vertrug.</p> + +<p>An Zeit hat der Dorflehrer im Sommer keinen Mangel. Dessen ungeachtet +verminderten sich die Besuche des Bräutigams im Hause der Braut auf +eine Weise, daß es auch der Vielbeschäftigten und Arbeitstrunkenen +auffallen mußte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe und setzte mit etwas +empfindlichem Ausdruck hinzu: es sehe beinahe aus, als ob's mit seiner +Lieb' zu ihr gar nicht mehr so arg sei, wie sonst. Allein da schloß +er sie mit einer Zärtlichkeit in seine Arme und sprach von seiner +ewigen Liebe und Treue in so schönen Ausdrücken, daß der halbe Zweifel +in der Seele des Mädchens rasch wieder getilgt war. Er zeigte eine +ernste Miene und belehrte sie, wie er sich im Singen und Musiciren +üben und Bekanntschaften machen müsse, weil ihm dies zu seinem +Fortkommen durchaus nöthig sei. Er erzählte ihr, welchen Beifall er in +dem Kränzchen erhalte und wie geehrt er sei — und Christine, selbst +geschmeichelt, meinte, das sei dann freilich etwas anderes und auch sie +könne ihm jetzt nicht rathen wegzubleiben.</p> + +<p>Mit seiner Mutter hatte Forstner eine andere Erörterung. Die alte +Frau besaß noch etwas Vermögen. Es war nicht mehr so viel als vor +einigen Jahren; denn der begabte und überall beliebte Sohn hatte als +Schulgehülfe mit seinen Einnahmen unmöglich reichen können, und jedes +Jahr mußten etwelche Schulden getilgt werden. In seiner jetzigen +Stellung war er ausgekommen, so lange er eingezogen lebte; jetzt hatte +sich wieder ein Deficit gezeigt, und er mußte die Mutter neuerdings +angehen. Diese sträubte sich und las ihm gehörig den Text. Allein +es gelang ihm auch ihr gegenüber zu beweisen, daß ihm die jetzigen +Ausgaben in Folge der gemachten Bekanntschaften zehnfach wieder +hereinkommen würden, und die beschwichtigte Mutter zahlte.</p> + +<p>Der Sommer näherte sich seinem Ende. Die Ausstattung der Christine +war beinahe fertig — ein Gegenstand der offenen Bewunderung und +des geheimen Neides besuchender Freundinnen. An den Kästen und +»Bettscha'den« (Bettstatten), an Tischen und Stühlen<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> hatte der +Schreiner des Dorfs sein Meisterstück gemacht. Sie waren nicht von +Mahagoniholz und nicht polirt, aber mit brauner Oelfarbe überzogen, +so schön wie man's noch nie gesehen. Hemden, weiße Schürzen, +Schnupftücher, »Handswellen« (Handtücher), Tischtücher und Strümpfe +gewöhnlicher und feingemodelter Gattung lagen gewaschen und gebügelt +im »Weißwaarenkasten.« Die Betten waren schon überzogen mit blau- und +rothgestreiftem, selbstgewirktem Zeug. Spitzenhauben, Sonntagskappen +(wo das »Bödele« aus Gold- oder Silbergeflecht bestand) und +verschiedene Alltagskappen prangten im obern Fach des reichbehängten +Kleiderkastens. Ein neuer Spinnrocken mit Rad, von einem Nördlinger +»Dreher« kunstreich gefertigt, stand bereit, um an dem Tag des Einzugs, +mit dem feinsten und weißesten Flachs überzogen und mit rothseidenem +Band umwickelt, mitten auf dem Wagen zu prangen. Es fehlten +hauptsächlich nur noch ein paar Sessel, welche die alte Glauning, des +feinen Schwiegersohns wegen, sich auch noch zu bestellen entschlossen +hatte, und ein kleines Stück Hausrath, welches erst später nöthig zu +werden pflegt, das aber vorsorgliche und humoristische Eltern in der +Regel auch gleich mitfertigen lassen.</p> + +<p>Was Christine an Geld mitbekommen und wie es gezahlt werden sollte, war +ausgemacht. Die Heirath des einzigen Kindes mit einem Lehrer versetzte +die Wittwe in eine Nothwendigkeit, die auf dem Lande stets mit +Leidwesen empfunden wird, das Gut, das ihr Mann von seinen Vorfahren +überkommen, vergrößert und so schön hergerichtet hatte, in andere +Hände übergehen zu lassen. Der angestellte Schwiegersohn konnte es +nicht übernehmen, und sie konnte es nach der Ausstattung ihrer Tochter +nicht mehr halten. Als sie das einmal vor Hans aussprach, bemerkte +dieser: er habe daran auch schon gedacht und bei sich überlegt, was +Haus und Feldung in heutiger Zeit wohl gelten möchten. Er sei über eine +Summe mit sich einig geworden, und um diese wolle er selber das Gut +an sich bringen. Die Wittwe, angenehm überrascht, ließ ihn die Summe +nennen; und da auch sie schon einen Ueberschlag gemacht hatte, dessen +Ergebniß von dem Gebot des Vetters nicht viel abwich, so wurden sie +bald »Handels eins.« Sie machten aus und gaben sich die Hand darauf, +daß<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> nach der Heirath der Christine — denn vorher wollten sie keine +Aenderung treffen — die Sölde um die vereinbarte Summe von ihr an ihn +übergehen solle. Der alten Glauning fiel ein Stein vom Herzen. Sie +konnte mit dem Handel zufrieden sein, dann aber war es ihr lieb, daß +ihr »Sach« an einen »Freund« überging, und nicht minder, daß der um +sie verdiente Hans wenigstens ihr Haus und ihre Güter erhielt, wenn +auch nicht ihre Tochter. In dem Vergnügen, das sie empfand, sah sie ihn +mit gutmüthiger Schlauheit an und sagte: »Du hast g'wiß schon eine mit +zwei- oder dreitausend Gulden!« — »Das nicht,« erwiederte Hans, »ist +aber auch nicht nöthig. Vor der Hand getrau' ich mir die Geschichte +allein zu behaupten.« — »Wenn's Einer kann, so kannst du's. Aber +besser ist besser.« — »Das schon; ich will auch gar nicht sagen, daß +ich ledig bleib'. Wenn ich in dem Haus da einmal festsitz', dann wird +sich wohl eine finden, die's riskirt mit mir.« — »Hundert für Eine!« +rief die Base mit Wärme; »so viel du willst!« — Hans zuckte die Achsel +und sagte: »Also dabei bleibt's! Wenn die Christine heirathet, bin ich +der Käufer.«</p> + +<p>Die Uebernahme dieser Verpflichtung war kein Akt der Großmuth von +unserem Freund. Er hatte das Gut lieb gewonnen, die von ihm Jahre lang +bebauten und verbesserten Felder waren ihm an's Herz gewachsen, und +da sich eine so gute Gelegenheit bot, sie zu erhalten, wollte er sie +nicht auslassen. Trotz des Gemüthes, das wir an ihm kennen, war er +keineswegs so romantisch gesinnt, daß er sich etwa vorgenommen, selber +unbeweibt zu bleiben und nur der Erinnerung an seine Liebe zu leben. +Im Gegentheil, es war ihm ganz ernst mit dem, was er der Base gesagt +hatte; wenn Christine verheirathet war, so wollte er selbst eine brave +Frau nehmen, die von ordentlichen Leuten herkam und etwas hatte und mit +deren Eingebrachtem er nach und nach ganz schuldenfrei werden konnte. +Mit ihr, wenn sie auch der Christine an Schönheit lange nicht gleich +käme, wollte er leben, wie sich's gehört, und einen rechten Mann machen.</p> + +<p>Von derjenigen Seite, wo neue Einrichtungen getroffen werden mußten, +war demnach alles in Ordnung. Es blieb nichts mehr übrig, als die +Erfüllung der gewöhnlichen Formalitäten, und das Brautpaar konnte +verkündigt, die Hochzeit konnte gefeiert werden. Als die Glauning<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> dies +dem Verlobten mittheilte und den Tag der Verkündigung bestimmt wissen +wollte, bemerkte dieser: es gehe jetzt noch nicht — man müsse noch +warten. Mutter und Tochter sahen ihn bei diesen Worten befremdet an. Er +war in der letzten Zeit einmal auf drei Tage verreist und hatte vorher +auf Befragen nur erklärt, daß er nothwendige Geschäfte besorgen müsse. +Nach der Rückkehr war er unruhig und aufgeregt; Christine wußte nicht, +was sie aus ihm machen sollte; sie sagte es ihm und mußte mit einer +Antwort vorlieb nehmen, die sie nur für eine Ausrede halten konnte. Und +jetzt, nachdem alles fertig und alles im Reinen war, sollten sie noch +warten? Sie fragte nach der Ursache; er erwiederte, die könne er noch +nicht sagen. »Auch mir nicht?« entgegnete sie verletzt und erröthend. +— »Auch dir nicht, gute Christine,« antwortete Forstner. »Es ist um +unseres gemeinschaftlichen Besten willen, und ich hoffe, in kurzem +kann ich reden.« — Wie bedenklich das alles der Braut und der Mutter +erscheinen mochte, sie mußten sich in seinen Willen ergeben und zusehen.</p> + +<p>Eines Abends — nachdem vier Tage verflossen waren — kam Forstner +mit raschen Schritten auf das Haus zu und trat mit ernster, feierlich +aufgeregter Miene in die Stube. »Ich bring' eine große Neuigkeit!« +rief er Christine entgegen, die mit ihrer Mutter am Tische saß. Das +Mädchen fuhr unwillkürlich zusammen und erhob sich rasch. »Was für eine +Neuigkeit? Du erschreckst mich!« — »Es ist nicht zum Erschrecken, +sondern zum Freuen,« erwiederte er. — »So sag's!« rief Christine, noch +keineswegs ermuthigt. — »Nun, ohne Umschweife: ich bin als Lehrer nach +** berufen« (er nannte eine fränkische Stadt, aus der sein Freund und +College vom Oettinger Kränzchen war) »und werde die Stelle mit nächstem +antreten.«</p> + +<p>Das Mädchen war mehr bestürzt als erfreut über diese Nachricht. »Du +kommst in eine Stadt?« fragte sie zagend. »Was soll dann aber aus +uns werden?« — »Du wartest hier bei deiner Mutter, bis ich mich +eingerichtet habe. Dann hol' ich dich ab und wir machen Hochzeit.« +— »Ich in eine Stadt!« rief sie, indem sie, wenn auch dunkel, alles +Bedenkliche dieser Ortsveränderung empfand. »Da paß' ich nicht hin!« +Und die Mutter setzte bekümmert hinzu: »Dann<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> hab' ich die halbe +Ausfertigung und alle die theuern Bauernkleider umsonst machen lassen!« +— Forstner lächelte. »Wir werden manches brauchen können, was Ihr +angeschafft habt, Frau Schwiegermutter. Und für die Kleider, die nicht +in die Stadt passen, schaffen wir andere an. Ich bekomme für's erste +hundert Gulden mehr als hier, kann mir durch Privatstunden noch andere +hundert verdienen und habe die Hoffnung bald vorzurücken.«</p> + +<p>Trotz all den schön eröffneten Aussichten wollte sich bei Christine +noch kein Vergnügen einstellen. »Ich weiß nicht,« sagte sie, indem +sie vor sich hinsah, »mir ist so angst!« — »Wenn du an einen Ort +sollst,« erwiederte der Verlobte mit einem Blick des Vorwurfs, »wo +ich bin? Schäme dich, Christine! Freuen solltest du dich, daß ich +vorwärts komme, und etwas einbilden solltest du dir, die Frau eines +Mannes zu werden, der in zehn Jahren vielleicht Oberlehrer ist.« — +»Ich freu' mich auch,« erwiederte Christine, deren Mienen sich nun doch +aufklärten, »aber ich fürchte nur« — — »Du bist ein Kind,« versetzte +er, indem er sie bei der Hand faßte. Und mit einem zärtlichen Blick +setzte er hinzu: »Bei mir wirst du doch angewöhnen? Da wird's dir doch +nicht »and thun« nach deinem Dorf?« — »Nun,« erwiederte das Mädchen, +der bei diesen Worten das liebende Herz aufging, »das mein' ich selbst. +Und in die Stadtleut' werd' ich mich am End' auch schicken!« — +»Freilich wirst du das! Ein schönes, liebes und gescheidtes Mädchen wie +du.«</p> + +<p>Bei der Mutter hatte die Aussicht, eine Frau Oberlehrerin zu bekommen, +die fatale Empfindung, so feine Bauernkleider umsonst angeschafft +zu haben, bereits zurückgedrängt und sie sagte jetzt: »Es ist wahr! +Und das Weib muß Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhängen, +wie's in der Bibel heißt. Herr Lehrer, nehmen Sie die Stelle nur an, +meine Tochter wird sich drein finden.« — »Es freut mich,« erwiederte +Forstner, »daß Ihr so verständig seid, obwohl ich bei Euch darauf +gerechnet habe.« Und in einem Ton, der halb dem Liebhaber, halb aber +auch dem Lehrer angehörte, sagte er zu der Verlobten: »Folg' mir nur, +liebe Christine, und gieb dir Mühe zu lernen, was dir fehlt. Ich will +dir alles sagen und zeigen, und in sechs Wochen wird dich kein Mensch +mehr von einem Stadtmädchen<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> unterscheiden können. Du hast die Gaben, +du wirst sie unter meiner Leitung ausbilden und eine Frau werden, die +mir Ehre macht.«</p> + +<h3>IV.</h3> + +<p>Ein schönes Ziel, auf dessen Erreichen man sich gefreut hat und durch +das man in heiterer Einbildungskraft schon vorher beglückt war, +plötzlich versinken zu sehen, ist betrübend, auch wenn sich in der +Ferne ein neues erhebt, das noch erstrebenswerther scheint. Christine +hatte geglaubt, in wenigen Wochen die Frau des Geliebten zu sein und +in ihrem Geburtsorte, wo es allein ihren Sinn reizte, etwas zu gelten, +in guten Verhältnissen und geehrt zu leben. Nun sah sie die Hochzeit +verschoben und sollte dann im eine Stadt ziehen unter fremde Leute, +an deren guter Meinung ihr nichts liegen konnte, wenn sie auch das +Vertrauen zu sich gehabt hätte, sie zu gewinnen. Statt der Gewißheit +hatte sie nur eine neue Hoffnung, die noch dazu bedeutend mit Furcht +gemischt war — ein Ziel, das nur ihrem Verstande, nicht ihrem Herzen +ehrenvoll erschien, und das nur durch Anstrengungen erreicht werden +konnte, die ihr keine geringe Last dünkten. — Doch, so war es einmal; +sie mußte sich darein fügen und dem neuen Stand der Dinge die beste +Seite abzugewinnen suchen.</p> + +<p>Zu dem in den Verhältnissen liegenden Grunde, die Trauung zu +verschieben, trat in kurzem und unerwartet ein neuer: die Mutter +Forstners erkrankte und starb nach wenigen Tagen. Sie hatte sich +außerordentlich gefreut, daß ihr Sohn den Fuß auf eine Leiter gesetzt, +auf welcher er zum Gipfel der Ehre emporsteigen konnte, und sie +rühmte ihn jetzt, daß er, wenn auch mit einigen Kosten, so nützliche +Bekanntschaften gemacht habe; denn er hatte ihr nicht verschwiegen, +daß er seine Berufung hauptsächlich den Bemühungen seines Freundes vom +Oettinger Kränzchen verdankte. War es ihr nun auch nicht vergönnt, +ihn auf dem neuen Weg zu begleiten, so starb sie doch mit dem +erhebenden Gedanken, ihn an der Seite einer wackern und schönen Frau, +die eigentlich sie gewählt hatte, dem städtischen Oberlehrer zugehen +zu sehen. — Der alte Geistliche benutzte diese<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> Umstände zu einer +erbaulichen Rede, und die Verlobten weinten der Verstorbenen von Herzen +in's Grab. Nach Verlauf weniger Tage gehörten sie freilich wieder dem +Leben an und gedachten der sorgsamen Mutter gelegentlich mit Lob, aber +ohne Trauer.</p> + +<p>Der Tag, auf welchen Forstner seinen Abzug angesetzt hatte, war +gekommen. Die Bauern zeigten sich bei dieser Gelegenheit freundlich und +diensteifrig. Der Lehrer hatte seine Pflichten nie vernachlässigt und +die Liebe der Kinder sich erhalten. In der letzten Zeit hatte unter +den Eltern allerdings die Meinung um sich gegriffen, daß er eigentlich +ein »leichter Passagier« sei, dem die Christine recht auf die Finger +sehen dürfe. Aber der Erfolg, die Anstellung in der Stadt überzeugte +auch sie eines Bessern; sie sahen in seinem »Gelaufe« ein kluges +Manöver und der gescheidte Mann stieg in der Achtung der praktischen +Dorfleute. Die Kinder, in denen die bessere Unterweisung neue, feinere +Gefühle ausgebildet hatte, ehrten den Lehrer durch sinnige Kränze +von Herbstblumen und durch ein gemeinsames Präsent. Gaben spendeten +auch wohlmeinende und vermögende Eltern, und die Nachbarn halfen den +Wagen beladen, den ein reicher Bauer unentgeltlich nach dem neuen +Aufenthaltsort zu fahren sich erboten hatte. Der Abschied von den +Repräsentanten der Gemeinde war freundschaftlich und herzlich, aber +heiter; Forstner sollte ja wieder kommen, um das schöne Dorfkind +abzuholen. — Von den Segenswünschen seiner Braut und ihrer Mutter +begleitet, nach vielfachen zärtlichen Händedrücken, fuhr er aus dem +Dorf unter tüchtigem Knallen der Geißel, womit der Oberknecht, der auf +dem Sattelgaul saß, ihn und sich selber zu ehren suchte.</p> + +<p>Die folgenden Tage beschäftigte sich Christine mit den ersten +Zurüstungen für die Stadt. Es war ihr lieb, daß ihr noch eine Frist im +Vaterhause vergönnt war, und sie ging mit einem ordentlichen Wohlgefühl +darin hin und her. Ueber den Aufenthalt in der Stadt, der sich für sie +noch vor der Trauung als nöthig herausgestellt hatte, war ein fester +Beschluß gefaßt. Die Glauning hatte sich erinnert, daß an dem Ort eine +Frau wohne, die mit ihr Einen Urgroßvater gehabt und deren Vater nach +vom Ries dahin gezogen war. Diese, die an einen Krämer verheirathet war +und ein Haus<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> besaß, sollte Forstner aufsuchen und fragen, ob Christine +nicht die kurze Zeit bei ihr wohnen könne. Die Hoffnung, eine zusagende +Antwort zu bekommen und zunächst im Hause einer Verwandten leben zu +können, mochte dazu beitragen, das Herz der Braut in jene Ruhe zu +wiegen, mit der sie das Dorf noch recht genießen konnte.</p> + +<p>Forstner hatte sogleich in wenigen Zeilen seine glückliche Ankunft +gemeldet. Nach einer Woche kam ein neues Schreiben von ihm, ziemlich +lang und sorgsam abgefaßt. Er schilderte zuerst, wie er von seinen +Collegen, von den Herrn Geistlichen und Magistratsräthen, bei denen er +Besuche gemacht, ausnehmend freundlich und schmeichelhaft aufgenommen +worden sei. Er habe sich überzeugt, das sei der Platz, wohin er gehöre, +wo er Gutes wirken könne mit seinen Gaben und Kenntnissen, und wo er +glücklich sein werde. Die Gespräche, die er geführt mit gebildeten +Männern und Frauen, hätten ihm außerordentlich wohlgethan, und er +freue sich über alles, bei ihnen zu leben und auch seine Christine in +ihre Gesellschaft bringen zu können. Er schätze jeden Stand und habe +gezeigt, daß er mit Leuten von jeder Klasse umzugehen wisse, aber +besser sei besser; man müsse höher hinaufstreben, wenn man könne, +und immer weiter und weiter zu kommen, das sei das wahre Glück. Er +fühle die Kraft in sich, zu steigen, und auch die Geliebte mit sich +hinaufzuheben. Sie müsse nun aber auch ihrerseits die Hand bieten und +sich alle Mühe geben, seine Arbeit ihm zu erleichtern. Das Glück, +das sie dort mit einander finden würden, sei so groß, daß es wohl +die Anstrengungen und Opfer verdiene, die nöthig sein würden, es zu +erreichen. Anstrengungen müsse er seiner Braut nun allerdings zumuthen, +und auch ein Opfer, wenn sie's dafür ansehen wolle. Die Hochzeit +noch in diesem Jahre zu feiern, wie sie zuletzt noch gemeint hätten, +verbiete eigentlich schon die Trauer wegen der seligen Mutter. Allein +es kämen noch zwei Gründe hinzu, die es durchaus nöthig machten, daß +die Trauung erst im nächsten Frühjahr stattfinde. Erstens sei ihm +gesagt worden, daß er nach einer halbjährigen Amtsführung, wenn er sich +als Lehrer auszeichne, eine nicht unbedeutende Zulage erhalten solle. +Sei es ihm nun gerathen, in der nächsten Zeit alle Kraft und allen +Fleiß auf Erfüllung seiner Lehrerpflichten zu wenden, so wäre es auch +gut für<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> sie beide, die Zulage abzuwarten; denn das Leben in der Stadt +sei für ein Hauswesen doch kostspieliger, als er gedacht. Dann aber +sei es eben so eine Sache, vom Dorf her nach kurzem Aufenthalt in der +Stadt, wo man sich kaum darin umsehen konnte, eine Stadtfrau machen +zu wollen. Er selber habe sich das leichter vorgestellt, als er es +jetzt bei kaltem Blut finde. Man müsse eben doch ein anderes Benehmen +lernen, man müsse sich Kenntnisse aneignen, damit man in Gesellschaft +wisse, wovon die Rede sei, und selber mitsprechen könne, kurz, man +müsse das Bauernmädchen abthun und sich eine gewisse Bildung erwerben. +Das gehe aber nicht in einigen Wochen, dazu sei wenigstens ein halbes +Jahr nöthig, und da müsse man noch recht fleißig und aufmerksam sein. +Seine Meinung sei nun die: Christine solle zur Base Kahl ziehen, die +sie mit Vergnügen aufnehmen werde, und im nächsten Winter unter seiner +Leitung alles das lernen, was zu ihrem künftigen Stande erforderlich +sei. Die Kahl sei eine gute Frau, wenn es auch freilich mit ihrer +Bildung nur so so stehe. Er selber hätte seiner Braut wohl gewünscht, +in ein feineres Haus zu kommen; aber das sei nun eben nicht anders zu +machen. — Der Brief schloß mit Liebesbetheurungen für die Braut, mit +schmeichelhaften Worten für die Mutter. Andern hätte er einen solchen +Vorschlag vielleicht nicht machen können, ohne mißverstanden und +verkannt zu werden; aber sie hätten bei jeder Gelegenheit Beweise von +ihrer Einsicht und ihrer Klugheit gegeben; sie würden ihn verstehen und +ihm Recht geben. —</p> + +<p>Die Wirkung dieses Briefes war auf Christine trotzdem keine +erfreuliche. Der Bräutigam sprach darin so vornehm, so von oben herab +zu ihr! Die Vorstellung der Arbeiten, die sie sich zugemuthet sah, +lastete auf ihrem Gemüthe mit verdoppelter Schwere; ihre Bangigkeit +erneuerte sich und ihre Miene drückte Zagen und zugleich etwas +Empfindlichkeit aus. »Da haben wir's!« rief sie am Ende. »Ich bin ihm +so nicht gut genug und soll erst weiß Gott was lernen, bis er mich +heirathen mag!« — Die Mutter, der die Schreibweise des künftigen +Schwiegersohns auch nicht ganz gefallen hatte, obwohl sie einem +»Herrn« seine eigene, vornehmere Sprache zugab, hielt es doch für +gerathen, davon zu schweigen und sich Forstners anzunehmen. »Mir<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> +scheint's aber, daß er gar nicht Unrecht hat, Christine! Er will, daß +du recht hineintaugst in die Stadt und daß du verstehst, was du als +Frau Lehrerin brauchst. Er will dich gescheidt und geschickt machen +und das beweist ja grad, daß er recht viel auf dich hält und ein +braver, ehrlicher Mann ist.« — »Das mag sein,« erwiederte Christine +etwas beruhigter; »aber er hätte mir das doch anders sagen können.« — +»Eigentlich,« versetzte die Mutter, »schreibt er freilich ein wenig +anders, als er früher geredet hat; aber das wird schon so sein müssen, +es wird eben die Mode sein unter den Herrn. Er meint's gut, und das ist +die Hauptsach'.«</p> + +<p>Christine wollte das nicht bestreiten und fand sich endlich in den +Vorschlag und den Willen des Verlobten. Wenn wir es gestehen sollen, +so war ihr die tröstlichste Stelle in dem Briefe die, wo Forstner die +Base für nicht gebildet und fein genug erklärte. Sie fühlte zu ihr +gleich ein lebhaftes Zutrauen und setzte sich mit erleichtertem Herzen +an den Tisch, um die Antwort abzufassen. Im Wesentlichen sagte sie: +Was er geschrieben, wäre ihr und ihrer Mutter recht; sie wolle ihm +folgen und fleißig sein, und hoffe dann so weit zu kommen, daß sie ihm +in der Stadt keine Unehre mache. Was sie unter den jetzigen Umständen +für die Stadt brauche, werde sie bald hergerichtet haben; er könne sie +darum abholen, wenn er's für gut finde. — Die Mutter nahm es auf sich, +die Abänderung in dem Plane der Verlobten gehörig unter die Leute zu +bringen. Ihre Christine werde erst im Frühjahr heirathen, was für Herrn +Forstner und sie ein großer Vortheil sei; aber sie werde jetzt schon +in die Stadt ziehen und was Ordentliches lernen, damit sie dort eine +rechte Frau machen könne.</p> + +<p>Eines Vormittags in der ersten Woche des November kam Forstner in +einer Kutsche angefahren. Er war bei der ersten Begrüßung etwas +ernst; es schien als ob das Dorfmäßige der Wohnung und Kleidung +schon etwas Befremdendes für ihn erhalten hätte. Bald aber thaute er +auf und war wieder der Alte. Christine, die sich zu seinem Empfang +geputzt hatte und ihm aufwartete, sah in ihrem wirthlichen Eifer so +frisch und anmuthig aus! Sein Puls ging rascher, als er sie an seine +Seite niederzog und sie betrachtete. Was konnte er sich Schöneres +wünschen, als dieses Mädchen sein zu nennen? Er<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> liebte sie, und wenn +er sie noch so weit zu bringen vermochte, daß sie ihn und sich in +seiner nunmehrigen Stellung nicht durch Unwissenheit und Dorfmanieren +bloßstellte — war er nicht der glücklichste Ehemann? — Die Furcht vor +dem Lächerlichen, wir können es nicht läugnen, war groß in dem jetzigen +Stadtlehrer. Sein Trieb, in Gesellschaft zu glänzen, hatte sich nach +Maßgabe seiner Erfolge in ihm ausgebildet, und in gleichem Verhältniß +war auch die Besorgniß gewachsen, in Gesellschaft zu mißfallen oder +ein Gegenstand des Bedauerns zu werden. Wie bedrückend war für ihn der +Gedanke, daß das, was er gut machte, durch seine Frau vielleicht wieder +verdorben wurde! Doch jetzt wich jeder Zweifel zurück im Anschauen des +liebenswerthen Mädchens. Das Herz ging ihm auf, er glaubte an sie und +traute ihr Alles zu. Er ward fröhlich und guter Dinge, scherzte nach +alter Sitte und machte Mutter und Tochter fröhlich.</p> + +<p>Um die Mittagszeit war Alles zur Abfahrt bereit. Als Christine von +der Mutter, vom väterlichen Haus und vom Dorf Abschied nehmen sollte, +da ward es ihr doch plötzlich wieder ernst zu Muthe. Sie fühlte, was +sie that und wagte, und ihr Herz klopfte in bängeren Schlägen. Die +Mutter hatte sie und den Verlobten würdig ermahnt und feierliche +Gegenversicherungen erhalten; das war tröstlich, als sie noch beisammen +saßen. Draußen im Hof, unter dem grauen Himmel, in der frostigen Luft, +wo ihr noch einige Freundinnen »b'hüt dich Gott« sagten, um dann auf +die Gasse hinaus oder heimzugehen, erhielt die Furcht in dem Dorfkind +wieder die Oberhand. Der gute Hans, der schon beim Einpacken behülflich +gewesen, hatte noch eben eine Kiste mit Stricken auf der Kutsche +festgebunden. Sie trat zu ihm, gab ihm die Hand und dankte mit etwas +unsicherer Stimme, aber um so herzlicher für all die Freundschaft, die +er ihr und ihrer Mutter bewiesen habe. Hans erwiederte mit ernsthaftem +Gesicht: was er gethan habe, das hab' er gern gethan, und er wünsche +ihr jetzt alles Glück und Wohlergehen. — In solchen Momenten leben +alte Gedanken und Gefühle wieder auf; die Seele wird heller, und was +völlig abgethan schien, steht in klarem Lichte vor ihr. Christine hielt +die Hand des Wackern fest und drückte sie; denn nicht nur die Liebe, +auch der gerührte Dank, auch die Hochschätzung muß sich in<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> Aeußerungen +der Zärtlichkeit genug thun. Ihre Augen wurden feucht, und wie sie +ihn damit ansah, hätte er wohl eine Abbitte darin lesen können. Ohne +Zweifel verstand er sie. Eine leise Andeutung von gutmüthig wehmüthigem +Lächeln ging über seine ernsten Züge; er schüttelte ihr kräftig und +treuherzig die Hand, als wollte er sagen: »laß das gehen,« und wünschte +ihr nochmal wohl zu leben. — Ein paar Minuten später, und Christine +saß in ihrem Dorfgewand, aber in einen Mantel gehüllt und um den +Kopf ein weißes Tuch gebunden, neben dem Verlobten im Wagen, der von +trabenden Rossen gezogen aus dem Dorf rollte.</p> + +<p>Eine seltsame Reihe von Empfindungen zog durch das erweichte Herz +des Mädchens. Trauernde und sorgende, hoffende und freudige tauchten +abwechselnd auf, bis die Seele nach und nach ruhig wurde und in dem +Einen Gefühl der Ergebung die übrigen versanken. Sie machte eine eigene +Erfahrung an diesem Tag: das Zusammensein mit dem Geliebten kam ihr +nicht so schön vor, als sie sich's früher gedacht. Mit der Ruhe kam +aber die Empfänglichkeit für die aufmunternden und schmeichelnden Worte +des Bräutigams wieder in ihr Gemüth, und endlich saß sie vergnügt an +der Seite des Vergnügten.</p> + +<p>Es war in der Abenddämmerung, als das Ziel ihrer Fahrt, die Stadt vor +ihnen lag. Diese gewährte in der guten Jahreszeit einen freundlichen +und hübschen Anblick; jetzt sah sie aus, wie eben eine Landstadt im +Spätherbst, und der guten Christine kam sie recht fremd vor. — Die +Kutsche rollte durch das Thor in die Hauptstraße, lenkte bald in eine +Seitengasse ein, die zu den engen und düstern gehörte, und hielt vor +einem schmalen, zweistockigen Hause. Eine Frau in den Fünfzigen kam +heraus, hob Christine grüßend aus dem Wagen und führte sie in die Stube +zu ebener Erde. Sie war bei der Base Kahl.</p> + +<p>Herr Kahl war ein Kleinhändler, dessen Geschäft seit dem Auftreten +eines reicheren und praktischeren Concurrenten in Abnahme gekommen war +und der nun, anstatt sich ebenfalls besser umzuthun, lieber ergeben +den alten Schlendrian fortführte und seinen Haushalt einschränkte. Er +wohnte mit seiner Frau und einer Magd, die auch im Laden aushelfen +mußte, allein in dem Hause, und weder die kleine Familie noch die +Stube, in der sie sich Mittags und Abends zusammenfand,<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> konnte den +Eindruck des Wohlhäbigen machen. Es waren — die gleichfalls in +gewissen Jahren befindliche Magd mit eingeschlossen — längliche, +hagere Gestalten, die in ihrem ganzen Wesen etwas Kümmerliches hatten. +Dieß war ihnen freilich schon zur Gewohnheit geworden und erschien +durch mehrjährige Uebung gemildert; allein ihr Anblick hatte damit noch +nichts Vertraueneinflößendes gewonnen. Gutmüthig in gewissem Sinn waren +die alten Leute; sie konnten sich auch freuen über kleine Wendungen zum +Bessern und einzelne glückliche Zufälle, und spannen so ihr Leben am +Ende doch erträglich weiter.</p> + +<p>Christine erhielt die Stube im ersten Stock, bisher eine Art von +Prunkzimmer der Familie, nebst einem Schlafkämmerchen. Ein kleiner +irdener Ofen, altes Möbelwerk und einige Bilder an der Wand zierten +das zweifenstrige Gemach, jedenfalls das beste im Hause. Unter andern +altmodischen Bildern sahen aber die Porträts der Hausleute, in ihrer +Jugend von einem Anfänger gemalt, so trübselig von der Wand, als ob +die Originale schon eine Ahnung gehabt hätten, daß sie zu besonderem +Glück im Leben nicht bestimmt waren. Als der Ofen nach so langem Feiern +und Frieren geheizt wurde, begann er tüchtig zu rauchen; die Fenster +mußten aufgerissen werden, und erst nach und nach brachte man in dem +frostgewohnten Raum einige Wärme zuwege. Die ersten Eindrücke, die +Christine in dem Hause erhielt, waren keineswegs angenehm.</p> + +<p>In dem Vertrauen, das sie auf die Base gesetzt hatte, fand sie sich +aber nicht getäuscht. Frau Kahl, abgesehen von ihrer verhältnißmäßigen +Gutmüthigkeit, hatte auch alle Ursache, gegen das Bäschen gefällig +zu sein: diese zahlte Kost und Logis, wenn auch zu mäßigem Preis, +und vergrößerte so das geringe Einkommen. Dann aber war sie die +Braut des Herrn Forstner, der auch hier schon ein Gegenstand des +Anerkennens und Rühmens geworden war. Aus diesen Gründen war die Base +freundlicher und rücksichtsvoller gegen sie, als die seit Jahren im +Hause mitregierende Magd, die es hart anzukommen schien, von einer in +Bauernkleidern gekommenen und sich gar nicht auskennenden jungen Person +etwas zu halten und gegen sie zu thun, als ob sie etwas wäre. — Der +sechzigjährige Vetter bezeigte sich freundlich<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> und höflich, aber ohne +sonderlichen Eifer, dessen er überhaupt nicht fähig war. Mit ihm hatte +Christine wenig zu thun. Den Tag über war er in seinem Laden, beim +Mittagessen schwieg er und nach dem Abendessen duselte er in seinem +Sorgenstuhl ein.</p> + +<p>Als die neue Hausgenossin sich so gut, als es anging, eingerichtet +hatte, war es ihre nächste Aufgabe, sich städtische Gewandung zu +verschaffen. Ein Alltagskleid war bald besorgt und das Anprobiren +desselben das erste wichtige Ereigniß in dem neuen Leben der +Lehrersbraut. Die Base half ihr dabei und hoffte, daß sie in dem +schöneren Anzug bedeutend hübscher und vornehmer aussehen würde. Allein +welche Ueberraschung, als sie nun die Fertige musterte! Sie mußte +sie viel weniger hübsch finden als vorher. Natürlich sagte sie das +nicht und strich und zupfte um so emsiger das Gewand zurecht, in der +Hoffnung, es möchte noch werden. Die Hoffnung erfüllte sich aber nicht +und der Grund war klar. Abgesehen davon, daß Christine das ungewohnte +Kleid nicht zu tragen verstand, war auch ihre Gestalt nicht dafür +geschaffen. Ihr Wuchs, der sich im Bauerngewand stattlich ausnahm und +von dem nichts hinwegzuwünschen war, hatte im städtischen Anzug — wir +sagen es mit Bedauern — etwas Unzierliches und Schwerfälliges, eine +boshafte Städterin hätte sagen können Plumpes. Als Frau Kahl sie von +oben bis unten betrachtet hatte und ein Lob unmöglich über ihre Lippen +bringen konnte, machte sie in der Verlegenheit des Augenblicks das +Kleid verantwortlich, das nicht gut gerathen sei und geändert werden +müsse. Aber Susanne, die Magd, die auch herzugekommen war und sich an +dem Anblick weidete, bemerkte mit entsprechendem Ausdruck: »Am Kleid +liegt der Fehler nicht.« — Auf dem Tisch lag noch ein Hut, den Frau +Kahl erst gestern gekauft hatte, ganz neu und neumodisch. Vielleicht +daß er, den schönen Kopf zierend, eine günstige Veränderung im Ganzen +bewirkte. Sie setzte ihn darauf — und sah sich auf's neue enttäuscht! +Das Gesicht, im Rieser Käppchen so hübsch rund und so reizend, erschien +im Hut zu voll. Christine, die zu merken anfing, welchen Eindruck sie +hervorbrachte, wurde befangen, das Blut stieg ihr in's Gesicht, und +dieses konnte dadurch weder an Rundung ab-, noch an Feinheit zunehmen. +Zu allem Unglück war die Temperatur in der<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> Stube seit dem frühen +Morgen bedeutend gesunken, und indem die Röthe der etwas frierenden +Christine eine bläuliche Färbung gewann, vollendete sich die Tücke des +schlimmen Tags.</p> + +<p>Wie sie so dastand und nicht wußte, was sie sagen oder thun sollte, +ging die Thüre auf und Forstner trat herein. Er kam zufällig, das +Unternehmen des Tags war ihm unbekannt. Als er die Verlobte in dem +langen Kleid sah, war er betroffen und betrachtete sie einen Moment +schweigend. Dann rief er mit einem Lächeln, das nicht ganz hinreichte, +einen gewissen verlegenen Ernst zu decken: »Wie siehst du aus, +Christine! Man kennt dich gar nicht mehr! So — so vornehm!« Christine +versuchte zu lächeln und sagte mit etwas verzogenem Mund: »Nun — +gefall' ich dir nicht?« — »O freilich,« erwiederte der Verlobte, +der vor der Base und der Magd gerathen fand, seine und ihre Würde zu +wahren. »Aber man ist's nicht an dir gewohnt und darum fällt's einem +auf. Nun, aller Anfang ist schwer; das wissen wir Lehrer. Mit der Zeit +wirst du's tragen wie eine Städterin, und uns wird's dann sein, als ob +wir dich nie anders gesehen hätten.« — »Ja freilich,« bemerkte die +Base, die froh war, daß der Bräutigam ihr zu Hülfe kam; »es ist ja kein +Hexenwerk!« — Die Magd, die unbeachtet in einer Ecke stand, schüttelte +den Kopf und verließ die Stube. Auf der Stiege sagte sie zu sich: »Das +wird nie eine Frau für diesen Mann!«</p> + +<p>Forstner hatte Christine nicht sogleich anstrengen wollen und sie +bisher nur besucht, um sie zu grüßen und zu unterhalten. Allein die +Zeit war kostbar, und endlich mußte mit der Erziehung, die er ihr +zudachte, vorgeschritten werden. Nachdem auch die Base sich entfernt, +setzte sich das Paar auf einem kleinen Kanape zusammen und der Verlobte +entwickelte ihr den Plan, nach welchem sie die fehlende Bildung +nachholen sollte. Da er unter Tags in der Schule und mit Privatstunden +beschäftigt war, so wollte er wo möglich jeden Abend zu ihr kommen und +sie unterrichten. Sie sollte Lesen, Schreiben und Rechnen nachüben und +sich der Orthographie und der hochdeutschen Aussprache befleißigen. +Geographie und Geschichte konnten ihr nicht erlassen werden; denn +der Frau eines Lehrers mußte wenigstens bis zu einem gewissen Grade +bekannt sein, was es mit der Erde für eine<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> Bewandtniß habe und wie +es dem Menschengeschlecht bis jetzt darauf ergangen sei. Wie leicht +konnte in Gesellschaft die Rede darauf kommen und sie ihn, wenn +sie aus Unwissenheit fragte oder gar mitreden wollte, in peinliche +Verlegenheit bringen! — Dann mußte sie gute Bücher lesen lernen, die +Geist und Herz veredeln und Stoff bieten zu geselliger Unterhaltung. — +War sie nicht jung und hatte sie ihm nicht schon Beweise gegeben von +offenbarem Verstande? Wenn er sie nur erst eingeführt in den Garten des +Wissens, dann sollte sie schon Geschmack daran finden und selber darin +herumwandeln und an Blüthen und Früchten sich ergötzen. — Als er ihr +das alles auseinander setzte, gerieth er in einen Eifer des Lehrers und +malte ihr die künftigen Herrlichkeiten so schön vor, als ob sie schon +da wären. Die gute Christine aber dachte: »Gott, wie wird das alles in +meinen Kopf gehen!«</p> + +<p>Forstner stand auf, Abschied zu nehmen. Als er die Verlobte in dem +langen Kleid nochmal betrachtete (den Hut hatte sie glücklicherweise +schon abgelegt), konnte er doch nicht umhin, auf's neue bedenklich +zu werden. Der Anzug kleidete sie gar zu wenig! Die Gestalt war von +städtischer Zierlichkeit gar zu weit entfernt! und es drängte sich +ihm das Gefühl auf, daß Christine doch wohl nie eine feine Frau +werden möchte. Die Zufriedenheit, ja alle Munterkeit war aus seinen +Mienen gewichen; er sah ernst und befangen für sich hin. Christine +errieth oder ahnte seine Gedanken und stand halb niedergedrückt, halb +empfindlich vor ihm, den Blick zu Boden gesenkt. Es war einer von jenen +schlimmen Augenblicken, wo man die Empfindungen, die man schweigend +verbergen wollte, in ihrer ganzen fatalen Realität sich gegenseitig aus +der Seele liest. Endlich nahm sich Forstner zusammen; er gab ihr die +Hand, sah sie freundlich, wo nicht zärtlich an und drückte einen Kuß +auf ihre Lippen, die auch in der gegenwärtigen ungünstigen Situation +ihren Reiz nicht verloren hatten. Das Mädchen wurde roth und die Freude +glänzte wieder aus ihr; sie blickte ihn so schön und lieb an, wie nur +jemals früher in ländlicher Unbefangenheit. Ihres Anblicks froh empfahl +er ihr noch zwei Bücher, die er mitgebracht hatte, als unterhaltend zum +ersten Leseversuch, und verabschiedete sich.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span></p> + +<p>Das Leben des Mädchens hatte bald in jeder Beziehung seine Ordnung und +Methode. Einen Theil des Tages verbrachte sie bei der Base und half ihr +kochen und sonstige Hausarbeit verrichten. In der Kochkunst viel zu +lernen war bei Frau Kahl nicht die Gelegenheit; denn die Speisen, die +sie bereitete, waren sehr einfach und eine große Abwechslung fand nicht +statt. Auch wollte Christine finden, daß die städtische Kost, obwohl +öfter Fleisch auf den Tisch kam, als bei ihr zu Hause, doch nicht so +nahrhaft und wohlschmeckend sei und namentlich zu viel an Butter und +Schmalz gespart würde. — Eine oder zwei Stunden täglich wurden von +weiblicher Arbeit in Anspruch genommen. Hier sollte sich das Dorfkind, +die in ihrer Weise ganz gut nähen und stricken, sogar ein wenig +schneidern konnte, die feineren Künste zu eigen machen, und zwar unter +der Leitung einer Verwandten des Vetters Kahl, die sich erboten hatte, +sich ihrer anzunehmen und sie so weit zu bringen, als es bei einer +Person, die unter Bauersleuten aufgewachsen sei, eben ginge. Diese +Verwandte führte den romantischen Namen Adelheid, hatte aber trotzdem +keinen Mann bekommen, und schuf sich dafür einen geistigen Ersatz +in Geltendmachung ihrer Ueberlegenheit und in stolzem Verziehen der +Oberlippe, die im Verlauf der Zeit einen Ausdruck männlicher Autorität +gewonnen hatte und auch mit einem entsprechenden Fläumchen geziert war. +Daß diese Stunden für Christine nicht die angenehmsten waren, erräth +man; allein sie mußte die Unterweisung, die Mamsell Adelheid ihr bot, +doch mit Dank aufnehmen und durch Fleiß, durch Aufmerksamkeit und +namentlich auch durch Bescheidenheit zu verdienen suchen. Was an Zeit +noch übrig blieb, war auf Erledigung der Aufgaben zu verwenden, die +Forstner ihr gegeben hatte.</p> + +<p>Dieser begann seinen Unterricht mit der praktischen Klugheit, die +uns an ihm nicht unbekannt ist. Die ersten Stunden wurden mehr mit +Unterhaltung ausgefüllt; das Verfahren war darauf berechnet, das +Mädchen zu erheitern und ihre Neu- und Wißbegierde zu reizen. Nach +und nach mußten die Zügel freilich straffer angezogen werden. Die +Wißbegierde wollte sich eben in Christine keineswegs in der Stärke +einfinden, die der Verlobte wünschen mußte. Das gute Mädchen hatte mehr +einen Hang, sich mit dem, was sie wußte, zu begnügen,<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> als einen Drang, +den Schatz ihrer Kenntnisse zu vermehren. Sie konnte nicht einsehen, +was es z. B. nütze zu wissen, daß die Hauptstadt von Preußen Berlin +heiße, und zu was es gut sei, mehr alte Römer kennen zu lernen, als +den Landpfleger Pontius Pilatus. Sie war daher manchmal zerstreut, +dachte an andere, ihr näher liegende Gegenstände, und hatte, was der +Lehrer ihr mit lebhaftem Eifer gesagt, öfters gar nicht gehört, viel +weniger verstanden. Sie offenbarte ein eigenthümliches Talent, das +was sie schon gelernt, mindestens nachgesprochen hatte, wieder zu +vergessen, und bei Dingen, die er als bekannt voraussetzen zu können +glaubte, dreinzusehen, als ob sie nie eine Sylbe davon gehört hätte. +Daß nun auch der Lehrer ärgerlich wurde, und daß es ihn zuweilen sehr +hart ankam, in den Grenzen der Höflichkeit zu bleiben, begreift sich. +Eine Zeitlang nahm er sich zusammen, und wenn er hitzig wurde und die +Verlobte einigermaßen verletzt schien, legte er als Balsam gleich +wieder sanfte Worte auf. Rief er einmal strafend: »Wie ungeschickt!« +oder: »Das hast du ja schon gewußt! — wo sind denn deine Gedanken?« +— und erröthete sie dann und sah gedemüthigt zu Boden, dann tröstete +er sie: es komme nur darauf an, die ersten Schwierigkeiten zu besiegen +und mehr Freude an der Sache zu finden; sie solle nur den Muth nicht +verlieren, und dergleichen. Wie nun aber diese Freude sich nicht +einstellte und die alten Fehler wiederkehrten, fand er's doch für +gerathen, bei den strafenden Worten zu bleiben und ihr aus einem +Schamgefühl nicht herauszuhelfen, das so wohl verdient schien. Es +entfuhren ihm nun zuweilen Ausrufungen wie: »Gott, was ist das für ein +Kopf!« oder: »das ist ja zum Verzweifeln!« — und er versetzte damit +dem Selbstgefühl des Mädchens einen Schlag, der um so weher that, als +er früher ja ganz anders gesprochen hatte. — Nach solchen Aeußerungen +mußte er freilich wieder einlenken; aber er that es nicht mehr in +sanften Worten, sondern erklärte, es thue ihm leid, so zu reden, aber +es sei seine Pflicht, die Sache mit mehr Ernst und Strenge anzugreifen, +da sie mit ihrer Langsamkeit und Zerstreuung sonst zu nichts kommen +würde. Was er thue, geschehe zu ihrem Besten und nur aus Liebe.</p> + +<p>Das mochte alles ganz wahr sein, aber auf Christine konnte es<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> keinen +erfreulichen Eindruck machen. Wenn Forstner als Liebhaber im ihre Stube +trat, sah sie diesen gar bald durch den Lehrer beeinträchtigt; nach und +nach wurde er ganz zum Hofmeister, und sie konnte von Glück sagen, wenn +der Liebhaber wenigstens beim Abschied wieder zum Vorschein kam.</p> + +<p>Die Gute mußte endlich einsehen, daß sie wieder ganz zum Schulkinde +geworden war und die Leiden eines solchen zu erdulden hatte, ohne den +frohen und leichten Jugendmuth zu besitzen, der alles Unangenehme +schnell wieder abwirft. Sie war gehofmeistert von Mamsell Adelheid, +gehofmeistert von ihrem Bräutigam, und oft schien es ihr, als wäre +dieser schlimmer wie jene. Das Fatale dabei war: sie konnte die Bande, +wie schwer sie auf ihr lasteten, nicht abwerfen, nicht einmal an +ihnen rütteln; sie mußte das Joch tragen und damit weiter gehen. — +Erholung und Unterhaltung war ihr wenig geboten; denn außer den uns +bekannten Persönlichkeiten hatte sie keinen Umgang, da sie ja durch +diese zu weiterem erst befähigt werden sollte. Wenn sie sich nun an +einem grauen, kalten Tag in ihrer Stube mit ihren Aufgaben beschäftigen +wollte, aber durchaus keine Lust dazu verspürte und Buch und Papier +weglegte, um für sich hinzustarren, dann begann es ihr endlich »and zu +thun« nach der Heimath, und dieses Gefühl wurde stärker und stärker. +Sie kam sich recht einsam, recht verlassen vor und hatte zuletzt +eine Anwandlung von der Empfindung, die man im Ries mit dem Worte +»verzwazeln« (verzweifeln, vergehen) bezeichnet. Aber sie durfte von +diesem eigenen Leide niemand etwas sagen. Auch der Mutter mußte sie +schreiben, daß es ihr wohl gehe, und daß sie gern hier sei.</p> + +<p>Endlich kam ein Tag, der wohl zu der Hoffnung berechtigen konnte, daß +er ihr Freude bringen und wieder Muth und Zuversicht einflößen werde. +Der städtische Sonntagsanzug, den man bald nach ihrer Ankunft für +sie bestellt hatte, war fertig geworden. Man hatte nichts gespart, +ihn so hübsch und glänzend herzustellen, als es bei ihr nur immer +anging. Alles hatte seinen Rath dazu gegeben und das Kleid war von den +geschicktesten Händen gefertigt, die man in der Stadt finden konnte. +Frau Kahl, der es eine Ehrensache geworden war, das Dorfbäschen in eine +Städterin umzuwandeln, hatte sich am<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> eifrigsten dabei umgethan; sie +hoffte besonders auch eine gute Wirkung auf das Gemüth der Verwandten, +an der sie ein scheueres und gedrückteres Wesen zu ihrem großen +Bedauern wahrgenommen hatte. Kleider machen Leute, das ist ein gutes +altes Sprichwort, und mit einem feineren Anzug pflegt in gar viele +Menschen auch ein höherer Geist zu fahren. Sollte sich das nicht auch +an Christine bewähren? — Als diese an dem festlichen Morgen unter +Beihülfe der Base und der Mamsell Adelheid fertig geworden war und +dastand im dunkeln Merinokleid, seidenem Halstuch, sammtnem Hut und +glänzend gewichsten Schuhen, wurde sie von den Richterinnen ernst und +aufmerksam geprüft. Beide gingen hin und her und betrachteten sie von +allen Seiten. Seltsames Mißgeschick! Die Erscheinungen beim ersten +Probiren des Alltagskleides wiederholten sich. Die Stoffe thaten ihre +Wirkung, die Gestalt war aber durch sie um nichts feiner und zierlicher +geworden, sie schien allen Verwandlungsversuchen widerstehen zu wollen. +»'S ist eben eine maskirte Bäurin,« dachte Mamsell Adelheid, und die +Base wußte gar nicht, was sie denken sollte.</p> + +<p>Am ungefügigsten erwiesen sich zuletzt noch die Hände des Landmädchens. +Daß die Bauernarbeit, wie jede andere, die gleiche Anstrengung mit +sich führt, die Glieder mächtiger und stärker entwickelt, weiß jeder. +Ein Dorfkind bringt in der Regel die Anlage zu tüchtigen Fingern schon +von den Eltern mit, und die Ausbildung wird durch Rechen, Sichel und +Dreschflegel entsprechend gefördert. Die Haut wird auf der einen Seite +hart, auf der andern erhält sie eine röthlich bräunliche Färbung, und +die Dorfhand ist fertig. In ihrer Heimath wird sie so gerade geschätzt; +sie deutet auf Arbeit und Arbeitsfähigkeit — die Ehre der Landleute +— und paßt zum ländlichen Anzug. Ein schönes Mädchen weiß damit zu +schmeicheln, so gut wie eine Städterin mit ihren zierlichen Fingern, +und der Druck der Liebe soll unter dieser Voraussetzung um nichts +weniger süß und angenehm sein. Aber alles hat in der Welt seinen +natürlichen Platz, und wenn es diesen verläßt, wird das Passende +unpassend. Die Hände unserer Christine gehörten auf dem Dorf noch +nicht zu den stärksten; in der Stadt und für den städtischen Anzug +erschienen sie nun doch viel zu entwickelt, und dieß stellte sich +auf's klarste heraus, als die neugekauften<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> Handschuhe darüber gezogen +werden sollten. Sie erwiesen sich zu klein und drohten zu platzen; +man mußte in den Laden schicken und Männerhandschuhe der größten Art +bringen lassen. Diese reichten endlich zu; aber den Händen, die mit +ihnen bedeckt waren, Beifall zu spenden, das war auch der wohlmeinenden +Richterin eine Sache der Unmöglichkeit.</p> + +<p>Nach erneuerter Prüfung gewann es Frau Kahl zuletzt über sich, das +Bäschen mit Anerkennung aufzumuntern und zu bemerken, das Kleid stehe +ihr diesmal schon viel besser und sie könne sich sehr wohl damit sehen +lassen. Mamsell Adelheid schwieg; sie konnte eine gewisse Schadenfreude +in ihrem gelblichen und scharfen Antlitz nicht unterdrücken und sagte +zuletzt, für den Anfang sei es gut genug; man dürfe von einem Mädchen, +die im Dorf groß geworden sei, gar nicht verlangen, daß sie ein solches +Gewand gleich zu tragen verstehe, wie sich's gehöre. — Christine, +durch alles das betroffen und irre gemacht, besah sich im Spiegel, +prüfte sich hin und her, und gefiel sich selbst nicht. Sie gehörte +nicht zu den Einfältigen, das gute Dorfkind, und ließ sich nicht von +den prächtigen Stoffen blenden; sie hatte ein Augenmaß und überzeugte +sich, daß ihr der ganze Kram nicht zu Gesichte stehe. Ihre Freude — +denn sie hatte sich doch auf die schönen Sachen gefreut — war zu +Wasser geworden.</p> + +<p>Eben hatte die Base wieder eine ermuthigende Bemerkung angefangen, +als der Verlobte in die Stube trat — diesmal nicht zufällig. Es +war verabredet, daß er die Braut besuchen und sie mit Frau Kahl in +die Kirche führen solle. An der Thüre stehend und nur den schönen +neuen Anzug im Auge, stieß er ein fröhliches »Ah, wie schön!« aus. +Als er näher trat und die Geputzte genauer betrachtete, wurde er +ernst und ernster, und es war ihm unmöglich, in dem begonnenen Tone +fortzufahren. Die Hände waren ihm nie so groß vorgekommen als in den +feinen Handschuhen; aus dem Gesicht im Sammthut schien aller Geist, +alle Anmuth geflohen zu sein. Die Eitelkeit des jungen Mannes, der +sich eine Frau wünschte, mit der er prunken konnte, war erschreckt und +sah den unerfreulichen Thatbestand noch dazu mit übertreibenden Augen. +Christine sagte sich augenblicklich: »Ich gefall' ihm wieder nicht, +gar nicht — und das<span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span> ist kein Wunder!« Als der Verlobte sich endlich +mit Anstrengung zusammennahm und seine Verlegenheit hinter Worte des +Lobes und der Bewunderung verbergen wollte, die ihm aber durchaus nicht +von Herzen gingen und auf dem Gesicht der Mamsell Adelheid nur ein +boshaftes Lächeln hervorriefen, da hatte das gute Kind eine wahrhaft +peinliche Empfindung. Sie versetzte mit dem Ernst der Ehrlichkeit: er +möge sie doch mit solchen Reden verschonen, sie wisse recht gut, daß +ihr dieses Kleid nicht anstehe und immer noch das Bauernmädchen aus ihm +herausschaue. Aber das sei nun einmal so, und sie könnte sich nicht +anders machen, als sie wäre.</p> + +<p>Sehr verstimmt trat man den Weg zur Kirche an. Als in der Hauptstraße +ein Herr und zwei Frauenzimmer daher kamen, die den Lehrer grüßten +und auf Christine blickend, heitere Mienen zeigten, war es ihm, als +ob er auf Nadeln ginge. Er wurde schamroth wie ein Mädchen, dankte +hastig, ging rascher und verabschiedete sich vor dem Kirchenthore +von Christine mit dem Gefühl wahrer Erleichterung. Für sie hatte die +niederdrückende Erfahrung, die der eilige Abschied des Bräutigams noch +vervollständigte, das Gute, das sie im Gotteshause Trost suchte und +der Predigt, die ihrer Lage entsprach und an sie gerichtet schien, von +Anfang bis zu Ende folgte. Es war dies das erste Mal in ihrem Leben; +aber Noth lehrt beten und öffnet das Verständniß für Aussprüche, die +früher nur als leere Klänge am Ohr vorüberzogen. Ihre Anstrengung +belohnte sich auch, sie kam getrösteter und ruhiger nach Hause.</p> + +<p>Indem ich das Verhalten und die Schicksale Christinens der Wahrheit +gemäß schildere, bin ich weit entfernt, eine Theorie aufstellen +und etwa lehren zu wollen, ein Dorfmädchen passe in die Stadt und +für einen Städter überhaupt nicht, die geborne Bäuerin könne nur +mit einem Bauer glücklich sein und die Verpflanzung in eine höhere +Schichte der Gesellschaft niemals gelingen. Das wäre falsch und würde +namentlich auch im Ries durch gelungene Versuche widerlegt. Es kommt +hier, wie sich von selber versteht, auf den Geist und das Naturell +des Mädchens an. Ist diese begabt, strebsam und sehnt sie sich höher +hinauf, so wird sie als Braut und als Frau eines gebildeten Mannes +gar bald die Kultur annehmen, die von ihr<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> gefordert werden kann; +denn eine Pariserin braucht sie ja in einer deutschen Kleinstadt +nicht zu werden. Sie wird das verhältnißmäßige Hochdeutsch lernen, +womit man im der städtischen Unterhaltung durchkommt; Begrüßungen und +höfliche Redensarten werden ihr bald geläufig vom Munde gehen; sie +wird Kenntnisse sammeln und in Gesellschaft mehr oder weniger ein Wort +mitreden können. Was die französische Kleidung betrifft, so wird eben +dieser Punkt am leichtesten erledigt sein. In dem strebenden Mädchen +regt sich der feinere Putztrieb von selbst, das neue Gewand, das Symbol +höheren Standes, wird mit freudiger Begierde angelegt, mit Selbstgefühl +getragen, und Lust und Liebe und angeborenes Geschick führen bald zu +der Herrschaft darüber, die sich in leichter und angenehmer Bewegung +ausspricht. Die Hände, wenn sie nicht schon von Natur feiner waren und +der Einwirkung der Arbeit widerstanden haben, werden zarter und feiner +mit der Zeit, und das Wagniß ist gelungen. Kommt es ja doch in der +Ehe und in einem Haushalt viel mehr auf Angebornes als auf äußerlich +Gelerntes an! Der natürliche helle Verstand findet sich darin viel +eher und besser zurecht als der trägere Geist, dem allerlei Wissen +beigebracht wurde, und wenn zuletzt auch einzelne Züge immer noch das +geborene Landmädchen verriethen, so könnten sie bei dem Vorhandensein +der erforderlichen reellen Eigenschaften doch zu nichts weiter als zu +scherzhaften kleinen Neckereien führen.</p> + +<p>Ich möchte behaupten, daß eine solche Entwicklung bei Dorfkindern, die +von der Natur nicht stiefmütterlich behandelt sind und von Städtern +geehlicht werden, Regel ist. Die meisten werden, von dem Reiz geleitet, +den das Neue und Höhere auf ihr Gemüth übt, sich in die Verhältnisse +schicken, ihrem Stande Ehre zu machen sich bemühen und in ihrem Eifer +das vorgesteckte Ziel erreichen.</p> + +<p>Unsere Christine gehörte aber nicht zu den Strebenden. Sie war für das +Dorf geboren und nur hier konnte sie wahrhaft glücklich werden. Auf +ihre Phantasie wirkte mehr der Reiz des Hergebrachten als des Neuen, +mehr die Poesie des Eigenen als des Andern. In dem Kreise des Dorfes +selber fortzuschreiten, aus einer Söldnerstochter eine angesehene +Bäuerin zu werden, das war ihr Ehrgeiz, ihr erster und schönster Traum +gewesen. Bei Forstner war es mehr die<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> hübsche und einschmeichelnde +Persönlichkeit, die sie bestrickte, als der Lehrer und »Herr«; und +wenn der Gedanke ihr angenehm war, Frau Lehrerin zu werden, so war es +eben nur unter der Voraussetzung, daß sie es auf dem Dorf, ja in ihrem +Geburtsort würde und damit in ihrer Art zu der Höhe der ersten Frauen +darin hinaufrückte. Der Titel einer städtischen Frau Oberlehrerin +blendete sie nur mit flüchtigem Reiz, mit einem Schein, der bei näherer +Betrachtung nicht Stand halten konnte. Ihr angeborener Trieb führte die +Seele wieder und wieder zum Dorfe, zur Stätte des Jugendglücks, zur +Heimlichkeit der Heimath zurück.</p> + +<p>Christine liebte die Rieser Tracht, fand sie schön und zierend, und +sie hatte alle Ursache dazu, denn ihr stand sie vortrefflich. Sie +hatte etwas von der Gesinnung in sich, die ehedem verbreiteter war +als jetzt, aber sich gewiß noch nicht ganz verloren hat; ich meine +die Gesinnung, in welcher der Bauer seinen Stand eigentlich für den +ehrenvollsten, seine Kleidung für die schönste hält, und die Herren +und Herrenfrauen, die in der Stadt leben und französische Kleider +tragen müssen, nicht nur für weniger begünstigt ansehen, sondern +geradezu bedauern kann. Schreiber dieses erinnert sich, in seiner +Jugend von wohlhäbigen Landmädchen mehrfach spöttische Bemerkungen über +Städterinnen gehört zu haben, die nur dem Stande und Gewande galten +und mit behaglicher Sicherheit, ohne alle Bosheit abgegeben wurden. +»So eine Langrockete,« hieß es von dem Stiefkinde der Verhältnisse, +das mit dem Flecken reizloser und unsolider Tracht behaftet war. Eine +geborene Wallersteinerin, Tochter eines angesehenen Bürgers und von +mütterlicher Seite mit einer jungen Bäuerin verwandt, besuchte diese +einmal zur Kirchweih und gewann in fröhlichem Gespräch bald ihr Herz. +Die Bäuerin freute sich ihrer und sagte endlich: »Du bist a brav's und +a lieb's Mädle — wann d'nor oh (auch) andere Kloeder a'hättst!« — +»Warum das?« fragte die Wallersteinerin. Und sie erhielt zur Antwort: +»'s ist halt nex mit dem Häs (Kleidung) doh, und wo ma' he'kommt, ist +ma' halt veracht!« — Diese Aeußerung kam dem heitern Mädchen sehr +ergötzlich vor, und noch als ältere Frau pflegte sie die Anekdote zur +Charakteristik des Rieser Landvolks und zur Belustigung städtischer +Hörer zu erzählen.<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> Allein die Gesinnung, aus der solche Aeußerungen +hervorgehen, ist doch eine höchst respektable Quelle von Glück in der +Welt. Es ist der frohe Glaube an den Werth dessen, was man hat und ist, +das Erfülltsein von Liebe zu der hergebrachten Art und Sitte — der +Grund der Zufriedenheit und Beständigkeit im Leben.</p> + +<p>In Christine lebte etwas von diesem Glauben und dieser Liebe und trat +in den gegenwärtigen Verhältnissen, die freilich nicht darnach angethan +waren, mit ihren Erinnerungen in die Schranken zu treten, zuweilen +mit größter Stärke hervor. Doch sie durfte sich dem Zug nach dieser +Seite nicht hingeben, sie mußte ihn bekämpfen, mußte streben und +lernen, mußte sich bemühen, eine andere zu werden und städtische Sitten +liebzugewinnen.</p> + +<p>Die Erziehung eines Mädchens wie Christine und ihre Angewöhnung in der +Stadt, sollte man glauben, hätte unter den geschilderten Umständen +dennoch, wenn auch langsam, fortschreiten müssen, da es ja doch +immer der Bräutigam war, der die Braut erzog, und die Liebe, die +beide zusammengeführt hatte, zuweilen allerdings getrübt, keineswegs +ausgelöscht war. Allerdings; aber die Liebe des Bräutigams und der +Entschluß, die gelobte Treue zu bewahren, hatten nun eben den Vorsatz +gefaßt, gegen den Zögling sich in consequentester Strenge zu beweisen. +Die Zeit verstrich und Christine mußte bis zum Frühjahr wenigstens so +weit gebracht werden, daß sie als Frau seiner nicht ganz unwürdig war. +Er mußte sie zwingen, sich Mühe zu geben und ihren Geist auszubilden. +War dieser entwickelt, dann sollte das übrige schon nachfolgen und +der nöthige Anstand ergab sich von selber. — Durch diese strenge und +unter Umständen züchtigende Liebe des Bräutigams wurde die Liebe der +Braut auf die schwerste Probe gestellt. Es blieb eben auch nicht bei +dem Ernst, hinter dem eine Liebe regiert, die gut und consequent ist. +Dieser wäre es endlich wohl gelungen, das Ziel zu erreichen und ihre +Bemühungen gekrönt zu sehen; aber Forstner war in einer Gemüthslage, +wo ihm nichts rasch genug ging; er wollte, aufgeregt und ungeduldig, +die Frucht haben, bevor sie reifen konnte, und wiederkehrende Fehler +der Schülerin entrissen ihm nun bei schon angesammeltem Verdruß +Aeußerungen, die er zwar immer noch für wohlverdient<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span> hielt, Christine +aber nur als wahre Beleidigungen aufnehmen konnte. Es gab Auftritte +zwischen dem Liebespaar, und Stunden, ja Tage des Trutzens. Versöhnte +man sich wieder und that man das Gelübde, sich nie, nie wieder zu +kränken, so war dem Frieden die Dauer so wenig verbürgt, wie andern, +die auch auf ewige Zeiten abgeschlossen werden. — Gegen die ernsten +Mahnungen Forstners konnte und wollte Christine nichts einwenden. Sie +faßte den Entschluß, sich Mühe zu geben, und sie gab sich Mühe; aber +Lust und Liebe zur Sache konnte sie sich nicht geben, und unter den +geschilderten Umständen konnten diese auch nicht in ihr keimen und +wachsen. Alles, was gegen die Natur verlangt wird, alles, was vor +der Zeit fertig sein soll, gewinnt aber in der Seele den Charakter +einer unerträglichen Last. Es wächst ein Widerwille dagegen, der zum +Abscheu werden kann; und wenn man die verhaßte Pflicht nun doch nicht +zurückzuweisen sich getraut, vielmehr die Nöthigung erkennt sie zu +erfüllen, koste es was es wolle, dann können sich im Herzen Elemente +der Verzweiflung ansammeln, die nothwendig zum Ausbruch kommen müssen.</p> + +<p>Am Abend eines Tages, an dem Forstner nach wieder eingetretener +Spannung nicht erschienen war, saß Christine mit ihren Verwandten +und Mamsell Adelheid bei der frugalen Abendmahlzeit. Sie wurde mit +dem abwesenden Liebhaber geneckt, wie es ihr mißfallen mußte; nicht +aus heiterem und gutem Herzen (ein solches hätte unter den gegebenen +Verhältnissen überhaupt geschwiegen) sondern von Seiten der Base ohne +Laune, aus Langeweile, von Mamsell Adelheid ohne Wohlwollen, aus +Schadenfreude. Sie antwortete zuerst etwas empfindlich, und endlich +verbat sie sich diese Reden ganz. Wie meistens, wenn sie im Ernst +und von Herzen sprach, hatte sie diese Erklärung im Rieser Dialekt +abgegeben, und Adelheid, die sich auf dem einen Felde nicht mehr +genügen durfte, benutzte nun die Aussprache des Dorfmädchens, um +ihr etwas anzuhaben. »Pfui, Christine,« rief sie mit dem geheuchelt +wohlmeinenden Ausdruck, der bekanntlich viel widerlicher ist, als +ehrliche Unhöflichkeit, »pfui, wie bäurisch ist das wieder! Du mußt +dir dieses Rieserischreden abgewöhnen, gutes Mädchen; das geht hier +nicht mehr, du machst dich lächerlich damit,<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> und für die Frau eines +Lehrers paßt es schon gar nicht!« Die Wahrnehmung, daß ihre Worte auf +Christine ihre Wirkung gethan hatten, ermunterten sie fortzufahren, und +sie bemerkte: »Du brauchst nicht ärgerlich zu werden. Wir meinen's gut +mit dir, drum sagen wir dir's, andere lassen dich reden und lachen dich +aus.«</p> + +<p>Das hieß bei dem Rieser Kinde eine der empfindlichsten Stellen +berühren. Sie hatte jene Rüge und Ermahnung von ihrem Bräutigam und +von der Mamsell schon öfters hören müssen. Bei ihm hatte sie's in der +Ordnung gefunden und sich bestrebt, hochdeutsch zu reden. Zunächst +war freilich nur ein Mischmasch herausgekommen, der ihn zuweilen auch +wieder lächeln machte, und wenn sie sich bemühte, rein hochdeutsch zu +reden, dann sprach sie die Worte mit einer Betonung, die ihr nicht +natürlich war und pedantisch klang, so daß Forstner sie zuweilen wieder +bat, sie solle lieber reden, wie sie's gelernt habe. Es war auch eine +fatale Empfindung, sich sagen zu müssen, daß sie ihm nichts zu Dank +machen könne, und die ganze Sache hatte darum etwas Unangenehmes +für sie. Bei der Adelheid war ihr aber der Tadel ihrer Sprache um +so verdrießlicher, als sie ihr eigentlich kein Recht dazu einräumen +konnte, auch darum nicht, weil die Mamsell nicht sowohl hochdeutsch +als fränkisch-deutsch redete. Die Rieserin konnte durchaus nicht +begreifen, wie das fränkische »Na'« (Nein) schöner klingen sollte +als das Rieserische »Noë«, oder worin »Ah« (Auch) hochdeutscher wäre +als »Oh« u. s. w. Sie hatte bemerkt, daß man im Ries gewisse Worte +gerade nach der Schrift aussprach, während man sie im Fränkischen +veränderte, also verschlechterte, daß man z. B. im Ries ganz richtig +»mager« sagte, wo es hier »moger« hieß; und sie sah nun in keiner Art +ein, wie sie die Sprache ihrer Heimath gegen so eine Sprache sollte +schlecht machen lassen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie denn mit der +Resolution des Unwillens alles, was sie auf dem Herzen hatte, und +schloß ihre Erwiederung mit den Worten: »Jedes hat seine Sprach' gern +und glaubt, sie sei besser als die andere, und das ist natürlich. Ihr +sagt, die Rieser sei so breit und hinausgezogen, mir kommt die eure +dagegen öd vor und recht »moger«, und ich mein', ich könnt' in ihr nie +von Herzen reden. Aber darüber will ich nicht streiten. Wenn ich mein +Rieserisch einmal<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> ablegen soll, so will ich doch lieber gleich ein +rechtes Hochdeutsch lernen, sonst will ich beim Rieserischen bleiben. +Denn wenn's auch eine langsamere Sprach' ist wie die eure, so reden's +doch Leute, die ich lieb hab' und die ich hochschätz', und das kann ich +nicht von allen sagen, die ich kenne. Für heut' wünsch' ich Gutnacht!« +— Sie war aufgestanden und verließ die Stube mit einem Blick der +Geringschätzung auf Mamsell Adelheid. — »Hoffärtiges Ding!« rief +diese, die sich durch den Vorwurf der Schülerin wegen des Fränkischen +getroffen und durch ihren Abschiedsblick beleidigt fühlte. Aber Vetter +Kahl meinte, sie habe es ihr heute auch arg gemacht, und man könne es +der Christine jetzt nicht übel nehmen, wenn sie nicht bei guter Laune +sei. — »Ja freilich,« setzte die Frau hinzu und nickte bedenklich.</p> + +<p>Christine ging in ihre Stube hinauf, zündete ein Talglicht an, setzte +sich an den Tisch und versuchte in einem Buche zu lesen, das ihr +Forstner als unterhaltend empfohlen hatte. Bald legte sie's weg. Wie +sollte sie sich für die geschriebenen Sachen interessiren, während ihr +Herz so voll und so aufgeregt war von Unmuth und Sorge! Schweigend, +die Arme auf die Lehne des alten Stuhls gelegt, sah sie auf den Boden +und verharrte in formlosem Gedankenspiel eine Zeitlang in dieser +Stellung. Es fröstelte sie; aber sie wollt' es nicht anders haben und +rührte sich nicht. Wie traurig und öde war es in dieser Stadt! — wie +unheimlich war es in der Stube, die eigentlich nie recht warm gemacht +werden konnte! Ihre Phantasie ging in die Heimath zurück, sie stellte +sich das Dorf und die Stube ihrer Mutter vor, und alles Liebe und +Heimliche baute sich nach und nach vor ihr auf. — Wie schön war es +dort — auch im Winter! die Stube so warm den ganzen Tag, weil man im +Rohr des eisernen Ofens kochte und das Holz nicht sparte. Welch ein +angenehmer Geruch, wenn am Sonntag ein paar Tauben gebraten wurden +oder ein frisches Stück Fleisch vom selbstgeschlachteten Schwein. Wie +heimlich war es des Abends, wenn sie mit ihrer Mutter spann und mit ihr +und dem braven Hans einen Rath hielt oder »ihren Gedanken Audienz gab« +und die runde Hauskatze hinter dem Ofen dazu »durnte!« Wie traulich +war es, wenn ein paar Freundinnen<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span> mit dem Rocken kamen, wenn man mit +einander schwatzte und lachte, und nicht eines besser zu reden glaubte +als das andere, und nicht eines das andere mit seiner Sprach' aufzog. +Dort waren die Leute gut, und auch die schlimmen hatten etwas an sich, +was man gern haben mußte. Es war eben dort alles lustiger, und auch die +schlimmen meinten's nicht so bös; und so hochmüthige gelbe Gesichter, +wie die Adelheid eines hatte, gab es dort gar nicht.</p> + +<p>Indem die Träumende von diesen Vorstellungen aufsah und sich in ihrem +düster erhellten, todtenstillen Zimmer erblickte, hatte sie das Gefühl +eines verlorenen Paradieses. Dort war alles so gut und so schön, dort +konnte sie glücklich werden. Hier hatte sie keine einzige Gespielin, +keine einzige vertraute Seele! Hier war sie verachtet und verspottet, +sie, die in ihrem Dorfe geehrt und gepriesen war. Hier wurde sie +mißhandelt! Und er, der ihr Trost und ihre Stütze sein sollte, er, +der ihr ewige Liebe geschworen hatte, wurde mit jedem Tage härter und +liebloser gegen sie! Er hatte keine Geduld mit ihr, er »kappte sie +herab,« er beschimpfte sie, er schämte sich ihrer! Das mußte <em class="gesperrt">sie</em> +erleben! — und das mußte sie von <em class="gesperrt">ihm</em> erleben! Und wenn er nun +schon als Bräutigam so gegen sie handelte, was hatte sie zu erwarten, +wenn er ihr Mann war und ihr Herr? Welchen Ehestand sollte das geben?</p> + +<p>Der Gedanke, daß sie das Unrechte gewählt habe, daß ein unglückliches, +verfehltes Leben ihrer warte, und daß sie selber daran Schuld sei, +begann den Geist des Mädchens zu überwältigen. In ihrem Herzen fing ein +Zittern und Beben an, das sich über den ganzen Körper verbreitete, das +nicht mehr zurückgedrängt werden konnte und nicht mehr enden zu können +schien. Der Sturm der Verzweiflung war über ihre Seele gekommen. Wenn +dieser einmal im Innern zu sausen und zu brausen beginnt, dann helfen +keine Einreden des Verstandes mehr. Alle Gründe, die dagegen sprechen +sollen, fallen kraftlos zu Boden, das Toben der Angst geht weiter mit +der Gewalt eines übermächtig gewordenen Feuerbrandes, man hat nur noch +Ein Gefühl und Ein Wort: Verloren! verloren!</p> + +<p>Christine konnte nicht mehr glauben und nicht mehr hoffen. Es war ihr, +als ob sie auf und davon müßte; aber wohin sollte sie?<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> Sie konnte +nicht fort, sie mußte bleiben und alles erdulden, was ihr auferlegt +war. Sie hatte ein Gefühl, als wenn sie in einen Brunnen gefallen +wäre und nicht mehr heraus, ja nicht einmal um Hülfe rufen könnte. +Welch eine Noth! — welche Bangigkeit! Und hätte sie nur weinen und +Erleichterung finden können in Thränen! Aber in solchem Zustande des +Herzens kann auch das Weib nicht weinen; nur leiden kann es, leiden und +beben, wie das Lamm in den Klauen des Raubthiers.</p> + +<p>Endlich erhob sich die Unglückliche mit entschlossener Anstrengung. Sie +legte sich nieder, ob ihr vielleicht der Schlaf ein Erlöser würde; aber +die empörten Wogen der Seele ließen sie nicht schlafen. Sie verbrachte +die schwerste, peinvollste Nacht ihres Lebens und sank endlich nur aus +Mattigkeit in einen unruhevollen Schlummer.</p> + +<h3>V.</h3> + +<p>Die Verzweiflung, von der eine leidende, gedrückte Seele befallen +wird, trägt oft am meisten zu ihrer Wiederauflebung und Stärkung bei, +wenn die Verhältnisse, in denen sie lebt, nicht an sich desperat, +sondern von ihr nur so empfunden worden sind. In dem Wirbel der Sinne +übertreibt sie und sieht im schlimmsten Licht; und wenn der Hauptanfall +ausgehalten ist, kann sie diesen Irrthum erkennen, zur Betrachtung der +bessern Seite hingedrängt und dadurch wieder beruhigt werden. Bleibt +noch so manches Unebene zurück, so liegt der Gedanke nahe: ob denn auch +alles so accurat sein müsse, ob denn bei andern alles so accurat sei? +Und sie ermuthigt sich, sie bescheidet sich, sie hofft wieder.</p> + +<p>Ein Sturm, der im Herzen sich erhebt, fegt dieses ohnehin, ich möchte +sagen physisch aus. Er nimmt manchen phantastischen Anspruch, den man +an die Welt und ihr Glück zu haben glaubt, mit sich hinweg und läßt +erkennen, daß man in ihr vielmehr dulden und etwas leisten müsse. »Thu' +was du kannst, in's übrige füge dich!« — mit diesem Vorsatz tritt man +den Anfechtungen des Lebens entgegen und findet dann auch wieder, daß +es doch nicht so schlimm ist, als man sich's vorgestellt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span></p> + +<p>Bei Christine war es aber nicht mit einem Tage abgemacht. An dem +folgenden ging sie körperlich erschöpft, im Innern gebrochen einher +und die Quelle der Verzweiflung strömte ruhiger, aber stetig in ihr +fort. Sie trug alle Merkmale einer qualvoll durchwachten Nacht an sich; +doch war ihr Mund still und ihre Miene ergeben, so daß die Base wahres +Bedauern mit ihr empfand und auch Susanne und Adelheid nicht ganz +ungerührt blieben. Forstner kam auch an diesem Tage nicht. Christine +mußte an das Schlimmste denken; sie that es mit schauerndem Herzen; +aber das Schlimmste war eine Entscheidung und hatte für ihr jetziges +Gefühl auch wieder etwas Beruhigendes. Ermüdet legte sie sich zu Bette +und fand bald das Heilbad des Schlafes.</p> + +<p>Kräftiger stand sie auf und erfreute die Base beim Frühstück durch eine +getröstete Miene. Sie hatten von häuslichen Dingen gesprochen und waren +eben daran, die Arbeiten des Tages zu erwägen, da trat der Verlobte +herein — mit allen Zeichen der Eile und einem entschiedenen Ausdruck +der Reue, die wieder gut machen will.</p> + +<p>Das ist leicht zu erklären. Die Base hatte gestern in der Nacht noch +Vetter Kahl zu ihm geschickt, und dieser hatte ihn von dem Stande der +Dinge unterrichtet und ihm ins Gewissen geredet. Eindrucksfähig wie er +war, hatte sich Forstner die Worte zu Herzen genommen, sein Gewissen +hatte sich gerührt und ihn zu dem Entschluß gebracht, Christine noch +vor der Schule zu besuchen.</p> + +<p>Er ging auf sie zu, drückte ihr die Hand und entschuldigte sein +Ausbleiben mit unaufschieblichen Arbeiten, die ihn leider abgehalten +hätten, zu ihr zu kommen u. s. w. Christine, durch sein Erscheinen +erfreut, ließ alles gelten, und es kam zu einer vollständigen +Versöhnung. Als sie vom Unterricht zu reden begann, nahm er +Gelegenheit, sich selbst anzuklagen. Er sei offenbar in der letzten +Zeit zu ungeduldig gewesen und habe mehr verlangt, als sie leisten +konnte; er müsse sie wirklich um Verzeihung bitten; aber sein Amt und +die Plage mit seinen Kindern mache ihn eben auch zuweilen verdrießlich +und ungerecht. Das Mädchen entgegnete: daß er mit ihr die Geduld +verloren habe, sei ganz natürlich, sie komme auch gar nicht weiter. +Aber nun solle er sehen, nun werde sie sich recht zusammennehmen,<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> und +es werde gewiß besser gehen. — Von seiner Seite Geduld, von ihrer +Seite Fleiß und Mühe — was brauchte es mehr zur Eintracht und zum +Glück?</p> + +<p>Als Forstner in die Schule ging, dachte er: wenn sie auch nicht alles +hält, was ich mir von ihr versprochen habe, so giebt es doch eine gute +Frau. Sie ist fügsam, das ist schon etwas werth. Nach und nach wird +sie auch lernen, was nöthig ist; ich darf nur nicht zu viel von ihr +verlangen.</p> + +<p>Die nun folgenden Unterrichtsstunden gingen bei solcher Stimmung des +Lehrers und der Schülerin ganz wohl vorüber. Es waren zunächst nur +wenige. Die Christfeiertage kamen heran und machten eine Unterbrechung +nöthig. Die Verlobte hatte mit Hülfe der Mamsell Adelheid einen +zierlichen Tabaksbeutel zu Stande gebracht, sie kaufte noch ein schönes +Buch, das der Bräutigam zufällig einmal gewünscht hatte, und machte +somit eine ganz hübsche Bescheerung. Forstner beschenkte sie mit einem +Shawl und einem kleinen galanten Gedicht. In dem Vergnügen dieser Tage +hatte Christine auch Susanne und Adelheid mit Gaben bedacht, welche die +mäßigen Erwartungen derselben übertrafen, und bessere Gesichter dafür +erhalten. Alles ließ sich erfreulicher an, und Christine konnte ein +verspätetes kleines Präsent an die Mutter mit einem Brief absenden, +worin die Versicherung, daß sie recht fröhliche Weihnachten gefeiert +habe, durchaus von Herzen kam. Sie hatte jetzt auch den Muth gefunden, +einer wiederholten Aufforderung der Base nachzukommen und die Mutter +zum Besuch einzuladen; ja sie hatte auf ihre Faust hinzugefügt, daß +sie sich durch Vetter Hans herführen lassen solle. Die Erwartung eines +frohen Wiedersehens trug dazu bei, daß sie das neue Jahr unter heiterem +Austausch von Gratulationen und vertrauensvoll antrat.</p> + +<p>Die Hoffnung auf das Wiedersehen trog sie nicht. Frau Glauning war +neugierig, ihre Christine in der Stadt zu sehen, und da nach Neujahr +eine Masse Schnee fiel, dann kalte, trockene Witterung eintrat, so +riskirte sie's, die Bahn zu benutzen und den Besuch mit Hans in einem +entlehnten Schlitten zu machen. Am heiligen Dreikönigstage saßen alle +unsere Personen bei Herrn Kahl um den Mittagstisch,<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> der lange nicht so +reichlich besetzt gewesen war. Man hatte sich ausgewundert, ausgegrüßt, +ausgelobt und unterhielt ein behagliches Gespräch, das Forstner zu +männiglichem Ergötzen mit seinen besten Einfällen zierte, so daß man +sich endlich auch in dieser Hinsicht gesättigt und vergnügt vom Tisch +erhob.</p> + +<p>In der Laune, die das Mahl in ihr angeregt hatte, nahm die Glauning +ihre Tochter in eine Ecke und sagte: »Hör', Mädchen, du bist doch ein +wenig »schmalbackeder« geworden, seit du hier bist. Man ißt wohl bei +der Base nicht alle Tag' so gut wie heut?« — Christine lächelte und +sagte: »Ach, liebe Mutter, je weniger ich esse, desto besser ist's! +Denn ich bin für die Stadt noch lange nicht »schmalbacked« genug.« — +»So, so?« erwiederte die Alte. »Nun, du siehst wenigstens gesund und +vergnügt aus. Aber das kann ich dir nicht verschweigen, recht närrisch +kommst du mir vor in dem Kleid da.« — »Ist andern auch passirt,« +versetzte Christine. — »Aber diese haben sich dran gewöhnt, wie's +scheint, und dir wird's auch so gehen.« — Wie die Mutter hier den +Bräutigam auf sich zukommen sah, fragte sie: »Wie macht sich denn aber +meine Christine in der Lehr', Herr Forstner? Geht's recht vorwärts?« +— »Jeden Tag,« erwiederte dieser heiter. — »Verspotte mich nicht,« +rief ihm Christine zu; »ich weiß recht wohl, daß ich einen langsamen +Bauernkopf hab'.« — »Nein,« fuhr er zur Mutter fort, »in der letzten +Zeit bin ich sehr zufrieden gewesen, und wenn's so fortgeht, wird sie +noch eine ganze Gelehrte werden.« »O Jerum,« rief die Gelobte mit +komischem Ausdruck. Die Alte sah mit Vergnügen auf das Paar, das Arm in +Arm vor ihr stand.</p> + +<p>Vor dem Abschied fand Christine noch Gelegenheit, eine vertrauliche +Zwiesprach mit Hans zu halten. Sie dankte ihm und rühmte ihn wiederholt +wegen seiner Freundschaft und Herzensgüte. Dann fragte sie mit einem +Lächeln, in dem neben wirklicher Theilnahme ein Hauch von Scham nicht +zu verkennen war: »Hast du noch immer keine, Hans? Ist noch keine +Aussicht, daß ich dir auf die Hochzeit gehen kann?« Hans ging auf +die Unterhaltung ein und versetzte nicht ohne Laune: »'S hat sich +noch nicht machen lassen. Gut Ding will Weile haben!« — »Ja wohl,« +erwiederte sie schon heiterer. »Aber<span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span> man muß doch auch anfangen. Du +thust dich nicht um!« — »Kommt drauf an,« entgegnete Hans. »Aber du +weißt ja, ich wart' auf deine Hochzeit.« — »Da kannst du vielleicht +noch lange warten.« — »Wie so?« — »Bis zum Frühjahr sicher, +vielleicht aber auch bis in den Sommer hinein — ich muß noch gar viel +lernen.« — »Lernen? Was fehlt dir denn noch?« — »Ach, Hannesle,« +sagte das Mädchen mit einem humoristischen Seufzer, »noch gar viel! +Das verstehst du nicht.« — Hans dachte: »Was so ein Schulmeister +doch heutzutag nicht alles verlangt!« Aber er sagte das natürlich +nicht, sondern wünschte dem Bäschen alles Glück und drückte ihr in +freundschaftlicher Theilnahme die Hand. Christine sah, daß er noch +immer etwas auf sie hielt und daß er ihr nichts nachtrug; beides freute +sie.</p> + +<p>Nach diesem letzten festlichen Tag wurde der unterbrochene Unterricht +wieder fortgesetzt. Forstner nahm es zuerst wieder leicht und führte +das Spiel nur sachte zum Ernst hinüber. In der Zwischenzeit hatte aber +Christine von ihrem Talent, Gelerntes zu vergessen, wieder ziemlich +Gebrauch gemacht, so daß Fortschritte nirgends sichtbar werden wollten, +und bald stacken sie wieder in der Prosa des Lebens. Geschmack an +geistiger Beschäftigung, ein Trieb, selber vorwärts zu gehen, etwas zu +thun und zu suchen, wollte sich eben in der Schülerin nicht melden. Sie +lernte nie einsehen, wozu das alles eigentlich gut sein sollte; die +Kopfarbeit blieb ihr beschwerlich und sie konnte darin nicht einmal +eine rechte Arbeit sehen. Neigung, angeborener und anerzogener Respekt +drängte sie zur Arbeit mit der Hand, und nur wenn sie hier etwas fertig +gebracht, glaubte sie wirklich etwas gethan und ihre Pflicht erfüllt zu +haben.</p> + +<p>Forstner überzeugte sich jeden Tag mehr von der Unmöglichkeit, der +Verlobten das beizubringen, was er an Geistescultur von seiner Frau +glaubte fordern zu können. Aber die Wirkung war nun eine andere auf +ihn als früher: er wurde nicht mehr erzürnt — er entsagte seiner +Hoffnung. Er that es mit Seufzen und tröstete sich mit dem Gedanken, +daß Christine jedenfalls eine gute Hausfrau sein werde. — Damit war +ein bedeutender Schritt zum Glück des Paares hin gethan; denn das +Glück wird dann erst möglich, wenn man von sich und von andern nur das +fordern lernt, was die einmal gegebene<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> Natur zu leisten im Stande ist, +und sich dabei genügen läßt. — Aber nun zog ein Wetter, das schon +lange am Horizont gestanden hatte, rasch am Himmel auf und hing bald +drohend über dem Haupte des Dorfmädchens. — Um dieß zu erklären, muß +ich in der Geschichte um mehrere Monate zurück gehen.</p> + +<p>Jener College Forstners, der sich im Oettinger Kränzchen so eng an +ihn angeschlossen und dessen Betriebsamkeit er hauptsächlich seine +jetzige Stelle verdankte, war bei seinen Bemühungen von wirklicher +Freundschaft zu dem talentvollen, liebenswürdigen jungen Mann +geleitet. Der Eifer, den er zu seinen Gunsten anwandte, beruhte aber +doch nicht ausschließlich auf diesem persönlichen Wohlwollen; er war +zugleich, und zwar nicht minder stark, durch sein eigenes Interesse +getragen. Gustav Dobler (denn er muß jetzt mit seinem Namen in unsere +Erzählung eintreten) hatte zwei Schwestern, die bei ihm, dem noch +unverheiratheten Manne, wohnten. Die jüngere war noch nicht aus der +Schule, die ältere, Wilhelmine, führte seinen Haushalt. Diese befand +sich in den Jahren, wo sich ein vorsichtiges Mädchen schon einige Jahre +um eine Partie umgesehen hat — sie war in der Mitte der Zwanziger, +dabei schlank, hübsch, gebildet, mit einem Geiste begabt, der gern +das Regiment führte und es liebte sein Licht leuchten zu lassen. +Was war natürlicher, als daß der schon in den Dreißigen stehende +Dobler wünschte ihr einen Mann zu verschaffen? Er konnte dann selbst +heirathen, was bei der Anwesenheit der herrschaftgewohnten Schwester +nicht zu rathen war, und sie hatte für ihr Talent den rechten Boden und +das Glück ihres Lebens gefunden. In Forstner hatte der sorgliche Bruder +gleich den Mann erkannt, der für seine Schwester in jeder Hinsicht +passend war, den liebenswürdigen, begabten, im Hause zu leitenden Mann, +und in dieser Ueberzeugung hatte er gehandelt.</p> + +<p>Das Verhältniß des neuen Freundes zu einem Bauernmädchen seines Dorfes +konnte ihm begreiflicherweise nicht verborgen bleiben. Allein er faßte +es nicht so ernst auf, als es war; er glaubte nicht, daß ein solches +Mädchen dem feinen Mann genügen könne, und nahm an, es sei gut für +beide, wenn die Bekanntschaft rechtzeitig abgebrochen würde. Da nun +in seiner Geburtsstadt eine Stelle vacant wurde,<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> so spannte er alle +Segel auf, die Ernennung Forstners durchzusetzen. War er nur erst hier, +dachte er, so löste sich das Verhältniß mit Christine von selbst, und +das ihm wünschenswerthe knüpfte sich.</p> + +<p>Als Dobler nach der Uebersiedlung des Collegen das erste vertraute +Gespräch mit ihm hatte, mußte er sich freilich überzeugen, daß er sich +getäuscht. Er hatte mit einiger Deutlichkeit auf den Busch geklopft, +hatte von einer Frau gesprochen, die sich der angestellte hübsche junge +Mann unter den schönen Mädchen des Orts auswählen könne, und Forstner +war genöthigt gewesen, ihm zu sagen, daß er ernstlich verlobt sei und +daß er seine Braut hieher berufen habe, um sich im Frühjahr mit ihr +trauen zu lassen.</p> + +<p>Christine kam an, und die Hoffnung des Stadtlehrers, den Freund zu +seinem Schwager zu machen, schien gänzlich gescheitert. Dobler hatte +der Schwester den Phönix unter den Rieser Lehrern schon vor seiner +Ankunft gerühmt, ihr seinen Plan mitgetheilt, und Wilhelmine war sehr +neugierig gewesen, ihn kennen zu lernen. In der That gewann Forstner +auch gleich bei der ersten Zusammenkunft ihren vollen Beifall und +konnte aus ihrem Benehmen wohl schließen, daß unter andern Umständen +eine Bewerbung von seiner Seite hier keine ungünstige Aufnahme gefunden +hätte. Aber seine Treue gegen Christine wurde auch in Gedanken nicht +erschüttert. Wilhelmine hatte offenbare Vorzüge der Gestalt und +der Bildung; aber wie artig sie war und wie zuvorkommend sie ihn +behandelte, so ahnte der junge Mann in ihr doch den herrschenden Geist +und konnte nicht umhin, eine gewisse Scheu vor ihr zu fühlen. Sein Herz +und seine Phantasie hingen an der Verlobten; ihr naturfrisches Bild +erschien ihm unvergleichlich poetischer, als die Eleganz der Städterin; +er blieb bei seiner ersten ernstlichen Neigung und hielt sein Wort.</p> + +<p>Dobler und Wilhelmine bewerkstelligten einen anständigen Rückzug. Sie, +von ihren Vorzügen durchdrungen, konnte nicht alle Hoffnung aufgeben +und freute sich zu hören, daß Forstner seinen Dorfschatz erst noch +bilden wolle, bevor er Hochzeit machte. Ehe so Eine gebildet wurde, +konnte gar manches geschehen. Der sonst so verständige Mann werde +Vergleichungen anstellen und Augen bekommen für den Unterschied +zwischen ihr und einer Bäuerin, und dann werde sich<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> zeigen, wer den +Platz behaupte. Natürlich fühlte sie durch die Zurückhaltung Forstners +auch ihren weiblichen Stolz gekränkt und ihre Ehre herausgefordert. +Das Versagte reizte sie und ihr Wohlgefallen an ihm steigerte sich zum +leidenschaftlichen Wunsch, ihn zu erobern. Sie war indeß klug genug, +ihre Gefühle zu verbergen, zu warten und ihre Zeit zu ersehen.</p> + +<p>Als sie durch Mamsell Adelheid gelegentlich hörte, wie plump Christine +im französischen Kleid aussehe und wie ungeschickt sie sich zu aller +feineren Arbeit anlasse, hatte sie die erste freudige Empfindung. +Eine süße Hoffnung schwellte ihr Herz. »Er wird mir kommen!« rief +sie, als sie allein war, mit der Zuversicht des Stolzes. Und auch +sie rechtfertigte ihren Plan und ihr Verhalten durch die Annahme, es +sei für das Bauernmädchen viel besser, wenn sie wieder in ihr Dorf +zurückginge und das Weib eines Bauern würde.</p> + +<p>Wenn Forstner in ihr Haus kam, zeigten Bruder und Schwester, die sich +mit einander verständigt hatten, nur freundschaftliche Theilnahme an +ihm und seinem Verhältniß. Man erkundigte sich, wie Christine sich in +der Stadt gefalle; man begriff, daß er sie jetzt noch nicht unter die +Leute bringen wolle, man fragte nach ihren Fortschritten u. s. w. Als +der Lehrer, zutraulicher gemacht, sich über die Langsamkeit beklagte, +womit die Schülerin lernte, und über die sonderbaren Antworten, die er +von ihr zuweilen erhalte, tröstete man ihn. Das sei begreiflich, würde +bei jeder andern auch der Fall sein, und er solle darum den Muth nicht +verlieren; zuletzt werde alles auf einmal kommen. War er über Christine +betrübt, ja konnte er einen ernstlichen Unmuth nicht verbergen, dann +ließ man ihn wohl auch reden und hörte mit bedauerndem Antheil zu. Man +bot alle Freundlichkeit und Herzlichkeit auf, ihn zu beruhigen, und +man entfaltete alle geselligen Talente, ihn zu entschädigen. Er sollte +nicht anders können, er sollte sich genöthigt sehen, Vergleichungen +anzustellen, die zu Gunsten der Prätendentin ausfallen mußten.</p> + +<p>Die Folge war, daß Forstner, so oft er Verdruß empfand und Trost +bedurfte, das Haus der Freundschaft aufsuchte. Die Scheu vor Wilhelmine +hatte sich verloren; denn er mußte sich ja überzeugen,<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> daß sie nur +sein Bestes wollte und wahrer Anhänglichkeit fähig war. Der Umgang mit +ihr und Dobler wurde ihm Bedürfniß.</p> + +<p>Er war der Gefährlichen schon sehr nahe gekommen. Er hatte in der That +und wiederholt Vergleichungen angestellt; er hatte sich gesagt, daß +die gebildete Städterin doch in jeder Hinsicht besser für ihn passen +würde — und das Verhältniß zu Christine war ihm eine Fessel geworden, +die ihn beengte und drückte. Da kam, durch Vetter Kahl eingeleitet, +nach dem letzten Streit mit der Verlobten die Versöhnung; es kamen die +Feiertage und die wechselseitige Beschenkung; es kam der Besuch und das +Mittagsmahl, wo man insgesammt wieder Ein Herz und Eine Seele wurde.</p> + +<p>Als er nun aber in Folge erneuerter vergeblicher Versuche mit Christine +dazu gekommen war, auf ihre Ausbildung, wie er sie sich erst gedacht +hatte, zu resigniren, machte er eine eigene Erfahrung, eine Erfahrung, +die Kennern des menschlichen Herzens nichts neues ist und die, wie er +einmal war, in seine Beziehungen überhaupt eine Veränderung bringen +mußte. Das stärkste Band, das uns an eine werthe Person knüpft, ist +die Hoffnung, sie werde die Herzenswünsche, die wir für sie und für +uns hegen, erfüllen und dem Bild entsprechen, das wir im Geist ihr +vorhalten. Zaudert sie dieß zu thun, und glauben wir uns getäuscht, +dann wird an die Stelle der entflohenen Hoffnung zunächst die +Beschämung, der Unmuth und der erzürnte Vorwurf treten. Aber der Unmuth +ist immer noch ein Band, das uns an die Erkorene fesselt. Immer ist +unser Blick auf sie gerichtet; sie wollen wir strafen, sie wollen wir +bessern, sie wollen wir zwingen, unserem Willen sich zu fügen, und wir +haben kein Auge für andere. Endet aber der Unmuth in Entsagung, dann +droht der Existenz des Verhältnisses selber Gefahr. Wir sind nicht mehr +beschäftigt, weder durch Hoffnung und Freude, noch durch Verdruß und +Schmerz, und es ist Raum geworden für die Gleichgültigkeit.</p> + +<p>Eine ähnliche Erfahrung war es, die unser Lehrer machte. Eben in der +Resignation wurde er frei gegen die Verlobte, seine Augen wurden +aufgethan für die Vorzüge der Freundin, und die Wagschale neigte sich +wieder und viel stärker zu ihren Gunsten.</p> + +<p>Forstner hatte jedoch nur auf Eines resignirt bei Christine: auf<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span> +ihre Geistesbildung. Die Hoffnung, daß sie das Benehmen lernen werde, +mit dem sie in der Stadt als seine Frau durchkommen könnte, hatte er +noch nicht aufgegeben. Und wenn seine Neigung zu ihr gesunken war, so +bestand doch noch das Wort, das er ihr gegeben und das er sich nicht +zu brechen getraute. Er faßte sich kurz und entwarf einen andern Plan. +Er wollte nicht zuerst ihren Geist bilden und das feinere Benehmen als +natürliche Folge davon erwarten; er wollte nun praktischer verfahren +und sie in bessere Gesellschaft bringen, damit sie zunächst das +Leichtere lerne. Stellte sie sich am Anfang auch ungeschickt, mit der +Zeit lernte sie doch die nöthigen Formen, und es erfüllte sich ihm +wenigstens Eine Hoffnung.</p> + +<p>Nachdem er dieß beschlossen hatte, war auf die Frage: wohin zuerst? +bald geantwortet. Welches Haus lag ihm zu jenem Zweck näher, als das +seines Collegen? Von wem konnte die Verlobte mehr lernen als von +Wilhelmine? Hatte die Mamsell (in jener Zeit mußte sich auch die +Schwester des Stadtlehrers noch mit diesem Titel begnügen) doch zwei +Jahre bei Verwandten in Nürnberg gelebt und war seit ihrer Zurückkunft +eine Zierde der bürgerlichen »Erheiterung« ihrer Stadt! — Christine +konnte nun zeigen, ob sie für ihn auch etwas zu thun im Stande sei, und +ob sie sich mindestens das Nothdürftigste anzueignen vermöge. Sie mußte +ihm gehorchen. Ihr alles zu erlassen, ihr alles nachzusehen, das war +nicht von ihm zu verlangen.</p> + +<p>Er fragte bei Dobler an, ob er die Verlobte bringen dürfe, ob er +Mamsell Wilhelmine nicht damit belästige? »Im Gegentheil,« erwiederte +diese, »Sie machen mir die größte Freude.« — Und das war ganz richtig. +Sie empfand die größte Freude, sich neben dem Dorfmädchen sehen zu +lassen, ihre Ueberlegenheit beweisen und sie vor dem Bräutigam tief in +Schatten stellen zu können.</p> + +<p>Als dieser die Braut aufforderte, mit ihm einen Besuch bei seinem +Collegen zu machen, fand er zuerst entschiedenen Widerstand. Fühlte +sie überhaupt eine Scheu, zu »fremden Leuten« zu gehen, so war ihr der +Gedanke, gerade mit diesen anzufangen, besonders fatal. Wilhelmine +hatte schon von weitem einen unangenehmen Eindruck auf sie gemacht. Sie +hatte von den häufigen Besuchen Forstners in ihrem Hause gehört, und +wenn sie nach den letzten Erfahrungen nicht an<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> seiner Treue zweifelte, +so mußte sie doch in ihr eine Nebenbuhlerin argwöhnen. Der Ruf der +Feinheit und Geschicklichkeit, den die Mamsell sich erworben, flößte +ihr Furcht ein, und sie hatte eine sehr deutliche instinktmäßige Ahnung +von ihrer Gesinnung in Bezug auf sie. Der Verlobte redete ihr aber zu, +er unterstützte seine Gründe mit einer ernsten Willenserklärung; sie +wußte ihm zuletzt nichts mehr zu entgegnen und sagte mit Ergebung: »Nun +meinetwegen!« — Zu ihrer Einwilligung hatte doch auch die Neugierde +beigetragen, diese Wilhelmine näher kennen zu lernen und den Bräutigam +bei ihr zu sehen.</p> + +<p>An einem Sonntag Abend fand der Besuch statt und verlief ungefähr so, +wie Christine gefürchtet. Wilhelmine war beim Empfang seelenvergnügt, +das Gefühl der Ueberlegenheit strahlte ordentlich aus ihrem Gesicht; +aber sie nahm sich zusammen und milderte es zu einer herablassenden +Freundlichkeit, die freilich für den damit Begnadeten auch gerade +nichts Schmeichelhaftes hat. Christine trat befangen und gezwungen +auf, und der Ausdruck in dem Gesicht der Mamsell, den sie wohl +verstand, machte sie confus. Man setzte sich, und Wilhelmine begann die +Unterhaltung mit allerlei Erkundigungen. Sie fragte das Dorfmädchen +aus, wie man ein Kind ausfragt, und belächelte ähnlich ihre naiv +klingenden Antworten. Christine sah gleich, wie sie mit ihr daran war; +sie erkannte in ihr eine Art Adelheid, die zwar feiner, aber im Grunde +ihres Herzens viel schlimmer sei als die Sticklehrerin. Gewissermaßen +Hülfe suchend richtete sie ihre Augen auf den Verlobten. Dieser stand +ihr auch bei und antwortete für sie; aber er that ihr's viel zu höflich +und versäumte die Gelegenheit, der vornehmen Person bei ihren unnützen +Fragen etwas hinauszugeben. Sie bemerkte überhaupt zwischen beiden +einen vertrauten Ton, der ihr nicht gefallen wollte, und überdieß in +den Reden ihres Bräutigams gegen die Mamsell einen Respekt, der für sie +etwas Kränkendes hatte, weil er im Gespräch mit ihr nicht zum Vorschein +kam. Es wurde ihr sehr unbehaglich zu Muthe und sie war froh, als +Wilhelmine sich zum Klavier setzte und die Unterhaltung, so weit sich +Gelegenheit dazu bot, dem Bruder überließ, der ihre Rolle in milderen +Formen, und wir können sagen auch mit mehr Gutmüthigkeit fortsetzte. +Die Wirthin spielte und sang; sie that beides gut, und Christine<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> +freute sich endlich daran und lobte sie aufrichtig, obwohl die Lieder +selbst ihr nicht so schön vorkamen, wie die, welche man in ihrem Dorfe +sang. Die Musik löste ihre Seele dennoch und sie fing an sich wohler +zu fühlen. Als aber Forstner ein neues Lied der Sängerin beklatschte +und ihren Vortrag mit großer Wärme für ganz vortrefflich erklärte, da +fühlte sie sich wieder getrübt und gedrückt und war durch nichts mehr +zu erheitern. Beim Abschied reichte Wilhelmine der Stadtnovize die Hand +und erklärte mit lächelndem Wohlwollen, es würde ihr sehr angenehm +sein, wenn sie ihr recht oft die Ehre geben wollte. Christine fühlte +den Spott, der sich das Wohlwollen als Maske vorgenommen hatte, sagte +aber doch den schicklichen Dank, und athmete tief auf, als sie mit +Forstner auf der Straße war.</p> + +<p>Auf dem Heimweg fragte sie dieser, wie es ihr gefallen habe. Sie +erwiederte: »Ich muß dir aufrichtig sagen, mir hat's nicht gefallen.« +— »Und warum nicht?« — »Ich passe nicht für solche Leute und komme +nur in Verlegenheit bei ihnen.« — »Das wird sich geben,« bemerkte +der Bräutigam tröstend, »und dann wirst du den Umgang mit gebildeten +Frauenzimmern angenehm finden.« — »Das mag sein; aber dann müssen die +gebildeten Frauenzimmer besser sein, als diese Wilhelmine.« — »Wie +so? Ist sie unhöflich gegen dich gewesen?« — »Das nicht, aber sie hat +gegen mich ein Wesen angenommen, wie eine gnädige Frau, und das ist +sie doch noch lange nicht. Ich hab' auch wohl gemerkt, daß sie mich +ausgelacht hat.« — »Warum nicht gar!« rief Forstner dagegen. »Nun ja, +ein paar von deinen Antworten sind freilich von der Art gewesen, daß so +Eine sie curios finden mußte. Aber das muß man sich gefallen lassen, +sonst lernt man nichts. Und wenn sie lacht, so lache du wieder!« — +»Das kann ich nicht,« erwiederte Christine. »Ich seh' schon, bei der da +wird's mir nie wohl zu Muthe werden.« — Forstner kam in Eifer. »Das +ist wieder kindisch!« rief er mit strafendem Ton. »Ich sage dir, gerade +die ist das Muster, das du vor Augen haben mußt, wenn du das rechte +Benehmen lernen sollst! Du mußt zu ihr gehen, und wenn es dir zehnmal +nicht wohl bei ihr zu Muthe wird. Umsonst hat man nichts in dieser Welt +und ohne Mühe und Anstrengung kommt niemand vorwärts.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span></p> + +<p>Sonderbare Empfindung, auf der sich unser Lehrer an diesem Abend +ertappt hatte! Die Verwirrung, das Ungeschick, die naiven Antworten, +durch welche die Braut einigemal in der That komisch wurde, beschämten +ihn nicht so, wie sie es früher gethan hätten. Er gönnte ihr den Spott, +der ihm begreiflicherweise nicht entgangen war, als gerechte Strafe für +ihre Mängel. Mußte er doch auch die Folgen einer Verpflichtung tragen, +die er einmal eingegangen hatte, und zum bösen Spiel gute Miene machen!</p> + +<p>Nach Verfluß einer Woche forderte er Christine mit einer Art von +Genugthuung auf, den Besuch bei Dobler zu wiederholen. Er hatte fest +beschlossen, sie nicht zu schonen. Sie mußte entweder etwas profitiren +oder den verdienten Spott hinnehmen. Zog sie sich ihn zu, so war er +ihr auch gesund, und es war Schwäche, ihr ihn ersparen zu wollen. — +Als Christine zagend erwiederte, sie thue es ungern, recht ungern, kam +wieder eine Reihe von Gründen zum Vorschein, denen zu widerstehen sie +keine Macht hatte. Sie ging mit, wie das Opfer zur Schlachtbank.</p> + +<p>Wilhelmine war diesen Abend in bester Laune. Sie hatte den Verlobten +ausgeholt und glaubte annehmen zu dürfen, daß er im Innersten seines +Herzens wünschte, das Verhältniß mit Christine aufgelöst zu sehen. +Als diese nun mit ihm ankam und in ihrem ganzen Wesen ihre Stimmung +offenbarte, zeigte sich auf dem Antlitz der Sicheren jene Heiterkeit, +welche demüthigen soll, und mit dieser Absicht wahrhaft beleidigt. +Die Reden waren dagegen um so freundlicher und schmeichelhafter, und +die gute Christine war gezwungen, dankende Antworten darauf zu geben, +die ihr nicht von Herzen gingen und ihr durchaus nicht zu Gesichte +standen. Forstner konnte nicht umhin, bei diesen Erwiederungen zu +lächeln; er sah Wilhelmine an und ihre Blicke tauschten ihre Gedanken +aus. Christine sah diese Blicke, ahnte ihre Bedeutung, und setzte sich, +einen Pfeil im Herzen, zur Gesellschaft.</p> + +<p>Außer der Familie Dobler waren noch zwei Freundinnen Wilhelmines +da, gleich ihr belesen, und namentlich bewandert in der städtischen +Leihbibliothek. Man fragte sich, wie eines und das andere der neueren +Bücher gefallen habe, man lobte und tadelte, und es<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span> entwickelte sich +ein Gespräch, das gerade nicht von Geist übersprudelte und keineswegs +mit gerechten und feinen Urtheilen geziert, aber vielleicht eben +darum für unser Dorfkind zu hoch war. Die Gute blickte stumm für +sich hin und horchte in der Hoffnung, daß man zuletzt doch auf etwas +kommen müsse, wo sie auch mitreden könne. Endlich leuchtete ihr ein +Ausspruch im Allgemeinen ein: sie glaubte zeigen zu müssen, daß sie +ihn verstanden habe, und nickte beistimmend. Wilhelmine, die gebotene +Gelegenheit ergreifend, fragte: »Haben Sie die Erzählung auch gelesen, +Jungfer Christine?« Diese mußte mit Nein antworten, und um sich zu +entschuldigen, fügte sie hinzu, daß sie zum Lesen immer noch nicht +recht kommen könne. — »Was thun Sie denn aber den ganzen Tag?« fragte +die Gebildete. Christine erwiederte: »Ich lerne — ich nähe, stricke, +ich sticke und helfe kochen.« — »Das Nähen und Stricken,« warf die +andere hin, »ist Ihnen wohl lieber als das Lesen?« — »Ich kann's +nicht leugnen,« war die ehrliche Antwort. »Was man von Jugend auf +getrieben hat, was man versteht und was einem leicht geht, das thut man +gern.« — »Nun,« versetzte Wilhelmine lächelnd, »da würden Sie wohl +auch lieber Korn schneiden und dreschen als lesen?« Ein spöttisches +Vergnügen belebte bei dieser Frage die Gesichter der Freundinnen. +Christine fühlte die Absicht derselben, die Galle stieg ihr auf und +sie entgegnete: »Warum nicht? Das Dreschen ist zwar eine grobe Arbeit +und verträgt sich nicht recht mit feiner Lebensart; aber das Lesen, +scheint's, macht auch nicht immer fein und höflich.« — Damit hatte die +Gebildete auch ihren Hieb. Sie schwieg und lächelte. Es war aber nicht +mehr das überlegene, sondern das aushelfende Lächeln, das den Mangel +einer treffenden Erwiederung decken soll, bis die Gelegenheit zur Rache +kommt.</p> + +<p>Zunächst lenkte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand, wobei +sie zu ihrem Vortheil erscheinen mußte und Christine zum Schweigen +verurtheilt war. Sie sprach von Nürnberg und erzählte, was sie dort +gesehen und welche Bekanntschaften sie gemacht. Der edle Gegenstand +machte auch das Herz des gereizten Frauenzimmers wärmer und +honetter; sie rühmte die Schönheit der Stadt, die Gastlichkeit und +die Geselligkeit der Bewohner so gut, daß Christine im<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> Verlauf der +Erzählung ihren Groll vergaß und ihr mit Vergnügen zuhörte. Forstner +und der Bruder, welche die Perle der vaterländischen Städte kannten und +liebten, gaben ihre Bemerkungen dazu, und die Spannung löste sich in +allgemeine Vertraulichkeit.</p> + +<p>Christine gehörte zu den Naturen, die verzeihen können, wenn sie in +denen, die sie verletzt haben, nur auch wieder etwas Gutes sehen. +Sie setzte sich zu Wilhelmine, lobte sie und suchte dadurch ihren +Stich von vorhin wieder auszugleichen — das arme Kind! Wilhelmine +nahm die Anerkennung als etwas auf, das ihr gebühre, und schritt, nur +ihre Erhöhung im Auge, zur Entfaltung eines neuen Vorzugs. Sie hatte +mit Forstner in den letzten Tagen ein vierhändiges Stück eingeübt, +besonders gefällige und reizende Musik. Von ihren Freundinnen gebeten, +etwas zu spielen, forderte sie den Lehrer auf, und beide setzten sich +an's Clavier. Das Spiel ging vortrefflich zusammen und die Zuhörer +waren bald voll Bewunderung. Christine war aufgestanden und näher +getreten. Sie sah die beiden, wie sie Ein Herz und Eine Seele waren +und zusammen paßten, als ob sie für einander geschaffen wären. In ihre +Bewunderung mischte sich ein demüthigendes, niederschlagendes Gefühl: +sie erkannte, daß ihr gerade das fehlte, was an Wilhelmine zu Forstner +so besonders paßte. Nachdem ein brillanter Schluß den musikalischen +Vortrag gekrönt hatte, brach die Gesellschaft in den lautesten Beifall +aus. Die beiden dankten, sahen sich in's Auge und lächelten sich an, +zufrieden und glücklich. Eifersucht — zum erstenmal helle, klare +Eifersucht loderte in dem Herzen der Verlobten auf. Eine peinliche +Empfindung lastete auf ihr, zum geringsten Theil auf Neid, zum größten +auf der klaren Anschauung eigenen Unvermögens und Unwerthes beruhend. +In ihrem Herzen fing es wieder an zu gähren und zu beben; aber sie +bezwang sich, wie viel es sie auch kostete, trat mit Fleiß zu der +Gefeierten und sprach ihren Dank und ihre Bewunderung auf ihre Art aus. +Es sei doch wahrhaftig zum Erstaunen, wie schön sie's könne und mit +welcher Geschwindigkeit! Sie begreife nicht, wie man so schnelle Finger +bekommen und ein so langes Stück spielen könne, ohne einen Fehler zu +machen. Wilhelmine erwiederte: das lerne sich durch Uebung; man müsse +sich eben recht dran halten, dann gebe sich alles.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span></p> + +<p>In dem Uebermuth, den der Beifall in ihr angeregt, in der Erinnerung +an die kleine Schlappe, die sie von dem Dorfmädchen erlitten hatte, +fuhr der böse Geist in ihr Herz. Sie suchte ihren sanftesten Ton, gab +ihrem Gesicht den mütterlichsten Ausdruck und sagte: »Sie müssen das +auch lernen, liebe Christine. Wenn man einen so geschickten Musiker +zum Bräutigam hat, wie Sie, darf man die Gelegenheit nicht versäumen, +sich in die Kunst einweihen zu lassen.« — »O,« rief Christine, »das +würde nicht gehen!« Die Mamsell hatte unterdessen ihre Hand ergriffen, +welche die ländliche Derbheit immer noch bedeutend zur Schau trug, +und betrachtete sie und drehte sie hin und her. »Die Finger,« sagte +sie mit anmuthigem Kopfwiegen, »sind freilich noch etwas zu stark und +zu schwer, sie verrathen noch zu sehr die Arbeit mit der Sichel und +der Heugabel und würden vorläufig zum Klavierspiel noch nicht ganz +geschickt sein. Aber man muß an nichts verzweifeln, mit der Zeit ändert +sich alles, und auch diese Glieder können noch leicht und gelenkig +werden.« Die Gesichter der Freundinnen zeigten bei diesen Worten +zugleich Schadenfreude und Spannung — die Hand der Verhöhnten zuckte. +Wie gern hätte sie der boshaften Person gezeigt, daß ihre Finger, wenn +auch nicht zum Klavierspiel, doch zur Ertheilung einer wohlverdienten, +tüchtigen Ohrfeige ganz vortrefflich paßten! Aber sie mußte sie ruhig +zurückziehen und sich alle Mühe geben, ihre Gekränktheit sich nicht +anmerken zu lassen. Ihren Unmuth hinunterschluckend erwiederte sie +aber: »Meine Finger sind eben wie sie sind, und wenn sie nicht zum +Klavierspielen passen, so ist das mein geringster Kummer. Ich bekomme +einen Mann und eine Haushaltung und werde nicht nöthig haben, mir mit +Singen und Spielen die Zeit zu vertreiben.« — Das war auch nicht ganz +übel. Forstner, der bei der Verhöhnung der Hand, die noch immer seinen +Verlobungsring trug, eine entschieden mißbilligende Miene gezeigt +hatte, ergötzte sich an der Replik und die Freundinnen der Getroffenen +dachten im Stillen: da seht mir die Bäuerin! Wilhelmine aber hielt +aus und sagte lächelnd: »Das ist freilich wahr!« Bei sich aber dachte +sie: wir wollen sehen, du Rieser Gänschen! — College Dobler begann +einen andern Discurs, der das Vorgefallene<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> in Vergessenheit zu bringen +bestimmt war, und man trennte sich unter höflichen Redensarten.</p> + +<p>Die Verlobten legten den Weg zu Kahl schweigend zurück, da beide +keinen Beruf in sich spürten, die Erlebnisse des Abends zu besprechen. +Christine hatte sich überzeugt, daß die Mamsell darauf ausgehe, sie vor +ihrem Bräutigam zu beschämen und zu beschimpfen; sie nahm sich vor, nie +wieder in ihr Haus zu gehen. Wie es mit ihr und ihm stehe, das wollte +sie doch erfahren und dann sehen, was zu thun sei. — Forstner hatte +das Haus mit einer sehr gemischten Empfindung verlassen. Die Absicht +Wilhelminens war deutlich genug. Obwohl nun ihr heutiges Betragen +gegen seine Braut ihn wirklich verletzt hatte, so lag in dem letzten +Endzweck, ihm besser gefallen zu wollen als diese, für ihn doch immer +noch etwas, das einen mildernden Schein auf ihr Benehmen warf und keine +rechte Entrüstung in ihm aufkommen ließ. Er faßte den Entschluß, zu ihr +zu gehen, ihr die unpassende Art, Christine zu necken, vorzuhalten und +sich die gehörige Rücksicht für sie auszubitten.</p> + +<p>Gleich am andern Tag führte er seinen Vorsatz aus. Als man an der +Einleitung sah, wohin er wollte, ließ man ihn gar nicht ausreden. Die +Mamsell hatte sehr wohl gefühlt, daß sie zu weit gegangen war, und der +Bruder hatte ihr zu Gemüthe geführt, daß das nicht die Art wäre, seinen +Collegen zu gewinnen. Der Verstand hatte über das gereizte Gefühl +gesiegt, und die Gewandte fiel nun dem Freund mit zerknirschter Miene +ins Wort: »Ich habe sehr gefehlt — es ist wahr und ich weiß es! Sie +selber können mich nicht schärfer anklagen, als ich es schon gethan +habe. Ich hab' einen Scherz machen wollen, aber ohne daß ich bedachte, +was ich that, hab' ich Dinge gesagt, die ihrer lieben Braut weh thun +mußten. Verzeihen Sie mir! Ich hab' es gebüßt, und es soll nie wieder +geschehen!«</p> + +<p>Damit war Forstner entwaffnet. Er erwiederte: »Wenn Sie so denken, +dann ist's um so besser; und ich will Ihnen nicht verbergen, daß Sie +mir damit eine Freude machen. Wohin sollt' ich Christine bringen und +wo sollte sie die rechte Art lernen und den gehörigen Muth in der +Unterhaltung, wenn nicht in diesem Hause?« — »Nun,« sagte Wilhelmine +mit halbem Lächeln, »an Muth und auch an Geistesgegenwart<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> fehlt es ihr +gerade nicht. Haben Sie gesehen, wie sie mir gestern geantwortet hat? +Sie hat mich fühlen lassen, daß ich nicht so glücklich bin wie sie!« +— Forstner verwirrte sich einigermaßen und sagte um so rascher: »Ich +werde also nächstens wieder mit ihr kommen, und danke Ihnen für Ihre +Gefälligkeit.«</p> + +<p>Ein paar Tage darauf gewann es die Schwester des Stadtlehrers über +sich, der Verlobten einen Besuch abzustatten. Christine war zufällig +nicht zu Hause. Als sie später davon hörte, sagte sie ruhig: »So, die +ist dagewesen? Sie wird nimmer kommen, schätz' ich.« Die Base sah das +Mädchen verwundert an, machte dann aber ein Gesicht, als ob sie den +Sinn ihrer Worte begriffe.</p> + +<p>Wieder ein paar Tage und Forstner kam zu Christine und sagte: »Heute +ist Gesellschaft bei Dobler und wir sind eingeladen. Halte dich bereit. +Nach sechs Uhr komm ich und hole dich ab.« — Christine erwiederte: +»Ich geh' nicht hin.« — »Wie soll ich das verstehen?« entgegnete +der Verlobte. »Willst du gar nicht mehr« — — »Allerdings,« rief +Christine, indem eine leichte Röthe ihr Gesicht überzog — »ich will +gar nicht mehr in dieses Haus gehen!« — »Und warum nicht?« — »Weil +ich zu gut dazu bin, um mich von einer boshaften Person aufziehen und +verspotten zu lassen.« — »Du nimmst den kleinen Spaß, den Wilhelmine +sich gemacht hat, viel zu ernsthaft. Ueberdies bereut sie ihn und wird +dir von jetzt an alle Ehre anthun, die du erwarten kannst.« — »Ich +glaub's nicht.« — »Sie hat mir's selber gesagt.« — »Das mag sein, +aber ich glaub's doch nicht. Die mag sich vornehmen und versprechen was +sie will, sie wirds doch nicht halten und es bei nächster Gelegenheit +ärger machen als vorher. Aber dafür thu' ich ihr!«</p> + +<p>Dem Verlobten stieg nun gleichfalls das Blut ins Gesicht. »Wenn du so +denkst,« rief er in seinem Hofmeisterton, »dann wirst du niemals die +Manieren lernen, niemals die Bildung, die« — Aber das Mädchen fiel ihm +in gerechter Entrüstung in die Rede: »Geh mir doch mit deiner Bildung! +Wenn das Bildung ist, Leute, die einen besuchen, so zu behandeln, wie +diese Mamsell mich behandelt hat, dann will ich lieber ungebildet sein +und bleiben mein Leben lang.<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> Wenn die Bildung die Leute nicht besser +macht und aufrichtiger, dann geb' ich keinen Pfifferling um sie!«</p> + +<p>Forstner schwieg; er war von der ungewohnten Entschlossenheit und +Heftigkeit betroffen. Endlich sagte er: »Du bist empfindlich und machst +aus einer Mücke einen Elephanten!« — Christine sagte: »Ich mach mir +nichts aus den Dingen, die geschehen sind; aber ich mach' mir alles aus +der Person, die mir's gethan hat. Die ist falsch gegen mich und wirds +bleiben, und mit ihr will ich nichts mehr zu thun haben.« — »Du irrst +dich,« erwiederte Forstner nochmal im Ton der Ueberredung. »Sei klug, +geh heute noch mit hin und überzeuge dich selbst, daß du Unrecht hast.« +— »Nie!« versetzte Christine mit dem Ausdruck eines unerschütterlichen +Gefühls; »zu der geh' ich nie mehr, um keinen Preis der Welt!« — »Aber +ich bitte dich« — — »Ich will nicht und ich mag nicht. Du kannst mich +hinführen, wohin du willst, und ich will's nirgends genau nehmen; ich +will mir etwas gefallen lassen und Geduld haben — ich bin gar kein +solches Christkindle, wie du meinst, und kann auch etwas aushalten; +aber von Der laß ich mir nichts gefallen, von Der will ich auch nichts +lernen, und damit gut für heut.«</p> + +<p>Forstner war verstummt. Der eigentliche Grund der Weigerung seiner +Verlobten war ihm klar. Er fühlte, was dafür sprach, er begriff sie, +und widersprechende Gefühle stritten in ihm. Aber der Verdruß, sie +wider alles Erwarten gegen seinen ausgesprochenen Willen unbeugsam zu +finden, überwog zuletzt doch. Er sagte: »Nun, wenn du so eigensinnig +bist und alles Reden nicht hilft, so bleib zu Hause!« — »Das will ich +thun,« erwiederte Christine ruhig. »Und du geh hin zu der gebildeten +Mamsell und unterhalte dich gut.« — »Das will ich auch thun,« +antwortete er und verließ die Stube.</p> + +<p>Es giebt eine Schickung in der Welt, die in das Leben der Menschen eine +gewisse Methode bringt. Ueber den Grund und die mitwirkenden Ursachen +kann man streiten, über die Thatsache schwerlich. Das Geschick unseres +Landmädchens war es, in einer Stadt und unter einem Menschenschlag, wie +es so viele gutmüthige, ehrenhafte, fröhliche und freundliche Leute +giebt, nur solche näher kennen zu lernen, die sie verletzten und ihr +das Leben daselbst verleideten. Sie war<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span> nun beinahe vier Monate in +der Stadt, und nicht ihre Hoffnungen, nur ihre Befürchtungen waren in +Erfüllung gegangen. Doch auch für sie sollte ein Tag der Entscheidung +kommen.</p> + +<p>Forstner hatte sich an jenem Abend geradeswegs zu Dobler begeben, um +dort, wo nicht Aufheiterung, doch Zerstreuung zu finden. Das Band, +das ihn an Christine knüpfte, beruhte nur noch in dem Versprechen, +das er ihr gegeben und in einer Mischung von Gewissenhaftigkeit und +Zaghaftigkeit, es zu brechen. Die Liebe und die auf sie gegründete +Achtung waren aus seinem Herzen entflohen; die Hoffnung auf eine +Aenderung war aufgegeben. In der Klemme, in der er sich befand, konnte +er einer theilnehmenden Erkundigung von Seiten Wilhelminens nicht +widerstehen; er erzählte den Auftritt mit der Verlobten und machte +seinem Herzen in Klagen Luft. Das Herz der Bewerberin klopfte; aber sie +hielt ihre Empfindung stark zurück und war so klug, mit bedauernder +Miene Trost und freundschaftlichen Rath zu ertheilen. »Zwingen Sie das +gute Kind nicht, zu uns zu kommen,« sagte sie mit sanfter Stimme, »und +haben Sie Geduld mit ihr. Wenn man von Kindheit an auf dem Land gelebt +und sich an seine Manieren gewöhnt hat, da fällt's einem schwer, sich +in andere zu finden. Lassen Sie ihr Zeit dazu.« Forstner seufzte. »Ich +will Geduld haben, ich muß es, denn es ist das Einzige, was mir übrig +bleibt. Ich hab' mich mit ihr versprochen, sie ist meine Braut — ich +muß sie nehmen, wie sie ist.« — Für Wilhelmine hatte diese Erklärung +viel mehr Ermuthigendes als Niederschlagendes. Sie erwartete neue, +heftigere Auftritte zwischen den Verlobten, und in Folge davon die +Auflösung des Verhältnisses.</p> + +<p>Zunächst kam es doch weder zu dem Einen, noch zu dem Andern. Forstner +hatte eben in der Resignation, die sich nun auf alle seine früheren +Erwartungen ausdehnte, wieder die Ruhe gefunden, seinen Unterricht und +seine Unterhaltung mit Christine, äußerlich und obenhin, fortzusetzen. +Er that es, weil er angefangen hatte, weil die Zeit ausgefüllt werden +mußte; einen innern Grund gab es nicht mehr. Es waren graue, leere +Tage der Unentschiedenheit, des Hinwartens, des Gehenlassens. In der +Verlobten der stille Trotz, in Forstner die Gleichgültigkeit. Nur +selten und nur auf Momente thauten die Herzen<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span> ein wenig auf. Wenn er +ihr aber dann auch die Hand reichte, so fühlte sie doch nicht mehr den +Druck der Liebe, und wenn er ihr zum Abschied einen Kuß gab, so war +es eben eine Ceremonie, ohne wahres Verlangen ertheilt, ohne Glauben +empfangen.</p> + +<p>Dieser Stand der Dinge konnte den Hausgenossen und Bekannten des +Mädchens natürlich kein Geheimniß bleiben. Man zeigte bedenkliche +Mienen, man schüttelte den Kopf, und auch die Magd Susanne und Mamsell +Adelheid konnten sich nicht enthalten, zuweilen mit Blicken wirklichen +Bedauerns auf sie zu sehen. Man erfuhr, daß der Lehrer immer häufiger +zu Dobler komme; man sah Wilhelmine vergnügt und stolz über die Straße +gehen, wie Eine, die ihrer Sache gewiß ist, und man erwartete nicht +anders, als daß es in kurzem heißen werde: der Herr Forstner hat dem +Bauernmädchen abgeschrieben.</p> + +<p>Daß diese nach und nach zur Ueberzeugung gewordene Ansicht im Gespräch +mit Christine durchschimmerte, und die Andeutungen, die man gab, nicht +so fein waren, um nicht verstanden werden zu können, begreift sich. +Die Base hielt es für ihre Pflicht, noch weiter zu gehen und ihrer +Verwandten geradezu mitzutheilen, was man in der Stadt über Forstner +und sein Verhältniß zu Wilhelmine sagte. Christine sah sie einen Moment +an; dann erwiederte sie: »Ich kann es nicht glauben. So schlecht +handelt er nicht an mir!« — Sobald sie aber von der Tagesarbeit frei +war, suchte sie die Einsamkeit ihrer Stube auf. Sie dachte über die +Möglichkeit nach, daß es wirklich aus sein könne zwischen ihr und ihrem +Bräutigam — aus für alle Zeit. Wird er es thun? wird er sein Wort +brechen? wird er mich — — Der Gedanke, verschmäht und verlassen zu +werden, trat zum erstenmal in vollster Bestimmtheit vor ihre Seele. +Und so sehr sie durch Alles, was sie bisher erfahren, darauf hätte +vorbereitet sein müssen, sie empfand nun doch alle Pein und alle +Bitterkeit desselben.</p> + +<p>In jenem schönen Winter, in welchem sie die Bekanntschaft des Lehrers +gemacht hatte, war sie von seiner Liebenswürdigkeit in Wahrheit +bezaubert und seiner Bewerbung zuletzt in leidenschaftlichem Verlangen +entgegengekommen. Sie war an die Vorstellung gewöhnt, ihm zu gehören +und ihm treu sein zu müssen, und ihre Liebe hatte alle<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> Anfechtungen +bestanden, die sie in den letzten Monaten erfahren. Als sie nun in +ihrer einsamen Erwägung zu dem Schlusse kam: ja, er bricht sein Wort, +er verläßt dich, er nimmt <em class="gesperrt">sie</em> — da flammte mit dem Schmerz auch +all ihre Liebe und Leidenschaft wieder auf. Sie fühlte ein glühendes +Verlangen, ihn wieder zu gewinnen, ihn zu halten, und sie fragte sich +mit angstvoller Seele, wie sie's anfangen solle, das Unglück und die +Schande abzuwenden, die ihr drohten. Sie wollte Alles thun, was in +ihren Kräften stand, sie wollte lernen, wollte in Gesellschaft gehen, +wollte sich Tadel und Spott gefallen lassen. Sie wollte dem Bräutigam +ihre Schuld bekennen, wollte ihn bitten, sie auf die Probe zu stellen +und ihr das Schwerste aufzugeben. — Wie sehr sie sich aber zu Allem +bereit fühlte und welche Wirkung sie sich von ihren Anerbietungen auf +ihn versprach — es wollte kein Vertrauen in ihr Herz kommen. Mitten +in der Selbstermuthigung rief es in ihr: er liebt dich nicht mehr — +er schätzt dich nicht mehr — du bist ihm nicht mehr gut genug! — Sie +sah vor sich hin und athmete hörbar. Es war die Bewegung der Angst, +verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht, welche die Brust der Verlassenen +regelmäßig hob und senkte. Es waren Verzweiflung und Ergebung, die +ihr Herz erfüllten — Verzweiflung an ihrem Glück, Ergebung in ihr +unvermeidliches Elend.</p> + +<p>Nach und nach war es dunkel geworden. Die Stille der Nacht wirkte +heimlicher auf das verwundete Gemüth, als die Oede des grauen Tages. +Die Ergebung wuchs in dem Herzen der Unglücklichen; sie wurde ruhiger, +gefaßter. Sie fühlte sich in ihrer dunkeln, einsamen, lautlosen Stube +der Welt, die ihr so viel Schmerzen gemacht hatte, entrückt und vor +ihren Angriffen gesichert. Ihre Seele wurde frei zu Vorstellungen, die +mit ihrem Leide zusammenhingen und traurig waren, aber doch auch etwas +Wohlthuendes hatten.</p> + +<p>Unwillkürlich summte sie ein Lied, und ein schmerzliches Lächeln ging +über ihr Gesicht. Es war eines der schönsten Volkslieder, das ihr +in den Sinn kam, ein Lied der Liebe und des Leids, der schlichten +Entsagung und der Erhebung zu einer ahnungsvollen Vision. Im +Schwabenlande heimisch und verbreitet, hatte es Christine schon in +ihrer frühen Jugend gelernt. Da war es freilich nur ein Lied<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> mehr für +sie, das unter andern gesungen wurde; aber schon damals verfehlte es +auf einem einsamen Gange oder in der Stille der nächtlich erhellten +Stube seines Eindrucks nicht. Jetzt sang sie es mit tiefer Empfindung +und jedes Wort hatte Bedeutung für sie:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Jezt gang i an's Brünnele, trink aber net:</div> + <div class="verse indent0">Da such' i mein herztausenda Schatz, find'n aber net,</div> +</div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Da laß i meine Aeugelein rund ummi gehn,</div> + <div class="verse indent0">Da seh i mein herztausenda Schatz bei'm Andre stehn.</div> + </div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Und bei'm Andre stehn sehn, ach das thut weh!</div> + <div class="verse indent0">Jezt b'hüt di Gott, herztausender Schatz, seh di nimmermehr!</div> +</div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Jezt kauf i mir Federn und Dint' und Papier,</div> + <div class="verse indent0">Und schreib mei'm herztausenda Schatz einen Abschiedsbrief.</div> + </div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Jezt leg' i mi nieder auf Heu und auf Stroh,</div> + <div class="verse indent0">Da fallen drei Röselein mir in den Schooß.</div> +</div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Und diese drei Röselein sehn blutigroth;</div> + <div class="verse indent0">Jezt weiß i net, lebt mei Schatz oder ist er todt!</div> + </div> +</div> + +<p>Ihre Augen waren feucht geworden bei dem Lied; aber wer sie gesehen, +würde doch einen Glanz darin bemerkt haben, der noch etwas anderes +ausdrückte als Verlust und Schmerz. Das Gebilde der Poesie hatte seine +Wirkung geübt; das Leid war der Bedrängten gegenständlich geworden und +ihre Seele hatte eine Macht darüber erlangt, die immer einen gewissen +Trost mit sich führt. — Die Trauer verschwindet freilich nicht in +einem solchen Falle, sie erhält nur ein milderndes Licht, und das +Gemüth wird fähig, ihren Gegenstand ruhiger und wie von einer höheren +Sphäre herab anzusehen.</p> + +<p>»Und bei'm Andre stehen sehn, ach, das thut weh!« wiederholte sie und +setzte hinzu: »Ja, das erfahr' ich nun auch, wie es schon manches +erfahren hat!«</p> + +<p>Sie versank in Stillschweigen. Sie hatte an ihren guten Vetter gedacht +und fühlte nun plötzlich auf's genaueste, wie es ihm gewesen und was er +gelitten. — Ihre eigene Richterin, nickte sie zu wiederholten Malen +traurig ernst mit dem Haupte und sagte: »Du guter Hans — du hast's +auch erfahren — und ich bin daran Schuld gewesen! Ich hab' deinem +treuen Herzen weh gethan, hab' deine<span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span> Lieb' und Freundschaft mit Undank +vergolten!« — Sie folgte einem innern Drange, sich vorzustellen, wie +es damals gewesen, und wie sie jetzt ihr Leid empfand, sah sie ihr +damaliges Unrecht im hellsten Licht und auf eine Weise, daß das Bild +davon in ihrem Geiste blieb und nicht wieder ausgelöscht werden konnte. +Sie übertrieb ihre Schuld und empfand eine Lust, sich damit zu strafen +und zu quälen. »Ja,« sagte sie, »ich hab' gewußt, wie du gesinnt warst +gegen mich, ich hab' gewußt, daß du der beste Mensch bist von der Welt +— eine so treue, grundgute Seele, wie mir keine sonst vorgekommen ist! +Du hast an meiner Mutter gehandelt wie ein Sohn, und an mir wie ein +Bruder, und wir haben deine Wohlthat angenommen, als hätten wir ein +Recht darauf — und zum Lohn dafür hab' ich dich betrogen und an der +Nase herumgeführt. Du warst mir der Gutgnug, wenn kein anderer da war; +sobald ein anderer kam, ließ ich dich fahren! Ich hab' damals zu mir +gesagt: »Warum redet er nicht? Er ist selber daran Schuld.« Aber jetzt +erkenn' ich, was das für eine elende Ausrede gewesen ist! Als ob ich +nicht gesehen hätte, wie du's mit mir gemeint, als ob ich nicht in dein +Herz gesehen hätte und in jedes Winkele davon! Ich hab' gewußt, daß +du mich lieber hast als alles in der Welt, und ich hab' dir das Maul +gemacht eine Zeitlang, und dann bin ich dir untreu geworden, weil der +andere schöner und geschickter und vornehmer war, und weil er besser +schwätzen und schmeicheln konnte. Und wenn ich mich dann auch ein +wenig geschämt hab', so hab' ich's doch bald wieder vergessen und hab' +gethan, als ob nichts vorgefallen wäre. O, ich hab' schlecht gehandelt +— schlechter als manche, die in's Zuchthaus gekommen ist! Aber ich +hab' meine Straf' auch gekriegt! So hat's mir gehen müssen, das hat mir +gehört — und ich darf mich nicht beklagen, nein, und ich will mich +auch nicht beklagen. Ich würde nur eine neue Sünde begehen, wenn ich's +thäte, und ich hab' an denen genug, die ich begangen habe.«</p> + +<p>Während dieser Anrede, die sie an den guten Vetter und sich selber +hielt, waren ihr Thränen in die Augen getreten und herunter gelaufen +über ihre Wangen, die Worte begleitend, die ihr vom Munde gingen. +Endlich behaupteten sie allein das Recht und flossen reichlich und +lange und begossen die Saat einer neuen Erkenntniß.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span></p> + +<p>Das Bauernmädchen hatte den Unterricht eines andern Lehrers empfangen, +als der gute Forstner ihr sein konnte. Die wahren Einsichten, die +fruchtbar sind und Macht und Gewalt haben, in ein neues Leben zu +führen, werden dem Menschen nur durch Schicksale, die er erdulden muß, +durch Schmerzen, die über ihn verhängt werden und ihm die Augen öffnen. +Das Unrecht, was wir gethan, wird uns dann klar durch das Unrecht, +das wir leiden. Haben wir damit aber die Kraft erlangt, uns selber +zu richten, dann wird uns eben die Strafe und die Buße zur Staffel, +auf der wir hinansteigen können zu einem höheren Leben. Wo nichts ist +freilich, da kann auch nichts herauskommen; aber für diejenigen, die, +wenn auch unter eiteln und selbstsüchtigen Trieben, den Stoff zur +Erhebung in sich bergen, für diese ist die Züchtigung im eigentlichsten +Sinn ein Werk der Liebe — das einzige Mittel ihrer Rettung.</p> + +<p>In Christine lag ein Keim, der sich der rettenden Hand darbot — ein +Keim der Gutmüthigkeit, ein Keim der Fähigkeit, Reue zu fühlen und +sich selber das Urtheil zu sprechen. Sie hatte ihr Leid verdient, in +Wahrheit verdient; aber jetzt, nachdem sie es getragen, verdiente sie +auch seine Hülfe und sein Heil.</p> + +<p>Als sie ausgeweint hatte, fühlte sie eine Stille in ihrem Gemüth, die +sie vorher nie gekannt, eine Stille nicht blos gedankenlos ruhigen +Lebens, sondern vereint mit klarer Anschauung ihres Seelenzustandes. +Sie athmete leicht, als ob sie eine Last abgeworfen hätte; ihre Züge +waren verwandelt, sie waren lichter und geistiger geworden. Sie war +gefaßt auf alles, was ihr begegnen mochte. Was über sie kam, es war +gut, und vielleicht nur um so besser, je schlimmer und schmerzlicher es +war.</p> + +<p>Das ist die heilspendende Kraft, die in der wirklichen Erkenntniß, +nicht in der bloß vorübergehenden Empfindung begangenen Unrechts liegt. +Das Leid, das uns unerträglich schien und trostlos machte, nimmt, wenn +wir eine gerechte Strafe darin erblicken, eine andere Gestalt, ein +anderes Wesen an. Aus dem Gegner wird ein Helfer zur Freiheit, die +wir durch Erduldung der Strafe gewinnen. Die Last, die uns zu Boden +drückte, fällt in unsere Wagschale und hilft unsern<span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span> wahren Feind +aufwiegen. Und wir müssen segnen, wo wir geflucht, wir müssen lieben wo +wir gehaßt haben.</p> + +<p>Obwohl die äußere Lage unseres Dorfkindes gegenwärtig um vieles +schlimmer war als in jener trüben Zeit vor den Feiertagen, so wurde +sie doch nicht mehr ein Raub der Angst und Verzweiflung. Sie sah genau +wie es stand und was sie zu fürchten hatte, aber sie blieb ruhig. +Sie stellte sich vor, daß der Mann, dem zu Liebe sie das beste Herz +beleidigt und für immer verloren, dem zu Liebe sie ihr Vaterhaus +verlassen hatte, in die Stadt gezogen und ihrem Stand untreu geworden +war, in den nächsten Tagen zu ihr kommen und sagen könnte: »es ist aus +mit uns Zweien, wir taugen nicht zusammen, geh wieder heim in dein +Dorf!« Aber wie groß die Schmach war, die ihrer dann wartete, und wie +schmerzlich bei dem Gedanken, ihr ganzes Leben zerstört zu sehen, ihr +Herz erzitterte, sie faßte sich doch wieder. Sie legte sich nieder und +sank in dem Frieden der Ergebung in tiefen Schlaf.</p> + +<p>Am andern Morgen erschien sie in der untern Stube mit einer Sanftmuth, +und wir können sagen mit einer Würde in dem etwas blässeren Gesicht, +daß es allen Hausgenossen auffiel. Es war unmöglich, ihr nicht mit +Rücksicht zu begegnen. Die Reden beim Mittagessen waren darauf +berechnet, sie zu erheitern und ihren Geist von ihren Zuständen +abzulenken, und sie lächelte ein paarmal gutmüthig dazu. Selbst +Vetter Kahl strengte sich an, eine Geschichte zu erzählen, die er für +ergötzlich hielt, und freute sich an den Zeichen des Erfolgs. Das +Verlangen der Schadenfreude, das die Magd früher empfunden hatte, war +schon lange mehr als gesättigt. Was dem armen Bauernmädchen widerfuhr, +war ihr gar zu arg, und da sie nun auch so freundlich, so bescheiden +mit ihr sprach, so empfand sie wahres Mitleid mit ihr.</p> + +<p>Als Christine Nachmittags allein in der untern Stube war, machte +die Bekehrte sich an sie, und jene merkte gleich, daß sie etwas auf +dem Herzen habe. Auf ihre Frage, was es Neues gebe, begann Susanne +mit einer scharfen Kritik der Männer im Allgemeinen und fuhr dann +fort: »Liebe Jungfer Christine, ich hab' mich besonnen, ob ich Ihnen +sagen soll, was ich heute früh gehört hab'; aber es ist mir<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> doch +vorgekommen, als ob's besser wäre, wenn Sie es wüßten; denn wenn's +wahr wäre und Sie es plötzlich erfahren würden — vielleicht ist's +aber nicht wahr, man schwätzt gar viel, wenn der Tag lang ist — aber +ich glaub' doch, es ist besser, wenn Sie's erfahren« — — »Nun,« fiel +Christine ein, »was ist es denn?« Die Magd sah sie mit großem Bedauern +an und erwiederte: »Ich hab' heut gehört, daß Herr Forstner mit der +Mamsell Wilhelmine ganz im Reinen sei, daß sie sich heimlich schon mit +einander versprochen hätten, und daß Sie sich gefaßt machen müssen, +— Sie verstehen« — — »Ja wohl,« entgegnete Christine. »Vorläufig +ist das aber nur ein Gerede, das boshafte Leute ihm aufgebracht haben +können. Ich werd' es nur dann glauben, wenn ich es von ihm selber +höre!« — »Es kann ja sein, daß nichts dahinter ist,« versetzte die +Magd; »aber es kann auch Grund haben, und gewiß werden Sie mir's +nicht übel nehmen —« — »Durchaus nicht, gute Susanne,« erwiederte +Christine, »ich dank' Ihr dafür. Mag kommen, was da will — ich hoff' +es mit Gottes Hülfe zu ertragen.«</p> + +<p>Dem Herannahen der immerhin peinlichen Entscheidung vermochte das +Mädchen doch nicht zu widerstehen. Ihr Geist konnte die Ruhe und +Stärke nicht behaupten, die er erlangt hatte, und je weiter die Zeit +vorrückte, je mehr klopfte ihr das Herz im Vorgefühl des Schlages, +den sie für unvermeidlich hielt. Als sie in der Abendstunde, wo der +Verlobte heute kommen sollte, in ihrer Stube saß, rang ihr Wille mit +ihrer Aufregung, und als sie plötzlich seinen Tritt auf der Treppe +hörte, war es ihr, als ob die Sinne ihr vergehen müßten.</p> + +<p>Forstner trat ein und grüßte. Sie nickte nur mit dem Kopf und starrte +ihn an, in der Meinung, daß die Worte, die sie sich selber schon gesagt +hatte, ihm ohne Verzug vom Munde gehen müßten. Bald erkannte sie, daß +sie sich getäuscht. Er nahm an ihrer Seite Platz, um den gewöhnlichen +Unterricht fortzusetzen. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, als ob er +Verdruß gehabt, aber den Vorsatz gefaßt hätte, sich nichts merken zu +lassen. Doch sah sie wohl, daß er sich Mühe geben mußte, mit ruhigem +und einigermaßen freundlichem Tone zu beginnen.</p> + +<p>Forstner hatte sich nicht mit Wilhelmine verständigt. Was die<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> Magd +Susanne gehört, beruhte auf einer Annahme und einer darauf gebauten +Versicherung. Er war freilich jeden Tag zu Dobler gekommen und Bruder +und Schwester hatten ihn mit großer Klugheit nach der Forderung ihrer +Absichten behandelt. Wilhelmine nahm an, daß er ihr eigentlich schon +gehörte; sie hatte darum alle direkten Bestrebungen unterlassen, sich +durchaus in der Rolle einer theilnehmenden Freundin gehalten und +nur dafür gesorgt, daß ihre Kenntnisse, ihre Zierlichkeit nebst den +schönsten Geistes- und Herzensgaben dem Verehrer immer deutlicher +würden. Forstner war auch in der That ganz von ihr eingenommen: die +feste Ueberzeugung, daß sie die Frau sei, die ihm durch ihren Geist und +ihre Gaben zu Hause Freude, im Umgang mit Andern Ehre machen würde, +hatte seine Bezauberung vollendet. Wenn er sich aber dachte, wie er +mit Christine brechen sollte — wenn er sich vorstellte, welchen Lärm +es geben würde, sowohl hier in der Stadt als im Ries unter seinen und +ihren Bekannten, dann konnte er doch nicht zu einem Entschluß gelangen. +Er war talentvoll, der gute Forstner, strebend, klug und gewandt; aber +ein Mann war er nicht und als Mann konnte er nicht handeln. Endlich +nahm er sich in seiner Verlegenheit vor, mit Christine und ihrer +Bildungsfähigkeit nochmal einen Versuch zu machen, nochmal zu prüfen, +was ihr möglich sei oder nicht, und darnach einen Entschluß zu fassen. +Mit diesem Gedanken war er heute gekommen.</p> + +<p>Man sagt sich selbst, daß die letzte Zeit nicht darnach angethan war, +unserer Christine die Schulaufgaben des Verlobten besonders wichtig +erscheinen zu lassen und einen erhöhten Lerneifer in ihr anzufachen. +Die innere Aufregung, die erfahrene Kränkung, das Nachdenken über +die beängstigende Lage hatten ihr Herz und ihren Geist beschäftigt, +und wenn sie Zerstreuung bedurfte, konnte sie diese nur in der Haus- +und Handarbeit finden. In der innern Umwandlung, die an dem einsamen +Abend mit ihr vorgegangen war, in der gewonnenen Einsicht in ihre +Schuld, in der Erkenntniß, daß ihr nur mit demselben Maße gemessen +würde, mit dem sie gemessen hatte, und in dem Troste, den sie daraus +geschöpft, in der ganzen für sie tiefbedeutsamen Erfahrung dieser Tage +war ihr der Bildungsflitter, mit dem sie gegen ihre Natur und ihre +Bedürfnisse behängt werden<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> sollte, in seiner ganzen Seelenlosigkeit +und Armseligkeit erschienen, und es war ihr, trotz der wohlgemeinten +Vorsätze, welche die Angst geboren hatte, nicht möglich geworden, auch +nur ernsthaft daran zu denken.</p> + +<p>Die Bildung ist, wie jeder wahrhaft Gebildete weiß, nur Gewinn, wenn +sich die Materialien, die sie uns zuführt, organisch mit dem Geiste +verbinden und, in sein Leben sich einfügend, ihn bereichern. Kommt +es dazu nicht, bleiben diese Materialien ihm äußerlich, dann ist die +Bildung nur eine sogenannte und Verlust, wie die Speisen, die den +Leib nähren, wenn sie verdaut werden, unverdaut seine Schwächung +und Verkümmerung herbeiführen. In solchem Falle ist es dann viel +besser, jene Stoffe abzuweisen und in seinem Leben und seiner Einheit +zu bleiben, in einer schlichteren, beschränkteren Einheit, aber in +einer Einheit. Denn nur die Einheit gewährt ein Bild, und nur die +Bereicherung, welche die Einheit festhält, verdient in Wahrheit den +Namen der Bildung.</p> + +<p>Christine sagte sich das freilich nicht, aber sie hatte ein Gefühl +davon und sie handelte darnach. Voll von ihren Anschauungen und +Gedanken, die wahrlich ohne Vergleich mehr Inhalt und Bedeutung hatten, +konnte sie es nicht dahin bringen, von der gerühmten Weisheit des +Pädagogen viel zu halten, und sie hatte darum wieder einen Theil der +schon eingetrichterten, dem keine Verbindung mit ihrem Innern gelungen +war, verdunsten lassen.</p> + +<p>Der Lehrer, der sie auszufragen begann, sah bald, wie es mit ihr +stand. Bei der ersten daneben treffenden Antwort, die er bekam, +zuckte er und konnte nicht verhindern, daß der Blick, mit dem er sie +ansah, eine ziemliche Dosis Geringschätzung enthielt. Er nahm sich +indeß zusammen, um die Prüfung fortzusetzen. Er fragte nach einer +geschichtlichen Thatsache, die er ihr schon wiederholt eingeprägt +hatte. Christine wurde ängstlich; sie wußte, daß ihr das schon einmal +bekannt gewesen, und da er nun doch wieder gekommen war und es am +Ende nicht so bös meinte, als sie gefürchtet, so hätte sie ihn gar +zu gern mit der richtigen Antwort erfreut. Je hastiger sie aber nach +dem Abhandengekommenen suchte, desto weniger konnte sie es entdecken; +sie mußte ihre Unwissenheit eingestehen. »Das wird gut!«<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> sagte +Forstner mit dem Ausdruck eines Mißmuths, der nur in Folge innerer +Anstrengung nicht als erzürnte Heftigkeit hervortrat. Endlich richtete +er eine Frage an sie, die mehr durch den Verstand als das Gedächtniß +zu beantworten war. Christine, durch das Bisherige verwirrt, hatte +ihn kaum gehört und gab in ihrer Confusion eine geradezu verkehrte +Antwort. Nun war der letzte Rest von Kraft und Willen, den aufkochenden +Unmuth zurückzuhalten, in ihm verzehrt, und es kam zum Ausbruch. Der +Pedant, der die Perlen seiner Lehre so schlecht gewürdigt sah, fühlte +sich beleidigt; die Unwissenheit und Unfähigkeit, die er in dieser +Antwort erblickte, hatte tiefen Widerwillen in ihm erweckt; allein +er folgte doch keineswegs bloß dem Drange dieser Empfindungen! Die +Charakterschwäche, die nicht den Muth hatte, offen zu erklären: »wir +passen nicht für einander und es ist gut, wenn wir uns trennen,« diese +Schwäche sah die Möglichkeit, eine Auflösung des peinlich gewordenen +Verhältnisses gelegentlich beizuführen, und zu dem empörten Gefühl +gesellte sich nun instinktmäßig der Wille, diese Gelegenheit zu +benutzen.</p> + +<p>Von seinem Sitz emporgefahren, stellte er sich vor sie hin und rief +mit dem Ausdruck des Zorns und tiefer Verachtung: »Das ist Unsinn, der +abgeschmackteste Unsinn, der je aus dem Munde einer hirnlosen Person +gekommen ist! Geh mir! Aus dir wird nie etwas, du bist und bleibst eine +Bauerntrutschel, ein einfältiges, dummes Weibsbild! Ich bin verrückt +gewesen, ich hab' eine unverzeihliche Thorheit begangen, daß ich —« — +Er hielt inne und — schämte sich. Christine war aufgestanden und hatte +ihn groß angesehen, mit einem Blick, wie die beleidigte Rechtlichkeit, +ja der beleidigte wahre Verstand die sinnlose Wuth und Gemeinheit +ansieht. Sie hatte die Verachtung in seiner Miene gefühlt, sie hatte in +sein innerstes Herz gesehen und den Vorsatz erkannt, mit ihr brechen zu +wollen, und in ihrem Gemüth hatte sich auch eine Verachtung erhoben, +aber eine, die auf besserem Grund fußte, und mit Blitzesschnelligkeit +war ein Entschluß gefaßt. Eben in der Glut dieser Empfindungen zeigte +sie ihm das Gesicht, das ihn erschreckte und verwirrte; und wie er nun +innehielt, fiel sie ergänzend ein: »Daß du dich mit mir versprochen +hast, willst du sagen? Ja, das ist wahr, da hast du Recht! Und ich<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> +bin ein schwaches, einfältiges Mädchen gewesen, daß ich dir getraut +hab'! Aber glaub' ja nicht, daß du mich jetzt haben mußt. Hab' ja keine +Furcht! Du hast mich gesucht, du bist zu mir gekommen, nicht ich zu dir +— das weißt du und das sagt dir dein Gewissen. Aber darum, und weil du +mir dein heiliges Versprechen gegeben hast, und weil du mich genöthigt +hast, in diese Stadt zu kommen und meinen Stand zu verändern, und weil +ich nun wieder nach Haus gehen soll und Schande und Spott erleben von +aller Welt, darum will ich dich doch nicht zwingen, dein Versprechen zu +halten! — Nein,« rief sie, indem sie den Verlobungsring schnell von +dem schlanker gewordenen Finger zog, »nein, im Gegentheil! Hier ist +dein Ring, nimm ihn, und wir sind geschiedene Leute!« — Forstner sah +sie an und entgegnete: »Ich hätte gute Lust —« — »Freilich hast du +gute Lust!« fiel das Mädchen verächtlich ein; »das seh' ich und eben +deswegen geb' ich dir den Ring zurück. Her deine Hand und gieb mir den +meinigen, und es ist aus mit uns für alle Zeit!«</p> + +<p>Als Forstner das Zeichen der Verlobung in ihren Fingern blinken und +sich aufgedrängt sah, da zuckte bei dem Gedanken, daß er es nur +annehmen dürfe, um einer für ihn unerträglich gewordenen Fessel +entledigt zu sein, ein Freudenstrahl aus seinem Auge und er rief: »Ist +es wirklich dein Ernst?« — Wenn sie noch nicht völlig entschlossen +gewesen wäre, mit ihm zu Ende zu kommen, so wäre sie es durch die +unendliche Kränkung dieser Freude geworden. Mit funkelnden Augen der +Entrüstung rief sie: »Ja, es ist mein Ernst, und ich verlang' jetzt +meinen Ring für deinen! Ich sage <em class="gesperrt">dir</em> ab, ich künde <em class="gesperrt">dir</em> +auf und will nichts mehr mit dir zu thun haben mein Lebenlang!«</p> + +<p>Forstners schwache Seele, beschämt, verwirrt, schwankte noch einen +Moment; aber eine Stimme rief ihm zu: »benutze das!« und entschied ihn. +»Nun,« rief er, indem er selber den Kopf erhob, »wenn du so hochmüthig +bist, so soll dein Wille geschehen!« Er zog den Ring vom Finger, gab +ihr ihn und nahm den seinen. »So,« sagte sie, indem sie ihn mit eben so +viel Stolz als Geringschätzung ansah, »und jetzt halt' ich dich nicht +mehr auf in meiner Stub'!« — Forstner sagte: »Du willst es, gut! Ich +geh' und komm nie wieder!« —<span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span> »Ich hoff's,« entgegnete sie mit Hohn, +indem ihr Gesicht brannte, »ich hoff's, daß du nicht wieder kommst!« +Und indem sie mit der Hand auf die Thüre wies, rief sie mit der größten +Heftigkeit: »Geh! geh! geh!«</p> + +<p>Forstner hatte die Thüre ergriffen, und wie von diesen Worten +hinausgeschleudert, war er verschwunden.</p> + +<h3>VI.</h3> + +<p>Christine sah noch eine Zeitlang auf die Thüre, die Forstner hinter +sich zugeschlagen hatte. Ein heroisches Gefühl glänzte auf ihrem +Gesicht. Er war es nicht, der ihr den Abschied gegeben, sie war +ihm zuvorgekommen, sie hatte ihn weggeschickt, sie hatte das Recht +behauptet und ihre Ehre gerettet! Das Bewußtsein, dem Ungetreuen die +Thüre gewiesen und ihn nach Verdienst behandelt zu haben, erfüllte sie +mit süßem Stolz, und sie kostete diesen in der Aufregung des Sieges von +Grund ihres Herzens.</p> + +<p>Endlich trat sie zurück. Die Fluth ihrer Empfindung war gesunken und +Gedanken tauchten auf, die andere Bilder vor ihre Seele riefen. Es +war also aus mit ihm, wirklich aus und für immer! Und nun? — Sie +mußte wieder in die Heimath, in ihr Dorf zurück. — Wie sie diese +unausweichliche Nothwendigkeit zum erstenmal klar erkannte und die +Folgen überschaute, fühlte sie einen kalten Schauer im Herzen und sank +erschöpft auf einen Stuhl.</p> + +<p>Wir wissen, Christine besaß einen Ehrgeiz — eine Art desselben, die +auf dem Lande häufig vorkommt: den Ehrgeiz, der sich Andern möglichst +immer in Würde und Wohlergehen darstellen und dem ganzen Dorfe damit +Respekt einflößen will. In volkreicher Stadt kann man leicht dahin +kommen, nach der Meinung Anderer gar nichts mehr zu fragen, weil diese +Andern eben zum größten Theil Fremde sind und die Befreundeten keine +Zeit haben, sich mit Einem viel abzugeben. Auf dem Dorf hingegen, +wo man Alle kennt und von Allen gekannt ist, bildet sich natürlich +das Verlangen aus, auch von Allen geachtet zu sein. Man wahrt die +Außenseite, man »prangt,« man fragt sich bei einem absonderlichen +Vorhaben in der Regel, was<span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span> die Leute dazu sagen werden, man fürchtet +sich vor dem Schaden, aber häufig mehr noch vor dem Spott, der dem +Schaden folgt. Diese Rücksicht auf Andere kann zur Schwäche werden +und macht gar oft auch kleinlich und lächerlich; aber auf der andern +Seite ist sie die Mitursache guter Sitte, rechtmäßigen Handelns und +stattlicher, angenehmer Lebensformen. Der Kenner des Dorflebens wird +sie auf ihre Stelle beschränkt, aber gewiß nicht vertilgt, ja nicht +einmal gemindert wünschen.</p> + +<p>In Christine war eine starke Dosis dieses Triebes, und wie wir gesehen +haben, war da, wo ihr Herz gewonnen wurde, immer auch ihr Ehrverlangen +mit im Spiele; der Reiz des Glanzes wirkte mit dem der Schönheit und +Liebenswürdigkeit zusammen auf sie. Dieses Ehrverlangen bezog sich aber +gerade auf ihr Dorf, gerade auf ihre Freunde und Bekannte. In ihren +Augen hervorzustrahlen war ja ihr Streben, ihr beglückendster Gedanke. +Und nun sollte sie, die das Vaterhaus ehrenvoll und beneidet, an der +Seite des Bräutigams verlassen hatte — sie, die Gesuchte, Gefeierte +— sie sollte zurückkehren als eine, die den Laufpaß bekommen (denn +das war und blieb sie in den Augen der Leute trotz ihres Redens), sie +sollte zurückkehren beschimpft und erniedrigt für ihr ganzes Leben! +Sie sollte vor ihren Vetter treten als eine Verschmähte, die Mitleid +und Geringschätzung einflößen mußte! Sie sollte vor ihre Mutter treten +in Schmach und Schande — vor die gute Mutter, deren Stolz und einzige +Freude sie gewesen, die keine Ahnung hatte von ihrem Unglück und in +kurzem ihren »Ehrentag« mitzufeiern hoffte! — Sie sollte den Spott +und die übeln Nachreden der bösen Zungen über sich ergehen lassen! Sie +sollte erleben, wie man mit Fingern auf sie zeigte, sollte es in ihre +Ohren hören, wie man sagte: »Da seht sie, die so hoch hinaus wollte! +Nun ist sie wieder da! Ihr Stadtlehrer hat sie fortgeschickt, und nun +mag sie auch kein ehrlicher Bauernbursch mehr!«</p> + +<p>Die Erlebnisse der letzten Tage hatten das Mädchen im Tiefsten erregt, +ihre Seele gerüttelt und geschüttelt, ihr Gefühl krankhaft gereizt. Wie +sie nun bei der Vorstellung, so kläglich in ihre Heimath zurückkehren +zu müssen, alle Marter empfand, welche die Schmach der Niederlage +dem Ehrgeiz auferlegt, da folgte auf den heroischen Stolz,<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> den die +Verabschiedung des Bräutigams in ihr erweckt hatte, der Zweifel, +das Zagen, die Reue. Hab' ich auch wirklich Ursache gehabt, ihm +aufzukünden? Bin ich nicht zu hitzig gewesen? Hab' ich nicht am Ende +unrecht gesehen und gemeint, er wolle mit mir brechen, bloß weil ich +in der Zeit davon habe schwatzen hören? Kann er nicht bloß übler Laune +gewesen sein, und sind meine Antworten nicht am Ende so ungeschickt +gewesen, daß er nicht anders konnte als zornig werden? — Solche Fragen +traten in ihr hervor und konnten es wohl; denn ein Dorfmädchen ist an +eine derbere Sprache und Handlungsweise von Jugend auf gewöhnt und +mußte die vernommenen Schmähworte nicht für so beweiskräftig halten +als eine gebildete, zarte Städterin. In ihrer Gemüthslage wurden ihr +nun auch die andern deutlichen Zeichen wieder zweifelhaft, und als sie +bedachte, daß sie das Elend, welchem sie entgegen ging, hätte vermeiden +können, da wandelten sie wieder Schrecken und Verzweiflung an. Sie +raffte all ihre Kraft zusammen und überlegte, wie Forstner sich die +letzte Zeit her und heute gegen sie benommen. Endlich aber rief sie +fest und entschlossen: »Nein, ich hab' mich nicht getäuscht! Nein, ich +hab' recht gehandelt! Was ich gethan hab', das hab' ich thun müssen +— ich hab' ein gutes Gewissen — und nun mag mir's auch gehen, wie's +will!«</p> + +<p>Sie stand auf, in der Meinung zur Base hinunterzugehen, denn es war +noch nicht die gewöhnliche Schlafenszeit. Allein sie fühlte sich +überaus müde, die Glieder zitterten ihr. Sie hielt es für besser, sich +niederzulegen.</p> + +<p>Ihr Schlaf war unruhig, sie fuhr mehrmals auf in schweren Träumen. Als +sie Morgens erwachte, waren ihre Glieder wie gelähmt, ihr Kopf brannte, +die Zunge klebte ihr am Gaumen. Sie war krank — ein Fieber hatte sie +ergriffen.</p> + +<p>Die Base, die sie vergebens zum Frühstück erwartet hatte, ging hinauf, +um nachzusehen. Sie wußte noch nicht, was geschehen war. Gestern hatte +sie freilich ein paarmal die Stimmen herunter gehört und auf einen +Wortwechsel geschlossen; aber das war ja schon öfter vorgekommen, und +da Forstner ruhig aus dem Hause, Christine zu<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> Bett gegangen war, so +glaubte sie nicht an einen Ausgang, wie er stattgefunden hatte.</p> + +<p>An's Bett des Mädchens getreten, erkundigte sie sich theilnehmend nach +ihrem Befinden. Christine erklärte sich für unwohl und erzählte ihr +alles. Die gute Frau war tief betroffen. »Ich hab' mir's gedacht,« +rief sie aus, »aber nun bin ich doch erschreckt! Was wird deine Mutter +dazu sagen, die an so etwas gar nicht denkt? Ich muß ihr's zu wissen +thun, Alles und Jedes, und das heute noch.« — Christine verbot das. +»Ich will's selber thun, wenn ich wieder auf bin — ich allein kann's +recht thun.« — »Aber wenn du ernstlich krank würdest,« entgegnete die +Base, »wenn du —« — »Sterben würdest, meinen Sie? Das wäre vielleicht +das Beste für mich; aber eben darum glaub' ich nicht daran. Wenn +Gefahr kommt, dann können Sie schreiben, aber jetzt nicht — Ihre Hand +darauf!« — Die Base beruhigte die Kranke durch ein ausdrückliches +Versprechen und ging hinunter, einen Arzt holen zu lassen.</p> + +<p>Dieser kam und erklärte den Zustand des Mädchens für den Anfang +einer Krankheit, vor deren ernstlichem Ausbruch sie vielleicht noch +bewahrt werden könnte. — In Befolgung dessen, was er vorschrieb, und +im strengster Diät verging eine Reihe von Tagen. Zuletzt siegte die +gute Natur des Dorfkindes, das Fieber wich, ihr Blut wurde ruhiger, +ihr Appetit regte sich wieder, sie erholte sich und hatte das Gefühl +der Genesung, jenes leichte, süße Gefühl, um dessentwillen es wohl +der Mühe werth erscheint, eine Krankheit ausgehalten zu haben. In +der Genesung ist von dem Zustande des Leidens nichts mehr übrig, als +eine körperliche Schwäche, in der ein innerliches Leben um so reicher +sich entfalten kann, eine Schwäche, die alle Gefühle mildert und +uns die ganze Welt in sanftem Licht erscheinen läßt. Und zu dieser +Poesie der Krankheit gesellt sich eine stille Lust des Aufstrebens und +Fortschreitens zu neuem Wohlsein und Glück, das ahnungsreich vor der +Seele webt. Der Genesende kann nicht verzweifeln. Auch nach dem größten +Verlust muß er wieder hoffen auf eine Entschädigung, sei es auch nur +die Kraft, den Verlust ohne Schmerz ertragen zu können.</p> + +<p>Während Christine sich leiblich erholte, genas sie auch geistig.<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> +In ihrem stillen, helleren Seelenzustande sah sie zurück auf ihre +Erlebnisse und dachte jenes Moments wieder, wo sie in ihrem Unglück +eine gerechte Strafe erkannt und es in diesem Sinn willkommen geheißen +hatte. Und es fiel ihr ein, daß sie später doch wieder verzweifelt war, +als sie sich vorstellte, wie sie verachtet und verlassen zur Mutter +heimkehren — das heißt doch eigentlich: die heilvolle Strafe zu Ende +dulden sollte. — Sie lächelte ernst über sich selbst und sagte: »Ich +hab's wieder vergessen gehabt! — Das geht nicht auf einmal, wie's +scheint!« — Nun faßte sie aber in Wiederholung jener Anschauung den +Entschluß, alles zu dulden, was an Schmach und Beschimpfung über sie +verhängt sein sollte. Und nun konnte sie hoffen zu triumphiren, denn zu +ihrer Erhebung und Selbstüberwindung half ihr die Natur.</p> + +<p>In ihrer Leidenszeit hatte sie die sorgsamste, wir können sagen +liebevollste Pflege erfahren, und diese setzte sich während ihrer +Genesung fort. Die Base und der Vetter thaten alles, was in ihren +Kräften stand. Susanne war wie verwandelt, ganz Aufmerksamkeit und +Güte für sie, und nichts schien sie mehr zu beglücken, als wenn ihr +Christine freundlich die Hand gab und sie dabei mit erkenntlichem Blick +ansah. Auch Mamsell Adelheid kam täglich, sich zu erkundigen und sie zu +trösten. Die Vornehmheit der Lehrerin war verschwunden und hatte ganz +einer würdigen, mütterlichen Theilnahme Platz gemacht. Auf Christine in +ihrer jetzigen Weichheit machte das alles einen rührenden Eindruck. Mit +Thränen im Auge sagte sie sich: »Die Menschen sind doch viel besser, +als man denkt! Man sollte eigentlich niemand für schlecht ausgeben, +sondern warten, bis er wieder gut wird.« Sie dachte daran, daß auch die +Leute in ihrem Dorf nicht so schlimm sein würden, als sie sich zuerst +vorgestellt, und der Gedanke der Heimkehr verlor auch aus diesem Grunde +mehr von seinem Peinlichen und Schreckhaften.</p> + +<p>Wenn sich übrigens Mamsell Adelheid in der That über Erwarten +theilnahmvoll gegen ihre Schülerin erzeigte, so war sie damit noch +nicht ein Muster von Zartheit geworden, und dem Drange, Gericht zu +halten über irgend jemand, konnte sie nicht unbedingt widerstehen. — +Eines Vormittags kam sie mit hastigeren Schritten als gewöhnlich<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> in +die Stube, wo sich die Reconvalescentin befand, und man sah gleich, daß +sie etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Sie zögerte nicht, es los zu +werden, und rief nach ihrem Gruße der anwesenden Frau Kahl zu: »Nun, +liebe Frau Base, haben Sie's auch schon gehört? — Ich habe manches +erlebt in der Welt, aber das geht doch über alle Begriffe! So schnell +— und in dieser Zeit! Nein, für so schlecht hätt' ich diesen Menschen +doch nicht gehalten!« — »Was gibt's denn?« fragten Christine und die +Base zu gleicher Zeit. Adelheid sah theilnehmend auf das Mädchen und +sagte: »Sei froh, Christine, und wünsche dir Glück, daß du ihn nicht +bekommen, daß du ihn noch zu rechter Zeit kennen gelernt hast! Besser +vor der Hochzeit als nachher!« — »Ah so,« erwiederte das Mädchen, +indem eine leichte Röthe über ihr blasses Gesicht flog; »nun kann ich's +errathen! Er hat sich mit ihr versprochen?« — »Das hat er gethan, +gute Christine, und zwar an demselben Tag, wo du im ärgsten Fieber +lagst.« — Frau Kahl sah die Mamsell vorwurfsvoll an und rief: »Das +hättest du nicht sagen sollen! Wenn sie nun wieder schlimmer wird?« +Aber Christine hatte sich von dem Canapee, worauf sie gesessen, rasch +erhoben und rief: »Nein, das macht mich gerade gesund!« — Sie sah in +der That genesen aus und athmete leicht, als ob sie von einer großen +Last befreit worden wäre.</p> + +<p>Und das war sie. Die Meldung hatte sie befreit von der letzten +Ungewißheit in Bezug auf den Lehrer, von dem letzten Grunde, sich +selbst mit der Vorstellung einer übereilten Handlung zu quälen. Was +sie gedacht hatte, war nun bewiesen. Wenn er nur von ihr weggehen und +mit jener sich versprechen konnte, dann hatte er schon lange keine +Liebe mehr zu ihr, sondern zu jener; dann war er mit der Absicht zu ihr +gekommen, Händel zu suchen, um sie los zu werden; dann hatte sie ganz +recht gehandelt und das beste Gewissen. Nun war sie frei von ihm ganz +und gar; sie war frei von Achtung und Liebe zu ihm, sie war frei von +Haß gegen ihn und von Eifersucht gegen sie. — »Mag er glücklich sein! +mögen sie glücklich sein alle beide!« das waren ihre Gedanken. — Wen +man nicht achtet, den kann man nicht hassen und nicht beneiden. Man +fühlt ihn unter sich und machtlos und dürftig bei allem äußern Glück.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span></p> + +<p>Christine erklärte sich für gesund. Der Arzt, der bald darauf im's +Zimmer trat, bestätigte dieß und erlaubte ihr, an einem der nächsten +Tage nach Hause zu reisen.</p> + +<p>In einer Stimmung, die ihr selber auffiel, mit einer Ruhe, die nur +selten durch lebhaftere Empfindungen unterbrochen wurde, machte sich +Christine zur Heimkehr bereit. Sie schloß mit ihrem Stadtleben ab und +hatte das Gefühl eines Wanderers, der sich nach langem Irrgehen wieder +zurecht findet. Er hat Zeit und Mühe verloren, er wird zu spät kommen, +aber er ist doch wieder auf dem rechten Weg.</p> + +<p>Nun war die Zeit gekommen, den Brief an ihre Mutter abzufassen. Sie +meldete kurz, was in den letzten Wochen geschehen war, fügte aber dann +Alles hinzu, was sie für die Mutter Tröstliches zu sagen wußte. Sie hob +hervor, daß sie für die Stadt nicht passe, daß sie mit Forstner nie +glücklich geworden wäre und dem Himmel danken müsse, noch zu rechter +Zeit seinen Charakter kennen gelernt zu haben. Sie unterstrich die +Nachricht, daß sie <em class="gesperrt">ihm</em> aufgesagt habe, und daß sie ihn nicht +mehr gemocht hätte, wenn er auch wiedergekommen wäre. Jetzt sei er mit +seiner Wilhelmine versprochen, und das sei gut, denn die beiden taugten +für einander und wären einander werth. Sie selber habe ihren Entschluß +gefaßt, sie wolle nach Hause gehen und mit der Mutter überlegen, was +zu thun sei. Glücklich wolle sie nicht mehr werden, aber verzagen +wolle sie deßwegen auch nicht. Sie wolle schaffen und arbeiten, wie +sie's gelernt habe, sie wolle ihre Schuldigkeit thun und als ein +rechtschaffenes Mädchen leben und sterben.</p> + +<p>Vorsichtshalber trug sie den Brief selber auf die Post. Durch die +Aufschrift hatte sie dafür gesorgt, daß er sicher einen halben Tag vor +ihrer Ankunft in die Hände der Mutter gelangte.</p> + +<p>Als sie am zweiten Morgen nach ihrer Wiederherstellung aufgestanden +war, ging sie im Unterkleid zu der alten Commode, zog das oberste +Fach heraus und lächelte, mit einer seltsamen Mischung von Freud und +Leid. Die Bauernkleider, in denen sie hergekommen war, lagen darin. +Sie nahm ein Stück nach dem andern heraus, betrachtete sie, als sie +auf dem Tisch ausgebreitet waren, mit einer Art von Feierlichkeit, und +kleidete sich damit an. Als sie fertig war und in den Spiegel sah, +schüttelte sie erst den Kopf, dann hing sie mit zufriedenen<span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span> Blicken an +dem Bild. Die Kleider waren ihr zu weit geworden und kamen ihr so im +ersten Moment doppelt ungewohnt vor. Aber es waren doch die Kleider, +in denen sie schöne Tage gesehen hatte — jetzt das Wahrzeichen einer +verständigen Umkehr und eines neuen Lebens.</p> + +<p>Groß war die Verwunderung, als sie in diesem Anzug, allen unerwartet, +in die untere Stube trat. Und sie minderte sich nicht, als die kaum +Genesene der Base erklärte, da das Wetter so gut sei, wolle sie nicht +nach Hause fahren, sondern gehen. An ihrer Krankheit sei Schuld +gewesen, daß sie sich zu wenig Bewegung gemacht habe; das Gehen würde +ihr gesund sein und sie würde sich's jetzt um keinen Preis abkaufen +lassen. Alle Einreden der Sorglichkeit waren umsonst, und man fügte +sich endlich in ihren wiederholt erklärten Willen.</p> + +<p>Nach dem Frühstück nahm sie die Base mit auf ihre Stube, wo ihre +Stadtkleider in drei verschiedenen Partien auf dem Canapee lagen. +Sie bat ihre Verwandte, die erste mit den werthvollsten Stücken zum +Andenken von ihr anzunehmen und die beiden andern der Mamsell Adelheid +und der Susanne zu übergeben. Das Sträuben der guten Frau wurde +überwunden und die Einwilligung erzwungen. Die Geschenke, die sie +von Forstner erhalten hatte, lagen auf einem Ecktisch. Sie nahm der +Base das Versprechen ab, ihm alle zusammen heute noch in's Haus zu +schicken. Wenn er dafür die ihrigen zurücksende, so bäte sie den Herrn +Vetter, sie zu behalten. Sie würde kein Fäserchen von diesem Manne bei +sich dulden können. — Die Kiste, in der sie ihre Habseligkeiten vom +Dorf mitgebracht hatte, stand bepackt in einer Ecke. Man sollte sie +dem Fuhrmann übergeben, der am folgenden Tage die Stadt passirte. Es +blieb nichts mehr übrig, als von der letzten Geldsendung der Mutter +die kleine Schlußrechnung der Base zu bezahlen. Dieß geschah, und das +Landmädchen war fertig mit der Stadt.</p> + +<p>Es war nach neun Uhr, als sie der kleinen Zahl ihrer städtischen +Bekannten Lebewohl sagte. Die gute Frau Kahl und Susanne weinten, der +Vetter hatte feuchte Augen und Mamsell Adelheid widerstand mit Mühe +dem Drang ihres Gefühls. Christine war über diese<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> Zeichen wahrer +Theilnahme zu erfreut, um gleich den andern weich werden zu können. +Sie gab allen die Hand, sah mit glänzenden Blicken der Liebe und des +Dankes auf sie, und jetzt endlich standen Thränen auch in ihren Augen. +— »Lebwohl, lebwohl, du gutes, liebes Kind!« rief die Base, indem sie +ihre Hand zärtlich gefaßt hielt. »Du hast hier keine guten Tage gehabt, +du hast viel gelitten; aber dir wird's auch noch gut gehen!« — »Mir +wird's gehen, wie ich's verdiene,« erwiederte Christine, »und anders +verlang' ich's nicht!«</p> + +<p>Wenige Minuten später, und sie ging allein, wie sie sich's erbeten +hatte, durch die Hauptstraße der Stadt. Ein paar Vorübergehende kannten +sie, starrten sie an und sahen ihr kopfschüttelnd nach. Christine that, +als ob sie nichts gemerkt hätte, und ging ruhigen Schrittes weiter; +aber doch war sie froh, als sie die Stadt endlich hinter sich hatte.</p> + +<p>Es war in der zweiten Hälfte des März und der Tag wie zu einer +Fußwanderung geschaffen, Frühlingsanfang, nicht nur dem Kalender nach, +sondern in der That. Der Winter hatte schon seit einigen Tagen weichen +müssen, der Lenz hatte das Feld behauptet, und schmetternde Lerchen +verkündeten seinen Sieg dem Himmel und der Erde. Die Luft war milde, +die Sonne von leichten Wolken umzogen, so daß ihr Schein durchdringen +konnte, wenn auch nicht ihr Bild, und der Weg trocken, hie und da noch +gefeuchtet und weich, dort schon bedeckt von Märzenstaub. Und Gras und +Laub, welche dieser bringen soll, waren reichlich verheißen in dem +frischeren Grün der Wiesen, in den Knospen der Bäume und Gesträuche.</p> + +<p>Christine wanderte still weiter, die Straße weiter, auf welcher sie +hergefahren war und die sie nun zum erstenmal wieder sah. Ihr Mund sog +die lau frische Gottesluft ein, ihre Augen schweiften umher auf dem +Feld und den Waldstücken, die in der Landschaft hervortraten, und ihr +Gesicht ward heller und freundlicher bei diesem Anblick. Bald fühlte +sie sich wieder hineingezogen in ihr Inneres, sie überließ sich den +Gedanken ihrer Seele und ging dahin, wie eine, die im Traume wandelt.</p> + +<p>Ein Rieser Bauernmädchen ist im benachbarten Frankenlande nichts +Seltenes und kann schon darum nicht bemerkenswerth erscheinen,<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> weil +ihre Tracht von der dortigen ländlichen nur wenig unterschieden ist. +Aber Christine hatte in ihrem Wesen etwas, das auffallen mußte und +wirklich auffiel. Die Landleute, die ihr begegneten, der Steinklopfer +am Wege sahen sie an und grüßten sie theilnehmend. Als einer sie nach +erhaltenem Dank fragte: »Wohin denn noch heute?« und mit sanfter Stimme +die Antwort erhielt: »In's Ries,« da betrachtete er sie noch einmal +genau, bevor er weiter ging, schien aber doch nicht mit sich einig +werden zu können, was er aus ihr machen solle.</p> + +<p>In Folge des Lebens in der Stadt und der Leiden, die sie darin +ausgehalten hatte, war die Gestalt des Landmädchens um vieles schlanker +geworden; die Fülle des Gesichts war geschwunden, die Farbe, die ihr +auf dem Dorf ein so frisches Aussehen gegeben hatte, war gewichen +und die jetzige Blässe nur von einem bräunlichen Hauch und in Folge +des Gehens von einer leichten, flüchtigen Röthe bedeckt. Da sie den +gestreiften »Kittel« (das Gewand des Oberkörpers) offenbar nicht mehr +ausfüllte, so sagte sich jeder, daß sie krank gewesen sein und viel +ausgestanden haben müsse. Aber das war es nicht allein, was auffiel. +Ihr bleiches Gesicht hatte einen Glanz, aus ihren feuchten Augen, wenn +sie damit aufsah, ging ein Blick, und der ganze Kopf hatte ein Gepräge +und einen Ausdruck, daß jeder augenblicklich sah, nicht nur daß es ein +schönes Mädchen sei, sondern auch daß es mit ihr eine ganz besondere +Bewandtniß haben müsse.</p> + +<p>Es war die Erfahrung ihres Geistes, welche dem Gesicht diesen Ausdruck +lieh, es waren die Empfindungen und Bilder ihrer Seele, die es +verklärten. Die Erdenschwere des Leides war ihr abgenommen, aber sein +Schein und sein Duft waren geblieben. Die Freude des Lebens, ja die +Hoffnung auf sie waren geflohen, aber ein stiller Friede, gegründet +auf das Bewußtsein, endlich recht und gut gehandelt zu haben, waren +eingezogen in sie. Eine Wehmuth erfüllte sie, die etwas Süßes hatte, +weil sie durchdrungen war von holdem Licht und getragen von einem +erstarkten Geist. Alles das weckte und nährte das Spiel der Phantasie, +eine Träumerei, welche das Mädchen weiter und weiter zog und neue, +wunderbare Welten ihrem Blick öffnete. — Die Poesie der Lieder, die +sie in schönen Tagen auf dem Dorfe gelernt<span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span> und gesungen hatte, lebte +wieder in ihr auf. Traurige und fröhliche summten durch einander in +ihr und feuchteten bald ihre Augen und regten zarte, süße Schauer in +ihr an. Sie hörte die Melodien ordentlich in ihrer Seele, und Stimmen +in der Luft, nahe und ferne, schienen in sie einzuklingen. — Die gute +Christine! Jetzt war sie fein, und ihr Gesicht war geistig und ihr +ganzes Wesen von einem Reiz übergossen, daß es auch der eitle Pedant in +der Stadt hätte anerkennen müssen. — Zu spät! — Aber zu ihrem großen +Glück! — Jener hätte sie nicht verdient, auch wenn es ihm möglich +gewesen wäre, sein Versprechen zu halten und seine Treue zu bewahren.</p> + +<p>Wir haben damit erklärt, was die Vorübergehenden Absonderliches an +Christine wahrnahmen. Hübsche Mädchen in Rieser Tracht kann man viele +sehen, wenn man durch die gesegnete Ebene wandert — und Glück hat. +Aber Bilder, wie Christine in ihrer jetzigen Seelenstimmung eines +darbot, wird man unter allen Umständen nur selten bemerken können.</p> + +<p>In der Einsamkeit eines Waldthals nahmen die Gedanken der Fußgängerin +eine bestimmte Richtung. Ein Verhältniß, wie sie es mit Forstner +gehabt, läßt sich nicht abthun und vergessen; die Seele wird eine +Zeitlang immer wieder zurückschauen und sich den Verlauf und den +Ausgang zu erklären suchen. — Christine ließ das Handeln Forstners +wieder an ihrem Geist vorüberziehen. Wie billig sie war und wie viel +sie sich selber zur Last legen mochte, nahm sie alles zusammen und +hatte sie ihn in den hauptsächlichsten Momenten vor Augen, so konnte +sie sein Benehmen zwar begreiflich finden, aber auch nicht der leiseste +Hauch von Achtung dieses Mannes war ihr möglich. Im Besitz dessen, +was Natur und Geschick ihr an Einsicht verliehen hatten, kam ihr die +ängstliche Sorge und die Wichtigkeit, womit er ihr den Flitterkram +seiner Bildung aufdrängen wollte, über alle Maßen kleinlich vor; und +daß er diesen als die Hauptsache ansah, für die wirkliche Hauptsache +dagegen, welche sie jetzt auf's allerklarste anschaute, keine Augen und +kein Gemüth hatte, das erfüllte ihre Seele mit einer Geringschätzung, +in welcher sie ihn zu einem Nichts hinschwinden sah.</p> + +<p>Es war unvermeidlich, hier nicht an das Benehmen des Vetters<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span> Hans zu +denken. Obwohl sie eine Scheu davor empfand, so konnte sie dem Reiz +doch nicht widerstehen, sich zu vergegenwärtigen, wie sich dieser von +der ersten Zeit an gegen sie betragen hatte. Seine treue Liebe, die +sich erst so bescheiden verbergen wollte und sich doch verrieth; seine +Freude an ihr und das Vergnügen, das aus ihm leuchtete, wenn er sie bei +der Arbeit loben konnte und sie dabei ansah; die stete Sorge für sie +und ihre Mutter, der Eifer für ihr Wohlergehen und ihre Ehre; seine +Großmuth, als er erfahren hatte, was ihn auf's tiefste schmerzen, auf's +bitterste kränken mußte; der Stolz, der sich vor den Leuten nichts +anmerken ließ und alles vergessen zu haben schien; die unendliche +Gutmüthigkeit, womit er sie später als Verwandte und Jugendfreundin +behandelte, als ob sie ihn nie beleidigt hätte — alles das stellte +sich vor ihre Seele und verband sich zu einem einzigen Bilde. Die ganze +Schönheit eines von Gott und Natur mit gleicher Liebe beschenkten +Gemüths glänzte vor ihr und sie war jetzt in der rechten Stimmung, sie +zu erkennen und nach ihrem Werth zu schätzen. Thränen stürzten aus +ihren Augen, die nur der edlen Seele galten. Sie fühlte die Liebe und +Treue eines solchen Mannes als das Liebste und Holdeste, was es geben +könne auf der Erde; in ihrem Herzen gährte und bebte es und eine Glut +entzündete sich und loderte empor und übergoß ihr bleiches Gesicht +urplötzlich mit brennender Röthe.</p> + +<p>Es war geschehen. Sie hatte ein Gefühl, als ob nichts wahr gewesen +wäre in ihrem ganzen Leben, als diese Liebe zu dem besten Menschen auf +der Welt. Alles, was ihr an andern schön vorgekommen war und reizend +und vornehm, erschien ihr jetzt wie gar nichts, wie Rauch, den ein +Windhauch verjagte. Sie begriff nicht, wie man sich davon blenden +lassen, wie man daran sein Herz hängen, wie man darauf bauen und +vertrauen könne.</p> + +<p>Und sie hatte sich zweimal davon blenden lassen! Sie war von dem, +der allein aller Lieb' und Treue werth gewesen, zweimal abgefallen! +— Das Gesicht, auf welchem sich die Blässe wieder gelagert hatte, +wurde auf's neue überströmt — von der Röthe der Scham; und diese +blieb länger auf ihm als die Farbe der Liebe und des Entzückens. — +»Du hast keine Augen gehabt,« rief sie sich strafend<span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span> und leidvoll +zu, »du hast nichts gesehen — du Blinde, Dumme, Sinnlose!« — Sie +fühlte ihre ganze Unwürdigkeit dem braven, uneigennützigen, unendlich +liebevollen Manne gegenüber. Das Licht der Erkenntniß, das ihr zuerst +in schwachem, vorübergehendem Aufzucken, dann im klaren, hellen Scheine +zu Theil geworden war — jetzt flammte es vor ihr empor und leuchtete +und brannte vor ihr und faßte und durchloderte sie, und drohte sie zu +verzehren. — Das war das Maß, mit dem ihr gemessen werden sollte — +das volle, gerüttelte und geschüttelte, überfließende Maß.</p> + +<p>In der Qual dieser Flamme gab es nur Eine Rettung für Christine, und +sie griff darnach. »Er soll's nie, nie erfahren, wie es mir zu Muth +ist! Kein Sterbenswörtchen soll er von mir hören, aus keiner Miene, +keinem Zuck soll er's errathen können! Im Herzen will ich ihn tragen +Tag und Nacht — todtschlagen will ich mich lassen für ihn, wenn's sein +muß — aber sterben will ich, ohne daß er weiß, wie ich gesinnt gewesen +bin!« — Nun brachen wieder Thränen aus ihren Augen und rollten die +Wangen hinab; aber es waren lindernde Thränen. Sie und das Gelübde, das +sie gethan, halfen zusammen, der Tieferregten nach und nach die Ruhe +wieder in's Herz zu flößen, in der sie still ergeben, aber zugleich mit +einem gewissen Stolz der Entsagung fortwanderte.</p> + +<p>Endlich fühlte sie sich müde und erschöpft, und im nächsten Dorfe +ging sie in das Wirthshaus, das an der Straße lag. Sie nahm ein +einfaches Mahl zu sich, ruhte aus und erholte sich. Als sie nach der +Zeche fragte, sah die schon ziemlich bejahrte, stattliche Wirthin +sie prüfend an. »Du bist wohl im Dienst gewesen und krank geworden?« +fragte sie theilnehmend. — Christine richtete merklich verletzt +den Kopf auf und erwiederte: »Krank gewesen bin ich, aber im Dienst +nicht.« — Der theilnehmende Blick der Wirthin verwandelte sich in +einen spöttischen. »Ah,« sagte sie, »da bitt' ich um Verzeihung, daß +ich der Jungfer Unrecht gethan hab'!« Sie überlegte ein wenig, nannte +die Summe, erhielt das Geld, bedankte sich und ging hinaus. Die Zeche +war ziemlich groß, und Christine fühlte, was sie gethan hatte. »Du +bist wieder dumm und am unrechten Ort empfindlich gewesen,« dachte +sie. »Die Frau ist gut und wollte dir eine kleine Zeche machen, und<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> +du bist ihr lächerlich vorgekommen mit deinem Stolz, und sie hat Recht +gehabt, dir eine Lehre zu geben. Im Dienst! 'S wär besser, du wärst im +Dienst gewesen und könntest jetzt nach Hause gehen —« — Ihr Geist +verlor sich in Gedanken, dann erhellten sich plötzlich ihre Züge; mit +einem Aussehen, als ob sie einen Vorsatz gefaßt hätte, erhob sie sich +und verließ die Stube. Im »Haustennen« stand die Wirthin. »Geht's +schon weiter, Jungfer?« war die noch immer spöttische Frage. »Ja,« +erwiederte Christine. »Lebt wohl, Frau Wirthin, und haltet mich nicht +für einfältiger als ich bin!« Das behaglich breite Gesicht lächelte und +der Spott darin erhielt einen Zusatz von Wohlwollen. »O bewahre!« rief +sie, »ich seh' schon, wen ich vor mir hab'. Glück auf den Weg!«</p> + +<p>Es war nothwendig, daß Christine sich gestärkt und erholt hatte — +sie kam dem Ries näher und näher. — Eine Stunde darauf und sie war +eingetreten in seinen Kreis und ihr Herz klopfte, ihr Kopf schwindelte. +Sie sah, was ihr bekannt war von Jugend auf, aber das Bekannte erschien +ihr wie ein Mährchen. Dort rechts der Felsen von Wallerstein im Kranze +von Häusern und Bäumen, geradeaus der graue Thurm von Nördlingen, und +jetzt in dem Schein der Sonne, die vorübergehend aus den Wolken trat — +ihr Geburtsort. — War es nicht ein Traumgesicht? Waren die Bilder, die +vor ihren Augen flimmerten, nicht aus Luft gewoben und hergezaubert, +um auf einmal wieder zu verschwinden? — Nein, sie standen fest und +blieben stehen und traten immer größer und deutlicher hervor. Sie +hatten gezittert und gegaukelt vor ihr, weil ihren eigenen Kopf eine +Art von Trunkenheit ergriffen hatte, und in der Schwärmerei des +Staunens hatte das Altgewohnteste den Charakter des Wunders angenommen.</p> + +<p>Sich endlich besinnend und fassend, ging sie weiter und weiter, ihrem +Dorfe zu. Sie freute sich an der Heimath, an den Leuten, die ihr +begegneten, an den Arbeitern auf dem Felde, die sie von weitem sah, +und an der schönen und traulichen Rieser Tracht; aber sie fürchtete +sich, daß irgend Jemand sie erkennen und bei ihrem Namen rufen möchte. +Unangefochten langte sie indeß an der Feldung ihres Geburtsortes an. +Sie schlug einen Fußweg ein. Je näher sie dem Ziele kam, desto mehr +entsank ihr der Muth. Sie konnte nicht anders<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> — sie mußte sich +wieder vorstellen, was die Leute von ihr denken, was sie sagen und ihr +nachsagen würden. Alle Schmach, als eine Verstoßene, der Verläumdung +Preisgegebene heimzukehren, stieg wieder vor ihrer Seele auf. Da fiel +ihr aber auch wieder ein, daß sie Leid und Beschwer ja gewünscht und +gut gefunden hatte. Sie lächelte mitleidig über sich selber und ging +mit neuer Entschlossenheit vorwärts.</p> + +<p>Die Sonne war hinter dichtere Wolken getreten; es war trübe und kühler +geworden und die laublosen Gärten des Dorfes sahen nicht gerade +erfreulich aus. Als sie eine Hecke entlang ging, um auf die Südseite +zu kommen, wo ihr Haus stand, bemerkte sie in einem Garten eine +Jugendfreundin, die ein Beet umhackte. Die Tritte der Vorübergehenden +vernehmend, schaute diese auf und Christine erwartete einen Zuruf; aber +er blieb aus. »Sie kennt mich nicht mehr,« dachte das Mädchen. »Nun, +das ist ja natürlich!«</p> + +<p>An der kleinen Thüre, die von ihrem Garten auf den Fußweg hinaus +führte, stand die Mutter. Sie hatte sich, von ihren eigenen Gefühlen +einen Schluß ziehend, eben hier aufgestellt, um die Tochter zu +erwarten. Christine ging rascher und gab ihr mit leis gesprochenem +Gruße die Hand. Die Wittwe sah kummervoll und blaß aus, aber ihr +Gesicht war nicht ohne eine Art von Würde. »O Christine!« rief sie mit +gedämpfter Stimme — weiter nichts. Man konnte sie sehen und hören vom +Haus oder Garten des Nachbars, und niemand sollte wahrnehmen, wie's ihr +um's Herz war. — Sie führte die Tochter an der Hand durch den Garten +in den kleinen Hofraum. Hier stand Hans. Er sah Christine an mit einem +Gesicht, in welchem das Mitleid hinter tiefem Ernst verborgen war, und +sagte ruhig: »Guten Abend, Christine!« Sie dankte, ohne ihn anzusehen, +und ging mit der Mutter in's Haus.</p> + +<p>Als sie allein waren, öffnete die Mutter ihr Herz und ließ den Klagen, +die sie bis jetzt zurückgepreßt hatte, freien Lauf. »Wer hätte das +gedacht!« rief sie mit tiefer Betrübniß. »Wer hätte das diesem Menschen +zugetraut! — Ich hab' gemeint, ich müss' umsinken vor Schrecken, wie +ich deinen Brief gelesen hab'. Nicht glauben hab' ich wollen, was du +geschrieben hast! Aber jetzt, wenn ich dich ansehe,<span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span> muß ich freilich +alles glauben! — Du armes Mädchen,« setzte sie hinzu, indem sie die +Tochter in zärtlichem Mitleid bei den Händen faßte, »so elend, so +verfallen! — Das ist nun das Glück, das du gemacht hast! Das ist die +Freude, die ich an meinem einzigen Kind erlebt hab'!« — Ihre Thränen +flossen, das Schluchzen ließ sie nicht weiter reden. Christine tröstete +sie und sagte: »Sei ruhig, Mutter! Laß dir's nicht so zu Herzen gehen! +— Ich bin gesund und werde bald wieder aussehen wie sonst.« — »Ja,« +entgegnete die Wittwe, »dein elendes Aussehen wird vergehen auf dem +Land, aber die Schande wird dir bleiben. Was wird man von dir jetzt +alles sagen im Dorf! Was werden wir uns gefallen lassen müssen! Das +Unglück, das einem widerfährt, ist ja den Leuten nie groß genug, sie +müssen's noch größer machen. Und wir, denen ohnehin so manches Feind +ist im Dorf — was werden erst wir hören müssen! Ich trau' mir gar +nimmer unter die Leute — ich schäme mich zu Tod!«</p> + +<p>Als die Tochter die von ihr überwundene Furcht an der Mutter sah, kam +sie ihr in keiner Art würdig vor, und sie erwiederte mit Ernst: »Was +die Leute sagen, liebe Mutter, ist mir einerlei, und dir kann's auch +so sein. Eine Zeitlang wird man schmähen, dann kommt wieder etwas +anderes auf, und wir sind vergessen. Und wenn man auch spottet über uns +und uns ausrichtet — haben wir's nicht verdient? Ist uns mit unserm +Hochhinauswollen nicht Recht geschehen? — Von <em class="gesperrt">der</em> Seite muß +man die Sache auch betrachten. So oder so ist das Gerede der Leute +gleichgültig. Wenn sie lügen über mich, so geht's mich nichts an, +und wenn sie die Wahrheit sagen, muß ich's aushalten. Und am Ende — +wenn's mir hier wirklich zu arg würde, giebt's nicht noch einen Dienst +anderwärts? Man kann sich immer helfen, wenn man noch zu was gut ist in +der Welt, und alles ist noch lang nicht verloren.«</p> + +<p>Diese gefaßte Sprache des Kindes that der Mutter wohl und flößte auch +ihr wieder Trost und neuen Muth ein. Sie sah schweigend auf das blasse, +aber feinere und vornehmere Gesicht und fühlte, daß ihre Tochter in +der Stadt nicht nur verloren, sondern auch etwas gewonnen hatte. Ihre +Mienen klärten sich auf und es war, als ob<span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span> sie etwas auf der Zunge +hätte. Sie schwieg aber. Sie hatte, wie es schien, nicht den Muth zu +sagen, was sie dachte.</p> + +<p>Als am andern Tag die große Neuigkeit in dem Dorf bekannt wurde, gab +es freilich ein Geschrei, das dem, welches die Verlobung des Mädchens +mit dem Lehrer hervorgerufen hatte, in keiner Weise nachstand. Im +Gegentheil, die Ausrufungen waren jetzt noch leidenschaftlicher, +das Gewunder größer und nachhaltiger, weil die Nachricht wirklich +ganz unerwartet gekommen und wie ein Blitz aus wolkenlosem Himmel +hernieder gefahren war. Welch ein Ohrenschmaus für die ehemaligen +Mitbewerberinnen! Welch ein Triumph für diejenigen, die in ihrer +sittlichen Entrüstung einen schlimmen Ausgang vorhergesagt hatten! — +Die Partie der Weiber und Mädchen hatte gesiegt; das Schicksal hatte +ihnen Recht gegeben. Und nun ließen sie's die jungen Bursche, die ihnen +früher widersprochen hatten, gehörig empfinden und kosteten den Ruhm +bewährter Prophetengabe von Grund aus. »Hab' ich's nicht gesagt? Hab' +ich's nicht vorher gewußt? Du hast mit mir gestritten, aber nun siehst +du, wer Recht gehabt hat. Mit Schand und Spott ist sie heimgekommen, +die eitle Närrin! Und nun wird's aus sein mit ihrer Vornehmheit — aus +für alle Zeit!«</p> + +<p>Die große Frage war nun: wie werden die Leute mit einander forthausen? +Ist's denn möglich, daß sie beisammen bleiben? Und wenn sie's thun, +was soll am Ende draus werden? — In einer zahlreichen Bauernfamilie, +wo dieser Punkt beim Abendessen erörtert wurde, meinte der Oberknecht: +»Am End' nimmt sie der Hans doch noch zum Weib.« — Da fuhr aber +die älteste Tochter, die nicht zu den Schönsten gehörte und ihre +Sechsundzwanzig hinter sich hatte, empört auf und rief: »Red nicht so +dumm, alter »Gischpel«! Ein Mensch wie der Hans, der etwas hat und +andere kriegen kann, wenn er will, der wird wohl eine nehmen, die ein +halbes Jahr mit einem Schulmeister herumgefahren ist! Schäm dich! 'S +ist sündlich, einem braven Burschen so was zuzutrauen!« — »No, no,« +versetzte der in der That schon etwas bejahrte Knecht phlegmatisch +lächelnd, »man kann nicht alles so genau nehmen, und 's hat sich schon +gar manches noch g'macht in der Welt.« — »Und ich wett', was du +willst,« erwiederte die erzürnte<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> Person, »er nimmt sie nicht mehr!« — +»'S kann auch sein,« versetzte der Knecht. »Ich kenn' den Hans nicht so +genau, daß ich weiß, was er in einem Jahr thun wird. Ich weiß nur, was +ich thät' — und ich thät' sie nehmen, wenn sie mich möcht'.« — »Du!« +entgegnete die Tochter des Hauses mit verächtlichem Blick, während die +andern Ehehalten lachten und die Magd schließlich meinte: »Du wärst +»net blöad« (blöde), Heiner! So eine könnt' dich aufrichten!«</p> + +<p>Einige Tage später, und die Frage, die so viele Zungen in Bewegung +gesetzt hatte, war entschieden. Man erfuhr, die Christine sei in +*** (einem zwei Stunden entfernten, westlich gelegenen Dorfe) beim +Holzbauern in Dienst gegangen. Damit erhielt das Gerede einen Kehraus, +der den bisherigen Lärm würdig abschloß. »Die Lehrersbraut eine +Bauernmagd! Und bei dem, wo's noch keine auf die Läng' hat aushalten +können! — bei dem gröbsten aller Menschen im ganzen Ries! Die hat's +zu was gebracht, das muß man sagen! Die kann sich freuen!« — Zur Ehre +des Dorfs muß ich übrigens bemerken, daß auch gar mancher die Sache von +einer andern Seite ansah. Als ein ehrenhafter alter Bauer davon hörte, +sagte er zu seiner Ehehälfte: »Wenn das in ihrem Kopf gewachsen ist, +dann fang' ich wieder an etwas zu halten von dem Mädchen.«</p> + +<p>Allerdings war es in dem Kopf der Christine gewachsen, und zwar ging es +so zu.</p> + +<p>Am andern Tage nach der Heimkehr ihrer Tochter hatte die Glauning schon +einen großen Theil ihrer Ruhe und Besonnenheit wieder erlangt. Gedrückt +war sie noch immer und traurig ging sie im Hause umher; aber ihr Geist +richtete sich allmählig auf und überlegte, wie sie das Unglück, das sie +betroffen hatte, wieder gut machen könne. Leute wie sie überreden sich +leicht, daß sich alles auf eben die Art wieder ausgleichen lasse, die +ihnen erfreulich dünkt. Als sie nun ihre Tochter in der Stube und Küche +wieder arbeiten sah wie ehedem, als sie den Vetter mit ihr umgehen +sah, wie wenn nichts vorgefallen und sie höchstens von einem längeren +Besuch zurückgekehrt wäre, da beurtheilte sie die beiden nach sich und +glaubte, alles könnte noch recht werden. Als erfahrene Frau mußte sie +am besten wissen, was man alles zu thun habe, um in dieser Welt etwas +zu erreichen; als Mutter<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> hatte sie die Pflicht, für ihre Tochter zu +denken und zu sorgen. Die Scheu, die sie gestern noch gefühlt hatte, +wich daher einer Entschließung.</p> + +<p>Nachmittags fing sie gegen Christine auf's neue an zu klagen und ihre +Bekümmerniß auszusprechen; es geschah dieß aber in einem Ton, daß die +Tochter gleich fühlte, der eigentliche Schmerz sei schon vorüber und +eine ernstliche Tröstung nicht mehr vonnöthen. Sie entgegnete mit +Ruhe, daß diese Reden jetzt zu nichts mehr führen könnten. Man müsse +das Geschehene geschehen sein lassen und nicht mehr daran denken, +dann werde vielleicht alles wieder besser in's Gleiche kommen, als +man glaube. »Da kannst du auch Recht haben,« erwiederte die Mutter +begütigt. Und nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: »Man glaubt oft, +man müsse ein recht großes Glück machen und deßwegen ein kleineres, +das einem entgegenkommt, verschmähen. Aber das große ist einem nicht +bestimmt und bleibt aus; und wenn man das sieht und gescheidt ist, +nimmt man das kleinere an und lebt auch zufrieden dabei.« — Christine +sah ihre Mutter befremdet an: diese glaubte, sie müsse sich deutlicher +erklären, und sagte: »Du hast Recht, Christine, alles kann wieder in's +Gleiche gebracht werden, und du hast's in deiner Hand. Mir kannst du +wohl glauben, denn ich versteh' mich darauf — der Hans hat dich noch +immer gern! Er ist einer von den guten Menschen, die alles verzeihen +und denen es nicht möglich ist, etwas nachzutragen. Wenn du dich wieder +freundlich gegen ihn benehmen und ihm ein wenig schönthun wolltest, so +bin ich überzeugt.« —</p> + +<p>Das Gesicht des Mädchens hatte sich während dieser Rede, nach dem +ersten deutlichen Wort, mit tiefer Röthe bedeckt; jetzt funkelten +ihre Augen und mit erzürnter Heftigkeit rief sie: »Red' nicht weiter, +Mutter! — ich bitte dich! — Wenn der Hans mich jetzt noch nähme, so +wär' er ein Tropf — der jämmerlichste Mensch, der auf Gottes Erdboden +herumwandelt! Und wenn er's wäre und wenn er mich wollte, so möcht' ich +<em class="gesperrt">ihn</em> nicht, weil ich ihn verachten würde! Pfui! wie kannst du an +so etwas denken und einem ehrlichen Mädchen solche Vorschläge machen!« +— Die Mutter war betroffen; sie faßte sich indeß wieder und sagte: +»Nun, ich rathe dir nichts, als was gar manches<span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span> Mädchen schon gethan +hat, die jetzt als Frau hoch in Ehren steht. Du kennst die Welt nicht. +Ich bin deine Mutter, ich muß für dich sorgen, ich muß dich wieder +auf den rechten Weg weisen —« — »Red nicht weiter,« rief Christine +am ganzen Leibe zitternd, »oder es geschieht ein Unglück! — Noch ein +Wort davon — und ich geh' fort und spring' in's Wasser!« — Die Alte +starrte sie an. »Um Gotteswillen,« rief sie, »thu nur nicht gleich so +wild! Ich hab' nur gemeint —« — »Du sollst nichts meinen, was eine +Schande wäre für mich und für ihn. Glücklich sein muß man nicht in der +Welt, aber seinen Charakter muß man behaupten und seine Ehre! Und das +sag' ich dir jetzt: wenn du nochmal von dieser Sache anfängst, wenn du +nur noch eine Sylbe davon sprichst, dann geh' ich aus deinem Haus und +deiner Lebtag wirst du mich nicht wieder sehen!«</p> + +<p>Die Alte schwieg, seufzte tief und verließ die Stube. In ihrer +Herzensangst ging sie in den Stall und traf dort den Vetter, der eben +vom Felde heimgekommen war. Sie sah ihn traurig an und schüttelte +den Kopf. Hans fragte, was ihr wäre, und sie erwiederte: »Ich bin +betrübt über meine Tochter. Nicht nur daß sie unglücklich heimgekommen +ist — sie ist auch bös heimgekommen. Wenn ich etwas sag' und ihr +einen guten Rath geben will, fährt sie mich an wie rasend. Als ob +ich eine Schlechtigkeit von ihr verlangte! Guter Gott, wer hätte das +gedacht! Wer hätte geglaubt, daß ich noch so was erleben müßte!« +Hans fragte, um was es sich denn eigentlich handle, und die Mutter, +die ihr Herz erleichtern mußte, erzählte ihm den ganzen Auftritt +mit Christine, indem sie nur in Bezug auf ihn die zu seiner Ehre +nöthigen, schmeichelhaft klingenden Veränderungen anbrachte. Allein +das fruchtete sehr wenig. Hans war bei ihrer Erzählung braunroth +geworden und ein Blitz zuckte aus seinen Augen. Es kostete ihn Gewalt, +den Zorn hinunterzudrücken, den er empfand; aber es gelang ihm und er +entgegnete mit einer gewissen Ruhe: »Die Christine hat Recht gehabt. +Mit uns beiden ist's aus. Je freundlicher sie gegen mich wäre, um so +weniger möcht' ich sie, und Ihr würdet mich dann nicht lang mehr bei +Euch sehen.« — Die Mutter sah ihn tief betroffen an und rief: »Kann's +denn wahr sein! ist wirklich alle Lieb' vergangen in dir?« — »Alle,« +erwiederte Hans mit<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> Nachdruck. »Und ich muß Euch nur sagen, Base, auch +mir wär's lieb, wenn Ihr davon nicht mehr reden wolltet.« — »Ach,« +rief die eben so von der Liebe des Hans wie von der Schönheit ihrer +Tochter überzeugte Frau in ihrer Noth, »ich kann's nicht glauben, daß +es dir ernst ist! Geh weiter! Mit der Zeit —« — Aber nun sah Hans, +dem die Stirnader schwoll, mit einem Gesicht auf sie, daß sie schleunig +rief: »Sei ruhig, sei ruhig! ich will nichts mehr sagen!« — Hans +drehte ihr den Rücken zu und ging an eine Arbeit.</p> + +<p>Nun war die Reihe zu verzweifeln auch an die Alte gekommen. Wenn die +Sachen so standen, dann war alles verloren; die letzte Hoffnung war +ihr geraubt und die Schande, die auf sie herabgefallen war, blieb auf +ihr sitzen. Ein ehrbarer, vermöglicher Mann, das fühlte sie, meldete +sich jetzt schwerlich mehr um ihre Tochter. Einen armen Teufel, einen +Liederlichen konnte sie nicht brauchen, um so weniger, als ihr Vermögen +im letzten Jahr ohnehin eine ziemlich bedeutende Einbuße erlitten +hatte. Und wenn auch einer von der Mittelgattung kam, war zu glauben, +daß die »bockbeinige« Christine ihn nehmen würde? — Ihr ganzes Leben +war verdorben, durch die Schlechtigkeit eines Menschen, dem sie getraut +hatte. Sie konnte nichts dagegen thun, sie mußte ruhig dasitzen und +alles über sich ergehen lassen, Schadenfreude, Spott und Verachtung. — +Als sie sich das recht deutlich machte, stand ihre Seele, die vor allem +auf eitler Ehre Glanz gerichtet war, Folterqualen aus. Sie weinte und +wehklagte und rief zu wiederholtenmalen: »Warum muß denn <em class="gesperrt">mir's</em> +grad so gehen? Warum muß denn ich grad so unglücklich sein?«</p> + +<p>Auf diese Fragen gab es eine Antwort, und auch das in moralischen +Dingen nichts weniger als fein empfindende Weib kam endlich auf ihre +Spur. Nach einer Weile des Zurückdenkens in die Vergangenheit sagte +sie sich: »Ja, ja! — hätten wir nicht immer weiter getrachtet, wären +wir beim Hans geblieben — hätt' ich selber das Maul aufgethan damals, +wie ich's hätte thun können und müssen, dann wär' alles anders jetzt. +Wir wären geachtet, wohlhabend und glücklich alle mit einander.« Und +nun, in Noth und in Schaden und in der Erkenntniß ihrer Mitwirkung dazu +klopfte auch bei ihr das Gewissen an. Es ging ein Licht auf in ihrem +Kopf und ein Feuer durch<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> ihr Herz und sie rief: »Ich bin selber Schuld +an meinem Jammer, ja ja, ich selber! — ich hab's nicht anders haben +wollen!« — Sie stöhnte unter dem doppelten Druck des Unglücks und der +eigenen Anklage, und nur in Thränen fand sie einige Erleichterung.</p> + +<p>Christine ließ sie weinen. Sie verrichtete die Arbeiten des Tags und +schien für nichts anderes mehr Sinn zu haben. Hie und da sah sie zu +der Betrübten auf; aber ihr Gesicht verrieth eher Befriedigung als +Bedauern. Es war, als ob sie sagen wollte: »Fühl' es nur! Das kann dir +nur gut sein, wie es mir gut gewesen ist!«</p> + +<p>Der Sonntag kam und brachte einen Besuch. Es war wieder eine Base +(deren jede gestandene Person im Ries eine ungezählte Menge hat), +zugleich mit der Glauning und mit Hans verwandt, eine Söldnersfrau aus +dem Dorf des Holzbauern, die einem Hiesigen Zins bezahlt hatte. Nach +geschehener Einweihung in das erlebte Unglück und der Empfangnahme von +Worten des Bedauerns und Trostes kam die Rede auf die Angelegenheiten +der Freundin, auf ihr Dorf und auf den genannten Bauern, der unter +allen durch Reichthum, Verstand, Heftigkeit und Grobheit hervorragte. +Frau Hubel (so hieß die Base) erzählte, daß dieser sonst so gescheidte +Mann eben je älter, je ärger würde, daß er wieder eine Magd wegen einer +kleinen Vergeßlichkeit ausgeschimpft habe »für's Vaterland,« daß die +Magd ihm auch »ein rechtes Maul angehängt« habe und davon gelaufen sei. +»Und nun,« setzte sie hinzu, »kann er sehen, wo er eine kriegt. Seit +einem Jahr ist das die vierte, die er weggejagt hat, und schon ist +eine Woche vorbei und noch immer hat er keine. Er kriegt auch keine, +sag' ich, wenigstens keine ordentliche.« Christine, die der Erzählung +aufmerksam zugehört hatte, erwiederte: »Doch, Base, er kriegt eine, +und ich hoff' auch eine ordentliche.« — »Wen denn aber?« fragte die +Base verwundert. — »Mich selber,« versetzte das Mädchen. »Ich will zu +ihm gehen und mich anbieten, und ich hoff', er wird mich nicht wieder +fortschicken. Gleich heute will ich mit Euch nach *** — Ihr werdet so +gut sein, mich über Nacht zu behalten.«</p> + +<p>Man kann sich denken, welches Staunen diese Erklärung bei der Hubel, +welchen Sturm sie bei der Mutter hervorrief. Aber alle Einwendungen und +alle Vorstellungen, die man ihr machte, wurden beantwortet<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> und blieben +fruchtlos. Das Mädchen sagte zuletzt: »Auf so eine Gelegenheit hab' ich +gepaßt, und wenn ich sie jetzt nicht benutzen wollte, wär's eine Sünde.«</p> + +<p>In ihrer Aufregung suchte die Alte wieder den Hans auf, theilte ihm ihr +Leid mit und rief: »Nun, was sagst du dazu? Was hältst du von diesem +neuen Einfall?« — Hans bemerkte ruhig: »Ich find' ihn ganz vernünftig. +Wir haben hier nicht auf sie gerechnet und brauchen sie nicht. Da +sie aber doch schwerlich mehr in die Stadt heirathet, so wird's gut +sein für sie, wenn sie die Bauernarbeit wieder recht lernt; und beim +Holzbauern ist sie in der besten Schule.« — »Aber denk nur,« rief die +Glauning, »dieser jähzornige Mensch, der nach niemand was fragt! Wenn +er in seiner Wuth ist, wird er sie herstellen vor allen Leuten wie ein +Bettelmädchen!« — »Bah,« versetzte Hans, »so arg ist's nicht! Und am +Ende,« setzte er lächelnd hinzu, »kann's ihr nicht schaden, wenn sie +ein bischen unter die Fuchtel genommen wird.«</p> + +<p>Frau Glauning schüttelte bedeutend den Kopf, kehrte seufzend zurück +und hatte keine Widerrede mehr. Christine packte Wäsche und Kleider +zusammen und verließ gegen Abend mit der Base das Haus.</p> + +<p>Am andern Morgen ging sie in den großen, stattlichen Hof des +Holzbauern. Sie traf diesen vor dem Haus und eröffnete ihm ihr Begehr. +Der Bauer, hochgewachsen, breitschultrig, von rothbraunem Gesicht und +mit dem Gebiß eines Wolfs, schien von ihrem Aussehen nicht sehr erbaut +zu sein und fragte, wer sie wäre. Christine nannte ihren Namen und +ihr Dorf. »So,« erwiederte er mit verdrießlicher Geringschätzung, »du +bist die? Hab' vorgestern von der Geschichte gehört. — Nun, und du +glaubst, du könnt'st wieder eine Bauernmagd abgeben?« — »Ich hoff's, +Herr Bosch,« antwortete Christine dem Manne, der schon zweimal an der +Spitze seiner Gemeinde gestanden hatte. — »Verstehst du denn die +Arbeiten noch?« — »Was man von Jugend auf getrieben hat, verlernt man +nicht in einem Winter.« — »Kommt darauf an,« erwiederte der Bauer. Und +ihre Hand fassend und betrachtend sagte er: »Das Händle da scheint mir +die Arbeit schon recht verg'wöhnt zu haben.« Er drehte sie hin und her +und schüttelte mürrisch den Kopf. Das Mädchen konnte nicht umhin zu<span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span> +lächeln. Ihre Hand, die man in der Stadt zu groß gefunden hatte, sollte +nun wohl zu klein und zu fein sein. In der des Holzbauers war sie +freilich klein; aber das war auch eine darnach, nicht sowohl eine Hand, +als eine »Doap« erster Größe. — Doch sie mußte antworten und sagte +so ernsthaft als möglich: »Die Hand da wird so viel schaffen als eine +andere, und bei Euch, glaub' ich, wird sie bald wieder gröber werden. +Uebrigens will ich mich Euch nicht aufnöthigen. Wenn Ihr mich wollt, +so versucht's mit mir; steh ich Euch nicht an, so sagt's, und ich geh +meiner Wege.« — Die entschlossene Sprache gefiel dem Holzbauern, der +ohnehin nicht gemeint war, ein Mädchen, das er so nothwendig brauchte, +wieder gehen zu lassen. »Der Teufel!« sagte er, »dein Maul geht ja wie +ein Mühlrad. — Nun, probiren will ich's mit dir. — Viel trau ich dir +nicht zu, das muß ich dir aufrichtig sagen; aber am End' — No, so komm +'rein zur Bäuerin', da wollen wir den Handel richtig machen.«</p> + +<p>Christine ging mit ihm in's Haus, bestand die Prüfung auch der würdigen +Ehehälfte des Gewaltigen und war gedungen. Als sie, dem ersten Befehl +gehorchend, die Stube verlassen hatte, sagte die Bäuerin: »Eigentlich +ist das doch »a rechts Häa'le« (Hühnchen)! Ich glaub' nicht, daß wir +die lang haben werden.« — »Wenn's ihr nicht gefällt bei uns,« brummte +der Bauer, »dann kann sie meinethalben wieder zum Teufel gehen!«</p> + +<h3>VII.</h3> + +<p>Nachdem die Fluth der Ereignisse, wie wir sie im letzten Kapitel +zu schildern versuchten, abgelaufen war, trat in dem Leben unserer +Personen eine Ebbe ein, die für sie wohlthuend und nöthig war, uns aber +als geschichtslose Epoche wenig zu sagen bietet. Das Außerordentliche +hatte für jetzt ein Ende gefunden und alles ging seinen gewöhnlichen +Gang. Hier und dort wurden die Arbeiten des Frühlings die Hauptsache, +und hier und dort sah man seine persönlichen Angelegenheiten durch sie +in den Hintergrund gedrängt.</p> + +<p>Von dem Frieden, den eine solche Epoche mit sich bringt, genoß übrigens +am wenigsten die Wittwe Glauning. Sie mußte zugeben,<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> daß unter den +obwaltenden Verhältnissen das Dienen ihrer Tochter eine Auskunft +war; aber den gewaltigen Sprung von der Lehrersbraut und künftigen +Oberlehrerin zur Bauernmagd konnte sie nicht verwinden, und es war ihr +eine ängstliche Sache, das Mädchen, die ihre einzige Freude war, bei +dem »Wilden,« d. h. beim Holzbauern zu wissen und sich vorzustellen, +wie er sie anfahren und heruntermachen werde.</p> + +<p>Zu der Plage, die sie sich mit ihren Gedanken selber anthat, gesellte +sich noch eine andere. Das Schicksal der Christine war zu merkwürdig, +zu seltsam, als daß in den guten Freundinnen der Mutter und der Tochter +sich nicht ein unwiderstehliches Verlangen hätte regen sollen, das +Nähere darüber zu erfahren. In den Stunden der Muße kam nun eine +um die andere angeschlichen, und den Versicherungen der Theilnahme +folgten regelmäßig Fragen, welche die gute Frau sehr inkommodirten. Sie +erklärte zwar die Vorgänge durchaus zur Ehre ihrer Tochter; aber was +half das? Ein Gesicht wie beim Erzählen eines glücklichen Ereignisses +konnte sie doch nicht machen. Und wenn die Freundinnen Christine lobten +und hinzufügten: das hätten sie an ihrer Stelle auch gethan, und sie +hätte sich benommen wie ein rechtes Mädchen, so klang dies in den Ohren +der Mutter lange nicht so gut, als die Ausrufungen und Gratulationen +geklungen hätten beim Verkündigen der Nachricht: ihre Tochter sei Frau +Lehrerin. — Und wenn gar erst eine von der schlimmen Sorte kam und +ein ungläubiges Gesicht machte und eine gewisse Schadenfreude nicht +verbergen konnte und von den unschuldigen Fragen zu den spitzigen +überging, da wurde die Situation der ehrgeizigen Mutter höchst fatal. +Sie konnte nur mit Mühe die Ungeduld ihres Herzens bemeistern; ein +paarmal, gegenüber von besonders Zudringlichen, gelang ihr dies nicht +und sie mußte sich mit entschieden unhöflichen Antworten helfen. Damit +gewann sie aber nichts; die Weiber entschuldigten sich heuchlerisch und +lächelten dabei noch viel beglückter als vorher.</p> + +<p>Doch die Zeit verging, das Mißgeschick der Familie wurde altmodisch, in +einem Bauernhause des Orts gab es ein Aergerniß, das bedeutend von sich +reden machte, obwohl es lange nicht so außerordentlicher Natur war, +und die Glauning bekam endlich Ruhe. —<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> Christine hatte schon zweimal +Grüße geschickt und der Mutter zuletzt noch herunter »verbieten« +(entbieten) lassen: sie sei gesund und es gehe ihr gut; der Holzbauer +wäre nicht so bös, als man ihn mache, zum wenigsten meine er's nicht so +bös, und ihr selber sei alles recht bei ihm. Diese Nachrichten trugen +dazu bei, das Herz der Mutter zu beschwichtigen, so daß sie hie und +da sogar wieder behagliche Stunden hatte. Sie wußte freilich nicht, +was aus ihr und ihrer Tochter werden sollte. Sie wußte nicht, ob Hans +gesonnen war, bei ihr zu bleiben, oder was er sonst im Sinn hatte. +Der sonderbare Mensch arbeitete weiter, als ob er der Sohn des Hauses +wäre. Er hatte von dem Ankauf des Gutes nicht mehr gesprochen, sagte +überhaupt sehr wenig und wollte offenbar nicht gefragt werden. Aber +konnte er nicht jeden Augenblick zu ihr kommen und sagen: er hätte +nun eine gefunden, die ihm passe, er wolle heirathen und müsse nun +entweder sein Geld oder das Gut haben? Diese Unsicherheit der Zukunft +hatte nichts Tröstliches, aber vor der Hand war dem Herzen doch eine +wirkliche Last abgenommen, und ein's in's andere gerechnet, konnte +man sich in sein Schicksal ergeben. Die Wittwe nahm sich ein Beispiel +an dem Vetter, und so hauste man zusammen weiter und ließ es, auf gut +deutsch und auf gut ländlich, gehen, wie's eben ging.</p> + +<p>An einem Sonntag in der zweiten Hälfte des Mai kam unerwartet eine +Einkehr, in der Person der Base Hubel. Diese gehörte zu den Weibern, +die gerne Neuigkeiten einsammeln und verbreiten, und deswegen auch +öfter über Land gehen, wenn sie gerade Zeit und dem Mann gegenüber +einen Vorwand haben. Diesmal hatte sie im Dorf eigentlich nichts zu +thun; sie wollte nur erzählen und hören, und sehen, wie's bei der +Glauning stehe. Zunächst richtete sie recht schöne Grüße von Christine +aus. Auf Befragen der Mutter, was diese mache und wie ihr das Dienen +anschlage, legte sie ihr Gesicht in bedenkliche Falten und bemerkte: +»Ja, da wär' viel zu sagen! 'S geht ihr eben recht hart bei dem +Menschen, recht hart!« — »So?« erwiederte die Mutter. »Aber sie hat +mir ja sagen lassen, sie sei wohl zufrieden?« — »Ja seht, Base, das +ist eben zum Verwundern. Sie selbst thut, als ob ihr nichts zuviel und +alles recht wär'. Sie schafft mehr als die andern, und besser. Aber +anstatt nun ein Einsehn zu<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> haben und sie zu schonen, verlangt der +alte Bär immer mehr von ihr, und wenn sie »in der Acht« (unversehens) +ein kleines Fehlerle gemacht hat, schnurrt er sie an. 'S ist grad, +als wenn der Teufel in ihn gefahren wär'! Eine andere wär' schon lang +davongelaufen. Aber wenn die Christine noch so meint, es müßt' sein, +sie wird doch auch nicht bleiben können: sie macht's nicht aus auf +die Läng'.« — »Du lieber Gott!« rief die Mutter, »was sind das für +Sachen! Aber wie steht's denn mit ihrer Gesundheit? Wie sieht sie denn +aus dabei?« — »Wie wird sie aussehen, Base! Wie man eben aussieht, +wenn man alles thun muß! Mager ist sie und »schwarz« (braun) und +gelb im Gesicht.« — »Meine Christine!« rief die Alte, wie von einer +Schlange gebissen. »Aber das kann so nicht fortgehen, sie kann's +nicht aushalten, und ich darf's nicht leiden.« — »Das hab' ich ihr +auch gesagt, erst heut früh noch. Mädle, hab' ich gesagt, das kannst +du nicht prästiren, du bist's nicht gewohnt und du schaffst dir die +Schwindsucht an den Hals. Wenn du deinen Sinn nicht ändern und mit +Gewalt dienen willst, so such dir wenigstens einen andern Platz; 's +giebt ja bessere. Aber was hat sie mir darauf gesagt? Grad <em class="gesperrt">der</em> +Platz ist mir recht und grad da will ich bleiben!«</p> + +<p>»Da seh eins den eigensinnigen Kopf! Guter Gott! 's ist ja grad, als +ob sie sich expreß zu Grund richten wollte?« Und die unglückliche +Mutter wendete sich zu dem Vetter, der am Ofen »Speikel« schnitzte +zum Festmachen einer Hacke am Stiel, und rief: »Nun, Hans, was sagst +denn du zu der Neuigkeit? Soll ich das dulden? Ist's nicht meine +Schuldigkeit, sie mit Gewalt von dem Menschen wegzubringen?« — »Base,« +erwiederte Hans nach kurzem Besinnen, »Ihr wißt, daß ich nicht gern in +anderer Leut' Sachen rede; aber weil Ihr mich gefragt habt, will ich +Euch doch meine Meinung sagen. Daß man sich die Schwindsucht an den +Hals ärgert, mag sein, zum wenigsten sagt man so; aber daß man sie sich +an den Hals schafft, hab' ich noch nie gehört. Ich glaub' auch nicht, +daß es mit dem Aussehen der Christine grad so arg ist, wie's die Bas +Hubel macht. Die Bas red't manchmal gern ein Bischen mehr, als an der +Sach' ist; und natürlich, wenn man über zwei Stunden Wegs macht, um +etwas zu erzählen, so muß es doch auch der Müh' werth sein.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span></p> + +<p>Hier verzog die Hubel bedeutend die Oberlippe; Hans aber, ohne sich +daran zu kehren, fuhr fort: »Runde und rothe Backen muß man grad nicht +haben, sonst wär's bös für viele Leut' in der Welt. Im Uebrigen ist +die Christine ein Mädchen, die ihren Verstand hat und selber am besten +wissen muß, was sie vertragen kann; ich mein' also, daß Ihr sie lassen +sollt, wo sie bleiben will.« — »Geh weiter!« rief die Hubel, »du bist +mir auch der rechte geworden! Wenn das die Christine hörte, daß du dich +jetzt so gar nichts mehr um sie bekümmerst, dann thät' sie's kränken, +recht in der Seel' kränken, das kann ich dir sagen.« — »Ich glaub's +nicht,« erwiederte Hans, der unterdessen aufgestanden war; »übrigens +müßt' ich's mir gefallen lassen, ich kann mich nicht anders machen, als +ich bin.« — Dann verließ er die Stube und hämmerte draußen die Speikel +ein. Die beiden Weiber sahen sich an und schüttelten den Kopf. »Wer +hätte das geglaubt?« rief die Hubel. Und die Glauning jammerte: »Alle +sind verhext! Ist das ein Elend!«</p> + +<p>Manches wurde noch hin und her geredet. Endlich rüstete sich die Base +zum Aufbruch und fragte, was sie der Christine sagen solle. »Sie soll +sich schonen,« rief die Glauning eifrig; »und wenn ihr's der »Unmassel« +zu arg macht, soll sie zu ihrer Mutter kommen. Das sag ihr!« — »Sagen +will ich ihr's,« versetzte die Base; »aber ich sorg', es wird nichts +helfen.«</p> + +<p>Und es half nichts. Christine hörte es, dankte der Base — und blieb. +Gelegentlich ließ sie der Mutter sagen: sie werde das Schaffen immer +mehr gewöhnt, und man solle doch ja keine Sorge haben um sie.</p> + +<p>Mehrere Wochen gingen vorüber. Die Glauning war wieder ruhiger +geworden, da sie nichts Besonderes von ihrer Tochter erfuhr, und ihr +Herz hatte sich wieder einigermaßen der Lebensfreude geöffnet. Nun +brachte aber das Schicksal eine andere, stärkere Prüfung an sie. An +einem Sonntag in der Heuernte kam ein Besuch von ***, der sich mit +einem Gruß der Hubel einführte. Es war eine Nachbarin derselben, etwas +verwandt mit ihr, weswegen sie auch die Glauning sofort mit dem Titel +Frau Base anredete. Als die letztere nach den ersten Höflichkeiten +und nachdem sie ein gutes »Vorbrod« auf den<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> Tisch gesetzt hatte, +die Frau genauer ansah, merkte sie an einer gewissen bedenklichen +Ernsthaftigkeit derselben alsbald, daß sie etwas Neues bringen werde +von Christine, aber nichts Gutes. Sie erkundigte sich etwas kleinlaut, +was ihre Tochter mache, und ob sie's noch aushalte in ihrem Dienst. +»Noch immer, Frau Base,« war die Antwort; »aber ich kann's Euch wohl +sagen, 's wundert sich alle Welt drüber.« — »Wie so?« fragte die +Glauning; »wird sie noch alleweil so hart gehalten?« — »Frau Bas,« +erwiederte die Andere, »ich hätt' mir nicht getraut zu erzählen, was +vorgefallen ist; aber die Bas Hubel hat gesagt, weil ich hier grad +etwas zu thun hätt', sollt' ich zu Euch gehen und Mittheilung machen, +denn Ihr müßtet's wissen.« — »Guter Gott,« rief die Mutter, »was werd' +ich wieder hören müssen!«</p> + +<p>Und die Andere begann: »Wie Eure Christine, die's doch wahrhaftig +nicht nöthig hätt', alles thun muß beim Holzbauern, wie er ihr mehr +aufhängt als andern, und wie sie auch wirklich mehr schafft als andere, +das wißt Ihr schon; 's ist zum Verstaunen! Da ist nun »vodertags« +(vorgestern) zum »Häat« (Heuernte) schön's Wetter kommen, und der +Bauer ist wieder gewesen wie der »Massich« und hat gemeint, alles +müss' auf einmal drin sein. Er hat gethan und gewirthschaftet auf der +Wies, daß »a Graus« gewesen ist. Am Himmel ist a Wölkle gestanden, +ganz klein und unscheinbar; aber er hat doch gesehen, das könnt' ein +Wetter geben, denn gescheidt ist er, das muß man ihm lassen. Wie nun +ein Fuder heimgefahren und die Christine mitgegangen ist zum Abladen, +hat er ihr noch nachgerufen, sie sollt' des Nachbars Wagen »verdleihen« +(entlehnen) und rausschicken. Nun, wie's einem eben geht — entweder +hat sie's nicht recht verstanden oder sie hat's vergessen — du lieber +Gott, was passirt einem nicht in der Unmuß', wenn alles auf einen +hineinschreit? Die Bäuerin hat auch noch schnell was haben wollen von +ihr, und wenn die red't, muß auch gleich alles laufen und springen; +kurz, der Bauer wartet und der Wagen bleibt aus, aber das Wetter kommt +am Himmel rauf. Da hättet Ihr den Mann sehen sollen! Reingelaufen +ist er wie »wüadeng« (wüthend), und wie er erst vom Nachbar gehört +hat, daß der Wagen gar nicht bestellt worden ist, da ist's gar aus +gewesen. Herrgott, Frau Bas, wie hat der die Christine hergestellt! +Ich bin grad am Hof<span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span> vorbei gegangen und stehen geblieben; mein Lebtag +hab' ich keinen Menschen so lästern hören. »Du dummes Thier! Du +einfältiger Mensch! Bist »do'sohrad« (taub), he'! oder denkst an dein' +Schulmeister, wann ich was sag'? Ich hätt' n' guten Lust und nähm' die +Karbatsch und thät' dir die Gedanken austreiben, daß sie deiner Lebtag +nimmer kommen.« — Ach, Frau Bas, ich will nicht sagen, was er alles +noch geschrieen hat. 'S ist so arg gewesen, daß die andern Ehehalten +ganz blaß dagestanden sind und ordentlich verstarrt, und zuletzt auch +die Bäuerin gerufen hat: »Jetzt sei still einmal und schäm dich vor den +Leuten. Geschehen ist geschehen!««</p> + +<p>Die Mutter war bei den Schimpfreden, womit ihr Kind befleckt +worden, von der Bank aufgesprungen mit einer Miene, als ob sie +das Schrecklichste vernommen hätte, und sogar die uns bekannte +pflanzenruhige Taglöhnerin, die hinter dem Ofen gestrickt hatte, +war herbeigeeilt. »Das ist meiner Tochter passirt?«, rief die Alte +zitternd vor Entrüstung, »<em class="gesperrt">meiner</em> Christine? und sie hat dem +Schandmenschen nicht augenblicklich den Dienst gekündigt und ist auf +und davon gegangen?« — »Jede andere hätte das gethan,« versetzte +das Weib, »keine hätte sich das gefallen lassen.« — »Ich wahrhaftig +auch nicht,« rief die Taglöhnerin, deren Backen sich gefärbt hatten, +ordentlich aufgebracht. — »Die Christine,« fuhr die Erzählerin fort, +»hat sich's gefallen lassen und ist geblieben. Zuerst ist sie bestürzt +gewesen und hat ihn mit großen Augen angesehen. Je mehr er aber +gewüthet hat, je ruhiger ist sie geworden; und wie er endlich aufgehört +hat, weil ihm ganz der Schnaufer ausgegangen ist, da hat sie gesagt: +»Herr Bosch, ich seh's ein, ich hab' gefehlt. Verzeiht mir's — es soll +nimmer geschehen.«« — Die Glauning war empört. »Das hat meine Tochter +gesagt?« rief sie. »Mit der muß was vorgegangen sein. Es ist nicht +anders möglich — bei der ist's nicht mehr richtig im Kopf!«</p> + +<p>Das Gesetz der Schwere, wie man weiß, gilt in der geistigen Sphäre so +gut wie in der materiellen. Die Schwäche gravitirt nach der Stärke; wer +außer sich ist, strebt zu dem Festen und Gefaßten hin und klammert sich +an ihn an, und zwar zunächst ganz instinktmäßig, ohne alle Reflexion +und trotz aller Anprallungserfahrungen,<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> die man gemacht hat. — Diesem +Instinkt zufolge suchte die Glauning den Vetter auf; sie traf ihn im +»Emmenstand« und erzählte ihm die Geschichte. Der Bursche horchte mit +großem Ernst und die Mutter, die hierin Uebereinstimmung mit ihren +Gedanken erblickte, schloß mit den Worten: »Nun wirst du mir doch +Recht geben, wenn ich's nicht mehr leide, daß sie noch länger bei dem +Menschen dient? Gleich morgen in der Früh' geh ich hin und nehm' sie +mit nach Haus.« — Hans, nach kurzem Schweigen, versetzte: »Wenn sie +nun aber nicht mitgeht?« — »Nicht mitgehen?« rief die Mutter. »Das +will ich doch sehen, ob ich über mein Kind keine Gewalt mehr hab'. +Sie <em class="gesperrt">muß</em> mit!« — »Base,« fuhr Hans fort, »übereilt Euch nicht +und macht überhaupt die Sache nicht ärger als sie ist. Wenn man Heu +hereinbringen will und durch den Fehler eines Dienstboten wird's +verregnet, so ist das für einen Bauern eine sehr ärgerliche Sach'. Der +Christine hat was gehört, und wenn der Bosch es ihr nicht geschenkt +hat, so ist das begreiflich.« — »Aber so rasend, so abscheulich thun« +— — »Das will ich gar nicht loben,« versetzte Hans. »Aber kennt man +den Holzbauern denn nicht? Wenn der zornig wird, ist's grad, wie wenn +ein Wetter ausbricht. 'S geht nicht anders, es muß raus aus ihm, er +kann sich nicht anders helfen, und darum kann man's ihm auch nicht so +übel nehmen wie andern Leuten. Das wird sich die Christine wohl auch +gedacht haben und drum ist sie geblieben.« — »In einem Haus, wo man +einen so schandbar behandelt hat,« erwiederte die Glauning mit dem +Ausdruck der Entrüstung und Geringschätzung, »da bleibt man nicht mehr, +wenn man ein ordentliches Mädchen ist. Und die da, die zu mir gesagt +hat, daß man vor allem seinen Charakter und seine Ehr' behaupten müss' +in der Welt — die will sich so was gefallen lassen!« — »Sie wird eben +unter Charakter und Ehr' etwas anderes verstehen, als Ihr, Base.« — +»Meinetwegen!« rief die Mutter, erzürnt darüber, den Burschen gegen +ihr Vermuthen auch diesmal im Widerspruch mit sich zu finden. »Ich +leid's einmal nicht, daß sie noch dort bleibt. Und ich geh hin und hol' +sie und mit Gewalt nehm' ich sie mit mir!« — »Ihr kennt Eure eigene +Tochter nicht,« rief Hans mit Nachdruck. »Ich sag' Euch, sie geht nicht +mit Euch!« — »Das wird sich zeigen, — ich<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> thu's nicht anders und +setz' alles in Bewegung.« — »Dann, Frau Base,« rief Hans mit strengem +Gesicht, »dann macht Ihr einen thörichten Streich und kommt doch nicht +zu Eurem Zweck. Die Christine, das könnt Ihr nun wohl sehen, hat sich +was in den Kopf gesetzt und läßt sich nicht davon abbringen; und ich +für meine Person, ich denk', ich kann's errathen. — Bah,« fuhr er mit +einem eigenen Lächeln fort, »an einem Schimpfwort stirbt man nicht — +namentlich wenn man nicht ohne Schuld ist, und je mehr man aushalten +lernt, desto besser ist's.« — »Aushalten!« rief die Glauning; »Schande +soll niemand aushalten.« Aber nun wurde Hans aufgebracht. »Base,« rief +er, »ich will Euch meine Meinung rund heraus sagen. Ihr seid eine eitle +Mutter und wollt nichts als Ehr' haben und flattirt sein und prangen +mit Eurer Tochter. Euer Prangen ist Euch aber schlecht bekommen bis +jetzt. Wer weiß, wer weiß, ob nicht Euch so gut als Eurer Tochter die +Schande gesünder ist.«</p> + +<p>Die Alte war von diesen Worten getroffen — und entwaffnet. Sie ging +niedergebeugt ins Haus zurück und sagte zu sich selber: »Der ist nun +auch ein Satan geworden. — O ich unglückliche Mutter!« — Als die +neue Base Abschied nahm, erhielt sie keinen andern Auftrag, als der +Christine zu sagen, sie solle doch ja heimkommen oder in einen andern +Dienst gehen und nicht mehr bei dem Menschen bleiben; es wär' ja ein +Schimpf und eine Schande für die ganze Freundschaft.</p> + +<p>Die Mahnung hatte aber denselben Erfolg wie die erste. Christine blieb +und ließ bei Gelegenheit herunter sagen, es sei Alles wieder in Ordnung +und Alles vergessen.</p> + +<p>Mit der Satanschaft, welche die Glauning dem Vetter beilegte, war es +freilich nicht weit her. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, die Leser +nun ein wenig mehr in das Herz des Burschen blicken zu lassen, damit +sie das Verhalten desselben vollständiger begreifen und würdigen können.</p> + +<p>Hatte die Natur den Hans nicht zu einem Satan bestimmt, so war er doch +eben so wenig zu einem sogenannten »guten Menschen« geschaffen, d. +h. zu einem, der aus Schwäche gegen andere und ihre Prätensionen die +Pflichten verletzt, die er gegen sich selber hat. Unser<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> Freund sollte +werden, was man auf dem Land einen rechten Mann — einen Ehrenmann +nennt. Zu einem solchen gehört die Güte und die Großmuth, die in seinem +Wesen lag, als nothwendiges Element, aber eine Güte und eine Großmuth, +die weiß, was sie will, und sich nicht beikommen läßt, mit ihren +Vorzügen den eiteln Trieben der Welt zu dienen. Die Lehre, die ihm +das Schicksal gegeben, war nicht fruchtlos geblieben; er hatte etwas +profitirt von seinem Leid und sich ein Benehmen vorgezeichnet, das er +streng einhalten wollte. Er hatte sich vorgenommen, sich selbst höher +zu achten, nicht zu thun, was andere, sondern was er selber für gut +ansah, und den größten Schatz, den er besaß, nimmermehr an ein Wesen zu +verschleudern, das seiner nicht werth war.</p> + +<p>Als die Glauning ihm den Brief mittheilte, worin Christine das +Auseinanderkommen mit Forstner meldete, war er zuerst hoch überrascht; +denn auch er hatte an einen solchen Ausgang nicht mehr gedacht. Das +Benehmen und die Ausdrücke des Mädchens gefielen ihm; er freute +sich, daß sie den Menschen, dem er freilich nie recht getraut, nach +Verdienst behandelt habe; er freute sich an ihrem Stolz und daß sie +sich achtungswerther zeigte, als er von ihr erwartet. Zugleich hatte +er aber ein Gefühl der Genugthuung, und er unterdrückte es nicht. Sie +war gestraft — er gerechtfertigt. Sie hatte erfahren, wie viel mehr +ein braves Herz werth ist, als ein glattes Gesicht, und das war ihr gut +und heilsam. Sie hatte das Schicksal, das sie gewollt — sie mußte es +hinnehmen.</p> + +<p>Die Rückkehr des Mädchens änderte seine Empfindung in etwas, aber nicht +in der Hauptsache. Ihr Aussehen, die Folge der erduldeten Krankheit, +regte sein Mitleid an; er fühlte, wie es ihr zu Muthe sein mußte, und +bedauerte sie von Herzen. Indem er überlegte, wie er sich gegen sie +benehmen sollte, hielt er es in jeder Hinsicht für das Beste, sie +mit Fragen ganz zu verschonen und zu thun, als ob nichts vorgefallen +wäre. In seinem Herzen mußte freilich auch er sich fragen: was soll +aus ihr werden? was soll am Ende aus uns allen werden? Er fühlte das +Bedenkliche und Aengstliche des gegenwärtigen Zusammenlebens und dachte +darüber nach, wie es allenfalls geändert werden könnte. Aber die +Auskunft, die andern eingefallen war und die in<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> jenem Bauernhause den +Streit zwischen Knecht und Tochter hervorgerufen hatte, stellte sich +nicht einmal als Möglichkeit vor seine Seele. Ein Mädchen aus Mitleid +zu heirathen und gar die Untreue zu belohnen mit dem Besten, was er +hatte, das war nicht die Sache unseres Burschen. — Er konnte vergeben +und vergessen, er konnte Freund und Vetter sein, er konnte Hülfe +leisten und Wohlthaten erzeigen; aber Christine zum Weib zu nehmen, +wär' ihm jetzt nicht eingefallen, auch wenn er sie noch geliebt hätte. +Er verlangte von der Seinen, daß sie ihm in Lieb' und Treue anhänglich +sei und ihn zu schätzen wisse nach Verdienst. Und wenn er auch aus der +Noth eine Tugend machte, wenn er eine nahm, die er selber nicht liebte, +wie er Christine geliebt hatte, dann mußte es doch eine sein, die ihn +gern und an ihm ihre Freude hatte und die ihn höher achtete, als jeden +andern in der Welt.</p> + +<p>Daß ihn bei dieser Gesinnung die Erzählung der Mutter von ihrem Streit +mit der Tochter, d. h. die Ansicht und die Hoffnung der Alten selbst, +wie verzuckert sie ihm präsentirt wurde, empören mußte, leuchtet ein. +Er empfand eine solche Wuth in seinem Herzen, noch einmal für den +Gutgenug gehalten zu werden, daß er ein ungewöhnliches Zucken in seiner +Rechten verspürte und die größte Anstrengung nöthig hatte, gegen die +»dumm unverschämte Zumuthung« nicht loszuplatzen. Dagegen was ihm von +den Reden der Christine mitgetheilt wurde, gefiel ihm und er freute +sich ihrer »Einsicht.«</p> + +<p>Seinen ganzen Beifall hatte der Entschluß des Mädchens, als Magd zu +dienen. Die Fragen, die ihn belästigten, fanden damit ihre Erledigung +und das gegenwärtige bängliche Beisammensein ein Ende. Er mußte sich +sagen, daß in Christine doch ein Geist wohne, der nach mehr aussehe, +als er ihr bisher zugetraut hatte. Es war ihm recht, daß sie gerade zum +Holzbauern kam, und er rechnete es ihr als Tugend an, daß sie ihn nicht +scheute. »Bei dem,« sagte er zu sich selber, »ist sie am rechten Platz, +um das Frauenzimmer ganz wegzucuriren und wieder etwas nutz zu werden +für das Dorf.«</p> + +<p>Die Berichte, die nach einander von den zwei Basen gemacht wurden, +konnten seine Achtung vor ihr nur erhöhen und seinen innerlichen +Beifall nur verstärken. Er überzeugte sich, daß Christine einen<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> +Zweck habe, so zu handeln, und er glaubte ihn zu kennen. Da es nun +gerade nicht nöthig ist, Philosoph oder Theolog zu sein, um zu wissen, +daß eine unter gewissen Umständen, mit Fleiß und aus guten Gründen +erduldete Beschimpfung keine Schande, sondern vielmehr Ehre bringt; da +es zu dieser Einsicht genügt, nur kein Geck zu sein und das Herz auf +dem rechten Fleck zu haben, so konnte Hans auch bei der zweiten Meldung +nicht mit der Entrüstung und dem Lamento seiner Base harmoniren. +Nachdem er dieser seine Meinung gesagt und in der Einsamkeit das +Vernommene wieder überdacht hatte, rief er im Gegentheil zufrieden für +sich hin: »Bravo!«</p> + +<p>Man würde unsern Freund mißverstehen und ihm Unrecht thun, wenn man +glauben wollte, die Achtung, die er empfand, sei der Art gewesen, +daß sie in natürlicher Steigerung zum Wiederaufleben seiner Liebe +führen mußte und nicht mehr weit davon entfernt war. Er fühlte Respekt +vor dem Respektabeln, er freute sich an dem Erfreulichen — nichts +weiter. Alte Liebe rostet nicht, sagt das Sprüchwort; aber gerade +bei den liebefähigsten Menschen kann sie unter Umständen doch etwas +rostig werden. Die liebefähigsten sind nämlich in der Regel auch die +liebeklarsten und fühlen und wissen, daß an der Geliebten eben ihre +Liebe die höchste und schönste, d. h. die liebenswürdigste Eigenschaft +ist. Wenn diese ihre Liebe nun dahinschwindet oder als bloßer Schein +erkannt wird, dann schwindet für einen solchen Menschen eben das +Höchste, das Licht und Leben der Schönheit hinweg, und die Flamme, die +von der Anschauung dieses Höchsten genährt war, muß zu Boden sinken.</p> + +<p>Unser Bauernbursche hatte treu geliebt in Hoffnung, wenn auch anfangs +mit schüchterner Hoffnung; er hatte verziehen und wieder geliebt, als +er in der Geliebten Reue und Liebe zu sehen glaubte; er hatte das +Leid der unglücklichen Liebe im Grund seines Herzens durchgelebt und +überwunden. Damit war's aber auch zu Ende.</p> + +<p>In seiner jetzigen Gesinnung und in der Freude, daß eine +Jugendfreundin, eine Verwandte von ihm sich so über Erwarten hielt, +hätte er übrigens der Christine gern seinen Beifall kundgegeben und +sie dadurch in ihrer Handlungsweise bestärkt; aber das ging unter den +bestehenden Verhältnissen nicht an. Da bot ihm der Zufall unverhofft<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> +eine Gelegenheit, für sie doch gewissermaßen etwas zu thun und +zugleich, einem alten Grolle genügend, sein Müthchen zu kühlen.</p> + +<p>Eines Sonntags nach Tisch begab er sich nach Oettingen. Er hatte dort +Einkäufe zu machen, ging hin und her und stärkte sich endlich durch +ein Maß kühlen und kräftigen Sommerbiers. In rüstiger Stimmung und +etwas unternehmungslustiger als vorher trat er aus der Wirthsstube auf +die Straße. Kaum war er ein paar Schritte gegangen, als er von weitem +eine Gestalt erblickte, die ihm bekannt war. Seine Augen täuschten ihn +nicht, denn er hatte gute Augen — es war der Mann, der ihm sein ganzes +Leben verdorben — der, welcher ihm das Liebste abwendig gemacht und es +dann gekränkt und unwürdig behandelt hatte: es war der Lehrer Friedrich +Forstner, der in Begleitung eines andern ihm entgegenkam. Als er ihn +erkannte, so daß er nicht mehr zweifeln konnte, fuhr ein Zorn und +ein Geist der Rache in ihn, der für den Menschen, der ihm sein Glück +gestohlen, eine exemplarische Züchtigung verlangte. Allein er hatte +Zeit zu überlegen; eine andere Stimme ließ sich in ihm hören und er +sagte sich unmuthig und geringschätzig: »Ich kann's ihm nicht machen, +wie er's verdient — der Kerl blieb' mir in der Hand.« Das gute Glück +hatte gleichwohl eine Art Genugthuung für ihn bereit. Forstner war mit +seinem Begleiter — seinem künftigen Schwager Dobler — in eifrigem +Gespräch; er erkannte den Hans nicht und sah nur im Allgemeinen, daß +ein Bauernbursche auf ihn zukam. Von einem Gönner, den er besucht +hatte, besonders freundlich behandelt, fühlte er sich noch etwas höher +als gewöhnlich, und daß nun ein Bauernbursche, wenn er ihm begegnete, +mit Respekt auf die Seite treten müsse, das verstand sich von selbst. +Hans aber ging fest und gerade auf ihn zu; er wich, im Gefühl der +Gleichheit, nur zur Hälfte aus, Forstner im Bewußtsein des Höherstehens +gar nicht, und so stießen sie aneinander. Diesen Moment benutzte der +Brave, um dem Zierlichen einen Ruck zu geben, daß er und sein Begleiter +drei Schritte weit auf die Seite flogen und sich mit Mühe auf den +Beinen hielten. Dobler raffte sich zuerst auf und rief zornig: »Was ist +das für ein unverschämter« — — Aber Forstner hielt den Vordringenden +bei der Hand zurück und rief ihm ein gedämpftes, warnendes »Ruhig« +zu. — Er hatte den Vetter erkannt,<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> sein Gewissen hatte sich gerührt +und seinen Muth beschwichtigt. — Hans richtete seinen Kopf stolz +empor und fragte: »Ist den Herren was gefällig?« Es mußte ihnen wohl +nichts weiter gefällig sein, denn sie wichen der »brutalen Gewalt« und +gingen ruhig weiter. Der Sieger schritt befriedigt und in männliche +Gedanken verloren vorwärts. Plötzlich stieß er wiederum an und eine +gewaltige Baßstimme rief: »Kreuzmillionen, was ist denn das?« Er sah +auf, erkannte den stärksten Burschen seines Dorfs, lachte gutmüthig +und sagte: »Nichts für ungut, Bruder, ich bin in Gedanken gewesen!« — +Der Stattliche, wieder begütigt, sagte mit Achselzucken: »Du bist aber +»ebbes« in Gedanken! Will das gar kein End' nehmen?« — Unser Freund +hätte zur Erklärung gern sein kleines Abenteuer erzählt; er fühlte +aber, daß es ihm nur unliebsame Bemerkungen zuziehen würde, und schwieg +und sprach auf dem Heimweg mit dem Kameraden nur über Gegenstände des +Feldbaus.</p> + +<p>Die Zeit der Ernte kam heran und gab auch im Hause der Glauning vollauf +zu thun. Es war sehr heiß diesen Sommer, man hatte viel auszustehen +beim Schneiden und Sammeln; die Beschwerden der Mutter wurden aber +dadurch noch vermehrt, daß sie sich die Leiden der Tochter vorstellte. +»Gott,« rief sie einmal aus, als die Sonne gewaltig niederbrannte, +»wie wird es meiner Christine gehen! Die schwindet mir ganz zusammen +diesen Sommer und wird alt vor der Zeit!« — Hans, dem sie diese Worte +zu Gehör geredet, lächelte und schwieg. Die Alte fuhr fort: »Wie sie +wieder heimgekommen ist von der Stadt, bin ich froh gewesen, daß ich +ihre Bauernkleider und sonstige Ausstaffirung nicht verkauft gehabt +hab', denn ich dacht' mir: wer weiß, was geschieht! Aber jetzt, wenn +sie so zusammengeht, wie ich höre, kann sie die Sachen ja doch nicht +brauchen, und es wär' gescheidter gewesen, ich hätt' sie weggegeben.« +— Hans zuckte die Achseln; dann sagte er: »Was der Sommer nimmt, +das bringt die Winterszeit wieder. Wenn's kühl wird und die Arbeit +nicht mehr so scharf geht, dann wird sie schon wieder runder werden, +Eure Christine. Und dann wird auch gewiß bald ein Hochzeiter da sein. +Wenn sie ein Jahr beim Holzbauern gedient hat, dann hat sie die Prob' +gemacht, und dann werden Bursche, die ein sauberes und fleißiges Weib<span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span> +suchen, von allen Seiten kommen. Verliert den Muth nicht, Base! Solche +Mädchen bleiben nicht übrig im Ries!« — Ein tiefer Seufzer war die +Antwort. Die Wittwe hatte ihre frühere Sicherheit ganz verloren; sie +konnte nicht mehr glauben an ein Glück, und die Worte des Hans, die ihr +wie Spott klangen, waren nicht geeignet ihren Geist aufzurichten.</p> + +<p>Mühevoll — denn auf die heißen Tage folgte noch Regenwetter — und +freudlos — denn sie wußte nicht, für wen sie sich eigentlich so plagte +— ging die Erntezeit für die Glauning vorüber. Als die Feldfrüchte, +auf die es hauptsächlich ankam, im Stadel gesichert waren, hatte sie +doch wieder eine frohere Empfindung. Sie berechnete, daß sie vorwärts +kam in diesem Jahr und von dem Ausfall des letzten etwas zu decken +vermochte, und so etwas muß einer Person, die von Kindesbeinen an +auf's »Hausen und Sparen« gerichtet wird und nur durch die Ehre zu +außergewöhnlichen Ausgaben vermocht werden kann, immer wohl thun.</p> + +<p>An einem Sonntag im September, nach dem Essen, saß die Gute mit Hans +an dem abgedeckten Tisch. Sie hatten eben zusammen eine Geldzählung +vorgenommen, die zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen war, und erfreuten +sich daher einer Stimmung, in der sie eine gemüthliche Ansprache +hielten. Die Wittwe hatte dem Vetter eben wieder bedeutendes Lob +gezollt, als die Thüre aufging und mit den Worten: »Grüß euch Gott +miteinander!« die Hubel in die Stube trat. Ihr Aussehen fiel dem +Burschen im ersten Moment auf. Sie war nicht nur vergnügter als +gewöhnlich, sondern zeigte auch eine eigenthümliche Feierlichkeit, +wie eine Person, die sich bewußt ist, etwas in der Hand zu haben. +Nach den ersten allgemeinen Fragen und Antworten rief die Glauning +gastfreundlich: »Dasmal muß ich aber der Bas einen Kaffee machen — +ich thu's nicht anders!« — Die Hubel versetzte: »Ich hab' nichts +dagegen; denn ich hab' heut' früher gegessen als sonst, von wegen weil +ich bald wieder zu Hause sein will, und mir ist's »wäger« (wahrlich) +schon wieder »a bisle eitel« im Magen.« — »Der Hans da,« bemerkte +die Wittwe, »kann dir unterdessen was Neues verzählen, oder du ihm.« +— »Wie's kommt,« erwiederte die Hubel. »Gott sei Dank, jetzt sieht +er doch wieder aus, daß man sich<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> ein Wort mit ihm zu reden getraut!« +— »Ja,« sagte die Glauning, »ein wenig hat er sich gebessert,« und +verließ die Stube.</p> + +<p>Sie wollte was Rechtes machen, denn ihre verständige Ansicht war +immer: entweder gar keinen Kaffee oder einen guten. Gebrannte Bohnen +waren in einem Haus, wo das Kaffeetrinken zu den Ausnahmen gehörte, +natürlich nicht vorräthig, und ihr war das lieb; frischgebrannte gaben +ein besseres Getränk, und wenn sie ein wenig später fertig wurde, was +schadete das?</p> + +<p>Freilich dauerte es nun geraume Zeit, bis sie die blanken zinnernen +»Kanden« (Kannen) füllen konnte. Als sie diese mit glücklicherweise +vorhandenen Schneckennudeln in die Stube trug und auf den Tisch setzte, +fiel ihr, die sich bei dem Auftreten der Base nichts Besonderes gedacht +hatte, doch das Ansehen des Hans auf. Glänzend saß er da, ein freudiger +und ein stolzer Blick ging aus seinen Augen, und noch dazu schien +es, als ob er das Vergnügen, das er empfand, gar nicht alles heraus +lassen wollte. — Verwundert sah die Wittwe von dem einen zur andern +und sagte dann: »Ihr müßt euch ja recht gut unterhalten haben. Seit +langer Zeit hab' ich den Hans nicht so hellauf gesehen!« — Dieser nahm +sich zusammen und erwiederte: »Man spricht von allerhand. Und die Base +da kommt unter die Leute und wird immer was Neues inne.« — »Das ist +wahr,« sagte die Hubel, »und »ebbania'« (etwanje, zuweilen) ist's recht +gut, wenn man was erfährt, und manchem geschieht ein Gefallen damit, +wenn man ihm zu rechter Zeit was sagt.«</p> + +<p>Diese Reden und die beiden Gesichter dazu kamen der Glauning seltsam +vor. Hatte die Hubel eine ausfindig gemacht, die den Hans wollte, eine +schöne und eine reiche — am Ende eine Bauerntochter? Darnach sah er +wahrhaftig aus! Und einem Burschen mit seinem Geld und mit dem Lob, das +er hatte, konnte auch gar wohl ein solches Glück anstehen. — Ihr Herz +war bei diesen Gedanken plötzlich schwer geworden; es kostete sie Mühe, +die schickliche Freundlichkeit aufzubringen, mit welcher zum Trinken +und Zulangen ermahnt werden mußte. — Nach einer längeren Pause, die +mit dem Genuß und Lob des Kaffees ausgefüllt wurde, begann die Wittwe: +»Aber nun erzähl' mir doch noch etwas von meiner Christine. Ist sie +immer noch so schmal?«<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> — »Stark ist sie nicht geworden,« erwiederte +die Base, »aber sie ist gesund und wohlauf.« — »Gott sei Dank!« +versetzte die Mutter, »das ist doch das Best'. Und ist derweil nichts +mehr vorgefallen mit dem Bauern?« — »Nichts was der Rede werth wäre +zu sagen. Du weißt ja, der ist eben, wie ihn unser Herrgott erschaffen +hat, und wenn er bös ist, wird er auch wieder gut.« — Die Mutter +erwiederte: »Was hilft's, wenn man einem den Kopf herunter gerissen +hat und will ihn dann wieder aufsetzen! — Aber was sagt man denn bei +euch im Dorf über sie?« — »Nichts als Gutes, Base. Man sieht, wie sie +schafft und aushält, und alle ordentlichen Leute schätzen sie und loben +sie.« — »Nun, das ist doch ein Trost,« erwiederte die Mutter. Und mit +einem Selbstgefühl, das ihrem gedrückten Wesen eine Art Würde verlieh, +setzte sie hinzu: »Ein braves Mädchen ist sie eben doch, die Christine. +Und wer weiß, am End' gibt's auch für sie noch ein Glück in der Welt.« +— Nach kurzem Schweigen bemerkte sie: »Nun sag' ihr aber, sie soll +mich endlich einmal besuchen, jetzt, wo die Hauptarbeit doch gethan +ist.« — Die Andere schüttelte den Kopf: »Darüber hat sie ihre eigenen +Ansichten, Base, ich glaub' nicht, daß sie jetzt schon kommt. Besuch du +lieber mich einmal, dann kannst du sie bei mir sehen.« — »Ist das eine +Welt jetzt!« rief die Wittwe. »Die Kinder folgen ihrem Kopf und die +Alten sollen ihnen folgen! — Nun, ich will sehen.«</p> + +<p>Das Gespräch wandte sich andern Gegenständen zu, wobei auch Hans wieder +mitreden konnte. Endlich erklärte die Hubel, es sei die höchste Zeit, +sie müsse fort. Die Mutter gab ihr die Hand, dankte für den Besuch und +trug ihr Grüße an ihre Tochter auf. »Habt auch von mir Dank,« fügte +Hans hinzu, »und kommt gut heim.« Die Wittwe sah ihn mit einem Blick +an, der wahre Gekränktheit verrieth. »Nun,« sagte sie, »läßt du die +Christine nicht auch grüßen? Einen Gruß ist sie doch wohl noch werth, +sollt' ich glauben!« — »Meinethalb,« rief Hans, »grüßt sie auch von +mir!«</p> + +<p>Am Abend ging der Bursche in's Wirthshaus. Der mannhafte Schritt, mit +dem er auftrat, das Glück, das aus seinem Gesicht leuchtete, konnten +nicht unbemerkt bleiben. »Was Teufel ist denn mit dem Hans?« rief ein +junger Mensch an einem Tisch zu seinen Zechgenossen;<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> »der sieht ja +aus, als ob er das große Loos gewonnen hätt'!« — »Wird wohl endlich +eine gefunden haben, die ihm ansteht,« warf ein anderer hin. »Kannst +Recht haben,« versetzte jener Gewaltige, an den Hans in Oettingen +in seinen Siegesgedanken angestoßen war. Und mit einer gewissen +großartigen Geringschätzung setzte er hinzu: »'S ist doch merkwürdig, +was der Mensch auf d'Weibsbilder gibt! So'n Kerl, und läßt sich von +der einen traurig und von der andern wieder vergnügt machen! Bah! das +könnt' mir einfallen!« — Der erste bemerkte: »'S ist so ein Stiller, +der Hans, die sind alle so.« — Und der zweite sagte: »Am End' ist's +ihm auch zu gönnen, wenn er eine kriegt nach seinem Sinn. Die Christine +hat ihm doch Verdruß genug gemacht.«</p> + +<p>Hans war an einem andern Tisch niedergesessen, den etliche nähere +Bekannte von ihm in Besitz genommen hatten. Nach dem Naturgesetz, das +auf dem Lande wie in der Stadt, in der niedersten wie in der höchsten +Schichte der Gesellschaft gilt, muß jeder, der ein auffallendes +Vergnügen blicken läßt, geneckt werden. Dieß geschah denn auch unserem +Burschen. Fragen wurden gestellt und Vermuthungen geäußert, die sich +alle um den vorhin erörterten Punkt drehten. Hans war indeß nicht in +der Stimmung ärgerlich zu werden, im Gegentheil, sein Humor stieg in +Folge der Angriffe; er duckte einen, der sich ungeschickt dabei benahm, +gehörig in's Wasser und bekam die Lacher auf seine Seite. Als er an +einem andern Tisch Bescheid that, sagte einer der Bekannten: »'S ist +schon richtig, er hat eine! — aber wen?« — Man rieth hin und her, +konnte aber nicht schlüssig werden und tröstete sich mit dem Gedanken, +daß es jedenfalls wieder eine Hochzeit geben werde und einen lustigen +Ansing.</p> + +<p>Jeden Tag in der Woche erwartete die Glauning, daß der Vetter im Staat +vor sie treten und sagen würde, er müsse über Land gehen; denn ihr saß +der Gedanke, der in ihr aufgestiegen war, so fest im Kopfe, wie den +Kameraden des Burschen. Als sie sich auch am Donnerstag getäuscht sah, +meinte sie: nun wird er am Sonntag gehen. Und in der That, am Vorabend +erklärte Hans, er werde morgen über Land — fahren. »Fahren?« rief die +Wittwe betroffen. — »Warum nicht?« erwiederte Hans lächelnd. »Der +Hiesinger leiht mir seinen<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> Braunen und sein Wägele. Und darf sich +unser einer nicht auch einmal ein Plaisir machen?« — »Wegen meiner +fahr' du,« entgegnete die Glauning. »Du bist dein eigener Herr und +kannst thun was du willst.« — Sie that ihm aber nicht die Ehr' an oder +sie hatte nicht den Muth, zu fragen wohin.</p> + +<p>Am andern Tag, im Schein der Morgensonne, als der Bursche von ihr +Abschied nahm, geputzt wie nochmal einer, der »auf d'Gschau« geht, +hatte sie doch so viel Kraft erlangt, mit einer Art von Lächeln zu +sagen: »Nun, Hans, ich wünsch' dir viel Glück! Du wirst dir hoffentlich +nicht einbilden, daß ich nicht weiß, worauf du ausgehst?« — »Nein,« +erwiederte Hans gemüthlich. »Vor Euch kann man sich nicht verstellen, +Base — und ich versuch's auch nicht. Was wollt Ihr? einmal muß man +doch dran!« — Er gab ihr die Hand und verließ mit kräftigen Schritten +den Hof. Die Base sah ihm nach. »Wie sicher er seiner Sach' ist!« +dachte sie. »Nun, wenn er ein Glück macht, ich muß es ihm gönnen — +allein um mich hat er's verdient.« Diese Gedanken konnten aber doch +nicht bewirken, daß sie sich über sein Glück freute; im Gegentheil, sie +hatte ein Gefühl, als ob ihr der letzte Rest des ihrigen genommen würde.</p> + +<p>Hans ging zu dem Bauer, den er Hiesinger genannt. Das Wägelchen +stand im Hof, aber der Gaul wurde noch gefüttert. »Mach' »fürsche« +(vorwärts),« rief der Bauer dem Handknecht mit Laune zu, »und spann an! +In solchen Geschäften will man bald an Ort und Stelle sein.« — Einige +Minuten später, und Hans fuhr im Trab durch's Dorf. »Aha,« rief einer +von seinen Kameraden, der ihn sah, »nun werden wir's bald inne werden!«</p> + +<p>Wenn die Glauning gesehen hätte, in welchen Weg der Bursche einlenkte, +dann hätte vielleicht ihr Herz zu klopfen und wieder zu hoffen +angefangen. — Die Leser haben das Ziel der Fahrt schon errathen — sie +sind scharfsichtiger als die Bauern. Sie wissen, daß eine Geschichte +nach ihrem Anfang und Verlauf nur Einen, d. h. eben nur den Ausgang +haben kann, der im Verlauf begründet ist; und zwar nicht, weil es +der Erzähler so will, sondern weil es bei den Personen, an denen es +überhaupt etwas zu demonstriren liebt, das Schicksal so will, dem der +Erzähler folgen muß. Könnte nach allem Bisherigen<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span> ein Erfahrener noch +in Zweifel sein, wohin das Wägelchen unseres Burschen rollte? Er fuhr +dem Dorf zu, in welchem Christine sich befand. Er konnte es, er durfte +es — er mußte es; und das hoff' ich jedem klar zu machen, wenn ich +erzähle, was sich unterdessen begeben hatte.</p> + +<p>Die Art, wie Christine bei dem Holzbauern ihre Pflicht erfüllte, +zusammengehalten mit ihren ungewöhnlichen früheren Erlebnissen, hatte +die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfs *** auf sie gelenkt. Das Mädchen +hatte die Zweifler und Spötter, die sich auch dort aufgethan, beschämt; +ihr ausdauernder Fleiß in dem beschwerlichen Dienst hatte ihr nicht +Geringschätzung, wie die Mutter gefürchtet, sondern Achtung, bei +Einzelnen sogar Bewunderung erworben. — Mit der Zeit wird jeder Tugend +ihr Recht auch in dieser ungerechten Welt. Die Anfeindung stumpft sich +ab, das Geklatsche wird langweilig und vergeht, die Anerkennung tritt +an seine Stelle und besteht.</p> + +<p>Bei Christine kam noch etwas anderes hinzu, was ihr eine besondere +Bedeutung gab. Ihr Aussehen hatte sich nicht so geändert, daß man sie +nicht mehr für ein ungewöhnlich hübsches Mädchen hätte müssen gelten +lassen. Die frühere Fülle allerdings war nicht wiedergekehrt; aber die +verhältnißmäßige Schlankheit, mit der sie aus der Stadt heimgekommen +war, hatte in Folge der ländlichen Arbeiten einen gesunden Charakter +erhalten. Ihre Gesichtsfarbe war keineswegs gelb, wie die Hubel auch +für die erste Zeit übertreibend berichtete, sondern der ihr eigene +bräunliche Ton war nur kräftiger geworden, hatte dann aber auch wieder +einen Hauch frischen Roths erhalten. Sie war noch immer die »schöne +Christine,« die ehemalige Lehrersbraut und jetzige Bauernmagd; aber sie +war mehr als das. Ihr Gesicht hatte einen eigenen höheren Charakter +erhalten — den Charakter, der das natürliche Erzeugniß innern Lebens +und einer Kraft ist, wie sie die Geprüfte besaß und bewies. Eine tiefe +Leidenschaft, die man aus Stolz zu verheimlichen entschlossen ist; den +Willen, eine Handlungsweise, die man als unrecht erkannt hat, zu büßen +und sich in die Folgen seiner Schuld unbedingt zu ergeben; den Willen, +seine Pflicht zu thun, wie schwer sie einem auch gemacht werde, und +seine Ehre darein zu setzen, gerade da auszuhalten, wo andere nicht<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> +die Stärke dazu fänden — dergleichen kann man unmöglich in Kopf und +Herzen tragen, ohne daß der Abglanz davon auf dem Gesicht bemerklich +würde. Ob sie nun im Haus, auf dem Felde thätig war, oder ob sie in der +Kirche den Worten des Geistlichen horchte, die Magd Christine hatte +etwas in ihrem Wesen, dessen sich kein anderes Mädchen im Dorf rühmen +konnte. Die Töchter der wohlhabenden Bauern konnten den Kopf hoch +halten und an Festtagen in ihrem besten Staat und ihrer Stellung sich +bewußt mit fein geschlossenem Mäulchen anmuthig über die Gasse sich +schwenken, so fein und so vornehm sah doch keine von ihnen aus, wie +unsere dienende Heldin, und aus keinem Auge blickte so viel Seele, als +aus den uns bekannten graublauen, die mit dem Gehalt (wenn dieses Wort +hier gestattet ist) auch an Umfang zugenommen zu haben schienen.</p> + +<p>Unter denen, die das Mädchen und ihr Verhalten zu taxiren wußten, +stand eine Familie obenan, und zwar eine Bauernfamilie. Der Vater war +ein Landmann der besten Art — einer von denen, die ihren Stand hoch +halten, aber noch höher die Tugenden, die den ächten und rechten Bauer +machen. Er führte mit Weib und Kindern einen musterhaft geregelten +Haushalt, und die Folge war, daß er, der mit Schulden begonnen hatte, +jetzt unter die Wohlhabendsten des Orts zählte. Der Kinder waren nur +zwei, ein Sohn und eine Tochter, jener siebenundzwanzig, diese neunzehn +Jahr alt, beide noch unverheirathet. Der Sohn, ein Abbild seines +Vaters und nur etwas weniger lustig, als der Alte im ledigen Stand +gewesen, befand sich wohl unter dem Regiment der Eltern, und darum und +weil er einigermaßen scheu war und wählerisch, hatte er noch keine +Frau gefunden und noch nicht den ihm gebührenden und bestimmten Hof +erhalten. Die Tochter, ein angenehmes, gutes Geschöpf, trug schon ein +Bild in ihrem Herzen, d. h. ein Mannsbild. Ein Bauernbursche, der alle +Qualitäten besaß, die sie und ihre Eltern nur verlangen konnten, war +ihr gewogen, und ihre Hochzeit stand in Aussicht, sobald der Vater des +Liebhabers sich entschloß, den Hof zu übergeben.</p> + +<p>Diese Familie war es, die unsere Christine von allen zuerst mit +günstigen Augen betrachtete. Der Alte, der an ihr die guten +Eigenschaften wahrnahm, die er von einem rechten »Bauernweibsbild« +verlangte,<span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span> rühmte sie, und Mutter, Kinder und Ehehalten stimmten +mit ein. Was man von ihrem Schicksal erfuhr, konnte dem Mädchen bei +wohlwollenden Beurtheilern nicht schaden. Hatte sie schon als halbe +Mamsell in der Stadt gelebt, so war es um so verdienstlicher, daß sie +eine so brave Magd wurde, und die Gerüchte, welche zuerst über sie +umliefen, wurden durch ihren streng ehrbaren Lebenswandel vollkommen +widerlegt. Sie war noch nicht sechs Wochen im Dienst, als der Alte +schon zu seinem Weib sagte: »Wenn das Mädchen eine Bauerntochter +wäre, eine bessere für unsern Sohn könnten wir nicht bekommen.« — +Nach und nach erfuhr man, was die Glauning der einzigen Tochter immer +noch mitgeben konnte, und wenn es auch nur den vierten Theil dessen +betrug, was der Alte gab, so verfehlte es doch nicht, das Haupt der +Magd in seinen Augen mit einem gewissen Schein zu umgeben. Endlich kam +es dahin, daß der wackere Mann sich fragte: »Muß es denn gerad' eine +Bauerntochter sein? Und wenn sie weniger hat als mein Sohn, ist ihr +Fleiß, ihre Geschicklichkeit und ihre Tugend nicht mehr werth als Geld +und Gut?« Weib und Tochter, denen er seine Gedanken mittheilte, traten +ihm lebhaft bei. Gutmüthig, wie sie waren, hatten sie das Mädchen in's +Herz geschlossen, und die Tochter namentlich interessirte sich für den +Heirathsplan mit dem ganzen Eifer einer liebesglücklichen Jungfrau. +Sie sprach mit dem Bruder und brachte aus ihm heraus, daß er ganz im +Stillen selber schon ein Auge auf Christine geworfen! — Allgemein +war die Zufriedenheit über diese Entdeckung; nach der Ernte hielt man +nochmal einen Familienrath und das Projekt gedieh zum festen Beschluß.</p> + +<p>Das Mittel der Liebeswerbung konnte unter den gegenwärtigen Umständen +allerdings nicht in Anwendung kommen. Wäre unser Freier auch der Mann +gewesen, ein Mädchen durch Schmeichelreden zu gewinnen, so hätte er +von dieser Fähigkeit gegenüber einer Magd beim Holzbauern doch keinen +Gebrauch machen können. Aus allen Gründen mußte man den bewährten +alten, auch jetzt noch immer praktischen Weg der Unterhandlung durch +eine dritte Person gehen, und wandte sich an Base Hubel.</p> + +<p>Hilf Himmel, welch einen Eindruck machte die Eröffnung auf die nicht +sehr bemittelte Söldnerin! Ihr Bäschen eine Bäuerin —<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> und was für +eine! Sie selber zur Freundschaft einer der ersten Familien im Ries +gehörig! Und sie hatte das in der Hand! sie sollte das machen — sie +wurde darum gebeten! Das Entzücken der guten Frau war so groß, daß sie +für den ersten Augenblick sprachlos dastand, weil sie ganz eigentlich +den Mund nicht mehr zusammenbringen konnte, um Worte zu bilden, so +daß Mutter und Tochter, welche die Eröffnung gemacht hatten, sich +Mühe geben mußten, das Lachen, das sie ankam, zu einem Lächeln zu +mildern. — Natürlich versprach die Gebetene, als sie endlich sprechen +konnte, Alles. Die Sache war schon gemacht — sie brachte das Jawort +der Christine heut Abend noch. Gott, welche Ehre war es für diese und +welche Freude! Welche Ehre und welche Freude für die Base Glauning und +für sie alle miteinander!</p> + +<p>Mit brennendem Kopfe lief sie zu dem glücklichen Mädchen. Es war an +einem Feiertag nach der Betstunde, und Christine konnte ihrer Einladung +zu einer wichtigem Unterredung in ihrem Hause ungehindert folgen. Als +sie allein waren, bedachte die Erfahrene, daß das Mädchen vielleicht +vor Freude in Ohnmacht fallen könnte, wenn sie ohne weiteres ihren +Auftrag ausrichtete; sie begann daher mit Reden, welche sie auf das +beispiellose Glück, das ihrer wartete, vorbereiten sollten. Christine, +ungeduldig, fragte, was es denn wäre. Die Unterhändlerin machte ihre +Eröffnung triumphirend und in der sichern Erwartung, die Glückliche +würde, außer sich, ihr um den Hals fallen, mit Freudenthränen »ja, ja« +rufen und des Dankes kein Ende finden. Welch ein Erstaunen, ja welch +ein Schrecken, als Christine nach vorübergehendem, leichtem Rothwerden +ernst und ruhig erwiederte: »Die Leute sind gut gegen mich und thun +mir eine große Ehr' an. Ich dank' ihnen auch von Herzen dafür, aber +ich kann's nicht annehmen, Base.« — Die Hubel sah starr auf sie, wie +auf eine plötzlich toll Gewordene. »Du willst's nicht annehmen?« rief +sie endlich. — »Ich kann nicht,« war die Antwort. — »Bist du rasend, +Mädchen?« — »Nein, ich bin bei gutem Verstand. Geht zu den Leuten und +dankt ihnen in meinem Namen recht schön, und sagt ihnen, ich kann nicht +heirathen — weil ich überhaupt nicht heirathen will!«</p> + +<p>Zu dem Erstaunen der Base gesellte sich jetzt die Entrüstung, der<span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span> +Geist und die Autorität einer Mutter fuhr in sie, und sie stellte dem +Mädchen vor, welch unsinnigen Streich sie mache, wenn sie eine der +ersten Bäuerinnen im ganzen Ries werden könne und nicht wolle. »Hast du +etwas gegen die Leute? Hast du etwas gegen den Menschen? Ist er nicht +brav und geschickt und häuslich und ein sauberer Bursch obendrein?« — +Christine mußte das zugeben. — »Und du willst nicht? Du willst so ein +Glück versäumen, mit Füßen von dir stoßen? Warum? weßwegen?« — Das +Mädchen, bewegt, geängstigt, rief: »Um Gotteswillen, Base, fragt mich +nicht! — es geht nicht!«</p> + +<p>In dem Kopf der Hubel blitzte ein Gedanke. »Wär's möglich,« begann sie, +»hättest du einen andern im Kopf? Denkst du vielleicht« — (die Wangen +des Mädchens begannen sich zu färben) — »kannst du deinen Schulmeister +nicht vergessen?« Die Farbe verging wieder auf dem Gesicht der +Gefragten und ihre Lippe verzog sich geringschätzig. Da ging der Base +ein Licht auf wie eine Fackel; sie rief bestimmt: »Du hast den Hans +im Kopf!« — Eine glühende Röthe überströmte das Gesicht der Armen, +sie zitterte — Thränen stürzten ihr in die Augen. — »Der ist's also! +der Vetter! Himmel, was ist das!« — »Ja,« rief das Mädchen, die jetzt +wirklich außer sich gebracht war, »der ist's! der beste Mensch, der +bravste Mensch, und mir der liebste auf der Welt! Ich hab' schändlich +gehandelt gegen ihn, er haßt mich, er verachtet mich, und er hat Recht, +und ich will's nicht anders haben. Aber nun wißt Ihr, warum ich auf +Euch nicht hören kann! Ihn krieg' ich nicht und verdien' ich nicht, +einen andern will ich nicht und mag ich nicht, und darum heirath' ich +nicht und will als Bauernmagd leben und sterben!«</p> + +<p>Die Frau, von der Leidenschaft des Mädchens überwältigt, verstummte. +Sie kannte den Wunsch der Glauning, ihre Tochter an Hans verheirathet +zu sehen; sie wußte, daß er der Mann war, ein Weib glücklich zu machen; +aber wenn er sie nicht mehr wollte, war's nicht ganz widersinnig, +wegen seiner ein ganzes Lebensglück aufzuopfern? Sie mußte doch noch +ein Wort reden, die erfahrene Mittelsmännin, und sie sagte daher, mit +größerer Ruhe zwar, aber mit Nachdruck: »Mädchen, Mädchen, bedenke, +was du thust! Ein solcher Antrag wird dir nicht wieder gemacht! Und +wenn du ihn ausschlägst<span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span> um eines Menschen willen, der nichts mehr nach +dir fragt — aus Eigensinn, aus Tollheit — es wird dich reuen, all +dein Lebtag wird's dich reuen.« — Aber hierauf erwiederte Christine +bestimmt und entschlossen: »Base, ich hab' Euch gesagt, wie ich denke, +und nun ist's genug. Streiten will ich nicht mit Euch. Redet also +nichts mehr, es hilft Euch nichts, jedes Wort ist umsonst.« — »Gut,« +versetzte die Hubel, »dann hab' ich wenigstens meine Schuldigkeit +gethan und kann dich deinem Schicksal überlassen. Ich hätt' nicht +geglaubt, daß ich von einem Mädchen, wie du bist, mit so einer Antwort +zu solchen Leuten gehen müßt'. Aber sie warten darauf, ich hab' ihnen +versprochen, die Antwort heute noch zu bringen, und ich will hingehen +und sagen, daß du nicht willst und warum du nicht willst.«</p> + +<p>Christine stand erschreckt. Das Geheimniß, das sie bewahren wollte +vor jedermann, war ihr entrissen, und jetzt erst merkte sie's. Scham +und Angst bemächtigten sich ihrer und im dringendsten Tone rief sie: +»Nein, das dürft Ihr nicht! Sagt, daß ich überhaupt nicht heirathen +will, daß ich mich für solche Leute nicht gut genug achte, sagt was Ihr +wollt, nur sagt nichts vom Hans! Es könnte herum kommen — er könnt's +erfahren, und (setzte sie heftig hinzu) er soll's nicht erfahren! Ich +geh' nicht von Euch, Base, bis Ihr mir's versprecht! Gebt mir die Hand +darauf, ich bitt' Euch, ich beschwör' Euch!« — »Gott,« entgegnete +die Frau, »ist das ein Kreuz mit dem Mädchen! Nun gut, ich versprech' +dir's.« — »Ich dank' Euch, Base,« rief das Mädchen herzlich und +gerührt; »ich dank' Euch für all Eure Güte und Freundschaft! Sagt den +braven Leuten alles Schöne und Gute in meinem Namen; sagt, ich wolle +gar nicht heirathen, und sie würden sehen, daß ich auch keinen andern +nehme. Sagt ihnen, ich würde keine Seele etwas merken lassen von ihrem +Antrag, und sie sollten sich jetzt eine bessere aussuchen, als ich +bin, denn mit mir wäre ihr Sohn doch niemals glücklich geworden.« Sie +faßte die Frau bei der Hand und sah ihr in's Gesicht. Ihre Augen waren +feucht geworden und füllten sich mit Thränen. Wehmüthig lächelnd, in +liebevollem Ton sagte sie: »Ihr seid brav — ich kann mich auf Euch +verlassen!« Und ihr die braune Wange streichelnd setzte sie hinzu: »So, +nun geht und macht Eure Sache gut!« — Sie schüttelte ihr die<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span> Hand +und verließ die Stube, nachdem sie ihr nochmal einen bittenden Blick +zugeworfen hatte.</p> + +<p>Die Base Hubel gehörte indeß nicht zu jenen Personen, die, wenn sie ein +Versprechen gegeben haben, nun auch glauben, es unter allen Umständen +halten zu müssen. Im Gegentheil, sie hatte eine heroische Ader in sich, +und wenn sie gutmüthig genug war, auf eine dringende Bitte ja zu sagen, +so besaß sie doch auch den Muth, sich »nach Gestalt der Sach« von +der übernommenen Verpflichtung selber zu dispensiren und ihr Wort zu +brechen. Als sie allein war, rief sie daher: »Du einfältiges Mädchen! +Nichts sagen vom Hans? Das ist ja das Einzige, was in deine Antwort ein +bischen Sinn bringt und Verstand, so daß ich nicht ganz in Schand' und +Spott dastehen muß vor diesen Leuten, und du mit mir! Augenblicklich +sollen sie's erfahren!« — Um vieles langsamer dennoch, als sie es +verlassen hatte, ging sie in das Haus des Bauern zurück, traf die +Eltern und die Tochter und erzählte alles, indem sie nicht versäumte, +über den Wahnsinn des Mädchens entrüstet ihr Verdammungsurtheil +auszusprechen. Die wackern Leute bedauerten die Antwort von Herzen; +aber — offen zu reden — ihre Betrübniß wäre doch größer gewesen, wenn +der Korb von einer in jeder Hinsicht Ebenbürtigen ertheilt worden wäre. +Sie hatten doch daran denken müssen, welches Aufsehen die Verheirathung +ihres Sohnes mit der Magd des Holzbauern machen würde, und der Umstand, +daß nun dieses Aufsehen mit all seinen Unbequemlichkeiten wegfiel, +erleichterte ihnen die Tröstung ihrer Seelen bedeutend.</p> + +<p>Der alte Bauer klärte sich endlich auf und sagte zu der Hubel: »Nun +habt Ihr Euer Geschäft aber erst halb gemacht.« — Die ihrer vornehmen +Freundschaft beraubte und darum niedergeschlagene Söldnerin sah ihn +fragend an. — »Die Hauptsach' ist jetzt, daß Ihr die Christine und +ihren Vetter zusammenbringt.« — »Aber wie soll ich das anfangen?« rief +das Weib. Der Bauer fuhr fort: »Hat nicht der Hans sein Bäschen für +sein Leben gern gesehen?« — »Ja wohl,« erwiederte sie; »aber jetzt +will er durchaus nichts mehr von ihr wissen.« — »Ganz natürlich! — +weil sie ihn aufgegeben hat und er glauben muß, sie halte nichts von +ihm und habe keine Zuneigung zu ihm. Geht aber jetzt nur hinunter und +erzählt ihm, was die Christine<span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span> gesagt hat und was geschehen ist, und +dann seht zu, ob er noch immer nichts von ihr wissen will. Ich bin der +Meinung (setzte er lächelnd hinzu), daß ihr noch immer Euern Kuppelpelz +verdienen könnt.« — Das Gesicht des Weibes erhellte sich bei diesen +Worten. »Ihr könnt wahrhaftig Recht haben! — Aber darf ich denn auch +alles sagen?« — »Alles,« versetzte der Bauer, »mit der Bedingung, daß +es unter der Familie bleibt.« — »O, das versprech' ich mit Freuden! +Kein Mensch weiter soll etwas davon erfahren!« — Beim Abschied reichte +die Bäuerin der Guten die Hand und sagte: »Habt Dank für die Mühe, die +Ihr Euch unsretwegen gemacht habt. Wenn auch nichts draus geworden ist, +so bleiben wir doch gute Freunde.« — »O,« rief die Hubel, »das ist +eine große Ehre für mich! — Und wer weiß, vielleicht kann ich Euch +doch noch einmal auf eine andere Art dienen!«</p> + +<p>»Was für gute Leute das sind!« rief sie mit einem Seufzer, als sie +ihrem Hause zuging; »'s ist doch Jammerschade!« — Etwas indeß war ihr +geblieben. Sie faßte nun das neue Geschäft in's Auge und ihre Seele +erheiterte sich wieder. »Wenn das geräth, wenn die Zwei zusammen kommen +und glücklich sind, dann bin's eben doch ich, die's gemacht hat und der +sie danken müssen für ihr Glück, so lang sie leben.«</p> + +<p>Am nächsten Sonntag trat sie die Wanderung bei Zeiten an, um den Vetter +sicher zu treffen, und erzählte ihm, während die Glauning den Kaffee +machte, Alles und Jedes. Hans konnte nicht zweifeln; die Base beschwor +ihre Aussagen bei allem, was heilig ist, und gab ihm in jeder Hinsicht +die beruhigendsten Versicherungen. — Und nun erstand die entschlafene +Liebe plötzlich, wie wenn ihr ein neues schöpferisches Werde zugerufen +worden wäre. Der Deckel des Schreins, in dem sie verborgen lag, flog +auf und sie glühte hervor und durchloderte und durchleuchtete ihn mit +wonnevoller Glut. — Nun war's also doch geschehen, woran er nicht +mehr glauben, worauf er nicht mehr hoffen konnte. Das Mädchen, das +ihm lieber war als Alles, war sein! Sie war zur Erkenntniß gekommen, +sie verstand ihn — sie liebte ihn — ihn allein und über alles! — +O, nun war es besser als vorher — tausendmal besser! Er mußte ihr +nicht nur vergeben — nein, Gott danken mußte er für den Weg, den sie +geführt worden — Gott<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> danken für ihr Leid und ihre Erkenntniß, und +sie lieben und ehren und ihr Leben versüßen und sie glücklich machen +— glücklicher, wenn's möglich wäre, als er selbst wurde! — Die +Empfindungen des Glücks und des Dankes strömten durch sein Herz und +erschütterten ihn so gewaltig, daß ihm Thränen in die Augen traten und +die gute Verwandte in gerührter Theilnahme sich freute, daß ihr dieses +zweite Werk gelungen war, und nicht das erste. Eine innere Stimme rief +dem Glücklichen zu, vor der Mutter die Kunde noch geheim zu halten; er +gebot der Hubel auf's strengste, seiner Base nichts zu sagen und sie +auch nichts merken zu lassen, und eben so der Christine alles geheim zu +halten. Die Hubel versprach beides. Sie kam der Mutter gegenüber der +Forderung auch sogleich nach; der Liebende selbst aber vermochte es +nicht, und die Glauning hätte das Geheimniß errathen müssen, wenn ihre +Gedanken nicht schon vorher auf falscher Fährte gewesen wären.</p> + +<p>Das war es, was unsern Freund bewog, heute dem Dorfe zuzufahren, in +welchem Christine lebte. — Und nun kein Wort mehr zur Erklärung seines +Handelns.</p> + +<p>Als das nette »Gefährt« im Sonnenschein über den trockenen Weg +hinrollte, näher und näher dem lieben Ziel, da hatte unser Freund +eine glückselige Empfindung, und die Wirkung davon ward sichtbar +in seiner ganzen Erscheinung. Man weiß, daß George Sand — eine +Schriftstellerin, der ich gern das heutzutage so sehr mißbrauchte Wort +»genial« zuerkenne, ohne darum alles in ihren Werken für wahr und schön +zu halten — Personen in relativer Häßlichkeit auftreten und nach +und nach schön, ja unwiderstehlich anziehend werden läßt. Sie kann +sich damit auf die Wirklichkeit berufen. Es giebt Gesichter, an denen +sich gar manches aussetzen läßt, sofern man sie nach einem Ideal der +Formvollendung beurtheilt. Wenn aber die Seele sich entfaltet, wenn +das Licht der Liebe, der Güte, des Glücks es durchleuchtet, dann ist +ein solches Gesicht nicht nur charaktervoll, sondern schön; die Seele +herrscht in ihm und schmelzt in allbelebender Strömung die Theile zum +harmonischen Ganzen; die Schönheit der Seele triumphirt über die Form +und macht diese zur Trägerin und Verkünderin ihres Glanzes; ihre Flamme +bricht durch und überstrahlt<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span> die Züge und tilgt alles Widerstrebende +darin hinweg. Daß ein solches Gesicht hernach das bloß äußerlich schöne +in Schatten stellt, daß eine geliebte Person, die für seine höhere +Schönheit empfänglich ist, sich davon entzückt, hingerissen fühlt, +das ist durchaus natürlich — der natürliche Sieg des Innern über das +Aeußere, des Geistes über den Stoff.</p> + +<p>Wenn eine theilnehmende Freundin unsern Burschen heute gesehen hätte, +so würde sie vielleicht gerufen haben: er sieht aus »wie verklärt;« +denn dieses Wort ist unter dem Rieser Landvolk bekannt und wird ganz +richtig angewendet. Und in der That, verklärt war das Gesicht des +Guten, verklärt durch die Liebe, die der Gegenliebe sicher geworden, +verklärt durch das Bewußtsein des Sieges, der zu der Liebe die Ehre +gebracht hat. — Es ist eben doch schön, wenn man nicht mehr ganz +allein auf sich und seine Tugend angewiesen ist, wenn man der Welt +nicht bloß zu verzeihen, sondern auch etwas zu danken hat, wenn die +Kraft der Seele getragen wird von der Schwellung des Glücks, wenn zu +dem Gefühl, den Sieg zu verdienen, die stolze Freude des wirklich +errungenen Sieges kommt. Aus dem Gesicht des Liebenden sprach jetzt +nicht allein das Glück und die Freude, sondern auch die Würde des +Mannes, der sich endlich auf die Stelle erhoben sieht, nach der er +getrachtet hat und die ihm gebührt.</p> + +<p>Als der Wagen in das Dorf rollte, lag auf diesem eben das feierliche +Schweigen des Sonntags: die Kirche hatte eben begonnen und die Gemeinde +horchte dem Worte des Geistlichen. Hans fuhr in's Wirthshaus, versorgte +mit dem anwesenden Knecht das Roß und ging dann im Hof umher. Die +Glocke, die beim Vaterunser geläutet zu werden pflegt, verkündigte das +baldige Ende des Gottesdienstes, Hans erwartete es, sah die Leute des +Hauses und der Nachbarschaft von der Kirche heimkehren, und machte +sich endlich selber auf den Weg, mit Herzklopfen zwar, aber mit dem +überherrschten eines Mannes, der mit tiefer Zuversicht dem Erfolg +entgegengeht. Er hatte sich vorgenommen, bei der Geliebten sich nicht +ohne weiteres auf die Erzählung der Verwandten zu berufen, er wollte so +ruhig, als es ihm möglich war, als Besuch auftreten, zuerst von andern +Dingen reden und selber hören und sehen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span></p> + +<p>Als er in den Hof trat, sah er das »Mädle«, d. h. die zweite Magd der +Bauers. Er fragte nach Christine, indem er hinzufügte, er sei ein +Verwandter und hätte mit ihr zu reden. Die Gefragte erwiederte, die +Magd sei im Garten, und wies ihm den Eingang. Hans trat hinein und sah +Christine von weitem Gemüse abschneiden, das ihr die Bäuerin zu bringen +aufgetragen hatte. Sie war in der Kirche gewesen, hatte aber an dem +warmen Tage den Kittel ausgezogen und bückte sich zu Boden in blanken +Hemdärmeln, die indeß nur den Oberarm bedeckten. Als sie jemand gehen +hörte, schaute sie auf. Sie erkannte den Vetter und sah erröthend vor +sich hin.</p> + +<p>Hans trat näher und sagte treuherzig: »Guten Tag, Christine!« — Die +Gegrüßte dankte und erwiederte mit erkenntlichem Blick: »Du kommst +herauf? Das hätt' ich wahrlich nicht erwartet!« — »Nun,« sagte Hans, +»ich muß doch auch einmal sehen, wie's dir geht.« — Die Brust des +Mädchens hob sich und ein leichter Strahl der Freude ging über ihre +Züge. Sie versetzte: »Gottlob, mir geht's gut, ich bin gesund und +zufrieden.« Und in der That, so sah sie aus. Hatten Sonnenschein und +Regen in Frühling und Sommer sie erfrischt und gestärkt, so war sie in +den letzten, weniger »unmüßigen« Wochen schon wieder auch etwas runder +geworden und ihre ganze Erscheinung hatte den Charakter einer größeren +sinnlichen Ruhe erhalten. Hans lächelte. »Das freut mich,« erwiederte +er. »Du scheinst den Holzbauern nicht so schlimm zu finden, wie deine +Vorgängerinnen?« — »Er ist auch nicht so schlimm,« versicherte +Christine. »Hitzig ist er freilich, und wenn er in seinen Zorn kommt, +weiß er nicht mehr, was er sagt; aber im Grund seines Herzens ist +er ein ehrlicher Mann und meint's besser als so ein glatter, süßer +Schwätzer. Seit dem letzten Sturm im Heuet« — setzte sie lächelnd +hinzu — »kommen wir ganz gut mit einander aus. Ich paß' aber auch +besser auf.« Nach einem Moment des Schweigens ernster geworden, sagte +sie: »Was macht denn aber meine Mutter? Ist sie doch wohlauf?« — »Ja +wohl,« versetzte Hans, »und auch zufrieden — bis auf die Gedanken, +von denen sie zeitweis geplagt wird. Sie kann sich immer noch nicht +drein finden, daß ihre Christine, ihre einzige Tochter bei einem +andern dienen soll.« — »O,«<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> rief das Mädchen, »daran wird sie sich +eben doch gewöhnen müssen! Mir gefällt das Dienen, und ich bin lange +nicht so vergnügt gewesen, wie jetzt.« — Der Bursche betrachtete sie +mit innigem Wohlgefallen. »Ja,« sagte er, »du bist auch wieder eine +ganze Magd geworden.« Und mit gutmüthigem Stolz setzte er hinzu: »Das +Bauernhandwerk ist halt doch das schönste und gesündeste, und über +den Bauernstand geht nichts in der Welt!« »Das ist wahr,« erwiederte +Christine, durch seine Anerkennung geschmeichelt und erfreut. »Drum +will ich auch fortarbeiten, weil ich seh', daß ich's doch nicht ganz +vergessen hab', und dazu lernen, was ich noch nicht versteh', und das +kann ich am besten auf so einem großen Hof wie hier. Sag' das meiner +Mutter, sag' ihr nur, ich bin gern eine Bauernmagd und hoff's noch +lange zu bleiben.«</p> + +<p>Um den Mund des Burschen spielte ein fast unmerkliches schelmisches +Lächeln. »Nun,« erwiederte er endlich, »auf einem Bauernhof kann man +auch etwas anderes sein als Magd. Du bist keine Magd, wie die erste +beste, du bist das einzige Kind deiner Mutter, und wenn das der Rechte +erfährt und wenn er sieht wie du schaffen kannst in einem großen +Werk, dann könnten wir auf einmal hören, daß die Magd eine Bäuerin +geworden ist.« — Christine, des an sie ergangenen Antrages gedenkend, +wechselte die Farbe und sah den Vetter scharf an; aber dieser hielt +aus und verrieth seine Kenntniß der Sache mit keinem Zug. Das Mädchen +entgegnete mit Ernst: »Ich trachte nicht so hoch hinaus; ich begnüge +mich mit dem, was ich bin, und bleib' im ledigen Stand.« Eine sanfte +Heiterkeit verbreitete sich über ihr Gesicht mit einem Hauch von Trauer +gemischt, der sich indeß im Ausdruck wahrer Theilnahme verlor. Sie +sagte: »Aber von dir hört man jetzt, daß du an's Heirathen denkst. Nun, +wundern wird sich niemand darüber. Du weißt ja, wie oft ich dir selbst +früher zugeredet hab'.« Und plötzlich erröthend rief sie: »Am End hast +du schon eine? und willst mich zur Hochzeitmagd?« — »Eins ist wahr,« +erwiederte Hans, »heirathen will ich.«</p> + +<p>Das Mädchen erschrak bei diesen Worten, ihr Gesicht wurde blaß und +im Augenblick darauf purpurroth. Aber nun war es zu Ende mit der +Zurückhaltung des Burschen. Wie er die Zeichen der Liebe<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> an dem +Mädchen erblickte, die er sich erkoren hatte, als sie fast noch im +Kindesalter stand, wie er das Bild, das ihn im Spiegel der Seele +entzückt hatte, mit Augen schaute, da schlug die Flamme seiner +Leidenschaft durch, und mit jenem Blick unendlicher Liebe, den er +früher nur verstohlen auf sie zu richten gewagt hatte, sah er ihr +muthig und gerade in die Augen. Und sie verstand ihn — mit der +Schnelle des Blitzes erleuchtete sie die Erkenntniß, daß er alles +wisse, und erschüttert und beseligt stand sie vor ihm. Hans ergriff +ihre Hand und sagte im herzlichsten Ton: »Ja, Christine, heirathen will +ich: aber ich brauch' keine Hochzeitsmagd, sondern eine Hochzeiterin!« +Und als sie bei diesen Worten zuckte, als ob sie sich ihm entziehen +wollte, rief er: »Laß mir die Hand! — Die Base hat mir alles gesagt. +Ich bin heraufgekommen, um dich zu fragen, ob du mein Weib werden +willst — und nun red' und sag' es!«</p> + +<p>Das Herz des Mädchens drehte sich im Busen um vor Wonne; aber noch +wagte sie nicht, das ihr vom Himmel gefallene allzugroße Glück +anzunehmen und sie rief: »Wie! — mich, die so gegen dich gehandelt +hat — mich willst du zum Weib?« — »Still!« entgegnete Hans mit +einer Bewegung, als ob er ihr den Mund zuhalten wollte; »das ist +vorbei und vergessen, und nun thu' dir nicht selber Unrecht. Ich +kenne kein Mädchen in der ganzen Welt, die ich für besser und für +rechtschaffener halte und die ich höher schätze, als dich.« — Nach +dieser Ehrenerklärung, welche die Liebeserklärung diesmal ergänzte und +sanctionirte, sah das Mädchen mit dem rührendsten Blick der Liebe und +des Dankes auf ihn. »Ja,« rief sie mit Thränen in den Augen, »du bist +eben immer der beste der Menschen! Wie viel hab' ich erfahren, wie viel +hab' ich leiden müssen, um das einzusehen.« Und während die Thränen +über ihre Wangen rollten, vergaß sie alles und fiel im Drang ihres +Herzens dem Guten und Treuen um den Hals und küßte ihn und weinte an +seinem Gesicht.</p> + +<p>Sie hatten Glück, die Glücklichen. Kein Wesen sah diesen Vorgang, der +am hellen Tag und unter freiem Himmel auf dem Dorf höchst ungewöhnlich +ist, ein einziges paar Schwalben ausgenommen, die auf dem Stadeldache +saßen und die Flügel streckend neugierig herunterzulugen schienen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span></p> + +<p>Aber nicht lange mehr sollten sie ungestört bleiben. Indem der +Erschütterung auf beiden Gesichtern innige Heiterkeit folgte und das +Mädchen ihre Thränen mit der Sonntagsschürze trocknete, vernahmen sie +von der Gartenthür her plötzlich den Ruf: »Aber was Kreuzblitz ist +denn das?« — Sie sahen hin, in höchst eigener Person und in voller +Autorität des Richters kam der Holzbauer auf sie zu. »So?« rief er +zu Christine, »die Bäuerin wartet auf dich und du unterhältst dich +mit einem — wer ist der Bursch da?« — Hans trat mit festem Schritt +vor den Gefürchteten hin und sagte: »Mein Nam' ist Hans Burger.« — +Der Bauer betrachtete ihn und rief sich erinnernd: »Ah so, du bist +<em class="gesperrt">der</em>!« — »Ja,« sagte Hans, »und die Christine hier ist mein +Bäschen, und seit einigen Minuten — meine Hochzeiterin.«</p> + +<p>Der Holzbauer stand überrascht und sah ihn groß an. Er war zu +gescheidt, um nicht einzusehen, daß seine Autorität jetzt ein +Ende hatte; so schnell indeß konnte er das nicht einräumen. »Das +Donnerwetter,« polterte er mit einer eigenen Mischung von wirklichem +Unwillen und gespieltem Zorn, »was ist denn aber das für eine Art? +Du kommst so mir nichts dir nichts her zu mir und heirathest mir +meine Magd weg? Da soll ja doch gleich« — Hans, von diesem Spaß des +Holzbauern ergötzt, entgegnete: »Ja, da kann ich nicht helfen, das +Heirathen geht Allem vor.« — »Hol's der Teufel!« brummte der Bauer. +»Die bösen Weibsbilder laufen einem weg, und hat man eine, die ein +wenig ordentlich wäre, dann kommt so ein verfluchter Kerl und nimmt +sie einem zum Weib! — Nun,« setzte er mit einem satyrischen Blick +hinzu, »und du willst's also wirklich riskiren? — mit der Feinen?« +— »Ja, Holzbauer,« versetzte Hans mit der Laune des Glücklichen. +»Nachdem sie ein halbes Jahr bei Euch gedient hat, mein' ich, kann +ich's riskiren.« — Der Bauer, der heute einen Sonntagshumor hatte und +von Natur Spaß verstand, lachte. »Ja, ja,« sagte er dann, »hast auch +Recht — jetzt kannst du's. Ich hab' sie dir gezogen und du kannst +dich bei mir bedanken.« — Indem er seine Zornanfälle auf diese Art +sich als Tugend anrechnete, konnten die beiden Liebenden nur mit Mühe +den Ausdruck ihres Vergnügens zurückhalten. Hans nahm sich indessen +zusammen und sagte: »Ich dank' Euch auch, Holzbauer, von Herzen.« — +»Und ich desgleichen,«<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> setzte Christine hinzu, »bei Euch hab' ich +grade gelernt, was mir fehlte, und ohne Euch wär' ich meiner Lebtag +nicht glücklich geworden.«</p> + +<p>Der Holzbauer, wie alle Großen, war darum, weil er Schmeichelworte +als etwas ihm Zukommendes betrachtete, für ihre Süßigkeit keineswegs +unempfindlich. »Freut mich,« erwiederte er, »daß ihr das einseht.« Und +in dem Gefühl seiner unleugbaren Güte setzte er hinzu: »Da sagt man +immer, ich sei bös und schimpfe die Leute. Dummköpfe, Ochsen, alberne +Weibsbilder sind's, die so was sagen. Ich schimpfen! Einfältiges +Lumpenpack verfluchtes! — Ich verlang' was recht ist, und wenn etwas +Dummes geschieht, laß' ich's nicht durchgehen; und so muß man's auch +machen, sonst wird nie etwas aus den Leuten. Da hat man nun das +Beispiel! — Und's freut mich doch, daß ihr das einseht und daß man +auch einmal seinen Dank bekommt in der Welt.« Im vollen Genusse des +Selbstgefühls hielt er ein bischen inne, ließ seinen Blick auf dem +Mädchen ruhen und sagte dann zu Hans: »Noch ein Jährle, wenn ich sie +hätt' — dann solltest du sehen!« — »Nein, nein,« versetzte Hans +lachend, »man muß nicht zu viel verlangen. Von jetzt an will ich sie +schon selber ziehen.« — Der Bauer sah ihn an, wie etwa ein Kaiser +einen jungen Grafen ansieht, der sich auch fühlen zu können glaubt. +Durch seinen guten Leumund, der auch zu ihm gedrungen war, schon für +ihn eingenommen, fühlte er sich von seinem Wesen angesprochen und +sagte daher mit der Miene huldvoller Approbation: »Nun, die Postur +hast du dazu.« — Hans bemerkte: »Vor der Hand, nämlich bis wir uns +zusammengeben lassen, bleibt die Christine ohnehin noch bei euch, +wenn Ihr nichts dagegen habt. Heute freilich möcht ich bitten, daß +Ihr sie mit mir zu ihrer Mutter fahren lasset.« — »Alles was Recht +ist,« versetzte der Bauer mit Würde. Und mit der Freundlichkeit, deren +sein Gesicht überhaupt fähig war, fügte er hinzu: »Seid vergnügt mit +einander und macht bald Hochzeit und ladet mich auch darauf. Ich komm', +ich versprech's euch, und wär's nur, um die dummen Weiber zu ärgern. +Dann sollen sie mir nochmal sagen, keine Magd könnt's aushalten bei +mir und jede käm' in Unfrieden von mir weg! — Aber Sapperment!« rief +er, sich plötzlich unterbrechend, »jetzt<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> müssen wir in die Küche!« +Und zu Christine gewandt, setzte er hinzu: »Klaub das Zeug da zusammen +und schneid' noch ein wenig ab. Ich will indeß zur Bäuerin gehen und +dich entschuldigen; denn die könnt' am End' nicht so Spaß verstehen wie +ich!« Und in einer Laune, wie man ihn seit langer Zeit nicht gesehen, +schritt er hinweg.</p> + +<p>Als das Mädchen zur Bäuerin kam, erhielt sie für die Scheltworte, die +sie sonst zu erwarten hatte, einen freundlichen Glückwunsch.</p> + +<p>Eine halbe Stunde später trat unser Paar in die Stube der Hubel, die +natürlich augenblicklich wußte, woran sie war. Christine rief: »Ihr +habt nicht Wort gehalten — Ihr habt mich verrathen!« — »Sei still, +du dummes Ding,« entgegnete die Base. »Wo wärt Ihr jetzt, wenn ich das +Maul nicht aufgethan hätt'?« — »Ihr habt Recht gehabt,« erwiederte die +Glückliche und drückte ihr die Hand. Hans sah die Base heiter an und +sagte dankbar: »Mir habt Ihr Wort gehalten.« — Die Hubel versetzte +würdig: »Wo ich reden muß, da red' ich, und wo das Schweigen nothwendig +ist, da kann ich auch schweigen.«</p> + +<p>Man giebt mir zu, daß ich im Verlauf dieser Erzählung den Leser nicht +mit der bekannten Versicherung behelligt habe, dieses oder jenes könne +nicht geschildert werden, der Autor müsse die Ohnmacht der Darstellung +bekennen, müsse es der Einbildungskraft der Leser überlassen, sich die +Dinge auszumalen u. s. w. Eigentlich ist ja doch alles zu schildern, +was lebt und sich offenbart und angeschaut werden kann, und jene +Versicherung bedeutet darum auch in der Regel nur so viel als: ich bin +nicht im Stande meine Schuldigkeit zu thun. — Zuweilen dürfte der +Autor aber doch befugt sein, an die Phantasie des Lesers zu appelliren +— der Kürze halber. Ich möchte darum jetzt die Freunde unseres Paares +ersuchen, sich vorzustellen, mit welchen Gefühlen sie, nachdem sie im +Wirthshaus die von Hans bestellte Mahlzeit eingenommen hatten, auf +dem Wägelchen der Heimath zufuhren. — Es giebt Momente, wo sich eine +solche Fülle von Glück zusammendrängt, daß wir ein ganzes Leben voll +Schmerzen dadurch aufgewogen sehen, Momente, wo in überschwänglicher +Liebe zu Gott<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> und zu der Welt der letzte Hauch von Leid, der letzte +Hauch von Schuld hinweggetilgt, in Seligkeit verschlungen ist.</p> + +<p>Im Schwunge der Freude geberdet sich der natürliche Mensch frisch und +lustig. In's Dorf einlenkend knallte unser zum Hochzeiter gediehene +Freund, daß es eine Art hatte, und ließ das wohlgefütterte Roß traben, +daß die Leute ihnen nur nachsehen und ein paar am Wege stehende Freunde +nur die einfachsten Laute des Staunens ausrufen konnten. — Der Gute +eilte der Mutter zu, die trotz alledem und alledem nun auch wieder +einmal eine Freude haben sollte.</p> + +<p>Als er am Fenster des Hauses vorbei fuhr, erkannte die Glauning nur +ihn, der Kopf der Christine war verdeckt. Der Wagen rollte in den Hof. +»Da haben wir's!« rief die Wittwe, in's Herz getroffen; »nun bringt +er sie mir gar in's Haus.« Allein es galt ihre Ehre, sie drückte die +Betrübniß in's Innerste ihres Herzens zurück und hatte eine würdig +freundliche Miene zu Stande gebracht, als sie zur Begrüßung heraustrat. +»Da ist nun die Hochzeiterin,« rief Hans, »das heißt, wenn Ihr nichts +dagegen habt!« Die Mutter, Christine erkennend, stieß einen Schrei aus +und fing das vom Wagen steigende Kind in ihren Armen auf. »Gott sei +Dank!« rief sie, und Thränen der Freude stürzten aus ihren Augen.</p> + +<p>Bei dem besten Kaffee, den man jemals in diesem Hause trank, wurde +die Mutter in das Geheimniß der letzten Vorgänge eingeweiht. Wenn ein +moralisch ästhetischer Knauser vielleicht denken sollte, die Wittwe +hätte das Glück, solche Kinder zu besitzen, eigentlich nicht verdient, +so beschämen wir ihn mit der Thatsache, daß sie bei Erwähnung der +abschlägigen Antwort, die Christine dem reichen Bauernsohn gegeben, nur +ein Augenblickchen eine curiose Empfindung hatte, sich aber durchaus +nichts ansehen ließ und aufrichtigst ihren Dank gegen Gott wiederholte +für den glücklichen Ausgang, und den Kindern gerührt ihren Segen gab.</p> + +<p>Im Dorfe freilich wurde über Hans zunächst gar manches Näschen und +manches Mäulchen gerümpft, wovon eigentlich nicht jedes die zierliche +Benennung verdiente. In Kurzem war aber auch hier von dem wahren +Sachverhalt Einiges durchgesickert, wir wollen ununtersucht lassen, +durch wessen Vermittlung. Ein Name zwar wurde<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> nicht genannt, bald +aber sagte eines dem andern: die Christine hätte gar einen Reichen +und Großen haben können, wenn sie gewollt hätte, aber sie hat ihn +ausgeschlagen, weil ihr der Hans lieber ist als Alle. Man begriff +endlich das Paar, und an die Stelle der Kritik, die nicht mehr +sachgemäß war, trat allgemein freundliche und achtungsvolle Theilnahme.</p> + +<p>Hans hatte die Braut an jenem Sonntag wieder zum Holzbauern +zurückgeführt. Hier, wo sie nun mit auffallender Rücksicht behandelt +wurde, schrieb sie an die gute Base Kahl und meldete ihr Glück und den +wunderbaren Weg dazu, und ließ an alle ihre Bekannten in der Stadt, an +den Herrn Vetter, an Mamsell Adelheid und Susanne die schönsten Grüße +ausrichten. Nach einer Woche lief die Antwort ein. Die Schreiberin +freute sich unendlich, daß ihre Prophezeihung so schnell eingetroffen +sei, und konnte die Theilnahme der Bekannten nicht warm und lebhaft +genug schildern; ihr sei's gewesen, als ob eine Tochter, der Adelheid +und Susanne, als ob eine Schwester das Glück gehabt hätte. Jetzt könne +sie übrigens ihrem lieben Bäschen auch melden, was sie bisher sich +nicht zu schreiben getraut, daß Herr Forstner schon seit drei Wochen +mit der Wilhelmine verheirathet sei. Diesen könne sie aber, nach Allem +was sie höre, keinen glücklichen Ehestand prophezeihen. Die Wilhelmine +habe ihren jetzigen Mann schon ganz unter dem Pantoffel; außerdem sei +sie eifersüchtig und hüte ihn wie ein Drache. Wenn das schon in der +ersten Zeit geschehe, was würde der Mann erst später zu erdulden haben! +Im Uebrigen müsse sie sagen, was wahr sei: vorgestern habe in der +»Erheiterung« ein Concert stattgefunden und Herr Forstner habe auf der +Violine gespielt, daß Alles Bravo gerufen und Beifall geklatscht habe.</p> + +<p>Bei dem letzten Satz lächelte Christine; es schien, als ob sie sich +nicht unglücklich fühle, daß ihr künftiger Mann dieser Qualität +entbehrte. Die Vorhersagung eines unglücklichen Ehestandes anlangend, +dachte sie: die Base wird wohl übertrieben haben und meint mir +vielleicht einen Gefallen damit zu thun; aber da kennt sie mich +schlecht. Ich habe nicht das Geringste gegen diese Leute und gönne +ihnen von Herzen alles Glück, das sie sich verschaffen können.</p> + +<p>Aus der Zeit ihres Dienstes beim Holzbauer haben wir nur noch<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> weniges +zu berichten. Eines Abends, als sie eben vom Felde heimging, begegnete +ihr vor dem Dorf jener Alte, der ihr die ehrenvolle Stelle einer +Söhnerin zugedacht hatte. Dem Mädchen klopfte das Herz in Dank und +Achtung, und als sie ihm nahe kam, grüßte sie ihn mit einem Blick +der liebevollsten Erkenntlichkeit und — Abbitte. Der Bauer lächelte +und sagte, indem er ihr freundlich wie einem Kinde zunickte: »Ich +gratulire, Christine!« Das vollendet heitere Aussehen des Alten +hatte, wie wir gestehen wollen, noch einen andern Grund als seine +Gutmüthigkeit. Christine war ersetzt. Der Hubel, der ihre Niederlage +gegenüber den guten Leuten keine Ruhe gelassen, war eine große That +gelungen; sie hatte für den Sohn eine ausgemittelt, ihm an Stand und +Vermögen völlig gleich und in jeder Hinsicht wundersam passend für +ihn, und die Unterhandlungen waren bereits dahin gediehen, daß der +Heirathstag in naher Aussicht stand. Christine erfuhr es etliche Tage +später, und diese Ausgleichung trug dazu bei, ihr die letzte Zeit bei +dem Holzbauern zu der angenehmsten zu machen.</p> + +<p>Im Oktober lud Hans mit seinem Bruder, dem Schmied, und mit dem +jetzigen Dorflehrer Freunde und Bekannte im Ries herum zu seiner +Hochzeit ein. Er lernte den letzteren, den die Vereinigung der +Seminarbildung mit einem wackern, schlichten, zufriedenen Sinn für +eine Schulstelle auf dem Lande ganz besonders qualificirte, bei +dieser Gelegenheit näher kennen und freute sich, an ihm künftig einen +guten Freund zu haben und an der braven, muntern Frau desselben eine +richtige, nützliche Bekanntschaft für Christine.</p> + +<p>Mit der Erwähnung der feierlichen Einladung haben wir schon gesagt, +daß die Hochzeit im Wirthshause gehalten wurde. So hatte es Hans +gewollt. Alle Welt sollte die Christine sehen im bräutlichen »Horbet,« +dem jungfräulichen Kopfputz: alle Welt sollte ihn an ihrer Seite +erblicken, stolz und glücklich. — Es war eine große Hochzeit für +ein solches Brautpaar, die meisten Geladenen, die zugesagt hatten, +waren auch gekommen, und richtig befand sich unter ihnen auch der +Holzbauer. Derselbe trank sich nach und nach in eine ausnehmend gute +Laune hinein, die sich übrigens, bei gelegentlich an ihn gerichteten +Fragen, mehr in ergötzlichen als höflichen Antworten kundgab. Nachdem<span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span> +er einige wirksame Trümpfe ausgespielt und namentlich auch seine Güte +und Verträglichkeit in so kräftigen Ausdrücken vertheidigt hatte, daß +ihm niemand zu widersprechen wagte, schöpfte die glückliche Christine +aus seinem vergnügten Aussehen den Muth, einem neckischen Verlangen +nachzugeben und den Wunsch laut werden zu lassen, er möchte doch auch +ein paar Reihen mit ihr tanzen. Der Hochzeiterin dies abzuschlagen, +ging nicht wohl an, und außerdem konnte er durch Erfüllung des Wunsches +am besten beweisen, wie gut man es bei ihm habe und wie vortrefflich +sie mit einander ausgekommen seien. Deshalb unterdrückte er die bereits +auf seiner Zunge befindliche Frage: ob sie toll geworden sei? führte +sie unter allgemeiner Aufmerksamkeit auf den Tanzboden und drehte sich +so stattlich herum, als es seine Leibesbeschaffenheit irgend zuließ. +Nach den schicklichen drei Reihen wollte er aufhören; Christine, der +es Vergnügen machte, den »Wilden« so zahm an der Hand zu haben, bat +ihn noch um einen. Aber nun war seine Geduld zu Ende. »Geh zum — es +geht nicht, Mädle! — Jungfer Braut, wollt' ich sagen!« — Hans, der +heiter zugeschaut hatte, nahm ihm die Tänzerin ab, und statt ihrer trat +die Mutter zu ihm und rühmte ihn, wie »feindle« (feindlich) schön er's +noch könne und was für eine »grausame Ehr'« er ihnen angethan habe, daß +er auf die Hochzeit gekommen sei. Zufrieden setzte er sich zur Kanne, +und während er auf den Tanzlorbeeren ruhte, sammelte er sich neue als +Zecher und Redner.</p> + +<p>Das Fest ging seinen fröhlichen Gang, der Abend kam heran. Die +Ehrentänze, die bei solchen Gelegenheiten für das Brautpaar eine +Pflicht der Höflichkeit werden können, waren getanzt, der Hochzeiter +und die Hochzeiterin setzten sich an den »Bräuteltisch,« an welchem +sich dermalen nur die Mutter befand. Die Gäste waren zum größten Theil +auf dem Tanzboden, wo der junge, lustige Hochzeitknecht berufsmäßig +eine nach der andern in den Reihen geführt hatte und sich eben nach +geheim erhaltenem Auftrag mit der Base Hubel herumdrehte, zum Lohn für +ihre Verdienste. In der Stube waren nur zwei entferntere Tische mit +Zechenden besetzt, die in lebhaften Diskurs gerathen waren und nur +Aug' und Ohr für sich selber hatten. Gewissermaßen allein gelassen und +von der Festesfreude schon etwas ermüdet, saßen unsere<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> drei Personen +stille da und gaben sich ihren Gedanken hin. Die Musik draußen störte +sie nicht, die bekannten Töne klangen freundlich in ihre Vorstellungen +ein. Das Vergnügen, das Nachmittags hell auf ihren Gesichtern +geleuchtet hatte, nahm nach und nach einen ernsteren Charakter an und +ihre Mienen wurden feierlich, fast so wie sie in der Kirche gewesen. +— Die Mutter sah zuerst aus ihren Träumen empor; sie ließ ihren Blick +liebevoll auf den Beiden ruhen, die so ganz und gar zusammengehörig +ihr gegenüber saßen, und sagte dann bedeutsam: »Wie lang hat's dazu +gebraucht! Es ist doch wahrlich gerade, als ob's früher nicht hätte +sein sollen!« — Hans erwiederte auf diesen unwillkürlichen Ausruf in +dem milden Tone, wie er tieferen Menschen in ernster Empfindung eigen +ist: »Es hat auch wirklich nicht sein sollen, Schwieger! In der Welt +ist's nicht jedesmal gut, wenn man ohne weiteres bekommt, was man gern +möchte: man muß zum rechten Glück erst fertig gemacht werden. Ich hab' +die Christine besser bekommen, als es früher möglich gewesen ist, und +sie mich. Glücklich wären wir auch früher mit einander geworden, aber +wir hätten nicht gewußt, was wir aneinander haben, und jetzt wissen +wir's.« Christine sah ihn bei diesen Worten mit feucht glänzenden Augen +an und drückte ihm zärtlich die Hand.</p> + +<div class="footnotes"> + +<div class="footnote"> +<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> No, nocht, nochta = nachher, dann.</p> +</div> + +<div class="footnote"> +<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Ursprünglich Heiligenbilder, dann Bilder überhaupt bis zum +farbigen Papier herab.</p> +</div> +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span></p> + +<h2>Ende gut, Alles gut.<br> +<span class="s5">Der Michel und die Gret.</span></h2> +</div> + +<div> +<img alt="" class="drop-cap" src="images/drop-w.jpg" id="drop-w.jpg"> +</div> +<p class="drop-cap p0"><span class="upper-case">W</span>enn +der Rieser nicht gerade zu der größten und stärksten Menschenart +im deutschen Vaterlande gehört, so wird man ihm das Prädikat +»wohlgewachsen« nicht versagen können. Begreiflicherweise gibt es +in dem volkreichen Gau allerhand, kleine und große, »wie's der Hirt +zum Thor naustreibt«; in der Regel begegnen wir aber doch schlanken +Personen von guter Mittelgröße und darüber. Enakssöhne — Bursche, die +eine Verbindung von Größe, Schulterbreite und Gliederstärke zeigen, +die wir mit Staunen betrachten — sind selten und kommen in andern +deutschen Gauen häufiger vor; zuweilen gelingt aber auch im Ries ein +solches Erzeugniß, und es wächst, sofern der Geist mit dem Körper +nicht geradezu in Widerspruch steht, eine Person heran, die sich in +ihrer Umgebung eines besondern Respekts zu erfreuen hat. Wenn so einer +freilich keinen Verstand, keine Würde und am Ende gar auch keine +»Schneid« hat, dann hilft ihm sein Körperbau nichts; man belegt ihn +mit den despectirlichen Namen eines »Drieschlags,« eines »unklamperen +Kerls,« verspottet und hänselt ihn. Sind ihm aber jene<span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span> Eigenschaften, +namentlich die letzte, in merklichem Grade verliehen, dann ist er in +seiner Art eine Macht; man fürchtet ihn und schmeichelt ihm.</p> + +<p>Zu den leiblich außerordentlichen Erscheinungen im Ries gehörte auch +der Held der Erzählung, womit wir dießmal die Leser zu unterhalten +gedenken. Wir sagen mit Bedacht: der Held. Denn obwohl unsre Geschichte +keineswegs eine Reihe von Thaten vorführen wird, bei welchen die +Stärke des Armes die Hauptrolle spielt, so hoffen wir jene, für +einen Bauernburschen sonst nicht wohl passende Bezeichnung doch zu +rechtfertigen.</p> + +<p>Michel Schwab wurde im ersten Zehntel unsres Jahrhunderts geboren. +Der Vater, ein wohlhabender Söldner und auch schon ein ungewöhnlich +großer und gliederstarker Mann, erlag einer hitzigen Krankheit in +seinen besten Jahren. Die Wittwe, die gut mit ihm gehaust hatte und den +zehnjährigen Sohn über alles liebte, beschloß nicht mehr zu heirathen, +damit ihr Einziger das ganze »Sach« bekäme, wie es der Vater gehabt +hatte. Sie war selbst eine stattliche Frau, froher Gemüthsart und +regierte gern — ein Grund mehr, um als ehrsame Wittib fortzuleben und +die erste Person im Hause zu spielen, bis sie die Herrschaft an den +Sohn abtreten mußte.</p> + +<p>Michel wuchs heran — die Augenweide und der Stolz der Mutter. In der +Schule zeichnete er sich nicht besonders aus; sein Verstand <span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span>war etwas +langsam zum Begreifen, sein Gedächtniß zum Behalten von Sachen, deren +Nutzen ihm zweifelhaft erschien, nicht sehr bereitwillig, und Ehrgeiz, +der ihn hätte stacheln können, besaß er nicht. Er lernte nur, was +nicht zu umgehen war, ging lieber auf's Feld als in die Schulstube, +und empfand eine dunkle Sehnsucht nach der Zeit, wo er gar nicht mehr +hineinmußte, außer an Sonntagen. Um so besser gedieh sein Körper. Er +war offenbar der stärkste von den Buben seines Alters; die Mutter hielt +ihn überdieß für den schönsten und war nach dörflichen Begriffen wohl +dazu berechtigt. Auf dem Dorf ist es vorzugsweise die derbe, robuste +Schönheit, die eine ungemischte Bewunderung erweckt. Der Bauer hat +auch ein Auge für zarte, feine Schönheit; aber wenn ein Kind mit einer +solchen von ihm Lob erhält, so wird doch aus seinem Ton zugleich ein +gewisses Mitleid herauszuhören sein, zumal wenn es ein Bube ist. Kennt +er die Eltern gut, so erlaubt er sich in diesem Fall hinzuzusetzen: »a +bisle kräftenger könnt' 'r freile sei'! No, 's kommt vielleicht no' +(noch)!« Im Stillen denkt er aber: »Schad für des Büeble, daß er gar +so elend ist!« Bei dem hübschen Jungen dagegen, der zugleich rothe +Backen und tüchtige Gliedmaßen aufweist, geht die Gratulation durchaus +von Herzen und das Lob wird mit den Zeichen der Achtung ausgesprochen. +»Kott's Blitz,« ruft hier der Freund, während seine Augen im Glanze des +Wohlgefallens blinken, — »des ist a Kerl! Des gibt a Mannsbild! Des +weara't a' baar (paar)<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> Aerm' zum Garba' naufgeba'!« Und er lächelt +dabei mit Würde und nickt den Eltern seine volle Anerkennung zu.</p> + +<p>In solcher Art wurde der junge Michel gerühmt, namentlich von Gästen +aus andern Dörfern, die ihn längere Zeit nicht gesehen hatten, und +am lebhaftesten von Weibern. So eine sagte wohl im Doppeleifer der +Höflichkeit und der wirklichen Empfindung zu der Mutter: »Aber wie uir +(euer) Michel widder g'wachsa'n ist! Doh muße me nor so aufwondera' +(aufwundern)! Und a Boschdur (Positur) und a G'sicht hot er grad wie +sei' Vader! Wie ra'grissa' (herabgerissen, d. h. vom Vater)! Und die +roth' Backa', die er hot! Und die schöa' brau' Oga'! Doh müsset 'r aber +doch a rechta' Fräd (Freud) haba' mit so'm Buaba' — net wohr, Bas?« +— u. s. w. — Die Mutter suchte derartiges Lob, wie es der Brauch +verlangte, wieder zu dämpfen, indem sie einwarf, daß in dem Alter +alle Buben rothe Backen hätten, wenn ihnen grad nichts abginge, oder +in Bezug auf besseres Lernen in der Schule und Angewöhnung besserer +Manieren klagend ihre Wünsche aussprach. Aber solche Einwendungen +erfuhren natürlich die gehörige Widerlegung; und wer konnte es der +Glücklichen nun verdenken, wenn sie, den schönen Versicherungen in +ihrem Innern beistimmend, an ihrem Michel eine Art Wunderkind zu haben +glaubte?</p> + +<p>Als das ersehnte Ziel erreicht und der Bursche »in die<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> Zahl der +Erwachsenen aufgenommen war,« entwickelte er sich indeß mehr nach +seinen natürlichen Anlagen, als nach den Gesamtwünschen der Mutter; und +die gute Frau mußte ihrerseits erfahren, daß es nichts Vollkommenes +gebe unterm Monde!</p> + +<p>Zum Theil zwar erfüllte der junge Michel nicht nur ihre Erwartungen +— er übertraf sie. Er wurde größer als sein Vater und ragte bald ein +andrer Saul über seine Altersgenossen hervor. Gestalteten sich die Züge +verhältnißmäßig derb, so waren sie doch regelmäßig. Die bräunlich rothe +Gesichtsfarbe paßte zu den Formen, die dunkeln Augen und das dunkle +Haar waren untadelich, und mit alledem konnte ihn die Mutter immer +noch für den Schönsten im Dorf halten, wenn auch minder befangne Augen +einigen andern Burschen den Vorzug geben mußten.</p> + +<p>Das Bauernhandwerk lernte er gern und gut. Die Mutter hatte +zur Besorgung der Feldarbeiten ihres Vaters Bruder, einen alten +Bauernknecht, ins Haus genommen. Dieser weihte den Burschen nach und +nach in alle Künste der Landwirthschaft ein, und der Zögling machte +sie sich ein wenig langsam, aber gründlich zu eigen. Er gewöhnte sich +eine stetige Art zu schaffen an, die ohne Uebereilung auch zum Ziele +kommt. Falls es aber gerade sein mußte — z. B. in der Erntezeit, wenn +man vor dem drohenden Regen noch schnell ein Fuder hereinbringen wollte +— da konnte er auch arbeiten »wie ein Roß!« Durch den trunkenen<span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span> Eifer +beflügelt, den im ächten Landmann die Nothwendigkeit aufzuregen pflegt, +leisteten die gewaltigen Gliedmaßen Staunenswerthes; und wenn zufällig +ein alter Bauer vorüberging, konnte er sich überzeugen, daß die jetzige +Zeit doch auch noch Mannsbilder aufzuweisen habe und die tüchtigen +Leute im Ries nicht aussterben würden!</p> + +<p>Unter den ledigen Burschen im Dorf erwarb sich Michel eine +außergewöhnliche Stellung. Schon als Bube hatte er im »Moestern« +(Meistern), d. h. im Ringkampf, nicht nur seine Mitschüler, sondern +auch ältere Bursche bezwungen und die Kniffe, womit die Schlaueren +über ihn Herr zu werden suchten, durch überlegene Kraft wett gemacht. +Er hatte verschiedene unverschämte Kerle in die Grenzen des Anstandes +zurückgeprügelt, und die Partei, die ihn bei Schläghändeln auf ihre +Seite bekam, durfte sich für geborgen halten. Wie er als Lediger +zuletzt »auf die Gass' ging,« glaubten ihn zwei ältere Bursche, +die bis dahin für die Stärksten gegolten, »für'n Narren halten« +und vornehm behandeln zu können. Das »Geträtze« reifte zu einem +nächtlichen Kampf, und dieser verlieh jedem die Ueberzeugung, daß die +Gefürchteten ihren Meister gefunden hatten. Michel, von einem Kameraden +secundirt, schickte die Gegner jämmerlich zerdroschen heim! — Von da +an ließ man ihn nicht nur in Ruhe, sondern wich ihm bescheiden aus +und behandelte ihn mit Rücksicht. Er kam nicht mehr in den Fall, die +Stärke seines Armes geltend zu machen, außer wenn er sich bei einer +entstandenen Prügelei bewogen sah, »auszuwehren,« d. i. thatsächlich +Ruhe herzustellen. Die Veranlassung dazu bot sich ihm nicht oft, aber +vor etwa dreißig Jahren doch öfter, als es jetzt sein könnte, wo der +kriegerische Geist der Rieser Bauernburschen durch<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> die fortschreitende +Bildung und die Gendarmerie auffallend zurückgedrängt ist. Bei solchen +Gelegenheiten pflegte Michel die Bursche, die sich ihm nicht fügten und +immer wieder angriffen, mehr als just nöthig war zu puffen und dadurch +den Glauben an seine Ueberlegenheit so aufzufrischen, daß zuletzt das +ganze Dorf davon durchdrungen war.</p> + +<p>In der angenehmen, behaglichen Stellung, die sich unser Mann +erobert, bildete sich folgerichtig ein eigenthümlicher Geist in ihm +aus. Obwohl von Natur nicht anmaßend, gewöhnte er sich doch einen +kurzen, befehlenden Ton an, weil ihm nach seinem Gefühl kein anderer +zustand. Er saß beim Bier unter seinen Kameraden in der Regel mit +schweigsamer Würde, ließ sich unterhalten, belohnte den Spaß, der einem +»Narra'sager« gelungen war, mit beifälligem Lachen, und spielte nur hie +und da selbst einen Trumpf aus, der dann gerade nicht der feinste zu +sein brauchte, um günstig aufgenommen zu werden. Wenn aber ein Streit +entstand über Dinge, die er zu verstehen glaubte, so pflegte er zu +entscheiden. Auch andern Disputen machte er zum öftern ein Ende, nicht +durch ein siegreiches Argument, sondern durch die einfache, kräftig +betonte Erklärung, daß man »d's Maul halten« solle! — Er war kein +Liebhaber von vielen Worten, unser Michel — selbst nicht, wenn Andere +sie machten; und wenn seiner Ansprüche im Umgang immer wenige blieben, +so wollte er diese doch auch befriedigt sehen. Dank sei es dem Namen, +den er sich erworben — unter seinen Kameraden setzte er seine Wünsche +durch!</p> + +<p>Das wäre Alles gut und schön gewesen, und eine Mutter hätte Ursache +gehabt, mit so einem Buben zufrieden zu sein; aber das Bild hatte seine +Kehrseite. — Michel nahm keine Manier an! Er konnte sich nicht abgeben +mit Vettern und Basen, wie die Schwabin es wünschte — er lernte +keine Höflichkeit! — Schon als kleiner Junge, wenn ihn die Mutter in +die Stube rief, um ihn einem besonders werthen Besuch vorzustellen, +pflegte er ein »wildes« Gesicht zu machen, auf die gewöhnlichen Fragen, +halb verlegen, halb trotzig, kurze, zum Theil verkehrte Antworten +hervorzustoßen und sobald als möglich das Weite zu suchen. Dem Knaben +wurde das verziehen, weil man doch sah, daß er's eigentlich so bös +nicht meinte, und auch die etwas<span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span> beschämte Wittwe konnte über irgend +eine komisch-alberne Antwort achselzuckend mitlächeln. Als er aber +heranwuchs und seine Sache immer noch nicht besser machte, wurde sie +höchst verdrießlich.</p> + +<p>Der Bauer hat keine Zeit, die Unterhaltung als Kunst zu betreiben, +und Gesellschaften im städtischen Sinn giebt es auf dem Dorfe nicht. +Allein man empfängt doch Besuche und macht welche, es giebt fröhliche +Zusammenkünfte, und dem jungen Burschen fehlt es keineswegs an +Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, wenn er eines hat, oder +sich wenigstens in herkömmlicher Weise schicklich zu benehmen. — Bei +Michel waren dem Erlernen auch solchen Benehmens zwei Eigenschaften +hinderlich, die sich in ihrem Bunde unüberwindlich zeigten: Ehrlichkeit +und — Faulheit. Seiner geraden Seele widerstrebte es, Dinge zu +bewundern, die er nicht besonders, ja nicht einmal gewöhnlich gut +fand; und in den Eifer, wo einem derartige Versicherungen allenfalls +vom Munde gehen, sich hineinzureden, war ihm unmöglich; denn dazu +hätte es einer Anstrengung bedurft, die ihm schon beim bloßen Gedanken +abschreckend vorkam! So blieb es in der Regel bei einem schweigsamen +Gesicht — einem »Hm,« »Ja,« »Jo« (ja doch), »Freile« und andern +lakonischen Aeußerungen, womit sich Leute seines Gleichen aus der +Affaire ziehen. Bei ungelegenen Fragen kam noch das im Ries sehr +gebräuchliche »Bah« hinzu, das mit stark ablehnender, unter Umständen +verächtlicher Miene hingeworfen wurde. Es war in der That unmöglich, in +einer unvermeidlich gewordenen Unterhaltung sich kürzer auszudrücken +als unser Michel, zum großen Leidwesen seiner Mutter, die ihn gern auch +im Diskurs, wo nicht musterhaft, doch löblich gesehen hätte. Manchmal +blieb es aber nicht dabei — manchmal, wenn man seine Ehrlichkeit +allzustark reizte, platzte er direkt mit der Wahrheit heraus und beging +damit eine Unschicklichkeit, bei der es der Mutter grün und gelb vor +den Augen wurde. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, die grobe Rede +zu vertuschen; wenn es aber nicht gelang und die beleidigte Person +sichtlich böse dastand, dann übernahm sie die Rache selber, indem sie +den Schuldigen für einen einfältigen Schwätzer erklärte, der nichts +verstehe und ein Esel bleiben werde »all sein Lebtag!«</p> + +<p>In der ersten Zeit folgte solchen Unterhaltungen in der Regel<span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span> ein +Zwiegespräch, in welchem die Mutter dem Sohn in's Gewissen redete +und ihn mit dem Nachdruck der gerechten Entrüstung über seine Mängel +aufzuklären suchte. Als er sich einmal durch düstre Schweigsamkeit +und kurze Antworten ausgezeichnet hatte, begann die Alte: »Aber ietz +sag mer nor, Michel, wie isch (ist es) mögle, daß ma' se so benemma' +ka' vor da' Leuta'! Ka'st denn ietz net oh a weng reda', wie's der +Brauch ist, und a froendle's (freundliches) G'sicht macha'? Fällt +der denn gar nex ei', daß d'alleweil dohstost (dastehst), als ob d'r +d's Maul zuag'wachsa' wär'?« — Michel, etwas unmuthig, fragte wie +er schon öfter gethan: »No, was soll i denn saga'?« — Die Schwabin +kam in Eifer. »Was er saga' soll, frogt er me! — Was ander Leut' +saget — Badde (alberner Mensch)! Merkst denn gar net auf? Host denn +gar koe Hihra' (Hirn)?« — Michel über diesen Ausdruck verdrießlich, +erwiederte: »I ka' des domm' G'säg (Gesage, Gerede) net leida'.« — +Aber nun wurde die Alte hitzig. »Wer sakt denn, daß d' a domm's G'säg +haba' sollst, o'verständenger Mensch? Ebbes G'scheidt's sollst reda', +daß ma'n a'n Unterhalteng hot und vergnügt ist! Gang weiter. A Kerl +so stark und so groaß wie a' Bohm (Baum), und hot net amol soviel +Versta'd wie a' Schuelbüable! An dir wear' e no' a rechta' Fräd (Freud) +verleba', daß Gott erbarm'!« u.s.w.</p> + +<p>Kräftiger noch war die Rüge, wenn Michel seiner Ehrlichkeit freien Lauf +gelassen und die Wahrheit gesagt hatte, wo Höflichkeit an der Stelle +gewesen wäre. Nach dem ersten auffallenden Verstoß dieser Art kam es zu +folgender Scene.</p> + +<p><em class="gesperrt">Mutter.</em> No ha'et (heut) host widder a Dommheit g'macht! Du bist +doch der Dipplengst<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a> em ganza' Doraf (Dorf)! Sakt ma'n oem so ebbes +en's G'sicht? Setzt ma' d'Leut so en Verlega'heit?</p> + +<p><em class="gesperrt">Michel</em> (trutzig). S'ist nor d'Wora't (Wahrheit) g'wesa', was e +g'sakt hab'!</p> + +<p><em class="gesperrt">Mutter</em> (bitter lachend). D'Wora't! O du o'sennenger (unsinniger) +Mensch! Sakt ma' d'Wora't, wann's o'gschickt rauskommt<span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span> und d'Leut +verdrießt? — Was weara'n ietz die von der denka'? Und was weara's von +d'r verzähla', wann's hoem (heim) kommet!</p> + +<p><em class="gesperrt">Michel.</em> Mei'twega' was went (was sie wollen)! I frog' nex +dernoch!</p> + +<p><em class="gesperrt">Mutter.</em> Oh rehcht (auch recht)! Du frogst nex dernoch, wamma' +de für'n Esel hält und dei' Mueter für a Weib, die de net zoga' hot? +Du wurscht a saubers Mannsbild weara'! Du wurscht schöa' durch d' Welt +komma'! — Ietz möcht' i nor wissa, w'rom ih grad so gstroft ben und +so'n Narra' zum Soh' hab!</p> + +<p><em class="gesperrt">Michel</em> (ärgerlich). »No, ietz isch gmuag! — — A'n andersmol +du' es (thu ich es) nemmer!« —</p> + +<p>Diese Zusage, die ihm das Verlangen nach dem Schluß erpreßt hatte, +konnte der gute Michel indessen nicht immer halten. Wenn er aber auch +in weitern Verstößen sich selbst übertraf — wenn er, zum Sprechen +genöthigt, in seinem Widerwillen vollständig »aus dem Weg naus« redete +oder, durch sein eigenes Schweigen belästigt, in der Zerstreuung und +ohne Kenntniß des eben Gesprochenen eine Frage that, daß man ihn für +»meschucka'« (hebräisch: verrückt) hielt — kurz wenn er auf dem +eingeschlagenen Wege consequent fortging, so hörten die Predigten der +Mutter doch nach und nach auf. Einmal wurde die wackre Frau müde, stets +dasselbe zu sagen für nichts und wider nichts. Dann regte sich, je mehr +er heranwuchs und Autorität unter den Dorfburschen erlangte, in Michel +ein Geist der Widersetzlichkeit, der sich das »Repermandiren« nicht +mehr gefallen lassen wollte. Die Schwabin beschränkte sich zunächst auf +einzelne kurze Bemerkungen, wie z. B.: »No, ha'et host widder a Schluap +(großes Maul) rahgh'ängt, des muß i saga'! Wann de nor em Spiegel +g'seha' hätt'st — du hätt'st der gwiß selber g'falla'!« Oder: »Ha'et +host widder 'n Einfall g'hett (gehabt)! Wie d'nor drauf komma' bist! +A'n Anderer brächt's net raus, er därft' se Müa' geba'!« — Aber Michel +wurde endlich auch dadurch verletzt und sagte einmal unmuthsvoll: »Ietz +laß me amol ganga'! I ben wie'n e ben, und durch dei' ewengs (ewiges) +G'schimpf wear' e net anderst! Weam e net g'fall, der soll derhoemt +(daheim) bleiba', oder — — i hätt' schier ebbes g'sakt!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span></p> + +<p>Die Mutter seufzte. Sie mußte einsehen, daß sie sich in einem Punkte +geirrt und ihr Sohn eben doch einen Fehler habe, und zwar einen großen, +den er vielleicht nie ablegen werde. Aber noch blieb ihr eine Hoffnung. +Michel war noch jung, es konnte noch werden. »Vielleicht got's 'm«, +dachte die Gute, »wies scho' manchem ganga'n ist! — vielleicht wurd 'r +zoga', wann 'm a Mädle g'fällt!« — Dieser Gedanke leuchtete ihr ein +und rief eine Art von Lächeln auf ihr Gesicht. Es gab manche im Dorf, +die ihr als Söhnerin nicht unlieb gewesen wäre. Wenn Michel an einer +seine Freud' hätte, sich »um sie herummachte« und sie zum Tanz führte, +dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ihm der Verstand nicht +kommen und das Maul nicht aufgehen sollte! — Die gute Frau stellte +sich das so hübsch und natürlich vor, daß sie recht erheitert wurde und +auf diese Medizin das vollste Vertrauen setzte. Sie beschloß, ihn gehen +zu lassen und zu warten.</p> + +<p>Michel wurde neunzehn, er wurde zwanzig Jahre alt — und noch gefiel +ihm keine. Die Mutter schüttelte den Kopf. Nicht nur, daß er keiner den +Vorzug gab — er machte sich aus den Mädchen überhaupt nichts. Er lief +ihnen nicht nur nicht nach, er wich ihnen aus oder that wenigstens, als +sähe er sie nicht. An Lustbarkeiten nahm er Theil, aber nur, um sich +zu Mannsbildern zu setzen, die ohne Schatz waren, wie er. Mit diesen +zechte, dampfte und diskutirte er in der schon beschriebenen Art und +ging endlich zufrieden nach Hause. Ein paarmal ließ er sich von einer +Nachbarin, die einige Jahre älter war als er und ihm gegenüber eine Art +von Erziehungstrieb spürte, zum Tanzen verleiten. Als aber nach dem +zweiten Versuch eine alte Base zu ihm sagte, er tanze, daß »dem Teufel +dran grause«, und er müsse es besser lernen, sonst wärs g'fehlt — da +hatte dies nicht zur Folge, daß ers besser lernte, sondern ganz und gar +aufsteckte. — Die Mutter wurde recht bedenklich, und an die Stelle der +Hoffnung trat das Mißvergnügen und die Sorge.</p> + +<p>Auf dem Lande heirathet man verhältnißmäßig früh, und früh knüpfen sich +auch Liebesbündnisse. Zwei junge Leute, die sich gefallen, gedeihen +eben darum bald zum Liebespaar, weil sie auch bald zum Ehepaar gedeihen +können; und der Dorfgeschichten-Erzähler wird<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> nicht leicht in den +Fall kommen, seine Leser für das Verhältniß eines Vierzigers mit einem +zwanzigjährigen Mädchen interessiren zu müssen, was der Novellist +der höhern Stände immer seltner wird umgehen können. Daß ein Sohn zu +spät oder zu wenig nach den Mädchen fragt, ist ein Unglück, welches +bäurischen Eltern selten begegnet. Oefter kommt es vor, daß einer in +jungen Jahren zuviel darnach fragt und dann natürlicherweise Folgen +sich ergeben, die den Eltern viel Verdruß machen können, in der Regel +aber auch wieder eine gute Ausgleichung finden. Vernünftige Eltern +wünschen niemals, daß ihr Sohn eine Liebschaft anfange, wenn er kaum +ein paar Jahre aus der Schule ist. Aber wenn ein Jahr ums andere +vergeht, wenn er in die Zwanzige eintritt und immer noch thut, als ob's +gar keine Mädchen auf der Welt gäbe, dann findet man das auf dem Lande +nicht natürlich.</p> + +<p>Als Michel das zwanzigste Jahr hinter sich hatte, achtete es die +Schwabin für ihre Pflicht, ihm in dieser Beziehung Ermahnungen zu geben +— freundliche, liebevolle Ermahnungen: sie wußte ja, daß andere bei +ihm nicht anschlugen! — Bei Gelegenheit eines Tanzes forderte sie ihn +auf, ins Wirthshaus zu gehen und sich auch einmal ein Vergnügen zu +machen. Er habe ja die letzte Zeit her genug geschafft, und für Leute +seines Alters wären ja solche Gelegenheiten da. Michel antwortete, er +wolle sich schon ein Vergnügen machen. Die Mutter schüttelte den Kopf +und sagte: »I moe (meine) net, daß de widder he'setzst und rohchst +aus dei'm Pfeifa'kopf — i moen, daß d'oh a Mädle nemmst und danzst +mit 'r, wie ander' jung Leut'.« — Michel schwieg einen Moment, dann +sagte er: »du woescht (weißst), Mueter, d's Danza' frät me net.« +— Hier konnte die Mutter ihre Ungeduld nicht bemeistern. »Kott's +Blitz, red net so! Fang's nor a', 's wurd de scho' fräa'!« — Und in +freundlicherm Ton setzte sie hinzu: »Ha'et kommt dei' Bäsle von ** ins +Wirthshaus, a saubers Weibsbild — ka' alle Arbet und hot ebbes! Des +wär' a Dänzere für di! Mach de lusteng mit 'r (ihr), nemm's mit in d' +Stub' nei' und loß 'r ebbes auftraga'. Kott's Kreuz nei', a Mensch, der +ins oenazwanzengst Johr got.« — »Aber i ka' ja net danza«, entgegnete +Michel. »D'Leut lachet me aus.« — »Wie wursch (wirst<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> du's) denn +aber learna', wann's net probierst?« versetzte die Alte. »Learngeld +hommer (haben wir) alle geba' müssa' — des verstot se. Aber die +Bäbe, die wurd de scho' regiera'; die brengt de rom — doh ka'st de +drauf verlossa'. — Komm, versprich mer's!« — »Ach Gott«, erwiederte +der gute Bursche mit einer Miene, als ob er Arznei nehmen sollte — +»i due's recht o'geara'.« — »Ietz verzürn' me net«, entgegnete die +Mutter, »oemol mueß sei',« — »I hab' koe Gloech (Gleich, Gelenk) +derzue,« versetzte der noch immer Bedenkliche. — »Dommheita'! du +host dei' grade Glieder! Und du ka'st ja doch bei der Arbet sprenga' +(springen, laufen) wann's sei' muß!« — »Ja bei der Arbet!« erwiederte +Michel, als ob er hinzusetzen wollte: »das ist auch was ganz Anders!« +— »Beim Danza' got's no' (noch) besser!« versicherte die Mutter; und +indem sie ihn schmeichelnd auf die Schulter klopfte, setzte sie hinzu: +»komm, sei brav, versuch's und due (thu) oh amol ebbes, was e (ich) +geara' hab'!« — Der gute Michel verspürte bei diesen bittenden Worten +einige Rührung, und um der Sache ein Ende zu machen und loszukommen, +sagte er: »No, i will seha'!« — »Also du willst?« rief die Mutter. — +»Ja, ja«, erwiederte Michel, »i will seha'!« —</p> + +<p>Als er am andern Morgen in die Stube trat, fragte die Schwabin: »No, +wie hot's ganga'?« — »Ganz guet«, versetzte Michel. — »Bist z'recht +komma'?« — »Des will i moena'«, erwiederte der Sohn mit Selbstgefühl. +— »No«, sagte die Alte erheitert, »des hab' i ja g'wißt! — Host +aber oh ebbes auftraga' lossa'?« — »Des net.« — »Wie, 'r Dänzere, +zu der ma' Froed (Freund) ist?« — »Ja so«, versetzte Michel, »du +red'st vom Danza'?« — »No, von was soll i denn reda'?« — »Ja, lieba' +Mueter«, erwiederte der Sohn mit einer Art von Bedauern, »des muß i d'r +scho' saga': danzt hab' e net.« — »Was? Aber du sakst ja —« »Ja«, +entgegnete der Enakssohn, »i hab denkt, du moest ebbes andersts. 'S hot +nämlich bald 'n kloena' Handel geba', und doh hab' e ausg'wehrt. Doh +ist so a kloener Grippel (Krüppel; bedeutet hier bloß die Kleinheit) +g'wesa', der gar koen Fried hot geba' wölla'. I hab' wärle Earnst +macha' müassa'! — Aber ietzt«, setzte er mit Befriedigung hinzu, +»ietzt, hoff' i, wurd er oh an mi denka'!« — Die Mutter, ärgerlich, +versetzte:<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> »Aber des wurd doch net eweng daurt haba'? Später wurd's +doch oh no Zeit geba' haba' zum Danza'?« — »Ja«, sagte Michel, »doh +hab i nocht (nachher) mei' Unterhalteng scho' g'hett (gehabt), und i +hab denkt: für ha'et isch gmuag!« — Die Alte wußte nicht, sollte sie +weinen oder lachen über so einen Menschen. »No«, sagte sie endlich, +»i sig scho', an dir ist Hopfa'n und Malz verloara'!« — »Desdawega' +(deßwegen) no net«, erwiederte Michel behaglich, und ging langsamen +Schrittes an seine Arbeit.</p> + +<p>Trotz des schlechten Erfolges dieser ersten Ermahnung richtete die +Mutter ähnliche noch zu wiederholtenmalen an den Sohn. Die gute Frau +meinte: »'s ist doch a Vergnüaga, was i von 'm haba' will! 's ka' ja +net sei', daß 'r gar koen G'falla' dra' fendt! 'S ist doch no a'n ieder +endle drauf komma'!« — Allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos. +Einmal ließ sich Michel bewegen, noch einen Tanzversuch zu machen; +aber abgesehen davon, daß er nicht das geringste Vergnügen dabei +empfand, hörte er auch aus einer Ecke von zwei Mädchen ein »Kuttern« +(gedämpftes Lachen), das er nur auf sich beziehen konnte, und in dem +Aerger, den »Fratzen« zum Gespötte zu dienen, sagte er zu seiner +Tänzerin: »So, ietz ist gmuag, ietz ka'st widder ganga'!« und kehrte +in die Stube zurück, um seinen Unmuth zu vertrinken. Ein Kamerad, den +er auf's Gewissen fragte, wie er eigentlich tanze, erwiederte mit +bedeutungsvollem Blick: »Loba' ka'n e's net!« Michel nickte schweigend; +und als er heimkam und seine Mutter wieder fragte, ob er »sich lustig +gemacht« habe, antwortete er mit Unmuth: »Ja, danzt hab' e; aber desmol +und mei' Lebteng net widder! Aus isch! Globst du, doß i da' Leuta' da' +Narra' ahgib? doh bild' i mer doch z'viel ei'! Kott's Kreuz-Taused« +— — »Aber« — »Ietz hör' auf oder du machst me falsch! I will +endlich 'n Fried' haba' mit dem Sakermentsdanza' doh! — 'S wär koe +Wonder, 's käm' ebbes dabei raus!« — — Die Mutter sah den Burschen +achselzuckend an und schwieg. Sie mußte sich überzeugen, daß an so +einem Menschen kein Reden was helfen kann! In Gottes Namen! Sie hatte +ihre Schuldigkeit gethan; und wenn er nicht mehr auf den rechten Weg +zu bringen war — ihr konnten keine Vorwürfe gemacht werden. Hatte sie +sich doch auch schon erboten,<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> ihn selber tanzen zu »lernen« (lehren)! +Aber was hatte er drauf gesagt? »Mit mei'r Mutter z'danza', kommt mer +so öad für, daß mer übel wurd, nor wann e dra' denk'!« Mit so einem +Menschen fang' eines was an! Nein! — er soll thun, was er will! Und +wenn er »a'n alter Esel« wird und keine kriegt, soll er's haben!</p> + +<p>Um es kurz zu machen — unser Bursche hatte das sechsundzwanzigste Jahr +hinter sich — und noch konnte er das Tanzen nicht und noch hatte er +keinen Schatz, geschweige denn ein Weib. Er näherte sich dem, was auf +dem Dorf ein »alter Jungg'sell« heißt; denn wenn der Bursche einmal in +der zweiten Hälfte der Zwanzige steht, dann kann er sich nicht mehr +viel auf seine Jugend einbilden und es ist Zeit, daß er seine Wahl +trifft. Hat er einmal »drei Kreuz auf'm Buckel (Rücken)«, dann ist +er schon sehr anrüchig, und er muß andere Qualitäten bedeutender Art +haben, falls er auf eine Dorfschöne noch Eindruck machen will.</p> + +<p>Bei seiner Weise zu leben wurde Michel natürlich ein eigenthümlicher +Kauz. Von Herzen gutmüthig, konnte er doch leicht und schnell böse +werden, wenn man ihn durch eine Zumuthung belästigte oder durch +Widerspruch reizte. Der kurze, befehlende Ton unter Kameraden wurde ihm +zur andern Natur, er gebrauchte ihn ganz gemüthlich und hatte keine +Ahnung davon, daß er einen Andern damit in einer Art ansprach, die er +von ihm sehr übel aufgenommen hätte. Wer ihn zu behandeln wußte, konnte +gleichwohl Alles mit ihm anfangen. Auf eine gute Rede, für einen guten +Freund wär' er in's Feuer gegangen. Natürlich wurde er bei alledem kein +großer Menschenkenner. Er bildete mehr die Gabe des Glaubens, als das +Talent der Prüfung und Unterscheidung aus, glaubte an seine eigenen +Einfälle und anderer Leute Versicherungen und handelte in diesem +Vertrauen oft sehr naiv. Er gab im Dorfe zu manchem Spaß Anlaß, der +gute Michel, und man lachte bei solchen Gelegenheiten weidlich über ihn +— aber hinter seinem Rücken! Denn ihm ins Gesicht zu lachen, wollte +doch Niemand räthlich finden! —</p> + +<p>Die Mutter ließ ihn gehen. Am Ende, wenn er nicht heirathete, blieb +sie die Herrin im Haus bis an ihr letztes Stündlein; und wir wissen, +sie regierte gern. Aber ihr Muttergefühl überwog doch.<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> Eine rechte +Söhnerin ins Haus und für sie »Enkala'« zu wiegen, wär' ihr doch lieber +gewesen. — Wenn sie daran dachte, verlor sich ihre Zufriedenheit; sie +schüttelte den Kopf und seufzte. Zuweilen tröstete sie sich selbst mit +den Worten: »Was ka'n i macha'? 'Sist eba'n a Blohk (Block) und bleibt +oer!«</p> + +<p>Damit aber that sie ihrem Sohn unrecht. Die Fähigkeit, die sie so gern +bethätigt gesehen hätte, fehlte nicht, sie schlief nur und harrte +ihrer Zeit. Und die Zeit kam endlich und eine neue Periode begann für +Michel — die geschichtliche. Kurz: er sah »die Rechte« — die bestimmt +war, sein Herz zu rühren. Und bei dem ersten Anblick schon wurde ihm +höchst seltsam zu Muthe, und was die Mutter ihm vorgepredigt und was er +niemals verstanden hatte, das begriff er mit einem Schlag.</p> + +<p>Diese Rechte war Margareth, zweite Tochter eines Söldners und Maurers, +dessen Haus in der nämlichen Gasse lag. Als »Greatle« war sie aus dem +Dorf gekommen, um zu dienen — als »Great« kam sie wieder, da ihre +ältere Schwester sich verheirathet hatte und der verwittwete Maurer +sie im Haushalt brauchte. Vor vier Jahren, wo sie das elterliche +Haus verließ, hatte sie noch wenig »gleichgesehen« (vorgestellt); +jetzt verwunderte sich Alles über ihre »Aussicht.« Sie war stattlich +und groß — um ein Gutes kleiner freilich als Michel, aber doch das +größte Mädchen im Dorf. Zugleich war sie ein sehr hübsches Mädchen. +Sie gehörte zu jenen gesunden, kräftigen Blonden, welche das heiterste +Bild froher Weiblichkeit gewähren. Ihre Züge waren regelmäßig, die +Gesichtsfarbe hell; die Backen hatten nur einen leichten rosigen +Anhauch, aber desto röther waren ihre Lippen; und wenn sie lachte, +war es ein Vergnügen, ihre weißen Zähne durchblinken zu sehen. In +gemüthlicher Aufregung pflegten die Flügel ihrer wohlgebildeten Nase +sich etwas in Bewegung zu setzen, was auf ein lebhaftes Temperament +schließen läßt. Allein wer ihre ziemlich hohe, klare Stirn sah und ihre +hellen blauen Augen, der erkannte in ihr ein Mädchen, die zu gescheidt +war, um ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. In der That +war sie ein fröhliches, aber unverdorbenes Geschöpf; vielleicht eben +darum unverdorben, weil sie fröhlich war und nach der Arbeit in Scherz<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> +und Spiel ihre Erholung und Befriedigung fand. Sie war das letzte +Jahr zu Nördlingen im Dienst gewesen, und es hatte ihr an verliebten +Nachstellungen durchaus nicht gefehlt. Allein Margareth war ein ächtes +Bauernmädchen — ein rechter »Bauernburscht« ging ihr über Alles, und +da sie so einen noch zu bekommen hoffte, so konnte ein »Nearlenger +Da'le (Daniel; Spottname der Nördlinger unter den Bauern)« keine Macht +über sie gewinnen. Im Uebrigen war das Schaffen ihr Vergnügen. Sie +gehörte zu den Personen, denen nach dem Rieser Ausdruck »etwas aus der +Hand geht« — die nicht lange fackeln und herumtappen, sondern die +Sache gleich recht angreifen, und die gerne arbeiten, weil sie immer +etwas Ordentliches fertig sehen.</p> + +<p>Gewiß ein Mädchen, der es zustand, das Herz unsres Burschen in Bewegung +zu setzen! Wäre Michel geschickter gewesen, so hätte man sagen können: +sie war unter den Mädchen des Dorfs, was er unter den Burschen. Allein +unter den gegenwärtigen Umständen ragte sie über ihn empor, und das war +auch nöthig, wenn sie dem Stolzen einleuchten und den Selbstgenügsamen +zu der Erkenntniß bringen sollte, daß ihm doch noch etwas fehle und daß +er sich um etwas zu bemühen habe.</p> + +<p>Als Michel ihr das erstemal begegnete und sie ihm guten Tag bot, sah +er sie verwundert an und erwiederte stehen bleibend: »I muß scho' +saga'« — Das Mädchen, ihm zu Hülfe kommend, rief: »Du kennst me +g'wiß nemmer, Michel? I ben d's Maurers Margret!« — »Kott's Blitz«, +erwiederte Michel, »'s ist wohr! — Aber du bist ja a Fetza'mädle +woara!« — Der Ausdruck »Fetza'mädle«, obwohl eine tüchtige Person +bezeichnend, klang doch von einem Burschen zu einem hübschen Mädchen +nicht besonders zierlich und rief auf dem Gesicht der Gret ein Lächeln +hervor. Sie sagte ein wenig schnippisch: »Uir Mannsbilder moenet wohl, +uir könnet alloe groaß wäara'? Aber manchmal g'rothet (geräth) von o's +doch oh oena'! — No, godda' Morga'!« — Sie ging weiter. Michel hatte +mechanisch das »godda' Morga'« wiederholt und sah ihr jetzt mit einer +curiosen Empfindung nach. Endlich sagte er: »Des ist ja a verfluacht +saubers Weibsbild woara, die Great! Wer hätt' des g'lobt (geglaubt)!« +Er<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> drehte sich um und ging weiter; aber das Bild der Gret stand immer +vor ihm und seine Gedanken konnten nicht von ihr loskommen. Es gährte +und »grubelte« in seinem Herzen, und nachdem sein Mund eine halbe +Stunde geschwiegen, verrieth er die Beschäftigung seiner Seele, indem +er plötzlich murmelte: »A saubers Weibsbild, wärle! A Mädle, wie von +Wachs!«</p> + +<p>Der Keim war in unsern Burschen gelegt. Bei weiterem Nachdenken +erkannte er immer mehr, daß die Gret diejenige sei, die er haben +möchte, zum Schatz — zum Weib! Er begriff, wie man einem Mädchen +nachlaufen könne; denn eigentlich wäre er der Gret jetzt selber gern +nachgelaufen! Was ihm früher zuwider gewesen, das erschien ihm jetzt +lieb und angenehm. Es dünkte ihn schön, sehr schön, mit der Gret +eine »Ansprach« zu halten, sie zum Tanz zu führen, sie ordentlich +herumzudrehen und ihr tüchtig auftragen zu lassen! Was die Mutter +früher umsonst gewünscht hatte, jetzt hätte er's ausführen können Alles +miteinander! — — Allein er wäre nicht Michel gewesen, wenn er die +Sache nun so angegriffen hätte, daß er zu seinem Zwecke gelangen mußte.</p> + +<p>Zuerst überlegte er, und dabei kam ihm ein Skrupel, der ihn höchst +bedenklich machte. »Wann's de aber no net möga' dät? Wann's de +auslacha' dät und du ständest doh« — — Es ging ihm heiß durch die +Brust bei diesem Gedanken und er sah gewaltig düster für sich hin. +Michel hatte nichts von der Eitelkeit, die junge Bursche glauben läßt, +jedes hübsche Mädchen müsse sich in sie verlieben; aber um so mehr +besaß er jenen Stolz, für welchen der Gedanke, sich verachtet zu sehen, +empörend ist. Wenn Er, der niemals nach den Mädchen was fragte, der +ihnen auswich, der zu wiederholten Malen erklärte, er könne ihr »G'säg« +nicht leiden — wenn er, der Michel, vor dem Alles Respekt hatte, nun +plötzlich einer nachginge und schlecht ankäme! Wenn sie ihn verspottete +und es käme heraus und das ganze Dorf spottet über ihn — — Ein +Kernfluch entrang sich bei dieser Vorstellung seinen Lippen. Nein, so +durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das mußte klug und vorsichtig +— sehr vorsichtig angefangen werden.</p> + +<p>Er faßte den Entschluß, keinem Menschen zu sagen, wie's ihm<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span> war. Zur +Mutter zu gehen und ihr zu beichten, er hätte ein Mädchen gern, wäre +ohnehin nicht in seinem Charakter gelegen; nachdem er aber so lange +ihren Ermahnungen widerstanden hatte, wäre sie die letzte gewesen, +der er seine Bekehrung hätte vertrauen mögen. »Vor der Hand« sagte +er endlich zu sich selbst, »will i seha', wie's got! — Und was will +e? Z'erst muß e ja doch oh d's Mädle nommol (nochmal) betrachta': +vielleicht g'fällt's m'r nemmer so.«</p> + +<p>Mit dieser Hoffnung täuschte er sich freilich. Als er sie wieder sah, +gefiel sie ihm nicht weniger, sondern noch viel besser als das erste +Mal. Sie hatte just ihren schönsten Tag, war in ihrer heitersten Laune +und glänzte vor Vergnügen! — Das Herz des Guten klopfte, als er sie +grüßte, und er hätte jetzt nicht stehen bleiben und mit ihr ein paar +Worte reden können! Eine höchst ungewohnte Aufregung trieb ihn an +ihr vorbei, und erst als er ein paar hundert Schritte gegangen war, +beruhigte er sich wieder. — »Des ist nex g'wesa',« sagte er endlich zu +sich selbst und schüttelte höchst ernsthaft den Kopf.</p> + +<p>Er war gefangen, der arme Michel. Er hatte seinen Theil — und konnte +sehen, wie's ihm ging. — Zu dem schönen Aussehen der Gret kamen +zuletzt noch die Urtheile, die er von Andern über sie hörte. In diesem +Punkte sind wir Alle Menschen! Wir lieben die Geliebte um ihrer selbst, +um der Schönheit und Tugend willen, die uns aus ihr entgegen leuchtet. +Allein wenn sie nun auch von Andern gerühmt wird, so hat das nicht zur +Folge, daß unser Wohlgefallen an ihr sich mindert — im Gegentheil; +das Lob, was ihr gesungen wird, ist ein Hauch, der die Flamme unsres +Herzens oft noch viel stärker anblasen kann. Michel horchte herum, +indem er mit gutem Erfolg den Gleichgültigen spielte; denn die Liebe +schärft den Verstand aller Wesen. Und wie er nun hörte: »a g'schickt's +Mädle — a schöas Mädle — a bravs Mädle« — ja, von einem alten Kenner +»a Staatsmädle,« da war's ihm zu Muthe als wenn er dieses Mädle kriegen +müsse, koste es was es wolle. Er fühlte einen unwiderstehlichen Trieb, +sie wieder zu sehen — und ging ihr nun extra zu Gefallen.</p> + +<p>Nachdem er sich ein paarmal umsonst bemüht hatte, kam sie ihm eines +Nachmittags mit einer Kamrädin entgegen. Er wollte sie diesmal recht +darauf ansehen, ob sie denn wirklich eine solche sei, wie die<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span> +Leute sagten; deshalb ließ er seine Augen während des Grußwechsels +tiefprüfend auf ihr ruhen, indem er, den Blick zu verlängern, auch +noch den Kopf nach ihr drehte. Als er vorüber war, sagte die Kamrädin +zur Gret: »Aber der hot a baar Oga' g'macht auf dih hear! Kommt mer +grad für, als ob er — no des wär' aber zom Lacha'!« — »Was moest +(meinst) denn?« fragte die Gret lächelnd. — »Gang,« erwiederte die +andere, »du verstost me wol net!« — »Du moest, er wär'« — »Oh (auch) +in di verliebt, ja, so kommt's mer für!« — Die Gret versetzte: »Sei +g'scheidt! Dean kennt ma' ja! — Mir isch gar net so fürkomma'!«</p> + +<p>Natürlich log hier das hübsche Mädchen. Ihr war's erst recht so +vorgekommen — und heute nicht das erste Mal. Schon bei der zweiten +Begegnung hatte sie »ebbes gnissa'« (bemerkt), und jetzt war's klar, +oder Alles mußte trügen. — Die Gewißheit, die sie erlangt hatte, +machte einen sehr wohlthuenden Eindruck auf sie. Fürs erste wars eine +Ehr', den verrufenen Sünder zu bekehren und den Mädchenverächter +dahin zu bringen, daß er auch daran glauben mußte. Aber das war das +Geringste. Michel gefiel ihr! Seine Statur und der Ruhm seiner Stärke +hatten ihr schon früher Achtung eingeflößt; gegenwärtig kam ihr sein +Gesicht für ein Mannsbild hübsch genug vor, die Gutmüthigkeit, die +ihm aus den Augen sah, rührte ihr Herz — und das »B'sondere« und +»O'gschickte,« das er an sich hatte, erheiterte sie, ohne ihm bei ihr +zu schaden. Als sie wieder allein war, lächelte sie für sich hin. »Es +ist oft guet,« sagte sie endlich, »wann der Ma' net gar z'g'scheidt +ist!« —</p> + +<p>Wie man sieht, gingen ihre Gedanken ebenfalls ziemlich rasch. Das +ist natürlich und — ländlich. — Aber ihre Sache war es nicht, ihm +nachlaufen; wenn es ihm ernst war, mußte er kommen — sie konnte +zusehen. Ihr Gesicht klärte sich schelmisch auf. »Wie er se a'stella' +wird derzue?« fragte sie sich. »I bin wirkle neugiereng!« Er hatte +ihren Beifall, der gute Michel, sie konnte ihn zum »Burscht,« sie +konnte ihn zum Manne nehmen, wenn's sein mußte, — ja es regte sich +der Wunsch in ihr, daß es so ausgehen möchte; — aber sie bereitete +sich doch vor, ihn auszulachen, und freute sich darauf! — Sie war ein +Mädchen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span></p> + +<p>Michel hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß die Leute ganz recht hatten +mit dem, was sie über die Gret sagten. Aber wenn dies seine Liebe +noch mehr schürte, so fachte es auch seine Sorgen an. Die Gret hatte +ihn diesmal gar nicht angesehen (er hatte noch keine Kenntniß davon, +daß die Mädchen nicht sehen und doch sehen können!) und es war ihm +beinahe vorgekommen, als ob sie ein etwas spöttisches Gesicht gemacht +hätte. Was sollte er thun? Sollte er warten und stillschweigen? Dann +kam vielleicht ein Anderer und nahm sie ihm weg. Oder sollte er ihr +nachgehen und reden mit ihr? Dann sagte sie vielleicht, er könne wieder +gehen, woher er gekommen sei, und er wurde das Gespötte des ganzes +Dorfes. — Die Klemme war verwünscht und guter Rath theuer.</p> + +<h3>In der Unterhaltung.</h3> + +<p>Jede Versäumniß rächt sich. Man soll in jungen Jahren nicht denken: +Wozu hab' ich das nöthig? Wozu könnte das gut sein? — Man soll +Kenntnisse sammeln und sich Fertigkeiten aneignen, wie die Gelegenheit +sich bietet, auch wenn zunächst keine Neigung dazu vorhanden und +Anstrengung erforderlich wäre; denn man weiß nie, wozu man sie später +brauchen kann! —</p> + +<p>Davon überzeugte sich jetzt auch Michel. Die Liebe trieb ihn hin und +her, sie ließ ihm keine Ruhe, und er sah ein, daß er etwas unternehmen +müsse, geh es, wie es wolle. Er mußte mit der Gret reden — er mußte +erfahren, was er zu hoffen habe — sonst wurde er toll! — Aber wie +sollte er's anfangen? Wie sollte er sein Anliegen vorbringen?</p> + +<p>Er dachte darüber nach und nichts fiel ihm ein, was er für anwendbar +und gut gehalten hätte. Es dünkte ihn so närrisch, von der Liebe zu +reden; es war ihm, als würde es nicht herausgehen aus ihm, als würde +er stecken bleiben und dastehen, wie d's Kind beim — — Da hatte er's +nun! Gab's nicht Kerle im Dorf, denen bei den Mädchen das Maul ging +»wie geschmiert?« die nicht nur sagen konnten,<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> was sie auf dem Herzen +hatten, sondern noch viel mehr dazu lügen? Hatte er nicht gehört, daß +mancher schon eine, die ihn zuerst gar nicht leiden konnte, durch +bloßes Reden soweit gebracht, daß sie endlich zu Allem Ja sagte? +— Aber so geht's! Hätte er in jüngern Jahren auch mit den Mädchen +diskurirt, mit ihnen getanzt und sich lustig gemacht, — hätte er sich +das bischen Mühe gegeben und gelernt, wie man mit ihnen umgehen muß — +dann könnte er's jetzt und müßte sich nicht den Kopf zerbrechen! — Er +fühlte ganz ernstlich Reue, der gute Michel! Er wurde verdrießlich, +sehr verdrießlich. »I ben a'n Esel g'west, und des a großer,« sagte er +zu sich selbst. »Aber,« setzte er hinzu, »wie hab i oh wissa könna, daß +mer no' so ganga' wurd!«</p> + +<p>Ein paar Tage ließ er vorbeigehen. Zuletzt, durch den Kampf der +Leidenschaft mit der Furcht gequält und geärgert, rief er zornig: »Hol +der Teufel alles! So ka'n e's nemmer aushalta' — i muß woga', komm's +raus wie's will!« — Die Gret stand vor seiner Seele so schön und mit +einer Miene, die nichts Abschreckendes hatte! »Dommheit«, rief er +beherzt. »I sott me wohl vor'm Mädle färchta' (fürchten)? Des wär' ja +zum Lacha'.« — Er faßte den Entschluß, bei nächster Gelegenheit mit +der Gret zu schwätzen und sein Anliegen vorzubringen oder wenigstens +»drom rom« (darum herum) zu reden, zu sehen, was sie für ein Gesicht +dazu mache, und dann ein andersmal weiter zu gehen.</p> + +<p>Recht schön fügte sich's, daß er das Mädchen eines Abends, als ihn +ein Geschäft auf den Fußweg hinter den Dorfgärten geführt hatte, ganz +allein gegen sich herkommen sah. Die Gelegenheit konnte nicht günstiger +sein, er mußte sie benutzen. Was er zuerst zu ihr sagen wollte, wußte +er genau, nämlich: »Godda'n Ohbed (guten Abend) Margret!« Das Uebrige +gab sich dann von selbst. Entschlossen ging er vorwärts. Wie er aber +die Gret näher und näher kommen sah, machte er eine seltsame Erfahrung. +Sein Herz fing an zu klopfen, vor den Augen begann es ihm zu flimmern, +und die Lippen wurden so schwer, als ob Gewichte daran gehängt worden +wären. Es schien ihm unmöglich, sie zu bewegen — und da halte einer +eine Ansprache! Vor der Gret angekommen, machte er eine unerhörte +Anstrengung<span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span> und rief mit grimmiger Freundlichkeit: »Godda'n Ohbed, +Margret!« — »Godda'n Ohbed, Michel,« antwortete die Gret mit heller +Stimme und mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ob sie recht gut +wüßte, in welchem Spittel der arme Bursche krank läge. Dieser nahm +indeß nichts wahr. Nach der Leistung, die er sich abgerungen, trieb es +ihn mit unwiderstehlicher Macht an ihr vorüber — weiter und weiter. +Nachdem er hundert Schritte gemacht hatte, athmete er auf; aber erst +als er um eine Ecke bog und nicht mehr gesehen werden konnte, wurde +er leichter und ruhiger. — Er hielt an, dachte nach — — und sein +Benehmen stand klar vor seinen Augen. Er hatte sich nun doch gefürchtet +— und die schönste Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen! Unmuth +erfüllte seine Brust und sehr ärgerlich rief er: »Ietz möcht' e mer +glei (gleich) selber a'n Ohrfeig' geba' daß mer der Kohpf somsa' dät! +Fürcht' me wärle, und zitter' am ganza Leib, als wann e oen ombrocht +hätt! Sott ma' denn globa', daß ma' so domm sei' ka'?« —</p> + +<p>Die Sache war indeß nicht anzufechten, sie war geschehen und der +Verdruß konnte nichts daran ändern. Für Michel gab es nur Einen +vernünftigen Entschluß: sie zu vergessen und sich vorzunehmen, es ein +andermal besser zu machen. Dazu verstand er sich denn auch. »I ben a +Narr,« sagte er, »daß e me verzürn'! Verloara'n ist no nex, und so +wurd's net allmol ganga' (gehen).« — Er stellte sich vor, wie er das +nächstemal reden werde, er hatte Einfälle, wie man sie nach einer +versäumten Gelegenheit zu haben pflegt — und so von weitem schien ihm +die Sache ganz leicht zu machen. »Bah,« meinte er endlich, »des ist +ha'et nor so a dommer A'fall g'wesa'! 'S müeßt ja beim Deufel sei', +wann ih net könnt', was jeder ander' ka'!« — Er tröstete sich und ging +beruhigt und mit neuem Muthe nach Hause.</p> + +<p>Wieder verstrich einige Zeit. Es war in der letzten Woche des Monat +Mai, und unter dem Wehen der Ostluft kam ein wunderschöner Tag herauf. +Ein leichter Reif hatte auf der Landschaft gelegen, die Sonne, in den +wolkenlosen Himmel sich erhebend, sog ihn weg und goß den Silberglanz +des Morgens über die Erde. Die Lerchen sangen, die Landleute, die sich +an ihre Arbeit begaben, zeigten vergnügte Gesichter, das Vieh, das zum +Saufen getrieben wurde,<span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span> brüllte vor Lust und sprang rechts und links +in die Höhe. Das Alles war so fröhlich, so ermuthigend! Es war einer +von den Morgen, wo im Herzen so wenig eine Sorge aufkommen kann, wie am +Himmel ein Wölkchen — wo im Innern der Frohsinn regiert und draußen +der Sonnenschein.</p> + +<p>An diesem Morgen fühlte sich unser Michel frisch und munter, wie seit +langer Zeit nicht. Er dachte an die Gret — mit stillem, ruhigem +Vergnügen. Es war ihm, als könnte er heute schwätzen und Spaß machen +nach Belieben, und wenn's sein müßte, gelegentlich auch ein ernstes +Wort reden — kurz, er fühlte sich aufgelegt. Indem er sich's lebhaft +vorstellte, empfand er ein Verlangen, sein Vermögen in's Werk zu +setzen. Er faßte sich kurz und machte sich auf den Weg durch die +Gasse, in der Hoffnung, die Geliebte zu sehen. Im Nothfall, wenn er +sie nämlich vor ihrem Hause nicht traf, konnte er hineingehen und den +Maurer bestellen; denn an seinem Hause war ein Stück weit der Mörtel +abgefallen, und wenn es auch auf dem Lande nicht grad nothwendig war, +ihn wiederherzustellen, so konnte es doch auch nicht schaden.</p> + +<p>Sein guter Muth und seine Laune minderte sich nicht, als er der +Wohnung des Maurers sich näherte. Er hatte ein paar Vorübergehende +gegrüßt und die gewöhnlichen Formeln waren ihm so leicht und lustig +vom Munde gegangen, daß ein junges Weib sagte: »Du bist aber ha'et +alert, Michel!« — Darin lag für ihn ein neuer Beweis, daß er heute +seinen guten Tag habe, und rüstig ging er vorwärts. In dem kleinen +Hofe sah er die Gret nicht; aber im Wurzgärtlein, von der Gasse nur +durch einen niedrigen Zaun getrennt, war sie über ein Beet hin gebückt. +Wie er sie hier unvermuthet erblickte, war er doch betroffen. Es hieß +nun wieder: »Vogel friß oder stirb,« und vor dem strengen Antlitz der +Nothwendigkeit entfloh der leichte Humor in seinem Herzen, um den +Anwandlungen von letzthin Platz zu machen. Es mahnte ihn etwas, zu +thun als ob er sie nicht gesehen hätte, und sachte weiter zu gehen. +Aber heute war er nicht gemeint, auf die Stimme des Kleinmuthes zu +hören; er unterdrückte die Bewegungen seines Innern, blieb stehen und +rief entschlossen: »Godda' Morga', Margreat!« — Das Mädchen sah auf +und erwiederte:<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> »Ei, godda' Morga', Michel! Bist oh scho' en der Höa' +(Höhe, d. h. aufgestanden)«? — Diese Frage kam ihm ungelegen; denn +eigentlich hatte er selber fragen wollen: »Oh scho' auf?« — und wenn +sie dann, wie es nicht wohl anders möglich war, mit Ja antwortete, so +hätte er ihr was Schönes gesagt über ihr frühes Aufstehen, ihren Fleiß +u. s. w. Das konnte er nun, wenigstens in der zuerst ausgedachten +Weise, nicht mehr, und dieser Umstand machte ihn ein wenig verwirrt. +Er antwortete zögernd: »Ja wohl,« und da er sich auf diesen Fall nicht +vorgesehen hatte, so entstand eine kleine Pause. Allein mit Recht +hatte er geglaubt, daß er heute seinen guten Tag habe. Nicht lange +besann er sich, und ein neuer Einfall war da. Er drehte seinen Kopf +in der Luft herum und sagte: »Ha'et hommer (haben wir) amol a schöas +Wäder (Wetter)!« — Die Gret erwiederte heiter: »Ja Gottlob! Mer (wir) +könna's aber oh braucha'!« Und ohne Unterbrechung und würdig setzte er +hinzu: »Descht (das ist) wohr! — Des könna' mer!«</p> + +<p>Bis hieher war's gut gegangen, trotz der nothwendig gewordenen +Aenderung, und Michel konnte sich dessen bewußt sein. Aber nun war +eine neue Rede nöthig, und nichts wollte ihm einfallen. Es entstand +eine längere Pause. Ein besserer Beobachter als Michel hätte an dem +Gesicht des Mädchens wahrnehmen können, daß sie gar wohl im Stande +gewesen wäre zu reden und dem Burschen aus der Noth zu helfen — daß +sie aber aus irgend einem Grunde nicht wollte! Michel besann sich, und +ein neuer Einfall kam. Er sagte: »Bischt allweil g'sond und wollauf?« +— Diese Frage schien der Gret so curios hinterdrein zu hinken und so +sehr eine bloße Geburt der Noth, daß sie mit Mühe das Lachen halten +konnte. Sie nahm sich indeß zusammen und erwiederte ruhig, aber nicht +ohne eine gewisse schelmische Heiterkeit durchblicken zu lassen: »Dank +der Nochfrog (Nachfrage)! Mir fehlt Gottlob nex!« — Michel, wie uns +bekannt ist, war im eigentlichen Sinn weder dumm noch blind. Die +Bedeutung dieses Vergnügens auf dem Gesicht der Gret blieb ihm nicht +ganz verborgen; er hatte eine Ahnung, daß sie ihn eigentlich auslache, +und schwieg, indem eine Wolke der Verstimmung seine Züge beschattete. +Die Gret erkannte, was in ihm vorging, sie fühlte, daß sie etwas gut +zu machen<span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span> habe, und einen Schritt vortretend sagte sie zugleich mit +gutmüthigem und schlauem Lächeln: »Host vielleicht so'st ebbes g'wöllt +(gewollt)?« — Diese Frage fiel wie eine Bombe auf den guten Michel. Es +war klar: er hatte sich verrathen; sie wußte, wie's ihm um's Herz war, +und forderte ihn heraus! Er konnte — er sollte reden — da war kein +Zweifel! Aber diese Möglichkeit, reden zu können, und diese Nöthigung, +reden zu sollen, traf ihn mit solchen Schrecken der Ueberraschung, daß +er dastand wie vom Donner gerührt und nicht ein Wort hätte vorbringen +können um die ganze Welt! In der Verwirrung, die ihn überkam und ihn zu +übermannen drohte, nahm er instinktmäßig seine Zuflucht zu dem einzigen +Mittel, das ihm noch übrig blieb — zur Grobheit! Mit trotzigem Gesicht +und wie beleidigt rief er endlich: »Was sott (sollte) i denn wölla'? I +wißt net was! — Godda' Morga'!«</p> + +<p>Und mit starken Schritten ging er seines Weges.</p> + +<p>Die Gret sah ihm nach und lachte — nicht laut — dafür aber, wie man +zu sagen pflegt, mit dem ganzen Gesicht. Als er hinter dem Nachbarhaus +verschwunden war, sagte sie zu sich selber: »Ietz so o'g'schickt hätt' +i mer'n doch net vorg'stellt! — I sig scho' — doh mueß i mi der Sach +selber a'nemma', wann ebbes draus weara' soll!«</p> + +<p>Michel ging nach Hause. Der Unwille, zu dem er gekommen war, er wußte +selber nicht wie, verging, eine dumpfe Ruhe trat an seine Stelle. In +dieser Ruhe erhielt er bald eine deutliche Anschauung von der Art +seines Betragens — eine gelinde Verzweiflung fiel ihn an und brachte +sein Blut auf's neue in eine schlimme Gährung. Er entlastete sein Herz +in unarticulirten Lauten; dann, die Einsamkeit seines Stadeltennen +aufsuchend, bildete er bestimmte Gedanken und konnte nicht umhin, ihnen +Worte zu geben. »Also widder nex,« rief er, — »widder a Dommheit! +Isch denn net grad, als wann's verhext wär'? W'rom ka'n e denn ietz +net reda', wann e vor dem Ohs (Aas) dohstand? W'rom got's mit m'r +em Reng rom, als wann e g'suffa' (betrunken) wär'? Der Deufel mueß +g'macht haba'!« Er stöhnte vor Verdruß und strampfte den Boden, daß +es schallte. Nach einer Weile fuhr er fort: »Host so'st ebbes g'wöllt +— hot's me g'frogt. Des ist doch offa'bar, daß g'wöllt hot, i soll +d's Maul aufdoa'! W'rom<span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span> hab' e denn ietz net g'redt? Hätt'e net saga' +könna': Mädle, du g'fällst mer, i will de heiricha' (heirathen) — +willst me? — oder so'st ebbes! No (nachher) hätt's reda' müessa', ja +oder noe, ond i wihßt ietz, wie e dra' ben! Aber so stand e doh wie a'n +Ochs, der mit 'm Beil oes naufkriegt hot auf's Hihra' (Hirn, Stirn), +und nocht mach e a G'sicht ond due an se na', als ob's m'r ebbes do' +(gethan) hätt'! Die wurd se 'n schöna' Begriff macha' von mir! Die hält +me doch g'wihß für da' dommsta'n ond o'g'hobelsta' Menscha'n em ganza' +Ries? Ond wann's me vorhear oh g'möcht hätt, ietz mag's me g'wihß +nemmer ond ka' me nemmer möga'! So'n Esel! I bedanket' me selber, wann +e a Mädle wär!«</p> + +<p>Der gute Bursche versank nach dieser desperaten Selbstanklage in eine +dumpf-düstere Stimmung. Er war unerfahren, unschuldig, aber ein Mensch, +der in seiner Art Anlage zum Reflectiren hatte. Diese Anlage begann +unter den obwaltenden Umständen sich zu entwickeln und seinem Wesen +einen neuen charakteristischen Zug zu verleihen. Je mehr er von sich +hielt, je mehr Ansehen er bisher unter seinen Kameraden genossen, +um so mehr forderte er von sich einem Mädchen gegenüber auch das +rechte würdige Benehmen. Je weniger er aber im Stande war, sich so zu +benehmen, wie ers seiner für würdig hielt, desto mehr kapitelte er sich +hinterdrein selber, stellte sich vor wie er sich hätte benehmen sollen +und können, ärgerte sich, daß er sich nicht so benommen habe etc. etc. +— kurz, er wurde ein denkender Mensch. Er unterhielt sich mit sich +selber, er strafte sich, er quälte sich selber. Daß das Letztere nicht +zu weit ging, dafür sorgte als guter Genius die Bauernnatur, die sich +auch hier in natürlichen Gränzen bewegt und sich aus dem Quell der +unbewußten Lebenskraft immer selber wieder herstellt.</p> + +<p>Für jetzt sank er gleichwohl in Abgründe der Verzagtheit. Mit der +Gret wieder eine Ansprache zu versuchen, kam ihm unmöglich vor. Er +hatte eine stille Wuth gegen sich, eine stille Wuth gegen sie — wie +sollte er da reden? Und wenn er sich nöthigen wollte, müßte es nicht +tausendmal ungeschickter herauskommen, als dießmal, wo er vergnügt war +und im Grunde ganz gut angefangen hatte? — Nein<span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span> — es half nichts. +Einem Mädchen zu gefallen, hatte er nun einmal keine Gaben — es ging +nicht — er mußte es aufgeben! —</p> + +<p>Als er so weit gekommen war, ging er in den Hof, um sich an einer +Arbeit zu erholen. Hier begegnete ihm seine Mutter. Sie sah ihn an und +sagte: »Was machst denn du ha'et für a G'sicht?« — »Ih, a G'sicht?« +versetzte Michel. — »Wie ka'n e des wissa'? Guck i ebba' en Spiegel?« +— »Gang weiter«, entgegnete die Schwabin, »du host ebbes! Hot d'r +ebber (etwer, jemand) ebbes do'?« — »Mir?« erwiederte Michel, indem +er mit einer heroischen Miene aufsah, — »mir ebbes do'? I wott's koem +rotha'!« — Er ging weiter, indem er bei sich dachte: »du därfst lang +warta', bis e dir ebbes sag'!« — Die Mutter sah ihm kopfschüttelnd +nach. »Er ist halt doch net vergnüagt«, dachte sie, »und des ist +natürlich! In deam Alter muß a'n ordentlichs Mannsbild a Weib haba' — +so'st isch nex!« — Sie ahnte nicht, wie Michel sich schon abgemüht +hatte, um ihre Herzenswünsche zu erfüllen.</p> + +<p>Einige Tage ging unser Bursche melancholisch umher und wenn ihn beim +Zurückdenken an seine Niederlagen ein Zorn anwandelte, so ließ er +ihn an irgend einer Arbeit aus. Er bot denen, die seiner wahrnahmen, +ein neues und eigenthümliches Bild. Schweigend hatte man ihn oft +gesehen; jetzt sah man ihn »sinnirend« und vernahm hie und da grimmige +Ausrufungen, wozu man keinen Grund wußte. Fragte man ihn darnach, so +war die Antwort, sofern eine erfolgte, keine höfliche. Man wußte nicht, +was man aus ihm machen sollte. Den Zustand seines Herzens ahnte Niemand +im ganzen Dorf. Die einzige Person, die außer ihm davon Kenntniß +hatte, schwieg nicht nur selber — sie hatte auch jener Kamrädin ihre +Vermuthung wieder auszureden gewußt und ihr das Versprechen abgenommen, +sie mit dem Michel nicht in's Geschrei zu bringen. Es giebt Mädchen, +die das Genie der Verschwiegenheit haben, d. h. die ohne besondern +Vorsatz und mit Lust verschwiegen sind und sich an dem Geheimniß +weiden. Die Gret war heiter und hoffte mit Zuversicht, ihre Wünsche +gekrönt zu sehen — sie brauchte nicht zu schwätzen.</p> + +<p>Michel war es nicht; er war unmuthig und verzweifelte am Erfolg<span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span> — er +spürte einen Trieb zu reden und konnte endlich einer Gelegenheit, sei +Herz zu entlasten, nicht widerstehen.</p> + +<p>Unser Enakssohn hatte einen Kameraden, der ihm unter allen Burschen, +die zu ihm hielten, der liebste war. Kaspar, der Sohn eines Webers, +hing mit aufrichtiger Theilnahme an Michel und wußte sich auch am +besten in seine Manieren zu fügen. Obschon drei Jahre jünger, hatte +er in Bezug auf das weibliche Geschlecht eine hinreichende Summe von +Erfahrungen — er wußte, wie man sie behandeln mußte, und galt darum +auch »seinen Batzen« bei ihnen. Mittelgroß, »rahneng,« von angenehmer +Gesichtsbildung hieß er bei ihnen nur »a nett's Bürschtle« und »a +lustengs Männdle,« dem man gut sein müsse. Trotz der Gunst, die er bei +den Spenderinnen der Lebensfreude erfuhr, hatte er doch nicht mehr +Selbstgefälligkeit als allenfalls natürlich war; er genoß das Lob eines +fleißigen Menschen und wußte sich unter den Mannsbildern ebenso den Ruf +eines guten Kameraden zu bewahren. — Dieser Bursche, zum Vertrauten +wie geschaffen, wußte durch eine wohlgemeinte und geschickte Frage dem +Michel sein Geheimniß zu entreißen. Allein mit ihm sah er den düster +vor sich Hinstarrenden theilnehmend an und sagte dann: »Michel, di +drückt ebbes! Wannd' mer's net geara' sakst, will e de net weiter +froga'. Wann's aber ebbes ist, wo i d'r vielleicht helfa' ka', so red! +— Du woescht, wie e's moe (ichs meine).«</p> + +<p>Diese treuherzig gesprochenen Worte machten des Leidenden Herz weich +und folglich geneigt zur Mittheilung. »Ach,« erwiederte der Verliebte +nach kurzem Schweigen mit einem riesenmäßigen Seufzer, »mi drückt +freile ebbes!« — »Was isch?« fragte Kasper. »Sag's, wann e's (ich es) +wissa' därf!« — »Am End,« erwiederte Michel, »bist du grad der Recht', +der mer'n Roth (Rath) geba' könnt! — No mei'dawega' (meinetwegen), i +will der's saga'!« — Er schwieg. — »Nossa' (nun so dann),« mahnte +Kasper. — »Z'erst mueß e der saga',« erwiederte Michel mit tiefem +Ernst, »daß koe Mensch ebbes davo'n enna' weara' (inne werden) därf!« +— »Gang weiter! Ben i a Schwätzer?« — Die Möglichkeit, daß Kasper +es doch unter die Leute bringen könnte, hatte aber den Michel schon +aufgeregt. »Kerl,« rief er eine Faust machend, »wann d'ebbes sakst — +'s got d'r schlecht!«<span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span> Der Andere kannte seinen Mann; er zuckte die +Achsel und erwiederte: »Du bist net g'scheidt!« — »Guet,« versetzte +Michel. »Ietz woesch (weißt dus) — und ietz will i der's saga'!« +— Wieder eine Pause. »I höar,« erwiederte der Andere, indem seine +Mienen sich ahnend erhellten. — »No,« begann endlich Michel mit +neuer Anstrengung, »doh (da) die Great — d's Maurers seine moen' e« +— Kasper sah den wiederholt Innehaltenden mit gutmüthig schlauem +Lächeln an und rief, ihn ganz durchschauend: »Fehlt's d'r doh?« — »Ja, +Bruder,« ging's endlich aus Michel heraus, »doh fehlt's m'r! Des Mädle +g'fällt m'r, die mueß e haba — — und Kreuzdonner ond's Wetter: i woeß +net, wie e's a'fanga' soll!«</p> + +<p>Kasper unterdrückte das Lachen, das ihn bei diesem Bekenntniß +anwandelte, und forderte ihn auf, ihm zu sagen, wie's eigentlich stehe. +Michel, einmal im Zuge, erzählte Alles, und zwar mit einer Naivität, +bei welcher der Erfahrene, wenn er nicht lachte, doch wenigstens zu +»schmöhzeln« (schmunzeln) nicht umhin konnte.</p> + +<p>Bekanntlich hat der Mensch nicht leicht eine angenehmere Empfindung, +als wenn er an einem Andern, der ihm bisher Respekt abgenöthigt hat, +plötzlich eine Schwachheit entdeckt. Es gibt deren, die eine solche +Wahrnehmung geradezu beseligen kann und die das so erlangte Wohlgefühl +zu den höchsten Genüssen zählen, womit der Himmel die armen Sterblichen +begnadet hat. Sogar Freunde, will man wissen, sollen in diesem Fall +erheitert werden und aussehen, als ob ihnen ein Glück widerfahren wäre! +Und ihr Benehmen gegen den Träger dieser Schwachheit soll nach der +Entdeckung ein vielfach anderes sein, als vorher! — Wir lassen diese +Behauptung in ihrer Allgemeinheit auf sich beruhen, müssen aber der +Wahrheit gemäß bekennen, daß unser wackrer Kasper bei der Erzählung +seines Kameraden eine ziemlich lebhafte Genugthuung empfand und in +seinem Gesicht einen Ausdruck heiterer Ueberlegenheit zeigte, den er +vorher nie gegen ihn hatte blicken lassen.</p> + +<p>»Des isch, was me drückt,« schloß Michel seinen Bericht. »Schlechter, +des wurscht selber saga', hätt's net ganga' könna', und Alles ist +verspielt. I ben eba' zom O'glück geboara', und mit mei'r Fräd isch +aus auf der Welt!« — »So,« versetzte Kasper, indem er ihn mitleidig +ansah; — »willst de net lieber glei gar versäufa'?« — Michel<span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span> +schaute ihn an. »Du bist a Narr,« fuhr Kasper fort, »des sag d'r ih! +Nex ist verspielt, gar nex!« — »So,« erwiederte Michel, »wamma' se +so o'gscheidt benemmt ond« — »Dei' Benemma' schad't d'r gar nex,« +fiel Kasper ein. »Des ist eba' d'Liab! D'Liab macht verwirrt, ond +wamma' verwirrt ist, macht ma' Dommheita'. Aber d'Liab ist ja eba', +was d'Mädla' haba' wöllet! ond wann oer vor lauter Liab duet als ob +'r narred wär, globst, des nemmt d'r oena'nübel? Ja bis Wuch (auf die +Woche d. h. niemals)! Fräa' duet se's ond geara' hont's so oen!« — +Dem Michel schien dieß einzuleuchten. »Du ka'st Rehcht haba',« sagte +er getrösteter. »'S ist wohr, i därf me no' net ahschrecka' lossa'!« +— »Wie moest,« setzte er mit neuerwachtem Muthe hinzu, »soll e glei +rausrucka' mit der Farb? Soll e saga', daß e's heiricha' will?« — »Des +got net,« entgegnete Kasper mit der Miene der Autorität. »Ma' mueß net +mit der Thür en's Haus falla'! Allweil oes noch'm Andra'! — Z'erst +muescht doch oh seha', ob's de haba' will!« — »Ja so,« versetzte +Michel wieder etwas herabgestimmt. »Was soll e denn aber so'st doa' +(thun)?« — »G'späß macha',« erwiederte Kasper munter. »Siksch (siehst +du), des ist d'Hauptsach. Da' Mädla' g'fällt nex besser, als Narrheita! +Z'erst G'spaß und nocht Ernst — des ist der recht Weg! Foppa' mueß +ma's ond ploga', wamma' zo ebbes komma will! Je meaner (mehr) as (als) +ma's plogt, je lieber as oen hont (haben)!« — Dem geradsinnigen +Michel schien diese Behauptung sehr gewagt; er sah den Rathgeber +fragend an. »Du globsch wohl net?« sagte dieser; und als der Bursche +den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Weil d'eba' koe Erfahreng host en +deana' (diesen) Sacha'! Siksch, des ist so! Wann e a Mädle fopp ond +plog, no sikt's, daß e ebbes mit 'r haba' will, no sikt's, daß e's +liab — ond 'n Spaß hot's obadrei'! Ond so went (wollen) se's grad +haba'!« — Michel begriff; er sagte mit Anerkennung: »Kapper (traulich: +Kasper), du bist a verfluechter Schlengel!« — »No,« erwiederte Kasper +behaglich, »wann e des net wihßt!«</p> + +<p>Es erfolgte eine kleine Pause, in der Michel auf's neue bedenklich +wurde. »Ja,« begann er zögernd, »wann e aber nocht G'späß macha' will +ond 's g'rothet mer net? Wann e me widder o'gschickt a'stell — wie +doh?« — »Des wär freile fehlerhaft,« erwiederte Kasper<span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span> mit Ernst. +»Eweng därfa't (dürfen) Dommheita' net daura', so'st verliera't +d'Mädla' da' Respekt!« — »Doh hosch (hast du's)!« versetzte Michel mit +einem Ausdruck, als ob nun er wieder Recht hätte. »Ond mir isch grad +so, als ob's mer net g'rotha' könnt! Was ietz?« — »No,« erwiederte +Kasper mit einer Art von Unmuth, »doh ka'n e d'r koen andera' Roth +geba', als daß d'r eba'n a bisle meaner ei'bildst! Kott's Heidablitz! +A Kerl wie du! Ist des koe Ehr' für so a Mädle, wann du 'n G'falla'n +an 'r host? Mueß (sie) doh net stolz drauf sei'?« — »Ih sott's +(sollt' es) beinah globa',« bemerkte der Enakssohn mit entsprechendem +Selbstgefühl. Und Kasper erwiederte: »No, ond wann d'net vergischt, +wer du bist, nocht wurscht oh reda' und G'späß treiba' könna' mit +so'm Deng doh!« Ruhiger setzte er hinzu: »Ma' mueß se net gar z'viel +macha'n aus da' Mädla' — des ist a Fehler! Drom wamma'n amol a bisle +z'hitzeng g'wesa'n ist, no mueß ma'n extra widder a weng huf (zurück) +ganga' und doa' als ob ma' gar wohl ohne se leba' könnt! Nocht kriega' +sie widder 'n Luhst! — Also, bei d'r nächsta' G'legenheit duast, was e +d'r g'sakt hab', ond i garantir d'r, sie kommt d'r!« — »I will seha',« +erwiederte Michel. Dann, nach kurzem Schweigen, setzte er hinzu: »Also +nommol (nochmal)! D's Maul g'halta'n oder« — Er machte mit der Faust +eine verständliche Bewegung. Kasper lachte. »Du wärst am End em Stand +und brächst mer da' Hahls, zom Dank für mein' gueta' Roth?« — Michel, +wieder auf seinem Boden stehend und sich fühlend, erwiederte: »Wann de +dernoch aufführa' dätst — 's käm m'r net drauf a'! — No, ietz b'hütet +de Gott!« — — —</p> + +<p>Michel war durch die Aufklärung des gewandten Kameraden in der That +getröstet und faßte wieder frischen Muth. Das Gefühl seiner Kraft und +das Vertrauen auf sich selbst kehrte zurück. Es war ihm zuweilen, als +ob er nur hingehen dürfte zu der Gret, um Spaß zu machen nach Noten! +Aber extra zu ihr gehen, das wollte er nicht: da würde sie ja glauben, +daß er's gar zu nothwendig hätte — und das sollte sie nicht! — Er +wollte die Gelegenheit abwarten, dann aber auch benutzen.</p> + +<p>Eines Nachmittags schlenderte er gemüthlich auf dem Anger hinter +seinem Garten. Es war ein Sonntag; er hatte gut gegessen, ein<span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span> wenig +»gedurmt« (geschlummert), sich dann schön angezogen, die Pfeife in den +Mund gesteckt und war hieher gegangen, um zu sehen, was ihm weiter +belieben werde. An einem solchen Nachmittag fühlt sich der Bauer immer +behaglich, sogar wenn er verliebt ist. Michel ging langsam, blieb +zuweilen ein bischen stehen — er dachte an die Gret. Er war heute +so unternehmungslustig und dabei so sicher! »Jetzt wann's mer käm',« +dachte er — »Sapperment nei'!« — Er ging wieder einige Schritte +und sah umher — und wie's denn manchmal geht, dort, den Weg von der +linken Gasse zum Anger herunter, kam die Gret! Michel eilte mit großen +Schritten zum Ausgang des Wegs, um sie noch eben zwischen den Gärten zu +treffen. Sie sollte ihm nicht entwischen — sie sollte ihm Rede stehn +und nicht mit einem bloßen Gruß davon kommen!</p> + +<p>Es gibt auf dem Lande nichts Reizenderes als jene Gänge zwischen +lebendigen Hecken, die eben breit genug sind, daß man sich ausweichen +kann. In der schönen Jahreszeit, wo die Hecken grünen und blühen, wo +der trockene Weg von Gras und Blumen eingefaßt ist, gewährt es ein +wahrhaft poetisches Vergnügen, hindurchzuspatzieren, zumal wenn beim +Schein der Sonne der Schatten dicht belaubter Gartenbäume drüber fällt. +Es ist so traulich und so heimlich darin, daß man nur bedauert, so bald +wieder ins Freie zu kommen! —</p> + +<p>Ein solcher Gang war es, in dem unser Michel die Geliebte festhalten +wollte. Seine großen Schritte hatten bewirkt, daß er noch rechtzeitig +kam: die Gret ging erst in der Mitte des Weges. — Wie schön war sie! +Sie hatte an dem warmen Tage keinen Kittel an: in blendendweißen +Hemdärmeln, in gestreiftem, farbigem Mieder und rothem Halstuch +kam sie ihm entgegen. Die Kleider standen ihr so gut, ihr Gang war +so geschickt: das Dienen in der Stadt hat eben doch seine großen +Vortheile! — Dem guten Michel lachte das Herz im Leibe, als er sie +ins Auge faßte. Wann aber das Herz lacht, dann schwebt es und kann +consequenterweise nicht — — — fallen. Unser Freund behielt seinen +Unternehmungsgeist, obwohl die Gret mit schelmisch heiterm Antlitz +näher und näher kam; und als sie endlich vor einander standen, sagte er +heroisch: »No Margreat, wo kommst denn du hear?« — »Von der Fischere«, +war die Antwort.<span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span> — »So! — Ond wo willst denn he'?« — »Hoem! — I +ben mit 'm G'strick ausganga' — ond hab d's Gara' (Garn) vergessa'!«</p> + +<p>Unser Bursche machte ein curioses Gesicht. Es schien ihm hier eine +vortreffliche Gelegenheit gekommen, die Gret zu foppen und zu plagen, +und er beschloß sie zu benutzen. Sich breit auf den Weg hinstellend +sagte er mit schlauer Miene: »Doh hommer's (da haben wirs)! An was host +ietz doh denkt?« — Die Gret, seine Gedanken errathend, erwiederte: +»Ja, wann e's saga' dät!« — »No«, versetzte Michel, »des ka'n e mer +fürstella': an a Mannsbild!« — »So?« entgegnete die Gret schnippisch. +»Woescht du des so gwihß?« — »Wamma (wenn man) des net wihßt!« +versetzte Michel mit selbstgefälliger Sicherheit. »Des ist ja doch uir +(euer) oezengs Dichta'n ond Drachta'!« — »Doh bildet 'r ui (ihr euch) +doch a bisle z'viel ei'«, erwiederte die Gret. — »Bah«, rief Michel +im Hochgefühl des Rechthabens, »wär koe Wonder, des wär net bekannt!« +— Das Mädchen versetzte mit einem Schein von Ernst und Schärfe: »Ma' +sakt manchmol, es sei ebbes so, derweil hätt' ma nor geara', daß so +wär! Omkeart (umgekehrt) wurd a Schua' (Schuh) draus!« — »Ho ho!« rief +Michel. — »Uir (ihr) Mannsbilder«, fuhr die Gret fort, »lebet en der +Ei'bildeng — und des ist natürlich. Uir wisset net, was o's (uns, wir) +denket; aber o's wisset, was uir denket!« — »Des wär' der Deufel!« +versetzte Michel, verwundert über die kecke Behauptung. »Wie sottet'r +(solltet ihr) des wissa?« — »Wie?« erwiederte die Gret, indem sie ihm +heiter ins Gesicht sah; »weil d'r (ihr) uire Gedanka' verrothet, weil +d'r o's nochloffet (nachlauft)!« —</p> + +<p>Michel war betroffen. »D's Ohs hot Rehcht,« dachte er in einem Moment +des Schweigens. Es blieb ihm indeß noch der Ausweg, die Thatsache zu +läugnen — und das that er tapfer. »Bah«, rief er geringschätzig, »wear +duet des? A rechter Kerl net!« — »Ih«, setzte er mit Stolz hinzu, +»ben mei' Lebteng no' koer nochgloffa'!« — »Ist des wohr?« fragte die +Gret lächelnd. — »So wohr i dohstand«, sagte der Ehrliche. Die Gret, +die recht wohl gesehen, wie der Enakssohn zu dem Durchgang geeilt +war, hätte bei dieser naiven Behauptung beinahe gelacht; allein sie +unterdrückte die Anwandlung und sagte scheinheilig: »Doh ist d'r also +oh gar net drom<span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span> z'doa', daß d' mit oer redst?« — Michel ahnte, wo sie +hinaus wollte; aber er hatte A gesagt und mußte B sagen, und ohnehin +wollte er sie ja uhzen (foppen)! Heroisch erwiederte er: »Gar net! — +I wihßt oh net, worum!« — »So«, sagte die Gret, »doh mueß e m'r ja +nocht a Gwissa' draus macha', doß e de mit mei'm Gschwätz aufhalt. +— Bhüet de Gott!« Sie wollte vorbei. Michel war aber nicht gemeint, +eine Unterhaltung, die bis jetzt so schön gegangen war, so schnell +abbrechen zu lassen; er rief mit Eifer: »So wart nor no' a weng! — Du +wurscht doch Gspaß verstanda'?« — »Des scho',« versetzte die Gret; +»aber i muß ietz zu meina' Kamrädenna'!« — »Gang weiter«, entgegnete +Michel, »lauter Weibsbilder! Was wurd des für a'n Onderhalteng sei'!« +— »O«, rief die Gret, »o's onderhalta' se recht guet!« — »Was net +no'!« erwiederte Michel seinerseits ironisch. Und selbstgefällig setzte +er hinzu: »Von was hont'r (habt ihr) ietz gredt?« — Die Gret sah ihn +an und ihre Lippe zuckte unmerklich. »Von was redt ma'«, sagte sie +dann, vor sich hinschauend, »wamma' se guet onderhalta' will: von da' +ledenga' Burscht'!« — Michels Gesicht klärte sich auf. »No, was hab' +e gsakt?« rief er. »Ietz gibst m'r doch selber Rehcht!« — »I hab me +verschnappt«, erwiederte die Gret. — »Ja, ja«, fuhr Michel fort, +»d'Mannsbilder stecket ui (euch) em Kopf — des woeß e ja!« — »No«, +setzte er in behaglichem Stolz hinzu, »en was für 'r Art hont 'r von es +(uns) gredt?« — »Mer hont g'rotha«, erwiederte das Mädchen nach kurzem +Zögern, »weller (welcher) ietz wol d'r G'scheidtst ist em Doraf!« — +»So«, versetzte Michel. »Send 'r oeneng (einig) woara'?« — »Noe«, +erwiederte die Gret. »Jeda' hot 'n andera' a'geba'!« — »Natürlich«, +bemerkte unser Bursche, indem ihn das Vergnügen über die entlarvte +Schwäche der Mädchen verhinderte zu sehen, welche Gefahr er selber +lief. »Wean host denn aber du a'geba'?«</p> + +<p>Es giebt eine Mischung von Unschuld, Ungeschicklichkeit und +Selbstgefälligkeit, die auch wohlwollende Naturen reizt, den Träger +derselben, was man sagt, anlaufen zu lassen. Die Absicht, necken zu +wollen, fordert heraus, und das Unvermögen, das in keiner Art zur Sache +kommt, erweckt ein Verlangen, zu strafen. Unsre Gret fühlte einen +Antrieb dazu und konnte ihm diesmal nicht widerstehen; sie erwiderte: +»I<span class="pagenum" id="Seite_312">[S. 312]</span> hab no' gar koen a'geba' — i hab koen gwißt. Aber ietz — ietz +woeß e oen — ond ietz muß e eila', daß e widder z'ruck komm. Mei'r +(meiner) wurd gwihß alla'n ei'leuchta'!« — Nach einem Blick, dessen +Bedeutung nicht zu verkennen war, schlüpfte sie an ihm vorbei und ging +rasch weiter.</p> + +<p>Michel sah ihr nach — — er fühlte mit einemmal, was die Gret ihm +angethan, und die Röthe der Scham überströmte sein Gesicht. Bald erhob +sich der Zorn in ihm und verstärkte das Roth zu düsterem Braun. »Wann +de nor der Deufel holla' dät,« rief er — »du Hex du! — Hot ihren +Spoht (Spott) auf m'r und stellt me he' wie'n Esel! — O wann e's nor +doh hätt' —« Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß er hier gehört werden +konnte, und die Furcht, dem ganzen Dorf zum Gespött zu werden, hieß ihn +abbrechen. — Langsam ging er zurück. Er dachte nach, wie er zu diesem +Verdruß gekommen sei — und lachte bitter. »I hab's foppa wölla'! Die +do, d's ärgst Ohs em ganza' Dorf! Doh ben ih d'r recht Ma' derzue!« — +Nach einer Pause setzte er unmuthsvoll hinzu: »Der Kapper ist a'n Esel +gwesa' mit sei'm Roth, und i a Narr, daß e'm gfolgt hab! — Des hot +grad no' gfehlt! Des hot d'Butt bonda (die Bütte gebunden, die Sache +fertig gemacht)!« — Am Ende des Ganges blieb er stehen und ließ eine +Zeitlang gedankenvoll sein Haupt hängen. Endlich murmelte er: »'S soll +amol net sei'! I gib m'r alle Müa ond dua', was e ka' und hab nex als +Verdruhß ond Onear (Unehre) dervo'. Noe, noe — i loß d's Heiricha +sei'! Aus isch ond gar isch! —«</p> + +<p>Als er bei diesem desperaten Satz angekommen war, hörte er Tritte +in der Nähe und schaute auf. Es war die Gret, die mit dem Garn +zurückkam. Daß sie's dem guten Michel so arg hinausgegeben, hatte sie +doch ein wenig gereut, und ihr Gesicht drückte jetzt Wohlwollen und +Freundlichkeit aus. Wie sie ihn aber dastehen sah mit der trotzig +verlegenen Miene, da änderte sich ihre Stimmung etwas. Sie konnte sich +nicht enthalten, mit neckischer Verwunderung zu fragen: »No Michel, +stost (stehst du) no' allweil doh?« — Der Bursche, auf's neue gereizt, +erwiederte: »Dirdawega (deinetwegen) net!« — »O,« versetzte Gret, »des +bild e m'r oh net ei'! Kott's Blitz! doh mueß e nor macha', daß e d'r +bald aus da'n Oga' komm!« — »I halt de net auf!« rief Michel. — »Hu +hu!«, erwiederte die Gret, und rasch verschwand sie in dem Gange.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_313">[S. 313]</span></p> + +<p>Michel, in dem Gefühl, daß es nun wirklich aus sei, verließ mit +langsamen Schritten den Anger. Er suchte den Kasper auf und traf ihn +allein in seinem Garten. »No,« sagte er unmuthig zu ihm, »du host m'r +'n schöana' Roth geba', des mueß e saga'! Du bist a gscheidter Kerl!« +— Der Kamerad sah ihn verwundert an und fragte: »Wie so?« — »No doh +mit dei'm Foppa'n und Ploga', wo d'me a'glearnt host! — Des ist a +Dommheit gwesa'!« — Kasper ahnte was vorgefallen war; er forderte ihn +auf zu erzählen, was passirt sei, und Michel gab ihm, so gut er konnte, +ein Bild von dem Verlauf der Ansprache.</p> + +<p>Wie lächerlich die Geschichte dem Erfahrenen und Gewandten auch vorkam, +so hielt er es im Moment doch weder für rathsam zu lachen, noch das +Benehmen des Burschen zu tadeln. Er richtete seine Kritik gegen das +Mädchen und sagte: »'S ist a'n Ohs!« — »So,« erwiederte Michel, für +welchen diese Zustimmung etwas Angenehmes hatte, »siksch ietz oh ei'? +— Freile isch a'n Ohs, d's ärgst em ganza' Doref! Für da' Narra' hot's +me ghett; — ond für da' Narra' dät's me halta, so ofts könnt' — wann +i net gscheidter wär! Aber doh wurd a Riegel fürgschoba'! Koe Wöartle +mea' (mehr) red e mit'r. Nemmer a'seha' du e's (thu ich sie)!« — »No, +no,« warf der Kasper ein, »gar z'hitzeng muest oh net sei'. Durch des, +was d'mer verzählt host, ist no' net bewiesa', daß's de net mag!« — +»Was,« rief Michel, »doh isch no' net bewiesa?« — »Noe,« bemerkte +Kasper. »Du host sie foppa' wölla'n aus Lieb, ond sie hot di gefoppt — +vielleicht oh aus Lieb!« — Der Bursche konnte sich bei diesen Worten +nicht enthalten, ein wenig zu lächeln und rasch loderte in Michel der +Zorn empor. »Willst du me oh no' für da' Narra haba'?« rief er, indem +er ihn grimmig anschaute. »Des net,« erwiederte Kasper. »Aber d' Mädla' +deant (thun) oft grad d's Conträre von deam, was denket! Der Spoht« — +»Mach me net wild,« fiel Michel ein. »Wean e verspott, auf dean halt' +e nex! Du bist a'n Esel, wann's anderst sakst!« — Kasper zuckte die +Achseln. »Du bist halt a grober Kerl,« versetzte er. — »Weil e Rehcht +hab,« entgegnete Michel. »Doh ben e doch a weng z'guet dafür, doß e +so'm Fratza' da' Narra'n ahgib! — Nex doh! Aus isch ond gar isch!« —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_314">[S. 314]</span></p> + +<h3>Beim braunen Bier.</h3> + +<p>Ein Mädchen wie die Gret gefiel natürlich mehreren ledigen Burschen. +Zwei oder drei Handwerker hätten gern mit ihr anbinden mögen, aber +sie erfuhren, daß sie schon angebunden war — sehr kurz nämlich +ihnen gegenüber, die etwas dreist vorgehen wollten. Auch ein paar +Bauernsöhne schauten sie mit großem Wohlgefallen an und einer schien +gute Lust zu haben, sie zu dem Rang seiner Geliebten zu erheben. Es +lag indeß nicht in der Art des Mädchens, nach einer solchen Verbindung +zu streben. Sie war zu fröhlich, um ehrgeizig zu sein, und verspürte +keine Neigung, zwischen Sohn und Eltern Streit zu veranlassen und sich +durch Händel und wüsten Lärm zu einer höhern Stellung durchzukämpfen. +Die Liebe, die ihr den heroischen Muth dazu vielleicht gegeben hätte, +meldete sich nicht, und so erfuhr der junge Bursche bei dem zweiten +Annäherungsversuch eine lachende, aber deutliche Abweisung.</p> + +<p>Wenn sie die sämmtlichen Dorfbursche durchging, war und blieb es eben +unser Michel allein, bei welchem ihr Herz sich regte. Zu ihm verspürte +sie nachgerade einen Zug, über den sie sich selber wunderte. Sie hatte +gesehen, daß es der ärgste »Lackel« sei im ganzen Dorf — unerfahren +wie ein Kind, und so ungeschickt, daß er einen ordentlich dauerte. +Aber der ungeschickte Kerl war ihr der interessanteste! Sie mußte +immer wieder an ihn denken; sie fühlte einen Trieb zu überlegen, ob +ihm nicht zu helfen sei, ob er nicht doch am Ende gescheidter sei als +er aussehe, und ob ihm der Verstand nicht noch kommen könnte, wenn +auch spät, u. s. w. — Wer in Herzensangelegenheiten erfahren ist, der +weiß, was dieses Spiel der Gedanken für Folgen hat. Eben im Scheine +solcher Vorstellungen entwickelt sich der Keim einer Neigung; die +heitere Beschäftigung mit dem Bilde kommt dem Original zu Gute, und +dieses ist zuletzt in der Lage, erndten zu können, wo es persönlich gar +nicht gesät hat. Die Gret gewöhnte sich an die Vorstellung des Michel +und an den Gedanken, daß er für sie bestimmt sei. Bald war sie mehr +verstrickt, als sie selber ahnte; und während der gute Bursche glaubte, +seine Sache sei verloren, stand sie just so gut als möglich.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_315">[S. 315]</span></p> + +<p>Je mehr Ernst in die Neigung kommt, desto weniger läßt man dem +Gegenstand etwas thun, desto weniger will man Scherz mit ihm treiben. +Als die Gret bedachte, wie sie den Michel bei dem letzten Diskurs doch +abgeführt hatte, fühlte sie Gewissensbisse und auch eine plötzliche +Sorge, er könnte so bös geworden sein, daß er gar nichts mehr von +ihr wissen wollte. Dies Letztere schien ihr bei näherer Betrachtung +nicht gerade wahrscheinlich; aber doch nahm sie sich vor, bei nächster +Gelegenheit sich nicht wieder vom Uebermuth hinreißen zu lassen, +sondern mit seinem guten Willen vorlieb zu nehmen und ihm wohlmeinend +unter die Arme zu greifen.</p> + +<p>Eine Reihe von Tagen war vergangen und sie hatte den Burschen nicht +wieder gesehen, außer von weitem. Daß er jetzt keinen neuen Versuch +machte, mit ihr zu reden, begriff sie, und es war ihr lieb, daß sie +sich in der ersten Zeit nach jenem Auftritt im Heckengang nicht +zufällig begegneten. Der Aerger in Michel sollte erst verdampfen und +der Liebe wieder Platz machen; dann wollte sie ihn so freundlich +grüßen, daß er gewiß wieder Muth bekam und mit ihr ein erwünschtes +Gespräch anfing. Sie hatte eine sehr angenehme Empfindung bei der +Vorstellung, das er dann das rechte Wort finden könnte, sie ihm sagen +müßte, wie's ihr um's Herz sei — und Alles zu gutem Ende käme.</p> + +<p>Endlich führte sie der Zufall einander entgegen. Sie kam von der Wiese, +er ging hinaus. Als das Mädchen seiner ansichtig wurde, erröthete sie +etwas und sah lieblich heiter aus; sie wollte ihn grüßen so schön wie +sie's nur konnte! Allein in ihm hatte der Anblick derjenigen, die +ihn für'n Narren gehabt, schon den Unmuth wieder angeregt; und wie +er nun gar ihr Vergnügen wahrnahm, das nach seiner Meinung nur Spott +sein konnte, loderte ein ganz ehrlicher Zorn in ihm auf. Er machte +ein Gesicht so »wild« als möglich; die Gret, bei dem Anblick etwas +verhofft, sagte guten Tag lange nicht so schön wie sie sich's gedacht +hatte — und der Gegrüßte ging vorüber, ohne zu danken. Ihrerseits +verletzt, sah das Mädchen ihm nach und schüttelte den Kopf. »Also +doch,« sagte sie einigermaßen verlegen und ging langsam weiter. Bald +aber tröstete sie sich. »Er moent eba', d's erstmol muß er doch no' +trutza'! 'S ist a Mensch ohne Manier!<span class="pagenum" id="Seite_316">[S. 316]</span> Aber er moet's doch net böas — +ond d's nächstmol wurd er scho' danka'!« —</p> + +<p>Bei der nächsten Begegnung schaute das Mädchen den Burschen erst +erwartend an; ihre Wünsche hatten die Hoffnung schon so sehr wieder +belebt, daß sie meinte, er könnte zuerst grüßen. Als er sich aber +mit düsterm Gesicht näherte, ohne eine Miene zu verziehen, rief +sie: »Godden Tag, Michel« in dem Ton einer Gekränkten, als ob sie +hinzusetzen wollte: »Worom grüescht me denn net? Hab' e d'r denn ebbes +do'?« Dieser Ton traf unsern Burschen; aber da er beschlossen hatte, +trutzend an ihr vorüberzugehen, so war nicht von ihm zu verlangen, daß +er in dem einzigen noch übrigen Moment diese Bestimmung änderte. Er +führte demnach seinen ersten Gedanken aus, weil er einmal im Schuß war, +und beleidigte nun freilich die wohlmeinende Gret in einer Weise, die +ihrerseits einen Entschluß hervorrufen mußte. Sie schaute sich diesmal +nicht um, sondern ging mit rötherem Gesicht weiter und murmelte für +sich: »'S ist a Dommkopf ond bleibt oer! Mit deam ist nex a'zfanga'! No +meit'weg! Vo' mir soll'r net weiter encommodiert weara'!« —</p> + +<p>In Folge dieser niederdrückenden Erfahrung gerieth das gute Mädchen +in einen Gemüthszustand, der ihr neu war, den sie aber eben darum +sorgfältig geheim zu halten suchte. In die Heiterkeit ihres Innern war +ein Schatten gefallen. Sie wurde leichter ärgerlich als früher, sie +fühlte sich in andern Augenblicken weicher als sonst und eine Art von +Trauer wandelte sie an, so daß sie ein Verlangen empfand, ihr Herz +einer Kamerädin aufzuschließen. Allein das zu thun, schämte sie sich +doch allzusehr; sie fühlte, daß es ihr nicht anstand, und schwieg. +Auf sich selber beschränkt, gab sie sich stillen Erwägungen hin. Es +begegnete ihr, daß sie überlegte, welcher von den übrigen Burschen wohl +derjenige sei, der sich am besten für sie passen würde. Sie konnte sich +für keinen entscheiden; aber indem sie sich vorstellte, wie einer »mit +ihr ging«, erquickte sie sich an dem Gedanken, daß der Michel sich +recht darüber ärgerte. Denn das wußte sie: ärgerlich war es ihm doch, +wenn sie einen Andern hatte, so ein dummer und einfältiger »Stoffel« er +auch war. —</p> + +<p>In dieser Zeit kam ein junger Mensch in's Dorf zurück, der<span class="pagenum" id="Seite_317">[S. 317]</span> auswärts +gearbeitet hatte. Es war der Sohn eines der zwei Schneider, die der Ort +nährte — selbst Künstler mit der Nadel und das, was man auch auf dem +Land, wenigstens im Ries, »a gallants Bürschle« nennt. Weder groß noch +stark, sondern eher klein und schmächtig, war er doch gut gewachsen; +und wenn sein helles, glattes Gesicht etwas zu mädchenartig ließ, so +war das für gewisse Jungfrauen kein Grund, weniger davon zu halten. +Bei viel natürlicher Gutmüthigkeit besaß er eine bedeutende Portion +Selbstgefühl, das sich auf die Ansicht gründete, daß ihm an Feinheit, +Geschicklichkeit und höherem Anstand keiner der gegenwärtigen Burschen +des Dorfes gleich käme. Er hatte in der kleinen Stadt, in der er sich +aufgehalten, allerlei Redensarten gemerkt, die er bei Gelegenheit zum +Besten gab, sprach ein wenig »hochdeutsch,« wenn's drauf ankam, und +hatte für sich eine Mischung von bäurischer und städtischer Kleidung +erfunden, die seiner Erscheinung etwas besonders Nettes gab. Einmal +war ihm der Gedanke gekommen, ob er nicht vielleicht zu etwas Höherem +bestimmt sei und in der weiten Welt sein Glück suchen sollte. Aber +sein Vater wurde alt, er hinterließ ihm ein Haus und Feldgüter, und in +diesem Betracht schien es doch gerathen, auf sein ehrgeiziges Projekt +zu verzichten und als Geselle des Alten die Zeit zu erwarten, wo er +sich als Meister im Dorf setzen konnte.</p> + +<p>Jakob — so hieß unser Schneider — war mit dem Maurer befreundet und +kehrte bald nach seiner Ankunft bei ihm ein. Die stattliche Schönheit +der Gret überraschte ihn und machte auf sein leicht erregbares Herz +sogleich einen mächtigen Eindruck. Er nahm sich zusammen, setzte die +Reden und sagte dem Bäschen Schmeicheleien, die ihr nach seiner Meinung +unendlich wohlthun mußten. Die Gret lächelte, halb schelmisch, halb +wirklich vergnügt, und nun kam sie ihm so reizend vor, daß eine Stimme +in ihm rief: »Dieses Mädchen mußt du kriegen!« — Die Gret konnte +ebenfalls hochdeutsch reden, wenn sie wollte, und es hatte bei ihr +überhaupt Alles einen andern Furm (Form) als bei den Mädchen, die nie +aus dem Dorf hinaus »geschmeckt« hatten: waren sie beide nicht recht +eigentlich für einander geschaffen? — Freilich war sie fast einen +halben Kopf größer wie er, und dieses Verhältniß hätte er umgekehrt +lieber gehabt; allein im<span class="pagenum" id="Seite_318">[S. 318]</span> Grunde, schadete das was? Es gab Exempel, wo +eine große Frau und ein etwas kleinerer Mann recht gut mit einander +gehaust hatten. »Wenn sonst nichts fehlt,« dachte der gute Bursche, +»das kann man sich gefallen lassen!« Und darin hatte er ganz Recht: +wenn sonst nichts fehlte, dann stand es vortrefflich.</p> + +<p>Vor der Hand fehlte indeß noch die Hauptsache: die Gret hatte von ihm +keineswegs eine ähnliche Ansicht erlangt, wie er von ihr, und ihr war +es gar nicht so vorgekommen, als ob sie für einander geschaffen wären! +— Als ein kluges und natürliches Mädchen durchschaute sie den Burschen +sogleich. Er war gutmüthig und eitel — so recht einer von denen, die +eine Gescheidte am Narrenseil führen kann, ohne daß sie's merken. Ein +»Männdle«, mit dem eine Lustige zu ihrer Unterhaltung spielt, von dem +sie sich flattiren und Gefälligkeiten erweisen läßt und den sie dann +ohne große Gewissensbisse nach Hause schickt, wenn sich ein Besserer +meldet. Wie hätte die Gret vor so einem Respekt haben können? Wenn sie +aber keinen Respekt haben konnte, dann konnte sie auch nicht lieben. — +Das lag in ihrem Wesen und das merkte sie auch nachgerade selbst.</p> + +<p>Unser Schneider hätte sich eher alles Andre einfallen lassen, als daß +die Gret über ihn solche Gedanken hegte. Er hatte den besten Muth; denn +Alles zusammengenommen, konnte so ein Mädchen nicht von Glück sagen, +wenn sie ihn bekam? Er war eifrig, dieß lag in seiner Natur; aber er +war eifrig mit Zuversicht. Zunächst kehrte er beim Vetter Maurer ein, +so oft es anging, und wenn er der Gret einen Gefallen thun konnte, so +ergriff er die Gelegenheit mit Begierde. Als sie in diesen Tagen einen +neuen kattunenen Kittel zu haben wünschte, fertigte er denselben (denn +er war Männer- und Frauenschneider) in kürzester Zeit und brachte darin +eine sinnreiche Neuerung an, indem er behauptete, ein Mädchen, die in +der Stadt gewesen sei, müsse sich feiner tragen als eine gewöhnliche +Bauerntrutschel! Er brachte ihr von Hause Sträußchen mit und spitzte +dabei seine Complimente so fein zu, daß er selber daran seine Freude +hatte. Kurz er huldigte der Schönen auf eine Weise, der man ansehen +mußte, daß er sie anderswo gelernt habe, als zu Hause bei seinem Vater.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_319">[S. 319]</span></p> + +<p>Nach und nach fand die Gret doch Gefallen daran. Der Schneider hatte +aber auch eine günstige Zeit getroffen. Die Spannung zwischen ihr +und Michel dauerte fort. Bei einer dritten Begegnung hatte sie, wie +natürlich, ihn nicht gegrüßt, und er war mit einem nur um so »wildern« +Gesicht an ihr vorübergeschritten. Die Grobheit eines Menschen, dem sie +vor Allen den Vorzug gegeben hätte, verdroß das Mädchen im Innersten +ihres Herzens, und in diesem Zustande hatte die Höflichkeit des +Schneiders etwas Wohlthuendes für sie. Sie brauchte einen Ersatz, der +junge Vetter gewährte ihr ihn, und sie konnte sich nicht enthalten, +ihn freundlich dafür anzusehen. Einmal, in weicherer Stimmung, dankte +sie mit besonderer Wärme, und dem Blick, mit welchem sie die Worte +begleitete, gab die Dankbarkeit der gerührten Seele einen Glanz und +einen Schmelz, wie ihn der Schneider noch nicht gesehen. Jetzt konnte +er sich nicht mehr täuschen; das schöne Bäschen gehörte ihm, sie hatte +sich verrathen! Jetzt durfte er nur reden und die Sache war fertig! — +Er redete zunächst doch nicht; vielleicht weil er des Sieges gewiß war, +oder weil ihn der schelmische Genius, der sein Loos zu weben hatte, +davon abhielt. Das konnte er sich aber nicht versagen, beim Abschied +die Zuversicht seines Herzens mit wohlgefälliger Miene fein anzudeuten.</p> + +<p>Die Gret sah ihm trübe lächelnd nach. »Du guts Bürschtle« rief sie für +sich und zuckte die Achseln. — Ihre Gedanken nahmen den Lauf wieder +zu dem Enakssohn. Nach einer Weile sagte sie: »Könnt' ietz der Michel +net oh höflich sei' und dischgeriera' und flattiera' wie der Schneider? +Mueß denn grad der, den e möcht', der gröbst und der dommst sei' em +ganza' Doraf? 'Sist doch nex en der Welt, wies sei' soll!« —</p> + +<p>Wenn sie in andern Momenten wieder dachte, Michel könnte sich am Ende +doch bessern, so erfüllte dieser ihre Erwartung fürs erste nicht. Er +trutzte weiter — er wollte in der That nichts mehr von ihr wissen; d. +h. er wollte im Grunde immer noch gar viel von ihr wissen, aber er gab +es nicht zu erkennen. Die Besuche des Schneiders und die Reden, die +darüber im Dorf umzugehen anfingen, brachten in seinen Gedanken keine +Aenderung hervor. Daß ein<span class="pagenum" id="Seite_320">[S. 320]</span> Mädchen wie die Gret so einen »Krampen« +wie den Schneider möge, konnte er fürs erste nicht glauben. Wenn sie +ihn aber mochte, wenn sie so einen »miserabeln Kerl« lieber haben +könnte, als ihn, dann sollte sie ihn nur nehmen und zum Gespötte werden +mit ihm! Unser Bursche hatte über die »Weibsbilder« schon soviel +nachgedacht und vernommen, daß er wußte: sie seien eigentlich »d's +Deufels« und auskennen werde sich so leicht keiner in ihnen. Als er +sich aber vorstellte, daß die Gret sich wirklich dergestalt verirren +und den Schneider nehmen könnte, wo doch Er, der Michel, zu haben war, +da stieg ein Gefühl der Geringschätzung gegen ihren Verstand, ihren +Charakter, ihre ganze Person in ihm auf, welche die Liebe für den +Moment gänzlich überdeckte. »Wanns so komma dät, wanns dean lieber +hätt' wie mih, nocht dät e me doch schäma', doß e nor a Menutt ebbes +von 'r ghalta' hab!« — Es war ihm aber auch bei diesem Ausruf noch, +als obs eigentlich doch nicht so sein könnte.</p> + +<p>Unterdessen hatte die Ernte begonnen, und in dieser Zeit können +es Leute, die in einem Dorfe, zumal in einer Gasse wohnen, nicht +vermeiden, sich öfter zu sehen. Michel traf die Gret eines Tages mit +dem Maurer, dieser grüßte, und unser Bursche konnte nicht so sehr +die Lebensart außer Acht setzen, daß er nicht dankte. Wie er nun +mit ehrbarem Ton »Godda'n Ohbed« sagte, benutzte das Mädchen die +Gelegenheit, um mit etwas gedämpfter Stimme gleichfalls ein »Godda'n +Ohbed« anzufügen. Was sie sich dabei gedacht, konnte zweifelhaft +sein; gleichwohl empfand Michel diesmal bei dem Ton ihrer Stimme ein +wohlthuendes Zucken in seinem Herzen, und es schien ihm unmöglich, daß +dieses nachträgliche »Godda'n Ohbed« nicht etwas zu bedeuten habe, und +zwar etwas Gutes. — Das nächstemal kam sie ihm allein entgegen. Sie +grüßte nicht, weil sie jetzt eben von ihm gegrüßt zu werden hoffte. Als +er aber wieder stumm blieb, sah sie ihn von der Seite mit einem Blick +an, der auch einen Härtern, wie er war, in die Seele hätte treffen +müssen. Dieser Blick sagte: »O du dommer Kerl, willst du a Mädle net +grüeßa', die so viel auf de hält?« — Michel konnte sich der Wirkung +dieses Blickes nicht entziehen. Als er einige Schritte weiter gegangen +war,<span class="pagenum" id="Seite_321">[S. 321]</span> sagte er ernsthaft zu sich: »Ietz isch m'r doch so fürkomma'n, +als ob — — am End hot doch der Kapper Rehcht!«</p> + +<p>Denselben Abend noch suchte er den Kameraden auf und machte ihn mit +seiner Erfahrung und seiner Vermuthung bekannt. Wie Kasper ihn auf +solchem Wege sah, rief er: »No, was hab' e denn g'sakt? Die Great hot +dih em Kopf, des hab' e scho' lahng gwißt; aber du loscht (lässest) +ja net mit d'r reda'!« — »No no,« erwiederte Michel begütigend; und +nach einem Moment des Nachdenkens setzte er hinzu: »Du moest also, i +hätt' Hoffneng — 's ist dei' Earnst?« — »Freile isch mei' Earnst,« +entgegnete Kasper. »Wer ka' doh no zweifla'! — Aber ietz mach amol +'n Fried mit dei'm oefältenga' Trutza' doh und dua', was se für a +rechts Mannsbild g'höart!« — Michel stand mit tiefsinnigem Gesicht da. +»Wann's d'Glegenheit git (gibt),« erwiederte er endlich, »will e seha'!«</p> + +<p>Dieser abendliche Diskurs fand gegen Ende der Woche statt. Nachdem +am Samstag noch ein tüchtiges Gewitter sich entladen und die Luft +abgekühlt hatte, kam ein schöner und nicht allzuheißer Sonntag. Das +Wintergetreide war größtentheils zu Hause, die Gerste der Sichel +entgegengereift, und da sich die Ernte so gut angelassen, glaubte man, +sie werde auch gut zu Ende gehen. In solchem Vertrauen entwickelt +sich in der Seele des Bauers ein gründliches Behagen und er fühlt das +Bedürfniß, sich ein Plaisir zu machen.</p> + +<p>Heute stellte sich bei Michel nach dem Essen der Kamerad ein und +machte den Vorschlag, »zum braunen Bier zu gehen.« Zu den Eigenheiten +unsres Burschen gehörte es, auch dann, wenn er etwas zu thun geneigt +war, sich nöthigen zu lassen. Er sah dermalen den Andern mit einer +Miene an, die weit entfernt war, Beistimmung auszudrücken. Die eben +anwesende Mutter rief indeß: »Gang mit! Kommst doch oh widder amol +aus'm Doraf naus ond unter d'Leut!« — »Ha'et wurd's vohl (voll),« +bemerkte Kasper. »D's Bier soll gar fei'dle guet sei' ond d's Wäder ist +schöa'!« — »Wer woeß,« sagte er lächelnd zu Michel, »ob d'net ha'et +oena sikscht, die d'r gfällt!« — Die Mutter zuckte die Achseln und +entgegnete für Michel: »Gang weiter! Deam gfällt oena'! Dia' Hoffneng +hab e lang aufgeba'!« — Sie verließ die Stube. — Kasper machte ein +pfiffiges Gesicht und<span class="pagenum" id="Seite_322">[S. 322]</span> sagte zu Michel: »Die merkt no' nex!« — Auch +unser Bursche verrieth auf seinem Gesicht einige Schlauheit; dann aber +erwiederte er: »Sie soll oh nex merka', bis d'Sach klor ist!« Und mit +einem bedeutungsvollen Wink setzte er hinzu: »Woescht no', was e d'r +g'sakt hab?« — »Ja wohl,« entgegnete Kasper mit Lachen. »Aber ietz +mach!«</p> + +<p>»Zum braunen Bier gehen«, hieß auf den Dörfern in der Nähe von +Wallerstein so viel als: auf den Keller der fürstlichen Brauerei gehen. +Diese Bezeichnung datirt ohne Zweifel aus einer Zeit, wo in jenen +Dörfern ausschließlich weißes Bier gesotten und das braune (das in +Norddeutschland s. g. bayrische) zunächst nur von der »Herrschaftsbräu« +geliefert wurde. In den Jahren, in denen unsre Geschichte spielt, +verdiente aber das hier producirte Getränk die Auszeichnung einer +solchen Benennung immer noch durch seine Güte, wie es denn auch jetzt +noch unter den Bieren des Rieses einen ehrenvollen Rang behauptet.</p> + +<p>Die Kameraden legten die mäßige Strecke von ihrem Dorf nach Wallerstein +in gemüthlichem Diskurse zurück. Die Zahl der »Schöber,« die sie schon +eingeführt hatten und die sie noch zu bekommen hofften, der Stand des +Sommerkorns und die Hoffnungen des Brachfeldes bildeten den Hauptinhalt +ihrer Ansprache. Im Markt angekommen, schlugen sie den nächsten Weg zu +der Anhöhe ein, auf welcher die fürstliche Brauerei liegt und nebst den +ausgedehnten Oekonomiegebäuden den grauen Felsen, der das alte Schloß +getragen, kranzartig umschließt. Sie fanden noch Platz auf einer der +Bänke vor der Brauerei, ließen sich jeder eine Maaß geben, würdigten +den schäumenden Trank, der aus dem gepichten Bauche der hölzernen +»Bitsch« in ihre Kehlen floß, mit tiefem Zuge und theilten bald, +schmauchend und nach entsprechenden Intervallen die Zungen befeuchtend, +das Vergnügen der zechenden Versammlung.</p> + +<p>Kasper hatte Recht gehabt. Das in dem Felsenkeller gelagerte Bier +war heute ganz besonders wohlschmeckend und der Trinkplatz, der die +Aussicht in den nordöstlichen Theil des Rieses darbot, vollständig +besetzt. Wallersteiner Herren — fürstliche Beamte und Bürger — +etwelche Nördlinger, »kadollische« und »luttrische« Bauern saßen +größtentheils standesmäßig vereinigt, hie und da aber auch zufällig<span class="pagenum" id="Seite_323">[S. 323]</span> +gemischt um die hölzernen Tische, die heute für die »Herrn« durch +einige hübschere aus der Zechstube vermehrt waren. Das schöne +Geschlecht war nicht zahlreich vertreten; doch sah man außer der +französischen auch noch katholische und protestantische Rieser Tracht +nicht ganz unwürdigen Inhalt umschließend. Alles war vergnügt. Die +Hauptsache war unerschöpflich vorhanden, und wer Appetit nach etwas +Eßbarem hatte, für den war nicht nur durch die Wirthschaft, sondern +auch durch Wallersteiner Buben gesorgt, die Rettiche und »Würst' +siedhoeße« ausriefen und die letztern auch dann noch mit dem lockenden +Prädikat schmückten, wenn sie schon zwei Stunden hin und hergetragen +waren.</p> + +<p>Unsre Kameraden tranken sich nach und nach in jenen angenehmen Dusel +hinein, in welchem die jetzigen Sterblichen eine Ahnung von dem Gefühl +erhalten, durch das die Menschen des goldenen Zeitalters beglückt +worden sein mögen. Michel hatte einen Blick auf das Dorf Birkhausen +und auf das Fasanenwäldchen geworfen, das ihm so hübsch gegenüber +lag; er hatte die Gäste gemustert und nach flüchtiger Betrachtung der +anwesenden Bauernmädchen die Ueberzeugung gewonnen, daß Kasper in +dieser Beziehung nicht gut prophezeiht habe! Jetzt ließ er die Augen +ruhen und verharrte im Gegensatz zu dem Kameraden, der sich von Zeit +zu Zeit umsah, in unveränderter Stellung, sichtlich in Nachdenken +versinkend. Ohne aufzusehen, murmelte er endlich: »Wann e's nor gwihß +wihßt'!« — Kasper sah ihn an und sagte lächelnd: »Bist scho' widder +doh mit deina' Gedanka'?« — »Hol's der Deufel,« rief Michel, »i ka' +net dervo' loaskomma'! Wann's ietz doch nex wär'? Wann's doch da' +Schneider lieber hätt'? Gestert ist der Kerl a'mer verbeiganga', +als ob's scho' sei' wär'! I hätt 'm glei oena' stecka' könna', so +hoaffärteng hot 'r ausgseha', der Grippel!« — »Da' Schneider, +glob' e, host net z'färchta',« erwiederte Kasper. — »I sott's oh +net moena,« sagte Michel; und mit großartiger Verachtung setzte er +hinzu: »So a Krack — so a Stump von 'm Menscha'! — net gröaßer als +a Säustallthürle! I schmieß 'n über a Haus nüber, wann's sei' müeßt'! +— 'S ka' net sei'!« — »Sie müeßt se ja schäma', wann's mit 'm geang +(ginge),« setzte Kasper hinzu. »D'Leut dätet lacha 'n über so a Baar!« +— »'S ist wohr,« sagte Michel.<span class="pagenum" id="Seite_324">[S. 324]</span> »Aber auf der andera' Seit; reda' +ka'n er, schwätza' ka'n er, ond d'Mädla' send Mädla'. Wer'n (ihnen) +flattirt, der hot scho' halb gwonna'.« — »Des ist freile oh widder +wohr,« bemerkte Kasper. »Ond a'n Ohs ist der Schneider! Allweil woeß +er ebbes Nuis. Ond manch's Mädle hot scho' so'n Kerl gnomma', weil's +geara' d'Hosa'n a'ghett hätt! Vielleicht daß d'Great« — — Aber eine +solche Zustimmung war es nicht, was unser Bursche jetzt wünschte. Seine +Züge hatten sich verdüstert und unmuthig fiel er ein: »Schwätz net so +domm! I glob's mei' Lebteng net! A Mädle wie d'Great will'n rechta' +Ma'! Ond i woeß net, was grad do' (gethan) hot, daß d' so elend von 'r +denkst!« — Kasper schwieg. Er wußte wohl, daß er nichts profitirte, +wenn er nachwies, daß er nur Michels eigne Meinung wiederholt hatte! — +Der Gewaltige ertränkte den unliebsamen Gedanken durch einen tüchtigen +Zug aus der Bitsch und beide sahen stumm vor sich hin. Auf einmal +erhellte sich das Gesicht Kaspers — man hätte sagen mögen schadenfroh +— und Michel rief: »Aber kommt denn doh net — hol me der Deufel, sie +send's!«</p> + +<p>Sie waren's in der That, nämlich die Gret und ihr Vater. Sie kamen von +der Westseite, denn sie waren auf Besuch bei der Schwester gewesen, die +in dem nächsten württembergischen Dorfe verheirathet war, und fanden +sich darum auch erst zu einer Zeit ein, wo der Nachmittag in den Abend +überging. Als sie den Kameraden sich näherten, rief Kasper: »Godda'n +Ohbed, Maurer!« und hielt ihm die Bitsch entgegen. Man wechselte Grüße +und der Maurer that Bescheid. »Doh ist no' Plahtz,« sagte Kasper auf +die Bank deutend. Der Maurer besorgte sich auch eine Bitsch, und man +setzte sich zusammen.</p> + +<p>Michel war überrascht gewesen und hatte die mit langsamen Schritten +herbeikommende Gret sonderbar angestarrt. Sie war eben wieder sehr +schön in ihrem Sonntagsstaat und namentlich in einem neuen seidnen, +prächtig glänzenden Halstuch feinster Qualität! Der Gang in der Sonne +hatte ihr Gesicht höher gefärbt, und ein guter Beobachter hätte +bemerken können, daß ihre Augen, sobald Michel sich ihnen darbot, +durch ein reizendes Funkeln belebt wurden. — Zu anderer Zeit hätte +sich der erste Eindruck in dem Burschen vielleicht länger erhalten und +eine verhängnißvolle Confusion der Gedanken zur<span class="pagenum" id="Seite_325">[S. 325]</span> Folge gehabt; allein +zwei Maaß Lagerbier trinkt man nicht ohne Wirkung! Michel saß bald mit +ruhiger Würde neben dem Maurer und nahm gemüthlich an dem Gespräche +Theil, das sich entspann.</p> + +<p>Kasper hatte gefragt, wo sie herkämen — nicht um es erst zu erfahren, +sondern um vor ihnen und Michel zu verbergen, daß er es schon wußte. +Nach der Antwort des Alten fragte Michel, wie's den Eheleuten ginge +und wie der jungen Frau die Haushaltung anschlüge! Hierauf gab die +Gret erfreulichen Bescheid: sie kämen gut fort und hausten recht gut +zusammen. Anknüpfend an dieses gute Zusammenhausen nahm der Diskurs +eine heitere Wendung. Kasper ging voran, und Michel bewies, daß er +auch einen Spaß machen konnte, wenn's drauf ankam. In dem Behagen, +das er empfand, war es ihm geradezu unbegreiflich, wie ihm vor der +Gret jemals das Reden hatte schwer werden können! Beim Teufel! Heut +konnte er schwätzen mit ihr wie mit seiner Mutter! Fragen — Antwort +geben — Alles dünkte ihn ein Spaß! — was war das doch für ein Unsinn +früher? — Der Umstand, daß er sich endlich in der Stimmung fühlte, +nach der er getrachtet hatte und die er allein seiner würdig hielt, +erfüllte ihn jetzt mit einem gewissen Stolz und einer eigenthümlichen +Sicherheit. Die Gret war auch so vergnügt, daß ein Blinder hätte sehen +müssen, wie sie sich freute, bei ihm zu sitzen! Die Furcht, als könnte +sie den Schneider gern haben, war eine Dummheit, die größte, die ihm +jemals vorgekommen! Den Schneider! So ein Mädchen! — Nein! Er — er +selbst war der Glückliche! — Das war klar, daran konnte nur ein Narr +zweifeln! — — Aber heute wollte er auch sein Wort anbringen! heut auf +dem Heimweg wollte er sich an sie machen, Alles frisch weg heraussagen +— das stand fest — und — auf den Herbst sollte die Hochzeit sein! —</p> + +<p>Unterdessen hatte man das Bier nicht warm werden lassen. Auch die Gret, +die sich durstig gelaufen, that aus der Bitsch, wo man's nicht sah, +etwas bessere Züge, als sie's aus einem Glase gewagt hätte. Sie war in +der That von ganzer Seele vergnügt. Michel in seiner Unbefangenheit, +seiner guten Laune, gefiel ihr ausnehmend. Er war schöner als er ihr +sonst vorgekommen, und offenbar auch viel gescheidter! Die Neigung, die +sie immer für ihn gehegt hatte, steigerte sich<span class="pagenum" id="Seite_326">[S. 326]</span> diesen Abend zu dem +ernstlichsten Wohlgefallen, und sie empfand das lebhafteste Verlangen, +ihn endlich zur Erklärung zu bringen. Daß sie ihm gleichfalls +heute nicht weniger gefiel, als früher, davon erlangte sie gewisse +Ueberzeugung, und in der Hoffnung, einen solchen Prachtburschen zum +Mann zu bekommen, wuchs ihr Vergnügen zu einer Art von Uebermuth. +Sie neckte den Glücklichen von wegen weil er auf die Mädchen nichts +gebe, was ein Unglück und eine schlechte Ehre sei für alle. Michel +erwiederte: auf ihn käme nichts an, da gebe es andere, z. B. den jungen +Schneider, der in der Fremd' gewesen sei und draußen Dinge gelernt +habe, wo sie im Dorf nichts davon wüßten. Das wäre ein Kerl, der könne +den Mädchen sagen, was sie gern hörten! Worauf die Gret versetzte: Der +Schneider sei allerdings »a gallants Bürschtle,« an dem könnte sich +mancher ein Exempel nehmen; aber es gebe eben so vornehme Bursche, die +der Meinung seien, für sie wäre keine gut genug etc. etc. — Diesem +kleinen Gefecht hörte Kasper mit Vergnügen zu, weil er seinen Plan dem +Gelingen zureifen sah; der Maurer ergötzte sich daran, ohne den Ernst +hinter dem Spaß gewahr zu werden. Zuletzt, nachdem sie einen Moment vor +sich hingesehen, sagte das Mädchen: »Wie wär's, wammer (wenn wir) auf +da' Felsa' naufgeanget, so lang d'Sonn no' schei't? Mir isch, als ob's +ha'et bsonders schöa' sei' müeßt do droba'!« — Der Maurer wand ein, +es möchte doch zu spät sein; sie müßten heim. Allein die Gret bat, die +Kameraden traten dem Vorschlag bei und der Alte fügte sich.</p> + +<p>Der nächste Weg vom Keller zum Felsen geht hinter dem Brauhause +vorbei. Man gelangt, wenn man eine Treppe emporsteigt, auf einen +grasigen Platz, der meist eben um den Felsen herumläuft — ehemals +der innerste Hof des Schlosses.<a id="FNAnker_4" href="#Fussnote_4" class="fnanchor">[4]</a> Als unsre kleine Gesellschaft auf +ihm der südwestlichen Seite zuging, neigte sich die Sonne schon den +fernen Anhöhen zu. Vom Keller an hatte sich Michel zu dem Maurer +gesellt. Wir wissen, daß er den Entschluß gefaßt, seine Wünsche auf dem +Heimweg anzubringen; er folgte daher um so eher einem instinktmäßigen +Trieb, nach der geschehenen Annäherung sich<span class="pagenum" id="Seite_327">[S. 327]</span> wieder ein Bischen +zurückzuziehen, die Gret dem Kasper zu überlassen und zur Hauptaction +neue Kräfte zu sammeln. Das war aber nicht die Rechnung des Mädchens, +die das Besteigen des Felsen eben vorgeschlagen hatte, um dem Michel +zu weiterer Annäherung Gelegenheit zu bieten, in der Hoffnung, einen +Moment herbeiführen zu können, wo ihm, der einmal im Zuge war, das +Schloß vom Munde fallen sollte. Wie sie nun, am Felsen angekommen, ihn +ernsthaft mit dem Vater diskuriren und zurückbleiben sah, warf sie +einen Blick des Bedauerns auf den Liebhaber, der die gute Gelegenheit +versäumte, mit ihr aufzusteigen und ihr allenfalls dabei zu helfen. +Damals war der Weg (er befindet sich auf der Südwestseite) noch nicht +so bequem wie jetzt, wo neue Treppen in den Felsen gehauen sind. +Kasper, der mit der Gret hinan stieg, kam einmal im den Fall, ihr die +Hand reichen zu müssen, um sie einige Schritte zu führen; und es ist +zu vermuthen, daß sich diese Nothwendigkeit für Michel öfter ergeben +hätte. »'S ist doch a'n o'gschickter Mensch«, sagte sie sich. Aber ein +Gedanke beruhigte sie wieder: »Vielleicht will er se bei mei'm Vader +wohl dra' macha', des ghöart oh zor Sach, obwohl der nex dagega' haba' +wurd — o conträr!« —</p> + +<p>Alle waren endlich auf dem Gipfel angekommen. Man ging hin und her und +schaute. »Ei wie schön!« rief die Gret und hing mit freudigem Blick +an der Landschaft. »Du host Rehcht,« setzte der Maurer hinzu. »'S ist +wärle der Müh wearth gwesa', daß mer (wir) raufganga' sind.«</p> + +<p>Der Bauer ist kein schwärmerischer Bewunderer der schönen Natur. +Zunächst weil er überhaupt nicht so leicht schwärmt; dann aber weil +er gewissermaßen selber zur Natur, zur Landschaft gehört und mit ihr +auf zu vertrautem Fuße lebt, um über ihre Erscheinungen außer sich zu +kommen. Ein recht schöner Anblick verfehlt aber auch auf ihn seine +Wirkung nicht; er freut sich darüber herzlich und kindlich — und +das Ries im Schein der Abendsonne ist ein Bild, dessen Reiz auch die +substantiellere Natur eines eingebornen Dorfbewohners zu ergreifen +vermag.</p> + +<p>Die Luft war klar, auf der nordwestlichen Seite kein Wölkchen am +Himmel. Die gelben oder noch grünlichen Getreidefelder — die<span class="pagenum" id="Seite_328">[S. 328]</span> schon +»geschnittenen« Aecker, zum Theil noch mit »Sammelten« bedeckt — die +lichtgrünen Wiesen, die Brachfelder mit verschiedenen Abstufungen +von hellerem und dunklerem Grün — die zahlreichen Orte in der Nähe +und in der Ferne — Alles das stand vor den Augen in deutlichen +Umrissen und durch den zarten sommerlichen Duft gleichwohl zu einem +schönen landschaftlichen Ganzen verbunden. Unter ihnen lag der +Markt Wallerstein mit den beiden fürstlichen Schlössern und den +Parkanlagen; am nordwestlichen Horizont ragte das hochgelegene Schloß +Baldern über Hügel ins Ries herein; nach Westen zu erhob sich das +ehemalige Lanenkloster Kirchheim auf mäßiger Höhe, und weiterhin stieg +der Langenberg und der Nipf bei Bopfingen empor. Eine halbe Meile +entfernt, gegen die südlichen Hügel hin, war die Stadt Nördlingen +gelagert mit ihren vielen ansehnlichen Gebäuden, Zwingern, Gärten +und Alleen — und rechts und links wohlhäbige Dörfer über die Ebene +hingesät. Die Ruine Hochhaus schimmerte aus Wäldern hervor; auf den +südöstlichen Höhen prangten das Schloß Reimlingen und die ehemalige +Benedictiner-Abtei Deggingen, weiter nach Osten die Schlösser Harburg +und Lierheim und die Reste von Allerheim. Kehrte man sich nach der +nördlichen und nordöstlichen Seite, so erblickte man die stattliche +Kirche von Zipplingen, das Kloster Maihingen und den langen Hesselberg +— die Schlösser Hochaltingen und Spielberg, den uralten Thurm von +Hohentrüdingen, die Städte Oettingen und Wemdingen. Die nordwestlichen +Anhöhen standen in grünlichem Duft, unter der Sonne golden überhaucht; +die südwestlichen erquickten das Auge mit wenig gedämpftem Waldesgrün; +die entfernteren südlichen und östlichen glänzten in wundervollem Blau, +hie und da von helleren Partien der Getreidefelder durchzogen. Eben die +Anhöhen, welche die Ebene rings umgeben, erwecken in dem Eingebornen +das Gefühl, daß er in einem Paradiese lebt — in dem landschaftlich +eingeschlossenen und abgeschlossenen, fruchtreichen, schönen Ries!</p> + +<p>Unsere Leute genossen das Malerische des Anblicks auf ihre Weise, in +großen Linien, und verwendeten deshalb weniger Zeit darauf als wir auf +die Beschreibung. Sie gingen zu einer sachlichen Unterhaltung — zur +Hervorhebung einzelner Gegenstände über. Sie zeigten sich Orte, die das +Merkwürdige hatten, daß darin Freunde von<span class="pagenum" id="Seite_329">[S. 329]</span> ihnen hausten; sie machten +Anhöhen namhaft, die sich dadurch auszeichneten, daß sie von ihnen +schon bestiegen worden waren. Die Gret deutete das Haus ihrer Schwester +an, welches leider von einem großen Bauernhaus verdeckt sei; und +zuletzt concentrirte sich die Aufmerksamkeit auf dem interessantesten +Dorf — auf dem eigenen. Man zeigte sich seine Häuser, Wiesen und +Aecker, und Anblick und Besprechung dieser traulichen Objekte +versetzten die Landleute wieder in eine muntere und fröhliche Stimmung.</p> + +<p>Michel hatte sich hie und da an die Seite der Gret gestellt, allein +nach seinem Plane sich nicht mehr mit ihr abgegeben, als mit den +Andern, obwohl der Kamerad den Maurer ein paarmal abseits geführt +hatte, ihm Gelegenheit zu verschaffen. Die Gret, dadurch gereizt und +in der erhöhten Laune des Tages, beschloß ihm einen Schreck einzujagen +und — ihm entgegen zu kommen. Als die Andern in die östlich gelegene +Spalte hinabgestiegen waren und Michel schweigend neben ihr stand, that +sie einen Schritt gegen den Rand des Gipfels, von dem es hier schroff +abwärts ging, zuckte und »grillte« (kreischte), daß es eine Art hatte. +Michel erschrak in der That und versäumte, rasch zuzugreifen; als er +sah, daß sie selber feststand, hielt er es nicht mehr für nöthig und +schaute sie beruhigt an. Die Gret verzog den Mund. »Du bist a schöaner +Nochber,« sagte sie; »du ließest me nonterfalla' ond sächtest (sähest) +ganz ruheng zua'!« — Der Ehrliche war etwas beschämt, weil er selbst +fühlte, daß er zu langsam gewesen; aber eben darum wollte er den +Vorwurf zurückweisen. »No, no,« erwiederte er, »du host de ja selber +ghalta'. — I hab' eba' denkt, du wurscht Versta'd gmuag haba' ond +net z'weit nausganga!« — Für einen Liebhaber keine galante Rede! Die +Actien des Burschen, insbesondere seiner Gescheidtheit, sanken wieder, +und das Mädchen, etwas empfindlich geworden, suchte die Andern auf.</p> + +<p>Die Sonne zerschmolz eben am Horizont — der Alte mahnte zum Aufbruch. +Die Gret, um den Michel für sein Ungeschick zu strafen, ging zuerst +hinunter und that, als ob er gar nicht mehr da wäre. Natürlicherweise +fühlte nun er, dem es doch schwante, daß er sie »geärgert« habe, einen +Trieb, ihr nachzugehen und sie wieder gut zu machen. Nachdem sie alle +auf dem schon thauigen Rasen angekommen<span class="pagenum" id="Seite_330">[S. 330]</span> waren, führte Kasper, der des +Kameraden Absicht merkte, den Alten im Gespräch links um den Felsen. +Unser Paar sah sich allein. Der Bursche sagte ihr etwas Schönes wegen +der Geschwindigkeit, womit sie den Felsen herabgestiegen war. Sie, noch +ein wenig schmollend, aber seines guten Willens halber schon wieder auf +dem Weg zur Güte, entgegnete: »Ja, a bisle gschwender ben e freile als +du! Bei dir hoeßt's eba': komm' e ha'et net, komm' e morga'. I sorg', +du wurscht überal z'spät komma'!« — »Oho,« erwiederte Michel und +lächelte, denn das Gesicht, womit ihm dieser Vorwurf gemacht worden, +hatte nichts Beleidigendes. Das Mädchen sah ihn an — und nochmal +fühlte sie eine Regung, für ihn etwas zu thun. Sie sagte: »Globsch +(glaubst du), du ka'st me net fanga', wann e spreng (springe, laufe)?« +— »Ih dih?« versetzte Michel und konnte nicht umhin, über so eine +Behauptung die Achseln zu zucken. — »Ja, du mih,« erwiederte die +Gret mit Nachdruck. Das hieß den Michel bei der Ehre angreifen; und +im Gefühl seiner langen Beine rief er mit stolzer Sicherheit: »Loß de +net auslacha'!« — »Ja,« sagte das Mädchen, »pranga' ka'n a'n ieder; +aber i glob's net!« — »Du bist net gscheidt!« entgegnete Michel. »No, +so zoeg's,« fuhr die Gret fort, »ond fang me, wann d' ka'st!« — Sie +faßte ihren Rock auf beiden Seiten, hob ihn ein wenig in die Höhe, um +den Beinen mehr Freiheit zu gewähren, und lief — aber nicht links, den +Andern nach, sondern rechts um den Felsen, einer Grube zu, die sich auf +der nördlichen Seite des Felsens befindet. Michel, so herausgefordert, +hatte sich bereit gemacht; er ließ ihr einen Vorsprung, dann fing er +an auszugreifen, daß er sie schon im Eingang der Grube erreichte. Aber +der Triumph, sie nun zu fassen und zu halten, war ihm ein viel zu +geringer — er lief einige Schritte über sie hinaus, bis sie schnaufend +zurückblieb, drehte sich um und rief siegesfreudig: »No, was hab e +gsakt? Ka'n e's oder ka'n e's net?« — Die Gret sah ihn mit einem fast +wehmüthigen Blick an, und mit dem Doppelsinn, den ihr die Situation +aufdrängte, versetzte sie: »Ja, ja, i hab' me g'irrt en dir — ond +mueß me schäma'!« — Michel, weit entfernt zu begreifen, trat näher +und sagte mit dem Tone wohlwollender Ueberlegenheit: »No, no, z'schäma +brauchst de grad net, wann ih über de nausloff!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_331">[S. 331]</span></p> + +<p>Der absolute Mangel an Verständniß machte die Gret lächeln und die +grundehrliche Meinung des Burschen versöhnte sie wieder. In der Grube +war es schon dämmerig; der Spaziergang, auf den sie so viele Hoffnung +gesetzt, nahte sich seinem Ende, und daß die beiden Burschen mit ihr +heimgehen würden, konnte sie nicht als gewiß annehmen. Wer wird es +ihr nun verdenken, wenn sie bei der Redlichkeit ihrer Absichten die +Gelegenheit ergriff, mit dem Burschen noch einen Versuch zu machen? Am +Ende — sie that damit ihre Schuldigkeit, und wenn gleichwohl an ihm +nichts half, so brauchte sie sich wenigstens keinen Vorwurf zu machen.</p> + +<p>Sie hatte gemerkt, daß sie beim Laufen die Glufe, womit das Halstuch +des Rieser Bauernmädchens auf dem Rücken angeheftet wird, um daselbst +ein regelrechtes Dreieck zu bilden — verloren und ihr schönes seidenes +Halstuch sich verschoben hatte. Indem sie eine Glufe von der Brust +auszog, wo sie minder nöthig war, sagte sie zu Michel: »Ietz muß e de +no' om a Gfälligkeit bitta'! I spür, daß mei' Gluf rausgfalla'n ist aus +mei'm Halstuch, ond's wär mer lieb, wann d' mers widder nei'stecka' +möchtst, vor mer zrückgont (zurückgehen).« Während sie dieses sagte, +hatte die Phantasie ihr vorgezaubert, was ihr Herz wünschte. Michel +fand während dieser Beschäftigung den Muth der Liebe, folgte ihm +freudig und hielt jene Anrede an sie, die wenn auch noch so kurz, doch +vom Munde des Mannes gehen muß, um von dem Mädchen bejaht den Bund der +Herzen thatsächlich zu knüpfen.</p> + +<p>In diese Seelenmusik ertönte plötzlich die Antwort des wirklichen +Michel: »I will's versuacha'! Muß d'r aber scho' saga', daß e mit +deana (diesen) Sacha' net recht omganga' ka'!« — wodurch die Gret +belehrt wurde, daß es noch nicht an dem sei. Der Bursche nahm die +Gluf und stellte sich hinter sie; er wollte ihr nun auch wirklich +gefällig sein und genau thun, was sie haben wollte. Als er anfing, das +Halstuch zurechtzurücken, wurde ihm doch sehr curios. Sein Herz fing +an zu schlagen, vor seinen Augen begann es zu schwimmen; er fühlte ein +außerordentliches Verlangen, just das zu thun, was sie wünschte und ihr +Phantasiebild wortwörtlich zu erfüllen. Allein zu rechter Zeit noch +mahnte ihn die Pflicht und sein Vorsatz. Ihr die<span class="pagenum" id="Seite_332">[S. 332]</span> Gluf anzustecken, +das hatte sie verlangt, darum war es ihr zu thun, und darin mußte er +ihr zu Willen sein. In der Verwirrung seiner Lebensgeister zog er das +Tuch rechts und links, ohne ihm die gehörige Lage geben zu können. Die +Gret rief: »Daß 's fei' recht en d' Mitt nei' kommt!« Denn grad in der +Mitte des Rückens muß die Spitze befestigt werden, wenn das schöne +Dreieck herauskommen soll. Dieser Zuruf des offenbar etwas ungeduldigen +Mädchens traf den Burschen. Das Tuch hing eben zu weit rechts. In +seiner Confusion that er instinktmäßig einen Riß gegen die Mitte, wobei +er die Kraft seiner Finger nicht erwog, und — ein Fetzen des Halstuchs +blieb in seiner Hand.</p> + +<p>Nun riß aber auch die Geduld der guten Margret! Nachdem sie so weit +gegangen — nachdem sie ihm auf eine Art entgegen gekommen war, daß +der Einfältigste hätte begreifen müssen — ihr, anstatt ihren Wunsch +zu erfüllen und ihr um den Hals zu fallen, das schöne neue Halstuch zu +zerreißen — das war denn doch in Wahrheit »dümmer, als verlobbt ist.« +So einen Menschen zum Mann zu kriegen, ist am End auch kein großes +Glück, und — — sie hatte sich umgedreht, sah den Fetzen in seiner +Hand, sah das Gesicht halb verlegen, halb lächelnd gegen sie gewendet, +und rief erzürnt: »Du bist aber doch o'gschickter als der Deufel! So a +Mannsbild! Gang nor glei (gleich) morga' zom Schulmoester ond loß d'r +dei' Schuelgeld widder rausgeba'; denn des ist net verdeat (verdient) +woara!« — Das war auch nicht höflich, und so etwas hatte Michel noch +nie gehört. Er wurde seinerseits ärgerlich und entgegnete: »I hab d'r +ja gsakt, daß e mit deam Zuig (Zeug) net omganga ka' — w'rom trägst +mer's auf?« Und mit stolzem Selbstgefühl setzte er hinzu: »I hab ebbes +anderst's z'doa' en der Welt, als da' Mädla' d'Halstüacher na'zmacha!« +— Die Gret sah ihn achselzuckend an und sagte: »Ja, des glob' e!« — +Der Bursche fühlte einen Drang, sich von jedem Vorwurf rein zu waschen; +deswegen, den Fetzen emporhaltend, bemerkte er: »Des Tuech doh, nemm +mers net übel, ist aber oh nex nutz gwesa'! 'S ist eba' widder so a +nuimodischer Lompazuig (Lumpenzeug), so dent (dünn) wie Spennawett +(Spinnweb)! Mei'r Mueter ihr Halstuch wär' m'r net in der Ha'd +blieba'.« —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_333">[S. 333]</span></p> + +<p>Das Mädchen wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen. Sie hielt an +sich und erwiederte: »Du host natürlich Rehcht! Ma' woeß ja, doß d'r +Gscheidtst bist en der ganza' Gmoed (Gemeinde). — So, ietz ka'n e +mit 'm verrissenga' Halstuech hoemganga'!« — Michel, der einmal in +den Schuß der Dummheit gekommen war, verstand die letzte Rede wieder +falsch. Er trat mit ritterlicher Intention einen Schritt näher und +sagte tröstend: »Doh brauchst de net z'kränka'! — ih ka' d'r scho' +a nuis kohfa!« — Das gab ihm bei dem Mädchen den Rest. Wahrhaft +beleidigt, riß sie ihm den Fetzen aus der Hand und rief; »So viel Geld +hab' e no' übreng, um m'r a nuis Halstuch z'kohfa! I brauch nex von +dir, du oefältenger Mensch!« — Sie wandte sich rasch ab und ging fort.</p> + +<p>Michel stand verdutzt. Er hatte eine dumpfe Ahnung, daß er doch +nicht ganz richtig gehandelt haben könnte. Ein Aerger erhob sich in +seiner Brust — über sein Unglück, über die Hitze der Gret, über das +Mißgeschick, das ihn überall verfolgte. Indem er nachdenken wollte, +fühlte er, daß ihm heute auch das Denken nicht mehr geriethe. Er spürte +eine ziemliche Mattigkeit in seinen Gliedern, setzte sich auf ein +Felsstück und überließ sich der formlosen Bewegung seiner unmuthvollen +Seele. Endlich erhob er sich rasch und trat den Rückweg an; er wollte +doch sehen, wie's stehe und was zu thun sei!</p> + +<p>Als er an seinen Tisch trat, waren der Maurer und die Gret schon +fort; Kaspar erwartete ihn, unwissend, was er denken sollte, und +höchst neugierig was denn passirt sei. Die Gret sei zurückgekommen, +sehr ernsthaft und ärgerlich, und habe erzählt: sie hätte ihren +Fürwitz gebüßt, sie wäre in einer Grub am Felsen hingegangen und ein +spitziger Stein hätte ihr das Halstuch zerrissen. Er, Kasper, habe +nicht begreifen können, wie das zugegangen sei, und nach ihm, dem +Michel, gefragt; worauf sie zur Antwort gegeben, sie wisse nicht wo er +hingelaufen sei. Dann habe sie an ihrem Vater getrieben, sie müßten +nach Hause, sie habe noch etwas herzurichten auf morgen früh — und der +Maurer sei mit ihr fortgegangen. »Was hot's denn geba'?« rief der gute +Bursche zuletzt mit dem Antheil eines Freundes, der das Seine gethan. +»Send'r (seid ihr) oeneng woara'n oder« — »Jo«, rief Michel mit dem +Humor der Verzweiflung, »oeneng!<span class="pagenum" id="Seite_334">[S. 334]</span> — Aus isch!« — Kaspar fuhr empor. +»Was! — aus?« — »Aus«, erwiederte Michel, »wie'n e der sag!« — »Aber +wie hot's denn ganga'? So verzähl m'r doch!«</p> + +<p>Unser Bursche war gedrückt von dem Unstern, den er gehabt, von dem +Unwillen, der in seiner Seele emporschwoll — er mußte sein Herz +erleichtern, und er wollte dem treuen Kameraden Alles vertrauen. Wie er +erzählte, daß er in der Grube über die Gret hinausgelaufen sei, machte +Kaspar Bewegungen, als ob er das Gliederreißen hätte. »Nausgloffa?« +wiederholte er mit unwilligem Staunen; und den Zorn des Gewaltigen +riskirend, setzte er entrüstet hinzu: »O du dommer Kerl! Host denn net +gseha', wos die gwöllt hot?« — »No, was denn?« fragte Michel. Und +Kaspar fuhr fort: »Fanga' hättsch (hättest du sie) solla' — ond d's +Maul hättst aufdoa' solla, wann's ghett hättst! Desdawega' hot's de +rausgfoadert!« — Michel war betroffen; die Sache leuchtete ihm ein, +und nur kleinlaut sagte er: »Moest?« — »Ach, i bitt' de!« rief der +Kamerad höchst verdrießlich. — »No, verzähl weiter!«</p> + +<p>Michel erzählte das Uebrige. Kaspar sah ihn an, wie einen, bei dem's +nicht recht richtig ist, und brach in ein lautes Gelächter aus. +»Lieber Michel«, sagte er endlich, »nemm mer's net übel, aber dir +muß ma' da' Dippel boara' (der Düppel bohren)! Was! doh host no' nex +gmerkt?« — Unser Bursche, einmal auf dem Wege der Selbsterkenntniß, +begriff — und ein dumpfes Schamgefühl begann in ihm aufzuquellen. +Allein seine Handlungsweise hatte doch auch ihre Gründe, und zu +seiner Rechtfertigung mußte er sie geltend machen. »Aber i sag d'r«, +entgegnete er etwas verlegen — »ihr Halstuech ist wärle verschoba' +gwesa'! Ond i hab gmoet« — — »Ietz höar auf«, rief Kaspar »ond +ärger' me net! Die hot se ebbes om ihr Halstuech kümmert! Des ist 'r +aufglega'! — no' derzue bei der Nahcht, wo's koe Mensch sicht!«</p> + +<p>Bei dieser Hinweisung auf die Nacht ward es Tag in unserm Burschen. +Er schämte sich in den Tiefen seiner Seele, und ein großer Verdruß +über sich selbst erhob sich in ihm. Indessen wenn man angegriffen ist, +muß man sich doch vertheidigen, und darum sagte er: »'Smag sei'! Aber +'sist vielleicht besser, daß's so komma'n<span class="pagenum" id="Seite_335">[S. 335]</span> ist! Mit dem Mädle hab e +amol nex acks (als) O'glück — und wear woeß« — Kasper fiel ihm in die +Rede: »O'glück haba' nennt 'r des! Ietz wurd's mer zviel! Glück host +tausedmol meaner (mehr) as der Brauch ist — — aber (auf die Stirn +deutend) <em class="gesperrt">doh</em> fehlt's!« — Nach kurzem Schweigen setzte er hinzu: +»Ietz bitt' e de nor om oes! Verzähl m'r koem Menscha' nex dervo'! Ih +as dei' Kamrad mueß me schäma' für di! Du host de benomma, daß a wahra' +Schand ist! Wie a Dommkopf, wie a Sempel, wie a — —«</p> + +<p>Der gute Kaspar wollte die Gelegenheit der Vernichtung Michels benutzen +und sich für die Grobheiten, die er von ihm schon anzuhören gehabt +hatte, entschädigen. Aber nun wurde es dem Enakssohn zu bunt. Er +richtete sich empor in seiner ganzen Macht und rief mit dunkelbraunem +Gesicht: »Ietz sei mer still, oder i schmeiß de onter da' Dihsch +(Tisch) nonter, doß d's Aufstanda' vergischt! Kott's Höllablitz! +— Willst me du oh no' verzürna'? — I hab mei' Lebteng mit deana +Lueders-Weibsbilder nex z'doa ghett — wie sollt' ih ihr' Ränk ond +Schwänk kenna'?« — Kasper, zur Mäßigung gemahnt, versetzte mit Humor: +»So got's eba'! Wer nex lernt, der ka' nex!« — »Was doh«, rief Michel +unmuthig. »Falsche Ohser sends alle mit anander! I ben froa', daß so +ganga'n ist, ond meiner Lebteng loss' e me ietz mit koer mea' ei'! Aus +isch!« — Er ergriff die Bitsch, leerte sie auf einen Zug, stand auf +und rief mit dem alten Herrscherton: »Ietz komm!« — Er ging. Kasper +folgte.</p> + +<p>Auf dem Heimweg schüttelte der Erfahrene noch zu wiederholtenmalen den +Kopf. Es war freilich beinahe nicht zu glauben, wie der Kamerad sich +benommen hatte. Aber abgesehen von den Gründen, die er selber angab, +war er ein Deutscher und hieß Michel. Er war ein Schwabe und erst +sechsundzwanzig Jahre alt.</p> + +<h3>Beim Tanze.</h3> + +<p>Als die Gret am andern Morgen in ihrem Bett erwachte, überlegte sie +bei dem heitern Schein der eben aufgegangenen Sonne die Vorfälle des +gestrigen Abends in ihrem Zusammenhang und ihrer<span class="pagenum" id="Seite_336">[S. 336]</span> Steigerung — und +brach in ein helles Gelächter aus. Nichts in der Welt kam ihr so +närrisch vor wie der gute Michel in seiner Einfalt. Was sie gestern +erzürnt hatte, das erschien ihr heute unendlich lustig, und um keinen +Preis hätte sie sich ihr zerrissenes Halstuch abkaufen lassen. »O ist +des a gueter Kerl!« rief sie, Lachthränen in den Augen. »Ist des a +dommer Mensch!«</p> + +<p>Mit dem Unmuth war aber auch die Geringschätzung, die sie gegen ihn +empfunden hatte, völlig aus ihr gewichen. Die Heiterkeit stimmte sie +zur Milde, zur Gerechtigkeit. Sie fühlte, wie gut ers eigentlich +meinte, wie durch und durch ehrlich er war, und wie ihm nur die rechte +Art fehlte. Ihre Seele hing an seinem Bilde, wie das Aug einer Mutter +an ihrem Kind, mit liebend mitleidigem Antheil. »G'scheidt ist er +freile net,« sagte sie endlich, »ond wie ma' mit da' Mädla'n omgot, des +woeß er gar net. Aber was schadt's? 'S ist am End besser, er lernt's +von mir, als wann ers scho' von 'r andra' glernt hätt!«</p> + +<p>Da sie die Schwäche des Burschen von der schönern Seite betrachtete, +so leuchtet ein, zu welchem Schlusse sie kam. Sie wollte ihn durchaus +nicht aufgeben, ihm vielmehr Alles verzeihen und bei der nächsten guten +Gelegenheit sich alle Mühe geben mit einem neuen Versuch. »'S ist +freile net en der Oarneng (Ordnung),« sagte sie mit etwas bedenklichem +Gesicht, »daß d's Mädle widder a'fangt. Aber was ka'n e macha'? 'S got +amol net anderst, ond a jeds mueß doa', was eba' ka'! — So o'stearisch +(unsternisch, unglücklich), wie desmol,« setzte sie erheitert hinzu, +»wurds ja doch net allmol ganga'!«</p> + +<p>Es hatte einen ganz absonderlichen Reiz für die muntere Gret, den +dummen prächtigen Michel zu gewinnen. Sie lächelte holdselig für sich +bei diesem Gedanken, ihre Augen glänzten und schelmisch verlangend +rundeten sich die schönen rothen Lippen.</p> + +<p>Vergnügt kam sie in die Stube. Als sie nach der Begrüßung des Alten +wieder an Michel und sein Benehmen dachte, konnte sie sich nicht +enthalten, für sich hinzulachen. Ihr Vater sah sie verwundert an und +sagte: »Was host denn? Du bist ja gwihß net gscheidt?« — Die Gret +erwiederte: »'S ist m'r grad ebbes ei'gfalla'!« — »Gang weiter,« sagte +der Maurer, der nicht zu den scharfsichtigsten Menschen<span class="pagenum" id="Seite_337">[S. 337]</span> gehörte, »du +bist a verruckts Mädle! Mach lieber, daß mer a Supp krieget ond zom +Schneida' kommet!«</p> + +<p>Anders war die Nachwirkung des gestrigen Abends bei dem Burschen. Auch +er sah klar an dem hellen Morgen, aber bei ihm erzeugte die Klarheit +nicht Heiterkeit und Milde, sondern grimmigen Verdruß und Wuth über +sich selbst. Schon <em class="gesperrt">Göthe</em> hat hervorgehoben, wie der arme Mensch, +des Morgens im Bette erwachend, in der Passivität des Daliegens den +Pfeilen der Selbstanklage und der Reue wehrlos preisgegeben ist. +Michel, in dem Nachtheil seiner Lage, erkannte aufs deutlichste, wie +dumm er sich gestern benommen; Scham färbte sein Gesicht, er strampfte +mit dem Bein, daß die Bettstatt krachte. »O du Ochs«, rief er aus und +gab sich einen Schlag vor die Stirn, der einer minder harten gefährlich +werden konnte. »So domm sei'! — net seha', was d's Ohs will, ond +globa', sie will des, was sie sakt! Als ob's net grad allmol ebbes +andersts wölla' dätet, die — —! — Ietz kenn e's (ich sie) auf oemol +— ietz, wo's nex mea' hilft!«</p> + +<p>Michel, wie der Leser schon gesehen, war hinterdrein immer um ein +Gutes klüger als vorher; er machte sich seine Erfahrungen in Wahrheit +zu nutze, er ging vorwärts, und es war darum keineswegs an der +Durchbildung seines Verstandes zu verzweifeln, wenn man ihm nur Zeit +gab, die hiezu nöthige Zahl von Erfahrungen zu machen. Das ist aber +eben das Schlimme bei dieser gründlichen Art der Entwicklung, daß man +oft gewisse Einsichten erst zehn Jahre später erlangt, als wo man sie +brauchte, und unter solchen Verhältnissen gar vieles unwiederbringlich +verloren bleibt.</p> + +<p>»So a Glegenheit«, murmelte der Bursche für sich hin. »Moets so guet +mit m'r, richt't mers na' — a'n oezengs Wöartle, ond mei' wär's! — +Ond ih ben so hihra'dippleng und verreiß 'r d's Halstuech! Noe (und er +brach selber in ein Lachen aus) so 'n oefältenga' Menscha' gibts en +der Welt nemmer! Des ist gar net möglich! — Natürlich isch wüadeng +woara', des begreift se — über so'n Esel! Die möcht' i oh seha', die +doh d'Geduld net verliera' dät!« —</p> + +<p>Er versank in tiefes Nachdenken. »'Sist verloara'«, begann er aufs +neue, »ganz ond gar verloara'! So'n domma' Menscha<span class="pagenum" id="Seite_338">[S. 338]</span> muß ma verachta', +'s got net anderst; ond wo amol koe Respekt mea' ist, doh hot's mit d'r +Liab a'n End! — O, i wott glei« — —</p> + +<p>Er sprang auf, zog sich an, und murrte dabei fortwährend über sich +selbst. — Als er in die Stube trat und der Mutter guten Morgen bot, +sah ihn diese an und sagte: »Wie sikscht denn du ha'et aus? — Du host +g'wiß gestert z'tief en d'Bitsch nei'guckt!« — Michel war froh, die +Alte auf dieser Fährte zu sehen, und dichtete sich einen Katzenjammer +an, obwohl mindestens das doppelte Quantum des gestern Getrunkenen +erforderlich gewesen wäre, ihm eine Andeutung davon zu geben. »Ja«, +erwiederte er, »i ben a bisle z'weit ganga'! Aber (setzte er mit saurem +Gesicht hinzu) i hab a Lear (Lehre) kriegt, ond wear me a'nandersmol +hüeta'!«</p> + +<p>Als er nach dem Frühstück auf's Feld hinausging, dachte er: »Ietz nor +Alles ha'et, als dem Mädle net begegna'!« Er empfand eine grausame +Scheu, das Gesicht zu sehen, das er sich nicht anders als höhnisch +denken konnte und dessen bloße Vorstellung ihm schon einen Stich +ins Herz gab. Unbehelligt kam er an seinen Acker, und froh über +dieses Glück schnitt er rüstig in Gesellschaft seiner Mutter und +einer Taglöhnerin die zeitgemäße Gerste. Aber seine Furcht war doch +eine Ahnung dessen, was kommen sollte! Da sie den Acker noch fertig +schneiden wollten, so gingen sie erst spät zum Mittagessen heim. Michel +blieb in Gedanken zurück, und wie er in die Gasse einlenkte, kam +ihm die Gret entgegen. Er erschrak, und sein Gesicht zeigte eine so +komische Mischung von Verlegenheit, Verdruß und Empfindlichkeit, daß +das Mädchen, als er ohne zu grüßen an ihr vorüberschritt, sich nicht +anders helfen konnte — sie mußte grad hinaus lachen.</p> + +<p>Es that ihr unendlich leid, sobald es geschehen war. Sie fühlte, daß es +jetzt zu Ende sei mit ihm, und daß ein Wunder geschehen müßte, wenn er +ihr dieses Lachen verzeihen sollte! — Sie schalt sich selbst, wurde +sehr ernsthaft und beruhigte sich endlich nur in dem Vorsatz: für jetzt +sich zurückzuhalten und Alles in Geduld zu erwarten.</p> + +<p>Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Michel war im Tiefsten beleidigt. +»I habs ja gwißt«, sagte er schamerglühend zu sich selbst,<span class="pagenum" id="Seite_339">[S. 339]</span> — +auslacha' wurd's me! — No, ietz isch aber verbei, — ietz sig e's +nemmer a' meiner Lebtag! I ben a'n Esel gwesa', daß e denkt hab', sie +hält doch ebbes auf mi! Wean ma' so auslacht, auf dean hält ma'n ebbes, +ja wohl! — Nia hot ma'n ebbes auf 'n ghalta'!«</p> + +<p>In seiner gerechten Entrüstung ging er zu dem Kameraden und erzählte +ihm, was ihm passirt sei und was er nun denken müsse. Kasper wollte +die Schlußfolge Michels nicht gelten lassen; aber dieser machte ein +Gesicht, daß er seine Einwendung gern fallen ließ und meinte: es könnte +doch so sein! — Gewisse Leute finden immer Beistimmung.</p> + +<p>Michel faßte den Entschluß, die Gret nicht nur ihres Weges gehen zu +lassen, sondern gar nicht mehr an sie zu denken. Zunächst wurde er aber +doch noch an sie erinnert. Seine Mutter erfuhr nämlich im Lauf der +Woche von einem Nachbar, Michel sei am Sonntag beim Maurer und seiner +Tochter gesessen, er sei recht »lebendeng« gewesen, und es habe just so +ausgesehen, als ob ihm die Gret gefiele. — »Des gäb' a rechts Baar«, +hatte der Wohlwollende hinzugesetzt, — »doh müsset 'r a Bisle helfa'!« +— Die Alte war sehr erfreut über diese Nachricht und nahm sich gleich +vor, bei guter Gelegenheit auf den Busch zu klopfen und zum Zwecke zu +reden.</p> + +<p>Als sie einen Tag darauf nach dem Essen allein in der Stube waren, +begann sie mit jenem Lächeln, das nur Müttern eigen ist, wenn sie auf +eine ihnen genehme Liebschaft des Sohnes anspielen: »Des mueß ma' doch +saga', d's Maurers Margret ist doch ietz d's erst' Mädle em ganza' +Doraf! Wie die so gschickt ist ond wie der Alles aus der Ha'd got! +'Sist wärle zum Verwondra'!« — Michel blieb stumm. — »No, isch net +wohr?« fuhr die Alte fort und sah ihn an. — »'S ka' sei'«, entgegnete +Michel. — »Die Gschwendne (Geschwindigkeit)«, begann die Mutter +wieder, »hab' e no' net leicht gseha' bei 'm Mädle! Sie schafft für +zwua (zwo, zwei).« — »Mei'daweg für drei!« versetzte der Bursche. +Die Alte wollte aus dieser Antwort entnehmen, Michel schäme sich zu +bekennen, und fuhr fort: »Wer die zom Weib kriegt, deam isch net gfehlt +— der hots troffa' — noch mei'r Moeneng!« — »I wensch 'm Glück +derzue«, bemerkte der Sohn ohne aufzusehen und mit einem Ton, der der +Alten doch<span class="pagenum" id="Seite_340">[S. 340]</span> befremdlich klang. »No, was host denn ietz?« rief sie; und +lächelnd setzte sie hinzu: »bist net amol aufrichteng mit dei'r Mueter? +I will der's nor saga': die Great wär a Mädle für dih, ond wann de a +Bisle om se rommacha' dätst« — —</p> + +<p>Michel sah auf mit unmuthigem Gesicht. »Die Great«, erwiederte er kurz, +»wär die Letscht (Letzte), die i näam (nähme)!« — »Aber worom denn?« +rief die erstaunte Alte. — »Weil's a'n Ohs ist«, war die Antwort, »ond +weil e's net leida' ka'!«</p> + +<p>Die Mutter wollte ihren Ohren nicht trauen. »Aber du sollst de ja +beim brauna' Bier recht guet mit 'r onderhalta' haba'!« — »Descht +(das ist) a domma' Schwätzerei — weiter nex!« entgegnete Michel. Und +indem alle Schmach, die er erfahren, in seiner Seele brannte, rief er +mit Nachdruck: »Von deam Mädle red m'r nex mea' — i will nex von 'r +höara'!« — Die Alte war bestürzt und schwieg einen Moment still. Dann +sagte sie mit einem Klageton, der aus der Seele kam: »Aber sag m'r nor, +willst denn ietz barduh (partout) net heiricha'? Magst denn gar koena'? +Soll e meiner Lebteng koe Söhnere mea' ens Haus kriega'?« — Dieser +Ton traf den Burschen; — und da es die Mutter doch so gut meinte und +vielleicht die einzige Person in der Welt war, die es gut meinte mit +ihm, so ging er auf sie zu, nahm sie bei der Hand und sagte von Herzen: +»Mueß denn aber grad gheiricht sei'? I hab ja a brava' Mueter, die m'r +nex ahganga' (abgehen) loßt and bei ders m'r wöller ist, als bei so 'r +jonga Butzdock (Putzdocke)!« — »Ach«, erwiederte die Alte, die sich +doch etwas geschmeichelt fühlte, »wann e aber stirb, was nocht?« — »Du +lebst länger als ih«, rief Michel, nickte versichernd — und suchte das +Weite.</p> + +<p>Wie vorsichtig die gute Frau war, und wie sehr sie eine Scheu empfand, +über ihren Michel ein Gerede zu veranlassen, das ihn erzürnen würde — +den Widerspruch zwischen der Erzählung des Nachbars und dem Benehmen +des Burschen konnte sie doch nicht verwinden. Sie erkundigte sich +gelegentlich bei dem Kameraden. Dieser spürte kein Verlangen, die +Wahrheit zu sagen und unter Umständen die Kraft der Michelschen Fäuste +zu empfinden; er erwiederte, sie hätten allerdings eine Ansprache mit +dem Maurer und seiner Tochter gehabt,<span class="pagenum" id="Seite_341">[S. 341]</span> aber diese hätte dem Michel ein +paar spöttische Reden hinausgegeben, das habe ihn geärgert und nun sei +sie ihm zuwider. — Die Mutter seufzte und resignirte noch einmal. Zum +Nachbar sagte sie: »Desmol hont 'r falsch gseha'!« Der Alte meinte: +»Nocht wurd's halt d's brau' Bier gwesst sei', was 'n so monter gmacht +hot!« — »Des glob' e ehr«, entgegnete die Mutter — und die Frage war +abgemacht für sie.</p> + +<p>Die Erndte ging ihren Gang. Das letzte Fuder Hafer war ins Dorf +gefahren, und das Verhältniß zwischen Michel und der Gret noch +das alte. Mit dem Maurer wechselte der Bursche die gewöhnlichen +Grußformeln. Begegnete er dem Mädchen, so spielte er mit Erfolg einen +Menschen, der ganz in seine Gedanken verloren hinwandelt, und sie ging +mit dem Ernst der Ergebung an ihm vorüber, mit wiederholtem innigem +Bedauern über ihr unglückseliges Lachen und mit erneuertem Vorsatz, +bei der nächsten Gelegenheit, wenn ihr ja das Glück noch einmal wollen +sollte, sich so gut, so klug und so lieb als möglich gegen ihn zu +benehmen.</p> + +<p>Der Schneider hatte unterdessen seine Besuche und Huldigungen +nicht ausgesetzt, obwohl die Erntezeit, die ihn in einen Schnitter +verwandelte, sie nicht in solcher Häufigkeit zuließ wie früher. Er sah +zu seiner Verwunderung, daß sein Bäschen mehr und mehr ihre Munterkeit +verlor, sich hie und da in einem sonderbaren traurigen Nachdenken, +zuweilen auch in einer sehr ärgerlichen Stimmung betreffen ließ. Dieß +erschien ihm nicht wohl begreiflich, da sie doch nach seiner Ansicht +Alles hatte, was sie wünschen konnte, namentlich einen Liebhaber, der +deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er sich, wenn es sein mußte, +in einen Ehemann verwandeln könnte. Er setzte ihr Betragen indeß auf +Rechnung der bekannten weiblichen Launen und tröstete sich, daß sie +gehen würden, wie sie gekommen.</p> + +<p>Auf den ersten Dienstag nach der Ernte fiel eine Hochzeit, die, zum +Vergnügen der jungen Leute des Dorfes, im Wirthshaus gefeiert wurde. +Unsre Leser haben schon aus den frühern Erzählungen gesehen, welche +Rolle in der Sphäre ländlicher Ergötzungen die Hochzeiten spielen. +Die Dorfjugend mitten im Ries hat im ganzen Jahre nur zwei regelmäßig +wiederkehrende Tanzgelegenheiten: die Ortskirchweih<span class="pagenum" id="Seite_342">[S. 342]</span> und die Nördlinger +Messe. Zur Ergänzung der eignen Kirchweih machten ehedem Solche, die +Belieben darnach trugen oder von Verwandten eingeladen waren, die +eines und des anderen Nachbardorfes mit, was vorläufig durch die +büreaukratisch angeordnete Verlegung sämmtlicher Kirchweihtänze auf +Einen Tag, ins Reich der Unmöglichkeit verwiesen ist. Da ein paar +Tanztage im ganzen Jahr einer lebenslustigen Jugend nicht genügen +können, so werden natürlich die wirthshäuslichen Hochzeitsfeste mit +Freuden begrüßt und als ein Gnadengeschenk der Verhältnisse um so +dankbarer hingenommen, als auch sie schon seltener zu werden anfangen.</p> + +<p>Bei dieser Gelegenheit müssen wir bemerken, daß eben diese +Festlichkeiten für das gesellige Leben des Rieser Landvolks eine +Bedeutung haben, die wir gehörigen Ortes anerkannt zu sehen wünschten. +Es sind Mittelpunkte, wo sich Gäste aus den verschiedenen Dörfern +treffen, in fröhlichem Verkehr einander ihr Herz aufschließen und +neue Verhältnisse sich entspinnen, die auseinander wohnende Familien +wieder mit einem Bande der Verwandtschaft umschlingen können. Die +Thatsache, daß das Rieser Landvolk derselben Confession gewissermaßen +eine große Familie bildet, wird hier anschaulich gemacht und zu ihrer +Erhaltung immer wieder beigetragen. Wer dieß zu schätzen und die guten +Folgen solcher Mischung sich vorzustellen weiß, der wird um einiger +Rohheiten willen, die dabei vorfallen können, die aber meist nur dem +verzärtelten Geschmack als solche erscheinen, nicht die Axt an eine +Sitte gelegt zu sehen wünschen, die so viel Gutes mit sich bringt — +von der Rekreation, welche der Bauer in Folge seiner ununterbrochenen +Thätigkeit doch ebensosehr bedarf als verdient, ganz abgesehen. +Es ist immer nur Schwäche, die, um den Mißbrauch zu verhüten, den +Gebrauch aufheben will; Schwäche und Unfähigkeit, die sich bewußt +ist, auf positive Weise nicht helfen zu können, wo zu helfen wäre. +Durch die Vernichtung der überlieferten Sitte würde das Landvolk zur +Charakterlosigkeit, zur socialen Nullität gebracht werden — und +mehr werth als diese, sollte man glauben, wäre ein selbstständig +ausgeprägtes Leben doch bei weitem, auch mit etwelcher Rohheit, die +ohnehin der fortschreitenden Cultur schon vielfach gewichen ist und +immer mehr wird weichen müssen.<span class="pagenum" id="Seite_343">[S. 343]</span> Wolle man doch ja sociale Zahmheit und +Dürre nicht gewaltsam herbeiführen! Es ist möglich, daß sie von selber +kommt, früher und vollständiger kommt, als es sogar ihren jetzigen +Liebhabern lieb sein wird! —</p> + +<p>Die Hochzeit war die eines wohlhabenden jungen Söldners mit der Tochter +eines kleinen Bauern. Die Familie Schwab gehörte zur »Freundschaft« des +letztern — es war daher unumgänglich nöthig, daß ein Glied derselben +als Gast an der Feier theilnahm, um so mehr, als der Bauer vor Zeiten +auch den Ehrentag der Wittib mitgefeiert hatte und die Schicklichkeit +eines Ersatzes in die Wagschale fiel. Wenn der Brauch will, daß ein +Geladener dem Freund oder guten Bekannten »auf die Hochzeit gehe« und +»auf die Hochzeit schenke«, d. h. einen verhältnißmäßigen Geldbeitrag +zum Beginn der Wirthschaft liefere, so will er nicht minder, daß +dem Gaste bei Gelegenheit seiner eigenen Verbindung oder der eines +Blutsverwandten die Ehre und das Geschenk wieder zurückgegeben werden. +Der Brauch übt einen sanften Zwang zur Wiedervergeltung und fördert +so den Austausch reeller Höflichkeiten, indem er jedem abwechselnd +das Wohlgefühl des Empfangens und Gebens verschafft. Denn es bleibt +natürlich dem Rieser unbenommen, das, was die Sitte gebietet, aus +freien Stücken zu thun und in der Wiedervergeltung nicht eine bloße +Pflichterfüllung, sondern einen natürlichen Erweis der Großmuth zu +sehen, deren Freude es ist zu schenken und glücklich zu machen! —</p> + +<p>Schon acht Tage vor diesem Fest hatte zwischen Michel und seiner Mutter +ein kleiner Kampf über die Frage begonnen, wer es mitmachen solle. +Michel wollte die Last der Mutter aufbürden, die Mutter wollte die Lust +dem Sohne gönnen. Die gute Frau kam eben, wenn auch nur im Stillen, +immer wieder auf den Wunsch und die Hoffnung zurück: es möchte ihm +Eine gefallen! Da nun im Dorfe selbst offenbar Keine so glücklich war, +so wünschte sie um so lebhafter, der Sohn möchte auf dieser Hochzeit +Jungfrauen aus andern Orten sehen, die nicht fehlen konnten. — Das +Bewußtsein, als Mutter für sein Bestes sorgen zu müssen, gab ihr +diesmal in der That die Kraft zu widerstehen und seine Einwendungen +zu entkräften. Wie oft er auch wiederholen mochte: es mache ihm keine +Freude, er habe gar »keinen Luhst« dazu, es sei ihm grausam<span class="pagenum" id="Seite_344">[S. 344]</span> zuwider! +— am Ende mußte er sich den Ermahnungen, womit die Alte ihm zuzusetzen +nicht müde wurde, dennoch fügen und in den sauern Apfel beißen. Zur +Verzweiflung gebracht rief er endlich: »No mei'daweg, i will ganga'! +Aber du wurscht seha', 's gibt widder ebbes. Denn der Deufel ist loas +ond loßt m'r koe Rua'!« — Die Mutter war zu vergnügt über seinen +Entschluß, als daß sie dieser Rede weiter nachgedacht hätte.</p> + +<p>Ob Michel sich deswegen so lange sträubte, weil er erfahren hatte, daß +auch die Gret auf die Hochzeit kommen würde — oder ob er deswegen +endlich nachgab — wer konnte es wissen? — Der Kamerad, den er von +dem Streit mit der Mutter in Kenntniß gesetzt, machte ihm gelegentlich +und vorsichtig jene Mittheilung, indem er hinzufügte, nun würde er +gerade auch darauf gehen und dem Mädchen zum »Tort« sich um eine andere +herummachen, was sie gewiß recht ärgern würde. Michel hatte indessen +geantwortet, er kümmere sich um das Mädchen überhaupt gar nichts mehr, +und später diesen Gegenstand nicht wieder berührt. — Sei dem, wie ihm +wolle — er folgte der Alten, und mußte sich am Hochzeitsmorgen mit dem +Gedanken der Nöthigung doch schon einigermaßen versöhnt haben, denn +er wusch und putzte sich nach Kräften und zog sich so stattlich an, +als es der Kleiderkasten zuließ. Wie er endlich vor seine Mutter trat +in schwarzen Hosen von Hirschleder, die kein Fältchen warfen und fast +bis eine Spanne über das Knie von den Stiefeln bedeckt waren, — in +manschesternem Leibchen mit versilberten Knöpfen, im neuen, schwarzen, +baumwollbehaarten Barchentkittel mit flachen, thalergroßen Knöpfen +— über das wohlgebundene dunkle Halstuch den feinsten Hemdkragen +gezogen und den Kopf mit dem landesüblichen Schaufelhut bedeckt — +da ging der guten Frau das Herz auf und undenkbar schien es ihr, daß +so ein Mannsbild sollte durchs Leben gehen können, ohne ein braves +Weib glücklich zu machen und ohne eine würdige Nachkommenschaft +zu hinterlassen. — Sie hatte eben in das Papierkäpselchen des +Gesangbuchs, das ihm auf dem Weg zur Kirche übergeben werden mußte, +einen großen Kupferzweier gesteckt, den er als »Opfer« in den +Klingelbeutel werfen sollte; nun wünschte sie ihm von Herzen gute +Unterhaltung und gab ihm geschwind noch ein paar<span class="pagenum" id="Seite_345">[S. 345]</span> Schicklichkeitsregeln +mit, ihn besonders ermahnend, daß er zu den Brautleuten sagen sollte: +»Ich gratuliere«, nicht: »Ich condoliere,« wie es einmal einem zu +seiner großen Schande passirt sei. Michel zuckte die Achseln und ging, +da es eben zehn Uhr schlug, in langsamen Schritten dem Wirthshaus zu.</p> + +<p>Eine Rieser Hochzeitsfeier hatte in jenen Tagen einen andern Verlauf +als jetzt, wo dem Geiste der Zeit verschiedene Glieder der alten +Ordnung zum Opfer gefallen sind. Wir müssen unsre Leser schon ersuchen, +zunächst eine Schilderung und Charakteristik derselben freundlich +aufzunehmen, da wir ohne eine solche in der Erzählung nicht so +verständlich sein könnten, als wir gerne wären. Abgesehen davon möchte +es den künftigen Riesern von Interesse sein, das, was die Alten fromm +und fröhlich getrieben, wenigstens aus einem Buch kennen zu lernen. — +—</p> + +<p>Wenn das »Ander gelitten«, d. h. wenn mit Einer Glocke das zweite +Mal vor dem Beginn der kirchlichen Handlung geläutet wurde, begaben +sich Bräutigam und Braut, Hochzeitknecht und Hochzeitmagd und die +nächsten Verwandten ins Wirthshaus. Der Hochzeitknecht trug einen +Säbel mit breitem farbigem Seidenband; er ist der Beschützer der Braut +— eine Sitte, die aus Zeiten datirt, wo thatsächlicher Schutz noch +erfordert werden konnte. In der obern Stube angekommen nahmen sie +Platz am Bräuteltisch zunächst der Thüre und erwarteten die nach und +nach anlangenden Gäste, deren jeder zum Brautpaar trat und in würdigem +Ernste »zum Ehrentag und zum fröhlichen Kirchgang« gratulirte. Hatten +sich die Gäste eingefunden, so beschenkte die Hochzeitmagd sie mit +Rosmarin, und das Frühmahl wurde aufgetragen: Suppe, Rindfleisch und +ein Viertellaib des schmackhaften »Hochzeitbrodes.« Weißbier und +Branntwein (und zwar jenes den ganzen Tag durch) gehörten zum »Mohl« +(Mahl); Wein und braunes Bier wurden gegen Bezahlung gereicht. Den +behaglichen Genuß des Frühstücks erhöhten die Musikanten — deren +es bei kleinen Hochzeiten viere, bei größeren sechse gab — durch +Aufspielen ihrer schönsten Arien. Endlich wurde »zusammengeschlagen,« +d. h. mit zwei Glocken zum Kirchgang geläutet, Pfarrer und Schullehrer +kamen im Ornat zum Wirthshause und empfingen je eine Citrone und einen<span class="pagenum" id="Seite_346">[S. 346]</span> +Rosmarinstrauch, die männlichen und weiblichen Gäste, mit Rosmarin +schon geputzt, sonderten sich, und unter dem Vortritt der Musikanten, +die einen Marsch bliesen, begann der Zug vom Hofe des Wirthshauses in +die Kirche; die Männer mit Pfarrer und Schullehrer voran, die Braut an +der Spitze der Weiber vom Hochzeitknecht mit blankem Säbel geleitet. Am +Thore des Kirchhofs machten die Musikanten Halt, die weltliche Musik +verstummte, und der Zug ging über den breiten Weg des Kirchhofs, wo die +Gäste durch die Ihrigen mit Gesangbüchern versehen und von Verwandten +und Bekannten mit leckereigefüllten »Guckern« beschenkt wurden, in das +Gotteshaus. Bei der Trauung hatte der Hochzeitknecht seinen Stand zur +Seite des Paares, um die Braut nach Beendigung der kirchlichen Feier +sogleich wieder in Empfang zu nehmen. In derselben Ordnung, wie er +angekommen, ging der Zug zurück und vor dem Kirchthor stellten sich +die Musikanten, stattlich blasend, wieder an die Spitze. Im Hofe des +Wirthshauses bildete man einen Kreis, der Pfarrer nahm Glück wünschend +Abschied, und nun trat der Schullehrer in die Mitte, um seinerseits +in feierlichem Ton eine gereimte Anrede zu halten, worin er nach der +kirchlichen Ermahnung als Repräsentant des praktisch-moralischen Sinnes +die Bedeutung des Tages beleuchtete und mäßigen Genuß und ehrbare +Fröhlichkeit empfahl.</p> + +<p>In jeder Beziehung geistig versehen, begaben sich die Gäste in's +Haus, der Hochzeiter nahm die Hochzeiterin bei der Hand, führte sie +auf den Tanzboden und tanzte mit ihr drei Reihen allein, worauf +der Hochzeitknecht mit der Hochzeitmagd, und die übrigen schon +bereitstehenden Paare sich anschlossen. Wenn der Aufwärter zum +Mittagessen rief, setzte man sich in bunter Reihe an die Tafeln. +Jeder Gast fand bei seinem Gedeck einen »Hochzeitlaib« vor, und +nach einander wurde aufgetragen: Suppe mit weißen Semmel- und +braunen schmalzgebackenen »Knöpfen«, Rindfleisch mit Reis, Blut- und +Leberwurst, Leberkuchen und Bratwurst, endlich Braten. Nach dem Mahl +begann der Tanz wieder und dauerte bis zum Abendessen. Die ältern Leute +unterhielten sich trinkend und diskurirend oder zuschauend; die Braut +— oder wenn sie tanzte, eines der ihrigen — nahm Hochzeitsgeschenke +in Empfang, die ihr von Dorfbewohnern gebracht wurden,<span class="pagenum" id="Seite_347">[S. 347]</span> und wartete +ihnen mit Schnaps oder Wein auf. Die Dorfbewohner nämlich — so +verlangte es die schöne Sitte — waren <em class="gesperrt">alle</em> geladen, auch den +ärmsten nicht ausgenommen, und wenn so einer nicht als Gast erscheinen +konnte, so schenkte er wenigstens nach Verhältniß seines Vermögens.</p> + +<p>Das Abendessen vereinigte Alle wieder in der Stube. Es gab zum +drittenmal Suppe — Rindfleisch mit süßer Rosinenbrühe, Braten und +für jede Person ein Viertel Torte. Das »Mohl« war damit vollendet; +und jetzt nahm der Schullehrer die Aufmerksamkeit der Versammlung +noch einmal in Anspruch. Er hielt eine Rede, worin er (der gleich +dem Geistlichen seinen Antheil vom Bräutigam in's Haus gesendet +erhalten hatte) Gott pries, der sie so reichlich gespeist habe, die +Summe namhaft machte, die je ein Gast zu entrichten hatte, und den +Brautleuten mit einer feinen Anspielung auf das Läuten der Taufglocke +alles Glück und allen Segen wünschte. Während dieser Rede hatten sich +die ältern Schulbuben um ihren Meister gesammelt, die Musikanten +in der Nähe sich aufgestellt, und es ertönte zum Beschluß mit +Instrumentalbegleitung der Choral: »Nun danket Alle Gott!«</p> + +<p>In der feierlichen Stimmung, welche dieses Lied erweckte, sammelte +der Schullehrer mit einem Blutsverwandten des Brautpaars die +»Hochzeitschenk« ein, die von jedem erhaltene Summe genau notirend; und +der einmal geöffnete Geldbeutel durfte sobald nicht wieder geschlossen +werden. Zunächst folgte der Wirth, um die Bezahlung für das Mahl +(damals anderthalb Gulden und etwas darüber, jetzt über zwei!) in +Empfang zu nehmen. Dann erschienen nach einander der Aufwärter, die +Köchin, die Magd und das Mädchen, um die Gäste zu brandschatzen, die +aber ihrerseits auch zu immer kleinerer Münze griffen, bis zuletzt +in das Pfännchen des Mädchens Kreuzer und nur ausnahmsweise Groschen +geworfen wurden. Während diese Schaar sich entfernte, um schnell die +Beute zu überzählen und sich nach Verhältniß entweder zu freuen oder zu +ärgern, hielten die Musikanten ihren Umgang bei den Tischen, spielten, +was ihnen vorgesungen wurde, und zogen das Honorar ein, das in jener +Zeit um ein Ziemliches bedeutender ausfiel, als heutzutage. Die +Hochzeitgäste,<span class="pagenum" id="Seite_348">[S. 348]</span> vor allen die aus andern Dörfern, nahmen Abschied. Die +Brautleute begaben sich mit befreundeten Paaren in den Haustennen, wo +unter Absingung bezüglicher Liedchen nochmal getanzt und Wein gezecht +wurde. Der Bauer liebt die Gründlichkeit auch in der Ergötzung — wenn +er sich einmal darauf einläßt — und das Austrinken des Vergnügens +bis zum letzten Tropfen. Darum ließ sich nun der Bräutigam von den +Musikanten auch noch »heimmachen«, und in seiner Stube erst wurde +der Kehraus getanzt. Dehnte sich dieser zu lang, dann konnte Murren +unter den jungen Leuten des Dorfes entstehen, die sich zum »Ansing« +versammelt hatten. In der Regel aber hatte man diesen schon früher +ein paar Musici überlassen, und während in der Wohnung des Bräutigams +die Hochzeit endigte, war auf dem Tanzboden die freie Lustbarkeit der +Ledigen schon in vollem Gange, die früher erlaubtermaßen bis zum Morgen +dauerte.</p> + +<p>In der Ordnung des eigentlichen Festes, wie man sieht, waren +Geistliches und Weltliches verbunden wie zwei Elemente, die sich zur +Bildung eines Ehren- und Freudentages wechselseitig ergänzen sollen. +Jeder Moment war ausgefüllt mit dem, was den Bauer ergreift und über +die Prosa des Daseins erhebt. Nach der Weihe der kirchlichen Handlung +leitete ihn Musik zu dem Orte, wo er fröhlich den Tag verbrachte, der +Schullehrer, als Mittelsmann zwischen Geistlichem und Weltlichem, +sorgte für den Uebergang und lenkte nach der letzten Mahlzeit die +Herzen noch einmal zu einer ernsten Betrachtung des Tages zurück. +Die Naivität und, um es nur zu sagen, die geistige und gemüthliche +Gesundheit früherer Zeiten nahm an dieser Verflechtung der beiden +Elemente kein Aergerniß, und Schreiber dieses erinnert sich noch wohl +der ernsten, ja feierlichen Gesichter der Hochzeitgäste beim Absingen +des Kirchenliedes. Man muß die Natur des Bauers, die Derbheit seiner +Empfindungsorgane, die Hingebung an die Gegenwart — und auf der andern +Seite die Einfachheit seines geistigen Lebens im Auge behalten, wenn +man über eine solche Ordnung gerecht urtheilen will. Der Bauer quält +sich nicht mit dem Gedanken, ob er nicht vielleicht Gott beleidige, +wenn er sich nach der kirchlichen Handlung dem Vergnügen überläßt; +er tanzt ohne Arg, dem Gebrauch und seinem Drange folgend. Und wenn +er nach der<span class="pagenum" id="Seite_349">[S. 349]</span> Lustbarkeit den Choral singen hört, so stört ihn nicht +die Frage, ob dies wohl auch in's Wirthshaus gehöre; er läßt, die +Lustbarkeit vergessend, den Gesang auf sich wirken, nimmt sich's dann +aber auch in keiner Weise übel, wenn die ernste Stimmung, in die er +versetzt war, nach dem Schlusse des Liedes selbst wieder ein Ende nimmt +und erneuter Fröhlichkeit Platz macht. Für ihn ist die sittegeregelte +Fröhlichkeit eben selbst eine Erhebung! Was ihm ein solcher Tag bietet, +ist ihm Kunst und Poesie; und so wenig man diese der gebildeten +Menschheit rauben darf, so wenig darf man dem Bauer nehmen, was sie ihm +ersetzt.</p> + +<p>In den letzten Jahrzehnten hat das Ganze dieser ländlichen +Hochzeitsfeier die Begleitung des Zuges durch die Musikanten — die +förmlichen Reden des Schullehrers und das Absingen des Chorals nach +der Abendmahlzeit — endlich das Tanzen im Haustennen und den Heimgang +der Brautleute mit Musik — verloren. Das erste hat die Geistlichkeit +anstößig gefunden, das zweite scheint den jungen Lehrern, die das +Seminar gebildet hatte, nicht mehr gepaßt zu haben, das letzte +untersagte die Polizei. Das besondere Tanzen nach dem Abendessen hat +sich der Bauer indeß nicht nehmen lassen. Die Brautleute tanzen jetzt +in der untern Wirthsstube und lassen sich beim Abschied wenigstens zum +Hause hinaus blasen!</p> + +<p>Die Sitte des Volks ist ein natürliches Gewächs; wenn ihre Zeit +vorüber ist, läßt sie sich durch Befehle nicht mehr erhalten, und kein +Vernünftiger wird darüber klagen, daß das, was kein inneres Leben mehr +hat, dem Untergang verfällt. Was aber an überlieferten Gebräuchen vom +Volke selbst erhalten, mit Lust und Liebe erhalten wird, das sollte +weder von der geistlichen noch von der weltlichen Macht angetastet +werden, sofern es nicht einer männlichen, über Nervenschwachheit und +Pedanterei erhabenen Sittlichkeit widerspricht. Wollte man dem Bauer +die öffentliche Hochzeitsfeier mit Musik und Tanz verbieten, in der +Meinung etwa, daß ein solcher Tag in ernster Stille begangen werden +müsse, so würde das, außer dem schon erwähnten Uebelstand, für das +Rieser Landvolk insbesondere noch die Folge haben, daß die bäurische +Natur an Essen und Trinken Ersatz nähme und sich den Magen überladend +in dumpfer Gedankenlosigkeit<span class="pagenum" id="Seite_350">[S. 350]</span> hinbrütete, was nach der Angabe eines +glaubenswerthen Mannes in Tyrol geschehen soll, wo die geistlichen +Väter das Landvolk auch dem höhern Leben zu gewinnen glauben, wenn +sie ihm das Tanzen ausreden. — Man veredle und bereichere den Geist +der Landleute, man befähige sie durch Bildung zu höheren und feineren +Genüssen, namentlich zu jenen würdigen und tiefsinnigen Gesprächen, wie +sie die Gebildeten bei ihren Diners zu führen pflegen — dann werden +sie auf ihre Gebräuche und ihre noch immer beliebten Vergnügungen von +selber verzichten. Bis dahin aber lasse man ihnen ihre Sitten, ihre +Freuden und, was auch eine gar schöne Sache ist — ihren Humor!</p> + +<p>Als Michel in die obere Wirthsstube kam, waren außer dem Brautpaar und +seinen Angehörigen nur erst wenige Gäste dort. Er trat stattlich zu den +beiden Glücklichen und sagte die Gratulation ohne Anstoß, worauf der +Dank mit einem gewissen ernsten Lächeln ausgesprochen wurde, welches +namentlich auf dem Gesicht der Braut zu bedeuten schien: Nimm dir +ein Exempel dran! An einem benachbarten Tisch hatten schon ein paar +ältere Männer aus dem Dorfe und eine Matrone von auswärts Posto gefaßt; +er setzte sich zu ihnen, um, da er nicht tanzte, wenigstens eine +vernünftige Ansprache zu haben.</p> + +<p>Die Gäste mehrten sich. Auf einmal trat auch die Gret ein, die in +der schwarzen Spitzenhaube und in dem dunkeln Anzug, wie ihn das +protestantische Landvolk bei ernsten Gelegenheiten zu tragen pflegt, +ein eignes feierliches Aussehen hatte. Allein nachdem das Auge rasch +die Tische überflogen, stimmte das helle Antlitz nicht mehr zu dem +ernsten Gewand; es glänzte froh dem Brautpaar entgegen und wünschte +schon Glück, ehe die Lippen sich öffneten.</p> + +<p>Michel hatte bei ihrem Eintritt in seinem Herzen einen kleinen Ruck +empfunden und konnte sich nicht enthalten, sie in der Stellung des +Gratulirens anzusehen — und sie wieder schöner zu finden als alle +andern Mädchen und Weiber! — Plötzlich verdunkelten sich seine Züge; +der Schneider war angekommen in funkelnagelneuem Tuchrock und sehr +vergnügten Gesichts. Er sprach einen Glückwunsch, der nur den Sinn der +alten Bauernformel enthielt, und setzte sich an die<span class="pagenum" id="Seite_351">[S. 351]</span> Tafel, an welcher +die Gret Platz genommen hatte, um sofort mit ihr einen Diskurs zu +beginnen.</p> + +<p>Das Fest begann und verlief nach der Regel, und die Gäste fühlten sich +bald wohl und wohler — mit Ausnahme eines Einzigen.</p> + +<p>Michel hatte den Entschluß, die Gret nicht mehr anzusehen, während +ihrer vergnügten Unterhaltung mit dem Schneider erneuert. Beim +Aufstellen des Zugs ging er an ihr vorbei, ohne irgend von ihr Notiz zu +nehmen. In der Kirche sah er sich aber unwillkürlich zur Uebertretung +des von ihm aufgestellten Gesetzes verlockt. Der Pfarrer hob in seiner +Predigt die Bedeutung des Ehestandes so schön hervor; er sprach über +den Segen, der an diesen Bund geknüpft sei, mit solcher Weihe, daß +Michel instinktmäßig den Kopf nach der Gegend hinkehrte, wo die Gret +saß. Diese hatte den ihrigen just in entgegengesetzter Art gewendet — +die Blicke trafen aufeinander. Obwohl er nun sein Haupt rasch wieder +in die alte Stellung zurückdrehte und eine Miene annahm, als ob nichts +geschehen wäre, so fühlte er sich doch ertappt, die Gret konnte von ihm +denken, Gott weiß was, ihn auslachen und ihn verspotten. — Er war sehr +ärgerlich.</p> + +<p>Von da an war unser Bursche kein aufmerksamer Hörer der Predigt mehr, +und auch die Rede des Schullehrers ging ungewürdigt an ihm vorüber. Es +begann ihn zu reuen, daß er der Mutter nachgegeben; und nur mechanisch +ging er mit andern Zuschauern auf den Tanzboden. Was er da sah, war +gleichfalls nicht geeignet, ihn aufzuheitern.</p> + +<p>Als das Brautpaar die drei Reihen getanzt hatte, wirbelten bald zwölf +Paare herum — und unter diesen der Schneider mit der Gret. — — +Alles was recht ist: der Schneider tanzte vortrefflich. Er kam dabei +sogar ein bischen größer heraus, sintemal er städtisch hüpfte; er +hatte die Gret fest am Kittel gefaßt und drehte sie kräftiger herum, +als man's ihm zugetraut hätte. Dabei schimmerte sein glattes Gesicht +in dem Vergnügen seines Herzens und in anmuthiger Selbstgefälligkeit, +so daß er allgemein gefiel. Nur unserm Burschen mißfiel er. Namentlich +war diesem das selbstgefällige Lächeln des kleinen Kerls in einer Art +zuwider, daß er's ihm gerne durch eine Ohrfeige vertrieben hätte, wobei +ihm Hören und Sehen vergangen<span class="pagenum" id="Seite_352">[S. 352]</span> wäre. Allein das ging nicht an, er mußte +seinen Verdruß hinunterschlucken. Er wäre in die Stube zurückgegangen, +wenn er nicht der Gret hätte zeigen wollen, daß ihn diese Tanzerei +durchaus nicht schenire! Das schien ihm aber seiner Würde gemäß. +Indem er ein gleichgültiges Gesicht zu machen suchte, gelang es ihm +wenigstens ein freudloses hervorzubringen, das an ihm Niemand auffiel.</p> + +<p>Eine Tänzerin wie die Gret ließ man dem Schneider nicht allein. Ein +andrer Lediger nahm sie ihm ab und drehte sich, wenn auch mehr auf dem +Boden, ebenso lustig mit ihr im Reihen. Michel hatte wenigstens die +Genugthuung zu sehen, daß das Mädchen mit diesem just so vergnügt, +ja fast noch vergnügter aussah, wie mit dem Nebenbuhler. Es kam ihm +der Gedanke, sie könnte den Schneider auch nur für'n Narren halten; +und das war ihm ergötzlich und erheiterte seine Züge. Ein Schmunzeln +der Schadenfreude umspielte seine Lippen, als er das Bürschchen aus +einer Ecke, und zwar mit einem gewissen Ernst im Gesicht, auf das +Paar schauen sah. Er verzieh ihm und konnte nicht umhin, die Tänzerin +wohlwollender und unbefangener zu betrachten.</p> + +<p>Die Gret, obwohl sie ihm nicht ins Gesicht sah, mußte doch etwas +gemerkt haben. Als sie wieder im Reihen an ihm vorüberging, glänzte +ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das ihm galt — ein Lächeln, wie es +gefallen muß, kein falsches, sondern ein gutes Lächeln. Das Herz unsers +Burschen begann aufzuthauen. Aber es sollte noch besser kommen. Das +Wirthsmädchen hatte wiederholt zum Essen gerufen, die Musik verstummte, +mit einer Art von Gedränge gings der Thüre zu. Die Gret kam in die Nähe +des Burschen, sie schaute ihm ins Gesicht und sagte mit einem Tone, aus +welchem die Seele klang, zugleich heiter, weich und süß: »Godden Dag, +Michel! Bist oh auf d'r Hoaxet?« Michel konnte in der Ueberraschung +allerdings kein ebenso freundliches Gesicht machen — gewissermaßen +brummte er nur sein Ja. Allein die Gret schien das nicht schlimm zu +deuten; vielmehr sagte sie: »No, mach de nor recht lusteng«, nickte ihm +aufmunternd zu und setzte sich an ihren Tisch.</p> + +<p>Das war denn doch freundlich! Da gebe sich einer nicht erneuerter +Hoffnung und glücklichen Empfindungen hin! — Michel<span class="pagenum" id="Seite_353">[S. 353]</span> setzte sich an +seinen Tisch, und da er dem Frühmahl wenig Theilnahme geschenkt hatte, +so aß er jetzt im Verhältniß zu seiner Statur — so ziemlich mit dem +Appetit eines Herkules. Ländlich, sittlich. Ein romantisch Gebildeter +hätte vielleicht nach einem so holdseligen Gruße der Geliebten lange +nichts gegessen und nur von dem geistigen Leben seines Herzens gezehrt; +— unsern Burschen trieb eben die Seelenfreude auch zur Erfreuung des +Leibes. Das Mahl war vortrefflich — die Schöpfung einer Wirthin, +die mehr nach Lob als nach Gewinn trachtete — und er ließ es sich +schmecken, so lange der Appetit seine Kraft behauptete. Dies war lange, +da das braune Bier, das er sich geben ließ, sie wiederholt erneuerte. +Er fügte auch noch dem Braten eine ziemlich bedeutende Wunde zu und +konnte nur wenig »einwickeln« lassen, um es der Mutter heimzubringen.</p> + +<p>Die Genüsse des Mahles und das Glück der Liebe und der Hoffnung +harmonirten in ihm durchaus. Die Blicke, die er zu dem Tisch hinüber +warf, an dem die Gret saß, wurden immer herzhafter, und er fühlte sich +so wohl wie seit langer Zeit nicht. In seinem Behagen erfüllte er sogar +die Unterhaltungspflicht an seinem Tisch und sprach über die Preise, +die das Korn, der Roggen und die Gerste im Herbst haben und im Winter +behaupten würden, Gedanken aus, die, wenn sie nicht unfehlbar waren, +doch mit einer Miene gegeben wurden, als ob sie es wären, und bei den +ältern Männern lächelnde Zustimmung fanden.</p> + +<p>Der Tanz begann wieder. Michel hatte sich erhoben, und als die Gret von +einem dritten Burschen an ihm vorbeigeführt wurde, hatte er schon den +Muth, ihr mit einem gewissen väterlichen Wohlwollen zuzurufen: »Scho' +widder auf da' Da'zboda'! O uir (ihr) Weibsbilder!« — »Was will e +doa'?« erwiederte die Gret. »Wer a'fangt, mueß furtmacha'!« Und nach +einem freundlichen Blick auf ihn ließ sie sich hinausführen.</p> + +<p>Michel ging nach Hause. Die Mutter sah ihn an und sagte: »No, es +schei't doch, 'sgfällt d'r!« — »No ja,« erwiederte der Sohn, »'s ist +am End doch a Vergnüaga! — Aber,« setzte er, das Eingewickelte auf +den Tisch legend, hinzu, »i hab' en Gedanka' verfluecht zuag'langt +ond breng d'r weng mit!« — »Wann's d'r nor gschmeckt<span class="pagenum" id="Seite_354">[S. 354]</span> hot!« rief die +gute Alte; und heiter sagte sie: »Du host de am End gar oh scho' recht +lusteng gmacht (d. h. getanzt)?« Michel erwiederte: »Bis ietz no' +net. Aber wer woeß? Der Letscht hot no' net gschossa'!« — Die Mutter +bemerkte: »Wie d'r (ihr) en d'Kirch ganga' send, hab e a baar Mädala' +gseha', die wära' wohl wearth, daß ma's romdreha' dät!« — »I wills net +verreda',« erwiederte Michel. »Aber z'erst muß e no' a weng zecha'.«</p> + +<p>Als er wieder dem Wirthshause zuging, begegnete ihm Kasper vor einem +ochsenbespannten Pflug, durch dessen Lenkung er sich heute das +Vergnügen des Ansings verdienen wollte. Die Ochsen wurden zum Stehen +gebracht, der Kamerad fragte, wie sich die Hochzeit anlasse. Michel, in +der frohen Aufregung seines Herzens, erzählte, wie die Gret sich gegen +ihn benommen. Kaspers Gesicht erhellte sich. »Willst ietz no' allweil +zweifla',« rief er aus, »daß des Mädle a'n Og (Aug) auf di hot? O wann +e an dei'r Stell wär!« — »Was soll e doa'?« fragte Michel. — »Danza' +muest mit'r, wanns oh nor a baar Roea' wära't! Schwätza' muest — en +d'Stub muasch (mußt du sie) füara', a Bodell (Bouteille) Wei' muest +komma' lossa — Kott's Heidablitz! Wann's doh net got, nocht got's sei' +Lebtag nemmer!«</p> + +<p>Unser Bursche war bedenklich geworden. »I ka' d's Danza' net rehcht«, +entgegnete er, »ond du woescht, i hab' O'glück!« — »O'glück!« +versetzte der Kamerad etwas ärgerlich. »Ietz kommt 'r widder mit dear +Ei'bildeng!« — »Ja, ja,« sagte der gute Bursche, »'s ist doch so. +Mir got nex naus!« — »Gang weiter! A Kerl, dem d'Mädla' nochloffet!« +— Michel, obwohl von dieser Vorstellung erheitert, erwiederte: »Du +wurscht seha', 's wurd nex!« — »Ja freile«, rief Kasper, »wann's +widder so machst, wie d's Wallerstoe!« — »Ietz doh hab koe Sorg«, +versetzte der Bursche mit einem gewissen Selbstgefühl. »Des passiert +m'r nemmer!« — Kasper knallte den Ochsen und rief im Abgehen: »Ha'et +Ohbed, hoff' e, ka'st m'r ebbes Nuis verzähla'!« — »'S ka' sei'«, +erwiederte Michel und folgte den Tönen der Clarinette, die vom +Tanzboden herunter in die Gasse drangen.</p> + +<p>Michel fühlte, daß er nach dem offenbaren Entgegenkommen der Gret +einen Versuch machen und als tüchtiger Bursch handeln müsse. Bei +der Vorstellung indeß, wie er nun zu ihr gehen und sie zum<span class="pagenum" id="Seite_355">[S. 355]</span> Tanz +auffordern sollte, spürte er doch wieder eine eigenthümliche Bewegung +in seinem Herzen. Es fiel ihm ein, daß er beschlossen hatte, fürs +erste zu trinken und zu rauchen; er trat in die Stube, setzte sich, +zündete seine Pfeife an, und führte seinen Vorsatz männlich aus. +Nachdem er schweigend und diskurirend zwei fernere Maaß Braunes in sich +aufgenommen hatte, fühlte er sich gekräftigt — muthig, lustig und in +einer Stimmung, wo er glaubte, daß ihm nichts fehlen könne. — Der +Wirth und Bräuer war ein solider Mann und die Gerste seit einem Jahr +billig.</p> + +<p>Er ging auf den Tanzboden. Da er die Gret, die sich nicht in der Stube +befand, auch hier nicht erblickte, so war sie offenbar nach Hause +gegangen. Die Vertagung seines Unternehmens, welche dieser Umstand +nothwendig machte, war ihm nicht unlieb. Er sah den Paaren zu, die es +am besten konnten, und überzeugte sich, daß dieses Tanzen am Ende auch +kein Hexenwerk sei. Nachdem er genug gesehen, wollte er in die Stube +zurück; im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die Stiege — und siehe, +an der Seite einer auswärtigen Freundin stieg die Gret herauf.</p> + +<p>Bei diesem Anblick fühlte er sich etwas überrascht. Auch sie erröthete +lieblich; aber in ihrem Herzen regierte der Muth der Liebe und der +Wille, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Sie ging auf ihn +zu und sagte gutmüthig fröhlich: »No, Michel, host no' net danzt?« Der +Bursche, der zu seiner Verwunderung fühlte, daß ihm wieder etwas von +seinem Unternehmungsgeist abhanden gekommen war, versetzte: »Allweil +no' net!« — Er spürte einen gewissen Trieb, wieder in die Stube zu +kommen, und hatte schon seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt; aber das +Schicksal hatte es anders beschlossen. Die Gret fuhr fort: »Willst denn +aber gar net a'fanga'? Willst da' ganza' Dag dohsitza', ond romstanda' +auf 'r Hoaxet?« — »Wie soll i danza'«, entgegnete Michel; »d's ganz +Doraf woeß ond du wursch (wirst es) oh wissa, daß e's net ka'!« — »I +hab de aber doch früher scho' amol danza' seha'!« bemerkte die Gret. +— »Ja wohl,« versetzte der Bursche mit einer gewissen Laune, — »aber +wia?« — »Auf oemol got nex en der Welt«, erwiederte das Mädchen +tröstend und ermuthigend. »Wamma'n ebbes lerna' will, mueß ma's öfter +probiera'!« —<span class="pagenum" id="Seite_356">[S. 356]</span> Michel, dem in Abwehrungsfällen die Gründe nicht so +leicht ausgingen, versetzte: »Manch Sacha' ka' ma'n oh ganz bleiba +lossa, wamma' z'alt derzue ist!« — »Kott's Blitz«, rief die Gret, +»wann e nor so ebbes höar! Z'alt zom Danza! A jonger Burscht wie du! +Schäm de doch!« — Und indem sie ein wenig näher trat, sagte sie mit +aller Güte und Liebe — mit einer Stimme, welcher der Durchbruch ihrer +Empfindung eine honigsüße Weichheit verlieh: »Komm Michel! — probiers +mit mir!« Dem Burschen war es seltsam durch's Herz gegangen, er wußte +nichts zu entgegnen. »Komm!« rief das Mädchen heiter und zärtlich, +indem sie ihn bei der Hand faßte. Michel begriff, daß es im höchsten +Grade feig und in jeder Beziehung unschicklich gewesen wäre, jetzt +nicht zu folgen. Er wollte handeln wie ein Mann, er wollte sein Bestes +leisten — und entschlossen führte er sie in den Reihen.</p> + +<p>Unser Bursche gehörte vermöge seiner Größe, seiner Stärke und seines +besonderen Wesens noch immer zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten +des Dorfs. Dergleichen in eigenthümlichen Situationen zu sehen, ist +interessant, besonders wenn man hoffen kann, daß die Schadenfreude ihre +Rechnung dabei findet. Wie nun einer in die Stube kam und sagte, der +»Schwoba-Michel« tanze mit des Maurers Gret, da verfügten sich schnell +noch etliche zu den auf dem Tanzboden schon befindlichen Zuschauern — +begierig der Dinge, die da kommen sollten.</p> + +<p>Der Gang im Reihen war vollendet, das Tanzen begann. Die Gret wußte +sehr gut, welcher Aufgabe sie sich unterzogen hatte, und war nun darauf +bedacht, alle Kraft und Geschicklichkeit anzuwenden, um das Wagniß gut +hinauszuführen. Den Tänzer festhaltend leitete und drehte sie ihn, so +viel sie konnte. Daß ihre Arbeit nicht gering war, merkte sie freilich +bald. Micheln wohnte nur eine sehr schwache Ahnung vom Takte bei und +zu gleicher Zeit wirkte in ihm eine gewisse Centrifugalkraft, die ihn +immer der Wand zutrieb, so daß ihn die Gute nur mit Mühe im Reihen +halten konnte. Trotz alledem — es ging. Die Kunst und die Liebe des +Mädchens triumphirten, und sie war sich dessen nach Beendigung des +Reihens mit Freude bewußt.</p> + +<p>Michel war sehr vergnügt. Jeder Spur von Furcht entledigt<span class="pagenum" id="Seite_357">[S. 357]</span> blickte er +frisch umher — er begriff gar nicht, wie er diese Lumperei für so +schwer hatte halten können! »Siksch, es got!« rief die Gret, indem sie +ihn freundlich ansah; und er erwiederte allerdings: »Ja freile, wamma' +so a Dänzere hot!« — aber er war doch überzeugt, daß er's konnte, und +sein Gesicht schrieb einen guten Theil des Erfolgs auf seine Rechnung.</p> + +<p>In dieser Stimmung wollte er's das zweite Mal noch besser machen. Er +wollte sich Mühe geben und alle die Kraft und Stärke anwenden, die +er in seinen Gliedern fühlte; denn das erstemal hatte er eigentlich +nur gespielt! — Er arbeitete nun wie an einer Schanze und machte +Bewegungen, als ob er Centnersteine vom Boden lupfen wollte. — Der +Gret wurde es saurer als das erstemal, ihn im Geleise zu erhalten, +und die Schadenfreude, die aus den Ecken lugte, fand eine reichere +Ausbeute. Man lächelte sich an und zuckte die Achseln. »Descht a +Mannsbild!« rief eine Bäuerin mit gedämpfter Stimme einem Nachbar zu, +— »der macht widder a'n Arbet (Arbeit)!« Und der Andere versetzte: +»Er schafft, als ob er mit 'm Danza' sei' Brod verdiena' müßt! Gommer +(gehen wir) a bisle z'ruck, daß 'r es (uns) net doat (todt) tritt!« —</p> + +<p>Der Bursche merkte davon nichts. In dem Bewußtsein der Mühe, die er +sich gegeben, meinte er seine Sache vorzüglich gemacht zu haben. Er +lächelte mit Stolz und erkannte in dem satyrischen Zuschmunzeln einiger +Kameraden nichts als den verdienten Beifall. Da die Gret diesmal +schwieg, um auszuschnaufen, so sagte er selbst zu ihr: »'S got doch +besser, als e gmoet hab!« — Die Gret dachte in ihrem Herzen: »daß +Gott erbarm'!« — behielt aber diese Meinung wohlweislich für sich und +erwiederte: »W'rom sott's net ganga'? Was ander' Leut könnet, wäara' +mer doch oh könna?«</p> + +<p>Gern hätte sie ihn gebeten, sich dessen ungeachtet etwas weniger +anzustrengen, die Sache sich leichter zu machen; aber sie wußte, daß +er nicht in der Stimmung war, diesen Rath gut aufzunehmen — und für +den Moment wär's ohnehin zu spät gewesen. In dem Vergnügen, das ihn +belebte, in der Kühnheit, die sein Herz rasch emporwachsend erfüllte, +hatte er ein Lied begonnen. Ein Andrer war ihm zuvorgekommen; aber +dieser, ein kleiner Kerl, schwieg auf der Stelle,<span class="pagenum" id="Seite_358">[S. 358]</span> als er die Stimme +des Gewaltigen vernahm, und Michel sang das seine zu Ende, mehr kräftig +als schön, aber für seinen Zweck immer passirbar. Dann nahm er die Gret +bei der Hand, strampfte, daß der Tanzboden zitterte, »juxte«, daß seine +Nachbarn an die Ohren langten, faßte die Tänzerin und drehte sich mit +ihr »was host, was geift« (was hast du, was gibst du, so schnell etc. +als möglich). — Und besser gings als das letzte Mal — nach seiner +Meinung. Die Bethätigung des Kraftüberschusses, der in ihm wogte — die +Freude, die Herzallerliebste herumzudrehen und es zu <em class="gesperrt">können</em> — +durchgoß ihn mit einem Wohlgefühl, wie er es nie empfunden. Herrlich +wars und prächtig gings — bei weitem besser, als er sich's zugetraut +hätte! — Jedenfalls hatte die Gret dafür gesorgt, daß er einmal die +Wand, an die er streifte, nicht einstieß und dann ein Paar, das vor ihm +den gewöhnlichen Bauernschritt einhielt, nicht über den Haufen tanzte.</p> + +<p>Die Heiterkeit der Zuschauer war bei dieser neuen Leistung nicht +geringer geworden. Ein sonnverbrannter Alter nickte ihm seine +Anerkennung mit gemüthlichem Faungesicht zu und rief: »Kreuzschwernoth, +Michel! du bist ja der erst' Dänzer em ganza' Land!« — Michel, in +der Freude seines Herzens, entgegnete: »Net wohr, des hättet 'r m'r +doch net zuatraut!« — »Wärle net«, versetzte der Alte. »So ebbes mueß +ma' seha, wamma's globa' soll!« — Die gute Gret begann es zu reuen, +daß sie den Geliebten auf eine Bahn gelenkt hatte, wo er so schlechte +Ehre gewann. Aber vielleicht schlug er nun selber eine andere ein, +wo er Aussicht hatte, besser zu bestehen. Schon hatte die ungewohnte +Anstrengung seine Lungenflügel in Bewegung gesetzt und der Schweiß +rann von seiner Stirn. Vielleicht hörte er auf, nahm sie in die Stube +— setzte sich zu ihr — und es ereignete sich, was ihr alle Mühen und +Leiden tausendfach vergütete.</p> + +<p>Fürs erste ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Michel tanzte aufs +neue; und der Umstand, daß es wieder ohne Unglück ablief, steigerte +seine Lust und Sicherheit. Sein Hintermann, ein begüterter junger +Bauer, klopfte ihn auf die Schulter und rief: »Aber Michel, sag m'r +doch, wo host denn d's Danza' so glearnt?« — »Was woeß ih«, erwiederte +der Bursche mit stolzem Behagen — »auf oemal got's<span class="pagenum" id="Seite_359">[S. 359]</span> halt! — Aber +Sapperment«, setzte er, die Augen sich wischend, hinzu, »doh stobbt's +(staubt's) ja, daß ma' kamm (kaum) sei' Dänzere sicht! — ond des ist +doppelt schad', wamma' so a schöana' hot, wie'nih! — He, Mädle!« — +Er schaute sich nach dem Wirthsmädchen um, die den Staub mit Wasser +zu löschen pflegt; und da er sie nicht gleich erblickte, schrie er +aus Leibeskräften und jede Silbe breit ausdehnend: »Mädleh! Auf da' +Da'zbodah'! Spretzah'!« — Unter allgemeiner Heiterkeit erschien die +Herbeigerufene, ein schnippisches Ding von sechzehn Jahren, mit einem +Kübel Wasser, und die Tanzenden traten auf die Seite. »So«, rief +Michel ihr zu, »spretz (spritz, sprenge) nor rehcht! D'r Deufel mag +doh danza'!« — Das Mädchen sah ihn von der Seite an, murmelte was von +einem »Drieschlag«, langte mit der Rechten in den Kübel und schleuderte +herumgehend das Wasser auf den Boden. »Meaner, meaner (mehr)«, schrie +unser Bursche, der als ächter Bauer alles gründlich haben wollte. Das +Mädchen, durch den herrischen Ton gereizt, spritzte wahre Lachen. +»So, ietz isch gmua!« rief Michel, stellte sich fest hin, sang ein +Lied und tanzte auf dem erfrischten Boden mit erhöhter Lust, in einer +wahren Trunkenheit des Eifers und der Liebe zur Sache. Es ging besser +und immer besser. In dem Jubel seines Herzens, unwillkürlich sich +selber bewundernd, rief er mit strahlendem Gesicht: »Hopp hopp! hopp +hopp! Juhu!« — — Plautsch lag er da. Auf der nassesten Stelle war +er ausgeglitscht, in dem Schwunge des Tanzens war es auch der Gret +unmöglich gewesen, ihn zu halten; sie mußte ihn fahren lassen, um nicht +mitzufallen — und der riesige Bursche »schlug hin« (wie der Rieser in +solchem Falle treffend sagt), daß der Boden krachte und ein Zuschauer +nur durch einen raschen Seitensprung sich vor Zerquetschung rettete. +Nach dem triumphirenden Hopphopp dieser Sturz, der Länge nach, auf die +Hinterseite des Leibes — es war unmöglich, das Lachen zurückzuhalten. +Von allen Seiten des Tanzbodens, aus allen Winkeln, sogar von der +Treppe herauf (wo sich ebenfalls Zuschauer befanden) erschallte es laut +und selig; und nicht wurde es beschwichtigt, als Michel nach einem +grimmigen Fluch mit der Physiognomie der Wuth und der Scham aufstand, +wozu die Gret ihm behülflich war. Diese hatte mit etwas erschreckter +Miene einen Augenblick<span class="pagenum" id="Seite_360">[S. 360]</span> auf den Liegenden geschaut; jetzt, als sie ihn +wieder strack dastehen sah, wandelte sie das Lachen hinterdrein an, und +nur den eigentlichen Ausbruch zurückhaltend rief sie: »Komm, des macht +nex«, und wollte zum Weitertanzen seine Hand fassen. Aber Michel zog +sie heftig zurück.</p> + +<p>Der Bursche hatte die Empfindlichkeit des Sonderlings und Anfängers. +Ein flotter Tänzer wäre aufgesprungen, hätte mitgelacht und weiter +getanzt. Aber den Schüler dünkte der Sturz unauslöschliche Schande +— das Selbstbewußtsein des Gewaltigen hatte einen Schlag erlitten, +der ihm schrecklich vorkam. Hinzufallen — ausgelacht zu werden von +»einfältigen Weibsbildern, alten Eseln und elenden Buben«, und nicht +dreinschlagen zu dürfen — das nehme ein Michel von der lustigen Seite! +— Er trat in eine Ecke, seiner Ansicht nach für sein ganzes Leben +beschimpft. Und als die Gret ihm nachging und ihn aufs neue ermahnte, +doch fortzutanzen, entgegnete er hochverdrießlich: »Gang weiter! I +hab' d'r ja gsakt, daß e net danza' ka'! Du hätt'st me en Rua' (Ruhe) +lossa solla'!« — Die Gret erwiederte begütigend: »'S ist ja ganz +guet ganga'! Für d's Falla' ka' ma' nex, des ka' n'm G'schicktsta' +passiera'! Komm! Wer net omwirft, der lernt net fahra'!«</p> + +<p>Bei ihrem heitern Wesen hatte das Mädchen nicht umhin gekonnt, ihm +diese Ermahnung mit einem Lächeln zu ertheilen, in welchem die +Schelmerei über die Gutherzigkeit den Sieg davon trug. Michel, dies +gewahrend, fühlte den schlimmsten Argwohn, den er haben konnte; und im +Unmuth desselben rief er: »Höar amol? — suach d'r 'n andera' Narra' +— ih mach d'r 'n net zom zwoetamol! — Moest, i ben doh, daß e me +auslacha' ond da' Spoht auf m'r haba' loß?« — Das Mädchen, durch diese +unerwartete Sprache betroffen und ihrerseits verletzt, erwiederte mit +vorwurfsvollem Ausdruck: »Wer hot denn da' Spoht auf d'r?« — »Du!« +rief Michel, für den sein Argwohn schon eine bewiesene Sache war, mit +erzürntem Ton. »Falsch send 'r all mita'nander — ond du bist die +fälscht (falscheste)!« — Das war zuviel! Das Mädchen trat zurück und +sagte mit Verdruß: »Du bist halt a grober Kerl! Gang he' wo d' willst +— ih mueß de wärle net haba' — ih krieg scho' n andera' Dänzer!« +—<span class="pagenum" id="Seite_361">[S. 361]</span> »Mei'thalb danz mit 'm Deufel«, rief Michel und ging mit starken +Schritte in die Stube.</p> + +<p>Die Gret war ernstlich böse. »So a'n o'gschickter Mensch — ond +so grob ond so hochmütheng! Noe mit deam ist nex a'zfanga' — i +mueß 'n aufgeba'!« — Während sie diese Gedanken hatte, machte sie +mit weiblicher Geistesgegenwart gleich wieder gute Miene. In die +Heiterkeit, welche die letzten Worte Michels und sein wüthender Abgang +erregten, hatte sie halb mit eingestimmt. Nun zeigte sie ein Gesicht, +daß es schien, als ob sie ihn mit ihrem Tanzen wirklich nur zum Besten +gehabt hätte; und als eben der Schneider von Hause zurückkam, reichte +sie ihm, der sie schnell aufzog, ihre Hand und tanzte so gut und so +schön, als ob sie heute noch an nichts Anderes gedacht hätte. Als +der Zierliche von der Affaire des Michel hörte, rief er in seinem +Mischmasch von Dialekt und Hochdeutsch: »'S ist nicht z'globa', daß es +so ongschickt Menschen geba' ka'« — lächelte selbstzufriedener als je, +begann noch flotter den neuen Reihen, rief ebenfalls Hopphopp und Juhu, +fiel aber nicht, sondern machte es so gut, daß ihm alle mit Vergnügen +zusahen.</p> + +<p>Das Gelächter, das unserm Burschen vom Tanzboden nachgeschickt worden +war, hatte nicht besänftigend auf ihn gewirkt. Tief ergrimmt setzte er +sich an seinen Tisch und patschte gewaltig mit seinem Bierkrug wegen +erneuter Füllung. Der Aufwärter eilte, ihn zu befriedigen. Einer der +beiden Alten, die in gemüthlichem Diskurs dagesessen hatten, schaute +zu ihm auf und rief: »No, Michel, w'rom machst denn du so a Gsicht auf +oemol?« — Der Bursche, statt aller Antwort, that einen tiefen Zug aus +dem Maaßkrug. Ein dritter Alter, der mit dem Faungesicht, war von dem +Tanzboden hereingekommen und begann lächelnd: »Du host a kloes O'glück +ghett, Michel? — No, no, desdawega' brauchst de net z'kränka'! 'S ist +scho' oft oer g'falla' beim Danza'!« — »So so?« versetzte der erste +mit schlauem Gesicht, »des ist 'm passiert?« Und mit der Bosheit, die +sich ein alter Bursch gegen einen jungen wohl erlauben kann, setzte +er hinzu: »W'rom host denn aber dei' Dänzere net mit rei'brocht? Die +hot gwihß 'n rechta' Schrecka' ghett und hätt oh 'n Tro'k (Trunk) +zor Stärkeng braucha' könna', so guet wie Du!« — »Oh«, antwortete<span class="pagenum" id="Seite_362">[S. 362]</span> +der dritte für Michel, der in stiller Wuth vor sich hinsah, — »die +g'fohrts net (achtets nicht)! Sie danzt scho' widder!« — »Welle isch +denn?« — »Welle wurds sei'!«, erwiederte der dritte, »d's Maurers +Great!« — »So!« bemerkte der erste mit einer Miene, als ob ihm ein +Licht aufgegangen wäre. Und kopfschüttelnd setzte er hinzu: »Ietz +gfällt m'r die Gschicht nor halb! — Die hätt' de zor Noath halta' +könna', Michel, — wann's gwöllt hätt'!«</p> + +<p>Durch diese Bemerkung sah der Bursche seinen Argwohn bestätigt, +er fühlte sich verkauft und verrathen und ließ eine »Schluap« +herunterhängen, daß es die Alten Mühe kostete, ihm nicht geradezu ins +Gesicht zu lachen. Nach einem Moment sagte der dritte mit ironischer +Tröstung: »Was doh! Gspäß müssa' trieba' sei'! Sott jong Mädla' sticht +manchmol der Uebermuth ond doh macha's eba' Norrheita'! A rechts +Mannsbild verzürnt se desdawega net — er kriegt's oh widder amol +derfür!« — »Ih« rief Michel in stolzem Unwillen, »ben d's erstmol ond +d's letztmol von 'r a'gführt — dohfür stand e guet!« — Der erste +bemerkte: »Ma' mueß nex verreda'!« Und vergnügt setzte er hinzu: »Wann +ih no' mein Zwanzger hätt' (noch in den Zwanzigen wäre), nocht wißt' e, +was e dät!« — Michel versetzte: »I woeß oh, was e dua'!« — Und mit +einem scharfen Blick und entsprechender Kopfbewegung setzte er hinzu: +»Globet 'r mers?« — Der Alte lachte und sagte zu seinem Kameraden: +»Was send des für jong Leut ietz! Glei da Kohpf verliera'! Doh hont se +o's (haben wir uns) anderst gholfa' zu o'srer Zeit — net wohr?« — +Er stieß mit ihm an; der Andre brachte eine Geschichte in Erinnerung, +die dies bestätigen sollte — Michel, dem das Vergnügen der »alten +Narren« höchlich zuwider war, trat zu einem jungen Burschen, der ihn +respektirte, und fühlte sich nach einem Gespräch mit ihm wieder etwas +beruhigt.</p> + +<p>Der Abend kam heran — man setzte sich an die Tafeln, um das letzte +Mahl einzunehmen, das Interesse der Gäste wurde auf andre, wichtigere +Dinge gelenkt, und nach dem feierlichen Schluß des eigentlichen +Festes dachte mit Ausnahme der Nächstbetheiligten Niemand mehr an das +Zwischenspiel auf dem Tanzboden.</p> + +<p>Michel hatte wenig gegessen und demgemäß viel eingewickelt.<span class="pagenum" id="Seite_363">[S. 363]</span> Er blieb +in dumpfer Stimmung sitzen und handhabte nur von Zeit zu Zeit den +Bierkrug. Auf einmal erblickte er den Kasper an der Thür; er erhob +sich, nahm sein Eingewickeltes und ging auf ihn zu. »No?« fragte +Kasper, den die Neugier so früh zum Ansing geführt hatte, »wie stot's?« +— »Nor still!« versetzte Michel, »i will d'rs glei verzähla'!« — +Er führte ihn in ein gästeleeres Seitenstübchen, theilte ihm seine +Erlebnisse mit und fragte mit der Miene der Unfehlbarkeit: »No, was +sakst ietz? Hab' e Rehcht ghett — hab' e O'glück mit deam Mädle?« — +Kasper hatte große Mühe gehabt, bei der Erzählung ruhig zu bleiben; +aber auf diese Frage konnte er seine Meinung nicht zurück halten. +»Brueder«, rief er, »bedenk doch —« — »Still!« fiel Michel, der +seine Absicht errieth, erzürnt ein, — »red m'r nex zom Guata', oder +du machst me böas! — Mei' Lebteng sig' es nemmer a' — ond mei' +Lebteng gang e auf koe Hoaxet mea'!« — »No, no«, erwiederte Kasper, +der wohl sah, daß ihm heute mit Ernst und Vernunft nicht beizukommen +war, lächelnd, »du wurscht doch auf dei' oegana' (eigene) ganga'?« — +»Halt's Maul« rief Michel in Verachtung solcher Späße und stand auf, um +heimzugehen. Kasper fühlte die Pflicht, ihn zu begleiten.</p> + +<p>Unterdessen hatte das Tanzen wieder begonnen. Der Schneider ging im +Reihen, die Gret an der Hand, und sang ein lustiges Stückchen. Wie er +den Michel mit seinem Päckchen an der Stiege sah, war er nicht sowohl +schadenfroh als schadenselig, — vom Siegesjubel hingerissen juxte er +und tanzte er fortjuxend, bis ihm der Athem ausging. »Doh siksch!« +bemerkte unser Bursche zu Kasper, während sie die Stiege hinuntergingen +— »so a miserabler Schneider, dear gar net he'falla' ka', weil 'r +fliegt wie a Bettfeder — des ist der recht Ma' für dia! — No so +mei'tweg — dean soll's oh haba'.«</p> + +<h3>Ende gut, Alles gut.</h3> + +<p>Es ist eine eigenthümliche Sache um das Schicksal! — — Der Mensch +will an einem schönen, glückverheißenden Ziel anlangen, aber der Weg, +den er einschlägt, führt ihn nur weiter ab davon. Er<span class="pagenum" id="Seite_364">[S. 364]</span> nimmt die Lehre +der Erfahrung an, er geht, die täuschende Bahn vorsichtig meidend, +eine andere. Da gewahrt er, daß man durch Schaden immer nur sehr +verhältnißmäßig klug wird: der erprobten Falle entgehend, stürzt er +in eine andere. Er sieht den Zweck verloren. Wie sollte er ihn noch +erreichen? So und so hat er ihn verfehlt. — Auf einmal bringt ihn +sein guter Genius in eine Situation, wo die Anwendung der <em class="gesperrt">ihm</em> +vorzugsweise verliehenen Gaben zum Siege führt! Und nun kann er +sein Schicksal schmieden — wenn er entschlossen ist, den Hammer zu +schwingen und die von ihm geforderten Schläge zu führen.</p> + +<p>Unser Bursche hatte ein Mädchen, die er liebte, foppen wollen — und +war von ihr gefoppt worden. Er hatte sie durch Ausführung ihrer Befehle +erfreuen wollen — und hatte sie durch Nichterfüllung ihrer Wünsche +böse gemacht. Er hatte sich vor ihr und mit ihr auszeichnen wollen und +hatte sich vor ihr und vor dem ganzen Dorfe mit Schande bedeckt. — Was +konnte für ihn das Schicksal noch bereit haben?</p> + +<p>Zunächst stand seine Sache bei dem Mädchen so schlecht als möglich. +Die Gret hatte in der That beschlossen, ihn aufzugeben, und der +Unwille, der diesen Entschluß geboren, hatte ihn auch den Rest des +Hochzeitabends aufrecht erhalten. Als sie am andern Morgen früh +erwachte, war es ihr Erstes, das Geschehene zu überdenken. Und diesmal +kam sie kein Lachen an — ein tiefer Ernst nahm ihr Herz ein und blieb +darin. »Es soll net sei'« — das war das Ergebniß ihres Nachdenkens. +»Er hot ebbes auf me ghalta', des will e net läugna'; aber er ist +stolz wie a Reichsgrof, empfindlich wie a kloes Ke'd (Kind), grob wie +Säuboanastroa' — ond a Narr, wo ma'n a'sicht! — Noe, noe!« rief sie. +»Wann e sei' Weib wearat, hätt e me nex as z'schäma', ond wann e'm +d'Worat saga' dät, wuhr'r (würde er) wüadeng ond —« — Die Gret sah +unwillkürlich die Arme Michels in einer gewissen Bewegung — sie zuckte +in ihrem Bette und sah mit weiblichem Stolz vor sich hin. »Des wurd m'r +net passiera'«, rief sie zuletzt, — »doh ben i guet derfür!«</p> + +<p>Sie faßte mit Ernst und Ruhe den Entschluß, zu thun, als ob Michel +nicht mehr auf der Welt wäre — ihn nicht mehr anzusehen<span class="pagenum" id="Seite_365">[S. 365]</span> — — und zu +überlegen, was sich für sie Anderes und Besseres schicken möchte.</p> + +<p>Der Vorfall zwischen ihr und dem Burschen war gestern Abend noch in der +untern Wirthsstube erzählt worden, und Niemand zweifelte daran, daß die +Gret sich mit dem Ungeschickten einen Spaß gemacht habe. Als sie nun zu +ihrem Vater hinunterging, stellte sie der Wackre ernstlich zur Rede und +sagte zum Schluß: »Des loß nor onterwegs kenfteng, so'st dischgerier +ih a Wöartle mit d'r! Der Michel ist a braver ond a fleißenger Mensch; +ond wann 'r net danza' ka', so braucht m'n desdawega' net für da' +Narra' zhalta'! — I hoff«, setzte er mit aller Strenge hinzu, deren er +fähig war, — »i hoff, daß so ebbes nemmer fürkommt!« — Das Mädchen, +die ihrem Vater kein Bekenntniß ablegen wollte, begnügte sich zu +erwiedern: »Doh hab koe Sorg! D' Schand ist für mi so groaß gwesa' wie +für ihn — i hab bodagmuag (bodengenug, genug bis auf den Boden) an dem +oezengamol!«</p> + +<p>Bald darauf kam der Schneider — »em Vorbeiganga'«, wie er sagte. Er +war vergnügt und sprach gemüthlich, indem er gewandt einige seiner +städtischen Redensarten anbrachte. Das Mädchen sah ihn freundlich an +und der Ernst wich im Geplauder mit ihm wenigstens aus ihrem Gesicht. +— Der Maurer schaute mit zufriedenen Blicken auf das Paar. Vetter +Jakob hatte eine bessere Sölde als er, und mit der Nadel war's eine +gute Mannsnahrung. Die jungen Leute gefielen sich und hatten ihre +Freude an einander — die Sache machte sich von selber. — Als der +Schneider wieder fort war, zeigte der Alte das Gesicht eines Vaters, +der Aussicht hat, seine letzte Tochter nach Wunsch zu versorgen, und +sagte: »Der Vetter ist a gueter ond a'n aufklärter Mensch! 'S hot doch +ebbes Guet's, wamma'n a bisle en der Fremd gwesa'n ist! Dean hält gwihß +koe Mädle für da' Narra'!« — Die Gret sah für sich hin und ein leises +Lächeln ging über ihr Gesicht. — —</p> + +<p>Wie das Mädchen, so war auch ihr bisheriger Liebhaber weiter als jemals +von dem Punkte entfernt, den er so lang erstrebt hatte.</p> + +<p>Michel war nach kurzem Abschied von Kaspar, der zum Ansing +zurückverlangte, geräuschlos in sein Haus getreten und hatte der +Mutter<span class="pagenum" id="Seite_366">[S. 366]</span> das Eingewickelte mit dem Bemerken übergeben: er sei müde +und wolle gleich ins Bett gehen. Die Mutter wußte nicht, was sie aus +dem ruhigen, aber durchaus unvergnügten Gesicht machen sollte, und +fragte: ob er nicht getanzt habe! »Ond wia!« versetzte der Bursche mit +einer Art von Humor, »daß se alle Leut' drüber gwondert hont! — Aber +ha'et ka'n e nemmer viel verzehla' — morga' früa' ist oh no' Zeit! +Guetnahcht!« — Er ging in seine Kammer.</p> + +<p>Vor Tagesanbruch erwachend hatte er das dumpfe Gefühl einer höchst +widerwärtigen Geschichte. Als er sich das Vorgefallene deutlicher +machte, verlor sich seine fatale Eigenschaft nicht — es grinste ihn +widerlich und peinlich und immer peinlicher an. Er seufzte tief auf — +und wollte davon wegsehen; aber das ging nicht. Seine Seele kam immer +wieder darauf zurück, seine Gedanken liefen sonderbar hin und her. +Einmal klagte er sich selbst an und wollte die Hauptschuld haben. Dann +erinnerte er sich ihres »boshaften Lachens« und ihres Tanzens mit dem +Schneider, und es schien ihm unzweifelhaft, daß die Gret falsch und er +der Angeführte, der mit Fleiß Verhöhnte sei. Zuletzt rief er: »Was plog +e me viel! — 'S ist aus — hab' Schuld dra' wer will!« —</p> + +<p>Er stand auf und zog sich an. Der Mutter sein Versprechen wegen der +Erzählung zu halten, fühlte er sich durchaus nicht in der Stimmung; +deßwegen ging er sachte in die Stube, schnitt von dem Brotlaib in +der Schublade des Tisches ein tüchtiges Stück ab, nahm eine Schaufel +und ging auf's Feld, um an einem Graben weiter zu schaffen, den +er herzustellen unternommen hatte. Er arbeitete »wie wild«. In +körperlicher Anstrengung suchte er seinen Unstern mit Gewalt zu +vergessen.</p> + +<p>Als er um zehn Uhr heimwanderte, begegnete ihm in der Gasse — die +Gret. Hätte er beschlossen gehabt, sie zu grüßen, so würde er's nach +einem Blick auf sie doch unterlassen haben. Seine scharfen Augen +gewahrten in ihrem gespannten Gesicht einen Ernst und einen Trutz, der +ihm auf's Deutlichste sagte, sie wolle ihn nicht ansehen, nichts mehr +von ihm wissen. Er machte ein Gesicht, dem ihrigen ähnlich, und stumm +gingen sie aneinander vorüber. — Sollte er jetzt<span class="pagenum" id="Seite_367">[S. 367]</span> noch zweifeln, daß +er der Genarrte war und der Schneider der Vorgezogene?</p> + +<p>Als er — man sagt sich, in welcher Laune — nach Hause kam, war die +Mutter von dem Ereigniß auf dem Tanzboden schon unterrichtet. Durch das +Betragen des Burschen stutzig gemacht, war sie bald nach dem einsamen +Frühstück zu einer Nachbarin gegangen, die auf der Hochzeit gewesen, +und hatte Alles erfahren. Sehr unangenehm berührt von der Niederlage +des Sohnes, urtheilte sie doch über die Gret anders als die Leute, und +am fatalsten war ihr daher zuletzt Michels Grobheit gegen das Mädchen. +Sie nahm sich vor, ihm tüchtig ihre Meinung zu sagen.</p> + +<p>Nach einem leichten mütterlichen Tadel, daß er heute ohne etwas Warmes +fortgegangen sei, erinnerte sie ihn, ihre Wissenschaft verbergend, an +sein Versprechen. »Ach Gott«, erwiderte Michel ungeduldig, »'s ist +gar net d'r Müa' wearth dervo' z'reda'!« — »Ja, ja«, versetzte die +Mutter, indem sie ihm sehr ernsthaft in's Gesicht sah, »i glob's scho', +daß d' net geara' dervo' redst! Ist des a Benemma' für'n Menscha', +der ballvoll (bald voll) semna zwanzg Johr alt ist! Ander Leut wearat +gscheidter wann's älter wearat, ond du wurscht allweil o'gscheidter +ond allweil dommer!« — Von diesem Vorwurf der Mutter wenig berührt, +entgegnete Michel: »Du woescht (weißst) also scho' Alles?« — »Ja +freile woeß e Alles!« erwiederte die Mutter. »Redt ma' ja überal dervo' +em ganza' Doraf ond lacht de aus!« Und mit einer Miene zugleich der +Bekümmerniß und der Anklage setzte sie hinzu: »'S ist also ganz zom +Verzweifla' mit dir! So o'gschickt sei'! So grob sei' gega'n a Mädle, +die's so guet mit oem moet« — — »So«, fiel Michel ein, »die moets +guet mit mir? — Wie hätt se's (sie es) denn zoegt (gezeigt)?« — +»Des sicht ma'n aus allem«, erwiederte die gute Frau. »Ond wannd' a +gscheidter Kerl gwesa' wärst, nocht hättst a Weib kriega' könna', wie's +koena' mea' git dohrom!«</p> + +<p>Diese Versicherung mußte dem Burschen nach der von ihm gewonnenen +Ueberzeugung durchaus haltlos vorkommen. In der vollen Gewißheit +des Rechthabens entgegnete er: »I will d'r ebbes saga'! Wart no' a +baar Wucha' ond dua' dei' Oga'n auf, nocht wurscht<span class="pagenum" id="Seite_368">[S. 368]</span> seha', mit weams +<em class="gesperrt">dia'</em> guet moet!« — Durch den sichern Ton des Burschen etwas +getroffen, aber sich nichts ansehen lassend, erwiederte sie: »Du bist +a Mensch voller Ei'bildenga'! Ond ih sag: ha'et könntst no' alles guet +macha', wann d' a Kerl wärst! Auf da' Sonnteng über vierzea' (vierzehn) +Dag ist d' Kirwe (Kirchweih). Gang en d'Zech, führ de auf, wie's 'm +rechta' Burscht ghöart, tanz nommol mit'r —« —</p> + +<p>Das war dem guten Michel zu viel. Das Zureden der Mutter war mit Schuld +an seinem Unfall auf der Hochzeit — — und nun sollte er wieder tanzen +— mit derselben, die ihn — Er war in tiefster Seele verdrießlich und +erwiederte mit gerechter Entrüstung: »Du host haba' wölla', i soll +danza' — i hab' danzt en d's Deufels Nama, ben he'schlaga' ond hab' me +auslacha' lossa'. Ond ietz bist no' net z'frieda' ond willst, i soll me +nommol für da' Narra' haba'n ond auslacha' lossa? A' — doh möcht oen +ja glei d's Donner onds Wetter — — — Ietz lohs (höre), i will d'r +ebbes saga'! I dua mei' Arbet ond leb wie's 'm ordentlicha' Menscha' +ghöart — ond em Uebrenga' bitt e m'r 'n Ruh' aus! Danza' mueß ma' net +— ond heiricha' mueß ma'n oh net! Was Sakerment! — soll e denn grad +allweil die Sacha' doa', die e net mag?« — Die Mutter konnte hierauf +nichts erwiedern als die Achseln zucken, wie über einen Verlorenen. +Michel, der sich schon gewendet hatte, ging mit starken Schritten aus +der Stube.</p> + +<p>Im Verlauf der nächsten Woche kam der Schneider zum Maurer, eröffnete +der Gret, daß er in die »Zech« gehen wolle, und fragte mit eben so +großer Artigkeit als Zuversicht: ob er sie nicht auf die Kirchweih +führen dürfe! — Das Mädchen sah ihn schweigend an und sagte endlich: +»I glob net, daß des got!«</p> + +<p>Sich von einem Burschen auf die Kirchweih führen lassen und +consequenterweise mit ihm auf dem Platz tanzen, hieß so viel als: ein +bestehendes oder werdendes Verhältniß mit ihm offen bekennen. Zuweilen +geschah es allerdings auch aus Freundschaft, daß man zusammen die +Kirchweihfreuden genoß; allein das waren eben nur Ausnahmen und immer +hatte das Eingehen auf einen Vorschlag, wie er dem Mädchen gemacht +wurde, etwas Verpflichtendes und — Verfängliches.</p> + +<p>Das Bedenken der Gret werden unsre Leser nun besser begreifen,<span class="pagenum" id="Seite_369">[S. 369]</span> als +der Schneider und ihr Vater. Der Bursche rief höchlich überrascht: +»Worom denn net?« Und der Maurer setzte hinzu: »Ja, des möcht' e oh +wissa'!« — Die Gret wollte begreiflicherweise nicht sagen, was sie +eigentlich für eine Empfindung hatte; sie erwiederte zögernd: »I muß +d'r aufrichteng saga', Jakob, i hab m'r auf d'r letschta' Hoaxet +gemuag danzt! — i hab koen Luhst mea' derzue! — Der Schneider fragte +erstaunt: »Willst also gar net ens Wirthshaus ganga'?« — »Beinah hab' +e so ebbes em Send (im Sinn)«, erwiederte die Gret. — Der Alte rief: +»Gang weiter — des ist widder so a'n Ei'fall! Morga' denkst anderst!« +— Die Gret, für jetzt zufrieden, nur Zeit zu gewinnen, versetzte: +»'S ka' sei'! — Reda'mer (reden wir) a'nandersmol dervo' — 's hot +ja no' Zeit!« — Dem Schneider war es höchst fatal, einen Antrag halb +ausgeschlagen zu sehen, der, wie er gemeint hatte, mit der größten +Freude sollte aufgenommen werden. Allein er mußte sich in ihre Laune +fügen und ließ die Sache fallen, in der Hoffnung, sie das nächstemal +bereitwilliger zu finden.</p> + +<p>Ein paar Tage später, an einem schönen, milden Septembermorgen, ging +die Gret ins »Ohmed«. Nicht weit vom Dorfe sah sie den Michel gegen +sich herankommen, mit einer Miene, die ihr auffallen mußte. — Der gute +Bursche hatte sich in der That Ruhe verschafft in seinem Hause — weder +die Mutter noch Kaspar sprachen mit ihm fernerhin über die Gret und +über's Tanzen. Aber in dieser Ruhe war er traurig geworden; der Unmuth +seiner Seele hatte sich in Schwermuth verwandelt. — Ihm war's auch +einmal eingefallen, glücklich sein zu wollen, wie andere Leute — doch +für ihn gab es kein Glück! Durch seine oder ihre Schuld — sei's, wie's +sei — war er drum gekommen und nun hatte er ein Leben vor sich ohne +Lust und ohne Liebe und ohne Freude. Dieser Gedanke drängte sich ihm +auf, er kämpfte nicht dagegen an, er unterwarf sich — und seine passiv +ergebene Seele ward ein Raub der Melancholie.</p> + +<p>Die Gret, wie sie ihn einem Träumenden ähnlich, die Miene traurig, aber +ruhig und auch in der Trauer noch mannhaft, an sich vorübergehen sah, +bekam eine Ahnung von seinem Zustande. Sie schaute ihm lange nach — +und ging tief in Gedanken weiter.</p> + +<p>Als sie nach Hause kam, war der Vetter wieder erschienen und<span class="pagenum" id="Seite_370">[S. 370]</span> erneuerte +seinen Vorschlag. Das Mädchen sah ihn mit glänzenden Augen, mit einer +Art von wehmüthigem Lächeln an und sagte: »No mei'tweg! — — 'S wurd +ja nex O'rechts sei, was e dua'!« — Das Gesicht des Schneiders hatte +der Schimmer des Triumphes überflogen und mit stolzem Behagen rief er +aus: »Ebbes O'rechts? I möcht wissa', worom!« Dann sah er sie schlau an +und bemerkte: »Du wurscht m'r doch net zutraua', daß ih ebbes O'rechts +im Senn hab?« — Die Gret konnte nicht umhin, ein wenig zu lachen und +erwiederte heiter: »Des net.« Etwas ernster setzte sie hinzu: »No, +du bist mei' Vetter, ond von 'm Vetter därf ma' scho'n a Gfälligkeit +a'nemma! 'S got eba'n en d' Froedschaft!« — Der Maurer sah vergnügt +auf sie und murmelte: »Guet!« — —</p> + +<p>Der Inbegriff aller Fröhlichkeit und aller Genüsse des Dorfes — +das Hauptfest im ganzen Jahr — die <em class="gesperrt">Kirchweih</em> kam heran. — +In damaliger Zeit wurde dieses Fest ebenfalls anders gefeiert, als +gegenwärtig; bevor wir daher in unsrer Erzählung weiter gehen, ist es +nothwendig, auch hierüber einige Bemerkungen vorauszuschicken.</p> + +<p>Zur Zeit des alten deutschen Reiches erhielt die Rieser Kirchweih +außer der kirchlichen noch eine gerichtliche Sanction. Der Amtknecht +der betreffenden Behörde verkündete feierlich das »Friedbot« und +tanzte beim »Platzaufführen« die ersten drei Reihen allein — damit +erklärend, daß die Lustbarkeit einen Charakter haben müsse, der +vor der Macht, die er vertrat, auch bestehen könne. In der Zeit, +in welcher unsre Geschichte spielt, war dieß weggefallen, aber die +Lustbarkeit verlief doch noch in einer Reihe bestimmter Formen. In +gewissem Sinne war an die Stelle des Amtknechts ein Dorfbursche +getreten, der »den Platz kaufte«, d. h. gegen Erlegung einer gewissen +Summe an den Gerichtsdiener den Namen des »Platzmeisters« und eine +Anzahl von Rechten erwarb. Er durfte am Kirchweihmontag und an dem +darauf folgenden Sonntag, durch einen geputzten dreispitzigen Hut +ausgezeichnet, im Verein mit andern Paaren einen Tanz im Freien, auf +geebnetem Platz, wo möglich um einen Baum, aufführen und ihn durch +dreimaliges Alleintanzen einleiten. Zur Vergütung seiner Auslagen +und Bemühungen durfte er am ersten Sonntag eine Ente, am letzten +einen Hut oder ein ähnliches Möbel herauspaschen lassen,<span class="pagenum" id="Seite_371">[S. 371]</span> wobei der +Einsatz den Werth des Gegenstandes natürlich bei weitem überstieg; +deßgleichen einen Kegelplatz anlegen, der gleichfalls gute Procente +abwarf. Verstand der Platzmeister, der in der Regel noch einen zweiten +als Gehülfen zur Seite hatte, die Leute recht zum Paschen und Setzen +heranzukriegen, und wurde bei guter Witterung fleißig gekegelt, so fiel +nicht nur der mäßige Kaufpreis des Platzes ab, sondern auch noch die +Summe für die Zeche an den Kirchweihtagen. Daraus ergiebt sich, daß +nur unbemittelte Bursche — Söldnerssöhne oder Knechte — Platzmeister +wurden, indem Bauernsöhne derartige Erwerbungen unter ihrer Würde +halten und sich vielmehr berufen sehen mußten, ungewöhnlich viel Geld +springen zu lassen. Für das Dorf waren aber doch die Platzmeister die +Hauptpersonen.</p> + +<p>Genauer zu reden hätten wir nämlich sagen müssen: das Kirchweihfest +<em class="gesperrt">konnte</em> zu jener Zeit noch in bestimmten Formen verlaufen — +eben wenn die Stelle des Platzmeisters erworben wurde. Fand sich dazu +Niemand bewogen, dann war die Kirchweih ein einfaches Tanzfest, zum +wenigsten in unserm Dorfe. Nicht nur das Kegelspiel und das Tanzen +auf dem Platz fiel weg, sondern auch das uralte Abholen der Mädchen +mit Musikanten und das Tanzen in den Häusern derselben. Eine solche +Kirchweih hatte aber »keinen rechten Ton«, jeder ächten Bauernnatur +mußte dabei etwas fehlen — und das Auftreten eines Platzmeisters, der +auch nur ausnahmsweise mangelte, wurde daher immer mit Freude begrüßt.</p> + +<p>Die letzten Jahrzehnte sind auch für die Kirchweihgebräuche kritisch +gewesen — das Platzaufführen mit allem, was damit zusammenhing, ist +aus der Reihe der Festesfreuden gestrichen. Während die Alten diesen +Brauch als moralisches Mittel benutzten — denn Burschen und Mädchen, +die nach dem Rieser Ausdruck »schon so vorgekommen«, d. h. nachweislich +vom Wege der Ehrbarkeit abgewichen waren, durften nicht mit klingendem +Spiel in's Wirthshaus ziehen und »auf den Platz gehen!« — erschien in +neuerer Zeit das Jauchzen, Spielen und Tanzen im Freien als ein nicht +zu duldender Skandal, der zunächst wenigstens in einen geschlossenen +Raum verwiesen werden müsse. In der jüngsten Zeit ist durch den Befehl, +daß alle Kirchweihtänze des Kreises Schwaben und Neuburg an einem und +demselben<span class="pagenum" id="Seite_372">[S. 372]</span> Tag abzuhalten seien, dem Rieser Kirchweihfest die letzte +Zierde und Würde des Brauches genommen worden. Von andern prosaischen +Uebelständen abgesehen ist dadurch nämlich die <em class="gesperrt">Gastfreundschaft</em> +unmöglich geworden, die in den Tagen des Festes von Befreundeten +verschiedener Dörfer wechselseitig geübt wurde. Die Bauern können nun +höchstens noch die Beamten aus der Stadt »auf die Kirchweih laden«, +sich selbst aber nicht mehr — die Feier ist auf die Bewohner eines +Dorfes oder Dörfleins beschränkt und nichts weiter als ein gewöhnliches +Essen und Tanzen ohne bräuchliche und poetische Weihe.</p> + +<p>Einem Autor, der sich die Darstellung des Volkslebens zum Ziel gesetzt +hat, muß es gestattet sein, gelegentlich eine die Volkssitten und ihre +administrative Behandlung angehende Bemerkung zu machen. — Es fällt +uns nicht ein, die Vortrefflichkeit der Absicht jenes Befehls, der ja +auch in andern Staaten schon ergangen ist, irgend anzufechten. Man +will, daß jeder Streit, der auf dem Kirchweihfest eines Dorfs zwischen +eingebornen und fremden Burschen entstehen könnte, zuvor abgeschnitten +sei, und — daß der Bauer auf seine Vergnügungen möglichst wenig +Geld verwende. Friedlichkeit, Fleiß und Sparsamkeit sollen dadurch +gefördert werden bis zu einem noch nie dagewesenen Grade. — Allein +im Ries darf man die früher üblichen Händel zwischen eingebornen +und fremden Burschen recht eigentlich als aus der Mode gekommen +ansprechen; und was Fleiß und Sparsamkeit betrifft, so übt die große +Mehrzahl des dortigen Landvolks diese Tugend von alter Zeit her in +einer Weise, die man geradezu musterhaft nennen kann. Ein Staat, der +sich einer Beamtenschaft rühmen könnte, die in dieser Beziehung dem +Rieser Landvolk ähnlich wäre, dürfte sich nach unserer Ueberzeugung +glücklich preisen. Ist es nun gerathen, um einiger liederlicher +Menschen willen, die überall vorkommen und bekanntermaßen nicht der +Kirchweihen bedürfen, um sich zu ruiniren — ist es gerathen, fragen +wir, jener großen Mehrzahl ihre hergebrachte Lustbarkeit zu verkümmern +und für die Söhne und Töchter wohlhabender, ja reicher Landleute die +Tanzgelegenheiten auf ein Minimum herabzusetzen, während in Städten +nicht nur die höhern Klassen, sondern auch die Massen der Handwerker +und Proletarier vor Bällen und Tanzmusiken nicht wissen, wo aus und<span class="pagenum" id="Seite_373">[S. 373]</span> +wo ein? Hält man etwa das Landvolk im Vergleich mit dem Städter +für unmündig und für leichter zu verführen? Schreiber dieses kennt +beide aus vieljähriger Erfahrung; er muß aber sagen, daß ihm keine +Menschenklasse vorgekommen ist, die sich in ihren Vergnügungen und +Geldausgaben mündiger und ordnungsmäßiger zu benehmen wüßte, als eben +der Rieser Bauer! — daß mithin Befehle, die sich auf die Annahme einer +solchen Unmündigkeit gründen, in keiner Art nothwendig erscheinen.</p> + +<p>Ein Schriftsteller, der sich in dieser Beziehung Autorität erworben +hat, <em class="gesperrt">Riehl</em>, erklärt sich in seiner »bürgerlichen Gesellschaft« +mit Entschiedenheit gegen die Vernichtung hergebrachter Bauernfeste +durch Zusammenlegung der Kirchweihen auf Einen Tag. Er citirt zu +seinen Gunsten den Ausspruch des anerkanntesten Volkskenners — +<em class="gesperrt">Justus Mösers</em>. — Mögen diejenigen, die durch Einschränkung der +gebräuchlichen und natürlichen Lustbarkeit das Beste des Landvolks zu +fördern glauben, bescheidentlich mit uns erkennen, daß das in dieser +Beziehung <em class="gesperrt">Beste</em> in der That noch eine <em class="gesperrt">Frage</em> ist, die nur +in Erwägung gar mancher Verhältnisse definitiv entschieden werden kann! +Steckt man auch dem Landvolk ein höheres Ziel im Leben und Streben, so +wird es diesem Ziel nimmermehr durch Verbote, sondern nur durch die +ihm entsprechende Bildung näher geführt werden. Das positive Mittel +einer solchen Bildung wende man an — dann wird Alles, was sich mit +ihr nicht mehr verträgt, im Verhältniß ihrer Ausdehnung von selber zu +Boden fallen. Mit Untersagung herkömmlicher Gebräuche sei man dagegen +um so behutsamer, als die sich erhaltenden vielleicht eben das Material +bieten sollen, welches die fortschreitende Bildung zu läutern und zu +einer neuen Poesie des Lebens zu verklären haben wird. — —</p> + +<p>Unser Dorf hatte diesmal das Glück, eine »rechte Kirchweih« zu +bekommen. Zwei Bursche hatten den Platz gekauft, die in jeder Hinsicht +fähig waren, das Amt zu versehen: lustige Kerle, vortreffliche Tänzer +und Liedersänger. Der Kegelplatz war schon errichtet; er prangte vor +dem Wirthshause, allerdings auf einer etwas geneigten Ebene, was indeß +nur zur Folge hatte, daß das Treffen darauf um so ehrenvoller war. +Eine ziemliche Anzahl von Ledigen<span class="pagenum" id="Seite_374">[S. 374]</span> war »in die Zech gegangen,« d. h. +sie ließen im Wirthshaus aufschreiben, was sie an Essen, Weißbier und +Branntwein verzehrten, um nach den Festtagen zu gleichen Theilen zu +bezahlen. Das ganze Dorf war angeduftet von der Poesie einer Feier, +die, erinnerung- und hoffnungerweckend, ein lautes, fröhliches Leben +vorführen sollte, und von den Torten, Ringen (Kränzen) und Bretzgen, +die nach Maßgabe des Vermögens von allen Familien gebacken wurden. +»Nach altem Brauch« waren nicht nur im Wirthshaus verschiedene +Schweine geschlachtet worden, sondern je eines auch in bedeutenden +Bauernhäusern, und eine erklekliche Anzahl befiederter Geschöpfe war +aus den Reihen der Lebendigen gestrichen. Das Dorf brauchte nichts +mehr als gutes Wetter — und das kam. Schon am Freitag hatte ein die +Gemüther sehr beunruhigender Regen aufgehört, der Kirchweihsamstag +war trocken, und am Sonntag stieg die Sonne in einen Himmel mit nur +einzelnen dünnen Wölkchen empor. Wer die Empfindungen kennt, die beim +Anblick solchen Himmels an dem Hauptfeste des Jahres die genußfähigen +Dorfbewohner erfüllt, der weiß, was Freude des Lebens ist!</p> + +<p>Der Vormittag des Sonntags und ein Theil des Nachmittags ward in unserm +Dorfe der geistlichen Feier gewidmet. Wer es irgend konnte, ging in die +Kirche und horchte der Predigt, welche die höhere Bedeutung des Festes +darlegte, mit Andacht. Sobald die nachmittägige Betstunde vorüber war, +begann im Wirthshause das weltliche Fest. Die Mädchen der in der Zech +befindlichen Bursche kamen sachte angeschlichen, thaten zuerst, als ob +sie nur da wären, um ein wenig zuzuschauen, ließen sich dann aber von +ihren Verehrern bereitwillig in die obere Stube oder gleich auf den +Tanzboden führen.</p> + +<p>Unter den »Kirchweihburschen« war auch der Schneider, unter den +Mädchen, die sich zum Tanz einfanden, die Gret. Mit der Zuversicht, +die man gegen die Seinige an den Tag zu legen pflegt, ging der Bursche +dem Mädchen entgegen, tanzte mit ihr und führte sie nach einem Dutzend +Reihen in die Stube. Als ein Anderer kam, und mit ihr zugleich ihn +fragte: »Isch verlobbt (ist's erlaubt)?« erwiederte er würdevoll: +»Du ka'st danza'!« — und der Begünstigte führte die Gret hinaus. +Ein Bekannter trat zu ihm und sagte vergnügt:<span class="pagenum" id="Seite_375">[S. 375]</span> »No, Schneider, hosch +(hast du's) wirklich durchgsetzt bei deam Mädle — send d'r oeneng?« +— Der Bursche erwiederte: »Vor der Hand gots wenigstens mit m'r auf +d' Kirweih!« — Dem Bekannten war das genug; er sagte: »Die Schöast +em ganza' Dorf! Wie host ietz des a'gfangt, Schlengel?« — Der +Schneider zog statt der Antwort die Augenbraunen in die Höhe und sah +mit tiefbedeutsamem Lächeln für sich hin. »Du bist a Hauptspitzbue«, +rief der Kamrad und der Schneider machte ein Gesicht, als ob er sagen +wollte: »Ich widerspreche nicht!«</p> + +<p>Wie Michel — bei dem sich's von selber verstand — war auch Kasper +nicht unter den Kirchweihburschen. An einem der letzten Tage war +der treue Freund zu dem Traurigen und Düstern gegangen, um ihm eine +Mittheilung zu machen und eine Aufforderung daran zu knüpfen. Er +begann mit der gemüthlichen Frage: »Was isch, gommer oh en d'Zech +desmol?« — »Frog net so domm!« erwiederte Michel und drehte sich weg. +Kasper lachte: »'S ist oh nor Gspaß! Was sottet o's (sollten wir) dren +doa'? Du host koena', ond ih hab grad oh koena'! Doh mag d'r Deufel +mitmacha'. — Aber«, setzte er ernsthafter hinzu, »ens Wirthshaus +wurscht doch ganga'?« — »Sell verred'e net«, erwiederte Michel. — +Kasper, nachdem er eine Weile für sich hingesehen, begann wieder: +»Ietz, wo dein' Pla' mit der Great aufgeba' host, wurd's d'r nex mea' +macha', wann da' Schneider mit'r danza' sichst!« — »Sell got me nex +mea' a'«, versetzte Michel ernsthaft. — »Wie e ghöart hab«, fuhr +der Andre fort, »got's mit d'm Schneider auf da' Plahtz!« — Michel +zuckte. »Auf da' Plahtz?« rief er, während dunkle Röthe sein Gesicht +übergoß. Kasper sah dem Betroffenen ins Gesicht und fragte: »Aergert +de des?« — »Noe«, versetzte der Bursche mit Anstrengung. Der Kamerad +sagte: »So hab e's geara'! — Am End, wer ka's dem Mädle verdenka', +wann's da' Schneider nemmt ond ietz mit 'm auf d' Kirwe got? Zwea' +oder dreia' (zweien oder dreien) hot sie selber da' Marsch gmacht; du +bist ahgstanda' von 'r — solls da' Schneider oh no' furtschicka?« +— »Sie hot Recht«, erwiederte Michel mit dumpfer Ruhe; aber auf +einmal ballte sich seine Faust wie von selber, und er rief: »O i wott +(wollte) —!« »Was wottst?« fragte der Kamerad, indem er ihn lächelnd +ansah. —<span class="pagenum" id="Seite_376">[S. 376]</span> »Nex«, erwiederte Michel mit Nachdruck, indem er die Finger +zusammenpreßte, um sie dann auseinander gehen zu lassen.</p> + +<p>Am Sonntag — um dieselbe Zeit, als die Gret mit dem Burschen tanzte, +der sich vom Schneider die Erlaubniß ausgebeten, verfügte sich Kasper +zu Michel, um ihn in's Wirthshaus abzuholen. Er fand ihn in tief +melancholischer Stimmung. Als er seinen Vorschlag machte, gab Michel +zur Antwort: »Ha'et no' net — morga'! — Ha'et ben e net aufglegt!« +— Alle Mahnungen waren umsonst. Kasper sagte mit Ernst: »I will de +net nöada' (nöthigen) — mei'daweg duest, was d' willst. Aber ih moe, +a Kerl wie du sott grad ens Wirthshaus ganga', en die ober' Stub', +ond so'm Mädle zoega', daß 'r se nex draus macht, gots auf da' Plahtz +mit weam's will! Die möcht'e net globa' lossa', doß e ihrdawega' von +d'r Kirwe derhoemt blieb!« — »Des gschicht oh net«, versetzte unser +Bursche, — »morga' gang' e drauf!« — »Morga' host widder a'n andera'n +Ausred!« — Michel wurde ungeduldig. »Doh host mei' Ha'd«, rief er +und streckte ihm fünf Finger entgegen, die ihres Gleichen suchten, — +»morga' gang e ens Wirthshaus — Sakerment!« — Kasper schied beruhigt +und folgte den lockenden Tönen eines Drehers, der ihm vom Wirthshaus +entgegenschallte.</p> + +<p>Bei seiner Ankunft auf dem Tanzboden ging die Gret mit ihrem Tänzer +eben im Reihen. Als sie Kaspers ansichtig wurde, zeigte sie eine +gewisse Erregtheit — und schaute sich weiter um. — Der Kamerad hatte +sie beobachtet, und nickte für sich.</p> + +<p>Er beschloß, den Michel am folgenden Tage ins Wirthshaus zu bringen, +koste es, was es wolle.</p> + +<p>Kasper hatte ein Gefühl, was er im Sinn trug, könnte nützlich werden. +Er sah nicht voraus, was kommen würde; aber er empfand eine lebhafte +Genugthuung, als er sich sagte: »Desmol soll' r net derhoemt bleiba'!« +— Er handelte mit dem Instinkt der Freundschaft.</p> + +<p>Der Kirchweihmontag brach so schön an wie der Sonntag. Die jungen +Leute, die sich vorsichtigerweise früh zur Ruhe begeben hatten, +erwachten fröhlich, und auch die andern, die erst der Morgen nach Hause +wandern sah, hatten bald muntere Augen, um einem Tag entgegenzusehen, +an welchem das Vergnügen allein regieren und zur<span class="pagenum" id="Seite_377">[S. 377]</span> farbigsten Blüthe +sich entfalten sollte. — Noch Vormittags, nach früh genossenem Mahle, +begaben sich die Zechbursche in's Wirthshaus, und aus den Fenstern +desselben erklang sofort stattliche Musik. Das Mädchenholen begann +— die Gassen ertönten von Spiel und Jauchzen, und die zinnernen +Bierkannen, von rüstigen Armen in die Höhe gehalten, funkelten im Glanz +der Sonne.</p> + +<p>Vor allen und am feierlichsten — mit sämmtlichen Musikanten — wurden +die Geliebten der beiden Platzmeister abgeholt. Sie stolzirten in +absonderlichem Putz und trugen zur Auszeichnung vor den übrigen, die +nur in der Kappe beim Tanz erschienen, die radförmige Spitzenhaube. +Als diese beiden wichtigen Personen sich an der Tafel der Wirthsstube +niedergesetzt hatten, theilten sich die Musikanten, und verschiedene +Bursche zogen mit je zweien in die Häuser der Erwählten. Das ganze +Dorf war bald in freudiger Aufregung: Singen und Springen, Zuschauen +und Loben, Austauschen von guten Sachen und Höflichkeiten war die +allgemeine Beschäftigung. Die Buben wuchsen in Gedanken beim Anblick +der Vergnügungen, die ihnen auch einmal zu Theil werden sollten, und +die Alten wurden jung und gedachten der Zeiten, wo sie's — noch besser +gemacht hatten.</p> + +<p>Nur Ein Haus war ausgenommen von der allgemeinen Fröhlichkeit — das +der Familie Schwab. Unser Bursche, nachdem er gestern auch noch einer +Ermahnung der Mutter widerstanden, war früh zu Bett gegangen und hatte +einen tiefen Schlaf gethan. Wie gewöhnlich aufgestanden, machte er +sich in Haus und Hof zu thun und sah nicht aus wie einer, der sich an +dem Fest betheiligen wollte. Die Mutter betrachtete den düster Hin- +und Hergehenden mit betrübter Miene. Sie gedachte an die Zeiten seines +Knabenalters. Wie stolz war sie auf ihn gewesen! Wie viel hatte sie +sich von ihm versprochen — und wie wenig hatte er gehalten! Was half +es, daß er fleißig war und ordentlich und das Vermögen in den letzten +Jahren sich vermehrt hatte? — Er hatte keine Freude, sie hatte keine, +und zu hoffen war auch keine! — Als draußen das lustige Spiel und +das »Juxen« der Bursche anhub, erschienen ihr die Mängel des Sohnes +in immer grellerem Licht. Ein Mensch, der nicht tanzen und sich nicht +»aufführen« konnte, ein Mensch, der keinen Schatz und kein Weib zu +kriegen<span class="pagenum" id="Seite_378">[S. 378]</span> verstand, ein solcher Mensch war gar nichts — und sie die +unglücklichste Mutter im ganzen Dorf.</p> + +<p>Schon war auch der Schneider mit einem Geiger und Clarinettenbläser +am Hause vorübergezogen und hatte einen Tenor gejuxt, wie ihn kein +gewöhnlicher Bauernbursche herausgebracht hätte. Die Mutter war eben +in der Kammer und hatte den Zug nicht gesehen. Nach einer Weile, als +sie wieder in die Stube kam, trat Michel zu ihr, und als von der untern +Gasse her ein Freudenlärm erscholl, nahm er sie bei der Hand und führte +sie ans Fenster. Jauchzend, obwohl schon mit etwas angegriffener +Stimme — mit dem Deckel der leeren Kanne nach Kräften patschend kam +der Schneider an der Spitze der Musikanten heran und hinter diesen die +Gret mit sittigem Schritt und einem Angesicht, das durch höhere Röthe +und einen eigenen feierlichen Ausdruck holder und bedeutender erschien +als jemals. »Siksch ietz, mit weam die's guet moet?« fragte Michel in +Rücksicht auf seine Rede von letzthin. Die Mutter erwiederte: »Des +ist m'r oh nex Nuis mea'! Aber wear ist dra' Schuld?« Michel schwieg +einen Moment; dann, indem er mit einer Art von Humor den Kopf in die +Höhe warf, erwiederte er: »Bah, a Mädle, die mit 'm Schneider auf +d'Kirwe got, doggt (taugt) net für 'n Kerl, wie'n ih ben. Ih trau m'r +no' a'n andera' z'kriega', wann's amol gheiricht sei' mueß!« — Mit +halb schmerzlichem, halb spöttischem Lächeln versetzte die Mutter: +»Du bist der Recht', ja!« Aber Michel fuhr fort: »Loß me nor macha'! +Ho'et Nommedag (Nachmittag) gang e ens Wirthshaus — doh passirt ebbes, +des sag' d'r e! Ond wanns auf o'srer nex wurd — gits net no' ander' +Kirwena? I will doch seha', ob ih nex ausricht', wann e amol drauf +ausgang!« —</p> + +<p>Es war nicht nur der Geist des Widerspruchs, der Micheln, der +anklagenden und ungläubigen Mutter gegenüber, diese herzhaften Worte in +den Mund gab. Der Anblick der Gret, die dem Schneider folgte, hatte ihn +zugleich gereizt und von der letzten Bürde der Ungewißheit befreit. Nun +wars offenbar und nicht mehr zu läugnen! — und nun mußte er entweder +die Weibsbilder gehen lassen sein ganzes Leben lang — oder sein Glück +mit einer andern versuchen. Aus allen Gründen mußte er ins Wirthshaus +gehen — er mußte<span class="pagenum" id="Seite_379">[S. 379]</span> sehen und sich sehen lassen — er mußte zeigen, daß +er nicht der Mann war, darum, weil er ein Mädchen nicht gekriegt hatte, +sein Leben zu vertrauern.</p> + +<p>Das Fest hatte seinen Verlauf. Der Platz vor dem Wirthshause und die +angrenzenden Gassentheile belebten sich mehr und mehr. Unter die +Bauern und Bäuerinnen mischten sich »Herrn« und »Frauenzimmer«, die +an dem schönen Tage hauptsächlich aus Nördlingen und Wallerstein +herbeigekommen waren. Einige flotte Musensöhne im altdeutschen Rock und +weiten blauen Hosen, das Mützchen keck auf die eine Seite des Kopfes +geklebt, schauten mit vergnügtem Antlitz umher oder »schnitten« den +schönsten und jüngsten der anwesenden »Florbesen« die Cour. Bauern und +Handwerker mittleren Alters hatten schon das Kegelspiel begonnen und +suchten auf verschiedene Weise die Ungunst des Lokales zu überwinden, +einer davon auch noch durch nachträglich pantomimische Lenkung der +schon hinausgerollten Kugel, wodurch er, wenn nicht mehr Kegel, doch +die Erheiterung der Umstehenden erzielte. Schulkinder liefen hin und +her, begafften Alles und erlabten sich bei den Weibern, die an der +Schattenseite des Wirthshauses Obst feil boten. Die jungen Leute +drehten sich auf dem Tanzboden und hielten gleichsam eine Vorübung zu +der Production, die sie vor einer so großen Anzahl von Schaulustigen +ausführen sollten.</p> + +<p>Der feierliche, zuletzt sehnlich erwartete Moment erschien. Die +Tanzmusik im Wirthshause war verstummt, und in die Ohren der bunten +Menge, die sich davor angehäuft hatte, ertönte vom Hof her auf +einmal ein kräftiger Marsch. »Sie kommen! Sie kommen!« rief man sich +freudig zu und die Vorsichtigen eilten auf die Standpunkte, wo man +die Aufführung am besten übersah. Unter einer wahren Kanonade von +Juhschreien sämmtlicher Bursche, die zuweilen auch die Blechmusik +übertönte, kam der Zug aus dem Hofe: zuerst die sechs Musikanten, dann +der »Flur« (Flurschütz, Gemeindediener) mit einem Stuhl, der Aufwärter +mit einer riesigen kupfernen Bierkanne und das Wirthsmädchen mit +Krügen; endlich die Paare, geführt von dem ersten Platzmeister, der +an der Seite seiner Schönen stattlich daherschreitend einen großen, +bändergezierten, in blanker Scheide<span class="pagenum" id="Seite_380">[S. 380]</span> ruhenden Säbel trug! An der +uralten Linde angekommen machte man Halt, die Musikanten stellten sich +herum, der Aufwärter setzte die Bierkanne auf den Stuhl, und die Paare +traten an die Seite. Unter allgemeiner Aufmerksamkeit zog der erste +Platzmeister den Säbel aus der Scheide, hielt ihn in die Höhe, stellte +sich vor die Musikanten und sang das herkömmliche Liedchen:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Ietz soll e halt danza' drei Roea'n alloe!</div> + <div class="verse indent0">I ka's ja kamm (kaum) danza' vor Staub ond vor Stoe.</div> + </div> +</div> + +<p>Die Musikanten spielten und der Bursche tanzte allein um die Linde, +indem er auf dem mäßig ebenen Boden seinem Titel Ehre machte. Zum +zweitenmal sang er:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Der erst der ist danzt ond der ander' fangt a':</div> + <div class="verse indent0">Ietz will e halt seha', ob es nommol so ka'.</div> + </div> +</div> + +<p>Die Zuschauer, die bei solchen Gelegenheiten, wenigstens eine Zeitlang, +empfänglich und anspruchlos zu sein pflegen, nahmen diese allerdings +mehr sachgemäßen als poetischen Reime mit heiterem Interesse auf, und +da der Platzmeister wieder ohne zu stolpern und in schönem Kreisbogen +um den Baum kam, so rief ein lustiger Studiosus ihm ein Bravo zu.</p> + +<p>Zum Dritten sang er:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Ond oemol ond zwoemol ond nommol ist frei!</div> + <div class="verse indent0">Ond des mueß das Best' sei', denn ietz isch vorbei!</div> + </div> +</div> + +<p>Nach glücklicher Vollendung auch dieses Reihens steckte der Bursche den +Säbel in die Scheide, übergab ihn dem »Fluer«, sah auf die Paare und +sang:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Danzt hab' e so gut als ma's ka'n ohne Schatz.</div> + <div class="verse indent0">Nemm jeder die Sei'n ietz ond rei' auf da' Platz!</div> + </div> +</div> + +<p>Er holte sich die Geliebte, die mit Würde den Leistungen ihres Burschen +zugesehen hatte, und begann mit ihr zu walzen. Alle Paare folgten nach.</p> + +<p>Der Tanz — die Trinkpausen mit eingeschlossen — dauerte ungefähr +eine Stunde. Da die Bursche und Mädchen von verschiedener Gestalt und +Schönheit waren, und beim Tanzen verschiedene Manieren an sich hatten, +die auf dem schwierigen Terrain um so charakteristischer hervortraten; +— da den Musikanten eine Reihe Lieder<span class="pagenum" id="Seite_381">[S. 381]</span> vorgesungen wurden, wovon +etliche nicht ohne pikanten Reiz, andere aber in so fern »ächt lyrisch« +waren, als nicht eine Spur von Gedanken darin vorkam — so gab es für +das Publikum, namentlich für das gebildete, gar vielerlei zu schauen +und zu kritisiren. Einige der Herrn unterhielten ihre Damen mit +mehr oder minder gelungener Verspottung und ironischer Belobung der +ländlichen Künste. Andre lachten und nickten Beifall. Wieder andere +stellten Vergleichungen an und suchten zu entscheiden, welche Mädchen +den Preis der Schönheit verdienten, u. s. w.</p> + +<p>Die größte Aufmerksamkeit hatte bald von allen Paaren ein uns +wohlbekanntes auf sich gezogen — der Schneider und die Gret. Die +stattliche Größe des Mädchens und die zierliche Kleinheit des Burschen +war zuerst aufgefallen. Bei näherer Betrachtung fand die Schönheit der +Blonden lebhafte Anerkennung, besonders von Seiten dreier Studiosen, +die ihre Augen so oft nach ihr wandten, daß eine daneben stehende junge +Nördlingerin beinahe eifersüchtig geworden wäre. Nicht geringeres +Interesse erweckte indeß bei eben diesen Studiosen der Schneider +selbst. Glücklicher und selbstbewußter auszusehen als dieser, war nicht +wohl möglich. Das schönste Mädchen von allen, die um die Linde tanzten, +war die seine! Sie hatte sich erst ein bischen »geziert«, als er sie +einlud, mit ihm auf den Platz zu gehen; aber wie bald hatte sie Ja +gesagt! — Mit welchem Vergnügen hatte sie's gesagt, und wie gern war +sie mit ihm gegangen! Dumme Teufel mußten die gewesen sein, denen sie +den Laufzettel gegeben! Er war gekommen, hatte gesprochen, und immer +weicher war sie geworden und immer nachgiebiger, und jetzt konnte er +mit ihr machen, was er wollte! Es lebe die Fremde! Wer nicht hinaus +kommt, der kommt nicht heim, und bleibt ein Dummkopf, der überall das +Nachsehen hat! — Heute noch, beim Nachhauseführen, wollte er mit ihr +reden wegen der Heirath, auf den Winter machte er Hochzeit, und damit +basta!</p> + +<p>Das Wohlgefallen, mit welchem die drei Studiosen zu ihm hersahen, +schmeichelte unserm Dorfschneider ungemein. Er mußte freilich annehmen, +daß ein Theil des Beifalls seiner Tänzerin galt — aber war das nicht +wieder eine Ehre für ihn? Sein Gesicht wurde<span class="pagenum" id="Seite_382">[S. 382]</span> vor Selbstgefälligkeit +ordentlich runder, jedenfalls glänzte es »wie Wallerstein des Abends« +(wenn die Sonne aus den Fenstern der terrassenartig aufsteigenden +Häuser wiederstrahlt!) — und seine Augen blickten beim Tanzen +rechts und links, um nichts von den Eindrücken zu verlieren, die er +hervorbrachte.</p> + +<p>In solcher Stimmung ist man nicht geneigt, Andern Erfolge zu gönnen; +und wenn einer dergleichen erzielt, fühlt man einen Trieb, ihn +herunterzustechen. Die Heiterkeit, die ein paar von einem rüstigen +Kerl gesungene lustige Liedchen hervorriefen, weckte des Schneiders +Eifersucht. Er wollte auch ein Lied singen, das den »Herren« Spaß +machte, und hatte schon den Mund dazu geöffnet — als ihm derselbe +Mensch zuvorkam. Verdrießlich hörte er zu, und wie in dem Text statt +des Reims eine bloße Assonanz zum Vorschein kam, rief er, das Gesicht +satyrisch-kritisch den Studenten zugewendet: »Reim de oder i friß de!« +— Der Sänger schaute den Burschen an und nach geendetem Reihen sagte +er: »Desmol will e a bessers senga' — paß auf!« Und er sang:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Doh droba'n auf dem Bergle bei dera' Kapell,</div> + <div class="verse indent0">Doh sitzen drei Schneider beir' Wasserbodell!</div> + </div> +</div> + +<p>Allgemeine Heiterkeit war der Erfolg dieser Schnurre; auch die Gret, +die im Verlauf des Tanzens etwas zerstreut geworden war, konnte sich +nicht enthalten zu lächeln. Der Schneider ging auf Nadeln. Wie gern +hätte er den Kerl zehnmal stärker getroffen! Aber es war ein Maurer, +und er wußte kein Spottlied auf dieses Handwerk! Da half ihm die +Entrüstung über die dumme Verhöhnung seines Metiers aus der Noth: +sie gab ihm einen Reim ein, wodurch er den Hieb mit Zinsen wieder +zurückzugeben hoffte. Er stellte sich resolut hin und sang:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Die Kleider der Leut' hat der Schneider gemacht,</div> + <div class="verse indent0">Und der ist a Narr, der die Schneider veracht'.</div> + </div> +</div> + +<p>Schallendes Gelächter erfolgte auf diesen gewaltigen Rückschlag, in +welches der vermeintlich Getroffene herzlich mit einstimmte, während +die Gret etwas erröthete und einen mitleidigen Blick auf ihren Tänzer +warf. Der Schneider sah dies nicht. Würde ihm nicht schon das Lachen +ein Beweis gewesen sein, daß er einen treffenden Reim<span class="pagenum" id="Seite_383">[S. 383]</span> gedichtet, so +hätten ihn die lobenden Zurufe der Studenten davon überzeugen müssen. +Triumphirend sah er umher und tanzte, von dem Hochgefühl des Sieges +getragen, mit erneuter Kraft und Leichtigkeit. Während er das Vorsingen +Andern überließ, dachte er bei sich: »Wann die Herra' an deana' +Bauraliedla' scho' so a Freud hont, nocht will i ihna' doch beweisa', +daß e andre oh no' ka'!« — Als die Zeit, die auf dem Platz zugebracht +zu werden pflegte, sich ihrem Ende zuneigte, ersah er seinen Moment, +nahm eine Stellung, die etwas erwarten ließ, und sang, indem er den +Studenten pfiffig zublinzelte, folgende anmuthige Variation eines +Burschenliedes:</p> + +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Der Herr Professer </div> + <div class="verse indent0">Liegt in Corretschiom, </div> + <div class="verse indent0">Drom wär' es besser, </div> + <div class="verse indent0">Man trinkt eins rom. </div> + <div class="verse indent0">Ebete, bebete, esse coralle! </div> + <div class="verse indent0">Was soll das Hepula? Bombau, holla! </div> + </div> +</div> + +<p>Die Studenten horchten mit hochvergnügten Gesichtern, riefen Bravo und +lachten königlich zusammen. — Der Schneider war überzeugt, daß er die +Palme davongetragen.</p> + +<p>Als der Zug unter denselben Jubeltönen, mit denen er gekommen, obwohl +etwas langsamer, ins Wirthshaus zurückging, stellten sich die Studenten +an den Weg, und einer von ihnen, der in den Dorfverhältnissen genau +unterrichtet zu sein schien, sagte fidel zu dem Siegesglücklichen: +»Brav, Schneider! — Du bist a Hauptkerl!« — Der Angeredete erwiederte +mit Würde: »I hab den Herren nur zeiga' wolla', daß man auf d'm Land +auch manchmol ebbes ka', was man oem nicht zutraut hätt'!« — Die Gret +warf auf den Studenten einen Blick, der zu sagen schien: »Halt mich ja +nicht für so dumm wie meinen Schneider!«</p> + +<p>In der obern Wirthsstube gönnten sich Musikanten und Tänzer einige +Zeit Ruhe, dann begann die Lustbarkeit auf dem Tanzboden von neuem. +Der Schneider war unermüdlich und von einer Hüpflustigkeit, die nicht +zu ersättigen schien; er forderte die Gret wieder zum Tanz auf. Das +Mädchen, die mehr und mehr das Aussehen gewonnen hatte, als ob ihr +etwas abginge, erwiederte, sie sei müde und möchte noch ausruhen. +Der Schneider, im Gefühl seiner Würde<span class="pagenum" id="Seite_384">[S. 384]</span> als Mann und seinem Stolz als +Kirchweihbursche, entgegnete: »Des hilft nex! I will amol danza', ond +i wear' doch hoffentlich koen Korb kriega' von 'm Mädle, die e auf d' +Kirwe gführt hab? — Komm!« — Er nahm sie bei der Hand und sie folgte, +indem sie den Verdruß ihres Herzens in ernster Miene zu verbergen +suchte. Nachdem sie sechs Reihen erduldet hatte, erklärte sie positiv: +es liege ihr in den Gliedern wie Blei — es ginge nicht mehr! — Der +Bursche mußte sie in die Stube führen. Während sie an der Tafel der +Zechburschen Platz nahm, forderte der Schneider eine Andere auf und +führte sie auf den Tanzboden.</p> + +<p>Die Gret überließ sich ihren Gedanken. Sie hatte etwas unternommen +— es war die Frage, ob sie Recht gehabt hatte, es zu thun. Aber +jedenfalls hatte sie es umsonst gethan: was sie gehofft hatte, war +nicht eingetroffen. — Ein Ernst erfüllte ihr helles Gesicht, der mehr +und mehr den Charakter der Trauer annahm. Still und gedankenvoll sah +sie für sich hin. — Auf einmal erröthete sie: — durch die Thüre, +die kaum groß genug war, ihn einzulassen, trat Michel in die Stube, +begleitet von dem treuen Kasper.</p> + +<p>Unser Freund erschien in seinem besten Staat und mit einem Ausdruck +der Würde in seinem Gesicht, den früher Niemand an ihm wahrgenommen +hatte. Seit dem Versprechen, das er seiner Mutter gegeben, war eine +neue Veränderung mit ihm vorgegangen. Der momentanen Erhebung, die +der Anblick des an seinem Hause vorbeiziehenden Schneiders in ihm +hervorgerufen, war eine Herabstimmung gefolgt, die sich in dem stillen, +von nähern und fernern Jubeltönen umklungenen Hause zu erneuter, +tiefer Schwermuth ausbildete. Der Trieb, glücklich zu sein, regt sich +in dem Menschen immer wieder und nirgends stärker, als an einem Tag +allgemeiner Freude. Hier ist das Herz von seinem Recht auf auch einen +Antheil daran durchdrungen — das Bild dessen, was man wünscht, tritt +in höchstem Reiz vor die Seele, die Sehnsucht, es zu erlangen, wird +feuriger und inniger — und die Nothwendigkeit, es dennoch verloren +geben zu müssen, wirft das Gemüth in Abgründe der Trauer. Was half +dem guten Michel sein Entschluß, sich nach einer Andern umzusehen! So +eine wie die Gret gab's doch nicht mehr — so gern<span class="pagenum" id="Seite_385">[S. 385]</span> konnte er keine +mehr haben — so glücklich mit keiner mehr leben! Wie schön war sie +heute wieder, als sie an seinem Hause vorüberging. Nein! Wenn dieses +Mädchen ein Andrer bekam, dann wollte er überhaupt keine mehr, er +wollte unglücklich sein mit Fleiß — und sein Leben als Junggeselle +beschließen.</p> + +<p>In dieser Stimmung, in dem Nachdenken, das sie begünstigte, traten die +Fehler, die er gemacht hatte, wieder vor seine Seele; aber sie regten +keinen Zorn in ihm an. Er fühlte sich damit behaftet wie durch ein +Verhängniß; ihm waren eben die Gaben, womit Andere etwas erreichten, +nicht verliehen, er sollte kein Glück haben, er mußte entsagen. — Nach +und nach stieg der Muth, der die Frucht der Entsagung ist, in ihm auf. +Der männliche Stolz rührte sich in ihm, und er faßte den Entschluß, +jetzt wenigstens keinen armen Sünder mehr zu spielen, wie früher, +sondern ruhig seines Weges zu gehen — jetzt, wo doch nichts mehr zu +verlieren war! — — In dieser Gemüthslage traf ihn Kasper. Michel +fügte sich der Aufforderung, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, ohne +Widerrede. Er zog seine neue Juppe von dunkelblauem Tuch an, steckte +den reich mit Silber beschlagenen Ulmer Pfeifenkopf in den Mund, setzte +die breite Fischotterkappe auf und folgte dem Kameraden. Die Mutter +hatte mit der Ironie des Unglaubens »viel Vergnügen« gewünscht.</p> + +<p>In der Stube setzten sich die Kameraden an einen Seitentisch, wo schon +ein Lediger Platz genommen hatte. Kaspar ließ sich hier nicht halten; +er hatte bald eine hübsche Braune an der Hand und tanzte mit dem +Schneider um die Wette. — Michel unterhielt sich mit dem Ledigen, der +wie er ohne Schatz und vom Tanzen kein Liebhaber war. Die Gret hatte +er, als er an der Tafel vorbeiging, auf eine ungezwungene Weise nicht +gesehen; jetzt, im Gespräch mit dem Burschen, sah er einmal zu ihr +hinüber — er sah, daß sie nicht vergnügt war — und eine sonderbare +Empfindung regte sich in ihm.</p> + +<p>Nach einer Weile kam der Schneider in die Stube. Er hatte einen +jungen Mann an der Hand in spießbürgerlicher Kleidung und von einer +Statur, die der seinen ähnlich war, — trat mit ihm vor die Gret und +sagte: »Des ist mei' Colleg, Herr Bügel, der zu Nörrleng (Nördlingen) +arbeitet. Er möcht' gern mit d'r danza'n ond i<span class="pagenum" id="Seite_386">[S. 386]</span> hab gsakt, 's wär a'n +Ehr'. Komm!« — In ihrer jetzigen Stimmung dem Tanzen ohnehin gänzlich +abgeneigt, wäre der »Colleg« der letzte gewesen, der ihr Lust dazu +gemacht hätte. Und sich mit ihm zum Tanzen commandiren zu lassen! +— Vor Michel — und in solchem Ton! — Ein Widerwille stieg in ihr +auf und wuchs zur entschiedensten Widerstandskraft. Sie erwiederte +dem Stadtschneider: »I muß danka' für die Ehr'!« und zu dem ihrigen +bemerkte sie: »I hab d'r scho' gsakt, i ben müed ond hab koen Luhst +mea'. 'S ist seitdem net anderst woara' — ond i wear' ha'et gar nemmer +danza'!« — Der Schneider runzelte die Stirn. »Des send Ei'bildenga'«, +rief er, ehe der andre zu Worte kommen konnte; »du bist ja gruat +(ausgeruht)! — Mach'! Komm!« — Das Mädchen rührte sich nicht und +mit dem Nachdruck des Abweisens erwiederte sie: »I dank' schöa'!« — +Eine Wolke verfinsterte die Züge des Burschen. »Doh ist nex z'danka'«, +entgegnete er schnell und heftig, — »i hab' gsakt, du danzst mit 'm +— ond ietz danz!« — »Ond i sag, i ka' net«, versetzte die Gret. Der +Schneider warf einen Blick auf sie, als wollte er seinen Ohren nicht +trauen. »Des send Dommheita'!« rief er entrüstet; — und großartig +setzte er hinzu: »Was ih sag, mueß gscheha'!« — Die Gret sah ihn von +der Seite an und sagte: »Aber Alles doch wohl net — hoff e! A bisle +ebbes wurd wohl no' ahganga' (abgehen)!« — Der spöttische Ton dieser +Entgegnung indignirte den Schneider auf's Höchste. Bebend vor Zorn rief +er: »Zom letschtamol sag e d'r: danz! Auf der Stell! — Oder 's got d'r +schlecht!«</p> + +<p>Reden und Gegenreden dieses Dialogs waren so rasch aufeinander gefolgt, +daß der Schneidergeselle aus Nördlingen keine Zeit gefunden hatte, +zu sagen, was ihm, von der Ehre geboten, auf der Lippe schwebte. +Jetzt setzte er's endlich durch. Indem er sich vor der Gret ironisch +verneigte, rief er mit höhnendem Ton: »Ich bitt' recht sehr — +<em class="gesperrt">ich</em> dank' jetzt schön für's Tanzen — und wünsch' der Jungfer +gute Besserung!« — Mit dem Bewußtsein, das »einfältige Weibsbild« nach +Verdienst getroffen zu haben, verließ er die Stube.</p> + +<p>Der Schneider stand da mit gefährlicher Miene. Seine Brust arbeitete, +seine Lippen zitterten, seine Rechte gerieth in eine zuckende Bewegung. +Das Schlimmste, Peinlichste war ihm widerfahren! Er<span class="pagenum" id="Seite_387">[S. 387]</span> war blamiert — +blamiert vor einem Collegen aus der Stadt! — War ihm »vor den Leuten« +Zurückhaltung geboten und konnte er nicht wie er wollte, so mußte er +der impertinenten Person doch wenigstens die Wahrheit <em class="gesperrt">sagen</em>. +Nachdem er sie eine Zeit lang angesehen, begann er: »Doh hab e Respekt! +Des send Maniera'! Ih führ' de auf d'Kirwe, ond du duast von dem, was +e sag, d's Gegendeil ond benemmst de gegen 'n Mann aus der Stadt wie +a grobs Bauramädle, daß e an der Schand dohstanda' mueß? — Pfui!« — +Die Wichtigkeit, womit der Bursche die Sache aufnahm, und die drohenden +Blicke, die er ihr dabei zuwarf, waren dem Mädchen zum Lachen; aber +sie hielt an sich und erwiederte ruhig: »I ben wärle müed gwesa', i +hab net g'loga'! Soll e danza', wann e koen Luhst derzue hab?« — +»Ja«, entgegnete der Schneider wild, »wann <em class="gesperrt">ih's</em> sag!« — Das +war dem Mädchen zu viel; unwillig und mit der geringschätzigen Miene +des Unwillens erwiederte sie: »Ach was! — i ka' doch net mit alla' +Schneider danza'n em ganza Boerland?«</p> + +<p>Diese Worte, nach welchen die Mienen der Gret überdieß sich etwas +erheiterten, rissen die Schranken, die den Zornausbruch des Schneiders +noch zurückgehalten hatten, nieder. Mit grimmiger Wuth, am ganzen +Leibe zitternd, rief er: »Du bist a'n o'verschämta' Perso'! A frechs +Lompamensch! Was? Ih führ' de auf d' Kirwe aus Erbarma', ond du willst +me no' verspotta'? I hätt' 'n gueta' Luhst« —</p> + +<p>Auf einmal ließen sich hinter ihm die streng betonten Worte hören: »Wie +ka'st du de onderstanda', mit 'm Mädle, wie die Great ist, so z'reda'?« +— Der Schneider sah sich um — und fuhr zusammen. Michel stand vor +ihm in dem schreckeneinflößenden Ernst des Richters. — Der Große und +der Kleine sahen sich einen Moment an. Plötzlich, wie sich auf etwas +besinnend, faßte sich der letztere und entgegnete keck: »Got des dih +ebbes a'?« — »Ja«, versetzte Michel mit Nachdruck. »A'n ordentlicher +Kerl leidt's net, wann 'm Weibsbild ebbes gschicht — und (setzte er +geringschätzig hinzu) voara' (voran, noch dazu) von 'm Schneider!« +— Der Kleine zuckte; dann streckte er sich, sah zu dem Gegner mit +vielsagendem Gesicht empor und erwiederte, indem er drohend den +Zeigefinger erhob: »I will d'r ebbes rotha', Michel! — mach de ha'et +net z'mauseng!« — Der<span class="pagenum" id="Seite_388">[S. 388]</span> Enakssohn lachte herzlich. — »Ja«, fuhr der +Schneider fort, »lach nor! — für dih fend' ma'n oh no' 'n Moester!« +— »Bist am End du's?« fragte Michel heiter; und mit gemüthlichem +Selbstgefühl setzte er hinzu: »Gang weiter, Schneiderle! Wann e de +a'blos (anblase), no' fliegst zor Stub naus!«</p> + +<p>Ein Kichern, das diesen Worten am untern Ende der Tafel folgte, und +das unwillkürliche Lächeln der Gret, die aufgestanden und ein wenig +zurückgetreten war, machte den Beleidigten rasend und raubte ihm den +letzten Rest der Besinnung; — die Zähne fletschend ging er auf Michel +los, packte ihn am Arm und suchte ihn niederzureißen. Der Gewaltige +schüttelte ihn ab und rief: »Schneider, Schneider! — i roth dr's en +Guetem — höar auf!« — Der Schneider, der diese Ruhe mißverstand, +attakirte von neuem. Michel faßte ihn beim Arm, hielt ihn zurück und +rief mit funkelnden Augen: »Ietz sei ruheng — oder i stand für nex +mea' guet!« — Aber der Schneider, der einen Blick auf die Thüre +geworfen hatte, machte sich mit wüthender Anstrengung los, packte den +Gegner an der Juppe, riß — und riß ein Stück davon herunter. Das war +über allen Spaß. Michel nahm ihn und warf ihn zu Boden, daß es krachte.</p> + +<p>Es war die erste wohlthätige Empfindung für den guten Burschen seit +langer Zeit! — Aber wie dehnte sich nun seine Brust! Welch eine +Begier entstand in ihm, fortzufahren und sich durch eine großartige +Uebung der Kräfte, die so lange geruht hatten, das gepreßte Herz zu +erleichtern! — Es war ihm wie einem Esser, der mit einem Riesenappetit +auf dem Tisch nur ein Cotelettchen vorgefunden hat und nach dessen +Verschlingung mit schmerzlichem Verlangen eine seiner würdige Mahlzeit +herbeisehnt. »Mehr, mehr, mehr!« rief es in ihm, als der aufgestandene +Schneider von neuem auf ihn losging. — Sein Wunsch sollte erfüllt +werden. Der Schneider, in Gefahr wieder auf den Boden zu fliegen, rief +mit desperater, durchdringender Stimme: »Brüder, helft!!« — und in +kürzester Zeit fühlte sich Michel von einem halben Dutzend Burschen +zugleich angefallen.</p> + +<p>Es waren Gegner von ihm, Kameraden des Schneiders und zu Schutz und +Trutz mit ihm verbunden, die von andern Tischen und vom Tanzboden +herbeigeeilt waren und nun mit vereinten Kräften zu<span class="pagenum" id="Seite_389">[S. 389]</span> siegen hofften. +Sobald der Enakssohn die Kerle an sich schlagen und zerren fühlte, +athmete er tief auf und — begann seine Arbeit.</p> + +<p>Er verrichtete Thaten, die würdig wären, von einem Homer Zug für Zug +geschildert zu werden. Seine ungeheure Körperkraft im gerechtesten +Kampf — der Trieb und die Lust, für <em class="gesperrt">sie</em> etwas zu thun, vor ihr +in seiner Glorie sich zu zeigen — befähigten ihn zu wahren Wundern. Er +schüttelte ab und schleuderte von sich, er drosch und schlug nieder, +er ergriff ein paar Kerle, die just zu haben waren, und stieß ihnen +die Köpfe zusammen — kurz, er that Alles, was der Verlauf des Kampfes +nothwendig machte, — mit unwiderstehlicher Gewalt. Kein Hieb und kein +Stoß ging daneben.</p> + +<p>Die Unterstützung des Schneiders war zu schnell nöthig geworden, als +daß seine Kameraden sich mit den bei solchen Händeln üblichen Waffen, +als da sind: Stuhlfüße, Holzscheiter u. s. w. — hätten versehen +können. Der Kampf gegen den Unbewaffneten wurde darum ehrlich mit +Fäusten geführt. Nur ein Bursch ergriff einen steinernen Maßkrug, +um den Simson des Dorfes von hinten auf den Kopf zu schlagen, der +nicht mehr von der Fischotterkappe bedeckt war. Er wurde von Kaspar +weggerissen und auf die Seite gestoßen.</p> + +<p>Der Kamerad Michels war auf den Hauptlärm auch vom Tanzboden hergeeilt +und eben recht gekommen, diesen Hieb zu verhindern, der dem Schädel +Michels, vielleicht aber auch nur dem Krug verderblich werden konnte. +Der Treue war muthig und nervenkräftig und hätte dem Freund gerne +ferner geholfen — wenn es nur nöthig gewesen wäre. Allein er sah, wie +dieser schaffte, — er sah, was er schon geleistet hatte, und überließ +ihm den Rest.</p> + +<p>Das Getöse des Kampfes hatte bald auch Zuschauer herbeigezogen, und +die drei Studenten waren nicht die letzten. Als sie einen Burschen +erblickten, der seine Gegner, die sich wie Katzen an ihn anklammerten, +immer wieder von sich schleuderte und inmitten eines ihn umdrängenden +wüthenden Haufens fest auf den Beinen blieb, ließen sie Ausrufungen der +Bewunderung hören und folgten der Scene mit größtem Interesse. Auch ein +paar muthige Damen hatten sich an die Thüre der großen Stube gewagt und +lugten mit<span class="pagenum" id="Seite_390">[S. 390]</span> Antheil auf den Kampf, hauptsächlich aber auf den Kämpfer, +der, einen Kopf über die Andern hinausragend, so preiswürdige Dinge +that.</p> + +<p>Die theilnehmendste und zugleich antheilswertheste Zuschauerin +von allen war aber die Gret. Ihr Herz wurde nach einander von +Empfindungen ergriffen, die sie in durchaus unbekannte, wunderbar +neue Regionen emporrissen. — Die ersten Worte Michels, der so +unerwartet und mit solchem Ansehen ihr zu Hülfe kam, hatten sie mit +Wohlgefühl überrieselt. Sie starrte ihn an, erröthend, verlegen — mit +durchbrechender Freude. Als der Schneider den Gewaltigen anpackte, rief +sie: »Bist du rasend?« — und wollte ihn, von dem drohenden Streit +erschreckt, in seinem Interesse zurückziehen. Wie sie nun aber den +Vertheidiger umringt sah, da fühlte sie eine andere Regung; muthig +stürzte sie auf einen der Bursche zu, ergriff ihn und wollte ihn +wegreißen. Allein Michel stieß eben diesen Gegner auf die Seite, daß +er über eine Bank taumelte — — und als sie die Riesenkraft sah, mit +der er allein sich Aller erwehrte, und der Glaube, daß ihm keiner was +anhaben könne, unwiderstehlich in ihrem Gemüth auflebte, da trat sie +auf die Seite.</p> + +<p>Mit klopfendem Herzen und wogender Brust sah sie auf den Kampf, der wie +ein Sturm vor ihren Augen brauste. Sie sah die Uebermacht des Mannes, +der ihr immer von allen der liebste gewesen war, mit Staunen, mit +Entzücken. Was konnte es für sie Herrlicheres geben? Was konnte sie +Schöneres und Rührenderes erblicken? Das that er für sie! Das that er, +nachdem sie mit ihm getrutzt hatte wegen nichts und wieder nichts! Er, +der größte und stärkste, aber auch der wackerste, der rechtschaffenste +Bursche. Verschwunden war Alles, was ihr an ihm jemals lächerlich oder +ärgerlich vorgekommen war — verschlungen von der Flamme der Kraft und +des Muthes, die vor ihr aufloderte. Sie sah nichts als den Helden, +der um ihretwillen kämpfte und Alle niederstreckte! Sie sah ihn mit +überströmendem Gefühl, mit wonnigem Stolz. Ihre Lippen zuckten; Thränen +traten ihr in die Augen und rollten die glühenden Wangen hinab. — —</p> + +<p>Michel war fertig — der Kampf geendet. Drei der Gegner lagen am Boden +und versuchten aufzustehen, wozu ihre Mädchen, die sich vergebens +bemüht hatten, auszuwehren, ihnen die Hände reichten.<span class="pagenum" id="Seite_391">[S. 391]</span> Ein paar andre +konnten nicht mehr aus den Augen sehen und traten wankend zurück. +Der Schneider und sein Nördlinger College, der ihm tapfer zu Hülfe +geeilt war, hatten geschwollene, blutende Nasen, blaue Augenringe +und zerrissene, rothbefleckte Kleider. Michel stand siegreich da! +Starkathmend, das Gesicht erhitzt und schweißtriefend, die Haare in +Unordnung, die Juppe ohne den linken Flügel — aber aufrecht und in der +ganzen Freude des Triumphs. Ins Gesicht hatte ihn keiner getroffen, +dafür hatten seine Arme gesorgt — und die blauen Flecke auf dem Leib +sah man nicht.</p> + +<p>Seine Blicke suchten die Gret. Er sah sie, die Wangen thränenfeucht, +aber die Augen selig glänzend — und schnell wie der Blitz erhellte +seine Seele die Erkenntniß ihres Gemüthes. Mit stolzem Lächeln ging er +auf sie zu und rief: »No, Margret, bist z'frieda' mit m'r desmol?« — +»O Michel«, erwiederte das Mädchen mit einem Ton aus tiefster Seele, — +— »o Michel, was bist du für a Burscht!« — Michel sah sie liebevoll +an und nahm sie bei der Hand. »Ja« sagte er, »schwätza' ka'n e freile +net wie a'n Anderer, ond danza'n ond sprenga' ka'n e net, wie se's +ghöart — aber ebbes ka'n e doch doa' für a Mädle, auf die e ebbes +halt!« — Die Gret schwieg und drückte ihm zärtlich die Hand.</p> + +<p>In der Gewißheit seines Glücks und im Schwunge des Siegergefühls +wandelte den Burschen eine heitere Laune an. Die Hand des Mädchens +loslassend und einen Schritt zurücktretend sagte er: »Aber wärle — +i dua' grad als ob du mei' Schatz wärst, ond vergiß ganz, daß dei' +Burscht doh ist, der de auf d'Kirwe gführt hot. Wamma' se von oem ens +Wirthshaus führa' loßt ond gar mit 'm auf da' Plahtz got« — — Die +Gret war bei den ersten Worten erröthet; nun fiel sie ihm in die Rede +mit einem Blick zugleich der Liebe, der Scham und des Vorwurfs: »Ist +m'r denn ebbes anderst's überblieba', om di z'ärgera' ond eifersüchteng +zmacha?« —</p> + +<p>Ein Seufzer ließ sich in der Nähe vernehmen. Er kam von dem +unglücklichen Schneider, der an einem Seitentisch in eine +wassergefüllte Schüssel sich wusch und nun hören mußte, daß er von der +Gret nur als Mittel benutzt worden war. »Des oh no' (das auch noch)«, +rief der arme Kerl, indem er mit tragikomischer Miene nickend in die<span class="pagenum" id="Seite_392">[S. 392]</span> +Schüssel sah. Michel aber ging strahlenden Angesichts auf das Mädchen +zu, ergriff ihre Hand und rief: »So isch gmoet gwesa'? — No, nocht +ghöarst mei' — ond der Deufel en der Höll soll de mir net widder +nemma'!« —</p> + +<p>Die ganze Scene des Streites und der Verständigung unsres Paars +war natürlich schneller vorübergerauscht, als wir sie zu schildern +vermochten. Jetzt, nachdem sich Alles begreiflich gelöst und der Kampf +durch die Reden der Liebenden Licht und Sinn erhalten hatte, drängte +man sich theilnehmend zu diesen heran. Der treue Kasper gab erst dem +Freunde die Hand, dann, mit heiterm Zunicken, dem Mädchen, und wurde +von dieser durch einen herzlich dankbaren Blick belohnt. Die Studenten +konnten nicht widerstehen — sie mußten den Triumphator preisen und ihm +gratuliren, was der Bursche mit wohlgefälliger Würde entgegennahm. — +Allgemeine Heiterkeit füllte die Stube. Sämmtliche Zuschauer hielten +es mit dem Sieger und Glücklichen und warfen spöttische Blicke auf die +Geschlagenen, die den Schaden hatten. — In dieser Beziehung machen +sie's im Ries gerade so, wie anderwärts! —</p> + +<p>Michel, in der Höhe seiner Stimmung, wandte sich zu seinem sonstigen +Nebenbuhler und sagte halb mit Laune, halb gutmüthig: »Schneider — nex +für o'guet! I sig ietz scho' daß eigentlich du an mei'm Glück Schuld +bist — ond i bedank' me schöa'!« — Der Schneider, in welchem die +Wuth verdampft war und einem gewissen desperaten Humor Platz gemacht +hatte, erwiederte sich die Nase reibend: »I bedank' me oh schöa'!« — +Das Gelächter, das auf diese Art von Witz folgte, war die erste kleine +Genugthuung, die dem armen Burschen nach seiner Niederlage zu Theil +wurde. Michel fühlte einen Trieb, ihn wieder aufzurichten, und fuhr +fort: »Onder o's gsakt, Schneider, du bist a Deufelskerl! Wann alle so +gschwend ond so wüadeng gwesa' wäret wie du — i hätt' wärle koe Fetzle +Häs mea' auf'm Leib. Aber i will d'r ietz zoega', daß e oh ebbes für +de doa' ka'. Weil d'mer mei' Jupp so schöa' verrissa host, ietz sollst +m'r grad a nuia' macha' därfa'. Von ha'et a' loß e bei dir arbeta', +ond i hoff, i ka' d'r bald meaner z'doa geba'!« — »Ist m'r a'n Ehr'«, +erwiederte der Schneider mit ironischer Höflichkeit.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_393">[S. 393]</span></p> + +<p>Die Gret hatte dem Michel mit froher Verwunderung zugehört. Wie kam er +plötzlich dazu, mit Andern Spaß zu machen und so nette Dinge zu sagen? +— Eine neue Tugend, die sie ihm nicht zugetraut hätte, und deren +Hervortreten sie nun in große Freude versetzte.</p> + +<p>Die Scene war friedlich, ja ergötzlich geworden. Sie hatte große +Aehnlichkeit mit der Auflösung eines Lustspiels, wo Alles in Heiterkeit +verschlungen und der heftigste der vorangegangenen Conflicte eben am +pikantesten erscheint. Zum Glück hatte der Streit keine tragischen +Folgen gehabt. Niemand war gefährlich verletzt. Die Geschlagenen +und Betäubten erholten sich wieder, nahmen Trost an und hofften in +wenigen Tagen geheilt zu sein. Alles fügte sich in seine Lage, und das +Vergnügen wollte eben wieder seinen Lauf nehmen, als auf einmal von +außen der entrüstet herrische Ruf erscholl: »Wo ist's? Wer hat die +Frechheit gehabt« —</p> + +<p>Ein Gendarm trat herein, nicht einer von den gutmüthigen und +volksfreundlichen, wie es deren giebt, sondern ein grimmiger, der als +Repräsentant des Gesetzes das Gefühl hatte, daß sich eigentlich Alles +vor ihm verkriechen müsse. Er hatte, im Freien spatzierend, erst jetzt +von der Schlägerei Kenntniß erhalten und eilte herbei, die Schuldigen +herauszufinden und Anzeige zu machen. »Wer hat hier geschlagen? Wie ist +der Streit angegangen? — Antwort!« Auf diese mit funkelnden Augen und +vernichtender Miene herausgestoßene Rede, trat Michel großartig vor +und sagte: »Ih ben's, der Streit ghett hot! — i hab a halbs Dutzet +Kerl zammgschlaga' die auf me loasganga' send — ih alloe! Mei' Nam' +ist Johann Michael Schwab, ond i ben vom Dorf. So, ietz woeß er, was +er wissa' mueß. Ietz zoeg 'r me a', ond was m'r noch'm Rehcht ghöart, +des will e haba'.« — Der Gendarm, von dem riesigen Burschen etwas +imponirt, aber von dem Stolz dieser Rede noch mehr indignirt, versetzte +streng und mürrisch: »Was ist das für a Rüpelei — Raufen!« — Schon +war Michel bereit, dem Gendarmen hinauszugeben, was ihm nach seiner +Meinung gebührte, als auf einmal ein junger Bursche aus der Menge +heraus mit schelmisch heller Stimme rief: »Der Schneider hot a'gfangt!«</p> + +<p>Allgemeines schallendes Gelächter folgte dieser Erinnerung an eine +komische Wahrheit und ließ sich nicht mehr beruhigen. Der Gendarm<span class="pagenum" id="Seite_394">[S. 394]</span> fand +für gut, sein strenges Wesen, auf das niemand mehr achtete, bei Seite +zu setzen und mit pflichtmäßiger Ruhe die zu seiner Anzeige nöthigen +Erkundigungen einzuziehen. Während dem faßte die Gret den Michel bei +der Hand und sagte im Ton herzlichen Bedauerns: »Ietz kommst no' en +O'gelegenheit, Michel — wega' mir! — 'S duet m'r wärle recht von +Herza' Loed (Leid)!« — »Bah«, erwiederte der Bursche, — »da' Kohpf +kost des no' lang net! — Ond wanns anderst ganga' wär' — ond wanns 'n +kosta' dät, — 's dät me net ruia (reuen)!« — Das war ein Compliment +für die Gret! — Das Mädchen fand, daß Michel auch besser reden könne, +als alle Bursche, die sie bis jetzt gehört hatte — und ihre Freude +kannte keine Grenzen.</p> + +<p>Nach einer Weile finden wir das Paar auf dem Weg zu dem Hause Michels. +Die Fischotterkappe und der abgerissene Juppenflügel hatten sich +wieder gefunden und dieser war von der Gret angegluft worden, so daß +unser Held mit Ehren durch die Gasse gehen konnte. Eine Ueberraschung +war der Mutter freilich nicht mehr zu bereiten, denn Kasper, der +Getreue, hatte sich schon zu ihr verfügt und ihr Alles erzählt. Die +gute Alte fühlte eine unendliche Liebe zu der Gret. Wäre sie eine +gebildete Frau gewesen, sie wäre der Schönen, Lieben und Klugen mit +den zärtlichsten Ausdrücken um den Hals gefallen. Als ein Weib aus +dem Dorfe, wo Umarmungen weniger vorkommen, ergriff sie die Hände der +künftigen Söhnerin und preßte sie, während die herrliche Erfüllung des +so lange versagt gebliebenen und schon aufgegebenen Herzenswunsches ihr +Freudenthränen in die Augen trieb. »No«, rief der Sohn ihr vergnügt zu, +»hab e net gsakt, daß i ebbes durchsetz', wann i amol drauf ausgang'?« +— »Ja, des glob e«, erwiederte die Mutter, »wamma' des Glück hot, +wo du ha'et ghett host; doh ka'n a'n ieder zu ebbes komma'!« — »Ja, +lieba' Mueter«, versetzte Michel, »Glück mueß ma'n allweil haba', +wamma'n ebbes durchsetza' will en dear schlechta' Welt! Ohne des got +nex!« —</p> + +<p>Wir brauchen nicht zu sagen, daß der wackre Vater der Gret, zu dem man +sich gleich nachher verfügte, unserm Paar kein Hinderniß<span class="pagenum" id="Seite_395">[S. 395]</span> in den Weg +legte. Er mußte sich am Ende auch sagen, daß der Michel als Mann der +Gret eine bessere Figur mache als der gute Jakob. Nachdem er seine +Einwilligung ertheilt hatte, sah er übrigens die Tochter lächelnd an +und sagte; »O uir Weibsbildr, en ui kennt se doch koe Mensch aus!« — +Michel, seinen Arm um die Geliebte schlingend, erwiederte heiter: »I +moenet ietz doch, i dät me auskenna' en dear doh!« —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Unsere Geschichte ist zu Ende. Damals glaubte man nicht, daß die +bürgerliche Gesellschaft in Gefahr sei, wenn bei einem Bauernfest +eine kleine Schlägerei vorfiel. Man faßte bei Gericht die Sache von +der heitern Seite auf und die Betheiligten kamen mit verhältnißmäßig +leichten Strafen davon.</p> + +<p>Auf den Schneider hatte die Erfahrung, die er machte, eine günstige +Wirkung. Nachdem er als derjenige, welcher nachweislich zuerst +geschlagen, auch noch am bedeutendsten gestraft worden war, fühlte er +sich von dem »Spruhz«, der ihn bis dahin besessen hatte, so ziemlich +geheilt. Er lernte sein Verhältniß zur Welt in richtigerem Lichte +sehen und verzieh nach Art der gutmüthig eiteln Menschen nicht nur dem +Michel, sondern auch der Gret, welche bei schicklicher Gelegenheit +ihn herzlich um Verzeihung bat und hinzufügte: daß sie sich eine +solche Freiheit nicht genommen hätte, wenn er nicht ihr Vetter und ihr +außerdem als herzensguter Mensch bekannt gewesen wäre! — Bald nachher +sagte der Gute zu seinen Kameraden: »Am End isch mei' Glück', daß e +die net kriegt hab!« Und die Kameraden stimmten ihm lachend bei. In +der Folge heirathete er eine Kleine, Feine und Gutmüthige, die ihn +respectirte, und lebte als Dorfschneider zufrieden und glücklich.</p> + +<p>Unser Paar feierte den Ehrentag noch in demselben Jahre. In der +Zwischenzeit hatte die Gret den Michel so weit gebracht, daß er nach +dem Heimgang von der Kirche zu allgemeinem Beifall mit ihr<span class="pagenum" id="Seite_396">[S. 396]</span> tanzte. +Unter dem Gemurmel desselben sang Kasper, der Hochzeitknecht, mit +fröhlicher Miene das Liedchen, womit wir Erzählung und Buch beschließen +wollen:</p> + +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Die ersten drei Reihen</div> + <div class="verse indent0">Sind aus und vorbei,</div> + <div class="verse indent0">Und nun steht das Tanzen</div> + <div class="verse indent0">Jedem Anderen frei! —</div> + </div> +</div> +</div> + +<figure class="figcenter padtop2 illowe10" id="illu-408"> + <img class="w100" src="images/illu-408.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<p class="p2 center">Berlin, Druck von <em class="gesperrt">W. Büxenstein</em>.</p><br> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"> +<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> Von Düppel, einer Kopfkrankheit der Schafe, wobei sie sich +wie blödsinnig benehmen.</p> +</div> + +<div class="footnote"> +<p><a id="Fussnote_4" href="#FNAnker_4" class="label">[4]</a> Er ist jetzt in eine hübsche Anlage verwandelt.</p> +</div> +</div> + +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75688 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/75688-h/images/cover.jpg b/75688-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ed4b38a --- /dev/null +++ b/75688-h/images/cover.jpg diff --git a/75688-h/images/drop-3.jpg b/75688-h/images/drop-3.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..19faa2d --- /dev/null +++ b/75688-h/images/drop-3.jpg diff --git a/75688-h/images/drop-i.jpg b/75688-h/images/drop-i.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..520305a --- /dev/null +++ b/75688-h/images/drop-i.jpg diff --git a/75688-h/images/drop-v.jpg b/75688-h/images/drop-v.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..19faa2d --- /dev/null +++ b/75688-h/images/drop-v.jpg diff --git a/75688-h/images/drop-w.jpg b/75688-h/images/drop-w.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..be696c3 --- /dev/null +++ b/75688-h/images/drop-w.jpg diff --git a/75688-h/images/illu-001.jpg b/75688-h/images/illu-001.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..24f522b --- /dev/null +++ b/75688-h/images/illu-001.jpg diff --git a/75688-h/images/illu-003.jpg b/75688-h/images/illu-003.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..45be149 --- /dev/null +++ b/75688-h/images/illu-003.jpg diff --git a/75688-h/images/illu-408.jpg b/75688-h/images/illu-408.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..1019368 --- /dev/null +++ b/75688-h/images/illu-408.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..b5dba15 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This book, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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