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--- /dev/null
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@@ -0,0 +1,7170 @@
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75721 ***
+
+
+
+=======================================================================
+
+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurde übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
+sind stillschweigend korrigiert worden.
+
+Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~
+
+=======================================================================
+
+
+
+
+ Paul Landbeck
+
+ Kongoerinnerungen
+
+ [Illustration]
+
+
+ Einband und Schutzumschlag
+ zeichnete
+ ~Richard Duscheck~, Berlin
+
+
+ [Illustration: _Landbeck P._]
+
+
+ Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten.
+ =Copyright 1923 by August Scherl G. m. b. H., Berlin.=
+ Druck von August Scherl G. m. b. H., Berlin SW68.
+
+
+
+
+ Kongoerinnerungen
+
+ Zwölf Jahre Arbeit und Abenteuer
+ im Innern Afrikas
+
+ Von
+
+ Konsul Paul Landbeck
+
+ [Illustration]
+
+ August Scherl G. m. b. H., Berlin SW68
+
+
+
+
+ +Vorwort.+
+
+
+Dies Buch widme ich allen Lesern, die die Sehnsucht in die Ferne,
+diesen Grundzug deutschen Wesens, in sich fühlen. Möge es insbesondere
+mit dazu beitragen, dieses Gefühl im Herzen der deutschen Jugend, denen
+die heute verschlossene Welt einst wieder offenstehen wird, zu wecken
+und wachzuhalten.
+
+Mich selbst, der ich nun schon seit Jahren jener wilden,
+abenteuerlichen Umwelt entrückt bin, die während des besten Teiles
+meiner Jugend mir Heimat war, hat bei der Niederschrift meiner
+Erinnerung oft so etwas wie Heimweh erfaßt.
+
+Wenn sich auch mein Buch in erster Linie an einen weiteren Leserkreis
+wendet, so darf ich mir wohl schmeicheln, daß auch der Kaufmann, ja
+auch der Forscher manches Wissenswerte meinen Berichten entnehmen wird.
+Ist doch jede Zeile auf eigener Anschauung, eigenem Erleben gegründet.
+
+An dieser Stelle sei auch Herrn =Dr.= Karl Soll, der sich mit
+regem Eifer und eingehender Sachkenntnis der Durchsicht meines Werkes
+unterzogen hat, mein herzlicher Dank für seine mühevolle Mitarbeit zum
+Ausdruck gebracht.
+
+
+ +Der Verfasser.+
+
+
+
+
+ Inhalt.
+
+
+ Seite
+
+ Vorwort 7
+
+ Einleitung 11
+
+ An Bord des Dampfers »Albertville« 13
+
+ Auf hoher See. Die Kanarischen Inseln 15
+
+ Freetown. Äquatortaufe 21
+
+ Ankunft in Banana 27
+
+ Meine erste Beschäftigung. Ein Jagdausflug 30
+
+ Die Fahrt nach Fuca-Fuca. Faktoreibeamter 33
+
+ In Boma. Eine Nilpferdjagd 51
+
+ Produktenhandel mit den Eingeborenen 57
+
+ Die Fahrt zum Stanley-Pool. Leopoldville. Brazzaville 65
+
+ Die Fahrt zum oberen Kongo. Die Faktorei Stanleyville 77
+
+ Erste Besuche bei den Araberhäuptlingen 95
+
+ Das Leben auf der Faktorei. Zwei Leopardenbesuche 108
+
+ Eine Fahrt zum ersten Stanleyfall. Fieberkrank 128
+
+ Faktoreichef. Reisen ins Innere des Landes 138
+
+ Einiges über die Gewinnung des Kautschuks 174
+
+ Faktoreichef. Tausend gefährliche Seuchen. Heimreise 179
+
+ Abergläubische Vorstellungen der Neger 186
+
+ Negermärchen 191
+
+ Nachwort 195
+
+
+
+
+ Einleitung.
+
+
+Es wird manche Leser, insbesondere solche, die selbst eine koloniale
+Laufbahn anstreben, interessieren, welche Vorbildung der Verfasser
+dieser Erinnerungen genossen hat.
+
+In Wien im Jahre 1877 geboren, absolvierte ich dort die Volks- und
+ersten Realschulklassen. Da ich von Kind auf ein äußerst lebhaftes
+Temperament hatte und viel mehr zu allen möglichen tollen Streichen
+als zum ernsten Studium aufgelegt war, wurde ich als Unruhestifter
+von zwei Realschulen weggewiesen, was meinen Vater veranlaßte, mich
+im Alter von zwölf Jahren in stramme »deutsche Zucht«nach Deutschland
+zu einem Professor in Pension zu geben. Unter strenger Aufsicht
+absolvierte ich in Halle meine Einjährigen-Prüfung, ging von dort
+für eineinhalb Jahre in die französische Schweiz, um mich in der
+französischen und englischen Sprache gründlich auszubilden, und
+kehrte dann nach Wien zurück, wo ich meine kaufmännische Laufbahn
+bei einer großen Kaffee-Importfirma begann. Lange hielt es mich
+hier nicht. Der Trieb nach Übersee war stärker als das Gefühl des
+Wohlbehagens im Familienkreise. Nach kaum einjähriger Lehrzeit bot
+sich mir Gelegenheit, unter günstigen Bedingungen meine Laufbahn bei
+einer großen Firma der gleichen Branche in Amsterdam mit der Aussicht
+fortzusetzen, nach ein- bis zweijähriger Vorbereitung auf eine der
+Kaffeeplantagen, die mein Chef in Holländisch-Indien besaß, als
+Verwalter hinauszukommen. Doch das Schicksal wollte es anders.
+
+Im Jahre 1896/97 trat eine große Kaffeekrise ein, bei welcher viele
+bedeutende Unternehmen -- darunter auch die Firma, bei der ich in
+Stellung war -- binnen wenigen Monaten zugrunde gerichtet wurden.
+Die Kaffeeplantagen auf Java gingen in andere Hände über oder wurden
+ganz aufgelassen und zu anderen Kulturen, z. B. Kautschukplantagen,
+umgearbeitet. Eine Annonce der holländischen Gesellschaft N. A. H. V.
+(=Nieuwe Afrikaansche Handels Vennootschap=) und die zufällige
+persönliche Bekanntschaft mit einem ihrer früheren Direktoren, dessen
+Erzählungen meine jugendliche Phantasie gefangennahmen, brachten mich
+auf den Gedanken, mein Glück im Innern Afrikas zu versuchen und mich um
+die ausgeschriebene Stelle zu bewerben.
+
+Meine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, und nun begann für mich
+ein Leben voll von harten Prüfungen, von Entsagungen jeglicher Art,
+von Kämpfen gegen heimtückische Seuchen, Gefahren des Urwaldes, aber
+auch von Stunden der höchsten Befriedigung. Kann es etwas Schöneres
+geben als den Gedanken, Vorkämpfer und Träger der Zivilisation in
+Gegenden gewesen zu sein, in welchen bis zum heutigen Tage der
+Kannibalismus herrscht, als Pionier der friedlichen Arbeit und des
+Fortschritts aufklärend gewirkt zu haben unter Völkern, die -- auf der
+tiefsten Kulturstufe stehend -- von ihren Medizinmännern zu Tausenden
+hingemordet und im Schreckenswahn der Abhängigkeit von bösen Geistern
+gehalten werden?
+
+
+
+
+ An Bord des Dampfers »Albertville«.
+
+
+Der Hafen von Antwerpen feierte am 5. Juli 1897 einen Festtag. Die
+schmalen, zumeist nur zwei Stock hohen charakteristisch flandrischen
+Giebelhäuschen entlang der Schelde prangten in herrlichstem
+Flaggenschmuck. Lustig flatterten die Fahnen sämtlicher Nationen der
+Welt aus den Dachluken der Häuser und von den Masten der an den Kais
+verankerten Ozeanriesen und verliehen dem Hafen durch ihre leuchtenden
+Farben ein anmutiges Gepräge.
+
+Eine Fahne vor allem fesselte sofort die Aufmerksamkeit des Fremden:
+ein leuchtend gelber fünfzackiger Stern auf himmelblauem Untergrund,
+die Fahne des belgischen Kongostaates. Sie war neben den belgischen
+Nationalfarben am häufigsten vertreten, und ihr zu Ehren galt auch
+die heutige Festtagsstimmung, veranlaßt durch die Abreise des
+Passagierdampfers »Albertville« nach dem zweiten Belgien am Äquator,
+dem Kongostaate, dieser Perle Zentralafrikas.
+
+Auf der breiten Straße entlang den Kais, die sonst, von Lastfuhrwerken
+und der Hafenbevölkerung abgesehen, ziemlich vereinsamt und abseits
+vom großen Verkehr liegt, herrschte ein lebhaftes Treiben. Automobile,
+Straßenbahnen und Droschken, vollgepfropft mit Menschen und beladen mit
+Gepäckstücken aller Art, füllten den Straßendamm und kamen infolge des
+großen Verkehrsandranges und der sorglos dem gleichen Ziel zustrebenden
+Menschenmassen nur langsam vorwärts.
+
+Vor dem Schiff, das am Kai Plantin vertaut lag, nahm das Gedränge
+und Gestoße der unübersehbaren Menge geradezu bedrohliche Formen an.
+Ein Trupp berittener Polizei hielt den Zugang zum Schiff besetzt und
+bildete Spalier zu beiden Seiten einer Gasse, die nur von Leuten mit
+ordnungsmäßigem Passagierschein betreten werden durfte.
+
+Auch an Bord des Dampfers »Albertville« herrschte dichtes
+Menschengewühl. Männer, Frauen und Kinder aller Gesellschaftsklassen,
+dazwischen bunte Uniformen, stürzten und hasteten durcheinander, große
+Gepäckstücke wurden unter dem Kettengerassel der Winden in den Bauch
+des zur Abfahrt bereiten, unter Dampf zitternden schwimmenden Kolosses
+gebracht.
+
+Während am Kai die Menge dem Treiben, Hasten und Jagen bei den
+Klängen einer Regimentskapelle zusah, fanden an Bord herzzerreißende
+Abschiedsszenen statt. Hier umarmte eine Mutter, ganz in Tränen
+aufgelöst, ihren Sohn, dort, in einer Ecke, weinte ein Greis am Halse
+seines einzigen Kindes, weiter drüben, in Trauergewändern, sah man eine
+tiefgebeugte Witwe mit zwei Kindern und ihrem Ältesten, der Familie
+Hoffnungsstrahl und Ernährer, der seine bescheidene Beamtenstelle in
+Belgien mit einem gutdotierten Überseeposten eingetauscht hatte, um
+seine Lieben daheim vor Armut und Not zu bewahren.
+
+Die Dampfpfeife ließ in dem Chaos ihre tiefe Baßstimme ertönen und
+mahnte zum Aufbruch. Kurze Kommandoworte erklangen; die Laufbrücke
+wurde eingezogen, nachdem die letzten Nachzügler, die sich von den
+davonreisenden Söhnen, Enkeln oder Neffen absolut nicht trennen
+konnten, von den diensthabenden Offizieren höflich, aber bestimmt von
+Bord geleitet waren.
+
+Einige schrille Pfiffe, ein leichtes Zittern und Beben unter den
+Füßen -- der Herzschlag des schwimmenden Riesen --, und unter dem
+Hurrageschrei und Tücherwinken der vieltausendköpfigen Menge, die
+das ganze Ufer, die Kais und Hafenanlagen wie eine Ameisenschar
+bevölkerten, ging es langsam die Schelde hinab. An der Stelle, an der
+der Dampfer gelegen, schwammen Hüte, Kappen und Taschentücher, die
+beim stürmischen Abschiednehmen verlorengegangen waren, friedlich
+nebeneinander.
+
+Lange noch stand ich, in tiefes Sinnen versunken, an der Bordbrüstung
+und blickte hinab auf den träge dahinfließenden Strom. Das Bewußtsein
+dessen, was um mich vorging, schwand. Allein, völlig allein, fern von
+Familie und jeglichem Schutz, ging ich einem ungewissen Schicksal
+entgegen. Grau in grau, gleich jenen Nebelschwaden, die bei Einbrechen
+der Dunkelheit sich über den Fluten ausbreiten, lag die Zukunft vor mir.
+
+Während ich, in trübe Gedanken versunken, vor mich hinstarrte, trat
+mein Reisegefährte, Herr Lukas, ein alter erfahrener Afrikaner, zu
+mir. Gemeinsames Leid bringt die Menschen merkwürdig rasch einander
+näher. Auch er kam, wie ich, ohne Eltern an Bord, da er aus dem Norden
+Hollands stammte und seine beiden Eltern die weite Reise nicht mehr
+machen konnten. Auch ihm waren die Abschiedsszenen, deren Augenzeuge
+er gewesen, nahegegangen, und ganz in sich versunken, meinte er: »Wie
+viele werden die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen, wie viele gesund
+zurückkehren? -- Kaum zehn Prozent!«
+
+Dieser Ausspruch des ernsten, erfahrenen Mannes ließ mich erschauern.
+Die Zukunft sollte mich lehren, daß dieser Prozentsatz sogar noch zu
+hoch gegriffen war.
+
+
+
+
+ Auf hoher See. Die Kanarischen Inseln.
+
+
+Wir waren nachmittags 2 Uhr abgefahren. Abends 9 Uhr fuhren wir an
+Vlissingen vorbei, und bald darauf war an der scharfen Brise und an dem
+Schaukeln des Schiffes zu merken, daß wir uns auf hoher See befanden
+und in den Ärmelkanal eingefahren waren.
+
+Die ersten Symptome der Seekrankheit stellten sich ein: Schwindel, ein
+unsagbar elendes Gefühl der Verlassenheit, schließlich vollständiges
+Erschlaffen jeder Widerstandskraft und das stille Ergeben in das
+Schicksal. Auf Anraten meines Reisekollegen hatte ich mich beizeiten
+mittschiffs auf dem Promenadendeck in meinen Streckstuhl gelegt und
+verbrachte da den größten Teil des Tages mit geschlossenen Augen.
+Es war übrigens herrliches Wetter, und eine steife Brise wehte von
+Norden her. In der Ferne, zur Rechten, die von der Brandung umspülten
+Küsten Englands, zur Linken eine unermeßliche Wasserwüste, von Zeit zu
+Zeit von Seglern, Fischerkuttern und Dampfern belebt. Wir passierten
+Brighton und liefen in den Golf von Biscaya ein.
+
+Hier begann nun der eigentliche Neptunsreigen. Dieser Teil des Meeres
+ist unter den Seeleuten ganz besonders berüchtigt. Lange Wogen
+brachen sich am Bug des Dampfers, das ganze Vorderdeck mit Gischt und
+Sprühregen überschüttend. Tief tauchte der Bug des Schiffes in die
+gähnende Wasserfurche, um von der nächsten Woge haushoch emporgehoben
+zu werden. »Stille See« nennen die Seeleute, was wir in den nächsten
+acht Stunden durchzuhalten hatten. Eine bleierne Schwere lastete auf
+meinem Kopf, und im Innern verspürte ich das Gefühl, als ob sämtliche
+Eingeweide durcheinandergeworfen und verdreht worden wären.
+
+Als ich am nächsten Morgen nach langem, tiefem Schlafe erwachte,
+hatte ich das unangenehme Gefühl der Seekrankheit völlig abgestreift,
+und nach einem erfrischenden Bad genoß ich bei herrlich strahlender
+Sonne das vielgepriesene, wonnige Gefühl einer Seereise. Um uns
+her nichts als das weite, in Sonne getauchte Weltmeer, über uns
+südlicher, wolkenloser Himmel. Auch das störende Schaukeln schien etwas
+nachgelassen zu haben, oder wir hatten uns derart daran gewöhnt, daß
+wir es nicht mehr merkten. Nach dem Frühstück hielt ich Umschau unter
+meinen Mitpassagieren und ließ mich von meinem Reisebegleiter Lukas,
+der bereits die Bekanntschaft des Kapitäns, sämtlicher Offiziere und
+Notabilitäten gemacht hatte, den Mitreisenden vorstellen. Der Vormittag
+verging mit »=Shevel board=«, einer Art Krocketspiel, welches an
+Bord von Schiffen allgemein getrieben wird, sowie mit dem »=Jeu de
+palais=«[1] um den Cocktail zur Aperitifstunde[2], in welchem Spiel
+besonders die Offiziere eine erstaunliche Gewandtheit besitzen.
+
+Nachmittags kamen die Küsten Spaniens in Sicht. Wir passierten das
+Kap Ortegal und das Kap Finisterre, und unsere Augen weideten sich
+an den majestätischen Felsen, an deren Fuße die wilde Brandung tobt.
+Reizende Schlößchen, wie aus Gold ziseliert, von den Sonnenstrahlen
+überflutet, stehen trotzig und zugleich zierlich auf ihren Hängen --
+=véritables chateaux d'Espagne=. -- Unwillkürlich tauchten Bilder
+aus vergangener Zeit vor meinen geistigen Augen auf, wo stolze Ritter
+und Knappen diese Burgen belebten und Spaniens Macht sich über die
+ganze Welt erstreckte. Bald schwanden auch Spanien und Portugal -- mit
+Cap da Roca -- aus unserem Gesichtskreis.
+
+Da, mit einem Male, große Bewegung an Bord! Alles stürzte nach vorne an
+die Reling. Eine muntere Schar von Delphinen umtummelte in weitem Bogen
+unser Schiff. Wie Pfeile schossen die gewandten, fünf bis sechs Meter
+langen Walzen bis zu Meterhöhe über die Wasserfläche, knapp am Bug des
+in voller Fahrt befindlichen Schiffes vorbei, gleichsam eine Probe
+ihrer Geschicklichkeit und Schnelligkeit abgebend.
+
+Am ersten Sonntag, den wir an Bord feierten, hatte sich sämtlicher
+Passagiere eine merkwürdige, weihevolle Stimmung bemächtigt. Um 10
+Uhr fand eine Messe statt, an der ich, obgleich ich für gewöhnlich
+kein Kirchenbesucher bin, aus Neugierde teilnahm. Alle Passagiere
+und Offiziere des Schiffes sowie ein Teil der Mannschaft, soweit sie
+der Dienst nicht in Anspruch nahm, waren anwesend, und unter einer
+feierlichen Stimmung, wie ich sie am Festlande nie empfunden, ging
+die gottesdienstliche Handlung vorüber. Auch nach der Messe gehobene
+Sonntagsstimmung. Die Spielplätze für das =Shevel board= und
+das =Jeu de palais=, welche bisher stets eine übermütig lustige
+Gesellschaft vereinigten, blieben vollständig verwaist; die sonst so
+frohsinnigen, lebenslustigen Gesichter zeigten ernste Mienen; man
+plauderte im Flüsterton, um diejenigen nicht zu stören, die mit dem
+Prayerbook oder Brevier in der Hand, in Gedanken versunken, auf und
+ab schritten. Mich als Fremden, der mit den englischen Sitten und
+Gebräuchen völlig unbekannt war, mutete all dies sonderbar an. Ich
+benutze die Gelegenheit, einiges über unser Schiff zu sagen.
+
+Belgien besitzt keine eigentliche Handelsmarine. Ein großer Teil der
+unter belgischer Flagge laufenden Schiffe ist englischen Ursprunges und
+von belgischen Reedereien gechartert. Dies traf auch auf unser Schiff
+»Albertville« zu. Es war ein modern ausgestattetes Passagierschiff
+der »Compagnie Belge Maritime du Congo« für den regelmäßigen Dienst
+Antwerpen-Kongo, mit etwa 6700 Tonnen Laderaum. Der Kapitän, sämtliche
+Offiziere und ein Teil der Mannschaft waren Engländer, während der
+Rest, in Antwerpen angeheuert, zumeist aus Flamen bestand. Der Dampfer
+lief durchschnittlich zwölf Seemeilen, besaß zwei übereinandergebaute
+Promenadendecks mittschiffs und faßte 48 Kabinen erster und 36 Kabinen
+zweiter Klasse. Wenn er auch mit den in der neueren Zeit konstruierten
+Ozeanriesen im Verkehr mit Amerika keinen Vergleich aufnehmen konnte,
+so enthielt er doch an Komfort alles, was man durchschnittlich bei
+nicht allzu unbescheidenen Ansprüchen verlangen konnte.
+
+Nach drei langen Tagen und Nächten, in denen wir nichts als das
+unermeßliche Weltmeer um uns und einen wolkenlosen Himmel mit seinem
+tiefen, reinen Blau über uns gesehen hatten, näherten wir uns den
+Kanarischen Inseln. O Insel der Seligen, Oase in dieser Wasserwüste,
+wie schlugen dir alle unsere Gedanken, all unser Sehnen entgegen!
+
+Wir sollten in der Nacht eintreffen; die Aufregung an Bord gegen Abend
+wuchs von Minute zu Minute. Das Diner, sonst eine Stunde üppigen
+Wohlbehagens, wurde in aller Eile eingenommen, und alles stürmte an
+Deck. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen, eine milde, tropische
+Nacht, der Himmel mit strahlenden Sternen übersät, eine Nacht so recht
+geeignet zum Träumen. Ich schob meinen Lehnstuhl ganz nach vorne an
+die Brüstung, und mein vereinsamtes Herz hielt Zwiesprache mit den
+Gestirnen. Langsam stieg aus dem Meeresspiegel der Vollmond hervor, mit
+seinen silbernen Strahlen eine leuchtende Bahn über die Wasserfläche
+zu uns herwerfend, und in seinem zarten Schimmer erglänzten die
+Mastspitzen unseres Schiffes in mildverklärtem Licht. Allmählich
+erschienen am Horizont kleine Wolkengebilde, die langsam sich immer
+mehr zu einem Ganzen ballten. Bald unterschied das Auge auf diesen
+Lichter, und mit einmal kam die Erkenntnis: dies ungewisse Etwas
+sind nicht Wolken, sondern gigantische Felsmassen, die aus dem Meer
+emporragen. Wir nahten uns unserem Bestimmungsort; bald kamen wir ganz
+nahe heran und konnten die gewaltigen Massive genau unterscheiden, die
+sich vor unserem Bug etwas verflachten. Zur Linken, auf einem Abhang,
+der sich wie eine Landzunge weit hinaus ins Meer erstreckt, konnten wir
+viele Tausende kleiner Lichter wie Leuchtkäfer wahrnehmen.
+
+Ein Klingeln »Stop« von der Kommandobrücke, die Schraube hielt für
+einen Augenblick inne; ein Lotse kletterte an Bord, und unter sicherer
+Führung fuhren wir in die kleine Bucht ein und warfen Anker. Wir waren
+in Las Palmas. Es war inzwischen 12 Uhr nachts geworden, und da keine
+Dampfbarkassen zum Ausbooten vorhanden waren, suchten wir unsere
+Ruhestätten auf.
+
+Morgens 1/2-5 Uhr erwachte ich vom Lärm und Getrappel an Bord. Ich
+begab mich sofort an Deck, und das Panorama, das sich vor meinen
+staunenden Augen entrollte, war ein geradezu überwältigendes. Hinter
+den ersten Felspartien, deren Umrisse bereits in der Nacht sichtbar
+waren, erhob sich Spitze auf Spitze, Gebirge auf Gebirge, die höchsten
+Spitzen teils noch von Wolken eingehüllt. Arenenartig sind auf den
+verschiedenen Kuppen und Höhen kleine Forts errichtet, deren Kanonen
+in der aufgehenden Sonne blinkten. Bald erschien eine Unmenge kleiner
+Boote, deren braune Insassen wie Affen zu uns an Bord kletterten; und
+nun begann ein Schnattern und Feilschen dieser kleinen Gesellen, um
+uns in ihren Nußschalen an Land zu bringen. Da wir bis 1 Uhr mittags
+hier liegenblieben, um Kohlen einzunehmen, begab ich mich mit drei
+Reisegefährten, einem schwedischen Hauptmann, meinem holländischen
+Afrikaner Lukas und Baron Misco, einem Italiener -- in späteren Jahren
+Staatsprokurator des Kongostaates -- in einem dieser kleinen Boote an
+Land.
+
+[Illustration: Las Palmas.]
+
+Am Hafen erwartete uns bereits ein vierspänniger Wagen, der uns in
+die Stadt hineinbringen wollte. Mißtrauisch musterten meine Gefährten
+das Vehikel, dem wir unser Leben anvertrauen sollten: eine elende,
+wacklige Kutsche, aus dem vorigen Jahrhundert stammend, vernachlässigt
+und zusammengeflickt, gezogen von vier staubigen, verhungert
+aussehenden Rosinanten und geführt von einem fortwährend fluchenden,
+verlotterten Spanier mit einem riesigen Manilahut, unter dem der Kopf
+fast vollständig verschwand. So ungefähr sah die Equipage aus, in der
+wir scharf an den Klippen und Felsen entlang wie vom Teufel besessen
+dahinsausten, bei jedem Anprall an einen größeren Stein uns gegenseitig
+um den Hals fallend.
+
+Bald erreichten wir die Stadt, ein winkeliges Gewirr von Straßen und
+niederen, nach orientalischer Art in hellen Farbentönen gehaltenen
+Häusern. Wir passierten ein bis zwei verlassene »Plazzas«, ein
+ausgetrocknetes Flußbett, an dem gearbeitet wurde, und landeten
+schließlich in einem der englischen Hotels. Nach kurzem Imbiß bummelten
+wir in Begleitung des belgischen Konsuls durch die Stadt.
+
+Diese besteht aus der sogenannten Altstadt und dem Fremden- und
+Geschäftsviertel. Die Altstadt ist entschieden der interessantere Teil,
+und diesem wandten sich unsere Schritte zu. Die in amphitheatralischer
+Anordnung in die Felsen gehauenen Wohnstätten der Ureinwohner haben
+sich als solche bis heute erhalten. Als einzige Errungenschaft der
+Neuzeit ist eine Art Vorbau aus Lehm und Erde, mit grellen Farben
+angetüncht, hinzugekommen, um zu verhüten, daß Wind und Regen direkt
+in die Behausung hineinschlagen. In diesen Höhlen, die aus einem oder
+höchstens zwei Räumen bestehen, wohnen ganze Familien. Die Kinder,
+zum Teil völlig unbekleidet, spielen vor den Eingängen oder laufen
+bettelnd auf den Straßen den Fremden nach. Diese terrassenförmig
+übereinanderliegenden Höhlen sehen aus der Ferne höchst pittoresk aus;
+wenn man sie aus der Nähe betrachtet, bemerkt man, das sie von Schmutz
+und Unrat starren und von Ungeziefer wimmeln.
+
+Das Geschäfts- und Fremdenviertel ist ein Gewirr von kleinen, flachen,
+anspruchslosen Häuschen, die sich um die Kathedrale, das Rathaus
+und die Garnisonkaserne planlos herumgruppieren und ohne jegliches
+Interesse sind. Als Sehenswürdigkeit hervorzuheben ist einzig und
+allein die Kathedrale, ein aus dem Mittelalter stammender Bau mit
+reichgeschnitzter Kanzel und alten Meisterwerken im Innern.
+
+Wir besuchten den Fruchtmarkt, wo tausende Bushels Bananen, Ananas,
+grüne Feigen, Kürbisse, Melonen und Mangos, die die Landbevölkerung aus
+dem Innern auf Mauleseln und Tragtieren herangebracht, von europäischen
+Händlern aufgekauft werden, um mit dem nächsten Dampfer über England
+nach dem Kontinent weiterzuwandern. Hinter den zu Bergen aufgehäuften
+Früchten stehen die Verkäuferinnen, ganz nach orientalischer Art
+in wallende weiße Tücher gehüllt, und bieten ihre Waren mit lautem
+Geschrei aus.
+
+Wenn auch im allgemeinen die Züge, vor allem der Frauen, sehr rasch
+verblühen und verrohen, findet man doch auch mitunter Mädchen
+darunter, die geradezu ein Schönheitsideal darstellen. Üppiges
+schwarzes Haar, feurige dunkle Augensterne mit blendend weißem
+Augapfel, stolz und edel geformte Gesichtszüge, zierlich kleine
+Hände und Füße und eine leicht gebräunte Haut sind die Kennzeichen
+des Schönheits-Typus der Inselbewohner, ganz im Gegensatz zu den
+eingewanderten Spanierinnen, welche sich durch die auffallend weiße
+Gesichtsfarbe von ihnen unterscheiden.
+
+Ehe wir an Bord zurückkehrten, besorgten wir noch einige Einkäufe,
+und ich hatte dabei oftmals Gelegenheit zu bemerken, daß die Leute,
+die trotz des großen Fremdenverkehrs in bezug auf Sprachkenntnisse
+geistesfaul sind, doch ganz genau verstehen, ihren Vorteil zum Schaden
+der Fremden zu wahren und sie tüchtig übers Ohr zu hauen.
+
+Unser Dampfer war bis zum Augenblick der Abfahrt von einem Schwarm
+kleiner Boote belagert, deren Insassen verzweifelte Anstrengungen
+machten, uns Passagieren Tabak und Zigarren, Kanarienvögel und
+Madeirahündchen aufzuschwatzen oder nach den ihnen zugeworfenen
+Münzen zu tauchen. Ganz erstaunlich war die Gewandtheit und Ausdauer,
+mit welcher diese kleinen, braunen Gesellen aus beträchtlicher Höhe
+kopfüber ins Wasser sprangen und die blitzenden Geldstücke aus
+ansehnlicher Tiefe herausholten.
+
+
+Fußnoten:
+
+[1] Ein Wurfspiel mit Bleischeiben.
+
+[2] Eine halbe Stunde vor der Mahlzeit wird ein Appetit anregendes
+Getränk verabfolgt.
+
+
+
+
+ Freetown. Äquatortaufe.
+
+
+In den nächsten Tagen umfing uns tropische Hitze, die die meisten
+Passagiere zwang, ihr europäisches Kostüm gegen die schmucke weiße
+Tropentracht zu vertauschen. Fliegende Fische kamen nunmehr in ganzen
+Scharen vor. Sie flohen entsetzt vor unserem Dampfer und strichen
+tänzelnd über die Wasserfläche. Des Nachts wurden sie durch unsere
+Lichter angelockt und fielen dann an Deck. Am 16. Juli früh erschien
+zum ersten Male die Küste Afrikas, das felsige Kap Verde und in der
+Ferne eine der Kapverdischen Inseln. Die Gegend schien trostlos öde
+und sandig zu sein und war nur mit spärlichen Kokos- und Dattelpalmen
+bedeckt.
+
+Am 18. Juli betraten wir -- in der Sierra Leone -- zum ersten Male
+afrikanischen Boden, und mein Herz hüpfte und jauchzte im Vorgefühl
+herrlicher Stunden. Doch das afrikanische Klima, die feuchte, heiße
+Luft, die ungewohnte Ausdünstung der vielen nackten Negerleiber hatten
+eine derart erschlaffende Wirkung auf mich Neuling, daß es schwer
+hielt, die Unmasse neuer Eindrücke festzuhalten.
+
+Während in Las Palmas ungeheure Felsenmassen unbewaldet gen Himmel
+ragen, scheint hier die Natur ihr möglichstes in der Vegetation getan
+zu haben. Stufenweise ragen mächtige Berge mit üppigem Grün in allen
+Schattierungen aus dem in der Sonne leuchtenden Meeresspiegel empor.
+Unser Auge labte sich nach dem Anblick der glitzernden Wasserflächen an
+dem saftigen Grün der Palmen und des Urwaldes. Einen echt tropischen
+Anblick gewährt das an einer Berglehne im Schatten schlanker Dattel-
+und Kokospalmen liegende Freetown, dessen Häuser mit den weißen, unter
+dem Grün hervorleuchtenden Dächern einzelner Faktoreien untermischt
+sind. Mein erster Eindruck beim Betreten dieses Landes war: Hier ist
+das Paradies auf Erden -- hier laßt uns Hütten bauen. Die Flora steht
+auf höchster Stufe. Aus dem saftigen Grün der schattigen Mangos,
+Goyaven und Alven schießen, gleich mächtigen Feuergarben »Flamboyants«,
+Jasmin, Goldregen und Lilas sowie eine Menge mir unbekannter exotischer
+Pflanzen in leuchtenden Farben empor. Die Luft ist erfüllt von dem Duft
+tropischer Blüten, die, von Menschenhand aus dem Urwald herbeigeholt,
+in verschwenderischer Pracht, sowohl im Park des Regierungsgebäudes
+als in den vielen kleinen Gärten und Anlagen angepflanzt sind. Auf den
+Häusern und im Schatten der Palmen sitzen melancholisch große Adler
+und eine kleine Art Kondor mit braunem Gefieder, weißer Halskrause und
+weißem Hals und Kopf, die -- wie die Hunde Konstantinopels -- für die
+Reinlichkeit der Straßen sorgen. Sie gehören dort ebenso wie zahme
+Affen und Papageien, die sich auf den Palmen und den Schlingpflanzen
+schaukeln und klettern, zu den Haustieren.
+
+Doch bald nach Betreten des Landes, vor allem, wenn um die Mittagszeit
+die sengenden Sonnenstrahlen die Glieder erschlaffen, und die
+feuchtheiße, von fremdartigen Gerüchen durchschwängerte Luft einem den
+Atem benimmt, merkt man, daß dieses von der Natur so herrlich bedachte
+Land giftige Keime für den Fremden in sich birgt.
+
+Die Stadt besteht aus einem Kunterbunt von kleinen ebenerdigen
+Lehmhäuschen in allen möglichen Stilarten, vorwiegend »=à la
+marocaine=« gebaut, sowie Hütten, aus alten Kisten errichtet, an
+deren Außenseite noch die Bestimmungsadresse ersichtlich ist, mit
+Dächern aus getrockneten Palmblättern. Ich bemerkte außerdem noch das
+Garnisongebäude, drei kleine Forts und eine Anzahl Kirchen, in denen
+gesungen und gepredigt wurde. Das Volk spricht durchweg außer der
+Eingeborenensprache ein fürchterliches »Pidgin-Englisch«.
+
+[Illustration: Freetown.]
+
+Der Tag unserer Ankunft war ein Sonntag, und der Anblick der in
+Festtagsgewänder gehüllten Bevölkerung war ein unbeschreiblich
+komischer -- der reinste Fastnachtstaumel. Was da an Phantasietoiletten
+in den schreiendsten, grellsten Farben geboten wurde -- vom
+Talmi-Gentleman in Frack, grauem Zylinder, roter Krawatte und
+hellgelben Schuhen, bis zum halbnackten Baby mit überhängendem Bauch
+und grellen Strümpfen und Schuhen -- davon läßt sich eine Beschreibung
+überhaupt nicht geben. Die Neger dieser Küste, sowohl Männer wie
+Frauen, sind überaus putzsüchtig und eitel; sie geben den letzten
+Groschen ihres Verdienstes hin, um sich gegenseitig auszustechen. Bei
+ihrer Vorliebe für leuchtende Farben kommen dabei die unmöglichsten
+Toiletten heraus. Derart in Festtagsgewänder gehüllt, tragen sie eine
+gemessene Miene zur Schau und sind tiefgekränkt, wenn sie nicht
+vollwertig als Gentleman und Lady genommen werden.
+
+Wir nahmen hier etwa 70 dieser Gentlemen als Arbeiter zum Aus- und
+Einladen des Dampfers bei der Ankunft im Kongostaate an Bord. In den
+modernsten nagelneuen Kostümen, mit Lackschuhen, weißer Weste, weißen
+oder feuerroten Glacéhandschuhen kamen sie an Bord, hinter sich einen
+Boy mit leerem Schiffskoffer. In diesen wanderten eine halbe Stunde
+nach ihrer Ankunft all die Herrlichkeiten des äußeren Menschen,
+mit ihnen aber auch der Gentleman, und an seine Stelle trat, teils
+halbnackt, teils in alte zerrissene Fetzen gehüllt, der Neger.
+
+Doch zurück nach Freetown. In unseren neuen Tropenkostümen wanderten
+wir durch das Gewirr von Gäßchen. Es ist geradezu unglaublich, in
+welchem Elend, Schmutz und Unrat diese Talmi-Gentlemen leben. Vor
+den Häusern, auf den Straßen, überall liegen die Abfälle, und wären
+nicht die »Charognards« (Aasgeier), die morgens und abends darunter
+aufräumen, so würden unbedingt Seuchen entstehen.
+
+Nur allzubald ertönte die Schiffskanone als Zeichen der Abfahrt, und
+wir mußten an Bord zurück. Hier fanden wir das ganze Zwischendeck von
+den Gentlemen in Beschlag genommen, die, wilde Grimassen schneidend,
+zankten und quakten, wie ein Heer schnatternder Gänse. Gegen 7 Uhr
+abends, kurz nach Sonnenuntergang, legte sich der allgemeine Lärm, und
+beim Klang von Gitarren und Ziehharmonikas begann ein aus der Mitte der
+Neger entstandener Chor allerhand schwermütige Weisen zu singen, die
+mir bei diesen herrlichen Tropennächten sehr zu Herzen gingen.
+
+Der 23. Juli war einer der heitersten und gemütlichsten Tage, die ich
+während dieser Fahrt verbracht habe, und wenn auch der gute Neptun so
+manchen Kopf und Magen, darunter auch den meinen, arg zugerichtet hat,
+so kam ich doch als einer der ersten ziemlich glimpflich davon und
+konnte mit Schadenfreude wahrnehmen, daß es den »Nichtfreiwilligen«
+bedeutend schlechter ergangen war. Am Abend vorher, um 8 Uhr -- wir
+saßen gerade beim Diner -- erdröhnte plötzlich ein Kanonenschuß. Die
+Schiffsschraube hielt für kurze Zeit, und bald darauf erschien ein
+Meerungeheuer als Abgesandter Neptuns, ließ sich beim Kapitän melden
+und überreichte ihm ein Protokoll, in welchem Neptun seiner Freude
+darüber Ausdruck gab, daß wir diese Breiten, die die Weltkugel in 2
+Teile zerlegen, besuchten. Zugleich kündete er für den folgenden
+Tag seine Ankunft nebst Gattin und Gefolge an und empfahl inzwischen
+Fasten und Beichten, damit wir, aller Sünden rein, die Taufe glücklich
+bestehen würden. Nach dem ersten Schreck war alles in hellster
+Aufregung, denn die meisten Passagiere faßten diese Zeremonie, von der
+sie bereits vorher gehört hatten, als eine höchst unangenehme Prozedur
+auf. Schaudergeschichten, die dem Neuling die Haare zu Berge stehen
+lassen, wurden bei dieser Gelegenheit von den alten Afrikanern erzählt.
+
+Der schicksalsschwere Tag brach an. Gegen 10 Uhr passierten wir San
+Thomé. Der Äquator berührt die Insel, die eine der schönsten und
+fruchtbarsten Afrikas sein soll. Da der Nebel sie völlig einhüllte, war
+leider nur die höchste Spitze, »=La Dent du Chien=«, sichtbar.
+Während der Kapitän den Neulingen den Äquator durch ein eigens zu
+diesem Zweck eingestelltes Fernrohr zeigte, auf welchen Spaß auch
+richtig Verschiedene hineinfielen, traf die Mannschaft heimlich
+alle erdenklichen Vorbereitungen zum würdigen Empfange Neptuns. Das
+Vorderdeck des Schiffes wurde mittels wasserdichten Segelleinens zu
+einem Bassin umgewandelt und angefüllt. Um 3 Uhr nachmittags erdröhnte
+wieder ein Kanonenschuß; der feierliche Moment nahte; bang klopften
+alle Herzen; Neptun mit dem Dreizink -- ein ehrwürdiger Meergreis --
+mit Gemahlin, Doktor, Einseifer und Barbier sowie einem großen Gefolge
+von Soldaten erschien am Schiff, besichtigte dasselbe und begrüßte
+den Kapitän. Unter ohrenbetäubendem Tamtam aus allen möglichen und
+unmöglichen Blechgefäßen und Trommeln wurden sämtliche Passagiere
+mit Namen aufgerufen und im Halbkreis um das Bassin aufgestellt.
+Mit Ausnahme der Damen, denen man gestattete, sich in ihre Kabinen
+einzuschließen, wurde niemand verschont. Die Soldaten durchsuchten
+das ganze Schiff und brachten alle Neulinge, die sich angsterfüllt
+verkriechen wollten, auf Deck.
+
+Auf Anraten meines afrikanischen Freundes hatte ich mich freiwillig
+als erster gemeldet. Nachdem Neptun eine feierliche Anrede an mich
+gehalten hatte, deren Sinn ich in der ungeheuren Aufregung, die sich
+meiner bemächtigte, nicht begriff, bekam ich vom Doktor, der mich auf
+meine Widerstandsfähigkeit untersucht hatte, eine Pechpille in den Mund
+geschoben. Als nächste Prozedur schmierte mir der Barbier mit einem
+riesigen Pinsel eine übelriechende, klebrige Masse im Gesicht, auf Kopf
+und Nacken herum, die er mit einem großen, aus Holz hergestellten
+Rasiermesser zum Teil abscheuerte. Im nächsten Moment fühlte ich mich
+von kräftigen Händen mit einem Ruck ins Wasser gestürzt, daß mir Hören
+und Sehen verging, und ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen.
+Ich wurde 5- bis 6mal untergetaucht, dann hinausgehoben, und ehe ich
+noch recht gewahr wurde, wo ich war, steckte ich in einem etwa 6 Meter
+langen Schlauch, gerade groß genug, um dem Körper zu gestatten, sich
+wie eine Schlange hindurchzuwinden. Hier hineingestopft, wurde ich
+mit der Wasserspritze von hinten so lange unerbittlich bespritzt,
+bis es mir gelang, zum anderen Ende wieder herauszukommen. Ich begab
+mich sofort in eines der Badezimmer, das glücklicherweise noch nicht
+besetzt war. Mit großer Mühe nur vermochte ich die pechartige, ölige
+Flüssigkeit vom Leibe zu bringen, wobei natürlich mit Seife und Bürste
+nicht gespart werden durfte. Sodann begab ich mich wieder an Bord, um
+dem Schluß der Feierlichkeiten beizuwohnen.
+
+Es ereignete sich nun ein kleiner Zwischenfall, der viel Spaß
+erregte, jedoch von bösen Folgen hätte begleitet werden können.
+Einige erbitterte Passagiere näherten sich von rückwärts dem dicken,
+ahnungslosen Neptun, und ehe dieser es sich versah, wurde er von
+kräftigen Fäusten hochgehoben und kopfüber ins Bassin gestürzt.
+Triefend vor Nässe, prustend und nach Atem ringend, tauchte der
+Riesenschädel, dem die Krone infolge des Sturzes bis über die Ohren
+gesunken war, empor. Der Greisenbart hing wirr in langen Fäden auf
+die Brust herunter, und seiner Pracht war ein jämmerliches Ende
+bereitet. Ein Glück, daß die Krone umfangreich und über die Ohren
+hinuntergerutscht war, da ihm das scharfe Messingblech sonst böse
+Verwundungen hätte beibringen können. Dies bildete den Schlußakt der
+Taufe der Passagiere. Nun kamen die Neger an die Reihe. Dieselben
+wurden zu Dutzenden in das Wasser geworfen und purzelten in höchst
+komischer Weise durcheinander.
+
+Am Abend fand zu Ehren der Taufe ein Konzert statt. Die künstlerisch
+ausgestatteten Programme wurden versteigert und brachten ein namhaftes
+Erträgnis, welches zum Teil der beim Neptunsreigen mitwirkenden
+Mannschaft, zum Teil für das »Seemannsheim für verlassene Witwen und
+Waisen« gespendet wurde. Der Abend verlief äußerst gemütlich und
+artete schließlich, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, in ein
+Champagnergelage aus.
+
+
+
+
+ Ankunft in Banana.
+
+
+Am Morgen des 25. Juli bemerkten wir auf der sonst dunkelblauen
+Wasserfläche allenthalben gelbe Flecken, die auf die Mündung des
+Kongoflusses schließen ließen. Gegen 10 Uhr kam dieser selbst in Sicht,
+und längs herrlicher Urwälder und Mangroven fuhren wir Mittag in Banana
+ein. Der Hafen ist durch die Landzunge, deren größter Teil Besitz der
+holländischen Gesellschaft »N. A. H. V.« ist, vom Meere getrennt. Ein
+ungemein liebliches Bild bot sich von Bord aus unseren Augen dar. Die
+ganze Landzunge bildet eine Art Naturpark, der von Menschenhänden
+sorgfältig gepflegt wird. Neben mächtigen Mangobäumen finden sich
+überwiegend die mit Nüssen reich beladenen Kokospalmen, unter deren
+Schatten die blendend weißen Dächer der Faktoreigebäude und die sie
+verbindenden, mit weißem Kies bestreuten und zu beiden Seiten mit
+schneeweißen Muscheln eingefaßten Fußwege hervorleuchten. Zur Linken
+die Dockanlagen und Schiffsreparaturwerften der Gesellschaft, auf deren
+Hellingen gerade verschiedene Dampfer ausgebessert wurden. Trotz der
+Mittagshitze herrschte überall, wahrscheinlich infolge der Ankunft
+unseres Dampfers, fieberhafte Tätigkeit.
+
+Eine Dampfbarkasse, mit der holländischen Fahne und dem holländischen
+Wappen geschmückt -- denn der jeweilige Direktor der »N. A. H. V.« ist
+gleichzeitig holländischer Konsul -- löste sich vom Ufer und brachte
+diesen sowie einen Sanitäts-Offizier an Bord, der die Schiffspapiere
+untersuchte, um zu konstatieren, ob wir keinen verseuchten Hafen
+angelaufen waren. Ihnen folgte eine ganze Anzahl kleiner, schmaler, von
+den Eingeborenen gelenkter Kanus, die ich hier zum ersten Male in ihrem
+schlanken Bau und in ihrer einfachen Konstruktion bewundern konnte.
+Diese aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestehenden Boote sind schon so
+oft beschrieben, daß ich hier nicht weiter darauf eingehe. Mehr noch
+als die Boote bewundere ich die außerordentliche Geschicklichkeit der
+Neger im Rudern, denn diese schwankenden Kanus stehend im Gleichgewicht
+zu halten, ist wahrhaftig keine Kleinigkeit. Hier wiederholt sich
+ungefähr das gleiche Bild wie in Las Palmas, mit dem Unterschied, daß
+die Eingeborenen in ihren Nußschalen an Stelle von Tabak und Zigarren
+graue Kongopapageien, rote, reich ornamentierte Tongefäße, die als
+Wasserkaraffen verwendbar sind, Kürbisflaschen, in allen möglichen
+Größen und Formen und mit weißen Ornamenten versehen, sowie Ananas,
+Mangos und Papaifrüchte in schlechtem Portugiesisch zum Kaufe anbieten.
+
+Ich verabschiedete mich hier von meinem Reisegefährten, Herrn Lukas,
+welchem als altem Afrikaner die Ehre zuteil wurde, von unserem
+Generaldirektor persönlich bewillkommt und an Bord seiner Dampfbarkasse
+an Land gebracht zu werden. Ich dagegen erhielt Order, an Bord des
+Dampfers meine Instruktionen abzuwarten.
+
+An Bord herrschte Tag und Nacht fieberhafte Tätigkeit. Leichterboote
+zu beiden Seiten des Schiffes, die leer ankamen und vollbeladen mit
+Waren an Land zurückkehrten; ein ständiges Gerassel und Fauchen der
+Maschinen, die die großen Dampfwinden bedienten und schwere Lasten aus
+den Eingeweiden unseres schwimmenden Riesen auf den Dampfer »Prins
+Hendrik« überluden.
+
+Da der Wasserstand des Kongoflusses 8 Stunden stromaufwärts an der
+großen Sandbank ziemlich niedrig ist, mußte ein großer Teil der
+zu befördernden Waren ausgeladen werden, um den Dampfer derart zu
+entlasten, daß er die Barriere passieren konnte. Drei Tage lang harrte
+ich an Bord der in Aussicht gestellten Instruktionen, während meine
+Mitpassagiere vergnügt an Land gingen und mir immer wieder Neues von
+den Herrlichkeiten und Wundern dieses Kontinents berichteten.
+
+Wie ganz anders hatte ich mir in meiner jugendlichen Phantasie meine
+Ankunft und meinen Empfang auf afrikanischem Boden vorgestellt. Ich
+hatte erwartet, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und mußte
+nun das Gegenteil erleben. Dies war die erste einer ganzen Reihe von
+Enttäuschungen und Lehren, die meiner harrten, und sie war vielleicht
+gerade als erste die allerschwerste. Von Hause aus verwöhnt, waren
+mir meine früheren Chefs in Holland mit der größten Liebenswürdigkeit
+entgegengekommen und hatten mich in ihren Familienkreis eingeführt.
+Infolge meines kühnen Entschlusses, nach Afrika zu gehen, war ich
+gewissermaßen unter meinen Bekannten als Held gefeiert worden; und nun
+diese Ernüchterung!
+
+Endlich erhielt ich ein paar Zeilen mit der Aufforderung, mit meinem
+Gepäck an Land zu kommen. Ein junger Faktoreibeamter erwartete mich
+hier und wies mir in einem der Gebäude ein luftiges, auf der Seeseite
+gelegenes ebenerdiges Zimmer an. Dieses war innen weiß getüncht,
+der Lehmboden war von einer Strohmatte teilweise bedeckt und das
+ganze Mobiliar bestand aus einem Bett, einem Waschbecken und einem
+Stuhl, alles hier an Ort und Stelle von Zimmerleuten roh angefertigt.
+Fenster sind hier ein unbekannter Luxus, an deren Stelle einfache
+Holzläden treten. Im ersten Augenblick war ich starr vor Erstaunen und
+Enttäuschung, da das schlanke Faktoreigebäude, von außen gesehen, den
+Eindruck des behaglichen Komforts machte.
+
+[Illustration: Rückentätowierung einer Frau.]
+
+Noch ehe ich mich von meiner Überraschung vollständig erholt hatte,
+war der Angestellte verschwunden, und an seiner Stelle verblieb ein
+kleiner, schmutziger Negerjunge, mein »Boy«, in weißem Hemd und
+farbigem Lendentuch, der in einem Kauderwelsch von Portugiesisch sich
+nach meinen Wünschen erkundigte. Da meine Toilette beim Ausbooten etwas
+gelitten hatte, bedeutete ich ihm, der Sprache nicht mächtig, durch
+Gebärden so gut wie möglich, mir Waschwasser zu bringen und zog mich um.
+
+Um 6 Uhr abends erscholl ein Gongschlag, und von den Hauptgebäuden
+begaben sich die verschiedenen Angestellten, die tagsüber darin
+beschäftigt waren, in ihre Wohnhäuser. In den Zimmern nebenan wurde es
+lebendig. Ich stellte mich selbst meinen Nachbarn vor und erfuhr, daß
+dies das Passagiergebäude und sie, gerade so wie ich, nur Passagiere
+seien -- allerdings Passagiere, die bereits drei Jahre in Afrika
+zugebracht hatten und nun auf der Rückkehr in die Heimat den Dampfer
+hier erwarteten.
+
+Ein zweites Gongzeichen ertönte, und mit meinen neuen Bekannten
+begab ich mich in die Vorhalle des Hauptgebäudes, wo inzwischen die
+Aperitif- und Bitter-Tafel gedeckt war. Hier stellte ich mich dem
+Bureauchef vor und wurde von diesem allen ankommenden Herren, im ganzen
+vielleicht 30 Personen einschließlich des Direktors, vorgestellt. Es
+ging bei dieser Bitter-Tafel gewissermaßen kameradschaftlich zu, doch
+mit einem Unterton, wie etwa in einer Offiziersmesse, wenn höhere und
+höchste Offiziere zugegen sind. Jeder hatte seinen Rang und danach auch
+seine Stimme, und nachdem der Direktor sich höflichkeitshalber nach dem
+Verlauf meiner Reise erkundigt hatte, war vorläufig die Anteilnahme für
+mein Schicksal erloschen.
+
+Ich habe absichtlich den Tag meiner Ankunft etwas ausführlich
+geschildert, um meinen Lesern damit ein Beispiel dafür zu geben, wie
+wenig Bedeutung das eigene »Ich«, losgelöst von der heimatlichen
+Scholle, im Weltgetriebe draußen hat.
+
+
+
+
+ Meine erste Beschäftigung. Ein Jagdausflug.
+
+
+Früh 1/2-6 Uhr erschien mit dem ersten Gongzeichen mein kleiner
+Boy, öffnete Tür- und Fensterläden und ermahnte mich durch Gebärden
+zum Aufstehen. Die Nacht war kühl, draußen herrschte noch leichte
+Dämmerung, als ich mich von meinem harten Lager erhob und von meiner
+Veranda aus Umschau hielt. Punkt 6 Uhr waren alle Beamten und
+Arbeiter in Reih und Glied vor dem Hauptgebäude aufgestellt, und den
+verschiedenen Sektionen wurde ihre Tagesarbeit unter Aufsicht der
+Beamten zugeteilt. Ich wurde vorläufig zur Disposition des Bürochefs
+gestellt, der mir verschiedene Bureauarbeiten, wie Kontrolle der
+Bilanzen der Faktoreien, anvertraute. Zur Abwechslung wurde ich vom
+Faktoreichef zuweilen zur Revision der vom Oberkongo hereinkommenden
+Transitladungen von Elfenbeinzähnen herangezogen, welche Arbeit mein
+Interesse besonders fesselte, da unter den Zähnen solche bis zu 70 und
+76 Kilogramm Gewicht vorkamen.
+
+Ich hatte mich in mein neues Leben sehr bald eingewöhnt und mir durch
+mein Klavierspiel auch die Zuneigung des Direktors erworben. An Arbeit
+und neuen Eindrücken fehlte es nicht, denn von 6 Uhr früh bis 6 Uhr
+abends, und an Posttagen sogar oft bis 8 und 10 Uhr nachts wurde mit
+einer kurzen Mittagspause von einer Stunde ununterbrochen gearbeitet.
+Gegen 6 Uhr abends fanden sich immer einige Bekannte, mit denen ich
+gemeinsam an einer seichten Stelle des Meeres ein Bad nahm, während
+eine Schildwache mit geladenem Gewehr dabei beständig Ausschau hielt,
+um etwa allzu vorwitzige Haifische, die sich zu nahe heranwagen
+sollten, sofort anzuschießen. Längs der Küste kommen diese unheimlichen
+Gesellen in beträchtlicher Anzahl vor, und die über die Wasserfläche
+hinausragenden Schwanz- und Rückenflossen sind mit bloßem Auge bei
+einiger Aufmerksamkeit leicht zu erkennen.
+
+Unsere Erholungszeit fiel also hauptsächlich in die Abendstunden
+nach dem Abendmahl, welche uns alle im Billard- und Musikzimmer
+vereinigte, um die allabendliche Kriegspartie, bei der eine
+beliebige Anzahl Spieler teilnehmen kann, auszutragen. Als beliebte
+Abwechslung waren die Passagierboote der »Messagerie Maritime« sowie
+der »Woerman-Linie« sehr willkommen, bei deren Ankunft wir entweder
+Besuche an Bord der Schiffe abstatteten oder an Land Feste zu Ehren
+der befreundeten Kapitäne abhielten. Ganz besonders in Erinnerung
+ist mir ein Fest anläßlich der Ankunft des Gouverneurs von Kamerun,
+Exzellenz von Puttkamer, der uns an Bord des deutschen Kriegsschiffes
+»Habicht« besuchte, und bei welcher Gelegenheit olympische Spiele der
+Neger-Segelregatta und sogar ein Theaterstück aufgeführt wurden. Da
+gerade Vollmondnacht war, veranstalteten die Eingeborenen ihren ganz
+eigenartigen Mondtanz, in welchem die Tanzenden als einzige Bekleidung
+um die Lenden in der Art unserer Ballettänzerinnen einen Gürtel aus
+Strohgeflecht und als Kopfbedeckung eine Maske aus demselben Material
+trugen.
+
+Den ersten freien Sonntag benutzte ich zu einem Jagdausflug auf eine
+der gegenüberliegenden Inseln. Der Kongo hat an seiner Mündung eine
+Breite von mehr als 15 Kilometern und bildet mit seinen unzähligen
+toten Armen -- sogenannten Creeks -- eine Unmenge größerer und kleiner
+Inseln, die nur zum Teil von einer friedlichen Bevölkerung bewohnt,
+im übrigen aber vollkommen unkultiviert und von undurchdringlichem
+Mangrovendickicht und Urwald bewachsen sind. Der Zutritt zu einer
+solchen Insel ist durchaus keine leichte Sache und nur an solchen
+Stellen möglich, wo irgendein Dickhäuter, z. B. ein Nilpferd, sich
+einen Weg zum Wasser gebahnt hat. Anderwärts starrt dem Eindringling
+aus Morast und Sumpfgelände ein Gewirr von drei bis vier Meter hohen
+Luftwurzeln der Mangroven als unüberbrückbarer Wall entgegen.
+
+Es war gegen 3 Uhr nachmittags; die größte Hitze war vorüber, als ich
+in Begleitung eines älteren Faktoreibeamten, gefolgt von zwei Dienern,
+mit scharfen Haumessern, die dazu dienen sollten, uns nötigenfalls
+einen Weg durch das Dickicht zu bahnen, bewaffnet, in einem kleinen
+Ruderboot in das Labyrinth von Inseln und totem Wasser eindrang. Eine
+leichte Brise von der Seeseite her milderte die drückende Schwüle, die
+auf der Wasserfläche lastete. Tiefes, fast übernatürliches Schweigen
+der Natur, das unwillkürlich zur Andacht stimmte, herrschte um uns.
+Das Lockrufen und Zwitschern der Vögel am frühen Morgen und gegen
+Abend, das Kreischen der Papageien und Krächzen der Nashornvögel,
+das Zirpen, Pfeifen und Surren der Zikaden, Baumgrillen und Myriaden
+anderer Insekten ist um diese Zeit verstummt. Die Natur lag in tiefem
+Mittagsschlaf. Fast war man geneigt, das Plätschern unserer Ruder als
+brutale Störung dieser Waldandacht zu empfinden.
+
+Träge glitt unser Boot an einem undurchdringlichen grünen Wall von
+Schlingpflanzen, Mangrovendickicht und Urwald, eng miteinander
+verschlungen und verwachsen und dem Eindringling den Zugang zum festen
+Lande verwehrend, vorüber. Vom Wasser aus gesehen, hat dieser lebende
+Schutzwall geradezu etwas Märchenhaftes. In zarten Fäden, gleich
+Spinnweben, hängen die Ausläufer von den höchsten Spitzen der Mangroven
+und Bäume bis zum Wasser herab und bilden, mit den gleichfalls aus dem
+Laubdach herabfallenden Lianen dicht verschlungen, reizende Grotten und
+Höhlen. Dem Neuling erschließt sich hier ein Reich der Wunder, welches
+Herz und Sinne völlig in seinen Bann schlägt.
+
+Wir landeten an einem ausgetretenen Nilpferdpfad, und mein Herz
+pochte mächtig bei dem Gedanken, das ungeschlachte Ungeheuer könnte
+uns aus dem undurchdringlichen Dickicht entgegentreten. Doch nichts
+dergleichen geschah, und mit ein paar Sprüngen über Morast standen
+wir auf festem Boden. Beim Eintreten in das Walddickicht konnte ich
+mich eines gewissen Gefühles der Beklemmung nicht erwehren. War es das
+mächtige Walten und Schaffen der Natur, das mich Neuling niederdrückte?
+Meine Augen schweiften unruhig umher und bemerkten, daß der Grund und
+Boden, auf dem wir standen, von mir unbekannten Geschöpfen wimmelte.
+Das Gelände war sumpfig und allenthalben von Löchern unterhöhlt. Vor
+diesen saßen prachtvoll vom hellsten Rot bis zum tiefsten Violett
+gefärbte Krabben von der Größe unserer heimischen Art bis zu den
+Maßen eines Hummers. Sowie wir uns auf ein paar Schritte näherten,
+verschwanden sie, um sofort, wenn wir den Rücken gekehrt hatten,
+wieder aus den Löchern hervorzukommen. Viele Stunden habe ich diese
+Tiere in ihrem Leben und Treiben belauscht und oftmals mittels eines
+Netzes versucht, ihrer habhaft zu werden; es ist mir aber nie gelungen.
+Diese Krabben, ebenso wie die Baumechsen in allen möglichen Größen
+und Formen, welche beim geringsten Geräusch mit einer unglaublichen
+Gewandtheit den nächsten Baum erklettern, bildeten während meines
+kurzen Aufenthaltes in Banana einen Gegenstand beständigen Interesses
+und Studiums. Beide Tierarten habe ich auf meinem weiteren Vordringen
+nach dem Innern Afrikas nirgends mehr angetroffen.
+
+Auf diesem ersten Jagdausflug erlegte ich eine kleine Wildkatze,
+meine erste Beute auf afrikanischem Boden, deren Fell ich abzog und
+präparierte. Leider übersah ich bei dieser Prozedur den langen,
+buschigen Schwanz, so daß derselbe die Haare verlor.
+
+
+
+
+ Die Fahrt nach Fuca-Fuca. Faktoreibeamter.
+
+
+Etwa sieben Wochen waren seit meiner Ankunft in Banana verstrichen. Ich
+hatte in dieser Zeit gründlich Gelegenheit gehabt zu überlegen, daß das
+ruhige Bureauleben auf einer großen Station, soviel Angenehmes es auch
+für den Durchschnittsmenschen haben mag, für meine abenteuerhungrige
+und nach freier Betätigung verlangende Natur nicht taugte. Lieber die
+Strapazen beschwerlicher Karawanenreisen, lieber Hungersnöte und Kämpfe
+mit den Eingeborenen ertragen, als hier von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr
+abends bei sengender Sonnenhitze hinter Büchern vergraben zu sein.
+
+Mein erster Versuch fortzukommen, wurde vom Konsul unter Hinweis
+auf die großen Vorzüge, die ich hier an Ort und Stelle in Form
+eines behaglichen Heimes, der Gesellschaft von Europäern, eines
+reich besetzten Tisches und schließlich einer voraussichtlich
+schnellen Karriere -- da er mir persönlich sehr zugetan sei --
+schlankweg abgewiesen. Tatsächlich waren in der letzten Zeit einige
+unserer Agenten in abgemagertem, elendem Zustande vom oberen Ubangi
+eingetroffen, die von unsagbaren Leiden und Hungersnöten in diesen
+Gebieten infolge eines Negeraufstandes berichteten. Doch ihre
+Erzählungen hatten auf mich gerade den gegenteiligen Einfluß und
+bestärkten mich eher in meinem Beschlusse, von Banana fortzukommen.
+Da mündliche Anträge nichts halfen, beschloß ich schriftlich, sowohl
+hier als auch bei der Zentrale in Europa anzusuchen. Diese Schritte
+geben mir Gelegenheit, einige Worte über die Organisation unseres
+geschäftlichen Unternehmens einzuflechten.
+
+Die Holländer waren neben den Portugiesen die ersten, die viele Jahre
+vor Zustandekommen der »Association Internationale«, aus der der
+heutige Kongostaat hervorgegangen ist, von der Kongomündung Besitz
+ergriffen hatten. Während die Portugiesen am linken Ufer des Stromes
+Fuß faßten, gründeten die Holländer Banana, errichteten daselbst
+eine eigene Schiffswerft und befuhren mit ihren Handelsdampfern den
+gesamten Unterlauf des Kongo bis nach Vivi, ungefähr auf der Höhe des
+heutigen Matadi gelegen, sowie die ganze portugiesische Küste nördlich
+und südlich der Kongomündung -- heute Angola und Portugiesisch-Kongo
+genannt --, in deren wichtigsten Plätzen sie Faktoreien anlegten.
+Beim weiteren Vordringen ins Innere des Landes bis zum Stanley-Pool,
+im Gefolge von Stanley, waren wieder die Holländer die ersten, die in
+Brazzaville am Stanley-Pool die erste Handelsniederlassung gründeten
+und von dort aus mit ihren eigenen Dampfern den ganzen Oberlauf des
+Kongoflusses befuhren und daselbst Stationen errichteten. Die großen
+Entfernungen, die beide Stützpunkte räumlich voneinander trennen -- die
+Eisenbahn Matadi-Stanley-Pool wurde erst Jahrzehnte später in Angriff
+genommen -- nötigte die Gesellschaft, zwei vollständig voneinander
+getrennte Abteilungen mit je einem Direktor an der Spitze -- die
+Unterkongo- und Oberkongo-Abteilung -- einzurichten.
+
+Ich war von Europa aus ursprünglich auf mein Ansuchen hin für die
+Oberkongo-Abteilung bestimmt und vom Konsul gegen einen anderen Agenten
+eingetauscht worden. Meinem nochmaligen, schriftlichen Ansuchen konnte
+dieser sich daher nicht gut widersetzen, und er erfüllte meinen Wunsch
+wenigstens soweit, daß er mich nach der durch ihr ungesundes Klima
+berüchtigten Faktorei Fuca Fuca versetzte.
+
+Mit gemischten Gefühlen verließ ich am 27. September Banana, einesteils
+erfreut, meinen Wunsch erreicht zu haben, doch auch wieder besorgt,
+wie meine weitere Zukunft sich gestalten werde, da Fuca Fuca im
+Rufe einer verseuchten Faktorei stand, auf der ihrer ungesunden
+Lage wegen kein Europäer es länger als zwölf Monate aushält und die
+meisten von ihnen sterben. Doch der herrliche Sonnentag, die heitere
+Gesellschaft an Bord und vor allem das Vertrauen auf meinen Glücksstern
+verscheuchten bald alle trüben Gedanken. Bald tauchte auf der linken
+Seite des Flusses, mitten im Palmenwald gelegen, Kisanga auf. Von
+der Flaggenstange vor dem Hauptfaktoreigebäude flatterte lustig die
+holländische Fahne in der leichten Brise. Das Gebäude selbst sah viel
+mehr einem modernen Jagdschlößchen als einer Faktorei ähnlich. Wege und
+Anlagen waren tadellos gepflegt und rein gehalten -- ein europäisches
+in die Tropen versetztes Schmuckkästchen. Wir waren nachmittags gegen
+2 Uhr von Banana ausgefahren und verbrachten hier die Nacht, da wir
+noch einen Teil der Ladung löschen sollten. Ich begab mich mit dem
+Kapitän und dem Lotsen an Land und wurde vom Chef der Faktorei nach
+Besichtigung derselben zu einer Partie Billard eingeladen.
+
+Kisanga gehört noch zu Portugiesisch-Angola und bestand damals außer
+der portugiesischen Zollstation und dem holländischen Hause nur noch
+aus einer kleinen portugiesischen Faktorei. Während der Dämmerung
+ertönte plötzlich von der Flußseite her lebhaftes Geschrei. Eine
+Cabindafrau war beim Waschen von einem Krokodil durch einen Schlag
+seines mächtigen Schwanzes ins Wasser geschleudert und vor den Augen
+der entsetzten Gefährtinnen in Stücke zerrissen und in die Tiefe
+gezerrt worden. Der Vorfall versetzte mich begreiflicherweise in die
+höchste Aufregung, während die Holländer und Portugiesen die Sache ganz
+kühlen Blutes als etwas hinnahmen, was sich öfters ereignet. Es war den
+Eingeborenen untersagt, bei Einbrechen der Dämmerung an das Flußufer,
+noch dazu an tiefe Stellen, zu gehen, wo ein Krokodil sich ganz
+unbemerkt an sie heranmachen konnte. Beim ersten Morgengrauen verließen
+wir Kisanga, und in voller Fahrt ging es stromaufwärts nach der Haupt-
+und Regierungsstadt Boma, die wir gegen 1/2-12 Uhr -- falls wir
+glücklich, ohne hängen zu bleiben, die große Sandbarriere überschreiten
+würden -- erreichen sollten. An Stelle der dicht bewaldeten Inseln und
+des verhältnismäßig ziemlich hoch gelegenen und mit üppiger Vegetation
+bedeckten linken Flußufers stießen wir, je weiter wir ins Innere
+kamen, auf große Weide- und Schilfgebiete. Die Inseln verflachen
+sich und sind mit hohem Schilfgras bewachsen, und die bewaldeten,
+hohen Ufer entschwinden allmählich aus dem Gesichtskreis. Wir näherten
+uns der großen Sandbank, welche alljährlich durch die Strömung hier
+angeschwemmt wird und, vor allem gegen Ende der Trockenperiode, wenn
+der Wasserstand am niedrigsten ist, die Schiffahrt ernstlich gefährdet.
+
+Ein Heer von Piloten ist beständig mit dem Sondieren der Wassertiefe
+und dem Suchen nach einem Durchgangswege für die Schiffe betraut, da
+Menschenhände bisher die Macht des Flusses infolge der eigenartigen
+geologischen Beschaffenheit des Terrains nicht zu bändigen vermochten
+und die Sandbänke im beständigen Abbau und in Neubildung begriffen
+sind. Das Flußbett, welches auf der Höhe von Kisanga z. B. eine Breite
+von zirka 1500 bis 2000 Meter haben mag, umfaßt hier wohl das Zehnfache
+und bildet mit den vielen Inseln, toten Armen und Sandbänken eine Art
+Binnensee, in welchem die Strömung kaum bemerkbar ist.
+
+An der eigentlichen Barriere bleibt dem Dampfer manchmal kein anderer
+Ausweg, als sich mit aller Maschinenkraft über das letzte Hindernis
+hinwegzuarbeiten. Gelingt das nicht, dann bleibt er oft zwei bis drei
+Wochen auf dem Sande sitzen, bis er soweit entladen ist, daß er sich
+herausarbeiten kann. Auch wir waren verschiedene Male an Sandbänke
+angefahren und gelangten schließlich nach einer Reihe von Stößen,
+die das Schiff bis in die Grundfesten erschütterten, über die große
+Barriere nach Boma.
+
+Boma ist die malerisch auf einer Anhöhe gelegene Haupt- und
+Residenzstadt des Gouverneurs des Kongostaates und zählte damals
+gegen 300 Europäer aller Nationen. Die Stadt ist von dem gleichfalls
+auf einem Hügel gelegenen Fort Shinkakassa vor feindlichen Angriffen
+sowohl von der Landseite aus als auch gegen den Fluß hin geschützt und
+besitzt eine kleine Lokalbahn, die das Ufer mit dem Fort verbindet
+und die Stadt durchquert. Boma ist überdies der Ausgangspunkt einer
+Eisenbahnlinie, die nach dem reichen und für Plantagenbau besonders
+geeigneten Hinterlande Mayumbe führt und von dort die Kolonialprodukte
+an Kautschuk, Kakao, Kaffee, Tee, Palmöl, Nutzhölzern aller Art usw.
+vom Innern an das Flußufer bringt. Von der Landungsbrücke gelangt man
+auf einen schattigen großen Platz mit einem Musikpavillon, =Place
+de la Marine= genannt, auf welchem an Sonntagen die Kapelle der
+»Katholischen Missionskinder« spielt. Von hier führt eine Straße den
+Fluß entlang ins sogenannte Faktoreiviertel, d. h. die Niederlassungen
+der holländischen, portugiesischen, englischen und französischen
+Kaufleute, während eine zweite schattige Allee von Mangobäumen den
+Hügel erklimmt und nach dem »Boma-Plateau« führt, auf welchem die
+meisten Verwaltungsgebäude der Regierung, die Katholische Mission
+nebst kleiner Missionskapelle sowie das Gouvernementsgebäude liegen.
+Die einzelnen Häuser sind von schönen Gärten umgeben und stehen
+ziemlich weit auseinander, so daß Boma auf den ersten Anblick viel
+größer erscheint, als es tatsächlich ist. Vom Plateau aus genießt
+man einen prächtigen Rundblick auf den majestätisch dahinziehenden
+Strom, der nach dem Unterlaufe zu mit einer in das Bett hineinragenden
+Felsengruppe, dem sogenannten »Fetish-Rock« abschließt, während nach
+seinem Oberlauf die Ufer zu beiden Seiten ihn immer mehr einschließen.
+Zur Rechten erblickt man das Fort Shinkakassa, und zu Füßen, hinter
+Palmenanlagen, leuchten die weißen Dächer der Faktoreigebäude aus dem
+saftigen Grün hervor. Das wellenförmige Hügelgelände der Umgebung ist
+eine ausgedehnte unfruchtbare Grassteppe, deren Eintönigkeit hie und
+da durch einen mächtigen »Baobab« (Affenbrotbaum) oder »Wurstbaum«,
+nach den wurstartigen Früchten so benannt, belebt wird. Das Gelände
+durchschneidet ein kleiner Bach, der in einer Lagune in den Fluß
+einmündet und »Krokodilfluß« heißt. Vor Jahrzehnten soll das Gewässer
+eine Brutstätte für Krokodile gewesen sein.
+
+[Illustration: Palmenstraße in Boma]
+
+Was die einheimische Bevölkerung anbelangt, so ist Boma das moderne
+Babel der Negerrassen Innerafrikas. Als größere Garnisonstadt finden
+sich unter den Soldaten, die übrigens in ihrer dunkelblauen Uniform
+mit Pumphosen, roter Schärpe und dunkelrotem Fes höchst schmuck
+aussehen, Vertreter sämtlicher Rassen. Allerdings fallen bei ihnen
+die Stammesmerkmale nicht so sehr in die Augen, da sie meistenteils
+frühzeitig von ihrer Heimat weg Dienste beim Europäer angenommen und
+infolgedessen die Tätowierung vernachlässigt haben.
+
+Von Boma stromaufwärts verengt sich, wie gesagt, der Lauf des Stromes,
+und die Ufer zu beiden Seiten nehmen gebirgigen Charakter an. Die
+Fahrt wird immer genußreicher, und bei jeder Krümmung bietet sich dem
+entzückten Auge des Reisenden eine neue Offenbarung des mächtigen
+Waltens der Natur. Steile Felsen senken sich von beträchtlicher
+Höhe fast senkrecht zum Wasserspiegel hinab und schließen jede
+weitere Aussicht derart ab, daß das vor uns liegende Wasserbecken
+einem von allen Seiten eingeschlossenen Hochgebirgssee gleicht.
+Dies Bild wiederholt sich in immer anderer Gestalt fortwährend. Ein
+Landschaftsmaler könnte hier Motive für unzählige Bilder finden.
+Kommt man näher an die Ufer heran, so ist man erstaunt, zu sehen, wie
+hier die Natur vorgesorgt hat, die Öde und Eintönigkeit der Gegend
+zu verdecken und zu beleben, denn im Grunde genommen ist es doch
+ein trostloses Bild, das sich dem Auge bietet. Nichts als dürres
+Gras gedeiht auf diesen Steinfelsen und in der Tiefe, aus welcher
+befruchtende Quellen aus dem Gebirge kommen, einiges Laubwerk.
+
+Auf das lebhafteste wurde meine Phantasie angezogen durch die
+Riesenbrände, die gegen Ende der Trockenperiode allenthalben
+wahrzunehmen sind und gierig den letzten Rest der Vegetation
+verschlingen. Wir kamen an mehreren solchen Brandstellen vorüber. Auf
+meilenweite Entfernung stand das etwa zwei Meter hohe, trockene Gras
+in Flammen. So großartig dies Schauspiel auch ist, so grauenhaft ist
+es, mitanzusehen, wie der lechzende Dämon alles Lebende vernichtet.
+Wehe der Karawane, die ahnungslos in den Bereich eines solchen
+Brandes gelangt. Da hilft keine Flucht; denn wie ein Orkan fegt die
+Feuersbrunst daher. Ein paar Häuflein verkohlter Skelette sind alles,
+was binnen wenigen Minuten übrigbleibt. Diese Riesenbrände entstehen
+übrigens nicht von selbst, sondern werden von den Eingeborenen zu
+Jagdzwecken angefacht.
+
+[Illustration: Arbeiterdorf Boma.]
+
+Im Verlaufe unserer Reise kamen wir öfters an schwimmenden Inseln,
+Fetzen festen Landes von 30 bis 40 Meter Umfang, mit Bäumen und
+Gestrüpp bewachsen, vorbei. Auf einem derselben lagerte ein
+Riesenexemplar von Krokodil, das bei unserem Nahen schwerfällig ins
+Wasser glitt.
+
+Wir passierten auf unserer Fahrt, ohne anzuhalten, die malerisch in
+kleinen Ausbuchtungen, gleich Oasen in dieser Steinwüste, gelegenen
+holländischen Faktoreien Binda, Musuko, danach Muckula und zuletzt
+Noki. Alle diese Faktoreien liegen noch auf portugiesischem Gebiet.
+Kurz vor unserer Ankunft in Matadi hatte der Dampfer ein schweres
+Hindernis, den »=Chaudron d'Enfer=«, zu überwinden. Infolge einer
+quer durch das Flußbett laufenden Niveausenkung sowie der Anhäufung
+großer Felsmassen unter Wasser erreicht hier die Strömung eine
+außerordentliche Schnelligkeit und bildet Stromschnellen und Trichter,
+die kleinere Boote und Gegenstände, die in ihren Bereich kommen, in
+die Tiefe ziehen und zerschellen. Nur Schiffe, die über zwölf Knoten
+Geschwindigkeit laufen, können diese Stromschnellen passieren. Die
+Fahrt durch den Höllenschlund ist für jedes Schiff ein Ereignis; selbst
+mit großen Ozeandampfern haben sich hier bereits mehrfach Unglücksfälle
+ereignet.
+
+Unser Dampfer hielt einige Zeit unterhalb dieser Stelle, gleichsam
+um Kraft und Atem zur Bewältigung dieses letzten Hindernisses zu
+schöpfen. Der Dampf wurde auf höchstmöglichen Druck gebracht, so daß
+die Kessel zu explodieren drohten, und nun ging es vorwärts, an den
+großen Höllentrichtern vorbei. Wir sahen, wie vorbeischwimmende Balken
+und Gestrüpp in kreiselförmiger Bewegung von ihnen in die Tiefe gezogen
+wurden. Unserem Ozeanriesen konnten sie allerdings nichts anhaben,
+-- der Boden unter unseren Füßen zitterte und bebte --, langsam,
+fast unmerkbar, kamen wir trotz erhöhter Schraubengeschwindigkeit
+Schritt für Schritt durch Stromschnellen und den verderbenbringenden
+Trichter vorwärts, bis wir, um die Flußecke biegend, in der Ferne das
+an Felsenwänden erbaute Matadi, die Endstation der Flußschiffahrt
+am unteren Kongo, erkannten und binnen einer kleinen Viertelstunde
+erreichten.
+
+Matadi ist die inländische Bezeichnung, welche die Eingeborenen der
+Stadt gegeben haben, für »Fels« oder »Gestein«. Tatsächlich ist die
+Stadt in die Felsen hineingebaut, und Straßen und Anlagen mußten
+ursprünglich aus den Felsen mittels Dynamit herausgesprengt werden.
+Die Riesenarbeit, die seinerzeit bei Anlage der Stadt durch Sappeure
+und Genie-Truppen geleistet wurde, hat auf die leicht erregbare
+Phantasie der Eingeborenen einen derartigen Eindruck gemacht, daß sie
+von da an den neuen Staat mit »=m'bula matadi=« (Felsensprenger)
+betitelten, welche Bezeichnung ihm bis auf den heutigen Tag als Zeichen
+der Höchstleistung an übernatürlicher Kraft und Energie für die
+Eingeborenen geblieben ist.
+
+Matadi ist Ausgangspunkt der 500 Kilometer langen Eisenbahn nach dem
+Stanley-Pool und steht heute an Bedeutung und Einwohnerzahl als große
+Zwischenverkehrs-Station Boma kaum nach. Bei meinem ersten Besuch 1897
+war die Bahnlinie erst bis Kilometer 360 fertiggestellt und in Betrieb,
+und Matadi bestand nur aus ein paar Häusern, dem Betriebsgebäude
+der »=Compagnie du Chemin de Fer=«, unserer Faktorei Fuca
+Fuca und dem »Englischen Hause« in Chikenge. Inzwischen wurden
+Kaianlagen errichtet, um die Schienenstränge vor den alljährlichen
+Überschwemmungen zu schützen. Die Regierung verlegte einen Teil ihrer
+Verwaltung nach hier, die Eisenbahnverwaltung errichtete luftige, von
+kleinen Gärten umgebene »=Chalets=« für ihren Beamtenstab, große,
+mehrstöckige Faktoreigebäude eröffneten an einer Hauptstraße entlang
+ihre Stores, kurzum, die Stadt hat innerhalb eines Jahrzehntes großen
+Aufschwung genommen.
+
+[Illustration: Landungsbrücke und Eisenbahn von Matadi.]
+
+Selbstverständlich war Matadi damals, wo weder Baum noch Strauch auf
+den kahlen Felsen gedeihen konnte, zur Zeit der heißen Regenperiode
+eine wahre Hölle auf Erden. Die Rückwirkung der Sonnenstrahlen von
+den glühenden Granitfelsen und weißen Dächern der Gebäude um die
+Mittagszeit war derart, daß man kaum die Augen zu öffnen wagte und
+das Gefühl hatte, mitten in einer Feuersbrunst zu stehen. Die Hitze
+des Gesteins durchbrannte die Sohlen der Schuhe, und die Augenlider
+waren trotz schwarzer Augenbrillen und Tropenhelm angeschwollen. Um
+die Mittagszeit stockte daher jeder Verkehr, und wer irgend konnte,
+verschloß sich in die halbwegs kühlen inneren Faktoreiräume.
+
+Fuca Fuca war der Name der holländischen Faktorei und diese vorläufig
+das Endziel meiner Reise. Auch diese Bezeichnung stammt von der
+hiesigen eingeborenen, zum großen Teil Portugiesisch sprechenden
+Bevölkerung und heißt »Feuer Feuer«. Man sieht aus den beiden
+Beispielen, daß die Eingeborenen in ihren Bezeichnungen den Nagel auf
+den Kopf treffen.
+
+~Das Märchen von Fuca Fuca.~ Tief im Innern, in Angola, in
+einem Urwalde, abgeschnitten von der übrigen Welt, liegt ein kleines
+Negerdorf, aus nur wenigen Hütten bestehend. Hier herrschte Mukenge als
+unumstrittener Gebieter über das Häuflein der Treuen, die das große
+Sterben, das vor Jahren die Blüte und Auslese seines Stammes mit rauher
+Todessichel hinwegraffte, übriggelassen hatte. Nur einen seiner Söhne,
+Kalamba, hatten die bösen »Nkichi«-Geister verschont, und dieser war
+die Stütze und der Stolz seines alten Vaters.
+
+Fortuna hieß die Tochter des mächtigen Häuptlings Jongo Jongo, der in
+der großen Grassteppe, zwei Tagereisen gegen Sonnenaufgang, Gebieter
+über ein kriegerisches Volk war. Sie war eine Königstochter im wahren
+Sinne des Wortes; ihre Augen leuchteten wie die Sterne der Nacht; ihre
+Füße und Hände waren zart und klein, ihr Wuchs schlank wie der einer
+Gazelle.
+
+An einem der jeden Neumond inmitten des großen Urwaldes stattfindenden
+Markttage hatte Kalamba Fortuna zum ersten Male gesehen, und ihre
+strahlenden Augensterne hatten sofort das Feuer der Liebe in
+seinem Busen entfacht. Auch er war der schönen Königstochter nicht
+gleichgültig geblieben; denn Kalamba war ein junger, kräftiger, stolzer
+Mann.
+
+Monate vergingen, und bald entstand ein Gemurmel und Geflüster im
+Urwalde. Die Wipfel der Bäume und die Vögel des Waldes flüsterten
+das große Geheimnis einander zu, und eines Tages erschien Kalamba im
+Dorfe des Jongo Jongo an der Spitze einer großen, mit Geschenken reich
+beladenen Karawane, um die Königstochter zu freien.
+
+Der alte Jongo war ein schlauer und wegen seiner Zauberkünste
+gefürchteter Mann. Mit heuchlerischer Güte empfing er seinen künftigen
+Schwiegersohn und nahm die Hochzeitsgeschenke entgegen. Bevor er seine
+Einwilligung zur Ehe gab, meinte er, er müsse den Segen Zambis, des
+höchsten Gottes, erflehen und dessen Orakel befragen und bat Kalamba,
+einstweilen mit seiner Gastfreundschaft vorlieb zu nehmen. In Wahrheit
+aber sann er darüber nach, wie er sich des unerwünschten Freiers am
+besten entledigen könnte.
+
+[Illustration: Bangala-Mädchen im Tanzkostüm.]
+
+Am nächsten Morgen versammelte er sein ganzes Dorf um sich, um den
+Orakelspruch, der ihm in der Nacht geworden, feierlich zu verkünden. Am
+vorhergehenden Tage hatte man eine der als Hochzeitsgeschenk gebrachten
+Ziegen geschlachtet und von ihr verschiedene Teile Zambi als Opfer
+dargebracht. Jongo Jongo hatte die ganze Nacht im Gebet gelegen, und
+gerade um die Zeit, als »Ngondo«, der Mond, am höchsten stand, sei
+Zambi ihm in der Gestalt von »Djakombo« (Fetisch) erschienen und habe
+ihm folgendes verkündet:
+
+»Weit über Steppe und Urwald, dort, wo die Sonne in dem großen Wasser
+verschwindet, sei ein mächtiger Gott in der Gestalt eines weißen
+Mannes aus den Fluten des Meeres emporgestiegen. Im Bauche eines
+feuerspeienden Riesenfisches sei er auf der Oberfläche des Wassers
+aufgetaucht und an Land gekommen, eine Menge fremdartiger Gegenstände
+vom Grunde des Meeres mitbringend. Dieser fremde Gott habe Donner und
+Blitz in seiner Gewalt. Zu ihm solle Jongo Jongo seinen Schwiegersohn
+senden, und dieser solle ihm Donner und Blitz bringen, dann würde er
+der mächtigste Gebieter über sämtliche Stämme werden.«
+
+Mit Staunen und Entsetzen vernahmen alle Anwesenden die Stimme des
+Orakels, und Furcht und Schrecken bemächtigte sich ihrer. Doch
+Kalamba war ein mutiger Mann; Fortuna hatte sein Herz völlig in Bann
+geschlagen, und er erklärte sich sofort bereit, das Geheiß des Orakels
+zu befolgen. Vor seiner Abreise aber mußte Fortuna einen heiligen
+Schwur leisten, keinem anderen Manne zu folgen und seine Rückkehr,
+sollte sie auch viele Monde dauern, abzuwarten. Und Fortuna schwur
+bei der Frucht ihres Leibes. Mond um Mond verging, und Kalamba, der
+sich mit zwei Waffengefährten auf den Weg gemacht hatte, kehrte nicht
+zurück. Durch Urwald und Steppe, über heißen Wüstensand, war er immer
+dem Laufe der Sonne nachgewandert. Der eine Gefährte war dem Biß
+einer Sandviper erlegen, während der andere beim Durchschwimmen eines
+größeren Flusses von einem Krokodil von seiner Seite gerissen wurde.
+Endlich, nach langem Herumirren und Wandern, stieß er auf menschliche
+Spuren und, diesen folgend, schließlich auf das Lager des weißen
+Mannes, genannt »Nfumu Ntanga« (Herr der Sonne).
+
+Unbeschreiblich war das Erstaunen und der Schrecken Kalambas, als er
+zum ersten Male der Karawane des gefürchteten weißen Gottes ansichtig
+wurde. Vor Angst warf er sich zu Boden, wurde aber von den prächtig
+gekleideten Dienern vor Nfuma Ntanga geführt. Dieser sah ihn eine
+Zeitlang durchbohrend mit seinen blauen Augen an und redete dann mit
+ihm in einer Sprache, die er nicht verstand. Kalamba war, vor Schreck
+gelähmt, auf die Knie gesunken und erwartete jeden Augenblick, daß
+Donner und Blitz seinem Leben ein Ende bereiten würden. Als nichts
+dergleichen geschah, wagte er es, zuerst schüchtern und dann immer
+kühner, den neuen Gott und dessen Diener, die alle in kostbare, ihm
+unbekannte Gewebe gehüllt waren und glitzernde Ringe an Armen und Füßen
+trugen, zu betrachten.
+
+Langsam nur fand er die Sprache wieder und erzählte nunmehr seine
+Leidensgeschichte. Einer der Leute, die auch schwarz waren, wie
+er, verstand seine Sprache und verdolmetschte, was er erzählte.
+Dieser wurde sein Freund und beruhigte ihn darüber, daß er für
+sein Leben nichts zu fürchten habe. Er bestätigte ihm, daß Nfuma
+Ntanga tatsächlich mit einem »Machoa«-Schiff aus dem großen Weltmeer
+aufgetaucht sei und alle die wunderbaren Gegenstände, die Kalamba hier
+sah, mitgebracht habe. Diese Auseinandersetzungen wurden plötzlich
+durch einen donnerartigen Knall unterbrochen, der das Blut Kalambas zum
+Erstarren brachte. Hatte da nicht plötzlich bei hellem Sonnenschein der
+gefürchtete Feuergott gesprochen, der Bäume fällte und Hütten in Feuer
+und Flammen aufgehen ließ? Sein neuer Freund belehrte ihn, dies sei
+der Fetisch des Sonnengottes »Bunduki« (Gewehr) genannt, der demselben
+Macht über Tod und Leben aller Geschöpfe verleihe. Am nächsten Morgen
+nahm Kalamba all seinen Mut zusammen, trat vor Nfuma Ntanga hin und bat
+ihn, sein Diener werden zu dürfen.
+
+Monde und Monde vergingen. Kalamba hatte seinem neuen Herrn treue
+Dienste geleistet und bat ihn, von seinem Heimatdorf Fortuna, die
+Königstochter, als Gefährtin holen zu dürfen. Mit einem »Bunduki« und
+Pulver, prächtigen Armringen und Geweben aller Art beladen, zog er in
+die Heimat, um die Königsbraut zur Gattin zu machen.
+
+In seinem Heimatdorfe angelangt, fand er seinen Vater sterbend vor und
+erfuhr daselbst, daß Fortuna, seines Herzens Hoffnungsstrahl und Sonne,
+Fortuna, für die er sein Leben dahingegeben hätte und lange Monate in
+der Fremde Sklavenarbeit verrichtete, seiner vergessen hatte und dem
+Häuptling eines Nachbardorfes gefolgt war.
+
+In Kalambas Herzen wohnten, im beständigen Kampfe miteinander, zwei
+Dämonen, ein guter und ein böser. Bisher hatte der gute Dämon stets die
+Oberhand behalten. Von der Wucht der Nachricht aber war er vollständig
+niedergeschlagen, alle seine Hoffnungen waren zertrümmert. Dagegen
+wuchs sein Widersacher ins Riesenhafte. Rasender Schmerz und Zorn über
+die angetane Schmach übermannte Kalamba, das Blut kochte und wallte
+in seinem Herzen. Feuer sprühte ihm aus den Augen; nur durch den Tod
+konnte Sühne gefunden werden.
+
+Und in der folgenden Nacht raste der Todesengel durch den Urwald.
+Mit schrecklichem Vorgefühl sahen die Wipfel der Bäume und die Vögel
+des Waldes Kalamba an der Spitze seines Stammes lautlos, gleich
+einer Geisterschar, daherschreiten. Ihnen ahnte Schreckliches; denn
+aus seinen Augen glühten rote Blitze, zu seinen Häupten kreiste der
+Todesadler in den Lüften.
+
+Mit dem ersten Strahl der Morgensonne fuhr der Tod mit der Sichel über
+das schlafende Dorf und hielt reiche Ernte. Ein Morden und Würgen von
+Frauen, Männern, Kindern und Greisen begann, von dem die stärkste
+Phantasie sich kein Bild machen kann. Der gefürchtete Feuergott selbst
+war gekommen, um Rechenschaft in Blitz und Donner zu fordern. Der Wald
+hallte wider vom Todesächzen und Stöhnen zuckender und verstümmelter
+Menschenleiber. Fortuna war es in der ersten Verwirrung gelungen,
+unbemerkt das Freie zu erreichen. Da, wie aus dem Boden gewachsen,
+von oben bis unten in Blut gebadet, mit wutverzerrten Zügen, stand
+Kalamba als Rächer seiner Ehre vor ihr. Mit flehender Gebärde, die
+Arme emporstreckend, sank die stolze Königstochter, um Gnade flehend,
+in die Knie. Doch eher hätte ihr Schicksal einen Stein zu erweichen
+als das nach Blut lechzende Herz Kalambas zu rühren vermocht. Der böse
+Dämon forderte gebieterisch sein Opfer, und zu Tode getroffen, sank die
+Königsblume zu Boden. Der erste Sonnenstrahl brach durch die Wipfel der
+Bäume, küßte die an den Blättern hängenden Tautropfen und spiegelte
+sich in den brechenden Augen der Königstochter. Noch einmal flackerten
+diese auf, im Schwur hoben sich die Finger zum Sonnengestirn, gleichsam
+den Fluch desselben auf den Schuldigen herabbeschwörend, und Fortunas
+Seele hatte die sterbliche Hülle des Körpers verlassen und war auf den
+Sonnenstrahlen in das unbekannte Land ihrer Vorfahren entflohen.
+
+Während die Gefährten jubelnd Siegesorgien auf den Leibern der
+Gefallenen feierten, kehrte Kalamba einsam und finster in sein Heim
+zurück. Der Dämon im Innern war verstummt; er hatte seinen Willen
+erreicht, dafür meldete sich ein anderer Widersacher.
+
+Mörder der Geliebten! Mörder deiner eigenen Stammesverwandten!
+flüsterten die Bäume und zwitscherten die Vögel des Waldes ihm zu.
+Wie von Furien besessen, trieb es ihn durch Wald und Feld, von Heim
+und Hof. Weder bei Tage noch bei Nacht konnte er Ruhe finden. Sein
+Inneres war von dem beständigen Kampf zwischen befriedigter Rache und
+niederdrückendem Schuldbewußtsein zerfleischt. Der Sonne Strahlen,
+die alles Lebende befruchten und erfreuen, wurden ihm zum Rächer. Ein
+großes, glühendes Auge starrte rachedürstend in sein tiefstes Innere
+und lastete wie Blei auf seinem Kopfe.
+
+[Illustration: Fuca Fuca.]
+
+Nicht länger konnte er das Leben in der Heimat, bei den Freunden der
+Kindheit ertragen. Als einsamer, verlassener Wanderer gelangte er
+schließlich nach langen Irrfahrten, körperlich ein Greis, bei Nfuma
+Ntanga an. Aus Mitleid gab man ihm Arbeit und Feuerwasser, um seinen
+Kummer zu stillen. Noch gab es ein Mittel, um all die Stimmen im
+Innern, ja selbst die Sonne, zu bezwingen, und dies letzte Mittel mußte
+er versuchen.
+
+=Aguardente= (Feuerwasser) nennen die Eingeborenen die große
+Medizin, die dem weißen Gott Nfuma Ntanga die übernatürliche Kraft
+verleiht. Wenn die Seelen der Verstorbenen und böse Götter aller Art
+den Körper heimsuchen und das Gemüt bedrücken, wenn am frühen Morgen
+das Tier im Magen, das den Hunger hervorruft, knurrt, dann genügen
+einige Schluck dieses Zaubertrankes, um Geister, Sorgen und Hunger zu
+vertreiben. »Matabiche« (=mata bichu=, töte das Tier im Innern)
+beschwöre die Geister und treibe die Seelen der Verstorbenen aus! Dies
+war die mächtige Medizin, die immer noch geholfen hatte und die auch
+jetzt helfen sollte.
+
+Und am nächsten Tag, als zu den Foltergeistern im Innern sich noch das
+ungeheure Sonnenauge Fortunas gesellte und Kalambas Hirn durchbohrte
+und marterte, da spottete er hohnlachend seiner Peiniger. Stand er
+nicht unter dem Schutze des Gebieters der Sonne? Hatte er nicht die
+Macht in Händen, alle Geister zu bannen? Mit einem Ruck verschlang er
+die kostbare Medizin im Angesicht der glühenden Sonne.
+
+Taumelnd war Kalamba infolge allzu reichlichen Alkoholgenusses und der
+Einwirkung der Sonnenstrahlen zusammengebrochen. Ah! Wie das wärmte
+und brannte, wie das die Lebensgeister entfachte, und wie es in seinem
+Hirn wirbelte und tollte! Wo war das feindselig blutleuchtende Auge
+der Fortuna? Endlich war es versöhnt und seine Macht gebrochen. Nicht
+mehr drohend, sondern verheißend winkte es vom blauen Äther; gleich
+einer heißen Blutwelle senkte es sich auf den Sterbenden herab, dessen
+Körper in Liebe und Leidenschaft mit sich emporziehend; wildes Feuer
+durchtobte den Körper und drohte die Brust zu zersprengen. Während die
+Seele auf Schwingen der Liebe dem strahlenden Tagesgestirn zuschwebte,
+entrangen sich der keuchenden Brust die Worte: »O Fortuna!« Dann: »Fuca
+Fuca« (Feuer Feuer).
+
+Arbeiter, die den Sterbenden auffanden, hatten zufällig nur die letzten
+Worte gehört. Auf der Stelle, wo der Tote gefunden wurde, erhebt sich
+die heutige Faktorei, welche vom Volksmunde fortan »Fuca Fuca« genannt
+wurde.
+
+ * * * * *
+
+Fuca Fuca liegt am Fuße des Felsens, auf dem Matadi erbaut ist. Es
+besteht vollständig aus Pfahlbauten und wird alljährlich während der
+Regenzeit vom Strom überflutet. Obwohl die Faktorei als heißester
+und ungesundester Platz im ganzen Kongostaate berüchtigt ist, ist
+sie doch wegen ihrer Lage und infolge der Eisenbahnverbindung ein
+wichtiger Knotenpunkt und Transitposten. Seit Erbauung der Kaianlagen,
+die es ermöglichen, die Durchfuhrgüter direkt vom Dampfer in die
+Waggons und umgekehrt zu verladen, hat auch sie von ihrer früheren
+Bedeutung viel verloren. Zur Zeit meiner Ankunft war Fuca Fuca sowohl
+Produktenfaktorei als Haupttransit-Station für Waren, die nach dem
+Oberlauf des Kongo bestimmt waren, und wurde von einem Faktorei-Chef,
+zwei europäischen Beamten und einem Stab schwarzer Schreiber von
+der Küste verwaltet. Mein Vorgänger war einer derjenigen, die es am
+längsten -- nämlich 18 Monate -- hier ausgehalten hatten. Er war an
+Schwarzwasserfieber verschieden.
+
+[Illustration: Baobab-Baum bei Boma.]
+
+Fuca-Fuca war der Prüfstein meines Lebens. Wenige Menschen sind
+imstande, die nötige Energie und Aufopferung der eigenen Person
+aufzubringen, um alle die Krankheiten und Leiden, die mir die nächsten
+sechs Monate bringen sollten, zu überwinden.
+
+Zuerst wurde ich mit dem Ein- und Ausladen der Dampfer und Waggons
+sowie mit der Abwicklung des Transitverkehrs nach dem Oberkongo
+betraut. Mit kurzer Unterbrechung mittags war ich von sechs Uhr
+früh bis sechs Uhr abends fortwährend bei glühender Sonnenhitze auf
+den Beinen, bald ankommende Waggons von der Eisenbahngesellschaft
+anfordernd, bald Elfenbein und Kautschuk auf die Ozeandampfer
+verladend. -- Meine Natur war der Sonnenhitze und dem angestrengten
+Dienst schließlich nicht mehr gewachsen, und die ersten Fieber stellten
+sich ein. Diese waren meist sehr heftig, von Schüttelfrost begleitet,
+jedoch nur von kurzer Dauer.
+
+Die Trockenperiode, welche in diesen Breiten von April bis Anfang
+Oktober dauert, näherte sich ihrem Ende, und der Sommer hielt langsam
+unter unaufhörlichen feuchtheißen Regengüssen seinen Einzug. Der
+Sommer oder, besser gesagt, die Regenzeit währt hier von Mitte
+Oktober bis Ende März und zerfällt in zwei Perioden, die eigentliche
+Regenperiode zur Übergangszeit, also November und Februar, März, und
+dazwischenliegend »=la petite saison sèche=«, d. h. die kleine
+Trockenperiode.
+
+Gleich bei den ersten Regengüssen, die von ungemein heftigen
+Gewitterstürmen, sogenannten Tornados, begleitet waren, trat der
+Kongostrom aus seinen Ufern und überschwemmte einen Teil der Faktorei.
+Da sämtliche Gebäude, wie bereits erwähnt, Pfahlbauten sind, hinderte
+dies vorderhand am Betriebe nichts. Doch mußte ich, da auch die
+Schienenstränge überschwemmt waren, bei der Arbeit fortwährend im
+Wasser stehen. Das Bild des Bahnhofes von Matadi gewährte damals einen
+eigenartigen Anblick, da der ganze Bahnkörper oft einen Fuß hoch unter
+Wasser stand.
+
+Bald stellten sich die Folgen dieser ungesunden Tätigkeit bei den
+Arbeitern in Form von »Beri-Beri« -- eine Art Wassersucht --, bei mir
+in heftigen Gallfiebern ein, die mich wochenlang aufs Krankenbett
+warfen. Die Wasserhöhe war inzwischen beständig gestiegen, sie hatte
+in der Faktorei gegen 1-1/2 Meter erreicht. Das feuchte Element begann
+die Fußböden der Zimmer zu lockern und zu überfluten. Des Nachts kamen
+Krokodile in die Faktorei hereingeschwommen, die nach lebenden Wesen
+suchten und sich dann auf den Veranden breitmachten. Im Vorjahre war
+einer der Arbeiter von ihnen in Stücke zerrissen worden. Wenn auch
+die Türen von innen verriegelt und verschlossen waren, so war es
+doch kein angenehmes Gefühl, nur durch eine dünne Holzwand von den
+furchtbaren, heimtückischen Tieren getrennt zu sein. Endlich, als der
+Kongofluß auch das Hauptgebäude bis über den Flur überschwemmte, wurde
+mit der Übersiedlung in eine an der Berglehne aus Bambus errichtete
+primitive Baracke begonnen. Der Faktoreichef übersiedelte gleichzeitig
+mit uns beiden, da er nachts nicht allein unten bleiben wollte.
+Mein Krankheitszustand hatte inzwischen immer bedenklichere Formen
+angenommen, ich kam aus den Fiebern -- Wechselfieber, Gallfieber
+-- überhaupt nicht mehr heraus. Mein Kollege, Herr Hosemans, ein
+Holländer, lag an Rheumatismus, vollständig an allen Gliedern gelähmt,
+danieder und mußte an Bord des nächsten Europadampfers gebracht werden.
+Mein Chef, Bertoen, war an Schwarzwasserfieber erkrankt und lag im
+Sterben.
+
+Eben wieder von einem schweren Gallfieber hergestellt, ließ ich mir vom
+Stabsarzt ein Zeugnis ausstellen, wonach ein längerer Aufenthalt in
+dieser verseuchten Faktorei für mich eine Katastrophe bedeuten würde,
+und mit diesem Dokument in der Hand ersuchte ich um meine sofortige
+Versetzung oder um meine Entlassung. Mit dem nächsten Dampfer traf mein
+Nachfolger und gleichzeitig ein Schreiben aus Banana ein, worin mein
+Gesuch bewilligt wurde.
+
+
+
+
+ In Boma. Eine Nilpferdjagd.
+
+
+Kurz vor meiner definitiven Abreise nach dem Oberkongo wurde ich
+noch auf zwei Monate nach Boma gerufen, um dort einen schwerkranken
+Kameraden zu vertreten. Während meines kurzen Aufenthaltes daselbst
+hatte ich Gelegenheit, eine Nilpferdjagd mitzumachen, die mir
+unvergeßlich bleiben wird. Nichts in meinem bisherigen Leben läßt sich
+mit den Eindrücken vergleichen, welche dies Erlebnis auf mein Gemüt
+ausübte. Endlich einmal, nach vielen Monaten, ein echt afrikanisches
+Abenteuer, wie es mir in der Phantasie in Europa vorgeschwebt hatte.
+
+Allerdings bildete ich nach diesem Ereignis eine Jammerfigur, von oben
+bis unten von ungezählten Moskitos zerstochen, Augenlider, Lippen und
+Hände bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. Meine Füße, die beim Waten
+im Sand den ganzen Tag über den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt
+waren, verloren nachher die Haut in Fetzen, wobei ich wahnsinnige
+Schmerzen aufzustehen hatte.
+
+Doch was hatte all dies zu bedeuten gegenüber jenem Hochgefühl
+im Augenblick der Gefahr, wenn der Mensch diesem Zyklopen eines
+vergangenen Jahrtausends gegenübertritt, wenn der mächtige Koloß
+unter lautem Gebrüll mit geöffnetem Rachen sich auf das schmächtige
+Boot stürzt, alle Insassen mit sicherem Tod und Verderben bedrohend,
+gegenüber jenem Jubelschrei, der sich der Brust entringt, wenn die
+Intelligenz in diesem ungleichen Kampf der Kräfte Sieger geblieben ist
+und das mächtige Tier, zu Tode getroffen, verendet?
+
+Magalhaes und Pereira, zwei Portugiesen, die den Fleischbedarf Bomas
+seinerzeit fast ausschließlich deckten, waren die ersten, die das
+Züchten von Nutz- und Schlachtvieh auf einer Insel unterhalb »Punta de
+Lenha« in großem Stil versuchten. In Sportkreisen waren sie als die
+erfolgreichsten Nilpferd- und Büffeljäger allgemein bekannt, und ich
+war daher hocherfreut, von Pereira gelegentlich zu einer solchen Jagd
+eingeladen zu werden.
+
+Es war gegen 2 Uhr früh und noch finstere Nacht, als wir in einem
+Eingeborenen-Kanu, das mit zehn Ruderern bemannt war, langsam
+stromabwärts fuhren. Die Neger waren hübsche, kräftig gebaute, mit den
+Gefahren dieser Jagd völlig vertraute Leute. Bei ihrem Gesange und
+dem gleichmäßigen Ruderschlag glitten wir fast ohne jede schaukelnde
+Bewegung des Bootes dahin. Meine Augen, geblendet von den Hafenlichtern
+von Boma, gewöhnten sich nach und nach an die Dunkelheit und suchten
+sich zu orientieren. Die Lichter Bomas verschwanden langsam; dafür
+glitzerten zur Rechten die Feuer von »Shinkakassa« und ganz in der
+Ferne ein großes Signalfeuer am Fetish-Rock, »=Pedro feitice=«
+genannt. Mit dem Felsen verknüpft sich eine ähnliche Sage wie mit
+dem Loreleifelsen am Rhein. Auf ihm sitzt, nach dem Glauben der
+Eingeborenen, ein Dämon, der alle vorbeifahrenden Boote in die Tiefe
+zieht. Selbst große Ozeanschiffe arbeiten stromaufwärts an dieser
+Stelle oft eine Stunde, um durch die Strudel und Stromschnellen
+hindurchzukommen. Je mehr wir uns ihr näherten, um so mächtiger und
+unheilverkündender wurde ein dumpfes Brausen, das vom Brechen der
+Strömung an den Felsmassen herrührte, vernehmlich. Diese selbst
+riß uns bald in rasender Fahrt mit sich. Bald kam uns eine heftige
+Gegenströmung entgegen, die mit aller Kraftanstrengung überwunden
+werden mußte, damit wir von ihr nicht in die alles vernichtenden
+Strudel und Trichter gezogen wurden. Wir passierten die gefährliche
+Stelle, indem wir uns ganz knapp am gegenüberliegenden Ufer hielten.
+Unterhalb des Fetish-Rock verbreitert sich der Strom und umfaßt
+zahlreiche Inseln, die mit hohem Schilfgras bewachsen sind. Wir waren
+in unserem Jagdrevier angelangt und wurden sofort von einem Heer von
+Moskitos überfallen, die uns buchstäblich aussaugten. Niemand, der
+nicht selbst einmal das Opfer dieses blutdürstigsten aller Insekten
+gewesen ist, kann sich eine Vorstellung von den Qualen machen, die wir
+bis Sonnenaufgang zu erdulden hatten.
+
+Unsere Ruderer hatten auf ein Geheiß Pereiras ihre Tätigkeit
+eingestellt, um das Erwachen des Tages abzuwarten. Klatschend fielen
+ihre Hände auf die nackten Körper, um ihre Peiniger zu töten. Hier und
+da plätscherte ein Ruder im Wasser, fremdartige Laute verkündeten den
+anbrechenden Tag, junge Wildgänse flogen mit hellem Gekreisch aus dem
+Schilf, während das eintönige Quaken der Frösche, dem sich der Ruf
+der Unken als beständiger Begleitton beimischte, die Sinne in Schlaf
+wiegten. Allmählich kam Leben in unsere Umgebung. Große Raubfische
+sprangen mit lautem Geplätscher aus dem Wasser; Enten, Reiher und das
+zahlreiche gefiederte Volk dieser Inseln stimmten ihr Morgenlied an.
+Lockrufe des Bulikoko und anderer großer Vögel ertönten dazwischen,
+und schließlich formte sich das Ganze zu einem Jubelchor der
+erwachenden Natur.
+
+Meine Sinne waren von diesen starken Eindrücken noch ganz befangen,
+als von ferne plötzlich zweimal ein tiefes Brüllen mächtig und drohend
+über die stille Wasserfläche zu uns herüberdrang. Wie ein Blitz
+aus heiterem Himmel fuhr es uns in die Glieder; wir waren alle wie
+elektrisiert. Ohne ein Kommando abzuwarten, ergriff jeder Mann sein
+Ruder, und aufrechtstehend, jeden Nerv und jede Muskel angespannt, mit
+leuchtenden Augen und pochenden Herzen, zog er es im gleichen Takt
+lautlos durch die spiegelglatte Wasserfläche, so daß das Kanu wie ein
+Pfeil dahinglitt. Vorsichtig, möglichst jedes plätschernde Geräusch
+vermeidend, fuhren wir an Einbuchtungen, Inseln und Sandbänken vorbei,
+aus welchen graue und weiße Fischreiher, Pelikane, Regenpfeifer,
+Störche, Gänse und Enten überrascht aufflogen.
+
+Bei jeder neuen Ausbuchtung vermeinten wir der Tiere ansichtig zu
+werden. Doch wir hatten uns in der Entfernung getäuscht und mußten
+noch etwa eine halbe Stunde rudern, eine halbe Stunde -- eine Ewigkeit
+für unsere fieberhaft gespannten Nerven. Schließlich gelangten wir
+wieder zu einer tiefen Einbuchtung, die einen Ausblick in einen kleinen
+Binnensee bot, ein Motiv, das in allen afrikanischen Landschafts-
+und Flußbildern so oftmals wiederkehrt. Vor uns, kaum 200 Schritte
+entfernt, den Kopf uns abgewandt, schwamm ruhig ein anscheinend älteres
+Hippopotamus. Es hatte uns nicht bemerkt und tauchte von Zeit zu Zeit
+in unserer Fahrtrichtung unter. Diese Zwischenpause benutzten wir, um
+mit Leibeskräften vorwärts zu rudern. Tauchte das Tier wieder auf, so
+legten wir uns platt in das Kanu. Auf diese Weise kamen wir dem Tier
+schnell näher, ohne von ihm bemerkt zu werden. Schon fürchtete ich,
+daß wir es überholt hätten und daß das Tier sich unter uns befinden
+müsse, als es plötzlich dicht vor unserem Bug auftauchte. Ein scharfer
+Knall -- und das Tier verschwand wieder, diesmal allerdings in rasender
+Flucht, daß das Wasser nur so schäumte. Um so deutlicher zeigte sich
+die Spur auf dem Wasser, und dieser folgten unsere Neger, nun wieder
+mit höchster Anspannung der Kräfte rudernd. Wir mochten unserem
+Leittier so etwa 50 Meter gefolgt sein, als plötzlich zu unserer
+Rechten, auf kaum zehn Meter Entfernung, eine ganze Herde von acht
+bis zehn Nilpferden in wilder Flucht auf- und übereinander stürzten.
+So plötzlich und unerwartet sich dieses Schauspiel vor unseren Augen
+abspielte, waren wir doch alle gewissermaßen darauf vorbereitet, und
+pang, pang krachten von unseren drei Büchsen fortwährend Schüsse. Ein
+Jubelgeschrei unserer Ruderer, und wir sahen eine schwere, graue Masse
+die Beine teilweise aus dem Wasser strecken. Dies alles war das Werk
+weniger Sekunden. Die nicht getroffenen Tiere stürzten rechts und
+links von unserem Boote in Riesensätzen ins tiefe Wasser, während ein
+junges Exemplar, von Angst gepeitscht, im Schilf verschwand. Unsere
+Ruderer hatten indessen alle Mühe, unser Boot aus dem Bereiche der
+sich überstürzenden Kolosse zu bringen, um das Vollschlagen mit Wasser
+zu verhindern. Beim Absuchen des Terrains ergab sich, daß zwei Tiere
+verendet waren. Man kann sich schwerlich einen Begriff von unserer
+Freude machen, noch weniger aber von dem Taumel der Neger, die sich wie
+Wahnsinnige gebärdeten, den aufgedunsenen Körper betasteten, an den
+beiden Saugzapfen der Weibchen sogen oder durch den Exkrementenkanal
+mit dem ganzen Arm in dem noch warmen Körper wühlten. Die beiden Tiere
+waren Weibchen von mittlerer Große und wogen etwa 3000 Kilogramm.
+
+Nachdem der erste Freudentaumel verflogen war, wurden beide Weibchen
+von sämtlichen Ruderern, die sich ihrer Lendentücher entledigt
+hatten, auf eine nahegelegene Sandbank gewälzt und die Bauchhöhlen
+mit Faschinenmessern aufgehackt. Beim Entfernen der Eingeweide wurden
+unsere Leute in völligen Blutrausch versetzt. Nacheinander sprang jeder
+einzelne in die Bauchhöhle und badete sich in dem noch rauchenden Blut
+der Tiere. Auch Magalhaes und Pereira hatten sich inzwischen ihrer
+Kleider entledigt, um die auf der unter Wasser stehenden Sandbank
+stattfindende Arbeit zu leiten. Ich folgte ihrem Beispiel. Es mochte
+gegen 6 Uhr morgens sein, und ein Fußbad konnte unseren zerstochenen
+Füßen nur guttun.
+
+In einiger Entfernung hielten sich respektvoll einige Krokodile,
+die durch den Fleischgeruch, die abtreibenden Abfälle und das Blut
+angelockt waren. Doch keines dieser bei Tag äußerst scheuen Tiere wagte
+sich so weit in die Nähe, um uns einen guten Schuß zu ermöglichen.
+
+Gegen 11 Uhr vormittags waren die beiden Nilpferde mittels schwerer
+Holzhacken so weit zerlegt, daß der größte Teil in das Boot verladen
+werden konnte. Da die einzelnen Teile immer noch zu schwer zum Heben
+waren, wurde das Boot zum Sinken gebracht. Das durch die Tragfähigkeit
+des Wassers verminderte Gewicht des Fleisches erlaubte jetzt, die
+Stücke ohne weiteres im Innern des Kanus zu verstauen. Zum Schluß
+kam über das Ganze, gleichsam als Schutzdach gegen die sengenden
+Sonnenstrahlen, der ausgeweidete Körper des einen Nilpferdes. Der Rest
+des anderen Tieres wurde inmitten einer Insel derart untergebracht, daß
+die Krokodile es nicht leicht wegschleppen konnten. Hierauf wurde das
+Wasser aus dem Kanu ausgeschöpft, und wir nahmen wieder darin Platz.
+Das Boot war nunmehr so stark beladen, daß sein Rand nur um halbe
+Handbreite aus dem Wasser herausragte. Nachdem wir uns an gebackenen
+Fischen, einer Mettwurst, Kieler Sprotten, Schinken und Hühnern in
+Dosen sowie einigen Flaschen Rotwein herrlich delektiert hatten, begann
+die Heimfahrt. Ich saß mit Magalhaes rittlings auf dem Rücken des einen
+Nilpferdkadavers und mußte in dieser schwierigen Stellung bis 1 Uhr
+nachts, also gegen zwölf Stunden, aushalten. Rühren durfte ich mich
+nicht, da bei der geringsten Bewegung sofort Wasser ins Boot schlug.
+
+[Illustration: Erlegtes Nilpferd.]
+
+Während die Fahrt frühmorgens mit der Strömung ein wahrer Genuß war,
+kann ich von der Rückkehr nur das Gegenteil sagen. Das schwerbeladene
+Boot kämpfte sich wie ein Bleiklotz Schritt für Schritt, immer dicht am
+Ufer und am Schilf entlang, stromauf vorwärts. Um die Hauptströmung zu
+vermeiden, mußte ein Riesenumweg in kleinen, seichten Kanälen gewählt
+werden. Langsam verschwand die Sonne am Firmament als leuchtender,
+roter Feuerball; die Dämmerung rückte heran; es wurde dunkler und
+dunkler und die Ausdünstung des Nilpferdfleisches immer unerträglicher.
+Mit anbrechender Dunkelheit fielen wieder Schwärme von Moskitos über
+uns her und peinigten uns auf das furchtbarste. Hände, Kopf und Füße
+waren von den Blutflecken der erschlagenen Insekten wie tätowiert.
+Meine Kräfte erlahmten, und im Sitzen ließ mich die Müdigkeit in
+eine Art Halbschlummer fallen, als ich von meinem Nachbar Magalhaes
+plötzlich unsanft wachgerüttelt wurde. Dicht vor uns, auf kaum zwanzig
+Schritte Entfernung, trat ein mächtiger Hippopotamus aus dem Schilf und
+kreuzte, gemächlich durch das seichte Wasser watend, unseren Weg.
+
+Die Dämmerung ließ die Umrisse des ungeschlachten Tieres noch über
+seine normale Größe hinauswachsen. Unwillkürlich kamen mir bei seinem
+Anblick die Riesen der Vorzeit, die Ichtiosaurier und Dynosaurier, in
+den Sinn. Niemals später im Leben habe ich einen ähnlichen Schrecken
+und -- ich sage es aufrichtig -- eine solche Angst empfunden. Unser
+Boot näherte sich inzwischen immer mehr dem Kreuzungspunkt, wo es mit
+dem Flußpferd zusammenstoßen mußte. Mir sträubten sich die Haare bei
+dem Gedanken, daß das Tier unser schwer lenkbares Boot angreifen würde;
+doch kümmerte es sich merkwürdigerweise gar nicht um uns. Vorher auf
+der Jagd hatte ich nur einen Teil des Oberkörpers sowie den ungeheueren
+Kopf der Bestie gesehen; dies Tier aber ragte in seiner vollen Größe
+aus dem Wasser und schien in der Dämmerung ins Ungeheuere zu wachsen.
+Pereira, der die Eigenschaften des Flußpferdes kannte und es offenbar
+darauf ankommen lassen wollte, wer von beiden den kürzeren zog, gab
+schließlich einen kurzen Befehl; die Ruderer bremsten das vorwärts
+treibende Boot mit aller Macht und ließen das Tier vorbei. Pereira,
+den Finger am Drücker seines Gewehres, rührte sich nicht in seinem
+Stuhl. Langsam, Schritt für Schritt, tief im Sande versinkend, zog das
+Flußpferd etwa zwei bis drei Meter vor unserer Bootsspitze vorüber,
+zeitweilig stehenbleibend und uns herausfordernd anbrüllend. Weit riß
+es den ungeheueren Rachen auf, tief und drohend hallte das Brüllen
+ins Land hinein, bis es in weiter Ferne von irgendeinem Kampfbullen,
+der es als eine Herausforderung betrachtete, gleichsam als Echo
+wiedergegeben wurde.
+
+Ich saß wie versteinert auf meinem unsicheren Sitz. Die gespenstischen
+Schatten der Dämmerung, die unermeßliche Macht der schaffenden Natur,
+welche sich in dem drohenden Ungeheuer da vor uns kundgab, hatten mich
+vollständig gelähmt. Ich fühlte plötzlich die unsichtbaren Gewalten und
+tausenderlei Gefahren, denen wir ahnungslos in diesem wilden Kontinent
+entgegentreten.
+
+Doch auch diese Gefahr ging glücklich an uns vorüber, und unsere
+mühsame Weiterfahrt stromaufwärts verlief ohne jeden weiteren Unfall.
+Gegen ein Uhr nachts langten wir nach vollbrachter Riesenarbeit unserer
+Ruderer -- die armen Teufel hatten zwölf Stunden ohne Unterbrechung das
+schwerbeladene Boot gegen die Strömung hinaufgerudert -- in Boma an, wo
+ich nach Verschlucken einer Doppelration von Chinin, an allen Gliedern
+wie gelähmt, sofort in tiefen Schlaf verfiel. Leider blieb dies die
+einzige Jagd auf Nilpferde, die ich am Unterkongo mitmachte.
+
+Etwa vier Wochen später wurde Magalhaes bei einer Jagd auf ein
+Nilpferdjunges von der Mutter, die er nicht bemerkt hatte, angegriffen.
+Das alte Tier warf das Kanu um, zertrümmerte einem Neger mit einem
+Hufschlag die Hirnschale und stürzte sich auf den des Schwimmens nicht
+kundigen und infolgedessen nach Hilfe rufenden Magalhaes, den es am
+Oberschenkel erwischte, mehrmals biß und in die Luft schleuderte, bis
+Magalhaes besinnungslos zwischen Schilfgras zu liegen kam. Die Neger
+hatten inzwischen das Boot gedreht und brachten den Besinnungslosen
+nach Boma, wo er infolge mehrfacher Brüche und Zerschmetterung des
+Oberschenkels und eines Armes sowie innerer Verletzungen binnen wenigen
+Stunden verschied.
+
+
+
+
+ Produktenhandel mit den Eingeborenen.
+
+
+Doch nicht zum Vergnügen der Nilpferdjagd hatte die Direktion mich
+von Matadi nach Boma auf die Produktenfaktorei herunterkommen
+lassen. Wie bereits erwähnt, hatte ich hier Herrn Bürbank, Chef
+der Produktenfaktorei -- einen liebenswürdigen Holländer, der an
+Schwarzwasserfieber erkrankt war --, zu vertreten. Als abgehärmtes
+Skelett fand ich den lebensfrohen Mann ans Bett gefesselt und von
+der Wucht der schrecklichen Krankheit, die mit der Dysenterie die
+meisten Todesopfer fordert, vollständig niedergeworfen vor. Drei
+lange Tage hatte er in beständiger Lebensgefahr geschwebt und große
+Mengen Galle gebrochen, bis Podiferin -- =Pillules Antibilieuses=
+-- und wiederholte kräftige Einläufe den Körper so weit von allen
+Krankheitsstoffen befreit hatten, daß der versiegende Lebensfunken
+wieder langsam aufflackern konnte.
+
+Ich hatte in der relativ kurzen Zeit meines Aufenthaltes in Banana und
+Fuca-Fuca von der meist portugiesischen Dienerschaft und Bevölkerung
+so viel von der Sprache gelernt, um ohne weiteres mit den Eingeborenen
+ohne Dolmetscher Handel treiben zu können. Der Produkteneintausch mit
+den Eingeborenen spielt sich ungefähr folgendermaßen ab:
+
+Frühmorgens werden die Linguister (Eingeborene, die die Karawanen durch
+Versprechungen in die Faktorei locken sollen) mit Alkohol und allerlei
+Zierat, als Geschenke bestimmt, in die verschiedenen Richtungen,
+die ins Innere des Landes führen, ausgesandt. Schlaue Portugiesen
+hatten diesen Modus des Handels wegen der immer heftigeren Konkurrenz
+ausgedacht, und wir anderen mußten folgen, wollten wir nicht alle
+Karawanen zur Konkurrenz ziehen sehen. Von der Tüchtigkeit dieser
+Linguister im Lügen und Vorschwindeln, von der Stärke des Alkohols (die
+Portugiesen hatten allerhand Kniffe, um den Geschmack desselben durch
+Beimischen von Gewürznelken oder auch Cayenne-Pfeffer noch zu erhöhen)
+und schließlich auch von dem Ansehen, den dieser bei ihnen genoß,
+hingen dann hauptsächlich die Geschäftsresultate ab. Hatten unsere
+Linguister durch irgendeinen neuen Kniff die Leute betört, dann kamen
+in langen Reihen die Karawanen, jeder Mann seinen »Kisako«, eine Art
+Tragkorb, auf dem Kopf, der mit Kautschuk, Palmnüssen, Palmöl oder auch
+Elfenbein gefüllt war, in die Faktorei hereinspaziert.
+
+Doch damit ist der Handel noch lange nicht erledigt. Die Konkurrenz
+hat mit scheelen Augen die Karawane vorüberziehen sehen und dabei
+nochmals durch ganz besonders gewandte Neger den Leuten »das Blaue vom
+Himmel versprechen lassen«. Gewöhnlich begleitet der eine oder andere
+Konkurrenzbote die Leute bis in die eigene Faktorei. Dazu werden von
+den Portugiesen wieder Eingeborene aus solchen Dörfern verwendet,
+die uns zumeist unbekannt sind. Werden sie ausfindig gemacht, dann
+verlassen sie hinkend die Faktorei und kehren bestimmt nicht wieder.
+
+[Illustration: Produktenhandel.]
+
+Jetzt beginnt ein Feilschen und Schachern, wovon ein europäischer
+Kaufmann sich schwer einen Begriff machen kann. Alkohol wird bei diesen
+Unterhandlungen im Überfluß gespendet. Mata biche (töte das Tier im
+Magen -- den Hunger --) ist das erste Wort und auch das letzte bei
+jeder Verhandlung. Im Halbkreis um die Wage herum sitzen die Neger
+und packen mit einer Umständlichkeit ihre Siebensachen aus ihren
+Körben heraus, die uns Europäern ein Lächeln entlockt. Gewöhnlich ist
+der Häuptling der Erste und Anspruchsvollste, der mit einigen Kilo
+Kautschuk an die Wage tritt. Der Preis, den er zuerst dafür fordert,
+ist das Dreifache des eigentlichen Wertes. Wer ärgerlich davonläuft,
+wird von einem Bakongo niemals ein Lot Kautschuk kaufen. Am meisten
+Erfolg wird stets der haben, der als Philosoph ruhig lächelt und das
+Ganze als lustigen Scherz auffaßt. Denn die Leute wissen ganz gut, daß
+das, was sie fordern, unmöglich ist, und grinsen ganz vergnügt, wenn
+der weiße Chef sie auslacht. Inzwischen werden bedächtig die kleinen,
+kunstvoll gearbeiteten Tonpfeifen in Brand gesetzt, die Alkoholflasche
+geht von Hand zu Hand, und die Kerls setzen sich gemächlich, als ob
+sie die ganze nächste Woche verhandeln wollen. Die Leute haben Zeit,
+Zeit, riesig viel Zeit. Sie kommen acht bis zehn Tagereisen aus dem
+Innern und wollen nun alles Neue, was um sie vorgeht, in Gemütsruhe
+auffassen und genießen. Darum »Eile mit Weile«!
+
+Ganz gemütlich kehre ich nach der ersten Begrüßung an meinen
+Frühstückstisch zurück. Ist der mitgekommene Häuptling eine gewichtige
+Persönlichkeit oder mir von früher her bekannt, so lasse ich ihm
+durch einen Moleque -- portugiesische Bezeichnung für Diener --
+eine dampfende Tasse schwarzen Kaffee bringen. Dies schmeichelt
+seiner Eitelkeit ganz besonders und macht ihn um einen großen Grad
+entgegenkommender. Inzwischen kommen immer neue Karawanen herein, die
+dem ersten Beispiel folgen.
+
+Nach dem ersten Frühstück kehre ich abermals zur Wage zurück. Die Leute
+sind inzwischen im Preise heruntergegangen, verlangen aber immer noch
+zu viel. Ich erkenne, daß eine Einigung vorläufig unmöglich ist, und
+wende mich den Neuangekommenen zu. Bei ihnen gewöhnlich Wiederholung
+ungefähr der gleichen Prozedur.
+
+Unter die zuerst Angekommenen habe ich inzwischen einige Ringe
+Lukolela-Tabak verteilen lassen. Diese Gratisverteilung imponiert ihnen
+offenbar sehr; sie ziehen mit Behagen den Duft des bei ihnen ganz
+besonders beliebten Krautes ein und überlegen im stillen, wie viele
+solcher Ringe sie sich als »Matabiche« mitnehmen werden. Inzwischen
+sind die Türen des Faktoreigebäudes geöffnet worden, wo Reihe an Reihe
+große Mengen von Tüchern, Baumwollstoffen aller Art, kurz ein ganzes
+Arsenal von begehrenswerten Dingen aufgestapelt liegen. Der Wunsch, all
+dies zu besitzen, stimmt sie nachgiebiger. Den Anführer oder Häuptling
+habe ich beiseite genommen und ihm außer den gewöhnlichen Draufgaben
+noch ein Extra-Matabiche versprochen, wenn er mir beim Kauf zur Seite
+steht. Kurzum, wir einigen uns auf einen Preis, der vorläufig mein
+Kauflimit noch überschreitet. Gestreifte und geblümte Baumwollstoffe
+in allen möglichen grellen Farben, Faschinenmesser, Hauen, Arm- und
+Beinringe aus Messing, Perlen, einige Säcke Salz usw. haben ihren
+Besitzer gewechselt und werden nun mit kritischen Augen betrachtet. Hat
+der Anführer nun erst einmal gekauft, so folgen alle anderen, wie eine
+Herde Schafe ihrem Leithammel. Diese sind bei weitem nicht so gerieben
+und verwöhnt wie der erste und nehmen, was man ihnen gibt. An ihnen
+muß die erste Differenz sowie das Extrageschenk dazu verdient werden.
+Schließlich wird der ganze Kauf noch in einer Runde Alkohol sowie
+verschiedenen Runden Schnupftabak gewissermaßen besiegelt. Ich habe
+inzwischen schnell die Gesamtbilanz gezogen und den Häuptling allein
+zu mir ins Magazin gebeten. Unsere weiteren Verhandlungen bleiben für
+alle, selbst für meine Leser, ein Geheimnis.
+
+Es kommt aber auch vor, daß man von den Eingeborenen hineingelegt wird.
+Davon nur ein tragikomisches Beispiel. Eines Tages erhielt ich den
+Besuch eines großen Häuptlings »Nfuma mafuta mingi« der Mayumbe-Region.
+Er sah außerordentlich vornehm aus. Die dünnen, langen, mit schwarzem
+gekrullten Haar bedeckten Beine staken in einer Pumphose, die vor
+Jahren einmal weiß gewesen war; um den knochigen Körper schlotterte ein
+Gehrock, in den an verschiedenen Stellen mittels weißen Zwirns Flicken
+eingesetzt waren. Die mit Amuletten aller Art verzierte Brust schmückte
+stolz die Nickelmedaille, das Abzeichen der vom Staat anerkannten
+Häuptlinge. Mit dem Gruße »Mbote Nfuma« trat der Mann, gefolgt von zwei
+Eingeborenen seines Dorfes, zu mir auf die Veranda, nahm aus den Händen
+seiner Diener zwei große fette Hühner sowie eine Kalebasse mit süßem
+Palmwein und legte sie mit hoheitsvoller Würde zu meinen Füßen nieder.
+Das mindeste, was man in solchen Fällen tun kann, noch dazu, wenn man
+ein Geschenk erhält, ist, seinem Gast einen Stuhl anzubieten. Dies tat
+ich, und Nfuma mafuta mingi drehte zuerst das eine Bein einwärts, dann
+das zweite und setzte sich darauf mit sehr viel Würde mir gegenüber
+nieder.
+
+Behaglich lehnte ich mich inzwischen in meinen Stuhl zurück und
+harrte der Dinge, die da kommen sollten. Einige Minuten völligen
+Stillschweigens vergingen, dann begann Mafuta mingi:
+
+»Ich komme von meinem Dorf.«
+
+»Gut, das freut mich,« erwiderte ich und überlegte im stillen:
+Sicherlich will der Mann irgendeinen Dienst von mir, daher die
+Geschenke.
+
+Wir sahen einander einige Minuten schweigend, prüfend an.
+
+Dann fuhr er fort: »Um dir guten Morgen zu sagen.«
+
+Ich bin von jeher ein höflicher Mann gewesen und erwiderte nun
+meinerseits den Gruß, gespannt, was darauf folgen sollte. Wieder langes
+Stillschweigen -- endlich:
+
+»Ich bringe dir hier dieses Geschenk.« Ah, denke ich, jetzt kommt
+es. Doch wieder hatte ich mich getäuscht. Nach weiteren fünf Minuten
+Stillschweigens fing ich an ungeduldig zu werden und fragte mich
+vergeblich, was der gute Mann eigentlich von mir wollte. »Ist das
+alles, und bist du darum aus dem Dorfe gekommen, um mir nur guten Tag
+zu sagen und ein Geschenk zu bringen?«
+
+Diese Frage verwirrte ihn offenbar noch mehr, und er antwortete: »Ich
+habe dir dieses Geschenk gebracht, weil du mein Chef und ein guter Chef
+bist und weil ich dich lieb habe.«
+
+»Ah, sehr brav, sehr brav, mein lieber Freund«, antworte ich
+darauf, innerlich tief beschämt und erstaunt über so viel Liebe und
+Aufmerksamkeit von seiten eines Mannes, den ich bisher höchstens
+dreimal gesehen.
+
+Wieder hüllten wir uns in tiefes Stillschweigen. Die Idee, daß der gute
+Mann eigens mir zuliebe die weite Reise gemacht haben sollte, wollte
+mir doch nicht so recht in den Kopf. Wäre ich ein abergläubischer
+Mensch gewesen, so hätte ich jetzt ernstlich Furcht vor irgendeiner
+Hexerei empfunden, die der Häuptling mit mir vorhatte, so unverwandt
+und durchdringend blickten seine Augen mich an. Doch da ich als guter
+Mensch von meinen Nächsten stets das Beste denke, so hatte ich keine
+Furcht, sondern fühlte nur ein leises Unbehagen, zumal ich nicht recht
+wußte, auf welche Weise ich mich für so viel Güte revanchieren sollte.
+Ich verließ also meinen Lehnstuhl und machte einen kleinen Rundgang in
+der Faktorei, um die verschiedenen Arbeiten zu inspizieren. Das war
+gegen 9 Uhr morgens. Etwa eine Stunde später kehrte ich auf die Veranda
+zurück und fand den guten Mann, den ich völlig vergessen hatte, mit
+seinen beiden Dienern auf der gleichen Stelle hockend vor.
+
+»Mfumu, seit etwa vierzehn Tagen habe ich hier« -- dabei deutete er in
+die Magengegend -- »ein Tier, welches auf und ab geht und mir meinen
+Schlaf raubt.«
+
+Da haben wir die Bescherung, dachte ich, sicherlich wünscht der Brave
+ein Medikament. Mit ernsthafter Miene ließ ich mir die Örtlichkeit
+seiner Schmerzen von ihm näher erklären. Diesmal lamentierte er
+fließend weiter:
+
+»Und da ich weiß, daß du ein guter Chef und großer Medizinmann bist,
+der alle Teufel zu bezwingen vermag, bin ich zu dir gekommen, dich zu
+bitten, das Tier im Magen zu töten.«
+
+Unwillkürlich setzte ich eine wichtige Miene auf -- ein Beweis, daß
+eine Schmeichelei, selbst von einem Negerhäuptling, niemals ihre
+Wirkung verfehlt -- und stellte die bei derartigen Anlässen üblichen
+Fragen.
+
+»Laß die Zunge sehen -- gut. Bist du bei gutem Appetit?«
+
+»Nein.«
+
+»Gehst du regelmäßig ins Grüne?«
+
+»Seit einer Woche nicht.«
+
+»Ah, ah« -- schließe ich meine Diagnose, »der Fall ist schwer, sehr
+schwer.« Gewichtig schreite ich ein paarmal auf und ab, die Stirne in
+krause Falten ziehend. Für mich, der ich niemals einen pharmazeutischen
+Kursus zu absolvieren Gelegenheit hatte, bedeutete dies einen ganz
+komplizierten Fall. Meine Wissenschaft in derartigen Dingen reichte
+gerade so weit, um sofort mit klarem Blick zu erkennen, daß hier nur
+ein kräftiges Purgativ, wie =Magnesium sulfuricum= (Bittersalz)
+helfen konnte. Ich entnahm daher meinem Arzneikasten eine Flasche,
+welche das Heilmittel für den Patienten enthielt. Dieser war mir
+auf den Fersen gefolgt und hatte mißtrauisch jede meiner Bewegungen
+beobachtet. Ich füllte einen Löffel bis zum Rand und leerte ihn in
+ein Glas. Dies genügt für gewöhnlich, doch, teils aus Mitleid für die
+Qualen, welche der Bedauernswerte bisher erduldet hatte, teils aus
+Vorsicht, weil Negermagen stets die doppelte Dosis vertragen können,
+leerte ich einen zweiten vollen Suppenlöffel mit der gebührenden
+Feierlichkeit in das Glas.
+
+Die Zubereitung einer Medizin, die den »bösen Geist im Körper töten
+sollte«, mußte natürlich im mystischen Dunkel erfolgen, damit mein
+Ruf als Medizinmann nicht vom Erstbesten vernichtet werden konnte.
+Ich trat daher in meine Dunkelkammer, in welcher mein Boy vorher das
+rote Licht angezündet hatte, und in deren geheimnisvollem roten Schein
+füllte ich das Glas bis zum Rande mit »=aqua destillata=«. Hierauf
+reichte ich dem Häuptling, der von der Veranda aus den ganzen Vorgang
+beobachtet hatte, das Glas mit gebieterischer Gebärde. »Trinke!«
+
+Dieselbe Gebärde und Haltung mir gegenüber einnehmend, erwiderte dieser:
+
+»Trinke du zuerst!«
+
+Mit einem Schlag stürzte ich aus meinen mystischen Höhen, in die mich
+die Zubereitung der Medizin versetzt hatte. Ich glaubte meinen Ohren
+nicht trauen zu dürfen. Doch ein Blick auf den Patienten genügte, um zu
+sehen, daß ich recht gehört hatte und daß dies sein bitterer Ernst war.
+
+»Aber ich bin doch nicht krank!« erklärte ich.
+
+»Wenn du nicht krank bist, dann wird es dir nicht schaden«, war die
+Antwort.
+
+»Aber ich gehe doch regelmäßig, jeden Tag ... ins Grüne!«
+
+»So wirst du eben noch regelmäßiger gehen.«
+
+»Ah, geh zum Teufel, wenn du nicht trinken willst, dann schau, daß du
+weiterkommst!«
+
+»Aber ich will ja trinken, nur mußt du zuerst die Hälfte trinken!«
+
+»Wenn du nur die Hälfte trinkst, dann nützt die Medizin nichts, du mußt
+alles trinken.«
+
+»Gut, dann trinke du das ganze Glas und bereite mir die gleiche Medizin
+nochmals!«
+
+»Der Teufel soll dich holen -- Kaluka -- schau, daß du fortkommst!«
+
+Bis zu diesem Augenblick hatte ich die Angelegenheit von der komischen
+Seite betrachtet. Nun fing ich wirklich an, ärgerlich zu werden. Mein
+Patient ließ sich durch meinen Zorn durchaus nicht aus dem Gleichmut
+bringen. Langsam erhob er sich, setzte die Füße einwärts, schüttelte
+das greise Haupt:
+
+»Wa--wa--wa--was? Du willst nicht trinken? Dann hast du mich vergiften
+wollen!«
+
+Und seine beiden Diener nickten zustimmend mit den Köpfen und
+wiederholten: »-- vergiften -- vergiften wollen.«
+
+Ich erstickte vor Wut und mußte mich zusammennehmen, um ihnen nicht das
+Glas an den Kopf zu werfen.
+
+»Und wir gehen jetzt zum Richter, um dich anzuzeigen!«
+
+Mir wurde es schwarz vor den Augen; ich fühlte, wie mir eine Blutwelle
+zu Kopf stieg. Da hatte ich mir eine schöne Suppe eingebrockt! Hin
+und her überlegend, rannte ich wie ein wildes Tier auf der Veranda
+auf und ab. Der Satz: »dann wolltest du mich vergiften« ging mir im
+Kopf herum. Ich konnte den Esel doch nicht im Glauben lassen, daß ich
+es wirklich auf sein Leben abgesehen hatte. Der Kerl wäre imstande,
+die Geschichte in ganz Boma und Umgebung zu verbreiten. Er hatte zwei
+Zeugen, die offenbar ganz der gleichen Meinung waren. In Gedanken
+sah ich mich schon vor das Schwurgericht gestellt! Ich würde ja
+sicherlich freigesprochen werden, aber ein Makel würde ebenso sicher
+auf meinem Namen bleiben, und ich sah schon in Gedanken die englischen
+Missionare in ihren Journalen der Welt verkünden: Mißglückter Versuch
+eines Händlers, einen bedeutenden Eingeborenenhäuptling zu ermorden!
+Aussagen von zwei Zeugen, die zugegen waren. Urteil der Kongogerichte.
+Freispruch des Mörders mangels genügender Beweise!
+
+Eine unbeschreibliche Wut erfaßte mich bei diesem Dilemma. Am
+liebsten hätte ich dem Kerl von meinem Capita[3] 25 Hiebe mit der
+Nilpferdpeitsche aufzählen lassen. Doch nein -- rechtzeitig hielt ich
+inne! -- Mißglückter Vergiftungsversuch -- dann Prügel -- vielleicht
+gar Totschlag -- mir wurde es schwarz vor den Augen! »Ah, wenn ich
+wenigstens noch Bittersalz vertragen könnte! Doch ich versichere,
+nicht einmal riechen, geschweige denn trinken konnte ich bisher das
+abscheuliche Zeug. Ach, in welches Wespennest hatte ich da die Hand
+hineingesteckt! -- Es sollte mir nichts übrigbleiben -- ihr werdet
+sehen!« --
+
+Mafuta mingi stand noch immer vor mir, das Glas mit meiner Medizin in
+der Hand. Plötzlich reifte ein heroischer Entschluß in mir, ich nahm
+das Glas und leerte es auf einen Zug!
+
+Mafuta mingis Gesicht verzerrte sich zu einem behaglichen Grinsen;
+ich aber rannte zu meiner Flasche, schüttete vor seinen Augen drei
+große Löffel in das Glas und füllte dieses bis zum Rand mit =aqua
+destillata=.
+
+»So, jetzt trinke, sonst erschlage ich dich auf der Stelle.« -- -- --
+
+Eine Woche später erschien Mafuta mingi wieder, um mir für den Erfolg
+meiner Behandlung zu danken; er war zwei Tage lang fortwährend -- ins
+Grüne gegangen. Und ich armer Teufel -- --?!
+
+Ich habe in meinem späteren Leben niemals mehr einem Häuptling eine
+Medizin gegeben.
+
+
+
+
+ Die Fahrt zum Stanley-Pool. Leopoldville. Brazzaville.
+
+
+Von Matadi stromaufwärts bis zum Stanley-Pool bildet der Kongofluß
+eine Reihe von Katarakten, Stromschnellen und Strudeln, die für
+Dampfer völlig unpassierbar sind, so daß diese Strecke in früheren
+Jahren mit Karawane zu Fuß zurückgelegt werden mußte. Im März 1890
+wurde mit dem Bau der 500 Kilometer langen Eisenbahn begonnen, und
+im Jahre 1898 wurde diese offiziell dem Verkehr übergeben. Wer sein
+ganzes Leben in der Heimat hinterm Bureautisch in beschaulicher Ruhe
+zugebracht hat, wer als Weltbummler, dank seines Goldes, in bequeme
+Sessel zurückgelehnt, eine Vergnügungsreise über die Kristallberge nach
+dem Stanley-Pool macht, der wird keine Ahnung von der Riesenarbeit
+haben, die durch menschliche Intelligenz hier geschaffen, von dem Kampf
+zweier Welten, der hier ausgefochten worden ist und Tausende von Opfern
+durch Seuchen aller Art gefordert hat. Niemals wird er sich davon
+Rechenschaft ablegen, wieviel menschliches Blut hier an jedem Schritt
+Landes haftet, und wie viele vor ihm ihre Gesundheit, ihren Verstand
+und ihr Leben bei dieser mörderischen Arbeit lassen mußten. Der aber,
+der mehr als einmal unter viel kleineren Aufgaben zusammengebrochen
+ist, der am eigenen Körper die erschlaffende Wirkung der Sonnenstrahlen
+empfunden hat, kann sich eine Vorstellung davon machen, was es heißt,
+dieses Riesenwerk in den Granitfelsen in schwindelnder Höhe entstehen
+zu lassen.
+
+Hinaus aus der Station eilt der Zug -- zur Linken, fast senkrecht in
+der Tiefe, winkt der Kongofluß mit den bekannten Jellala-Katarakten
+und Strudeln. Gleich einem Band schmiegt sich der schmale Bahnkörper
+an die mächtige überhängende Felswand. Ein Lockern der Schienen an
+irgendeiner Stelle würde den Zug 300 Fuß senkrecht in die Tiefe stürzen
+lassen, wie dies beim Bau der Bahn wiederholt vorgekommen sein soll.
+Wir wagten gar nicht daran zu denken. Bei der nächsten Biegung bot
+sich unseren Augen der Ausblick auf einen schäumenden Wasserkessel.
+Vor uns, gleich zwei Dolomitentürmen, ragten zwei Felskegel, rings
+von rötlichem Gestein und vereinzeltem Strauchwerk umgeben, senkrecht
+empor. An dieser Stelle mündet der Pozo, ein kleiner Gebirgsfluß,
+der über große Granitblöcke, wie Champagner perlend, in die Tiefe
+stürzt, in den Kongo ein. Wir folgten dem Laufe dieses Wildbaches
+etwa eine halbe Stunde stromaufwärts. Zu beiden Seiten genossen wir
+einen Ausblick, wie er nirgends auf der Welt schöner zu finden ist.
+Phantastisch zerklüftetes Felsengebirge, von den ersten Sonnenstrahlen
+mit zartem Rosahauch übergossen, formt bald große Dome, bald trägt es
+wieder den Charakter der Dolomiten. In der Tiefe rauscht der tosende
+Wildbach zwischen Felsblöcken dahin, bald einen Wasserfall, bald ein
+großes Sammelbecken bildend. Kaleidoskopartig ziehen alle diese
+Bilder an unseren Augen vorbei. In raschem Lauf erklomm der Zug, von
+zwei kräftigen Bergmaschinen getrieben, in langen Spiralen das vor uns
+liegende Hochgebirge.
+
+Behaglich in einem drehbaren, federnden Madeirafauteuil sitzend,
+wandte ich mich meinem Gegenüber, dem Kommandanten der französischen
+Tschadsee-Expedition, Gentil, zu, der mir in den nächsten Tagen
+viel Interessantes über seine Feldzüge in Tongking und gegen die
+chinesischen Piraten erzählte. Wir teilten den Waggon nur noch mit
+zwei Missionaren der Missionsstation »Kimuenza«, mit denen wir uns im
+weiteren Verlaufe der Reise noch anfreundeten. Vorläufig waren sie noch
+mit ihrem Frühstück aus der mitgebrachten Proviantkiste beschäftigt.
+Moderne Speisewagen und Restaurants gab es auf dieser Linie noch nicht.
+Jeder Reisende hatte Proviant für zwei Tage, also für die Reisedauer,
+mitzunehmen.
+
+[Illustration: Eine Kurve der Kongobahn.]
+
+Nach einiger Zeit hatten wir den höchsten Punkt der Trasse erreicht
+und warfen noch einen Blick zurück. Der Pozo schlängelte sich einige
+tausend Fuß unter uns gleich einem Faden dahin. Wir hatten nunmehr eine
+Art Hochplateau erreicht und eilten bald an kahlem Felsgestein, bald
+an Sümpfen, an kleinen Wäldern und Morast vorbei. Jede Viertelstunde
+hielt der Zug still, um die Wasserkessel neu zu füllen, da der
+Dampfverbrauch bei der großen Steigung sehr groß ist. Gegen Mittag
+erreichten wir die Waldzone.
+
+Von der Glut der Sonne zu grenzenloser Kraftentfaltung getrieben,
+reckt der Urwald überall, wo Gewässer durch den stehenden Schlamm der
+dunklen, schattigen Moräste rieseln, ein Blätterdach von unendlicher
+Mannigfaltigkeit gegen den Himmel. In dem dunklen, rätselhaften
+Schatten dieser Vegetation wogt ein beständiger unerbittlicher Kampf um
+die Lebenskraft, um das Licht. Stahlharte Kautschukmuskeln in Gestalt
+einer rankenden Liane, aus einem schwanken Reis im Laufe der Zeit
+zum furchtbarsten Gegner emporgewachsen, umklammern den Körper der
+Urwaldriesen, um in unaufhörlichem Durst deren Herzblut auszusaugen und
+sie schließlich zu Boden zu zwingen.
+
+Unser Zug raste mit Windeseile dahin, vorbei an kolossalen, aus Lianen
+aller Art bestehenden Triumphbogen, vorbei an Lichtungen, wo Bananen,
+Palmen und tausenderlei Blattpflanzen eine Welt für sich bilden.
+Unser Auge weidete sich freudetrunken an den herrlichen Schätzen, die
+uns die Natur enthüllte und in der Phantasie ahnen ließ. Gegen 6 Uhr
+abends kamen wir in Thysville an und unterbrachen hier die Fahrt, da
+die Strecke nachts nicht befahren werden kann. Wir fanden hier in den
+verschiedenen Faktoreien behaglich eingerichtete Zimmer vor und nahmen
+sofort ein erfrischendes Bad, um uns von den Strapazen der Reise zu
+erholen.
+
+Am folgenden Morgen, gegen 8 Uhr, setzten wir die Reise fort. Diese
+führte wieder größtenteils durch herrlichen Urwald. Wir waren in
+der sogenannten Waldzone angelangt, und das Zirpen der Baumgrillen,
+das Kreischen der Papageien und Lockrufen einer Menge anderer Vögel
+übertönte das Getöse des dahineilenden Zuges.
+
+Ein Ruf höchster Bewunderung entrang sich unser aller Lippen, als
+nachmittags, nach einer kurzen Steigung plötzlich zu unseren Füßen
+der Stanley-Pool in silbernem Blau erglänzte. Gleich einem Binnensee
+glitzert und spiegelt die unermeßliche Wasserfläche, soweit das
+Auge reicht, in allen Tönungen, vom zartesten Grün bis zum tiefsten
+Dunkelblau, während in weiter Ferne, ganz am Horizont, Kreidefelsen
+-- auch Dover Cliffs genannt -- das Panorama wie eine Gletscherkette
+abschließen.
+
+Nach einer kleinen Viertelstunde Fahrt am Ufer des Pools entlang
+erreichten wir Kinschassa, das vorläufige Ziel meiner Reise, während
+der Zug noch ein kurzes Stückchen weiter bis nach Leopoldville, im
+Volksmund kurz »Leo« oder auch »Kintambo« genannt, ging.
+
+[Illustration: Faktoreigebäude Kinschassa.]
+
+Hier wurde ich von Herrn Tours, dem Chef der holländischen Faktorei,
+welcher von meiner Ankunft bereits telegraphisch verständigt war,
+empfangen und auf das liebenswürdigste bewillkommt.
+
+Der Stanley-Pool ist gewissermaßen das Tor Innerafrikas, der
+Ausgangspunkt der Schiffahrt nach dem oberen Kongo und seiner
+zahlreichen Nebenflüsse. Um voll zu verstehen, was der Kongo, dieser
+mächtigste Fluß Zentralafrikas, als natürliche Verkehrsader für die
+Nutzbarmachung des Riesenreiches mit einem Flächeninhalt von rund
+2260000 Quadratkilometer bedeutet, muß man sich vergegenwärtigen, daß
+etwa 14200 Kilometer des Flußsystems schiffbar sind, was, auf unsere
+europäischen Verhältnisse übertragen, ungefähr der Gesamtausdehnung der
+Küsten des Mittelmeeres (etwa 14500 Kilometer) gleichkommt.
+
+Infolge seiner zentralen Lage als Endpunkt der 500 Kilometer langen
+Eisenbahn und als Stapelplatz des Verkehrs nach dem Inlande ist
+Leopoldville dazu berufen, dereinst die Hauptstadt des Kongostaates
+zu werden. Kinschassa, unweit Leopoldville am Stanley-Pool inmitten
+hundertjähriger Baobabriesen anmutig gelegen, bildet eine Art Vorstadt,
+das Faktorei-Viertel der Metropole. Mit Leopoldville ist es durch eine
+breite Allee verbunden, welche dem Pool entlang durch Ansiedlungen der
+Eingeborenen der Umgebung führt und zu beiden Seiten mit Mangobäumen
+und Baobabs bepflanzt ist.
+
+Gleich nach unserer Ankunft in Kinschassa gingen wir zu Fuß nach
+Leopoldville. Von der einsamen langen Wanderung sahen wir uns mitten
+in das Großgetriebe eines afrikanischen Hafenplatzes versetzt. Lange
+Kolonnen von Trägern mit ihren Lasten von Ballen, Kisten oder Koffern
+auf dem Kopf treffen von den verschiedenen Richtungen her am Hafen ein
+und bringen die Landesprodukte entweder sofort an Bord der verankerten
+Schiffe oder reihen sie am Quai unter Aufsicht von europäischen Beamten
+ein. Andere Gruppen wieder laden die kostbare Ladung von Rohgummi
+und Elfenbeinzähnen aus den Dampfern direkt in die bis an die Quais
+heranfahrenden Eisenbahnwaggons um. Das Getriebe am Hafen läßt sich
+am besten mit einem Ameisenhaufen vergleichen. Der erste Eindruck
+des oberflächlichen Beschauers ist der eines wirren Durcheinanders,
+eines widersinnigen Hin- und Herlaufens. In Wirklichkeit aber herrscht
+musterhafte Ordnung, strenge Aufsicht und Zucht. Jede der hier
+arbeitenden Kolonnen steht unter Kontrolle eines europäischen Beamten.
+Alle die Fäden dieses komplizierten Betriebes, der viel Umsicht
+erheischt und von dessen tadellosem Funktionieren das Schicksal von
+Menschenleben tief im Innern des Landes abhängt, vereinigen sich in der
+Hand des Distrikts-Kommissars, des Allgewaltigen von Leopoldville, der
+über das Ganze gebietet, und ohne dessen Einwilligung kein Dampfer den
+Hafen verlassen darf.
+
+Was jeden Neuling am Hafen in erster Linie fesselt und seine
+Aufmerksamkeit an sich zieht, ist die ganz eigenartige Bauart der
+Dampfer. Der Kongo verbreitert sich in seinem Oberlauf, an der
+sogenannten Äquatorialkurve, zu einem unendlich langen Binnensee.
+Stellenweise ist der Fluß bis zu 18 Kilometer breit. Ausgedehnte
+Inseln und Sandbänke verlegen das Flußbett und hemmen die Schiffahrt.
+Der Verkehr ist zu normalen Zeiten schwierig, besonders aber zu
+Zeiten der Trockenperiode, bei niederem Wasserstand, wo einzelne
+Durchfahrtsstellen kaum fünf bis sechs Fuß, d. h. 1,50 bis 1,80 Meter
+tief sind. Diesem Umstand mußte nun bei der Konstruktion der Schiffe
+Rechnung getragen werden. Es entstand ein ganz eigenartiger Typ von
+Raddampfern -- sogenannte Flachboote -- die im Verhältnis zur Länge
+sehr breit sind, geringen Tiefgang besitzen und von einem großen
+Schaufelrad, das am Hinterteil des Schiffes, ähnlich einem Mühlenrad,
+angebracht ist, getrieben werden. Maschinen, Heizanlagen und Kessel
+sind im Unterdeck eingebaut, und auch ein Teil der Ladung, der auf
+Deck nicht untergebracht werden kann, und Brennholz zur Speisung der
+Maschine, muß daselbst verstaut werden. Darüber befinden sich die
+Kabinen des Kapitäns und der Passagiere sowie die Kommandobrücke.
+Zur Zeit meiner ersten Reise galten 50 Tonnen Laderaum schon als
+respektabel; späterhin wurden von der Regierung Dampfer in Dienst
+gestellt, die bis zu 250 Tonnen Ladung fassen konnten.
+
+[Illustration: Kongodampfer.]
+
+Eine breite Allee führt an Ziergärten und reizenden Villen mit
+breiten Veranden vorbei zur »Grande Place«, wo sich auf einem Sockel
+mit dem Bildnis König Leopold =I.= eine prachtvolle weibliche
+Figur als Sinnbild der »Zivilisation«, die Schöpfung eines dänischen
+Offiziers, erhebt. Von hier aus führen mehrere mit Ananas-, Mango- und
+Papaibäumen bepflanzte Alleen in alle vier Windrichtungen. Wir folgten
+einer derselben und gelangten auf eine Anhöhe, von der aus wir einen
+prächtigen Rundblick genossen.
+
+Zu unseren Füßen, lieblich am Gestade des Pools inmitten von
+Palmenhainen und kleinen Ziergärten gelegen, schmiegt sich die
+Villenkolonie von Leopoldville an das sanft ansteigende Gelände. Die
+kleinen Einfamilienhäuschen mit den luftigen Veranden und weißen
+Dächern lugen anmutig aus dem Grün hervor und machen den Eindruck
+behaglichen Komforts.
+
+In leuchtender Apotheose versank der Sonnenball gleich einer
+Feuerkugel am Horizont, flammende Strahlenbündel vom hellsten Rot
+bis zum zartesten Smaragdgrün in allen Regenbogennuancen zum Äther
+emporsendend. Der Stanley-Pool erschien in flammende Lohe getaucht;
+auf seiner spiegelnden Wasserfläche schimmerten Myriaden leuchtender
+Blutstropfen; die in weiter Ferne, am Nordende des Pools gelegenen
+Kreidefelsen erstrahlten im magischen Alpenglühen. Doch nur kurze Zeit
+wahrte die prächtige Farbensinfonie; die hellen Akkorde verklangen und
+gingen in Moll-Tönungen, die bis zum tiefsten Violett hinunterreichten,
+über. Bald schwanden auch diese dahin, und die weichen Konturen der von
+der Sonne bestrahlten Landschaft nahmen plötzlich härtere Linien an.
+Ein tiefer Ernst war über die Natur gekommen; ein leichtes Frösteln
+durchschauerte den Körper und mahnte zur Heimkehr.
+
+Das Angesicht des Stanley-Pools hatte sich völlig verändert.
+Schwarze Felsmassen und unwirtliche Inseln ragten tückisch über den
+Wasserspiegel empor und zauberten unheimliche Trugbilder vor die Sinne.
+Hier und dort stiegen Myriaden giftiger Keime aus ihren feuchten
+Brutstätten empor und ballten sich zu bläulichen Nebelschwaden,
+die im nächtlichen Reigen auf und nieder wallten. Diese in Europa
+als Bodennebel bezeichneten Dunstmassen bergen in den Tropen die
+heimtückischen Malariaträger, die für den eingewanderten Europäer
+entweder den Tod oder lebenslängliches Siechtum bedeuten. Eine innere
+Stimme warnte uns, nicht länger hier draußen zu verweilen, sondern
+ungesäumt das schützende Heim aufzusuchen. Wir wurden uns bewußt, daß
+unsichtbare, feindliche Mächte uns umlauerten, daß in den Tiefen des
+Stanley-Pools, der tagsüber, solange er von der Sonne beleuchtet ist,
+dem friedlichen Himmel gleicht, das raubgierige, gefräßige Krokodil auf
+den Einbruch der Nacht wartet, um unter dem Schutz der Dunkelheit sein
+nasses Reich zu verlassen und die ahnungslose Beute zu überfallen.
+
+Nach dem Glauben der Neger Innerafrikas gehört die Nacht den bösen
+Geistern und verfluchten Seelen, die bald in der Gestalt eines
+Leoparden, Krokodils oder einer giftigen Schlange alle diejenigen, die
+das schützende Dach verlassen, dahinmorden.
+
+[Illustration: Häuptling mit Familie im Festschmuck.]
+
+Welche Gründe eigentlich dafür maßgebend waren, daß die Direktion
+der N. A. H. V.-Oberkongo-Abteilung auf französisches Gebiet, nach
+Brazzaville auf dem gegenüberliegenden Ufer des Stanley-Pools, verlegt
+wurde, ist mir stets ein Rätsel geblieben. Die Meinungen darüber sind
+geteilt. Die einen sprechen von Divergenzen mit den Machthabern des
+neuerstandenen belgischen Kongostaates, die anderen leiten die Tatsache
+aus dem Umstande ab, daß ein Großteil der Faktoreien im Gebiete des
+französischen Kongo liegt. Vielleicht waren auch die Eingeborenen am
+jenseitigen Ufer friedlicherer Natur. Ich überlasse dem geneigten
+Leser die Wahl einer der drei angeführten Gründe. Tatsache ist, daß
+Brazzaville zum Sitze des Direktors der Oberkongo-Abteilung auserkoren
+wurde und es bis zum heutigen Tage geblieben ist.
+
+Meine Ankunft in Kinschassa war in Brazzaville bereits bekannt, und am
+nächsten Morgen holte mich unser kleiner Schraubendampfer »Wendeline«
+zu einem Besuch daselbst ab.
+
+Noch lagerten dichte Nebelschwaden über der Fläche des Stanley-Pools,
+als wir ins Ungewisse hinausfuhren. Doch unser Kapitän kannte die Route
+ganz genau; er hatte sie von seinen täglichen Reisen gewissermaßen in
+der Hand, und sicher führte sein Steuer uns an großen Felsblöcken oder
+Teilen einer Insel, die plötzlich in gespensterhafter Größe aus dem
+Nebelmeer hervortraten, vorbei. Spukgestalten gleich, von der Brandung
+umtost, schwanden sie dahin, als bestünden sie in Wirklichkeit gar
+nicht, sondern wären nur Ausgeburten einer geängstigten Phantasie.
+Ein unheimliches Gefühl überkam mich bei dieser Fahrt ins Ungewisse.
+Der kühle, feuchte Nebel drang durch das leichte Tropenkostüm, legte
+sich wie ein Alp auf die Brust und machte einen vor Kälte erschauern.
+Trompetensignale, Trommelwirbel und das Tuten von Dampfpfeifen deuteten
+auf die unmittelbare Nähe von Leopoldville hin, doch weder Ufer noch
+Stadt waren sichtbar.
+
+Der Dampfer machte jetzt eine scharfe Wendung nach Steuerbord. Aus
+dem Nebelmeer vor uns stieg eine größere Sandbank mit bewaldetem
+Hintergrund gespenstisch empor. Der Kapitän bezeichnete mir diese
+Insel als die »Insel der dem Tode Geweihten«. Eine elende Baracke --
+das Infektionsspital -- erhebt sich einige Schritte vom Ufer. In ihr
+kampieren Pockenkranke im vorgeschrittenen, unheilbaren Stadium. Diese
+Bedauernswerten, die eine beständige Gefahr für ihre Umgebung bilden
+und nicht mehr zu retten sind, werden auf die völlig abgeschiedene
+Insel gebracht, um hier ihr jämmerliches Dasein zu beschließen.
+Allwöchentlich einmal bringt ihnen eine Barkasse aus Leopoldsville das
+Nötigste an Nahrungsmitteln. Stirbt einer dieser Unglücklichen, so
+wirft man ihn ins Wasser, den Krokodilen und Fischen zum Fraß!
+
+Weiter ging unsere Fahrt in raschem Tempo.
+
+Als feuerroter Glutball war die Sonne inzwischen aus den Nebelschwaden
+emporgestiegen. Noch besaßen ihre Strahlen nicht die Kraft, die Macht
+der Finsternis zu bannen und die dichten Nebelschleier zu durchdringen.
+Gelang es dennoch hier oder dort ihren milden Strahlen, siegreich
+eine Bresche in die wallenden Dunstmassen zu schlagen, dann trieb ein
+Lufthauch sofort neue Nebelmassen heran. Kurze Zeit nur währte der
+ungleiche Kampf mit dem Tagesgestirn um die Vorherrschaft. Königin
+Sonne, mit dem flammenden Schwert umgürtet und dem leuchtenden
+Prunkgewande der Morgenröte angetan, blieb Siegerin, vor deren
+wärmespendenden Strahlen der Nebel schließlich zerriß und verschwand.
+
+Wir waren allmählich in die Mitte des Stanley-Pools auf halbem Wege
+zwischen Leopoldville und Brazzaville gelangt; die Trompetensignale
+und Trommelwirbel von beiden Ufern drangen wie aus weiter Ferne zu
+uns. Dagegen zog ein zunehmender Schall, wie das Tosen von über
+Felsen stürzenden Wassermassen oder das Brechen der Brandung, meine
+Aufmerksamkeit auf sich. Über die Ursache dieses Getöses befragt,
+erklärte der Kapitän kaltblütig, daß er infolge des Nebels und der
+Gefahr von Kollisionen mit den von Leopoldville ausfahrenden Dampfern
+genötigt war, eine Route zu nehmen, die knapp oberhalb der berüchtigten
+Stromschnellen, die der Kongofluß beim Austritt aus dem Stanley-Pool
+bildet, führte. Wir überquerten demnach den südwestlichen Teil des
+Pools, der wegen der Nähe der Katarakte und der Gefahr, von der
+reißenden Strömung mitgerissen zu werden, im allgemeinen gemieden wird.
+
+Wie ich später in Brazzaville erfuhr, war unser Kapitän für seine
+tollkühnen Fahrten allgemein bekannt. Er galt als einer der
+verwegensten Fahrer, und in Marinekreisen zirkulierte der Ausspruch,
+daß er seine Seele dem Teufel verschrieben habe. Gleichmütig zählte
+er mir die verschiedenen Dampfer auf, die der tosende Katarakt mit
+Mann und Maus verschlungen, und bezeichnete mir die Stellen, wo sie
+verschwunden waren, um nie wieder an der Wasseroberfläche zu erscheinen.
+
+Unwillkürlich hingen meine Blicke gebannt am Manometer. In Gedanken
+legte ich mir zurecht, was ich zu meiner Rettung versuchen würde, falls
+aus irgendeinem Grunde der Druck nachlassen oder die Maschine versagen
+sollte. Nach einigen Minuten banger Erwartung überwogen die Gedanken
+der Zuversicht -- unser kleiner Dampfer »Wendeline« hielt sich tapfer
+und überwand ohne nennenswerte Anstrengung die starke Strömung. Eine
+Viertelstunde später landeten wir in unserer Zentrale inmitten einer
+ganz stattlichen Anzahl von Schiffen. Die Flottille der N. A. H. V.
+im Oberkongo umfaßte derzeit 16 Dampfer verschiedener Größe, nicht
+miteingerechnet die vielen eisernen Baleinieren -- Barkassen, wie sie
+zum Walfischfang verwendet werden.
+
+Eine schattige Allee von Mangobäumen, der Stolz von Brazzaville, führt
+vom Landungssteg an verschiedenen Wohngebäuden entlang zum Sitz des
+Direktors.
+
+Unter den afrikanischen Leckerbissen nimmt -- neben der Ananas -- die
+Mangofrucht unstreitig den ersten Platz ein. Feinschmecker behaupten
+sogar, daß die Ananas an die Mangofrucht bei weitem nicht heranreiche.
+In der Größe und ungefähren Form einer Kaiserbirne hat sie einen
+leichten Anflug terpentinartigen Geschmacks. Der Mangobaum selbst ist
+ein vorzüglicher Schattenspender. Man kann zum Beispiel in der Allee
+von Brazzaville bei der stärksten Sonnenhitze ohne Kopfbedeckung gehen,
+was, einen Schritt außerhalb derselben, schnellen Tod durch Sonnenstich
+zur Folge hätte.
+
+Rings um das Wohngebäude des Direktors war ein Ziergarten angelegt,
+in dem inmitten von wundervollen Orchideen und afrikanischen
+Blumen und Blattpflanzen auch herrliche Rosen blühten. Gehege von
+Äffchen und Papageien waren harmonisch darin angebracht. An das
+große Empfangszimmer, im Mitteltrakt des Gebäudes gelegen, war ein
+Vogelhaus mit Zierbäumen und einem Springbrunnen angebaut, in dem
+Blaumeisen, Kanarienvögel, Kolibris verschiedener Größen und Kardinäle
+mit leuchtend rotem Gefieder fröhlich trillerten und zwitscherten.
+Sie wurden vom Direktor, der ein großer Tierfreund ist, alle Tage
+selbst gefüttert. Die Innenausstattung der Räume war für afrikanische
+Verhältnisse fürstlich. Beim Eintritt fiel der erste Blick auf ein
+lebensgroßes Gemälde der Königin Wilhelmine -- ein Meisterwerk in
+schwerem Rahmen -- dessen Transport hierher zu Zeiten, als noch keine
+Bahn bestand und alles auf Negerschultern getragen werden mußte,
+jedenfalls ungeheure Mühe und Arbeit gekostet haben muß. Der Raum
+war mit schweren Teppichen und kunstvollen inländischen Geweben ganz
+auf europäische Art eingerichtet. Auf Tischchen und am Schreibtisch
+standen Photographien und Nippes -- kurzum allerhand Kram, der ein
+europäisches Heim gemütlich macht und für gewöhnlich in den Tropen
+entbehrt werden muß. Telephon, elektrisches Licht, Klingelleitung --
+alles war vorhanden.
+
+In der Gartenanlage fanden wir sämtliche Früchte Innerafrikas, wie
+Coeur de Boeuf, Banane, Papaye, Goyaven, Ananas, Advokat usw.,
+angepflanzt und in den Lichtungen zwischen Palmen alle Arten
+Nutzpflanzen, wie Pataten (süße Kartoffel), Kürbis, Maniok und Ignam
+(Knollenfrucht bis zu fünf Kilo Schwere, im Geschmack ähnlich unserer
+Kartoffel), die im Laufe der Jahrhunderte ihren zielbewußten Weg von
+den Küsten Afrikas her über endlose Prärien nach diesem fruchtbaren
+Boden gefunden hatten.
+
+Nachdem ich Brazzaville, tagsüber als Gast des Direktors, bis ins
+letzte besichtigt und auch dem übrigen Personal vorgestellt worden
+war, verließ ich gegen Abend mit dem gleichen Dampfer unsere Zentrale,
+ohne irgend etwas Näheres über meine zukünftige Bestimmung erfahren zu
+haben. Voraussichtlich würde ich nach dem oberen Sangaflusse kommen,
+wo in letzter Zeit infolge eines Negeraufstandes verschiedene Beamte
+getötet worden seien.
+
+
+Fußnote:
+
+[3] Arbeiter-Aufseher.
+
+
+
+
+ Die Fahrt zum oberen Kongo. Die Faktorei Stanleyville.
+
+
+Am 29. März traf in Brazzaville die Nachricht ein, daß Herr Kiel,
+der Chef der holländischen Faktorei in Stanleyville, an Dysenterie
+erkrankt und unterwegs sei. Noch am gleichen Nachmittag erhielt ich
+Order, mich für den folgenden Morgen reisefertig zu halten. Ich war
+über die unerwartet günstige Wendung, die die Dinge für mich genommen
+hatten, natürlich hocherfreut, denn Stanleyville galt allgemein als das
+Paradies auf Erden und als eine der schönsten und gesündesten Gegenden
+Innerafrikas. Dazu kam noch, daß unser Direktor seinerzeit die Station
+persönlich gegründet hatte und eine gewisse Vorliebe für sie besaß.
+
+Meine Freude erfuhr allerdings einen Dämpfer, als ich vernahm, daß
+mein zukünftiger Chef Janssen hieß; denn ein Mann gleichen Namens war
+mir von einem Streit, den er auf der Durchreise nach Fuca Fuca mit
+Kameraden hatte und in dessen Verlauf von Schußwaffen Gebrauch gemacht
+worden war, in unliebsamer Erinnerung. Umfragen bei den Kollegen in
+Kinschassa ergaben, daß Janssen, der gegenwärtig die Faktorei Upoto
+leitete, tatsächlich mit dem Angeführten identisch war. So wenig
+verlockend die Aussicht war, mit einem jähzornigen Menschen zusammen
+leben zu müssen, tröstete ich mich schließlich damit, daß ich, vor
+die Alternative gestellt, entweder in das Aufruhrgebiet des oberen
+Sanga zu gehen und von den Negern aufgefressen zu werden oder mit
+einem voraussichtlich brutalen Vorgesetzten nach dem vielgepriesenen
+Stanleyville zu reisen, immer noch das bessere Teil erwählt hatte.
+
+Die Freude über die bevorstehende herrliche Reise und das Gefühl der
+Befriedigung, nach Tagen planloser Zeitvergeudung und Umherirrens
+endlich wieder in die Bahn zielbewußter Tätigkeit geleitet zu werden,
+überwogen schließlich alle Bedenken, und mit glücklich pochendem Herzen
+sah ich der Ankunft des Dampfers »Nfuma Ntangu« auf Deutsch: »Gebieter
+der Sonne«, der mich als Passagier aufnehmen sollte, entgegen. Das
+Schiff langte noch am selben Tage an und ging vor Kinschassa, wo es den
+Rest der Ladung einzunehmen hatte, vor Anker. Mir wurde vom Kapitän
+eine geräumige Kabine auf dem Oberdeck zugewiesen, die ich sofort
+bezog, da der Dampfer beim ersten Morgengrauen aufbrechen sollte. Das
+ungewohnte Leben und Treiben an Bord, alle die neuen Eindrücke, die auf
+mich einstürmten, brachten es mit sich, daß ich die ersten Tage wie im
+Traum lebte.
+
+Unser Dampfer »Nfuma Ntangu« war ein Flußboot, wie sie auf dem
+Oberkongo, überhaupt auf allen seichten Flüssen, hier im Gebrauch
+stehen. Vorn, am Bug, saßen zwei Lotsen, welche während der ganzen
+Dauer der Reise abwechselnd drei Meter lange Stöcke in der Art
+einer Fischangel, auf der das englische Fußmaß eingekerbt ist,
+ins Wasser tauchten und eintönig die Wassertiefe: =tanu=
+(fünf), =samboanu= (sechs) ausriefen. Am rückwärtigen Teil des
+Schiffes, gleich dem Rad einer Kornmühle, befand sich über der ganzen
+Schiffsbreite das große Schaufelrad. Der Dampfer war bei der Ausfahrt
+derart voll geladen, daß das Niveau des Unterdecks auf der gleichen
+Höhe mit dem Wasserspiegel stand. Bei Stromschnellen, scharfen Kurven
+usw., bei welchen das Boot in eine schiefe Lage kam, stand die eine
+Seite des Unterdecks ganz unter Wasser -- eine Wahrnehmung, die mir
+anfangs großen Schrecken einflößte, an die ich mich aber mit der Zeit
+gewöhnte.
+
+Frühmorgens wurde ich durch das Zischen des Dampfers, das Gejohle und
+Geschnatter der Leute, die Kisten und Ballen durcheinanderwarfen,
+aufgeweckt. Nach dem Frühstück mit dem Kapitän auf der Kommandobrücke
+begab ich mich an Unterdeck, um dort Umschau zu halten. Unser Dampfer
+war nämlich ein wahres Babel in bezug auf die verschiedenartigen
+Negerstämme, die der blinde Zufall zusammengewürfelt hatte. Vom
+zivilisierten Küstenneger in Hemd, Hosen und Schuhen, der entweder
+aus Senegambien, Sierra Leone, Akkra oder dem Portugiesischen Kongo
+stammt und die etwas mehr Intelligenz verlangenden Arbeiten eines
+Maschinisten, Kochs oder Lavadeiro (Waschmann) verrichtet, bis zum
+Bangala mit spitz zugefeilten Zähnen und Hahnenkamm auf der Stirne
+waren alle Rassen Innerafrikas, selbst Kannibalen, vertreten. Ihr
+fortwährendes Schnattern, Quaken und Schnalzen, ihr ärgerliches
+Zanken und Streiten muteten ganz sonderbar an. Auf Holzkisten, Körben
+und Bündeln jeder Größe, in denen ihre Habseligkeiten untergebracht
+waren, hatten sie sich's bequem gemacht und ihr Lager, bestehend aus
+einer einfachen Strohmatte, das bei den Vermögenderen durch ein paar
+Decken vervollständigt wurde, aufgeschlagen. Darauf lagen sie nun
+träge und faul über- und aufeinander, ein Wirrwarr von Füßen, Armen
+und Leibern. Der eine war damit beschäftigt, direkt unter der Nase
+des zweiten aus seinen Zehen Sandflöhe herauszuoperieren, ein anderer
+ließ sich von seiner Frau die Haare scheren, unbekümmert darum, ob
+dieselben in den Topf des Nachbars fielen, in welchem eben ein von
+Verwesung grün gewordenes und das ganze Unterdeck mit seinem Gestank
+verpestendes Stück Hippopotamusfleisch brodelte. Während ich noch
+eben den Topf auf seinen Inhalt kritisch musterte, bemerkte ich, wie
+einer der herumhockenden Neger seinen Koffer ausleerte. Mit einer
+Anzahl schmutziger Kleidungsstücke flogen zugleich Spinnen, Kakerlaken
+(große afrikanische schwarze Schaben), Russen und kleine Mistkäfer
+heraus, ein Teil davon direkt in den brodelnden Topf. Die auf den
+Boden geschleuderten Insekten hüpften und zappelten erschreckt, so
+plötzlich aus ihrem dunklen Versteck gezerrt zu sein, dem erstbesten
+Schlupfwinkel zu. Diesmal hatte jedoch der Koch die neue Würze und
+den unerwünschten Zusatz zu seiner Speise bemerkt. Wutschnaubend
+fuhr er den Unvorsichtigen an, und eine Flut von Verwünschungen und
+kannibalischen Kraftausdrücken, wie =katuka bushman -- nyama=[4],
+quollen aus seinen wulstigen Lippen hervor, während er sich bemühte,
+die größeren Schaben mit dem einzigen Kochlöffel, den er besaß,
+herauszufischen und zu zerdrücken; die kleineren blieben drinnen, da
+es ihm ob solcher Bagatellen offenbar nicht der Mühe lohnte. Der Rest
+des Ungeziefers hatte seinen Weg über Gesichter, Leiber und Beine der
+auf dem Boden Liegenden hinweg in irgendeine Ritze gefunden, soweit sie
+nicht durch die kleinen Jungen am Körper der Schlafenden zerdrückt und
+zerschlagen worden waren. Eine der großen Spinnen fand auch durch den
+Hosenschlitz Einlaß zu ganz empfindlichen Teilen eines Schlafenden.
+Beim Freudengeheul der ganzen kleinen Bande, die dies besonders
+unterhielt, wachte der Betreffende auf, warf wütende Blicke um sich
+und suchte -- =sans gêne= -- in der Tiefe nach der Ursache des
+Juckens! -- =Honni soit qui mal y pense!.=
+
+Trotz der fortwährend wechselnden Szenerie, trotz all des Ungewohnten
+und vollständig Neuen, was seit acht Tagen um mich vorging, trotz
+aller unvorhergesehenen Ereignisse, die bei der Navigation in dem
+gefährlichsten aller Flüsse, der unter seiner Wasserfläche bald
+Sandbänke, bald Felsriffe und bald treibende Baumstämme trügerisch
+birgt, vorkommen, konnte der Fahrt nach Befriedigung der ersten
+Neugierde eine gewisse Eintönigkeit nicht abgesprochen werden. Hatten
+die sengenden Sonnenstrahlen und die überstandenen Krankheiten den
+Körper und das Gehirn bereits derart geschwächt, daß ich nicht mehr
+so aufnahmsfähig war? Mir war oft, als lebte ich in einem beständigen
+Traum, läge meine Kindheit wie ein Märchen, von einem Wolkenschleier
+verhüllt, weit, weit hinter mir. Meine Erinnerung an die Lieben in der
+Heimat schwand -- losgelöst von allen Fesseln, die mich bisher an die
+Menschheit ketteten, wandelte ich wie im Traum dahin.
+
+Ich saß oft stundenlang am Steven des Dampfbootes, und eine eigenartige
+Musik, die nichts mit dem Irdischen gemein hat, klang mir beim
+gleichmäßigen Takt der Schaufel, die das Wasser aufpeitschte, in den
+Ohren. Bald wild und mächtig, bald als sanfte Liebkosung klang die
+Melodie in mir ... Ich träume ... Es ist Abend. Tiefe Schatten lagern
+zu beiden Seiten des Stromes. Die Dämmerung hat ihr dunkles Kleid über
+die vor Sonnenglut schmachtende Erde gelegt und wirft fahle Schatten
+über die Wasserfläche. Irgendwo aus dem rätselhaften Dunkel des Urwalds
+klingt klagend ein langgezogener Schrei. Unheimlich hallt er über das
+weite Land, wie von einer Seele in höchster Not und Pein. Und vor
+mein geistiges Auge tritt der Herrscher dieser Gebiete, der Bayansi,
+wie er im Schatten des Waldes sich eben anschickt, sein Opfer mit
+bestialischer Grausamkeit hinzuschlachten. Noch einmal, diesmal jedoch
+wie aus weiter Ferne und wie gebrochen, hallt der Schrei an mein Ohr --
+-- --
+
+[Illustration: Holzposten am Kongo.]
+
+Unser Kapitän van den Andel, allgemein der »fliegende Holländer«
+genannt, war ein Original seiner Art und vereinigte alle
+Eigenschaften, sowohl die guten als auch die bösen, die den Flußfahrer
+Innerafrikas kennzeichnen. Von Natur aus schweigsam und gutmütig
+veranlagt, stand er oft den ganzen Tag auf der Kommandobrücke und zog
+den Rauch aus der kurzen Pfeife, ohne den Mund aufzutun. Der Dienst an
+Bord klappte aufs Haar; denn alle Leute, vom Steuermann angefangen bis
+zum jüngsten Schiffsjungen, wußten genau, daß mit dem Kapitän nicht gut
+Kirschen essen war. Hatte er doch erst kurz vorher einen baumlangen
+Senegalesen, den stärksten Mann der Besatzung, der widerspenstig werden
+wollte, mit einem wuchtigen Faustschlag zu Boden gestreckt.
+
+Doch van den Andel hatte einen großen Fehler, nein, eine Leidenschaft,
+die ihm zum Verhängnis wurde, da er ohne sie gewiß bereits »=Chef
+de marine=« geworden wäre. Seine Leidenschaft, die Trösterin
+verbitterter, einsamer Stunden, war der Alkohol. Des Abends, wenn er
+zur Flasche griff und einige Gläschen »Schiedam« zur Stärkung der
+verbrauchten Kräfte zu sich genommen hatte, wurde er gesprächig. Dann
+erzählte er mir von all den Kollegen, die weit im Innern des Landes auf
+einsamen, verlassenen Faktoreien saßen. Er kannte jeden einzelnen von
+seinen jahrelangen Reisen. Er war es, der sie, wenn sie als Neuling von
+Europa kamen, zu ihren Stationen brachte, durch ihn erhielten sie stets
+die neuesten Nachrichten vom Unterkongo und ihren Kollegen im ganzen
+Stromgebiet.
+
+Je mehr die Literflasche »Schiedam« zur Neige ging, desto gesprächiger
+wurde der Kapitän. Wehe dem Faktoreichef, der das Unglück hatte,
+aus irgendeinem Grunde van den Andels Rachsucht auf sich zu ziehen.
+An diesem blieb kein gutes Haar mehr, von diesem konnte er wahre
+Schaudergeschichten erzählen. Jede Reise bot ihm Anlaß, durch seine
+Vertrauten unter den Arbeitern allerhand Begebenheiten aufzuschnüffeln,
+die dann in völlig entstellter Form bald hier, bald dort als Gerüchte
+auftauchten und von Mund zu Mund weitergetragen und aufgebauscht
+wurden. Aus oft ganz harmlosen Anlässen entstanden dann durch
+phantastische Schilderungen haarsträubende Mißverständnisse, deren
+Verbreitung im weiten Stromgebiet ihm allmählich zur zweiten Natur
+geworden war, je mehr Krankheiten und Ärger aller Art sein stets
+arbeitendes Hirn verwirrten. Tags über der gutmütigste Mensch, war
+mit van den Andel abends, wenn er die Flasche neben sich hatte, nicht
+zu spaßen. Geradezu gefährlich konnte er werden, wenn man seinen
+Schaudermären nicht unbedingt Glauben schenkte.
+
+[Illustration: Eingeborene bringen Lebensmittel.]
+
+Ich entsinne mich noch ganz genau, daß er gegen Ende eines Abendessens,
+anläßlich eines ganz harmlosen Widerspruchs eines der Gäste,
+urplötzlich aufsprang, die Tischdecke mitsamt den Schüsseln auf den
+Boden warf, sich auf seinen Gast stürzte und ihn im nächsten Moment von
+der Kommandobrücke in den Fluß warf. Es hätte nicht viel gefehlt, und
+der Fürwitzige hätte seine Unbedachtsamkeit mit dem Leben gebüßt.
+
+Während der ersten Tage als einziger Passagier an Bord, glaubte ich
+natürlich alle Geschichten aufs Wort und war ein aufmerksamer Zuhörer;
+ich stand daher in besonderer Gunst bei ihm.
+
+Nach achttägiger Fahrt, auf der wir die Posten Kimpoko, Kwamuth,
+an der Mündung des Kasai-Flusses gelegen, die Mission Berghe Ste.
+Marie, Bolobo, den Militärposten Yumbi und Lukolela berührt hatten,
+näherten wir uns dem Äquator. Die Fahrt war reich an Abwechslung und
+bot uns wiederholt Gelegenheit, auf Nilpferde, Krokodile, Reiher,
+Gänse und Enten zu schießen. Einmal stießen wir auf eine Sandbank,
+die von einer Herde Krokodile bedeckt war. Es mochten gegen zwanzig
+Tiere sein, große und kleine, die bei unserer Ankunft, in Reih und
+Glied marschierend, ins tiefe Wasser zogen. Es machte den Eindruck,
+als ob die ganze Sandbank im Laufen wäre. Dann wieder eine Tagereise
+stromaufwärts ragte eines Morgens eine etwa sechs bis acht Meter breite
+und ebenso hohe graue Felswand aus dem Strom, die Kapitän van den
+Andel nicht auf seiner Karte verzeichnet fand. Bei unserer Annäherung
+veränderte sich das Bild, so daß wir mit unseren Gewehren hinfeuerten.
+Nun geriet die Wand in stärkere Bewegung, und es zeigte sich, daß sie
+aus etwa zehn bis fünfzehn Hippopotamus gebildet war, die durch- und
+übereinanderlagen und schleunigst das tiefe Wasser aufsuchten.
+
+Längs des Kongoflusses sind vom Staat etappenweise Holzposten
+eingerichtet, die die Dampfer gegen eine geringe Entschädigung an
+Stoffen und »Mitakos« mit Brennmaterial versehen. Der Mitako ist
+ein zwölf bis fünfzehn Zentimeter langer, drei Millimeter starker
+Messingstab, welcher an Geldes Statt einen bestimmten Wert, und zwar
+je nach der Länge fünf bis zehn Centimes, repräsentiert. Ich vergaß
+zu erwähnen, daß Geld vom Stanley-Pool ab als Verkehrsmünze nicht
+gangbar ist. An dessen Stelle tritt der Mitako und am Oberlauf die
+=Nsoka=, ein spatenförmiges Stück Eisen, aus dem die Eingeborenen
+ihre Pfeilspitzen verfertigen.
+
+Das Erscheinen des Dampfers ist für die Eingeborenen allemal ein
+aufregendes Ereignis. Da der »Nfumu ntanga« im ganzen Stromgebiet als
+guter Zahler bekannt war, eilte die Bevölkerung auf das dreimalige
+Ertönen der Dampfpfeife, zum Zeichen, daß das Schiff anlegen möchte,
+ans Flußufer. Oft schon binnen weniger Minuten waren die sonst
+verlassenen Ufer schwarz von Menschen. Männer, Frauen und Kinder eilten
+herbei, in ihren »Kisakos« (Tragkörbe) schnell alles herantragend,
+dessen sie habhaft werden konnten.
+
+=Nsusu= (Hühner), =mpata= (Enten), =njama= (Ziegen), =maki na nsusu=
+(Eier), =nanasi= (Ananas), Palmöl in großen Steinkrügen, aber auch
+=Mbidia=, eine Art Polenta, =matadi=, das Blatt der Maniokstaude als
+Gemüse bereitet, geräucherte Heuschrecken, Termiten und ähnliche
+Leckereien für die besonderen Feinschmecker wurden, sauber in Blätter
+eingewickelt, von den Eingeborenen zum Kaufe angeboten.
+
+Eines Tages sah ich wieder belustigt dem mir neuen, ungewohnten Leben
+und Treiben am Ufer zu. Aus dem Handeln, Feilschen, Schnattern tönte
+das Kreischen und Schelten alter Frauen, die stets sehr anspruchsvoll
+sind und sich von ihren Sachen nicht trennen wollen, heraus. Da
+bemerkte ich in der Ferne eine ältere Kokette, die offenbar bei ihrer
+Morgentoilette überrascht worden war und nun, von der Angst, zu spät
+zu kommen, getrieben, pustend, schwitzend und schnaubend dahergelaufen
+kam. Ein Teil der Haare war in kleinen Zöpfchen und Strähnen, reichlich
+mit rotem Tukulapulver und Palmöl vermischt, gedreht, während die
+übrigen, wie beim Struwwelpeter, ihr wirr um den Kopf hingen. Zwei
+enorme Brüste, die bis an den Nabel herunterreichten, baumelten beim
+raschen Laufen klatschend gegen den aufgedunsenen, herabhängenden Leib,
+der in der rückwärtigen Partie sein Gegenstück in einer unförmigen
+Rundung fand. Keuchend vor Aufregung, die Schweißtropfen in langen,
+roten Linien über Gesicht und Brust herabrinnend, hatte sie endlich
+ihren schweren Korb zwischen die der anderen Megären niedergestellt und
+stürzte sich sofort, wie das Raubtier auf seine Beute, auf ein paar
+schwarze Arbeiter des Dampfers, die unschlüssig mit ihren Mitakos in
+der Hand dastanden und offenbar nicht wußten, was sie unter all den
+dargebotenen Schätzen kaufen sollten. Mit einer Selbstverständlichkeit,
+die ihnen absolut keine Zeit zum Überlegen ließ, nahm sie ihnen die
+Mitakos aus der Hand, klemmte sie zwischen die Oberschenkel unter
+dem etwa fünf Zentimeter breiten »Schamfleck«, der ihr einziges
+Kleidungsstück bildete, und gab jedem dafür eine gewisse Anzahl
+»Chikoange« (gestampfte Maniokwurzel in Blätter gehüllt, an Stelle
+unseres Brotes von den Eingeborenen verzehrt).
+
+Dieselbe Prozedur wiederholte sie zu meinem Erstaunen soundso oft
+mit dem gleichen Erfolg, noch ehe ihre Opfer aus ihrer Verblüffung
+herausgekommen waren. Wagte ein besonders Mutiger eine Einwendung
+gegen dieses summarische Verfahren, dann schleuderte sie ihm durch
+ihre wulstigen Lippen eine derartige Flut von Verwünschungen und
+Drohungen entgegen, stemmte ihre Arme in die Seiten und erhob ein
+solches Geschrei, daß der Tapfere schleunigst das Feld räumte. Denn in
+ihrem Zorn, der wie ein Blitz aus ihren Augen sprühte, war sie geradezu
+furchtbar anzusehen, und jeder fürchtete offenbar, zur Schadenfreude
+der anderen, noch eine Tracht Prügel obendrein zu erhalten. Als letzte
+unter allen Frauen war sie gekommen -- als erste hatte sie ihren Stand
+vollkommen ausverkauft. Dann nahm sie, ihre Umgebung mit mißtrauischen,
+giftigen Blicken musternd, all die glänzenden Mitakos hinter ihrem
+Schamschurz hervor und legte sie in Bündeln von je zehn vor sich hin.
+
+Beim Durchmustern all der Frauen am Ufer bemerkte ich nicht ein
+einziges junges Geschöpf. Die Männer halten die jungen Schönen im
+Dorfe zurück, aus Angst, daß sie mit einem der Arbeiter auf dem Dampfer
+entwischen könnten. Dies soll übrigens oftmals vorkommen, besonders
+dann, wenn der Dampfer an solch einem Holzposten übernachtet.
+
+An diesen Anlegestellen wurden vom Kapitän Hühner, Enten und Ziegen,
+Eier, Ananas und andere Lebensmittel für die Schiffstafel gegen
+=Chilulu mufike, Indigo blùe drill= -- Stücke =à= 4 Bras,
+jede Bras 2 Yards -- Mitakos, Salz, Haumesser usw. eingetauscht.
+Auffällig ist, wie mißtrauisch und habsüchtig die Eingeborenen sind.
+Sie geben ihre Waren nicht eher aus den Händen, als bis sie die
+volle Bezahlung dafür erhalten haben. Es liegt selbstverständlich im
+Interesse jedes passierenden Kapitäns, streng darauf zu achten, daß
+sowohl Brennholz als auch alle Lebensmittel gebührend bezahlt werden,
+da er sonst bei seiner Rückkehr weder das eine noch das andere, wohl
+aber dafür Pfeile für die Besatzung vorfinden würde.
+
+Als warnendes Zeichen geben allenthalben abgebrannte Posten beredtes
+Zeugnis von früheren Vorfällen. Die vom Staat hingesetzten Wärter
+wurden von den Eingeborenen ermordet, und da die meisten Stämme dieser
+Gebiete, wie Bayansi, Bambala usw., Kannibalen sind, aufgefressen.
+Die Leute trugen ihre Hütten einfach einige Stunden weiter ins Innere
+in unzugängliche Moräste und den Urwald, wo sie vor der Rache des
+Europäers vollkommen sicher waren.
+
+Wir berührten im Verlaufe der Reise auch hie und da Dörfer, die von
+der Schlafkrankheit, jener furchtbaren Seuche, heimgesucht wurden,
+die alljährlich Hunderttausende an Opfern fordert, ohne daß es damals
+bereits trotz mannigfacher Versuche gelungen wäre, ein wirksames
+Heilmittel zu ihrer Bekämpfung zu finden. Ehemals blühende Dörfer in
+der Umgebung von Berghe Ste. Marie glichen einer vollkommenen Wildnis,
+die Wege waren verwachsen, die Hütten zum Teil verfallen. Vor ihnen
+hockten und kauerten auf zerrissenen Matten in der Sonne lebende
+Skelette, grau von Schmutz und Schuppen, die knöchernen Arme flehend
+erhoben, den Tod in den fahlen, tiefgeränderten, völlig glanzlosen
+Augen. Hie und da wankte eines dieser entsetzlichen Gerippe ins Innere
+des Hauses, um Nahrung für die anderen zu holen.
+
+Weder alt noch jung, weder Mann noch Frau verschonte diese verheerende
+Seuche. Sie alle waren dem Tode verfallen. Was im Bereiche des Dorfes
+lag und weit darüber hinaus raffte er alles mit seiner unbarmherzigen
+Sichel dahin. Ich sah einen Säugling an der vollkommen versiegten
+Mutterbrust, aus der mangels Milch ihr rotes Herzblut floß. Kinder
+streckten ihre knochigen Arme mir entgegen. Erheben konnten sie sich
+nicht mehr, sondern nur auf allen vieren kriechen. Diese geisterhaften
+Kinder sahen so still und allwissend aus, das Unerforschliche, der Tod,
+hatte sich ihnen bereits offenbart. Herzerschütternd wirkte solch ein
+Anblick, und tief niedergedrückt verließ ich die traurige Stätte.
+
+Wir passierten Irebu, eine größere Garnisonstadt, in der die neu
+eingereihten Rekruten ausgebildet werden, hierauf Equateurville,
+die ehemalige Hauptstation des Oberkongo, und eine Stunde später
+Coquilhatville, unmittelbar am Äquator gelegen. Schräg gegenüber Irebu
+mündet der Ubangi, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Kongo.
+Dieser selbst gleicht im oberen Lauf einem Binnensee, dessen Breite
+zwischen 18 und 25 Kilometer wechselt.
+
+Coquilhatville liegt auf einer Anhöhe am linken Flußufer und ist eine
+der größten und schönsten Stationen am Kongo. Freilich auf den Neuling,
+der unmittelbar aus Europa kommt, und vielleicht erwartet, zwischen
+Palmen moderne städtische Wohnhäuser zu finden, wird Coquilhatville,
+wenn der Dampfer um die Waldspitze unterhalb der Station biegt, keinen
+besonders imposanten Eindruck machen. Wer aber selbst nach drei-,
+vierjähriger Dienstzeit Gelegenheit gehabt hat, eine Station in
+irgendeinem Winkel des großen Urwaldes zu erbauen und händeringend vor
+dem ersten eigenen, windschiefen, architektonischen Erzeugnis gestanden
+hat, der weiß zu ermessen, welch ungeheure Arbeit Menschenhände hier
+geleistet haben. Der Weg führte auf eine terrassenförmig aufgebaute
+Anhöhe, auf der stolz am hohen Flaggenmast die blaue Fahne mit dem
+gelben Stern im Felde im Winde weht, und verzweigt sich von hier
+aus über das Plateau in verschiedene Mangoalleen, die auf eine
+Kaffeeplantage führen. Im Schatten der Bäume, von kleinen Ziergärten
+umgeben, lugen die europäischen, in roten Ziegeln aufgeführten
+Gebäude mit drei Meter breiten, luftigen Veranden äußerst lieblich
+und einladend hervor. Inmitten der Station vor dem Gebäude des
+Distriktskommissars befindet sich ein großer, freier Platz, der als
+allgemeiner Sammelplatz morgens beim Appell für Europäer und Mannschaft
+dient. Die Anlagen, welche auf tausend Meter im Umkreis bis in die
+Felder der Eingeborenen führen, sind mit Flamboyants, Bananen, Papay-
+und Goyavenbäumen bepflanzt. Ananasstauden säumen sie ein. Hinter
+der Station befindet sich ebenfalls eine Kaffeeplantage, die bei
+unserer Ankunft in voller Blüte stand. Die samtartigen, schneeweißen
+Sternblüten erfüllten die Luft mit aromatischem, süßem Duft. Ich habe
+Coquilhatville als größere Station absichtlich etwas näher beschrieben,
+weil alle anderen Staatsposten am Flusse mehr oder weniger dasselbe
+Gepräge tragen.
+
+Wie bereits erwähnt, gleicht der Kongo hier einem Binnensee. Unser
+Dampfer bahnte sich mühsam zwischen Sandbänken und Inseln seinen Weg.
+Mehrmals fuhren wir auf Sandbänke auf. In den meisten Fällen kamen
+wir aber nach kurzer Anstrengung, und nachdem sämtliche Arbeiter ins
+Wasser gesprungen waren und mitgeholfen hatten, wieder los. Lulanga und
+Nouvelle Anvers passierten wir ohne Unfall.
+
+Am 15. April mittags brach ein Tornado über uns herein, der uns mitten
+auf dem Strome überraschte und uns allen fast zum Verhängnis wurde.
+Der Morgen begann mit feinem Regen, später wurde es empfindlich kalt,
+tiefer Nebel legte sich im Laufe des Vormittags auf die Wasserfläche,
+so daß die Orientierung ziemlich schwer wurde. Gegen Mittag vernahmen
+wir in der Ferne ein Rauschen und Brausen in den Wipfeln der Bäume, das
+immer tosender wurde und sich mit rasender Geschwindigkeit uns näherte.
+Van den Andel versuchte sofort, das Schiff durch die in der Fahrtrinne
+unter Wasser liegenden Sandbänke in die Nähe des Ufers in Sicherheit zu
+bringen, doch der herannahende Orkan überholte uns. Unter Heulen und
+Sausen fegte der Sturm über uns her, und der Donner krachte. Prasselnd
+zog eine undurchdringliche Regenwand über das Wasser her und ging
+wie eine wahre Sintflut über uns nieder, alles, was nicht niet- und
+nagelfest an Bord verstaut war, mit sich in den Strom reißend. Mächtige
+Orkanstöße trafen das Schiff von einer Seite, so daß es zu kentern
+drohte. Unwillkürlich flüchtete alles vor der Wucht der Regenmassen
+auf die andere Seite des Dampfers. Der Kapitän stürzte, in der Rechten
+die Nilpferdpeitsche, in der Linken den Revolver, ins Unterdeck und
+peitschte unbarmherzig auf die nackten Leiber der vor Todesangst
+heulenden und »Kilima«, ihren Gott, anrufenden Neger, um sie auf die
+andere Seite zu treiben, welche unbedingt belastet werden mußte,
+wollten wir nicht alle eine Beute der Krokodile werden. Inzwischen
+zuckten Blitze und krachte der Donner unaufhörlich. Unser Dampfer war
+»mit höchster Geschwindigkeit« auf eine Sandbank aufgefahren, wurde vom
+Wirbelwind erfaßt, wie ein Kreisel um sich gedreht und, ein Spielball
+von Wind und Wetter, stromabwärts getrieben. Die Stahltrossen beider
+Anker, die wir bei der ersten Sandbank ausgeworfen hatten, waren von
+der Wucht des Sturmes wie Zwirn zerrissen worden. Die überirdischen
+Mächte hatten ihren Riesenmund aufgetan und zu reden begonnen, die
+gewaltigen Urwaldstämme wurden vom Sturm mit mächtigen Fäusten gepackt
+und inmitten von Feuer und Flammen der niedersplitternden Blitze mit
+donnerartigem Krach zu Boden geschleudert. Himmel und Erde berührten
+sich in den herabstürzenden Wassermassen, die Hölle schien ihren
+Schlund geöffnet zu haben.
+
+Völlig machtlos, wie eine Nußschale, war unser Dampfer einige hundert
+Meter stromabwärts gegen eine breite, unter Wasser liegende Sandbank
+getrieben, die seinem weiteren Lauf glücklicherweise ein Ziel setzte.
+Hier blieb er festsitzen -- wir waren gerettet. Wohl eine halbe
+Stunde mochte der Himmel all seine Schleusen über uns geöffnet haben,
+ehe wir wagten, wieder freier aufzuatmen und die Schäden, die der
+Tornado angerichtet hatte, näher zu betrachten. Wir saßen zwar auf der
+Sandbank fest, doch der Dampfer hatte mit Ausnahme der zwei gesprengten
+Stahltrossen und Anker, die sich übrigens bald wieder vorfanden,
+keinerlei Schaden genommen. Dagegen hatten wir zwei Ziegen, sämtliche
+Hühner und Enten sowie einen Teil der kleinen Bagage unserer Mannschaft
+eingebüßt, ein Verlust, der in Anbetracht der schweren Gefahr, in der
+wir alle geschwebt hatten, nicht bedeutend war. Unser Glück wollte, daß
+gerade der Dampfer »Schattenstroem« gesichtet wurde, der auf unsere
+Notsignale hin uns Hilfe brachte, so daß wir binnen drei Stunden von
+der Sandbank loskamen.
+
+Wir passierten Mobeka und gelangten schließlich nach Irengi und Upoto,
+der Stätte der Sehnsucht so mancher Europäer, da hier die Mädchen
+und Frauen, gleich Eva vor dem Sündenfall, in anmutiger Unschuld
+ihren Körper vollständig nackt dem Auge darbieten. Je weiter man sich
+vom Stanley-Pool entfernt, desto mehr verkürzt sich der kunstvolle
+Faltenüberwurf der Negerinnen von oben als auch von unten, bis hier
+in Upoto auch die letzte Hülle fällt und dem anfänglich erstaunten
+Auge gleich einer antiken Statue den ebenmäßig schöngeformten Körper
+enthüllt. Weder Mieder noch Schuh entstellt die schlanke Gestalt,
+keinerlei Modekünste verunstalten den zierlichen Fuß. In harmonischer
+Linie, ein einheitliches Ganzes bildend, erweckt das entblößte Weib
+dem Beschauer nur Bewunderung für das Herrliche, was die Natur im
+Frauenkörper geschaffen hat. Unbefangen gehen Frauen und Mädchen im
+Evakostüm ihrer Arbeit nach, unbefangen sind ihre Bewegungen und Mienen.
+
+So eigenartig es uns auch im ersten Augenblick anmutet, alle unsere
+europäischen Anschauungen und Begriffe von Schamgefühl hier umgeworfen
+zu finden, merken wir nach kurzer Zeit mit Erstaunen, daß der
+unbekleidete, lebenskräftige Körper uns gar nicht erotisch berührt.
+Ist es in Europa der ungewohnte Anblick eines Körpers, der gewöhnlich
+sorgsam vor unserem Auge gehütet wurde? Liegt es in unserer Erziehung
+oder anderer Lebensauffassung, oder nimmt der zufällig bloße Körper
+einer Frau infolge des verletzten Schamgefühls Stellungen ein, die
+unwillkürlich beim Betrachten erotische Gefühle hervorrufen? Kurzum
+-- ich habe nichts dergleichen beim Anblick dieser Frauen gefühlt,
+und nicht etwa aus dem Grunde, daß sie nach europäischen Begriffen
+unschön wären. Der Europäer ist im allgemeinen geneigt, alle Neger und
+Negerinnen häßlich zu finden. Auch hierin begeht er einen Irrtum. Wenn
+man viele Jahre zwischen ihnen gelebt hat, bemerkt man, daß es zwischen
+ihnen ebensowohl schöne als häßliche Menschen gibt, geradeso wie bei
+uns Europäern. Ich habe im Laufe meiner vielen Reisen Negerinnen
+gesehen, die es an Grazie, Wuchs und Gestalt mit jeder Europäerin
+aufnehmen konnten.
+
+Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß alte sowie schwangere Frauen die
+Blößen ihres Körpers verdecken, nur Kinder, junge, gesunde Mädchen und
+Frauen sind unbekleidet. Der Mangel einer Kleidung soll nicht bedeuten,
+daß die Mädchen und Frauen Upotos verhältnismäßig nicht ebenso eitel
+wie ihre Schwestern in Europa wären. Ihre Eitelkeit ist nur anderer
+Art und besteht darin, unförmige Bündel von Perlen sich um den Hals zu
+hängen oder schwere Messingringe (oft zwei bis drei Kilogramm schwer)
+um Füße, Hals oder Hände schmieden zu lassen. Doch damit noch nicht
+genug verunstaltet, werden Arme und Gesicht zu einer greulichen Maske
+tätowiert.
+
+In Upoto kam Janssen, mein zukünftiger Chef, an Bord und schlug mir
+gegenüber gleich einen so kameradschaftlichen Ton an, daß wir sofort
+gute Freunde wurden. Er hatte keinerlei Geheimnisse vor mir, zeigte mir
+sämtliche Briefe und Instruktionen aus Brazzaville, und die nächsten
+Tage vergingen wie im Fluge mit Plänen und Besprechungen.
+
+[Illustration: Der Kongo bei Upoto.]
+
+Wir passierten auf unserer weiteren Reise Basoko, an der Mündung
+des Aruwimi, und Isangi, an der Mündung des Lomamiflusses gelegen,
+und trafen nach 24tägiger Flußfahrt in Stanleyville, dem Endziele
+unserer Reise, ein. Ich betrachtete Stanleyville eigentlich erst als
+Ausgangspunkt meiner afrikanischen Laufbahn und das vorher Erlebte
+gewissermaßen als eine Art Übergangsstadium.
+
+Stanleyville liegt am rechten Ufer des Flusses unmittelbar unterhalb
+des ersten der sieben verschiedenen Fälle und Katarakte, die
+insgesamt unter dem Namen »Stanleyfalls« bekannt sind und der
+Schiffahrt am Oberkongo vorläufig ein Ende setzen. Als Endstation
+der Dampferlinien und Ausgangspunkt der Truppen, die nach dem Osten
+gegen die revoltierenden Soldaten der Expedition Baron Dhanis und zur
+Unterdrückung der Araberaufstände entsandt wurden, war Stanleyville
+bereits Beginn 1899 eine ansehnliche Station und zählte gegen 42
+europäische Beamte und Offiziere unter der Leitung eines =Commissaire
+général=.
+
+Unsere Ankunft fiel in eine kritische Periode. Stanleyville war vor
+kurzem anläßlich der Kämpfe mit den Arabern und Suaheli der Schauplatz
+blutiger Ereignisse gewesen. Gegen 35000 Suaheli (berüchtigte
+Sklavenjäger und Mischvolk aus Arabern und den verschiedenen
+Negerstämmen), die das Nutzlose weiterer Kämpfe eingesehen und sich
+ergeben hatten, waren zwangsweise in der Umgebung von Stanleyville und
+den Strom entlang, bis La Romée, angesiedelt worden. Diese unbotmäßigen
+Horden zu regieren und ihrem Morden und Plündern Einhalt zu gebieten,
+war keineswegs eine leichte Sache. Reibungen entstanden oftmals aus
+geringfügigen Anlässen, und das Bewußtsein von der Übermacht dieser
+Fanatiker gegenüber dem Häuflein von Europäern erweckte in uns das
+Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen.
+
+Kommandant Verdonk, der damalige Distrikts-, später Generalkommissar,
+empfing uns auf das liebenswürdigste und händigte uns die Schlüssel der
+Faktorei, die Herr Kiel ihm vor seiner Abreise übergeben hatte, aus.
+
+Nach all den herrlichen Staatsposten, die wir im Laufe unserer Reise
+besuchten, hatte ich mich natürlich in Gedanken oftmals gefragt, wie
+wohl meine zukünftige Faktorei aussehen möge, und da der Kapitän
+keine befriedigende Auskunft zu geben vermochte, mir in meiner regen
+Phantasie ein kleines Schmuckkästchen, unter lauschigen Palmen oder
+Mangobäumen hervorlugend, vorgestellt. Unsere aufs höchste gespannten
+Erwartungen machten daher einer tiefen Niedergeschlagenheit Platz beim
+Anblick der inmitten eines vollständig kahlen, zum Fluß abfallenden
+Geländes gelegenen armseligen paar Gebäude, die unsere Faktorei
+vorstellen sollten. Die ehemals diesseits des Flusses am Ufer entlang
+liegende Kaffeeplantage war von unserem Vorgänger mit Stumpf und
+Stiel ausgerottet und an deren Stelle auch nicht der leiseste Versuch
+unternommen worden, das nunmehr vollständig kahle Terrain mit Nutz- und
+Zierbäumen zu bepflanzen. An Baulichkeiten bestand vorläufig nichts als
+ein kleines unansehnliches, provisorisches Haus mit zwei Räumen, dessen
+einer als Schlafzimmer, der zweite als Waren- und Produktenmagazin
+diente. Außer diesem provisorischen Gebäude hatte Kiel mit dem Bau
+eines Magazins begonnen, von dessen einen Hälfte man hoffen konnte, daß
+sie in den nächsten Tagen vollendet sein würde. Die ganze Einrichtung
+war den Verhältnissen entsprechend höchst primitiv und nur für eine
+Person berechnet, so daß es, vom Bett angefangen, am Nötigsten für mich
+mangelte. Offenbar hatte unser Vorgänger seine ganze Aufmerksamkeit und
+Energie einzig und allein dem Handel mit den Arabern und Eingeborenen
+zugewendet und darüber seine eigene Bequemlichkeit vollständig außer
+acht gelassen.
+
+[Illustration: Mustapha mit Familie.]
+
+Hier gab es Arbeit für uns beide in Hülle und Fülle. Ein komfortables
+Wohnhaus, Bett, Tisch, Stühle, Schränke, kurzum, alles fehlte und mußte
+geschaffen werden. Wir richteten uns also vorläufig so gut wie möglich
+in den beiden Räumen ein und brachten die aus dem Dampfer entladenen
+Waren und Lebensmittel mangels eines Magazins auf den Veranden und
+in dem unvollendeten Bau unter. Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch
+verließ uns der »Nfuma ntanga«, und wir hatten nunmehr Gelegenheit,
+unser Personal etwas näher zu inspizieren.
+
+Laut Angabe der Direktion sollte dasselbe aus dem schwarzen Schreiber,
+der die Arbeiten eines europäischen Beamten verrichtete, und zwanzig
+ausgewählten Männern von der Küste, darunter Schreiner und Schlosser,
+bestehen. Die meisten dieser Leute, vor allem die Handwerker, hatten
+jedoch die Faktorei gleichzeitig mit Kiel verlassen und waren an die
+Küste zurückgekehrt. Zurückgeblieben waren nur fünf Mann, und diese
+gehörten zu jener Kategorie von Leuten, die sich schnell irgendwo
+eingewöhnen und dann auch dableiben. Sie hatten sich, wie wir bald
+bemerkten, einen vollständigen Harem von Boys und Frauen zugelegt,
+steckten mit den Arabern unter einer Decke und waren mit der Zeit träge
+und faul geworden. Außer diesen sechs Mann von der Küste waren je nach
+Bedarf zwanzig bis dreißig Suaheli unter der Leitung eines Chef-Capitas
+mit Namen Mustapha auf der Faktorei, Sklaven des arabischen Oberhauptes
+Shibu, die monatlich ausbezahlt wurden. In Mustapha hatte unser
+Vorgänger entschieden eine glückliche Wahl getroffen. Er war von
+zierlicher Gestalt, hellbrauner Farbe und gewinnendem Wesen. Seine
+Gesichtszüge trugen arabischen Charakter und waren unstreitig
+intelligent. Lippen und Nase waren im Gegensatz zu den Eingeborenen
+schmal und edel geformt, Hände und Füße zart und sorgfältig gepflegt.
+Die etwas hervortretenden Backenknochen und flammenden Augen gaben dem
+Gesicht ein energisches Gepräge. Den europäischen Beamten und höheren
+Sultans und Scheikhs gegenüber stets bescheiden und zuvorkommend, war
+er gegenüber den Arbeitern und Negern stets der befehlende Gebieter,
+dem sie unbedingt gehorchten. Dies ist in kurzen Umrissen das
+Charakterbild des Mannes, der als Dolmetscher und im Umgang mit den
+Arabern unser hauptsächlichster Führer und Berater wurde. In allem war
+er versiert, in allem wußte er Bescheid.
+
+Am Tage nach unserer Ankunft, und noch ehe wir Gelegenheit gehabt
+hatten, uns völlig einzurichten, war Mustapha mit den arabischen
+Häuptlingen der Umgebung, wie Habibu Ben Salim (der später vom König
+Leopold in Brüssel in Audienz empfangen wurde), und Shibu, erschienen,
+um uns zu begrüßen. Beide, imposante Greise mit herrlichen schneeweißen
+Bärten, in golddurchwirkte, mit kostbaren Handarbeiten besetzte
+Gewänder gehüllt, gefolgt von zahlreichem, vom Kopf bis zu den Füßen in
+blendend weiße Hemden gekleidetem Volk, machten auf uns, die wir bisher
+nur mit halb oder ganz nackten Wilden Handel getrieben hatten, einen
+imposanten Eindruck. Da die gläubigen Araber, wenigstens öffentlich,
+keinen Alkohol, auch keinen Champagner trinken, ließen wir ihnen
+schwarzen Kaffee mit englischen Cakes vorsetzen. Mustapha vermittelte
+das Gespräch als Dolmetscher, und wir erfuhren bei dieser Gelegenheit,
+daß unser Vorgänger es verstanden hatte, sich ihre Freundschaft zu
+erwerben. Mit der beiderseitigen Zusicherung, es auch fernerhin so
+zu halten, versprachen sie, uns ausgiebig mit Elfenbein und Reis zu
+versorgen.
+
+
+Fußnote:
+
+[4] =Katuka= -- schau, daß du fortkommst, =nyama= -- gleichbedeutend
+mit »Vieh«.
+
+
+
+
+ Erste Besuche bei den Araberhäuptlingen.
+
+
+Kiel hatte auf seiner Rückkehr nach dem »Pool« zirka 4000 Kilogramm
+Reis von den Arabern mitgenommen, die er mangels genügender
+Warenvorräte nicht hatte bezahlen können und schuldig geblieben war.
+Diese Schulden zu begleichen, erachteten wir als unsere erste Pflicht.
+Unser Hauptgläubiger residierte in Romée, und da unser Dampfer uns
+bereits verlassen hatte, beschlossen wir kurz, sofort mit unserm
+großen Kanu, das etwa 2000 Kilogramm an Waren sowie zwanzig Ruderer
+bequem fassen konnte, dort hinzufahren. Das Boot hatte eine Länge von
+etwa acht Meter und eine durchschnittliche Breite und Tiefe von 120
+respektive 75 Zentimeter. In der Mitte befand sich ein Aufbau, eine
+Art Blätterdach zum Schutz gegen Sonne und Regen, groß genug, um uns
+beide in unseren Stühlen und sämtliche Waren unterzubringen. Dahinter
+war aus Lehm eine Art Feuerstelle hergerichtet, worauf unser Koch
+auch während der Fahrt unser Essen zubereitete. Ganz vorn und hinten
+standen, gleichmäßig verteilt, zwanzig bis dreißig Ruderer, die, im
+Takte singend, mit ihren lanzenförmigen Rudern das Boot vorwärtstrieben.
+
+Wer die primitiven Werkzeuge der Neger aus Museen kennt, wird es
+für ganz und gar ausgeschlossen halten, daß Negerhände damit den
+langwierigen, viel Geschicklichkeit erfordernden Bau eines derartigen
+Kanus ausführen konnten. Wenn man bedenkt, welche ungeheure Mühe es
+erfordert, solch einen Urwaldriesen zu fällen, zu entrinden und mittels
+Feuer und Hacken Splitter für Splitter auszuhöhlen, dann wird man einen
+hohen Respekt vor der Arbeitskraft dieser Eingeborenen bekommen. Zu
+berücksichtigen dabei ist noch, daß sich nur das härteste Holz und nur
+Stämme dazu eignen, die ohne Äste und Fehler sind.
+
+Als wir endlich alle im Boote untergebracht waren und unter dem
+gleichmäßigen Takt eines Gongs und dem Jubelgesang der Ruderer, die
+stromabwärts leichte Arbeit hatten, wie ein Pfeil über die Wasserfläche
+dahinflogen, da pochte mein Herz laut im stolzen Hochgefühl und
+der Gewißheit, endlich meine Träume erfüllt zu sehen. An einer
+Anzahl Dörfer vorüber, deren Einwohner beim Passieren unseres Kanus
+neugierig ans Ufer eilten, gelangten wir nach etwa zweistündiger
+Fahrt zur Mission St. Gabriel de Sacré Coeur, deren Patres uns aufs
+liebenswürdigste bewillkommneten und über Mittag zu Gast baten.
+
+Der Pater Gabriel war ein äußerst jovialer Franzose, der uns über
+die Anfänge seiner Mission und die tausenderlei Gefahren und
+Schwierigkeiten, unter denen er zu leiden hatte, berichtete. Sein
+Gefährte Pater van Dussen hatte uns an der Landungsstelle empfangen
+und durch sein gespenstisches Aussehen einen für immer unvergeßlichen
+Eindruck auf mich gemacht. Man stelle sich ein weit über das normale
+Maß hinausreichendes Skelett in einer ebenso langen weißen Soutane
+vor, darüber einen Bart, der nach allen Seiten in noch nie gesehener
+Üppigkeit wucherte, und zwei kolossale, schwarze Augengläser, die den
+Rest des gerunzelten, bis zu den Knochen abgemagerten, fahlen Gesichtes
+völlig dem Beschauer entzog, da der übrige Teil desselben durch den
+großen, breitrandigen Tropenhut vollkommen verdeckt wurde. Er war schon
+sehr alt, der ehrwürdige Pater, und wußte viel Interessantes über
+seine Erlebnisse in Südamerika, wo er viele Jahre bis zur Verstoßung
+der katholischen Mission geweilt hatte, zu berichten. Still ergeben
+in sein Schicksal, hatte er hier kurz vor seinem Lebensabend einen
+neuen Wirkungskreis gefunden. Im übrigen waren beide äußerst vergnügt,
+Gesellschaft auf ihrer einsamen Station zu erhalten, und überboten
+sich trotz der bescheidenen Mittel, die ihnen zur Verfügung standen,
+in ihrer Gastfreundschaft. Aus ihren Erzählungen erfuhren wir, daß vor
+einigen Tagen zwei Missionsmädchen von großen Affen, die alljährlich
+aus dem Innern an die Flußufer kommen, geraubt worden waren. Nach den
+Schilderungen dürften es Gorillas oder Schimpansen gewesen sein. Als
+Pater Gabriel sich mit einigen Soldaten auf die Verfolgung machte und
+auf eines der Tiere schoß, ließ es das Mädchen von der Höhe fallen.
+Dieses lebte noch, hatte jedoch infolge des Sturzes derartige innere
+Verletzungen davongetragen, daß es binnen einigen Stunden starb. Die
+anderen hatten mit dem zweiten Mädchen unter furchtbarem Brüllen das
+Weite gesucht und konnten in dem tiefen Morast nicht weiter verfolgt
+werden.
+
+Nach herzlichem Abschied verließen wir gegen drei Uhr nachmittags Le
+Sacré Coeur und fuhren weiter stromabwärts. An den Flußufern fanden
+wir keine weiteren Dörfer vor. Dagegen wurden aus dem grünen Vorhang
+des Waldes, der alles Lebende dahinter unserem Auge verhüllte,
+langgezogene Töne und Ausrufe hörbar, die von Mustapha beantwortet
+wurden. Eingeborene boten uns alle möglichen Gegenstände, darunter auch
+Sklaven und Sklavinnen, zum Kaufe an. Der Sklavenhandel ist hier unter
+den Suaheli noch in vollem Betrieb. Sklaven bilden den eigentlichen
+Reichtum der Neger und werden gerade so wie andere verkäufliche
+Gegenstände verhandelt.
+
+Meine Unterhaltung mit Janssen verstummte allmählich, und ich gab mich
+ganz der weihevollen Stimmung hin, die am Spätnachmittag über dem
+Strom lag. Meine Sinne öffneten sich all dem Neuen, das sich mir hier
+erschloß. Meine Blicke schweiften von dem vor mir trommelnden Mustapha,
+dessen Wiege wahrscheinlich im fernen Osten in Sansibar gestanden
+hat, und der so wie ich durch Schicksalsfügung mitten unter die
+raubgierigsten aller Völker Innerafrikas verschlagen war, hinüber zu
+den muskulösen, schweißtriefenden Gestalten unserer Ruderer. Das Auge
+weidete sich an dem prächtigen Anblick dieser jungen lebenstrotzenden,
+braunen Körper, die die Ruder mit taktmäßigem, wuchtigem Schlag durch
+das glitzernde Wasser führten. Unwillkürlich blieb mein Blick an einer
+der schmalen, feingeformten Hände hängen, dieser Rassenhand, die
+ebensogut das Messer zückt, um das ungetreue Weib zu töten, als den
+meuchlings niedergestreckten Feind in Stücke zu teilen, um ihn tief im
+Innern der Urwälder, bis wohin die Gesetze der Europäer nicht reichen,
+mit den Gefährten aufzufressen.
+
+Wohin das Auge blickt, überall spielt sich der gleiche Kampf des
+Schwachen mit dem Mächtigeren ab; es ist ein beständiger Streit
+zwischen Sein und Nichtsein. Tief aus dem Gewirr von Bäumen und
+stacheligen Pflanzen tritt unbemerkt ein kleines, schmächtiges
+Keimchen hervor. Gleich einer Schlange schmiegt und ringelt es sich am
+gewaltigen Stamme hinauf dem Licht der Sonne zu, die es zu neuem Leben
+entfacht und ihm Kraft verleiht. Bald streckt es tausend Fühler aus,
+die gleich Parasiten ihren Ernährer umarmen und von dessen Herzblut
+leben. Einmal ans volle Licht gelangt, entwickelt das Pflänzchen ein
+riesiges Laubgewinde und stößt Tausende von neuen Trieben aus, die
+von den Baumkronen der höchsten Riesen bis zur Erde reichen. Mit
+den Jahren werden sie so mächtig, daß sie ihren Ernährer in ihren
+kraftvollen Armen ersticken und durch ihre eigenen Blätterranken des
+notwendigen Lichtes berauben, bis ein Tornado Sieger und Besiegten zu
+Boden schleudert.
+
+[Illustration: Budjas-Frau.]
+
+An schlanken ~Elais~palmen, an herrlichem Urwald vorüber, aus
+dessen Tiefen uns ein aromatischer, die Sinne bestrickender Duft
+entgegenströmte, glitt unser Boot. Hier flogen unter lautem Geschnatter
+ein paar Enten auf, dort stürzte ein Fischadler auf seine Beute, wieder
+kamen wir an Scharen schlafender Fledermäuse vorbei, die in Klumpen wie
+reife Früchte an irgendeinem vollständig kahlen Baume hingen. Alles war
+meinem freudetrunkenen Auge so neu und ungewohnt und versetzte mich in
+einen völligen Taumel von Entzücken.
+
+Bei einbrechender Dunkelheit erreichten wir unsere erste Etappe,
+die englische Mission in Jakussi, und wurden daselbst von Sir Roger
+und Mr. Williams auf das liebenswürdigste aufgenommen. Besonders
+freudig überraschte es uns, in der Gattin unseres Gastgebers eine
+reizende, anmutige Engländerin in dieser unwirtlichen Gegend
+Innerafrikas kennenzulernen. Da wir der englischen Sprache mächtig
+waren, verging der Abend in sehr vergnügter und angenehmer
+Unterhaltung. Die Missionare erzählten von den Leiden und Freuden ihres
+weltabgeschiedenen Lebens, während Mrs. Roger fünf bis sechs reizende
+Mulattinnen im Alter von acht bis zwölf Jahren um sich versammelt
+hatte und in die Geheimnisse der Näharbeit einweihte. Nach langer
+Zeit schlief ich wieder einmal in weichen Federbetten in einem mit
+europäischem Komfort eingerichteten Zimmer. Am anderen Morgen war alles
+in großer Aufregung; ein Leopard war in der Station gewesen und hatte
+einen der großen Hunde weggeholt.
+
+[Illustration: Bambala-Mann.]
+
+Frühmorgens verließen wir Jakussi, um unsere Reise stromabwärts
+fortzusetzen. Nach dreistündiger Fahrt gelangten wir am rechten Ufer an
+die erste arabische Niederlassung des Häuptlings Rumbee, der nach den
+Aufzeichnungen unseres Vorgängers unser Hauptreislieferant war und für
+uns 200 Sack auf Lager haben sollte. Dieser hatte, des langen Wartens
+überdrüssig, seinen ganzen Vorrat bereits an den Staat abgegeben, so
+daß wir das Nachsehen hatten. Wir bezahlten unsere alten Schulden und
+erreichten endlich nach vielem Hin- und Herparlamentieren, daß er uns
+versprach, Ende des nächsten Monates 200 Sack Reis nachzuliefern. Da
+sich nach Mustaphas Aussagen auf dieser Seite des Stromes noch mehrere
+Araberansiedlungen vorfanden, sandten wir unser Boot stromabwärts
+voraus und gingen selbst zu Fuß durch die bald größeren, bald kleineren
+Reisplantagen. Die Ansiedlungen der Suaheli zeichnen sich durch ihre
+großzügige Anlage und ihre Reinlichkeit aus. Die Bauten sind in Pise
+(Gerippe aus Holz, Aufbau aus einem Gemisch von Lehm und Termitenerde)
+ausgeführt und gewöhnlich weiß, hellblau oder auch rosa getüncht.
+Solch ein Gebäude besteht aus dem Frontbau mit Vorhallen und den
+Schlafgemächern, an welche sich eine Hecke anschließt, die den Hof
+und die Wirtschaftsgebäude umzäunt. In dem letzteren befinden sich
+die Küche, Vorratskammer sowie Schlafgemächer für die unmittelbare
+Hausdienerschaft. Der dazwischenliegende Hof dient zum Aufenthalt der
+Frauen und des Geflügels. Die Wohnungen der Häuptlinge sind ebenso
+gehalten, nur entsprechend größer und besitzen als besondere Merkmale
+eine Säulenhalle oder eine schwere, mit eingeschnitzten Schriftzeichen
+verzierte Tür. Bei wundervoll schönem Wetter machten wir einen
+Spaziergang durch die verschiedenen Plantagen von Mais, Maniok,
+Bananen, Yam, Bohnen und Reis, die die Suaheli am Flußufer entlang
+angelegt hatten. Aus allen Türspalten, Nischen und über Hecken hinweg
+lugten kleine Hausfrauen.
+
+[Illustration: Wabongo-Mann.]
+
+Beim letzten dieser Dörfer bestiegen wir wieder unser Boot und ließen
+uns auf das linke Flußufer übersetzen, um dem Oberhäuptling von
+~Romée~ Mansuri Ben Said, der über 15000 Suaheli gebietet, einen
+Besuch abzustatten. Der alte Häuptling war vor kurzem gestorben, und
+wir wurden daher von seiner ehemaligen Favoritin und ihrem Sohne,
+seinem Nachfolger, empfangen. Wir zahlten auch hier alte Schulden
+ab, hatten aber Mühe, ihn zu neuen Geschäften zu bewegen, da er mit
+den Abgaben an den Staat im Rückstand war und fürchtete, seine Waren
+würden in Stanleyville beschlagnahmt werden. Schließlich versprach er
+uns für den nächsten Monat 500 Sack Reis und stellte uns auch einige
+schwere Elfenbeinzähne in Aussicht. Wir hatten nunmehr unsere Arbeiten
+erledigt und traten die Heimreise an. Jetzt lernten wir die Kehrseite
+einer Kanufahrt kennen. Solange das Boot mit der Strömung fährt, geht
+die Sache vorzüglich, stromaufwärts jedoch ist es eine andere Sache.
+Schritt für Schritt, träge und faul schleicht das Boot trotz vermehrter
+Arbeitskraft am Ufer entlang, jeder Meter vorwärts wird der Strömung
+unter Aufbietung aller Kräfte abgerungen. Unsere Ruderer waren in
+Schweiß gebadet, das fröhliche Singen hatte einer unwilligen und
+mürrischen Stimmung Platz gemacht.
+
+Langsam versank die Sonne als leuchtender Feuerball am Firmament. Große
+Fledermäuse, Vampire und anderes nächtliches Getier huschte mit dunklen
+Schwingen über die Wasserfläche, irgendwo in der Ferne heulte ein
+Schakal jämmerlich. Zum Quaken der Frösche gesellte sich ein Orchester
+von Baumgrillen und hundert anderen Insekten, die an dem nächtlichen
+Konzert teilnahmen. Die Dunkelheit brach herein, und es begann langsam
+zu regnen, so daß wir froh waren, endlich beim Häuptling Rumbee noch
+kurz vor Ausbruch eines Orkans Unterschlupf zu finden. Meine Leute
+hatten kaum genügend Zeit, den erstbesten Negerchimbeque (Hütte)
+für Janssen und mich mit Beschlag zu belegen und dessen Einwohner,
+primitive Bassengi, hinauszutreiben, als auch bereits ein wahrer
+Wolkenbruch über uns niederging. Dazu war die armselige, niedrige
+Hütte noch derartig mit Rauch angefüllt, daß wir uns trotz des Feuers
+kaum sehen konnten. Unsere Boys hatten jedoch inzwischen alle unsere
+Siebensachen aus dem Boote hierher ins Trockene gebracht, und es blieb
+uns nichts übrig, als hier zu übernachten.
+
+[Illustration: Wabongo-Frau.]
+
+Rumbee war inzwischen von Mustapha von unserer Ankunft benachrichtigt
+worden und ließ uns nach Ablauf des ersten Regenschauers zu sich
+entbieten. In der großen Empfangshalle seines Palastes waren zwei
+mit Leopardenfellen behangene Lehnstühle für uns beide hergerichtet
+worden, während Rumbee mit dem Kreis der Seinen auf Matten und kleinen
+Bambusschemeln lagerte. Im Hintergrunde spielte eine aus Sansibar
+stammende Hauskapelle, bestehend aus drei Mann, die verschiedenartig
+gestimmte Tamtams schlugen und wirbelten, und zwei Frauen, die als
+Sängerinnen fungierten. Außer diesen trat noch ein Bauchpfeifer als
+Sonderkünstler auf, der bald eine Kriegstrompete nachahmte, bald wie
+eine wütende Bestie fauchte, zischte und die unglaublichsten Töne
+hervorbrachte. Diese kleine Künstlerschar spielte und sang während
+einiger Stunden eine ganze Reihe von Kampf- und Schlachtliedern, unter
+anderen auch den berühmten »Unsterblichkeitsgesang« der Mohammedaner,
+den Rumbee für gewöhnlich den »Ungläubigen« nicht vorzuführen pflegte.
+Ich glaube gern, daß die Araber, durch den Sirenengesang schöner
+Frauen und die Verheißungen eines paradiesischen Lebens im Jenseits
+angefeuert, mit Todesverachtung in den Kampf ziehen.
+
+Dieses nächtliche Konzert inmitten einer fanatischen Bevölkerung auf
+der durch Pechfackeln nur spärlich beleuchteten »Barza« (eine Art
+Vorhof oder überdeckte Veranda) machte auf uns beide einen sehr starken
+Eindruck. Um uns für die liebenswürdige Überraschung erkenntlich zu
+zeigen, ließ Janssen aus unseren Vorräten eine Anzahl Perlenschnüre,
+Ringe, Armbänder und allerlei Zierat durch Mustapha dem Häuptling
+überreichen. Dieser erhob sich nunmehr und, in rhythmischen Bewegungen
+der Musik folgend, die von kreischendem »Allah«-Geschrei der ganzen
+Menge begleitet wurde, überreichte unsere Geschenke den Spielern.
+Das uns zu Ehren gegebene Fest hatte seinen Höhepunkt erreicht;
+einige weitere Gongschläger und Sängerinnen hatten sich der Gruppe
+angeschlossen und vollführten einen infernalischen Spektakel.
+
+Janssen hatte durch Mustapha verschiedene Male andeuten lassen, daß
+wir gerne Haremsfrauen tanzen sehen möchten. Anfänglich weigerte
+sich Rumbee sehr entschieden, doch gegen Mitternacht konnte er sich
+unseren Bitten nicht länger verschließen und ließ uns durch Mustapha
+bedeuten, wir möchten uns verabschieden. Sobald wir uns erhoben hatten,
+zerstreute sich die versammelte Menge und begab sich zur Ruhe. Wir aber
+wurden nach kurzer Zeit von Mustapha durch eine kleine Seitenpforte in
+eine geschlossene Halle geführt, in die man unsere Stühle sowie Matten
+und Felle für Rumbee und einige seiner ganz Intimen hinübergebracht
+hatte.
+
+War vorher vor dem Gefolge nur Tee und feiner englischer Biskuit
+herumgereicht worden, so bedeutete Mustapha uns jetzt, daß wir uns
+ohne weiteres Champagner und Liköre servieren lassen könnten. Rumbee
+gab einem seiner Diener ein Zeichen, und dieser kehrte kurz darauf mit
+einer versiegelten Flasche Ananaslikör zurück.
+
+Die Sansibariten hatten ihre großen Gongs mit Saiteninstrumenten
+und einem kleinen Gong vertauscht, und kurz darauf erschienen sechs
+blühende junge Haremsfrauen, über und über mit Zierat behangen, der wie
+ein Schuppenpanzer vom Hals bis zum Busen reichte und diesen teilweise
+bedeckte. Hüfte und Leib waren vollständig entblößt und wiegten und
+wanden sich in rhythmischen Bewegungen in vollendeter Grazie nach dem
+Takte der Musik, bald in tollem, sinnenberückendem Wirbel, bald in
+vornehmer majestätischer Ruhe. Auch hier verabreichten wir Geschenke
+in Form von allerlei Zierat und golddurchwirkten »=Pagnes=«
+(Schürzen), welche die reizenden Geschöpfe in sichtlich kindlicher
+Freude aus den Händen Rumbees entgegennahmen. Meine entzückten Augen
+konnten sich nicht sattsehen an dem wundervollen Glanz der lachenden
+Kinderaugen, deren Ausdruck durch die langen Wimpern und schwarzen
+Brauen nur noch mehr gehoben wurde, an den blendend weißen Zähnen, die
+wie Perlenreihen aus den halb geöffneten Lippen hervorlugten, an den
+feingeschwungenen Lippen und Gesichtszügen, an den zarten, schmalen,
+rassigen Händen und Füßen und endlich an dem jungfräulichen und doch
+wieder kräftigen Körper, der berückend schön in jeder Bewegung uns
+seine Reize offenbarte. Nachdem wir zum Schlusse noch den üblichen
+Bauchtänzen beigewohnt hatten, schieden wir von Rumbee und begaben uns
+in unsere primitive Behausung, wo ich mich auf das harte Bambuslager
+legte und von dem Harem träumte, während Janssen noch lange vor der
+Tür lauerte, da er behauptete, eines der jungen Mädchen habe ihn
+bedeutungsvoll angeblinzelt und mit der Hand zugewinkt.
+
+Ich mochte kaum eine Stunde geschlafen haben, als mir plötzlich etwas
+über den bloßen Arm und das Gesicht hinweglief. Mit einem Satz war
+ich aufgesprungen und lauschte ins Dunkel hinein. In der Hütte um
+mich herum ertönten unheimliche Laute wie das Gepiepse von Ratten und
+Mäusen, die erschreckt die Flucht ergriffen. Ein fernes Brausen drang
+vom Fluß herauf, in wilder Jagd sausten unbekannte Geschöpfe über
+Geräte hinweg, die Wand der Hütte hinauf und wieder hinab. Über mir
+mußte irgendeine große Fledermaus umherfliegen, denn ganz deutlich
+konnte ich das Klappen der Flügel hören und den leichten Luftzug, den
+das Tier hervorbrachte, wenn es sich mir näherte, fühlen. Ich wollte
+Licht machen, doch versagten die Zündhölzer, die durch den Regen naß
+geworden waren. Nun suchte ich, mit der Hand vorsichtig tastend, in der
+Dunkelheit nach einem Prügel und erwischte schließlich einen Knochen,
+der meinen Zwecken dienlich schien. Nicht ahnend, welche Art Knochen
+ich da erfaßt hatte, schlug ich damit an die Bettkante und verschaffte
+mir so wenigstens für einige Minuten Ruhe. Ich ergriff mit der anderen
+Hand das Oberende, und ein Grauen überfiel mich. Der Knochen, den
+ich in der Hand hielt, stammte vom Oberschenkel eines Menschen. Eine
+Täuschung war unmöglich, kein Tier hat derartig geformte Knochen. Ein
+eiskalter Schauer fuhr mir den Rücken hinab, der Angstschweiß stand mir
+auf der Stirn. Bei diesem Zeugnis von Kannibalenmahlzeiten wurde mir
+klar, warum die beiden Bassengi vorhin wie aufgescheuchte Bestien aus
+der Hütte geflüchtet waren und sich nicht mehr blicken ließen.
+
+Raschelnd kam über die trockenen Blätterwände der Hütte wieder allerlei
+Getier angelaufen. Ratten und Mäuse stöberten unter altem Hausgerät
+nach Speiseresten. Aus unmittelbarer Nähe ertönten schaurige Rufe und
+Schreie in die stockfinstere Nacht, wie von einem Kind herrührend,
+das man langsam hinmordet und an dessen Qualen sich jemand weidet.
+Dazwischen vermeinte ich wieder flüsternde Stimmen zu vernehmen. Die
+Nacht war lebendig um mich, ich war von einer Schar unsichtbarer Feinde
+umgeben. Ganz deutlich fühlte ich etwas an dem Bambus unter meinem Kopf
+heraufkriechen. Sollte es eine jener gehörnten Vipern sein, die nachts
+in die Hütten der Eingeborenen kommen und Jagd auf Ratten und Mäuse
+machen? Man hatte mich vor dieser furchtbarsten aller Schlangen, deren
+Biß qualvolle Schmerzen verursacht und unbedingt tödlich ist, gewarnt.
+Die Beine hochgezogen, die schützende Decke gleichsam als Schild vor
+dem vor Grauen in Schweiß gebadeten Körper haltend, kauerte ich auf
+meiner Pritsche und starrte in das unheimliche Dunkel, in der Rechten
+den Menschenknochen haltend und bereit, mit ihm alles zu erschlagen,
+was in meine Nähe kam.
+
+[Illustration: Baluba-Frau.]
+
+Mein erstes am folgenden Morgen war, nach den beiden Bassengi zu
+forschen. Diese hatten Reißaus genommen und blieben unauffindbar.
+Mustapha bestätigte mir, daß der gefundene Knochen ein Menschenknochen
+sei. Beim Durchstöbern der Hütte fand sich noch eine ganze Anzahl
+vor, eine Tatsache, die ihn nicht im geringsten wunderte, da die
+Eingeborenen im Innern, am Fluß Lindi entlang, bekanntlich Kannibalen
+sind.
+
+[Illustration: Upoto-Mann.]
+
+Bei Tagesanbruch setzten wir unsere Reise stromaufwärts fort, um
+eine möglichst lange Strecke vor Beginn der großen Sonnenhitze
+zurückzulegen. Wir mochten ungefähr drei Stunden unterwegs sein, ohne
+daß sich irgend etwas Nennenswertes ereignet hatte, als plötzlich in
+unmittelbarer Nähe eine Leiche vorbeitrieb. Beine und Hüften ragten
+aus dem Wasser, waren vollständig weiß und zeigten bläuliche Tupfen.
+Mustapha erklärte, daß dies die Leiche eines Negers sei, die nach
+längerem Liegen im Wasser die Hautfarbe verändert. Ungläubig und
+mißtrauisch diskutierte ich mit Janssen die Frage, als plötzlich
+in kurzer Reihenfolge hintereinander fünf bis sechs Leichen gerade
+in unserer Fahrtrichtung angeschwommen kamen. Nunmehr ernstlich
+beunruhigt, was dies zu bedeuten habe, ließen wir einen dieser
+Leichname mit dem Bootshaken drehen und überzeugten uns nun an den
+wulstigen Lippen und überhaupt an dem Gesichtsausdruck, daß der Tote
+tatsächlich ein Neger war. Wir hatten bereits gefürchtet, daß während
+unserer Abwesenheit in Stanleyville die Soldaten oder Araber gemeutert
+und sämtliche Europäer ins Wasser geworfen hätten. Mustapha erklärte
+das Vorkommen der vielen Leichen damit, daß die Eingeborenen der
+Fischerdörfer stromaufwärts ihre Toten nicht begraben, sondern sie
+einfach dem Flusse anvertrauen. Gegen drei Uhr nachmittags kamen wir,
+immer stromaufwärts fahrend, an die Mündung des Lindiflusses, welches
+Gebiet uns kurz vorher vom Distriktskommissar als Arbeitsfeld für die
+Gewinnung von Kautschuk freigegeben war.
+
+Laut Bericht von Mustapha hatten weder die »S. A. B.« (=Société
+Anonyme Belge=, kurz S. A. B. genannt), noch die »Belgika«, unsere
+beiden Konkurrenten, es bisher gewagt, dieses Gebiet zu betreten, da
+erst kürzlich zwei staatliche Offiziere, die die Eingeborenen zwingen
+wollten, Elfenbein vom Innern an das Flußufer zu bringen, von ihnen
+erschlagen und die im Schlafe überfallenen Begleitsoldaten aufgefressen
+worden waren. Eine sofort entsandte Expedition hatte zwar ein
+furchtbares Blutbad unter den Kannibalen angerichtet und die Stämme,
+die nunmehr versprachen, Kautschuk zu liefern, völlig unterworfen, doch
+traute keiner einstweilen den friedlichen Gesinnungen der Bevölkerung.
+
+Wir rekognoszierten nun ein wenig das Terrain an der Mündung des
+Flusses und liefen eine Landungsstelle, an der wir einige verlassene
+Boote sahen, an. Einige im Gebüsch verborgene Eingeborene kamen auf
+wiederholtes Anrufen herbei und erboten sich, uns nach dem einige
+Stunden im Innern entfernt gelegenen Dorfe zu führen. Da aus ihren
+Gesprächen hervorging, daß die Eingeborenen friedlich waren und bisher
+Kautschuk als Steuer an den Staat geliefert hatten, beschloß Janssen
+sofort, womöglich schon im Laufe der Woche eine Erkundigungsreise von
+diesem Dorfe aus nach dem oberen Laufe des Lindis zu unternehmen.
+
+Gegen sechs Uhr abends, bei einbrechender Dunkelheit, kamen wir bei
+der katholischen Mission St. Gabriel an, und ich schlug Janssen vor,
+hier zu übernachten, da der Himmel im Verlaufe des Nachmittags sich
+immer mehr umwölkt hatte und jetzt ein drohendes Aussehen erhielt.
+Janssen wollte jedoch um jeden Preis nach Stanleyville zurückkehren,
+und wir fuhren weiter. Stunde um Stunde verging, leichte Windstöße
+kamen von allen Seiten und kündeten das Nahen des Tornados an. Die
+Dunkelheit war inzwischen völlig hereingebrochen. Alle Augenblicke
+fuhr unser Kanu auf unter dem Wasserspiegel treibende Baumstämme auf
+und konnte nur mit Mühe losgemacht werden. Als das Sausen und Krachen
+kolossaler Bäume über uns immer heftiger wurde, ersuchte ich Janssen
+bei der nächsten Strombiegung, ungefähr eine Stunde unterhalb unserer
+Faktorei, den Strom zu überqueren, da dies vielleicht später nicht
+mehr möglich sei. Wir hatten noch kaum die Mitte des hier ungefähr
+800 Meter breiten Stromes erreicht, als plötzlich der Tornado mit
+voller Wucht über uns hereinbrach. Ein Regenschauer, von Windstößen
+zu ungeheurer Wucht angefacht, zerschmetterte das Schutzdach über
+unseren Köpfen und begrub uns unter den Trümmern. Mustapha und der Boy
+hieben mit ihren langen Haumessern über unseren Köpfen die Stützen
+nieder, und unseren vereinten Bemühungen gelang es, das Dach, das dem
+Orkan eine Angriffsfläche bot und unser Verderben hätte werden können,
+über Bord zu werfen. Da stürzte einer der Ruderer über den Rand des
+schwankenden Bootes. Gellend hallten die Hilferufe in die schaurige,
+von grellen Blitzen durchzuckte Nacht hinein, übertönt vom Höllenlärm,
+in dem sich der Schlag auf Schlag herniederdröhnende Donner mit dem
+Tosen des Sturmes und dem Prasseln der herabfallenden Wassermassen
+mischten. An Rettung war nicht zu denken. Ein Drehen des Bootes wäre
+gleichbedeutend mit unser aller Untergang gewesen. Also vorwärts, mit
+allen Kräften vorwärts, dem schützenden Ufer zu. Die Ruderer, die im
+ersten Augenblick der Überraschung völlig den Kopf verloren zu haben
+schienen und die Befehle Mustaphas nicht beachteten, erkannten jetzt
+die ungeheure Gefahr, in der wir uns alle befanden, und ruderten für
+ihr Leben.
+
+Indessen führten die losgelassenen Elemente einen wahren Hexentanz
+um uns auf, alle Dämonen der Hölle schienen entfesselt und sich
+mit den wilden Göttern »Kilimas«, des Urwaldes, zu schlagen. Das
+Ächzen und Stöhnen der vom Wirbelwind erfaßten tausendjährigen
+Baumriesen, das Krachen und Splittern der zu Tode getroffenen und
+übereinanderstürzenden Laub- und Holzmassen fand in unserem Gemüt
+hundertfachen Widerhall und brachte uns zum Bewußtsein, wie unendlich
+wenig unser jämmerliches Leben zu bedeuten hat.
+
+Janssen stöhnte, jammerte und schrie erbärmlich. Die Hände vor das
+Gesicht geschlagen, heulend, Gott und alle Heiligen zum Schutze
+anrufend, kniete er vor mir, ein Bild des Elends, eine Jammergestalt.
+Den Tod beständig vor Augen, die Beine bis zu den Knien im Wasser,
+saß ich neben ihm, meine innere Erregung gewaltsam beherrschend und
+kein Wort der Klage über die Lippen bringend. Dem Beispiel Mustaphas
+folgend, ergriff ich meinen Tropenhelm und schöpfte mit ihm das Wasser
+mechanisch aus dem Boote. Ein kräftiger Stoß vorn am Bug, durch den
+zwei Ruderer, die das Gleichgewicht verloren hatten, ins Wasser
+geschleudert wurden, zeigte uns an, daß wir endlich das andere Ufer
+erreicht hatten, und alle Mann klammerten sich mit Leibeskräften
+an Äste, Zweige und Büsche. Erschlug uns jetzt nicht einer der
+niederstürzenden Baumriesen, dann waren wir gerettet, da die Wucht des
+Orkans uns unter dem schützenden Laubdache nicht mehr viel anhaben
+konnte. Hier lagen wir wohl eine Stunde, die für uns alle, die wir
+vom Kopf bis zu den Füßen durchnäßt waren, zu einer Ewigkeit wurde.
+Gegen Mitternacht langten wir in unserer Faktorei, von den durchlebten
+Strapazen völlig erschöpft, an und ließen uns sofort heißen Tee und
+Chinin geben, um schweren Krankheiten vorzubeugen.
+
+
+
+
+ Das Leben auf der Faktorei. Zwei Leopardenbesuche.
+
+
+Die Bevölkerung des Distrikts, mit dem wir in Handelsverbindung
+standen, bildet drei ganz verschiedene Gruppen: die Araber und
+deren Abkömmlinge, die Suaheli, aus Kreuzungen der ersteren mit den
+Eingeborenen hervorgegangen, die Bakeniens, ein Fischervolk, das
+seine Dörfer unmittelbar am Kongofluß hat und sich ausschließlich dem
+Fischfang widmet und uns zeitweise Ruderer zur Verfügung stellte, und
+die Bakumu, von unseren Leuten Bassengi genannt, deren Dörfer im
+Innern des Landes liegen und die Hauptproduzenten von Kautschuk sind.
+
+Die meisten hier ansässigen Araber stammen aus Sansibar. Sie sind
+Kaufleute großen Stils und haben den Elfenbeinhandel geradezu
+monopolisiert. Die Bemittelten unter ihnen, die über eine größere
+Anzahl Sklaven verfügen, sind vornehmlich Pflanzer von Reis, Tabak,
+Maniok, Zwiebeln, Kaffee sowie allen anbaufähigen Nahrungsmitteln.
+Diese Pflanzungen repräsentieren bereits nach verhältnismäßig kurzer
+Zeit einen großen Wert.
+
+Die zwangsweise angesiedelten Araber sind zumeist Kriegsgefangene oder
+Leute, die dem Staate bei der Okkupation am oberen Nilflusse mit der
+Zeit lästig und infolgedessen einfach nach hier deportiert wurden. Die
+Terrains für Ansiedlungen und Plantagen wurden ihnen frei zur Verfügung
+gestellt. Dafür haben sie monatlich gewisse Abgaben an die Station in
+Form von Naturalprodukten oder Baumaterialien zu entrichten. Die Leute
+handeln mit allem -- vom Ei angefangen bis zu den Sklaven.
+
+Die Araber stehen als Kulturvolk inmitten der wilden Völkerschaften
+Zentralafrikas unstreitig auf der höchsten Stufe, und ihr moralischer
+sowohl als ihr physischer Einfluß auf die umgebenden Völkerschaften
+reicht unendlich viel weiter als der des europäischen Eroberers.
+Während der Europäer bisher in egoistischer Selbstherrlichkeit in
+erster Linie nur den eigenen Komfort und die rücksichtslose Ausbeutung
+der eingeborenen Bevölkerung im Auge hat, wirkt der Araber als wahrer
+Kulturfaktor unter ihnen. Um eine Stufe tiefer stehend als der
+Europäer, siedelt er sich mitten unter der Bevölkerung an. Die sauberen
+kleinen Gebäude aus Lehm sind leichter von den Eingeborenen nachzuahmen
+als die solideren Wohnhäuser der Europäer. Das blendend weiße Hemd,
+das fast bis auf den Boden reicht, und der weiße Turban auf dem Kopf,
+die Bekleidung der Araber und Suaheli ist weniger kompliziert als die
+Tracht der Europäer und überdies viel praktischer für diese heißen
+Gebiete. Die Anschaffung beider Kleidungsstücke ist zudem bedeutend
+billiger als die von uns eingeführten gelb und dunkel karierten Hosen.
+Es nimmt mich daher nicht wunder, daß selbst die Boys der Europäer, die
+überall sonst im Kongo den Europäer in der Kleidung nachahmen, hier in
+Stanleyville mit Vorliebe die Suaheli-Tracht annehmen.
+
+Ein Umstand, der mir nach Berührung mit all den vielen heidnischen
+Negervölkern beim Verkehr mit den Suaheli ganz besonders ins Auge
+fiel, war ihre Frömmigkeit: sie sind Mohammedaner. Bei Sonnenuntergang
+verlassen die Gläubigen ihre Arbeit, waschen Hände und Füße und knien
+dann vor ihren Häusern auf Matten und Teppichen, das Angesicht gen
+Osten gewendet, um ihr Gebet zu verrichten, wobei sie sich soundso
+oftmals bis auf den Boden verneigen.
+
+Die Bakeniens sind ein robustes Fischervolk, das unsere Tafel
+regelmäßig mit Fischen aller Art sowie kleinen Krabben, nach unseren
+europäischen Begriffen zu spottbilligen Preisen, versorgte. Als ganz
+besondere Delikatesse bleibt mir die Fisch-Moambe, eine Art Fischpökel,
+aus Kongosalm und Palmenkernen hergestellt, in Erinnerung, ein Gericht,
+an das unser feinstes Fischpökel bei weitem nicht heranreicht.
+
+Die Bakumu oder Bassengi gehören zu den primitivsten Stämmen
+Zentralafrikas. Ihre Dörfer liegen tief versteckt inmitten des großen
+Urwaldes und sind von hohen Palisaden umgeben, an deren Spitzen die
+Schädel der von ihnen getöteten und aufgefressenen Feinde stecken. Von
+Kind auf an den beständigen Kampf mit dem Nächsten und den Raubtieren
+des Waldes gewöhnt, ist der Bakumu ein moralisch unentwickeltes
+Geschöpf, das einzig und allein das Recht und die Macht des Stärkeren
+anerkennt. Ganz unverständlich sind ihm Gesetze, die ihm verbieten, das
+ungetreue Weib mit eigener Hand zu töten oder den niedergeschlagenen
+Feind zu verzehren. Wie ein Kind schmückt er sich mit Perlen und
+Zierat oder ergibt sich dem Tanze, um im nächsten Augenblick den
+vermeintlichen Nebenbuhler hinterrücks zu erschlagen. Er kennt keinen
+Unterschied zwischen Leben und Tod, zwischen Gutem und Bösem, und seine
+Blutgier ist unersättlich.
+
+Langer Jahre Arbeit und verschiedener blutiger Kämpfe bedurfte es, um
+diese Völker zur Einsicht zu bringen, daß der Europäer ihr Gebieter
+ist. Zur Zeit meines Aufenthalts war die Region so weit befriedet, daß
+wir bis zu fünfzig Kilometer zu beiden Seiten des Flusses ins Innere
+unseren Geschäften nachgehen konnten. --
+
+Während der nächsten Zeit wurden wir vom Bau unserer Faktorei und dem
+Handel mit den aus dem Innern herbeieilenden Karawanen vollständig in
+Anspruch genommen. Unsere schwarzen Schreiber sandten wir mit einem
+kleinen Kanu stromabwärts, um die in den Dörfern stationierten Capitas
+einzuberufen.
+
+Aus Brazzaville hatten wir keinerlei Instruktionen mitbekommen.
+Entweder glaubte man, daß unser Vorgänger alle Arbeit ordnungsgemäß
+erledigt hatte, oder man vertraute unserer Findigkeit, selbst das
+Richtige zu treffen. Hacken, Haumesser, Nägel und eine große Säge waren
+vorhanden, und mit diesen primitiven Behelfen machten wir uns sofort an
+die Arbeit, um uns die mangelnde Wohnung und Einrichtung zu schaffen,
+wenn es mir auch vorderhand noch ein Rätsel blieb, wie wir uns die
+fehlenden Türangeln und Fensterscharniere herstellen sollten.
+
+All das Neue um uns her, die Sprache, Sitten und Gebräuche der fremden
+Völkerstämme, die hunderterlei Probleme, die der Bau einer Faktorei uns
+zu lösen gab, nahmen all unser Sinnen und Denken derart in Anspruch,
+daß wir keine Zeit hatten, an unser früheres Leben, das hinter einem
+dichten Schleier in unerreichbarer Ferne lag, zu denken. Frühmorgens
+1/2-6 Uhr mit der »Reveille«, die am gegenüberliegenden Ufer geblasen
+wurde und durch die stille Nacht über das Wasser so klar zu uns
+herübertönte, als stamme sie von unserer eigenen Schildwache innerhalb
+der Faktorei, erschien mein verschlafener Boy Mossamba, um Tür und
+Läden zu öffnen und mir das Waschwasser in einem Emailgeschirr auf
+eine umgestülpte Kiste zu stellen. Während ich mich wusch und anzog,
+verschwand er, um seinerseits unten am Flußufer Toilette zu machen.
+Punkt 6 Uhr wurde durch dreimaliges Trompetensignal »Appell« geblasen,
+worauf auf unserer Seite das Dröhnen und Wirbeln des Gongs antwortete
+und bekanntgab, daß auch wir mit der Arbeit begannen. Anfangs kamen
+unsere Arbeiter träge und mißmutig, in ihrem Schlafe gestört zu sein,
+in langen Abständen daher. Der Schreiber hatte offenbar in Abwesenheit
+unseres Vorgängers die Disziplin nicht strenge gehandhabt und die Zeit
+nicht genau eingehalten. Dies mußte sofort anders werden. Janssen nahm
+die Zügel kräftig in die Hand und hielt an die Leute eine Ansprache,
+deren Sinn Mustapha in Form kurzer Befehle den Suaheli mitteilte.
+
+[Illustration: Arbeitsappell.]
+
+Als vornehmste Verhaltungsmaßregel des Europäers dem Personal und
+überhaupt dem Neger gegenüber gilt, daß er vom ersten Augenblick an
+den Leuten mit aller Energie und Entschiedenheit entgegenzutreten hat.
+Der Neger beugt seinen Nacken und erkennt nur denjenigen als seinen
+Herrn an, den er fürchtet und der imstande ist, jede aufkommende
+Neigung zur Auflehnung, angeborene Trägheit und Neigung zum Widerspruch
+sofort im Keime zu ersticken und mit unerbittlicher Strenge zu ahnden.
+Sogenannte »gute Menschen«, die Fehler verzeihen und zur Nachgiebigkeit
+neigen, werden nie die Achtung des Negers und nennenswerte Resultate
+erzielen. Sie werden stets den Spott und den Hohn des Personals und
+der Eingeborenen ernten und von diesen von vorne und hinten belogen
+werden. Energisches, zielbewußtes Auftreten bei jeder Art Auflehnung
+gegen die Disziplin, unerbittliche Strenge und sofortige Ahndung aller
+Vorkommnisse, die gegen Gesetz und Ordnung verstoßen, sowie gerechte
+Bestrafung solcher Vorfälle sind die Waffen, die dem Europäer dem
+einzelnen sowohl wie der Masse gegenüber unbedingt Achtung verschaffen.
+Von Natur aus träge und faul veranlagt, versucht der Neger auf jede
+Weise sich einer ihm unbequemen Arbeit zu entziehen. »=Mimi kosaba
+vae=« (»das kann ich nicht«) ist seine beliebte Ausrede, wenn ihm
+eine Arbeit nicht paßt. Oftmals kommt es auch vor, daß er irgendeine
+Krankheit beim Appell vorspiegelt, um sein bequemes Lager am Feuer
+wieder aufsuchen zu können.
+
+Unser Personal war durch einige Suaheli des Häuptlings Shibu auf
+dreißig Mann gebracht worden, die in Reih und Glied Aufstellung
+genommen hatten. Die Arbeiter wurden nunmehr in verschiedene Gruppen
+eingeteilt, deren jede eine andere Arbeit zu leisten hatte. Während z.
+B. eine Gruppe mit Haumessern in den nahen Urwald ging, um Träger für
+ein neues Gebäude zu holen, machte sich eine andere auf, um Bambus für
+den Dachstuhl zu schneiden. Eine dritte Abteilung mußte in dem bereits
+fertiggestellten Magazin Tag und Nacht große Feuer zum Austrocknen der
+Mauern unterhalten. Wieder ein anderer Trupp ging auf die Suche nach
+»=koddi=« (Lianen) zum Anfertigen von Kautschukkörben.
+
+Einzelne Arbeiter, die sich krank gemeldet hatten, wurden nun der Reihe
+nach vorgenommen. Zumeist handelte es sich um Risse und Geschwüre, die
+sie sich im Walde zugezogen hatten, und die nun mit Salben, Höllenstein
+und Sublimat antiseptisch behandelt wurden, oder auch um vorübergehende
+Magen- und Darmverstimmungen, die mit Hilfe eines Purgativs leicht
+behoben werden konnten.
+
+Auf der freien, inmitten des provisorischen Wohngebäudes gelegenen
+Barza hatten inzwischen die Boys unsern Frühstückstisch gedeckt.
+Bestand das Gedeck auch nicht aus reinstem Porzellan und das Tischtuch
+statt aus feinem Leinen nur aus »=white domestic=«, so mundete
+das Frühstück auch aus Emailgeschirr nach vollbrachter Arbeit ganz
+ausgezeichnet.
+
+Zuweilen, an besonders herrlichen Morgen, ließen wir die
+Frühstückstafel auch vor das Haus stellen. Wenn wir dann so inmitten
+der Morgenpracht bei dem Gezwitscher der Vögel und den ersten Strahlen
+der Sonne, die die Tautropfen auf Blättern und Blüten gleich Myriaden
+Diamanten erglänzen ließen, unser Frühstück einnahmen und dabei an
+die finstern kalten Morgennebel, die in dieser Zeit in der Heimat
+vorzukommen pflegen, dachten, fühlten wir uns doppelt glücklich in dem
+Bewußtsein, das weitaus schönere Teil erwählt zu haben.
+
+[Illustration: Trägerkolonne.]
+
+Nach dem Frühstück nahmen wir beide die Arbeit wieder auf. Dann kam
+etwa ein Capita mit einer Karawane von Kautschukträgern herein. Die
+Ware mußte ausgewogen und übernommen werden, dagegen im Austausch eine
+Menge neuer Stoffe, Salz, Haumesser, Mitakos, Perlen und dergleichen
+mehr gegeben und die Träger für ihre Mühe entlohnt werden. Eingeborene
+kamen mit Hühnern, Enten, Eiern, Palmöl, kurz allen möglichen
+Nahrungsmitteln, um sie gegen europäische Waren einzutauschen.
+
+Dazwischen erschien meistens der Koch, dem man besonders gut auf
+die Finger sehen mußte, und holte sich seine Instruktionen für den
+Mittagstisch. Eines Tages hatte Janssen mich ersucht, den Speisezettel
+für den Mittagstisch zusammenzustellen. Der Koch schlug vor: =Suppo
+na lozo=, Reissuppe -- gut -- =maki na sosse= =mutake=, harte
+Eier in Mayonnaise als Zwischenspeise -- auch gut. -- Jetzt das
+schwerste, die Fleischspeise: »=Nsussu=«, Huhn, meinte endlich
+der Koch. Ich überlegte, daß wir gerade zwölf Hühner gekauft hatten,
+und daß es infolgedessen das einfachste sein würde, ein bis zwei
+Hühner zum Mittagsmahl zubereiten zu lassen. In Gedanken schwebte
+mir eine fette, zarte Poularde vor, deren Fleisch wie Butter auf
+der Zunge zerfließt. Ich nickte daher, der Sprache nicht mächtig,
+zustimmend mit dem Kopfe. Der Koch schlug weiter vor: »=Bifiteki
+na sussu=.« »Hei! Was? Hühner-Beefsteak?« Niemals in meinem Leben
+hatte ich derartiges gegessen. Was mochte das wohl sein? -- Der Koch
+fuhr fort: »=Nsussu na sosse mufike=«, Hühner in schwarzer Sauce.
+Ganz erstaunt, was das wieder zu bedeuten hatte, und ungläubig sah
+ich den Koch an. Wollte dieser sich am Ende gar einen Scherz mit mir
+erlauben? Meine Stirn verfinsterte sich. Der Koch begriff, daß ich
+ihn nicht verstanden hatte, ging in mein Zimmer, wisperte mit meinem
+Boy und kehrte triumphierend mit einer Nähnadel und schwarzem Zwirn
+zurück. Mit Gebärden deutete er mir an, daß er das Huhn nähen wolle.
+Immer mehr überrascht, bekam ich nun doch einen großen Respekt vor
+meinem Koch. Zu meiner Beschämung muß ich nämlich gestehen, daß ich
+mit Ausnahme dessen, was ich zu Hause hie und da von der Zubereitung
+meiner Leibspeisen in der Küche erfahren hatte, von der höheren
+Kochkunst keine Ahnung habe. Hühner-Beefsteak und Hühner in schwarzer
+Madeira-Sauce gab es bei uns zu Hause nicht. Zustimmend nickte ich
+daher mit dem Kopfe. Solch eine Gelegenheit, meine Kenntnisse zu
+bereichern, durfte ich nicht vorübergehen lassen. Der Koch fuhr fort
+»Panekiki«. Erfreut horchte ich auf. Das Wort schlug mir bekannt und
+sympathisch ans Ohr. Das mußten unbedingt unsere Pfannkuchen sein. Ich
+nickte wieder zustimmend und kehrte nun, hoch erfreut, zum erstenmal
+die schwierige Aufgabe der Aufstellung des »Speisezettels« so glänzend
+gelöst zu haben, an meine Arbeit zurück.
+
+Ein Gegacker und Gekreisch im Hühnerhof zeigte bald darauf an, daß
+Kalamba seine Auswahl traf. Einige Minuten später erschien er, in der
+Linken sechs geschlachtete Hühner haltend, und ersuchte um die Hergabe
+von Salz. Ja, um des Himmels willen! Wozu denn die vielen Hühner? Damit
+konnten wir ja drei Tage ausreichen!
+
+Entsetzt über eine derartige Verschwendung rief ich Mustapha herbei und
+ließ mir von dem unverfrorenen Koch erklären: zwei Hühner als Zugabe
+zur Suppe, zwei Hühner für Bifiteki, zwei weitere Hühner zur =Nsussu
+na sosse mufiki=. Doch damit nicht genug, brauche er noch 24 Eier,
+zehn zum Hartsieden, vier zur Mayonnaise, zwei für die Bifiteki, vier
+für =Nsussu mufike= und weitere vier für Panekiki.
+
+[Illustration: Faktoreigebäude Stanleyville.]
+
+Waren auch die Anschaffungskosten für Hühner und Eier nach europäischen
+Begriffen nicht hoch, so fragte ich mich doch entsetzt, was mein
+Chef Janssen zu dieser Verschwendung sagen würde. Nach langem Hin-
+und Herparlamentieren, und nachdem ich vergeblich versucht hatte,
+wenigstens vier Eier aus dem Programm zu streichen, händigte ich ihm
+nunmehr auch die 24 Eier aus. Kaum hatte ich meine Arbeit wieder
+aufgenommen, da erschien Kalamba neuerdings auf der Bildfläche. Diesmal
+brauchte er Butter. Ich wurde ernstlich böse, fortwährend bei der
+Arbeit gestört zu werden, und fing an, zu begreifen, warum Janssen mich
+mit der schwierigen Aufgabe des Speisezettels betraut hatte.
+
+Wieder mußte ich ins Magazin. In gereizter Stimmung konstatierte ich,
+daß von den drei Dosen Butter, die für uns jeden monatlich bestimmt
+waren, nach einer Woche bereits mehr als die Hälfte fehlte. Ich
+beschloß, sparsam zu sein, und gab dem Koch daher den Inhalt eines
+vollen Suppenlöffels. Als er mich daraufhin starr vor Erstaunen ansah,
+schob ich ihn einfach zur Tür hinaus. Später sagte ich mir allerdings,
+daß ein Löffel Butter zur Zubereitung von sechs Hühnern etwas wenig
+war. Doch was kann ein geschickter Koch unter Zufügung von etwas Wasser
+nicht alles daraus machen. Mit diesem Gedanken tröstete ich mich und
+ging wieder an die Arbeit. Man kann in Afrika schließlich nicht wie bei
+»Lukullus« kochen. --
+
+Das von Kiel begonnene Magazin war inzwischen vollständig
+fertiggestellt worden. Der eine Raum diente als Verkaufsladen, der
+zweite als Warenmagazin. Längs den Innenwänden waren aus Bambus hohe,
+mit rotem Tuch bekleidete Stellagen errichtet worden, und auf ihnen
+prangten -- ähnlich wie bei den Kaufleuten in kleineren Orten --
+aufgestapelt all die hunderterlei Gegenstände, die als Austauschobjekte
+in unserer Gegend gehandelt wurden! Reihen von farbigen und bedruckten
+Baumwollgeweben, zu Stücken =à= acht Yard aufgemacht, Schals,
+Tücher, einfarbige und gestreifte Decken, weiße, graue und blaue
+Drills, Khaki, fertige Anzüge, leinene und baumwollene Araberhemden
+usw.; ferner Emailgeschirr, Hauen, Spaten, Dolch- und Haumesser,
+Messingringe, Kurzwaren, Perlen und Gablonzer Galanteriewaren aller Art
+lockten den Beschauer zum Kaufen an.
+
+Die Stützen der Stellagen waren an ihrer Basis sorgfältig verkohlt und
+der Lehmboden an ihrer Basis mit Asche bestreut worden, um die weißen
+Termiten, diese gefährlichsten Feinde eines Warenlagers, fernzuhalten.
+Dieses Insekt, von der Größe einer Waldameise, vernichtet alles,
+was ihm in den Weg kommt. Es sucht mit Vorliebe die Wohnstätten von
+Menschen auf, in denen es allerlei Leckerbissen vermutet. Kaum ist ein
+Gebäude unter Dach, da tauchen die kleinen Zerstörer bereits aus dem
+Schoße der Erde auf, um Träger, Balken und Gerüste mit unglaublicher
+Freßgier anzufallen. Winzige, kleine Erdhäufchen zeigen zuerst
+ihre Anwesenheit an. In unglaublich kurzer Zeit schlängeln sich an
+der Außenseite der Balken und Wände Tausende röhrenartige Tunnels
+aufwärts, die sich wie das Gerinsel von Quellen nach allen Richtungen
+hin verzweigen und binnen wenigen Tagen das ganze Gebäude überziehen.
+Woher kommen und wohin ziehen diese Myriaden Zerstörer? Sie kommen aus
+dem ungeheuren Urwald, der in seinem rätselhaften Schoße unzählige
+tierische Wesen entstehen läßt und zur Vermehrung treibt, um zu
+vernichten, was Menschenhand geschaffen. Nichts verschonen sie, durch
+Ballen und Kisten, über Stahl und Eisen bauen sie ihre Röhrengewinde.
+Wehe dem Lager, in das sie unbemerkt gelangen. In wenigen Tagen, ja
+wenigen Stunden sind sämtliche Vorräte zerstört. Die Beobachtung, daß
+Termiten einzig und allein das Feuer fürchten und verkohlte Bäume mit
+ihren Angriffen verschonen, hat sich der Mensch zunutze gemacht und
+Stützen und Träger, soweit sie im Boden versenkt sind, angeglüht.
+
+Unser Wohnhaus hatte dank der aufgewendeten Verbesserungen ein
+anderes Aussehen erhalten. Die Veranden waren ringsherum auf drei
+Meter verbreitert, die Räume innen und außen mit »Pembe« (Kreide)
+weiß getüncht und mit einer blauen Bordüre eingefaßt worden. Zwischen
+den Pfosten war ein Geländer aus Bambus hergestellt worden, und
+darüber prangten in schwarzen Tontöpfen allerhand Schlingpflanzen und
+Orchideen. Die Veranda war gegen die Front zu mittels Jalousien aus
+feinen, gesplißten Bambusstäbchen zu schließen, die Lehmböden waren mit
+feinen Palmmatten bedeckt.
+
+Das Innere der Barza sowie unsere beiden Schlafräume hatten wir
+so komfortabel eingerichtet, wie die Verhältnisse es erlaubten.
+Reproduktionen von Gemälden und Porträte schöner Frauen, die ich aus
+Europa mitgebracht hatte, zierten in polierten, schweren Bambusrahmen
+die Wände. Mitten in der Barza stand ein großer Tisch mit einer
+mattroten, gefransten Decke. Diese sowohl wie vier Lehnstühle und die
+Kredenz waren aus rotem Akajouholz angefertigt worden.
+
+Mit Hilfe der Mission in Jakussi, von der uns ein vorzüglicher Tischler
+für einige Zeit zur Verfügung gestellt worden war, hatten wir eine
+Werkstatt eingerichtet, in der alle zu unserem Behagen noch fehlenden
+Möbelstücke angefertigt wurden. Fensterscharniere und Türangeln ließen
+wir in einer arabischen Schmiede aus Bandeisen, das zum Verschnüren von
+Ballen dient, anfertigen. Türschlösser besaßen wir zunächst noch nicht.
+An ihre Stelle traten schwere Hängeschlösser und Holzriegel, die den
+gleichen Zweck erfüllten.
+
+Eines Nachts, es mochte gegen zwei Uhr früh sein, wurde ich plötzlich
+durch Schläge mit dem Gewehrkolben der Schildwache gegen meine Tür aus
+dem Schlafe geschreckt. Gleichzeitig vernahm ich aus dem Arbeiterdorf
+lautes Gemurmel, dazwischen gellende Schreie, Rufe und das Herbeieilen
+vieler Menschen. Etwas Ungewöhnliches hatte sich zugetragen, und in
+aller Eile schlüpfte ich in meine Kleider und begab mich in das
+Arbeiterdorf, wo ich Janssen bereits antraf. Hier erfuhr ich mit
+Bestürzung, daß ein Leopard soeben unseren Boy »Moko«, einen Jungen
+von acht bis zehn Jahren, der beim Essen servierte, davongetragen
+hatte. Aus den Erzählungen des Schreibers ging folgendes hervor:
+Das Haus unseres schwarzen Schreibers enthielt zwei durch Verschluß
+abgeteilte Räume und eine Art Vorraum, der in einen durch eine Hecke
+aus Palmenblättern nach allen Seiten hin abgeschlossenen Hof ausging.
+In diesem Vorraum nun schliefen ein kleines Mädchen, das Dienste als
+Mädchen für alles verrichtete, und der geraubte Boy »Moko«. Beide
+hatten ihr Lager inmitten des Raumes und lagen dicht beieinander auf
+einer Matte. Mitten in der Nacht erwachte das Mädchen plötzlich, durch
+eine leichte Bewegung ihres Freundes aufgeschreckt. Sie hörte ganz
+deutlich, wie jemand sich entfernte, und in der Vermutung, daß ihr
+Kamerad eine Notdurft zu verrichten beabsichtigte, rief sie ihn an.
+Die Nacht war stockfinster und ... die Antwort blieb aus. Sie tastete
+mit der Hand um sich, der Platz neben ihr war leer, und sie hörte
+ganz deutlich, wie jemand sich durch die Hofhecke zwängte. Sie rief
+nochmals ihren Freund bei seinem Namen und beschwor ihn, zu antworten,
+da sie sich fürchtete. Einige bange Minuten vergingen, und wieder
+erhielt sie keine Antwort. Dadurch ernstlich beunruhigt und vielleicht
+auch mit angeborenem Instinkt die Gefahr witternd, rief sie nunmehr
+den Schreiber und bat um Licht. Dieser, nicht sehr erfreut, wegen
+einer bloßen Einbildung der Dienerin das warme Lager verlassen zu
+müssen, suchte sie zu beruhigen ... Der Boy müsse sofort zurückkehren
+und habe sich nur einen Scherz erlaubt, um sie zu erschrecken. Kurze
+Zeit herrschte Ruhe. Plötzlich hörte das wachliegende Mädchen wieder
+das Knistern der trockenen Palmblätter an der Hecke, als ob jemand
+durchschlüpfte, und rief. »Boy Moko!« ... Wieder keine Antwort ... Sie
+begann zu weinen und zu flehen. Diesmal war der Schreiber wachgeblieben
+und forderte nun Moko auf, solche Scherze zu unterlassen ... wieder
+keine Antwort ... jedes Geräusch war verstummt. Jetzt erst machte
+der Schreiber Licht, öffnete den Türverschluß, um die vermeintlichen
+Störenfriede zu züchtigen, und -- hielt nach den ersten Schritten
+bestürzt inne.
+
+Dicht vor ihm, neben der Matte, auf der die beiden geschlafen hatten,
+zeichneten sich auf dem festgestampften Lehmboden deutlich die Krallen
+eines großen Raubtieres ab. Den Spuren nach zu urteilen, konnte es nur
+ein Leopard sein, da Löwen in der Gegend nicht vorkommen. An dem festen
+Einsetzen der Krallen des Tieres in den Boden war deutlich zu erkennen,
+daß es schwer belastet wegging. Das eine Bein seines Opfers mußte am
+Boden geschleift haben, da es eine leicht erkenntliche Spur zurückließ.
+Dagegen war nirgends ein Tropfen Blut zu sehen, und es blieb ein
+Rätsel, auf welche Weise das Tier den kräftigen Jungen getötet haben
+konnte, ohne daß dieser einen Laut von sich gab oder mit den Armen um
+sich schlug oder daß endlich eine Blutspur zu finden war. Die Matte,
+auf der die beiden lagen, war höchstens 125 Zentimeter breit, so daß
+die Schlafenden sich berührt haben mußten. Die geringste Bewegung, das
+kleinste Geräusch hätte das Mädchen und endlich auch den Schreiber und
+dessen Frau, deren Zimmer nur durch eine dünne Blätterwand von ungefähr
+zwei Meter Höhe vom Vorraum getrennt waren, aufwecken müssen.
+
+[Illustration: Errichtung eines Dachfirstes.]
+
+Man kann sich unser Entsetzen vorstellen. Mit der Fackel in der Hand
+verfolgten wir die nur allzu deutliche Spur des Raubtieres bis zur
+Hecke, wo es eine kleine Öffnung, die ursprünglich zum Einlaß für die
+Hühner in den Hof bestimmt war, derart erweitert hatte, daß sie ihm mit
+seiner Last Durchlaß gewährte. Tief erschüttert von dem schrecklichen
+Vorfall suchten wir unser Lager auf, nicht ohne Fensterladen und Tür
+tüchtig gerüttelt und auf den Verschluß untersucht zu haben. Kurz
+darauf -- ich war gerade im Begriff, wieder einzuschlafen -- wurde ich
+durch ein Gekreisch und Geheul und durch zwei Schüsse im Arbeiterdorf
+nochmals geweckt. Der Leopard war über eine Hecke hinweg direkt in
+einen Negerchimbeque hineingesprungen, in der einige Arbeiter um ein
+verglimmendes Feuer auf Matten lagen. Vor Furcht und Aufregung waren
+zwei der Leute wachgeblieben und machten nun mit den anderen einen
+derartigen Lärm, daß das Tier schleunigst wieder verschwand.
+
+Diesmal ließ Janssen fünf Mann mit aufgepflanztem Bajonett und
+geladenem Gewehr Wache stehen. Einer der Leute mußte jede Minute,
+zum Zeichen, daß die Posten wach waren, auf einen Gong schlagen.
+Dies verjagte das beutegierige Tier von unserem Terrain. Am Morgen
+erfuhr ich, daß der gleiche Leopard beim Morgengrauen im benachbarten
+Gebiet der »S. A. B.« eingefallen und einen großen, europäischen Hund
+weggeschleppt hatte.
+
+All unser Sinnen und Trachten ging nun dahin, den Tod unseres braven
+Jungen zu rächen und des verwegenen Raubtieres habhaft zu werden.
+Die Spur führte geradeswegs in das dichte Gestrüpp und Unterholz des
+Urwaldes, so daß es ohne Hund ausgeschlossen war, ihr zu folgen.
+Da Mustapha versicherte, daß kein eingeborener Hund die Spur des
+Raubtieres aufnehmen würde, sandten wir unser Kanu nach Stanleyville
+zu dem Büchsenmacher Vandyk, um dessen großen europäischen Jagdhund zu
+holen. Der Besitzer erschien persönlich nach kurzer Zeit mit dem Hund
+und bat, an der Jagd teilnehmen zu dürfen. Da Janssen kein Jäger war,
+machte ich mich mit Vandyk, Mustapha und zwei Eingeborenen, die uns mit
+Haumessern einen Weg durch das Dickicht bahnen sollten, auf den Weg.
+
+Der Hund nahm anfangs die Spur ohne Zögern auf und zog uns durch
+Dickicht und Gestrüpp etwa 800 Schritt tief in den Urwald hinein.
+Hier hatte das Tier mit dem Jungen gerastet. Der Boden war im weiten
+Umkreis voll von Spuren, und hier fand sich auch der Pagne vor, ein
+Lendentuch von vier Yards Länge und 120 Zentimeter Breite, in dem Boy
+Moko eingerollt geschlafen hatte. War bis hierher die Verfolgung trotz
+dichten Dornengestrüpps und des Unterholzes verhältnismäßig leicht
+gegangen, so stellten sich jetzt einer weiteren Verfolgung plötzlich
+unüberwindliche Hindernisse entgegen. Das Terrain ging hier in ein
+Sumpfgelände über. Der Hund war nicht mehr von der Stelle zu bekommen.
+Aufgeregt lief er im Kreise umher, an allen vieren zitternd. Alle
+Bemühungen, ihn vom Fleck wegzubringen, waren vergeblich, weder Locken
+noch Ziehen an der Schnur half. Wir suchten vorsichtig die ganze
+Gegend im Umkreis ab und hielten gleichfalls Ausschau nach den Bäumen.
+Unmöglich konnte das Tier mit dem schweren Körper auf einen Baum
+geklettert sein. Nach stundenlangem Absuchen, und nachdem die beiden
+Eingeborenen sich darüber einig geworden waren, daß nicht ein Leopard,
+sondern ein Dämon in Gestalt eines Leoparden mit seinem Opfer hier
+spurlos verschwunden war, kehrten wir unverrichteter Dinge zur Faktorei
+zurück.
+
+Ich beschloß, noch am gleichen Tage mit dem Bau einer Falle zu beginnen
+und ihm bei Mondnächten mit lebendem Köder aufzulauern. Doch erschien
+der Räuber nicht wieder. Überhaupt hatten wir seit diesem grausigen
+Ereignis lange Zeit Ruhe vor den Leoparden. Einige Monate später hatte
+ich jedoch Gelegenheit, eines dieser gefährlichen Tiere innerhalb der
+Faktorei zur Strecke zu bringen. Eines Nachts wurde ich plötzlich
+durch Gewehrkolbenschläge an meine Zimmertür unsanft aus dem Schlafe
+aufgeweckt. Aus den hastig hervorgestoßenen Reden der Wache entnahm
+ich, daß irgendein reißendes Tier in den Ziegenstall eingebrochen
+sein mußte. In einigen Sekunden war ich in Rock und Hose geschlüpft,
+hatte meine Sturmlaterne angezündet, meinen Mauser, der stets geladen
+in einer Zimmerecke stand, ergriffen und eilte nun, gefolgt von der
+Wache, nach dem Ziegenstall, aus dem ein wildes Durcheinanderstampfen
+und Meckern der verängstigten Ziegen ertönte. Einige Ziegen waren
+durch eine Türspalte, die zweifellos durch den eindringenden Räuber
+erweitert worden war, entwichen und irrten nun verzweifelt meckernd in
+der Dunkelheit umher, um unter den Veranden der Magazine und Wohnhäuser
+Schutz zu suchen.
+
+Ein Blick auf die Zugangstür zum Ziegenstall klärte mich über das,
+was vermutlich vorgefallen war, auf. Die primitive Schiebetür war
+nachlässig geschlossen worden, so daß ein Spalt offen geblieben war.
+Irgendein reißendes Tier, wahrscheinlich ein Leopard, hatte mit
+der Tatze den Spalt erweitert und schließlich den schlanken Körper
+durchgezwängt. Die herausstürzenden Ziegen hatten die Tür noch weiter
+zur Seite geschoben, so daß ich annehmen mußte, daß der Räuber mit
+seiner Beute bereits das Weite gesucht hatte. Dem war glücklicherweise
+nicht so, denn bei dem ersten Lichtstrahl, der in den Raum fiel,
+sprang tatsächlich ein Leopard, der über dem Meckern der Ziegen
+und dem Zerfleischen seiner Opfer offenbar unser Herannahen nicht
+bemerkt hatte, auf und suchte sich im dunkelsten Winkel des Raumes
+zu verbergen, während die übrigen noch lebenden Tiere in sinnloser
+Angst auf den Ausgang und uns zustürzten. Da ein Schießen unter diesen
+Umständen ausgeschlossen war, ließen wir die fliehenden Tiere, in der
+Voraussetzung, daß der Leopard das Licht meiden würde, zuerst sämtlich
+herauslaufen. Nun ließ ich durch die Wache die Sturmlaterne an das
+Bajonett hängen und mit einem Ruck mitten in den Raum stellen. Dadurch
+war der langgestreckte Raum, wenn auch spärlich, so doch genügend
+erleuchtet.
+
+Ich selbst trat nun mit dem schußbereiten Gewehr so weit in den Stall,
+als nötig war, um unbehindert schießen zu können. Im entlegensten
+Winkel erkannte ich sofort das offenbar auf äußerste erschrockene Tier,
+das am Boden kauerte und mir den Kopf mit den phosphoreszierenden
+Lichtern voll zuwandte. Regungslos, wie zum Sprunge geduckt, lag die
+gelbe Katze pfauchend und zähnefletschend auf kaum zwanzig Schritt
+Entfernung vor mir. Langsam, um sie nicht durch eine allzu rasche
+Bewegung zum Sprung zu reizen, hob ich das Gewehr an die Backe, zielte
+zwischen die zwei Lichter und drückte los. Ein scharfer Knall, und das
+geduckte Haupt fiel leicht zur Seite, während die Hintertatzen kratzend
+den Boden aufwühlten. Der Leopard war, mitten durch den Schädel
+geschossen, wie vom Blitz erschlagen, in der gleichen Stellung tot
+liegengeblieben.
+
+Einige bange Minuten vergingen, während welcher wir unverwandt das Tier
+beobachteten, ob es noch ein Lebenszeichen von sich gäbe. Ich erinnerte
+mich sehr wohl warnender Beispiele, wonach mancher erfahrene Jäger
+durch allzu schnelle Annäherung an die totgeglaubte Beute sein eigenes
+Leben einbüßte. Als auch das Scharren der Hintertatzen aufgehört hatte,
+traten wir an das tote Tier heran, und die Wache zog es in die Mitte
+des Raumes, damit wir es besser betrachten konnten. Welche Genugtuung
+wäre es für mich gewesen, wenn ich in diesem Leoparden den Mörder
+unseres getöteten Boys gefällt hätte, doch war es offenbar nicht der
+gefährliche Räuber, der seit langer Zeit die Gegend unsicher gemacht
+und auch in den Dörfern der Umgebung bereits so viele Menschenopfer
+gefordert hatte. An der ganzen Art und Weise, wie der Leopard den
+Überfall bewerkstelligt hatte, konnte man erkennen, daß er sicherlich
+noch ein Neuling in dieser Art Sport war. Durch den Schuß und wohl auch
+durch das Blöken der Ziegen war das Arbeiterdorf alarmiert worden,
+und eine Menge Leute eilte herbei, um ihren gefürchteten Todfeind in
+Augenschein zu nehmen.
+
+Woche auf Woche, Monat auf Monat vergingen in rühriger Tätigkeit, die
+in ihren vielen Einzelheiten und in der Fülle der neuen Probleme,
+die sie jeden Tag zu lösen gab, so viel der Abwechslung und des
+Interessanten für mich hatte, daß ich sie eigentlich gar nicht als
+Arbeit empfand. Hatte die bisherige regelmäßige Beschäftigung im
+Bureau vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf meine nach freier
+Tätigkeit lechzende Natur wie Frondienst gelastet, so hatte ich jetzt
+die Freude, die in mir schlummernden Talente sich bis an die Grenzen
+meiner Fähigkeiten entfalten zu sehen. Die Umwelt erhielt ein neues
+Aussehen für mich, seit ich gezwungen war, mich allein mit allen
+Schwierigkeiten der Existenz in primitiven Verhältnissen abzufinden.
+Als ich erst mit der fremden Sprache und der Nutzbarmachung der reichen
+Produkte des Urwaldes, die der Erschließung harren, vertraut geworden
+war, gewährte es mir die größte Befriedigung, Häuser zu bauen, einen
+Gemüsegarten anzulegen, aus welchem wir bereits nach kurzer Zeit dank
+dem fruchtbaren Urwaldboden reiche Früchte ernteten, sowie den Verkehr
+mit dem Inlande und den täglichen Dienst der Faktorei zu organisieren.
+
+[Illustration: Beim Hausbau.]
+
+Nirgends in der Welt werden an die Schaffenskraft und Intelligenz
+des einzelnen solche Anforderungen gestellt wie zwischen völlig
+unzivilisierten Negerstämmen Innerafrikas. Alles, vom einfachsten
+Haushaltungsgerät bis zum vollständigen Wohnhause -- Dinge, die in
+Europa einen Stab verschiedener Arbeiter voraussetzen -- muß hier vom
+einzelnen durchdacht und vollbracht werden. Bald Baumeister, bald
+Maurer, bald Tischler, bald Schmied, bald Arzt, bald Schiedsrichter,
+muß er die nötige Initiative und den Mut besitzen, an jede Aufgabe
+ohne Zaudern heranzugehen. Ich bin einer der Glücklichen dieser
+Erde, die sich mit jeder Situation abzufinden wissen. Ich hatte
+einen Chef, mit dem ich mich ausgezeichnet vertrug, der mir über
+die Anfangsschwierigkeiten hinweghalf -- und den ich gewissermaßen
+ergänzte. Janssen hatte eine Vorliebe für Reisen und das Leben im
+Busch. Er war meistens unterwegs und ließ mich den Bau der Faktorei
+und die schriftlichen Arbeiten besorgen. Wenig der französischen und
+englischen Sprache mächtig, legte er die Vertretung nach außen und
+den Verkehr mit dem Staat fast ausschließlich in meine Hände. So kam
+es, daß ich besonders in der ersten Zeit, bis ich die Suaheli-Sprache
+erlernt hatte, mit Mustapha viel auf der Faktorei verblieb. Später
+unternahm ich dann auch selbständige Reisen ins Innere und fand an der
+damit verbundenen Abwechslung großen Gefallen. Erst viele Jahre später
+lernte ich erkennen, wie gut es mir in Stanleyville ergangen war, denn
+nur wenigen Auserwählten ist das Glück beschieden, Verhältnisse wie die
+geschilderten zu Beginn ihrer kolonialen Laufbahn anzutreffen.
+
+Man machte damals mit jungen Leuten nicht viel Umstände. Nach kurzer,
+vierwöchiger Vorbereitung in der Faktorei, der er zugeteilt war,
+sandte man den Neuling nach irgendeinem verlorenen, oft vier bis
+fünf Tagereisen vom Hauptposten entfernten Negerdorfe inmitten der
+ungeheuren Wildnis und überließ es einfach seiner Initiative, sich dort
+eine menschenwürdige Behausung zu schaffen oder aber in irgendeiner
+Negerhütte zu wohnen. War der Hauptposten mit Geräten aller Art gut
+versehen -- ein Fall, der höchst selten zutraf -- und hatte der Neuling
+es verstanden, sich das Wohlwollen seines Chefs zu erwerben, so bekam
+er wohl außer einem Feldbett auch Säge, Hammer, Zange, Hacke und ein
+paar Nägel mit auf den Weg, womit er wenigstens seine Kisten und Ballen
+selbst öffnen konnte. Traf dieser äußerst seltene Fall nicht zu, dann
+mußte er sich eben ohne diese Geräte behelfen. War er so vorsichtig,
+vor seiner Abreise von Europa sich bei der Generaldirektion nach einem
+Zelt, tragbarem Feldbett, Klapptisch und -stuhl -- alles Dinge, die auf
+beständigen Reisen wenn nicht unentbehrlich, so doch von großem Nutzen
+sind -- zu erkundigen, so gab man ihm mit schmunzelndem Lächeln zur
+Antwort, daß alle diese Dinge drüben auf den Faktoreien in genügender
+Menge vorhanden seien. Dafür händigte man ihm als persönliches Eigentum
+eine Kantine (tragbare Feldküche), enthaltend Kochtopf, Bratpfanne,
+Teller, Besteck, kurzum, das Allernotwendigste zur Herstellung einer
+Speise -- sowie einen kleinen tragbaren Arzneikasten ein, der mit
+seinem reichlichen Inhalt an Flaschen, allen möglichen Mixturen und
+Pillen, die er nie vorher im Leben gesehen, das Entzücken jedes
+Neulings bildet. Kaum kann er den Moment erwarten, um den Inhalt an
+sich selbst zu erproben. An die fürchterlichen Krankheiten in den
+Tropen denkt dabei meist keiner. Ich habe öfters Neulinge gesehen, die
+nach der ersten Seekrankheit die Hälfte ihres Arzneikastens zu sich
+genommen hatten, merkwürdigerweise übrigens ohne beträchtlichen Schaden
+zu nehmen.
+
+Während der ersten Nacht, die er auf einer von Rauch und den
+Negerleibern infolge des langen Gebrauches schwarz gewordenen
+Pritsche inmitten einer von Ratten und Mäusen und anderem Ungeziefer
+heimgesuchten Negerhütte zubringen muß, hat der unerfahrene Angestellte
+dann reichlich Zeit, über das Lächeln des Direktors, dessen
+Verschlagenheit er erst jetzt ganz versteht, nachzudenken. Hat er dann,
+von der Sonnenglut und den Strapazen der Reise völlig erschöpft, das
+Ziel seiner Reise erreicht und seine Wut über die leere Kiste, die den
+Stuhl ersetzen muß, und das harte Nachtlager ausgetobt, dann steigt
+er wohl von seiner Höhe herunter und arbeitet, um das Fehlende zu
+ersetzen. Nach kurzer Zeit macht er eine ganz sonderbare Wahrnehmung.
+Etwas ihm bisher völlig Fremdes, ein anderes kraftvolles und mächtiges
+Wesen, der Wille den Kampf mit dem Dasein aufzunehmen, quillt aus
+seinem Innersten hervor und durchbricht kraftvoll alle Schranken, die
+Trägheit und Gewohnheit ihr in den Weg legen. Von diesem Augenblick
+an tritt er in die Reihe jener Pioniere, die im Laufe der Jahre im
+Schweiße ihres Angesichts aus den kahlen Grassteppen und den Urwäldern
+Afrikas blühende Posten -- Stätten der Zivilisation -- und herrliche
+Plantagen hervorgezaubert haben, während jene, die in dieser schweren
+Schicksalsstunde verzagend den Kopf hängen lassen, körperlich und
+geistig zugrunde gehen. Das Kräftige und Starke im Menschen behält auch
+hier die Oberhand, das Schwache geht unter.
+
+Seit einiger Zeit machte sich ein regelmäßiger Abgang von Hühnern
+fühlbar, dessen Ursache wir uns lange nicht zu erklären vermochten.
+Eines Morgens bemerkte ich endlich den vermeintlichen Hühnerdieb in
+der Gestalt eines Leguans von der Größe eines kleinen Krokodils, der
+auf einem Baumriesen von etwa 40 Meter Höhe neben dem Hühnerhof,
+unmittelbar unter einem Loch saß. Da Janssen sich mein Schrotgewehr
+für die Reise ausgeliehen hatte, holte ich meinen Kugelstutzen und
+verwundete das Tier durch einen wohlgezielten Schuß derart, daß es nur
+mit Mühe zu seinem Unterschlupfloch gelangen konnte. Hier verschwand
+es, und da ich befürchtete, daß das Tier dort verenden könnte, ließ ich
+in einer kleinen tiefer liegenden Öffnung einige Späne anzünden, um
+es durch die Rauchentwicklung herauszutreiben. Keiner von uns ahnte,
+daß das Innere des Stammes wie ein Kamin vollständig hohl war und die
+Krone sich einzig und allein durch eine starke Liane, die sich um den
+Baum in die Höhe schlängelte, erhielt. Ein Knistern und Knattern, wie
+das Abbrennen eines Feuerwerks, eine kräftige Flamme schlug durch
+das Innere des trockenen Stammes empor, und noch ehe wir uns von dem
+ersten Schrecken erholt hatten, brannte der ganze Baum lichterloh.
+Gleichzeitig schossen zwei Tiere in der Größe von Affen wie der Blitz
+aus einem der vielen Löcher heraus, erkletterten das schützende
+Laubdach und flogen von dort zu unserem Erstaunen von Baum zu Baum. Es
+gelang, eines der Tiere zu erlegen, und es stellte sich später heraus,
+daß ich damit einen äußerst seltenen Fang getan hatte. Es war ein
+fliegender Hund, ein Mittelding zwischen einem Affen, einem Nagetier
+und einer großen Fledermaus.
+
+Ein Blick auf den brennenden Baumriesen ließ mich erkennen, daß
+Löscharbeit vollständig nutzlos war, und man mußte damit rechnen,
+daß er in kurzer Zeit zusammenbrechen würde. Auf der einen Seite in
+unmittelbarer Nähe lag das vor kurzem vollendete Warenmagazin, auf
+der anderen die Wohnungen der Arbeiter. Ein unglücklicher Zufall, und
+das Magazin mit dem Werte von vielen Tausenden, die Frucht mühseliger
+Arbeit, drohte vernichtet zu werden. Damit -- dies fühlte ich ganz
+genau -- war auch meine afrikanische Laufbahn besiegelt, da ich nicht
+die Mittel besaß, den Schaden wieder gutzumachen. Bitter mußte ich
+meine jugendliche Unvorsichtigkeit [Illustration: Wohnhaus im Urwalde.]
+
+büßen. Wie ein Wahnsinniger lief ich völlig ratlos umher, um an dem
+Überneigen der Baumkrone nach der einen oder der anderen Seite hin die
+vermutliche Fallrichtung festzustellen. Doch das Geäst war ziemlich
+gleichmäßig verteilt, und der Sturz hing daher völlig von irgendeinem
+Zufall ab. Ein Fällen des Baumes von irgendeiner Seite war wegen der
+Glutwelle, die von ihm ausging, ganz ausgeschlossen. Zudem hätte es
+wochenlanger Arbeit bedurft, um das eisenharte Holz an der Basis zu
+durchschlagen. Stunde auf Stunde verging unter Hangen und Bangen; das
+Magazin und die Arbeiterhütten waren vollständig ausgeräumt worden.
+Brennende Äste waren zu wiederholten Malen gestürzt; da plötzlich,
+gegen Sonnenuntergang, drang aus dem Baume ein Ächzen und Stöhnen,
+der Riese bäumte sich in einer letzten Anstrengung gegen die alles
+verheerende Macht des Feuers auf -- dann schwebte die ausgebreitete
+Krone in der Luft und fiel in gerader Richtung auf das Magazin zu.
+Schon glaubte ich alles verloren, als die starke Liane, die anscheinend
+nicht durchgebrannt war, die fallende Krone im letzten Augenblick
+etwas zur Seite lenkte, so daß der Koloß hart neben der Faktorei mit
+explosionsartigem, dumpfem Knall, der den Erdboden erschütterte,
+gerade mitten zwischen den Hütten und dem Magazin niederstürzte. Hier
+lag nun der mächtige Stamm in der Kaffeeplantage -- eine Zentnerlast
+war mir vom Herzen gefallen.
+
+Mit Ausnahme einer leichten Beschädigung einer Negerhütte, die
+innerhalb einer Woche wiederhergestellt werden konnte, und der
+Zerstörung einiger Kaffeebäume war nichts geschehen. Wie durch ein
+Wunder war ich einer großen Gefahr entgangen, und die Leute meinten,
+daß ein mächtiger »Fetisch« Magazin und ihre Hütten vor sicherer
+Zerstörung bewahrt hätte.
+
+Der Knall und der aufsteigende Rauch beim Fall des Riesen war derartig
+stark, daß Stanleyville -- eine Pulverexplosion vermutend -- uns
+sofort ein Boot mit =Dr.= Bellis zur Hilfeleistung über den Strom
+sandte. Von dem Leguan war keine Spur mehr aufzufinden, er war offenbar
+vollständig zu Asche verbrannt worden.
+
+
+
+
+ Eine Fahrt zum ersten Stanleyfall. Fieberkrank.
+
+
+Der Bau der Faktorei hatte bereits große Fortschritte gemacht, die
+Gerüste zweier weiterer Magazine, eins zum Trocknen für Kautschuk und
+eins für Elfenbein und Kautschuk, waren fertiggestellt und harrten
+nur noch der Vollendung des Dachstuhles, damit die Mauern, vor Regen
+geschützt, aufgeführt werden konnten.
+
+Da die Suaheli aus den Dörfern oberhalb der Stanleyfälle, die das
+Bedeckungsmaterial aus Palmblättern anfertigen, in den letzten Wochen
+ausgeblieben waren, beschloß ich, ein großes Boot über den Fall
+hinaufzubringen und von meinen eigenen Arbeitern das Material schneiden
+zu lassen. Dadurch ersparte ich die hohen Anschaffungskosten und wurde
+auch von der Trägheit der Suaheli unabhängig.
+
+Unser letzter Dampfer »Henriette« hatte gegen zwanzig Yambinga-Arbeiter
+aus Upoto-Irengi heraufgebracht, und mit diesen machte ich mich eines
+Nachmittags auf den Weg. An Stromschnellen und Wirbeln vorbei, über
+Hindernisse aller Art ging die an Aufregungen reiche Fahrt. Mit Hilfe
+langer Stangen und Bootshaken halfen wir an besonders reißenden und
+gefährlichen Stellen nach, wo die Ruderer versagten, bis wir nach
+einstündiger, harter Arbeit in die unmittelbare Nähe des Falles, dessen
+Lärm und Getöse bei einbrechender Nacht in Stanleyville jedes andere
+Geräusch übertönt, gelangten.
+
+[Illustration: Fischereianlagen im Kongo.]
+
+Hatte unser Boot bis dahin brav standgehalten, obwohl es mehrmals von
+der Wucht der Strömung gegen die Felsmassen geschleudert worden war
+und dabei viel Wasser bekommen hatte, so entschloß ich mich jetzt,
+das Vergebliche und Gefahrvolle weiterer Versuche einsehend, hier am
+Fall mit der Mehrzahl meiner Leute zu Lande weiter vorzudringen. Nur
+zwei Mann, einer vorne am Bug und ein zweiter am Hinterteil, beide
+vollständig nackt, verblieben, um das Boot mit Stangen und Bootshaken
+durch die unzähligen Felsblöcke hindurchzusteuern, während der Rest der
+Leute unter meiner Führung, von Fels zu Fels springend, das Kanu an
+einem langen Tau stromaufwärts zogen.
+
+Dicht vor dem Fall, auf der linken Seite des Flusses, liegt eine
+kleine Insel, die die Aussicht versperrt. Hier begann, am Flußufer
+entlang, eine äußerst gefährliche Kletterei, eine halsbrecherische
+Tour über aufeinander getürmte Granitblöcke, die der Strom hier im
+Laufe von Jahrtausenden gleich einer Lawine angeschwemmt hat. Diese
+Granitblöcke haben oftmals einen Durchmesser von fünf bis sechs Meter.
+Sie sind glatt und durch das Wasser abgerundet und bilden große Lücken
+und Spalten, zwischen denen ein kleiner Seitenarm des Stromes in der
+Tiefe durchschießt. Wehe demjenigen, der von der Höhe eines solchen
+Granitblocks beim Klettern abstürzt und in die Lücke gleitet. Von
+den tosenden Wassermassen würde er sofort in die Tiefe gezogen und
+vernichtet werden. Bei Hochwasser ist diese ganze Region in wilder
+Bewegung und bildet ein Chaos von Gischt, Schaum und Wirbeln.
+
+Auf einer Anhöhe liegt das Hauptdorf der Bakenien, Peneka Tango,
+dessen Einwohner fast ausschließlich vom Fischfang leben. Das äußerst
+zahlreiche junge Volk spielte am Wasser und eilte, sowie es unser
+ansichtig wurde, ganz ohne Scheu herbei, ein Zeichen, daß Europäer
+hier beständig durchkommen und die Eingeborenen die ihnen sonst
+eigentümliche Angst vollständig überwunden hatten.
+
+Wir passierten die Stellen, an denen bei Hochwasser gefischt wird,
+und die nun verlassen waren. Zwischen einem Gewirr von kolossalen
+Baumstämmen, die in Löchern zwischen den Granitblöcken geschickt
+versenkt und an der Spitze mit Querbalken versehen sind, auf denen die
+Fischer zu ihren Reusen gelangen, bahnte ich mir einen Weg, wobei zwei
+meiner Leute mir beim Sprung über Wassergerinnsel als Stütze dienten.
+
+Auf den Felsen im Umkreis lagen Fischkörbe und Reusen in den
+verschiedensten Ausmaßen. Die größten hatten an der Mündung zwei bis
+drei Meter im Durchmesser und eine Länge bis zu fünf Meter. Diese
+Reusen sind aus starken Lianen wie Korbwerk geflochten und werden
+von den Balken aus, an denen sie mittels Lianen befestigt sind, in
+den Strudel versenkt. Sind diese Körbe auch nicht so solide wie die
+eisernen Reusen, die bei der Flußfischerei in Europa, z. B. bei
+Lauffenberg am Rhein beim Lachsfang, zur Verwendung gelangen, so
+übertreffen sie diese an Umfang und leisten sicherlich die gleichen
+Dienste, da in ihnen Fische bis zu sechzig Kilogramm Gewicht gefangen
+werden.
+
+Über die ganze Breite des Stromes, die hier gegen 1300 Meter
+betragen dürfte, haben die Bakeniens unmittelbar vor dem Absturz der
+Wassermassen große Balken und Bäume auf fast unerklärliche Weise in
+den Strom versenkt und untereinander durch ein Gerüst von Querbalken
+verbunden. Von weitem gleicht die Anlage einer Palisadenwand. Nun wurde
+mir auch klar, warum in letzter Zeit verschiedene umgeschlagene Kanus
+mit Frauen und Männern an unserer Faktorei vorbeistrichen. Alle paar
+Tage mußte ich durch meine Arbeiter solche Leute auffischen lassen.
+
+Der Strom stürzt hier in seiner ganzen Breite über Felsen hinweg auf
+etwa drei Meter in die Tiefe. Über einzelne tiefere Stellen, an denen
+das Wasser das Bett etwas mehr ausgehöhlt hat, gehen die verwegenen
+Kerle mit ihren Kanus durch den Katarakt: ein unglücklicher Zufall,
+eine ungeschickte Bewegung, und das Kanu zerschellt an den Felsen. Die
+Insassen, zumeist gute Schwimmer, werden von der Strömung fortgerissen;
+keiner ihrer Konkurrenten denkt daran, ihnen nachzueilen.
+
+Bei unserer Ankunft war gerade eine Anzahl Eingeborener damit
+beschäftigt, die Reusen und Körbe im Strudel zu heben. Der Mut und
+die Gewandtheit dieser Leute sind geradezu verblüffend. Wie Affen
+springen und klettern sie an dem infolge des Anpralls der Strömung
+stets schwankenden Gerüst ganz weit in den Strom hinaus, um unmittelbar
+oberhalb der sich überströmenden Wassermassen ihre halsbrecherische
+Arbeit zu versehen. Nach dem, was ich hier gesehen, würde es mich nicht
+wundern, Neger zu sehen, die imstande wären, Affen auf den Bäumen
+nachzueilen und sie zu fangen.
+
+Während ich nun so in Betrachtungen der kochenden, stürzenden
+Wassermassen dasaß, kamen von oberhalb des Falles zwei gut bemannte
+Kanus direkt auf den Fall zugerudert. Ich traute kaum meinen Augen, als
+etwa fünf bis zehn Meter oberhalb des Falles die Hälfte der Mannschaft
+in den Strom sprang und mit Leibeskräften auf die Balken im Falle
+selbst zuschwamm. Die übrige Besatzung hatte mit ein paar Ruderschlägen
+das Boot nun derart gedreht, daß es mit der Breitseite gegen die Balken
+antrieb, wo es, von der inzwischen dort postierten Gruppe, unterstützt
+von den Leuten im Kanu, die sich mit aller Gewalt mit langen Stöcken
+gegen die Felsen anstemmten, in Empfang genommen wurde. Die Wucht des
+Anpralls wurde durch die vereinten Kräfte vollständig gebrochen. Hier
+lag nun das Boot infolge der starken Strömung wie festgenagelt an den
+Balken, während die Insassen an den Bäumen emporkletterten und auf
+diesem halsbrecherischen Gerüst herumsprangen und -kletterten, als ob
+sie auf allen Vieren geboren wären. Um die in die Tiefe stürzenden
+Wassermassen, die jeden Herabfallenden zermalmen und zerschmettern
+würden, kümmerten sie sich nur soweit, als es ihre Fischapparate
+anging. Ebenso wie sie gekommen, gelang es beiden Kanus auch wieder,
+mit Hilfe der langen Stangen aus dem Bereich des Falles stromaufwärts
+zu entkommen.
+
+Nach den Quantitäten an Fischen zu urteilen, die das Dorf
+allwöchentlich an die Station Stanleyville für die Tafel der
+Staatsangestellten und zur Ernährung der schwarzen Arbeiter abzuliefern
+hatte, mußte die Ausbeute eine ganz gewaltige sein. Es kommen
+verschiedene große Arten von Wels vor, die oft ein Gewicht von 60 und
+80 Kilogramm erreichen und auch Leichen anfressen sollen. Außer diesen
+finden sich unzählige Arten, vom Catfisch angefangen, bis zum Kongosalm
+-- Rüsselfische, Hundefische (nach ihrem scharfen Gebiß so benannt),
+Fische in der Art unserer Barben, Karpfen, Schleie, Barsche usw.
+
+Unser eigenes Kanu hatten wir inzwischen, es immer dicht am Ufer
+entlang ziehend, mit Hilfe von ein paar Bakeniens, die für Geld
+und gute Worte herbeigeeilt waren, über die Felsen emporgezogen
+und oberhalb des Falls verankert. Nachdem ich mich bis gegen
+Sonnenuntergang an dem gewaltigen Naturschauspiel, das der Fall uns
+bot, geweidet hatte, sandte ich das schwarze Personal zu Fuß nach der
+Faktorei zurück, während ich mich mit Mustapha oberhalb des Falles auf
+das rechte Ufer übersetzen ließ, von wo aus ein bequemer Promenadenweg
+durch die Araberniederlassungen nach Stanleyville führt. Auf unserem
+Weg wurden wir wiederholt von Händlern angehalten, die uns Sklaven und
+Sklavinnen zum Kaufe oder besser gesagt zum Freikaufe -- wie der Staat
+dies diplomatisch ausdrückt -- anboten.
+
+Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch machte ich mich, von zwölf
+Arbeitern begleitet, auf den Weg nach Peneka Tango und schiffte mich
+auf unserem Kanu ein. Wir fuhren eine kleine Strecke stromaufwärts,
+um bei Überquerung des Flusses nicht in die Fälle hineingetrieben zu
+werden und gingen dann auf die andere Seite über, wo wir in einen
+Seitenarm des Kongos einbogen. Zur Rechten dichtbelaubte Inseln,
+zur Linken das nach der Tiefe zu sich abstufende Laub des Urwaldes,
+über uns die Sonne eines herrlichen Frühlingsmorgens, auf Blättern
+und Blüten gleich Myriaden Diamanten große, in den Sonnenstrahlen
+funkelnde Tautropfen: wie in einem Märchenlande glitt unser Boot über
+die spiegelglatte Wasserfläche dahin. Tiefer, weihevoller Frieden lag
+auf der Wasserfläche. Das Leben und Treiben von Stanleyville drang
+nicht bis hierher, selbst das dumpfe Brausen des unweit hinter Inseln
+und Bäumen befindlichen Falles ertönte wie aus weiter Ferne. Nur das
+Trillern, Gezwitscher und Lockrufen der Vögel, die den herrlichen
+Morgen mit ihrem Jubellied feierten, war hörbar und stimmte das Herz
+unsagbar glücklich.
+
+[Illustration: Häuptling mit Gefolge.]
+
+Nach dreistündiger, genußreicher Wasserfahrt gelangten wir an
+unser Reiseziel. Ich ging mit den Leuten durch den Urwald bis an
+Sumpfniederungen, wo Riesenpalmblätter und Bambus in Unmengen
+wucherten. Das Terrain war zum Teil stark versumpft, und meine Leute
+arbeiteten bis zu den Knien im Morast, um das zum Dachdecken nötige
+Material zu gewinnen. Während dieser Zeit machte ich einen kleinen
+Streifzug in die nächste Umgebung und hatte Gelegenheit, einen
+»=Bulikoko=« (blauer Fasan) und zwei Affen zur Strecke zu bringen.
+
+Dieser Ausflug in das Morastgebiet sollte mir teuer zu stehen kommen
+und hatte für mich böse Folgen. Als ich am folgenden Morgen erwachte,
+fühlte ich eine unbegreifliche Schwäche in mir. Abgespannt und müde
+erhob ich mich vom Lager, entschlossen, dem unsichtbaren Feind,
+dem Fieber, welches mich unvermutet in der Nacht überfallen hatte,
+zu trotzen und es durch Arbeit niederzukämpfen. Da Janssen verreist
+war, hatte ich alle Hände voll zu tun und ging wie gewöhnlich meiner
+Beschäftigung nach. Gegen 9 Uhr wurde ich plötzlich von heftigem
+Schüttelfrost befallen. Ich ließ mir eine Tasse heißen Tee machen und
+nahm gleichzeitig ein halbes Gramm Antipyrin. Auch jetzt noch war ich
+fest entschlossen, der wachsenden Schwäche und inneren Erregung zu
+widerstehen. Ich hatte jedoch kaum die ersten paar Schlucke heißen Tees
+im Magen, als sich die Reaktion mit elementarer Gewalt einstellte.
+Unter Erbrechen von großen Brocken Galle brach ich zusammen. Ein
+Schüttelfrost überfiel mich mit solcher Heftigkeit, daß ich vor dem
+Klappern der Zähne kaum imstande war, mich mit meinem Boy und dem
+schnell herbeigeeilten Mustapha verständlich zu machen. Sie brachten
+mich zu Bett, und als alle im Hause verfügbaren Decken nicht genügten,
+bei mir ein Wärmegefühl aufkommen zu lassen, eilte Mustapha ins Magazin
+und ließ auch von unserem dortigen Vorrat noch weitere dazu holen.
+Immer und immer wieder versuchte ich, heißen Tee, als einziges und
+bestes Mittel, den kalten Todesschauer loszuwerden, zu mir zu nehmen,
+doch jeder Versuch verursachte erneutes Erbrechen von Galle. Es ist
+geradezu ungeheuerlich, welche Quantitäten davon der menschliche Körper
+bei Gallfieber von sich gibt.
+
+Hatte ich bisher tapfer standgehalten, so brach ich nun völlig nieder,
+jede Energie und Widerstandskraft war dahin. Eine dumpfe Resignation
+bemächtigte sich meiner. Nach dem Schüttelfrost kam plötzlich ein
+heißer Schauer über mich. Ich hatte das Gefühl, als ob eine Blutwelle
+durch den ganzen Körper dem Kopfe zujagte und auf ihrem Weg dahin
+alle Adern zum Bersten bringen müßte. Kopf und Stirne waren glühend
+heiß; das Thermometer stieg von 38,7 auf 39,5, 40,2, um schließlich
+bei 41 Grad haltzumachen. Das Hirn arbeitete ruhelos, die Pulse flogen
+und trommelten im Schnelltempo. Ich fühlte, wie mir das Bewußtsein
+entschwand, und hatte das Empfinden, als ob ich durch das Bett immer
+tiefer und tiefer in die Erde, in mein Grab sänke. Das Bett und meine
+Umgebung wankte und schaukelte wie auf hoher See. Gleichzeitig fühlte
+ich im Kopfe ein Sausen und Brausen wie die Brandung des Meeres. Das
+Chinin tat offenbar bereits seine Wirkung.
+
+Das Nächste, woran ich mich zurückerinnern kann, war, daß mich
+plötzlich ein wohliges, warmes Gefühl überkam. Irgend etwas in meinem
+Hirn schien gerissen zu sein. Ich hatte keinen eigenen Willen mehr,
+sondern befand mich in einer Art hochgradigen Fiebertraumes, der
+fremdartige Phantasiegebilde, in denen ich den Mittelpunkt bildete,
+gleich den Bildern eines Kaleidoskops in wilder Jagd an meinem
+geistigen Auge vorüberziehen ließ. Von unsichtbarer Gewalt getrieben,
+eilte ich in wilder Hast über seltsame Landschaften mit Palmenhainen
+und mit Blumen übersäten Wiesen, die von der aufgehenden Sonne
+hell beleuchtet waren, meiner entflohenen Seele nach, die wie ein
+Schatten vor mir herschwebte und die ich unter Aufbietung aller Kräfte
+wiederzuerlangen suchte.
+
+Unterwegs begegneten mir eine Menge bekannter Gestalten, die ich im
+Leben niemals gesehen, die mir jedoch im Verlaufe der Jahre wiederholt
+im Traum erschienen waren und die mich jetzt verwundert und entsetzt
+betrachteten, um gleich darauf wieder wesenlos zu verschwinden.
+Plötzlich kam ich an ein hohes Felsengebirge, das ich im rasenden
+Laufe erkletterte. Ein dunkler Abgrund -- unermeßlich tief --, aus
+welchem gleich Nebelschwaden Rauch aufstieg, lag zu meinen Füßen. Vor
+mir tat sich die Hölle auf, und in sie hinein entschwand meine Seele.
+Von Grauen gepackt, wollte ich einhalten im rasenden Lauf. Unmöglich
+-- ein unsichtbares Etwas trieb mich unaufhaltsam dem Abgrunde zu. Ich
+fühlte, wie ich durch die Luft schwebte und in die Tiefe sauste. Immer
+tiefer durch Feuerwolken und giftige Gase, in ein Flammenmeer, das mir
+den Atem raubte und mir die Sinne nahm. Dann wieder stand ich inmitten
+hellen Sonnenscheins, von allen Seiten eingeschlossen, in einer
+Bodensenkung. Oben auf einer Anhöhe standen meine Eltern und winkten
+mir, heraufzukommen. Ich hatte sie viele Jahre nicht gesehen und als
+tot beweint, und mein Herz sehnte sich danach, sie in die Arme zu
+schließen. Im Begriffe, zu ihnen zu eilen, bemerkte ich mit Entsetzen,
+daß ich inmitten tausender Schlangen stand, die von allen Seiten aus
+Erdlöchern herausschlüpften, um sich zu sonnen. Zu Ringen und Klumpen
+geballt, lag das giftige Gewürm über- und aufeinander. Die einen fraßen
+die anderen auf. Ich hatte ein Schwert in der Hand und versuchte, von
+Grauen gepackt, mich der Schlangen zu erwehren. Ich zerspaltete und
+durchschnitt die ekelhafte Brut. Doch es wuchsen den einzelnen Teilen
+neue Köpfe, die sich nun mit ihren giftigen Fängen an meinem ganzen
+Körper festbissen. Ganz genau empfand ich, wie die Nattern sich trotz
+meiner verzweifelten Gegenwehr um Füße, Arme und Beine hinaufringelten
+und mir schließlich die Kehle durchbissen. In wahnsinniger Angst eilte
+ich mit geflügelten Schritten weiter -- meine Eltern waren meinen
+Blicken entschwunden.
+
+Dann wieder sah ich mich inmitten von Totenschädeln als Leiche
+aufgebahrt. Ein Kreis der nächsten Verwandten saß fröhlich plaudernd
+neben dem Totenlager, während sich meine Mutter, ihr Herz vom wilden
+Schmerze zerrissen, über den Toten warf. Ich aber stand daneben, und
+das Weinen und Wehklagen der Mutter, die mich, ihren totgeglaubten
+Sohn, betrauerte, schnitt mir tief ins Herz hinein. Ich wollte mich
+ihr zu Füßen stürzen, ihr zurufen, doch die Glieder und die Stimme
+versagten ihren Dienst, und jetzt wurde ich plötzlich mit Erstaunen
+gewahr, daß kein Ton, kein Laut eines lebenden Wesens meinem Ohr
+vernehmbar war. Grabesstille herrschte in diesem Weltall der Toten, das
+doch wieder voll Leben war. Ganz deutlich sah ich mit den Augen die
+geschilderten Vorgänge -- das Ohr jedoch vernahm nichts davon.
+
+Dann wieder eilte ich an der Spitze einer Karawane durch dichten Urwald
+und weite Grassteppen mit Palmenhainen, aus deren Wedeln große Affen
+mit Menschenfratzen höhnisch auf uns herabblickten. Meine Karawane war
+kunterbunt aus Negern von der Küste und Traumgestalten von Leuten,
+denen ich im Leben einmal begegnet sein mochte, zusammengestellt.
+Stunden über Stunden waren wir unter sengender Sonnenhitze über
+Steppen und Wiesen dahingeeilt, ohne einen Tropfen Wasser oder etwas
+Nahrung zu uns genommen zu haben. Die Zunge klebte am Gaumen, die Füße
+versagten ihren Dienst. Da sahen wir plötzlich aus einem Bananenwald
+liebliche Hütten auftauchen und einladend winken. Und von allen Hütten
+näherten sich uns Negerfrauen und -mädchen, die uns in scheuer Furcht
+betrachteten und wieder verschwanden. Wohl fiel mir auf, daß wir nur
+weibliche Personen zu Gesicht bekamen, doch der Gedanke, ins Reich der
+Amazonen zu kommen, hatte nichts Schreckliches an sich.
+
+Im Dorfe um uns schien sich etwas Geheimnisvolles vorzubereiten. Seit
+Menschengedenken war in diese Gegend kein männliches Wesen gekommen,
+und uns drohte ein fürchterliches Unheil. Mein Blick, der durch
+die Wände der Hütte ins Innere hineinzudringen vermochte, sah alte
+Weiber mit zornverzerrten Mienen um die Feuer hocken. Ich sah, wie
+sie untereinander tuschelten, die Köpfe zusammensteckten und in den
+Mondschein hinausstarrten, als erwarteten sie etwas Furchtbares zu
+hören. Ein Orakel hatte den Weibern den Untergang des Dorfes verkündet,
+sobald der Fuß eines Mannes das Gebiet betreten würde.
+
+Die Sitte wollte es, daß, sobald eines der jungen Mädchen das
+heiratsfähige Alter erreicht hatte, es mit großem Pomp dem Bräutigam,
+der Sonne, zugeführt wurde. Die Glut der heißen Strahlen mit der ihnen
+innewohnenden Kraft, die stets neues Leben erweckt, befruchtete den
+jugendlichen, jungfräulichen Körper, der bis zur Geburt des Kindes
+alltäglich ein Gegenstand sorgfältigen Sonnenkultus bildete. Gebar
+die junge Frau ein Mädchen, dann wurde dieses Mädchen mit Prunk und
+Festlichkeit in die Gemeinde aufgenommen -- kam ein Junge zur Welt, so
+wurde er der Sonne geopfert.
+
+Die finstere Nacht nahte heran. In schlauer Zärtlichkeit führten die
+schönen, bronzenen jungen Mädchen des Dorfes Freudentänze vor unseren
+Augen auf. Sie schmiegten sich völlig unbekleidet an uns und umfingen
+uns mit den Armen. In höchstem Wonnegefühl ließ ein dunkles Ahnen mein
+Blut in den Adern erstarren, ganz deutlich erkannte ich plötzlich
+in den liebevollen Augen meiner Gefährtinnen den giftigen Blick der
+Schlangen, die ihr Opfer suchten.
+
+Ich wollte meine Leute warnen, wollte rufen, vermochte aber keinen
+Laut hervorzubringen. Ich wollte mich der fürchterlichen Umarmung
+erwehren, doch wie eiserne Ketten umschlossen die bloßen Arme und Füße
+meinen Körper. Mit Grauen bemerkte ich, wie die Frauen mit wollüstiger
+Grausamkeit einem Gefährten nach dem anderen die Kehle durchschnitten
+-- das entströmende Blut versetzte sie in einen Freudentaumel. Um mich
+her, toll vom Blutrausch, in den Händen die blutigen Messer und Fackeln
+schwingend, tanzte im Reigen eine Legion der wilden Amazonen.
+
+Vergeblich versuchte ich, mich der von allen Seiten auf mich
+einstürmenden Frauenkörper, ihrem sinnlichen Begehren und der
+Glutwelle, die von ihren Leibern ausging, zu erwehren. Von ihnen in die
+Mitte des Dorfes vor ihren Götzen geschleppt, wurde ich an Händen und
+Füßen gefesselt. Ich hatte das Vorgefühl eines schauerlichen Todes, dem
+qualvolle Martern vorhergehen sollten. Eine Horde besessener Teufel mit
+herrlichen Frauenleibern umtanzte mich im tollen Bacchanal und weidete
+sich an dem Grauen, das sie mir mit ihrer Wollust einflößten. Mit
+scharfen Messern bezeichnete eine nach der anderen in blutigen Ringen
+auf meiner weißen Haut das Stück, das ihr nach meinem Tode angehören
+sollte. Die Vorkehrungen zum Opfer waren beendet. Ich sollte am Spieße
+gebraten werden. Ganz deutlich fühlte ich das kalte Eisen, das mich von
+unten nach oben durchbohrte, und die ungeheure Hitze der Flammen.
+
+Ein Schmerz durchzuckte meinen Körper. Ich öffnete die Augen und
+erkannte in tiefer Erregung den über mich gebeugten Dr. Bellis, mit
+der Pravazschen Spritze in der Hand, mittels der er gerade noch
+rechtzeitig durch Chinin und Koffein-Einspritzungen unter die Haut die
+entfliehenden Lebensgeister gebannt hatte. Dank seiner Hilfe war ich
+für diesmal gerettet.
+
+Janssen, durch Eilboten vom Arzt aus Romée zurückberufen, kehrte nach
+vier Tagen heim. Acht qualvolle Tage und Nächte fesselte mich der
+beständige Kampf mit dem Fieber und der sich immer wieder von neuem
+ansammelnden Galle ans Krankenbett. Als einzige Nahrung während der
+ganzen Zeit erhielt ich etwas mit Wasser zu gleichen Teilen flüssig
+gemachte kondensierte Milch. Kein Wunder, daß ich mich nach neun Tagen
+völlig entkräftet, ein schwankendes Rohr, von meinem Lager erhob. Von
+Mustapha und meinem Boy unterstützt, ließ ich mich für einige Stunden
+im Lehnstuhl hinaus ins Freie tragen, von wo auch ich einen freien
+Überblick über den Strom und das Leben um mich genießen konnte. Die
+muntere Arbeit und das frohe Leben und Treiben um mich her erweckten
+in mir bald die schlummernden Lebenskräfte, und in zwei weiteren Tagen
+war ich bereits so weit hergestellt, um die Arbeit wieder aufnehmen zu
+können.
+
+
+
+
+ Faktoreichef. Reisen ins Innere des Landes.
+
+
+Eines Tages kam Janongo, der Häuptling eines Dorfes, das bisher die
+Hälfte unserer monatlichen Kautschukproduktion lieferte, mit unserem
+im Dorfe installierten Capita zurück. Gewöhnlich nehmen Dörfer
+die Namen von Häuptlingen an, die sich durch persönlichen Mut und
+Unerschrockenheit besonders hervorgetan haben. Der Häuptling war übel
+zugerichtet. Das rechte Auge und die Nase waren unförmig angeschwollen
+und der übrige Teil des Gesichtes und die Brust mit gestocktem
+Blute bis zur Unkenntlichkeit besudelt. Vom Rücken und den Lenden
+abwärts zeigte die Haut blutige Striemen und entsetzliche Wunden und
+Geschwüre. Der Mann war offenbar mißhandelt worden und hatte dabei
+reichlich Blut verloren. Was hatte sich zugetragen?
+
+[Illustration: Ankauf von Kautschuk.]
+
+Die Dörfer Janongos, zum Rayon der Stanleyfälle gehörend, liegen
+in unmittelbarer Nähe der Grenze, welche den anschließenden
+Aruwimi-Distrikt von der »=Province Orientale=« scheidet.
+
+Zwischen dem ehemaligen Staatsangestellten, der den einige Stunden
+stromabwärts gelegenen Staatsposten kommandierte, und unserer Faktorei
+bestanden bisher freundschaftlich nachbarliche Beziehungen. Seit
+kurzem war der Beamte auf Urlaub nach Europa zurückgekehrt, und sein
+Nachfolger P..... hatte Janssen bei seiner letzten Reise ziemlich kühl
+aufgenommen, so daß dieser, ganz gegen seine bisherige Gewohnheit,
+gar nicht dort übernachtet hatte, sondern nach kurzem Aufenthalt
+weitergereist war. P....., von den Eingeborenen »=Malu Malu=«
+(»Schnell schnell«) genannt, war nun vor einigen Tagen mit fünfzig
+Soldaten im Dorfe erschienen und hatte von Janongo eine monatliche
+Steuer von hundert Säcken Kautschuk verlangt. Aus die Erklärung
+Janongos, daß sein Dorf seit Jahren Kautschuk an die Stanleyfälle
+liefere, und seine Weigerung, dem Befehl nachzukommen, ließ P.....
+ihn in Ketten legen und befahl seinen Soldaten, in den Hütten der
+Eingeborenen nach Kautschuk zu suchen. Einer der Soldaten schnüffelte
+im Hause unseres Capitas den bereits fertiggestellten Kautschuk auf.
+Unser Capita, nichts Gutes ahnend, hatte wahrscheinlich Reißaus
+genommen, obgleich er natürlich steif und fest behauptete, zur
+Zeit nicht im Dorfe gewesen zu sein. P..... ließ nun den gesamten
+Kautschukvorrat mit Beschlag belegen und dem Häuptling Janongo, weil
+dieser ihn belogen hatte, fünfzig Hiebe mit der Nilpferdpeitsche
+geben. Überdies traktierte er den am Boden Liegenden in schamlosester
+Weise mit seinen Stiefelabsätzen. Noch in der gleichen Nacht hatten
+Janongo und der inzwischen zurückgekehrte Capita das Dorf verlassen, um
+Klage bei uns zu führen. Janssen war durch die geschilderten Vorgänge
+in eine nicht wiederzugebende Aufregung und Wut versetzt worden.
+Abgesehen davon, daß Janongo stets einer der verläßlichsten Häuptlinge
+gewesen war und wir durch die Beschlagnahme des bereits bezahlten
+Kautschuks einen enormen finanziellen Schaden erlitten hatten,
+erregte es ihn besonders, daß unser Prestige bei den Eingeborenen
+infolge der Mißhandlungen des Häuptlings durch einen Staatsbeamten
+stark erschüttert worden war. Er betraute mich mit der Klage beim
+Distrikts-Kommissar, da er fürchtete, nicht Herr seiner Erregung
+bleiben zu können. Ich begab mich sofort mit den beiden Zeugen auf
+das Kommissariat und ließ den ganzen Sachverhalt zu Protokoll nehmen,
+worauf der Distrikts-Kommissar uns volle Entschädigung und Bestrafung
+des Schuldigen in Aussicht stellte und sofort einen der hiesigen
+Offiziere mit der Untersuchung an Ort und Stelle betraute.
+
+Bei meiner Rückkehr fand ich Janssen mit hochgradigem Fieber infolge
+der Aufregung im Bette vor. Gegen Mitternacht ließ er mich zu sich
+rufen. Sein Zustand hatte sich bedeutend verschlimmert, es erwies
+sich, daß er an Schwarzwasserfieber erkrankt war. Ich gab ihm sofort
+heißen Tee und eine reichliche Dosis Antipyrin. Der Harn, welcher
+vorher schwarzrot war, bekam daraufhin wieder seine natürliche Farbe.
+Da das Fieber während der Nacht absolut nicht weichen wollte, ließ
+ich am folgenden Morgen =Dr.= Bellis von der Station kommen.
+Merkwürdigerweise ließ das Fieber plötzlich ganz nach, so daß der Arzt
+nun nicht recht wußte, was er von der Veränderung halten sollte.
+Vorsichtigerweise verordnete er Janssen ein Purgativ, völlige Ruhe und
+Diät. Gegen 11 Uhr früh fühlte Janssen sich wieder vollständig wohl und
+erhob sich trotz aller Abmahnungen. Die Geschichte mit Janongo wollte
+ihm nicht aus dem Kopf.
+
+Meine Abreise in Begleitung des befreundeten Offiziers mit einer
+Eskorte von zehn Soldaten war für den nächsten Morgen in Aussicht
+genommen, und Janssen gab mir eine Menge Ratschläge, wie ich mich bei
+der Sache zu verhalten habe.
+
+Gegen Abend begann das Fieber von neuem, um Mitternacht traten wieder
+die einwandfreien Zeichen von Schwarzwasserfieber auf. Ernstlich
+beunruhigt, ließ ich diesmal trotz der späten Stunde =Dr.= Bellis
+rufen. Dieser kam gegen 1 Uhr und bestätigte unsere Vermutung. Er
+ließ sofort einen Einlauf von zwei Liter Seifenwasser machen, gab dem
+Patienten ein Gramm Chinin und viel heißen Tee und meinte, daß die
+Krankheit bis spätestens am nächsten Tage behoben wäre. Unter diesen
+Umständen wollte ich meine Reise nach Janongo unbedingt um einige Tage
+verschieben, um Janssen zu pflegen. Doch diesem ging die Angelegenheit
+fortwährend derart im Kopfe herum, daß =Dr.= Bellis, um ihn
+nicht unnötig noch mehr aufzuregen, mich bat, wegzufahren. Janssens
+Abschiedsworte waren: »Tu dein möglichstes, um die Sache glücklich zu
+Ende zu führen, dann werde ich sicherlich vor Freude genesen.« Dies
+waren die letzten Worte, die er an mich richtete. Das Schicksal hatte
+gewollt, daß wir uns nie wiedersähen. Der Tod hatte während meiner
+kurzen Abwesenheit Einkehr in unserer kleinen Faktorei gehalten und ein
+junges Menschenopfer gefordert.
+
+Auf meiner Reise nach Janongo ließ ich unser Kanu vorsichtshalber noch
+in der Mission St. Gabriel anlaufen und Pater Willibrord, der Janssen
+persönlich sehr zugetan war, bitten, ihn während meiner Abwesenheit zu
+pflegen.
+
+Während der nächsten Tage besuchte ich mit meinem Begleiter die
+Dörfer von Janongo und stellte an Ort und Stelle an der Hand von
+Zeugenaussagen der Eingeborenen den Tatbestand fest. Meine Capitas
+waren auf die Nachricht unserer Ankunft hin wieder zur Stelle. Der
+schuldtragende Beamte wurde einige Zeit danach vom Distrikts-Kommissar
+abberufen und anderswohin versetzt -- der leidtragende Häuptling
+Janongo hingegen für die erlittene Unbill von mir reichlich mit
+Geschenken bedacht.
+
+Vier Tage später kehrte ich gegen 10 Uhr nachts ahnungslos von meiner
+Reise zurück. Wir waren im Begriffe, die Mission St. Gabriel zu
+passieren, als unser Boot von dorther angerufen wurde. Durch den Gesang
+der Ruderer war die Annäherung unseres Bootes schon bemerkt worden.
+Beim Überqueren des Flußufers erkannte ich mehrere vom Fackelschein
+beleuchtete Männer, darunter den Leiter der Mission Pater Vitus und
+=Dr.= Bellis, die am Anlegeplatz standen.
+
+»=Vous avez reçu la nouvelle?=« war die erste Frage. Ich ganz
+erstaunt: »=Mais quelle nouvelle, mon reverend Père?=«
+
+Ich ließ anhalten und erfuhr nun vom Pater Gabriel, daß mein Chef
+Janssen am Morgen gestorben und nachmittags in der Mission begraben
+worden war.
+
+Der Schlag traf mich gänzlich unerwartet. Nach den letzten Äußerungen
+von =Dr.= Bellis hatte ich an die Krankheit gar nicht mehr
+gedacht, sondern geglaubt, daß Janssens gesunde, kräftige Konstitution
+diese zweite Attacke ebenso leicht überwinden würde wie die erste.
+Den ganzen Nachmittag hatte ich im Hochgefühl einer für uns äußerst
+günstigen Abwicklung geschwelgt und mich auf den Moment gefreut, wo
+ich Janssen die erfreuliche Nachricht überbringen würde und nun ...
+Ein Bote war mir am frühen Morgen nachgesandt worden, der mich aber
+verfehlt haben mußte. Infolge meiner Abwesenheit waren an sämtliche
+Magazine und Gebäude vom Gerichtsschreiber Siegel angelegt worden. Ein
+Justizoffizier und Pater Willibrord waren auf der Faktorei verblieben.
+Tief niedergeschlagen traf ich gegen Mitternacht in Stanleyville an,
+wo mich de Koning, der vom Distrikts-Kommissar mit der Überwachung der
+Faktorei beauftragt war, empfing.
+
+Am folgenden Morgen wurden die Siegel gelöst, und ich machte mich an
+die äußerst langwierige Arbeit, ein vollständiges Inventar von dem
+gegenwärtigen Stand der Faktorei und allen Janssen gehörenden Effekten
+aufzustellen. Mein langersehnter Wunsch, Faktoreichef zu werden, war
+erfüllt, allerdings auf eine Art, die mir jede Freude daran benahm. Ich
+hatte Janssen eigentlich nie als meinen Chef, sondern vielmehr stets
+als guten Kameraden betrachtet, und seine Stütze ging mir in der ersten
+Zeit sehr ab.
+
+Die unmittelbare Folge dieses Todesfalles war, daß die Konkurrenz, die
+mit wachsendem Mißmut das Anschwellen unserer Kautschukproduktion in
+den letzten Monaten -- eine Folge der fortwährenden Bemühungen und
+Reisen von Janssen ins Innere des Landes -- beobachtet hatte, sich
+sofort ans Werk machte, um die Dörfer, die bisher Kautschuk für uns
+anfertigten, uns abspenstig zu machen und zu sich hinüberzuholen.
+Laut übereinstimmenden Berichten glaubwürdiger Vertrauensmänner
+ergab sich, daß die Chefs der »SAB« und der »Belgika« überall in den
+Dörfern die Todesnachricht verbreiteten und unsere Capitas auffordern
+ließen, in ihre Dienste überzutreten. Hier galt es rasch handeln,
+wollte ich diese Absicht vereiteln und nicht die Früchte monatelanger
+Organisationsarbeit verlieren.
+
+Zwei Tage und Nächte arbeitete ich am Inventar und den schriftlichen
+Berichten an die Direktion in Brazzaville, die ich gleichzeitig auch um
+einen neuen Beamten ersuchte. Am dritten Tag übergab ich die Station
+meinem schwarzen Schreiber und brach mit 40 Mann, 20 Gewehren und
+einer reichlichen Auswahl an Waren und Geschenken aller Art, die für
+die Häuptlinge bestimmt waren, in zwei Kanus auf, um sämtliche Dörfer,
+die bisher Kautschuk für uns geliefert hatten, zu besuchen und zur
+Weiterarbeit anzufeuern. Gleichzeitig wollte ich noch versuchen, einige
+weitere Dörfer zur Kautschukproduktion heranzuziehen.
+
+Trotz wenig günstiger Witterung fuhren wir gegen 9 Uhr früh ab. Meine
+Leute, froh, die eintönige Faktoreiarbeit für wenigstens eine Woche
+zu verlassen, stimmten jubelnd ein melodisches Ruderlied in ihrer
+Yambingasprache an, und von kräftigen Ruderschlägen getrieben, schoß
+das Boot wie ein Pfeil mit der Strömung dahin. Gegen Mittag begann es
+zu regnen. Mein Kanu besaß ein kleines Dach, gerade groß genug, um mich
+und meine Effekten zu decken, während die Waren in dem zweiten Kanu
+dem Regen preisgegeben waren. Einer meiner Leute entdeckte auf der
+Fahrt ein Fischerkanu, das mit Schilfdächern beladen war. Ich forderte
+die Fischer auf, mir zwei davon zu verkaufen. In unbegreiflicher
+Verstocktheit wollten die Leute von ihrem Vorrat nichts abgeben, so
+daß ich gezwungen war, das Gewünschte einfach »requirieren« zu lassen,
+worauf die Leute dann gerne die Bezahlung annahmen. Da der Regen an
+Heftigkeit zunahm, beschloß ich, über Mittag in der Mission St. Gabriel
+zu bleiben.
+
+Nirgends in der Welt herrscht größere Gastfreundschaft als in den
+spärlich besiedelten Teilen Zentralafrikas, wo der Gast zu jeder
+Tageszeit willkommen ist. Ist er doch gewöhnlich Träger interessanter
+Neuigkeiten aus der Außenwelt, von der man vollständig abgeschlossen
+ist, und bringt ein neues Element der Fröhlichkeit und des belebenden
+Gedankenaustausches mit sich. In vielen Stationen würde es dem Europäer
+geradezu verübelt werden, wollte er auf der Durchreise sich nicht
+aufhalten.
+
+Gegen Nachmittag ließ der Regen nach, und ich fuhr weiter stromabwärts
+nach dem Dorfe Kilomani. Hier war Janssen eine Woche vor seinem Ableben
+von den Eingeborenen mit Speeren und Pfeilen empfangen worden. Ein
+Korporal mit zehn Soldaten hatte nachts Streit mit den Eingeborenen
+angefangen, und im Verlaufe desselben waren mehrere Leute verwundet
+worden. Seither fürchteten sie eine Strafexpedition und flohen, sobald
+sie eines Europäers ansichtig wurden. Auch mir erging es nicht besser.
+Das ganze Dorf war bei Ankunft meiner bewaffneten Macht auf einen
+hochtönenden, trillernden Schrei hin verschwunden. Ringsum war keine
+Menschenseele zu erblicken. Vor den Hütten brodelten in Töpfen über dem
+Feuer alle möglichen Nahrungsmittel, und ich hatte Mühe, meine Leute
+vom Plündern abzuhalten. Zwischen den Hütten krähte ein naseweiser
+Hahn, eine Henne lief gackernd mit den Jungen davon, um sich vor der
+Gefahr in Sicherheit zu bringen.
+
+Eine unheimliche Stille lastete bei unserer Ankunft über dem
+verlassenen Dorf, in den niedrigen Plantagen und dem undurchdringlichen
+Blätterdach des Urwaldes. Wir hatten das Gefühl, daß jeder Baum und
+jeder Strauch einen unsichtbaren Feind verbarg und daß hunderte
+Augenpaare jede unserer Bewegungen scharf beobachtete, um im geeigneten
+Moment auf ein gegebenes Zeichen uns mit einem Hagel von Pfeilen und
+Speeren zu überschütten. Es ist für den Neuling ein ganz eigenartiges
+Gefühl, so inmitten eines verlassenen afrikanischen Dorfes, das
+allenthalben deutliche Spuren der anwesenden Einwohnerschaft zeigt, zu
+stehen und dabei im unklaren zu sein, ob nicht in der nächsten Minute
+ein gefiederter Schaft mit fünf Zentimeter langer Eisenspitze einem
+durch die Rippen fährt.
+
+Am Hauptplatz, vor der Hütte des Häuptlings machten wir halt.
+Gewöhnlich unterscheidet sich diese von den niedrigen aus
+Palmenblättern bestehenden Hütten der übrigen Eingeborenen durch ihre
+massive, geräumige Struktur. Sie ist meistens doppelt so groß wie die
+anderen und manchmal von einer Palisadenwand umgeben. Vor der Hütte
+befindet sich stets ein großer freier Platz, der Versammlungsplatz des
+Dorfes, und rings herum im Kreise, je nach dessen Größe, ein zwei- bis
+dreifacher Kranz von Hütten. Unmittelbar vor der Hütte des Häuptlings
+steht der »Medizinbaum«, ein kahler Strauch, auf dessen Zweige kleine
+Götzen und Fetische, kleine Beutel aus Antilopenfell, worin sich eine
+Medizin befindet, die Schädel von Affen und allen möglichen kleinen
+Tieren, aber auch von Leoparden, Büffeln usw. befestigt sind. Daneben
+steht, gegen Regen durch ein Dach geschützt, der große Gong des Dorfes,
+welcher gleich unseren Telegraphen den benachbarten Dörfern Kunde von
+allen Vorfällen und Beschlüssen des Häuptlings geben soll. Mittels
+desselben ließ ich durch einen meiner der »Gong-Sprache« kundigen Leute
+den Eingeborenen mitteilen, daß ich in friedlicher Absicht zu ihnen
+käme, um Tauschhandel mit ihnen zu treiben und daß ich mit dem Streit,
+den sie mit den Soldaten hatten, nichts zu tun hätte.
+
+Einige Minuten herrschte tiefes Stillschweigen, dann erscholl aus der
+Tiefe des Waldes eine Stimme, die den Eingeborenen befahl, auf den
+weißen Mann nicht zu schießen. Hierauf kamen zögernd hinter Büschen
+und Sträuchern einige unbewaffnete Männer hervor. Die Kameraden, noch
+immer mißtrauisch, beobachteten von ihren Verstecken aus, was weiter
+geschah. Um die Leute zu beruhigen, hatte ich meinerseits Anweisung
+gegeben, die Gewehre zu Pyramiden zusammenzustellen. Endlich, nach
+wiederholter Aufforderung kam auch der Häuptling Monkwojama und mit ihm
+ein Teil der Dorfjugend hervor, und nunmehr konnten wir mit den äußerst
+mißtrauischen Eingeborenen in Verhandlung treten.
+
+Gegen 20 »=dottis=« (etwa 70 Meter verschieden gefärbter
+Baumwollstoffe), einen langen Gehrock samt grauem, breitrandigem
+Touristenhut für den Häuptling sowie einem entsprechenden Geschenk an
+Spiegeln, Perlen, Zündhölzern, hohlen Arm- und Beinringen aus Messing,
+kleinen Schellen und Glöckchen, Löffeln und Messern, alles blinkende
+Herrlichkeiten für die entzückten Dorfschönen, wurden wir schließlich
+handelseinig, und das Dorf versprach, das von mir angesetzte Quantum
+Kautschuk anzufertigen.
+
+Vor meiner Abreise mußte ich Monkwojama noch versprechen, seine Sache
+beim Kommandanten von Stanleyville zu vertreten. Dies konnte ich um so
+eher zusagen, als sich herausstellte, daß keiner der Soldaten verwundet
+oder getötet worden war und, wie ich aus Erfahrung wußte, diese sich
+hüten würden, von ihrem nächtlichen Raubzug etwas verlauten zu lassen.
+Zum Schutze des Dorfes vor ähnlichen Vorkommnissen, und um auch dafür
+zu sorgen, daß der Kautschuk zustande kam, ließ ich hier einen meiner
+Leute mit einem Perkussionsgewehr zurück. Als vermeintlicher Feind war
+ich ins Dorf gekommen, als Freund verließ ich dasselbe eine Stunde
+später, von der freudig erregten Menge begleitet, die im Tanzschritt
+unter dem ohrenbetäubenden »Yolah«-Geschrei und Tuten von Hörnern
+ihrer kindlichen Freude Ausdruck verlieh, ein Zeichen, wie schnell
+Volksstimmungen umschlagen.
+
+Weiter stromabwärts eilten meine beiden Kanus in wilder Wettfahrt, um
+noch vor Einbruch der Nacht die »Baptist-Mission Yakussi« zu erreichen,
+wo wir freundliche Aufnahme vorfanden und übernachteten.
+
+Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch machten wir uns auf den Weg
+nach dem unweit der Mission im Urwald gelegenen Dorfe Yakussi. Die
+ganze Nacht durch hatte es geregnet, und die schmalen, lehmigen
+Fußpfade standen unter Wasser. Auf Schritt und Tritt streifte ich von
+dem dichten Unterholz große Regentropfen ab, so daß meine Kleidung
+binnen wenigen Minuten vom Kopf bis zu den Füßen völlig durchnäßt,
+und ich wohl oder übel gezwungen war, ein unfreiwilliges Kneippbad zu
+nehmen. Denkt sich der Leser hierzu noch rote, braune und schmutzige
+Flecken infolge Abstreifens des roten Tukula-Pulvers, womit Männer
+und Frauen sich den Körper beschmieren, dann kann er sich ungefähr
+eine Vorstellung davon machen, in welchem Aufzug ich eine halbe
+Stunde später nach forciertem Marsche im Dorfe ankam. Ich benützte
+die erste freie Hütte, um mich vollständig umzukleiden und hatte eben
+meine rasche Toilette beendigt, als der »Tambu Tambu« -- Neger-Sultan
+Yakussi -- mit großem Gefolge und tanzenden Frauen, die mich mit lautem
+Händeklatschen begrüßten, eintraf, um mich zum Hauptdorfe zu geleiten.
+
+Das Dorf Yakussi, ursprünglich aus einem paar halbverfallener, im
+Urwald versteckter Negerhütten bestehend, hatte sich im Laufe der Jahre
+unter dem Schutze der Mission zu einer langgestreckten Ansammlung
+von Negerhütten und zu einem bedeutenden Markte entwickelt. Der alte
+Häuptling hatte wahrscheinlich mit schwerem Herzen von der Sitte seiner
+Vorväter und dem Genuß delikater Menschenkotelettchen Abstand genommen,
+seinen Lendenschurz mit dem Prunkgewand eines Negersultans vertauscht
+und dazu im Laufe der Zeit den Titel angenommen.
+
+[Illustration: Marktbild.]
+
+Dank dem unermüdlichen Eifer der Missionare, dem unzivilisierten
+Negervolke ein menschenwürdiges Dasein aufzudrängen, dank ihrer nah
+und fern gerührten Werbetrommel, um alle mit ihrem Lose Unzufriedenen
+um sich zu versammeln und zum Heil »Zambis«, des einzigen, wahrhaften
+Gottes zu bekehren, hat Yakussi sein Dorf Monat für Monat sich
+vergrößern und die Anzahl der Einwohner vermehren sehen. War seine
+eigentliche Macht über Leben und Eigentum seiner Untergebenen auch
+nur mehr ein Schein, so tröstete er sich offenbar damit, daß es den
+Häuptlingen in den von »Felsenbrecher«, wie die Eingeborenen den
+Kongostaat nennen, okkupierten Gebieten auch nicht besser ging und
+die Häuptlinge der umliegenden Dörfer ihm gewissermaßen unterstanden.
+Denn Yakussi war ein mächtiger Sultan geworden, der hoch in der Gunst
+des weißen Eroberers stand und dessen Ohr stets auf seiner Seite
+hatte. Alle Häuptlinge der umliegenden Dörfer erkannten dies willig
+an und bedienten sich unter Zuhilfenahme reicher Geschenke stets
+seiner Vermittlung, wenn es galt, ihr Dorf vor drückenden Steuern zu
+bewahren, oder aber Streitigkeiten unter einander auszutragen. Auf
+diese Weise war Yakussi im Laufe der Zeit reich geworden.
+
+Auch die Einwohner des Dorfes erfreuten sich einer gewissen
+Wohlhabenheit und hatten ihre ursprüngliche Scheu im Verkehr mit den
+Europäern vollständig abgestreift. Die Frauen saßen größtenteils
+in Kleidern um die Feuer und nickten uns einen freundlichen Gruß
+zu, während die Kleinen und Allerkleinsten, die wir in anderen
+Dörfern überhaupt nicht zu Gesicht bekamen, sich mir ganz zutraulich
+näherten, ihre Pfötchen gaben und sich mit Perlen, Spiegeln und
+Löffeln beschenken ließen. Auf dem Weg durch das langgestreckte
+Dorf schlossen sich uns immer mehr Eingeborene an, so daß uns,
+als wir am Versammlungsort angelangt waren, ein großer Wall von
+Eingeborenen umgab. Nachdem ich nun den Leuten den Zweck meines Kommens
+auseinandergesetzt hatte, teilte mir Yakussi mit, daß das Dorf zwar
+bereits für »=Talla Talla=«, d. h. Augengläser (womit der Chef der
+SAB, der Augengläser trug, bezeichnet wurde), Kautschuk anfertige, daß
+er jedoch gerne bereit sei, das gleiche auch für mich zu tun.
+
+Nicht sonderlich erbaut über den gemachten Vorschlag, willigte ich
+schließlich ein und ließ die von Yakussi selbst ausgewählten Waren,
+wofür er ein gewisses Quantum Kautschuk innerhalb eines Monats zu
+liefern versprach, zurück. Meine Boys hatten inzwischen meinen
+transportablen Tisch aufgestellt, ein nagelneues Tischtuch darüber
+ausgebreitet und erschienen nunmehr mit dem Frühstück, bestehend aus
+Omelett, geräuchertem Schinken, Sardinen und Kaffee. Während ich
+inmitten der neugierigen Menge frühstückte, die jede Handbewegung,
+das Öffnen der Sardinenbüchse usw. mit großem Interesse beobachtete,
+brachten gegen dreißig Frauen aus Kürbis hergestellte Gefäße mit
+»=Bidia=«, einer aus Mais und Maniokmehl hergestellten Polenta,
+sowie allerlei Gemüse, geräucherte kleine Fische, Heuschrecken und
+ähnliche Delikatessen zum Kaufe für mein Personal. Ich bezahlte das
+gerne und ließ die Herrlichkeiten unter meine Träger verteilen, die mit
+Heißhunger darüber herfielen.
+
+Nachdem Sultan Yakussi mir im Laufe des Gespräches noch angeboten
+hatte, durch einen seiner Leute mir den Weg zu drei Dörfern in der Nähe
+des Lindiflusses zeigen zu lassen, die möglicherweise auch Kautschuk
+für mich sammeln würden, brach ich nach einstündigem Aufenthalt auf.
+
+Wer da glaubt, Yakussi hätte mich in selbstloser Weise zu drei Dörfern
+gewiesen, um meine Zwecke zu unterstützen, täuscht sich gewaltig. Von
+dem Sultan und einer Menge Eingeborener, die auf Pfeifen und kleinen
+Holzgongs, hölzernen und elfenbeinernen Hörnern einen ohrenbetäubenden
+Spektakel aufführten, begleitet, erfuhr ich kurz vor dem Abschied am
+Flußufer, daß ein am Unterlauf des Lindis gelegenes Fischerdorf drei
+Frauen des Dorfes geraubt hätte. Yakussi bat mich, ihm die drei Frauen
+gelegentlich meines Besuches der Dörfer wiederzubringen.
+
+Wir verließen Yakussi und schifften uns auf unseren Kanus wieder ein.
+Der Weg von Yakussi bis zur Mündung des Lindiflusses in den Kongo
+war, da es mit der Strömung ging, unter begeistertem Jubelgesang der
+Ruderer bald erreicht. Hier stellten sich mir Schwierigkeiten in
+den Weg, meine abergläubischen Leute dahinzubringen, in das bisher
+völlig unbekannte Lindistromgebiet einzufahren. Geschichten, die
+in Stanleyville unter den Eingeborenen umgehen, und die von einem
+Fabeltier erzählen, das bald in Gestalt eines ungeheuren Krokodils,
+bald als Riesen-Wasserschlange aus den Tiefen des Lindiflusses
+auftaucht und jedes Boot vernichtet, hatten die Leute verängstigt.
+Wir waren etwa eine Stunde weit den Fluß hinaufgefahren, ohne auf
+menschliche Spuren gestoßen zu sein, als wir mit einem Male bei einer
+Biegung des Flusses zu einem großen Fischerdorf kamen. Schätzungsweise
+mochte dasselbe gegen 2000 Einwohner zählen. Die Leute waren gerade
+im Begriffe, einen riesigen Gong, der auf vier Holzfüßen inmitten des
+geräumigen Versammlungsplatzes stand, einzuweihen. Von oben bis unten
+mit rotem Sandelholzpulver zur Feier des Tages beschmiert, tanzten
+Männer und Frauen unter wilden Kontorsionen der Bauchmuskeln und unter
+lautem Freudengeheul wie Besessene um den Gong, den zwei Mann mit
+Kautschuk-Keulen mit aller Gewalt bearbeiteten.
+
+In dem allgemeinen Taumel war unsere Ankunft kaum bemerkt worden.
+Sowie der Häuptling uns bemerkte, gab er ein Zeichen, das Fest zu
+unterbrechen, und kam, umringt von den Seinen, auf uns zu. In wenigen
+Sekunden war unser kleines Häufchen von einer tobenden Menschenmenge
+umringt. Die tiefliegenden, verschleierten Augen und die starke
+Erregung, die sich auf allen Mienen kundgab, verriet mir auf den ersten
+Blick, daß die Leute viel Hanf geraucht hatten, und daß äußerste
+Vorsicht am Platze war, wollten wir nicht den zündenden Funken in
+das Pulverfaß werfen. Die getrockneten Blätter der Hanfstaude, dem
+Tabak beigemengt, haben berauschende Wirkung und versetzen den Neger
+bei reichlichem Genuß in eine tobsuchtsartige, blutdürstige Stimmung,
+in welcher er weder Feind noch Freund kennt, beim geringsten Anlaß
+blindlings darauflosschlägt und alles niedermacht, was sich ihm in
+den Weg stellt. Diese Unsitte fordert alljährlich unzählige Opfer und
+nötigt die Regierung, die Hanfstauden in den Dörfern vernichten zu
+lassen.
+
+Mit einer mir später selbst fast unerklärlichen Ruhe ließ ich mir
+von meinen Boys inmitten des Kreises, der sich in immer weiterem
+Umfange um uns schloß, meinen Streckstuhl bringen und setzte mich
+nieder. Dem Häuptling bedeutete ich, dasselbe zu tun. Tausende
+Augenpaare beobachteten jede meiner Bewegungen. Hier galt es mit voller
+Unerschrockenheit auftreten, sonst waren wir in die Hände der Leute
+gegeben, die nach Belieben mit uns verfahren konnten.
+
+Ich ließ den Mann aus Yakussi vortreten und forderte den Häuptling auf,
+die widerrechtlich weggeschleppten drei Frauen, die sich in seinem
+Dorfe aufhielten, sofort herauszugeben. Ohne ein Wort der Widerrede gab
+der Häuptling einem Manne ein Zeichen, die Frauen zu holen. Hierauf
+verständigte ich ihn vom Zwecke meines Kommens, daß ich Tauschhandel
+mit den Leuten seines Dorfes pflegen wolle, daß ich Geschenke für
+Kautschuk mitgebracht habe usw.
+
+Hatte der Häuptling meinem ersten Verlangen ohne weiteres Folge
+geleistet, so erklärte er jetzt, dabei die Volksmenge mit jedem Satz
+apostrophierend, ungefähr folgendes: »Der weiße Häuptling =Nfuma
+Ntanga= ist in unser Dorf gekommen -- =ayoki= (hört), um
+drei Frauen aus Yakussi zurückzufordern -- =ayoki=. Wir wollen
+keinen Krieg mit dem weißen Häuptling -- =ayoki=. Darum geben
+wir die Frauen zurück -- =ayoki=. =Nfuma Ntanga= bringt Stoffe
+und »=Shokkas=« (große Stücke Eisen, welche an Geldes Statt
+zirkulieren) und will, daß wir Kautschuk sammeln gehen -- =ayoki=.
+Kautschuk sammeln ist Sklavenarbeit -- =ayoki=. Wir aber sind
+freie Männer und wollen keinen Kautschuk machen.«
+
+Nach jedem Satze wiederholte die Menge wie aus einem Munde
+»=ayoki=«, was ungefähr »wir hören« heißt. Nach den letzten
+Worten des Häuptlings brach ein tausendstimmiges Jubelgeheul aus,
+das von der grünen Mauer des Urwaldes jenseits des Wasserspiegels
+widerhallte. Darin kennzeichnete sich das stolze Bewußtsein und
+der unerschütterliche Wille eines freien Volkes, das Sklavenarbeit
+verachtete und bereit war, für seine Gesinnung sein Leben einzusetzen.
+
+Diese einzigartige Kundgabe des Volkswillens machte auf mich einen
+großen Eindruck. Zum erstenmal stand hier in Gestalt des Wilden ein
+Mann vor mir, dem die Natur den Stempel des Herrschers aufgedrückt
+hatte. Von Wuchs ein über das Mittelmaß reichender, herkulisch gebauter
+Mann, in Miene und Gebärden jeder Zoll ein König, die Gesichtszüge von
+tiefem, feierlichem Ernst durchdrungen, das stolz erhobene Haupt mit
+Adlerfedern geschmückt, um die gewölbte, sehnige Brust ein Diadem von
+Leopardenzähnen, um die Hüften ein kunstvolles faltenreiches Gewebe
+aus Raphiafasern: so stand der Mann vor mir, mit tieftönender, voller
+Stimme zu seinem Volke redend. Diese Szene hat sich unauslöschlich
+meinem Gedächtnis eingeprägt. Der Wille und die Kraft, die von dieser
+Herrschernatur ausgingen, waren derart, daß sie geradezu hypnotische
+Wirkung auf das Volk ausüben mußten. Ohne ein Wort weiter zu verlieren,
+erhoben sich alle, die mit dem Häuptling gekommen waren, und verließen
+den Versammlungsplatz, mich in ziemlicher Bestürzung zurücklassend.
+
+Was hatte dies alles zu bedeuten? Warum war der Häuptling mit seinen
+Leuten so unvermittelt verschwunden? Hatten sie etwa die Absicht, über
+uns herzufallen? Diese Fragen und viele ähnliche bestürmten mich im
+nächsten Augenblick. Mechanisch griff ich nach einer illustrierten
+Zeitschrift, die ich immer bei mir zu tragen pflegte, da ich aus
+Erfahrung wußte, daß die Illustrationen und das gedruckte Papier für
+die Eingeborenen als »schwarzer Zauber« gelten und sie davor einen
+großen Respekt haben. Während ich mechanisch in der Zeitschrift
+blätterte, arbeitete mein Gehirn fieberhaft. Ich beobachtete genau,
+was um mich vorging und ob nicht irgend etwas in dem Gebaren der
+Eingeborenen auf feindliche Absicht schließen ließ. Doch nichts
+dergleichen geschah -- langsam fand ich das seelische Gleichgewicht
+wieder.
+
+Eine Viertelstunde mochte etwa vergangen sein, da tauchte plötzlich der
+Häuptling wieder mit seinem Gefolge auf, das zwei große Ziegen hinter
+sich herzog und sie mir als Geschenk übergab. Ein Stein fiel mir vom
+Herzen. Nach dieser Gabe konnten wir über die friedlichen Absichten der
+Leute nicht länger im Zweifel sein, und ich ließ nun meinerseits durch
+Mustapha dem Häuptling ein den Wert der beiden Ziegen übertreffendes
+Geschenk überreichen. Im Verlaufe des sich daran anknüpfenden
+Gespräches stellte es sich heraus, daß die drei von Yakussi
+bezeichneten Dörfer in unmittelbarer Nähe lagen. Ich beschloß daher,
+mich sofort auf den Weg zu machen und brachte gleichzeitig meinen Koch
+in einer der mir freiwillig geräumten Hütten unter, um einstweilen eine
+Mahlzeit für mich vorbereiten zu lassen.
+
+Von unserem Führer aus Yakussi geleitet, folgten wir einem der vielen
+sich kreuzenden Fußpfade, die von dem Dorfe aus durch Maniok- und
+Maisanpflanzungen in den Schatten des Urwaldes führten. In brennender
+Sonnenhitze durchquerten wir einen frischen Ausschlag aus dem
+Walde. Quer über dem Wege lagen die tausendjährigen, umgestürzten
+Urwaldriesen, über die wir bald hinwegkletterten, dann wieder unter
+ihnen durchschlüpfen mußten. Allenthalben waren die ungeheuren Stämme
+angekohlt, und große Feuer brannten, um die von der Sonne verdorrten
+Äste und Zweige aus dem Wege zu räumen und in befruchtende Asche
+umzuwandeln. In sengender Gluthitze bahnten wir uns mühsam über
+all diese Hindernisse hinweg einen Weg zu dem kühlen Schatten des
+Waldes. Unterwegs kamen wir am Grabe eines Häuptlings vorbei. Eine
+Binsenmatte, von vier Stöcken unterstützt, bildete das Dach dieses
+innerafrikanischen Mausoleums, unter dem auf einem Bäumchen ein dicker,
+weiß und schwarz gefleckter Baumbast zusammengerollt lag. Dieser war
+so täuschend einer riesigen Schlange nachgebildet, daß ich beim ersten
+Anblick unwillkürlich einen Schritt nach rückwärts machte. Einige
+Tongefäße und kleine Götzen vervollständigten diese äußerst sonderbare
+Begräbnisstätte.
+
+Nach längerem Marsch deutete endlich entferntes Stampfen eines
+Maniokmehl-Mörsers sowie eine allmähliche Verbreiterung des Fußpfades
+an, daß wir uns in der Nähe eines Dorfes befanden. Einige hundert Meter
+vor dem Dorfe bildete der Fußpfad eine Biegung und bot einen Ausblick,
+durch welche die Einwohner, die in steter Furcht vor feindlichen
+Überfällen leben, unsere Karawane herannahen sahen. Ich hörte einen
+schrillen, trillernden Schrei, dann Rufen und Trappeln vieler nackter
+Füße. Als ich endlich im Dorfe anlangte, war die gesamte Bevölkerung
+geflohen. Das Dorf machte einen äußerst reinlichen und respektablen
+Eindruck. Zwei Reihen spitzzulaufender, kegelförmiger Hütten standen
+inmitten von Bananenhainen, Tabak- und Hanfanpflanzungen. Es war bisher
+das einzige Dorf mit Hütten dieser Konstruktion hier in der Umgebung,
+wo alle Eingeborenen mehr oder minder runde Hütten bauen oder sich
+die arabischen Häuser als Modell nehmen. Ich verharrte nahezu eine
+halbe Stunde im Dorfe und machte vermittels der Gongsprache alle
+möglichen Anstrengungen, um die Leute zurückzurufen. Es war leider
+vergebliche Mühe, nichts rührte sich in dem umliegenden Urwalde. Es
+war eine starke Enttäuschung für mich, nach langem, mühseligem Marsch
+unverrichteterdinge weiterziehen zu müssen.
+
+Beim zweiten Dorfe Alelo hatten wir nicht mehr Glück. Ich hatte dieses
+Mal meinen Führer aus Yakussi vorausgesandt, um die Leute auf die
+Ankunft meiner Karawane vorzubereiten. Hatte dieser nun die übertragene
+Mission nicht richtig erfüllt oder hatten die Leute ein Verbrechen auf
+dem Gewissen, kurzum, als sie vom Herannahen eines Europäers hörten,
+waren sie, so schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten, im Urwalde
+verschwunden. Trotz aller Versprechungen waren die Leute auch dann
+nicht zu bewegen, zurückzukehren.
+
+[Illustration: Stampfen von Maniokmehl.]
+
+Mißmutig zogen wir durch den Urwald weiter. Einmal passierten wir eine
+Ameisenkarawane, die auf einige hundert Schritt den schmalen Fußpfad
+und die Büsche zu beiden Seiten desselben vollständig mit Beschlag
+belegte. Ein seltsames Knistern und Zirpen hätte uns aufmerksam machen
+sollen, doch achtlos liefen wir weiter, bis ein kräftiges Zwicken im
+Gesicht, am Hals und an den Händen mich veranlaßte, gleich meinen
+Trägern aus Leibeskräften zu laufen, um den Bissen dieser kleinen
+Insekten, die alles Strauchwerk um uns belebten, zu entrinnen. Die
+Zangen zum Angriff weit geöffnet, den Schlachtruf in Form eines
+eigenartigen Knisterns und Zirpens ausstoßend, waren Legionen dieser
+kleinen Soldaten bereit, alles, was in den Bereich ihrer Zangen
+geriet, sofort wütend anzufallen. Ihr Biß ist derart kräftig, daß
+die Scheren aus der Wunde meist nicht wieder herauszubekommen sind,
+sondern auseitern müssen. Eine kurze Rast mitten im Urwalde gab uns
+Gelegenheit, uns unserer Kleidung zu entledigen und uns von den kleinen
+Peinigern zu befreien. Hierauf setzten wir unseren Marsch durch das
+Dickicht, über Morast und kleine Flüsse hinweg, fort.
+
+In die Nähe des dritten Dorfes gelangt, ließ ich haltmachen und sandte
+jetzt Mustapha mit dem Führer aus Yakussi voraus. Diesmal verschwanden
+nur die Frauen und Kinder und zogen sich nach den entlegeneren Hütten
+des Dorfes zurück. Der Häuptling Monganga und die Männer erwarteten
+uns. Ein Blick auf sie belehrte mich übrigens sofort, daß ich es hier
+mit reinen Urwaldbewohnern zu tun hatte, mit Leuten, die ihren Fuß
+sicherlich noch nicht außerhalb der unmittelbaren Nähe des Dorfes
+gesetzt und niemals zuvor einen Europäer von Angesicht zu Angesicht
+gesehen hatten. Durch die bisherigen Erfahrungen gewitzigt, hatte ich
+angeordnet, daß die begleitende Eskorte sowie der größte Teil des
+Personals zurückbleiben und erst allmählich Mann für Mann nachkommen
+sollte. Ich selbst folgte Mustapha in einiger Entfernung, nur von
+einem Gewehrträger begleitet. Bloß diesen Vorsichtsmaßregeln hatte
+ich es zu verdanken, daß die Leute nicht auch hier das Weite suchten.
+Der Häuptling schlotterte an allen Gliedern, als ich mich ihm näherte
+und ihn ansprach. Um ihn nicht unnötig zu erregen, setzte ich mich
+sofort in meinen inzwischen angekommenen Streckstuhl und befahl den
+herbeikommenden Trägern, sich gleichfalls zu setzen.
+
+Je mehr von meinen Leuten herankamen, um so ängstlicher wurden
+die Mienen der Eingeborenen. Ich hatte das Gefühl, daß nur die
+Furcht, niedergeschossen zu werden, sie auf dem Platze festhielt.
+Meine friedliche Absicht, Tauschhandel zu treiben, durch unseren
+Yakussi-Führer in die Sprache der Eingeborenen übersetzt, wurde
+beifällig aufgenommen. Die Leute erklärten sich gern bereit, für uns
+Kautschuk im Walde zu sammeln.
+
+Bei Abschluß der Verhandlung ergab sich aber eine Schwierigkeit. Keiner
+meiner Leute wollte als Capita im Dorfe zurückbleiben. Andererseits
+getraute sich auch niemand, vom Dorfe den fertigen Kautschuk per Boot
+nach Stanleyville zu bringen. Die Leute trugen so sehr den Stempel
+tiefster Verrohung an sich, daß mein mutigster Capita sich weigerte im
+Dorf zu bleiben und offen erklärte, er sei überzeugt, daß die Leute ihn
+abschlachten würden, noch ehe ich außer Rufweite des Dorfes gelangt
+sein würde. Unter diesen Umständen blieb mir nichts übrig, als vorerst
+abzuwarten, bis durch wiederholten Besuch des Dorfes meine Capitas
+mehr Vertrauen zu den Eingeborenen gefaßt haben würden und diesen
+einstweilen ein kleines Quantum Waren anzuvertrauen. Erwiesen die Leute
+sich innerhalb eines Monats des Vertrauens würdig, dann konnte ein
+Versuch im größeren Stil unternommen werden. Im anderen Falle war damit
+nicht viel verloren.
+
+Ich ließ den Häuptling unter den mitgebrachten Waren seine
+Auswahl treffen. Dann gab ich ihm als Geschenk eine weiß und rot
+gestreifte Decke, ein großes Dolchmesser mit einer Scheide und einen
+breitkantigen, schwarzen Hut, der ihm ein behagliches Grinsen abnötigte
+und ihn geradezu grotesk kleidete. Dagegen gelobte Monganga, Ende des
+nächsten Monats acht Körbe Kautschuk bereitzuhalten, die entweder ich
+oder meine Leute vom Dorfe abzuholen hätten.
+
+Nicht besonders erbaut über das Resultat des Tages, kehrte ich bei
+einbrechender Nacht nach dem Fischerdorfe zurück und verzehrte in
+aller Eile das von meinem Koch inzwischen zubereitete Essen, wobei ein
+andächtiger Kreis von Kindern, Frauen und Männern mir zusah. Bildete
+doch von der Petroleumlampe angefangen bis zum Salzstreuer jeder
+Gegenstand ein bisher nie gesehenes Wunder, von welchem man Wochen lang
+noch sprechen würde. Zum Schluß servierte mein Koch eine »=Omelette
+soufflée=«, die ich reichlich überzuckerte. Als ich nun noch den
+darübergegossenen Rum angezündet hatte, war mein Ruf als Feuerfresser
+und großer Medizinmann für alle Zeit gesichert. Die Nacht verbrachte
+ich in einer der größeren Negerhütten, nachdem ich sie vorher,
+eingedenk früherer Erlebnisse, von meinen Leuten völlig hatte ausräumen
+lassen.
+
+Meinem Personal waren vom Häuptling fünf weitere Hütten zur Verfügung
+gestellt worden, und ich hatte den Wachen strikten Befehl erteilt,
+darauf zu achten, daß keiner der Leute nachts auf Abenteuer ausging.
+Die Nacht verlief ruhig. Ich war dank den anstrengenden Märschen des
+Tages in tiefen Schlummer gefallen, aus dem weder Ratten, Mäuse noch
+sonstiges Ungeziefer mich wecken konnten.
+
+Am nächsten Morgen fuhr ich mit beiden Kanus ein gutes Stück
+stromaufwärts, um die berühmten »Tschoppa-Fälle« auf dem Lindifluß
+zu besuchen. Diese gelten weit und breit als die herrlichsten Fälle
+der Region und werden mit Vorliebe von Stanleyville aus besucht. Kurz
+vor dem eigentlichen Fall verließen wir die Kanus, da die Strömung
+zu heftig wurde. Dem Flusse entlang bahnten mir ein paar Arbeiter
+mit Haumessern einen Weg durch den Urwald, um zum eigentlichen Fall
+zu gelangen. Der Fluß stürzt hier in seiner ganzen Breite aus etwa
+20 Meter Höhe in die Tiefe. Die Gewalt der fallenden Wassermassen
+übertrifft alles, was ich bisher in dieser Art gesehen habe. Mit
+Recht wird der Fall als herrlichstes Naturschauspiel Zentralafrikas
+bezeichnet.
+
+Über Granitblöcke emporkletternd bahnten wir uns einen Weg zu einem
+Felsblock, von dem aus wir einen Blick in den tobenden Hexenkessel
+unter uns werfen konnten, ohne von dem aufwirbelnden Wasserstaub
+durchnäßt zu werden. Schräg fielen die ersten Strahlen der Morgensonne
+auf die aufsteigenden Gischtschwaden. Über der geheimnisvollen,
+grausigen Tiefe wölbte sich ein Regenbogen in leuchtenden Farben.
+In den zartesten Tönen vom hellsten Blau bis zum feurigsten Rot
+schillernd, formten sich die Wassertropfen zu funkelnden Diamanten,
+Saphiren und Rubinen. Das Auge konnte sich nimmer satt sehen an all
+der Pracht, die die Natur auf diesem weltentlegenen Fleckchen Erde
+inmitten des großen Urwaldes, fernab vom Weltgetriebe, aufgespeichert
+hatte. Eine Beschreibung dieses Naturschauspiels, die einigermaßen der
+Wirklichkeit gleichkommen könnte, zu geben, liegt völlig außer dem
+Bereich meiner Kräfte. Nicht Worte vermögen zu schildern, was ich bei
+seinem Anblick fühlte. Stumm stand ich vor dieser Offenbarung einer
+höheren Gewalt, deren Macht unsere menschlichen Begriffe übersteigt.
+
+Wohl eine Stunde mochte im Anblick dieses überwältigenden
+Naturschauspiels vergangen sein, als der hohe Stand der Sonne zur
+Abreise mahnte. Wir schifften uns in unsere beiden Kanus ein und fuhren
+diesmal mit der Strömung der Mündung des Lindiflusses zu, durchquerten
+den Kongostrom und legten bald bei einem kleinen Fußpfade, der in den
+Urwald führte, an. Vier Mann ließ ich zur Bewachung der Boote zurück.
+Mit dem übrigen Personal, das mit Waren und meinen Reiserequisiten
+beladen war, machte ich mich auf den Weg nach dem Dorfe Kisui, zwei
+Marschstunden weit im Innern des Landes gelegen.
+
+Der erste Teil des Fußpfades führte durch hochstämmigen Urwald, in dem
+wir bald auf allen Vieren, meistens aber nur in gebückter Stellung
+vordringen konnten. Jeden Augenblick lagen Baumstämme quer über dem
+Weg, die ein Durchkommen behinderten. Bald kamen wir an einen breiten
+Bach, über den ein umgehauener Baum als Brücke diente. Der Stamm ohne
+Rinde war vom Morgentau und dem Passieren vieler bloßer Negerfüße glatt
+wie mit Seife beschmiert, so daß ich gleich nach den ersten Schritten
+ausglitt. Glücklicherweise fiel ich in die Hocke und konnte mich mit
+den Händen noch festhalten, andernfalls wäre ich in den reißenden, über
+Mannshöhe tiefen Bach gestürzt. Tausend Ängste hatte ich auszustehen,
+bis ich mit Hilfe meiner Leute endlich über die gefährliche Stelle
+hinwegkam. Der Neger, von Jugend auf gewöhnt, wie ein Eichhörnchen
+auf den Bäumen herumzuklettern und derartige Brücken zu passieren,
+balanciert auf bloßen Füßen auch mit schweren Lasten mit Leichtigkeit
+darüber hin. Wahrlich, man muß Seiltänzer und Akrobat sein, um im
+Urwald zu reisen. Über Untiefen, Schluchten und Morast hinweg hatten
+die Eingeborenen einfach Bäume gestürzt, deren im Schlamm versenkte
+Äste den schwankenden Brücken zur Stütze dienen. Je nach dem Fall der
+Bäume führte der auf diese Art improvisierte Steg bald bis zu sechs
+Meter ragender Höhe über den übelriechenden Schlamm, dann wieder in die
+Tiefe. Manchmal waren zwei Stämme so weit von einander entfernt, daß
+man nur im Sprung von einem zum anderen gelangen konnte, was für mich
+immer einen großen Zeitverlust und eine wahnsinnige Angst, das Ziel
+zu verfehlen und in den Morast zu stürzen, zur Folge hatte. Endlich
+hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen. Durch Maniok-, Reis-
+und Maispflanzungen führte unser Pfad ins Dorf Kisui, das ganz von
+Palisaden zum Schutze gegen räuberische Überfälle umgeben war.
+
+Die Nachricht von unserer Ankunft hatte sich im Dorfe bereits
+verbreitet, und der Sultan Kisui mit seinen Unterhäuptlingen und einer
+großen Anzahl von Leuten, die auf Blasinstrumenten, Pauken und Gongs
+ein ohrenbetäubendes Konzert veranstalteten, kamen uns entgegen, um
+mich im Triumphzug durch das ganze Dorf zu geleiten. Wir brauchten wohl
+eine halbe Stunde, um zum Hause meines Capitas, das in unmittelbarer
+Nähe des »Sultanpalastes« lag, zu gelangen. Auf dem Weg dahin hatten
+sich viele Männer, Frauen und Kinder angeschlossen, so daß ich bald den
+Mittelpunkt einer ungeheuren Menschenmenge bildete, die alle den neuen
+»Nfuma Ntanga« von Angesicht sehen wollten. Während ich den Kautschuk
+übernahm, die darauf entfallenden Auszahlungen veranlaßte und neue
+Abschlüsse für den nächsten Monat machte, hatte der Koch mein etwas
+verspätetes, jedoch um so reichlicheres Frühstück zubereitet, das ich
+jetzt in aller Eile verzehrte, da ich noch ein Dorf, zwei Marschstunden
+entfernt, zu besuchen hatte. Unter die Zuschauer warf ich, von dem
+Quantum des gelieferten Kautschuks befriedigt, eine Menge kleiner
+Metallspiegel, Schellen, Arm- und Beinringe, Zündhölzchen, Perlen,
+Metallöffel usw., worüber ungeheurer Jubel ausbrach.
+
+Gestärkt durch die Rastpause, brach ich gegen Mittag wieder auf. In
+der Nähe des Dorfes hatten die Eingeborenen den Wald gefällt, um für
+neue Pflanzungen Raum zu gewinnen. Auf tausend Meter im Umkreis lag im
+wilden Chaos alles Strauchwerk auf- und übereinander. Von Weg oder Steg
+war keine Spur zu sehen, die umgestürzten Stämme und das niedergelegte
+Unterholz hatten alle Anzeichen davon unter sich begraben. Aufs
+geratewohl liefen und kletterten wir in der bisherigen Marschrichtung
+über Äste und Zweige weiter, über tausendjährige Baumriesen, deren
+Stamm oft einen Durchmesser bis zu zwei Meter hatte, dahin. Dabei
+brannten die Sonnenstrahlen unbarmherzig auf uns herab, als wollten
+sie sich durch den Tropenhelm bis ins Hirn bohren. Ein Marsch unter
+diesen Verhältnissen ist wie geschaffen, um den stärksten Mann zu
+erschöpfen und ins Grab zu bringen. Immer und immer wieder drohten
+die Kräfte, in der ungeheuren Sonnenglut zu versagen. Wenn ich aber
+verzagend innehalten wollte, fiel mein Blick auf die Träger, die trotz
+ihrer schweren, sie in ihren Bewegungen hindernden Last von Baum zu
+Baum mühsam weiterkletterten, und eine innere Stimme spornte mich immer
+wieder zu neuen Kraftanstrengungen an. Ich durfte nicht schwach werden,
+ich mußte vorwärts eilen -- was würde sonst mein Personal von mir
+denken? Also vorwärts zum schützenden Laubdach. Völlig erschöpft von
+den Strapazen langten wir endlich im Walde an. Wie wohl tat die kühle
+Luft im Schatten der Baumriesen. Mechanisch ging ich weiter. Diese
+kurze Kletterei in glühender Sonnenhitze hatte mich derart mitgenommen,
+daß ich den ganzen Rest des Weges wie im Schlafe hinter Mustapha
+herlief. Von Zeit zu Zeit stolperte ich über etwas und fiel der Länge
+nach zu Boden, wodurch ich immer wieder für einige Minuten wach wurde.
+Mustapha war auf meinen Zustand aufmerksam geworden und blieb bei jedem
+Hindernis stehen, um mich sorgsam hinüberzuleiten.
+
+Dem Zusammenbruch nahe, kam ich gegen 2 Uhr nachmittags in Tombako an.
+Mustapha hatte für mich einen kleinen Bach entdeckt, in dem ich den
+erschlafften Körper durch ein Bad erfrischen konnte. Was kümmerten mich
+die vielen Augenpaare, die hinter jedem Busch neugierig hervorlugten,
+um sich an dem ungewohnten Anblick meiner weißen Haut zu ergötzen.
+Nachdem meine beiden Boys mich von Kopf bis zu den Füßen in dem
+Lebensquell gewaschen, geduscht und wieder angekleidet hatten, war ich
+wieder so weit hergestellt, um an die Arbeit gehen zu können.
+
+[Illustration: Dorfbild.]
+
+Wie in Kisui nahm ich auch hier den gesammelten Kautschuk entgegen
+und wechselte den Capita aus. Vor dessen Haus hatten die Dorfbewohner
+in Ermangelung von Schattenbäumen ein durch vier Pfosten gestütztes
+Dach zum Schutz gegen Sonne und Regen hergerichtet. Darunter fand
+ich, vom Bade zurückgekehrt, bereits einen gedeckten Tisch und meinen
+Streckstuhl vor. Der Raum ringsumher war mit erregt gestikulierenden
+und schreienden Bassengis beiderlei Geschlechts angefüllt, deren mit
+Palmöl und Rotholzpulver beschmierte Körper eine schweißdurchtränkte,
+übelriechende Atmosphäre verbreiteten. Nachdem die Unterhandlungen mit
+dem Häuptling zu befriedigendem Abschluß gebracht waren, ließ ich von
+meiner Eskorte den Platz von den vielen Menschen säubern, um für kurze
+Zeit Ruhe zu haben. Vorher verteilte ich unter mein Personal noch eine
+Extrafleischration von zwei Ziegen, Geschenk des Häuptlings, die sofort
+geschlachtet worden waren, etwa fünf Liter frischen Palmweines und
+reichlich »Bidia-Polenta«, die das Dorf gespendet hatte.
+
+Gegen vier Uhr nachmittags konnte ich mein Mittagmahl, aus gebackenen
+kleinen Fischen, einer Dose Hummer und einem gebratenen Huhn bestehend,
+einnehmen und mußte jetzt an die Rückkehr denken, um vor Anbruch
+der Nacht ans Flußufer zu gelangen. Der Häuptling des Dorfes gab
+uns ein Stück Weges das Geleit und führte uns an Stellen vorbei,
+wo im vergangenen Kriege zwischen Kisui und Tombako die früheren
+Häuptlinge der beiden Dörfer gefallen waren. An diesen Stellen haben
+die Eingeborenen eine Lanze in die Erde gesteckt. Jeder Vorbeigehende
+nimmt ein Blatt, bläst es an, um den bösen Geist, der darauf sitzt, zu
+vertreiben, und steckt es auf die Lanze oder wirft es auf ein Häufchen
+daneben. Begräbnisstellen, selbst für die Häuptlinge, existieren in
+dieser Gegend nicht, da die Eingeborenen ihre Leichen in den Fluß
+werfen.
+
+Zum Rückweg benutzten wir einen Richtweg, der etwas unterhalb des
+Morastes an das Flußufer führt. Auf dem ursprünglichen Weg hatte ich
+einen Eilboten mit dem Befehl an die beiden zurückgebliebenen Kanus
+gesandt, weiter stromabwärts bis zur Einmündung des Fußpfades zu
+rudern. Bei Anbruch der Nacht gelangten wir an das Flußufer, und da
+weit und breit kein Fischerdorf vorhanden war und der dichte Urwald
+nirgends eine Lagerstelle zum Übernachten bot, ließ ich die beiden
+Boote auf eine inmitten des Stromes gelegene Sandbank hinüberrudern, um
+dort zu übernachten.
+
+Der dichte Sternenhimmel über uns ließ eine schöne, windstille Nacht
+erhoffen, zumal Sandbänke bekanntlich von Moskitos, die mit Vorliebe
+Grasflächen und das Laubwerk des Flußufers aufsuchen, verschont bleiben
+und wir die Gefahr eines Überfalls von Leoparden nicht zu fürchten
+hatten. Der untere Teil der Insel war zwar bewaldet, doch meidet der
+Leopard, wie alle Katzenarten, das Wasser, und es war nicht anzunehmen,
+daß die kleine Insel derartiges Raubzeug ernähren konnte.
+
+Während ein Teil des Personals mit Haumessern in das kleine Wäldchen
+eindrang, um trockenes Holz für die Lagerfeuer heranzubringen,
+hatten die Boys aus dem Kanu meinen tragbaren Feldtisch, Streck-
+und Klappstuhl auf die Sandbank gebracht, so daß ich eine halbe
+Stunde später bereits vor meinem gewohnten Aperitif, meist bestehend
+entweder aus Portwein, Amer-Pikon, Absinth oder einer halben Flasche
+Champagner, saß. Es ist überflüssig zu erwähnen, daß nach derartigen
+Gewaltmärschen stets die Unterwäsche und Kleidung, die völlig durchnäßt
+ist, gewechselt werden muß. Abends empfiehlt es sich überdies, einen
+leichten Überrock umzunehmen, da die Nächte kühl und der Körper infolge
+der großen Hitze tagsüber empfindlich geworden ist.
+
+Die Nacht war inzwischen völlig hereingebrochen, eine ideale tropische
+Nacht, hell erleuchtet von dem langsam am Horizont aufsteigenden
+Vollmond und Tausenden von Sternen, die in der klaren Luft einen
+strahlenden Glanz entfalten, wie wir ihn in unserer durch Rauch und
+Ruß geschwärzten Großstadtatmosphäre niemals sehen. Infolge der
+reinen Luft scheint uns der Himmel viel näher gerückt zu sein, und
+unwillkürlich spannen sich die Fäden meiner Gedanken hinauf zu jenen
+leuchtenden Gestirnen am Firmament, die in unberechenbaren Abständen
+im ungeheuren Weltall gleich unserer Erde ihre eigenen Bahnen ziehen.
+Und ich versank in Sinnen über das ungelöste Problem, wie wohl jene
+Macht beschaffen sein könnte, die dem Weltall ihre Gesetze diktiert.
+In diesen Stunden des In-mich-Gehens lernte ich erkennen, wie
+hinfällig alle jene Ansprüche sind, die der Mensch im egoistischen
+Selbstherrlichkeitsgefühl für sich aufstellt und die er ohne weiteres
+ungezählten Lebewesen abspricht, deren Lebensbedingungen genau dem
+gleichen Ursprung entstammen und den gleichen Gesetzen unterworfen sind.
+
+Meine Leute hatten unweit der Landungsstelle große Feuer angezündet, an
+denen sie, in Gruppen auf Matten, die ihnen als Schlafstätte dienten,
+lagen und die Tagesereignisse diskutierten. In Ermangelung eines Zeltes
+zum Schutze gegen den bei Morgengrauen fallenden Tau hatten meine
+Diener mein Feldbett im Kanu unter dem Schutzdach aufgeschlagen, und,
+ermüdet von den Anstrengungen des Tages, begab ich mich alsbald zur
+Ruhe.
+
+Ich mochte ein paar Stunden in tiefem Schlummer gelegen haben, als
+ich plötzlich durch einen ungeheuren Schlag, der das Boot fast zum
+Umschlagen brachte, aus dem Schlaf geschreckt wurde. Das Nächste,
+was mein entsetztes Auge wahrnehmen konnte, waren der Riesenleib und
+der ungeschlachte Kopf eines kolossalen Nilpferdes, das am Fußende
+meines Bootes, über das Boot gebeugt, stand und neugierig alles
+beschnüffelte. Ich war vor Schrecken an allen Gliedern gelähmt -- der
+Angstschweiß perlte mir von der Stirn.
+
+Hatte ich beim jähen Erwachen irgendeine brüske Bewegung gemacht,
+die das Tier erschreckte, oder hatte es den Menschen -- seinen Feind
+-- gewittert, kurzum, es wandte mir den unförmlichen Riesenschädel
+zu, blies ärgerlich durch die ungeheuren Nüstern einen gewaltigen
+Sprühregen von Schleim, öffnete den riesigen Rachen und stieß ein
+tiefdröhnendes Gebrüll aus, so daß mir das Blut in den Adern erstarrte.
+In diesem Moment wurde es lebendig auf der Sandbank. Die Wachen, aus
+dem Schlaf geschreckt, eilten herbei -- und pang, pang, pang, erfolgte
+Schuß auf Schuß, wodurch sich meine Situation nur noch unbehaglicher
+gestaltete, da die Leute im ersten Schrecken erfahrungsgemäß nie etwas
+zu treffen pflegen und ich Gefahr lief, von der einen oder anderen
+Kugel getroffen zu werden.
+
+Das Nilpferd war über diesen unerwarteten Empfang wahrscheinlich
+ebensosehr erschrocken wie ich kurz zuvor. Mit einem Satz verschwand
+es in das tiefe Wasser, und ich beeilte mich, sobald die Schießerei
+aufgehört hatte, mit einem Sprung auf die Sandbank zu gelangen. Konnten
+wir wissen, ob das vielleicht verwundete Tier nicht in rasendem Schmerz
+sich auf das Boot stürzen und es zermalmen würde? Einige Sekunden
+bangen Wartens, während der ich der zunächststehenden Wache das Gewehr
+entrissen und mich feuerbereit gemacht hatte, vergingen, dann tauchte
+das Tier auf etwa zehn Meter Distanz für einen Augenblick auf. Gleich
+krachten unsere Gewehre, und sofort verschwand es wieder. War auch die
+Nacht so klar, daß man auf der Sandbank jeden Menschen auf hundert
+Meter Entfernung hätte aufs Korn nehmen können, so konnte von einem
+regelrechten Ziel auf der dunkeln oder vom Mondschein glitzernden
+Wasserfläche keine Rede sein. Wir gaben daher das Schießen bald als
+unnütze Munitionsverschwendung auf.
+
+Nach diesem aufregenden Erlebnis hatte ich natürlich keine Lust mehr,
+meine unterbrochene Nachtruhe im Boote fortzusetzen, obgleich ich mir
+sagen mußte, daß uns nach der vielen Schießerei sicherlich nichts
+mehr behelligen würde. Ich ließ daher mein Bett auf die Sandbank
+bringen. Dieser nächtliche Besuch war für uns alle eine um so größere
+Überraschung, als wir bisher angenommen hatten, daß in diesem Teil
+des Flusses überhaupt keine Nilpferde vorkamen. Am folgenden Morgen
+bei Tagesanbruch hielten wir scharfe Umschau an allen Plätzen und
+Sandbänken, die Nilpferde mit Vorliebe aufzusuchen pflegen, doch das
+Tier war und blieb verschwunden. Sicherlich hatten wir es mit einem
+alten, erfahrenen Einsiedler zu tun gehabt, der tagsüber das befahrene
+Fahrwasser meidet und an einer abseits gelegenen, völlig unzugänglichen
+Flußstelle ein beschauliches Dasein führte.
+
+Wieder fuhren wir eine Strecke stromabwärts, bis wir an einen
+kleinen Flußpfad kamen, der zu den im Innern des Landes gelegenen
+Dörfern führte. Diese Pfade sind derart angelegt, daß sie von den
+vorbeifahrenden Dampfern und Booten aus völlig unsichtbar sind und nur
+dank der Lokalkenntnis meiner Capitas, die zu wiederholten Malen die
+Dörfer besucht haben, entdeckt werden konnten.
+
+[Illustration: Arbeiterfrauen vor einer Hütte.]
+
+Wie schon aus meinen früheren Schilderungen ersichtlich, sind die
+scheuen Eingeborenen stets darauf bedacht, ihre Dörfer derart im
+Urwald anzulegen, daß sie alle Vorgänge durch Späher aus der Ferne
+beobachten, selbst jedoch nicht entdeckt werden können. Hat ein Dorf
+sich irgend etwas zuschulden kommen lassen und fürchtet es die Rache
+seiner Nachbarn oder der Europäer, dann übersiedelt es einfach mit den
+tragbaren Hütten einige Stunden landeinwärts an völlig unzugängliche
+Stellen und sucht den Gegner durch Irrwege, die in den Morast führen
+oder plötzlich im Urwalde aufhören, irrezuführen.
+
+Wie am vorhergehenden Tag hatten wir auch heute wieder während des
+Marsches mit Widerwärtigkeiten aller Art zu kämpfen. Ein tiefer Morast
+hemmte bald unseren Vormarsch in den Urwald. Zu seiner Durchquerung
+hatten die leichtfüßigen Eingeborenen überall dünne Bäume umgeschlagen,
+um einen gangbaren Weg zu schaffen. Die Stämmchen erwiesen sich aber
+für das Gewicht einer Last, d. h. einer Kiste, die von zwei Mann an
+einer Stange auf den Schultern getragen wird, also etwa für 180 bis
+200 Kilogramm, als zu schwach. Die Folge davon war, daß verschiedene
+meiner Leute mit der Traglast zusammenbrachen und sich beim Sturze
+Verletzungen an den Füßen und bloßen Körperteilen zuzogen, die dann
+schwer zuheilten. Überdies verloren wir viel Zeit mit der Anbahnung
+einer neuen Marschroute. Was wir an diesem Tage an Strapazen
+durchzumachen hatten, läßt sich in Worten nicht wiedergeben. Durch dick
+und dünn, bald auf allen vieren, dann wieder gebückt, durch niederes
+Gestrüpp von Pandanus (einer Art Stachelpalme, die im Morast oder an
+Flußläufen wächst) führte ein kaum erkennbarer Fußpfad zu dem ungefähr
+eine Wegstunde vom früheren Standplatz des Dorfes gelegenen neuen Dorfe
+Lungulungu. Angeblich mußte der alte Ort wegen zunehmender Verseuchung
+im Stich gelassen werden.
+
+Hier, wie in den früheren Dörfern, nahm ich den gesammelten Kautschuk
+in Empfang, wechselte den Capita aus und ließ, nachdem ich an den
+Häuptling Lungulungu und die im Kreise versammelten Eingeborenen
+reichliche Geschenke ausgeteilt hatte, einen neuen Vorrat an Waren
+zurück.
+
+Ich hatte soeben mein Mittagsmahl vollendet, als der frühere Capita
+zwei Unterhäuptlinge des Dorfes vor mich brachte, die Streit
+miteinander führten und sich dem Urteil Lungulungus nicht unterwerfen
+wollten. Da dieser Streit zweier ebenbürtiger Gegner, von denen jeder
+einen mächtigen Anhang hinter sich hatte, zu einer Spaltung des Dorfes
+und zu Blutvergießen führen konnte, nahm ich das verantwortungsvolle
+Amt eines Schiedsrichters erst an, nachdem beide vorher feierlich
+erklärt hatten, sich meinem Schiedspruch fügen zu wollen. Mabruki
+und Alsala entstammten einer weitverzweigten Patrizierfamilie, die
+seit Menschengedenken viele tapfere Krieger hervorgebracht und dank
+mutiger, räuberischer Überfälle auf schwächere Nachbardörfer ihre Macht
+durch erbeutete Sklaven immer mehr vergrößert hatte. Beide verfügten
+im Rat des Dorfes, teils durch Überlieferung, teils durch ihren
+Anhang, über eine einflußreiche Stimme. Bis vor kurzem waren Mabruki
+und Alsala innige Freunde, so daß Alsala bei der Verheiratung seiner
+Schwester mit Mabruki ihr zwei Sklavinnen mit in die Ehe gab. Nun war
+die Schwester einige Monate nach der Heirat plötzlich aus unbekannten
+Gründen verschieden, und Alsala behauptete, Mabruki hätte sie verhext
+und wäre an ihrem Tode schuld. Alsala fürchtete auch, daß Mabruki die
+beiden Sklavinnen ebenfalls verhexen würde, und forderte diese zurück.
+Nun hatten letztere sich vor einiger Zeit beim Holzsuchen im Walde zu
+weit entfernt und waren dabei in die Gefangenschaft eines am Flußufer
+gelegenen Fischerdorfes geraten. Mabruki mußte für deren Auslieferung
+sechzig Shokkas (Eisenstücke, die zu Pfeilspitzen verarbeitet werden)
+bezahlen, was ungefähr den Wert von dreißig Frank repräsentiert. Alsala
+wollte diesen Preis nicht zahlen, sondern forderte die unverzügliche
+Rückgabe der beiden, seiner Schwester freiwillig überlassenen
+Sklavinnen, worüber sich heftiger Streit und Feindschaft auf Leben und
+Tod zwischen den beiden Parteien entwickelt hatte.
+
+Man würde allgemein annehmen, daß der auf das Recht des Stärkeren
+pochende unzivilisierte Wilde nicht imstande sei, einen Prozeß klar
+durchzuführen und nachzuweisen, daß das Recht auf seiner Seite ist.
+Dem ist nicht so -- gerade das Gegenteil trifft zu. Die meisten Neger
+sind hervorragende Redner und sowohl im Angriff als in der Abwehr
+äußerst findige Advokaten, die es glänzend verstehen, durch geschickte
+Argumente den Schein des Rechtes auf ihre Seite zu bringen.
+
+Gewöhnlich beginnt das Plädoyer damit, daß der Redner die Ruhmestaten
+oder die soziale Stellung seiner Vorväter hervorhebt und dann
+die Lichtpunkte seiner eigenen Vergangenheit zur Geltung bringt,
+gewissermaßen, um den Richter für sich einzunehmen. Einmal im
+Redeschwall, gefällt er sich sichtlich darin, das Zentrum gespannter
+Aufmerksamkeit zu sein, und seine lebhafte Phantasie führt alles
+mögliche aus dem Vorleben des Gegners an, was diesen im öffentlichen
+Ansehen schädigen könnte. Sein Hauptbestreben geht dahin, Sensation zu
+machen und den Widersacher durch erfundene Geschichten bloßzustellen.
+Kommt er endlich nach mancherlei Abschweifungen an die eigentliche
+Streitfrage, dann beleuchtet er aufs genaueste alle Einzelheiten, die
+für ihn sprechen. Solche Prozesse sind immer langwierig und dauern,
+wenn man den Gegenstand nicht gewaltsam abkürzt, oft tagelang. Kaum
+hat der eine der beiden Gegner geendet, so beginnt der andere bereits
+wieder.
+
+Nach zweistündigem Palaver gelang es mir, die vorliegende Streitfrage
+in einem den Sitten und Rechtsanschauungen der Eingeborenen
+entsprechenden Sinne zu erledigen. Alsala mußte die sechzig Shokkas
+zahlen und erhielt dagegen die zwei Frauen zurück. Auch suchte ich ihm
+plausibel zu machen, daß Mabruki die Frau nicht verhext habe, da aus
+den Zeugenaussagen der beiden Sklavinnen und der anderen Einwohner
+hervorging, daß die Eheleute im besten Einvernehmen miteinander gelebt
+hätten. Die Frau war irgendeiner Krankheit zum Opfer gefallen. Es ist
+unnötig, zu erwähnen, daß ich mit diesem Argument keinen Erfolg hatte.
+Alsala war nach wie vor überzeugt, daß ein »=Nkischi=« seiner
+Schwester das Lebenslicht ausgeblasen hatte.
+
+Ein beschwerlicher Marsch brachte uns an das Flußufer zurück, von wo
+aus wir uns direkt nach dem Staatsposten »Romée« einschifften. Ich war
+glücklich, nach zweimaligem Übernachten im Busch endlich wieder ein
+komfortables Zimmer und die Gesellschaft von Europäern vorzufinden.
+Seit zwei Tagen hatte ich mich oftmals fragen müssen, ob ich eigentlich
+zu den Vierfüßlern oder zu den Menschen gehöre. Romée wird von zwei
+Ökonomiebeamten verwaltet und umfaßt ausgedehnte Plantagen von
+Kaffee-, Kakao-, Kautschukbäumen und Lianen. Als Arbeiter werden die
+Sträflingskolonnen der =Province orientale= herangezogen.
+
+Körperlich und geistig neugestärkt verließ ich am folgenden Morgen die
+Station, um meine Werbetätigkeit in den Negerdörfern fortzusetzen. Ich
+besuchte die Dörfer Turumbo, Mokotantefu und Lulanga, in welchen ich
+wie bisher Waren, Geschenke und Capitas zurückließ, und übernachtete am
+folgenden Tage in einem am Flusse gelegenen kleinen Staatsposten, der
+von einem schwarzen Korporal kommandiert wurde.
+
+Unsere Reiseroute weiter stromabwärts verfolgend, gelangten wir endlich
+nach Janongo, welches Dorf die unschuldige Veranlassung zu Janssens
+Tod gewesen ist. Der Häuptling Janongo war von seinen Wunden völlig
+wiederhergestellt, und die Kunde von der gerichtlichen Untersuchung
+war bis zu dem unweit gelegenen Staatsposten durchgedrungen, so daß
+das Dorf von weiteren Besuchen verschont blieb. Von Janongo geleitet,
+besuchte ich fünf Dörfer, die unter seiner Herrschaft standen, und
+nahm einen der Unterhäuptlinge, dessen Dorf sich gegen Janongo
+aufgelehnt und das versprochene Quantum Kautschuk nicht angefertigt
+hatte, gefangen mit mir. Ich ließ ihn in Ketten legen und den daraufhin
+geflüchteten Einwohnern mitteilen, daß ihr Häuptling so lange in
+Stanleyville in der Gefangenschaft bliebe, bis sie sich Janongo
+unterworfen und den Kautschuk abgeliefert hätten. Beim Besuch der
+Dörfer hatte ich Gelegenheit, zu konstatieren, daß dank unserem raschen
+Vorgehen und dem sofortigen Eingreifen des Distriktskommissars unser
+Ansehen in Janongo nicht nur nicht gelitten, sondern sogar bedeutend
+gestärkt worden war. Überdies benutzte ich die Gelegenheit, um
+Janongo ein Geschenk zu überreichen, welches ihn für alle erlittenen
+Demütigungen aufs reichlichste entschädigte.
+
+Bei einbrechender Nacht an das Flußufer zurückgekehrt, ließ ich meine
+Leute bis zum nächstgelegenen Fischerdorf rudern, um daselbst zu
+übernachten. Eine größere Hütte, groß genug, um mein Feldbett darin
+unterzubringen, war bald gefunden. Beim Ausräumen derselben stürzten
+plötzlich meine Leute mit dem Schrei »=Nioka=« heraus, und
+Mustapha erklärte mir, daß man auf eine armdicke gehörnte Viper, eine
+der schönsten und giftigsten Schlangen Zentralafrikas, gestoßen sei.
+Da es schon lange mein Wunsch war, ein tadelloses Exemplar dieser
+Schlangenart zu konservieren, verbot ich meinen Leuten, sie zu töten
+und begab mich selbst mit einem in aller Eile herbeigeschafften
+Bambusstock, an dessen oberem Ende mittels »=Koddi=« (Liane)
+eine Schlinge befestigt war, die sich zuziehen ließ, in die Hütte.
+Meine Befürchtung, daß das Tier inzwischen entwichen oder in eines
+der Rattenlöcher verschwunden war, erwies sich glücklicherweise als
+grundlos, die Schlange lag zusammengerollt in einem Winkel der Hütte.
+Mein Bambusstock war lang genug, um mich selbst im ungünstigsten Falle
+vor einem direkten Angriff des Tieres zu schützen. Mit pochendem Herzen
+näherte ich jetzt die Stockspitze dem Kopfe der Schlange, als diese
+sich plötzlich unter Pfauchen wie eine Katze blitzschnell erhob und
+ihre giftigen Fänge mehrmals schnell hintereinander mit hörbarem Ticken
+in das Holz einschlug. Als sie sich schließlich, die Nutzlosigkeit
+weiterer Bisse einsehend, einen Augenblick ruhig verhielt, gelang es
+mir, ihr die Schlinge um den Hals zu werfen und diese mit kräftigem
+Ruck zuzuziehen. Mit großer Gewalt ringelte das gefangene Tier sich nun
+um den weit vorgehaltenen Stock und versuchte sich loszureißen, so daß
+die kurze Schwanzspitze bis nahe zu den Händen herunterreichte. Doch
+die Liane war kräftig, und die Schlinge zog sich immer enger um den
+zusammengeschnürten Hals. Ich war mit der gefährlichen, kostbaren Last
+schleunigst aus der Hütte geeilt, um im Falle eines Loskommens oder
+Durchbeißens der Liane meine volle Bewegungsfreiheit zu haben.
+
+Meine Boys hatten einstweilen eine entleerte Mehlbüchse aus Blech
+zur Hälfte mit Alkohol, Formalin und etwas Wasser gefüllt. In diese
+konservierende Flüssigkeit warfen wir nun die halberwürgte Schlange und
+schlossen den Deckel, nachdem wir noch eben vorher die um den Hals des
+Tieres liegende Schlinge durchschnitten hatten.
+
+Durch dieses Ereignis wurde mein Nachtmahl verzögert, so daß ich
+ziemlich spät mein Lager aufsuchte. Ich mochte bereits einige Stunden
+geschlafen haben, als ich plötzlich gegen Mitternacht durch das Dröhnen
+eines Gongs und ein markerschütterndes Geschrei geweckt wurde. Im
+ersten Moment glaubte ich an den Überfall eines benachbarten Dorfes.
+Schon wollte ich mich erheben, als eine der Wachen mir den Vorfall
+erzählte. Ein Eilbote von »Mbula Matadi«, der Soldat Fundi, war in
+einem Kanu angekommen und wollte neue Ruderer haben. Natürlich wollte
+keiner der Eingeborenen sein warmes Lager verlassen und für einen
+Schwarzen bei stockfinsterer Nacht weiß Gott wohin rudern. Doch der
+Kerl hatte den Häuptling gepackt, aus der Hütte gezerrt und brüllte wie
+ein Besessener, daß er das ganze Dorf in Brand stecken würde. Der Lärm
+hielt eine halbe Stunde an, bis der Soldat die nötige Anzahl Ruderer
+beisammen hatte. Verschiedentlich kam die Versuchung über mich, dem
+Spektakel ein Ende zu machen, indem ich den schwarzen Soldaten wegen
+nächtlicher Ruhestörung einfach in Ketten legen ließ. Doch der Gedanke,
+daß der Mann vielleicht Träger wichtiger Briefe war, hielt mich
+glücklicherweise davon zurück. Wer weiß, was für Unannehmlichkeiten für
+mich daraus hätten erwachsen können.
+
+Einmal durch den Lärm geweckt, konnte ich sobald nicht wieder
+einschlafen. Ratten und Mäuse hetzten in wilder Hast am Boden der Hütte
+umher und nagten und spielten mit meinen Schuhen. Dann wieder erklang
+das langgezogene Geheul einer Hyäne durch die tiefe Stille der Nacht.
+Meine Gedanken schweiften unwillkürlich nach Stanleyville zurück. In
+welchem Zustande würde ich die Faktorei bei meiner Rückkehr vorfinden?
+
+Bei Tagesanbruch, noch vor dem ersten Hahnenschrei, ließ ich das Dorf
+und meine Arbeiter durch den Gong alarmieren. Eine nervöse Unruhe war
+über mich gekommen. Ich wollte die restlichen Dörfer Jasuko, Komango
+und Yombo in aller Eile noch besuchen und dann sofort die Heimkehr
+antreten. Unter dem gleichmäßigen Schlag der Ruderer ging unsere Fahrt
+weiter stromabwärts dem Endziel unserer Reise zu. Als nach einer
+Stunde die Sonne ihre ersten Strahlen schräg über die Baumwipfel auf
+die Wasserfläche sandte und ich in kurzer Reihenfolge einen großen
+grauen Reiher und zwei Wildgänse erlegt hatte, da legte sich die innere
+Unruhe. Schließlich bog unser Kanu in eine kleine Ausbuchtung des
+Flusses ein und war kurz darauf unter dem Schatten des überhängenden
+Laubdaches, vom Strom aus völlig unsichtbar, an der Mündung eines
+kleinen Baches gelandet.
+
+Nichts deutete darauf hin, daß irgendein Fußpfad hier ins Innere des
+Landes führte. Von einem meiner kräftigsten Männer auf den Rücken
+genommen, wurde ich im Bach wohl eine Viertelstunde lang getragen, bis
+endlich ein kleiner Pfad zum Vorschein kam und ich auf trockenen Boden
+gesetzt wurde. Eine Stunde später waren wir im Dorfe Jasuko angelangt,
+und ich hielt hier kurze Rast, um zu frühstücken und meinen Leuten
+Gelegenheit zu geben, das gleiche zu tun. Der Häuptling war soeben für
+einige Minuten verschwunden, als plötzlich im Dorfe ein ungeheurer
+Tumult entstand. Die Eingeborenen in der Nähe stürzten in ihre Hütten
+und kamen, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wieder heraus. Das Schreien
+und Rufen, das Durcheinanderlaufen von bewaffneten Männern, die alle in
+der gleichen Richtung verschwanden, verbreitete sofort eine wilde Panik
+um mich her.
+
+Ein Teil meiner Träger ergriff die Flucht, die Traglasten mitten im
+Wege liegen lassend. Ich aber stürzte zu meinem Gewehr, meine Boys
+und die Eskorte taten dasselbe. Wir waren entschlossen, unser Leben
+so teuer wie möglich zu verkaufen. Was war geschehen? Hatte ein Teil
+meiner Arbeiter mit den Eingeborenen Streit angefangen, und war es
+zum Schlagen gekommen? So schnell uns unsere Füße tragen konnten,
+eilten wir den davonstürzenden Eingeborenen nach, um womöglich noch
+rechtzeitig einzuschreiten und unnützes Blutvergießen zu vermeiden.
+Am Ende des Dorfes angelangt, erblickten wir eine erregte Volksmenge,
+darunter einige meiner Arbeiter, unschlüssig um den Häuptling gruppiert.
+
+Was war der Grund der allgemeinen Aufregung? Ein Leopard hatte
+wenige Minuten vorher einen erwachsenen Mann des Dorfes in dessen
+unmittelbarer Nähe und vor den Augen seiner Begleiter weggezerrt
+und war mit ihm im Walde verschwunden. Das Rufen und Klagegeheul des
+Überfallenen war noch eine Zeitlang hörbar gewesen -- dann war alles
+verstummt. Unschlüssig berieten nun die feigen Kerle, wer von ihnen der
+Erste sein sollte, dem Tier zu folgen und ihm womöglich die Beute zu
+entreißen.
+
+Hier war für mich eine glänzende Gelegenheit zu einer Leopardenjagd
+gegeben. Mein dunkler Khakianzug war wie geschaffen dafür. Von den
+Leuten erfuhr ich, daß ein Prachtexemplar eines Leoparden seit
+etwa einem Monat ihr Dorf heimsuchte und regelmäßig jeden Tag ein
+Menschenopfer, bald eine Frau, bald einen Mann oder ein Kind, manchmal
+mitten im Dorfe, anfalle und wegschleppe. Die verfolgenden Leute sei er
+einmal aus dem Dickicht heraus angesprungen, habe einem Manne mit den
+Pranken den Bauch aufgerissen und sei darauf verschwunden, noch ehe die
+bestürzten Begleiter Zeit gehabt hätten, auf ihn zu schießen. Daher ihr
+Zaudern.
+
+Ich versprach dem Häuptling zu bleiben und den Leoparden zu töten.
+Dagegen mußte mir das Dorf geloben, den ganzen Tag über ruhig zu
+bleiben und den Teil des Waldes nicht zu betreten, in welchen der
+Leopard sein Opfer geschleppt hatte. Von einem verläßlichen Mann
+meiner Eskorte begleitet, machte ich mich sogleich an die Verfolgung
+des Raubtieres. Die Spur, die der Leopard hinterließ, war deutlich
+an geknickten Zweigen und der Blutspur seines Opfers auf dem Boden
+und den Blättern der Sträucher erkennbar. Wir eilten, so schnell
+wir den Umständen nach laufen konnten, in der Hoffnung, vielleicht
+den Mann noch retten zu können, dem frechen Räuber nach. Doch
+alle Mühe war vergeblich. Wir fanden nur mehr eine Leiche vor.
+Die linke Halsschlagader, ein Teil des Halses und die linke Brust
+waren vom Leoparden herausgerissen und gefressen worden. Das Zucken
+der Eingeweide und der noch warme Körper deuteten auf den kaum
+eingetretenen gewaltsamen Tod hin.
+
+Wir ließen den Toten in der gleichen Lage liegen, wie wir ihn
+vorgefunden hatten und erkletterten in der Annahme, daß das furchtlose
+Tier unbedingt zu seinem Opfer zurückkehren würde, einen in nächster
+Nähe befindlichen Baum. Dies geschah hauptsächlich, um dem Tier die
+Witterung zu benehmen. Aus demselben Grunde vermieden wir auch, den
+unteren Stamm des Baumes, auf dem wir uns befanden, zu berühren. Von
+der Schulter meines Begleiters aus konnte ich mich auf einen dicken Ast
+emporschwingen und den Mann nachziehen. Wir befanden uns etwa fünf
+Meter über dem Erdboden und waren durch das Laubdach des Unterholzes
+derart gedeckt, daß das anschleichende Tier uns unbedingt nicht sehen
+konnte. Mit der Flinte im Anschlag verhielten wir uns mäuschenstill und
+starrten bald auf den Leichnam unter uns, bald auf das undurchsichtige
+Unterholz, das uns mit seinem grünen Schutzwall umgab. Die ersten
+zwei Stunden verliefen verhältnismäßig erträglich. Ich war durch die
+Vorgänge furchtbar aufgebracht und mußte immer an meinen kleinen Boy
+denken, den ein gleiches Schicksal erreicht hatte, und dessen Rächer
+ich voraussichtlich werden würde. Denn das stand fest für mich, ich
+würde meinen Posten vor einbrechender Nacht, das heißt, solange
+genügend Licht zum Schießen vorhanden war, nicht verlassen, mochte
+kommen, was da wollte. Außer meinem fünfschüssigen Mauser, der mit
+Dum-Dum-Kugeln geladen war, trug ich meinen sechsschüssigen, schweren
+Armeerevolver im Gürtel. Damit war ich jedem Feind gewachsen, und meine
+Eskorte Mukenge verließ mich nicht, dessen war ich ganz sicher.
+
+Es wurde 1 Uhr mittag, es wurde 2 Uhr, und immer rührte sich noch
+nichts. Die Glieder fingen an, vom Sitzen auf demselben Fleck zu
+schmerzen. Der Magen forderte sein Recht. Der Leichnam unter uns, auf
+den die Sonnenstrahlen herabbrannten, begann in Verwesung überzugehen
+und die ganze Umgebung zu verpesten. Tausende von Schmeißfliegen saßen
+in der geöffneten Brusthöhle und an den heraushängenden Därmen, sogen
+und fraßen sich voll und setzten sich dann auf uns, um den Schweiß
+von Stirne, Nacken und Armen gierig aufzusaugen. Unter möglichster
+Vermeidung jeglichen Geräusches veränderten wir unsere sitzende
+Position derart, daß wir es wieder einige Zeit aushalten konnten. Die
+Zeit der schwersten Prüfung, die Mittagshitze, wo Minuten wie nie
+endenwollende Stunden erscheinen, war herangekommen. Welcher Aufwand
+an Kraft und Energie, welche Willensstärke nötig sind, um in einer
+solchen Lage auszuhalten, davon kann nur der sich einen Begriff machen,
+der selbst ähnliches durchgemacht hat. Um meinen Geist gewaltsam
+mit irgend etwas zu beschäftigen, damit er nicht fortwährend an den
+knurrenden Magen und die schmerzenden Glieder dachte, zwang ich mich,
+alle heranfliegenden großen und kleinen Mistkäfer zu zählen, die sich
+auf den Leichnam setzten und nach einigem Herumwühlen im Innern der
+Bauchhöhle verschwanden. Ich glaube, es waren im ganzen elf große
+schwarze und siebzehn kleine farbige und schwarze Skarabäen, die sich
+bekanntlich als Totengräber an Leichen heranmachen und sie verzehren.
+
+Sooft ein Vogel im nahen Gebüsch sich regte, beim leisesten Windhauch,
+der durch die Blätter fuhr, vermeinten wir stets, des elenden Räubers
+ansichtig zu werden. Minute auf Minute bei drückender Schwüle
+vergingen. Es wurde 3 Uhr, es wurde 4 Uhr. Die Sonnenstrahlen fielen
+nunmehr schräg auf den in Fäulnis übergehenden Leichnam, dessen
+Verwesungsgeruch meine Geruchs- und Geschmacksnerven bis zur Übelkeit
+erregten. Bald würde der langersehnte Moment, die Dämmerung, eintreten,
+die das gefräßige Tier unbedingt zu seinem Opfer zurückbringen würde.
+Die Fliegenplage ließ merklich nach. Faul und dickgefressen, zu schwer,
+um bis zu uns emporzufliegen, blieben sie am Kadaver sitzen und
+stimmten ihr Summ- und Brummlied an.
+
+Langsam erwachte der Wald um uns aus seinem lethargischen
+Mittagsschlaf. Vögel hüpften von Ast zu Ast und betrachteten ganz
+zutraulich uns fremdartige Gäste. Eine Schar grauer Papageien hatte
+sich ganz in der Nähe auf einem Baum niedergelassen und pfiff und
+krächzte fröhlich mit den anderen Vögeln um die Wette. Mit Ausnahme
+des Leichnams unter uns deutete nichts auf die entsetzliche Tragödie
+hin, die sich hier am frühen Morgen abgespielt hatte. Von dem
+fürchterlichen Räuber war nichts vernehmbar; der Wald hatte sein
+friedliches, alltägliches Aussehen. Von der Seite her passierte eine
+Karawane zierlicher Äffchen in den Wipfeln der Bäume über uns. Mein
+Auge ergötzte sich an den possierlichen Tierchen, die gleich unseren
+europäischen Eichkätzchen gewandt von Ast zu Ast springen.
+
+Meine Glieder waren vom gebeugten Sitzen bereits derart erlahmt, daß
+sie mich kaum noch schmerzten. Mit der untergehenden Sonne und dem
+näherrückenden Zeitpunkt, an dem ich endlich den verhaßten Leopard vor
+dem Laufe meiner Flinte sehen würde, begann auch wieder eine gewisse
+Jagdleidenschaft in mir rege zu werden. Das bange und gleichzeitig
+freudige Gefühl der herannahenden Entscheidung ließ mich alle anderen
+Schmerzen, meinen hungernden Magen miteinbegriffen, vergessen.
+
+Langsam verschwand die Sonne als rotleuchtender Feuerball zwischen den
+Wipfeln der Bäume, die Dämmerung rückte heran. Angestrengt lauschten
+wir auf jedes verdächtige Geräusch. Da, unvermittelt das leichte
+Zurückschnellen eines Astes in einiger Entfernung -- darauf lange
+Minuten lautloser Stille. Dann wieder das Knistern eines kleinen
+Ästchens aus derselben Richtung -- wieder vergingen einige Minuten.
+Die Sonne war bereits ganz am Firmament verschwunden. Dann wieder das
+Zurückschnellen eines Zweiges. Jetzt konnten wir genau die Richtung
+bestimmen, aus der der Räuber auftauchen würde. Gewisse Anzeichen,
+wie das Innehalten der Lockrufe der Vögel aus der gleichen Richtung
+deuteten darauf hin, daß die große Katze im Anzug war. Mein Herz
+klopfte zum Zerspringen -- -- jetzt war der Moment gekommen, auf den
+wir den ganzen Tag geharrt hatten. Unwillkürlich reichte ich Mukenge
+bedeutungsvoll die Hand.
+
+Doch was war das? -- Plötzlich hörten wir von der entgegengesetzten
+Richtung gleichfalls ein Geräusch wie von einem anschleichenden
+Wesen. Sollten etwa zwei Räuber von entgegengesetzter Seite auf uns
+zukommen? Aus unserer ersten Schallrichtung vernahmen wir nichts mehr.
+Offenbar traute das Tier dem Frieden nicht recht, oder es hatte etwas
+gehört und wartete vorsichtig ab. Das Geräusch von der anderen, dem
+Dorfe zugekehrten Seite, wurde immer vernehmlicher. Zweige schnellten
+zurück, unaufhaltsam drang ein unbestimmtes Etwas in unserer Richtung
+vor. Immer näher kam das Verhängnis. Den Finger am Drücker, beide die
+Gewehre an der Backe, lauerten wir auf den Moment, wo der Kopf des
+Leoparden ansichtig wurde, um sofort Feuer zu geben. Zweige schlugen
+unter uns auseinander, ein Gemurmel wurde hörbar, und -- -- -- im
+Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, tauchten fünf Eingeborene unter
+der Führung ihres Häuptlings auf, um -- den Toten wegzuholen.
+
+Meine Bestürzung und Enttäuschung wiederzugeben, ist unmöglich. Also
+deshalb hatte ich den ganzen Tag gehungert, die unglaublichsten
+Schmerzen ausgehalten und den Verwesungsgeruch eingeatmet, damit
+im entscheidenden Moment mir der Preis verlorengehen sollte. Eine
+furchtbare Wut überfiel mich, und ich machte mir Luft, indem ich den
+verdutzten Negern von meinem Baum herunter eine Flut von Schimpfwörtern
+zudonnerte. Abgesehen davon, daß die Leute darauf bestanden, den
+Leichnam mitzunehmen, mußte ich wohl oder übel einsehen, daß nach den
+so unerwartet eingetretenen Ereignissen absolut keine Aussicht auf die
+Wiederkehr des Leoparden bestand. Der Abend und die Nacht, die ich im
+Dorfe zubrachte, waren mir gründlich verleidet.
+
+Am folgenden Morgen besuchte ich die letzten beiden Dörfer Yobi und
+Komango, teilte Stoffe und Geschenke wie in allen übrigen Dörfern
+aus und ließ auch hier einen Capita zurück. Dann trat ich endlich
+die Rückreise an, die ohne nennenswerte Begebenheit verlief und mich
+nach vierzehntägiger Abwesenheit gesund und trotz der überstandenen
+Strapazen gekräftigt nach Stanleyville in meine Faktorei zurückbrachte.
+
+
+
+
+ Einiges über die Gewinnung des Kautschuks.
+
+
+Es wird den Leser, der dem Verfasser bis hierher auf seinen
+abenteuerlichen Wegen durch den Urwald und bis in die entferntesten
+Negerdörfer gefolgt ist und das im Kongo übliche »System« des
+Kautschuksammelns kennengelernt hat, gewiß interessieren, etwas Näheres
+über die Gewinnung dieses wertvollen Naturproduktes zu erfahren.
+
+Bis vor wenigen Jahren galt als Hauptreichtum des Kongostaates die
+Ergiebigkeit seiner ungeheuren Wälder und Prärien an Kautschuk, jenem
+kostbaren Material, das bisher chemisch nicht zu ersetzen und für
+das mit der zunehmenden Verwendung zu technischen Zwecken ein kaum
+zu befriedigender Markt entstanden war. Mit dem Bau der Eisenbahn
+Matadi-Stanley-Pool, mit der fortschreitenden Erschließung des Landes,
+der Unterwerfung der blutdürstigen, wilden Negerstämme, die bisher
+ausschließlich vom Morden und Plündern der schwächeren Nachbarn gelebt
+hatten, mit ihrer Heranziehung zu friedlicher Feldarbeit und Ausbeutung
+der reichen Lianenbestände der Urwälder, die von der Kongomündung
+quer durch ganz Zentralafrika bis zum Indischen Ozean reichen, wurde
+von Belgiens größtem Herrscher, dem König Leopold, mit sicherem,
+zielbewußtem Blick ein Kulturwerk geschaffen, so groß und mächtig,
+wie er selbst es ursprünglich kaum geahnt hatte. Schwere finanzielle
+Opfer hat es erfordert, viel Blut ist auf beiden Seiten geflossen,
+bis der neugeschaffene Staat die sengend und plündernd herumziehenden
+unbotmäßigen Horden bezwingen und seine Grenzen gegen räuberische
+Einfälle mächtiger Sklavenjäger zu schützen vermochte.
+
+Der Lohn hierfür blieb nicht aus. Bald war bis in die entferntesten
+Dörfer des Urwaldes die Kunde gedrungen, daß der weiße Gott, der
+auf einem Feuerroß aus dem Meere aufgetaucht war und den Strom
+heraufgefahren kam, gegen den bisher nur zu »Gongschlägern«
+verfertigten Kautschuk prachtvolle Gewebe, glänzende Arm- und
+Beinspangen aus Messing, kurzum eine Menge nie gesehener Herrlichkeiten
+eintauschte, als sich alsobald hunderttausende fleißiger Hände an die
+Arbeit machten, den milchigen Saft der Lianen zu sammeln, zu Kugeln
+oder Platten zu formen und in die Stationen am großen Fluß zu bringen.
+Aus allen Teilen des Landes kam das kostbare, aber für die Eingeborenen
+fast wertlose Material. Immer mehr häuften sich die Vorräte, gleich
+dem Anschwellen einer Lawine. Die reiche Fracht füllte die Dampfer bis
+an Deck, wurde nach Antwerpen dirigiert und machte diesen Hafen bald
+zum zweitgrößten Kautschukmarkt der Welt. Dank der weisen Politik des
+klugen Königs, der durch Gewährung von Konzessionen Kapital ins Land
+zu bringen wußte, um all die ungeheuren Produktionsquellen voll zur
+Entfaltung bringen zu können, gediehen die unter Aufwand von vielen
+Millionen gegründeten Unternehmungen prächtig und entwickelten sich mit
+der Zeit zu großen Aktiengesellschaften, die ihren Gründern und ihrem
+Schöpfer alljährlich goldenen Gewinn eintrugen.
+
+[Illustration: Eingeborene bringen Kautschuk.]
+
+Kehren wir zurück zum Ursprung des Kautschuks und zu dessen Gewinnung.
+Im Gegensatz zum Plantagenkautschuk, der auf großen Anpflanzungen, z.
+B. in Brasilien, durch rationelle Ausbeutung gewonnen wird, stammte
+noch während meines Aufenthaltes am Kongo neun Zehntel der dortigen
+Gesamtproduktion aus sogenanntem »Raubbau«. Die Eingeborenen, die den
+Wert der Lianen nicht erkennen, haben, sobald sie eine solche finden,
+das natürliche Bestreben, möglichst viel Kautschuk aus ihr zu gewinnen,
+ohne Rücksicht darauf, daß die Pflanze bei einem solchen Verfahren
+eingeht. Der Rest verdankte seinen Ursprung gleichfalls rationeller
+Plantagenausbeutung.
+
+Um dem Raubbau zu steuern und zu verhüten, daß die kostbaren
+Kautschukbestände eine Verminderung erfahren, werden sämtliche
+Gesellschaften seit dem Jahre 1900 durch königliche Verordnung dazu
+angehalten, alljährlich für je 1000 Kilogramm angekauften Kautschuk
+500 neue Kautschuklianen anzupflanzen. Jede Gesellschaft besitzt daher
+heute geeignete ausgedehnte Terrains, die vom Staat unter gewissen
+Modalitäten kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, auf welchen die
+Kautschukkulturen rationell betrieben werden. Diese Pflanzungen werden
+alljährlich von eigens dazu bestellten Inspektoren kontrolliert.
+
+Der Kautschukbaum kommt in den Urwäldern Afrikas nicht vor. Aller
+geerntete Kautschuk rührt von wild wachsenden Lianen her. Man
+unterscheidet unter ihnen folgende Arten, die hauptsächlich für die
+Kautschukgewinnung in Betracht kommen: =Landolphia Ovariensis=,
+=Landolphia Droogmansia=, =Landolphia Klainei=, =Clitandra
+Arnoldiana=, =Clitandra Nzunde=. Die ersten drei Arten ergeben
+einen rötlichen, durchsichtigen Kautschuk, während die zuletzt
+genannten den schwarzen Kautschuk liefern. Alle diese Lianen erreichen
+einen Durchmesser bis zu Armstärke, ranken an hohen Bäumen als Parasit
+empor und erreichen eine Länge bis zu 25 bis 30 Metern.
+
+Hat der kautschuksammelnde Eingeborene eine derartige Liane entdeckt,
+dann klettert er am Baum so hoch wie möglich empor und durchschneidet
+sie. Die nunmehr zu Boden stürzende Liane wird durch Holzgabeln
+gestützt und mit ringartigen Quereinschnitten in ihrer Rinde versehen.
+Der an der Schnittfläche herausträufelnde milchige Saft trocknet
+entweder sofort am Baum ein oder wird in aus Blättern angefertigten
+primitiven Behältern aufgefangen. Im ersten Fall kehrt der Eingeborene
+am nächsten Tag zurück, um den trockenen Kautschuk mit einem stumpfen
+Messer loszulösen und zu einer Kugel zu formen, deren Größe je nach dem
+Distrikt von einer Pflaume bis zu einer Orange wechselt. Im letzten
+Fall entleert er die milchige Flüssigkeit in ein zu diesem Zwecke
+mitgebrachtes Gefäß und gießt sie zu Hause in kochendes Wasser, worauf
+sie sofort hart wird und wie ein flacher Kuchen auf der Oberfläche des
+Wassers schwimmt. Der frisch gewonnene Kautschuk ist schneeweiß und
+enthält viel Wasser, das ihn, falls man ihn nicht gehörig zerteilt und
+im Schatten trocknet, zersetzt und in eine klebrige, unansehnliche
+Masse verwandelt.
+
+[Illustration: Verarbeitung von Kautschuk.]
+
+Die gleiche Operation wiederholt der betreffende Eingeborene so oft,
+bis die Liane erschöpft ist. In besonders reichen Waldrevieren läßt er
+die Liane, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hat, liegen und verkommen.
+Im Kasai-Gebiet schneidet der Eingeborene sie in Stücke und schleppt
+sie in seine Hütte, um mittels Wassers durch Stampfen oder Klopfen der
+Rinde den unter derselben fest gewordenen Kautschuk zu extrahieren,
+eine Arbeit, die viele Stunden in Anspruch nimmt.
+
+Außer den oben angeführten Lianen, die nur im Urwald gedeihen, wurde
+im Jahre 1885 in den ausgedehnten Prärien Afrikas eine neue Art von
+Liane entdeckt, die =Landolphia Thollonii Dewevre=, die ungefähr
+10 bis 15 Zentimeter unter der Erdoberfläche wächst und ihre Triebe
+nach allen Richtungen hin erstreckt. Ihre Wurzeln, die eine Länge bis
+zu drei Metern und Fingerdicke erreichen, werden von den Eingeborenen
+ausgegraben und, zu Bündeln verschnürt, ins Dorf getragen. Hierauf
+weicht man sie die Nacht über ein, damit die Rinde sich leicht vom
+Stamm löst, dann trocknet man diese in der Sonne und klopft und stampft
+sie mittels Holzknüppel so lange, bis alle Rindenteilchen aus der
+Kautschukmasse entfernt sind. Der auf diese Weise gewonnene Kautschuk
+ist in Qualität dem durch Rindeneinschnitte erzielten gleichwertig und
+auch in seinem Aussehen von diesem nicht zu unterscheiden.
+
+Der Einkaufspreis von einer Tonne -- 1000 Kilogramm -- Kautschuk stellt
+sich je nach Qualität im Ursprungslande auf 1500 bis 2000 Frank. Der
+erzielte Nettoerlös in Antwerpen schwankt, je nach der Konjunktur,
+zwischen 7000 bis 12000 Frank per Tonne. Diese Preise wurden bis kurz
+vor Ausbruch des Weltkrieges gezahlt.
+
+Eine Faktorei produzierte damals durchschnittlich monatlich 2000 bis
+3000 Kilogramm Kautschuk, so daß sie alljährlich einen Bruttogewinn von
+150 bis 200 Mille Frank erzielte.
+
+
+
+
+ Faktoreichef. Tausend gefährliche Seuchen. Heimreise.
+
+
+Den Gefahren und Anstrengungen der Reise im Urwald folgte eine
+mehrwöchige Periode der Ruhe auf der Faktorei. Auch hier harrte
+meiner eine Unmenge Arbeit, die sofortiges Zugreifen erheischte.
+Die Aufzeichnungen des Schreibers während meiner Abwesenheit, die
+Auslieferungen der Warenvorräte und die Eingänge an Kautschuk und
+Elfenbein mußten genau kontrolliert und gebucht, der mitgebrachte
+Kautschuk von den Arbeitern in kleine Stückchen geschnitten und in das
+Trockenmagazin gebracht werden, um ein Zersetzen und Klebrigwerden zu
+verhindern.
+
+Mitten in der Arbeit überraschte uns eines schönen Tages unser
+Dampfer »Henriette« mit Kapitän Jarigsma, der mir meine Ernennung
+zum Faktoreichef und die Mitteilung von einer namhaften Erhöhung
+meiner bisherigen Bezüge mit Beteiligung am Reinertrag der Faktorei
+überbrachte. Gleichzeitig wurde mir ein Unterbeamter avisiert, der
+mit dem nächsten Dampfer heraufkommen sollte. Da das Schiff für
+Stanleyville zwanzig Tonnen Laderaum verfügbar hatte und unser Vorrat
+an Kautschuk, Elfenbein und Reis nur zirka achtzehn Tonnen ausmachte,
+beschloß ich, mit nach Romée hinunterzureisen und dort noch Reis
+einnehmen zu lassen.
+
+Die Fahrt nach Romée auf dem prachtvollen Dampfer und der Aufenthalt
+bei dem liebenswürdigen Kapitän am Deck boten mir eine willkommene
+Zerstreuung. Das Geschäft mit den Arabern in Romée und das Heranbringen
+des erforderlichen Quantums Reis an Bord war in einer Stunde erledigt.
+Den Rest des Tages verbrachten wir beim stellvertretenden Kommandanten
+des Postens in vergnügter Gesellschaft. Die zweitägige Flußreise
+stromaufwärts beruhigte meine von den schnell aufeinanderfolgenden
+freudigen Ereignissen erregten Nerven wieder. Die ungeheuren Urwälder,
+die den Fluß zu beiden Seiten einfassen, die ewig wechselnden
+Szenerien, die weite Wasserfläche, die bald gleich einem Binnensee
+kaum merklich dahinfließt, dann wieder, eng in das Flußbett gezwängt,
+wie eine Lawine sich vorwärts wälzt, bieten dem Naturbeobachter
+unvergleichliche Augenweide. Wie oft hatte ich diese Strecke nun
+bereits befahren, und doch, wenn ich sie in ihren großen Zügen auch
+kannte, jede weitere Reise erschloß mir neue Naturschönheiten und
+Reize, an denen ich früher achtlos vorübergefahren war. Es ist, als
+ob man in einem großen Weltbuche, dem Buche der Natur, blättert und
+jedesmal neue Schätze entdeckt, die in ihm beschrieben sind. Ganz in
+Betrachtung versunken, saß ich in meinem Lehnstuhl und sah doch wieder
+nichts -- das gleichmäßige Schaukeln des Bootes versetzte mich in
+andere Regionen. Ich träumte vor mich hin, bis irgendeine Begebenheit,
+wie etwa das plötzliche Ins-Wasser-gleiten eines Krokodils, das ich für
+einen Baumstamm gehalten, mich aus meinen Träumen aufschreckte.
+
+Die gewaltigen Natureindrücke dieser tropischen Welt bleiben nicht ohne
+starke und dauernde Wirkung auf die Seele. Aus mir, der ich von meiner
+Kindheit an äußerst lebhaft und unruhig veranlagt war, hatte Afrika
+im Lauf der Zeit einen schwermütigen, ernsten Träumer gemacht. Die
+Einwirkungen des Klimas auf den Körper sollten bald für meine Laufbahn
+entscheidend werden.
+
+Zwei Tage nach meiner Rückkehr nach Stanleyville fühlte ich
+beiderseits der Leistengegend ein starkes Stechen, dem eine von
+heftigem Fieber begleitete Drüsenanschwellung folgte. Äußerst bestürzt
+begab ich mich sofort zu =Dr.= Bellis, den ich mit denselben
+Krankheitserscheinungen, nur in verstärktem Maße, behaftet vorfand.
+Wir beide und mit uns ein großer Teil der Europäer und der Schwarzen
+der Umgebung waren von einer Art Bubonenpest befallen. Die Krankheit
+war wie hergeflogen ganz plötzlich über den Distrikt hereingebrochen,
+und niemand wußte ihre Ursache oder ihr Entstehen zu erklären.
+=Dr.= Bellis und der Kommandant fuhren mit dem nächsten Dampfer
+nach Leopoldville, um sich daselbst einer Operation zu unterziehen. Mir
+hatte er zuvor eine Salbe verschrieben, die sich in der Folge nicht nur
+als völlig wirkungslos erwies, sondern im Gegenteil die Anschwellungen
+und Schmerzen noch vermehrte.
+
+Einige meiner Leute, die unter derselben Krankheit zu leiden hatten
+und dank dem Heilmittel einer arabischen Giftmischerin der Genesung
+entgegensahen, brachten mich auf den Gedanken, diesmal die Heilkräfte
+der Eingeborenen gleichfalls für mich in Anspruch zu nehmen. Ich sandte
+daher meinen Capita Mustapha mit entsprechenden Geschenken auf den Weg
+zu der Alten. Doch ich hatte mich gründlich getäuscht. Für mich gab es
+keine Medizin. Das schlaue, erfahrene Weib wollte ihre Quacksalberei
+an mir nicht ausprobieren, da sie offenbar fürchtete, im Falle eines
+Mißlingens mit dem Gefängnis von Stanleyville Bekanntschaft machen zu
+müssen.
+
+Mein Leiden war inzwischen zur unerträglichen Qual geworden, die mir
+weder Schlaf noch Ruhe gönnte. Da griff ich zur List, ließ den ärmsten
+meiner Arbeiter, der ein Leidensgefährte war, kommen und versprach
+ihm, seine Behandlung zu bezahlen, wenn er die Hälfte der Salbe, die
+die Alte ihm gab, mir anvertraute. Den Hokuspokus überließ ich ihm
+ganz. Die Wirkung der in Bananenblätter gewickelten, scharf riechenden,
+schwarzen Salbe erwies sich als vorzüglich. Die Schmerzen ließen
+nach, die Leistenanschwellungen, die ohne sie zum Durchbruch und zu
+langwierigen Leiden geführt hätten, waren bald vollständig behoben, so
+daß ich in einiger Zeit mein Schmerzenslager verlassen konnte.
+
+Da Unglück selten allein zu kommen pflegt, und Stanleyville, das bisher
+im Rufe stand, das gesündeste Klima im ganzen Stromgebiet zu besitzen,
+dazu ausersehen schien, in diesem Jahre alle Seuchen Zentralafrikas
+mitmachen zu müssen, tauchten nunmehr plötzlich die Blattern in nie
+dagewesener Heftigkeit auf. Gerüchte über die am jenseitigen Ufer unter
+den Soldaten und Eingeborenen aufgetauchte Seuche, die sofort viele
+Menschenleben dahinraffte, veranlaßten uns, jeden Verkehr mit drüben
+abzubrechen. Diese Vorsichtsmaßregel blieb leider wirkungslos, da die
+gefährliche Seuche einige Tage später auch bei uns ausbrach. Eine
+Feldarbeiterin (Sklavin) machte den Anfang, der Boy meines ehemaligen
+Chefs folgte. Jeder weitere Tag brachte eine vermehrte Anzahl von
+Kranken, so daß bald drei Viertel des ganzen Personals von der
+schrecklichen Seuche erfaßt waren.
+
+[Illustration: Anfertigung von Kautschukkörben.]
+
+Zur Isolierung der Kranken ließ ich sofort auf einige hundert Meter
+Abstand von der Faktorei Baracken, in denen sie so gut wie möglich
+untergebracht wurden, errichten. Impfstoff, das einzige wirksame Mittel
+zur Bekämpfung der Seuche, war vorläufig nicht vorhanden, so daß wir
+uns auf den Rat der katholischen Mission mit Reiswasser als Nahrung und
+zur Regelung der Verdauung begnügen mußten.
+
+Die Sklavin war sofort nach ihrer Erkrankung zu ihrem arabischen
+Häuptling gelaufen, der sie vom Kopf bis zu den Füßen mit Kalk
+bestreichen ließ. Doch scheint auch diese Behandlungsmethode in den
+meisten Fällen versagt zu haben, da die Kranke ebenso wie viele andere
+zugrunde ging. Auch bei mir starben trotz sorgfältiger Überwachung
+und Pflege verschiedene Leute. Einer der Arbeiter wurde verrückt und
+lief den ganzen Tag mit einem dicken Prügel herum, um vermeintliche
+Feinde zu töten. Dem Mann war die Krankheit aufs Gehirn geschlagen; er
+litt an Verfolgungswahnsinn und schlief nachts auf einem Baum. Einige
+Tage später starb er. Ich ging selbst zu den Isolierbaracken, um dem
+Begräbnis beizuwohnen und mich vom Schicksal der übrigen Kranken zu
+überzeugen. Der Anblick des bis aufs Skelett abgemagerten, am ganzen
+Körper mit blutenden Geschwüren bedeckten Toten mit den glasigen Augen
+und aus dem Munde heraushängenden Schleimfäden und die von goldigen
+Sonnenstrahlen, vom fröhlichen Zwitschern der Vögel erfüllte Welt
+bildete einen grausigen Kontrast. Der übelriechende Kadaver war über
+und über mit Fliegen bedeckt, die auf den gräßlichen Geschwüren ihr
+Mahl hielten. Obwohl ich kaum meines physischen Unbehagens Herr werden
+konnte, hielt ich tapfer bis zur Einbettung des in Decken und Matten
+gehüllten Toten in die Erde stand, um dem Pflegepersonal damit ein
+Beispiel von Unerschrockenheit zu geben.
+
+Unter den übrigen Kranken, die teilweise der Genesung entgegensahen,
+befand sich noch ein besonders schwerer Fall, der Boy meines ehemaligen
+Chefs, ein braver, treuer Bursche, der seinen Herrn stets aufopfernd
+gepflegt hatte und nun, durch die Krankheit bis zur Unkenntlichkeit
+entstellt, selbst im Begriffe war, ins Jenseits einzugehen. Schon seit
+acht Tagen hatte ich erkannt, daß eine Rettung aussichtslos war. Mit
+wimmernder, gebrochener Stimme rief er mich mit Namen, und mit flehend
+zu mir erhobenen Augen bat er mich, ihm doch zu helfen und ihm eine
+andere Hütte zu geben. Nie in meinem Leben habe ich meine Ohnmacht
+mehr empfunden als in diesem Augenblick. Tief zu Herzen ist mir sein
+rührendes Flehen gegangen, und gern hätte ich zehn Jahre meines Lebens
+hingegeben, um dasjenige des armen Jungen verlängern zu können. Den
+letzten Wunsch des Sterbenden wenigstens konnte ich erfüllen. Ich ließ
+eine der anderen Hütten sorgfältig reinigen, dem Schwerkranken von
+neuen Decken ein weiches Lager darin herrichten und ihn dahin bringen.
+
+Ganz plötzlich, wie der würgende Todesengel erschienen war, verschwand
+er auch wieder, in vielen Hütten ein Tag und Nacht andauerndes lautes
+Wehklagen zurücklassend. Gar zu viele Menschenleben waren dahingerafft
+worden.
+
+[Illustration: Ablieferung von Kautschukkörben.]
+
+Die Totentrauer ist hier eine ganz eigenartige Sitte. Irgendeine nähere
+alte Verwandte, manchmal auch die Mutter des Verstorbenen, setzt sich
+vor dessen Hütte und stimmt ein tieftrauriges Klagelied an. Bald
+schließt sich ihr die nähere Nachbarschaft, junge und alte Weiber,
+an, die alle in die gleiche, schaurig tönende Melodie einfallen.
+Ich habe oftmals ganz junge Dinger lachend vom anderen Ende des
+Dorfes herbeieilen sehen, die, wie von magischen Kräften durch das
+Wehklagegeheul angezogen, sich in den Kreis der anderen setzten und
+ihrem Beispiel folgten. Je mehr Männer und Weiber dazukommen, um so
+schauriger ertönt der Chor. Die ganz alten Weiber singen sich meist in
+eine förmliche Ekstase hinein. Die Tränen rinnen ihnen über die Wangen,
+mit den knochigen Armen schlagen sie in ihrem Schmerz an ihre dünnen
+Gebeine. So ansteckend wirkt diese unmelodiöse, traurige Weise, daß
+mich beim Zuhören plötzlich die Lust überkam, mich auch hinzusetzen
+und mitzuheulen. Zeitweise steht eine der Frauen auf, holt ihr Kind
+oder verrichtet eine ihr nötig erscheinende Arbeit und kehrt ruhig
+wieder an ihren Platz zurück, um im Chor weiterzuheulen, gerade so,
+als ob sie damit eine gemeinsame Arbeit mit den anderen zu erledigen
+habe. Das Klagegeheul für einen Toten dauert manchmal einen ganzen
+Tag und wird wahrscheinlich nach einem gewissen Zeremoniell geregelt.
+Zu den Mahlzeiten flaut es merklich ab, da die meisten Teilnehmer für
+einige Zeit verschwinden, um sofort danach wieder zu der Totentrauer
+zurückzukehren. --
+
+Am 15. Mai 1900 kündigte ich meinen auf drei Jahre lautenden Vertrag,
+der einen Monat später abgelaufen war. Lange Zeit hatte ich im unklaren
+geschwebt, ob ich nicht ein Jahr zugeben sollte. Doch der rasche Tod
+Janssens, die fortwährenden Seuchen, die seither über die Region
+hereingebrochen waren, und schließlich mein eigener Gesundheitszustand,
+der manches zu wünschen übrigließ, veranlaßten mich, darauf zu
+verzichten. Gelegentlich der letzten Untersuchung hatte =Dr.=
+Bellis starke Milz- und Leberanschwellung bei mir konstatiert, die zu
+einem Abszeß führen konnte. Wiederholt hatte ich heftiges Stechen in
+der Seite gefühlt, was mich lebhaft beunruhigte. Dazu kam, daß ich das
+mir gesteckte Ziel, Faktoreichef zu werden, erreicht und durch eine
+Verlängerung des Kontraktes keine besonderen Vorteile zu erwarten hatte.
+
+Eines stand fest bei mir: Ich würde meine Eltern in der Heimat
+besuchen und nach kurzer Erholung in Europa unbedingt wieder nach
+Afrika zurückkehren. Das abenteuerliche Leben im Innern Afrikas sagte
+meiner nach freier Betätigung verlangenden Natur viel mehr zu als das
+gesicherte Dahinvegetieren im europäischen Berufsleben. Die große
+Abrechnung mit dem Leben mußte einmal erfolgen -- hier oder dort. Wann,
+ob früher oder später, das war reine Glückssache. Lieber wollte ich dem
+tückischen Klima Afrikas oder dem Pfeil eines Eingeborenen zum Opfer
+fallen als mein Leben lang hinter staubigen Büchern in irgendeinem
+Kontor sitzen.
+
+Doch sollte es noch mehr als zwei Monate dauern, bis der von mir
+erbetene Ersatzmann eintraf. Eine nervöse Unruhe war mit der Kündigung
+über mich gekommen. War bisher mein ganzes Denken und Trachten meinem
+afrikanischen Lebenswerke gewidmet, so tauchte jetzt wie hinter fernen
+Wolkenschleiern eine Welt von Erinnerungen vor meinem geistigen Auge
+auf. Der Gedanke, meine Eltern und Lieben in der Heimat wiederzusehen,
+ward von Stunde zu Stunde mächtiger, bis er schließlich alle anderen
+Rücksichten in den Hintergrund treten ließ.
+
+Endlich erschien mein Stellvertreter mit dem Dampfer »Henriette«,
+und nachdem ich ihm die Faktorei in voller Ordnung übergeben hatte,
+schiffte ich mich zur Heimreise ein. Jetzt war ich ein freier Mann,
+konnte sorgenlos den wohlverdienten Urlaub antreten.
+
+War ich wirklich frei? Oder war es wieder eine Täuschung? Diese Frage
+mußte ich mir schon eine Stunde nach meiner Abfahrt stellen, als mir
+unwillkürlich beim Andenken an alles, was ich zurücklassen mußte, die
+Tränen über die Wangen liefen. Jeder einzelne meines Hausgesindes,
+jeder Arbeiter, der Freud und Leid, Gefahren und Sorgen mit mir
+geteilt, hing mir am Herzen. Der Gedanke an meine Faktorei, die ich
+aus kleinen Anfängen heraus zur großen Station -- meinem zweiten Heim
+-- nach eigenem Geschmack ausgebaut hatte und die ich vielleicht
+nie wiedersehen sollte, schnürte mir das Herz zusammen. Still und
+niedergedrückt eilte ich in meine geräumige Deck-Kabine, damit Kapitän
+Jarigsma nicht Zeuge meines Trennungsschmerzes wurde. Jetzt, wo meine
+Abreise Tatsache geworden war, trat der umgekehrte Fall ein, und je
+weiter ich mich von der Station entfernte, desto mehr bereute ich,
+fortgegangen zu sein. Alle Gedanken an Europa waren mit einem Male
+erloschen.
+
+Meine Leser werden fragen, ob ich während der langen Zeit niemals
+das Bedürfnis nach Gesellschaft und Zerstreuung empfunden habe.
+Ich kann hierauf nur mit einem entschiedenen Nein antworten. Die
+vielfachen Anforderungen, die das tägliche Leben in den Tropen an jeden
+Europäer stellt, die hunderterlei Probleme, die an ihn herantreten
+und der Lösung harren, nehmen sein ganzes Denken und Sinnen vollauf
+in Anspruch. Wenn er dazu ein verständnisvolles Auge für die Natur
+und alles, was um ihn vorgeht, hat, wenn er Sammler von Käfern und
+Schmetterlingen, Ethnologe oder Ethnograph ist, dann findet er in
+diesen Liebhabereien ein reichliches Feld für seine Mußestunden. Mit
+der zunehmenden Kenntnis der Eingeborenensprache lernt er deren Sitten
+und Gebräuche und viel Interessantes über sie kennen. Im folgenden
+Kapitel will ich einiges über den Aberglauben, der im Leben der Neger
+eine so hervorragende Rolle spielt, berichten, und zum Schluß gebe ich
+einige Märchen wieder, die ich mir an einsamen Abenden von Eingeborenen
+erzählen ließ.
+
+
+
+
+ Abergläubische Vorstellungen der Neger.
+
+
+Im beständigen Kampf mit Haß, Eifersucht, Blutdurst und tierischer
+Brunst der eigenen Rasse, gewohnt, in den Raubtieren und dem giftigen
+Gezücht des Urwaldes und auch in dem Nächsten den unerbittlichen
+Todfeind zu sehen, kennt der Neger tief drinnen im Urwald keinen
+barmherzigen Gott. Er kennt nur unheimliche, tückische Gewalten,
+die gleich den Fieberdünsten des Waldes in der Nacht sein Lager
+umschleichen und sein Leben, sein Hab und Gut und seine Gesundheit
+bedrohen. Diese Götter zu versöhnen, ihren Zorn und Rache von sich
+abzuleiten, das ist sein einziges Bestreben.
+
+Wenn Unheil und Krankheit über ihn hereinbrechen, wenn im Getöse des
+Tornados, in Blitz und Donner die Hölle ihre Orgien feiert, wenn er,
+von Fiebern geschüttelt, in grauenvoller Nacht dem Tode ins Auge
+schaut, dann wirft er sich in den Staub vor seinem Götzenbild -- denn
+seine Furcht vor »Ilimma«, dem Fabelungeheuer mit dem glühenden Auge
+und dem giftigen Odem, ist groß.
+
+Der Einfluß der Fetisch- oder Medizinmänner, welche den Verkehr mit
+den Göttern vermitteln, ist im Innern des Landes, bis wohin die
+Macht des Europäers nicht reicht, ungeheuer. Sie gebieten über Leben
+und Tod ihrer Mitmenschen. Jede Region hat ihre Gottheit in Form
+eines hölzernen Götzen irgendwo im düstern Dunkel des Waldes, von
+Fetischmännern eifersüchtig bewacht, versteckt. Er ist dem profanen
+Auge des Uneingeweihten nicht sichtbar, und jeder Versuch eines
+Fremden, in das Geheimnis einzudringen, wird mit dem sofortigen Tode
+bestraft.
+
+»Djakombo« und »Zambi« am Unterkongo -- »Ilimma« am Oberkongo genannt,
+sind die Herrscher über alles Lebende. Sie suchen die Menschheit mit
+Seuchen heim, um sie zu vernichten, sie senden ihnen Hungersnot,
+Heuschrecken- und Ameisenplage. Neben ihnen hausen eine Menge anderer
+böser Geister, die »Likundu«, die alle möglichen Missetaten verüben.
+Bald vernichten sie die Ernte, bald tauchen sie in der Gestalt
+irgendeines reißenden Tieres, wie Krokodil und Leopard, auf, um
+Menschenleben zu vernichten. Im allgemeinen glauben die verschiedenen
+Stämme an ein zukünftiges Leben in irgendeiner Form. Daher rührt
+auch ihr Totenkultus. Den Verstorbenen werden bei einzelnen Stämmen
+Nahrungsmittel, Haushaltungsgerät, Waffen, sogar Diener mit ins Grab
+gegeben.
+
+Von der Geburt des Kindes an bis an sein Ende ist der Fetischmann
+eigentlich derjenige, der den Lebenslauf jedes einzelnen regelt. Er
+fabriziert die Medizin, um das Kind im Mutterleibe vor den Anschlägen
+feindlicher Mächte zu bewahren, er beschwört den bösen Geist, der
+bei der Geburt in das neuentstandene Wesen hineinfahren möchte, er
+verkauft der Mutter all die Amulette und »Mobangas«[5], um Seuchen und
+Krankheiten vom Kinde fernzuhalten. Stirbt ein Kind trotzdem vorzeitig,
+dann hat irgendein feindliches Wesen es mit giftigem Atem angehaucht.
+Die Familie schwört Rache und verspricht dem Fetischmann reichliche
+Geschenke, wenn er ihr den Urheber ausliefert. Dieser beruft das ganze
+Dorf und sämtliche Anverwandten für den Abend zur »Moganga« oder zum
+Gottesgericht.
+
+Am großen Sammelplatze des Dorfes haben sich im Mondschein sämtliche
+Einwohner zusammengefunden. Am großen Feuer sind die Männer versammelt
+und harren der Dinge, die da kommen sollen, während ihre Frauen mit den
+Kindern in Gruppen zusammenstehen und das kommende Ereignis besprechen.
+
+»Mongoleina«, der mächtige Häuptling der Region, in vollem Ornat, hat
+seinen mit Leopardenfellen ausgelegten Sitz eingenommen. Wie er so
+majestätisch über den freien Platz dahinschreitet, ist er das Symbol
+eines starken, unabhängigen Volkes. Er ist in der Tracht seiner
+Vorväter gekleidet, die er nur bei ganz besonderen Anlässen zu tragen
+pflegt und die harmonisch wirkt, wenn man nur den rechten Körper dazu
+hat und sie mit Verstand anzulegen weiß. Um die Lenden in weiten Falten
+ein Schurzfell, aus bunten Bambusfibern hergestellt, um den Hals eine
+Schnur mit Leopardenzähnen, zum Zeichen seiner Würde, an den Hand-
+und Fußgelenken schwere Messingringe, auf dem Kopfe ein dichter Kranz
+von Adlerfedern, kunstvoll mit einem Leopardenfell zu einem Kopfputz
+vernäht, in der Hand eine lange schwarze Lanze: so schreitet er
+siegesbewußt auf den Ehrenplatz unter den Mondenbäumen zu.
+
+Von ferne her ertönt ein Gemisch von dumpfen und hellen Lauten
+von Gongs, Hörnern und Holztrommeln. Der Fetischmann mit seinem
+eingeweihten Stab, das große Verhängnis, naht. Gespannt blicken alle
+Augen in die Richtung, aus der er kommen muß.
+
+Und schon naht er mit seiner Truppe, die mit ihrem wiegenden
+Tanzschritt und ihrer phantastischen Bemalung einen unheimlichen
+Eindruck auf die versammelte Menge macht. Ihre Mitglieder sind vom Kopf
+bis zu den Füßen mit rotem Tukulapulver beschmiert, so daß sie wie in
+Blut getaucht erscheinen. Um die Hüften tragen sie einen kurzen Rock
+aus Binsen, der bis zu den Kniegelenken reicht, um die Augen, deren
+Lider und Brauen mit Ruß pechschwarz gefärbt sind, um den unheimlichen
+Ausdruck zu erhöhen, laufen mit weißer Kreide gemalte Ringe; Wangen,
+Brust und Arme sind mit Hieroglyphen bedeckt.
+
+Aus ihrer Mitte löst sich jetzt der Medizinmann, der durch die reiche
+Ausstattung, die Schellen und schweren Eisenringe an Armen und Füßen,
+die gräßliche Maske auf dem Kopf sowie eine Schnur von Leopardenzähnen
+um den Hals als Zeichen seines hohen Ranges, sofort die ganze
+Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im Kreise herumtanzend, vergewissert er
+sich zuerst, ob alle Einwohner des Dorfes anwesend sind. Vielleicht
+sucht er sich auch jetzt schon sein Opfer aus.
+
+Dann beginnt der eigentliche Tanz, der sich nur schwer beschreiben
+läßt. Unter dem dumpfen Klang des Gongs und den hellen Wirbeln der
+Trommeln redet der Medizinmann zur Menge, dabei die Missetaten und
+Menschenopfer aufzählend, die der »Likundu« bereits gefordert hat. Ein
+vollendeter Bauchredner und Sänger, stößt er unartikulierte Schreie
+aus, hält Reden, gibt sich selbst Antwort und führt dabei allerhand
+geheimnisvolle Bewegungen aus. Bald tanzt er mit Händen und Füßen,
+bald wirbelt er in rasender Ekstase um sich selbst, bald verfällt er
+in eine Art zuckender Krämpfe, wobei er mit Armen und Füßen um sich
+schlägt wie im Kampf mit Dämonen, die in seinem Innersten wüten. Dann
+wieder verschwindet er wie ein Pfeil im Dunkel der Nacht, und gellende,
+markerschütternde Schreie widerhallen im schaurigen Echo des Waldes.
+Offenbar ruft er ein unsichtbares Wesen, das ihm antwortet, worauf
+er plötzlich wieder in der Mitte seiner Leute, die inzwischen Gongs,
+große Elfenbeinhörner und Trommeln in rasendem Tempo bearbeitet haben,
+auftaucht und die erschreckte Herde Menschen in seinen Bann zieht.
+
+Immer wilder werden Ausdruck und Gebärden des Tanzes, die Augen üben
+durch die Maske einen schauerlichen, faszinierenden Eindruck auf die
+Umgebung aus. Der Tänzer selbst und seine Begleiter geraten in eine
+Art wilder Ekstase, ihre Augen nehmen ein eigenartiges Feuer, einen
+starren Blick ins Leere an. Es ist der Blick einer Schlange, der das
+Opfer vor Schrecken lähmt. Mit heiseren, unartikulierten Lauten, mit
+seinen schlangenartigen Bewegungen, mit der hypnotischen Wirkung seiner
+starren Augen zwingt er die unwissende Menge unter seinen Willen.
+
+Stunden vergehen -- in langen Rinnsalen, wie Blut, rieselt der Schweiß
+an den Körpern der Mitwirkenden hinab. Die Menge ist aufs höchste
+erregt und antwortet auf die hervorgestoßenen Fragen mit drohendem
+Gebrüll. Der feierliche Moment naht. Wieder verschwindet der Tänzer,
+wie von einer unsichtbaren Macht verschlungen, und sein Wehklagegeheul
+ruft im Walde ein lautes Echo hervor. Im nächsten Augenblick erscheint
+er mit der gefährlichen Medizin und stürzt sich auf sein Opfer.
+Dieses, im Bewußtsein seiner Unschuld, trinkt gewöhnlich sofort die
+dargereichte Medizin. Tut es dies nicht, dann ist die Schuld so gut
+wie erwiesen, und die durch die nächtlichen Vorgänge und durch das
+unausgesetzte Rauchen von Hanf zur höchsten Blutgier aufgestachelte
+Menge stürzt sich mit Messern, Hauen und Spaten auf ihr Opfer, um es an
+Ort und Stelle zu schlachten und buchstäblich in Stücke zu zerreißen.
+Jeder sucht ein Stück desselben zu erwischen.
+
+Hat der Betreffende das Gift getrunken, und ist er imstande, es sofort
+wieder zu erbrechen, so ist dies ein Beweis seiner Unschuld, und das
+Fest findet seinen Fortgang, indem der Fetischmann ein zweites Opfer,
+und so weiter, auskundschaftet, bis das Gift endlich seine Wirkung tut.
+
+Zahllos sind die Fälle, bei denen der Giftbecher als Gottesgericht
+entscheidet, und nachgewiesenermaßen hat ein und dasselbe Gift, von
+zwei verschiedenen Personen getrunken, ganz verschiedene Wirkung. Auch
+die Art der Gifte wechselt bei den verschiedenen Negerstämmen, und
+es ist festgestellt worden, daß z. B. bei allen jenen, die ihr Opfer
+verzehren, das Gift eine stark berauschende, vorübergehende Wirkung
+hat, also eigentlich nicht tödlich wirkt, während in anderen Distrikten
+unbedingt tödliche Gifte zur Verwendung gelangen.
+
+Man erkennt am Geschilderten die ungeheuere Macht der Medizinmänner.
+Stirbt jemand auf unvorhergesehene Weise oder wird er ermordet, frißt
+ein Krokodil oder ein Leopard einen Eingeborenen, kommt eine Seuche
+über das Land, werden die Ernten durch Hagel und Unwetter vernichtet,
+kurz, bei jedem Unheil, das ein Dorf trifft, hat der Fetischmann
+Gelegenheit, sich seiner Feinde zu entledigen. Als Opfer wählt er mit
+Vorliebe mißliebige Gegner, ältere Männer und Frauen, alle jene, die
+ihm nicht seine Götzen abkaufen, oder auch Frauen, die sich ihm nicht
+willfährig zeigen. Kein Eingeborener ist vor der Tücke dieser Räuber
+sicher. Sie waren die gefährlichsten Gegner des Europäers bei der
+Unterjochung des Landes und haben vielen Expeditionen den Untergang
+bereitet. Sie bleiben es heute noch in jenen Gegenden im Innern, wo
+die Erschließung nicht durch die Macht der Gewehre, sondern durch den
+Handelsverkehr mit den Eingeborenen Schritt für Schritt vor sich geht.
+
+Die Leute setzen unbedingtes Vertrauen in die überirdische Macht ihres
+Fetischmannes und in die Kraft seiner Medizinen. Sie glaubten auch an
+seine Fähigkeit, die modernen Schußwaffen unwirksam zu machen. Daher
+zeigten sie auch vielfach eine unglaubliche Unerschrockenheit im Kampf
+mit den Europäern, und die Fetischmänner konnten trotz des mörderischen
+Feuers immer und immer wieder neue Scharen von allen Seiten gegen
+ihren Gegner heranführen, bis dieser schließlich der Übermacht erlag.
+Gelang es, den Medizinmann zu töten, dann war gewöhnlich der Mut der
+schwarzen Scharen gebrochen, und in regelloser Flucht verließen sie den
+Kampfplatz.
+
+
+Fußnote:
+
+[5] Medizin in allen möglichen Packungen.
+
+
+
+
+ Negermärchen.
+
+
+Meinem Koch war ein kleiner »Yambinga-Boy« als »Tellerlecker«
+zugeteilt. Dieser war in einer Mission auferzogen, wurde von den
+Arbeitern »=Moanna na Zambi=«, d. h. Gotteskind, genannt und galt
+als sehr gottesfürchtig und gelehrig. Eines Abends ließ ich ihn zu mir
+kommen und befragte ihn: »Auf welche Weise wurde Christ geboren?«
+
+Offenbar war niemals eine derartige Frage an ihn gestellt worden.
+Sie setzte ihn daher sichtlich in Verwirrung. Als ich keine Antwort
+erhielt, forschte ich weiter:
+
+»Wurde Christ wie alle Menschen von einer Mutter geboren?«
+
+Antwort: »Nein, Christ ist ein zu großer König, um wie alle
+gewöhnlichen Menschen geboren zu werden.«
+
+»Nun, wie wurde er denn geboren? Kam er durch den Mund?«
+
+»O nein, der Mund eines Menschen spricht so viel Unreines, daß ein
+König ohne Sünden nicht daraus hervorkommen konnte.«
+
+»Kam er durch das Auge?«
+
+»Nein, das Auge des Menschen sieht so viel Blut und Grausamkeiten, daß
+solch ein liebevoller König nicht darin seinen Ursprung finden konnte.«
+
+»Kam er durch die Nase?«
+
+»Diese enthält soviel Unreines, daß Christ nicht daraus hervorkommen
+konnte.«
+
+»Kam er durch die Ohren?«
+
+»O nein, der Mensch ist schlecht, und durch die Ohren hört er so
+viel Sünde und Schlechtes, daß solch ein reiner König nicht daraus
+hervorkommen konnte.«
+
+»Nun endlich, woher kam denn Christ? Aus einem Menschen ist er doch
+herausgekommen.«
+
+Plötzlich kam es wie eine Offenbarung über den Jungen. In seinem
+Gedächtnis hatte er endlich die richtige Antwort gefunden: »Ach
+Mundele, das weißt du doch selbst am besten. Er kam durch den einzig
+reinen Teil des Menschen -- er kam durch den kleinen Finger der
+Unschuld.«
+
+»Und auf welche Weise?«
+
+»Nun, der kleine Finger wurde dicker und dicker, bis er platzte und
+daraus der große König hervorging.«
+
+Man kann aus diesem Beispiel ersehen, welche naive Vorstellung die
+jungen Christen noch von der Religion haben; alles, was man ihnen nicht
+auf das genaueste erklärt, veranschaulichen sie sich mit den Mitteln
+ihrer eigenen, kindlichen Phantasie.
+
+
+ ~Bangala-Märchen vom Nilpferd und Krokodil.~
+
+Ursprünglich waren Nilpferd und Krokodil die fürchterlichsten Feinde,
+die sich einander auf Schritt und Tritt bekriegten. Während das
+gefräßige Krokodil die arglos im Ufersande spielenden Nilpferdkinder
+angriff, benützte das Nilpferd das Mittagschläfchen seines gefährlichen
+Nebenbuhlers, um sich tückisch anzuschleichen und ihm mit seinen
+tödlichen Hufen den Garaus zu machen, bis endlich das schlaue Krokodil,
+des ewigen Kampfes müde, dem Nilpferd folgenden Vorschlag machte:
+
+»Raum für uns beide hat diese Erde. Ich erkenne deine Oberhoheit als
+unumschränkter Herrscher über diese Gewässer an und ziehe mich in
+mein Reich auf Sandbänken und in die Moräste zurück. Ich will von nun
+an dir und deinen Kindern, wenn ihr Gras und Schilf meiner Domänen
+fressen kommt, nichts mehr zuleide tun unter der einen Bedingung, daß
+du dafür alle Kanus der Eingeborenen, die dein Reich befahren, zum
+Sinken bringst, so daß auch ich mich an Menschenfleisch sättigen kann.
+Im Austausch gegen diesen Dienst überlasse ich dir und den Deinen meine
+Prärien und Sümpfe, in denen du ungestört weiden und schlafen kannst.«
+
+Das Nilpferd war mit dem Vorschlag wohl zufrieden und ist seither der
+erbittertste Feind des Menschen, dem es im Wasser nachstellt und ihn
+seinem Freund, dem Krokodil, ausliefert.
+
+
+ ~Märchen vom Tanganika-See.~
+
+Vor unzähligen Jahren befand sich an der Stelle des heutigen
+Tanganika-Sees ein reichbevölkertes Gebiet, das von einem mächtigen
+Volksstamm bewohnt wurde.
+
+Die ungeheure fruchtbare Ebene nährte große Rinder- und Schafherden,
+welche den Hauptreichtum des Stammes ausmachten. Inmitten eines großen
+Dorfes residierte in seinem von hohen Palisaden umgebenen Palast ein
+angesehener Häuptling mit seiner Frau, Besitzer einer tiefen Quelle,
+welche von einem unterirdischen Fluß gespeist wurde.
+
+Diese Quelle war seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn übergegangen
+und besaß die merkwürdige Eigenschaft, ihrem jeweiligen Besitzer eine
+besonders wohlschmeckende Art von Fischen, wie sie nirgends in der
+Umgebung zu finden war, zu spenden. Der Besitz dieses Schatzes war von
+seiner absoluten Geheimhaltung abhängig, und die Tradition prophezeite
+fürchterliches Unheil für das ganze Land in dem Augenblicke, wo ihre
+wunderwirkende Eigenschaft einem Fremden verraten würde.
+
+Das Schicksal wollte, daß die Frau des Häuptlings eines Tages hinter
+dem Rücken ihres Gatten in leidenschaftlicher Liebe zu einem jungen
+Mann entbrannte und ihm heimlich einige zubereitete Fische der
+wunderbaren Quelle zukommen ließ.
+
+Das Fleisch dieser Fische war so vorzüglich und so ganz anders im
+Geschmack als alle Fische, die ihr Liebhaber bisher gegessen, daß er
+unbedingt wissen wollte, woher diese Fische stammten. Die Frau sträubte
+sich aus Furcht vor den Folgen anfangs energisch, das Geheimnis zu
+verraten. Als jedoch der Geliebte weiter in sie drang und drohte, er
+werde ihren Gatten über deren Herkunft befragen, da sah die Ungetreue
+ein, welch fürchterliches Unheil sie angerichtet hatte, und versprach
+dem Geliebten, ihm bei ihrer nächsten Zusammenkunft alles zu verraten.
+
+Gelegentlich einer längeren Abwesenheit ihres Gatten rief sie ihren
+Liebhaber zu sich, bereitete ihm ein lukullisches Mahl von den Fischen
+aus der Quelle und kredenzte ihm Palmwein. Mit aufopfernder Liebe und
+mit süßen Schmeicheleien suchte sie ihn zu befriedigen und von seinem
+Vorhaben abzubringen. Ihr Inneres warnte sie vor kommendem Unheil. Sie
+bat und beschwor ihren Freund nochmals, nicht weiter in sie zu dringen
+und nicht etwas von ihr zu verlangen, was sicheres Unglück im Gefolge
+hätte. Doch vergeblich. Ihr Freund bestand darauf, das Geheimnis
+kennenzulernen, und gelobte, es niemand anzuvertrauen. Da führte sie
+ihn in das Allerheiligste, das durch eine besondere Palisadenwand vom
+Rest des Hofes abgetrennt war, um es vor den Augen der Dienerschaft zu
+verbergen.
+
+Inmitten des kleinen Raumes quoll aus einem kreisrunden Becken aus der
+Erde eine klare Quelle hervor, an deren Oberfläche eine Menge kleiner
+und großer Fische aus den Tiefen zum hellen Sonnenlicht emportauchten,
+um gleich wieder zu verschwinden.
+
+»Sieh, hier ist die wunderbare Quelle mit ihren vorzüglichen Fischen.«
+
+Der Liebhaber, der nie zuvor Ähnliches gesehen hatte, stand sprachlos
+vor dem Wunder. Da näherte sich ihm eines der Fischchen -- -- er wollte
+es mit der Hand erfassen -- -- das prophezeite Unglück trat ein -- --
+
+Aus der Quelle stieg, flammend vor Zorn, »Muzimu«, der unterirdische
+Geist, empor. Sein Gesicht war wutverzerrt, seine Augen sprühten
+Blitze. Mit furchtbarer Gebärde schleuderte er einen Höllenfluch auf
+die beiden Schuldigen. Die Erde zu ihren Füßen barst, und eine hohe
+Wassersäule an Stelle des Muzimu überflutete Land und Auen, soweit das
+Auge reicht, alles Lebende vernichtend.
+
+Seitdem bedeckt der tiefe Tanganika-See das Land, und alle Jahre kann
+man an einem bestimmten Tage das Stampfen der Mehlmörser und das
+verzweifelte Schreien und Rufen der unschuldigen Menschen und Kinder
+hören, die das Opfer der Katastrophe geworden waren.
+
+
+
+
+ Nachwort.
+
+
+In den vorstehenden Kapiteln habe ich meinen Lesern die Erlebnisse
+während meines ersten dreijährigen Aufenthalts in Innerafrika
+geschildert.
+
+Nach kurzem Verweilen in der Heimat zog es mich mit unwiderstehlicher
+Gewalt wieder nach diesem geheimnisvollen Land zurück, wo ich dann noch
+weitere neun Jahre verbrachte. Vom Faktoreichef zum Abteilungs-, dann
+zum Revierchef und schließlich zum =Chef de Secteur= befördert,
+leitete ich im Kasai-Gebiete große Faktoreien. Während dieser Zeit habe
+ich in dem mir unterstellten Gebiet viele Forschungsreisen gemacht und
+mich monatelang bei den Patoas (Zwergvölkern) und Kannibalenstämmen
+aufgehalten.
+
+Über diesen letzteren größeren Zeitabschnitt beabsichtige ich einen
+zweiten Band herauszugeben, der etwa folgenden Inhalt haben wird:
+
+ Stationsleben im Kasai-Gebiet,
+ Bei den Patoas-Zwergen,
+ Nilpferdjagden,
+ Jagden mit den Bena Luluas mittels Präriebränden,
+ König Zappo Zapp und seine 120 Frauen,
+ Elefantenjagden am Kwilu,
+ Innenorganisation eines Distrikts usw. usw.
+
+Auch von diesen Schilderungen hoffe ich, daß sie nicht nur bei
+Liebhabern von Reiseschilderungen, sondern speziell auch bei den
+jugendlichen Lesern einem Interesse begegnen und bei den letzteren
+den Wunsch erwecken werden, die weite Welt aus eigener Anschauung
+kennenzulernen, um für ihr späteres Leben reiches Wissen und Erfahren
+zu sammeln.
+
+ ~Der Verfasser.~
+
+
+[Illustration: Der KONGO]
+
+
+
+
+ Bilderverzeichnis.
+
+
+ Seite
+
+ Bildnis des Verfassers 4
+
+ Las Palmas 19
+
+ Freetown 23
+
+ Rückentätowierung einer Frau 29
+
+ Palmenstraße in Boma 37
+
+ Arbeiterdorf Boma 39
+
+ Landungsbrücke und Eisenbahn von Matadi 41
+
+ Bangala-Mädchen im Tanzkostüm 43
+
+ Fuca Fuca 47
+
+ Baobab-Baum bei Boma 49
+
+ Erlegtes Nilpferd 55
+
+ Produktenhandel 59
+
+ Eine Kurve der Kongobahn 67
+
+ Faktoreigebäude Kinschassa 69
+
+ Kongodampfer 71
+
+ Häuptling mit Familie im Festschmuck 73
+
+ Holzposten am Kongo 81
+
+ Eingeborene bringen Lebensmittel 83
+
+ Der Kongo bei Upoto 91
+
+ Mustapha mit Familie 93
+
+ Budjas-Frau 98
+
+ Bambala-Mann 99
+
+ Wabongo-Mann 100
+
+ Wabongo-Frau 101
+
+ Baluba-Frau 104
+
+ Upoto-Mann 105
+
+ Arbeitsappell 111
+
+ Trägerkolonne 113
+
+ Faktoreigebäude Stanleyville 115
+
+ Errichtung eines Dachfirstes 119
+
+ Beim Hausbau 123
+
+ Wohnhaus im Urwalde 127
+
+ Fischereianlagen im Kongo 129
+
+ Häuptling mit Gefolge 133
+
+ Ankauf von Kautschuk 139
+
+ Marktbild 147
+
+ Stampfen von Maniokmehl 153
+
+ Dorfbild 159
+
+ Arbeiterfrauen vor einer Hütte 163
+
+ Eingeborene bringen Kautschuk 175
+
+ Verarbeiten von Kautschuk 177
+
+ Anfertigung von Kautschukkörben 181
+
+ Ablieferung von Kautschukkörben 183
+
+
+
+
+ Werke zur Zeitgeschichte
+
+
+ +»A«.+ Zwischen Staatsmännern, Reichstagsabgeordneten und
+ Vorbestraften.
+
+ Halbleinen geb. 3.50 M.
+
+ In Gestalt von kurzen Skizzen, in denen der Verfasser
+ Reichstagssitzungen beschreibt und kritisiert, wirft er grelle,
+ eindrucksvolle Schlaglichter auf den Unsinn des Parlamentarismus ....
+ Dem Buch ist wegen seiner Eindringlichkeit, Klarheit und Objektivität
+ weiteste Verbreitung zu wünschen.
+
+ (Der Deutsche Führer, Berlin.)
+
+
+ +von Eppstein+, Prof. =Dr.= Freih. Fürst Bismarcks Entlassung.
+ Nach den hinterlassenen Aufzeichnungen des Staatsministers v.
+ Boetticher nebst 19 Faksimilebriefen von Kaiser Wilhelm II.,
+ Großherzog Friedrich von Baden, Fürst Bismarck usw.
+
+ Geh. 4 M., geb. 5.50 M., Halbleder geb. 9 M.
+
+
+ +Niemann+, Alfred, Oberstleutnant a. D. Kaiser und Revolution.
+ Die entscheidenden Ereignisse im Großen Hauptquartier.
+
+ Halbleinen geb. 3.50 M., Halbleder geb. 8 M.
+
+ Die Schrift Niemanns gehört zu den Geschichtsquellen, die man
+ studieren muß, wenn man über die Tage des 9. November sich ein Urteil
+ bilden will.
+
+ (Bremer Zeitung, Bremen.)
+
+
+ +=Dr.= Reichert+, M. d. R. Rathenaus Reparationspolitik.
+ Eine kritische Studie.
+
+ Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.
+
+ Das Buch enthält eine glänzende Kritik des Gedankens, Reparationen
+ durch Sachlieferungen zu leisten, aber auch eine Menge wertvoller
+ treffender Bemerkungen zur Erfüllungspolitik.
+
+ (Hannoverscher Kurier, Hannover.)
+
+
+ +Rotheit+, Rudolf. Das Berliner Schloß im Zeichen der
+ Novemberrevolution. Mit 8 ganzseitigen Textillustrationen.
+
+ Pappband 2 M.
+
+ Das Buch ist eine Episode, die in 15 feuilletonistischen Kapiteln
+ aus dem großen Passionsweg Deutschlands herausgenommen wird. Ihre
+ Darstellung ist von hohem bleibenden Wert.
+
+ (Vossische Zeitung, Berlin.)
+
+
+ +Wermuth+, Adolf, Reichsschatzsekretär, dann Oberbürgermeister
+ von Berlin. Ein Beamtenleben. Mit dem Bildnis des Verfassers. Geh. 5
+ M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.
+
+ Eine große, glänzende Beamtenkarriere läßt der Autor dieser
+ Erinnerungen am Leser vorüberziehen. Der sie durchlaufen, verdiente
+ ohne allen Zweifel seinen Erfolg, denn er erscheint uns als der Mann,
+ dem fast alle Tugenden des rechten Beamten anhaften, der aber auch ein
+ charaktervoller und warm empfindender Mensch, dem man die Sympathie
+ nicht versagen kann, war.
+
+ (Neue Zürcher Zeitung, Zürich.)
+
+
+ _Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+ des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen._
+
+ Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW
+
+
+
+
+ Kolonial-Literatur
+
+
+ +Behrmann+, Prof. =Dr.= Walter. Im Stromgebiet des Sepik.
+ Eine deutsche Forschungsreise in Neuguinea. Mit 100 Textabbildungen
+ und einer vom Verfasser aufgenommenen Karte. Geh. 5 M., Halbleinen
+ geb. 6.75 M., Halbleder geb. 10 M.
+
+ Die humorvolle Schilderung der vielseitigen Forschungstätigkeit und
+ des lebhaften Verkehrs mit den Eingeborenen, die Beschreibung und
+ Abbildung der wundervollen Urwaldlandschaften lassen ein vollkommen
+ plastisches Bild dieser bisher wenig bekannten Welt vor uns entstehen.
+
+ (Bremer Nachrichten vom Büchermarkt, Bremen.)
+
+
+ +Deppe+, Ludwig. Mit Lettow-Vorbeck durch Afrika. Mit 143
+ Textabbildungen und 4 Karten. Halbleinen geb. 5 M.
+
+ Namentlich die Aufzeichnungen der letzten vier Monate wirken
+ erschütternd und offenbaren in ihrer Unmittelbarkeit den Heldenmut,
+ das zähe Durchhalten viel stärker, als es noch so schöne Schilderung
+ tun könnte.
+
+ (Weser-Zeitung, Bremen.)
+
+
++de Haas+, Rudolf. Unter australischen Goldgräbern.
+
+ Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.
+
+ Lebendige und farbenprächtige Bilder aus seinem Leben unter den
+ Farmern und Goldgräbern zeigt der Verfasser, so daß der Leser einen
+ überaus fesselnden und wertvollen Einblick in diesen abseits allen
+ Verkehrs liegenden australischen Landstrich mit seinen aus aller
+ Herren Ländern zusammengewürfelten Bewohnern erhält.
+
+ (Deutsches Lehrerblatt, Berlin.)
+
+
+ +de Haas+, Rudolf. Im Schatten afrikanischer Jäger. Bilder aus
+ den Steppen am Kilimandscharo. Geh. 2 M., geb. 3.25 M.
+
+ Hier kommt ein alter Deutsch-Ostafrikaner zu Wort, der mit Herz und
+ Seele an dem Lande hängt, das ihm zur neuen Heimat geworden, in der er
+ schwer gearbeitet, gelitten, aber auch genossen hat.
+
+ (Deutsche Wochenzeitung für die Niederlande, Amsterdam.)
+
+
+ +Poeschel+, =Dr.= Hans. Die Stimme Deutsch-Ostafrikas. Die
+ Engländer im Urteil unserer ostafrikanischen Neger. Mit Geleitworten
+ von Gouverneur Dr. Schnee und Generalmajor v. Lettow-Vorbeck.
+
+ Geh. 0.50 M.
+
+ Verfasser zeigt, wie das Verhalten der Neger während des Weltkrieges,
+ schon allein die Ruhe, die sie im Gegensatz zu den Untertanen
+ des britischen Weltreiches bewahrten, mehr noch die von allen
+ Bevölkerungsschichten geleistete schwierige Kriegshilfe ein über jeden
+ Zweifel erhabenes Zeugnis zugunsten der deutschen Herrschaft
+ darstellt.
+
+ (Die katholischen Missionen, Freiburg i. Br.)
+
+
+ +Wenig+, Richard, Oberleutnant z. S. Kriegs-Safari. Erlebnisse
+ und Eindrücke auf den Zügen Lettow-Vorbecks durch das östliche
+ Afrika. Mit zahlreichen Originalphotographien und einer Kartenbeilage.
+
+ Geh. 2 M., geb. 3.25 M.
+
+ Wenig bietet hier in impressionistisch hingeschriebenen Aufzeichnungen
+ ein berückendes Bild des freien Kriegslebens in den unendlichen
+ sonnedurchflimmerten Steppen Afrikas.
+
+ (Österreich. Wehrzeitung, Wien.)
+
+
+ _Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+ des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen_
+
+ Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW
+
+
+
+
+ Weltkriegs-Literatur
+
+
+ +von Bülow+, Generalfeldmarschall. Mein Bericht zur
+ Marneschlacht. Mit 7 Kartenbeilagen.
+
+ Geb. 1.50 M.
+
+ Die vorliegende Schrift bringt in großen Umrissen eine aktenmäßige
+ Darstellung der Vorgänge, die sich im Rahmen der zweiten Armee
+ abgespielt haben, und überläßt es dem Leser, sich selbst ein Urteil
+ darüber zu bilden.
+
+ (Artilleristische Monatshefte, Berlin.)
+
+
+ +von François+, Herrmann, General der Infanterie z. D.
+ Marneschlacht und Tannenberg. Betrachtungen zur deutschen
+ Kriegführung der ersten sechs Kriegswochen. Mit zahlreichen
+ Kartenskizzen im Text und 14 Kartenanlagen.
+
+ Geh. 5 M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.
+
+ Der Verfasser beleuchtet in kritischer Weise die Marneschlacht klar
+ und fesselnd, so daß auch die nichtmilitärischen Kreise seine
+ Darlegungen und Schilderungen mit tiefstem Interesse lesen werden.
+ Das Werk bildet eine sehr wichtige Bereicherung unserer Literatur
+ über den Weltkrieg und wird späteren Geschichtschreibern von großem
+ Nutzen sein.
+
+ (Allg. Zeitung, Königsberg i. Pr.)
+
+
+ +von Gleich+, Gerold, Generalmajor z. D. Vom Balkan nach Bagdad.
+ Militärisch-politische Erinnerungen an den Orient. Geh. 2.50 M.,
+ Halbleinen geb. 4 M. Halbleder geb. 8 M.
+
+ Schonungslos zieht hier ein alter Generalstabsoffizier alle Schleier
+ hinweg, die bisher geheimnisvoll die deutsche Expedition ins
+ Perser Land umwoben, und zeigt, wie Unzulänglichkeit des Planes,
+ Zersplitterung der Kräfte, Eifersüchteleien zwischen deutschen und
+ türkischen Befehlshabern, persische Indolenz und Gerissenheit über
+ deutschen Willen triumphieren.
+
+ (Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer, Berlin.)
+
+
+ +Liman von Sanders+, General der Kavallerie. Fünf Jahre Türkei.
+ Mit zahlreichen Textskizzen und 3 Kartenbeilagen. Geh. 5 M.,
+ Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.
+
+ Es ist das Verdienst des Generals Liman von Sanders, des
+ Dardanellensiegers, daß er seine in diesem Buche festgelegten
+ Erinnerungen mit ungeschminkter Wahrheit sagt. Seine unerhörten Kämpfe
+ an den türkischen Fronten gegen die Feinde des Vierbundes werden in
+ diesem Buch trefflich geschildert.
+
+ (Altonaer Nachrichten, Altona.)
+
+
+ +Scheer+, Admiral. Deutschlands Hochseeflotte im Weltkriege.
+ Persönliche Erinnerungen. Mit zahlreichen Bildern und Kartenbeilagen.
+ Geh. 7 M., Halbln. gb. 9 M., Halbld. gb. 12 M.
+
+ Admiral Scheer hat die Skagerrakschlacht eingehend geschildert. Durch
+ zahlreiche Skizzen und Karten wird auch dem Laien ein klares Bild von
+ jenem denkwürdigen Geschehnis vermittelt.
+
+ (Münchener Zeitung, München.)
+
+
+ +Spindler+, Karl, Kapitän. Das geheimnisvolle Schiff. Die Fahrt
+ der»Libau«zur irischen Revolution.
+
+ Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.
+
+ Das Wirken Sir Roger Casements für den irischen Freiheitskampf, seine
+ Unterstützung durch Deutschland und die englandfreundliche Haltung des
+ damals noch»neutralen«Präsidenten Wilson werden hier zum ersten Male
+ in ihren Zusammenhängen dargestellt.
+
+ (Sport im Bild, Berlin.)
+
+
+ _Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+ des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen_
+
+ Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW
+
+
+
+
+ Bücher für die männliche Jugend
+
+
+ +Geucke+, Kurt. Der Steiger vom David-Richtschacht. Mit Bildern
+ von Willibald Weingaertner.
+
+ Halbleinen geb. 2 M.
+
+
+ +Helling+, Viktor. Das Geheimnis der Kazikengräber. Mit vier
+ Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck von Albert Schaefer.
+
+ Halbleinen geb. 3 M.
+
+
+ +Helling+, Viktor. Unter Indiens Sonne. Abenteuer zweier
+ deutscher Knaben. Mit fünf Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck
+ von Albert Schaefer.
+
+ Halbleinen geb. 3 M.
+
+
+ +Helling+, Viktor. Der Jäger von Los Angeles. Abenteuer in den
+ Urwäldern Südkaliforniens. Reich illustriert.
+
+ Halbleinen geb. 3 M.
+
+
+ +Helling+, Viktor. Exotische See- und Reiseerlebnisse. Mit fünf
+ Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck von Prof. Ludwig Fahrenkrog.
+
+ Halbleinen geb. 2.50 M.
+
+
+ +von Mücke+, Helmuth, Kapitänleutnant. Emden-Ayesha.
+ Selbsterlebtes von den sagenhaften Fahrten der ruhmreichen deutschen
+ Schiffe»Emden«und»Ayesha«auf hoher See.
+ Band 1 Ayesha. Geh. 1 M.,
+ geb. 2 M. Band 2 Emden. Geh. 1 M., geb. 2 M.
+ Beide Bücher in einem Band geb. 3 M.
+
+
+ +Otto+, Friedrich. Abenteuer aus aller Welt. Mit Bildern und
+ Buchschmuck von Albert Schaefer.
+
+ Halbleinen geb. 3 M.
+
+
+ +Poeck+, Wilhelm. Heino der Klabautermann. Eine
+ Schiffsjungengeschichte. Mit zahlreichen Bildern und Buchschmuck von
+ Edmund Erpf.
+
+ Halbleinen geb. etwa 4 M.
+
+
+ +Hersen+, E. Die Wikinger von Jomsburg. Zeitbild aus dem
+ 10. Jahrhundert, nordischen Sagen nacherzählt. Mit Bildern und
+ Buchschmuck von Franz Staffen.
+
+ Halbleinen geb. 4 M.
+
+
+ _Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+ des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen_
+
+ Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW
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+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75721 ***
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+ Paul Landbeck | Project Gutenberg
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+<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75721 ***</div>
+
+<div class="transnote">
+<p class="s4 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
+<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Die Schreibweise und
+Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche
+Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.</p>
+<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p>
+</div>
+
+<figure class="figcenter illowp46" id="cover">
+ <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p class="s3 p2 center"><b>Paul Landbeck</b></p>
+<p><span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span></p>
+<p class="s3 center"><span class="gesperrt">Kongoerinnerungen</span></p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="001_signet_2">
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+</div>
+
+<figure class="figcenter padtop2 padbot2 illowe11" id="002_box">
+ <img class="w100" src="images/002_box.jpg" alt="Hersteller des Einbandes">
+</figure>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowp37" id="004_frontispiz_2" style="max-width: 31.5em;">
+ <img class="w100" src="images/004_frontispiz.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+
+<p class="mtop2 center">Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten.</p>
+<p class="center"><span class="antiqua">Copyright 1923 by August Scherl G. m. b. H., Berlin.</span></p>
+<p class="center">Druck von August Scherl G. m. b. H., Berlin SW68.</p><br>
+</div>
+
+<hr class="k">
+
+<div class="chapter">
+<h1><b>Kongoerinnerungen</b></h1>
+<p class="s3 center"><span class="gesperrt">Zwölf Jahre Arbeit und Abenteuer<br>
+im Innern Afrikas</span></p><br>
+
+<p class="center">Von</p><br>
+
+<p class="s2 center"><b>Konsul Paul Landbeck</b></p><br>
+
+<figure class="figcenter padtop2 padbot2 illowe4" id="005_signet">
+ <img class="w100" src="images/005_signet.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+<p class="s5 center">August Scherl G. m. b. H., Berlin SW68</p><br>
+</div>
+
+<div class="chapter">
+<h2 class="nobreak" id="Vorwort">Vorwort.</h2>
+</div>
+
+<p>Dies Buch widme ich allen Lesern, die die Sehnsucht in die Ferne,
+diesen Grundzug deutschen Wesens, in sich fühlen. Möge es insbesondere
+mit dazu beitragen, dieses Gefühl im Herzen der deutschen Jugend, denen
+die heute verschlossene Welt einst wieder offenstehen wird, zu wecken
+und wachzuhalten.</p>
+
+<p>Mich selbst, der ich nun schon seit Jahren jener wilden,
+abenteuerlichen Umwelt entrückt bin, die während des besten Teiles
+meiner Jugend mir Heimat war, hat bei der Niederschrift meiner
+Erinnerung oft so etwas wie Heimweh erfaßt.</p>
+
+<p>Wenn sich auch mein Buch in erster Linie an einen weiteren Leserkreis
+wendet, so darf ich mir wohl schmeicheln, daß auch der Kaufmann, ja
+auch der Forscher manches Wissenswerte meinen Berichten entnehmen wird.
+Ist doch jede Zeile auf eigener Anschauung, eigenem Erleben gegründet.</p>
+
+<p>An dieser Stelle sei auch Herrn <span class="antiqua">Dr.</span> Karl Soll, der sich mit
+regem Eifer und eingehender Sachkenntnis der Durchsicht meines Werkes
+unterzogen hat, mein herzlicher Dank für seine mühevolle Mitarbeit zum
+Ausdruck gebracht.</p>
+
+<p class="right"><b>Der Verfasser</b></p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt.</h2>
+</div>
+
+
+<table class="autotable" style="width:60%">
+<tr>
+<td class="tdl"></td>
+<td class="tdr">Seite</td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Einleitung</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_11">11</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">An Bord des Dampfers »Albertville«</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_13">13</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Auf hoher See. Die Kanarischen Inseln</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_15">15</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Freetown. Äquatortaufe</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_21">21</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Ankunft in Banana</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_27">27</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Meine erste Beschäftigung. Ein Jagdausflug</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_30">30</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Die Fahrt nach Fuca-Fuca. Faktoreibeamter</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_33">33</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">In Boma. Eine Nilpferdjagd</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_51">51</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Produktenhandel mit den Eingeborenen</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_57">57</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Die Fahrt zum Stanley-Pool. Leopoldville. Brazzaville</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_65">65</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Die Fahrt zum oberen Kongo. Die Faktorei Stanleyville</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_77">77</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Erste Besuche bei den Araberhäuptlingen</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_95">95</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Das Leben auf der Faktorei. Zwei Leopardenbesuche</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_108">108</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Eine Fahrt zum ersten Stanleyfall. Fieberkrank</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_128">128</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Faktoreichef. Reisen ins Innere des Landes</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_138">138</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Einiges über die Gewinnung des Kautschuks</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_174">174</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Faktoreichef. Tausend gefährliche Seuchen. Heimreise</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_179">179</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Abergläubische Vorstellungen der Neger</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_186">186</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Negermärchen</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_191">191</a></td>
+</tr>
+</table>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span></p>
+
+<h2>Einleitung.</h2>
+</div>
+
+<p>Es wird manche Leser, insbesondere solche, die selbst eine koloniale
+Laufbahn anstreben, interessieren, welche Vorbildung der Verfasser
+dieser Erinnerungen genossen hat.</p>
+
+<p>In Wien im Jahre 1877 geboren, absolvierte ich dort die Volks- und
+ersten Realschulklassen. Da ich von Kind auf ein äußerst lebhaftes
+Temperament hatte und viel mehr zu allen möglichen tollen Streichen
+als zum ernsten Studium aufgelegt war, wurde ich als Unruhestifter
+von zwei Realschulen weggewiesen, was meinen Vater veranlaßte, mich
+im Alter von zwölf Jahren in stramme »deutsche Zucht«nach Deutschland
+zu einem Professor in Pension zu geben. Unter strenger Aufsicht
+absolvierte ich in Halle meine Einjährigen-Prüfung, ging von dort
+für eineinhalb Jahre in die französische Schweiz, um mich in der
+französischen und englischen Sprache gründlich auszubilden, und
+kehrte dann nach Wien zurück, wo ich meine kaufmännische Laufbahn
+bei einer großen Kaffee-Importfirma begann. Lange hielt es mich
+hier nicht. Der Trieb nach Übersee war stärker als das Gefühl des
+Wohlbehagens im Familienkreise. Nach kaum einjähriger Lehrzeit bot
+sich mir Gelegenheit, unter günstigen Bedingungen meine Laufbahn bei
+einer großen Firma der gleichen Branche in Amsterdam mit der Aussicht
+fortzusetzen, nach ein- bis zweijähriger Vorbereitung auf eine der
+Kaffeeplantagen, die mein Chef in Holländisch-Indien besaß, als
+Verwalter hinauszukommen. Doch das Schicksal wollte es anders.</p>
+
+<p>Im Jahre 1896/97 trat eine große Kaffeekrise ein, bei welcher viele
+bedeutende Unternehmen — darunter auch die Firma, bei der ich in
+Stellung war — binnen wenigen Monaten zugrunde gerichtet wurden.
+Die Kaffeeplantagen auf Java gingen in andere Hände über oder wurden
+ganz aufgelassen und zu anderen Kulturen, z. B. Kautschukplantagen,
+umgearbeitet. Eine Annonce der holländischen<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> Gesellschaft N. A. H. V.
+(<span class="antiqua">Nieuwe Afrikaansche Handels Vennootschap</span>) und die zufällige
+persönliche Bekanntschaft mit einem ihrer früheren Direktoren, dessen
+Erzählungen meine jugendliche Phantasie gefangennahmen, brachten mich
+auf den Gedanken, mein Glück im Innern Afrikas zu versuchen und mich um
+die ausgeschriebene Stelle zu bewerben.</p>
+
+<p>Meine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, und nun begann für mich
+ein Leben voll von harten Prüfungen, von Entsagungen jeglicher Art,
+von Kämpfen gegen heimtückische Seuchen, Gefahren des Urwaldes, aber
+auch von Stunden der höchsten Befriedigung. Kann es etwas Schöneres
+geben als den Gedanken, Vorkämpfer und Träger der Zivilisation in
+Gegenden gewesen zu sein, in welchen bis zum heutigen Tage der
+Kannibalismus herrscht, als Pionier der friedlichen Arbeit und des
+Fortschritts aufklärend gewirkt zu haben unter Völkern, die — auf der
+tiefsten Kulturstufe stehend — von ihren Medizinmännern zu Tausenden
+hingemordet und im Schreckenswahn der Abhängigkeit von bösen Geistern
+gehalten werden?</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p>
+
+<h2>An Bord des Dampfers »Albertville«.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Der Hafen von Antwerpen feierte am 5. Juli 1897 einen Festtag. Die
+schmalen, zumeist nur zwei Stock hohen charakteristisch flandrischen
+Giebelhäuschen entlang der Schelde prangten in herrlichstem
+Flaggenschmuck. Lustig flatterten die Fahnen sämtlicher Nationen der
+Welt aus den Dachluken der Häuser und von den Masten der an den Kais
+verankerten Ozeanriesen und verliehen dem Hafen durch ihre leuchtenden
+Farben ein anmutiges Gepräge.</p>
+
+<p>Eine Fahne vor allem fesselte sofort die Aufmerksamkeit des Fremden:
+ein leuchtend gelber fünfzackiger Stern auf himmelblauem Untergrund,
+die Fahne des belgischen Kongostaates. Sie war neben den belgischen
+Nationalfarben am häufigsten vertreten, und ihr zu Ehren galt auch
+die heutige Festtagsstimmung, veranlaßt durch die Abreise des
+Passagierdampfers »Albertville« nach dem zweiten Belgien am Äquator,
+dem Kongostaate, dieser Perle Zentralafrikas.</p>
+
+<p>Auf der breiten Straße entlang den Kais, die sonst, von Lastfuhrwerken
+und der Hafenbevölkerung abgesehen, ziemlich vereinsamt und abseits
+vom großen Verkehr liegt, herrschte ein lebhaftes Treiben. Automobile,
+Straßenbahnen und Droschken, vollgepfropft mit Menschen und beladen mit
+Gepäckstücken aller Art, füllten den Straßendamm und kamen infolge des
+großen Verkehrsandranges und der sorglos dem gleichen Ziel zustrebenden
+Menschenmassen nur langsam vorwärts.</p>
+
+<p>Vor dem Schiff, das am Kai Plantin vertaut lag, nahm das Gedränge
+und Gestoße der unübersehbaren Menge geradezu bedrohliche Formen an.
+Ein Trupp berittener Polizei hielt den Zugang zum Schiff besetzt und
+bildete Spalier zu beiden Seiten einer Gasse, die nur von Leuten mit
+ordnungsmäßigem Passagierschein betreten werden durfte.</p>
+
+<p>Auch an Bord des Dampfers »Albertville« herrschte dichtes
+Menschengewühl. Männer, Frauen und Kinder aller Gesellschaftsklassen,<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span>
+dazwischen bunte Uniformen, stürzten und hasteten durcheinander, große
+Gepäckstücke wurden unter dem Kettengerassel der Winden in den Bauch
+des zur Abfahrt bereiten, unter Dampf zitternden schwimmenden Kolosses
+gebracht.</p>
+
+<p>Während am Kai die Menge dem Treiben, Hasten und Jagen bei den
+Klängen einer Regimentskapelle zusah, fanden an Bord herzzerreißende
+Abschiedsszenen statt. Hier umarmte eine Mutter, ganz in Tränen
+aufgelöst, ihren Sohn, dort, in einer Ecke, weinte ein Greis am Halse
+seines einzigen Kindes, weiter drüben, in Trauergewändern, sah man eine
+tiefgebeugte Witwe mit zwei Kindern und ihrem Ältesten, der Familie
+Hoffnungsstrahl und Ernährer, der seine bescheidene Beamtenstelle in
+Belgien mit einem gutdotierten Überseeposten eingetauscht hatte, um
+seine Lieben daheim vor Armut und Not zu bewahren.</p>
+
+<p>Die Dampfpfeife ließ in dem Chaos ihre tiefe Baßstimme ertönen und
+mahnte zum Aufbruch. Kurze Kommandoworte erklangen; die Laufbrücke
+wurde eingezogen, nachdem die letzten Nachzügler, die sich von den
+davonreisenden Söhnen, Enkeln oder Neffen absolut nicht trennen
+konnten, von den diensthabenden Offizieren höflich, aber bestimmt von
+Bord geleitet waren.</p>
+
+<p>Einige schrille Pfiffe, ein leichtes Zittern und Beben unter den
+Füßen — der Herzschlag des schwimmenden Riesen —, und unter dem
+Hurrageschrei und Tücherwinken der vieltausendköpfigen Menge, die
+das ganze Ufer, die Kais und Hafenanlagen wie eine Ameisenschar
+bevölkerten, ging es langsam die Schelde hinab. An der Stelle, an der
+der Dampfer gelegen, schwammen Hüte, Kappen und Taschentücher, die
+beim stürmischen Abschiednehmen verlorengegangen waren, friedlich
+nebeneinander.</p>
+
+<p>Lange noch stand ich, in tiefes Sinnen versunken, an der Bordbrüstung
+und blickte hinab auf den träge dahinfließenden Strom. Das Bewußtsein
+dessen, was um mich vorging, schwand. Allein, völlig allein, fern von
+Familie und jeglichem Schutz, ging ich einem ungewissen Schicksal
+entgegen. Grau in grau, gleich jenen Nebelschwaden, die bei Einbrechen
+der Dunkelheit sich über den Fluten ausbreiten, lag die Zukunft vor mir.</p>
+
+<p>Während ich, in trübe Gedanken versunken, vor mich hinstarrte, trat
+mein Reisegefährte, Herr Lukas, ein alter erfahrener Afrikaner, zu
+mir. Gemeinsames Leid bringt die Menschen merkwürdig rasch einander
+näher. Auch er kam, wie ich, ohne Eltern an Bord, da<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> er aus dem Norden
+Hollands stammte und seine beiden Eltern die weite Reise nicht mehr
+machen konnten. Auch ihm waren die Abschiedsszenen, deren Augenzeuge
+er gewesen, nahegegangen, und ganz in sich versunken, meinte er: »Wie
+viele werden die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen, wie viele gesund
+zurückkehren? — Kaum zehn Prozent!«</p>
+
+<p>Dieser Ausspruch des ernsten, erfahrenen Mannes ließ mich erschauern.
+Die Zukunft sollte mich lehren, daß dieser Prozentsatz sogar noch zu
+hoch gegriffen war.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Auf hoher See. Die Kanarischen Inseln.</h2>
+</div>
+
+<p>Wir waren nachmittags 2 Uhr abgefahren. Abends 9 Uhr fuhren wir an
+Vlissingen vorbei, und bald darauf war an der scharfen Brise und an dem
+Schaukeln des Schiffes zu merken, daß wir uns auf hoher See befanden
+und in den Ärmelkanal eingefahren waren.</p>
+
+<p>Die ersten Symptome der Seekrankheit stellten sich ein: Schwindel, ein
+unsagbar elendes Gefühl der Verlassenheit, schließlich vollständiges
+Erschlaffen jeder Widerstandskraft und das stille Ergeben in das
+Schicksal. Auf Anraten meines Reisekollegen hatte ich mich beizeiten
+mittschiffs auf dem Promenadendeck in meinen Streckstuhl gelegt und
+verbrachte da den größten Teil des Tages mit geschlossenen Augen.
+Es war übrigens herrliches Wetter, und eine steife Brise wehte von
+Norden her. In der Ferne, zur Rechten, die von der Brandung umspülten
+Küsten Englands, zur Linken eine unermeßliche Wasserwüste, von Zeit zu
+Zeit von Seglern, Fischerkuttern und Dampfern belebt. Wir passierten
+Brighton und liefen in den Golf von Biscaya ein.</p>
+
+<p>Hier begann nun der eigentliche Neptunsreigen. Dieser Teil des Meeres
+ist unter den Seeleuten ganz besonders berüchtigt. Lange Wogen
+brachen sich am Bug des Dampfers, das ganze Vorderdeck mit Gischt und
+Sprühregen überschüttend. Tief tauchte der Bug des Schiffes in die
+gähnende Wasserfurche, um von der nächsten Woge haushoch emporgehoben
+zu werden. »Stille See« nennen die Seeleute, was wir in den nächsten
+acht Stunden durchzuhalten hatten. Eine bleierne Schwere lastete auf
+meinem Kopf, und im Innern verspürte ich das Gefühl, als ob sämtliche
+Eingeweide durcheinandergeworfen und verdreht worden wären.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span></p>
+
+<p>Als ich am nächsten Morgen nach langem, tiefem Schlafe erwachte,
+hatte ich das unangenehme Gefühl der Seekrankheit völlig abgestreift,
+und nach einem erfrischenden Bad genoß ich bei herrlich strahlender
+Sonne das vielgepriesene, wonnige Gefühl einer Seereise. Um uns
+her nichts als das weite, in Sonne getauchte Weltmeer, über uns
+südlicher, wolkenloser Himmel. Auch das störende Schaukeln schien etwas
+nachgelassen zu haben, oder wir hatten uns derart daran gewöhnt, daß
+wir es nicht mehr merkten. Nach dem Frühstück hielt ich Umschau unter
+meinen Mitpassagieren und ließ mich von meinem Reisebegleiter Lukas,
+der bereits die Bekanntschaft des Kapitäns, sämtlicher Offiziere und
+Notabilitäten gemacht hatte, den Mitreisenden vorstellen. Der Vormittag
+verging mit »<span class="antiqua">Shevel board</span>«, einer Art Krocketspiel, welches an
+Bord von Schiffen allgemein getrieben wird, sowie mit dem »<span class="antiqua">Jeu de
+palais</span>«<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> um den Cocktail zur Aperitifstunde<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a>, in welchem Spiel
+besonders die Offiziere eine erstaunliche Gewandtheit besitzen.</p>
+
+<p>Nachmittags kamen die Küsten Spaniens in Sicht. Wir passierten das
+Kap Ortegal und das Kap Finisterre, und unsere Augen weideten sich
+an den majestätischen Felsen, an deren Fuße die wilde Brandung tobt.
+Reizende Schlößchen, wie aus Gold ziseliert, von den Sonnenstrahlen
+überflutet, stehen trotzig und zugleich zierlich auf ihren Hängen —
+<span class="antiqua">véritables chateaux d'Espagne</span>. — Unwillkürlich tauchten Bilder
+aus vergangener Zeit vor meinen geistigen Augen auf, wo stolze Ritter
+und Knappen diese Burgen belebten und Spaniens Macht sich über die
+ganze Welt erstreckte. Bald schwanden auch Spanien und Portugal — mit
+Cap da Roca — aus unserem Gesichtskreis.</p>
+
+<p>Da, mit einem Male, große Bewegung an Bord! Alles stürzte nach vorne an
+die Reling. Eine muntere Schar von Delphinen umtummelte in weitem Bogen
+unser Schiff. Wie Pfeile schossen die gewandten, fünf bis sechs Meter
+langen Walzen bis zu Meterhöhe über die Wasserfläche, knapp am Bug des
+in voller Fahrt befindlichen Schiffes vorbei, gleichsam eine Probe
+ihrer Geschicklichkeit und Schnelligkeit abgebend.</p>
+
+<p>Am ersten Sonntag, den wir an Bord feierten, hatte sich sämtlicher
+Passagiere eine merkwürdige, weihevolle Stimmung bemächtigt.<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> Um 10
+Uhr fand eine Messe statt, an der ich, obgleich ich für gewöhnlich
+kein Kirchenbesucher bin, aus Neugierde teilnahm. Alle Passagiere
+und Offiziere des Schiffes sowie ein Teil der Mannschaft, soweit sie
+der Dienst nicht in Anspruch nahm, waren anwesend, und unter einer
+feierlichen Stimmung, wie ich sie am Festlande nie empfunden, ging
+die gottesdienstliche Handlung vorüber. Auch nach der Messe gehobene
+Sonntagsstimmung. Die Spielplätze für das <span class="antiqua">Shevel board</span> und
+das <span class="antiqua">Jeu de palais</span>, welche bisher stets eine übermütig lustige
+Gesellschaft vereinigten, blieben vollständig verwaist; die sonst so
+frohsinnigen, lebenslustigen Gesichter zeigten ernste Mienen; man
+plauderte im Flüsterton, um diejenigen nicht zu stören, die mit dem
+Prayerbook oder Brevier in der Hand, in Gedanken versunken, auf und
+ab schritten. Mich als Fremden, der mit den englischen Sitten und
+Gebräuchen völlig unbekannt war, mutete all dies sonderbar an. Ich
+benutze die Gelegenheit, einiges über unser Schiff zu sagen.</p>
+
+<p>Belgien besitzt keine eigentliche Handelsmarine. Ein großer Teil der
+unter belgischer Flagge laufenden Schiffe ist englischen Ursprunges und
+von belgischen Reedereien gechartert. Dies traf auch auf unser Schiff
+»Albertville« zu. Es war ein modern ausgestattetes Passagierschiff
+der »Compagnie Belge Maritime du Congo« für den regelmäßigen Dienst
+Antwerpen-Kongo, mit etwa 6700 Tonnen Laderaum. Der Kapitän, sämtliche
+Offiziere und ein Teil der Mannschaft waren Engländer, während der
+Rest, in Antwerpen angeheuert, zumeist aus Flamen bestand. Der Dampfer
+lief durchschnittlich zwölf Seemeilen, besaß zwei übereinandergebaute
+Promenadendecks mittschiffs und faßte 48 Kabinen erster und 36 Kabinen
+zweiter Klasse. Wenn er auch mit den in der neueren Zeit konstruierten
+Ozeanriesen im Verkehr mit Amerika keinen Vergleich aufnehmen konnte,
+so enthielt er doch an Komfort alles, was man durchschnittlich bei
+nicht allzu unbescheidenen Ansprüchen verlangen konnte.</p>
+
+<p>Nach drei langen Tagen und Nächten, in denen wir nichts als das
+unermeßliche Weltmeer um uns und einen wolkenlosen Himmel mit seinem
+tiefen, reinen Blau über uns gesehen hatten, näherten wir uns den
+Kanarischen Inseln. O Insel der Seligen, Oase in dieser Wasserwüste,
+wie schlugen dir alle unsere Gedanken, all unser Sehnen entgegen!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p>
+
+<p>Wir sollten in der Nacht eintreffen; die Aufregung an Bord gegen Abend
+wuchs von Minute zu Minute. Das Diner, sonst eine Stunde üppigen
+Wohlbehagens, wurde in aller Eile eingenommen, und alles stürmte an
+Deck. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen, eine milde, tropische
+Nacht, der Himmel mit strahlenden Sternen übersät, eine Nacht so recht
+geeignet zum Träumen. Ich schob meinen Lehnstuhl ganz nach vorne an
+die Brüstung, und mein vereinsamtes Herz hielt Zwiesprache mit den
+Gestirnen. Langsam stieg aus dem Meeresspiegel der Vollmond hervor, mit
+seinen silbernen Strahlen eine leuchtende Bahn über die Wasserfläche
+zu uns herwerfend, und in seinem zarten Schimmer erglänzten die
+Mastspitzen unseres Schiffes in mildverklärtem Licht. Allmählich
+erschienen am Horizont kleine Wolkengebilde, die langsam sich immer
+mehr zu einem Ganzen ballten. Bald unterschied das Auge auf diesen
+Lichter, und mit einmal kam die Erkenntnis: dies ungewisse Etwas
+sind nicht Wolken, sondern gigantische Felsmassen, die aus dem Meer
+emporragen. Wir nahten uns unserem Bestimmungsort; bald kamen wir ganz
+nahe heran und konnten die gewaltigen Massive genau unterscheiden, die
+sich vor unserem Bug etwas verflachten. Zur Linken, auf einem Abhang,
+der sich wie eine Landzunge weit hinaus ins Meer erstreckt, konnten wir
+viele Tausende kleiner Lichter wie Leuchtkäfer wahrnehmen.</p>
+
+<p>Ein Klingeln »Stop« von der Kommandobrücke, die Schraube hielt für
+einen Augenblick inne; ein Lotse kletterte an Bord, und unter sicherer
+Führung fuhren wir in die kleine Bucht ein und warfen Anker. Wir waren
+in Las Palmas. Es war inzwischen 12 Uhr nachts geworden, und da keine
+Dampfbarkassen zum Ausbooten vorhanden waren, suchten wir unsere
+Ruhestätten auf.</p>
+
+<p>Morgens 1/2-5 Uhr erwachte ich vom Lärm und Getrappel an Bord. Ich
+begab mich sofort an Deck, und das Panorama, das sich vor meinen
+staunenden Augen entrollte, war ein geradezu überwältigendes. Hinter
+den ersten Felspartien, deren Umrisse bereits in der Nacht sichtbar
+waren, erhob sich Spitze auf Spitze, Gebirge auf Gebirge, die höchsten
+Spitzen teils noch von Wolken eingehüllt. Arenenartig sind auf den
+verschiedenen Kuppen und Höhen kleine Forts errichtet, deren Kanonen
+in der aufgehenden Sonne blinkten. Bald erschien eine Unmenge kleiner
+Boote, deren braune Insassen wie Affen zu uns an Bord kletterten; und
+nun begann ein<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> Schnattern und Feilschen dieser kleinen Gesellen, um
+uns in ihren Nußschalen an Land zu bringen. Da wir bis 1 Uhr mittags
+hier liegenblieben, um Kohlen einzunehmen, begab ich mich mit drei
+Reisegefährten, einem schwedischen Hauptmann, meinem holländischen
+Afrikaner Lukas und Baron Misco, einem Italiener — in späteren Jahren
+Staatsprokurator des Kongostaates — in einem dieser kleinen Boote an
+Land.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="019_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/019_ill.jpg" alt="Las Palmas">
+</figure>
+
+<p>Am Hafen erwartete uns bereits ein vierspänniger Wagen, der uns in
+die Stadt hineinbringen wollte. Mißtrauisch musterten meine Gefährten
+das Vehikel, dem wir unser Leben anvertrauen sollten: eine elende,
+wacklige Kutsche, aus dem vorigen Jahrhundert stammend, vernachlässigt
+und zusammengeflickt, gezogen von vier staubigen, verhungert
+aussehenden Rosinanten und geführt von einem fortwährend fluchenden,
+verlotterten Spanier mit einem riesigen Manilahut, unter dem der Kopf
+fast vollständig verschwand. So ungefähr sah die Equipage aus, in der
+wir scharf an den Klippen und Felsen entlang wie vom Teufel besessen
+dahinsausten, bei jedem Anprall an einen größeren Stein uns gegenseitig
+um den Hals fallend.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span></p>
+
+<p>Bald erreichten wir die Stadt, ein winkeliges Gewirr von Straßen und
+niederen, nach orientalischer Art in hellen Farbentönen gehaltenen
+Häusern. Wir passierten ein bis zwei verlassene »Plazzas«, ein
+ausgetrocknetes Flußbett, an dem gearbeitet wurde, und landeten
+schließlich in einem der englischen Hotels. Nach kurzem Imbiß bummelten
+wir in Begleitung des belgischen Konsuls durch die Stadt.</p>
+
+<p>Diese besteht aus der sogenannten Altstadt und dem Fremden- und
+Geschäftsviertel. Die Altstadt ist entschieden der interessantere Teil,
+und diesem wandten sich unsere Schritte zu. Die in amphitheatralischer
+Anordnung in die Felsen gehauenen Wohnstätten der Ureinwohner haben
+sich als solche bis heute erhalten. Als einzige Errungenschaft der
+Neuzeit ist eine Art Vorbau aus Lehm und Erde, mit grellen Farben
+angetüncht, hinzugekommen, um zu verhüten, daß Wind und Regen direkt
+in die Behausung hineinschlagen. In diesen Höhlen, die aus einem oder
+höchstens zwei Räumen bestehen, wohnen ganze Familien. Die Kinder,
+zum Teil völlig unbekleidet, spielen vor den Eingängen oder laufen
+bettelnd auf den Straßen den Fremden nach. Diese terrassenförmig
+übereinanderliegenden Höhlen sehen aus der Ferne höchst pittoresk aus;
+wenn man sie aus der Nähe betrachtet, bemerkt man, das sie von Schmutz
+und Unrat starren und von Ungeziefer wimmeln.</p>
+
+<p>Das Geschäfts- und Fremdenviertel ist ein Gewirr von kleinen, flachen,
+anspruchslosen Häuschen, die sich um die Kathedrale, das Rathaus
+und die Garnisonkaserne planlos herumgruppieren und ohne jegliches
+Interesse sind. Als Sehenswürdigkeit hervorzuheben ist einzig und
+allein die Kathedrale, ein aus dem Mittelalter stammender Bau mit
+reichgeschnitzter Kanzel und alten Meisterwerken im Innern.</p>
+
+<p>Wir besuchten den Fruchtmarkt, wo tausende Bushels Bananen, Ananas,
+grüne Feigen, Kürbisse, Melonen und Mangos, die die Landbevölkerung aus
+dem Innern auf Mauleseln und Tragtieren herangebracht, von europäischen
+Händlern aufgekauft werden, um mit dem nächsten Dampfer über England
+nach dem Kontinent weiterzuwandern. Hinter den zu Bergen aufgehäuften
+Früchten stehen die Verkäuferinnen, ganz nach orientalischer Art
+in wallende weiße Tücher gehüllt, und bieten ihre Waren mit lautem
+Geschrei aus.</p>
+
+<p>Wenn auch im allgemeinen die Züge, vor allem der Frauen, sehr rasch
+verblühen und verrohen, findet man doch auch mitunter Mädchen<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span>
+darunter, die geradezu ein Schönheitsideal darstellen. Üppiges
+schwarzes Haar, feurige dunkle Augensterne mit blendend weißem
+Augapfel, stolz und edel geformte Gesichtszüge, zierlich kleine
+Hände und Füße und eine leicht gebräunte Haut sind die Kennzeichen
+des Schönheits-Typus der Inselbewohner, ganz im Gegensatz zu den
+eingewanderten Spanierinnen, welche sich durch die auffallend weiße
+Gesichtsfarbe von ihnen unterscheiden.</p>
+
+<p>Ehe wir an Bord zurückkehrten, besorgten wir noch einige Einkäufe,
+und ich hatte dabei oftmals Gelegenheit zu bemerken, daß die Leute,
+die trotz des großen Fremdenverkehrs in bezug auf Sprachkenntnisse
+geistesfaul sind, doch ganz genau verstehen, ihren Vorteil zum Schaden
+der Fremden zu wahren und sie tüchtig übers Ohr zu hauen.</p>
+
+<p>Unser Dampfer war bis zum Augenblick der Abfahrt von einem Schwarm
+kleiner Boote belagert, deren Insassen verzweifelte Anstrengungen
+machten, uns Passagieren Tabak und Zigarren, Kanarienvögel und
+Madeirahündchen aufzuschwatzen oder nach den ihnen zugeworfenen
+Münzen zu tauchen. Ganz erstaunlich war die Gewandtheit und Ausdauer,
+mit welcher diese kleinen, braunen Gesellen aus beträchtlicher Höhe
+kopfüber ins Wasser sprangen und die blitzenden Geldstücke aus
+ansehnlicher Tiefe herausholten.</p>
+
+<div class="footnotes">
+<p>Fußnoten:</p>
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Ein Wurfspiel mit Bleischeiben.</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Eine halbe Stunde vor der Mahlzeit wird ein Appetit
+anregendes Getränk verabfolgt.</p>
+</div>
+</div>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Freetown. Äquatortaufe.</h2>
+</div>
+
+<p>In den nächsten Tagen umfing uns tropische Hitze, die die meisten
+Passagiere zwang, ihr europäisches Kostüm gegen die schmucke weiße
+Tropentracht zu vertauschen. Fliegende Fische kamen nunmehr in ganzen
+Scharen vor. Sie flohen entsetzt vor unserem Dampfer und strichen
+tänzelnd über die Wasserfläche. Des Nachts wurden sie durch unsere
+Lichter angelockt und fielen dann an Deck. Am 16. Juli früh erschien
+zum ersten Male die Küste Afrikas, das felsige Kap Verde und in der
+Ferne eine der Kapverdischen Inseln. Die Gegend schien trostlos öde
+und sandig zu sein und war nur mit spärlichen Kokos- und Dattelpalmen
+bedeckt.</p>
+
+<p>Am 18. Juli betraten wir — in der Sierra Leone — zum ersten Male
+afrikanischen Boden, und mein Herz hüpfte und jauchzte im Vorgefühl
+herrlicher Stunden. Doch das afrikanische Klima, die<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> feuchte, heiße
+Luft, die ungewohnte Ausdünstung der vielen nackten Negerleiber hatten
+eine derart erschlaffende Wirkung auf mich Neuling, daß es schwer
+hielt, die Unmasse neuer Eindrücke festzuhalten.</p>
+
+<p>Während in Las Palmas ungeheure Felsenmassen unbewaldet gen Himmel
+ragen, scheint hier die Natur ihr möglichstes in der Vegetation getan
+zu haben. Stufenweise ragen mächtige Berge mit üppigem Grün in allen
+Schattierungen aus dem in der Sonne leuchtenden Meeresspiegel empor.
+Unser Auge labte sich nach dem Anblick der glitzernden Wasserflächen an
+dem saftigen Grün der Palmen und des Urwaldes. Einen echt tropischen
+Anblick gewährt das an einer Berglehne im Schatten schlanker Dattel-
+und Kokospalmen liegende Freetown, dessen Häuser mit den weißen, unter
+dem Grün hervorleuchtenden Dächern einzelner Faktoreien untermischt
+sind. Mein erster Eindruck beim Betreten dieses Landes war: Hier ist
+das Paradies auf Erden — hier laßt uns Hütten bauen. Die Flora steht
+auf höchster Stufe. Aus dem saftigen Grün der schattigen Mangos,
+Goyaven und Alven schießen, gleich mächtigen Feuergarben »Flamboyants«,
+Jasmin, Goldregen und Lilas sowie eine Menge mir unbekannter exotischer
+Pflanzen in leuchtenden Farben empor. Die Luft ist erfüllt von dem Duft
+tropischer Blüten, die, von Menschenhand aus dem Urwald herbeigeholt,
+in verschwenderischer Pracht, sowohl im Park des Regierungsgebäudes
+als in den vielen kleinen Gärten und Anlagen angepflanzt sind. Auf den
+Häusern und im Schatten der Palmen sitzen melancholisch große Adler
+und eine kleine Art Kondor mit braunem Gefieder, weißer Halskrause und
+weißem Hals und Kopf, die — wie die Hunde Konstantinopels — für die
+Reinlichkeit der Straßen sorgen. Sie gehören dort ebenso wie zahme
+Affen und Papageien, die sich auf den Palmen und den Schlingpflanzen
+schaukeln und klettern, zu den Haustieren.</p>
+
+<p>Doch bald nach Betreten des Landes, vor allem, wenn um die Mittagszeit
+die sengenden Sonnenstrahlen die Glieder erschlaffen, und die
+feuchtheiße, von fremdartigen Gerüchen durchschwängerte Luft einem den
+Atem benimmt, merkt man, daß dieses von der Natur so herrlich bedachte
+Land giftige Keime für den Fremden in sich birgt.</p>
+
+<p>Die Stadt besteht aus einem Kunterbunt von kleinen ebenerdigen
+Lehmhäuschen in allen möglichen Stilarten, vorwiegend »<span class="antiqua">à la
+marocaine</span>« gebaut, sowie Hütten, aus alten Kisten errichtet, an<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span>
+deren Außenseite noch die Bestimmungsadresse ersichtlich ist, mit
+Dächern aus getrockneten Palmblättern. Ich bemerkte außerdem noch das
+Garnisongebäude, drei kleine Forts und eine Anzahl Kirchen, in denen
+gesungen und gepredigt wurde. Das Volk spricht durchweg außer der
+Eingeborenensprache ein fürchterliches »Pidgin-Englisch«.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="023_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/023_ill.jpg" alt="Freetown">
+</figure>
+
+<p>Der Tag unserer Ankunft war ein Sonntag, und der Anblick der in
+Festtagsgewänder gehüllten Bevölkerung war ein unbeschreiblich
+komischer — der reinste Fastnachtstaumel. Was da an Phantasietoiletten
+in den schreiendsten, grellsten Farben geboten wurde — vom
+Talmi-Gentleman in Frack, grauem Zylinder, roter Krawatte und
+hellgelben Schuhen, bis zum halbnackten Baby mit überhängendem Bauch
+und grellen Strümpfen und Schuhen — davon läßt sich eine Beschreibung
+überhaupt nicht geben. Die Neger dieser Küste, sowohl Männer wie
+Frauen, sind überaus putzsüchtig und eitel; sie geben den letzten
+Groschen ihres Verdienstes hin, um sich gegenseitig auszustechen. Bei
+ihrer Vorliebe für leuchtende Farben kommen dabei die unmöglichsten
+Toiletten heraus. Derart in Festtagsgewänder gehüllt, tragen sie eine
+gemessene Miene zur Schau und sind<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> tiefgekränkt, wenn sie nicht
+vollwertig als Gentleman und Lady genommen werden.</p>
+
+<p>Wir nahmen hier etwa 70 dieser Gentlemen als Arbeiter zum Aus- und
+Einladen des Dampfers bei der Ankunft im Kongostaate an Bord. In den
+modernsten nagelneuen Kostümen, mit Lackschuhen, weißer Weste, weißen
+oder feuerroten Glacéhandschuhen kamen sie an Bord, hinter sich einen
+Boy mit leerem Schiffskoffer. In diesen wanderten eine halbe Stunde
+nach ihrer Ankunft all die Herrlichkeiten des äußeren Menschen,
+mit ihnen aber auch der Gentleman, und an seine Stelle trat, teils
+halbnackt, teils in alte zerrissene Fetzen gehüllt, der Neger.</p>
+
+<p>Doch zurück nach Freetown. In unseren neuen Tropenkostümen wanderten
+wir durch das Gewirr von Gäßchen. Es ist geradezu unglaublich, in
+welchem Elend, Schmutz und Unrat diese Talmi-Gentlemen leben. Vor
+den Häusern, auf den Straßen, überall liegen die Abfälle, und wären
+nicht die »Charognards« (Aasgeier), die morgens und abends darunter
+aufräumen, so würden unbedingt Seuchen entstehen.</p>
+
+<p>Nur allzubald ertönte die Schiffskanone als Zeichen der Abfahrt, und
+wir mußten an Bord zurück. Hier fanden wir das ganze Zwischendeck von
+den Gentlemen in Beschlag genommen, die, wilde Grimassen schneidend,
+zankten und quakten, wie ein Heer schnatternder Gänse. Gegen 7 Uhr
+abends, kurz nach Sonnenuntergang, legte sich der allgemeine Lärm, und
+beim Klang von Gitarren und Ziehharmonikas begann ein aus der Mitte der
+Neger entstandener Chor allerhand schwermütige Weisen zu singen, die
+mir bei diesen herrlichen Tropennächten sehr zu Herzen gingen.</p>
+
+<p>Der 23. Juli war einer der heitersten und gemütlichsten Tage, die ich
+während dieser Fahrt verbracht habe, und wenn auch der gute Neptun so
+manchen Kopf und Magen, darunter auch den meinen, arg zugerichtet hat,
+so kam ich doch als einer der ersten ziemlich glimpflich davon und
+konnte mit Schadenfreude wahrnehmen, daß es den »Nichtfreiwilligen«
+bedeutend schlechter ergangen war. Am Abend vorher, um 8 Uhr — wir
+saßen gerade beim Diner — erdröhnte plötzlich ein Kanonenschuß. Die
+Schiffsschraube hielt für kurze Zeit, und bald darauf erschien ein
+Meerungeheuer als Abgesandter Neptuns, ließ sich beim Kapitän melden
+und überreichte ihm ein Protokoll, in welchem Neptun seiner Freude
+darüber Ausdruck gab, daß wir diese Breiten, die die Weltkugel in 2
+Teile zerlegen,<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> besuchten. Zugleich kündete er für den folgenden
+Tag seine Ankunft nebst Gattin und Gefolge an und empfahl inzwischen
+Fasten und Beichten, damit wir, aller Sünden rein, die Taufe glücklich
+bestehen würden. Nach dem ersten Schreck war alles in hellster
+Aufregung, denn die meisten Passagiere faßten diese Zeremonie, von der
+sie bereits vorher gehört hatten, als eine höchst unangenehme Prozedur
+auf. Schaudergeschichten, die dem Neuling die Haare zu Berge stehen
+lassen, wurden bei dieser Gelegenheit von den alten Afrikanern erzählt.</p>
+
+<p>Der schicksalsschwere Tag brach an. Gegen 10 Uhr passierten wir San
+Thomé. Der Äquator berührt die Insel, die eine der schönsten und
+fruchtbarsten Afrikas sein soll. Da der Nebel sie völlig einhüllte, war
+leider nur die höchste Spitze, »<span class="antiqua">La Dent du Chien</span>«, sichtbar.
+Während der Kapitän den Neulingen den Äquator durch ein eigens zu
+diesem Zweck eingestelltes Fernrohr zeigte, auf welchen Spaß auch
+richtig Verschiedene hineinfielen, traf die Mannschaft heimlich
+alle erdenklichen Vorbereitungen zum würdigen Empfange Neptuns. Das
+Vorderdeck des Schiffes wurde mittels wasserdichten Segelleinens zu
+einem Bassin umgewandelt und angefüllt. Um 3 Uhr nachmittags erdröhnte
+wieder ein Kanonenschuß; der feierliche Moment nahte; bang klopften
+alle Herzen; Neptun mit dem Dreizink — ein ehrwürdiger Meergreis —
+mit Gemahlin, Doktor, Einseifer und Barbier sowie einem großen Gefolge
+von Soldaten erschien am Schiff, besichtigte dasselbe und begrüßte
+den Kapitän. Unter ohrenbetäubendem Tamtam aus allen möglichen und
+unmöglichen Blechgefäßen und Trommeln wurden sämtliche Passagiere
+mit Namen aufgerufen und im Halbkreis um das Bassin aufgestellt.
+Mit Ausnahme der Damen, denen man gestattete, sich in ihre Kabinen
+einzuschließen, wurde niemand verschont. Die Soldaten durchsuchten
+das ganze Schiff und brachten alle Neulinge, die sich angsterfüllt
+verkriechen wollten, auf Deck.</p>
+
+<p>Auf Anraten meines afrikanischen Freundes hatte ich mich freiwillig
+als erster gemeldet. Nachdem Neptun eine feierliche Anrede an mich
+gehalten hatte, deren Sinn ich in der ungeheuren Aufregung, die sich
+meiner bemächtigte, nicht begriff, bekam ich vom Doktor, der mich auf
+meine Widerstandsfähigkeit untersucht hatte, eine Pechpille in den Mund
+geschoben. Als nächste Prozedur schmierte mir der Barbier mit einem
+riesigen Pinsel eine übelriechende, klebrige Masse im Gesicht, auf Kopf
+und Nacken herum,<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> die er mit einem großen, aus Holz hergestellten
+Rasiermesser zum Teil abscheuerte. Im nächsten Moment fühlte ich mich
+von kräftigen Händen mit einem Ruck ins Wasser gestürzt, daß mir Hören
+und Sehen verging, und ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen.
+Ich wurde 5- bis 6mal untergetaucht, dann hinausgehoben, und ehe ich
+noch recht gewahr wurde, wo ich war, steckte ich in einem etwa 6 Meter
+langen Schlauch, gerade groß genug, um dem Körper zu gestatten, sich
+wie eine Schlange hindurchzuwinden. Hier hineingestopft, wurde ich
+mit der Wasserspritze von hinten so lange unerbittlich bespritzt,
+bis es mir gelang, zum anderen Ende wieder herauszukommen. Ich begab
+mich sofort in eines der Badezimmer, das glücklicherweise noch nicht
+besetzt war. Mit großer Mühe nur vermochte ich die pechartige, ölige
+Flüssigkeit vom Leibe zu bringen, wobei natürlich mit Seife und Bürste
+nicht gespart werden durfte. Sodann begab ich mich wieder an Bord, um
+dem Schluß der Feierlichkeiten beizuwohnen.</p>
+
+<p>Es ereignete sich nun ein kleiner Zwischenfall, der viel Spaß
+erregte, jedoch von bösen Folgen hätte begleitet werden können.
+Einige erbitterte Passagiere näherten sich von rückwärts dem dicken,
+ahnungslosen Neptun, und ehe dieser es sich versah, wurde er von
+kräftigen Fäusten hochgehoben und kopfüber ins Bassin gestürzt.
+Triefend vor Nässe, prustend und nach Atem ringend, tauchte der
+Riesenschädel, dem die Krone infolge des Sturzes bis über die Ohren
+gesunken war, empor. Der Greisenbart hing wirr in langen Fäden auf
+die Brust herunter, und seiner Pracht war ein jämmerliches Ende
+bereitet. Ein Glück, daß die Krone umfangreich und über die Ohren
+hinuntergerutscht war, da ihm das scharfe Messingblech sonst böse
+Verwundungen hätte beibringen können. Dies bildete den Schlußakt der
+Taufe der Passagiere. Nun kamen die Neger an die Reihe. Dieselben
+wurden zu Dutzenden in das Wasser geworfen und purzelten in höchst
+komischer Weise durcheinander.</p>
+
+<p>Am Abend fand zu Ehren der Taufe ein Konzert statt. Die künstlerisch
+ausgestatteten Programme wurden versteigert und brachten ein namhaftes
+Erträgnis, welches zum Teil der beim Neptunsreigen mitwirkenden
+Mannschaft, zum Teil für das »Seemannsheim für verlassene Witwen und
+Waisen« gespendet wurde. Der Abend verlief äußerst gemütlich und
+artete schließlich, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, in ein
+Champagnergelage aus.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span></p>
+
+<h2>Ankunft in Banana.</h2>
+</div>
+
+<p>Am Morgen des 25. Juli bemerkten wir auf der sonst dunkelblauen
+Wasserfläche allenthalben gelbe Flecken, die auf die Mündung des
+Kongoflusses schließen ließen. Gegen 10 Uhr kam dieser selbst in Sicht,
+und längs herrlicher Urwälder und Mangroven fuhren wir Mittag in Banana
+ein. Der Hafen ist durch die Landzunge, deren größter Teil Besitz der
+holländischen Gesellschaft »N. A. H. V.« ist, vom Meere getrennt. Ein
+ungemein liebliches Bild bot sich von Bord aus unseren Augen dar. Die
+ganze Landzunge bildet eine Art Naturpark, der von Menschenhänden
+sorgfältig gepflegt wird. Neben mächtigen Mangobäumen finden sich
+überwiegend die mit Nüssen reich beladenen Kokospalmen, unter deren
+Schatten die blendend weißen Dächer der Faktoreigebäude und die sie
+verbindenden, mit weißem Kies bestreuten und zu beiden Seiten mit
+schneeweißen Muscheln eingefaßten Fußwege hervorleuchten. Zur Linken
+die Dockanlagen und Schiffsreparaturwerften der Gesellschaft, auf deren
+Hellingen gerade verschiedene Dampfer ausgebessert wurden. Trotz der
+Mittagshitze herrschte überall, wahrscheinlich infolge der Ankunft
+unseres Dampfers, fieberhafte Tätigkeit.</p>
+
+<p>Eine Dampfbarkasse, mit der holländischen Fahne und dem holländischen
+Wappen geschmückt — denn der jeweilige Direktor der »N. A. H. V.« ist
+gleichzeitig holländischer Konsul — löste sich vom Ufer und brachte
+diesen sowie einen Sanitäts-Offizier an Bord, der die Schiffspapiere
+untersuchte, um zu konstatieren, ob wir keinen verseuchten Hafen
+angelaufen waren. Ihnen folgte eine ganze Anzahl kleiner, schmaler, von
+den Eingeborenen gelenkter Kanus, die ich hier zum ersten Male in ihrem
+schlanken Bau und in ihrer einfachen Konstruktion bewundern konnte.
+Diese aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestehenden Boote sind schon so
+oft beschrieben, daß ich hier nicht weiter darauf eingehe. Mehr noch
+als die Boote bewundere ich die außerordentliche Geschicklichkeit der
+Neger im Rudern, denn diese schwankenden Kanus stehend im Gleichgewicht
+zu halten, ist wahrhaftig keine Kleinigkeit. Hier wiederholt sich
+ungefähr das gleiche Bild wie in Las Palmas, mit dem Unterschied, daß
+die Eingeborenen in ihren Nußschalen an Stelle von Tabak und Zigarren
+graue Kongopapageien,<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> rote, reich ornamentierte Tongefäße, die als
+Wasserkaraffen verwendbar sind, Kürbisflaschen, in allen möglichen
+Größen und Formen und mit weißen Ornamenten versehen, sowie Ananas,
+Mangos und Papaifrüchte in schlechtem Portugiesisch zum Kaufe anbieten.</p>
+
+<p>Ich verabschiedete mich hier von meinem Reisegefährten, Herrn Lukas,
+welchem als altem Afrikaner die Ehre zuteil wurde, von unserem
+Generaldirektor persönlich bewillkommt und an Bord seiner Dampfbarkasse
+an Land gebracht zu werden. Ich dagegen erhielt Order, an Bord des
+Dampfers meine Instruktionen abzuwarten.</p>
+
+<p>An Bord herrschte Tag und Nacht fieberhafte Tätigkeit. Leichterboote
+zu beiden Seiten des Schiffes, die leer ankamen und vollbeladen mit
+Waren an Land zurückkehrten; ein ständiges Gerassel und Fauchen der
+Maschinen, die die großen Dampfwinden bedienten und schwere Lasten aus
+den Eingeweiden unseres schwimmenden Riesen auf den Dampfer »Prins
+Hendrik« überluden.</p>
+
+<p>Da der Wasserstand des Kongoflusses 8 Stunden stromaufwärts an der
+großen Sandbank ziemlich niedrig ist, mußte ein großer Teil der
+zu befördernden Waren ausgeladen werden, um den Dampfer derart zu
+entlasten, daß er die Barriere passieren konnte. Drei Tage lang harrte
+ich an Bord der in Aussicht gestellten Instruktionen, während meine
+Mitpassagiere vergnügt an Land gingen und mir immer wieder Neues von
+den Herrlichkeiten und Wundern dieses Kontinents berichteten.</p>
+
+<p>Wie ganz anders hatte ich mir in meiner jugendlichen Phantasie meine
+Ankunft und meinen Empfang auf afrikanischem Boden vorgestellt. Ich
+hatte erwartet, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und mußte
+nun das Gegenteil erleben. Dies war die erste einer ganzen Reihe von
+Enttäuschungen und Lehren, die meiner harrten, und sie war vielleicht
+gerade als erste die allerschwerste. Von Hause aus verwöhnt, waren
+mir meine früheren Chefs in Holland mit der größten Liebenswürdigkeit
+entgegengekommen und hatten mich in ihren Familienkreis eingeführt.
+Infolge meines kühnen Entschlusses, nach Afrika zu gehen, war ich
+gewissermaßen unter meinen Bekannten als Held gefeiert worden; und nun
+diese Ernüchterung!</p>
+
+<p>Endlich erhielt ich ein paar Zeilen mit der Aufforderung, mit meinem
+Gepäck an Land zu kommen. Ein junger Faktoreibeamter erwartete mich
+hier und wies mir in einem der Gebäude ein luftiges, auf der Seeseite
+gelegenes ebenerdiges Zimmer an. Dieses war<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> innen weiß getüncht,
+der Lehmboden war von einer Strohmatte teilweise bedeckt und das
+ganze Mobiliar bestand aus einem Bett, einem Waschbecken und einem
+Stuhl, alles hier an Ort und Stelle von Zimmerleuten roh angefertigt.
+Fenster sind hier ein unbekannter Luxus, an deren Stelle einfache
+Holzläden treten. Im ersten Augenblick war ich starr vor Erstaunen und
+Enttäuschung, da das schlanke Faktoreigebäude, von außen gesehen, den
+Eindruck des behaglichen Komforts machte.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp44" id="029_ill" style="max-width: 36.75em;">
+ <img class="w100" src="images/029_ill.jpg" alt="Rückentätowierung einer Frau">
+</figure>
+
+<p>Noch ehe ich mich von meiner Überraschung vollständig erholt hatte,
+war der Angestellte verschwunden, und an seiner Stelle verblieb ein
+kleiner, schmutziger Negerjunge, mein »Boy«, in weißem Hemd und
+farbigem Lendentuch, der in einem Kauderwelsch von Portugiesisch sich
+nach meinen Wünschen erkundigte. Da meine Toilette beim Ausbooten etwas
+gelitten hatte, bedeutete ich ihm, der Sprache nicht mächtig, durch
+Gebärden so gut wie möglich, mir Waschwasser zu bringen und zog mich um.</p>
+
+<p>Um 6 Uhr abends erscholl ein Gongschlag, und von den Hauptgebäuden
+begaben sich die verschiedenen Angestellten, die tagsüber darin
+beschäftigt waren, in ihre Wohnhäuser. In den Zimmern nebenan wurde es
+lebendig. Ich stellte mich selbst meinen Nachbarn vor und erfuhr, daß
+dies das Passagiergebäude und sie, gerade so wie ich, nur Passagiere
+seien — allerdings Passagiere, die bereits drei Jahre in Afrika
+zugebracht hatten und nun auf der Rückkehr in die Heimat den Dampfer
+hier erwarteten.</p>
+
+<p>Ein zweites Gongzeichen ertönte, und mit meinen neuen Bekannten
+begab ich mich in die Vorhalle des Hauptgebäudes, wo inzwischen<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> die
+Aperitif- und Bitter-Tafel gedeckt war. Hier stellte ich mich dem
+Bureauchef vor und wurde von diesem allen ankommenden Herren, im ganzen
+vielleicht 30 Personen einschließlich des Direktors, vorgestellt. Es
+ging bei dieser Bitter-Tafel gewissermaßen kameradschaftlich zu, doch
+mit einem Unterton, wie etwa in einer Offiziersmesse, wenn höhere und
+höchste Offiziere zugegen sind. Jeder hatte seinen Rang und danach auch
+seine Stimme, und nachdem der Direktor sich höflichkeitshalber nach dem
+Verlauf meiner Reise erkundigt hatte, war vorläufig die Anteilnahme für
+mein Schicksal erloschen.</p>
+
+<p>Ich habe absichtlich den Tag meiner Ankunft etwas ausführlich
+geschildert, um meinen Lesern damit ein Beispiel dafür zu geben, wie
+wenig Bedeutung das eigene »Ich«, losgelöst von der heimatlichen
+Scholle, im Weltgetriebe draußen hat.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Meine erste Beschäftigung. Ein Jagdausflug.</h2>
+</div>
+
+<p>Früh 1/2-6 Uhr erschien mit dem ersten Gongzeichen mein kleiner
+Boy, öffnete Tür- und Fensterläden und ermahnte mich durch Gebärden
+zum Aufstehen. Die Nacht war kühl, draußen herrschte noch leichte
+Dämmerung, als ich mich von meinem harten Lager erhob und von meiner
+Veranda aus Umschau hielt. Punkt 6 Uhr waren alle Beamten und
+Arbeiter in Reih und Glied vor dem Hauptgebäude aufgestellt, und den
+verschiedenen Sektionen wurde ihre Tagesarbeit unter Aufsicht der
+Beamten zugeteilt. Ich wurde vorläufig zur Disposition des Bürochefs
+gestellt, der mir verschiedene Bureauarbeiten, wie Kontrolle der
+Bilanzen der Faktoreien, anvertraute. Zur Abwechslung wurde ich vom
+Faktoreichef zuweilen zur Revision der vom Oberkongo hereinkommenden
+Transitladungen von Elfenbeinzähnen herangezogen, welche Arbeit mein
+Interesse besonders fesselte, da unter den Zähnen solche bis zu 70 und
+76 Kilogramm Gewicht vorkamen.</p>
+
+<p>Ich hatte mich in mein neues Leben sehr bald eingewöhnt und mir durch
+mein Klavierspiel auch die Zuneigung des Direktors erworben. An Arbeit
+und neuen Eindrücken fehlte es nicht, denn von<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> 6 Uhr früh bis 6 Uhr
+abends, und an Posttagen sogar oft bis 8 und 10 Uhr nachts wurde mit
+einer kurzen Mittagspause von einer Stunde ununterbrochen gearbeitet.
+Gegen 6 Uhr abends fanden sich immer einige Bekannte, mit denen ich
+gemeinsam an einer seichten Stelle des Meeres ein Bad nahm, während
+eine Schildwache mit geladenem Gewehr dabei beständig Ausschau hielt,
+um etwa allzu vorwitzige Haifische, die sich zu nahe heranwagen
+sollten, sofort anzuschießen. Längs der Küste kommen diese unheimlichen
+Gesellen in beträchtlicher Anzahl vor, und die über die Wasserfläche
+hinausragenden Schwanz- und Rückenflossen sind mit bloßem Auge bei
+einiger Aufmerksamkeit leicht zu erkennen.</p>
+
+<p>Unsere Erholungszeit fiel also hauptsächlich in die Abendstunden
+nach dem Abendmahl, welche uns alle im Billard- und Musikzimmer
+vereinigte, um die allabendliche Kriegspartie, bei der eine
+beliebige Anzahl Spieler teilnehmen kann, auszutragen. Als beliebte
+Abwechslung waren die Passagierboote der »Messagerie Maritime« sowie
+der »Woerman-Linie« sehr willkommen, bei deren Ankunft wir entweder
+Besuche an Bord der Schiffe abstatteten oder an Land Feste zu Ehren
+der befreundeten Kapitäne abhielten. Ganz besonders in Erinnerung
+ist mir ein Fest anläßlich der Ankunft des Gouverneurs von Kamerun,
+Exzellenz von Puttkamer, der uns an Bord des deutschen Kriegsschiffes
+»Habicht« besuchte, und bei welcher Gelegenheit olympische Spiele der
+Neger-Segelregatta und sogar ein Theaterstück aufgeführt wurden. Da
+gerade Vollmondnacht war, veranstalteten die Eingeborenen ihren ganz
+eigenartigen Mondtanz, in welchem die Tanzenden als einzige Bekleidung
+um die Lenden in der Art unserer Ballettänzerinnen einen Gürtel aus
+Strohgeflecht und als Kopfbedeckung eine Maske aus demselben Material
+trugen.</p>
+
+<p>Den ersten freien Sonntag benutzte ich zu einem Jagdausflug auf eine
+der gegenüberliegenden Inseln. Der Kongo hat an seiner Mündung eine
+Breite von mehr als 15 Kilometern und bildet mit seinen unzähligen
+toten Armen — sogenannten Creeks — eine Unmenge größerer und kleiner
+Inseln, die nur zum Teil von einer friedlichen Bevölkerung bewohnt,
+im übrigen aber vollkommen unkultiviert und von undurchdringlichem
+Mangrovendickicht und Urwald bewachsen sind. Der Zutritt zu einer
+solchen Insel ist durchaus keine leichte Sache und nur an solchen
+Stellen möglich, wo irgendein Dickhäuter, z. B. ein Nilpferd, sich
+einen Weg zum Wasser gebahnt hat. Anderwärts starrt dem Eindringling
+aus Morast und<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> Sumpfgelände ein Gewirr von drei bis vier Meter hohen
+Luftwurzeln der Mangroven als unüberbrückbarer Wall entgegen.</p>
+
+<p>Es war gegen 3 Uhr nachmittags; die größte Hitze war vorüber, als ich
+in Begleitung eines älteren Faktoreibeamten, gefolgt von zwei Dienern,
+mit scharfen Haumessern, die dazu dienen sollten, uns nötigenfalls
+einen Weg durch das Dickicht zu bahnen, bewaffnet, in einem kleinen
+Ruderboot in das Labyrinth von Inseln und totem Wasser eindrang. Eine
+leichte Brise von der Seeseite her milderte die drückende Schwüle, die
+auf der Wasserfläche lastete. Tiefes, fast übernatürliches Schweigen
+der Natur, das unwillkürlich zur Andacht stimmte, herrschte um uns.
+Das Lockrufen und Zwitschern der Vögel am frühen Morgen und gegen
+Abend, das Kreischen der Papageien und Krächzen der Nashornvögel,
+das Zirpen, Pfeifen und Surren der Zikaden, Baumgrillen und Myriaden
+anderer Insekten ist um diese Zeit verstummt. Die Natur lag in tiefem
+Mittagsschlaf. Fast war man geneigt, das Plätschern unserer Ruder als
+brutale Störung dieser Waldandacht zu empfinden.</p>
+
+<p>Träge glitt unser Boot an einem undurchdringlichen grünen Wall von
+Schlingpflanzen, Mangrovendickicht und Urwald, eng miteinander
+verschlungen und verwachsen und dem Eindringling den Zugang zum festen
+Lande verwehrend, vorüber. Vom Wasser aus gesehen, hat dieser lebende
+Schutzwall geradezu etwas Märchenhaftes. In zarten Fäden, gleich
+Spinnweben, hängen die Ausläufer von den höchsten Spitzen der Mangroven
+und Bäume bis zum Wasser herab und bilden, mit den gleichfalls aus dem
+Laubdach herabfallenden Lianen dicht verschlungen, reizende Grotten und
+Höhlen. Dem Neuling erschließt sich hier ein Reich der Wunder, welches
+Herz und Sinne völlig in seinen Bann schlägt.</p>
+
+<p>Wir landeten an einem ausgetretenen Nilpferdpfad, und mein Herz
+pochte mächtig bei dem Gedanken, das ungeschlachte Ungeheuer könnte
+uns aus dem undurchdringlichen Dickicht entgegentreten. Doch nichts
+dergleichen geschah, und mit ein paar Sprüngen über Morast standen
+wir auf festem Boden. Beim Eintreten in das Walddickicht konnte ich
+mich eines gewissen Gefühles der Beklemmung nicht erwehren. War es das
+mächtige Walten und Schaffen der Natur, das mich Neuling niederdrückte?
+Meine Augen schweiften unruhig umher und bemerkten, daß der Grund und
+Boden, auf dem wir standen, von mir unbekannten Geschöpfen wimmelte.
+Das Gelände war sumpfig und allenthalben von Löchern unterhöhlt. Vor
+diesen<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> saßen prachtvoll vom hellsten Rot bis zum tiefsten Violett
+gefärbte Krabben von der Größe unserer heimischen Art bis zu den
+Maßen eines Hummers. Sowie wir uns auf ein paar Schritte näherten,
+verschwanden sie, um sofort, wenn wir den Rücken gekehrt hatten,
+wieder aus den Löchern hervorzukommen. Viele Stunden habe ich diese
+Tiere in ihrem Leben und Treiben belauscht und oftmals mittels eines
+Netzes versucht, ihrer habhaft zu werden; es ist mir aber nie gelungen.
+Diese Krabben, ebenso wie die Baumechsen in allen möglichen Größen
+und Formen, welche beim geringsten Geräusch mit einer unglaublichen
+Gewandtheit den nächsten Baum erklettern, bildeten während meines
+kurzen Aufenthaltes in Banana einen Gegenstand beständigen Interesses
+und Studiums. Beide Tierarten habe ich auf meinem weiteren Vordringen
+nach dem Innern Afrikas nirgends mehr angetroffen.</p>
+
+<p>Auf diesem ersten Jagdausflug erlegte ich eine kleine Wildkatze,
+meine erste Beute auf afrikanischem Boden, deren Fell ich abzog und
+präparierte. Leider übersah ich bei dieser Prozedur den langen,
+buschigen Schwanz, so daß derselbe die Haare verlor.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Die Fahrt nach Fuca-Fuca. Faktoreibeamter.</h2>
+</div>
+
+<p>Etwa sieben Wochen waren seit meiner Ankunft in Banana verstrichen. Ich
+hatte in dieser Zeit gründlich Gelegenheit gehabt zu überlegen, daß das
+ruhige Bureauleben auf einer großen Station, soviel Angenehmes es auch
+für den Durchschnittsmenschen haben mag, für meine abenteuerhungrige
+und nach freier Betätigung verlangende Natur nicht taugte. Lieber die
+Strapazen beschwerlicher Karawanenreisen, lieber Hungersnöte und Kämpfe
+mit den Eingeborenen ertragen, als hier von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr
+abends bei sengender Sonnenhitze hinter Büchern vergraben zu sein.</p>
+
+<p>Mein erster Versuch fortzukommen, wurde vom Konsul unter Hinweis
+auf die großen Vorzüge, die ich hier an Ort und Stelle in Form
+eines behaglichen Heimes, der Gesellschaft von Europäern, eines
+reich besetzten Tisches und schließlich einer voraussichtlich
+schnellen Karriere — da er mir persönlich sehr zugetan sei —
+schlankweg abgewiesen. Tatsächlich waren in der letzten Zeit einige
+unserer<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> Agenten in abgemagertem, elendem Zustande vom oberen Ubangi
+eingetroffen, die von unsagbaren Leiden und Hungersnöten in diesen
+Gebieten infolge eines Negeraufstandes berichteten. Doch ihre
+Erzählungen hatten auf mich gerade den gegenteiligen Einfluß und
+bestärkten mich eher in meinem Beschlusse, von Banana fortzukommen.
+Da mündliche Anträge nichts halfen, beschloß ich schriftlich, sowohl
+hier als auch bei der Zentrale in Europa anzusuchen. Diese Schritte
+geben mir Gelegenheit, einige Worte über die Organisation unseres
+geschäftlichen Unternehmens einzuflechten.</p>
+
+<p>Die Holländer waren neben den Portugiesen die ersten, die viele Jahre
+vor Zustandekommen der »Association Internationale«, aus der der
+heutige Kongostaat hervorgegangen ist, von der Kongomündung Besitz
+ergriffen hatten. Während die Portugiesen am linken Ufer des Stromes
+Fuß faßten, gründeten die Holländer Banana, errichteten daselbst
+eine eigene Schiffswerft und befuhren mit ihren Handelsdampfern den
+gesamten Unterlauf des Kongo bis nach Vivi, ungefähr auf der Höhe des
+heutigen Matadi gelegen, sowie die ganze portugiesische Küste nördlich
+und südlich der Kongomündung — heute Angola und Portugiesisch-Kongo
+genannt —, in deren wichtigsten Plätzen sie Faktoreien anlegten.
+Beim weiteren Vordringen ins Innere des Landes bis zum Stanley-Pool,
+im Gefolge von Stanley, waren wieder die Holländer die ersten, die in
+Brazzaville am Stanley-Pool die erste Handelsniederlassung gründeten
+und von dort aus mit ihren eigenen Dampfern den ganzen Oberlauf des
+Kongoflusses befuhren und daselbst Stationen errichteten. Die großen
+Entfernungen, die beide Stützpunkte räumlich voneinander trennen — die
+Eisenbahn Matadi-Stanley-Pool wurde erst Jahrzehnte später in Angriff
+genommen — nötigte die Gesellschaft, zwei vollständig voneinander
+getrennte Abteilungen mit je einem Direktor an der Spitze — die
+Unterkongo- und Oberkongo-Abteilung — einzurichten.</p>
+
+<p>Ich war von Europa aus ursprünglich auf mein Ansuchen hin für die
+Oberkongo-Abteilung bestimmt und vom Konsul gegen einen anderen Agenten
+eingetauscht worden. Meinem nochmaligen, schriftlichen Ansuchen konnte
+dieser sich daher nicht gut widersetzen, und er erfüllte meinen Wunsch
+wenigstens soweit, daß er mich nach der durch ihr ungesundes Klima
+berüchtigten Faktorei Fuca Fuca versetzte.</p>
+
+<p>Mit gemischten Gefühlen verließ ich am 27. September Banana, einesteils
+erfreut, meinen Wunsch erreicht zu haben, doch auch wieder<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> besorgt,
+wie meine weitere Zukunft sich gestalten werde, da Fuca Fuca im
+Rufe einer verseuchten Faktorei stand, auf der ihrer ungesunden
+Lage wegen kein Europäer es länger als zwölf Monate aushält und die
+meisten von ihnen sterben. Doch der herrliche Sonnentag, die heitere
+Gesellschaft an Bord und vor allem das Vertrauen auf meinen Glücksstern
+verscheuchten bald alle trüben Gedanken. Bald tauchte auf der linken
+Seite des Flusses, mitten im Palmenwald gelegen, Kisanga auf. Von
+der Flaggenstange vor dem Hauptfaktoreigebäude flatterte lustig die
+holländische Fahne in der leichten Brise. Das Gebäude selbst sah viel
+mehr einem modernen Jagdschlößchen als einer Faktorei ähnlich. Wege und
+Anlagen waren tadellos gepflegt und rein gehalten — ein europäisches
+in die Tropen versetztes Schmuckkästchen. Wir waren nachmittags gegen
+2 Uhr von Banana ausgefahren und verbrachten hier die Nacht, da wir
+noch einen Teil der Ladung löschen sollten. Ich begab mich mit dem
+Kapitän und dem Lotsen an Land und wurde vom Chef der Faktorei nach
+Besichtigung derselben zu einer Partie Billard eingeladen.</p>
+
+<p>Kisanga gehört noch zu Portugiesisch-Angola und bestand damals außer
+der portugiesischen Zollstation und dem holländischen Hause nur noch
+aus einer kleinen portugiesischen Faktorei. Während der Dämmerung
+ertönte plötzlich von der Flußseite her lebhaftes Geschrei. Eine
+Cabindafrau war beim Waschen von einem Krokodil durch einen Schlag
+seines mächtigen Schwanzes ins Wasser geschleudert und vor den Augen
+der entsetzten Gefährtinnen in Stücke zerrissen und in die Tiefe
+gezerrt worden. Der Vorfall versetzte mich begreiflicherweise in die
+höchste Aufregung, während die Holländer und Portugiesen die Sache ganz
+kühlen Blutes als etwas hinnahmen, was sich öfters ereignet. Es war den
+Eingeborenen untersagt, bei Einbrechen der Dämmerung an das Flußufer,
+noch dazu an tiefe Stellen, zu gehen, wo ein Krokodil sich ganz
+unbemerkt an sie heranmachen konnte. Beim ersten Morgengrauen verließen
+wir Kisanga, und in voller Fahrt ging es stromaufwärts nach der Haupt-
+und Regierungsstadt Boma, die wir gegen 1/2-12 Uhr — falls wir
+glücklich, ohne hängen zu bleiben, die große Sandbarriere überschreiten
+würden — erreichen sollten. An Stelle der dicht bewaldeten Inseln und
+des verhältnismäßig ziemlich hoch gelegenen und mit üppiger Vegetation
+bedeckten linken Flußufers stießen wir, je weiter wir ins Innere
+kamen, auf große Weide- und Schilfgebiete. Die<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> Inseln verflachen
+sich und sind mit hohem Schilfgras bewachsen, und die bewaldeten,
+hohen Ufer entschwinden allmählich aus dem Gesichtskreis. Wir näherten
+uns der großen Sandbank, welche alljährlich durch die Strömung hier
+angeschwemmt wird und, vor allem gegen Ende der Trockenperiode, wenn
+der Wasserstand am niedrigsten ist, die Schiffahrt ernstlich gefährdet.</p>
+
+<p>Ein Heer von Piloten ist beständig mit dem Sondieren der Wassertiefe
+und dem Suchen nach einem Durchgangswege für die Schiffe betraut, da
+Menschenhände bisher die Macht des Flusses infolge der eigenartigen
+geologischen Beschaffenheit des Terrains nicht zu bändigen vermochten
+und die Sandbänke im beständigen Abbau und in Neubildung begriffen
+sind. Das Flußbett, welches auf der Höhe von Kisanga z. B. eine Breite
+von zirka 1500 bis 2000 Meter haben mag, umfaßt hier wohl das Zehnfache
+und bildet mit den vielen Inseln, toten Armen und Sandbänken eine Art
+Binnensee, in welchem die Strömung kaum bemerkbar ist.</p>
+
+<p>An der eigentlichen Barriere bleibt dem Dampfer manchmal kein anderer
+Ausweg, als sich mit aller Maschinenkraft über das letzte Hindernis
+hinwegzuarbeiten. Gelingt das nicht, dann bleibt er oft zwei bis drei
+Wochen auf dem Sande sitzen, bis er soweit entladen ist, daß er sich
+herausarbeiten kann. Auch wir waren verschiedene Male an Sandbänke
+angefahren und gelangten schließlich nach einer Reihe von Stößen,
+die das Schiff bis in die Grundfesten erschütterten, über die große
+Barriere nach Boma.</p>
+
+<p>Boma ist die malerisch auf einer Anhöhe gelegene Haupt- und
+Residenzstadt des Gouverneurs des Kongostaates und zählte damals
+gegen 300 Europäer aller Nationen. Die Stadt ist von dem gleichfalls
+auf einem Hügel gelegenen Fort Shinkakassa vor feindlichen Angriffen
+sowohl von der Landseite aus als auch gegen den Fluß hin geschützt und
+besitzt eine kleine Lokalbahn, die das Ufer mit dem Fort verbindet
+und die Stadt durchquert. Boma ist überdies der Ausgangspunkt einer
+Eisenbahnlinie, die nach dem reichen und für Plantagenbau besonders
+geeigneten Hinterlande Mayumbe führt und von dort die Kolonialprodukte
+an Kautschuk, Kakao, Kaffee, Tee, Palmöl, Nutzhölzern aller Art usw.
+vom Innern an das Flußufer bringt. Von der Landungsbrücke gelangt man
+auf einen schattigen großen Platz mit einem Musikpavillon, <span class="antiqua">Place
+de la Marine</span> genannt, auf welchem an Sonntagen die Kapelle der
+»Katholischen Missionskinder« spielt. Von hier führt eine Straße den
+Fluß<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> entlang ins sogenannte Faktoreiviertel, d. h. die Niederlassungen
+der holländischen, portugiesischen, englischen und französischen
+Kaufleute, während eine zweite schattige Allee von Mangobäumen den
+Hügel erklimmt und nach dem »Boma-Plateau« führt, auf welchem die
+meisten Verwaltungsgebäude der Regierung, die Katholische Mission
+nebst kleiner Missionskapelle sowie das Gouvernementsgebäude liegen.
+Die einzelnen Häuser sind von schönen Gärten umgeben und stehen
+ziemlich weit auseinander, so daß Boma auf den ersten Anblick viel
+größer erscheint, als es tatsächlich ist. Vom Plateau aus genießt
+man einen prächtigen Rundblick auf den majestätisch dahinziehenden
+Strom, der nach dem Unterlaufe zu mit einer in das Bett hineinragenden
+Felsengruppe, dem sogenannten »Fetish-Rock« abschließt, während nach
+seinem Oberlauf die Ufer zu beiden Seiten ihn immer mehr einschließen.
+Zur Rechten erblickt man das Fort Shinkakassa, und zu Füßen, hinter
+Palmenanlagen, leuchten die weißen Dächer der Faktoreigebäude aus dem
+saftigen Grün hervor. Das wellenförmige Hügelgelände der Umgebung ist
+eine ausgedehnte unfruchtbare Grassteppe, deren Eintönigkeit hie und
+da durch einen mächtigen »Baobab« (Affenbrotbaum) oder »Wurstbaum«,
+nach den wurstartigen Früchten so benannt, belebt wird. Das Gelände
+durchschneidet ein kleiner Bach, der<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> in einer Lagune in den Fluß
+einmündet und »Krokodilfluß« heißt. Vor Jahrzehnten soll das Gewässer
+eine Brutstätte für Krokodile gewesen sein.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="037_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/037_ill.jpg" alt="Palmenstraße in Boma">
+ </figure>
+
+<p>Was die einheimische Bevölkerung anbelangt, so ist Boma das moderne
+Babel der Negerrassen Innerafrikas. Als größere Garnisonstadt finden
+sich unter den Soldaten, die übrigens in ihrer dunkelblauen Uniform
+mit Pumphosen, roter Schärpe und dunkelrotem Fes höchst schmuck
+aussehen, Vertreter sämtlicher Rassen. Allerdings fallen bei ihnen
+die Stammesmerkmale nicht so sehr in die Augen, da sie meistenteils
+frühzeitig von ihrer Heimat weg Dienste beim Europäer angenommen und
+infolgedessen die Tätowierung vernachlässigt haben.</p>
+
+<p>Von Boma stromaufwärts verengt sich, wie gesagt, der Lauf des Stromes,
+und die Ufer zu beiden Seiten nehmen gebirgigen Charakter an. Die
+Fahrt wird immer genußreicher, und bei jeder Krümmung bietet sich dem
+entzückten Auge des Reisenden eine neue Offenbarung des mächtigen
+Waltens der Natur. Steile Felsen senken sich von beträchtlicher
+Höhe fast senkrecht zum Wasserspiegel hinab und schließen jede
+weitere Aussicht derart ab, daß das vor uns liegende Wasserbecken
+einem von allen Seiten eingeschlossenen Hochgebirgssee gleicht.
+Dies Bild wiederholt sich in immer anderer Gestalt fortwährend. Ein
+Landschaftsmaler könnte hier Motive für unzählige Bilder finden.
+Kommt man näher an die Ufer heran, so ist man erstaunt, zu sehen, wie
+hier die Natur vorgesorgt hat, die Öde und Eintönigkeit der Gegend
+zu verdecken und zu beleben, denn im Grunde genommen ist es doch
+ein trostloses Bild, das sich dem Auge bietet. Nichts als dürres
+Gras gedeiht auf diesen Steinfelsen und in der Tiefe, aus welcher
+befruchtende Quellen aus dem Gebirge kommen, einiges Laubwerk.</p>
+
+<p>Auf das lebhafteste wurde meine Phantasie angezogen durch die
+Riesenbrände, die gegen Ende der Trockenperiode allenthalben
+wahrzunehmen sind und gierig den letzten Rest der Vegetation
+verschlingen. Wir kamen an mehreren solchen Brandstellen vorüber. Auf
+meilenweite Entfernung stand das etwa zwei Meter hohe, trockene Gras
+in Flammen. So großartig dies Schauspiel auch ist, so grauenhaft ist
+es, mitanzusehen, wie der lechzende Dämon alles Lebende vernichtet.
+Wehe der Karawane, die ahnungslos in den Bereich eines solchen
+Brandes gelangt. Da hilft keine Flucht; denn wie ein Orkan fegt die
+Feuersbrunst daher. Ein paar Häuflein verkohlter<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> Skelette sind alles,
+was binnen wenigen Minuten übrigbleibt. Diese Riesenbrände entstehen
+übrigens nicht von selbst, sondern werden von den Eingeborenen zu
+Jagdzwecken angefacht.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="039_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/039_ill.jpg" alt="Arbeiterdorf Boma">
+</figure>
+
+<p>Im Verlaufe unserer Reise kamen wir öfters an schwimmenden Inseln,
+Fetzen festen Landes von 30 bis 40 Meter Umfang, mit Bäumen und
+Gestrüpp bewachsen, vorbei. Auf einem derselben lagerte ein
+Riesenexemplar von Krokodil, das bei unserem Nahen schwerfällig ins
+Wasser glitt.</p>
+
+<p>Wir passierten auf unserer Fahrt, ohne anzuhalten, die malerisch in
+kleinen Ausbuchtungen, gleich Oasen in dieser Steinwüste, gelegenen
+holländischen Faktoreien Binda, Musuko, danach Muckula und zuletzt
+Noki. Alle diese Faktoreien liegen noch auf portugiesischem Gebiet.
+Kurz vor unserer Ankunft in Matadi hatte der Dampfer ein schweres
+Hindernis, den »<span class="antiqua">Chaudron d'Enfer</span>«, zu überwinden. Infolge einer
+quer durch das Flußbett laufenden Niveausenkung sowie der Anhäufung
+großer Felsmassen unter Wasser erreicht hier die Strömung eine
+außerordentliche Schnelligkeit und bildet Stromschnellen und Trichter,
+die kleinere Boote und<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> Gegenstände, die in ihren Bereich kommen, in
+die Tiefe ziehen und zerschellen. Nur Schiffe, die über zwölf Knoten
+Geschwindigkeit laufen, können diese Stromschnellen passieren. Die
+Fahrt durch den Höllenschlund ist für jedes Schiff ein Ereignis; selbst
+mit großen Ozeandampfern haben sich hier bereits mehrfach Unglücksfälle
+ereignet.</p>
+
+<p>Unser Dampfer hielt einige Zeit unterhalb dieser Stelle, gleichsam
+um Kraft und Atem zur Bewältigung dieses letzten Hindernisses zu
+schöpfen. Der Dampf wurde auf höchstmöglichen Druck gebracht, so daß
+die Kessel zu explodieren drohten, und nun ging es vorwärts, an den
+großen Höllentrichtern vorbei. Wir sahen, wie vorbeischwimmende Balken
+und Gestrüpp in kreiselförmiger Bewegung von ihnen in die Tiefe gezogen
+wurden. Unserem Ozeanriesen konnten sie allerdings nichts anhaben,
+— der Boden unter unseren Füßen zitterte und bebte —, langsam,
+fast unmerkbar, kamen wir trotz erhöhter Schraubengeschwindigkeit
+Schritt für Schritt durch Stromschnellen und den verderbenbringenden
+Trichter vorwärts, bis wir, um die Flußecke biegend, in der Ferne das
+an Felsenwänden erbaute Matadi, die Endstation der Flußschiffahrt
+am unteren Kongo, erkannten und binnen einer kleinen Viertelstunde
+erreichten.</p>
+
+<p>Matadi ist die inländische Bezeichnung, welche die Eingeborenen der
+Stadt gegeben haben, für »Fels« oder »Gestein«. Tatsächlich ist die
+Stadt in die Felsen hineingebaut, und Straßen und Anlagen mußten
+ursprünglich aus den Felsen mittels Dynamit herausgesprengt werden.
+Die Riesenarbeit, die seinerzeit bei Anlage der Stadt durch Sappeure
+und Genie-Truppen geleistet wurde, hat auf die leicht erregbare
+Phantasie der Eingeborenen einen derartigen Eindruck gemacht, daß sie
+von da an den neuen Staat mit »<span class="antiqua">m'bula matadi</span>« (Felsensprenger)
+betitelten, welche Bezeichnung ihm bis auf den heutigen Tag als Zeichen
+der Höchstleistung an übernatürlicher Kraft und Energie für die
+Eingeborenen geblieben ist.</p>
+
+<p>Matadi ist Ausgangspunkt der 500 Kilometer langen Eisenbahn nach dem
+Stanley-Pool und steht heute an Bedeutung und Einwohnerzahl als große
+Zwischenverkehrs-Station Boma kaum nach. Bei meinem ersten Besuch 1897
+war die Bahnlinie erst bis Kilometer 360 fertiggestellt und in Betrieb,
+und Matadi bestand nur aus ein paar Häusern, dem Betriebsgebäude
+der »<span class="antiqua">Compagnie du Chemin de Fer</span>«, unserer Faktorei Fuca
+Fuca und dem »Englischen Hause« in Chikenge. Inzwischen wurden
+Kaianlagen<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> errichtet, um die Schienenstränge vor den alljährlichen
+Überschwemmungen zu schützen. Die Regierung verlegte einen Teil ihrer
+Verwaltung nach hier, die Eisenbahnverwaltung errichtete luftige, von
+kleinen Gärten umgebene »<span class="antiqua">Chalets</span>« für ihren Beamtenstab, große,
+mehrstöckige Faktoreigebäude eröffneten an einer Hauptstraße entlang
+ihre Stores, kurzum, die Stadt hat innerhalb eines Jahrzehntes großen
+Aufschwung genommen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="041_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/041_ill.jpg" alt="Landungsbrücke und Eisenbahn von Matadi">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Selbstverständlich war Matadi damals, wo weder Baum noch Strauch auf
+den kahlen Felsen gedeihen konnte, zur Zeit der heißen Regenperiode
+eine wahre Hölle auf Erden. Die Rückwirkung der Sonnenstrahlen von
+den glühenden Granitfelsen und weißen Dächern der Gebäude um die
+Mittagszeit war derart, daß man kaum die Augen zu öffnen wagte und
+das Gefühl hatte, mitten in einer Feuersbrunst zu stehen. Die Hitze
+des Gesteins durchbrannte die Sohlen der Schuhe, und die Augenlider
+waren trotz schwarzer Augenbrillen und Tropenhelm angeschwollen. Um
+die Mittagszeit stockte daher jeder Verkehr, und wer irgend konnte,
+verschloß sich in die halbwegs kühlen inneren Faktoreiräume.</p>
+
+<p>Fuca Fuca war der Name der holländischen Faktorei und diese vorläufig
+das Endziel meiner Reise. Auch diese Bezeichnung stammt von der
+hiesigen eingeborenen, zum großen Teil Portugiesisch<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> sprechenden
+Bevölkerung und heißt »Feuer Feuer«. Man sieht aus den beiden
+Beispielen, daß die Eingeborenen in ihren Bezeichnungen den Nagel auf
+den Kopf treffen.</p>
+
+<p><em>Das Märchen von Fuca Fuca.</em> Tief im Innern, in Angola, in
+einem Urwalde, abgeschnitten von der übrigen Welt, liegt ein kleines
+Negerdorf, aus nur wenigen Hütten bestehend. Hier herrschte Mukenge als
+unumstrittener Gebieter über das Häuflein der Treuen, die das große
+Sterben, das vor Jahren die Blüte und Auslese seines Stammes mit rauher
+Todessichel hinwegraffte, übriggelassen hatte. Nur einen seiner Söhne,
+Kalamba, hatten die bösen »Nkichi«-Geister verschont, und dieser war
+die Stütze und der Stolz seines alten Vaters.</p>
+
+<p>Fortuna hieß die Tochter des mächtigen Häuptlings Jongo Jongo, der in
+der großen Grassteppe, zwei Tagereisen gegen Sonnenaufgang, Gebieter
+über ein kriegerisches Volk war. Sie war eine Königstochter im wahren
+Sinne des Wortes; ihre Augen leuchteten wie die Sterne der Nacht; ihre
+Füße und Hände waren zart und klein, ihr Wuchs schlank wie der einer
+Gazelle.</p>
+
+<p>An einem der jeden Neumond inmitten des großen Urwaldes stattfindenden
+Markttage hatte Kalamba Fortuna zum ersten Male gesehen, und ihre
+strahlenden Augensterne hatten sofort das Feuer der Liebe in
+seinem Busen entfacht. Auch er war der schönen Königstochter nicht
+gleichgültig geblieben; denn Kalamba war ein junger, kräftiger, stolzer
+Mann.</p>
+
+<p>Monate vergingen, und bald entstand ein Gemurmel und Geflüster im
+Urwalde. Die Wipfel der Bäume und die Vögel des Waldes flüsterten
+das große Geheimnis einander zu, und eines Tages erschien Kalamba im
+Dorfe des Jongo Jongo an der Spitze einer großen, mit Geschenken reich
+beladenen Karawane, um die Königstochter zu freien.</p>
+
+<p>Der alte Jongo war ein schlauer und wegen seiner Zauberkünste
+gefürchteter Mann. Mit heuchlerischer Güte empfing er seinen künftigen
+Schwiegersohn und nahm die Hochzeitsgeschenke entgegen. Bevor er seine
+Einwilligung zur Ehe gab, meinte er, er müsse den Segen Zambis, des
+höchsten Gottes, erflehen und dessen Orakel befragen und bat Kalamba,
+einstweilen mit seiner Gastfreundschaft vorlieb zu nehmen. In Wahrheit
+aber sann er darüber nach, wie er sich des unerwünschten Freiers am
+besten entledigen könnte.</p><br>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp33" id="043_ill" style="max-width: 27.875em;">
+ <img class="w100" src="images/043_ill.jpg" alt="Bangala-Mädchen im Tanzkostüm">
+</figure>
+
+<p>Am nächsten Morgen versammelte er sein ganzes Dorf um sich, um den
+Orakelspruch, der ihm in der Nacht geworden, feierlich zu verkünden. Am
+vorhergehenden Tage hatte man eine der als Hochzeitsgeschenk gebrachten
+Ziegen geschlachtet und von ihr verschiedene Teile Zambi als Opfer
+dargebracht. Jongo Jongo hatte die ganze Nacht im Gebet gelegen, und
+gerade um die Zeit, als »Ngondo«, der Mond, am höchsten stand, sei
+Zambi ihm in der Gestalt von »Djakombo« (Fetisch) erschienen und habe
+ihm folgendes verkündet:</p>
+
+<p>»Weit über Steppe und Urwald, dort, wo die Sonne in dem großen Wasser
+verschwindet, sei ein mächtiger Gott in der Gestalt eines weißen
+Mannes aus den Fluten des Meeres emporgestiegen. Im Bauche eines
+feuerspeienden Riesenfisches<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> sei er auf der Oberfläche des Wassers
+aufgetaucht und an Land gekommen, eine Menge fremdartiger Gegenstände
+vom Grunde des Meeres mitbringend. Dieser fremde Gott habe Donner und
+Blitz in seiner Gewalt. Zu ihm solle Jongo Jongo seinen Schwiegersohn
+senden, und dieser solle ihm Donner und Blitz bringen, dann würde er
+der mächtigste Gebieter über sämtliche Stämme werden.«</p>
+
+<p>Mit Staunen und Entsetzen vernahmen alle Anwesenden die Stimme des
+Orakels, und Furcht und Schrecken bemächtigte sich ihrer. Doch
+Kalamba war ein mutiger Mann; Fortuna hatte sein Herz völlig in Bann
+geschlagen, und er erklärte sich sofort bereit, das Geheiß des Orakels
+zu befolgen. Vor seiner Abreise aber mußte Fortuna einen heiligen
+Schwur leisten, keinem anderen Manne zu folgen und seine Rückkehr,
+sollte sie auch viele Monde dauern, abzuwarten. Und Fortuna schwur
+bei der Frucht ihres Leibes. Mond um Mond verging, und Kalamba, der
+sich mit zwei Waffengefährten auf den Weg gemacht hatte, kehrte nicht
+zurück. Durch Urwald und Steppe, über heißen Wüstensand, war er immer
+dem Laufe der Sonne nachgewandert. Der eine Gefährte war dem Biß
+einer Sandviper erlegen, während der andere beim Durchschwimmen eines
+größeren Flusses von einem Krokodil von seiner Seite gerissen wurde.
+Endlich, nach langem Herumirren und Wandern, stieß er auf menschliche
+Spuren und, diesen folgend, schließlich auf das Lager des weißen
+Mannes, genannt »Nfumu Ntanga« (Herr der Sonne).</p>
+
+<p>Unbeschreiblich war das Erstaunen und der Schrecken Kalambas, als er
+zum ersten Male der Karawane des gefürchteten weißen Gottes ansichtig
+wurde. Vor Angst warf er sich zu Boden, wurde aber von den prächtig
+gekleideten Dienern vor Nfuma Ntanga geführt. Dieser sah ihn eine
+Zeitlang durchbohrend mit seinen blauen Augen an und redete dann mit
+ihm in einer Sprache, die er nicht verstand. Kalamba war, vor Schreck
+gelähmt, auf die Knie gesunken und erwartete jeden Augenblick, daß
+Donner und Blitz seinem Leben ein Ende bereiten würden. Als nichts
+dergleichen geschah, wagte er es, zuerst schüchtern und dann immer
+kühner, den neuen Gott und dessen Diener, die alle in kostbare, ihm
+unbekannte Gewebe gehüllt waren und glitzernde Ringe an Armen und Füßen
+trugen, zu betrachten.</p>
+
+<p>Langsam nur fand er die Sprache wieder und erzählte nunmehr seine
+Leidensgeschichte. Einer der Leute, die auch schwarz waren, wie
+er, verstand seine Sprache und verdolmetschte, was er erzählte.
+Dieser wurde sein Freund und beruhigte ihn darüber, daß er für<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span>
+sein Leben nichts zu fürchten habe. Er bestätigte ihm, daß Nfuma
+Ntanga tatsächlich mit einem »Machoa«-Schiff aus dem großen Weltmeer
+aufgetaucht sei und alle die wunderbaren Gegenstände, die Kalamba hier
+sah, mitgebracht habe. Diese Auseinandersetzungen wurden plötzlich
+durch einen donnerartigen Knall unterbrochen, der das Blut Kalambas zum
+Erstarren brachte. Hatte da nicht plötzlich bei hellem Sonnenschein der
+gefürchtete Feuergott gesprochen, der Bäume fällte und Hütten in Feuer
+und Flammen aufgehen ließ? Sein neuer Freund belehrte ihn, dies sei
+der Fetisch des Sonnengottes »Bunduki« (Gewehr) genannt, der demselben
+Macht über Tod und Leben aller Geschöpfe verleihe. Am nächsten Morgen
+nahm Kalamba all seinen Mut zusammen, trat vor Nfuma Ntanga hin und bat
+ihn, sein Diener werden zu dürfen.</p>
+
+<p>Monde und Monde vergingen. Kalamba hatte seinem neuen Herrn treue
+Dienste geleistet und bat ihn, von seinem Heimatdorf Fortuna, die
+Königstochter, als Gefährtin holen zu dürfen. Mit einem »Bunduki« und
+Pulver, prächtigen Armringen und Geweben aller Art beladen, zog er in
+die Heimat, um die Königsbraut zur Gattin zu machen.</p>
+
+<p>In seinem Heimatdorfe angelangt, fand er seinen Vater sterbend vor und
+erfuhr daselbst, daß Fortuna, seines Herzens Hoffnungsstrahl und Sonne,
+Fortuna, für die er sein Leben dahingegeben hätte und lange Monate in
+der Fremde Sklavenarbeit verrichtete, seiner vergessen hatte und dem
+Häuptling eines Nachbardorfes gefolgt war.</p>
+
+<p>In Kalambas Herzen wohnten, im beständigen Kampfe miteinander, zwei
+Dämonen, ein guter und ein böser. Bisher hatte der gute Dämon stets die
+Oberhand behalten. Von der Wucht der Nachricht aber war er vollständig
+niedergeschlagen, alle seine Hoffnungen waren zertrümmert. Dagegen
+wuchs sein Widersacher ins Riesenhafte. Rasender Schmerz und Zorn über
+die angetane Schmach übermannte Kalamba, das Blut kochte und wallte
+in seinem Herzen. Feuer sprühte ihm aus den Augen; nur durch den Tod
+konnte Sühne gefunden werden.</p>
+
+<p>Und in der folgenden Nacht raste der Todesengel durch den Urwald.
+Mit schrecklichem Vorgefühl sahen die Wipfel der Bäume und die Vögel
+des Waldes Kalamba an der Spitze seines Stammes lautlos, gleich
+einer Geisterschar, daherschreiten. Ihnen ahnte Schreckliches;<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> denn
+aus seinen Augen glühten rote Blitze, zu seinen Häupten kreiste der
+Todesadler in den Lüften.</p>
+
+<p>Mit dem ersten Strahl der Morgensonne fuhr der Tod mit der Sichel über
+das schlafende Dorf und hielt reiche Ernte. Ein Morden und Würgen von
+Frauen, Männern, Kindern und Greisen begann, von dem die stärkste
+Phantasie sich kein Bild machen kann. Der gefürchtete Feuergott selbst
+war gekommen, um Rechenschaft in Blitz und Donner zu fordern. Der Wald
+hallte wider vom Todesächzen und Stöhnen zuckender und verstümmelter
+Menschenleiber. Fortuna war es in der ersten Verwirrung gelungen,
+unbemerkt das Freie zu erreichen. Da, wie aus dem Boden gewachsen,
+von oben bis unten in Blut gebadet, mit wutverzerrten Zügen, stand
+Kalamba als Rächer seiner Ehre vor ihr. Mit flehender Gebärde, die
+Arme emporstreckend, sank die stolze Königstochter, um Gnade flehend,
+in die Knie. Doch eher hätte ihr Schicksal einen Stein zu erweichen
+als das nach Blut lechzende Herz Kalambas zu rühren vermocht. Der böse
+Dämon forderte gebieterisch sein Opfer, und zu Tode getroffen, sank die
+Königsblume zu Boden. Der erste Sonnenstrahl brach durch die Wipfel der
+Bäume, küßte die an den Blättern hängenden Tautropfen und spiegelte
+sich in den brechenden Augen der Königstochter. Noch einmal flackerten
+diese auf, im Schwur hoben sich die Finger zum Sonnengestirn, gleichsam
+den Fluch desselben auf den Schuldigen herabbeschwörend, und Fortunas
+Seele hatte die sterbliche Hülle des Körpers verlassen und war auf den
+Sonnenstrahlen in das unbekannte Land ihrer Vorfahren entflohen.</p>
+
+<p>Während die Gefährten jubelnd Siegesorgien auf den Leibern der
+Gefallenen feierten, kehrte Kalamba einsam und finster in sein Heim
+zurück. Der Dämon im Innern war verstummt; er hatte seinen Willen
+erreicht, dafür meldete sich ein anderer Widersacher.</p>
+
+<p>Mörder der Geliebten! Mörder deiner eigenen Stammesverwandten!
+flüsterten die Bäume und zwitscherten die Vögel des Waldes ihm zu.
+Wie von Furien besessen, trieb es ihn durch Wald und Feld, von Heim
+und Hof. Weder bei Tage noch bei Nacht konnte er Ruhe finden. Sein
+Inneres war von dem beständigen Kampf zwischen befriedigter Rache und
+niederdrückendem Schuldbewußtsein zerfleischt. Der Sonne Strahlen,
+die alles Lebende befruchten und erfreuen, wurden ihm zum Rächer. Ein
+großes, glühendes Auge starrte rachedürstend in sein tiefstes Innere
+und lastete wie Blei auf seinem Kopfe.</p><br>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="047_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/047_ill.jpg" alt="Fuca-Fuca">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Nicht länger konnte er das Leben in der Heimat, bei den Freunden der
+Kindheit ertragen. Als einsamer, verlassener Wanderer gelangte er
+schließlich nach langen Irrfahrten, körperlich ein Greis, bei Nfuma
+Ntanga an. Aus Mitleid gab man ihm Arbeit und Feuerwasser, um seinen
+Kummer zu stillen. Noch gab es ein Mittel, um all die Stimmen im
+Innern, ja selbst die Sonne, zu bezwingen, und dies letzte Mittel mußte
+er versuchen.</p>
+
+<p><span class="antiqua">Aguardente</span> (Feuerwasser) nennen die Eingeborenen die große
+Medizin, die dem weißen Gott Nfuma Ntanga die übernatürliche Kraft
+verleiht. Wenn die Seelen der Verstorbenen und böse Götter aller Art
+den Körper heimsuchen und das Gemüt bedrücken, wenn am frühen Morgen
+das Tier im Magen, das den Hunger hervorruft, knurrt, dann genügen
+einige Schluck dieses Zaubertrankes, um Geister, Sorgen und Hunger zu
+vertreiben. »Matabiche« (<span class="antiqua">mata bichu</span>, töte das Tier im Innern)
+beschwöre die Geister und treibe die Seelen der Verstorbenen aus! Dies
+war die mächtige Medizin, die immer noch geholfen hatte und die auch
+jetzt helfen sollte.</p>
+
+<p>Und am nächsten Tag, als zu den Foltergeistern im Innern sich noch das
+ungeheure Sonnenauge Fortunas gesellte und Kalambas Hirn durchbohrte
+und marterte, da spottete er hohnlachend<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> seiner Peiniger. Stand er
+nicht unter dem Schutze des Gebieters der Sonne? Hatte er nicht die
+Macht in Händen, alle Geister zu bannen? Mit einem Ruck verschlang er
+die kostbare Medizin im Angesicht der glühenden Sonne.</p>
+
+<p>Taumelnd war Kalamba infolge allzu reichlichen Alkoholgenusses und der
+Einwirkung der Sonnenstrahlen zusammengebrochen. Ah! Wie das wärmte
+und brannte, wie das die Lebensgeister entfachte, und wie es in seinem
+Hirn wirbelte und tollte! Wo war das feindselig blutleuchtende Auge
+der Fortuna? Endlich war es versöhnt und seine Macht gebrochen. Nicht
+mehr drohend, sondern verheißend winkte es vom blauen Äther; gleich
+einer heißen Blutwelle senkte es sich auf den Sterbenden herab, dessen
+Körper in Liebe und Leidenschaft mit sich emporziehend; wildes Feuer
+durchtobte den Körper und drohte die Brust zu zersprengen. Während die
+Seele auf Schwingen der Liebe dem strahlenden Tagesgestirn zuschwebte,
+entrangen sich der keuchenden Brust die Worte: »O Fortuna!« Dann: »Fuca
+Fuca« (Feuer Feuer).</p>
+
+<p>Arbeiter, die den Sterbenden auffanden, hatten zufällig nur die letzten
+Worte gehört. Auf der Stelle, wo der Tote gefunden wurde, erhebt sich
+die heutige Faktorei, welche vom Volksmunde fortan »Fuca Fuca« genannt
+wurde.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Fuca Fuca liegt am Fuße des Felsens, auf dem Matadi erbaut ist. Es
+besteht vollständig aus Pfahlbauten und wird alljährlich während der
+Regenzeit vom Strom überflutet. Obwohl die Faktorei als heißester
+und ungesundester Platz im ganzen Kongostaate berüchtigt ist, ist
+sie doch wegen ihrer Lage und infolge der Eisenbahnverbindung ein
+wichtiger Knotenpunkt und Transitposten. Seit Erbauung der Kaianlagen,
+die es ermöglichen, die Durchfuhrgüter direkt vom Dampfer in die
+Waggons und umgekehrt zu verladen, hat auch sie von ihrer früheren
+Bedeutung viel verloren. Zur Zeit meiner Ankunft war Fuca Fuca sowohl
+Produktenfaktorei als Haupttransit-Station für Waren, die nach dem
+Oberlauf des Kongo bestimmt waren, und wurde von einem Faktorei-Chef,
+zwei europäischen Beamten und einem Stab schwarzer Schreiber von
+der Küste verwaltet. Mein Vorgänger war einer derjenigen, die es am
+längsten — nämlich 18 Monate — hier ausgehalten hatten. Er war an
+Schwarzwasserfieber verschieden.</p><br>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp52" id="049_ill" style="max-width: 31.25em;">
+ <img class="w100" src="images/049_ill.jpg" alt="Baobab-Baum bei Boma">
+ </figure>
+
+<p>Fuca-Fuca war der Prüfstein meines Lebens. Wenige Menschen sind
+imstande, die nötige Energie und Aufopferung der eigenen Person
+aufzubringen, um alle die Krankheiten und Leiden, die mir die nächsten
+sechs Monate bringen sollten, zu überwinden.</p>
+
+<p>Zuerst wurde ich mit dem Ein- und Ausladen der Dampfer und Waggons
+sowie mit der Abwicklung des Transitverkehrs nach dem Oberkongo
+betraut. Mit kurzer Unterbrechung mittags war ich von sechs Uhr
+früh bis sechs Uhr abends fortwährend bei glühender Sonnenhitze auf
+den Beinen, bald ankommende Waggons von der Eisenbahngesellschaft
+anfordernd, bald Elfenbein und Kautschuk auf die Ozeandampfer
+verladend. — Meine Natur war der Sonnenhitze und dem angestrengten
+Dienst schließlich nicht mehr gewachsen, und die ersten Fieber stellten
+sich ein. Diese waren meist sehr heftig, von Schüttelfrost begleitet,
+jedoch nur von kurzer Dauer.</p>
+
+<p>Die Trockenperiode, welche in diesen Breiten von April bis Anfang
+Oktober dauert, näherte sich ihrem Ende, und der Sommer hielt langsam
+unter unaufhörlichen feuchtheißen Regengüssen seinen Einzug. Der
+Sommer oder, besser gesagt, die Regenzeit währt hier von Mitte
+Oktober bis Ende März und zerfällt in zwei Perioden, die eigentliche
+Regenperiode zur Übergangszeit, also November und Februar, März, und
+dazwischenliegend »<span class="antiqua">la petite saison sèche</span>«, d. h. die kleine
+Trockenperiode.</p>
+
+<p>Gleich bei den ersten Regengüssen, die von ungemein heftigen<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span>
+Gewitterstürmen, sogenannten Tornados, begleitet waren, trat der
+Kongostrom aus seinen Ufern und überschwemmte einen Teil der Faktorei.
+Da sämtliche Gebäude, wie bereits erwähnt, Pfahlbauten sind, hinderte
+dies vorderhand am Betriebe nichts. Doch mußte ich, da auch die
+Schienenstränge überschwemmt waren, bei der Arbeit fortwährend im
+Wasser stehen. Das Bild des Bahnhofes von Matadi gewährte damals einen
+eigenartigen Anblick, da der ganze Bahnkörper oft einen Fuß hoch unter
+Wasser stand.</p>
+
+<p>Bald stellten sich die Folgen dieser ungesunden Tätigkeit bei den
+Arbeitern in Form von »Beri-Beri« — eine Art Wassersucht —, bei mir
+in heftigen Gallfiebern ein, die mich wochenlang aufs Krankenbett
+warfen. Die Wasserhöhe war inzwischen beständig gestiegen, sie hatte
+in der Faktorei gegen 1-1/2 Meter erreicht. Das feuchte Element begann
+die Fußböden der Zimmer zu lockern und zu überfluten. Des Nachts kamen
+Krokodile in die Faktorei hereingeschwommen, die nach lebenden Wesen
+suchten und sich dann auf den Veranden breitmachten. Im Vorjahre war
+einer der Arbeiter von ihnen in Stücke zerrissen worden. Wenn auch
+die Türen von innen verriegelt und verschlossen waren, so war es
+doch kein angenehmes Gefühl, nur durch eine dünne Holzwand von den
+furchtbaren, heimtückischen Tieren getrennt zu sein. Endlich, als der
+Kongofluß auch das Hauptgebäude bis über den Flur überschwemmte, wurde
+mit der Übersiedlung in eine an der Berglehne aus Bambus errichtete
+primitive Baracke begonnen. Der Faktoreichef übersiedelte gleichzeitig
+mit uns beiden, da er nachts nicht allein unten bleiben wollte.
+Mein Krankheitszustand hatte inzwischen immer bedenklichere Formen
+angenommen, ich kam aus den Fiebern — Wechselfieber, Gallfieber
+— überhaupt nicht mehr heraus. Mein Kollege, Herr Hosemans, ein
+Holländer, lag an Rheumatismus, vollständig an allen Gliedern gelähmt,
+danieder und mußte an Bord des nächsten Europadampfers gebracht werden.
+Mein Chef, Bertoen, war an Schwarzwasserfieber erkrankt und lag im
+Sterben.</p>
+
+<p>Eben wieder von einem schweren Gallfieber hergestellt, ließ ich mir vom
+Stabsarzt ein Zeugnis ausstellen, wonach ein längerer Aufenthalt in
+dieser verseuchten Faktorei für mich eine Katastrophe bedeuten würde,
+und mit diesem Dokument in der Hand ersuchte ich um meine sofortige
+Versetzung oder um meine Entlassung. Mit dem nächsten Dampfer traf mein
+Nachfolger und gleichzeitig ein Schreiben aus Banana ein, worin mein
+Gesuch bewilligt wurde.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span></p>
+
+<h2>In Boma. Eine Nilpferdjagd.</h2>
+</div>
+
+<p>Kurz vor meiner definitiven Abreise nach dem Oberkongo wurde ich
+noch auf zwei Monate nach Boma gerufen, um dort einen schwerkranken
+Kameraden zu vertreten. Während meines kurzen Aufenthaltes daselbst
+hatte ich Gelegenheit, eine Nilpferdjagd mitzumachen, die mir
+unvergeßlich bleiben wird. Nichts in meinem bisherigen Leben läßt sich
+mit den Eindrücken vergleichen, welche dies Erlebnis auf mein Gemüt
+ausübte. Endlich einmal, nach vielen Monaten, ein echt afrikanisches
+Abenteuer, wie es mir in der Phantasie in Europa vorgeschwebt hatte.</p>
+
+<p>Allerdings bildete ich nach diesem Ereignis eine Jammerfigur, von oben
+bis unten von ungezählten Moskitos zerstochen, Augenlider, Lippen und
+Hände bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. Meine Füße, die beim Waten
+im Sand den ganzen Tag über den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt
+waren, verloren nachher die Haut in Fetzen, wobei ich wahnsinnige
+Schmerzen aufzustehen hatte.</p>
+
+<p>Doch was hatte all dies zu bedeuten gegenüber jenem Hochgefühl
+im Augenblick der Gefahr, wenn der Mensch diesem Zyklopen eines
+vergangenen Jahrtausends gegenübertritt, wenn der mächtige Koloß
+unter lautem Gebrüll mit geöffnetem Rachen sich auf das schmächtige
+Boot stürzt, alle Insassen mit sicherem Tod und Verderben bedrohend,
+gegenüber jenem Jubelschrei, der sich der Brust entringt, wenn die
+Intelligenz in diesem ungleichen Kampf der Kräfte Sieger geblieben ist
+und das mächtige Tier, zu Tode getroffen, verendet?</p>
+
+<p>Magalhaes und Pereira, zwei Portugiesen, die den Fleischbedarf Bomas
+seinerzeit fast ausschließlich deckten, waren die ersten, die das
+Züchten von Nutz- und Schlachtvieh auf einer Insel unterhalb »Punta de
+Lenha« in großem Stil versuchten. In Sportkreisen waren sie als die
+erfolgreichsten Nilpferd- und Büffeljäger allgemein bekannt, und ich
+war daher hocherfreut, von Pereira gelegentlich zu einer solchen Jagd
+eingeladen zu werden.</p>
+
+<p>Es war gegen 2 Uhr früh und noch finstere Nacht, als wir in einem
+Eingeborenen-Kanu, das mit zehn Ruderern bemannt war, langsam
+stromabwärts fuhren. Die Neger waren hübsche, kräftig gebaute, mit den
+Gefahren dieser Jagd völlig vertraute Leute. Bei<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> ihrem Gesange und
+dem gleichmäßigen Ruderschlag glitten wir fast ohne jede schaukelnde
+Bewegung des Bootes dahin. Meine Augen, geblendet von den Hafenlichtern
+von Boma, gewöhnten sich nach und nach an die Dunkelheit und suchten
+sich zu orientieren. Die Lichter Bomas verschwanden langsam; dafür
+glitzerten zur Rechten die Feuer von »Shinkakassa« und ganz in der
+Ferne ein großes Signalfeuer am Fetish-Rock, »<span class="antiqua">Pedro feitice</span>«
+genannt. Mit dem Felsen verknüpft sich eine ähnliche Sage wie mit
+dem Loreleifelsen am Rhein. Auf ihm sitzt, nach dem Glauben der
+Eingeborenen, ein Dämon, der alle vorbeifahrenden Boote in die Tiefe
+zieht. Selbst große Ozeanschiffe arbeiten stromaufwärts an dieser
+Stelle oft eine Stunde, um durch die Strudel und Stromschnellen
+hindurchzukommen. Je mehr wir uns ihr näherten, um so mächtiger und
+unheilverkündender wurde ein dumpfes Brausen, das vom Brechen der
+Strömung an den Felsmassen herrührte, vernehmlich. Diese selbst
+riß uns bald in rasender Fahrt mit sich. Bald kam uns eine heftige
+Gegenströmung entgegen, die mit aller Kraftanstrengung überwunden
+werden mußte, damit wir von ihr nicht in die alles vernichtenden
+Strudel und Trichter gezogen wurden. Wir passierten die gefährliche
+Stelle, indem wir uns ganz knapp am gegenüberliegenden Ufer hielten.
+Unterhalb des Fetish-Rock verbreitert sich der Strom und umfaßt
+zahlreiche Inseln, die mit hohem Schilfgras bewachsen sind. Wir waren
+in unserem Jagdrevier angelangt und wurden sofort von einem Heer von
+Moskitos überfallen, die uns buchstäblich aussaugten. Niemand, der
+nicht selbst einmal das Opfer dieses blutdürstigsten aller Insekten
+gewesen ist, kann sich eine Vorstellung von den Qualen machen, die wir
+bis Sonnenaufgang zu erdulden hatten.</p>
+
+<p>Unsere Ruderer hatten auf ein Geheiß Pereiras ihre Tätigkeit
+eingestellt, um das Erwachen des Tages abzuwarten. Klatschend fielen
+ihre Hände auf die nackten Körper, um ihre Peiniger zu töten. Hier und
+da plätscherte ein Ruder im Wasser, fremdartige Laute verkündeten den
+anbrechenden Tag, junge Wildgänse flogen mit hellem Gekreisch aus dem
+Schilf, während das eintönige Quaken der Frösche, dem sich der Ruf
+der Unken als beständiger Begleitton beimischte, die Sinne in Schlaf
+wiegten. Allmählich kam Leben in unsere Umgebung. Große Raubfische
+sprangen mit lautem Geplätscher aus dem Wasser; Enten, Reiher und das
+zahlreiche gefiederte Volk dieser Inseln stimmten ihr Morgenlied an.
+Lockrufe des Bulikoko und anderer großer Vögel ertönten dazwischen,
+und<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> schließlich formte sich das Ganze zu einem Jubelchor der
+erwachenden Natur.</p>
+
+<p>Meine Sinne waren von diesen starken Eindrücken noch ganz befangen,
+als von ferne plötzlich zweimal ein tiefes Brüllen mächtig und drohend
+über die stille Wasserfläche zu uns herüberdrang. Wie ein Blitz
+aus heiterem Himmel fuhr es uns in die Glieder; wir waren alle wie
+elektrisiert. Ohne ein Kommando abzuwarten, ergriff jeder Mann sein
+Ruder, und aufrechtstehend, jeden Nerv und jede Muskel angespannt, mit
+leuchtenden Augen und pochenden Herzen, zog er es im gleichen Takt
+lautlos durch die spiegelglatte Wasserfläche, so daß das Kanu wie ein
+Pfeil dahinglitt. Vorsichtig, möglichst jedes plätschernde Geräusch
+vermeidend, fuhren wir an Einbuchtungen, Inseln und Sandbänken vorbei,
+aus welchen graue und weiße Fischreiher, Pelikane, Regenpfeifer,
+Störche, Gänse und Enten überrascht aufflogen.</p>
+
+<p>Bei jeder neuen Ausbuchtung vermeinten wir der Tiere ansichtig zu
+werden. Doch wir hatten uns in der Entfernung getäuscht und mußten
+noch etwa eine halbe Stunde rudern, eine halbe Stunde — eine Ewigkeit
+für unsere fieberhaft gespannten Nerven. Schließlich gelangten wir
+wieder zu einer tiefen Einbuchtung, die einen Ausblick in einen kleinen
+Binnensee bot, ein Motiv, das in allen afrikanischen Landschafts-
+und Flußbildern so oftmals wiederkehrt. Vor uns, kaum 200 Schritte
+entfernt, den Kopf uns abgewandt, schwamm ruhig ein anscheinend älteres
+Hippopotamus. Es hatte uns nicht bemerkt und tauchte von Zeit zu Zeit
+in unserer Fahrtrichtung unter. Diese Zwischenpause benutzten wir, um
+mit Leibeskräften vorwärts zu rudern. Tauchte das Tier wieder auf, so
+legten wir uns platt in das Kanu. Auf diese Weise kamen wir dem Tier
+schnell näher, ohne von ihm bemerkt zu werden. Schon fürchtete ich,
+daß wir es überholt hätten und daß das Tier sich unter uns befinden
+müsse, als es plötzlich dicht vor unserem Bug auftauchte. Ein scharfer
+Knall — und das Tier verschwand wieder, diesmal allerdings in rasender
+Flucht, daß das Wasser nur so schäumte. Um so deutlicher zeigte sich
+die Spur auf dem Wasser, und dieser folgten unsere Neger, nun wieder
+mit höchster Anspannung der Kräfte rudernd. Wir mochten unserem
+Leittier so etwa 50 Meter gefolgt sein, als plötzlich zu unserer
+Rechten, auf kaum zehn Meter Entfernung, eine ganze Herde von acht
+bis zehn Nilpferden in wilder Flucht auf- und übereinander stürzten.
+So plötzlich und unerwartet sich dieses Schauspiel vor<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> unseren Augen
+abspielte, waren wir doch alle gewissermaßen darauf vorbereitet, und
+pang, pang krachten von unseren drei Büchsen fortwährend Schüsse. Ein
+Jubelgeschrei unserer Ruderer, und wir sahen eine schwere, graue Masse
+die Beine teilweise aus dem Wasser strecken. Dies alles war das Werk
+weniger Sekunden. Die nicht getroffenen Tiere stürzten rechts und
+links von unserem Boote in Riesensätzen ins tiefe Wasser, während ein
+junges Exemplar, von Angst gepeitscht, im Schilf verschwand. Unsere
+Ruderer hatten indessen alle Mühe, unser Boot aus dem Bereiche der
+sich überstürzenden Kolosse zu bringen, um das Vollschlagen mit Wasser
+zu verhindern. Beim Absuchen des Terrains ergab sich, daß zwei Tiere
+verendet waren. Man kann sich schwerlich einen Begriff von unserer
+Freude machen, noch weniger aber von dem Taumel der Neger, die sich wie
+Wahnsinnige gebärdeten, den aufgedunsenen Körper betasteten, an den
+beiden Saugzapfen der Weibchen sogen oder durch den Exkrementenkanal
+mit dem ganzen Arm in dem noch warmen Körper wühlten. Die beiden Tiere
+waren Weibchen von mittlerer Große und wogen etwa 3000 Kilogramm.</p>
+
+<p>Nachdem der erste Freudentaumel verflogen war, wurden beide Weibchen
+von sämtlichen Ruderern, die sich ihrer Lendentücher entledigt
+hatten, auf eine nahegelegene Sandbank gewälzt und die Bauchhöhlen
+mit Faschinenmessern aufgehackt. Beim Entfernen der Eingeweide wurden
+unsere Leute in völligen Blutrausch versetzt. Nacheinander sprang jeder
+einzelne in die Bauchhöhle und badete sich in dem noch rauchenden Blut
+der Tiere. Auch Magalhaes und Pereira hatten sich inzwischen ihrer
+Kleider entledigt, um die auf der unter Wasser stehenden Sandbank
+stattfindende Arbeit zu leiten. Ich folgte ihrem Beispiel. Es mochte
+gegen 6 Uhr morgens sein, und ein Fußbad konnte unseren zerstochenen
+Füßen nur guttun.</p>
+
+<p>In einiger Entfernung hielten sich respektvoll einige Krokodile,
+die durch den Fleischgeruch, die abtreibenden Abfälle und das Blut
+angelockt waren. Doch keines dieser bei Tag äußerst scheuen Tiere wagte
+sich so weit in die Nähe, um uns einen guten Schuß zu ermöglichen.</p>
+
+<p>Gegen 11 Uhr vormittags waren die beiden Nilpferde mittels schwerer
+Holzhacken so weit zerlegt, daß der größte Teil in das Boot verladen
+werden konnte. Da die einzelnen Teile immer noch zu schwer zum Heben
+waren, wurde das Boot zum Sinken gebracht. Das durch die Tragfähigkeit
+des Wassers verminderte Gewicht des<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> Fleisches erlaubte jetzt, die
+Stücke ohne weiteres im Innern des Kanus zu verstauen. Zum Schluß
+kam über das Ganze, gleichsam als Schutzdach gegen die sengenden
+Sonnenstrahlen, der ausgeweidete Körper des einen Nilpferdes. Der Rest
+des anderen Tieres wurde inmitten einer Insel derart untergebracht, daß
+die Krokodile es nicht leicht wegschleppen konnten. Hierauf wurde das
+Wasser aus dem Kanu ausgeschöpft, und wir nahmen wieder darin Platz.
+Das Boot war nunmehr so stark beladen, daß sein Rand nur um halbe
+Handbreite aus dem Wasser herausragte. Nachdem wir uns an gebackenen
+Fischen, einer Mettwurst, Kieler Sprotten, Schinken und Hühnern in
+Dosen sowie einigen Flaschen Rotwein herrlich delektiert hatten, begann
+die Heimfahrt. Ich saß mit Magalhaes rittlings auf dem Rücken des einen
+Nilpferdkadavers und mußte in dieser schwierigen Stellung bis 1 Uhr
+nachts, also gegen zwölf Stunden, aushalten. Rühren durfte ich mich
+nicht, da bei der geringsten Bewegung sofort Wasser ins Boot schlug.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="055_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/055_ill.jpg" alt="Erlegtes Nilpferd">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Während die Fahrt frühmorgens mit der Strömung ein wahrer Genuß war,
+kann ich von der Rückkehr nur das Gegenteil sagen.<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> Das schwerbeladene
+Boot kämpfte sich wie ein Bleiklotz Schritt für Schritt, immer dicht am
+Ufer und am Schilf entlang, stromauf vorwärts. Um die Hauptströmung zu
+vermeiden, mußte ein Riesenumweg in kleinen, seichten Kanälen gewählt
+werden. Langsam verschwand die Sonne am Firmament als leuchtender,
+roter Feuerball; die Dämmerung rückte heran; es wurde dunkler und
+dunkler und die Ausdünstung des Nilpferdfleisches immer unerträglicher.
+Mit anbrechender Dunkelheit fielen wieder Schwärme von Moskitos über
+uns her und peinigten uns auf das furchtbarste. Hände, Kopf und Füße
+waren von den Blutflecken der erschlagenen Insekten wie tätowiert.
+Meine Kräfte erlahmten, und im Sitzen ließ mich die Müdigkeit in
+eine Art Halbschlummer fallen, als ich von meinem Nachbar Magalhaes
+plötzlich unsanft wachgerüttelt wurde. Dicht vor uns, auf kaum zwanzig
+Schritte Entfernung, trat ein mächtiger Hippopotamus aus dem Schilf und
+kreuzte, gemächlich durch das seichte Wasser watend, unseren Weg.</p>
+
+<p>Die Dämmerung ließ die Umrisse des ungeschlachten Tieres noch über
+seine normale Größe hinauswachsen. Unwillkürlich kamen mir bei seinem
+Anblick die Riesen der Vorzeit, die Ichtiosaurier und Dynosaurier, in
+den Sinn. Niemals später im Leben habe ich einen ähnlichen Schrecken
+und — ich sage es aufrichtig — eine solche Angst empfunden. Unser
+Boot näherte sich inzwischen immer mehr dem Kreuzungspunkt, wo es mit
+dem Flußpferd zusammenstoßen mußte. Mir sträubten sich die Haare bei
+dem Gedanken, daß das Tier unser schwer lenkbares Boot angreifen würde;
+doch kümmerte es sich merkwürdigerweise gar nicht um uns. Vorher auf
+der Jagd hatte ich nur einen Teil des Oberkörpers sowie den ungeheueren
+Kopf der Bestie gesehen; dies Tier aber ragte in seiner vollen Größe
+aus dem Wasser und schien in der Dämmerung ins Ungeheuere zu wachsen.
+Pereira, der die Eigenschaften des Flußpferdes kannte und es offenbar
+darauf ankommen lassen wollte, wer von beiden den kürzeren zog, gab
+schließlich einen kurzen Befehl; die Ruderer bremsten das vorwärts
+treibende Boot mit aller Macht und ließen das Tier vorbei. Pereira,
+den Finger am Drücker seines Gewehres, rührte sich nicht in seinem
+Stuhl. Langsam, Schritt für Schritt, tief im Sande versinkend, zog das
+Flußpferd etwa zwei bis drei Meter vor unserer Bootsspitze vorüber,
+zeitweilig stehenbleibend und uns herausfordernd anbrüllend. Weit riß
+es den ungeheueren Rachen auf, tief und drohend hallte das Brüllen
+ins Land hinein, bis es<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> in weiter Ferne von irgendeinem Kampfbullen,
+der es als eine Herausforderung betrachtete, gleichsam als Echo
+wiedergegeben wurde.</p>
+
+<p>Ich saß wie versteinert auf meinem unsicheren Sitz. Die gespenstischen
+Schatten der Dämmerung, die unermeßliche Macht der schaffenden Natur,
+welche sich in dem drohenden Ungeheuer da vor uns kundgab, hatten mich
+vollständig gelähmt. Ich fühlte plötzlich die unsichtbaren Gewalten und
+tausenderlei Gefahren, denen wir ahnungslos in diesem wilden Kontinent
+entgegentreten.</p>
+
+<p>Doch auch diese Gefahr ging glücklich an uns vorüber, und unsere
+mühsame Weiterfahrt stromaufwärts verlief ohne jeden weiteren Unfall.
+Gegen ein Uhr nachts langten wir nach vollbrachter Riesenarbeit unserer
+Ruderer — die armen Teufel hatten zwölf Stunden ohne Unterbrechung das
+schwerbeladene Boot gegen die Strömung hinaufgerudert — in Boma an, wo
+ich nach Verschlucken einer Doppelration von Chinin, an allen Gliedern
+wie gelähmt, sofort in tiefen Schlaf verfiel. Leider blieb dies die
+einzige Jagd auf Nilpferde, die ich am Unterkongo mitmachte.</p>
+
+<p>Etwa vier Wochen später wurde Magalhaes bei einer Jagd auf ein
+Nilpferdjunges von der Mutter, die er nicht bemerkt hatte, angegriffen.
+Das alte Tier warf das Kanu um, zertrümmerte einem Neger mit einem
+Hufschlag die Hirnschale und stürzte sich auf den des Schwimmens nicht
+kundigen und infolgedessen nach Hilfe rufenden Magalhaes, den es am
+Oberschenkel erwischte, mehrmals biß und in die Luft schleuderte, bis
+Magalhaes besinnungslos zwischen Schilfgras zu liegen kam. Die Neger
+hatten inzwischen das Boot gedreht und brachten den Besinnungslosen
+nach Boma, wo er infolge mehrfacher Brüche und Zerschmetterung des
+Oberschenkels und eines Armes sowie innerer Verletzungen binnen wenigen
+Stunden verschied.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Produktenhandel mit den Eingeborenen.</h2>
+</div>
+
+<p>Doch nicht zum Vergnügen der Nilpferdjagd hatte die Direktion mich
+von Matadi nach Boma auf die Produktenfaktorei herunterkommen
+lassen. Wie bereits erwähnt, hatte ich hier Herrn Bürbank, Chef
+der Produktenfaktorei — einen liebenswürdigen Holländer, der an
+Schwarzwasserfieber erkrankt war —, zu vertreten. Als abgehärmtes<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span>
+Skelett fand ich den lebensfrohen Mann ans Bett gefesselt und von
+der Wucht der schrecklichen Krankheit, die mit der Dysenterie die
+meisten Todesopfer fordert, vollständig niedergeworfen vor. Drei
+lange Tage hatte er in beständiger Lebensgefahr geschwebt und große
+Mengen Galle gebrochen, bis Podiferin — <span class="antiqua">Pillules Antibilieuses</span>
+— und wiederholte kräftige Einläufe den Körper so weit von allen
+Krankheitsstoffen befreit hatten, daß der versiegende Lebensfunken
+wieder langsam aufflackern konnte.</p>
+
+<p>Ich hatte in der relativ kurzen Zeit meines Aufenthaltes in Banana und
+Fuca-Fuca von der meist portugiesischen Dienerschaft und Bevölkerung
+so viel von der Sprache gelernt, um ohne weiteres mit den Eingeborenen
+ohne Dolmetscher Handel treiben zu können. Der Produkteneintausch mit
+den Eingeborenen spielt sich ungefähr folgendermaßen ab:</p>
+
+<p>Frühmorgens werden die Linguister (Eingeborene, die die Karawanen durch
+Versprechungen in die Faktorei locken sollen) mit Alkohol und allerlei
+Zierat, als Geschenke bestimmt, in die verschiedenen Richtungen,
+die ins Innere des Landes führen, ausgesandt. Schlaue Portugiesen
+hatten diesen Modus des Handels wegen der immer heftigeren Konkurrenz
+ausgedacht, und wir anderen mußten folgen, wollten wir nicht alle
+Karawanen zur Konkurrenz ziehen sehen. Von der Tüchtigkeit dieser
+Linguister im Lügen und Vorschwindeln, von der Stärke des Alkohols (die
+Portugiesen hatten allerhand Kniffe, um den Geschmack desselben durch
+Beimischen von Gewürznelken oder auch Cayenne-Pfeffer noch zu erhöhen)
+und schließlich auch von dem Ansehen, den dieser bei ihnen genoß,
+hingen dann hauptsächlich die Geschäftsresultate ab. Hatten unsere
+Linguister durch irgendeinen neuen Kniff die Leute betört, dann kamen
+in langen Reihen die Karawanen, jeder Mann seinen »Kisako«, eine Art
+Tragkorb, auf dem Kopf, der mit Kautschuk, Palmnüssen, Palmöl oder auch
+Elfenbein gefüllt war, in die Faktorei hereinspaziert.</p>
+
+<p>Doch damit ist der Handel noch lange nicht erledigt. Die Konkurrenz
+hat mit scheelen Augen die Karawane vorüberziehen sehen und dabei
+nochmals durch ganz besonders gewandte Neger den Leuten »das Blaue vom
+Himmel versprechen lassen«. Gewöhnlich begleitet der eine oder andere
+Konkurrenzbote die Leute bis in die eigene Faktorei. Dazu werden von
+den Portugiesen wieder Eingeborene aus solchen Dörfern verwendet,
+die uns zumeist unbekannt<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> sind. Werden sie ausfindig gemacht, dann
+verlassen sie hinkend die Faktorei und kehren bestimmt nicht wieder.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="059_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/059_ill.jpg" alt="Produktenhandel">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Jetzt beginnt ein Feilschen und Schachern, wovon ein europäischer
+Kaufmann sich schwer einen Begriff machen kann. Alkohol wird bei diesen
+Unterhandlungen im Überfluß gespendet. Mata biche (töte das Tier im
+Magen — den Hunger —) ist das erste Wort und auch das letzte bei
+jeder Verhandlung. Im Halbkreis um die Wage herum sitzen die Neger
+und packen mit einer Umständlichkeit ihre Siebensachen aus ihren
+Körben heraus, die uns Europäern ein Lächeln entlockt. Gewöhnlich ist
+der Häuptling der Erste und Anspruchsvollste, der mit einigen Kilo
+Kautschuk an die Wage tritt. Der Preis, den er zuerst dafür fordert,
+ist das Dreifache des eigentlichen Wertes. Wer ärgerlich davonläuft,
+wird von einem Bakongo niemals ein Lot Kautschuk kaufen. Am meisten
+Erfolg wird stets der haben, der als Philosoph ruhig lächelt und das
+Ganze als lustigen Scherz auffaßt. Denn die Leute wissen ganz gut, daß
+das, was sie fordern, unmöglich ist, und grinsen ganz vergnügt, wenn
+der weiße Chef sie auslacht. Inzwischen werden bedächtig die kleinen,
+kunstvoll gearbeiteten Tonpfeifen in Brand gesetzt, die Alkoholflasche
+geht von<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> Hand zu Hand, und die Kerls setzen sich gemächlich, als ob
+sie die ganze nächste Woche verhandeln wollen. Die Leute haben Zeit,
+Zeit, riesig viel Zeit. Sie kommen acht bis zehn Tagereisen aus dem
+Innern und wollen nun alles Neue, was um sie vorgeht, in Gemütsruhe
+auffassen und genießen. Darum »Eile mit Weile«!</p>
+
+<p>Ganz gemütlich kehre ich nach der ersten Begrüßung an meinen
+Frühstückstisch zurück. Ist der mitgekommene Häuptling eine gewichtige
+Persönlichkeit oder mir von früher her bekannt, so lasse ich ihm
+durch einen Moleque — portugiesische Bezeichnung für Diener —
+eine dampfende Tasse schwarzen Kaffee bringen. Dies schmeichelt
+seiner Eitelkeit ganz besonders und macht ihn um einen großen Grad
+entgegenkommender. Inzwischen kommen immer neue Karawanen herein, die
+dem ersten Beispiel folgen.</p>
+
+<p>Nach dem ersten Frühstück kehre ich abermals zur Wage zurück. Die Leute
+sind inzwischen im Preise heruntergegangen, verlangen aber immer noch
+zu viel. Ich erkenne, daß eine Einigung vorläufig unmöglich ist, und
+wende mich den Neuangekommenen zu. Bei ihnen gewöhnlich Wiederholung
+ungefähr der gleichen Prozedur.</p>
+
+<p>Unter die zuerst Angekommenen habe ich inzwischen einige Ringe
+Lukolela-Tabak verteilen lassen. Diese Gratisverteilung imponiert ihnen
+offenbar sehr; sie ziehen mit Behagen den Duft des bei ihnen ganz
+besonders beliebten Krautes ein und überlegen im stillen, wie viele
+solcher Ringe sie sich als »Matabiche« mitnehmen werden. Inzwischen
+sind die Türen des Faktoreigebäudes geöffnet worden, wo Reihe an Reihe
+große Mengen von Tüchern, Baumwollstoffen aller Art, kurz ein ganzes
+Arsenal von begehrenswerten Dingen aufgestapelt liegen. Der Wunsch, all
+dies zu besitzen, stimmt sie nachgiebiger. Den Anführer oder Häuptling
+habe ich beiseite genommen und ihm außer den gewöhnlichen Draufgaben
+noch ein Extra-Matabiche versprochen, wenn er mir beim Kauf zur Seite
+steht. Kurzum, wir einigen uns auf einen Preis, der vorläufig mein
+Kauflimit noch überschreitet. Gestreifte und geblümte Baumwollstoffe
+in allen möglichen grellen Farben, Faschinenmesser, Hauen, Arm- und
+Beinringe aus Messing, Perlen, einige Säcke Salz usw. haben ihren
+Besitzer gewechselt und werden nun mit kritischen Augen betrachtet. Hat
+der Anführer nun erst einmal gekauft, so folgen alle anderen, wie eine
+Herde Schafe ihrem Leithammel. Diese sind bei weitem nicht so gerieben
+und verwöhnt wie der erste und nehmen,<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> was man ihnen gibt. An ihnen
+muß die erste Differenz sowie das Extrageschenk dazu verdient werden.
+Schließlich wird der ganze Kauf noch in einer Runde Alkohol sowie
+verschiedenen Runden Schnupftabak gewissermaßen besiegelt. Ich habe
+inzwischen schnell die Gesamtbilanz gezogen und den Häuptling allein
+zu mir ins Magazin gebeten. Unsere weiteren Verhandlungen bleiben für
+alle, selbst für meine Leser, ein Geheimnis.</p>
+
+<p>Es kommt aber auch vor, daß man von den Eingeborenen hineingelegt wird.
+Davon nur ein tragikomisches Beispiel. Eines Tages erhielt ich den
+Besuch eines großen Häuptlings »Nfuma mafuta mingi« der Mayumbe-Region.
+Er sah außerordentlich vornehm aus. Die dünnen, langen, mit schwarzem
+gekrullten Haar bedeckten Beine staken in einer Pumphose, die vor
+Jahren einmal weiß gewesen war; um den knochigen Körper schlotterte ein
+Gehrock, in den an verschiedenen Stellen mittels weißen Zwirns Flicken
+eingesetzt waren. Die mit Amuletten aller Art verzierte Brust schmückte
+stolz die Nickelmedaille, das Abzeichen der vom Staat anerkannten
+Häuptlinge. Mit dem Gruße »Mbote Nfuma« trat der Mann, gefolgt von zwei
+Eingeborenen seines Dorfes, zu mir auf die Veranda, nahm aus den Händen
+seiner Diener zwei große fette Hühner sowie eine Kalebasse mit süßem
+Palmwein und legte sie mit hoheitsvoller Würde zu meinen Füßen nieder.
+Das mindeste, was man in solchen Fällen tun kann, noch dazu, wenn man
+ein Geschenk erhält, ist, seinem Gast einen Stuhl anzubieten. Dies tat
+ich, und Nfuma mafuta mingi drehte zuerst das eine Bein einwärts, dann
+das zweite und setzte sich darauf mit sehr viel Würde mir gegenüber
+nieder.</p>
+
+<p>Behaglich lehnte ich mich inzwischen in meinen Stuhl zurück und
+harrte der Dinge, die da kommen sollten. Einige Minuten völligen
+Stillschweigens vergingen, dann begann Mafuta mingi:</p>
+
+<p>»Ich komme von meinem Dorf.«</p>
+
+<p>»Gut, das freut mich,« erwiderte ich und überlegte im stillen:
+Sicherlich will der Mann irgendeinen Dienst von mir, daher die
+Geschenke.</p>
+
+<p>Wir sahen einander einige Minuten schweigend, prüfend an.</p>
+
+<p>Dann fuhr er fort: »Um dir guten Morgen zu sagen.«</p>
+
+<p>Ich bin von jeher ein höflicher Mann gewesen und erwiderte nun
+meinerseits den Gruß, gespannt, was darauf folgen sollte. Wieder langes
+Stillschweigen — endlich:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span></p>
+
+<p>»Ich bringe dir hier dieses Geschenk.« Ah, denke ich, jetzt kommt
+es. Doch wieder hatte ich mich getäuscht. Nach weiteren fünf Minuten
+Stillschweigens fing ich an ungeduldig zu werden und fragte mich
+vergeblich, was der gute Mann eigentlich von mir wollte. »Ist das
+alles, und bist du darum aus dem Dorfe gekommen, um mir nur guten Tag
+zu sagen und ein Geschenk zu bringen?«</p>
+
+<p>Diese Frage verwirrte ihn offenbar noch mehr, und er antwortete: »Ich
+habe dir dieses Geschenk gebracht, weil du mein Chef und ein guter Chef
+bist und weil ich dich lieb habe.«</p>
+
+<p>»Ah, sehr brav, sehr brav, mein lieber Freund«, antworte ich
+darauf, innerlich tief beschämt und erstaunt über so viel Liebe und
+Aufmerksamkeit von seiten eines Mannes, den ich bisher höchstens
+dreimal gesehen.</p>
+
+<p>Wieder hüllten wir uns in tiefes Stillschweigen. Die Idee, daß der gute
+Mann eigens mir zuliebe die weite Reise gemacht haben sollte, wollte
+mir doch nicht so recht in den Kopf. Wäre ich ein abergläubischer
+Mensch gewesen, so hätte ich jetzt ernstlich Furcht vor irgendeiner
+Hexerei empfunden, die der Häuptling mit mir vorhatte, so unverwandt
+und durchdringend blickten seine Augen mich an. Doch da ich als guter
+Mensch von meinen Nächsten stets das Beste denke, so hatte ich keine
+Furcht, sondern fühlte nur ein leises Unbehagen, zumal ich nicht recht
+wußte, auf welche Weise ich mich für so viel Güte revanchieren sollte.
+Ich verließ also meinen Lehnstuhl und machte einen kleinen Rundgang in
+der Faktorei, um die verschiedenen Arbeiten zu inspizieren. Das war
+gegen 9 Uhr morgens. Etwa eine Stunde später kehrte ich auf die Veranda
+zurück und fand den guten Mann, den ich völlig vergessen hatte, mit
+seinen beiden Dienern auf der gleichen Stelle hockend vor.</p>
+
+<p>»Mfumu, seit etwa vierzehn Tagen habe ich hier« — dabei deutete er in
+die Magengegend — »ein Tier, welches auf und ab geht und mir meinen
+Schlaf raubt.«</p>
+
+<p>Da haben wir die Bescherung, dachte ich, sicherlich wünscht der Brave
+ein Medikament. Mit ernsthafter Miene ließ ich mir die Örtlichkeit
+seiner Schmerzen von ihm näher erklären. Diesmal lamentierte er
+fließend weiter:</p>
+
+<p>»Und da ich weiß, daß du ein guter Chef und großer Medizinmann bist,
+der alle Teufel zu bezwingen vermag, bin ich zu dir gekommen, dich zu
+bitten, das Tier im Magen zu töten.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span></p>
+
+<p>Unwillkürlich setzte ich eine wichtige Miene auf — ein Beweis, daß
+eine Schmeichelei, selbst von einem Negerhäuptling, niemals ihre
+Wirkung verfehlt — und stellte die bei derartigen Anlässen üblichen
+Fragen.</p>
+
+<p>»Laß die Zunge sehen — gut. Bist du bei gutem Appetit?«</p>
+
+<p>»Nein.«</p>
+
+<p>»Gehst du regelmäßig ins Grüne?«</p>
+
+<p>»Seit einer Woche nicht.«</p>
+
+<p>»Ah, ah« — schließe ich meine Diagnose, »der Fall ist schwer, sehr
+schwer.« Gewichtig schreite ich ein paarmal auf und ab, die Stirne in
+krause Falten ziehend. Für mich, der ich niemals einen pharmazeutischen
+Kursus zu absolvieren Gelegenheit hatte, bedeutete dies einen ganz
+komplizierten Fall. Meine Wissenschaft in derartigen Dingen reichte
+gerade so weit, um sofort mit klarem Blick zu erkennen, daß hier nur
+ein kräftiges Purgativ, wie <span class="antiqua">Magnesium sulfuricum</span> (Bittersalz)
+helfen konnte. Ich entnahm daher meinem Arzneikasten eine Flasche,
+welche das Heilmittel für den Patienten enthielt. Dieser war mir
+auf den Fersen gefolgt und hatte mißtrauisch jede meiner Bewegungen
+beobachtet. Ich füllte einen Löffel bis zum Rand und leerte ihn in
+ein Glas. Dies genügt für gewöhnlich, doch, teils aus Mitleid für die
+Qualen, welche der Bedauernswerte bisher erduldet hatte, teils aus
+Vorsicht, weil Negermagen stets die doppelte Dosis vertragen können,
+leerte ich einen zweiten vollen Suppenlöffel mit der gebührenden
+Feierlichkeit in das Glas.</p>
+
+<p>Die Zubereitung einer Medizin, die den »bösen Geist im Körper töten
+sollte«, mußte natürlich im mystischen Dunkel erfolgen, damit mein
+Ruf als Medizinmann nicht vom Erstbesten vernichtet werden konnte.
+Ich trat daher in meine Dunkelkammer, in welcher mein Boy vorher das
+rote Licht angezündet hatte, und in deren geheimnisvollem roten Schein
+füllte ich das Glas bis zum Rande mit »<span class="antiqua">aqua destillata</span>«. Hierauf
+reichte ich dem Häuptling, der von der Veranda aus den ganzen Vorgang
+beobachtet hatte, das Glas mit gebieterischer Gebärde. »Trinke!«</p>
+
+<p>Dieselbe Gebärde und Haltung mir gegenüber einnehmend, erwiderte dieser:</p>
+
+<p>»Trinke du zuerst!«</p>
+
+<p>Mit einem Schlag stürzte ich aus meinen mystischen Höhen, in die mich
+die Zubereitung der Medizin versetzt hatte. Ich glaubte<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> meinen Ohren
+nicht trauen zu dürfen. Doch ein Blick auf den Patienten genügte, um zu
+sehen, daß ich recht gehört hatte und daß dies sein bitterer Ernst war.</p>
+
+<p>»Aber ich bin doch nicht krank!« erklärte ich.</p>
+
+<p>»Wenn du nicht krank bist, dann wird es dir nicht schaden«, war die
+Antwort.</p>
+
+<p>»Aber ich gehe doch regelmäßig, jeden Tag ... ins Grüne!«</p>
+
+<p>»So wirst du eben noch regelmäßiger gehen.«</p>
+
+<p>»Ah, geh zum Teufel, wenn du nicht trinken willst, dann schau, daß du
+weiterkommst!«</p>
+
+<p>»Aber ich will ja trinken, nur mußt du zuerst die Hälfte trinken!«</p>
+
+<p>»Wenn du nur die Hälfte trinkst, dann nützt die Medizin nichts, du mußt
+alles trinken.«</p>
+
+<p>»Gut, dann trinke du das ganze Glas und bereite mir die gleiche Medizin
+nochmals!«</p>
+
+<p>»Der Teufel soll dich holen — Kaluka — schau, daß du fortkommst!«</p>
+
+<p>Bis zu diesem Augenblick hatte ich die Angelegenheit von der komischen
+Seite betrachtet. Nun fing ich wirklich an, ärgerlich zu werden. Mein
+Patient ließ sich durch meinen Zorn durchaus nicht aus dem Gleichmut
+bringen. Langsam erhob er sich, setzte die Füße einwärts, schüttelte
+das greise Haupt:</p>
+
+<p>»Wa—wa—wa—was? Du willst nicht trinken? Dann hast du mich vergiften
+wollen!«</p>
+
+<p>Und seine beiden Diener nickten zustimmend mit den Köpfen und
+wiederholten: »— vergiften — vergiften wollen.«</p>
+
+<p>Ich erstickte vor Wut und mußte mich zusammennehmen, um ihnen nicht das
+Glas an den Kopf zu werfen.</p>
+
+<p>»Und wir gehen jetzt zum Richter, um dich anzuzeigen!«</p>
+
+<p>Mir wurde es schwarz vor den Augen; ich fühlte, wie mir eine Blutwelle
+zu Kopf stieg. Da hatte ich mir eine schöne Suppe eingebrockt! Hin
+und her überlegend, rannte ich wie ein wildes Tier auf der Veranda
+auf und ab. Der Satz: »dann wolltest du mich vergiften« ging mir im
+Kopf herum. Ich konnte den Esel doch nicht im Glauben lassen, daß ich
+es wirklich auf sein Leben abgesehen hatte. Der Kerl wäre imstande,
+die Geschichte in ganz Boma und Umgebung zu verbreiten. Er hatte zwei
+Zeugen, die offenbar ganz der gleichen Meinung waren. In Gedanken
+sah ich mich schon vor das Schwurgericht gestellt! Ich würde ja
+sicherlich freigesprochen<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> werden, aber ein Makel würde ebenso sicher
+auf meinem Namen bleiben, und ich sah schon in Gedanken die englischen
+Missionare in ihren Journalen der Welt verkünden: Mißglückter Versuch
+eines Händlers, einen bedeutenden Eingeborenenhäuptling zu ermorden!
+Aussagen von zwei Zeugen, die zugegen waren. Urteil der Kongogerichte.
+Freispruch des Mörders mangels genügender Beweise!</p>
+
+<p>Eine unbeschreibliche Wut erfaßte mich bei diesem Dilemma. Am
+liebsten hätte ich dem Kerl von meinem Capita<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a> 25 Hiebe mit der
+Nilpferdpeitsche aufzählen lassen. Doch nein — rechtzeitig hielt ich
+inne! — Mißglückter Vergiftungsversuch — dann Prügel — vielleicht
+gar Totschlag — mir wurde es schwarz vor den Augen! »Ah, wenn ich
+wenigstens noch Bittersalz vertragen könnte! Doch ich versichere,
+nicht einmal riechen, geschweige denn trinken konnte ich bisher das
+abscheuliche Zeug. Ach, in welches Wespennest hatte ich da die Hand
+hineingesteckt! — Es sollte mir nichts übrigbleiben — ihr werdet
+sehen!« —</p>
+
+<p>Mafuta mingi stand noch immer vor mir, das Glas mit meiner Medizin in
+der Hand. Plötzlich reifte ein heroischer Entschluß in mir, ich nahm
+das Glas und leerte es auf einen Zug!</p>
+
+<p>Mafuta mingis Gesicht verzerrte sich zu einem behaglichen Grinsen;
+ich aber rannte zu meiner Flasche, schüttete vor seinen Augen drei
+große Löffel in das Glas und füllte dieses bis zum Rand mit <span class="antiqua">aqua
+destillata</span>.</p>
+
+<p>»So, jetzt trinke, sonst erschlage ich dich auf der Stelle.« — — —</p>
+
+<p>Eine Woche später erschien Mafuta mingi wieder, um mir für den Erfolg
+meiner Behandlung zu danken; er war zwei Tage lang fortwährend — ins
+Grüne gegangen. Und ich armer Teufel — —?!</p>
+
+<p>Ich habe in meinem späteren Leben niemals mehr einem Häuptling eine
+Medizin gegeben.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Die Fahrt zum Stanley-Pool. Leopoldville. Brazzaville.</h2>
+</div>
+
+<p>Von Matadi stromaufwärts bis zum Stanley-Pool bildet der Kongofluß
+eine Reihe von Katarakten, Stromschnellen und Strudeln, die für
+Dampfer völlig unpassierbar sind, so daß diese Strecke in früheren
+Jahren mit Karawane zu Fuß zurückgelegt werden mußte.<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> Im März 1890
+wurde mit dem Bau der 500 Kilometer langen Eisenbahn begonnen, und
+im Jahre 1898 wurde diese offiziell dem Verkehr übergeben. Wer sein
+ganzes Leben in der Heimat hinterm Bureautisch in beschaulicher Ruhe
+zugebracht hat, wer als Weltbummler, dank seines Goldes, in bequeme
+Sessel zurückgelehnt, eine Vergnügungsreise über die Kristallberge nach
+dem Stanley-Pool macht, der wird keine Ahnung von der Riesenarbeit
+haben, die durch menschliche Intelligenz hier geschaffen, von dem Kampf
+zweier Welten, der hier ausgefochten worden ist und Tausende von Opfern
+durch Seuchen aller Art gefordert hat. Niemals wird er sich davon
+Rechenschaft ablegen, wieviel menschliches Blut hier an jedem Schritt
+Landes haftet, und wie viele vor ihm ihre Gesundheit, ihren Verstand
+und ihr Leben bei dieser mörderischen Arbeit lassen mußten. Der aber,
+der mehr als einmal unter viel kleineren Aufgaben zusammengebrochen
+ist, der am eigenen Körper die erschlaffende Wirkung der Sonnenstrahlen
+empfunden hat, kann sich eine Vorstellung davon machen, was es heißt,
+dieses Riesenwerk in den Granitfelsen in schwindelnder Höhe entstehen
+zu lassen.</p>
+
+<p>Hinaus aus der Station eilt der Zug — zur Linken, fast senkrecht in
+der Tiefe, winkt der Kongofluß mit den bekannten Jellala-Katarakten
+und Strudeln. Gleich einem Band schmiegt sich der schmale Bahnkörper
+an die mächtige überhängende Felswand. Ein Lockern der Schienen an
+irgendeiner Stelle würde den Zug 300 Fuß senkrecht in die Tiefe stürzen
+lassen, wie dies beim Bau der Bahn wiederholt vorgekommen sein soll.
+Wir wagten gar nicht daran zu denken. Bei der nächsten Biegung bot
+sich unseren Augen der Ausblick auf einen schäumenden Wasserkessel.
+Vor uns, gleich zwei Dolomitentürmen, ragten zwei Felskegel, rings
+von rötlichem Gestein und vereinzeltem Strauchwerk umgeben, senkrecht
+empor. An dieser Stelle mündet der Pozo, ein kleiner Gebirgsfluß,
+der über große Granitblöcke, wie Champagner perlend, in die Tiefe
+stürzt, in den Kongo ein. Wir folgten dem Laufe dieses Wildbaches
+etwa eine halbe Stunde stromaufwärts. Zu beiden Seiten genossen wir
+einen Ausblick, wie er nirgends auf der Welt schöner zu finden ist.
+Phantastisch zerklüftetes Felsengebirge, von den ersten Sonnenstrahlen
+mit zartem Rosahauch übergossen, formt bald große Dome, bald trägt es
+wieder den Charakter der Dolomiten. In der Tiefe rauscht der tosende
+Wildbach zwischen Felsblöcken dahin, bald einen Wasserfall, bald ein
+großes Sammelbecken bildend. Kaleidoskopartig<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> ziehen alle diese
+Bilder an unseren Augen vorbei. In raschem Lauf erklomm der Zug, von
+zwei kräftigen Bergmaschinen getrieben, in langen Spiralen das vor uns
+liegende Hochgebirge.</p>
+
+<p>Behaglich in einem drehbaren, federnden Madeirafauteuil sitzend,
+wandte ich mich meinem Gegenüber, dem Kommandanten der französischen
+Tschadsee-Expedition, Gentil, zu, der mir in den nächsten Tagen
+viel Interessantes über seine Feldzüge in Tongking und gegen die
+chinesischen Piraten erzählte. Wir teilten den Waggon nur noch mit
+zwei Missionaren der Missionsstation »Kimuenza«, mit denen wir uns im
+weiteren Verlaufe der Reise noch anfreundeten. Vorläufig waren sie noch
+mit ihrem Frühstück aus der mitgebrachten Proviantkiste beschäftigt.
+Moderne Speisewagen und Restaurants gab es auf dieser Linie noch nicht.
+Jeder Reisende hatte Proviant für zwei Tage, also für die Reisedauer,
+mitzunehmen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp45" id="067_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/067_ill.jpg" alt="Eine Kurve der Kongobahn">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Nach einiger Zeit hatten wir den höchsten Punkt der Trasse erreicht
+und warfen noch einen Blick zurück. Der Pozo schlängelte sich einige
+tausend Fuß unter uns gleich einem Faden dahin. Wir hatten nunmehr eine
+Art Hochplateau erreicht und eilten bald an kahlem Felsgestein, bald
+an Sümpfen, an kleinen Wäldern und<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> Morast vorbei. Jede Viertelstunde
+hielt der Zug still, um die Wasserkessel neu zu füllen, da der
+Dampfverbrauch bei der großen Steigung sehr groß ist. Gegen Mittag
+erreichten wir die Waldzone.</p>
+
+<p>Von der Glut der Sonne zu grenzenloser Kraftentfaltung getrieben,
+reckt der Urwald überall, wo Gewässer durch den stehenden Schlamm der
+dunklen, schattigen Moräste rieseln, ein Blätterdach von unendlicher
+Mannigfaltigkeit gegen den Himmel. In dem dunklen, rätselhaften
+Schatten dieser Vegetation wogt ein beständiger unerbittlicher Kampf um
+die Lebenskraft, um das Licht. Stahlharte Kautschukmuskeln in Gestalt
+einer rankenden Liane, aus einem schwanken Reis im Laufe der Zeit
+zum furchtbarsten Gegner emporgewachsen, umklammern den Körper der
+Urwaldriesen, um in unaufhörlichem Durst deren Herzblut auszusaugen und
+sie schließlich zu Boden zu zwingen.</p>
+
+<p>Unser Zug raste mit Windeseile dahin, vorbei an kolossalen, aus Lianen
+aller Art bestehenden Triumphbogen, vorbei an Lichtungen, wo Bananen,
+Palmen und tausenderlei Blattpflanzen eine Welt für sich bilden.
+Unser Auge weidete sich freudetrunken an den herrlichen Schätzen, die
+uns die Natur enthüllte und in der Phantasie ahnen ließ. Gegen 6 Uhr
+abends kamen wir in Thysville an und unterbrachen hier die Fahrt, da
+die Strecke nachts nicht befahren werden kann. Wir fanden hier in den
+verschiedenen Faktoreien behaglich eingerichtete Zimmer vor und nahmen
+sofort ein erfrischendes Bad, um uns von den Strapazen der Reise zu
+erholen.</p>
+
+<p>Am folgenden Morgen, gegen 8 Uhr, setzten wir die Reise fort. Diese
+führte wieder größtenteils durch herrlichen Urwald. Wir waren in
+der sogenannten Waldzone angelangt, und das Zirpen der Baumgrillen,
+das Kreischen der Papageien und Lockrufen einer Menge anderer Vögel
+übertönte das Getöse des dahineilenden Zuges.</p>
+
+<p>Ein Ruf höchster Bewunderung entrang sich unser aller Lippen, als
+nachmittags, nach einer kurzen Steigung plötzlich zu unseren Füßen
+der Stanley-Pool in silbernem Blau erglänzte. Gleich einem Binnensee
+glitzert und spiegelt die unermeßliche Wasserfläche, soweit das
+Auge reicht, in allen Tönungen, vom zartesten Grün bis zum tiefsten
+Dunkelblau, während in weiter Ferne, ganz am Horizont, Kreidefelsen
+— auch Dover Cliffs genannt — das Panorama wie eine Gletscherkette
+abschließen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span></p>
+
+<p>Nach einer kleinen Viertelstunde Fahrt am Ufer des Pools entlang
+erreichten wir Kinschassa, das vorläufige Ziel meiner Reise, während
+der Zug noch ein kurzes Stückchen weiter bis nach Leopoldville, im
+Volksmund kurz »Leo« oder auch »Kintambo« genannt, ging.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="069_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/069_ill.jpg" alt="Faktoreigebbäude Kinschassa">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Hier wurde ich von Herrn Tours, dem Chef der holländischen Faktorei,
+welcher von meiner Ankunft bereits telegraphisch verständigt war,
+empfangen und auf das liebenswürdigste bewillkommt.</p>
+
+<p>Der Stanley-Pool ist gewissermaßen das Tor Innerafrikas, der
+Ausgangspunkt der Schiffahrt nach dem oberen Kongo und seiner
+zahlreichen Nebenflüsse. Um voll zu verstehen, was der Kongo, dieser
+mächtigste Fluß Zentralafrikas, als natürliche Verkehrsader für die
+Nutzbarmachung des Riesenreiches mit einem Flächeninhalt von rund
+2260000 Quadratkilometer bedeutet, muß man sich vergegenwärtigen, daß
+etwa 14200 Kilometer des Flußsystems schiffbar sind, was, auf unsere
+europäischen Verhältnisse übertragen, ungefähr der Gesamtausdehnung der
+Küsten des Mittelmeeres (etwa 14500 Kilometer) gleichkommt.</p>
+
+<p>Infolge seiner zentralen Lage als Endpunkt der 500 Kilometer<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> langen
+Eisenbahn und als Stapelplatz des Verkehrs nach dem Inlande ist
+Leopoldville dazu berufen, dereinst die Hauptstadt des Kongostaates
+zu werden. Kinschassa, unweit Leopoldville am Stanley-Pool inmitten
+hundertjähriger Baobabriesen anmutig gelegen, bildet eine Art Vorstadt,
+das Faktorei-Viertel der Metropole. Mit Leopoldville ist es durch eine
+breite Allee verbunden, welche dem Pool entlang durch Ansiedlungen der
+Eingeborenen der Umgebung führt und zu beiden Seiten mit Mangobäumen
+und Baobabs bepflanzt ist.</p>
+
+<p>Gleich nach unserer Ankunft in Kinschassa gingen wir zu Fuß nach
+Leopoldville. Von der einsamen langen Wanderung sahen wir uns mitten
+in das Großgetriebe eines afrikanischen Hafenplatzes versetzt. Lange
+Kolonnen von Trägern mit ihren Lasten von Ballen, Kisten oder Koffern
+auf dem Kopf treffen von den verschiedenen Richtungen her am Hafen ein
+und bringen die Landesprodukte entweder sofort an Bord der verankerten
+Schiffe oder reihen sie am Quai unter Aufsicht von europäischen Beamten
+ein. Andere Gruppen wieder laden die kostbare Ladung von Rohgummi
+und Elfenbeinzähnen aus den Dampfern direkt in die bis an die Quais
+heranfahrenden Eisenbahnwaggons um. Das Getriebe am Hafen läßt sich
+am besten mit einem Ameisenhaufen vergleichen. Der erste Eindruck
+des oberflächlichen Beschauers ist der eines wirren Durcheinanders,
+eines widersinnigen Hin- und Herlaufens. In Wirklichkeit aber herrscht
+musterhafte Ordnung, strenge Aufsicht und Zucht. Jede der hier
+arbeitenden Kolonnen steht unter Kontrolle eines europäischen Beamten.
+Alle die Fäden dieses komplizierten Betriebes, der viel Umsicht
+erheischt und von dessen tadellosem Funktionieren das Schicksal von
+Menschenleben tief im Innern des Landes abhängt, vereinigen sich in der
+Hand des Distrikts-Kommissars, des Allgewaltigen von Leopoldville, der
+über das Ganze gebietet, und ohne dessen Einwilligung kein Dampfer den
+Hafen verlassen darf.</p>
+
+<p>Was jeden Neuling am Hafen in erster Linie fesselt und seine
+Aufmerksamkeit an sich zieht, ist die ganz eigenartige Bauart der
+Dampfer. Der Kongo verbreitert sich in seinem Oberlauf, an der
+sogenannten Äquatorialkurve, zu einem unendlich langen Binnensee.
+Stellenweise ist der Fluß bis zu 18 Kilometer breit. Ausgedehnte
+Inseln und Sandbänke verlegen das Flußbett und hemmen die Schiffahrt.
+Der Verkehr ist zu normalen Zeiten schwierig, besonders aber zu
+Zeiten der Trockenperiode, bei niederem Wasserstand,<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> wo einzelne
+Durchfahrtsstellen kaum fünf bis sechs Fuß, d. h. 1,50 bis 1,80 Meter
+tief sind. Diesem Umstand mußte nun bei der Konstruktion der Schiffe
+Rechnung getragen werden. Es entstand ein ganz eigenartiger Typ von
+Raddampfern — sogenannte Flachboote — die im Verhältnis zur Länge
+sehr breit sind, geringen Tiefgang besitzen und von einem großen
+Schaufelrad, das am Hinterteil des Schiffes, ähnlich einem Mühlenrad,
+angebracht ist, getrieben werden. Maschinen, Heizanlagen und Kessel
+sind im Unterdeck eingebaut, und auch ein Teil der Ladung, der auf
+Deck nicht untergebracht werden kann, und Brennholz zur Speisung der
+Maschine, muß daselbst verstaut werden. Darüber befinden sich die
+Kabinen des Kapitäns und der Passagiere sowie die Kommandobrücke.
+Zur Zeit meiner ersten Reise galten 50 Tonnen Laderaum schon als
+respektabel; späterhin wurden von der Regierung Dampfer in Dienst
+gestellt, die bis zu 250 Tonnen Ladung fassen konnten.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="071_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/071_ill.jpg" alt="Kongodampfer">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Eine breite Allee führt an Ziergärten und reizenden Villen mit
+breiten Veranden vorbei zur »Grande Place«, wo sich auf einem Sockel
+mit dem Bildnis König Leopold <span class="antiqua">I.</span> eine prachtvolle weibliche
+Figur als Sinnbild der »Zivilisation«, die Schöpfung eines dänischen
+Offiziers, erhebt. Von hier aus führen mehrere mit Ananas-, Mango- und
+Papaibäumen bepflanzte Alleen in alle vier<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> Windrichtungen. Wir folgten
+einer derselben und gelangten auf eine Anhöhe, von der aus wir einen
+prächtigen Rundblick genossen.</p>
+
+<p>Zu unseren Füßen, lieblich am Gestade des Pools inmitten von
+Palmenhainen und kleinen Ziergärten gelegen, schmiegt sich die
+Villenkolonie von Leopoldville an das sanft ansteigende Gelände. Die
+kleinen Einfamilienhäuschen mit den luftigen Veranden und weißen
+Dächern lugen anmutig aus dem Grün hervor und machen den Eindruck
+behaglichen Komforts.</p>
+
+<p>In leuchtender Apotheose versank der Sonnenball gleich einer
+Feuerkugel am Horizont, flammende Strahlenbündel vom hellsten Rot
+bis zum zartesten Smaragdgrün in allen Regenbogennuancen zum Äther
+emporsendend. Der Stanley-Pool erschien in flammende Lohe getaucht;
+auf seiner spiegelnden Wasserfläche schimmerten Myriaden leuchtender
+Blutstropfen; die in weiter Ferne, am Nordende des Pools gelegenen
+Kreidefelsen erstrahlten im magischen Alpenglühen. Doch nur kurze Zeit
+wahrte die prächtige Farbensinfonie; die hellen Akkorde verklangen und
+gingen in Moll-Tönungen, die bis zum tiefsten Violett hinunterreichten,
+über. Bald schwanden auch diese dahin, und die weichen Konturen der von
+der Sonne bestrahlten Landschaft nahmen plötzlich härtere Linien an.
+Ein tiefer Ernst war über die Natur gekommen; ein leichtes Frösteln
+durchschauerte den Körper und mahnte zur Heimkehr.</p>
+
+<p>Das Angesicht des Stanley-Pools hatte sich völlig verändert.
+Schwarze Felsmassen und unwirtliche Inseln ragten tückisch über den
+Wasserspiegel empor und zauberten unheimliche Trugbilder vor die Sinne.
+Hier und dort stiegen Myriaden giftiger Keime aus ihren feuchten
+Brutstätten empor und ballten sich zu bläulichen Nebelschwaden,
+die im nächtlichen Reigen auf und nieder wallten. Diese in Europa
+als Bodennebel bezeichneten Dunstmassen bergen in den Tropen die
+heimtückischen Malariaträger, die für den eingewanderten Europäer
+entweder den Tod oder lebenslängliches Siechtum bedeuten. Eine innere
+Stimme warnte uns, nicht länger hier draußen zu verweilen, sondern
+ungesäumt das schützende Heim aufzusuchen. Wir wurden uns bewußt, daß
+unsichtbare, feindliche Mächte uns umlauerten, daß in den Tiefen des
+Stanley-Pools, der tagsüber, solange er von der Sonne beleuchtet ist,
+dem friedlichen Himmel gleicht, das raubgierige, gefräßige Krokodil auf
+den Einbruch der Nacht wartet, um unter dem Schutz der Dunkelheit sein
+nasses Reich zu verlassen und die ahnungslose Beute zu überfallen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p>
+
+<p>Nach dem Glauben der Neger Innerafrikas gehört die Nacht den bösen
+Geistern und verfluchten Seelen, die bald in der Gestalt eines
+Leoparden, Krokodils oder einer giftigen Schlange alle diejenigen, die
+das schützende Dach verlassen, dahinmorden.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp58" id="073_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/073_ill.jpg" alt="Häuptling mit Familie im Festschmuck">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Welche Gründe eigentlich dafür maßgebend waren, daß die Direktion
+der N. A. H. V.-Oberkongo-Abteilung auf französisches Gebiet, nach
+Brazzaville auf dem gegenüberliegenden Ufer des Stanley-Pools,<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> verlegt
+wurde, ist mir stets ein Rätsel geblieben. Die Meinungen darüber sind
+geteilt. Die einen sprechen von Divergenzen mit den Machthabern des
+neuerstandenen belgischen Kongostaates, die anderen leiten die Tatsache
+aus dem Umstande ab, daß ein Großteil der Faktoreien im Gebiete des
+französischen Kongo liegt. Vielleicht waren auch die Eingeborenen am
+jenseitigen Ufer friedlicherer Natur. Ich überlasse dem geneigten
+Leser die Wahl einer der drei angeführten Gründe. Tatsache ist, daß
+Brazzaville zum Sitze des Direktors der Oberkongo-Abteilung auserkoren
+wurde und es bis zum heutigen Tage geblieben ist.</p>
+
+<p>Meine Ankunft in Kinschassa war in Brazzaville bereits bekannt, und am
+nächsten Morgen holte mich unser kleiner Schraubendampfer »Wendeline«
+zu einem Besuch daselbst ab.</p>
+
+<p>Noch lagerten dichte Nebelschwaden über der Fläche des Stanley-Pools,
+als wir ins Ungewisse hinausfuhren. Doch unser Kapitän kannte die Route
+ganz genau; er hatte sie von seinen täglichen Reisen gewissermaßen in
+der Hand, und sicher führte sein Steuer uns an großen Felsblöcken oder
+Teilen einer Insel, die plötzlich in gespensterhafter Größe aus dem
+Nebelmeer hervortraten, vorbei. Spukgestalten gleich, von der Brandung
+umtost, schwanden sie dahin, als bestünden sie in Wirklichkeit gar
+nicht, sondern wären nur Ausgeburten einer geängstigten Phantasie.
+Ein unheimliches Gefühl überkam mich bei dieser Fahrt ins Ungewisse.
+Der kühle, feuchte Nebel drang durch das leichte Tropenkostüm, legte
+sich wie ein Alp auf die Brust und machte einen vor Kälte erschauern.
+Trompetensignale, Trommelwirbel und das Tuten von Dampfpfeifen deuteten
+auf die unmittelbare Nähe von Leopoldville hin, doch weder Ufer noch
+Stadt waren sichtbar.</p>
+
+<p>Der Dampfer machte jetzt eine scharfe Wendung nach Steuerbord. Aus
+dem Nebelmeer vor uns stieg eine größere Sandbank mit bewaldetem
+Hintergrund gespenstisch empor. Der Kapitän bezeichnete mir diese
+Insel als die »Insel der dem Tode Geweihten«. Eine elende Baracke —
+das Infektionsspital — erhebt sich einige Schritte vom Ufer. In ihr
+kampieren Pockenkranke im vorgeschrittenen, unheilbaren Stadium. Diese
+Bedauernswerten, die eine beständige Gefahr für ihre Umgebung bilden
+und nicht mehr zu retten sind, werden auf die völlig abgeschiedene
+Insel gebracht, um hier ihr jämmerliches Dasein zu beschließen.
+Allwöchentlich einmal bringt ihnen eine Barkasse aus Leopoldsville das
+Nötigste an Nahrungsmitteln.<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> Stirbt einer dieser Unglücklichen, so
+wirft man ihn ins Wasser, den Krokodilen und Fischen zum Fraß!</p>
+
+<p>Weiter ging unsere Fahrt in raschem Tempo.</p>
+
+<p>Als feuerroter Glutball war die Sonne inzwischen aus den Nebelschwaden
+emporgestiegen. Noch besaßen ihre Strahlen nicht die Kraft, die Macht
+der Finsternis zu bannen und die dichten Nebelschleier zu durchdringen.
+Gelang es dennoch hier oder dort ihren milden Strahlen, siegreich
+eine Bresche in die wallenden Dunstmassen zu schlagen, dann trieb ein
+Lufthauch sofort neue Nebelmassen heran. Kurze Zeit nur währte der
+ungleiche Kampf mit dem Tagesgestirn um die Vorherrschaft. Königin
+Sonne, mit dem flammenden Schwert umgürtet und dem leuchtenden
+Prunkgewande der Morgenröte angetan, blieb Siegerin, vor deren
+wärmespendenden Strahlen der Nebel schließlich zerriß und verschwand.</p>
+
+<p>Wir waren allmählich in die Mitte des Stanley-Pools auf halbem Wege
+zwischen Leopoldville und Brazzaville gelangt; die Trompetensignale
+und Trommelwirbel von beiden Ufern drangen wie aus weiter Ferne zu
+uns. Dagegen zog ein zunehmender Schall, wie das Tosen von über
+Felsen stürzenden Wassermassen oder das Brechen der Brandung, meine
+Aufmerksamkeit auf sich. Über die Ursache dieses Getöses befragt,
+erklärte der Kapitän kaltblütig, daß er infolge des Nebels und der
+Gefahr von Kollisionen mit den von Leopoldville ausfahrenden Dampfern
+genötigt war, eine Route zu nehmen, die knapp oberhalb der berüchtigten
+Stromschnellen, die der Kongofluß beim Austritt aus dem Stanley-Pool
+bildet, führte. Wir überquerten demnach den südwestlichen Teil des
+Pools, der wegen der Nähe der Katarakte und der Gefahr, von der
+reißenden Strömung mitgerissen zu werden, im allgemeinen gemieden wird.</p>
+
+<p>Wie ich später in Brazzaville erfuhr, war unser Kapitän für seine
+tollkühnen Fahrten allgemein bekannt. Er galt als einer der
+verwegensten Fahrer, und in Marinekreisen zirkulierte der Ausspruch,
+daß er seine Seele dem Teufel verschrieben habe. Gleichmütig zählte
+er mir die verschiedenen Dampfer auf, die der tosende Katarakt mit
+Mann und Maus verschlungen, und bezeichnete mir die Stellen, wo sie
+verschwunden waren, um nie wieder an der Wasseroberfläche zu erscheinen.</p>
+
+<p>Unwillkürlich hingen meine Blicke gebannt am Manometer. In Gedanken
+legte ich mir zurecht, was ich zu meiner Rettung versuchen würde, falls
+aus irgendeinem Grunde der Druck nachlassen oder die<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> Maschine versagen
+sollte. Nach einigen Minuten banger Erwartung überwogen die Gedanken
+der Zuversicht — unser kleiner Dampfer »Wendeline« hielt sich tapfer
+und überwand ohne nennenswerte Anstrengung die starke Strömung. Eine
+Viertelstunde später landeten wir in unserer Zentrale inmitten einer
+ganz stattlichen Anzahl von Schiffen. Die Flottille der N. A. H. V.
+im Oberkongo umfaßte derzeit 16 Dampfer verschiedener Größe, nicht
+miteingerechnet die vielen eisernen Baleinieren — Barkassen, wie sie
+zum Walfischfang verwendet werden.</p>
+
+<p>Eine schattige Allee von Mangobäumen, der Stolz von Brazzaville, führt
+vom Landungssteg an verschiedenen Wohngebäuden entlang zum Sitz des
+Direktors.</p>
+
+<p>Unter den afrikanischen Leckerbissen nimmt — neben der Ananas — die
+Mangofrucht unstreitig den ersten Platz ein. Feinschmecker behaupten
+sogar, daß die Ananas an die Mangofrucht bei weitem nicht heranreiche.
+In der Größe und ungefähren Form einer Kaiserbirne hat sie einen
+leichten Anflug terpentinartigen Geschmacks. Der Mangobaum selbst ist
+ein vorzüglicher Schattenspender. Man kann zum Beispiel in der Allee
+von Brazzaville bei der stärksten Sonnenhitze ohne Kopfbedeckung gehen,
+was, einen Schritt außerhalb derselben, schnellen Tod durch Sonnenstich
+zur Folge hätte.</p>
+
+<p>Rings um das Wohngebäude des Direktors war ein Ziergarten angelegt,
+in dem inmitten von wundervollen Orchideen und afrikanischen
+Blumen und Blattpflanzen auch herrliche Rosen blühten. Gehege von
+Äffchen und Papageien waren harmonisch darin angebracht. An das
+große Empfangszimmer, im Mitteltrakt des Gebäudes gelegen, war ein
+Vogelhaus mit Zierbäumen und einem Springbrunnen angebaut, in dem
+Blaumeisen, Kanarienvögel, Kolibris verschiedener Größen und Kardinäle
+mit leuchtend rotem Gefieder fröhlich trillerten und zwitscherten.
+Sie wurden vom Direktor, der ein großer Tierfreund ist, alle Tage
+selbst gefüttert. Die Innenausstattung der Räume war für afrikanische
+Verhältnisse fürstlich. Beim Eintritt fiel der erste Blick auf ein
+lebensgroßes Gemälde der Königin Wilhelmine — ein Meisterwerk in
+schwerem Rahmen — dessen Transport hierher zu Zeiten, als noch keine
+Bahn bestand und alles auf Negerschultern getragen werden mußte,
+jedenfalls ungeheure Mühe und Arbeit gekostet haben muß. Der Raum
+war mit schweren Teppichen und kunstvollen inländischen Geweben ganz
+auf europäische Art eingerichtet. Auf Tischchen und am<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Schreibtisch
+standen Photographien und Nippes — kurzum allerhand Kram, der ein
+europäisches Heim gemütlich macht und für gewöhnlich in den Tropen
+entbehrt werden muß. Telephon, elektrisches Licht, Klingelleitung —
+alles war vorhanden.</p>
+
+<p>In der Gartenanlage fanden wir sämtliche Früchte Innerafrikas, wie
+Coeur de Boeuf, Banane, Papaye, Goyaven, Ananas, Advokat usw.,
+angepflanzt und in den Lichtungen zwischen Palmen alle Arten
+Nutzpflanzen, wie Pataten (süße Kartoffel), Kürbis, Maniok und Ignam
+(Knollenfrucht bis zu fünf Kilo Schwere, im Geschmack ähnlich unserer
+Kartoffel), die im Laufe der Jahrhunderte ihren zielbewußten Weg von
+den Küsten Afrikas her über endlose Prärien nach diesem fruchtbaren
+Boden gefunden hatten.</p>
+
+<p>Nachdem ich Brazzaville, tagsüber als Gast des Direktors, bis ins
+letzte besichtigt und auch dem übrigen Personal vorgestellt worden
+war, verließ ich gegen Abend mit dem gleichen Dampfer unsere Zentrale,
+ohne irgend etwas Näheres über meine zukünftige Bestimmung erfahren zu
+haben. Voraussichtlich würde ich nach dem oberen Sangaflusse kommen,
+wo in letzter Zeit infolge eines Negeraufstandes verschiedene Beamte
+getötet worden seien.</p>
+
+<div class="footnotes">
+<p class="s3">Fußnote:</p>
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> Arbeiter-Aufseher.</p>
+</div>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Die Fahrt zum oberen Kongo. Die Faktorei Stanleyville.</h2>
+</div>
+
+<p>Am 29. März traf in Brazzaville die Nachricht ein, daß Herr Kiel,
+der Chef der holländischen Faktorei in Stanleyville, an Dysenterie
+erkrankt und unterwegs sei. Noch am gleichen Nachmittag erhielt ich
+Order, mich für den folgenden Morgen reisefertig zu halten. Ich war
+über die unerwartet günstige Wendung, die die Dinge für mich genommen
+hatten, natürlich hocherfreut, denn Stanleyville galt allgemein als das
+Paradies auf Erden und als eine der schönsten und gesündesten Gegenden
+Innerafrikas. Dazu kam noch, daß unser Direktor seinerzeit die Station
+persönlich gegründet hatte und eine gewisse Vorliebe für sie besaß.</p>
+
+<p>Meine Freude erfuhr allerdings einen Dämpfer, als ich vernahm, daß
+mein zukünftiger Chef Janssen hieß; denn ein Mann gleichen<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> Namens war
+mir von einem Streit, den er auf der Durchreise nach Fuca Fuca mit
+Kameraden hatte und in dessen Verlauf von Schußwaffen Gebrauch gemacht
+worden war, in unliebsamer Erinnerung. Umfragen bei den Kollegen in
+Kinschassa ergaben, daß Janssen, der gegenwärtig die Faktorei Upoto
+leitete, tatsächlich mit dem Angeführten identisch war. So wenig
+verlockend die Aussicht war, mit einem jähzornigen Menschen zusammen
+leben zu müssen, tröstete ich mich schließlich damit, daß ich, vor
+die Alternative gestellt, entweder in das Aufruhrgebiet des oberen
+Sanga zu gehen und von den Negern aufgefressen zu werden oder mit
+einem voraussichtlich brutalen Vorgesetzten nach dem vielgepriesenen
+Stanleyville zu reisen, immer noch das bessere Teil erwählt hatte.</p>
+
+<p>Die Freude über die bevorstehende herrliche Reise und das Gefühl der
+Befriedigung, nach Tagen planloser Zeitvergeudung und Umherirrens
+endlich wieder in die Bahn zielbewußter Tätigkeit geleitet zu werden,
+überwogen schließlich alle Bedenken, und mit glücklich pochendem Herzen
+sah ich der Ankunft des Dampfers »Nfuma Ntangu« auf Deutsch: »Gebieter
+der Sonne«, der mich als Passagier aufnehmen sollte, entgegen. Das
+Schiff langte noch am selben Tage an und ging vor Kinschassa, wo es den
+Rest der Ladung einzunehmen hatte, vor Anker. Mir wurde vom Kapitän
+eine geräumige Kabine auf dem Oberdeck zugewiesen, die ich sofort
+bezog, da der Dampfer beim ersten Morgengrauen aufbrechen sollte. Das
+ungewohnte Leben und Treiben an Bord, alle die neuen Eindrücke, die auf
+mich einstürmten, brachten es mit sich, daß ich die ersten Tage wie im
+Traum lebte.</p>
+
+<p>Unser Dampfer »Nfuma Ntangu« war ein Flußboot, wie sie auf dem
+Oberkongo, überhaupt auf allen seichten Flüssen, hier im Gebrauch
+stehen. Vorn, am Bug, saßen zwei Lotsen, welche während der ganzen
+Dauer der Reise abwechselnd drei Meter lange Stöcke in der Art
+einer Fischangel, auf der das englische Fußmaß eingekerbt ist,
+ins Wasser tauchten und eintönig die Wassertiefe: <span class="antiqua">tanu</span>
+(fünf), <span class="antiqua">samboanu</span> (sechs) ausriefen. Am rückwärtigen Teil des
+Schiffes, gleich dem Rad einer Kornmühle, befand sich über der ganzen
+Schiffsbreite das große Schaufelrad. Der Dampfer war bei der Ausfahrt
+derart voll geladen, daß das Niveau des Unterdecks auf der gleichen
+Höhe mit dem Wasserspiegel stand. Bei Stromschnellen, scharfen Kurven
+usw., bei welchen das Boot in eine schiefe Lage kam, stand die eine
+Seite des Unterdecks ganz unter Wasser —<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> eine Wahrnehmung, die mir
+anfangs großen Schrecken einflößte, an die ich mich aber mit der Zeit
+gewöhnte.</p>
+
+<p>Frühmorgens wurde ich durch das Zischen des Dampfers, das Gejohle und
+Geschnatter der Leute, die Kisten und Ballen durcheinanderwarfen,
+aufgeweckt. Nach dem Frühstück mit dem Kapitän auf der Kommandobrücke
+begab ich mich an Unterdeck, um dort Umschau zu halten. Unser Dampfer
+war nämlich ein wahres Babel in bezug auf die verschiedenartigen
+Negerstämme, die der blinde Zufall zusammengewürfelt hatte. Vom
+zivilisierten Küstenneger in Hemd, Hosen und Schuhen, der entweder
+aus Senegambien, Sierra Leone, Akkra oder dem Portugiesischen Kongo
+stammt und die etwas mehr Intelligenz verlangenden Arbeiten eines
+Maschinisten, Kochs oder Lavadeiro (Waschmann) verrichtet, bis zum
+Bangala mit spitz zugefeilten Zähnen und Hahnenkamm auf der Stirne
+waren alle Rassen Innerafrikas, selbst Kannibalen, vertreten. Ihr
+fortwährendes Schnattern, Quaken und Schnalzen, ihr ärgerliches
+Zanken und Streiten muteten ganz sonderbar an. Auf Holzkisten, Körben
+und Bündeln jeder Größe, in denen ihre Habseligkeiten untergebracht
+waren, hatten sie sich's bequem gemacht und ihr Lager, bestehend aus
+einer einfachen Strohmatte, das bei den Vermögenderen durch ein paar
+Decken vervollständigt wurde, aufgeschlagen. Darauf lagen sie nun
+träge und faul über- und aufeinander, ein Wirrwarr von Füßen, Armen
+und Leibern. Der eine war damit beschäftigt, direkt unter der Nase
+des zweiten aus seinen Zehen Sandflöhe herauszuoperieren, ein anderer
+ließ sich von seiner Frau die Haare scheren, unbekümmert darum, ob
+dieselben in den Topf des Nachbars fielen, in welchem eben ein von
+Verwesung grün gewordenes und das ganze Unterdeck mit seinem Gestank
+verpestendes Stück Hippopotamusfleisch brodelte. Während ich noch
+eben den Topf auf seinen Inhalt kritisch musterte, bemerkte ich, wie
+einer der herumhockenden Neger seinen Koffer ausleerte. Mit einer
+Anzahl schmutziger Kleidungsstücke flogen zugleich Spinnen, Kakerlaken
+(große afrikanische schwarze Schaben), Russen und kleine Mistkäfer
+heraus, ein Teil davon direkt in den brodelnden Topf. Die auf den
+Boden geschleuderten Insekten hüpften und zappelten erschreckt, so
+plötzlich aus ihrem dunklen Versteck gezerrt zu sein, dem erstbesten
+Schlupfwinkel zu. Diesmal hatte jedoch der Koch die neue Würze und
+den unerwünschten Zusatz zu seiner Speise bemerkt. Wutschnaubend
+fuhr er den Unvorsichtigen an, und eine Flut von<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> Verwünschungen und
+kannibalischen Kraftausdrücken, wie <span class="antiqua">katuka bushman — nyama</span><a id="FNAnker_4" href="#Fussnote_4" class="fnanchor">[4]</a>,
+quollen aus seinen wulstigen Lippen hervor, während er sich bemühte,
+die größeren Schaben mit dem einzigen Kochlöffel, den er besaß,
+herauszufischen und zu zerdrücken; die kleineren blieben drinnen, da
+es ihm ob solcher Bagatellen offenbar nicht der Mühe lohnte. Der Rest
+des Ungeziefers hatte seinen Weg über Gesichter, Leiber und Beine der
+auf dem Boden Liegenden hinweg in irgendeine Ritze gefunden, soweit sie
+nicht durch die kleinen Jungen am Körper der Schlafenden zerdrückt und
+zerschlagen worden waren. Eine der großen Spinnen fand auch durch den
+Hosenschlitz Einlaß zu ganz empfindlichen Teilen eines Schlafenden.
+Beim Freudengeheul der ganzen kleinen Bande, die dies besonders
+unterhielt, wachte der Betreffende auf, warf wütende Blicke um sich
+und suchte — <span class="antiqua">sans gêne</span> — in der Tiefe nach der Ursache des
+Juckens! — <span class="antiqua">Honni soit qui mal y pense!.</span></p>
+
+<p>Trotz der fortwährend wechselnden Szenerie, trotz all des Ungewohnten
+und vollständig Neuen, was seit acht Tagen um mich vorging, trotz
+aller unvorhergesehenen Ereignisse, die bei der Navigation in dem
+gefährlichsten aller Flüsse, der unter seiner Wasserfläche bald
+Sandbänke, bald Felsriffe und bald treibende Baumstämme trügerisch
+birgt, vorkommen, konnte der Fahrt nach Befriedigung der ersten
+Neugierde eine gewisse Eintönigkeit nicht abgesprochen werden. Hatten
+die sengenden Sonnenstrahlen und die überstandenen Krankheiten den
+Körper und das Gehirn bereits derart geschwächt, daß ich nicht mehr
+so aufnahmsfähig war? Mir war oft, als lebte ich in einem beständigen
+Traum, läge meine Kindheit wie ein Märchen, von einem Wolkenschleier
+verhüllt, weit, weit hinter mir. Meine Erinnerung an die Lieben in der
+Heimat schwand — losgelöst von allen Fesseln, die mich bisher an die
+Menschheit ketteten, wandelte ich wie im Traum dahin.</p>
+
+<p>Ich saß oft stundenlang am Steven des Dampfbootes, und eine eigenartige
+Musik, die nichts mit dem Irdischen gemein hat, klang mir beim
+gleichmäßigen Takt der Schaufel, die das Wasser aufpeitschte, in den
+Ohren. Bald wild und mächtig, bald als sanfte Liebkosung klang die
+Melodie in mir ... Ich träume ... Es ist Abend. Tiefe Schatten lagern
+zu beiden Seiten des Stromes. Die Dämmerung hat ihr dunkles Kleid über
+die vor Sonnenglut<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> schmachtende Erde gelegt und wirft fahle Schatten
+über die Wasserfläche. Irgendwo aus dem rätselhaften Dunkel des Urwalds
+klingt klagend ein langgezogener Schrei. Unheimlich hallt er über das
+weite Land, wie von einer Seele in höchster Not und Pein. Und vor
+mein geistiges Auge tritt der Herrscher dieser Gebiete, der Bayansi,
+wie er im Schatten des Waldes sich eben anschickt, sein Opfer mit
+bestialischer Grausamkeit hinzuschlachten. Noch einmal, diesmal jedoch
+wie aus weiter Ferne und wie gebrochen, hallt der Schrei an mein Ohr —
+— —</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp66" id="081_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/081_ill.jpg" alt="Holzposten am Kongo">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Unser Kapitän van den Andel, allgemein der »fliegende Holländer«
+genannt, war ein Original seiner Art und vereinigte alle<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span>
+Eigenschaften, sowohl die guten als auch die bösen, die den Flußfahrer
+Innerafrikas kennzeichnen. Von Natur aus schweigsam und gutmütig
+veranlagt, stand er oft den ganzen Tag auf der Kommandobrücke und zog
+den Rauch aus der kurzen Pfeife, ohne den Mund aufzutun. Der Dienst an
+Bord klappte aufs Haar; denn alle Leute, vom Steuermann angefangen bis
+zum jüngsten Schiffsjungen, wußten genau, daß mit dem Kapitän nicht gut
+Kirschen essen war. Hatte er doch erst kurz vorher einen baumlangen
+Senegalesen, den stärksten Mann der Besatzung, der widerspenstig werden
+wollte, mit einem wuchtigen Faustschlag zu Boden gestreckt.</p>
+
+<p>Doch van den Andel hatte einen großen Fehler, nein, eine Leidenschaft,
+die ihm zum Verhängnis wurde, da er ohne sie gewiß bereits »<span class="antiqua">Chef
+de marine</span>« geworden wäre. Seine Leidenschaft, die Trösterin
+verbitterter, einsamer Stunden, war der Alkohol. Des Abends, wenn er
+zur Flasche griff und einige Gläschen »Schiedam« zur Stärkung der
+verbrauchten Kräfte zu sich genommen hatte, wurde er gesprächig. Dann
+erzählte er mir von all den Kollegen, die weit im Innern des Landes auf
+einsamen, verlassenen Faktoreien saßen. Er kannte jeden einzelnen von
+seinen jahrelangen Reisen. Er war es, der sie, wenn sie als Neuling von
+Europa kamen, zu ihren Stationen brachte, durch ihn erhielten sie stets
+die neuesten Nachrichten vom Unterkongo und ihren Kollegen im ganzen
+Stromgebiet.</p>
+
+<p>Je mehr die Literflasche »Schiedam« zur Neige ging, desto gesprächiger
+wurde der Kapitän. Wehe dem Faktoreichef, der das Unglück hatte,
+aus irgendeinem Grunde van den Andels Rachsucht auf sich zu ziehen.
+An diesem blieb kein gutes Haar mehr, von diesem konnte er wahre
+Schaudergeschichten erzählen. Jede Reise bot ihm Anlaß, durch seine
+Vertrauten unter den Arbeitern allerhand Begebenheiten aufzuschnüffeln,
+die dann in völlig entstellter Form bald hier, bald dort als Gerüchte
+auftauchten und von Mund zu Mund weitergetragen und aufgebauscht
+wurden. Aus oft ganz harmlosen Anlässen entstanden dann durch
+phantastische Schilderungen haarsträubende Mißverständnisse, deren
+Verbreitung im weiten Stromgebiet ihm allmählich zur zweiten Natur
+geworden war, je mehr Krankheiten und Ärger aller Art sein stets
+arbeitendes Hirn verwirrten. Tags über der gutmütigste Mensch, war
+mit van den Andel abends, wenn er die Flasche neben sich hatte, nicht
+zu spaßen.<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> Geradezu gefährlich konnte er werden, wenn man seinen
+Schaudermären nicht unbedingt Glauben schenkte.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="083_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/083_ill.jpg" alt="Eingeborene bringen Lebensmittel">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Ich entsinne mich noch ganz genau, daß er gegen Ende eines Abendessens,
+anläßlich eines ganz harmlosen Widerspruchs eines der Gäste,
+urplötzlich aufsprang, die Tischdecke mitsamt den Schüsseln auf den
+Boden warf, sich auf seinen Gast stürzte und ihn im nächsten Moment von
+der Kommandobrücke in den Fluß warf. Es hätte nicht viel gefehlt, und
+der Fürwitzige hätte seine Unbedachtsamkeit mit dem Leben gebüßt.</p>
+
+<p>Während der ersten Tage als einziger Passagier an Bord, glaubte ich
+natürlich alle Geschichten aufs Wort und war ein aufmerksamer Zuhörer;
+ich stand daher in besonderer Gunst bei ihm.</p>
+
+<p>Nach achttägiger Fahrt, auf der wir die Posten Kimpoko, Kwamuth,
+an der Mündung des Kasai-Flusses gelegen, die Mission Berghe Ste.
+Marie, Bolobo, den Militärposten Yumbi und Lukolela berührt hatten,
+näherten wir uns dem Äquator. Die Fahrt war reich an Abwechslung und
+bot uns wiederholt Gelegenheit, auf Nilpferde, Krokodile, Reiher,
+Gänse und Enten zu schießen. Einmal stießen wir auf eine Sandbank,
+die von einer Herde Krokodile bedeckt war. Es mochten gegen zwanzig
+Tiere sein, große und kleine, die<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> bei unserer Ankunft, in Reih und
+Glied marschierend, ins tiefe Wasser zogen. Es machte den Eindruck,
+als ob die ganze Sandbank im Laufen wäre. Dann wieder eine Tagereise
+stromaufwärts ragte eines Morgens eine etwa sechs bis acht Meter breite
+und ebenso hohe graue Felswand aus dem Strom, die Kapitän van den
+Andel nicht auf seiner Karte verzeichnet fand. Bei unserer Annäherung
+veränderte sich das Bild, so daß wir mit unseren Gewehren hinfeuerten.
+Nun geriet die Wand in stärkere Bewegung, und es zeigte sich, daß sie
+aus etwa zehn bis fünfzehn Hippopotamus gebildet war, die durch- und
+übereinanderlagen und schleunigst das tiefe Wasser aufsuchten.</p>
+
+<p>Längs des Kongoflusses sind vom Staat etappenweise Holzposten
+eingerichtet, die die Dampfer gegen eine geringe Entschädigung an
+Stoffen und »Mitakos« mit Brennmaterial versehen. Der Mitako ist
+ein zwölf bis fünfzehn Zentimeter langer, drei Millimeter starker
+Messingstab, welcher an Geldes Statt einen bestimmten Wert, und zwar
+je nach der Länge fünf bis zehn Centimes, repräsentiert. Ich vergaß
+zu erwähnen, daß Geld vom Stanley-Pool ab als Verkehrsmünze nicht
+gangbar ist. An dessen Stelle tritt der Mitako und am Oberlauf die
+<span class="antiqua">Nsoka</span>, ein spatenförmiges Stück Eisen, aus dem die Eingeborenen
+ihre Pfeilspitzen verfertigen.</p>
+
+<p>Das Erscheinen des Dampfers ist für die Eingeborenen allemal ein
+aufregendes Ereignis. Da der »Nfumu ntanga« im ganzen Stromgebiet als
+guter Zahler bekannt war, eilte die Bevölkerung auf das dreimalige
+Ertönen der Dampfpfeife, zum Zeichen, daß das Schiff anlegen möchte,
+ans Flußufer. Oft schon binnen weniger Minuten waren die sonst
+verlassenen Ufer schwarz von Menschen. Männer, Frauen und Kinder eilten
+herbei, in ihren »Kisakos« (Tragkörbe) schnell alles herantragend,
+dessen sie habhaft werden konnten.</p>
+
+<p><span class="antiqua">Nsusu</span> (Hühner), <span class="antiqua">mpata</span> (Enten), <span class="antiqua">njama</span> (Ziegen),
+<span class="antiqua">maki na nsusu</span> (Eier), <span class="antiqua">nanasi</span> (Ananas), Palmöl in
+großen Steinkrügen, aber auch <span class="antiqua">Mbidia</span>, eine Art Polenta,
+<span class="antiqua">matadi</span>, das Blatt der Maniokstaude als Gemüse bereitet,
+geräucherte Heuschrecken, Termiten und ähnliche Leckereien für die
+besonderen Feinschmecker wurden, sauber in Blätter eingewickelt, von
+den Eingeborenen zum Kaufe angeboten.</p>
+
+<p>Eines Tages sah ich wieder belustigt dem mir neuen, ungewohnten Leben
+und Treiben am Ufer zu. Aus dem Handeln, Feilschen, Schnattern tönte
+das Kreischen und Schelten alter Frauen, die stets sehr anspruchsvoll
+sind und sich von ihren Sachen nicht trennen wollen, heraus. Da
+bemerkte ich in der Ferne eine ältere Kokette,<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> die offenbar bei ihrer
+Morgentoilette überrascht worden war und nun, von der Angst, zu spät
+zu kommen, getrieben, pustend, schwitzend und schnaubend dahergelaufen
+kam. Ein Teil der Haare war in kleinen Zöpfchen und Strähnen, reichlich
+mit rotem Tukulapulver und Palmöl vermischt, gedreht, während die
+übrigen, wie beim Struwwelpeter, ihr wirr um den Kopf hingen. Zwei
+enorme Brüste, die bis an den Nabel herunterreichten, baumelten beim
+raschen Laufen klatschend gegen den aufgedunsenen, herabhängenden Leib,
+der in der rückwärtigen Partie sein Gegenstück in einer unförmigen
+Rundung fand. Keuchend vor Aufregung, die Schweißtropfen in langen,
+roten Linien über Gesicht und Brust herabrinnend, hatte sie endlich
+ihren schweren Korb zwischen die der anderen Megären niedergestellt und
+stürzte sich sofort, wie das Raubtier auf seine Beute, auf ein paar
+schwarze Arbeiter des Dampfers, die unschlüssig mit ihren Mitakos in
+der Hand dastanden und offenbar nicht wußten, was sie unter all den
+dargebotenen Schätzen kaufen sollten. Mit einer Selbstverständlichkeit,
+die ihnen absolut keine Zeit zum Überlegen ließ, nahm sie ihnen die
+Mitakos aus der Hand, klemmte sie zwischen die Oberschenkel unter
+dem etwa fünf Zentimeter breiten »Schamfleck«, der ihr einziges
+Kleidungsstück bildete, und gab jedem dafür eine gewisse Anzahl
+»Chikoange« (gestampfte Maniokwurzel in Blätter gehüllt, an Stelle
+unseres Brotes von den Eingeborenen verzehrt).</p>
+
+<p>Dieselbe Prozedur wiederholte sie zu meinem Erstaunen soundso oft
+mit dem gleichen Erfolg, noch ehe ihre Opfer aus ihrer Verblüffung
+herausgekommen waren. Wagte ein besonders Mutiger eine Einwendung
+gegen dieses summarische Verfahren, dann schleuderte sie ihm durch
+ihre wulstigen Lippen eine derartige Flut von Verwünschungen und
+Drohungen entgegen, stemmte ihre Arme in die Seiten und erhob ein
+solches Geschrei, daß der Tapfere schleunigst das Feld räumte. Denn in
+ihrem Zorn, der wie ein Blitz aus ihren Augen sprühte, war sie geradezu
+furchtbar anzusehen, und jeder fürchtete offenbar, zur Schadenfreude
+der anderen, noch eine Tracht Prügel obendrein zu erhalten. Als letzte
+unter allen Frauen war sie gekommen — als erste hatte sie ihren Stand
+vollkommen ausverkauft. Dann nahm sie, ihre Umgebung mit mißtrauischen,
+giftigen Blicken musternd, all die glänzenden Mitakos hinter ihrem
+Schamschurz hervor und legte sie in Bündeln von je zehn vor sich hin.</p>
+
+<p>Beim Durchmustern all der Frauen am Ufer bemerkte ich nicht ein
+einziges junges Geschöpf. Die Männer halten die jungen<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> Schönen im
+Dorfe zurück, aus Angst, daß sie mit einem der Arbeiter auf dem Dampfer
+entwischen könnten. Dies soll übrigens oftmals vorkommen, besonders
+dann, wenn der Dampfer an solch einem Holzposten übernachtet.</p>
+
+<p>An diesen Anlegestellen wurden vom Kapitän Hühner, Enten und Ziegen,
+Eier, Ananas und andere Lebensmittel für die Schiffstafel gegen
+<span class="antiqua">Chilulu mufike, Indigo blùe drill</span> — Stücke <span class="antiqua">à</span> 4 Bras,
+jede Bras 2 Yards — Mitakos, Salz, Haumesser usw. eingetauscht.
+Auffällig ist, wie mißtrauisch und habsüchtig die Eingeborenen sind.
+Sie geben ihre Waren nicht eher aus den Händen, als bis sie die
+volle Bezahlung dafür erhalten haben. Es liegt selbstverständlich im
+Interesse jedes passierenden Kapitäns, streng darauf zu achten, daß
+sowohl Brennholz als auch alle Lebensmittel gebührend bezahlt werden,
+da er sonst bei seiner Rückkehr weder das eine noch das andere, wohl
+aber dafür Pfeile für die Besatzung vorfinden würde.</p>
+
+<p>Als warnendes Zeichen geben allenthalben abgebrannte Posten beredtes
+Zeugnis von früheren Vorfällen. Die vom Staat hingesetzten Wärter
+wurden von den Eingeborenen ermordet, und da die meisten Stämme dieser
+Gebiete, wie Bayansi, Bambala usw., Kannibalen sind, aufgefressen.
+Die Leute trugen ihre Hütten einfach einige Stunden weiter ins Innere
+in unzugängliche Moräste und den Urwald, wo sie vor der Rache des
+Europäers vollkommen sicher waren.</p>
+
+<p>Wir berührten im Verlaufe der Reise auch hie und da Dörfer, die von
+der Schlafkrankheit, jener furchtbaren Seuche, heimgesucht wurden,
+die alljährlich Hunderttausende an Opfern fordert, ohne daß es damals
+bereits trotz mannigfacher Versuche gelungen wäre, ein wirksames
+Heilmittel zu ihrer Bekämpfung zu finden. Ehemals blühende Dörfer in
+der Umgebung von Berghe Ste. Marie glichen einer vollkommenen Wildnis,
+die Wege waren verwachsen, die Hütten zum Teil verfallen. Vor ihnen
+hockten und kauerten auf zerrissenen Matten in der Sonne lebende
+Skelette, grau von Schmutz und Schuppen, die knöchernen Arme flehend
+erhoben, den Tod in den fahlen, tiefgeränderten, völlig glanzlosen
+Augen. Hie und da wankte eines dieser entsetzlichen Gerippe ins Innere
+des Hauses, um Nahrung für die anderen zu holen.</p>
+
+<p>Weder alt noch jung, weder Mann noch Frau verschonte diese verheerende
+Seuche. Sie alle waren dem Tode verfallen. Was im Bereiche des Dorfes
+lag und weit darüber hinaus raffte er alles mit<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> seiner unbarmherzigen
+Sichel dahin. Ich sah einen Säugling an der vollkommen versiegten
+Mutterbrust, aus der mangels Milch ihr rotes Herzblut floß. Kinder
+streckten ihre knochigen Arme mir entgegen. Erheben konnten sie sich
+nicht mehr, sondern nur auf allen vieren kriechen. Diese geisterhaften
+Kinder sahen so still und allwissend aus, das Unerforschliche, der Tod,
+hatte sich ihnen bereits offenbart. Herzerschütternd wirkte solch ein
+Anblick, und tief niedergedrückt verließ ich die traurige Stätte.</p>
+
+<p>Wir passierten Irebu, eine größere Garnisonstadt, in der die neu
+eingereihten Rekruten ausgebildet werden, hierauf Equateurville,
+die ehemalige Hauptstation des Oberkongo, und eine Stunde später
+Coquilhatville, unmittelbar am Äquator gelegen. Schräg gegenüber Irebu
+mündet der Ubangi, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Kongo.
+Dieser selbst gleicht im oberen Lauf einem Binnensee, dessen Breite
+zwischen 18 und 25 Kilometer wechselt.</p>
+
+<p>Coquilhatville liegt auf einer Anhöhe am linken Flußufer und ist eine
+der größten und schönsten Stationen am Kongo. Freilich auf den Neuling,
+der unmittelbar aus Europa kommt, und vielleicht erwartet, zwischen
+Palmen moderne städtische Wohnhäuser zu finden, wird Coquilhatville,
+wenn der Dampfer um die Waldspitze unterhalb der Station biegt, keinen
+besonders imposanten Eindruck machen. Wer aber selbst nach drei-,
+vierjähriger Dienstzeit Gelegenheit gehabt hat, eine Station in
+irgendeinem Winkel des großen Urwaldes zu erbauen und händeringend vor
+dem ersten eigenen, windschiefen, architektonischen Erzeugnis gestanden
+hat, der weiß zu ermessen, welch ungeheure Arbeit Menschenhände hier
+geleistet haben. Der Weg führte auf eine terrassenförmig aufgebaute
+Anhöhe, auf der stolz am hohen Flaggenmast die blaue Fahne mit dem
+gelben Stern im Felde im Winde weht, und verzweigt sich von hier
+aus über das Plateau in verschiedene Mangoalleen, die auf eine
+Kaffeeplantage führen. Im Schatten der Bäume, von kleinen Ziergärten
+umgeben, lugen die europäischen, in roten Ziegeln aufgeführten
+Gebäude mit drei Meter breiten, luftigen Veranden äußerst lieblich
+und einladend hervor. Inmitten der Station vor dem Gebäude des
+Distriktskommissars befindet sich ein großer, freier Platz, der als
+allgemeiner Sammelplatz morgens beim Appell für Europäer und Mannschaft
+dient. Die Anlagen, welche auf tausend Meter im Umkreis bis in die
+Felder der Eingeborenen führen, sind mit Flamboyants, Bananen, Papay-
+und Goyavenbäumen bepflanzt. Ananasstauden<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> säumen sie ein. Hinter
+der Station befindet sich ebenfalls eine Kaffeeplantage, die bei
+unserer Ankunft in voller Blüte stand. Die samtartigen, schneeweißen
+Sternblüten erfüllten die Luft mit aromatischem, süßem Duft. Ich habe
+Coquilhatville als größere Station absichtlich etwas näher beschrieben,
+weil alle anderen Staatsposten am Flusse mehr oder weniger dasselbe
+Gepräge tragen.</p>
+
+<p>Wie bereits erwähnt, gleicht der Kongo hier einem Binnensee. Unser
+Dampfer bahnte sich mühsam zwischen Sandbänken und Inseln seinen Weg.
+Mehrmals fuhren wir auf Sandbänke auf. In den meisten Fällen kamen
+wir aber nach kurzer Anstrengung, und nachdem sämtliche Arbeiter ins
+Wasser gesprungen waren und mitgeholfen hatten, wieder los. Lulanga und
+Nouvelle Anvers passierten wir ohne Unfall.</p>
+
+<p>Am 15. April mittags brach ein Tornado über uns herein, der uns mitten
+auf dem Strome überraschte und uns allen fast zum Verhängnis wurde.
+Der Morgen begann mit feinem Regen, später wurde es empfindlich kalt,
+tiefer Nebel legte sich im Laufe des Vormittags auf die Wasserfläche,
+so daß die Orientierung ziemlich schwer wurde. Gegen Mittag vernahmen
+wir in der Ferne ein Rauschen und Brausen in den Wipfeln der Bäume, das
+immer tosender wurde und sich mit rasender Geschwindigkeit uns näherte.
+Van den Andel versuchte sofort, das Schiff durch die in der Fahrtrinne
+unter Wasser liegenden Sandbänke in die Nähe des Ufers in Sicherheit zu
+bringen, doch der herannahende Orkan überholte uns. Unter Heulen und
+Sausen fegte der Sturm über uns her, und der Donner krachte. Prasselnd
+zog eine undurchdringliche Regenwand über das Wasser her und ging
+wie eine wahre Sintflut über uns nieder, alles, was nicht niet- und
+nagelfest an Bord verstaut war, mit sich in den Strom reißend. Mächtige
+Orkanstöße trafen das Schiff von einer Seite, so daß es zu kentern
+drohte. Unwillkürlich flüchtete alles vor der Wucht der Regenmassen
+auf die andere Seite des Dampfers. Der Kapitän stürzte, in der Rechten
+die Nilpferdpeitsche, in der Linken den Revolver, ins Unterdeck und
+peitschte unbarmherzig auf die nackten Leiber der vor Todesangst
+heulenden und »Kilima«, ihren Gott, anrufenden Neger, um sie auf die
+andere Seite zu treiben, welche unbedingt belastet werden mußte,
+wollten wir nicht alle eine Beute der Krokodile werden. Inzwischen
+zuckten Blitze und krachte der Donner unaufhörlich. Unser Dampfer war
+»mit höchster Geschwindigkeit« auf eine Sandbank aufgefahren, wurde vom
+Wirbelwind<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> erfaßt, wie ein Kreisel um sich gedreht und, ein Spielball
+von Wind und Wetter, stromabwärts getrieben. Die Stahltrossen beider
+Anker, die wir bei der ersten Sandbank ausgeworfen hatten, waren von
+der Wucht des Sturmes wie Zwirn zerrissen worden. Die überirdischen
+Mächte hatten ihren Riesenmund aufgetan und zu reden begonnen, die
+gewaltigen Urwaldstämme wurden vom Sturm mit mächtigen Fäusten gepackt
+und inmitten von Feuer und Flammen der niedersplitternden Blitze mit
+donnerartigem Krach zu Boden geschleudert. Himmel und Erde berührten
+sich in den herabstürzenden Wassermassen, die Hölle schien ihren
+Schlund geöffnet zu haben.</p>
+
+<p>Völlig machtlos, wie eine Nußschale, war unser Dampfer einige hundert
+Meter stromabwärts gegen eine breite, unter Wasser liegende Sandbank
+getrieben, die seinem weiteren Lauf glücklicherweise ein Ziel setzte.
+Hier blieb er festsitzen — wir waren gerettet. Wohl eine halbe
+Stunde mochte der Himmel all seine Schleusen über uns geöffnet haben,
+ehe wir wagten, wieder freier aufzuatmen und die Schäden, die der
+Tornado angerichtet hatte, näher zu betrachten. Wir saßen zwar auf der
+Sandbank fest, doch der Dampfer hatte mit Ausnahme der zwei gesprengten
+Stahltrossen und Anker, die sich übrigens bald wieder vorfanden,
+keinerlei Schaden genommen. Dagegen hatten wir zwei Ziegen, sämtliche
+Hühner und Enten sowie einen Teil der kleinen Bagage unserer Mannschaft
+eingebüßt, ein Verlust, der in Anbetracht der schweren Gefahr, in der
+wir alle geschwebt hatten, nicht bedeutend war. Unser Glück wollte, daß
+gerade der Dampfer »Schattenstroem« gesichtet wurde, der auf unsere
+Notsignale hin uns Hilfe brachte, so daß wir binnen drei Stunden von
+der Sandbank loskamen.</p>
+
+<p>Wir passierten Mobeka und gelangten schließlich nach Irengi und Upoto,
+der Stätte der Sehnsucht so mancher Europäer, da hier die Mädchen
+und Frauen, gleich Eva vor dem Sündenfall, in anmutiger Unschuld
+ihren Körper vollständig nackt dem Auge darbieten. Je weiter man sich
+vom Stanley-Pool entfernt, desto mehr verkürzt sich der kunstvolle
+Faltenüberwurf der Negerinnen von oben als auch von unten, bis hier
+in Upoto auch die letzte Hülle fällt und dem anfänglich erstaunten
+Auge gleich einer antiken Statue den ebenmäßig schöngeformten Körper
+enthüllt. Weder Mieder noch Schuh entstellt die schlanke Gestalt,
+keinerlei Modekünste verunstalten den zierlichen Fuß. In harmonischer
+Linie, ein einheitliches Ganzes<span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span> bildend, erweckt das entblößte Weib
+dem Beschauer nur Bewunderung für das Herrliche, was die Natur im
+Frauenkörper geschaffen hat. Unbefangen gehen Frauen und Mädchen im
+Evakostüm ihrer Arbeit nach, unbefangen sind ihre Bewegungen und Mienen.</p>
+
+<p>So eigenartig es uns auch im ersten Augenblick anmutet, alle unsere
+europäischen Anschauungen und Begriffe von Schamgefühl hier umgeworfen
+zu finden, merken wir nach kurzer Zeit mit Erstaunen, daß der
+unbekleidete, lebenskräftige Körper uns gar nicht erotisch berührt.
+Ist es in Europa der ungewohnte Anblick eines Körpers, der gewöhnlich
+sorgsam vor unserem Auge gehütet wurde? Liegt es in unserer Erziehung
+oder anderer Lebensauffassung, oder nimmt der zufällig bloße Körper
+einer Frau infolge des verletzten Schamgefühls Stellungen ein, die
+unwillkürlich beim Betrachten erotische Gefühle hervorrufen? Kurzum
+— ich habe nichts dergleichen beim Anblick dieser Frauen gefühlt,
+und nicht etwa aus dem Grunde, daß sie nach europäischen Begriffen
+unschön wären. Der Europäer ist im allgemeinen geneigt, alle Neger und
+Negerinnen häßlich zu finden. Auch hierin begeht er einen Irrtum. Wenn
+man viele Jahre zwischen ihnen gelebt hat, bemerkt man, daß es zwischen
+ihnen ebensowohl schöne als häßliche Menschen gibt, geradeso wie bei
+uns Europäern. Ich habe im Laufe meiner vielen Reisen Negerinnen
+gesehen, die es an Grazie, Wuchs und Gestalt mit jeder Europäerin
+aufnehmen konnten.</p>
+
+<p>Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß alte sowie schwangere Frauen die
+Blößen ihres Körpers verdecken, nur Kinder, junge, gesunde Mädchen und
+Frauen sind unbekleidet. Der Mangel einer Kleidung soll nicht bedeuten,
+daß die Mädchen und Frauen Upotos verhältnismäßig nicht ebenso eitel
+wie ihre Schwestern in Europa wären. Ihre Eitelkeit ist nur anderer
+Art und besteht darin, unförmige Bündel von Perlen sich um den Hals zu
+hängen oder schwere Messingringe (oft zwei bis drei Kilogramm schwer)
+um Füße, Hals oder Hände schmieden zu lassen. Doch damit noch nicht
+genug verunstaltet, werden Arme und Gesicht zu einer greulichen Maske
+tätowiert.</p>
+
+<p>In Upoto kam Janssen, mein zukünftiger Chef, an Bord und schlug mir
+gegenüber gleich einen so kameradschaftlichen Ton an, daß wir sofort
+gute Freunde wurden. Er hatte keinerlei Geheimnisse vor mir, zeigte mir
+sämtliche Briefe und Instruktionen aus Brazzaville,<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> und die nächsten
+Tage vergingen wie im Fluge mit Plänen und Besprechungen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="091_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/091_ill.jpg" alt="Der Kongo bei Upoto">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Wir passierten auf unserer weiteren Reise Basoko, an der Mündung
+des Aruwimi, und Isangi, an der Mündung des Lomamiflusses gelegen,
+und trafen nach 24tägiger Flußfahrt in Stanleyville, dem Endziele
+unserer Reise, ein. Ich betrachtete Stanleyville eigentlich erst als
+Ausgangspunkt meiner afrikanischen Laufbahn und das vorher Erlebte
+gewissermaßen als eine Art Übergangsstadium.</p>
+
+<p>Stanleyville liegt am rechten Ufer des Flusses unmittelbar unterhalb
+des ersten der sieben verschiedenen Fälle und Katarakte, die
+insgesamt unter dem Namen »Stanleyfalls« bekannt sind und der
+Schiffahrt am Oberkongo vorläufig ein Ende setzen. Als Endstation
+der Dampferlinien und Ausgangspunkt der Truppen, die nach dem Osten
+gegen die revoltierenden Soldaten der Expedition Baron Dhanis und zur
+Unterdrückung der Araberaufstände entsandt wurden, war Stanleyville
+bereits Beginn 1899 eine ansehnliche Station und zählte gegen 42
+europäische Beamte und Offiziere unter der Leitung eines <span class="antiqua">Commissaire
+général</span>.</p>
+
+<p>Unsere Ankunft fiel in eine kritische Periode. Stanleyville war vor
+kurzem anläßlich der Kämpfe mit den Arabern und Suaheli der Schauplatz
+blutiger Ereignisse gewesen. Gegen 35000 Suaheli<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> (berüchtigte
+Sklavenjäger und Mischvolk aus Arabern und den verschiedenen
+Negerstämmen), die das Nutzlose weiterer Kämpfe eingesehen und sich
+ergeben hatten, waren zwangsweise in der Umgebung von Stanleyville und
+den Strom entlang, bis La Romée, angesiedelt worden. Diese unbotmäßigen
+Horden zu regieren und ihrem Morden und Plündern Einhalt zu gebieten,
+war keineswegs eine leichte Sache. Reibungen entstanden oftmals aus
+geringfügigen Anlässen, und das Bewußtsein von der Übermacht dieser
+Fanatiker gegenüber dem Häuflein von Europäern erweckte in uns das
+Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen.</p>
+
+<p>Kommandant Verdonk, der damalige Distrikts-, später Generalkommissar,
+empfing uns auf das liebenswürdigste und händigte uns die Schlüssel der
+Faktorei, die Herr Kiel ihm vor seiner Abreise übergeben hatte, aus.</p>
+
+<p>Nach all den herrlichen Staatsposten, die wir im Laufe unserer Reise
+besuchten, hatte ich mich natürlich in Gedanken oftmals gefragt, wie
+wohl meine zukünftige Faktorei aussehen möge, und da der Kapitän
+keine befriedigende Auskunft zu geben vermochte, mir in meiner regen
+Phantasie ein kleines Schmuckkästchen, unter lauschigen Palmen oder
+Mangobäumen hervorlugend, vorgestellt. Unsere aufs höchste gespannten
+Erwartungen machten daher einer tiefen Niedergeschlagenheit Platz beim
+Anblick der inmitten eines vollständig kahlen, zum Fluß abfallenden
+Geländes gelegenen armseligen paar Gebäude, die unsere Faktorei
+vorstellen sollten. Die ehemals diesseits des Flusses am Ufer entlang
+liegende Kaffeeplantage war von unserem Vorgänger mit Stumpf und
+Stiel ausgerottet und an deren Stelle auch nicht der leiseste Versuch
+unternommen worden, das nunmehr vollständig kahle Terrain mit Nutz- und
+Zierbäumen zu bepflanzen. An Baulichkeiten bestand vorläufig nichts als
+ein kleines unansehnliches, provisorisches Haus mit zwei Räumen, dessen
+einer als Schlafzimmer, der zweite als Waren- und Produktenmagazin
+diente. Außer diesem provisorischen Gebäude hatte Kiel mit dem Bau
+eines Magazins begonnen, von dessen einen Hälfte man hoffen konnte, daß
+sie in den nächsten Tagen vollendet sein würde. Die ganze Einrichtung
+war den Verhältnissen entsprechend höchst primitiv und nur für eine
+Person berechnet, so daß es, vom Bett angefangen, am Nötigsten für mich
+mangelte. Offenbar hatte unser Vorgänger seine ganze Aufmerksamkeit und
+Energie einzig<span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span> und allein dem Handel mit den Arabern und Eingeborenen
+zugewendet und darüber seine eigene Bequemlichkeit vollständig außer
+acht gelassen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="093_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/093_ill.jpg" alt="Mustapha mit Familie">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Hier gab es Arbeit für uns beide in Hülle und Fülle. Ein komfortables
+Wohnhaus, Bett, Tisch, Stühle, Schränke, kurzum, alles fehlte und mußte
+geschaffen werden. Wir richteten uns also vorläufig so gut wie möglich
+in den beiden Räumen ein und brachten die aus dem Dampfer entladenen
+Waren und Lebensmittel mangels eines Magazins auf den Veranden und
+in dem unvollendeten Bau unter. Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch
+verließ uns der »Nfuma ntanga«, und wir hatten nunmehr Gelegenheit,
+unser Personal etwas näher zu inspizieren.</p>
+
+<p>Laut Angabe der Direktion sollte dasselbe aus dem schwarzen Schreiber,
+der die Arbeiten eines europäischen Beamten verrichtete, und zwanzig
+ausgewählten Männern von der Küste, darunter Schreiner und Schlosser,
+bestehen. Die meisten dieser Leute, vor<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> allem die Handwerker, hatten
+jedoch die Faktorei gleichzeitig mit Kiel verlassen und waren an die
+Küste zurückgekehrt. Zurückgeblieben waren nur fünf Mann, und diese
+gehörten zu jener Kategorie von Leuten, die sich schnell irgendwo
+eingewöhnen und dann auch dableiben. Sie hatten sich, wie wir bald
+bemerkten, einen vollständigen Harem von Boys und Frauen zugelegt,
+steckten mit den Arabern unter einer Decke und waren mit der Zeit träge
+und faul geworden. Außer diesen sechs Mann von der Küste waren je nach
+Bedarf zwanzig bis dreißig Suaheli unter der Leitung eines Chef-Capitas
+mit Namen Mustapha auf der Faktorei, Sklaven des arabischen Oberhauptes
+Shibu, die monatlich ausbezahlt wurden. In Mustapha hatte unser
+Vorgänger entschieden eine glückliche Wahl getroffen. Er war von
+zierlicher Gestalt, hellbrauner Farbe und gewinnendem Wesen. Seine
+Gesichtszüge trugen arabischen Charakter und waren unstreitig
+intelligent. Lippen und Nase waren im Gegensatz zu den Eingeborenen
+schmal und edel geformt, Hände und Füße zart und sorgfältig gepflegt.
+Die etwas hervortretenden Backenknochen und flammenden Augen gaben dem
+Gesicht ein energisches Gepräge. Den europäischen Beamten und höheren
+Sultans und Scheikhs gegenüber stets bescheiden und zuvorkommend, war
+er gegenüber den Arbeitern und Negern stets der befehlende Gebieter,
+dem sie unbedingt gehorchten. Dies ist in kurzen Umrissen das
+Charakterbild des Mannes, der als Dolmetscher und im Umgang mit den
+Arabern unser hauptsächlichster Führer und Berater wurde. In allem war
+er versiert, in allem wußte er Bescheid.</p>
+
+<p>Am Tage nach unserer Ankunft, und noch ehe wir Gelegenheit gehabt
+hatten, uns völlig einzurichten, war Mustapha mit den arabischen
+Häuptlingen der Umgebung, wie Habibu Ben Salim (der später vom König
+Leopold in Brüssel in Audienz empfangen wurde), und Shibu, erschienen,
+um uns zu begrüßen. Beide, imposante Greise mit herrlichen schneeweißen
+Bärten, in golddurchwirkte, mit kostbaren Handarbeiten besetzte
+Gewänder gehüllt, gefolgt von zahlreichem, vom Kopf bis zu den Füßen in
+blendend weiße Hemden gekleidetem Volk, machten auf uns, die wir bisher
+nur mit halb oder ganz nackten Wilden Handel getrieben hatten, einen
+imposanten Eindruck. Da die gläubigen Araber, wenigstens öffentlich,
+keinen Alkohol, auch keinen Champagner trinken, ließen wir ihnen
+schwarzen Kaffee mit englischen Cakes vorsetzen. Mustapha vermittelte
+das Gespräch als Dolmetscher, und wir erfuhren bei dieser Gelegenheit,
+daß unser<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> Vorgänger es verstanden hatte, sich ihre Freundschaft zu
+erwerben. Mit der beiderseitigen Zusicherung, es auch fernerhin so
+zu halten, versprachen sie, uns ausgiebig mit Elfenbein und Reis zu
+versorgen.</p>
+
+
+<div class="footnotes">Fußnote:
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_4" href="#FNAnker_4" class="label">[4]</a> <span class="antiqua">Katuka</span> — schau, daß du fortkommst, <span class="antiqua">nyama</span> —
+gleichbedeutend mit »Vieh«.</p>
+</div>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Erste Besuche bei den Araberhäuptlingen.</h2>
+</div>
+
+<p>Kiel hatte auf seiner Rückkehr nach dem »Pool« zirka 4000 Kilogramm
+Reis von den Arabern mitgenommen, die er mangels genügender
+Warenvorräte nicht hatte bezahlen können und schuldig geblieben war.
+Diese Schulden zu begleichen, erachteten wir als unsere erste Pflicht.
+Unser Hauptgläubiger residierte in Romée, und da unser Dampfer uns
+bereits verlassen hatte, beschlossen wir kurz, sofort mit unserm
+großen Kanu, das etwa 2000 Kilogramm an Waren sowie zwanzig Ruderer
+bequem fassen konnte, dort hinzufahren. Das Boot hatte eine Länge von
+etwa acht Meter und eine durchschnittliche Breite und Tiefe von 120
+respektive 75 Zentimeter. In der Mitte befand sich ein Aufbau, eine
+Art Blätterdach zum Schutz gegen Sonne und Regen, groß genug, um uns
+beide in unseren Stühlen und sämtliche Waren unterzubringen. Dahinter
+war aus Lehm eine Art Feuerstelle hergerichtet, worauf unser Koch
+auch während der Fahrt unser Essen zubereitete. Ganz vorn und hinten
+standen, gleichmäßig verteilt, zwanzig bis dreißig Ruderer, die, im
+Takte singend, mit ihren lanzenförmigen Rudern das Boot vorwärtstrieben.</p>
+
+<p>Wer die primitiven Werkzeuge der Neger aus Museen kennt, wird es
+für ganz und gar ausgeschlossen halten, daß Negerhände damit den
+langwierigen, viel Geschicklichkeit erfordernden Bau eines derartigen
+Kanus ausführen konnten. Wenn man bedenkt, welche ungeheure Mühe es
+erfordert, solch einen Urwaldriesen zu fällen, zu entrinden und mittels
+Feuer und Hacken Splitter für Splitter auszuhöhlen, dann wird man einen
+hohen Respekt vor der Arbeitskraft dieser Eingeborenen bekommen. Zu
+berücksichtigen dabei ist noch, daß sich nur das härteste Holz und nur
+Stämme dazu eignen, die ohne Äste und Fehler sind.</p>
+
+<p>Als wir endlich alle im Boote untergebracht waren und unter dem
+gleichmäßigen Takt eines Gongs und dem Jubelgesang der<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> Ruderer, die
+stromabwärts leichte Arbeit hatten, wie ein Pfeil über die Wasserfläche
+dahinflogen, da pochte mein Herz laut im stolzen Hochgefühl und
+der Gewißheit, endlich meine Träume erfüllt zu sehen. An einer
+Anzahl Dörfer vorüber, deren Einwohner beim Passieren unseres Kanus
+neugierig ans Ufer eilten, gelangten wir nach etwa zweistündiger
+Fahrt zur Mission St. Gabriel de Sacré Coeur, deren Patres uns aufs
+liebenswürdigste bewillkommneten und über Mittag zu Gast baten.</p>
+
+<p>Der Pater Gabriel war ein äußerst jovialer Franzose, der uns über
+die Anfänge seiner Mission und die tausenderlei Gefahren und
+Schwierigkeiten, unter denen er zu leiden hatte, berichtete. Sein
+Gefährte Pater van Dussen hatte uns an der Landungsstelle empfangen
+und durch sein gespenstisches Aussehen einen für immer unvergeßlichen
+Eindruck auf mich gemacht. Man stelle sich ein weit über das normale
+Maß hinausreichendes Skelett in einer ebenso langen weißen Soutane
+vor, darüber einen Bart, der nach allen Seiten in noch nie gesehener
+Üppigkeit wucherte, und zwei kolossale, schwarze Augengläser, die den
+Rest des gerunzelten, bis zu den Knochen abgemagerten, fahlen Gesichtes
+völlig dem Beschauer entzog, da der übrige Teil desselben durch den
+großen, breitrandigen Tropenhut vollkommen verdeckt wurde. Er war schon
+sehr alt, der ehrwürdige Pater, und wußte viel Interessantes über
+seine Erlebnisse in Südamerika, wo er viele Jahre bis zur Verstoßung
+der katholischen Mission geweilt hatte, zu berichten. Still ergeben
+in sein Schicksal, hatte er hier kurz vor seinem Lebensabend einen
+neuen Wirkungskreis gefunden. Im übrigen waren beide äußerst vergnügt,
+Gesellschaft auf ihrer einsamen Station zu erhalten, und überboten
+sich trotz der bescheidenen Mittel, die ihnen zur Verfügung standen,
+in ihrer Gastfreundschaft. Aus ihren Erzählungen erfuhren wir, daß vor
+einigen Tagen zwei Missionsmädchen von großen Affen, die alljährlich
+aus dem Innern an die Flußufer kommen, geraubt worden waren. Nach den
+Schilderungen dürften es Gorillas oder Schimpansen gewesen sein. Als
+Pater Gabriel sich mit einigen Soldaten auf die Verfolgung machte und
+auf eines der Tiere schoß, ließ es das Mädchen von der Höhe fallen.
+Dieses lebte noch, hatte jedoch infolge des Sturzes derartige innere
+Verletzungen davongetragen, daß es binnen einigen Stunden starb. Die
+anderen hatten mit dem zweiten Mädchen unter furchtbarem Brüllen das
+Weite gesucht und konnten in dem tiefen Morast nicht weiter verfolgt
+werden.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span></p>
+
+<p>Nach herzlichem Abschied verließen wir gegen drei Uhr nachmittags Le
+Sacré Coeur und fuhren weiter stromabwärts. An den Flußufern fanden
+wir keine weiteren Dörfer vor. Dagegen wurden aus dem grünen Vorhang
+des Waldes, der alles Lebende dahinter unserem Auge verhüllte,
+langgezogene Töne und Ausrufe hörbar, die von Mustapha beantwortet
+wurden. Eingeborene boten uns alle möglichen Gegenstände, darunter auch
+Sklaven und Sklavinnen, zum Kaufe an. Der Sklavenhandel ist hier unter
+den Suaheli noch in vollem Betrieb. Sklaven bilden den eigentlichen
+Reichtum der Neger und werden gerade so wie andere verkäufliche
+Gegenstände verhandelt.</p>
+
+<p>Meine Unterhaltung mit Janssen verstummte allmählich, und ich gab mich
+ganz der weihevollen Stimmung hin, die am Spätnachmittag über dem
+Strom lag. Meine Sinne öffneten sich all dem Neuen, das sich mir hier
+erschloß. Meine Blicke schweiften von dem vor mir trommelnden Mustapha,
+dessen Wiege wahrscheinlich im fernen Osten in Sansibar gestanden
+hat, und der so wie ich durch Schicksalsfügung mitten unter die
+raubgierigsten aller Völker Innerafrikas verschlagen war, hinüber zu
+den muskulösen, schweißtriefenden Gestalten unserer Ruderer. Das Auge
+weidete sich an dem prächtigen Anblick dieser jungen lebenstrotzenden,
+braunen Körper, die die Ruder mit taktmäßigem, wuchtigem Schlag durch
+das glitzernde Wasser führten. Unwillkürlich blieb mein Blick an einer
+der schmalen, feingeformten Hände hängen, dieser Rassenhand, die
+ebensogut das Messer zückt, um das ungetreue Weib zu töten, als den
+meuchlings niedergestreckten Feind in Stücke zu teilen, um ihn tief im
+Innern der Urwälder, bis wohin die Gesetze der Europäer nicht reichen,
+mit den Gefährten aufzufressen.</p>
+
+<p>Wohin das Auge blickt, überall spielt sich der gleiche Kampf des
+Schwachen mit dem Mächtigeren ab; es ist ein beständiger Streit
+zwischen Sein und Nichtsein. Tief aus dem Gewirr von Bäumen und
+stacheligen Pflanzen tritt unbemerkt ein kleines, schmächtiges
+Keimchen hervor. Gleich einer Schlange schmiegt und ringelt es sich am
+gewaltigen Stamme hinauf dem Licht der Sonne zu, die es zu neuem Leben
+entfacht und ihm Kraft verleiht. Bald streckt es tausend Fühler aus,
+die gleich Parasiten ihren Ernährer umarmen und von dessen Herzblut
+leben. Einmal ans volle Licht gelangt, entwickelt das Pflänzchen ein
+riesiges Laubgewinde und stößt Tausende von neuen Trieben aus, die
+von den Baumkronen der<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> höchsten Riesen bis zur Erde reichen. Mit
+den Jahren werden sie so mächtig, daß sie ihren Ernährer in ihren
+kraftvollen Armen ersticken und durch ihre eigenen Blätterranken des
+notwendigen Lichtes berauben, bis ein Tornado Sieger und Besiegten zu
+Boden schleudert.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp49" id="098_ill" style="max-width: 41.5625em;">
+ <img class="w100" src="images/098_ill.jpg" alt="Budjas-Frau">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>An schlanken <em>Elais</em>palmen, an herrlichem Urwald vorüber, aus
+dessen Tiefen uns ein aromatischer, die Sinne bestrickender Duft
+entgegenströmte, glitt unser Boot. Hier flogen unter lautem Geschnatter
+ein paar Enten auf, dort stürzte ein Fischadler auf seine Beute, wieder
+kamen wir an Scharen schlafender Fledermäuse vorbei, die in Klumpen wie
+reife Früchte an irgendeinem vollständig kahlen Baume hingen. Alles war
+meinem freudetrunkenen Auge so neu und ungewohnt und versetzte mich in
+einen völligen Taumel von Entzücken.</p>
+
+<p>Bei einbrechender Dunkelheit erreichten wir unsere erste Etappe,
+die englische Mission in Jakussi, und wurden daselbst von Sir Roger
+und Mr. Williams auf das liebenswürdigste aufgenommen. Besonders
+freudig überraschte es uns, in der Gattin unseres Gastgebers eine
+reizende, anmutige Engländerin in dieser unwirtlichen Gegend
+Innerafrikas kennenzulernen. Da wir der englischen Sprache mächtig
+waren, verging der Abend in sehr vergnügter und angenehmer
+Unterhaltung. Die Missionare erzählten von den Leiden und Freuden ihres
+weltabgeschiedenen Lebens, während Mrs. Roger fünf bis sechs reizende
+Mulattinnen im Alter von acht bis zwölf Jahren um sich versammelt
+hatte und in die Geheimnisse der Näharbeit einweihte. Nach langer
+Zeit schlief ich wieder einmal in weichen Federbetten in einem mit
+europäischem Komfort eingerichteten Zimmer. Am anderen Morgen war alles
+in großer Aufregung; ein Leopard war in der Station gewesen und hatte
+einen der großen Hunde weggeholt.</p><br>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp49" id="099_ill" style="max-width: 41em;">
+ <img class="w100" src="images/099_ill.jpg" alt="Bambala-Mann">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Frühmorgens verließen wir Jakussi, um unsere Reise stromabwärts
+fortzusetzen. Nach dreistündiger Fahrt gelangten wir am rechten Ufer an
+die erste arabische Niederlassung des Häuptlings Rumbee, der nach den
+Aufzeichnungen unseres Vorgängers unser Hauptreislieferant war und für
+uns 200 Sack auf Lager haben sollte. Dieser hatte, des langen Wartens
+überdrüssig, seinen ganzen Vorrat bereits an den Staat abgegeben, so
+daß wir das Nachsehen hatten. Wir bezahlten unsere alten Schulden und
+erreichten endlich nach vielem Hin- und Herparlamentieren, daß er uns
+versprach, Ende des nächsten Monates 200 Sack Reis nachzuliefern. Da
+sich nach Mustaphas Aussagen auf dieser Seite des Stromes noch mehrere
+Araberansiedlungen vorfanden, sandten wir unser Boot stromabwärts
+voraus und gingen selbst zu Fuß durch die bald größeren, bald kleineren
+Reisplantagen. Die Ansiedlungen der Suaheli zeichnen sich durch ihre
+großzügige Anlage und ihre Reinlichkeit aus. Die Bauten sind in Pise
+(Gerippe aus Holz, Aufbau aus einem Gemisch von Lehm und Termitenerde)
+ausgeführt und gewöhnlich weiß, hellblau oder auch rosa getüncht.
+Solch ein Gebäude besteht aus dem Frontbau mit Vorhallen und den
+Schlafgemächern, an welche sich eine Hecke anschließt, die den Hof
+und die Wirtschaftsgebäude umzäunt. In dem letzteren befinden sich
+die Küche, Vorratskammer sowie Schlafgemächer für die unmittelbare
+Hausdienerschaft. Der dazwischenliegende Hof dient zum Aufenthalt der
+Frauen und des Geflügels. Die Wohnungen der Häuptlinge sind ebenso
+gehalten, nur entsprechend größer und besitzen als besondere Merkmale
+eine Säulenhalle oder eine schwere, mit eingeschnitzten Schriftzeichen
+verzierte Tür. Bei wundervoll schönem Wetter machten wir einen
+Spaziergang durch die verschiedenen Plantagen von Mais, Maniok,<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span>
+Bananen, Yam, Bohnen und Reis, die die Suaheli am Flußufer entlang
+angelegt hatten. Aus allen Türspalten, Nischen und über Hecken hinweg
+lugten kleine Hausfrauen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp49" id="100_ill" style="max-width: 40.875em;">
+ <img class="w100" src="images/100_ill.jpg" alt="Wabongo-Mann">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Beim letzten dieser Dörfer bestiegen wir wieder unser Boot und ließen
+uns auf das linke Flußufer übersetzen, um dem Oberhäuptling von
+<em>Romée</em> Mansuri Ben Said, der über 15000 Suaheli gebietet, einen
+Besuch abzustatten. Der alte Häuptling war vor kurzem gestorben, und
+wir wurden daher von seiner ehemaligen Favoritin und ihrem Sohne,
+seinem Nachfolger, empfangen. Wir zahlten auch hier alte Schulden
+ab, hatten aber Mühe, ihn zu neuen Geschäften zu bewegen, da er mit
+den Abgaben an den Staat im Rückstand war und fürchtete, seine Waren
+würden in Stanleyville beschlagnahmt werden. Schließlich versprach er
+uns für den nächsten Monat 500 Sack Reis und stellte uns auch einige
+schwere Elfenbeinzähne in Aussicht. Wir hatten nunmehr unsere Arbeiten
+erledigt und traten die Heimreise an. Jetzt lernten wir die Kehrseite
+einer Kanufahrt kennen. Solange das Boot mit der Strömung fährt, geht
+die Sache vorzüglich, stromaufwärts jedoch ist es eine andere Sache.
+Schritt für Schritt, träge und faul schleicht das Boot trotz vermehrter
+Arbeitskraft am Ufer entlang, jeder Meter vorwärts wird der Strömung
+unter Aufbietung aller Kräfte abgerungen. Unsere Ruderer waren in
+Schweiß gebadet, das fröhliche Singen hatte einer unwilligen und
+mürrischen Stimmung Platz gemacht.</p>
+
+<p>Langsam versank die Sonne als leuchtender Feuerball am Firmament. Große
+Fledermäuse, Vampire und anderes nächtliches Getier huschte mit dunklen
+Schwingen über die Wasserfläche, irgendwo in der Ferne heulte ein
+Schakal jämmerlich. Zum Quaken der Frösche gesellte sich ein Orchester
+von Baumgrillen und hundert<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> anderen Insekten, die an dem nächtlichen
+Konzert teilnahmen. Die Dunkelheit brach herein, und es begann langsam
+zu regnen, so daß wir froh waren, endlich beim Häuptling Rumbee noch
+kurz vor Ausbruch eines Orkans Unterschlupf zu finden. Meine Leute
+hatten kaum genügend Zeit, den erstbesten Negerchimbeque (Hütte)
+für Janssen und mich mit Beschlag zu belegen und dessen Einwohner,
+primitive Bassengi, hinauszutreiben, als auch bereits ein wahrer
+Wolkenbruch über uns niederging. Dazu war die armselige, niedrige
+Hütte noch derartig mit Rauch angefüllt, daß wir uns trotz des Feuers
+kaum sehen konnten. Unsere Boys hatten jedoch inzwischen alle unsere
+Siebensachen aus dem Boote hierher ins Trockene gebracht, und es blieb
+uns nichts übrig, als hier zu übernachten.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp48" id="101_ill" style="max-width: 40.4375em;">
+ <img class="w100" src="images/101_ill.jpg" alt="Wabongo-Frau">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Rumbee war inzwischen von Mustapha von unserer Ankunft benachrichtigt
+worden und ließ uns nach Ablauf des ersten Regenschauers zu sich
+entbieten. In der großen Empfangshalle seines Palastes waren zwei
+mit Leopardenfellen behangene Lehnstühle für uns beide hergerichtet
+worden, während Rumbee mit dem Kreis der Seinen auf Matten und kleinen
+Bambusschemeln lagerte. Im Hintergrunde spielte eine aus Sansibar
+stammende Hauskapelle, bestehend aus drei Mann, die verschiedenartig
+gestimmte Tamtams schlugen und wirbelten, und zwei Frauen, die als
+Sängerinnen fungierten. Außer diesen trat noch ein Bauchpfeifer als
+Sonderkünstler auf, der bald eine Kriegstrompete nachahmte, bald wie
+eine wütende Bestie fauchte, zischte und die unglaublichsten Töne
+hervorbrachte. Diese kleine Künstlerschar spielte und sang während
+einiger Stunden eine ganze Reihe von Kampf- und Schlachtliedern, unter
+anderen auch den berühmten »Unsterblichkeitsgesang« der Mohammedaner,
+den Rumbee für gewöhnlich den »Ungläubigen« nicht vorzuführen<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> pflegte.
+Ich glaube gern, daß die Araber, durch den Sirenengesang schöner
+Frauen und die Verheißungen eines paradiesischen Lebens im Jenseits
+angefeuert, mit Todesverachtung in den Kampf ziehen.</p>
+
+<p>Dieses nächtliche Konzert inmitten einer fanatischen Bevölkerung auf
+der durch Pechfackeln nur spärlich beleuchteten »Barza« (eine Art
+Vorhof oder überdeckte Veranda) machte auf uns beide einen sehr starken
+Eindruck. Um uns für die liebenswürdige Überraschung erkenntlich zu
+zeigen, ließ Janssen aus unseren Vorräten eine Anzahl Perlenschnüre,
+Ringe, Armbänder und allerlei Zierat durch Mustapha dem Häuptling
+überreichen. Dieser erhob sich nunmehr und, in rhythmischen Bewegungen
+der Musik folgend, die von kreischendem »Allah«-Geschrei der ganzen
+Menge begleitet wurde, überreichte unsere Geschenke den Spielern.
+Das uns zu Ehren gegebene Fest hatte seinen Höhepunkt erreicht;
+einige weitere Gongschläger und Sängerinnen hatten sich der Gruppe
+angeschlossen und vollführten einen infernalischen Spektakel.</p>
+
+<p>Janssen hatte durch Mustapha verschiedene Male andeuten lassen, daß
+wir gerne Haremsfrauen tanzen sehen möchten. Anfänglich weigerte
+sich Rumbee sehr entschieden, doch gegen Mitternacht konnte er sich
+unseren Bitten nicht länger verschließen und ließ uns durch Mustapha
+bedeuten, wir möchten uns verabschieden. Sobald wir uns erhoben hatten,
+zerstreute sich die versammelte Menge und begab sich zur Ruhe. Wir aber
+wurden nach kurzer Zeit von Mustapha durch eine kleine Seitenpforte in
+eine geschlossene Halle geführt, in die man unsere Stühle sowie Matten
+und Felle für Rumbee und einige seiner ganz Intimen hinübergebracht
+hatte.</p>
+
+<p>War vorher vor dem Gefolge nur Tee und feiner englischer Biskuit
+herumgereicht worden, so bedeutete Mustapha uns jetzt, daß wir uns
+ohne weiteres Champagner und Liköre servieren lassen könnten. Rumbee
+gab einem seiner Diener ein Zeichen, und dieser kehrte kurz darauf mit
+einer versiegelten Flasche Ananaslikör zurück.</p>
+
+<p>Die Sansibariten hatten ihre großen Gongs mit Saiteninstrumenten
+und einem kleinen Gong vertauscht, und kurz darauf erschienen sechs
+blühende junge Haremsfrauen, über und über mit Zierat behangen, der wie
+ein Schuppenpanzer vom Hals bis zum Busen reichte und diesen teilweise
+bedeckte. Hüfte und Leib waren vollständig entblößt und wiegten und
+wanden sich in rhythmischen Bewegungen in vollendeter Grazie nach dem
+Takte der Musik, bald<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> in tollem, sinnenberückendem Wirbel, bald in
+vornehmer majestätischer Ruhe. Auch hier verabreichten wir Geschenke
+in Form von allerlei Zierat und golddurchwirkten »<span class="antiqua">Pagnes</span>«
+(Schürzen), welche die reizenden Geschöpfe in sichtlich kindlicher
+Freude aus den Händen Rumbees entgegennahmen. Meine entzückten Augen
+konnten sich nicht sattsehen an dem wundervollen Glanz der lachenden
+Kinderaugen, deren Ausdruck durch die langen Wimpern und schwarzen
+Brauen nur noch mehr gehoben wurde, an den blendend weißen Zähnen, die
+wie Perlenreihen aus den halb geöffneten Lippen hervorlugten, an den
+feingeschwungenen Lippen und Gesichtszügen, an den zarten, schmalen,
+rassigen Händen und Füßen und endlich an dem jungfräulichen und doch
+wieder kräftigen Körper, der berückend schön in jeder Bewegung uns
+seine Reize offenbarte. Nachdem wir zum Schlusse noch den üblichen
+Bauchtänzen beigewohnt hatten, schieden wir von Rumbee und begaben uns
+in unsere primitive Behausung, wo ich mich auf das harte Bambuslager
+legte und von dem Harem träumte, während Janssen noch lange vor der
+Tür lauerte, da er behauptete, eines der jungen Mädchen habe ihn
+bedeutungsvoll angeblinzelt und mit der Hand zugewinkt.</p>
+
+<p>Ich mochte kaum eine Stunde geschlafen haben, als mir plötzlich etwas
+über den bloßen Arm und das Gesicht hinweglief. Mit einem Satz war
+ich aufgesprungen und lauschte ins Dunkel hinein. In der Hütte um
+mich herum ertönten unheimliche Laute wie das Gepiepse von Ratten und
+Mäusen, die erschreckt die Flucht ergriffen. Ein fernes Brausen drang
+vom Fluß herauf, in wilder Jagd sausten unbekannte Geschöpfe über
+Geräte hinweg, die Wand der Hütte hinauf und wieder hinab. Über mir
+mußte irgendeine große Fledermaus umherfliegen, denn ganz deutlich
+konnte ich das Klappen der Flügel hören und den leichten Luftzug, den
+das Tier hervorbrachte, wenn es sich mir näherte, fühlen. Ich wollte
+Licht machen, doch versagten die Zündhölzer, die durch den Regen naß
+geworden waren. Nun suchte ich, mit der Hand vorsichtig tastend, in der
+Dunkelheit nach einem Prügel und erwischte schließlich einen Knochen,
+der meinen Zwecken dienlich schien. Nicht ahnend, welche Art Knochen
+ich da erfaßt hatte, schlug ich damit an die Bettkante und verschaffte
+mir so wenigstens für einige Minuten Ruhe. Ich ergriff mit der anderen
+Hand das Oberende, und ein Grauen überfiel mich. Der Knochen, den
+ich in der Hand hielt, stammte vom Oberschenkel eines Menschen. Eine
+Täuschung war unmöglich, kein Tier hat derartig<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> geformte Knochen. Ein
+eiskalter Schauer fuhr mir den Rücken hinab, der Angstschweiß stand mir
+auf der Stirn. Bei diesem Zeugnis von Kannibalenmahlzeiten wurde mir
+klar, warum die beiden Bassengi vorhin wie aufgescheuchte Bestien aus
+der Hütte geflüchtet waren und sich nicht mehr blicken ließen.</p>
+
+<p>Raschelnd kam über die trockenen Blätterwände der Hütte wieder allerlei
+Getier angelaufen. Ratten und Mäuse stöberten unter altem Hausgerät
+nach Speiseresten. Aus unmittelbarer Nähe ertönten schaurige Rufe und
+Schreie in die stockfinstere Nacht, wie von einem Kind herrührend,
+das man langsam hinmordet und an dessen Qualen sich jemand weidet.
+Dazwischen vermeinte ich wieder flüsternde Stimmen zu vernehmen. Die
+Nacht war lebendig um mich, ich war von einer Schar unsichtbarer Feinde
+umgeben. Ganz deutlich fühlte ich etwas an dem Bambus unter meinem Kopf
+heraufkriechen. Sollte es eine jener gehörnten Vipern sein, die nachts
+in die Hütten der Eingeborenen kommen und Jagd auf Ratten und Mäuse
+machen? Man hatte mich vor dieser furchtbarsten aller Schlangen, deren
+Biß qualvolle Schmerzen verursacht und unbedingt tödlich ist, gewarnt.
+Die Beine hochgezogen, die schützende Decke gleichsam als Schild vor
+dem vor Grauen in Schweiß gebadeten Körper haltend, kauerte ich auf
+meiner Pritsche und starrte in das unheimliche Dunkel, in der Rechten
+den Menschenknochen haltend und bereit, mit ihm alles zu erschlagen,
+was in meine Nähe kam.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp48" id="104_ill" style="max-width: 40.3125em;">
+ <img class="w100" src="images/104_ill.jpg" alt="Baluba-Frau">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Mein erstes am folgenden Morgen war, nach den beiden Bassengi zu
+forschen. Diese hatten Reißaus genommen und blieben unauffindbar.
+Mustapha bestätigte mir, daß der gefundene Knochen ein Menschenknochen
+sei. Beim Durchstöbern der Hütte fand sich noch eine ganze Anzahl
+vor, eine Tatsache, die ihn nicht im geringsten<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> wunderte, da die
+Eingeborenen im Innern, am Fluß Lindi entlang, bekanntlich Kannibalen
+sind.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp49" id="105_ill" style="max-width: 41em;">
+ <img class="w100" src="images/105_ill.jpg" alt="Upoto-Mann">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Bei Tagesanbruch setzten wir unsere Reise stromaufwärts fort, um
+eine möglichst lange Strecke vor Beginn der großen Sonnenhitze
+zurückzulegen. Wir mochten ungefähr drei Stunden unterwegs sein, ohne
+daß sich irgend etwas Nennenswertes ereignet hatte, als plötzlich in
+unmittelbarer Nähe eine Leiche vorbeitrieb. Beine und Hüften ragten
+aus dem Wasser, waren vollständig weiß und zeigten bläuliche Tupfen.
+Mustapha erklärte, daß dies die Leiche eines Negers sei, die nach
+längerem Liegen im Wasser die Hautfarbe verändert. Ungläubig und
+mißtrauisch diskutierte ich mit Janssen die Frage, als plötzlich
+in kurzer Reihenfolge hintereinander fünf bis sechs Leichen gerade
+in unserer Fahrtrichtung angeschwommen kamen. Nunmehr ernstlich
+beunruhigt, was dies zu bedeuten habe, ließen wir einen dieser
+Leichname mit dem Bootshaken drehen und überzeugten uns nun an den
+wulstigen Lippen und überhaupt an dem Gesichtsausdruck, daß der Tote
+tatsächlich ein Neger war. Wir hatten bereits gefürchtet, daß während
+unserer Abwesenheit in Stanleyville die Soldaten oder Araber gemeutert
+und sämtliche Europäer ins Wasser geworfen hätten. Mustapha erklärte
+das Vorkommen der vielen Leichen damit, daß die Eingeborenen der
+Fischerdörfer stromaufwärts ihre Toten nicht begraben, sondern sie
+einfach dem Flusse anvertrauen. Gegen drei Uhr nachmittags kamen wir,
+immer stromaufwärts fahrend, an die Mündung des Lindiflusses, welches
+Gebiet uns kurz vorher vom Distriktskommissar als Arbeitsfeld für die
+Gewinnung von Kautschuk freigegeben war.</p>
+
+<p>Laut Bericht von Mustapha hatten weder die »S. A. B.« (<span class="antiqua">Société
+Anonyme Belge</span>, kurz S. A. B. genannt), noch die »Belgika«,<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> unsere
+beiden Konkurrenten, es bisher gewagt, dieses Gebiet zu betreten, da
+erst kürzlich zwei staatliche Offiziere, die die Eingeborenen zwingen
+wollten, Elfenbein vom Innern an das Flußufer zu bringen, von ihnen
+erschlagen und die im Schlafe überfallenen Begleitsoldaten aufgefressen
+worden waren. Eine sofort entsandte Expedition hatte zwar ein
+furchtbares Blutbad unter den Kannibalen angerichtet und die Stämme,
+die nunmehr versprachen, Kautschuk zu liefern, völlig unterworfen, doch
+traute keiner einstweilen den friedlichen Gesinnungen der Bevölkerung.</p>
+
+<p>Wir rekognoszierten nun ein wenig das Terrain an der Mündung des
+Flusses und liefen eine Landungsstelle, an der wir einige verlassene
+Boote sahen, an. Einige im Gebüsch verborgene Eingeborene kamen auf
+wiederholtes Anrufen herbei und erboten sich, uns nach dem einige
+Stunden im Innern entfernt gelegenen Dorfe zu führen. Da aus ihren
+Gesprächen hervorging, daß die Eingeborenen friedlich waren und bisher
+Kautschuk als Steuer an den Staat geliefert hatten, beschloß Janssen
+sofort, womöglich schon im Laufe der Woche eine Erkundigungsreise von
+diesem Dorfe aus nach dem oberen Laufe des Lindis zu unternehmen.</p>
+
+<p>Gegen sechs Uhr abends, bei einbrechender Dunkelheit, kamen wir bei
+der katholischen Mission St. Gabriel an, und ich schlug Janssen vor,
+hier zu übernachten, da der Himmel im Verlaufe des Nachmittags sich
+immer mehr umwölkt hatte und jetzt ein drohendes Aussehen erhielt.
+Janssen wollte jedoch um jeden Preis nach Stanleyville zurückkehren,
+und wir fuhren weiter. Stunde um Stunde verging, leichte Windstöße
+kamen von allen Seiten und kündeten das Nahen des Tornados an. Die
+Dunkelheit war inzwischen völlig hereingebrochen. Alle Augenblicke
+fuhr unser Kanu auf unter dem Wasserspiegel treibende Baumstämme auf
+und konnte nur mit Mühe losgemacht werden. Als das Sausen und Krachen
+kolossaler Bäume über uns immer heftiger wurde, ersuchte ich Janssen
+bei der nächsten Strombiegung, ungefähr eine Stunde unterhalb unserer
+Faktorei, den Strom zu überqueren, da dies vielleicht später nicht
+mehr möglich sei. Wir hatten noch kaum die Mitte des hier ungefähr
+800 Meter breiten Stromes erreicht, als plötzlich der Tornado mit
+voller Wucht über uns hereinbrach. Ein Regenschauer, von Windstößen
+zu ungeheurer Wucht angefacht, zerschmetterte das Schutzdach über
+unseren Köpfen und begrub uns unter den Trümmern. Mustapha und der Boy
+hieben mit ihren langen Haumessern<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> über unseren Köpfen die Stützen
+nieder, und unseren vereinten Bemühungen gelang es, das Dach, das dem
+Orkan eine Angriffsfläche bot und unser Verderben hätte werden können,
+über Bord zu werfen. Da stürzte einer der Ruderer über den Rand des
+schwankenden Bootes. Gellend hallten die Hilferufe in die schaurige,
+von grellen Blitzen durchzuckte Nacht hinein, übertönt vom Höllenlärm,
+in dem sich der Schlag auf Schlag herniederdröhnende Donner mit dem
+Tosen des Sturmes und dem Prasseln der herabfallenden Wassermassen
+mischten. An Rettung war nicht zu denken. Ein Drehen des Bootes wäre
+gleichbedeutend mit unser aller Untergang gewesen. Also vorwärts, mit
+allen Kräften vorwärts, dem schützenden Ufer zu. Die Ruderer, die im
+ersten Augenblick der Überraschung völlig den Kopf verloren zu haben
+schienen und die Befehle Mustaphas nicht beachteten, erkannten jetzt
+die ungeheure Gefahr, in der wir uns alle befanden, und ruderten für
+ihr Leben.</p>
+
+<p>Indessen führten die losgelassenen Elemente einen wahren Hexentanz
+um uns auf, alle Dämonen der Hölle schienen entfesselt und sich
+mit den wilden Göttern »Kilimas«, des Urwaldes, zu schlagen. Das
+Ächzen und Stöhnen der vom Wirbelwind erfaßten tausendjährigen
+Baumriesen, das Krachen und Splittern der zu Tode getroffenen und
+übereinanderstürzenden Laub- und Holzmassen fand in unserem Gemüt
+hundertfachen Widerhall und brachte uns zum Bewußtsein, wie unendlich
+wenig unser jämmerliches Leben zu bedeuten hat.</p>
+
+<p>Janssen stöhnte, jammerte und schrie erbärmlich. Die Hände vor das
+Gesicht geschlagen, heulend, Gott und alle Heiligen zum Schutze
+anrufend, kniete er vor mir, ein Bild des Elends, eine Jammergestalt.
+Den Tod beständig vor Augen, die Beine bis zu den Knien im Wasser,
+saß ich neben ihm, meine innere Erregung gewaltsam beherrschend und
+kein Wort der Klage über die Lippen bringend. Dem Beispiel Mustaphas
+folgend, ergriff ich meinen Tropenhelm und schöpfte mit ihm das Wasser
+mechanisch aus dem Boote. Ein kräftiger Stoß vorn am Bug, durch den
+zwei Ruderer, die das Gleichgewicht verloren hatten, ins Wasser
+geschleudert wurden, zeigte uns an, daß wir endlich das andere Ufer
+erreicht hatten, und alle Mann klammerten sich mit Leibeskräften
+an Äste, Zweige und Büsche. Erschlug uns jetzt nicht einer der
+niederstürzenden Baumriesen, dann waren wir gerettet, da die Wucht des
+Orkans uns unter dem schützenden Laubdache nicht mehr viel anhaben
+konnte. Hier lagen wir wohl eine<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> Stunde, die für uns alle, die wir
+vom Kopf bis zu den Füßen durchnäßt waren, zu einer Ewigkeit wurde.
+Gegen Mitternacht langten wir in unserer Faktorei, von den durchlebten
+Strapazen völlig erschöpft, an und ließen uns sofort heißen Tee und
+Chinin geben, um schweren Krankheiten vorzubeugen.</p>
+
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Das Leben auf der Faktorei. Zwei Leopardenbesuche.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Die Bevölkerung des Distrikts, mit dem wir in Handelsverbindung
+standen, bildet drei ganz verschiedene Gruppen: die Araber und
+deren Abkömmlinge, die Suaheli, aus Kreuzungen der ersteren mit den
+Eingeborenen hervorgegangen, die Bakeniens, ein Fischervolk, das
+seine Dörfer unmittelbar am Kongofluß hat und sich ausschließlich dem
+Fischfang widmet und uns zeitweise Ruderer zur Verfügung stellte, und
+die Bakumu, von unseren Leuten Bassengi genannt, deren Dörfer im
+Innern des Landes liegen und die Hauptproduzenten von Kautschuk sind.</p>
+
+<p>Die meisten hier ansässigen Araber stammen aus Sansibar. Sie sind
+Kaufleute großen Stils und haben den Elfenbeinhandel geradezu
+monopolisiert. Die Bemittelten unter ihnen, die über eine größere
+Anzahl Sklaven verfügen, sind vornehmlich Pflanzer von Reis, Tabak,
+Maniok, Zwiebeln, Kaffee sowie allen anbaufähigen Nahrungsmitteln.
+Diese Pflanzungen repräsentieren bereits nach verhältnismäßig kurzer
+Zeit einen großen Wert.</p>
+
+<p>Die zwangsweise angesiedelten Araber sind zumeist Kriegsgefangene oder
+Leute, die dem Staate bei der Okkupation am oberen Nilflusse mit der
+Zeit lästig und infolgedessen einfach nach hier deportiert wurden. Die
+Terrains für Ansiedlungen und Plantagen wurden ihnen frei zur Verfügung
+gestellt. Dafür haben sie monatlich gewisse Abgaben an die Station in
+Form von Naturalprodukten oder Baumaterialien zu entrichten. Die Leute
+handeln mit allem — vom Ei angefangen bis zu den Sklaven.</p>
+
+<p>Die Araber stehen als Kulturvolk inmitten der wilden Völkerschaften
+Zentralafrikas unstreitig auf der höchsten Stufe, und ihr moralischer
+sowohl als ihr physischer Einfluß auf die umgebenden<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> Völkerschaften
+reicht unendlich viel weiter als der des europäischen Eroberers.
+Während der Europäer bisher in egoistischer Selbstherrlichkeit in
+erster Linie nur den eigenen Komfort und die rücksichtslose Ausbeutung
+der eingeborenen Bevölkerung im Auge hat, wirkt der Araber als wahrer
+Kulturfaktor unter ihnen. Um eine Stufe tiefer stehend als der
+Europäer, siedelt er sich mitten unter der Bevölkerung an. Die sauberen
+kleinen Gebäude aus Lehm sind leichter von den Eingeborenen nachzuahmen
+als die solideren Wohnhäuser der Europäer. Das blendend weiße Hemd,
+das fast bis auf den Boden reicht, und der weiße Turban auf dem Kopf,
+die Bekleidung der Araber und Suaheli ist weniger kompliziert als die
+Tracht der Europäer und überdies viel praktischer für diese heißen
+Gebiete. Die Anschaffung beider Kleidungsstücke ist zudem bedeutend
+billiger als die von uns eingeführten gelb und dunkel karierten Hosen.
+Es nimmt mich daher nicht wunder, daß selbst die Boys der Europäer, die
+überall sonst im Kongo den Europäer in der Kleidung nachahmen, hier in
+Stanleyville mit Vorliebe die Suaheli-Tracht annehmen.</p>
+
+<p>Ein Umstand, der mir nach Berührung mit all den vielen heidnischen
+Negervölkern beim Verkehr mit den Suaheli ganz besonders ins Auge
+fiel, war ihre Frömmigkeit: sie sind Mohammedaner. Bei Sonnenuntergang
+verlassen die Gläubigen ihre Arbeit, waschen Hände und Füße und knien
+dann vor ihren Häusern auf Matten und Teppichen, das Angesicht gen
+Osten gewendet, um ihr Gebet zu verrichten, wobei sie sich soundso
+oftmals bis auf den Boden verneigen.</p>
+
+<p>Die Bakeniens sind ein robustes Fischervolk, das unsere Tafel
+regelmäßig mit Fischen aller Art sowie kleinen Krabben, nach unseren
+europäischen Begriffen zu spottbilligen Preisen, versorgte. Als ganz
+besondere Delikatesse bleibt mir die Fisch-Moambe, eine Art Fischpökel,
+aus Kongosalm und Palmenkernen hergestellt, in Erinnerung, ein Gericht,
+an das unser feinstes Fischpökel bei weitem nicht heranreicht.</p>
+
+<p>Die Bakumu oder Bassengi gehören zu den primitivsten Stämmen
+Zentralafrikas. Ihre Dörfer liegen tief versteckt inmitten des großen
+Urwaldes und sind von hohen Palisaden umgeben, an deren Spitzen die
+Schädel der von ihnen getöteten und aufgefressenen Feinde stecken. Von
+Kind auf an den beständigen Kampf mit dem Nächsten und den Raubtieren
+des Waldes gewöhnt, ist der Bakumu ein<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> moralisch unentwickeltes
+Geschöpf, das einzig und allein das Recht und die Macht des Stärkeren
+anerkennt. Ganz unverständlich sind ihm Gesetze, die ihm verbieten, das
+ungetreue Weib mit eigener Hand zu töten oder den niedergeschlagenen
+Feind zu verzehren. Wie ein Kind schmückt er sich mit Perlen und
+Zierat oder ergibt sich dem Tanze, um im nächsten Augenblick den
+vermeintlichen Nebenbuhler hinterrücks zu erschlagen. Er kennt keinen
+Unterschied zwischen Leben und Tod, zwischen Gutem und Bösem, und seine
+Blutgier ist unersättlich.</p>
+
+<p>Langer Jahre Arbeit und verschiedener blutiger Kämpfe bedurfte es, um
+diese Völker zur Einsicht zu bringen, daß der Europäer ihr Gebieter
+ist. Zur Zeit meines Aufenthalts war die Region so weit befriedet, daß
+wir bis zu fünfzig Kilometer zu beiden Seiten des Flusses ins Innere
+unseren Geschäften nachgehen konnten. —</p>
+
+<p>Während der nächsten Zeit wurden wir vom Bau unserer Faktorei und dem
+Handel mit den aus dem Innern herbeieilenden Karawanen vollständig in
+Anspruch genommen. Unsere schwarzen Schreiber sandten wir mit einem
+kleinen Kanu stromabwärts, um die in den Dörfern stationierten Capitas
+einzuberufen.</p>
+
+<p>Aus Brazzaville hatten wir keinerlei Instruktionen mitbekommen.
+Entweder glaubte man, daß unser Vorgänger alle Arbeit ordnungsgemäß
+erledigt hatte, oder man vertraute unserer Findigkeit, selbst das
+Richtige zu treffen. Hacken, Haumesser, Nägel und eine große Säge waren
+vorhanden, und mit diesen primitiven Behelfen machten wir uns sofort an
+die Arbeit, um uns die mangelnde Wohnung und Einrichtung zu schaffen,
+wenn es mir auch vorderhand noch ein Rätsel blieb, wie wir uns die
+fehlenden Türangeln und Fensterscharniere herstellen sollten.</p>
+
+<p>All das Neue um uns her, die Sprache, Sitten und Gebräuche der fremden
+Völkerstämme, die hunderterlei Probleme, die der Bau einer Faktorei uns
+zu lösen gab, nahmen all unser Sinnen und Denken derart in Anspruch,
+daß wir keine Zeit hatten, an unser früheres Leben, das hinter einem
+dichten Schleier in unerreichbarer Ferne lag, zu denken. Frühmorgens
+1/2-6 Uhr mit der »Reveille«, die am gegenüberliegenden Ufer geblasen
+wurde und durch die stille Nacht über das Wasser so klar zu uns
+herübertönte, als stamme sie von unserer eigenen Schildwache innerhalb
+der Faktorei, erschien mein verschlafener Boy Mossamba, um Tür und
+Läden zu öffnen und mir das Waschwasser in einem Emailgeschirr auf
+eine umgestülpte<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> Kiste zu stellen. Während ich mich wusch und anzog,
+verschwand er, um seinerseits unten am Flußufer Toilette zu machen.
+Punkt 6 Uhr wurde durch dreimaliges Trompetensignal »Appell« geblasen,
+worauf auf unserer Seite das Dröhnen und Wirbeln des Gongs antwortete
+und bekanntgab, daß auch wir mit der Arbeit begannen. Anfangs kamen
+unsere Arbeiter träge und mißmutig, in ihrem Schlafe gestört zu sein,
+in langen Abständen daher. Der Schreiber hatte offenbar in Abwesenheit
+unseres Vorgängers die Disziplin nicht strenge gehandhabt und die Zeit
+nicht genau eingehalten. Dies mußte sofort anders werden. Janssen nahm
+die Zügel kräftig in die Hand und hielt an die Leute eine Ansprache,
+deren Sinn Mustapha in Form kurzer Befehle den Suaheli mitteilte.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="111_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/111_ill.jpg" alt="Arbeitsappell">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Als vornehmste Verhaltungsmaßregel des Europäers dem Personal und
+überhaupt dem Neger gegenüber gilt, daß er vom ersten Augenblick an
+den Leuten mit aller Energie und Entschiedenheit entgegenzutreten hat.
+Der Neger beugt seinen Nacken und erkennt nur denjenigen als seinen
+Herrn an, den er fürchtet und der imstande ist, jede aufkommende
+Neigung zur Auflehnung, angeborene Trägheit und Neigung zum Widerspruch
+sofort im Keime zu ersticken und mit unerbittlicher Strenge zu ahnden.
+Sogenannte »gute Menschen«, die Fehler verzeihen und zur Nachgiebigkeit
+neigen, werden nie die Achtung des Negers und nennenswerte Resultate
+erzielen. Sie werden stets den Spott und den Hohn des Personals und
+der Eingeborenen ernten und von diesen von vorne<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> und hinten belogen
+werden. Energisches, zielbewußtes Auftreten bei jeder Art Auflehnung
+gegen die Disziplin, unerbittliche Strenge und sofortige Ahndung aller
+Vorkommnisse, die gegen Gesetz und Ordnung verstoßen, sowie gerechte
+Bestrafung solcher Vorfälle sind die Waffen, die dem Europäer dem
+einzelnen sowohl wie der Masse gegenüber unbedingt Achtung verschaffen.
+Von Natur aus träge und faul veranlagt, versucht der Neger auf jede
+Weise sich einer ihm unbequemen Arbeit zu entziehen. »<span class="antiqua">Mimi kosaba
+vae</span>« (»das kann ich nicht«) ist seine beliebte Ausrede, wenn ihm
+eine Arbeit nicht paßt. Oftmals kommt es auch vor, daß er irgendeine
+Krankheit beim Appell vorspiegelt, um sein bequemes Lager am Feuer
+wieder aufsuchen zu können.</p>
+
+<p>Unser Personal war durch einige Suaheli des Häuptlings Shibu auf
+dreißig Mann gebracht worden, die in Reih und Glied Aufstellung
+genommen hatten. Die Arbeiter wurden nunmehr in verschiedene Gruppen
+eingeteilt, deren jede eine andere Arbeit zu leisten hatte. Während z.
+B. eine Gruppe mit Haumessern in den nahen Urwald ging, um Träger für
+ein neues Gebäude zu holen, machte sich eine andere auf, um Bambus für
+den Dachstuhl zu schneiden. Eine dritte Abteilung mußte in dem bereits
+fertiggestellten Magazin Tag und Nacht große Feuer zum Austrocknen der
+Mauern unterhalten. Wieder ein anderer Trupp ging auf die Suche nach
+»<span class="antiqua">koddi</span>« (Lianen) zum Anfertigen von Kautschukkörben.</p>
+
+<p>Einzelne Arbeiter, die sich krank gemeldet hatten, wurden nun der Reihe
+nach vorgenommen. Zumeist handelte es sich um Risse und Geschwüre, die
+sie sich im Walde zugezogen hatten, und die nun mit Salben, Höllenstein
+und Sublimat antiseptisch behandelt wurden, oder auch um vorübergehende
+Magen- und Darmverstimmungen, die mit Hilfe eines Purgativs leicht
+behoben werden konnten.</p>
+
+<p>Auf der freien, inmitten des provisorischen Wohngebäudes gelegenen
+Barza hatten inzwischen die Boys unsern Frühstückstisch gedeckt.
+Bestand das Gedeck auch nicht aus reinstem Porzellan und das Tischtuch
+statt aus feinem Leinen nur aus »<span class="antiqua">white domestic</span>«, so mundete
+das Frühstück auch aus Emailgeschirr nach vollbrachter Arbeit ganz
+ausgezeichnet.</p>
+
+<p>Zuweilen, an besonders herrlichen Morgen, ließen wir die
+Frühstückstafel auch vor das Haus stellen. Wenn wir dann so inmitten
+der Morgenpracht bei dem Gezwitscher der Vögel und den ersten Strahlen
+der Sonne, die die Tautropfen auf Blättern und Blüten<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> gleich Myriaden
+Diamanten erglänzen ließen, unser Frühstück einnahmen und dabei an
+die finstern kalten Morgennebel, die in dieser Zeit in der Heimat
+vorzukommen pflegen, dachten, fühlten wir uns doppelt glücklich in dem
+Bewußtsein, das weitaus schönere Teil erwählt zu haben.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="113_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/113_ill.jpg" alt="Trägerkolonne">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Nach dem Frühstück nahmen wir beide die Arbeit wieder auf. Dann kam
+etwa ein Capita mit einer Karawane von Kautschukträgern herein. Die
+Ware mußte ausgewogen und übernommen werden, dagegen im Austausch eine
+Menge neuer Stoffe, Salz, Haumesser, Mitakos, Perlen und dergleichen
+mehr gegeben und die Träger für ihre Mühe entlohnt werden. Eingeborene
+kamen mit Hühnern, Enten, Eiern, Palmöl, kurz allen möglichen
+Nahrungsmitteln, um sie gegen europäische Waren einzutauschen.</p>
+
+<p>Dazwischen erschien meistens der Koch, dem man besonders gut auf
+die Finger sehen mußte, und holte sich seine Instruktionen für den
+Mittagstisch. Eines Tages hatte Janssen mich ersucht, den Speisezettel
+für den Mittagstisch zusammenzustellen. Der Koch schlug vor: <span class="antiqua">Suppo
+na lozo</span>, Reissuppe — gut — <span class="antiqua">maki na sosse</span><span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> <span class="antiqua">mutake</span>,
+harte Eier in Mayonnaise als Zwischenspeise — auch gut. — Jetzt das
+schwerste, die Fleischspeise: »<span class="antiqua">Nsussu</span>«, Huhn, meinte endlich
+der Koch. Ich überlegte, daß wir gerade zwölf Hühner gekauft hatten,
+und daß es infolgedessen das einfachste sein würde, ein bis zwei
+Hühner zum Mittagsmahl zubereiten zu lassen. In Gedanken schwebte
+mir eine fette, zarte Poularde vor, deren Fleisch wie Butter auf
+der Zunge zerfließt. Ich nickte daher, der Sprache nicht mächtig,
+zustimmend mit dem Kopfe. Der Koch schlug weiter vor: »<span class="antiqua">Bifiteki
+na sussu</span>.« »Hei! Was? Hühner-Beefsteak?« Niemals in meinem Leben
+hatte ich derartiges gegessen. Was mochte das wohl sein? — Der Koch
+fuhr fort: »<span class="antiqua">Nsussu na sosse mufike</span>«, Hühner in schwarzer Sauce.
+Ganz erstaunt, was das wieder zu bedeuten hatte, und ungläubig sah
+ich den Koch an. Wollte dieser sich am Ende gar einen Scherz mit mir
+erlauben? Meine Stirn verfinsterte sich. Der Koch begriff, daß ich
+ihn nicht verstanden hatte, ging in mein Zimmer, wisperte mit meinem
+Boy und kehrte triumphierend mit einer Nähnadel und schwarzem Zwirn
+zurück. Mit Gebärden deutete er mir an, daß er das Huhn nähen wolle.
+Immer mehr überrascht, bekam ich nun doch einen großen Respekt vor
+meinem Koch. Zu meiner Beschämung muß ich nämlich gestehen, daß ich
+mit Ausnahme dessen, was ich zu Hause hie und da von der Zubereitung
+meiner Leibspeisen in der Küche erfahren hatte, von der höheren
+Kochkunst keine Ahnung habe. Hühner-Beefsteak und Hühner in schwarzer
+Madeira-Sauce gab es bei uns zu Hause nicht. Zustimmend nickte ich
+daher mit dem Kopfe. Solch eine Gelegenheit, meine Kenntnisse zu
+bereichern, durfte ich nicht vorübergehen lassen. Der Koch fuhr fort
+»Panekiki«. Erfreut horchte ich auf. Das Wort schlug mir bekannt und
+sympathisch ans Ohr. Das mußten unbedingt unsere Pfannkuchen sein. Ich
+nickte wieder zustimmend und kehrte nun, hoch erfreut, zum erstenmal
+die schwierige Aufgabe der Aufstellung des »Speisezettels« so glänzend
+gelöst zu haben, an meine Arbeit zurück.</p>
+
+<p>Ein Gegacker und Gekreisch im Hühnerhof zeigte bald darauf an, daß
+Kalamba seine Auswahl traf. Einige Minuten später erschien er, in der
+Linken sechs geschlachtete Hühner haltend, und ersuchte um die Hergabe
+von Salz. Ja, um des Himmels willen! Wozu denn die vielen Hühner? Damit
+konnten wir ja drei Tage ausreichen!</p>
+
+<p>Entsetzt über eine derartige Verschwendung rief ich Mustapha herbei und
+ließ mir von dem unverfrorenen Koch erklären: zwei Hühner<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> als Zugabe
+zur Suppe, zwei Hühner für Bifiteki, zwei weitere Hühner zur <span class="antiqua">Nsussu
+na sosse mufiki</span>. Doch damit nicht genug, brauche er noch 24 Eier,
+zehn zum Hartsieden, vier zur Mayonnaise, zwei für die Bifiteki, vier
+für <span class="antiqua">Nsussu mufike</span> und weitere vier für Panekiki.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="115_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/115_ill.jpg" alt="Faktoreigebäude Stanleyville">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Waren auch die Anschaffungskosten für Hühner und Eier nach europäischen
+Begriffen nicht hoch, so fragte ich mich doch entsetzt, was mein
+Chef Janssen zu dieser Verschwendung sagen würde. Nach langem Hin-
+und Herparlamentieren, und nachdem ich vergeblich versucht hatte,
+wenigstens vier Eier aus dem Programm zu streichen, händigte ich ihm
+nunmehr auch die 24 Eier aus. Kaum hatte ich meine Arbeit wieder
+aufgenommen, da erschien Kalamba neuerdings auf der Bildfläche. Diesmal
+brauchte er Butter. Ich wurde ernstlich böse, fortwährend bei der
+Arbeit gestört zu werden, und fing an, zu begreifen, warum Janssen mich
+mit der schwierigen Aufgabe des Speisezettels betraut hatte.</p>
+
+<p>Wieder mußte ich ins Magazin. In gereizter Stimmung konstatierte ich,
+daß von den drei Dosen Butter, die für uns jeden monatlich bestimmt
+waren, nach einer Woche bereits mehr als die<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> Hälfte fehlte. Ich
+beschloß, sparsam zu sein, und gab dem Koch daher den Inhalt eines
+vollen Suppenlöffels. Als er mich daraufhin starr vor Erstaunen ansah,
+schob ich ihn einfach zur Tür hinaus. Später sagte ich mir allerdings,
+daß ein Löffel Butter zur Zubereitung von sechs Hühnern etwas wenig
+war. Doch was kann ein geschickter Koch unter Zufügung von etwas Wasser
+nicht alles daraus machen. Mit diesem Gedanken tröstete ich mich und
+ging wieder an die Arbeit. Man kann in Afrika schließlich nicht wie bei
+»Lukullus« kochen. —</p>
+
+<p>Das von Kiel begonnene Magazin war inzwischen vollständig
+fertiggestellt worden. Der eine Raum diente als Verkaufsladen, der
+zweite als Warenmagazin. Längs den Innenwänden waren aus Bambus hohe,
+mit rotem Tuch bekleidete Stellagen errichtet worden, und auf ihnen
+prangten — ähnlich wie bei den Kaufleuten in kleineren Orten —
+aufgestapelt all die hunderterlei Gegenstände, die als Austauschobjekte
+in unserer Gegend gehandelt wurden! Reihen von farbigen und bedruckten
+Baumwollgeweben, zu Stücken <span class="antiqua">à</span> acht Yard aufgemacht, Schals,
+Tücher, einfarbige und gestreifte Decken, weiße, graue und blaue
+Drills, Khaki, fertige Anzüge, leinene und baumwollene Araberhemden
+usw.; ferner Emailgeschirr, Hauen, Spaten, Dolch- und Haumesser,
+Messingringe, Kurzwaren, Perlen und Gablonzer Galanteriewaren aller Art
+lockten den Beschauer zum Kaufen an.</p>
+
+<p>Die Stützen der Stellagen waren an ihrer Basis sorgfältig verkohlt und
+der Lehmboden an ihrer Basis mit Asche bestreut worden, um die weißen
+Termiten, diese gefährlichsten Feinde eines Warenlagers, fernzuhalten.
+Dieses Insekt, von der Größe einer Waldameise, vernichtet alles,
+was ihm in den Weg kommt. Es sucht mit Vorliebe die Wohnstätten von
+Menschen auf, in denen es allerlei Leckerbissen vermutet. Kaum ist ein
+Gebäude unter Dach, da tauchen die kleinen Zerstörer bereits aus dem
+Schoße der Erde auf, um Träger, Balken und Gerüste mit unglaublicher
+Freßgier anzufallen. Winzige, kleine Erdhäufchen zeigen zuerst
+ihre Anwesenheit an. In unglaublich kurzer Zeit schlängeln sich an
+der Außenseite der Balken und Wände Tausende röhrenartige Tunnels
+aufwärts, die sich wie das Gerinsel von Quellen nach allen Richtungen
+hin verzweigen und binnen wenigen Tagen das ganze Gebäude überziehen.
+Woher kommen und wohin ziehen diese Myriaden Zerstörer? Sie kommen aus
+dem ungeheuren Urwald, der in seinem rätselhaften Schoße unzählige
+tierische Wesen entstehen läßt und zur Vermehrung treibt,<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> um zu
+vernichten, was Menschenhand geschaffen. Nichts verschonen sie, durch
+Ballen und Kisten, über Stahl und Eisen bauen sie ihre Röhrengewinde.
+Wehe dem Lager, in das sie unbemerkt gelangen. In wenigen Tagen, ja
+wenigen Stunden sind sämtliche Vorräte zerstört. Die Beobachtung, daß
+Termiten einzig und allein das Feuer fürchten und verkohlte Bäume mit
+ihren Angriffen verschonen, hat sich der Mensch zunutze gemacht und
+Stützen und Träger, soweit sie im Boden versenkt sind, angeglüht.</p>
+
+<p>Unser Wohnhaus hatte dank der aufgewendeten Verbesserungen ein
+anderes Aussehen erhalten. Die Veranden waren ringsherum auf drei
+Meter verbreitert, die Räume innen und außen mit »Pembe« (Kreide)
+weiß getüncht und mit einer blauen Bordüre eingefaßt worden. Zwischen
+den Pfosten war ein Geländer aus Bambus hergestellt worden, und
+darüber prangten in schwarzen Tontöpfen allerhand Schlingpflanzen und
+Orchideen. Die Veranda war gegen die Front zu mittels Jalousien aus
+feinen, gesplißten Bambusstäbchen zu schließen, die Lehmböden waren mit
+feinen Palmmatten bedeckt.</p>
+
+<p>Das Innere der Barza sowie unsere beiden Schlafräume hatten wir
+so komfortabel eingerichtet, wie die Verhältnisse es erlaubten.
+Reproduktionen von Gemälden und Porträte schöner Frauen, die ich aus
+Europa mitgebracht hatte, zierten in polierten, schweren Bambusrahmen
+die Wände. Mitten in der Barza stand ein großer Tisch mit einer
+mattroten, gefransten Decke. Diese sowohl wie vier Lehnstühle und die
+Kredenz waren aus rotem Akajouholz angefertigt worden.</p>
+
+<p>Mit Hilfe der Mission in Jakussi, von der uns ein vorzüglicher Tischler
+für einige Zeit zur Verfügung gestellt worden war, hatten wir eine
+Werkstatt eingerichtet, in der alle zu unserem Behagen noch fehlenden
+Möbelstücke angefertigt wurden. Fensterscharniere und Türangeln ließen
+wir in einer arabischen Schmiede aus Bandeisen, das zum Verschnüren von
+Ballen dient, anfertigen. Türschlösser besaßen wir zunächst noch nicht.
+An ihre Stelle traten schwere Hängeschlösser und Holzriegel, die den
+gleichen Zweck erfüllten.</p>
+
+<p>Eines Nachts, es mochte gegen zwei Uhr früh sein, wurde ich plötzlich
+durch Schläge mit dem Gewehrkolben der Schildwache gegen meine Tür aus
+dem Schlafe geschreckt. Gleichzeitig vernahm ich aus dem Arbeiterdorf
+lautes Gemurmel, dazwischen gellende Schreie, Rufe und das Herbeieilen
+vieler Menschen. Etwas Ungewöhnliches hatte sich zugetragen, und in
+aller Eile schlüpfte ich in meine<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> Kleider und begab mich in das
+Arbeiterdorf, wo ich Janssen bereits antraf. Hier erfuhr ich mit
+Bestürzung, daß ein Leopard soeben unseren Boy »Moko«, einen Jungen
+von acht bis zehn Jahren, der beim Essen servierte, davongetragen
+hatte. Aus den Erzählungen des Schreibers ging folgendes hervor:
+Das Haus unseres schwarzen Schreibers enthielt zwei durch Verschluß
+abgeteilte Räume und eine Art Vorraum, der in einen durch eine Hecke
+aus Palmenblättern nach allen Seiten hin abgeschlossenen Hof ausging.
+In diesem Vorraum nun schliefen ein kleines Mädchen, das Dienste als
+Mädchen für alles verrichtete, und der geraubte Boy »Moko«. Beide
+hatten ihr Lager inmitten des Raumes und lagen dicht beieinander auf
+einer Matte. Mitten in der Nacht erwachte das Mädchen plötzlich, durch
+eine leichte Bewegung ihres Freundes aufgeschreckt. Sie hörte ganz
+deutlich, wie jemand sich entfernte, und in der Vermutung, daß ihr
+Kamerad eine Notdurft zu verrichten beabsichtigte, rief sie ihn an.
+Die Nacht war stockfinster und ... die Antwort blieb aus. Sie tastete
+mit der Hand um sich, der Platz neben ihr war leer, und sie hörte
+ganz deutlich, wie jemand sich durch die Hofhecke zwängte. Sie rief
+nochmals ihren Freund bei seinem Namen und beschwor ihn, zu antworten,
+da sie sich fürchtete. Einige bange Minuten vergingen, und wieder
+erhielt sie keine Antwort. Dadurch ernstlich beunruhigt und vielleicht
+auch mit angeborenem Instinkt die Gefahr witternd, rief sie nunmehr
+den Schreiber und bat um Licht. Dieser, nicht sehr erfreut, wegen
+einer bloßen Einbildung der Dienerin das warme Lager verlassen zu
+müssen, suchte sie zu beruhigen ... Der Boy müsse sofort zurückkehren
+und habe sich nur einen Scherz erlaubt, um sie zu erschrecken. Kurze
+Zeit herrschte Ruhe. Plötzlich hörte das wachliegende Mädchen wieder
+das Knistern der trockenen Palmblätter an der Hecke, als ob jemand
+durchschlüpfte, und rief. »Boy Moko!« ... Wieder keine Antwort ... Sie
+begann zu weinen und zu flehen. Diesmal war der Schreiber wachgeblieben
+und forderte nun Moko auf, solche Scherze zu unterlassen ... wieder
+keine Antwort ... jedes Geräusch war verstummt. Jetzt erst machte
+der Schreiber Licht, öffnete den Türverschluß, um die vermeintlichen
+Störenfriede zu züchtigen, und — hielt nach den ersten Schritten
+bestürzt inne.</p>
+
+<p>Dicht vor ihm, neben der Matte, auf der die beiden geschlafen hatten,
+zeichneten sich auf dem festgestampften Lehmboden deutlich die Krallen
+eines großen Raubtieres ab. Den Spuren nach zu<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> urteilen, konnte es nur
+ein Leopard sein, da Löwen in der Gegend nicht vorkommen. An dem festen
+Einsetzen der Krallen des Tieres in den Boden war deutlich zu erkennen,
+daß es schwer belastet wegging. Das eine Bein seines Opfers mußte am
+Boden geschleift haben, da es eine leicht erkenntliche Spur zurückließ.
+Dagegen war nirgends ein Tropfen Blut zu sehen, und es blieb ein
+Rätsel, auf welche Weise das Tier den kräftigen Jungen getötet haben
+konnte, ohne daß dieser einen Laut von sich gab oder mit den Armen um
+sich schlug oder daß endlich eine Blutspur zu finden war. Die Matte,
+auf der die beiden lagen, war höchstens 125 Zentimeter breit, so daß
+die Schlafenden sich berührt haben mußten. Die geringste Bewegung, das
+kleinste Geräusch hätte das Mädchen und endlich auch den Schreiber und
+dessen Frau, deren Zimmer nur durch eine dünne Blätterwand von ungefähr
+zwei Meter Höhe vom Vorraum getrennt waren, aufwecken müssen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp55" id="119_ill" style="max-width: 46.4375em;">
+ <img class="w100" src="images/119_ill.jpg" alt="Errichtung eines Dachfirstes">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Man kann sich unser Entsetzen vorstellen. Mit der Fackel in der Hand
+verfolgten wir die nur allzu deutliche Spur des Raubtieres bis zur
+Hecke, wo es eine kleine Öffnung, die ursprünglich zum Einlaß für die
+Hühner in den Hof bestimmt war, derart erweitert hatte, daß sie ihm mit
+seiner Last Durchlaß gewährte. Tief erschüttert von dem schrecklichen
+Vorfall suchten wir unser Lager auf, nicht ohne Fensterladen und Tür
+tüchtig gerüttelt und auf den Verschluß untersucht zu haben. Kurz
+darauf — ich war gerade im<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> Begriff, wieder einzuschlafen — wurde ich
+durch ein Gekreisch und Geheul und durch zwei Schüsse im Arbeiterdorf
+nochmals geweckt. Der Leopard war über eine Hecke hinweg direkt in
+einen Negerchimbeque hineingesprungen, in der einige Arbeiter um ein
+verglimmendes Feuer auf Matten lagen. Vor Furcht und Aufregung waren
+zwei der Leute wachgeblieben und machten nun mit den anderen einen
+derartigen Lärm, daß das Tier schleunigst wieder verschwand.</p>
+
+<p>Diesmal ließ Janssen fünf Mann mit aufgepflanztem Bajonett und
+geladenem Gewehr Wache stehen. Einer der Leute mußte jede Minute,
+zum Zeichen, daß die Posten wach waren, auf einen Gong schlagen.
+Dies verjagte das beutegierige Tier von unserem Terrain. Am Morgen
+erfuhr ich, daß der gleiche Leopard beim Morgengrauen im benachbarten
+Gebiet der »S. A. B.« eingefallen und einen großen, europäischen Hund
+weggeschleppt hatte.</p>
+
+<p>All unser Sinnen und Trachten ging nun dahin, den Tod unseres braven
+Jungen zu rächen und des verwegenen Raubtieres habhaft zu werden.
+Die Spur führte geradeswegs in das dichte Gestrüpp und Unterholz des
+Urwaldes, so daß es ohne Hund ausgeschlossen war, ihr zu folgen.
+Da Mustapha versicherte, daß kein eingeborener Hund die Spur des
+Raubtieres aufnehmen würde, sandten wir unser Kanu nach Stanleyville
+zu dem Büchsenmacher Vandyk, um dessen großen europäischen Jagdhund zu
+holen. Der Besitzer erschien persönlich nach kurzer Zeit mit dem Hund
+und bat, an der Jagd teilnehmen zu dürfen. Da Janssen kein Jäger war,
+machte ich mich mit Vandyk, Mustapha und zwei Eingeborenen, die uns mit
+Haumessern einen Weg durch das Dickicht bahnen sollten, auf den Weg.</p>
+
+<p>Der Hund nahm anfangs die Spur ohne Zögern auf und zog uns durch
+Dickicht und Gestrüpp etwa 800 Schritt tief in den Urwald hinein.
+Hier hatte das Tier mit dem Jungen gerastet. Der Boden war im weiten
+Umkreis voll von Spuren, und hier fand sich auch der Pagne vor, ein
+Lendentuch von vier Yards Länge und 120 Zentimeter Breite, in dem Boy
+Moko eingerollt geschlafen hatte. War bis hierher die Verfolgung trotz
+dichten Dornengestrüpps und des Unterholzes verhältnismäßig leicht
+gegangen, so stellten sich jetzt einer weiteren Verfolgung plötzlich
+unüberwindliche Hindernisse entgegen. Das Terrain ging hier in ein
+Sumpfgelände über. Der Hund war nicht mehr von der Stelle zu bekommen.
+Aufgeregt lief er im Kreise umher, an allen vieren zitternd. Alle
+Bemühungen, ihn vom Fleck wegzubringen, waren vergeblich, weder Locken
+noch<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> Ziehen an der Schnur half. Wir suchten vorsichtig die ganze
+Gegend im Umkreis ab und hielten gleichfalls Ausschau nach den Bäumen.
+Unmöglich konnte das Tier mit dem schweren Körper auf einen Baum
+geklettert sein. Nach stundenlangem Absuchen, und nachdem die beiden
+Eingeborenen sich darüber einig geworden waren, daß nicht ein Leopard,
+sondern ein Dämon in Gestalt eines Leoparden mit seinem Opfer hier
+spurlos verschwunden war, kehrten wir unverrichteter Dinge zur Faktorei
+zurück.</p>
+
+<p>Ich beschloß, noch am gleichen Tage mit dem Bau einer Falle zu beginnen
+und ihm bei Mondnächten mit lebendem Köder aufzulauern. Doch erschien
+der Räuber nicht wieder. Überhaupt hatten wir seit diesem grausigen
+Ereignis lange Zeit Ruhe vor den Leoparden. Einige Monate später hatte
+ich jedoch Gelegenheit, eines dieser gefährlichen Tiere innerhalb der
+Faktorei zur Strecke zu bringen. Eines Nachts wurde ich plötzlich
+durch Gewehrkolbenschläge an meine Zimmertür unsanft aus dem Schlafe
+aufgeweckt. Aus den hastig hervorgestoßenen Reden der Wache entnahm
+ich, daß irgendein reißendes Tier in den Ziegenstall eingebrochen
+sein mußte. In einigen Sekunden war ich in Rock und Hose geschlüpft,
+hatte meine Sturmlaterne angezündet, meinen Mauser, der stets geladen
+in einer Zimmerecke stand, ergriffen und eilte nun, gefolgt von der
+Wache, nach dem Ziegenstall, aus dem ein wildes Durcheinanderstampfen
+und Meckern der verängstigten Ziegen ertönte. Einige Ziegen waren
+durch eine Türspalte, die zweifellos durch den eindringenden Räuber
+erweitert worden war, entwichen und irrten nun verzweifelt meckernd in
+der Dunkelheit umher, um unter den Veranden der Magazine und Wohnhäuser
+Schutz zu suchen.</p>
+
+<p>Ein Blick auf die Zugangstür zum Ziegenstall klärte mich über das,
+was vermutlich vorgefallen war, auf. Die primitive Schiebetür war
+nachlässig geschlossen worden, so daß ein Spalt offen geblieben war.
+Irgendein reißendes Tier, wahrscheinlich ein Leopard, hatte mit
+der Tatze den Spalt erweitert und schließlich den schlanken Körper
+durchgezwängt. Die herausstürzenden Ziegen hatten die Tür noch weiter
+zur Seite geschoben, so daß ich annehmen mußte, daß der Räuber mit
+seiner Beute bereits das Weite gesucht hatte. Dem war glücklicherweise
+nicht so, denn bei dem ersten Lichtstrahl, der in den Raum fiel,
+sprang tatsächlich ein Leopard, der über dem Meckern der Ziegen
+und dem Zerfleischen seiner Opfer offenbar unser Herannahen nicht
+bemerkt hatte, auf und suchte sich im dunkelsten Winkel<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> des Raumes
+zu verbergen, während die übrigen noch lebenden Tiere in sinnloser
+Angst auf den Ausgang und uns zustürzten. Da ein Schießen unter diesen
+Umständen ausgeschlossen war, ließen wir die fliehenden Tiere, in der
+Voraussetzung, daß der Leopard das Licht meiden würde, zuerst sämtlich
+herauslaufen. Nun ließ ich durch die Wache die Sturmlaterne an das
+Bajonett hängen und mit einem Ruck mitten in den Raum stellen. Dadurch
+war der langgestreckte Raum, wenn auch spärlich, so doch genügend
+erleuchtet.</p>
+
+<p>Ich selbst trat nun mit dem schußbereiten Gewehr so weit in den Stall,
+als nötig war, um unbehindert schießen zu können. Im entlegensten
+Winkel erkannte ich sofort das offenbar auf äußerste erschrockene Tier,
+das am Boden kauerte und mir den Kopf mit den phosphoreszierenden
+Lichtern voll zuwandte. Regungslos, wie zum Sprunge geduckt, lag die
+gelbe Katze pfauchend und zähnefletschend auf kaum zwanzig Schritt
+Entfernung vor mir. Langsam, um sie nicht durch eine allzu rasche
+Bewegung zum Sprung zu reizen, hob ich das Gewehr an die Backe, zielte
+zwischen die zwei Lichter und drückte los. Ein scharfer Knall, und das
+geduckte Haupt fiel leicht zur Seite, während die Hintertatzen kratzend
+den Boden aufwühlten. Der Leopard war, mitten durch den Schädel
+geschossen, wie vom Blitz erschlagen, in der gleichen Stellung tot
+liegengeblieben.</p>
+
+<p>Einige bange Minuten vergingen, während welcher wir unverwandt das Tier
+beobachteten, ob es noch ein Lebenszeichen von sich gäbe. Ich erinnerte
+mich sehr wohl warnender Beispiele, wonach mancher erfahrene Jäger
+durch allzu schnelle Annäherung an die totgeglaubte Beute sein eigenes
+Leben einbüßte. Als auch das Scharren der Hintertatzen aufgehört hatte,
+traten wir an das tote Tier heran, und die Wache zog es in die Mitte
+des Raumes, damit wir es besser betrachten konnten. Welche Genugtuung
+wäre es für mich gewesen, wenn ich in diesem Leoparden den Mörder
+unseres getöteten Boys gefällt hätte, doch war es offenbar nicht der
+gefährliche Räuber, der seit langer Zeit die Gegend unsicher gemacht
+und auch in den Dörfern der Umgebung bereits so viele Menschenopfer
+gefordert hatte. An der ganzen Art und Weise, wie der Leopard den
+Überfall bewerkstelligt hatte, konnte man erkennen, daß er sicherlich
+noch ein Neuling in dieser Art Sport war. Durch den Schuß und wohl auch
+durch das Blöken der Ziegen war das Arbeiterdorf alarmiert worden,
+und eine Menge Leute eilte herbei, um ihren gefürchteten Todfeind in
+Augenschein zu nehmen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p>
+
+<p>Woche auf Woche, Monat auf Monat vergingen in rühriger Tätigkeit, die
+in ihren vielen Einzelheiten und in der Fülle der neuen Probleme,
+die sie jeden Tag zu lösen gab, so viel der Abwechslung und des
+Interessanten für mich hatte, daß ich sie eigentlich gar nicht als
+Arbeit empfand. Hatte die bisherige regelmäßige Beschäftigung im
+Bureau vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf meine nach freier
+Tätigkeit lechzende Natur wie Frondienst gelastet, so hatte ich jetzt
+die Freude, die in mir schlummernden Talente sich bis an die Grenzen
+meiner Fähigkeiten entfalten zu sehen. Die Umwelt erhielt ein neues
+Aussehen für mich, seit ich gezwungen war, mich allein mit allen
+Schwierigkeiten der Existenz in primitiven Verhältnissen abzufinden.
+Als ich erst mit der fremden Sprache und der Nutzbarmachung der reichen
+Produkte des Urwaldes, die der Erschließung harren, vertraut geworden
+war, gewährte es mir die größte Befriedigung, Häuser zu bauen, einen
+Gemüsegarten anzulegen, aus welchem wir bereits nach kurzer Zeit dank
+dem fruchtbaren Urwaldboden reiche Früchte ernteten, sowie den Verkehr
+mit dem Inlande und den täglichen Dienst der Faktorei zu organisieren.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="123_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/123_ill.jpg" alt="Beim Hausbau">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span></p>
+
+<p>Nirgends in der Welt werden an die Schaffenskraft und Intelligenz
+des einzelnen solche Anforderungen gestellt wie zwischen völlig
+unzivilisierten Negerstämmen Innerafrikas. Alles, vom einfachsten
+Haushaltungsgerät bis zum vollständigen Wohnhause — Dinge, die in
+Europa einen Stab verschiedener Arbeiter voraussetzen — muß hier vom
+einzelnen durchdacht und vollbracht werden. Bald Baumeister, bald
+Maurer, bald Tischler, bald Schmied, bald Arzt, bald Schiedsrichter,
+muß er die nötige Initiative und den Mut besitzen, an jede Aufgabe
+ohne Zaudern heranzugehen. Ich bin einer der Glücklichen dieser
+Erde, die sich mit jeder Situation abzufinden wissen. Ich hatte
+einen Chef, mit dem ich mich ausgezeichnet vertrug, der mir über
+die Anfangsschwierigkeiten hinweghalf — und den ich gewissermaßen
+ergänzte. Janssen hatte eine Vorliebe für Reisen und das Leben im
+Busch. Er war meistens unterwegs und ließ mich den Bau der Faktorei
+und die schriftlichen Arbeiten besorgen. Wenig der französischen und
+englischen Sprache mächtig, legte er die Vertretung nach außen und
+den Verkehr mit dem Staat fast ausschließlich in meine Hände. So kam
+es, daß ich besonders in der ersten Zeit, bis ich die Suaheli-Sprache
+erlernt hatte, mit Mustapha viel auf der Faktorei verblieb. Später
+unternahm ich dann auch selbständige Reisen ins Innere und fand an der
+damit verbundenen Abwechslung großen Gefallen. Erst viele Jahre später
+lernte ich erkennen, wie gut es mir in Stanleyville ergangen war, denn
+nur wenigen Auserwählten ist das Glück beschieden, Verhältnisse wie die
+geschilderten zu Beginn ihrer kolonialen Laufbahn anzutreffen.</p>
+
+<p>Man machte damals mit jungen Leuten nicht viel Umstände. Nach kurzer,
+vierwöchiger Vorbereitung in der Faktorei, der er zugeteilt war,
+sandte man den Neuling nach irgendeinem verlorenen, oft vier bis
+fünf Tagereisen vom Hauptposten entfernten Negerdorfe inmitten der
+ungeheuren Wildnis und überließ es einfach seiner Initiative, sich dort
+eine menschenwürdige Behausung zu schaffen oder aber in irgendeiner
+Negerhütte zu wohnen. War der Hauptposten mit Geräten aller Art gut
+versehen — ein Fall, der höchst selten zutraf — und hatte der Neuling
+es verstanden, sich das Wohlwollen seines Chefs zu erwerben, so bekam
+er wohl außer einem Feldbett auch Säge, Hammer, Zange, Hacke und ein
+paar Nägel mit auf den Weg, womit er wenigstens seine Kisten und Ballen
+selbst öffnen konnte. Traf dieser äußerst seltene Fall nicht zu, dann<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span>
+mußte er sich eben ohne diese Geräte behelfen. War er so vorsichtig,
+vor seiner Abreise von Europa sich bei der Generaldirektion nach einem
+Zelt, tragbarem Feldbett, Klapptisch und -stuhl — alles Dinge, die auf
+beständigen Reisen wenn nicht unentbehrlich, so doch von großem Nutzen
+sind — zu erkundigen, so gab man ihm mit schmunzelndem Lächeln zur
+Antwort, daß alle diese Dinge drüben auf den Faktoreien in genügender
+Menge vorhanden seien. Dafür händigte man ihm als persönliches Eigentum
+eine Kantine (tragbare Feldküche), enthaltend Kochtopf, Bratpfanne,
+Teller, Besteck, kurzum, das Allernotwendigste zur Herstellung einer
+Speise — sowie einen kleinen tragbaren Arzneikasten ein, der mit
+seinem reichlichen Inhalt an Flaschen, allen möglichen Mixturen und
+Pillen, die er nie vorher im Leben gesehen, das Entzücken jedes
+Neulings bildet. Kaum kann er den Moment erwarten, um den Inhalt an
+sich selbst zu erproben. An die fürchterlichen Krankheiten in den
+Tropen denkt dabei meist keiner. Ich habe öfters Neulinge gesehen, die
+nach der ersten Seekrankheit die Hälfte ihres Arzneikastens zu sich
+genommen hatten, merkwürdigerweise übrigens ohne beträchtlichen Schaden
+zu nehmen.</p>
+
+<p>Während der ersten Nacht, die er auf einer von Rauch und den
+Negerleibern infolge des langen Gebrauches schwarz gewordenen
+Pritsche inmitten einer von Ratten und Mäusen und anderem Ungeziefer
+heimgesuchten Negerhütte zubringen muß, hat der unerfahrene Angestellte
+dann reichlich Zeit, über das Lächeln des Direktors, dessen
+Verschlagenheit er erst jetzt ganz versteht, nachzudenken. Hat er dann,
+von der Sonnenglut und den Strapazen der Reise völlig erschöpft, das
+Ziel seiner Reise erreicht und seine Wut über die leere Kiste, die den
+Stuhl ersetzen muß, und das harte Nachtlager ausgetobt, dann steigt
+er wohl von seiner Höhe herunter und arbeitet, um das Fehlende zu
+ersetzen. Nach kurzer Zeit macht er eine ganz sonderbare Wahrnehmung.
+Etwas ihm bisher völlig Fremdes, ein anderes kraftvolles und mächtiges
+Wesen, der Wille den Kampf mit dem Dasein aufzunehmen, quillt aus
+seinem Innersten hervor und durchbricht kraftvoll alle Schranken, die
+Trägheit und Gewohnheit ihr in den Weg legen. Von diesem Augenblick
+an tritt er in die Reihe jener Pioniere, die im Laufe der Jahre im
+Schweiße ihres Angesichts aus den kahlen Grassteppen und den Urwäldern
+Afrikas blühende Posten — Stätten der Zivilisation — und herrliche
+Plantagen hervorgezaubert haben, während jene, die in<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> dieser schweren
+Schicksalsstunde verzagend den Kopf hängen lassen, körperlich und
+geistig zugrunde gehen. Das Kräftige und Starke im Menschen behält auch
+hier die Oberhand, das Schwache geht unter.</p>
+
+<p>Seit einiger Zeit machte sich ein regelmäßiger Abgang von Hühnern
+fühlbar, dessen Ursache wir uns lange nicht zu erklären vermochten.
+Eines Morgens bemerkte ich endlich den vermeintlichen Hühnerdieb in
+der Gestalt eines Leguans von der Größe eines kleinen Krokodils, der
+auf einem Baumriesen von etwa 40 Meter Höhe neben dem Hühnerhof,
+unmittelbar unter einem Loch saß. Da Janssen sich mein Schrotgewehr
+für die Reise ausgeliehen hatte, holte ich meinen Kugelstutzen und
+verwundete das Tier durch einen wohlgezielten Schuß derart, daß es nur
+mit Mühe zu seinem Unterschlupfloch gelangen konnte. Hier verschwand
+es, und da ich befürchtete, daß das Tier dort verenden könnte, ließ ich
+in einer kleinen tiefer liegenden Öffnung einige Späne anzünden, um
+es durch die Rauchentwicklung herauszutreiben. Keiner von uns ahnte,
+daß das Innere des Stammes wie ein Kamin vollständig hohl war und die
+Krone sich einzig und allein durch eine starke Liane, die sich um den
+Baum in die Höhe schlängelte, erhielt. Ein Knistern und Knattern, wie
+das Abbrennen eines Feuerwerks, eine kräftige Flamme schlug durch
+das Innere des trockenen Stammes empor, und noch ehe wir uns von dem
+ersten Schrecken erholt hatten, brannte der ganze Baum lichterloh.
+Gleichzeitig schossen zwei Tiere in der Größe von Affen wie der Blitz
+aus einem der vielen Löcher heraus, erkletterten das schützende
+Laubdach und flogen von dort zu unserem Erstaunen von Baum zu Baum. Es
+gelang, eines der Tiere zu erlegen, und es stellte sich später heraus,
+daß ich damit einen äußerst seltenen Fang getan hatte. Es war ein
+fliegender Hund, ein Mittelding zwischen einem Affen, einem Nagetier
+und einer großen Fledermaus.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="127_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/127_ill.jpg" alt="Wohnhaus im Urwalde">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Ein Blick auf den brennenden Baumriesen ließ mich erkennen, daß
+Löscharbeit vollständig nutzlos war, und man mußte damit rechnen,
+daß er in kurzer Zeit zusammenbrechen würde. Auf der einen Seite in
+unmittelbarer Nähe lag das vor kurzem vollendete Warenmagazin, auf
+der anderen die Wohnungen der Arbeiter. Ein unglücklicher Zufall, und
+das Magazin mit dem Werte von vielen Tausenden, die Frucht mühseliger
+Arbeit, drohte vernichtet zu werden. Damit — dies fühlte ich ganz
+genau — war auch meine afrikanische Laufbahn besiegelt, da ich nicht
+die Mittel besaß, den Schaden wieder gutzumachen. Bitter mußte ich
+meine jugendliche Unvorsichtigkeit<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span>
+büßen. Wie ein Wahnsinniger lief ich völlig ratlos umher, um an dem
+Überneigen der Baumkrone nach der einen oder der anderen Seite hin die
+vermutliche Fallrichtung festzustellen. Doch das Geäst war ziemlich
+gleichmäßig verteilt, und der Sturz hing daher völlig von irgendeinem
+Zufall ab. Ein Fällen des Baumes von irgendeiner Seite war wegen der
+Glutwelle, die von ihm ausging, ganz ausgeschlossen. Zudem hätte es
+wochenlanger Arbeit bedurft, um das eisenharte Holz an der Basis zu
+durchschlagen. Stunde auf Stunde verging unter Hangen und Bangen; das
+Magazin und die Arbeiterhütten waren vollständig ausgeräumt worden.
+Brennende Äste waren zu wiederholten Malen gestürzt; da plötzlich,
+gegen Sonnenuntergang, drang aus dem Baume ein Ächzen und Stöhnen,
+der Riese bäumte sich in einer letzten Anstrengung gegen die alles
+verheerende Macht des Feuers auf — dann schwebte die ausgebreitete
+Krone in der Luft und fiel in gerader Richtung auf das Magazin zu.
+Schon glaubte ich alles verloren, als die starke Liane, die anscheinend
+nicht durchgebrannt war, die fallende Krone im letzten Augenblick
+etwas zur Seite lenkte, so daß der Koloß hart neben der Faktorei mit
+explosionsartigem, dumpfem Knall, der den<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> Erdboden erschütterte,
+gerade mitten zwischen den Hütten und dem Magazin niederstürzte. Hier
+lag nun der mächtige Stamm in der Kaffeeplantage — eine Zentnerlast
+war mir vom Herzen gefallen.</p>
+
+<p>Mit Ausnahme einer leichten Beschädigung einer Negerhütte, die
+innerhalb einer Woche wiederhergestellt werden konnte, und der
+Zerstörung einiger Kaffeebäume war nichts geschehen. Wie durch ein
+Wunder war ich einer großen Gefahr entgangen, und die Leute meinten,
+daß ein mächtiger »Fetisch« Magazin und ihre Hütten vor sicherer
+Zerstörung bewahrt hätte.</p>
+
+<p>Der Knall und der aufsteigende Rauch beim Fall des Riesen war derartig
+stark, daß Stanleyville — eine Pulverexplosion vermutend — uns
+sofort ein Boot mit <span class="antiqua">Dr.</span> Bellis zur Hilfeleistung über den Strom
+sandte. Von dem Leguan war keine Spur mehr aufzufinden, er war offenbar
+vollständig zu Asche verbrannt worden.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Eine Fahrt zum ersten Stanleyfall. Fieberkrank.</h2>
+</div>
+
+<p>Der Bau der Faktorei hatte bereits große Fortschritte gemacht, die
+Gerüste zweier weiterer Magazine, eins zum Trocknen für Kautschuk und
+eins für Elfenbein und Kautschuk, waren fertiggestellt und harrten
+nur noch der Vollendung des Dachstuhles, damit die Mauern, vor Regen
+geschützt, aufgeführt werden konnten.</p>
+
+<p>Da die Suaheli aus den Dörfern oberhalb der Stanleyfälle, die das
+Bedeckungsmaterial aus Palmblättern anfertigen, in den letzten Wochen
+ausgeblieben waren, beschloß ich, ein großes Boot über den Fall
+hinaufzubringen und von meinen eigenen Arbeitern das Material schneiden
+zu lassen. Dadurch ersparte ich die hohen Anschaffungskosten und wurde
+auch von der Trägheit der Suaheli unabhängig.</p>
+
+<p>Unser letzter Dampfer »Henriette« hatte gegen zwanzig Yambinga-Arbeiter
+aus Upoto-Irengi heraufgebracht, und mit diesen machte ich mich eines
+Nachmittags auf den Weg. An Stromschnellen und Wirbeln vorbei, über
+Hindernisse aller Art ging die an Aufregungen reiche Fahrt. Mit Hilfe
+langer Stangen und Bootshaken halfen wir an besonders reißenden und
+gefährlichen Stellen nach, wo die<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> Ruderer versagten, bis wir nach
+einstündiger, harter Arbeit in die unmittelbare Nähe des Falles, dessen
+Lärm und Getöse bei einbrechender Nacht in Stanleyville jedes andere
+Geräusch übertönt, gelangten.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="129_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/129_ill.jpg" alt="Fischereianlagen im Kongo">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Hatte unser Boot bis dahin brav standgehalten, obwohl es mehrmals von
+der Wucht der Strömung gegen die Felsmassen geschleudert worden war
+und dabei viel Wasser bekommen hatte, so entschloß ich mich jetzt,
+das Vergebliche und Gefahrvolle weiterer Versuche einsehend, hier am
+Fall mit der Mehrzahl meiner Leute zu Lande weiter vorzudringen. Nur
+zwei Mann, einer vorne am Bug und ein zweiter am Hinterteil, beide
+vollständig nackt, verblieben, um das Boot mit Stangen und Bootshaken
+durch die unzähligen Felsblöcke hindurchzusteuern, während der Rest der
+Leute unter meiner Führung, von Fels zu Fels springend, das Kanu an
+einem langen Tau stromaufwärts zogen.</p>
+
+<p>Dicht vor dem Fall, auf der linken Seite des Flusses, liegt eine
+kleine Insel, die die Aussicht versperrt. Hier begann, am Flußufer
+entlang, eine äußerst gefährliche Kletterei, eine halsbrecherische
+Tour<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> über aufeinander getürmte Granitblöcke, die der Strom hier im
+Laufe von Jahrtausenden gleich einer Lawine angeschwemmt hat. Diese
+Granitblöcke haben oftmals einen Durchmesser von fünf bis sechs Meter.
+Sie sind glatt und durch das Wasser abgerundet und bilden große Lücken
+und Spalten, zwischen denen ein kleiner Seitenarm des Stromes in der
+Tiefe durchschießt. Wehe demjenigen, der von der Höhe eines solchen
+Granitblocks beim Klettern abstürzt und in die Lücke gleitet. Von
+den tosenden Wassermassen würde er sofort in die Tiefe gezogen und
+vernichtet werden. Bei Hochwasser ist diese ganze Region in wilder
+Bewegung und bildet ein Chaos von Gischt, Schaum und Wirbeln.</p>
+
+<p>Auf einer Anhöhe liegt das Hauptdorf der Bakenien, Peneka Tango,
+dessen Einwohner fast ausschließlich vom Fischfang leben. Das äußerst
+zahlreiche junge Volk spielte am Wasser und eilte, sowie es unser
+ansichtig wurde, ganz ohne Scheu herbei, ein Zeichen, daß Europäer
+hier beständig durchkommen und die Eingeborenen die ihnen sonst
+eigentümliche Angst vollständig überwunden hatten.</p>
+
+<p>Wir passierten die Stellen, an denen bei Hochwasser gefischt wird,
+und die nun verlassen waren. Zwischen einem Gewirr von kolossalen
+Baumstämmen, die in Löchern zwischen den Granitblöcken geschickt
+versenkt und an der Spitze mit Querbalken versehen sind, auf denen die
+Fischer zu ihren Reusen gelangen, bahnte ich mir einen Weg, wobei zwei
+meiner Leute mir beim Sprung über Wassergerinnsel als Stütze dienten.</p>
+
+<p>Auf den Felsen im Umkreis lagen Fischkörbe und Reusen in den
+verschiedensten Ausmaßen. Die größten hatten an der Mündung zwei bis
+drei Meter im Durchmesser und eine Länge bis zu fünf Meter. Diese
+Reusen sind aus starken Lianen wie Korbwerk geflochten und werden
+von den Balken aus, an denen sie mittels Lianen befestigt sind, in
+den Strudel versenkt. Sind diese Körbe auch nicht so solide wie die
+eisernen Reusen, die bei der Flußfischerei in Europa, z. B. bei
+Lauffenberg am Rhein beim Lachsfang, zur Verwendung gelangen, so
+übertreffen sie diese an Umfang und leisten sicherlich die gleichen
+Dienste, da in ihnen Fische bis zu sechzig Kilogramm Gewicht gefangen
+werden.</p>
+
+<p>Über die ganze Breite des Stromes, die hier gegen 1300 Meter
+betragen dürfte, haben die Bakeniens unmittelbar vor dem Absturz der
+Wassermassen große Balken und Bäume auf fast unerklärliche Weise in
+den Strom versenkt und untereinander durch ein Gerüst<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> von Querbalken
+verbunden. Von weitem gleicht die Anlage einer Palisadenwand. Nun wurde
+mir auch klar, warum in letzter Zeit verschiedene umgeschlagene Kanus
+mit Frauen und Männern an unserer Faktorei vorbeistrichen. Alle paar
+Tage mußte ich durch meine Arbeiter solche Leute auffischen lassen.</p>
+
+<p>Der Strom stürzt hier in seiner ganzen Breite über Felsen hinweg auf
+etwa drei Meter in die Tiefe. Über einzelne tiefere Stellen, an denen
+das Wasser das Bett etwas mehr ausgehöhlt hat, gehen die verwegenen
+Kerle mit ihren Kanus durch den Katarakt: ein unglücklicher Zufall,
+eine ungeschickte Bewegung, und das Kanu zerschellt an den Felsen. Die
+Insassen, zumeist gute Schwimmer, werden von der Strömung fortgerissen;
+keiner ihrer Konkurrenten denkt daran, ihnen nachzueilen.</p>
+
+<p>Bei unserer Ankunft war gerade eine Anzahl Eingeborener damit
+beschäftigt, die Reusen und Körbe im Strudel zu heben. Der Mut und
+die Gewandtheit dieser Leute sind geradezu verblüffend. Wie Affen
+springen und klettern sie an dem infolge des Anpralls der Strömung
+stets schwankenden Gerüst ganz weit in den Strom hinaus, um unmittelbar
+oberhalb der sich überströmenden Wassermassen ihre halsbrecherische
+Arbeit zu versehen. Nach dem, was ich hier gesehen, würde es mich nicht
+wundern, Neger zu sehen, die imstande wären, Affen auf den Bäumen
+nachzueilen und sie zu fangen.</p>
+
+<p>Während ich nun so in Betrachtungen der kochenden, stürzenden
+Wassermassen dasaß, kamen von oberhalb des Falles zwei gut bemannte
+Kanus direkt auf den Fall zugerudert. Ich traute kaum meinen Augen, als
+etwa fünf bis zehn Meter oberhalb des Falles die Hälfte der Mannschaft
+in den Strom sprang und mit Leibeskräften auf die Balken im Falle
+selbst zuschwamm. Die übrige Besatzung hatte mit ein paar Ruderschlägen
+das Boot nun derart gedreht, daß es mit der Breitseite gegen die Balken
+antrieb, wo es, von der inzwischen dort postierten Gruppe, unterstützt
+von den Leuten im Kanu, die sich mit aller Gewalt mit langen Stöcken
+gegen die Felsen anstemmten, in Empfang genommen wurde. Die Wucht des
+Anpralls wurde durch die vereinten Kräfte vollständig gebrochen. Hier
+lag nun das Boot infolge der starken Strömung wie festgenagelt an den
+Balken, während die Insassen an den Bäumen emporkletterten und auf
+diesem halsbrecherischen Gerüst herumsprangen und -kletterten, als ob
+sie auf allen Vieren geboren wären. Um die in die Tiefe stürzenden
+Wassermassen, die jeden Herabfallenden<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> zermalmen und zerschmettern
+würden, kümmerten sie sich nur soweit, als es ihre Fischapparate
+anging. Ebenso wie sie gekommen, gelang es beiden Kanus auch wieder,
+mit Hilfe der langen Stangen aus dem Bereich des Falles stromaufwärts
+zu entkommen.</p>
+
+<p>Nach den Quantitäten an Fischen zu urteilen, die das Dorf
+allwöchentlich an die Station Stanleyville für die Tafel der
+Staatsangestellten und zur Ernährung der schwarzen Arbeiter abzuliefern
+hatte, mußte die Ausbeute eine ganz gewaltige sein. Es kommen
+verschiedene große Arten von Wels vor, die oft ein Gewicht von 60 und
+80 Kilogramm erreichen und auch Leichen anfressen sollen. Außer diesen
+finden sich unzählige Arten, vom Catfisch angefangen, bis zum Kongosalm
+— Rüsselfische, Hundefische (nach ihrem scharfen Gebiß so benannt),
+Fische in der Art unserer Barben, Karpfen, Schleie, Barsche usw.</p>
+
+<p>Unser eigenes Kanu hatten wir inzwischen, es immer dicht am Ufer
+entlang ziehend, mit Hilfe von ein paar Bakeniens, die für Geld
+und gute Worte herbeigeeilt waren, über die Felsen emporgezogen
+und oberhalb des Falls verankert. Nachdem ich mich bis gegen
+Sonnenuntergang an dem gewaltigen Naturschauspiel, das der Fall uns
+bot, geweidet hatte, sandte ich das schwarze Personal zu Fuß nach der
+Faktorei zurück, während ich mich mit Mustapha oberhalb des Falles auf
+das rechte Ufer übersetzen ließ, von wo aus ein bequemer Promenadenweg
+durch die Araberniederlassungen nach Stanleyville führt. Auf unserem
+Weg wurden wir wiederholt von Händlern angehalten, die uns Sklaven und
+Sklavinnen zum Kaufe oder besser gesagt zum Freikaufe — wie der Staat
+dies diplomatisch ausdrückt — anboten.</p>
+
+<p>Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch machte ich mich, von zwölf
+Arbeitern begleitet, auf den Weg nach Peneka Tango und schiffte mich
+auf unserem Kanu ein. Wir fuhren eine kleine Strecke stromaufwärts,
+um bei Überquerung des Flusses nicht in die Fälle hineingetrieben zu
+werden und gingen dann auf die andere Seite über, wo wir in einen
+Seitenarm des Kongos einbogen. Zur Rechten dichtbelaubte Inseln,
+zur Linken das nach der Tiefe zu sich abstufende Laub des Urwaldes,
+über uns die Sonne eines herrlichen Frühlingsmorgens, auf Blättern
+und Blüten gleich Myriaden Diamanten große, in den Sonnenstrahlen
+funkelnde Tautropfen: wie in einem Märchenlande glitt unser Boot über
+die spiegelglatte Wasserfläche dahin. Tiefer, weihevoller Frieden lag
+auf der Wasserfläche.<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> Das Leben und Treiben von Stanleyville drang
+nicht bis hierher, selbst das dumpfe Brausen des unweit hinter Inseln
+und Bäumen befindlichen Falles ertönte wie aus weiter Ferne. Nur das
+Trillern, Gezwitscher und Lockrufen der Vögel, die den herrlichen
+Morgen mit ihrem Jubellied feierten, war hörbar und stimmte das Herz
+unsagbar glücklich.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="133_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/133_ill.jpg" alt="Häuptling mit Gefolge">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Nach dreistündiger, genußreicher Wasserfahrt gelangten wir an
+unser Reiseziel. Ich ging mit den Leuten durch den Urwald bis an
+Sumpfniederungen, wo Riesenpalmblätter und Bambus in Unmengen
+wucherten. Das Terrain war zum Teil stark versumpft, und meine Leute
+arbeiteten bis zu den Knien im Morast, um das zum Dachdecken nötige
+Material zu gewinnen. Während dieser Zeit machte ich einen kleinen
+Streifzug in die nächste Umgebung und hatte Gelegenheit, einen
+»<span class="antiqua">Bulikoko</span>« (blauer Fasan) und zwei Affen zur Strecke zu bringen.</p>
+
+<p>Dieser Ausflug in das Morastgebiet sollte mir teuer zu stehen kommen
+und hatte für mich böse Folgen. Als ich am folgenden Morgen erwachte,
+fühlte ich eine unbegreifliche Schwäche in mir. Abgespannt und müde
+erhob ich mich vom Lager, entschlossen, dem<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> unsichtbaren Feind,
+dem Fieber, welches mich unvermutet in der Nacht überfallen hatte,
+zu trotzen und es durch Arbeit niederzukämpfen. Da Janssen verreist
+war, hatte ich alle Hände voll zu tun und ging wie gewöhnlich meiner
+Beschäftigung nach. Gegen 9 Uhr wurde ich plötzlich von heftigem
+Schüttelfrost befallen. Ich ließ mir eine Tasse heißen Tee machen und
+nahm gleichzeitig ein halbes Gramm Antipyrin. Auch jetzt noch war ich
+fest entschlossen, der wachsenden Schwäche und inneren Erregung zu
+widerstehen. Ich hatte jedoch kaum die ersten paar Schlucke heißen Tees
+im Magen, als sich die Reaktion mit elementarer Gewalt einstellte.
+Unter Erbrechen von großen Brocken Galle brach ich zusammen. Ein
+Schüttelfrost überfiel mich mit solcher Heftigkeit, daß ich vor dem
+Klappern der Zähne kaum imstande war, mich mit meinem Boy und dem
+schnell herbeigeeilten Mustapha verständlich zu machen. Sie brachten
+mich zu Bett, und als alle im Hause verfügbaren Decken nicht genügten,
+bei mir ein Wärmegefühl aufkommen zu lassen, eilte Mustapha ins Magazin
+und ließ auch von unserem dortigen Vorrat noch weitere dazu holen.
+Immer und immer wieder versuchte ich, heißen Tee, als einziges und
+bestes Mittel, den kalten Todesschauer loszuwerden, zu mir zu nehmen,
+doch jeder Versuch verursachte erneutes Erbrechen von Galle. Es ist
+geradezu ungeheuerlich, welche Quantitäten davon der menschliche Körper
+bei Gallfieber von sich gibt.</p>
+
+<p>Hatte ich bisher tapfer standgehalten, so brach ich nun völlig nieder,
+jede Energie und Widerstandskraft war dahin. Eine dumpfe Resignation
+bemächtigte sich meiner. Nach dem Schüttelfrost kam plötzlich ein
+heißer Schauer über mich. Ich hatte das Gefühl, als ob eine Blutwelle
+durch den ganzen Körper dem Kopfe zujagte und auf ihrem Weg dahin
+alle Adern zum Bersten bringen müßte. Kopf und Stirne waren glühend
+heiß; das Thermometer stieg von 38,7 auf 39,5, 40,2, um schließlich
+bei 41 Grad haltzumachen. Das Hirn arbeitete ruhelos, die Pulse flogen
+und trommelten im Schnelltempo. Ich fühlte, wie mir das Bewußtsein
+entschwand, und hatte das Empfinden, als ob ich durch das Bett immer
+tiefer und tiefer in die Erde, in mein Grab sänke. Das Bett und meine
+Umgebung wankte und schaukelte wie auf hoher See. Gleichzeitig fühlte
+ich im Kopfe ein Sausen und Brausen wie die Brandung des Meeres. Das
+Chinin tat offenbar bereits seine Wirkung.</p>
+
+<p>Das Nächste, woran ich mich zurückerinnern kann, war, daß mich
+plötzlich ein wohliges, warmes Gefühl überkam. Irgend etwas in<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> meinem
+Hirn schien gerissen zu sein. Ich hatte keinen eigenen Willen mehr,
+sondern befand mich in einer Art hochgradigen Fiebertraumes, der
+fremdartige Phantasiegebilde, in denen ich den Mittelpunkt bildete,
+gleich den Bildern eines Kaleidoskops in wilder Jagd an meinem
+geistigen Auge vorüberziehen ließ. Von unsichtbarer Gewalt getrieben,
+eilte ich in wilder Hast über seltsame Landschaften mit Palmenhainen
+und mit Blumen übersäten Wiesen, die von der aufgehenden Sonne
+hell beleuchtet waren, meiner entflohenen Seele nach, die wie ein
+Schatten vor mir herschwebte und die ich unter Aufbietung aller Kräfte
+wiederzuerlangen suchte.</p>
+
+<p>Unterwegs begegneten mir eine Menge bekannter Gestalten, die ich im
+Leben niemals gesehen, die mir jedoch im Verlaufe der Jahre wiederholt
+im Traum erschienen waren und die mich jetzt verwundert und entsetzt
+betrachteten, um gleich darauf wieder wesenlos zu verschwinden.
+Plötzlich kam ich an ein hohes Felsengebirge, das ich im rasenden
+Laufe erkletterte. Ein dunkler Abgrund — unermeßlich tief —, aus
+welchem gleich Nebelschwaden Rauch aufstieg, lag zu meinen Füßen. Vor
+mir tat sich die Hölle auf, und in sie hinein entschwand meine Seele.
+Von Grauen gepackt, wollte ich einhalten im rasenden Lauf. Unmöglich
+— ein unsichtbares Etwas trieb mich unaufhaltsam dem Abgrunde zu. Ich
+fühlte, wie ich durch die Luft schwebte und in die Tiefe sauste. Immer
+tiefer durch Feuerwolken und giftige Gase, in ein Flammenmeer, das mir
+den Atem raubte und mir die Sinne nahm. Dann wieder stand ich inmitten
+hellen Sonnenscheins, von allen Seiten eingeschlossen, in einer
+Bodensenkung. Oben auf einer Anhöhe standen meine Eltern und winkten
+mir, heraufzukommen. Ich hatte sie viele Jahre nicht gesehen und als
+tot beweint, und mein Herz sehnte sich danach, sie in die Arme zu
+schließen. Im Begriffe, zu ihnen zu eilen, bemerkte ich mit Entsetzen,
+daß ich inmitten tausender Schlangen stand, die von allen Seiten aus
+Erdlöchern herausschlüpften, um sich zu sonnen. Zu Ringen und Klumpen
+geballt, lag das giftige Gewürm über- und aufeinander. Die einen fraßen
+die anderen auf. Ich hatte ein Schwert in der Hand und versuchte, von
+Grauen gepackt, mich der Schlangen zu erwehren. Ich zerspaltete und
+durchschnitt die ekelhafte Brut. Doch es wuchsen den einzelnen Teilen
+neue Köpfe, die sich nun mit ihren giftigen Fängen an meinem ganzen
+Körper festbissen. Ganz genau empfand ich, wie die Nattern sich trotz
+meiner verzweifelten Gegenwehr um Füße, Arme und Beine hinaufringelten<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span>
+und mir schließlich die Kehle durchbissen. In wahnsinniger Angst eilte
+ich mit geflügelten Schritten weiter — meine Eltern waren meinen
+Blicken entschwunden.</p>
+
+<p>Dann wieder sah ich mich inmitten von Totenschädeln als Leiche
+aufgebahrt. Ein Kreis der nächsten Verwandten saß fröhlich plaudernd
+neben dem Totenlager, während sich meine Mutter, ihr Herz vom wilden
+Schmerze zerrissen, über den Toten warf. Ich aber stand daneben, und
+das Weinen und Wehklagen der Mutter, die mich, ihren totgeglaubten
+Sohn, betrauerte, schnitt mir tief ins Herz hinein. Ich wollte mich
+ihr zu Füßen stürzen, ihr zurufen, doch die Glieder und die Stimme
+versagten ihren Dienst, und jetzt wurde ich plötzlich mit Erstaunen
+gewahr, daß kein Ton, kein Laut eines lebenden Wesens meinem Ohr
+vernehmbar war. Grabesstille herrschte in diesem Weltall der Toten, das
+doch wieder voll Leben war. Ganz deutlich sah ich mit den Augen die
+geschilderten Vorgänge — das Ohr jedoch vernahm nichts davon.</p>
+
+<p>Dann wieder eilte ich an der Spitze einer Karawane durch dichten Urwald
+und weite Grassteppen mit Palmenhainen, aus deren Wedeln große Affen
+mit Menschenfratzen höhnisch auf uns herabblickten. Meine Karawane war
+kunterbunt aus Negern von der Küste und Traumgestalten von Leuten,
+denen ich im Leben einmal begegnet sein mochte, zusammengestellt.
+Stunden über Stunden waren wir unter sengender Sonnenhitze über
+Steppen und Wiesen dahingeeilt, ohne einen Tropfen Wasser oder etwas
+Nahrung zu uns genommen zu haben. Die Zunge klebte am Gaumen, die Füße
+versagten ihren Dienst. Da sahen wir plötzlich aus einem Bananenwald
+liebliche Hütten auftauchen und einladend winken. Und von allen Hütten
+näherten sich uns Negerfrauen und -mädchen, die uns in scheuer Furcht
+betrachteten und wieder verschwanden. Wohl fiel mir auf, daß wir nur
+weibliche Personen zu Gesicht bekamen, doch der Gedanke, ins Reich der
+Amazonen zu kommen, hatte nichts Schreckliches an sich.</p>
+
+<p>Im Dorfe um uns schien sich etwas Geheimnisvolles vorzubereiten. Seit
+Menschengedenken war in diese Gegend kein männliches Wesen gekommen,
+und uns drohte ein fürchterliches Unheil. Mein Blick, der durch
+die Wände der Hütte ins Innere hineinzudringen vermochte, sah alte
+Weiber mit zornverzerrten Mienen um die Feuer hocken. Ich sah, wie
+sie untereinander tuschelten, die Köpfe zusammensteckten und in den
+Mondschein hinausstarrten,<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> als erwarteten sie etwas Furchtbares zu
+hören. Ein Orakel hatte den Weibern den Untergang des Dorfes verkündet,
+sobald der Fuß eines Mannes das Gebiet betreten würde.</p>
+
+<p>Die Sitte wollte es, daß, sobald eines der jungen Mädchen das
+heiratsfähige Alter erreicht hatte, es mit großem Pomp dem Bräutigam,
+der Sonne, zugeführt wurde. Die Glut der heißen Strahlen mit der ihnen
+innewohnenden Kraft, die stets neues Leben erweckt, befruchtete den
+jugendlichen, jungfräulichen Körper, der bis zur Geburt des Kindes
+alltäglich ein Gegenstand sorgfältigen Sonnenkultus bildete. Gebar
+die junge Frau ein Mädchen, dann wurde dieses Mädchen mit Prunk und
+Festlichkeit in die Gemeinde aufgenommen — kam ein Junge zur Welt, so
+wurde er der Sonne geopfert.</p>
+
+<p>Die finstere Nacht nahte heran. In schlauer Zärtlichkeit führten die
+schönen, bronzenen jungen Mädchen des Dorfes Freudentänze vor unseren
+Augen auf. Sie schmiegten sich völlig unbekleidet an uns und umfingen
+uns mit den Armen. In höchstem Wonnegefühl ließ ein dunkles Ahnen mein
+Blut in den Adern erstarren, ganz deutlich erkannte ich plötzlich
+in den liebevollen Augen meiner Gefährtinnen den giftigen Blick der
+Schlangen, die ihr Opfer suchten.</p>
+
+<p>Ich wollte meine Leute warnen, wollte rufen, vermochte aber keinen
+Laut hervorzubringen. Ich wollte mich der fürchterlichen Umarmung
+erwehren, doch wie eiserne Ketten umschlossen die bloßen Arme und Füße
+meinen Körper. Mit Grauen bemerkte ich, wie die Frauen mit wollüstiger
+Grausamkeit einem Gefährten nach dem anderen die Kehle durchschnitten
+— das entströmende Blut versetzte sie in einen Freudentaumel. Um mich
+her, toll vom Blutrausch, in den Händen die blutigen Messer und Fackeln
+schwingend, tanzte im Reigen eine Legion der wilden Amazonen.</p>
+
+<p>Vergeblich versuchte ich, mich der von allen Seiten auf mich
+einstürmenden Frauenkörper, ihrem sinnlichen Begehren und der
+Glutwelle, die von ihren Leibern ausging, zu erwehren. Von ihnen in die
+Mitte des Dorfes vor ihren Götzen geschleppt, wurde ich an Händen und
+Füßen gefesselt. Ich hatte das Vorgefühl eines schauerlichen Todes, dem
+qualvolle Martern vorhergehen sollten. Eine Horde besessener Teufel mit
+herrlichen Frauenleibern umtanzte mich im tollen Bacchanal und weidete
+sich an dem Grauen, das sie mir mit ihrer Wollust einflößten. Mit
+scharfen Messern bezeichnete eine nach der anderen in blutigen Ringen
+auf meiner weißen Haut das<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> Stück, das ihr nach meinem Tode angehören
+sollte. Die Vorkehrungen zum Opfer waren beendet. Ich sollte am Spieße
+gebraten werden. Ganz deutlich fühlte ich das kalte Eisen, das mich von
+unten nach oben durchbohrte, und die ungeheure Hitze der Flammen.</p>
+
+<p>Ein Schmerz durchzuckte meinen Körper. Ich öffnete die Augen und
+erkannte in tiefer Erregung den über mich gebeugten Dr. Bellis, mit
+der Pravazschen Spritze in der Hand, mittels der er gerade noch
+rechtzeitig durch Chinin und Koffein-Einspritzungen unter die Haut die
+entfliehenden Lebensgeister gebannt hatte. Dank seiner Hilfe war ich
+für diesmal gerettet.</p>
+
+<p>Janssen, durch Eilboten vom Arzt aus Romée zurückberufen, kehrte nach
+vier Tagen heim. Acht qualvolle Tage und Nächte fesselte mich der
+beständige Kampf mit dem Fieber und der sich immer wieder von neuem
+ansammelnden Galle ans Krankenbett. Als einzige Nahrung während der
+ganzen Zeit erhielt ich etwas mit Wasser zu gleichen Teilen flüssig
+gemachte kondensierte Milch. Kein Wunder, daß ich mich nach neun Tagen
+völlig entkräftet, ein schwankendes Rohr, von meinem Lager erhob. Von
+Mustapha und meinem Boy unterstützt, ließ ich mich für einige Stunden
+im Lehnstuhl hinaus ins Freie tragen, von wo auch ich einen freien
+Überblick über den Strom und das Leben um mich genießen konnte. Die
+muntere Arbeit und das frohe Leben und Treiben um mich her erweckten
+in mir bald die schlummernden Lebenskräfte, und in zwei weiteren Tagen
+war ich bereits so weit hergestellt, um die Arbeit wieder aufnehmen zu
+können.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Faktoreichef. Reisen ins Innere des Landes.</h2>
+</div>
+
+<p>Eines Tages kam Janongo, der Häuptling eines Dorfes, das bisher die
+Hälfte unserer monatlichen Kautschukproduktion lieferte, mit unserem
+im Dorfe installierten Capita zurück. Gewöhnlich nehmen Dörfer
+die Namen von Häuptlingen an, die sich durch persönlichen Mut und
+Unerschrockenheit besonders hervorgetan haben. Der Häuptling war übel
+zugerichtet. Das rechte Auge und die Nase waren unförmig angeschwollen
+und der übrige Teil des Gesichtes und die Brust mit gestocktem
+Blute bis zur Unkenntlichkeit besudelt. Vom Rücken und den Lenden
+abwärts zeigte die Haut<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> blutige Striemen und entsetzliche Wunden und
+Geschwüre. Der Mann war offenbar mißhandelt worden und hatte dabei
+reichlich Blut verloren. Was hatte sich zugetragen?</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="139_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/139_ill.jpg" alt="Ankauf von Kautschuk">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Die Dörfer Janongos, zum Rayon der Stanleyfälle gehörend, liegen
+in unmittelbarer Nähe der Grenze, welche den anschließenden
+Aruwimi-Distrikt von der »<span class="antiqua">Province Orientale</span>« scheidet.</p>
+
+<p>Zwischen dem ehemaligen Staatsangestellten, der den einige Stunden
+stromabwärts gelegenen Staatsposten kommandierte, und unserer Faktorei
+bestanden bisher freundschaftlich nachbarliche Beziehungen. Seit
+kurzem war der Beamte auf Urlaub nach Europa zurückgekehrt, und sein
+Nachfolger P..... hatte Janssen bei seiner letzten Reise ziemlich kühl
+aufgenommen, so daß dieser, ganz gegen seine bisherige Gewohnheit,
+gar nicht dort übernachtet hatte, sondern nach kurzem Aufenthalt
+weitergereist war. P....., von den Eingeborenen »<span class="antiqua">Malu Malu</span>«
+(»Schnell schnell«) genannt, war nun vor einigen Tagen mit fünfzig
+Soldaten im Dorfe erschienen und hatte von Janongo eine monatliche
+Steuer von hundert Säcken Kautschuk<span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span> verlangt. Aus die Erklärung
+Janongos, daß sein Dorf seit Jahren Kautschuk an die Stanleyfälle
+liefere, und seine Weigerung, dem Befehl nachzukommen, ließ P.....
+ihn in Ketten legen und befahl seinen Soldaten, in den Hütten der
+Eingeborenen nach Kautschuk zu suchen. Einer der Soldaten schnüffelte
+im Hause unseres Capitas den bereits fertiggestellten Kautschuk auf.
+Unser Capita, nichts Gutes ahnend, hatte wahrscheinlich Reißaus
+genommen, obgleich er natürlich steif und fest behauptete, zur
+Zeit nicht im Dorfe gewesen zu sein. P..... ließ nun den gesamten
+Kautschukvorrat mit Beschlag belegen und dem Häuptling Janongo, weil
+dieser ihn belogen hatte, fünfzig Hiebe mit der Nilpferdpeitsche
+geben. Überdies traktierte er den am Boden Liegenden in schamlosester
+Weise mit seinen Stiefelabsätzen. Noch in der gleichen Nacht hatten
+Janongo und der inzwischen zurückgekehrte Capita das Dorf verlassen, um
+Klage bei uns zu führen. Janssen war durch die geschilderten Vorgänge
+in eine nicht wiederzugebende Aufregung und Wut versetzt worden.
+Abgesehen davon, daß Janongo stets einer der verläßlichsten Häuptlinge
+gewesen war und wir durch die Beschlagnahme des bereits bezahlten
+Kautschuks einen enormen finanziellen Schaden erlitten hatten,
+erregte es ihn besonders, daß unser Prestige bei den Eingeborenen
+infolge der Mißhandlungen des Häuptlings durch einen Staatsbeamten
+stark erschüttert worden war. Er betraute mich mit der Klage beim
+Distrikts-Kommissar, da er fürchtete, nicht Herr seiner Erregung
+bleiben zu können. Ich begab mich sofort mit den beiden Zeugen auf
+das Kommissariat und ließ den ganzen Sachverhalt zu Protokoll nehmen,
+worauf der Distrikts-Kommissar uns volle Entschädigung und Bestrafung
+des Schuldigen in Aussicht stellte und sofort einen der hiesigen
+Offiziere mit der Untersuchung an Ort und Stelle betraute.</p>
+
+<p>Bei meiner Rückkehr fand ich Janssen mit hochgradigem Fieber infolge
+der Aufregung im Bette vor. Gegen Mitternacht ließ er mich zu sich
+rufen. Sein Zustand hatte sich bedeutend verschlimmert, es erwies
+sich, daß er an Schwarzwasserfieber erkrankt war. Ich gab ihm sofort
+heißen Tee und eine reichliche Dosis Antipyrin. Der Harn, welcher
+vorher schwarzrot war, bekam daraufhin wieder seine natürliche Farbe.
+Da das Fieber während der Nacht absolut nicht weichen wollte, ließ
+ich am folgenden Morgen <span class="antiqua">Dr.</span> Bellis von der Station kommen.
+Merkwürdigerweise ließ das Fieber plötzlich ganz nach, so daß der Arzt
+nun nicht recht wußte, was er von der Veränderung<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> halten sollte.
+Vorsichtigerweise verordnete er Janssen ein Purgativ, völlige Ruhe und
+Diät. Gegen 11 Uhr früh fühlte Janssen sich wieder vollständig wohl und
+erhob sich trotz aller Abmahnungen. Die Geschichte mit Janongo wollte
+ihm nicht aus dem Kopf.</p>
+
+<p>Meine Abreise in Begleitung des befreundeten Offiziers mit einer
+Eskorte von zehn Soldaten war für den nächsten Morgen in Aussicht
+genommen, und Janssen gab mir eine Menge Ratschläge, wie ich mich bei
+der Sache zu verhalten habe.</p>
+
+<p>Gegen Abend begann das Fieber von neuem, um Mitternacht traten wieder
+die einwandfreien Zeichen von Schwarzwasserfieber auf. Ernstlich
+beunruhigt, ließ ich diesmal trotz der späten Stunde <span class="antiqua">Dr.</span> Bellis
+rufen. Dieser kam gegen 1 Uhr und bestätigte unsere Vermutung. Er
+ließ sofort einen Einlauf von zwei Liter Seifenwasser machen, gab dem
+Patienten ein Gramm Chinin und viel heißen Tee und meinte, daß die
+Krankheit bis spätestens am nächsten Tage behoben wäre. Unter diesen
+Umständen wollte ich meine Reise nach Janongo unbedingt um einige Tage
+verschieben, um Janssen zu pflegen. Doch diesem ging die Angelegenheit
+fortwährend derart im Kopfe herum, daß <span class="antiqua">Dr.</span> Bellis, um ihn
+nicht unnötig noch mehr aufzuregen, mich bat, wegzufahren. Janssens
+Abschiedsworte waren: »Tu dein möglichstes, um die Sache glücklich zu
+Ende zu führen, dann werde ich sicherlich vor Freude genesen.« Dies
+waren die letzten Worte, die er an mich richtete. Das Schicksal hatte
+gewollt, daß wir uns nie wiedersähen. Der Tod hatte während meiner
+kurzen Abwesenheit Einkehr in unserer kleinen Faktorei gehalten und ein
+junges Menschenopfer gefordert.</p>
+
+<p>Auf meiner Reise nach Janongo ließ ich unser Kanu vorsichtshalber noch
+in der Mission St. Gabriel anlaufen und Pater Willibrord, der Janssen
+persönlich sehr zugetan war, bitten, ihn während meiner Abwesenheit zu
+pflegen.</p>
+
+<p>Während der nächsten Tage besuchte ich mit meinem Begleiter die
+Dörfer von Janongo und stellte an Ort und Stelle an der Hand von
+Zeugenaussagen der Eingeborenen den Tatbestand fest. Meine Capitas
+waren auf die Nachricht unserer Ankunft hin wieder zur Stelle. Der
+schuldtragende Beamte wurde einige Zeit danach vom Distrikts-Kommissar
+abberufen und anderswohin versetzt — der leidtragende Häuptling
+Janongo hingegen für die erlittene Unbill von mir reichlich mit
+Geschenken bedacht.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span></p>
+
+<p>Vier Tage später kehrte ich gegen 10 Uhr nachts ahnungslos von meiner
+Reise zurück. Wir waren im Begriffe, die Mission St. Gabriel zu
+passieren, als unser Boot von dorther angerufen wurde. Durch den Gesang
+der Ruderer war die Annäherung unseres Bootes schon bemerkt worden.
+Beim Überqueren des Flußufers erkannte ich mehrere vom Fackelschein
+beleuchtete Männer, darunter den Leiter der Mission Pater Vitus und
+<span class="antiqua">Dr.</span> Bellis, die am Anlegeplatz standen.</p>
+
+<p>»<span class="antiqua">Vous avez reçu la nouvelle?</span>« war die erste Frage. Ich ganz
+erstaunt: »<span class="antiqua">Mais quelle nouvelle, mon reverend Père?</span>«</p>
+
+<p>Ich ließ anhalten und erfuhr nun vom Pater Gabriel, daß mein Chef
+Janssen am Morgen gestorben und nachmittags in der Mission begraben
+worden war.</p>
+
+<p>Der Schlag traf mich gänzlich unerwartet. Nach den letzten Äußerungen
+von <span class="antiqua">Dr.</span> Bellis hatte ich an die Krankheit gar nicht mehr
+gedacht, sondern geglaubt, daß Janssens gesunde, kräftige Konstitution
+diese zweite Attacke ebenso leicht überwinden würde wie die erste.
+Den ganzen Nachmittag hatte ich im Hochgefühl einer für uns äußerst
+günstigen Abwicklung geschwelgt und mich auf den Moment gefreut, wo
+ich Janssen die erfreuliche Nachricht überbringen würde und nun ...
+Ein Bote war mir am frühen Morgen nachgesandt worden, der mich aber
+verfehlt haben mußte. Infolge meiner Abwesenheit waren an sämtliche
+Magazine und Gebäude vom Gerichtsschreiber Siegel angelegt worden. Ein
+Justizoffizier und Pater Willibrord waren auf der Faktorei verblieben.
+Tief niedergeschlagen traf ich gegen Mitternacht in Stanleyville an,
+wo mich de Koning, der vom Distrikts-Kommissar mit der Überwachung der
+Faktorei beauftragt war, empfing.</p>
+
+<p>Am folgenden Morgen wurden die Siegel gelöst, und ich machte mich an
+die äußerst langwierige Arbeit, ein vollständiges Inventar von dem
+gegenwärtigen Stand der Faktorei und allen Janssen gehörenden Effekten
+aufzustellen. Mein langersehnter Wunsch, Faktoreichef zu werden, war
+erfüllt, allerdings auf eine Art, die mir jede Freude daran benahm. Ich
+hatte Janssen eigentlich nie als meinen Chef, sondern vielmehr stets
+als guten Kameraden betrachtet, und seine Stütze ging mir in der ersten
+Zeit sehr ab.</p>
+
+<p>Die unmittelbare Folge dieses Todesfalles war, daß die Konkurrenz, die
+mit wachsendem Mißmut das Anschwellen unserer Kautschukproduktion in
+den letzten Monaten — eine Folge der fortwährenden<span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span> Bemühungen und
+Reisen von Janssen ins Innere des Landes — beobachtet hatte, sich
+sofort ans Werk machte, um die Dörfer, die bisher Kautschuk für uns
+anfertigten, uns abspenstig zu machen und zu sich hinüberzuholen.
+Laut übereinstimmenden Berichten glaubwürdiger Vertrauensmänner
+ergab sich, daß die Chefs der »SAB« und der »Belgika« überall in den
+Dörfern die Todesnachricht verbreiteten und unsere Capitas auffordern
+ließen, in ihre Dienste überzutreten. Hier galt es rasch handeln,
+wollte ich diese Absicht vereiteln und nicht die Früchte monatelanger
+Organisationsarbeit verlieren.</p>
+
+<p>Zwei Tage und Nächte arbeitete ich am Inventar und den schriftlichen
+Berichten an die Direktion in Brazzaville, die ich gleichzeitig auch um
+einen neuen Beamten ersuchte. Am dritten Tag übergab ich die Station
+meinem schwarzen Schreiber und brach mit 40 Mann, 20 Gewehren und
+einer reichlichen Auswahl an Waren und Geschenken aller Art, die für
+die Häuptlinge bestimmt waren, in zwei Kanus auf, um sämtliche Dörfer,
+die bisher Kautschuk für uns geliefert hatten, zu besuchen und zur
+Weiterarbeit anzufeuern. Gleichzeitig wollte ich noch versuchen, einige
+weitere Dörfer zur Kautschukproduktion heranzuziehen.</p>
+
+<p>Trotz wenig günstiger Witterung fuhren wir gegen 9 Uhr früh ab. Meine
+Leute, froh, die eintönige Faktoreiarbeit für wenigstens eine Woche
+zu verlassen, stimmten jubelnd ein melodisches Ruderlied in ihrer
+Yambingasprache an, und von kräftigen Ruderschlägen getrieben, schoß
+das Boot wie ein Pfeil mit der Strömung dahin. Gegen Mittag begann es
+zu regnen. Mein Kanu besaß ein kleines Dach, gerade groß genug, um mich
+und meine Effekten zu decken, während die Waren in dem zweiten Kanu
+dem Regen preisgegeben waren. Einer meiner Leute entdeckte auf der
+Fahrt ein Fischerkanu, das mit Schilfdächern beladen war. Ich forderte
+die Fischer auf, mir zwei davon zu verkaufen. In unbegreiflicher
+Verstocktheit wollten die Leute von ihrem Vorrat nichts abgeben, so
+daß ich gezwungen war, das Gewünschte einfach »requirieren« zu lassen,
+worauf die Leute dann gerne die Bezahlung annahmen. Da der Regen an
+Heftigkeit zunahm, beschloß ich, über Mittag in der Mission St. Gabriel
+zu bleiben.</p>
+
+<p>Nirgends in der Welt herrscht größere Gastfreundschaft als in den
+spärlich besiedelten Teilen Zentralafrikas, wo der Gast zu jeder
+Tageszeit willkommen ist. Ist er doch gewöhnlich Träger interessanter<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span>
+Neuigkeiten aus der Außenwelt, von der man vollständig abgeschlossen
+ist, und bringt ein neues Element der Fröhlichkeit und des belebenden
+Gedankenaustausches mit sich. In vielen Stationen würde es dem Europäer
+geradezu verübelt werden, wollte er auf der Durchreise sich nicht
+aufhalten.</p>
+
+<p>Gegen Nachmittag ließ der Regen nach, und ich fuhr weiter stromabwärts
+nach dem Dorfe Kilomani. Hier war Janssen eine Woche vor seinem Ableben
+von den Eingeborenen mit Speeren und Pfeilen empfangen worden. Ein
+Korporal mit zehn Soldaten hatte nachts Streit mit den Eingeborenen
+angefangen, und im Verlaufe desselben waren mehrere Leute verwundet
+worden. Seither fürchteten sie eine Strafexpedition und flohen, sobald
+sie eines Europäers ansichtig wurden. Auch mir erging es nicht besser.
+Das ganze Dorf war bei Ankunft meiner bewaffneten Macht auf einen
+hochtönenden, trillernden Schrei hin verschwunden. Ringsum war keine
+Menschenseele zu erblicken. Vor den Hütten brodelten in Töpfen über dem
+Feuer alle möglichen Nahrungsmittel, und ich hatte Mühe, meine Leute
+vom Plündern abzuhalten. Zwischen den Hütten krähte ein naseweiser
+Hahn, eine Henne lief gackernd mit den Jungen davon, um sich vor der
+Gefahr in Sicherheit zu bringen.</p>
+
+<p>Eine unheimliche Stille lastete bei unserer Ankunft über dem
+verlassenen Dorf, in den niedrigen Plantagen und dem undurchdringlichen
+Blätterdach des Urwaldes. Wir hatten das Gefühl, daß jeder Baum und
+jeder Strauch einen unsichtbaren Feind verbarg und daß hunderte
+Augenpaare jede unserer Bewegungen scharf beobachtete, um im geeigneten
+Moment auf ein gegebenes Zeichen uns mit einem Hagel von Pfeilen und
+Speeren zu überschütten. Es ist für den Neuling ein ganz eigenartiges
+Gefühl, so inmitten eines verlassenen afrikanischen Dorfes, das
+allenthalben deutliche Spuren der anwesenden Einwohnerschaft zeigt, zu
+stehen und dabei im unklaren zu sein, ob nicht in der nächsten Minute
+ein gefiederter Schaft mit fünf Zentimeter langer Eisenspitze einem
+durch die Rippen fährt.</p>
+
+<p>Am Hauptplatz, vor der Hütte des Häuptlings machten wir halt.
+Gewöhnlich unterscheidet sich diese von den niedrigen aus
+Palmenblättern bestehenden Hütten der übrigen Eingeborenen durch ihre
+massive, geräumige Struktur. Sie ist meistens doppelt so groß wie die
+anderen und manchmal von einer Palisadenwand umgeben. Vor der Hütte
+befindet sich stets ein großer freier Platz, der Versammlungsplatz des
+Dorfes, und rings herum im Kreise, je nach<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span> dessen Größe, ein zwei- bis
+dreifacher Kranz von Hütten. Unmittelbar vor der Hütte des Häuptlings
+steht der »Medizinbaum«, ein kahler Strauch, auf dessen Zweige kleine
+Götzen und Fetische, kleine Beutel aus Antilopenfell, worin sich eine
+Medizin befindet, die Schädel von Affen und allen möglichen kleinen
+Tieren, aber auch von Leoparden, Büffeln usw. befestigt sind. Daneben
+steht, gegen Regen durch ein Dach geschützt, der große Gong des Dorfes,
+welcher gleich unseren Telegraphen den benachbarten Dörfern Kunde von
+allen Vorfällen und Beschlüssen des Häuptlings geben soll. Mittels
+desselben ließ ich durch einen meiner der »Gong-Sprache« kundigen Leute
+den Eingeborenen mitteilen, daß ich in friedlicher Absicht zu ihnen
+käme, um Tauschhandel mit ihnen zu treiben und daß ich mit dem Streit,
+den sie mit den Soldaten hatten, nichts zu tun hätte.</p>
+
+<p>Einige Minuten herrschte tiefes Stillschweigen, dann erscholl aus der
+Tiefe des Waldes eine Stimme, die den Eingeborenen befahl, auf den
+weißen Mann nicht zu schießen. Hierauf kamen zögernd hinter Büschen
+und Sträuchern einige unbewaffnete Männer hervor. Die Kameraden, noch
+immer mißtrauisch, beobachteten von ihren Verstecken aus, was weiter
+geschah. Um die Leute zu beruhigen, hatte ich meinerseits Anweisung
+gegeben, die Gewehre zu Pyramiden zusammenzustellen. Endlich, nach
+wiederholter Aufforderung kam auch der Häuptling Monkwojama und mit ihm
+ein Teil der Dorfjugend hervor, und nunmehr konnten wir mit den äußerst
+mißtrauischen Eingeborenen in Verhandlung treten.</p>
+
+<p>Gegen 20 »<span class="antiqua">dottis</span>« (etwa 70 Meter verschieden gefärbter
+Baumwollstoffe), einen langen Gehrock samt grauem, breitrandigem
+Touristenhut für den Häuptling sowie einem entsprechenden Geschenk an
+Spiegeln, Perlen, Zündhölzern, hohlen Arm- und Beinringen aus Messing,
+kleinen Schellen und Glöckchen, Löffeln und Messern, alles blinkende
+Herrlichkeiten für die entzückten Dorfschönen, wurden wir schließlich
+handelseinig, und das Dorf versprach, das von mir angesetzte Quantum
+Kautschuk anzufertigen.</p>
+
+<p>Vor meiner Abreise mußte ich Monkwojama noch versprechen, seine Sache
+beim Kommandanten von Stanleyville zu vertreten. Dies konnte ich um so
+eher zusagen, als sich herausstellte, daß keiner der Soldaten verwundet
+oder getötet worden war und, wie ich aus Erfahrung wußte, diese sich
+hüten würden, von ihrem nächtlichen Raubzug etwas verlauten zu lassen.
+Zum Schutze des Dorfes vor ähnlichen Vorkommnissen, und um auch dafür
+zu sorgen, daß der<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> Kautschuk zustande kam, ließ ich hier einen meiner
+Leute mit einem Perkussionsgewehr zurück. Als vermeintlicher Feind war
+ich ins Dorf gekommen, als Freund verließ ich dasselbe eine Stunde
+später, von der freudig erregten Menge begleitet, die im Tanzschritt
+unter dem ohrenbetäubenden »Yolah«-Geschrei und Tuten von Hörnern
+ihrer kindlichen Freude Ausdruck verlieh, ein Zeichen, wie schnell
+Volksstimmungen umschlagen.</p>
+
+<p>Weiter stromabwärts eilten meine beiden Kanus in wilder Wettfahrt, um
+noch vor Einbruch der Nacht die »Baptist-Mission Yakussi« zu erreichen,
+wo wir freundliche Aufnahme vorfanden und übernachteten.</p>
+
+<p>Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch machten wir uns auf den Weg
+nach dem unweit der Mission im Urwald gelegenen Dorfe Yakussi. Die
+ganze Nacht durch hatte es geregnet, und die schmalen, lehmigen
+Fußpfade standen unter Wasser. Auf Schritt und Tritt streifte ich von
+dem dichten Unterholz große Regentropfen ab, so daß meine Kleidung
+binnen wenigen Minuten vom Kopf bis zu den Füßen völlig durchnäßt,
+und ich wohl oder übel gezwungen war, ein unfreiwilliges Kneippbad zu
+nehmen. Denkt sich der Leser hierzu noch rote, braune und schmutzige
+Flecken infolge Abstreifens des roten Tukula-Pulvers, womit Männer
+und Frauen sich den Körper beschmieren, dann kann er sich ungefähr
+eine Vorstellung davon machen, in welchem Aufzug ich eine halbe
+Stunde später nach forciertem Marsche im Dorfe ankam. Ich benützte
+die erste freie Hütte, um mich vollständig umzukleiden und hatte eben
+meine rasche Toilette beendigt, als der »Tambu Tambu« — Neger-Sultan
+Yakussi — mit großem Gefolge und tanzenden Frauen, die mich mit lautem
+Händeklatschen begrüßten, eintraf, um mich zum Hauptdorfe zu geleiten.</p>
+
+<p>Das Dorf Yakussi, ursprünglich aus einem paar halbverfallener, im
+Urwald versteckter Negerhütten bestehend, hatte sich im Laufe der Jahre
+unter dem Schutze der Mission zu einer langgestreckten Ansammlung
+von Negerhütten und zu einem bedeutenden Markte entwickelt. Der alte
+Häuptling hatte wahrscheinlich mit schwerem Herzen von der Sitte seiner
+Vorväter und dem Genuß delikater Menschenkotelettchen Abstand genommen,
+seinen Lendenschurz mit dem Prunkgewand eines Negersultans vertauscht
+und dazu im Laufe der Zeit den Titel angenommen.</p><br>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="147_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/147_ill.jpg" alt="Marktbild">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Dank dem unermüdlichen Eifer der Missionare, dem unzivilisierten
+Negervolke ein menschenwürdiges Dasein aufzudrängen, dank ihrer nah
+und fern gerührten Werbetrommel, um alle mit ihrem Lose Unzufriedenen
+um sich zu versammeln und zum Heil »Zambis«, des einzigen, wahrhaften
+Gottes zu bekehren, hat Yakussi sein Dorf Monat für Monat sich
+vergrößern und die Anzahl der Einwohner vermehren sehen. War seine
+eigentliche Macht über Leben und Eigentum seiner Untergebenen auch
+nur mehr ein Schein, so tröstete er sich offenbar damit, daß es den
+Häuptlingen in den von »Felsenbrecher«, wie die Eingeborenen den
+Kongostaat nennen, okkupierten Gebieten auch nicht besser ging und
+die Häuptlinge der umliegenden Dörfer ihm gewissermaßen unterstanden.
+Denn Yakussi war ein mächtiger Sultan geworden, der hoch in der Gunst
+des weißen Eroberers stand und dessen Ohr stets auf seiner Seite
+hatte. Alle Häuptlinge der umliegenden Dörfer erkannten dies willig
+an und bedienten sich unter Zuhilfenahme reicher Geschenke stets
+seiner Vermittlung, wenn es galt, ihr Dorf vor drückenden<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> Steuern zu
+bewahren, oder aber Streitigkeiten unter einander auszutragen. Auf
+diese Weise war Yakussi im Laufe der Zeit reich geworden.</p>
+
+<p>Auch die Einwohner des Dorfes erfreuten sich einer gewissen
+Wohlhabenheit und hatten ihre ursprüngliche Scheu im Verkehr mit den
+Europäern vollständig abgestreift. Die Frauen saßen größtenteils
+in Kleidern um die Feuer und nickten uns einen freundlichen Gruß
+zu, während die Kleinen und Allerkleinsten, die wir in anderen
+Dörfern überhaupt nicht zu Gesicht bekamen, sich mir ganz zutraulich
+näherten, ihre Pfötchen gaben und sich mit Perlen, Spiegeln und
+Löffeln beschenken ließen. Auf dem Weg durch das langgestreckte
+Dorf schlossen sich uns immer mehr Eingeborene an, so daß uns,
+als wir am Versammlungsort angelangt waren, ein großer Wall von
+Eingeborenen umgab. Nachdem ich nun den Leuten den Zweck meines Kommens
+auseinandergesetzt hatte, teilte mir Yakussi mit, daß das Dorf zwar
+bereits für »<span class="antiqua">Talla Talla</span>«, d. h. Augengläser (womit der Chef der
+SAB, der Augengläser trug, bezeichnet wurde), Kautschuk anfertige, daß
+er jedoch gerne bereit sei, das gleiche auch für mich zu tun.</p>
+
+<p>Nicht sonderlich erbaut über den gemachten Vorschlag, willigte ich
+schließlich ein und ließ die von Yakussi selbst ausgewählten Waren,
+wofür er ein gewisses Quantum Kautschuk innerhalb eines Monats zu
+liefern versprach, zurück. Meine Boys hatten inzwischen meinen
+transportablen Tisch aufgestellt, ein nagelneues Tischtuch darüber
+ausgebreitet und erschienen nunmehr mit dem Frühstück, bestehend aus
+Omelett, geräuchertem Schinken, Sardinen und Kaffee. Während ich
+inmitten der neugierigen Menge frühstückte, die jede Handbewegung,
+das Öffnen der Sardinenbüchse usw. mit großem Interesse beobachtete,
+brachten gegen dreißig Frauen aus Kürbis hergestellte Gefäße mit
+»<span class="antiqua">Bidia</span>«, einer aus Mais und Maniokmehl hergestellten Polenta,
+sowie allerlei Gemüse, geräucherte kleine Fische, Heuschrecken und
+ähnliche Delikatessen zum Kaufe für mein Personal. Ich bezahlte das
+gerne und ließ die Herrlichkeiten unter meine Träger verteilen, die mit
+Heißhunger darüber herfielen.</p>
+
+<p>Nachdem Sultan Yakussi mir im Laufe des Gespräches noch angeboten
+hatte, durch einen seiner Leute mir den Weg zu drei Dörfern in der Nähe
+des Lindiflusses zeigen zu lassen, die möglicherweise auch Kautschuk
+für mich sammeln würden, brach ich nach einstündigem Aufenthalt auf.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span></p>
+
+<p>Wer da glaubt, Yakussi hätte mich in selbstloser Weise zu drei Dörfern
+gewiesen, um meine Zwecke zu unterstützen, täuscht sich gewaltig. Von
+dem Sultan und einer Menge Eingeborener, die auf Pfeifen und kleinen
+Holzgongs, hölzernen und elfenbeinernen Hörnern einen ohrenbetäubenden
+Spektakel aufführten, begleitet, erfuhr ich kurz vor dem Abschied am
+Flußufer, daß ein am Unterlauf des Lindis gelegenes Fischerdorf drei
+Frauen des Dorfes geraubt hätte. Yakussi bat mich, ihm die drei Frauen
+gelegentlich meines Besuches der Dörfer wiederzubringen.</p>
+
+<p>Wir verließen Yakussi und schifften uns auf unseren Kanus wieder ein.
+Der Weg von Yakussi bis zur Mündung des Lindiflusses in den Kongo
+war, da es mit der Strömung ging, unter begeistertem Jubelgesang der
+Ruderer bald erreicht. Hier stellten sich mir Schwierigkeiten in
+den Weg, meine abergläubischen Leute dahinzubringen, in das bisher
+völlig unbekannte Lindistromgebiet einzufahren. Geschichten, die
+in Stanleyville unter den Eingeborenen umgehen, und die von einem
+Fabeltier erzählen, das bald in Gestalt eines ungeheuren Krokodils,
+bald als Riesen-Wasserschlange aus den Tiefen des Lindiflusses
+auftaucht und jedes Boot vernichtet, hatten die Leute verängstigt.
+Wir waren etwa eine Stunde weit den Fluß hinaufgefahren, ohne auf
+menschliche Spuren gestoßen zu sein, als wir mit einem Male bei einer
+Biegung des Flusses zu einem großen Fischerdorf kamen. Schätzungsweise
+mochte dasselbe gegen 2000 Einwohner zählen. Die Leute waren gerade
+im Begriffe, einen riesigen Gong, der auf vier Holzfüßen inmitten des
+geräumigen Versammlungsplatzes stand, einzuweihen. Von oben bis unten
+mit rotem Sandelholzpulver zur Feier des Tages beschmiert, tanzten
+Männer und Frauen unter wilden Kontorsionen der Bauchmuskeln und unter
+lautem Freudengeheul wie Besessene um den Gong, den zwei Mann mit
+Kautschuk-Keulen mit aller Gewalt bearbeiteten.</p>
+
+<p>In dem allgemeinen Taumel war unsere Ankunft kaum bemerkt worden.
+Sowie der Häuptling uns bemerkte, gab er ein Zeichen, das Fest zu
+unterbrechen, und kam, umringt von den Seinen, auf uns zu. In wenigen
+Sekunden war unser kleines Häufchen von einer tobenden Menschenmenge
+umringt. Die tiefliegenden, verschleierten Augen und die starke
+Erregung, die sich auf allen Mienen kundgab, verriet mir auf den ersten
+Blick, daß die Leute viel Hanf geraucht hatten, und daß äußerste
+Vorsicht am Platze war, wollten wir nicht den zündenden Funken in
+das Pulverfaß werfen. Die getrockneten<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> Blätter der Hanfstaude, dem
+Tabak beigemengt, haben berauschende Wirkung und versetzen den Neger
+bei reichlichem Genuß in eine tobsuchtsartige, blutdürstige Stimmung,
+in welcher er weder Feind noch Freund kennt, beim geringsten Anlaß
+blindlings darauflosschlägt und alles niedermacht, was sich ihm in
+den Weg stellt. Diese Unsitte fordert alljährlich unzählige Opfer und
+nötigt die Regierung, die Hanfstauden in den Dörfern vernichten zu
+lassen.</p>
+
+<p>Mit einer mir später selbst fast unerklärlichen Ruhe ließ ich mir
+von meinen Boys inmitten des Kreises, der sich in immer weiterem
+Umfange um uns schloß, meinen Streckstuhl bringen und setzte mich
+nieder. Dem Häuptling bedeutete ich, dasselbe zu tun. Tausende
+Augenpaare beobachteten jede meiner Bewegungen. Hier galt es mit voller
+Unerschrockenheit auftreten, sonst waren wir in die Hände der Leute
+gegeben, die nach Belieben mit uns verfahren konnten.</p>
+
+<p>Ich ließ den Mann aus Yakussi vortreten und forderte den Häuptling auf,
+die widerrechtlich weggeschleppten drei Frauen, die sich in seinem
+Dorfe aufhielten, sofort herauszugeben. Ohne ein Wort der Widerrede gab
+der Häuptling einem Manne ein Zeichen, die Frauen zu holen. Hierauf
+verständigte ich ihn vom Zwecke meines Kommens, daß ich Tauschhandel
+mit den Leuten seines Dorfes pflegen wolle, daß ich Geschenke für
+Kautschuk mitgebracht habe usw.</p>
+
+<p>Hatte der Häuptling meinem ersten Verlangen ohne weiteres Folge
+geleistet, so erklärte er jetzt, dabei die Volksmenge mit jedem Satz
+apostrophierend, ungefähr folgendes: »Der weiße Häuptling <span class="antiqua">Nfuma
+Ntanga</span> ist in unser Dorf gekommen — <span class="antiqua">ayoki</span> (hört), um
+drei Frauen aus Yakussi zurückzufordern — <span class="antiqua">ayoki</span>. Wir wollen
+keinen Krieg mit dem weißen Häuptling — <span class="antiqua">ayoki</span>. Darum geben
+wir die Frauen zurück — <span class="antiqua">ayoki</span>. <span class="antiqua">Nfuma Ntanga</span> bringt
+Stoffe und »<span class="antiqua">Shokkas</span>« (große Stücke Eisen, welche an Geldes Statt
+zirkulieren) und will, daß wir Kautschuk sammeln gehen — <span class="antiqua">ayoki</span>.
+Kautschuk sammeln ist Sklavenarbeit — <span class="antiqua">ayoki</span>. Wir aber sind
+freie Männer und wollen keinen Kautschuk machen.«</p>
+
+<p>Nach jedem Satze wiederholte die Menge wie aus einem Munde
+»<span class="antiqua">ayoki</span>«, was ungefähr »wir hören« heißt. Nach den letzten
+Worten des Häuptlings brach ein tausendstimmiges Jubelgeheul aus,
+das von der grünen Mauer des Urwaldes jenseits des Wasserspiegels
+widerhallte. Darin kennzeichnete sich das stolze Bewußtsein und
+der<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> unerschütterliche Wille eines freien Volkes, das Sklavenarbeit
+verachtete und bereit war, für seine Gesinnung sein Leben einzusetzen.</p>
+
+<p>Diese einzigartige Kundgabe des Volkswillens machte auf mich einen
+großen Eindruck. Zum erstenmal stand hier in Gestalt des Wilden ein
+Mann vor mir, dem die Natur den Stempel des Herrschers aufgedrückt
+hatte. Von Wuchs ein über das Mittelmaß reichender, herkulisch gebauter
+Mann, in Miene und Gebärden jeder Zoll ein König, die Gesichtszüge von
+tiefem, feierlichem Ernst durchdrungen, das stolz erhobene Haupt mit
+Adlerfedern geschmückt, um die gewölbte, sehnige Brust ein Diadem von
+Leopardenzähnen, um die Hüften ein kunstvolles faltenreiches Gewebe
+aus Raphiafasern: so stand der Mann vor mir, mit tieftönender, voller
+Stimme zu seinem Volke redend. Diese Szene hat sich unauslöschlich
+meinem Gedächtnis eingeprägt. Der Wille und die Kraft, die von dieser
+Herrschernatur ausgingen, waren derart, daß sie geradezu hypnotische
+Wirkung auf das Volk ausüben mußten. Ohne ein Wort weiter zu verlieren,
+erhoben sich alle, die mit dem Häuptling gekommen waren, und verließen
+den Versammlungsplatz, mich in ziemlicher Bestürzung zurücklassend.</p>
+
+<p>Was hatte dies alles zu bedeuten? Warum war der Häuptling mit seinen
+Leuten so unvermittelt verschwunden? Hatten sie etwa die Absicht, über
+uns herzufallen? Diese Fragen und viele ähnliche bestürmten mich im
+nächsten Augenblick. Mechanisch griff ich nach einer illustrierten
+Zeitschrift, die ich immer bei mir zu tragen pflegte, da ich aus
+Erfahrung wußte, daß die Illustrationen und das gedruckte Papier für
+die Eingeborenen als »schwarzer Zauber« gelten und sie davor einen
+großen Respekt haben. Während ich mechanisch in der Zeitschrift
+blätterte, arbeitete mein Gehirn fieberhaft. Ich beobachtete genau,
+was um mich vorging und ob nicht irgend etwas in dem Gebaren der
+Eingeborenen auf feindliche Absicht schließen ließ. Doch nichts
+dergleichen geschah — langsam fand ich das seelische Gleichgewicht
+wieder.</p>
+
+<p>Eine Viertelstunde mochte etwa vergangen sein, da tauchte plötzlich der
+Häuptling wieder mit seinem Gefolge auf, das zwei große Ziegen hinter
+sich herzog und sie mir als Geschenk übergab. Ein Stein fiel mir vom
+Herzen. Nach dieser Gabe konnten wir über die friedlichen Absichten der
+Leute nicht länger im Zweifel sein, und ich ließ nun meinerseits durch
+Mustapha dem Häuptling ein den Wert der beiden Ziegen übertreffendes
+Geschenk überreichen. Im Verlaufe des sich<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> daran anknüpfenden
+Gespräches stellte es sich heraus, daß die drei von Yakussi
+bezeichneten Dörfer in unmittelbarer Nähe lagen. Ich beschloß daher,
+mich sofort auf den Weg zu machen und brachte gleichzeitig meinen Koch
+in einer der mir freiwillig geräumten Hütten unter, um einstweilen eine
+Mahlzeit für mich vorbereiten zu lassen.</p>
+
+<p>Von unserem Führer aus Yakussi geleitet, folgten wir einem der vielen
+sich kreuzenden Fußpfade, die von dem Dorfe aus durch Maniok- und
+Maisanpflanzungen in den Schatten des Urwaldes führten. In brennender
+Sonnenhitze durchquerten wir einen frischen Ausschlag aus dem
+Walde. Quer über dem Wege lagen die tausendjährigen, umgestürzten
+Urwaldriesen, über die wir bald hinwegkletterten, dann wieder unter
+ihnen durchschlüpfen mußten. Allenthalben waren die ungeheuren Stämme
+angekohlt, und große Feuer brannten, um die von der Sonne verdorrten
+Äste und Zweige aus dem Wege zu räumen und in befruchtende Asche
+umzuwandeln. In sengender Gluthitze bahnten wir uns mühsam über
+all diese Hindernisse hinweg einen Weg zu dem kühlen Schatten des
+Waldes. Unterwegs kamen wir am Grabe eines Häuptlings vorbei. Eine
+Binsenmatte, von vier Stöcken unterstützt, bildete das Dach dieses
+innerafrikanischen Mausoleums, unter dem auf einem Bäumchen ein dicker,
+weiß und schwarz gefleckter Baumbast zusammengerollt lag. Dieser war
+so täuschend einer riesigen Schlange nachgebildet, daß ich beim ersten
+Anblick unwillkürlich einen Schritt nach rückwärts machte. Einige
+Tongefäße und kleine Götzen vervollständigten diese äußerst sonderbare
+Begräbnisstätte.</p>
+
+<p>Nach längerem Marsch deutete endlich entferntes Stampfen eines
+Maniokmehl-Mörsers sowie eine allmähliche Verbreiterung des Fußpfades
+an, daß wir uns in der Nähe eines Dorfes befanden. Einige hundert Meter
+vor dem Dorfe bildete der Fußpfad eine Biegung und bot einen Ausblick,
+durch welche die Einwohner, die in steter Furcht vor feindlichen
+Überfällen leben, unsere Karawane herannahen sahen. Ich hörte einen
+schrillen, trillernden Schrei, dann Rufen und Trappeln vieler nackter
+Füße. Als ich endlich im Dorfe anlangte, war die gesamte Bevölkerung
+geflohen. Das Dorf machte einen äußerst reinlichen und respektablen
+Eindruck. Zwei Reihen spitzzulaufender, kegelförmiger Hütten standen
+inmitten von Bananenhainen, Tabak- und Hanfanpflanzungen. Es war bisher
+das einzige Dorf mit Hütten dieser Konstruktion hier in der Umgebung,
+wo alle Eingeborenen mehr oder minder runde Hütten bauen oder sich
+die arabischen<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> Häuser als Modell nehmen. Ich verharrte nahezu eine
+halbe Stunde im Dorfe und machte vermittels der Gongsprache alle
+möglichen Anstrengungen, um die Leute zurückzurufen. Es war leider
+vergebliche Mühe, nichts rührte sich in dem umliegenden Urwalde. Es
+war eine starke Enttäuschung für mich, nach langem, mühseligem Marsch
+unverrichteterdinge weiterziehen zu müssen.</p>
+
+<p>Beim zweiten Dorfe Alelo hatten wir nicht mehr Glück. Ich hatte dieses
+Mal meinen Führer aus Yakussi vorausgesandt, um die Leute auf die
+Ankunft meiner Karawane vorzubereiten. Hatte dieser nun die übertragene
+Mission nicht richtig erfüllt oder hatten die Leute ein Verbrechen auf
+dem Gewissen, kurzum, als sie vom Herannahen eines Europäers hörten,
+waren sie, so schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten, im Urwalde
+verschwunden. Trotz aller Versprechungen waren die Leute auch dann
+nicht zu bewegen, zurückzukehren.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp55" id="153_ill" style="max-width: 46.25em;">
+ <img class="w100" src="images/153_ill.jpg" alt="Stampfen von Maniokmehl">
+ <figcaption class="caption"></figcaption>
+</figure>
+
+<p>Mißmutig zogen wir durch den Urwald weiter. Einmal passierten wir eine
+Ameisenkarawane, die auf einige hundert Schritt den schmalen Fußpfad
+und die Büsche zu beiden Seiten desselben vollständig mit Beschlag
+belegte. Ein seltsames Knistern und Zirpen hätte uns aufmerksam machen
+sollen, doch achtlos liefen wir weiter, bis ein kräftiges Zwicken im
+Gesicht, am Hals und an den Händen mich veranlaßte, gleich meinen
+Trägern aus Leibeskräften zu laufen, um den Bissen dieser kleinen
+Insekten, die alles Strauchwerk um uns<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span> belebten, zu entrinnen. Die
+Zangen zum Angriff weit geöffnet, den Schlachtruf in Form eines
+eigenartigen Knisterns und Zirpens ausstoßend, waren Legionen dieser
+kleinen Soldaten bereit, alles, was in den Bereich ihrer Zangen
+geriet, sofort wütend anzufallen. Ihr Biß ist derart kräftig, daß
+die Scheren aus der Wunde meist nicht wieder herauszubekommen sind,
+sondern auseitern müssen. Eine kurze Rast mitten im Urwalde gab uns
+Gelegenheit, uns unserer Kleidung zu entledigen und uns von den kleinen
+Peinigern zu befreien. Hierauf setzten wir unseren Marsch durch das
+Dickicht, über Morast und kleine Flüsse hinweg, fort.</p>
+
+<p>In die Nähe des dritten Dorfes gelangt, ließ ich haltmachen und sandte
+jetzt Mustapha mit dem Führer aus Yakussi voraus. Diesmal verschwanden
+nur die Frauen und Kinder und zogen sich nach den entlegeneren Hütten
+des Dorfes zurück. Der Häuptling Monganga und die Männer erwarteten
+uns. Ein Blick auf sie belehrte mich übrigens sofort, daß ich es hier
+mit reinen Urwaldbewohnern zu tun hatte, mit Leuten, die ihren Fuß
+sicherlich noch nicht außerhalb der unmittelbaren Nähe des Dorfes
+gesetzt und niemals zuvor einen Europäer von Angesicht zu Angesicht
+gesehen hatten. Durch die bisherigen Erfahrungen gewitzigt, hatte ich
+angeordnet, daß die begleitende Eskorte sowie der größte Teil des
+Personals zurückbleiben und erst allmählich Mann für Mann nachkommen
+sollte. Ich selbst folgte Mustapha in einiger Entfernung, nur von
+einem Gewehrträger begleitet. Bloß diesen Vorsichtsmaßregeln hatte
+ich es zu verdanken, daß die Leute nicht auch hier das Weite suchten.
+Der Häuptling schlotterte an allen Gliedern, als ich mich ihm näherte
+und ihn ansprach. Um ihn nicht unnötig zu erregen, setzte ich mich
+sofort in meinen inzwischen angekommenen Streckstuhl und befahl den
+herbeikommenden Trägern, sich gleichfalls zu setzen.</p>
+
+<p>Je mehr von meinen Leuten herankamen, um so ängstlicher wurden
+die Mienen der Eingeborenen. Ich hatte das Gefühl, daß nur die
+Furcht, niedergeschossen zu werden, sie auf dem Platze festhielt.
+Meine friedliche Absicht, Tauschhandel zu treiben, durch unseren
+Yakussi-Führer in die Sprache der Eingeborenen übersetzt, wurde
+beifällig aufgenommen. Die Leute erklärten sich gern bereit, für uns
+Kautschuk im Walde zu sammeln.</p>
+
+<p>Bei Abschluß der Verhandlung ergab sich aber eine Schwierigkeit. Keiner
+meiner Leute wollte als Capita im Dorfe zurückbleiben. Andererseits
+getraute sich auch niemand, vom Dorfe den fertigen Kautschuk<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> per Boot
+nach Stanleyville zu bringen. Die Leute trugen so sehr den Stempel
+tiefster Verrohung an sich, daß mein mutigster Capita sich weigerte im
+Dorf zu bleiben und offen erklärte, er sei überzeugt, daß die Leute ihn
+abschlachten würden, noch ehe ich außer Rufweite des Dorfes gelangt
+sein würde. Unter diesen Umständen blieb mir nichts übrig, als vorerst
+abzuwarten, bis durch wiederholten Besuch des Dorfes meine Capitas
+mehr Vertrauen zu den Eingeborenen gefaßt haben würden und diesen
+einstweilen ein kleines Quantum Waren anzuvertrauen. Erwiesen die Leute
+sich innerhalb eines Monats des Vertrauens würdig, dann konnte ein
+Versuch im größeren Stil unternommen werden. Im anderen Falle war damit
+nicht viel verloren.</p>
+
+<p>Ich ließ den Häuptling unter den mitgebrachten Waren seine
+Auswahl treffen. Dann gab ich ihm als Geschenk eine weiß und rot
+gestreifte Decke, ein großes Dolchmesser mit einer Scheide und einen
+breitkantigen, schwarzen Hut, der ihm ein behagliches Grinsen abnötigte
+und ihn geradezu grotesk kleidete. Dagegen gelobte Monganga, Ende des
+nächsten Monats acht Körbe Kautschuk bereitzuhalten, die entweder ich
+oder meine Leute vom Dorfe abzuholen hätten.</p>
+
+<p>Nicht besonders erbaut über das Resultat des Tages, kehrte ich bei
+einbrechender Nacht nach dem Fischerdorfe zurück und verzehrte in
+aller Eile das von meinem Koch inzwischen zubereitete Essen, wobei ein
+andächtiger Kreis von Kindern, Frauen und Männern mir zusah. Bildete
+doch von der Petroleumlampe angefangen bis zum Salzstreuer jeder
+Gegenstand ein bisher nie gesehenes Wunder, von welchem man Wochen lang
+noch sprechen würde. Zum Schluß servierte mein Koch eine »<span class="antiqua">Omelette
+soufflée</span>«, die ich reichlich überzuckerte. Als ich nun noch den
+darübergegossenen Rum angezündet hatte, war mein Ruf als Feuerfresser
+und großer Medizinmann für alle Zeit gesichert. Die Nacht verbrachte
+ich in einer der größeren Negerhütten, nachdem ich sie vorher,
+eingedenk früherer Erlebnisse, von meinen Leuten völlig hatte ausräumen
+lassen.</p>
+
+<p>Meinem Personal waren vom Häuptling fünf weitere Hütten zur Verfügung
+gestellt worden, und ich hatte den Wachen strikten Befehl erteilt,
+darauf zu achten, daß keiner der Leute nachts auf Abenteuer ausging.
+Die Nacht verlief ruhig. Ich war dank den anstrengenden Märschen des
+Tages in tiefen Schlummer gefallen, aus dem weder Ratten, Mäuse noch
+sonstiges Ungeziefer mich wecken konnten.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span></p>
+
+<p>Am nächsten Morgen fuhr ich mit beiden Kanus ein gutes Stück
+stromaufwärts, um die berühmten »Tschoppa-Fälle« auf dem Lindifluß
+zu besuchen. Diese gelten weit und breit als die herrlichsten Fälle
+der Region und werden mit Vorliebe von Stanleyville aus besucht. Kurz
+vor dem eigentlichen Fall verließen wir die Kanus, da die Strömung
+zu heftig wurde. Dem Flusse entlang bahnten mir ein paar Arbeiter
+mit Haumessern einen Weg durch den Urwald, um zum eigentlichen Fall
+zu gelangen. Der Fluß stürzt hier in seiner ganzen Breite aus etwa
+20 Meter Höhe in die Tiefe. Die Gewalt der fallenden Wassermassen
+übertrifft alles, was ich bisher in dieser Art gesehen habe. Mit
+Recht wird der Fall als herrlichstes Naturschauspiel Zentralafrikas
+bezeichnet.</p>
+
+<p>Über Granitblöcke emporkletternd bahnten wir uns einen Weg zu einem
+Felsblock, von dem aus wir einen Blick in den tobenden Hexenkessel
+unter uns werfen konnten, ohne von dem aufwirbelnden Wasserstaub
+durchnäßt zu werden. Schräg fielen die ersten Strahlen der Morgensonne
+auf die aufsteigenden Gischtschwaden. Über der geheimnisvollen,
+grausigen Tiefe wölbte sich ein Regenbogen in leuchtenden Farben.
+In den zartesten Tönen vom hellsten Blau bis zum feurigsten Rot
+schillernd, formten sich die Wassertropfen zu funkelnden Diamanten,
+Saphiren und Rubinen. Das Auge konnte sich nimmer satt sehen an all
+der Pracht, die die Natur auf diesem weltentlegenen Fleckchen Erde
+inmitten des großen Urwaldes, fernab vom Weltgetriebe, aufgespeichert
+hatte. Eine Beschreibung dieses Naturschauspiels, die einigermaßen der
+Wirklichkeit gleichkommen könnte, zu geben, liegt völlig außer dem
+Bereich meiner Kräfte. Nicht Worte vermögen zu schildern, was ich bei
+seinem Anblick fühlte. Stumm stand ich vor dieser Offenbarung einer
+höheren Gewalt, deren Macht unsere menschlichen Begriffe übersteigt.</p>
+
+<p>Wohl eine Stunde mochte im Anblick dieses überwältigenden
+Naturschauspiels vergangen sein, als der hohe Stand der Sonne zur
+Abreise mahnte. Wir schifften uns in unsere beiden Kanus ein und fuhren
+diesmal mit der Strömung der Mündung des Lindiflusses zu, durchquerten
+den Kongostrom und legten bald bei einem kleinen Fußpfade, der in den
+Urwald führte, an. Vier Mann ließ ich zur Bewachung der Boote zurück.
+Mit dem übrigen Personal, das mit Waren und meinen Reiserequisiten
+beladen war, machte ich mich auf den Weg nach dem Dorfe Kisui, zwei
+Marschstunden weit im Innern des Landes gelegen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span></p>
+
+<p>Der erste Teil des Fußpfades führte durch hochstämmigen Urwald, in dem
+wir bald auf allen Vieren, meistens aber nur in gebückter Stellung
+vordringen konnten. Jeden Augenblick lagen Baumstämme quer über dem
+Weg, die ein Durchkommen behinderten. Bald kamen wir an einen breiten
+Bach, über den ein umgehauener Baum als Brücke diente. Der Stamm ohne
+Rinde war vom Morgentau und dem Passieren vieler bloßer Negerfüße glatt
+wie mit Seife beschmiert, so daß ich gleich nach den ersten Schritten
+ausglitt. Glücklicherweise fiel ich in die Hocke und konnte mich mit
+den Händen noch festhalten, andernfalls wäre ich in den reißenden, über
+Mannshöhe tiefen Bach gestürzt. Tausend Ängste hatte ich auszustehen,
+bis ich mit Hilfe meiner Leute endlich über die gefährliche Stelle
+hinwegkam. Der Neger, von Jugend auf gewöhnt, wie ein Eichhörnchen
+auf den Bäumen herumzuklettern und derartige Brücken zu passieren,
+balanciert auf bloßen Füßen auch mit schweren Lasten mit Leichtigkeit
+darüber hin. Wahrlich, man muß Seiltänzer und Akrobat sein, um im
+Urwald zu reisen. Über Untiefen, Schluchten und Morast hinweg hatten
+die Eingeborenen einfach Bäume gestürzt, deren im Schlamm versenkte
+Äste den schwankenden Brücken zur Stütze dienen. Je nach dem Fall der
+Bäume führte der auf diese Art improvisierte Steg bald bis zu sechs
+Meter ragender Höhe über den übelriechenden Schlamm, dann wieder in die
+Tiefe. Manchmal waren zwei Stämme so weit von einander entfernt, daß
+man nur im Sprung von einem zum anderen gelangen konnte, was für mich
+immer einen großen Zeitverlust und eine wahnsinnige Angst, das Ziel
+zu verfehlen und in den Morast zu stürzen, zur Folge hatte. Endlich
+hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen. Durch Maniok-, Reis-
+und Maispflanzungen führte unser Pfad ins Dorf Kisui, das ganz von
+Palisaden zum Schutze gegen räuberische Überfälle umgeben war.</p>
+
+<p>Die Nachricht von unserer Ankunft hatte sich im Dorfe bereits
+verbreitet, und der Sultan Kisui mit seinen Unterhäuptlingen und einer
+großen Anzahl von Leuten, die auf Blasinstrumenten, Pauken und Gongs
+ein ohrenbetäubendes Konzert veranstalteten, kamen uns entgegen, um
+mich im Triumphzug durch das ganze Dorf zu geleiten. Wir brauchten wohl
+eine halbe Stunde, um zum Hause meines Capitas, das in unmittelbarer
+Nähe des »Sultanpalastes« lag, zu gelangen. Auf dem Weg dahin hatten
+sich viele Männer, Frauen und Kinder angeschlossen, so daß ich bald den
+Mittelpunkt einer ungeheuren Menschenmenge bildete, die alle den neuen
+»Nfuma<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> Ntanga« von Angesicht sehen wollten. Während ich den Kautschuk
+übernahm, die darauf entfallenden Auszahlungen veranlaßte und neue
+Abschlüsse für den nächsten Monat machte, hatte der Koch mein etwas
+verspätetes, jedoch um so reichlicheres Frühstück zubereitet, das ich
+jetzt in aller Eile verzehrte, da ich noch ein Dorf, zwei Marschstunden
+entfernt, zu besuchen hatte. Unter die Zuschauer warf ich, von dem
+Quantum des gelieferten Kautschuks befriedigt, eine Menge kleiner
+Metallspiegel, Schellen, Arm- und Beinringe, Zündhölzchen, Perlen,
+Metallöffel usw., worüber ungeheurer Jubel ausbrach.</p>
+
+<p>Gestärkt durch die Rastpause, brach ich gegen Mittag wieder auf. In
+der Nähe des Dorfes hatten die Eingeborenen den Wald gefällt, um für
+neue Pflanzungen Raum zu gewinnen. Auf tausend Meter im Umkreis lag im
+wilden Chaos alles Strauchwerk auf- und übereinander. Von Weg oder Steg
+war keine Spur zu sehen, die umgestürzten Stämme und das niedergelegte
+Unterholz hatten alle Anzeichen davon unter sich begraben. Aufs
+geratewohl liefen und kletterten wir in der bisherigen Marschrichtung
+über Äste und Zweige weiter, über tausendjährige Baumriesen, deren
+Stamm oft einen Durchmesser bis zu zwei Meter hatte, dahin. Dabei
+brannten die Sonnenstrahlen unbarmherzig auf uns herab, als wollten
+sie sich durch den Tropenhelm bis ins Hirn bohren. Ein Marsch unter
+diesen Verhältnissen ist wie geschaffen, um den stärksten Mann zu
+erschöpfen und ins Grab zu bringen. Immer und immer wieder drohten
+die Kräfte, in der ungeheuren Sonnenglut zu versagen. Wenn ich aber
+verzagend innehalten wollte, fiel mein Blick auf die Träger, die trotz
+ihrer schweren, sie in ihren Bewegungen hindernden Last von Baum zu
+Baum mühsam weiterkletterten, und eine innere Stimme spornte mich immer
+wieder zu neuen Kraftanstrengungen an. Ich durfte nicht schwach werden,
+ich mußte vorwärts eilen — was würde sonst mein Personal von mir
+denken? Also vorwärts zum schützenden Laubdach. Völlig erschöpft von
+den Strapazen langten wir endlich im Walde an. Wie wohl tat die kühle
+Luft im Schatten der Baumriesen. Mechanisch ging ich weiter. Diese
+kurze Kletterei in glühender Sonnenhitze hatte mich derart mitgenommen,
+daß ich den ganzen Rest des Weges wie im Schlafe hinter Mustapha
+herlief. Von Zeit zu Zeit stolperte ich über etwas und fiel der Länge
+nach zu Boden, wodurch ich immer wieder für einige Minuten wach wurde.
+Mustapha war auf meinen Zustand aufmerksam geworden und blieb bei jedem
+Hindernis stehen, um mich sorgsam hinüberzuleiten.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span></p>
+
+<p>Dem Zusammenbruch nahe, kam ich gegen 2 Uhr nachmittags in Tombako an.
+Mustapha hatte für mich einen kleinen Bach entdeckt, in dem ich den
+erschlafften Körper durch ein Bad erfrischen konnte. Was kümmerten mich
+die vielen Augenpaare, die hinter jedem Busch neugierig hervorlugten,
+um sich an dem ungewohnten Anblick meiner weißen Haut zu ergötzen.
+Nachdem meine beiden Boys mich von Kopf bis zu den Füßen in dem
+Lebensquell gewaschen, geduscht und wieder angekleidet hatten, war ich
+wieder so weit hergestellt, um an die Arbeit gehen zu können.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="159_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/159_ill.jpg" alt="Dorfbild">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Wie in Kisui nahm ich auch hier den gesammelten Kautschuk entgegen
+und wechselte den Capita aus. Vor dessen Haus hatten die Dorfbewohner
+in Ermangelung von Schattenbäumen ein durch vier Pfosten gestütztes
+Dach zum Schutz gegen Sonne und Regen hergerichtet. Darunter fand
+ich, vom Bade zurückgekehrt, bereits einen gedeckten Tisch und meinen
+Streckstuhl vor. Der Raum ringsumher war mit erregt gestikulierenden
+und schreienden Bassengis beiderlei Geschlechts angefüllt, deren mit
+Palmöl und Rotholzpulver beschmierte Körper eine schweißdurchtränkte,
+übelriechende Atmosphäre verbreiteten. Nachdem die Unterhandlungen mit
+dem Häuptling zu<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> befriedigendem Abschluß gebracht waren, ließ ich von
+meiner Eskorte den Platz von den vielen Menschen säubern, um für kurze
+Zeit Ruhe zu haben. Vorher verteilte ich unter mein Personal noch eine
+Extrafleischration von zwei Ziegen, Geschenk des Häuptlings, die sofort
+geschlachtet worden waren, etwa fünf Liter frischen Palmweines und
+reichlich »Bidia-Polenta«, die das Dorf gespendet hatte.</p>
+
+<p>Gegen vier Uhr nachmittags konnte ich mein Mittagmahl, aus gebackenen
+kleinen Fischen, einer Dose Hummer und einem gebratenen Huhn bestehend,
+einnehmen und mußte jetzt an die Rückkehr denken, um vor Anbruch
+der Nacht ans Flußufer zu gelangen. Der Häuptling des Dorfes gab
+uns ein Stück Weges das Geleit und führte uns an Stellen vorbei,
+wo im vergangenen Kriege zwischen Kisui und Tombako die früheren
+Häuptlinge der beiden Dörfer gefallen waren. An diesen Stellen haben
+die Eingeborenen eine Lanze in die Erde gesteckt. Jeder Vorbeigehende
+nimmt ein Blatt, bläst es an, um den bösen Geist, der darauf sitzt, zu
+vertreiben, und steckt es auf die Lanze oder wirft es auf ein Häufchen
+daneben. Begräbnisstellen, selbst für die Häuptlinge, existieren in
+dieser Gegend nicht, da die Eingeborenen ihre Leichen in den Fluß
+werfen.</p>
+
+<p>Zum Rückweg benutzten wir einen Richtweg, der etwas unterhalb des
+Morastes an das Flußufer führt. Auf dem ursprünglichen Weg hatte ich
+einen Eilboten mit dem Befehl an die beiden zurückgebliebenen Kanus
+gesandt, weiter stromabwärts bis zur Einmündung des Fußpfades zu
+rudern. Bei Anbruch der Nacht gelangten wir an das Flußufer, und da
+weit und breit kein Fischerdorf vorhanden war und der dichte Urwald
+nirgends eine Lagerstelle zum Übernachten bot, ließ ich die beiden
+Boote auf eine inmitten des Stromes gelegene Sandbank hinüberrudern, um
+dort zu übernachten.</p>
+
+<p>Der dichte Sternenhimmel über uns ließ eine schöne, windstille Nacht
+erhoffen, zumal Sandbänke bekanntlich von Moskitos, die mit Vorliebe
+Grasflächen und das Laubwerk des Flußufers aufsuchen, verschont bleiben
+und wir die Gefahr eines Überfalls von Leoparden nicht zu fürchten
+hatten. Der untere Teil der Insel war zwar bewaldet, doch meidet der
+Leopard, wie alle Katzenarten, das Wasser, und es war nicht anzunehmen,
+daß die kleine Insel derartiges Raubzeug ernähren konnte.</p>
+
+<p>Während ein Teil des Personals mit Haumessern in das kleine Wäldchen
+eindrang, um trockenes Holz für die Lagerfeuer heranzubringen,
+hatten die Boys aus dem Kanu meinen tragbaren Feldtisch,<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> Streck-
+und Klappstuhl auf die Sandbank gebracht, so daß ich eine halbe
+Stunde später bereits vor meinem gewohnten Aperitif, meist bestehend
+entweder aus Portwein, Amer-Pikon, Absinth oder einer halben Flasche
+Champagner, saß. Es ist überflüssig zu erwähnen, daß nach derartigen
+Gewaltmärschen stets die Unterwäsche und Kleidung, die völlig durchnäßt
+ist, gewechselt werden muß. Abends empfiehlt es sich überdies, einen
+leichten Überrock umzunehmen, da die Nächte kühl und der Körper infolge
+der großen Hitze tagsüber empfindlich geworden ist.</p>
+
+<p>Die Nacht war inzwischen völlig hereingebrochen, eine ideale tropische
+Nacht, hell erleuchtet von dem langsam am Horizont aufsteigenden
+Vollmond und Tausenden von Sternen, die in der klaren Luft einen
+strahlenden Glanz entfalten, wie wir ihn in unserer durch Rauch und
+Ruß geschwärzten Großstadtatmosphäre niemals sehen. Infolge der
+reinen Luft scheint uns der Himmel viel näher gerückt zu sein, und
+unwillkürlich spannen sich die Fäden meiner Gedanken hinauf zu jenen
+leuchtenden Gestirnen am Firmament, die in unberechenbaren Abständen
+im ungeheuren Weltall gleich unserer Erde ihre eigenen Bahnen ziehen.
+Und ich versank in Sinnen über das ungelöste Problem, wie wohl jene
+Macht beschaffen sein könnte, die dem Weltall ihre Gesetze diktiert.
+In diesen Stunden des In-mich-Gehens lernte ich erkennen, wie
+hinfällig alle jene Ansprüche sind, die der Mensch im egoistischen
+Selbstherrlichkeitsgefühl für sich aufstellt und die er ohne weiteres
+ungezählten Lebewesen abspricht, deren Lebensbedingungen genau dem
+gleichen Ursprung entstammen und den gleichen Gesetzen unterworfen sind.</p>
+
+<p>Meine Leute hatten unweit der Landungsstelle große Feuer angezündet, an
+denen sie, in Gruppen auf Matten, die ihnen als Schlafstätte dienten,
+lagen und die Tagesereignisse diskutierten. In Ermangelung eines Zeltes
+zum Schutze gegen den bei Morgengrauen fallenden Tau hatten meine
+Diener mein Feldbett im Kanu unter dem Schutzdach aufgeschlagen, und,
+ermüdet von den Anstrengungen des Tages, begab ich mich alsbald zur
+Ruhe.</p>
+
+<p>Ich mochte ein paar Stunden in tiefem Schlummer gelegen haben, als
+ich plötzlich durch einen ungeheuren Schlag, der das Boot fast zum
+Umschlagen brachte, aus dem Schlaf geschreckt wurde. Das Nächste,
+was mein entsetztes Auge wahrnehmen konnte, waren der Riesenleib und
+der ungeschlachte Kopf eines kolossalen Nilpferdes, das am Fußende
+meines Bootes, über das Boot gebeugt, stand und<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> neugierig alles
+beschnüffelte. Ich war vor Schrecken an allen Gliedern gelähmt — der
+Angstschweiß perlte mir von der Stirn.</p>
+
+<p>Hatte ich beim jähen Erwachen irgendeine brüske Bewegung gemacht,
+die das Tier erschreckte, oder hatte es den Menschen — seinen Feind
+— gewittert, kurzum, es wandte mir den unförmlichen Riesenschädel
+zu, blies ärgerlich durch die ungeheuren Nüstern einen gewaltigen
+Sprühregen von Schleim, öffnete den riesigen Rachen und stieß ein
+tiefdröhnendes Gebrüll aus, so daß mir das Blut in den Adern erstarrte.
+In diesem Moment wurde es lebendig auf der Sandbank. Die Wachen, aus
+dem Schlaf geschreckt, eilten herbei — und pang, pang, pang, erfolgte
+Schuß auf Schuß, wodurch sich meine Situation nur noch unbehaglicher
+gestaltete, da die Leute im ersten Schrecken erfahrungsgemäß nie etwas
+zu treffen pflegen und ich Gefahr lief, von der einen oder anderen
+Kugel getroffen zu werden.</p>
+
+<p>Das Nilpferd war über diesen unerwarteten Empfang wahrscheinlich
+ebensosehr erschrocken wie ich kurz zuvor. Mit einem Satz verschwand
+es in das tiefe Wasser, und ich beeilte mich, sobald die Schießerei
+aufgehört hatte, mit einem Sprung auf die Sandbank zu gelangen. Konnten
+wir wissen, ob das vielleicht verwundete Tier nicht in rasendem Schmerz
+sich auf das Boot stürzen und es zermalmen würde? Einige Sekunden
+bangen Wartens, während der ich der zunächststehenden Wache das Gewehr
+entrissen und mich feuerbereit gemacht hatte, vergingen, dann tauchte
+das Tier auf etwa zehn Meter Distanz für einen Augenblick auf. Gleich
+krachten unsere Gewehre, und sofort verschwand es wieder. War auch die
+Nacht so klar, daß man auf der Sandbank jeden Menschen auf hundert
+Meter Entfernung hätte aufs Korn nehmen können, so konnte von einem
+regelrechten Ziel auf der dunkeln oder vom Mondschein glitzernden
+Wasserfläche keine Rede sein. Wir gaben daher das Schießen bald als
+unnütze Munitionsverschwendung auf.</p>
+
+<p>Nach diesem aufregenden Erlebnis hatte ich natürlich keine Lust mehr,
+meine unterbrochene Nachtruhe im Boote fortzusetzen, obgleich ich mir
+sagen mußte, daß uns nach der vielen Schießerei sicherlich nichts
+mehr behelligen würde. Ich ließ daher mein Bett auf die Sandbank
+bringen. Dieser nächtliche Besuch war für uns alle eine um so größere
+Überraschung, als wir bisher angenommen hatten, daß in diesem Teil
+des Flusses überhaupt keine Nilpferde vorkamen. Am folgenden Morgen
+bei Tagesanbruch hielten wir scharfe Umschau an<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> allen Plätzen und
+Sandbänken, die Nilpferde mit Vorliebe aufzusuchen pflegen, doch das
+Tier war und blieb verschwunden. Sicherlich hatten wir es mit einem
+alten, erfahrenen Einsiedler zu tun gehabt, der tagsüber das befahrene
+Fahrwasser meidet und an einer abseits gelegenen,völlig unzugänglichen
+Flußstelle ein beschauliches Dasein führte.</p>
+
+<p>Wieder fuhren wir eine Strecke stromabwärts, bis wir an einen
+kleinen Flußpfad kamen, der zu den im Innern des Landes gelegenen
+Dörfern führte. Diese Pfade sind derart angelegt, daß sie von den
+vorbeifahrenden Dampfern und Booten aus völlig unsichtbar sind und nur
+dank der Lokalkenntnis meiner Capitas, die zu wiederholten Malen die
+Dörfer besucht haben, entdeckt werden konnten.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp49" id="163_ill" style="max-width: 41.0625em;">
+ <img class="w100" src="images/163_ill.jpg" alt="Arbeiterfrauen vor einer Hütte">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Wie schon aus meinen früheren Schilderungen ersichtlich, sind die
+scheuen Eingeborenen stets darauf bedacht, ihre Dörfer derart im
+Urwald anzulegen, daß sie alle Vorgänge durch Späher aus der Ferne
+beobachten, selbst jedoch nicht entdeckt werden können. Hat ein Dorf
+sich irgend etwas zuschulden kommen lassen und fürchtet es die Rache
+seiner Nachbarn oder der Europäer, dann übersiedelt es einfach mit den
+tragbaren Hütten einige Stunden landeinwärts an völlig unzugängliche
+Stellen und sucht den Gegner durch Irrwege, die in den Morast führen
+oder plötzlich im Urwalde aufhören, irrezuführen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span></p>
+
+<p>Wie am vorhergehenden Tag hatten wir auch heute wieder während des
+Marsches mit Widerwärtigkeiten aller Art zu kämpfen. Ein tiefer Morast
+hemmte bald unseren Vormarsch in den Urwald. Zu seiner Durchquerung
+hatten die leichtfüßigen Eingeborenen überall dünne Bäume umgeschlagen,
+um einen gangbaren Weg zu schaffen. Die Stämmchen erwiesen sich aber
+für das Gewicht einer Last, d. h. einer Kiste, die von zwei Mann an
+einer Stange auf den Schultern getragen wird, also etwa für 180 bis
+200 Kilogramm, als zu schwach. Die Folge davon war, daß verschiedene
+meiner Leute mit der Traglast zusammenbrachen und sich beim Sturze
+Verletzungen an den Füßen und bloßen Körperteilen zuzogen, die dann
+schwer zuheilten. Überdies verloren wir viel Zeit mit der Anbahnung
+einer neuen Marschroute. Was wir an diesem Tage an Strapazen
+durchzumachen hatten, läßt sich in Worten nicht wiedergeben. Durch dick
+und dünn, bald auf allen vieren, dann wieder gebückt, durch niederes
+Gestrüpp von Pandanus (einer Art Stachelpalme, die im Morast oder an
+Flußläufen wächst) führte ein kaum erkennbarer Fußpfad zu dem ungefähr
+eine Wegstunde vom früheren Standplatz des Dorfes gelegenen neuen Dorfe
+Lungulungu. Angeblich mußte der alte Ort wegen zunehmender Verseuchung
+im Stich gelassen werden.</p>
+
+<p>Hier, wie in den früheren Dörfern, nahm ich den gesammelten Kautschuk
+in Empfang, wechselte den Capita aus und ließ, nachdem ich an den
+Häuptling Lungulungu und die im Kreise versammelten Eingeborenen
+reichliche Geschenke ausgeteilt hatte, einen neuen Vorrat an Waren
+zurück.</p>
+
+<p>Ich hatte soeben mein Mittagsmahl vollendet, als der frühere Capita
+zwei Unterhäuptlinge des Dorfes vor mich brachte, die Streit
+miteinander führten und sich dem Urteil Lungulungus nicht unterwerfen
+wollten. Da dieser Streit zweier ebenbürtiger Gegner, von denen jeder
+einen mächtigen Anhang hinter sich hatte, zu einer Spaltung des Dorfes
+und zu Blutvergießen führen konnte, nahm ich das verantwortungsvolle
+Amt eines Schiedsrichters erst an, nachdem beide vorher feierlich
+erklärt hatten, sich meinem Schiedspruch fügen zu wollen. Mabruki
+und Alsala entstammten einer weitverzweigten Patrizierfamilie, die
+seit Menschengedenken viele tapfere Krieger hervorgebracht und dank
+mutiger, räuberischer Überfälle auf schwächere Nachbardörfer ihre Macht
+durch erbeutete Sklaven immer mehr vergrößert hatte. Beide verfügten
+im Rat<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> des Dorfes, teils durch Überlieferung, teils durch ihren
+Anhang, über eine einflußreiche Stimme. Bis vor kurzem waren Mabruki
+und Alsala innige Freunde, so daß Alsala bei der Verheiratung seiner
+Schwester mit Mabruki ihr zwei Sklavinnen mit in die Ehe gab. Nun war
+die Schwester einige Monate nach der Heirat plötzlich aus unbekannten
+Gründen verschieden, und Alsala behauptete, Mabruki hätte sie verhext
+und wäre an ihrem Tode schuld. Alsala fürchtete auch, daß Mabruki die
+beiden Sklavinnen ebenfalls verhexen würde, und forderte diese zurück.
+Nun hatten letztere sich vor einiger Zeit beim Holzsuchen im Walde zu
+weit entfernt und waren dabei in die Gefangenschaft eines am Flußufer
+gelegenen Fischerdorfes geraten. Mabruki mußte für deren Auslieferung
+sechzig Shokkas (Eisenstücke, die zu Pfeilspitzen verarbeitet werden)
+bezahlen, was ungefähr den Wert von dreißig Frank repräsentiert. Alsala
+wollte diesen Preis nicht zahlen, sondern forderte die unverzügliche
+Rückgabe der beiden, seiner Schwester freiwillig überlassenen
+Sklavinnen, worüber sich heftiger Streit und Feindschaft auf Leben und
+Tod zwischen den beiden Parteien entwickelt hatte.</p>
+
+<p>Man würde allgemein annehmen, daß der auf das Recht des Stärkeren
+pochende unzivilisierte Wilde nicht imstande sei, einen Prozeß klar
+durchzuführen und nachzuweisen, daß das Recht auf seiner Seite ist.
+Dem ist nicht so — gerade das Gegenteil trifft zu. Die meisten Neger
+sind hervorragende Redner und sowohl im Angriff als in der Abwehr
+äußerst findige Advokaten, die es glänzend verstehen, durch geschickte
+Argumente den Schein des Rechtes auf ihre Seite zu bringen.</p>
+
+<p>Gewöhnlich beginnt das Plädoyer damit, daß der Redner die Ruhmestaten
+oder die soziale Stellung seiner Vorväter hervorhebt und dann
+die Lichtpunkte seiner eigenen Vergangenheit zur Geltung bringt,
+gewissermaßen, um den Richter für sich einzunehmen. Einmal im
+Redeschwall, gefällt er sich sichtlich darin, das Zentrum gespannter
+Aufmerksamkeit zu sein, und seine lebhafte Phantasie führt alles
+mögliche aus dem Vorleben des Gegners an, was diesen im öffentlichen
+Ansehen schädigen könnte. Sein Hauptbestreben geht dahin, Sensation zu
+machen und den Widersacher durch erfundene Geschichten bloßzustellen.
+Kommt er endlich nach mancherlei Abschweifungen an die eigentliche
+Streitfrage, dann beleuchtet er aufs genaueste alle Einzelheiten, die
+für ihn sprechen. Solche Prozesse sind immer langwierig und dauern,
+wenn man den Gegenstand nicht<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> gewaltsam abkürzt, oft tagelang. Kaum
+hat der eine der beiden Gegner geendet, so beginnt der andere bereits
+wieder.</p>
+
+<p>Nach zweistündigem Palaver gelang es mir, die vorliegende Streitfrage
+in einem den Sitten und Rechtsanschauungen der Eingeborenen
+entsprechenden Sinne zu erledigen. Alsala mußte die sechzig Shokkas
+zahlen und erhielt dagegen die zwei Frauen zurück. Auch suchte ich ihm
+plausibel zu machen, daß Mabruki die Frau nicht verhext habe, da aus
+den Zeugenaussagen der beiden Sklavinnen und der anderen Einwohner
+hervorging, daß die Eheleute im besten Einvernehmen miteinander gelebt
+hätten. Die Frau war irgendeiner Krankheit zum Opfer gefallen. Es ist
+unnötig, zu erwähnen, daß ich mit diesem Argument keinen Erfolg hatte.
+Alsala war nach wie vor überzeugt, daß ein »<span class="antiqua">Nkischi</span>« seiner
+Schwester das Lebenslicht ausgeblasen hatte.</p>
+
+<p>Ein beschwerlicher Marsch brachte uns an das Flußufer zurück, von wo
+aus wir uns direkt nach dem Staatsposten »Romée« einschifften. Ich war
+glücklich, nach zweimaligem Übernachten im Busch endlich wieder ein
+komfortables Zimmer und die Gesellschaft von Europäern vorzufinden.
+Seit zwei Tagen hatte ich mich oftmals fragen müssen, ob ich eigentlich
+zu den Vierfüßlern oder zu den Menschen gehöre. Romée wird von zwei
+Ökonomiebeamten verwaltet und umfaßt ausgedehnte Plantagen von
+Kaffee-, Kakao-, Kautschukbäumen und Lianen. Als Arbeiter werden die
+Sträflingskolonnen der <span class="antiqua">Province orientale</span> herangezogen.</p>
+
+<p>Körperlich und geistig neugestärkt verließ ich am folgenden Morgen die
+Station, um meine Werbetätigkeit in den Negerdörfern fortzusetzen. Ich
+besuchte die Dörfer Turumbo, Mokotantefu und Lulanga, in welchen ich
+wie bisher Waren, Geschenke und Capitas zurückließ, und übernachtete am
+folgenden Tage in einem am Flusse gelegenen kleinen Staatsposten, der
+von einem schwarzen Korporal kommandiert wurde.</p>
+
+<p>Unsere Reiseroute weiter stromabwärts verfolgend, gelangten wir endlich
+nach Janongo, welches Dorf die unschuldige Veranlassung zu Janssens
+Tod gewesen ist. Der Häuptling Janongo war von seinen Wunden völlig
+wiederhergestellt, und die Kunde von der gerichtlichen Untersuchung
+war bis zu dem unweit gelegenen Staatsposten durchgedrungen, so daß
+das Dorf von weiteren Besuchen verschont blieb. Von Janongo geleitet,
+besuchte ich fünf Dörfer, die unter seiner Herrschaft standen, und
+nahm einen der Unterhäuptlinge,<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> dessen Dorf sich gegen Janongo
+aufgelehnt und das versprochene Quantum Kautschuk nicht angefertigt
+hatte, gefangen mit mir. Ich ließ ihn in Ketten legen und den daraufhin
+geflüchteten Einwohnern mitteilen, daß ihr Häuptling so lange in
+Stanleyville in der Gefangenschaft bliebe, bis sie sich Janongo
+unterworfen und den Kautschuk abgeliefert hätten. Beim Besuch der
+Dörfer hatte ich Gelegenheit, zu konstatieren, daß dank unserem raschen
+Vorgehen und dem sofortigen Eingreifen des Distriktskommissars unser
+Ansehen in Janongo nicht nur nicht gelitten, sondern sogar bedeutend
+gestärkt worden war. Überdies benutzte ich die Gelegenheit, um
+Janongo ein Geschenk zu überreichen, welches ihn für alle erlittenen
+Demütigungen aufs reichlichste entschädigte.</p>
+
+<p>Bei einbrechender Nacht an das Flußufer zurückgekehrt, ließ ich meine
+Leute bis zum nächstgelegenen Fischerdorf rudern, um daselbst zu
+übernachten. Eine größere Hütte, groß genug, um mein Feldbett darin
+unterzubringen, war bald gefunden. Beim Ausräumen derselben stürzten
+plötzlich meine Leute mit dem Schrei »<span class="antiqua">Nioka</span>« heraus, und
+Mustapha erklärte mir, daß man auf eine armdicke gehörnte Viper, eine
+der schönsten und giftigsten Schlangen Zentralafrikas, gestoßen sei.
+Da es schon lange mein Wunsch war, ein tadelloses Exemplar dieser
+Schlangenart zu konservieren, verbot ich meinen Leuten, sie zu töten
+und begab mich selbst mit einem in aller Eile herbeigeschafften
+Bambusstock, an dessen oberem Ende mittels »<span class="antiqua">Koddi</span>« (Liane)
+eine Schlinge befestigt war, die sich zuziehen ließ, in die Hütte.
+Meine Befürchtung, daß das Tier inzwischen entwichen oder in eines
+der Rattenlöcher verschwunden war, erwies sich glücklicherweise als
+grundlos, die Schlange lag zusammengerollt in einem Winkel der Hütte.
+Mein Bambusstock war lang genug, um mich selbst im ungünstigsten Falle
+vor einem direkten Angriff des Tieres zu schützen. Mit pochendem Herzen
+näherte ich jetzt die Stockspitze dem Kopfe der Schlange, als diese
+sich plötzlich unter Pfauchen wie eine Katze blitzschnell erhob und
+ihre giftigen Fänge mehrmals schnell hintereinander mit hörbarem Ticken
+in das Holz einschlug. Als sie sich schließlich, die Nutzlosigkeit
+weiterer Bisse einsehend, einen Augenblick ruhig verhielt, gelang es
+mir, ihr die Schlinge um den Hals zu werfen und diese mit kräftigem
+Ruck zuzuziehen. Mit großer Gewalt ringelte das gefangene Tier sich nun
+um den weit vorgehaltenen Stock und versuchte sich loszureißen, so daß
+die kurze Schwanzspitze bis nahe zu den Händen herunterreichte. Doch
+die<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> Liane war kräftig, und die Schlinge zog sich immer enger um den
+zusammengeschnürten Hals. Ich war mit der gefährlichen, kostbaren Last
+schleunigst aus der Hütte geeilt, um im Falle eines Loskommens oder
+Durchbeißens der Liane meine volle Bewegungsfreiheit zu haben.</p>
+
+<p>Meine Boys hatten einstweilen eine entleerte Mehlbüchse aus Blech
+zur Hälfte mit Alkohol, Formalin und etwas Wasser gefüllt. In diese
+konservierende Flüssigkeit warfen wir nun die halberwürgte Schlange und
+schlossen den Deckel, nachdem wir noch eben vorher die um den Hals des
+Tieres liegende Schlinge durchschnitten hatten.</p>
+
+<p>Durch dieses Ereignis wurde mein Nachtmahl verzögert, so daß ich
+ziemlich spät mein Lager aufsuchte. Ich mochte bereits einige Stunden
+geschlafen haben, als ich plötzlich gegen Mitternacht durch das Dröhnen
+eines Gongs und ein markerschütterndes Geschrei geweckt wurde. Im
+ersten Moment glaubte ich an den Überfall eines benachbarten Dorfes.
+Schon wollte ich mich erheben, als eine der Wachen mir den Vorfall
+erzählte. Ein Eilbote von »Mbula Matadi«, der Soldat Fundi, war in
+einem Kanu angekommen und wollte neue Ruderer haben. Natürlich wollte
+keiner der Eingeborenen sein warmes Lager verlassen und für einen
+Schwarzen bei stockfinsterer Nacht weiß Gott wohin rudern. Doch der
+Kerl hatte den Häuptling gepackt, aus der Hütte gezerrt und brüllte wie
+ein Besessener, daß er das ganze Dorf in Brand stecken würde. Der Lärm
+hielt eine halbe Stunde an, bis der Soldat die nötige Anzahl Ruderer
+beisammen hatte. Verschiedentlich kam die Versuchung über mich, dem
+Spektakel ein Ende zu machen, indem ich den schwarzen Soldaten wegen
+nächtlicher Ruhestörung einfach in Ketten legen ließ. Doch der Gedanke,
+daß der Mann vielleicht Träger wichtiger Briefe war, hielt mich
+glücklicherweise davon zurück. Wer weiß, was für Unannehmlichkeiten für
+mich daraus hätten erwachsen können.</p>
+
+<p>Einmal durch den Lärm geweckt, konnte ich sobald nicht wieder
+einschlafen. Ratten und Mäuse hetzten in wilder Hast am Boden der Hütte
+umher und nagten und spielten mit meinen Schuhen. Dann wieder erklang
+das langgezogene Geheul einer Hyäne durch die tiefe Stille der Nacht.
+Meine Gedanken schweiften unwillkürlich nach Stanleyville zurück. In
+welchem Zustande würde ich die Faktorei bei meiner Rückkehr vorfinden?</p>
+
+<p>Bei Tagesanbruch, noch vor dem ersten Hahnenschrei, ließ ich das Dorf
+und meine Arbeiter durch den Gong alarmieren. Eine nervöse Unruhe war
+über mich gekommen. Ich wollte die restlichen Dörfer<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> Jasuko, Komango
+und Yombo in aller Eile noch besuchen und dann sofort die Heimkehr
+antreten. Unter dem gleichmäßigen Schlag der Ruderer ging unsere Fahrt
+weiter stromabwärts dem Endziel unserer Reise zu. Als nach einer
+Stunde die Sonne ihre ersten Strahlen schräg über die Baumwipfel auf
+die Wasserfläche sandte und ich in kurzer Reihenfolge einen großen
+grauen Reiher und zwei Wildgänse erlegt hatte, da legte sich die innere
+Unruhe. Schließlich bog unser Kanu in eine kleine Ausbuchtung des
+Flusses ein und war kurz darauf unter dem Schatten des überhängenden
+Laubdaches, vom Strom aus völlig unsichtbar, an der Mündung eines
+kleinen Baches gelandet.</p>
+
+<p>Nichts deutete darauf hin, daß irgendein Fußpfad hier ins Innere des
+Landes führte. Von einem meiner kräftigsten Männer auf den Rücken
+genommen, wurde ich im Bach wohl eine Viertelstunde lang getragen, bis
+endlich ein kleiner Pfad zum Vorschein kam und ich auf trockenen Boden
+gesetzt wurde. Eine Stunde später waren wir im Dorfe Jasuko angelangt,
+und ich hielt hier kurze Rast, um zu frühstücken und meinen Leuten
+Gelegenheit zu geben, das gleiche zu tun. Der Häuptling war soeben für
+einige Minuten verschwunden, als plötzlich im Dorfe ein ungeheurer
+Tumult entstand. Die Eingeborenen in der Nähe stürzten in ihre Hütten
+und kamen, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wieder heraus. Das Schreien
+und Rufen, das Durcheinanderlaufen von bewaffneten Männern, die alle in
+der gleichen Richtung verschwanden, verbreitete sofort eine wilde Panik
+um mich her.</p>
+
+<p>Ein Teil meiner Träger ergriff die Flucht, die Traglasten mitten im
+Wege liegen lassend. Ich aber stürzte zu meinem Gewehr, meine Boys
+und die Eskorte taten dasselbe. Wir waren entschlossen, unser Leben
+so teuer wie möglich zu verkaufen. Was war geschehen? Hatte ein Teil
+meiner Arbeiter mit den Eingeborenen Streit angefangen, und war es
+zum Schlagen gekommen? So schnell uns unsere Füße tragen konnten,
+eilten wir den davonstürzenden Eingeborenen nach, um womöglich noch
+rechtzeitig einzuschreiten und unnützes Blutvergießen zu vermeiden.
+Am Ende des Dorfes angelangt, erblickten wir eine erregte Volksmenge,
+darunter einige meiner Arbeiter, unschlüssig um den Häuptling gruppiert.</p>
+
+<p>Was war der Grund der allgemeinen Aufregung? Ein Leopard hatte
+wenige Minuten vorher einen erwachsenen Mann des Dorfes in dessen
+unmittelbarer Nähe und vor den Augen seiner Begleiter<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> weggezerrt
+und war mit ihm im Walde verschwunden. Das Rufen und Klagegeheul des
+Überfallenen war noch eine Zeitlang hörbar gewesen — dann war alles
+verstummt. Unschlüssig berieten nun die feigen Kerle, wer von ihnen der
+Erste sein sollte, dem Tier zu folgen und ihm womöglich die Beute zu
+entreißen.</p>
+
+<p>Hier war für mich eine glänzende Gelegenheit zu einer Leopardenjagd
+gegeben. Mein dunkler Khakianzug war wie geschaffen dafür. Von den
+Leuten erfuhr ich, daß ein Prachtexemplar eines Leoparden seit
+etwa einem Monat ihr Dorf heimsuchte und regelmäßig jeden Tag ein
+Menschenopfer, bald eine Frau, bald einen Mann oder ein Kind, manchmal
+mitten im Dorfe, anfalle und wegschleppe. Die verfolgenden Leute sei er
+einmal aus dem Dickicht heraus angesprungen, habe einem Manne mit den
+Pranken den Bauch aufgerissen und sei darauf verschwunden, noch ehe die
+bestürzten Begleiter Zeit gehabt hätten, auf ihn zu schießen. Daher ihr
+Zaudern.</p>
+
+<p>Ich versprach dem Häuptling zu bleiben und den Leoparden zu töten.
+Dagegen mußte mir das Dorf geloben, den ganzen Tag über ruhig zu
+bleiben und den Teil des Waldes nicht zu betreten, in welchen der
+Leopard sein Opfer geschleppt hatte. Von einem verläßlichen Mann
+meiner Eskorte begleitet, machte ich mich sogleich an die Verfolgung
+des Raubtieres. Die Spur, die der Leopard hinterließ, war deutlich
+an geknickten Zweigen und der Blutspur seines Opfers auf dem Boden
+und den Blättern der Sträucher erkennbar. Wir eilten, so schnell
+wir den Umständen nach laufen konnten, in der Hoffnung, vielleicht
+den Mann noch retten zu können, dem frechen Räuber nach. Doch
+alle Mühe war vergeblich. Wir fanden nur mehr eine Leiche vor.
+Die linke Halsschlagader, ein Teil des Halses und die linke Brust
+waren vom Leoparden herausgerissen und gefressen worden. Das Zucken
+der Eingeweide und der noch warme Körper deuteten auf den kaum
+eingetretenen gewaltsamen Tod hin.</p>
+
+<p>Wir ließen den Toten in der gleichen Lage liegen, wie wir ihn
+vorgefunden hatten und erkletterten in der Annahme, daß das furchtlose
+Tier unbedingt zu seinem Opfer zurückkehren würde, einen in nächster
+Nähe befindlichen Baum. Dies geschah hauptsächlich, um dem Tier die
+Witterung zu benehmen. Aus demselben Grunde vermieden wir auch, den
+unteren Stamm des Baumes, auf dem wir uns befanden, zu berühren. Von
+der Schulter meines Begleiters aus konnte ich mich auf einen dicken Ast
+emporschwingen und den<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> Mann nachziehen. Wir befanden uns etwa fünf
+Meter über dem Erdboden und waren durch das Laubdach des Unterholzes
+derart gedeckt, daß das anschleichende Tier uns unbedingt nicht sehen
+konnte. Mit der Flinte im Anschlag verhielten wir uns mäuschenstill und
+starrten bald auf den Leichnam unter uns, bald auf das undurchsichtige
+Unterholz, das uns mit seinem grünen Schutzwall umgab. Die ersten
+zwei Stunden verliefen verhältnismäßig erträglich. Ich war durch die
+Vorgänge furchtbar aufgebracht und mußte immer an meinen kleinen Boy
+denken, den ein gleiches Schicksal erreicht hatte, und dessen Rächer
+ich voraussichtlich werden würde. Denn das stand fest für mich, ich
+würde meinen Posten vor einbrechender Nacht, das heißt, solange
+genügend Licht zum Schießen vorhanden war, nicht verlassen, mochte
+kommen, was da wollte. Außer meinem fünfschüssigen Mauser, der mit
+Dum-Dum-Kugeln geladen war, trug ich meinen sechsschüssigen, schweren
+Armeerevolver im Gürtel. Damit war ich jedem Feind gewachsen, und meine
+Eskorte Mukenge verließ mich nicht, dessen war ich ganz sicher.</p>
+
+<p>Es wurde 1 Uhr mittag, es wurde 2 Uhr, und immer rührte sich noch
+nichts. Die Glieder fingen an, vom Sitzen auf demselben Fleck zu
+schmerzen. Der Magen forderte sein Recht. Der Leichnam unter uns, auf
+den die Sonnenstrahlen herabbrannten, begann in Verwesung überzugehen
+und die ganze Umgebung zu verpesten. Tausende von Schmeißfliegen saßen
+in der geöffneten Brusthöhle und an den heraushängenden Därmen, sogen
+und fraßen sich voll und setzten sich dann auf uns, um den Schweiß
+von Stirne, Nacken und Armen gierig aufzusaugen. Unter möglichster
+Vermeidung jeglichen Geräusches veränderten wir unsere sitzende
+Position derart, daß wir es wieder einige Zeit aushalten konnten. Die
+Zeit der schwersten Prüfung, die Mittagshitze, wo Minuten wie nie
+endenwollende Stunden erscheinen, war herangekommen. Welcher Aufwand
+an Kraft und Energie, welche Willensstärke nötig sind, um in einer
+solchen Lage auszuhalten, davon kann nur der sich einen Begriff machen,
+der selbst ähnliches durchgemacht hat. Um meinen Geist gewaltsam
+mit irgend etwas zu beschäftigen, damit er nicht fortwährend an den
+knurrenden Magen und die schmerzenden Glieder dachte, zwang ich mich,
+alle heranfliegenden großen und kleinen Mistkäfer zu zählen, die sich
+auf den Leichnam setzten und nach einigem Herumwühlen im Innern der
+Bauchhöhle verschwanden. Ich glaube, es waren im ganzen elf große
+schwarze und siebzehn<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> kleine farbige und schwarze Skarabäen, die sich
+bekanntlich als Totengräber an Leichen heranmachen und sie verzehren.</p>
+
+<p>Sooft ein Vogel im nahen Gebüsch sich regte, beim leisesten Windhauch,
+der durch die Blätter fuhr, vermeinten wir stets, des elenden Räubers
+ansichtig zu werden. Minute auf Minute bei drückender Schwüle
+vergingen. Es wurde 3 Uhr, es wurde 4 Uhr. Die Sonnenstrahlen fielen
+nunmehr schräg auf den in Fäulnis übergehenden Leichnam, dessen
+Verwesungsgeruch meine Geruchs- und Geschmacksnerven bis zur Übelkeit
+erregten. Bald würde der langersehnte Moment, die Dämmerung, eintreten,
+die das gefräßige Tier unbedingt zu seinem Opfer zurückbringen würde.
+Die Fliegenplage ließ merklich nach. Faul und dickgefressen, zu schwer,
+um bis zu uns emporzufliegen, blieben sie am Kadaver sitzen und
+stimmten ihr Summ- und Brummlied an.</p>
+
+<p>Langsam erwachte der Wald um uns aus seinem lethargischen
+Mittagsschlaf. Vögel hüpften von Ast zu Ast und betrachteten ganz
+zutraulich uns fremdartige Gäste. Eine Schar grauer Papageien hatte
+sich ganz in der Nähe auf einem Baum niedergelassen und pfiff und
+krächzte fröhlich mit den anderen Vögeln um die Wette. Mit Ausnahme
+des Leichnams unter uns deutete nichts auf die entsetzliche Tragödie
+hin, die sich hier am frühen Morgen abgespielt hatte. Von dem
+fürchterlichen Räuber war nichts vernehmbar; der Wald hatte sein
+friedliches, alltägliches Aussehen. Von der Seite her passierte eine
+Karawane zierlicher Äffchen in den Wipfeln der Bäume über uns. Mein
+Auge ergötzte sich an den possierlichen Tierchen, die gleich unseren
+europäischen Eichkätzchen gewandt von Ast zu Ast springen.</p>
+
+<p>Meine Glieder waren vom gebeugten Sitzen bereits derart erlahmt, daß
+sie mich kaum noch schmerzten. Mit der untergehenden Sonne und dem
+näherrückenden Zeitpunkt, an dem ich endlich den verhaßten Leopard vor
+dem Laufe meiner Flinte sehen würde, begann auch wieder eine gewisse
+Jagdleidenschaft in mir rege zu werden. Das bange und gleichzeitig
+freudige Gefühl der herannahenden Entscheidung ließ mich alle anderen
+Schmerzen, meinen hungernden Magen miteinbegriffen, vergessen.</p>
+
+<p>Langsam verschwand die Sonne als rotleuchtender Feuerball zwischen den
+Wipfeln der Bäume, die Dämmerung rückte heran. Angestrengt lauschten
+wir auf jedes verdächtige Geräusch. Da, unvermittelt das leichte
+Zurückschnellen eines Astes in einiger Entfernung<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> — darauf lange
+Minuten lautloser Stille. Dann wieder das Knistern eines kleinen
+Ästchens aus derselben Richtung — wieder vergingen einige Minuten.
+Die Sonne war bereits ganz am Firmament verschwunden. Dann wieder das
+Zurückschnellen eines Zweiges. Jetzt konnten wir genau die Richtung
+bestimmen, aus der der Räuber auftauchen würde. Gewisse Anzeichen,
+wie das Innehalten der Lockrufe der Vögel aus der gleichen Richtung
+deuteten darauf hin, daß die große Katze im Anzug war. Mein Herz
+klopfte zum Zerspringen — — jetzt war der Moment gekommen, auf den
+wir den ganzen Tag geharrt hatten. Unwillkürlich reichte ich Mukenge
+bedeutungsvoll die Hand.</p>
+
+<p>Doch was war das? — Plötzlich hörten wir von der entgegengesetzten
+Richtung gleichfalls ein Geräusch wie von einem anschleichenden
+Wesen. Sollten etwa zwei Räuber von entgegengesetzter Seite auf uns
+zukommen? Aus unserer ersten Schallrichtung vernahmen wir nichts mehr.
+Offenbar traute das Tier dem Frieden nicht recht, oder es hatte etwas
+gehört und wartete vorsichtig ab. Das Geräusch von der anderen, dem
+Dorfe zugekehrten Seite, wurde immer vernehmlicher. Zweige schnellten
+zurück, unaufhaltsam drang ein unbestimmtes Etwas in unserer Richtung
+vor. Immer näher kam das Verhängnis. Den Finger am Drücker, beide die
+Gewehre an der Backe, lauerten wir auf den Moment, wo der Kopf des
+Leoparden ansichtig wurde, um sofort Feuer zu geben. Zweige schlugen
+unter uns auseinander, ein Gemurmel wurde hörbar, und — — — im
+Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, tauchten fünf Eingeborene unter
+der Führung ihres Häuptlings auf, um — den Toten wegzuholen.</p>
+
+<p>Meine Bestürzung und Enttäuschung wiederzugeben, ist unmöglich. Also
+deshalb hatte ich den ganzen Tag gehungert, die unglaublichsten
+Schmerzen ausgehalten und den Verwesungsgeruch eingeatmet, damit
+im entscheidenden Moment mir der Preis verlorengehen sollte. Eine
+furchtbare Wut überfiel mich, und ich machte mir Luft, indem ich den
+verdutzten Negern von meinem Baum herunter eine Flut von Schimpfwörtern
+zudonnerte. Abgesehen davon, daß die Leute darauf bestanden, den
+Leichnam mitzunehmen, mußte ich wohl oder übel einsehen, daß nach den
+so unerwartet eingetretenen Ereignissen absolut keine Aussicht auf die
+Wiederkehr des Leoparden bestand. Der Abend und die Nacht, die ich im
+Dorfe zubrachte, waren mir gründlich verleidet.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span></p>
+
+<p>Am folgenden Morgen besuchte ich die letzten beiden Dörfer Yobi und
+Komango, teilte Stoffe und Geschenke wie in allen übrigen Dörfern
+aus und ließ auch hier einen Capita zurück. Dann trat ich endlich
+die Rückreise an, die ohne nennenswerte Begebenheit verlief und mich
+nach vierzehntägiger Abwesenheit gesund und trotz der überstandenen
+Strapazen gekräftigt nach Stanleyville in meine Faktorei zurückbrachte.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Einiges über die Gewinnung des Kautschuks.</h2>
+</div>
+
+<p>Es wird den Leser, der dem Verfasser bis hierher auf seinen
+abenteuerlichen Wegen durch den Urwald und bis in die entferntesten
+Negerdörfer gefolgt ist und das im Kongo übliche »System« des
+Kautschuksammelns kennengelernt hat, gewiß interessieren, etwas Näheres
+über die Gewinnung dieses wertvollen Naturproduktes zu erfahren.</p>
+
+<p>Bis vor wenigen Jahren galt als Hauptreichtum des Kongostaates die
+Ergiebigkeit seiner ungeheuren Wälder und Prärien an Kautschuk, jenem
+kostbaren Material, das bisher chemisch nicht zu ersetzen und für
+das mit der zunehmenden Verwendung zu technischen Zwecken ein kaum
+zu befriedigender Markt entstanden war. Mit dem Bau der Eisenbahn
+Matadi-Stanley-Pool, mit der fortschreitenden Erschließung des Landes,
+der Unterwerfung der blutdürstigen, wilden Negerstämme, die bisher
+ausschließlich vom Morden und Plündern der schwächeren Nachbarn gelebt
+hatten, mit ihrer Heranziehung zu friedlicher Feldarbeit und Ausbeutung
+der reichen Lianenbestände der Urwälder, die von der Kongomündung
+quer durch ganz Zentralafrika bis zum Indischen Ozean reichen, wurde
+von Belgiens größtem Herrscher, dem König Leopold, mit sicherem,
+zielbewußtem Blick ein Kulturwerk geschaffen, so groß und mächtig,
+wie er selbst es ursprünglich kaum geahnt hatte. Schwere finanzielle
+Opfer hat es erfordert, viel Blut ist auf beiden Seiten geflossen,
+bis der neugeschaffene Staat die sengend und plündernd herumziehenden
+unbotmäßigen Horden bezwingen und seine Grenzen gegen räuberische
+Einfälle mächtiger Sklavenjäger zu schützen vermochte.</p>
+
+<p>Der Lohn hierfür blieb nicht aus. Bald war bis in die entferntesten<span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span>
+Dörfer des Urwaldes die Kunde gedrungen, daß der weiße Gott, der
+auf einem Feuerroß aus dem Meere aufgetaucht war und den Strom
+heraufgefahren kam, gegen den bisher nur zu »Gongschlägern«
+verfertigten Kautschuk prachtvolle Gewebe, glänzende Arm- und
+Beinspangen aus Messing, kurzum eine Menge nie gesehener Herrlichkeiten
+eintauschte, als sich alsobald hunderttausende fleißiger Hände an die
+Arbeit machten, den milchigen Saft der Lianen zu sammeln, zu Kugeln
+oder Platten zu formen und in die Stationen am großen Fluß zu bringen.
+Aus allen Teilen des Landes kam das kostbare, aber für die Eingeborenen
+fast wertlose Material. Immer mehr häuften sich die Vorräte, gleich
+dem Anschwellen einer Lawine. Die reiche Fracht füllte die Dampfer bis
+an Deck, wurde nach Antwerpen dirigiert und machte diesen Hafen bald
+zum zweitgrößten Kautschukmarkt der Welt. Dank der weisen Politik des
+klugen Königs, der durch Gewährung von Konzessionen Kapital ins Land
+zu bringen wußte, um all die ungeheuren Produktionsquellen voll zur
+Entfaltung bringen zu können, gediehen die unter Aufwand von vielen
+Millionen gegründeten Unternehmungen prächtig und entwickelten sich mit
+der Zeit zu großen Aktiengesellschaften, die ihren Gründern und ihrem
+Schöpfer alljährlich goldenen Gewinn eintrugen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="175_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/175_ill.jpg" alt="Eingeborene bringen Kautschuk">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span></p>
+
+<p>Kehren wir zurück zum Ursprung des Kautschuks und zu dessen Gewinnung.
+Im Gegensatz zum Plantagenkautschuk, der auf großen Anpflanzungen, z.
+B. in Brasilien, durch rationelle Ausbeutung gewonnen wird, stammte
+noch während meines Aufenthaltes am Kongo neun Zehntel der dortigen
+Gesamtproduktion aus sogenanntem »Raubbau«. Die Eingeborenen, die den
+Wert der Lianen nicht erkennen, haben, sobald sie eine solche finden,
+das natürliche Bestreben, möglichst viel Kautschuk aus ihr zu gewinnen,
+ohne Rücksicht darauf, daß die Pflanze bei einem solchen Verfahren
+eingeht. Der Rest verdankte seinen Ursprung gleichfalls rationeller
+Plantagenausbeutung.</p>
+
+<p>Um dem Raubbau zu steuern und zu verhüten, daß die kostbaren
+Kautschukbestände eine Verminderung erfahren, werden sämtliche
+Gesellschaften seit dem Jahre 1900 durch königliche Verordnung dazu
+angehalten, alljährlich für je 1000 Kilogramm angekauften Kautschuk
+500 neue Kautschuklianen anzupflanzen. Jede Gesellschaft besitzt daher
+heute geeignete ausgedehnte Terrains, die vom Staat unter gewissen
+Modalitäten kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, auf welchen die
+Kautschukkulturen rationell betrieben werden. Diese Pflanzungen werden
+alljährlich von eigens dazu bestellten Inspektoren kontrolliert.</p>
+
+<p>Der Kautschukbaum kommt in den Urwäldern Afrikas nicht vor. Aller
+geerntete Kautschuk rührt von wild wachsenden Lianen her. Man
+unterscheidet unter ihnen folgende Arten, die hauptsächlich für die
+Kautschukgewinnung in Betracht kommen: <span class="antiqua">Landolphia Ovariensis</span>,
+<span class="antiqua">Landolphia Droogmansia</span>, <span class="antiqua">Landolphia Klainei</span>, <span class="antiqua">Clitandra
+Arnoldiana</span>, <span class="antiqua">Clitandra Nzunde</span>. Die ersten drei Arten ergeben
+einen rötlichen, durchsichtigen Kautschuk, während die zuletzt
+genannten den schwarzen Kautschuk liefern. Alle diese Lianen erreichen
+einen Durchmesser bis zu Armstärke, ranken an hohen Bäumen als Parasit
+empor und erreichen eine Länge bis zu 25 bis 30 Metern.</p>
+
+<p>Hat der kautschuksammelnde Eingeborene eine derartige Liane entdeckt,
+dann klettert er am Baum so hoch wie möglich empor und durchschneidet
+sie. Die nunmehr zu Boden stürzende Liane wird durch Holzgabeln
+gestützt und mit ringartigen Quereinschnitten in ihrer Rinde versehen.
+Der an der Schnittfläche herausträufelnde milchige Saft trocknet
+entweder sofort am Baum ein oder wird in aus Blättern angefertigten
+primitiven Behältern aufgefangen. Im<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> ersten Fall kehrt der Eingeborene
+am nächsten Tag zurück, um den trockenen Kautschuk mit einem stumpfen
+Messer loszulösen und zu einer Kugel zu formen, deren Größe je nach dem
+Distrikt von einer Pflaume bis zu einer Orange wechselt. Im letzten
+Fall entleert er die milchige Flüssigkeit in ein zu diesem Zwecke
+mitgebrachtes Gefäß und gießt sie zu Hause in kochendes Wasser, worauf
+sie sofort hart wird und wie ein flacher Kuchen auf der Oberfläche des
+Wassers schwimmt. Der frisch gewonnene Kautschuk ist schneeweiß und
+enthält viel Wasser, das ihn, falls man ihn nicht gehörig zerteilt und
+im Schatten trocknet, zersetzt und in eine klebrige, unansehnliche
+Masse verwandelt.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="177_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/177_ill.jpg" alt="Verarbeitung von Kautschuk">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Die gleiche Operation wiederholt der betreffende Eingeborene so oft,
+bis die Liane erschöpft ist. In besonders reichen Waldrevieren läßt er
+die Liane, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hat, liegen und verkommen.
+Im Kasai-Gebiet schneidet der Eingeborene sie in Stücke und schleppt
+sie in seine Hütte, um mittels Wassers durch Stampfen oder Klopfen der
+Rinde den unter derselben fest gewordenen Kautschuk zu extrahieren,
+eine Arbeit, die viele Stunden in Anspruch nimmt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span></p>
+
+<p>Außer den oben angeführten Lianen, die nur im Urwald gedeihen, wurde
+im Jahre 1885 in den ausgedehnten Prärien Afrikas eine neue Art von
+Liane entdeckt, die <span class="antiqua">Landolphia Thollonii Dewevre</span>, die ungefähr
+10 bis 15 Zentimeter unter der Erdoberfläche wächst und ihre Triebe
+nach allen Richtungen hin erstreckt. Ihre Wurzeln, die eine Länge bis
+zu drei Metern und Fingerdicke erreichen, werden von den Eingeborenen
+ausgegraben und, zu Bündeln verschnürt, ins Dorf getragen. Hierauf
+weicht man sie die Nacht über ein, damit die Rinde sich leicht vom
+Stamm löst, dann trocknet man diese in der Sonne und klopft und stampft
+sie mittels Holzknüppel so lange, bis alle Rindenteilchen aus der
+Kautschukmasse entfernt sind. Der auf diese Weise gewonnene Kautschuk
+ist in Qualität dem durch Rindeneinschnitte erzielten gleichwertig und
+auch in seinem Aussehen von diesem nicht zu unterscheiden.</p>
+
+<p>Der Einkaufspreis von einer Tonne — 1000 Kilogramm — Kautschuk stellt
+sich je nach Qualität im Ursprungslande auf 1500 bis 2000 Frank. Der
+erzielte Nettoerlös in Antwerpen schwankt, je nach der Konjunktur,
+zwischen 7000 bis 12000 Frank per Tonne. Diese Preise wurden bis kurz
+vor Ausbruch des Weltkrieges gezahlt.</p>
+
+<p>Eine Faktorei produzierte damals durchschnittlich monatlich 2000 bis
+3000 Kilogramm Kautschuk, so daß sie alljährlich einen Bruttogewinn von
+150 bis 200 Mille Frank erzielte.</p>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Faktoreichef. Tausend gefährliche Seuchen. Heimreise.</h2>
+</div>
+
+<p>Den Gefahren und Anstrengungen der Reise im Urwald folgte eine
+mehrwöchige Periode der Ruhe auf der Faktorei. Auch hier harrte
+meiner eine Unmenge Arbeit, die sofortiges Zugreifen erheischte.
+Die Aufzeichnungen des Schreibers während meiner Abwesenheit, die
+Auslieferungen der Warenvorräte und die Eingänge an Kautschuk und
+Elfenbein mußten genau kontrolliert und gebucht, der mitgebrachte
+Kautschuk von den Arbeitern in kleine Stückchen geschnitten und in das
+Trockenmagazin gebracht werden, um ein Zersetzen und Klebrigwerden zu
+verhindern.</p>
+
+<p>Mitten in der Arbeit überraschte uns eines schönen Tages unser<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span>
+Dampfer »Henriette« mit Kapitän Jarigsma, der mir meine Ernennung
+zum Faktoreichef und die Mitteilung von einer namhaften Erhöhung
+meiner bisherigen Bezüge mit Beteiligung am Reinertrag der Faktorei
+überbrachte. Gleichzeitig wurde mir ein Unterbeamter avisiert, der
+mit dem nächsten Dampfer heraufkommen sollte. Da das Schiff für
+Stanleyville zwanzig Tonnen Laderaum verfügbar hatte und unser Vorrat
+an Kautschuk, Elfenbein und Reis nur zirka achtzehn Tonnen ausmachte,
+beschloß ich, mit nach Romée hinunterzureisen und dort noch Reis
+einnehmen zu lassen.</p>
+
+<p>Die Fahrt nach Romée auf dem prachtvollen Dampfer und der Aufenthalt
+bei dem liebenswürdigen Kapitän am Deck boten mir eine willkommene
+Zerstreuung. Das Geschäft mit den Arabern in Romée und das Heranbringen
+des erforderlichen Quantums Reis an Bord war in einer Stunde erledigt.
+Den Rest des Tages verbrachten wir beim stellvertretenden Kommandanten
+des Postens in vergnügter Gesellschaft. Die zweitägige Flußreise
+stromaufwärts beruhigte meine von den schnell aufeinanderfolgenden
+freudigen Ereignissen erregten Nerven wieder. Die ungeheuren Urwälder,
+die den Fluß zu beiden Seiten einfassen, die ewig wechselnden
+Szenerien, die weite Wasserfläche, die bald gleich einem Binnensee
+kaum merklich dahinfließt, dann wieder, eng in das Flußbett gezwängt,
+wie eine Lawine sich vorwärts wälzt, bieten dem Naturbeobachter
+unvergleichliche Augenweide. Wie oft hatte ich diese Strecke nun
+bereits befahren, und doch, wenn ich sie in ihren großen Zügen auch
+kannte, jede weitere Reise erschloß mir neue Naturschönheiten und
+Reize, an denen ich früher achtlos vorübergefahren war. Es ist, als
+ob man in einem großen Weltbuche, dem Buche der Natur, blättert und
+jedesmal neue Schätze entdeckt, die in ihm beschrieben sind. Ganz in
+Betrachtung versunken, saß ich in meinem Lehnstuhl und sah doch wieder
+nichts — das gleichmäßige Schaukeln des Bootes versetzte mich in
+andere Regionen. Ich träumte vor mich hin, bis irgendeine Begebenheit,
+wie etwa das plötzliche Ins-Wasser-gleiten eines Krokodils, das ich für
+einen Baumstamm gehalten, mich aus meinen Träumen aufschreckte.</p>
+
+<p>Die gewaltigen Natureindrücke dieser tropischen Welt bleiben nicht ohne
+starke und dauernde Wirkung auf die Seele. Aus mir, der ich von meiner
+Kindheit an äußerst lebhaft und unruhig veranlagt war, hatte Afrika
+im Lauf der Zeit einen schwermütigen, ernsten Träumer gemacht. Die
+Einwirkungen des Klimas auf den Körper sollten bald für meine Laufbahn
+entscheidend werden.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span></p>
+
+<p>Zwei Tage nach meiner Rückkehr nach Stanleyville fühlte ich
+beiderseits der Leistengegend ein starkes Stechen, dem eine von
+heftigem Fieber begleitete Drüsenanschwellung folgte. Äußerst bestürzt
+begab ich mich sofort zu <span class="antiqua">Dr.</span> Bellis, den ich mit denselben
+Krankheitserscheinungen, nur in verstärktem Maße, behaftet vorfand.
+Wir beide und mit uns ein großer Teil der Europäer und der Schwarzen
+der Umgebung waren von einer Art Bubonenpest befallen. Die Krankheit
+war wie hergeflogen ganz plötzlich über den Distrikt hereingebrochen,
+und niemand wußte ihre Ursache oder ihr Entstehen zu erklären.
+<span class="antiqua">Dr.</span> Bellis und der Kommandant fuhren mit dem nächsten Dampfer
+nach Leopoldville, um sich daselbst einer Operation zu unterziehen. Mir
+hatte er zuvor eine Salbe verschrieben, die sich in der Folge nicht nur
+als völlig wirkungslos erwies, sondern im Gegenteil die Anschwellungen
+und Schmerzen noch vermehrte.</p>
+
+<p>Einige meiner Leute, die unter derselben Krankheit zu leiden hatten
+und dank dem Heilmittel einer arabischen Giftmischerin der Genesung
+entgegensahen, brachten mich auf den Gedanken, diesmal die Heilkräfte
+der Eingeborenen gleichfalls für mich in Anspruch zu nehmen. Ich sandte
+daher meinen Capita Mustapha mit entsprechenden Geschenken auf den Weg
+zu der Alten. Doch ich hatte mich gründlich getäuscht. Für mich gab es
+keine Medizin. Das schlaue, erfahrene Weib wollte ihre Quacksalberei
+an mir nicht ausprobieren, da sie offenbar fürchtete, im Falle eines
+Mißlingens mit dem Gefängnis von Stanleyville Bekanntschaft machen zu
+müssen.</p>
+
+<p>Mein Leiden war inzwischen zur unerträglichen Qual geworden, die mir
+weder Schlaf noch Ruhe gönnte. Da griff ich zur List, ließ den ärmsten
+meiner Arbeiter, der ein Leidensgefährte war, kommen und versprach
+ihm, seine Behandlung zu bezahlen, wenn er die Hälfte der Salbe, die
+die Alte ihm gab, mir anvertraute. Den Hokuspokus überließ ich ihm
+ganz. Die Wirkung der in Bananenblätter gewickelten, scharf riechenden,
+schwarzen Salbe erwies sich als vorzüglich. Die Schmerzen ließen
+nach, die Leistenanschwellungen, die ohne sie zum Durchbruch und zu
+langwierigen Leiden geführt hätten, waren bald vollständig behoben, so
+daß ich in einiger Zeit mein Schmerzenslager verlassen konnte.</p>
+
+<p>Da Unglück selten allein zu kommen pflegt, und Stanleyville, das bisher
+im Rufe stand, das gesündeste Klima im ganzen Stromgebiet zu besitzen,
+dazu ausersehen schien, in diesem Jahre alle Seuchen<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> Zentralafrikas
+mitmachen zu müssen, tauchten nunmehr plötzlich die Blattern in nie
+dagewesener Heftigkeit auf. Gerüchte über die am jenseitigen Ufer unter
+den Soldaten und Eingeborenen aufgetauchte Seuche, die sofort viele
+Menschenleben dahinraffte, veranlaßten uns, jeden Verkehr mit drüben
+abzubrechen. Diese Vorsichtsmaßregel blieb leider wirkungslos, da die
+gefährliche Seuche einige Tage später auch bei uns ausbrach. Eine
+Feldarbeiterin (Sklavin) machte den Anfang, der Boy meines ehemaligen
+Chefs folgte. Jeder weitere Tag brachte eine vermehrte Anzahl von
+Kranken, so daß bald drei Viertel des ganzen Personals von der
+schrecklichen Seuche erfaßt waren.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="181_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/181_ill.jpg" alt="Anfertigung von Kautschukkörben">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Zur Isolierung der Kranken ließ ich sofort auf einige hundert Meter
+Abstand von der Faktorei Baracken, in denen sie so gut wie möglich
+untergebracht wurden, errichten. Impfstoff, das einzige wirksame Mittel
+zur Bekämpfung der Seuche, war vorläufig nicht vorhanden, so daß wir
+uns auf den Rat der katholischen Mission mit Reiswasser als Nahrung und
+zur Regelung der Verdauung begnügen mußten.</p>
+
+<p>Die Sklavin war sofort nach ihrer Erkrankung zu ihrem arabischen
+Häuptling gelaufen, der sie vom Kopf bis zu den Füßen mit Kalk
+bestreichen ließ. Doch scheint auch diese Behandlungsmethode in den<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span>
+meisten Fällen versagt zu haben, da die Kranke ebenso wie viele andere
+zugrunde ging. Auch bei mir starben trotz sorgfältiger Überwachung
+und Pflege verschiedene Leute. Einer der Arbeiter wurde verrückt und
+lief den ganzen Tag mit einem dicken Prügel herum, um vermeintliche
+Feinde zu töten. Dem Mann war die Krankheit aufs Gehirn geschlagen; er
+litt an Verfolgungswahnsinn und schlief nachts auf einem Baum. Einige
+Tage später starb er. Ich ging selbst zu den Isolierbaracken, um dem
+Begräbnis beizuwohnen und mich vom Schicksal der übrigen Kranken zu
+überzeugen. Der Anblick des bis aufs Skelett abgemagerten, am ganzen
+Körper mit blutenden Geschwüren bedeckten Toten mit den glasigen Augen
+und aus dem Munde heraushängenden Schleimfäden und die von goldigen
+Sonnenstrahlen, vom fröhlichen Zwitschern der Vögel erfüllte Welt
+bildete einen grausigen Kontrast. Der übelriechende Kadaver war über
+und über mit Fliegen bedeckt, die auf den gräßlichen Geschwüren ihr
+Mahl hielten. Obwohl ich kaum meines physischen Unbehagens Herr werden
+konnte, hielt ich tapfer bis zur Einbettung des in Decken und Matten
+gehüllten Toten in die Erde stand, um dem Pflegepersonal damit ein
+Beispiel von Unerschrockenheit zu geben.</p>
+
+<p>Unter den übrigen Kranken, die teilweise der Genesung entgegensahen,
+befand sich noch ein besonders schwerer Fall, der Boy meines ehemaligen
+Chefs, ein braver, treuer Bursche, der seinen Herrn stets aufopfernd
+gepflegt hatte und nun, durch die Krankheit bis zur Unkenntlichkeit
+entstellt, selbst im Begriffe war, ins Jenseits einzugehen. Schon seit
+acht Tagen hatte ich erkannt, daß eine Rettung aussichtslos war. Mit
+wimmernder, gebrochener Stimme rief er mich mit Namen, und mit flehend
+zu mir erhobenen Augen bat er mich, ihm doch zu helfen und ihm eine
+andere Hütte zu geben. Nie in meinem Leben habe ich meine Ohnmacht
+mehr empfunden als in diesem Augenblick. Tief zu Herzen ist mir sein
+rührendes Flehen gegangen, und gern hätte ich zehn Jahre meines Lebens
+hingegeben, um dasjenige des armen Jungen verlängern zu können. Den
+letzten Wunsch des Sterbenden wenigstens konnte ich erfüllen. Ich ließ
+eine der anderen Hütten sorgfältig reinigen, dem Schwerkranken von
+neuen Decken ein weiches Lager darin herrichten und ihn dahin bringen.</p>
+
+<p>Ganz plötzlich, wie der würgende Todesengel erschienen war, verschwand
+er auch wieder, in vielen Hütten ein Tag und Nacht andauerndes<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> lautes
+Wehklagen zurücklassend. Gar zu viele Menschenleben waren dahingerafft
+worden.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp97" id="183_ill" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/183_ill.jpg" alt="Ablieferung von Kautschukkörben">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Die Totentrauer ist hier eine ganz eigenartige Sitte. Irgendeine nähere
+alte Verwandte, manchmal auch die Mutter des Verstorbenen, setzt sich
+vor dessen Hütte und stimmt ein tieftrauriges Klagelied an. Bald
+schließt sich ihr die nähere Nachbarschaft, junge und alte Weiber,
+an, die alle in die gleiche, schaurig tönende Melodie einfallen.
+Ich habe oftmals ganz junge Dinger lachend vom anderen Ende des
+Dorfes herbeieilen sehen, die, wie von magischen Kräften durch das
+Wehklagegeheul angezogen, sich in den Kreis der anderen setzten und
+ihrem Beispiel folgten. Je mehr Männer und Weiber dazukommen, um so
+schauriger ertönt der Chor. Die ganz alten Weiber singen sich meist in
+eine förmliche Ekstase hinein. Die Tränen rinnen ihnen über die Wangen,
+mit den knochigen Armen schlagen sie in ihrem Schmerz an ihre dünnen
+Gebeine. So ansteckend wirkt diese unmelodiöse, traurige Weise, daß
+mich beim Zuhören plötzlich die Lust überkam, mich auch hinzusetzen
+und mitzuheulen. Zeitweise steht eine der Frauen auf, holt ihr Kind
+oder verrichtet eine ihr nötig<span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span> erscheinende Arbeit und kehrt ruhig
+wieder an ihren Platz zurück, um im Chor weiterzuheulen, gerade so,
+als ob sie damit eine gemeinsame Arbeit mit den anderen zu erledigen
+habe. Das Klagegeheul für einen Toten dauert manchmal einen ganzen
+Tag und wird wahrscheinlich nach einem gewissen Zeremoniell geregelt.
+Zu den Mahlzeiten flaut es merklich ab, da die meisten Teilnehmer für
+einige Zeit verschwinden, um sofort danach wieder zu der Totentrauer
+zurückzukehren. —</p>
+
+<p>Am 15. Mai 1900 kündigte ich meinen auf drei Jahre lautenden Vertrag,
+der einen Monat später abgelaufen war. Lange Zeit hatte ich im unklaren
+geschwebt, ob ich nicht ein Jahr zugeben sollte. Doch der rasche Tod
+Janssens, die fortwährenden Seuchen, die seither über die Region
+hereingebrochen waren, und schließlich mein eigener Gesundheitszustand,
+der manches zu wünschen übrigließ, veranlaßten mich, darauf zu
+verzichten. Gelegentlich der letzten Untersuchung hatte <span class="antiqua">Dr.</span>
+Bellis starke Milz- und Leberanschwellung bei mir konstatiert, die zu
+einem Abszeß führen konnte. Wiederholt hatte ich heftiges Stechen in
+der Seite gefühlt, was mich lebhaft beunruhigte. Dazu kam, daß ich das
+mir gesteckte Ziel, Faktoreichef zu werden, erreicht und durch eine
+Verlängerung des Kontraktes keine besonderen Vorteile zu erwarten hatte.</p>
+
+<p>Eines stand fest bei mir: Ich würde meine Eltern in der Heimat
+besuchen und nach kurzer Erholung in Europa unbedingt wieder nach
+Afrika zurückkehren. Das abenteuerliche Leben im Innern Afrikas sagte
+meiner nach freier Betätigung verlangenden Natur viel mehr zu als das
+gesicherte Dahinvegetieren im europäischen Berufsleben. Die große
+Abrechnung mit dem Leben mußte einmal erfolgen — hier oder dort. Wann,
+ob früher oder später, das war reine Glückssache. Lieber wollte ich dem
+tückischen Klima Afrikas oder dem Pfeil eines Eingeborenen zum Opfer
+fallen als mein Leben lang hinter staubigen Büchern in irgendeinem
+Kontor sitzen.</p>
+
+<p>Doch sollte es noch mehr als zwei Monate dauern, bis der von mir
+erbetene Ersatzmann eintraf. Eine nervöse Unruhe war mit der Kündigung
+über mich gekommen. War bisher mein ganzes Denken und Trachten meinem
+afrikanischen Lebenswerke gewidmet, so tauchte jetzt wie hinter fernen
+Wolkenschleiern eine Welt von Erinnerungen vor meinem geistigen Auge
+auf. Der Gedanke, meine Eltern und Lieben in der Heimat wiederzusehen,
+ward von Stunde zu Stunde<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> mächtiger, bis er schließlich alle anderen
+Rücksichten in den Hintergrund treten ließ.</p>
+
+<p>Endlich erschien mein Stellvertreter mit dem Dampfer »Henriette«,
+und nachdem ich ihm die Faktorei in voller Ordnung übergeben hatte,
+schiffte ich mich zur Heimreise ein. Jetzt war ich ein freier Mann,
+konnte sorgenlos den wohlverdienten Urlaub antreten.</p>
+
+<p>War ich wirklich frei? Oder war es wieder eine Täuschung? Diese Frage
+mußte ich mir schon eine Stunde nach meiner Abfahrt stellen, als mir
+unwillkürlich beim Andenken an alles, was ich zurücklassen mußte, die
+Tränen über die Wangen liefen. Jeder einzelne meines Hausgesindes,
+jeder Arbeiter, der Freud und Leid, Gefahren und Sorgen mit mir
+geteilt, hing mir am Herzen. Der Gedanke an meine Faktorei, die ich
+aus kleinen Anfängen heraus zur großen Station — meinem zweiten Heim
+— nach eigenem Geschmack ausgebaut hatte und die ich vielleicht
+nie wiedersehen sollte, schnürte mir das Herz zusammen. Still und
+niedergedrückt eilte ich in meine geräumige Deck-Kabine, damit Kapitän
+Jarigsma nicht Zeuge meines Trennungsschmerzes wurde. Jetzt, wo meine
+Abreise Tatsache geworden war, trat der umgekehrte Fall ein, und je
+weiter ich mich von der Station entfernte, desto mehr bereute ich,
+fortgegangen zu sein. Alle Gedanken an Europa waren mit einem Male
+erloschen.</p>
+
+<p>Meine Leser werden fragen, ob ich während der langen Zeit niemals
+das Bedürfnis nach Gesellschaft und Zerstreuung empfunden habe.
+Ich kann hierauf nur mit einem entschiedenen Nein antworten. Die
+vielfachen Anforderungen, die das tägliche Leben in den Tropen an jeden
+Europäer stellt, die hunderterlei Probleme, die an ihn herantreten
+und der Lösung harren, nehmen sein ganzes Denken und Sinnen vollauf
+in Anspruch. Wenn er dazu ein verständnisvolles Auge für die Natur
+und alles, was um ihn vorgeht, hat, wenn er Sammler von Käfern und
+Schmetterlingen, Ethnologe oder Ethnograph ist, dann findet er in
+diesen Liebhabereien ein reichliches Feld für seine Mußestunden. Mit
+der zunehmenden Kenntnis der Eingeborenensprache lernt er deren Sitten
+und Gebräuche und viel Interessantes über sie kennen. Im folgenden
+Kapitel will ich einiges über den Aberglauben, der im Leben der Neger
+eine so hervorragende Rolle spielt, berichten, und zum Schluß gebe ich
+einige Märchen wieder, die ich mir an einsamen Abenden von Eingeborenen
+erzählen ließ.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span></p>
+
+<h2>Abergläubische Vorstellungen der Neger.</h2>
+</div>
+
+<p>Im beständigen Kampf mit Haß, Eifersucht, Blutdurst und tierischer
+Brunst der eigenen Rasse, gewohnt, in den Raubtieren und dem giftigen
+Gezücht des Urwaldes und auch in dem Nächsten den unerbittlichen
+Todfeind zu sehen, kennt der Neger tief drinnen im Urwald keinen
+barmherzigen Gott. Er kennt nur unheimliche, tückische Gewalten,
+die gleich den Fieberdünsten des Waldes in der Nacht sein Lager
+umschleichen und sein Leben, sein Hab und Gut und seine Gesundheit
+bedrohen. Diese Götter zu versöhnen, ihren Zorn und Rache von sich
+abzuleiten, das ist sein einziges Bestreben.</p>
+
+<p>Wenn Unheil und Krankheit über ihn hereinbrechen, wenn im Getöse des
+Tornados, in Blitz und Donner die Hölle ihre Orgien feiert, wenn er,
+von Fiebern geschüttelt, in grauenvoller Nacht dem Tode ins Auge
+schaut, dann wirft er sich in den Staub vor seinem Götzenbild — denn
+seine Furcht vor »Ilimma«, dem Fabelungeheuer mit dem glühenden Auge
+und dem giftigen Odem, ist groß.</p>
+
+<p>Der Einfluß der Fetisch- oder Medizinmänner, welche den Verkehr mit
+den Göttern vermitteln, ist im Innern des Landes, bis wohin die
+Macht des Europäers nicht reicht, ungeheuer. Sie gebieten über Leben
+und Tod ihrer Mitmenschen. Jede Region hat ihre Gottheit in Form
+eines hölzernen Götzen irgendwo im düstern Dunkel des Waldes, von
+Fetischmännern eifersüchtig bewacht, versteckt. Er ist dem profanen
+Auge des Uneingeweihten nicht sichtbar, und jeder Versuch eines
+Fremden, in das Geheimnis einzudringen, wird mit dem sofortigen Tode
+bestraft.</p>
+
+<p>»Djakombo« und »Zambi« am Unterkongo — »Ilimma« am Oberkongo genannt,
+sind die Herrscher über alles Lebende. Sie suchen die Menschheit mit
+Seuchen heim, um sie zu vernichten, sie senden ihnen Hungersnot,
+Heuschrecken- und Ameisenplage. Neben ihnen hausen eine Menge anderer
+böser Geister, die »Likundu«, die alle möglichen Missetaten verüben.
+Bald vernichten sie die Ernte, bald tauchen sie in der Gestalt
+irgendeines reißenden Tieres, wie Krokodil und Leopard, auf, um
+Menschenleben zu vernichten. Im allgemeinen glauben die verschiedenen
+Stämme an ein zukünftiges Leben in irgendeiner Form. Daher rührt
+auch ihr Totenkultus.<span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span> Den Verstorbenen werden bei einzelnen Stämmen
+Nahrungsmittel, Haushaltungsgerät, Waffen, sogar Diener mit ins Grab
+gegeben.</p>
+
+<p>Von der Geburt des Kindes an bis an sein Ende ist der Fetischmann
+eigentlich derjenige, der den Lebenslauf jedes einzelnen regelt. Er
+fabriziert die Medizin, um das Kind im Mutterleibe vor den Anschlägen
+feindlicher Mächte zu bewahren, er beschwört den bösen Geist, der
+bei der Geburt in das neuentstandene Wesen hineinfahren möchte, er
+verkauft der Mutter all die Amulette und »Mobangas«<a id="FNAnker_5" href="#Fussnote_5" class="fnanchor">[5]</a>, um Seuchen und
+Krankheiten vom Kinde fernzuhalten. Stirbt ein Kind trotzdem vorzeitig,
+dann hat irgendein feindliches Wesen es mit giftigem Atem angehaucht.
+Die Familie schwört Rache und verspricht dem Fetischmann reichliche
+Geschenke, wenn er ihr den Urheber ausliefert. Dieser beruft das ganze
+Dorf und sämtliche Anverwandten für den Abend zur »Moganga« oder zum
+Gottesgericht.</p>
+
+<p>Am großen Sammelplatze des Dorfes haben sich im Mondschein sämtliche
+Einwohner zusammengefunden. Am großen Feuer sind die Männer versammelt
+und harren der Dinge, die da kommen sollen, während ihre Frauen mit den
+Kindern in Gruppen zusammenstehen und das kommende Ereignis besprechen.</p>
+
+<p>»Mongoleina«, der mächtige Häuptling der Region, in vollem Ornat, hat
+seinen mit Leopardenfellen ausgelegten Sitz eingenommen. Wie er so
+majestätisch über den freien Platz dahinschreitet, ist er das Symbol
+eines starken, unabhängigen Volkes. Er ist in der Tracht seiner
+Vorväter gekleidet, die er nur bei ganz besonderen Anlässen zu tragen
+pflegt und die harmonisch wirkt, wenn man nur den rechten Körper dazu
+hat und sie mit Verstand anzulegen weiß. Um die Lenden in weiten Falten
+ein Schurzfell, aus bunten Bambusfibern hergestellt, um den Hals eine
+Schnur mit Leopardenzähnen, zum Zeichen seiner Würde, an den Hand-
+und Fußgelenken schwere Messingringe, auf dem Kopfe ein dichter Kranz
+von Adlerfedern, kunstvoll mit einem Leopardenfell zu einem Kopfputz
+vernäht, in der Hand eine lange schwarze Lanze: so schreitet er
+siegesbewußt auf den Ehrenplatz unter den Mondenbäumen zu.</p>
+
+<p>Von ferne her ertönt ein Gemisch von dumpfen und hellen Lauten
+von Gongs, Hörnern und Holztrommeln. Der Fetischmann mit seinem
+eingeweihten Stab, das große Verhängnis, naht. Gespannt blicken alle
+Augen in die Richtung, aus der er kommen muß.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span></p>
+
+<p>Und schon naht er mit seiner Truppe, die mit ihrem wiegenden
+Tanzschritt und ihrer phantastischen Bemalung einen unheimlichen
+Eindruck auf die versammelte Menge macht. Ihre Mitglieder sind vom Kopf
+bis zu den Füßen mit rotem Tukulapulver beschmiert, so daß sie wie in
+Blut getaucht erscheinen. Um die Hüften tragen sie einen kurzen Rock
+aus Binsen, der bis zu den Kniegelenken reicht, um die Augen, deren
+Lider und Brauen mit Ruß pechschwarz gefärbt sind, um den unheimlichen
+Ausdruck zu erhöhen, laufen mit weißer Kreide gemalte Ringe; Wangen,
+Brust und Arme sind mit Hieroglyphen bedeckt.</p>
+
+<p>Aus ihrer Mitte löst sich jetzt der Medizinmann, der durch die reiche
+Ausstattung, die Schellen und schweren Eisenringe an Armen und Füßen,
+die gräßliche Maske auf dem Kopf sowie eine Schnur von Leopardenzähnen
+um den Hals als Zeichen seines hohen Ranges, sofort die ganze
+Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im Kreise herumtanzend, vergewissert er
+sich zuerst, ob alle Einwohner des Dorfes anwesend sind. Vielleicht
+sucht er sich auch jetzt schon sein Opfer aus.</p>
+
+<p>Dann beginnt der eigentliche Tanz, der sich nur schwer beschreiben
+läßt. Unter dem dumpfen Klang des Gongs und den hellen Wirbeln der
+Trommeln redet der Medizinmann zur Menge, dabei die Missetaten und
+Menschenopfer aufzählend, die der »Likundu« bereits gefordert hat. Ein
+vollendeter Bauchredner und Sänger, stößt er unartikulierte Schreie
+aus, hält Reden, gibt sich selbst Antwort und führt dabei allerhand
+geheimnisvolle Bewegungen aus. Bald tanzt er mit Händen und Füßen,
+bald wirbelt er in rasender Ekstase um sich selbst, bald verfällt er
+in eine Art zuckender Krämpfe, wobei er mit Armen und Füßen um sich
+schlägt wie im Kampf mit Dämonen, die in seinem Innersten wüten. Dann
+wieder verschwindet er wie ein Pfeil im Dunkel der Nacht, und gellende,
+markerschütternde Schreie widerhallen im schaurigen Echo des Waldes.
+Offenbar ruft er ein unsichtbares Wesen, das ihm antwortet, worauf
+er plötzlich wieder in der Mitte seiner Leute, die inzwischen Gongs,
+große Elfenbeinhörner und Trommeln in rasendem Tempo bearbeitet haben,
+auftaucht und die erschreckte Herde Menschen in seinen Bann zieht.</p>
+
+<p>Immer wilder werden Ausdruck und Gebärden des Tanzes, die Augen üben
+durch die Maske einen schauerlichen, faszinierenden Eindruck auf die
+Umgebung aus. Der Tänzer selbst und seine Begleiter geraten in eine
+Art wilder Ekstase, ihre Augen nehmen ein eigenartiges Feuer, einen
+starren Blick ins Leere an. Es ist der<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> Blick einer Schlange, der das
+Opfer vor Schrecken lähmt. Mit heiseren, unartikulierten Lauten, mit
+seinen schlangenartigen Bewegungen, mit der hypnotischen Wirkung seiner
+starren Augen zwingt er die unwissende Menge unter seinen Willen.</p>
+
+<p>Stunden vergehen — in langen Rinnsalen, wie Blut, rieselt der Schweiß
+an den Körpern der Mitwirkenden hinab. Die Menge ist aufs höchste
+erregt und antwortet auf die hervorgestoßenen Fragen mit drohendem
+Gebrüll. Der feierliche Moment naht. Wieder verschwindet der Tänzer,
+wie von einer unsichtbaren Macht verschlungen, und sein Wehklagegeheul
+ruft im Walde ein lautes Echo hervor. Im nächsten Augenblick erscheint
+er mit der gefährlichen Medizin und stürzt sich auf sein Opfer.
+Dieses, im Bewußtsein seiner Unschuld, trinkt gewöhnlich sofort die
+dargereichte Medizin. Tut es dies nicht, dann ist die Schuld so gut
+wie erwiesen, und die durch die nächtlichen Vorgänge und durch das
+unausgesetzte Rauchen von Hanf zur höchsten Blutgier aufgestachelte
+Menge stürzt sich mit Messern, Hauen und Spaten auf ihr Opfer, um es an
+Ort und Stelle zu schlachten und buchstäblich in Stücke zu zerreißen.
+Jeder sucht ein Stück desselben zu erwischen.</p>
+
+<p>Hat der Betreffende das Gift getrunken, und ist er imstande, es sofort
+wieder zu erbrechen, so ist dies ein Beweis seiner Unschuld, und das
+Fest findet seinen Fortgang, indem der Fetischmann ein zweites Opfer,
+und so weiter, auskundschaftet, bis das Gift endlich seine Wirkung tut.</p>
+
+<p>Zahllos sind die Fälle, bei denen der Giftbecher als Gottesgericht
+entscheidet, und nachgewiesenermaßen hat ein und dasselbe Gift, von
+zwei verschiedenen Personen getrunken, ganz verschiedene Wirkung. Auch
+die Art der Gifte wechselt bei den verschiedenen Negerstämmen, und
+es ist festgestellt worden, daß z. B. bei allen jenen, die ihr Opfer
+verzehren, das Gift eine stark berauschende, vorübergehende Wirkung
+hat, also eigentlich nicht tödlich wirkt, während in anderen Distrikten
+unbedingt tödliche Gifte zur Verwendung gelangen.</p>
+
+<p>Man erkennt am Geschilderten die ungeheuere Macht der Medizinmänner.
+Stirbt jemand auf unvorhergesehene Weise oder wird er ermordet, frißt
+ein Krokodil oder ein Leopard einen Eingeborenen, kommt eine Seuche
+über das Land, werden die Ernten durch Hagel und Unwetter vernichtet,
+kurz, bei jedem Unheil, das ein Dorf trifft, hat der Fetischmann
+Gelegenheit, sich seiner Feinde zu entledigen.<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> Als Opfer wählt er mit
+Vorliebe mißliebige Gegner, ältere Männer und Frauen, alle jene, die
+ihm nicht seine Götzen abkaufen, oder auch Frauen, die sich ihm nicht
+willfährig zeigen. Kein Eingeborener ist vor der Tücke dieser Räuber
+sicher. Sie waren die gefährlichsten Gegner des Europäers bei der
+Unterjochung des Landes und haben vielen Expeditionen den Untergang
+bereitet. Sie bleiben es heute noch in jenen Gegenden im Innern, wo
+die Erschließung nicht durch die Macht der Gewehre, sondern durch den
+Handelsverkehr mit den Eingeborenen Schritt für Schritt vor sich geht.</p>
+
+<p>Die Leute setzen unbedingtes Vertrauen in die überirdische Macht ihres
+Fetischmannes und in die Kraft seiner Medizinen. Sie glaubten auch an
+seine Fähigkeit, die modernen Schußwaffen unwirksam zu machen. Daher
+zeigten sie auch vielfach eine unglaubliche Unerschrockenheit im Kampf
+mit den Europäern, und die Fetischmänner konnten trotz des mörderischen
+Feuers immer und immer wieder neue Scharen von allen Seiten gegen
+ihren Gegner heranführen, bis dieser schließlich der Übermacht erlag.
+Gelang es, den Medizinmann zu töten, dann war gewöhnlich der Mut der
+schwarzen Scharen gebrochen, und in regelloser Flucht verließen sie den
+Kampfplatz.</p>
+
+<div class="footnotes">Fußnote:
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_5" href="#FNAnker_5" class="label">[5]</a> Medizin in allen möglichen Packungen.</p>
+</div>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Negermärchen.</h2>
+</div>
+
+<p>Meinem Koch war ein kleiner »Yambinga-Boy« als »Tellerlecker«
+zugeteilt. Dieser war in einer Mission auferzogen, wurde von den
+Arbeitern »<span class="antiqua">Moanna na Zambi</span>«, d. h. Gotteskind, genannt und galt
+als sehr gottesfürchtig und gelehrig. Eines Abends ließ ich ihn zu mir
+kommen und befragte ihn: »Auf welche Weise wurde Christ geboren?«</p>
+
+<p>Offenbar war niemals eine derartige Frage an ihn gestellt worden.
+Sie setzte ihn daher sichtlich in Verwirrung. Als ich keine Antwort
+erhielt, forschte ich weiter:</p>
+
+<p>»Wurde Christ wie alle Menschen von einer Mutter geboren?«</p>
+
+<p>Antwort: »Nein, Christ ist ein zu großer König, um wie alle
+gewöhnlichen Menschen geboren zu werden.«</p>
+
+<p>»Nun, wie wurde er denn geboren? Kam er durch den Mund?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span></p>
+
+<p>»O nein, der Mund eines Menschen spricht so viel Unreines, daß ein
+König ohne Sünden nicht daraus hervorkommen konnte.«</p>
+
+<p>»Kam er durch das Auge?«</p>
+
+<p>»Nein, das Auge des Menschen sieht so viel Blut und Grausamkeiten, daß
+solch ein liebevoller König nicht darin seinen Ursprung finden konnte.«</p>
+
+<p>»Kam er durch die Nase?«</p>
+
+<p>»Diese enthält soviel Unreines, daß Christ nicht daraus hervorkommen
+konnte.«</p>
+
+<p>»Kam er durch die Ohren?«</p>
+
+<p>»O nein, der Mensch ist schlecht, und durch die Ohren hört er so
+viel Sünde und Schlechtes, daß solch ein reiner König nicht daraus
+hervorkommen konnte.«</p>
+
+<p>»Nun endlich, woher kam denn Christ? Aus einem Menschen ist er doch
+herausgekommen.«</p>
+
+<p>Plötzlich kam es wie eine Offenbarung über den Jungen. In seinem
+Gedächtnis hatte er endlich die richtige Antwort gefunden: »Ach
+Mundele, das weißt du doch selbst am besten. Er kam durch den einzig
+reinen Teil des Menschen — er kam durch den kleinen Finger der
+Unschuld.«</p>
+
+<p>»Und auf welche Weise?«</p>
+
+<p>»Nun, der kleine Finger wurde dicker und dicker, bis er platzte und
+daraus der große König hervorging.«</p>
+
+<p>Man kann aus diesem Beispiel ersehen, welche naive Vorstellung die
+jungen Christen noch von der Religion haben; alles, was man ihnen nicht
+auf das genaueste erklärt, veranschaulichen sie sich mit den Mitteln
+ihrer eigenen, kindlichen Phantasie.</p>
+
+
+<p class="center"><span class="gesperrt">Bangala-Märchen vom Nilpferd und Krokodil.</span></p>
+
+<p>Ursprünglich waren Nilpferd und Krokodil die fürchterlichsten Feinde,
+die sich einander auf Schritt und Tritt bekriegten. Während das
+gefräßige Krokodil die arglos im Ufersande spielenden Nilpferdkinder
+angriff, benützte das Nilpferd das Mittagschläfchen seines gefährlichen
+Nebenbuhlers, um sich tückisch anzuschleichen und ihm mit seinen
+tödlichen Hufen den Garaus zu machen, bis endlich das schlaue Krokodil,
+des ewigen Kampfes müde, dem Nilpferd folgenden Vorschlag machte:</p>
+
+<p>»Raum für uns beide hat diese Erde. Ich erkenne deine Oberhoheit als
+unumschränkter Herrscher über diese Gewässer an und<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span> ziehe mich in
+mein Reich auf Sandbänken und in die Moräste zurück. Ich will von nun
+an dir und deinen Kindern, wenn ihr Gras und Schilf meiner Domänen
+fressen kommt, nichts mehr zuleide tun unter der einen Bedingung, daß
+du dafür alle Kanus der Eingeborenen, die dein Reich befahren, zum
+Sinken bringst, so daß auch ich mich an Menschenfleisch sättigen kann.
+Im Austausch gegen diesen Dienst überlasse ich dir und den Deinen meine
+Prärien und Sümpfe, in denen du ungestört weiden und schlafen kannst.«</p>
+
+<p>Das Nilpferd war mit dem Vorschlag wohl zufrieden und ist seither der
+erbittertste Feind des Menschen, dem es im Wasser nachstellt und ihn
+seinem Freund, dem Krokodil, ausliefert.</p>
+
+
+<p class="center"><span class="gesperrt">Märchen vom Tanganika-See.</span></p>
+
+<p>Vor unzähligen Jahren befand sich an der Stelle des heutigen
+Tanganika-Sees ein reichbevölkertes Gebiet, das von einem mächtigen
+Volksstamm bewohnt wurde.</p>
+
+<p>Die ungeheure fruchtbare Ebene nährte große Rinder- und Schafherden,
+welche den Hauptreichtum des Stammes ausmachten. Inmitten eines großen
+Dorfes residierte in seinem von hohen Palisaden umgebenen Palast ein
+angesehener Häuptling mit seiner Frau, Besitzer einer tiefen Quelle,
+welche von einem unterirdischen Fluß gespeist wurde.</p>
+
+<p>Diese Quelle war seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn übergegangen
+und besaß die merkwürdige Eigenschaft, ihrem jeweiligen Besitzer eine
+besonders wohlschmeckende Art von Fischen, wie sie nirgends in der
+Umgebung zu finden war, zu spenden. Der Besitz dieses Schatzes war von
+seiner absoluten Geheimhaltung abhängig, und die Tradition prophezeite
+fürchterliches Unheil für das ganze Land in dem Augenblicke, wo ihre
+wunderwirkende Eigenschaft einem Fremden verraten würde.</p>
+
+<p>Das Schicksal wollte, daß die Frau des Häuptlings eines Tages hinter
+dem Rücken ihres Gatten in leidenschaftlicher Liebe zu einem jungen
+Mann entbrannte und ihm heimlich einige zubereitete Fische der
+wunderbaren Quelle zukommen ließ.</p>
+
+<p>Das Fleisch dieser Fische war so vorzüglich und so ganz anders im
+Geschmack als alle Fische, die ihr Liebhaber bisher gegessen, daß er
+unbedingt wissen wollte, woher diese Fische stammten. Die Frau sträubte
+sich aus Furcht vor den Folgen anfangs energisch, das Geheimnis zu
+verraten. Als jedoch der Geliebte weiter in sie drang<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> und drohte, er
+werde ihren Gatten über deren Herkunft befragen, da sah die Ungetreue
+ein, welch fürchterliches Unheil sie angerichtet hatte, und versprach
+dem Geliebten, ihm bei ihrer nächsten Zusammenkunft alles zu verraten.</p>
+
+<p>Gelegentlich einer längeren Abwesenheit ihres Gatten rief sie ihren
+Liebhaber zu sich, bereitete ihm ein lukullisches Mahl von den Fischen
+aus der Quelle und kredenzte ihm Palmwein. Mit aufopfernder Liebe und
+mit süßen Schmeicheleien suchte sie ihn zu befriedigen und von seinem
+Vorhaben abzubringen. Ihr Inneres warnte sie vor kommendem Unheil. Sie
+bat und beschwor ihren Freund nochmals, nicht weiter in sie zu dringen
+und nicht etwas von ihr zu verlangen, was sicheres Unglück im Gefolge
+hätte. Doch vergeblich. Ihr Freund bestand darauf, das Geheimnis
+kennenzulernen, und gelobte, es niemand anzuvertrauen. Da führte sie
+ihn in das Allerheiligste, das durch eine besondere Palisadenwand vom
+Rest des Hofes abgetrennt war, um es vor den Augen der Dienerschaft zu
+verbergen.</p>
+
+<p>Inmitten des kleinen Raumes quoll aus einem kreisrunden Becken aus der
+Erde eine klare Quelle hervor, an deren Oberfläche eine Menge kleiner
+und großer Fische aus den Tiefen zum hellen Sonnenlicht emportauchten,
+um gleich wieder zu verschwinden.</p>
+
+<p>»Sieh, hier ist die wunderbare Quelle mit ihren vorzüglichen Fischen.«</p>
+
+<p>Der Liebhaber, der nie zuvor Ähnliches gesehen hatte, stand sprachlos
+vor dem Wunder. Da näherte sich ihm eines der Fischchen — — er wollte
+es mit der Hand erfassen — — das prophezeite Unglück trat ein — —</p>
+
+<p>Aus der Quelle stieg, flammend vor Zorn, »Muzimu«, der unterirdische
+Geist, empor. Sein Gesicht war wutverzerrt, seine Augen sprühten
+Blitze. Mit furchtbarer Gebärde schleuderte er einen Höllenfluch auf
+die beiden Schuldigen. Die Erde zu ihren Füßen barst, und eine hohe
+Wassersäule an Stelle des Muzimu überflutete Land und Auen, soweit das
+Auge reicht, alles Lebende vernichtend.</p>
+
+<p>Seitdem bedeckt der tiefe Tanganika-See das Land, und alle Jahre kann
+man an einem bestimmten Tage das Stampfen der Mehlmörser und das
+verzweifelte Schreien und Rufen der unschuldigen Menschen und Kinder
+hören, die das Opfer der Katastrophe geworden waren.</p><br>
+
+<figure class="figcenter mbot2 illowe21" id="193_deco_2">
+ <img class="w100" src="images/193_deco.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span></p>
+
+<h2>Nachwort.</h2>
+</div>
+
+<p>In den vorstehenden Kapiteln habe ich meinen Lesern die Erlebnisse
+während meines ersten dreijährigen Aufenthalts in Innerafrika
+geschildert.</p>
+
+<p>Nach kurzem Verweilen in der Heimat zog es mich mit unwiderstehlicher
+Gewalt wieder nach diesem geheimnisvollen Land zurück, wo ich dann noch
+weitere neun Jahre verbrachte. Vom Faktoreichef zum Abteilungs-, dann
+zum Revierchef und schließlich zum <span class="antiqua">Chef de Secteur</span> befördert,
+leitete ich im Kasai-Gebiete große Faktoreien. Während dieser Zeit habe
+ich in dem mir unterstellten Gebiet viele Forschungsreisen gemacht und
+mich monatelang bei den Patoas (Zwergvölkern) und Kannibalenstämmen
+aufgehalten.</p>
+
+<p>Über diesen letzteren größeren Zeitabschnitt beabsichtige ich einen
+zweiten Band herauszugeben, der etwa folgenden Inhalt haben wird:</p>
+
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Stationsleben im Kasai-Gebiet,</div>
+ <div class="verse indent0">Bei den Patoas-Zwergen,</div>
+ <div class="verse indent0">Nilpferdjagden,</div>
+ <div class="verse indent0">Jagden mit den Bena Luluas mittels Präriebränden,</div>
+ <div class="verse indent0">König Zappo Zapp und seine 120 Frauen,</div>
+ <div class="verse indent0">Elefantenjagden am Kwilu,</div>
+ <div class="verse indent0">Innenorganisation eines Distrikts usw. usw.</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Auch von diesen Schilderungen hoffe ich, daß sie nicht nur bei
+Liebhabern von Reiseschilderungen, sondern speziell auch bei den
+jugendlichen Lesern einem Interesse begegnen und bei den letzteren
+den Wunsch erwecken werden, die weite Welt aus eigener Anschauung
+kennenzulernen, um für ihr späteres Leben reiches Wissen und Erfahren
+zu sammeln.</p>
+
+<p class="right"><span class="gesperrt"><b>Der Verfasser.</b></span></p><br>
+
+<figure class="figcenter illowp79" id="194b_karte" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/194b_karte.jpg" alt="Der Kongo">
+ <figcaption class="caption"> </figcaption>
+</figure>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span></p>
+
+<h2> Bilderverzeichnis.</h2>
+
+</div>
+
+<table class="autotable">
+<tr>
+<td class="tdl">Bildnis des Verfassers</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_4">4</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Las Palmas</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_19">19</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Freetown</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_23">23</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Rückentätowierung einer Frau</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_29">29</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Palmenstraße in Boma</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_37">37</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Arbeiterdorf Boma</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_39">39</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Landungsbrücke und Eisenbahn von Matadi</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_41">41</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Bangala-Mädchen im Tanzkostüm</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_43">43</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Fuca Fuca</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_47">47</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Baobab-Baum bei Boma</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_49">49</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Erlegtes Nilpferd</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_55">55</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Produktenhandel</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_59">59</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Eine Kurve der Kongobahn</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_67">67</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Faktoreigebäude Kinschassa</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_69">69</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Kongodampfer</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_71">71</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Häuptling mit Familie im Festschmuck</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_73">73</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Holzposten am Kongo</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_81">81</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Eingeborene bringen Lebensmittel</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_83">83</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Der Kongo bei Upoto</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_91">91</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Mustapha mit Familie</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_93">93</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Budjas-Frau</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_98">98</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Bambala-Mann</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_99">99</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Wabongo-Mann</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_100">100</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Wabongo-Frau</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_101">101</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Baluba-Frau</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_104">104</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Upoto-Mann</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_105">105</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Arbeitsappell</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_111">111</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Trägerkolonne</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_113">113</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Faktoreigebäude Stanleyville</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_115">115</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Errichtung eines Dachfirstes</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_119">119</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Beim Hausbau</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_123">123</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Wohnhaus im Urwalde</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_127">127</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Fischereianlagen im Kongo</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_129">129</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Häuptling mit Gefolge</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_133">133</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Ankauf von Kautschuk</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_139">139</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Marktbild</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_147">147</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Stampfen von Maniokmehl</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_153">153</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Dorfbild</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_159">159</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Arbeiterfrauen vor einer Hütte</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_163">163</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Eingeborene bringen Kautschuk</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_175">175</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Verarbeiten von Kautschuk</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_177">177</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Anfertigung von Kautschukkörben</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_181">181</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Ablieferung von Kautschukkörben</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_183">183</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Der Kongo</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_194">194</a></td>
+</tr>
+</table>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+
+<div class="bbox"><p class="s2 center"><b>Werke zur Zeitgeschichte</b></p><br>
+
+<p><b>»A«.</b> Zwischen Staatsmännern, Reichstagsabgeordneten und
+Vorbestraften.</p>
+<p class="right">Halbleinen geb. 3.50 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">In Gestalt von kurzen Skizzen, in denen der Verfasser
+Reichstagssitzungen beschreibt und kritisiert, wirft er grelle,
+eindrucksvolle Schlaglichter auf den Unsinn des Parlamentarismus ....
+Dem Buch ist wegen seiner Eindringlichkeit, Klarheit und Objektivität
+weiteste Verbreitung zu wünschen.</p>
+</div>
+<p class="right">(Der Deutsche Führer, Berlin.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>von Eppstein</b>, Prof. <em>Dr.</em>
+ &nbsp; Freih. Fürst Bismarcks Entlassung.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Nach den hinterlassenen Aufzeichnungen des Staatsministers
+v. Boetticher nebst 19 Faksimilebriefen von Kaiser Wilhelm II.,
+Großherzog Friedrich von Baden, Fürst Bismarck usw.</p>
+</div>
+<p class="right">Geh. 4 M., geb. 5.50 M., Halbleder geb. 9 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Niemann</b>, Alfred, Oberstleutnant a. D. &nbsp; Kaiser und Revolution.
+Die entscheidenden Ereignisse im Großen Hauptquartier.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 3.50 M., Halbleder geb. 8 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p>Die Schrift Niemanns gehört zu den Geschichtsquellen, die man studieren
+muß, wenn man über die Tage des 9. November sich ein Urteil bilden will.</p>
+</div>
+<p class="right">(Bremer Zeitung, Bremen.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b><em>Dr.</em> Reichert</b>, M. d. R. &nbsp; Rathenaus Reparationspolitik.
+Eine kritische Studie.</p>
+<p class="right">Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.</p><br>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Das Buch enthält eine glänzende Kritik des Gedankens, Reparationen
+durch Sachlieferungen zu leisten, aber auch eine Menge wertvoller
+treffender Bemerkungen zur Erfüllungspolitik.</p>
+</div>
+<p class="right">(Hannoverscher Kurier, Hannover.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Rotheit</b>, Rudolf. Das Berliner Schloß im Zeichen der
+Novemberrevolution. Mit 8 ganzseitigen Textillustrationen.</p>
+<p class="right">Pappband 2 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Das Buch ist eine Episode, die in 15 feuilletonistischen Kapiteln
+aus dem großen Passionsweg Deutschlands herausgenommen wird. Ihre
+Darstellung ist von hohem bleibenden Wert.</p>
+</div>
+<p class="right">(Vossische Zeitung, Berlin.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Wermuth</b>, Adolf, Reichsschatzsekretär, dann Oberbürgermeister
+von Berlin. Ein Beamtenleben. Mit dem Bildnis des Verfassers. Geh. 5
+M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Eine große, glänzende Beamtenkarriere läßt der Autor dieser
+Erinnerungen am Leser vorüberziehen. Der sie durchlaufen, verdiente
+ohne allen Zweifel seinen Erfolg, denn er erscheint uns als der Mann,
+dem fast alle Tugenden des rechten Beamten anhaften, der aber auch ein
+charaktervoller und warm empfindender Mensch, dem man die Sympathie
+nicht versagen kann, war.</p>
+</div>
+<p class="right">(Neue Zürcher Zeitung, Zürich.)</p><br>
+
+<p class="u center">Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen</p><br>
+
+<p class="center">Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW</p>
+</div>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+<div class="chapter">
+</div>
+
+<div class="bbox"><p class="s2 center"><b>Kolonial-Literatur</b></p><br>
+
+<p class="s4"><b>Behrmann</b>, Prof. <em>Dr.</em> Walter. Im Stromgebiet des Sepik.
+Eine deutsche Forschungsreise in Neuguinea. Mit 100 Textabbildungen
+und einer vom Verfasser aufgenommenen Karte.</p>
+<p class="right">Geh. 5 M., Halbleinen, geb. 6.75 M., Halbleder geb. 10 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Die humorvolle Schilderung der vielseitigen Forschungstätigkeit und des
+lebhaften Verkehrs mit den Eingeborenen, die Beschreibung und Abbildung
+der wundervollen Urwaldlandschaften lassen ein vollkommen plastisches
+Bild dieser bisher wenig bekannten Welt vor uns entstehen.</p>
+</div>
+<p class="right">(Bremer Nachrichten vom Büchermarkt, Bremen.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Deppe</b>, Ludwig. Mit Lettow-Vorbeck durch Afrika.
+Mit 143 Textabbildungen und 4 Karten.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 5 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Namentlich die Aufzeichnungen der letzten vier Monate wirken
+erschütternd und offenbaren in ihrer Unmittelbarkeit den Heldenmut, das
+zähe Durchhalten viel stärker, als es noch so schöne Schilderung tun
+könnte.</p>
+</div>
+<p class="right">(Weser-Zeitung, Bremen.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>de Haas</b>, Rudolf. Unter australischen Goldgräbern.</p>
+<p class="right">Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Lebendige und farbenprächtige Bilder aus seinem Leben unter den Farmern
+und Goldgräbern zeigt der Verfasser, so daß der Leser einen überaus
+fesselnden und wertvollen Einblick in diesen abseits allen Verkehrs
+liegenden australischen Landstrich mit seinen aus aller Herren Ländern
+zusammengewürfelten Bewohnern erhält.</p>
+</div>
+<p class="right">(Deutsches Lehrerblatt, Berlin.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>de Haas</b>, Rudolf. Im Schatten afrikanischer Jäger. Bilder aus
+den Steppen am Kilimandscharo.</p>
+<p class="right"> Geh. 2 M., geb. 3.25 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Hier kommt ein alter Deutsch-Ostafrikaner zu Wort, der mit Herz und
+Seele an dem Lande hängt, das ihm zur neuen Heimat geworden, in der er
+schwer gearbeitet, gelitten, aber auch genossen hat.</p>
+</div>
+<p class="right">(Deutsche Wochenzeitung für die Niederlande, Amsterdam.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Poeschel, <em>Dr.</em></b> Hans. Die Stimme Deutsch-Ostafrikas. Die
+Engländer im Urteil unserer ostafrikanischen Neger. Mit Geleitworten
+von Gouverneur <em>Dr</em>. Schnee und Generalmajor v. Lettow-Vorbeck.</p>
+<p class="right">Geh. 0.50 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Verfasser zeigt, wie das Verhalten der Neger während des Weltkrieges,
+schon allein die Ruhe, die sie im Gegensatz zu den Untertanen
+des britischen Weltreiches bewahrten, mehr noch die von allen
+Bevölkerungsschichten geleistete schwierige Kriegshilfe ein über jeden
+Zweifel erhabenes Zeugnis zugunsten der deutschen Herrschaft darstellt.</p>
+</div>
+<p class="right">(Die katholischen Missionen, Freiburg i. Br.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Wenig</b>, Richard, Oberleutnant z. S. &nbsp; Kriegs-Safari. Erlebnisse
+und Eindrücke auf den Zügen Lettow-Vorbecks durch das östliche
+Afrika. Mit zahlreichen Originalphotographien und einer Kartenbeilage.</p>
+<p class="right">Geh. 2 M., geb. 3.25 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Wenig bietet hier in impressionistisch hingeschriebenen Aufzeichnungen
+ein berückendes Bild des freien Kriegslebens in den unendlichen
+sonnedurchflimmerten Steppen Afrikas.</p>
+</div>
+<p class="right">(Österreich. Wehrzeitung, Wien.)</p><br>
+
+<p class="u center">Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen</p><br>
+
+<p class="center">Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW</p>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+<div class="chapter">
+</div>
+
+<div class="bbox"><p class="s2 center"><b>Weltkriegs-Literatur</b></p><br>
+
+<p class="s4"><b>von Bülow</b>, Generalfeldmarschall. &nbsp; Mein Bericht zur
+Marneschlacht. Mit 7 Kartenbeilagen.</p>
+<p class="right">Geb. 1.50 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Die vorliegende Schrift bringt in großen Umrissen eine aktenmäßige
+Darstellung der Vorgänge, die sich im Rahmen der zweiten Armee
+abgespielt haben, und überläßt es dem Leser, sich selbst ein Urteil
+darüber zu bilden.</p>
+</div>
+<p class="right">(Artilleristische Monatshefte, Berlin.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>von François</b>, Herrmann, General der Infanterie z. D.
+Marneschlacht und Tannenberg. Betrachtungen zur deutschen
+Kriegführung der ersten sechs Kriegswochen. Mit zahlreichen
+Kartenskizzen im Text und 14 Kartenanlagen.</p>
+<p class="right">Geh. 5 M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Der Verfasser beleuchtet in kritischer Weise die Marneschlacht klar und
+fesselnd, so daß auch die nichtmilitärischen Kreise seine Darlegungen
+und Schilderungen mit tiefstem Interesse lesen werden. Das Werk bildet
+eine sehr wichtige Bereicherung unserer Literatur über den Weltkrieg
+und wird späteren Geschichtschreibern von großem Nutzen sein.</p>
+</div>
+<p class="right">(Allg. Zeitung, Königsberg i. Pr.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>von Gleich</b>, Gerold, Generalmajor z. D. Vom Balkan nach Bagdad.
+Militärisch-politische Erinnerungen an den Orient.</p>
+<p class="right">Geh. 2.50 M., Halbleinen geb. 4 M. Halbleder geb. 8 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Schonungslos zieht hier ein alter Generalstabsoffizier alle Schleier
+hinweg, die bisher geheimnisvoll die deutsche Expedition ins
+Perser Land umwoben, und zeigt, wie Unzulänglichkeit des Planes,
+Zersplitterung der Kräfte, Eifersüchteleien zwischen deutschen und
+türkischen Befehlshabern, persische Indolenz und Gerissenheit über
+deutschen Willen triumphieren.</p>
+</div>
+<p class="right">(Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer, Berlin.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Liman von Sanders</b>, General der Kavallerie. &nbsp; Fünf Jahre Türkei.
+Mit zahlreichen Textskizzen und 3 Kartenbeilagen.</p>
+<p class="right">Geh. 5 M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Es ist das Verdienst des Generals Liman von Sanders, des
+Dardanellensiegers, daß er seine in diesem Buche festgelegten
+Erinnerungen mit ungeschminkter Wahrheit sagt. Seine unerhörten Kämpfe
+an den türkischen Fronten gegen die Feinde des Vierbundes werden in
+diesem Buch trefflich geschildert.</p>
+</div>
+<p class="right">(Altonaer Nachrichten, Altona.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Scheer</b>, Admiral. Deutschlands Hochseeflotte im Weltkriege.
+Persönliche Erinnerungen. Mit zahlreichen Bildern und Kartenbeilagen.</p>
+<p class="right"> Geh. 7 M., Halbln. gb. 9 M., Halbld. gb. 12 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Admiral Scheer hat die Skagerrakschlacht eingehend geschildert. Durch
+zahlreiche Skizzen und Karten wird auch dem Laien ein klares Bild von
+jenem denkwürdigen Geschehnis vermittelt.</p>
+</div>
+<p class="right">(Münchener Zeitung, München.)</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Spindler</b>, Karl, Kapitän. Das geheimnisvolle Schiff. Die Fahrt
+der»Libau«zur irischen Revolution.</p>
+<p class="right">Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.</p>
+<div class="blockquot">
+<p class="s5">Das Wirken Sir Roger Casements für den irischen Freiheitskampf, seine
+Unterstützung durch Deutschland und die englandfreundliche Haltung des
+damals noch»neutralen«Präsidenten Wilson werden hier zum ersten Male in
+ihren Zusammenhängen dargestellt.</p>
+</div>
+<p class="right">(Sport im Bild, Berlin.)</p><br>
+
+<p class="u center">Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen</p><br>
+
+<p class="center">Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW</p>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+</div>
+
+<div class="bbox"><p class="s2 center"><b>Bücher für die männliche Jugend</b></p><br>
+
+<p class="s4"><b>Geucke</b>, Kurt. Der Steiger vom David-Richtschacht. Mit Bildern
+von Willibald Weingaertner.</p>
+<p class="right">Halbleinen geb. 2 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Helling</b>, Viktor. Das Geheimnis der Kazikengräber. Mit vier
+Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck von Albert Schaefer.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 3 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Helling</b>, Viktor. Unter Indiens Sonne. Abenteuer zweier
+deutscher Knaben. Mit fünf Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck
+von Albert Schaefer.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 3 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Helling</b>, Viktor. Der Jäger von Los Angeles. Abenteuer in den
+Urwäldern Südkaliforniens. Reich illustriert.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 3 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Helling</b>, Viktor. Exotische See- und Reiseerlebnisse. Mit fünf
+Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck von Prof. Ludwig Fahrenkrog.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 2.50 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>von Mücke</b>, Helmuth, Kapitänleutnant. Emden-Ayesha.
+Selbsterlebtes von den sagenhaften Fahrten der ruhmreichen deutschen
+Schiffe »Emden« und »Ayesha« auf hoher See.</p>
+<p class="right"> Band 1 Ayesha. Geh. 1 M., geb. 2 M.
+Band 2 Emden. Geh. 1 M., geb. 2 M.</p>
+<p class="right"> Beide Bücher in einem Band geb. 3 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Otto</b>, Friedrich. Abenteuer aus aller Welt. Mit Bildern und
+Buchschmuck von Albert Schaefer.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 3 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Poeck</b>, Wilhelm. Heino der Klabautermann. Eine
+Schiffsjungengeschichte. Mit zahlreichen Bildern und Buchschmuck von
+Edmund Erpf.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. etwa 4 M.</p><br>
+
+<p class="s4"><b>Hersen</b>, E. Die Wikinger von Jomsburg. Zeitbild aus dem
+10. Jahrhundert, nordischen Sagen nacherzählt. Mit Bildern und
+Buchschmuck von Franz Staffen.</p>
+<p class="right"> Halbleinen geb. 4 M.</p><br>
+
+<p class="u center">Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl
+ des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen</p><br>
+
+<p class="center">Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW</p>
+
+</div>
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75721 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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+++ b/LICENSE.txt
@@ -0,0 +1,11 @@
+This book, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this book outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
diff --git a/README.md b/README.md
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+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+book #75721 (https://www.gutenberg.org/ebooks/75721)