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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-03-31 10:22:00 -0700
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--- /dev/null
+++ b/75761-0.txt
@@ -0,0 +1,3909 @@
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 ***
+
+
+
+=======================================================================
+
+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+Das Original ist in Fraktur gesetzt. Die Schreibweise und Interpunktion
+des Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler
+sind stillschweigend korrigiert worden.
+
+Wörter in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~
+
+=======================================================================
+
+
+
+
+ [Illustration]
+
+
+ Volksbücher
+ der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung
+ Heft 19
+
+
+ Peter Rosegger:
+ Der Adlerwirt von Kirchbrunn
+
+
+ Hamburg-Großborstel
+ Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung
+ 1908
+
+
+
+
+ 11.-20. Tausend
+
+
+
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Inhalt.
+
+ Seite
+
+ Einleitung von Wilhelm Lottig 3-4
+
+ ~Peter Rosegger~: Der Adlerwirt von
+ Kirchbrunn 7-139
+
+
+ [Illustration]
+
+Für die Abdruckserlaubnis dieser Novelle schulden wir dem Herrn
+Verfasser und der Verlagsbuchhandlung L. Staackmann in Leipzig Dank.
+Die Novelle ist dem Bande »Hoch vom Dachstein« von Peter Rosegger
+entnommen.
+
+ [Illustration]
+
+ Ein Bild Peter Roseggers ist hinter Seite 4 eingeheftet.
+
+ [Illustration]
+
+
+~Peter Rosegger~[1], geboren den 31. Juli 1843, war also vor
+50, 60 Jahren noch das nichtige Waldbauernpeterl in der weltab
+liegenden kleinen steirischen Dorfgemeinde Alpel bei Krieglach,
+danach vom 17. bis übers 20. Lebensjahr hinaus Lehrbub und Gesell
+beim Bauernschneider zu Kathrein am Hauenstein. Heut ist er unser
+bester Volksschriftsteller, einer, der sich selbst die Aufgabe stellen
+durfte: Ich will mitarbeiten an der sittlichen Klärung unserer Zeit.
+So seltsam solche Entwicklung scheint, so folgerichtig ist sie doch.
+Die Landschaftsbilder, die unbewußt schon das helle Kindesauge aufsog,
+die Menschen und die Menschenschicksale, die der Wachsende, in mehr
+als 60 Bauernhäusern schneidernd, regen Sinnes mit erlebte, sie sind
+der Grundstock des reichen Vermögens, das der »Waldpoet« so köstlich
+verwaltete. 21jährig wagte er, halb gedrängt vom übermächtigen inneren
+Emporquellen, halb gezogen von helfend sich entgegenstreckenden Händen,
+den Sprung vom Naturdasein als bäuerlicher Handwerker hinüber ins
+Weltleben des Kulturmenschen. Die schwierige Verpflanzung gelang nach
+harten Übergangswehen; aber der Riß in der Entwicklung vernarbte nur,
+weil und soweit die abgerissenen Wurzelfäden den Weg zurück fanden zu
+dem Nährboden ihrer Kraft. Sie gruben ihn mit Urgewalt; ein schier
+krankhaftes Heimweh zwang den körperlich auf Reisen oder stofflich
+in seinem Schaffen sich von seiner »Waldheimat« Entfernenden immer
+wieder in ihre Mutterarme zurück. Rosegger wohnt jetzt abwechselnd
+in Graz und auf dem bescheidenen Sommersitz, den er sich, zunächst
+dem Ursprung seines Werdens und Wesens, in Krieglach gegründet. Aus
+allen seinen Werken, von dem 1869 erschienenen ersten Büchelchen an
+die lange Reihe von Bänden hindurch, die sein unermüdlicher Fleiß,
+sein unerschöpflicher Gestaltungsdrang uns gegeben haben, quillt
+dieselbe Urwüchsigkeit, dieselbe gottgegebene Frische des Gemüts im
+Ernst und im »Hamur«, dieselbe Kraft und Tiefe der Erfassung, die
+schon den Waldbauernbuben schmerzhaft und glückhaft über seine Umwelt
+hinaushob. »Der ewige Waldbauernbub«, in dies Wort schließt Rosegger
+einmal selbst seine ganze Entwicklung ein; seine Dichtergröße aber ist,
+wie durch seine Augen gesehen ein kleines Einzelschicksal wächst und
+sich verklärt zu einem uns im Innersten ergreifenden und reinigenden
+Abbild großen Menschheitsringens und Gottheitssiegens. Wer die in
+diesem Bändchen abgedruckte Novelle mit so gerichteten Gedanken liest,
+der wird selbst etwas von der schmerzhaften und doch glückhaften
+Erschütterungsfähigkeit spüren, deren Vollbesitz den Waldbauernbuben
+zum Dichter krönte.
+
+ Hamburg, im Juli 1907. W. Lottig.
+
+[1] Die Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung druckte schon
+im 3. Bande ihrer »Hausbücherei« zwei kleine Humoresken Roseggers:
+»Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß« und »Wie wir die
+Gürtelsprenge haben gehalten«.]
+
+
+ [Illustration: _Peter Rosegger_]
+
+
+ [Illustration]
+
+ Peter Rosegger:
+
+ Der Adlerwirt von Kirchbrunn.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Der Adlerwirt von Kirchbrunn.
+
+ Eine Dorfgeschichte.
+
+
+
+
+ 1. Abschnitt.
+
+
+»Also vorwärts!« rief das Männlein und sprang flink in den Wagen.
+»Wolfram, komm an meine grüne Seite, du hast ganz nett Platz neben dem
+alten Knaben! Wir wollen ja schwatzen unterwegs!«
+
+Demnach setzte sich der junge Kutscher nicht auf den Bock, sondern
+schickte sich an, vom bequemen Sitze des Landauers aus die Pferde zu
+leiten. Es waren zwei muntere Braune, deren glatte Haut einen feinen
+Seidenglanz hatte, als ob sie wie das Riemzeug gewichst worden wäre.
+
+Der Kutscher war Wolfram Seltensteiner, der junge Wirt vom »Schwarzen
+Adler« zu Kirchbrunn. Ein froh und freundlich in die Welt blickender
+Blondkopf von etwa dreiundzwanzig Jahren. »Ein Gesicht, länglich-rund
+wie ein Taubenei, Augen hell und blau wie der Himmel im Mai, Nase
+schlank Und stramm, rote Oberlippe keck und zahm, der Mund so angetan,
+daß er gut lachen und küssen kann. Vom Scheitel bis zur Zehe hinab ein
+schlanker, hübscher, gesunder Knab'.«
+
+»Junger Mann!« rief ihm der kleine Alte zu, »stelle ja nichts an! Wenn
+du durchgehst und ich erlasse auf dich den Steckbrief, so kommst du
+nicht weit, die Weiber fangen dich ein!«
+
+Einen Schnalzer mit der Zunge machte der junge Mann, da trabten die
+Rößlein fürbaß.
+
+»Behüt' Gott, Herr Professor! Kommen Sie fein wieder im nächsten
+Jahr!« So riefen jetzt die vor dem Wirtshause stehenden Leute. Männer
+schwenkten die Hüte, Weiber die Sacktücher.
+
+Das ältliche Herrlein im Wagen streckte die offene Hand zurück nach den
+Leuten, als wollte er ihnen noch wie Körner die Worte hinstreuen, die
+er sprach: »Grüß Gott das letzte Mal und gebet acht, Kinder, daß ihr
+nicht weniger werdet, bis ich wiederum komm', und betet manchmal ein
+Vaterunser oder ein Schnaderhüpfel für den alten Professor Nix!«
+
+Der Wagen rollte die glatte Straße davon und verschwand bald im
+tauenden Herbstnebel.
+
+»Ist ein lieber Herr!« sagten jetzt die Zurückbleibenden untereinander,
+»ist ein lustiger Herr! Alleweil heiter! So pudelnärrisch und so
+gescheit dabei! Wer wird uns jetzt Geschichten erzählen, Liedeln lehren
+am Feierabend, Rätsel aufgeben, Zaubereien vormachen und guten Rat
+austeilen? Das ist ein lieber Schatz!«
+
+»Er heißt Nix!« brummte einer der Umstehenden.
+
+»Was sagst du! der Professor heißt Nix? Ich denk' wohl ein bissel
+mehr wie du! Gib acht, daß wir dir dein Lästermaul nicht mit einer
+Feigensalbe verkleben!«
+
+»Nein, er heißt Nix!« lachte ein Junge.
+
+»Nix heißt er!« lachten jetzt auch die übrigen.
+
+»Wenn ich nur wüßte, woher er den dummen Namen hat!«
+
+»Muß ein Spitzname sein, weil er allemal nix antwortet, wenn man ihn
+fragt, wer er ist, was er treibt, was er weiß, was er hat, was er will!
+Er ist nix und treibt nix und weiß nix und hat nix und will nix! Darauf
+haben sie ihn den Professor Nix geheißen.«
+
+»Ist nicht wahr!« rief der Nagelschmied. »Seit Jahren kommt er auf die
+Sommerfrische nach Kirchbrunn, wir kennen ihn als braven Mann. Das ist
+etwas! Nachher geht er in der Gegend umher, Pflanzen sammeln, Bäume und
+Hunde zeichnen, traurige Leut' lustig machen. Das ist auch etwas. Er
+weiß zu erzählen von Himmel und Erden, von den Russen und Franzosen,
+auch wie die Eisenstiften gemacht werden, weiß er, und wie er zu mir
+einmal in die Werkstatt kommt, nimmt er mir das Zeug aus der Hand und
+macht den Eggnagel fertig, daß es nur so eine Form hat. Das ist schon
+was, meine lieben Leut'. Wer ein Handwerk kann! Handwerk ist besser
+wie Kopfwerk! Nur fürs Nixhaben und Nixwollen mag sein Name passen,
+ich hab' mir oft gedacht: der lebt von der Luft und vom Wasser und vom
+Lustigsein.«
+
+»Er hat gegessen und getrunken und seine Sach' bezahlt!« berichtete der
+alte Adlerwirt, der in Hemdärmeln und unter dem grünen Sammetkäppchen
+am Pferdetrog stand und mit dem kurzen Worte die Ehre seines Hauses und
+seines Gastes rettete.
+
+Der Wagen fuhr mittlerweile hinaus über Wiesen und Fluren, durch Dörfer
+und Wälder, dem Bahnhofe in Geßnitz zu.
+
+»Wolfram!« sagte der kleine hagere Mann, den sie den Professor Nix
+geheißen hatten, »warum rauchst du heut' keine Zigarre?«
+
+»Weil ich keine habe,« antwortete der Bursche und zog den
+Leitriemen an.
+
+»Was ist denn das?« fragte der Professor und tippte an Wolframs
+Brusttasche, aus welcher ihrer drei oder vier Glimmstengelspitzen
+hervorguckten.
+
+»Das da?« fragte der Bursche schmunzelnd entgegen, »das sind Zigarren.«
+
+»Knabe, du glaubst, daß mir der Rauch unangenehm sei!«
+
+»Wer selber nicht raucht --«
+
+»Ich will dich nicht zwingen. Weiß nur, daß man den Mund nicht gern
+leer stehen läßt. Wir Alten schwatzen, Ihr Jungen wollet busseln oder
+rauchen. Zum Busseln wirst keine im Sack haben. Also steck' etwas
+anderes in Brand!«
+
+Lächelnd zündete Wolfram sich eine an.
+
+Als sie aus dem Gebirgstal in die Fläche herausgekommen waren und
+am Dorfe Schwambach vorüberfuhren, kehrten im dortigen Wirtshause,
+denn es war Sonntag, gerade vier Musikanten ein: ein Trompeter, ein
+Klarinetter, ein Geiger und ein Baßgeiger.
+
+»Was denkest du darüber?« fragte Professor Nix seinen Kutscher.
+
+»Bis ich zurückfahre, wird's schon umgehen,« antwortete dieser. »Der
+Schwambacher gibt einen Freiball.«
+
+»Du, da gib nur acht, daß dir die Pferde nicht scheuen auf der
+Rückfahrt! Ein paar feurige Tiere, die du hast!« so neckte das magere
+Männlein.
+
+Auf der Hochebene, über die sie nachher wieder dahintrabten, kamen sie
+in einen Eichenwald, an welchem bereits die Blätter gilbten. Manchmal
+wehte ein goldig leuchtendes Blatt nieder auf die weiße Straße, und der
+Wald war so still und feierlich, daß es dem Professor wie ein Seufzer
+aus der Brust kam: »Ja, der Herbst!«
+
+Jetzt sahen sie neben der Straße im Laubwerk und Schlinggewächse zwei
+Mädchen. Junge, erwachsene Mädchen, das eine in putziger Bauerntracht,
+das andere bürgerlich angetan; das eine mit einem roten Tuch über dem
+Haupt, das andere mit einem schwarzen Hütchen. Die unter dem Tuche
+hatte ein lachendes Rundgesichtlein, die unter dem Hute war blaß und
+ernsthaft und hatte schwarze Augen.
+
+»Was wollen denn die?« fragte der Professor den jungen Kutscher.
+
+»Sie haben Körblein bei sich. Wahrscheinlich Brombeeren pflücken.«
+
+ »Wollt' ein Madel früh aufstehn,
+ Wollt' Brombeer brocken gehn« --
+
+trillerte der Alte. »Kennst du das?«
+
+»Ja, man singt so,« antwortete Wolfram.
+
+»Wenn du der Jägerssohn wärest,« neckte der Alte weiter, »mit welcher
+von den zweien wolltest du Brombeer brocken?«
+
+»Weiß 's nit,« sagte der Bursche.
+
+»Na, dann ist es mit dir noch nicht gefährlich!« lachte der Professor,
+dem Burschen auf die Achsel klopfend.
+
+»Just übel wär' keine -- von den zweien,« sagte der Wolfram.
+
+»Na, dann ist es gefährlich,« setzte jener bei. Sein frisches
+Gesichtlein unter dem grauenden Haar war plötzlich ernsthaft. Und die
+Mädchen waren ihren Augen entschwunden.
+
+Als der Wagen wieder aus dem Walde kam, sah man in der Ferne die
+zwei weißen Türme von Geßnitz. Sie leuchteten nur schwach durch die
+nebelgraue Luft. Hinter dem stattlichen Marktflecken die Berglehne
+konnte man nicht mehr erkennen. Und gerade dorthin hatte Wolfram sein
+Auge gerichtet.
+
+»Siehst du den Salmhof?« fragte ihn der Professor.
+
+»Man sieht nichts,« antwortete der Bursche.
+
+»Liegt sie dir im Sinn?« fragte der Professor.
+
+»Aber ich kenne sie ja gar nicht,« entgegnete Wolfram. »Das ist wieder
+nur so von meinem Vater etwas. Weil sie Geld hätte, meint er. Ich
+denke, es muß nicht alles Geschäft sein, was der Mensch tut.«
+
+»Brav bist, mein Sohn!« sagte der Professor, »für Geld heiratest keine.
+Aber ganz verachten mußt auch das Geld nicht, wenn sie zufällig eins
+hat. Geld ist Mist, aber Mist ist Dung, und Geld ist der Dung des
+ehelichen Glückes.«
+
+»Die Salmhoferische wäre mir auch viel zu fürnehm,« bemerkte der
+Bursche, »die will höher fliegen als auf ein Wirtshaus, sagen sie.
+Körbe kann ich auch in Kirchbrunn haben, da brauch ich d'rum nicht gar
+bis Geßnitz zu gehen.«
+
+»Junge!« rief der Alte und hieb ihm die Hand auf den Rücken, »du bist
+nur zu wenig keck! Ein Kerl, wie du bist, verlegt sich nicht auf
+Korbhandel. Aber auch nicht dreinpatschen! Keck und klug!«
+
+Der Wolfram schwieg. Über die Hochebene her strich ein kühler Wind, der
+brachte Regenschauer.
+
+»Ist schon gut,« rief der Professor ins Weite hinaus; »Herrgott, ich
+sehe deinen guten Willen, mir den Abschied von der Sommerfrische so
+leicht als möglich zu machen. Hast du nichts dagegen, Wolfram, so
+machen wir den Wagen zu!«
+
+Das war bald geschehen, aber dann saß der Kutscher auf dem Bock und der
+alte Herr in dem finsteren Lederkotter. An das hatte er nicht gedacht.
+Nach einer Weile klärte sich der Himmel wieder, und da waren sie auch
+schon in Geßnitz auf dem Bahnhof. Professor Nix sprang rüstig aus dem
+Wagen. »Wolfram, mein Sohn!« sagte er noch, »geweint und gelacht wird
+nicht. Höre auf zum Wachsen, bleibe munter und mach' keine Dummheit. So
+Gott will, im nächsten Sommer komme ich wieder!«
+
+Damit sprang er auf das Trittbrett, denn es läutete das dritte Mal, und
+der Sommerfrischler dampfte ab in die große Stadt.
+
+Wolfram schaute dem Zuge nach und dachte: Der gute Professor Nix!
+Seinen bluteigenen Oheim kann man nicht lieber haben. Die elf Jahre
+kommt er schon nach Kirchbrunn und ist immer der gleiche. Wenn er
+lacht, ein Kind, wenn er schwärmt, ein Jüngling, und wenn er guten Rat
+gibt, ein Greis. Wenn man nur eigentlich wüßte, wie alt! Die Leute
+tragen ihn auf den Händen, das deutet auf ein Kind hin. -- Und jetzt,
+Fuchsen, heimwärts nach Kirchbrunn.
+
+Der Bursche war seit fünf Minuten anders geworden. Früher der fast
+befangene, wortkarge, dienstwillige Dorfwirt, der sein Verhältnis
+fühlt dem vornehmen Gaste gegenüber; jetzt der aufgeweckte, keck
+dareinschauende Hausbesitzerssohn von Kirchbrunn, sein eigener Diener
+und Herr, Kutscher und Kavalier zugleich auf dem Wagen. Nachdem er
+im Posthause etliche Briefe abgegeben, ein Kistchen mit Likören in
+Empfang genommen und auf dem Kutschbocke noch ein paar Gläser Bier
+ausgetrunken hatte, ließ er seine Zunge schnalzen, das ersetzte bei den
+klugen Rößlein stets die Peitsche, und ließ heimwärts traben.
+
+Bei einer Straßenbiegung sah er vor sich an der Berglehne einen
+stattlichen Bauernhof liegen; der nahm sich fast schloßartig aus, hatte
+sogar ein Türmchen, auf dem eben Mittag geläutet wurde. Es war, als ob
+die Glocke zur Straße herabriefe: Komm, komm! Komm, komm! -- Allein der
+Wirtssohn aus Kirchbrunn fuhr stolz vorüber. -- Oh, zu ~der~ hätte
+ich weit! dachte der Wolfram. Wenn ich jetzt zur Haustochter im Salmhof
+hinauf wollte, um zu freien, da müßt' ich erst wissen, ob sie mich gern
+hat. Und ihr Gernhaben möchte mich nur freuen, wenn ich in sie verliebt
+wäre. Und verliebt in sie könnte ich nur sein, wenn ich mit ihr bekannt
+wäre, und das ist wieder nur möglich, wenn man sie einmal gesehen hat.
+-- Ich weiß gar nichts von ihr, als daß mein Vater sagt, das wäre
+eine Frau für den »Schwarzen Adler« zu Kirchbrunn. Gott, bis sich so
+ein langer Faden abwickelt! Und am Ende wär' nachher ein Scheusal im
+Knäuel. Hübsche Dirndln haben kein Geld. Reiche sind oft nicht recht
+sauber. -- Hia, Füchseln! Heim zu geht's! --
+
+Der Himmel hatte sich fast aufgeheitert, es ward ein sommerlich warmer
+Mittag. Als der Wagen in den Eichenwald kam, leckerte es die Pferde
+nach grünem Kraute, das am Wege wuchs, und sie nahmen im Vorbeigehen
+manche Schnauze mit sich.
+
+»Wenn es euch so sehr nach Preiselbeerkraut und Enzianen gelüstet,«
+sagte der Wolfram, »ich fände zwar nichts Gutes dran, aber es sei euch
+wohl vergunnt. Spannen wir ein bißchen aus.«
+
+Er ließ den Wagen ein wenig von der Straße seitwärts auf ein grünes
+Angerlein ziehen, löste die Pferde los und hieß sie sich frei ergehen
+zwischen den Bäumen. Er selbst schlenderte auch so dahin, und da es gar
+warm und wohlig geworden war und die Pferde eine prächtige Grasbank
+gefunden hatten, so streckte er sich aufs Moos. Ein Stündel Rast kann
+nicht schaden. Heute ist ja doch alles beim Schwambachwirt, und in
+Kirchbrunn nichts los. Da kommt man noch früh genug heim. -- Die Arme
+unter dem Haupte, so lag er auf dem Rücken schlank ausgestreckt und
+schaute in die hohen Baumkronen auf. -- Warum im Herbst die Vögel nicht
+singen wollen! dachte er, kein einziger! Ist es denn gar so schlimm?
+Ich merke keinen Unterschied zwischen Frühjahr und Herbst ...
+
+Fast ein wenig geschlafen mußte er haben. Regentropfen weckten ihn
+auf. -- Ja, Knabe, es ist doch ein Unterschied zwischen Frühjahr und
+Herbst. -- Eilig stand er auf, die Pferde waren nicht weit, er führte
+sie über das weiche Moos hin gegen den Wagen. Jetzt erlebte Wolfram
+eine Neuigkeit. In seinem Wagen hatten sich fremde Wesen eingeheimt.
+Er hörte schon von weitem kichern und lachen. Die zwei Brombeermädchen
+waren vom Sprühregen unter dieses Dach gejagt worden, und der Fürwitz
+der einen hatte alsogleich Besitz ergriffen von dem herrenlosen Wagen,
+der so mutterseelenallein unter den Bäumen stand. Der Schlag zu beiden
+Seiten geschlossen und zugefenstert, so hockten sie nun darinnen auf
+dem Lederpolster und waren just daran, in diesem feinen Gelasse ihr
+mitgebrachtes Mittagsmahl zu verzehren. Brot und Käse hatten sie, das
+schnitten sie auf dem Schoße säuberlich in Stückchen, naschten auch von
+den gesammelten Brombeeren dazu. Die eine mit dem blassen Gesichtchen
+war ernsthaft, die andere mit den blühenden Wangen und dem roten
+Kopftuche darüber war voller Schalkheiten.
+
+»Hui sauer!« kicherte diese; »da wär' mir schon ein Bussel lieber.«
+
+»Das kannst auch haben, Frieda,« sagte die andere und tat, als wollte
+sie einen Kuß hergeben.
+
+»Geh, geh, Haustochter Kundel!« wehrte die Frieda ab, »da müßtest erst
+einen Schnurrbart haben!«
+
+»Ach so!« antwortete die andere. »Wie kommst du mir denn vor,
+Jungdirn?«
+
+Da trillerte Frieda:
+
+ »Busserlgebn, busserlgebn,
+ Das is nit Sünd,
+ Hat mir's schon d' Muater glernt
+ Als a kloans Kind!«
+
+»Ich kann da nicht mitreden,« gestand die mit dem Hütchen.
+
+»Mich ärgert 's nur,« warf die Frieda ein, »da reden und singen sie
+immer davon, daß einem ordentlich der Mund wässerig wird, und wann's
+Ernst werden will, ist's verboten. Und das ist auch dumm: heimlich
+möcht' man's probieren, und kommt einer, schwupps hat er eine auf der
+Wange!«
+
+»Wer wird denn so leckerig sein!« sagte die Kundel, »das sind lauter
+Dummheiten.«
+
+»Weißt, von wem ich ein Bussel möcht'?« gab das frische Rundgesichtel
+zu raten, denn es schien, als wollte sie einlenken.
+
+»Wahrscheinlich von einem schönen Junggesellen,« antwortete die Kundel.
+
+»Von einem Mannsbild nit!« versicherte die andere. »Von einem Mannsbild
+möcht' 's mir grausen. Weißt du: ein Kindel, wenn ich hätt', von dem
+möcht' ich ein Bussel.«
+
+In demselben Augenblick machte der Wagen einen Ruck und rollte davon.
+
+Einen grellen Schreckruf hatten die beiden Mädchen ausgestoßen und dann
+ein Jammergeschrei erhoben. Das nützte nichts und schadete nichts, die
+Rößlein trabten flink die Straße entlang, der Wolfram auf dem Bocke
+schnalzte tapfer mit der Zunge, und so rollte es dahin wie der Wind,
+die Richtung gegen Kirchbrunn. Der Wolfram hörte das Gekreische und
+Hilfegeschrei in der Kutsche, er schmunzelte bei sich: »Das ist kein
+schlechter Spaß, ich entführe sie zum Freiball nach Schwambach. Zwei
+fremde Brombeerbrockerinnen, denen die Brombeeren nicht süß genug sind.
+Na, wartet!«
+
+Als die gefangenen Dirndeln merkten, daß ihr Geschrei nichts richtete
+und das Hinausspringen zum Wagenschlag gefährlich sei, wurden sie
+mäuschenstill und berieten unter sich.
+
+»Zwei Rösser sind angespannt und auf dem Bock ein Mannsbild!« flüsterte
+die Kundel. »Frieda, was wird mit uns geschehen?«
+
+»Haustochter, wir kommen ins Afrika und werden als Sklaven verkauft,«
+antwortete die in dem roten Tuche mit einer Ernsthaftigkeit, in der man
+den Schalk kaum herausmerkte.
+
+»Ich spring' aus!« rief die Kundel.
+
+»Dann bist hin!« antwortete die Frieda. »Ich glaube, wir bleiben hübsch
+sitzen. Kommen wir durch eine Ortschaft, so schlagen wir Lärm.«
+
+»Um keinen Streich!« versetzte die Kundel. »Die Schande! Eher laß ich
+mich entführen bis zum großen Wasser, dort springe ich hinein.«
+
+Die Frieda hatte mittlerweile zum Fenster hinausgelauert und gefunden,
+daß der Mann auf dem Kutschbocke, soweit man von ihm etwas erblicken
+konnte, nicht allzu schrecklich aussehe. Ja, es wollte sie bedünken,
+als hätte sie diesen Menschen schon irgendwo gesehen, ohne Furcht vor
+ihm zu empfinden. Darüber waren die beiden nun ein bißchen getröstet.
+
+Draußen regnete es, die Tropfen schlugen scharf ans Fenster, und
+schwere Nebel hatten sich niedergelegt über die Ebene, daß es schier
+dunkel ward. Und der Wagen rollte unablässig fort und in das Ungewisse
+hinein.
+
+»Ach, mein junges Leben!« seufzte die Kundel. »O dieses unglückliche
+Brombeerbrocken.«
+
+»So kommt es, wenn man am Sonntag die heilige Messe versäumt und im
+Walde umgeht,« sagte die Frieda lustig.
+
+»Zwick' mich am Arm!« bat die Kundel.
+
+»Du kommst mir wunderlich für, Haustochter. Warum soll ich dich jetzt
+am Arm zwicken?« fragte die Frieda.
+
+»Damit ich wach werde. Drei Heuschöber verwett' ich, das ist nur ein
+Traum. Ich habe vor kurzer Zeit eine Rittergeschichte gelesen, wie der
+Raubritter Kuno das schöne Burgfräulein Adelgunde auf einem Rappen
+entführt hat. Das kommt mir jetzt im Schlafe vor. Ich bitte dich, so
+wecke mich doch auf!«
+
+Frieda kicherte. »Wenn es bei mir auch ein Traum sollt' sein, dann
+sei so gut, wecke mich nicht auf,« sagte sie. »In einer so fürnehmen
+Kalesch' bin ich mein Lebtag noch nie gefahren und werd' auch gewiß
+nicht mehr die Gnad' haben. Jetzt laß ich mir's schmecken und denk' an
+nichts. Wenn er uns hinführt, so muß er uns auch zurückführen, jetzt
+kommt mir die Kurasch.«
+
+»Frieda, du bist schrecklich leichtsinnig!« sagte die andere.
+
+»Du bist nicht leichtsinnig und mußt auch mit.«
+
+»Wenn ich glücklich davonkomme, so stifte ich eine Kapelle im
+Eichenwald,« beteuerte die Kundel.
+
+»Und ich gehe hinein beten!« nahm die Frieda sich vor. »Jetzt wollen
+wir die gnädige Frau spielen und Brombeeren naschen.«
+
+Die Brombeeren wären großenteils auf dem Kutschboden zu suchen gewesen,
+auf welchem sie zerstreut umherlagen.
+
+»Sind die Rösser schwarz?« fragte die Kundel plötzlich.
+
+»Fuchsbraun,« antwortete die Frieda.
+
+»Gott sei Lob und Dank!« warf die Kundel hin.
+
+»Warum?«
+
+»'s kunnt auch der Teufel sein Spiel haben!«
+
+»Ich weiß mich nicht schuldig. Bin eine arme Magd.«
+
+»Schuldig weiß ich mich auch nicht,« sagte die Kundel, »wenn nicht etwa
+die fürwitzigen Träume was machen, manchmal. Dem Ritter Kuno traue ich
+um keinen Preis.«
+
+»Ritter machen mir wieder nichts,« gestand die Frieda, »aber wenn
+gerade so ein sauberer Bauernknecht käm', da wollt' ich für nichts
+gutstehen.«
+
+»Oder ein kernfester Holzknecht aus dem Siebenbachwald!« neckte die
+andere.
+
+»Laß das gut sein, Haustochter, ich mag nichts hören von ihm,« so
+antwortete die Frieda.
+
+Ähnliches sprachen sie halb im Ernst, halb im Scherz, halb in süßer
+Verwirrung. Der Jungmagd Frieda kam es possierlich vor, daß sie heute
+einmal mit der gleichen Elle wie die Haustochter gemessen wurde.
+Plötzlich hielt der Wagen. Ringsum standen, von düsteren nässelnden
+Nebeln halb verschleiert, Scheunen und Häuser, und aus einem solchen
+klang helle und grelle Tanzmusik.
+
+»Du,« flüsterte die Frieda zur Genossin, »jetzt kenn' ich mich aus, wir
+sind in Schwambach.«
+
+
+
+
+ 2. Abschnitt.
+
+
+Der Wolfram öffnete den Wagenschlag. »Schöne Jungfrauen,« sagte er
+schmunzelnd, »da sind wir. Ich bin der Adlerwirt aus Kirchbrunn, ein
+durch und durch bösartiger Geselle, und lade euch zu einem Tanzel mit
+mir beim Schwambachwirt.«
+
+Die mit dem roten Tuche wollte zeigen, daß sie sich durchaus nicht so
+leicht ins Bockshorn jagen lasse; sie machte daher, rasch aus dem Wagen
+steigend, einen Knix und sagte: »Wird uns eine große Ehr' sein! Aber
+nimm dich in acht, Adlerwirt, wir sind auch bösartig.«
+
+»Nachher stimmt's,« versetzte der Wolfram, Roß und Wagen dem
+Hausknechte überlassend. Er nahm die eine gleich am rechten Arme,
+während die andere sich an seinen linken hielt. Diese schwieg, dachte
+aber bei sich: Ist er nett, so wird's fein, und sonst wird er gefoppt.
+
+Also trat zum Erstaunen der Leute der Schwarze Adler von Kirchbrunn
+mit den beiden hübschen Dirndln ins Haus und alsogleich die Stiege
+hinan auf den Tanzboden. Einen funkelnden Silbergulden warf er auf den
+Spielleuttisch, da schrieen die Pfeifer und Geiger vor Freuden auf, und
+einen »gestrampften« Steirischen machte der Wolfram mit der, welche
+Frieda hieß. Wenigstens ein Dutzend junger Paare reigten zugleich, die
+Burschen mit den Händen klatschend, mit der Zunge schnalzend, lustig
+jauchzend oder kecke Liedlein singend, die Mädchen sich den Tänzern
+sanft anschmiegend, ihre Köpflein hingegeben an die Brust der Burschen
+legend; manche schloß also im Arme des Trauten die Augen, als wolle sie
+die Seligkeit bis an die äußerste Grenze austräumen. -- Macht es nicht
+auch die Frieda so? Liegt sie nicht hingegossen an die breite wogende
+Brust Wolframs, von seinen Armen fest umschlossen, von seinem Auge, das
+unverwandt auf ihrem blühenden Gesichtlein ruhte, bewacht, und angeweht
+die heiße Stirn, die glühenden Wangen von seinem warmen Atemhauch!
+Wohl war's nach ihrer scheinbar gelassenen Sicherheit zu vermuten, daß
+sie heute vielleicht nicht ganz das erste Mal einer solchen Kopflehne
+sich erfreute, doch aber der Unterschied! Ach Gott, was nicht für ein
+Unterschied ist zwischen Mannsbild und Mannsbild! -- O du herziger
+Schatz! dachte sich der Wolfram, dich habe ich gefangen, wie man das
+Vöglein fängt mit der Falle, und dich laß ich nimmer frei, nimmer! mein
+Lebtag nimmer! -- Die Frieda, die dachte gar nichts mehr, sie fühlte,
+als würde sie hingetragen durch die Lüfte, hoch über den Erdboden,
+hoch über den Wolken -- wohin? Das wußte sie nicht, war ihr auch ganz
+gleichgültig.
+
+Endlich war der Tanz aus. Der Wolfram ließ seine Genossin lockerer
+und erinnerte sich nun, daß er deren zwei gehabt hatte. Wo war denn
+die andere! -- Der Schwambachwirt hatte schon Lichter aufgesteckt im
+Saale, aber die andere war nicht zu sehen. Sie wird schon auch gut
+aufgehoben sein, flüsterte eins dem anderen zu, und die beiden machten
+sich nicht viel daraus. Mittlerweile tranken sie auch Wein, die Frieda
+mit, der Wolfram ohne Zucker. Die Leute ringsum wurden immer lauter,
+lustiger und toller, und Weindunst und Menschendunst betäubten die
+Herzen und regten sie auf. Dort und da im dämmernden Winkel kauerte
+ein Einschichtiger und schleuderte scheelsüchtige Blicke auf die
+glücklichen Pärchen, wovon viele ganz in sich selber versunken und
+weder Auge noch Ohr hatten für die Umgebung. So auch der Adlerwirtssohn
+von Kirchbrunn und seine Entführte. War nur erst der Abend vorgerückt,
+dann wollte er mit ihr ein unbelauschtes Plauderstündchen halten und
+sie nach ihrem Herkommen fragen. Übrigens war es recht reizend, daß er
+nicht wußte, wer sie war, und falls er hätte voraussetzen können, daß
+auch er ihr unbekannt gewesen, tat es ihm fast leid, sich vorgestellt
+zu haben. Sich so weltfremd sein und sich so innig umschlungen halten,
+das ist ja doch ein Hauptspaß, wie es nicht leicht einen zweiten gibt.
+
+Als es draußen rabenschwarze Nacht geworden war, trat durch das
+Gedränge ein Holzknecht aus der Kirchbrunner Gegend auf den Wolfram zu
+und sagte: »Der Adlerwirt soll hinaus kommen in den Hof, dort möcht'
+wer sprechen mit ihm.«
+
+Aha, fiel es dem Burschen bei, die andere! Jetzt will die andere dran.
+Hätte sie sich nicht einen anderen aussuchen können? Nun aber, da er
+sie schon mit hergeführt hat, muß er auch an ihr Ritterdienste üben.
+
+Es war aber nicht ~die~ andere, sondern ~ein~ anderer, der im
+Hofe seiner wartete. Am Brunnentroge lehnte er, und vom Küchenfenster
+hinaus fiel das breite Licht auf seine Gestalt. Ein baumstarker Kerl
+stand da, in der Tracht der Gebirgsholzhauer, mit wildwucherndem Bart
+und tief ins Gesicht gedrücktem Hute.
+
+»Grüß dich Gott, Adlerwirt! Geh nur her! Komm nur herüber da!« Also
+lockte der ruppige Geselle mit einem zarten Fistelstimmlein den Wolfram
+hinter den Brunnentrog.
+
+»Wer ist's denn?« fragte der Wolfram.
+
+»Komm nur her zu mir!« sagte der andere.
+
+Der junge Adlerwirt erkannte in dem Manne jetzt einen Holzarbeiter aus
+dem Siebenbachwalde, welcher von den Leuten der Schopper-Schub genannt
+ward. Der Mann war mehrmals schon im Adlerwirtshause zu Kirchbrunn
+eingekehrt, hatte sich dort aber stets in die hinterste Ecke gesetzt,
+ein paar Gläschen Branntwein getrunken und dabei stier vor sich auf
+den Tisch geblickt. Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren, aber
+stets im Äußern so zerfahren und ungepflegt, daß es sogar den Weibern
+zweifelhaft schien, ob das ein hübscher oder ein häßlicher Mann sei.
+Er war nicht in der Gegend daheim, und man wußte nicht viel von ihm,
+als daß er ein tüchtiger Arbeiter, sonst aber ein ungeselliger und
+sonderbarer Mensch wäre. Irgend jemand wollte von seiner Vergangenheit
+etwas gehört haben und deutete an, daß in derselben so etwas wie
+Brandgeruch zu verspüren wäre.
+
+»Du bist ja der Holzknecht Schopper,« sagte nun der Wolfram.
+
+»Ah, kennst mich schon?«
+
+»Was willst denn von mir?«
+
+»Auf ein ganz kleines Wörtel, Adlerwirt. Da stell dich her, daß ich
+auch was seh' von dir. So.« Hernach hob er seine Stimme in eine noch
+weichere Tonlage und sagte: »Adlerwirt, was geht denn dich die Frieda
+an?«
+
+»Welche Frieda?«
+
+»Tu' nicht so, mein Lieber, liegt dir doch nur eine im Kopf. Wo hast
+sie denn her, deine Tänzerin?«
+
+»So?! Meine Tänzerin? Wen kümmert denn die?«
+
+»Die wird schier ~mich~ kümmern, Adlerwirt.« Dann wurde er um
+einen halben Kopf höher und setzte in einer keuchenden, wie vor Wut
+erstickten Stimme bei: »Wenn du mir sie nochmal anrührst, nachher --«
+
+»Nachher --? -- Nun!« also jetzt der Adlerwirt und stellte sich stramm
+vor den Waldgesellen hin.
+
+»-- nachher siehst du keine Sonne mehr aufgehen!«
+
+Der Wolfram trat einen Schritt zurück, so daß er über den Unterbalken
+des Troges stolperte. In demselben Augenblicke war der finstere Bursche
+schon über ihm, in der Hand das blinkende Messer.
+
+»Stechen?!« schrie der andere, im Hause gellte die Musik, polterten die
+Tanzenden.
+
+»Stechen --« sagte es der Waldmensch langsam nach und ließ den Arm
+sinken. »Nein, jetzt noch nicht. Du hast es vielleicht nicht wissen
+können, daß sie mein ist. Das Unband sagt's ja keinem! Aber aufgesetzt
+ist sie mir! Das Grausen, das sie haben, diese Gäns', vor einem
+Manne, der kein Nest hat und bei dem 's Weib selber sein Brot muß
+verdienen. Na freilich, besser ist's schon, wenn das Mandel alles
+zusammenschleppt, was Weib und Kind not haben -- ich glaub's. Ein armer
+Holzarbeiter kann so was nicht leisten und desweg ist er der Niemand
+bei den Weibsbildern. Aber wenn eine ins Wasserfloß stürzt und unters
+Mühlrad kommt, da ist er gut genug, der Waldbär, daß er sich gegen das
+Rad stemmt, ehe die Kröt' -- Kreatur, will ich sagen -- totgedrückt ist
+-- ja freilich, da ist er gut --«
+
+Der Wolfram war wieder frei geworden und so fragte er nun: »Red'
+deutlich, wie stehst denn mit ihr?«
+
+»Hast es nicht gehört, im vorigen Winter? Am Faschingdienstag! Der
+Salmhofer läßt seine Leute zum Freiball gehen nach Geßnitz. Die Frieda
+auch mit. Ich vor sie hin, werb' um einen Tanz. Dank schön! sagt sie
+und geht einem anderen nach. Sich halb zu Tod tanzen und beim Heimgehen
+in der Nacht auf dem Steg schwindelig werden -- und plumps in den
+Mühlbach. Schwimmen kann sie wie ein toter Spatz, und schnurgerade
+der Mühle zu, wo das Rad geht. Jesus, wenn ich ihr in derselbigen
+Nacht nicht wäre nachgeschlichen! Gleich spring' ich in die Radlaufe,
+stemm' mich an. Das Zeug steht still, und wie mein stolzes Schätzel
+dahergeschwommen kommt, zieh' ich's heraus und sag': Guten Morgen! --
+Nach einer langen Weile, wie sie wahrnimmt, wo und bei wem sie ist,
+und wie sie fertig vom Wasserspucken, sagt sie: Dank schön! und läuft
+davon. Just wie auf dem Tanzboden. Dank schön! sagt sie und läuft
+davon.«
+
+»Das ist wohl brav von dir gewesen,« versetzte jetzt der Adlerwirt.
+
+»Still sei!« knurrte der Holzhauer, »gelobt bin ich schon mehr als
+genug worden, das hilft mir nichts. Die Dirn will ich haben.«
+
+»Hätte ich das gewußt,« also der Wolfram, »daß du ein Recht auf sie
+hast, so wollt' ich mich nicht an sie gemacht haben. Aber das möchte
+ich wissen: hat sie dich auch gern?«
+
+Jetzt zuckte der andere zusammen, tief ließ er sein Haupt sinken,
+preßte das Gesicht in den Ellbogen seines Armes und hub an zu grölen.
+
+»Zur Liebe kann man niemand zwingen,« sagte der Wolfram.
+
+»Verfault! Ihre Knochen von den Würmern abgenagt, wenn ich nicht bin!«
+gurgelte der Waldmensch schluchzend. »Und ihr Leben, mit dem sie jetzt
+da drinnen wie eine Mairose steht, das hat sie von mir, das gehört mir!
+Und wenn ich zum hohen Gericht gehe, so muß es mir zugesprochen
+werden.«
+
+»O du guter, armer Mensch,« sagte nun der Wolfram. »Leben und Liebe,
+das wird wohl ein großer Unterschied sein. Dir ist gewiß noch die Zeit
+im Kopfe, wo die Leute leibeigen gewesen sind. Wen du dazumal gekauft
+oder gewonnen hast oder auf der Straße gefunden oder im Mühlbach,
+der ist dein gewesen mit Seel' und Leib. Das ist anders geworden.
+Eine Dienstmagd hat freilich auch ihren Herrn; wenn ihr wer das Leben
+rettet, so soll sie dankbar sein, aber ihr Herz kann sie verschenken,
+an wen sie will.«
+
+»Nachher ist's aus,« sagte der Schopper-Schub.
+
+»Hast sie denn gar so gern, Holzknecht?«
+
+»Sündhaft gern. Und schon lang her. Und gerade die! Und just die! Als
+ob ich besessen wär'! Zu Wallischdorf draußen habe ich einen Vetter,
+der hat mir vor einem Jahre sein Bauerngut wollen in Pacht geben, es
+wär' mir besser gangen, als wie da oben im Siebenbachwald. -- Ich habe
+nicht fort können -- ihretwegen nicht. Alle Sonntage gehe ich hinaus in
+die Geßnitzer Kirche und stehe hinter dem Turmpfeiler und schau' hin
+auf den Platz unter der Kanzel, wo sie sitzt. Und geh' dann wieder in
+den Wald zurück. -- Wenn ich wüßt', wer mir diese Lieb' hat angetan!«
+Er knirschte mit den Zähnen, als wollte er einen Missetäter zermalmen.
+
+Eine Magd, die mit dem Wasserzuber zum Brunnen kam, unterbrach dieses
+Gespräch. Der Schopper-Schub packte den jungen Adlerwirt am Arm und
+raunte ihm zu: »Hüte dich!« dann schritt er rasch über den dunklen Hof
+dahin.
+
+Als der Wolfram in einer recht wunderlichen Stimmung zurück ins Haus
+kam, hörte er von mehreren Seiten zugleich, daß die Salmhofertochter
+von Geßnitz da sei! -- Die Salmhofertochter! da horchte der junge
+Adlerwirt einmal auf. Und die Erregung im Wirtshaus war keine geringe.
+Das ist schon eine besondere Auszeichnung des Freiballes beim
+Schwambachwirt, daß ihn die Salmhofertochter besucht. Die Fürnehmste
+in der ganzen Gegend, die von den Burschen heimlich Begehrte und
+doch nur wenig Umworbene, weil sie stolz und unnahbar. Ist sie mit
+ihrem Vater da? oder mit einer Gesellschaft von Geßnitzer Bürgern und
+Bürgerinnen? oder gar mit einem Bräutigam, der sie heute das erste
+Mal als Braut aufzeigt! Das alles nicht! Ganz allein soll sie sitzen
+d'rin im Extrazimmer, nur die Schwambachwirtin bei ihr, welche ihr
+Gesellschaft leisten zu müssen glaubt, trotzdem sie draußen in der
+Küche alle Hände voll Arbeit hätte. Will denn niemand ins Stübel, die
+Salmhofertochter zu unterhalten? -- Dachte der Wolfram: Kennen lernen
+möchte ich sie doch, dieselbige, von der es immer heißt, sie wäre die
+richtige Adlerwirtin. Was kann mir geschehen, wenn ich sie zu einem
+Tanz auffordere? Weist sie mich ab, so drehe ich mich vor ihrer Nase
+mit einer anderen um und um.
+
+Wie nun aber der Wolfram ins Extrazimmer trat, sah er am weißgedeckten,
+mit feinem Backwerk besetzten Tische neben der dicken Wirtin das
+schwarzbraune Mädel sitzen, welches er mit der anderen, der Frieda, in
+seinem Wagen kecklich dem Walde entführt und nach Schwambach gebracht
+hatte. Und das -- das wäre die Salmhofertochter, die stolze Kundel?
+
+Er brauchte sich nicht erst nach einer Ansprache zu besinnen.
+
+»Da ist er ja, der tapfere Ritter,« so redete sie ihn schier ernsthaft
+und gelassen an. »Schön ist es nicht vom Adlerwirt, daß er sich um die
+zweite Entführte gar nicht mehr umsehen will, bevor er die erste zu
+Tode getanzt.«
+
+Der Wolfram stammelte eine Entschuldigung. Die Kundel sah recht gut
+ein, daß es das beste sei, das Abenteuer, welches ihr nun gar nicht
+geheuer schien, ins Scherzhafte zu ziehen. Sie rückte daher ein wenig
+auf der Bank und sagte: »Setzen Sie sich nur willig her zu mir, es
+wird Ihnen nichts mehr anderes übrig bleiben. Sie zahlen mir jetzt ein
+feines Nachtmahl, tanzen einen mit mir und führen mich dann wieder nach
+Hause.«
+
+Das war alles so ernsthaft und kühl gesprochen, als ob sie zu einem
+Diener redete. Er setzte sich hin neben sie und tat, wie sie befohlen
+hatte. Alsogleich ward es im ganzen Hause kund: der schwarze Adler von
+Kirchbrunn und die Salmhofertochter von Geßnitz sitzen beieinander,
+essen und trinken miteinander wie ein Brautpaar. Und als die beiden
+gar Arm in Arm auf den Tanzboden traten, da wichen die Leute nur so in
+Staunen und Ehrfurcht zurück, daß das schöne junge Paar fast allein
+den Reigen tanzte im Saale. In der Ecke hinter dem Stiegenverschlag
+stand die Frieda, ein großer Schreck hatte ihr Antlitz blaß gemacht.
+-- Er ist verspielt! so konnte sie noch denken, meine Haustochter hat
+ihn, da ist er verspielt für die arme Magd. Ist das ein Tag, dieser
+heutige Sonntag! -- Wie das Paar in der Nähe vorüberreigte, trafen sich
+die Blicke des Wolfram und der Frieda. In diesem Augenblick war ihm,
+er tanze mit einem Stück Holz. Fast plötzlich, bevor der Tanz aus war,
+ließ er die Kundel los und machte vor ihr eine höfliche Verbeugung.
+
+Es half ihm aber nichts, er hatte für den Abend ihr Ritter zu sein und
+war recht froh, als die Kundel den Wunsch aussprach, nach Hause zu
+fahren. Endlich saßen die beiden Mädchen wieder im geschlossenen Wagen
+und der Wolfram auf dem Kutschbock.
+
+Als sie aus dem Hoftor des Schwambacher Wirtshauses fuhren, noch zum
+Abschiede mit hellem Musikklang begrüßt, sah der Wolfram, wie hinter
+dem Pfosten sich der Waldmensch duckte -- dann ging es fort, hinaus in
+Nacht und Nebel.
+
+Die beiden Mädchen im Wagen führten nicht die angelegentliche
+Unterhaltung miteinander, wie auf der Herfahrt. Die Kundel war mürrisch
+und breitete sich so sehr aus, daß die andere völlig in die Ecke
+gedrückt wurde. Wohl auch die Frieda war nicht aufgelegt zum Sprechen,
+sie hatte zu denken genug und zu tun genug, ihre Gedanken nicht zu
+verraten. Wie erschrocken war sie daher, als die Haustochter mit einem
+Male den Mund auftat: »Eine wahre Schand' ist's, wie du dich heute
+aufgeführt hast!«
+
+Es hatte schon den Anschein, als wollte die Magd nichts entgegnen,
+endlich sagte sie aber doch: »Kann ich etwas dafür, daß er zuerst mit
+mir gegangen ist?«
+
+»Du hast dich ihm ja angeklettet! Männersüchtige Rassel, du!«
+
+Nun sagte die Frieda nichts mehr.
+
+»Ich werd' mir's merken,« setzte die Kundel noch bei, und damit war das
+Gespräch zu Ende.
+
+Der Kutscher Wolfram sah träumerisch auf die Bäume, Büsche und
+Wegplanken hin, die im Scheine der Wagenlaternen gespenstisch
+auftauchten und verschwanden. Die Laternenlichter warfen im dichten
+Nebel eine Art Heiligenschein um die Kutsche. -- Ein sauberer
+Heiligenschein, das! dachte der Wolfram; wenn ich heute nicht sündige,
+so geschieht's einzig nur, weil die Gelegenheit dazu fehlt. Jetzt kann
+ich in der ödweiligen Nacht den langen Weg dahinradeln und nachher
+wieder zurück. Ein hübsches Vergnügen. Bis ich nach Kirchbrunn komme,
+stehen schon die Leute auf. Das hat man von seinem Übermut. Sonst
+nichts. -- Hia! den Braunen wird's auch schon zu dumm.
+
+Endlich waren sie auf dem Marktplatz zu Geßnitz. Der Wolfram wollte
+halten, aber die Kundel rief zum Wagenschlag heraus: »Vorwärts! Zum
+Salmhof hinauf!«
+
+Und nach einer weiteren Weile hielten sie vor dem großen Hofe, der
+mit seinen weitläufigen Gebäuden wie leblos dalag. Nur ein gewaltiger
+Hund reckte sich mitten im Hofe und der knurrte ein wenig, schien ihm
+aber nicht der Mühe wert, sich weiter um das herangerollte Gefährte zu
+bekümmern.
+
+Die Kundel wartete im Wagen, bis der junge Adlerwirt abgestiegen war
+und ihr den Arm zum Aussteigen bot.
+
+»Und was wird jetzt mein Vater sagen?« fragte das Mädchen. »Wenn ich
+ihm nicht gleich nach der Ankunft in Schwambach einen Boten geschickt
+hätte, daß er weiß, wo ich bin -- Sie hätten seiner Angst nicht
+geachtet.«
+
+Jauchzen wollte der junge Mann über dieses Wort, es war ein Herzenswort
+gewesen, das erste, welches er von ihr gehört. Ein gutes Kind kann wohl
+auch ein gutes Weib sein ... Ei ja, mein Vater kann doch recht haben!
+Wer die einmal heimführt!
+
+»Anläuten, geh'!« hastete die Kundel der Jungmagd zu, die schier
+kopflos dagestanden; und während diese nun an die Haustür eilte und den
+Glockenstrang zog, flüsterte die Salmhofertochter zum Wolfram: »Seien
+Sie schön bedankt, kühner Ritter! Aber wie böse ich auf Sie bin, das
+sollen Sie noch erfahren. Warten Sie nur! Schnell hinweg! Gute Nacht!«
+
+Diesen raschen Abschied erklärte der Adlerwirt sich so, als sollten die
+Hausbewohner das nächtliche Gefährte nicht wahrnehmen; das war aber ein
+wenig anders, die Haustochter wollte es verhindern, daß er der Jungmagd
+gute Nacht sagen konnte. Und den Wolfram wurmte es richtig den ganzen
+Weg heimwärts, daß er ohne einen Händedruck, ohne ein einziges gutes
+Wort von Frieda hatte scheiden müssen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 3. Abschnitt.
+
+
+Jetzt würde männiglich raten, daß am anderen Tage der alte Adlerwirt
+zu Kirchbrunn seinem Sohne ein arges Wetter gemacht hätte. Anstatt am
+Sonntagnachmittage, war der Wolfram mit den Rössern am Montag früh nach
+Hause gekommen!
+
+Männiglich hätte aber schlecht geraten. Als am Montag nach zwölf Uhr
+mittags der Wolfram erwacht war und die Küchenmagd ihm den Kaffee
+ans Bett brachte, kam auch der alte Adlerwirt herein, er brachte
+das Semmelkörbchen, schaute schmunzelnd auf den Burschen hin, der
+kerzengerade ausgestreckt da lag und gähnend sich noch ein Weiteres
+streckte.
+
+»Geschlafen hast nicht schlecht,« sagte der Wirt.
+
+Jetzt kommt's, dachte der Wolfram, und er hat ganz recht, ich verdiene
+schon eine Portion.
+
+Aber es kam nicht.
+
+»Trink' ihn, so lange er noch heiß ist,« riet der Alte, auf die
+Kaffeetasse deutend, »was Warmes tut immer gut nach einer solchen
+Nacht.«
+
+Der Wolfram richtete sich, auf den Ellbogen gestützt, halb empor; der
+Hemdkragen war abzubinden vergessen worden, er lag noch um den Hals;
+durch die Spalte des weißen Hemdes sah man einen Teil der nackten
+Brust; das Gesicht des jungen Mannes war ein wenig blässer als sonst,
+also daß der junge Bart um so dunkler schattete. Die wirren, feuchten
+Haare hingen in braunen Tatzen und Ringen über die Stirn herab. Der
+Wirt schaute nicht ohne Wohlgefallen auf seinen Sohn. So ein hübscher
+Junge ist auch ein Kapital. Nur muß man ihn versilbern oder vergolden
+lassen. Sind ja auch in der Kirche die größten Heiligen vergoldet.
+
+»Trau' einer noch einmal so einem Duckmäuser!« sprach nun der alte
+Wirt mit schwerem Wiegen des Hauptes und im Tone des Vorwurfes. »Wo
+unsereiner erst hindenkt, ist der schon gewesen. -- Aber,« fuhr er
+fort, »lachen habe ich auch müssen gestern abends. Wie der Weidknecht
+heimkommt, sag' ich: Wo denn heute der Wolfram stecken mag mit den
+Pferden! Daß ihm am Ende kein Malheur passiert ist! -- Oh, gibt
+der Weidknecht Antwort, dem jungen Herrn fehlt nichts, der sitzt
+draußen beim Schwambachwirt im Extrastübel und tut mit der jungen
+Salmhofertochter aus Geßnitz Nachtmahl essen. Wär nicht schlecht! sage
+ich. Ja freilich nicht, meint der Knecht und erzählt mir die ganze
+Geschichte, wie du sie mit dem Wagen zum Tanz geholt hättest. Teufel!
+denk' ich, der geht's scharf an! Der kennt sich aus. Je schwerer man
+an eine herankann, desto kecker muß man sie anpacken. -- Jetzt hast
+gewonnen, Wolf, und ich kann dir's nicht sagen, wie mich das freut.
+Wirst sehen, jetzt stehst auf einmal ganz anders da. Neider wirst genug
+haben, ich glaub's! Und nun, Wolf, kann ich dir's wohl sagen: wir
+brauchen eine reiche Heirat so notwendig wie der Fisch den Schluck
+Wasser. Seit die neue Eisenbahn drüben geht, steht's nicht gut mit
+uns Wirtsleuten auf der Kirchbrunnerstraße. Zu harter Not, daß es mir
+bisher gelungen ist, unser Ansehen aufrecht zu halten, lange wär' das
+nicht mehr möglich gewesen. Wir stecken tief in der Schlamaß, mein
+Bub', wir stecken tief!«
+
+Der Wolfram war von dieser Mitteilung nicht gerade erbaut, er sagte
+aber nichts darauf, sondern war von diesem bitteren Augenblicke an
+entschlossen, das Abenteuer mit der Salmhoferischen ernsthafter
+aufzufassen, als er es bisher getan.
+
+»Schau nur dazu, Wolf, daß Ihr bald Hochzeit macht!« mahnte der Alte
+noch. »Ist gut, daß dem Professor sein Zimmer leer geworden, das lassen
+wir jetzt gleich herrichten. Wird Euch eh am liebsten sein, ist hübsch
+groß und ruhig.«
+
+»Ja ja!« sagte der Wolfram ziemlich barsch, um dieses Gespräch
+abzubrechen, welches ihm durchaus nicht heimlich war. Er sah sein
+Verhältnis zur Salmhofertochter lange nicht so rosig als sein Vater,
+und wenn etwas Rosiges für ihn dabei war, so konnte es nur das blühende
+Gesichtlein der -- anderen sein.
+
+Auf gar keinen Fall war es zu leugnen, daß Wolframs Sinn nach dem
+Salmhofe in Geßnitz stand. Und es ereignete sich auch, daß er nun
+häufig nach Geßnitz fuhr, immer in Geschäften, wie es hieß. Einige
+Wochen vergingen so, da hatte der alte Adlerwirt die feinste
+Brautwerberfahrt veranstaltet.
+
+Rollte eines Tages das sorgfältig aufgewichste Gefährte die Straße
+entlang gegen Geßnitz. Auf dem Bock saß heute der Pferdeknecht, aber
+hübsch mit flatterndem Hutbande. Im Wagen saßen der alte Adlerwirt
+und sein Schwager, der Herr Amtskontrollor aus der Kreisstadt. Beide
+im schwarzen Anzuge, mit Seidenhut und bunten Halsmaschen. Dem
+Adlerwirt war besonders in den weißen, stramm um die fleischigen Finger
+gespannten Handschuhen höchst unbehaglich, er war nicht imstande, den
+einfachsten Handgriff zu tun, selbst den Überrock mußte -- als es gegen
+Geßnitz hin schwüler wurde -- der Herr Schwager ihm aufknöpfen, und als
+sie zur Wegmauth kamen, fanden die eingepferchten Finger in den Taschen
+kein Geldschnäppchen, so daß wieder der Schwager aushelfen mußte.
+Trotzdem war der Adlerwirt guten Mutes und hieb dem Genossen ein-
+ums anderemal die breite Hand auf den Oberschenkel: »Na, was meinst,
+Schwager, wirst stecken bleiben bei der Anrede?«
+
+»Du wirst dir noch die Hundeledernen zersprengen!« mahnte der Schwager
+fürsorglich.
+
+Der Amtskontrollor war ein dürres Herrchen, dem auch die Kampflust,
+das heißt die Brautwerbelust aus den Augen blitzte. Der Adlerwirt
+hatte ihn eigens für diesen Zweck aus der Kreisstadt verschrieben.
+Es fährt sich doch ganz anders auf mit einer Autorität aus der
+Stadt, die Schick kennt und Vornehmheit hat. Das Amt, in welchem der
+Herr Schwager saß, oder vielmehr auf und ab sprang, bestand in einer
+Fahrkartenkontrollorstelle auf der Pferdeeisenbahn.
+
+Nun also, im Bewußtsein voller Ehrenhaftigkeit fuhren sie den Hügel
+hinan gegen den Salmhof. Da fielen ihnen die zahlreichen armen
+Kinder auf, die -- obzwar schon zur Allerheiligenzeit -- barfuß und
+in schlechten Gewändlein den Weg hin und her liefen. Durch das weit
+offenstehende Tor rollte der Wagen so rasch in den Hof, daß es mit
+einem der Kleinen schier ein Unglück gegeben hätte. Alsogleich stand
+auch der dienstbare Bursche da, der die beiden Pferde in Obhut nahm,
+während die beiden Herren sich an einen Mann wandten, um so gleichsam
+wie im Vorübergehen ein wenig die Wirtschaft begucken zu können. Der
+Angesprochene führte sie bereitwilligst durch verschiedene Gebäude, und
+überall war es erstaunlich. Dieser Wohlstand, dieser Überfluß in allem.
+Die Haustiere in schönsten Rassen, die Vorräte an Feldfrüchten, an Heu,
+an Werkzeug, an Wagen und Schlitten, an Häuten, Pelzwerk und Wolle, an
+Edelholz, kurz an allerlei, woran die meisten Leute gar nicht denken,
+geschweige es besitzen.
+
+Nach einem solchen Rundgang im Hofe kamen sie zum Eingange in das
+stattliche Wohnhaus; das Untergeschoß desselben war gemauert und
+weiß übertüncht, der obere Stock aus Holz gezimmert. Es hatte viele
+Fenster, die größer waren als solche bei anderen Bauernhöfen und mit
+zierlichen Holztäfelungen ausgeschlagen. Auch an den Dachvorsprüngen
+waren Holzschnitzereien, das Dach selbst war aus Schindeln, und über
+demselben ragten mehrere weiß übertünchte Schornsteine empor. Neben der
+Haustür an der Wand hing eine schwarze Tafel, auf welcher Kundmachungen
+klebten, denn der Salmhofer war Vorstand der Landgemeinde Geßnitz, die
+sich einen eigenen »Bürgermeister« wählte, seitdem der Ort Geßnitz
+selbst eine Marktgemeinde geworden war. Als die beiden Gemeinden sich
+trennten, wollte jede den Salmhof für sich haben, der lag so gut
+bürgerlich als bäuerlich, allein der Salmhofer mochte gedacht haben:
+lieber der erste Bauer, denn der letzte Bürger, und hatte sich zur
+Landgemeinde geschlagen, was ihm seine Nachbarn gar nicht hoch genug
+anrechnen konnten.
+
+An der offenen Haustüre war in der unteren Weite ein zierliches
+Holztörchen, wie solche an vielen Bauernhöfen üblich sind und dazu
+dienen, daß vom Hofe das Kleinvieh nicht ins Haus laufen kann. An
+diesem Türchen grunzten heute aber weder Schweine, noch meckerten
+Lämmer oder Ziegen, es war umdrängt von armen Kindern, dreijährigen bis
+etwa zwölfjährigen, die ihre Händchen aufhoben und mit hellen Stimmen
+schrieen: »Bitt' gar schön um ein Allerheiligenbrot!«
+
+Und hinter dem Törchen stand ein feines, etwas blasses, ernsthaftes
+Mädchen in dunkelblauem, fast städtisch geschnittenem Anzug, am Halse
+ein weißes Kräglein, wie es Männer tragen. Dieses Mädchen nahm aus
+einem großen Korbe, der neben ihm stand, geschnittene Brotstücke und
+verteilte sie an die Kinder. Die vorne standen, denen gab sie es in
+die Hand, den hinteren, vergeblich nach vorne drängenden warf sie
+die Stücke über den Köpfen zu und kümmerte sich nicht weiter um das
+Gebalge, welches darüber entstand.
+
+»Da ist sie!« flüsterte der alte Adlerwirt dem Herrn Amtskontrollor zu,
+und sie zogen ehrerbietig vor ihr die hohen Hüte. Das Mädchen dankte
+dem Gruße mit einem fast unmerklichen Neigen des Hauptes, scheuchte mit
+einer lebhaften Handbewegung die Kinder auseinander, und unsere beiden
+Männer traten in das Haus.
+
+Nach den »Herren Eltern« erkundigten sie sich bei der Kundel. »Bitte
+nur die Treppe hinauf, Mutter wird in der Küche sein!« Also in
+höflichem, aber entschiedenem Tone der Bescheid. Der Adlerwirt nickte
+dem Genossen vielsagend zu. Der Kundel war ihr erheuchelter Gleichmut
+ganz ausgezeichnet gelungen, nun aber huschte sie rasch unter die
+Stiege hin und spähte nach. Es schwante ihr etwas, als gehe dieser
+Besuch sie an. Für das Austeilen des Allerheiligenbrotes war nun alle
+Neigung dahin, sie stellte den Kindern den Korb mit dem Reste der
+Brote vor die Tür und schlich die Treppe hinan.
+
+In der Küche waren zwei Weiber, welche mit langen Messern die
+Kohlkopfstengel zerschnitten und die Scheibchen in einen Kessel warfen.
+Beide waren wie Mägde angezogen, nur daß die ältere, eine magere und
+fast kümmerlich aussehende Person, ein weißes breites Schürzenband
+hatte, an welchem ein Schlüsselbund hing.
+
+»Können wir mit der Frau Salmhoferin reden?« sprach diese der alte
+Adlerwirt auf gut Glück an.
+
+»Was wird's denn sein?« fragte das Weib in fast schüchterner Weise
+entgegen und wischte ihre Hände an der Schürze ab.
+
+»Wir sind von Kirchbrunn,« sagte nun der Herr Kontrollor, »und kommen
+in einer wichtigen Angelegenheit, wie sich's schon manchmal so fügt auf
+dieser Welt.«
+
+»Dann müssen Sie schon zu meinem Manne gehen. Ich weiß nichts,« so
+antwortete die Salmhoferin, wies sie über den Gang bis zur letzten Türe
+links und ging wieder an die Bereitung des Schweinefutters.
+
+Bei der letzten Türe links klopften die Männer höflich an. Drinnen
+hustete jemand. Nach einem Weilchen klopften sie zum zweiten Male, und
+drinnen hustete es zum zweiten Male. Nach dem dritten Klopfen schnarrte
+es im Zimmer: »Zum Satan, ja hab' ich gesagt!«
+
+Es war barsch, doch der Adlerwirt hielt das Ja im Vorhinein für ein
+gutes Zeichen. Sie traten ein.
+
+Es war eine schmale, längliche Stube mit zwei Fenstern und einem großen
+Kachelofen. Zwischen den Fenstern stand eine lange Lehnbank und daneben
+ein braunangestrichener Tisch. Auf der Lehnbank lag ein alter Mann, der
+nur mit Socken, einem schwarzen Beinkleide und einem grauen, locker um
+Brust und Arme flatternden Wollenhemde bekleidet war. Der Mann hatte
+auf dem Haupte fast kein Haar, hingegen einen üppigen, schneeweißen
+Bart. Das Gesicht war gerötet und hatte eine lange, wulstige Nase.
+Auf dem Schoß hatte der Mann ein weißes Kätzchen, das er fortwährend
+streichelte und mit Brotkrümchen fütterte. Auf dem Tische lag ein
+blaues, zusammengeknülltes Sacktuch, ein paar Brillen und ein Pack mit
+Schriften. Daneben stand ein grünglasierter Krug, aus welchem er häufig
+einen Schluck nahm.
+
+Dieser Mann war der Salmhofer. Der alte Adlerwirt verleugnete seine
+Befangenheit und grüßte ihn wie einen Bekannten, denn der Salmhofer war
+ja oftmals eingekehrt bei ihm in Kirchbrunn.
+
+»Au!« sagte der Alte und richtete sich ein klein wenig auf. »Das ist
+seltsam. Was seid Ihr denn so närrisch aufgestiefelt?«
+
+Da stellte sich der Herr Kontrollor vor und begann so zu reden:
+»Hochachtbarer Herr! Die Schicksale der Menschen sind mannigfach und
+unerforschlich. Sie hätten wohl auch nie gedacht, daß wir einmal an
+Ihres Hauses Schwelle stehen würden, und zwar in einer Angelegenheit,
+die -- in einer Angelegenheit, welche --« Da stak er.
+
+»Was wollt's denn?« fuhr der Salmhofer mit seiner breiten, röchelnden
+Stimme drein.
+
+»Daß wir an Ihres Hauses Schwelle stehen werden, und zwar in einer
+Angelegenheit, die --« Trotz des neuen Anrandes konnte er noch nicht
+weiter. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
+
+»Still sei, Mistvieh!« sagte der Salmhofer zum Kätzchen, welches
+miaute, und gab ihm mit dem Finger einen zärtlichen Klapps.
+
+»Bitt' Euch, macht's keine Faxen!« hierauf zu den Ankömmlingen,
+»kann mir's ja eh denken. Meiner Tochter die Fahrgelegenheit zum
+Schwambachwirt soll ich zahlen. Was kostet sie denn?«
+
+Jetzt lachten die beiden und meinten, nun wären sie schon bei der
+Stange. »Billig fahre der junge Adlerwirt nicht bei Nacht und Nebel,
+leicht koste es den Passagier selber.«
+
+Der Salmhofer hob von der Katze die Hand und machte damit einen Schlag
+in die leere Luft. War das die Antwort? War das nicht gerade, als ob er
+sagen wollte: Fort mit Schaden?
+
+»Dafür stehe ich gut,« sprach nun der alte Adlerwirt, »einen braven
+Mann bekommt sie. Und lieb haben sich die jungen Leut' wie Tauben.«
+
+Der Salmhofer tat aus dem Kruge einen langen Schluck, und auf seinem
+Barte noch die Tropfen, schnarrte er: »Mein Geld willst, Adlerwirt!«
+
+»Aber! Aber!« rief der Adlerwirt. »Wer denkt denn an so was! Geld macht
+nicht glücklich, sage ich alleweil. Daß sie zusammenpassen, ist die
+Hauptsache. Das andere wird sich alles geben.«
+
+»Losgehen kann's, wann's will,« sagte der Salmhofer und trank wieder.
+Während er trank, sprang das Kätzchen auf den Fußboden hinab; da fuhr
+der Alte empor, fing es ein und setzte es wieder sachte auf seinen
+Schoß.
+
+»Nachher könnten wir vielleicht jetzt mit der Kundel reden?« meinte der
+Adlerwirt.
+
+»Weiß schon, weiß schon,« wehrte der Salmhofer ab. »Das Mädel ist ja
+schon ganz dumm vor lauter Verliebtheit. -- Da bleibst, Vieherl.«
+
+Den beiden Männern kam es schier vor, der Alte sei nicht recht bei
+Trost. Der grüne Krug! Auf jeden Fall reichte der Adlerwirt ihm nun die
+Hand und sagte in feierlicher Stimmung: »Also abgemacht, Schwieger!
+Bruder! Gott segne unsere Kinder!«
+
+»Ist schon recht, ist schon gut!« murmelte der Alte, und seine
+Handbewegung deutete an, sie könnten wieder gehen.
+
+»Er hat zwar einen martialischen Rausch,« sagte der Herr Kontrollor
+vor der Tür, »aber richtig ist's. Er hat mehr gestanden, als er im
+nüchternen Zustande beigegeben hätte, und das kann uns recht sein.«
+
+Auf der Hausflur begegneten sie der Kundel. Der alte Adlerwirt hielt
+ihr die Hand hin und sagte weichmütig: »Jetzt mache ich nicht viel
+Umstände mehr, Töchterl, ich darf wohl einen Gruß ausrichten beim
+jungen Adlerwirt zu Kirchbrunn?«
+
+»Bitt' schön,« antwortete das Mädchen und senkte das Aug'.
+
+»Und wann darf die Hochzeit sein?« fragte kühnlich der Herr Kontrollor.
+
+»Je eher, desto besser,« antwortete das Mädchen. Da wußten die
+Brautwerber einstweilen genug.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 4. Abschnitt.
+
+
+Der Winter war mit viel Schnee gekommen. Das wirtschaftliche Leben des
+Dorfes nahm eine neue Gestalt an, vom Walde wurden auf Schlarpfen[2]
+große Reisigfuhren gezogen, aus den Berggräben mächtige Holzblöcke
+geschleift, von den Teichen her schwere Eisladungen geführt. Wer einen
+Bau vorhatte im nächsten Jahre, der zog jetzt Zimmerholz und Steine
+zusammen; der Schnee -- von welchem nicht Unterrichtete glauben, daß
+er die Wege versperre -- hatte die Bahnen geschaffen, auf welchen die
+schwersten Lasten leicht weiter befördert werden konnten. Die Straße
+entlang schellte manch leichtes Schlittenzeug lustig fürbaß und hielt
+wohl mit seinen Insassen an in Kirchbrunn beim Adlerwirt auf ein Glas
+Wein. Seit es laut geworden, daß die einzige Tochter des Großbauern
+zu Geßnitz bald einfahren werde in das Adlerwirtshaus, war dieses
+den Leuten neuerdings anziehend geworden. Einzig nur das Weibervolk
+betrachtete nun dieses Haus nicht mehr ganz mit den wohlwollenden Augen
+als ehedem, aber das verdirbt nicht viel; Weibsbilder, meinte der alte
+Wirt, sind ohnehin nicht die besten Gäste.
+
+[2] Aus zwei Baumstämmen gebaute Waldschlitten.]
+
+Um diese Zeit kehrte eines Tages der Schopper-Schub ein im
+Adlerwirtshause. Er hatte immer denselben verwilderten Bart, der nie
+geschnitten wurde und der auch nicht eigentlich in die Länge wuchs,
+sondern mehr Neigung hatte, sich zu kräuseln und zu filzen, was dem
+Waldmenschen auch recht war. Mit dem Haupthaar stand es wahrscheinlich
+auch ähnlich, man sah es aber nie, weil der Mann den Hut immer auf
+hatte und die schweren schwammigen Krempen zu allen Seiten tief
+herabhingen. Das mattbraune Lodengewand hatte einige Flicken, doch
+sah man es an ihrer Ungefügigkeit, daß sie nicht von schlichtender
+Weibeshand herrührten. Eben fast so unbehilflich war der Verband, den
+er am linken Arme trug. Daß der Schopper mitten in der Woche Feiertag
+hatte, kam daher, weil er sich mit der Holzaxt unversehens die Hand
+gespalten hatte. Weiter war es nichts. Ein Kamerad hatte ihm ein
+Harzpflaster gemacht und den Verband angelegt; somit ist die Sache in
+Ordnung, nur daß der Mann einstweilen nicht arbeiten kann.
+
+Also saß der Holzknecht da am dämmerigen Winkeltisch und trank etliche
+Gläschen Branntwein.
+
+»Wo ist denn der Jungherr?« fragte er auf einmal kurz und scharf.
+
+»Wo wird er denn sein!« antwortete der alte Adlerwirt, »in Geßnitz wird
+er sein. -- Hast was mit ihm?«
+
+»Will selber mit ihm reden,« sagte der Schopper. »Ich kann ihm ja
+nachgehen. Hab' eh Zeit dazu. Was macht's!«
+
+»Dreimal drei macht neun,« rechnete der Wirt die drei Gläschen
+zusammen. »Bekommst von zehn einen Kreuzer heraus.«
+
+»Schenkt ihn einem Bettler,« sagte der Schopper. Da lugte der Wirt
+einmal. -- Seit wann geben denn die Herren vom Siebenbachwald
+Trinkgeld? Wahrscheinlich, seit sie sich selber die Knochen
+entzweihauen.
+
+»-- Soll einmal ein Vaterunser dafür beten,« setzte der Holzknecht bei,
+während er sich rasch von der Bank erhob und, den Stock fest auf den
+Boden stoßend, davoneilte.
+
+»Für einen Kreuzer ein Vaterunser,« murmelte der Wirt, die kleine
+Münze in der hohlen Hand schüttelnd, »viel Andacht wird man da nicht
+verlangen können.«
+
+Der Schopper-Schub wanderte die Straße entlang gegen Geßnitz. Der Weg
+war wohl für den Schlitten eingerichtet, aber nicht für ungelenkige
+Füße. Das glitt immer nach rechts oder nach links und brachte den Mann
+in Gefahr, auf seine wunde Hand zu fallen. Trotzdem setzte er seinen
+Stock fest ein und kam vorwärts. Er sann unterwegs, wie er es machen
+werde auf dem Salmhof. Das waren ja zwei triftige Gründe, wesweg er
+jetzt hinausging. Ein fast leidenschaftliches Dankgefühl hatte ihn
+vom Siebenbachwald herausgetrieben. Der in sein enges Wesen zutiefst
+eingesponnene und doch vielleicht gelegentlich einer Selbstentäußerung
+fähige Waldmensch glaubte, daß der junge Adlerwirt rein ihm zuliebe von
+der Frieda abgestanden sei und, damit aller Zwiespalt aufhöre, rasch
+die andere heiraten wolle; denn es war ihm nicht möglich zu denken,
+daß unter allen jungen Weibern der Welt nicht die Jungmagd Frieda die
+Begehrenswerteste sein sollte! -- Adlerwirt! wollte er sagen und ihn um
+den Hals packen, für mein Lebtag bin ich dein Knecht! Wenn du einmal
+in Not solltest sein, so rufe mich! Du bist mein treuester Freund auf
+der Welt! Du hättest das Mädel haben können und hast es mir überlassen,
+hast dich einer Fremden angeschmiedet, die dir gleichgültig ist,
+höllisch gleichgültig. Gott geb's, daß sie dich recht lieb hat! Und
+wenn du einmal wen brauchen solltest, Wolfram, der für dich lebt und
+stirbt, so laß mich holen! -- Also wollte der Schopper zu ihm sprechen,
+daß seinem heißen, in Zorn wie in Freude überschwänglichen Herzen
+Genüge getan werde. Dann wollte er aber auch ernstlich an die andere
+herantreten und am heutigen Tage die Sache endgültig machen. -- Hopp!
+jetzt lag er im Schnee.
+
+Wenn es so fortgeht auf der Rutsche, so wird das mühsam bis Geßnitz.
+Ein feines Schellen hörte er hinter sich. Mit flinkem Rößlein jagte und
+auf leichtem Schlitten saß der Groß-Grübinger von Kirchbrunn, er fuhr
+auch gegen Geßnitz. Ei, dachte der Holzknecht, dem ist's ein leichtes,
+daß er mich mitnimmt. Als der Schlitten vorüberschliff, rückte der
+Schopper manierlich den Hut, aber der Grübinger tat nichts desgleichen.
+
+»He!« rief nun der Holzknecht dem Gefährte nach, zog sein blaues
+Sacktuch aus der Tasche und hielt es hoch in die Luft, »he, Vetter!
+Vetter Grübinger!«
+
+Der Bauer hielt an: »Was ist denn?«
+
+»Ihr habt Euer Sacktuch verloren!« rief der Holzknecht. Die List
+gelang; während der Bauer seine Taschen durchsuchte, kam der Schopper
+zum Schlitten heran und legte seine Hand schon an das Joch.
+
+»Mir gehört er nicht, der Fetzen!« brummte der Bauer und wollte es
+wieder vorwärts gehen lassen.
+
+»Nachher muß er wem anderen gehören,« meinte der Holzknecht und steckte
+das Tüchel in seinen Sack. »Aber gelt, Vetter Grübinger, Ihr seid so
+gut und habt nichts dagegen, wenn ich mich da hinten auf die Kurve
+stelle. Ich will nach Geßnitz und es geht so kläglich auf den Füßen.
+Euer braver Rappen --«
+
+»Kunnt mir einfallen!« lachte der Bauer grell auf, »Hia!« Und der
+Schlitten glitt rasch dahin, kaum hatte der Schopper Zeit, das Joch
+auszulassen; sich an dasselbe haltend, stolperte er eine Weile hinten
+drein, bis der Bauer ihm mit dem Peitschenstock eins auf die Finger
+gab. Da ließ er los und stand wieder allein mitten in Schnee und Nebel.
+
+»Die Leute sind hart,« murmelte er vor sich hin; um so weicher ist der
+Schnee, in welchen er seine Fersen wieder kräftig einsetzte. Es ging
+langsam fürbaß.
+
+Als er nach Stunden durch den Markt Geßnitz schritt, war es finster,
+was sich gar nicht übel traf. Schon einmal hatte ihn hier der Gendarm
+festgenommen, obschon auch bald wieder losgelassen, nachdem es sich
+herausgestellt, daß hinter der verwilderten Hülle ein gewöhnlicher
+Holzknecht steckte. -- Auf dem Turme läutete die Abendglocke. Er zog
+seinen Hut vom Kopfe und betete: »Der Engel des Herrn brachte Maria
+die Botschaft ...« Der junge Adlerwirt war ihm nicht begegnet, also
+mußte er wohl noch im Salmhofe sein. Der Schopper ging den Hügel
+hinan, aber nicht nach dem breiten Fahrweg, sondern hinterwärts auf
+dem Rainsteige. Den Wirtschaftsgebäuden trachtete er zu, er wußte wohl
+die Futterkammer, in welcher die Jungmagd um diese Zeit ihre Arbeit zu
+verrichten pflegte. -- »Heut' nimm dich zusammen, Schopper-Schub,« so
+ermahnte er sich selbst. »Denk' nicht immer daran, daß du verachtet
+bist. Denk', daß du auch ein Mensch bist wie alle anderen, und
+sei herzhaft. Gesund und stark zum Arbeiten, niemand kann dir was
+ausstellen im Holzschlag, du verstehst dein Geschäft. Niemand kann dir
+was nachsagen; was du dein Lebtag hast angestellt, das ist nur dein
+eigener Schaden gewest. Die neue Riesen wird sich machen im Waldschlag.
+In ein paar Jahren bist Holzmeister, da kannst Weib und Kind erhalten
+so gut wie ein Graf. Warum soll sie dich nicht gern haben? Wenn ihr
+dein Gewand nicht gefällt, so wirf's weg, der inwendige Kerl wird nicht
+zu schlecht sein für eine brave Dirn. In Gottesnamen, Schopper!«
+
+Der junge Adlerwirt hatte sich im Laufe desselben Nachmittags in der
+großen Wirtschaft des Salmhofes herumgetrieben. Anfangs tat er solches
+in Begleitung seines künftigen Schwiegervaters, dieser wurde aber bald
+zurückgerufen, er hatte in Gemeindevorstandsgeschäften zu tun. Der
+Wolfram spähte überall umher und spielte mit dem Gedanken, was mit
+all dem geschehen werde, wenn einmal Vater und Mutter mit Tod abgehen
+sollten. Gegen Abend ins Haus zurückgekommen, gab's eine Jause, aber
+eine etwas zerrissene. Die Salmhoferin trank ihren Kaffee in der Küche,
+der Salmhofer trank seinen Weinkrug auf der Stube aus, die Haustochter
+Kundel schlürfte ihren Tee im Küchenzimmerchen und knusperte süßes
+Backwerk dazu. Der Wolfram, welcher neben ihr saß, dankte für den ihm
+gebotenen Imbiß, er sei nicht gewohnt, eine Jause zu nehmen, aber
+eine Zigarre, wenn er sich anzünden dürfte! Hierauf besprachen sie
+die Hochzeit. Die Kundel gestand vielleicht mehr unwillkürlich als
+absichtlich, daß es ihr manchmal schrecklich sei auf dem Salmhofe,
+daß sie froh sei, diesem Orte zu entkommen. Elternliebe, wovon andere
+Leute sprechen, habe sie ja doch nie kennen gelernt. Der Vater habe
+sie ein paar Jahre lang in ein Institut gesteckt, sie nachher zu einer
+Zierpuppe herrichten wollen, um sich mit ihr zu prahlen; bei der
+Mutter wäre überhaupt nichts zu suchen, diese verrichte in der Küche
+ihre tägliche Arbeit, die gerade so gut auch eine Magd besorgen könne,
+und sei dann zufrieden. -- Dem jungen Adlerwirt schmeichelte dieses
+Vertrauen der Braut und es kam ihm fast gemütlich vor im Stübchen, bis
+die Kundel plötzlich und ziemlich rasch das Fenster aufmachte. Der
+Tabakrauch ging freilich hinaus, aber die kalte, neblige Winterluft
+ging herein. Endlich verabschiedete der Bräutigam sich, und während
+die Pferde eingespannt wurden, stand er draußen in der Tür der
+Heukammer und plauderte ein wenig mit der Jungmagd. Er lehnte an dem
+einen Pfosten der Tür, sie an dem anderen, weiter ließ sie ihn mit
+der brennenden Zigarre nicht in die Kammer. Sie tat's aber nicht des
+Rauches, sondern der Feuersgefahr wegen.
+
+Ihr Gespräch wurde ganz leise geführt. »Frieda,« sagte der Wolfram, »du
+wirst doch auch bei der Hochzeit sein?«
+
+»Weiß es nicht,« antwortete sie, »ich werde wohl müssen haushüten. Die
+Haustochter hat schon so etwas gesagt.«
+
+»Hat sie?« fragte flüsternd der Bräutigam. »Nein, Frieda, ich will's
+haben, daß du bei meiner Hochzeit die erste Kranzljungfrau sein sollst.
+Es geht doch!«
+
+»Ja, gehen tät's schon,« meinte die junge Magd, »aber sein darf's
+nicht.«
+
+»Wer sagt das?«
+
+»-- Sie.«
+
+»Das möchte ich wissen. Ihr seid ja immer gut gewesen miteinander? Und
+kameradschaftlich.«
+
+»Früher, ja,« sagte die Frieda, »aber seit dem Tanz beim Schwambachwirt
+ist sie arg auf mich.«
+
+»Laß es gut sein, Dirndel,« entgegnete der junge Adlerwirt. »In das
+Kapitel werde ich auch etwas dreinzureden haben. Sie mag zur Hochzeit
+laden, wen sie will, ich werde es auch tun. Und verhoff's, daß wir
+uns bei der Hochzeit nicht das letzte Mal sehen werden, Dirndel. Gib
+mir die Hand drauf!« Und er schnalzte mit der Zunge, was so seine
+Gewohnheit war, wenn er Mut und Übermut in sich fühlte. »Dirndel, die
+Hand drauf!«
+
+»Auf das gebe ich keine Hand,« war ihre Antwort, »der Mensch weiß nicht
+Zeit und Stund.« Zögernd und zagend hatte sie das gesprochen.
+
+»Und auch zum Abschied willst mir die Hand nicht geben?« fragte er
+nicht ohne Beklommenheit.
+
+»Zum Abschied -- schon gar nicht,« antwortete das Mädchen.
+
+»Frieda!« erscholl es in diesem Augenblicke von der Stallwand her. Die
+beiden stoben auseinander. Eine männliche, hohle Stimme war es gewesen.
+Der junge Adlerwirt sprang in den Schlitten, und vorwärts ging's durch
+Nacht und Winter gegen Kirchbrunn.
+
+An demselben Abende war's, als die Jungmagd Frieda die Tür ihrer Kammer
+verschlossen hatte und nun vor einem Muttergottesbildchen, welches an
+der Wand klebte, ihr Nachtgebet sprach, als auf einmal wie ein Gespenst
+der Holzknecht vor ihr stand. Der Schreck war so groß, daß ihr zum
+Schrei die Stimme versagte. Beide Hände ans Herz gedrückt, so sank sie
+mit einem Hauch auf den Schemel hin.
+
+»Geschehen tut dir nichts,« also sprach nun der Schopper. »Aber das
+Leutrufen laß sein. Sie brauchen es nicht zu wissen, was wir zwei
+miteinander zu reden haben.«
+
+»Wir haben nichts miteinander zu reden,« konnte jetzt die Frieda sagen.
+»Geh fort! Du hast dich wie ein Dieb hereingeschlichen! Geh fort!«
+
+»Hast wohl recht, Dirndel, wie ein Dieb!« entgegnete der Schopper.
+»Weil ich deinetwegen schlecht werden muß. Aber daran schuldig bist du.
+Zu einem Engel hättest mich machen können. Und jetzt -- jetzt kann ein
+Teufel draus werden.«
+
+»Fort geh!« rief das Dirndel und sprang zur Tür, um sie zu öffnen.
+Er fing sie auf, hielt ihr die Hand fest und sagte: »Frieda. Sei
+barmherzig. Schau, ich bin ein armer Bursch'. Glaubt hätt' ich's
+nimmer, daß einen die Lieb' so kunnt zurichten. Zwingen kann ich dich
+nicht, Frieda. Ich sag' dir nur das: Wenn du mich nicht nimmst, so
+erleben wir was. Mit mir und mit dir! Ich spring' ins Verderben und du
+in dein Unglück. Der junge Adlerwirt! Unterwegs her bin ich noch voller
+Vertrau gewesen zu ihm. Und was ich jetzt hab' gehört!«
+
+»Was hast denn gehört?«
+
+»Mehr, als er geredet hat, meine liebe Dirn! Daß der so schlau ist, das
+hätte ich mir nicht gedacht. Die eine heiraten, die andere gern haben!
+Bist denn du blind, Frieda! Oder bist wirklich so schlecht?«
+
+»Holzknecht,« versetzte jetzt das Mädchen ruhiger, »laß mich aus, dann
+will ich reden.«
+
+Im Augenblick ließ er ihre Hand los.
+
+»Für mich,« so redete sie nun, »wär' es auch besser, du hättest mich
+zerdrucken lassen vom Mühlrad. Ich dank' dir's nicht, daß du mich hast
+herausgezogen. In der Unschuld wäre ich gestorben, und wie es jetzt
+steht, seh' ich vor mir nichts, als lauter Sünd' und Elend.«
+
+»Den Adlerwirt mußt vergessen!« sagte der Schopper.
+
+»Vergessen! Weißt du, was du redest? Kannst du vergessen? So vergiß
+mich, ich geh' dich ja nichts an. Bin nicht deine Schwester und nicht
+dein Geschwisterkind. Such' dir eine, die besser für dich paßt, und
+mich laß in Gottesnamen zugrunde gehen, wenn es mir schon aufgesetzt
+ist, daß ich seinetwegen zugrunde gehen soll.« Sie weinte.
+
+Der Waldmensch stand wie erstarrt vor ihr. Endlich antwortete er: »Um
+~das~ von dir zu hören, bin ich heute weit aus dem Siebenbachwald
+herausgekommen. -- Du, Frieda! Flennen darfst mir nicht! Flennen kann
+ich dich nicht sehen!« Fast wie drohend stieß er die letzten Worte
+heraus, und dann fuhr er mit den Fingerspitzen über ihr Haar hin, als
+ob er sie streicheln wollte. »Frieda!« fuhr er milder fort. »Vor neun
+Jahren am Magdalenatag, wie sie deine Mutter haben in die Erden gelegt,
+habe ich dich zum ersten Mal gesehen. Wie du dazumal geweint hast,
+du liebes Kind, du arme Waise, so verlassen auf der Welt, -- wie du
+dazumal so geweint hast, das geht mir nimmer aus dem Kopf, gar nimmer.«
+
+»Mein Gott,« flüsterte jetzt die Frieda, »du bist ja ein guter Mensch,
+ein herzensguter Mensch. Aber jetzt mußt du fortgehen, du armer Bursch,
+schau, es kann nicht anders sein. Ich habe ja nichts gegen dich, wenn
+ich nur könnt', wie wollt' ich dich lieb haben mit Freuden, dich ganz
+allein. Und es hätt' eine gute Wendung. Wie es jetzt steht, ich weiß
+mir ja nicht zu raten und nicht zu helfen.«
+
+»Sollst schuldigerweis so reden?« fragte er.
+
+»Gott Lob und Dank, nein!« antwortete die Jungmagd, »aber fürchten
+tu' ich mich, so oft ich ihn sehe. Bei der Hochzeit will ich nicht
+sein, nach Kirchbrunn auch mein Lebtag nicht gehen. Ich will mich
+ja hüten, soviel es menschenmöglich ist. An meine Mutter hast mich
+gemahnt, Schopper. Ihr letztes Wort zu mir ist gewesen: Frieda, wenn
+du dir nicht aus weißt, so knie' hin und tu' beten. Ich will's tun,
+Holzknecht, und will so lange beten, bis ich dich recht lieb hab, und
+nur dich allein.«
+
+Das sagte sie mit solcher Innigkeit, als wäre die Liebe zu ihm bereits
+da.
+
+»O glückselige Stund'!« wimmerte der Waldmensch und drückte sein
+bärtiges Gesicht an ihre Schulter, in ihr Haar, »du herzliebe Dirn,
+ich geh' schon, ich geh' gern. Beten! Beten! Gute Nacht, du
+herzliebe Dirn!«
+
+Also stürzte er wie rasend vor Glück davon, hinaus in die tiefe
+Winternacht, den jauchzenden Himmel im Herzen, seinen fernen
+Wäldern zu.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 5. Abschnitt.
+
+
+Ganz Geßnitz war in Aufruhr. Bald nach Mitternacht schon hatten sie
+angefangen mit den Pöllern zu knallen, und zwar nicht bloß auf dem
+Salmhof, wo hinter dem Hause ein großes Feuer brannte, sondern auch
+bei anderen Bauernhöfen der Umgegend, die da zeigen wollten, welch
+freudigen Anteil sie nähmen an dem Fest- und Ehrentage der Familie
+ihres großständigen Gemeindevorstandes. Und als über den Dunstschichten
+der große, rote Sonnenball heraufstieg und die Hochzeitsgäste gegangen,
+gefahren kamen von allen Seiten her, da knatterten auch die Pistolen
+drein, das Kleingewehrfeuer zu den Kanonenschüssen, daß es schier
+zu hören war, als würde eine große Schlacht geschlagen im Tale von
+Geßnitz. Wo der Weg vom Salmhofe in den Markt hineinmündet, war
+sogar ein Schwibbogen gebaut aus Fichtenreisern. Von der Gärtnerei
+der Herrschaft Klobenstein war ein großer Brautstrauß gekommen als
+Hochzeitsgabe, denn der Klobensteiner Baron und der Salmhofer standen
+miteinander in reger Geschäftsverbindung.
+
+Übrigens hatte die Hochzeit des jungen Adlerwirtes mit der Salmhofer
+Tochter etwas Städtisches. Es gab dabei Herrschaften in Frack und mit
+hohen Seidenhüten, worunter der Herr Schwager Amtskontrollor eine der
+würdigsten Erscheinungen war. Auch der Salmhofer trug einen sehr langen
+Frack, einen schwarzen Röhrenhut, einen hohen, aufgesteiften Halskragen
+mit zwei an beiden Seiten des Kinnes hervorstehenden Spitzen, eine
+schneeweiße Weste, die über den halben Bauch hinabging, ein schwarzes
+Beinkleid und tadellose weiße Handschuhe. Die Salmhoferin an seiner
+Seite sah dagegen ganz bäuerlich und fast ärmlich aus. Der Bräutigam
+war in schwarzem, dorf-bürgerlichem Anzug, der sich nur auszeichnete
+durch das Myrtensträußchen am linken Brustflügel. Dieses schwarze
+Gewand gab dem jungen Manne ein überaus interessantes Aussehen, sein
+Gesicht schien blasser als sonst, und in seinem großen Auge war ein
+seltsamer Schmelz, wer es nur hätte sagen können, ob mehr auf frischen
+Mut oder auf weichmütige Rührseligkeit hinweisend. Seine natürliche
+Heiterkeit schien er heute daheimgelassen zu haben beim Alltagsgewand,
+ernsthaft, gesetzt, wie es einem Bräutigam ansteht, war sein Wesen,
+und man sah gleich, daß die Würde des Großbauernhofes sich auf ihn
+zu vererben begann. Die Braut Kunigunde trug ein schweres weißes
+Seidenkleid mit Schleppe, und auf dem kunstvoll geflochtenen, fast
+schwarzglänzenden Haar ein Myrtenkränzlein. Ihr schönes Gesicht war
+jetzt, wie sie vor dem Altare standen, als ob es von reinstem weißen
+Marmor gemeißelt wäre. Man hatte zu Geßnitz nie eine Braut gesehen,
+die so würdig und ernst war, und nie eine, die am Hochzeitstage
+nicht einmal ein wenig gelächelt und nicht einmal ein wenig geweint
+hätte. Aber die Kunigunde war eine solche. Manche behaupteten, das
+wäre ein tiefes Wasser, auswendig eine Mutter Gottes, inwendig
+--. Ein Glücksmensch sei dieser Adlerwirt! Die Braut so schön, so
+achtunggebietend, so reich! -- Ob sie für eine Wirtin am Ende nicht
+doch ein wenig zu vornehm ist! Wirtinnen können nicht artig genug
+sein. -- Oho, Wirtinnen können nicht zurückhaltend und ernsthaftig
+genug sein! -- Ein Glücksmensch, dieser Adlerwirt!
+
+Als das Brautpaar vor dem Altare stand, als der Wolfram ihre zarte
+kleine Hand in der seinen hielt, als der Priester die Stola darüber
+wand, da machte der junge Adlerwirt im Herzen ein Gelöbnis. -- Ich will
+ein treuer Mensch sein. Junge, leblustige Weiber gibt es genug, auch
+solche, die Ehrenhaftigkeit verkaufen! Nein. Ich habe jetzt mein Weib.
+Und ist sie gleichwohl noch frostig wie ein Märztag, ich will so viel
+Sonnenschein auf sie legen, bis die Blume aufblüht. Durch die Liebe
+kann man alles überwinden, sagt mein Professor Nix, auch die schlimmen
+Weiber. Schlimm aber ist sie gar nicht, nur ein wenig herb. Und herbe
+Trauben geben den haltbarsten Wein. Mein liebes Weib, du! -- Er drückte
+ihre Hand, sie wußte freilich nicht, was er dachte.
+
+Die Mahlzeit im Salmhofe war üppig bis zum Tischbrechen. Auch dabei
+ging es so vornehm zu, daß alle Kellner von Geßnitz anwesend waren,
+um an der Tafel die Speiseschüsseln herumzutragen von Gast zu Gast.
+Die Braut winkte fast jedes Gericht mit einer Handbewegung ab, sie aß
+nichts, sie trank nichts, sie sprach nur wenig, ließ aber ihr wachsames
+Auge stets in die Runde gehen, um die Ordnung des Dienervolkes zu
+überwachen und etwaige Verstöße desselben mit einem strafenden Blick,
+mit einem tadelnden Worte zu rügen. Der Wolfram suchte mit der
+nebensitzenden Schwiegermutter ein Gespräch zu unterhalten; es war
+jedoch mit der einfachen, bescheidenen Frau nicht viel anzufangen. Um
+so mehr fröhlichen Lärm machte der Salmhofer, besonders wenn das weiße
+Kätzchen, welches er bei sich auf dem Schoß hatte und mit Leckerbissen
+fütterte, auf den Tisch sprang und ungebührlich ward. Also, dachte der
+Wolfram, werden wir uns nur ans Essen und Trinken halten, dieser Tag
+wird mit Gottes Hilfe ja auch nicht ewig dauern.
+
+Am Abende, als die Lichter gekommen waren und die Musikanten, hub die
+Hochzeitsgesellschaft einen anderen Takt an. Es ward laut und lustig,
+die Leute wogten durcheinander, aber die Braut zog sich zurück auf
+ihr Stübchen, weil ihr die Aufregung und der Lärm des Tages ein wenig
+Kopfschmerz verursacht hatten.
+
+Der Wolfram ging hinaus in die frische Luft. Ein klarer Sternenhimmel
+flimmerte, der Adlerwirt sah ihn kaum, er war in verschiedenerlei
+Empfindungen versunken, und auf einmal tat er einen tiefen Atemzug und
+sagte halblaut: »Also wäre ich verheiratet!«
+
+Dann kam ihm zu Sinn, was er am Altare gedacht und daß er nun von
+jemandem Abschied nehmen müsse mit allem Ernst.
+
+Im Wirtschaftsgebäude war die Gesindestube hell beleuchtet, da drin
+ging's fröhlich zu, der Wolfram trat ein. Mit hellem Geschrei hoben
+sie ihm die Gläser entgegen und tranken auf seine Gesundheit. Er
+setzte sich ein bißchen zu dem Gesinde an den Tisch, da erschien die
+Aufträgerin mit frischem Teller und Glase, legte ihm Krapfen vor, und
+einschenken, meinte sie, würde er sich wohl selber können.
+
+»Ja, Frieda!« lachte der Bräutigam der jungen Aufträgerin zu,
+»einschenken, das kann ich, aber austrinken mußt du. Auch von dir will
+ich eine Gesundheit haben.«
+
+Die Jungdirn nahm das Glas, schwenkte es ein wenig gegen ihn: »Zur
+guten Gesundheit!« und nippte.
+
+»Jetzt ist's recht!« rief der Wolfram lustig mit der Zunge schnalzend
+und faßte sie an der Hand und blickte ihr frisch ins Auge, »trink' noch
+einmal, Frieda!«
+
+»Dank' schön!« antwortete sie schmunzelnd, »es möcht' zu viel sein.«
+
+»So gib her!« Er nahm ihr das Glas aus der Hand, und während er ihr
+fest ins Auge blickte, leerte er es auf einen Zug.
+
+Als er nachher wieder über den Hof schritt, ward ihm bedenklich. -- Ein
+Abschied das? --
+
+ * * * * *
+
+Also das war die Hochzeit gewesen.
+
+Und nun kam das Siedeln. Der Möbelfuhren von Geßnitz nach Kirchbrunn
+waren so viele, daß die Leute schon sagten: »Mein Gott, wie wird denn
+das alles Platz haben beim Adlerwirt, es zersprengt ja das Haus!«
+
+Frau Kunigunde war eingerichtet wie eine Gräfin. Alles nagelneue
+Sachen. Rokoko war Mode. Rokoko! Man wußte zwar nicht, was das war,
+bestellte es aber. »Kosten tut auch ein Trödel was,« hieß es, »also
+am besten, sich gleich ordentlich einrichten.« Es gab Überraschungen,
+als die Sachen ankamen. Frau Kunigunde war nicht so leicht
+zufriedengestellt von den Arbeiten der Tischler und Tapezierer aus der
+Kreisstadt, sie meinte, das plumpe Zeug sei gar nicht anzusehen und
+es wäre am klügsten, solche Dinge geradeswegs aus Paris zu bestellen.
+Mit diesem Sinn für die feinste Vornehmheit setzte die junge Frau ganz
+Kirchbrunn in Erstaunen.
+
+Ungefähr eine Woche nach der Hochzeit war der Salmhofer angefahren
+gekommen, um sich das neueingerichtete Nest der jungen Leute
+zu besehen.
+
+»Nur so zu, Wolf!« schnarrte er den Schwiegersohn an. »Meine Tochter
+hat Erziehung genossen. Halt' sie fein! Laß ihr nichts abgehen! Für die
+Küche nimm dir eine Köchin, mein Kind hat Nerven, die nicht für den
+Küchendunst sind.«
+
+Der Wolfram nahm diese Verhaltungsmaßregeln ganz ruhig hin. Nach einem
+Imbiß, der dem Schwiegervater vorgesetzt worden und wobei der Salmhofer
+einmal seinen würdigen Bart streichelte und das andere Mal seinen
+Oberschenkel, obzwar heute das weiße Kätzchen nicht darauf saß -- bat
+der alte Adlerwirt ihn auf ein Wort in seine Stube. Der alte Wirt war
+vor langem Zuwarten auf eine gewisse Unterredung schon ganz aufgeregt
+geworden. Und weil der Schwieger auch heute wieder nichts desgleichen
+tat, als wäre eine solche an der Zeit, so machte der Wirt nun keine
+Umstände mehr.
+
+»Schwieger,« sagte er, ihm einen Sessel hinschiebend, »mußt schon
+entschuldigen, es ist, daß man sich einmal ausredet von wegen Lebens
+und Sterbens. Wir sind nimmer jung, und mein Sohn weiß, was er von
+mir zu erwarten hat. Es ist, daß er weiß, wie er daran ist und die
+Wirtschaft einrichten kann.«
+
+»Hast ganz recht, Adlerwirt, nur alles in Ordnung machen,« antwortete
+der Salmhofer. »Weiß auch, daß mein Kind bei Euch gut gestellt ist. Ist
+ein gutes Kind, wer es zu behandeln versteht, ein herzensgutes Kind.«
+
+»Und eine rechtschaffen stolze Natur,« lenkte der schlaue Adlerwirt
+über, »so daß ich mir schon gedacht habe, ob sie nicht etwa gedrückt
+ist, wenn ... Das möchte ich ihr nicht wünschen! Sie wird auch auf was
+pochen wollen, und hat ganz recht. Ich meine, Schwieger, du -- sollst
+was schreiben lassen.«
+
+Der Salmhofer hatte sich kaum gesetzt, so stand er jetzt wieder auf,
+nahm Hut und Stock; aber noch an der Tür wendete er sich um und stieß
+sprudelnd die Worte hervor:
+
+»Ich glaube, die Ausstattung ist nicht zu gering ausgefallen. Hat mich
+bare zweitausend Gulden gekostet. Nach meinem Ableben -- wenn ich um
+ein Eichtel Geduld bitten darf! -- wird sie kriegen, was da ist. Wer
+denn sonst?«
+
+Ohne ein weiteres Abschiedswort ging der Großbauer zur Tür hinaus und
+fuhr davon.
+
+Etwas kleinlaut teilte der alte Adlerwirt dem jungen dieses Gespräch
+mit und fügte bei: »Heißt's halt so weiter fretten derweil. Wie lang
+wird er's denn machen! Er trinkt zu viel.«
+
+Der Frau Kunigunde war es nach ihrem Einzuge ins Adlerwirtshaus vor
+allem darum zu tun gewesen, jedermann zu zeigen, daß sie hier die Frau
+sei. Alles wurde geändert, schon in den ersten Tagen. Kein Möbelstück
+blieb an seinem Platze stehen, und wenn der Wolfram einwendete, das
+sei schon bei seiner Mutter Lebzeiten so gewesen, gab sie zur Antwort:
+»Liebes Kind, also hat's deine Mutter gestellt nach ihrem Belieben, und
+ich werde es auch tun.« Im Salmhofe war um zwölf Uhr Mittagszeit, also
+mußte auch im Adlerwirtshause die Suppe um zwölf Uhr auf dem Tische
+stehen. »Kundel,« gab ihr der Wolfram zu bedenken, »in den Wirtshäusern
+macht sich eine spätere Mittagsstunde besser, wenn die Gäste gespeist
+haben.« -- »Was kümmern mich die Gäste!« war ihre Entgegnung.
+
+Der Wolfram wußte wohl, was darauf zu sagen war, doch er wollte nicht
+streiten. »Junge Hausfrauen sind schon so,« tröstete ihn der Vater,
+»und sie wird sich die Hörner schon abstoßen.«
+
+Auch mehrere Dienstboten, die sich nicht gleich in die neue Hausordnung
+schicken konnten, wurden entlassen und neue aufgenommen. Und gerade
+wenn eins recht brauchbar war und schon lange im Hause, gerade das
+mußte fort. Die Frau Kunigunde wollte nicht, daß ein Dienstbote im
+Hause sei, welcher besser Bescheid wußte als sie selber.
+
+»Daß dir die fremden Gesichter nicht zuwider sind!« sagte einmal der
+Wolfram zu seiner Frau.
+
+»Mir sind die einen wie die anderen fremd,« war ihre Antwort.
+
+»So möchte ich an deiner Stelle wenigstens solche nehmen, die ich schon
+kenne. Dein Vater wollte dir gewiß gerne ein paar Leute von seinem
+Hofe abtreten, die deiner Art und Weis' leichter nachkommen könnten.
+Besonders Weibsleute solltest verläßliche um dich haben.«
+
+»Meinst?« gab sie lauernd zurück.
+
+»Wir haben jetzt keine ordentliche Küchenmagd und keine Weidmagd.«
+
+»Wie soll sie denn heißen?«
+
+»Heißen kann sie wie sie will, aber brav und fleißig muß sie sein.«
+
+»Soll sie nicht Frieda heißen?« fragte spitzig die Frau Kunigunde.
+
+Der Wolfram tat überlaut einen Lacher. »Wie du jetzt auf die Frieda
+kommst!« Er brach ab und ging hinaus.
+
+Von diesem Tage an war er eine Weile wortkarg. Und damit Frau
+Kunigunde die Ursache nicht merken sollte, warf er ihr unverhohlen vor,
+daß das nicht schön wäre von ihr, dem alten Vater die liebgewordenen
+Gewohnheiten zu vergällen, ihm sogar die Mittagszeit nach ihrem
+Gutdünken zu verlegen. Über die Speisen selbst rede man ohnehin
+nichts, diese würden zubereitet nicht nach seinem, sondern nach ihrem
+Geschmack, und der sei nicht allemal der beste.
+
+»Einen besseren hast du,« gab sie rasch wie immer zur Antwort, »weil du
+deiner eigenen Frau schon jetzt, wenige Wochen nach der Hochzeit, das
+Essen mißgönnst und dich nach einer Stalldirne umsehen möchtest.« Da
+weinte sie auch schon heftig in ihr Spitzentuch.
+
+»Aber Kunigunde!« rief nun der Wolfram und wollte kosend begütigen, sie
+stieß mit dem Ellbogen heftig nach ihm, da ging er zum Herde, zündete
+sich eine Zigarre an, stieg in die Gaststube und unterhielt sich mit
+den Gästen.
+
+Ein Fleischhauergeselle aus Geßnitz war da, den fragte der junge
+Adlerwirt nach Neuigkeiten. Natürlich marschierte der drohende Krieg
+auf, der in den Zeitungen stand, denn er steht immer drin. Aber dem
+Wolfram war das zu wenig. Als braver Schwiegersohn fragte er dem
+Salmhofe nach, ob dort alles gesund sei, oder sonst beim alten? Ja,
+der Salmhofer liege auf seiner Holzbank, schäkere mit den Katzen und
+habe so manchmal sein Räuschchen. Man merkte es dem Fleischergesellen
+an, welche Gewalt er sich antun mußte, um die ganz unverhältnismäßige
+Verkleinerung zuwege zu bringen, aber anders mochte er mit dem
+Schwiegersohne doch nicht sprechen. -- Und was die Mutter mache? wollte
+der Wolfram wissen. -- »O Gott!« sagte der Fleischer.
+
+»Daß sie nicht am Ende mehr Sorgen zu tragen hat, jetzt, weil die
+Tochter fort ist!« fürchtete der junge Adlerwirt. »Sie wird sich doch
+von den Dienstmägden eine abrichten fürs Haus oder so?«
+
+»Im Gegenteil,« erzählte der Geßnitzer, »verjagen tut sie eins ums
+andere. Gestern ist bei der Jungmagd die Dienstzeit aus worden.«
+
+»Bei der Frieda?« fragte der Wolfram.
+
+»Wird so geheißen haben. Bin just mit einem Kalb vorübergekommen, wie
+sie mit ihrem Bündel den Hof verlassen hat. Und Augenwasser, daß ich
+sie noch frag': Was hat's denn, Dirndel? Wandern mußt? Ja, wohin denn
+jetzt im Winter? Wisse es selber nicht, hat sie gesagt, und fort nach
+der Straßen.«
+
+Nun wußte er's, der Adlerwirt, was er wissen wollte. Daß er jetzt aber
+noch mehr wissen wollte, und was alles, das konnte er niemandem sagen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 6. Abschnitt.
+
+
+Endlich war der Winter vorbei.
+
+Und eines Tages in den Maien kam der junge Adlerwirt zu seiner Frau mit
+einem erbrochenen Briefe und sagte froh erregt: »Dies Jahr kommt er
+früh. Er kann es schon kaum erwarten, die junge Adlerwirtin kennen zu
+lernen, schreibt er. Der Professor Nix.«
+
+»Wer ist denn der?« fragte Frau Kunigunde gleichmütig.
+
+»Ich habe dir ja erzählt von dem Herrn, der allsommerlich zu uns kommt
+und bei uns bleibt, und der mich so mancherlei gelehrt hat. In diesem
+deinem Zimmer hat er immer gewohnt.«
+
+»So soll ich wohl jetzt ausziehen und den Herrn Professor Nix
+hereinlassen?«
+
+»Kundel,« sprach der junge Adlerwirt und machte einen vorwurfsvollen
+Blick. »Kundel, du bist immer so boshaft. Wie kann denn vom Ausziehen
+die Rede sein! Der Professor bekommt das Stübchen gegen den Baumgarten
+hinaus, er wird damit zufrieden sein. Es ist ein netter Herr, du wirst
+ihn gewiß liebgewinnen.«
+
+»Das Baumgartenzimmer kann ich ihm nicht abtreten, ich habe meine
+Garderobe drin.«
+
+»Vielleicht wolltest du deine Kleider hier in der Nebenkammer
+unterbringen, es wäre bequemer für dich.«
+
+»Geh, geh, Wolf,« entgegnete sie, »meine Bequemlichkeit, daß ich
+nicht lachen muß! Nur um deinen Herrn Professor geht's dir. Nein, das
+Baumgartenzimmer bekommt er nicht!«
+
+»So werde ich ihm das große Zimmer über der Gaststube einräumen,«
+sagte er, aber in einem Tone, der anzeigte, daß er nicht gewillt sei,
+weiter mit sich handeln zu lassen.
+
+»Das kannst du tun,« antwortete Frau Kunigunde. »Ich kümmere mich
+nicht um deine guten Freunderln. Nur bitte ich dich, auch mir nichts
+dreinzureden, ich will Ruhe haben.«
+
+Und eine Woche nach Ankunft seines Briefes kam er selber. Es war noch
+ganz der alte wie im vorigen Jahre. Dem Wolfram fiel er mit den Worten:
+»Junge! Hat die Liebe noch ein Stückchen Wolfram übrig gelassen für den
+alten Nix?« in die Arme.
+
+Die Artigkeiten, welche der Adlerwirt stotterte, unterbrach er sofort:
+»Ist schon recht. Laß die Torheiten, dein Weibchen will ich sehen.«
+
+Er stürmte in die Gaststube, in die Küche, da war sie aber nicht. Als
+er später hinaufstieg zu seiner neuen Stube, begegnete ihm auf der
+Treppe eine Dame, die er flüchtig grüßte, weil er sie für eine Fremde
+hielt. Es war aber Frau Kunigunde. Als er das gewahr wurde, eilte
+er ihr nach: »Frau Adlerwirtin! So wollen wir zwei nicht beginnen
+selbander. Einen herzhaften Händedruck oder so etwas! Mit meinem Segen
+für den heiligen Ehestand komme ich wohl spät! Aber nie zu spät! Nie zu
+spät! Gottes Gruß zu tausendmal, Frau Adlerwirtin!«
+
+»Guten Morgen!« entgegnete die Frau ruhig.
+
+Professor Nix war hübsch abgekühlt, und sie wechselten einige höfliche
+Worte.
+
+Mit der Stube war der Professor recht zufrieden, da hatte er Platz
+genug für alle seine Bücher und Schriften und Ledertaschen und
+Botanisierbüchsen und Staffeleien, und er breitete sich behaglich aus.
+»Ein Herzenskerl bist du!« rief er dem Wolfram zu, »gut meinst du
+mir's. Wenn ich einmal sterbe, so bedenke ich dich in meinem Testament.
+Du sollst das ganze Firmament haben mit allen Sonnen und Sternen. Nur
+der Halbmond ist ein Legat für die Türken. Ein charmantes Zimmer das!«
+
+Der Wolfram sagte nichts auf diese Ergießung. Und bald machten sich
+zwei kleine Nachteile fühlbar in der schönen großen Stube. Tagsüber
+war's der Rauch des scharfen Bauerntabaks, dessen Düfte von dem
+Gastzimmer durch die Fugen in des Professors Stube drangen. Aber das
+war nicht das schlimmste, am Bauerntabak war auch noch eine Pfeife,
+und an der Pfeife sog so ein unsauberer Geselle, der bis in die Nacht
+hinein sitzen blieb und mit anderen ähnlichen Gesellen lärmte, so
+daß der gute Professor Nix oben kein Auge schließen konnte. Aber er
+tat nichts desgleichen, sondern tröstete sich damit, daß solches zur
+Sommerfrische gehöre.
+
+Bei einer nächsten Gelegenheit sagte er zu seinem jungen Wirte
+folgendes: »Wolf! Ich muß dir nur gestehen, du hast ein schneidiges
+Weib. Das hat mir alle Kurasch abgekauft. Eine solche Hausfrau wird
+ganz gut sein, sie erspart den Kettenhund. Die Diebe und die Betrüger
+und die Heuchler und Schmeichler wirst du nicht zu fürchten brauchen,
+Frau Kunigunde hält sie alle fern. Einer Untreue wirst du bei ihr auch
+sicher sein, sie läßt keinen an sich herankommen. Wenn sie dir so recht
+ist, nachher bist du geborgen, nachher kann dir nichts mehr geschehen.«
+
+Der Wolfram wußte nicht recht, waren diese Bemerkungen ein Lob auf
+seine Frau oder etwas anderes. Er nahm's in Gottesnamen fürs erstere
+und war's zufrieden.
+
+Der Professor ging, wie es in den früheren Sommern geschehen, seinen
+Vergnügungen nach in Wald und Flur. Die Gegend um Kirchbrunn ist so
+recht das, was man freundlich nennt. Mittelhohe Berge mit sanften
+Kuppen und Muldungen und alles, was nicht im Tale Feld und Wiese war,
+hübsch bedeckt mit hellgrünenden Buchenwäldern, in welchen dunklere
+Fichtenbestände eingesprenkelt waren. Aus den schattigen Engtälern
+kamen Bäche hervor, zwischen den Wiesen gab es Teiche und Heuschoppen
+und Getreidemühlen. Professor Nix kannte alle Wege und Stege und die
+meisten Bewohner des Tales. Mit dem einen sprach er ernsthaft, mit dem
+anderen scherzte er. Wenn er aber in Regentagen an das Adlerwirtshaus
+gebannt war, da kam's ihm -- so sehr der Regen draußen auch rieseln
+mochte -- in der Stube nicht mehr ganz so gemütlich vor wie sonst.
+Häufig saß er in der Gaststube, doch es fehlte auch hier manchmal an
+Gesellschaft. Der alte Wirt war mißlaunig, der junge wortkarg und die
+Wirtin gar nicht zu sehen.
+
+Eines Tages war der Wolfram davon. Am ersten Tage kümmerte sich um
+seine Abwesenheit niemand; am zweiten Tage meinte der alte Wirt, sein
+Sohn müsse auf einen Vieheinkauf gegangen sein, aber man wunderte sich
+doch, daß er weder seiner Frau noch seinem Vater davon etwas gesagt
+hatte. Als er am dritten Tage immer noch nicht zurück war, wurde dem
+alten Wirt bang und wurde dem Professor bang. -- Wenn der Wolf nichts
+gesagt hat, wohin, so dachte letzterer sich, und in der Nachbarschaft
+weiß auch niemand etwas von ihm, und es ist sonst nicht seine Art, daß
+er so davonläuft, so sieht das ja aus wie ein Unglück! Frau Kunigunde
+hub an zu zanken. Der Professor stellte ihr vor, daß dem Wolfram etwas
+zugestoßen sein könne.
+
+»Ja natürlich, der Leichtsinn ist ihm zugestoßen!« rief sie. »Gott
+weiß, wo er umherzigeunert! Ich laufe ihm nicht nach. Meinetwegen mag
+er fortbleiben über Jahr und Tag. Wenn ich nicht will, da kriegt mich
+keiner mit Lieb' und keiner mit Trutz.« --
+
+Der Wolfram war unter dem Vorwande, vorjährigen Apfelwein zu kaufen,
+die Geßnitzergegend abgegangen bis hinaus nach Niederleuth und Sankt
+Magdalena; in allen Bauernhäusern hatte er zugesprochen, sich nebenbei
+auch um Zuchtkälber umgesehen; erstanden jedoch hatte er nirgends
+etwas. Dann war er in großem Umkreis gegen das Gebirge gewandert, hatte
+dort anstatt nach Apfelwein nach Bauholz gefragt, aber auch hier nichts
+gekauft. Endlich rückte er seiner Absicht näher und erkundigte sich
+nach Dienstboten für die Sommerarbeit, vor allem nach Heuheberinnen und
+Schnitterinnen -- es war vergebens, die er suchte, fand er nicht.
+
+Und als er ratlos schon auf dem Heimweg war, fiel es ihm ein: sie ist
+im Siebenbachwald bei den Holzleuten. Er mußte es aber wissen. Er
+wanderte in die Wälder und kam zu den Siebenbachhütten, welche in einem
+engen Waldtale standen, von zerrissenen Bergen umgeben. Hoch von einem
+Bergschlag nieder ging eine neue Holzriesen, in deren Rinne glatte
+wuchtige Blöcke herabglitten. Sausend und dröhnend kam das niederwärts
+auf steiler Riesen, die in großen Bogen sich wand, über Hänge und
+Schluchten gebrückt war und so sorgfältig und wohlberechnet gemuldet,
+daß kein Block ausspringen konnte. So kam das herab bis zu Tale, wo die
+Riesen sachte sich ebnete und die schwersten Blöcke fast sanft aufs
+Erdreich warf, daß die Blöcke dann von etlichen Männern zur Kohlstatt
+geschafft werden konnten. Bei diesen Männern war sie nicht. Der Wolfram
+fragte dem Schopper-Schub nach. Der sei auf dem Berge an dem obersten
+Ende der Riesen. Der Adlerwirt stieg hinauf; der Berghang war steil
+und vielfach von Schluchten und Gräben durchfurcht. Da sah man erst
+die ganze Kühnheit des Baues der Holzleitung. Streckenweise strich
+sie in schönen Kurven an dem steilen Hang dahin, dann setzte sie, auf
+schlanken Stämmen wie auf Strohhalmen gestützt, über Waldwipfel und
+Abgründe, in deren Tiefen Wässer rauschten.
+
+»Seit Menschengedenken,« so erzählte der Holzknecht, welcher den
+Adlerwirt hinaufbegleitete, »hätte man es nicht für möglich gehalten,
+daß wir den Zagelwald herabkriegen könnten. Zu Hunderten und zu
+Tausenden sind sie vermodert und verfallen, oben, die schönsten
+Tannen und Lärchen, und kein Mensch hat sie nutzen können, weil sie
+nicht herabzubringen gewesen sind. Jetzt geht's spielend. Und haben
+ihn zuerst alle ausgelacht, den Schopper, wie er gesagt, er baut die
+Riesen. Hat aber den Holzmeister sauber überzeugt, daß es geht, hat
+sie mit dreißig Holzknechten in vier Monaten gebaut, und jetzt lacht
+niemand mehr. Der Schopper ist Vorknecht geworden.«
+
+»Also der Schopper-Schub hat dieses Werk gebaut!« Der Adlerwirt hätte
+es ihm nicht angesehen. Der Mann, der solches kann, darf sich am Ende
+doch keck um die Herzliebste bewerben.
+
+Auf der Höhe gab es eine schöne Aussicht hin in die Waldberge, aber
+dem Wolfram ging es nicht um das. Rings um ihn lag der geschlagene
+Urwald in vielen tausend Stämmen, welche von den Holzhauern entschält,
+zu Blöcken geschnitten und an die Einmündung der Riesen gebracht
+wurden; dem Wolfram ging's auch nicht um Holz. Inmitten der Leute
+stand der Schopper in braunen Hemdärmeln und barhaupt. Er hielt einen
+langen Maßstab in den Boden gestemmt und traf Anordnungen. Der Wolfram
+hatte ihn erkannt an dem üppigen Barte und ging nun, über Stämme und
+Rindenwälle kletternd, auf ihn zu.
+
+Die beiden Männer standen sich ein Weilchen gegenüber und schauten sich
+an, bevor das erste Wort gesprochen wurde.
+
+»Dich suche ich,« sagte endlich der Adlerwirt. »Wenn ich den weiten Weg
+her mache zu dir, so kannst dir denken, daß es etwas Wichtiges wird
+sein. Willst so gut sein, Schopper, und mit mir ein wenig auf die Seite
+gehen?«
+
+»Das kann ich schon tun,« antwortete der Holzknecht, und sie gingen
+gegen einige Schirmtannen hin, die man stehen gelassen hatte.
+
+»Schopper,« bemerkte der Wolfram, »deine Riesen ist ein Meisterwerk.«
+
+»Daß du mir das sagst, deswegen bist du nicht gekommen,« entgegnete der
+Holzknecht. »Adlerwirt, tu' nicht lang' um und sag', was du willst.«
+
+»Schopper,« sprach nun der andere im vertraulichen Tone. »Du kannst
+dir's denken, es ist der Frieda wegen. Du bist offenherzig mit mir
+gewesen, und ich will es auch sein. Hast du das Dirndel noch im Kopf?«
+
+Der Schopper starrte den Fragenden an und entgegnete: »Was geht das
+dich an? Du hast dein Weib.«
+
+»Das wohl, Schopper, das habe ich, und just deswegen kann ich offen
+mit dir sprechen. Die Frieda ist eine Jugendfreundin meiner Frau, und
+wir wollen nicht, daß sie sollte verderben müssen. Vielleicht, daß ihr
+meine Frau einen Platz verschaffen könnte.«
+
+»Hat sie denn keinen?« fragte der Schopper.
+
+»Du wirst doch wissen, daß sie nicht mehr im Salmhof ist.«
+
+»Ei freilich weiß ich das.«
+
+»Wo sie nur mag umherirren auf der weiten Welt? Und hat keinen
+Menschen, der ihr's gut tät meinen!«
+
+»Adlerwirt!« sagte der Schopper ganz leise, aber nachdrucksvoll, »sie
+hat einen!«
+
+»Heiratest sie, Schopper? Hast sie bei dir?« Ohne daß er es recht
+wollte, waren ihm diese Worte über die Lippen gesprungen, denn es war
+ein großer Sturm in ihm, und das Herz pochte so heftig in seiner Brust,
+daß es nachklang in den Schläfen.
+
+Der Schopper sagte: »Mein lieber Adlerwirt. So dumm bin ich nicht, daß
+ich dir sie verrate. Geh' nur ruhig heim nach Kirchbrunn und kümmere
+dich um deine Leut', die Frieda geht dich nichts an.«
+
+Damit wendete er sich seiner Arbeit zu, und dem Adlerwirt blieb nichts
+übrig, als den mühevollen Weg wieder zu Tale zu steigen.
+
+»Wenn Sie bis zum Feierabend warten wollen,« rief ihm einer der
+Arbeiter zu, »so können Sie auch hinabfahren. Wir rutschen alle hinab.
+Mit dem Brettel ist man in fünf Minuten zu Tal. Aber jetzt geht's
+nicht, jetzt haben die Holzblöcher das Vorrecht.«
+
+Dem Adlerwirt kam aber die ganze Gegend ein wenig unheimlich vor, und
+er ging angestrengt drei Stunden lang, bis er den Turm von Kirchbrunn
+sah.
+
+Als er hinaus über die Wiesen schritt, saß dort an einem Wassertümpel
+der Professor Nix und schaute den Krebsen zu. Der Alte erhob ein
+Freudengeschrei, als er seinen Hausherrn sah, und wollte alsogleich
+wissen, was die Adlerwirtshausbewohner verbrochen hätten, daß er sie
+über drei Tage lang im Fegfeuer zappeln lasse.
+
+Der Wolfram setzte sich hin auf den Rasen und seufzte: »Ach ja, lieber
+Professor!«
+
+»Junge, du gefällst mir nicht!« sagte der Professor.
+
+Der Wolfram schaute bekümmert in den Tümpel, dann sprach er: »Daß es
+seine Ursache haben muß, wenn einer wie halbverrückt davonläuft, ohne
+dem alten Vater, ohne dem Weibe zu sagen, wohin, das können Sie sich
+denken. Und eine Ursache hat es. -- Sie wohnen gemütlich in Ihrer
+großen Stube, Herr, ärgern sich vielleicht ein wenig über den Lärm der
+Gäste am späten Abend, haben aber freilich keine Ahnung, was zwischen
+uns vorgeht. Sie ist hart. Sie ist herzlos, daß ich's nicht sagen kann.
+Sie macht mich ganz verzagt ...«
+
+»Na, na!« beschwichtigte der Professor und neigte sich über den jungen
+Mann, denn dieser preßte seine Hände ins Gesicht und schluchzte.
+
+»Ich habe mir's gedacht,« sagte der Alte gedämpft, »ich habe mir's wohl
+gedacht.«
+
+Dann schwiegen beide eine lange Zeit und starrten in das klare Wasser,
+wo langsam die Krebse krochen und stets nach rückwärts -- nach
+rückwärts.
+
+»In den ersten Wochen,« so fuhr Professor Nix endlich fort, »da habe
+ich vorgehabt, dir Trost zuzusprechen, habe sie wohl für eine herbe
+Natur gehalten, aber wer den Schlüssel findet zu solchen Naturen, der
+hat's gut. Sie zeigen und feilen ihr Herz und Gemüt nicht auf der Gasse
+umher, sie geizen gegen alle Welt mit ihrer Güte, um ja recht viel
+davon aufzuhäufen für den einen und einzigen, den sie selig machen
+wollen. So eine goldene, habe ich gemeint, hättest du dir auserwählt.
+Freilich ist mir nach und nach anders zu Mute geworden. Ganz krampfig
+ist mir zu Mute geworden, mein lieber Wolf! Aber reden! Wenn er nicht
+redet, ich bin auch still. Wenn einer zum jungen Ehemann hingeht und
+sagt: Du, dein Weib paßt nicht für dich! so ist das ein schlechter
+Kerl, den man mit einem Rattenschwanz erdrosseln soll. Aber dir sage
+ich es doch, Wolf, und du erdrosselst mich nicht, wenn ich dir sage:
+Sie paßt nicht für dich!«
+
+Der Wolfram murmelte: »Ich erdrossele Sie nicht.«
+
+»Von der mußt du los, Junge!« rief der Professor.
+
+»Aber wie?« seufzte der junge Mann.
+
+»Scheidung! frisch! rasch! Heute besser als morgen.«
+
+»Ehescheidung!« sagte der Adlerwirt. »Das geht nicht. Dieses Aufsehen!«
+
+»Wenn sie dich in die Strafanstalt führen, das wird auch ein Aufsehen
+sein!«
+
+Der Wolfram sprang empor.
+
+»Verzeihe!« begütigte der Professor. »Das Wort war schlimm. So
+endet's bei dir nicht, so nicht. Du bist ein weicher Mensch, du wirst
+verderben und vergehen, und wer dich umbringt, der kommt auch nicht
+ins Zuchthaus, weil du dich vor Gram und Jammer selber verzehrst. Und
+der, welcher dich mit kleinen Dosen täglich vergiftet, hat noch den
+Triumph, als Leidtragender an deiner Grube zu stehen. -- Wolf, wenn du
+bisher alle sieben Todsünden begangen, die eine mußt du sühnen, auf der
+Stelle, ohne Säumnis sühnen: daß du dieses Weib genommen hast!«
+
+»Ich hätte mir ja leicht eine andere gewußt.«
+
+»Eine andere!« sprach nun der Professor. »Wolf, eine andere laß
+einstweilen aus dem Spiele! Das ganze Firmament, habe ich gesagt,
+vermach' ich dir, nur den Halbmond nicht, der gehört den Türken. Und
+Türke wirst du keiner sein wollen. Jetzt eine andere! Das wäre hübsch!
+Erst scheiden, dann wieder binden!«
+
+»Nicht mir zulieb' habe ich sie genommen.«
+
+»Man merkt es wohl, Junge. Wäre auch nur ein bißchen Neigung da, es
+müßte sich anders zeigen.«
+
+»Mein Vater wollte es so haben,« gestand nun der junge Adlerwirt, »ihm
+zuliebe bin ich hineingesprungen. Wir stehen schlecht, wir müssen uns
+mit ihrem Gelde aufhelfen.«
+
+»Wolf,« sagte hierauf der Professor. »So lang dein Weib mißt, so lang
+mißt dein Unglück. Wo das Weib aufhört und das Geld anfängt, fängt in
+dir der Wicht an. -- Schelm, armseliger! Das Geld! -- Adlerwirtssohn.
+Ich habe dich als Kind auf den Armen getragen und dabei gesungen:
+Lieber Engel, werde ein braver Mensch! Hernach der wißbegierige Knabe!
+Der warmherzige Jüngling! Es war eine Freude. Er wird's! habe ich oft
+gejauchzt. -- Na, und wie der Mann fertig ist, von dem man glaubt, daß
+er edle Früchte wird tragen -- steht der heißhungrige Geldwolf da. Irr
+und toll könnt' einer werden!«
+
+Da der Adlerwirt bei diesen herben Worten sich abgewendet hatte, fiel
+der alte kleine Professor vor ihm auf die Kniee, umfaßte seine Beine
+und rief: »Mußt mir's zugute halten, Wolf, mir tut deinetwegen das Herz
+so weh, daß ich schreien muß. Dem Vater zulieb'! Es war ja gut gezielt,
+aber es ist schlecht getroffen. Mein Wolf, glaube mir! Folge mir! Gehe
+heute noch ins Amt und laß dich scheiden!«
+
+»Dann bin ich ein Bettler!« rief der Adlerwirt.
+
+Der Professor stutzte. Als er seiner Verblüffung einigermaßen Herr
+geworden, sagte er in singendem Tone: »So, so. Also nur eine Ausrede
+ist der Herr Vater. Du selber willst Geld haben. Du willst lieber ein
+elender, verächtlicher Gauch sein, von deines Weibes Groschen zehrend,
+unter eines Weibes Fuß wimmernd, dich windend wie ein zertretener Wurm,
+anstatt mit gesunden Armen mannbar dir dein Brot zu verdienen! --
+Adlerwirt, ich mag dich nicht mehr.«
+
+Er erhob sich rasch und ging quer über die Wiese hin durch das lange
+Gras, daß kaum sein Kopf manchmal hervorragte über den Germen und
+Rispen. --
+
+Als der Wolfram nach Hause kam, gab's von Vaters Seite ein arges
+Wetter. Er ertrug's gleichgültig. Frau Kunigunde blieb drei Schritte
+vor ihm stehen und fragte: »Bist denn schon da, Wolfram? Hast dir die
+Socken lochig getreten, oder hat dich der Hunger nach Hause getrieben?
+Die Köchin soll dich nur sattfüttern, daß du wieder gehen kannst.«
+
+In der heißen Wut über solchen Hohn tat der Wolfram schon den Mund auf,
+um sie zu fragen: ~wenn~ eins gehen müsse, welches von beiden? --
+Aber der alte Adlerwirt hielt ihn fest am Arm und raunte ihm zu: »Um
+Christi willen, schweig still! Wir müßten vom Haus ziehen wie ein paar
+Zigeuner. Kein Nagel auf dem Dach ist mehr unser Eigentum. Nur noch
+kurze Zeit Geduld! Hast du's schon gehört? Der Salmhofer liegt auf den
+Tod!«
+
+Der Wolfram hat sich die Lippen blutig gebissen und geschwiegen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 7. Abschnitt.
+
+
+Jetzt währte es noch zwei Tage, und von Geßnitz langte ein Bote ein.
+Der Jungknecht aus dem Salmhofe war's. Er stand vor dem Adlerwirtshause
+so eine Weile herum, stolperte dann ins Gastzimmer und ließ sich einen
+Krug Apfelwein geben. Er zerrüttete sich fast den Kopf im Nachsinnen,
+wie er es angehen werde, daß seine Neuigkeit nicht tödlichen Schreck
+hervorbringe. Fürs erste tat er ein paar herzhafte Züge, das machte ihn
+mutiger. Und als der alte Adlerwirt -- grau und mager war er geworden
+die letzte Zeit her -- in die Stube trat und den allein dasitzenden
+Gast fragte, was es Neues gäbe? antwortete der Jungknecht mit
+unbehilflichen Worten, es sei halt so auf der Welt. Er bringe gerade
+nichts Gutes. -- Dann trank er wieder.
+
+Der alte Wirt horchte gespannt hin. »Wenn ich mich nicht verkenne,«
+sagte er, »du bist ja ein Salmhoferischer?«
+
+»Wohl eh, wohl eh,« antwortete der Knecht und fuhr sich mit der flachen
+Hand über das breite Gesicht.
+
+»Also wie geht's daheim, wie geht's?« fragte der Wirt unter den
+lebhaftesten Zeichen der Teilnahme.
+
+»Gestern auf den Abend ist's halt gar worden mit ihm,« berichtete der
+Knecht.
+
+»Was sagst?« fuhr der Wirt auf. »Der Salmhofer! Mein Schwieger! Wird
+doch nicht --«
+
+»Er liegt schon auf der langen Bank,« sagte der Bote.
+
+Der alte Adlerwirt schlug sprachlos die Hände zusammen.
+
+»So viel schnell ist es gegangen,« berichtete der Knecht. »Das Blut ins
+Hirn gesprungen, sagt der Doktor. Morgen nachmittags ist die Leich.«
+
+Der Wirt schritt mit gerungenen Händen die Stube auf und ab und konnte
+sich nicht fassen. Immer schüttelte er den Kopf und murmelte: »Wer
+hätte sich das gedacht!« Aber auf einmal rief er mit gehobener Stimme:
+»Er hat's überstanden. Man muß noch froh sein, daß er kein großes
+Ableiden gehabt hat. -- Trink aus, Bub, ich füll' dir noch einmal
+nach.«
+
+Als bald darauf der Wolfram eintrat, sagte der alte Wirt zu ihm: »Du,
+Wolf, eine große Neuigkeit. Mußt aber nicht zu arg erschrecken. Morgen
+heißt's nach Geßnitz fahren. Das Schlimmste ist eingetroffen.«
+
+Der Wolfram schaute seinen Vater an, sagte aber kein Wort, blieb
+gelassen, zeigte weder Trauer noch Freude. Dann stieg er die Treppe
+hinan zu seiner Frau. Vor ihrer Tür stand er still und schöpfte Atem.
+Es kam ihm sauer an, daß er ihr jetzt einen großen Schmerz bereiten
+sollte. Doch wer wird's sonst tun als er? Mit der möglichsten Schonung
+will er ihr die Nachricht mitteilen und ihr liebevoll beistehen im
+kindlichen Leide. An die Vorteile, die durch des Schwiegervaters Tod
+dem Adlerwirtshause zukommen sollen, konnte er nicht denken, es empörte
+sich in ihm etwas dagegen. Ihm war der Salmhofer nie nahe gestanden,
+aber mit seinem Weibe fühlte er Mitleid, und jetzt das erste Mal war
+es ihm, als ob er sie doch lieb hätte. Endlich trat er ein. Sie saß
+am Tischchen, war mit einer Stickerei beschäftigt und zählte just die
+Maschen. Er setzte sich ihr gegenüber und tat, als schaue er aufmerksam
+ihrer Arbeit zu. Sie wollte aufstehen, er faßte sanft ihre Hand und
+sagte: »Bleib' ein wenig bei mir, Kunigunde.«
+
+Sie blickte ihn forschend an. »Was bedeutet denn das?« fragte sie kalt.
+
+»Ich muß dir's doch sagen,« fuhr er fort, »ein Bote ist da vom Salmhof.
+Mit deinem Vater steht's recht schlecht.«
+
+»Lüg' nicht!« herrschte sie ihm zu. »Tot ist er!«
+
+Der Wolfram schwieg.
+
+»Tot ist er!« rief sie und brach in ein heftiges Weinen aus.
+
+Er stand zu ihr, sagte ihr gütige Worte, streichelte ihr Haupt. Mit dem
+Arm stieß sie ihn von sich. »Heuchler! Ihr habt seinen Tod doch kaum
+erwarten können!«
+
+»Kunigunde!« sprach er nun scharf und herb. »Das Wort sagst du mir
+nicht noch einmal! Meinetwegen hätte er noch hundert Jahre leben
+können. Ich suche nichts mehr bei ihm. So klug bin ich wohl geworden,
+meine liebe Kunigunde, daß ich endlich einsehe: vom Salmhof kommt
+~mein~ Glück nicht.«
+
+Sie hatte ihr Haupt ins Bettkissen gedrückt und weinte. Ihm wollte
+das Herz zerspringen darob, daß er ihr jetzt, gerade jetzt das rohe
+Wort gesagt. Aber so stand's mit ihm, je wärmer sein Gemüt war, desto
+leichter und plötzlicher sprang es, wenn ihm wehe getan wurde, in das
+Gegenteil um. Wenn er gegen sein Weib Gleichgültigkeit, ja Abneigung
+empfand, da gab es nie etwas, da blieb er ruhig und überlegsam; so
+oft er aber mit einem warmen, hoffenden Gefühl an sie herantrat und
+enttäuscht ward, setzte es fast immer einen Wettersturz und wilden
+Sturm.
+
+Frau Kunigunde rüstete sich, um nach Geßnitz zu fahren. Sie fuhr
+allein davon. Der Wolfram wollte zum Professor gehen, um ihm das
+Herz auszuschütten, aber der war nicht zu Hause und seine Stube
+verschlossen. Die Stubenmagd berichtete ihm, der alte Herr wäre seit
+einigen Tagen recht mißmutig und verlange an jedem Abende die Rechnung.
+
+Das Leichenbegängnis des Salmhofers ward mit großem Pompe vollzogen.
+Wie zu einem Jahrmarkte kamen die Leute zusammen. Der alte Adlerwirt
+war überaus gerührt, und manche weichherzige Person mußte nur darum
+weinen auf dem Kirchhofe, weil sie den alten Mann so bitterlich
+schluchzen sah. Der junge Adlerwirt schien merkwürdig gefaßt zu
+sein; nur als er die Großbäuerin sah, die gebeugt, aber ergeben am
+Grabe ihres Mannes kniete, ward ihm das Auge feucht. Frau Kunigunde
+weinte nur wenig, aber in ihrem ganzen Wesen war eine kalte, fast
+ehrfurchtgebietende Trauer ausgedrückt. Sie war stets an Seite ihrer
+Mutter und suchte diese damit zu trösten, daß sie ihr zum künftigen
+Aufenthalte das Adlerwirtshaus antrug. Der Salmhof soll verkauft werden
+und die Mutter nach Kirchbrunn ziehen.
+
+»Das wäre ja gut,« meinte die alte Bäuerin, »wenn's nur auch deinem
+Manne recht ist.«
+
+»Meinem Manne!« rief Frau Kunigunde fast lachend aus. »Was geht denn
+das meinen Mann an! Glaubst du, Mutter, ich werde mich vom Manne auch
+so tyrannisieren lassen wie du? Das wirst du anders erfahren, bis du im
+Adlerwirtshaus bist. Was du hast leiden müssen, Mutter! Du bist still
+gewesen, aber ich weiß es, und ich werde es den Männern heiß entgelten,
+das hab' ich mir vorgenommen.«
+
+»Gott tröst' seine Seel'!« sagte die alte Salmhoferin mit gefalteten
+Händen, »ich trag' ihm nichts nach, meinetwegen soll er nichts zu
+leiden haben.«
+
+»Ja, ja, es soll's statt seiner nur ein anderer büßen!« versetzte Frau
+Kunigunde.
+
+Auf den Hof zurückgekehrt, sahen die beiden Frauen mehrere fremde Leute
+in den Wirtschaftsgebäuden umhersteigen.
+
+»Was wollen denn diese?« fragte die Adlerwirtin.
+
+»Laß sie umhergehen,« antwortete die Mutter, »die Neugier plagt sie.
+Mir scheint, es ist auch der Klobensteiner Verwalter dabei. Der wird
+Vieh kaufen wollen. Der Großknecht wird's schon ordnen. -- Komm',
+Kundel, wir wollen einen warmen Kaffee trinken.«
+
+Die erste Zeit nach dem Tode des Großbauers blieb Frau Kunigunde nun im
+Salmhofe bei ihrer Mutter.
+
+Die beiden Adlerwirte kehrten alsbald nach Kirchbrunn zurück. Den
+Wolfram erwartete zu Hause die Nachricht, daß der Professor Nix
+abgereist sei und einen Brief hinterlassen habe. Dieser Brief lautete:
+
+ »Lieber Wolfram!
+
+ Mich geht die Sache nichts an, aber zusehen mag ich nicht. Und still
+ sein mag ich auch nicht. Ich werde unwirsch. Was soll ich Dir weh
+ tun? Du hast schon auch so Dein Teil. Zu helfen ist Dir nicht. Also
+ breche ich meinen Sommeraufenthalt im schönen Kirchbrunn ab und
+ gedenke eine Reise zu machen. Sei bedankt für alles. Umkehren wirst
+ Du kaum. Du stehst jetzt auf dem Punkte, wo viele Wege sich zweigen.
+ Schlimm ist jeder, aber wähle nicht den allerschlimmsten.
+ Gott walt's.
+
+ ~Josue Nix.~«
+
+Als der Wolfram diesen Brief gelesen hatte, befiel ihn ein solches
+Leid, daß er zusammenbrach auf eine Bank und stöhnte. Jetzt war dieser
+Mann von ihm gewichen, der seit Jahren als fröhlicher Genosse und
+Ratgeber sein Vertrauen gewonnen. Er hatte einen Vater, aber der war
+oft herrisch, eigennützig, launenhaft und nicht immer verläßlich. Er
+hatte Jugendfreunde gehabt, hatte viele gute Kameraden, aber sie waren
+Schmarotzer, Schelme oder Dummiane. So recht aus Herzensgrund sich
+geben und vertrauen glaubte er nur mehr diesem Manne zu können, der
+allsommerlich sich eingefunden mit seinem hellen Kopfe, mit seinem
+heiteren, treuen Herzen. Er war selber schier ein anderer geworden in
+dieser Gesellschaft, er hatte, bei aller Verehrung für ihn, manche
+Schalkerei, manchen kecken Burschenstreich mit dem kleinen Alten
+durchgemacht, er hatte manchen ernsten Rat desselben befolgt, und er
+hatte es nicht ein einziges Mal zu bereuen gehabt. Und diesen seinen
+letzten Rat -- Ehescheidung! kann er nicht befolgen, unmöglich! Wie
+wird das enden?
+
+Der alte Adlerwirt lebte ordentlich auf. Neue Geschäfte hub er
+an, Bauholz kaufte er, einen Steinbruch unweit des Dorfes wollte
+er erstehen, denn für das nächste Jahr hatte er einen Neubau des
+Adlerwirtshauses vor. Kirchbrunn soll ein Hotel bekommen! Eine
+Sommerfrischanstalt mit Lustgarten und Bädern. -- Seine Zeit muß man
+verstehen! Die Passionen der Mitwelt muß man ergründen, auf die Lösung
+dieses Rätsels ist eine große Prämie gesetzt -- die Million.
+
+Endlich kam ein Schreiben aus Geßnitz vom Notar. Der alte Adlerwirt
+atmete auf, er hatte es schon seit Wochen erwartet. Der Adlerwirt
+zu Kirchbrunn wird ersucht, in Angelegenheit des Salmhoferischen
+Nachlasses bei dem Notariat zu Geßnitz sich einzufinden.
+
+»Einspannen!« kommandierte der alte Adlerwirt. Er selber wollte fahren,
+der Wolfram war auf einem Holzeinkauf aus.
+
+Der Notar, ein alter, hagerer Mann mit brauner Perücke und
+schwarzgefärbtem Schnurrbarte, empfing den Adlerwirt sehr höflich,
+kramte hernach eine Weile in Papieren um und stellte die Frage, ob
+der Adlerwirt, als Schwiegersohn des seligen Salmhofers, geneigt sei,
+dessen Erbe anzutreten.
+
+Der alte Wirt war über die förmliche Frage in so selbstverständlicher
+Sache etwas erstaunt. Er antwortete: »Ich brauche wohl nicht zu sagen,
+daß ich als Bevollmächtigter meines Sohnes Wolfram hier bin, und daß
+ich in seinem Namen erkläre --«
+
+»Gemach!« unterbrach ihn der Notar. »Ich glaube, die Sache müßte wohl
+überlegt werden. Ich würde nicht raten.«
+
+»Wieso? Wie meinen Sie das, Herr Doktor?«
+
+»Außer Ihr Sohn denkt so vornehm, daß er die Ehre seines
+Schwiegervaters retten will.«
+
+»Ich verstehe nicht, Herr Doktor.«
+
+»Es ist höchst wahrscheinlich,« fuhr der Notar fort, »daß in dem
+Nachlasse des verstorbenen Salmhofers die Passiven größer sind, als die
+Aktiven.«
+
+Es war heiß in der Kanzlei. Der Adlerwirt trocknete sich mit dem
+Taschentuche die Stirn, dann lallte er mit grinsendem Gesichte: »Ist
+ein Spaß, hi, hi.«
+
+»Ist kein Spaß, lieber Adlerwirt,« sagte der Notar. »Mit dem Vermögen
+des Salmhofers steht es ganz anders, als man angenommen hat. Es steht
+unerhört schlecht.«
+
+»Aber, Jesses, man sieht ja, was da ist!« brauste der alte Wirt auf.
+
+»Nichts ist da,« versetzte der Notar mit fürchterlicher Ruhe. »Alles
+gehört dem Baron Klobenstein. Seit vielen Jahren hat der Baron Geld
+geborgt, den Viehbestand beigestellt, die Steuern bezahlt für den
+Salmhof. Der Großknecht auf dem Hof war so viel als Klobensteinischer
+Verweser, der alte Salmhofer genoß seit einiger Zeit vom Baron eine Art
+Gnadenbrot. Alles, was Sie heute sehen, und mehr als alles, gehört der
+Herrschaft Klobenstein. Leider, so steht es.«
+
+Und jetzt wußte es der Adlerwirt. »Der Teufel hol' eine solche
+Erbschaft!« schrie er in wilder Empörung. »Schulden! die habe ich
+selber.«
+
+Betäubt war er, wie er spät abends nach Hause kam. Als ein reicher
+Mann war er ausgefahren, als Bettler kam er heim. In die Wut brachte
+ihn erst der Wolfram. Als er diesem die saubere Neuigkeit mitteilte,
+was geschah? Der Wolfram fuhr nicht auf, wurde nicht rasend, sagte gar
+nichts, zuckte nur die Achseln.
+
+»Ist das ein Hosenlupf?« fragte der Alte den Sohn voll giftigen
+Grimmes. »Nein, Freund, das ist kein Hosenlupf. Wie wir jetzt
+hingeworfen sind, da stehen wir nicht wieder auf. Was sagst denn dazu?
+Pfeif' eins, wir sind ruiniert! Pfeif' eins, großer Geist, Narr,
+angesteckt vom alten Narren, der gottlob zum Teufel gegangen ist.«
+
+»Ich weiß nicht, was du willst, Vater,« sagte nun der Wolfram. »Dir
+muß es immer sehr gut ergangen sein. Was mich anbelangt, habe ich
+schon Schlimmeres erfahren, als was du mir da sagst. Du hast freilich
+nur auf das Salmhoferische Geld gewartet und nicht gespürt, daß ich
+deine Habsucht im Fegefeuer büße. Und nicht darnach gefragt, was
+ich ausstehen muß neben dieser Person. Den Eltern zu gefallen eine
+heiraten, das ist die achte Todsünde; heute noch gehe ich zum Pfarrer
+und lasse sie in den Katechismus schreiben.«
+
+»Du bist ein dummer Knabe!« schrie der Alte.
+
+»Der Vatername schützt dich, daß ich dir jetzt nicht ein anderes Wort
+sage!« so der Wolfram, blaß, glühenden Auges, am ganzen Körper bebend.
+So viel Besinnung hatte er noch, daß er merkte, es wäre die höchste
+Zeit, aus der Stube zu eilen.
+
+In seinem einsamen Zimmer, nächtig dunkel, feindselig fast die Stimmung
+des Raumes, in welchem Frau Kunigunde zu walten pflegte, saß der
+Wolfram und stützte seinen schweren Kopf auf die Hand. Und weil in
+dem Menschen etwas ist, das ihn nicht ganz versinken lassen will in
+Verzweiflung, so fiel es ihm ein: Vielleicht ist diese Wendung zum
+Glücke. Vielleicht ist ihr Stolz, ihre Härte jetzt gebrochen, wenn
+sie weiß, daß sie arm ist wie ein Karnerweib, vielleicht kommt jetzt
+ihre bessere Natur zum Vorschein. Ich will ihr's leicht machen. Kein
+Vorwurf, keine Anspielung soll über meine Lippen kommen; beweisen will
+ich ihr, daß ich nicht das Geld in ihr achte und suche, wohl aber das
+warme Herz.
+
+Zu seinem Vater ging er noch einmal, der im Hofe wie wahnsinnig hin
+und her rannte, und zu diesem sprach er: »Vater! Eines merke dir! Sage
+meiner Frau, wenn sie heimkommt, kein ungeschaffenes Wort! Ich will sie
+respektiert wissen, verstehst!«
+
+»Ja versteht sich,« höhnte der Alte, »eine ~solche~ Frau muß man
+respektieren!« Dann schlug er um: »Bettelbub! Was ist das für eine
+Manier?! Glaubst du, Laff', weil ich dich nicht mehr enterben kann, du
+darfst mit mir umgehen, wie mit einem Landstromer?«
+
+Der Sohn schritt ins Haus zurück.
+
+In der Gaststube saßen ein paar angeheiterte Bauern und machten faule
+Späße über ihre Weiber. Jeder prahlte sich damit, daß die seine daheim
+die Häßlichste und Unsauberste und Zuwiderste wäre; und der eine
+stieß sein leeres Glas von sich, hieb mit der Faust auf den Tisch und
+gurgelte: »Das weiß ich!« Er wollte etwas sagen, wußte aber nichts.
+
+»Wenn mich meine Alte recht fuchtig macht, so geh' ich ins Wirtshaus
+und sauf' mir einen Rausch!« rief der andere.
+
+»Ha ha, ha ha!« lachte der eine, »und wenn du nachher heimkommst,
+siehst du den Drachen doppelt und dreifach. Das muß eine Freud' sein!«
+
+Der Wolfram hörte ihnen mit Wehmut zu, diesen unglücklichen Ehemännern,
+die so lustig sein und so tapfer trinken konnten. Auch er hatte das
+Trinken schon versucht, es ging aber nicht. Nur in der Frohstimmung
+schmeckte ihm der Wein, aber es kam nie zu einer.
+
+Und es wird doch wieder zu einer kommen! also ermutigte er sich selbst.
+Vielleicht nimmt's eine Wendung. Denn daß es so bleiben sollte fürs
+ganze Leben -- er vermochte es nicht zu denken, geschweige zu ertragen.
+
+Ein so hartes Weib als er -- also empfand er's -- hat keiner mehr auf
+der Welt. Ihre Herbheit, ja Roheit gegen ihn tat ihm um so weher,
+als Frau Kunigunde sonst manchmal und gegen andere Herz und Gemüt
+zeigte. So war sie nicht karg gegen Arme; manchem Bettelmann, der ihr
+zu schmeicheln wußte, gab sie mit vollen Händen. Ward ein Dienstbote
+krank, so war sie zwar ungehalten, besorgte aber schleunigst Pflege und
+Arzt; noch mehr Neigung wendete sie den Tieren zu, von denen sie sagte,
+sie verdienten mehr Liebe als die Menschen. Am rücksichtsvollsten
+und aufmerksamsten war sie gegen ihre Verwandten. So unzufrieden sie
+zu Hause auf dem Salmhofe gewesen war, so lebhaft strebte sie jetzt
+manchmal nach dem Salmhofe zurück, all ihre Herzenswärme verschwendete
+sie dahin. Und nur ihrem Manne nichts und gar nichts als Trotz und
+Bitterkeit.
+
+Nach diesen ruppigen Tagen stand es an zwei Wochen lang, da kamen sie
+plötzlich angefahren, die Frau Kunigunde und ihre Mutter. Und mit Sack
+und Pack.
+
+Für die Salmhoferin wurde alsbald das Baumgartenzimmer eingerichtet,
+und als der Wolfram endlich Gelegenheit hatte, mit seiner Frau ein paar
+Worte zu sprechen, sagte er: »Ganz recht, Kundel, daß du deine Mutter
+mitgebracht hast. Solange wir selber in diesem Hause sind, wird sie
+auch noch Platz haben. Es ist recht, es ist schon recht.«
+
+»Habe ich dich darum gefragt?« entgegnete sie.
+
+»Kundel,« sagte er und wollte ihre Hand fassen, was sie aber zu
+verhindern wußte, »Kundel! wie du hart bist auf mich! Das kann nicht
+dein Ernst sein. Du bist jetzt nur unglücklich, und das macht halt
+bitter. Mich erbarmst du.«
+
+»Schenke du dein Mitleid einer anderen, ich brauch' es nicht!« so ihre
+Antwort, ging in ihr Zimmer und schlug hinter sich die Tür zu.
+
+Der Wolfram stand noch eine Weile so allein da, dann tat er einen
+Seufzer: »Ach! das ist ein Leben!«
+
+Der alte Adlerwirt ließ sich von nun an selten mehr sehen. Er saß in
+seiner kleinen Stube neben der Küche und brütete vor sich hin. Manchmal
+ging er, anstatt zu seinen wenigen, verdrossenen Gästen sich zu setzen,
+zum zweiten Dorfwirte hinüber und trank erstaunlich viel Wein. Aber die
+Gläubiger und die Exekutionsbögen fanden ihn auch dort, und endlich
+war es nicht mehr zu vertuschen, wie es stand. Und eines Tages war im
+Bezirks-Wochenblatte die Anzeige zu lesen von einer großen Vergantung
+zu Kirchbrunn.
+
+Der Wolfram hätte sein schweres Herz gerne abgelastet vor dem einzigen
+Menschen, der ihm beigesellt worden zum gemeinsamen Tragen von Freud
+und Leid, aber die Tür ihres Zimmers war verschlossen und blieb
+verschlossen, wenn er auch klopfte. Also litt es ihn nicht mehr in
+den unwirtlichen Mauern seines Hauses, nicht mehr im Dorfe, wo er aus
+jedem Gesichte Mitleid oder Schadenfreude und Hohn zu lesen glaubte.
+Immer noch unter dem Vorwande, Vieh oder Holz einzukaufen, strich er im
+Gebirge um, verbrachte manche Nacht auf harter Bank der Schenkstuben
+oder in Heuscheunen. Mehrmals stieg er auf hohe Berge und blickte
+hinaus ins weite, schöne, sonnige Land, und da ward er noch trauriger.
+-- Wie ist die Welt so schön! Und wie sind die Menschen so arg!
+
+In Waldgeschlägen fragte er an, ob man einen kräftigen Holzarbeiter
+brauchen könne, er wisse einen solchen. Denn klar und gewiß war es
+ihm endlich geworden, daß er mit seinem Weibe nicht mehr weiterleben
+könne. So wollte er auch von ganz Kirchbrunn nichts mehr wissen,
+sondern auf einem anderen Fleck ein neues Leben anfangen -- sei es noch
+so armselig, besser als dieses auf jeden Fall. Es gibt ja so viele
+Millionen Menschen, die Bankerott gemacht mit ihrem Glücke, und sie
+fügen sich und leben geduldig dahin so lange, bis sie sterben. Warum
+will es unsereiner besser haben als die meisten anderen? Je länger
+einer an seinem Glücke baut, desto tiefer baut er in die finstere
+Erde hinein, desto kümmerlicher wird's. Und es ist ganz gut so. Wie
+hart wäre das Sterben, wenn diese Welt desto schöner würde, je länger
+der Mensch daran verbessert und verschönert. Wenn es dem Unschuldigen
+schon oft gottlos schlecht geht, was will erst ich sagen! Ich habe das
+unrechte Weib genommen, habe es doch rechtzeitig bemerkt und bin nicht
+zurückgestanden. Ich kann mich zum Teil auf meinen Vater ausreden, der
+mich in diese Heirat hineingelockt hat, aber zum anderen Teil habe
+ich auch selber an ihren Reichtum gedacht und darnach geplant. Mir
+geschieht schon recht.
+
+Also richtete der Wolfram sich selbst, und dann saß er wieder in
+Straßenschenken und goß Wein auf sein wehes Herz.
+
+Kauerte er einmal an einem heißen Sonntagsnachmittag auf dem
+Schabelberg. Niemand war da als ein altes Weib, das im Bankwinkel
+nickend den Wünschen des Gastes harrte. Zahllose Fliegen umsummten
+den einsamen Zecher und sein Glas. Er starrte durch die trübe
+Fensterscheibe hinaus auf die blendend weiße Straße und auf die
+halbverdorrten, graubestaubten Halme und Sträucher, die am Rande hin
+und her standen. Da ging ein Weibsbild vorüber. Dieses Weibsbild
+hatte, um den schwarzen Spenzer, sowie das rote Halstuch vor Staub und
+ihr Haupt vor den glühenden Sonnenstrahlen zu schützen, den blauen
+Außenkittel so über ihre Gestalt geschlagen, daß er wie ein Schirmdach
+muschelförmig den Oberkörper einhüllte. Der graue Unterrock ging bis
+halb über die weißbestrümpften Waden und schlug bei jedem Schritte
+in pendelartiger Gleichmäßigkeit sachte hin und her. Aus der Muschel
+guckte ein frischrotes Gesicht, und dieses Gesicht war -- dem Wolfram
+schoß alles Blut zum Herzen.
+
+Rasch warf er ein paar Münzen auf den Tisch, stand auf und ging hinaus.
+Die Straße zog bergwärts, das Dirndel stieg tapfer an, der Adlerwirt
+duckte sich ein wenig hinter der Hausecke, und als sie einen gewissen
+Vorsprung hatte, schnalzte er mit der Zunge und ging ihr nach.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 8. Abschnitt.
+
+
+Die Jungmagd Frieda einst auf dem Salmhofe. Ein paarmal hatte sie sich
+ihren Dienstgenossen gegenüber geäußert: die Ehre wäre ihr doch zuteil
+geworden, daß der junge Adlerwirt an seinem Hochzeitstage mit ihr gute
+Gesundheit getrunken! Und dieses Prahlen hatte ihr den Dienst gekostet.
+Es war schon so etwas in der Luft gelegen, und der alten Salmhoferin
+sogar kam es nicht ganz richtig vor. Ein Brieflein von der Kundel
+schlug dem Fasse den Boden aus, und die Frieda wurde verjagt.
+
+Einen halben Tag lang war sie fortgegangen auf Wegen, Stegen und
+Steigen, ohne irgendwo um Arbeit zuzusprechen. Und als sie ins Gebirge
+gekommen war, wo die Bauerngüter seltener und die armen Waldhütten
+häufiger wurden, besann sie sich. Je entlegener und versteckter der
+Bergwinkel ist, in dem sie bleiben wird, desto besser. Es braucht's
+im Salmhofe niemand zu erfahren, wo sie ist, es braucht's im
+Adlerwirtshause niemand zu erfahren, und es braucht's der Holzknecht
+Schopper nicht zu wissen. Es wird sich mit Gottes Willen wohl auch
+anders wer finden, mit dem sich gut Freund sein läßt. Oder ist der
+junge Adlerwirt der einzige auf der Welt? Gott sei Dank, nein.
+
+In der Abachleuten beim Möstl nahm sie Dienst. Die Abachleuten war ein
+zwischen Berghalden schräge ansteigendes Wiesental mit einigen kleinen
+Kornäckern und Erdäpfelgärten. Ein kaltes Wässerlein rauschte durchs
+Tal, und an den Wildstrüppen, die am Bachesrand standen, hingen auch
+an den Sommermorgen manchmal kleine Eiszapfen. An der sonnseitigen
+Lehne der Abachleuten stand das kleine Haus des Möstl, das letzte hier,
+welches sich noch kümmerlich von Feld- und Wiesenwirtschaft fristete.
+In diesem Waldhause lebten zwei ältliche Eheleute, die sehr arbeitsam,
+sehr häuslich und immer frohen Gemütes waren. Man merkte gar nicht,
+wie viel Sorge und Mühsal und Beschwerde es gab dahier. Der Möstl,
+ein rasches, gebücktes, ununterbrochen tätiges, stets glattrasiertes
+Männlein, war allezeit munter und aufgeräumt, und machte über jeden
+Graben, den das Schicksal ihm zog, einen kecken Sprung und lachte dazu.
+Seinem Weibe war's auch recht. Beide waren etwas schwerhörig und hatten
+daher sich eine laute Stimme angewöhnt, so daß man sie schon von weitem
+sprechen hörte mit klingendem Schall. Sie hatten sich immer etwas zu
+erzählen, zu fragen, zu raten, manchmal neckten sie sich einander
+sogar, daß ein helles Gelächter entstand. Der Ehekrieg, den auch diese
+Leute führten, bestand darin, daß sie einander immer zu überlisten
+suchten: beim Essen schmuggelte eines dem anderen möglichst unbemerkt
+die besseren Bissen zu, bei der Arbeit trachtete eines dem anderen die
+härtesten Dinge abzulasten.
+
+Diese Möstlleute im Abachtale hatten auch ein Kind, eine bereits
+erwachsene Tochter, die aber schon seit Jahr und Tag in einem
+Strohsessel lehnte, weil infolge eines Wettersturmes, bei dem sie unter
+Wasser gekommen, ihre Füße lahm geworden waren. Das Mädchen mußte
+in vielem wie ein Kind gepflegt werden, konnte nur wenige Arbeiten
+verrichten helfen, hatte bisweilen Schmerzen zu leiden und blickte
+trotzdem mit ihrem blassen, gutmütigen Gesichte fröhlich ins Leben
+hinein, wenn man ihr Dasein und ihr Genießen überhaupt Leben nennen
+konnte.
+
+Bei diesen Leuten nun hatte die wandernde Frieda eines Abends um
+Nachtlager gebeten, und bei diesen Leuten war sie verblieben. Ein guter
+Lohn, wie auf dem Salmhofe, war hier nicht zu haben, die Arbeiten
+hatten viele Beschwer, und doch war es der Magd, als sei sie im Himmel.
+Was war das im großen, reichen Salmhofe für ein Streiten, Beißen,
+Übervorteilen und Murren gewesen der Leute untereinander! Und hier,
+welcher heitere Frieden, welche herzliche Einigkeit! Die Möstlleute
+machten aus der Arbeit eine Unterhaltung, aus jedem Werktage einen
+Festtag, denn alles, was da war, packten sie von der erträglichsten
+Seite an und taten, als machten sie eine Kurzweil daraus. Das hatte
+die Frieda auch noch nicht gesehen, daß man laut lacht, als ob man
+gekitzelt würde, wenn man schwere Schmerzen leidet am siechen Körper.
+Die Adelheid konnte das! Das arme Mädchen lachte in den Nächten manch
+halbes Stündchen lang. Die Mutter tat ihr alles, was in ihrer Macht
+stand, zugute und hatte bisweilen in ihrem freundlichen Auge etwas
+Nasses. Aber ein heiteres Wörtlein mußte doch immer gesagt werden. Und
+wenn es manchmal besonders schlimm ward, so daß die Adelheid nicht mehr
+lachte, sondern ganz still war und die Zähne aufeinanderbiß, da huben
+die Alten ein emsiges Beraten an, verfielen auf allerlei Mittel und
+ergriffen jedes mit solcher Zuversicht und Hoffnungsfreudigkeit, als ob
+alles Heil vor der Tür wäre.
+
+Die Magd Frieda lebte neu auf in diesem Hause; neigte doch auch ihre
+warmlebige Natur zum Frohsinn hin. Als ob sie wieder Eltern und
+Schwester gefunden hätte, so war ihr, und sie trachtete, den Leuten
+nach ihren Kräften zu dienen, Hartes zu mildern, Liebes zu tun, und
+besonders verstand sie bald, sich als Pflegerin der armen Siechen so
+zu erweisen, daß der Möstl einmal seinem Weibe zuschrie: »Alte! an der
+hat uns der Herrgott eine geschickt, daß wir ihm dafür die große Zehe
+wegküssen sollten wie die Betschwestern zu Rom dem heiligen Petrus.«
+
+Was das Möstlweib darauf antworten wollte, das durfte aber nicht so
+herausgeschrieen werden. Erst draußen am Feldraine teilte sie ihm ihre
+Bedenken mit: »Daß sie dir gefällt, die Frieda, wäre schon recht.
+Aber: auweh und auweh! möcht' ich sagen, sie gefällt auch anderen
+Mannsbildern. Wenn du Zehen wegküssen willst, so mußt bald anfangen,
+sonst frißt sie vorher der Fuchs. Schon das zweite Mal habe ich am
+vorigen Samstag wahrgenommen, daß einer vor ihrem Fenster steht. Ein
+ganz fremder Kund ist's, habe mich zuerst schier gefürchtet vor ihm,
+aber geplaudert mit ihr hat er ganz gutmütig.«
+
+Und das Möstlweib hatte nicht schlecht beobachtet. Kaum daß die Magd
+Frieda ein paar Wochen in diesem weltverlorenen Hause gelebt, war
+eines Abends auch schon der Schopper-Schub da. Vor dem gab's kein
+Verstecken! Eben wollte sie desselben Abends einschlafen, als er durch
+ein leises Klopfen an ihrem Fenster sich anmeldete. Sie war zuerst sehr
+erschrocken und sogar empört, allmählich jedoch kam es ihr zu Sinn,
+daß dieser Mensch doch gar zu anhänglich wäre, fast wie ein Bruder.
+Sie hatte ja ohnehin keinen Bruder. Sie setzte sich in ihrem Bette
+auf, er setzte sich draußen auf den vorspringenden Wandschrott, und
+so sprachen sie eine Weile miteinander. Er sagte, daß sie ganz recht
+habe mit ihrem neuen Dienstorte, und daß er schon bemerkt hätte, wie
+brav sie den armen Krüppel pflege und die Anhänglichkeit der Möstlleute
+besitze. Das würde ihr gewiß den Segen Gottes bringen, und ihr würde es
+noch einmal viel besser ergehen, als mancher reichen und hochmütigen
+Großbauerntochter. Ihm -- so erzählte der Schopper treuherzig -- fehle
+auch nichts. Er habe jetzt im Siebenbachwaldgraben eine große Riesen
+gebaut, welche von allen Holzmeistern gelobt wurde und welche ihm auch
+Geld und die Vorknechtstelle eingetragen habe. Vielleicht bringe er
+es doch noch einmal zu einer Eigenstatt, zu einer Hütte. Er wolle mit
+einer solchen klüger sein als das erste Mal.
+
+»Ja, hast schon einmal eine Hütte besessen?« fragte die Jungmagd.
+
+»So groß wie das Möstlhaus,« antwortete er.
+
+»Ein Häusel hast gehabt? Und hast es denn vertan? vertrunken?
+verspielt?«
+
+»Verraucht,« sagte der Holzknecht.
+
+»Jessas! So viel Tabak rauchen tust?«
+
+»Angezündet hab' ich's, mein Haus, und niedergebrannt.«
+
+»Nicht gescheit bist!« hauchte die erschrockene Frieda. »Aber wie hat
+das können sein?«
+
+»Weil ich ein rabiater Mensch bin,« sagte der Schopper. »Zufleiß hab'
+ich's getan. Und gereut hat's mich auch noch nie!«
+
+»Bei dir kennt man sich frei nicht aus,« meinte die Jungmagd.
+
+»Bist neugierig?« fragte er. »Nachher kunnt' ich dir's ja erzählen.
+Aber sitzen tu ich schlecht auf dem Schrottkopf.«
+
+»Einen anderen Platz hab' ich nicht,« gab sie schneidig zurück.
+
+»Alsdann bleib' ich sitzen auf dem Schrottkopf,« sagte er geduldig
+und hub an zu erzählen: »Von Wallischdorf bin ich her. Dort hat der
+Schopper-Rüppel ein Gütel gehabt und zwei Söhne, meinen Bruder Juch
+und mich, den Schubhart. Und da geht einmal am Frohnleichnamstag nach
+dem Umgang, er hat noch den Himmel tragen helfen, der Schopper-Rüppel
+her und verstirbt. So schnell ist das gegangen, daß er nicht einmal
+Testament machen hat können. Nur so viel hat er gesagt: Dem Buben
+gehört das Häusel und den anderen soll er mit dreihundert Gulden
+hinauszahlen. Jetzt, weil er keinen Namen genannt, so hat jeder von uns
+zwei Brüdern wollen der Bub sein. Denn du kannst dir denken, der ist
+im Vorteil. Und haben angefangen zu streiten. Der Juch hat das Gütel
+haben wollen, und ich hab' es auch haben wollen. Ist eine Wirtschaft
+mit ihrer zwölf Joch Grundstücken. Haben uns vorher gar nicht unlieb
+gehabt, der Juch und ich, aber jetzt ist der Teufel los gewesen.
+Gestritten wie die Bettelbuben, und gar beim Gericht hat's jeder
+beweisen wollen, er wäre der Bub, und ihn hätte der Vater gemeint, und
+ihm täte das Häusel gehören. So währt's ein halbes Jahr und länger,
+keiner von uns hat mehr gearbeitet, jeder nur sinniert, wie er den
+anderen möcht' hinaustauchen. Geld hat's gekostet und Hirnschmalz
+und Herzblut -- und die ewige Seligkeit hätt's kosten können, uns
+beiden. Und wie wir einmal so im Wirtshaus sitzen und schauderlich
+gegeneinander geraten -- die Leute haben uns noch angehetzt -- und wie
+wir schon kein gutes Haar aneinander lassen, daß einer wie der andere
+einem rechten Spitzbuben gleichsieht vor dem ganzen Dorf, und zuletzt
+noch unseren verstorbenen Vater verschandieren -- da spring ich gäh auf
+und davon. Nächtig Stund' ist, getrunken habe ich stark gehabt. Und
+wie ich zu meinem Häusel komm', das wie ein schwarzes Gespenst dasteht
+mitten in den Feldern, da fällt's mir ein: Niederbrennen! Das Gerümpel
+ist's nicht wert, was wir treiben. Im Aschen hat der Streit ein End'.
+-- Kaum gedacht, bin ich mit dem Zündholz auch schon im Strohdach. Wie
+es licht wird im Tal und die Leute zusammenlaufen und ich auf einmal
+neben meinem Bruder steh' und vor uns bricht das Elternhaus nieder, da
+wird mir ganz eigen. Ich halte dem Juch die Hand hin und sag': Mein
+Teil ist verbrannt, die Grundstücke sollen dein sein, und wir wollen
+Fried' machen miteinand. -- Er schaut mich an im Feuerschein und sagt:
+Schlecht genug bist du, daß du's selber hast getan. -- Auf das bin ich
+fort ins Gebirg herein und Holzknecht geworden im Siebenbachwald. --
+Jetzt weißt es.«
+
+»Du bist ja ein grundschlechter Mensch!« sagte die Jungmagd ganz
+verblüfft.
+
+»Neid ist's nicht gewesen,« setzte der Schopper bei, »daß ich etwa
+hätte gemeint, wenn ich das Häusel nicht kann haben, so soll's auch der
+Bruder nicht haben. Aber Trotz ist's gewesen und Dummheit, und hinter
+mir immer der Teufel: Nicht nachgeben, nicht nachgeben! -- Dabei das
+Streit-Elend, die Bruderfeindschaft! Und wie schon manchmal ein Sturm
+in mich fährt, daß ich selber nicht mehr weiß, was ich tu', so ist's
+über mich gekommen, und so ist's geschehen. Mit meinem Bruder bin ich
+immer noch nicht auf gleich. Er hat seine Sach', ich gönne es ihm, und
+was ich getan, hat mich noch nicht ein einziges Mal gereut.«
+
+Die Jungmagd sagte: »Ein seltsamer Mensch bist.« Und bei sich dachte
+sie: Weiß nicht, soll man sich vor ihm fürchten oder was? ...
+
+Also plauderten sie von diesem und jenem, und der Schopper kam nun
+öfter an ihr Fenster. Von allerhand redete er, aber nie von Liebe.
+Nichts von dergleichen. Nur einmal fragte er sie bescheidentlich, ob es
+ihr wohl auch recht sei, daß er so manches Stündlein an ihrem Fenster
+sitze, er tue es halt gerne und wäre so froh dabei.
+
+Die Frieda brachte es nicht übers Herz, ihm zu gestehen, daß seine
+Gegenwart sie beklemme, daß sie ihn vielleicht gerne haben könne wie
+einen Bruder, aber Brüder kämen nicht ans Fenster der Schwestern, und
+ob er nicht besser täte, nach seiner schweren Tagesarbeit im Bette
+zu rasten, als den weiten Weg zu machen in die Abachleuten her. --
+Mehrmals nahm sie Anlauf, ihm das zu sagen, aber sie brachte es nicht
+übers Herz, ihn so zu kränken. Sie nahm sogar die kleinen Geschenke,
+als Wecken, frische Kaiserbirnen, welche er ihr mitzubringen pflegte
+-- sie nahm derlei und sagte schön »Vergelt's Gott« dafür. Insgeheim
+jedoch waren ihr die Gaben von diesem Menschen zuwider, und es tat
+ihr selber weh', daß sie so undankbar sein mußte. -- Viel schlechter,
+so rief es einmal in ihr, viel schlechter ist der andere Wicht, der
+nächtig meine Ruhe stört. Was hat der junge Adlerwirt von Kirchbrunn
+in meinen Träumen zu tun! Das geht ihn gar nichts an, ob ich mein Haar
+flechte oder nicht, und er soll nur seiner Frau Adlerwirtin die Augen
+küssen und nicht ein armes Dienstbot foppen.
+
+Auf der Schabelhöhe, über welche eine Bergstraße führt, stand unter
+sieben alten Lärchen eine Kapelle. In derselben war ein frischer
+Brunnen und ein Muttergottesbild, genannt: Maria unter den sieben
+Lärchen. Dieses Bild war als wundertätig bekannt und besonders von
+Leuten aufgesucht, die an heimlichem Herzweh litten. Der Volkswitz
+sagte: Wenn eine Jungfrau siebenmal am Brunnen bei Maria unter den
+Lärchen trinkt, dann bekommt sie einen Mann. Obzwar dieser Ausspruch
+in der Gegend nicht gerade als Glaubensartikel bezeugt war, so ließ
+sich doch nicht leugnen, daß jahraus jahrein viel junges Frauenvolk
+hinaufkam zur Schabelhöhe, andächtig vor dem alten, ungefügen Bildnis
+betete und dann einen kräftigen Schluck nahm aus dem Brunnen. Also war
+es auch der Magd Frieda schon mehrmals zu Sinn gekommen, ob sie nicht
+eine Wallfahrt machen sollte zu den sieben Lärchen; der Platz war vom
+Abachtale aus in einer guten Stunde zu erreichen. Ganz fern stand das
+Gnadenbild den menschlichen Liebesangelegenheiten auf keinen Fall.
+Ein heimlich Herzweh -- das stimmt ja. War nicht einst der sterbenden
+Mutter letztes Wort: Frieda, wenn du nicht aus weißt, so knie' hin und
+tu' beten! -- Und hatte die Frieda nicht auch dem Schopper versprochen,
+sie wolle so lange beten, bis sie ihn recht lieb habe?
+
+Und eines Sommersonntags am Nachmittage ging die Magd an den Waldhängen
+hinan, über die sonnigen Weiden fort, bis sie zur heißen, staubigen
+Straße kam. Wie von diesen Höhen aus der Blick sich weitete hin auf die
+blauen Berge, so weitete sich auch ihr Herz, und eine frohe Hoffnung
+kam über sie, daß sie nicht umsonst den Wallfahrtsweg machen werde zu
+der lieben Mutter Gottes.
+
+Endlich stieg sie die Stufen hinan zur hölzernen Kapelle, die schon
+etwas hinfällig sich an eine der Lärchen lehnte. Sie hörte das
+Geplätscher des Brunnens, der an der Seitenwand aus dem Rohre in einen
+Steinkessel rann. Niemand war da, sie war ganz allein. Ihren Überkittel
+ließ sie vom Kopfe hinabgleiten, ihr Gebetbuch zog sie aus dem Säcklein
+und also kniete sie nieder vor der Mutter Gottes mit dem Kinde, die,
+aus Holz geschnitzt und mit Farben bemalt, fast in Lebensgröße auf
+dem Altare stand. Die Maria hatte eine Krone auf dem Haupte, hielt
+ein Zepter in der Hand, das Christkind trug im kleinen, nackten
+Händchen die Weltkugel. So viel Herrlichkeit und Würde lag in diesem
+Bildnis, daß die Frieda sich dachte: Und hier soll ich mein sündig Herz
+auspacken?
+
+Mit dem Gebetbuche ging es heute gar nicht. Da sind allerhand Anliegen
+darin, aber das ihre nicht. Wie soll sie es denn nur anfangen, daß
+sie nach ihrer Meinung jetzt beten kann? -- »Der gute arme Mensch,
+der Schopper. Ist er denn wirklich so unbegehrt? Ist er denn häßlich,
+so dumm, so ungefüg und selbstisch? Das ist er nicht. Er ist ein
+herzensguter Mensch, und wenn er seinen Bart kämmen und pflegen möchte,
+wer weiß, was draus werden könnt'! Hernach, wenn man bedenkt, was er
+für ein tüchtiger Mann in der Arbeit ist und bringt's über kurz zum
+Holzmeister. Schlecht kann's bei dem ein Weib nicht haben, ernähren
+kann er auch etwas. Und wenn er eine so recht lieb hat, als wie er
+sagt, daß er mich mag, da wird's kaum einen besseren Mann geben als
+den. Ich habe schon Beweise genug, wie er zu mir hält. Der wird ja
+närrisch, wenn er mich nicht kann haben. Also warum will ich ihn denn
+nicht, das möchte ich wissen, du liebe barmherzige Mutter Gottes!
+Ich bin ja gewiß nicht zu gut für ihn, schon eher zu schlecht. Ich
+weiß mir ja nichts auf der Welt und soll als arme Magd alt werden und
+versterben. Auf wen wart' ich denn? Ja, du himmlische Maria, warum will
+ich ihn denn nicht? Sei mir doch gnädig und gib mir deinen Segen. --
+Harte Anfechtungen habe ich oft, als müßte ich wohin gehen und was
+anstellen, daß es groß Unglück gäbe für Zeit und Ewigkeit. O heilige
+Mutter Gottes, führe uns nicht in Versuchung! Gib mir die Gnade, daß
+ich den Holzknecht recht kann lieb haben und sein Weib werden. O liebes
+Christkindel mit dem krausen Haar! Und wenn es schon nicht möglich kann
+sein, daß ich ihn lieb hab' wie einen Herzensschatz, so gib mir die
+Kraft, daß ich das Opfer mag bringen, so wie es für alle drei am besten
+ist. Ich will dir ja nicht zu sparsam sein mit Wachskerzen, wenn du mir
+hilfst und den rechten Weg weisest. O gegrüßt seist du, Königin, Mutter
+der Barmherzigkeit!«
+
+Also dachte und murmelte die junge Magd vor sich hin, manches sprach
+sie laut und traumhaft, dann schlug sie das Buch auf, machte sich
+Vorwürfe, daß sie nicht einmal mehr beten könne, sie war sich's kaum
+bewußt, welch heißes, kindliches Gebet sie eben verrichtet hatte.
+
+Und während sie so kniete in der Kapelle und mit sich rang, ehrlich und
+tapfer, wie noch selten ein Weibesherz gerungen, stand am Eingang einer
+und beobachtete sie. Sie entfaltete ein weißes Handtüchlein, fuhr sich
+damit über die heißen Wangen und erhob sich -- da sah sie ihn.
+
+»Schau,« sagte er und schnalzte mit der Zunge -- der Wolfram war es --
+»da sehe ich eine Seltsame. Die will sich auch einen Liebsten
+erbitten.«
+
+Sie verbarg ihre Überraschung hinter Trotz und antwortete: »Ja, das
+will ich auch. Aber nicht etwa so, wie es der Herr Adlerwirt meint.«
+
+»Das hilft alles nichts, Frieda,« sagte der Wolfram. »Komm, Dirndel,
+setzen wir uns da auf die Bank. Wir haben schon lange nimmer
+miteinander geplaudert.«
+
+Unter dem Schatten der Lärchen, am Rande von jungem Fichtendickicht
+hin waren aus rohen Brettern Tische und Bänke aufgeschlagen, weil
+alljährlich am Maria Heimsuchungs-Tage ein Fest hier abgehalten und
+dabei Getränke ausgeschenkt wurden. Die Frieda wollte eigentlich fest
+stillstehen und den Adlerwirt keines Blickes würdigen, aber ihre Füße
+stiegen sachte die Stufen herab und an seiner Seite über den grünen
+Anger zu einer Bank hin.
+
+Als sie völlig zu sich kam, saß sie neben dem Wolfram, der, seinen
+Ellbogen auf den Tisch gestemmt, den Kopf in der Hand hielt.
+
+»Ach ja, Dirndel!« seufzte er auf. »Seit wir zwei uns das letzte Mal
+gesehen, habe ich viel durchgemacht, du glaubst es nicht.« Und nun
+begann er zu erzählen von seinem häuslichen Elende, daß er so viel als
+vertrieben sei aus seinem Vaterhause, ja selbst aus Kirchbrunn, und daß
+er jetzt auf dem Punkte stehe, wo der Mensch nimmer weiß, ob er noch
+warten soll auf den nächsten Tag oder nicht.
+
+»Mein Gott, Wolfram,« sagte sie voller Teilnahme. »Was willst
+~denn~, als warten, bis es wieder besser wird! Sollst dich nicht
+so viel kränken, Wolf, was hast denn davon, wenn du krank auch noch
+wirst!«
+
+»Ich wollt', es hätt' alles sein Ende, alles, alles!« so rief er mit
+schriller Stimme und schlug sich die Faust auf die Stirn.
+
+»Wolf! So mußt nicht. Mußt nicht auch noch selber dein Feind sein.« Sie
+legte ihre Hand auf seine Achsel. Er schlang mit Leidenschaft seinen
+Arm um ihren Nacken, sie warf dieses Joch heftig von sich, stand auf,
+um zu flüchten. Aber am Stamme eines Lärchenbaumes blieb sie stehen und
+strich wie traumhaft die losen Haarlocken aus dem Gesichte.
+
+Der Wolfram war kauern geblieben auf der Bank, jetzt schaute er
+vorgeneigten Hauptes hin auf sie, in allen Enden seines Angesichtes
+zuckte es, dann lachte er auf.
+
+»Das ginge noch ab,« sprach er. »Das Gedenken an dich ist meine einzige
+Labnis gewesen in dieser traurigen Zeit. Eine lebt doch auf der Welt,
+die zu mir steht. Wenn sie auch weit von mir ist und ich sie nicht mag
+finden, irgendwo ist sie doch und denkt an mich und wir sind beisammen.
+Und jetzt --«, er sprang auf, »jetzt bist auch ~du~ so?!«
+
+Sie stand bewegungslos wie eine Bildsäule und schaute ihn an.
+
+»Soll ich denn meines Irrtumes wegen ganz verloren sein?« sprach er
+weiter. »Soll ich mein junges Leben selber zertreten, wie man einen
+Waldwurm zertritt, vor dem sich alle entsetzen? Ja, Frieda, ich tue
+es. Sie, im Adlerwirtshaus, hätte mich nie so weit vermocht, sie ist
+mir eine Fremde. Aber wenn ich weiß, daß auch du dich von mir wendest,
+dann ist es aus!«
+
+»Wann,« entgegnete nun das Dirndel zagend, »wann habe ich dir denn
+einen Beweis gegeben, Adlerwirt, daß ich -- dir so gut wäre?«
+
+»Leugne es nicht, Frieda!« sprach er mit Nachdruck, als wollte er
+einen Verbrecher überweisen. »Und wenn du mir ~nie~ was Liebes
+gesagt hättest, kein gutes Wort, und wenn du mir zehnmal weiter
+noch ausgewichen wärest, ich hätte es doch gewußt, daß du mich gern
+hast, und so gewiß, als ~du's~ von mir mußt wissen. Du hast
+es tapfer niedergedämpft, vielleicht tapferer als ich. Wir haben
+uns beide redlich voreinander gewehrt. Es hilft alles nichts. Von
+jenem Tanzabende in Schwambach an hat's so gespielt, daß wir zwei
+zusammenkommen sollen, wir haben's nicht verstanden, haben uns so
+lange gesträubt, bis es uns heute auf diesem Platze ganz zornig
+zusammenwirft. Ist es nicht so, Frieda? Ist es nicht so?«
+
+Das Dirndel preßte die Hände ins Gesicht. »Ich hab' so gebetet da
+drinnen,« wimmerte sie, »so inständig gebetet zu der Mutter Gottes. Es
+ist alles umsonst! -- ~Ich kann ja auch nicht sein, ohne deiner!~«
+-- Mit diesem Schrei stürzte sie ihm an den Hals.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 9. Abschnitt.
+
+
+Vom Schopper-Schub wissen wir, daß er seit Jahren die Jungmagd
+Frieda nicht mehr aus den Augen ließ. Er verfolgte immer ihre Spuren
+und oft war er in ihrer Nähe, ohne daß sie es ahnte. Beim Möstl
+in der Abachleuten war es ihm gar bequem, da konnte er sich aus
+seinem Holzschlag an den Samstagabenden und manchmal auch an den
+Sonntagnachmittagen einfinden, um mit ihr zu plaudern. Die ganze Woche
+hindurch freute er sich auf das Stündlein, an welchem er nahe bei ihr,
+wenngleich durch eine Wand getrennt, sitzen konnte. Es waren zumeist
+die allergewöhnlichsten Dinge, über die gesprochen wurde, aber dem
+Holzknecht war wohl, wenn er ihre Stimme hörte und wenn er sah, wie sie
+manchmal so kindlich lachte.
+
+Also war er auch an diesem Sonntagnachmittage in die Abachleuten
+gekommen, beim Möstlhaus zugekehrt, hatte sich auf die Stubenbank
+hingesetzt und gesagt, er müsse doch ein wenig in den Schatten gehen.
+
+»Ja,« hatte das Möstlweib neckend geantwortet, »Schattens wegen wirst
+du in die Abachleuten kommen! Den hast in deinem Siebenbacherwald weit
+besser. Wirst den weiten Weg heut wohl umsonst gemacht haben. Sie ist
+zu den sieben Lärchen hinauf wallfahrten gegangen.«
+
+»So,« antwortete der Schopper ganz gleichgültig. »Da hat sie schon
+recht. Das Beten schadet niemandem.«
+
+Und wenn das Beten niemandem schadet, dachte er für sich weiter, so
+wird's ja auch mir nicht schaden. Und stieg an gegen die Schabelhöhe.
+Er ging nicht den guten Fahrweg, er wählte die steileren, aber kürzeren
+Steige; Bergesmühsal gibt's für den Holzknecht keine, und durch den
+Wald hinauf mag er sich das Schlagholz ansehen. Als er auf die freien
+Weiden kam und auf die weiße Straße hinüberblicken konnte, sah er sie
+dort gehen, er erkannte sie ja schnell. Und einen Büchsenschuß hinter
+ihr eilte ein Mann drein. Der Schopper schärfte sein Auge und erkannte
+den jungen Adlerwirt von Kirchbrunn. -- Vor Überraschung wie gelähmt
+blieb er einen Augenblick stehen. -- Was ist das? -- Was ist das? --
+Steht es so mit der Wallfahrt zu den sieben Lärchen? Ei, da wollen wir
+ihnen doch einen Baum über den Weg werfen. Ist denn schon alles falsch
+auf der Welt? Gut, alsdann will ich's auch sein. -- So seine Gedanken.
+Neuerdings zog er sich in den Wald zurück und lief durch denselben an
+der rückwärtigen Berglehne der Kapelle zu. Er kam früher hinauf als
+die anderen. Hinter der Kapelle kroch er in das Fichtendickicht und
+kauerte sich an die Holzwand, um durch eine Spalte in das Innere der
+Kapelle lugen zu können, während durch das Gezweige hin der Anger mit
+den Tischen sichtbar war. So beherrschte er den Schauplatz nach beiden
+Seiten. Er langte mit der Hand in seinen Sack, ob er das Messer bei
+sich habe. -- Ja, mein lieber Adlerwirt, ich habe dir's gesagt, und
+du hast es nicht geglaubt. Des Herrgotts Mühlen mahlen langsam, aber
+sicher! --
+
+Er hatte gesehen, wie die Frieda beklommen in die Kapelle getreten war,
+und als er merkte, daß ihr Gebet ihm galt, da löste sich von seinem
+Auge ein salziger Tropfen los und rann über die rauhe Wange, durch den
+struppigen Bart bis an die Lippen. Dann stand plötzlich an der Tür der
+junge Adlerwirt mit heißbegehrendem Blick. Der Holzknecht erfaßte die
+Hirschhornschale seines Messers. Als er hernach vernahm, was draußen
+gesprochen wurde an den Tischen, jedes Wort des armen Burschen voller
+Unglück und voller Liebe, und wie das Dirndel dagegen ankämpfte, bis
+doch in beiden die wilde Allgewalt Siegerin ward -- da loderte in ihm
+Wut und Rachgier auf, daß der fliegende Atem glühte an seinem Munde.
+Und er stürzte mit gezücktem Messer hin auf das Paar. Die Frieda tat
+einen Schrei und wollte sich schützen unter dem Brette eines Tisches.
+Der Wolfram jedoch stand wie ein Baumstamm da und fragte: »Holzknecht!
+Was willst du?«
+
+Diese starre Ruhe lähmte den Schopper für den Augenblick, denn er war
+auf Gegenwehr gefaßt gewesen und in einem Zweikampfe wollte er siegen
+oder fallen.
+
+»Bist du da, um mich zu töten?« fragte der Wolfram. »So stoße zu. Ich
+habe mein Leben verspielt und wehre mich nicht. Willst aber ihr etwas
+zu Leide tun --!« Er ballte die Fäuste.
+
+Dem Schopper sank der Arm mit dem Messer. Plötzlich wendete er sich,
+stürzte in das Dickicht und hastete davon durch den Wald hin. -- Halb
+betäubt war er, und seine Gedanken wurden wirr. -- Warum hast du es
+denn nicht getan? fragte er sich selbst. Und er selbst antwortete: Er
+hätte einen Bankbalken losreißen müssen. Nicht davonlaufen wollen und
+sich auch nicht wehren, wer kann denn da zustoßen? Einen Baum fällt
+man so, aber einen Menschen --. Und hernach, weiß ich denn, welches
+fort muß? Soll der Adlerwirt sterben? Ist er nicht der Ehebrecher und
+Verführer und der Räuber derer, die mir Gott gegeben hat? -- Oder
+soll sie sterben? Ist nicht sie die Ursache seiner Treulosigkeit, die
+den Sünder anlockt und einen treuen Menschen verschmäht, verachtet,
+in Verzweiflung treibt? -- Oder soll ein dritter sterben? Soll der
+Schopper sterben, weil alles aus ist, und freiwillig sterben, bevor er
+zum Mörder wird? Mir kommt's nur auf den Schuldigen an. -- Denn das
+sah er nun wohl, es war die unbändige, rasende Liebe, in welcher das
+junge wehrlose Menschenpaar hinschmolz wie Wachs im brüllenden Feuer
+eines brennenden Hauses. Armer Holzknecht, so wie du selber wehrlos
+bist gegen diese Macht, so sind auch sie es. Was können sie dafür! --
+Du hast dir vorgenommen, Schopper-Schub, für die Frieda alles zu wagen
+und zu opfern, um sie glücklich zu machen. Siehst du es denn nicht,
+~jetzt ist sie glücklich~! -- Was willst du denn noch? -- Einmal
+hast du dein eigenes Haus angezündet, weil es böse Ursach' ist gewesen.
+-- Kannst du rechnen, Holzknecht? Wenn du ein bißchen rechnen kannst,
+so sage, was mehr ist, eins oder zwei. Wenn zwei mehr sind als eins, so
+ist einer weniger als zwei. Laß die zwei sein, und den einen streiche
+weg. --
+
+Also dachte der arme Mensch und ging -- ach wie traurig! -- den
+Holzhütten seines Tales zu.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ 10. Abschnitt.
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+Wer genug Zeit und Tiefblick hat, um die Ursachen und Wirkungen zu
+betrachten, der wird -- sei es zu seinem Schreck, sei es zu seinem
+Trost -- finden, daß alle Fehltritte und Verstöße des Menschen gegen
+Sitte und Gesetz, gegen das Gute und Rechte überhaupt, sich fast
+allemal strafen, und zwar an derselben schuldigen Person oder an
+demselben Geschlechte. Schade nur, daß die Strafe nicht unmittelbar
+genug folgt, um stets als Strafe für Sünde und Vergehen empfunden zu
+werden. So mancher, der sein Elend selbst geschmiedet, hält sich für
+den Unschuldigsten von der Welt und ist geneigt, die Ursache dieses
+Elendes anderen in die Schuhe zu schieben. Solches Mißkennen führt ihn
+zu weiteren Fehlern und Ungerechtigkeiten, und im Gefühle des eigenen
+Sturzes sucht er auch andere mit sich zu reißen. Leichter kehrt der
+um, welcher ein schweres Verbrechen begangen, als einer, der tausend
+Fehler hat und den Mitmenschen täglich im kleinen tausendmal unrecht
+tut. Doch ist letzterer ebenso Verbrecher als ersterer, nur schreit er
+Zeter und Mordio, wenn endlich auch an ihn die Nemesis herantritt mit
+dem Richtschwert.
+
+Frau Kunigunde hatte kaum eine Ahnung davon, daß sie eine der
+Hauptursachen an dem Niedergang ihres Hauses und die einzige Ursache
+an ihrem und ihres Mannes Unglück war. Sie war immer nur geneigt,
+alles auf ihren Mann, auf seinen Vater, auf alles andere zu schieben.
+Und je weher ihr ward, um so höher stieg ihre Verbitterung gegen die
+eingebildeten Feinde. Und das Schicksal nahm seinen Lauf.
+
+Bei dem Adlerwirtshause zu Kirchbrunn hatte sich reges Leben entfaltet
+wie schon lange nicht. Allerhand Wägen kamen angefahren von oben
+und von unten und spannten aus, Bauern, Bürger und Herren waren da,
+Schacher und Händler, und die Wirtsstube war viel zu enge, auch im
+Vorhause und im Hofe standen Tische, und die Kellnerinnen liefen über
+die Gasse hin und her. Das gab doch wieder einmal ein Geschäft.
+
+Meint ihr?
+
+Da müßte man erst noch die Wirtsleute fragen. Der alte Adlerwirt
+lag bei einem Nachbar im Scheunenstroh und bat mit lallender Stimme
+fortwährend um Branntwein. Er wolle nie mehr nüchtern werden auf dieser
+verdammten Welt. Der junge Adlerwirt war seit Wochen verschollen. Im
+Siebenbachwald, so hieß es, wäre er einmal gesehen worden, aber ganz
+seltsam aufgeregt, er müsse etwas Besonderes im Sinne haben, man werde
+noch merkwürdige Geschichten von ihm hören. So kam es, daß auch Frau
+Kunigunde nicht ruhig sitzen bleiben konnte in ihrem Zimmer. Sie ließ
+ihre Mutter, der ja alles gleichgültig war, allein, und als sie auf
+einem Steirerwäglein und in ihrer tadellosen Trauerkleidung hübsch
+fein geputzt aus dem Hofe fuhr, klang in demselben das erste Mal der
+Ganthammer. Alles wurde versteigert im Adlerwirtshause, nur nach den
+Insassen war keine Nachfrage.
+
+Frau Kunigunde fuhr in das Gebirge hinein. Sie hieß auf das Pferd
+dreinhauen, sie bewarf den Pferdeknecht mit Schimpfnamen, denn sie
+wußte ihrer Galle kein Ende. Was sie dem Knecht und dem Pferde antat,
+das war alles ihrem Manne vermeint. Dem Flüchtling! dem gewissenlosen
+Ausreißer! Solange er Geld erwartet von ihrem Vater, hat er den
+Hausherrn gespielt, jetzt weil nichts ist, weil alles in die Brüche
+geht, verläßt er sein armes Weib in Not und Schande und stromert in
+allen Weiten um, man weiß nicht wo und mit wem. Aber warte, Schelm,
+wir werden dich noch einfangen. Du sollst Gott erkennen lernen! Du
+sollst mir kirre werden! Hinwärts zieht mich noch das spottschlechte
+Roß, es ist aber vieltausendmal besser als du; herwärts sollst du den
+Bettelkarren ziehen, und daß du zahm wirst wie ein Pfründnerschaf und
+mir Brennesseln aus der Hand frißt, das soll meine Sorge sein. --
+
+Unter solchen Liebesgedanken fuhr Frau Kunigunde auf die Suche
+nach ihrem Manne. Sie sprach bei manchen Häusern zu, schämte sich
+aber, geradehin zu fragen: Habt Ihr meinen Mann, den Adlerwirt von
+Kirchbrunn, nicht irgendwo gesehen? -- Ja, Frau Adlerwirtin, ist Euch
+Euer Mann durchgegangen? -- Das wäre eine hübsche Unterhaltung gewesen.
+
+Also faßte sie es so: »Hat nicht mein Mann hier zugefragt?« -- »Wissen
+nichts, vor einer Woche oder wann haben wir ihn vorbeigehen gesehen.«
+-- »Sollte er nach mir fragen, so weiset ihn, ich bin vorausgefahren in
+den Siebenbacherwald, wegen des Holzkaufes.«
+
+Bei den Holzknechthütten im Siebenbachwald ließ sie ausspannen und
+begehrte etwas zu essen.
+
+»Ja,« meinte ein resches Holzerweib, »kein Wirtshaus ist halt bei uns
+nicht. Geißmilch mit Schoten, wenn's recht wäre?«
+
+Von Herzen gern hätte Frau Kunigunde geantwortet, daß sie
+Schweinefutter nicht gewohnt sei, wäre nur ihr Hunger nicht gar zu
+groß gewesen. Während sie die Milch trank, erzählte sie, daß mit ihrem
+Mann eine Zusammenkunft draußen bei den drei Brücken verabredet gewesen
+sei, daß sie sich aber verfehlt hätten. Und sie fragte, ob er, der
+Adlerwirt von Kirchbrunn, nicht etwa hier herum gesehen worden wäre?
+
+»Seid Ihr die Adlerwirtin?« fragte das Holzerweib. »Nachher glaub'
+ich's gern, daß er bei den drei Brücken nicht gekommen ist. Von Euch
+ist er ja eben davongelaufen, sagen die Leute.«
+
+Frau Kunigunde warf eine Münze hin und machte sich entrüstet auf die
+Wander zu den Köhlerstätten.
+
+Bei der Kohlenbrennerei fragte sie wieder an.
+
+»Der Adlerwirt?!« schrie der alte Köhler, denn er war schwerhörig,
+daher hielt er auch andere dafür. »Weiß nichts davon. Aber der
+Vorknecht soll letzt' Zeit her alleweil vom Adlerwirt reden.«
+
+»Wo ist denn dieser Vorknecht?«
+
+»Der ist jetzt nicht da, der ist oben im Zagelwald. Für ein Weibsbild
+nicht gut hinaufzusteigen.«
+
+»Ich ~will~ hinauf!« sagte Frau Kunigunde.
+
+»Weiß nicht, ob es Euch viel nutzen wird,« meinte der Kohlenbrenner,
+»letzt' Zeit her ist der Schopper -- so heißt der Vorknecht -- nicht
+recht im Kopf, ganz kleinsinnig oder was lauter. Ist nichts Rechtes von
+ihm herauszubringen. Vom Adlerwirt redet er nächtig im Traum.«
+
+Die Frau dingte sich einen herumlungernden Knaben und stieg mit diesem
+hinan gegen den Zagelwald. Mehrmals ging es in tiefen Schluchten über
+Sand, Gerölle und wuchtige Steinblöcke dahin an brausenden Wässern,
+mehrmals unter einem schwindelnd hohen Holzgerüste durch.
+
+»Was das für ein hoher Steg wäre?« fragte die Adlerwirtin.
+
+»Das ist kein Steg,« antwortete der Knabe, »das ist die neue
+Holzriesen, wo die großen Blöcker herabrutschen und zum Feierabend die
+Holzknechte selber. Wie viele Kreuzer krieg' ich denn dafür, daß ich
+mitgeh'?«
+
+Nach einer Stunde waren sie auf der Höhe bei dem Holzschlag. Die Leute,
+welche hier arbeiteten, blickten einander nur so an, als sie vernahmen,
+die junge Frau wolle mit dem Vorknecht sprechen. Der Vorknecht sei aber
+gar nicht auf dem Schlag, der liege auf dem Buchenanger im Grase; er
+sage, er arbeite nichts mehr, und das liebe Christenvolk möge gesund
+bleiben und ihm an den Buckel gucken. »Wollt Ihr das, so könnt Ihr ihn
+ja aufsuchen,« setzte der Berichterstatter bei.
+
+Da ist etwas dahinter! dachte Frau Kunigunde und ließ sich zum
+Buchenanger führen.
+
+Der Schopper, als er sah, wer daherkam, sprang rasch vom Rasen auf. Er
+sah wirklich wild und wirr aus. Ohne viele Einleitung fragte sie in
+strengem Tone nach ihrem Manne, dem Adlerwirt.
+
+»Was weiß ich?« knurrte der Holzknecht. »Habt Ihr mir ihn zum Aufheben
+geschickt?«
+
+»Du weißt, wo er ist!« sprach sie scharf.
+
+»So? Na, wenn ich's weiß, dann muß ich's freilich sagen. Den Adlerwirt
+hat sein Weib verlassen, da ist er zu einer anderen gegangen.«
+
+»Wo er ist, will ich wissen!«
+
+»Vor etlichen Tagen,« antwortete der Holzknecht gottlos ruhig, fast
+träge, »hat er sich auf der Schabelhöh' aufgehalten oder im Wirtshaus
+dort herum. Jetzt kann's sein, daß er drüben in der Abachleuten ist.«
+
+»Ein Schandmensch! Ein Schandmensch!« keuchte sie, und fast verging
+ihr der Atem vor Wut. »Der soll das höllische Feuer beizeiten kennen
+lernen, dafür stehe ich gut!«
+
+»Dieweilen sitzt er im Himmel,« sagte der Schopper. »Und ich wäre der
+Meinung, wer so fest drin sitzt, den laßt man sitzen.«
+
+Frau Kunigunde hatte sich niedergelassen auf einem Baumstock, ihr
+zitterten die Beine.
+
+»Wie weit ist's bis in die Abachleuten?« fragte sie.
+
+»Zwei Stunden, wer gut antaucht.«
+
+»Mein Gott, mich verlassen schon die Füße.«
+
+»Wenn die Frau ein Stündlein wartet, so kann sie mit mir auf dem
+Brettel hinabrutschen,« sagte der Holzknecht.
+
+Ja, sie wolle warten. Und der Schopper dachte: Herrgott im Himmel, was
+ist das für ein Schick! Ich rutsche mit seinem Weib auf der Riesen
+hinab. Und ganz plötzlich fuhr es ihm durch den Kopf: Wenn er mir die
+Meine nimmt, so nimm ich die Seine. Wert ist sie's, daß sie mit mir
+kommt. Es geht nichts über die Ordnung. Und nachher ist Fried. --
+
+Dieweilen Frau Kunigunde erschöpft auf dem Baumstock saß und mißmutig
+den Holzhauern zusah, die immer Blöcke an die Riesen schleppten und
+hinabgleiten ließen, strich der Schopper wie halb verloren auf dem
+Schlage um. Manchmal blieb er stehen und starrte auf den Erdboden, dann
+hob er das krause Haupt gegen Himmel und schnappte nach Luft. Dann
+lachte er hell auf, und einer der Männer hörte ihn sagen: »Besser kunnt
+sich's nicht mehr reimen. Wer ungeschickt ist, der muß hinab, daß er
+anderen nicht im Wege steht.«
+
+»Du, Franzel,« redete er, als die Abendstunde kam, einen Arbeiter an.
+»Wenn du einmal beim Möstl in der Abachleuten vorbeigehst, gelt, so
+bist so gut und gibst das Ding dort ab. Es ist für die Magd Frieda.«
+Damit gab er ihm ein rotes, zusammengeknulltes Tüchlein. »Und jetzt,
+Leute!« rief er laut hinaus über den Schlag, »jetzt ist Feierabend. --
+Fahrt ihr nur voraus hinab, wir, ich und die Frau Adlerwirtin, rutschen
+hinten drein.«
+
+Die Werkzeuge brachte man in Sicherheit, die Lodenröcke hing man sich
+über die Achsel, und da war's fertig.
+
+Muldenförmige, vorn ein wenig aufgekurfte Bretter wurden in die Rinne
+der Riesen gelegt, und auf je einem solchen Fahrzeuge glitten ein oder
+auch zwei Mann hinab. In der Hand hatten sie lange Stöcke, mit welchen
+sie sich nötigenfalls leiten, anstemmen oder weiterschnellen konnten.
+Auf etwa hundert Schritte Zwischenräume wurden sie abgelassen. Anfangs
+glitt es gemächlich dahin, allmählich kam's in rascheren Lauf, und
+auf steileren Strecken sauste es unheimlich schnell dahin, manchmal
+an Erdeinschnitten und zweimal über grauenhaft tiefe Schluchten, aus
+welchen Schutt und Gestein und schäumendes Wasser heraufleuchtete. Über
+den schwindelndsten Stellen jauchzten einige. An den Rinnbäumen der
+Riesen dröhnte noch lange das Rollen herauf, selbst als die Bretter
+schon den Augen entschwunden waren.
+
+Als die Holzknechte dermaßen alle angefahren waren, ging der Schopper
+zur Frau Kunigunde, die noch immer auf dem Stocke saß, machte eine
+kleine Verbeugung und sagte: »Also, Adlerwirtin, jetzt ist's an uns
+zweien.«
+
+»Ist wohl doch keine Gefahr dabei?« fragte sie.
+
+»Ihr seht ja, wie sie jauchzen unterwegs. In die ewige Seligkeit kann
+man nicht lustiger hineinfahren. Im Siebenbachwald gibt's halt keine
+so feinen Eisenbahnzüge wie in Geßnitz. Wir haben das lange Brettel
+mit zwei Sitzen. Ich setze mich voran, Ihr habt hinterwärts Platz. Nur
+frisch dran, Frau Adlerwirtin!«
+
+»Es ist grauenhaft!« sagte die Frau.
+
+»Nichts ist grauenhaft,« lachte der Schopper. »An fünf Minuten sind wir
+unten. Kommt nur. Prächtig wird's.«
+
+»Ich will heut' ja noch weiterfahren.«
+
+»Freilich, Adlerwirtin. Nur hübsch anhalten. Sitzen wir fest?«
+
+»Ich sitze.«
+
+»Also, im Gottesnamen!« Mit diesem Worte stieß der Schopper aus,
+und das Schifflein begann zu gleiten. Erst hielt der Mann mit
+beiden Händen den langen, derben Stock in die Luft. Vorwärts ging's
+rasch und rascher. Steiler wurde die Bahn, und da sauste das Brett
+pfeifend dahin. Es schoß über den ersten Abgrund, es schoß durch den
+Erdeinschnitt, es schoß dem zweiten großen Abgrunde zu, und als es hoch
+über der Schlucht rasend schnell hinglitt, senkte ganz plötzlich der
+Schopper den Stock, stemmte ihn vor sich in die Riesen, da sprang das
+Fahrzeug hinten empor, schlug über, und die beiden Menschen flogen in
+weitem Bogen durch die Luft -- stürzten in die Tiefe.
+
+Ein ganz kurzer Schrei gellte durch die abendlichen Lüfte, und dann war
+nichts mehr zu hören als das rauschende Wasser in der Schlucht. -- --
+
+ [Illustration]
+
+
+
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+ 11. Abschnitt.
+
+
+»Du, Alte!« schrie der Möstl in der Abachleuten seinem Weibe zu, als
+er von der Heuarbeit heimkam, »das wird nicht gehen mit der Frieda,
+'s ist schad', aber fortschicken mußt sie. Das Umziehen mit einem
+verheirateten Menschen können wir ja nicht leiden. Hab' sie just wieder
+auseinander gejagt allzwei.«
+
+»Geh!« entgegnete das Weib, »bist doch nicht g'scheit! Schon wieder
+dagewesen ist er?«
+
+»Soll ganz Kirchbrunn im Stich gelassen haben, sitzt jetzt da draußen
+im Zeilinger Hammer als Kohlenvermesser.«
+
+»Das ist sauber,« sagte sie, »da hätten wir ihn alle Tag in der Hütten.
+Recht hart ist mir um die Magd, aber wenn sie's so macht, soll sie
+gehen, lieber heut' als morgen.«
+
+»Ein Plangen haben die zwei zu einander, rein als ob's ihnen wär'
+angetan worden. Der Vorknecht Schopper soll ganz toll sein drüber, ich
+glaub's. Wenn nur da kein unliebsamer Handel herauskommt. Alte, der
+Schopper, wer ihn kennt, das ist ein gefährlicher Mensch!«
+
+Noch sprachen sie so, als ein Holzknecht aus dem Siebenbachwald
+hereinstolperte. »Abrasten muß ich,« sagte er als Gruß und setzte sich
+gleich auf die Bank. »Bist eh daheim, Möstl, ist mir recht. Habt es
+schon gehört? das groß' Unglück im Siebenbachwald? Gestern auf dem
+Abend. Beim Abrutschen. Von der neuen Riefen in die Karwasserschlucht
+gestürzt!«
+
+»Mutter Anna!« rief der Möstl aus. »Wer denn?«
+
+»Er -- der Schopper und ein fremdes Frauenzimmer!«
+
+»Was sagst?«
+
+»Die Adlerwirtin von Kirchbrunn soll's gewesen sein.«
+
+»Was sagst?« schrie der Möstl und lachte auf.
+
+»Na ich danke, wer bei so was lachen kann!« sagte der Holzknecht.
+
+»Ist nicht schlecht gemeint,« redete das Möstlweib drein. »Der lacht
+alleweil, hat's Weinen und's Lachen in einem Sackel beisammen.«
+
+»Der Schopper und die Adlerwirtin!« murmelte der Möstl und faltete die
+Hände. »Aber Herr, himmlischer Vater, ist das dein Ernst?« Er lachte
+wieder.
+
+»Wir können es uns auch gar nicht denken, wie es geschehen ist,«
+berichtete der Bote. »Es kann was dahinterstecken. Wird schon
+aufkommen. Schauderlich, wer's gesehen hat! Von ihr ist kein Knocherl
+ganz verblieben. Bei ihm fehlt nur der Kopf.«
+
+»Aber mein Gott!« rief das Möstlweib, »wie soll sich denn ein
+Christenmensch so was zusammenreimen!«
+
+»Ist nicht eine Magd Frieda bei Euch da?« fragte der Holzknecht. »An
+die hab' ich ein Tüchel abzugeben. Ich weiß nicht, mir hat's der
+Schopper zugesteckt, gerade vor dem Unglück. Wir kennen uns nicht aus.
+Ein Knoten ist im Tüchel und ein Papierl ist drinnen, aber wir können
+keiner lesen. Weil ich's versprochen hab', daß ich der Magd Frieda die
+Sach' übergeben will.«
+
+Alsbald wurde die Magd von der Wiese heraufgerufen.
+
+»Du Frieda,« redete der Möstl sie an, »der da, der hat was für dich.«
+
+Mit Hast löste sie den Knoten, mit zitternden Fingern entwirrte sie das
+Papier, es war ein abgerissenes, graues Streifchen, und darauf standen
+mit grobem Bleistift ungefüg geschrieben die folgenden Worte:
+
+ »Liebe Friederika!
+
+ Bin überflüssig, mach mich davon. Nehm auch eine andere mit, die Euch
+ im Weg möchte stehen. Mehr kann ich nicht tun für Dich. Sei glücklich
+ mit ihm.
+
+ Schubhart Schopper.«
+
+ * * * * *
+
+Also hat sich's zugetragen. Und was wird jetzt geschehen sein? Alles
+Menschengeschick steht in Gottes Hand, alles vollzieht sich nach seinem
+Ratschlusse und fast nichts nach dem Sinne der Menschen.
+
+Als die Magd Frieda in dem Opfertode des armen Waldmenschen seine
+unermeßliche Liebe zu ihr besiegelt sah, als das letzte Hindernis
+gefallen war zwischen ihr und dem Adlerwirt, daß sie sich nun vor
+Gott und der Welt hätten können die Hände reichen -- fand sie, daß
+ihre heiße Leidenschaft für Wolfram anfing zu schwinden. Was war das
+für ein Unterschied! Was sind die gewöhnlichen Männer für zage,
+gemeinsinnliche, engherzige Schelme gegen diesen einen einsamen,
+heldenhaften! Von diesem allein war sie geliebt worden mit einer
+Liebe, wie wenigen Weibern auf Erden sie zuteil wird, mit einer Liebe,
+die stärker ist als der Tod. -- Aber gekannt hat er es nicht, das
+Weibesherz, sonst hätte er im voraus wissen müssen, daß sein Opfer
+umsonst ist.
+
+An demselben Tage, als die Reste der beiden Verunglückten auf einem
+kleinen Alpenkirchhofe still bestattet worden waren, schrieb die Frieda
+einen Brief an den Adlerwirt:
+
+ »Lieber Wolfram!
+
+ Weil das geschehen ist, muß es aus sein und ganz aus sein bei uns
+ zweien. Er tät' immer zwischen uns stehen mit seinen blutigen Wunden.
+ Ich habe wohl einmal gemeint, ich kunnt Dich glücklich machen,
+ jetzt nimmer. Und im Unglück bist schon genug gewesen. Du bist frei
+ geworden vor drei Tagen, ich habe geheiratet. Sein Sterbetag ist der
+ Hochzeitstag zwischen ihm und mir geworden. Ich bin sein, und Du
+ wirst auch wieder eine andere finden. Ich wünsche Dir alles Gute, und
+ was vergangen ist, das soll vergessen sein.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Nachwort zu dieser Geschichte.
+
+ (Als Ohrenbeichte an den Kritiker.)
+
+
+Weil unser Dasein ohnehin überreich an Drangsal und Leid ist, so wollte
+ich -- beginnend mit heiterem Liebesabenteuer des jungen Adlerwirtes
+von Kirchbrunn -- in dem süßen Herzensleben junger Menschen eine
+Idylle schreiben, mir und anderen zur Ergötzung. Allein es ist anders
+gekommen. Wie es im Leben sich so häufig fügt, daß alles ganz anders
+wird, als der Mensch gehofft hat, kommt solches bisweilen sogar auch
+in der Dichtung vor. Nicht das erste Mal -- ich gestehe es -- ist es
+mir hier passiert, daß während der Entwicklung einer Geschichte ganz
+von dem ursprünglichen Plane abgewichen wurde, weil sich folgerichtig
+andere Dinge ereignen mußten, als im Plane ausgeheckt waren. Den Plan
+macht der Kopf, dem ist im Übermut und Fürwitz alles möglich, der hat
+hundert Leitern, um dem Erdboden zu entkommen und in willkürlichen
+Zonen seine Luftschlösser zu bauen. Wenn nachher aber das Herz
+anhebt, dichterisch zu schaffen, nach Vorbildern der Wirklichkeit
+sinnlich zu gestalten, nach göttlichen und dämonischen Gesetzen des
+Gemütes zu handeln, da wird die Luftlinie verlassen und je nach der
+Bodenbeschaffenheit vorangegangen. Da ist es am besten, wenn der
+Dichter seiner Geschichte nicht vorangeht, sondern ihr folgt, wenn er
+sie nicht leitet, sondern von ihr geleitet wird, das heißt, wenn er
+der Entwicklung nicht Gewalt antut, sondern dieselbe nach gegebenen
+Verhältnissen sich selbst frei vollziehen läßt.
+
+So habe ich es auch hier gehalten. Meine Gestalten -- bestimmt
+veranlagte Menschen -- sah ich vor mir. In harmlosem Spiele führte
+ich sie durcheinander, wie der Zufall oder das Geschick uns selbst
+durcheinander würfelt. Sie gewannen eine bestimmte Stellung zu
+einander, und nun war die Lage gegeben; im Augenblicke begann eine
+Entfaltung und eine Entwicklung, die sachte vom gezogenen Plane abwich,
+immer weiter und unheimlicher, bis zu jener letzten Folge, vor der ich
+selbst erschrak. Aus der lockenden Idylle ist ein tragischer Roman
+geworden, der nicht beabsichtigt war.
+
+Es wird einem auch oft recht langweilig auf dem Tummelplatze des
+gewöhnlichen Lebens. Der Alltagsmenschen Begierden und Taten sind
+lächerlich schnöde, man wird mit ihnen weder warm, noch kalt. Wenn
+aber unvermutet irgendwo ein starkes Herz auftaucht, sei es in
+wildwetternder, zerstörender Leidenschaft, sei es in heldenhaftem
+Opfermut, alsbald reißt es des Dichters Aufmerksamkeit auf sich und
+läßt sie nicht wieder los, und so lange nicht wieder, bis es an einer
+großen Tugend zugrunde geht.
+
+Als auf dem Freiballe beim Schwambachwirt mein Held plötzlich
+hinausgerufen wurde zu einem halbverkommenen Holzknechte, da ahnte ich
+noch nichts. Als dieser Holzknecht aber vom Adlerwirt verlangte: Laß'
+ab von der Dirn! Sie ist mein, und wenn du sie noch einmal anrührst,
+so wirst erstochen! -- da war ich in seinem Banne. Als ich hernach
+der weiteren Entwicklung meiner Geschichte mit doppeltem Interesse
+folgte, war ich überzeugt, daß der Schopper-Schub den Adlerwirt ganz
+gewiß ermorden würde. Es kam anders, der weichmütige Adlerwirt ward
+zu einem beklagenswerten Dulder, seine Liebe zu Frieda suchte er
+redlich zu dämpfen, bis er endlich vom Zufall unbarmherzig mit dem
+Mädchen seiner heimlichen Leidenschaft zusammengeführt wurde. Jetzt
+standen die Dinge so, daß der Schopper-Schub wohl ans Messer griff,
+aber nicht mehr zuzustoßen vermochte. Denn durch lange Entsagung war
+in seinem großen Herzen die Liebe zum Weibe weit und hoch über die
+sinnliche Leidenschaft hinausgewachsen, und mächtig erfüllte ihn der
+eine Gedanke: glücklich machen das geliebte Wesen um jeden Preis.
+Ein zweites Wort sprach der Rechtssinn des Naturmenschen: Wenn die
+zwei sich in der Tat lieben, so sollen sie sich haben. -- In dem
+Augenblicke, als ich den armen Menschen in weher Verzichtung dahingehen
+sah, wußte ich freilich, daß da noch etwas geschehen würde. Ich glaubte
+nicht recht, daß der Schopper ein Opfer nur halb vollbringt, und daß er
+selbst nicht mehr würde weiterleben wollen, das fürchtete ich.
+
+Als Frau Kunigunde von dem der Gant verfallenen Adlerwirtshause auf dem
+Steirerwäglein fortfuhr, ließ ich sie sehr ungern in den Siebenbachwald
+ziehen. Aber ihre Rachsucht gegen den durchgegangenen Mann war so
+groß, daß sie keine Macht der Welt zurückgehalten haben würde, seine
+Spuren zu verfolgen. Ich ahnte nichts Gutes, als sie dem Schopper-Schub
+nachfragte, und leider -- meine Ahnung hat mich nicht betrogen.
+
+So leid es mir um den Schopper tat, so fiel mir doch ordentlich
+ein Stein vom Herzen, als das gräßliche Unglück auf der Holzriesen
+geschehen war. -- Jetzt endlich! jetzt können die zwei jungen
+Leute, die wirklich füreinander geschaffen zu sein scheinen,
+zusammen heiraten! -- Und da tut sich mir eine ungeahnte Tiefe des
+Weibesherzens auf: jetzt, da ~solches~ sich zugetragen, mag sie keine
+Liebschaft mehr, und am wenigsten eine mit dem, der ihr so lange im
+Wege gestanden, dessentwegen sie den treuesten Menschen auf der Welt
+mißkannt und abgewiesen hat.
+
+Wenn meine heiteren Geschichten auf solche Art enden, dann will ich
+mich zweimal besinnen, ehe ich wieder einmal eine Idylle anfange zu
+schreiben. Und vielleicht tut auch jeder andere wohl daran, sich
+zweimal zu besinnen, bevor er -- sei es mit einer armen Magd, oder
+sei es mit einer feinen Großbauerntochter -- ein Liebesverhältnis
+anhebt. Ist die Dichtung schon so schlimm, um wieviel mehr erst die
+Wirklichkeit ...
+
+Von den wenigen Bekannten, die noch leben, haben wir uns gar nicht
+verabschieden können. Es ging zu schnell. Wenn der Chronist dieser
+Ereignisse sich schließlich selbst als einen alten Bekannten vorstellen
+wollte, als den kleinen, in den Sand verlaufenden Professor Nix, so
+wäre uns damit nicht sehr gedient. Als Figur in der Erzählung tut
+der kleine Nix zu wenig, seine Hauptleistung besteht darin, uns die
+Geschichte übermittelt zu haben. Der Frieda und dem Wolfram hätten wir
+noch gerne die Hand gedrückt. Wenn schon die Jungdirn schrieb, daß, was
+vergangen ist, auch vergessen sein soll, so möchten wir ihnen doch für
+das, was kommen wird, alles Gute wünschen, vor allem ein starkes Herz,
+welches die unvergeßlichen Erfahrungen der Vergangenheit in der Zukunft
+sich zunutze mache.
+
+ [Illustration]
+
+ [Illustration]
+
+
+ Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.
+
+
+
+
+ [Illustration: =F= 1501 =IX=09: 100.000]
+
+
+
+
+ Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung
+
+
+Die Stiftung ist ein rein gemeinnütziges Unternehmen unter Ausschluß
+aller privaten Erwerbsinteressen. Ihr Zweck ist, »hervorragenden
+Dichtern durch Verbreitung ihrer Werke ein Denkmal im Herzen des
+deutschen Volkes zu setzen« und durch Verbreitung guter Bücher
+der schlechten Literatur den Boden abzugraben. Sie begann ihre
+~Tätigkeit~ i. J. 1903 damit, daß sie an 500 Volksbibliotheken je
+20 Bände verteilte, unter denen sich z. B. Fontanes »Grete Minde« --
+M. v. Ebner-Eschenbachs »Gemeindekind« -- eine Auswahl der »Deutschen
+Sagen« der Brüder Grimm -- Roseggers »Als ich noch der Waldbauernbub'
+war« befanden. Die zweite Bücherverteilung umfaßte 40 Werke (in 23
+Bände gebunden) in je 750 Exemplaren -- die dritte 42 Bücher (31 Bände)
+in je 750 Exemplaren -- die vierte 43 Bücher (86 Bände) in je 800
+Exemplaren, die fünfte 28 Bücher (25 Bände) in je 900 Exemplaren -- die
+sechste 45 Bücher (35 Bände) in je 1000 Exemplaren.
+
+Abzüge des ~Werbeblatts~, des letzten Jahresberichts, auch des
+Aufrufs und der Satzungen usw. werden von der Kanzlei der Deutschen
+Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel gern unentgeltlich
+übersandt. -- Die Stiftung hatte 1905 erst 934 Mitglieder, im Jahre
+1906 schon 3.688, 1907 6.500, Ende 1908 9.161. Sie führt diesen
+Aufschwung auf das allgemeine Wachsen des Kulturinteresses zurück und
+bittet alle Freunde, ihr durch Zusendung von Adressenmaterial an ihr
+Werbeamt bei der Ausnutzung dieser Wendung zum Besseren zu helfen.
+
+Die Stiftung erbittet besonders jährliche, aber auch einmalige
+Beiträge. Für ~Jahres-Beiträge von 2 Mk.~ aufwärts gewährt die
+Stiftung durch Übersendung eines Einzelbandes ihrer »Hausbücherei«
+oder ihrer »Volksbücher« oder des Schillerbuches Gegenleistung. Wer
+25 Mark Jahresbeitrag zahlt, erhält auf Wunsch alle im gleichen Jahre
+erscheinenden Bände der »Hausbücherei«.
+
+Die ~Beiträge~ werden in jeder Höhe entgegengenommen von: der
+Deutschen Bank, Hamburg, und ihren sämtlichen Zweiganstalten und
+Depositenkassen -- Postscheckkonto Hamburg Nr. 737 -- der k. k.
+Postsparkasse, Wien [auf Konto Nr. 859112] -- und der Stiftung selbst
+in Hamburg-Großborstel.
+
+Alle ~Briefe~, ~Anfragen~ usw. werden unpersönlich mit der
+Aufschrift »Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel«
+(möglichst unter Hinzufügung der betr. Abteilung) erbeten.
+
+ Man verlange die erwähnten Drucksachen.
+
+
+
+
+ Gute und billige Bücher
+
+ [Illustration]
+
+Unter den mancherlei billigen Sammlungen, die in den letzten Jahren
+zur Verbreitung guter Literatur geschaffen wurden, zeichnen sich die
+Bücher der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung durch sorgfältige
+literarische Auswahl und ausgezeichnete Ausstattung aus: holzfreies
+Papier, schönen und großen Druck, abwaschbaren, geschmackvollen
+Einband. Diese Eigenschaften haben in Verbindung mit dem äußerst
+billigen Preise den beiden Sammlungen der Stiftung schnell große
+Verbreitung verschafft. Bisher sind erschienen:
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+ Hausbücherei
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+(nur gebunden, jeder Band 1 Mark)
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+ Bd. 1. ~Heinrich von Kleist~: Michael Kohlhaas. Mit Bild
+ Kleists. 7 Vollbilder von Ernst Liebermann. Einleitung von =Dr.=
+ Ernst Schultze. _11.-20. Taus._ 170 S.
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+ Bd. 2. ~Goethe~: Götz von Berlichingen. Mit Bild Goethes.
+ Einleitung v. =Dr.= W. Bode. _6.-10. Taus._ 178 S.
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+ Bd. 3. ~Deutsche Humoristen.~ _1. Bd._: Ausgew. humor.
+ Erzählungen v. P. Rosegger, W. Raabe, Fr. Reuter und A. Roderich.
+ _36.-45. Taus._ 221 S.
+
+ Bd. 4. ~Deutsche Humoristen.~ _2. Bd._: Cl. Brentano, E.
+ Th. A. Hoffmann, H. Zschokke. _16.-20. Taus._ 222 S.
+
+ Bd. 5. ~Deutsche Humoristen.~ _3. Bd._: Hans Hoffmann, Otto
+ Ernst, Max Eyth, Helene Böhlau. _36.-45. T._ 196 S.
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+ Bd. 6/7. ~Balladenbuch.~ _1. Bd._: Neuere Dichter.
+ _11.-20. T._ 498 S. 2 Mark.
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+ Bd. 8. ~Herm. Kurz~: Der Weihnachtsfund. Eine Volkserzählung.
+ Mit Bild Kurz'. Einleitung v. Prof. Sulger-Gebing. _6.-10.
+ Taus._ 209 S.
+
+ Bd. 9. ~Novellenbuch.~ _1. Bd._: C. F. Meyer, E. v.
+ Wildenbruch, Fr. Spielhagen, Detl. v. Liliencron. _21.-25.
+ Taus._ 194 S.
+
+ Bd. 10. ~Novellenbuch.~ _2. Bd._ (Dorfgeschichten): E.
+ Wichert, H. Sohnrey, W. v. Polenz, R. Greinz. _11.-15. T._ 199 S.
+
+ Bd. 11. ~Schiller~: Philosophische Gedichte. Ausgew. u. eingel.
+ v. Prof. E. Kühnemann. Mit Bild Schillers. _6.-10. T._ 230 S.
+
+ Bd. 12/13. ~Schiller~: Briefe. Ausgew. und eingel. von Prof. E.
+ Kühnemann. Mit 2 Bildern Schillers. 2 Bände in 1 Bande. _6.-10.
+ Taus._ 226 u. 302 S. 2 Mark.
+
+ Bd. 14. ~Novellenbuch.~ _3. Bd._ (Geschichten aus deutscher
+ Vorzeit): A. Schmitthenner, J. J. David, W. Hauff. _11.-15.
+ Taus._ 246 S.
+
+ Bd. 15. ~Novellenbuch.~ _4. Bd._ (Seegeschichten): Joachim
+ Nettelbeck, W. Hauff, Hans Hoffmann, W. Jensen, Wilh. Poeck, Johs.
+ Wilda. _11.-15. Taus._ 179 S.
+
+ Bd. 16. Auswahl aus den Dichtungen ~Eduard Mörikes~. Herausgeg.
+ u. eingel. v. =Dr.= J. Loewenberg-Hamburg. Mit Bild u.
+ Silhouette Mörikes. _6.-10. Taus._ 285 S.
+
+ Bd. 17. ~Heine-Buch.~ Eine Auswahl aus Heinrich Heines
+ Dichtungen. Herausgeg. und eingel. von Otto Ernst-Hamburg. Mit Bild
+ Heines. _6.-10. Taus._ 203 S.
+
+ Bd. 18 u. 19. ~Goethes~ ausgewählte Briefe. Herausgeg. u.
+ eingel. v. =Dr.= Wilh. Bode-Weimar. Mit Bildern Goethes. 2
+ Bände. _11.-15. Taus._ 169 u. 197 S.
+
+ Bd. 20/21. ~Deutsches Weihnachtsbuch.~ Eine Sammlung der
+ schönsten u. beliebtesten Weihnachtsdichtungen in Poesie u. Prosa.
+ _11.-20. Taus._ 413 S. 2 Mark.
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+ Bd. 22. ~Novellenbuch.~ _5. Bd._ (Frauennovellen): Cl.
+ Viebig, L. v. Strauß u. Torney, Lou Andreas-Salomé, M. R. Fischer.
+ _11.-20. Taus._ 198 Seiten.
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+ Bd. 23. ~Novellenbuch.~ _6. Band._ (Kindheitsgeschichten):
+ A. Schmitthenner, H. Aeckerle, M. Lienert, M. v. Rentz, Hans Land, A.
+ Bayersdorfer, Ch. Niese, Th. Mann. _6.-10. Taus._ 199 S.
+
+ Bd. 24. ~Novellenbuch.~ _7. Bd._ (Kriegsgeschichten): Carl
+ Beyer, H. v. Kleist, W. v. Conrady, M. v. La Roche, D. v. Liliencron,
+ Th. Fontane. _11.-20. Taus._ 177 S.
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+ Bd. 25/26. ~Balladenbuch.~ _2. Bd._: Ältere Dichter.
+ _6.-10. T._ 518 S. 2 Mark.
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+ Bd. 27. ~Karl Immermann~: Preußische Jugend zur Zeit Napoleons.
+ Herausgeg. u. eingeleitet von =Dr.= Wilhelm Bode-Weimar. Mit
+ Bild Immermanns und 3 Bildern Magdeburgs. _6.-10. Taus._ 171
+ Seiten.
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+ Bd. 28. ~Martin Luther als deutscher Klassiker~, nebst einer
+ Einführung von =Dr.= Eugen Lessing. Mit Bild Luthers. 176 Seiten.
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+ Bd. 29/30. ~Deutsche Humoristen.~ _4. und 5. Bd._
+ (Humoristische Gedichte). 351 Seiten. 2 Mark.
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+ Bd. 31. ~Deutsche Humoristen.~ _6. Bd._: E. Th. A.
+ Hoffmann, B. v. Arnim, Fr. Th. Vischer, A. Bayersdorfer, Henry F.
+ Urban, Ludw. Thoma. 160 S.
+
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+ Erzählung). Mit Original-Illustrationen von Th. Herrmann und
+ Einleitung von =Dr.= C. Müller-Rastatt, Hamburg. 176 Seiten.
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+ Einleitung von K. Küchler, Altona, und mit mehreren Vollbildern.
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+ Bd. 6/7 (rot, Ganzleder)
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+Heft 1. 50 Gedichte v. ~Goethe~. 95 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.
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+Heft 2. ~Schiller~: Tell. _11.-20. T._ 19 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.
+
+Heft 3. ~Schiller~: Balladen. _31.-40. T._ 108 S. Geh. 20,
+geb. 50 Pf.
+
+Heft 4. ~Schiller~: Wallensteins Lager. Die Piccolomini. 215 S.
+Geh. 30, geb. 60 Pf.
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+Heft 5. ~Schiller~: Wallensteins Tod. 222 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.
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+_Heft 4 und 5 in einen Band gebunden 1 Mark._
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+Heft 6. ~Brentano~: Die Geschichte vom braven Kasperl u. dem
+schönen Annerl. 59 S. Geh. 15, geb. 40 Pf.
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+Geh. 20, geb. 50 Pf.
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+Heft 8. ~Fr. Halm~: Die Marzipanliese. -- Die Freundinnen. 124 S.
+Geh. 20, geb. 50 Pf.
+
+Heft 9. ~Reuter~: Woans ick tau 'ne Fru kamm. 61 S. Geh. 15,
+geb. 40 Pf.
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+Heft 10. ~Max Eyth~: Der blinde Passagier. _11.-20. T._ 68 S.
+Geh. 20, geb. 50 Pf.
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+Heft 11. ~Marie von Ebner-Eschenbach~: Die Freiherren von
+Gemperlein. _11.-20. T._ 82 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.
+
+Heft 12. ~Wilhelm Jensen~: Über der Heide. 127 S. Geh. 25,
+geb. 55 Pf.
+
+Heft 13. ~Ernst Wichert~: Der Wilddieb. 144 S. Geh. 30, geb. 60
+Pf. _11.-20. T._
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+Heft 14. ~Levin Schücking~: Die drei Großmächte. 96 S. Geh. 25,
+geb. 55 Pf.
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+Heft 15. ~Ludwig Anzengruber~: Der Erbonkel u. andere Geschichten.
+Geh. 25, geb. 55 Pf.
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+Heft 16. ~Helene Böhlau~: Kußwirkungen. _11.-20. T._ 68 S.
+Geh. 20, geb. 50 Pf.
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+Heft 17. ~Ilse Frapan-Akunian~: Die Last. 87 S. Geh. 25,
+geb. 55 Pf.
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+Heft 18. ~H. v. Kleist~: Die Verlobung in St. Domingo. Das
+Erdbeben in Chili. Der Zweikampf. 142 S. Geh. 80, geb. 60 Pf.
+
+Heft 19. ~Peter Rosegger~: Der Adlerwirt von Kirchbrunn. 139 S.
+Geh. 30, geb. 60 Pf. _11.-20. T._
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+Heft 20. ~Ernst Zahn~: Die Mutter. _11.-20. T._ 66 S. Geh. 20,
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+Heft 21. ~E. J. Groth~: Die Kuhhaut (Humoreske). Mit Illustr. v.
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+Heft 22. ~A. Schmitthenner~: Die Frühglocke Mit Illustr. v. Wilh.
+Schulz. 64 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.
+
+Heft 23. ~G. Freytag~: Karl d. Große. -- Friedrich Barbarossa.
+Minnesang und Minnedienst zur Hohenstaufenzeit. 80 S. Geh. 25,
+geb. 55 Pf.
+
+Heft 24. ~Fr. Spielhagen~: Hans u. Grete. Mit Illustr. v. Th.
+Herrmann. 174 S. Geh. 40, geb. 75 Pf.
+
+
+_Jedes Heft enthält ein Bildnis des Verfassers. Weitere Hefte sind in
+Vorbereitung._
+
+
+ Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 ***
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+ Volksbücher Der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung Heft 19 | Project Gutenberg
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+<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 ***</div>
+
+<div class="transnote">
+<p class="s4 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
+<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Die Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler sind
+stillschweigend korrigiert worden.</p>
+<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p>
+</div>
+
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+</figure>
+
+<hr class="r5">
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+<div class="chapter">
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+
+<figure class="figcenter illowe30 padtop5" id="rule-long_4">
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+
+<h2>Peter Rosegger:</h2>
+<h1><b>Der Adlerwirt von Kirchbrunn.</b></h1>
+
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+
+
+<p class="s2 center mtop5">Inhalt.</p><br>
+
+<table class="toc">
+<tr>
+<td class="tdl">&nbsp;</td>
+<td class="tdr">Seite</td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Einleitung von Wilhelm Lottig</td>
+<td class="tdr">3 -<a href="#Seite_4"> 4</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl"><span class="gesperrt">Peter Rosegger</span>: Der Adlerwirt von Kirchbrunn</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_7">7</a> - <a href="#Seite_139">139</a></td>
+</tr>
+</table><br>
+
+<figure class="figcenter padtop3 illowe9" id="rule-3x_3">
+ <img class="w100" src="images/rule-3x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<p class="mtop2 mbot2">Für die Abdruckserlaubnis dieser Novelle schulden wir dem Herrn
+Verfasser und der Verlagsbuchhandlung L. Staackmann in Leipzig Dank.
+Die Novelle ist dem Bande »Hoch vom Dachstein« von Peter Rosegger
+entnommen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter padbot2 illowe9" id="rule-3x_4">
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+</figure>
+
+<p class="p0 center mbot2">Ein Bild Peter Roseggers<br>
+ ist hinter Seite 4 eingeheftet.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe30" id="rule-long_6">
+ <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span></p>
+
+<p><span class="gesperrt">Peter Rosegger</span><a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a>, geboren den 31. Juli 1843, war also vor
+50, 60 Jahren noch das nichtige Waldbauernpeterl in der weltab
+liegenden kleinen steirischen Dorfgemeinde Alpel bei Krieglach,
+danach vom 17. bis übers 20. Lebensjahr hinaus Lehrbub und Gesell
+beim Bauernschneider zu Kathrein am Hauenstein. Heut ist er unser
+bester Volksschriftsteller, einer, der sich selbst die Aufgabe stellen
+durfte: Ich will mitarbeiten an der sittlichen Klärung unserer Zeit.
+So seltsam solche Entwicklung scheint, so folgerichtig ist sie doch.
+Die Landschaftsbilder, die unbewußt schon das helle Kindesauge aufsog,
+die Menschen und die Menschenschicksale, die der Wachsende, in mehr
+als 60 Bauernhäusern schneidernd, regen Sinnes mit erlebte, sie sind
+der Grundstock des reichen Vermögens, das der »Waldpoet« so köstlich
+verwaltete. 21jährig wagte er, halb gedrängt vom übermächtigen inneren
+Emporquellen, halb gezogen von helfend sich entgegenstreckenden Händen,
+den Sprung vom Naturdasein als bäuerlicher Handwerker hinüber ins
+Weltleben des Kulturmenschen. Die schwierige Verpflanzung gelang nach
+harten Übergangswehen; aber der Riß in der Entwicklung vernarbte nur,
+weil und soweit die abgerissenen Wurzelfäden den Weg zurück fanden zu
+dem Nährboden ihrer Kraft. Sie gruben<span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span> ihn mit Urgewalt; ein schier
+krankhaftes Heimweh zwang den körperlich auf Reisen oder stofflich
+in seinem Schaffen sich von seiner »Waldheimat« Entfernenden immer
+wieder in ihre Mutterarme zurück. Rosegger wohnt jetzt abwechselnd
+in Graz und auf dem bescheidenen Sommersitz, den er sich, zunächst
+dem Ursprung seines Werdens und Wesens, in Krieglach gegründet. Aus
+allen seinen Werken, von dem 1869 erschienenen ersten Büchelchen an
+die lange Reihe von Bänden hindurch, die sein unermüdlicher Fleiß,
+sein unerschöpflicher Gestaltungsdrang uns gegeben haben, quillt
+dieselbe Urwüchsigkeit, dieselbe gottgegebene Frische des Gemüts im
+Ernst und im »Hamur«, dieselbe Kraft und Tiefe der Erfassung, die
+schon den Waldbauernbuben schmerzhaft und glückhaft über seine Umwelt
+hinaushob. »Der ewige Waldbauernbub«, in dies Wort schließt Rosegger
+einmal selbst seine ganze Entwicklung ein; seine Dichtergröße aber ist,
+wie durch seine Augen gesehen ein kleines Einzelschicksal wächst und
+sich verklärt zu einem uns im Innersten ergreifenden und reinigenden
+Abbild großen Menschheitsringens und Gottheitssiegens. Wer die in
+diesem Bändchen abgedruckte Novelle mit so gerichteten Gedanken liest,
+der wird selbst etwas von der schmerzhaften und doch glückhaften
+Erschütterungsfähigkeit spüren, deren Vollbesitz den Waldbauernbuben
+zum Dichter krönte.</p>
+
+<p>Hamburg, im Juli 1907.</p>
+<p class="right"> W. Lottig.</p><br>
+
+<div class="footnote">
+<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Die Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung druckte schon
+im 3. Bande ihrer »Hausbücherei« zwei kleine Humoresken Roseggers:
+»Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß« und »Wie wir die
+Gürtelsprenge haben gehalten«.</p><br>
+</div>
+
+<figure class="figcenter illowp48" id="illu-005" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-005.jpg" alt="Rosegger">
+</figure>
+
+<figure class="figcenter illowe30" id="rule-long_7">
+ <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+
+<div class="note">
+</div>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span></p>
+
+<div class="chapter">
+<h2 class="mtop5 center"><b>Der Adlerwirt von Kirchbrunn.</b><br>
+<span class="s5">Eine Dorfgeschichte.</span></h2><br>
+
+<h3>1.<span class="gesperrt"> Abschnitt.</span></h3>
+</div>
+
+<p>»Also vorwärts!« rief das Männlein und sprang flink in den Wagen.
+»Wolfram, komm an meine grüne Seite, du hast ganz nett Platz neben dem
+alten Knaben! Wir wollen ja schwatzen unterwegs!«</p>
+
+<p>Demnach setzte sich der junge Kutscher nicht auf den Bock, sondern
+schickte sich an, vom bequemen Sitze des Landauers aus die Pferde zu
+leiten. Es waren zwei muntere Braune, deren glatte Haut einen feinen
+Seidenglanz hatte, als ob sie wie das Riemzeug gewichst worden wäre.</p>
+
+<p>Der Kutscher war Wolfram Seltensteiner, der junge Wirt vom »Schwarzen
+Adler« zu Kirchbrunn. Ein froh und freundlich in die Welt blickender
+Blondkopf von etwa dreiundzwanzig Jahren. »Ein Gesicht, länglich-rund
+wie ein Taubenei, Augen hell und blau wie der Himmel im Mai, Nase
+schlank Und stramm, rote Oberlippe keck und zahm, der Mund so angetan,
+daß er gut lachen und küssen kann. Vom Scheitel bis zur Zehe hinab ein
+schlanker, hübscher, gesunder Knab'.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span></p>
+
+<p>»Junger Mann!« rief ihm der kleine Alte zu, »stelle ja nichts an! Wenn
+du durchgehst und ich erlasse auf dich den Steckbrief, so kommst du
+nicht weit, die Weiber fangen dich ein!«</p>
+
+<p>Einen Schnalzer mit der Zunge machte der junge Mann, da trabten die
+Rößlein fürbaß.</p>
+
+<p>»Behüt' Gott, Herr Professor! Kommen Sie fein wieder im nächsten
+Jahr!« So riefen jetzt die vor dem Wirtshause stehenden Leute. Männer
+schwenkten die Hüte, Weiber die Sacktücher.</p>
+
+<p>Das ältliche Herrlein im Wagen streckte die offene Hand zurück nach den
+Leuten, als wollte er ihnen noch wie Körner die Worte hinstreuen, die
+er sprach: »Grüß Gott das letzte Mal und gebet acht, Kinder, daß ihr
+nicht weniger werdet, bis ich wiederum komm', und betet manchmal ein
+Vaterunser oder ein Schnaderhüpfel für den alten Professor Nix!«</p>
+
+<p>Der Wagen rollte die glatte Straße davon und verschwand bald im
+tauenden Herbstnebel.</p>
+
+<p>»Ist ein lieber Herr!« sagten jetzt die Zurückbleibenden untereinander,
+»ist ein lustiger Herr! Alleweil heiter! So pudelnärrisch und so
+gescheit dabei! Wer wird uns jetzt Geschichten erzählen, Liedeln lehren
+am Feierabend, Rätsel aufgeben, Zaubereien vormachen und guten Rat
+austeilen? Das ist ein lieber Schatz!«</p>
+
+<p>»Er heißt Nix!« brummte einer der Umstehenden.</p>
+
+<p>»Was sagst du! der Professor heißt Nix? Ich denk' wohl ein bissel
+mehr wie du! Gib acht, daß<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> wir dir dein Lästermaul nicht mit einer
+Feigensalbe verkleben!«</p>
+
+<p>»Nein, er heißt Nix!« lachte ein Junge.</p>
+
+<p>»Nix heißt er!« lachten jetzt auch die übrigen.</p>
+
+<p>»Wenn ich nur wüßte, woher er den dummen Namen hat!«</p>
+
+<p>»Muß ein Spitzname sein, weil er allemal nix antwortet, wenn man ihn
+fragt, wer er ist, was er treibt, was er weiß, was er hat, was er will!
+Er ist nix und treibt nix und weiß nix und hat nix und will nix! Darauf
+haben sie ihn den Professor Nix geheißen.«</p>
+
+<p>»Ist nicht wahr!« rief der Nagelschmied. »Seit Jahren kommt er auf die
+Sommerfrische nach Kirchbrunn, wir kennen ihn als braven Mann. Das ist
+etwas! Nachher geht er in der Gegend umher, Pflanzen sammeln, Bäume und
+Hunde zeichnen, traurige Leut' lustig machen. Das ist auch etwas. Er
+weiß zu erzählen von Himmel und Erden, von den Russen und Franzosen,
+auch wie die Eisenstiften gemacht werden, weiß er, und wie er zu mir
+einmal in die Werkstatt kommt, nimmt er mir das Zeug aus der Hand und
+macht den Eggnagel fertig, daß es nur so eine Form hat. Das ist schon
+was, meine lieben Leut'. Wer ein Handwerk kann! Handwerk ist besser
+wie Kopfwerk! Nur fürs Nixhaben und Nixwollen mag sein Name passen,
+ich hab' mir oft gedacht: der lebt von der Luft und vom Wasser und vom
+Lustigsein.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span></p>
+
+<p>»Er hat gegessen und getrunken und seine Sach' bezahlt!« berichtete der
+alte Adlerwirt, der in Hemdärmeln und unter dem grünen Sammetkäppchen
+am Pferdetrog stand und mit dem kurzen Worte die Ehre seines Hauses und
+seines Gastes rettete.</p>
+
+<p>Der Wagen fuhr mittlerweile hinaus über Wiesen und Fluren, durch Dörfer
+und Wälder, dem Bahnhofe in Geßnitz zu.</p>
+
+<p>»Wolfram!« sagte der kleine hagere Mann, den sie den Professor Nix
+geheißen hatten, »warum rauchst du heut' keine Zigarre?«</p>
+
+<p>»Weil ich keine habe,« antwortete der Bursche und zog den Leitriemen an.</p>
+
+<p>»Was ist denn das?« fragte der Professor und tippte an Wolframs
+Brusttasche, aus welcher ihrer drei oder vier Glimmstengelspitzen
+hervorguckten.</p>
+
+<p>»Das da?« fragte der Bursche schmunzelnd entgegen, »das sind Zigarren.«</p>
+
+<p>»Knabe, du glaubst, daß mir der Rauch unangenehm sei!«</p>
+
+<p>»Wer selber nicht raucht —«</p>
+
+<p>»Ich will dich nicht zwingen. Weiß nur, daß man den Mund nicht gern
+leer stehen läßt. Wir Alten schwatzen, Ihr Jungen wollet busseln oder
+rauchen. Zum Busseln wirst keine im Sack haben. Also steck' etwas
+anderes in Brand!«</p>
+
+<p>Lächelnd zündete Wolfram sich eine an.</p>
+
+<p>Als sie aus dem Gebirgstal in die Fläche herausgekommen waren und
+am Dorfe Schwambach vorüberfuhren,<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> kehrten im dortigen Wirtshause,
+denn es war Sonntag, gerade vier Musikanten ein: ein Trompeter, ein
+Klarinetter, ein Geiger und ein Baßgeiger.</p>
+
+<p>»Was denkest du darüber?« fragte Professor Nix seinen Kutscher.</p>
+
+<p>»Bis ich zurückfahre, wird's schon umgehen,« antwortete dieser. »Der
+Schwambacher gibt einen Freiball.«</p>
+
+<p>»Du, da gib nur acht, daß dir die Pferde nicht scheuen auf der
+Rückfahrt! Ein paar feurige Tiere, die du hast!« so neckte das magere
+Männlein.</p>
+
+<p>Auf der Hochebene, über die sie nachher wieder dahintrabten, kamen sie
+in einen Eichenwald, an welchem bereits die Blätter gilbten. Manchmal
+wehte ein goldig leuchtendes Blatt nieder auf die weiße Straße, und der
+Wald war so still und feierlich, daß es dem Professor wie ein Seufzer
+aus der Brust kam: »Ja, der Herbst!«</p>
+
+<p>Jetzt sahen sie neben der Straße im Laubwerk und Schlinggewächse zwei
+Mädchen. Junge, erwachsene Mädchen, das eine in putziger Bauerntracht,
+das andere bürgerlich angetan; das eine mit einem roten Tuch über dem
+Haupt, das andere mit einem schwarzen Hütchen. Die unter dem Tuche
+hatte ein lachendes Rundgesichtlein, die unter dem Hute war blaß und
+ernsthaft und hatte schwarze Augen.</p>
+
+<p>»Was wollen denn die?« fragte der Professor den jungen Kutscher.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span></p>
+
+<p>»Sie haben Körblein bei sich. Wahrscheinlich Brombeeren pflücken.«</p>
+
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent4">»Wollt' ein Madel früh aufstehn,</div>
+ <div class="verse indent4">Wollt' Brombeer brocken gehn« —</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>trillerte der Alte. »Kennst du das?«</p>
+
+<p>»Ja, man singt so,« antwortete Wolfram.</p>
+
+<p>»Wenn du der Jägerssohn wärest,« neckte der Alte weiter, »mit welcher
+von den zweien wolltest du Brombeer brocken?«</p>
+
+<p>»Weiß 's nit,« sagte der Bursche.</p>
+
+<p>»Na, dann ist es mit dir noch nicht gefährlich!« lachte der Professor,
+dem Burschen auf die Achsel klopfend.</p>
+
+<p>»Just übel wär' keine — von den zweien,« sagte der Wolfram.</p>
+
+<p>»Na, dann ist es gefährlich,« setzte jener bei. Sein frisches
+Gesichtlein unter dem grauenden Haar war plötzlich ernsthaft. Und die
+Mädchen waren ihren Augen entschwunden.</p>
+
+<p>Als der Wagen wieder aus dem Walde kam, sah man in der Ferne die
+zwei weißen Türme von Geßnitz. Sie leuchteten nur schwach durch die
+nebelgraue Luft. Hinter dem stattlichen Marktflecken die Berglehne
+konnte man nicht mehr erkennen. Und gerade dorthin hatte Wolfram sein
+Auge gerichtet.</p>
+
+<p>»Siehst du den Salmhof?« fragte ihn der Professor.</p>
+
+<p>»Man sieht nichts,« antwortete der Bursche.</p>
+
+<p>»Liegt sie dir im Sinn?« fragte der Professor.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p>
+
+<p>»Aber ich kenne sie ja gar nicht,« entgegnete Wolfram. »Das ist wieder
+nur so von meinem Vater etwas. Weil sie Geld hätte, meint er. Ich
+denke, es muß nicht alles Geschäft sein, was der Mensch tut.«</p>
+
+<p>»Brav bist, mein Sohn!« sagte der Professor, »für Geld heiratest keine.
+Aber ganz verachten mußt auch das Geld nicht, wenn sie zufällig eins
+hat. Geld ist Mist, aber Mist ist Dung, und Geld ist der Dung des
+ehelichen Glückes.«</p>
+
+<p>»Die Salmhoferische wäre mir auch viel zu fürnehm,« bemerkte der
+Bursche, »die will höher fliegen als auf ein Wirtshaus, sagen sie.
+Körbe kann ich auch in Kirchbrunn haben, da brauch ich d'rum nicht gar
+bis Geßnitz zu gehen.«</p>
+
+<p>»Junge!« rief der Alte und hieb ihm die Hand auf den Rücken, »du bist
+nur zu wenig keck! Ein Kerl, wie du bist, verlegt sich nicht auf
+Korbhandel. Aber auch nicht dreinpatschen! Keck und klug!«</p>
+
+<p>Der Wolfram schwieg. Über die Hochebene her strich ein kühler Wind, der
+brachte Regenschauer.</p>
+
+<p>»Ist schon gut,« rief der Professor ins Weite hinaus; »Herrgott, ich
+sehe deinen guten Willen, mir den Abschied von der Sommerfrische so
+leicht als möglich zu machen. Hast du nichts dagegen, Wolfram, so
+machen wir den Wagen zu!«</p>
+
+<p>Das war bald geschehen, aber dann saß der Kutscher auf dem Bock und der
+alte Herr in dem finsteren Lederkotter. An das hatte er nicht gedacht.<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span>
+Nach einer Weile klärte sich der Himmel wieder, und da waren sie auch
+schon in Geßnitz auf dem Bahnhof. Professor Nix sprang rüstig aus dem
+Wagen. »Wolfram, mein Sohn!« sagte er noch, »geweint und gelacht wird
+nicht. Höre auf zum Wachsen, bleibe munter und mach' keine Dummheit. So
+Gott will, im nächsten Sommer komme ich wieder!«</p>
+
+<p>Damit sprang er auf das Trittbrett, denn es läutete das dritte Mal, und
+der Sommerfrischler dampfte ab in die große Stadt.</p>
+
+<p>Wolfram schaute dem Zuge nach und dachte: Der gute Professor Nix!
+Seinen bluteigenen Oheim kann man nicht lieber haben. Die elf Jahre
+kommt er schon nach Kirchbrunn und ist immer der gleiche. Wenn er
+lacht, ein Kind, wenn er schwärmt, ein Jüngling, und wenn er guten Rat
+gibt, ein Greis. Wenn man nur eigentlich wüßte, wie alt! Die Leute
+tragen ihn auf den Händen, das deutet auf ein Kind hin. — Und jetzt,
+Fuchsen, heimwärts nach Kirchbrunn.</p>
+
+<p>Der Bursche war seit fünf Minuten anders geworden. Früher der fast
+befangene, wortkarge, dienstwillige Dorfwirt, der sein Verhältnis
+fühlt dem vornehmen Gaste gegenüber; jetzt der aufgeweckte, keck
+dareinschauende Hausbesitzerssohn von Kirchbrunn, sein eigener Diener
+und Herr, Kutscher und Kavalier zugleich auf dem Wagen. Nachdem er
+im Posthause etliche Briefe abgegeben, ein Kistchen<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> mit Likören in
+Empfang genommen und auf dem Kutschbocke noch ein paar Gläser Bier
+ausgetrunken hatte, ließ er seine Zunge schnalzen, das ersetzte bei den
+klugen Rößlein stets die Peitsche, und ließ heimwärts traben.</p>
+
+<p>Bei einer Straßenbiegung sah er vor sich an der Berglehne einen
+stattlichen Bauernhof liegen; der nahm sich fast schloßartig aus, hatte
+sogar ein Türmchen, auf dem eben Mittag geläutet wurde. Es war, als ob
+die Glocke zur Straße herabriefe: Komm, komm! Komm, komm! — Allein der
+Wirtssohn aus Kirchbrunn fuhr stolz vorüber. — Oh, zu <span class="gesperrt">der</span> hätte
+ich weit! dachte der Wolfram. Wenn ich jetzt zur Haustochter im Salmhof
+hinauf wollte, um zu freien, da müßt' ich erst wissen, ob sie mich gern
+hat. Und ihr Gernhaben möchte mich nur freuen, wenn ich in sie verliebt
+wäre. Und verliebt in sie könnte ich nur sein, wenn ich mit ihr bekannt
+wäre, und das ist wieder nur möglich, wenn man sie einmal gesehen hat.
+— Ich weiß gar nichts von ihr, als daß mein Vater sagt, das wäre
+eine Frau für den »Schwarzen Adler« zu Kirchbrunn. Gott, bis sich so
+ein langer Faden abwickelt! Und am Ende wär' nachher ein Scheusal im
+Knäuel. Hübsche Dirndln haben kein Geld. Reiche sind oft nicht recht
+sauber. — Hia, Füchseln! Heim zu geht's! —</p>
+
+<p>Der Himmel hatte sich fast aufgeheitert, es ward ein sommerlich warmer
+Mittag. Als der Wagen in den Eichenwald kam, leckerte es die Pferde
+nach<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> grünem Kraute, das am Wege wuchs, und sie nahmen im Vorbeigehen
+manche Schnauze mit sich.</p>
+
+<p>»Wenn es euch so sehr nach Preiselbeerkraut und Enzianen gelüstet,«
+sagte der Wolfram, »ich fände zwar nichts Gutes dran, aber es sei euch
+wohl vergunnt. Spannen wir ein bißchen aus.«</p>
+
+<p>Er ließ den Wagen ein wenig von der Straße seitwärts auf ein grünes
+Angerlein ziehen, löste die Pferde los und hieß sie sich frei ergehen
+zwischen den Bäumen. Er selbst schlenderte auch so dahin, und da es gar
+warm und wohlig geworden war und die Pferde eine prächtige Grasbank
+gefunden hatten, so streckte er sich aufs Moos. Ein Stündel Rast kann
+nicht schaden. Heute ist ja doch alles beim Schwambachwirt, und in
+Kirchbrunn nichts los. Da kommt man noch früh genug heim. — Die Arme
+unter dem Haupte, so lag er auf dem Rücken schlank ausgestreckt und
+schaute in die hohen Baumkronen auf. — Warum im Herbst die Vögel nicht
+singen wollen! dachte er, kein einziger! Ist es denn gar so schlimm?
+Ich merke keinen Unterschied zwischen Frühjahr und Herbst ...</p>
+
+<p>Fast ein wenig geschlafen mußte er haben. Regentropfen weckten ihn
+auf. — Ja, Knabe, es ist doch ein Unterschied zwischen Frühjahr und
+Herbst. — Eilig stand er auf, die Pferde waren nicht weit, er führte
+sie über das weiche Moos hin gegen den Wagen. Jetzt erlebte Wolfram
+eine Neuigkeit. In seinem Wagen hatten sich fremde Wesen eingeheimt.<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span>
+Er hörte schon von weitem kichern und lachen. Die zwei Brombeermädchen
+waren vom Sprühregen unter dieses Dach gejagt worden, und der Fürwitz
+der einen hatte alsogleich Besitz ergriffen von dem herrenlosen Wagen,
+der so mutterseelenallein unter den Bäumen stand. Der Schlag zu beiden
+Seiten geschlossen und zugefenstert, so hockten sie nun darinnen auf
+dem Lederpolster und waren just daran, in diesem feinen Gelasse ihr
+mitgebrachtes Mittagsmahl zu verzehren. Brot und Käse hatten sie, das
+schnitten sie auf dem Schoße säuberlich in Stückchen, naschten auch von
+den gesammelten Brombeeren dazu. Die eine mit dem blassen Gesichtchen
+war ernsthaft, die andere mit den blühenden Wangen und dem roten
+Kopftuche darüber war voller Schalkheiten.</p>
+
+<p>»Hui sauer!« kicherte diese; »da wär' mir schon ein Bussel lieber.«</p>
+
+<p>»Das kannst auch haben, Frieda,« sagte die andere und tat, als wollte
+sie einen Kuß hergeben.</p>
+
+<p>»Geh, geh, Haustochter Kundel!« wehrte die Frieda ab, »da müßtest erst
+einen Schnurrbart haben!«</p>
+
+<p>»Ach so!« antwortete die andere. »Wie kommst du mir denn vor, Jungdirn?«</p>
+
+<p>Da trillerte Frieda:</p>
+
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent4">»Busserlgebn, busserlgebn,</div>
+ <div class="verse indent4">Das is nit Sünd,</div>
+ <div class="verse indent4">Hat mir's schon d' Muater glernt</div>
+ <div class="verse indent4">Als a kloans Kind!«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p>
+<p>»Ich kann da nicht mitreden,« gestand die mit dem Hütchen.</p>
+
+<p>»Mich ärgert 's nur,« warf die Frieda ein, »da reden und singen sie
+immer davon, daß einem ordentlich der Mund wässerig wird, und wann's
+Ernst werden will, ist's verboten. Und das ist auch dumm: heimlich
+möcht' man's probieren, und kommt einer, schwupps hat er eine auf der
+Wange!«</p>
+
+<p>»Wer wird denn so leckerig sein!« sagte die Kundel, »das sind lauter
+Dummheiten.«</p>
+
+<p>»Weißt, von wem ich ein Bussel möcht'?« gab das frische Rundgesichtel
+zu raten, denn es schien, als wollte sie einlenken.</p>
+
+<p>»Wahrscheinlich von einem schönen Junggesellen,« antwortete die Kundel.</p>
+
+<p>»Von einem Mannsbild nit!« versicherte die andere. »Von einem Mannsbild
+möcht' 's mir grausen. Weißt du: ein Kindel, wenn ich hätt', von dem
+möcht' ich ein Bussel.«</p>
+
+<p>In demselben Augenblick machte der Wagen einen Ruck und rollte davon.</p>
+
+<p>Einen grellen Schreckruf hatten die beiden Mädchen ausgestoßen und dann
+ein Jammergeschrei erhoben. Das nützte nichts und schadete nichts, die
+Rößlein trabten flink die Straße entlang, der Wolfram auf dem Bocke
+schnalzte tapfer mit der Zunge, und so rollte es dahin wie der Wind,
+die Richtung gegen Kirchbrunn. Der Wolfram hörte das Gekreische und
+Hilfegeschrei in der Kutsche, er schmunzelte<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> bei sich: »Das ist kein
+schlechter Spaß, ich entführe sie zum Freiball nach Schwambach. Zwei
+fremde Brombeerbrockerinnen, denen die Brombeeren nicht süß genug sind.
+Na, wartet!«</p>
+
+<p>Als die gefangenen Dirndeln merkten, daß ihr Geschrei nichts richtete
+und das Hinausspringen zum Wagenschlag gefährlich sei, wurden sie
+mäuschenstill und berieten unter sich.</p>
+
+<p>»Zwei Rösser sind angespannt und auf dem Bock ein Mannsbild!« flüsterte
+die Kundel. »Frieda, was wird mit uns geschehen?«</p>
+
+<p>»Haustochter, wir kommen ins Afrika und werden als Sklaven verkauft,«
+antwortete die in dem roten Tuche mit einer Ernsthaftigkeit, in der man
+den Schalk kaum herausmerkte.</p>
+
+<p>»Ich spring' aus!« rief die Kundel.</p>
+
+<p>»Dann bist hin!« antwortete die Frieda. »Ich glaube, wir bleiben hübsch
+sitzen. Kommen wir durch eine Ortschaft, so schlagen wir Lärm.«</p>
+
+<p>»Um keinen Streich!« versetzte die Kundel. »Die Schande! Eher laß ich
+mich entführen bis zum großen Wasser, dort springe ich hinein.«</p>
+
+<p>Die Frieda hatte mittlerweile zum Fenster hinausgelauert und gefunden,
+daß der Mann auf dem Kutschbocke, soweit man von ihm etwas erblicken
+konnte, nicht allzu schrecklich aussehe. Ja, es wollte sie bedünken,
+als hätte sie diesen Menschen schon irgendwo gesehen, ohne Furcht vor
+ihm zu empfinden. Darüber waren die beiden nun ein bißchen getröstet.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span></p>
+
+<p>Draußen regnete es, die Tropfen schlugen scharf ans Fenster, und
+schwere Nebel hatten sich niedergelegt über die Ebene, daß es schier
+dunkel ward. Und der Wagen rollte unablässig fort und in das Ungewisse
+hinein.</p>
+
+<p>»Ach, mein junges Leben!« seufzte die Kundel. »O dieses unglückliche
+Brombeerbrocken.«</p>
+
+<p>»So kommt es, wenn man am Sonntag die heilige Messe versäumt und im
+Walde umgeht,« sagte die Frieda lustig.</p>
+
+<p>»Zwick' mich am Arm!« bat die Kundel.</p>
+
+<p>»Du kommst mir wunderlich für, Haustochter. Warum soll ich dich jetzt
+am Arm zwicken?« fragte die Frieda.</p>
+
+<p>»Damit ich wach werde. Drei Heuschöber verwett' ich, das ist nur ein
+Traum. Ich habe vor kurzer Zeit eine Rittergeschichte gelesen, wie der
+Raubritter Kuno das schöne Burgfräulein Adelgunde auf einem Rappen
+entführt hat. Das kommt mir jetzt im Schlafe vor. Ich bitte dich, so
+wecke mich doch auf!«</p>
+
+<p>Frieda kicherte. »Wenn es bei mir auch ein Traum sollt' sein, dann
+sei so gut, wecke mich nicht auf,« sagte sie. »In einer so fürnehmen
+Kalesch' bin ich mein Lebtag noch nie gefahren und werd' auch gewiß
+nicht mehr die Gnad' haben. Jetzt laß ich mir's schmecken und denk' an
+nichts. Wenn er uns hinführt, so muß er uns auch zurückführen, jetzt
+kommt mir die Kurasch.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span></p>
+
+<p>»Frieda, du bist schrecklich leichtsinnig!« sagte die andere.</p>
+
+<p>»Du bist nicht leichtsinnig und mußt auch mit.«</p>
+
+<p>»Wenn ich glücklich davonkomme, so stifte ich eine Kapelle im
+Eichenwald,« beteuerte die Kundel.</p>
+
+<p>»Und ich gehe hinein beten!« nahm die Frieda sich vor. »Jetzt wollen
+wir die gnädige Frau spielen und Brombeeren naschen.«</p>
+
+<p>Die Brombeeren wären großenteils auf dem Kutschboden zu suchen gewesen,
+auf welchem sie zerstreut umherlagen.</p>
+
+<p>»Sind die Rösser schwarz?« fragte die Kundel plötzlich.</p>
+
+<p>»Fuchsbraun,« antwortete die Frieda.</p>
+
+<p>»Gott sei Lob und Dank!« warf die Kundel hin.</p>
+
+<p>»Warum?«</p>
+
+<p>»'s kunnt auch der Teufel sein Spiel haben!«</p>
+
+<p>»Ich weiß mich nicht schuldig. Bin eine arme Magd.«</p>
+
+<p>»Schuldig weiß ich mich auch nicht,« sagte die Kundel, »wenn nicht etwa
+die fürwitzigen Träume was machen, manchmal. Dem Ritter Kuno traue ich
+um keinen Preis.«</p>
+
+<p>»Ritter machen mir wieder nichts,« gestand die Frieda, »aber wenn
+gerade so ein sauberer Bauernknecht käm', da wollt' ich für nichts
+gutstehen.«</p>
+
+<p>»Oder ein kernfester Holzknecht aus dem Siebenbachwald!« neckte die
+andere.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p>
+
+<p>»Laß das gut sein, Haustochter, ich mag nichts hören von ihm,« so
+antwortete die Frieda.</p>
+
+<p>Ähnliches sprachen sie halb im Ernst, halb im Scherz, halb in süßer
+Verwirrung. Der Jungmagd Frieda kam es possierlich vor, daß sie heute
+einmal mit der gleichen Elle wie die Haustochter gemessen wurde.
+Plötzlich hielt der Wagen. Ringsum standen, von düsteren nässelnden
+Nebeln halb verschleiert, Scheunen und Häuser, und aus einem solchen
+klang helle und grelle Tanzmusik.</p>
+
+<p>»Du,« flüsterte die Frieda zur Genossin, »jetzt kenn' ich mich aus, wir
+sind in Schwambach.«</p><br>
+
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_12">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h3>2. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Der Wolfram öffnete den Wagenschlag. »Schöne Jungfrauen,« sagte er
+schmunzelnd, »da sind wir. Ich bin der Adlerwirt aus Kirchbrunn, ein
+durch und durch bösartiger Geselle, und lade euch zu einem Tanzel mit
+mir beim Schwambachwirt.«</p>
+
+<p>Die mit dem roten Tuche wollte zeigen, daß sie sich durchaus nicht so
+leicht ins Bockshorn jagen lasse; sie machte daher, rasch aus dem Wagen
+steigend, einen Knix und sagte: »Wird uns eine große Ehr' sein! Aber
+nimm dich in acht, Adlerwirt, wir sind auch bösartig.«</p>
+
+<p>»Nachher stimmt's,« versetzte der Wolfram, Roß und Wagen dem
+Hausknechte überlassend. Er nahm die eine gleich am rechten Arme,
+während die andere<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> sich an seinen linken hielt. Diese schwieg, dachte
+aber bei sich: Ist er nett, so wird's fein, und sonst wird er gefoppt.</p>
+
+<p>Also trat zum Erstaunen der Leute der Schwarze Adler von Kirchbrunn
+mit den beiden hübschen Dirndln ins Haus und alsogleich die Stiege
+hinan auf den Tanzboden. Einen funkelnden Silbergulden warf er auf den
+Spielleuttisch, da schrieen die Pfeifer und Geiger vor Freuden auf, und
+einen »gestrampften« Steirischen machte der Wolfram mit der, welche
+Frieda hieß. Wenigstens ein Dutzend junger Paare reigten zugleich, die
+Burschen mit den Händen klatschend, mit der Zunge schnalzend, lustig
+jauchzend oder kecke Liedlein singend, die Mädchen sich den Tänzern
+sanft anschmiegend, ihre Köpflein hingegeben an die Brust der Burschen
+legend; manche schloß also im Arme des Trauten die Augen, als wolle sie
+die Seligkeit bis an die äußerste Grenze austräumen. — Macht es nicht
+auch die Frieda so? Liegt sie nicht hingegossen an die breite wogende
+Brust Wolframs, von seinen Armen fest umschlossen, von seinem Auge, das
+unverwandt auf ihrem blühenden Gesichtlein ruhte, bewacht, und angeweht
+die heiße Stirn, die glühenden Wangen von seinem warmen Atemhauch!
+Wohl war's nach ihrer scheinbar gelassenen Sicherheit zu vermuten, daß
+sie heute vielleicht nicht ganz das erste Mal einer solchen Kopflehne
+sich erfreute, doch aber der Unterschied! Ach Gott, was nicht für ein
+Unterschied ist zwischen<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> Mannsbild und Mannsbild! — O du herziger
+Schatz! dachte sich der Wolfram, dich habe ich gefangen, wie man das
+Vöglein fängt mit der Falle, und dich laß ich nimmer frei, nimmer! mein
+Lebtag nimmer! — Die Frieda, die dachte gar nichts mehr, sie fühlte,
+als würde sie hingetragen durch die Lüfte, hoch über den Erdboden,
+hoch über den Wolken — wohin? Das wußte sie nicht, war ihr auch ganz
+gleichgültig.</p>
+
+<p>Endlich war der Tanz aus. Der Wolfram ließ seine Genossin lockerer
+und erinnerte sich nun, daß er deren zwei gehabt hatte. Wo war denn
+die andere! — Der Schwambachwirt hatte schon Lichter aufgesteckt im
+Saale, aber die andere war nicht zu sehen. Sie wird schon auch gut
+aufgehoben sein, flüsterte eins dem anderen zu, und die beiden machten
+sich nicht viel daraus. Mittlerweile tranken sie auch Wein, die Frieda
+mit, der Wolfram ohne Zucker. Die Leute ringsum wurden immer lauter,
+lustiger und toller, und Weindunst und Menschendunst betäubten die
+Herzen und regten sie auf. Dort und da im dämmernden Winkel kauerte
+ein Einschichtiger und schleuderte scheelsüchtige Blicke auf die
+glücklichen Pärchen, wovon viele ganz in sich selber versunken und
+weder Auge noch Ohr hatten für die Umgebung. So auch der Adlerwirtssohn
+von Kirchbrunn und seine Entführte. War nur erst der Abend vorgerückt,
+dann wollte er mit ihr ein unbelauschtes Plauderstündchen halten und
+sie nach<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> ihrem Herkommen fragen. Übrigens war es recht reizend, daß er
+nicht wußte, wer sie war, und falls er hätte voraussetzen können, daß
+auch er ihr unbekannt gewesen, tat es ihm fast leid, sich vorgestellt
+zu haben. Sich so weltfremd sein und sich so innig umschlungen halten,
+das ist ja doch ein Hauptspaß, wie es nicht leicht einen zweiten gibt.</p>
+
+<p>Als es draußen rabenschwarze Nacht geworden war, trat durch das
+Gedränge ein Holzknecht aus der Kirchbrunner Gegend auf den Wolfram zu
+und sagte: »Der Adlerwirt soll hinaus kommen in den Hof, dort möcht'
+wer sprechen mit ihm.«</p>
+
+<p>Aha, fiel es dem Burschen bei, die andere! Jetzt will die andere dran.
+Hätte sie sich nicht einen anderen aussuchen können? Nun aber, da er
+sie schon mit hergeführt hat, muß er auch an ihr Ritterdienste üben.</p>
+
+<p>Es war aber nicht <span class="gesperrt">die</span> andere, sondern <span class="gesperrt">ein</span> anderer, der im
+Hofe seiner wartete. Am Brunnentroge lehnte er, und vom Küchenfenster
+hinaus fiel das breite Licht auf seine Gestalt. Ein baumstarker Kerl
+stand da, in der Tracht der Gebirgsholzhauer, mit wildwucherndem Bart
+und tief ins Gesicht gedrücktem Hute.</p>
+
+<p>»Grüß dich Gott, Adlerwirt! Geh nur her! Komm nur herüber da!« Also
+lockte der ruppige Geselle mit einem zarten Fistelstimmlein den Wolfram
+hinter den Brunnentrog.</p>
+
+<p>»Wer ist's denn?« fragte der Wolfram.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span></p>
+
+<p>»Komm nur her zu mir!« sagte der andere.</p>
+
+<p>Der junge Adlerwirt erkannte in dem Manne jetzt einen Holzarbeiter aus
+dem Siebenbachwalde, welcher von den Leuten der Schopper-Schub genannt
+ward. Der Mann war mehrmals schon im Adlerwirtshause zu Kirchbrunn
+eingekehrt, hatte sich dort aber stets in die hinterste Ecke gesetzt,
+ein paar Gläschen Branntwein getrunken und dabei stier vor sich auf
+den Tisch geblickt. Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren, aber
+stets im Äußern so zerfahren und ungepflegt, daß es sogar den Weibern
+zweifelhaft schien, ob das ein hübscher oder ein häßlicher Mann sei.
+Er war nicht in der Gegend daheim, und man wußte nicht viel von ihm,
+als daß er ein tüchtiger Arbeiter, sonst aber ein ungeselliger und
+sonderbarer Mensch wäre. Irgend jemand wollte von seiner Vergangenheit
+etwas gehört haben und deutete an, daß in derselben so etwas wie
+Brandgeruch zu verspüren wäre.</p>
+
+<p>»Du bist ja der Holzknecht Schopper,« sagte nun der Wolfram.</p>
+
+<p>»Ah, kennst mich schon?«</p>
+
+<p>»Was willst denn von mir?«</p>
+
+<p>»Auf ein ganz kleines Wörtel, Adlerwirt. Da stell dich her, daß ich
+auch was seh' von dir. So.« Hernach hob er seine Stimme in eine noch
+weichere Tonlage und sagte: »Adlerwirt, was geht denn dich die Frieda
+an?«</p>
+
+<p>»Welche Frieda?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span></p>
+
+<p>»Tu' nicht so, mein Lieber, liegt dir doch nur eine im Kopf. Wo hast
+sie denn her, deine Tänzerin?«</p>
+
+<p>»So?! Meine Tänzerin? Wen kümmert denn die?«</p>
+
+<p>»Die wird schier <span class="gesperrt">mich</span> kümmern, Adlerwirt.« Dann wurde er um
+einen halben Kopf höher und setzte in einer keuchenden, wie vor Wut
+erstickten Stimme bei: »Wenn du mir sie nochmal anrührst, nachher —«</p>
+
+<p>»Nachher —? — Nun!« also jetzt der Adlerwirt und stellte sich stramm
+vor den Waldgesellen hin.</p>
+
+<p>»— nachher siehst du keine Sonne mehr aufgehen!«</p>
+
+<p>Der Wolfram trat einen Schritt zurück, so daß er über den Unterbalken
+des Troges stolperte. In demselben Augenblicke war der finstere Bursche
+schon über ihm, in der Hand das blinkende Messer.</p>
+
+<p>»Stechen?!« schrie der andere, im Hause gellte die Musik, polterten die
+Tanzenden.</p>
+
+<p>»Stechen —« sagte es der Waldmensch langsam nach und ließ den Arm
+sinken. »Nein, jetzt noch nicht. Du hast es vielleicht nicht wissen
+können, daß sie mein ist. Das Unband sagt's ja keinem! Aber aufgesetzt
+ist sie mir! Das Grausen, das sie haben, diese Gäns', vor einem
+Manne, der kein Nest hat und bei dem 's Weib selber sein Brot muß
+verdienen. Na freilich, besser ist's schon, wenn das Mandel alles
+zusammenschleppt, was Weib und Kind not haben — ich glaub's. Ein armer
+Holzarbeiter<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> kann so was nicht leisten und desweg ist er der Niemand
+bei den Weibsbildern. Aber wenn eine ins Wasserfloß stürzt und unters
+Mühlrad kommt, da ist er gut genug, der Waldbär, daß er sich gegen das
+Rad stemmt, ehe die Kröt' — Kreatur, will ich sagen — totgedrückt ist
+— ja freilich, da ist er gut —«</p>
+
+<p>Der Wolfram war wieder frei geworden und so fragte er nun: »Red'
+deutlich, wie stehst denn mit ihr?«</p>
+
+<p>»Hast es nicht gehört, im vorigen Winter? Am Faschingdienstag! Der
+Salmhofer läßt seine Leute zum Freiball gehen nach Geßnitz. Die Frieda
+auch mit. Ich vor sie hin, werb' um einen Tanz. Dank schön! sagt sie
+und geht einem anderen nach. Sich halb zu Tod tanzen und beim Heimgehen
+in der Nacht auf dem Steg schwindelig werden — und plumps in den
+Mühlbach. Schwimmen kann sie wie ein toter Spatz, und schnurgerade
+der Mühle zu, wo das Rad geht. Jesus, wenn ich ihr in derselbigen
+Nacht nicht wäre nachgeschlichen! Gleich spring' ich in die Radlaufe,
+stemm' mich an. Das Zeug steht still, und wie mein stolzes Schätzel
+dahergeschwommen kommt, zieh' ich's heraus und sag': Guten Morgen! —
+Nach einer langen Weile, wie sie wahrnimmt, wo und bei wem sie ist,
+und wie sie fertig vom Wasserspucken, sagt sie: Dank schön! und läuft
+davon. Just wie auf dem Tanzboden. Dank schön! sagt sie und läuft
+davon.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span></p>
+
+<p>»Das ist wohl brav von dir gewesen,« versetzte jetzt der Adlerwirt.</p>
+
+<p>»Still sei!« knurrte der Holzhauer, »gelobt bin ich schon mehr als
+genug worden, das hilft mir nichts. Die Dirn will ich haben.«</p>
+
+<p>»Hätte ich das gewußt,« also der Wolfram, »daß du ein Recht auf sie
+hast, so wollt' ich mich nicht an sie gemacht haben. Aber das möchte
+ich wissen: hat sie dich auch gern?«</p>
+
+<p>Jetzt zuckte der andere zusammen, tief ließ er sein Haupt sinken,
+preßte das Gesicht in den Ellbogen seines Armes und hub an zu grölen.</p>
+
+<p>»Zur Liebe kann man niemand zwingen,« sagte der Wolfram.</p>
+
+<p>»Verfault! Ihre Knochen von den Würmern abgenagt, wenn ich nicht bin!«
+gurgelte der Waldmensch schluchzend. »Und ihr Leben, mit dem sie jetzt
+da drinnen wie eine Mairose steht, das hat sie von mir, das gehört mir!
+Und wenn ich zum hohen Gericht gehe, so muß es mir zugesprochen werden.«</p>
+
+<p>»O du guter, armer Mensch,« sagte nun der Wolfram. »Leben und Liebe,
+das wird wohl ein großer Unterschied sein. Dir ist gewiß noch die Zeit
+im Kopfe, wo die Leute leibeigen gewesen sind. Wen du dazumal gekauft
+oder gewonnen hast oder auf der Straße gefunden oder im Mühlbach,
+der ist dein gewesen mit Seel' und Leib. Das ist anders geworden.
+Eine Dienstmagd hat freilich auch ihren Herrn; wenn ihr wer das Leben
+rettet, so soll sie<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> dankbar sein, aber ihr Herz kann sie verschenken,
+an wen sie will.«</p>
+
+<p>»Nachher ist's aus,« sagte der Schopper-Schub.</p>
+
+<p>»Hast sie denn gar so gern, Holzknecht?«</p>
+
+<p>»Sündhaft gern. Und schon lang her. Und gerade die! Und just die! Als
+ob ich besessen wär'! Zu Wallischdorf draußen habe ich einen Vetter,
+der hat mir vor einem Jahre sein Bauerngut wollen in Pacht geben, es
+wär' mir besser gangen, als wie da oben im Siebenbachwald. — Ich habe
+nicht fort können — ihretwegen nicht. Alle Sonntage gehe ich hinaus in
+die Geßnitzer Kirche und stehe hinter dem Turmpfeiler und schau' hin
+auf den Platz unter der Kanzel, wo sie sitzt. Und geh' dann wieder in
+den Wald zurück. — Wenn ich wüßt', wer mir diese Lieb' hat angetan!«
+Er knirschte mit den Zähnen, als wollte er einen Missetäter zermalmen.</p>
+
+<p>Eine Magd, die mit dem Wasserzuber zum Brunnen kam, unterbrach dieses
+Gespräch. Der Schopper-Schub packte den jungen Adlerwirt am Arm und
+raunte ihm zu: »Hüte dich!« dann schritt er rasch über den dunklen Hof
+dahin.</p>
+
+<p>Als der Wolfram in einer recht wunderlichen Stimmung zurück ins Haus
+kam, hörte er von mehreren Seiten zugleich, daß die Salmhofertochter
+von Geßnitz da sei! — Die Salmhofertochter! da horchte der junge
+Adlerwirt einmal auf. Und die Erregung im Wirtshaus war keine geringe.
+Das ist schon eine besondere Auszeichnung des Freiballes<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> beim
+Schwambachwirt, daß ihn die Salmhofertochter besucht. Die Fürnehmste
+in der ganzen Gegend, die von den Burschen heimlich Begehrte und
+doch nur wenig Umworbene, weil sie stolz und unnahbar. Ist sie mit
+ihrem Vater da? oder mit einer Gesellschaft von Geßnitzer Bürgern und
+Bürgerinnen? oder gar mit einem Bräutigam, der sie heute das erste
+Mal als Braut aufzeigt! Das alles nicht! Ganz allein soll sie sitzen
+d'rin im Extrazimmer, nur die Schwambachwirtin bei ihr, welche ihr
+Gesellschaft leisten zu müssen glaubt, trotzdem sie draußen in der
+Küche alle Hände voll Arbeit hätte. Will denn niemand ins Stübel, die
+Salmhofertochter zu unterhalten? — Dachte der Wolfram: Kennen lernen
+möchte ich sie doch, dieselbige, von der es immer heißt, sie wäre die
+richtige Adlerwirtin. Was kann mir geschehen, wenn ich sie zu einem
+Tanz auffordere? Weist sie mich ab, so drehe ich mich vor ihrer Nase
+mit einer anderen um und um.</p>
+
+<p>Wie nun aber der Wolfram ins Extrazimmer trat, sah er am weißgedeckten,
+mit feinem Backwerk besetzten Tische neben der dicken Wirtin das
+schwarzbraune Mädel sitzen, welches er mit der anderen, der Frieda, in
+seinem Wagen kecklich dem Walde entführt und nach Schwambach gebracht
+hatte. Und das — das wäre die Salmhofertochter, die stolze Kundel?</p>
+
+<p>Er brauchte sich nicht erst nach einer Ansprache zu besinnen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span></p>
+
+<p>»Da ist er ja, der tapfere Ritter,« so redete sie ihn schier ernsthaft
+und gelassen an. »Schön ist es nicht vom Adlerwirt, daß er sich um die
+zweite Entführte gar nicht mehr umsehen will, bevor er die erste zu
+Tode getanzt.«</p>
+
+<p>Der Wolfram stammelte eine Entschuldigung. Die Kundel sah recht gut
+ein, daß es das beste sei, das Abenteuer, welches ihr nun gar nicht
+geheuer schien, ins Scherzhafte zu ziehen. Sie rückte daher ein wenig
+auf der Bank und sagte: »Setzen Sie sich nur willig her zu mir, es
+wird Ihnen nichts mehr anderes übrig bleiben. Sie zahlen mir jetzt ein
+feines Nachtmahl, tanzen einen mit mir und führen mich dann wieder nach
+Hause.«</p>
+
+<p>Das war alles so ernsthaft und kühl gesprochen, als ob sie zu einem
+Diener redete. Er setzte sich hin neben sie und tat, wie sie befohlen
+hatte. Alsogleich ward es im ganzen Hause kund: der schwarze Adler von
+Kirchbrunn und die Salmhofertochter von Geßnitz sitzen beieinander,
+essen und trinken miteinander wie ein Brautpaar. Und als die beiden
+gar Arm in Arm auf den Tanzboden traten, da wichen die Leute nur so in
+Staunen und Ehrfurcht zurück, daß das schöne junge Paar fast allein
+den Reigen tanzte im Saale. In der Ecke hinter dem Stiegenverschlag
+stand die Frieda, ein großer Schreck hatte ihr Antlitz blaß gemacht.
+— Er ist verspielt! so konnte sie noch denken, meine Haustochter hat
+ihn, da ist er verspielt für die arme Magd. Ist das ein<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> Tag, dieser
+heutige Sonntag! — Wie das Paar in der Nähe vorüberreigte, trafen sich
+die Blicke des Wolfram und der Frieda. In diesem Augenblick war ihm,
+er tanze mit einem Stück Holz. Fast plötzlich, bevor der Tanz aus war,
+ließ er die Kundel los und machte vor ihr eine höfliche Verbeugung.</p>
+
+<p>Es half ihm aber nichts, er hatte für den Abend ihr Ritter zu sein und
+war recht froh, als die Kundel den Wunsch aussprach, nach Hause zu
+fahren. Endlich saßen die beiden Mädchen wieder im geschlossenen Wagen
+und der Wolfram auf dem Kutschbock.</p>
+
+<p>Als sie aus dem Hoftor des Schwambacher Wirtshauses fuhren, noch zum
+Abschiede mit hellem Musikklang begrüßt, sah der Wolfram, wie hinter
+dem Pfosten sich der Waldmensch duckte — dann ging es fort, hinaus in
+Nacht und Nebel.</p>
+
+<p>Die beiden Mädchen im Wagen führten nicht die angelegentliche
+Unterhaltung miteinander, wie auf der Herfahrt. Die Kundel war mürrisch
+und breitete sich so sehr aus, daß die andere völlig in die Ecke
+gedrückt wurde. Wohl auch die Frieda war nicht aufgelegt zum Sprechen,
+sie hatte zu denken genug und zu tun genug, ihre Gedanken nicht zu
+verraten. Wie erschrocken war sie daher, als die Haustochter mit einem
+Male den Mund auftat: »Eine wahre Schand' ist's, wie du dich heute
+aufgeführt hast!«</p>
+
+<p>Es hatte schon den Anschein, als wollte die Magd nichts entgegnen,
+endlich sagte sie aber doch: »Kann ich etwas dafür, daß er zuerst mit
+mir gegangen ist?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p>
+
+<p>»Du hast dich ihm ja angeklettet! Männersüchtige Rassel, du!«</p>
+
+<p>Nun sagte die Frieda nichts mehr.</p>
+
+<p>»Ich werd' mir's merken,« setzte die Kundel noch bei, und damit war das
+Gespräch zu Ende.</p>
+
+<p>Der Kutscher Wolfram sah träumerisch auf die Bäume, Büsche und
+Wegplanken hin, die im Scheine der Wagenlaternen gespenstisch
+auftauchten und verschwanden. Die Laternenlichter warfen im dichten
+Nebel eine Art Heiligenschein um die Kutsche. — Ein sauberer
+Heiligenschein, das! dachte der Wolfram; wenn ich heute nicht sündige,
+so geschieht's einzig nur, weil die Gelegenheit dazu fehlt. Jetzt kann
+ich in der ödweiligen Nacht den langen Weg dahinradeln und nachher
+wieder zurück. Ein hübsches Vergnügen. Bis ich nach Kirchbrunn komme,
+stehen schon die Leute auf. Das hat man von seinem Übermut. Sonst
+nichts. — Hia! den Braunen wird's auch schon zu dumm.</p>
+
+<p>Endlich waren sie auf dem Marktplatz zu Geßnitz. Der Wolfram wollte
+halten, aber die Kundel rief zum Wagenschlag heraus: »Vorwärts! Zum
+Salmhof hinauf!«</p>
+
+<p>Und nach einer weiteren Weile hielten sie vor dem großen Hofe, der
+mit seinen weitläufigen Gebäuden wie leblos dalag. Nur ein gewaltiger
+Hund reckte sich mitten im Hofe und der knurrte ein wenig, schien ihm
+aber nicht der Mühe wert, sich weiter um das herangerollte Gefährte zu
+bekümmern.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span></p>
+
+<p>Die Kundel wartete im Wagen, bis der junge Adlerwirt abgestiegen war
+und ihr den Arm zum Aussteigen bot.</p>
+
+<p>»Und was wird jetzt mein Vater sagen?« fragte das Mädchen. »Wenn ich
+ihm nicht gleich nach der Ankunft in Schwambach einen Boten geschickt
+hätte, daß er weiß, wo ich bin — Sie hätten seiner Angst nicht
+geachtet.«</p>
+
+<p>Jauchzen wollte der junge Mann über dieses Wort, es war ein Herzenswort
+gewesen, das erste, welches er von ihr gehört. Ein gutes Kind kann wohl
+auch ein gutes Weib sein ... Ei ja, mein Vater kann doch recht haben!
+Wer die einmal heimführt!</p>
+
+<p>»Anläuten, geh'!« hastete die Kundel der Jungmagd zu, die schier
+kopflos dagestanden; und während diese nun an die Haustür eilte und den
+Glockenstrang zog, flüsterte die Salmhofertochter zum Wolfram: »Seien
+Sie schön bedankt, kühner Ritter! Aber wie böse ich auf Sie bin, das
+sollen Sie noch erfahren. Warten Sie nur! Schnell hinweg! Gute Nacht!«</p>
+
+<p>Diesen raschen Abschied erklärte der Adlerwirt sich so, als sollten die
+Hausbewohner das nächtliche Gefährte nicht wahrnehmen; das war aber ein
+wenig anders, die Haustochter wollte es verhindern, daß er der Jungmagd
+gute Nacht sagen konnte. Und den Wolfram wurmte es richtig den ganzen
+Weg heimwärts, daß er ohne einen Händedruck, ohne ein einziges gutes
+Wort von Frieda hatte scheiden müssen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_10">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span></p>
+
+<h3> 3. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Jetzt würde männiglich raten, daß am anderen Tage der alte Adlerwirt
+zu Kirchbrunn seinem Sohne ein arges Wetter gemacht hätte. Anstatt am
+Sonntagnachmittage, war der Wolfram mit den Rössern am Montag früh nach
+Hause gekommen!</p>
+
+<p>Männiglich hätte aber schlecht geraten. Als am Montag nach zwölf Uhr
+mittags der Wolfram erwacht war und die Küchenmagd ihm den Kaffee
+ans Bett brachte, kam auch der alte Adlerwirt herein, er brachte
+das Semmelkörbchen, schaute schmunzelnd auf den Burschen hin, der
+kerzengerade ausgestreckt da lag und gähnend sich noch ein Weiteres
+streckte.</p>
+
+<p>»Geschlafen hast nicht schlecht,« sagte der Wirt.</p>
+
+<p>Jetzt kommt's, dachte der Wolfram, und er hat ganz recht, ich verdiene
+schon eine Portion.</p>
+
+<p>Aber es kam nicht.</p>
+
+<p>»Trink' ihn, so lange er noch heiß ist,« riet der Alte, auf die
+Kaffeetasse deutend, »was Warmes tut immer gut nach einer solchen
+Nacht.«</p>
+
+<p>Der Wolfram richtete sich, auf den Ellbogen gestützt, halb empor; der
+Hemdkragen war abzubinden vergessen worden, er lag noch um den Hals;
+durch die Spalte des weißen Hemdes sah man einen Teil der nackten
+Brust; das Gesicht des jungen Mannes war ein wenig blässer als sonst,
+also daß der junge Bart um so dunkler schattete. Die wirren, feuchten<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span>
+Haare hingen in braunen Tatzen und Ringen über die Stirn herab. Der
+Wirt schaute nicht ohne Wohlgefallen auf seinen Sohn. So ein hübscher
+Junge ist auch ein Kapital. Nur muß man ihn versilbern oder vergolden
+lassen. Sind ja auch in der Kirche die größten Heiligen vergoldet.</p>
+
+<p>»Trau' einer noch einmal so einem Duckmäuser!« sprach nun der alte
+Wirt mit schwerem Wiegen des Hauptes und im Tone des Vorwurfes. »Wo
+unsereiner erst hindenkt, ist der schon gewesen. — Aber,« fuhr er
+fort, »lachen habe ich auch müssen gestern abends. Wie der Weidknecht
+heimkommt, sag' ich: Wo denn heute der Wolfram stecken mag mit den
+Pferden! Daß ihm am Ende kein Malheur passiert ist! — Oh, gibt
+der Weidknecht Antwort, dem jungen Herrn fehlt nichts, der sitzt
+draußen beim Schwambachwirt im Extrastübel und tut mit der jungen
+Salmhofertochter aus Geßnitz Nachtmahl essen. Wär nicht schlecht! sage
+ich. Ja freilich nicht, meint der Knecht und erzählt mir die ganze
+Geschichte, wie du sie mit dem Wagen zum Tanz geholt hättest. Teufel!
+denk' ich, der geht's scharf an! Der kennt sich aus. Je schwerer man
+an eine herankann, desto kecker muß man sie anpacken. — Jetzt hast
+gewonnen, Wolf, und ich kann dir's nicht sagen, wie mich das freut.
+Wirst sehen, jetzt stehst auf einmal ganz anders da. Neider wirst genug
+haben, ich glaub's! Und nun, Wolf, kann ich dir's wohl sagen: wir
+brauchen eine reiche Heirat so notwendig wie<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> der Fisch den Schluck
+Wasser. Seit die neue Eisenbahn drüben geht, steht's nicht gut mit
+uns Wirtsleuten auf der Kirchbrunnerstraße. Zu harter Not, daß es mir
+bisher gelungen ist, unser Ansehen aufrecht zu halten, lange wär' das
+nicht mehr möglich gewesen. Wir stecken tief in der Schlamaß, mein
+Bub', wir stecken tief!«</p>
+
+<p>Der Wolfram war von dieser Mitteilung nicht gerade erbaut, er sagte
+aber nichts darauf, sondern war von diesem bitteren Augenblicke an
+entschlossen, das Abenteuer mit der Salmhoferischen ernsthafter
+aufzufassen, als er es bisher getan.</p>
+
+<p>»Schau nur dazu, Wolf, daß Ihr bald Hochzeit macht!« mahnte der Alte
+noch. »Ist gut, daß dem Professor sein Zimmer leer geworden, das lassen
+wir jetzt gleich herrichten. Wird Euch eh am liebsten sein, ist hübsch
+groß und ruhig.«</p>
+
+<p>»Ja ja!« sagte der Wolfram ziemlich barsch, um dieses Gespräch
+abzubrechen, welches ihm durchaus nicht heimlich war. Er sah sein
+Verhältnis zur Salmhofertochter lange nicht so rosig als sein Vater,
+und wenn etwas Rosiges für ihn dabei war, so konnte es nur das blühende
+Gesichtlein der — anderen sein.</p>
+
+<p>Auf gar keinen Fall war es zu leugnen, daß Wolframs Sinn nach dem
+Salmhofe in Geßnitz stand. Und es ereignete sich auch, daß er nun
+häufig nach Geßnitz fuhr, immer in Geschäften, wie es hieß. Einige
+Wochen vergingen so, da hatte der<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> alte Adlerwirt die feinste
+Brautwerberfahrt veranstaltet.</p>
+
+<p>Rollte eines Tages das sorgfältig aufgewichste Gefährte die Straße
+entlang gegen Geßnitz. Auf dem Bock saß heute der Pferdeknecht, aber
+hübsch mit flatterndem Hutbande. Im Wagen saßen der alte Adlerwirt
+und sein Schwager, der Herr Amtskontrollor aus der Kreisstadt. Beide
+im schwarzen Anzuge, mit Seidenhut und bunten Halsmaschen. Dem
+Adlerwirt war besonders in den weißen, stramm um die fleischigen Finger
+gespannten Handschuhen höchst unbehaglich, er war nicht imstande, den
+einfachsten Handgriff zu tun, selbst den Überrock mußte — als es gegen
+Geßnitz hin schwüler wurde — der Herr Schwager ihm aufknöpfen, und als
+sie zur Wegmauth kamen, fanden die eingepferchten Finger in den Taschen
+kein Geldschnäppchen, so daß wieder der Schwager aushelfen mußte.
+Trotzdem war der Adlerwirt guten Mutes und hieb dem Genossen ein-
+ums anderemal die breite Hand auf den Oberschenkel: »Na, was meinst,
+Schwager, wirst stecken bleiben bei der Anrede?«</p>
+
+<p>»Du wirst dir noch die Hundeledernen zersprengen!« mahnte der Schwager
+fürsorglich.</p>
+
+<p>Der Amtskontrollor war ein dürres Herrchen, dem auch die Kampflust,
+das heißt die Brautwerbelust aus den Augen blitzte. Der Adlerwirt
+hatte ihn eigens für diesen Zweck aus der Kreisstadt verschrieben.
+Es fährt sich doch ganz anders auf mit<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> einer Autorität aus der
+Stadt, die Schick kennt und Vornehmheit hat. Das Amt, in welchem der
+Herr Schwager saß, oder vielmehr auf und ab sprang, bestand in einer
+Fahrkartenkontrollorstelle auf der Pferdeeisenbahn.</p>
+
+<p>Nun also, im Bewußtsein voller Ehrenhaftigkeit fuhren sie den Hügel
+hinan gegen den Salmhof. Da fielen ihnen die zahlreichen armen
+Kinder auf, die — obzwar schon zur Allerheiligenzeit — barfuß und
+in schlechten Gewändlein den Weg hin und her liefen. Durch das weit
+offenstehende Tor rollte der Wagen so rasch in den Hof, daß es mit
+einem der Kleinen schier ein Unglück gegeben hätte. Alsogleich stand
+auch der dienstbare Bursche da, der die beiden Pferde in Obhut nahm,
+während die beiden Herren sich an einen Mann wandten, um so gleichsam
+wie im Vorübergehen ein wenig die Wirtschaft begucken zu können. Der
+Angesprochene führte sie bereitwilligst durch verschiedene Gebäude, und
+überall war es erstaunlich. Dieser Wohlstand, dieser Überfluß in allem.
+Die Haustiere in schönsten Rassen, die Vorräte an Feldfrüchten, an Heu,
+an Werkzeug, an Wagen und Schlitten, an Häuten, Pelzwerk und Wolle, an
+Edelholz, kurz an allerlei, woran die meisten Leute gar nicht denken,
+geschweige es besitzen.</p>
+
+<p>Nach einem solchen Rundgang im Hofe kamen sie zum Eingange in das
+stattliche Wohnhaus; das Untergeschoß desselben war gemauert und
+weiß<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> übertüncht, der obere Stock aus Holz gezimmert. Es hatte viele
+Fenster, die größer waren als solche bei anderen Bauernhöfen und mit
+zierlichen Holztäfelungen ausgeschlagen. Auch an den Dachvorsprüngen
+waren Holzschnitzereien, das Dach selbst war aus Schindeln, und über
+demselben ragten mehrere weiß übertünchte Schornsteine empor. Neben der
+Haustür an der Wand hing eine schwarze Tafel, auf welcher Kundmachungen
+klebten, denn der Salmhofer war Vorstand der Landgemeinde Geßnitz, die
+sich einen eigenen »Bürgermeister« wählte, seitdem der Ort Geßnitz
+selbst eine Marktgemeinde geworden war. Als die beiden Gemeinden sich
+trennten, wollte jede den Salmhof für sich haben, der lag so gut
+bürgerlich als bäuerlich, allein der Salmhofer mochte gedacht haben:
+lieber der erste Bauer, denn der letzte Bürger, und hatte sich zur
+Landgemeinde geschlagen, was ihm seine Nachbarn gar nicht hoch genug
+anrechnen konnten.</p>
+
+<p>An der offenen Haustüre war in der unteren Weite ein zierliches
+Holztörchen, wie solche an vielen Bauernhöfen üblich sind und dazu
+dienen, daß vom Hofe das Kleinvieh nicht ins Haus laufen kann. An
+diesem Türchen grunzten heute aber weder Schweine, noch meckerten
+Lämmer oder Ziegen, es war umdrängt von armen Kindern, dreijährigen bis
+etwa zwölfjährigen, die ihre Händchen aufhoben und mit hellen Stimmen
+schrieen: »Bitt' gar schön um ein Allerheiligenbrot!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span></p>
+
+<p>Und hinter dem Törchen stand ein feines, etwas blasses, ernsthaftes
+Mädchen in dunkelblauem, fast städtisch geschnittenem Anzug, am Halse
+ein weißes Kräglein, wie es Männer tragen. Dieses Mädchen nahm aus
+einem großen Korbe, der neben ihm stand, geschnittene Brotstücke und
+verteilte sie an die Kinder. Die vorne standen, denen gab sie es in
+die Hand, den hinteren, vergeblich nach vorne drängenden warf sie
+die Stücke über den Köpfen zu und kümmerte sich nicht weiter um das
+Gebalge, welches darüber entstand.</p>
+
+<p>»Da ist sie!« flüsterte der alte Adlerwirt dem Herrn Amtskontrollor zu,
+und sie zogen ehrerbietig vor ihr die hohen Hüte. Das Mädchen dankte
+dem Gruße mit einem fast unmerklichen Neigen des Hauptes, scheuchte mit
+einer lebhaften Handbewegung die Kinder auseinander, und unsere beiden
+Männer traten in das Haus.</p>
+
+<p>Nach den »Herren Eltern« erkundigten sie sich bei der Kundel. »Bitte
+nur die Treppe hinauf, Mutter wird in der Küche sein!« Also in
+höflichem, aber entschiedenem Tone der Bescheid. Der Adlerwirt nickte
+dem Genossen vielsagend zu. Der Kundel war ihr erheuchelter Gleichmut
+ganz ausgezeichnet gelungen, nun aber huschte sie rasch unter die
+Stiege hin und spähte nach. Es schwante ihr etwas, als gehe dieser
+Besuch sie an. Für das Austeilen des Allerheiligenbrotes war nun alle
+Neigung dahin, sie stellte den Kindern den Korb mit dem<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> Reste der
+Brote vor die Tür und schlich die Treppe hinan.</p>
+
+<p>In der Küche waren zwei Weiber, welche mit langen Messern die
+Kohlkopfstengel zerschnitten und die Scheibchen in einen Kessel warfen.
+Beide waren wie Mägde angezogen, nur daß die ältere, eine magere und
+fast kümmerlich aussehende Person, ein weißes breites Schürzenband
+hatte, an welchem ein Schlüsselbund hing.</p>
+
+<p>»Können wir mit der Frau Salmhoferin reden?« sprach diese der alte
+Adlerwirt auf gut Glück an.</p>
+
+<p>»Was wird's denn sein?« fragte das Weib in fast schüchterner Weise
+entgegen und wischte ihre Hände an der Schürze ab.</p>
+
+<p>»Wir sind von Kirchbrunn,« sagte nun der Herr Kontrollor, »und kommen
+in einer wichtigen Angelegenheit, wie sich's schon manchmal so fügt auf
+dieser Welt.«</p>
+
+<p>»Dann müssen Sie schon zu meinem Manne gehen. Ich weiß nichts,« so
+antwortete die Salmhoferin, wies sie über den Gang bis zur letzten Türe
+links und ging wieder an die Bereitung des Schweinefutters.</p>
+
+<p>Bei der letzten Türe links klopften die Männer höflich an. Drinnen
+hustete jemand. Nach einem Weilchen klopften sie zum zweiten Male, und
+drinnen hustete es zum zweiten Male. Nach dem dritten Klopfen schnarrte
+es im Zimmer: »Zum Satan, ja hab' ich gesagt!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span></p>
+
+<p>Es war barsch, doch der Adlerwirt hielt das Ja im Vorhinein für ein
+gutes Zeichen. Sie traten ein.</p>
+
+<p>Es war eine schmale, längliche Stube mit zwei Fenstern und einem großen
+Kachelofen. Zwischen den Fenstern stand eine lange Lehnbank und daneben
+ein braunangestrichener Tisch. Auf der Lehnbank lag ein alter Mann, der
+nur mit Socken, einem schwarzen Beinkleide und einem grauen, locker um
+Brust und Arme flatternden Wollenhemde bekleidet war. Der Mann hatte
+auf dem Haupte fast kein Haar, hingegen einen üppigen, schneeweißen
+Bart. Das Gesicht war gerötet und hatte eine lange, wulstige Nase.
+Auf dem Schoß hatte der Mann ein weißes Kätzchen, das er fortwährend
+streichelte und mit Brotkrümchen fütterte. Auf dem Tische lag ein
+blaues, zusammengeknülltes Sacktuch, ein paar Brillen und ein Pack mit
+Schriften. Daneben stand ein grünglasierter Krug, aus welchem er häufig
+einen Schluck nahm.</p>
+
+<p>Dieser Mann war der Salmhofer. Der alte Adlerwirt verleugnete seine
+Befangenheit und grüßte ihn wie einen Bekannten, denn der Salmhofer war
+ja oftmals eingekehrt bei ihm in Kirchbrunn.</p>
+
+<p>»Au!« sagte der Alte und richtete sich ein klein wenig auf. »Das ist
+seltsam. Was seid Ihr denn so närrisch aufgestiefelt?«</p>
+
+<p>Da stellte sich der Herr Kontrollor vor und begann so zu reden:
+»Hochachtbarer Herr! Die Schicksale der Menschen sind mannigfach und
+unerforschlich.<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> Sie hätten wohl auch nie gedacht, daß wir einmal an
+Ihres Hauses Schwelle stehen würden, und zwar in einer Angelegenheit,
+die — in einer Angelegenheit, welche —« Da stak er.</p>
+
+<p>»Was wollt's denn?« fuhr der Salmhofer mit seiner breiten, röchelnden
+Stimme drein.</p>
+
+<p>»Daß wir an Ihres Hauses Schwelle stehen werden, und zwar in einer
+Angelegenheit, die —« Trotz des neuen Anrandes konnte er noch nicht
+weiter. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.</p>
+
+<p>»Still sei, Mistvieh!« sagte der Salmhofer zum Kätzchen, welches
+miaute, und gab ihm mit dem Finger einen zärtlichen Klapps.</p>
+
+<p>»Bitt' Euch, macht's keine Faxen!« hierauf zu den Ankömmlingen,
+»kann mir's ja eh denken. Meiner Tochter die Fahrgelegenheit zum
+Schwambachwirt soll ich zahlen. Was kostet sie denn?«</p>
+
+<p>Jetzt lachten die beiden und meinten, nun wären sie schon bei der
+Stange. »Billig fahre der junge Adlerwirt nicht bei Nacht und Nebel,
+leicht koste es den Passagier selber.«</p>
+
+<p>Der Salmhofer hob von der Katze die Hand und machte damit einen Schlag
+in die leere Luft. War das die Antwort? War das nicht gerade, als ob er
+sagen wollte: Fort mit Schaden?</p>
+
+<p>»Dafür stehe ich gut,« sprach nun der alte Adlerwirt, »einen braven
+Mann bekommt sie. Und lieb haben sich die jungen Leut' wie Tauben.«</p>
+
+<p>Der Salmhofer tat aus dem Kruge einen langen<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> Schluck, und auf seinem
+Barte noch die Tropfen, schnarrte er: »Mein Geld willst, Adlerwirt!«</p>
+
+<p>»Aber! Aber!« rief der Adlerwirt. »Wer denkt denn an so was! Geld macht
+nicht glücklich, sage ich alleweil. Daß sie zusammenpassen, ist die
+Hauptsache. Das andere wird sich alles geben.«</p>
+
+<p>»Losgehen kann's, wann's will,« sagte der Salmhofer und trank wieder.
+Während er trank, sprang das Kätzchen auf den Fußboden hinab; da fuhr
+der Alte empor, fing es ein und setzte es wieder sachte auf seinen
+Schoß.</p>
+
+<p>»Nachher könnten wir vielleicht jetzt mit der Kundel reden?« meinte der
+Adlerwirt.</p>
+
+<p>»Weiß schon, weiß schon,« wehrte der Salmhofer ab. »Das Mädel ist ja
+schon ganz dumm vor lauter Verliebtheit. — Da bleibst, Vieherl.«</p>
+
+<p>Den beiden Männern kam es schier vor, der Alte sei nicht recht bei
+Trost. Der grüne Krug! Auf jeden Fall reichte der Adlerwirt ihm nun die
+Hand und sagte in feierlicher Stimmung: »Also abgemacht, Schwieger!
+Bruder! Gott segne unsere Kinder!«</p>
+
+<p>»Ist schon recht, ist schon gut!« murmelte der Alte, und seine
+Handbewegung deutete an, sie könnten wieder gehen.</p>
+
+<p>»Er hat zwar einen martialischen Rausch,« sagte der Herr Kontrollor
+vor der Tür, »aber richtig ist's. Er hat mehr gestanden, als er im
+nüchternen Zustande beigegeben hätte, und das kann uns recht sein.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span></p>
+
+<p>Auf der Hausflur begegneten sie der Kundel. Der alte Adlerwirt hielt
+ihr die Hand hin und sagte weichmütig: »Jetzt mache ich nicht viel
+Umstände mehr, Töchterl, ich darf wohl einen Gruß ausrichten beim
+jungen Adlerwirt zu Kirchbrunn?«</p>
+
+<p>»Bitt' schön,« antwortete das Mädchen und senkte das Aug'.</p>
+
+<p>»Und wann darf die Hochzeit sein?« fragte kühnlich der Herr Kontrollor.</p>
+
+<p>»Je eher, desto besser,« antwortete das Mädchen. Da wußten die
+Brautwerber einstweilen genug.</p><br>
+
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_11">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h3>4. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Der Winter war mit viel Schnee gekommen. Das wirtschaftliche Leben des
+Dorfes nahm eine neue Gestalt an, vom Walde wurden auf Schlarpfen<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a>
+große Reisigfuhren gezogen, aus den Berggräben mächtige Holzblöcke
+geschleift, von den Teichen her schwere Eisladungen geführt. Wer einen
+Bau vorhatte im nächsten Jahre, der zog jetzt Zimmerholz und Steine
+zusammen; der Schnee — von welchem nicht Unterrichtete glauben, daß
+er die Wege versperre — hatte die Bahnen geschaffen, auf welchen die
+schwersten Lasten leicht weiter befördert werden konnten. Die Straße
+entlang schellte manch leichtes Schlittenzeug lustig fürbaß und hielt
+wohl mit seinen <span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span>Insassen an in Kirchbrunn beim Adlerwirt auf ein Glas
+Wein. Seit es laut geworden, daß die einzige Tochter des Großbauern
+zu Geßnitz bald einfahren werde in das Adlerwirtshaus, war dieses
+den Leuten neuerdings anziehend geworden. Einzig nur das Weibervolk
+betrachtete nun dieses Haus nicht mehr ganz mit den wohlwollenden Augen
+als ehedem, aber das verdirbt nicht viel; Weibsbilder, meinte der alte
+Wirt, sind ohnehin nicht die besten Gäste.</p>
+
+<div class="footnote">
+
+<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Aus zwei Baumstämmen gebaute Waldschlitten.</p>
+
+</div>
+
+<p>Um diese Zeit kehrte eines Tages der Schopper-Schub ein im
+Adlerwirtshause. Er hatte immer denselben verwilderten Bart, der nie
+geschnitten wurde und der auch nicht eigentlich in die Länge wuchs,
+sondern mehr Neigung hatte, sich zu kräuseln und zu filzen, was dem
+Waldmenschen auch recht war. Mit dem Haupthaar stand es wahrscheinlich
+auch ähnlich, man sah es aber nie, weil der Mann den Hut immer auf
+hatte und die schweren schwammigen Krempen zu allen Seiten tief
+herabhingen. Das mattbraune Lodengewand hatte einige Flicken, doch
+sah man es an ihrer Ungefügigkeit, daß sie nicht von schlichtender
+Weibeshand herrührten. Eben fast so unbehilflich war der Verband, den
+er am linken Arme trug. Daß der Schopper mitten in der Woche Feiertag
+hatte, kam daher, weil er sich mit der Holzaxt unversehens die Hand
+gespalten hatte. Weiter war es nichts. Ein Kamerad hatte ihm ein
+Harzpflaster gemacht und den Verband angelegt;<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> somit ist die Sache in
+Ordnung, nur daß der Mann einstweilen nicht arbeiten kann.</p>
+
+<p>Also saß der Holzknecht da am dämmerigen Winkeltisch und trank etliche
+Gläschen Branntwein.</p>
+
+<p>»Wo ist denn der Jungherr?« fragte er auf einmal kurz und scharf.</p>
+
+<p>»Wo wird er denn sein!« antwortete der alte Adlerwirt, »in Geßnitz wird
+er sein. — Hast was mit ihm?«</p>
+
+<p>»Will selber mit ihm reden,« sagte der Schopper. »Ich kann ihm ja
+nachgehen. Hab' eh Zeit dazu. Was macht's!«</p>
+
+<p>»Dreimal drei macht neun,« rechnete der Wirt die drei Gläschen
+zusammen. »Bekommst von zehn einen Kreuzer heraus.«</p>
+
+<p>»Schenkt ihn einem Bettler,« sagte der Schopper. Da lugte der Wirt
+einmal. — Seit wann geben denn die Herren vom Siebenbachwald
+Trinkgeld? Wahrscheinlich, seit sie sich selber die Knochen
+entzweihauen.</p>
+
+<p>»— Soll einmal ein Vaterunser dafür beten,« setzte der Holzknecht bei,
+während er sich rasch von der Bank erhob und, den Stock fest auf den
+Boden stoßend, davoneilte.</p>
+
+<p>»Für einen Kreuzer ein Vaterunser,« murmelte der Wirt, die kleine
+Münze in der hohlen Hand schüttelnd, »viel Andacht wird man da nicht
+verlangen können.«</p>
+
+<p>Der Schopper-Schub wanderte die Straße entlang<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> gegen Geßnitz. Der Weg
+war wohl für den Schlitten eingerichtet, aber nicht für ungelenkige
+Füße. Das glitt immer nach rechts oder nach links und brachte den Mann
+in Gefahr, auf seine wunde Hand zu fallen. Trotzdem setzte er seinen
+Stock fest ein und kam vorwärts. Er sann unterwegs, wie er es machen
+werde auf dem Salmhof. Das waren ja zwei triftige Gründe, wesweg er
+jetzt hinausging. Ein fast leidenschaftliches Dankgefühl hatte ihn
+vom Siebenbachwald herausgetrieben. Der in sein enges Wesen zutiefst
+eingesponnene und doch vielleicht gelegentlich einer Selbstentäußerung
+fähige Waldmensch glaubte, daß der junge Adlerwirt rein ihm zuliebe von
+der Frieda abgestanden sei und, damit aller Zwiespalt aufhöre, rasch
+die andere heiraten wolle; denn es war ihm nicht möglich zu denken,
+daß unter allen jungen Weibern der Welt nicht die Jungmagd Frieda die
+Begehrenswerteste sein sollte! — Adlerwirt! wollte er sagen und ihn um
+den Hals packen, für mein Lebtag bin ich dein Knecht! Wenn du einmal
+in Not solltest sein, so rufe mich! Du bist mein treuester Freund auf
+der Welt! Du hättest das Mädel haben können und hast es mir überlassen,
+hast dich einer Fremden angeschmiedet, die dir gleichgültig ist,
+höllisch gleichgültig. Gott geb's, daß sie dich recht lieb hat! Und
+wenn du einmal wen brauchen solltest, Wolfram, der für dich lebt und
+stirbt, so laß mich holen! — Also wollte der Schopper zu ihm sprechen,
+daß seinem heißen, in Zorn wie<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> in Freude überschwänglichen Herzen
+Genüge getan werde. Dann wollte er aber auch ernstlich an die andere
+herantreten und am heutigen Tage die Sache endgültig machen. — Hopp!
+jetzt lag er im Schnee.</p>
+
+<p>Wenn es so fortgeht auf der Rutsche, so wird das mühsam bis Geßnitz.
+Ein feines Schellen hörte er hinter sich. Mit flinkem Rößlein jagte und
+auf leichtem Schlitten saß der Groß-Grübinger von Kirchbrunn, er fuhr
+auch gegen Geßnitz. Ei, dachte der Holzknecht, dem ist's ein leichtes,
+daß er mich mitnimmt. Als der Schlitten vorüberschliff, rückte der
+Schopper manierlich den Hut, aber der Grübinger tat nichts desgleichen.</p>
+
+<p>»He!« rief nun der Holzknecht dem Gefährte nach, zog sein blaues
+Sacktuch aus der Tasche und hielt es hoch in die Luft, »he, Vetter!
+Vetter Grübinger!«</p>
+
+<p>Der Bauer hielt an: »Was ist denn?«</p>
+
+<p>»Ihr habt Euer Sacktuch verloren!« rief der Holzknecht. Die List
+gelang; während der Bauer seine Taschen durchsuchte, kam der Schopper
+zum Schlitten heran und legte seine Hand schon an das Joch.</p>
+
+<p>»Mir gehört er nicht, der Fetzen!« brummte der Bauer und wollte es
+wieder vorwärts gehen lassen.</p>
+
+<p>»Nachher muß er wem anderen gehören,« meinte der Holzknecht und steckte
+das Tüchel in seinen Sack. »Aber gelt, Vetter Grübinger, Ihr seid so
+gut und habt nichts dagegen, wenn ich mich da hinten auf die Kurve
+stelle. Ich will nach Geßnitz<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> und es geht so kläglich auf den Füßen.
+Euer braver Rappen —«</p>
+
+<p>»Kunnt mir einfallen!« lachte der Bauer grell auf, »Hia!« Und der
+Schlitten glitt rasch dahin, kaum hatte der Schopper Zeit, das Joch
+auszulassen; sich an dasselbe haltend, stolperte er eine Weile hinten
+drein, bis der Bauer ihm mit dem Peitschenstock eins auf die Finger
+gab. Da ließ er los und stand wieder allein mitten in Schnee und Nebel.</p>
+
+<p>»Die Leute sind hart,« murmelte er vor sich hin; um so weicher ist der
+Schnee, in welchen er seine Fersen wieder kräftig einsetzte. Es ging
+langsam fürbaß.</p>
+
+<p>Als er nach Stunden durch den Markt Geßnitz schritt, war es finster,
+was sich gar nicht übel traf. Schon einmal hatte ihn hier der Gendarm
+festgenommen, obschon auch bald wieder losgelassen, nachdem es sich
+herausgestellt, daß hinter der verwilderten Hülle ein gewöhnlicher
+Holzknecht steckte. — Auf dem Turme läutete die Abendglocke. Er zog
+seinen Hut vom Kopfe und betete: »Der Engel des Herrn brachte Maria
+die Botschaft ...« Der junge Adlerwirt war ihm nicht begegnet, also
+mußte er wohl noch im Salmhofe sein. Der Schopper ging den Hügel
+hinan, aber nicht nach dem breiten Fahrweg, sondern hinterwärts auf
+dem Rainsteige. Den Wirtschaftsgebäuden trachtete er zu, er wußte wohl
+die Futterkammer, in welcher die Jungmagd um diese Zeit ihre Arbeit zu
+verrichten pflegte. —<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> »Heut' nimm dich zusammen, Schopper-Schub,« so
+ermahnte er sich selbst. »Denk' nicht immer daran, daß du verachtet
+bist. Denk', daß du auch ein Mensch bist wie alle anderen, und
+sei herzhaft. Gesund und stark zum Arbeiten, niemand kann dir was
+ausstellen im Holzschlag, du verstehst dein Geschäft. Niemand kann dir
+was nachsagen; was du dein Lebtag hast angestellt, das ist nur dein
+eigener Schaden gewest. Die neue Riesen wird sich machen im Waldschlag.
+In ein paar Jahren bist Holzmeister, da kannst Weib und Kind erhalten
+so gut wie ein Graf. Warum soll sie dich nicht gern haben? Wenn ihr
+dein Gewand nicht gefällt, so wirf's weg, der inwendige Kerl wird nicht
+zu schlecht sein für eine brave Dirn. In Gottesnamen, Schopper!«</p>
+
+<p>Der junge Adlerwirt hatte sich im Laufe desselben Nachmittags in der
+großen Wirtschaft des Salmhofes herumgetrieben. Anfangs tat er solches
+in Begleitung seines künftigen Schwiegervaters, dieser wurde aber bald
+zurückgerufen, er hatte in Gemeindevorstandsgeschäften zu tun. Der
+Wolfram spähte überall umher und spielte mit dem Gedanken, was mit
+all dem geschehen werde, wenn einmal Vater und Mutter mit Tod abgehen
+sollten. Gegen Abend ins Haus zurückgekommen, gab's eine Jause, aber
+eine etwas zerrissene. Die Salmhoferin trank ihren Kaffee in der Küche,
+der Salmhofer trank seinen Weinkrug auf der Stube aus, die Haustochter
+Kundel schlürfte ihren Tee im Küchenzimmerchen<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> und knusperte süßes
+Backwerk dazu. Der Wolfram, welcher neben ihr saß, dankte für den ihm
+gebotenen Imbiß, er sei nicht gewohnt, eine Jause zu nehmen, aber
+eine Zigarre, wenn er sich anzünden dürfte! Hierauf besprachen sie
+die Hochzeit. Die Kundel gestand vielleicht mehr unwillkürlich als
+absichtlich, daß es ihr manchmal schrecklich sei auf dem Salmhofe,
+daß sie froh sei, diesem Orte zu entkommen. Elternliebe, wovon andere
+Leute sprechen, habe sie ja doch nie kennen gelernt. Der Vater habe
+sie ein paar Jahre lang in ein Institut gesteckt, sie nachher zu einer
+Zierpuppe herrichten wollen, um sich mit ihr zu prahlen; bei der
+Mutter wäre überhaupt nichts zu suchen, diese verrichte in der Küche
+ihre tägliche Arbeit, die gerade so gut auch eine Magd besorgen könne,
+und sei dann zufrieden. — Dem jungen Adlerwirt schmeichelte dieses
+Vertrauen der Braut und es kam ihm fast gemütlich vor im Stübchen, bis
+die Kundel plötzlich und ziemlich rasch das Fenster aufmachte. Der
+Tabakrauch ging freilich hinaus, aber die kalte, neblige Winterluft
+ging herein. Endlich verabschiedete der Bräutigam sich, und während
+die Pferde eingespannt wurden, stand er draußen in der Tür der
+Heukammer und plauderte ein wenig mit der Jungmagd. Er lehnte an dem
+einen Pfosten der Tür, sie an dem anderen, weiter ließ sie ihn mit
+der brennenden Zigarre nicht in die Kammer. Sie tat's aber nicht des
+Rauches, sondern der Feuersgefahr wegen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span></p>
+
+<p>Ihr Gespräch wurde ganz leise geführt. »Frieda,« sagte der Wolfram, »du
+wirst doch auch bei der Hochzeit sein?«</p>
+
+<p>»Weiß es nicht,« antwortete sie, »ich werde wohl müssen haushüten. Die
+Haustochter hat schon so etwas gesagt.«</p>
+
+<p>»Hat sie?« fragte flüsternd der Bräutigam. »Nein, Frieda, ich will's
+haben, daß du bei meiner Hochzeit die erste Kranzljungfrau sein sollst.
+Es geht doch!«</p>
+
+<p>»Ja, gehen tät's schon,« meinte die junge Magd, »aber sein darf's
+nicht.«</p>
+
+<p>»Wer sagt das?«</p>
+
+<p>»— Sie.«</p>
+
+<p>»Das möchte ich wissen. Ihr seid ja immer gut gewesen miteinander? Und
+kameradschaftlich.«</p>
+
+<p>»Früher, ja,« sagte die Frieda, »aber seit dem Tanz beim Schwambachwirt
+ist sie arg auf mich.«</p>
+
+<p>»Laß es gut sein, Dirndel,« entgegnete der junge Adlerwirt. »In das
+Kapitel werde ich auch etwas dreinzureden haben. Sie mag zur Hochzeit
+laden, wen sie will, ich werde es auch tun. Und verhoff's, daß wir
+uns bei der Hochzeit nicht das letzte Mal sehen werden, Dirndel. Gib
+mir die Hand drauf!« Und er schnalzte mit der Zunge, was so seine
+Gewohnheit war, wenn er Mut und Übermut in sich fühlte. »Dirndel, die
+Hand drauf!«</p>
+
+<p>»Auf das gebe ich keine Hand,« war ihre Antwort, »der Mensch weiß nicht
+Zeit und Stund.« Zögernd und zagend hatte sie das gesprochen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span></p>
+
+<p>»Und auch zum Abschied willst mir die Hand nicht geben?« fragte er
+nicht ohne Beklommenheit.</p>
+
+<p>»Zum Abschied — schon gar nicht,« antwortete das Mädchen.</p>
+
+<p>»Frieda!« erscholl es in diesem Augenblicke von der Stallwand her. Die
+beiden stoben auseinander. Eine männliche, hohle Stimme war es gewesen.
+Der junge Adlerwirt sprang in den Schlitten, und vorwärts ging's durch
+Nacht und Winter gegen Kirchbrunn.</p>
+
+<p>An demselben Abende war's, als die Jungmagd Frieda die Tür ihrer Kammer
+verschlossen hatte und nun vor einem Muttergottesbildchen, welches an
+der Wand klebte, ihr Nachtgebet sprach, als auf einmal wie ein Gespenst
+der Holzknecht vor ihr stand. Der Schreck war so groß, daß ihr zum
+Schrei die Stimme versagte. Beide Hände ans Herz gedrückt, so sank sie
+mit einem Hauch auf den Schemel hin.</p>
+
+<p>»Geschehen tut dir nichts,« also sprach nun der Schopper. »Aber das
+Leutrufen laß sein. Sie brauchen es nicht zu wissen, was wir zwei
+miteinander zu reden haben.«</p>
+
+<p>»Wir haben nichts miteinander zu reden,« konnte jetzt die Frieda sagen.
+»Geh fort! Du hast dich wie ein Dieb hereingeschlichen! Geh fort!«</p>
+
+<p>»Hast wohl recht, Dirndel, wie ein Dieb!« entgegnete der Schopper.
+»Weil ich deinetwegen schlecht werden muß. Aber daran schuldig bist du.
+Zu einem Engel hättest mich machen können. Und jetzt — jetzt kann ein
+Teufel draus werden.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span></p>
+
+<p>»Fort geh!« rief das Dirndel und sprang zur Tür, um sie zu öffnen.
+Er fing sie auf, hielt ihr die Hand fest und sagte: »Frieda. Sei
+barmherzig. Schau, ich bin ein armer Bursch'. Glaubt hätt' ich's
+nimmer, daß einen die Lieb' so kunnt zurichten. Zwingen kann ich dich
+nicht, Frieda. Ich sag' dir nur das: Wenn du mich nicht nimmst, so
+erleben wir was. Mit mir und mit dir! Ich spring' ins Verderben und du
+in dein Unglück. Der junge Adlerwirt! Unterwegs her bin ich noch voller
+Vertrau gewesen zu ihm. Und was ich jetzt hab' gehört!«</p>
+
+<p>»Was hast denn gehört?«</p>
+
+<p>»Mehr, als er geredet hat, meine liebe Dirn! Daß der so schlau ist, das
+hätte ich mir nicht gedacht. Die eine heiraten, die andere gern haben!
+Bist denn du blind, Frieda! Oder bist wirklich so schlecht?«</p>
+
+<p>»Holzknecht,« versetzte jetzt das Mädchen ruhiger, »laß mich aus, dann
+will ich reden.«</p>
+
+<p>Im Augenblick ließ er ihre Hand los.</p>
+
+<p>»Für mich,« so redete sie nun, »wär' es auch besser, du hättest mich
+zerdrucken lassen vom Mühlrad. Ich dank' dir's nicht, daß du mich hast
+herausgezogen. In der Unschuld wäre ich gestorben, und wie es jetzt
+steht, seh' ich vor mir nichts, als lauter Sünd' und Elend.«</p>
+
+<p>»Den Adlerwirt mußt vergessen!« sagte der Schopper.</p>
+
+<p>»Vergessen! Weißt du, was du redest? Kannst<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> du vergessen? So vergiß
+mich, ich geh' dich ja nichts an. Bin nicht deine Schwester und nicht
+dein Geschwisterkind. Such' dir eine, die besser für dich paßt, und
+mich laß in Gottesnamen zugrunde gehen, wenn es mir schon aufgesetzt
+ist, daß ich seinetwegen zugrunde gehen soll.« Sie weinte.</p>
+
+<p>Der Waldmensch stand wie erstarrt vor ihr. Endlich antwortete er: »Um
+<span class="gesperrt">das</span> von dir zu hören, bin ich heute weit aus dem Siebenbachwald
+herausgekommen. — Du, Frieda! Flennen darfst mir nicht! Flennen kann
+ich dich nicht sehen!« Fast wie drohend stieß er die letzten Worte
+heraus, und dann fuhr er mit den Fingerspitzen über ihr Haar hin, als
+ob er sie streicheln wollte. »Frieda!« fuhr er milder fort. »Vor neun
+Jahren am Magdalenatag, wie sie deine Mutter haben in die Erden gelegt,
+habe ich dich zum ersten Mal gesehen. Wie du dazumal geweint hast,
+du liebes Kind, du arme Waise, so verlassen auf der Welt, — wie du
+dazumal so geweint hast, das geht mir nimmer aus dem Kopf, gar nimmer.«</p>
+
+<p>»Mein Gott,« flüsterte jetzt die Frieda, »du bist ja ein guter Mensch,
+ein herzensguter Mensch. Aber jetzt mußt du fortgehen, du armer Bursch,
+schau, es kann nicht anders sein. Ich habe ja nichts gegen dich, wenn
+ich nur könnt', wie wollt' ich dich lieb haben mit Freuden, dich ganz
+allein. Und es hätt' eine gute Wendung. Wie es jetzt steht, ich weiß
+mir ja nicht zu raten und nicht zu helfen.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span></p>
+
+<p>»Sollst schuldigerweis so reden?« fragte er.</p>
+
+<p>»Gott Lob und Dank, nein!« antwortete die Jungmagd, »aber fürchten
+tu' ich mich, so oft ich ihn sehe. Bei der Hochzeit will ich nicht
+sein, nach Kirchbrunn auch mein Lebtag nicht gehen. Ich will mich
+ja hüten, soviel es menschenmöglich ist. An meine Mutter hast mich
+gemahnt, Schopper. Ihr letztes Wort zu mir ist gewesen: Frieda, wenn
+du dir nicht aus weißt, so knie' hin und tu' beten. Ich will's tun,
+Holzknecht, und will so lange beten, bis ich dich recht lieb hab, und
+nur dich allein.«</p>
+
+<p>Das sagte sie mit solcher Innigkeit, als wäre die Liebe zu ihm bereits
+da.</p>
+
+<p>»O glückselige Stund'!« wimmerte der Waldmensch und drückte sein
+bärtiges Gesicht an ihre Schulter, in ihr Haar, »du herzliebe Dirn, ich
+geh' schon, ich geh' gern. Beten! Beten! Gute Nacht, du herzliebe Dirn!«</p>
+
+<p>Also stürzte er wie rasend vor Glück davon, hinaus in die tiefe
+Winternacht, den jauchzenden Himmel im Herzen, seinen fernen Wäldern zu.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h3>5. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Ganz Geßnitz war in Aufruhr. Bald nach Mitternacht schon hatten sie
+angefangen mit den Pöllern zu knallen, und zwar nicht bloß auf dem
+Salmhof, wo hinter dem Hause ein großes Feuer brannte, sondern auch
+bei anderen Bauernhöfen der Umgegend,<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> die da zeigen wollten, welch
+freudigen Anteil sie nähmen an dem Fest- und Ehrentage der Familie
+ihres großständigen Gemeindevorstandes. Und als über den Dunstschichten
+der große, rote Sonnenball heraufstieg und die Hochzeitsgäste gegangen,
+gefahren kamen von allen Seiten her, da knatterten auch die Pistolen
+drein, das Kleingewehrfeuer zu den Kanonenschüssen, daß es schier
+zu hören war, als würde eine große Schlacht geschlagen im Tale von
+Geßnitz. Wo der Weg vom Salmhofe in den Markt hineinmündet, war
+sogar ein Schwibbogen gebaut aus Fichtenreisern. Von der Gärtnerei
+der Herrschaft Klobenstein war ein großer Brautstrauß gekommen als
+Hochzeitsgabe, denn der Klobensteiner Baron und der Salmhofer standen
+miteinander in reger Geschäftsverbindung.</p>
+
+<p>Übrigens hatte die Hochzeit des jungen Adlerwirtes mit der Salmhofer
+Tochter etwas Städtisches. Es gab dabei Herrschaften in Frack und mit
+hohen Seidenhüten, worunter der Herr Schwager Amtskontrollor eine der
+würdigsten Erscheinungen war. Auch der Salmhofer trug einen sehr langen
+Frack, einen schwarzen Röhrenhut, einen hohen, aufgesteiften Halskragen
+mit zwei an beiden Seiten des Kinnes hervorstehenden Spitzen, eine
+schneeweiße Weste, die über den halben Bauch hinabging, ein schwarzes
+Beinkleid und tadellose weiße Handschuhe. Die Salmhoferin an seiner
+Seite sah dagegen ganz bäuerlich und fast ärmlich aus. Der Bräutigam
+war<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> in schwarzem, dorf-bürgerlichem Anzug, der sich nur auszeichnete
+durch das Myrtensträußchen am linken Brustflügel. Dieses schwarze
+Gewand gab dem jungen Manne ein überaus interessantes Aussehen, sein
+Gesicht schien blasser als sonst, und in seinem großen Auge war ein
+seltsamer Schmelz, wer es nur hätte sagen können, ob mehr auf frischen
+Mut oder auf weichmütige Rührseligkeit hinweisend. Seine natürliche
+Heiterkeit schien er heute daheimgelassen zu haben beim Alltagsgewand,
+ernsthaft, gesetzt, wie es einem Bräutigam ansteht, war sein Wesen,
+und man sah gleich, daß die Würde des Großbauernhofes sich auf ihn
+zu vererben begann. Die Braut Kunigunde trug ein schweres weißes
+Seidenkleid mit Schleppe, und auf dem kunstvoll geflochtenen, fast
+schwarzglänzenden Haar ein Myrtenkränzlein. Ihr schönes Gesicht war
+jetzt, wie sie vor dem Altare standen, als ob es von reinstem weißen
+Marmor gemeißelt wäre. Man hatte zu Geßnitz nie eine Braut gesehen,
+die so würdig und ernst war, und nie eine, die am Hochzeitstage
+nicht einmal ein wenig gelächelt und nicht einmal ein wenig geweint
+hätte. Aber die Kunigunde war eine solche. Manche behaupteten, das
+wäre ein tiefes Wasser, auswendig eine Mutter Gottes, inwendig
+—. Ein Glücksmensch sei dieser Adlerwirt! Die Braut so schön, so
+achtunggebietend, so reich! — Ob sie für eine Wirtin am Ende nicht
+doch ein wenig zu vornehm ist! Wirtinnen können nicht artig genug
+sein.<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> — Oho, Wirtinnen können nicht zurückhaltend und ernsthaftig
+genug sein! — Ein Glücksmensch, dieser Adlerwirt!</p>
+
+<p>Als das Brautpaar vor dem Altare stand, als der Wolfram ihre zarte
+kleine Hand in der seinen hielt, als der Priester die Stola darüber
+wand, da machte der junge Adlerwirt im Herzen ein Gelöbnis. — Ich will
+ein treuer Mensch sein. Junge, leblustige Weiber gibt es genug, auch
+solche, die Ehrenhaftigkeit verkaufen! Nein. Ich habe jetzt mein Weib.
+Und ist sie gleichwohl noch frostig wie ein Märztag, ich will so viel
+Sonnenschein auf sie legen, bis die Blume aufblüht. Durch die Liebe
+kann man alles überwinden, sagt mein Professor Nix, auch die schlimmen
+Weiber. Schlimm aber ist sie gar nicht, nur ein wenig herb. Und herbe
+Trauben geben den haltbarsten Wein. Mein liebes Weib, du! — Er drückte
+ihre Hand, sie wußte freilich nicht, was er dachte.</p>
+
+<p>Die Mahlzeit im Salmhofe war üppig bis zum Tischbrechen. Auch dabei
+ging es so vornehm zu, daß alle Kellner von Geßnitz anwesend waren,
+um an der Tafel die Speiseschüsseln herumzutragen von Gast zu Gast.
+Die Braut winkte fast jedes Gericht mit einer Handbewegung ab, sie aß
+nichts, sie trank nichts, sie sprach nur wenig, ließ aber ihr wachsames
+Auge stets in die Runde gehen, um die Ordnung des Dienervolkes zu
+überwachen und etwaige Verstöße desselben mit einem strafenden Blick,
+mit<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> einem tadelnden Worte zu rügen. Der Wolfram suchte mit der
+nebensitzenden Schwiegermutter ein Gespräch zu unterhalten; es war
+jedoch mit der einfachen, bescheidenen Frau nicht viel anzufangen. Um
+so mehr fröhlichen Lärm machte der Salmhofer, besonders wenn das weiße
+Kätzchen, welches er bei sich auf dem Schoß hatte und mit Leckerbissen
+fütterte, auf den Tisch sprang und ungebührlich ward. Also, dachte der
+Wolfram, werden wir uns nur ans Essen und Trinken halten, dieser Tag
+wird mit Gottes Hilfe ja auch nicht ewig dauern.</p>
+
+<p>Am Abende, als die Lichter gekommen waren und die Musikanten, hub die
+Hochzeitsgesellschaft einen anderen Takt an. Es ward laut und lustig,
+die Leute wogten durcheinander, aber die Braut zog sich zurück auf
+ihr Stübchen, weil ihr die Aufregung und der Lärm des Tages ein wenig
+Kopfschmerz verursacht hatten.</p>
+
+<p>Der Wolfram ging hinaus in die frische Luft. Ein klarer Sternenhimmel
+flimmerte, der Adlerwirt sah ihn kaum, er war in verschiedenerlei
+Empfindungen versunken, und auf einmal tat er einen tiefen Atemzug und
+sagte halblaut: »Also wäre ich verheiratet!«</p>
+
+<p>Dann kam ihm zu Sinn, was er am Altare gedacht und daß er nun von
+jemandem Abschied nehmen müsse mit allem Ernst.</p>
+
+<p>Im Wirtschaftsgebäude war die Gesindestube hell beleuchtet, da drin
+ging's fröhlich zu, der Wolfram<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> trat ein. Mit hellem Geschrei hoben
+sie ihm die Gläser entgegen und tranken auf seine Gesundheit. Er
+setzte sich ein bißchen zu dem Gesinde an den Tisch, da erschien die
+Aufträgerin mit frischem Teller und Glase, legte ihm Krapfen vor, und
+einschenken, meinte sie, würde er sich wohl selber können.</p>
+
+<p>»Ja, Frieda!« lachte der Bräutigam der jungen Aufträgerin zu,
+»einschenken, das kann ich, aber austrinken mußt du. Auch von dir will
+ich eine Gesundheit haben.«</p>
+
+<p>Die Jungdirn nahm das Glas, schwenkte es ein wenig gegen ihn: »Zur
+guten Gesundheit!« und nippte.</p>
+
+<p>»Jetzt ist's recht!« rief der Wolfram lustig mit der Zunge schnalzend
+und faßte sie an der Hand und blickte ihr frisch ins Auge, »trink' noch
+einmal, Frieda!«</p>
+
+<p>»Dank' schön!« antwortete sie schmunzelnd, »es möcht' zu viel sein.«</p>
+
+<p>»So gib her!« Er nahm ihr das Glas aus der Hand, und während er ihr
+fest ins Auge blickte, leerte er es auf einen Zug.</p>
+
+<p>Als er nachher wieder über den Hof schritt, ward ihm bedenklich. — Ein
+Abschied das? —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Also das war die Hochzeit gewesen.</p>
+
+<p>Und nun kam das Siedeln. Der Möbelfuhren von Geßnitz nach Kirchbrunn
+waren so viele, daß die Leute schon sagten: »Mein Gott, wie wird denn<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span>
+das alles Platz haben beim Adlerwirt, es zersprengt ja das Haus!«</p>
+
+<p>Frau Kunigunde war eingerichtet wie eine Gräfin. Alles nagelneue
+Sachen. Rokoko war Mode. Rokoko! Man wußte zwar nicht, was das war,
+bestellte es aber. »Kosten tut auch ein Trödel was,« hieß es, »also
+am besten, sich gleich ordentlich einrichten.« Es gab Überraschungen,
+als die Sachen ankamen. Frau Kunigunde war nicht so leicht
+zufriedengestellt von den Arbeiten der Tischler und Tapezierer aus der
+Kreisstadt, sie meinte, das plumpe Zeug sei gar nicht anzusehen und
+es wäre am klügsten, solche Dinge geradeswegs aus Paris zu bestellen.
+Mit diesem Sinn für die feinste Vornehmheit setzte die junge Frau ganz
+Kirchbrunn in Erstaunen.</p>
+
+<p>Ungefähr eine Woche nach der Hochzeit war der Salmhofer angefahren
+gekommen, um sich das neueingerichtete Nest der jungen Leute zu besehen.</p>
+
+<p>»Nur so zu, Wolf!« schnarrte er den Schwiegersohn an. »Meine Tochter
+hat Erziehung genossen. Halt' sie fein! Laß ihr nichts abgehen! Für die
+Küche nimm dir eine Köchin, mein Kind hat Nerven, die nicht für den
+Küchendunst sind.«</p>
+
+<p>Der Wolfram nahm diese Verhaltungsmaßregeln ganz ruhig hin. Nach einem
+Imbiß, der dem Schwiegervater vorgesetzt worden und wobei der Salmhofer
+einmal seinen würdigen Bart streichelte und das andere Mal seinen
+Oberschenkel, obzwar heute das weiße Kätzchen nicht darauf saß — bat<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span>
+der alte Adlerwirt ihn auf ein Wort in seine Stube. Der alte Wirt war
+vor langem Zuwarten auf eine gewisse Unterredung schon ganz aufgeregt
+geworden. Und weil der Schwieger auch heute wieder nichts desgleichen
+tat, als wäre eine solche an der Zeit, so machte der Wirt nun keine
+Umstände mehr.</p>
+
+<p>»Schwieger,« sagte er, ihm einen Sessel hinschiebend, »mußt schon
+entschuldigen, es ist, daß man sich einmal ausredet von wegen Lebens
+und Sterbens. Wir sind nimmer jung, und mein Sohn weiß, was er von
+mir zu erwarten hat. Es ist, daß er weiß, wie er daran ist und die
+Wirtschaft einrichten kann.«</p>
+
+<p>»Hast ganz recht, Adlerwirt, nur alles in Ordnung machen,« antwortete
+der Salmhofer. »Weiß auch, daß mein Kind bei Euch gut gestellt ist. Ist
+ein gutes Kind, wer es zu behandeln versteht, ein herzensgutes Kind.«</p>
+
+<p>»Und eine rechtschaffen stolze Natur,« lenkte der schlaue Adlerwirt
+über, »so daß ich mir schon gedacht habe, ob sie nicht etwa gedrückt
+ist, wenn ... Das möchte ich ihr nicht wünschen! Sie wird auch auf was
+pochen wollen, und hat ganz recht. Ich meine, Schwieger, du — sollst
+was schreiben lassen.«</p>
+
+<p>Der Salmhofer hatte sich kaum gesetzt, so stand er jetzt wieder auf,
+nahm Hut und Stock; aber noch an der Tür wendete er sich um und stieß
+sprudelnd die Worte hervor:</p>
+
+<p>»Ich glaube, die Ausstattung ist nicht zu gering ausgefallen. Hat mich
+bare zweitausend Gulden gekostet.<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> Nach meinem Ableben — wenn ich um
+ein Eichtel Geduld bitten darf! — wird sie kriegen, was da ist. Wer
+denn sonst?«</p>
+
+<p>Ohne ein weiteres Abschiedswort ging der Großbauer zur Tür hinaus und
+fuhr davon.</p>
+
+<p>Etwas kleinlaut teilte der alte Adlerwirt dem jungen dieses Gespräch
+mit und fügte bei: »Heißt's halt so weiter fretten derweil. Wie lang
+wird er's denn machen! Er trinkt zu viel.«</p>
+
+<p>Der Frau Kunigunde war es nach ihrem Einzuge ins Adlerwirtshaus vor
+allem darum zu tun gewesen, jedermann zu zeigen, daß sie hier die Frau
+sei. Alles wurde geändert, schon in den ersten Tagen. Kein Möbelstück
+blieb an seinem Platze stehen, und wenn der Wolfram einwendete, das
+sei schon bei seiner Mutter Lebzeiten so gewesen, gab sie zur Antwort:
+»Liebes Kind, also hat's deine Mutter gestellt nach ihrem Belieben, und
+ich werde es auch tun.« Im Salmhofe war um zwölf Uhr Mittagszeit, also
+mußte auch im Adlerwirtshause die Suppe um zwölf Uhr auf dem Tische
+stehen. »Kundel,« gab ihr der Wolfram zu bedenken, »in den Wirtshäusern
+macht sich eine spätere Mittagsstunde besser, wenn die Gäste gespeist
+haben.« — »Was kümmern mich die Gäste!« war ihre Entgegnung.</p>
+
+<p>Der Wolfram wußte wohl, was darauf zu sagen war, doch er wollte nicht
+streiten. »Junge Hausfrauen sind schon so,« tröstete ihn der Vater,
+»und sie wird sich die Hörner schon abstoßen.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p>
+
+<p>Auch mehrere Dienstboten, die sich nicht gleich in die neue Hausordnung
+schicken konnten, wurden entlassen und neue aufgenommen. Und gerade
+wenn eins recht brauchbar war und schon lange im Hause, gerade das
+mußte fort. Die Frau Kunigunde wollte nicht, daß ein Dienstbote im
+Hause sei, welcher besser Bescheid wußte als sie selber.</p>
+
+<p>»Daß dir die fremden Gesichter nicht zuwider sind!« sagte einmal der
+Wolfram zu seiner Frau.</p>
+
+<p>»Mir sind die einen wie die anderen fremd,« war ihre Antwort.</p>
+
+<p>»So möchte ich an deiner Stelle wenigstens solche nehmen, die ich schon
+kenne. Dein Vater wollte dir gewiß gerne ein paar Leute von seinem
+Hofe abtreten, die deiner Art und Weis' leichter nachkommen könnten.
+Besonders Weibsleute solltest verläßliche um dich haben.«</p>
+
+<p>»Meinst?« gab sie lauernd zurück.</p>
+
+<p>»Wir haben jetzt keine ordentliche Küchenmagd und keine Weidmagd.«</p>
+
+<p>»Wie soll sie denn heißen?«</p>
+
+<p>»Heißen kann sie wie sie will, aber brav und fleißig muß sie sein.«</p>
+
+<p>»Soll sie nicht Frieda heißen?« fragte spitzig die Frau Kunigunde.</p>
+
+<p>Der Wolfram tat überlaut einen Lacher. »Wie du jetzt auf die Frieda
+kommst!« Er brach ab und ging hinaus.</p>
+
+<p>Von diesem Tage an war er eine Weile wortkarg.<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> Und damit Frau
+Kunigunde die Ursache nicht merken sollte, warf er ihr unverhohlen vor,
+daß das nicht schön wäre von ihr, dem alten Vater die liebgewordenen
+Gewohnheiten zu vergällen, ihm sogar die Mittagszeit nach ihrem
+Gutdünken zu verlegen. Über die Speisen selbst rede man ohnehin
+nichts, diese würden zubereitet nicht nach seinem, sondern nach ihrem
+Geschmack, und der sei nicht allemal der beste.</p>
+
+<p>»Einen besseren hast du,« gab sie rasch wie immer zur Antwort, »weil du
+deiner eigenen Frau schon jetzt, wenige Wochen nach der Hochzeit, das
+Essen mißgönnst und dich nach einer Stalldirne umsehen möchtest.« Da
+weinte sie auch schon heftig in ihr Spitzentuch.</p>
+
+<p>»Aber Kunigunde!« rief nun der Wolfram und wollte kosend begütigen, sie
+stieß mit dem Ellbogen heftig nach ihm, da ging er zum Herde, zündete
+sich eine Zigarre an, stieg in die Gaststube und unterhielt sich mit
+den Gästen.</p>
+
+<p>Ein Fleischhauergeselle aus Geßnitz war da, den fragte der junge
+Adlerwirt nach Neuigkeiten. Natürlich marschierte der drohende Krieg
+auf, der in den Zeitungen stand, denn er steht immer drin. Aber dem
+Wolfram war das zu wenig. Als braver Schwiegersohn fragte er dem
+Salmhofe nach, ob dort alles gesund sei, oder sonst beim alten? Ja,
+der Salmhofer liege auf seiner Holzbank, schäkere mit den Katzen und
+habe so manchmal sein Räuschchen.<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> Man merkte es dem Fleischergesellen
+an, welche Gewalt er sich antun mußte, um die ganz unverhältnismäßige
+Verkleinerung zuwege zu bringen, aber anders mochte er mit dem
+Schwiegersohne doch nicht sprechen. — Und was die Mutter mache? wollte
+der Wolfram wissen. — »O Gott!« sagte der Fleischer.</p>
+
+<p>»Daß sie nicht am Ende mehr Sorgen zu tragen hat, jetzt, weil die
+Tochter fort ist!« fürchtete der junge Adlerwirt. »Sie wird sich doch
+von den Dienstmägden eine abrichten fürs Haus oder so?«</p>
+
+<p>»Im Gegenteil,« erzählte der Geßnitzer, »verjagen tut sie eins ums
+andere. Gestern ist bei der Jungmagd die Dienstzeit aus worden.«</p>
+
+<p>»Bei der Frieda?« fragte der Wolfram.</p>
+
+<p>»Wird so geheißen haben. Bin just mit einem Kalb vorübergekommen, wie
+sie mit ihrem Bündel den Hof verlassen hat. Und Augenwasser, daß ich
+sie noch frag': Was hat's denn, Dirndel? Wandern mußt? Ja, wohin denn
+jetzt im Winter? Wisse es selber nicht, hat sie gesagt, und fort nach
+der Straßen.«</p>
+
+<p>Nun wußte er's, der Adlerwirt, was er wissen wollte. Daß er jetzt aber
+noch mehr wissen wollte, und was alles, das konnte er niemandem sagen.</p><br>
+
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_2">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h3>6. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Endlich war der Winter vorbei.</p>
+
+<p>Und eines Tages in den Maien kam der junge Adlerwirt zu seiner Frau mit
+einem erbrochenen<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> Briefe und sagte froh erregt: »Dies Jahr kommt er
+früh. Er kann es schon kaum erwarten, die junge Adlerwirtin kennen zu
+lernen, schreibt er. Der Professor Nix.«</p>
+
+<p>»Wer ist denn der?« fragte Frau Kunigunde gleichmütig.</p>
+
+<p>»Ich habe dir ja erzählt von dem Herrn, der allsommerlich zu uns kommt
+und bei uns bleibt, und der mich so mancherlei gelehrt hat. In diesem
+deinem Zimmer hat er immer gewohnt.«</p>
+
+<p>»So soll ich wohl jetzt ausziehen und den Herrn Professor Nix
+hereinlassen?«</p>
+
+<p>»Kundel,« sprach der junge Adlerwirt und machte einen vorwurfsvollen
+Blick. »Kundel, du bist immer so boshaft. Wie kann denn vom Ausziehen
+die Rede sein! Der Professor bekommt das Stübchen gegen den Baumgarten
+hinaus, er wird damit zufrieden sein. Es ist ein netter Herr, du wirst
+ihn gewiß liebgewinnen.«</p>
+
+<p>»Das Baumgartenzimmer kann ich ihm nicht abtreten, ich habe meine
+Garderobe drin.«</p>
+
+<p>»Vielleicht wolltest du deine Kleider hier in der Nebenkammer
+unterbringen, es wäre bequemer für dich.«</p>
+
+<p>»Geh, geh, Wolf,« entgegnete sie, »meine Bequemlichkeit, daß ich
+nicht lachen muß! Nur um deinen Herrn Professor geht's dir. Nein, das
+Baumgartenzimmer bekommt er nicht!«</p>
+
+<p>»So werde ich ihm das große Zimmer über der<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> Gaststube einräumen,«
+sagte er, aber in einem Tone, der anzeigte, daß er nicht gewillt sei,
+weiter mit sich handeln zu lassen.</p>
+
+<p>»Das kannst du tun,« antwortete Frau Kunigunde. »Ich kümmere mich
+nicht um deine guten Freunderln. Nur bitte ich dich, auch mir nichts
+dreinzureden, ich will Ruhe haben.«</p>
+
+<p>Und eine Woche nach Ankunft seines Briefes kam er selber. Es war noch
+ganz der alte wie im vorigen Jahre. Dem Wolfram fiel er mit den Worten:
+»Junge! Hat die Liebe noch ein Stückchen Wolfram übrig gelassen für den
+alten Nix?« in die Arme.</p>
+
+<p>Die Artigkeiten, welche der Adlerwirt stotterte, unterbrach er sofort:
+»Ist schon recht. Laß die Torheiten, dein Weibchen will ich sehen.«</p>
+
+<p>Er stürmte in die Gaststube, in die Küche, da war sie aber nicht. Als
+er später hinaufstieg zu seiner neuen Stube, begegnete ihm auf der
+Treppe eine Dame, die er flüchtig grüßte, weil er sie für eine Fremde
+hielt. Es war aber Frau Kunigunde. Als er das gewahr wurde, eilte
+er ihr nach: »Frau Adlerwirtin! So wollen wir zwei nicht beginnen
+selbander. Einen herzhaften Händedruck oder so etwas! Mit meinem Segen
+für den heiligen Ehestand komme ich wohl spät! Aber nie zu spät! Nie zu
+spät! Gottes Gruß zu tausendmal, Frau Adlerwirtin!«</p>
+
+<p>»Guten Morgen!« entgegnete die Frau ruhig.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p>
+
+<p>Professor Nix war hübsch abgekühlt, und sie wechselten einige höfliche
+Worte.</p>
+
+<p>Mit der Stube war der Professor recht zufrieden, da hatte er Platz
+genug für alle seine Bücher und Schriften und Ledertaschen und
+Botanisierbüchsen und Staffeleien, und er breitete sich behaglich aus.
+»Ein Herzenskerl bist du!« rief er dem Wolfram zu, »gut meinst du
+mir's. Wenn ich einmal sterbe, so bedenke ich dich in meinem Testament.
+Du sollst das ganze Firmament haben mit allen Sonnen und Sternen. Nur
+der Halbmond ist ein Legat für die Türken. Ein charmantes Zimmer das!«</p>
+
+<p>Der Wolfram sagte nichts auf diese Ergießung. Und bald machten sich
+zwei kleine Nachteile fühlbar in der schönen großen Stube. Tagsüber
+war's der Rauch des scharfen Bauerntabaks, dessen Düfte von dem
+Gastzimmer durch die Fugen in des Professors Stube drangen. Aber das
+war nicht das schlimmste, am Bauerntabak war auch noch eine Pfeife,
+und an der Pfeife sog so ein unsauberer Geselle, der bis in die Nacht
+hinein sitzen blieb und mit anderen ähnlichen Gesellen lärmte, so
+daß der gute Professor Nix oben kein Auge schließen konnte. Aber er
+tat nichts desgleichen, sondern tröstete sich damit, daß solches zur
+Sommerfrische gehöre.</p>
+
+<p>Bei einer nächsten Gelegenheit sagte er zu seinem jungen Wirte
+folgendes: »Wolf! Ich muß dir nur gestehen, du hast ein schneidiges
+Weib. Das hat mir alle Kurasch abgekauft. Eine solche Hausfrau<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> wird
+ganz gut sein, sie erspart den Kettenhund. Die Diebe und die Betrüger
+und die Heuchler und Schmeichler wirst du nicht zu fürchten brauchen,
+Frau Kunigunde hält sie alle fern. Einer Untreue wirst du bei ihr auch
+sicher sein, sie läßt keinen an sich herankommen. Wenn sie dir so recht
+ist, nachher bist du geborgen, nachher kann dir nichts mehr geschehen.«</p>
+
+<p>Der Wolfram wußte nicht recht, waren diese Bemerkungen ein Lob auf
+seine Frau oder etwas anderes. Er nahm's in Gottesnamen fürs erstere
+und war's zufrieden.</p>
+
+<p>Der Professor ging, wie es in den früheren Sommern geschehen, seinen
+Vergnügungen nach in Wald und Flur. Die Gegend um Kirchbrunn ist so
+recht das, was man freundlich nennt. Mittelhohe Berge mit sanften
+Kuppen und Muldungen und alles, was nicht im Tale Feld und Wiese war,
+hübsch bedeckt mit hellgrünenden Buchenwäldern, in welchen dunklere
+Fichtenbestände eingesprenkelt waren. Aus den schattigen Engtälern
+kamen Bäche hervor, zwischen den Wiesen gab es Teiche und Heuschoppen
+und Getreidemühlen. Professor Nix kannte alle Wege und Stege und die
+meisten Bewohner des Tales. Mit dem einen sprach er ernsthaft, mit dem
+anderen scherzte er. Wenn er aber in Regentagen an das Adlerwirtshaus
+gebannt war, da kam's ihm — so sehr der Regen draußen auch rieseln
+mochte — in der Stube nicht<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> mehr ganz so gemütlich vor wie sonst.
+Häufig saß er in der Gaststube, doch es fehlte auch hier manchmal an
+Gesellschaft. Der alte Wirt war mißlaunig, der junge wortkarg und die
+Wirtin gar nicht zu sehen.</p>
+
+<p>Eines Tages war der Wolfram davon. Am ersten Tage kümmerte sich um
+seine Abwesenheit niemand; am zweiten Tage meinte der alte Wirt, sein
+Sohn müsse auf einen Vieheinkauf gegangen sein, aber man wunderte sich
+doch, daß er weder seiner Frau noch seinem Vater davon etwas gesagt
+hatte. Als er am dritten Tage immer noch nicht zurück war, wurde dem
+alten Wirt bang und wurde dem Professor bang. — Wenn der Wolf nichts
+gesagt hat, wohin, so dachte letzterer sich, und in der Nachbarschaft
+weiß auch niemand etwas von ihm, und es ist sonst nicht seine Art, daß
+er so davonläuft, so sieht das ja aus wie ein Unglück! Frau Kunigunde
+hub an zu zanken. Der Professor stellte ihr vor, daß dem Wolfram etwas
+zugestoßen sein könne.</p>
+
+<p>»Ja natürlich, der Leichtsinn ist ihm zugestoßen!« rief sie. »Gott
+weiß, wo er umherzigeunert! Ich laufe ihm nicht nach. Meinetwegen mag
+er fortbleiben über Jahr und Tag. Wenn ich nicht will, da kriegt mich
+keiner mit Lieb' und keiner mit Trutz.« —</p>
+
+<p>Der Wolfram war unter dem Vorwande, vorjährigen Apfelwein zu kaufen,
+die Geßnitzergegend abgegangen bis hinaus nach Niederleuth und Sankt<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span>
+Magdalena; in allen Bauernhäusern hatte er zugesprochen, sich nebenbei
+auch um Zuchtkälber umgesehen; erstanden jedoch hatte er nirgends
+etwas. Dann war er in großem Umkreis gegen das Gebirge gewandert, hatte
+dort anstatt nach Apfelwein nach Bauholz gefragt, aber auch hier nichts
+gekauft. Endlich rückte er seiner Absicht näher und erkundigte sich
+nach Dienstboten für die Sommerarbeit, vor allem nach Heuheberinnen und
+Schnitterinnen — es war vergebens, die er suchte, fand er nicht.</p>
+
+<p>Und als er ratlos schon auf dem Heimweg war, fiel es ihm ein: sie ist
+im Siebenbachwald bei den Holzleuten. Er mußte es aber wissen. Er
+wanderte in die Wälder und kam zu den Siebenbachhütten, welche in einem
+engen Waldtale standen, von zerrissenen Bergen umgeben. Hoch von einem
+Bergschlag nieder ging eine neue Holzriesen, in deren Rinne glatte
+wuchtige Blöcke herabglitten. Sausend und dröhnend kam das niederwärts
+auf steiler Riesen, die in großen Bogen sich wand, über Hänge und
+Schluchten gebrückt war und so sorgfältig und wohlberechnet gemuldet,
+daß kein Block ausspringen konnte. So kam das herab bis zu Tale, wo die
+Riesen sachte sich ebnete und die schwersten Blöcke fast sanft aufs
+Erdreich warf, daß die Blöcke dann von etlichen Männern zur Kohlstatt
+geschafft werden konnten. Bei diesen Männern war sie nicht. Der Wolfram
+fragte dem Schopper-Schub nach. Der sei auf dem Berge an dem obersten
+Ende der Riesen.<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Der Adlerwirt stieg hinauf; der Berghang war steil
+und vielfach von Schluchten und Gräben durchfurcht. Da sah man erst
+die ganze Kühnheit des Baues der Holzleitung. Streckenweise strich
+sie in schönen Kurven an dem steilen Hang dahin, dann setzte sie, auf
+schlanken Stämmen wie auf Strohhalmen gestützt, über Waldwipfel und
+Abgründe, in deren Tiefen Wässer rauschten.</p>
+
+<p>»Seit Menschengedenken,« so erzählte der Holzknecht, welcher den
+Adlerwirt hinaufbegleitete, »hätte man es nicht für möglich gehalten,
+daß wir den Zagelwald herabkriegen könnten. Zu Hunderten und zu
+Tausenden sind sie vermodert und verfallen, oben, die schönsten
+Tannen und Lärchen, und kein Mensch hat sie nutzen können, weil sie
+nicht herabzubringen gewesen sind. Jetzt geht's spielend. Und haben
+ihn zuerst alle ausgelacht, den Schopper, wie er gesagt, er baut die
+Riesen. Hat aber den Holzmeister sauber überzeugt, daß es geht, hat
+sie mit dreißig Holzknechten in vier Monaten gebaut, und jetzt lacht
+niemand mehr. Der Schopper ist Vorknecht geworden.«</p>
+
+<p>»Also der Schopper-Schub hat dieses Werk gebaut!« Der Adlerwirt hätte
+es ihm nicht angesehen. Der Mann, der solches kann, darf sich am Ende
+doch keck um die Herzliebste bewerben.</p>
+
+<p>Auf der Höhe gab es eine schöne Aussicht hin in die Waldberge, aber
+dem Wolfram ging es nicht um das. Rings um ihn lag der geschlagene
+Urwald<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> in vielen tausend Stämmen, welche von den Holzhauern entschält,
+zu Blöcken geschnitten und an die Einmündung der Riesen gebracht
+wurden; dem Wolfram ging's auch nicht um Holz. Inmitten der Leute
+stand der Schopper in braunen Hemdärmeln und barhaupt. Er hielt einen
+langen Maßstab in den Boden gestemmt und traf Anordnungen. Der Wolfram
+hatte ihn erkannt an dem üppigen Barte und ging nun, über Stämme und
+Rindenwälle kletternd, auf ihn zu.</p>
+
+<p>Die beiden Männer standen sich ein Weilchen gegenüber und schauten sich
+an, bevor das erste Wort gesprochen wurde.</p>
+
+<p>»Dich suche ich,« sagte endlich der Adlerwirt. »Wenn ich den weiten Weg
+her mache zu dir, so kannst dir denken, daß es etwas Wichtiges wird
+sein. Willst so gut sein, Schopper, und mit mir ein wenig auf die Seite
+gehen?«</p>
+
+<p>»Das kann ich schon tun,« antwortete der Holzknecht, und sie gingen
+gegen einige Schirmtannen hin, die man stehen gelassen hatte.</p>
+
+<p>»Schopper,« bemerkte der Wolfram, »deine Riesen ist ein Meisterwerk.«</p>
+
+<p>»Daß du mir das sagst, deswegen bist du nicht gekommen,« entgegnete der
+Holzknecht. »Adlerwirt, tu' nicht lang' um und sag', was du willst.«</p>
+
+<p>»Schopper,« sprach nun der andere im vertraulichen Tone. »Du kannst
+dir's denken, es ist der Frieda wegen. Du bist offenherzig mit mir
+gewesen,<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> und ich will es auch sein. Hast du das Dirndel noch im Kopf?«</p>
+
+<p>Der Schopper starrte den Fragenden an und entgegnete: »Was geht das
+dich an? Du hast dein Weib.«</p>
+
+<p>»Das wohl, Schopper, das habe ich, und just deswegen kann ich offen
+mit dir sprechen. Die Frieda ist eine Jugendfreundin meiner Frau, und
+wir wollen nicht, daß sie sollte verderben müssen. Vielleicht, daß ihr
+meine Frau einen Platz verschaffen könnte.«</p>
+
+<p>»Hat sie denn keinen?« fragte der Schopper.</p>
+
+<p>»Du wirst doch wissen, daß sie nicht mehr im Salmhof ist.«</p>
+
+<p>»Ei freilich weiß ich das.«</p>
+
+<p>»Wo sie nur mag umherirren auf der weiten Welt? Und hat keinen
+Menschen, der ihr's gut tät meinen!«</p>
+
+<p>»Adlerwirt!« sagte der Schopper ganz leise, aber nachdrucksvoll, »sie
+hat einen!«</p>
+
+<p>»Heiratest sie, Schopper? Hast sie bei dir?« Ohne daß er es recht
+wollte, waren ihm diese Worte über die Lippen gesprungen, denn es war
+ein großer Sturm in ihm, und das Herz pochte so heftig in seiner Brust,
+daß es nachklang in den Schläfen.</p>
+
+<p>Der Schopper sagte: »Mein lieber Adlerwirt. So dumm bin ich nicht, daß
+ich dir sie verrate. Geh' nur ruhig heim nach Kirchbrunn und kümmere
+dich um deine Leut', die Frieda geht dich nichts an.«</p>
+
+<p>Damit wendete er sich seiner Arbeit zu, und dem<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> Adlerwirt blieb nichts
+übrig, als den mühevollen Weg wieder zu Tale zu steigen.</p>
+
+<p>»Wenn Sie bis zum Feierabend warten wollen,« rief ihm einer der
+Arbeiter zu, »so können Sie auch hinabfahren. Wir rutschen alle hinab.
+Mit dem Brettel ist man in fünf Minuten zu Tal. Aber jetzt geht's
+nicht, jetzt haben die Holzblöcher das Vorrecht.«</p>
+
+<p>Dem Adlerwirt kam aber die ganze Gegend ein wenig unheimlich vor, und
+er ging angestrengt drei Stunden lang, bis er den Turm von Kirchbrunn
+sah.</p>
+
+<p>Als er hinaus über die Wiesen schritt, saß dort an einem Wassertümpel
+der Professor Nix und schaute den Krebsen zu. Der Alte erhob ein
+Freudengeschrei, als er seinen Hausherrn sah, und wollte alsogleich
+wissen, was die Adlerwirtshausbewohner verbrochen hätten, daß er sie
+über drei Tage lang im Fegfeuer zappeln lasse.</p>
+
+<p>Der Wolfram setzte sich hin auf den Rasen und seufzte: »Ach ja, lieber
+Professor!«</p>
+
+<p>»Junge, du gefällst mir nicht!« sagte der Professor.</p>
+
+<p>Der Wolfram schaute bekümmert in den Tümpel, dann sprach er: »Daß es
+seine Ursache haben muß, wenn einer wie halbverrückt davonläuft, ohne
+dem alten Vater, ohne dem Weibe zu sagen, wohin, das können Sie sich
+denken. Und eine Ursache hat es. — Sie wohnen gemütlich in Ihrer
+großen Stube, Herr, ärgern sich vielleicht ein wenig über den Lärm<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> der
+Gäste am späten Abend, haben aber freilich keine Ahnung, was zwischen
+uns vorgeht. Sie ist hart. Sie ist herzlos, daß ich's nicht sagen kann.
+Sie macht mich ganz verzagt ...«</p>
+
+<p>»Na, na!« beschwichtigte der Professor und neigte sich über den jungen
+Mann, denn dieser preßte seine Hände ins Gesicht und schluchzte.</p>
+
+<p>»Ich habe mir's gedacht,« sagte der Alte gedämpft, »ich habe mir's wohl
+gedacht.«</p>
+
+<p>Dann schwiegen beide eine lange Zeit und starrten in das klare Wasser,
+wo langsam die Krebse krochen und stets nach rückwärts — nach
+rückwärts.</p>
+
+<p>»In den ersten Wochen,« so fuhr Professor Nix endlich fort, »da habe
+ich vorgehabt, dir Trost zuzusprechen, habe sie wohl für eine herbe
+Natur gehalten, aber wer den Schlüssel findet zu solchen Naturen, der
+hat's gut. Sie zeigen und feilen ihr Herz und Gemüt nicht auf der Gasse
+umher, sie geizen gegen alle Welt mit ihrer Güte, um ja recht viel
+davon aufzuhäufen für den einen und einzigen, den sie selig machen
+wollen. So eine goldene, habe ich gemeint, hättest du dir auserwählt.
+Freilich ist mir nach und nach anders zu Mute geworden. Ganz krampfig
+ist mir zu Mute geworden, mein lieber Wolf! Aber reden! Wenn er nicht
+redet, ich bin auch still. Wenn einer zum jungen Ehemann hingeht und
+sagt: Du, dein Weib paßt nicht für dich! so ist das ein schlechter
+Kerl, den man mit einem Rattenschwanz erdrosseln soll. Aber dir sage
+ich es doch, Wolf,<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> und du erdrosselst mich nicht, wenn ich dir sage:
+Sie paßt nicht für dich!«</p>
+
+<p>Der Wolfram murmelte: »Ich erdrossele Sie nicht.«</p>
+
+<p>»Von der mußt du los, Junge!« rief der Professor.</p>
+
+<p>»Aber wie?« seufzte der junge Mann.</p>
+
+<p>»Scheidung! frisch! rasch! Heute besser als morgen.«</p>
+
+<p>»Ehescheidung!« sagte der Adlerwirt. »Das geht nicht. Dieses Aufsehen!«</p>
+
+<p>»Wenn sie dich in die Strafanstalt führen, das wird auch ein Aufsehen
+sein!«</p>
+
+<p>Der Wolfram sprang empor.</p>
+
+<p>»Verzeihe!« begütigte der Professor. »Das Wort war schlimm. So
+endet's bei dir nicht, so nicht. Du bist ein weicher Mensch, du wirst
+verderben und vergehen, und wer dich umbringt, der kommt auch nicht
+ins Zuchthaus, weil du dich vor Gram und Jammer selber verzehrst. Und
+der, welcher dich mit kleinen Dosen täglich vergiftet, hat noch den
+Triumph, als Leidtragender an deiner Grube zu stehen. — Wolf, wenn du
+bisher alle sieben Todsünden begangen, die eine mußt du sühnen, auf der
+Stelle, ohne Säumnis sühnen: daß du dieses Weib genommen hast!«</p>
+
+<p>»Ich hätte mir ja leicht eine andere gewußt.«</p>
+
+<p>»Eine andere!« sprach nun der Professor. »Wolf, eine andere laß
+einstweilen aus dem Spiele! Das ganze Firmament, habe ich gesagt,
+vermach' ich dir, nur den Halbmond nicht, der gehört den Türken.<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> Und
+Türke wirst du keiner sein wollen. Jetzt eine andere! Das wäre hübsch!
+Erst scheiden, dann wieder binden!«</p>
+
+<p>»Nicht mir zulieb' habe ich sie genommen.«</p>
+
+<p>»Man merkt es wohl, Junge. Wäre auch nur ein bißchen Neigung da, es
+müßte sich anders zeigen.«</p>
+
+<p>»Mein Vater wollte es so haben,« gestand nun der junge Adlerwirt, »ihm
+zuliebe bin ich hineingesprungen. Wir stehen schlecht, wir müssen uns
+mit ihrem Gelde aufhelfen.«</p>
+
+<p>»Wolf,« sagte hierauf der Professor. »So lang dein Weib mißt, so lang
+mißt dein Unglück. Wo das Weib aufhört und das Geld anfängt, fängt in
+dir der Wicht an. — Schelm, armseliger! Das Geld! — Adlerwirtssohn.
+Ich habe dich als Kind auf den Armen getragen und dabei gesungen:
+Lieber Engel, werde ein braver Mensch! Hernach der wißbegierige Knabe!
+Der warmherzige Jüngling! Es war eine Freude. Er wird's! habe ich oft
+gejauchzt. — Na, und wie der Mann fertig ist, von dem man glaubt, daß
+er edle Früchte wird tragen — steht der heißhungrige Geldwolf da. Irr
+und toll könnt' einer werden!«</p>
+
+<p>Da der Adlerwirt bei diesen herben Worten sich abgewendet hatte, fiel
+der alte kleine Professor vor ihm auf die Kniee, umfaßte seine Beine
+und rief: »Mußt mir's zugute halten, Wolf, mir tut deinetwegen das Herz
+so weh, daß ich schreien muß. Dem Vater zulieb'! Es war ja gut gezielt,
+aber es<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> ist schlecht getroffen. Mein Wolf, glaube mir! Folge mir! Gehe
+heute noch ins Amt und laß dich scheiden!«</p>
+
+<p>»Dann bin ich ein Bettler!« rief der Adlerwirt.</p>
+
+<p>Der Professor stutzte. Als er seiner Verblüffung einigermaßen Herr
+geworden, sagte er in singendem Tone: »So, so. Also nur eine Ausrede
+ist der Herr Vater. Du selber willst Geld haben. Du willst lieber ein
+elender, verächtlicher Gauch sein, von deines Weibes Groschen zehrend,
+unter eines Weibes Fuß wimmernd, dich windend wie ein zertretener Wurm,
+anstatt mit gesunden Armen mannbar dir dein Brot zu verdienen! —
+Adlerwirt, ich mag dich nicht mehr.«</p>
+
+<p>Er erhob sich rasch und ging quer über die Wiese hin durch das lange
+Gras, daß kaum sein Kopf manchmal hervorragte über den Germen und
+Rispen. —</p>
+
+<p>Als der Wolfram nach Hause kam, gab's von Vaters Seite ein arges
+Wetter. Er ertrug's gleichgültig. Frau Kunigunde blieb drei Schritte
+vor ihm stehen und fragte: »Bist denn schon da, Wolfram? Hast dir die
+Socken lochig getreten, oder hat dich der Hunger nach Hause getrieben?
+Die Köchin soll dich nur sattfüttern, daß du wieder gehen kannst.«</p>
+
+<p>In der heißen Wut über solchen Hohn tat der Wolfram schon den Mund auf,
+um sie zu fragen: <span class="gesperrt">wenn</span> eins gehen müsse, welches von beiden? —
+Aber der alte Adlerwirt hielt ihn fest am Arm und raunte ihm zu: »Um
+Christi willen, schweig still! Wir müßten vom Haus ziehen wie ein paar
+Zigeuner.<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> Kein Nagel auf dem Dach ist mehr unser Eigentum. Nur noch
+kurze Zeit Geduld! Hast du's schon gehört? Der Salmhofer liegt auf den
+Tod!«</p>
+
+<p>Der Wolfram hat sich die Lippen blutig gebissen und geschwiegen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_3">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h3>7. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Jetzt währte es noch zwei Tage, und von Geßnitz langte ein Bote ein.
+Der Jungknecht aus dem Salmhofe war's. Er stand vor dem Adlerwirtshause
+so eine Weile herum, stolperte dann ins Gastzimmer und ließ sich einen
+Krug Apfelwein geben. Er zerrüttete sich fast den Kopf im Nachsinnen,
+wie er es angehen werde, daß seine Neuigkeit nicht tödlichen Schreck
+hervorbringe. Fürs erste tat er ein paar herzhafte Züge, das machte ihn
+mutiger. Und als der alte Adlerwirt — grau und mager war er geworden
+die letzte Zeit her — in die Stube trat und den allein dasitzenden
+Gast fragte, was es Neues gäbe? antwortete der Jungknecht mit
+unbehilflichen Worten, es sei halt so auf der Welt. Er bringe gerade
+nichts Gutes. — Dann trank er wieder.</p>
+
+<p>Der alte Wirt horchte gespannt hin. »Wenn ich mich nicht verkenne,«
+sagte er, »du bist ja ein Salmhoferischer?«</p>
+
+<p>»Wohl eh, wohl eh,« antwortete der Knecht und fuhr sich mit der flachen
+Hand über das breite Gesicht.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span></p>
+
+<p>»Also wie geht's daheim, wie geht's?« fragte der Wirt unter den
+lebhaftesten Zeichen der Teilnahme.</p>
+
+<p>»Gestern auf den Abend ist's halt gar worden mit ihm,« berichtete der
+Knecht.</p>
+
+<p>»Was sagst?« fuhr der Wirt auf. »Der Salmhofer! Mein Schwieger! Wird
+doch nicht —«</p>
+
+<p>»Er liegt schon auf der langen Bank,« sagte der Bote.</p>
+
+<p>Der alte Adlerwirt schlug sprachlos die Hände zusammen.</p>
+
+<p>»So viel schnell ist es gegangen,« berichtete der Knecht. »Das Blut ins
+Hirn gesprungen, sagt der Doktor. Morgen nachmittags ist die Leich.«</p>
+
+<p>Der Wirt schritt mit gerungenen Händen die Stube auf und ab und konnte
+sich nicht fassen. Immer schüttelte er den Kopf und murmelte: »Wer
+hätte sich das gedacht!« Aber auf einmal rief er mit gehobener Stimme:
+»Er hat's überstanden. Man muß noch froh sein, daß er kein großes
+Ableiden gehabt hat. — Trink aus, Bub, ich füll' dir noch einmal nach.«</p>
+
+<p>Als bald darauf der Wolfram eintrat, sagte der alte Wirt zu ihm: »Du,
+Wolf, eine große Neuigkeit. Mußt aber nicht zu arg erschrecken. Morgen
+heißt's nach Geßnitz fahren. Das Schlimmste ist eingetroffen.«</p>
+
+<p>Der Wolfram schaute seinen Vater an, sagte aber kein Wort, blieb
+gelassen, zeigte weder Trauer noch Freude. Dann stieg er die Treppe
+hinan zu seiner<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> Frau. Vor ihrer Tür stand er still und schöpfte Atem.
+Es kam ihm sauer an, daß er ihr jetzt einen großen Schmerz bereiten
+sollte. Doch wer wird's sonst tun als er? Mit der möglichsten Schonung
+will er ihr die Nachricht mitteilen und ihr liebevoll beistehen im
+kindlichen Leide. An die Vorteile, die durch des Schwiegervaters Tod
+dem Adlerwirtshause zukommen sollen, konnte er nicht denken, es empörte
+sich in ihm etwas dagegen. Ihm war der Salmhofer nie nahe gestanden,
+aber mit seinem Weibe fühlte er Mitleid, und jetzt das erste Mal war
+es ihm, als ob er sie doch lieb hätte. Endlich trat er ein. Sie saß
+am Tischchen, war mit einer Stickerei beschäftigt und zählte just die
+Maschen. Er setzte sich ihr gegenüber und tat, als schaue er aufmerksam
+ihrer Arbeit zu. Sie wollte aufstehen, er faßte sanft ihre Hand und
+sagte: »Bleib' ein wenig bei mir, Kunigunde.«</p>
+
+<p>Sie blickte ihn forschend an. »Was bedeutet denn das?« fragte sie kalt.</p>
+
+<p>»Ich muß dir's doch sagen,« fuhr er fort, »ein Bote ist da vom Salmhof.
+Mit deinem Vater steht's recht schlecht.«</p>
+
+<p>»Lüg' nicht!« herrschte sie ihm zu. »Tot ist er!«</p>
+
+<p>Der Wolfram schwieg.</p>
+
+<p>»Tot ist er!« rief sie und brach in ein heftiges Weinen aus.</p>
+
+<p>Er stand zu ihr, sagte ihr gütige Worte, streichelte ihr Haupt. Mit dem
+Arm stieß sie ihn von<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> sich. »Heuchler! Ihr habt seinen Tod doch kaum
+erwarten können!«</p>
+
+<p>»Kunigunde!« sprach er nun scharf und herb. »Das Wort sagst du mir
+nicht noch einmal! Meinetwegen hätte er noch hundert Jahre leben
+können. Ich suche nichts mehr bei ihm. So klug bin ich wohl geworden,
+meine liebe Kunigunde, daß ich endlich einsehe: vom Salmhof kommt
+<span class="gesperrt">mein</span> Glück nicht.«</p>
+
+<p>Sie hatte ihr Haupt ins Bettkissen gedrückt und weinte. Ihm wollte
+das Herz zerspringen darob, daß er ihr jetzt, gerade jetzt das rohe
+Wort gesagt. Aber so stand's mit ihm, je wärmer sein Gemüt war, desto
+leichter und plötzlicher sprang es, wenn ihm wehe getan wurde, in das
+Gegenteil um. Wenn er gegen sein Weib Gleichgültigkeit, ja Abneigung
+empfand, da gab es nie etwas, da blieb er ruhig und überlegsam; so
+oft er aber mit einem warmen, hoffenden Gefühl an sie herantrat und
+enttäuscht ward, setzte es fast immer einen Wettersturz und wilden
+Sturm.</p>
+
+<p>Frau Kunigunde rüstete sich, um nach Geßnitz zu fahren. Sie fuhr
+allein davon. Der Wolfram wollte zum Professor gehen, um ihm das
+Herz auszuschütten, aber der war nicht zu Hause und seine Stube
+verschlossen. Die Stubenmagd berichtete ihm, der alte Herr wäre seit
+einigen Tagen recht mißmutig und verlange an jedem Abende die Rechnung.</p>
+
+<p>Das Leichenbegängnis des Salmhofers ward mit<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> großem Pompe vollzogen.
+Wie zu einem Jahrmarkte kamen die Leute zusammen. Der alte Adlerwirt
+war überaus gerührt, und manche weichherzige Person mußte nur darum
+weinen auf dem Kirchhofe, weil sie den alten Mann so bitterlich
+schluchzen sah. Der junge Adlerwirt schien merkwürdig gefaßt zu
+sein; nur als er die Großbäuerin sah, die gebeugt, aber ergeben am
+Grabe ihres Mannes kniete, ward ihm das Auge feucht. Frau Kunigunde
+weinte nur wenig, aber in ihrem ganzen Wesen war eine kalte, fast
+ehrfurchtgebietende Trauer ausgedrückt. Sie war stets an Seite ihrer
+Mutter und suchte diese damit zu trösten, daß sie ihr zum künftigen
+Aufenthalte das Adlerwirtshaus antrug. Der Salmhof soll verkauft werden
+und die Mutter nach Kirchbrunn ziehen.</p>
+
+<p>»Das wäre ja gut,« meinte die alte Bäuerin, »wenn's nur auch deinem
+Manne recht ist.«</p>
+
+<p>»Meinem Manne!« rief Frau Kunigunde fast lachend aus. »Was geht denn
+das meinen Mann an! Glaubst du, Mutter, ich werde mich vom Manne auch
+so tyrannisieren lassen wie du? Das wirst du anders erfahren, bis du im
+Adlerwirtshaus bist. Was du hast leiden müssen, Mutter! Du bist still
+gewesen, aber ich weiß es, und ich werde es den Männern heiß entgelten,
+das hab' ich mir vorgenommen.«</p>
+
+<p>»Gott tröst' seine Seel'!« sagte die alte Salmhoferin mit gefalteten
+Händen, »ich trag' ihm nichts nach, meinetwegen soll er nichts zu
+leiden haben.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p>
+
+<p>»Ja, ja, es soll's statt seiner nur ein anderer büßen!« versetzte Frau
+Kunigunde.</p>
+
+<p>Auf den Hof zurückgekehrt, sahen die beiden Frauen mehrere fremde Leute
+in den Wirtschaftsgebäuden umhersteigen.</p>
+
+<p>»Was wollen denn diese?« fragte die Adlerwirtin.</p>
+
+<p>»Laß sie umhergehen,« antwortete die Mutter, »die Neugier plagt sie.
+Mir scheint, es ist auch der Klobensteiner Verwalter dabei. Der wird
+Vieh kaufen wollen. Der Großknecht wird's schon ordnen. — Komm',
+Kundel, wir wollen einen warmen Kaffee trinken.«</p>
+
+<p>Die erste Zeit nach dem Tode des Großbauers blieb Frau Kunigunde nun im
+Salmhofe bei ihrer Mutter.</p>
+
+<p>Die beiden Adlerwirte kehrten alsbald nach Kirchbrunn zurück. Den
+Wolfram erwartete zu Hause die Nachricht, daß der Professor Nix
+abgereist sei und einen Brief hinterlassen habe. Dieser Brief lautete:</p>
+
+<div class="blockquot">
+<p>
+»Lieber Wolfram!<br>
+</p>
+
+<p>Mich geht die Sache nichts an, aber zusehen mag ich nicht. Und still
+sein mag ich auch nicht. Ich werde unwirsch. Was soll ich Dir weh
+tun? Du hast schon auch so Dein Teil. Zu helfen ist Dir nicht. Also
+breche ich meinen Sommeraufenthalt im schönen Kirchbrunn ab und
+gedenke eine Reise zu machen. Sei bedankt für alles. Umkehren wirst
+Du kaum. Du stehst jetzt auf dem<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> Punkte, wo viele Wege sich zweigen.
+Schlimm ist jeder, aber wähle nicht den allerschlimmsten. Gott walt's.</p>
+
+<p class="right"><span class="gesperrt">Josue Nix.</span>«</p><br>
+</div>
+
+<p>Als der Wolfram diesen Brief gelesen hatte, befiel ihn ein solches
+Leid, daß er zusammenbrach auf eine Bank und stöhnte. Jetzt war dieser
+Mann von ihm gewichen, der seit Jahren als fröhlicher Genosse und
+Ratgeber sein Vertrauen gewonnen. Er hatte einen Vater, aber der war
+oft herrisch, eigennützig, launenhaft und nicht immer verläßlich. Er
+hatte Jugendfreunde gehabt, hatte viele gute Kameraden, aber sie waren
+Schmarotzer, Schelme oder Dummiane. So recht aus Herzensgrund sich
+geben und vertrauen glaubte er nur mehr diesem Manne zu können, der
+allsommerlich sich eingefunden mit seinem hellen Kopfe, mit seinem
+heiteren, treuen Herzen. Er war selber schier ein anderer geworden in
+dieser Gesellschaft, er hatte, bei aller Verehrung für ihn, manche
+Schalkerei, manchen kecken Burschenstreich mit dem kleinen Alten
+durchgemacht, er hatte manchen ernsten Rat desselben befolgt, und er
+hatte es nicht ein einziges Mal zu bereuen gehabt. Und diesen seinen
+letzten Rat — Ehescheidung! kann er nicht befolgen, unmöglich! Wie
+wird das enden?</p>
+
+<p>Der alte Adlerwirt lebte ordentlich auf. Neue Geschäfte hub er
+an, Bauholz kaufte er, einen Steinbruch unweit des Dorfes wollte
+er erstehen, denn für das nächste Jahr hatte er einen Neubau des
+Adlerwirtshauses vor. Kirchbrunn soll ein Hotel<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> bekommen! Eine
+Sommerfrischanstalt mit Lustgarten und Bädern. — Seine Zeit muß man
+verstehen! Die Passionen der Mitwelt muß man ergründen, auf die Lösung
+dieses Rätsels ist eine große Prämie gesetzt — die Million.</p>
+
+<p>Endlich kam ein Schreiben aus Geßnitz vom Notar. Der alte Adlerwirt
+atmete auf, er hatte es schon seit Wochen erwartet. Der Adlerwirt
+zu Kirchbrunn wird ersucht, in Angelegenheit des Salmhoferischen
+Nachlasses bei dem Notariat zu Geßnitz sich einzufinden.</p>
+
+<p>»Einspannen!« kommandierte der alte Adlerwirt. Er selber wollte fahren,
+der Wolfram war auf einem Holzeinkauf aus.</p>
+
+<p>Der Notar, ein alter, hagerer Mann mit brauner Perücke und
+schwarzgefärbtem Schnurrbarte, empfing den Adlerwirt sehr höflich,
+kramte hernach eine Weile in Papieren um und stellte die Frage, ob
+der Adlerwirt, als Schwiegersohn des seligen Salmhofers, geneigt sei,
+dessen Erbe anzutreten.</p>
+
+<p>Der alte Wirt war über die förmliche Frage in so selbstverständlicher
+Sache etwas erstaunt. Er antwortete: »Ich brauche wohl nicht zu sagen,
+daß ich als Bevollmächtigter meines Sohnes Wolfram hier bin, und daß
+ich in seinem Namen erkläre —«</p>
+
+<p>»Gemach!« unterbrach ihn der Notar. »Ich glaube, die Sache müßte wohl
+überlegt werden. Ich würde nicht raten.«</p>
+
+<p>»Wieso? Wie meinen Sie das, Herr Doktor?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p>
+
+<p>»Außer Ihr Sohn denkt so vornehm, daß er die Ehre seines
+Schwiegervaters retten will.«</p>
+
+<p>»Ich verstehe nicht, Herr Doktor.«</p>
+
+<p>»Es ist höchst wahrscheinlich,« fuhr der Notar fort, »daß in dem
+Nachlasse des verstorbenen Salmhofers die Passiven größer sind, als die
+Aktiven.«</p>
+
+<p>Es war heiß in der Kanzlei. Der Adlerwirt trocknete sich mit dem
+Taschentuche die Stirn, dann lallte er mit grinsendem Gesichte: »Ist
+ein Spaß, hi, hi.«</p>
+
+<p>»Ist kein Spaß, lieber Adlerwirt,« sagte der Notar. »Mit dem Vermögen
+des Salmhofers steht es ganz anders, als man angenommen hat. Es steht
+unerhört schlecht.«</p>
+
+<p>»Aber, Jesses, man sieht ja, was da ist!« brauste der alte Wirt auf.</p>
+
+<p>»Nichts ist da,« versetzte der Notar mit fürchterlicher Ruhe. »Alles
+gehört dem Baron Klobenstein. Seit vielen Jahren hat der Baron Geld
+geborgt, den Viehbestand beigestellt, die Steuern bezahlt für den
+Salmhof. Der Großknecht auf dem Hof war so viel als Klobensteinischer
+Verweser, der alte Salmhofer genoß seit einiger Zeit vom Baron eine Art
+Gnadenbrot. Alles, was Sie heute sehen, und mehr als alles, gehört der
+Herrschaft Klobenstein. Leider, so steht es.«</p>
+
+<p>Und jetzt wußte es der Adlerwirt. »Der Teufel hol' eine solche
+Erbschaft!« schrie er in wilder Empörung. »Schulden! die habe ich
+selber.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span></p>
+
+<p>Betäubt war er, wie er spät abends nach Hause kam. Als ein reicher
+Mann war er ausgefahren, als Bettler kam er heim. In die Wut brachte
+ihn erst der Wolfram. Als er diesem die saubere Neuigkeit mitteilte,
+was geschah? Der Wolfram fuhr nicht auf, wurde nicht rasend, sagte gar
+nichts, zuckte nur die Achseln.</p>
+
+<p>»Ist das ein Hosenlupf?« fragte der Alte den Sohn voll giftigen
+Grimmes. »Nein, Freund, das ist kein Hosenlupf. Wie wir jetzt
+hingeworfen sind, da stehen wir nicht wieder auf. Was sagst denn dazu?
+Pfeif' eins, wir sind ruiniert! Pfeif' eins, großer Geist, Narr,
+angesteckt vom alten Narren, der gottlob zum Teufel gegangen ist.«</p>
+
+<p>»Ich weiß nicht, was du willst, Vater,« sagte nun der Wolfram. »Dir
+muß es immer sehr gut ergangen sein. Was mich anbelangt, habe ich
+schon Schlimmeres erfahren, als was du mir da sagst. Du hast freilich
+nur auf das Salmhoferische Geld gewartet und nicht gespürt, daß ich
+deine Habsucht im Fegefeuer büße. Und nicht darnach gefragt, was
+ich ausstehen muß neben dieser Person. Den Eltern zu gefallen eine
+heiraten, das ist die achte Todsünde; heute noch gehe ich zum Pfarrer
+und lasse sie in den Katechismus schreiben.«</p>
+
+<p>»Du bist ein dummer Knabe!« schrie der Alte.</p>
+
+<p>»Der Vatername schützt dich, daß ich dir jetzt nicht ein anderes Wort
+sage!« so der Wolfram, blaß, glühenden Auges, am ganzen Körper bebend.<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span>
+So viel Besinnung hatte er noch, daß er merkte, es wäre die höchste
+Zeit, aus der Stube zu eilen.</p>
+
+<p>In seinem einsamen Zimmer, nächtig dunkel, feindselig fast die Stimmung
+des Raumes, in welchem Frau Kunigunde zu walten pflegte, saß der
+Wolfram und stützte seinen schweren Kopf auf die Hand. Und weil in
+dem Menschen etwas ist, das ihn nicht ganz versinken lassen will in
+Verzweiflung, so fiel es ihm ein: Vielleicht ist diese Wendung zum
+Glücke. Vielleicht ist ihr Stolz, ihre Härte jetzt gebrochen, wenn
+sie weiß, daß sie arm ist wie ein Karnerweib, vielleicht kommt jetzt
+ihre bessere Natur zum Vorschein. Ich will ihr's leicht machen. Kein
+Vorwurf, keine Anspielung soll über meine Lippen kommen; beweisen will
+ich ihr, daß ich nicht das Geld in ihr achte und suche, wohl aber das
+warme Herz.</p>
+
+<p>Zu seinem Vater ging er noch einmal, der im Hofe wie wahnsinnig hin
+und her rannte, und zu diesem sprach er: »Vater! Eines merke dir! Sage
+meiner Frau, wenn sie heimkommt, kein ungeschaffenes Wort! Ich will sie
+respektiert wissen, verstehst!«</p>
+
+<p>»Ja versteht sich,« höhnte der Alte, »eine <span class="gesperrt">solche</span> Frau muß man
+respektieren!« Dann schlug er um: »Bettelbub! Was ist das für eine
+Manier?! Glaubst du, Laff', weil ich dich nicht mehr enterben kann, du
+darfst mit mir umgehen, wie mit einem Landstromer?«</p>
+
+<p>Der Sohn schritt ins Haus zurück.</p>
+
+<p>In der Gaststube saßen ein paar angeheiterte<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> Bauern und machten faule
+Späße über ihre Weiber. Jeder prahlte sich damit, daß die seine daheim
+die Häßlichste und Unsauberste und Zuwiderste wäre; und der eine
+stieß sein leeres Glas von sich, hieb mit der Faust auf den Tisch und
+gurgelte: »Das weiß ich!« Er wollte etwas sagen, wußte aber nichts.</p>
+
+<p>»Wenn mich meine Alte recht fuchtig macht, so geh' ich ins Wirtshaus
+und sauf' mir einen Rausch!« rief der andere.</p>
+
+<p>»Ha ha, ha ha!« lachte der eine, »und wenn du nachher heimkommst,
+siehst du den Drachen doppelt und dreifach. Das muß eine Freud' sein!«</p>
+
+<p>Der Wolfram hörte ihnen mit Wehmut zu, diesen unglücklichen Ehemännern,
+die so lustig sein und so tapfer trinken konnten. Auch er hatte das
+Trinken schon versucht, es ging aber nicht. Nur in der Frohstimmung
+schmeckte ihm der Wein, aber es kam nie zu einer.</p>
+
+<p>Und es wird doch wieder zu einer kommen! also ermutigte er sich selbst.
+Vielleicht nimmt's eine Wendung. Denn daß es so bleiben sollte fürs
+ganze Leben — er vermochte es nicht zu denken, geschweige zu ertragen.</p>
+
+<p>Ein so hartes Weib als er — also empfand er's — hat keiner mehr auf
+der Welt. Ihre Herbheit, ja Roheit gegen ihn tat ihm um so weher,
+als Frau Kunigunde sonst manchmal und gegen andere Herz und Gemüt
+zeigte. So war sie nicht karg gegen Arme; manchem Bettelmann, der ihr
+zu schmeicheln<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> wußte, gab sie mit vollen Händen. Ward ein Dienstbote
+krank, so war sie zwar ungehalten, besorgte aber schleunigst Pflege und
+Arzt; noch mehr Neigung wendete sie den Tieren zu, von denen sie sagte,
+sie verdienten mehr Liebe als die Menschen. Am rücksichtsvollsten
+und aufmerksamsten war sie gegen ihre Verwandten. So unzufrieden sie
+zu Hause auf dem Salmhofe gewesen war, so lebhaft strebte sie jetzt
+manchmal nach dem Salmhofe zurück, all ihre Herzenswärme verschwendete
+sie dahin. Und nur ihrem Manne nichts und gar nichts als Trotz und
+Bitterkeit.</p>
+
+<p>Nach diesen ruppigen Tagen stand es an zwei Wochen lang, da kamen sie
+plötzlich angefahren, die Frau Kunigunde und ihre Mutter. Und mit Sack
+und Pack.</p>
+
+<p>Für die Salmhoferin wurde alsbald das Baumgartenzimmer eingerichtet,
+und als der Wolfram endlich Gelegenheit hatte, mit seiner Frau ein paar
+Worte zu sprechen, sagte er: »Ganz recht, Kundel, daß du deine Mutter
+mitgebracht hast. Solange wir selber in diesem Hause sind, wird sie
+auch noch Platz haben. Es ist recht, es ist schon recht.«</p>
+
+<p>»Habe ich dich darum gefragt?« entgegnete sie.</p>
+
+<p>»Kundel,« sagte er und wollte ihre Hand fassen, was sie aber zu
+verhindern wußte, »Kundel! wie du hart bist auf mich! Das kann nicht
+dein Ernst sein. Du bist jetzt nur unglücklich, und das macht halt
+bitter. Mich erbarmst du.«</p>
+
+<p>»Schenke du dein Mitleid einer anderen, ich<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> brauch' es nicht!« so ihre
+Antwort, ging in ihr Zimmer und schlug hinter sich die Tür zu.</p>
+
+<p>Der Wolfram stand noch eine Weile so allein da, dann tat er einen
+Seufzer: »Ach! das ist ein Leben!«</p>
+
+<p>Der alte Adlerwirt ließ sich von nun an selten mehr sehen. Er saß in
+seiner kleinen Stube neben der Küche und brütete vor sich hin. Manchmal
+ging er, anstatt zu seinen wenigen, verdrossenen Gästen sich zu setzen,
+zum zweiten Dorfwirte hinüber und trank erstaunlich viel Wein. Aber die
+Gläubiger und die Exekutionsbögen fanden ihn auch dort, und endlich
+war es nicht mehr zu vertuschen, wie es stand. Und eines Tages war im
+Bezirks-Wochenblatte die Anzeige zu lesen von einer großen Vergantung
+zu Kirchbrunn.</p>
+
+<p>Der Wolfram hätte sein schweres Herz gerne abgelastet vor dem einzigen
+Menschen, der ihm beigesellt worden zum gemeinsamen Tragen von Freud
+und Leid, aber die Tür ihres Zimmers war verschlossen und blieb
+verschlossen, wenn er auch klopfte. Also litt es ihn nicht mehr in
+den unwirtlichen Mauern seines Hauses, nicht mehr im Dorfe, wo er aus
+jedem Gesichte Mitleid oder Schadenfreude und Hohn zu lesen glaubte.
+Immer noch unter dem Vorwande, Vieh oder Holz einzukaufen, strich er im
+Gebirge um, verbrachte manche Nacht auf harter Bank der Schenkstuben
+oder in Heuscheunen. Mehrmals stieg er auf hohe Berge und blickte
+hinaus ins weite, schöne, sonnige Land, und da ward er<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> noch trauriger.
+— Wie ist die Welt so schön! Und wie sind die Menschen so arg!</p>
+
+<p>In Waldgeschlägen fragte er an, ob man einen kräftigen Holzarbeiter
+brauchen könne, er wisse einen solchen. Denn klar und gewiß war es
+ihm endlich geworden, daß er mit seinem Weibe nicht mehr weiterleben
+könne. So wollte er auch von ganz Kirchbrunn nichts mehr wissen,
+sondern auf einem anderen Fleck ein neues Leben anfangen — sei es noch
+so armselig, besser als dieses auf jeden Fall. Es gibt ja so viele
+Millionen Menschen, die Bankerott gemacht mit ihrem Glücke, und sie
+fügen sich und leben geduldig dahin so lange, bis sie sterben. Warum
+will es unsereiner besser haben als die meisten anderen? Je länger
+einer an seinem Glücke baut, desto tiefer baut er in die finstere
+Erde hinein, desto kümmerlicher wird's. Und es ist ganz gut so. Wie
+hart wäre das Sterben, wenn diese Welt desto schöner würde, je länger
+der Mensch daran verbessert und verschönert. Wenn es dem Unschuldigen
+schon oft gottlos schlecht geht, was will erst ich sagen! Ich habe das
+unrechte Weib genommen, habe es doch rechtzeitig bemerkt und bin nicht
+zurückgestanden. Ich kann mich zum Teil auf meinen Vater ausreden, der
+mich in diese Heirat hineingelockt hat, aber zum anderen Teil habe
+ich auch selber an ihren Reichtum gedacht und darnach geplant. Mir
+geschieht schon recht.</p>
+
+<p>Also richtete der Wolfram sich selbst, und dann<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> saß er wieder in
+Straßenschenken und goß Wein auf sein wehes Herz.</p>
+
+<p>Kauerte er einmal an einem heißen Sonntagsnachmittag auf dem
+Schabelberg. Niemand war da als ein altes Weib, das im Bankwinkel
+nickend den Wünschen des Gastes harrte. Zahllose Fliegen umsummten
+den einsamen Zecher und sein Glas. Er starrte durch die trübe
+Fensterscheibe hinaus auf die blendend weiße Straße und auf die
+halbverdorrten, graubestaubten Halme und Sträucher, die am Rande hin
+und her standen. Da ging ein Weibsbild vorüber. Dieses Weibsbild
+hatte, um den schwarzen Spenzer, sowie das rote Halstuch vor Staub und
+ihr Haupt vor den glühenden Sonnenstrahlen zu schützen, den blauen
+Außenkittel so über ihre Gestalt geschlagen, daß er wie ein Schirmdach
+muschelförmig den Oberkörper einhüllte. Der graue Unterrock ging bis
+halb über die weißbestrümpften Waden und schlug bei jedem Schritte
+in pendelartiger Gleichmäßigkeit sachte hin und her. Aus der Muschel
+guckte ein frischrotes Gesicht, und dieses Gesicht war — dem Wolfram
+schoß alles Blut zum Herzen.</p>
+
+<p>Rasch warf er ein paar Münzen auf den Tisch, stand auf und ging hinaus.
+Die Straße zog bergwärts, das Dirndel stieg tapfer an, der Adlerwirt
+duckte sich ein wenig hinter der Hausecke, und als sie einen gewissen
+Vorsprung hatte, schnalzte er mit der Zunge und ging ihr nach.</p><br>
+
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_4">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span></p>
+
+<h3>8. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Die Jungmagd Frieda einst auf dem Salmhofe. Ein paarmal hatte sie sich
+ihren Dienstgenossen gegenüber geäußert: die Ehre wäre ihr doch zuteil
+geworden, daß der junge Adlerwirt an seinem Hochzeitstage mit ihr gute
+Gesundheit getrunken! Und dieses Prahlen hatte ihr den Dienst gekostet.
+Es war schon so etwas in der Luft gelegen, und der alten Salmhoferin
+sogar kam es nicht ganz richtig vor. Ein Brieflein von der Kundel
+schlug dem Fasse den Boden aus, und die Frieda wurde verjagt.</p>
+
+<p>Einen halben Tag lang war sie fortgegangen auf Wegen, Stegen und
+Steigen, ohne irgendwo um Arbeit zuzusprechen. Und als sie ins Gebirge
+gekommen war, wo die Bauerngüter seltener und die armen Waldhütten
+häufiger wurden, besann sie sich. Je entlegener und versteckter der
+Bergwinkel ist, in dem sie bleiben wird, desto besser. Es braucht's
+im Salmhofe niemand zu erfahren, wo sie ist, es braucht's im
+Adlerwirtshause niemand zu erfahren, und es braucht's der Holzknecht
+Schopper nicht zu wissen. Es wird sich mit Gottes Willen wohl auch
+anders wer finden, mit dem sich gut Freund sein läßt. Oder ist der
+junge Adlerwirt der einzige auf der Welt? Gott sei Dank, nein.</p>
+
+<p>In der Abachleuten beim Möstl nahm sie Dienst. Die Abachleuten war ein
+zwischen Berghalden schräge ansteigendes Wiesental mit einigen kleinen
+Kornäckern<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> und Erdäpfelgärten. Ein kaltes Wässerlein rauschte durchs
+Tal, und an den Wildstrüppen, die am Bachesrand standen, hingen auch
+an den Sommermorgen manchmal kleine Eiszapfen. An der sonnseitigen
+Lehne der Abachleuten stand das kleine Haus des Möstl, das letzte hier,
+welches sich noch kümmerlich von Feld- und Wiesenwirtschaft fristete.
+In diesem Waldhause lebten zwei ältliche Eheleute, die sehr arbeitsam,
+sehr häuslich und immer frohen Gemütes waren. Man merkte gar nicht,
+wie viel Sorge und Mühsal und Beschwerde es gab dahier. Der Möstl,
+ein rasches, gebücktes, ununterbrochen tätiges, stets glattrasiertes
+Männlein, war allezeit munter und aufgeräumt, und machte über jeden
+Graben, den das Schicksal ihm zog, einen kecken Sprung und lachte dazu.
+Seinem Weibe war's auch recht. Beide waren etwas schwerhörig und hatten
+daher sich eine laute Stimme angewöhnt, so daß man sie schon von weitem
+sprechen hörte mit klingendem Schall. Sie hatten sich immer etwas zu
+erzählen, zu fragen, zu raten, manchmal neckten sie sich einander
+sogar, daß ein helles Gelächter entstand. Der Ehekrieg, den auch diese
+Leute führten, bestand darin, daß sie einander immer zu überlisten
+suchten: beim Essen schmuggelte eines dem anderen möglichst unbemerkt
+die besseren Bissen zu, bei der Arbeit trachtete eines dem anderen die
+härtesten Dinge abzulasten.</p>
+
+<p>Diese Möstlleute im Abachtale hatten auch ein<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> Kind, eine bereits
+erwachsene Tochter, die aber schon seit Jahr und Tag in einem
+Strohsessel lehnte, weil infolge eines Wettersturmes, bei dem sie unter
+Wasser gekommen, ihre Füße lahm geworden waren. Das Mädchen mußte
+in vielem wie ein Kind gepflegt werden, konnte nur wenige Arbeiten
+verrichten helfen, hatte bisweilen Schmerzen zu leiden und blickte
+trotzdem mit ihrem blassen, gutmütigen Gesichte fröhlich ins Leben
+hinein, wenn man ihr Dasein und ihr Genießen überhaupt Leben nennen
+konnte.</p>
+
+<p>Bei diesen Leuten nun hatte die wandernde Frieda eines Abends um
+Nachtlager gebeten, und bei diesen Leuten war sie verblieben. Ein guter
+Lohn, wie auf dem Salmhofe, war hier nicht zu haben, die Arbeiten
+hatten viele Beschwer, und doch war es der Magd, als sei sie im Himmel.
+Was war das im großen, reichen Salmhofe für ein Streiten, Beißen,
+Übervorteilen und Murren gewesen der Leute untereinander! Und hier,
+welcher heitere Frieden, welche herzliche Einigkeit! Die Möstlleute
+machten aus der Arbeit eine Unterhaltung, aus jedem Werktage einen
+Festtag, denn alles, was da war, packten sie von der erträglichsten
+Seite an und taten, als machten sie eine Kurzweil daraus. Das hatte
+die Frieda auch noch nicht gesehen, daß man laut lacht, als ob man
+gekitzelt würde, wenn man schwere Schmerzen leidet am siechen Körper.
+Die Adelheid konnte das! Das arme Mädchen lachte in den Nächten manch<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span>
+halbes Stündchen lang. Die Mutter tat ihr alles, was in ihrer Macht
+stand, zugute und hatte bisweilen in ihrem freundlichen Auge etwas
+Nasses. Aber ein heiteres Wörtlein mußte doch immer gesagt werden. Und
+wenn es manchmal besonders schlimm ward, so daß die Adelheid nicht mehr
+lachte, sondern ganz still war und die Zähne aufeinanderbiß, da huben
+die Alten ein emsiges Beraten an, verfielen auf allerlei Mittel und
+ergriffen jedes mit solcher Zuversicht und Hoffnungsfreudigkeit, als ob
+alles Heil vor der Tür wäre.</p>
+
+<p>Die Magd Frieda lebte neu auf in diesem Hause; neigte doch auch ihre
+warmlebige Natur zum Frohsinn hin. Als ob sie wieder Eltern und
+Schwester gefunden hätte, so war ihr, und sie trachtete, den Leuten
+nach ihren Kräften zu dienen, Hartes zu mildern, Liebes zu tun, und
+besonders verstand sie bald, sich als Pflegerin der armen Siechen so
+zu erweisen, daß der Möstl einmal seinem Weibe zuschrie: »Alte! an der
+hat uns der Herrgott eine geschickt, daß wir ihm dafür die große Zehe
+wegküssen sollten wie die Betschwestern zu Rom dem heiligen Petrus.«</p>
+
+<p>Was das Möstlweib darauf antworten wollte, das durfte aber nicht so
+herausgeschrieen werden. Erst draußen am Feldraine teilte sie ihm ihre
+Bedenken mit: »Daß sie dir gefällt, die Frieda, wäre schon recht.
+Aber: auweh und auweh! möcht' ich sagen, sie gefällt auch anderen
+Mannsbildern. Wenn<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> du Zehen wegküssen willst, so mußt bald anfangen,
+sonst frißt sie vorher der Fuchs. Schon das zweite Mal habe ich am
+vorigen Samstag wahrgenommen, daß einer vor ihrem Fenster steht. Ein
+ganz fremder Kund ist's, habe mich zuerst schier gefürchtet vor ihm,
+aber geplaudert mit ihr hat er ganz gutmütig.«</p>
+
+<p>Und das Möstlweib hatte nicht schlecht beobachtet. Kaum daß die Magd
+Frieda ein paar Wochen in diesem weltverlorenen Hause gelebt, war
+eines Abends auch schon der Schopper-Schub da. Vor dem gab's kein
+Verstecken! Eben wollte sie desselben Abends einschlafen, als er durch
+ein leises Klopfen an ihrem Fenster sich anmeldete. Sie war zuerst sehr
+erschrocken und sogar empört, allmählich jedoch kam es ihr zu Sinn,
+daß dieser Mensch doch gar zu anhänglich wäre, fast wie ein Bruder.
+Sie hatte ja ohnehin keinen Bruder. Sie setzte sich in ihrem Bette
+auf, er setzte sich draußen auf den vorspringenden Wandschrott, und
+so sprachen sie eine Weile miteinander. Er sagte, daß sie ganz recht
+habe mit ihrem neuen Dienstorte, und daß er schon bemerkt hätte, wie
+brav sie den armen Krüppel pflege und die Anhänglichkeit der Möstlleute
+besitze. Das würde ihr gewiß den Segen Gottes bringen, und ihr würde es
+noch einmal viel besser ergehen, als mancher reichen und hochmütigen
+Großbauerntochter. Ihm — so erzählte der Schopper treuherzig — fehle
+auch nichts. Er habe jetzt im Siebenbachwaldgraben eine große Riesen
+gebaut, welche von allen Holzmeistern<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> gelobt wurde und welche ihm auch
+Geld und die Vorknechtstelle eingetragen habe. Vielleicht bringe er
+es doch noch einmal zu einer Eigenstatt, zu einer Hütte. Er wolle mit
+einer solchen klüger sein als das erste Mal.</p>
+
+<p>»Ja, hast schon einmal eine Hütte besessen?« fragte die Jungmagd.</p>
+
+<p>»So groß wie das Möstlhaus,« antwortete er.</p>
+
+<p>»Ein Häusel hast gehabt? Und hast es denn vertan? vertrunken?
+verspielt?«</p>
+
+<p>»Verraucht,« sagte der Holzknecht.</p>
+
+<p>»Jessas! So viel Tabak rauchen tust?«</p>
+
+<p>»Angezündet hab' ich's, mein Haus, und niedergebrannt.«</p>
+
+<p>»Nicht gescheit bist!« hauchte die erschrockene Frieda. »Aber wie hat
+das können sein?«</p>
+
+<p>»Weil ich ein rabiater Mensch bin,« sagte der Schopper. »Zufleiß hab'
+ich's getan. Und gereut hat's mich auch noch nie!«</p>
+
+<p>»Bei dir kennt man sich frei nicht aus,« meinte die Jungmagd.</p>
+
+<p>»Bist neugierig?« fragte er. »Nachher kunnt' ich dir's ja erzählen.
+Aber sitzen tu ich schlecht auf dem Schrottkopf.«</p>
+
+<p>»Einen anderen Platz hab' ich nicht,« gab sie schneidig zurück.</p>
+
+<p>»Alsdann bleib' ich sitzen auf dem Schrottkopf,« sagte er geduldig
+und hub an zu erzählen: »Von Wallischdorf bin ich her. Dort hat der
+Schopper-Rüppel<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> ein Gütel gehabt und zwei Söhne, meinen Bruder Juch
+und mich, den Schubhart. Und da geht einmal am Frohnleichnamstag nach
+dem Umgang, er hat noch den Himmel tragen helfen, der Schopper-Rüppel
+her und verstirbt. So schnell ist das gegangen, daß er nicht einmal
+Testament machen hat können. Nur so viel hat er gesagt: Dem Buben
+gehört das Häusel und den anderen soll er mit dreihundert Gulden
+hinauszahlen. Jetzt, weil er keinen Namen genannt, so hat jeder von uns
+zwei Brüdern wollen der Bub sein. Denn du kannst dir denken, der ist
+im Vorteil. Und haben angefangen zu streiten. Der Juch hat das Gütel
+haben wollen, und ich hab' es auch haben wollen. Ist eine Wirtschaft
+mit ihrer zwölf Joch Grundstücken. Haben uns vorher gar nicht unlieb
+gehabt, der Juch und ich, aber jetzt ist der Teufel los gewesen.
+Gestritten wie die Bettelbuben, und gar beim Gericht hat's jeder
+beweisen wollen, er wäre der Bub, und ihn hätte der Vater gemeint, und
+ihm täte das Häusel gehören. So währt's ein halbes Jahr und länger,
+keiner von uns hat mehr gearbeitet, jeder nur sinniert, wie er den
+anderen möcht' hinaustauchen. Geld hat's gekostet und Hirnschmalz
+und Herzblut — und die ewige Seligkeit hätt's kosten können, uns
+beiden. Und wie wir einmal so im Wirtshaus sitzen und schauderlich
+gegeneinander geraten — die Leute haben uns noch angehetzt — und wie
+wir schon kein gutes Haar aneinander lassen, daß<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> einer wie der andere
+einem rechten Spitzbuben gleichsieht vor dem ganzen Dorf, und zuletzt
+noch unseren verstorbenen Vater verschandieren — da spring ich gäh auf
+und davon. Nächtig Stund' ist, getrunken habe ich stark gehabt. Und
+wie ich zu meinem Häusel komm', das wie ein schwarzes Gespenst dasteht
+mitten in den Feldern, da fällt's mir ein: Niederbrennen! Das Gerümpel
+ist's nicht wert, was wir treiben. Im Aschen hat der Streit ein End'.
+— Kaum gedacht, bin ich mit dem Zündholz auch schon im Strohdach. Wie
+es licht wird im Tal und die Leute zusammenlaufen und ich auf einmal
+neben meinem Bruder steh' und vor uns bricht das Elternhaus nieder, da
+wird mir ganz eigen. Ich halte dem Juch die Hand hin und sag': Mein
+Teil ist verbrannt, die Grundstücke sollen dein sein, und wir wollen
+Fried' machen miteinand. — Er schaut mich an im Feuerschein und sagt:
+Schlecht genug bist du, daß du's selber hast getan. — Auf das bin ich
+fort ins Gebirg herein und Holzknecht geworden im Siebenbachwald. —
+Jetzt weißt es.«</p>
+
+<p>»Du bist ja ein grundschlechter Mensch!« sagte die Jungmagd ganz
+verblüfft.</p>
+
+<p>»Neid ist's nicht gewesen,« setzte der Schopper bei, »daß ich etwa
+hätte gemeint, wenn ich das Häusel nicht kann haben, so soll's auch der
+Bruder nicht haben. Aber Trotz ist's gewesen und Dummheit, und hinter
+mir immer der Teufel: Nicht nachgeben, nicht nachgeben! — Dabei das
+Streit-Elend,<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> die Bruderfeindschaft! Und wie schon manchmal ein Sturm
+in mich fährt, daß ich selber nicht mehr weiß, was ich tu', so ist's
+über mich gekommen, und so ist's geschehen. Mit meinem Bruder bin ich
+immer noch nicht auf gleich. Er hat seine Sach', ich gönne es ihm, und
+was ich getan, hat mich noch nicht ein einziges Mal gereut.«</p>
+
+<p>Die Jungmagd sagte: »Ein seltsamer Mensch bist.« Und bei sich dachte
+sie: Weiß nicht, soll man sich vor ihm fürchten oder was? ...</p>
+
+<p>Also plauderten sie von diesem und jenem, und der Schopper kam nun
+öfter an ihr Fenster. Von allerhand redete er, aber nie von Liebe.
+Nichts von dergleichen. Nur einmal fragte er sie bescheidentlich, ob es
+ihr wohl auch recht sei, daß er so manches Stündlein an ihrem Fenster
+sitze, er tue es halt gerne und wäre so froh dabei.</p>
+
+<p>Die Frieda brachte es nicht übers Herz, ihm zu gestehen, daß seine
+Gegenwart sie beklemme, daß sie ihn vielleicht gerne haben könne wie
+einen Bruder, aber Brüder kämen nicht ans Fenster der Schwestern, und
+ob er nicht besser täte, nach seiner schweren Tagesarbeit im Bette
+zu rasten, als den weiten Weg zu machen in die Abachleuten her. —
+Mehrmals nahm sie Anlauf, ihm das zu sagen, aber sie brachte es nicht
+übers Herz, ihn so zu kränken. Sie nahm sogar die kleinen Geschenke,
+als Wecken, frische Kaiserbirnen, welche er ihr mitzubringen pflegte
+— sie nahm derlei und sagte schön »Vergelt's Gott« dafür.<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> Insgeheim
+jedoch waren ihr die Gaben von diesem Menschen zuwider, und es tat
+ihr selber weh', daß sie so undankbar sein mußte. — Viel schlechter,
+so rief es einmal in ihr, viel schlechter ist der andere Wicht, der
+nächtig meine Ruhe stört. Was hat der junge Adlerwirt von Kirchbrunn
+in meinen Träumen zu tun! Das geht ihn gar nichts an, ob ich mein Haar
+flechte oder nicht, und er soll nur seiner Frau Adlerwirtin die Augen
+küssen und nicht ein armes Dienstbot foppen.</p>
+
+<p>Auf der Schabelhöhe, über welche eine Bergstraße führt, stand unter
+sieben alten Lärchen eine Kapelle. In derselben war ein frischer
+Brunnen und ein Muttergottesbild, genannt: Maria unter den sieben
+Lärchen. Dieses Bild war als wundertätig bekannt und besonders von
+Leuten aufgesucht, die an heimlichem Herzweh litten. Der Volkswitz
+sagte: Wenn eine Jungfrau siebenmal am Brunnen bei Maria unter den
+Lärchen trinkt, dann bekommt sie einen Mann. Obzwar dieser Ausspruch
+in der Gegend nicht gerade als Glaubensartikel bezeugt war, so ließ
+sich doch nicht leugnen, daß jahraus jahrein viel junges Frauenvolk
+hinaufkam zur Schabelhöhe, andächtig vor dem alten, ungefügen Bildnis
+betete und dann einen kräftigen Schluck nahm aus dem Brunnen. Also war
+es auch der Magd Frieda schon mehrmals zu Sinn gekommen, ob sie nicht
+eine Wallfahrt machen sollte zu den sieben Lärchen; der Platz war vom
+Abachtale aus<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> in einer guten Stunde zu erreichen. Ganz fern stand das
+Gnadenbild den menschlichen Liebesangelegenheiten auf keinen Fall.
+Ein heimlich Herzweh — das stimmt ja. War nicht einst der sterbenden
+Mutter letztes Wort: Frieda, wenn du nicht aus weißt, so knie' hin und
+tu' beten! — Und hatte die Frieda nicht auch dem Schopper versprochen,
+sie wolle so lange beten, bis sie ihn recht lieb habe?</p>
+
+<p>Und eines Sommersonntags am Nachmittage ging die Magd an den Waldhängen
+hinan, über die sonnigen Weiden fort, bis sie zur heißen, staubigen
+Straße kam. Wie von diesen Höhen aus der Blick sich weitete hin auf die
+blauen Berge, so weitete sich auch ihr Herz, und eine frohe Hoffnung
+kam über sie, daß sie nicht umsonst den Wallfahrtsweg machen werde zu
+der lieben Mutter Gottes.</p>
+
+<p>Endlich stieg sie die Stufen hinan zur hölzernen Kapelle, die schon
+etwas hinfällig sich an eine der Lärchen lehnte. Sie hörte das
+Geplätscher des Brunnens, der an der Seitenwand aus dem Rohre in einen
+Steinkessel rann. Niemand war da, sie war ganz allein. Ihren Überkittel
+ließ sie vom Kopfe hinabgleiten, ihr Gebetbuch zog sie aus dem Säcklein
+und also kniete sie nieder vor der Mutter Gottes mit dem Kinde, die,
+aus Holz geschnitzt und mit Farben bemalt, fast in Lebensgröße auf
+dem Altare stand. Die Maria hatte eine Krone auf dem Haupte, hielt
+ein Zepter in der Hand, das Christkind trug im kleinen, nackten
+Händchen die Weltkugel.<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> So viel Herrlichkeit und Würde lag in diesem
+Bildnis, daß die Frieda sich dachte: Und hier soll ich mein sündig Herz
+auspacken?</p>
+
+<p>Mit dem Gebetbuche ging es heute gar nicht. Da sind allerhand Anliegen
+darin, aber das ihre nicht. Wie soll sie es denn nur anfangen, daß
+sie nach ihrer Meinung jetzt beten kann? — »Der gute arme Mensch,
+der Schopper. Ist er denn wirklich so unbegehrt? Ist er denn häßlich,
+so dumm, so ungefüg und selbstisch? Das ist er nicht. Er ist ein
+herzensguter Mensch, und wenn er seinen Bart kämmen und pflegen möchte,
+wer weiß, was draus werden könnt'! Hernach, wenn man bedenkt, was er
+für ein tüchtiger Mann in der Arbeit ist und bringt's über kurz zum
+Holzmeister. Schlecht kann's bei dem ein Weib nicht haben, ernähren
+kann er auch etwas. Und wenn er eine so recht lieb hat, als wie er
+sagt, daß er mich mag, da wird's kaum einen besseren Mann geben als
+den. Ich habe schon Beweise genug, wie er zu mir hält. Der wird ja
+närrisch, wenn er mich nicht kann haben. Also warum will ich ihn denn
+nicht, das möchte ich wissen, du liebe barmherzige Mutter Gottes!
+Ich bin ja gewiß nicht zu gut für ihn, schon eher zu schlecht. Ich
+weiß mir ja nichts auf der Welt und soll als arme Magd alt werden und
+versterben. Auf wen wart' ich denn? Ja, du himmlische Maria, warum will
+ich ihn denn nicht? Sei mir doch gnädig und gib mir deinen Segen. —
+Harte Anfechtungen habe<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> ich oft, als müßte ich wohin gehen und was
+anstellen, daß es groß Unglück gäbe für Zeit und Ewigkeit. O heilige
+Mutter Gottes, führe uns nicht in Versuchung! Gib mir die Gnade, daß
+ich den Holzknecht recht kann lieb haben und sein Weib werden. O liebes
+Christkindel mit dem krausen Haar! Und wenn es schon nicht möglich kann
+sein, daß ich ihn lieb hab' wie einen Herzensschatz, so gib mir die
+Kraft, daß ich das Opfer mag bringen, so wie es für alle drei am besten
+ist. Ich will dir ja nicht zu sparsam sein mit Wachskerzen, wenn du mir
+hilfst und den rechten Weg weisest. O gegrüßt seist du, Königin, Mutter
+der Barmherzigkeit!«</p>
+
+<p>Also dachte und murmelte die junge Magd vor sich hin, manches sprach
+sie laut und traumhaft, dann schlug sie das Buch auf, machte sich
+Vorwürfe, daß sie nicht einmal mehr beten könne, sie war sich's kaum
+bewußt, welch heißes, kindliches Gebet sie eben verrichtet hatte.</p>
+
+<p>Und während sie so kniete in der Kapelle und mit sich rang, ehrlich und
+tapfer, wie noch selten ein Weibesherz gerungen, stand am Eingang einer
+und beobachtete sie. Sie entfaltete ein weißes Handtüchlein, fuhr sich
+damit über die heißen Wangen und erhob sich — da sah sie ihn.</p>
+
+<p>»Schau,« sagte er und schnalzte mit der Zunge — der Wolfram war es —
+»da sehe ich eine Seltsame. Die will sich auch einen Liebsten erbitten.«</p>
+
+<p>Sie verbarg ihre Überraschung hinter Trotz und<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> antwortete: »Ja, das
+will ich auch. Aber nicht etwa so, wie es der Herr Adlerwirt meint.«</p>
+
+<p>»Das hilft alles nichts, Frieda,« sagte der Wolfram. »Komm, Dirndel,
+setzen wir uns da auf die Bank. Wir haben schon lange nimmer
+miteinander geplaudert.«</p>
+
+<p>Unter dem Schatten der Lärchen, am Rande von jungem Fichtendickicht
+hin waren aus rohen Brettern Tische und Bänke aufgeschlagen, weil
+alljährlich am Maria Heimsuchungs-Tage ein Fest hier abgehalten und
+dabei Getränke ausgeschenkt wurden. Die Frieda wollte eigentlich fest
+stillstehen und den Adlerwirt keines Blickes würdigen, aber ihre Füße
+stiegen sachte die Stufen herab und an seiner Seite über den grünen
+Anger zu einer Bank hin.</p>
+
+<p>Als sie völlig zu sich kam, saß sie neben dem Wolfram, der, seinen
+Ellbogen auf den Tisch gestemmt, den Kopf in der Hand hielt.</p>
+
+<p>»Ach ja, Dirndel!« seufzte er auf. »Seit wir zwei uns das letzte Mal
+gesehen, habe ich viel durchgemacht, du glaubst es nicht.« Und nun
+begann er zu erzählen von seinem häuslichen Elende, daß er so viel als
+vertrieben sei aus seinem Vaterhause, ja selbst aus Kirchbrunn, und daß
+er jetzt auf dem Punkte stehe, wo der Mensch nimmer weiß, ob er noch
+warten soll auf den nächsten Tag oder nicht.</p>
+
+<p>»Mein Gott, Wolfram,« sagte sie voller Teilnahme. »Was willst
+<span class="gesperrt">denn</span>, als warten, bis es wieder besser wird! Sollst dich nicht
+so viel kränken,<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> Wolf, was hast denn davon, wenn du krank auch noch
+wirst!«</p>
+
+<p>»Ich wollt', es hätt' alles sein Ende, alles, alles!« so rief er mit
+schriller Stimme und schlug sich die Faust auf die Stirn.</p>
+
+<p>»Wolf! So mußt nicht. Mußt nicht auch noch selber dein Feind sein.« Sie
+legte ihre Hand auf seine Achsel. Er schlang mit Leidenschaft seinen
+Arm um ihren Nacken, sie warf dieses Joch heftig von sich, stand auf,
+um zu flüchten. Aber am Stamme eines Lärchenbaumes blieb sie stehen und
+strich wie traumhaft die losen Haarlocken aus dem Gesichte.</p>
+
+<p>Der Wolfram war kauern geblieben auf der Bank, jetzt schaute er
+vorgeneigten Hauptes hin auf sie, in allen Enden seines Angesichtes
+zuckte es, dann lachte er auf.</p>
+
+<p>»Das ginge noch ab,« sprach er. »Das Gedenken an dich ist meine einzige
+Labnis gewesen in dieser traurigen Zeit. Eine lebt doch auf der Welt,
+die zu mir steht. Wenn sie auch weit von mir ist und ich sie nicht mag
+finden, irgendwo ist sie doch und denkt an mich und wir sind beisammen.
+Und jetzt —«, er sprang auf, »jetzt bist auch <span class="gesperrt">du</span> so?!«</p>
+
+<p>Sie stand bewegungslos wie eine Bildsäule und schaute ihn an.</p>
+
+<p>»Soll ich denn meines Irrtumes wegen ganz verloren sein?« sprach er
+weiter. »Soll ich mein junges Leben selber zertreten, wie man einen
+Waldwurm zertritt, vor dem sich alle entsetzen? Ja,<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> Frieda, ich tue
+es. Sie, im Adlerwirtshaus, hätte mich nie so weit vermocht, sie ist
+mir eine Fremde. Aber wenn ich weiß, daß auch du dich von mir wendest,
+dann ist es aus!«</p>
+
+<p>»Wann,« entgegnete nun das Dirndel zagend, »wann habe ich dir denn
+einen Beweis gegeben, Adlerwirt, daß ich — dir so gut wäre?«</p>
+
+<p>»Leugne es nicht, Frieda!« sprach er mit Nachdruck, als wollte er
+einen Verbrecher überweisen. »Und wenn du mir <span class="gesperrt">nie</span> was Liebes
+gesagt hättest, kein gutes Wort, und wenn du mir zehnmal weiter
+noch ausgewichen wärest, ich hätte es doch gewußt, daß du mich gern
+hast, und so gewiß, als <span class="gesperrt">du's</span> von mir mußt wissen. Du hast
+es tapfer niedergedämpft, vielleicht tapferer als ich. Wir haben
+uns beide redlich voreinander gewehrt. Es hilft alles nichts. Von
+jenem Tanzabende in Schwambach an hat's so gespielt, daß wir zwei
+zusammenkommen sollen, wir haben's nicht verstanden, haben uns so
+lange gesträubt, bis es uns heute auf diesem Platze ganz zornig
+zusammenwirft. Ist es nicht so, Frieda? Ist es nicht so?«</p>
+
+<p>Das Dirndel preßte die Hände ins Gesicht. »Ich hab' so gebetet da
+drinnen,« wimmerte sie, »so inständig gebetet zu der Mutter Gottes. Es
+ist alles umsonst! — <span class="gesperrt">Ich kann ja auch nicht sein, ohne deiner!</span>«
+— Mit diesem Schrei stürzte sie ihm an den Hals.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_5">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span></p>
+
+<h3>9. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>Vom Schopper-Schub wissen wir, daß er seit Jahren die Jungmagd
+Frieda nicht mehr aus den Augen ließ. Er verfolgte immer ihre Spuren
+und oft war er in ihrer Nähe, ohne daß sie es ahnte. Beim Möstl
+in der Abachleuten war es ihm gar bequem, da konnte er sich aus
+seinem Holzschlag an den Samstagabenden und manchmal auch an den
+Sonntagnachmittagen einfinden, um mit ihr zu plaudern. Die ganze Woche
+hindurch freute er sich auf das Stündlein, an welchem er nahe bei ihr,
+wenngleich durch eine Wand getrennt, sitzen konnte. Es waren zumeist
+die allergewöhnlichsten Dinge, über die gesprochen wurde, aber dem
+Holzknecht war wohl, wenn er ihre Stimme hörte und wenn er sah, wie sie
+manchmal so kindlich lachte.</p>
+
+<p>Also war er auch an diesem Sonntagnachmittage in die Abachleuten
+gekommen, beim Möstlhaus zugekehrt, hatte sich auf die Stubenbank
+hingesetzt und gesagt, er müsse doch ein wenig in den Schatten gehen.</p>
+
+<p>»Ja,« hatte das Möstlweib neckend geantwortet, »Schattens wegen wirst
+du in die Abachleuten kommen! Den hast in deinem Siebenbacherwald weit
+besser. Wirst den weiten Weg heut wohl umsonst gemacht haben. Sie ist
+zu den sieben Lärchen hinauf wallfahrten gegangen.«</p>
+
+<p>»So,« antwortete der Schopper ganz gleichgültig.<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> »Da hat sie schon
+recht. Das Beten schadet niemandem.«</p>
+
+<p>Und wenn das Beten niemandem schadet, dachte er für sich weiter, so
+wird's ja auch mir nicht schaden. Und stieg an gegen die Schabelhöhe.
+Er ging nicht den guten Fahrweg, er wählte die steileren, aber kürzeren
+Steige; Bergesmühsal gibt's für den Holzknecht keine, und durch den
+Wald hinauf mag er sich das Schlagholz ansehen. Als er auf die freien
+Weiden kam und auf die weiße Straße hinüberblicken konnte, sah er sie
+dort gehen, er erkannte sie ja schnell. Und einen Büchsenschuß hinter
+ihr eilte ein Mann drein. Der Schopper schärfte sein Auge und erkannte
+den jungen Adlerwirt von Kirchbrunn. — Vor Überraschung wie gelähmt
+blieb er einen Augenblick stehen. — Was ist das? — Was ist das? —
+Steht es so mit der Wallfahrt zu den sieben Lärchen? Ei, da wollen wir
+ihnen doch einen Baum über den Weg werfen. Ist denn schon alles falsch
+auf der Welt? Gut, alsdann will ich's auch sein. — So seine Gedanken.
+Neuerdings zog er sich in den Wald zurück und lief durch denselben an
+der rückwärtigen Berglehne der Kapelle zu. Er kam früher hinauf als
+die anderen. Hinter der Kapelle kroch er in das Fichtendickicht und
+kauerte sich an die Holzwand, um durch eine Spalte in das Innere der
+Kapelle lugen zu können, während durch das Gezweige hin der Anger mit
+den Tischen sichtbar war. So beherrschte er den Schauplatz nach beiden<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span>
+Seiten. Er langte mit der Hand in seinen Sack, ob er das Messer bei
+sich habe. — Ja, mein lieber Adlerwirt, ich habe dir's gesagt, und
+du hast es nicht geglaubt. Des Herrgotts Mühlen mahlen langsam, aber
+sicher! —</p>
+
+<p>Er hatte gesehen, wie die Frieda beklommen in die Kapelle getreten war,
+und als er merkte, daß ihr Gebet ihm galt, da löste sich von seinem
+Auge ein salziger Tropfen los und rann über die rauhe Wange, durch den
+struppigen Bart bis an die Lippen. Dann stand plötzlich an der Tür der
+junge Adlerwirt mit heißbegehrendem Blick. Der Holzknecht erfaßte die
+Hirschhornschale seines Messers. Als er hernach vernahm, was draußen
+gesprochen wurde an den Tischen, jedes Wort des armen Burschen voller
+Unglück und voller Liebe, und wie das Dirndel dagegen ankämpfte, bis
+doch in beiden die wilde Allgewalt Siegerin ward — da loderte in ihm
+Wut und Rachgier auf, daß der fliegende Atem glühte an seinem Munde.
+Und er stürzte mit gezücktem Messer hin auf das Paar. Die Frieda tat
+einen Schrei und wollte sich schützen unter dem Brette eines Tisches.
+Der Wolfram jedoch stand wie ein Baumstamm da und fragte: »Holzknecht!
+Was willst du?«</p>
+
+<p>Diese starre Ruhe lähmte den Schopper für den Augenblick, denn er war
+auf Gegenwehr gefaßt gewesen und in einem Zweikampfe wollte er siegen
+oder fallen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span></p>
+
+<p>»Bist du da, um mich zu töten?« fragte der Wolfram. »So stoße zu. Ich
+habe mein Leben verspielt und wehre mich nicht. Willst aber ihr etwas
+zu Leide tun —!« Er ballte die Fäuste.</p>
+
+<p>Dem Schopper sank der Arm mit dem Messer. Plötzlich wendete er sich,
+stürzte in das Dickicht und hastete davon durch den Wald hin. — Halb
+betäubt war er, und seine Gedanken wurden wirr. — Warum hast du es
+denn nicht getan? fragte er sich selbst. Und er selbst antwortete: Er
+hätte einen Bankbalken losreißen müssen. Nicht davonlaufen wollen und
+sich auch nicht wehren, wer kann denn da zustoßen? Einen Baum fällt
+man so, aber einen Menschen —. Und hernach, weiß ich denn, welches
+fort muß? Soll der Adlerwirt sterben? Ist er nicht der Ehebrecher und
+Verführer und der Räuber derer, die mir Gott gegeben hat? — Oder
+soll sie sterben? Ist nicht sie die Ursache seiner Treulosigkeit, die
+den Sünder anlockt und einen treuen Menschen verschmäht, verachtet,
+in Verzweiflung treibt? — Oder soll ein dritter sterben? Soll der
+Schopper sterben, weil alles aus ist, und freiwillig sterben, bevor er
+zum Mörder wird? Mir kommt's nur auf den Schuldigen an. — Denn das
+sah er nun wohl, es war die unbändige, rasende Liebe, in welcher das
+junge wehrlose Menschenpaar hinschmolz wie Wachs im brüllenden Feuer
+eines brennenden Hauses. Armer Holzknecht, so wie du selber wehrlos
+bist gegen diese Macht, so sind auch sie es. Was können sie dafür!<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> —
+Du hast dir vorgenommen, Schopper-Schub, für die Frieda alles zu wagen
+und zu opfern, um sie glücklich zu machen. Siehst du es denn nicht,
+<span class="gesperrt">jetzt ist sie glücklich</span>! — Was willst du denn noch? — Einmal
+hast du dein eigenes Haus angezündet, weil es böse Ursach' ist gewesen.
+— Kannst du rechnen, Holzknecht? Wenn du ein bißchen rechnen kannst,
+so sage, was mehr ist, eins oder zwei. Wenn zwei mehr sind als eins, so
+ist einer weniger als zwei. Laß die zwei sein, und den einen streiche
+weg. —</p>
+
+<p>Also dachte der arme Mensch und ging — ach wie traurig! — den
+Holzhütten seines Tales zu.</p><br>
+
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_6">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h3>10. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+
+<p>Wer genug Zeit und Tiefblick hat, um die Ursachen und Wirkungen zu
+betrachten, der wird — sei es zu seinem Schreck, sei es zu seinem
+Trost — finden, daß alle Fehltritte und Verstöße des Menschen gegen
+Sitte und Gesetz, gegen das Gute und Rechte überhaupt, sich fast
+allemal strafen, und zwar an derselben schuldigen Person oder an
+demselben Geschlechte. Schade nur, daß die Strafe nicht unmittelbar
+genug folgt, um stets als Strafe für Sünde und Vergehen empfunden zu
+werden. So mancher, der sein Elend selbst geschmiedet, hält sich für
+den Unschuldigsten von der Welt und ist geneigt, die Ursache dieses
+Elendes anderen in die Schuhe<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> zu schieben. Solches Mißkennen führt ihn
+zu weiteren Fehlern und Ungerechtigkeiten, und im Gefühle des eigenen
+Sturzes sucht er auch andere mit sich zu reißen. Leichter kehrt der
+um, welcher ein schweres Verbrechen begangen, als einer, der tausend
+Fehler hat und den Mitmenschen täglich im kleinen tausendmal unrecht
+tut. Doch ist letzterer ebenso Verbrecher als ersterer, nur schreit er
+Zeter und Mordio, wenn endlich auch an ihn die Nemesis herantritt mit
+dem Richtschwert.</p>
+
+<p>Frau Kunigunde hatte kaum eine Ahnung davon, daß sie eine der
+Hauptursachen an dem Niedergang ihres Hauses und die einzige Ursache
+an ihrem und ihres Mannes Unglück war. Sie war immer nur geneigt,
+alles auf ihren Mann, auf seinen Vater, auf alles andere zu schieben.
+Und je weher ihr ward, um so höher stieg ihre Verbitterung gegen die
+eingebildeten Feinde. Und das Schicksal nahm seinen Lauf.</p>
+
+<p>Bei dem Adlerwirtshause zu Kirchbrunn hatte sich reges Leben entfaltet
+wie schon lange nicht. Allerhand Wägen kamen angefahren von oben
+und von unten und spannten aus, Bauern, Bürger und Herren waren da,
+Schacher und Händler, und die Wirtsstube war viel zu enge, auch im
+Vorhause und im Hofe standen Tische, und die Kellnerinnen liefen über
+die Gasse hin und her. Das gab doch wieder einmal ein Geschäft.</p>
+
+<p>Meint ihr?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p>
+
+<p>Da müßte man erst noch die Wirtsleute fragen. Der alte Adlerwirt
+lag bei einem Nachbar im Scheunenstroh und bat mit lallender Stimme
+fortwährend um Branntwein. Er wolle nie mehr nüchtern werden auf dieser
+verdammten Welt. Der junge Adlerwirt war seit Wochen verschollen. Im
+Siebenbachwald, so hieß es, wäre er einmal gesehen worden, aber ganz
+seltsam aufgeregt, er müsse etwas Besonderes im Sinne haben, man werde
+noch merkwürdige Geschichten von ihm hören. So kam es, daß auch Frau
+Kunigunde nicht ruhig sitzen bleiben konnte in ihrem Zimmer. Sie ließ
+ihre Mutter, der ja alles gleichgültig war, allein, und als sie auf
+einem Steirerwäglein und in ihrer tadellosen Trauerkleidung hübsch
+fein geputzt aus dem Hofe fuhr, klang in demselben das erste Mal der
+Ganthammer. Alles wurde versteigert im Adlerwirtshause, nur nach den
+Insassen war keine Nachfrage.</p>
+
+<p>Frau Kunigunde fuhr in das Gebirge hinein. Sie hieß auf das Pferd
+dreinhauen, sie bewarf den Pferdeknecht mit Schimpfnamen, denn sie
+wußte ihrer Galle kein Ende. Was sie dem Knecht und dem Pferde antat,
+das war alles ihrem Manne vermeint. Dem Flüchtling! dem gewissenlosen
+Ausreißer! Solange er Geld erwartet von ihrem Vater, hat er den
+Hausherrn gespielt, jetzt weil nichts ist, weil alles in die Brüche
+geht, verläßt er sein armes Weib in Not und Schande und stromert in
+allen Weiten um, man weiß nicht wo und mit wem.<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> Aber warte, Schelm,
+wir werden dich noch einfangen. Du sollst Gott erkennen lernen! Du
+sollst mir kirre werden! Hinwärts zieht mich noch das spottschlechte
+Roß, es ist aber vieltausendmal besser als du; herwärts sollst du den
+Bettelkarren ziehen, und daß du zahm wirst wie ein Pfründnerschaf und
+mir Brennesseln aus der Hand frißt, das soll meine Sorge sein. —</p>
+
+<p>Unter solchen Liebesgedanken fuhr Frau Kunigunde auf die Suche
+nach ihrem Manne. Sie sprach bei manchen Häusern zu, schämte sich
+aber, geradehin zu fragen: Habt Ihr meinen Mann, den Adlerwirt von
+Kirchbrunn, nicht irgendwo gesehen? — Ja, Frau Adlerwirtin, ist Euch
+Euer Mann durchgegangen? — Das wäre eine hübsche Unterhaltung gewesen.</p>
+
+<p>Also faßte sie es so: »Hat nicht mein Mann hier zugefragt?« — »Wissen
+nichts, vor einer Woche oder wann haben wir ihn vorbeigehen gesehen.«
+— »Sollte er nach mir fragen, so weiset ihn, ich bin vorausgefahren in
+den Siebenbacherwald, wegen des Holzkaufes.«</p>
+
+<p>Bei den Holzknechthütten im Siebenbachwald ließ sie ausspannen und
+begehrte etwas zu essen.</p>
+
+<p>»Ja,« meinte ein resches Holzerweib, »kein Wirtshaus ist halt bei uns
+nicht. Geißmilch mit Schoten, wenn's recht wäre?«</p>
+
+<p>Von Herzen gern hätte Frau Kunigunde geantwortet, daß sie
+Schweinefutter nicht gewohnt sei,<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> wäre nur ihr Hunger nicht gar zu
+groß gewesen. Während sie die Milch trank, erzählte sie, daß mit ihrem
+Mann eine Zusammenkunft draußen bei den drei Brücken verabredet gewesen
+sei, daß sie sich aber verfehlt hätten. Und sie fragte, ob er, der
+Adlerwirt von Kirchbrunn, nicht etwa hier herum gesehen worden wäre?</p>
+
+<p>»Seid Ihr die Adlerwirtin?« fragte das Holzerweib. »Nachher glaub'
+ich's gern, daß er bei den drei Brücken nicht gekommen ist. Von Euch
+ist er ja eben davongelaufen, sagen die Leute.«</p>
+
+<p>Frau Kunigunde warf eine Münze hin und machte sich entrüstet auf die
+Wander zu den Köhlerstätten.</p>
+
+<p>Bei der Kohlenbrennerei fragte sie wieder an.</p>
+
+<p>»Der Adlerwirt?!« schrie der alte Köhler, denn er war schwerhörig,
+daher hielt er auch andere dafür. »Weiß nichts davon. Aber der
+Vorknecht soll letzt' Zeit her alleweil vom Adlerwirt reden.«</p>
+
+<p>»Wo ist denn dieser Vorknecht?«</p>
+
+<p>»Der ist jetzt nicht da, der ist oben im Zagelwald. Für ein Weibsbild
+nicht gut hinaufzusteigen.«</p>
+
+<p>»Ich <span class="gesperrt">will</span> hinauf!« sagte Frau Kunigunde.</p>
+
+<p>»Weiß nicht, ob es Euch viel nutzen wird,« meinte der Kohlenbrenner,
+»letzt' Zeit her ist der Schopper — so heißt der Vorknecht — nicht
+recht im Kopf, ganz kleinsinnig oder was lauter. Ist nichts Rechtes von
+ihm herauszubringen. Vom Adlerwirt redet er nächtig im Traum.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span></p>
+
+<p>Die Frau dingte sich einen herumlungernden Knaben und stieg mit diesem
+hinan gegen den Zagelwald. Mehrmals ging es in tiefen Schluchten über
+Sand, Gerölle und wuchtige Steinblöcke dahin an brausenden Wässern,
+mehrmals unter einem schwindelnd hohen Holzgerüste durch.</p>
+
+<p>»Was das für ein hoher Steg wäre?« fragte die Adlerwirtin.</p>
+
+<p>»Das ist kein Steg,« antwortete der Knabe, »das ist die neue
+Holzriesen, wo die großen Blöcker herabrutschen und zum Feierabend die
+Holzknechte selber. Wie viele Kreuzer krieg' ich denn dafür, daß ich
+mitgeh'?«</p>
+
+<p>Nach einer Stunde waren sie auf der Höhe bei dem Holzschlag. Die Leute,
+welche hier arbeiteten, blickten einander nur so an, als sie vernahmen,
+die junge Frau wolle mit dem Vorknecht sprechen. Der Vorknecht sei aber
+gar nicht auf dem Schlag, der liege auf dem Buchenanger im Grase; er
+sage, er arbeite nichts mehr, und das liebe Christenvolk möge gesund
+bleiben und ihm an den Buckel gucken. »Wollt Ihr das, so könnt Ihr ihn
+ja aufsuchen,« setzte der Berichterstatter bei.</p>
+
+<p>Da ist etwas dahinter! dachte Frau Kunigunde und ließ sich zum
+Buchenanger führen.</p>
+
+<p>Der Schopper, als er sah, wer daherkam, sprang rasch vom Rasen auf. Er
+sah wirklich wild und wirr aus. Ohne viele Einleitung fragte sie in
+strengem Tone nach ihrem Manne, dem Adlerwirt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span></p>
+
+<p>»Was weiß ich?« knurrte der Holzknecht. »Habt Ihr mir ihn zum Aufheben
+geschickt?«</p>
+
+<p>»Du weißt, wo er ist!« sprach sie scharf.</p>
+
+<p>»So? Na, wenn ich's weiß, dann muß ich's freilich sagen. Den Adlerwirt
+hat sein Weib verlassen, da ist er zu einer anderen gegangen.«</p>
+
+<p>»Wo er ist, will ich wissen!«</p>
+
+<p>»Vor etlichen Tagen,« antwortete der Holzknecht gottlos ruhig, fast
+träge, »hat er sich auf der Schabelhöh' aufgehalten oder im Wirtshaus
+dort herum. Jetzt kann's sein, daß er drüben in der Abachleuten ist.«</p>
+
+<p>»Ein Schandmensch! Ein Schandmensch!« keuchte sie, und fast verging
+ihr der Atem vor Wut. »Der soll das höllische Feuer beizeiten kennen
+lernen, dafür stehe ich gut!«</p>
+
+<p>»Dieweilen sitzt er im Himmel,« sagte der Schopper. »Und ich wäre der
+Meinung, wer so fest drin sitzt, den laßt man sitzen.«</p>
+
+<p>Frau Kunigunde hatte sich niedergelassen auf einem Baumstock, ihr
+zitterten die Beine.</p>
+
+<p>»Wie weit ist's bis in die Abachleuten?« fragte sie.</p>
+
+<p>»Zwei Stunden, wer gut antaucht.«</p>
+
+<p>»Mein Gott, mich verlassen schon die Füße.«</p>
+
+<p>»Wenn die Frau ein Stündlein wartet, so kann sie mit mir auf dem
+Brettel hinabrutschen,« sagte der Holzknecht.</p>
+
+<p>Ja, sie wolle warten. Und der Schopper dachte: Herrgott im Himmel, was
+ist das für ein Schick!<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> Ich rutsche mit seinem Weib auf der Riesen
+hinab. Und ganz plötzlich fuhr es ihm durch den Kopf: Wenn er mir die
+Meine nimmt, so nimm ich die Seine. Wert ist sie's, daß sie mit mir
+kommt. Es geht nichts über die Ordnung. Und nachher ist Fried. —</p>
+
+<p>Dieweilen Frau Kunigunde erschöpft auf dem Baumstock saß und mißmutig
+den Holzhauern zusah, die immer Blöcke an die Riesen schleppten und
+hinabgleiten ließen, strich der Schopper wie halb verloren auf dem
+Schlage um. Manchmal blieb er stehen und starrte auf den Erdboden, dann
+hob er das krause Haupt gegen Himmel und schnappte nach Luft. Dann
+lachte er hell auf, und einer der Männer hörte ihn sagen: »Besser kunnt
+sich's nicht mehr reimen. Wer ungeschickt ist, der muß hinab, daß er
+anderen nicht im Wege steht.«</p>
+
+<p>»Du, Franzel,« redete er, als die Abendstunde kam, einen Arbeiter an.
+»Wenn du einmal beim Möstl in der Abachleuten vorbeigehst, gelt, so
+bist so gut und gibst das Ding dort ab. Es ist für die Magd Frieda.«
+Damit gab er ihm ein rotes, zusammengeknulltes Tüchlein. »Und jetzt,
+Leute!« rief er laut hinaus über den Schlag, »jetzt ist Feierabend. —
+Fahrt ihr nur voraus hinab, wir, ich und die Frau Adlerwirtin, rutschen
+hinten drein.«</p>
+
+<p>Die Werkzeuge brachte man in Sicherheit, die Lodenröcke hing man sich
+über die Achsel, und da war's fertig.</p>
+
+<p>Muldenförmige, vorn ein wenig aufgekurfte Bretter<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> wurden in die Rinne
+der Riesen gelegt, und auf je einem solchen Fahrzeuge glitten ein oder
+auch zwei Mann hinab. In der Hand hatten sie lange Stöcke, mit welchen
+sie sich nötigenfalls leiten, anstemmen oder weiterschnellen konnten.
+Auf etwa hundert Schritte Zwischenräume wurden sie abgelassen. Anfangs
+glitt es gemächlich dahin, allmählich kam's in rascheren Lauf, und
+auf steileren Strecken sauste es unheimlich schnell dahin, manchmal
+an Erdeinschnitten und zweimal über grauenhaft tiefe Schluchten, aus
+welchen Schutt und Gestein und schäumendes Wasser heraufleuchtete. Über
+den schwindelndsten Stellen jauchzten einige. An den Rinnbäumen der
+Riesen dröhnte noch lange das Rollen herauf, selbst als die Bretter
+schon den Augen entschwunden waren.</p>
+
+<p>Als die Holzknechte dermaßen alle angefahren waren, ging der Schopper
+zur Frau Kunigunde, die noch immer auf dem Stocke saß, machte eine
+kleine Verbeugung und sagte: »Also, Adlerwirtin, jetzt ist's an uns
+zweien.«</p>
+
+<p>»Ist wohl doch keine Gefahr dabei?« fragte sie.</p>
+
+<p>»Ihr seht ja, wie sie jauchzen unterwegs. In die ewige Seligkeit kann
+man nicht lustiger hineinfahren. Im Siebenbachwald gibt's halt keine
+so feinen Eisenbahnzüge wie in Geßnitz. Wir haben das lange Brettel
+mit zwei Sitzen. Ich setze mich voran, Ihr habt hinterwärts Platz. Nur
+frisch dran, Frau Adlerwirtin!«</p>
+
+<p>»Es ist grauenhaft!« sagte die Frau.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p>
+
+<p>»Nichts ist grauenhaft,« lachte der Schopper. »An fünf Minuten sind wir
+unten. Kommt nur. Prächtig wird's.«</p>
+
+<p>»Ich will heut' ja noch weiterfahren.«</p>
+
+<p>»Freilich, Adlerwirtin. Nur hübsch anhalten. Sitzen wir fest?«</p>
+
+<p>»Ich sitze.«</p>
+
+<p>»Also, im Gottesnamen!« Mit diesem Worte stieß der Schopper aus,
+und das Schifflein begann zu gleiten. Erst hielt der Mann mit
+beiden Händen den langen, derben Stock in die Luft. Vorwärts ging's
+rasch und rascher. Steiler wurde die Bahn, und da sauste das Brett
+pfeifend dahin. Es schoß über den ersten Abgrund, es schoß durch den
+Erdeinschnitt, es schoß dem zweiten großen Abgrunde zu, und als es hoch
+über der Schlucht rasend schnell hinglitt, senkte ganz plötzlich der
+Schopper den Stock, stemmte ihn vor sich in die Riesen, da sprang das
+Fahrzeug hinten empor, schlug über, und die beiden Menschen flogen in
+weitem Bogen durch die Luft — stürzten in die Tiefe.</p>
+
+<p>Ein ganz kurzer Schrei gellte durch die abendlichen Lüfte, und dann war
+nichts mehr zu hören als das rauschende Wasser in der Schlucht. — —</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_7">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h3>11. Abschnitt.</h3>
+</div>
+
+<p>»Du, Alte!« schrie der Möstl in der Abachleuten seinem Weibe zu, als
+er von der Heuarbeit heimkam,<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> »das wird nicht gehen mit der Frieda,
+'s ist schad', aber fortschicken mußt sie. Das Umziehen mit einem
+verheirateten Menschen können wir ja nicht leiden. Hab' sie just wieder
+auseinander gejagt allzwei.«</p>
+
+<p>»Geh!« entgegnete das Weib, »bist doch nicht g'scheit! Schon wieder
+dagewesen ist er?«</p>
+
+<p>»Soll ganz Kirchbrunn im Stich gelassen haben, sitzt jetzt da draußen
+im Zeilinger Hammer als Kohlenvermesser.«</p>
+
+<p>»Das ist sauber,« sagte sie, »da hätten wir ihn alle Tag in der Hütten.
+Recht hart ist mir um die Magd, aber wenn sie's so macht, soll sie
+gehen, lieber heut' als morgen.«</p>
+
+<p>»Ein Plangen haben die zwei zu einander, rein als ob's ihnen wär'
+angetan worden. Der Vorknecht Schopper soll ganz toll sein drüber, ich
+glaub's. Wenn nur da kein unliebsamer Handel herauskommt. Alte, der
+Schopper, wer ihn kennt, das ist ein gefährlicher Mensch!«</p>
+
+<p>Noch sprachen sie so, als ein Holzknecht aus dem Siebenbachwald
+hereinstolperte. »Abrasten muß ich,« sagte er als Gruß und setzte sich
+gleich auf die Bank. »Bist eh daheim, Möstl, ist mir recht. Habt es
+schon gehört? das groß' Unglück im Siebenbachwald? Gestern auf dem
+Abend. Beim Abrutschen. Von der neuen Riefen in die Karwasserschlucht
+gestürzt!«</p>
+
+<p>»Mutter Anna!« rief der Möstl aus. »Wer denn?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span></p>
+
+<p>»Er — der Schopper und ein fremdes Frauenzimmer!«</p>
+
+<p>»Was sagst?«</p>
+
+<p>»Die Adlerwirtin von Kirchbrunn soll's gewesen sein.«</p>
+
+<p>»Was sagst?« schrie der Möstl und lachte auf.</p>
+
+<p>»Na ich danke, wer bei so was lachen kann!« sagte der Holzknecht.</p>
+
+<p>»Ist nicht schlecht gemeint,« redete das Möstlweib drein. »Der lacht
+alleweil, hat's Weinen und's Lachen in einem Sackel beisammen.«</p>
+
+<p>»Der Schopper und die Adlerwirtin!« murmelte der Möstl und faltete die
+Hände. »Aber Herr, himmlischer Vater, ist das dein Ernst?« Er lachte
+wieder.</p>
+
+<p>»Wir können es uns auch gar nicht denken, wie es geschehen ist,«
+berichtete der Bote. »Es kann was dahinterstecken. Wird schon
+aufkommen. Schauderlich, wer's gesehen hat! Von ihr ist kein Knocherl
+ganz verblieben. Bei ihm fehlt nur der Kopf.«</p>
+
+<p>»Aber mein Gott!« rief das Möstlweib, »wie soll sich denn ein
+Christenmensch so was zusammenreimen!«</p>
+
+<p>»Ist nicht eine Magd Frieda bei Euch da?« fragte der Holzknecht. »An
+die hab' ich ein Tüchel abzugeben. Ich weiß nicht, mir hat's der
+Schopper zugesteckt, gerade vor dem Unglück. Wir kennen uns nicht aus.
+Ein Knoten ist im Tüchel und ein Papierl ist drinnen, aber wir können
+keiner lesen.<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> Weil ich's versprochen hab', daß ich der Magd Frieda die
+Sach' übergeben will.«</p>
+
+<p>Alsbald wurde die Magd von der Wiese heraufgerufen.</p>
+
+<p>»Du Frieda,« redete der Möstl sie an, »der da, der hat was für dich.«</p>
+
+<p>Mit Hast löste sie den Knoten, mit zitternden Fingern entwirrte sie das
+Papier, es war ein abgerissenes, graues Streifchen, und darauf standen
+mit grobem Bleistift ungefüg geschrieben die folgenden Worte:</p>
+
+<div class="blockquot">
+<p>
+»Liebe Friederika!<br>
+</p>
+
+<p>Bin überflüssig, mach mich davon. Nehm auch eine andere mit, die Euch
+im Weg möchte stehen. Mehr kann ich nicht tun für Dich. Sei glücklich
+mit ihm.</p>
+
+<p>
+Schubhart Schopper.«<br>
+</p>
+</div>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Also hat sich's zugetragen. Und was wird jetzt geschehen sein? Alles
+Menschengeschick steht in Gottes Hand, alles vollzieht sich nach seinem
+Ratschlusse und fast nichts nach dem Sinne der Menschen.</p>
+
+<p>Als die Magd Frieda in dem Opfertode des armen Waldmenschen seine
+unermeßliche Liebe zu ihr besiegelt sah, als das letzte Hindernis
+gefallen war zwischen ihr und dem Adlerwirt, daß sie sich nun vor
+Gott und der Welt hätten können die Hände reichen — fand sie, daß
+ihre heiße Leidenschaft für Wolfram anfing zu schwinden. Was war das
+für ein Unterschied! Was sind die gewöhnlichen<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> Männer für zage,
+gemeinsinnliche, engherzige Schelme gegen diesen einen einsamen,
+heldenhaften! Von diesem allein war sie geliebt worden mit einer
+Liebe, wie wenigen Weibern auf Erden sie zuteil wird, mit einer Liebe,
+die stärker ist als der Tod. — Aber gekannt hat er es nicht, das
+Weibesherz, sonst hätte er im voraus wissen müssen, daß sein Opfer
+umsonst ist.</p>
+
+<p>An demselben Tage, als die Reste der beiden Verunglückten auf einem
+kleinen Alpenkirchhofe still bestattet worden waren, schrieb die Frieda
+einen Brief an den Adlerwirt:</p>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p class="center">»Lieber Wolfram!</p><br>
+<p>Weil das geschehen ist, muß es aus sein und ganz aus sein bei uns
+zweien. Er tät' immer zwischen uns stehen mit seinen blutigen Wunden.
+Ich habe wohl einmal gemeint, ich kunnt Dich glücklich machen,
+jetzt nimmer. Und im Unglück bist schon genug gewesen. Du bist frei
+geworden vor drei Tagen, ich habe geheiratet. Sein Sterbetag ist der
+Hochzeitstag zwischen ihm und mir geworden. Ich bin sein, und Du
+wirst auch wieder eine andere finden. Ich wünsche Dir alles Gute, und
+was vergangen ist, das soll vergessen sein.«</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padbot3" id="rule-1x_8">
+ <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko">
+</figure>
+ </div>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Nachwort zu dieser Geschichte.</h2>
+<p class="s4 center">(Als Ohrenbeichte an den Kritiker.)</p><br>
+</div>
+
+<p>Weil unser Dasein ohnehin überreich an Drangsal und Leid ist, so wollte
+ich — beginnend mit heiterem<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> Liebesabenteuer des jungen Adlerwirtes
+von Kirchbrunn — in dem süßen Herzensleben junger Menschen eine
+Idylle schreiben, mir und anderen zur Ergötzung. Allein es ist anders
+gekommen. Wie es im Leben sich so häufig fügt, daß alles ganz anders
+wird, als der Mensch gehofft hat, kommt solches bisweilen sogar auch
+in der Dichtung vor. Nicht das erste Mal — ich gestehe es — ist es
+mir hier passiert, daß während der Entwicklung einer Geschichte ganz
+von dem ursprünglichen Plane abgewichen wurde, weil sich folgerichtig
+andere Dinge ereignen mußten, als im Plane ausgeheckt waren. Den Plan
+macht der Kopf, dem ist im Übermut und Fürwitz alles möglich, der hat
+hundert Leitern, um dem Erdboden zu entkommen und in willkürlichen
+Zonen seine Luftschlösser zu bauen. Wenn nachher aber das Herz
+anhebt, dichterisch zu schaffen, nach Vorbildern der Wirklichkeit
+sinnlich zu gestalten, nach göttlichen und dämonischen Gesetzen des
+Gemütes zu handeln, da wird die Luftlinie verlassen und je nach der
+Bodenbeschaffenheit vorangegangen. Da ist es am besten, wenn der
+Dichter seiner Geschichte nicht vorangeht, sondern ihr folgt, wenn er
+sie nicht leitet, sondern von ihr geleitet wird, das heißt, wenn er
+der Entwicklung nicht Gewalt antut, sondern dieselbe nach gegebenen
+Verhältnissen sich selbst frei vollziehen läßt.</p>
+
+<p>So habe ich es auch hier gehalten. Meine Gestalten — bestimmt
+veranlagte Menschen — sah ich<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> vor mir. In harmlosem Spiele führte
+ich sie durcheinander, wie der Zufall oder das Geschick uns selbst
+durcheinander würfelt. Sie gewannen eine bestimmte Stellung zu
+einander, und nun war die Lage gegeben; im Augenblicke begann eine
+Entfaltung und eine Entwicklung, die sachte vom gezogenen Plane abwich,
+immer weiter und unheimlicher, bis zu jener letzten Folge, vor der ich
+selbst erschrak. Aus der lockenden Idylle ist ein tragischer Roman
+geworden, der nicht beabsichtigt war.</p>
+
+<p>Es wird einem auch oft recht langweilig auf dem Tummelplatze des
+gewöhnlichen Lebens. Der Alltagsmenschen Begierden und Taten sind
+lächerlich schnöde, man wird mit ihnen weder warm, noch kalt. Wenn
+aber unvermutet irgendwo ein starkes Herz auftaucht, sei es in
+wildwetternder, zerstörender Leidenschaft, sei es in heldenhaftem
+Opfermut, alsbald reißt es des Dichters Aufmerksamkeit auf sich und
+läßt sie nicht wieder los, und so lange nicht wieder, bis es an einer
+großen Tugend zugrunde geht.</p>
+
+<p>Als auf dem Freiballe beim Schwambachwirt mein Held plötzlich
+hinausgerufen wurde zu einem halbverkommenen Holzknechte, da ahnte ich
+noch nichts. Als dieser Holzknecht aber vom Adlerwirt verlangte: Laß'
+ab von der Dirn! Sie ist mein, und wenn du sie noch einmal anrührst,
+so wirst erstochen! — da war ich in seinem Banne. Als ich hernach
+der weiteren Entwicklung meiner Geschichte<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> mit doppeltem Interesse
+folgte, war ich überzeugt, daß der Schopper-Schub den Adlerwirt ganz
+gewiß ermorden würde. Es kam anders, der weichmütige Adlerwirt ward
+zu einem beklagenswerten Dulder, seine Liebe zu Frieda suchte er
+redlich zu dämpfen, bis er endlich vom Zufall unbarmherzig mit dem
+Mädchen seiner heimlichen Leidenschaft zusammengeführt wurde. Jetzt
+standen die Dinge so, daß der Schopper-Schub wohl ans Messer griff,
+aber nicht mehr zuzustoßen vermochte. Denn durch lange Entsagung war
+in seinem großen Herzen die Liebe zum Weibe weit und hoch über die
+sinnliche Leidenschaft hinausgewachsen, und mächtig erfüllte ihn der
+eine Gedanke: glücklich machen das geliebte Wesen um jeden Preis.
+Ein zweites Wort sprach der Rechtssinn des Naturmenschen: Wenn die
+zwei sich in der Tat lieben, so sollen sie sich haben. — In dem
+Augenblicke, als ich den armen Menschen in weher Verzichtung dahingehen
+sah, wußte ich freilich, daß da noch etwas geschehen würde. Ich glaubte
+nicht recht, daß der Schopper ein Opfer nur halb vollbringt, und daß er
+selbst nicht mehr würde weiterleben wollen, das fürchtete ich.</p>
+
+<p>Als Frau Kunigunde von dem der Gant verfallenen Adlerwirtshause auf dem
+Steirerwäglein fortfuhr, ließ ich sie sehr ungern in den Siebenbachwald
+ziehen. Aber ihre Rachsucht gegen den durchgegangenen Mann war so
+groß, daß sie keine Macht der Welt zurückgehalten haben würde, seine<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span>
+Spuren zu verfolgen. Ich ahnte nichts Gutes, als sie dem Schopper-Schub
+nachfragte, und leider — meine Ahnung hat mich nicht betrogen.</p>
+
+<p>So leid es mir um den Schopper tat, so fiel mir doch ordentlich
+ein Stein vom Herzen, als das gräßliche Unglück auf der Holzriesen
+geschehen war. — Jetzt endlich! jetzt können die zwei jungen Leute,
+die wirklich füreinander geschaffen zu sein scheinen, zusammen
+heiraten! — Und da tut sich mir eine ungeahnte Tiefe des Weibesherzens
+auf: jetzt, da <span class="gesperrt">solches</span> sich zugetragen, mag sie keine
+Liebschaft mehr, und am wenigsten eine mit dem, der ihr so lange im
+Wege gestanden, dessentwegen sie den treuesten Menschen auf der Welt
+mißkannt und abgewiesen hat.</p>
+
+<p>Wenn meine heiteren Geschichten auf solche Art enden, dann will ich
+mich zweimal besinnen, ehe ich wieder einmal eine Idylle anfange zu
+schreiben. Und vielleicht tut auch jeder andere wohl daran, sich
+zweimal zu besinnen, bevor er — sei es mit einer armen Magd, oder
+sei es mit einer feinen Großbauerntochter — ein Liebesverhältnis
+anhebt. Ist die Dichtung schon so schlimm, um wieviel mehr erst die
+Wirklichkeit ...</p>
+
+<p>Von den wenigen Bekannten, die noch leben, haben wir uns gar nicht
+verabschieden können. Es ging zu schnell. Wenn der Chronist dieser
+Ereignisse sich schließlich selbst als einen alten Bekannten vorstellen
+wollte, als den kleinen, in den Sand verlaufenden<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Professor Nix, so
+wäre uns damit nicht sehr gedient. Als Figur in der Erzählung tut
+der kleine Nix zu wenig, seine Hauptleistung besteht darin, uns die
+Geschichte übermittelt zu haben. Der Frieda und dem Wolfram hätten wir
+noch gerne die Hand gedrückt. Wenn schon die Jungdirn schrieb, daß, was
+vergangen ist, auch vergessen sein soll, so möchten wir ihnen doch für
+das, was kommen wird, alles Gute wünschen, vor allem ein starkes Herz,
+welches die unvergeßlichen Erfahrungen der Vergangenheit in der Zukunft
+sich zunutze mache.</p><br>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<figure class="figcenter illowe30 padbot3" id="rule-long_2">
+ <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="signet_2">
+ <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="signet">
+</figure>
+
+<figure class="figcenter illowe30 padtop3" id="rule-long_3">
+ <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<p class="s5 center">Druck von Grimme &amp; Trömel in Leipzig.</p><br>
+</div>
+
+<div class="chapter">
+<p class="s2 center" >Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung</p>
+<div class="image-left">
+ <img src="images/signet.jpg" width="50" height="72" alt="signet">
+<p class="s5 p0">F 1501 IX 09:</p>
+<p class="s5">100.000</p>
+</div>
+</div>
+
+<p>Die Stiftung ist ein rein gemeinnütziges Unternehmen unter Ausschluß
+aller privaten Erwerbsinteressen. Ihr Zweck ist, »hervorragenden
+Dichtern durch Verbreitung ihrer Werke ein Denkmal im Herzen des
+deutschen Volkes zu setzen« und durch Verbreitung guter Bücher
+der schlechten Literatur den Boden abzugraben. Sie begann ihre
+<span class="gesperrt">Tätigkeit</span> i. J. 1903 damit, daß sie an 500 Volksbibliotheken je
+20 Bände verteilte, unter denen sich z. B. Fontanes »Grete Minde« —
+M. v. Ebner-Eschenbachs »Gemeindekind« — eine Auswahl der »Deutschen
+Sagen« der Brüder Grimm — Roseggers »Als ich noch der Waldbauernbub'
+war« befanden. Die zweite Bücherverteilung umfaßte 40 Werke (in 23
+Bände gebunden) in je 750 Exemplaren — die dritte 42 Bücher (31 Bände)
+in je 750 Exemplaren — die vierte 43 Bücher (86 Bände) in je 800
+Exemplaren, die fünfte 28 Bücher (25 Bände) in je 900 Exemplaren — die
+sechste 45 Bücher (35 Bände) in je 1000 Exemplaren.</p>
+
+<p>Abzüge des <span class="gesperrt">Werbeblatts</span>, des letzten Jahresberichts, auch des
+Aufrufs und der Satzungen usw. werden von der Kanzlei der Deutschen
+Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel gern unentgeltlich
+übersandt. — Die Stiftung hatte 1905 erst 934 Mitglieder, im Jahre
+1906 schon 3.688, 1907 6.500, Ende 1908 9.161. Sie führt diesen
+Aufschwung auf das allgemeine Wachsen des Kulturinteresses zurück und
+bittet alle Freunde, ihr durch Zusendung von Adressenmaterial an ihr
+Werbeamt bei der Ausnutzung dieser Wendung zum Besseren zu helfen.</p>
+
+<p>Die Stiftung erbittet besonders jährliche, aber auch einmalige
+Beiträge. Für <span class="gesperrt">Jahres-Beiträge von 2 Mk.</span> aufwärts gewährt die
+Stiftung durch Übersendung eines Einzelbandes ihrer »Hausbücherei«
+oder ihrer »Volksbücher« oder des Schillerbuches Gegenleistung. Wer
+25 Mark Jahresbeitrag zahlt, erhält auf Wunsch alle im gleichen Jahre
+erscheinenden Bände der »Hausbücherei«.</p>
+
+<p>Die <span class="gesperrt">Beiträge</span> werden in jeder Höhe entgegengenommen von: der
+Deutschen Bank, Hamburg, und ihren sämtlichen Zweiganstalten und
+Depositenkassen — Postscheckkonto Hamburg Nr. 737 — der k. k.
+Postsparkasse, Wien [auf Konto Nr. 859112] — und der Stiftung selbst
+in Hamburg-Großborstel.</p>
+
+<p>Alle <span class="gesperrt">Briefe</span>, <span class="gesperrt">Anfragen</span> usw. werden unpersönlich mit der
+Aufschrift »Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel«
+(möglichst unter Hinzufügung der betr. Abteilung) erbeten.</p>
+
+<p class="s3 center"><b>Man verlange die erwähnten Drucksachen.</b></p><br>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p class="s3 center"><b>Gute und billige Bücher</b></p>
+</div>
+
+<div class="image-left">
+ <img src="images/signet.jpg" width="50" height="72" alt="signet">
+</div>
+
+
+<p>Unter den mancherlei billigen Sammlungen, die in den letzten Jahren
+zur Verbreitung guter Literatur geschaffen wurden, zeichnen sich die
+Bücher der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung durch sorgfältige
+literarische Auswahl und ausgezeichnete Ausstattung aus: holzfreies
+Papier, schönen und großen Druck, abwaschbaren, geschmackvollen
+Einband. Diese Eigenschaften haben in Verbindung mit dem äußerst
+billigen Preise den beiden Sammlungen der Stiftung schnell große
+Verbreitung verschafft. Bisher sind erschienen:</p>
+
+<p class="s3 center"><b>Hausbücherei</b></p>
+
+<p>(nur gebunden, jeder Band 1 Mark)</p>
+
+<div class="hang">
+
+<p>Bd. 1. <span class="gesperrt">Heinrich von Kleist</span>: Michael Kohlhaas. Mit Bild
+Kleists. 7 Vollbilder von Ernst Liebermann. Einleitung von <span class="antiqua">Dr.</span>
+Ernst Schultze. <em>11.-20. Taus.</em> 170 S.</p>
+
+<p>Bd. 2. <span class="gesperrt">Goethe</span>: Götz von Berlichingen. Mit Bild Goethes.
+Einleitung v. <span class="antiqua">Dr.</span> W. Bode. <em>6.-10. Taus.</em> 178 S.</p>
+
+<p>Bd. 3. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>1. Bd.</em>: Ausgew. humor.
+Erzählungen v. P. Rosegger, W. Raabe, Fr. Reuter und A. Roderich.
+<em>36.-45. Taus.</em> 221 S.</p>
+
+<p>Bd. 4. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>2. Bd.</em>: Cl. Brentano, E.
+Th. A. Hoffmann, H. Zschokke. <em>16.-20. Taus.</em> 222 S.</p>
+
+<p>Bd. 5. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>3. Bd.</em>: Hans Hoffmann, Otto
+Ernst, Max Eyth, Helene Böhlau. <em>36.-45. T.</em> 196 S.</p>
+
+<p>Bd. 6/7. <span class="gesperrt">Balladenbuch.</span> <em>1. Bd.</em>: Neuere Dichter.
+<em>11.-20. T.</em> 498 S. 2 Mark.</p>
+
+<p>Bd. 8. <span class="gesperrt">Herm. Kurz</span>: Der Weihnachtsfund. Eine Volkserzählung.
+Mit Bild Kurz'. Einleitung v. Prof. Sulger-Gebing. <em>6.-10.
+Taus.</em> 209 S.</p>
+
+<p>Bd. 9. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>1. Bd.</em>: C. F. Meyer, E. v.
+Wildenbruch, Fr. Spielhagen, Detl. v. Liliencron. <em>21.-25.
+Taus.</em> 194 S.</p>
+
+<p>Bd. 10. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>2. Bd.</em> (Dorfgeschichten): E.
+Wichert, H. Sohnrey, W. v. Polenz, R. Greinz. <em>11.-15. T.</em> 199 S.</p>
+
+<p>Bd. 11. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Philosophische Gedichte. Ausgew. u. eingel.
+v. Prof. E. Kühnemann. Mit Bild Schillers.</p>
+<p> <em>6.-10. T.</em> 230 S.</p>
+
+<p>Bd. 12/13. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Briefe. Ausgew. und eingel. von Prof. E.
+Kühnemann. Mit 2 Bildern Schillers. 2 Bände in 1 Bande. <em>6.-10.
+Taus.</em> 226 u. 302 S. 2 Mark.</p>
+
+<p>Bd. 14. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>3. Bd.</em> (Geschichten aus deutscher
+Vorzeit): A. Schmitthenner, J. J. David, W. Hauff. <em>11.-15.
+Taus.</em> 246 S.</p>
+
+<p>Bd. 15. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>4. Bd.</em> (Seegeschichten): Joachim
+Nettelbeck, W. Hauff, Hans Hoffmann, W. Jensen, Wilh. Poeck, Johs.
+Wilda. <em>11.-15. Taus.</em> 179 S.</p>
+
+<p>Bd. 16. Auswahl aus den Dichtungen <span class="gesperrt">Eduard Mörikes</span>. Herausgeg.
+u. eingel. v. <span class="antiqua">Dr.</span> J. Loewenberg-Hamburg. Mit Bild u.
+Silhouette Mörikes. <em>6.-10. Taus.</em> 285 S.</p>
+
+<p>Bd. 17. <span class="gesperrt">Heine-Buch.</span> Eine Auswahl aus Heinrich Heines
+Dichtungen. Herausgeg. und eingel. von Otto Ernst-Hamburg. Mit Bild
+Heines. <em>6.-10. Taus.</em> 203 S.</p>
+
+<p>Bd. 18 u. 19. <span class="gesperrt">Goethes</span> ausgewählte Briefe. Herausgeg. u.
+eingel. v. <span class="antiqua">Dr.</span> Wilh. Bode-Weimar. Mit Bildern Goethes. 2
+Bände. <em>11.-15. Taus.</em> 169 u. 197 S.</p>
+
+<p>Bd. 20/21. <span class="gesperrt">Deutsches Weihnachtsbuch.</span> Eine Sammlung der
+schönsten u. beliebtesten Weihnachtsdichtungen in Poesie u. Prosa.
+<em>11.-20. Taus.</em> 413 S. 2 Mark.</p>
+
+<p>Bd. 22. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>5. Bd.</em> (Frauennovellen): Cl.
+Viebig, L. v. Strauß u. Torney, Lou Andreas-Salomé, M. R. Fischer.
+<em>11.-20. Taus.</em> 198 Seiten.</p>
+
+<p>Bd. 23. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>6. Band.</em> (Kindheitsgeschichten):
+A. Schmitthenner, H. Aeckerle, M. Lienert, M. v. Rentz, Hans Land, A.
+Bayersdorfer, Ch. Niese, Th. Mann. <em>6.-10. Taus.</em> 199 S.</p>
+
+<p>Bd. 24. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>7. Bd.</em> (Kriegsgeschichten): Carl
+Beyer, H. v. Kleist, W. v. Conrady, M. v. La Roche, D. v. Liliencron,
+Th. Fontane. <em>11.-20. Taus.</em> 177 S.</p>
+
+<p>Bd. 25/26. <span class="gesperrt">Balladenbuch.</span> <em>2. Bd.</em>: Ältere Dichter.
+<em>6.-10. T.</em> 518 S. 2 Mark.</p>
+
+<p>Bd. 27. <span class="gesperrt">Karl Immermann</span>: Preußische Jugend zur Zeit Napoleons.
+Herausgeg. u. eingeleitet von <span class="antiqua">Dr.</span> Wilhelm Bode-Weimar. Mit
+Bild Immermanns und 3 Bildern Magdeburgs. <em>6.-10. Taus.</em> 171
+Seiten.</p>
+
+<p>Bd. 28. <span class="gesperrt">Martin Luther als deutscher Klassiker</span>, nebst einer
+Einführung von <span class="antiqua">Dr.</span> Eugen Lessing. Mit Bild Luthers. 176 Seiten.</p>
+
+<p>Bd. 29/30. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>4. und 5. Bd.</em>
+(Humoristische Gedichte). 351 Seiten. 2 Mark.</p>
+
+<p>Bd. 31. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>6. Bd.</em>: E. Th. A.
+Hoffmann, B. v. Arnim, Fr. Th. Vischer, A. Bayersdorfer, Henry F.
+Urban, Ludw. Thoma. 160 S.</p>
+
+<p>Bd. 32. <span class="gesperrt">Max Eyth</span>: Geld und Erfahrung (humoristische
+Erzählung). Mit Original-Illustrationen von Th. Herrmann und
+Einleitung von <span class="antiqua">Dr.</span> C. Müller-Rastatt, Hamburg. 176 Seiten.</p>
+
+<p>Bd. 33. <span class="gesperrt">Ludwig Uhland</span>: Ausgewählte Balladen und Romanzen. Mit
+Einleitung von K. Küchler, Altona, und mit mehreren Vollbildern.</p><br>
+</div>
+
+<p class="s4 center"><b>Geschenkausgabe</b></p>
+
+<p><span class="gesperrt">mit prächtigem, biegsamem Einband</span> mit Goldschnitt sind <span class="gesperrt">zum
+Preise von je 4 Mark</span> hergestellt von:</p>
+
+<div class="blockquot">
+<ol>
+<li>Bd. 6/7 (rot, Ganzleder)</li>
+<li>Bd. 12/13 (grün, Ganzleder)</li>
+<li>Bd. 18/19 (grau, Ganzleder)</li>
+<li>Bd. 20/21 (weiß, Dermatoid)></li>
+<li>Bd. 25/26 (rot, Ganzleder)</li>
+<li>Bd. 29/30 (rot, Ganzleder).</li>
+</ol>
+</div>
+
+<p>Schillerbuch, enth. Einltg. über Schillers Leben, die Glocke, Balladen,
+Tell.<br> Mit Bild Schillers. 346 S.</p>
+<p><em>11.-20. T.</em> Geb. 1 M.</p><br>
+
+<p class="s3 center"><b>Volksbücher.</b></p>
+
+<div class="hang">
+<p>Heft 1. 50 Gedichte v. <span class="gesperrt">Goethe</span>. 95 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 2. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Tell. <em>11.-20. T.</em> 19 S. Geh. 30, geb. 60
+Pf.</p>
+
+<p>Heft 3. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Balladen. <em>31.-40. T.</em> 108 S. Geh. 20,
+geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 4. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Wallensteins Lager. Die Piccolomini. 215 S.
+Geh. 30, geb. 60 Pf.</p>
+
+<p>Heft 5. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Wallensteins Tod. 222 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.</p>
+
+<p><em>Heft 4 und 5 in einen Band gebunden 1 Mark.</em></p>
+
+<p>Heft 6. <span class="gesperrt">Brentano</span>: Die Geschichte vom braven Kasperl u. dem
+schönen Annerl. 59 S.<br> Geh. 15, geb. 40 Pf.</p>
+
+<p>Heft 7. E. Th. A. <span class="gesperrt">Hoffmann</span>: Das Fräulein von Scuderi. 113 S.
+Geh. 20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 8. <span class="gesperrt">Fr. Halm</span>: Die Marzipanliese. — Die Freundinnen. 124 S.
+Geh. 20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 9. <span class="gesperrt">Reuter</span>: Woans ick tau 'ne Fru kamm. 61 S. Geh. 15, geb.
+40 Pf.</p>
+
+<p>Heft 10. <span class="gesperrt">Max Eyth</span>: Der blinde Passagier. <em>11.-20. T.</em> 68 S.
+Geh. 20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 11. <span class="gesperrt">Marie von Ebner-Eschenbach</span>: Die Freiherren von
+Gemperlein. <em>11.-20. T.</em> 82 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 12. <span class="gesperrt">Wilhelm Jensen</span>: Über der Heide. 127 S. Geh. 25,
+geb. 55 Pf.</p>
+
+<p>Heft 13. <span class="gesperrt">Ernst Wichert</span>: Der Wilddieb. 144 S. Geh. 30, geb. 60
+Pf. <em>11.-20. T.</em></p>
+
+<p>Heft 14. <span class="gesperrt">Levin Schücking</span>: Die drei Großmächte. 96 S. Geh. 25,
+geb. 55 Pf.</p>
+
+<p>Heft 15. <span class="gesperrt">Ludwig Anzengruber</span>: Der Erbonkel u. andere Geschichten.
+Geh. 25, geb. 55 Pf.</p>
+
+<p>Heft 16. <span class="gesperrt">Helene Böhlau</span>: Kußwirkungen. <em>11.-20. T.</em> 68 S.
+Geh. 20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 17. <span class="gesperrt">Ilse Frapan-Akunian</span>: Die Last. 87 S.<br>
+Geh. 25, geb. 55 Pf.</p>
+
+<p>Heft 18. <span class="gesperrt">H. v. Kleist</span>: Die Verlobung in St. Domingo. Das
+Erdbeben in Chili.<br>
+Der Zweikampf. 142 S. Geh. 80, geb. 60 Pf.</p>
+
+<p>Heft 19. <span class="gesperrt">Peter Rosegger</span>: Der Adlerwirt von Kirchbrunn. 139 S.
+Geh. 30, geb. 60 Pf. <em>11.-20. T.</em></p>
+
+<p>Heft 20. <span class="gesperrt">Ernst Zahn</span>: Die Mutter. <em>11.-20. T.</em> 66 S. Geh.
+20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 21. <span class="gesperrt">E. J. Groth</span>: Die Kuhhaut (Humoreske). Mit Illustr. v.
+Gg. O. Erler. 40 S. Geh. 15,<br>
+geb. 40 Pf.</p>
+
+<p>Heft 22. <span class="gesperrt">A. Schmitthenner</span>: Die Frühglocke Mit Illustr. v. Wilh.
+Schulz. 64 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.</p>
+
+<p>Heft 23. <span class="gesperrt">G. Freytag</span>: Karl d. Große. — Friedrich Barbarossa.
+Minnesang und Minnedienst zur Hohenstaufenzeit. 80 S. Geh. 25, geb. 55
+Pf.</p>
+
+<p>Heft 24. <span class="gesperrt">Fr. Spielhagen</span>: Hans u. Grete. Mit Illustr. v. Th.
+Herrmann. 174 S. Geh. 40,<br>
+geb. 75 Pf.</p><br>
+</div>
+
+<p><em>Jedes Heft enthält ein Bildnis des Verfassers. Weitere Hefte sind in
+Vorbereitung.</em></p><br>
+
+<p class="s5 center">Druck von Grimme &amp; Trömel in Leipzig.</p>
+
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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