diff options
| -rw-r--r-- | .gitattributes | 4 | ||||
| -rw-r--r-- | 75761-0.txt | 3909 | ||||
| -rw-r--r-- | 75761-h/75761-h.htm | 4197 | ||||
| -rw-r--r-- | 75761-h/images/cover.jpg | bin | 0 -> 1989536 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75761-h/images/illu-001.jpg | bin | 0 -> 269737 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75761-h/images/illu-005.jpg | bin | 0 -> 270373 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75761-h/images/rule-1x.jpg | bin | 0 -> 777 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75761-h/images/rule-3x.jpg | bin | 0 -> 1390 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75761-h/images/rule-long.jpg | bin | 0 -> 3911 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75761-h/images/signet.jpg | bin | 0 -> 1775 bytes | |||
| -rw-r--r-- | LICENSE.txt | 11 | ||||
| -rw-r--r-- | README.md | 2 |
12 files changed, 8123 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/75761-0.txt b/75761-0.txt new file mode 100644 index 0000000..ac8b2f4 --- /dev/null +++ b/75761-0.txt @@ -0,0 +1,3909 @@ + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 *** + + + +======================================================================= + + Anmerkungen zur Transkription. + +Das Original ist in Fraktur gesetzt. Die Schreibweise und Interpunktion +des Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler +sind stillschweigend korrigiert worden. + +Wörter in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~ + +======================================================================= + + + + + [Illustration] + + + Volksbücher + der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung + Heft 19 + + + Peter Rosegger: + Der Adlerwirt von Kirchbrunn + + + Hamburg-Großborstel + Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung + 1908 + + + + + 11.-20. Tausend + + + + + [Illustration] + + + + + Inhalt. + + Seite + + Einleitung von Wilhelm Lottig 3-4 + + ~Peter Rosegger~: Der Adlerwirt von + Kirchbrunn 7-139 + + + [Illustration] + +Für die Abdruckserlaubnis dieser Novelle schulden wir dem Herrn +Verfasser und der Verlagsbuchhandlung L. Staackmann in Leipzig Dank. +Die Novelle ist dem Bande »Hoch vom Dachstein« von Peter Rosegger +entnommen. + + [Illustration] + + Ein Bild Peter Roseggers ist hinter Seite 4 eingeheftet. + + [Illustration] + + +~Peter Rosegger~[1], geboren den 31. Juli 1843, war also vor +50, 60 Jahren noch das nichtige Waldbauernpeterl in der weltab +liegenden kleinen steirischen Dorfgemeinde Alpel bei Krieglach, +danach vom 17. bis übers 20. Lebensjahr hinaus Lehrbub und Gesell +beim Bauernschneider zu Kathrein am Hauenstein. Heut ist er unser +bester Volksschriftsteller, einer, der sich selbst die Aufgabe stellen +durfte: Ich will mitarbeiten an der sittlichen Klärung unserer Zeit. +So seltsam solche Entwicklung scheint, so folgerichtig ist sie doch. +Die Landschaftsbilder, die unbewußt schon das helle Kindesauge aufsog, +die Menschen und die Menschenschicksale, die der Wachsende, in mehr +als 60 Bauernhäusern schneidernd, regen Sinnes mit erlebte, sie sind +der Grundstock des reichen Vermögens, das der »Waldpoet« so köstlich +verwaltete. 21jährig wagte er, halb gedrängt vom übermächtigen inneren +Emporquellen, halb gezogen von helfend sich entgegenstreckenden Händen, +den Sprung vom Naturdasein als bäuerlicher Handwerker hinüber ins +Weltleben des Kulturmenschen. Die schwierige Verpflanzung gelang nach +harten Übergangswehen; aber der Riß in der Entwicklung vernarbte nur, +weil und soweit die abgerissenen Wurzelfäden den Weg zurück fanden zu +dem Nährboden ihrer Kraft. Sie gruben ihn mit Urgewalt; ein schier +krankhaftes Heimweh zwang den körperlich auf Reisen oder stofflich +in seinem Schaffen sich von seiner »Waldheimat« Entfernenden immer +wieder in ihre Mutterarme zurück. Rosegger wohnt jetzt abwechselnd +in Graz und auf dem bescheidenen Sommersitz, den er sich, zunächst +dem Ursprung seines Werdens und Wesens, in Krieglach gegründet. Aus +allen seinen Werken, von dem 1869 erschienenen ersten Büchelchen an +die lange Reihe von Bänden hindurch, die sein unermüdlicher Fleiß, +sein unerschöpflicher Gestaltungsdrang uns gegeben haben, quillt +dieselbe Urwüchsigkeit, dieselbe gottgegebene Frische des Gemüts im +Ernst und im »Hamur«, dieselbe Kraft und Tiefe der Erfassung, die +schon den Waldbauernbuben schmerzhaft und glückhaft über seine Umwelt +hinaushob. »Der ewige Waldbauernbub«, in dies Wort schließt Rosegger +einmal selbst seine ganze Entwicklung ein; seine Dichtergröße aber ist, +wie durch seine Augen gesehen ein kleines Einzelschicksal wächst und +sich verklärt zu einem uns im Innersten ergreifenden und reinigenden +Abbild großen Menschheitsringens und Gottheitssiegens. Wer die in +diesem Bändchen abgedruckte Novelle mit so gerichteten Gedanken liest, +der wird selbst etwas von der schmerzhaften und doch glückhaften +Erschütterungsfähigkeit spüren, deren Vollbesitz den Waldbauernbuben +zum Dichter krönte. + + Hamburg, im Juli 1907. W. Lottig. + +[1] Die Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung druckte schon +im 3. Bande ihrer »Hausbücherei« zwei kleine Humoresken Roseggers: +»Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß« und »Wie wir die +Gürtelsprenge haben gehalten«.] + + + [Illustration: _Peter Rosegger_] + + + [Illustration] + + Peter Rosegger: + + Der Adlerwirt von Kirchbrunn. + + [Illustration] + + + + + Der Adlerwirt von Kirchbrunn. + + Eine Dorfgeschichte. + + + + + 1. Abschnitt. + + +»Also vorwärts!« rief das Männlein und sprang flink in den Wagen. +»Wolfram, komm an meine grüne Seite, du hast ganz nett Platz neben dem +alten Knaben! Wir wollen ja schwatzen unterwegs!« + +Demnach setzte sich der junge Kutscher nicht auf den Bock, sondern +schickte sich an, vom bequemen Sitze des Landauers aus die Pferde zu +leiten. Es waren zwei muntere Braune, deren glatte Haut einen feinen +Seidenglanz hatte, als ob sie wie das Riemzeug gewichst worden wäre. + +Der Kutscher war Wolfram Seltensteiner, der junge Wirt vom »Schwarzen +Adler« zu Kirchbrunn. Ein froh und freundlich in die Welt blickender +Blondkopf von etwa dreiundzwanzig Jahren. »Ein Gesicht, länglich-rund +wie ein Taubenei, Augen hell und blau wie der Himmel im Mai, Nase +schlank Und stramm, rote Oberlippe keck und zahm, der Mund so angetan, +daß er gut lachen und küssen kann. Vom Scheitel bis zur Zehe hinab ein +schlanker, hübscher, gesunder Knab'.« + +»Junger Mann!« rief ihm der kleine Alte zu, »stelle ja nichts an! Wenn +du durchgehst und ich erlasse auf dich den Steckbrief, so kommst du +nicht weit, die Weiber fangen dich ein!« + +Einen Schnalzer mit der Zunge machte der junge Mann, da trabten die +Rößlein fürbaß. + +»Behüt' Gott, Herr Professor! Kommen Sie fein wieder im nächsten +Jahr!« So riefen jetzt die vor dem Wirtshause stehenden Leute. Männer +schwenkten die Hüte, Weiber die Sacktücher. + +Das ältliche Herrlein im Wagen streckte die offene Hand zurück nach den +Leuten, als wollte er ihnen noch wie Körner die Worte hinstreuen, die +er sprach: »Grüß Gott das letzte Mal und gebet acht, Kinder, daß ihr +nicht weniger werdet, bis ich wiederum komm', und betet manchmal ein +Vaterunser oder ein Schnaderhüpfel für den alten Professor Nix!« + +Der Wagen rollte die glatte Straße davon und verschwand bald im +tauenden Herbstnebel. + +»Ist ein lieber Herr!« sagten jetzt die Zurückbleibenden untereinander, +»ist ein lustiger Herr! Alleweil heiter! So pudelnärrisch und so +gescheit dabei! Wer wird uns jetzt Geschichten erzählen, Liedeln lehren +am Feierabend, Rätsel aufgeben, Zaubereien vormachen und guten Rat +austeilen? Das ist ein lieber Schatz!« + +»Er heißt Nix!« brummte einer der Umstehenden. + +»Was sagst du! der Professor heißt Nix? Ich denk' wohl ein bissel +mehr wie du! Gib acht, daß wir dir dein Lästermaul nicht mit einer +Feigensalbe verkleben!« + +»Nein, er heißt Nix!« lachte ein Junge. + +»Nix heißt er!« lachten jetzt auch die übrigen. + +»Wenn ich nur wüßte, woher er den dummen Namen hat!« + +»Muß ein Spitzname sein, weil er allemal nix antwortet, wenn man ihn +fragt, wer er ist, was er treibt, was er weiß, was er hat, was er will! +Er ist nix und treibt nix und weiß nix und hat nix und will nix! Darauf +haben sie ihn den Professor Nix geheißen.« + +»Ist nicht wahr!« rief der Nagelschmied. »Seit Jahren kommt er auf die +Sommerfrische nach Kirchbrunn, wir kennen ihn als braven Mann. Das ist +etwas! Nachher geht er in der Gegend umher, Pflanzen sammeln, Bäume und +Hunde zeichnen, traurige Leut' lustig machen. Das ist auch etwas. Er +weiß zu erzählen von Himmel und Erden, von den Russen und Franzosen, +auch wie die Eisenstiften gemacht werden, weiß er, und wie er zu mir +einmal in die Werkstatt kommt, nimmt er mir das Zeug aus der Hand und +macht den Eggnagel fertig, daß es nur so eine Form hat. Das ist schon +was, meine lieben Leut'. Wer ein Handwerk kann! Handwerk ist besser +wie Kopfwerk! Nur fürs Nixhaben und Nixwollen mag sein Name passen, +ich hab' mir oft gedacht: der lebt von der Luft und vom Wasser und vom +Lustigsein.« + +»Er hat gegessen und getrunken und seine Sach' bezahlt!« berichtete der +alte Adlerwirt, der in Hemdärmeln und unter dem grünen Sammetkäppchen +am Pferdetrog stand und mit dem kurzen Worte die Ehre seines Hauses und +seines Gastes rettete. + +Der Wagen fuhr mittlerweile hinaus über Wiesen und Fluren, durch Dörfer +und Wälder, dem Bahnhofe in Geßnitz zu. + +»Wolfram!« sagte der kleine hagere Mann, den sie den Professor Nix +geheißen hatten, »warum rauchst du heut' keine Zigarre?« + +»Weil ich keine habe,« antwortete der Bursche und zog den +Leitriemen an. + +»Was ist denn das?« fragte der Professor und tippte an Wolframs +Brusttasche, aus welcher ihrer drei oder vier Glimmstengelspitzen +hervorguckten. + +»Das da?« fragte der Bursche schmunzelnd entgegen, »das sind Zigarren.« + +»Knabe, du glaubst, daß mir der Rauch unangenehm sei!« + +»Wer selber nicht raucht --« + +»Ich will dich nicht zwingen. Weiß nur, daß man den Mund nicht gern +leer stehen läßt. Wir Alten schwatzen, Ihr Jungen wollet busseln oder +rauchen. Zum Busseln wirst keine im Sack haben. Also steck' etwas +anderes in Brand!« + +Lächelnd zündete Wolfram sich eine an. + +Als sie aus dem Gebirgstal in die Fläche herausgekommen waren und +am Dorfe Schwambach vorüberfuhren, kehrten im dortigen Wirtshause, +denn es war Sonntag, gerade vier Musikanten ein: ein Trompeter, ein +Klarinetter, ein Geiger und ein Baßgeiger. + +»Was denkest du darüber?« fragte Professor Nix seinen Kutscher. + +»Bis ich zurückfahre, wird's schon umgehen,« antwortete dieser. »Der +Schwambacher gibt einen Freiball.« + +»Du, da gib nur acht, daß dir die Pferde nicht scheuen auf der +Rückfahrt! Ein paar feurige Tiere, die du hast!« so neckte das magere +Männlein. + +Auf der Hochebene, über die sie nachher wieder dahintrabten, kamen sie +in einen Eichenwald, an welchem bereits die Blätter gilbten. Manchmal +wehte ein goldig leuchtendes Blatt nieder auf die weiße Straße, und der +Wald war so still und feierlich, daß es dem Professor wie ein Seufzer +aus der Brust kam: »Ja, der Herbst!« + +Jetzt sahen sie neben der Straße im Laubwerk und Schlinggewächse zwei +Mädchen. Junge, erwachsene Mädchen, das eine in putziger Bauerntracht, +das andere bürgerlich angetan; das eine mit einem roten Tuch über dem +Haupt, das andere mit einem schwarzen Hütchen. Die unter dem Tuche +hatte ein lachendes Rundgesichtlein, die unter dem Hute war blaß und +ernsthaft und hatte schwarze Augen. + +»Was wollen denn die?« fragte der Professor den jungen Kutscher. + +»Sie haben Körblein bei sich. Wahrscheinlich Brombeeren pflücken.« + + »Wollt' ein Madel früh aufstehn, + Wollt' Brombeer brocken gehn« -- + +trillerte der Alte. »Kennst du das?« + +»Ja, man singt so,« antwortete Wolfram. + +»Wenn du der Jägerssohn wärest,« neckte der Alte weiter, »mit welcher +von den zweien wolltest du Brombeer brocken?« + +»Weiß 's nit,« sagte der Bursche. + +»Na, dann ist es mit dir noch nicht gefährlich!« lachte der Professor, +dem Burschen auf die Achsel klopfend. + +»Just übel wär' keine -- von den zweien,« sagte der Wolfram. + +»Na, dann ist es gefährlich,« setzte jener bei. Sein frisches +Gesichtlein unter dem grauenden Haar war plötzlich ernsthaft. Und die +Mädchen waren ihren Augen entschwunden. + +Als der Wagen wieder aus dem Walde kam, sah man in der Ferne die +zwei weißen Türme von Geßnitz. Sie leuchteten nur schwach durch die +nebelgraue Luft. Hinter dem stattlichen Marktflecken die Berglehne +konnte man nicht mehr erkennen. Und gerade dorthin hatte Wolfram sein +Auge gerichtet. + +»Siehst du den Salmhof?« fragte ihn der Professor. + +»Man sieht nichts,« antwortete der Bursche. + +»Liegt sie dir im Sinn?« fragte der Professor. + +»Aber ich kenne sie ja gar nicht,« entgegnete Wolfram. »Das ist wieder +nur so von meinem Vater etwas. Weil sie Geld hätte, meint er. Ich +denke, es muß nicht alles Geschäft sein, was der Mensch tut.« + +»Brav bist, mein Sohn!« sagte der Professor, »für Geld heiratest keine. +Aber ganz verachten mußt auch das Geld nicht, wenn sie zufällig eins +hat. Geld ist Mist, aber Mist ist Dung, und Geld ist der Dung des +ehelichen Glückes.« + +»Die Salmhoferische wäre mir auch viel zu fürnehm,« bemerkte der +Bursche, »die will höher fliegen als auf ein Wirtshaus, sagen sie. +Körbe kann ich auch in Kirchbrunn haben, da brauch ich d'rum nicht gar +bis Geßnitz zu gehen.« + +»Junge!« rief der Alte und hieb ihm die Hand auf den Rücken, »du bist +nur zu wenig keck! Ein Kerl, wie du bist, verlegt sich nicht auf +Korbhandel. Aber auch nicht dreinpatschen! Keck und klug!« + +Der Wolfram schwieg. Über die Hochebene her strich ein kühler Wind, der +brachte Regenschauer. + +»Ist schon gut,« rief der Professor ins Weite hinaus; »Herrgott, ich +sehe deinen guten Willen, mir den Abschied von der Sommerfrische so +leicht als möglich zu machen. Hast du nichts dagegen, Wolfram, so +machen wir den Wagen zu!« + +Das war bald geschehen, aber dann saß der Kutscher auf dem Bock und der +alte Herr in dem finsteren Lederkotter. An das hatte er nicht gedacht. +Nach einer Weile klärte sich der Himmel wieder, und da waren sie auch +schon in Geßnitz auf dem Bahnhof. Professor Nix sprang rüstig aus dem +Wagen. »Wolfram, mein Sohn!« sagte er noch, »geweint und gelacht wird +nicht. Höre auf zum Wachsen, bleibe munter und mach' keine Dummheit. So +Gott will, im nächsten Sommer komme ich wieder!« + +Damit sprang er auf das Trittbrett, denn es läutete das dritte Mal, und +der Sommerfrischler dampfte ab in die große Stadt. + +Wolfram schaute dem Zuge nach und dachte: Der gute Professor Nix! +Seinen bluteigenen Oheim kann man nicht lieber haben. Die elf Jahre +kommt er schon nach Kirchbrunn und ist immer der gleiche. Wenn er +lacht, ein Kind, wenn er schwärmt, ein Jüngling, und wenn er guten Rat +gibt, ein Greis. Wenn man nur eigentlich wüßte, wie alt! Die Leute +tragen ihn auf den Händen, das deutet auf ein Kind hin. -- Und jetzt, +Fuchsen, heimwärts nach Kirchbrunn. + +Der Bursche war seit fünf Minuten anders geworden. Früher der fast +befangene, wortkarge, dienstwillige Dorfwirt, der sein Verhältnis +fühlt dem vornehmen Gaste gegenüber; jetzt der aufgeweckte, keck +dareinschauende Hausbesitzerssohn von Kirchbrunn, sein eigener Diener +und Herr, Kutscher und Kavalier zugleich auf dem Wagen. Nachdem er +im Posthause etliche Briefe abgegeben, ein Kistchen mit Likören in +Empfang genommen und auf dem Kutschbocke noch ein paar Gläser Bier +ausgetrunken hatte, ließ er seine Zunge schnalzen, das ersetzte bei den +klugen Rößlein stets die Peitsche, und ließ heimwärts traben. + +Bei einer Straßenbiegung sah er vor sich an der Berglehne einen +stattlichen Bauernhof liegen; der nahm sich fast schloßartig aus, hatte +sogar ein Türmchen, auf dem eben Mittag geläutet wurde. Es war, als ob +die Glocke zur Straße herabriefe: Komm, komm! Komm, komm! -- Allein der +Wirtssohn aus Kirchbrunn fuhr stolz vorüber. -- Oh, zu ~der~ hätte +ich weit! dachte der Wolfram. Wenn ich jetzt zur Haustochter im Salmhof +hinauf wollte, um zu freien, da müßt' ich erst wissen, ob sie mich gern +hat. Und ihr Gernhaben möchte mich nur freuen, wenn ich in sie verliebt +wäre. Und verliebt in sie könnte ich nur sein, wenn ich mit ihr bekannt +wäre, und das ist wieder nur möglich, wenn man sie einmal gesehen hat. +-- Ich weiß gar nichts von ihr, als daß mein Vater sagt, das wäre +eine Frau für den »Schwarzen Adler« zu Kirchbrunn. Gott, bis sich so +ein langer Faden abwickelt! Und am Ende wär' nachher ein Scheusal im +Knäuel. Hübsche Dirndln haben kein Geld. Reiche sind oft nicht recht +sauber. -- Hia, Füchseln! Heim zu geht's! -- + +Der Himmel hatte sich fast aufgeheitert, es ward ein sommerlich warmer +Mittag. Als der Wagen in den Eichenwald kam, leckerte es die Pferde +nach grünem Kraute, das am Wege wuchs, und sie nahmen im Vorbeigehen +manche Schnauze mit sich. + +»Wenn es euch so sehr nach Preiselbeerkraut und Enzianen gelüstet,« +sagte der Wolfram, »ich fände zwar nichts Gutes dran, aber es sei euch +wohl vergunnt. Spannen wir ein bißchen aus.« + +Er ließ den Wagen ein wenig von der Straße seitwärts auf ein grünes +Angerlein ziehen, löste die Pferde los und hieß sie sich frei ergehen +zwischen den Bäumen. Er selbst schlenderte auch so dahin, und da es gar +warm und wohlig geworden war und die Pferde eine prächtige Grasbank +gefunden hatten, so streckte er sich aufs Moos. Ein Stündel Rast kann +nicht schaden. Heute ist ja doch alles beim Schwambachwirt, und in +Kirchbrunn nichts los. Da kommt man noch früh genug heim. -- Die Arme +unter dem Haupte, so lag er auf dem Rücken schlank ausgestreckt und +schaute in die hohen Baumkronen auf. -- Warum im Herbst die Vögel nicht +singen wollen! dachte er, kein einziger! Ist es denn gar so schlimm? +Ich merke keinen Unterschied zwischen Frühjahr und Herbst ... + +Fast ein wenig geschlafen mußte er haben. Regentropfen weckten ihn +auf. -- Ja, Knabe, es ist doch ein Unterschied zwischen Frühjahr und +Herbst. -- Eilig stand er auf, die Pferde waren nicht weit, er führte +sie über das weiche Moos hin gegen den Wagen. Jetzt erlebte Wolfram +eine Neuigkeit. In seinem Wagen hatten sich fremde Wesen eingeheimt. +Er hörte schon von weitem kichern und lachen. Die zwei Brombeermädchen +waren vom Sprühregen unter dieses Dach gejagt worden, und der Fürwitz +der einen hatte alsogleich Besitz ergriffen von dem herrenlosen Wagen, +der so mutterseelenallein unter den Bäumen stand. Der Schlag zu beiden +Seiten geschlossen und zugefenstert, so hockten sie nun darinnen auf +dem Lederpolster und waren just daran, in diesem feinen Gelasse ihr +mitgebrachtes Mittagsmahl zu verzehren. Brot und Käse hatten sie, das +schnitten sie auf dem Schoße säuberlich in Stückchen, naschten auch von +den gesammelten Brombeeren dazu. Die eine mit dem blassen Gesichtchen +war ernsthaft, die andere mit den blühenden Wangen und dem roten +Kopftuche darüber war voller Schalkheiten. + +»Hui sauer!« kicherte diese; »da wär' mir schon ein Bussel lieber.« + +»Das kannst auch haben, Frieda,« sagte die andere und tat, als wollte +sie einen Kuß hergeben. + +»Geh, geh, Haustochter Kundel!« wehrte die Frieda ab, »da müßtest erst +einen Schnurrbart haben!« + +»Ach so!« antwortete die andere. »Wie kommst du mir denn vor, +Jungdirn?« + +Da trillerte Frieda: + + »Busserlgebn, busserlgebn, + Das is nit Sünd, + Hat mir's schon d' Muater glernt + Als a kloans Kind!« + +»Ich kann da nicht mitreden,« gestand die mit dem Hütchen. + +»Mich ärgert 's nur,« warf die Frieda ein, »da reden und singen sie +immer davon, daß einem ordentlich der Mund wässerig wird, und wann's +Ernst werden will, ist's verboten. Und das ist auch dumm: heimlich +möcht' man's probieren, und kommt einer, schwupps hat er eine auf der +Wange!« + +»Wer wird denn so leckerig sein!« sagte die Kundel, »das sind lauter +Dummheiten.« + +»Weißt, von wem ich ein Bussel möcht'?« gab das frische Rundgesichtel +zu raten, denn es schien, als wollte sie einlenken. + +»Wahrscheinlich von einem schönen Junggesellen,« antwortete die Kundel. + +»Von einem Mannsbild nit!« versicherte die andere. »Von einem Mannsbild +möcht' 's mir grausen. Weißt du: ein Kindel, wenn ich hätt', von dem +möcht' ich ein Bussel.« + +In demselben Augenblick machte der Wagen einen Ruck und rollte davon. + +Einen grellen Schreckruf hatten die beiden Mädchen ausgestoßen und dann +ein Jammergeschrei erhoben. Das nützte nichts und schadete nichts, die +Rößlein trabten flink die Straße entlang, der Wolfram auf dem Bocke +schnalzte tapfer mit der Zunge, und so rollte es dahin wie der Wind, +die Richtung gegen Kirchbrunn. Der Wolfram hörte das Gekreische und +Hilfegeschrei in der Kutsche, er schmunzelte bei sich: »Das ist kein +schlechter Spaß, ich entführe sie zum Freiball nach Schwambach. Zwei +fremde Brombeerbrockerinnen, denen die Brombeeren nicht süß genug sind. +Na, wartet!« + +Als die gefangenen Dirndeln merkten, daß ihr Geschrei nichts richtete +und das Hinausspringen zum Wagenschlag gefährlich sei, wurden sie +mäuschenstill und berieten unter sich. + +»Zwei Rösser sind angespannt und auf dem Bock ein Mannsbild!« flüsterte +die Kundel. »Frieda, was wird mit uns geschehen?« + +»Haustochter, wir kommen ins Afrika und werden als Sklaven verkauft,« +antwortete die in dem roten Tuche mit einer Ernsthaftigkeit, in der man +den Schalk kaum herausmerkte. + +»Ich spring' aus!« rief die Kundel. + +»Dann bist hin!« antwortete die Frieda. »Ich glaube, wir bleiben hübsch +sitzen. Kommen wir durch eine Ortschaft, so schlagen wir Lärm.« + +»Um keinen Streich!« versetzte die Kundel. »Die Schande! Eher laß ich +mich entführen bis zum großen Wasser, dort springe ich hinein.« + +Die Frieda hatte mittlerweile zum Fenster hinausgelauert und gefunden, +daß der Mann auf dem Kutschbocke, soweit man von ihm etwas erblicken +konnte, nicht allzu schrecklich aussehe. Ja, es wollte sie bedünken, +als hätte sie diesen Menschen schon irgendwo gesehen, ohne Furcht vor +ihm zu empfinden. Darüber waren die beiden nun ein bißchen getröstet. + +Draußen regnete es, die Tropfen schlugen scharf ans Fenster, und +schwere Nebel hatten sich niedergelegt über die Ebene, daß es schier +dunkel ward. Und der Wagen rollte unablässig fort und in das Ungewisse +hinein. + +»Ach, mein junges Leben!« seufzte die Kundel. »O dieses unglückliche +Brombeerbrocken.« + +»So kommt es, wenn man am Sonntag die heilige Messe versäumt und im +Walde umgeht,« sagte die Frieda lustig. + +»Zwick' mich am Arm!« bat die Kundel. + +»Du kommst mir wunderlich für, Haustochter. Warum soll ich dich jetzt +am Arm zwicken?« fragte die Frieda. + +»Damit ich wach werde. Drei Heuschöber verwett' ich, das ist nur ein +Traum. Ich habe vor kurzer Zeit eine Rittergeschichte gelesen, wie der +Raubritter Kuno das schöne Burgfräulein Adelgunde auf einem Rappen +entführt hat. Das kommt mir jetzt im Schlafe vor. Ich bitte dich, so +wecke mich doch auf!« + +Frieda kicherte. »Wenn es bei mir auch ein Traum sollt' sein, dann +sei so gut, wecke mich nicht auf,« sagte sie. »In einer so fürnehmen +Kalesch' bin ich mein Lebtag noch nie gefahren und werd' auch gewiß +nicht mehr die Gnad' haben. Jetzt laß ich mir's schmecken und denk' an +nichts. Wenn er uns hinführt, so muß er uns auch zurückführen, jetzt +kommt mir die Kurasch.« + +»Frieda, du bist schrecklich leichtsinnig!« sagte die andere. + +»Du bist nicht leichtsinnig und mußt auch mit.« + +»Wenn ich glücklich davonkomme, so stifte ich eine Kapelle im +Eichenwald,« beteuerte die Kundel. + +»Und ich gehe hinein beten!« nahm die Frieda sich vor. »Jetzt wollen +wir die gnädige Frau spielen und Brombeeren naschen.« + +Die Brombeeren wären großenteils auf dem Kutschboden zu suchen gewesen, +auf welchem sie zerstreut umherlagen. + +»Sind die Rösser schwarz?« fragte die Kundel plötzlich. + +»Fuchsbraun,« antwortete die Frieda. + +»Gott sei Lob und Dank!« warf die Kundel hin. + +»Warum?« + +»'s kunnt auch der Teufel sein Spiel haben!« + +»Ich weiß mich nicht schuldig. Bin eine arme Magd.« + +»Schuldig weiß ich mich auch nicht,« sagte die Kundel, »wenn nicht etwa +die fürwitzigen Träume was machen, manchmal. Dem Ritter Kuno traue ich +um keinen Preis.« + +»Ritter machen mir wieder nichts,« gestand die Frieda, »aber wenn +gerade so ein sauberer Bauernknecht käm', da wollt' ich für nichts +gutstehen.« + +»Oder ein kernfester Holzknecht aus dem Siebenbachwald!« neckte die +andere. + +»Laß das gut sein, Haustochter, ich mag nichts hören von ihm,« so +antwortete die Frieda. + +Ähnliches sprachen sie halb im Ernst, halb im Scherz, halb in süßer +Verwirrung. Der Jungmagd Frieda kam es possierlich vor, daß sie heute +einmal mit der gleichen Elle wie die Haustochter gemessen wurde. +Plötzlich hielt der Wagen. Ringsum standen, von düsteren nässelnden +Nebeln halb verschleiert, Scheunen und Häuser, und aus einem solchen +klang helle und grelle Tanzmusik. + +»Du,« flüsterte die Frieda zur Genossin, »jetzt kenn' ich mich aus, wir +sind in Schwambach.« + + + + + 2. Abschnitt. + + +Der Wolfram öffnete den Wagenschlag. »Schöne Jungfrauen,« sagte er +schmunzelnd, »da sind wir. Ich bin der Adlerwirt aus Kirchbrunn, ein +durch und durch bösartiger Geselle, und lade euch zu einem Tanzel mit +mir beim Schwambachwirt.« + +Die mit dem roten Tuche wollte zeigen, daß sie sich durchaus nicht so +leicht ins Bockshorn jagen lasse; sie machte daher, rasch aus dem Wagen +steigend, einen Knix und sagte: »Wird uns eine große Ehr' sein! Aber +nimm dich in acht, Adlerwirt, wir sind auch bösartig.« + +»Nachher stimmt's,« versetzte der Wolfram, Roß und Wagen dem +Hausknechte überlassend. Er nahm die eine gleich am rechten Arme, +während die andere sich an seinen linken hielt. Diese schwieg, dachte +aber bei sich: Ist er nett, so wird's fein, und sonst wird er gefoppt. + +Also trat zum Erstaunen der Leute der Schwarze Adler von Kirchbrunn +mit den beiden hübschen Dirndln ins Haus und alsogleich die Stiege +hinan auf den Tanzboden. Einen funkelnden Silbergulden warf er auf den +Spielleuttisch, da schrieen die Pfeifer und Geiger vor Freuden auf, und +einen »gestrampften« Steirischen machte der Wolfram mit der, welche +Frieda hieß. Wenigstens ein Dutzend junger Paare reigten zugleich, die +Burschen mit den Händen klatschend, mit der Zunge schnalzend, lustig +jauchzend oder kecke Liedlein singend, die Mädchen sich den Tänzern +sanft anschmiegend, ihre Köpflein hingegeben an die Brust der Burschen +legend; manche schloß also im Arme des Trauten die Augen, als wolle sie +die Seligkeit bis an die äußerste Grenze austräumen. -- Macht es nicht +auch die Frieda so? Liegt sie nicht hingegossen an die breite wogende +Brust Wolframs, von seinen Armen fest umschlossen, von seinem Auge, das +unverwandt auf ihrem blühenden Gesichtlein ruhte, bewacht, und angeweht +die heiße Stirn, die glühenden Wangen von seinem warmen Atemhauch! +Wohl war's nach ihrer scheinbar gelassenen Sicherheit zu vermuten, daß +sie heute vielleicht nicht ganz das erste Mal einer solchen Kopflehne +sich erfreute, doch aber der Unterschied! Ach Gott, was nicht für ein +Unterschied ist zwischen Mannsbild und Mannsbild! -- O du herziger +Schatz! dachte sich der Wolfram, dich habe ich gefangen, wie man das +Vöglein fängt mit der Falle, und dich laß ich nimmer frei, nimmer! mein +Lebtag nimmer! -- Die Frieda, die dachte gar nichts mehr, sie fühlte, +als würde sie hingetragen durch die Lüfte, hoch über den Erdboden, +hoch über den Wolken -- wohin? Das wußte sie nicht, war ihr auch ganz +gleichgültig. + +Endlich war der Tanz aus. Der Wolfram ließ seine Genossin lockerer +und erinnerte sich nun, daß er deren zwei gehabt hatte. Wo war denn +die andere! -- Der Schwambachwirt hatte schon Lichter aufgesteckt im +Saale, aber die andere war nicht zu sehen. Sie wird schon auch gut +aufgehoben sein, flüsterte eins dem anderen zu, und die beiden machten +sich nicht viel daraus. Mittlerweile tranken sie auch Wein, die Frieda +mit, der Wolfram ohne Zucker. Die Leute ringsum wurden immer lauter, +lustiger und toller, und Weindunst und Menschendunst betäubten die +Herzen und regten sie auf. Dort und da im dämmernden Winkel kauerte +ein Einschichtiger und schleuderte scheelsüchtige Blicke auf die +glücklichen Pärchen, wovon viele ganz in sich selber versunken und +weder Auge noch Ohr hatten für die Umgebung. So auch der Adlerwirtssohn +von Kirchbrunn und seine Entführte. War nur erst der Abend vorgerückt, +dann wollte er mit ihr ein unbelauschtes Plauderstündchen halten und +sie nach ihrem Herkommen fragen. Übrigens war es recht reizend, daß er +nicht wußte, wer sie war, und falls er hätte voraussetzen können, daß +auch er ihr unbekannt gewesen, tat es ihm fast leid, sich vorgestellt +zu haben. Sich so weltfremd sein und sich so innig umschlungen halten, +das ist ja doch ein Hauptspaß, wie es nicht leicht einen zweiten gibt. + +Als es draußen rabenschwarze Nacht geworden war, trat durch das +Gedränge ein Holzknecht aus der Kirchbrunner Gegend auf den Wolfram zu +und sagte: »Der Adlerwirt soll hinaus kommen in den Hof, dort möcht' +wer sprechen mit ihm.« + +Aha, fiel es dem Burschen bei, die andere! Jetzt will die andere dran. +Hätte sie sich nicht einen anderen aussuchen können? Nun aber, da er +sie schon mit hergeführt hat, muß er auch an ihr Ritterdienste üben. + +Es war aber nicht ~die~ andere, sondern ~ein~ anderer, der im +Hofe seiner wartete. Am Brunnentroge lehnte er, und vom Küchenfenster +hinaus fiel das breite Licht auf seine Gestalt. Ein baumstarker Kerl +stand da, in der Tracht der Gebirgsholzhauer, mit wildwucherndem Bart +und tief ins Gesicht gedrücktem Hute. + +»Grüß dich Gott, Adlerwirt! Geh nur her! Komm nur herüber da!« Also +lockte der ruppige Geselle mit einem zarten Fistelstimmlein den Wolfram +hinter den Brunnentrog. + +»Wer ist's denn?« fragte der Wolfram. + +»Komm nur her zu mir!« sagte der andere. + +Der junge Adlerwirt erkannte in dem Manne jetzt einen Holzarbeiter aus +dem Siebenbachwalde, welcher von den Leuten der Schopper-Schub genannt +ward. Der Mann war mehrmals schon im Adlerwirtshause zu Kirchbrunn +eingekehrt, hatte sich dort aber stets in die hinterste Ecke gesetzt, +ein paar Gläschen Branntwein getrunken und dabei stier vor sich auf +den Tisch geblickt. Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren, aber +stets im Äußern so zerfahren und ungepflegt, daß es sogar den Weibern +zweifelhaft schien, ob das ein hübscher oder ein häßlicher Mann sei. +Er war nicht in der Gegend daheim, und man wußte nicht viel von ihm, +als daß er ein tüchtiger Arbeiter, sonst aber ein ungeselliger und +sonderbarer Mensch wäre. Irgend jemand wollte von seiner Vergangenheit +etwas gehört haben und deutete an, daß in derselben so etwas wie +Brandgeruch zu verspüren wäre. + +»Du bist ja der Holzknecht Schopper,« sagte nun der Wolfram. + +»Ah, kennst mich schon?« + +»Was willst denn von mir?« + +»Auf ein ganz kleines Wörtel, Adlerwirt. Da stell dich her, daß ich +auch was seh' von dir. So.« Hernach hob er seine Stimme in eine noch +weichere Tonlage und sagte: »Adlerwirt, was geht denn dich die Frieda +an?« + +»Welche Frieda?« + +»Tu' nicht so, mein Lieber, liegt dir doch nur eine im Kopf. Wo hast +sie denn her, deine Tänzerin?« + +»So?! Meine Tänzerin? Wen kümmert denn die?« + +»Die wird schier ~mich~ kümmern, Adlerwirt.« Dann wurde er um +einen halben Kopf höher und setzte in einer keuchenden, wie vor Wut +erstickten Stimme bei: »Wenn du mir sie nochmal anrührst, nachher --« + +»Nachher --? -- Nun!« also jetzt der Adlerwirt und stellte sich stramm +vor den Waldgesellen hin. + +»-- nachher siehst du keine Sonne mehr aufgehen!« + +Der Wolfram trat einen Schritt zurück, so daß er über den Unterbalken +des Troges stolperte. In demselben Augenblicke war der finstere Bursche +schon über ihm, in der Hand das blinkende Messer. + +»Stechen?!« schrie der andere, im Hause gellte die Musik, polterten die +Tanzenden. + +»Stechen --« sagte es der Waldmensch langsam nach und ließ den Arm +sinken. »Nein, jetzt noch nicht. Du hast es vielleicht nicht wissen +können, daß sie mein ist. Das Unband sagt's ja keinem! Aber aufgesetzt +ist sie mir! Das Grausen, das sie haben, diese Gäns', vor einem +Manne, der kein Nest hat und bei dem 's Weib selber sein Brot muß +verdienen. Na freilich, besser ist's schon, wenn das Mandel alles +zusammenschleppt, was Weib und Kind not haben -- ich glaub's. Ein armer +Holzarbeiter kann so was nicht leisten und desweg ist er der Niemand +bei den Weibsbildern. Aber wenn eine ins Wasserfloß stürzt und unters +Mühlrad kommt, da ist er gut genug, der Waldbär, daß er sich gegen das +Rad stemmt, ehe die Kröt' -- Kreatur, will ich sagen -- totgedrückt ist +-- ja freilich, da ist er gut --« + +Der Wolfram war wieder frei geworden und so fragte er nun: »Red' +deutlich, wie stehst denn mit ihr?« + +»Hast es nicht gehört, im vorigen Winter? Am Faschingdienstag! Der +Salmhofer läßt seine Leute zum Freiball gehen nach Geßnitz. Die Frieda +auch mit. Ich vor sie hin, werb' um einen Tanz. Dank schön! sagt sie +und geht einem anderen nach. Sich halb zu Tod tanzen und beim Heimgehen +in der Nacht auf dem Steg schwindelig werden -- und plumps in den +Mühlbach. Schwimmen kann sie wie ein toter Spatz, und schnurgerade +der Mühle zu, wo das Rad geht. Jesus, wenn ich ihr in derselbigen +Nacht nicht wäre nachgeschlichen! Gleich spring' ich in die Radlaufe, +stemm' mich an. Das Zeug steht still, und wie mein stolzes Schätzel +dahergeschwommen kommt, zieh' ich's heraus und sag': Guten Morgen! -- +Nach einer langen Weile, wie sie wahrnimmt, wo und bei wem sie ist, +und wie sie fertig vom Wasserspucken, sagt sie: Dank schön! und läuft +davon. Just wie auf dem Tanzboden. Dank schön! sagt sie und läuft +davon.« + +»Das ist wohl brav von dir gewesen,« versetzte jetzt der Adlerwirt. + +»Still sei!« knurrte der Holzhauer, »gelobt bin ich schon mehr als +genug worden, das hilft mir nichts. Die Dirn will ich haben.« + +»Hätte ich das gewußt,« also der Wolfram, »daß du ein Recht auf sie +hast, so wollt' ich mich nicht an sie gemacht haben. Aber das möchte +ich wissen: hat sie dich auch gern?« + +Jetzt zuckte der andere zusammen, tief ließ er sein Haupt sinken, +preßte das Gesicht in den Ellbogen seines Armes und hub an zu grölen. + +»Zur Liebe kann man niemand zwingen,« sagte der Wolfram. + +»Verfault! Ihre Knochen von den Würmern abgenagt, wenn ich nicht bin!« +gurgelte der Waldmensch schluchzend. »Und ihr Leben, mit dem sie jetzt +da drinnen wie eine Mairose steht, das hat sie von mir, das gehört mir! +Und wenn ich zum hohen Gericht gehe, so muß es mir zugesprochen +werden.« + +»O du guter, armer Mensch,« sagte nun der Wolfram. »Leben und Liebe, +das wird wohl ein großer Unterschied sein. Dir ist gewiß noch die Zeit +im Kopfe, wo die Leute leibeigen gewesen sind. Wen du dazumal gekauft +oder gewonnen hast oder auf der Straße gefunden oder im Mühlbach, +der ist dein gewesen mit Seel' und Leib. Das ist anders geworden. +Eine Dienstmagd hat freilich auch ihren Herrn; wenn ihr wer das Leben +rettet, so soll sie dankbar sein, aber ihr Herz kann sie verschenken, +an wen sie will.« + +»Nachher ist's aus,« sagte der Schopper-Schub. + +»Hast sie denn gar so gern, Holzknecht?« + +»Sündhaft gern. Und schon lang her. Und gerade die! Und just die! Als +ob ich besessen wär'! Zu Wallischdorf draußen habe ich einen Vetter, +der hat mir vor einem Jahre sein Bauerngut wollen in Pacht geben, es +wär' mir besser gangen, als wie da oben im Siebenbachwald. -- Ich habe +nicht fort können -- ihretwegen nicht. Alle Sonntage gehe ich hinaus in +die Geßnitzer Kirche und stehe hinter dem Turmpfeiler und schau' hin +auf den Platz unter der Kanzel, wo sie sitzt. Und geh' dann wieder in +den Wald zurück. -- Wenn ich wüßt', wer mir diese Lieb' hat angetan!« +Er knirschte mit den Zähnen, als wollte er einen Missetäter zermalmen. + +Eine Magd, die mit dem Wasserzuber zum Brunnen kam, unterbrach dieses +Gespräch. Der Schopper-Schub packte den jungen Adlerwirt am Arm und +raunte ihm zu: »Hüte dich!« dann schritt er rasch über den dunklen Hof +dahin. + +Als der Wolfram in einer recht wunderlichen Stimmung zurück ins Haus +kam, hörte er von mehreren Seiten zugleich, daß die Salmhofertochter +von Geßnitz da sei! -- Die Salmhofertochter! da horchte der junge +Adlerwirt einmal auf. Und die Erregung im Wirtshaus war keine geringe. +Das ist schon eine besondere Auszeichnung des Freiballes beim +Schwambachwirt, daß ihn die Salmhofertochter besucht. Die Fürnehmste +in der ganzen Gegend, die von den Burschen heimlich Begehrte und +doch nur wenig Umworbene, weil sie stolz und unnahbar. Ist sie mit +ihrem Vater da? oder mit einer Gesellschaft von Geßnitzer Bürgern und +Bürgerinnen? oder gar mit einem Bräutigam, der sie heute das erste +Mal als Braut aufzeigt! Das alles nicht! Ganz allein soll sie sitzen +d'rin im Extrazimmer, nur die Schwambachwirtin bei ihr, welche ihr +Gesellschaft leisten zu müssen glaubt, trotzdem sie draußen in der +Küche alle Hände voll Arbeit hätte. Will denn niemand ins Stübel, die +Salmhofertochter zu unterhalten? -- Dachte der Wolfram: Kennen lernen +möchte ich sie doch, dieselbige, von der es immer heißt, sie wäre die +richtige Adlerwirtin. Was kann mir geschehen, wenn ich sie zu einem +Tanz auffordere? Weist sie mich ab, so drehe ich mich vor ihrer Nase +mit einer anderen um und um. + +Wie nun aber der Wolfram ins Extrazimmer trat, sah er am weißgedeckten, +mit feinem Backwerk besetzten Tische neben der dicken Wirtin das +schwarzbraune Mädel sitzen, welches er mit der anderen, der Frieda, in +seinem Wagen kecklich dem Walde entführt und nach Schwambach gebracht +hatte. Und das -- das wäre die Salmhofertochter, die stolze Kundel? + +Er brauchte sich nicht erst nach einer Ansprache zu besinnen. + +»Da ist er ja, der tapfere Ritter,« so redete sie ihn schier ernsthaft +und gelassen an. »Schön ist es nicht vom Adlerwirt, daß er sich um die +zweite Entführte gar nicht mehr umsehen will, bevor er die erste zu +Tode getanzt.« + +Der Wolfram stammelte eine Entschuldigung. Die Kundel sah recht gut +ein, daß es das beste sei, das Abenteuer, welches ihr nun gar nicht +geheuer schien, ins Scherzhafte zu ziehen. Sie rückte daher ein wenig +auf der Bank und sagte: »Setzen Sie sich nur willig her zu mir, es +wird Ihnen nichts mehr anderes übrig bleiben. Sie zahlen mir jetzt ein +feines Nachtmahl, tanzen einen mit mir und führen mich dann wieder nach +Hause.« + +Das war alles so ernsthaft und kühl gesprochen, als ob sie zu einem +Diener redete. Er setzte sich hin neben sie und tat, wie sie befohlen +hatte. Alsogleich ward es im ganzen Hause kund: der schwarze Adler von +Kirchbrunn und die Salmhofertochter von Geßnitz sitzen beieinander, +essen und trinken miteinander wie ein Brautpaar. Und als die beiden +gar Arm in Arm auf den Tanzboden traten, da wichen die Leute nur so in +Staunen und Ehrfurcht zurück, daß das schöne junge Paar fast allein +den Reigen tanzte im Saale. In der Ecke hinter dem Stiegenverschlag +stand die Frieda, ein großer Schreck hatte ihr Antlitz blaß gemacht. +-- Er ist verspielt! so konnte sie noch denken, meine Haustochter hat +ihn, da ist er verspielt für die arme Magd. Ist das ein Tag, dieser +heutige Sonntag! -- Wie das Paar in der Nähe vorüberreigte, trafen sich +die Blicke des Wolfram und der Frieda. In diesem Augenblick war ihm, +er tanze mit einem Stück Holz. Fast plötzlich, bevor der Tanz aus war, +ließ er die Kundel los und machte vor ihr eine höfliche Verbeugung. + +Es half ihm aber nichts, er hatte für den Abend ihr Ritter zu sein und +war recht froh, als die Kundel den Wunsch aussprach, nach Hause zu +fahren. Endlich saßen die beiden Mädchen wieder im geschlossenen Wagen +und der Wolfram auf dem Kutschbock. + +Als sie aus dem Hoftor des Schwambacher Wirtshauses fuhren, noch zum +Abschiede mit hellem Musikklang begrüßt, sah der Wolfram, wie hinter +dem Pfosten sich der Waldmensch duckte -- dann ging es fort, hinaus in +Nacht und Nebel. + +Die beiden Mädchen im Wagen führten nicht die angelegentliche +Unterhaltung miteinander, wie auf der Herfahrt. Die Kundel war mürrisch +und breitete sich so sehr aus, daß die andere völlig in die Ecke +gedrückt wurde. Wohl auch die Frieda war nicht aufgelegt zum Sprechen, +sie hatte zu denken genug und zu tun genug, ihre Gedanken nicht zu +verraten. Wie erschrocken war sie daher, als die Haustochter mit einem +Male den Mund auftat: »Eine wahre Schand' ist's, wie du dich heute +aufgeführt hast!« + +Es hatte schon den Anschein, als wollte die Magd nichts entgegnen, +endlich sagte sie aber doch: »Kann ich etwas dafür, daß er zuerst mit +mir gegangen ist?« + +»Du hast dich ihm ja angeklettet! Männersüchtige Rassel, du!« + +Nun sagte die Frieda nichts mehr. + +»Ich werd' mir's merken,« setzte die Kundel noch bei, und damit war das +Gespräch zu Ende. + +Der Kutscher Wolfram sah träumerisch auf die Bäume, Büsche und +Wegplanken hin, die im Scheine der Wagenlaternen gespenstisch +auftauchten und verschwanden. Die Laternenlichter warfen im dichten +Nebel eine Art Heiligenschein um die Kutsche. -- Ein sauberer +Heiligenschein, das! dachte der Wolfram; wenn ich heute nicht sündige, +so geschieht's einzig nur, weil die Gelegenheit dazu fehlt. Jetzt kann +ich in der ödweiligen Nacht den langen Weg dahinradeln und nachher +wieder zurück. Ein hübsches Vergnügen. Bis ich nach Kirchbrunn komme, +stehen schon die Leute auf. Das hat man von seinem Übermut. Sonst +nichts. -- Hia! den Braunen wird's auch schon zu dumm. + +Endlich waren sie auf dem Marktplatz zu Geßnitz. Der Wolfram wollte +halten, aber die Kundel rief zum Wagenschlag heraus: »Vorwärts! Zum +Salmhof hinauf!« + +Und nach einer weiteren Weile hielten sie vor dem großen Hofe, der +mit seinen weitläufigen Gebäuden wie leblos dalag. Nur ein gewaltiger +Hund reckte sich mitten im Hofe und der knurrte ein wenig, schien ihm +aber nicht der Mühe wert, sich weiter um das herangerollte Gefährte zu +bekümmern. + +Die Kundel wartete im Wagen, bis der junge Adlerwirt abgestiegen war +und ihr den Arm zum Aussteigen bot. + +»Und was wird jetzt mein Vater sagen?« fragte das Mädchen. »Wenn ich +ihm nicht gleich nach der Ankunft in Schwambach einen Boten geschickt +hätte, daß er weiß, wo ich bin -- Sie hätten seiner Angst nicht +geachtet.« + +Jauchzen wollte der junge Mann über dieses Wort, es war ein Herzenswort +gewesen, das erste, welches er von ihr gehört. Ein gutes Kind kann wohl +auch ein gutes Weib sein ... Ei ja, mein Vater kann doch recht haben! +Wer die einmal heimführt! + +»Anläuten, geh'!« hastete die Kundel der Jungmagd zu, die schier +kopflos dagestanden; und während diese nun an die Haustür eilte und den +Glockenstrang zog, flüsterte die Salmhofertochter zum Wolfram: »Seien +Sie schön bedankt, kühner Ritter! Aber wie böse ich auf Sie bin, das +sollen Sie noch erfahren. Warten Sie nur! Schnell hinweg! Gute Nacht!« + +Diesen raschen Abschied erklärte der Adlerwirt sich so, als sollten die +Hausbewohner das nächtliche Gefährte nicht wahrnehmen; das war aber ein +wenig anders, die Haustochter wollte es verhindern, daß er der Jungmagd +gute Nacht sagen konnte. Und den Wolfram wurmte es richtig den ganzen +Weg heimwärts, daß er ohne einen Händedruck, ohne ein einziges gutes +Wort von Frieda hatte scheiden müssen. + + [Illustration] + + + + + 3. Abschnitt. + + +Jetzt würde männiglich raten, daß am anderen Tage der alte Adlerwirt +zu Kirchbrunn seinem Sohne ein arges Wetter gemacht hätte. Anstatt am +Sonntagnachmittage, war der Wolfram mit den Rössern am Montag früh nach +Hause gekommen! + +Männiglich hätte aber schlecht geraten. Als am Montag nach zwölf Uhr +mittags der Wolfram erwacht war und die Küchenmagd ihm den Kaffee +ans Bett brachte, kam auch der alte Adlerwirt herein, er brachte +das Semmelkörbchen, schaute schmunzelnd auf den Burschen hin, der +kerzengerade ausgestreckt da lag und gähnend sich noch ein Weiteres +streckte. + +»Geschlafen hast nicht schlecht,« sagte der Wirt. + +Jetzt kommt's, dachte der Wolfram, und er hat ganz recht, ich verdiene +schon eine Portion. + +Aber es kam nicht. + +»Trink' ihn, so lange er noch heiß ist,« riet der Alte, auf die +Kaffeetasse deutend, »was Warmes tut immer gut nach einer solchen +Nacht.« + +Der Wolfram richtete sich, auf den Ellbogen gestützt, halb empor; der +Hemdkragen war abzubinden vergessen worden, er lag noch um den Hals; +durch die Spalte des weißen Hemdes sah man einen Teil der nackten +Brust; das Gesicht des jungen Mannes war ein wenig blässer als sonst, +also daß der junge Bart um so dunkler schattete. Die wirren, feuchten +Haare hingen in braunen Tatzen und Ringen über die Stirn herab. Der +Wirt schaute nicht ohne Wohlgefallen auf seinen Sohn. So ein hübscher +Junge ist auch ein Kapital. Nur muß man ihn versilbern oder vergolden +lassen. Sind ja auch in der Kirche die größten Heiligen vergoldet. + +»Trau' einer noch einmal so einem Duckmäuser!« sprach nun der alte +Wirt mit schwerem Wiegen des Hauptes und im Tone des Vorwurfes. »Wo +unsereiner erst hindenkt, ist der schon gewesen. -- Aber,« fuhr er +fort, »lachen habe ich auch müssen gestern abends. Wie der Weidknecht +heimkommt, sag' ich: Wo denn heute der Wolfram stecken mag mit den +Pferden! Daß ihm am Ende kein Malheur passiert ist! -- Oh, gibt +der Weidknecht Antwort, dem jungen Herrn fehlt nichts, der sitzt +draußen beim Schwambachwirt im Extrastübel und tut mit der jungen +Salmhofertochter aus Geßnitz Nachtmahl essen. Wär nicht schlecht! sage +ich. Ja freilich nicht, meint der Knecht und erzählt mir die ganze +Geschichte, wie du sie mit dem Wagen zum Tanz geholt hättest. Teufel! +denk' ich, der geht's scharf an! Der kennt sich aus. Je schwerer man +an eine herankann, desto kecker muß man sie anpacken. -- Jetzt hast +gewonnen, Wolf, und ich kann dir's nicht sagen, wie mich das freut. +Wirst sehen, jetzt stehst auf einmal ganz anders da. Neider wirst genug +haben, ich glaub's! Und nun, Wolf, kann ich dir's wohl sagen: wir +brauchen eine reiche Heirat so notwendig wie der Fisch den Schluck +Wasser. Seit die neue Eisenbahn drüben geht, steht's nicht gut mit +uns Wirtsleuten auf der Kirchbrunnerstraße. Zu harter Not, daß es mir +bisher gelungen ist, unser Ansehen aufrecht zu halten, lange wär' das +nicht mehr möglich gewesen. Wir stecken tief in der Schlamaß, mein +Bub', wir stecken tief!« + +Der Wolfram war von dieser Mitteilung nicht gerade erbaut, er sagte +aber nichts darauf, sondern war von diesem bitteren Augenblicke an +entschlossen, das Abenteuer mit der Salmhoferischen ernsthafter +aufzufassen, als er es bisher getan. + +»Schau nur dazu, Wolf, daß Ihr bald Hochzeit macht!« mahnte der Alte +noch. »Ist gut, daß dem Professor sein Zimmer leer geworden, das lassen +wir jetzt gleich herrichten. Wird Euch eh am liebsten sein, ist hübsch +groß und ruhig.« + +»Ja ja!« sagte der Wolfram ziemlich barsch, um dieses Gespräch +abzubrechen, welches ihm durchaus nicht heimlich war. Er sah sein +Verhältnis zur Salmhofertochter lange nicht so rosig als sein Vater, +und wenn etwas Rosiges für ihn dabei war, so konnte es nur das blühende +Gesichtlein der -- anderen sein. + +Auf gar keinen Fall war es zu leugnen, daß Wolframs Sinn nach dem +Salmhofe in Geßnitz stand. Und es ereignete sich auch, daß er nun +häufig nach Geßnitz fuhr, immer in Geschäften, wie es hieß. Einige +Wochen vergingen so, da hatte der alte Adlerwirt die feinste +Brautwerberfahrt veranstaltet. + +Rollte eines Tages das sorgfältig aufgewichste Gefährte die Straße +entlang gegen Geßnitz. Auf dem Bock saß heute der Pferdeknecht, aber +hübsch mit flatterndem Hutbande. Im Wagen saßen der alte Adlerwirt +und sein Schwager, der Herr Amtskontrollor aus der Kreisstadt. Beide +im schwarzen Anzuge, mit Seidenhut und bunten Halsmaschen. Dem +Adlerwirt war besonders in den weißen, stramm um die fleischigen Finger +gespannten Handschuhen höchst unbehaglich, er war nicht imstande, den +einfachsten Handgriff zu tun, selbst den Überrock mußte -- als es gegen +Geßnitz hin schwüler wurde -- der Herr Schwager ihm aufknöpfen, und als +sie zur Wegmauth kamen, fanden die eingepferchten Finger in den Taschen +kein Geldschnäppchen, so daß wieder der Schwager aushelfen mußte. +Trotzdem war der Adlerwirt guten Mutes und hieb dem Genossen ein- +ums anderemal die breite Hand auf den Oberschenkel: »Na, was meinst, +Schwager, wirst stecken bleiben bei der Anrede?« + +»Du wirst dir noch die Hundeledernen zersprengen!« mahnte der Schwager +fürsorglich. + +Der Amtskontrollor war ein dürres Herrchen, dem auch die Kampflust, +das heißt die Brautwerbelust aus den Augen blitzte. Der Adlerwirt +hatte ihn eigens für diesen Zweck aus der Kreisstadt verschrieben. +Es fährt sich doch ganz anders auf mit einer Autorität aus der +Stadt, die Schick kennt und Vornehmheit hat. Das Amt, in welchem der +Herr Schwager saß, oder vielmehr auf und ab sprang, bestand in einer +Fahrkartenkontrollorstelle auf der Pferdeeisenbahn. + +Nun also, im Bewußtsein voller Ehrenhaftigkeit fuhren sie den Hügel +hinan gegen den Salmhof. Da fielen ihnen die zahlreichen armen +Kinder auf, die -- obzwar schon zur Allerheiligenzeit -- barfuß und +in schlechten Gewändlein den Weg hin und her liefen. Durch das weit +offenstehende Tor rollte der Wagen so rasch in den Hof, daß es mit +einem der Kleinen schier ein Unglück gegeben hätte. Alsogleich stand +auch der dienstbare Bursche da, der die beiden Pferde in Obhut nahm, +während die beiden Herren sich an einen Mann wandten, um so gleichsam +wie im Vorübergehen ein wenig die Wirtschaft begucken zu können. Der +Angesprochene führte sie bereitwilligst durch verschiedene Gebäude, und +überall war es erstaunlich. Dieser Wohlstand, dieser Überfluß in allem. +Die Haustiere in schönsten Rassen, die Vorräte an Feldfrüchten, an Heu, +an Werkzeug, an Wagen und Schlitten, an Häuten, Pelzwerk und Wolle, an +Edelholz, kurz an allerlei, woran die meisten Leute gar nicht denken, +geschweige es besitzen. + +Nach einem solchen Rundgang im Hofe kamen sie zum Eingange in das +stattliche Wohnhaus; das Untergeschoß desselben war gemauert und +weiß übertüncht, der obere Stock aus Holz gezimmert. Es hatte viele +Fenster, die größer waren als solche bei anderen Bauernhöfen und mit +zierlichen Holztäfelungen ausgeschlagen. Auch an den Dachvorsprüngen +waren Holzschnitzereien, das Dach selbst war aus Schindeln, und über +demselben ragten mehrere weiß übertünchte Schornsteine empor. Neben der +Haustür an der Wand hing eine schwarze Tafel, auf welcher Kundmachungen +klebten, denn der Salmhofer war Vorstand der Landgemeinde Geßnitz, die +sich einen eigenen »Bürgermeister« wählte, seitdem der Ort Geßnitz +selbst eine Marktgemeinde geworden war. Als die beiden Gemeinden sich +trennten, wollte jede den Salmhof für sich haben, der lag so gut +bürgerlich als bäuerlich, allein der Salmhofer mochte gedacht haben: +lieber der erste Bauer, denn der letzte Bürger, und hatte sich zur +Landgemeinde geschlagen, was ihm seine Nachbarn gar nicht hoch genug +anrechnen konnten. + +An der offenen Haustüre war in der unteren Weite ein zierliches +Holztörchen, wie solche an vielen Bauernhöfen üblich sind und dazu +dienen, daß vom Hofe das Kleinvieh nicht ins Haus laufen kann. An +diesem Türchen grunzten heute aber weder Schweine, noch meckerten +Lämmer oder Ziegen, es war umdrängt von armen Kindern, dreijährigen bis +etwa zwölfjährigen, die ihre Händchen aufhoben und mit hellen Stimmen +schrieen: »Bitt' gar schön um ein Allerheiligenbrot!« + +Und hinter dem Törchen stand ein feines, etwas blasses, ernsthaftes +Mädchen in dunkelblauem, fast städtisch geschnittenem Anzug, am Halse +ein weißes Kräglein, wie es Männer tragen. Dieses Mädchen nahm aus +einem großen Korbe, der neben ihm stand, geschnittene Brotstücke und +verteilte sie an die Kinder. Die vorne standen, denen gab sie es in +die Hand, den hinteren, vergeblich nach vorne drängenden warf sie +die Stücke über den Köpfen zu und kümmerte sich nicht weiter um das +Gebalge, welches darüber entstand. + +»Da ist sie!« flüsterte der alte Adlerwirt dem Herrn Amtskontrollor zu, +und sie zogen ehrerbietig vor ihr die hohen Hüte. Das Mädchen dankte +dem Gruße mit einem fast unmerklichen Neigen des Hauptes, scheuchte mit +einer lebhaften Handbewegung die Kinder auseinander, und unsere beiden +Männer traten in das Haus. + +Nach den »Herren Eltern« erkundigten sie sich bei der Kundel. »Bitte +nur die Treppe hinauf, Mutter wird in der Küche sein!« Also in +höflichem, aber entschiedenem Tone der Bescheid. Der Adlerwirt nickte +dem Genossen vielsagend zu. Der Kundel war ihr erheuchelter Gleichmut +ganz ausgezeichnet gelungen, nun aber huschte sie rasch unter die +Stiege hin und spähte nach. Es schwante ihr etwas, als gehe dieser +Besuch sie an. Für das Austeilen des Allerheiligenbrotes war nun alle +Neigung dahin, sie stellte den Kindern den Korb mit dem Reste der +Brote vor die Tür und schlich die Treppe hinan. + +In der Küche waren zwei Weiber, welche mit langen Messern die +Kohlkopfstengel zerschnitten und die Scheibchen in einen Kessel warfen. +Beide waren wie Mägde angezogen, nur daß die ältere, eine magere und +fast kümmerlich aussehende Person, ein weißes breites Schürzenband +hatte, an welchem ein Schlüsselbund hing. + +»Können wir mit der Frau Salmhoferin reden?« sprach diese der alte +Adlerwirt auf gut Glück an. + +»Was wird's denn sein?« fragte das Weib in fast schüchterner Weise +entgegen und wischte ihre Hände an der Schürze ab. + +»Wir sind von Kirchbrunn,« sagte nun der Herr Kontrollor, »und kommen +in einer wichtigen Angelegenheit, wie sich's schon manchmal so fügt auf +dieser Welt.« + +»Dann müssen Sie schon zu meinem Manne gehen. Ich weiß nichts,« so +antwortete die Salmhoferin, wies sie über den Gang bis zur letzten Türe +links und ging wieder an die Bereitung des Schweinefutters. + +Bei der letzten Türe links klopften die Männer höflich an. Drinnen +hustete jemand. Nach einem Weilchen klopften sie zum zweiten Male, und +drinnen hustete es zum zweiten Male. Nach dem dritten Klopfen schnarrte +es im Zimmer: »Zum Satan, ja hab' ich gesagt!« + +Es war barsch, doch der Adlerwirt hielt das Ja im Vorhinein für ein +gutes Zeichen. Sie traten ein. + +Es war eine schmale, längliche Stube mit zwei Fenstern und einem großen +Kachelofen. Zwischen den Fenstern stand eine lange Lehnbank und daneben +ein braunangestrichener Tisch. Auf der Lehnbank lag ein alter Mann, der +nur mit Socken, einem schwarzen Beinkleide und einem grauen, locker um +Brust und Arme flatternden Wollenhemde bekleidet war. Der Mann hatte +auf dem Haupte fast kein Haar, hingegen einen üppigen, schneeweißen +Bart. Das Gesicht war gerötet und hatte eine lange, wulstige Nase. +Auf dem Schoß hatte der Mann ein weißes Kätzchen, das er fortwährend +streichelte und mit Brotkrümchen fütterte. Auf dem Tische lag ein +blaues, zusammengeknülltes Sacktuch, ein paar Brillen und ein Pack mit +Schriften. Daneben stand ein grünglasierter Krug, aus welchem er häufig +einen Schluck nahm. + +Dieser Mann war der Salmhofer. Der alte Adlerwirt verleugnete seine +Befangenheit und grüßte ihn wie einen Bekannten, denn der Salmhofer war +ja oftmals eingekehrt bei ihm in Kirchbrunn. + +»Au!« sagte der Alte und richtete sich ein klein wenig auf. »Das ist +seltsam. Was seid Ihr denn so närrisch aufgestiefelt?« + +Da stellte sich der Herr Kontrollor vor und begann so zu reden: +»Hochachtbarer Herr! Die Schicksale der Menschen sind mannigfach und +unerforschlich. Sie hätten wohl auch nie gedacht, daß wir einmal an +Ihres Hauses Schwelle stehen würden, und zwar in einer Angelegenheit, +die -- in einer Angelegenheit, welche --« Da stak er. + +»Was wollt's denn?« fuhr der Salmhofer mit seiner breiten, röchelnden +Stimme drein. + +»Daß wir an Ihres Hauses Schwelle stehen werden, und zwar in einer +Angelegenheit, die --« Trotz des neuen Anrandes konnte er noch nicht +weiter. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. + +»Still sei, Mistvieh!« sagte der Salmhofer zum Kätzchen, welches +miaute, und gab ihm mit dem Finger einen zärtlichen Klapps. + +»Bitt' Euch, macht's keine Faxen!« hierauf zu den Ankömmlingen, +»kann mir's ja eh denken. Meiner Tochter die Fahrgelegenheit zum +Schwambachwirt soll ich zahlen. Was kostet sie denn?« + +Jetzt lachten die beiden und meinten, nun wären sie schon bei der +Stange. »Billig fahre der junge Adlerwirt nicht bei Nacht und Nebel, +leicht koste es den Passagier selber.« + +Der Salmhofer hob von der Katze die Hand und machte damit einen Schlag +in die leere Luft. War das die Antwort? War das nicht gerade, als ob er +sagen wollte: Fort mit Schaden? + +»Dafür stehe ich gut,« sprach nun der alte Adlerwirt, »einen braven +Mann bekommt sie. Und lieb haben sich die jungen Leut' wie Tauben.« + +Der Salmhofer tat aus dem Kruge einen langen Schluck, und auf seinem +Barte noch die Tropfen, schnarrte er: »Mein Geld willst, Adlerwirt!« + +»Aber! Aber!« rief der Adlerwirt. »Wer denkt denn an so was! Geld macht +nicht glücklich, sage ich alleweil. Daß sie zusammenpassen, ist die +Hauptsache. Das andere wird sich alles geben.« + +»Losgehen kann's, wann's will,« sagte der Salmhofer und trank wieder. +Während er trank, sprang das Kätzchen auf den Fußboden hinab; da fuhr +der Alte empor, fing es ein und setzte es wieder sachte auf seinen +Schoß. + +»Nachher könnten wir vielleicht jetzt mit der Kundel reden?« meinte der +Adlerwirt. + +»Weiß schon, weiß schon,« wehrte der Salmhofer ab. »Das Mädel ist ja +schon ganz dumm vor lauter Verliebtheit. -- Da bleibst, Vieherl.« + +Den beiden Männern kam es schier vor, der Alte sei nicht recht bei +Trost. Der grüne Krug! Auf jeden Fall reichte der Adlerwirt ihm nun die +Hand und sagte in feierlicher Stimmung: »Also abgemacht, Schwieger! +Bruder! Gott segne unsere Kinder!« + +»Ist schon recht, ist schon gut!« murmelte der Alte, und seine +Handbewegung deutete an, sie könnten wieder gehen. + +»Er hat zwar einen martialischen Rausch,« sagte der Herr Kontrollor +vor der Tür, »aber richtig ist's. Er hat mehr gestanden, als er im +nüchternen Zustande beigegeben hätte, und das kann uns recht sein.« + +Auf der Hausflur begegneten sie der Kundel. Der alte Adlerwirt hielt +ihr die Hand hin und sagte weichmütig: »Jetzt mache ich nicht viel +Umstände mehr, Töchterl, ich darf wohl einen Gruß ausrichten beim +jungen Adlerwirt zu Kirchbrunn?« + +»Bitt' schön,« antwortete das Mädchen und senkte das Aug'. + +»Und wann darf die Hochzeit sein?« fragte kühnlich der Herr Kontrollor. + +»Je eher, desto besser,« antwortete das Mädchen. Da wußten die +Brautwerber einstweilen genug. + + [Illustration] + + + + + 4. Abschnitt. + + +Der Winter war mit viel Schnee gekommen. Das wirtschaftliche Leben des +Dorfes nahm eine neue Gestalt an, vom Walde wurden auf Schlarpfen[2] +große Reisigfuhren gezogen, aus den Berggräben mächtige Holzblöcke +geschleift, von den Teichen her schwere Eisladungen geführt. Wer einen +Bau vorhatte im nächsten Jahre, der zog jetzt Zimmerholz und Steine +zusammen; der Schnee -- von welchem nicht Unterrichtete glauben, daß +er die Wege versperre -- hatte die Bahnen geschaffen, auf welchen die +schwersten Lasten leicht weiter befördert werden konnten. Die Straße +entlang schellte manch leichtes Schlittenzeug lustig fürbaß und hielt +wohl mit seinen Insassen an in Kirchbrunn beim Adlerwirt auf ein Glas +Wein. Seit es laut geworden, daß die einzige Tochter des Großbauern +zu Geßnitz bald einfahren werde in das Adlerwirtshaus, war dieses +den Leuten neuerdings anziehend geworden. Einzig nur das Weibervolk +betrachtete nun dieses Haus nicht mehr ganz mit den wohlwollenden Augen +als ehedem, aber das verdirbt nicht viel; Weibsbilder, meinte der alte +Wirt, sind ohnehin nicht die besten Gäste. + +[2] Aus zwei Baumstämmen gebaute Waldschlitten.] + +Um diese Zeit kehrte eines Tages der Schopper-Schub ein im +Adlerwirtshause. Er hatte immer denselben verwilderten Bart, der nie +geschnitten wurde und der auch nicht eigentlich in die Länge wuchs, +sondern mehr Neigung hatte, sich zu kräuseln und zu filzen, was dem +Waldmenschen auch recht war. Mit dem Haupthaar stand es wahrscheinlich +auch ähnlich, man sah es aber nie, weil der Mann den Hut immer auf +hatte und die schweren schwammigen Krempen zu allen Seiten tief +herabhingen. Das mattbraune Lodengewand hatte einige Flicken, doch +sah man es an ihrer Ungefügigkeit, daß sie nicht von schlichtender +Weibeshand herrührten. Eben fast so unbehilflich war der Verband, den +er am linken Arme trug. Daß der Schopper mitten in der Woche Feiertag +hatte, kam daher, weil er sich mit der Holzaxt unversehens die Hand +gespalten hatte. Weiter war es nichts. Ein Kamerad hatte ihm ein +Harzpflaster gemacht und den Verband angelegt; somit ist die Sache in +Ordnung, nur daß der Mann einstweilen nicht arbeiten kann. + +Also saß der Holzknecht da am dämmerigen Winkeltisch und trank etliche +Gläschen Branntwein. + +»Wo ist denn der Jungherr?« fragte er auf einmal kurz und scharf. + +»Wo wird er denn sein!« antwortete der alte Adlerwirt, »in Geßnitz wird +er sein. -- Hast was mit ihm?« + +»Will selber mit ihm reden,« sagte der Schopper. »Ich kann ihm ja +nachgehen. Hab' eh Zeit dazu. Was macht's!« + +»Dreimal drei macht neun,« rechnete der Wirt die drei Gläschen +zusammen. »Bekommst von zehn einen Kreuzer heraus.« + +»Schenkt ihn einem Bettler,« sagte der Schopper. Da lugte der Wirt +einmal. -- Seit wann geben denn die Herren vom Siebenbachwald +Trinkgeld? Wahrscheinlich, seit sie sich selber die Knochen +entzweihauen. + +»-- Soll einmal ein Vaterunser dafür beten,« setzte der Holzknecht bei, +während er sich rasch von der Bank erhob und, den Stock fest auf den +Boden stoßend, davoneilte. + +»Für einen Kreuzer ein Vaterunser,« murmelte der Wirt, die kleine +Münze in der hohlen Hand schüttelnd, »viel Andacht wird man da nicht +verlangen können.« + +Der Schopper-Schub wanderte die Straße entlang gegen Geßnitz. Der Weg +war wohl für den Schlitten eingerichtet, aber nicht für ungelenkige +Füße. Das glitt immer nach rechts oder nach links und brachte den Mann +in Gefahr, auf seine wunde Hand zu fallen. Trotzdem setzte er seinen +Stock fest ein und kam vorwärts. Er sann unterwegs, wie er es machen +werde auf dem Salmhof. Das waren ja zwei triftige Gründe, wesweg er +jetzt hinausging. Ein fast leidenschaftliches Dankgefühl hatte ihn +vom Siebenbachwald herausgetrieben. Der in sein enges Wesen zutiefst +eingesponnene und doch vielleicht gelegentlich einer Selbstentäußerung +fähige Waldmensch glaubte, daß der junge Adlerwirt rein ihm zuliebe von +der Frieda abgestanden sei und, damit aller Zwiespalt aufhöre, rasch +die andere heiraten wolle; denn es war ihm nicht möglich zu denken, +daß unter allen jungen Weibern der Welt nicht die Jungmagd Frieda die +Begehrenswerteste sein sollte! -- Adlerwirt! wollte er sagen und ihn um +den Hals packen, für mein Lebtag bin ich dein Knecht! Wenn du einmal +in Not solltest sein, so rufe mich! Du bist mein treuester Freund auf +der Welt! Du hättest das Mädel haben können und hast es mir überlassen, +hast dich einer Fremden angeschmiedet, die dir gleichgültig ist, +höllisch gleichgültig. Gott geb's, daß sie dich recht lieb hat! Und +wenn du einmal wen brauchen solltest, Wolfram, der für dich lebt und +stirbt, so laß mich holen! -- Also wollte der Schopper zu ihm sprechen, +daß seinem heißen, in Zorn wie in Freude überschwänglichen Herzen +Genüge getan werde. Dann wollte er aber auch ernstlich an die andere +herantreten und am heutigen Tage die Sache endgültig machen. -- Hopp! +jetzt lag er im Schnee. + +Wenn es so fortgeht auf der Rutsche, so wird das mühsam bis Geßnitz. +Ein feines Schellen hörte er hinter sich. Mit flinkem Rößlein jagte und +auf leichtem Schlitten saß der Groß-Grübinger von Kirchbrunn, er fuhr +auch gegen Geßnitz. Ei, dachte der Holzknecht, dem ist's ein leichtes, +daß er mich mitnimmt. Als der Schlitten vorüberschliff, rückte der +Schopper manierlich den Hut, aber der Grübinger tat nichts desgleichen. + +»He!« rief nun der Holzknecht dem Gefährte nach, zog sein blaues +Sacktuch aus der Tasche und hielt es hoch in die Luft, »he, Vetter! +Vetter Grübinger!« + +Der Bauer hielt an: »Was ist denn?« + +»Ihr habt Euer Sacktuch verloren!« rief der Holzknecht. Die List +gelang; während der Bauer seine Taschen durchsuchte, kam der Schopper +zum Schlitten heran und legte seine Hand schon an das Joch. + +»Mir gehört er nicht, der Fetzen!« brummte der Bauer und wollte es +wieder vorwärts gehen lassen. + +»Nachher muß er wem anderen gehören,« meinte der Holzknecht und steckte +das Tüchel in seinen Sack. »Aber gelt, Vetter Grübinger, Ihr seid so +gut und habt nichts dagegen, wenn ich mich da hinten auf die Kurve +stelle. Ich will nach Geßnitz und es geht so kläglich auf den Füßen. +Euer braver Rappen --« + +»Kunnt mir einfallen!« lachte der Bauer grell auf, »Hia!« Und der +Schlitten glitt rasch dahin, kaum hatte der Schopper Zeit, das Joch +auszulassen; sich an dasselbe haltend, stolperte er eine Weile hinten +drein, bis der Bauer ihm mit dem Peitschenstock eins auf die Finger +gab. Da ließ er los und stand wieder allein mitten in Schnee und Nebel. + +»Die Leute sind hart,« murmelte er vor sich hin; um so weicher ist der +Schnee, in welchen er seine Fersen wieder kräftig einsetzte. Es ging +langsam fürbaß. + +Als er nach Stunden durch den Markt Geßnitz schritt, war es finster, +was sich gar nicht übel traf. Schon einmal hatte ihn hier der Gendarm +festgenommen, obschon auch bald wieder losgelassen, nachdem es sich +herausgestellt, daß hinter der verwilderten Hülle ein gewöhnlicher +Holzknecht steckte. -- Auf dem Turme läutete die Abendglocke. Er zog +seinen Hut vom Kopfe und betete: »Der Engel des Herrn brachte Maria +die Botschaft ...« Der junge Adlerwirt war ihm nicht begegnet, also +mußte er wohl noch im Salmhofe sein. Der Schopper ging den Hügel +hinan, aber nicht nach dem breiten Fahrweg, sondern hinterwärts auf +dem Rainsteige. Den Wirtschaftsgebäuden trachtete er zu, er wußte wohl +die Futterkammer, in welcher die Jungmagd um diese Zeit ihre Arbeit zu +verrichten pflegte. -- »Heut' nimm dich zusammen, Schopper-Schub,« so +ermahnte er sich selbst. »Denk' nicht immer daran, daß du verachtet +bist. Denk', daß du auch ein Mensch bist wie alle anderen, und +sei herzhaft. Gesund und stark zum Arbeiten, niemand kann dir was +ausstellen im Holzschlag, du verstehst dein Geschäft. Niemand kann dir +was nachsagen; was du dein Lebtag hast angestellt, das ist nur dein +eigener Schaden gewest. Die neue Riesen wird sich machen im Waldschlag. +In ein paar Jahren bist Holzmeister, da kannst Weib und Kind erhalten +so gut wie ein Graf. Warum soll sie dich nicht gern haben? Wenn ihr +dein Gewand nicht gefällt, so wirf's weg, der inwendige Kerl wird nicht +zu schlecht sein für eine brave Dirn. In Gottesnamen, Schopper!« + +Der junge Adlerwirt hatte sich im Laufe desselben Nachmittags in der +großen Wirtschaft des Salmhofes herumgetrieben. Anfangs tat er solches +in Begleitung seines künftigen Schwiegervaters, dieser wurde aber bald +zurückgerufen, er hatte in Gemeindevorstandsgeschäften zu tun. Der +Wolfram spähte überall umher und spielte mit dem Gedanken, was mit +all dem geschehen werde, wenn einmal Vater und Mutter mit Tod abgehen +sollten. Gegen Abend ins Haus zurückgekommen, gab's eine Jause, aber +eine etwas zerrissene. Die Salmhoferin trank ihren Kaffee in der Küche, +der Salmhofer trank seinen Weinkrug auf der Stube aus, die Haustochter +Kundel schlürfte ihren Tee im Küchenzimmerchen und knusperte süßes +Backwerk dazu. Der Wolfram, welcher neben ihr saß, dankte für den ihm +gebotenen Imbiß, er sei nicht gewohnt, eine Jause zu nehmen, aber +eine Zigarre, wenn er sich anzünden dürfte! Hierauf besprachen sie +die Hochzeit. Die Kundel gestand vielleicht mehr unwillkürlich als +absichtlich, daß es ihr manchmal schrecklich sei auf dem Salmhofe, +daß sie froh sei, diesem Orte zu entkommen. Elternliebe, wovon andere +Leute sprechen, habe sie ja doch nie kennen gelernt. Der Vater habe +sie ein paar Jahre lang in ein Institut gesteckt, sie nachher zu einer +Zierpuppe herrichten wollen, um sich mit ihr zu prahlen; bei der +Mutter wäre überhaupt nichts zu suchen, diese verrichte in der Küche +ihre tägliche Arbeit, die gerade so gut auch eine Magd besorgen könne, +und sei dann zufrieden. -- Dem jungen Adlerwirt schmeichelte dieses +Vertrauen der Braut und es kam ihm fast gemütlich vor im Stübchen, bis +die Kundel plötzlich und ziemlich rasch das Fenster aufmachte. Der +Tabakrauch ging freilich hinaus, aber die kalte, neblige Winterluft +ging herein. Endlich verabschiedete der Bräutigam sich, und während +die Pferde eingespannt wurden, stand er draußen in der Tür der +Heukammer und plauderte ein wenig mit der Jungmagd. Er lehnte an dem +einen Pfosten der Tür, sie an dem anderen, weiter ließ sie ihn mit +der brennenden Zigarre nicht in die Kammer. Sie tat's aber nicht des +Rauches, sondern der Feuersgefahr wegen. + +Ihr Gespräch wurde ganz leise geführt. »Frieda,« sagte der Wolfram, »du +wirst doch auch bei der Hochzeit sein?« + +»Weiß es nicht,« antwortete sie, »ich werde wohl müssen haushüten. Die +Haustochter hat schon so etwas gesagt.« + +»Hat sie?« fragte flüsternd der Bräutigam. »Nein, Frieda, ich will's +haben, daß du bei meiner Hochzeit die erste Kranzljungfrau sein sollst. +Es geht doch!« + +»Ja, gehen tät's schon,« meinte die junge Magd, »aber sein darf's +nicht.« + +»Wer sagt das?« + +»-- Sie.« + +»Das möchte ich wissen. Ihr seid ja immer gut gewesen miteinander? Und +kameradschaftlich.« + +»Früher, ja,« sagte die Frieda, »aber seit dem Tanz beim Schwambachwirt +ist sie arg auf mich.« + +»Laß es gut sein, Dirndel,« entgegnete der junge Adlerwirt. »In das +Kapitel werde ich auch etwas dreinzureden haben. Sie mag zur Hochzeit +laden, wen sie will, ich werde es auch tun. Und verhoff's, daß wir +uns bei der Hochzeit nicht das letzte Mal sehen werden, Dirndel. Gib +mir die Hand drauf!« Und er schnalzte mit der Zunge, was so seine +Gewohnheit war, wenn er Mut und Übermut in sich fühlte. »Dirndel, die +Hand drauf!« + +»Auf das gebe ich keine Hand,« war ihre Antwort, »der Mensch weiß nicht +Zeit und Stund.« Zögernd und zagend hatte sie das gesprochen. + +»Und auch zum Abschied willst mir die Hand nicht geben?« fragte er +nicht ohne Beklommenheit. + +»Zum Abschied -- schon gar nicht,« antwortete das Mädchen. + +»Frieda!« erscholl es in diesem Augenblicke von der Stallwand her. Die +beiden stoben auseinander. Eine männliche, hohle Stimme war es gewesen. +Der junge Adlerwirt sprang in den Schlitten, und vorwärts ging's durch +Nacht und Winter gegen Kirchbrunn. + +An demselben Abende war's, als die Jungmagd Frieda die Tür ihrer Kammer +verschlossen hatte und nun vor einem Muttergottesbildchen, welches an +der Wand klebte, ihr Nachtgebet sprach, als auf einmal wie ein Gespenst +der Holzknecht vor ihr stand. Der Schreck war so groß, daß ihr zum +Schrei die Stimme versagte. Beide Hände ans Herz gedrückt, so sank sie +mit einem Hauch auf den Schemel hin. + +»Geschehen tut dir nichts,« also sprach nun der Schopper. »Aber das +Leutrufen laß sein. Sie brauchen es nicht zu wissen, was wir zwei +miteinander zu reden haben.« + +»Wir haben nichts miteinander zu reden,« konnte jetzt die Frieda sagen. +»Geh fort! Du hast dich wie ein Dieb hereingeschlichen! Geh fort!« + +»Hast wohl recht, Dirndel, wie ein Dieb!« entgegnete der Schopper. +»Weil ich deinetwegen schlecht werden muß. Aber daran schuldig bist du. +Zu einem Engel hättest mich machen können. Und jetzt -- jetzt kann ein +Teufel draus werden.« + +»Fort geh!« rief das Dirndel und sprang zur Tür, um sie zu öffnen. +Er fing sie auf, hielt ihr die Hand fest und sagte: »Frieda. Sei +barmherzig. Schau, ich bin ein armer Bursch'. Glaubt hätt' ich's +nimmer, daß einen die Lieb' so kunnt zurichten. Zwingen kann ich dich +nicht, Frieda. Ich sag' dir nur das: Wenn du mich nicht nimmst, so +erleben wir was. Mit mir und mit dir! Ich spring' ins Verderben und du +in dein Unglück. Der junge Adlerwirt! Unterwegs her bin ich noch voller +Vertrau gewesen zu ihm. Und was ich jetzt hab' gehört!« + +»Was hast denn gehört?« + +»Mehr, als er geredet hat, meine liebe Dirn! Daß der so schlau ist, das +hätte ich mir nicht gedacht. Die eine heiraten, die andere gern haben! +Bist denn du blind, Frieda! Oder bist wirklich so schlecht?« + +»Holzknecht,« versetzte jetzt das Mädchen ruhiger, »laß mich aus, dann +will ich reden.« + +Im Augenblick ließ er ihre Hand los. + +»Für mich,« so redete sie nun, »wär' es auch besser, du hättest mich +zerdrucken lassen vom Mühlrad. Ich dank' dir's nicht, daß du mich hast +herausgezogen. In der Unschuld wäre ich gestorben, und wie es jetzt +steht, seh' ich vor mir nichts, als lauter Sünd' und Elend.« + +»Den Adlerwirt mußt vergessen!« sagte der Schopper. + +»Vergessen! Weißt du, was du redest? Kannst du vergessen? So vergiß +mich, ich geh' dich ja nichts an. Bin nicht deine Schwester und nicht +dein Geschwisterkind. Such' dir eine, die besser für dich paßt, und +mich laß in Gottesnamen zugrunde gehen, wenn es mir schon aufgesetzt +ist, daß ich seinetwegen zugrunde gehen soll.« Sie weinte. + +Der Waldmensch stand wie erstarrt vor ihr. Endlich antwortete er: »Um +~das~ von dir zu hören, bin ich heute weit aus dem Siebenbachwald +herausgekommen. -- Du, Frieda! Flennen darfst mir nicht! Flennen kann +ich dich nicht sehen!« Fast wie drohend stieß er die letzten Worte +heraus, und dann fuhr er mit den Fingerspitzen über ihr Haar hin, als +ob er sie streicheln wollte. »Frieda!« fuhr er milder fort. »Vor neun +Jahren am Magdalenatag, wie sie deine Mutter haben in die Erden gelegt, +habe ich dich zum ersten Mal gesehen. Wie du dazumal geweint hast, +du liebes Kind, du arme Waise, so verlassen auf der Welt, -- wie du +dazumal so geweint hast, das geht mir nimmer aus dem Kopf, gar nimmer.« + +»Mein Gott,« flüsterte jetzt die Frieda, »du bist ja ein guter Mensch, +ein herzensguter Mensch. Aber jetzt mußt du fortgehen, du armer Bursch, +schau, es kann nicht anders sein. Ich habe ja nichts gegen dich, wenn +ich nur könnt', wie wollt' ich dich lieb haben mit Freuden, dich ganz +allein. Und es hätt' eine gute Wendung. Wie es jetzt steht, ich weiß +mir ja nicht zu raten und nicht zu helfen.« + +»Sollst schuldigerweis so reden?« fragte er. + +»Gott Lob und Dank, nein!« antwortete die Jungmagd, »aber fürchten +tu' ich mich, so oft ich ihn sehe. Bei der Hochzeit will ich nicht +sein, nach Kirchbrunn auch mein Lebtag nicht gehen. Ich will mich +ja hüten, soviel es menschenmöglich ist. An meine Mutter hast mich +gemahnt, Schopper. Ihr letztes Wort zu mir ist gewesen: Frieda, wenn +du dir nicht aus weißt, so knie' hin und tu' beten. Ich will's tun, +Holzknecht, und will so lange beten, bis ich dich recht lieb hab, und +nur dich allein.« + +Das sagte sie mit solcher Innigkeit, als wäre die Liebe zu ihm bereits +da. + +»O glückselige Stund'!« wimmerte der Waldmensch und drückte sein +bärtiges Gesicht an ihre Schulter, in ihr Haar, »du herzliebe Dirn, +ich geh' schon, ich geh' gern. Beten! Beten! Gute Nacht, du +herzliebe Dirn!« + +Also stürzte er wie rasend vor Glück davon, hinaus in die tiefe +Winternacht, den jauchzenden Himmel im Herzen, seinen fernen +Wäldern zu. + + [Illustration] + + + + + 5. Abschnitt. + + +Ganz Geßnitz war in Aufruhr. Bald nach Mitternacht schon hatten sie +angefangen mit den Pöllern zu knallen, und zwar nicht bloß auf dem +Salmhof, wo hinter dem Hause ein großes Feuer brannte, sondern auch +bei anderen Bauernhöfen der Umgegend, die da zeigen wollten, welch +freudigen Anteil sie nähmen an dem Fest- und Ehrentage der Familie +ihres großständigen Gemeindevorstandes. Und als über den Dunstschichten +der große, rote Sonnenball heraufstieg und die Hochzeitsgäste gegangen, +gefahren kamen von allen Seiten her, da knatterten auch die Pistolen +drein, das Kleingewehrfeuer zu den Kanonenschüssen, daß es schier +zu hören war, als würde eine große Schlacht geschlagen im Tale von +Geßnitz. Wo der Weg vom Salmhofe in den Markt hineinmündet, war +sogar ein Schwibbogen gebaut aus Fichtenreisern. Von der Gärtnerei +der Herrschaft Klobenstein war ein großer Brautstrauß gekommen als +Hochzeitsgabe, denn der Klobensteiner Baron und der Salmhofer standen +miteinander in reger Geschäftsverbindung. + +Übrigens hatte die Hochzeit des jungen Adlerwirtes mit der Salmhofer +Tochter etwas Städtisches. Es gab dabei Herrschaften in Frack und mit +hohen Seidenhüten, worunter der Herr Schwager Amtskontrollor eine der +würdigsten Erscheinungen war. Auch der Salmhofer trug einen sehr langen +Frack, einen schwarzen Röhrenhut, einen hohen, aufgesteiften Halskragen +mit zwei an beiden Seiten des Kinnes hervorstehenden Spitzen, eine +schneeweiße Weste, die über den halben Bauch hinabging, ein schwarzes +Beinkleid und tadellose weiße Handschuhe. Die Salmhoferin an seiner +Seite sah dagegen ganz bäuerlich und fast ärmlich aus. Der Bräutigam +war in schwarzem, dorf-bürgerlichem Anzug, der sich nur auszeichnete +durch das Myrtensträußchen am linken Brustflügel. Dieses schwarze +Gewand gab dem jungen Manne ein überaus interessantes Aussehen, sein +Gesicht schien blasser als sonst, und in seinem großen Auge war ein +seltsamer Schmelz, wer es nur hätte sagen können, ob mehr auf frischen +Mut oder auf weichmütige Rührseligkeit hinweisend. Seine natürliche +Heiterkeit schien er heute daheimgelassen zu haben beim Alltagsgewand, +ernsthaft, gesetzt, wie es einem Bräutigam ansteht, war sein Wesen, +und man sah gleich, daß die Würde des Großbauernhofes sich auf ihn +zu vererben begann. Die Braut Kunigunde trug ein schweres weißes +Seidenkleid mit Schleppe, und auf dem kunstvoll geflochtenen, fast +schwarzglänzenden Haar ein Myrtenkränzlein. Ihr schönes Gesicht war +jetzt, wie sie vor dem Altare standen, als ob es von reinstem weißen +Marmor gemeißelt wäre. Man hatte zu Geßnitz nie eine Braut gesehen, +die so würdig und ernst war, und nie eine, die am Hochzeitstage +nicht einmal ein wenig gelächelt und nicht einmal ein wenig geweint +hätte. Aber die Kunigunde war eine solche. Manche behaupteten, das +wäre ein tiefes Wasser, auswendig eine Mutter Gottes, inwendig +--. Ein Glücksmensch sei dieser Adlerwirt! Die Braut so schön, so +achtunggebietend, so reich! -- Ob sie für eine Wirtin am Ende nicht +doch ein wenig zu vornehm ist! Wirtinnen können nicht artig genug +sein. -- Oho, Wirtinnen können nicht zurückhaltend und ernsthaftig +genug sein! -- Ein Glücksmensch, dieser Adlerwirt! + +Als das Brautpaar vor dem Altare stand, als der Wolfram ihre zarte +kleine Hand in der seinen hielt, als der Priester die Stola darüber +wand, da machte der junge Adlerwirt im Herzen ein Gelöbnis. -- Ich will +ein treuer Mensch sein. Junge, leblustige Weiber gibt es genug, auch +solche, die Ehrenhaftigkeit verkaufen! Nein. Ich habe jetzt mein Weib. +Und ist sie gleichwohl noch frostig wie ein Märztag, ich will so viel +Sonnenschein auf sie legen, bis die Blume aufblüht. Durch die Liebe +kann man alles überwinden, sagt mein Professor Nix, auch die schlimmen +Weiber. Schlimm aber ist sie gar nicht, nur ein wenig herb. Und herbe +Trauben geben den haltbarsten Wein. Mein liebes Weib, du! -- Er drückte +ihre Hand, sie wußte freilich nicht, was er dachte. + +Die Mahlzeit im Salmhofe war üppig bis zum Tischbrechen. Auch dabei +ging es so vornehm zu, daß alle Kellner von Geßnitz anwesend waren, +um an der Tafel die Speiseschüsseln herumzutragen von Gast zu Gast. +Die Braut winkte fast jedes Gericht mit einer Handbewegung ab, sie aß +nichts, sie trank nichts, sie sprach nur wenig, ließ aber ihr wachsames +Auge stets in die Runde gehen, um die Ordnung des Dienervolkes zu +überwachen und etwaige Verstöße desselben mit einem strafenden Blick, +mit einem tadelnden Worte zu rügen. Der Wolfram suchte mit der +nebensitzenden Schwiegermutter ein Gespräch zu unterhalten; es war +jedoch mit der einfachen, bescheidenen Frau nicht viel anzufangen. Um +so mehr fröhlichen Lärm machte der Salmhofer, besonders wenn das weiße +Kätzchen, welches er bei sich auf dem Schoß hatte und mit Leckerbissen +fütterte, auf den Tisch sprang und ungebührlich ward. Also, dachte der +Wolfram, werden wir uns nur ans Essen und Trinken halten, dieser Tag +wird mit Gottes Hilfe ja auch nicht ewig dauern. + +Am Abende, als die Lichter gekommen waren und die Musikanten, hub die +Hochzeitsgesellschaft einen anderen Takt an. Es ward laut und lustig, +die Leute wogten durcheinander, aber die Braut zog sich zurück auf +ihr Stübchen, weil ihr die Aufregung und der Lärm des Tages ein wenig +Kopfschmerz verursacht hatten. + +Der Wolfram ging hinaus in die frische Luft. Ein klarer Sternenhimmel +flimmerte, der Adlerwirt sah ihn kaum, er war in verschiedenerlei +Empfindungen versunken, und auf einmal tat er einen tiefen Atemzug und +sagte halblaut: »Also wäre ich verheiratet!« + +Dann kam ihm zu Sinn, was er am Altare gedacht und daß er nun von +jemandem Abschied nehmen müsse mit allem Ernst. + +Im Wirtschaftsgebäude war die Gesindestube hell beleuchtet, da drin +ging's fröhlich zu, der Wolfram trat ein. Mit hellem Geschrei hoben +sie ihm die Gläser entgegen und tranken auf seine Gesundheit. Er +setzte sich ein bißchen zu dem Gesinde an den Tisch, da erschien die +Aufträgerin mit frischem Teller und Glase, legte ihm Krapfen vor, und +einschenken, meinte sie, würde er sich wohl selber können. + +»Ja, Frieda!« lachte der Bräutigam der jungen Aufträgerin zu, +»einschenken, das kann ich, aber austrinken mußt du. Auch von dir will +ich eine Gesundheit haben.« + +Die Jungdirn nahm das Glas, schwenkte es ein wenig gegen ihn: »Zur +guten Gesundheit!« und nippte. + +»Jetzt ist's recht!« rief der Wolfram lustig mit der Zunge schnalzend +und faßte sie an der Hand und blickte ihr frisch ins Auge, »trink' noch +einmal, Frieda!« + +»Dank' schön!« antwortete sie schmunzelnd, »es möcht' zu viel sein.« + +»So gib her!« Er nahm ihr das Glas aus der Hand, und während er ihr +fest ins Auge blickte, leerte er es auf einen Zug. + +Als er nachher wieder über den Hof schritt, ward ihm bedenklich. -- Ein +Abschied das? -- + + * * * * * + +Also das war die Hochzeit gewesen. + +Und nun kam das Siedeln. Der Möbelfuhren von Geßnitz nach Kirchbrunn +waren so viele, daß die Leute schon sagten: »Mein Gott, wie wird denn +das alles Platz haben beim Adlerwirt, es zersprengt ja das Haus!« + +Frau Kunigunde war eingerichtet wie eine Gräfin. Alles nagelneue +Sachen. Rokoko war Mode. Rokoko! Man wußte zwar nicht, was das war, +bestellte es aber. »Kosten tut auch ein Trödel was,« hieß es, »also +am besten, sich gleich ordentlich einrichten.« Es gab Überraschungen, +als die Sachen ankamen. Frau Kunigunde war nicht so leicht +zufriedengestellt von den Arbeiten der Tischler und Tapezierer aus der +Kreisstadt, sie meinte, das plumpe Zeug sei gar nicht anzusehen und +es wäre am klügsten, solche Dinge geradeswegs aus Paris zu bestellen. +Mit diesem Sinn für die feinste Vornehmheit setzte die junge Frau ganz +Kirchbrunn in Erstaunen. + +Ungefähr eine Woche nach der Hochzeit war der Salmhofer angefahren +gekommen, um sich das neueingerichtete Nest der jungen Leute +zu besehen. + +»Nur so zu, Wolf!« schnarrte er den Schwiegersohn an. »Meine Tochter +hat Erziehung genossen. Halt' sie fein! Laß ihr nichts abgehen! Für die +Küche nimm dir eine Köchin, mein Kind hat Nerven, die nicht für den +Küchendunst sind.« + +Der Wolfram nahm diese Verhaltungsmaßregeln ganz ruhig hin. Nach einem +Imbiß, der dem Schwiegervater vorgesetzt worden und wobei der Salmhofer +einmal seinen würdigen Bart streichelte und das andere Mal seinen +Oberschenkel, obzwar heute das weiße Kätzchen nicht darauf saß -- bat +der alte Adlerwirt ihn auf ein Wort in seine Stube. Der alte Wirt war +vor langem Zuwarten auf eine gewisse Unterredung schon ganz aufgeregt +geworden. Und weil der Schwieger auch heute wieder nichts desgleichen +tat, als wäre eine solche an der Zeit, so machte der Wirt nun keine +Umstände mehr. + +»Schwieger,« sagte er, ihm einen Sessel hinschiebend, »mußt schon +entschuldigen, es ist, daß man sich einmal ausredet von wegen Lebens +und Sterbens. Wir sind nimmer jung, und mein Sohn weiß, was er von +mir zu erwarten hat. Es ist, daß er weiß, wie er daran ist und die +Wirtschaft einrichten kann.« + +»Hast ganz recht, Adlerwirt, nur alles in Ordnung machen,« antwortete +der Salmhofer. »Weiß auch, daß mein Kind bei Euch gut gestellt ist. Ist +ein gutes Kind, wer es zu behandeln versteht, ein herzensgutes Kind.« + +»Und eine rechtschaffen stolze Natur,« lenkte der schlaue Adlerwirt +über, »so daß ich mir schon gedacht habe, ob sie nicht etwa gedrückt +ist, wenn ... Das möchte ich ihr nicht wünschen! Sie wird auch auf was +pochen wollen, und hat ganz recht. Ich meine, Schwieger, du -- sollst +was schreiben lassen.« + +Der Salmhofer hatte sich kaum gesetzt, so stand er jetzt wieder auf, +nahm Hut und Stock; aber noch an der Tür wendete er sich um und stieß +sprudelnd die Worte hervor: + +»Ich glaube, die Ausstattung ist nicht zu gering ausgefallen. Hat mich +bare zweitausend Gulden gekostet. Nach meinem Ableben -- wenn ich um +ein Eichtel Geduld bitten darf! -- wird sie kriegen, was da ist. Wer +denn sonst?« + +Ohne ein weiteres Abschiedswort ging der Großbauer zur Tür hinaus und +fuhr davon. + +Etwas kleinlaut teilte der alte Adlerwirt dem jungen dieses Gespräch +mit und fügte bei: »Heißt's halt so weiter fretten derweil. Wie lang +wird er's denn machen! Er trinkt zu viel.« + +Der Frau Kunigunde war es nach ihrem Einzuge ins Adlerwirtshaus vor +allem darum zu tun gewesen, jedermann zu zeigen, daß sie hier die Frau +sei. Alles wurde geändert, schon in den ersten Tagen. Kein Möbelstück +blieb an seinem Platze stehen, und wenn der Wolfram einwendete, das +sei schon bei seiner Mutter Lebzeiten so gewesen, gab sie zur Antwort: +»Liebes Kind, also hat's deine Mutter gestellt nach ihrem Belieben, und +ich werde es auch tun.« Im Salmhofe war um zwölf Uhr Mittagszeit, also +mußte auch im Adlerwirtshause die Suppe um zwölf Uhr auf dem Tische +stehen. »Kundel,« gab ihr der Wolfram zu bedenken, »in den Wirtshäusern +macht sich eine spätere Mittagsstunde besser, wenn die Gäste gespeist +haben.« -- »Was kümmern mich die Gäste!« war ihre Entgegnung. + +Der Wolfram wußte wohl, was darauf zu sagen war, doch er wollte nicht +streiten. »Junge Hausfrauen sind schon so,« tröstete ihn der Vater, +»und sie wird sich die Hörner schon abstoßen.« + +Auch mehrere Dienstboten, die sich nicht gleich in die neue Hausordnung +schicken konnten, wurden entlassen und neue aufgenommen. Und gerade +wenn eins recht brauchbar war und schon lange im Hause, gerade das +mußte fort. Die Frau Kunigunde wollte nicht, daß ein Dienstbote im +Hause sei, welcher besser Bescheid wußte als sie selber. + +»Daß dir die fremden Gesichter nicht zuwider sind!« sagte einmal der +Wolfram zu seiner Frau. + +»Mir sind die einen wie die anderen fremd,« war ihre Antwort. + +»So möchte ich an deiner Stelle wenigstens solche nehmen, die ich schon +kenne. Dein Vater wollte dir gewiß gerne ein paar Leute von seinem +Hofe abtreten, die deiner Art und Weis' leichter nachkommen könnten. +Besonders Weibsleute solltest verläßliche um dich haben.« + +»Meinst?« gab sie lauernd zurück. + +»Wir haben jetzt keine ordentliche Küchenmagd und keine Weidmagd.« + +»Wie soll sie denn heißen?« + +»Heißen kann sie wie sie will, aber brav und fleißig muß sie sein.« + +»Soll sie nicht Frieda heißen?« fragte spitzig die Frau Kunigunde. + +Der Wolfram tat überlaut einen Lacher. »Wie du jetzt auf die Frieda +kommst!« Er brach ab und ging hinaus. + +Von diesem Tage an war er eine Weile wortkarg. Und damit Frau +Kunigunde die Ursache nicht merken sollte, warf er ihr unverhohlen vor, +daß das nicht schön wäre von ihr, dem alten Vater die liebgewordenen +Gewohnheiten zu vergällen, ihm sogar die Mittagszeit nach ihrem +Gutdünken zu verlegen. Über die Speisen selbst rede man ohnehin +nichts, diese würden zubereitet nicht nach seinem, sondern nach ihrem +Geschmack, und der sei nicht allemal der beste. + +»Einen besseren hast du,« gab sie rasch wie immer zur Antwort, »weil du +deiner eigenen Frau schon jetzt, wenige Wochen nach der Hochzeit, das +Essen mißgönnst und dich nach einer Stalldirne umsehen möchtest.« Da +weinte sie auch schon heftig in ihr Spitzentuch. + +»Aber Kunigunde!« rief nun der Wolfram und wollte kosend begütigen, sie +stieß mit dem Ellbogen heftig nach ihm, da ging er zum Herde, zündete +sich eine Zigarre an, stieg in die Gaststube und unterhielt sich mit +den Gästen. + +Ein Fleischhauergeselle aus Geßnitz war da, den fragte der junge +Adlerwirt nach Neuigkeiten. Natürlich marschierte der drohende Krieg +auf, der in den Zeitungen stand, denn er steht immer drin. Aber dem +Wolfram war das zu wenig. Als braver Schwiegersohn fragte er dem +Salmhofe nach, ob dort alles gesund sei, oder sonst beim alten? Ja, +der Salmhofer liege auf seiner Holzbank, schäkere mit den Katzen und +habe so manchmal sein Räuschchen. Man merkte es dem Fleischergesellen +an, welche Gewalt er sich antun mußte, um die ganz unverhältnismäßige +Verkleinerung zuwege zu bringen, aber anders mochte er mit dem +Schwiegersohne doch nicht sprechen. -- Und was die Mutter mache? wollte +der Wolfram wissen. -- »O Gott!« sagte der Fleischer. + +»Daß sie nicht am Ende mehr Sorgen zu tragen hat, jetzt, weil die +Tochter fort ist!« fürchtete der junge Adlerwirt. »Sie wird sich doch +von den Dienstmägden eine abrichten fürs Haus oder so?« + +»Im Gegenteil,« erzählte der Geßnitzer, »verjagen tut sie eins ums +andere. Gestern ist bei der Jungmagd die Dienstzeit aus worden.« + +»Bei der Frieda?« fragte der Wolfram. + +»Wird so geheißen haben. Bin just mit einem Kalb vorübergekommen, wie +sie mit ihrem Bündel den Hof verlassen hat. Und Augenwasser, daß ich +sie noch frag': Was hat's denn, Dirndel? Wandern mußt? Ja, wohin denn +jetzt im Winter? Wisse es selber nicht, hat sie gesagt, und fort nach +der Straßen.« + +Nun wußte er's, der Adlerwirt, was er wissen wollte. Daß er jetzt aber +noch mehr wissen wollte, und was alles, das konnte er niemandem sagen. + + [Illustration] + + + + + 6. Abschnitt. + + +Endlich war der Winter vorbei. + +Und eines Tages in den Maien kam der junge Adlerwirt zu seiner Frau mit +einem erbrochenen Briefe und sagte froh erregt: »Dies Jahr kommt er +früh. Er kann es schon kaum erwarten, die junge Adlerwirtin kennen zu +lernen, schreibt er. Der Professor Nix.« + +»Wer ist denn der?« fragte Frau Kunigunde gleichmütig. + +»Ich habe dir ja erzählt von dem Herrn, der allsommerlich zu uns kommt +und bei uns bleibt, und der mich so mancherlei gelehrt hat. In diesem +deinem Zimmer hat er immer gewohnt.« + +»So soll ich wohl jetzt ausziehen und den Herrn Professor Nix +hereinlassen?« + +»Kundel,« sprach der junge Adlerwirt und machte einen vorwurfsvollen +Blick. »Kundel, du bist immer so boshaft. Wie kann denn vom Ausziehen +die Rede sein! Der Professor bekommt das Stübchen gegen den Baumgarten +hinaus, er wird damit zufrieden sein. Es ist ein netter Herr, du wirst +ihn gewiß liebgewinnen.« + +»Das Baumgartenzimmer kann ich ihm nicht abtreten, ich habe meine +Garderobe drin.« + +»Vielleicht wolltest du deine Kleider hier in der Nebenkammer +unterbringen, es wäre bequemer für dich.« + +»Geh, geh, Wolf,« entgegnete sie, »meine Bequemlichkeit, daß ich +nicht lachen muß! Nur um deinen Herrn Professor geht's dir. Nein, das +Baumgartenzimmer bekommt er nicht!« + +»So werde ich ihm das große Zimmer über der Gaststube einräumen,« +sagte er, aber in einem Tone, der anzeigte, daß er nicht gewillt sei, +weiter mit sich handeln zu lassen. + +»Das kannst du tun,« antwortete Frau Kunigunde. »Ich kümmere mich +nicht um deine guten Freunderln. Nur bitte ich dich, auch mir nichts +dreinzureden, ich will Ruhe haben.« + +Und eine Woche nach Ankunft seines Briefes kam er selber. Es war noch +ganz der alte wie im vorigen Jahre. Dem Wolfram fiel er mit den Worten: +»Junge! Hat die Liebe noch ein Stückchen Wolfram übrig gelassen für den +alten Nix?« in die Arme. + +Die Artigkeiten, welche der Adlerwirt stotterte, unterbrach er sofort: +»Ist schon recht. Laß die Torheiten, dein Weibchen will ich sehen.« + +Er stürmte in die Gaststube, in die Küche, da war sie aber nicht. Als +er später hinaufstieg zu seiner neuen Stube, begegnete ihm auf der +Treppe eine Dame, die er flüchtig grüßte, weil er sie für eine Fremde +hielt. Es war aber Frau Kunigunde. Als er das gewahr wurde, eilte +er ihr nach: »Frau Adlerwirtin! So wollen wir zwei nicht beginnen +selbander. Einen herzhaften Händedruck oder so etwas! Mit meinem Segen +für den heiligen Ehestand komme ich wohl spät! Aber nie zu spät! Nie zu +spät! Gottes Gruß zu tausendmal, Frau Adlerwirtin!« + +»Guten Morgen!« entgegnete die Frau ruhig. + +Professor Nix war hübsch abgekühlt, und sie wechselten einige höfliche +Worte. + +Mit der Stube war der Professor recht zufrieden, da hatte er Platz +genug für alle seine Bücher und Schriften und Ledertaschen und +Botanisierbüchsen und Staffeleien, und er breitete sich behaglich aus. +»Ein Herzenskerl bist du!« rief er dem Wolfram zu, »gut meinst du +mir's. Wenn ich einmal sterbe, so bedenke ich dich in meinem Testament. +Du sollst das ganze Firmament haben mit allen Sonnen und Sternen. Nur +der Halbmond ist ein Legat für die Türken. Ein charmantes Zimmer das!« + +Der Wolfram sagte nichts auf diese Ergießung. Und bald machten sich +zwei kleine Nachteile fühlbar in der schönen großen Stube. Tagsüber +war's der Rauch des scharfen Bauerntabaks, dessen Düfte von dem +Gastzimmer durch die Fugen in des Professors Stube drangen. Aber das +war nicht das schlimmste, am Bauerntabak war auch noch eine Pfeife, +und an der Pfeife sog so ein unsauberer Geselle, der bis in die Nacht +hinein sitzen blieb und mit anderen ähnlichen Gesellen lärmte, so +daß der gute Professor Nix oben kein Auge schließen konnte. Aber er +tat nichts desgleichen, sondern tröstete sich damit, daß solches zur +Sommerfrische gehöre. + +Bei einer nächsten Gelegenheit sagte er zu seinem jungen Wirte +folgendes: »Wolf! Ich muß dir nur gestehen, du hast ein schneidiges +Weib. Das hat mir alle Kurasch abgekauft. Eine solche Hausfrau wird +ganz gut sein, sie erspart den Kettenhund. Die Diebe und die Betrüger +und die Heuchler und Schmeichler wirst du nicht zu fürchten brauchen, +Frau Kunigunde hält sie alle fern. Einer Untreue wirst du bei ihr auch +sicher sein, sie läßt keinen an sich herankommen. Wenn sie dir so recht +ist, nachher bist du geborgen, nachher kann dir nichts mehr geschehen.« + +Der Wolfram wußte nicht recht, waren diese Bemerkungen ein Lob auf +seine Frau oder etwas anderes. Er nahm's in Gottesnamen fürs erstere +und war's zufrieden. + +Der Professor ging, wie es in den früheren Sommern geschehen, seinen +Vergnügungen nach in Wald und Flur. Die Gegend um Kirchbrunn ist so +recht das, was man freundlich nennt. Mittelhohe Berge mit sanften +Kuppen und Muldungen und alles, was nicht im Tale Feld und Wiese war, +hübsch bedeckt mit hellgrünenden Buchenwäldern, in welchen dunklere +Fichtenbestände eingesprenkelt waren. Aus den schattigen Engtälern +kamen Bäche hervor, zwischen den Wiesen gab es Teiche und Heuschoppen +und Getreidemühlen. Professor Nix kannte alle Wege und Stege und die +meisten Bewohner des Tales. Mit dem einen sprach er ernsthaft, mit dem +anderen scherzte er. Wenn er aber in Regentagen an das Adlerwirtshaus +gebannt war, da kam's ihm -- so sehr der Regen draußen auch rieseln +mochte -- in der Stube nicht mehr ganz so gemütlich vor wie sonst. +Häufig saß er in der Gaststube, doch es fehlte auch hier manchmal an +Gesellschaft. Der alte Wirt war mißlaunig, der junge wortkarg und die +Wirtin gar nicht zu sehen. + +Eines Tages war der Wolfram davon. Am ersten Tage kümmerte sich um +seine Abwesenheit niemand; am zweiten Tage meinte der alte Wirt, sein +Sohn müsse auf einen Vieheinkauf gegangen sein, aber man wunderte sich +doch, daß er weder seiner Frau noch seinem Vater davon etwas gesagt +hatte. Als er am dritten Tage immer noch nicht zurück war, wurde dem +alten Wirt bang und wurde dem Professor bang. -- Wenn der Wolf nichts +gesagt hat, wohin, so dachte letzterer sich, und in der Nachbarschaft +weiß auch niemand etwas von ihm, und es ist sonst nicht seine Art, daß +er so davonläuft, so sieht das ja aus wie ein Unglück! Frau Kunigunde +hub an zu zanken. Der Professor stellte ihr vor, daß dem Wolfram etwas +zugestoßen sein könne. + +»Ja natürlich, der Leichtsinn ist ihm zugestoßen!« rief sie. »Gott +weiß, wo er umherzigeunert! Ich laufe ihm nicht nach. Meinetwegen mag +er fortbleiben über Jahr und Tag. Wenn ich nicht will, da kriegt mich +keiner mit Lieb' und keiner mit Trutz.« -- + +Der Wolfram war unter dem Vorwande, vorjährigen Apfelwein zu kaufen, +die Geßnitzergegend abgegangen bis hinaus nach Niederleuth und Sankt +Magdalena; in allen Bauernhäusern hatte er zugesprochen, sich nebenbei +auch um Zuchtkälber umgesehen; erstanden jedoch hatte er nirgends +etwas. Dann war er in großem Umkreis gegen das Gebirge gewandert, hatte +dort anstatt nach Apfelwein nach Bauholz gefragt, aber auch hier nichts +gekauft. Endlich rückte er seiner Absicht näher und erkundigte sich +nach Dienstboten für die Sommerarbeit, vor allem nach Heuheberinnen und +Schnitterinnen -- es war vergebens, die er suchte, fand er nicht. + +Und als er ratlos schon auf dem Heimweg war, fiel es ihm ein: sie ist +im Siebenbachwald bei den Holzleuten. Er mußte es aber wissen. Er +wanderte in die Wälder und kam zu den Siebenbachhütten, welche in einem +engen Waldtale standen, von zerrissenen Bergen umgeben. Hoch von einem +Bergschlag nieder ging eine neue Holzriesen, in deren Rinne glatte +wuchtige Blöcke herabglitten. Sausend und dröhnend kam das niederwärts +auf steiler Riesen, die in großen Bogen sich wand, über Hänge und +Schluchten gebrückt war und so sorgfältig und wohlberechnet gemuldet, +daß kein Block ausspringen konnte. So kam das herab bis zu Tale, wo die +Riesen sachte sich ebnete und die schwersten Blöcke fast sanft aufs +Erdreich warf, daß die Blöcke dann von etlichen Männern zur Kohlstatt +geschafft werden konnten. Bei diesen Männern war sie nicht. Der Wolfram +fragte dem Schopper-Schub nach. Der sei auf dem Berge an dem obersten +Ende der Riesen. Der Adlerwirt stieg hinauf; der Berghang war steil +und vielfach von Schluchten und Gräben durchfurcht. Da sah man erst +die ganze Kühnheit des Baues der Holzleitung. Streckenweise strich +sie in schönen Kurven an dem steilen Hang dahin, dann setzte sie, auf +schlanken Stämmen wie auf Strohhalmen gestützt, über Waldwipfel und +Abgründe, in deren Tiefen Wässer rauschten. + +»Seit Menschengedenken,« so erzählte der Holzknecht, welcher den +Adlerwirt hinaufbegleitete, »hätte man es nicht für möglich gehalten, +daß wir den Zagelwald herabkriegen könnten. Zu Hunderten und zu +Tausenden sind sie vermodert und verfallen, oben, die schönsten +Tannen und Lärchen, und kein Mensch hat sie nutzen können, weil sie +nicht herabzubringen gewesen sind. Jetzt geht's spielend. Und haben +ihn zuerst alle ausgelacht, den Schopper, wie er gesagt, er baut die +Riesen. Hat aber den Holzmeister sauber überzeugt, daß es geht, hat +sie mit dreißig Holzknechten in vier Monaten gebaut, und jetzt lacht +niemand mehr. Der Schopper ist Vorknecht geworden.« + +»Also der Schopper-Schub hat dieses Werk gebaut!« Der Adlerwirt hätte +es ihm nicht angesehen. Der Mann, der solches kann, darf sich am Ende +doch keck um die Herzliebste bewerben. + +Auf der Höhe gab es eine schöne Aussicht hin in die Waldberge, aber +dem Wolfram ging es nicht um das. Rings um ihn lag der geschlagene +Urwald in vielen tausend Stämmen, welche von den Holzhauern entschält, +zu Blöcken geschnitten und an die Einmündung der Riesen gebracht +wurden; dem Wolfram ging's auch nicht um Holz. Inmitten der Leute +stand der Schopper in braunen Hemdärmeln und barhaupt. Er hielt einen +langen Maßstab in den Boden gestemmt und traf Anordnungen. Der Wolfram +hatte ihn erkannt an dem üppigen Barte und ging nun, über Stämme und +Rindenwälle kletternd, auf ihn zu. + +Die beiden Männer standen sich ein Weilchen gegenüber und schauten sich +an, bevor das erste Wort gesprochen wurde. + +»Dich suche ich,« sagte endlich der Adlerwirt. »Wenn ich den weiten Weg +her mache zu dir, so kannst dir denken, daß es etwas Wichtiges wird +sein. Willst so gut sein, Schopper, und mit mir ein wenig auf die Seite +gehen?« + +»Das kann ich schon tun,« antwortete der Holzknecht, und sie gingen +gegen einige Schirmtannen hin, die man stehen gelassen hatte. + +»Schopper,« bemerkte der Wolfram, »deine Riesen ist ein Meisterwerk.« + +»Daß du mir das sagst, deswegen bist du nicht gekommen,« entgegnete der +Holzknecht. »Adlerwirt, tu' nicht lang' um und sag', was du willst.« + +»Schopper,« sprach nun der andere im vertraulichen Tone. »Du kannst +dir's denken, es ist der Frieda wegen. Du bist offenherzig mit mir +gewesen, und ich will es auch sein. Hast du das Dirndel noch im Kopf?« + +Der Schopper starrte den Fragenden an und entgegnete: »Was geht das +dich an? Du hast dein Weib.« + +»Das wohl, Schopper, das habe ich, und just deswegen kann ich offen +mit dir sprechen. Die Frieda ist eine Jugendfreundin meiner Frau, und +wir wollen nicht, daß sie sollte verderben müssen. Vielleicht, daß ihr +meine Frau einen Platz verschaffen könnte.« + +»Hat sie denn keinen?« fragte der Schopper. + +»Du wirst doch wissen, daß sie nicht mehr im Salmhof ist.« + +»Ei freilich weiß ich das.« + +»Wo sie nur mag umherirren auf der weiten Welt? Und hat keinen +Menschen, der ihr's gut tät meinen!« + +»Adlerwirt!« sagte der Schopper ganz leise, aber nachdrucksvoll, »sie +hat einen!« + +»Heiratest sie, Schopper? Hast sie bei dir?« Ohne daß er es recht +wollte, waren ihm diese Worte über die Lippen gesprungen, denn es war +ein großer Sturm in ihm, und das Herz pochte so heftig in seiner Brust, +daß es nachklang in den Schläfen. + +Der Schopper sagte: »Mein lieber Adlerwirt. So dumm bin ich nicht, daß +ich dir sie verrate. Geh' nur ruhig heim nach Kirchbrunn und kümmere +dich um deine Leut', die Frieda geht dich nichts an.« + +Damit wendete er sich seiner Arbeit zu, und dem Adlerwirt blieb nichts +übrig, als den mühevollen Weg wieder zu Tale zu steigen. + +»Wenn Sie bis zum Feierabend warten wollen,« rief ihm einer der +Arbeiter zu, »so können Sie auch hinabfahren. Wir rutschen alle hinab. +Mit dem Brettel ist man in fünf Minuten zu Tal. Aber jetzt geht's +nicht, jetzt haben die Holzblöcher das Vorrecht.« + +Dem Adlerwirt kam aber die ganze Gegend ein wenig unheimlich vor, und +er ging angestrengt drei Stunden lang, bis er den Turm von Kirchbrunn +sah. + +Als er hinaus über die Wiesen schritt, saß dort an einem Wassertümpel +der Professor Nix und schaute den Krebsen zu. Der Alte erhob ein +Freudengeschrei, als er seinen Hausherrn sah, und wollte alsogleich +wissen, was die Adlerwirtshausbewohner verbrochen hätten, daß er sie +über drei Tage lang im Fegfeuer zappeln lasse. + +Der Wolfram setzte sich hin auf den Rasen und seufzte: »Ach ja, lieber +Professor!« + +»Junge, du gefällst mir nicht!« sagte der Professor. + +Der Wolfram schaute bekümmert in den Tümpel, dann sprach er: »Daß es +seine Ursache haben muß, wenn einer wie halbverrückt davonläuft, ohne +dem alten Vater, ohne dem Weibe zu sagen, wohin, das können Sie sich +denken. Und eine Ursache hat es. -- Sie wohnen gemütlich in Ihrer +großen Stube, Herr, ärgern sich vielleicht ein wenig über den Lärm der +Gäste am späten Abend, haben aber freilich keine Ahnung, was zwischen +uns vorgeht. Sie ist hart. Sie ist herzlos, daß ich's nicht sagen kann. +Sie macht mich ganz verzagt ...« + +»Na, na!« beschwichtigte der Professor und neigte sich über den jungen +Mann, denn dieser preßte seine Hände ins Gesicht und schluchzte. + +»Ich habe mir's gedacht,« sagte der Alte gedämpft, »ich habe mir's wohl +gedacht.« + +Dann schwiegen beide eine lange Zeit und starrten in das klare Wasser, +wo langsam die Krebse krochen und stets nach rückwärts -- nach +rückwärts. + +»In den ersten Wochen,« so fuhr Professor Nix endlich fort, »da habe +ich vorgehabt, dir Trost zuzusprechen, habe sie wohl für eine herbe +Natur gehalten, aber wer den Schlüssel findet zu solchen Naturen, der +hat's gut. Sie zeigen und feilen ihr Herz und Gemüt nicht auf der Gasse +umher, sie geizen gegen alle Welt mit ihrer Güte, um ja recht viel +davon aufzuhäufen für den einen und einzigen, den sie selig machen +wollen. So eine goldene, habe ich gemeint, hättest du dir auserwählt. +Freilich ist mir nach und nach anders zu Mute geworden. Ganz krampfig +ist mir zu Mute geworden, mein lieber Wolf! Aber reden! Wenn er nicht +redet, ich bin auch still. Wenn einer zum jungen Ehemann hingeht und +sagt: Du, dein Weib paßt nicht für dich! so ist das ein schlechter +Kerl, den man mit einem Rattenschwanz erdrosseln soll. Aber dir sage +ich es doch, Wolf, und du erdrosselst mich nicht, wenn ich dir sage: +Sie paßt nicht für dich!« + +Der Wolfram murmelte: »Ich erdrossele Sie nicht.« + +»Von der mußt du los, Junge!« rief der Professor. + +»Aber wie?« seufzte der junge Mann. + +»Scheidung! frisch! rasch! Heute besser als morgen.« + +»Ehescheidung!« sagte der Adlerwirt. »Das geht nicht. Dieses Aufsehen!« + +»Wenn sie dich in die Strafanstalt führen, das wird auch ein Aufsehen +sein!« + +Der Wolfram sprang empor. + +»Verzeihe!« begütigte der Professor. »Das Wort war schlimm. So +endet's bei dir nicht, so nicht. Du bist ein weicher Mensch, du wirst +verderben und vergehen, und wer dich umbringt, der kommt auch nicht +ins Zuchthaus, weil du dich vor Gram und Jammer selber verzehrst. Und +der, welcher dich mit kleinen Dosen täglich vergiftet, hat noch den +Triumph, als Leidtragender an deiner Grube zu stehen. -- Wolf, wenn du +bisher alle sieben Todsünden begangen, die eine mußt du sühnen, auf der +Stelle, ohne Säumnis sühnen: daß du dieses Weib genommen hast!« + +»Ich hätte mir ja leicht eine andere gewußt.« + +»Eine andere!« sprach nun der Professor. »Wolf, eine andere laß +einstweilen aus dem Spiele! Das ganze Firmament, habe ich gesagt, +vermach' ich dir, nur den Halbmond nicht, der gehört den Türken. Und +Türke wirst du keiner sein wollen. Jetzt eine andere! Das wäre hübsch! +Erst scheiden, dann wieder binden!« + +»Nicht mir zulieb' habe ich sie genommen.« + +»Man merkt es wohl, Junge. Wäre auch nur ein bißchen Neigung da, es +müßte sich anders zeigen.« + +»Mein Vater wollte es so haben,« gestand nun der junge Adlerwirt, »ihm +zuliebe bin ich hineingesprungen. Wir stehen schlecht, wir müssen uns +mit ihrem Gelde aufhelfen.« + +»Wolf,« sagte hierauf der Professor. »So lang dein Weib mißt, so lang +mißt dein Unglück. Wo das Weib aufhört und das Geld anfängt, fängt in +dir der Wicht an. -- Schelm, armseliger! Das Geld! -- Adlerwirtssohn. +Ich habe dich als Kind auf den Armen getragen und dabei gesungen: +Lieber Engel, werde ein braver Mensch! Hernach der wißbegierige Knabe! +Der warmherzige Jüngling! Es war eine Freude. Er wird's! habe ich oft +gejauchzt. -- Na, und wie der Mann fertig ist, von dem man glaubt, daß +er edle Früchte wird tragen -- steht der heißhungrige Geldwolf da. Irr +und toll könnt' einer werden!« + +Da der Adlerwirt bei diesen herben Worten sich abgewendet hatte, fiel +der alte kleine Professor vor ihm auf die Kniee, umfaßte seine Beine +und rief: »Mußt mir's zugute halten, Wolf, mir tut deinetwegen das Herz +so weh, daß ich schreien muß. Dem Vater zulieb'! Es war ja gut gezielt, +aber es ist schlecht getroffen. Mein Wolf, glaube mir! Folge mir! Gehe +heute noch ins Amt und laß dich scheiden!« + +»Dann bin ich ein Bettler!« rief der Adlerwirt. + +Der Professor stutzte. Als er seiner Verblüffung einigermaßen Herr +geworden, sagte er in singendem Tone: »So, so. Also nur eine Ausrede +ist der Herr Vater. Du selber willst Geld haben. Du willst lieber ein +elender, verächtlicher Gauch sein, von deines Weibes Groschen zehrend, +unter eines Weibes Fuß wimmernd, dich windend wie ein zertretener Wurm, +anstatt mit gesunden Armen mannbar dir dein Brot zu verdienen! -- +Adlerwirt, ich mag dich nicht mehr.« + +Er erhob sich rasch und ging quer über die Wiese hin durch das lange +Gras, daß kaum sein Kopf manchmal hervorragte über den Germen und +Rispen. -- + +Als der Wolfram nach Hause kam, gab's von Vaters Seite ein arges +Wetter. Er ertrug's gleichgültig. Frau Kunigunde blieb drei Schritte +vor ihm stehen und fragte: »Bist denn schon da, Wolfram? Hast dir die +Socken lochig getreten, oder hat dich der Hunger nach Hause getrieben? +Die Köchin soll dich nur sattfüttern, daß du wieder gehen kannst.« + +In der heißen Wut über solchen Hohn tat der Wolfram schon den Mund auf, +um sie zu fragen: ~wenn~ eins gehen müsse, welches von beiden? -- +Aber der alte Adlerwirt hielt ihn fest am Arm und raunte ihm zu: »Um +Christi willen, schweig still! Wir müßten vom Haus ziehen wie ein paar +Zigeuner. Kein Nagel auf dem Dach ist mehr unser Eigentum. Nur noch +kurze Zeit Geduld! Hast du's schon gehört? Der Salmhofer liegt auf den +Tod!« + +Der Wolfram hat sich die Lippen blutig gebissen und geschwiegen. + + [Illustration] + + + + + 7. Abschnitt. + + +Jetzt währte es noch zwei Tage, und von Geßnitz langte ein Bote ein. +Der Jungknecht aus dem Salmhofe war's. Er stand vor dem Adlerwirtshause +so eine Weile herum, stolperte dann ins Gastzimmer und ließ sich einen +Krug Apfelwein geben. Er zerrüttete sich fast den Kopf im Nachsinnen, +wie er es angehen werde, daß seine Neuigkeit nicht tödlichen Schreck +hervorbringe. Fürs erste tat er ein paar herzhafte Züge, das machte ihn +mutiger. Und als der alte Adlerwirt -- grau und mager war er geworden +die letzte Zeit her -- in die Stube trat und den allein dasitzenden +Gast fragte, was es Neues gäbe? antwortete der Jungknecht mit +unbehilflichen Worten, es sei halt so auf der Welt. Er bringe gerade +nichts Gutes. -- Dann trank er wieder. + +Der alte Wirt horchte gespannt hin. »Wenn ich mich nicht verkenne,« +sagte er, »du bist ja ein Salmhoferischer?« + +»Wohl eh, wohl eh,« antwortete der Knecht und fuhr sich mit der flachen +Hand über das breite Gesicht. + +»Also wie geht's daheim, wie geht's?« fragte der Wirt unter den +lebhaftesten Zeichen der Teilnahme. + +»Gestern auf den Abend ist's halt gar worden mit ihm,« berichtete der +Knecht. + +»Was sagst?« fuhr der Wirt auf. »Der Salmhofer! Mein Schwieger! Wird +doch nicht --« + +»Er liegt schon auf der langen Bank,« sagte der Bote. + +Der alte Adlerwirt schlug sprachlos die Hände zusammen. + +»So viel schnell ist es gegangen,« berichtete der Knecht. »Das Blut ins +Hirn gesprungen, sagt der Doktor. Morgen nachmittags ist die Leich.« + +Der Wirt schritt mit gerungenen Händen die Stube auf und ab und konnte +sich nicht fassen. Immer schüttelte er den Kopf und murmelte: »Wer +hätte sich das gedacht!« Aber auf einmal rief er mit gehobener Stimme: +»Er hat's überstanden. Man muß noch froh sein, daß er kein großes +Ableiden gehabt hat. -- Trink aus, Bub, ich füll' dir noch einmal +nach.« + +Als bald darauf der Wolfram eintrat, sagte der alte Wirt zu ihm: »Du, +Wolf, eine große Neuigkeit. Mußt aber nicht zu arg erschrecken. Morgen +heißt's nach Geßnitz fahren. Das Schlimmste ist eingetroffen.« + +Der Wolfram schaute seinen Vater an, sagte aber kein Wort, blieb +gelassen, zeigte weder Trauer noch Freude. Dann stieg er die Treppe +hinan zu seiner Frau. Vor ihrer Tür stand er still und schöpfte Atem. +Es kam ihm sauer an, daß er ihr jetzt einen großen Schmerz bereiten +sollte. Doch wer wird's sonst tun als er? Mit der möglichsten Schonung +will er ihr die Nachricht mitteilen und ihr liebevoll beistehen im +kindlichen Leide. An die Vorteile, die durch des Schwiegervaters Tod +dem Adlerwirtshause zukommen sollen, konnte er nicht denken, es empörte +sich in ihm etwas dagegen. Ihm war der Salmhofer nie nahe gestanden, +aber mit seinem Weibe fühlte er Mitleid, und jetzt das erste Mal war +es ihm, als ob er sie doch lieb hätte. Endlich trat er ein. Sie saß +am Tischchen, war mit einer Stickerei beschäftigt und zählte just die +Maschen. Er setzte sich ihr gegenüber und tat, als schaue er aufmerksam +ihrer Arbeit zu. Sie wollte aufstehen, er faßte sanft ihre Hand und +sagte: »Bleib' ein wenig bei mir, Kunigunde.« + +Sie blickte ihn forschend an. »Was bedeutet denn das?« fragte sie kalt. + +»Ich muß dir's doch sagen,« fuhr er fort, »ein Bote ist da vom Salmhof. +Mit deinem Vater steht's recht schlecht.« + +»Lüg' nicht!« herrschte sie ihm zu. »Tot ist er!« + +Der Wolfram schwieg. + +»Tot ist er!« rief sie und brach in ein heftiges Weinen aus. + +Er stand zu ihr, sagte ihr gütige Worte, streichelte ihr Haupt. Mit dem +Arm stieß sie ihn von sich. »Heuchler! Ihr habt seinen Tod doch kaum +erwarten können!« + +»Kunigunde!« sprach er nun scharf und herb. »Das Wort sagst du mir +nicht noch einmal! Meinetwegen hätte er noch hundert Jahre leben +können. Ich suche nichts mehr bei ihm. So klug bin ich wohl geworden, +meine liebe Kunigunde, daß ich endlich einsehe: vom Salmhof kommt +~mein~ Glück nicht.« + +Sie hatte ihr Haupt ins Bettkissen gedrückt und weinte. Ihm wollte +das Herz zerspringen darob, daß er ihr jetzt, gerade jetzt das rohe +Wort gesagt. Aber so stand's mit ihm, je wärmer sein Gemüt war, desto +leichter und plötzlicher sprang es, wenn ihm wehe getan wurde, in das +Gegenteil um. Wenn er gegen sein Weib Gleichgültigkeit, ja Abneigung +empfand, da gab es nie etwas, da blieb er ruhig und überlegsam; so +oft er aber mit einem warmen, hoffenden Gefühl an sie herantrat und +enttäuscht ward, setzte es fast immer einen Wettersturz und wilden +Sturm. + +Frau Kunigunde rüstete sich, um nach Geßnitz zu fahren. Sie fuhr +allein davon. Der Wolfram wollte zum Professor gehen, um ihm das +Herz auszuschütten, aber der war nicht zu Hause und seine Stube +verschlossen. Die Stubenmagd berichtete ihm, der alte Herr wäre seit +einigen Tagen recht mißmutig und verlange an jedem Abende die Rechnung. + +Das Leichenbegängnis des Salmhofers ward mit großem Pompe vollzogen. +Wie zu einem Jahrmarkte kamen die Leute zusammen. Der alte Adlerwirt +war überaus gerührt, und manche weichherzige Person mußte nur darum +weinen auf dem Kirchhofe, weil sie den alten Mann so bitterlich +schluchzen sah. Der junge Adlerwirt schien merkwürdig gefaßt zu +sein; nur als er die Großbäuerin sah, die gebeugt, aber ergeben am +Grabe ihres Mannes kniete, ward ihm das Auge feucht. Frau Kunigunde +weinte nur wenig, aber in ihrem ganzen Wesen war eine kalte, fast +ehrfurchtgebietende Trauer ausgedrückt. Sie war stets an Seite ihrer +Mutter und suchte diese damit zu trösten, daß sie ihr zum künftigen +Aufenthalte das Adlerwirtshaus antrug. Der Salmhof soll verkauft werden +und die Mutter nach Kirchbrunn ziehen. + +»Das wäre ja gut,« meinte die alte Bäuerin, »wenn's nur auch deinem +Manne recht ist.« + +»Meinem Manne!« rief Frau Kunigunde fast lachend aus. »Was geht denn +das meinen Mann an! Glaubst du, Mutter, ich werde mich vom Manne auch +so tyrannisieren lassen wie du? Das wirst du anders erfahren, bis du im +Adlerwirtshaus bist. Was du hast leiden müssen, Mutter! Du bist still +gewesen, aber ich weiß es, und ich werde es den Männern heiß entgelten, +das hab' ich mir vorgenommen.« + +»Gott tröst' seine Seel'!« sagte die alte Salmhoferin mit gefalteten +Händen, »ich trag' ihm nichts nach, meinetwegen soll er nichts zu +leiden haben.« + +»Ja, ja, es soll's statt seiner nur ein anderer büßen!« versetzte Frau +Kunigunde. + +Auf den Hof zurückgekehrt, sahen die beiden Frauen mehrere fremde Leute +in den Wirtschaftsgebäuden umhersteigen. + +»Was wollen denn diese?« fragte die Adlerwirtin. + +»Laß sie umhergehen,« antwortete die Mutter, »die Neugier plagt sie. +Mir scheint, es ist auch der Klobensteiner Verwalter dabei. Der wird +Vieh kaufen wollen. Der Großknecht wird's schon ordnen. -- Komm', +Kundel, wir wollen einen warmen Kaffee trinken.« + +Die erste Zeit nach dem Tode des Großbauers blieb Frau Kunigunde nun im +Salmhofe bei ihrer Mutter. + +Die beiden Adlerwirte kehrten alsbald nach Kirchbrunn zurück. Den +Wolfram erwartete zu Hause die Nachricht, daß der Professor Nix +abgereist sei und einen Brief hinterlassen habe. Dieser Brief lautete: + + »Lieber Wolfram! + + Mich geht die Sache nichts an, aber zusehen mag ich nicht. Und still + sein mag ich auch nicht. Ich werde unwirsch. Was soll ich Dir weh + tun? Du hast schon auch so Dein Teil. Zu helfen ist Dir nicht. Also + breche ich meinen Sommeraufenthalt im schönen Kirchbrunn ab und + gedenke eine Reise zu machen. Sei bedankt für alles. Umkehren wirst + Du kaum. Du stehst jetzt auf dem Punkte, wo viele Wege sich zweigen. + Schlimm ist jeder, aber wähle nicht den allerschlimmsten. + Gott walt's. + + ~Josue Nix.~« + +Als der Wolfram diesen Brief gelesen hatte, befiel ihn ein solches +Leid, daß er zusammenbrach auf eine Bank und stöhnte. Jetzt war dieser +Mann von ihm gewichen, der seit Jahren als fröhlicher Genosse und +Ratgeber sein Vertrauen gewonnen. Er hatte einen Vater, aber der war +oft herrisch, eigennützig, launenhaft und nicht immer verläßlich. Er +hatte Jugendfreunde gehabt, hatte viele gute Kameraden, aber sie waren +Schmarotzer, Schelme oder Dummiane. So recht aus Herzensgrund sich +geben und vertrauen glaubte er nur mehr diesem Manne zu können, der +allsommerlich sich eingefunden mit seinem hellen Kopfe, mit seinem +heiteren, treuen Herzen. Er war selber schier ein anderer geworden in +dieser Gesellschaft, er hatte, bei aller Verehrung für ihn, manche +Schalkerei, manchen kecken Burschenstreich mit dem kleinen Alten +durchgemacht, er hatte manchen ernsten Rat desselben befolgt, und er +hatte es nicht ein einziges Mal zu bereuen gehabt. Und diesen seinen +letzten Rat -- Ehescheidung! kann er nicht befolgen, unmöglich! Wie +wird das enden? + +Der alte Adlerwirt lebte ordentlich auf. Neue Geschäfte hub er +an, Bauholz kaufte er, einen Steinbruch unweit des Dorfes wollte +er erstehen, denn für das nächste Jahr hatte er einen Neubau des +Adlerwirtshauses vor. Kirchbrunn soll ein Hotel bekommen! Eine +Sommerfrischanstalt mit Lustgarten und Bädern. -- Seine Zeit muß man +verstehen! Die Passionen der Mitwelt muß man ergründen, auf die Lösung +dieses Rätsels ist eine große Prämie gesetzt -- die Million. + +Endlich kam ein Schreiben aus Geßnitz vom Notar. Der alte Adlerwirt +atmete auf, er hatte es schon seit Wochen erwartet. Der Adlerwirt +zu Kirchbrunn wird ersucht, in Angelegenheit des Salmhoferischen +Nachlasses bei dem Notariat zu Geßnitz sich einzufinden. + +»Einspannen!« kommandierte der alte Adlerwirt. Er selber wollte fahren, +der Wolfram war auf einem Holzeinkauf aus. + +Der Notar, ein alter, hagerer Mann mit brauner Perücke und +schwarzgefärbtem Schnurrbarte, empfing den Adlerwirt sehr höflich, +kramte hernach eine Weile in Papieren um und stellte die Frage, ob +der Adlerwirt, als Schwiegersohn des seligen Salmhofers, geneigt sei, +dessen Erbe anzutreten. + +Der alte Wirt war über die förmliche Frage in so selbstverständlicher +Sache etwas erstaunt. Er antwortete: »Ich brauche wohl nicht zu sagen, +daß ich als Bevollmächtigter meines Sohnes Wolfram hier bin, und daß +ich in seinem Namen erkläre --« + +»Gemach!« unterbrach ihn der Notar. »Ich glaube, die Sache müßte wohl +überlegt werden. Ich würde nicht raten.« + +»Wieso? Wie meinen Sie das, Herr Doktor?« + +»Außer Ihr Sohn denkt so vornehm, daß er die Ehre seines +Schwiegervaters retten will.« + +»Ich verstehe nicht, Herr Doktor.« + +»Es ist höchst wahrscheinlich,« fuhr der Notar fort, »daß in dem +Nachlasse des verstorbenen Salmhofers die Passiven größer sind, als die +Aktiven.« + +Es war heiß in der Kanzlei. Der Adlerwirt trocknete sich mit dem +Taschentuche die Stirn, dann lallte er mit grinsendem Gesichte: »Ist +ein Spaß, hi, hi.« + +»Ist kein Spaß, lieber Adlerwirt,« sagte der Notar. »Mit dem Vermögen +des Salmhofers steht es ganz anders, als man angenommen hat. Es steht +unerhört schlecht.« + +»Aber, Jesses, man sieht ja, was da ist!« brauste der alte Wirt auf. + +»Nichts ist da,« versetzte der Notar mit fürchterlicher Ruhe. »Alles +gehört dem Baron Klobenstein. Seit vielen Jahren hat der Baron Geld +geborgt, den Viehbestand beigestellt, die Steuern bezahlt für den +Salmhof. Der Großknecht auf dem Hof war so viel als Klobensteinischer +Verweser, der alte Salmhofer genoß seit einiger Zeit vom Baron eine Art +Gnadenbrot. Alles, was Sie heute sehen, und mehr als alles, gehört der +Herrschaft Klobenstein. Leider, so steht es.« + +Und jetzt wußte es der Adlerwirt. »Der Teufel hol' eine solche +Erbschaft!« schrie er in wilder Empörung. »Schulden! die habe ich +selber.« + +Betäubt war er, wie er spät abends nach Hause kam. Als ein reicher +Mann war er ausgefahren, als Bettler kam er heim. In die Wut brachte +ihn erst der Wolfram. Als er diesem die saubere Neuigkeit mitteilte, +was geschah? Der Wolfram fuhr nicht auf, wurde nicht rasend, sagte gar +nichts, zuckte nur die Achseln. + +»Ist das ein Hosenlupf?« fragte der Alte den Sohn voll giftigen +Grimmes. »Nein, Freund, das ist kein Hosenlupf. Wie wir jetzt +hingeworfen sind, da stehen wir nicht wieder auf. Was sagst denn dazu? +Pfeif' eins, wir sind ruiniert! Pfeif' eins, großer Geist, Narr, +angesteckt vom alten Narren, der gottlob zum Teufel gegangen ist.« + +»Ich weiß nicht, was du willst, Vater,« sagte nun der Wolfram. »Dir +muß es immer sehr gut ergangen sein. Was mich anbelangt, habe ich +schon Schlimmeres erfahren, als was du mir da sagst. Du hast freilich +nur auf das Salmhoferische Geld gewartet und nicht gespürt, daß ich +deine Habsucht im Fegefeuer büße. Und nicht darnach gefragt, was +ich ausstehen muß neben dieser Person. Den Eltern zu gefallen eine +heiraten, das ist die achte Todsünde; heute noch gehe ich zum Pfarrer +und lasse sie in den Katechismus schreiben.« + +»Du bist ein dummer Knabe!« schrie der Alte. + +»Der Vatername schützt dich, daß ich dir jetzt nicht ein anderes Wort +sage!« so der Wolfram, blaß, glühenden Auges, am ganzen Körper bebend. +So viel Besinnung hatte er noch, daß er merkte, es wäre die höchste +Zeit, aus der Stube zu eilen. + +In seinem einsamen Zimmer, nächtig dunkel, feindselig fast die Stimmung +des Raumes, in welchem Frau Kunigunde zu walten pflegte, saß der +Wolfram und stützte seinen schweren Kopf auf die Hand. Und weil in +dem Menschen etwas ist, das ihn nicht ganz versinken lassen will in +Verzweiflung, so fiel es ihm ein: Vielleicht ist diese Wendung zum +Glücke. Vielleicht ist ihr Stolz, ihre Härte jetzt gebrochen, wenn +sie weiß, daß sie arm ist wie ein Karnerweib, vielleicht kommt jetzt +ihre bessere Natur zum Vorschein. Ich will ihr's leicht machen. Kein +Vorwurf, keine Anspielung soll über meine Lippen kommen; beweisen will +ich ihr, daß ich nicht das Geld in ihr achte und suche, wohl aber das +warme Herz. + +Zu seinem Vater ging er noch einmal, der im Hofe wie wahnsinnig hin +und her rannte, und zu diesem sprach er: »Vater! Eines merke dir! Sage +meiner Frau, wenn sie heimkommt, kein ungeschaffenes Wort! Ich will sie +respektiert wissen, verstehst!« + +»Ja versteht sich,« höhnte der Alte, »eine ~solche~ Frau muß man +respektieren!« Dann schlug er um: »Bettelbub! Was ist das für eine +Manier?! Glaubst du, Laff', weil ich dich nicht mehr enterben kann, du +darfst mit mir umgehen, wie mit einem Landstromer?« + +Der Sohn schritt ins Haus zurück. + +In der Gaststube saßen ein paar angeheiterte Bauern und machten faule +Späße über ihre Weiber. Jeder prahlte sich damit, daß die seine daheim +die Häßlichste und Unsauberste und Zuwiderste wäre; und der eine +stieß sein leeres Glas von sich, hieb mit der Faust auf den Tisch und +gurgelte: »Das weiß ich!« Er wollte etwas sagen, wußte aber nichts. + +»Wenn mich meine Alte recht fuchtig macht, so geh' ich ins Wirtshaus +und sauf' mir einen Rausch!« rief der andere. + +»Ha ha, ha ha!« lachte der eine, »und wenn du nachher heimkommst, +siehst du den Drachen doppelt und dreifach. Das muß eine Freud' sein!« + +Der Wolfram hörte ihnen mit Wehmut zu, diesen unglücklichen Ehemännern, +die so lustig sein und so tapfer trinken konnten. Auch er hatte das +Trinken schon versucht, es ging aber nicht. Nur in der Frohstimmung +schmeckte ihm der Wein, aber es kam nie zu einer. + +Und es wird doch wieder zu einer kommen! also ermutigte er sich selbst. +Vielleicht nimmt's eine Wendung. Denn daß es so bleiben sollte fürs +ganze Leben -- er vermochte es nicht zu denken, geschweige zu ertragen. + +Ein so hartes Weib als er -- also empfand er's -- hat keiner mehr auf +der Welt. Ihre Herbheit, ja Roheit gegen ihn tat ihm um so weher, +als Frau Kunigunde sonst manchmal und gegen andere Herz und Gemüt +zeigte. So war sie nicht karg gegen Arme; manchem Bettelmann, der ihr +zu schmeicheln wußte, gab sie mit vollen Händen. Ward ein Dienstbote +krank, so war sie zwar ungehalten, besorgte aber schleunigst Pflege und +Arzt; noch mehr Neigung wendete sie den Tieren zu, von denen sie sagte, +sie verdienten mehr Liebe als die Menschen. Am rücksichtsvollsten +und aufmerksamsten war sie gegen ihre Verwandten. So unzufrieden sie +zu Hause auf dem Salmhofe gewesen war, so lebhaft strebte sie jetzt +manchmal nach dem Salmhofe zurück, all ihre Herzenswärme verschwendete +sie dahin. Und nur ihrem Manne nichts und gar nichts als Trotz und +Bitterkeit. + +Nach diesen ruppigen Tagen stand es an zwei Wochen lang, da kamen sie +plötzlich angefahren, die Frau Kunigunde und ihre Mutter. Und mit Sack +und Pack. + +Für die Salmhoferin wurde alsbald das Baumgartenzimmer eingerichtet, +und als der Wolfram endlich Gelegenheit hatte, mit seiner Frau ein paar +Worte zu sprechen, sagte er: »Ganz recht, Kundel, daß du deine Mutter +mitgebracht hast. Solange wir selber in diesem Hause sind, wird sie +auch noch Platz haben. Es ist recht, es ist schon recht.« + +»Habe ich dich darum gefragt?« entgegnete sie. + +»Kundel,« sagte er und wollte ihre Hand fassen, was sie aber zu +verhindern wußte, »Kundel! wie du hart bist auf mich! Das kann nicht +dein Ernst sein. Du bist jetzt nur unglücklich, und das macht halt +bitter. Mich erbarmst du.« + +»Schenke du dein Mitleid einer anderen, ich brauch' es nicht!« so ihre +Antwort, ging in ihr Zimmer und schlug hinter sich die Tür zu. + +Der Wolfram stand noch eine Weile so allein da, dann tat er einen +Seufzer: »Ach! das ist ein Leben!« + +Der alte Adlerwirt ließ sich von nun an selten mehr sehen. Er saß in +seiner kleinen Stube neben der Küche und brütete vor sich hin. Manchmal +ging er, anstatt zu seinen wenigen, verdrossenen Gästen sich zu setzen, +zum zweiten Dorfwirte hinüber und trank erstaunlich viel Wein. Aber die +Gläubiger und die Exekutionsbögen fanden ihn auch dort, und endlich +war es nicht mehr zu vertuschen, wie es stand. Und eines Tages war im +Bezirks-Wochenblatte die Anzeige zu lesen von einer großen Vergantung +zu Kirchbrunn. + +Der Wolfram hätte sein schweres Herz gerne abgelastet vor dem einzigen +Menschen, der ihm beigesellt worden zum gemeinsamen Tragen von Freud +und Leid, aber die Tür ihres Zimmers war verschlossen und blieb +verschlossen, wenn er auch klopfte. Also litt es ihn nicht mehr in +den unwirtlichen Mauern seines Hauses, nicht mehr im Dorfe, wo er aus +jedem Gesichte Mitleid oder Schadenfreude und Hohn zu lesen glaubte. +Immer noch unter dem Vorwande, Vieh oder Holz einzukaufen, strich er im +Gebirge um, verbrachte manche Nacht auf harter Bank der Schenkstuben +oder in Heuscheunen. Mehrmals stieg er auf hohe Berge und blickte +hinaus ins weite, schöne, sonnige Land, und da ward er noch trauriger. +-- Wie ist die Welt so schön! Und wie sind die Menschen so arg! + +In Waldgeschlägen fragte er an, ob man einen kräftigen Holzarbeiter +brauchen könne, er wisse einen solchen. Denn klar und gewiß war es +ihm endlich geworden, daß er mit seinem Weibe nicht mehr weiterleben +könne. So wollte er auch von ganz Kirchbrunn nichts mehr wissen, +sondern auf einem anderen Fleck ein neues Leben anfangen -- sei es noch +so armselig, besser als dieses auf jeden Fall. Es gibt ja so viele +Millionen Menschen, die Bankerott gemacht mit ihrem Glücke, und sie +fügen sich und leben geduldig dahin so lange, bis sie sterben. Warum +will es unsereiner besser haben als die meisten anderen? Je länger +einer an seinem Glücke baut, desto tiefer baut er in die finstere +Erde hinein, desto kümmerlicher wird's. Und es ist ganz gut so. Wie +hart wäre das Sterben, wenn diese Welt desto schöner würde, je länger +der Mensch daran verbessert und verschönert. Wenn es dem Unschuldigen +schon oft gottlos schlecht geht, was will erst ich sagen! Ich habe das +unrechte Weib genommen, habe es doch rechtzeitig bemerkt und bin nicht +zurückgestanden. Ich kann mich zum Teil auf meinen Vater ausreden, der +mich in diese Heirat hineingelockt hat, aber zum anderen Teil habe +ich auch selber an ihren Reichtum gedacht und darnach geplant. Mir +geschieht schon recht. + +Also richtete der Wolfram sich selbst, und dann saß er wieder in +Straßenschenken und goß Wein auf sein wehes Herz. + +Kauerte er einmal an einem heißen Sonntagsnachmittag auf dem +Schabelberg. Niemand war da als ein altes Weib, das im Bankwinkel +nickend den Wünschen des Gastes harrte. Zahllose Fliegen umsummten +den einsamen Zecher und sein Glas. Er starrte durch die trübe +Fensterscheibe hinaus auf die blendend weiße Straße und auf die +halbverdorrten, graubestaubten Halme und Sträucher, die am Rande hin +und her standen. Da ging ein Weibsbild vorüber. Dieses Weibsbild +hatte, um den schwarzen Spenzer, sowie das rote Halstuch vor Staub und +ihr Haupt vor den glühenden Sonnenstrahlen zu schützen, den blauen +Außenkittel so über ihre Gestalt geschlagen, daß er wie ein Schirmdach +muschelförmig den Oberkörper einhüllte. Der graue Unterrock ging bis +halb über die weißbestrümpften Waden und schlug bei jedem Schritte +in pendelartiger Gleichmäßigkeit sachte hin und her. Aus der Muschel +guckte ein frischrotes Gesicht, und dieses Gesicht war -- dem Wolfram +schoß alles Blut zum Herzen. + +Rasch warf er ein paar Münzen auf den Tisch, stand auf und ging hinaus. +Die Straße zog bergwärts, das Dirndel stieg tapfer an, der Adlerwirt +duckte sich ein wenig hinter der Hausecke, und als sie einen gewissen +Vorsprung hatte, schnalzte er mit der Zunge und ging ihr nach. + + [Illustration] + + + + + 8. Abschnitt. + + +Die Jungmagd Frieda einst auf dem Salmhofe. Ein paarmal hatte sie sich +ihren Dienstgenossen gegenüber geäußert: die Ehre wäre ihr doch zuteil +geworden, daß der junge Adlerwirt an seinem Hochzeitstage mit ihr gute +Gesundheit getrunken! Und dieses Prahlen hatte ihr den Dienst gekostet. +Es war schon so etwas in der Luft gelegen, und der alten Salmhoferin +sogar kam es nicht ganz richtig vor. Ein Brieflein von der Kundel +schlug dem Fasse den Boden aus, und die Frieda wurde verjagt. + +Einen halben Tag lang war sie fortgegangen auf Wegen, Stegen und +Steigen, ohne irgendwo um Arbeit zuzusprechen. Und als sie ins Gebirge +gekommen war, wo die Bauerngüter seltener und die armen Waldhütten +häufiger wurden, besann sie sich. Je entlegener und versteckter der +Bergwinkel ist, in dem sie bleiben wird, desto besser. Es braucht's +im Salmhofe niemand zu erfahren, wo sie ist, es braucht's im +Adlerwirtshause niemand zu erfahren, und es braucht's der Holzknecht +Schopper nicht zu wissen. Es wird sich mit Gottes Willen wohl auch +anders wer finden, mit dem sich gut Freund sein läßt. Oder ist der +junge Adlerwirt der einzige auf der Welt? Gott sei Dank, nein. + +In der Abachleuten beim Möstl nahm sie Dienst. Die Abachleuten war ein +zwischen Berghalden schräge ansteigendes Wiesental mit einigen kleinen +Kornäckern und Erdäpfelgärten. Ein kaltes Wässerlein rauschte durchs +Tal, und an den Wildstrüppen, die am Bachesrand standen, hingen auch +an den Sommermorgen manchmal kleine Eiszapfen. An der sonnseitigen +Lehne der Abachleuten stand das kleine Haus des Möstl, das letzte hier, +welches sich noch kümmerlich von Feld- und Wiesenwirtschaft fristete. +In diesem Waldhause lebten zwei ältliche Eheleute, die sehr arbeitsam, +sehr häuslich und immer frohen Gemütes waren. Man merkte gar nicht, +wie viel Sorge und Mühsal und Beschwerde es gab dahier. Der Möstl, +ein rasches, gebücktes, ununterbrochen tätiges, stets glattrasiertes +Männlein, war allezeit munter und aufgeräumt, und machte über jeden +Graben, den das Schicksal ihm zog, einen kecken Sprung und lachte dazu. +Seinem Weibe war's auch recht. Beide waren etwas schwerhörig und hatten +daher sich eine laute Stimme angewöhnt, so daß man sie schon von weitem +sprechen hörte mit klingendem Schall. Sie hatten sich immer etwas zu +erzählen, zu fragen, zu raten, manchmal neckten sie sich einander +sogar, daß ein helles Gelächter entstand. Der Ehekrieg, den auch diese +Leute führten, bestand darin, daß sie einander immer zu überlisten +suchten: beim Essen schmuggelte eines dem anderen möglichst unbemerkt +die besseren Bissen zu, bei der Arbeit trachtete eines dem anderen die +härtesten Dinge abzulasten. + +Diese Möstlleute im Abachtale hatten auch ein Kind, eine bereits +erwachsene Tochter, die aber schon seit Jahr und Tag in einem +Strohsessel lehnte, weil infolge eines Wettersturmes, bei dem sie unter +Wasser gekommen, ihre Füße lahm geworden waren. Das Mädchen mußte +in vielem wie ein Kind gepflegt werden, konnte nur wenige Arbeiten +verrichten helfen, hatte bisweilen Schmerzen zu leiden und blickte +trotzdem mit ihrem blassen, gutmütigen Gesichte fröhlich ins Leben +hinein, wenn man ihr Dasein und ihr Genießen überhaupt Leben nennen +konnte. + +Bei diesen Leuten nun hatte die wandernde Frieda eines Abends um +Nachtlager gebeten, und bei diesen Leuten war sie verblieben. Ein guter +Lohn, wie auf dem Salmhofe, war hier nicht zu haben, die Arbeiten +hatten viele Beschwer, und doch war es der Magd, als sei sie im Himmel. +Was war das im großen, reichen Salmhofe für ein Streiten, Beißen, +Übervorteilen und Murren gewesen der Leute untereinander! Und hier, +welcher heitere Frieden, welche herzliche Einigkeit! Die Möstlleute +machten aus der Arbeit eine Unterhaltung, aus jedem Werktage einen +Festtag, denn alles, was da war, packten sie von der erträglichsten +Seite an und taten, als machten sie eine Kurzweil daraus. Das hatte +die Frieda auch noch nicht gesehen, daß man laut lacht, als ob man +gekitzelt würde, wenn man schwere Schmerzen leidet am siechen Körper. +Die Adelheid konnte das! Das arme Mädchen lachte in den Nächten manch +halbes Stündchen lang. Die Mutter tat ihr alles, was in ihrer Macht +stand, zugute und hatte bisweilen in ihrem freundlichen Auge etwas +Nasses. Aber ein heiteres Wörtlein mußte doch immer gesagt werden. Und +wenn es manchmal besonders schlimm ward, so daß die Adelheid nicht mehr +lachte, sondern ganz still war und die Zähne aufeinanderbiß, da huben +die Alten ein emsiges Beraten an, verfielen auf allerlei Mittel und +ergriffen jedes mit solcher Zuversicht und Hoffnungsfreudigkeit, als ob +alles Heil vor der Tür wäre. + +Die Magd Frieda lebte neu auf in diesem Hause; neigte doch auch ihre +warmlebige Natur zum Frohsinn hin. Als ob sie wieder Eltern und +Schwester gefunden hätte, so war ihr, und sie trachtete, den Leuten +nach ihren Kräften zu dienen, Hartes zu mildern, Liebes zu tun, und +besonders verstand sie bald, sich als Pflegerin der armen Siechen so +zu erweisen, daß der Möstl einmal seinem Weibe zuschrie: »Alte! an der +hat uns der Herrgott eine geschickt, daß wir ihm dafür die große Zehe +wegküssen sollten wie die Betschwestern zu Rom dem heiligen Petrus.« + +Was das Möstlweib darauf antworten wollte, das durfte aber nicht so +herausgeschrieen werden. Erst draußen am Feldraine teilte sie ihm ihre +Bedenken mit: »Daß sie dir gefällt, die Frieda, wäre schon recht. +Aber: auweh und auweh! möcht' ich sagen, sie gefällt auch anderen +Mannsbildern. Wenn du Zehen wegküssen willst, so mußt bald anfangen, +sonst frißt sie vorher der Fuchs. Schon das zweite Mal habe ich am +vorigen Samstag wahrgenommen, daß einer vor ihrem Fenster steht. Ein +ganz fremder Kund ist's, habe mich zuerst schier gefürchtet vor ihm, +aber geplaudert mit ihr hat er ganz gutmütig.« + +Und das Möstlweib hatte nicht schlecht beobachtet. Kaum daß die Magd +Frieda ein paar Wochen in diesem weltverlorenen Hause gelebt, war +eines Abends auch schon der Schopper-Schub da. Vor dem gab's kein +Verstecken! Eben wollte sie desselben Abends einschlafen, als er durch +ein leises Klopfen an ihrem Fenster sich anmeldete. Sie war zuerst sehr +erschrocken und sogar empört, allmählich jedoch kam es ihr zu Sinn, +daß dieser Mensch doch gar zu anhänglich wäre, fast wie ein Bruder. +Sie hatte ja ohnehin keinen Bruder. Sie setzte sich in ihrem Bette +auf, er setzte sich draußen auf den vorspringenden Wandschrott, und +so sprachen sie eine Weile miteinander. Er sagte, daß sie ganz recht +habe mit ihrem neuen Dienstorte, und daß er schon bemerkt hätte, wie +brav sie den armen Krüppel pflege und die Anhänglichkeit der Möstlleute +besitze. Das würde ihr gewiß den Segen Gottes bringen, und ihr würde es +noch einmal viel besser ergehen, als mancher reichen und hochmütigen +Großbauerntochter. Ihm -- so erzählte der Schopper treuherzig -- fehle +auch nichts. Er habe jetzt im Siebenbachwaldgraben eine große Riesen +gebaut, welche von allen Holzmeistern gelobt wurde und welche ihm auch +Geld und die Vorknechtstelle eingetragen habe. Vielleicht bringe er +es doch noch einmal zu einer Eigenstatt, zu einer Hütte. Er wolle mit +einer solchen klüger sein als das erste Mal. + +»Ja, hast schon einmal eine Hütte besessen?« fragte die Jungmagd. + +»So groß wie das Möstlhaus,« antwortete er. + +»Ein Häusel hast gehabt? Und hast es denn vertan? vertrunken? +verspielt?« + +»Verraucht,« sagte der Holzknecht. + +»Jessas! So viel Tabak rauchen tust?« + +»Angezündet hab' ich's, mein Haus, und niedergebrannt.« + +»Nicht gescheit bist!« hauchte die erschrockene Frieda. »Aber wie hat +das können sein?« + +»Weil ich ein rabiater Mensch bin,« sagte der Schopper. »Zufleiß hab' +ich's getan. Und gereut hat's mich auch noch nie!« + +»Bei dir kennt man sich frei nicht aus,« meinte die Jungmagd. + +»Bist neugierig?« fragte er. »Nachher kunnt' ich dir's ja erzählen. +Aber sitzen tu ich schlecht auf dem Schrottkopf.« + +»Einen anderen Platz hab' ich nicht,« gab sie schneidig zurück. + +»Alsdann bleib' ich sitzen auf dem Schrottkopf,« sagte er geduldig +und hub an zu erzählen: »Von Wallischdorf bin ich her. Dort hat der +Schopper-Rüppel ein Gütel gehabt und zwei Söhne, meinen Bruder Juch +und mich, den Schubhart. Und da geht einmal am Frohnleichnamstag nach +dem Umgang, er hat noch den Himmel tragen helfen, der Schopper-Rüppel +her und verstirbt. So schnell ist das gegangen, daß er nicht einmal +Testament machen hat können. Nur so viel hat er gesagt: Dem Buben +gehört das Häusel und den anderen soll er mit dreihundert Gulden +hinauszahlen. Jetzt, weil er keinen Namen genannt, so hat jeder von uns +zwei Brüdern wollen der Bub sein. Denn du kannst dir denken, der ist +im Vorteil. Und haben angefangen zu streiten. Der Juch hat das Gütel +haben wollen, und ich hab' es auch haben wollen. Ist eine Wirtschaft +mit ihrer zwölf Joch Grundstücken. Haben uns vorher gar nicht unlieb +gehabt, der Juch und ich, aber jetzt ist der Teufel los gewesen. +Gestritten wie die Bettelbuben, und gar beim Gericht hat's jeder +beweisen wollen, er wäre der Bub, und ihn hätte der Vater gemeint, und +ihm täte das Häusel gehören. So währt's ein halbes Jahr und länger, +keiner von uns hat mehr gearbeitet, jeder nur sinniert, wie er den +anderen möcht' hinaustauchen. Geld hat's gekostet und Hirnschmalz +und Herzblut -- und die ewige Seligkeit hätt's kosten können, uns +beiden. Und wie wir einmal so im Wirtshaus sitzen und schauderlich +gegeneinander geraten -- die Leute haben uns noch angehetzt -- und wie +wir schon kein gutes Haar aneinander lassen, daß einer wie der andere +einem rechten Spitzbuben gleichsieht vor dem ganzen Dorf, und zuletzt +noch unseren verstorbenen Vater verschandieren -- da spring ich gäh auf +und davon. Nächtig Stund' ist, getrunken habe ich stark gehabt. Und +wie ich zu meinem Häusel komm', das wie ein schwarzes Gespenst dasteht +mitten in den Feldern, da fällt's mir ein: Niederbrennen! Das Gerümpel +ist's nicht wert, was wir treiben. Im Aschen hat der Streit ein End'. +-- Kaum gedacht, bin ich mit dem Zündholz auch schon im Strohdach. Wie +es licht wird im Tal und die Leute zusammenlaufen und ich auf einmal +neben meinem Bruder steh' und vor uns bricht das Elternhaus nieder, da +wird mir ganz eigen. Ich halte dem Juch die Hand hin und sag': Mein +Teil ist verbrannt, die Grundstücke sollen dein sein, und wir wollen +Fried' machen miteinand. -- Er schaut mich an im Feuerschein und sagt: +Schlecht genug bist du, daß du's selber hast getan. -- Auf das bin ich +fort ins Gebirg herein und Holzknecht geworden im Siebenbachwald. -- +Jetzt weißt es.« + +»Du bist ja ein grundschlechter Mensch!« sagte die Jungmagd ganz +verblüfft. + +»Neid ist's nicht gewesen,« setzte der Schopper bei, »daß ich etwa +hätte gemeint, wenn ich das Häusel nicht kann haben, so soll's auch der +Bruder nicht haben. Aber Trotz ist's gewesen und Dummheit, und hinter +mir immer der Teufel: Nicht nachgeben, nicht nachgeben! -- Dabei das +Streit-Elend, die Bruderfeindschaft! Und wie schon manchmal ein Sturm +in mich fährt, daß ich selber nicht mehr weiß, was ich tu', so ist's +über mich gekommen, und so ist's geschehen. Mit meinem Bruder bin ich +immer noch nicht auf gleich. Er hat seine Sach', ich gönne es ihm, und +was ich getan, hat mich noch nicht ein einziges Mal gereut.« + +Die Jungmagd sagte: »Ein seltsamer Mensch bist.« Und bei sich dachte +sie: Weiß nicht, soll man sich vor ihm fürchten oder was? ... + +Also plauderten sie von diesem und jenem, und der Schopper kam nun +öfter an ihr Fenster. Von allerhand redete er, aber nie von Liebe. +Nichts von dergleichen. Nur einmal fragte er sie bescheidentlich, ob es +ihr wohl auch recht sei, daß er so manches Stündlein an ihrem Fenster +sitze, er tue es halt gerne und wäre so froh dabei. + +Die Frieda brachte es nicht übers Herz, ihm zu gestehen, daß seine +Gegenwart sie beklemme, daß sie ihn vielleicht gerne haben könne wie +einen Bruder, aber Brüder kämen nicht ans Fenster der Schwestern, und +ob er nicht besser täte, nach seiner schweren Tagesarbeit im Bette +zu rasten, als den weiten Weg zu machen in die Abachleuten her. -- +Mehrmals nahm sie Anlauf, ihm das zu sagen, aber sie brachte es nicht +übers Herz, ihn so zu kränken. Sie nahm sogar die kleinen Geschenke, +als Wecken, frische Kaiserbirnen, welche er ihr mitzubringen pflegte +-- sie nahm derlei und sagte schön »Vergelt's Gott« dafür. Insgeheim +jedoch waren ihr die Gaben von diesem Menschen zuwider, und es tat +ihr selber weh', daß sie so undankbar sein mußte. -- Viel schlechter, +so rief es einmal in ihr, viel schlechter ist der andere Wicht, der +nächtig meine Ruhe stört. Was hat der junge Adlerwirt von Kirchbrunn +in meinen Träumen zu tun! Das geht ihn gar nichts an, ob ich mein Haar +flechte oder nicht, und er soll nur seiner Frau Adlerwirtin die Augen +küssen und nicht ein armes Dienstbot foppen. + +Auf der Schabelhöhe, über welche eine Bergstraße führt, stand unter +sieben alten Lärchen eine Kapelle. In derselben war ein frischer +Brunnen und ein Muttergottesbild, genannt: Maria unter den sieben +Lärchen. Dieses Bild war als wundertätig bekannt und besonders von +Leuten aufgesucht, die an heimlichem Herzweh litten. Der Volkswitz +sagte: Wenn eine Jungfrau siebenmal am Brunnen bei Maria unter den +Lärchen trinkt, dann bekommt sie einen Mann. Obzwar dieser Ausspruch +in der Gegend nicht gerade als Glaubensartikel bezeugt war, so ließ +sich doch nicht leugnen, daß jahraus jahrein viel junges Frauenvolk +hinaufkam zur Schabelhöhe, andächtig vor dem alten, ungefügen Bildnis +betete und dann einen kräftigen Schluck nahm aus dem Brunnen. Also war +es auch der Magd Frieda schon mehrmals zu Sinn gekommen, ob sie nicht +eine Wallfahrt machen sollte zu den sieben Lärchen; der Platz war vom +Abachtale aus in einer guten Stunde zu erreichen. Ganz fern stand das +Gnadenbild den menschlichen Liebesangelegenheiten auf keinen Fall. +Ein heimlich Herzweh -- das stimmt ja. War nicht einst der sterbenden +Mutter letztes Wort: Frieda, wenn du nicht aus weißt, so knie' hin und +tu' beten! -- Und hatte die Frieda nicht auch dem Schopper versprochen, +sie wolle so lange beten, bis sie ihn recht lieb habe? + +Und eines Sommersonntags am Nachmittage ging die Magd an den Waldhängen +hinan, über die sonnigen Weiden fort, bis sie zur heißen, staubigen +Straße kam. Wie von diesen Höhen aus der Blick sich weitete hin auf die +blauen Berge, so weitete sich auch ihr Herz, und eine frohe Hoffnung +kam über sie, daß sie nicht umsonst den Wallfahrtsweg machen werde zu +der lieben Mutter Gottes. + +Endlich stieg sie die Stufen hinan zur hölzernen Kapelle, die schon +etwas hinfällig sich an eine der Lärchen lehnte. Sie hörte das +Geplätscher des Brunnens, der an der Seitenwand aus dem Rohre in einen +Steinkessel rann. Niemand war da, sie war ganz allein. Ihren Überkittel +ließ sie vom Kopfe hinabgleiten, ihr Gebetbuch zog sie aus dem Säcklein +und also kniete sie nieder vor der Mutter Gottes mit dem Kinde, die, +aus Holz geschnitzt und mit Farben bemalt, fast in Lebensgröße auf +dem Altare stand. Die Maria hatte eine Krone auf dem Haupte, hielt +ein Zepter in der Hand, das Christkind trug im kleinen, nackten +Händchen die Weltkugel. So viel Herrlichkeit und Würde lag in diesem +Bildnis, daß die Frieda sich dachte: Und hier soll ich mein sündig Herz +auspacken? + +Mit dem Gebetbuche ging es heute gar nicht. Da sind allerhand Anliegen +darin, aber das ihre nicht. Wie soll sie es denn nur anfangen, daß +sie nach ihrer Meinung jetzt beten kann? -- »Der gute arme Mensch, +der Schopper. Ist er denn wirklich so unbegehrt? Ist er denn häßlich, +so dumm, so ungefüg und selbstisch? Das ist er nicht. Er ist ein +herzensguter Mensch, und wenn er seinen Bart kämmen und pflegen möchte, +wer weiß, was draus werden könnt'! Hernach, wenn man bedenkt, was er +für ein tüchtiger Mann in der Arbeit ist und bringt's über kurz zum +Holzmeister. Schlecht kann's bei dem ein Weib nicht haben, ernähren +kann er auch etwas. Und wenn er eine so recht lieb hat, als wie er +sagt, daß er mich mag, da wird's kaum einen besseren Mann geben als +den. Ich habe schon Beweise genug, wie er zu mir hält. Der wird ja +närrisch, wenn er mich nicht kann haben. Also warum will ich ihn denn +nicht, das möchte ich wissen, du liebe barmherzige Mutter Gottes! +Ich bin ja gewiß nicht zu gut für ihn, schon eher zu schlecht. Ich +weiß mir ja nichts auf der Welt und soll als arme Magd alt werden und +versterben. Auf wen wart' ich denn? Ja, du himmlische Maria, warum will +ich ihn denn nicht? Sei mir doch gnädig und gib mir deinen Segen. -- +Harte Anfechtungen habe ich oft, als müßte ich wohin gehen und was +anstellen, daß es groß Unglück gäbe für Zeit und Ewigkeit. O heilige +Mutter Gottes, führe uns nicht in Versuchung! Gib mir die Gnade, daß +ich den Holzknecht recht kann lieb haben und sein Weib werden. O liebes +Christkindel mit dem krausen Haar! Und wenn es schon nicht möglich kann +sein, daß ich ihn lieb hab' wie einen Herzensschatz, so gib mir die +Kraft, daß ich das Opfer mag bringen, so wie es für alle drei am besten +ist. Ich will dir ja nicht zu sparsam sein mit Wachskerzen, wenn du mir +hilfst und den rechten Weg weisest. O gegrüßt seist du, Königin, Mutter +der Barmherzigkeit!« + +Also dachte und murmelte die junge Magd vor sich hin, manches sprach +sie laut und traumhaft, dann schlug sie das Buch auf, machte sich +Vorwürfe, daß sie nicht einmal mehr beten könne, sie war sich's kaum +bewußt, welch heißes, kindliches Gebet sie eben verrichtet hatte. + +Und während sie so kniete in der Kapelle und mit sich rang, ehrlich und +tapfer, wie noch selten ein Weibesherz gerungen, stand am Eingang einer +und beobachtete sie. Sie entfaltete ein weißes Handtüchlein, fuhr sich +damit über die heißen Wangen und erhob sich -- da sah sie ihn. + +»Schau,« sagte er und schnalzte mit der Zunge -- der Wolfram war es -- +»da sehe ich eine Seltsame. Die will sich auch einen Liebsten +erbitten.« + +Sie verbarg ihre Überraschung hinter Trotz und antwortete: »Ja, das +will ich auch. Aber nicht etwa so, wie es der Herr Adlerwirt meint.« + +»Das hilft alles nichts, Frieda,« sagte der Wolfram. »Komm, Dirndel, +setzen wir uns da auf die Bank. Wir haben schon lange nimmer +miteinander geplaudert.« + +Unter dem Schatten der Lärchen, am Rande von jungem Fichtendickicht +hin waren aus rohen Brettern Tische und Bänke aufgeschlagen, weil +alljährlich am Maria Heimsuchungs-Tage ein Fest hier abgehalten und +dabei Getränke ausgeschenkt wurden. Die Frieda wollte eigentlich fest +stillstehen und den Adlerwirt keines Blickes würdigen, aber ihre Füße +stiegen sachte die Stufen herab und an seiner Seite über den grünen +Anger zu einer Bank hin. + +Als sie völlig zu sich kam, saß sie neben dem Wolfram, der, seinen +Ellbogen auf den Tisch gestemmt, den Kopf in der Hand hielt. + +»Ach ja, Dirndel!« seufzte er auf. »Seit wir zwei uns das letzte Mal +gesehen, habe ich viel durchgemacht, du glaubst es nicht.« Und nun +begann er zu erzählen von seinem häuslichen Elende, daß er so viel als +vertrieben sei aus seinem Vaterhause, ja selbst aus Kirchbrunn, und daß +er jetzt auf dem Punkte stehe, wo der Mensch nimmer weiß, ob er noch +warten soll auf den nächsten Tag oder nicht. + +»Mein Gott, Wolfram,« sagte sie voller Teilnahme. »Was willst +~denn~, als warten, bis es wieder besser wird! Sollst dich nicht +so viel kränken, Wolf, was hast denn davon, wenn du krank auch noch +wirst!« + +»Ich wollt', es hätt' alles sein Ende, alles, alles!« so rief er mit +schriller Stimme und schlug sich die Faust auf die Stirn. + +»Wolf! So mußt nicht. Mußt nicht auch noch selber dein Feind sein.« Sie +legte ihre Hand auf seine Achsel. Er schlang mit Leidenschaft seinen +Arm um ihren Nacken, sie warf dieses Joch heftig von sich, stand auf, +um zu flüchten. Aber am Stamme eines Lärchenbaumes blieb sie stehen und +strich wie traumhaft die losen Haarlocken aus dem Gesichte. + +Der Wolfram war kauern geblieben auf der Bank, jetzt schaute er +vorgeneigten Hauptes hin auf sie, in allen Enden seines Angesichtes +zuckte es, dann lachte er auf. + +»Das ginge noch ab,« sprach er. »Das Gedenken an dich ist meine einzige +Labnis gewesen in dieser traurigen Zeit. Eine lebt doch auf der Welt, +die zu mir steht. Wenn sie auch weit von mir ist und ich sie nicht mag +finden, irgendwo ist sie doch und denkt an mich und wir sind beisammen. +Und jetzt --«, er sprang auf, »jetzt bist auch ~du~ so?!« + +Sie stand bewegungslos wie eine Bildsäule und schaute ihn an. + +»Soll ich denn meines Irrtumes wegen ganz verloren sein?« sprach er +weiter. »Soll ich mein junges Leben selber zertreten, wie man einen +Waldwurm zertritt, vor dem sich alle entsetzen? Ja, Frieda, ich tue +es. Sie, im Adlerwirtshaus, hätte mich nie so weit vermocht, sie ist +mir eine Fremde. Aber wenn ich weiß, daß auch du dich von mir wendest, +dann ist es aus!« + +»Wann,« entgegnete nun das Dirndel zagend, »wann habe ich dir denn +einen Beweis gegeben, Adlerwirt, daß ich -- dir so gut wäre?« + +»Leugne es nicht, Frieda!« sprach er mit Nachdruck, als wollte er +einen Verbrecher überweisen. »Und wenn du mir ~nie~ was Liebes +gesagt hättest, kein gutes Wort, und wenn du mir zehnmal weiter +noch ausgewichen wärest, ich hätte es doch gewußt, daß du mich gern +hast, und so gewiß, als ~du's~ von mir mußt wissen. Du hast +es tapfer niedergedämpft, vielleicht tapferer als ich. Wir haben +uns beide redlich voreinander gewehrt. Es hilft alles nichts. Von +jenem Tanzabende in Schwambach an hat's so gespielt, daß wir zwei +zusammenkommen sollen, wir haben's nicht verstanden, haben uns so +lange gesträubt, bis es uns heute auf diesem Platze ganz zornig +zusammenwirft. Ist es nicht so, Frieda? Ist es nicht so?« + +Das Dirndel preßte die Hände ins Gesicht. »Ich hab' so gebetet da +drinnen,« wimmerte sie, »so inständig gebetet zu der Mutter Gottes. Es +ist alles umsonst! -- ~Ich kann ja auch nicht sein, ohne deiner!~« +-- Mit diesem Schrei stürzte sie ihm an den Hals. + + [Illustration] + + + + + 9. Abschnitt. + + +Vom Schopper-Schub wissen wir, daß er seit Jahren die Jungmagd +Frieda nicht mehr aus den Augen ließ. Er verfolgte immer ihre Spuren +und oft war er in ihrer Nähe, ohne daß sie es ahnte. Beim Möstl +in der Abachleuten war es ihm gar bequem, da konnte er sich aus +seinem Holzschlag an den Samstagabenden und manchmal auch an den +Sonntagnachmittagen einfinden, um mit ihr zu plaudern. Die ganze Woche +hindurch freute er sich auf das Stündlein, an welchem er nahe bei ihr, +wenngleich durch eine Wand getrennt, sitzen konnte. Es waren zumeist +die allergewöhnlichsten Dinge, über die gesprochen wurde, aber dem +Holzknecht war wohl, wenn er ihre Stimme hörte und wenn er sah, wie sie +manchmal so kindlich lachte. + +Also war er auch an diesem Sonntagnachmittage in die Abachleuten +gekommen, beim Möstlhaus zugekehrt, hatte sich auf die Stubenbank +hingesetzt und gesagt, er müsse doch ein wenig in den Schatten gehen. + +»Ja,« hatte das Möstlweib neckend geantwortet, »Schattens wegen wirst +du in die Abachleuten kommen! Den hast in deinem Siebenbacherwald weit +besser. Wirst den weiten Weg heut wohl umsonst gemacht haben. Sie ist +zu den sieben Lärchen hinauf wallfahrten gegangen.« + +»So,« antwortete der Schopper ganz gleichgültig. »Da hat sie schon +recht. Das Beten schadet niemandem.« + +Und wenn das Beten niemandem schadet, dachte er für sich weiter, so +wird's ja auch mir nicht schaden. Und stieg an gegen die Schabelhöhe. +Er ging nicht den guten Fahrweg, er wählte die steileren, aber kürzeren +Steige; Bergesmühsal gibt's für den Holzknecht keine, und durch den +Wald hinauf mag er sich das Schlagholz ansehen. Als er auf die freien +Weiden kam und auf die weiße Straße hinüberblicken konnte, sah er sie +dort gehen, er erkannte sie ja schnell. Und einen Büchsenschuß hinter +ihr eilte ein Mann drein. Der Schopper schärfte sein Auge und erkannte +den jungen Adlerwirt von Kirchbrunn. -- Vor Überraschung wie gelähmt +blieb er einen Augenblick stehen. -- Was ist das? -- Was ist das? -- +Steht es so mit der Wallfahrt zu den sieben Lärchen? Ei, da wollen wir +ihnen doch einen Baum über den Weg werfen. Ist denn schon alles falsch +auf der Welt? Gut, alsdann will ich's auch sein. -- So seine Gedanken. +Neuerdings zog er sich in den Wald zurück und lief durch denselben an +der rückwärtigen Berglehne der Kapelle zu. Er kam früher hinauf als +die anderen. Hinter der Kapelle kroch er in das Fichtendickicht und +kauerte sich an die Holzwand, um durch eine Spalte in das Innere der +Kapelle lugen zu können, während durch das Gezweige hin der Anger mit +den Tischen sichtbar war. So beherrschte er den Schauplatz nach beiden +Seiten. Er langte mit der Hand in seinen Sack, ob er das Messer bei +sich habe. -- Ja, mein lieber Adlerwirt, ich habe dir's gesagt, und +du hast es nicht geglaubt. Des Herrgotts Mühlen mahlen langsam, aber +sicher! -- + +Er hatte gesehen, wie die Frieda beklommen in die Kapelle getreten war, +und als er merkte, daß ihr Gebet ihm galt, da löste sich von seinem +Auge ein salziger Tropfen los und rann über die rauhe Wange, durch den +struppigen Bart bis an die Lippen. Dann stand plötzlich an der Tür der +junge Adlerwirt mit heißbegehrendem Blick. Der Holzknecht erfaßte die +Hirschhornschale seines Messers. Als er hernach vernahm, was draußen +gesprochen wurde an den Tischen, jedes Wort des armen Burschen voller +Unglück und voller Liebe, und wie das Dirndel dagegen ankämpfte, bis +doch in beiden die wilde Allgewalt Siegerin ward -- da loderte in ihm +Wut und Rachgier auf, daß der fliegende Atem glühte an seinem Munde. +Und er stürzte mit gezücktem Messer hin auf das Paar. Die Frieda tat +einen Schrei und wollte sich schützen unter dem Brette eines Tisches. +Der Wolfram jedoch stand wie ein Baumstamm da und fragte: »Holzknecht! +Was willst du?« + +Diese starre Ruhe lähmte den Schopper für den Augenblick, denn er war +auf Gegenwehr gefaßt gewesen und in einem Zweikampfe wollte er siegen +oder fallen. + +»Bist du da, um mich zu töten?« fragte der Wolfram. »So stoße zu. Ich +habe mein Leben verspielt und wehre mich nicht. Willst aber ihr etwas +zu Leide tun --!« Er ballte die Fäuste. + +Dem Schopper sank der Arm mit dem Messer. Plötzlich wendete er sich, +stürzte in das Dickicht und hastete davon durch den Wald hin. -- Halb +betäubt war er, und seine Gedanken wurden wirr. -- Warum hast du es +denn nicht getan? fragte er sich selbst. Und er selbst antwortete: Er +hätte einen Bankbalken losreißen müssen. Nicht davonlaufen wollen und +sich auch nicht wehren, wer kann denn da zustoßen? Einen Baum fällt +man so, aber einen Menschen --. Und hernach, weiß ich denn, welches +fort muß? Soll der Adlerwirt sterben? Ist er nicht der Ehebrecher und +Verführer und der Räuber derer, die mir Gott gegeben hat? -- Oder +soll sie sterben? Ist nicht sie die Ursache seiner Treulosigkeit, die +den Sünder anlockt und einen treuen Menschen verschmäht, verachtet, +in Verzweiflung treibt? -- Oder soll ein dritter sterben? Soll der +Schopper sterben, weil alles aus ist, und freiwillig sterben, bevor er +zum Mörder wird? Mir kommt's nur auf den Schuldigen an. -- Denn das +sah er nun wohl, es war die unbändige, rasende Liebe, in welcher das +junge wehrlose Menschenpaar hinschmolz wie Wachs im brüllenden Feuer +eines brennenden Hauses. Armer Holzknecht, so wie du selber wehrlos +bist gegen diese Macht, so sind auch sie es. Was können sie dafür! -- +Du hast dir vorgenommen, Schopper-Schub, für die Frieda alles zu wagen +und zu opfern, um sie glücklich zu machen. Siehst du es denn nicht, +~jetzt ist sie glücklich~! -- Was willst du denn noch? -- Einmal +hast du dein eigenes Haus angezündet, weil es böse Ursach' ist gewesen. +-- Kannst du rechnen, Holzknecht? Wenn du ein bißchen rechnen kannst, +so sage, was mehr ist, eins oder zwei. Wenn zwei mehr sind als eins, so +ist einer weniger als zwei. Laß die zwei sein, und den einen streiche +weg. -- + +Also dachte der arme Mensch und ging -- ach wie traurig! -- den +Holzhütten seines Tales zu. + + [Illustration] + + + + + 10. Abschnitt. + + +Wer genug Zeit und Tiefblick hat, um die Ursachen und Wirkungen zu +betrachten, der wird -- sei es zu seinem Schreck, sei es zu seinem +Trost -- finden, daß alle Fehltritte und Verstöße des Menschen gegen +Sitte und Gesetz, gegen das Gute und Rechte überhaupt, sich fast +allemal strafen, und zwar an derselben schuldigen Person oder an +demselben Geschlechte. Schade nur, daß die Strafe nicht unmittelbar +genug folgt, um stets als Strafe für Sünde und Vergehen empfunden zu +werden. So mancher, der sein Elend selbst geschmiedet, hält sich für +den Unschuldigsten von der Welt und ist geneigt, die Ursache dieses +Elendes anderen in die Schuhe zu schieben. Solches Mißkennen führt ihn +zu weiteren Fehlern und Ungerechtigkeiten, und im Gefühle des eigenen +Sturzes sucht er auch andere mit sich zu reißen. Leichter kehrt der +um, welcher ein schweres Verbrechen begangen, als einer, der tausend +Fehler hat und den Mitmenschen täglich im kleinen tausendmal unrecht +tut. Doch ist letzterer ebenso Verbrecher als ersterer, nur schreit er +Zeter und Mordio, wenn endlich auch an ihn die Nemesis herantritt mit +dem Richtschwert. + +Frau Kunigunde hatte kaum eine Ahnung davon, daß sie eine der +Hauptursachen an dem Niedergang ihres Hauses und die einzige Ursache +an ihrem und ihres Mannes Unglück war. Sie war immer nur geneigt, +alles auf ihren Mann, auf seinen Vater, auf alles andere zu schieben. +Und je weher ihr ward, um so höher stieg ihre Verbitterung gegen die +eingebildeten Feinde. Und das Schicksal nahm seinen Lauf. + +Bei dem Adlerwirtshause zu Kirchbrunn hatte sich reges Leben entfaltet +wie schon lange nicht. Allerhand Wägen kamen angefahren von oben +und von unten und spannten aus, Bauern, Bürger und Herren waren da, +Schacher und Händler, und die Wirtsstube war viel zu enge, auch im +Vorhause und im Hofe standen Tische, und die Kellnerinnen liefen über +die Gasse hin und her. Das gab doch wieder einmal ein Geschäft. + +Meint ihr? + +Da müßte man erst noch die Wirtsleute fragen. Der alte Adlerwirt +lag bei einem Nachbar im Scheunenstroh und bat mit lallender Stimme +fortwährend um Branntwein. Er wolle nie mehr nüchtern werden auf dieser +verdammten Welt. Der junge Adlerwirt war seit Wochen verschollen. Im +Siebenbachwald, so hieß es, wäre er einmal gesehen worden, aber ganz +seltsam aufgeregt, er müsse etwas Besonderes im Sinne haben, man werde +noch merkwürdige Geschichten von ihm hören. So kam es, daß auch Frau +Kunigunde nicht ruhig sitzen bleiben konnte in ihrem Zimmer. Sie ließ +ihre Mutter, der ja alles gleichgültig war, allein, und als sie auf +einem Steirerwäglein und in ihrer tadellosen Trauerkleidung hübsch +fein geputzt aus dem Hofe fuhr, klang in demselben das erste Mal der +Ganthammer. Alles wurde versteigert im Adlerwirtshause, nur nach den +Insassen war keine Nachfrage. + +Frau Kunigunde fuhr in das Gebirge hinein. Sie hieß auf das Pferd +dreinhauen, sie bewarf den Pferdeknecht mit Schimpfnamen, denn sie +wußte ihrer Galle kein Ende. Was sie dem Knecht und dem Pferde antat, +das war alles ihrem Manne vermeint. Dem Flüchtling! dem gewissenlosen +Ausreißer! Solange er Geld erwartet von ihrem Vater, hat er den +Hausherrn gespielt, jetzt weil nichts ist, weil alles in die Brüche +geht, verläßt er sein armes Weib in Not und Schande und stromert in +allen Weiten um, man weiß nicht wo und mit wem. Aber warte, Schelm, +wir werden dich noch einfangen. Du sollst Gott erkennen lernen! Du +sollst mir kirre werden! Hinwärts zieht mich noch das spottschlechte +Roß, es ist aber vieltausendmal besser als du; herwärts sollst du den +Bettelkarren ziehen, und daß du zahm wirst wie ein Pfründnerschaf und +mir Brennesseln aus der Hand frißt, das soll meine Sorge sein. -- + +Unter solchen Liebesgedanken fuhr Frau Kunigunde auf die Suche +nach ihrem Manne. Sie sprach bei manchen Häusern zu, schämte sich +aber, geradehin zu fragen: Habt Ihr meinen Mann, den Adlerwirt von +Kirchbrunn, nicht irgendwo gesehen? -- Ja, Frau Adlerwirtin, ist Euch +Euer Mann durchgegangen? -- Das wäre eine hübsche Unterhaltung gewesen. + +Also faßte sie es so: »Hat nicht mein Mann hier zugefragt?« -- »Wissen +nichts, vor einer Woche oder wann haben wir ihn vorbeigehen gesehen.« +-- »Sollte er nach mir fragen, so weiset ihn, ich bin vorausgefahren in +den Siebenbacherwald, wegen des Holzkaufes.« + +Bei den Holzknechthütten im Siebenbachwald ließ sie ausspannen und +begehrte etwas zu essen. + +»Ja,« meinte ein resches Holzerweib, »kein Wirtshaus ist halt bei uns +nicht. Geißmilch mit Schoten, wenn's recht wäre?« + +Von Herzen gern hätte Frau Kunigunde geantwortet, daß sie +Schweinefutter nicht gewohnt sei, wäre nur ihr Hunger nicht gar zu +groß gewesen. Während sie die Milch trank, erzählte sie, daß mit ihrem +Mann eine Zusammenkunft draußen bei den drei Brücken verabredet gewesen +sei, daß sie sich aber verfehlt hätten. Und sie fragte, ob er, der +Adlerwirt von Kirchbrunn, nicht etwa hier herum gesehen worden wäre? + +»Seid Ihr die Adlerwirtin?« fragte das Holzerweib. »Nachher glaub' +ich's gern, daß er bei den drei Brücken nicht gekommen ist. Von Euch +ist er ja eben davongelaufen, sagen die Leute.« + +Frau Kunigunde warf eine Münze hin und machte sich entrüstet auf die +Wander zu den Köhlerstätten. + +Bei der Kohlenbrennerei fragte sie wieder an. + +»Der Adlerwirt?!« schrie der alte Köhler, denn er war schwerhörig, +daher hielt er auch andere dafür. »Weiß nichts davon. Aber der +Vorknecht soll letzt' Zeit her alleweil vom Adlerwirt reden.« + +»Wo ist denn dieser Vorknecht?« + +»Der ist jetzt nicht da, der ist oben im Zagelwald. Für ein Weibsbild +nicht gut hinaufzusteigen.« + +»Ich ~will~ hinauf!« sagte Frau Kunigunde. + +»Weiß nicht, ob es Euch viel nutzen wird,« meinte der Kohlenbrenner, +»letzt' Zeit her ist der Schopper -- so heißt der Vorknecht -- nicht +recht im Kopf, ganz kleinsinnig oder was lauter. Ist nichts Rechtes von +ihm herauszubringen. Vom Adlerwirt redet er nächtig im Traum.« + +Die Frau dingte sich einen herumlungernden Knaben und stieg mit diesem +hinan gegen den Zagelwald. Mehrmals ging es in tiefen Schluchten über +Sand, Gerölle und wuchtige Steinblöcke dahin an brausenden Wässern, +mehrmals unter einem schwindelnd hohen Holzgerüste durch. + +»Was das für ein hoher Steg wäre?« fragte die Adlerwirtin. + +»Das ist kein Steg,« antwortete der Knabe, »das ist die neue +Holzriesen, wo die großen Blöcker herabrutschen und zum Feierabend die +Holzknechte selber. Wie viele Kreuzer krieg' ich denn dafür, daß ich +mitgeh'?« + +Nach einer Stunde waren sie auf der Höhe bei dem Holzschlag. Die Leute, +welche hier arbeiteten, blickten einander nur so an, als sie vernahmen, +die junge Frau wolle mit dem Vorknecht sprechen. Der Vorknecht sei aber +gar nicht auf dem Schlag, der liege auf dem Buchenanger im Grase; er +sage, er arbeite nichts mehr, und das liebe Christenvolk möge gesund +bleiben und ihm an den Buckel gucken. »Wollt Ihr das, so könnt Ihr ihn +ja aufsuchen,« setzte der Berichterstatter bei. + +Da ist etwas dahinter! dachte Frau Kunigunde und ließ sich zum +Buchenanger führen. + +Der Schopper, als er sah, wer daherkam, sprang rasch vom Rasen auf. Er +sah wirklich wild und wirr aus. Ohne viele Einleitung fragte sie in +strengem Tone nach ihrem Manne, dem Adlerwirt. + +»Was weiß ich?« knurrte der Holzknecht. »Habt Ihr mir ihn zum Aufheben +geschickt?« + +»Du weißt, wo er ist!« sprach sie scharf. + +»So? Na, wenn ich's weiß, dann muß ich's freilich sagen. Den Adlerwirt +hat sein Weib verlassen, da ist er zu einer anderen gegangen.« + +»Wo er ist, will ich wissen!« + +»Vor etlichen Tagen,« antwortete der Holzknecht gottlos ruhig, fast +träge, »hat er sich auf der Schabelhöh' aufgehalten oder im Wirtshaus +dort herum. Jetzt kann's sein, daß er drüben in der Abachleuten ist.« + +»Ein Schandmensch! Ein Schandmensch!« keuchte sie, und fast verging +ihr der Atem vor Wut. »Der soll das höllische Feuer beizeiten kennen +lernen, dafür stehe ich gut!« + +»Dieweilen sitzt er im Himmel,« sagte der Schopper. »Und ich wäre der +Meinung, wer so fest drin sitzt, den laßt man sitzen.« + +Frau Kunigunde hatte sich niedergelassen auf einem Baumstock, ihr +zitterten die Beine. + +»Wie weit ist's bis in die Abachleuten?« fragte sie. + +»Zwei Stunden, wer gut antaucht.« + +»Mein Gott, mich verlassen schon die Füße.« + +»Wenn die Frau ein Stündlein wartet, so kann sie mit mir auf dem +Brettel hinabrutschen,« sagte der Holzknecht. + +Ja, sie wolle warten. Und der Schopper dachte: Herrgott im Himmel, was +ist das für ein Schick! Ich rutsche mit seinem Weib auf der Riesen +hinab. Und ganz plötzlich fuhr es ihm durch den Kopf: Wenn er mir die +Meine nimmt, so nimm ich die Seine. Wert ist sie's, daß sie mit mir +kommt. Es geht nichts über die Ordnung. Und nachher ist Fried. -- + +Dieweilen Frau Kunigunde erschöpft auf dem Baumstock saß und mißmutig +den Holzhauern zusah, die immer Blöcke an die Riesen schleppten und +hinabgleiten ließen, strich der Schopper wie halb verloren auf dem +Schlage um. Manchmal blieb er stehen und starrte auf den Erdboden, dann +hob er das krause Haupt gegen Himmel und schnappte nach Luft. Dann +lachte er hell auf, und einer der Männer hörte ihn sagen: »Besser kunnt +sich's nicht mehr reimen. Wer ungeschickt ist, der muß hinab, daß er +anderen nicht im Wege steht.« + +»Du, Franzel,« redete er, als die Abendstunde kam, einen Arbeiter an. +»Wenn du einmal beim Möstl in der Abachleuten vorbeigehst, gelt, so +bist so gut und gibst das Ding dort ab. Es ist für die Magd Frieda.« +Damit gab er ihm ein rotes, zusammengeknulltes Tüchlein. »Und jetzt, +Leute!« rief er laut hinaus über den Schlag, »jetzt ist Feierabend. -- +Fahrt ihr nur voraus hinab, wir, ich und die Frau Adlerwirtin, rutschen +hinten drein.« + +Die Werkzeuge brachte man in Sicherheit, die Lodenröcke hing man sich +über die Achsel, und da war's fertig. + +Muldenförmige, vorn ein wenig aufgekurfte Bretter wurden in die Rinne +der Riesen gelegt, und auf je einem solchen Fahrzeuge glitten ein oder +auch zwei Mann hinab. In der Hand hatten sie lange Stöcke, mit welchen +sie sich nötigenfalls leiten, anstemmen oder weiterschnellen konnten. +Auf etwa hundert Schritte Zwischenräume wurden sie abgelassen. Anfangs +glitt es gemächlich dahin, allmählich kam's in rascheren Lauf, und +auf steileren Strecken sauste es unheimlich schnell dahin, manchmal +an Erdeinschnitten und zweimal über grauenhaft tiefe Schluchten, aus +welchen Schutt und Gestein und schäumendes Wasser heraufleuchtete. Über +den schwindelndsten Stellen jauchzten einige. An den Rinnbäumen der +Riesen dröhnte noch lange das Rollen herauf, selbst als die Bretter +schon den Augen entschwunden waren. + +Als die Holzknechte dermaßen alle angefahren waren, ging der Schopper +zur Frau Kunigunde, die noch immer auf dem Stocke saß, machte eine +kleine Verbeugung und sagte: »Also, Adlerwirtin, jetzt ist's an uns +zweien.« + +»Ist wohl doch keine Gefahr dabei?« fragte sie. + +»Ihr seht ja, wie sie jauchzen unterwegs. In die ewige Seligkeit kann +man nicht lustiger hineinfahren. Im Siebenbachwald gibt's halt keine +so feinen Eisenbahnzüge wie in Geßnitz. Wir haben das lange Brettel +mit zwei Sitzen. Ich setze mich voran, Ihr habt hinterwärts Platz. Nur +frisch dran, Frau Adlerwirtin!« + +»Es ist grauenhaft!« sagte die Frau. + +»Nichts ist grauenhaft,« lachte der Schopper. »An fünf Minuten sind wir +unten. Kommt nur. Prächtig wird's.« + +»Ich will heut' ja noch weiterfahren.« + +»Freilich, Adlerwirtin. Nur hübsch anhalten. Sitzen wir fest?« + +»Ich sitze.« + +»Also, im Gottesnamen!« Mit diesem Worte stieß der Schopper aus, +und das Schifflein begann zu gleiten. Erst hielt der Mann mit +beiden Händen den langen, derben Stock in die Luft. Vorwärts ging's +rasch und rascher. Steiler wurde die Bahn, und da sauste das Brett +pfeifend dahin. Es schoß über den ersten Abgrund, es schoß durch den +Erdeinschnitt, es schoß dem zweiten großen Abgrunde zu, und als es hoch +über der Schlucht rasend schnell hinglitt, senkte ganz plötzlich der +Schopper den Stock, stemmte ihn vor sich in die Riesen, da sprang das +Fahrzeug hinten empor, schlug über, und die beiden Menschen flogen in +weitem Bogen durch die Luft -- stürzten in die Tiefe. + +Ein ganz kurzer Schrei gellte durch die abendlichen Lüfte, und dann war +nichts mehr zu hören als das rauschende Wasser in der Schlucht. -- -- + + [Illustration] + + + + + 11. Abschnitt. + + +»Du, Alte!« schrie der Möstl in der Abachleuten seinem Weibe zu, als +er von der Heuarbeit heimkam, »das wird nicht gehen mit der Frieda, +'s ist schad', aber fortschicken mußt sie. Das Umziehen mit einem +verheirateten Menschen können wir ja nicht leiden. Hab' sie just wieder +auseinander gejagt allzwei.« + +»Geh!« entgegnete das Weib, »bist doch nicht g'scheit! Schon wieder +dagewesen ist er?« + +»Soll ganz Kirchbrunn im Stich gelassen haben, sitzt jetzt da draußen +im Zeilinger Hammer als Kohlenvermesser.« + +»Das ist sauber,« sagte sie, »da hätten wir ihn alle Tag in der Hütten. +Recht hart ist mir um die Magd, aber wenn sie's so macht, soll sie +gehen, lieber heut' als morgen.« + +»Ein Plangen haben die zwei zu einander, rein als ob's ihnen wär' +angetan worden. Der Vorknecht Schopper soll ganz toll sein drüber, ich +glaub's. Wenn nur da kein unliebsamer Handel herauskommt. Alte, der +Schopper, wer ihn kennt, das ist ein gefährlicher Mensch!« + +Noch sprachen sie so, als ein Holzknecht aus dem Siebenbachwald +hereinstolperte. »Abrasten muß ich,« sagte er als Gruß und setzte sich +gleich auf die Bank. »Bist eh daheim, Möstl, ist mir recht. Habt es +schon gehört? das groß' Unglück im Siebenbachwald? Gestern auf dem +Abend. Beim Abrutschen. Von der neuen Riefen in die Karwasserschlucht +gestürzt!« + +»Mutter Anna!« rief der Möstl aus. »Wer denn?« + +»Er -- der Schopper und ein fremdes Frauenzimmer!« + +»Was sagst?« + +»Die Adlerwirtin von Kirchbrunn soll's gewesen sein.« + +»Was sagst?« schrie der Möstl und lachte auf. + +»Na ich danke, wer bei so was lachen kann!« sagte der Holzknecht. + +»Ist nicht schlecht gemeint,« redete das Möstlweib drein. »Der lacht +alleweil, hat's Weinen und's Lachen in einem Sackel beisammen.« + +»Der Schopper und die Adlerwirtin!« murmelte der Möstl und faltete die +Hände. »Aber Herr, himmlischer Vater, ist das dein Ernst?« Er lachte +wieder. + +»Wir können es uns auch gar nicht denken, wie es geschehen ist,« +berichtete der Bote. »Es kann was dahinterstecken. Wird schon +aufkommen. Schauderlich, wer's gesehen hat! Von ihr ist kein Knocherl +ganz verblieben. Bei ihm fehlt nur der Kopf.« + +»Aber mein Gott!« rief das Möstlweib, »wie soll sich denn ein +Christenmensch so was zusammenreimen!« + +»Ist nicht eine Magd Frieda bei Euch da?« fragte der Holzknecht. »An +die hab' ich ein Tüchel abzugeben. Ich weiß nicht, mir hat's der +Schopper zugesteckt, gerade vor dem Unglück. Wir kennen uns nicht aus. +Ein Knoten ist im Tüchel und ein Papierl ist drinnen, aber wir können +keiner lesen. Weil ich's versprochen hab', daß ich der Magd Frieda die +Sach' übergeben will.« + +Alsbald wurde die Magd von der Wiese heraufgerufen. + +»Du Frieda,« redete der Möstl sie an, »der da, der hat was für dich.« + +Mit Hast löste sie den Knoten, mit zitternden Fingern entwirrte sie das +Papier, es war ein abgerissenes, graues Streifchen, und darauf standen +mit grobem Bleistift ungefüg geschrieben die folgenden Worte: + + »Liebe Friederika! + + Bin überflüssig, mach mich davon. Nehm auch eine andere mit, die Euch + im Weg möchte stehen. Mehr kann ich nicht tun für Dich. Sei glücklich + mit ihm. + + Schubhart Schopper.« + + * * * * * + +Also hat sich's zugetragen. Und was wird jetzt geschehen sein? Alles +Menschengeschick steht in Gottes Hand, alles vollzieht sich nach seinem +Ratschlusse und fast nichts nach dem Sinne der Menschen. + +Als die Magd Frieda in dem Opfertode des armen Waldmenschen seine +unermeßliche Liebe zu ihr besiegelt sah, als das letzte Hindernis +gefallen war zwischen ihr und dem Adlerwirt, daß sie sich nun vor +Gott und der Welt hätten können die Hände reichen -- fand sie, daß +ihre heiße Leidenschaft für Wolfram anfing zu schwinden. Was war das +für ein Unterschied! Was sind die gewöhnlichen Männer für zage, +gemeinsinnliche, engherzige Schelme gegen diesen einen einsamen, +heldenhaften! Von diesem allein war sie geliebt worden mit einer +Liebe, wie wenigen Weibern auf Erden sie zuteil wird, mit einer Liebe, +die stärker ist als der Tod. -- Aber gekannt hat er es nicht, das +Weibesherz, sonst hätte er im voraus wissen müssen, daß sein Opfer +umsonst ist. + +An demselben Tage, als die Reste der beiden Verunglückten auf einem +kleinen Alpenkirchhofe still bestattet worden waren, schrieb die Frieda +einen Brief an den Adlerwirt: + + »Lieber Wolfram! + + Weil das geschehen ist, muß es aus sein und ganz aus sein bei uns + zweien. Er tät' immer zwischen uns stehen mit seinen blutigen Wunden. + Ich habe wohl einmal gemeint, ich kunnt Dich glücklich machen, + jetzt nimmer. Und im Unglück bist schon genug gewesen. Du bist frei + geworden vor drei Tagen, ich habe geheiratet. Sein Sterbetag ist der + Hochzeitstag zwischen ihm und mir geworden. Ich bin sein, und Du + wirst auch wieder eine andere finden. Ich wünsche Dir alles Gute, und + was vergangen ist, das soll vergessen sein.« + + [Illustration] + + + + + Nachwort zu dieser Geschichte. + + (Als Ohrenbeichte an den Kritiker.) + + +Weil unser Dasein ohnehin überreich an Drangsal und Leid ist, so wollte +ich -- beginnend mit heiterem Liebesabenteuer des jungen Adlerwirtes +von Kirchbrunn -- in dem süßen Herzensleben junger Menschen eine +Idylle schreiben, mir und anderen zur Ergötzung. Allein es ist anders +gekommen. Wie es im Leben sich so häufig fügt, daß alles ganz anders +wird, als der Mensch gehofft hat, kommt solches bisweilen sogar auch +in der Dichtung vor. Nicht das erste Mal -- ich gestehe es -- ist es +mir hier passiert, daß während der Entwicklung einer Geschichte ganz +von dem ursprünglichen Plane abgewichen wurde, weil sich folgerichtig +andere Dinge ereignen mußten, als im Plane ausgeheckt waren. Den Plan +macht der Kopf, dem ist im Übermut und Fürwitz alles möglich, der hat +hundert Leitern, um dem Erdboden zu entkommen und in willkürlichen +Zonen seine Luftschlösser zu bauen. Wenn nachher aber das Herz +anhebt, dichterisch zu schaffen, nach Vorbildern der Wirklichkeit +sinnlich zu gestalten, nach göttlichen und dämonischen Gesetzen des +Gemütes zu handeln, da wird die Luftlinie verlassen und je nach der +Bodenbeschaffenheit vorangegangen. Da ist es am besten, wenn der +Dichter seiner Geschichte nicht vorangeht, sondern ihr folgt, wenn er +sie nicht leitet, sondern von ihr geleitet wird, das heißt, wenn er +der Entwicklung nicht Gewalt antut, sondern dieselbe nach gegebenen +Verhältnissen sich selbst frei vollziehen läßt. + +So habe ich es auch hier gehalten. Meine Gestalten -- bestimmt +veranlagte Menschen -- sah ich vor mir. In harmlosem Spiele führte +ich sie durcheinander, wie der Zufall oder das Geschick uns selbst +durcheinander würfelt. Sie gewannen eine bestimmte Stellung zu +einander, und nun war die Lage gegeben; im Augenblicke begann eine +Entfaltung und eine Entwicklung, die sachte vom gezogenen Plane abwich, +immer weiter und unheimlicher, bis zu jener letzten Folge, vor der ich +selbst erschrak. Aus der lockenden Idylle ist ein tragischer Roman +geworden, der nicht beabsichtigt war. + +Es wird einem auch oft recht langweilig auf dem Tummelplatze des +gewöhnlichen Lebens. Der Alltagsmenschen Begierden und Taten sind +lächerlich schnöde, man wird mit ihnen weder warm, noch kalt. Wenn +aber unvermutet irgendwo ein starkes Herz auftaucht, sei es in +wildwetternder, zerstörender Leidenschaft, sei es in heldenhaftem +Opfermut, alsbald reißt es des Dichters Aufmerksamkeit auf sich und +läßt sie nicht wieder los, und so lange nicht wieder, bis es an einer +großen Tugend zugrunde geht. + +Als auf dem Freiballe beim Schwambachwirt mein Held plötzlich +hinausgerufen wurde zu einem halbverkommenen Holzknechte, da ahnte ich +noch nichts. Als dieser Holzknecht aber vom Adlerwirt verlangte: Laß' +ab von der Dirn! Sie ist mein, und wenn du sie noch einmal anrührst, +so wirst erstochen! -- da war ich in seinem Banne. Als ich hernach +der weiteren Entwicklung meiner Geschichte mit doppeltem Interesse +folgte, war ich überzeugt, daß der Schopper-Schub den Adlerwirt ganz +gewiß ermorden würde. Es kam anders, der weichmütige Adlerwirt ward +zu einem beklagenswerten Dulder, seine Liebe zu Frieda suchte er +redlich zu dämpfen, bis er endlich vom Zufall unbarmherzig mit dem +Mädchen seiner heimlichen Leidenschaft zusammengeführt wurde. Jetzt +standen die Dinge so, daß der Schopper-Schub wohl ans Messer griff, +aber nicht mehr zuzustoßen vermochte. Denn durch lange Entsagung war +in seinem großen Herzen die Liebe zum Weibe weit und hoch über die +sinnliche Leidenschaft hinausgewachsen, und mächtig erfüllte ihn der +eine Gedanke: glücklich machen das geliebte Wesen um jeden Preis. +Ein zweites Wort sprach der Rechtssinn des Naturmenschen: Wenn die +zwei sich in der Tat lieben, so sollen sie sich haben. -- In dem +Augenblicke, als ich den armen Menschen in weher Verzichtung dahingehen +sah, wußte ich freilich, daß da noch etwas geschehen würde. Ich glaubte +nicht recht, daß der Schopper ein Opfer nur halb vollbringt, und daß er +selbst nicht mehr würde weiterleben wollen, das fürchtete ich. + +Als Frau Kunigunde von dem der Gant verfallenen Adlerwirtshause auf dem +Steirerwäglein fortfuhr, ließ ich sie sehr ungern in den Siebenbachwald +ziehen. Aber ihre Rachsucht gegen den durchgegangenen Mann war so +groß, daß sie keine Macht der Welt zurückgehalten haben würde, seine +Spuren zu verfolgen. Ich ahnte nichts Gutes, als sie dem Schopper-Schub +nachfragte, und leider -- meine Ahnung hat mich nicht betrogen. + +So leid es mir um den Schopper tat, so fiel mir doch ordentlich +ein Stein vom Herzen, als das gräßliche Unglück auf der Holzriesen +geschehen war. -- Jetzt endlich! jetzt können die zwei jungen +Leute, die wirklich füreinander geschaffen zu sein scheinen, +zusammen heiraten! -- Und da tut sich mir eine ungeahnte Tiefe des +Weibesherzens auf: jetzt, da ~solches~ sich zugetragen, mag sie keine +Liebschaft mehr, und am wenigsten eine mit dem, der ihr so lange im +Wege gestanden, dessentwegen sie den treuesten Menschen auf der Welt +mißkannt und abgewiesen hat. + +Wenn meine heiteren Geschichten auf solche Art enden, dann will ich +mich zweimal besinnen, ehe ich wieder einmal eine Idylle anfange zu +schreiben. Und vielleicht tut auch jeder andere wohl daran, sich +zweimal zu besinnen, bevor er -- sei es mit einer armen Magd, oder +sei es mit einer feinen Großbauerntochter -- ein Liebesverhältnis +anhebt. Ist die Dichtung schon so schlimm, um wieviel mehr erst die +Wirklichkeit ... + +Von den wenigen Bekannten, die noch leben, haben wir uns gar nicht +verabschieden können. Es ging zu schnell. Wenn der Chronist dieser +Ereignisse sich schließlich selbst als einen alten Bekannten vorstellen +wollte, als den kleinen, in den Sand verlaufenden Professor Nix, so +wäre uns damit nicht sehr gedient. Als Figur in der Erzählung tut +der kleine Nix zu wenig, seine Hauptleistung besteht darin, uns die +Geschichte übermittelt zu haben. Der Frieda und dem Wolfram hätten wir +noch gerne die Hand gedrückt. Wenn schon die Jungdirn schrieb, daß, was +vergangen ist, auch vergessen sein soll, so möchten wir ihnen doch für +das, was kommen wird, alles Gute wünschen, vor allem ein starkes Herz, +welches die unvergeßlichen Erfahrungen der Vergangenheit in der Zukunft +sich zunutze mache. + + [Illustration] + + [Illustration] + + + Druck von Grimme & Trömel in Leipzig. + + + + + [Illustration: =F= 1501 =IX=09: 100.000] + + + + + Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung + + +Die Stiftung ist ein rein gemeinnütziges Unternehmen unter Ausschluß +aller privaten Erwerbsinteressen. Ihr Zweck ist, »hervorragenden +Dichtern durch Verbreitung ihrer Werke ein Denkmal im Herzen des +deutschen Volkes zu setzen« und durch Verbreitung guter Bücher +der schlechten Literatur den Boden abzugraben. Sie begann ihre +~Tätigkeit~ i. J. 1903 damit, daß sie an 500 Volksbibliotheken je +20 Bände verteilte, unter denen sich z. B. Fontanes »Grete Minde« -- +M. v. Ebner-Eschenbachs »Gemeindekind« -- eine Auswahl der »Deutschen +Sagen« der Brüder Grimm -- Roseggers »Als ich noch der Waldbauernbub' +war« befanden. Die zweite Bücherverteilung umfaßte 40 Werke (in 23 +Bände gebunden) in je 750 Exemplaren -- die dritte 42 Bücher (31 Bände) +in je 750 Exemplaren -- die vierte 43 Bücher (86 Bände) in je 800 +Exemplaren, die fünfte 28 Bücher (25 Bände) in je 900 Exemplaren -- die +sechste 45 Bücher (35 Bände) in je 1000 Exemplaren. + +Abzüge des ~Werbeblatts~, des letzten Jahresberichts, auch des +Aufrufs und der Satzungen usw. werden von der Kanzlei der Deutschen +Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel gern unentgeltlich +übersandt. -- Die Stiftung hatte 1905 erst 934 Mitglieder, im Jahre +1906 schon 3.688, 1907 6.500, Ende 1908 9.161. Sie führt diesen +Aufschwung auf das allgemeine Wachsen des Kulturinteresses zurück und +bittet alle Freunde, ihr durch Zusendung von Adressenmaterial an ihr +Werbeamt bei der Ausnutzung dieser Wendung zum Besseren zu helfen. + +Die Stiftung erbittet besonders jährliche, aber auch einmalige +Beiträge. Für ~Jahres-Beiträge von 2 Mk.~ aufwärts gewährt die +Stiftung durch Übersendung eines Einzelbandes ihrer »Hausbücherei« +oder ihrer »Volksbücher« oder des Schillerbuches Gegenleistung. Wer +25 Mark Jahresbeitrag zahlt, erhält auf Wunsch alle im gleichen Jahre +erscheinenden Bände der »Hausbücherei«. + +Die ~Beiträge~ werden in jeder Höhe entgegengenommen von: der +Deutschen Bank, Hamburg, und ihren sämtlichen Zweiganstalten und +Depositenkassen -- Postscheckkonto Hamburg Nr. 737 -- der k. k. +Postsparkasse, Wien [auf Konto Nr. 859112] -- und der Stiftung selbst +in Hamburg-Großborstel. + +Alle ~Briefe~, ~Anfragen~ usw. werden unpersönlich mit der +Aufschrift »Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel« +(möglichst unter Hinzufügung der betr. Abteilung) erbeten. + + Man verlange die erwähnten Drucksachen. + + + + + Gute und billige Bücher + + [Illustration] + +Unter den mancherlei billigen Sammlungen, die in den letzten Jahren +zur Verbreitung guter Literatur geschaffen wurden, zeichnen sich die +Bücher der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung durch sorgfältige +literarische Auswahl und ausgezeichnete Ausstattung aus: holzfreies +Papier, schönen und großen Druck, abwaschbaren, geschmackvollen +Einband. Diese Eigenschaften haben in Verbindung mit dem äußerst +billigen Preise den beiden Sammlungen der Stiftung schnell große +Verbreitung verschafft. Bisher sind erschienen: + + + Hausbücherei + +(nur gebunden, jeder Band 1 Mark) + + Bd. 1. ~Heinrich von Kleist~: Michael Kohlhaas. Mit Bild + Kleists. 7 Vollbilder von Ernst Liebermann. Einleitung von =Dr.= + Ernst Schultze. _11.-20. Taus._ 170 S. + + Bd. 2. ~Goethe~: Götz von Berlichingen. Mit Bild Goethes. + Einleitung v. =Dr.= W. Bode. _6.-10. Taus._ 178 S. + + Bd. 3. ~Deutsche Humoristen.~ _1. Bd._: Ausgew. humor. + Erzählungen v. P. Rosegger, W. Raabe, Fr. Reuter und A. Roderich. + _36.-45. Taus._ 221 S. + + Bd. 4. ~Deutsche Humoristen.~ _2. Bd._: Cl. Brentano, E. + Th. A. Hoffmann, H. Zschokke. _16.-20. Taus._ 222 S. + + Bd. 5. ~Deutsche Humoristen.~ _3. Bd._: Hans Hoffmann, Otto + Ernst, Max Eyth, Helene Böhlau. _36.-45. T._ 196 S. + + Bd. 6/7. ~Balladenbuch.~ _1. Bd._: Neuere Dichter. + _11.-20. T._ 498 S. 2 Mark. + + Bd. 8. ~Herm. Kurz~: Der Weihnachtsfund. Eine Volkserzählung. + Mit Bild Kurz'. Einleitung v. Prof. Sulger-Gebing. _6.-10. + Taus._ 209 S. + + Bd. 9. ~Novellenbuch.~ _1. Bd._: C. F. Meyer, E. v. + Wildenbruch, Fr. Spielhagen, Detl. v. Liliencron. _21.-25. + Taus._ 194 S. + + Bd. 10. ~Novellenbuch.~ _2. Bd._ (Dorfgeschichten): E. + Wichert, H. Sohnrey, W. v. Polenz, R. Greinz. _11.-15. T._ 199 S. + + Bd. 11. ~Schiller~: Philosophische Gedichte. Ausgew. u. eingel. + v. Prof. E. Kühnemann. Mit Bild Schillers. _6.-10. T._ 230 S. + + Bd. 12/13. ~Schiller~: Briefe. Ausgew. und eingel. von Prof. E. + Kühnemann. Mit 2 Bildern Schillers. 2 Bände in 1 Bande. _6.-10. + Taus._ 226 u. 302 S. 2 Mark. + + Bd. 14. ~Novellenbuch.~ _3. Bd._ (Geschichten aus deutscher + Vorzeit): A. Schmitthenner, J. J. David, W. Hauff. _11.-15. + Taus._ 246 S. + + Bd. 15. ~Novellenbuch.~ _4. Bd._ (Seegeschichten): Joachim + Nettelbeck, W. Hauff, Hans Hoffmann, W. Jensen, Wilh. Poeck, Johs. + Wilda. _11.-15. Taus._ 179 S. + + Bd. 16. Auswahl aus den Dichtungen ~Eduard Mörikes~. Herausgeg. + u. eingel. v. =Dr.= J. Loewenberg-Hamburg. Mit Bild u. + Silhouette Mörikes. _6.-10. Taus._ 285 S. + + Bd. 17. ~Heine-Buch.~ Eine Auswahl aus Heinrich Heines + Dichtungen. Herausgeg. und eingel. von Otto Ernst-Hamburg. Mit Bild + Heines. _6.-10. Taus._ 203 S. + + Bd. 18 u. 19. ~Goethes~ ausgewählte Briefe. Herausgeg. u. + eingel. v. =Dr.= Wilh. Bode-Weimar. Mit Bildern Goethes. 2 + Bände. _11.-15. Taus._ 169 u. 197 S. + + Bd. 20/21. ~Deutsches Weihnachtsbuch.~ Eine Sammlung der + schönsten u. beliebtesten Weihnachtsdichtungen in Poesie u. Prosa. + _11.-20. Taus._ 413 S. 2 Mark. + + Bd. 22. ~Novellenbuch.~ _5. Bd._ (Frauennovellen): Cl. + Viebig, L. v. Strauß u. Torney, Lou Andreas-Salomé, M. R. Fischer. + _11.-20. Taus._ 198 Seiten. + + Bd. 23. ~Novellenbuch.~ _6. Band._ (Kindheitsgeschichten): + A. Schmitthenner, H. Aeckerle, M. Lienert, M. v. Rentz, Hans Land, A. + Bayersdorfer, Ch. Niese, Th. Mann. _6.-10. Taus._ 199 S. + + Bd. 24. ~Novellenbuch.~ _7. Bd._ (Kriegsgeschichten): Carl + Beyer, H. v. Kleist, W. v. Conrady, M. v. La Roche, D. v. Liliencron, + Th. Fontane. _11.-20. Taus._ 177 S. + + Bd. 25/26. ~Balladenbuch.~ _2. Bd._: Ältere Dichter. + _6.-10. T._ 518 S. 2 Mark. + + Bd. 27. ~Karl Immermann~: Preußische Jugend zur Zeit Napoleons. + Herausgeg. u. eingeleitet von =Dr.= Wilhelm Bode-Weimar. Mit + Bild Immermanns und 3 Bildern Magdeburgs. _6.-10. Taus._ 171 + Seiten. + + Bd. 28. ~Martin Luther als deutscher Klassiker~, nebst einer + Einführung von =Dr.= Eugen Lessing. Mit Bild Luthers. 176 Seiten. + + Bd. 29/30. ~Deutsche Humoristen.~ _4. und 5. Bd._ + (Humoristische Gedichte). 351 Seiten. 2 Mark. + + Bd. 31. ~Deutsche Humoristen.~ _6. Bd._: E. Th. A. + Hoffmann, B. v. Arnim, Fr. Th. Vischer, A. Bayersdorfer, Henry F. + Urban, Ludw. Thoma. 160 S. + + Bd. 32. ~Max Eyth~: Geld und Erfahrung (humoristische + Erzählung). Mit Original-Illustrationen von Th. Herrmann und + Einleitung von =Dr.= C. Müller-Rastatt, Hamburg. 176 Seiten. + + Bd. 33. ~Ludwig Uhland~: Ausgewählte Balladen und Romanzen. Mit + Einleitung von K. Küchler, Altona, und mit mehreren Vollbildern. + + + Geschenkausgabe + +~mit prächtigem, biegsamem Einband~ mit Goldschnitt sind ~zum +Preise von je 4 Mark~ hergestellt von: + + Bd. 6/7 (rot, Ganzleder) + Bd. 12/13 (grün, Ganzleder) + Bd. 18/19 (grau, Ganzleder) + Bd. 20/21 (weiß, Dermatoid) + Bd. 25/26 (rot, Ganzleder) + Bd. 29/30 (rot, Ganzleder). + +Schillerbuch, enth. Einltg. über Schillers Leben, die Glocke, Balladen, +Tell. Mit Bild Schillers. 346 S. _11.-20. T._ Geb. 1 M. + + + Volksbücher. + +Heft 1. 50 Gedichte v. ~Goethe~. 95 S. Geh. 20, geb. 50 Pf. + +Heft 2. ~Schiller~: Tell. _11.-20. T._ 19 S. Geh. 30, geb. 60 Pf. + +Heft 3. ~Schiller~: Balladen. _31.-40. T._ 108 S. Geh. 20, +geb. 50 Pf. + +Heft 4. ~Schiller~: Wallensteins Lager. Die Piccolomini. 215 S. +Geh. 30, geb. 60 Pf. + +Heft 5. ~Schiller~: Wallensteins Tod. 222 S. Geh. 30, geb. 60 Pf. + +_Heft 4 und 5 in einen Band gebunden 1 Mark._ + +Heft 6. ~Brentano~: Die Geschichte vom braven Kasperl u. dem +schönen Annerl. 59 S. Geh. 15, geb. 40 Pf. + +Heft 7. E. Th. A. ~Hoffmann~: Das Fräulein von Scuderi. 113 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf. + +Heft 8. ~Fr. Halm~: Die Marzipanliese. -- Die Freundinnen. 124 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf. + +Heft 9. ~Reuter~: Woans ick tau 'ne Fru kamm. 61 S. Geh. 15, +geb. 40 Pf. + +Heft 10. ~Max Eyth~: Der blinde Passagier. _11.-20. T._ 68 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf. + +Heft 11. ~Marie von Ebner-Eschenbach~: Die Freiherren von +Gemperlein. _11.-20. T._ 82 S. Geh. 20, geb. 50 Pf. + +Heft 12. ~Wilhelm Jensen~: Über der Heide. 127 S. Geh. 25, +geb. 55 Pf. + +Heft 13. ~Ernst Wichert~: Der Wilddieb. 144 S. Geh. 30, geb. 60 +Pf. _11.-20. T._ + +Heft 14. ~Levin Schücking~: Die drei Großmächte. 96 S. Geh. 25, +geb. 55 Pf. + +Heft 15. ~Ludwig Anzengruber~: Der Erbonkel u. andere Geschichten. +Geh. 25, geb. 55 Pf. + +Heft 16. ~Helene Böhlau~: Kußwirkungen. _11.-20. T._ 68 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf. + +Heft 17. ~Ilse Frapan-Akunian~: Die Last. 87 S. Geh. 25, +geb. 55 Pf. + +Heft 18. ~H. v. Kleist~: Die Verlobung in St. Domingo. Das +Erdbeben in Chili. Der Zweikampf. 142 S. Geh. 80, geb. 60 Pf. + +Heft 19. ~Peter Rosegger~: Der Adlerwirt von Kirchbrunn. 139 S. +Geh. 30, geb. 60 Pf. _11.-20. T._ + +Heft 20. ~Ernst Zahn~: Die Mutter. _11.-20. T._ 66 S. Geh. 20, +geb. 50 Pf. + +Heft 21. ~E. J. Groth~: Die Kuhhaut (Humoreske). Mit Illustr. v. +Gg. O. Erler. 40 S. Geh. 15, geb. 40 Pf. + +Heft 22. ~A. Schmitthenner~: Die Frühglocke Mit Illustr. v. Wilh. +Schulz. 64 S. Geh. 20, geb. 50 Pf. + +Heft 23. ~G. Freytag~: Karl d. Große. -- Friedrich Barbarossa. +Minnesang und Minnedienst zur Hohenstaufenzeit. 80 S. Geh. 25, +geb. 55 Pf. + +Heft 24. ~Fr. Spielhagen~: Hans u. Grete. Mit Illustr. v. Th. +Herrmann. 174 S. Geh. 40, geb. 75 Pf. + + +_Jedes Heft enthält ein Bildnis des Verfassers. Weitere Hefte sind in +Vorbereitung._ + + + Druck von Grimme & Trömel in Leipzig. + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 *** diff --git a/75761-h/75761-h.htm b/75761-h/75761-h.htm new file mode 100644 index 0000000..2116191 --- /dev/null +++ b/75761-h/75761-h.htm @@ -0,0 +1,4197 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Volksbücher Der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung Heft 19 | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { margin-left: 10%; + margin-right: 10%;} + + h1,h2,h3 { text-align: center; + clear: both; + font-weight: normal;} + +h1,h2 {page-break-before: avoid;} + +h1 {font-size: 220%} +h2,.s2 {font-size: 180%} +h3,.s3 {font-size: 120%} + .s4 {font-size: 105%} + .s5 {font-size: 70%} + +p { text-indent: 1em; + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em;} + +.p0 {text-indent: 0em;} + +hr { width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: 33.5%; + margin-right: 33.5%; + clear: both;} + +hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;} +hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} +@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } +hr.r5 {width: 5%; margin-top: 1em; margin-bottom: 1em; margin-left: 47.5%; margin-right: 47.5%;} +div.chapter {page-break-before: always;} + +table { + margin-left: auto; + margin-right: auto;} + +.tdl {text-align: left;} +.tdr {text-align: right;} + +table.toc { width: 35em; + margin: auto;} + + +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + /* visibility: hidden; */ + position: absolute; + left: 92%; + font-size: small; + text-align: right; + font-style: normal; + font-weight: normal; + font-variant: normal; + text-indent: 0;} + /* page numbers */ + + +.blockquot { margin-left: 5%; + margin-right: 10%;} + +.center {text-align: center;} + +.right {text-align: right;} + +.padtop2 { padding-top: 2em;} +.padtop3 { padding-top: 3em;} +.padtop5 { padding-top: 5em;} + +.padbot2 { padding-bottom: 2em;} +.padbot3 { padding-bottom: 3em;} + +.mtop2 {margin-top: 2em;} +.mtop3 {margin-top: 3em;} +.mtop5 {margin-top: 5em;} +.mbot2 {margin-bottom: 2em;} + + +div.chapter {page-break-before: always;} + +div.note { page-break-before: avoid; } + +.hang p { margin-left: 2em; + text-indent: -2em } + +.gesperrt{ letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em;} + +em.gesperrt { font-style: normal;} + +.antiqua { font-style: italic } + +/* Images */ + +img { max-width: 100%; + height: auto;} + +img.w100 {width: 100%;} + +.figcenter { + margin: auto; + text-align: center; + page-break-inside: avoid; + max-width: 100%; +} + +.image-left { float: left; + margin-right: 1em;} + +.x-ebookmaker .image-left{ + float: none; + text-align: center; + margin-right: 0;} + +.footnote {margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + font-size: 0.9em;} + +.footnote .label {position: absolute; + right: 84%; + text-align: right;} + +.fnanchor { + vertical-align: super; + font-size: .8em; + text-decoration: none;} + +/* Poetry */ +.poetry-container {text-align: center;} +.poetry {text-align: left; margin-left: 5%; margin-right: 5%;} +.poetry .stanza {margin: 1em auto;} +.poetry .verse {text-indent: -3em; padding-left: 3em;} +.poetry .indent4 {text-indent: -1em;} + +/* Transcriber's notes */ +.transnote {background-color: #E6E6FA; + color: black; + font-size:small; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif;} + +/* Illustration */ +.illowe3 {width: 3em;} +.illowe4 {width: 4em;} +.illowe9 {width: 9em;} +.illowe30 {width: 30em;} +.illowp46 {width: 46%;} +.illowp48 {width: 48%;} +.x-ebookmaker .illowp46 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowp48 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowe3 {width: 6%; margin: auto 47%;} +.x-ebookmaker .illowe4 {width: 8%; margin: auto 46%;} +.x-ebookmaker .illowe9 {width: 18%; margin: auto 41%;} +.x-ebookmaker .illowe30 {width: 60%; margin: auto 20%;} + + </style> +</head> +<body> +<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 ***</div> + +<div class="transnote"> +<p class="s4 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> +<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Die Schreibweise und Interpunktion des +Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler sind +stillschweigend korrigiert worden.</p> +<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p> +</div> + +<figure class="figcenter illowp46" id="cover"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="" title=""> +</figure> + +<hr class="r5"> + +<div class="chapter"> +<figure class="figcenter padbot2 illowp48" id="illu-001" style="max-width: 62.5em;"> + <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt="" title="Deckblatt"> +</figure> +</div> + +<figure class="figcenter illowe30 padtop5" id="rule-long_4"> + <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<h2>Peter Rosegger:</h2> +<h1><b>Der Adlerwirt von Kirchbrunn.</b></h1> + +<figure class="figcenter illowe30" id="rule-long_5"> + <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko"> +</figure> + + +<p class="s2 center mtop5">Inhalt.</p><br> + +<table class="toc"> +<tr> +<td class="tdl"> </td> +<td class="tdr">Seite</td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Einleitung von Wilhelm Lottig</td> +<td class="tdr">3 -<a href="#Seite_4"> 4</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl"><span class="gesperrt">Peter Rosegger</span>: Der Adlerwirt von Kirchbrunn</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_7">7</a> - <a href="#Seite_139">139</a></td> +</tr> +</table><br> + +<figure class="figcenter padtop3 illowe9" id="rule-3x_3"> + <img class="w100" src="images/rule-3x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<p class="mtop2 mbot2">Für die Abdruckserlaubnis dieser Novelle schulden wir dem Herrn +Verfasser und der Verlagsbuchhandlung L. Staackmann in Leipzig Dank. +Die Novelle ist dem Bande »Hoch vom Dachstein« von Peter Rosegger +entnommen.</p><br> + +<figure class="figcenter padbot2 illowe9" id="rule-3x_4"> + <img class="w100" src="images/rule-3x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<p class="p0 center mbot2">Ein Bild Peter Roseggers<br> + ist hinter Seite 4 eingeheftet.</p> + +<figure class="figcenter illowe30" id="rule-long_6"> + <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko"> +</figure> + + +<p><span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span></p> + +<p><span class="gesperrt">Peter Rosegger</span><a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a>, geboren den 31. Juli 1843, war also vor +50, 60 Jahren noch das nichtige Waldbauernpeterl in der weltab +liegenden kleinen steirischen Dorfgemeinde Alpel bei Krieglach, +danach vom 17. bis übers 20. Lebensjahr hinaus Lehrbub und Gesell +beim Bauernschneider zu Kathrein am Hauenstein. Heut ist er unser +bester Volksschriftsteller, einer, der sich selbst die Aufgabe stellen +durfte: Ich will mitarbeiten an der sittlichen Klärung unserer Zeit. +So seltsam solche Entwicklung scheint, so folgerichtig ist sie doch. +Die Landschaftsbilder, die unbewußt schon das helle Kindesauge aufsog, +die Menschen und die Menschenschicksale, die der Wachsende, in mehr +als 60 Bauernhäusern schneidernd, regen Sinnes mit erlebte, sie sind +der Grundstock des reichen Vermögens, das der »Waldpoet« so köstlich +verwaltete. 21jährig wagte er, halb gedrängt vom übermächtigen inneren +Emporquellen, halb gezogen von helfend sich entgegenstreckenden Händen, +den Sprung vom Naturdasein als bäuerlicher Handwerker hinüber ins +Weltleben des Kulturmenschen. Die schwierige Verpflanzung gelang nach +harten Übergangswehen; aber der Riß in der Entwicklung vernarbte nur, +weil und soweit die abgerissenen Wurzelfäden den Weg zurück fanden zu +dem Nährboden ihrer Kraft. Sie gruben<span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span> ihn mit Urgewalt; ein schier +krankhaftes Heimweh zwang den körperlich auf Reisen oder stofflich +in seinem Schaffen sich von seiner »Waldheimat« Entfernenden immer +wieder in ihre Mutterarme zurück. Rosegger wohnt jetzt abwechselnd +in Graz und auf dem bescheidenen Sommersitz, den er sich, zunächst +dem Ursprung seines Werdens und Wesens, in Krieglach gegründet. Aus +allen seinen Werken, von dem 1869 erschienenen ersten Büchelchen an +die lange Reihe von Bänden hindurch, die sein unermüdlicher Fleiß, +sein unerschöpflicher Gestaltungsdrang uns gegeben haben, quillt +dieselbe Urwüchsigkeit, dieselbe gottgegebene Frische des Gemüts im +Ernst und im »Hamur«, dieselbe Kraft und Tiefe der Erfassung, die +schon den Waldbauernbuben schmerzhaft und glückhaft über seine Umwelt +hinaushob. »Der ewige Waldbauernbub«, in dies Wort schließt Rosegger +einmal selbst seine ganze Entwicklung ein; seine Dichtergröße aber ist, +wie durch seine Augen gesehen ein kleines Einzelschicksal wächst und +sich verklärt zu einem uns im Innersten ergreifenden und reinigenden +Abbild großen Menschheitsringens und Gottheitssiegens. Wer die in +diesem Bändchen abgedruckte Novelle mit so gerichteten Gedanken liest, +der wird selbst etwas von der schmerzhaften und doch glückhaften +Erschütterungsfähigkeit spüren, deren Vollbesitz den Waldbauernbuben +zum Dichter krönte.</p> + +<p>Hamburg, im Juli 1907.</p> +<p class="right"> W. Lottig.</p><br> + +<div class="footnote"> +<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Die Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung druckte schon +im 3. Bande ihrer »Hausbücherei« zwei kleine Humoresken Roseggers: +»Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß« und »Wie wir die +Gürtelsprenge haben gehalten«.</p><br> +</div> + +<figure class="figcenter illowp48" id="illu-005" style="max-width: 62.5em;"> + <img class="w100" src="images/illu-005.jpg" alt="Rosegger"> +</figure> + +<figure class="figcenter illowe30" id="rule-long_7"> + <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko"> +</figure> + + +<div class="note"> +</div> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span></p> + +<div class="chapter"> +<h2 class="mtop5 center"><b>Der Adlerwirt von Kirchbrunn.</b><br> +<span class="s5">Eine Dorfgeschichte.</span></h2><br> + +<h3>1.<span class="gesperrt"> Abschnitt.</span></h3> +</div> + +<p>»Also vorwärts!« rief das Männlein und sprang flink in den Wagen. +»Wolfram, komm an meine grüne Seite, du hast ganz nett Platz neben dem +alten Knaben! Wir wollen ja schwatzen unterwegs!«</p> + +<p>Demnach setzte sich der junge Kutscher nicht auf den Bock, sondern +schickte sich an, vom bequemen Sitze des Landauers aus die Pferde zu +leiten. Es waren zwei muntere Braune, deren glatte Haut einen feinen +Seidenglanz hatte, als ob sie wie das Riemzeug gewichst worden wäre.</p> + +<p>Der Kutscher war Wolfram Seltensteiner, der junge Wirt vom »Schwarzen +Adler« zu Kirchbrunn. Ein froh und freundlich in die Welt blickender +Blondkopf von etwa dreiundzwanzig Jahren. »Ein Gesicht, länglich-rund +wie ein Taubenei, Augen hell und blau wie der Himmel im Mai, Nase +schlank Und stramm, rote Oberlippe keck und zahm, der Mund so angetan, +daß er gut lachen und küssen kann. Vom Scheitel bis zur Zehe hinab ein +schlanker, hübscher, gesunder Knab'.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span></p> + +<p>»Junger Mann!« rief ihm der kleine Alte zu, »stelle ja nichts an! Wenn +du durchgehst und ich erlasse auf dich den Steckbrief, so kommst du +nicht weit, die Weiber fangen dich ein!«</p> + +<p>Einen Schnalzer mit der Zunge machte der junge Mann, da trabten die +Rößlein fürbaß.</p> + +<p>»Behüt' Gott, Herr Professor! Kommen Sie fein wieder im nächsten +Jahr!« So riefen jetzt die vor dem Wirtshause stehenden Leute. Männer +schwenkten die Hüte, Weiber die Sacktücher.</p> + +<p>Das ältliche Herrlein im Wagen streckte die offene Hand zurück nach den +Leuten, als wollte er ihnen noch wie Körner die Worte hinstreuen, die +er sprach: »Grüß Gott das letzte Mal und gebet acht, Kinder, daß ihr +nicht weniger werdet, bis ich wiederum komm', und betet manchmal ein +Vaterunser oder ein Schnaderhüpfel für den alten Professor Nix!«</p> + +<p>Der Wagen rollte die glatte Straße davon und verschwand bald im +tauenden Herbstnebel.</p> + +<p>»Ist ein lieber Herr!« sagten jetzt die Zurückbleibenden untereinander, +»ist ein lustiger Herr! Alleweil heiter! So pudelnärrisch und so +gescheit dabei! Wer wird uns jetzt Geschichten erzählen, Liedeln lehren +am Feierabend, Rätsel aufgeben, Zaubereien vormachen und guten Rat +austeilen? Das ist ein lieber Schatz!«</p> + +<p>»Er heißt Nix!« brummte einer der Umstehenden.</p> + +<p>»Was sagst du! der Professor heißt Nix? Ich denk' wohl ein bissel +mehr wie du! Gib acht, daß<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> wir dir dein Lästermaul nicht mit einer +Feigensalbe verkleben!«</p> + +<p>»Nein, er heißt Nix!« lachte ein Junge.</p> + +<p>»Nix heißt er!« lachten jetzt auch die übrigen.</p> + +<p>»Wenn ich nur wüßte, woher er den dummen Namen hat!«</p> + +<p>»Muß ein Spitzname sein, weil er allemal nix antwortet, wenn man ihn +fragt, wer er ist, was er treibt, was er weiß, was er hat, was er will! +Er ist nix und treibt nix und weiß nix und hat nix und will nix! Darauf +haben sie ihn den Professor Nix geheißen.«</p> + +<p>»Ist nicht wahr!« rief der Nagelschmied. »Seit Jahren kommt er auf die +Sommerfrische nach Kirchbrunn, wir kennen ihn als braven Mann. Das ist +etwas! Nachher geht er in der Gegend umher, Pflanzen sammeln, Bäume und +Hunde zeichnen, traurige Leut' lustig machen. Das ist auch etwas. Er +weiß zu erzählen von Himmel und Erden, von den Russen und Franzosen, +auch wie die Eisenstiften gemacht werden, weiß er, und wie er zu mir +einmal in die Werkstatt kommt, nimmt er mir das Zeug aus der Hand und +macht den Eggnagel fertig, daß es nur so eine Form hat. Das ist schon +was, meine lieben Leut'. Wer ein Handwerk kann! Handwerk ist besser +wie Kopfwerk! Nur fürs Nixhaben und Nixwollen mag sein Name passen, +ich hab' mir oft gedacht: der lebt von der Luft und vom Wasser und vom +Lustigsein.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span></p> + +<p>»Er hat gegessen und getrunken und seine Sach' bezahlt!« berichtete der +alte Adlerwirt, der in Hemdärmeln und unter dem grünen Sammetkäppchen +am Pferdetrog stand und mit dem kurzen Worte die Ehre seines Hauses und +seines Gastes rettete.</p> + +<p>Der Wagen fuhr mittlerweile hinaus über Wiesen und Fluren, durch Dörfer +und Wälder, dem Bahnhofe in Geßnitz zu.</p> + +<p>»Wolfram!« sagte der kleine hagere Mann, den sie den Professor Nix +geheißen hatten, »warum rauchst du heut' keine Zigarre?«</p> + +<p>»Weil ich keine habe,« antwortete der Bursche und zog den Leitriemen an.</p> + +<p>»Was ist denn das?« fragte der Professor und tippte an Wolframs +Brusttasche, aus welcher ihrer drei oder vier Glimmstengelspitzen +hervorguckten.</p> + +<p>»Das da?« fragte der Bursche schmunzelnd entgegen, »das sind Zigarren.«</p> + +<p>»Knabe, du glaubst, daß mir der Rauch unangenehm sei!«</p> + +<p>»Wer selber nicht raucht —«</p> + +<p>»Ich will dich nicht zwingen. Weiß nur, daß man den Mund nicht gern +leer stehen läßt. Wir Alten schwatzen, Ihr Jungen wollet busseln oder +rauchen. Zum Busseln wirst keine im Sack haben. Also steck' etwas +anderes in Brand!«</p> + +<p>Lächelnd zündete Wolfram sich eine an.</p> + +<p>Als sie aus dem Gebirgstal in die Fläche herausgekommen waren und +am Dorfe Schwambach vorüberfuhren,<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> kehrten im dortigen Wirtshause, +denn es war Sonntag, gerade vier Musikanten ein: ein Trompeter, ein +Klarinetter, ein Geiger und ein Baßgeiger.</p> + +<p>»Was denkest du darüber?« fragte Professor Nix seinen Kutscher.</p> + +<p>»Bis ich zurückfahre, wird's schon umgehen,« antwortete dieser. »Der +Schwambacher gibt einen Freiball.«</p> + +<p>»Du, da gib nur acht, daß dir die Pferde nicht scheuen auf der +Rückfahrt! Ein paar feurige Tiere, die du hast!« so neckte das magere +Männlein.</p> + +<p>Auf der Hochebene, über die sie nachher wieder dahintrabten, kamen sie +in einen Eichenwald, an welchem bereits die Blätter gilbten. Manchmal +wehte ein goldig leuchtendes Blatt nieder auf die weiße Straße, und der +Wald war so still und feierlich, daß es dem Professor wie ein Seufzer +aus der Brust kam: »Ja, der Herbst!«</p> + +<p>Jetzt sahen sie neben der Straße im Laubwerk und Schlinggewächse zwei +Mädchen. Junge, erwachsene Mädchen, das eine in putziger Bauerntracht, +das andere bürgerlich angetan; das eine mit einem roten Tuch über dem +Haupt, das andere mit einem schwarzen Hütchen. Die unter dem Tuche +hatte ein lachendes Rundgesichtlein, die unter dem Hute war blaß und +ernsthaft und hatte schwarze Augen.</p> + +<p>»Was wollen denn die?« fragte der Professor den jungen Kutscher.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span></p> + +<p>»Sie haben Körblein bei sich. Wahrscheinlich Brombeeren pflücken.«</p> + +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent4">»Wollt' ein Madel früh aufstehn,</div> + <div class="verse indent4">Wollt' Brombeer brocken gehn« —</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>trillerte der Alte. »Kennst du das?«</p> + +<p>»Ja, man singt so,« antwortete Wolfram.</p> + +<p>»Wenn du der Jägerssohn wärest,« neckte der Alte weiter, »mit welcher +von den zweien wolltest du Brombeer brocken?«</p> + +<p>»Weiß 's nit,« sagte der Bursche.</p> + +<p>»Na, dann ist es mit dir noch nicht gefährlich!« lachte der Professor, +dem Burschen auf die Achsel klopfend.</p> + +<p>»Just übel wär' keine — von den zweien,« sagte der Wolfram.</p> + +<p>»Na, dann ist es gefährlich,« setzte jener bei. Sein frisches +Gesichtlein unter dem grauenden Haar war plötzlich ernsthaft. Und die +Mädchen waren ihren Augen entschwunden.</p> + +<p>Als der Wagen wieder aus dem Walde kam, sah man in der Ferne die +zwei weißen Türme von Geßnitz. Sie leuchteten nur schwach durch die +nebelgraue Luft. Hinter dem stattlichen Marktflecken die Berglehne +konnte man nicht mehr erkennen. Und gerade dorthin hatte Wolfram sein +Auge gerichtet.</p> + +<p>»Siehst du den Salmhof?« fragte ihn der Professor.</p> + +<p>»Man sieht nichts,« antwortete der Bursche.</p> + +<p>»Liegt sie dir im Sinn?« fragte der Professor.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p> + +<p>»Aber ich kenne sie ja gar nicht,« entgegnete Wolfram. »Das ist wieder +nur so von meinem Vater etwas. Weil sie Geld hätte, meint er. Ich +denke, es muß nicht alles Geschäft sein, was der Mensch tut.«</p> + +<p>»Brav bist, mein Sohn!« sagte der Professor, »für Geld heiratest keine. +Aber ganz verachten mußt auch das Geld nicht, wenn sie zufällig eins +hat. Geld ist Mist, aber Mist ist Dung, und Geld ist der Dung des +ehelichen Glückes.«</p> + +<p>»Die Salmhoferische wäre mir auch viel zu fürnehm,« bemerkte der +Bursche, »die will höher fliegen als auf ein Wirtshaus, sagen sie. +Körbe kann ich auch in Kirchbrunn haben, da brauch ich d'rum nicht gar +bis Geßnitz zu gehen.«</p> + +<p>»Junge!« rief der Alte und hieb ihm die Hand auf den Rücken, »du bist +nur zu wenig keck! Ein Kerl, wie du bist, verlegt sich nicht auf +Korbhandel. Aber auch nicht dreinpatschen! Keck und klug!«</p> + +<p>Der Wolfram schwieg. Über die Hochebene her strich ein kühler Wind, der +brachte Regenschauer.</p> + +<p>»Ist schon gut,« rief der Professor ins Weite hinaus; »Herrgott, ich +sehe deinen guten Willen, mir den Abschied von der Sommerfrische so +leicht als möglich zu machen. Hast du nichts dagegen, Wolfram, so +machen wir den Wagen zu!«</p> + +<p>Das war bald geschehen, aber dann saß der Kutscher auf dem Bock und der +alte Herr in dem finsteren Lederkotter. An das hatte er nicht gedacht.<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> +Nach einer Weile klärte sich der Himmel wieder, und da waren sie auch +schon in Geßnitz auf dem Bahnhof. Professor Nix sprang rüstig aus dem +Wagen. »Wolfram, mein Sohn!« sagte er noch, »geweint und gelacht wird +nicht. Höre auf zum Wachsen, bleibe munter und mach' keine Dummheit. So +Gott will, im nächsten Sommer komme ich wieder!«</p> + +<p>Damit sprang er auf das Trittbrett, denn es läutete das dritte Mal, und +der Sommerfrischler dampfte ab in die große Stadt.</p> + +<p>Wolfram schaute dem Zuge nach und dachte: Der gute Professor Nix! +Seinen bluteigenen Oheim kann man nicht lieber haben. Die elf Jahre +kommt er schon nach Kirchbrunn und ist immer der gleiche. Wenn er +lacht, ein Kind, wenn er schwärmt, ein Jüngling, und wenn er guten Rat +gibt, ein Greis. Wenn man nur eigentlich wüßte, wie alt! Die Leute +tragen ihn auf den Händen, das deutet auf ein Kind hin. — Und jetzt, +Fuchsen, heimwärts nach Kirchbrunn.</p> + +<p>Der Bursche war seit fünf Minuten anders geworden. Früher der fast +befangene, wortkarge, dienstwillige Dorfwirt, der sein Verhältnis +fühlt dem vornehmen Gaste gegenüber; jetzt der aufgeweckte, keck +dareinschauende Hausbesitzerssohn von Kirchbrunn, sein eigener Diener +und Herr, Kutscher und Kavalier zugleich auf dem Wagen. Nachdem er +im Posthause etliche Briefe abgegeben, ein Kistchen<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> mit Likören in +Empfang genommen und auf dem Kutschbocke noch ein paar Gläser Bier +ausgetrunken hatte, ließ er seine Zunge schnalzen, das ersetzte bei den +klugen Rößlein stets die Peitsche, und ließ heimwärts traben.</p> + +<p>Bei einer Straßenbiegung sah er vor sich an der Berglehne einen +stattlichen Bauernhof liegen; der nahm sich fast schloßartig aus, hatte +sogar ein Türmchen, auf dem eben Mittag geläutet wurde. Es war, als ob +die Glocke zur Straße herabriefe: Komm, komm! Komm, komm! — Allein der +Wirtssohn aus Kirchbrunn fuhr stolz vorüber. — Oh, zu <span class="gesperrt">der</span> hätte +ich weit! dachte der Wolfram. Wenn ich jetzt zur Haustochter im Salmhof +hinauf wollte, um zu freien, da müßt' ich erst wissen, ob sie mich gern +hat. Und ihr Gernhaben möchte mich nur freuen, wenn ich in sie verliebt +wäre. Und verliebt in sie könnte ich nur sein, wenn ich mit ihr bekannt +wäre, und das ist wieder nur möglich, wenn man sie einmal gesehen hat. +— Ich weiß gar nichts von ihr, als daß mein Vater sagt, das wäre +eine Frau für den »Schwarzen Adler« zu Kirchbrunn. Gott, bis sich so +ein langer Faden abwickelt! Und am Ende wär' nachher ein Scheusal im +Knäuel. Hübsche Dirndln haben kein Geld. Reiche sind oft nicht recht +sauber. — Hia, Füchseln! Heim zu geht's! —</p> + +<p>Der Himmel hatte sich fast aufgeheitert, es ward ein sommerlich warmer +Mittag. Als der Wagen in den Eichenwald kam, leckerte es die Pferde +nach<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> grünem Kraute, das am Wege wuchs, und sie nahmen im Vorbeigehen +manche Schnauze mit sich.</p> + +<p>»Wenn es euch so sehr nach Preiselbeerkraut und Enzianen gelüstet,« +sagte der Wolfram, »ich fände zwar nichts Gutes dran, aber es sei euch +wohl vergunnt. Spannen wir ein bißchen aus.«</p> + +<p>Er ließ den Wagen ein wenig von der Straße seitwärts auf ein grünes +Angerlein ziehen, löste die Pferde los und hieß sie sich frei ergehen +zwischen den Bäumen. Er selbst schlenderte auch so dahin, und da es gar +warm und wohlig geworden war und die Pferde eine prächtige Grasbank +gefunden hatten, so streckte er sich aufs Moos. Ein Stündel Rast kann +nicht schaden. Heute ist ja doch alles beim Schwambachwirt, und in +Kirchbrunn nichts los. Da kommt man noch früh genug heim. — Die Arme +unter dem Haupte, so lag er auf dem Rücken schlank ausgestreckt und +schaute in die hohen Baumkronen auf. — Warum im Herbst die Vögel nicht +singen wollen! dachte er, kein einziger! Ist es denn gar so schlimm? +Ich merke keinen Unterschied zwischen Frühjahr und Herbst ...</p> + +<p>Fast ein wenig geschlafen mußte er haben. Regentropfen weckten ihn +auf. — Ja, Knabe, es ist doch ein Unterschied zwischen Frühjahr und +Herbst. — Eilig stand er auf, die Pferde waren nicht weit, er führte +sie über das weiche Moos hin gegen den Wagen. Jetzt erlebte Wolfram +eine Neuigkeit. In seinem Wagen hatten sich fremde Wesen eingeheimt.<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> +Er hörte schon von weitem kichern und lachen. Die zwei Brombeermädchen +waren vom Sprühregen unter dieses Dach gejagt worden, und der Fürwitz +der einen hatte alsogleich Besitz ergriffen von dem herrenlosen Wagen, +der so mutterseelenallein unter den Bäumen stand. Der Schlag zu beiden +Seiten geschlossen und zugefenstert, so hockten sie nun darinnen auf +dem Lederpolster und waren just daran, in diesem feinen Gelasse ihr +mitgebrachtes Mittagsmahl zu verzehren. Brot und Käse hatten sie, das +schnitten sie auf dem Schoße säuberlich in Stückchen, naschten auch von +den gesammelten Brombeeren dazu. Die eine mit dem blassen Gesichtchen +war ernsthaft, die andere mit den blühenden Wangen und dem roten +Kopftuche darüber war voller Schalkheiten.</p> + +<p>»Hui sauer!« kicherte diese; »da wär' mir schon ein Bussel lieber.«</p> + +<p>»Das kannst auch haben, Frieda,« sagte die andere und tat, als wollte +sie einen Kuß hergeben.</p> + +<p>»Geh, geh, Haustochter Kundel!« wehrte die Frieda ab, »da müßtest erst +einen Schnurrbart haben!«</p> + +<p>»Ach so!« antwortete die andere. »Wie kommst du mir denn vor, Jungdirn?«</p> + +<p>Da trillerte Frieda:</p> + +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent4">»Busserlgebn, busserlgebn,</div> + <div class="verse indent4">Das is nit Sünd,</div> + <div class="verse indent4">Hat mir's schon d' Muater glernt</div> + <div class="verse indent4">Als a kloans Kind!«</div> + </div> +</div> +</div> +<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p> +<p>»Ich kann da nicht mitreden,« gestand die mit dem Hütchen.</p> + +<p>»Mich ärgert 's nur,« warf die Frieda ein, »da reden und singen sie +immer davon, daß einem ordentlich der Mund wässerig wird, und wann's +Ernst werden will, ist's verboten. Und das ist auch dumm: heimlich +möcht' man's probieren, und kommt einer, schwupps hat er eine auf der +Wange!«</p> + +<p>»Wer wird denn so leckerig sein!« sagte die Kundel, »das sind lauter +Dummheiten.«</p> + +<p>»Weißt, von wem ich ein Bussel möcht'?« gab das frische Rundgesichtel +zu raten, denn es schien, als wollte sie einlenken.</p> + +<p>»Wahrscheinlich von einem schönen Junggesellen,« antwortete die Kundel.</p> + +<p>»Von einem Mannsbild nit!« versicherte die andere. »Von einem Mannsbild +möcht' 's mir grausen. Weißt du: ein Kindel, wenn ich hätt', von dem +möcht' ich ein Bussel.«</p> + +<p>In demselben Augenblick machte der Wagen einen Ruck und rollte davon.</p> + +<p>Einen grellen Schreckruf hatten die beiden Mädchen ausgestoßen und dann +ein Jammergeschrei erhoben. Das nützte nichts und schadete nichts, die +Rößlein trabten flink die Straße entlang, der Wolfram auf dem Bocke +schnalzte tapfer mit der Zunge, und so rollte es dahin wie der Wind, +die Richtung gegen Kirchbrunn. Der Wolfram hörte das Gekreische und +Hilfegeschrei in der Kutsche, er schmunzelte<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> bei sich: »Das ist kein +schlechter Spaß, ich entführe sie zum Freiball nach Schwambach. Zwei +fremde Brombeerbrockerinnen, denen die Brombeeren nicht süß genug sind. +Na, wartet!«</p> + +<p>Als die gefangenen Dirndeln merkten, daß ihr Geschrei nichts richtete +und das Hinausspringen zum Wagenschlag gefährlich sei, wurden sie +mäuschenstill und berieten unter sich.</p> + +<p>»Zwei Rösser sind angespannt und auf dem Bock ein Mannsbild!« flüsterte +die Kundel. »Frieda, was wird mit uns geschehen?«</p> + +<p>»Haustochter, wir kommen ins Afrika und werden als Sklaven verkauft,« +antwortete die in dem roten Tuche mit einer Ernsthaftigkeit, in der man +den Schalk kaum herausmerkte.</p> + +<p>»Ich spring' aus!« rief die Kundel.</p> + +<p>»Dann bist hin!« antwortete die Frieda. »Ich glaube, wir bleiben hübsch +sitzen. Kommen wir durch eine Ortschaft, so schlagen wir Lärm.«</p> + +<p>»Um keinen Streich!« versetzte die Kundel. »Die Schande! Eher laß ich +mich entführen bis zum großen Wasser, dort springe ich hinein.«</p> + +<p>Die Frieda hatte mittlerweile zum Fenster hinausgelauert und gefunden, +daß der Mann auf dem Kutschbocke, soweit man von ihm etwas erblicken +konnte, nicht allzu schrecklich aussehe. Ja, es wollte sie bedünken, +als hätte sie diesen Menschen schon irgendwo gesehen, ohne Furcht vor +ihm zu empfinden. Darüber waren die beiden nun ein bißchen getröstet.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span></p> + +<p>Draußen regnete es, die Tropfen schlugen scharf ans Fenster, und +schwere Nebel hatten sich niedergelegt über die Ebene, daß es schier +dunkel ward. Und der Wagen rollte unablässig fort und in das Ungewisse +hinein.</p> + +<p>»Ach, mein junges Leben!« seufzte die Kundel. »O dieses unglückliche +Brombeerbrocken.«</p> + +<p>»So kommt es, wenn man am Sonntag die heilige Messe versäumt und im +Walde umgeht,« sagte die Frieda lustig.</p> + +<p>»Zwick' mich am Arm!« bat die Kundel.</p> + +<p>»Du kommst mir wunderlich für, Haustochter. Warum soll ich dich jetzt +am Arm zwicken?« fragte die Frieda.</p> + +<p>»Damit ich wach werde. Drei Heuschöber verwett' ich, das ist nur ein +Traum. Ich habe vor kurzer Zeit eine Rittergeschichte gelesen, wie der +Raubritter Kuno das schöne Burgfräulein Adelgunde auf einem Rappen +entführt hat. Das kommt mir jetzt im Schlafe vor. Ich bitte dich, so +wecke mich doch auf!«</p> + +<p>Frieda kicherte. »Wenn es bei mir auch ein Traum sollt' sein, dann +sei so gut, wecke mich nicht auf,« sagte sie. »In einer so fürnehmen +Kalesch' bin ich mein Lebtag noch nie gefahren und werd' auch gewiß +nicht mehr die Gnad' haben. Jetzt laß ich mir's schmecken und denk' an +nichts. Wenn er uns hinführt, so muß er uns auch zurückführen, jetzt +kommt mir die Kurasch.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span></p> + +<p>»Frieda, du bist schrecklich leichtsinnig!« sagte die andere.</p> + +<p>»Du bist nicht leichtsinnig und mußt auch mit.«</p> + +<p>»Wenn ich glücklich davonkomme, so stifte ich eine Kapelle im +Eichenwald,« beteuerte die Kundel.</p> + +<p>»Und ich gehe hinein beten!« nahm die Frieda sich vor. »Jetzt wollen +wir die gnädige Frau spielen und Brombeeren naschen.«</p> + +<p>Die Brombeeren wären großenteils auf dem Kutschboden zu suchen gewesen, +auf welchem sie zerstreut umherlagen.</p> + +<p>»Sind die Rösser schwarz?« fragte die Kundel plötzlich.</p> + +<p>»Fuchsbraun,« antwortete die Frieda.</p> + +<p>»Gott sei Lob und Dank!« warf die Kundel hin.</p> + +<p>»Warum?«</p> + +<p>»'s kunnt auch der Teufel sein Spiel haben!«</p> + +<p>»Ich weiß mich nicht schuldig. Bin eine arme Magd.«</p> + +<p>»Schuldig weiß ich mich auch nicht,« sagte die Kundel, »wenn nicht etwa +die fürwitzigen Träume was machen, manchmal. Dem Ritter Kuno traue ich +um keinen Preis.«</p> + +<p>»Ritter machen mir wieder nichts,« gestand die Frieda, »aber wenn +gerade so ein sauberer Bauernknecht käm', da wollt' ich für nichts +gutstehen.«</p> + +<p>»Oder ein kernfester Holzknecht aus dem Siebenbachwald!« neckte die +andere.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p> + +<p>»Laß das gut sein, Haustochter, ich mag nichts hören von ihm,« so +antwortete die Frieda.</p> + +<p>Ähnliches sprachen sie halb im Ernst, halb im Scherz, halb in süßer +Verwirrung. Der Jungmagd Frieda kam es possierlich vor, daß sie heute +einmal mit der gleichen Elle wie die Haustochter gemessen wurde. +Plötzlich hielt der Wagen. Ringsum standen, von düsteren nässelnden +Nebeln halb verschleiert, Scheunen und Häuser, und aus einem solchen +klang helle und grelle Tanzmusik.</p> + +<p>»Du,« flüsterte die Frieda zur Genossin, »jetzt kenn' ich mich aus, wir +sind in Schwambach.«</p><br> + + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_12"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h3>2. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Der Wolfram öffnete den Wagenschlag. »Schöne Jungfrauen,« sagte er +schmunzelnd, »da sind wir. Ich bin der Adlerwirt aus Kirchbrunn, ein +durch und durch bösartiger Geselle, und lade euch zu einem Tanzel mit +mir beim Schwambachwirt.«</p> + +<p>Die mit dem roten Tuche wollte zeigen, daß sie sich durchaus nicht so +leicht ins Bockshorn jagen lasse; sie machte daher, rasch aus dem Wagen +steigend, einen Knix und sagte: »Wird uns eine große Ehr' sein! Aber +nimm dich in acht, Adlerwirt, wir sind auch bösartig.«</p> + +<p>»Nachher stimmt's,« versetzte der Wolfram, Roß und Wagen dem +Hausknechte überlassend. Er nahm die eine gleich am rechten Arme, +während die andere<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> sich an seinen linken hielt. Diese schwieg, dachte +aber bei sich: Ist er nett, so wird's fein, und sonst wird er gefoppt.</p> + +<p>Also trat zum Erstaunen der Leute der Schwarze Adler von Kirchbrunn +mit den beiden hübschen Dirndln ins Haus und alsogleich die Stiege +hinan auf den Tanzboden. Einen funkelnden Silbergulden warf er auf den +Spielleuttisch, da schrieen die Pfeifer und Geiger vor Freuden auf, und +einen »gestrampften« Steirischen machte der Wolfram mit der, welche +Frieda hieß. Wenigstens ein Dutzend junger Paare reigten zugleich, die +Burschen mit den Händen klatschend, mit der Zunge schnalzend, lustig +jauchzend oder kecke Liedlein singend, die Mädchen sich den Tänzern +sanft anschmiegend, ihre Köpflein hingegeben an die Brust der Burschen +legend; manche schloß also im Arme des Trauten die Augen, als wolle sie +die Seligkeit bis an die äußerste Grenze austräumen. — Macht es nicht +auch die Frieda so? Liegt sie nicht hingegossen an die breite wogende +Brust Wolframs, von seinen Armen fest umschlossen, von seinem Auge, das +unverwandt auf ihrem blühenden Gesichtlein ruhte, bewacht, und angeweht +die heiße Stirn, die glühenden Wangen von seinem warmen Atemhauch! +Wohl war's nach ihrer scheinbar gelassenen Sicherheit zu vermuten, daß +sie heute vielleicht nicht ganz das erste Mal einer solchen Kopflehne +sich erfreute, doch aber der Unterschied! Ach Gott, was nicht für ein +Unterschied ist zwischen<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> Mannsbild und Mannsbild! — O du herziger +Schatz! dachte sich der Wolfram, dich habe ich gefangen, wie man das +Vöglein fängt mit der Falle, und dich laß ich nimmer frei, nimmer! mein +Lebtag nimmer! — Die Frieda, die dachte gar nichts mehr, sie fühlte, +als würde sie hingetragen durch die Lüfte, hoch über den Erdboden, +hoch über den Wolken — wohin? Das wußte sie nicht, war ihr auch ganz +gleichgültig.</p> + +<p>Endlich war der Tanz aus. Der Wolfram ließ seine Genossin lockerer +und erinnerte sich nun, daß er deren zwei gehabt hatte. Wo war denn +die andere! — Der Schwambachwirt hatte schon Lichter aufgesteckt im +Saale, aber die andere war nicht zu sehen. Sie wird schon auch gut +aufgehoben sein, flüsterte eins dem anderen zu, und die beiden machten +sich nicht viel daraus. Mittlerweile tranken sie auch Wein, die Frieda +mit, der Wolfram ohne Zucker. Die Leute ringsum wurden immer lauter, +lustiger und toller, und Weindunst und Menschendunst betäubten die +Herzen und regten sie auf. Dort und da im dämmernden Winkel kauerte +ein Einschichtiger und schleuderte scheelsüchtige Blicke auf die +glücklichen Pärchen, wovon viele ganz in sich selber versunken und +weder Auge noch Ohr hatten für die Umgebung. So auch der Adlerwirtssohn +von Kirchbrunn und seine Entführte. War nur erst der Abend vorgerückt, +dann wollte er mit ihr ein unbelauschtes Plauderstündchen halten und +sie nach<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> ihrem Herkommen fragen. Übrigens war es recht reizend, daß er +nicht wußte, wer sie war, und falls er hätte voraussetzen können, daß +auch er ihr unbekannt gewesen, tat es ihm fast leid, sich vorgestellt +zu haben. Sich so weltfremd sein und sich so innig umschlungen halten, +das ist ja doch ein Hauptspaß, wie es nicht leicht einen zweiten gibt.</p> + +<p>Als es draußen rabenschwarze Nacht geworden war, trat durch das +Gedränge ein Holzknecht aus der Kirchbrunner Gegend auf den Wolfram zu +und sagte: »Der Adlerwirt soll hinaus kommen in den Hof, dort möcht' +wer sprechen mit ihm.«</p> + +<p>Aha, fiel es dem Burschen bei, die andere! Jetzt will die andere dran. +Hätte sie sich nicht einen anderen aussuchen können? Nun aber, da er +sie schon mit hergeführt hat, muß er auch an ihr Ritterdienste üben.</p> + +<p>Es war aber nicht <span class="gesperrt">die</span> andere, sondern <span class="gesperrt">ein</span> anderer, der im +Hofe seiner wartete. Am Brunnentroge lehnte er, und vom Küchenfenster +hinaus fiel das breite Licht auf seine Gestalt. Ein baumstarker Kerl +stand da, in der Tracht der Gebirgsholzhauer, mit wildwucherndem Bart +und tief ins Gesicht gedrücktem Hute.</p> + +<p>»Grüß dich Gott, Adlerwirt! Geh nur her! Komm nur herüber da!« Also +lockte der ruppige Geselle mit einem zarten Fistelstimmlein den Wolfram +hinter den Brunnentrog.</p> + +<p>»Wer ist's denn?« fragte der Wolfram.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span></p> + +<p>»Komm nur her zu mir!« sagte der andere.</p> + +<p>Der junge Adlerwirt erkannte in dem Manne jetzt einen Holzarbeiter aus +dem Siebenbachwalde, welcher von den Leuten der Schopper-Schub genannt +ward. Der Mann war mehrmals schon im Adlerwirtshause zu Kirchbrunn +eingekehrt, hatte sich dort aber stets in die hinterste Ecke gesetzt, +ein paar Gläschen Branntwein getrunken und dabei stier vor sich auf +den Tisch geblickt. Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren, aber +stets im Äußern so zerfahren und ungepflegt, daß es sogar den Weibern +zweifelhaft schien, ob das ein hübscher oder ein häßlicher Mann sei. +Er war nicht in der Gegend daheim, und man wußte nicht viel von ihm, +als daß er ein tüchtiger Arbeiter, sonst aber ein ungeselliger und +sonderbarer Mensch wäre. Irgend jemand wollte von seiner Vergangenheit +etwas gehört haben und deutete an, daß in derselben so etwas wie +Brandgeruch zu verspüren wäre.</p> + +<p>»Du bist ja der Holzknecht Schopper,« sagte nun der Wolfram.</p> + +<p>»Ah, kennst mich schon?«</p> + +<p>»Was willst denn von mir?«</p> + +<p>»Auf ein ganz kleines Wörtel, Adlerwirt. Da stell dich her, daß ich +auch was seh' von dir. So.« Hernach hob er seine Stimme in eine noch +weichere Tonlage und sagte: »Adlerwirt, was geht denn dich die Frieda +an?«</p> + +<p>»Welche Frieda?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span></p> + +<p>»Tu' nicht so, mein Lieber, liegt dir doch nur eine im Kopf. Wo hast +sie denn her, deine Tänzerin?«</p> + +<p>»So?! Meine Tänzerin? Wen kümmert denn die?«</p> + +<p>»Die wird schier <span class="gesperrt">mich</span> kümmern, Adlerwirt.« Dann wurde er um +einen halben Kopf höher und setzte in einer keuchenden, wie vor Wut +erstickten Stimme bei: »Wenn du mir sie nochmal anrührst, nachher —«</p> + +<p>»Nachher —? — Nun!« also jetzt der Adlerwirt und stellte sich stramm +vor den Waldgesellen hin.</p> + +<p>»— nachher siehst du keine Sonne mehr aufgehen!«</p> + +<p>Der Wolfram trat einen Schritt zurück, so daß er über den Unterbalken +des Troges stolperte. In demselben Augenblicke war der finstere Bursche +schon über ihm, in der Hand das blinkende Messer.</p> + +<p>»Stechen?!« schrie der andere, im Hause gellte die Musik, polterten die +Tanzenden.</p> + +<p>»Stechen —« sagte es der Waldmensch langsam nach und ließ den Arm +sinken. »Nein, jetzt noch nicht. Du hast es vielleicht nicht wissen +können, daß sie mein ist. Das Unband sagt's ja keinem! Aber aufgesetzt +ist sie mir! Das Grausen, das sie haben, diese Gäns', vor einem +Manne, der kein Nest hat und bei dem 's Weib selber sein Brot muß +verdienen. Na freilich, besser ist's schon, wenn das Mandel alles +zusammenschleppt, was Weib und Kind not haben — ich glaub's. Ein armer +Holzarbeiter<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> kann so was nicht leisten und desweg ist er der Niemand +bei den Weibsbildern. Aber wenn eine ins Wasserfloß stürzt und unters +Mühlrad kommt, da ist er gut genug, der Waldbär, daß er sich gegen das +Rad stemmt, ehe die Kröt' — Kreatur, will ich sagen — totgedrückt ist +— ja freilich, da ist er gut —«</p> + +<p>Der Wolfram war wieder frei geworden und so fragte er nun: »Red' +deutlich, wie stehst denn mit ihr?«</p> + +<p>»Hast es nicht gehört, im vorigen Winter? Am Faschingdienstag! Der +Salmhofer läßt seine Leute zum Freiball gehen nach Geßnitz. Die Frieda +auch mit. Ich vor sie hin, werb' um einen Tanz. Dank schön! sagt sie +und geht einem anderen nach. Sich halb zu Tod tanzen und beim Heimgehen +in der Nacht auf dem Steg schwindelig werden — und plumps in den +Mühlbach. Schwimmen kann sie wie ein toter Spatz, und schnurgerade +der Mühle zu, wo das Rad geht. Jesus, wenn ich ihr in derselbigen +Nacht nicht wäre nachgeschlichen! Gleich spring' ich in die Radlaufe, +stemm' mich an. Das Zeug steht still, und wie mein stolzes Schätzel +dahergeschwommen kommt, zieh' ich's heraus und sag': Guten Morgen! — +Nach einer langen Weile, wie sie wahrnimmt, wo und bei wem sie ist, +und wie sie fertig vom Wasserspucken, sagt sie: Dank schön! und läuft +davon. Just wie auf dem Tanzboden. Dank schön! sagt sie und läuft +davon.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span></p> + +<p>»Das ist wohl brav von dir gewesen,« versetzte jetzt der Adlerwirt.</p> + +<p>»Still sei!« knurrte der Holzhauer, »gelobt bin ich schon mehr als +genug worden, das hilft mir nichts. Die Dirn will ich haben.«</p> + +<p>»Hätte ich das gewußt,« also der Wolfram, »daß du ein Recht auf sie +hast, so wollt' ich mich nicht an sie gemacht haben. Aber das möchte +ich wissen: hat sie dich auch gern?«</p> + +<p>Jetzt zuckte der andere zusammen, tief ließ er sein Haupt sinken, +preßte das Gesicht in den Ellbogen seines Armes und hub an zu grölen.</p> + +<p>»Zur Liebe kann man niemand zwingen,« sagte der Wolfram.</p> + +<p>»Verfault! Ihre Knochen von den Würmern abgenagt, wenn ich nicht bin!« +gurgelte der Waldmensch schluchzend. »Und ihr Leben, mit dem sie jetzt +da drinnen wie eine Mairose steht, das hat sie von mir, das gehört mir! +Und wenn ich zum hohen Gericht gehe, so muß es mir zugesprochen werden.«</p> + +<p>»O du guter, armer Mensch,« sagte nun der Wolfram. »Leben und Liebe, +das wird wohl ein großer Unterschied sein. Dir ist gewiß noch die Zeit +im Kopfe, wo die Leute leibeigen gewesen sind. Wen du dazumal gekauft +oder gewonnen hast oder auf der Straße gefunden oder im Mühlbach, +der ist dein gewesen mit Seel' und Leib. Das ist anders geworden. +Eine Dienstmagd hat freilich auch ihren Herrn; wenn ihr wer das Leben +rettet, so soll sie<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> dankbar sein, aber ihr Herz kann sie verschenken, +an wen sie will.«</p> + +<p>»Nachher ist's aus,« sagte der Schopper-Schub.</p> + +<p>»Hast sie denn gar so gern, Holzknecht?«</p> + +<p>»Sündhaft gern. Und schon lang her. Und gerade die! Und just die! Als +ob ich besessen wär'! Zu Wallischdorf draußen habe ich einen Vetter, +der hat mir vor einem Jahre sein Bauerngut wollen in Pacht geben, es +wär' mir besser gangen, als wie da oben im Siebenbachwald. — Ich habe +nicht fort können — ihretwegen nicht. Alle Sonntage gehe ich hinaus in +die Geßnitzer Kirche und stehe hinter dem Turmpfeiler und schau' hin +auf den Platz unter der Kanzel, wo sie sitzt. Und geh' dann wieder in +den Wald zurück. — Wenn ich wüßt', wer mir diese Lieb' hat angetan!« +Er knirschte mit den Zähnen, als wollte er einen Missetäter zermalmen.</p> + +<p>Eine Magd, die mit dem Wasserzuber zum Brunnen kam, unterbrach dieses +Gespräch. Der Schopper-Schub packte den jungen Adlerwirt am Arm und +raunte ihm zu: »Hüte dich!« dann schritt er rasch über den dunklen Hof +dahin.</p> + +<p>Als der Wolfram in einer recht wunderlichen Stimmung zurück ins Haus +kam, hörte er von mehreren Seiten zugleich, daß die Salmhofertochter +von Geßnitz da sei! — Die Salmhofertochter! da horchte der junge +Adlerwirt einmal auf. Und die Erregung im Wirtshaus war keine geringe. +Das ist schon eine besondere Auszeichnung des Freiballes<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> beim +Schwambachwirt, daß ihn die Salmhofertochter besucht. Die Fürnehmste +in der ganzen Gegend, die von den Burschen heimlich Begehrte und +doch nur wenig Umworbene, weil sie stolz und unnahbar. Ist sie mit +ihrem Vater da? oder mit einer Gesellschaft von Geßnitzer Bürgern und +Bürgerinnen? oder gar mit einem Bräutigam, der sie heute das erste +Mal als Braut aufzeigt! Das alles nicht! Ganz allein soll sie sitzen +d'rin im Extrazimmer, nur die Schwambachwirtin bei ihr, welche ihr +Gesellschaft leisten zu müssen glaubt, trotzdem sie draußen in der +Küche alle Hände voll Arbeit hätte. Will denn niemand ins Stübel, die +Salmhofertochter zu unterhalten? — Dachte der Wolfram: Kennen lernen +möchte ich sie doch, dieselbige, von der es immer heißt, sie wäre die +richtige Adlerwirtin. Was kann mir geschehen, wenn ich sie zu einem +Tanz auffordere? Weist sie mich ab, so drehe ich mich vor ihrer Nase +mit einer anderen um und um.</p> + +<p>Wie nun aber der Wolfram ins Extrazimmer trat, sah er am weißgedeckten, +mit feinem Backwerk besetzten Tische neben der dicken Wirtin das +schwarzbraune Mädel sitzen, welches er mit der anderen, der Frieda, in +seinem Wagen kecklich dem Walde entführt und nach Schwambach gebracht +hatte. Und das — das wäre die Salmhofertochter, die stolze Kundel?</p> + +<p>Er brauchte sich nicht erst nach einer Ansprache zu besinnen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span></p> + +<p>»Da ist er ja, der tapfere Ritter,« so redete sie ihn schier ernsthaft +und gelassen an. »Schön ist es nicht vom Adlerwirt, daß er sich um die +zweite Entführte gar nicht mehr umsehen will, bevor er die erste zu +Tode getanzt.«</p> + +<p>Der Wolfram stammelte eine Entschuldigung. Die Kundel sah recht gut +ein, daß es das beste sei, das Abenteuer, welches ihr nun gar nicht +geheuer schien, ins Scherzhafte zu ziehen. Sie rückte daher ein wenig +auf der Bank und sagte: »Setzen Sie sich nur willig her zu mir, es +wird Ihnen nichts mehr anderes übrig bleiben. Sie zahlen mir jetzt ein +feines Nachtmahl, tanzen einen mit mir und führen mich dann wieder nach +Hause.«</p> + +<p>Das war alles so ernsthaft und kühl gesprochen, als ob sie zu einem +Diener redete. Er setzte sich hin neben sie und tat, wie sie befohlen +hatte. Alsogleich ward es im ganzen Hause kund: der schwarze Adler von +Kirchbrunn und die Salmhofertochter von Geßnitz sitzen beieinander, +essen und trinken miteinander wie ein Brautpaar. Und als die beiden +gar Arm in Arm auf den Tanzboden traten, da wichen die Leute nur so in +Staunen und Ehrfurcht zurück, daß das schöne junge Paar fast allein +den Reigen tanzte im Saale. In der Ecke hinter dem Stiegenverschlag +stand die Frieda, ein großer Schreck hatte ihr Antlitz blaß gemacht. +— Er ist verspielt! so konnte sie noch denken, meine Haustochter hat +ihn, da ist er verspielt für die arme Magd. Ist das ein<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> Tag, dieser +heutige Sonntag! — Wie das Paar in der Nähe vorüberreigte, trafen sich +die Blicke des Wolfram und der Frieda. In diesem Augenblick war ihm, +er tanze mit einem Stück Holz. Fast plötzlich, bevor der Tanz aus war, +ließ er die Kundel los und machte vor ihr eine höfliche Verbeugung.</p> + +<p>Es half ihm aber nichts, er hatte für den Abend ihr Ritter zu sein und +war recht froh, als die Kundel den Wunsch aussprach, nach Hause zu +fahren. Endlich saßen die beiden Mädchen wieder im geschlossenen Wagen +und der Wolfram auf dem Kutschbock.</p> + +<p>Als sie aus dem Hoftor des Schwambacher Wirtshauses fuhren, noch zum +Abschiede mit hellem Musikklang begrüßt, sah der Wolfram, wie hinter +dem Pfosten sich der Waldmensch duckte — dann ging es fort, hinaus in +Nacht und Nebel.</p> + +<p>Die beiden Mädchen im Wagen führten nicht die angelegentliche +Unterhaltung miteinander, wie auf der Herfahrt. Die Kundel war mürrisch +und breitete sich so sehr aus, daß die andere völlig in die Ecke +gedrückt wurde. Wohl auch die Frieda war nicht aufgelegt zum Sprechen, +sie hatte zu denken genug und zu tun genug, ihre Gedanken nicht zu +verraten. Wie erschrocken war sie daher, als die Haustochter mit einem +Male den Mund auftat: »Eine wahre Schand' ist's, wie du dich heute +aufgeführt hast!«</p> + +<p>Es hatte schon den Anschein, als wollte die Magd nichts entgegnen, +endlich sagte sie aber doch: »Kann ich etwas dafür, daß er zuerst mit +mir gegangen ist?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p> + +<p>»Du hast dich ihm ja angeklettet! Männersüchtige Rassel, du!«</p> + +<p>Nun sagte die Frieda nichts mehr.</p> + +<p>»Ich werd' mir's merken,« setzte die Kundel noch bei, und damit war das +Gespräch zu Ende.</p> + +<p>Der Kutscher Wolfram sah träumerisch auf die Bäume, Büsche und +Wegplanken hin, die im Scheine der Wagenlaternen gespenstisch +auftauchten und verschwanden. Die Laternenlichter warfen im dichten +Nebel eine Art Heiligenschein um die Kutsche. — Ein sauberer +Heiligenschein, das! dachte der Wolfram; wenn ich heute nicht sündige, +so geschieht's einzig nur, weil die Gelegenheit dazu fehlt. Jetzt kann +ich in der ödweiligen Nacht den langen Weg dahinradeln und nachher +wieder zurück. Ein hübsches Vergnügen. Bis ich nach Kirchbrunn komme, +stehen schon die Leute auf. Das hat man von seinem Übermut. Sonst +nichts. — Hia! den Braunen wird's auch schon zu dumm.</p> + +<p>Endlich waren sie auf dem Marktplatz zu Geßnitz. Der Wolfram wollte +halten, aber die Kundel rief zum Wagenschlag heraus: »Vorwärts! Zum +Salmhof hinauf!«</p> + +<p>Und nach einer weiteren Weile hielten sie vor dem großen Hofe, der +mit seinen weitläufigen Gebäuden wie leblos dalag. Nur ein gewaltiger +Hund reckte sich mitten im Hofe und der knurrte ein wenig, schien ihm +aber nicht der Mühe wert, sich weiter um das herangerollte Gefährte zu +bekümmern.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span></p> + +<p>Die Kundel wartete im Wagen, bis der junge Adlerwirt abgestiegen war +und ihr den Arm zum Aussteigen bot.</p> + +<p>»Und was wird jetzt mein Vater sagen?« fragte das Mädchen. »Wenn ich +ihm nicht gleich nach der Ankunft in Schwambach einen Boten geschickt +hätte, daß er weiß, wo ich bin — Sie hätten seiner Angst nicht +geachtet.«</p> + +<p>Jauchzen wollte der junge Mann über dieses Wort, es war ein Herzenswort +gewesen, das erste, welches er von ihr gehört. Ein gutes Kind kann wohl +auch ein gutes Weib sein ... Ei ja, mein Vater kann doch recht haben! +Wer die einmal heimführt!</p> + +<p>»Anläuten, geh'!« hastete die Kundel der Jungmagd zu, die schier +kopflos dagestanden; und während diese nun an die Haustür eilte und den +Glockenstrang zog, flüsterte die Salmhofertochter zum Wolfram: »Seien +Sie schön bedankt, kühner Ritter! Aber wie böse ich auf Sie bin, das +sollen Sie noch erfahren. Warten Sie nur! Schnell hinweg! Gute Nacht!«</p> + +<p>Diesen raschen Abschied erklärte der Adlerwirt sich so, als sollten die +Hausbewohner das nächtliche Gefährte nicht wahrnehmen; das war aber ein +wenig anders, die Haustochter wollte es verhindern, daß er der Jungmagd +gute Nacht sagen konnte. Und den Wolfram wurmte es richtig den ganzen +Weg heimwärts, daß er ohne einen Händedruck, ohne ein einziges gutes +Wort von Frieda hatte scheiden müssen.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_10"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span></p> + +<h3> 3. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Jetzt würde männiglich raten, daß am anderen Tage der alte Adlerwirt +zu Kirchbrunn seinem Sohne ein arges Wetter gemacht hätte. Anstatt am +Sonntagnachmittage, war der Wolfram mit den Rössern am Montag früh nach +Hause gekommen!</p> + +<p>Männiglich hätte aber schlecht geraten. Als am Montag nach zwölf Uhr +mittags der Wolfram erwacht war und die Küchenmagd ihm den Kaffee +ans Bett brachte, kam auch der alte Adlerwirt herein, er brachte +das Semmelkörbchen, schaute schmunzelnd auf den Burschen hin, der +kerzengerade ausgestreckt da lag und gähnend sich noch ein Weiteres +streckte.</p> + +<p>»Geschlafen hast nicht schlecht,« sagte der Wirt.</p> + +<p>Jetzt kommt's, dachte der Wolfram, und er hat ganz recht, ich verdiene +schon eine Portion.</p> + +<p>Aber es kam nicht.</p> + +<p>»Trink' ihn, so lange er noch heiß ist,« riet der Alte, auf die +Kaffeetasse deutend, »was Warmes tut immer gut nach einer solchen +Nacht.«</p> + +<p>Der Wolfram richtete sich, auf den Ellbogen gestützt, halb empor; der +Hemdkragen war abzubinden vergessen worden, er lag noch um den Hals; +durch die Spalte des weißen Hemdes sah man einen Teil der nackten +Brust; das Gesicht des jungen Mannes war ein wenig blässer als sonst, +also daß der junge Bart um so dunkler schattete. Die wirren, feuchten<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> +Haare hingen in braunen Tatzen und Ringen über die Stirn herab. Der +Wirt schaute nicht ohne Wohlgefallen auf seinen Sohn. So ein hübscher +Junge ist auch ein Kapital. Nur muß man ihn versilbern oder vergolden +lassen. Sind ja auch in der Kirche die größten Heiligen vergoldet.</p> + +<p>»Trau' einer noch einmal so einem Duckmäuser!« sprach nun der alte +Wirt mit schwerem Wiegen des Hauptes und im Tone des Vorwurfes. »Wo +unsereiner erst hindenkt, ist der schon gewesen. — Aber,« fuhr er +fort, »lachen habe ich auch müssen gestern abends. Wie der Weidknecht +heimkommt, sag' ich: Wo denn heute der Wolfram stecken mag mit den +Pferden! Daß ihm am Ende kein Malheur passiert ist! — Oh, gibt +der Weidknecht Antwort, dem jungen Herrn fehlt nichts, der sitzt +draußen beim Schwambachwirt im Extrastübel und tut mit der jungen +Salmhofertochter aus Geßnitz Nachtmahl essen. Wär nicht schlecht! sage +ich. Ja freilich nicht, meint der Knecht und erzählt mir die ganze +Geschichte, wie du sie mit dem Wagen zum Tanz geholt hättest. Teufel! +denk' ich, der geht's scharf an! Der kennt sich aus. Je schwerer man +an eine herankann, desto kecker muß man sie anpacken. — Jetzt hast +gewonnen, Wolf, und ich kann dir's nicht sagen, wie mich das freut. +Wirst sehen, jetzt stehst auf einmal ganz anders da. Neider wirst genug +haben, ich glaub's! Und nun, Wolf, kann ich dir's wohl sagen: wir +brauchen eine reiche Heirat so notwendig wie<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> der Fisch den Schluck +Wasser. Seit die neue Eisenbahn drüben geht, steht's nicht gut mit +uns Wirtsleuten auf der Kirchbrunnerstraße. Zu harter Not, daß es mir +bisher gelungen ist, unser Ansehen aufrecht zu halten, lange wär' das +nicht mehr möglich gewesen. Wir stecken tief in der Schlamaß, mein +Bub', wir stecken tief!«</p> + +<p>Der Wolfram war von dieser Mitteilung nicht gerade erbaut, er sagte +aber nichts darauf, sondern war von diesem bitteren Augenblicke an +entschlossen, das Abenteuer mit der Salmhoferischen ernsthafter +aufzufassen, als er es bisher getan.</p> + +<p>»Schau nur dazu, Wolf, daß Ihr bald Hochzeit macht!« mahnte der Alte +noch. »Ist gut, daß dem Professor sein Zimmer leer geworden, das lassen +wir jetzt gleich herrichten. Wird Euch eh am liebsten sein, ist hübsch +groß und ruhig.«</p> + +<p>»Ja ja!« sagte der Wolfram ziemlich barsch, um dieses Gespräch +abzubrechen, welches ihm durchaus nicht heimlich war. Er sah sein +Verhältnis zur Salmhofertochter lange nicht so rosig als sein Vater, +und wenn etwas Rosiges für ihn dabei war, so konnte es nur das blühende +Gesichtlein der — anderen sein.</p> + +<p>Auf gar keinen Fall war es zu leugnen, daß Wolframs Sinn nach dem +Salmhofe in Geßnitz stand. Und es ereignete sich auch, daß er nun +häufig nach Geßnitz fuhr, immer in Geschäften, wie es hieß. Einige +Wochen vergingen so, da hatte der<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> alte Adlerwirt die feinste +Brautwerberfahrt veranstaltet.</p> + +<p>Rollte eines Tages das sorgfältig aufgewichste Gefährte die Straße +entlang gegen Geßnitz. Auf dem Bock saß heute der Pferdeknecht, aber +hübsch mit flatterndem Hutbande. Im Wagen saßen der alte Adlerwirt +und sein Schwager, der Herr Amtskontrollor aus der Kreisstadt. Beide +im schwarzen Anzuge, mit Seidenhut und bunten Halsmaschen. Dem +Adlerwirt war besonders in den weißen, stramm um die fleischigen Finger +gespannten Handschuhen höchst unbehaglich, er war nicht imstande, den +einfachsten Handgriff zu tun, selbst den Überrock mußte — als es gegen +Geßnitz hin schwüler wurde — der Herr Schwager ihm aufknöpfen, und als +sie zur Wegmauth kamen, fanden die eingepferchten Finger in den Taschen +kein Geldschnäppchen, so daß wieder der Schwager aushelfen mußte. +Trotzdem war der Adlerwirt guten Mutes und hieb dem Genossen ein- +ums anderemal die breite Hand auf den Oberschenkel: »Na, was meinst, +Schwager, wirst stecken bleiben bei der Anrede?«</p> + +<p>»Du wirst dir noch die Hundeledernen zersprengen!« mahnte der Schwager +fürsorglich.</p> + +<p>Der Amtskontrollor war ein dürres Herrchen, dem auch die Kampflust, +das heißt die Brautwerbelust aus den Augen blitzte. Der Adlerwirt +hatte ihn eigens für diesen Zweck aus der Kreisstadt verschrieben. +Es fährt sich doch ganz anders auf mit<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> einer Autorität aus der +Stadt, die Schick kennt und Vornehmheit hat. Das Amt, in welchem der +Herr Schwager saß, oder vielmehr auf und ab sprang, bestand in einer +Fahrkartenkontrollorstelle auf der Pferdeeisenbahn.</p> + +<p>Nun also, im Bewußtsein voller Ehrenhaftigkeit fuhren sie den Hügel +hinan gegen den Salmhof. Da fielen ihnen die zahlreichen armen +Kinder auf, die — obzwar schon zur Allerheiligenzeit — barfuß und +in schlechten Gewändlein den Weg hin und her liefen. Durch das weit +offenstehende Tor rollte der Wagen so rasch in den Hof, daß es mit +einem der Kleinen schier ein Unglück gegeben hätte. Alsogleich stand +auch der dienstbare Bursche da, der die beiden Pferde in Obhut nahm, +während die beiden Herren sich an einen Mann wandten, um so gleichsam +wie im Vorübergehen ein wenig die Wirtschaft begucken zu können. Der +Angesprochene führte sie bereitwilligst durch verschiedene Gebäude, und +überall war es erstaunlich. Dieser Wohlstand, dieser Überfluß in allem. +Die Haustiere in schönsten Rassen, die Vorräte an Feldfrüchten, an Heu, +an Werkzeug, an Wagen und Schlitten, an Häuten, Pelzwerk und Wolle, an +Edelholz, kurz an allerlei, woran die meisten Leute gar nicht denken, +geschweige es besitzen.</p> + +<p>Nach einem solchen Rundgang im Hofe kamen sie zum Eingange in das +stattliche Wohnhaus; das Untergeschoß desselben war gemauert und +weiß<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> übertüncht, der obere Stock aus Holz gezimmert. Es hatte viele +Fenster, die größer waren als solche bei anderen Bauernhöfen und mit +zierlichen Holztäfelungen ausgeschlagen. Auch an den Dachvorsprüngen +waren Holzschnitzereien, das Dach selbst war aus Schindeln, und über +demselben ragten mehrere weiß übertünchte Schornsteine empor. Neben der +Haustür an der Wand hing eine schwarze Tafel, auf welcher Kundmachungen +klebten, denn der Salmhofer war Vorstand der Landgemeinde Geßnitz, die +sich einen eigenen »Bürgermeister« wählte, seitdem der Ort Geßnitz +selbst eine Marktgemeinde geworden war. Als die beiden Gemeinden sich +trennten, wollte jede den Salmhof für sich haben, der lag so gut +bürgerlich als bäuerlich, allein der Salmhofer mochte gedacht haben: +lieber der erste Bauer, denn der letzte Bürger, und hatte sich zur +Landgemeinde geschlagen, was ihm seine Nachbarn gar nicht hoch genug +anrechnen konnten.</p> + +<p>An der offenen Haustüre war in der unteren Weite ein zierliches +Holztörchen, wie solche an vielen Bauernhöfen üblich sind und dazu +dienen, daß vom Hofe das Kleinvieh nicht ins Haus laufen kann. An +diesem Türchen grunzten heute aber weder Schweine, noch meckerten +Lämmer oder Ziegen, es war umdrängt von armen Kindern, dreijährigen bis +etwa zwölfjährigen, die ihre Händchen aufhoben und mit hellen Stimmen +schrieen: »Bitt' gar schön um ein Allerheiligenbrot!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span></p> + +<p>Und hinter dem Törchen stand ein feines, etwas blasses, ernsthaftes +Mädchen in dunkelblauem, fast städtisch geschnittenem Anzug, am Halse +ein weißes Kräglein, wie es Männer tragen. Dieses Mädchen nahm aus +einem großen Korbe, der neben ihm stand, geschnittene Brotstücke und +verteilte sie an die Kinder. Die vorne standen, denen gab sie es in +die Hand, den hinteren, vergeblich nach vorne drängenden warf sie +die Stücke über den Köpfen zu und kümmerte sich nicht weiter um das +Gebalge, welches darüber entstand.</p> + +<p>»Da ist sie!« flüsterte der alte Adlerwirt dem Herrn Amtskontrollor zu, +und sie zogen ehrerbietig vor ihr die hohen Hüte. Das Mädchen dankte +dem Gruße mit einem fast unmerklichen Neigen des Hauptes, scheuchte mit +einer lebhaften Handbewegung die Kinder auseinander, und unsere beiden +Männer traten in das Haus.</p> + +<p>Nach den »Herren Eltern« erkundigten sie sich bei der Kundel. »Bitte +nur die Treppe hinauf, Mutter wird in der Küche sein!« Also in +höflichem, aber entschiedenem Tone der Bescheid. Der Adlerwirt nickte +dem Genossen vielsagend zu. Der Kundel war ihr erheuchelter Gleichmut +ganz ausgezeichnet gelungen, nun aber huschte sie rasch unter die +Stiege hin und spähte nach. Es schwante ihr etwas, als gehe dieser +Besuch sie an. Für das Austeilen des Allerheiligenbrotes war nun alle +Neigung dahin, sie stellte den Kindern den Korb mit dem<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> Reste der +Brote vor die Tür und schlich die Treppe hinan.</p> + +<p>In der Küche waren zwei Weiber, welche mit langen Messern die +Kohlkopfstengel zerschnitten und die Scheibchen in einen Kessel warfen. +Beide waren wie Mägde angezogen, nur daß die ältere, eine magere und +fast kümmerlich aussehende Person, ein weißes breites Schürzenband +hatte, an welchem ein Schlüsselbund hing.</p> + +<p>»Können wir mit der Frau Salmhoferin reden?« sprach diese der alte +Adlerwirt auf gut Glück an.</p> + +<p>»Was wird's denn sein?« fragte das Weib in fast schüchterner Weise +entgegen und wischte ihre Hände an der Schürze ab.</p> + +<p>»Wir sind von Kirchbrunn,« sagte nun der Herr Kontrollor, »und kommen +in einer wichtigen Angelegenheit, wie sich's schon manchmal so fügt auf +dieser Welt.«</p> + +<p>»Dann müssen Sie schon zu meinem Manne gehen. Ich weiß nichts,« so +antwortete die Salmhoferin, wies sie über den Gang bis zur letzten Türe +links und ging wieder an die Bereitung des Schweinefutters.</p> + +<p>Bei der letzten Türe links klopften die Männer höflich an. Drinnen +hustete jemand. Nach einem Weilchen klopften sie zum zweiten Male, und +drinnen hustete es zum zweiten Male. Nach dem dritten Klopfen schnarrte +es im Zimmer: »Zum Satan, ja hab' ich gesagt!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span></p> + +<p>Es war barsch, doch der Adlerwirt hielt das Ja im Vorhinein für ein +gutes Zeichen. Sie traten ein.</p> + +<p>Es war eine schmale, längliche Stube mit zwei Fenstern und einem großen +Kachelofen. Zwischen den Fenstern stand eine lange Lehnbank und daneben +ein braunangestrichener Tisch. Auf der Lehnbank lag ein alter Mann, der +nur mit Socken, einem schwarzen Beinkleide und einem grauen, locker um +Brust und Arme flatternden Wollenhemde bekleidet war. Der Mann hatte +auf dem Haupte fast kein Haar, hingegen einen üppigen, schneeweißen +Bart. Das Gesicht war gerötet und hatte eine lange, wulstige Nase. +Auf dem Schoß hatte der Mann ein weißes Kätzchen, das er fortwährend +streichelte und mit Brotkrümchen fütterte. Auf dem Tische lag ein +blaues, zusammengeknülltes Sacktuch, ein paar Brillen und ein Pack mit +Schriften. Daneben stand ein grünglasierter Krug, aus welchem er häufig +einen Schluck nahm.</p> + +<p>Dieser Mann war der Salmhofer. Der alte Adlerwirt verleugnete seine +Befangenheit und grüßte ihn wie einen Bekannten, denn der Salmhofer war +ja oftmals eingekehrt bei ihm in Kirchbrunn.</p> + +<p>»Au!« sagte der Alte und richtete sich ein klein wenig auf. »Das ist +seltsam. Was seid Ihr denn so närrisch aufgestiefelt?«</p> + +<p>Da stellte sich der Herr Kontrollor vor und begann so zu reden: +»Hochachtbarer Herr! Die Schicksale der Menschen sind mannigfach und +unerforschlich.<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> Sie hätten wohl auch nie gedacht, daß wir einmal an +Ihres Hauses Schwelle stehen würden, und zwar in einer Angelegenheit, +die — in einer Angelegenheit, welche —« Da stak er.</p> + +<p>»Was wollt's denn?« fuhr der Salmhofer mit seiner breiten, röchelnden +Stimme drein.</p> + +<p>»Daß wir an Ihres Hauses Schwelle stehen werden, und zwar in einer +Angelegenheit, die —« Trotz des neuen Anrandes konnte er noch nicht +weiter. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.</p> + +<p>»Still sei, Mistvieh!« sagte der Salmhofer zum Kätzchen, welches +miaute, und gab ihm mit dem Finger einen zärtlichen Klapps.</p> + +<p>»Bitt' Euch, macht's keine Faxen!« hierauf zu den Ankömmlingen, +»kann mir's ja eh denken. Meiner Tochter die Fahrgelegenheit zum +Schwambachwirt soll ich zahlen. Was kostet sie denn?«</p> + +<p>Jetzt lachten die beiden und meinten, nun wären sie schon bei der +Stange. »Billig fahre der junge Adlerwirt nicht bei Nacht und Nebel, +leicht koste es den Passagier selber.«</p> + +<p>Der Salmhofer hob von der Katze die Hand und machte damit einen Schlag +in die leere Luft. War das die Antwort? War das nicht gerade, als ob er +sagen wollte: Fort mit Schaden?</p> + +<p>»Dafür stehe ich gut,« sprach nun der alte Adlerwirt, »einen braven +Mann bekommt sie. Und lieb haben sich die jungen Leut' wie Tauben.«</p> + +<p>Der Salmhofer tat aus dem Kruge einen langen<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> Schluck, und auf seinem +Barte noch die Tropfen, schnarrte er: »Mein Geld willst, Adlerwirt!«</p> + +<p>»Aber! Aber!« rief der Adlerwirt. »Wer denkt denn an so was! Geld macht +nicht glücklich, sage ich alleweil. Daß sie zusammenpassen, ist die +Hauptsache. Das andere wird sich alles geben.«</p> + +<p>»Losgehen kann's, wann's will,« sagte der Salmhofer und trank wieder. +Während er trank, sprang das Kätzchen auf den Fußboden hinab; da fuhr +der Alte empor, fing es ein und setzte es wieder sachte auf seinen +Schoß.</p> + +<p>»Nachher könnten wir vielleicht jetzt mit der Kundel reden?« meinte der +Adlerwirt.</p> + +<p>»Weiß schon, weiß schon,« wehrte der Salmhofer ab. »Das Mädel ist ja +schon ganz dumm vor lauter Verliebtheit. — Da bleibst, Vieherl.«</p> + +<p>Den beiden Männern kam es schier vor, der Alte sei nicht recht bei +Trost. Der grüne Krug! Auf jeden Fall reichte der Adlerwirt ihm nun die +Hand und sagte in feierlicher Stimmung: »Also abgemacht, Schwieger! +Bruder! Gott segne unsere Kinder!«</p> + +<p>»Ist schon recht, ist schon gut!« murmelte der Alte, und seine +Handbewegung deutete an, sie könnten wieder gehen.</p> + +<p>»Er hat zwar einen martialischen Rausch,« sagte der Herr Kontrollor +vor der Tür, »aber richtig ist's. Er hat mehr gestanden, als er im +nüchternen Zustande beigegeben hätte, und das kann uns recht sein.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span></p> + +<p>Auf der Hausflur begegneten sie der Kundel. Der alte Adlerwirt hielt +ihr die Hand hin und sagte weichmütig: »Jetzt mache ich nicht viel +Umstände mehr, Töchterl, ich darf wohl einen Gruß ausrichten beim +jungen Adlerwirt zu Kirchbrunn?«</p> + +<p>»Bitt' schön,« antwortete das Mädchen und senkte das Aug'.</p> + +<p>»Und wann darf die Hochzeit sein?« fragte kühnlich der Herr Kontrollor.</p> + +<p>»Je eher, desto besser,« antwortete das Mädchen. Da wußten die +Brautwerber einstweilen genug.</p><br> + + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_11"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h3>4. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Der Winter war mit viel Schnee gekommen. Das wirtschaftliche Leben des +Dorfes nahm eine neue Gestalt an, vom Walde wurden auf Schlarpfen<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a> +große Reisigfuhren gezogen, aus den Berggräben mächtige Holzblöcke +geschleift, von den Teichen her schwere Eisladungen geführt. Wer einen +Bau vorhatte im nächsten Jahre, der zog jetzt Zimmerholz und Steine +zusammen; der Schnee — von welchem nicht Unterrichtete glauben, daß +er die Wege versperre — hatte die Bahnen geschaffen, auf welchen die +schwersten Lasten leicht weiter befördert werden konnten. Die Straße +entlang schellte manch leichtes Schlittenzeug lustig fürbaß und hielt +wohl mit seinen <span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span>Insassen an in Kirchbrunn beim Adlerwirt auf ein Glas +Wein. Seit es laut geworden, daß die einzige Tochter des Großbauern +zu Geßnitz bald einfahren werde in das Adlerwirtshaus, war dieses +den Leuten neuerdings anziehend geworden. Einzig nur das Weibervolk +betrachtete nun dieses Haus nicht mehr ganz mit den wohlwollenden Augen +als ehedem, aber das verdirbt nicht viel; Weibsbilder, meinte der alte +Wirt, sind ohnehin nicht die besten Gäste.</p> + +<div class="footnote"> + +<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Aus zwei Baumstämmen gebaute Waldschlitten.</p> + +</div> + +<p>Um diese Zeit kehrte eines Tages der Schopper-Schub ein im +Adlerwirtshause. Er hatte immer denselben verwilderten Bart, der nie +geschnitten wurde und der auch nicht eigentlich in die Länge wuchs, +sondern mehr Neigung hatte, sich zu kräuseln und zu filzen, was dem +Waldmenschen auch recht war. Mit dem Haupthaar stand es wahrscheinlich +auch ähnlich, man sah es aber nie, weil der Mann den Hut immer auf +hatte und die schweren schwammigen Krempen zu allen Seiten tief +herabhingen. Das mattbraune Lodengewand hatte einige Flicken, doch +sah man es an ihrer Ungefügigkeit, daß sie nicht von schlichtender +Weibeshand herrührten. Eben fast so unbehilflich war der Verband, den +er am linken Arme trug. Daß der Schopper mitten in der Woche Feiertag +hatte, kam daher, weil er sich mit der Holzaxt unversehens die Hand +gespalten hatte. Weiter war es nichts. Ein Kamerad hatte ihm ein +Harzpflaster gemacht und den Verband angelegt;<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> somit ist die Sache in +Ordnung, nur daß der Mann einstweilen nicht arbeiten kann.</p> + +<p>Also saß der Holzknecht da am dämmerigen Winkeltisch und trank etliche +Gläschen Branntwein.</p> + +<p>»Wo ist denn der Jungherr?« fragte er auf einmal kurz und scharf.</p> + +<p>»Wo wird er denn sein!« antwortete der alte Adlerwirt, »in Geßnitz wird +er sein. — Hast was mit ihm?«</p> + +<p>»Will selber mit ihm reden,« sagte der Schopper. »Ich kann ihm ja +nachgehen. Hab' eh Zeit dazu. Was macht's!«</p> + +<p>»Dreimal drei macht neun,« rechnete der Wirt die drei Gläschen +zusammen. »Bekommst von zehn einen Kreuzer heraus.«</p> + +<p>»Schenkt ihn einem Bettler,« sagte der Schopper. Da lugte der Wirt +einmal. — Seit wann geben denn die Herren vom Siebenbachwald +Trinkgeld? Wahrscheinlich, seit sie sich selber die Knochen +entzweihauen.</p> + +<p>»— Soll einmal ein Vaterunser dafür beten,« setzte der Holzknecht bei, +während er sich rasch von der Bank erhob und, den Stock fest auf den +Boden stoßend, davoneilte.</p> + +<p>»Für einen Kreuzer ein Vaterunser,« murmelte der Wirt, die kleine +Münze in der hohlen Hand schüttelnd, »viel Andacht wird man da nicht +verlangen können.«</p> + +<p>Der Schopper-Schub wanderte die Straße entlang<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> gegen Geßnitz. Der Weg +war wohl für den Schlitten eingerichtet, aber nicht für ungelenkige +Füße. Das glitt immer nach rechts oder nach links und brachte den Mann +in Gefahr, auf seine wunde Hand zu fallen. Trotzdem setzte er seinen +Stock fest ein und kam vorwärts. Er sann unterwegs, wie er es machen +werde auf dem Salmhof. Das waren ja zwei triftige Gründe, wesweg er +jetzt hinausging. Ein fast leidenschaftliches Dankgefühl hatte ihn +vom Siebenbachwald herausgetrieben. Der in sein enges Wesen zutiefst +eingesponnene und doch vielleicht gelegentlich einer Selbstentäußerung +fähige Waldmensch glaubte, daß der junge Adlerwirt rein ihm zuliebe von +der Frieda abgestanden sei und, damit aller Zwiespalt aufhöre, rasch +die andere heiraten wolle; denn es war ihm nicht möglich zu denken, +daß unter allen jungen Weibern der Welt nicht die Jungmagd Frieda die +Begehrenswerteste sein sollte! — Adlerwirt! wollte er sagen und ihn um +den Hals packen, für mein Lebtag bin ich dein Knecht! Wenn du einmal +in Not solltest sein, so rufe mich! Du bist mein treuester Freund auf +der Welt! Du hättest das Mädel haben können und hast es mir überlassen, +hast dich einer Fremden angeschmiedet, die dir gleichgültig ist, +höllisch gleichgültig. Gott geb's, daß sie dich recht lieb hat! Und +wenn du einmal wen brauchen solltest, Wolfram, der für dich lebt und +stirbt, so laß mich holen! — Also wollte der Schopper zu ihm sprechen, +daß seinem heißen, in Zorn wie<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> in Freude überschwänglichen Herzen +Genüge getan werde. Dann wollte er aber auch ernstlich an die andere +herantreten und am heutigen Tage die Sache endgültig machen. — Hopp! +jetzt lag er im Schnee.</p> + +<p>Wenn es so fortgeht auf der Rutsche, so wird das mühsam bis Geßnitz. +Ein feines Schellen hörte er hinter sich. Mit flinkem Rößlein jagte und +auf leichtem Schlitten saß der Groß-Grübinger von Kirchbrunn, er fuhr +auch gegen Geßnitz. Ei, dachte der Holzknecht, dem ist's ein leichtes, +daß er mich mitnimmt. Als der Schlitten vorüberschliff, rückte der +Schopper manierlich den Hut, aber der Grübinger tat nichts desgleichen.</p> + +<p>»He!« rief nun der Holzknecht dem Gefährte nach, zog sein blaues +Sacktuch aus der Tasche und hielt es hoch in die Luft, »he, Vetter! +Vetter Grübinger!«</p> + +<p>Der Bauer hielt an: »Was ist denn?«</p> + +<p>»Ihr habt Euer Sacktuch verloren!« rief der Holzknecht. Die List +gelang; während der Bauer seine Taschen durchsuchte, kam der Schopper +zum Schlitten heran und legte seine Hand schon an das Joch.</p> + +<p>»Mir gehört er nicht, der Fetzen!« brummte der Bauer und wollte es +wieder vorwärts gehen lassen.</p> + +<p>»Nachher muß er wem anderen gehören,« meinte der Holzknecht und steckte +das Tüchel in seinen Sack. »Aber gelt, Vetter Grübinger, Ihr seid so +gut und habt nichts dagegen, wenn ich mich da hinten auf die Kurve +stelle. Ich will nach Geßnitz<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> und es geht so kläglich auf den Füßen. +Euer braver Rappen —«</p> + +<p>»Kunnt mir einfallen!« lachte der Bauer grell auf, »Hia!« Und der +Schlitten glitt rasch dahin, kaum hatte der Schopper Zeit, das Joch +auszulassen; sich an dasselbe haltend, stolperte er eine Weile hinten +drein, bis der Bauer ihm mit dem Peitschenstock eins auf die Finger +gab. Da ließ er los und stand wieder allein mitten in Schnee und Nebel.</p> + +<p>»Die Leute sind hart,« murmelte er vor sich hin; um so weicher ist der +Schnee, in welchen er seine Fersen wieder kräftig einsetzte. Es ging +langsam fürbaß.</p> + +<p>Als er nach Stunden durch den Markt Geßnitz schritt, war es finster, +was sich gar nicht übel traf. Schon einmal hatte ihn hier der Gendarm +festgenommen, obschon auch bald wieder losgelassen, nachdem es sich +herausgestellt, daß hinter der verwilderten Hülle ein gewöhnlicher +Holzknecht steckte. — Auf dem Turme läutete die Abendglocke. Er zog +seinen Hut vom Kopfe und betete: »Der Engel des Herrn brachte Maria +die Botschaft ...« Der junge Adlerwirt war ihm nicht begegnet, also +mußte er wohl noch im Salmhofe sein. Der Schopper ging den Hügel +hinan, aber nicht nach dem breiten Fahrweg, sondern hinterwärts auf +dem Rainsteige. Den Wirtschaftsgebäuden trachtete er zu, er wußte wohl +die Futterkammer, in welcher die Jungmagd um diese Zeit ihre Arbeit zu +verrichten pflegte. —<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> »Heut' nimm dich zusammen, Schopper-Schub,« so +ermahnte er sich selbst. »Denk' nicht immer daran, daß du verachtet +bist. Denk', daß du auch ein Mensch bist wie alle anderen, und +sei herzhaft. Gesund und stark zum Arbeiten, niemand kann dir was +ausstellen im Holzschlag, du verstehst dein Geschäft. Niemand kann dir +was nachsagen; was du dein Lebtag hast angestellt, das ist nur dein +eigener Schaden gewest. Die neue Riesen wird sich machen im Waldschlag. +In ein paar Jahren bist Holzmeister, da kannst Weib und Kind erhalten +so gut wie ein Graf. Warum soll sie dich nicht gern haben? Wenn ihr +dein Gewand nicht gefällt, so wirf's weg, der inwendige Kerl wird nicht +zu schlecht sein für eine brave Dirn. In Gottesnamen, Schopper!«</p> + +<p>Der junge Adlerwirt hatte sich im Laufe desselben Nachmittags in der +großen Wirtschaft des Salmhofes herumgetrieben. Anfangs tat er solches +in Begleitung seines künftigen Schwiegervaters, dieser wurde aber bald +zurückgerufen, er hatte in Gemeindevorstandsgeschäften zu tun. Der +Wolfram spähte überall umher und spielte mit dem Gedanken, was mit +all dem geschehen werde, wenn einmal Vater und Mutter mit Tod abgehen +sollten. Gegen Abend ins Haus zurückgekommen, gab's eine Jause, aber +eine etwas zerrissene. Die Salmhoferin trank ihren Kaffee in der Küche, +der Salmhofer trank seinen Weinkrug auf der Stube aus, die Haustochter +Kundel schlürfte ihren Tee im Küchenzimmerchen<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> und knusperte süßes +Backwerk dazu. Der Wolfram, welcher neben ihr saß, dankte für den ihm +gebotenen Imbiß, er sei nicht gewohnt, eine Jause zu nehmen, aber +eine Zigarre, wenn er sich anzünden dürfte! Hierauf besprachen sie +die Hochzeit. Die Kundel gestand vielleicht mehr unwillkürlich als +absichtlich, daß es ihr manchmal schrecklich sei auf dem Salmhofe, +daß sie froh sei, diesem Orte zu entkommen. Elternliebe, wovon andere +Leute sprechen, habe sie ja doch nie kennen gelernt. Der Vater habe +sie ein paar Jahre lang in ein Institut gesteckt, sie nachher zu einer +Zierpuppe herrichten wollen, um sich mit ihr zu prahlen; bei der +Mutter wäre überhaupt nichts zu suchen, diese verrichte in der Küche +ihre tägliche Arbeit, die gerade so gut auch eine Magd besorgen könne, +und sei dann zufrieden. — Dem jungen Adlerwirt schmeichelte dieses +Vertrauen der Braut und es kam ihm fast gemütlich vor im Stübchen, bis +die Kundel plötzlich und ziemlich rasch das Fenster aufmachte. Der +Tabakrauch ging freilich hinaus, aber die kalte, neblige Winterluft +ging herein. Endlich verabschiedete der Bräutigam sich, und während +die Pferde eingespannt wurden, stand er draußen in der Tür der +Heukammer und plauderte ein wenig mit der Jungmagd. Er lehnte an dem +einen Pfosten der Tür, sie an dem anderen, weiter ließ sie ihn mit +der brennenden Zigarre nicht in die Kammer. Sie tat's aber nicht des +Rauches, sondern der Feuersgefahr wegen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span></p> + +<p>Ihr Gespräch wurde ganz leise geführt. »Frieda,« sagte der Wolfram, »du +wirst doch auch bei der Hochzeit sein?«</p> + +<p>»Weiß es nicht,« antwortete sie, »ich werde wohl müssen haushüten. Die +Haustochter hat schon so etwas gesagt.«</p> + +<p>»Hat sie?« fragte flüsternd der Bräutigam. »Nein, Frieda, ich will's +haben, daß du bei meiner Hochzeit die erste Kranzljungfrau sein sollst. +Es geht doch!«</p> + +<p>»Ja, gehen tät's schon,« meinte die junge Magd, »aber sein darf's +nicht.«</p> + +<p>»Wer sagt das?«</p> + +<p>»— Sie.«</p> + +<p>»Das möchte ich wissen. Ihr seid ja immer gut gewesen miteinander? Und +kameradschaftlich.«</p> + +<p>»Früher, ja,« sagte die Frieda, »aber seit dem Tanz beim Schwambachwirt +ist sie arg auf mich.«</p> + +<p>»Laß es gut sein, Dirndel,« entgegnete der junge Adlerwirt. »In das +Kapitel werde ich auch etwas dreinzureden haben. Sie mag zur Hochzeit +laden, wen sie will, ich werde es auch tun. Und verhoff's, daß wir +uns bei der Hochzeit nicht das letzte Mal sehen werden, Dirndel. Gib +mir die Hand drauf!« Und er schnalzte mit der Zunge, was so seine +Gewohnheit war, wenn er Mut und Übermut in sich fühlte. »Dirndel, die +Hand drauf!«</p> + +<p>»Auf das gebe ich keine Hand,« war ihre Antwort, »der Mensch weiß nicht +Zeit und Stund.« Zögernd und zagend hatte sie das gesprochen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span></p> + +<p>»Und auch zum Abschied willst mir die Hand nicht geben?« fragte er +nicht ohne Beklommenheit.</p> + +<p>»Zum Abschied — schon gar nicht,« antwortete das Mädchen.</p> + +<p>»Frieda!« erscholl es in diesem Augenblicke von der Stallwand her. Die +beiden stoben auseinander. Eine männliche, hohle Stimme war es gewesen. +Der junge Adlerwirt sprang in den Schlitten, und vorwärts ging's durch +Nacht und Winter gegen Kirchbrunn.</p> + +<p>An demselben Abende war's, als die Jungmagd Frieda die Tür ihrer Kammer +verschlossen hatte und nun vor einem Muttergottesbildchen, welches an +der Wand klebte, ihr Nachtgebet sprach, als auf einmal wie ein Gespenst +der Holzknecht vor ihr stand. Der Schreck war so groß, daß ihr zum +Schrei die Stimme versagte. Beide Hände ans Herz gedrückt, so sank sie +mit einem Hauch auf den Schemel hin.</p> + +<p>»Geschehen tut dir nichts,« also sprach nun der Schopper. »Aber das +Leutrufen laß sein. Sie brauchen es nicht zu wissen, was wir zwei +miteinander zu reden haben.«</p> + +<p>»Wir haben nichts miteinander zu reden,« konnte jetzt die Frieda sagen. +»Geh fort! Du hast dich wie ein Dieb hereingeschlichen! Geh fort!«</p> + +<p>»Hast wohl recht, Dirndel, wie ein Dieb!« entgegnete der Schopper. +»Weil ich deinetwegen schlecht werden muß. Aber daran schuldig bist du. +Zu einem Engel hättest mich machen können. Und jetzt — jetzt kann ein +Teufel draus werden.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span></p> + +<p>»Fort geh!« rief das Dirndel und sprang zur Tür, um sie zu öffnen. +Er fing sie auf, hielt ihr die Hand fest und sagte: »Frieda. Sei +barmherzig. Schau, ich bin ein armer Bursch'. Glaubt hätt' ich's +nimmer, daß einen die Lieb' so kunnt zurichten. Zwingen kann ich dich +nicht, Frieda. Ich sag' dir nur das: Wenn du mich nicht nimmst, so +erleben wir was. Mit mir und mit dir! Ich spring' ins Verderben und du +in dein Unglück. Der junge Adlerwirt! Unterwegs her bin ich noch voller +Vertrau gewesen zu ihm. Und was ich jetzt hab' gehört!«</p> + +<p>»Was hast denn gehört?«</p> + +<p>»Mehr, als er geredet hat, meine liebe Dirn! Daß der so schlau ist, das +hätte ich mir nicht gedacht. Die eine heiraten, die andere gern haben! +Bist denn du blind, Frieda! Oder bist wirklich so schlecht?«</p> + +<p>»Holzknecht,« versetzte jetzt das Mädchen ruhiger, »laß mich aus, dann +will ich reden.«</p> + +<p>Im Augenblick ließ er ihre Hand los.</p> + +<p>»Für mich,« so redete sie nun, »wär' es auch besser, du hättest mich +zerdrucken lassen vom Mühlrad. Ich dank' dir's nicht, daß du mich hast +herausgezogen. In der Unschuld wäre ich gestorben, und wie es jetzt +steht, seh' ich vor mir nichts, als lauter Sünd' und Elend.«</p> + +<p>»Den Adlerwirt mußt vergessen!« sagte der Schopper.</p> + +<p>»Vergessen! Weißt du, was du redest? Kannst<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> du vergessen? So vergiß +mich, ich geh' dich ja nichts an. Bin nicht deine Schwester und nicht +dein Geschwisterkind. Such' dir eine, die besser für dich paßt, und +mich laß in Gottesnamen zugrunde gehen, wenn es mir schon aufgesetzt +ist, daß ich seinetwegen zugrunde gehen soll.« Sie weinte.</p> + +<p>Der Waldmensch stand wie erstarrt vor ihr. Endlich antwortete er: »Um +<span class="gesperrt">das</span> von dir zu hören, bin ich heute weit aus dem Siebenbachwald +herausgekommen. — Du, Frieda! Flennen darfst mir nicht! Flennen kann +ich dich nicht sehen!« Fast wie drohend stieß er die letzten Worte +heraus, und dann fuhr er mit den Fingerspitzen über ihr Haar hin, als +ob er sie streicheln wollte. »Frieda!« fuhr er milder fort. »Vor neun +Jahren am Magdalenatag, wie sie deine Mutter haben in die Erden gelegt, +habe ich dich zum ersten Mal gesehen. Wie du dazumal geweint hast, +du liebes Kind, du arme Waise, so verlassen auf der Welt, — wie du +dazumal so geweint hast, das geht mir nimmer aus dem Kopf, gar nimmer.«</p> + +<p>»Mein Gott,« flüsterte jetzt die Frieda, »du bist ja ein guter Mensch, +ein herzensguter Mensch. Aber jetzt mußt du fortgehen, du armer Bursch, +schau, es kann nicht anders sein. Ich habe ja nichts gegen dich, wenn +ich nur könnt', wie wollt' ich dich lieb haben mit Freuden, dich ganz +allein. Und es hätt' eine gute Wendung. Wie es jetzt steht, ich weiß +mir ja nicht zu raten und nicht zu helfen.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span></p> + +<p>»Sollst schuldigerweis so reden?« fragte er.</p> + +<p>»Gott Lob und Dank, nein!« antwortete die Jungmagd, »aber fürchten +tu' ich mich, so oft ich ihn sehe. Bei der Hochzeit will ich nicht +sein, nach Kirchbrunn auch mein Lebtag nicht gehen. Ich will mich +ja hüten, soviel es menschenmöglich ist. An meine Mutter hast mich +gemahnt, Schopper. Ihr letztes Wort zu mir ist gewesen: Frieda, wenn +du dir nicht aus weißt, so knie' hin und tu' beten. Ich will's tun, +Holzknecht, und will so lange beten, bis ich dich recht lieb hab, und +nur dich allein.«</p> + +<p>Das sagte sie mit solcher Innigkeit, als wäre die Liebe zu ihm bereits +da.</p> + +<p>»O glückselige Stund'!« wimmerte der Waldmensch und drückte sein +bärtiges Gesicht an ihre Schulter, in ihr Haar, »du herzliebe Dirn, ich +geh' schon, ich geh' gern. Beten! Beten! Gute Nacht, du herzliebe Dirn!«</p> + +<p>Also stürzte er wie rasend vor Glück davon, hinaus in die tiefe +Winternacht, den jauchzenden Himmel im Herzen, seinen fernen Wäldern zu.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h3>5. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Ganz Geßnitz war in Aufruhr. Bald nach Mitternacht schon hatten sie +angefangen mit den Pöllern zu knallen, und zwar nicht bloß auf dem +Salmhof, wo hinter dem Hause ein großes Feuer brannte, sondern auch +bei anderen Bauernhöfen der Umgegend,<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> die da zeigen wollten, welch +freudigen Anteil sie nähmen an dem Fest- und Ehrentage der Familie +ihres großständigen Gemeindevorstandes. Und als über den Dunstschichten +der große, rote Sonnenball heraufstieg und die Hochzeitsgäste gegangen, +gefahren kamen von allen Seiten her, da knatterten auch die Pistolen +drein, das Kleingewehrfeuer zu den Kanonenschüssen, daß es schier +zu hören war, als würde eine große Schlacht geschlagen im Tale von +Geßnitz. Wo der Weg vom Salmhofe in den Markt hineinmündet, war +sogar ein Schwibbogen gebaut aus Fichtenreisern. Von der Gärtnerei +der Herrschaft Klobenstein war ein großer Brautstrauß gekommen als +Hochzeitsgabe, denn der Klobensteiner Baron und der Salmhofer standen +miteinander in reger Geschäftsverbindung.</p> + +<p>Übrigens hatte die Hochzeit des jungen Adlerwirtes mit der Salmhofer +Tochter etwas Städtisches. Es gab dabei Herrschaften in Frack und mit +hohen Seidenhüten, worunter der Herr Schwager Amtskontrollor eine der +würdigsten Erscheinungen war. Auch der Salmhofer trug einen sehr langen +Frack, einen schwarzen Röhrenhut, einen hohen, aufgesteiften Halskragen +mit zwei an beiden Seiten des Kinnes hervorstehenden Spitzen, eine +schneeweiße Weste, die über den halben Bauch hinabging, ein schwarzes +Beinkleid und tadellose weiße Handschuhe. Die Salmhoferin an seiner +Seite sah dagegen ganz bäuerlich und fast ärmlich aus. Der Bräutigam +war<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> in schwarzem, dorf-bürgerlichem Anzug, der sich nur auszeichnete +durch das Myrtensträußchen am linken Brustflügel. Dieses schwarze +Gewand gab dem jungen Manne ein überaus interessantes Aussehen, sein +Gesicht schien blasser als sonst, und in seinem großen Auge war ein +seltsamer Schmelz, wer es nur hätte sagen können, ob mehr auf frischen +Mut oder auf weichmütige Rührseligkeit hinweisend. Seine natürliche +Heiterkeit schien er heute daheimgelassen zu haben beim Alltagsgewand, +ernsthaft, gesetzt, wie es einem Bräutigam ansteht, war sein Wesen, +und man sah gleich, daß die Würde des Großbauernhofes sich auf ihn +zu vererben begann. Die Braut Kunigunde trug ein schweres weißes +Seidenkleid mit Schleppe, und auf dem kunstvoll geflochtenen, fast +schwarzglänzenden Haar ein Myrtenkränzlein. Ihr schönes Gesicht war +jetzt, wie sie vor dem Altare standen, als ob es von reinstem weißen +Marmor gemeißelt wäre. Man hatte zu Geßnitz nie eine Braut gesehen, +die so würdig und ernst war, und nie eine, die am Hochzeitstage +nicht einmal ein wenig gelächelt und nicht einmal ein wenig geweint +hätte. Aber die Kunigunde war eine solche. Manche behaupteten, das +wäre ein tiefes Wasser, auswendig eine Mutter Gottes, inwendig +—. Ein Glücksmensch sei dieser Adlerwirt! Die Braut so schön, so +achtunggebietend, so reich! — Ob sie für eine Wirtin am Ende nicht +doch ein wenig zu vornehm ist! Wirtinnen können nicht artig genug +sein.<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> — Oho, Wirtinnen können nicht zurückhaltend und ernsthaftig +genug sein! — Ein Glücksmensch, dieser Adlerwirt!</p> + +<p>Als das Brautpaar vor dem Altare stand, als der Wolfram ihre zarte +kleine Hand in der seinen hielt, als der Priester die Stola darüber +wand, da machte der junge Adlerwirt im Herzen ein Gelöbnis. — Ich will +ein treuer Mensch sein. Junge, leblustige Weiber gibt es genug, auch +solche, die Ehrenhaftigkeit verkaufen! Nein. Ich habe jetzt mein Weib. +Und ist sie gleichwohl noch frostig wie ein Märztag, ich will so viel +Sonnenschein auf sie legen, bis die Blume aufblüht. Durch die Liebe +kann man alles überwinden, sagt mein Professor Nix, auch die schlimmen +Weiber. Schlimm aber ist sie gar nicht, nur ein wenig herb. Und herbe +Trauben geben den haltbarsten Wein. Mein liebes Weib, du! — Er drückte +ihre Hand, sie wußte freilich nicht, was er dachte.</p> + +<p>Die Mahlzeit im Salmhofe war üppig bis zum Tischbrechen. Auch dabei +ging es so vornehm zu, daß alle Kellner von Geßnitz anwesend waren, +um an der Tafel die Speiseschüsseln herumzutragen von Gast zu Gast. +Die Braut winkte fast jedes Gericht mit einer Handbewegung ab, sie aß +nichts, sie trank nichts, sie sprach nur wenig, ließ aber ihr wachsames +Auge stets in die Runde gehen, um die Ordnung des Dienervolkes zu +überwachen und etwaige Verstöße desselben mit einem strafenden Blick, +mit<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> einem tadelnden Worte zu rügen. Der Wolfram suchte mit der +nebensitzenden Schwiegermutter ein Gespräch zu unterhalten; es war +jedoch mit der einfachen, bescheidenen Frau nicht viel anzufangen. Um +so mehr fröhlichen Lärm machte der Salmhofer, besonders wenn das weiße +Kätzchen, welches er bei sich auf dem Schoß hatte und mit Leckerbissen +fütterte, auf den Tisch sprang und ungebührlich ward. Also, dachte der +Wolfram, werden wir uns nur ans Essen und Trinken halten, dieser Tag +wird mit Gottes Hilfe ja auch nicht ewig dauern.</p> + +<p>Am Abende, als die Lichter gekommen waren und die Musikanten, hub die +Hochzeitsgesellschaft einen anderen Takt an. Es ward laut und lustig, +die Leute wogten durcheinander, aber die Braut zog sich zurück auf +ihr Stübchen, weil ihr die Aufregung und der Lärm des Tages ein wenig +Kopfschmerz verursacht hatten.</p> + +<p>Der Wolfram ging hinaus in die frische Luft. Ein klarer Sternenhimmel +flimmerte, der Adlerwirt sah ihn kaum, er war in verschiedenerlei +Empfindungen versunken, und auf einmal tat er einen tiefen Atemzug und +sagte halblaut: »Also wäre ich verheiratet!«</p> + +<p>Dann kam ihm zu Sinn, was er am Altare gedacht und daß er nun von +jemandem Abschied nehmen müsse mit allem Ernst.</p> + +<p>Im Wirtschaftsgebäude war die Gesindestube hell beleuchtet, da drin +ging's fröhlich zu, der Wolfram<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> trat ein. Mit hellem Geschrei hoben +sie ihm die Gläser entgegen und tranken auf seine Gesundheit. Er +setzte sich ein bißchen zu dem Gesinde an den Tisch, da erschien die +Aufträgerin mit frischem Teller und Glase, legte ihm Krapfen vor, und +einschenken, meinte sie, würde er sich wohl selber können.</p> + +<p>»Ja, Frieda!« lachte der Bräutigam der jungen Aufträgerin zu, +»einschenken, das kann ich, aber austrinken mußt du. Auch von dir will +ich eine Gesundheit haben.«</p> + +<p>Die Jungdirn nahm das Glas, schwenkte es ein wenig gegen ihn: »Zur +guten Gesundheit!« und nippte.</p> + +<p>»Jetzt ist's recht!« rief der Wolfram lustig mit der Zunge schnalzend +und faßte sie an der Hand und blickte ihr frisch ins Auge, »trink' noch +einmal, Frieda!«</p> + +<p>»Dank' schön!« antwortete sie schmunzelnd, »es möcht' zu viel sein.«</p> + +<p>»So gib her!« Er nahm ihr das Glas aus der Hand, und während er ihr +fest ins Auge blickte, leerte er es auf einen Zug.</p> + +<p>Als er nachher wieder über den Hof schritt, ward ihm bedenklich. — Ein +Abschied das? —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Also das war die Hochzeit gewesen.</p> + +<p>Und nun kam das Siedeln. Der Möbelfuhren von Geßnitz nach Kirchbrunn +waren so viele, daß die Leute schon sagten: »Mein Gott, wie wird denn<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> +das alles Platz haben beim Adlerwirt, es zersprengt ja das Haus!«</p> + +<p>Frau Kunigunde war eingerichtet wie eine Gräfin. Alles nagelneue +Sachen. Rokoko war Mode. Rokoko! Man wußte zwar nicht, was das war, +bestellte es aber. »Kosten tut auch ein Trödel was,« hieß es, »also +am besten, sich gleich ordentlich einrichten.« Es gab Überraschungen, +als die Sachen ankamen. Frau Kunigunde war nicht so leicht +zufriedengestellt von den Arbeiten der Tischler und Tapezierer aus der +Kreisstadt, sie meinte, das plumpe Zeug sei gar nicht anzusehen und +es wäre am klügsten, solche Dinge geradeswegs aus Paris zu bestellen. +Mit diesem Sinn für die feinste Vornehmheit setzte die junge Frau ganz +Kirchbrunn in Erstaunen.</p> + +<p>Ungefähr eine Woche nach der Hochzeit war der Salmhofer angefahren +gekommen, um sich das neueingerichtete Nest der jungen Leute zu besehen.</p> + +<p>»Nur so zu, Wolf!« schnarrte er den Schwiegersohn an. »Meine Tochter +hat Erziehung genossen. Halt' sie fein! Laß ihr nichts abgehen! Für die +Küche nimm dir eine Köchin, mein Kind hat Nerven, die nicht für den +Küchendunst sind.«</p> + +<p>Der Wolfram nahm diese Verhaltungsmaßregeln ganz ruhig hin. Nach einem +Imbiß, der dem Schwiegervater vorgesetzt worden und wobei der Salmhofer +einmal seinen würdigen Bart streichelte und das andere Mal seinen +Oberschenkel, obzwar heute das weiße Kätzchen nicht darauf saß — bat<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> +der alte Adlerwirt ihn auf ein Wort in seine Stube. Der alte Wirt war +vor langem Zuwarten auf eine gewisse Unterredung schon ganz aufgeregt +geworden. Und weil der Schwieger auch heute wieder nichts desgleichen +tat, als wäre eine solche an der Zeit, so machte der Wirt nun keine +Umstände mehr.</p> + +<p>»Schwieger,« sagte er, ihm einen Sessel hinschiebend, »mußt schon +entschuldigen, es ist, daß man sich einmal ausredet von wegen Lebens +und Sterbens. Wir sind nimmer jung, und mein Sohn weiß, was er von +mir zu erwarten hat. Es ist, daß er weiß, wie er daran ist und die +Wirtschaft einrichten kann.«</p> + +<p>»Hast ganz recht, Adlerwirt, nur alles in Ordnung machen,« antwortete +der Salmhofer. »Weiß auch, daß mein Kind bei Euch gut gestellt ist. Ist +ein gutes Kind, wer es zu behandeln versteht, ein herzensgutes Kind.«</p> + +<p>»Und eine rechtschaffen stolze Natur,« lenkte der schlaue Adlerwirt +über, »so daß ich mir schon gedacht habe, ob sie nicht etwa gedrückt +ist, wenn ... Das möchte ich ihr nicht wünschen! Sie wird auch auf was +pochen wollen, und hat ganz recht. Ich meine, Schwieger, du — sollst +was schreiben lassen.«</p> + +<p>Der Salmhofer hatte sich kaum gesetzt, so stand er jetzt wieder auf, +nahm Hut und Stock; aber noch an der Tür wendete er sich um und stieß +sprudelnd die Worte hervor:</p> + +<p>»Ich glaube, die Ausstattung ist nicht zu gering ausgefallen. Hat mich +bare zweitausend Gulden gekostet.<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> Nach meinem Ableben — wenn ich um +ein Eichtel Geduld bitten darf! — wird sie kriegen, was da ist. Wer +denn sonst?«</p> + +<p>Ohne ein weiteres Abschiedswort ging der Großbauer zur Tür hinaus und +fuhr davon.</p> + +<p>Etwas kleinlaut teilte der alte Adlerwirt dem jungen dieses Gespräch +mit und fügte bei: »Heißt's halt so weiter fretten derweil. Wie lang +wird er's denn machen! Er trinkt zu viel.«</p> + +<p>Der Frau Kunigunde war es nach ihrem Einzuge ins Adlerwirtshaus vor +allem darum zu tun gewesen, jedermann zu zeigen, daß sie hier die Frau +sei. Alles wurde geändert, schon in den ersten Tagen. Kein Möbelstück +blieb an seinem Platze stehen, und wenn der Wolfram einwendete, das +sei schon bei seiner Mutter Lebzeiten so gewesen, gab sie zur Antwort: +»Liebes Kind, also hat's deine Mutter gestellt nach ihrem Belieben, und +ich werde es auch tun.« Im Salmhofe war um zwölf Uhr Mittagszeit, also +mußte auch im Adlerwirtshause die Suppe um zwölf Uhr auf dem Tische +stehen. »Kundel,« gab ihr der Wolfram zu bedenken, »in den Wirtshäusern +macht sich eine spätere Mittagsstunde besser, wenn die Gäste gespeist +haben.« — »Was kümmern mich die Gäste!« war ihre Entgegnung.</p> + +<p>Der Wolfram wußte wohl, was darauf zu sagen war, doch er wollte nicht +streiten. »Junge Hausfrauen sind schon so,« tröstete ihn der Vater, +»und sie wird sich die Hörner schon abstoßen.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p> + +<p>Auch mehrere Dienstboten, die sich nicht gleich in die neue Hausordnung +schicken konnten, wurden entlassen und neue aufgenommen. Und gerade +wenn eins recht brauchbar war und schon lange im Hause, gerade das +mußte fort. Die Frau Kunigunde wollte nicht, daß ein Dienstbote im +Hause sei, welcher besser Bescheid wußte als sie selber.</p> + +<p>»Daß dir die fremden Gesichter nicht zuwider sind!« sagte einmal der +Wolfram zu seiner Frau.</p> + +<p>»Mir sind die einen wie die anderen fremd,« war ihre Antwort.</p> + +<p>»So möchte ich an deiner Stelle wenigstens solche nehmen, die ich schon +kenne. Dein Vater wollte dir gewiß gerne ein paar Leute von seinem +Hofe abtreten, die deiner Art und Weis' leichter nachkommen könnten. +Besonders Weibsleute solltest verläßliche um dich haben.«</p> + +<p>»Meinst?« gab sie lauernd zurück.</p> + +<p>»Wir haben jetzt keine ordentliche Küchenmagd und keine Weidmagd.«</p> + +<p>»Wie soll sie denn heißen?«</p> + +<p>»Heißen kann sie wie sie will, aber brav und fleißig muß sie sein.«</p> + +<p>»Soll sie nicht Frieda heißen?« fragte spitzig die Frau Kunigunde.</p> + +<p>Der Wolfram tat überlaut einen Lacher. »Wie du jetzt auf die Frieda +kommst!« Er brach ab und ging hinaus.</p> + +<p>Von diesem Tage an war er eine Weile wortkarg.<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> Und damit Frau +Kunigunde die Ursache nicht merken sollte, warf er ihr unverhohlen vor, +daß das nicht schön wäre von ihr, dem alten Vater die liebgewordenen +Gewohnheiten zu vergällen, ihm sogar die Mittagszeit nach ihrem +Gutdünken zu verlegen. Über die Speisen selbst rede man ohnehin +nichts, diese würden zubereitet nicht nach seinem, sondern nach ihrem +Geschmack, und der sei nicht allemal der beste.</p> + +<p>»Einen besseren hast du,« gab sie rasch wie immer zur Antwort, »weil du +deiner eigenen Frau schon jetzt, wenige Wochen nach der Hochzeit, das +Essen mißgönnst und dich nach einer Stalldirne umsehen möchtest.« Da +weinte sie auch schon heftig in ihr Spitzentuch.</p> + +<p>»Aber Kunigunde!« rief nun der Wolfram und wollte kosend begütigen, sie +stieß mit dem Ellbogen heftig nach ihm, da ging er zum Herde, zündete +sich eine Zigarre an, stieg in die Gaststube und unterhielt sich mit +den Gästen.</p> + +<p>Ein Fleischhauergeselle aus Geßnitz war da, den fragte der junge +Adlerwirt nach Neuigkeiten. Natürlich marschierte der drohende Krieg +auf, der in den Zeitungen stand, denn er steht immer drin. Aber dem +Wolfram war das zu wenig. Als braver Schwiegersohn fragte er dem +Salmhofe nach, ob dort alles gesund sei, oder sonst beim alten? Ja, +der Salmhofer liege auf seiner Holzbank, schäkere mit den Katzen und +habe so manchmal sein Räuschchen.<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> Man merkte es dem Fleischergesellen +an, welche Gewalt er sich antun mußte, um die ganz unverhältnismäßige +Verkleinerung zuwege zu bringen, aber anders mochte er mit dem +Schwiegersohne doch nicht sprechen. — Und was die Mutter mache? wollte +der Wolfram wissen. — »O Gott!« sagte der Fleischer.</p> + +<p>»Daß sie nicht am Ende mehr Sorgen zu tragen hat, jetzt, weil die +Tochter fort ist!« fürchtete der junge Adlerwirt. »Sie wird sich doch +von den Dienstmägden eine abrichten fürs Haus oder so?«</p> + +<p>»Im Gegenteil,« erzählte der Geßnitzer, »verjagen tut sie eins ums +andere. Gestern ist bei der Jungmagd die Dienstzeit aus worden.«</p> + +<p>»Bei der Frieda?« fragte der Wolfram.</p> + +<p>»Wird so geheißen haben. Bin just mit einem Kalb vorübergekommen, wie +sie mit ihrem Bündel den Hof verlassen hat. Und Augenwasser, daß ich +sie noch frag': Was hat's denn, Dirndel? Wandern mußt? Ja, wohin denn +jetzt im Winter? Wisse es selber nicht, hat sie gesagt, und fort nach +der Straßen.«</p> + +<p>Nun wußte er's, der Adlerwirt, was er wissen wollte. Daß er jetzt aber +noch mehr wissen wollte, und was alles, das konnte er niemandem sagen.</p><br> + + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_2"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h3>6. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Endlich war der Winter vorbei.</p> + +<p>Und eines Tages in den Maien kam der junge Adlerwirt zu seiner Frau mit +einem erbrochenen<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> Briefe und sagte froh erregt: »Dies Jahr kommt er +früh. Er kann es schon kaum erwarten, die junge Adlerwirtin kennen zu +lernen, schreibt er. Der Professor Nix.«</p> + +<p>»Wer ist denn der?« fragte Frau Kunigunde gleichmütig.</p> + +<p>»Ich habe dir ja erzählt von dem Herrn, der allsommerlich zu uns kommt +und bei uns bleibt, und der mich so mancherlei gelehrt hat. In diesem +deinem Zimmer hat er immer gewohnt.«</p> + +<p>»So soll ich wohl jetzt ausziehen und den Herrn Professor Nix +hereinlassen?«</p> + +<p>»Kundel,« sprach der junge Adlerwirt und machte einen vorwurfsvollen +Blick. »Kundel, du bist immer so boshaft. Wie kann denn vom Ausziehen +die Rede sein! Der Professor bekommt das Stübchen gegen den Baumgarten +hinaus, er wird damit zufrieden sein. Es ist ein netter Herr, du wirst +ihn gewiß liebgewinnen.«</p> + +<p>»Das Baumgartenzimmer kann ich ihm nicht abtreten, ich habe meine +Garderobe drin.«</p> + +<p>»Vielleicht wolltest du deine Kleider hier in der Nebenkammer +unterbringen, es wäre bequemer für dich.«</p> + +<p>»Geh, geh, Wolf,« entgegnete sie, »meine Bequemlichkeit, daß ich +nicht lachen muß! Nur um deinen Herrn Professor geht's dir. Nein, das +Baumgartenzimmer bekommt er nicht!«</p> + +<p>»So werde ich ihm das große Zimmer über der<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> Gaststube einräumen,« +sagte er, aber in einem Tone, der anzeigte, daß er nicht gewillt sei, +weiter mit sich handeln zu lassen.</p> + +<p>»Das kannst du tun,« antwortete Frau Kunigunde. »Ich kümmere mich +nicht um deine guten Freunderln. Nur bitte ich dich, auch mir nichts +dreinzureden, ich will Ruhe haben.«</p> + +<p>Und eine Woche nach Ankunft seines Briefes kam er selber. Es war noch +ganz der alte wie im vorigen Jahre. Dem Wolfram fiel er mit den Worten: +»Junge! Hat die Liebe noch ein Stückchen Wolfram übrig gelassen für den +alten Nix?« in die Arme.</p> + +<p>Die Artigkeiten, welche der Adlerwirt stotterte, unterbrach er sofort: +»Ist schon recht. Laß die Torheiten, dein Weibchen will ich sehen.«</p> + +<p>Er stürmte in die Gaststube, in die Küche, da war sie aber nicht. Als +er später hinaufstieg zu seiner neuen Stube, begegnete ihm auf der +Treppe eine Dame, die er flüchtig grüßte, weil er sie für eine Fremde +hielt. Es war aber Frau Kunigunde. Als er das gewahr wurde, eilte +er ihr nach: »Frau Adlerwirtin! So wollen wir zwei nicht beginnen +selbander. Einen herzhaften Händedruck oder so etwas! Mit meinem Segen +für den heiligen Ehestand komme ich wohl spät! Aber nie zu spät! Nie zu +spät! Gottes Gruß zu tausendmal, Frau Adlerwirtin!«</p> + +<p>»Guten Morgen!« entgegnete die Frau ruhig.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p> + +<p>Professor Nix war hübsch abgekühlt, und sie wechselten einige höfliche +Worte.</p> + +<p>Mit der Stube war der Professor recht zufrieden, da hatte er Platz +genug für alle seine Bücher und Schriften und Ledertaschen und +Botanisierbüchsen und Staffeleien, und er breitete sich behaglich aus. +»Ein Herzenskerl bist du!« rief er dem Wolfram zu, »gut meinst du +mir's. Wenn ich einmal sterbe, so bedenke ich dich in meinem Testament. +Du sollst das ganze Firmament haben mit allen Sonnen und Sternen. Nur +der Halbmond ist ein Legat für die Türken. Ein charmantes Zimmer das!«</p> + +<p>Der Wolfram sagte nichts auf diese Ergießung. Und bald machten sich +zwei kleine Nachteile fühlbar in der schönen großen Stube. Tagsüber +war's der Rauch des scharfen Bauerntabaks, dessen Düfte von dem +Gastzimmer durch die Fugen in des Professors Stube drangen. Aber das +war nicht das schlimmste, am Bauerntabak war auch noch eine Pfeife, +und an der Pfeife sog so ein unsauberer Geselle, der bis in die Nacht +hinein sitzen blieb und mit anderen ähnlichen Gesellen lärmte, so +daß der gute Professor Nix oben kein Auge schließen konnte. Aber er +tat nichts desgleichen, sondern tröstete sich damit, daß solches zur +Sommerfrische gehöre.</p> + +<p>Bei einer nächsten Gelegenheit sagte er zu seinem jungen Wirte +folgendes: »Wolf! Ich muß dir nur gestehen, du hast ein schneidiges +Weib. Das hat mir alle Kurasch abgekauft. Eine solche Hausfrau<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> wird +ganz gut sein, sie erspart den Kettenhund. Die Diebe und die Betrüger +und die Heuchler und Schmeichler wirst du nicht zu fürchten brauchen, +Frau Kunigunde hält sie alle fern. Einer Untreue wirst du bei ihr auch +sicher sein, sie läßt keinen an sich herankommen. Wenn sie dir so recht +ist, nachher bist du geborgen, nachher kann dir nichts mehr geschehen.«</p> + +<p>Der Wolfram wußte nicht recht, waren diese Bemerkungen ein Lob auf +seine Frau oder etwas anderes. Er nahm's in Gottesnamen fürs erstere +und war's zufrieden.</p> + +<p>Der Professor ging, wie es in den früheren Sommern geschehen, seinen +Vergnügungen nach in Wald und Flur. Die Gegend um Kirchbrunn ist so +recht das, was man freundlich nennt. Mittelhohe Berge mit sanften +Kuppen und Muldungen und alles, was nicht im Tale Feld und Wiese war, +hübsch bedeckt mit hellgrünenden Buchenwäldern, in welchen dunklere +Fichtenbestände eingesprenkelt waren. Aus den schattigen Engtälern +kamen Bäche hervor, zwischen den Wiesen gab es Teiche und Heuschoppen +und Getreidemühlen. Professor Nix kannte alle Wege und Stege und die +meisten Bewohner des Tales. Mit dem einen sprach er ernsthaft, mit dem +anderen scherzte er. Wenn er aber in Regentagen an das Adlerwirtshaus +gebannt war, da kam's ihm — so sehr der Regen draußen auch rieseln +mochte — in der Stube nicht<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> mehr ganz so gemütlich vor wie sonst. +Häufig saß er in der Gaststube, doch es fehlte auch hier manchmal an +Gesellschaft. Der alte Wirt war mißlaunig, der junge wortkarg und die +Wirtin gar nicht zu sehen.</p> + +<p>Eines Tages war der Wolfram davon. Am ersten Tage kümmerte sich um +seine Abwesenheit niemand; am zweiten Tage meinte der alte Wirt, sein +Sohn müsse auf einen Vieheinkauf gegangen sein, aber man wunderte sich +doch, daß er weder seiner Frau noch seinem Vater davon etwas gesagt +hatte. Als er am dritten Tage immer noch nicht zurück war, wurde dem +alten Wirt bang und wurde dem Professor bang. — Wenn der Wolf nichts +gesagt hat, wohin, so dachte letzterer sich, und in der Nachbarschaft +weiß auch niemand etwas von ihm, und es ist sonst nicht seine Art, daß +er so davonläuft, so sieht das ja aus wie ein Unglück! Frau Kunigunde +hub an zu zanken. Der Professor stellte ihr vor, daß dem Wolfram etwas +zugestoßen sein könne.</p> + +<p>»Ja natürlich, der Leichtsinn ist ihm zugestoßen!« rief sie. »Gott +weiß, wo er umherzigeunert! Ich laufe ihm nicht nach. Meinetwegen mag +er fortbleiben über Jahr und Tag. Wenn ich nicht will, da kriegt mich +keiner mit Lieb' und keiner mit Trutz.« —</p> + +<p>Der Wolfram war unter dem Vorwande, vorjährigen Apfelwein zu kaufen, +die Geßnitzergegend abgegangen bis hinaus nach Niederleuth und Sankt<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> +Magdalena; in allen Bauernhäusern hatte er zugesprochen, sich nebenbei +auch um Zuchtkälber umgesehen; erstanden jedoch hatte er nirgends +etwas. Dann war er in großem Umkreis gegen das Gebirge gewandert, hatte +dort anstatt nach Apfelwein nach Bauholz gefragt, aber auch hier nichts +gekauft. Endlich rückte er seiner Absicht näher und erkundigte sich +nach Dienstboten für die Sommerarbeit, vor allem nach Heuheberinnen und +Schnitterinnen — es war vergebens, die er suchte, fand er nicht.</p> + +<p>Und als er ratlos schon auf dem Heimweg war, fiel es ihm ein: sie ist +im Siebenbachwald bei den Holzleuten. Er mußte es aber wissen. Er +wanderte in die Wälder und kam zu den Siebenbachhütten, welche in einem +engen Waldtale standen, von zerrissenen Bergen umgeben. Hoch von einem +Bergschlag nieder ging eine neue Holzriesen, in deren Rinne glatte +wuchtige Blöcke herabglitten. Sausend und dröhnend kam das niederwärts +auf steiler Riesen, die in großen Bogen sich wand, über Hänge und +Schluchten gebrückt war und so sorgfältig und wohlberechnet gemuldet, +daß kein Block ausspringen konnte. So kam das herab bis zu Tale, wo die +Riesen sachte sich ebnete und die schwersten Blöcke fast sanft aufs +Erdreich warf, daß die Blöcke dann von etlichen Männern zur Kohlstatt +geschafft werden konnten. Bei diesen Männern war sie nicht. Der Wolfram +fragte dem Schopper-Schub nach. Der sei auf dem Berge an dem obersten +Ende der Riesen.<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Der Adlerwirt stieg hinauf; der Berghang war steil +und vielfach von Schluchten und Gräben durchfurcht. Da sah man erst +die ganze Kühnheit des Baues der Holzleitung. Streckenweise strich +sie in schönen Kurven an dem steilen Hang dahin, dann setzte sie, auf +schlanken Stämmen wie auf Strohhalmen gestützt, über Waldwipfel und +Abgründe, in deren Tiefen Wässer rauschten.</p> + +<p>»Seit Menschengedenken,« so erzählte der Holzknecht, welcher den +Adlerwirt hinaufbegleitete, »hätte man es nicht für möglich gehalten, +daß wir den Zagelwald herabkriegen könnten. Zu Hunderten und zu +Tausenden sind sie vermodert und verfallen, oben, die schönsten +Tannen und Lärchen, und kein Mensch hat sie nutzen können, weil sie +nicht herabzubringen gewesen sind. Jetzt geht's spielend. Und haben +ihn zuerst alle ausgelacht, den Schopper, wie er gesagt, er baut die +Riesen. Hat aber den Holzmeister sauber überzeugt, daß es geht, hat +sie mit dreißig Holzknechten in vier Monaten gebaut, und jetzt lacht +niemand mehr. Der Schopper ist Vorknecht geworden.«</p> + +<p>»Also der Schopper-Schub hat dieses Werk gebaut!« Der Adlerwirt hätte +es ihm nicht angesehen. Der Mann, der solches kann, darf sich am Ende +doch keck um die Herzliebste bewerben.</p> + +<p>Auf der Höhe gab es eine schöne Aussicht hin in die Waldberge, aber +dem Wolfram ging es nicht um das. Rings um ihn lag der geschlagene +Urwald<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> in vielen tausend Stämmen, welche von den Holzhauern entschält, +zu Blöcken geschnitten und an die Einmündung der Riesen gebracht +wurden; dem Wolfram ging's auch nicht um Holz. Inmitten der Leute +stand der Schopper in braunen Hemdärmeln und barhaupt. Er hielt einen +langen Maßstab in den Boden gestemmt und traf Anordnungen. Der Wolfram +hatte ihn erkannt an dem üppigen Barte und ging nun, über Stämme und +Rindenwälle kletternd, auf ihn zu.</p> + +<p>Die beiden Männer standen sich ein Weilchen gegenüber und schauten sich +an, bevor das erste Wort gesprochen wurde.</p> + +<p>»Dich suche ich,« sagte endlich der Adlerwirt. »Wenn ich den weiten Weg +her mache zu dir, so kannst dir denken, daß es etwas Wichtiges wird +sein. Willst so gut sein, Schopper, und mit mir ein wenig auf die Seite +gehen?«</p> + +<p>»Das kann ich schon tun,« antwortete der Holzknecht, und sie gingen +gegen einige Schirmtannen hin, die man stehen gelassen hatte.</p> + +<p>»Schopper,« bemerkte der Wolfram, »deine Riesen ist ein Meisterwerk.«</p> + +<p>»Daß du mir das sagst, deswegen bist du nicht gekommen,« entgegnete der +Holzknecht. »Adlerwirt, tu' nicht lang' um und sag', was du willst.«</p> + +<p>»Schopper,« sprach nun der andere im vertraulichen Tone. »Du kannst +dir's denken, es ist der Frieda wegen. Du bist offenherzig mit mir +gewesen,<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> und ich will es auch sein. Hast du das Dirndel noch im Kopf?«</p> + +<p>Der Schopper starrte den Fragenden an und entgegnete: »Was geht das +dich an? Du hast dein Weib.«</p> + +<p>»Das wohl, Schopper, das habe ich, und just deswegen kann ich offen +mit dir sprechen. Die Frieda ist eine Jugendfreundin meiner Frau, und +wir wollen nicht, daß sie sollte verderben müssen. Vielleicht, daß ihr +meine Frau einen Platz verschaffen könnte.«</p> + +<p>»Hat sie denn keinen?« fragte der Schopper.</p> + +<p>»Du wirst doch wissen, daß sie nicht mehr im Salmhof ist.«</p> + +<p>»Ei freilich weiß ich das.«</p> + +<p>»Wo sie nur mag umherirren auf der weiten Welt? Und hat keinen +Menschen, der ihr's gut tät meinen!«</p> + +<p>»Adlerwirt!« sagte der Schopper ganz leise, aber nachdrucksvoll, »sie +hat einen!«</p> + +<p>»Heiratest sie, Schopper? Hast sie bei dir?« Ohne daß er es recht +wollte, waren ihm diese Worte über die Lippen gesprungen, denn es war +ein großer Sturm in ihm, und das Herz pochte so heftig in seiner Brust, +daß es nachklang in den Schläfen.</p> + +<p>Der Schopper sagte: »Mein lieber Adlerwirt. So dumm bin ich nicht, daß +ich dir sie verrate. Geh' nur ruhig heim nach Kirchbrunn und kümmere +dich um deine Leut', die Frieda geht dich nichts an.«</p> + +<p>Damit wendete er sich seiner Arbeit zu, und dem<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> Adlerwirt blieb nichts +übrig, als den mühevollen Weg wieder zu Tale zu steigen.</p> + +<p>»Wenn Sie bis zum Feierabend warten wollen,« rief ihm einer der +Arbeiter zu, »so können Sie auch hinabfahren. Wir rutschen alle hinab. +Mit dem Brettel ist man in fünf Minuten zu Tal. Aber jetzt geht's +nicht, jetzt haben die Holzblöcher das Vorrecht.«</p> + +<p>Dem Adlerwirt kam aber die ganze Gegend ein wenig unheimlich vor, und +er ging angestrengt drei Stunden lang, bis er den Turm von Kirchbrunn +sah.</p> + +<p>Als er hinaus über die Wiesen schritt, saß dort an einem Wassertümpel +der Professor Nix und schaute den Krebsen zu. Der Alte erhob ein +Freudengeschrei, als er seinen Hausherrn sah, und wollte alsogleich +wissen, was die Adlerwirtshausbewohner verbrochen hätten, daß er sie +über drei Tage lang im Fegfeuer zappeln lasse.</p> + +<p>Der Wolfram setzte sich hin auf den Rasen und seufzte: »Ach ja, lieber +Professor!«</p> + +<p>»Junge, du gefällst mir nicht!« sagte der Professor.</p> + +<p>Der Wolfram schaute bekümmert in den Tümpel, dann sprach er: »Daß es +seine Ursache haben muß, wenn einer wie halbverrückt davonläuft, ohne +dem alten Vater, ohne dem Weibe zu sagen, wohin, das können Sie sich +denken. Und eine Ursache hat es. — Sie wohnen gemütlich in Ihrer +großen Stube, Herr, ärgern sich vielleicht ein wenig über den Lärm<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> der +Gäste am späten Abend, haben aber freilich keine Ahnung, was zwischen +uns vorgeht. Sie ist hart. Sie ist herzlos, daß ich's nicht sagen kann. +Sie macht mich ganz verzagt ...«</p> + +<p>»Na, na!« beschwichtigte der Professor und neigte sich über den jungen +Mann, denn dieser preßte seine Hände ins Gesicht und schluchzte.</p> + +<p>»Ich habe mir's gedacht,« sagte der Alte gedämpft, »ich habe mir's wohl +gedacht.«</p> + +<p>Dann schwiegen beide eine lange Zeit und starrten in das klare Wasser, +wo langsam die Krebse krochen und stets nach rückwärts — nach +rückwärts.</p> + +<p>»In den ersten Wochen,« so fuhr Professor Nix endlich fort, »da habe +ich vorgehabt, dir Trost zuzusprechen, habe sie wohl für eine herbe +Natur gehalten, aber wer den Schlüssel findet zu solchen Naturen, der +hat's gut. Sie zeigen und feilen ihr Herz und Gemüt nicht auf der Gasse +umher, sie geizen gegen alle Welt mit ihrer Güte, um ja recht viel +davon aufzuhäufen für den einen und einzigen, den sie selig machen +wollen. So eine goldene, habe ich gemeint, hättest du dir auserwählt. +Freilich ist mir nach und nach anders zu Mute geworden. Ganz krampfig +ist mir zu Mute geworden, mein lieber Wolf! Aber reden! Wenn er nicht +redet, ich bin auch still. Wenn einer zum jungen Ehemann hingeht und +sagt: Du, dein Weib paßt nicht für dich! so ist das ein schlechter +Kerl, den man mit einem Rattenschwanz erdrosseln soll. Aber dir sage +ich es doch, Wolf,<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> und du erdrosselst mich nicht, wenn ich dir sage: +Sie paßt nicht für dich!«</p> + +<p>Der Wolfram murmelte: »Ich erdrossele Sie nicht.«</p> + +<p>»Von der mußt du los, Junge!« rief der Professor.</p> + +<p>»Aber wie?« seufzte der junge Mann.</p> + +<p>»Scheidung! frisch! rasch! Heute besser als morgen.«</p> + +<p>»Ehescheidung!« sagte der Adlerwirt. »Das geht nicht. Dieses Aufsehen!«</p> + +<p>»Wenn sie dich in die Strafanstalt führen, das wird auch ein Aufsehen +sein!«</p> + +<p>Der Wolfram sprang empor.</p> + +<p>»Verzeihe!« begütigte der Professor. »Das Wort war schlimm. So +endet's bei dir nicht, so nicht. Du bist ein weicher Mensch, du wirst +verderben und vergehen, und wer dich umbringt, der kommt auch nicht +ins Zuchthaus, weil du dich vor Gram und Jammer selber verzehrst. Und +der, welcher dich mit kleinen Dosen täglich vergiftet, hat noch den +Triumph, als Leidtragender an deiner Grube zu stehen. — Wolf, wenn du +bisher alle sieben Todsünden begangen, die eine mußt du sühnen, auf der +Stelle, ohne Säumnis sühnen: daß du dieses Weib genommen hast!«</p> + +<p>»Ich hätte mir ja leicht eine andere gewußt.«</p> + +<p>»Eine andere!« sprach nun der Professor. »Wolf, eine andere laß +einstweilen aus dem Spiele! Das ganze Firmament, habe ich gesagt, +vermach' ich dir, nur den Halbmond nicht, der gehört den Türken.<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> Und +Türke wirst du keiner sein wollen. Jetzt eine andere! Das wäre hübsch! +Erst scheiden, dann wieder binden!«</p> + +<p>»Nicht mir zulieb' habe ich sie genommen.«</p> + +<p>»Man merkt es wohl, Junge. Wäre auch nur ein bißchen Neigung da, es +müßte sich anders zeigen.«</p> + +<p>»Mein Vater wollte es so haben,« gestand nun der junge Adlerwirt, »ihm +zuliebe bin ich hineingesprungen. Wir stehen schlecht, wir müssen uns +mit ihrem Gelde aufhelfen.«</p> + +<p>»Wolf,« sagte hierauf der Professor. »So lang dein Weib mißt, so lang +mißt dein Unglück. Wo das Weib aufhört und das Geld anfängt, fängt in +dir der Wicht an. — Schelm, armseliger! Das Geld! — Adlerwirtssohn. +Ich habe dich als Kind auf den Armen getragen und dabei gesungen: +Lieber Engel, werde ein braver Mensch! Hernach der wißbegierige Knabe! +Der warmherzige Jüngling! Es war eine Freude. Er wird's! habe ich oft +gejauchzt. — Na, und wie der Mann fertig ist, von dem man glaubt, daß +er edle Früchte wird tragen — steht der heißhungrige Geldwolf da. Irr +und toll könnt' einer werden!«</p> + +<p>Da der Adlerwirt bei diesen herben Worten sich abgewendet hatte, fiel +der alte kleine Professor vor ihm auf die Kniee, umfaßte seine Beine +und rief: »Mußt mir's zugute halten, Wolf, mir tut deinetwegen das Herz +so weh, daß ich schreien muß. Dem Vater zulieb'! Es war ja gut gezielt, +aber es<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> ist schlecht getroffen. Mein Wolf, glaube mir! Folge mir! Gehe +heute noch ins Amt und laß dich scheiden!«</p> + +<p>»Dann bin ich ein Bettler!« rief der Adlerwirt.</p> + +<p>Der Professor stutzte. Als er seiner Verblüffung einigermaßen Herr +geworden, sagte er in singendem Tone: »So, so. Also nur eine Ausrede +ist der Herr Vater. Du selber willst Geld haben. Du willst lieber ein +elender, verächtlicher Gauch sein, von deines Weibes Groschen zehrend, +unter eines Weibes Fuß wimmernd, dich windend wie ein zertretener Wurm, +anstatt mit gesunden Armen mannbar dir dein Brot zu verdienen! — +Adlerwirt, ich mag dich nicht mehr.«</p> + +<p>Er erhob sich rasch und ging quer über die Wiese hin durch das lange +Gras, daß kaum sein Kopf manchmal hervorragte über den Germen und +Rispen. —</p> + +<p>Als der Wolfram nach Hause kam, gab's von Vaters Seite ein arges +Wetter. Er ertrug's gleichgültig. Frau Kunigunde blieb drei Schritte +vor ihm stehen und fragte: »Bist denn schon da, Wolfram? Hast dir die +Socken lochig getreten, oder hat dich der Hunger nach Hause getrieben? +Die Köchin soll dich nur sattfüttern, daß du wieder gehen kannst.«</p> + +<p>In der heißen Wut über solchen Hohn tat der Wolfram schon den Mund auf, +um sie zu fragen: <span class="gesperrt">wenn</span> eins gehen müsse, welches von beiden? — +Aber der alte Adlerwirt hielt ihn fest am Arm und raunte ihm zu: »Um +Christi willen, schweig still! Wir müßten vom Haus ziehen wie ein paar +Zigeuner.<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> Kein Nagel auf dem Dach ist mehr unser Eigentum. Nur noch +kurze Zeit Geduld! Hast du's schon gehört? Der Salmhofer liegt auf den +Tod!«</p> + +<p>Der Wolfram hat sich die Lippen blutig gebissen und geschwiegen.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_3"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h3>7. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Jetzt währte es noch zwei Tage, und von Geßnitz langte ein Bote ein. +Der Jungknecht aus dem Salmhofe war's. Er stand vor dem Adlerwirtshause +so eine Weile herum, stolperte dann ins Gastzimmer und ließ sich einen +Krug Apfelwein geben. Er zerrüttete sich fast den Kopf im Nachsinnen, +wie er es angehen werde, daß seine Neuigkeit nicht tödlichen Schreck +hervorbringe. Fürs erste tat er ein paar herzhafte Züge, das machte ihn +mutiger. Und als der alte Adlerwirt — grau und mager war er geworden +die letzte Zeit her — in die Stube trat und den allein dasitzenden +Gast fragte, was es Neues gäbe? antwortete der Jungknecht mit +unbehilflichen Worten, es sei halt so auf der Welt. Er bringe gerade +nichts Gutes. — Dann trank er wieder.</p> + +<p>Der alte Wirt horchte gespannt hin. »Wenn ich mich nicht verkenne,« +sagte er, »du bist ja ein Salmhoferischer?«</p> + +<p>»Wohl eh, wohl eh,« antwortete der Knecht und fuhr sich mit der flachen +Hand über das breite Gesicht.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span></p> + +<p>»Also wie geht's daheim, wie geht's?« fragte der Wirt unter den +lebhaftesten Zeichen der Teilnahme.</p> + +<p>»Gestern auf den Abend ist's halt gar worden mit ihm,« berichtete der +Knecht.</p> + +<p>»Was sagst?« fuhr der Wirt auf. »Der Salmhofer! Mein Schwieger! Wird +doch nicht —«</p> + +<p>»Er liegt schon auf der langen Bank,« sagte der Bote.</p> + +<p>Der alte Adlerwirt schlug sprachlos die Hände zusammen.</p> + +<p>»So viel schnell ist es gegangen,« berichtete der Knecht. »Das Blut ins +Hirn gesprungen, sagt der Doktor. Morgen nachmittags ist die Leich.«</p> + +<p>Der Wirt schritt mit gerungenen Händen die Stube auf und ab und konnte +sich nicht fassen. Immer schüttelte er den Kopf und murmelte: »Wer +hätte sich das gedacht!« Aber auf einmal rief er mit gehobener Stimme: +»Er hat's überstanden. Man muß noch froh sein, daß er kein großes +Ableiden gehabt hat. — Trink aus, Bub, ich füll' dir noch einmal nach.«</p> + +<p>Als bald darauf der Wolfram eintrat, sagte der alte Wirt zu ihm: »Du, +Wolf, eine große Neuigkeit. Mußt aber nicht zu arg erschrecken. Morgen +heißt's nach Geßnitz fahren. Das Schlimmste ist eingetroffen.«</p> + +<p>Der Wolfram schaute seinen Vater an, sagte aber kein Wort, blieb +gelassen, zeigte weder Trauer noch Freude. Dann stieg er die Treppe +hinan zu seiner<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> Frau. Vor ihrer Tür stand er still und schöpfte Atem. +Es kam ihm sauer an, daß er ihr jetzt einen großen Schmerz bereiten +sollte. Doch wer wird's sonst tun als er? Mit der möglichsten Schonung +will er ihr die Nachricht mitteilen und ihr liebevoll beistehen im +kindlichen Leide. An die Vorteile, die durch des Schwiegervaters Tod +dem Adlerwirtshause zukommen sollen, konnte er nicht denken, es empörte +sich in ihm etwas dagegen. Ihm war der Salmhofer nie nahe gestanden, +aber mit seinem Weibe fühlte er Mitleid, und jetzt das erste Mal war +es ihm, als ob er sie doch lieb hätte. Endlich trat er ein. Sie saß +am Tischchen, war mit einer Stickerei beschäftigt und zählte just die +Maschen. Er setzte sich ihr gegenüber und tat, als schaue er aufmerksam +ihrer Arbeit zu. Sie wollte aufstehen, er faßte sanft ihre Hand und +sagte: »Bleib' ein wenig bei mir, Kunigunde.«</p> + +<p>Sie blickte ihn forschend an. »Was bedeutet denn das?« fragte sie kalt.</p> + +<p>»Ich muß dir's doch sagen,« fuhr er fort, »ein Bote ist da vom Salmhof. +Mit deinem Vater steht's recht schlecht.«</p> + +<p>»Lüg' nicht!« herrschte sie ihm zu. »Tot ist er!«</p> + +<p>Der Wolfram schwieg.</p> + +<p>»Tot ist er!« rief sie und brach in ein heftiges Weinen aus.</p> + +<p>Er stand zu ihr, sagte ihr gütige Worte, streichelte ihr Haupt. Mit dem +Arm stieß sie ihn von<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> sich. »Heuchler! Ihr habt seinen Tod doch kaum +erwarten können!«</p> + +<p>»Kunigunde!« sprach er nun scharf und herb. »Das Wort sagst du mir +nicht noch einmal! Meinetwegen hätte er noch hundert Jahre leben +können. Ich suche nichts mehr bei ihm. So klug bin ich wohl geworden, +meine liebe Kunigunde, daß ich endlich einsehe: vom Salmhof kommt +<span class="gesperrt">mein</span> Glück nicht.«</p> + +<p>Sie hatte ihr Haupt ins Bettkissen gedrückt und weinte. Ihm wollte +das Herz zerspringen darob, daß er ihr jetzt, gerade jetzt das rohe +Wort gesagt. Aber so stand's mit ihm, je wärmer sein Gemüt war, desto +leichter und plötzlicher sprang es, wenn ihm wehe getan wurde, in das +Gegenteil um. Wenn er gegen sein Weib Gleichgültigkeit, ja Abneigung +empfand, da gab es nie etwas, da blieb er ruhig und überlegsam; so +oft er aber mit einem warmen, hoffenden Gefühl an sie herantrat und +enttäuscht ward, setzte es fast immer einen Wettersturz und wilden +Sturm.</p> + +<p>Frau Kunigunde rüstete sich, um nach Geßnitz zu fahren. Sie fuhr +allein davon. Der Wolfram wollte zum Professor gehen, um ihm das +Herz auszuschütten, aber der war nicht zu Hause und seine Stube +verschlossen. Die Stubenmagd berichtete ihm, der alte Herr wäre seit +einigen Tagen recht mißmutig und verlange an jedem Abende die Rechnung.</p> + +<p>Das Leichenbegängnis des Salmhofers ward mit<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> großem Pompe vollzogen. +Wie zu einem Jahrmarkte kamen die Leute zusammen. Der alte Adlerwirt +war überaus gerührt, und manche weichherzige Person mußte nur darum +weinen auf dem Kirchhofe, weil sie den alten Mann so bitterlich +schluchzen sah. Der junge Adlerwirt schien merkwürdig gefaßt zu +sein; nur als er die Großbäuerin sah, die gebeugt, aber ergeben am +Grabe ihres Mannes kniete, ward ihm das Auge feucht. Frau Kunigunde +weinte nur wenig, aber in ihrem ganzen Wesen war eine kalte, fast +ehrfurchtgebietende Trauer ausgedrückt. Sie war stets an Seite ihrer +Mutter und suchte diese damit zu trösten, daß sie ihr zum künftigen +Aufenthalte das Adlerwirtshaus antrug. Der Salmhof soll verkauft werden +und die Mutter nach Kirchbrunn ziehen.</p> + +<p>»Das wäre ja gut,« meinte die alte Bäuerin, »wenn's nur auch deinem +Manne recht ist.«</p> + +<p>»Meinem Manne!« rief Frau Kunigunde fast lachend aus. »Was geht denn +das meinen Mann an! Glaubst du, Mutter, ich werde mich vom Manne auch +so tyrannisieren lassen wie du? Das wirst du anders erfahren, bis du im +Adlerwirtshaus bist. Was du hast leiden müssen, Mutter! Du bist still +gewesen, aber ich weiß es, und ich werde es den Männern heiß entgelten, +das hab' ich mir vorgenommen.«</p> + +<p>»Gott tröst' seine Seel'!« sagte die alte Salmhoferin mit gefalteten +Händen, »ich trag' ihm nichts nach, meinetwegen soll er nichts zu +leiden haben.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p> + +<p>»Ja, ja, es soll's statt seiner nur ein anderer büßen!« versetzte Frau +Kunigunde.</p> + +<p>Auf den Hof zurückgekehrt, sahen die beiden Frauen mehrere fremde Leute +in den Wirtschaftsgebäuden umhersteigen.</p> + +<p>»Was wollen denn diese?« fragte die Adlerwirtin.</p> + +<p>»Laß sie umhergehen,« antwortete die Mutter, »die Neugier plagt sie. +Mir scheint, es ist auch der Klobensteiner Verwalter dabei. Der wird +Vieh kaufen wollen. Der Großknecht wird's schon ordnen. — Komm', +Kundel, wir wollen einen warmen Kaffee trinken.«</p> + +<p>Die erste Zeit nach dem Tode des Großbauers blieb Frau Kunigunde nun im +Salmhofe bei ihrer Mutter.</p> + +<p>Die beiden Adlerwirte kehrten alsbald nach Kirchbrunn zurück. Den +Wolfram erwartete zu Hause die Nachricht, daß der Professor Nix +abgereist sei und einen Brief hinterlassen habe. Dieser Brief lautete:</p> + +<div class="blockquot"> +<p> +»Lieber Wolfram!<br> +</p> + +<p>Mich geht die Sache nichts an, aber zusehen mag ich nicht. Und still +sein mag ich auch nicht. Ich werde unwirsch. Was soll ich Dir weh +tun? Du hast schon auch so Dein Teil. Zu helfen ist Dir nicht. Also +breche ich meinen Sommeraufenthalt im schönen Kirchbrunn ab und +gedenke eine Reise zu machen. Sei bedankt für alles. Umkehren wirst +Du kaum. Du stehst jetzt auf dem<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> Punkte, wo viele Wege sich zweigen. +Schlimm ist jeder, aber wähle nicht den allerschlimmsten. Gott walt's.</p> + +<p class="right"><span class="gesperrt">Josue Nix.</span>«</p><br> +</div> + +<p>Als der Wolfram diesen Brief gelesen hatte, befiel ihn ein solches +Leid, daß er zusammenbrach auf eine Bank und stöhnte. Jetzt war dieser +Mann von ihm gewichen, der seit Jahren als fröhlicher Genosse und +Ratgeber sein Vertrauen gewonnen. Er hatte einen Vater, aber der war +oft herrisch, eigennützig, launenhaft und nicht immer verläßlich. Er +hatte Jugendfreunde gehabt, hatte viele gute Kameraden, aber sie waren +Schmarotzer, Schelme oder Dummiane. So recht aus Herzensgrund sich +geben und vertrauen glaubte er nur mehr diesem Manne zu können, der +allsommerlich sich eingefunden mit seinem hellen Kopfe, mit seinem +heiteren, treuen Herzen. Er war selber schier ein anderer geworden in +dieser Gesellschaft, er hatte, bei aller Verehrung für ihn, manche +Schalkerei, manchen kecken Burschenstreich mit dem kleinen Alten +durchgemacht, er hatte manchen ernsten Rat desselben befolgt, und er +hatte es nicht ein einziges Mal zu bereuen gehabt. Und diesen seinen +letzten Rat — Ehescheidung! kann er nicht befolgen, unmöglich! Wie +wird das enden?</p> + +<p>Der alte Adlerwirt lebte ordentlich auf. Neue Geschäfte hub er +an, Bauholz kaufte er, einen Steinbruch unweit des Dorfes wollte +er erstehen, denn für das nächste Jahr hatte er einen Neubau des +Adlerwirtshauses vor. Kirchbrunn soll ein Hotel<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> bekommen! Eine +Sommerfrischanstalt mit Lustgarten und Bädern. — Seine Zeit muß man +verstehen! Die Passionen der Mitwelt muß man ergründen, auf die Lösung +dieses Rätsels ist eine große Prämie gesetzt — die Million.</p> + +<p>Endlich kam ein Schreiben aus Geßnitz vom Notar. Der alte Adlerwirt +atmete auf, er hatte es schon seit Wochen erwartet. Der Adlerwirt +zu Kirchbrunn wird ersucht, in Angelegenheit des Salmhoferischen +Nachlasses bei dem Notariat zu Geßnitz sich einzufinden.</p> + +<p>»Einspannen!« kommandierte der alte Adlerwirt. Er selber wollte fahren, +der Wolfram war auf einem Holzeinkauf aus.</p> + +<p>Der Notar, ein alter, hagerer Mann mit brauner Perücke und +schwarzgefärbtem Schnurrbarte, empfing den Adlerwirt sehr höflich, +kramte hernach eine Weile in Papieren um und stellte die Frage, ob +der Adlerwirt, als Schwiegersohn des seligen Salmhofers, geneigt sei, +dessen Erbe anzutreten.</p> + +<p>Der alte Wirt war über die förmliche Frage in so selbstverständlicher +Sache etwas erstaunt. Er antwortete: »Ich brauche wohl nicht zu sagen, +daß ich als Bevollmächtigter meines Sohnes Wolfram hier bin, und daß +ich in seinem Namen erkläre —«</p> + +<p>»Gemach!« unterbrach ihn der Notar. »Ich glaube, die Sache müßte wohl +überlegt werden. Ich würde nicht raten.«</p> + +<p>»Wieso? Wie meinen Sie das, Herr Doktor?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p> + +<p>»Außer Ihr Sohn denkt so vornehm, daß er die Ehre seines +Schwiegervaters retten will.«</p> + +<p>»Ich verstehe nicht, Herr Doktor.«</p> + +<p>»Es ist höchst wahrscheinlich,« fuhr der Notar fort, »daß in dem +Nachlasse des verstorbenen Salmhofers die Passiven größer sind, als die +Aktiven.«</p> + +<p>Es war heiß in der Kanzlei. Der Adlerwirt trocknete sich mit dem +Taschentuche die Stirn, dann lallte er mit grinsendem Gesichte: »Ist +ein Spaß, hi, hi.«</p> + +<p>»Ist kein Spaß, lieber Adlerwirt,« sagte der Notar. »Mit dem Vermögen +des Salmhofers steht es ganz anders, als man angenommen hat. Es steht +unerhört schlecht.«</p> + +<p>»Aber, Jesses, man sieht ja, was da ist!« brauste der alte Wirt auf.</p> + +<p>»Nichts ist da,« versetzte der Notar mit fürchterlicher Ruhe. »Alles +gehört dem Baron Klobenstein. Seit vielen Jahren hat der Baron Geld +geborgt, den Viehbestand beigestellt, die Steuern bezahlt für den +Salmhof. Der Großknecht auf dem Hof war so viel als Klobensteinischer +Verweser, der alte Salmhofer genoß seit einiger Zeit vom Baron eine Art +Gnadenbrot. Alles, was Sie heute sehen, und mehr als alles, gehört der +Herrschaft Klobenstein. Leider, so steht es.«</p> + +<p>Und jetzt wußte es der Adlerwirt. »Der Teufel hol' eine solche +Erbschaft!« schrie er in wilder Empörung. »Schulden! die habe ich +selber.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span></p> + +<p>Betäubt war er, wie er spät abends nach Hause kam. Als ein reicher +Mann war er ausgefahren, als Bettler kam er heim. In die Wut brachte +ihn erst der Wolfram. Als er diesem die saubere Neuigkeit mitteilte, +was geschah? Der Wolfram fuhr nicht auf, wurde nicht rasend, sagte gar +nichts, zuckte nur die Achseln.</p> + +<p>»Ist das ein Hosenlupf?« fragte der Alte den Sohn voll giftigen +Grimmes. »Nein, Freund, das ist kein Hosenlupf. Wie wir jetzt +hingeworfen sind, da stehen wir nicht wieder auf. Was sagst denn dazu? +Pfeif' eins, wir sind ruiniert! Pfeif' eins, großer Geist, Narr, +angesteckt vom alten Narren, der gottlob zum Teufel gegangen ist.«</p> + +<p>»Ich weiß nicht, was du willst, Vater,« sagte nun der Wolfram. »Dir +muß es immer sehr gut ergangen sein. Was mich anbelangt, habe ich +schon Schlimmeres erfahren, als was du mir da sagst. Du hast freilich +nur auf das Salmhoferische Geld gewartet und nicht gespürt, daß ich +deine Habsucht im Fegefeuer büße. Und nicht darnach gefragt, was +ich ausstehen muß neben dieser Person. Den Eltern zu gefallen eine +heiraten, das ist die achte Todsünde; heute noch gehe ich zum Pfarrer +und lasse sie in den Katechismus schreiben.«</p> + +<p>»Du bist ein dummer Knabe!« schrie der Alte.</p> + +<p>»Der Vatername schützt dich, daß ich dir jetzt nicht ein anderes Wort +sage!« so der Wolfram, blaß, glühenden Auges, am ganzen Körper bebend.<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> +So viel Besinnung hatte er noch, daß er merkte, es wäre die höchste +Zeit, aus der Stube zu eilen.</p> + +<p>In seinem einsamen Zimmer, nächtig dunkel, feindselig fast die Stimmung +des Raumes, in welchem Frau Kunigunde zu walten pflegte, saß der +Wolfram und stützte seinen schweren Kopf auf die Hand. Und weil in +dem Menschen etwas ist, das ihn nicht ganz versinken lassen will in +Verzweiflung, so fiel es ihm ein: Vielleicht ist diese Wendung zum +Glücke. Vielleicht ist ihr Stolz, ihre Härte jetzt gebrochen, wenn +sie weiß, daß sie arm ist wie ein Karnerweib, vielleicht kommt jetzt +ihre bessere Natur zum Vorschein. Ich will ihr's leicht machen. Kein +Vorwurf, keine Anspielung soll über meine Lippen kommen; beweisen will +ich ihr, daß ich nicht das Geld in ihr achte und suche, wohl aber das +warme Herz.</p> + +<p>Zu seinem Vater ging er noch einmal, der im Hofe wie wahnsinnig hin +und her rannte, und zu diesem sprach er: »Vater! Eines merke dir! Sage +meiner Frau, wenn sie heimkommt, kein ungeschaffenes Wort! Ich will sie +respektiert wissen, verstehst!«</p> + +<p>»Ja versteht sich,« höhnte der Alte, »eine <span class="gesperrt">solche</span> Frau muß man +respektieren!« Dann schlug er um: »Bettelbub! Was ist das für eine +Manier?! Glaubst du, Laff', weil ich dich nicht mehr enterben kann, du +darfst mit mir umgehen, wie mit einem Landstromer?«</p> + +<p>Der Sohn schritt ins Haus zurück.</p> + +<p>In der Gaststube saßen ein paar angeheiterte<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> Bauern und machten faule +Späße über ihre Weiber. Jeder prahlte sich damit, daß die seine daheim +die Häßlichste und Unsauberste und Zuwiderste wäre; und der eine +stieß sein leeres Glas von sich, hieb mit der Faust auf den Tisch und +gurgelte: »Das weiß ich!« Er wollte etwas sagen, wußte aber nichts.</p> + +<p>»Wenn mich meine Alte recht fuchtig macht, so geh' ich ins Wirtshaus +und sauf' mir einen Rausch!« rief der andere.</p> + +<p>»Ha ha, ha ha!« lachte der eine, »und wenn du nachher heimkommst, +siehst du den Drachen doppelt und dreifach. Das muß eine Freud' sein!«</p> + +<p>Der Wolfram hörte ihnen mit Wehmut zu, diesen unglücklichen Ehemännern, +die so lustig sein und so tapfer trinken konnten. Auch er hatte das +Trinken schon versucht, es ging aber nicht. Nur in der Frohstimmung +schmeckte ihm der Wein, aber es kam nie zu einer.</p> + +<p>Und es wird doch wieder zu einer kommen! also ermutigte er sich selbst. +Vielleicht nimmt's eine Wendung. Denn daß es so bleiben sollte fürs +ganze Leben — er vermochte es nicht zu denken, geschweige zu ertragen.</p> + +<p>Ein so hartes Weib als er — also empfand er's — hat keiner mehr auf +der Welt. Ihre Herbheit, ja Roheit gegen ihn tat ihm um so weher, +als Frau Kunigunde sonst manchmal und gegen andere Herz und Gemüt +zeigte. So war sie nicht karg gegen Arme; manchem Bettelmann, der ihr +zu schmeicheln<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> wußte, gab sie mit vollen Händen. Ward ein Dienstbote +krank, so war sie zwar ungehalten, besorgte aber schleunigst Pflege und +Arzt; noch mehr Neigung wendete sie den Tieren zu, von denen sie sagte, +sie verdienten mehr Liebe als die Menschen. Am rücksichtsvollsten +und aufmerksamsten war sie gegen ihre Verwandten. So unzufrieden sie +zu Hause auf dem Salmhofe gewesen war, so lebhaft strebte sie jetzt +manchmal nach dem Salmhofe zurück, all ihre Herzenswärme verschwendete +sie dahin. Und nur ihrem Manne nichts und gar nichts als Trotz und +Bitterkeit.</p> + +<p>Nach diesen ruppigen Tagen stand es an zwei Wochen lang, da kamen sie +plötzlich angefahren, die Frau Kunigunde und ihre Mutter. Und mit Sack +und Pack.</p> + +<p>Für die Salmhoferin wurde alsbald das Baumgartenzimmer eingerichtet, +und als der Wolfram endlich Gelegenheit hatte, mit seiner Frau ein paar +Worte zu sprechen, sagte er: »Ganz recht, Kundel, daß du deine Mutter +mitgebracht hast. Solange wir selber in diesem Hause sind, wird sie +auch noch Platz haben. Es ist recht, es ist schon recht.«</p> + +<p>»Habe ich dich darum gefragt?« entgegnete sie.</p> + +<p>»Kundel,« sagte er und wollte ihre Hand fassen, was sie aber zu +verhindern wußte, »Kundel! wie du hart bist auf mich! Das kann nicht +dein Ernst sein. Du bist jetzt nur unglücklich, und das macht halt +bitter. Mich erbarmst du.«</p> + +<p>»Schenke du dein Mitleid einer anderen, ich<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> brauch' es nicht!« so ihre +Antwort, ging in ihr Zimmer und schlug hinter sich die Tür zu.</p> + +<p>Der Wolfram stand noch eine Weile so allein da, dann tat er einen +Seufzer: »Ach! das ist ein Leben!«</p> + +<p>Der alte Adlerwirt ließ sich von nun an selten mehr sehen. Er saß in +seiner kleinen Stube neben der Küche und brütete vor sich hin. Manchmal +ging er, anstatt zu seinen wenigen, verdrossenen Gästen sich zu setzen, +zum zweiten Dorfwirte hinüber und trank erstaunlich viel Wein. Aber die +Gläubiger und die Exekutionsbögen fanden ihn auch dort, und endlich +war es nicht mehr zu vertuschen, wie es stand. Und eines Tages war im +Bezirks-Wochenblatte die Anzeige zu lesen von einer großen Vergantung +zu Kirchbrunn.</p> + +<p>Der Wolfram hätte sein schweres Herz gerne abgelastet vor dem einzigen +Menschen, der ihm beigesellt worden zum gemeinsamen Tragen von Freud +und Leid, aber die Tür ihres Zimmers war verschlossen und blieb +verschlossen, wenn er auch klopfte. Also litt es ihn nicht mehr in +den unwirtlichen Mauern seines Hauses, nicht mehr im Dorfe, wo er aus +jedem Gesichte Mitleid oder Schadenfreude und Hohn zu lesen glaubte. +Immer noch unter dem Vorwande, Vieh oder Holz einzukaufen, strich er im +Gebirge um, verbrachte manche Nacht auf harter Bank der Schenkstuben +oder in Heuscheunen. Mehrmals stieg er auf hohe Berge und blickte +hinaus ins weite, schöne, sonnige Land, und da ward er<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> noch trauriger. +— Wie ist die Welt so schön! Und wie sind die Menschen so arg!</p> + +<p>In Waldgeschlägen fragte er an, ob man einen kräftigen Holzarbeiter +brauchen könne, er wisse einen solchen. Denn klar und gewiß war es +ihm endlich geworden, daß er mit seinem Weibe nicht mehr weiterleben +könne. So wollte er auch von ganz Kirchbrunn nichts mehr wissen, +sondern auf einem anderen Fleck ein neues Leben anfangen — sei es noch +so armselig, besser als dieses auf jeden Fall. Es gibt ja so viele +Millionen Menschen, die Bankerott gemacht mit ihrem Glücke, und sie +fügen sich und leben geduldig dahin so lange, bis sie sterben. Warum +will es unsereiner besser haben als die meisten anderen? Je länger +einer an seinem Glücke baut, desto tiefer baut er in die finstere +Erde hinein, desto kümmerlicher wird's. Und es ist ganz gut so. Wie +hart wäre das Sterben, wenn diese Welt desto schöner würde, je länger +der Mensch daran verbessert und verschönert. Wenn es dem Unschuldigen +schon oft gottlos schlecht geht, was will erst ich sagen! Ich habe das +unrechte Weib genommen, habe es doch rechtzeitig bemerkt und bin nicht +zurückgestanden. Ich kann mich zum Teil auf meinen Vater ausreden, der +mich in diese Heirat hineingelockt hat, aber zum anderen Teil habe +ich auch selber an ihren Reichtum gedacht und darnach geplant. Mir +geschieht schon recht.</p> + +<p>Also richtete der Wolfram sich selbst, und dann<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> saß er wieder in +Straßenschenken und goß Wein auf sein wehes Herz.</p> + +<p>Kauerte er einmal an einem heißen Sonntagsnachmittag auf dem +Schabelberg. Niemand war da als ein altes Weib, das im Bankwinkel +nickend den Wünschen des Gastes harrte. Zahllose Fliegen umsummten +den einsamen Zecher und sein Glas. Er starrte durch die trübe +Fensterscheibe hinaus auf die blendend weiße Straße und auf die +halbverdorrten, graubestaubten Halme und Sträucher, die am Rande hin +und her standen. Da ging ein Weibsbild vorüber. Dieses Weibsbild +hatte, um den schwarzen Spenzer, sowie das rote Halstuch vor Staub und +ihr Haupt vor den glühenden Sonnenstrahlen zu schützen, den blauen +Außenkittel so über ihre Gestalt geschlagen, daß er wie ein Schirmdach +muschelförmig den Oberkörper einhüllte. Der graue Unterrock ging bis +halb über die weißbestrümpften Waden und schlug bei jedem Schritte +in pendelartiger Gleichmäßigkeit sachte hin und her. Aus der Muschel +guckte ein frischrotes Gesicht, und dieses Gesicht war — dem Wolfram +schoß alles Blut zum Herzen.</p> + +<p>Rasch warf er ein paar Münzen auf den Tisch, stand auf und ging hinaus. +Die Straße zog bergwärts, das Dirndel stieg tapfer an, der Adlerwirt +duckte sich ein wenig hinter der Hausecke, und als sie einen gewissen +Vorsprung hatte, schnalzte er mit der Zunge und ging ihr nach.</p><br> + + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_4"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span></p> + +<h3>8. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Die Jungmagd Frieda einst auf dem Salmhofe. Ein paarmal hatte sie sich +ihren Dienstgenossen gegenüber geäußert: die Ehre wäre ihr doch zuteil +geworden, daß der junge Adlerwirt an seinem Hochzeitstage mit ihr gute +Gesundheit getrunken! Und dieses Prahlen hatte ihr den Dienst gekostet. +Es war schon so etwas in der Luft gelegen, und der alten Salmhoferin +sogar kam es nicht ganz richtig vor. Ein Brieflein von der Kundel +schlug dem Fasse den Boden aus, und die Frieda wurde verjagt.</p> + +<p>Einen halben Tag lang war sie fortgegangen auf Wegen, Stegen und +Steigen, ohne irgendwo um Arbeit zuzusprechen. Und als sie ins Gebirge +gekommen war, wo die Bauerngüter seltener und die armen Waldhütten +häufiger wurden, besann sie sich. Je entlegener und versteckter der +Bergwinkel ist, in dem sie bleiben wird, desto besser. Es braucht's +im Salmhofe niemand zu erfahren, wo sie ist, es braucht's im +Adlerwirtshause niemand zu erfahren, und es braucht's der Holzknecht +Schopper nicht zu wissen. Es wird sich mit Gottes Willen wohl auch +anders wer finden, mit dem sich gut Freund sein läßt. Oder ist der +junge Adlerwirt der einzige auf der Welt? Gott sei Dank, nein.</p> + +<p>In der Abachleuten beim Möstl nahm sie Dienst. Die Abachleuten war ein +zwischen Berghalden schräge ansteigendes Wiesental mit einigen kleinen +Kornäckern<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> und Erdäpfelgärten. Ein kaltes Wässerlein rauschte durchs +Tal, und an den Wildstrüppen, die am Bachesrand standen, hingen auch +an den Sommermorgen manchmal kleine Eiszapfen. An der sonnseitigen +Lehne der Abachleuten stand das kleine Haus des Möstl, das letzte hier, +welches sich noch kümmerlich von Feld- und Wiesenwirtschaft fristete. +In diesem Waldhause lebten zwei ältliche Eheleute, die sehr arbeitsam, +sehr häuslich und immer frohen Gemütes waren. Man merkte gar nicht, +wie viel Sorge und Mühsal und Beschwerde es gab dahier. Der Möstl, +ein rasches, gebücktes, ununterbrochen tätiges, stets glattrasiertes +Männlein, war allezeit munter und aufgeräumt, und machte über jeden +Graben, den das Schicksal ihm zog, einen kecken Sprung und lachte dazu. +Seinem Weibe war's auch recht. Beide waren etwas schwerhörig und hatten +daher sich eine laute Stimme angewöhnt, so daß man sie schon von weitem +sprechen hörte mit klingendem Schall. Sie hatten sich immer etwas zu +erzählen, zu fragen, zu raten, manchmal neckten sie sich einander +sogar, daß ein helles Gelächter entstand. Der Ehekrieg, den auch diese +Leute führten, bestand darin, daß sie einander immer zu überlisten +suchten: beim Essen schmuggelte eines dem anderen möglichst unbemerkt +die besseren Bissen zu, bei der Arbeit trachtete eines dem anderen die +härtesten Dinge abzulasten.</p> + +<p>Diese Möstlleute im Abachtale hatten auch ein<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> Kind, eine bereits +erwachsene Tochter, die aber schon seit Jahr und Tag in einem +Strohsessel lehnte, weil infolge eines Wettersturmes, bei dem sie unter +Wasser gekommen, ihre Füße lahm geworden waren. Das Mädchen mußte +in vielem wie ein Kind gepflegt werden, konnte nur wenige Arbeiten +verrichten helfen, hatte bisweilen Schmerzen zu leiden und blickte +trotzdem mit ihrem blassen, gutmütigen Gesichte fröhlich ins Leben +hinein, wenn man ihr Dasein und ihr Genießen überhaupt Leben nennen +konnte.</p> + +<p>Bei diesen Leuten nun hatte die wandernde Frieda eines Abends um +Nachtlager gebeten, und bei diesen Leuten war sie verblieben. Ein guter +Lohn, wie auf dem Salmhofe, war hier nicht zu haben, die Arbeiten +hatten viele Beschwer, und doch war es der Magd, als sei sie im Himmel. +Was war das im großen, reichen Salmhofe für ein Streiten, Beißen, +Übervorteilen und Murren gewesen der Leute untereinander! Und hier, +welcher heitere Frieden, welche herzliche Einigkeit! Die Möstlleute +machten aus der Arbeit eine Unterhaltung, aus jedem Werktage einen +Festtag, denn alles, was da war, packten sie von der erträglichsten +Seite an und taten, als machten sie eine Kurzweil daraus. Das hatte +die Frieda auch noch nicht gesehen, daß man laut lacht, als ob man +gekitzelt würde, wenn man schwere Schmerzen leidet am siechen Körper. +Die Adelheid konnte das! Das arme Mädchen lachte in den Nächten manch<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> +halbes Stündchen lang. Die Mutter tat ihr alles, was in ihrer Macht +stand, zugute und hatte bisweilen in ihrem freundlichen Auge etwas +Nasses. Aber ein heiteres Wörtlein mußte doch immer gesagt werden. Und +wenn es manchmal besonders schlimm ward, so daß die Adelheid nicht mehr +lachte, sondern ganz still war und die Zähne aufeinanderbiß, da huben +die Alten ein emsiges Beraten an, verfielen auf allerlei Mittel und +ergriffen jedes mit solcher Zuversicht und Hoffnungsfreudigkeit, als ob +alles Heil vor der Tür wäre.</p> + +<p>Die Magd Frieda lebte neu auf in diesem Hause; neigte doch auch ihre +warmlebige Natur zum Frohsinn hin. Als ob sie wieder Eltern und +Schwester gefunden hätte, so war ihr, und sie trachtete, den Leuten +nach ihren Kräften zu dienen, Hartes zu mildern, Liebes zu tun, und +besonders verstand sie bald, sich als Pflegerin der armen Siechen so +zu erweisen, daß der Möstl einmal seinem Weibe zuschrie: »Alte! an der +hat uns der Herrgott eine geschickt, daß wir ihm dafür die große Zehe +wegküssen sollten wie die Betschwestern zu Rom dem heiligen Petrus.«</p> + +<p>Was das Möstlweib darauf antworten wollte, das durfte aber nicht so +herausgeschrieen werden. Erst draußen am Feldraine teilte sie ihm ihre +Bedenken mit: »Daß sie dir gefällt, die Frieda, wäre schon recht. +Aber: auweh und auweh! möcht' ich sagen, sie gefällt auch anderen +Mannsbildern. Wenn<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> du Zehen wegküssen willst, so mußt bald anfangen, +sonst frißt sie vorher der Fuchs. Schon das zweite Mal habe ich am +vorigen Samstag wahrgenommen, daß einer vor ihrem Fenster steht. Ein +ganz fremder Kund ist's, habe mich zuerst schier gefürchtet vor ihm, +aber geplaudert mit ihr hat er ganz gutmütig.«</p> + +<p>Und das Möstlweib hatte nicht schlecht beobachtet. Kaum daß die Magd +Frieda ein paar Wochen in diesem weltverlorenen Hause gelebt, war +eines Abends auch schon der Schopper-Schub da. Vor dem gab's kein +Verstecken! Eben wollte sie desselben Abends einschlafen, als er durch +ein leises Klopfen an ihrem Fenster sich anmeldete. Sie war zuerst sehr +erschrocken und sogar empört, allmählich jedoch kam es ihr zu Sinn, +daß dieser Mensch doch gar zu anhänglich wäre, fast wie ein Bruder. +Sie hatte ja ohnehin keinen Bruder. Sie setzte sich in ihrem Bette +auf, er setzte sich draußen auf den vorspringenden Wandschrott, und +so sprachen sie eine Weile miteinander. Er sagte, daß sie ganz recht +habe mit ihrem neuen Dienstorte, und daß er schon bemerkt hätte, wie +brav sie den armen Krüppel pflege und die Anhänglichkeit der Möstlleute +besitze. Das würde ihr gewiß den Segen Gottes bringen, und ihr würde es +noch einmal viel besser ergehen, als mancher reichen und hochmütigen +Großbauerntochter. Ihm — so erzählte der Schopper treuherzig — fehle +auch nichts. Er habe jetzt im Siebenbachwaldgraben eine große Riesen +gebaut, welche von allen Holzmeistern<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> gelobt wurde und welche ihm auch +Geld und die Vorknechtstelle eingetragen habe. Vielleicht bringe er +es doch noch einmal zu einer Eigenstatt, zu einer Hütte. Er wolle mit +einer solchen klüger sein als das erste Mal.</p> + +<p>»Ja, hast schon einmal eine Hütte besessen?« fragte die Jungmagd.</p> + +<p>»So groß wie das Möstlhaus,« antwortete er.</p> + +<p>»Ein Häusel hast gehabt? Und hast es denn vertan? vertrunken? +verspielt?«</p> + +<p>»Verraucht,« sagte der Holzknecht.</p> + +<p>»Jessas! So viel Tabak rauchen tust?«</p> + +<p>»Angezündet hab' ich's, mein Haus, und niedergebrannt.«</p> + +<p>»Nicht gescheit bist!« hauchte die erschrockene Frieda. »Aber wie hat +das können sein?«</p> + +<p>»Weil ich ein rabiater Mensch bin,« sagte der Schopper. »Zufleiß hab' +ich's getan. Und gereut hat's mich auch noch nie!«</p> + +<p>»Bei dir kennt man sich frei nicht aus,« meinte die Jungmagd.</p> + +<p>»Bist neugierig?« fragte er. »Nachher kunnt' ich dir's ja erzählen. +Aber sitzen tu ich schlecht auf dem Schrottkopf.«</p> + +<p>»Einen anderen Platz hab' ich nicht,« gab sie schneidig zurück.</p> + +<p>»Alsdann bleib' ich sitzen auf dem Schrottkopf,« sagte er geduldig +und hub an zu erzählen: »Von Wallischdorf bin ich her. Dort hat der +Schopper-Rüppel<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> ein Gütel gehabt und zwei Söhne, meinen Bruder Juch +und mich, den Schubhart. Und da geht einmal am Frohnleichnamstag nach +dem Umgang, er hat noch den Himmel tragen helfen, der Schopper-Rüppel +her und verstirbt. So schnell ist das gegangen, daß er nicht einmal +Testament machen hat können. Nur so viel hat er gesagt: Dem Buben +gehört das Häusel und den anderen soll er mit dreihundert Gulden +hinauszahlen. Jetzt, weil er keinen Namen genannt, so hat jeder von uns +zwei Brüdern wollen der Bub sein. Denn du kannst dir denken, der ist +im Vorteil. Und haben angefangen zu streiten. Der Juch hat das Gütel +haben wollen, und ich hab' es auch haben wollen. Ist eine Wirtschaft +mit ihrer zwölf Joch Grundstücken. Haben uns vorher gar nicht unlieb +gehabt, der Juch und ich, aber jetzt ist der Teufel los gewesen. +Gestritten wie die Bettelbuben, und gar beim Gericht hat's jeder +beweisen wollen, er wäre der Bub, und ihn hätte der Vater gemeint, und +ihm täte das Häusel gehören. So währt's ein halbes Jahr und länger, +keiner von uns hat mehr gearbeitet, jeder nur sinniert, wie er den +anderen möcht' hinaustauchen. Geld hat's gekostet und Hirnschmalz +und Herzblut — und die ewige Seligkeit hätt's kosten können, uns +beiden. Und wie wir einmal so im Wirtshaus sitzen und schauderlich +gegeneinander geraten — die Leute haben uns noch angehetzt — und wie +wir schon kein gutes Haar aneinander lassen, daß<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> einer wie der andere +einem rechten Spitzbuben gleichsieht vor dem ganzen Dorf, und zuletzt +noch unseren verstorbenen Vater verschandieren — da spring ich gäh auf +und davon. Nächtig Stund' ist, getrunken habe ich stark gehabt. Und +wie ich zu meinem Häusel komm', das wie ein schwarzes Gespenst dasteht +mitten in den Feldern, da fällt's mir ein: Niederbrennen! Das Gerümpel +ist's nicht wert, was wir treiben. Im Aschen hat der Streit ein End'. +— Kaum gedacht, bin ich mit dem Zündholz auch schon im Strohdach. Wie +es licht wird im Tal und die Leute zusammenlaufen und ich auf einmal +neben meinem Bruder steh' und vor uns bricht das Elternhaus nieder, da +wird mir ganz eigen. Ich halte dem Juch die Hand hin und sag': Mein +Teil ist verbrannt, die Grundstücke sollen dein sein, und wir wollen +Fried' machen miteinand. — Er schaut mich an im Feuerschein und sagt: +Schlecht genug bist du, daß du's selber hast getan. — Auf das bin ich +fort ins Gebirg herein und Holzknecht geworden im Siebenbachwald. — +Jetzt weißt es.«</p> + +<p>»Du bist ja ein grundschlechter Mensch!« sagte die Jungmagd ganz +verblüfft.</p> + +<p>»Neid ist's nicht gewesen,« setzte der Schopper bei, »daß ich etwa +hätte gemeint, wenn ich das Häusel nicht kann haben, so soll's auch der +Bruder nicht haben. Aber Trotz ist's gewesen und Dummheit, und hinter +mir immer der Teufel: Nicht nachgeben, nicht nachgeben! — Dabei das +Streit-Elend,<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> die Bruderfeindschaft! Und wie schon manchmal ein Sturm +in mich fährt, daß ich selber nicht mehr weiß, was ich tu', so ist's +über mich gekommen, und so ist's geschehen. Mit meinem Bruder bin ich +immer noch nicht auf gleich. Er hat seine Sach', ich gönne es ihm, und +was ich getan, hat mich noch nicht ein einziges Mal gereut.«</p> + +<p>Die Jungmagd sagte: »Ein seltsamer Mensch bist.« Und bei sich dachte +sie: Weiß nicht, soll man sich vor ihm fürchten oder was? ...</p> + +<p>Also plauderten sie von diesem und jenem, und der Schopper kam nun +öfter an ihr Fenster. Von allerhand redete er, aber nie von Liebe. +Nichts von dergleichen. Nur einmal fragte er sie bescheidentlich, ob es +ihr wohl auch recht sei, daß er so manches Stündlein an ihrem Fenster +sitze, er tue es halt gerne und wäre so froh dabei.</p> + +<p>Die Frieda brachte es nicht übers Herz, ihm zu gestehen, daß seine +Gegenwart sie beklemme, daß sie ihn vielleicht gerne haben könne wie +einen Bruder, aber Brüder kämen nicht ans Fenster der Schwestern, und +ob er nicht besser täte, nach seiner schweren Tagesarbeit im Bette +zu rasten, als den weiten Weg zu machen in die Abachleuten her. — +Mehrmals nahm sie Anlauf, ihm das zu sagen, aber sie brachte es nicht +übers Herz, ihn so zu kränken. Sie nahm sogar die kleinen Geschenke, +als Wecken, frische Kaiserbirnen, welche er ihr mitzubringen pflegte +— sie nahm derlei und sagte schön »Vergelt's Gott« dafür.<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> Insgeheim +jedoch waren ihr die Gaben von diesem Menschen zuwider, und es tat +ihr selber weh', daß sie so undankbar sein mußte. — Viel schlechter, +so rief es einmal in ihr, viel schlechter ist der andere Wicht, der +nächtig meine Ruhe stört. Was hat der junge Adlerwirt von Kirchbrunn +in meinen Träumen zu tun! Das geht ihn gar nichts an, ob ich mein Haar +flechte oder nicht, und er soll nur seiner Frau Adlerwirtin die Augen +küssen und nicht ein armes Dienstbot foppen.</p> + +<p>Auf der Schabelhöhe, über welche eine Bergstraße führt, stand unter +sieben alten Lärchen eine Kapelle. In derselben war ein frischer +Brunnen und ein Muttergottesbild, genannt: Maria unter den sieben +Lärchen. Dieses Bild war als wundertätig bekannt und besonders von +Leuten aufgesucht, die an heimlichem Herzweh litten. Der Volkswitz +sagte: Wenn eine Jungfrau siebenmal am Brunnen bei Maria unter den +Lärchen trinkt, dann bekommt sie einen Mann. Obzwar dieser Ausspruch +in der Gegend nicht gerade als Glaubensartikel bezeugt war, so ließ +sich doch nicht leugnen, daß jahraus jahrein viel junges Frauenvolk +hinaufkam zur Schabelhöhe, andächtig vor dem alten, ungefügen Bildnis +betete und dann einen kräftigen Schluck nahm aus dem Brunnen. Also war +es auch der Magd Frieda schon mehrmals zu Sinn gekommen, ob sie nicht +eine Wallfahrt machen sollte zu den sieben Lärchen; der Platz war vom +Abachtale aus<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> in einer guten Stunde zu erreichen. Ganz fern stand das +Gnadenbild den menschlichen Liebesangelegenheiten auf keinen Fall. +Ein heimlich Herzweh — das stimmt ja. War nicht einst der sterbenden +Mutter letztes Wort: Frieda, wenn du nicht aus weißt, so knie' hin und +tu' beten! — Und hatte die Frieda nicht auch dem Schopper versprochen, +sie wolle so lange beten, bis sie ihn recht lieb habe?</p> + +<p>Und eines Sommersonntags am Nachmittage ging die Magd an den Waldhängen +hinan, über die sonnigen Weiden fort, bis sie zur heißen, staubigen +Straße kam. Wie von diesen Höhen aus der Blick sich weitete hin auf die +blauen Berge, so weitete sich auch ihr Herz, und eine frohe Hoffnung +kam über sie, daß sie nicht umsonst den Wallfahrtsweg machen werde zu +der lieben Mutter Gottes.</p> + +<p>Endlich stieg sie die Stufen hinan zur hölzernen Kapelle, die schon +etwas hinfällig sich an eine der Lärchen lehnte. Sie hörte das +Geplätscher des Brunnens, der an der Seitenwand aus dem Rohre in einen +Steinkessel rann. Niemand war da, sie war ganz allein. Ihren Überkittel +ließ sie vom Kopfe hinabgleiten, ihr Gebetbuch zog sie aus dem Säcklein +und also kniete sie nieder vor der Mutter Gottes mit dem Kinde, die, +aus Holz geschnitzt und mit Farben bemalt, fast in Lebensgröße auf +dem Altare stand. Die Maria hatte eine Krone auf dem Haupte, hielt +ein Zepter in der Hand, das Christkind trug im kleinen, nackten +Händchen die Weltkugel.<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> So viel Herrlichkeit und Würde lag in diesem +Bildnis, daß die Frieda sich dachte: Und hier soll ich mein sündig Herz +auspacken?</p> + +<p>Mit dem Gebetbuche ging es heute gar nicht. Da sind allerhand Anliegen +darin, aber das ihre nicht. Wie soll sie es denn nur anfangen, daß +sie nach ihrer Meinung jetzt beten kann? — »Der gute arme Mensch, +der Schopper. Ist er denn wirklich so unbegehrt? Ist er denn häßlich, +so dumm, so ungefüg und selbstisch? Das ist er nicht. Er ist ein +herzensguter Mensch, und wenn er seinen Bart kämmen und pflegen möchte, +wer weiß, was draus werden könnt'! Hernach, wenn man bedenkt, was er +für ein tüchtiger Mann in der Arbeit ist und bringt's über kurz zum +Holzmeister. Schlecht kann's bei dem ein Weib nicht haben, ernähren +kann er auch etwas. Und wenn er eine so recht lieb hat, als wie er +sagt, daß er mich mag, da wird's kaum einen besseren Mann geben als +den. Ich habe schon Beweise genug, wie er zu mir hält. Der wird ja +närrisch, wenn er mich nicht kann haben. Also warum will ich ihn denn +nicht, das möchte ich wissen, du liebe barmherzige Mutter Gottes! +Ich bin ja gewiß nicht zu gut für ihn, schon eher zu schlecht. Ich +weiß mir ja nichts auf der Welt und soll als arme Magd alt werden und +versterben. Auf wen wart' ich denn? Ja, du himmlische Maria, warum will +ich ihn denn nicht? Sei mir doch gnädig und gib mir deinen Segen. — +Harte Anfechtungen habe<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> ich oft, als müßte ich wohin gehen und was +anstellen, daß es groß Unglück gäbe für Zeit und Ewigkeit. O heilige +Mutter Gottes, führe uns nicht in Versuchung! Gib mir die Gnade, daß +ich den Holzknecht recht kann lieb haben und sein Weib werden. O liebes +Christkindel mit dem krausen Haar! Und wenn es schon nicht möglich kann +sein, daß ich ihn lieb hab' wie einen Herzensschatz, so gib mir die +Kraft, daß ich das Opfer mag bringen, so wie es für alle drei am besten +ist. Ich will dir ja nicht zu sparsam sein mit Wachskerzen, wenn du mir +hilfst und den rechten Weg weisest. O gegrüßt seist du, Königin, Mutter +der Barmherzigkeit!«</p> + +<p>Also dachte und murmelte die junge Magd vor sich hin, manches sprach +sie laut und traumhaft, dann schlug sie das Buch auf, machte sich +Vorwürfe, daß sie nicht einmal mehr beten könne, sie war sich's kaum +bewußt, welch heißes, kindliches Gebet sie eben verrichtet hatte.</p> + +<p>Und während sie so kniete in der Kapelle und mit sich rang, ehrlich und +tapfer, wie noch selten ein Weibesherz gerungen, stand am Eingang einer +und beobachtete sie. Sie entfaltete ein weißes Handtüchlein, fuhr sich +damit über die heißen Wangen und erhob sich — da sah sie ihn.</p> + +<p>»Schau,« sagte er und schnalzte mit der Zunge — der Wolfram war es — +»da sehe ich eine Seltsame. Die will sich auch einen Liebsten erbitten.«</p> + +<p>Sie verbarg ihre Überraschung hinter Trotz und<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> antwortete: »Ja, das +will ich auch. Aber nicht etwa so, wie es der Herr Adlerwirt meint.«</p> + +<p>»Das hilft alles nichts, Frieda,« sagte der Wolfram. »Komm, Dirndel, +setzen wir uns da auf die Bank. Wir haben schon lange nimmer +miteinander geplaudert.«</p> + +<p>Unter dem Schatten der Lärchen, am Rande von jungem Fichtendickicht +hin waren aus rohen Brettern Tische und Bänke aufgeschlagen, weil +alljährlich am Maria Heimsuchungs-Tage ein Fest hier abgehalten und +dabei Getränke ausgeschenkt wurden. Die Frieda wollte eigentlich fest +stillstehen und den Adlerwirt keines Blickes würdigen, aber ihre Füße +stiegen sachte die Stufen herab und an seiner Seite über den grünen +Anger zu einer Bank hin.</p> + +<p>Als sie völlig zu sich kam, saß sie neben dem Wolfram, der, seinen +Ellbogen auf den Tisch gestemmt, den Kopf in der Hand hielt.</p> + +<p>»Ach ja, Dirndel!« seufzte er auf. »Seit wir zwei uns das letzte Mal +gesehen, habe ich viel durchgemacht, du glaubst es nicht.« Und nun +begann er zu erzählen von seinem häuslichen Elende, daß er so viel als +vertrieben sei aus seinem Vaterhause, ja selbst aus Kirchbrunn, und daß +er jetzt auf dem Punkte stehe, wo der Mensch nimmer weiß, ob er noch +warten soll auf den nächsten Tag oder nicht.</p> + +<p>»Mein Gott, Wolfram,« sagte sie voller Teilnahme. »Was willst +<span class="gesperrt">denn</span>, als warten, bis es wieder besser wird! Sollst dich nicht +so viel kränken,<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> Wolf, was hast denn davon, wenn du krank auch noch +wirst!«</p> + +<p>»Ich wollt', es hätt' alles sein Ende, alles, alles!« so rief er mit +schriller Stimme und schlug sich die Faust auf die Stirn.</p> + +<p>»Wolf! So mußt nicht. Mußt nicht auch noch selber dein Feind sein.« Sie +legte ihre Hand auf seine Achsel. Er schlang mit Leidenschaft seinen +Arm um ihren Nacken, sie warf dieses Joch heftig von sich, stand auf, +um zu flüchten. Aber am Stamme eines Lärchenbaumes blieb sie stehen und +strich wie traumhaft die losen Haarlocken aus dem Gesichte.</p> + +<p>Der Wolfram war kauern geblieben auf der Bank, jetzt schaute er +vorgeneigten Hauptes hin auf sie, in allen Enden seines Angesichtes +zuckte es, dann lachte er auf.</p> + +<p>»Das ginge noch ab,« sprach er. »Das Gedenken an dich ist meine einzige +Labnis gewesen in dieser traurigen Zeit. Eine lebt doch auf der Welt, +die zu mir steht. Wenn sie auch weit von mir ist und ich sie nicht mag +finden, irgendwo ist sie doch und denkt an mich und wir sind beisammen. +Und jetzt —«, er sprang auf, »jetzt bist auch <span class="gesperrt">du</span> so?!«</p> + +<p>Sie stand bewegungslos wie eine Bildsäule und schaute ihn an.</p> + +<p>»Soll ich denn meines Irrtumes wegen ganz verloren sein?« sprach er +weiter. »Soll ich mein junges Leben selber zertreten, wie man einen +Waldwurm zertritt, vor dem sich alle entsetzen? Ja,<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> Frieda, ich tue +es. Sie, im Adlerwirtshaus, hätte mich nie so weit vermocht, sie ist +mir eine Fremde. Aber wenn ich weiß, daß auch du dich von mir wendest, +dann ist es aus!«</p> + +<p>»Wann,« entgegnete nun das Dirndel zagend, »wann habe ich dir denn +einen Beweis gegeben, Adlerwirt, daß ich — dir so gut wäre?«</p> + +<p>»Leugne es nicht, Frieda!« sprach er mit Nachdruck, als wollte er +einen Verbrecher überweisen. »Und wenn du mir <span class="gesperrt">nie</span> was Liebes +gesagt hättest, kein gutes Wort, und wenn du mir zehnmal weiter +noch ausgewichen wärest, ich hätte es doch gewußt, daß du mich gern +hast, und so gewiß, als <span class="gesperrt">du's</span> von mir mußt wissen. Du hast +es tapfer niedergedämpft, vielleicht tapferer als ich. Wir haben +uns beide redlich voreinander gewehrt. Es hilft alles nichts. Von +jenem Tanzabende in Schwambach an hat's so gespielt, daß wir zwei +zusammenkommen sollen, wir haben's nicht verstanden, haben uns so +lange gesträubt, bis es uns heute auf diesem Platze ganz zornig +zusammenwirft. Ist es nicht so, Frieda? Ist es nicht so?«</p> + +<p>Das Dirndel preßte die Hände ins Gesicht. »Ich hab' so gebetet da +drinnen,« wimmerte sie, »so inständig gebetet zu der Mutter Gottes. Es +ist alles umsonst! — <span class="gesperrt">Ich kann ja auch nicht sein, ohne deiner!</span>« +— Mit diesem Schrei stürzte sie ihm an den Hals.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_5"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span></p> + +<h3>9. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>Vom Schopper-Schub wissen wir, daß er seit Jahren die Jungmagd +Frieda nicht mehr aus den Augen ließ. Er verfolgte immer ihre Spuren +und oft war er in ihrer Nähe, ohne daß sie es ahnte. Beim Möstl +in der Abachleuten war es ihm gar bequem, da konnte er sich aus +seinem Holzschlag an den Samstagabenden und manchmal auch an den +Sonntagnachmittagen einfinden, um mit ihr zu plaudern. Die ganze Woche +hindurch freute er sich auf das Stündlein, an welchem er nahe bei ihr, +wenngleich durch eine Wand getrennt, sitzen konnte. Es waren zumeist +die allergewöhnlichsten Dinge, über die gesprochen wurde, aber dem +Holzknecht war wohl, wenn er ihre Stimme hörte und wenn er sah, wie sie +manchmal so kindlich lachte.</p> + +<p>Also war er auch an diesem Sonntagnachmittage in die Abachleuten +gekommen, beim Möstlhaus zugekehrt, hatte sich auf die Stubenbank +hingesetzt und gesagt, er müsse doch ein wenig in den Schatten gehen.</p> + +<p>»Ja,« hatte das Möstlweib neckend geantwortet, »Schattens wegen wirst +du in die Abachleuten kommen! Den hast in deinem Siebenbacherwald weit +besser. Wirst den weiten Weg heut wohl umsonst gemacht haben. Sie ist +zu den sieben Lärchen hinauf wallfahrten gegangen.«</p> + +<p>»So,« antwortete der Schopper ganz gleichgültig.<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> »Da hat sie schon +recht. Das Beten schadet niemandem.«</p> + +<p>Und wenn das Beten niemandem schadet, dachte er für sich weiter, so +wird's ja auch mir nicht schaden. Und stieg an gegen die Schabelhöhe. +Er ging nicht den guten Fahrweg, er wählte die steileren, aber kürzeren +Steige; Bergesmühsal gibt's für den Holzknecht keine, und durch den +Wald hinauf mag er sich das Schlagholz ansehen. Als er auf die freien +Weiden kam und auf die weiße Straße hinüberblicken konnte, sah er sie +dort gehen, er erkannte sie ja schnell. Und einen Büchsenschuß hinter +ihr eilte ein Mann drein. Der Schopper schärfte sein Auge und erkannte +den jungen Adlerwirt von Kirchbrunn. — Vor Überraschung wie gelähmt +blieb er einen Augenblick stehen. — Was ist das? — Was ist das? — +Steht es so mit der Wallfahrt zu den sieben Lärchen? Ei, da wollen wir +ihnen doch einen Baum über den Weg werfen. Ist denn schon alles falsch +auf der Welt? Gut, alsdann will ich's auch sein. — So seine Gedanken. +Neuerdings zog er sich in den Wald zurück und lief durch denselben an +der rückwärtigen Berglehne der Kapelle zu. Er kam früher hinauf als +die anderen. Hinter der Kapelle kroch er in das Fichtendickicht und +kauerte sich an die Holzwand, um durch eine Spalte in das Innere der +Kapelle lugen zu können, während durch das Gezweige hin der Anger mit +den Tischen sichtbar war. So beherrschte er den Schauplatz nach beiden<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> +Seiten. Er langte mit der Hand in seinen Sack, ob er das Messer bei +sich habe. — Ja, mein lieber Adlerwirt, ich habe dir's gesagt, und +du hast es nicht geglaubt. Des Herrgotts Mühlen mahlen langsam, aber +sicher! —</p> + +<p>Er hatte gesehen, wie die Frieda beklommen in die Kapelle getreten war, +und als er merkte, daß ihr Gebet ihm galt, da löste sich von seinem +Auge ein salziger Tropfen los und rann über die rauhe Wange, durch den +struppigen Bart bis an die Lippen. Dann stand plötzlich an der Tür der +junge Adlerwirt mit heißbegehrendem Blick. Der Holzknecht erfaßte die +Hirschhornschale seines Messers. Als er hernach vernahm, was draußen +gesprochen wurde an den Tischen, jedes Wort des armen Burschen voller +Unglück und voller Liebe, und wie das Dirndel dagegen ankämpfte, bis +doch in beiden die wilde Allgewalt Siegerin ward — da loderte in ihm +Wut und Rachgier auf, daß der fliegende Atem glühte an seinem Munde. +Und er stürzte mit gezücktem Messer hin auf das Paar. Die Frieda tat +einen Schrei und wollte sich schützen unter dem Brette eines Tisches. +Der Wolfram jedoch stand wie ein Baumstamm da und fragte: »Holzknecht! +Was willst du?«</p> + +<p>Diese starre Ruhe lähmte den Schopper für den Augenblick, denn er war +auf Gegenwehr gefaßt gewesen und in einem Zweikampfe wollte er siegen +oder fallen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span></p> + +<p>»Bist du da, um mich zu töten?« fragte der Wolfram. »So stoße zu. Ich +habe mein Leben verspielt und wehre mich nicht. Willst aber ihr etwas +zu Leide tun —!« Er ballte die Fäuste.</p> + +<p>Dem Schopper sank der Arm mit dem Messer. Plötzlich wendete er sich, +stürzte in das Dickicht und hastete davon durch den Wald hin. — Halb +betäubt war er, und seine Gedanken wurden wirr. — Warum hast du es +denn nicht getan? fragte er sich selbst. Und er selbst antwortete: Er +hätte einen Bankbalken losreißen müssen. Nicht davonlaufen wollen und +sich auch nicht wehren, wer kann denn da zustoßen? Einen Baum fällt +man so, aber einen Menschen —. Und hernach, weiß ich denn, welches +fort muß? Soll der Adlerwirt sterben? Ist er nicht der Ehebrecher und +Verführer und der Räuber derer, die mir Gott gegeben hat? — Oder +soll sie sterben? Ist nicht sie die Ursache seiner Treulosigkeit, die +den Sünder anlockt und einen treuen Menschen verschmäht, verachtet, +in Verzweiflung treibt? — Oder soll ein dritter sterben? Soll der +Schopper sterben, weil alles aus ist, und freiwillig sterben, bevor er +zum Mörder wird? Mir kommt's nur auf den Schuldigen an. — Denn das +sah er nun wohl, es war die unbändige, rasende Liebe, in welcher das +junge wehrlose Menschenpaar hinschmolz wie Wachs im brüllenden Feuer +eines brennenden Hauses. Armer Holzknecht, so wie du selber wehrlos +bist gegen diese Macht, so sind auch sie es. Was können sie dafür!<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> — +Du hast dir vorgenommen, Schopper-Schub, für die Frieda alles zu wagen +und zu opfern, um sie glücklich zu machen. Siehst du es denn nicht, +<span class="gesperrt">jetzt ist sie glücklich</span>! — Was willst du denn noch? — Einmal +hast du dein eigenes Haus angezündet, weil es böse Ursach' ist gewesen. +— Kannst du rechnen, Holzknecht? Wenn du ein bißchen rechnen kannst, +so sage, was mehr ist, eins oder zwei. Wenn zwei mehr sind als eins, so +ist einer weniger als zwei. Laß die zwei sein, und den einen streiche +weg. —</p> + +<p>Also dachte der arme Mensch und ging — ach wie traurig! — den +Holzhütten seines Tales zu.</p><br> + + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_6"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h3>10. Abschnitt.</h3> +</div> + + +<p>Wer genug Zeit und Tiefblick hat, um die Ursachen und Wirkungen zu +betrachten, der wird — sei es zu seinem Schreck, sei es zu seinem +Trost — finden, daß alle Fehltritte und Verstöße des Menschen gegen +Sitte und Gesetz, gegen das Gute und Rechte überhaupt, sich fast +allemal strafen, und zwar an derselben schuldigen Person oder an +demselben Geschlechte. Schade nur, daß die Strafe nicht unmittelbar +genug folgt, um stets als Strafe für Sünde und Vergehen empfunden zu +werden. So mancher, der sein Elend selbst geschmiedet, hält sich für +den Unschuldigsten von der Welt und ist geneigt, die Ursache dieses +Elendes anderen in die Schuhe<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> zu schieben. Solches Mißkennen führt ihn +zu weiteren Fehlern und Ungerechtigkeiten, und im Gefühle des eigenen +Sturzes sucht er auch andere mit sich zu reißen. Leichter kehrt der +um, welcher ein schweres Verbrechen begangen, als einer, der tausend +Fehler hat und den Mitmenschen täglich im kleinen tausendmal unrecht +tut. Doch ist letzterer ebenso Verbrecher als ersterer, nur schreit er +Zeter und Mordio, wenn endlich auch an ihn die Nemesis herantritt mit +dem Richtschwert.</p> + +<p>Frau Kunigunde hatte kaum eine Ahnung davon, daß sie eine der +Hauptursachen an dem Niedergang ihres Hauses und die einzige Ursache +an ihrem und ihres Mannes Unglück war. Sie war immer nur geneigt, +alles auf ihren Mann, auf seinen Vater, auf alles andere zu schieben. +Und je weher ihr ward, um so höher stieg ihre Verbitterung gegen die +eingebildeten Feinde. Und das Schicksal nahm seinen Lauf.</p> + +<p>Bei dem Adlerwirtshause zu Kirchbrunn hatte sich reges Leben entfaltet +wie schon lange nicht. Allerhand Wägen kamen angefahren von oben +und von unten und spannten aus, Bauern, Bürger und Herren waren da, +Schacher und Händler, und die Wirtsstube war viel zu enge, auch im +Vorhause und im Hofe standen Tische, und die Kellnerinnen liefen über +die Gasse hin und her. Das gab doch wieder einmal ein Geschäft.</p> + +<p>Meint ihr?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p> + +<p>Da müßte man erst noch die Wirtsleute fragen. Der alte Adlerwirt +lag bei einem Nachbar im Scheunenstroh und bat mit lallender Stimme +fortwährend um Branntwein. Er wolle nie mehr nüchtern werden auf dieser +verdammten Welt. Der junge Adlerwirt war seit Wochen verschollen. Im +Siebenbachwald, so hieß es, wäre er einmal gesehen worden, aber ganz +seltsam aufgeregt, er müsse etwas Besonderes im Sinne haben, man werde +noch merkwürdige Geschichten von ihm hören. So kam es, daß auch Frau +Kunigunde nicht ruhig sitzen bleiben konnte in ihrem Zimmer. Sie ließ +ihre Mutter, der ja alles gleichgültig war, allein, und als sie auf +einem Steirerwäglein und in ihrer tadellosen Trauerkleidung hübsch +fein geputzt aus dem Hofe fuhr, klang in demselben das erste Mal der +Ganthammer. Alles wurde versteigert im Adlerwirtshause, nur nach den +Insassen war keine Nachfrage.</p> + +<p>Frau Kunigunde fuhr in das Gebirge hinein. Sie hieß auf das Pferd +dreinhauen, sie bewarf den Pferdeknecht mit Schimpfnamen, denn sie +wußte ihrer Galle kein Ende. Was sie dem Knecht und dem Pferde antat, +das war alles ihrem Manne vermeint. Dem Flüchtling! dem gewissenlosen +Ausreißer! Solange er Geld erwartet von ihrem Vater, hat er den +Hausherrn gespielt, jetzt weil nichts ist, weil alles in die Brüche +geht, verläßt er sein armes Weib in Not und Schande und stromert in +allen Weiten um, man weiß nicht wo und mit wem.<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> Aber warte, Schelm, +wir werden dich noch einfangen. Du sollst Gott erkennen lernen! Du +sollst mir kirre werden! Hinwärts zieht mich noch das spottschlechte +Roß, es ist aber vieltausendmal besser als du; herwärts sollst du den +Bettelkarren ziehen, und daß du zahm wirst wie ein Pfründnerschaf und +mir Brennesseln aus der Hand frißt, das soll meine Sorge sein. —</p> + +<p>Unter solchen Liebesgedanken fuhr Frau Kunigunde auf die Suche +nach ihrem Manne. Sie sprach bei manchen Häusern zu, schämte sich +aber, geradehin zu fragen: Habt Ihr meinen Mann, den Adlerwirt von +Kirchbrunn, nicht irgendwo gesehen? — Ja, Frau Adlerwirtin, ist Euch +Euer Mann durchgegangen? — Das wäre eine hübsche Unterhaltung gewesen.</p> + +<p>Also faßte sie es so: »Hat nicht mein Mann hier zugefragt?« — »Wissen +nichts, vor einer Woche oder wann haben wir ihn vorbeigehen gesehen.« +— »Sollte er nach mir fragen, so weiset ihn, ich bin vorausgefahren in +den Siebenbacherwald, wegen des Holzkaufes.«</p> + +<p>Bei den Holzknechthütten im Siebenbachwald ließ sie ausspannen und +begehrte etwas zu essen.</p> + +<p>»Ja,« meinte ein resches Holzerweib, »kein Wirtshaus ist halt bei uns +nicht. Geißmilch mit Schoten, wenn's recht wäre?«</p> + +<p>Von Herzen gern hätte Frau Kunigunde geantwortet, daß sie +Schweinefutter nicht gewohnt sei,<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> wäre nur ihr Hunger nicht gar zu +groß gewesen. Während sie die Milch trank, erzählte sie, daß mit ihrem +Mann eine Zusammenkunft draußen bei den drei Brücken verabredet gewesen +sei, daß sie sich aber verfehlt hätten. Und sie fragte, ob er, der +Adlerwirt von Kirchbrunn, nicht etwa hier herum gesehen worden wäre?</p> + +<p>»Seid Ihr die Adlerwirtin?« fragte das Holzerweib. »Nachher glaub' +ich's gern, daß er bei den drei Brücken nicht gekommen ist. Von Euch +ist er ja eben davongelaufen, sagen die Leute.«</p> + +<p>Frau Kunigunde warf eine Münze hin und machte sich entrüstet auf die +Wander zu den Köhlerstätten.</p> + +<p>Bei der Kohlenbrennerei fragte sie wieder an.</p> + +<p>»Der Adlerwirt?!« schrie der alte Köhler, denn er war schwerhörig, +daher hielt er auch andere dafür. »Weiß nichts davon. Aber der +Vorknecht soll letzt' Zeit her alleweil vom Adlerwirt reden.«</p> + +<p>»Wo ist denn dieser Vorknecht?«</p> + +<p>»Der ist jetzt nicht da, der ist oben im Zagelwald. Für ein Weibsbild +nicht gut hinaufzusteigen.«</p> + +<p>»Ich <span class="gesperrt">will</span> hinauf!« sagte Frau Kunigunde.</p> + +<p>»Weiß nicht, ob es Euch viel nutzen wird,« meinte der Kohlenbrenner, +»letzt' Zeit her ist der Schopper — so heißt der Vorknecht — nicht +recht im Kopf, ganz kleinsinnig oder was lauter. Ist nichts Rechtes von +ihm herauszubringen. Vom Adlerwirt redet er nächtig im Traum.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span></p> + +<p>Die Frau dingte sich einen herumlungernden Knaben und stieg mit diesem +hinan gegen den Zagelwald. Mehrmals ging es in tiefen Schluchten über +Sand, Gerölle und wuchtige Steinblöcke dahin an brausenden Wässern, +mehrmals unter einem schwindelnd hohen Holzgerüste durch.</p> + +<p>»Was das für ein hoher Steg wäre?« fragte die Adlerwirtin.</p> + +<p>»Das ist kein Steg,« antwortete der Knabe, »das ist die neue +Holzriesen, wo die großen Blöcker herabrutschen und zum Feierabend die +Holzknechte selber. Wie viele Kreuzer krieg' ich denn dafür, daß ich +mitgeh'?«</p> + +<p>Nach einer Stunde waren sie auf der Höhe bei dem Holzschlag. Die Leute, +welche hier arbeiteten, blickten einander nur so an, als sie vernahmen, +die junge Frau wolle mit dem Vorknecht sprechen. Der Vorknecht sei aber +gar nicht auf dem Schlag, der liege auf dem Buchenanger im Grase; er +sage, er arbeite nichts mehr, und das liebe Christenvolk möge gesund +bleiben und ihm an den Buckel gucken. »Wollt Ihr das, so könnt Ihr ihn +ja aufsuchen,« setzte der Berichterstatter bei.</p> + +<p>Da ist etwas dahinter! dachte Frau Kunigunde und ließ sich zum +Buchenanger führen.</p> + +<p>Der Schopper, als er sah, wer daherkam, sprang rasch vom Rasen auf. Er +sah wirklich wild und wirr aus. Ohne viele Einleitung fragte sie in +strengem Tone nach ihrem Manne, dem Adlerwirt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span></p> + +<p>»Was weiß ich?« knurrte der Holzknecht. »Habt Ihr mir ihn zum Aufheben +geschickt?«</p> + +<p>»Du weißt, wo er ist!« sprach sie scharf.</p> + +<p>»So? Na, wenn ich's weiß, dann muß ich's freilich sagen. Den Adlerwirt +hat sein Weib verlassen, da ist er zu einer anderen gegangen.«</p> + +<p>»Wo er ist, will ich wissen!«</p> + +<p>»Vor etlichen Tagen,« antwortete der Holzknecht gottlos ruhig, fast +träge, »hat er sich auf der Schabelhöh' aufgehalten oder im Wirtshaus +dort herum. Jetzt kann's sein, daß er drüben in der Abachleuten ist.«</p> + +<p>»Ein Schandmensch! Ein Schandmensch!« keuchte sie, und fast verging +ihr der Atem vor Wut. »Der soll das höllische Feuer beizeiten kennen +lernen, dafür stehe ich gut!«</p> + +<p>»Dieweilen sitzt er im Himmel,« sagte der Schopper. »Und ich wäre der +Meinung, wer so fest drin sitzt, den laßt man sitzen.«</p> + +<p>Frau Kunigunde hatte sich niedergelassen auf einem Baumstock, ihr +zitterten die Beine.</p> + +<p>»Wie weit ist's bis in die Abachleuten?« fragte sie.</p> + +<p>»Zwei Stunden, wer gut antaucht.«</p> + +<p>»Mein Gott, mich verlassen schon die Füße.«</p> + +<p>»Wenn die Frau ein Stündlein wartet, so kann sie mit mir auf dem +Brettel hinabrutschen,« sagte der Holzknecht.</p> + +<p>Ja, sie wolle warten. Und der Schopper dachte: Herrgott im Himmel, was +ist das für ein Schick!<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> Ich rutsche mit seinem Weib auf der Riesen +hinab. Und ganz plötzlich fuhr es ihm durch den Kopf: Wenn er mir die +Meine nimmt, so nimm ich die Seine. Wert ist sie's, daß sie mit mir +kommt. Es geht nichts über die Ordnung. Und nachher ist Fried. —</p> + +<p>Dieweilen Frau Kunigunde erschöpft auf dem Baumstock saß und mißmutig +den Holzhauern zusah, die immer Blöcke an die Riesen schleppten und +hinabgleiten ließen, strich der Schopper wie halb verloren auf dem +Schlage um. Manchmal blieb er stehen und starrte auf den Erdboden, dann +hob er das krause Haupt gegen Himmel und schnappte nach Luft. Dann +lachte er hell auf, und einer der Männer hörte ihn sagen: »Besser kunnt +sich's nicht mehr reimen. Wer ungeschickt ist, der muß hinab, daß er +anderen nicht im Wege steht.«</p> + +<p>»Du, Franzel,« redete er, als die Abendstunde kam, einen Arbeiter an. +»Wenn du einmal beim Möstl in der Abachleuten vorbeigehst, gelt, so +bist so gut und gibst das Ding dort ab. Es ist für die Magd Frieda.« +Damit gab er ihm ein rotes, zusammengeknulltes Tüchlein. »Und jetzt, +Leute!« rief er laut hinaus über den Schlag, »jetzt ist Feierabend. — +Fahrt ihr nur voraus hinab, wir, ich und die Frau Adlerwirtin, rutschen +hinten drein.«</p> + +<p>Die Werkzeuge brachte man in Sicherheit, die Lodenröcke hing man sich +über die Achsel, und da war's fertig.</p> + +<p>Muldenförmige, vorn ein wenig aufgekurfte Bretter<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> wurden in die Rinne +der Riesen gelegt, und auf je einem solchen Fahrzeuge glitten ein oder +auch zwei Mann hinab. In der Hand hatten sie lange Stöcke, mit welchen +sie sich nötigenfalls leiten, anstemmen oder weiterschnellen konnten. +Auf etwa hundert Schritte Zwischenräume wurden sie abgelassen. Anfangs +glitt es gemächlich dahin, allmählich kam's in rascheren Lauf, und +auf steileren Strecken sauste es unheimlich schnell dahin, manchmal +an Erdeinschnitten und zweimal über grauenhaft tiefe Schluchten, aus +welchen Schutt und Gestein und schäumendes Wasser heraufleuchtete. Über +den schwindelndsten Stellen jauchzten einige. An den Rinnbäumen der +Riesen dröhnte noch lange das Rollen herauf, selbst als die Bretter +schon den Augen entschwunden waren.</p> + +<p>Als die Holzknechte dermaßen alle angefahren waren, ging der Schopper +zur Frau Kunigunde, die noch immer auf dem Stocke saß, machte eine +kleine Verbeugung und sagte: »Also, Adlerwirtin, jetzt ist's an uns +zweien.«</p> + +<p>»Ist wohl doch keine Gefahr dabei?« fragte sie.</p> + +<p>»Ihr seht ja, wie sie jauchzen unterwegs. In die ewige Seligkeit kann +man nicht lustiger hineinfahren. Im Siebenbachwald gibt's halt keine +so feinen Eisenbahnzüge wie in Geßnitz. Wir haben das lange Brettel +mit zwei Sitzen. Ich setze mich voran, Ihr habt hinterwärts Platz. Nur +frisch dran, Frau Adlerwirtin!«</p> + +<p>»Es ist grauenhaft!« sagte die Frau.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p> + +<p>»Nichts ist grauenhaft,« lachte der Schopper. »An fünf Minuten sind wir +unten. Kommt nur. Prächtig wird's.«</p> + +<p>»Ich will heut' ja noch weiterfahren.«</p> + +<p>»Freilich, Adlerwirtin. Nur hübsch anhalten. Sitzen wir fest?«</p> + +<p>»Ich sitze.«</p> + +<p>»Also, im Gottesnamen!« Mit diesem Worte stieß der Schopper aus, +und das Schifflein begann zu gleiten. Erst hielt der Mann mit +beiden Händen den langen, derben Stock in die Luft. Vorwärts ging's +rasch und rascher. Steiler wurde die Bahn, und da sauste das Brett +pfeifend dahin. Es schoß über den ersten Abgrund, es schoß durch den +Erdeinschnitt, es schoß dem zweiten großen Abgrunde zu, und als es hoch +über der Schlucht rasend schnell hinglitt, senkte ganz plötzlich der +Schopper den Stock, stemmte ihn vor sich in die Riesen, da sprang das +Fahrzeug hinten empor, schlug über, und die beiden Menschen flogen in +weitem Bogen durch die Luft — stürzten in die Tiefe.</p> + +<p>Ein ganz kurzer Schrei gellte durch die abendlichen Lüfte, und dann war +nichts mehr zu hören als das rauschende Wasser in der Schlucht. — —</p><br> + +<figure class="figcenter illowe4" id="rule-1x_7"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h3>11. Abschnitt.</h3> +</div> + +<p>»Du, Alte!« schrie der Möstl in der Abachleuten seinem Weibe zu, als +er von der Heuarbeit heimkam,<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> »das wird nicht gehen mit der Frieda, +'s ist schad', aber fortschicken mußt sie. Das Umziehen mit einem +verheirateten Menschen können wir ja nicht leiden. Hab' sie just wieder +auseinander gejagt allzwei.«</p> + +<p>»Geh!« entgegnete das Weib, »bist doch nicht g'scheit! Schon wieder +dagewesen ist er?«</p> + +<p>»Soll ganz Kirchbrunn im Stich gelassen haben, sitzt jetzt da draußen +im Zeilinger Hammer als Kohlenvermesser.«</p> + +<p>»Das ist sauber,« sagte sie, »da hätten wir ihn alle Tag in der Hütten. +Recht hart ist mir um die Magd, aber wenn sie's so macht, soll sie +gehen, lieber heut' als morgen.«</p> + +<p>»Ein Plangen haben die zwei zu einander, rein als ob's ihnen wär' +angetan worden. Der Vorknecht Schopper soll ganz toll sein drüber, ich +glaub's. Wenn nur da kein unliebsamer Handel herauskommt. Alte, der +Schopper, wer ihn kennt, das ist ein gefährlicher Mensch!«</p> + +<p>Noch sprachen sie so, als ein Holzknecht aus dem Siebenbachwald +hereinstolperte. »Abrasten muß ich,« sagte er als Gruß und setzte sich +gleich auf die Bank. »Bist eh daheim, Möstl, ist mir recht. Habt es +schon gehört? das groß' Unglück im Siebenbachwald? Gestern auf dem +Abend. Beim Abrutschen. Von der neuen Riefen in die Karwasserschlucht +gestürzt!«</p> + +<p>»Mutter Anna!« rief der Möstl aus. »Wer denn?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span></p> + +<p>»Er — der Schopper und ein fremdes Frauenzimmer!«</p> + +<p>»Was sagst?«</p> + +<p>»Die Adlerwirtin von Kirchbrunn soll's gewesen sein.«</p> + +<p>»Was sagst?« schrie der Möstl und lachte auf.</p> + +<p>»Na ich danke, wer bei so was lachen kann!« sagte der Holzknecht.</p> + +<p>»Ist nicht schlecht gemeint,« redete das Möstlweib drein. »Der lacht +alleweil, hat's Weinen und's Lachen in einem Sackel beisammen.«</p> + +<p>»Der Schopper und die Adlerwirtin!« murmelte der Möstl und faltete die +Hände. »Aber Herr, himmlischer Vater, ist das dein Ernst?« Er lachte +wieder.</p> + +<p>»Wir können es uns auch gar nicht denken, wie es geschehen ist,« +berichtete der Bote. »Es kann was dahinterstecken. Wird schon +aufkommen. Schauderlich, wer's gesehen hat! Von ihr ist kein Knocherl +ganz verblieben. Bei ihm fehlt nur der Kopf.«</p> + +<p>»Aber mein Gott!« rief das Möstlweib, »wie soll sich denn ein +Christenmensch so was zusammenreimen!«</p> + +<p>»Ist nicht eine Magd Frieda bei Euch da?« fragte der Holzknecht. »An +die hab' ich ein Tüchel abzugeben. Ich weiß nicht, mir hat's der +Schopper zugesteckt, gerade vor dem Unglück. Wir kennen uns nicht aus. +Ein Knoten ist im Tüchel und ein Papierl ist drinnen, aber wir können +keiner lesen.<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> Weil ich's versprochen hab', daß ich der Magd Frieda die +Sach' übergeben will.«</p> + +<p>Alsbald wurde die Magd von der Wiese heraufgerufen.</p> + +<p>»Du Frieda,« redete der Möstl sie an, »der da, der hat was für dich.«</p> + +<p>Mit Hast löste sie den Knoten, mit zitternden Fingern entwirrte sie das +Papier, es war ein abgerissenes, graues Streifchen, und darauf standen +mit grobem Bleistift ungefüg geschrieben die folgenden Worte:</p> + +<div class="blockquot"> +<p> +»Liebe Friederika!<br> +</p> + +<p>Bin überflüssig, mach mich davon. Nehm auch eine andere mit, die Euch +im Weg möchte stehen. Mehr kann ich nicht tun für Dich. Sei glücklich +mit ihm.</p> + +<p> +Schubhart Schopper.«<br> +</p> +</div> + +<hr class="tb"> + +<p>Also hat sich's zugetragen. Und was wird jetzt geschehen sein? Alles +Menschengeschick steht in Gottes Hand, alles vollzieht sich nach seinem +Ratschlusse und fast nichts nach dem Sinne der Menschen.</p> + +<p>Als die Magd Frieda in dem Opfertode des armen Waldmenschen seine +unermeßliche Liebe zu ihr besiegelt sah, als das letzte Hindernis +gefallen war zwischen ihr und dem Adlerwirt, daß sie sich nun vor +Gott und der Welt hätten können die Hände reichen — fand sie, daß +ihre heiße Leidenschaft für Wolfram anfing zu schwinden. Was war das +für ein Unterschied! Was sind die gewöhnlichen<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> Männer für zage, +gemeinsinnliche, engherzige Schelme gegen diesen einen einsamen, +heldenhaften! Von diesem allein war sie geliebt worden mit einer +Liebe, wie wenigen Weibern auf Erden sie zuteil wird, mit einer Liebe, +die stärker ist als der Tod. — Aber gekannt hat er es nicht, das +Weibesherz, sonst hätte er im voraus wissen müssen, daß sein Opfer +umsonst ist.</p> + +<p>An demselben Tage, als die Reste der beiden Verunglückten auf einem +kleinen Alpenkirchhofe still bestattet worden waren, schrieb die Frieda +einen Brief an den Adlerwirt:</p> + +<div class="blockquot"> + +<p class="center">»Lieber Wolfram!</p><br> +<p>Weil das geschehen ist, muß es aus sein und ganz aus sein bei uns +zweien. Er tät' immer zwischen uns stehen mit seinen blutigen Wunden. +Ich habe wohl einmal gemeint, ich kunnt Dich glücklich machen, +jetzt nimmer. Und im Unglück bist schon genug gewesen. Du bist frei +geworden vor drei Tagen, ich habe geheiratet. Sein Sterbetag ist der +Hochzeitstag zwischen ihm und mir geworden. Ich bin sein, und Du +wirst auch wieder eine andere finden. Ich wünsche Dir alles Gute, und +was vergangen ist, das soll vergessen sein.«</p><br> + +<figure class="figcenter illowe4 padbot3" id="rule-1x_8"> + <img class="w100" src="images/rule-1x.jpg" alt="deko"> +</figure> + </div> + +<div class="chapter"> +<h2>Nachwort zu dieser Geschichte.</h2> +<p class="s4 center">(Als Ohrenbeichte an den Kritiker.)</p><br> +</div> + +<p>Weil unser Dasein ohnehin überreich an Drangsal und Leid ist, so wollte +ich — beginnend mit heiterem<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> Liebesabenteuer des jungen Adlerwirtes +von Kirchbrunn — in dem süßen Herzensleben junger Menschen eine +Idylle schreiben, mir und anderen zur Ergötzung. Allein es ist anders +gekommen. Wie es im Leben sich so häufig fügt, daß alles ganz anders +wird, als der Mensch gehofft hat, kommt solches bisweilen sogar auch +in der Dichtung vor. Nicht das erste Mal — ich gestehe es — ist es +mir hier passiert, daß während der Entwicklung einer Geschichte ganz +von dem ursprünglichen Plane abgewichen wurde, weil sich folgerichtig +andere Dinge ereignen mußten, als im Plane ausgeheckt waren. Den Plan +macht der Kopf, dem ist im Übermut und Fürwitz alles möglich, der hat +hundert Leitern, um dem Erdboden zu entkommen und in willkürlichen +Zonen seine Luftschlösser zu bauen. Wenn nachher aber das Herz +anhebt, dichterisch zu schaffen, nach Vorbildern der Wirklichkeit +sinnlich zu gestalten, nach göttlichen und dämonischen Gesetzen des +Gemütes zu handeln, da wird die Luftlinie verlassen und je nach der +Bodenbeschaffenheit vorangegangen. Da ist es am besten, wenn der +Dichter seiner Geschichte nicht vorangeht, sondern ihr folgt, wenn er +sie nicht leitet, sondern von ihr geleitet wird, das heißt, wenn er +der Entwicklung nicht Gewalt antut, sondern dieselbe nach gegebenen +Verhältnissen sich selbst frei vollziehen läßt.</p> + +<p>So habe ich es auch hier gehalten. Meine Gestalten — bestimmt +veranlagte Menschen — sah ich<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> vor mir. In harmlosem Spiele führte +ich sie durcheinander, wie der Zufall oder das Geschick uns selbst +durcheinander würfelt. Sie gewannen eine bestimmte Stellung zu +einander, und nun war die Lage gegeben; im Augenblicke begann eine +Entfaltung und eine Entwicklung, die sachte vom gezogenen Plane abwich, +immer weiter und unheimlicher, bis zu jener letzten Folge, vor der ich +selbst erschrak. Aus der lockenden Idylle ist ein tragischer Roman +geworden, der nicht beabsichtigt war.</p> + +<p>Es wird einem auch oft recht langweilig auf dem Tummelplatze des +gewöhnlichen Lebens. Der Alltagsmenschen Begierden und Taten sind +lächerlich schnöde, man wird mit ihnen weder warm, noch kalt. Wenn +aber unvermutet irgendwo ein starkes Herz auftaucht, sei es in +wildwetternder, zerstörender Leidenschaft, sei es in heldenhaftem +Opfermut, alsbald reißt es des Dichters Aufmerksamkeit auf sich und +läßt sie nicht wieder los, und so lange nicht wieder, bis es an einer +großen Tugend zugrunde geht.</p> + +<p>Als auf dem Freiballe beim Schwambachwirt mein Held plötzlich +hinausgerufen wurde zu einem halbverkommenen Holzknechte, da ahnte ich +noch nichts. Als dieser Holzknecht aber vom Adlerwirt verlangte: Laß' +ab von der Dirn! Sie ist mein, und wenn du sie noch einmal anrührst, +so wirst erstochen! — da war ich in seinem Banne. Als ich hernach +der weiteren Entwicklung meiner Geschichte<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> mit doppeltem Interesse +folgte, war ich überzeugt, daß der Schopper-Schub den Adlerwirt ganz +gewiß ermorden würde. Es kam anders, der weichmütige Adlerwirt ward +zu einem beklagenswerten Dulder, seine Liebe zu Frieda suchte er +redlich zu dämpfen, bis er endlich vom Zufall unbarmherzig mit dem +Mädchen seiner heimlichen Leidenschaft zusammengeführt wurde. Jetzt +standen die Dinge so, daß der Schopper-Schub wohl ans Messer griff, +aber nicht mehr zuzustoßen vermochte. Denn durch lange Entsagung war +in seinem großen Herzen die Liebe zum Weibe weit und hoch über die +sinnliche Leidenschaft hinausgewachsen, und mächtig erfüllte ihn der +eine Gedanke: glücklich machen das geliebte Wesen um jeden Preis. +Ein zweites Wort sprach der Rechtssinn des Naturmenschen: Wenn die +zwei sich in der Tat lieben, so sollen sie sich haben. — In dem +Augenblicke, als ich den armen Menschen in weher Verzichtung dahingehen +sah, wußte ich freilich, daß da noch etwas geschehen würde. Ich glaubte +nicht recht, daß der Schopper ein Opfer nur halb vollbringt, und daß er +selbst nicht mehr würde weiterleben wollen, das fürchtete ich.</p> + +<p>Als Frau Kunigunde von dem der Gant verfallenen Adlerwirtshause auf dem +Steirerwäglein fortfuhr, ließ ich sie sehr ungern in den Siebenbachwald +ziehen. Aber ihre Rachsucht gegen den durchgegangenen Mann war so +groß, daß sie keine Macht der Welt zurückgehalten haben würde, seine<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> +Spuren zu verfolgen. Ich ahnte nichts Gutes, als sie dem Schopper-Schub +nachfragte, und leider — meine Ahnung hat mich nicht betrogen.</p> + +<p>So leid es mir um den Schopper tat, so fiel mir doch ordentlich +ein Stein vom Herzen, als das gräßliche Unglück auf der Holzriesen +geschehen war. — Jetzt endlich! jetzt können die zwei jungen Leute, +die wirklich füreinander geschaffen zu sein scheinen, zusammen +heiraten! — Und da tut sich mir eine ungeahnte Tiefe des Weibesherzens +auf: jetzt, da <span class="gesperrt">solches</span> sich zugetragen, mag sie keine +Liebschaft mehr, und am wenigsten eine mit dem, der ihr so lange im +Wege gestanden, dessentwegen sie den treuesten Menschen auf der Welt +mißkannt und abgewiesen hat.</p> + +<p>Wenn meine heiteren Geschichten auf solche Art enden, dann will ich +mich zweimal besinnen, ehe ich wieder einmal eine Idylle anfange zu +schreiben. Und vielleicht tut auch jeder andere wohl daran, sich +zweimal zu besinnen, bevor er — sei es mit einer armen Magd, oder +sei es mit einer feinen Großbauerntochter — ein Liebesverhältnis +anhebt. Ist die Dichtung schon so schlimm, um wieviel mehr erst die +Wirklichkeit ...</p> + +<p>Von den wenigen Bekannten, die noch leben, haben wir uns gar nicht +verabschieden können. Es ging zu schnell. Wenn der Chronist dieser +Ereignisse sich schließlich selbst als einen alten Bekannten vorstellen +wollte, als den kleinen, in den Sand verlaufenden<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Professor Nix, so +wäre uns damit nicht sehr gedient. Als Figur in der Erzählung tut +der kleine Nix zu wenig, seine Hauptleistung besteht darin, uns die +Geschichte übermittelt zu haben. Der Frieda und dem Wolfram hätten wir +noch gerne die Hand gedrückt. Wenn schon die Jungdirn schrieb, daß, was +vergangen ist, auch vergessen sein soll, so möchten wir ihnen doch für +das, was kommen wird, alles Gute wünschen, vor allem ein starkes Herz, +welches die unvergeßlichen Erfahrungen der Vergangenheit in der Zukunft +sich zunutze mache.</p><br> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<figure class="figcenter illowe30 padbot3" id="rule-long_2"> + <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<figure class="figcenter illowe3" id="signet_2"> + <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="signet"> +</figure> + +<figure class="figcenter illowe30 padtop3" id="rule-long_3"> + <img class="w100" src="images/rule-long.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<p class="s5 center">Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.</p><br> +</div> + +<div class="chapter"> +<p class="s2 center" >Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung</p> +<div class="image-left"> + <img src="images/signet.jpg" width="50" height="72" alt="signet"> +<p class="s5 p0">F 1501 IX 09:</p> +<p class="s5">100.000</p> +</div> +</div> + +<p>Die Stiftung ist ein rein gemeinnütziges Unternehmen unter Ausschluß +aller privaten Erwerbsinteressen. Ihr Zweck ist, »hervorragenden +Dichtern durch Verbreitung ihrer Werke ein Denkmal im Herzen des +deutschen Volkes zu setzen« und durch Verbreitung guter Bücher +der schlechten Literatur den Boden abzugraben. Sie begann ihre +<span class="gesperrt">Tätigkeit</span> i. J. 1903 damit, daß sie an 500 Volksbibliotheken je +20 Bände verteilte, unter denen sich z. B. Fontanes »Grete Minde« — +M. v. Ebner-Eschenbachs »Gemeindekind« — eine Auswahl der »Deutschen +Sagen« der Brüder Grimm — Roseggers »Als ich noch der Waldbauernbub' +war« befanden. Die zweite Bücherverteilung umfaßte 40 Werke (in 23 +Bände gebunden) in je 750 Exemplaren — die dritte 42 Bücher (31 Bände) +in je 750 Exemplaren — die vierte 43 Bücher (86 Bände) in je 800 +Exemplaren, die fünfte 28 Bücher (25 Bände) in je 900 Exemplaren — die +sechste 45 Bücher (35 Bände) in je 1000 Exemplaren.</p> + +<p>Abzüge des <span class="gesperrt">Werbeblatts</span>, des letzten Jahresberichts, auch des +Aufrufs und der Satzungen usw. werden von der Kanzlei der Deutschen +Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel gern unentgeltlich +übersandt. — Die Stiftung hatte 1905 erst 934 Mitglieder, im Jahre +1906 schon 3.688, 1907 6.500, Ende 1908 9.161. Sie führt diesen +Aufschwung auf das allgemeine Wachsen des Kulturinteresses zurück und +bittet alle Freunde, ihr durch Zusendung von Adressenmaterial an ihr +Werbeamt bei der Ausnutzung dieser Wendung zum Besseren zu helfen.</p> + +<p>Die Stiftung erbittet besonders jährliche, aber auch einmalige +Beiträge. Für <span class="gesperrt">Jahres-Beiträge von 2 Mk.</span> aufwärts gewährt die +Stiftung durch Übersendung eines Einzelbandes ihrer »Hausbücherei« +oder ihrer »Volksbücher« oder des Schillerbuches Gegenleistung. Wer +25 Mark Jahresbeitrag zahlt, erhält auf Wunsch alle im gleichen Jahre +erscheinenden Bände der »Hausbücherei«.</p> + +<p>Die <span class="gesperrt">Beiträge</span> werden in jeder Höhe entgegengenommen von: der +Deutschen Bank, Hamburg, und ihren sämtlichen Zweiganstalten und +Depositenkassen — Postscheckkonto Hamburg Nr. 737 — der k. k. +Postsparkasse, Wien [auf Konto Nr. 859112] — und der Stiftung selbst +in Hamburg-Großborstel.</p> + +<p>Alle <span class="gesperrt">Briefe</span>, <span class="gesperrt">Anfragen</span> usw. werden unpersönlich mit der +Aufschrift »Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel« +(möglichst unter Hinzufügung der betr. Abteilung) erbeten.</p> + +<p class="s3 center"><b>Man verlange die erwähnten Drucksachen.</b></p><br> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p class="s3 center"><b>Gute und billige Bücher</b></p> +</div> + +<div class="image-left"> + <img src="images/signet.jpg" width="50" height="72" alt="signet"> +</div> + + +<p>Unter den mancherlei billigen Sammlungen, die in den letzten Jahren +zur Verbreitung guter Literatur geschaffen wurden, zeichnen sich die +Bücher der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung durch sorgfältige +literarische Auswahl und ausgezeichnete Ausstattung aus: holzfreies +Papier, schönen und großen Druck, abwaschbaren, geschmackvollen +Einband. Diese Eigenschaften haben in Verbindung mit dem äußerst +billigen Preise den beiden Sammlungen der Stiftung schnell große +Verbreitung verschafft. Bisher sind erschienen:</p> + +<p class="s3 center"><b>Hausbücherei</b></p> + +<p>(nur gebunden, jeder Band 1 Mark)</p> + +<div class="hang"> + +<p>Bd. 1. <span class="gesperrt">Heinrich von Kleist</span>: Michael Kohlhaas. Mit Bild +Kleists. 7 Vollbilder von Ernst Liebermann. Einleitung von <span class="antiqua">Dr.</span> +Ernst Schultze. <em>11.-20. Taus.</em> 170 S.</p> + +<p>Bd. 2. <span class="gesperrt">Goethe</span>: Götz von Berlichingen. Mit Bild Goethes. +Einleitung v. <span class="antiqua">Dr.</span> W. Bode. <em>6.-10. Taus.</em> 178 S.</p> + +<p>Bd. 3. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>1. Bd.</em>: Ausgew. humor. +Erzählungen v. P. Rosegger, W. Raabe, Fr. Reuter und A. Roderich. +<em>36.-45. Taus.</em> 221 S.</p> + +<p>Bd. 4. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>2. Bd.</em>: Cl. Brentano, E. +Th. A. Hoffmann, H. Zschokke. <em>16.-20. Taus.</em> 222 S.</p> + +<p>Bd. 5. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>3. Bd.</em>: Hans Hoffmann, Otto +Ernst, Max Eyth, Helene Böhlau. <em>36.-45. T.</em> 196 S.</p> + +<p>Bd. 6/7. <span class="gesperrt">Balladenbuch.</span> <em>1. Bd.</em>: Neuere Dichter. +<em>11.-20. T.</em> 498 S. 2 Mark.</p> + +<p>Bd. 8. <span class="gesperrt">Herm. Kurz</span>: Der Weihnachtsfund. Eine Volkserzählung. +Mit Bild Kurz'. Einleitung v. Prof. Sulger-Gebing. <em>6.-10. +Taus.</em> 209 S.</p> + +<p>Bd. 9. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>1. Bd.</em>: C. F. Meyer, E. v. +Wildenbruch, Fr. Spielhagen, Detl. v. Liliencron. <em>21.-25. +Taus.</em> 194 S.</p> + +<p>Bd. 10. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>2. Bd.</em> (Dorfgeschichten): E. +Wichert, H. Sohnrey, W. v. Polenz, R. Greinz. <em>11.-15. T.</em> 199 S.</p> + +<p>Bd. 11. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Philosophische Gedichte. Ausgew. u. eingel. +v. Prof. E. Kühnemann. Mit Bild Schillers.</p> +<p> <em>6.-10. T.</em> 230 S.</p> + +<p>Bd. 12/13. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Briefe. Ausgew. und eingel. von Prof. E. +Kühnemann. Mit 2 Bildern Schillers. 2 Bände in 1 Bande. <em>6.-10. +Taus.</em> 226 u. 302 S. 2 Mark.</p> + +<p>Bd. 14. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>3. Bd.</em> (Geschichten aus deutscher +Vorzeit): A. Schmitthenner, J. J. David, W. Hauff. <em>11.-15. +Taus.</em> 246 S.</p> + +<p>Bd. 15. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>4. Bd.</em> (Seegeschichten): Joachim +Nettelbeck, W. Hauff, Hans Hoffmann, W. Jensen, Wilh. Poeck, Johs. +Wilda. <em>11.-15. Taus.</em> 179 S.</p> + +<p>Bd. 16. Auswahl aus den Dichtungen <span class="gesperrt">Eduard Mörikes</span>. Herausgeg. +u. eingel. v. <span class="antiqua">Dr.</span> J. Loewenberg-Hamburg. Mit Bild u. +Silhouette Mörikes. <em>6.-10. Taus.</em> 285 S.</p> + +<p>Bd. 17. <span class="gesperrt">Heine-Buch.</span> Eine Auswahl aus Heinrich Heines +Dichtungen. Herausgeg. und eingel. von Otto Ernst-Hamburg. Mit Bild +Heines. <em>6.-10. Taus.</em> 203 S.</p> + +<p>Bd. 18 u. 19. <span class="gesperrt">Goethes</span> ausgewählte Briefe. Herausgeg. u. +eingel. v. <span class="antiqua">Dr.</span> Wilh. Bode-Weimar. Mit Bildern Goethes. 2 +Bände. <em>11.-15. Taus.</em> 169 u. 197 S.</p> + +<p>Bd. 20/21. <span class="gesperrt">Deutsches Weihnachtsbuch.</span> Eine Sammlung der +schönsten u. beliebtesten Weihnachtsdichtungen in Poesie u. Prosa. +<em>11.-20. Taus.</em> 413 S. 2 Mark.</p> + +<p>Bd. 22. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>5. Bd.</em> (Frauennovellen): Cl. +Viebig, L. v. Strauß u. Torney, Lou Andreas-Salomé, M. R. Fischer. +<em>11.-20. Taus.</em> 198 Seiten.</p> + +<p>Bd. 23. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>6. Band.</em> (Kindheitsgeschichten): +A. Schmitthenner, H. Aeckerle, M. Lienert, M. v. Rentz, Hans Land, A. +Bayersdorfer, Ch. Niese, Th. Mann. <em>6.-10. Taus.</em> 199 S.</p> + +<p>Bd. 24. <span class="gesperrt">Novellenbuch.</span> <em>7. Bd.</em> (Kriegsgeschichten): Carl +Beyer, H. v. Kleist, W. v. Conrady, M. v. La Roche, D. v. Liliencron, +Th. Fontane. <em>11.-20. Taus.</em> 177 S.</p> + +<p>Bd. 25/26. <span class="gesperrt">Balladenbuch.</span> <em>2. Bd.</em>: Ältere Dichter. +<em>6.-10. T.</em> 518 S. 2 Mark.</p> + +<p>Bd. 27. <span class="gesperrt">Karl Immermann</span>: Preußische Jugend zur Zeit Napoleons. +Herausgeg. u. eingeleitet von <span class="antiqua">Dr.</span> Wilhelm Bode-Weimar. Mit +Bild Immermanns und 3 Bildern Magdeburgs. <em>6.-10. Taus.</em> 171 +Seiten.</p> + +<p>Bd. 28. <span class="gesperrt">Martin Luther als deutscher Klassiker</span>, nebst einer +Einführung von <span class="antiqua">Dr.</span> Eugen Lessing. Mit Bild Luthers. 176 Seiten.</p> + +<p>Bd. 29/30. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>4. und 5. Bd.</em> +(Humoristische Gedichte). 351 Seiten. 2 Mark.</p> + +<p>Bd. 31. <span class="gesperrt">Deutsche Humoristen.</span> <em>6. Bd.</em>: E. Th. A. +Hoffmann, B. v. Arnim, Fr. Th. Vischer, A. Bayersdorfer, Henry F. +Urban, Ludw. Thoma. 160 S.</p> + +<p>Bd. 32. <span class="gesperrt">Max Eyth</span>: Geld und Erfahrung (humoristische +Erzählung). Mit Original-Illustrationen von Th. Herrmann und +Einleitung von <span class="antiqua">Dr.</span> C. Müller-Rastatt, Hamburg. 176 Seiten.</p> + +<p>Bd. 33. <span class="gesperrt">Ludwig Uhland</span>: Ausgewählte Balladen und Romanzen. Mit +Einleitung von K. Küchler, Altona, und mit mehreren Vollbildern.</p><br> +</div> + +<p class="s4 center"><b>Geschenkausgabe</b></p> + +<p><span class="gesperrt">mit prächtigem, biegsamem Einband</span> mit Goldschnitt sind <span class="gesperrt">zum +Preise von je 4 Mark</span> hergestellt von:</p> + +<div class="blockquot"> +<ol> +<li>Bd. 6/7 (rot, Ganzleder)</li> +<li>Bd. 12/13 (grün, Ganzleder)</li> +<li>Bd. 18/19 (grau, Ganzleder)</li> +<li>Bd. 20/21 (weiß, Dermatoid)></li> +<li>Bd. 25/26 (rot, Ganzleder)</li> +<li>Bd. 29/30 (rot, Ganzleder).</li> +</ol> +</div> + +<p>Schillerbuch, enth. Einltg. über Schillers Leben, die Glocke, Balladen, +Tell.<br> Mit Bild Schillers. 346 S.</p> +<p><em>11.-20. T.</em> Geb. 1 M.</p><br> + +<p class="s3 center"><b>Volksbücher.</b></p> + +<div class="hang"> +<p>Heft 1. 50 Gedichte v. <span class="gesperrt">Goethe</span>. 95 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 2. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Tell. <em>11.-20. T.</em> 19 S. Geh. 30, geb. 60 +Pf.</p> + +<p>Heft 3. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Balladen. <em>31.-40. T.</em> 108 S. Geh. 20, +geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 4. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Wallensteins Lager. Die Piccolomini. 215 S. +Geh. 30, geb. 60 Pf.</p> + +<p>Heft 5. <span class="gesperrt">Schiller</span>: Wallensteins Tod. 222 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.</p> + +<p><em>Heft 4 und 5 in einen Band gebunden 1 Mark.</em></p> + +<p>Heft 6. <span class="gesperrt">Brentano</span>: Die Geschichte vom braven Kasperl u. dem +schönen Annerl. 59 S.<br> Geh. 15, geb. 40 Pf.</p> + +<p>Heft 7. E. Th. A. <span class="gesperrt">Hoffmann</span>: Das Fräulein von Scuderi. 113 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 8. <span class="gesperrt">Fr. Halm</span>: Die Marzipanliese. — Die Freundinnen. 124 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 9. <span class="gesperrt">Reuter</span>: Woans ick tau 'ne Fru kamm. 61 S. Geh. 15, geb. +40 Pf.</p> + +<p>Heft 10. <span class="gesperrt">Max Eyth</span>: Der blinde Passagier. <em>11.-20. T.</em> 68 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 11. <span class="gesperrt">Marie von Ebner-Eschenbach</span>: Die Freiherren von +Gemperlein. <em>11.-20. T.</em> 82 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 12. <span class="gesperrt">Wilhelm Jensen</span>: Über der Heide. 127 S. Geh. 25, +geb. 55 Pf.</p> + +<p>Heft 13. <span class="gesperrt">Ernst Wichert</span>: Der Wilddieb. 144 S. Geh. 30, geb. 60 +Pf. <em>11.-20. T.</em></p> + +<p>Heft 14. <span class="gesperrt">Levin Schücking</span>: Die drei Großmächte. 96 S. Geh. 25, +geb. 55 Pf.</p> + +<p>Heft 15. <span class="gesperrt">Ludwig Anzengruber</span>: Der Erbonkel u. andere Geschichten. +Geh. 25, geb. 55 Pf.</p> + +<p>Heft 16. <span class="gesperrt">Helene Böhlau</span>: Kußwirkungen. <em>11.-20. T.</em> 68 S. +Geh. 20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 17. <span class="gesperrt">Ilse Frapan-Akunian</span>: Die Last. 87 S.<br> +Geh. 25, geb. 55 Pf.</p> + +<p>Heft 18. <span class="gesperrt">H. v. Kleist</span>: Die Verlobung in St. Domingo. Das +Erdbeben in Chili.<br> +Der Zweikampf. 142 S. Geh. 80, geb. 60 Pf.</p> + +<p>Heft 19. <span class="gesperrt">Peter Rosegger</span>: Der Adlerwirt von Kirchbrunn. 139 S. +Geh. 30, geb. 60 Pf. <em>11.-20. T.</em></p> + +<p>Heft 20. <span class="gesperrt">Ernst Zahn</span>: Die Mutter. <em>11.-20. T.</em> 66 S. Geh. +20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 21. <span class="gesperrt">E. J. Groth</span>: Die Kuhhaut (Humoreske). Mit Illustr. v. +Gg. O. Erler. 40 S. Geh. 15,<br> +geb. 40 Pf.</p> + +<p>Heft 22. <span class="gesperrt">A. Schmitthenner</span>: Die Frühglocke Mit Illustr. v. Wilh. +Schulz. 64 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.</p> + +<p>Heft 23. <span class="gesperrt">G. Freytag</span>: Karl d. Große. — Friedrich Barbarossa. +Minnesang und Minnedienst zur Hohenstaufenzeit. 80 S. Geh. 25, geb. 55 +Pf.</p> + +<p>Heft 24. <span class="gesperrt">Fr. Spielhagen</span>: Hans u. Grete. Mit Illustr. v. Th. +Herrmann. 174 S. Geh. 40,<br> +geb. 75 Pf.</p><br> +</div> + +<p><em>Jedes Heft enthält ein Bildnis des Verfassers. Weitere Hefte sind in +Vorbereitung.</em></p><br> + +<p class="s5 center">Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.</p> + +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75761 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/75761-h/images/cover.jpg b/75761-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c7cfb9f --- /dev/null +++ b/75761-h/images/cover.jpg diff --git a/75761-h/images/illu-001.jpg b/75761-h/images/illu-001.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..2bbc32a --- /dev/null +++ b/75761-h/images/illu-001.jpg diff --git a/75761-h/images/illu-005.jpg b/75761-h/images/illu-005.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a2bf63b --- /dev/null +++ b/75761-h/images/illu-005.jpg diff --git a/75761-h/images/rule-1x.jpg b/75761-h/images/rule-1x.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..7ad4862 --- /dev/null +++ b/75761-h/images/rule-1x.jpg diff --git a/75761-h/images/rule-3x.jpg b/75761-h/images/rule-3x.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..28dbf31 --- /dev/null +++ b/75761-h/images/rule-3x.jpg diff --git a/75761-h/images/rule-long.jpg b/75761-h/images/rule-long.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..400c3ac --- /dev/null +++ b/75761-h/images/rule-long.jpg diff --git a/75761-h/images/signet.jpg b/75761-h/images/signet.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..eed0461 --- /dev/null +++ b/75761-h/images/signet.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..b5dba15 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This book, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this book outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..d2c3334 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +book #75761 (https://www.gutenberg.org/ebooks/75761) |
