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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75925 ***
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+ AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT
+ – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
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+ AUSSENSEITER
+ DER GESELLSCHAFT
+ – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
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+ HERAUSGEGEBEN VON
+ RUDOLF LEONHARD
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+ BAND 10
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+ VERLAG DIE SCHMIEDE
+ BERLIN
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+ SCHUSS IN’S GESCHÄFT
+ (DER FALL OTTO EISSLER)
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+ VON
+ FRANZ THEODOR CSOKOR
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+ VERLAG DIE SCHMIEDE
+ BERLIN
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+ EINBANDENTWURF
+ GEORG SALTER
+ BERLIN
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+ Copyright 1924 by Verlag Die Schmiede Berlin
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+ I. DIE SIEGER NACH DER SCHLACHT.
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+Das _Wien_ der Nachkriegszeit ist verwandelt wie nie in seiner
+tausendjährigen Geschichte. Die Stadt, die neben der Welt gelebt hat, –
+selbst ihre Rothschilds waren noch Träumer, – die Stadt der Sonderlinge,
+Eigenbrödler, Sammler, die Stadt der verraunzten Genies, der
+unausgenutzten Talente, die Stadt der Kammermusik und der Barockpaläste,
+in der vor alldem wundervollen Toten kein Lebender atmen kann, die ewige
+„Kaiserstadt“, weil sie, eine Seltenheit unter den alten großen Städten
+Deutschlands, nie zur selbstherrlichen Verwaltung, nie zur freien
+Reichsstadt gelangt war, – sie wird nun jäh überschwemmt von
+Abenteurern, Glücksrittern, Condottieris des Geldes. Mühelose
+Schlachten, gefördert durch die österreichische Lässigkeit der
+Verwaltung, sichern Riesengewinnste, jähe Rückschläge zerstäuben sie
+wieder. Namen tauchen aus Dunkelheit in goldenes Licht, Namen stürzen
+aus Glanz in die Nacht. Es geht zu wie im Grunde überall nach dem
+Kriege; nur das Tempo wird viel phantastischer genommen, die Kämpfe sind
+erregender und wilder. Da ist einer, der kommt von einer Winkelbank, ein
+anderer rettet sich aus einem Schiffbruch, ein dritter ersteht bei der
+Demobilisierung Milliardenwerte mit Verträgen, die später vergeblich
+angefochten werden, ein vierter, einst ein kleiner Händler, ist im
+Kriege schon fett geworden an elendem Material, das er der
+Heeresverwaltung für ihr wehrloses Schlachtvieh aufzuschwatzen verstand,
+ein fünfter stellt ein Riesenwerk der Kriegszeit auf „Friedensbetrieb“
+um; der Steckbrief kommt zu spät, – sie alle verschmähen dabei auch
+nicht das winzigste Geschäft: Dem Tüchtigsten im Raffen freie Bahn!
+Indessen rückt die Währung reißend zurück, geschwächt und verlassen von
+denen, die sie zu stützen berufen gewesen wären. Im gleichen Maße
+schwillt die Börse an, hetzen die Papiere zu Fieberkursen empor.
+Plünderungen durchklirren die Stadt; Pogromdrohungen gellen wider die
+von Bankinstituten überwucherten Nobelstraßen. Aber bei solchen
+Auswüchsen eifert jede Rasse, jede Konfession, jeder Stand, um den
+traurigen Vorrang; der Bauer noch tränkt seine Säue mit der Milch, die
+er dem Städter verweigert, so ihren Preis zu treiben. Dabei zerwühlen
+schwerste politische Krisen den Staat, an dessen Grenzen drei Mächte
+bereit zum Einmarsch lauern, wenn die Verzweiflung zu kommunistischen
+Evangelien greifen sollte. Die grüne und die rote Internationale, die
+vorwiegend agrarische _christlich-soziale Volkspartei_ und die
+_Sozialdemokraten_ verwalten in einer fort und fort mühsam gekleisterten
+Koalition die hungernde Republik, die im Westen und im Osten, in dem von
+Ungarn trotz Friedensvertrages bestrittenen Burgenland und in dem nach
+der Schweiz strebenden Vorarlberg verdächtige Abbröckelungstendenzen
+zeigt. Da geht – nach einer wütenden Philippika des sozialistischen
+Abgeordneten Karl _Leuthner_ – das grünrote Bündnis in Fetzen, die
+Regierung _Seipel’s_ beginnt, der den europäischen Mächten mit Auflösung
+Österreichs droht, – das bedeutet: Krieg zwischen Italien, Jugoslavien,
+Ungarn, Tschechoslovakei, um eine Beute, die schließlich doch
+bei Deutschland landen wird, wohin die Alpenbevölkerung in
+leidenschaftlichen Proklamationen drängt. Der kluge Prälat, mit Haltung
+und Diplomatie einer tausendjährigen kirchlichen Zucht gesegnet,
+verrechnet sich nicht. Die Angst aller leidend Beteiligten erhält den
+gefährdeten Donaustaat; Wilsons problematischer Völkerbund tritt hier
+zum erstenmal groß in Funktion. Unter Verzicht auf den deutschen
+Anschluß, nach Bestallung einer scharfen Kontrollkommission bezieht
+Österreich Unterstützung. Die Krone wird bei einem Vierzehntausendstel
+ihres Friedenswertes gebremst; dem Kapital des Inlandes wie des
+Auslandes ist ruhiges Betätigungsfeld durch den Genfer Vertrag
+gesichert. Es schwebt nicht mehr in Gefahr sozialistischer oder
+sowjetistischer Gegenmaßnahmen, es kann also das Tempo mäßigen und sich
+zugleich seiner unbequemsten Mitläufer entledigen. Wie der Ararat aus
+der Sintflut tauchen aus den verebbenden Wässern der Spekulation wieder
+die Häupter des alten Reichtumes, die Herren der Schlöte, Schächte und
+Forste, die noch nahe mit der Arbeit verknüpft waren, aus der sich ihre
+Macht erhoben hatte. Die neue Generation der Plutokratie tat sich nun
+ungleich schwerer: sie hatte ja nie aus den Dingen selbst geschöpft,
+sondern aus der Spannung zwischen ihnen, sozusagen aus geladener Luft,
+die sie gewitzt als Kraftfeld auszubeuten und in Bewegung umzusetzen
+verstand; sie gewann allein am Kabeln und am Stecken von
+Geschäftskontakten. Und aus solchem Unsicherheitsgefühl heraus suchte
+sie den alten Reichtum nun in ihre Geschäfte zu verstricken oder sich an
+den seinen zu beteiligen, kurz, was von dem österreichischen Raffke
+scheinbar sicher blieb, – der grobe Nackenhieb traf ihn ja erst mit der
+Frankkatastrophe, – mühte sich, aufgenommen zu werden in den Gotha des
+früheren Großkapitales.
+
+Diese Vorkriegsreichen waren ja wahrhaftig die Aristokratie jener Zeit
+geworden. Hinter dem blendenden Goldschaum, den die nachgeborenen
+Geldhelden schlugen, blieben sie fast unsichtbar. Nun, da er auf sein
+wahres Maß zerrann und sie wenig versehrt und gelassen hervortraten,
+erkannte man ihre Kraft, die den Zusammenhang mit ihren Quellen nie
+verloren hatte, sondern weiter an den unermeßlichen Schätzen der ihr
+dienstbaren Erde zehrte. Die Tradition begann als Faktor wieder
+aufzuleben, der internationale Einfluß eines Namens von Kredit und
+Bedeutung aus dem Frieden her eroberte sich neuerlich den einstigen
+Geltungsbezirk. Im alten Glanze fanden sie sich, diese Familien, darin
+Fleiß von Väter auf Söhne ungeschwächt weiterging, diese
+Industriegewaltigen mit den Adelsbriefen jahrelanger Arbeit, diese
+Finanzdynastien, zu denen Könige gekommen waren, – – wo blieb vor ihnen
+das Nichts von gestern, das nun jäh „Generaldirektor“ hieß, um morgen
+vielleicht wieder Nichts zu sein? Man zog es heran, insofern man es
+brauchte, man erhörte seine Zudringlichkeit, – um von ihm zu lernen.
+Denn man konnte ja selbst nicht mehr arbeiten wie vor dem Kriege. Die
+Amerikanisierung des öffentlichen Lebens im üblen Sinne ging schon zu
+weit. Die Methoden der neuen Zeit mußte man bei den Neuen erfahren; die
+Metaphysik nebuloser Tochtergründungen, der Aktienvermehrungen, der
+Steuerverschleierungen, der Geldtransfusion in andere Unternehmungen,
+die so unmerklich in den Kreislauf der Geber gerieten, besaß dort ihre
+gediegensten Lehrkanzeln. Wohl war der Krieg verloren, von dem sie, die
+einstigen Mitberater und Mitgenießer an der nun zersplitterten
+Monarchie, sich manches erhofft hatten, – aber schließlich fühlten sie
+sich sogar stärker als ein verlorener Krieg. Elan und Unbedenklichkeit
+der Jungen mußte man sich zu eigen machen und die durch nichts
+einzuschüchternde Überzeugung von der letzten sakramentalen
+Unantastbarkeit des Geldes. Was immer von ihrem Eigentume in dem nun
+siegreichen Auslande lag, konnte, je umfangreicher es war, auf die Dauer
+um so weniger beschlagnahmt bleiben. Industrie und Großgrundbesitz sind
+die bevorrechtete Aristokratie aller konstitutionellen und
+demokratischen Systeme, wie es für die absoluten die Adelsstände waren,
+und so muß auch die internationale Solidarität einer kapitalistisch
+orientierten Weltordnung rein gesetzmäßig alle jene verletzenden
+Maßnahmen, wie etwa Enteignungen von kurzer Hand, möglichst vermeiden.
+So zwingt einer die Regierung eines siegreichen Erben des alten
+Kaiserreiches einen schon damals als höchst ungünstig befehdeten Vertrag
+zu übernehmen, indem er nach eingetretenen Schwierigkeiten seitens der
+neuen Herrscher in seinen dort liegenden Riesenbetrieben die Arbeit
+durch drei Jahre einfach einstellt. Tausende werden brotlos, Bahnen
+stocken, Not der Geschädigten pocht an das Parlament des Siegerstaates.
+Da schäumen sie, – aber zur Übernahme oder zur Ablösung fehlt das Geld
+und vor Expropriation scheut man zurück aus den genannten Gründen: Man
+vergleicht sich also, erkennt zähneknirschend das Bestandene an. Eine
+Gruppe Anderer verheert die Währung ihres Vaterlandes, um so in
+stündlich entwerteten Papieren ihre Goldschuld einzulösen. Ein dritter
+einigt sich mit seinem Konkurrenten im Feindesland, lange vor ihren
+beiderseitigen Regierungen, die dann den Konturen solcher Abkommen
+folgen müssen. Ein vierter lockt Strohmänner von drüben in die eigene
+Leitung, die unter ihren Ententeflaggen seinem Geschäfte den
+internationalen Freibrief sichern. Derlei Beispiele gibt es noch viele.
+Gegenstandslos bleibt der Ausgang von Kriegen für die Gewaltigen des
+Kapitales. Ihre Front lag ja nie an jenen in Blut und Dreck ersäuften
+Gräben. Und im Inlande hatten nur jene verloren, die ihr Vertrauen in
+die Habe des Staates oder der Einzelnen setzend es in irgendeiner Form
+belehnten, die Banknoten- und Bargeldsammler, die Kriegsanleiheinhaber,
+die Hypotheken- und Mündelgeldbezieher. Der in Liegenschaften jeglicher
+Art verankerte Besitz büßte dabei nichts ein, im Gegenteil: Die
+Verarmung der anderen schuf ihn oft schuldenfrei oder verringerte
+zumindest seine Belastung. Nach Revolution und Gegenrevolution ging die
+gelbe Flagge hoch. Der Aufruf „An Alle“, der 1917 vom Osten her Europa
+erschüttert hatte, wurde 1924 zur Devise einer Nacktrevue im Variété.
+Wie nach jeder Weltkatastrophe entwickelte sich auch nun ein
+Biedermeiertum, das jene wilden zehn Jahre einfach nicht wahr wissen
+wollte. Die Könige hatte es eingebüßt, nicht durch eigenen
+revolutionären Geist, sondern durch die Konsequenz der Ereignisse. So
+beugte es sich denn willig der neuen Diktatur, die über seinem
+Sichverschweigenwollen des Gewesenen hart und kalt emporstieg. Ein Typus
+Gewaltmenschen, von dem sachlichen Fanatismus Jener der Neuen Welt,
+eroberte sich die Vormacht in Europa. Nur wenige Unbekannte waren
+darunter, – sie hielten sich nicht lange, diese Reisläufer des neuen
+Kapitals, – der Kern bestand doch aus den früheren Magnaten der
+Industrie und des Bodens, aus Reedern, Kohlenfürsten, Hammerherren und
+den Holzriesen des Friedens. Sie waren es, die jetzt in den Kampf um den
+Cup des Lebens traten, der als Zeichen dieser vital-egoistischen Zeit
+vor allen ihren Äußerungen stand, vom Boxermatch bis zur Literatur.
+
+
+
+
+ II. DIE HERREN DER WÄLDER.
+
+
+Die _Republik Österreich_ schien nach dem Kriege das ärmste Land der
+Alten Welt zu sein. Von Gebirgen verknöchert blieb es in dem
+wesentlichsten Existenzbedarf, in der Brotfrucht und in der Nahrung
+seiner Betriebe, in der Kohle, fast durchweg auf das Ausland angewiesen.
+Enorme Industrieanlagen, dem Maße des vormaligen Fünfzigmillionenstaates
+angepaßt, feierten nun aus Mangel an Rohstoffen. Der „Wasserkopf“ Wien,
+den die energische sozialdemokratische Gemeindeverwaltung mit allen
+Schrecken des Nachkriegszustandes übernehmen mußte, saß auf dem dünnen
+Leibchen eines Sechsmillionenvolkes des verstümmelten Bundeslandes. Die
+Nachfolgestaaten verschanzten sich hinter Zollwänden; das künstlich
+ausgetrennte Herz des alten Reiches drohte an der so gedrosselten
+Blutzufuhr völlig zu erlahmen. Und doch besaß es noch vier gewichtige
+Dinge, an deren Ausbeutung es nun mit brennender Energie gehen mußte,
+wollte es seine durch den Genfer Vertrag gestützte Daseinsberechtigung
+als autonomes Gemeinwesen erweisen. Das war das _Salz_, das es in
+Verwaltung nahm, das war die weiße Kohle seiner _Wasserkräfte_, die
+unter seiner Ägide oder Beteiligung private Gesellschaften in großen
+Überlandwerken konzentrierten, das war das Erz seiner Berge, wo
+reichsdeutsche und italienische Konzerne um das Schürfrecht warben, das
+war vor allem der begehrteste Ausfuhrposten, seine _Wälder_, die fast
+das ganze Reich überdeckten. Hier drängten sich die Abnehmer von
+Bedeutung; _Italien_, das forstarme, _Frankreich_ mit _Straßburg_ als
+Stapelplatz, _Deutschland_, das seine Reparationsleistungen zum
+Wiederaufbau teilweise von dem Brudervolke bezog; ja bis _Holland_ und
+nach _England_ hinüber wanderte das österreichische Edelholz. Aus
+zerkrachenden Forsten gediehen fürstliche Vermögen, zu denen der Grund
+noch im tiefsten Frieden gelegt worden war. Unermeßliche Gebiete standen
+damals zur Verfügung. In _Bosnien_, in der _Herzegowina_, in _Kroatien_,
+in _Siebenbürgen_, in _Böhmen_, in allen _Alpenprovinzen_. Höher als die
+Herren der Erze und der Wasser wuchsen so die Herren der Wälder, formten
+geradezu einen eigenen Menschenschlag. Denn wie das Individuum sich nach
+seiner Tätigkeit wandelt, so erhielten sie, deren Vorteil mit des Wortes
+wahrstem Sinne in der Erde wurzelte, etwas von gewaltigen Bauern,
+Bauern, die über tausende Knechte gebieten, Schnitter von
+Ackerprovinzen, auf denen die Ernte, die sie nicht gesät hatten, bereit
+stand, in keinen Halmen, sondern in den Stämmen starrer Bäume. In der
+ausgeplünderten hohlwangigen Nachkriegszeit fußen sie breit mit
+unentwertbaren Schätzen. Ihre Macht spottet aller Angriffe. Ja, sogar
+ihr Eigentum in den abgespaltenen Klötzen des alten Reiches ringen sie
+wieder ein; sie trotzen und listen es den neuen Herren dort ab in dieser
+oder jener verklausulierten Form. Der Steuerfiskus findet schwer zu
+ihnen. Die Erde hat sie ganz zu Bauern gemacht, zäh, schlau und karg wie
+Bauern sind. Und unbeugsam über das Ihre, unbeugsam, wenn es selbst der
+Blutnächste wäre, der seinen Teil zu fordern käme. Fast äußerlich
+verändern sie sich so; ob Christ, ob Jude, ob Landmann, ob Städter, gilt
+gleich; die Erde bleibt stärker in ihnen: Sie gehorchen der Erde.
+
+
+
+
+ III. DYNASTIE EISSLER.
+
+
+Urwald in _Bosnien_. Schluchten klaffen, Berge bäumen sich, Gewässer
+zischen von eisenfarbenen Felsen nieder, und überall nistet, wuchert,
+drängt sich Gehölz. Heldenliedergegend, Wild-West des Balkan, kaum
+erforschtes Tibet Europas, das hier beginnt und am Griechenmeere in
+Saloniki endet. Land des großen Zaren Dušan, Land des südslavischen
+Siegfried, Marko Kraljevics, Land des serbischen Kaiserreiches und des
+türkischen Herrenvolkes nach dem Abendrot am Kossowo polje, am
+Amselfeld. Und Land zuletzt, aus dem der Anlaß des gräßlichsten Krieges
+mit zwei Schüssen an der Lateinerbrücke in Sarajevo aufblitzte.
+Stolzester Hengst in der Hürde der Alten Welt. Der Muselmann hat ihn nie
+ganz gebändigt, der Kroate nicht und nicht der serbische Bruder; der
+Venetianer langte wenig über seine dalmatinische Küste herein, und
+selbst der großmächtige Herr Ungar stieß hier auf Widerstand. Aber Geld
+und Gewinnsucht scheuen nichts, und wie die Republik von San Marco vor
+einem halben Jahrtausend Dalmatiens Waldgebirge in eine heute noch
+erschütternde Steinwüste wandelte, so rückt man auch hier seit
+Jahrzehnten den scheinbar unerschöpflichen Forsten an den grünen Leib.
+Um ihre Ränder beißen sich Häuflein Menschen fest; kleine saubere
+Häuschen quellen aus dem Boden, ein Klondyke des Holzes, blanke
+Maschinen funkeln. Das knirscht, kracht, splittert und sägt den ganzen
+Tag durch, nagt sich furchtlos ein in die verfitzte Wildnis, über der
+die Geier nun wie graue Zeichen des Waldsterbens kreisen, und zieht
+seinen vorgesehenen Borkengang. Hinter sich läßt es Scheiterhaufen von
+rauchenden Meilern und riesige Schichten von Baumleichen, die kleine
+Lokomotiven auf schmalspurigen Gleisen flink nach den Umschlagstellen
+befördern, wo die großen Eisenbahnen die Tore zur Welt aufreißen.
+
+Es sind mächtige Herren, die hinter dieser namenlosen Arbeit sitzen, und
+auf den Börsen brausender Städte schreien Papiere, die den Fleiß tausend
+gering bedankter Hände anpreisen, und irgendwo, in Biarritz oder Ostende
+oder Capri erholt sich einer, von ihnen getragen, oder haust
+zeitentrückt als stiller Teilhaber und Villenfürst inmitten schöner
+alter Gemälde, auf denen Menschen friedlich in heiligen Hainen wandeln
+oder hängt kostbare Bernsteinketten, goldfarben wie die Harztränen der
+Tannen um einen kühlen nackten Frauenleib oder sitzt rastlos in einer
+Kontorhölle der Metropole, umknattert von Schreibmaschinen, umschrillt
+von Telephonen, umquirlt von Menschen, wie eine Spinne im Netz, die
+jeden Faden prüft. Er ist der Typus seiner Zeit, der Parforcemensch am
+Schreibtisch. Stärkster wird er von allen, weil er sich zum Regulator
+der Kraft macht, die ihn umströmt; er vertausendfacht sie durch die
+eherne Zwinge, in die er sie nimmt. Er hieße über dem großen Wasser
+Rockefeller, Morgan, Ford oder mit sonst einem Stahl-, Holz- oder
+Ölkönigsnamen. Er heißt in unserem Falle _Robert Josef Eißler_, thront
+als _Chef einer hundertjährigen weltumspannenden Holzindustrie in Wien_
+und arbeitet, arbeitet wie ein Besessener ohne sich je auch nur den
+kleinsten Genuß zu gönnen, arbeitet um der Arbeit willen, die ihn ganz
+verschlungen hat, arbeitet zu Hause, auf der Bahn, im Auto; nichts
+bleibt so abseitig, das er nicht wahrnimmt, nichts so vollendet, dem er
+nicht mißtraut, er ist nur mehr rechnendes Gehirn, schreibende Hand,
+Mund, der befiehlt. Unter der Peitsche seiner Augen leistet jeder das
+Äußerste; bis in die entferntesten Länder spüren sie diesen Blick, in
+Blockhäusern, auf Sägewerken, durch Urwaldgrün hindurch, wo immer sein
+Name zu Werk wird. Und das wird er in mächtigstem Ausmaß. Da ist allein
+die bosnische Satrapie, die er mit dem Münchner _Ortlieb_ führt, von
+Vorkriegsjahren her, und unversehrt sich im verlornen Land erhalten hat.
+Von den mehreren hunderttausend Hektaren werden jährlich an die tausend
+geschlagen und einhundertfünfzig Kilometer Schienennetz seiner
+Privatbahn, auf der zwanzig Lokomotiven unter Dampf stehen, vermitteln
+den Verkehr der Menschen und Waren in seinem Reich. Über dreitausend
+Arbeiter roden, fällen, schlichten dort die Wirrnis des Krywayatales,
+des Zepugebietes, Namen wie aus dem afrikanischen Dschungel. Und das
+alles bedeutet erst eine Provinz seines Königreiches, die ihn auf
+Jahrzehnte mit unversieglichen Rohstoffen versorgt; in _Kroatien_
+besitzt seine Dynastie ein Gut, in Österreich hat seine Gründung, die
+Holzbank, in dem durch Minister Dr. _Schürff_ zur Parlamentsdebatte
+gemachten _Reichraminger Holzabstockungsvertrag_ der jungen Republik
+ihren Einfluß spüren lassen, in _Ungarn_ herrscht die Firma als
+„_Eissler es testvere_“, dort wie in Bosnien seit Friedenszeit, wo
+einst der Finanzminister _Kallay_ seiner Abmachungen mit dem
+geschäftstüchtigen Hause wegen im magyarischen Abgeordnetenhaus manche
+Unannehmlichkeiten erfuhr. „_Eissler i fratti_“ nennt sich die
+_rumänische_ Kolonie, „_J. Eissler bratri_“ heißt sie in der
+_Tschechoslovakei_. Und das lediglich als zentraler Kommandoraum des
+ganzen Kraftwerkes tätige Wiener Stammgeschäft führt den Titel „_J.
+Eißler und Brüder_“. Aber von den mitgenannten Brüdern ist in der
+zweiten von Robert Eißler geleiteten Generation nichts zu verspüren; was
+immer da beteiligt war, verschwand allmählich vor dem despotischen Chef,
+der das Geschäft trotz Krieg und Niederlage wieder zu der europäischen
+Geltung gebracht hatte, die es vorher besaß. In viele Friedensmillionen
+steigerte er das Vermögen, sicherte seine Betriebe durch geschickte
+Staatsverträge wie ein Monarch, wußte sich siegreich gegen gewaltige
+Konkurrenten auf dem Weltmarkt zu behaupten, indem er sie verdrängte
+oder durch Bündnisse entwaffnete. Seiner robusten Energie war es nicht
+gegeben, sich an gefälligen Dingen zu freuen, an Büchern, an Bildern, an
+Schauspielen; aller Trieb seiner Rasse nach äußerer Tätigkeit nach dem,
+was _Peter Altenberg_ „die hundertperzentige Verzinsung des Lebens“
+nannte, blieb in ihm am stärksten gehäuft und angespannt. Um sich fand
+er selten Widerstand; ruhige Menschen, durchtränkt von der etwas müden
+Kultur jüdischen Patriziates bis zur Schrullenhaftigkeit, bildeten seine
+Verwandtschaft. Doktor _Hermann Eißler_, einer von ihnen, schuf sich
+eine Gemäldegalerie von internationalem Ansehen, darin besonders die
+Franzosen des neunzehnten Jahrhunderts von Delacroix und Gericault an
+glänzend vertreten sind; _Gottfried_, ein anderer – kürzlich verstorben
+– nannte eine der schönsten Erstdruckbibliotheken und eine der besten
+Wiener Miniaturensammlungen sein eigen. Gewiß, auch sie hatten sich alle
+wahrhaft gerackert, nur waren sie nie so sehr der Despotie ihrer Arbeit
+verfallen, daß sie in ihrem Tagwerk ausschließlich Zweck und Ziel ihres
+Daseins sahen. Doch Robert Eißler kannte nur dieses. Er war rauh wie
+Esau, aber ein Esau, der auf seiner Erstgeburt bei Acker und Herden
+bestand und hinweggestampft wäre über Jakob und Abraham. Dem
+Märchenhelden Wilhelm Hauffs glich er, dem Kohlenbrenner Peter _Munk_
+mit dem kalten Herzen. Der barsche, finstere Mann, der mit seinen
+Untergebenen im Feldwebelton verkehrte, sie vor sich stramm stehen ließ
+und ähnliche militärische Bräuche trieb, hatte dem Moloch des Geschäftes
+sein Leben hingeopfert in des Wortes blutigster Wahrheit. Ihm schien es
+dabei vielleicht nicht so sehr um Gewinn zu tun, wie um das Würfelspiel
+der Macht, darin erhöhter Glanz der Dynastie zum Preise stand. Dazu wäre
+ihm nichts zu groß oder zu gering gewesen, dazu gewann er sich – der
+Hergang ist noch später zu erörtern – sechshunderttausend Goldkronen
+Mitgift, die ihm als Geschäftseinlage binnen Jahresfrist von seiner
+Bewerbung an zur Bedingung gestellt worden waren, um als öffentlicher
+Gesellschafter sich einzukaufen, und wie er sich der Protokollierung
+seines Namens wegen verehelichte, so geschah auch nachträglich kein
+Schritt, den nicht das Kontor gebot. In die Kasteiung mit Arbeit
+flüchtete er gewissermaßen vor sich selbst, wohl aus dem Gefühle, bei
+einem einzigen Augenblick Ruhe müßte ihn die Rasanz des eigenen Motors
+in Stücke reißen. „Der Staat bin ich!“ konnte er auch schließlich von
+seinem Reiche behaupten, denn alles um sich hatte er schachmatt gesetzt,
+zur Ohnmacht verurteilt. Seine Vettern ließen sich von ihm abholzen wie
+die Bäume des Krywayatales; sie, die in einem Winkel ihrer Seelen doch
+noch zu dem alten besinnlichen Wien zählten, wichen auch widerspruchslos
+seiner Keilerwut nach Arbeit, begnügten sich als Firmenvorstände ohne
+größeren Einfluß, erfrischten sich im übrigen bei ihren Bildern, Statuen
+und anderen Liebhabereien in einer sanfteren Welt, in die das Ächzen der
+sterbenden Wälder nicht mehr herüberdrang.
+
+Nur bei Zweien von ihnen galt es Kampf bis aufs Messer: Es waren Onkel
+und Vetter des allmächtigen Seniorchefs, Vater und Sohn, beide
+Phantasten in ihrer Art, die hier an einen Tatsachenmenschen gerieten, –
+sie hießen _Heinrich_ und _Otto Eißler_.
+
+
+
+
+ IV. KÖNIG LEAR IN DER HOLZBRANCHE.
+
+
+Wie Fremde vor einem gewaltigen Aufbruch lebt das _Judentum_ in seinem
+innersten Wesen, tausendfach verkleidetes Heimweh nach einem verlorenen
+Reich. Immer sind die Sandalen geschnürt, die Lenden sind immer
+umgürtet. Und ob es noch so heftig in das Diesseits drängen mag, – an
+ihnen allen, bald brennender, bald linder zehrt die gleiche Wunde, vom
+polnischen Dorf bis in den Stadtpalast. Das braucht darum noch kein
+reales Zion zu bedeuten, – es ist mehr der Tempel Salomonis, der nie zu
+Ende kommt, weil seine Kuppel, der Messias, fehlt. Heilig gilt hier
+deshalb, wie bei keinem Volke sonst, die _Familie_. Aus Zeltesenge von
+der Wüste her, durch Ghettozwang ihrer christlichen Herren, erlernten
+sie die Notwendigkeit der auch religiös gebotenen starren
+Geschlossenheit der Sippe. Noch ehelicht bei ihren Strenggläubigen der
+Bruder des Bruders Witwe, noch herrschen alte Menschen bis über das Grab
+hinaus, aus dem die Toten dann als Beispiel und Vorbild aller Tugenden
+den Jungen immerfort gepriesen werden. In solchem Patriarchate, das
+einst, vor der Diaspora, bis zur Blutgerichtsbarkeit des Familienhauptes
+über die Seinen reichte, steckt, was vom Vieh- und Ackerbauerwesen des
+alten Israel seinen zerschmetterten Stämmen verblieb. Und wie in den
+Bauern bohrt auch in ihnen die nagende Angst vor den Erben. „_Der Mensch
+hat zwei Feinde, die er liebt_,“ warnt ein talmudisches Sprichwort:
+„_seine Leidenschaften und seine Kinder_.“ Und diese Kinder versuchen
+auch fast alle einmal den großen Aufstand, der aber in den meisten
+Fällen mißlingt; dann strecken sie die Waffen, im Büro des Vaters, wo
+sie sich einordnen oder in einer unerwünschten anbefohlenen Ehe, die sie
+auf sich nehmen. Und zeugen und gebären Kinder, die ebenso liebeshungrig
+und rebellisch aufwachsen und ebenso der Familie als abstraktem Begriff
+geopfert werden. Die Härte des Sohnes der Hagar haben sie verloren; die
+Sehnsucht nach der Erde, von der man sie forttrieb, mußten sie
+verwandeln in den Hang nach ihrem Erträgnis, dem Geld; die Macht der
+Mauer, in die man sie durch ein Jahrtausend Verachtung und Verfolgung
+gesperrt hat, schuf ihnen alles jenseits davon fremd bis zur
+Lächerlichkeit, nur Furcht und Ehrfurcht vor dem Götzen des Alters
+erfüllt sie wie den jungen Bauern, an den der Vater einen Knecht
+ersparen will. Seine Kraft freilich finden sie nicht mehr, wenn er im
+Kampfe um den Hof den in den Sielen erlahmten Erzeuger ins „Ausgeding“
+versperrt, in die Versorgung von der Jungen Gnaden, mildere Form
+vorzeitlicher Bräuche, da neben der Schwelle ein Steinbeil lag, mit dem
+man die unnützen Fresser erschlug. Angeprangert für alle Ewigkeit hat
+dagegen in der Schrift der Chronist des trunkenen Noah Verspottung durch
+seine Söhne, und in den Häusern seines Blutes verdämmern Greise und
+Greisinnen im Glorienschein der Familie und Schritt und Stimme dämpfen
+sich, geht man vorüber an ihren Gemächern. Das ist der Orient im
+Judentum, der mit dem Alter das klare Reich der Weisheit anbrechen
+sieht, heiteren Herbst, darin die Früchte des Lebens reifen und Trost
+und Süßigkeit den Nachgeborenen spenden. Und aus der gleichen Erwägung,
+die das weiße Haar zu Häupten der Tafel setzt, schont man ebenso die
+Schwachen, die für die scharfäugige Hast des Tagwerkes nicht taugen,
+denn auch sie reden mit ungewohnten Stimmen. Dekadenzprodukte sind sie,
+gefördert durch die Inzucht der Verwandtenehen, durch die übersättigte
+Kultur ihrer stadtverhafteten Eltern. Im hitzigen Ressentiment gegen
+ihre Herkunft entwickeln sie sich, doch anders als die ehemaligen
+Rebellen, die „Söhne“, die ausgekühlt später die tüchtigsten Kompagnons
+und Erben abgeben. Sie hassen die Betriebsamkeit ihrer Nächsten, sie
+flüchten in die Kunst, besonders in die Musik, in politische Ideologien,
+in philosophische Spekulationen, – sie werden aber trotzdem von den
+anderen nicht fallen gelassen, nein, eher blickt man dort voll gerührten
+Stolzes nach ihnen, wenn man sich einmal mit ihrer verminderten
+Verwertungsfähigkeit abgefunden hat, wie nach einer geheimen
+Rechtfertigung der eigenen fanatischen Diesseitigkeit, wie nach
+Sündenböcken, die manche fremde Dunkelheit auf sich nehmen. Denn aus der
+ungeheueren Reichweite jenes Volkes von äußerster Selbstbehauptung bis
+zur äußersten Entselbstung, Slaventum des Hirnes (wie dieses im Gefühle
+maßlos, so hier im Geiste und seinen Kräften) erstehen immer wieder
+Propheten und Richter und gerade von seinen scheinbar Schwachen her, von
+den Lebensfremden, wie unter seinen Alten Geschöpfe von zeitloser Güte
+und Weisheit sich baumkronenhaft über ihren Generationen wölben. Den
+tätig Robusten verkörpern diese Zarten, Empfindlichen stets eine Art
+unerfüllter eigener Sehnsucht, und gerne gewährt man ihnen Mittel und
+Unterhalt für ihr Dasein, das mehr ein Danebensein bedeutet. Eine
+Ausnahmestellung genießen sie, an die man fast nie zu tasten wagt.
+
+In dem Falle, der hier ausgesponnen wird, ereignete sich beides, Angriff
+gegen die Heiligkeit des Alters in der Familie und gegen einen
+Schutzbefohlenen der eigenen Schwäche. Eine Bauerntragödie brach aus im
+jüdischen Patriziat. Allerdings in einem, das sein Beruf wieder der Erde
+und ihren unbarmherzigen Gesetzen genähert hatte; sie verband sich hier
+mit dem bäuerischen Urgrund der ganzen Rasse. Zwei darin sonst unerhörte
+Taten geschahen: Der Leiter eines Riesenbetriebes wird nach einem halben
+Jahrhundert führender Arbeit durch eine Palastrevolution der eigenen
+Sippe gestürzt, und sein Sohn, mehr Eigenbrötler, als untüchtig, bloß
+von verminderter Lebensintensität, rücksichtslos um seine Ansprüche
+gebracht und ausgeschaltet. Der aber, Kohlhaas des Geldes, sucht das
+Haupt der Verschwörung auf, einer „Verschwörung der Reichen gegen die
+Armen“, wie er seinen persönlichen Fall als symptomatisch in
+kollektivistischer Erweiterung nannte, stellt mit sechs Schüssen gegen
+seinen Blutsvetter Robert Eißler die ihm falsch geratene Rechnung wieder
+her.
+
+_Heinrich Eißler_, durch vierzig Jahre Chef der Firma, zu ihren
+frühesten Häuptern gehörig, Kaufmann alten Schlages, voll Rechtlichkeit,
+Strenge und Staatsgesinnung, – er weigerte sich unter anderm
+Steuerbekenntnisse zu unterschreiben, die ihm zweifelhaft erschienen, –
+war durch unglückliche Privaterlebnisse innerlich nachhaltig in Anspruch
+genommen worden. Seiner Ehe mit einer kühlen egozentrischen Frau
+gesellte sich noch eine ihm unleidliche Einstellung seiner
+Blutsverwandten. „Ein Blutsverwandter heißt, der dir am letzten hilft
+und dich am ersten beißt,“ dieses im Judentum sonst wenig gültige
+Sprichwort fand in seinem Fall reichlich Bestätigung. Die häuslichen
+Sorgen, die an seiner Energie sogen, die ihm eigene weiche, gutherzige
+Art ließ seine Umgebung leichte Bestimmbarkeit durch fremde Einflüsse
+befürchten und ihn darum für die Dauer auf der Kommandobrücke des großen
+Werkes nicht genügend verwendbar erscheinen. Den ersten Ansturm
+versuchte der leibliche Bruder; er mißlang. Der Alte fußte ja mit sieben
+und ein viertel Millionen Schweizer Franken, das war ein Viertel des
+gesamten Firmenvermögens, im Geschäft und mit der Nachfolgeschaft seines
+Sohnes Otto darin, der sich bei Abschluß der schwierigen bosnischen
+Verträge schon eingearbeitet hatte. Ein erfolgverheißender Schachzug
+gegen Heinrich Eißler mußte ihn darum in seinen Stützen treffen: in
+seinem an der Firma tätigen Geld und in dem Sohn, den man erst von ihm
+trennte und dann gesondert abfertigte, wenn das erste gelang. Vor allem
+hieß es, die vom Handelsgesetze festgelegten Bestimmungen nach dem Tode
+eines öffentlichen Gesellschafters, die nebst der „pragmatischen
+Sanktion“ der Firma, den Sohn und Erben schützten, durch persönliche
+Abmachungen zu entkräften. Statt der darin vorgesehenen Liquidation
+ordnete ein 1897 abgeschlossener Gesellschaftsvertrag, dem Vater und
+Sohn ahnungslos beigepflichtet hatten, in einer solchen Lage lediglich
+Auszahlung des Kapitalskontos an, also auch ohne eventuelle stille
+Reserven, die hier bestanden. Damit war der erste Schritt einer
+gesetzlich unantastbaren Enteignung getan. Die Einheitsfront gegen die
+beiden unbeliebten Familienmitglieder sollte jedoch erst später
+zustandekommen: Unter der Regentschaft des zu einer solchen Aktion
+unbedenklich fähigen Robert Eißler, dem Neffen und Vetter der Bedrohten.
+Inzwischen wird fort und fort geplänkelt; 1910 bereits möchte der des
+Haders müde und durch ein körperliches Leiden verstörte Otto Eißler
+gegen angemessene Entschädigung gänzlich aus dem Geschäft scheiden, aber
+eben um diese ging es ja. So stellt er nun seine Tätigkeit dort ein, die
+fünfzehn Jahre gewährt hatte, zieht sich nach Baden zurück, wo er der
+Sorge um seine Gesundheit wegen lebt und mit den Vettern dauernd hadert.
+Diese Gefechte ziehen sich über den ganzen Weltkrieg hin, der weder in
+seinem Verlauf noch in seinem Ergebnis und dessen Folgen die
+Holzmagnaten ernstlich schädigt. Ohne wesentliche Einbuße erhalten sie
+sich ihre wertvollste Kolonie in Bosnien und die herandämmernde
+Inflationskatastrophe versehrt sie nicht in ihrem Marke, dem Bodenwert.
+Ihre geschäftlichen Feldzüge sind also jedenfalls besser ausgefallen als
+die militärischen ihres Vaterlandes, dessen Staatsbürgerschaft man
+übrigens sofort gegen jene des tschechoslovakischen Siegerstaates
+eintauscht. In solcher frisch gefestigten Position geht man nun daran,
+im Inneren des eigenen Betriebes „tabula rasa“ zu machen mit allen
+Elementen, die für den reißenden Machtkampf der neuen Zeit ungeeignet
+erscheinen. Ballast über Bord! Der achtundsiebenzigjährige Firmenchef
+Heinrich Eißler soll nun endgültig abgesägt werden! Sein Vetter Robert
+treibt dazu; nur ungerne halten die beiden anderen Firmenherrscher
+_Alfred_ und _Hermann_ sowie Roberts Schwager, der Anwalt Dr. _Fürst_,
+da mit. Heinrich macht allerdings, wie sich der Letztgenannte später im
+Prozesse ausdrückte, „unmögliche Sachen“, nämlich er lehnte es ab,
+seinen Namen unter ihm nicht einwandfrei erscheinende Steuerbekenntnisse
+des Geschäftes zu setzen, er erklärt ferner, wie Dr. Fürst zur
+Begründung des obengenannten Vorwurfes erzählte, bei einer
+Bücherrevision der bosnischen Filiale, dem Sachverständigen, die
+Bilanzen seien falsch, denn die Firma verdiene viel mehr. Äußerungen
+ähnlicher Art, die keineswegs unbedingt einen Schwachsinnigen verraten
+müssen, vielleicht ebensogut einen redlichen Kaufmann, der sich der
+Pflichten des Besitzes der Allgemeinheit gegenüber bewußt bleibt,
+verübelte man ihm ungemein. Gewiß bot auch sein hohes Alter einen
+triftigen Grund, ihn verantwortlichen Unternehmungen zu entziehen. Aber
+es ist der Ton, der die Musik macht, und eben dieser Ton, angeschlagen
+von Robert Eißler, war unter den vorliegenden Umständen nichts weniger
+als edel und achtungsvoll gegenüber einem Manne, der durch ein halbes
+Jahrhundert sein Leben dem Geschäfte geopfert hatte und dem eben jener
+Robert Eißler, wie später noch auszuführen, seine despotische Stellung
+verdankte. Nach wiederholten schriftlichen und mündlichen Aufforderungen
+an Heinrich Eißler, freiwillig zurückzutreten, klagt ihn schließlich
+1919 das von Robert beratene Cheftriumvirat beim Handelsgericht auf
+Ausschluß aus der Firma mit Hinweis auf sein Alter, eine den Greis tief
+kränkende Maßnahme. Das anständige Schiedsgericht trachtete auch diesen
+von allen übrigen beteiligten Faktoren einschließlich des beauftragten
+Klägers Dr. Fürst als peinlich und unnötig empfundenen Handel in Güte
+beizulegen. Es kam später zu einer Art Ausgleich, der freilich die
+tieferen Wunden nicht mehr schließen konnte, die in Heinrich Eißler bis
+zu seinem Ende brannten. Aber die Attacke auf den Onkel genügte dem
+strammen Firmenchef noch nicht; sein Sohn, der Vetter, sollte ebenso
+erledigt werden. Ihn als öffentlichen Gesellschafter an Stelle seines
+Vaters zu übernehmen, wie es bisher für die übrigen Söhne der ehemaligen
+Firmenchefs nach Hinscheiden oder Austritt ihrer Vorgänger gegolten
+hatte, weigert sich Robert in beiden Fällen, sucht ihn mit Angebot
+anderer Kompensationen mattzusetzen. Doch Otto widersteht; er wittert
+die Gefahr und schlägt dem Dr. _Benedikt_, dem Rechtsfreund seines
+Vaters, ein Bündnis vor, wonach sie beide, Vater und Sohn, in dem
+laufenden Zivilprozeß ihre gemeinsamen Interessen ungeteilt und
+untrennbar bis zu Ende verfechten würden. Dieser Pakt kommt nicht
+zustande; hingegen ein anderer, der zu ihrem Verderben führt. Der auch
+dem Vater gegenüber ewig mißtrauische Otto ließ sich dazu verleiten,
+mürbe gemacht durch halbjährige geschickt dirigierte Verhandlungen, auf
+seine Rechtsnachfolge in der Stellung seines Vaters bei der Firma zu
+verzichten. Er gibt ihn damit preis und noch mehr: Nun legt er als
+stiller Gesellschafter neuerlich 750000 Franken in das Geschäft ein und
+resigniert auf die Einkünfte aus der bosnischen Zweigstelle, wenn dort
+im Ausgange des Steuerkrieges gegen den Nachfolgestaat die Firma Eißler
+& Ortlieb aus taktischen Motiven eine Umwandlung in eine
+Aktiengesellschaft vollziehen sollte. Was diese Klausel bedeutete, sei
+daraus ermessen, daß von dem Anteil, der dem alten Heinrich Eißler
+zustand, zwei Drittel, viereinhalb Millionen Schweizer Franken, allein
+auf das bosnische Unternehmen zu buchen waren. Mit diesem Vertrag
+unterfertigt demnach Otto Eißler sein und seines Vaters Todesurteil im
+übertragenen Sinne; aber noch ein drittes, ein wirkliches, das er selbst
+an dem feindlichen Generalstabschef in jenem Kampfe vollstrecken sollte,
+an Robert Eißler.
+
+1920, ein Jahr nach diesem privaten Versailles, stirbt Heinrich Eißler
+als Vorletzter des alten Firmenstabes, der sich noch um den Großvater,
+Gründer und Ahnherrn _Bernhard Eißler_ geschart hatte. Er stirbt und
+schließt mit seinem Hingang, den Gram und Erregung über das ihm angetane
+Leid beschleunigt haben, den ersten Teil der Eißlerischen
+Familientragödie: „Nein, der Robert, wenn der nicht wäre, könnte ich um
+zwanzig Jahre länger leben!“ hat er vor seinem Ende der Schaffnerin
+seines Hauses geklagt. Ein kurzes Satyrspiel hebt an vor der Tragödie
+zweiten Teil. Ein Zauberkunststück gelingt, das unerklärlich scheint und
+in seinem Resultate dennoch unantastbar blieb. Der Hexenreigen des
+Geldverfalles verhüllt den Hergang, gegen den juridisch nichts
+eingewendet werden kann, obgleich ein Unrecht fast zu greifen nahe
+scheint. Angst und Ungeschick des Opfers tuen das ihre dazu. Aus der mit
+über _sieben Millionen Schweizer Franken_ bewerteten _Todesbilanz_ des
+Verblichenen sind binnen Jahresfrist durch Gottes Segen ihrer
+_fünfzehntausend_ geworden, die dem Erben aufgewertet zu Buche stehen.
+
+Der Erbe hieß _Otto Eißler_.
+
+
+
+
+ V. DER RÄCHER.
+
+
+Dramatische Kontrapunktik, die fast schon ans Kolportagehafte streift,
+fügte es, daß Robert Eißler dem durch ihn zur Strecke gebrachten
+Heinrich die Stellung zu verdanken hatte, kraft derer er auf dem
+Hauptmaste der Firma saß. Des alten Bernhard Kinder _Heinrich_,
+_Johann_, _Jakob_ und _Moritz_ verwalteten gemeinsam das Geschäft unter
+einer Art Rückversicherung vor der Nachkommenschaft, wonach nämlich ihre
+Söhne erst nach freiwilliger Abdankung oder Tod der Väter die Stellungen
+jener einzunehmen vermöchten, also im Sinne des zitierten talmudischen
+Sprichwortes über den geliebten Feind. _Otto_, _Alfred_, _Hermann_ und
+_Robert_ hießen sie, von denen zwei bald durch Hinscheiden der
+elterlichen Vordermänner die Führersitze erobern sollten. Just der
+Ehrgeizigste, Robert, war nicht dabei; ihm brannte das längst unter den
+Nägeln, doch sein Erzeuger, der vermutlich Ähnliches verspürte, saß
+unerbittlich fest mit begründeter Aussicht auf hohes Alter und
+ungeschwächte Tätigkeit. In seiner Not kam Robert zu dem gutmütigen
+Onkel Heinrich, er möge bei dem Bruder, Roberts Vater, erreichen, daß
+Robert noch zu Lebzeiten des unverwüstlichen Urhebers seines Daseins
+Aufnahme in die Leitung der Firma gewährt würde. Heinrich, ahnungslos,
+wie sehr er sich und seinen Sohn damit gefährdete, bedrängte unablässig
+den Bruder, Roberts Ansinnen zu willfahren und setzte endlich nicht ohne
+Schwierigkeiten jenem durch, was ihm für sein eigenes Fleisch und Blut
+versagt werden sollte. Freilich mit drückenden Vorbehalten. Roberts
+Vater, aus gleichem Hartholz wie sein Sprößling, heischte als Preis für
+seine Erlaubnis von dem Sohn im Laufe eines Jahres sechshunderttausend
+Goldkronen Einlage in das Geschäft, die er in dem zeitgemäßen Wege einer
+Ehe binnen der genannten Frist zu beschaffen habe. Und wieder hilft die
+Familie Heinrichs; diesmal ist es die Gattin, Ottos Mutter, die ihm die
+Frau mit den sechshunderttausend Goldkronen besorgt, und Robert Eißler
+heiratet und er besteigt den Firmenthron. Und sein erstes war, den zu
+stürzen, der ihn hinaufgeleitet hatte, vielleicht gerade weil er vor ihm
+einst schwach gewesen war.
+
+Sonderbar und bedrückend mag derlei trotz tausend alltäglicher Beispiele
+einem schlichten Hirne erscheinen, das noch an Worte von Liebe und
+tieferer Gemeinschaft zwischen Menschen glaubt. In einer auf den Besitz
+eingeschworenen Ordnung zählt es jedoch zu den einfachsten und ersten
+Forderungen, seine Persönlichkeit dem Zwecke zu unterstellen, und
+„Einheirat“, meist in verkleideterer Form als dieser, die noch den
+Vorzug der Offenheit aufweist, ist überall gewünscht und befohlen, wo
+Geld zu Geld will, Einfluß zu Einfluß, Ware zu Ware. Und gewiß erachtete
+der alte Heinrich des Neffen Robert Handlungsweise in dieser Sache weit
+klüger, als etwa die seines leiblichen Sohnes Otto, der an einer Ehe als
+Einlagekapital wenig Gefallen fand, die in seiner Gesellschaftsschichte
+gebräuchliche Synthese zwischen Merkur und Hymen verwarf und schon Jahre
+mit einer braven vermögenslosen Frau lebte, von der er die schönste
+Mitgift in drei zärtlichst geliebten Kindern sein Eigen nennen durfte.
+Jedenfalls wußte des Vaters leidenschaftlicher Einspruch es zu verhüten,
+daß dieser Neigungsbund je zur Heirat sich emporwage; Ottos Beziehung
+galt ihm „nicht als standesgemäß“, – was andererseits jegliche
+Geldallianz mit wem immer gewesen wäre, – und selbst auf den Sohn färbte
+noch sein Wille ab. Auch nach des Vaters Tod respektierte er dieses aus
+dem dynastischen Hochmut des Welthauses entsprungene Verbot; Anna
+Heimerle – so hieß seine Freundin – blieb ihm „Lebensgefährtin“ im Sinne
+des Gesetzes bis vor die Schranken des Gerichtes, an denen sie unter
+Tränen die Wärme, Güte und Sorgfalt, mit denen der Beschuldigte sie und
+die ihren stets umgeben hätte, nicht genug zu rühmen wußte. Die Frage,
+ob Otto eine geschäftlich angetraute Gattin ebenso zur Seite gestanden
+wäre und umgekehrt, stellt sich unwillkürlich ein; hier muß jedoch der
+Wahrheit zu Ehren bekannt werden, daß die Ehe seines späteren Opfers
+sich gleichfalls ungemein glücklich gestaltete und daß die letzte Klage
+des sterbenden Robert Weib und Kindern galt. Im übrigen mochten die
+Verwandten Recht behalten, wenn sie aus solchen Symptomen schlossen, daß
+Otto nichts weniger sei als eine Führernatur in ihrem Sinne. Auf dem
+Wege dahin war er eben im Menschlichen stecken geblieben und dieses
+Menschliche besaß er, weil er gelitten hatte, trotz alles Geldes, von
+Jugend auf. Und dieses Leid, – früh widerfahrenes Unrecht, – wurde auch
+zur Wurzel der Verstrickung, aus der seine Tat gedieh. Das schuldlos
+Erduldete schuf den drosselnden Knoten in dem armen Herzen, das zu
+seinem Unheil für mehr als nur für das Hauptbuch schlug und alle
+nachträglich ihm widerfahrene Unbill schnürte ihn nur fester und
+verfitzte ihn, – bis aus dem Gewürge bloß eine einzige Lösung blieb:
+Gewalt!
+
+Sproß eines müden, vom Geschäft verzehrten Mannes und einer kühlen
+liebeleeren Frau, war der kleine Otto, der einzige männliche Sproß, der
+„Kronprinz“, denn nur zwei Mädchen folgten ihm, Ida und Melanie. Nicht
+sehr kronprinzenhaft wuchs er auf. Das verschüchterte Kind erfährt
+häufige und unbarmherzige Züchtigungen von seiten der Mutter, für die es
+sich keinen Grund weiß; dem Vater kann es sich nicht anvertrauen; ihn
+sieht es kaum, denn den hat das Kontor zwischen den Zähnen; schließlich
+wird es bezahlten Kräften überantwortet, Hofmeistern, Gouvernanten,
+Dienstboten. So wächst der Erbe des Reichen auf, welt- und
+gottverlassen, um den einzigen und köstlichsten Schatz menschlichen
+Werdens vom Anbeginne bestohlen: Um ungetrübte Jugend. Sein Schulkamerad
+Doktor Stefan Schmied erzählt vor Gericht, der Knabe wäre der Klasse
+durch drei für sein Alter recht ungewöhnliche Eigenschaften aufgefallen:
+Ernst, Verschlossenheit und Mißtrauen. Und diese dunkle Dreieinigkeit,
+die über jedem der „Erniedrigten und Beleidigten“ des Lebens wacht,
+hielt ihm auch weiterhin treueste Gefolgschaft. Aus seinem schon im
+Keime verletzten Rechtsgefühl gewinnt er zwar ergriffenes Verstehen für
+den leidenden Nächsten über die Horizonte seiner Herkunft und seiner
+Kaste weit hinaus, zugleich aber erfüllt ihn rechthaberische
+Reizbarkeit, die aus derselben Leiderfahrung stammt. Hypochondrie und
+Menschenscheu bemächtigen sich des Beklagenswerten, dem man den Genuß
+seiner Kindheit unterschlagen hatte; mit der tagenden Erkenntnis des
+Jünglings schaut er den Himmel über seiner Welt sich stets gefährlicher
+verfinstern. Die harte Mutter, der er übrigens durch Güte vergalt, was
+sie an ihm gefehlt hatte, der schwache Vater, müde, unterlegen im
+Ehekampf, aus dem er in das Geschäft floh, wo ihn wieder die
+Verwandtschaft geduckt umlauerte, – von nirgendwo kam dem
+Heranwachsenden warm die Stimme eines Menschen entgegen. Verbittert
+wirft auch er sich in Arbeit, durch fünfzehn Jahre steckt er im Betrieb,
+bereist die Niederlagen, wirkt an heiklen Operationen mit, so 1905 an
+dem berühmten bosnisch-herzegowinischen Vertrag, – aber er merkt dabei,
+daß er sich trotz allem zwischen den klugen kühlen Rechnern seiner
+Vetterschaft nicht gut ausnimmt, ein letzter Eifer mangelt ihm, eine
+äußerste Sachlichkeit, die den Posten Mensch aus ihren Kalkülen
+streicht. Als untüchtig sieht er sich zur Seite geschoben;
+Minderkeitskomplexe und Überkompensationen wechseln in seinem
+Seelenleben ab. In dem Pessimismus, der ihn befällt, wird ihm ein
+einziges spätes Glück zuteil. Im besten Mannesalter lernt er Anna
+Heimerle kennen, die nun seinen Weg teilt, und an den Kindern, die sie
+ihm schenkt, sieht er sein Dasein doch nicht völlig nutzlos vertan. Es
+aber ganz mit frischem Licht zu füllen und ihm so Vergessenheit des
+Gewesenen zu erringen, das vermochte selbst die so uneigennützige Liebe
+dieser Frau nicht. Zu tief hatten sich Schrullenhaftigkeiten
+verschiedenster Art schon in ihm eingefressen, und nun richtete sich
+überdies die Front der Familienhierarchie gegen ihn und gegen seinen
+Vater und verstärkt so seine Absonderlichkeiten zum Wahne, dauernd
+verfolgt und bedroht zu sein. Ein körperliches Gebrest behindert zudem
+seine Bewegungsfreiheit. Er lebt und handelt unter einem Schleier von
+ständiger Angst. Paranoide Gesichte bemächtigen sich seiner; immer geht
+er bewaffnet. Auf einem Sägewerk, das er inspiziert, trifft ihn ein
+Bekannter, bekundet als Zeuge: Otto Eißler wandelt dort in Schwimmhose,
+links einen Sonnenschirm, rechts einen Revolver in der Hand. Nachts ruft
+einen Anderen Gepolter in den Schlafraum des Chefs; kaum kann er durch
+die Barrikaden von Möbeln eindringen: er sieht Stühle im gleichen
+Abstande aufgestellt und über sie nackt hinspringend – Otto Eißler,
+gleich einer phantastischen E. T. A. Hoffmann-Figur. Gift wolle man ihm
+in die Speisen mischen, argwöhnt er. Oder: Man plane, ihm die Luft des
+Zimmers durch böse Dünste zu verderben, und er zerstäubt dort die
+erdenklichsten Desinfektionsmittel, daß einmal sein Cousin Ernst Lanner,
+der ihn besucht, schleunigst das Fenster aufreißt, um nicht in Ohnmacht
+zu sinken. Zu solchen Zwangsvorstellungen gesellt sich ausgesprochene
+Bakterienfurcht. Darum mißt er den Luftraum jedes Gemaches ab, darin er
+schlafen soll, ob er nicht etwa einen besonderen Brutherd verheerender
+Mikroben böte, darum trägt er lächerlich weite Kleider und läuft im
+Hause nur adamitisch umher, die Haut so stets möglichst frei zu halten,
+darum ist er auch Fanatiker des keimvernichtenden Sonnenbades, das er,
+unbekümmert um seine Umgebung, bei jeder möglichen Gelegenheit genießt;
+darum läßt er sich sogar die Zeitung vorwärmen, ehe er sie liest. Solche
+Maßnahmen sucht er denen, die sie bestaunen, mit harmlosen Vorwänden
+anderer Art zu erklären, aber gerade sein Eifer, der jedwede
+pathologische Deutung heftigst ablehnt, kennzeichnet das dissimulierende
+Krankheitsbild des Mannes, der von Kind auf unter dem Druck
+vermeintlicher und wirklicher Verfolgungen endlich in jene Tat ausbrach,
+der Resultante all der geschilderten Komponenten, die ihn, den Fanatiker
+seines Rechtes, vor das Gericht bringen sollte. Wer vermöchte zu
+beschwören, wo hier Verantwortlichkeit endet und das zwangsläufige
+Manische anhebt, die fixe Idee, die persekutiven Charakter annimmt? Wer,
+– außer den Psychiatern, von denen hier noch zu reden ist? Alles trieb
+hier zu einer dissozialen Aktion, doch weil der vom Schicksal
+vorgezeichnete Täter in hohem Maße das war, was man „moralische Natur“
+benennt, trachtete er sich unbewußt einen Unterbau plausibler
+Beweggründe zu schaffen und den Verfolger festzustellen, von dem alles
+Widrige seines zermarterten Lebens seinen sinnfälligen Ausgang nahm. Und
+da hier beides zutraf, der Versuch einer geschäftlichen Entmündigung
+sowie sein deutlicher Urheber, ein unsentimentaler strategischer Gegner,
+der es sich zum Ziel gesetzt hatte, ihn ohne wesentliche eigene Opfer
+aus dem Sattel zu werfen, – so wälzt der gehetzte geängstete Mann alle
+seine Qual gegen jenen als ihren Begründer, findet in Robert Eißler die
+Quelle des Bösen, das nach seiner und der Seinen Existenz trachtet.
+Trotzdem – oder eben darum – bleibt er in einer Art Haßliebe an den
+weitdisponierenden Chef gekettet, dessen traumlose straffe Kraft der
+Sachlichkeit ihm widerwillig Bewunderung abnötigt, strebt dauernd zu
+Vergleichen zu gelangen, die an Roberts strikter Haltung und zuwartender
+Ruhe immer wieder scheitern. Der ist schon einmal unbeugsam darauf aus,
+Heinrich und Otto, den ihm verderblich dünkenden Anwärter auf die
+Firmenführung, auf diesem Boden gründlichst auszujäten. Und Otto dachte
+auch schon einmal, 1910, ernstlich daran, dem Hause seiner Väter
+endgültig „Valet“ zu sagen, unterließ es später, weil er dabei seiner
+Meinung nach von den Verwandten schwer übervorteilt worden wäre; er
+schied damals nur von dem Büro, zum Teile aus Hypochondrie.
+Mittlerweilen hatten die Verhältnisse noch mehr zu seinen Ungunsten
+ausgeschlagen, nicht der durch Ehen bereits zum Teil versorgten
+Schwestern wegen; aber die Lebensgefährtin ist hinzugekommen und seine
+drei Kinder. Und so streitet und queruliert er herum, stets gefaßt auf
+einen Satansstreich des Anderen, der in unheimlicher Stille verharrend,
+sich durch nichts aus seiner wachsamen Stellung locken läßt. Bis Otto in
+seiner Übervorsicht die gröbsten Fehler begeht, in die Robert gnadenlos
+einhakt. Der Alte ist ja inzwischen schon verdrängt und war überdies so
+höflich, durch seinen Tod alle weiteren Schwierigkeiten zu quittieren,
+nun mag der Sohn ihm folgen samt seinen Forderungen, denen die ins
+Rutschen geratene Valutenlawine das Rückgrat brechen soll. Und wirklich
+hastet er, betäubt von den Schrecken der niederprasselnden
+Kroneninflation, rasch, unüberlegt, das Seine zu retten, um jeden Preis.
+Den aber – bestimmt ihm: Vetter Robert! Mit Papier und anderen labilen
+Werten wird die Goldforderung des lästigen Verwandten abgespeist. Zu
+spät tobt der über seine Blindheit, fleht um Zurücknahme seiner in
+seelischer Panik gemachten Konzessionen. Umsonst! Kein Jota seines
+verbrieften Rechtes, kein Gramm seines Pfundes läßt Vetter Shylock ab.
+Dem Besiegten schwillt er zum Oger an, der ihn frißt, seine Geschwister,
+seine Gefährtin, seine Kinder, diese abgöttisch angebeteten Kinder!
+Immer mächtiger wächst er sich aus, eherne Stirne, steinernes Herz, –
+sonst alles Geld! 1920 und 1921 wird der Vertrag mit Otto in letzte
+vernichtende Form gegossen. Endergebnis ist das bereits bekannte, das
+unerschütterlich bleibt: Fünfzehntausend Schweizer Franken sind für den
+armen Vetter da, der ihrer siebenundeinhalb Millionen als sein Teil
+beansprucht hat, und der Enteignete sieht sich zugleich entwaffnet;
+übereilig hat er gutgeheißen, was ihn nun verstrickt, und wo er sich
+stützen will, hascht er nur Luft statt einer rettenden Hand. Die
+finanzielle Transfusion, die dabei stattfand, schilderte er später in
+seiner auch schriftlich abgefaßten „Information“ haarscharf vor Gericht;
+sie würde in ihren Zifferndetails hier ermüden. Genug, daß sogar der
+Staatsanwalt daraus anerkannte, an dem Beklagten sei übel gehandelt
+worden. Otto versucht durch seinen Rechtsfreund Dr. Kantor im Wege des
+Zivilprozesses gegen die Firma Remedur. Der Advokat durchschaut, wie er,
+die Schärfe jener Abmachungen, die seinem Klienten die Sehnen
+zerschneiden, doch auch er gewahrt recht spärliche Möglichkeiten für
+einen erfolgverheißenden Gegenzug. Das moralische Gesetz mochte Robert
+tausendmal schuldig sprechen, – vor dem bürgerlichen bleibt er
+unantastbar. Da wirft sich der gehetzte empörte Otto selbst zum Richter
+auf in seiner Sache. Der Vetter ist ihm schon mehr als sein privater
+Feind, er ist Feind geworden schlechthin alles Lebenden, das unter
+diesen aus den Fugen gegangenen Zeit hungert, klagt, stirbt.
+Seinesgleichen war schuld an dem Kriege, wie es nun schuld an solchem
+Frieden ist! Mit überpersönlichem Legat fühlt Otto Eißler sich
+ausgestattet, als er zur Abrechnung schreitet gegen seinen Feind. Er
+sieht vor sich nicht den Blutsverwandten mehr und nicht mehr das
+leidende Antlitz des Menschen hinter Trieb und Gier, die ihn zwangen, so
+zu werden, wie er ist, er sieht nur die eiserne Maske der Macht! Ein
+Feind der Menschheit steht vor ihm. Ähnlich dem Roßtäuscher Kohlhaas
+erweitert auch er seinen Fall ins Allgemeine und ahnt nicht, daß die
+Wurzel des Unrechtes tief lag wie die der geschlachteten Bäume, in den
+Orgien des über verwüsteten Wäldern und wohlfeilen Lohnheloten
+errichteten _Besitzes_.
+
+
+
+
+ VI. MONODRAMA DER TAT.
+
+
+Im „_Herzoghof_“ des seit Römertagen gesuchten Kurortes _Baden bei
+Wien_, – „Aquae thermae“ nannten es die Pensionisten der pannonischen
+Legionen, die in seinen Schwefelquellen Heilung erhofften, – haust Otto
+Eißler. Das Gebäude, so benannt nach den fröhlichen Babenberger
+Herzögen, den vorhabsburgischen Herrschern von Österreich, die gerne
+hier verweilten, stellt eine passende Unterkunft für Leute dar, die in
+der sommerüber von Fremden wimmelnden Stadt keinen überflüssigen Kontakt
+wünschen und dabei eine gewisse vornehme Behaglichkeit nicht entbehren
+wollen. Der Misanthrop aus der Holzdynastie verlegte darum frühzeitig
+sein Hauptquartier an dieses stille Refugium, von dem aus er den Krieg
+gegen seinen Vetter führt, zuletzt 1923 in einer bereits an Irrsinn
+grenzenden Erregung, je sicherer die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen
+zu erwarten schien. Freundin und Kinder umgeben ihn mit liebereichster
+Pflege; dennoch muß der Arzt zu dem von schwersten Nervenkrisen
+Erschütterten gerufen werden, stellt seelische Störungen fest, deren
+Behandlung strengste Ruhe und Abgeschlossenheit von der Außenwelt als
+erstes Gebot erforderte. Davon will der Unglückliche nichts wissen,
+streitet mit punischer Tapferkeit für seine steigend getrübteren
+Aussichten, klingelt nachts Anwälte und Notare aus dem Schlaf, um
+dauernd das Gleiche zu erfahren: Daß er für sich nahezu nichts zu hoffen
+habe. Allenfalls den mitgeschädigten Schwestern würde man im Wiener
+Erzhause Kompensationen zubilligen, – ihm: Nicht die winzigste!
+
+Es ist August, der Monat der Verbrechen aus Leidenschaft. Seine weiße
+Glut vergiftet die Hirne, heizt die Herzen bis zur Explosion. Achtete
+eindringlicheres Verfahren, als das der gegenwärtigen Themis auf die
+Verknüpfung von Gewalttat und Gezeiten, es gelangte zu verblüffenden
+Erkenntnissen: Winter, Intellektualverbrechen; Affekthandlungen im
+Sommer; Selbstmorde und Revolutionen in den Brunftzeiten Frühling und
+Herbst. Durch die verschlafene Empirestadt, über der es von Hitze
+brütet, jagt ein rasendes Menschentier: Otto Eißler, trächtig von seinem
+Schicksal. Klarheit hat er jetzt durch den Rechtsfreund. Eine Tagsatzung
+soll in seiner Sache noch stattfinden, nutzlos wird sie vergehen. Nichts
+mehr nützt! So wird er berufen; immer wieder berufen. Hartnäckig wie ein
+Bauer, der um einen Grenzstein streitet. Wohin führt das am Ende? Und
+er, Otto Eißler, hat selber beigetragen, daß es so weit gekommen ist!
+„Dummer Kerl!“ hört er zischeln um sich; nein, niemand ist da, nur die
+leeren flimmernden Straßen, – aber der Vetter soll das ja gesagt haben
+von ihm, der Vetter Robert, der in Wien hockt, breit, gewaltig,
+unangreifbar. Er, der Reiche, kann ja warten, bis der andere sich
+zugrunde prozessiert hat; fünfzehntausend Schweizer Franken tauchen bald
+in Expensen auf; dann fällt die Angelegenheit in nichts zusammen, weil
+Otto ein Bettler geworden ist. Was aber nachher? Die Frau! Die Kinder!
+Unmöglich ist es, unmöglich! Im kühlen Waffenladen kommt der
+Heißgelaufene zu sich. Ein Entschluß beginnt. Alle Gerichte bleiben
+wehrlos in Sache des Rechtes. Und auch Gott schweigt; er ist ihm nicht
+wohlgefällig, – niemandem ist er wohlgefällig, er, der Häßliche, von
+Kind auf Gestoßene. „Gewiß Herr Müller! Mauserpistole samt Patronen. Ja
+...“ Ob er mit dem Browning vom Februar zufrieden gewesen sei? – „O,
+freilich!“ Den Browning trägt er doch stets im Sacke, entsichert und
+wohlgeladen, – umlagert von Feinden, wie er ist. Aber davon erzählt er
+nichts. Etwas glättet sich in ihm, wie er die kalte Waffe am Schafte
+hält und mit dem Abzug spielt. Und nun läßt er sich Munition geben, als
+gälte es, ein neues Fort Chabrol zu armieren. Es ist der
+dreiundzwanzigste August.
+
+Zu Hause macht er Bilanz über sich und das Seine. Man hat sich
+vorzusehen für alle Fälle. Wogegen? Ach, das wird sich schon weisen. Das
+geschieht doch nicht so einfach aus einem selbst, das packt einem von
+draußen und findet statt. So heißt es auch immer „fand statt“. Also
+darum jede Schuld berichtigt, selbst die kleinste! In einer Woche ist er
+in Ordnung damit. Keine Rückstände! Alles soll sauber liegen hinter ihm.
+Ja, da ist noch seine Schwester Ida, Witwe nach Exzellenz von Molnar,
+ungarischen Staatssekretär. Immer war die gut zu ihm; sie sollte man
+unbedingt aufsuchen, – der armen Frau daheim, den Kindern, kann man
+nichts zumuten, – die Schwester ist ein kluger starker Mensch, und so
+einer muß zur Stelle sein für die Seinen, wenn – ja, irgend etwas
+geschieht, – und wäre es das eigene Leben, das man wegwirft – um den
+Frieden, – um den endlichen Frieden, nach dreißig Jahren Unrast,
+Verfolgung, Bitterkeit. Und vorher zwanzig Jahre einsamer Jugend,
+lichtloser Kindheit ... „Sorge Dich um die Meinen,“ bittet er die
+Schwester und noch allerlei Verworrenes, das der tödlich Erschrockenen
+kaum zum Bewußtsein kommt; da ist er auch schon fort.
+
+Er fahrt nach Wien. Früher Morgen. Der letzte Augusttag brennt ab. Die
+elektrische Kleinbahn surrt grau durch das sommerträge Land. Ringsum
+Ebene, schattenlos. Erst westwärts in den schwarzblauen Bergen am Rande
+des Flachlandes strotzen wieder stämmige Waldbäume. Sie mögen sich
+hüten, daß nicht auch sie bald dem großen Vetter verfallen. Wie es ihm
+ergeht samt seinem Anspruch und allem, was daran hängt: Die Schwestern,
+die Gefährtin, die drei Kinder. Das Blut siedet ihm dick in die
+Schläfen, wenn er versucht, das zu Ende zu denken. Ihnen insgesamt wird
+noch das Mark ausgesogen durch den höchst unbrüderlichen Bruderssohn,
+der früher nicht rastet. Man will ihn aber jetzt stellen; von Angesicht
+zu Angesicht befragen will man ihn, zu letzten Male, ob er sich nicht
+doch vergleichen mag in zwölfter Stunde? Das muß man, ehe man jede
+Vernunft fahren läßt, die sich nur mühsam noch, von Wut umschäumt,
+hinter der glühenden Stirne aufrecht hält. Vielleicht sind die beiden
+Mitchefs zugegen; die könnten eingreifen, mildern; die haben sich ja
+nicht so verbissen in diese Menschenjagd. Da ist der Luegerplatz mit der
+Burg des Feindes, die er nun betritt. Wieder einmal. Denn erst vor
+wenigen Wochen war er hier, nachdem er zuvor lange heraufgestiert hat
+vom Rathausparke aus. „Wie eine Wachspuppe“ –, so berichtet einer, der
+ihn dabei ertappt. Und der Herr Robert würdigte ihn damals kaum einer
+Antwort und die Bucheinsicht wird ihm auch verweigert; gerade, daß sie
+ihm nicht schon die Türe weisen. Nein, – das tuen sie doch nicht; von
+den Angestellten keiner; die verstehen sich mit ihm, weil er freundlich
+zu ihnen ist, nicht so – wie der! Der Robert! Kommt er heute etwa nicht
+ins Kontor? Da erteilt der Kassierer Köhler Bescheid: Robert allein sei
+hier, – und geht eilig weg. Robert – allein –? Stille stemmt einem den
+Atem zurück, entsetzliche Stille. Gleicht das Chefzimmer nicht plötzlich
+einem gedämpften Raum, darin eine Leiche liegt? – Der Besuch lehnt sich
+an den Schreibtisch; den kennt er: Vierzig Jahre war sein Vater Heinrich
+daran verkettet gewesen, vierzig in Arbeit geknechtete Jahre, – mit
+einem Fußtritt als Dank zum Abschluß! Das verantwortet – Robert! Immer
+bleibt er so letzte Ursache jedwedes Unheiles, das ihn und die Seinen
+martert, er – in seiner unbeugsamen Härte! Auch im Hause hier mögen sie
+ihn sicherlich alle nicht. Man tuschelt mancherlei. Da ist der Jakob
+Singer, – den hat er einmal mit zerrissenen Schuhen stundenlang im
+Schnee warten lassen, und wie der vor ihm frostzitternd von einem Fuß
+auf den anderen tritt, schreit er ihn an: „Hund, kannst du nicht habt
+acht stehen?“ Und der Ernst, sein Cousin, der weiß, wie der Robert beim
+Militär die armen Soldaten angeblasen hat wegen dem Grüßen. Und solche
+Geschichten gibt’s genug von dem Robert, zum Beispiel die mit dem Vetter
+Otto, he? Mit ihm selbst? – Die Hände würgen in den Säcken des
+schlotternden Anzuges; sie spüren Kühle, Metall: Die Pistolen! Und da
+tritt auch der Vetter ein, scheinbar nicht eben erfreut über den Gast,
+den er vorfindet. Freilich, gerade heute, wo ihn der Kopf wohl von
+Wichtigerem summt, wo unter anderem die deutsche Mark von den
+rheinischen Kollegen abgefeilt endgültig ins Bodenlose saust, – da sind
+andere Sorgen am Ruder und andere Pläne. Und schon hält er auch das
+Telephon in der Hand und rasch zuvorkommend in des Wortes engster
+Bedeutung wirft er es hin zwischen zwei Geschäftsgesprächen: „Ich werde
+lieber sieben Jahre prozessieren, als dir die Rente bezahlen.“ Da wird
+alles rot, roter wogender Nebel, drinnen schwankt der Schreibtisch des
+alten Heinrich wie ein Schiff im Untergang. Wo klammert man sich fest,
+daß es einen nicht niederreißt, hinab zu den goldlüsternen Haifischen,
+die nun wieder Beute wittern, zahllose Beute? Die Kolben in den Taschen
+bäumen sich; man möchte sie zurückzwingen, aber nun halten sie einen
+fest, wachsen einem in die Fäuste, wühlen sich aufwärts, drängen ans
+Licht. Was sagt der drüben? – „Du kannst noch sieben Jahre Prozeß
+führen.“ Bis dahin hat man doch keine Faser am Leibe mehr, die einem
+gehört! Und jetzt weiter: „Von mir aus könnt ihr alle krepieren!“ Nein!
+Das nicht! Das muß Täuschung sein, sausen in den Ohren! Die Kolben
+rücken über den Rand der Säcke, – verlängerte Hände sind sie und ihre
+Läufe steile Finger, die auf den Menschen weisen, der dort ruhig sitzt
+und telephoniert. Ja hübsch ruhig, während ihm gegenüber sein
+Blutsverwandter an der gleichen Stelle zugrunde geht, wo man schon
+seinem Vater die Knochen gebrochen hat. Trotz des Rechtes, das hinter
+beiden stand, sie _hatten_ recht, – bloß der andere war schlauer! –
+„Dummer Kerl!“ – Wer ruft so? – Der drüben? Der – am Telephon? Und hätte
+er es auch nicht ausgesprochen, – jede seiner Gesten, die ihn
+abstreifen, schreit es ihm zu, jeder seiner Blicke, der ihn anspuckt.
+Wahrhaftig, das ist kein Mensch mehr! Das ist das Geld selbst, das da
+vor einem thront, ungeheuer, unbarmherzig, angemästet mit allem Elend
+der Erde, vollgesoffen aus den Wunden ihrer Schlachten und dennoch
+unersättlich gierig nach Blut und Blut und Blut! Alles Bauch,
+wälderzermalmender, menschenkauender Bauch! Die Welt muß man erlösen von
+ihm – man muß – und los! – oh jauchzende Himmelfahrt der feuerblitzenden
+Hände – weiter – oh unfaßbare Befreiung im Donner der ersten krachenden
+Schüsse – weiter – oh überirdischer Rausch, der den Krampf eines Lebens
+entbindet, – weiter – da drüben taumelt einer, ächzt, speit rot – weiter
+– als Barrikade den Schreibtisch des Vaters, Opferblock, wo nun wieder
+geschlachtet wird, – weiter – Blut wäscht ihn rein, Blut sühnt – weiter
+– das krümmt sich dort auf, röchelt, sinkt ein, wie eine Marionette, der
+man die Drähte gekappt hat – weiter – Türen klaffen, Gesichter schreien
+und flattern durch Rauch, – man hört nichts mehr davon – man sieht
+nichts mehr, – man weiß nur eines: Man hat es dem Golde gegeben, man hat
+dem Golde in den Bauch geschossen, sechsmal –
+
+Und nun rasch die letzte Kugel durch den eigenen Schädel! Abschied im
+Zenith der Tat! Ihn soll keiner noch je angrinsen, keiner ihn verhöhnen,
+eine Millionenstadt hebt nun seinen Namen über alle Gischt ihrer
+täglichen Helden hinaus, – – aber schon dringen aus dem blassen Haupte
+drüben, um das sich Entsetzen und Grauen schart, ein paar furchtbar
+klarer Worte:
+
+„Wie oft hat dieser dumme Kerl geschossen?“
+
+„Dieser dumme Kerl –“ Das war es wieder und unleugbar laut! Also auch
+jetzt ist er für den dort noch nichts anderes, auch daß er ihm den Tod
+sechsfach ins Fleisch geimpft hat, zählt nicht. Der stirbt, ohne
+Kenntnis zu nehmen von seinem Mörder, stirbt voll verzweifelter Wut über
+einen blöden unsinnigen Zufall, der ihn mitten aus seinen Plänen und
+Werken reißt, – denn das ist ihm der Vetter samt seiner Tat: Ein
+Ziegelstein vom Dache! Ein Auto, das sich mit ihm überschlug! Stupide
+Tücke eines Dinges! Mehr nicht!
+
+Der Mörder läßt die Arme baumeln wie schlaffe Peitschenschnüre. Mühelos
+entwindet man ihm die Waffen; ingrimmig stößt er etwas hervor, – „es ist
+nicht schade um den“ will ein Zeuge gehört haben, – und dann sagt eine
+Uniform:
+
+„Im Namen des Gesetzes –“
+
+Und neuerlich kommt drüben die Stimme des anderen. Aber dieses Mal ist
+sie leise und von einem fremden Klang. „Bauchschuß – ich sterbe, – Herr
+Doktor, – wie lange habe ich noch zu leben?“ und „– meine arme Frau, –
+meine Kinder –“ Die Maske der Macht gleitet nieder von dem Antlitz eines
+Menschen, der sich sterben weiß. Und dieses Antlitz ist ganz bleich,
+ganz rein, – wie das eines Genesenden von einem schweren qualvollen
+Leid.
+
+Der Täter gewahrt das nicht mehr. Eine Entspannung lockert ihn. Ruhig
+läßt er sich abführen.
+
+Er gewahrt auch das Größere nicht. Daß man im Leben stets nur _einen_
+Feind hat. Den man vergeblich vernichten würde, und wäre es durch
+tausend Leiber. Weil er sich im Nebenmenschen am Widerspruche zu dem
+Nachbarwesen immer neuerlich entzündet. Weil das Ich schuld trägt daran
+und seine schicksalshafte Gegensätzlichkeit zu einem ebenso bestimmt
+gearteten anderen Ich. Darum begegnet man ihm immer wieder. Erledigt ihn
+mit keiner Gewalt. Vielleicht nur durch klare wehrlose Güte, wenn sie
+ihn überzeugt: Mit Selbstaufopferung.
+
+Robert Eißler wurde so sein Feind. Als Urgegner des Undeutbaren, des
+Unentschlossenen, des Wegelosen, des vom Gefühle Überschwemmten. Ein
+Ekstatiker seines Lebensbekenntnisses, das hier „Gold“ hieß. Aber auch
+andere Namen hätte führen können: Kampf, Herrschaft, Gott, Gesetz!
+
+Wenige Stunden nach jenem Überfalle stirbt Robert Eißler. Die Kugeln
+haben sein Inneres fast zerfleischt: Zu sechzehn Wunden.
+
+Und acht Monate später steht Otto Eißler in Wien vor der Apostelzahl der
+zwölf Geschworenen und ihrem Vorsitzenden, dem Gesetze in
+Menschengestalt.
+
+Der Vorsitzende nennt sich: Hofrat Doktor _Ramsauer_.
+
+
+
+
+ VII. CHOR DER PSYCHIATER.
+
+
+In den Tragödien der großen Prozesse aller Rechtsstaaten bilden die
+Psychiater bei jedem Strafverfahren, darin sie forensisch zur Kenntnis
+genommen werden, zumeist eine Art tragikomischer Nebenaktion, Satyrspiel
+als Intermezzo. Fälle ergeben sich allerdings bei politischen oder
+anderen aus Staatsraison kitzlicheren Vergehen, darin ihre Meinung als
+willkommenes Rettungssteuer dient, den ganzen Handel aus dem Orkane des
+Meinungsstreites in den sicheren Hafen eines Irrenhauses zu lootsen.
+Womit die Gewissenhaftigkeit ihrer Personen und ihres Votums keineswegs
+angezweifelt sei. Sonst obläge ihnen nach dem Erachten ihrer
+Auftraggeber mehr die Rolle der Regimentsärzte im Kriege, nämlich
+festzustellen, ob der ihnen zugewiesene Klient „tauglich ohne Gebrechen“
+für den Spruch der blinden Themis wäre. Behindernd wirkt dabei der
+knappe Platz, den ihnen die Prozeßordnung und das geltende Strafgesetz
+für die Grenzen der Begriffe von unverantwortlicher Zwangslage und
+eingeschränkter, jedoch noch als verantwortlich klassifizierter
+Willensfähigkeit einräumt.
+
+In der Sache Otto _Eißler_ erschwerte ihnen der Beschuldigte selbst
+ungemein ihre Stellungnahme, gerade indem er sie ihnen scheinbar
+erleichterte. Er war es, der um keinen Preis als geisteskrank betrachtet
+werden wollte, der lediglich zugestand, im Augenblicke der Tat den Kopf
+verloren zu haben, und der eben darum, wie durch die ausgesprochene
+„Süchtigkeit“ jede seiner abnorm scheinenden Gewohnheiten
+rationalistisch zu fundieren, den Verdacht der „Dissimulation“, Benehmen
+eines Kranken, der sich gewaltsam gesund stellt, erweckte.
+
+Den Psychiatern lagen drei Möglichkeiten vor: Es konnte sich hier um
+einen wirklich Irren, in erster Linie um einen Paranoiker drehen oder um
+einen schweren Psychopathen paranoiden oder schizophrenen Charakters,
+der unter den genannten Umständen im auflodernden Momente der Tat keine
+Verantwortung mehr trug für sein Verbrechen oder lediglich um einen
+Sonderling von psychopathischer Minderwertigkeit, der heftigen
+Gemütsbewegungen nur sehr geringen Widerstand zu bieten vermochte, aber
+doch nach § 46 des Öst. Strafgesetzbuches als haftbar anzusehen war.
+Nach Eißlers eigenem Geständnis, nach den durch Zeugen belegten Indizien
+über sein seelisches Verhalten vor, während des Ereignisses und darüber
+hinaus, ja, nach einem Teil des später noch präziser zu erörternden
+Gutachtens selbst lag die Annahme eines paranoiden Typus nahe.
+
+Populär erläutert stellt der Paranoide die Form einer geistigen Krise
+vor, die sich zur wirklichen Paranoia etwa so verhält wie eine
+Herzneurose zu einem organischen Herzleiden. Wie diese kann sie bei
+geeigneter Behandlung völlig abklingen, wie diese in ihr schweres
+verhängnisvolles Nachbarstadium übergehen. Die Ähnlichkeit ist oft
+frappant, die zwischen dem klinischen Bilde einer Paranoia und dem eines
+paranoiden Zustandes besteht. Auch bei dem Paranoiden, besonders bei
+jenem, der zu Verfolgungs- oder Beziehungswahnvorstellungen neigt,
+steigern sich die Anfälle in sogenannten „Schüben“, wie der terminus
+technicus lautet, auch er glaubt sich umlagert und bespäht, fühlt sich
+als passives Zentrum sämtlicher ihm widrigen Ereignisse, meint
+elektrische Ströme nach sich entsendet, hört Stimmen, wittert an
+Kleidern und Möbeln Menschenkot, trachtet andauernd einen Urheber seines
+Übels zu konstatieren, – und kann naturgemäß aus solchem Zustand
+latenter Überreizungen, die bis zur totalen Sinnestäuschung reichen,
+verantwortungslose Affekthandlungen verüben. Dabei gilt er in des Wortes
+Sinn nicht für „geisteskrank,“ vermag neben seinen gefährlichen
+Momenten, in denen er einer Rechenschaft nicht fähig erklärt werden muß,
+ein produktives Genie ersten Ranges zu bleiben, wie etwa August
+_Strindberg_ in seiner schlimmsten Pariser Zeit, als „_Einsam_“ und
+„_Inferno_“ entstanden, diese erschütterndsten und zugleich
+trostreichsten Dokumente eines schaffenden Geistes, weil sie deutlich
+beweisen, wie die Schöpferkraft des Individuums es über die
+furchtbarsten Nachtklüfte des „Ich“ hinwegzuheben imstande ist. Führt
+aber eine solche paranoide Bedrängnis in einem Menschen, dem nicht die
+Flucht in irgendeine Produktivität oder Hingabe daran (Kunst, Religion)
+gegönnt war, zur antisozialen Tat, wie – bei Otto Eißler, woferne man
+ihn paranoid erachtet, – so mußte diese lediglich als schicksalshaftes
+Elementarereignis im Organismus gewertet werden, für das der Täter keine
+judizielle Haftung übernehmen konnte.
+
+Die Psychiater _verneinten_ das. Mit einer Begründung, die am besten im
+Wortlaute wiedergegeben sei:
+
+„... Aus dem betreffenden Akte und der Aussage Dr. Edmund Benedikts“
+(des Anwaltes des alten Heinrich Eißler) „ist zu ersehen, daß Beklagter“
+(Otto Eißler) „von seiten seiner drei Vettern arg benachteiligt worden
+ist, und daß er nach dem rücksichtslosen Vorgehen derselben gegen seinen
+hochbetagten Vater begründete Ursache hatte, ihnen zu mißtrauen, was bei
+seiner Gemütsart nur auf allzu vorbereiteten Boden fiel. Wenn er im
+Verlaufe der vorgekommenen Differenzen immer verbitterter wurde, den
+Vettern alles Erdenkliche zutraute, vom ‚Gurgelabschneiden‘, ja geradezu
+vom ‚wirtschaftlichen Morde‘ sprach, so sind das wohl überschwängliche
+derbe Ausdrücke, die aber von den Tatsachen nicht allzuviel abwichen und
+somit keineswegs wahnhaft begründet sind. Wenn er ferners _vermutet, daß
+man von seinem Militärdienst schädigende Wirkungen auf seine Gesundheit
+erhoffte, um dadurch einen gefährlichen Gegner loszuwerden_, so beruft
+er sich hierbei darauf, daß man nicht nur ihn selbst verhinderte, ein
+Enthebungsgesuch abzusenden, sondern auch seinen Vater mit Anzeige
+bedrohte, als er ein solches einbringen wollte.“
+
+Scheint der letzterwähnte Vorwurf schon unwahrscheinlich, weil er, wäre
+er richtig, ein völlig unvorstellbares Maß von Haß und Unmenschlichkeit
+involvieren würde, sollte er nicht vielmehr als typisches Symptom einer
+fixen Idee, verfolgt zu sein, bezeichnet werden müssen, so gewinnt diese
+Annahme bei den folgenden Details des Gutachtens noch mehr Raum:
+
+„... _Schon seit Jahren am liebsten bewaffnet_, weil er bei seinen
+ländlichen Ausflügen schon frühe in den Karpathen und auch hier infolge
+seines sonderbaren Wesens Attacken fürchtete und solche auch tatsächlich
+bei Preßburg erlebte, hielt er seit seinen Differenzen mit den Vettern
+auch daran fest, weil er sich nach den gemachten Erfahrungen vor diesen
+nicht sicher fühlte. Er beschränkt sich diesbezüglich aber auf bloße
+Vermutungen, wobei er sich auf _Vergleiche mit dem Schicksal
+verschwundener Millionäre_ (!) und darauf beruft, daß Reiche alles
+vermögen, ohne aber Symptome von krankhaften Beachtungs- oder
+Verfolgungswahn, der immer weitere Kreise zieht, darzubieten. Alle
+diesbezüglichen Äußerungen verlassen nie den Boden der Möglichkeit und
+Wahrscheinlichkeit, wie er durch die vorliegenden Tatsachen
+rücksichtsloser Behandlung und vermögensrechtlicher Übervorteilung von
+seiten seiner Vettern geschaffen wurde. Beide waren wohl imstande, einen
+solchen psychopathisch veranlagten Sonderling wie Beklagter einer ist,
+nicht nur auf das Tiefste zu verwunden und zu verbittern, sondern ihn
+auch in einen Zustand begreiflicher innerer Erregung zu versetzen, so
+daß er schließlich zur Waffe griff und seinen Hauptgegner niederschoß.“
+
+Hätte demnach Otto Eißler seinen Vetter grundlos hingestreckt, so wäre
+seine Unzurechnungsfähigkeit damit schlagend erwiesen worden. Daß aber
+allein gekränktes Rechtsgefühl mit oder ohne zureichenden Anlaß, schon
+_weil_ es sich ununterbrochen verfolgt und gegen seine Verfolger wehrlos
+sieht, in die ungeheuersten Exzesse ausarten kann, die seine
+Verantwortlichkeit aufheben, daß ein Mensch, der sich schwer
+benachteiligt meint, dabei belastet von Geburt her ist, auch durch
+wirkliche Tatsachen, die seinen Wahn begründen, immer tiefer in die
+Schlingen paranoider Zwangsvorstellungen gerät, aus denen er sich
+nunmehr mit Gewalt reißen kann, – sollte das wahrhaft ein Novum in der
+Geschichte psychopathologischer Erscheinungen sein? Muß denn ein
+Paranoiker oder ein Paranoider durchaus äußerlich unmotiviert handeln.
+Wäre hier nicht oft genug eine übersehene kausale Verbindung denkbar von
+einem tatsächlichen ätzenden Erlebnis her, das er sich als Brücke für
+die eigene Rechtfertigung seiner wachsenden Manien errichtet, solange
+ihn die große Dämmerung noch nicht völlig überwuchert hat? Nein; dieses
+Gutachten dünkt mich das Schulbeispiel eines „hysteron proteron“ zu
+sein, einer geradezu typischen Verwirrung von Voraussetzung und Ergebnis
+und als solches reif für die Lehrbücher der Logik. Auch in dem
+Überschreiten seiner Befugnis, das aus der gleichen Quelle stammt, in
+dem Judizieren der Tat selbst, das einzig der Prozeßführung vorbehalten
+zu bleiben hat. So, wenn es schreibt:
+
+„Er (Otto Eißler) bestreitet aber in solcher Absicht(‚vorsätzlicher
+Mord‘) hingegangen zu sein und will nur in einer momentanen zornigen
+Erregung über die höhnische Ablehnung seines nochmals versuchten
+Ausgleichsantrages durch Robert gehandelt haben. Das klingt im Hinblick
+auf seine dem Niedergeschossenen zugerufene Äußerung: ‚Das hast du für
+die sieben Millionen, um die du mich gebracht hast!‘, die sein klares
+Tatbewußtsein bekundet“ (besagte Äußerung steht nebenbei so gar nicht
+fest), „im Hinblick auf sein Ablauern der günstigen Gelegenheit eines
+Telephongespräches Roberts und seine offenbar vorbereitete schwere
+Bewaffnung,“ (schon ‚_seit Jahren am liebsten bewaffnet_‘ erzählt das
+_gleiche_ Gutachten einige Seiten vorher), „ganz unglaubwürdig. Letztere
+diente offenbar dazu, ganz sicher zu gehen.“ Und nun kommt das Beste!
+„Wenn Beklagter behauptet, gar nicht gezielt zu haben, so widerspricht
+dem die Tatsache, daß er nur zu gut getroffen hat.“ Was sonst? Auf die
+wenigen Schritte Entfernung beim Feuern aus zwei Pistolen zugleich, wo
+ein Kind nicht gefehlt hätte, geschweige denn ein alter Jäger wie Otto
+Eißler, dem die Handhabung der Waffe schon im Blute lag?
+
+Alle diese Dinge wirken um so verwunderlicher, als das Gutachten sonst
+Otto Eißlers Werdegang und die Entwicklung seiner psychopathologischen
+Eigenheiten genetisch getreu schildert, nur ohne daraus die zu
+erwartenden Folgerungen zu ziehen. Der Angeklagte leidet darnach an
+hereditären seelischen und körperlichen Belastungen. Aus einer traurigen
+Ehe über eine lichtlose Kindheit liebeleer gelassen, schleppt er das
+bittere Erbteil seiner Eltern mit, des Vaters gutmütige aufrichtige,
+jedoch von jeder Erregung unberechenbar aufgepeitschte Art, die nicht
+minder reizbare, dem Spielteufel verfallene Mutter: Sie beide kämpfen
+fort in der Seele des Sohnes bis zu seinem Untergang. Ihn drosselt
+Ohnmacht gegenüber dem Dasein, einem Dasein, das die Anverwandten
+mühelos meistern, die Kaufleute mit dem Feldherrnblick, die Wager und
+Gewinner an der Bank des äußeren Lebens, deren abenteuerlichste
+Schachzüge schließlich immer Gold entschuldigt, lohnt und verklärt. Und
+er, Otto, ein von der Wurzel her Versehrter, nicht geschaffen in dem
+groben Machtspiele mitzukommen, dabei doch begabt mit einem fast
+künstlerischen Wissen darum, dem es nur an dem letzten nötigen Schuß
+Brutalität mangelt, es zur Tat zu wandeln, ein Abseitiger, in dem solche
+ihm schicksalshaft aufgedrungene Haltung alle dunklen Gewalten der
+Einsamkeit erwachen ließ: Furcht, Argwohn und vergrübelte Sehnsucht. Und
+nun gesellt sich noch Krankheit dazu, keine ausgesprochene, mehr ihre
+drohenden Zeichen, die ihn an Körper und Seele tückisch bedrohen. Seit
+seinem siebzehnten Jahre quält ihn ein physischer Schaden; eine
+Operation beseitigt ihn, gleich setzen andere lästige Beschwerden ein in
+Lunge und Blutkreislauf. Zirkulationsstörungen verursachen kongestive
+Leiden, Migränen nehmen sein Hirn in den Schraubstock, dabei foltert ihn
+Angst vor Bakterien, die sich phantastisch verstärkt, als er auf Grund
+einer von Militärärzten im Kriege bestätigten Bronchitis für
+dienstuntauglich erklärt wird. Dieselbe Diagnose hat er sich in seiner
+privaten Existenz schon 1910 gestellt, wo er nicht nur des beginnenden
+Zwistes mit den Vettern halber seine Arbeit bei der Firma nach
+fünfzehnjähriger Tätigkeit aufgab. Die erdenklichsten Vorbeugungsmittel,
+besonders fleißige Sonnenbäder gewähren ihm eine gewisse Erleichterung,
+die ihm jener C-Befund (Garnisonsdienst) der Musterungskommission wieder
+benimmt. Sein Kampf gegen die Bakterien geht nun so weit, daß er sich
+metallene Türklinken wegen Infektionsgefahr zu berühren scheut und auch
+bei schärfster Sonnenglut stets nur in peinlichst verschlossenen
+Kutschen ausfährt. Im Laienurteil verschafft das Eißler unter den
+Einwohnern des Städtchens Baden bald den Ruf eines ungefährlichen
+Narren, eines verrückten Privatdozenten, für den man ihn der lehrhaften
+Art halber hält, in der er seine Phobien auch ganz Fernestehenden
+begründet.
+
+Trotz alle dieser den akuten chokhaften Eintritt einer seelischen Panik
+erklärenden Symptome gelangt das Gutachten dennoch zur Konstatierung
+seiner Verantwortlichkeit, die es allerdings wie folgt etwas
+einschränkt:
+
+„Er ... ist nicht im Bewußtsein wesentlich getrübt oder gar
+sinnesverwirrt. Er hat sich vielmehr nur nach § 46 des St.-G. in einer
+aus den gewöhnlichsten Menschengefühlen entstandenen heftigen
+Gemütserregung zu dem Verbrechen hinreißen lassen, für das ein
+ausreichendes Motiv nicht fehlte. Im übrigen ist er ein keineswegs
+geisteskranker oder geistesschwacher, hypochondrischer verschrobener
+Sonderling, dessen psychopathische Minderwertigkeit ihn gegen das
+Auftreten von Gemütsbewegungen weniger widerstandsfähig macht, was daher
+vom gerichtspsychiatrischen Standpunkt als mildernder Umstand einer
+richterlichen Würdigung noch besonders empfohlen werden muß.“
+
+Der Angeklagte wurde hiermit verhandlungsreif. Die Anklageschrift konnte
+entworfen werden.
+
+
+
+
+ VIII. DIE ANKLAGESCHRIFT.
+
+
+Gewalttat stellt meistens eine tragische Außenhandlung dar, Ergebnis und
+Erlösung tiefer gelegener Stauungen und Reize von ihr oft völlig polarem
+Charakter, – und an der Peripherie, wie ihre blinde Aktion, bleibt
+gewöhnlich ebenso ihre gerichtliche Sühne. Denn selbst diese belangt
+lediglich ein Zeichen, nicht Wuchs und Wesen des Ereignisses; nach einem
+Zeichen muß sie anklagen, verhandeln, verurteilen. Seit Jahrzehnten
+vorgedachte Abstrakta werden Maß und Mittel der Strafe, erdacht von
+einer Gesellschaftsordnung, die mit ihnen steht und fällt. _Rudolf von
+Iherings_ so menschlicher Satz: „Das Leben ist nicht der Begriffe,
+sondern die Begriffe sind des Lebens wegen da,“ leuchtet über dem Tore
+zu einer Gemeinschaft, das sich uns noch nicht aufgetan hat.
+
+Prüft man die Anklageschrift gegen Otto Eißler, die nach Einholung des
+psychiatrischen Gutachtens am 23. Februar 1924 für den zu Aprilbeginn
+terminierten Prozeß verfertigt wurde, so kann man sich ähnlicher
+Meditationen nicht erwehren. Sie skelettiert Vorgeschichte und Fall im
+österreichischen Kurialstil, wobei sie seine psychogenen Bedingungen
+genau so zur Seite schiebt wie sie anderseits auf Konstatierung einer
+eventuell wirklich verübten Benachteiligung des Beklagten seitens seiner
+Verwandten verzichtet, hierin striktest gegensätzlich zu dem Gutachten
+der Psychiater, das gerade diesen Punkt nicht scharf genug betonen kann,
+weil er ihnen zum Beweis der geistigen Gesundheit des Beklagten dient.
+Einig mit jenen wird sie wieder in den Folgerungen, dem „dolus“ und der
+Verantwortlichkeit des Täters. Im übrigen bestrebt sie sich ihrem Sinne
+nach, der ja auf Korrektur seitens der Verteidigung und auf
+Einschränkung durch die Verhandlung selbst gefaßt ist, die Ereignisse in
+den ihr wichtig dünkenden Phasen zu entfalten und führt dabei weder aus,
+warum Otto seinen Haß just auf den Vetter Robert aus dem
+Firmentriumvirat so mörderisch konzentrierte, noch, was solchen Haß
+berechtigte oder nicht. Damit genügt sie ihrem Zweck, der die Suche nach
+einer Wurzel der vor den Kadi gebrachten Handlung noch nicht
+einbegreift. Wie jede Anklage steht auch sie in dem Vorgang, den sie in
+die Schranken fordert. _Über_ ihn darf sie sich ja nicht erheben; sie
+könnte sonst oft genug keine mehr sein. Sie sucht sich Paragraph und
+Strafe zu der Schuld, die sie prangert. Sie sei hier gebracht in einem
+Auszug, der, von ihrem Augenpunkte her, durch Darstellung und
+Schilderung das bereits Berichtete, vermehrt um Details fesselnder Art,
+betrachten lassen mag:
+
+„Die Staatsanwaltschaft Wien I erhebt gegen:
+
+Otto Eißler, geboren am 15. Juli 1874 in Bisenz, nach Wien zuständig,
+mosaisch, ledig, ohne Beschäftigung in Baden wohnhaft gewesen, derzeit
+in Haft, _die Anklage_:
+
+Otto Eißler habe am 30. August 1923 gegen Robert Eißler in der Absicht,
+ihn zu töten, durch Abgeben mehrerer Schüsse aus einer Browningpistole
+und einer Mauserpistole auf eine solche Art gehandelt, daß daraus dessen
+Tod erfolgte. Otto Eißler habe hierdurch das Verbrechen des Mordes nach
+§ 134 STG. begangen und sei nach § 136 STG. unter Bedachtnahme auf §§ 1,
+2 des Gesetzes vom 3. IV. 1919 STG. BL. Nr. 215 zu bestrafen.
+
+_Begründung_:
+
+Otto Eißler ist der Sohn des im Jahre 1920 verstorbenen Heinrich Eißler,
+der bis zu seinem Tode öffentlicher Gesellschafter der Firma J. Eißler
+und Brüder war. Nach einem im Jahre 1897 zwischen den Gesellschaftern
+dieser Firma geschlossenem Vertrage hätte Otto Eißler unter gewissen
+Voraussetzungen das Recht gehabt, nach dem Tode seines Vaters als dessen
+Nachfolger in die Firma einzutreten. Schon vor dem Tode Heinrich
+Eißlers, nämlich am 1. Oktober 1919, traf Otto Eißler mit den damaligen
+Mitgesellschaftern seines Vaters, seinen Vettern Dr. Hermann Eißler,
+Robert Eißler und Alfred Eißler ein schriftliches Abkommen, demzufolge
+Otto Eißler auf das Recht nach dem Tode Heinrich Eißlers öffentlicher
+Gesellschafter der Firma zu werden, verzichtete, wogegen ihm die
+Berechtigung zugestanden wurde, sich als stiller Gesellschafter an den
+Geschäften zu beteiligen. Dieses Übereinkommen wurde jedoch nach dem
+Tode des Heinrich Eißler, und zwar mit dem Vertrag vom 6. Juli 1921
+umgestoßen, durch den Otto Eißler gegen Bezahlung bedeutender Beträge
+endgültig aus der Firma schied. Otto Eißler hatte früher, und zwar seit
+dem Jahre 1896 verschiedene Stellungen in der Firma eingenommen, jedoch
+im Jahre 1910 nach Mißhelligkeiten mit den Firmeninhabern diese
+geschäftliche Betätigung aufgegeben. Seit dieser Zeit glaubte er zu
+erkennen, daß seine Verwandten darauf ausgingen, ihn systematisch aus
+dem Geschäfte zu verdrängen. Dies rief eine dauernde tiefe Verbitterung
+bei ihm hervor, die sich in der letzten Zeit noch steigerte, als sich
+ihm die Überzeugung aufdrängte, daß er durch die Verträge aus dem Jahre
+1919 und 1921 nicht nur seines Anteiles an der von seinem Vater
+gegründeten Firma für immer verlustig geworden war, sondern daß seine
+Vettern Hermann, Robert und Alfred Eißler ihn in diesen Verträgen auf
+das schwerste geschädigt hatten. Er brachte im Frühjahr 1923 durch
+seinen Rechtsanwalt beim Handelsgerichte Wien gegen seine Vettern die
+Klage auf Ungültigkeitserklärung der beiden Verträge von 1919 und 1921
+ein. Für wie wenig aussichtsreich er diesen Prozeß hielt, geht daraus
+hervor, daß er wiederholt bei den feindlichen Vettern vorsprach, um sie
+zu einem Ausgleich zu bewegen. Dabei kam es zu sehr erregten
+Auseinandersetzungen, bei denen seine Gegner bestimmt und nachdrücklich
+jede gütliche Austragung ablehnten. Diese unnachgiebige
+schroff ablehnende Haltung seiner Vettern, die Erkenntnis der
+Aussichtslosigkeit, seine Ansprüche ihnen gegenüber im Prozeßweg
+durchzusetzen, der Gedanke, das wehrlose Opfer der Treibereien seiner
+Verwandten geworden zu sein, haben in Otto Eißler das Gefühl tiefsten
+Hasses immer mehr verstärkt, alle sittlichen Hemmungen verdrängt und in
+ihm den Entschluß zur Reife kommen lassen, an seinen Feinden Rache zu
+nehmen, – einer von ihnen, die ihn wirtschaftlich zugrunde gerichtet
+hatten, sollte die Schuld mit dem Leben bezahlen.
+
+Otto Eißler, der seit Jahren ständig in Baden bei Wien wohnte, hatte am
+9. II. 1923 beim dortigen Büchsenmacher, Ferdinand Müller, eine
+Browningpistole gekauft. Etwa drei Wochen nach der letzten mündlichen
+Zurückweisung seines Ausgleichsanerbietens kam er, es war am 20. oder
+21. August 1923, wieder in das Geschäft Müllers und verlangte eine
+Mauserpistole. Da keine vorhanden war, bot man ihm eine Steyrerpistole
+an, die er ablehnte, worauf vom Geschäftsinhaber die von Eißler
+gewünschte Waffe besorgt wurde. Am 23. August 1923 kaufte er nun die
+Mauserpistole samt 25 Patronen.
+
+Am 30. August, also eine Woche später, fuhr er um halb neun Uhr
+vormittags mit der Lokalbahn nach Wien und begab sich in die im Hause
+I., Dr.-Karl-Lueger-Platz 2. befindlichen Geschäftsräume der Firma.
+Nachdem ihm geöffnet war, ging er sofort durch das Vorzimmer in das
+sogenannte Chefzimmer, in dem die Schreibtische der Gesellschafter
+Robert und Alfred Eißler standen. Das Zimmer (früher der Arbeitsraum
+Heinrich Eißlers) war leer und der Beschuldigte setzte sich auf den vor
+dem Schreibtisch Alfred Eißlers stehenden Sessel und wartete. Der
+Kassierer der Firma, Albert Köhler, kam herein und antwortete auf die
+Frage, welcher Chef heute anwesend sei, daß nur Robert Eißler da sei.
+Nach kurzem, belanglosem Gespräch verließ Köhler das Zimmer und begab
+sich in seine Kanzlei, wo nach einigen Minuten Robert Eißler mit dem
+Ersuchen erschien, Köhler möge ihm einen auf einer Armbanduhr klebenden
+Zettel ablösen. Auf dem Rückweg ins Chefzimmer forderte Robert Eißler
+den Geschäftsdiener Josef Kment auf, ihn telephonisch mit dem Direktor
+einer Aktiengesellschaft zu verbinden. Gleich darauf öffnete Kment die
+Tür zum Chefzimmer, in dem sich jetzt Robert Eißler befand, und meldete,
+daß die Verbindung hergestellt sei. Er hörte noch, bevor er sich
+entfernte, wie Robert Eißler das telephonische Gespräch begann. Kaum
+eine Minute später öffnete der Kassierer Köhler die Tür des Chefzimmers,
+um die Uhr zurückzubringen, da sah er, daß Otto Eißler vor dem
+Schreibtisch Alfreds stand und auf den ihm gegenüber an seinem
+Schreibtisch sitzenden Robert Eißler mit ausgestreckten Armen aus zwei
+Pistolen mehrere Schüsse abgab. Robert Eißler sank getroffen zu Boden.
+Köhler nahm dem Beschuldigten die Waffen, wobei Otto Eißler etwas von
+„sich erschießen“ sprach. – – – – – – – – – – – –
+
+Als gleich darauf der Arzt erschien, sagte Robert Eißler noch:
+„Bauchschuß, – ich sterbe – Herr Doktor, wie lange habe ich noch zu
+leben?“ Dann schaffte man ihn in ein nahegelegenes Sanatorium, wo er
+kurz nach der Einbringung seinen Geist aufgab. Alle unmittelbar nach der
+Tat erschienenen Personen bekunden die vollkommene Ruhe und Gelassenheit
+des Beschuldigten, der dem ihn zum Stadtkommissariat eskortierenden
+Wachebeamten Karl Rudolf auf die Frage nach dem Beweggrund seiner Tat
+die Antwort gab: „Wenn man mich statt mit Goldfranken mit
+österreichischen Kronen abfertigen will, dann werden Sie es verstehen.“
+
+Die gerichtliche Öffnung der Leiche des Robert Eißler ergab eine
+Schußwunde in der rechten Brustseite, diese Kugel hatte auf ihrem
+weiteren Weg den rechten Bauchmuskel durchbohrt, das Zwerchfell breit
+durchtrennt und ist in die Bauchhöhle eingedrungen. An der linken
+Bauchseite befanden sich drei weitere, von einem und demselben Schuß
+herrührende Wunden. Diese Kugel hat den Dickdarm durchbohrt, ist dann in
+die hintere Bauchwand eingedrungen, hat die linke Seitenwand des kleinen
+Beckens durchsetzt und dabei einige größere Blutadern zerrissen. Eine
+weitere Schußverletzung wies der rechte Oberschenkel auf, wo durch
+das Geschoß die Muskeln breit zertrümmert und sowohl die
+Oberschenkelschlagader als auch die dazu gehörige Blutader breit
+geöffnet wurden. Diese Gefäßverletzungen haben zu mächtigen
+Blutaustritten in das Gewebe geführt.
+
+Von einem vierten Schuß war der linke Oberschenkel getroffen worden, der
+wagrecht durchbohrt war, die Schenkelanziehermuskeln waren ausgedehnt
+zertrümmert, von Blutaustritten durchsetzt und die große Rosenblutader
+verletzt. Der linke Arm wies sechs Schußwunden auf, die möglicherweise
+von bloß zwei weiteren Schüssen verursacht worden sein können. Der Tod
+Robert Eißlers ist infolge dieser Schußverletzungen durch Verbluten
+erfolgt. Sowohl der an zweiter Stelle genannte als auch der dritte Schuß
+hätten jeder für sich allein den Tod herbeiführen können.
+
+Otto Eißler kann die Tat nicht in Abrede stellen und behauptet schon in
+seinem polizeilichen Verhör, im Jähzorn und ohne Tötungsabsicht
+gehandelt zu haben. Dieselbe Verantwortung bringt er am 1. September
+beim Untersuchungsrichter vor. „Ich habe,“ sagt er, „im Jähzorn auf den
+Mann geschossen, der meines Erachtens Betrügereien zu meinem Nachteil
+begangen hat, und ich meine, unter diesen Umständen ist meine Tat zwar
+moralisch verwerflich, aber menschlich zu begreifen.“ Da er auf die ihm
+vom Untersuchungsrichter vorgehaltenen schweren Verdachtsgründe, die mit
+Sicherheit auf die längst gefaßte, wohlüberlegte Absicht schließen
+lassen, seinen Gegner zu töten, keine Antwort weiß, erklärte er nunmehr:
+„Ich stehe auf dem Standpunkt, daß der Ausbruch einer Wahnidee sich
+nicht mit Logik begründen läßt.“
+
+Auch in seinem Verhör vom 17. Dezember 1923 stellt er die Tat als das
+Ergebnis einer jähzornigen Gemütsaufwallung dar, will dann wieder
+glauben machen, er habe im Augenblick des Schießens nicht gewußt, daß er
+schieße, behauptet dann wieder, in einer riesigen Zornaufwallung
+gehandelt zu haben und weiß auf den Vorhalt, daß alle unbefangenen
+Personen seine vollkommene Ruhe unmittelbar vor, bei und nach der Tat
+bestätigen, nichts anderes zu entgegnen, als daß er die Wahrheit dieser
+Aussagen bestreite. Die Verantwortung Otto Eißlers, nicht in der Absicht
+zu töten geschossen zu haben, findet in den Ergebnissen des
+Vorverfahrens ihre volle Widerlegung. Die Vorgeschichte der Tat, der
+Ankauf der zweiten tötlichen Waffe, das Mitnehmen beider Pistolen von
+Baden nach Wien, das klugbedachte und wohlüberlegte Abwarten des
+günstigsten Augenblickes, während Robert Eißler durch das Telephonieren
+abgelenkt war, die Abgabe von mehreren Schüssen aus zwei ihm als äußerst
+gefährlich bekannten Waffen aus unmittelbarer Nähe: alle diese Umstände
+lassen keine andere Deutung zu, als die, daß Otto Eißler den lange
+vorher bedachten und wohlvorbereiteten Plan zur Ausführung gebracht hat,
+einen seiner Feinde, die ihn wirtschaftlich auf das Schwerste geschädigt
+hatten, und die er erbittert haßte, zur Befriedigung seines
+leidenschaftlichen Rachegefühles ums Leben zu bringen. Nach den Angaben
+einer Reihe von Auskunftspersonen ist der Beschuldigte stets um seine
+Gesundheit ängstlich besorgt, weicht insbesondere jeder
+Ansteckungsmöglichkeit sorgfältig aus, ist von sehr argwöhnischer und
+mißtrauischer Sinnesart, so daß er den Eindruck eines Sonderlings macht.
+Das Gutachten der Gerichtsärzte, die die Untersuchung seines
+Geisteszustandes vorgenommen haben, bestätigt, daß Otto Eißler ein
+hypochondrisch-verschrobener Sonderling sei, schließt jedoch völlig aus,
+daß er etwa geistesschwach oder gar geisteskrank sei oder sich zur Zeit
+der Tat in einem Zustand der Sinnesverwirrung befunden habe. Seine
+Verantwortlichkeit für die von ihm begangene Bluttat steht daher außer
+jedem Zweifel.
+
+Staatsanwaltschaft Wien I.
+
+Am 23. Februar 1924.
+
+Auf Grund dieser Anklage stand am 8. April Otto Eißler im großen Saale
+des „Grauen Hauses“, wie das Landesgericht im Wiener Volksmunde heißt,
+vor den Geschworenen. Die Verhandlung war auf drei Tage bemessen; ihren
+Beginn verzögerte ein Gebrechen in der Lichtleitung. Die Leitung des
+Prozesses gestaltete sich um so rascher. Der schon früher genannte
+Richter riß sie straff und unnachsichtlich vorwärts mit einer
+Schneidigkeit, die etwas preußisches an sich hatte. Es sollte zu keinem
+Kurzschlusse kommen zwischen ihm und dem ewigen Gesetze. Ein Mensch war
+getötet worden; der Mörder mochte es büßen, ohne psychologischen
+Firlefanz: Hart gegen Hart!
+
+
+
+
+ IX. DER FÜNFTE AKT.
+
+
+Einmischung in eine Privatangelegenheit – unnötige Behelligung der
+Öffentlichkeit mit einer Streitsache, die man der Unzulänglichkeit des
+geltenden Rechtes wegen persönlich erledigen mußte, – Beschnüffelung von
+Opfer und Täter, die hier nur einander betrafen und durch ihr tötliches
+Duell die Menschheit als Ganzes, nie aber Neugier und Zuständigkeit
+eines bürgerlichen Gerichtes, – ein wenig so betrachtet der mittelgroße,
+etwas beleibte ältere Herr im dunkelgrauen Mantel seinen Fall, den er
+vor den Schranken temperamentvoll erläutert und begründet. Nicht im
+Sinne der Anklage bekenne er sich schuldig, erwidert er dem
+Vorsitzenden, Hofrat Ramsauer, der aus seinem hautverkleideten
+Granitschädel angespannt der Schilderung Otto Eißlers folgt. Darnach hat
+Robert die von dem Vetter beabsichtigte Zwiesprache mit einem
+sonderbaren, nicht eben gemütvollen Wunsche im Keime erstickt: „Du
+kannst noch sieben Jahre Prozeß führen! Von mir aus könnt ihr alle
+krepieren!“ Und er? – – „Nachdem ich die Hände gerade in den Taschen
+hatte, habe ich, ohne es zu wissen, und ohne mein Wollen, ohne zu
+zielen, ohne zu wissen, daß ich schieße, auf den Mann geschossen.“ Die
+Waffen, die er dann gegen sich richten wollte, müssen ihm entrungen
+werden. Im übrigen hätte er sie gewohntermaßen bei sich getragen,
+deshalb könne keine Rede davon sein, daß er sie vor jener Fahrt, die in
+die Bluttat mündete, eigens planvoll zu sich gesteckt habe. Und in Einem
+weist er es zurück, er wäre über den Sterbenden mit einem „Es ist nicht
+schade um ihn“ weggegangen. Aus dem ersten Verhör mit Regierungsrat
+Hanusch steht eine viel wesentlichere Äußerung verzeichnen die er auch
+nicht leugnet: „Es muß doch in der Welt endlich einmal etwas geschehen“
+Diese scheinbar banalen Worte legen die eigentliche Achse seiner
+Handlung bloß, reichen in das Getriebe der inneren Zwangsläufigkeit
+seines Verbrechens, wohin die seelische Autopsie der Psychiater trotz
+peinlichster Gewissenhaftigkeit nicht einzudringen vermochte. Er, der
+nach Ansicht seiner Vettern zu zerfahren blieb, um in den Generalstab
+des Kontores vorzurücken, schmetterte mit seinen mörderischen Schüssen
+symbolisch die Firmentafel ein, weil es ihm nicht verliehen war, sich
+anders über solche Kränkung wegzuhelfen. Vorsätzlicher Mord oder
+Totschlag im Zorn standen also hier in erster Linie zur Frage: beides
+lehnt er vehement ab, will einzig auf eine seelische Panik plädiert
+wissen, die in jenem tragischen Augenblicke nicht allein seine Waffen,
+sondern auch ihn jeder hemmenden Sperre entledigt hätte. Dawider aber
+findet er im Gutachten der Psychiater wie in der Anklage entschlossenste
+Gegnerschaft. Die vierte Möglichkeit befehdet er selbst, jene, es könne
+sich um eine Paranoia handeln, um eine ausgesprochene Geisteskrankheit
+aus der Kategorie des Verfolgungswahnes. Wie sein Anwalt, Doktor
+_Valentin Teirich_, der dritte, den sich der von Mißtrauen vergiftete
+Angeklagte seit seiner Festnahme gewählt hatte, scharfsinnig ausführte,
+lag der Keim des Übels wohl nicht in der zur gespenstigen Gegnerschaft
+gewordenen Vision seines feindlichen Vetters, mehr in einer durch
+gesteigertes Selbstgefühl überkompensierten Urangst vor irgendeinem
+Untergang, die sich zunächst als Verarmungsfurcht kundgab und sich erst
+nachträglich angeregt durch die ihn tatsächlich gefährdende Einstellung
+Roberts den Körper fand, mit dem sie sich in kausale Beziehung als den
+endlich Fleisch gewordenen Feind zu setzen vermochte. Doch Zweifel an
+der Überlegenheit und unbedingten Klarheit seines Geistes will Otto
+Eißler nicht sich und niemand eingestehen; an seinen Geist soll ihm
+keiner rühren, nicht einmal an seine Meinung über die Eignung für das
+Geschäft, die er, wie er behauptet, mehrfach glänzend bewiesen hätte,
+was ja wahrhaftig nicht so sehr für Geist als für rasche Gewitztheit und
+rücksichtslose Entschlußkraft zeugte. Ehe er das Primat seines Geistes
+anzutasten gestattet, nimmt er lieber noch die Gefahr des äußersten
+Strafsatzes auf sich, der sein Verbrechen mit lebenslänglichem Kerker
+bemißt. Doch er rechnet bestimmt auf Freispruch, sehr verschieden darin
+von dem Vorsitzenden, der sich immer gewichtiger in den Mittelpunkt der
+Verhandlung schob, wie in jeder, die bisher unter seiner Ägide vor sich
+gegangen war. Ägide in des Wortes furchtbarster Bedeutung: Es war ein
+Medusenhaupt des Rechtes, das er den armen Sündern wies.
+
+Es reizt, vor jedem weiteren Berichte bei seiner Persönlichkeit zu
+verweilen, deren gehaltene Natur sich von dem flackernden Nervenbündel,
+das ihm da in die Hand gegeben war, nicht bewegen ließ. Bei einem
+protestierendem Zwischenrufe fährt er es an: „Ich habe Ihnen schon
+gestern gesagt, daß die Art, wie Sie Zeugen anflegeln, nur für das Ende
+spricht, das Sie erwartet!“ Was in der Kritik der Presse („Abend“ vom 9.
+April 1924) zu dem Hinweis auf einen Justiz-Ministerial-Erlaß vom Jahre
+1907 Anlaß gab, der einen Vorsitzenden, der „den Angeklagten bereits als
+überführt behandeln würde“, ausdrücklich als mit seinen Pflichten in
+Widerspruch stehend bezeichnet. Eißler freilich vermochte da nichts zu
+erwidern; er besaß nicht die notwendige blitzhaft einsausende Energie,
+wie etwa die Giftmischerin Milica Vukobrankovics, die ihrem
+Verhandlungsleiter bei einer ähnlichen Kritik entgegnet hatte: „Hängt
+das mit dem Abbau zusammen, daß sie Richter und Staatsanwalt in einer
+Person sind?“ und damit die Lacher auf ihrer Seite entfachte. Wie es
+aber Ottos Verhängnis blieb, daß selbst der Schatten des toten Robert
+mächtiger wirkte als er, so gleitet er auch allmählich hier vor der
+Figur seines Richters zur Seite, der nun alle Erwartung und Neugier auf
+sich sammelt. Es ist eine bedeutende, doch nicht versöhnlich anmutende
+Gestalt, die sich uns in Hofrat Ramsauer darstellt: Hartkantig bis zur
+Schroffheit, an dem ganzen Handel fasziniert durch die Paragraphen, nach
+denen er erledigt werden muß, ein Matador seiner traurigen Pflicht, die
+ihm zur Leidenschaft geworden ist, in unermüdlicher Arbeitskraft jenem
+Toten ähnlich, um den der Prozeß geht. Als zweiter „_Holzinger_“ wird er
+verschrieen, der Name jenes scharfen Wiener Staatsanwaltes, Schwager des
+Dichters _Anzengruber_, der schließlich selbst sein heiliges Gesetz so
+sehr verletzte, daß ihm nur freiwilliger Tod den letzten Ausweg bot. Es
+wäre aber ebenso wohlfeil wie falsch, einen Charakter von Ramsauers Art
+mit dem Klischee des geistigen Sadismus abzutun, wie es zur Not noch auf
+Holzinger passen konnte. Ramsauer ist lediglich tätiger Protagonist
+seiner Weltanschauung die ihm das Strafrecht zum unantastbaren
+Evangelium verklärt hat. Vorgefaßtes Übelwollen äußert er so wenig wie
+Güte. Dem Gesetze einzig und allein dient er und wendet es an, so lange
+es besteht in der gebotenen Form, ohne Schwäche, jedoch auch ohne
+Ansehen der Person und ohne willkürliche Auslegung. Humanitätsappelle,
+psychologisierende Entschuldigungen sind freilich seine Sache nicht; der
+Blick, der in Herz und Nieren des Inkulpanten forscht, übersieht
+vielleicht, daß zwischen ihm und jenem auf dem Richtertische ein Kreuz
+mahnt. Als Vollzugsorgan einer Gesellschaftsordnung erachtet er sich,
+darin jedes unangebrachte Erbarmen die Fundamente lockern kann. Das
+„Ramsauerurteil“ wurde sprichwörtlich, seine Entscheidungen, auch als
+Einzelrichter, beschäftigen andauernd den Berufungssenat; der milde
+Hofrat _Jakob_ nahm so – einen Tag nach Abschluß des Eißlerprozesses, –
+an mehreren von Jenem gefällten Urteilen wegen § 144 (Verbot der
+Abtreibung der Leibesfrucht) menschliche Abstriche vor. Was Ramsauer
+keineswegs veranlaßte, sich etwa bei der gleichen Gelegenheit später
+sichtlich milder zu erweisen. So ist er auf seine Art, die freilich
+nicht Jedermanns Art sein mag, ein Römer nach Gerechtigkeit, Reinheit
+und gelassener Härte seiner Persönlichkeit.
+
+Es mochte also mehr an der Form, als an der gerade von diesem Richter
+sonst peinlichst korrekt geprüften Sache liegen, die besonders die
+Presse fortwährend gegen ihn aufbrachte, die ihm Feinde schuf, wie sie
+in solcher Menge und Hartnäckigkeit in Wien selten eine öffentliche
+Persönlichkeit zählt. Die Strategie seines Verfahrens setzte auch in der
+Causa Eißler – wohl unbewußt – vom Anfange her schon mit einem „Ceterum
+censeo“ wider den Beklagten ein. Bereits am ersten Tage des Prozesses
+vernahm er bis in die tiefe Nacht sämtliche Entlastungszeugen, um die
+folgende Zeit nur mit belastenden Aussagen zu füllen, ein sonst der
+ungünstigen Wirkung auf die Geschworenen halber nicht üblicher Brauch.
+Denn wie der Verteidiger im Strafverfahren das letzte Wort zugebilligt
+erhält, genau so pflegt man die Stimme _für_ den armen Sünder erst
+_nach_ jenen anzuhören, die ihn auf Leib und Leben _verklagen_. Und
+nicht nur solche ungewohnte Umkehrung beeinträchtigte im Zuge der
+Verhandlung die Situation des Angeklagten; auch sein Anwalt Dr. Teirich
+mußte manche Bemerkung oder Frage an das Gericht über den Wink des
+Vorsitzenden zeitlich verschieben, wodurch sie in ihrer geplanten
+Wirkung auf die Geschworenen nichts weniger als gewann. Das große
+Schachspiel, das um die Haltung der Zwölfmännerschaft sonst zwischen
+Advokat und Staatsanwalt ausgefochten zu werden pflegt, hatte hier zum
+Teile auch die sella curulis ergriffen; zwei Partner rückten so gegen
+einen in das Feld. Die Entlastungszeugen, Schulfreunde, Bekannte,
+Verwandte Otto Eißlers, sowie Leute, die in dienstlicher Beziehung zu
+ihm standen, schienen sich eins darin, daß er ein gutmütiger Sonderling
+sei mit querulanten Neigungen, aber von einer feinfühligen inneren
+Beschaffenheit, die ihn auch für das soziale Elend um ihn nicht taub
+machte. Diese Erklärungen wachsen an Wärme, je näher sie dem privaten
+Leben des einsamen Melancholikers kommen; die Schwester Ida von Molnar
+und Anna Heimerle, die Lebensgefährtin, wissen nicht genug seine Güte
+und seine Vornehmheit zu rühmen. Von der Gegenseite geschieht eigentlich
+nur durch Doktor Braß, dem Vertreter der Zivilansprüche der Familie
+Roberts, eine aus dem Rahmen fallende Attacke; Doktor Fürst polemisiert
+sehr diplomatisch, und der neue Firmenchef Doktor Hermann Eißler, ein
+Mann erlesenster künstlerischer Kultur, der sich erst spät zu
+gerichtlicher Aussage entschlossen hatte, befleißigte sich gleichfalls
+möglichster Objektivität. Dennoch schwindet bald jede weichere
+menschlichere Stimmung, Ziffern schwirren herum, uralter Verwandtenhaß
+brodelt auf, immer dicker wird die Luft im Gerichtssaal. Solcher
+anschwellenden Beklommenheit hält niemand stand, wie eine stickige
+schmutzig-gelbe Wolke wuchtet das Gold und seine Gier über allem, immer
+kleiner, immer trüber schwält durch ihren Dunst die Flamme der
+Verantwortung, immer gewaltiger kann die Anklage ausholen zum
+unerbittlichen Endspruch. Und doch klaffte in der Sache selbst ein
+tragischer Irrtum: Der arme Mensch, der hier Zahl über Zahl türmte, so
+daß Vorsitzender und Geschworene dem Eindruck erlagen, eine verunglückte
+Valutenspekulation sei da von einem nicht einmal wesentlich Geschädigten
+aus gekränktem Egoismus zum Mordmotive aufgebauscht worden, – er war
+wirklich nichts weniger als wesenseins mit den Dinaren, jugoslavischen
+und österreichischen Kronen, die er sprudelnd hervorstieß. Er konnte
+bloß keine andere Sprache gebrauchen, als eine seines Milieus, er meinte
+dabei gar nicht jenes Geld, um das man ihn seiner Ansicht nach betrogen
+hatte, sondern sein vom Gelde ins Antlitz geschlagenes gutes _Recht_.
+Doch sich in Diskussionen über das Thema „Nicht der Mörder, der
+Ermordete ist schuldig“ einzulassen, dazu spürte das Gericht wenig Lust;
+denn eben durch den sich in Zahlen rechtfertigenden Angeklagten war es
+ja auf ein Maß herabgenötigt worden, aus dem es die tragische Kulisse
+des ganzen Falles, die zugleich eine Kulisse seiner Zeit wurde, nicht zu
+fassen vermochte. Für seinen Wahrspruch stand da bloß ein ihm
+unangenehmen von fixen Ideen besessener Herr bereit, der in seinen
+ungezügelten Repliken vom Vorsitzenden stets nachdrücklichst abgewiesen
+werden mußte, und an dessen Händen überdies das Blut eines der
+geachtetsten Großindustriellen des Reiches klebte. Solche Eindrücke
+modellierten die Überzeugung der Zwölf, Eindrücke von einer fremden und
+keineswegs sympathischen Welt.
+
+So war im Verlaufe der drei Tage „nichts fürs Gemüt“ vorgefallen, die
+unaufhörlichen geschäftlichen Diskussionen langweilten und erbitterten;
+einzig die Aussagen der beiden Frauen, die der Vorsitzende chevaleresk
+behandelte, hatten etwas Helle verbreitet. In einer umsichtigen, vor
+allem gegen das Gutachten der Psychiater gerichteten Rede verfocht
+Doktor Teirich die Sache seines Schutzbefohlenen höchst geschickt, indem
+er zwingend zu erläutern trachtete, wie ein Mensch von der seelischen
+Basis und Belastung des Beklagten, die er mit bezeichnenden
+Zeugenattesten umriß, unter den von seiner Sippe gegen ihn verfügten
+Maßnahmen in einen seelischen Aufruhr geraten mußte, der seine
+Zurechnungsfähigkeit bei der Tat ausschloß. Und selbst der _Staatsanwalt
+Doktor Winterstein_, der sich auch während der Dauer der Verhandlung in
+höchst rühmenswerter Weise verhielt, die das menschliche Bedauern für
+den Beklagten trotz selbstverständlicher schärfster Verdammung der Tat
+nicht verhehlte, bat die Geschworenen um Milde: „Der Kampf der Firma
+gegen Otto,“ sagte er, „ist hart und ungerecht geführt worden, und er
+hatte es nicht gerade mit zärtlichen Verwandten zu tun.“ So mühte sogar
+er sich, Verständnis zu erwirken dem, den er auf geplanten Mord verklagt
+hatte.
+
+Der Vorsitzende beharrte auf seinem Standpunkt, für den es, wie er
+bekannte, gleichgültig blieb, ob Robert Eißler ein Engel oder der Teufel
+in Menschengestalt gewesen sei. Vergossenes Blut heischte Sühne. In der
+Schale des Zornes würde es immer schwerer wiegen, mochte noch so viel
+Verzeihliches und Begreifliches in der Schale der Versöhnung liegen.
+
+_Die Geschworenen bejahten die Frage auf vorsätzlichen Mord mit zehn Ja
+und zwei Nein._
+
+Der Strafsatz bemißt für diese Erkenntnis im bittersten Falle
+lebenslänglichen schweren Kerker, der im Berufungswege bis zu einem Jahr
+herabgesetzt werden kann. Solche Berufung wird aber der Verteidigung nur
+dann gestattet, wenn der Spruch des Richters auf mehr als zehn Jahre
+lautet, und wäre es zehn Jahre und einen Tag. Man geht nur meist bei
+ähnlichen Gerichtstragödien, wie sie in der bäuerlichen Bevölkerung
+nicht zu selten sind, ungerne so hoch hinauf.
+
+Eine Frage auf Totschlag unterblieb. Über Wunsch des Beklagten. Hofrat
+Ramsauer verkündigte das _Urteil_:
+
+_Zehn Jahre schweren Kerkers!_
+
+Keine Stunde mehr! Keine Stunde weniger! Zehn unabänderliche Jahre!
+
+Die Lebensgefährtin Otto Eißlers brach mit einem Schrei bewußtlos
+zusammen.
+
+Er selbst verharrte aufrecht und starr. Sah er plötzlich hinter die
+Dinge, hinter den steinernen Richter, hinter die steifen Geschworenen,
+hinter die graue Wand des Gerichtes? Reckte sich nicht eine Gestalt, die
+auf ihn niederblickte durch geschlossene Augen, aber aus sechs offenen
+Todeswunden? Die wieder sagte:
+
+„Dummer Kerl!“ –
+
+Ja; er hatte Unglück, der arme Otto Eißler. Der einen Macht entriß er
+sich und ließ dabei eine Leiche am Wege. Um nun von einer anderen Macht
+sein Urteil zu empfangen, das dreifach galt für den kränkelnden
+fünfzigjährigen Mann. Von einer Macht, die unangreifbar thronte und
+unerschütterlich, hart gleich dem Vetter Robert, dessen verwandeltem
+Angesicht er hier wieder begegnete, wie einem Schicksale, dem er
+bestimmt gewesen war zu verfallen, von allem Ursprunge her.
+
+
+
+
+ X. EPILOG.
+
+
+Am Abend dieser Urteilsfällung über eine Tragödie des Geldes geschahen
+Zeichen. Der große gelbe Pan war tot! Der Schrei vom Sterben des _Hugo
+Stinnes_ gellte durch die Straßen.
+
+Zugleich bebte und heulte es auf dem Schottenring. Die Börse bäumte sich
+in Krämpfen über den mißglückten Frankenfeldzug. Verhaftungen und
+Selbstmorde lösten einander ab.
+
+Die Spannung, die die Verhandlung gefedert hatte, erschlaffte davor. Man
+fand nicht rechte Muse, ein Urteil zu überdenken vor der größeren
+Götterdämmerung, darin wieder ein goldener Hort in den Fluten versank.
+
+Was war auch das Fazit aus Tat und Gericht? – Ob Otto Eißler, der
+fünfzigjährige, sein Dezennium Haft unversehrt überstehen würde, ob er
+vorher in einer Heilanstalt oder auf einem Friedhofe ersehnte Rast
+erführe, – ein Abgeschiedener ist er schon heute für diese Welt, um die
+er so verzweifelt gekämpft hat bis zum Verbrechen. Sein Los nahm nun
+scheinbar doch die Kurve zur großen Verwirrung hinüber, die die
+Psychiater leugneten. In der Strafanstalt _Stein an der Donau_,
+derselben, aus der die Revolution einst _Friedrich Adler_ befreit hatte,
+spürte sich Otto Eißler vorerst tief erlöst. Die Ruhe, die er nach der
+Tat gezeigt, dem Psychiater anstößig, dem Psychologen leicht erklärlich,
+folgte ihm auch dorthin. Fühlte er sich ja endlich entladen von dem
+Verhängnis seiner Tat, die wie ein keimendes Leben in ihm gewachsen war
+und nun mit ihrem Ausbruche sein Innerstes gereinigt hatte. Bald aber
+schatteten die alten Ängste wieder um ihn, Stimmen hörte er vor seiner
+Zelle tuscheln, er argwöhnte Komplotte und Attentate gegen die Seinen,
+wähnte die Kinder in Not, die Gefährtin verfolgt von den Feinden, deren
+Rache noch immer nicht gesättigt sei, – und schrie Hilfe herbei, –
+schrie, bis man ihn in Einzelhaft steckte, schrie darin fort, – so daß
+man ihn schließlich nach Wien zur Beobachtung überwies. Um ihn von dort
+wieder ergebnislos zurückzusenden. Als einen, der ja wirklich nicht irre
+war nach ärztlichem Ermessen, eher ein irre Gewordener an der
+Menschheit. Kein Geisteskranker, doch krank am Geiste, noch nicht
+umnachtet, aber in Nebel geraten. Dem lindere Strafe oder Freispruch
+vielleicht noch einen anderen Freispruch bedeutet hätte, Freispruch von
+seinen Gesichten, denen er nun wehrlos überliefert ist.
+
+Wen mußte man auch vor diesem ohnehin rettungslos in sich Verkerkerten
+schützen? Durch zehn Jahre äußeren Kerker? Die Tat, die, – ob elementar
+oder nicht, – aus dem sozialen Gefühle verletzten Rechtes erfolgt war,
+ließ sie je Wiederholung durch ihren Urheber befürchten? An wem? In
+einem Wiener Vororte stieß weniges später ein roher Bursche einen seiner
+friedlichen Wehrlosigkeit allgemein als „Waserl“ bezeichneten älteren
+Mann nach vorhergegangenen und bezeugten Drohungen das Messer tötlich in
+die Brust; er erhält zwei Jahre, dann wird er wieder auf seine
+Mitmenschen losgelassen. Und hier –? Eißler war kein Verbrecher im
+strengen Sinne, keiner, vor dem sich das Leben durch seine dauernde
+Versperrung hüten mußte, vielmehr vollgültig das, was der Titel dieser
+ganzen Sammlung vereinigt: _Ein Außenseiter der Gesellschaft_. Und auch
+hierin wieder „cum grano salis“. An der Gesellschaft hatte er sich
+versündigt, nicht an der Gemeinschaft. Vor ihrer großen und letzten
+Instanz wird er nicht als der Schuldige befunden, noch jener Andere,
+jener Gewaltige des Kapitales, der hingestreckt worden war von ihm, weil
+sie einander ihre Macht beweisen wollten. Nicht der Mann, der sich
+vermaß, mit sechs Schüssen der Gerechtigkeit Gottes zu dienen, nicht der
+von ihm Gefällte, der ein freudloser Knecht seiner Bestimmung zeitlebens
+geblieben war. _Das Geld_ – war hier Tat und Untat. Wie es Urheber aller
+Kriege und Greuel unter der heiligen Einmaligkeit unseres Lebens ist.
+Geld – war es, das den Hingemeuchelten zu seinem Kampf gestachelt hatte,
+den er mit seinem Blute zahlen sollte, Geld, das den Rächer blendete vor
+seinem eigentlichen Feind und seine Hand gegen ein armes, gleich ihm von
+seiner Sucht gehetztes Menschenkind erheben ließ. Die Richter griffen
+und begriffen bloß das Nächste: Einen Mörder, der ebenso zu Boden lag
+wie der Gemordete.
+
+Frei blieb – das Geld. Und weiter wandert es, von Blut zu Blut, von
+Geist zu Geist, von Macht zu Macht. Weiter kuppelt es Verwandtenehen,
+daß sein Sakrament nicht der Familie entgleite, weiter zeugt es dort
+Lebensschwache, Gezeichnete an Körper und Hirn, weiter spaltet es
+Geschwister und Liebende, weiter verführt es Freundschaft, Treue,
+Bereitschaft für alle Menschen zu Lüge, Haß und Verrat an der höheren
+Sache um seines treulosen Metalles willen. Zur Wissenschaft ist es
+geworden, zum höllischen Homunculus aus Unzucht zwischen Mensch und
+Ding. Und auch dieser Prozeß, der darum ging, wird in seiner Art ein
+Stundenschlag im Mitternachtzeichen einer Weltordnung, die solcher
+Wissenschaft eifrigster Adept gewesen. Einer Weltordnung, der das
+apokalyptische Chaos eines Jüngsten Tages folgen kann, wenn sich die
+Menschheit nicht bald auf eine neue reinere Form der Gemeinschaft
+besinnt und sie sich zu einem Gesetze macht, dem es dann nicht mehr
+auferlegt werden braucht, über Fälle wie diesen zu richten.
+
+
+
+
+ In der Sammlung
+ AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT
+ – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
+ sind bis jetzt folgende Bände erschienen:
+
+
+ Band 1:
+
+ ALFRED DÖBLIN
+ DIE BEIDEN FREUNDINNEN UND IHR GIFTMORD
+
+ Band 2:
+
+ EGON ERWIN KISCH
+ DER FALL DES GENERALSTABSCHEFS REDL
+
+ Band 3:
+
+ EDUARD TRAUTNER
+ DER MORD AM POLIZEIAGENTEN BLAU
+
+ Band 4:
+
+ ERNST WEISS
+ DER FALL VUKOBRANKOVICS
+
+ Band 5:
+
+ IWAN GOLL
+ GERMAINE BERTON, DIE ROTE JUNGFRAU
+
+ Band 6:
+
+ THEODOR LESSING
+ HAARMANN, DIE GESCHICHTE EINES WERWOLFS
+
+ Band 7:
+
+ KARL OTTEN
+ DER FALL STRAUSS
+
+ Band 8:
+
+ ARTHUR HOLITSCHER
+ DER FALL RAVACHOL
+
+ Band 9:
+
+ LEO LANIA
+ DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS
+
+ Band 10:
+
+ FRANZ THEODOR CSOKOR
+ SCHUSS INS GESCHAEFT (DER FALL OTTO EISSLER)
+
+ Band 11:
+
+ THOMAS SCHRAMEK
+ FREIHERR VON EGLOFFSTEIN
+ Mit einem Vorwort von ALBERT EHRENSTEIN
+
+ Band 12:
+
+ KURT KERSTEN
+ DER MOSKAUER PROZESS GEGEN DIE SOZIALREVOLUTIONÄRE 1922
+
+ Band 13:
+
+ KARL FEDERN
+ DER PROZESS MURRI-BONMARTINI
+
+ Band 14:
+
+ HERMANN UNGAR
+ DIE ERMORDUNG DES HAUPTMANNS HANIKA
+
+ *
+
+ Ferner erscheinen noch Bände von:
+
+ HENRI BARBUSSE, MARTIN BERADT, MAX BROD, E. I. GUMBEL, WALTER
+ HASENCLEVER, GEORG KAISER, OTTO KAUS, THOMAS MANN, LEO
+ MATTHIAS, EUGEN ORTNER, JOSEPH ROTH, RENÉ SCHICKELE, JAKOB
+ WASSERMANN, ALFRED WOLFENSTEIN.
+
+
+ OHLENROTH’SCHE BUCHDRUCKEREI ERFURT
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
+Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
+
+ [S. 34]:
+ ... zurück, wo er der Sorge um seine Gesundheit ...
+ ... zurück, wo er der Sorge um seine Gesundheit wegen ...
+
+ [S. 57]:
+ ... berichtet einer, der ihm dabei ertappt. Und ...
+ ... berichtet einer, der ihn dabei ertappt. Und ...
+
+ [S. 59]:
+ ... zurückzwingen, aber nun halten sie einem ...
+ ... zurückzwingen, aber nun halten sie einen ...
+
+ [S. 62]:
+ ... Darum begegnet man ihn immer wieder. Erledigt ...
+ ... Darum begegnet man ihm immer wieder. Erledigt ...
+
+ [S. 64]:
+ ... Rechtstaaten bilden die Psychiater bei jedem ...
+ ... Rechtsstaaten bilden die Psychiater bei jedem ...
+
+ [S. 66]:
+ ... in sogenannten „Schüben“ wie der terminus ...
+ ... in sogenannten „Schüben“, wie der terminus ...
+
+ [S. 86]:
+ ... ist von sehr argwöhnischer und mißtrauisch ...
+ ... ist von sehr argwöhnischer und mißtrauischer ...
+
+ [S. 97]:
+ ... überdies das Blut eines der geachtesten Großindustriellen ...
+ ... überdies das Blut eines der geachtetsten Großindustriellen ...
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75925 ***
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+<title>Schuß in's Geschäft | Project Gutenberg</title>
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+ <!-- TITLE="Schuß in's Geschäft" -->
+ <!-- AUTHOR="Franz Theodor Csokor" -->
+ <!-- EDITOR="Rudolf Leonhard" -->
+ <!-- LANGUAGE="de" -->
+ <!-- PUBLISHER="Die Schmiede, Berlin" -->
+ <!-- DATE="1924" -->
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+<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75925 ***</div>
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+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="halftitle">
+<span class="line1">AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT</span><br>
+<span class="line2">– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –</span>
+</p>
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+<span class="line3">– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –</span>
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+<p class="ed">
+HERAUSGEGEBEN VON<br>
+RUDOLF LEONHARD
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+<p class="vol">
+BAND 10
+</p>
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+<p class="pub">
+VERLAG DIE SCHMIEDE<br>
+BERLIN
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+<div class="frontmatter chapter">
+<h1 class="title">
+SCHUSS IN’S GESCHÄFT<br>
+(DER FALL OTTO EISSLER)
+</h1>
+
+<p class="aut">
+VON<br>
+FRANZ THEODOR CSOKOR
+</p>
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+
+<p class="pub">
+VERLAG DIE SCHMIEDE<br>
+BERLIN
+</p>
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+</div>
+
+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="designer">
+EINBANDENTWURF<br>
+GEORG SALTER<br>
+BERLIN
+</p>
+
+<p class="cop">
+Copyright 1924 by Verlag Die Schmiede Berlin
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-1">
+<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
+I. DIE SIEGER NACH DER SCHLACHT.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Das <em>Wien</em> der Nachkriegszeit ist verwandelt
+wie nie in seiner tausendjährigen
+Geschichte. Die Stadt, die neben der Welt
+gelebt hat, – selbst ihre Rothschilds waren
+noch Träumer, – die Stadt der Sonderlinge,
+Eigenbrödler, Sammler, die Stadt der verraunzten
+Genies, der unausgenutzten Talente,
+die Stadt der Kammermusik und der
+Barockpaläste, in der vor alldem wundervollen
+Toten kein Lebender atmen kann, die
+ewige „Kaiserstadt“, weil sie, eine Seltenheit
+unter den alten großen Städten Deutschlands,
+nie zur selbstherrlichen Verwaltung, nie zur
+freien Reichsstadt gelangt war, – sie wird
+nun jäh überschwemmt von Abenteurern,
+Glücksrittern, Condottieris des Geldes. Mühelose
+Schlachten, gefördert durch die österreichische
+Lässigkeit der Verwaltung, sichern
+Riesengewinnste, jähe Rückschläge zerstäuben
+sie wieder. Namen tauchen aus Dunkelheit
+in goldenes Licht, Namen stürzen aus
+Glanz in die Nacht. Es geht zu wie im Grunde
+überall nach dem Kriege; nur das Tempo wird
+<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
+viel phantastischer genommen, die Kämpfe
+sind erregender und wilder. Da ist einer, der
+kommt von einer Winkelbank, ein anderer
+rettet sich aus einem Schiffbruch, ein dritter
+ersteht bei der Demobilisierung Milliardenwerte
+mit Verträgen, die später vergeblich
+angefochten werden, ein vierter, einst ein
+kleiner Händler, ist im Kriege schon fett geworden
+an elendem Material, das er der
+Heeresverwaltung für ihr wehrloses Schlachtvieh
+aufzuschwatzen verstand, ein fünfter
+stellt ein Riesenwerk der Kriegszeit auf
+„Friedensbetrieb“ um; der Steckbrief kommt
+zu spät, – sie alle verschmähen dabei auch
+nicht das winzigste Geschäft: Dem Tüchtigsten
+im Raffen freie Bahn! Indessen rückt
+die Währung reißend zurück, geschwächt
+und verlassen von denen, die sie zu stützen
+berufen gewesen wären. Im gleichen Maße
+schwillt die Börse an, hetzen die Papiere zu
+Fieberkursen empor. Plünderungen durchklirren
+die Stadt; Pogromdrohungen gellen
+wider die von Bankinstituten überwucherten
+Nobelstraßen. Aber bei solchen Auswüchsen
+eifert jede Rasse, jede Konfession, jeder
+Stand, um den traurigen Vorrang; der Bauer
+noch tränkt seine Säue mit der Milch, die er
+dem Städter verweigert, so ihren Preis zu
+treiben. Dabei zerwühlen schwerste politische
+Krisen den Staat, an dessen Grenzen
+<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
+drei Mächte bereit zum Einmarsch lauern,
+wenn die Verzweiflung zu kommunistischen
+Evangelien greifen sollte. Die grüne und die
+rote Internationale, die vorwiegend agrarische
+<em>christlich-soziale Volkspartei</em> und
+die <em>Sozialdemokraten</em> verwalten in einer
+fort und fort mühsam gekleisterten Koalition
+die hungernde Republik, die im Westen und
+im Osten, in dem von Ungarn trotz Friedensvertrages
+bestrittenen Burgenland und in
+dem nach der Schweiz strebenden Vorarlberg
+verdächtige Abbröckelungstendenzen zeigt.
+Da geht – nach einer wütenden Philippika
+des sozialistischen Abgeordneten Karl <em>Leuthner</em>
+– das grünrote Bündnis in Fetzen, die
+Regierung <em>Seipel’s</em> beginnt, der den europäischen
+Mächten mit Auflösung Österreichs
+droht, – das bedeutet: Krieg zwischen Italien,
+Jugoslavien, Ungarn, Tschechoslovakei,
+um eine Beute, die schließlich doch bei
+Deutschland landen wird, wohin die Alpenbevölkerung
+in leidenschaftlichen Proklamationen
+drängt. Der kluge Prälat, mit Haltung
+und Diplomatie einer tausendjährigen kirchlichen
+Zucht gesegnet, verrechnet sich nicht.
+Die Angst aller leidend Beteiligten erhält den
+gefährdeten Donaustaat; Wilsons problematischer
+Völkerbund tritt hier zum erstenmal
+groß in Funktion. Unter Verzicht auf den
+deutschen Anschluß, nach Bestallung einer
+<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
+scharfen Kontrollkommission bezieht Österreich
+Unterstützung. Die Krone wird bei
+einem Vierzehntausendstel ihres Friedenswertes
+gebremst; dem Kapital des Inlandes
+wie des Auslandes ist ruhiges Betätigungsfeld
+durch den Genfer Vertrag gesichert. Es
+schwebt nicht mehr in Gefahr sozialistischer
+oder sowjetistischer Gegenmaßnahmen, es
+kann also das Tempo mäßigen und sich zugleich
+seiner unbequemsten Mitläufer entledigen.
+Wie der Ararat aus der Sintflut tauchen
+aus den verebbenden Wässern der Spekulation
+wieder die Häupter des alten Reichtumes,
+die Herren der Schlöte, Schächte und
+Forste, die noch nahe mit der Arbeit verknüpft
+waren, aus der sich ihre Macht erhoben
+hatte. Die neue Generation der Plutokratie
+tat sich nun ungleich schwerer: sie hatte ja
+nie aus den Dingen selbst geschöpft, sondern
+aus der Spannung zwischen ihnen, sozusagen
+aus geladener Luft, die sie gewitzt als Kraftfeld
+auszubeuten und in Bewegung umzusetzen
+verstand; sie gewann allein am Kabeln
+und am Stecken von Geschäftskontakten.
+Und aus solchem Unsicherheitsgefühl heraus
+suchte sie den alten Reichtum nun in ihre
+Geschäfte zu verstricken oder sich an den
+seinen zu beteiligen, kurz, was von dem
+österreichischen Raffke scheinbar sicher blieb,
+– der grobe Nackenhieb traf ihn ja erst mit
+<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
+der Frankkatastrophe, – mühte sich, aufgenommen
+zu werden in den Gotha des früheren
+Großkapitales.
+</p>
+
+<p>
+Diese Vorkriegsreichen waren ja wahrhaftig
+die Aristokratie jener Zeit geworden.
+Hinter dem blendenden Goldschaum, den die
+nachgeborenen Geldhelden schlugen, blieben
+sie fast unsichtbar. Nun, da er auf sein wahres
+Maß zerrann und sie wenig versehrt und gelassen
+hervortraten, erkannte man ihre Kraft,
+die den Zusammenhang mit ihren Quellen
+nie verloren hatte, sondern weiter an den unermeßlichen
+Schätzen der ihr dienstbaren
+Erde zehrte. Die Tradition begann als Faktor
+wieder aufzuleben, der internationale Einfluß
+eines Namens von Kredit und Bedeutung
+aus dem Frieden her eroberte sich neuerlich
+den einstigen Geltungsbezirk. Im alten
+Glanze fanden sie sich, diese Familien, darin
+Fleiß von Väter auf Söhne ungeschwächt
+weiterging, diese Industriegewaltigen mit den
+Adelsbriefen jahrelanger Arbeit, diese Finanzdynastien,
+zu denen Könige gekommen waren,
+– – wo blieb vor ihnen das Nichts von
+gestern, das nun jäh „Generaldirektor“ hieß,
+um morgen vielleicht wieder Nichts zu sein?
+Man zog es heran, insofern man es brauchte,
+man erhörte seine Zudringlichkeit, – um von
+ihm zu lernen. Denn man konnte ja selbst
+nicht mehr arbeiten wie vor dem Kriege.
+<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
+Die Amerikanisierung des öffentlichen Lebens
+im üblen Sinne ging schon zu weit. Die
+Methoden der neuen Zeit mußte man bei den
+Neuen erfahren; die Metaphysik nebuloser
+Tochtergründungen, der Aktienvermehrungen,
+der Steuerverschleierungen, der Geldtransfusion
+in andere Unternehmungen, die so
+unmerklich in den Kreislauf der Geber gerieten,
+besaß dort ihre gediegensten Lehrkanzeln.
+Wohl war der Krieg verloren, von dem sie,
+die einstigen Mitberater und Mitgenießer an
+der nun zersplitterten Monarchie, sich manches
+erhofft hatten, – aber schließlich fühlten
+sie sich sogar stärker als ein verlorener
+Krieg. Elan und Unbedenklichkeit der Jungen
+mußte man sich zu eigen machen und
+die durch nichts einzuschüchternde Überzeugung
+von der letzten sakramentalen Unantastbarkeit
+des Geldes. Was immer von
+ihrem Eigentume in dem nun siegreichen
+Auslande lag, konnte, je umfangreicher es war,
+auf die Dauer um so weniger beschlagnahmt
+bleiben. Industrie und Großgrundbesitz sind
+die bevorrechtete Aristokratie aller konstitutionellen
+und demokratischen Systeme, wie
+es für die absoluten die Adelsstände waren,
+und so muß auch die internationale Solidarität
+einer kapitalistisch orientierten Weltordnung
+rein gesetzmäßig alle jene verletzenden
+Maßnahmen, wie etwa Enteignungen
+<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
+von kurzer Hand, möglichst vermeiden.
+So zwingt einer die Regierung eines
+siegreichen Erben des alten Kaiserreiches
+einen schon damals als höchst ungünstig befehdeten
+Vertrag zu übernehmen, indem er
+nach eingetretenen Schwierigkeiten seitens
+der neuen Herrscher in seinen dort liegenden
+Riesenbetrieben die Arbeit durch drei Jahre
+einfach einstellt. Tausende werden brotlos,
+Bahnen stocken, Not der Geschädigten pocht
+an das Parlament des Siegerstaates. Da
+schäumen sie, – aber zur Übernahme oder
+zur Ablösung fehlt das Geld und vor Expropriation
+scheut man zurück aus den genannten
+Gründen: Man vergleicht sich also, erkennt
+zähneknirschend das Bestandene an.
+Eine Gruppe Anderer verheert die Währung
+ihres Vaterlandes, um so in stündlich entwerteten
+Papieren ihre Goldschuld einzulösen.
+Ein dritter einigt sich mit seinem
+Konkurrenten im Feindesland, lange vor
+ihren beiderseitigen Regierungen, die dann
+den Konturen solcher Abkommen folgen
+müssen. Ein vierter lockt Strohmänner von
+drüben in die eigene Leitung, die unter ihren
+Ententeflaggen seinem Geschäfte den internationalen
+Freibrief sichern. Derlei Beispiele
+gibt es noch viele. Gegenstandslos
+bleibt der Ausgang von Kriegen für die Gewaltigen
+des Kapitales. Ihre Front lag ja
+<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
+nie an jenen in Blut und Dreck ersäuften
+Gräben. Und im Inlande hatten nur jene
+verloren, die ihr Vertrauen in die Habe des
+Staates oder der Einzelnen setzend es in
+irgendeiner Form belehnten, die Banknoten-
+und Bargeldsammler, die Kriegsanleiheinhaber,
+die Hypotheken- und Mündelgeldbezieher.
+Der in Liegenschaften jeglicher Art
+verankerte Besitz büßte dabei nichts ein, im
+Gegenteil: Die Verarmung der anderen schuf
+ihn oft schuldenfrei oder verringerte zumindest
+seine Belastung. Nach Revolution und
+Gegenrevolution ging die gelbe Flagge hoch.
+Der Aufruf „An Alle“, der 1917 vom Osten
+her Europa erschüttert hatte, wurde 1924
+zur Devise einer Nacktrevue im Variété. Wie
+nach jeder Weltkatastrophe entwickelte sich
+auch nun ein Biedermeiertum, das jene wilden
+zehn Jahre einfach nicht wahr wissen
+wollte. Die Könige hatte es eingebüßt, nicht
+durch eigenen revolutionären Geist, sondern
+durch die Konsequenz der Ereignisse. So
+beugte es sich denn willig der neuen Diktatur,
+die über seinem Sichverschweigenwollen des
+Gewesenen hart und kalt emporstieg. Ein
+Typus Gewaltmenschen, von dem sachlichen
+Fanatismus Jener der Neuen Welt, eroberte
+sich die Vormacht in Europa. Nur wenige
+Unbekannte waren darunter, – sie hielten
+sich nicht lange, diese Reisläufer des neuen
+<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
+Kapitals, – der Kern bestand doch aus den
+früheren Magnaten der Industrie und des
+Bodens, aus Reedern, Kohlenfürsten, Hammerherren
+und den Holzriesen des Friedens.
+Sie waren es, die jetzt in den Kampf um den
+Cup des Lebens traten, der als Zeichen dieser
+vital-egoistischen Zeit vor allen ihren Äußerungen
+stand, vom Boxermatch bis zur
+Literatur.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-2">
+<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
+II. DIE HERREN DER WÄLDER.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Die <em>Republik Österreich</em> schien nach
+dem Kriege das ärmste Land der Alten Welt
+zu sein. Von Gebirgen verknöchert blieb es
+in dem wesentlichsten Existenzbedarf, in der
+Brotfrucht und in der Nahrung seiner Betriebe,
+in der Kohle, fast durchweg auf das
+Ausland angewiesen. Enorme Industrieanlagen,
+dem Maße des vormaligen Fünfzigmillionenstaates
+angepaßt, feierten nun aus
+Mangel an Rohstoffen. Der „Wasserkopf“
+Wien, den die energische sozialdemokratische
+Gemeindeverwaltung mit allen Schrecken des
+Nachkriegszustandes übernehmen mußte, saß
+auf dem dünnen Leibchen eines Sechsmillionenvolkes
+des verstümmelten Bundeslandes.
+Die Nachfolgestaaten verschanzten sich hinter
+Zollwänden; das künstlich ausgetrennte
+Herz des alten Reiches drohte an der so gedrosselten
+Blutzufuhr völlig zu erlahmen.
+Und doch besaß es noch vier gewichtige
+Dinge, an deren Ausbeutung es nun mit
+brennender Energie gehen mußte, wollte es
+seine durch den Genfer Vertrag gestützte
+<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
+Daseinsberechtigung als autonomes Gemeinwesen
+erweisen. Das war das <em>Salz</em>, das es
+in Verwaltung nahm, das war die weiße
+Kohle seiner <em>Wasserkräfte</em>, die unter
+seiner Ägide oder Beteiligung private Gesellschaften
+in großen Überlandwerken konzentrierten,
+das war das Erz seiner Berge, wo
+reichsdeutsche und italienische Konzerne um
+das Schürfrecht warben, das war vor allem
+der begehrteste Ausfuhrposten, seine <em>Wälder</em>,
+die fast das ganze Reich überdeckten.
+Hier drängten sich die Abnehmer von Bedeutung;
+<em>Italien</em>, das forstarme, <em>Frankreich</em>
+mit <em>Straßburg</em> als Stapelplatz,
+<em>Deutschland</em>, das seine Reparationsleistungen
+zum Wiederaufbau teilweise von dem
+Brudervolke bezog; ja bis <em>Holland</em> und nach
+<em>England</em> hinüber wanderte das österreichische
+Edelholz. Aus zerkrachenden Forsten
+gediehen fürstliche Vermögen, zu denen der
+Grund noch im tiefsten Frieden gelegt worden
+war. Unermeßliche Gebiete standen damals
+zur Verfügung. In <em>Bosnien</em>, in der
+<em>Herzegowina</em>, in <em>Kroatien</em>, in <em>Siebenbürgen</em>,
+in <em>Böhmen</em>, in allen <em>Alpenprovinzen</em>.
+Höher als die Herren der Erze und
+der Wasser wuchsen so die Herren der Wälder,
+formten geradezu einen eigenen Menschenschlag.
+Denn wie das Individuum sich
+nach seiner Tätigkeit wandelt, so erhielten
+<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
+sie, deren Vorteil mit des Wortes wahrstem
+Sinne in der Erde wurzelte, etwas von gewaltigen
+Bauern, Bauern, die über tausende
+Knechte gebieten, Schnitter von Ackerprovinzen,
+auf denen die Ernte, die sie nicht
+gesät hatten, bereit stand, in keinen Halmen,
+sondern in den Stämmen starrer Bäume. In
+der ausgeplünderten hohlwangigen Nachkriegszeit
+fußen sie breit mit unentwertbaren
+Schätzen. Ihre Macht spottet aller
+Angriffe. Ja, sogar ihr Eigentum in den abgespaltenen
+Klötzen des alten Reiches ringen
+sie wieder ein; sie trotzen und listen es den
+neuen Herren dort ab in dieser oder jener
+verklausulierten Form. Der Steuerfiskus
+findet schwer zu ihnen. Die Erde hat sie
+ganz zu Bauern gemacht, zäh, schlau und
+karg wie Bauern sind. Und unbeugsam über
+das Ihre, unbeugsam, wenn es selbst der
+Blutnächste wäre, der seinen Teil zu fordern
+käme. Fast äußerlich verändern sie sich
+so; ob Christ, ob Jude, ob Landmann, ob
+Städter, gilt gleich; die Erde bleibt stärker
+in ihnen: Sie gehorchen der Erde.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-3">
+<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
+III. DYNASTIE EISSLER.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Urwald in <em>Bosnien</em>. Schluchten klaffen,
+Berge bäumen sich, Gewässer zischen von
+eisenfarbenen Felsen nieder, und überall
+nistet, wuchert, drängt sich Gehölz. Heldenliedergegend,
+Wild-West des Balkan, kaum
+erforschtes Tibet Europas, das hier beginnt
+und am Griechenmeere in Saloniki
+endet. Land des großen Zaren Dušan,
+Land des südslavischen Siegfried, Marko
+Kraljevics, Land des serbischen Kaiserreiches
+und des türkischen Herrenvolkes
+nach dem Abendrot am Kossowo polje, am
+Amselfeld. Und Land zuletzt, aus dem der
+Anlaß des gräßlichsten Krieges mit zwei
+Schüssen an der Lateinerbrücke in Sarajevo
+aufblitzte. Stolzester Hengst in der Hürde
+der Alten Welt. Der Muselmann hat ihn nie
+ganz gebändigt, der Kroate nicht und nicht
+der serbische Bruder; der Venetianer langte
+wenig über seine dalmatinische Küste herein,
+und selbst der großmächtige Herr Ungar
+stieß hier auf Widerstand. Aber Geld und
+Gewinnsucht scheuen nichts, und wie die
+<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
+Republik von San Marco vor einem halben
+Jahrtausend Dalmatiens Waldgebirge in eine
+heute noch erschütternde Steinwüste wandelte,
+so rückt man auch hier seit Jahrzehnten
+den scheinbar unerschöpflichen Forsten an
+den grünen Leib. Um ihre Ränder beißen
+sich Häuflein Menschen fest; kleine saubere
+Häuschen quellen aus dem Boden, ein Klondyke
+des Holzes, blanke Maschinen funkeln.
+Das knirscht, kracht, splittert und sägt den
+ganzen Tag durch, nagt sich furchtlos ein in
+die verfitzte Wildnis, über der die Geier nun
+wie graue Zeichen des Waldsterbens kreisen,
+und zieht seinen vorgesehenen Borkengang.
+Hinter sich läßt es Scheiterhaufen von rauchenden
+Meilern und riesige Schichten von
+Baumleichen, die kleine Lokomotiven auf
+schmalspurigen Gleisen flink nach den Umschlagstellen
+befördern, wo die großen Eisenbahnen
+die Tore zur Welt aufreißen.
+</p>
+
+<p>
+Es sind mächtige Herren, die hinter dieser
+namenlosen Arbeit sitzen, und auf den Börsen
+brausender Städte schreien Papiere, die den
+Fleiß tausend gering bedankter Hände anpreisen,
+und irgendwo, in Biarritz oder Ostende
+oder Capri erholt sich einer, von ihnen
+getragen, oder haust zeitentrückt als stiller
+Teilhaber und Villenfürst inmitten schöner
+alter Gemälde, auf denen Menschen friedlich
+in heiligen Hainen wandeln oder hängt kostbare
+<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
+Bernsteinketten, goldfarben wie die
+Harztränen der Tannen um einen kühlen
+nackten Frauenleib oder sitzt rastlos in einer
+Kontorhölle der Metropole, umknattert von
+Schreibmaschinen, umschrillt von Telephonen,
+umquirlt von Menschen, wie eine
+Spinne im Netz, die jeden Faden prüft. Er
+ist der Typus seiner Zeit, der Parforcemensch
+am Schreibtisch. Stärkster wird er von allen,
+weil er sich zum Regulator der Kraft macht,
+die ihn umströmt; er vertausendfacht sie
+durch die eherne Zwinge, in die er sie nimmt.
+Er hieße über dem großen Wasser Rockefeller,
+Morgan, Ford oder mit sonst einem
+Stahl-, Holz- oder Ölkönigsnamen. Er heißt
+in unserem Falle <em>Robert Josef Eißler</em>,
+thront als <em>Chef einer hundertjährigen
+weltumspannenden Holzindustrie in
+Wien</em> und arbeitet, arbeitet wie ein Besessener
+ohne sich je auch nur den kleinsten
+Genuß zu gönnen, arbeitet um der Arbeit
+willen, die ihn ganz verschlungen hat, arbeitet
+zu Hause, auf der Bahn, im Auto; nichts
+bleibt so abseitig, das er nicht wahrnimmt,
+nichts so vollendet, dem er nicht mißtraut,
+er ist nur mehr rechnendes Gehirn, schreibende
+Hand, Mund, der befiehlt. Unter der
+Peitsche seiner Augen leistet jeder das
+Äußerste; bis in die entferntesten Länder
+spüren sie diesen Blick, in Blockhäusern, auf
+<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
+Sägewerken, durch Urwaldgrün hindurch,
+wo immer sein Name zu Werk wird. Und das
+wird er in mächtigstem Ausmaß. Da ist allein
+die bosnische Satrapie, die er mit dem
+Münchner <em>Ortlieb</em> führt, von Vorkriegsjahren
+her, und unversehrt sich im verlornen
+Land erhalten hat. Von den mehreren hunderttausend
+Hektaren werden jährlich an die
+tausend geschlagen und einhundertfünfzig
+Kilometer Schienennetz seiner Privatbahn,
+auf der zwanzig Lokomotiven unter Dampf
+stehen, vermitteln den Verkehr der Menschen
+und Waren in seinem Reich. Über dreitausend
+Arbeiter roden, fällen, schlichten dort
+die Wirrnis des Krywayatales, des Zepugebietes,
+Namen wie aus dem afrikanischen
+Dschungel. Und das alles bedeutet erst eine
+Provinz seines Königreiches, die ihn auf
+Jahrzehnte mit unversieglichen Rohstoffen
+versorgt; in <em>Kroatien</em> besitzt seine Dynastie
+ein Gut, in Österreich hat seine Gründung,
+die Holzbank, in dem durch Minister Dr.
+<em>Schürff</em> zur Parlamentsdebatte gemachten
+<em>Reichraminger Holzabstockungsvertrag</em>
+der jungen Republik ihren Einfluß
+spüren lassen, in <em>Ungarn</em> herrscht die Firma
+als „<em>Eissler es testvere</em>“, dort wie in
+Bosnien seit Friedenszeit, wo einst der
+Finanzminister <em>Kallay</em> seiner Abmachungen
+mit dem geschäftstüchtigen Hause wegen im
+<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
+magyarischen Abgeordnetenhaus manche Unannehmlichkeiten
+erfuhr. „<em>Eissler i fratti</em>“
+nennt sich die <em>rumänische</em> Kolonie, „<em>J.
+Eissler bratri</em>“ heißt sie in der <em>Tschechoslovakei</em>.
+Und das lediglich als zentraler
+Kommandoraum des ganzen Kraftwerkes
+tätige Wiener Stammgeschäft führt den
+Titel „<em>J. Eißler und Brüder</em>“. Aber von
+den mitgenannten Brüdern ist in der zweiten
+von Robert Eißler geleiteten Generation
+nichts zu verspüren; was immer da beteiligt
+war, verschwand allmählich vor dem despotischen
+Chef, der das Geschäft trotz Krieg und
+Niederlage wieder zu der europäischen Geltung
+gebracht hatte, die es vorher besaß.
+In viele Friedensmillionen steigerte er das
+Vermögen, sicherte seine Betriebe durch geschickte
+Staatsverträge wie ein Monarch,
+wußte sich siegreich gegen gewaltige Konkurrenten
+auf dem Weltmarkt zu behaupten,
+indem er sie verdrängte oder durch Bündnisse
+entwaffnete. Seiner robusten Energie
+war es nicht gegeben, sich an gefälligen Dingen
+zu freuen, an Büchern, an Bildern, an
+Schauspielen; aller Trieb seiner Rasse nach
+äußerer Tätigkeit nach dem, was <em>Peter
+Altenberg</em> „die hundertperzentige Verzinsung
+des Lebens“ nannte, blieb in ihm
+am stärksten gehäuft und angespannt. Um
+sich fand er selten Widerstand; ruhige Menschen,
+<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
+durchtränkt von der etwas müden
+Kultur jüdischen Patriziates bis zur Schrullenhaftigkeit,
+bildeten seine Verwandtschaft.
+Doktor <em>Hermann Eißler</em>, einer von ihnen,
+schuf sich eine Gemäldegalerie von internationalem
+Ansehen, darin besonders die
+Franzosen des neunzehnten Jahrhunderts von
+Delacroix und Gericault an glänzend vertreten
+sind; <em>Gottfried</em>, ein anderer – kürzlich
+verstorben – nannte eine der schönsten
+Erstdruckbibliotheken und eine der besten
+Wiener Miniaturensammlungen sein eigen.
+Gewiß, auch sie hatten sich alle wahrhaft
+gerackert, nur waren sie nie so sehr der
+Despotie ihrer Arbeit verfallen, daß sie in
+ihrem Tagwerk ausschließlich Zweck und
+Ziel ihres Daseins sahen. Doch Robert Eißler
+kannte nur dieses. Er war rauh wie Esau,
+aber ein Esau, der auf seiner Erstgeburt bei
+Acker und Herden bestand und hinweggestampft
+wäre über Jakob und Abraham.
+Dem Märchenhelden Wilhelm Hauffs glich
+er, dem Kohlenbrenner Peter <em>Munk</em> mit
+dem kalten Herzen. Der barsche, finstere
+Mann, der mit seinen Untergebenen im Feldwebelton
+verkehrte, sie vor sich stramm
+stehen ließ und ähnliche militärische Bräuche
+trieb, hatte dem Moloch des Geschäftes sein
+Leben hingeopfert in des Wortes blutigster
+Wahrheit. Ihm schien es dabei vielleicht
+<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
+nicht so sehr um Gewinn zu tun, wie um das
+Würfelspiel der Macht, darin erhöhter Glanz
+der Dynastie zum Preise stand. Dazu wäre
+ihm nichts zu groß oder zu gering gewesen,
+dazu gewann er sich – der Hergang ist noch
+später zu erörtern – sechshunderttausend
+Goldkronen Mitgift, die ihm als Geschäftseinlage
+binnen Jahresfrist von seiner Bewerbung
+an zur Bedingung gestellt worden
+waren, um als öffentlicher Gesellschafter sich
+einzukaufen, und wie er sich der Protokollierung
+seines Namens wegen verehelichte, so
+geschah auch nachträglich kein Schritt, den
+nicht das Kontor gebot. In die Kasteiung
+mit Arbeit flüchtete er gewissermaßen vor
+sich selbst, wohl aus dem Gefühle, bei einem
+einzigen Augenblick Ruhe müßte ihn die
+Rasanz des eigenen Motors in Stücke reißen.
+„Der Staat bin ich!“ konnte er auch schließlich
+von seinem Reiche behaupten, denn alles
+um sich hatte er schachmatt gesetzt, zur
+Ohnmacht verurteilt. Seine Vettern ließen
+sich von ihm abholzen wie die Bäume des
+Krywayatales; sie, die in einem Winkel ihrer
+Seelen doch noch zu dem alten besinnlichen
+Wien zählten, wichen auch widerspruchslos
+seiner Keilerwut nach Arbeit, begnügten sich
+als Firmenvorstände ohne größeren Einfluß,
+erfrischten sich im übrigen bei ihren Bildern,
+Statuen und anderen Liebhabereien in einer
+<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
+sanfteren Welt, in die das Ächzen der sterbenden
+Wälder nicht mehr herüberdrang.
+</p>
+
+<p>
+Nur bei Zweien von ihnen galt es Kampf
+bis aufs Messer: Es waren Onkel und Vetter
+des allmächtigen Seniorchefs, Vater und
+Sohn, beide Phantasten in ihrer Art, die hier
+an einen Tatsachenmenschen gerieten, – sie
+hießen <em>Heinrich</em> und <em>Otto Eißler</em>.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-4">
+<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
+IV. KÖNIG LEAR IN DER HOLZBRANCHE.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Wie Fremde vor einem gewaltigen Aufbruch
+lebt das <em>Judentum</em> in seinem innersten
+Wesen, tausendfach verkleidetes Heimweh
+nach einem verlorenen Reich. Immer
+sind die Sandalen geschnürt, die Lenden sind
+immer umgürtet. Und ob es noch so heftig
+in das Diesseits drängen mag, – an ihnen
+allen, bald brennender, bald linder zehrt die
+gleiche Wunde, vom polnischen Dorf bis in
+den Stadtpalast. Das braucht darum noch
+kein reales Zion zu bedeuten, – es ist mehr
+der Tempel Salomonis, der nie zu Ende
+kommt, weil seine Kuppel, der Messias, fehlt.
+Heilig gilt hier deshalb, wie bei keinem Volke
+sonst, die <em>Familie</em>. Aus Zeltesenge von der
+Wüste her, durch Ghettozwang ihrer christlichen
+Herren, erlernten sie die Notwendigkeit
+der auch religiös gebotenen starren Geschlossenheit
+der Sippe. Noch ehelicht bei
+ihren Strenggläubigen der Bruder des Bruders
+Witwe, noch herrschen alte Menschen bis
+über das Grab hinaus, aus dem die Toten dann
+<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
+als Beispiel und Vorbild aller Tugenden den
+Jungen immerfort gepriesen werden. In
+solchem Patriarchate, das einst, vor der
+Diaspora, bis zur Blutgerichtsbarkeit des
+Familienhauptes über die Seinen reichte,
+steckt, was vom Vieh- und Ackerbauerwesen
+des alten Israel seinen zerschmetterten Stämmen
+verblieb. Und wie in den Bauern bohrt
+auch in ihnen die nagende Angst vor den
+Erben. „<em>Der Mensch hat zwei Feinde,
+die er liebt</em>,“ warnt ein talmudisches
+Sprichwort: „<em>seine Leidenschaften und
+seine Kinder</em>.“ Und diese Kinder versuchen
+auch fast alle einmal den großen Aufstand,
+der aber in den meisten Fällen mißlingt;
+dann strecken sie die Waffen, im Büro
+des Vaters, wo sie sich einordnen oder in einer
+unerwünschten anbefohlenen Ehe, die sie auf
+sich nehmen. Und zeugen und gebären Kinder,
+die ebenso liebeshungrig und rebellisch
+aufwachsen und ebenso der Familie als abstraktem
+Begriff geopfert werden. Die Härte
+des Sohnes der Hagar haben sie verloren; die
+Sehnsucht nach der Erde, von der man sie
+forttrieb, mußten sie verwandeln in den
+Hang nach ihrem Erträgnis, dem Geld; die
+Macht der Mauer, in die man sie durch ein
+Jahrtausend Verachtung und Verfolgung gesperrt
+hat, schuf ihnen alles jenseits davon
+fremd bis zur Lächerlichkeit, nur Furcht und
+<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
+Ehrfurcht vor dem Götzen des Alters erfüllt
+sie wie den jungen Bauern, an den der Vater
+einen Knecht ersparen will. Seine Kraft freilich
+finden sie nicht mehr, wenn er im Kampfe
+um den Hof den in den Sielen erlahmten Erzeuger
+ins „Ausgeding“ versperrt, in die Versorgung
+von der Jungen Gnaden, mildere
+Form vorzeitlicher Bräuche, da neben der
+Schwelle ein Steinbeil lag, mit dem man die
+unnützen Fresser erschlug. Angeprangert für
+alle Ewigkeit hat dagegen in der Schrift der
+Chronist des trunkenen Noah Verspottung
+durch seine Söhne, und in den Häusern seines
+Blutes verdämmern Greise und Greisinnen
+im Glorienschein der Familie und Schritt und
+Stimme dämpfen sich, geht man vorüber an
+ihren Gemächern. Das ist der Orient im
+Judentum, der mit dem Alter das klare
+Reich der Weisheit anbrechen sieht, heiteren
+Herbst, darin die Früchte des Lebens reifen
+und Trost und Süßigkeit den Nachgeborenen
+spenden. Und aus der gleichen Erwägung,
+die das weiße Haar zu Häupten der Tafel
+setzt, schont man ebenso die Schwachen, die
+für die scharfäugige Hast des Tagwerkes
+nicht taugen, denn auch sie reden mit ungewohnten
+Stimmen. Dekadenzprodukte sind
+sie, gefördert durch die Inzucht der Verwandtenehen,
+durch die übersättigte Kultur
+ihrer stadtverhafteten Eltern. Im hitzigen
+<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
+Ressentiment gegen ihre Herkunft entwickeln
+sie sich, doch anders als die ehemaligen Rebellen,
+die „Söhne“, die ausgekühlt später
+die tüchtigsten Kompagnons und Erben abgeben.
+Sie hassen die Betriebsamkeit ihrer
+Nächsten, sie flüchten in die Kunst, besonders
+in die Musik, in politische Ideologien, in
+philosophische Spekulationen, – sie werden
+aber trotzdem von den anderen nicht fallen
+gelassen, nein, eher blickt man dort voll gerührten
+Stolzes nach ihnen, wenn man sich
+einmal mit ihrer verminderten Verwertungsfähigkeit
+abgefunden hat, wie nach einer geheimen
+Rechtfertigung der eigenen fanatischen
+Diesseitigkeit, wie nach Sündenböcken,
+die manche fremde Dunkelheit auf sich
+nehmen. Denn aus der ungeheueren Reichweite
+jenes Volkes von äußerster Selbstbehauptung
+bis zur äußersten Entselbstung,
+Slaventum des Hirnes (wie dieses im Gefühle
+maßlos, so hier im Geiste und seinen
+Kräften) erstehen immer wieder Propheten
+und Richter und gerade von seinen scheinbar
+Schwachen her, von den Lebensfremden, wie
+unter seinen Alten Geschöpfe von zeitloser
+Güte und Weisheit sich baumkronenhaft über
+ihren Generationen wölben. Den tätig
+Robusten verkörpern diese Zarten, Empfindlichen
+stets eine Art unerfüllter eigener Sehnsucht,
+und gerne gewährt man ihnen Mittel
+<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
+und Unterhalt für ihr Dasein, das mehr ein
+Danebensein bedeutet. Eine Ausnahmestellung
+genießen sie, an die man fast nie zu
+tasten wagt.
+</p>
+
+<p>
+In dem Falle, der hier ausgesponnen wird,
+ereignete sich beides, Angriff gegen die Heiligkeit
+des Alters in der Familie und gegen einen
+Schutzbefohlenen der eigenen Schwäche. Eine
+Bauerntragödie brach aus im jüdischen Patriziat.
+Allerdings in einem, das sein Beruf
+wieder der Erde und ihren unbarmherzigen
+Gesetzen genähert hatte; sie verband sich
+hier mit dem bäuerischen Urgrund der ganzen
+Rasse. Zwei darin sonst unerhörte Taten geschahen:
+Der Leiter eines Riesenbetriebes
+wird nach einem halben Jahrhundert führender
+Arbeit durch eine Palastrevolution der
+eigenen Sippe gestürzt, und sein Sohn, mehr
+Eigenbrötler, als untüchtig, bloß von verminderter
+Lebensintensität, rücksichtslos um
+seine Ansprüche gebracht und ausgeschaltet.
+Der aber, Kohlhaas des Geldes, sucht das
+Haupt der Verschwörung auf, einer „Verschwörung
+der Reichen gegen die Armen“,
+wie er seinen persönlichen Fall als symptomatisch
+in kollektivistischer Erweiterung
+nannte, stellt mit sechs Schüssen gegen seinen
+Blutsvetter Robert Eißler die ihm falsch geratene
+Rechnung wieder her.
+</p>
+
+<p>
+<em>Heinrich Eißler</em>, durch vierzig Jahre
+<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
+Chef der Firma, zu ihren frühesten Häuptern
+gehörig, Kaufmann alten Schlages, voll Rechtlichkeit,
+Strenge und Staatsgesinnung, – er
+weigerte sich unter anderm Steuerbekenntnisse
+zu unterschreiben, die ihm zweifelhaft
+erschienen, – war durch unglückliche Privaterlebnisse
+innerlich nachhaltig in Anspruch
+genommen worden. Seiner Ehe mit einer
+kühlen egozentrischen Frau gesellte sich noch
+eine ihm unleidliche Einstellung seiner Blutsverwandten.
+„Ein Blutsverwandter heißt,
+der dir am letzten hilft und dich am ersten
+beißt,“ dieses im Judentum sonst wenig gültige
+Sprichwort fand in seinem Fall reichlich
+Bestätigung. Die häuslichen Sorgen, die an
+seiner Energie sogen, die ihm eigene weiche,
+gutherzige Art ließ seine Umgebung leichte
+Bestimmbarkeit durch fremde Einflüsse befürchten
+und ihn darum für die Dauer auf
+der Kommandobrücke des großen Werkes
+nicht genügend verwendbar erscheinen. Den
+ersten Ansturm versuchte der leibliche Bruder;
+er mißlang. Der Alte fußte ja mit sieben
+und ein viertel Millionen Schweizer Franken,
+das war ein Viertel des gesamten Firmenvermögens,
+im Geschäft und mit der Nachfolgeschaft
+seines Sohnes Otto darin, der sich bei
+Abschluß der schwierigen bosnischen Verträge
+schon eingearbeitet hatte. Ein erfolgverheißender
+Schachzug gegen Heinrich Eißler
+<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
+mußte ihn darum in seinen Stützen
+treffen: in seinem an der Firma tätigen Geld
+und in dem Sohn, den man erst von ihm
+trennte und dann gesondert abfertigte, wenn
+das erste gelang. Vor allem hieß es, die vom
+Handelsgesetze festgelegten Bestimmungen
+nach dem Tode eines öffentlichen Gesellschafters,
+die nebst der „pragmatischen Sanktion“
+der Firma, den Sohn und Erben schützten,
+durch persönliche Abmachungen zu entkräften.
+Statt der darin vorgesehenen Liquidation
+ordnete ein 1897 abgeschlossener Gesellschaftsvertrag,
+dem Vater und Sohn
+ahnungslos beigepflichtet hatten, in einer
+solchen Lage lediglich Auszahlung des Kapitalskontos
+an, also auch ohne eventuelle
+stille Reserven, die hier bestanden. Damit
+war der erste Schritt einer gesetzlich unantastbaren
+Enteignung getan. Die Einheitsfront
+gegen die beiden unbeliebten Familienmitglieder
+sollte jedoch erst später zustandekommen:
+Unter der Regentschaft des zu
+einer solchen Aktion unbedenklich fähigen
+Robert Eißler, dem Neffen und Vetter der
+Bedrohten. Inzwischen wird fort und fort geplänkelt;
+1910 bereits möchte der des Haders
+müde und durch ein körperliches Leiden verstörte
+Otto Eißler gegen angemessene Entschädigung
+gänzlich aus dem Geschäft scheiden,
+aber eben um diese ging es ja. So stellt
+<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
+er nun seine Tätigkeit dort ein, die fünfzehn
+Jahre gewährt hatte, zieht sich nach Baden
+zurück, wo er der Sorge um seine Gesundheit <a id="corr-0"></a>wegen
+lebt und mit den Vettern dauernd hadert.
+Diese Gefechte ziehen sich über den ganzen
+Weltkrieg hin, der weder in seinem Verlauf
+noch in seinem Ergebnis und dessen Folgen
+die Holzmagnaten ernstlich schädigt. Ohne
+wesentliche Einbuße erhalten sie sich ihre
+wertvollste Kolonie in Bosnien und die herandämmernde
+Inflationskatastrophe versehrt
+sie nicht in ihrem Marke, dem Bodenwert.
+Ihre geschäftlichen Feldzüge sind also jedenfalls
+besser ausgefallen als die militärischen
+ihres Vaterlandes, dessen Staatsbürgerschaft
+man übrigens sofort gegen jene des tschechoslovakischen
+Siegerstaates eintauscht. In
+solcher frisch gefestigten Position geht man
+nun daran, im Inneren des eigenen Betriebes
+„tabula rasa“ zu machen mit allen Elementen,
+die für den reißenden Machtkampf der
+neuen Zeit ungeeignet erscheinen. Ballast
+über Bord! Der achtundsiebenzigjährige
+Firmenchef Heinrich Eißler soll nun endgültig
+abgesägt werden! Sein Vetter Robert
+treibt dazu; nur ungerne halten die beiden
+anderen Firmenherrscher <em>Alfred</em> und <em>Hermann</em>
+sowie Roberts Schwager, der Anwalt
+Dr. <em>Fürst</em>, da mit. Heinrich macht allerdings,
+wie sich der Letztgenannte später im
+<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
+Prozesse ausdrückte, „unmögliche Sachen“,
+nämlich er lehnte es ab, seinen Namen unter
+ihm nicht einwandfrei erscheinende Steuerbekenntnisse
+des Geschäftes zu setzen, er erklärt
+ferner, wie Dr. Fürst zur Begründung des
+obengenannten Vorwurfes erzählte, bei einer
+Bücherrevision der bosnischen Filiale, dem
+Sachverständigen, die Bilanzen seien falsch,
+denn die Firma verdiene viel mehr. Äußerungen
+ähnlicher Art, die keineswegs unbedingt
+einen Schwachsinnigen verraten müssen,
+vielleicht ebensogut einen redlichen
+Kaufmann, der sich der Pflichten des Besitzes
+der Allgemeinheit gegenüber bewußt
+bleibt, verübelte man ihm ungemein. Gewiß
+bot auch sein hohes Alter einen triftigen
+Grund, ihn verantwortlichen Unternehmungen
+zu entziehen. Aber es ist der Ton, der
+die Musik macht, und eben dieser Ton, angeschlagen
+von Robert Eißler, war unter den
+vorliegenden Umständen nichts weniger als
+edel und achtungsvoll gegenüber einem
+Manne, der durch ein halbes Jahrhundert
+sein Leben dem Geschäfte geopfert hatte und
+dem eben jener Robert Eißler, wie später
+noch auszuführen, seine despotische Stellung
+verdankte. Nach wiederholten schriftlichen
+und mündlichen Aufforderungen an Heinrich
+Eißler, freiwillig zurückzutreten, klagt ihn
+schließlich 1919 das von Robert beratene
+<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
+Cheftriumvirat beim Handelsgericht auf Ausschluß
+aus der Firma mit Hinweis auf sein
+Alter, eine den Greis tief kränkende Maßnahme.
+Das anständige Schiedsgericht trachtete
+auch diesen von allen übrigen beteiligten
+Faktoren einschließlich des beauftragten Klägers
+Dr. Fürst als peinlich und unnötig empfundenen
+Handel in Güte beizulegen. Es
+kam später zu einer Art Ausgleich, der freilich
+die tieferen Wunden nicht mehr schließen
+konnte, die in Heinrich Eißler bis zu seinem
+Ende brannten. Aber die Attacke auf den
+Onkel genügte dem strammen Firmenchef
+noch nicht; sein Sohn, der Vetter, sollte
+ebenso erledigt werden. Ihn als öffentlichen
+Gesellschafter an Stelle seines Vaters zu
+übernehmen, wie es bisher für die übrigen
+Söhne der ehemaligen Firmenchefs nach
+Hinscheiden oder Austritt ihrer Vorgänger
+gegolten hatte, weigert sich Robert in beiden
+Fällen, sucht ihn mit Angebot anderer Kompensationen
+mattzusetzen. Doch Otto widersteht;
+er wittert die Gefahr und schlägt dem
+Dr. <em>Benedikt</em>, dem Rechtsfreund seines
+Vaters, ein Bündnis vor, wonach sie beide,
+Vater und Sohn, in dem laufenden Zivilprozeß
+ihre gemeinsamen Interessen ungeteilt und
+untrennbar bis zu Ende verfechten würden.
+Dieser Pakt kommt nicht zustande; hingegen
+ein anderer, der zu ihrem Verderben führt.
+<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
+Der auch dem Vater gegenüber ewig mißtrauische
+Otto ließ sich dazu verleiten, mürbe
+gemacht durch halbjährige geschickt dirigierte
+Verhandlungen, auf seine Rechtsnachfolge
+in der Stellung seines Vaters bei der
+Firma zu verzichten. Er gibt ihn damit preis
+und noch mehr: Nun legt er als stiller Gesellschafter
+neuerlich 750000 Franken in das Geschäft
+ein und resigniert auf die Einkünfte
+aus der bosnischen Zweigstelle, wenn dort im
+Ausgange des Steuerkrieges gegen den Nachfolgestaat
+die Firma Eißler &amp; Ortlieb aus
+taktischen Motiven eine Umwandlung in eine
+Aktiengesellschaft vollziehen sollte. Was
+diese Klausel bedeutete, sei daraus ermessen,
+daß von dem Anteil, der dem alten Heinrich
+Eißler zustand, zwei Drittel, viereinhalb
+Millionen Schweizer Franken, allein auf das
+bosnische Unternehmen zu buchen waren.
+Mit diesem Vertrag unterfertigt demnach
+Otto Eißler sein und seines Vaters Todesurteil
+im übertragenen Sinne; aber noch ein drittes,
+ein wirkliches, das er selbst an dem feindlichen
+Generalstabschef in jenem Kampfe vollstrecken
+sollte, an Robert Eißler.
+</p>
+
+<p>
+1920, ein Jahr nach diesem privaten Versailles,
+stirbt Heinrich Eißler als Vorletzter
+des alten Firmenstabes, der sich noch um den
+Großvater, Gründer und Ahnherrn <em>Bernhard
+Eißler</em> geschart hatte. Er stirbt und
+<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
+schließt mit seinem Hingang, den Gram und
+Erregung über das ihm angetane Leid beschleunigt
+haben, den ersten Teil der Eißlerischen
+Familientragödie: „Nein, der Robert,
+wenn der nicht wäre, könnte ich um zwanzig
+Jahre länger leben!“ hat er vor seinem Ende
+der Schaffnerin seines Hauses geklagt. Ein
+kurzes Satyrspiel hebt an vor der Tragödie
+zweiten Teil. Ein Zauberkunststück gelingt,
+das unerklärlich scheint und in seinem Resultate
+dennoch unantastbar blieb. Der
+Hexenreigen des Geldverfalles verhüllt den
+Hergang, gegen den juridisch nichts eingewendet
+werden kann, obgleich ein Unrecht
+fast zu greifen nahe scheint. Angst und
+Ungeschick des Opfers tuen das ihre dazu.
+Aus der mit über <em>sieben Millionen
+Schweizer Franken</em> bewerteten <em>Todesbilanz</em>
+des Verblichenen sind binnen Jahresfrist
+durch Gottes Segen ihrer <em>fünfzehntausend</em>
+geworden, die dem Erben aufgewertet
+zu Buche stehen.
+</p>
+
+<p>
+Der Erbe hieß <em>Otto Eißler</em>.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-5">
+<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
+V. DER RÄCHER.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Dramatische Kontrapunktik, die fast schon
+ans Kolportagehafte streift, fügte es, daß
+Robert Eißler dem durch ihn zur Strecke gebrachten
+Heinrich die Stellung zu verdanken
+hatte, kraft derer er auf dem Hauptmaste der
+Firma saß. Des alten Bernhard Kinder
+<em>Heinrich</em>, <em>Johann</em>, <em>Jakob</em> und <em>Moritz</em>
+verwalteten gemeinsam das Geschäft unter
+einer Art Rückversicherung vor der Nachkommenschaft,
+wonach nämlich ihre Söhne
+erst nach freiwilliger Abdankung oder Tod
+der Väter die Stellungen jener einzunehmen
+vermöchten, also im Sinne des zitierten talmudischen
+Sprichwortes über den geliebten
+Feind. <em>Otto</em>, <em>Alfred</em>, <em>Hermann</em> und
+<em>Robert</em> hießen sie, von denen zwei bald
+durch Hinscheiden der elterlichen Vordermänner
+die Führersitze erobern sollten. Just
+der Ehrgeizigste, Robert, war nicht dabei;
+ihm brannte das längst unter den Nägeln,
+doch sein Erzeuger, der vermutlich Ähnliches
+verspürte, saß unerbittlich fest mit begründeter
+Aussicht auf hohes Alter und ungeschwächte
+<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
+Tätigkeit. In seiner Not kam
+Robert zu dem gutmütigen Onkel Heinrich,
+er möge bei dem Bruder, Roberts Vater, erreichen,
+daß Robert noch zu Lebzeiten des
+unverwüstlichen Urhebers seines Daseins
+Aufnahme in die Leitung der Firma gewährt
+würde. Heinrich, ahnungslos, wie sehr er sich
+und seinen Sohn damit gefährdete, bedrängte
+unablässig den Bruder, Roberts Ansinnen zu
+willfahren und setzte endlich nicht ohne
+Schwierigkeiten jenem durch, was ihm für
+sein eigenes Fleisch und Blut versagt werden
+sollte. Freilich mit drückenden Vorbehalten.
+Roberts Vater, aus gleichem Hartholz wie
+sein Sprößling, heischte als Preis für seine
+Erlaubnis von dem Sohn im Laufe eines Jahres
+sechshunderttausend Goldkronen Einlage in
+das Geschäft, die er in dem zeitgemäßen Wege
+einer Ehe binnen der genannten Frist zu beschaffen
+habe. Und wieder hilft die Familie
+Heinrichs; diesmal ist es die Gattin, Ottos
+Mutter, die ihm die Frau mit den sechshunderttausend
+Goldkronen besorgt, und Robert
+Eißler heiratet und er besteigt den Firmenthron.
+Und sein erstes war, den zu
+stürzen, der ihn hinaufgeleitet hatte, vielleicht
+gerade weil er vor ihm einst schwach gewesen
+war.
+</p>
+
+<p>
+Sonderbar und bedrückend mag derlei
+trotz tausend alltäglicher Beispiele einem
+<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
+schlichten Hirne erscheinen, das noch an
+Worte von Liebe und tieferer Gemeinschaft
+zwischen Menschen glaubt. In einer auf den
+Besitz eingeschworenen Ordnung zählt es
+jedoch zu den einfachsten und ersten Forderungen,
+seine Persönlichkeit dem Zwecke zu
+unterstellen, und „Einheirat“, meist in verkleideterer
+Form als dieser, die noch den Vorzug
+der Offenheit aufweist, ist überall gewünscht
+und befohlen, wo Geld zu Geld will,
+Einfluß zu Einfluß, Ware zu Ware. Und gewiß
+erachtete der alte Heinrich des Neffen
+Robert Handlungsweise in dieser Sache weit
+klüger, als etwa die seines leiblichen Sohnes
+Otto, der an einer Ehe als Einlagekapital
+wenig Gefallen fand, die in seiner Gesellschaftsschichte
+gebräuchliche Synthese zwischen
+Merkur und Hymen verwarf und schon
+Jahre mit einer braven vermögenslosen Frau
+lebte, von der er die schönste Mitgift in drei
+zärtlichst geliebten Kindern sein Eigen nennen
+durfte. Jedenfalls wußte des Vaters
+leidenschaftlicher Einspruch es zu verhüten,
+daß dieser Neigungsbund je zur Heirat sich
+emporwage; Ottos Beziehung galt ihm „nicht
+als standesgemäß“, – was andererseits jegliche
+Geldallianz mit wem immer gewesen
+wäre, – und selbst auf den Sohn färbte noch
+sein Wille ab. Auch nach des Vaters Tod
+respektierte er dieses aus dem dynastischen
+<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
+Hochmut des Welthauses entsprungene Verbot;
+Anna Heimerle – so hieß seine Freundin
+– blieb ihm „Lebensgefährtin“ im Sinne des
+Gesetzes bis vor die Schranken des Gerichtes,
+an denen sie unter Tränen die Wärme, Güte
+und Sorgfalt, mit denen der Beschuldigte sie
+und die ihren stets umgeben hätte, nicht
+genug zu rühmen wußte. Die Frage, ob Otto
+eine geschäftlich angetraute Gattin ebenso
+zur Seite gestanden wäre und umgekehrt,
+stellt sich unwillkürlich ein; hier muß jedoch
+der Wahrheit zu Ehren bekannt werden, daß
+die Ehe seines späteren Opfers sich gleichfalls
+ungemein glücklich gestaltete und daß die
+letzte Klage des sterbenden Robert Weib und
+Kindern galt. Im übrigen mochten die Verwandten
+Recht behalten, wenn sie aus solchen
+Symptomen schlossen, daß Otto nichts weniger
+sei als eine Führernatur in ihrem Sinne.
+Auf dem Wege dahin war er eben im Menschlichen
+stecken geblieben und dieses Menschliche
+besaß er, weil er gelitten hatte, trotz
+alles Geldes, von Jugend auf. Und dieses
+Leid, – früh widerfahrenes Unrecht, –
+wurde auch zur Wurzel der Verstrickung, aus
+der seine Tat gedieh. Das schuldlos Erduldete
+schuf den drosselnden Knoten in dem armen
+Herzen, das zu seinem Unheil für mehr als
+nur für das Hauptbuch schlug und alle nachträglich
+ihm widerfahrene Unbill schnürte ihn
+<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
+nur fester und verfitzte ihn, – bis aus dem
+Gewürge bloß eine einzige Lösung blieb: Gewalt!
+</p>
+
+<p>
+Sproß eines müden, vom Geschäft verzehrten
+Mannes und einer kühlen liebeleeren
+Frau, war der kleine Otto, der einzige männliche
+Sproß, der „Kronprinz“, denn nur zwei
+Mädchen folgten ihm, Ida und Melanie.
+Nicht sehr kronprinzenhaft wuchs er auf.
+Das verschüchterte Kind erfährt häufige und
+unbarmherzige Züchtigungen von seiten der
+Mutter, für die es sich keinen Grund weiß;
+dem Vater kann es sich nicht anvertrauen;
+ihn sieht es kaum, denn den hat das Kontor
+zwischen den Zähnen; schließlich wird es bezahlten
+Kräften überantwortet, Hofmeistern,
+Gouvernanten, Dienstboten. So wächst der
+Erbe des Reichen auf, welt- und gottverlassen,
+um den einzigen und köstlichsten
+Schatz menschlichen Werdens vom Anbeginne
+bestohlen: Um ungetrübte Jugend.
+Sein Schulkamerad Doktor Stefan Schmied
+erzählt vor Gericht, der Knabe wäre der
+Klasse durch drei für sein Alter recht ungewöhnliche
+Eigenschaften aufgefallen: Ernst,
+Verschlossenheit und Mißtrauen. Und diese
+dunkle Dreieinigkeit, die über jedem der „Erniedrigten
+und Beleidigten“ des Lebens
+wacht, hielt ihm auch weiterhin treueste Gefolgschaft.
+Aus seinem schon im Keime verletzten
+<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
+Rechtsgefühl gewinnt er zwar ergriffenes
+Verstehen für den leidenden Nächsten
+über die Horizonte seiner Herkunft und
+seiner Kaste weit hinaus, zugleich aber erfüllt
+ihn rechthaberische Reizbarkeit, die aus
+derselben Leiderfahrung stammt. Hypochondrie
+und Menschenscheu bemächtigen
+sich des Beklagenswerten, dem man den Genuß
+seiner Kindheit unterschlagen hatte; mit
+der tagenden Erkenntnis des Jünglings schaut
+er den Himmel über seiner Welt sich stets gefährlicher
+verfinstern. Die harte Mutter, der
+er übrigens durch Güte vergalt, was sie an
+ihm gefehlt hatte, der schwache Vater, müde,
+unterlegen im Ehekampf, aus dem er in das
+Geschäft floh, wo ihn wieder die Verwandtschaft
+geduckt umlauerte, – von nirgendwo
+kam dem Heranwachsenden warm
+die Stimme eines Menschen entgegen. Verbittert
+wirft auch er sich in Arbeit, durch
+fünfzehn Jahre steckt er im Betrieb, bereist
+die Niederlagen, wirkt an heiklen Operationen
+mit, so 1905 an dem berühmten bosnisch-herzegowinischen
+Vertrag, – aber er merkt
+dabei, daß er sich trotz allem zwischen den
+klugen kühlen Rechnern seiner Vetterschaft
+nicht gut ausnimmt, ein letzter Eifer mangelt
+ihm, eine äußerste Sachlichkeit, die den
+Posten Mensch aus ihren Kalkülen streicht.
+Als untüchtig sieht er sich zur Seite geschoben;
+<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
+Minderkeitskomplexe und Überkompensationen
+wechseln in seinem Seelenleben
+ab. In dem Pessimismus, der ihn befällt,
+wird ihm ein einziges spätes Glück zuteil.
+Im besten Mannesalter lernt er Anna
+Heimerle kennen, die nun seinen Weg teilt,
+und an den Kindern, die sie ihm schenkt,
+sieht er sein Dasein doch nicht völlig nutzlos
+vertan. Es aber ganz mit frischem Licht zu
+füllen und ihm so Vergessenheit des Gewesenen
+zu erringen, das vermochte selbst die
+so uneigennützige Liebe dieser Frau nicht.
+Zu tief hatten sich Schrullenhaftigkeiten verschiedenster
+Art schon in ihm eingefressen,
+und nun richtete sich überdies die Front der
+Familienhierarchie gegen ihn und gegen
+seinen Vater und verstärkt so seine Absonderlichkeiten
+zum Wahne, dauernd verfolgt
+und bedroht zu sein. Ein körperliches Gebrest
+behindert zudem seine Bewegungsfreiheit.
+Er lebt und handelt unter einem
+Schleier von ständiger Angst. Paranoide Gesichte
+bemächtigen sich seiner; immer geht
+er bewaffnet. Auf einem Sägewerk, das er
+inspiziert, trifft ihn ein Bekannter, bekundet
+als Zeuge: Otto Eißler wandelt dort in
+Schwimmhose, links einen Sonnenschirm,
+rechts einen Revolver in der Hand. Nachts
+ruft einen Anderen Gepolter in den Schlafraum
+des Chefs; kaum kann er durch die
+<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
+Barrikaden von Möbeln eindringen: er sieht
+Stühle im gleichen Abstande aufgestellt und
+über sie nackt hinspringend – Otto Eißler,
+gleich einer phantastischen E. T. A. Hoffmann-Figur.
+Gift wolle man ihm in die Speisen
+mischen, argwöhnt er. Oder: Man plane, ihm
+die Luft des Zimmers durch böse Dünste zu
+verderben, und er zerstäubt dort die erdenklichsten
+Desinfektionsmittel, daß einmal sein
+Cousin Ernst Lanner, der ihn besucht,
+schleunigst das Fenster aufreißt, um nicht
+in Ohnmacht zu sinken. Zu solchen Zwangsvorstellungen
+gesellt sich ausgesprochene
+Bakterienfurcht. Darum mißt er den Luftraum
+jedes Gemaches ab, darin er schlafen
+soll, ob er nicht etwa einen besonderen Brutherd
+verheerender Mikroben böte, darum
+trägt er lächerlich weite Kleider und läuft im
+Hause nur adamitisch umher, die Haut so
+stets möglichst frei zu halten, darum ist er
+auch Fanatiker des keimvernichtenden Sonnenbades,
+das er, unbekümmert um seine
+Umgebung, bei jeder möglichen Gelegenheit
+genießt; darum läßt er sich sogar die Zeitung
+vorwärmen, ehe er sie liest. Solche Maßnahmen
+sucht er denen, die sie bestaunen,
+mit harmlosen Vorwänden anderer Art zu erklären,
+aber gerade sein Eifer, der jedwede
+pathologische Deutung heftigst ablehnt, kennzeichnet
+das dissimulierende Krankheitsbild
+<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
+des Mannes, der von Kind auf unter dem
+Druck vermeintlicher und wirklicher Verfolgungen
+endlich in jene Tat ausbrach, der
+Resultante all der geschilderten Komponenten,
+die ihn, den Fanatiker seines Rechtes,
+vor das Gericht bringen sollte. Wer vermöchte
+zu beschwören, wo hier Verantwortlichkeit
+endet und das zwangsläufige Manische
+anhebt, die fixe Idee, die persekutiven
+Charakter annimmt? Wer, – außer den
+Psychiatern, von denen hier noch zu reden
+ist? Alles trieb hier zu einer dissozialen
+Aktion, doch weil der vom Schicksal vorgezeichnete
+Täter in hohem Maße das war, was
+man „moralische Natur“ benennt, trachtete
+er sich unbewußt einen Unterbau plausibler
+Beweggründe zu schaffen und den Verfolger
+festzustellen, von dem alles Widrige seines
+zermarterten Lebens seinen sinnfälligen Ausgang
+nahm. Und da hier beides zutraf, der
+Versuch einer geschäftlichen Entmündigung
+sowie sein deutlicher Urheber, ein unsentimentaler
+strategischer Gegner, der es sich
+zum Ziel gesetzt hatte, ihn ohne wesentliche
+eigene Opfer aus dem Sattel zu werfen, – so
+wälzt der gehetzte geängstete Mann alle seine
+Qual gegen jenen als ihren Begründer, findet
+in Robert Eißler die Quelle des Bösen, das
+nach seiner und der Seinen Existenz trachtet.
+Trotzdem – oder eben darum – bleibt er in
+<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a>
+einer Art Haßliebe an den weitdisponierenden
+Chef gekettet, dessen traumlose straffe Kraft
+der Sachlichkeit ihm widerwillig Bewunderung
+abnötigt, strebt dauernd zu Vergleichen
+zu gelangen, die an Roberts strikter Haltung
+und zuwartender Ruhe immer wieder scheitern.
+Der ist schon einmal unbeugsam darauf
+aus, Heinrich und Otto, den ihm verderblich
+dünkenden Anwärter auf die Firmenführung,
+auf diesem Boden gründlichst auszujäten.
+Und Otto dachte auch schon einmal, 1910,
+ernstlich daran, dem Hause seiner Väter
+endgültig „Valet“ zu sagen, unterließ es
+später, weil er dabei seiner Meinung nach von
+den Verwandten schwer übervorteilt worden
+wäre; er schied damals nur von dem Büro,
+zum Teile aus Hypochondrie. Mittlerweilen
+hatten die Verhältnisse noch mehr zu seinen
+Ungunsten ausgeschlagen, nicht der durch
+Ehen bereits zum Teil versorgten Schwestern
+wegen; aber die Lebensgefährtin ist hinzugekommen
+und seine drei Kinder. Und so
+streitet und queruliert er herum, stets gefaßt
+auf einen Satansstreich des Anderen, der in
+unheimlicher Stille verharrend, sich durch
+nichts aus seiner wachsamen Stellung locken
+läßt. Bis Otto in seiner Übervorsicht die
+gröbsten Fehler begeht, in die Robert gnadenlos
+einhakt. Der Alte ist ja inzwischen schon
+verdrängt und war überdies so höflich, durch
+<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
+seinen Tod alle weiteren Schwierigkeiten zu
+quittieren, nun mag der Sohn ihm folgen
+samt seinen Forderungen, denen die ins
+Rutschen geratene Valutenlawine das Rückgrat
+brechen soll. Und wirklich hastet er,
+betäubt von den Schrecken der niederprasselnden
+Kroneninflation, rasch, unüberlegt,
+das Seine zu retten, um jeden Preis.
+Den aber – bestimmt ihm: Vetter Robert!
+Mit Papier und anderen labilen Werten wird
+die Goldforderung des lästigen Verwandten
+abgespeist. Zu spät tobt der über seine
+Blindheit, fleht um Zurücknahme seiner in
+seelischer Panik gemachten Konzessionen.
+Umsonst! Kein Jota seines verbrieften
+Rechtes, kein Gramm seines Pfundes läßt
+Vetter Shylock ab. Dem Besiegten schwillt
+er zum Oger an, der ihn frißt, seine Geschwister,
+seine Gefährtin, seine Kinder, diese
+abgöttisch angebeteten Kinder! Immer
+mächtiger wächst er sich aus, eherne Stirne,
+steinernes Herz, – sonst alles Geld! 1920 und
+1921 wird der Vertrag mit Otto in letzte vernichtende
+Form gegossen. Endergebnis ist
+das bereits bekannte, das unerschütterlich
+bleibt: Fünfzehntausend Schweizer Franken
+sind für den armen Vetter da, der ihrer
+siebenundeinhalb Millionen als sein Teil beansprucht
+hat, und der Enteignete sieht sich
+zugleich entwaffnet; übereilig hat er gutgeheißen,
+<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a>
+was ihn nun verstrickt, und wo er
+sich stützen will, hascht er nur Luft statt
+einer rettenden Hand. Die finanzielle Transfusion,
+die dabei stattfand, schilderte er später
+in seiner auch schriftlich abgefaßten „Information“
+haarscharf vor Gericht; sie würde
+in ihren Zifferndetails hier ermüden. Genug,
+daß sogar der Staatsanwalt daraus anerkannte,
+an dem Beklagten sei übel gehandelt
+worden. Otto versucht durch seinen Rechtsfreund
+Dr. Kantor im Wege des Zivilprozesses
+gegen die Firma Remedur. Der Advokat
+durchschaut, wie er, die Schärfe jener Abmachungen,
+die seinem Klienten die Sehnen
+zerschneiden, doch auch er gewahrt recht
+spärliche Möglichkeiten für einen erfolgverheißenden
+Gegenzug. Das moralische Gesetz
+mochte Robert tausendmal schuldig sprechen,
+– vor dem bürgerlichen bleibt er unantastbar.
+Da wirft sich der gehetzte empörte Otto
+selbst zum Richter auf in seiner Sache. Der
+Vetter ist ihm schon mehr als sein privater
+Feind, er ist Feind geworden schlechthin alles
+Lebenden, das unter diesen aus den Fugen
+gegangenen Zeit hungert, klagt, stirbt. Seinesgleichen
+war schuld an dem Kriege, wie es nun
+schuld an solchem Frieden ist! Mit überpersönlichem
+Legat fühlt Otto Eißler sich
+ausgestattet, als er zur Abrechnung schreitet
+gegen seinen Feind. Er sieht vor sich nicht
+<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
+den Blutsverwandten mehr und nicht mehr
+das leidende Antlitz des Menschen hinter
+Trieb und Gier, die ihn zwangen, so zu werden,
+wie er ist, er sieht nur die eiserne Maske der
+Macht! Ein Feind der Menschheit steht vor
+ihm. Ähnlich dem Roßtäuscher Kohlhaas erweitert
+auch er seinen Fall ins Allgemeine und
+ahnt nicht, daß die Wurzel des Unrechtes tief
+lag wie die der geschlachteten Bäume, in den
+Orgien des über verwüsteten Wäldern und
+wohlfeilen Lohnheloten errichteten <em>Besitzes</em>.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-6">
+<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
+VI. MONODRAMA DER TAT.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Im „<em>Herzoghof</em>“ des seit Römertagen
+gesuchten Kurortes <em>Baden bei Wien</em>, –
+„Aquae thermae“ nannten es die Pensionisten
+der pannonischen Legionen, die in seinen
+Schwefelquellen Heilung erhofften, – haust
+Otto Eißler. Das Gebäude, so benannt nach
+den fröhlichen Babenberger Herzögen, den
+vorhabsburgischen Herrschern von Österreich,
+die gerne hier verweilten, stellt eine
+passende Unterkunft für Leute dar, die in
+der sommerüber von Fremden wimmelnden
+Stadt keinen überflüssigen Kontakt wünschen
+und dabei eine gewisse vornehme Behaglichkeit
+nicht entbehren wollen. Der
+Misanthrop aus der Holzdynastie verlegte
+darum frühzeitig sein Hauptquartier an dieses
+stille Refugium, von dem aus er den Krieg
+gegen seinen Vetter führt, zuletzt 1923 in
+einer bereits an Irrsinn grenzenden Erregung,
+je sicherer die Erfolglosigkeit seiner
+Bemühungen zu erwarten schien. Freundin
+und Kinder umgeben ihn mit liebereichster
+Pflege; dennoch muß der Arzt zu dem von
+<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
+schwersten Nervenkrisen Erschütterten gerufen
+werden, stellt seelische Störungen fest,
+deren Behandlung strengste Ruhe und Abgeschlossenheit
+von der Außenwelt als erstes
+Gebot erforderte. Davon will der Unglückliche
+nichts wissen, streitet mit punischer
+Tapferkeit für seine steigend getrübteren
+Aussichten, klingelt nachts Anwälte und
+Notare aus dem Schlaf, um dauernd das
+Gleiche zu erfahren: Daß er für sich nahezu
+nichts zu hoffen habe. Allenfalls den mitgeschädigten
+Schwestern würde man im
+Wiener Erzhause Kompensationen zubilligen,
+– ihm: Nicht die winzigste!
+</p>
+
+<p>
+Es ist August, der Monat der Verbrechen
+aus Leidenschaft. Seine weiße Glut vergiftet
+die Hirne, heizt die Herzen bis zur Explosion.
+Achtete eindringlicheres Verfahren, als das
+der gegenwärtigen Themis auf die Verknüpfung
+von Gewalttat und Gezeiten, es gelangte
+zu verblüffenden Erkenntnissen: Winter,
+Intellektualverbrechen; Affekthandlungen
+im Sommer; Selbstmorde und Revolutionen
+in den Brunftzeiten Frühling und
+Herbst. Durch die verschlafene Empirestadt,
+über der es von Hitze brütet, jagt ein rasendes
+Menschentier: Otto Eißler, trächtig von
+seinem Schicksal. Klarheit hat er jetzt durch
+den Rechtsfreund. Eine Tagsatzung soll in
+seiner Sache noch stattfinden, nutzlos wird
+<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
+sie vergehen. Nichts mehr nützt! So wird er
+berufen; immer wieder berufen. Hartnäckig
+wie ein Bauer, der um einen Grenzstein
+streitet. Wohin führt das am Ende? Und
+er, Otto Eißler, hat selber beigetragen, daß es
+so weit gekommen ist! „Dummer Kerl!“ hört
+er zischeln um sich; nein, niemand ist da, nur
+die leeren flimmernden Straßen, – aber der
+Vetter soll das ja gesagt haben von ihm, der
+Vetter Robert, der in Wien hockt, breit, gewaltig,
+unangreifbar. Er, der Reiche, kann
+ja warten, bis der andere sich zugrunde
+prozessiert hat; fünfzehntausend Schweizer
+Franken tauchen bald in Expensen auf; dann
+fällt die Angelegenheit in nichts zusammen,
+weil Otto ein Bettler geworden ist. Was aber
+nachher? Die Frau! Die Kinder! Unmöglich
+ist es, unmöglich! Im kühlen Waffenladen
+kommt der Heißgelaufene zu sich. Ein
+Entschluß beginnt. Alle Gerichte bleiben
+wehrlos in Sache des Rechtes. Und auch
+Gott schweigt; er ist ihm nicht wohlgefällig,
+– niemandem ist er wohlgefällig, er, der
+Häßliche, von Kind auf Gestoßene. „Gewiß
+Herr Müller! Mauserpistole samt Patronen.
+Ja ...“ Ob er mit dem Browning vom
+Februar zufrieden gewesen sei? – „O, freilich!“
+Den Browning trägt er doch stets im
+Sacke, entsichert und wohlgeladen, – umlagert
+von Feinden, wie er ist. Aber davon
+<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
+erzählt er nichts. Etwas glättet sich in ihm,
+wie er die kalte Waffe am Schafte hält und
+mit dem Abzug spielt. Und nun läßt er sich
+Munition geben, als gälte es, ein neues Fort
+Chabrol zu armieren. Es ist der dreiundzwanzigste
+August.
+</p>
+
+<p>
+Zu Hause macht er Bilanz über sich und
+das Seine. Man hat sich vorzusehen für alle
+Fälle. Wogegen? Ach, das wird sich schon
+weisen. Das geschieht doch nicht so einfach
+aus einem selbst, das packt einem von draußen
+und findet statt. So heißt es auch immer
+„fand statt“. Also darum jede Schuld berichtigt,
+selbst die kleinste! In einer Woche
+ist er in Ordnung damit. Keine Rückstände!
+Alles soll sauber liegen hinter ihm. Ja, da ist
+noch seine Schwester Ida, Witwe nach
+Exzellenz von Molnar, ungarischen Staatssekretär.
+Immer war die gut zu ihm; sie
+sollte man unbedingt aufsuchen, – der
+armen Frau daheim, den Kindern, kann man
+nichts zumuten, – die Schwester ist ein
+kluger starker Mensch, und so einer muß zur
+Stelle sein für die Seinen, wenn – ja, irgend
+etwas geschieht, – und wäre es das eigene
+Leben, das man wegwirft – um den Frieden,
+– um den endlichen Frieden, nach dreißig
+Jahren Unrast, Verfolgung, Bitterkeit. Und
+vorher zwanzig Jahre einsamer Jugend, lichtloser
+Kindheit ... „Sorge Dich um die
+<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a>
+Meinen,“ bittet er die Schwester und noch
+allerlei Verworrenes, das der tödlich Erschrockenen
+kaum zum Bewußtsein kommt;
+da ist er auch schon fort.
+</p>
+
+<p>
+Er fahrt nach Wien. Früher Morgen. Der
+letzte Augusttag brennt ab. Die elektrische
+Kleinbahn surrt grau durch das sommerträge
+Land. Ringsum Ebene, schattenlos. Erst
+westwärts in den schwarzblauen Bergen am
+Rande des Flachlandes strotzen wieder stämmige
+Waldbäume. Sie mögen sich hüten, daß
+nicht auch sie bald dem großen Vetter verfallen.
+Wie es ihm ergeht samt seinem Anspruch
+und allem, was daran hängt: Die
+Schwestern, die Gefährtin, die drei Kinder.
+Das Blut siedet ihm dick in die Schläfen,
+wenn er versucht, das zu Ende zu denken.
+Ihnen insgesamt wird noch das Mark ausgesogen
+durch den höchst unbrüderlichen Bruderssohn,
+der früher nicht rastet. Man will
+ihn aber jetzt stellen; von Angesicht zu Angesicht
+befragen will man ihn, zu letzten Male,
+ob er sich nicht doch vergleichen mag in
+zwölfter Stunde? Das muß man, ehe man
+jede Vernunft fahren läßt, die sich nur mühsam
+noch, von Wut umschäumt, hinter der
+glühenden Stirne aufrecht hält. Vielleicht
+sind die beiden Mitchefs zugegen; die könnten
+eingreifen, mildern; die haben sich ja nicht
+so verbissen in diese Menschenjagd. Da ist
+<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
+der Luegerplatz mit der Burg des Feindes,
+die er nun betritt. Wieder einmal. Denn erst
+vor wenigen Wochen war er hier, nachdem er
+zuvor lange heraufgestiert hat vom Rathausparke
+aus. „Wie eine Wachspuppe“ –, so
+berichtet einer, der <a id="corr-1"></a>ihn dabei ertappt. Und
+der Herr Robert würdigte ihn damals kaum
+einer Antwort und die Bucheinsicht wird ihm
+auch verweigert; gerade, daß sie ihm nicht
+schon die Türe weisen. Nein, – das tuen sie
+doch nicht; von den Angestellten keiner; die
+verstehen sich mit ihm, weil er freundlich zu
+ihnen ist, nicht so – wie der! Der Robert!
+Kommt er heute etwa nicht ins Kontor? Da
+erteilt der Kassierer Köhler Bescheid: Robert
+allein sei hier, – und geht eilig weg. Robert
+– allein –? Stille stemmt einem den Atem
+zurück, entsetzliche Stille. Gleicht das Chefzimmer
+nicht plötzlich einem gedämpften
+Raum, darin eine Leiche liegt? – Der Besuch
+lehnt sich an den Schreibtisch; den
+kennt er: Vierzig Jahre war sein Vater
+Heinrich daran verkettet gewesen, vierzig in
+Arbeit geknechtete Jahre, – mit einem Fußtritt
+als Dank zum Abschluß! Das verantwortet
+– Robert! Immer bleibt er so letzte
+Ursache jedwedes Unheiles, das ihn und die
+Seinen martert, er – in seiner unbeugsamen
+Härte! Auch im Hause hier mögen sie ihn
+sicherlich alle nicht. Man tuschelt mancherlei.
+<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a>
+Da ist der Jakob Singer, – den hat er
+einmal mit zerrissenen Schuhen stundenlang
+im Schnee warten lassen, und wie der vor
+ihm frostzitternd von einem Fuß auf den
+anderen tritt, schreit er ihn an: „Hund,
+kannst du nicht habt acht stehen?“ Und der
+Ernst, sein Cousin, der weiß, wie der Robert
+beim Militär die armen Soldaten angeblasen
+hat wegen dem Grüßen. Und solche Geschichten
+gibt’s genug von dem Robert, zum
+Beispiel die mit dem Vetter Otto, he? Mit
+ihm selbst? – Die Hände würgen in den
+Säcken des schlotternden Anzuges; sie spüren
+Kühle, Metall: Die Pistolen! Und da tritt
+auch der Vetter ein, scheinbar nicht eben erfreut
+über den Gast, den er vorfindet. Freilich,
+gerade heute, wo ihn der Kopf wohl von
+Wichtigerem summt, wo unter anderem die
+deutsche Mark von den rheinischen Kollegen
+abgefeilt endgültig ins Bodenlose saust, – da
+sind andere Sorgen am Ruder und andere
+Pläne. Und schon hält er auch das Telephon
+in der Hand und rasch zuvorkommend in des
+Wortes engster Bedeutung wirft er es hin
+zwischen zwei Geschäftsgesprächen: „Ich
+werde lieber sieben Jahre prozessieren, als dir
+die Rente bezahlen.“ Da wird alles rot, roter
+wogender Nebel, drinnen schwankt der
+Schreibtisch des alten Heinrich wie ein Schiff
+im Untergang. Wo klammert man sich fest,
+<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
+daß es einen nicht niederreißt, hinab zu den
+goldlüsternen Haifischen, die nun wieder
+Beute wittern, zahllose Beute? Die Kolben
+in den Taschen bäumen sich; man möchte sie
+zurückzwingen, aber nun halten sie <a id="corr-2"></a>einen
+fest, wachsen einem in die Fäuste, wühlen
+sich aufwärts, drängen ans Licht. Was sagt
+der drüben? – „Du kannst noch sieben
+Jahre Prozeß führen.“ Bis dahin hat man
+doch keine Faser am Leibe mehr, die einem
+gehört! Und jetzt weiter: „Von mir aus
+könnt ihr alle krepieren!“ Nein! Das nicht!
+Das muß Täuschung sein, sausen in den
+Ohren! Die Kolben rücken über den Rand
+der Säcke, – verlängerte Hände sind sie
+und ihre Läufe steile Finger, die auf den
+Menschen weisen, der dort ruhig sitzt und
+telephoniert. Ja hübsch ruhig, während ihm
+gegenüber sein Blutsverwandter an der gleichen
+Stelle zugrunde geht, wo man schon
+seinem Vater die Knochen gebrochen hat.
+Trotz des Rechtes, das hinter beiden stand,
+sie <em>hatten</em> recht, – bloß der andere war
+schlauer! – „Dummer Kerl!“ – Wer ruft
+so? – Der drüben? Der – am Telephon?
+Und hätte er es auch nicht ausgesprochen, –
+jede seiner Gesten, die ihn abstreifen, schreit
+es ihm zu, jeder seiner Blicke, der ihn anspuckt.
+Wahrhaftig, das ist kein Mensch
+mehr! Das ist das Geld selbst, das da vor
+<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
+einem thront, ungeheuer, unbarmherzig, angemästet
+mit allem Elend der Erde, vollgesoffen
+aus den Wunden ihrer Schlachten und
+dennoch unersättlich gierig nach Blut und
+Blut und Blut! Alles Bauch, wälderzermalmender,
+menschenkauender Bauch! Die
+Welt muß man erlösen von ihm – man muß
+– und los! – oh jauchzende Himmelfahrt
+der feuerblitzenden Hände – weiter – oh
+unfaßbare Befreiung im Donner der ersten
+krachenden Schüsse – weiter – oh überirdischer
+Rausch, der den Krampf eines
+Lebens entbindet, – weiter – da drüben
+taumelt einer, ächzt, speit rot – weiter –
+als Barrikade den Schreibtisch des Vaters,
+Opferblock, wo nun wieder geschlachtet wird,
+– weiter – Blut wäscht ihn rein, Blut sühnt
+– weiter – das krümmt sich dort auf,
+röchelt, sinkt ein, wie eine Marionette, der
+man die Drähte gekappt hat – weiter –
+Türen klaffen, Gesichter schreien und flattern
+durch Rauch, – man hört nichts mehr davon
+– man sieht nichts mehr, – man weiß nur
+eines: Man hat es dem Golde gegeben, man
+hat dem Golde in den Bauch geschossen,
+sechsmal –
+</p>
+
+<p>
+Und nun rasch die letzte Kugel durch den
+eigenen Schädel! Abschied im Zenith der
+Tat! Ihn soll keiner noch je angrinsen, keiner
+ihn verhöhnen, eine Millionenstadt hebt nun
+<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
+seinen Namen über alle Gischt ihrer täglichen
+Helden hinaus, – – aber schon dringen aus
+dem blassen Haupte drüben, um das sich
+Entsetzen und Grauen schart, ein paar furchtbar
+klarer Worte:
+</p>
+
+<p>
+„Wie oft hat dieser dumme Kerl geschossen?“
+</p>
+
+<p>
+„Dieser dumme Kerl –“ Das war es wieder
+und unleugbar laut! Also auch jetzt ist er
+für den dort noch nichts anderes, auch daß er
+ihm den Tod sechsfach ins Fleisch geimpft
+hat, zählt nicht. Der stirbt, ohne Kenntnis
+zu nehmen von seinem Mörder, stirbt voll
+verzweifelter Wut über einen blöden unsinnigen
+Zufall, der ihn mitten aus seinen
+Plänen und Werken reißt, – denn das ist
+ihm der Vetter samt seiner Tat: Ein Ziegelstein
+vom Dache! Ein Auto, das sich mit ihm
+überschlug! Stupide Tücke eines Dinges!
+Mehr nicht!
+</p>
+
+<p>
+Der Mörder läßt die Arme baumeln wie
+schlaffe Peitschenschnüre. Mühelos entwindet
+man ihm die Waffen; ingrimmig stößt
+er etwas hervor, – „es ist nicht schade um
+den“ will ein Zeuge gehört haben, – und
+dann sagt eine Uniform:
+</p>
+
+<p>
+„Im Namen des Gesetzes –“
+</p>
+
+<p>
+Und neuerlich kommt drüben die Stimme
+des anderen. Aber dieses Mal ist sie leise und
+von einem fremden Klang. „Bauchschuß –
+<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
+ich sterbe, – Herr Doktor, – wie lange habe
+ich noch zu leben?“ und „– meine arme Frau,
+– meine Kinder –“ Die Maske der Macht gleitet
+nieder von dem Antlitz eines Menschen, der
+sich sterben weiß. Und dieses Antlitz ist ganz
+bleich, ganz rein, – wie das eines Genesenden
+von einem schweren qualvollen Leid.
+</p>
+
+<p>
+Der Täter gewahrt das nicht mehr. Eine
+Entspannung lockert ihn. Ruhig läßt er sich
+abführen.
+</p>
+
+<p>
+Er gewahrt auch das Größere nicht. Daß
+man im Leben stets nur <em>einen</em> Feind hat.
+Den man vergeblich vernichten würde, und
+wäre es durch tausend Leiber. Weil er sich
+im Nebenmenschen am Widerspruche zu dem
+Nachbarwesen immer neuerlich entzündet.
+Weil das Ich schuld trägt daran und seine
+schicksalshafte Gegensätzlichkeit zu einem
+ebenso bestimmt gearteten anderen Ich.
+Darum begegnet man <a id="corr-3"></a>ihm immer wieder. Erledigt
+ihn mit keiner Gewalt. Vielleicht nur
+durch klare wehrlose Güte, wenn sie ihn überzeugt:
+Mit Selbstaufopferung.
+</p>
+
+<p>
+Robert Eißler wurde so sein Feind. Als
+Urgegner des Undeutbaren, des Unentschlossenen,
+des Wegelosen, des vom Gefühle
+Überschwemmten. Ein Ekstatiker seines
+Lebensbekenntnisses, das hier „Gold“ hieß.
+Aber auch andere Namen hätte führen können:
+Kampf, Herrschaft, Gott, Gesetz!
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
+Wenige Stunden nach jenem Überfalle stirbt
+Robert Eißler. Die Kugeln haben sein Inneres
+fast zerfleischt: Zu sechzehn Wunden.
+</p>
+
+<p>
+Und acht Monate später steht Otto Eißler
+in Wien vor der Apostelzahl der zwölf Geschworenen
+und ihrem Vorsitzenden, dem
+Gesetze in Menschengestalt.
+</p>
+
+<p>
+Der Vorsitzende nennt sich: Hofrat Doktor
+<em>Ramsauer</em>.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-7">
+<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a>
+VII. CHOR DER PSYCHIATER.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+In den Tragödien der großen Prozesse aller
+<a id="corr-5"></a>Rechtsstaaten bilden die Psychiater bei jedem
+Strafverfahren, darin sie forensisch zur Kenntnis
+genommen werden, zumeist eine Art
+tragikomischer Nebenaktion, Satyrspiel als
+Intermezzo. Fälle ergeben sich allerdings bei
+politischen oder anderen aus Staatsraison
+kitzlicheren Vergehen, darin ihre Meinung als
+willkommenes Rettungssteuer dient, den ganzen
+Handel aus dem Orkane des Meinungsstreites
+in den sicheren Hafen eines Irrenhauses
+zu lootsen. Womit die Gewissenhaftigkeit
+ihrer Personen und ihres Votums keineswegs
+angezweifelt sei. Sonst obläge ihnen
+nach dem Erachten ihrer Auftraggeber mehr
+die Rolle der Regimentsärzte im Kriege,
+nämlich festzustellen, ob der ihnen zugewiesene
+Klient „tauglich ohne Gebrechen“ für
+den Spruch der blinden Themis wäre. Behindernd
+wirkt dabei der knappe Platz, den
+ihnen die Prozeßordnung und das geltende
+Strafgesetz für die Grenzen der Begriffe von
+unverantwortlicher Zwangslage und eingeschränkter,
+<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
+jedoch noch als verantwortlich
+klassifizierter Willensfähigkeit einräumt.
+</p>
+
+<p>
+In der Sache Otto <em>Eißler</em> erschwerte ihnen
+der Beschuldigte selbst ungemein ihre Stellungnahme,
+gerade indem er sie ihnen scheinbar
+erleichterte. Er war es, der um keinen
+Preis als geisteskrank betrachtet werden
+wollte, der lediglich zugestand, im Augenblicke
+der Tat den Kopf verloren zu haben,
+und der eben darum, wie durch die ausgesprochene
+„Süchtigkeit“ jede seiner abnorm
+scheinenden Gewohnheiten rationalistisch zu
+fundieren, den Verdacht der „Dissimulation“,
+Benehmen eines Kranken, der sich gewaltsam
+gesund stellt, erweckte.
+</p>
+
+<p>
+Den Psychiatern lagen drei Möglichkeiten
+vor: Es konnte sich hier um einen wirklich
+Irren, in erster Linie um einen Paranoiker
+drehen oder um einen schweren Psychopathen
+paranoiden oder schizophrenen Charakters,
+der unter den genannten Umständen im auflodernden
+Momente der Tat keine Verantwortung
+mehr trug für sein Verbrechen oder
+lediglich um einen Sonderling von psychopathischer
+Minderwertigkeit, der heftigen
+Gemütsbewegungen nur sehr geringen Widerstand
+zu bieten vermochte, aber doch nach
+§ 46 des Öst. Strafgesetzbuches als haftbar
+anzusehen war. Nach Eißlers eigenem Geständnis,
+nach den durch Zeugen belegten
+<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
+Indizien über sein seelisches Verhalten vor,
+während des Ereignisses und darüber hinaus,
+ja, nach einem Teil des später noch präziser
+zu erörternden Gutachtens selbst lag die Annahme
+eines paranoiden Typus nahe.
+</p>
+
+<p>
+Populär erläutert stellt der Paranoide die
+Form einer geistigen Krise vor, die sich zur
+wirklichen Paranoia etwa so verhält wie eine
+Herzneurose zu einem organischen Herzleiden.
+Wie diese kann sie bei geeigneter Behandlung
+völlig abklingen, wie diese in ihr schweres
+verhängnisvolles Nachbarstadium übergehen.
+Die Ähnlichkeit ist oft frappant, die zwischen
+dem klinischen Bilde einer Paranoia und dem
+eines paranoiden Zustandes besteht. Auch
+bei dem Paranoiden, besonders bei jenem,
+der zu Verfolgungs- oder Beziehungswahnvorstellungen
+neigt, steigern sich die Anfälle
+in sogenannten „Schüben“<a id="corr-6"></a>, wie der terminus
+technicus lautet, auch er glaubt sich umlagert
+und bespäht, fühlt sich als passives
+Zentrum sämtlicher ihm widrigen Ereignisse,
+meint elektrische Ströme nach sich entsendet,
+hört Stimmen, wittert an Kleidern und
+Möbeln Menschenkot, trachtet andauernd
+einen Urheber seines Übels zu konstatieren,
+– und kann naturgemäß aus solchem Zustand
+latenter Überreizungen, die bis zur
+totalen Sinnestäuschung reichen, verantwortungslose
+Affekthandlungen verüben. Dabei
+<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
+gilt er in des Wortes Sinn nicht für
+„geisteskrank,“ vermag neben seinen gefährlichen
+Momenten, in denen er einer Rechenschaft
+nicht fähig erklärt werden muß, ein
+produktives Genie ersten Ranges zu bleiben,
+wie etwa August <em>Strindberg</em> in seiner
+schlimmsten Pariser Zeit, als „<em>Einsam</em>“ und
+„<em>Inferno</em>“ entstanden, diese erschütterndsten
+und zugleich trostreichsten Dokumente
+eines schaffenden Geistes, weil sie deutlich
+beweisen, wie die Schöpferkraft des Individuums
+es über die furchtbarsten Nachtklüfte
+des „Ich“ hinwegzuheben imstande
+ist. Führt aber eine solche paranoide Bedrängnis
+in einem Menschen, dem nicht die
+Flucht in irgendeine Produktivität oder Hingabe
+daran (Kunst, Religion) gegönnt war,
+zur antisozialen Tat, wie – bei Otto Eißler,
+woferne man ihn paranoid erachtet, – so
+mußte diese lediglich als schicksalshaftes
+Elementarereignis im Organismus gewertet
+werden, für das der Täter keine judizielle
+Haftung übernehmen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Die Psychiater <em>verneinten</em> das. Mit einer
+Begründung, die am besten im Wortlaute
+wiedergegeben sei:
+</p>
+
+<p>
+„... Aus dem betreffenden Akte und der
+Aussage Dr. Edmund Benedikts“ (des Anwaltes
+des alten Heinrich Eißler) „ist zu ersehen,
+daß Beklagter“ (Otto Eißler) „von seiten
+<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a>
+seiner drei Vettern arg benachteiligt worden
+ist, und daß er nach dem rücksichtslosen Vorgehen
+derselben gegen seinen hochbetagten
+Vater begründete Ursache hatte, ihnen zu
+mißtrauen, was bei seiner Gemütsart nur auf
+allzu vorbereiteten Boden fiel. Wenn er im
+Verlaufe der vorgekommenen Differenzen
+immer verbitterter wurde, den Vettern alles
+Erdenkliche zutraute, vom ‚Gurgelabschneiden‘,
+ja geradezu vom ‚wirtschaftlichen
+Morde‘ sprach, so sind das wohl überschwängliche
+derbe Ausdrücke, die aber von den Tatsachen
+nicht allzuviel abwichen und somit
+keineswegs wahnhaft begründet sind. Wenn
+er ferners <em>vermutet, daß man von seinem
+Militärdienst schädigende Wirkungen
+auf seine Gesundheit erhoffte, um
+dadurch einen gefährlichen Gegner loszuwerden</em>,
+so beruft er sich hierbei darauf,
+daß man nicht nur ihn selbst verhinderte,
+ein Enthebungsgesuch abzusenden, sondern
+auch seinen Vater mit Anzeige bedrohte, als
+er ein solches einbringen wollte.“
+</p>
+
+<p>
+Scheint der letzterwähnte Vorwurf schon
+unwahrscheinlich, weil er, wäre er richtig,
+ein völlig unvorstellbares Maß von Haß und
+Unmenschlichkeit involvieren würde, sollte
+er nicht vielmehr als typisches Symptom
+einer fixen Idee, verfolgt zu sein, bezeichnet
+werden müssen, so gewinnt diese Annahme
+<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
+bei den folgenden Details des Gutachtens
+noch mehr Raum:
+</p>
+
+<p>
+„... <em>Schon seit Jahren am liebsten
+bewaffnet</em>, weil er bei seinen ländlichen
+Ausflügen schon frühe in den Karpathen und
+auch hier infolge seines sonderbaren Wesens
+Attacken fürchtete und solche auch tatsächlich
+bei Preßburg erlebte, hielt er seit seinen
+Differenzen mit den Vettern auch daran fest,
+weil er sich nach den gemachten Erfahrungen
+vor diesen nicht sicher fühlte. Er beschränkt
+sich diesbezüglich aber auf bloße Vermutungen,
+wobei er sich auf <em>Vergleiche mit
+dem Schicksal verschwundener Millionäre</em>
+(!) und darauf beruft, daß Reiche alles
+vermögen, ohne aber Symptome von krankhaften
+Beachtungs- oder Verfolgungswahn,
+der immer weitere Kreise zieht, darzubieten.
+Alle diesbezüglichen Äußerungen verlassen
+nie den Boden der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit,
+wie er durch die vorliegenden
+Tatsachen rücksichtsloser Behandlung und
+vermögensrechtlicher Übervorteilung von seiten
+seiner Vettern geschaffen wurde. Beide
+waren wohl imstande, einen solchen psychopathisch
+veranlagten Sonderling wie Beklagter
+einer ist, nicht nur auf das Tiefste zu
+verwunden und zu verbittern, sondern ihn
+auch in einen Zustand begreiflicher innerer
+Erregung zu versetzen, so daß er schließlich
+<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a>
+zur Waffe griff und seinen Hauptgegner
+niederschoß.“
+</p>
+
+<p>
+Hätte demnach Otto Eißler seinen Vetter
+grundlos hingestreckt, so wäre seine Unzurechnungsfähigkeit
+damit schlagend erwiesen
+worden. Daß aber allein gekränktes Rechtsgefühl
+mit oder ohne zureichenden Anlaß,
+schon <em>weil</em> es sich ununterbrochen verfolgt
+und gegen seine Verfolger wehrlos sieht, in
+die ungeheuersten Exzesse ausarten kann, die
+seine Verantwortlichkeit aufheben, daß ein
+Mensch, der sich schwer benachteiligt meint,
+dabei belastet von Geburt her ist, auch durch
+wirkliche Tatsachen, die seinen Wahn begründen,
+immer tiefer in die Schlingen paranoider
+Zwangsvorstellungen gerät, aus denen
+er sich nunmehr mit Gewalt reißen kann, –
+sollte das wahrhaft ein Novum in der Geschichte
+psychopathologischer Erscheinungen
+sein? Muß denn ein Paranoiker oder ein
+Paranoider durchaus äußerlich unmotiviert
+handeln. Wäre hier nicht oft genug eine übersehene
+kausale Verbindung denkbar von
+einem tatsächlichen ätzenden Erlebnis her,
+das er sich als Brücke für die eigene Rechtfertigung
+seiner wachsenden Manien errichtet,
+solange ihn die große Dämmerung
+noch nicht völlig überwuchert hat? Nein;
+dieses Gutachten dünkt mich das Schulbeispiel
+eines „hysteron proteron“ zu sein, einer
+<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
+geradezu typischen Verwirrung von Voraussetzung
+und Ergebnis und als solches reif für
+die Lehrbücher der Logik. Auch in dem Überschreiten
+seiner Befugnis, das aus der gleichen
+Quelle stammt, in dem Judizieren der Tat
+selbst, das einzig der Prozeßführung vorbehalten
+zu bleiben hat. So, wenn es schreibt:
+</p>
+
+<p>
+„Er (Otto Eißler) bestreitet aber in solcher
+Absicht(‚vorsätzlicher Mord‘) hingegangen zu
+sein und will nur in einer momentanen zornigen
+Erregung über die höhnische Ablehnung
+seines nochmals versuchten Ausgleichsantrages
+durch Robert gehandelt haben. Das
+klingt im Hinblick auf seine dem Niedergeschossenen
+zugerufene Äußerung: ‚Das hast
+du für die sieben Millionen, um die du mich
+gebracht hast!‘, die sein klares Tatbewußtsein
+bekundet“ (besagte Äußerung steht nebenbei
+so gar nicht fest), „im Hinblick auf sein
+Ablauern der günstigen Gelegenheit eines
+Telephongespräches Roberts und seine offenbar
+vorbereitete schwere Bewaffnung,“ (schon
+‚<em>seit Jahren am liebsten bewaffnet</em>‘ erzählt
+das <em>gleiche</em> Gutachten einige Seiten
+vorher), „ganz unglaubwürdig. Letztere diente
+offenbar dazu, ganz sicher zu gehen.“ Und
+nun kommt das Beste! „Wenn Beklagter behauptet,
+gar nicht gezielt zu haben, so widerspricht
+dem die Tatsache, daß er nur zu gut
+getroffen hat.“ Was sonst? Auf die wenigen
+<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
+Schritte Entfernung beim Feuern aus zwei
+Pistolen zugleich, wo ein Kind nicht gefehlt
+hätte, geschweige denn ein alter Jäger wie
+Otto Eißler, dem die Handhabung der Waffe
+schon im Blute lag?
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Dinge wirken um so verwunderlicher,
+als das Gutachten sonst Otto Eißlers
+Werdegang und die Entwicklung seiner psychopathologischen
+Eigenheiten genetisch getreu
+schildert, nur ohne daraus die zu erwartenden
+Folgerungen zu ziehen. Der Angeklagte
+leidet darnach an hereditären seelischen
+und körperlichen Belastungen. Aus
+einer traurigen Ehe über eine lichtlose Kindheit
+liebeleer gelassen, schleppt er das bittere
+Erbteil seiner Eltern mit, des Vaters gutmütige
+aufrichtige, jedoch von jeder Erregung
+unberechenbar aufgepeitschte Art, die
+nicht minder reizbare, dem Spielteufel verfallene
+Mutter: Sie beide kämpfen fort in der
+Seele des Sohnes bis zu seinem Untergang.
+Ihn drosselt Ohnmacht gegenüber dem Dasein,
+einem Dasein, das die Anverwandten
+mühelos meistern, die Kaufleute mit dem
+Feldherrnblick, die Wager und Gewinner an
+der Bank des äußeren Lebens, deren abenteuerlichste
+Schachzüge schließlich immer
+Gold entschuldigt, lohnt und verklärt. Und
+er, Otto, ein von der Wurzel her Versehrter,
+nicht geschaffen in dem groben Machtspiele
+<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
+mitzukommen, dabei doch begabt mit einem
+fast künstlerischen Wissen darum, dem es
+nur an dem letzten nötigen Schuß Brutalität
+mangelt, es zur Tat zu wandeln, ein Abseitiger,
+in dem solche ihm schicksalshaft aufgedrungene
+Haltung alle dunklen Gewalten
+der Einsamkeit erwachen ließ: Furcht, Argwohn
+und vergrübelte Sehnsucht. Und nun
+gesellt sich noch Krankheit dazu, keine ausgesprochene,
+mehr ihre drohenden Zeichen,
+die ihn an Körper und Seele tückisch bedrohen.
+Seit seinem siebzehnten Jahre
+quält ihn ein physischer Schaden; eine Operation
+beseitigt ihn, gleich setzen andere
+lästige Beschwerden ein in Lunge und Blutkreislauf.
+Zirkulationsstörungen verursachen
+kongestive Leiden, Migränen nehmen sein
+Hirn in den Schraubstock, dabei foltert ihn
+Angst vor Bakterien, die sich phantastisch
+verstärkt, als er auf Grund einer von Militärärzten
+im Kriege bestätigten Bronchitis für
+dienstuntauglich erklärt wird. Dieselbe
+Diagnose hat er sich in seiner privaten
+Existenz schon 1910 gestellt, wo er nicht nur
+des beginnenden Zwistes mit den Vettern
+halber seine Arbeit bei der Firma nach fünfzehnjähriger
+Tätigkeit aufgab. Die erdenklichsten
+Vorbeugungsmittel, besonders fleißige
+Sonnenbäder gewähren ihm eine gewisse Erleichterung,
+die ihm jener C-Befund (Garnisonsdienst)
+<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
+der Musterungskommission wieder
+benimmt. Sein Kampf gegen die Bakterien
+geht nun so weit, daß er sich metallene
+Türklinken wegen Infektionsgefahr zu berühren
+scheut und auch bei schärfster Sonnenglut
+stets nur in peinlichst verschlossenen
+Kutschen ausfährt. Im Laienurteil verschafft
+das Eißler unter den Einwohnern des Städtchens
+Baden bald den Ruf eines ungefährlichen
+Narren, eines verrückten Privatdozenten,
+für den man ihn der lehrhaften Art
+halber hält, in der er seine Phobien auch ganz
+Fernestehenden begründet.
+</p>
+
+<p>
+Trotz alle dieser den akuten chokhaften
+Eintritt einer seelischen Panik erklärenden
+Symptome gelangt das Gutachten dennoch
+zur Konstatierung seiner Verantwortlichkeit,
+die es allerdings wie folgt etwas einschränkt:
+</p>
+
+<p>
+„Er ... ist nicht im Bewußtsein wesentlich
+getrübt oder gar sinnesverwirrt. Er hat sich
+vielmehr nur nach § 46 des St.-G. in einer aus
+den gewöhnlichsten Menschengefühlen entstandenen
+heftigen Gemütserregung zu dem
+Verbrechen hinreißen lassen, für das ein ausreichendes
+Motiv nicht fehlte. Im übrigen ist
+er ein keineswegs geisteskranker oder geistesschwacher,
+hypochondrischer verschrobener
+Sonderling, dessen psychopathische Minderwertigkeit
+ihn gegen das Auftreten von Gemütsbewegungen
+weniger widerstandsfähig
+<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
+macht, was daher vom gerichtspsychiatrischen
+Standpunkt als mildernder Umstand
+einer richterlichen Würdigung noch besonders
+empfohlen werden muß.“
+</p>
+
+<p>
+Der Angeklagte wurde hiermit verhandlungsreif.
+Die Anklageschrift konnte entworfen
+werden.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-8">
+<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a>
+VIII. DIE ANKLAGESCHRIFT.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Gewalttat stellt meistens eine tragische
+Außenhandlung dar, Ergebnis und Erlösung
+tiefer gelegener Stauungen und Reize von ihr
+oft völlig polarem Charakter, – und an der
+Peripherie, wie ihre blinde Aktion, bleibt gewöhnlich
+ebenso ihre gerichtliche Sühne.
+Denn selbst diese belangt lediglich ein Zeichen,
+nicht Wuchs und Wesen des Ereignisses;
+nach einem Zeichen muß sie anklagen,
+verhandeln, verurteilen. Seit Jahrzehnten
+vorgedachte Abstrakta werden Maß und
+Mittel der Strafe, erdacht von einer Gesellschaftsordnung,
+die mit ihnen steht und fällt.
+<em>Rudolf von Iherings</em> so menschlicher
+Satz: „Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern
+die Begriffe sind des Lebens wegen da,“
+leuchtet über dem Tore zu einer Gemeinschaft,
+das sich uns noch nicht aufgetan hat.
+</p>
+
+<p>
+Prüft man die Anklageschrift gegen Otto
+Eißler, die nach Einholung des psychiatrischen
+Gutachtens am 23. Februar 1924 für
+den zu Aprilbeginn terminierten Prozeß verfertigt
+wurde, so kann man sich ähnlicher
+<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
+Meditationen nicht erwehren. Sie skelettiert
+Vorgeschichte und Fall im österreichischen
+Kurialstil, wobei sie seine psychogenen Bedingungen
+genau so zur Seite schiebt wie sie
+anderseits auf Konstatierung einer eventuell
+wirklich verübten Benachteiligung des
+Beklagten seitens seiner Verwandten verzichtet,
+hierin striktest gegensätzlich zu dem
+Gutachten der Psychiater, das gerade diesen
+Punkt nicht scharf genug betonen kann, weil
+er ihnen zum Beweis der geistigen Gesundheit
+des Beklagten dient. Einig mit jenen wird sie
+wieder in den Folgerungen, dem „dolus“ und
+der Verantwortlichkeit des Täters. Im übrigen
+bestrebt sie sich ihrem Sinne nach, der ja
+auf Korrektur seitens der Verteidigung und
+auf Einschränkung durch die Verhandlung
+selbst gefaßt ist, die Ereignisse in den ihr
+wichtig dünkenden Phasen zu entfalten und
+führt dabei weder aus, warum Otto seinen
+Haß just auf den Vetter Robert aus dem
+Firmentriumvirat so mörderisch konzentrierte,
+noch, was solchen Haß berechtigte
+oder nicht. Damit genügt sie ihrem Zweck,
+der die Suche nach einer Wurzel der vor den
+Kadi gebrachten Handlung noch nicht einbegreift.
+Wie jede Anklage steht auch sie in
+dem Vorgang, den sie in die Schranken fordert.
+<em>Über</em> ihn darf sie sich ja nicht erheben;
+sie könnte sonst oft genug keine mehr sein.
+<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
+Sie sucht sich Paragraph und Strafe zu der
+Schuld, die sie prangert. Sie sei hier gebracht
+in einem Auszug, der, von ihrem
+Augenpunkte her, durch Darstellung und
+Schilderung das bereits Berichtete, vermehrt
+um Details fesselnder Art, betrachten lassen
+mag:
+</p>
+
+<p>
+„Die Staatsanwaltschaft Wien I erhebt
+gegen:
+</p>
+
+<p>
+Otto Eißler, geboren am 15. Juli 1874 in
+Bisenz, nach Wien zuständig, mosaisch, ledig,
+ohne Beschäftigung in Baden wohnhaft gewesen,
+derzeit in Haft, <em>die Anklage</em>:
+</p>
+
+<p>
+Otto Eißler habe am 30. August 1923 gegen
+Robert Eißler in der Absicht, ihn zu töten,
+durch Abgeben mehrerer Schüsse aus einer
+Browningpistole und einer Mauserpistole auf
+eine solche Art gehandelt, daß daraus dessen
+Tod erfolgte. Otto Eißler habe hierdurch das
+Verbrechen des Mordes nach § 134 STG. begangen
+und sei nach § 136 STG. unter Bedachtnahme
+auf §§ 1, 2 des Gesetzes vom 3. IV.
+1919 STG. BL. Nr. 215 zu bestrafen.
+</p>
+
+<p class="noindent">
+<em>Begründung</em>:
+</p>
+
+<p>
+Otto Eißler ist der Sohn des im Jahre 1920
+verstorbenen Heinrich Eißler, der bis zu
+seinem Tode öffentlicher Gesellschafter der
+Firma J. Eißler und Brüder war. Nach einem
+im Jahre 1897 zwischen den Gesellschaftern
+dieser Firma geschlossenem Vertrage hätte
+<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
+Otto Eißler unter gewissen Voraussetzungen
+das Recht gehabt, nach dem Tode seines
+Vaters als dessen Nachfolger in die Firma
+einzutreten. Schon vor dem Tode Heinrich
+Eißlers, nämlich am 1. Oktober 1919, traf
+Otto Eißler mit den damaligen Mitgesellschaftern
+seines Vaters, seinen Vettern Dr.
+Hermann Eißler, Robert Eißler und Alfred
+Eißler ein schriftliches Abkommen, demzufolge
+Otto Eißler auf das Recht nach dem
+Tode Heinrich Eißlers öffentlicher Gesellschafter
+der Firma zu werden, verzichtete,
+wogegen ihm die Berechtigung zugestanden
+wurde, sich als stiller Gesellschafter an den
+Geschäften zu beteiligen. Dieses Übereinkommen
+wurde jedoch nach dem Tode des
+Heinrich Eißler, und zwar mit dem Vertrag
+vom 6. Juli 1921 umgestoßen, durch den
+Otto Eißler gegen Bezahlung bedeutender
+Beträge endgültig aus der Firma schied.
+Otto Eißler hatte früher, und zwar seit dem
+Jahre 1896 verschiedene Stellungen in der
+Firma eingenommen, jedoch im Jahre 1910
+nach Mißhelligkeiten mit den Firmeninhabern
+diese geschäftliche Betätigung aufgegeben.
+Seit dieser Zeit glaubte er zu erkennen, daß
+seine Verwandten darauf ausgingen, ihn
+systematisch aus dem Geschäfte zu verdrängen.
+Dies rief eine dauernde tiefe Verbitterung
+bei ihm hervor, die sich in der
+<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
+letzten Zeit noch steigerte, als sich ihm die
+Überzeugung aufdrängte, daß er durch die
+Verträge aus dem Jahre 1919 und 1921 nicht
+nur seines Anteiles an der von seinem Vater
+gegründeten Firma für immer verlustig geworden
+war, sondern daß seine Vettern Hermann,
+Robert und Alfred Eißler ihn in diesen
+Verträgen auf das schwerste geschädigt hatten.
+Er brachte im Frühjahr 1923 durch
+seinen Rechtsanwalt beim Handelsgerichte
+Wien gegen seine Vettern die Klage auf Ungültigkeitserklärung
+der beiden Verträge von
+1919 und 1921 ein. Für wie wenig aussichtsreich
+er diesen Prozeß hielt, geht daraus hervor,
+daß er wiederholt bei den feindlichen
+Vettern vorsprach, um sie zu einem Ausgleich
+zu bewegen. Dabei kam es zu sehr erregten
+Auseinandersetzungen, bei denen seine Gegner
+bestimmt und nachdrücklich jede gütliche
+Austragung ablehnten. Diese unnachgiebige
+schroff ablehnende Haltung seiner
+Vettern, die Erkenntnis der Aussichtslosigkeit,
+seine Ansprüche ihnen gegenüber im
+Prozeßweg durchzusetzen, der Gedanke, das
+wehrlose Opfer der Treibereien seiner Verwandten
+geworden zu sein, haben in Otto
+Eißler das Gefühl tiefsten Hasses immer
+mehr verstärkt, alle sittlichen Hemmungen
+verdrängt und in ihm den Entschluß zur
+Reife kommen lassen, an seinen Feinden
+<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a>
+Rache zu nehmen, – einer von ihnen, die ihn
+wirtschaftlich zugrunde gerichtet hatten,
+sollte die Schuld mit dem Leben bezahlen.
+</p>
+
+<p>
+Otto Eißler, der seit Jahren ständig in
+Baden bei Wien wohnte, hatte am 9. II. 1923
+beim dortigen Büchsenmacher, Ferdinand
+Müller, eine Browningpistole gekauft. Etwa
+drei Wochen nach der letzten mündlichen
+Zurückweisung seines Ausgleichsanerbietens
+kam er, es war am 20. oder 21. August 1923,
+wieder in das Geschäft Müllers und verlangte
+eine Mauserpistole. Da keine vorhanden war,
+bot man ihm eine Steyrerpistole an, die er
+ablehnte, worauf vom Geschäftsinhaber die
+von Eißler gewünschte Waffe besorgt wurde.
+Am 23. August 1923 kaufte er nun die Mauserpistole
+samt 25 Patronen.
+</p>
+
+<p>
+Am 30. August, also eine Woche später,
+fuhr er um halb neun Uhr vormittags mit der
+Lokalbahn nach Wien und begab sich in die
+im Hause I., Dr.-Karl-Lueger-Platz 2. befindlichen
+Geschäftsräume der Firma. Nachdem
+ihm geöffnet war, ging er sofort durch das
+Vorzimmer in das sogenannte Chefzimmer,
+in dem die Schreibtische der Gesellschafter
+Robert und Alfred Eißler standen. Das
+Zimmer (früher der Arbeitsraum Heinrich
+Eißlers) war leer und der Beschuldigte setzte
+sich auf den vor dem Schreibtisch Alfred
+Eißlers stehenden Sessel und wartete. Der
+<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a>
+Kassierer der Firma, Albert Köhler, kam
+herein und antwortete auf die Frage, welcher
+Chef heute anwesend sei, daß nur Robert
+Eißler da sei. Nach kurzem, belanglosem Gespräch
+verließ Köhler das Zimmer und begab
+sich in seine Kanzlei, wo nach einigen Minuten
+Robert Eißler mit dem Ersuchen erschien,
+Köhler möge ihm einen auf einer
+Armbanduhr klebenden Zettel ablösen. Auf
+dem Rückweg ins Chefzimmer forderte Robert
+Eißler den Geschäftsdiener Josef Kment
+auf, ihn telephonisch mit dem Direktor einer
+Aktiengesellschaft zu verbinden. Gleich
+darauf öffnete Kment die Tür zum Chefzimmer,
+in dem sich jetzt Robert Eißler befand,
+und meldete, daß die Verbindung hergestellt
+sei. Er hörte noch, bevor er sich entfernte,
+wie Robert Eißler das telephonische
+Gespräch begann. Kaum eine Minute später
+öffnete der Kassierer Köhler die Tür des
+Chefzimmers, um die Uhr zurückzubringen,
+da sah er, daß Otto Eißler vor dem Schreibtisch
+Alfreds stand und auf den ihm gegenüber
+an seinem Schreibtisch sitzenden Robert
+Eißler mit ausgestreckten Armen aus zwei
+Pistolen mehrere Schüsse abgab. Robert
+Eißler sank getroffen zu Boden. Köhler
+nahm dem Beschuldigten die Waffen, wobei
+Otto Eißler etwas von „sich erschießen“
+sprach. – – – – – – – – – – – –
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a>
+Als gleich darauf der Arzt erschien, sagte
+Robert Eißler noch: „Bauchschuß, – ich
+sterbe – Herr Doktor, wie lange habe ich
+noch zu leben?“ Dann schaffte man ihn in
+ein nahegelegenes Sanatorium, wo er kurz
+nach der Einbringung seinen Geist aufgab.
+Alle unmittelbar nach der Tat erschienenen
+Personen bekunden die vollkommene Ruhe
+und Gelassenheit des Beschuldigten, der dem
+ihn zum Stadtkommissariat eskortierenden
+Wachebeamten Karl Rudolf auf die Frage
+nach dem Beweggrund seiner Tat die Antwort
+gab: „Wenn man mich statt mit Goldfranken
+mit österreichischen Kronen abfertigen
+will, dann werden Sie es verstehen.“
+</p>
+
+<p>
+Die gerichtliche Öffnung der Leiche des
+Robert Eißler ergab eine Schußwunde in der
+rechten Brustseite, diese Kugel hatte auf
+ihrem weiteren Weg den rechten Bauchmuskel
+durchbohrt, das Zwerchfell breit
+durchtrennt und ist in die Bauchhöhle eingedrungen.
+An der linken Bauchseite befanden
+sich drei weitere, von einem und demselben
+Schuß herrührende Wunden. Diese
+Kugel hat den Dickdarm durchbohrt, ist
+dann in die hintere Bauchwand eingedrungen,
+hat die linke Seitenwand des kleinen Beckens
+durchsetzt und dabei einige größere Blutadern
+zerrissen. Eine weitere Schußverletzung
+wies der rechte Oberschenkel auf,
+<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a>
+wo durch das Geschoß die Muskeln breit
+zertrümmert und sowohl die Oberschenkelschlagader
+als auch die dazu gehörige Blutader
+breit geöffnet wurden. Diese Gefäßverletzungen
+haben zu mächtigen Blutaustritten
+in das Gewebe geführt.
+</p>
+
+<p>
+Von einem vierten Schuß war der linke
+Oberschenkel getroffen worden, der wagrecht
+durchbohrt war, die Schenkelanziehermuskeln
+waren ausgedehnt zertrümmert, von
+Blutaustritten durchsetzt und die große
+Rosenblutader verletzt. Der linke Arm wies
+sechs Schußwunden auf, die möglicherweise
+von bloß zwei weiteren Schüssen verursacht
+worden sein können. Der Tod Robert Eißlers
+ist infolge dieser Schußverletzungen durch
+Verbluten erfolgt. Sowohl der an zweiter
+Stelle genannte als auch der dritte Schuß
+hätten jeder für sich allein den Tod herbeiführen
+können.
+</p>
+
+<p>
+Otto Eißler kann die Tat nicht in Abrede
+stellen und behauptet schon in seinem polizeilichen
+Verhör, im Jähzorn und ohne
+Tötungsabsicht gehandelt zu haben. Dieselbe
+Verantwortung bringt er am 1. September
+beim Untersuchungsrichter vor. „Ich
+habe,“ sagt er, „im Jähzorn auf den Mann
+geschossen, der meines Erachtens Betrügereien
+zu meinem Nachteil begangen hat, und
+ich meine, unter diesen Umständen ist meine
+<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a>
+Tat zwar moralisch verwerflich, aber menschlich
+zu begreifen.“ Da er auf die ihm vom
+Untersuchungsrichter vorgehaltenen schweren
+Verdachtsgründe, die mit Sicherheit auf
+die längst gefaßte, wohlüberlegte Absicht
+schließen lassen, seinen Gegner zu töten,
+keine Antwort weiß, erklärte er nunmehr:
+„Ich stehe auf dem Standpunkt, daß der
+Ausbruch einer Wahnidee sich nicht mit
+Logik begründen läßt.“
+</p>
+
+<p>
+Auch in seinem Verhör vom 17. Dezember
+1923 stellt er die Tat als das Ergebnis einer
+jähzornigen Gemütsaufwallung dar, will dann
+wieder glauben machen, er habe im Augenblick
+des Schießens nicht gewußt, daß er
+schieße, behauptet dann wieder, in einer
+riesigen Zornaufwallung gehandelt zu haben
+und weiß auf den Vorhalt, daß alle unbefangenen
+Personen seine vollkommene Ruhe
+unmittelbar vor, bei und nach der Tat bestätigen,
+nichts anderes zu entgegnen, als
+daß er die Wahrheit dieser Aussagen bestreite.
+Die Verantwortung Otto Eißlers,
+nicht in der Absicht zu töten geschossen zu
+haben, findet in den Ergebnissen des Vorverfahrens
+ihre volle Widerlegung. Die Vorgeschichte
+der Tat, der Ankauf der zweiten
+tötlichen Waffe, das Mitnehmen beider Pistolen
+von Baden nach Wien, das klugbedachte
+und wohlüberlegte Abwarten des günstigsten
+<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a>
+Augenblickes, während Robert Eißler durch
+das Telephonieren abgelenkt war, die Abgabe
+von mehreren Schüssen aus zwei ihm
+als äußerst gefährlich bekannten Waffen aus
+unmittelbarer Nähe: alle diese Umstände
+lassen keine andere Deutung zu, als die, daß
+Otto Eißler den lange vorher bedachten und
+wohlvorbereiteten Plan zur Ausführung gebracht
+hat, einen seiner Feinde, die ihn wirtschaftlich
+auf das Schwerste geschädigt hatten,
+und die er erbittert haßte, zur Befriedigung
+seines leidenschaftlichen Rachegefühles
+ums Leben zu bringen. Nach den Angaben
+einer Reihe von Auskunftspersonen
+ist der Beschuldigte stets um seine Gesundheit
+ängstlich besorgt, weicht insbesondere
+jeder Ansteckungsmöglichkeit sorgfältig aus,
+ist von sehr argwöhnischer und <a id="corr-7"></a>mißtrauischer
+Sinnesart, so daß er den Eindruck eines Sonderlings
+macht. Das Gutachten der Gerichtsärzte,
+die die Untersuchung seines
+Geisteszustandes vorgenommen haben, bestätigt,
+daß Otto Eißler ein hypochondrisch-verschrobener
+Sonderling sei, schließt jedoch
+völlig aus, daß er etwa geistesschwach oder
+gar geisteskrank sei oder sich zur Zeit der
+Tat in einem Zustand der Sinnesverwirrung
+befunden habe. Seine Verantwortlichkeit für
+die von ihm begangene Bluttat steht daher
+außer jedem Zweifel.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a>
+Staatsanwaltschaft Wien I.
+</p>
+
+<p>
+Am 23. Februar 1924.
+</p>
+
+<p>
+Auf Grund dieser Anklage stand am 8.
+April Otto Eißler im großen Saale des „Grauen
+Hauses“, wie das Landesgericht im Wiener
+Volksmunde heißt, vor den Geschworenen.
+Die Verhandlung war auf drei Tage bemessen;
+ihren Beginn verzögerte ein Gebrechen
+in der Lichtleitung. Die Leitung des
+Prozesses gestaltete sich um so rascher. Der
+schon früher genannte Richter riß sie straff
+und unnachsichtlich vorwärts mit einer
+Schneidigkeit, die etwas preußisches an sich
+hatte. Es sollte zu keinem Kurzschlusse
+kommen zwischen ihm und dem ewigen Gesetze.
+Ein Mensch war getötet worden; der
+Mörder mochte es büßen, ohne psychologischen
+Firlefanz: Hart gegen Hart!
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-9">
+<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a>
+IX. DER FÜNFTE AKT.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Einmischung in eine Privatangelegenheit
+– unnötige Behelligung der Öffentlichkeit
+mit einer Streitsache, die man der Unzulänglichkeit
+des geltenden Rechtes wegen persönlich
+erledigen mußte, – Beschnüffelung von
+Opfer und Täter, die hier nur einander betrafen
+und durch ihr tötliches Duell die
+Menschheit als Ganzes, nie aber Neugier und
+Zuständigkeit eines bürgerlichen Gerichtes,
+– ein wenig so betrachtet der mittelgroße,
+etwas beleibte ältere Herr im dunkelgrauen
+Mantel seinen Fall, den er vor den Schranken
+temperamentvoll erläutert und begründet.
+Nicht im Sinne der Anklage bekenne er sich
+schuldig, erwidert er dem Vorsitzenden, Hofrat
+Ramsauer, der aus seinem hautverkleideten
+Granitschädel angespannt der Schilderung
+Otto Eißlers folgt. Darnach hat Robert
+die von dem Vetter beabsichtigte Zwiesprache
+mit einem sonderbaren, nicht eben
+gemütvollen Wunsche im Keime erstickt:
+„Du kannst noch sieben Jahre Prozeß führen!
+Von mir aus könnt ihr alle krepieren!“ Und
+<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a>
+er? – – „Nachdem ich die Hände gerade in den
+Taschen hatte, habe ich, ohne es zu wissen,
+und ohne mein Wollen, ohne zu zielen, ohne
+zu wissen, daß ich schieße, auf den Mann geschossen.“
+Die Waffen, die er dann gegen
+sich richten wollte, müssen ihm entrungen
+werden. Im übrigen hätte er sie gewohntermaßen
+bei sich getragen, deshalb könne keine
+Rede davon sein, daß er sie vor jener Fahrt,
+die in die Bluttat mündete, eigens planvoll
+zu sich gesteckt habe. Und in Einem weist er
+es zurück, er wäre über den Sterbenden mit
+einem „Es ist nicht schade um ihn“ weggegangen.
+Aus dem ersten Verhör mit Regierungsrat
+Hanusch steht eine viel wesentlichere
+Äußerung verzeichnen die er auch
+nicht leugnet: „Es muß doch in der Welt
+endlich einmal etwas geschehen“ Diese
+scheinbar banalen Worte legen die eigentliche
+Achse seiner Handlung bloß, reichen in
+das Getriebe der inneren Zwangsläufigkeit
+seines Verbrechens, wohin die seelische Autopsie
+der Psychiater trotz peinlichster Gewissenhaftigkeit
+nicht einzudringen vermochte.
+Er, der nach Ansicht seiner Vettern
+zu zerfahren blieb, um in den Generalstab des
+Kontores vorzurücken, schmetterte mit seinen
+mörderischen Schüssen symbolisch die
+Firmentafel ein, weil es ihm nicht verliehen
+war, sich anders über solche Kränkung wegzuhelfen.
+<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a>
+Vorsätzlicher Mord oder Totschlag
+im Zorn standen also hier in erster Linie zur
+Frage: beides lehnt er vehement ab, will
+einzig auf eine seelische Panik plädiert wissen,
+die in jenem tragischen Augenblicke nicht
+allein seine Waffen, sondern auch ihn jeder
+hemmenden Sperre entledigt hätte. Dawider
+aber findet er im Gutachten der Psychiater
+wie in der Anklage entschlossenste Gegnerschaft.
+Die vierte Möglichkeit befehdet er
+selbst, jene, es könne sich um eine Paranoia
+handeln, um eine ausgesprochene Geisteskrankheit
+aus der Kategorie des Verfolgungswahnes.
+Wie sein Anwalt, Doktor <em>Valentin
+Teirich</em>, der dritte, den sich der von Mißtrauen
+vergiftete Angeklagte seit seiner Festnahme
+gewählt hatte, scharfsinnig ausführte,
+lag der Keim des Übels wohl nicht in der zur
+gespenstigen Gegnerschaft gewordenen Vision
+seines feindlichen Vetters, mehr in einer durch
+gesteigertes Selbstgefühl überkompensierten
+Urangst vor irgendeinem Untergang, die sich
+zunächst als Verarmungsfurcht kundgab und
+sich erst nachträglich angeregt durch die ihn
+tatsächlich gefährdende Einstellung Roberts
+den Körper fand, mit dem sie sich in kausale
+Beziehung als den endlich Fleisch gewordenen
+Feind zu setzen vermochte. Doch Zweifel an
+der Überlegenheit und unbedingten Klarheit
+seines Geistes will Otto Eißler nicht sich und
+<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a>
+niemand eingestehen; an seinen Geist soll ihm
+keiner rühren, nicht einmal an seine Meinung
+über die Eignung für das Geschäft, die er, wie
+er behauptet, mehrfach glänzend bewiesen
+hätte, was ja wahrhaftig nicht so sehr für Geist
+als für rasche Gewitztheit und rücksichtslose
+Entschlußkraft zeugte. Ehe er das Primat
+seines Geistes anzutasten gestattet, nimmt er
+lieber noch die Gefahr des äußersten Strafsatzes
+auf sich, der sein Verbrechen mit
+lebenslänglichem Kerker bemißt. Doch er
+rechnet bestimmt auf Freispruch, sehr verschieden
+darin von dem Vorsitzenden, der
+sich immer gewichtiger in den Mittelpunkt
+der Verhandlung schob, wie in jeder, die bisher
+unter seiner Ägide vor sich gegangen war.
+Ägide in des Wortes furchtbarster Bedeutung:
+Es war ein Medusenhaupt des Rechtes, das
+er den armen Sündern wies.
+</p>
+
+<p>
+Es reizt, vor jedem weiteren Berichte bei
+seiner Persönlichkeit zu verweilen, deren gehaltene
+Natur sich von dem flackernden
+Nervenbündel, das ihm da in die Hand gegeben
+war, nicht bewegen ließ. Bei einem
+protestierendem Zwischenrufe fährt er es an:
+„Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, daß
+die Art, wie Sie Zeugen anflegeln, nur für das
+Ende spricht, das Sie erwartet!“ Was in der
+Kritik der Presse („Abend“ vom 9. April
+1924) zu dem Hinweis auf einen Justiz-Ministerial-Erlaß
+<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a>
+vom Jahre 1907 Anlaß gab,
+der einen Vorsitzenden, der „den Angeklagten
+bereits als überführt behandeln würde“, ausdrücklich
+als mit seinen Pflichten in Widerspruch
+stehend bezeichnet. Eißler freilich
+vermochte da nichts zu erwidern; er besaß
+nicht die notwendige blitzhaft einsausende
+Energie, wie etwa die Giftmischerin Milica
+Vukobrankovics, die ihrem Verhandlungsleiter
+bei einer ähnlichen Kritik entgegnet hatte:
+„Hängt das mit dem Abbau zusammen, daß
+sie Richter und Staatsanwalt in einer Person
+sind?“ und damit die Lacher auf ihrer Seite
+entfachte. Wie es aber Ottos Verhängnis blieb,
+daß selbst der Schatten des toten Robert
+mächtiger wirkte als er, so gleitet er auch allmählich
+hier vor der Figur seines Richters zur
+Seite, der nun alle Erwartung und Neugier
+auf sich sammelt. Es ist eine bedeutende, doch
+nicht versöhnlich anmutende Gestalt, die sich
+uns in Hofrat Ramsauer darstellt: Hartkantig
+bis zur Schroffheit, an dem ganzen
+Handel fasziniert durch die Paragraphen,
+nach denen er erledigt werden muß, ein Matador
+seiner traurigen Pflicht, die ihm zur
+Leidenschaft geworden ist, in unermüdlicher
+Arbeitskraft jenem Toten ähnlich, um den
+der Prozeß geht. Als zweiter „<em>Holzinger</em>“
+wird er verschrieen, der Name jenes scharfen
+Wiener Staatsanwaltes, Schwager des Dichters
+<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a>
+<em>Anzengruber</em>, der schließlich selbst
+sein heiliges Gesetz so sehr verletzte, daß ihm
+nur freiwilliger Tod den letzten Ausweg bot.
+Es wäre aber ebenso wohlfeil wie falsch, einen
+Charakter von Ramsauers Art mit dem
+Klischee des geistigen Sadismus abzutun,
+wie es zur Not noch auf Holzinger passen
+konnte. Ramsauer ist lediglich tätiger Protagonist
+seiner Weltanschauung die ihm das
+Strafrecht zum unantastbaren Evangelium
+verklärt hat. Vorgefaßtes Übelwollen äußert
+er so wenig wie Güte. Dem Gesetze einzig
+und allein dient er und wendet es an, so lange
+es besteht in der gebotenen Form, ohne
+Schwäche, jedoch auch ohne Ansehen der
+Person und ohne willkürliche Auslegung.
+Humanitätsappelle, psychologisierende Entschuldigungen
+sind freilich seine Sache nicht;
+der Blick, der in Herz und Nieren des Inkulpanten
+forscht, übersieht vielleicht, daß
+zwischen ihm und jenem auf dem Richtertische
+ein Kreuz mahnt. Als Vollzugsorgan
+einer Gesellschaftsordnung erachtet er sich,
+darin jedes unangebrachte Erbarmen die
+Fundamente lockern kann. Das „Ramsauerurteil“
+wurde sprichwörtlich, seine Entscheidungen,
+auch als Einzelrichter, beschäftigen
+andauernd den Berufungssenat; der milde
+Hofrat <em>Jakob</em> nahm so – einen Tag nach
+Abschluß des Eißlerprozesses, – an mehreren
+<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a>
+von Jenem gefällten Urteilen wegen § 144
+(Verbot der Abtreibung der Leibesfrucht)
+menschliche Abstriche vor. Was Ramsauer
+keineswegs veranlaßte, sich etwa bei der
+gleichen Gelegenheit später sichtlich milder
+zu erweisen. So ist er auf seine Art, die freilich
+nicht Jedermanns Art sein mag, ein
+Römer nach Gerechtigkeit, Reinheit und gelassener
+Härte seiner Persönlichkeit.
+</p>
+
+<p>
+Es mochte also mehr an der Form, als an
+der gerade von diesem Richter sonst peinlichst
+korrekt geprüften Sache liegen, die besonders
+die Presse fortwährend gegen ihn aufbrachte,
+die ihm Feinde schuf, wie sie in solcher Menge
+und Hartnäckigkeit in Wien selten eine
+öffentliche Persönlichkeit zählt. Die Strategie
+seines Verfahrens setzte auch in der Causa
+Eißler – wohl unbewußt – vom Anfange
+her schon mit einem „Ceterum censeo“
+wider den Beklagten ein. Bereits am ersten
+Tage des Prozesses vernahm er bis in die
+tiefe Nacht sämtliche Entlastungszeugen,
+um die folgende Zeit nur mit belastenden
+Aussagen zu füllen, ein sonst der ungünstigen
+Wirkung auf die Geschworenen halber nicht
+üblicher Brauch. Denn wie der Verteidiger
+im Strafverfahren das letzte Wort zugebilligt
+erhält, genau so pflegt man die Stimme
+<em>für</em> den armen Sünder erst <em>nach</em> jenen anzuhören,
+die ihn auf Leib und Leben <em>verklagen</em>.
+<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a>
+Und nicht nur solche ungewohnte
+Umkehrung beeinträchtigte im Zuge der
+Verhandlung die Situation des Angeklagten;
+auch sein Anwalt Dr. Teirich mußte manche
+Bemerkung oder Frage an das Gericht über
+den Wink des Vorsitzenden zeitlich verschieben,
+wodurch sie in ihrer geplanten Wirkung
+auf die Geschworenen nichts weniger
+als gewann. Das große Schachspiel, das um
+die Haltung der Zwölfmännerschaft sonst
+zwischen Advokat und Staatsanwalt ausgefochten
+zu werden pflegt, hatte hier zum
+Teile auch die sella curulis ergriffen; zwei
+Partner rückten so gegen einen in das Feld.
+Die Entlastungszeugen, Schulfreunde, Bekannte,
+Verwandte Otto Eißlers, sowie Leute,
+die in dienstlicher Beziehung zu ihm standen,
+schienen sich eins darin, daß er ein gutmütiger
+Sonderling sei mit querulanten Neigungen,
+aber von einer feinfühligen inneren Beschaffenheit,
+die ihn auch für das soziale
+Elend um ihn nicht taub machte. Diese Erklärungen
+wachsen an Wärme, je näher sie
+dem privaten Leben des einsamen Melancholikers
+kommen; die Schwester Ida von Molnar
+und Anna Heimerle, die Lebensgefährtin,
+wissen nicht genug seine Güte und seine Vornehmheit
+zu rühmen. Von der Gegenseite
+geschieht eigentlich nur durch Doktor Braß,
+dem Vertreter der Zivilansprüche der Familie
+<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a>
+Roberts, eine aus dem Rahmen fallende
+Attacke; Doktor Fürst polemisiert sehr diplomatisch,
+und der neue Firmenchef Doktor
+Hermann Eißler, ein Mann erlesenster künstlerischer
+Kultur, der sich erst spät zu gerichtlicher
+Aussage entschlossen hatte, befleißigte
+sich gleichfalls möglichster Objektivität.
+Dennoch schwindet bald jede weichere
+menschlichere Stimmung, Ziffern schwirren
+herum, uralter Verwandtenhaß brodelt auf,
+immer dicker wird die Luft im Gerichtssaal.
+Solcher anschwellenden Beklommenheit hält
+niemand stand, wie eine stickige schmutzig-gelbe
+Wolke wuchtet das Gold und seine Gier
+über allem, immer kleiner, immer trüber
+schwält durch ihren Dunst die Flamme der
+Verantwortung, immer gewaltiger kann die
+Anklage ausholen zum unerbittlichen Endspruch.
+Und doch klaffte in der Sache selbst
+ein tragischer Irrtum: Der arme Mensch, der
+hier Zahl über Zahl türmte, so daß Vorsitzender
+und Geschworene dem Eindruck
+erlagen, eine verunglückte Valutenspekulation
+sei da von einem nicht einmal wesentlich
+Geschädigten aus gekränktem Egoismus
+zum Mordmotive aufgebauscht worden, – er
+war wirklich nichts weniger als wesenseins
+mit den Dinaren, jugoslavischen und österreichischen
+Kronen, die er sprudelnd hervorstieß.
+Er konnte bloß keine andere Sprache
+<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a>
+gebrauchen, als eine seines Milieus, er meinte
+dabei gar nicht jenes Geld, um das man ihn
+seiner Ansicht nach betrogen hatte, sondern
+sein vom Gelde ins Antlitz geschlagenes gutes
+<em>Recht</em>. Doch sich in Diskussionen über das
+Thema „Nicht der Mörder, der Ermordete
+ist schuldig“ einzulassen, dazu spürte das Gericht
+wenig Lust; denn eben durch den sich
+in Zahlen rechtfertigenden Angeklagten war
+es ja auf ein Maß herabgenötigt worden, aus
+dem es die tragische Kulisse des ganzen
+Falles, die zugleich eine Kulisse seiner Zeit
+wurde, nicht zu fassen vermochte. Für seinen
+Wahrspruch stand da bloß ein ihm unangenehmen
+von fixen Ideen besessener Herr bereit,
+der in seinen ungezügelten Repliken vom
+Vorsitzenden stets nachdrücklichst abgewiesen
+werden mußte, und an dessen Händen
+überdies das Blut eines der <a id="corr-8"></a>geachtetsten Großindustriellen
+des Reiches klebte. Solche
+Eindrücke modellierten die Überzeugung der
+Zwölf, Eindrücke von einer fremden und
+keineswegs sympathischen Welt.
+</p>
+
+<p>
+So war im Verlaufe der drei Tage „nichts
+fürs Gemüt“ vorgefallen, die unaufhörlichen
+geschäftlichen Diskussionen langweilten und
+erbitterten; einzig die Aussagen der beiden
+Frauen, die der Vorsitzende chevaleresk behandelte,
+hatten etwas Helle verbreitet. In
+einer umsichtigen, vor allem gegen das Gutachten
+<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a>
+der Psychiater gerichteten Rede verfocht
+Doktor Teirich die Sache seines Schutzbefohlenen
+höchst geschickt, indem er zwingend
+zu erläutern trachtete, wie ein Mensch
+von der seelischen Basis und Belastung des
+Beklagten, die er mit bezeichnenden Zeugenattesten
+umriß, unter den von seiner Sippe
+gegen ihn verfügten Maßnahmen in einen
+seelischen Aufruhr geraten mußte, der seine
+Zurechnungsfähigkeit bei der Tat ausschloß.
+Und selbst der <em>Staatsanwalt Doktor
+Winterstein</em>, der sich auch während der
+Dauer der Verhandlung in höchst rühmenswerter
+Weise verhielt, die das menschliche
+Bedauern für den Beklagten trotz selbstverständlicher
+schärfster Verdammung der Tat
+nicht verhehlte, bat die Geschworenen um
+Milde: „Der Kampf der Firma gegen Otto,“
+sagte er, „ist hart und ungerecht geführt
+worden, und er hatte es nicht gerade mit
+zärtlichen Verwandten zu tun.“ So mühte
+sogar er sich, Verständnis zu erwirken dem,
+den er auf geplanten Mord verklagt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Der Vorsitzende beharrte auf seinem Standpunkt,
+für den es, wie er bekannte, gleichgültig
+blieb, ob Robert Eißler ein Engel oder
+der Teufel in Menschengestalt gewesen sei.
+Vergossenes Blut heischte Sühne. In der
+Schale des Zornes würde es immer schwerer
+wiegen, mochte noch so viel Verzeihliches und
+<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a>
+Begreifliches in der Schale der Versöhnung
+liegen.
+</p>
+
+<p>
+<em>Die Geschworenen bejahten die
+Frage auf vorsätzlichen Mord mit zehn
+Ja und zwei Nein.</em>
+</p>
+
+<p>
+Der Strafsatz bemißt für diese Erkenntnis
+im bittersten Falle lebenslänglichen schweren
+Kerker, der im Berufungswege bis zu einem
+Jahr herabgesetzt werden kann. Solche Berufung
+wird aber der Verteidigung nur dann
+gestattet, wenn der Spruch des Richters auf
+mehr als zehn Jahre lautet, und wäre es zehn
+Jahre und einen Tag. Man geht nur meist bei
+ähnlichen Gerichtstragödien, wie sie in der
+bäuerlichen Bevölkerung nicht zu selten sind,
+ungerne so hoch hinauf.
+</p>
+
+<p>
+Eine Frage auf Totschlag unterblieb. Über
+Wunsch des Beklagten. Hofrat Ramsauer
+verkündigte das <em>Urteil</em>:
+</p>
+
+<p>
+<em>Zehn Jahre schweren Kerkers!</em>
+</p>
+
+<p>
+Keine Stunde mehr! Keine Stunde weniger!
+Zehn unabänderliche Jahre!
+</p>
+
+<p>
+Die Lebensgefährtin Otto Eißlers brach mit
+einem Schrei bewußtlos zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Er selbst verharrte aufrecht und starr.
+Sah er plötzlich hinter die Dinge, hinter den
+steinernen Richter, hinter die steifen Geschworenen,
+hinter die graue Wand des Gerichtes?
+Reckte sich nicht eine Gestalt, die
+auf ihn niederblickte durch geschlossene
+<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a>
+Augen, aber aus sechs offenen Todeswunden?
+Die wieder sagte:
+</p>
+
+<p>
+„Dummer Kerl!“ –
+</p>
+
+<p>
+Ja; er hatte Unglück, der arme Otto Eißler.
+Der einen Macht entriß er sich und ließ dabei
+eine Leiche am Wege. Um nun von einer
+anderen Macht sein Urteil zu empfangen, das
+dreifach galt für den kränkelnden fünfzigjährigen
+Mann. Von einer Macht, die unangreifbar
+thronte und unerschütterlich, hart
+gleich dem Vetter Robert, dessen verwandeltem
+Angesicht er hier wieder begegnete, wie
+einem Schicksale, dem er bestimmt gewesen
+war zu verfallen, von allem Ursprunge her.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-10">
+<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a>
+X. EPILOG.
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Am Abend dieser Urteilsfällung über eine
+Tragödie des Geldes geschahen Zeichen. Der
+große gelbe Pan war tot! Der Schrei vom
+Sterben des <em>Hugo Stinnes</em> gellte durch die
+Straßen.
+</p>
+
+<p>
+Zugleich bebte und heulte es auf dem
+Schottenring. Die Börse bäumte sich in
+Krämpfen über den mißglückten Frankenfeldzug.
+Verhaftungen und Selbstmorde
+lösten einander ab.
+</p>
+
+<p>
+Die Spannung, die die Verhandlung gefedert
+hatte, erschlaffte davor. Man fand
+nicht rechte Muse, ein Urteil zu überdenken
+vor der größeren Götterdämmerung, darin
+wieder ein goldener Hort in den Fluten versank.
+</p>
+
+<p>
+Was war auch das Fazit aus Tat und Gericht?
+– Ob Otto Eißler, der fünfzigjährige,
+sein Dezennium Haft unversehrt überstehen
+würde, ob er vorher in einer Heilanstalt oder
+auf einem Friedhofe ersehnte Rast erführe, –
+ein Abgeschiedener ist er schon heute für
+diese Welt, um die er so verzweifelt gekämpft
+<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a>
+hat bis zum Verbrechen. Sein Los nahm nun
+scheinbar doch die Kurve zur großen Verwirrung
+hinüber, die die Psychiater leugneten.
+In der Strafanstalt <em>Stein an der Donau</em>,
+derselben, aus der die Revolution einst
+<em>Friedrich Adler</em> befreit hatte, spürte sich
+Otto Eißler vorerst tief erlöst. Die Ruhe, die
+er nach der Tat gezeigt, dem Psychiater anstößig,
+dem Psychologen leicht erklärlich,
+folgte ihm auch dorthin. Fühlte er sich ja
+endlich entladen von dem Verhängnis seiner
+Tat, die wie ein keimendes Leben in ihm gewachsen
+war und nun mit ihrem Ausbruche
+sein Innerstes gereinigt hatte. Bald aber
+schatteten die alten Ängste wieder um ihn,
+Stimmen hörte er vor seiner Zelle tuscheln, er
+argwöhnte Komplotte und Attentate gegen
+die Seinen, wähnte die Kinder in Not, die Gefährtin
+verfolgt von den Feinden, deren Rache
+noch immer nicht gesättigt sei, – und schrie
+Hilfe herbei, – schrie, bis man ihn in Einzelhaft
+steckte, schrie darin fort, – so daß man
+ihn schließlich nach Wien zur Beobachtung
+überwies. Um ihn von dort wieder ergebnislos
+zurückzusenden. Als einen, der ja wirklich
+nicht irre war nach ärztlichem Ermessen,
+eher ein irre Gewordener an der Menschheit.
+Kein Geisteskranker, doch krank am Geiste,
+noch nicht umnachtet, aber in Nebel geraten.
+Dem lindere Strafe oder Freispruch vielleicht
+<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a>
+noch einen anderen Freispruch bedeutet
+hätte, Freispruch von seinen Gesichten, denen
+er nun wehrlos überliefert ist.
+</p>
+
+<p>
+Wen mußte man auch vor diesem ohnehin
+rettungslos in sich Verkerkerten schützen?
+Durch zehn Jahre äußeren Kerker? Die Tat,
+die, – ob elementar oder nicht, – aus dem
+sozialen Gefühle verletzten Rechtes erfolgt
+war, ließ sie je Wiederholung durch ihren
+Urheber befürchten? An wem? In einem
+Wiener Vororte stieß weniges später ein
+roher Bursche einen seiner friedlichen Wehrlosigkeit
+allgemein als „Waserl“ bezeichneten
+älteren Mann nach vorhergegangenen und bezeugten
+Drohungen das Messer tötlich in die
+Brust; er erhält zwei Jahre, dann wird er
+wieder auf seine Mitmenschen losgelassen.
+Und hier –? Eißler war kein Verbrecher im
+strengen Sinne, keiner, vor dem sich das
+Leben durch seine dauernde Versperrung
+hüten mußte, vielmehr vollgültig das, was
+der Titel dieser ganzen Sammlung vereinigt:
+<em>Ein Außenseiter der Gesellschaft</em>. Und
+auch hierin wieder „cum grano salis“. An der
+Gesellschaft hatte er sich versündigt, nicht
+an der Gemeinschaft. Vor ihrer großen und
+letzten Instanz wird er nicht als der Schuldige
+befunden, noch jener Andere, jener Gewaltige
+des Kapitales, der hingestreckt worden war
+von ihm, weil sie einander ihre Macht beweisen
+<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a>
+wollten. Nicht der Mann, der sich vermaß, mit
+sechs Schüssen der Gerechtigkeit Gottes zu
+dienen, nicht der von ihm Gefällte, der ein
+freudloser Knecht seiner Bestimmung zeitlebens
+geblieben war. <em>Das Geld</em> – war hier
+Tat und Untat. Wie es Urheber aller Kriege
+und Greuel unter der heiligen Einmaligkeit
+unseres Lebens ist. Geld – war es, das den
+Hingemeuchelten zu seinem Kampf gestachelt
+hatte, den er mit seinem Blute zahlen
+sollte, Geld, das den Rächer blendete vor
+seinem eigentlichen Feind und seine Hand
+gegen ein armes, gleich ihm von seiner Sucht
+gehetztes Menschenkind erheben ließ. Die
+Richter griffen und begriffen bloß das Nächste:
+Einen Mörder, der ebenso zu Boden lag wie
+der Gemordete.
+</p>
+
+<p>
+Frei blieb – das Geld. Und weiter wandert
+es, von Blut zu Blut, von Geist zu Geist, von
+Macht zu Macht. Weiter kuppelt es Verwandtenehen,
+daß sein Sakrament nicht der
+Familie entgleite, weiter zeugt es dort Lebensschwache,
+Gezeichnete an Körper und Hirn,
+weiter spaltet es Geschwister und Liebende,
+weiter verführt es Freundschaft, Treue, Bereitschaft
+für alle Menschen zu Lüge, Haß und
+Verrat an der höheren Sache um seines treulosen
+Metalles willen. Zur Wissenschaft ist
+es geworden, zum höllischen Homunculus aus
+Unzucht zwischen Mensch und Ding. Und
+<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a>
+auch dieser Prozeß, der darum ging, wird in
+seiner Art ein Stundenschlag im Mitternachtzeichen
+einer Weltordnung, die solcher Wissenschaft
+eifrigster Adept gewesen. Einer Weltordnung,
+der das apokalyptische Chaos eines
+Jüngsten Tages folgen kann, wenn sich die
+Menschheit nicht bald auf eine neue reinere
+Form der Gemeinschaft besinnt und sie sich
+zu einem Gesetze macht, dem es dann nicht
+mehr auferlegt werden braucht, über Fälle
+wie diesen zu richten.
+</p>
+
+<div class="ads chapter">
+<p class="ser">
+<span class="line1">In der Sammlung</span><br>
+<span class="line2">AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT</span><br>
+<span class="line3">– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –</span><br>
+<span class="line4">sind bis jetzt folgende Bände erschienen:</span>
+</p>
+
+ <div class="table">
+ <div class="volumes">
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 1:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">ALFRED DÖBLIN</span><br>
+DIE BEIDEN FREUNDINNEN UND IHR GIFTMORD
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 2:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">EGON ERWIN KISCH</span><br>
+DER FALL DES GENERALSTABSCHEFS REDL
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 3:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">EDUARD TRAUTNER</span><br>
+DER MORD AM POLIZEIAGENTEN BLAU
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 4:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">ERNST WEISS</span><br>
+DER FALL VUKOBRANKOVICS
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 5:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">IWAN GOLL</span><br>
+GERMAINE BERTON, DIE ROTE JUNGFRAU
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 6:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">THEODOR LESSING</span><br>
+HAARMANN, DIE GESCHICHTE EINES WERWOLFS
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 7:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">KARL OTTEN</span><br>
+DER FALL STRAUSS
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 8:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">ARTHUR HOLITSCHER</span><br>
+DER FALL RAVACHOL
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 9:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">LEO LANIA</span><br>
+DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 10:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">FRANZ THEODOR CSOKOR</span><br>
+SCHUSS INS GESCHAEFT (DER FALL OTTO EISSLER)
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 11:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">THOMAS SCHRAMEK</span><br>
+FREIHERR VON EGLOFFSTEIN
+Mit einem Vorwort von ALBERT EHRENSTEIN
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 12:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">KURT KERSTEN</span><br>
+DER MOSKAUER PROZESS GEGEN DIE SOZIALREVOLUTIONÄRE 1922
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 13:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">KARL FEDERN</span><br>
+DER PROZESS MURRI-BONMARTINI
+</p>
+
+ </div>
+ <div class="r">
+<p class="v">
+Band 14:
+</p>
+
+<p class="t">
+<span class="firstline">HERMANN UNGAR</span><br>
+DIE ERMORDUNG DES HAUPTMANNS HANIKA
+</p>
+
+ </div>
+ </div>
+ </div>
+<p class="c">
+*
+</p>
+
+<p class="s c">
+Ferner erscheinen noch Bände von:
+</p>
+
+<p class="c">
+HENRI BARBUSSE, MARTIN BERADT, MAX BROD,
+E. I. GUMBEL, WALTER HASENCLEVER, GEORG
+KAISER, OTTO KAUS, THOMAS MANN, LEO MATTHIAS,
+EUGEN ORTNER, JOSEPH ROTH, RENÉ
+SCHICKELE, JAKOB WASSERMANN, ALFRED
+WOLFENSTEIN.
+</p>
+
+</div>
+
+<p class="printer">
+OHLENROTH’SCHE BUCHDRUCKEREI ERFURT
+</p>
+
+<div class="trnote chapter">
+<p class="transnote">
+Anmerkungen zur Transkription
+</p>
+
+<p class="skip_in_txt">
+Das Cover wurde vom Bearbeiter den ursprünglichen
+Bucheinbänden der Serie nachempfunden und der <i>public domain</i> zur Verfügung gestellt.
+</p>
+
+<p>
+Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
+Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
+</p>
+
+
+
+<ul>
+
+<li>
+... zurück, wo er der Sorge um seine Gesundheit ...<br>
+... zurück, wo er der Sorge um seine Gesundheit <a href="#corr-0"><span class="underline">wegen</span></a> ...<br>
+</li>
+
+<li>
+... berichtet einer, der <span class="underline">ihm</span> dabei ertappt. Und ...<br>
+... berichtet einer, der <a href="#corr-1"><span class="underline">ihn</span></a> dabei ertappt. Und ...<br>
+</li>
+
+<li>
+... zurückzwingen, aber nun halten sie <span class="underline">einem</span> ...<br>
+... zurückzwingen, aber nun halten sie <a href="#corr-2"><span class="underline">einen</span></a> ...<br>
+</li>
+
+<li>
+... Darum begegnet man <span class="underline">ihn</span> immer wieder. Erledigt ...<br>
+... Darum begegnet man <a href="#corr-3"><span class="underline">ihm</span></a> immer wieder. Erledigt ...<br>
+</li>
+
+<li>
+... <span class="underline">Rechtstaaten</span> bilden die Psychiater bei jedem ...<br>
+... <a href="#corr-5"><span class="underline">Rechtsstaaten</span></a> bilden die Psychiater bei jedem ...<br>
+</li>
+
+<li>
+... in sogenannten „Schüben“ wie der terminus ...<br>
+... in sogenannten „Schüben“<a href="#corr-6"><span class="underline">,</span></a> wie der terminus ...<br>
+</li>
+
+<li>
+... ist von sehr argwöhnischer und <span class="underline">mißtrauisch</span> ...<br>
+... ist von sehr argwöhnischer und <a href="#corr-7"><span class="underline">mißtrauischer</span></a> ...<br>
+</li>
+
+<li>
+... überdies das Blut eines der <span class="underline">geachtesten</span> Großindustriellen ...<br>
+... überdies das Blut eines der <a href="#corr-8"><span class="underline">geachtetsten</span></a> Großindustriellen ...<br>
+</li>
+</ul>
+</div>
+
+
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75925 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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